Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung [5. neu bearbeitete Auflage] 9783504386153

Mit allen Entwicklungen im Erbrecht. Topaktuelle, praxisnahe Darstellung aller Aspekte des Mandats vor und nach dem Erbf

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German Pages 2368 [2370] Year 2019

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Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung [5. neu bearbeitete Auflage]
 9783504386153

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Groll/Steiner Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung

Praxis-Handbuch

Erbrechtsberatung begründet von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus Michael Groll Ab der 4. Auflage fortgeführt und herausgegeben von

Rechtsanwalt Dr. Anton Steiner

5., neu bearbeitete und erweiterte Auflage

2019

Zitierempfehlung: Bearb. in Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 5. Aufl., Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-18064-5 ©2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Bearbeiter Merle Bock, LL.M.

Dr. Tobias Kappler

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Notar, Osterhofen Lehrbeauftragter an der Universität Regensburg

Prof. Dr. med. Clemens Cording Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie Honorarprofessor an der Universität Regensburg

Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Kindler o. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Michael Kränzle Prof. Dr. Stefan Edenfeld apl. Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Oberregierungsrat, München Lehrbeauftragter an der FernUniversität Hagen

Dr. Thomas Endemann

Dr. Hans-Frieder Krauß

Rechtsanwalt und Notar, Münster Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

Notar, München

Dr. Maria Mesch, LL.M. Dr. Oliver Fröhler Notar, Titisee-Neustadt Notariatsdirektor a.D., Lehrbeauftragter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Brsg.

Akademische Rätin a.Z. an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Dr. Robert D. von Morgen

Dr. Rüdiger Gluth, Dipl.-Finw.

Rechtsanwalt, Hamburg Fachanwalt für Erbrecht, Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität Lüneburg

Rechtsanwalt, Düsseldorf Fachanwalt für Steuerrecht

Prof. Dr. Karlheinz Muscheler o. Professor an der Ruhr-Universität Bochum

Paul Grötsch Rechtsanwalt, München Fachanwalt für Erbrecht

Prof. Dr. Susanne Nienaber, LL.M. Professorin an der Fachhochschule Bielefeld

Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz Notar, Regen und Zwiesel Honorarprofessor an der Universität Regensburg

Matthias Rösler

Dr. Daniel Gubitz, LL.M.

Gerhard Ruby

Rechtsanwalt, München Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Rechtsanwalt, Villingen-Schwenningen Fachanwalt für Erbrecht, Testamentsvollstrecker und Mediator

Rechtsanwalt, München Fachanwalt für Erbrecht

Bearbeiter Dr. Torsten Schmitz

Dr. Klaus Stein

Rechtsanwalt, Münster Berufsnachlasspfleger und Testamentsvollstrecker

Rechtsanwalt und Steuerberater, Osnabrück

Dr. Falk Schulz Rechtsanwalt, Münster Fachanwalt für Erbrecht, Berufsnachlasspfleger und Testamentsvollstrecker

Dr. Anton Steiner Rechtsanwalt, München Fachanwalt für Erbrecht

Dr. Constanze Trilsch Rechtsanwältin, Dresden Fachanwältin für Erbrecht

Prof. Dr. Andreas Spickhoff

Dr. Michael Waxenberger

o. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Rechtsanwalt, München Fachanwalt für Familienrecht, Fachanwalt für Erbrecht

Vorwort zur fünften Auflage Mit großer Freude stelle ich als Herausgeber die komplett überarbeitete 5. Auflage dieses Praxis-Handbuches vor. Zahlreiche Neuerungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung waren einzuarbeiten, stellvertretend nenne ich nur die Reform des Erbschaftsteuerrechts zum 1.7.2016, die Erbschaftsteuerrichtlinien 2019 und das „Facebook-Urteil“ des BGH. Um den Bedürfnissen der Praxis noch besser gerecht zu werden, wurden drei neue Kapitel aufgenommen: zum sozialrechtlichen Zugriff auf das Erbe, zum Bestattungsrecht und zur Mediation. Besonders freut es mich, dass das Autorenteam verstärkt und verjüngt werden konnte: Hinzugekommen sind Merle Bock, Dr. Rüdiger Gluth, Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz, Dr. Daniel Gubitz, Dr. Tobias Kappler, Dr. Maria Mesch, Dr. Torsten Schmitz und Dr. Michael Waxenberger. Mit frischem Blick haben sie das jeweilige Kapitel neu bearbeitet. Auch das praktisch so wichtige Kapitel über die Testierfähigkeit wurde komplett neu bearbeitet, dabei freue ich mich sehr, dass für die medizinischen Aspekte Prof. Dr. Clemens Cording als Autor gewonnen werden konnte. Allen Autoren, dem Verlag und seinen Mitarbeitern möchte ich ganz besonders herzlichen Dank sagen. Sie haben mit größtmöglicher Sorgfalt gearbeitet, um dem Leser die bestmögliche Hilfe bei den komplexen Beratungsaufgaben des Erbrechts an die Hand zu geben. München, im Februar 2019

Anton Steiner

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Die Normen, welche die Vermögensnachfolge regeln, zählen zu den kompliziertesten, zugleich tückischsten unserer Rechtsordnung. Selbst für den Spezialisten bedeutet die Befassung mit diesem Gegenstand ständige und anspruchsvollste Herausforderung, der Laie ist hier mit selbstgestrickten Gestaltungen ohnehin zum Scheitern verurteilt. Das Handbuch möchte den Leser möglichst umfassend mit den Besonderheiten der Vermögensnachfolge vertraut machen. Das verlangt die Vermittlung einer Fülle von Stoff. Herausgeber und Autoren haben sich im Interesse einer umfassenden Darstellung bemüht, die gesamte relevante Rechtsprechung sowie die maßgeblichen Literaturmeinungen zu berücksichtigen, können aber für die Vollständigkeit keine Gewähr übernehmen. Um die Darstellung aufzulockern und um dem Leser den Weg zu ebnen zu ganz typischen Fragestellungen, wurden zahlreiche klassische Beratungssituationen gebildet, deren Behandlung in vielfältige konkrete Beratungshinweise mündet. Die in den Text aufgenommenen Formulierungsvorschläge dienen als Beispiele, sind aber natürlich nicht ohne weiteres auf jeden denkbaren Sachverhalt anwendbar. Sie müssen in Bezug auf die Anforderungen des speziellen Einzelfalles geprüft und ggf. angepasst bzw. ergänzt werden. Zwecks Erleichterung der Stoffsuche orientiert sich die Gliederung des Handbuchs im Wesentlichen an derjenigen des BGB. Der juristische Stoff ist aber nur das eine. Er dient keinem Selbstzweck, sondern dem Leben. Er ist daher untrennbar mit dem Schicksal der beteiligten Personen verbunden. Wo immer sinnvoll, waren wir bemüht, den Zusammenhang zwischen dem Recht einerseits und der Psychologie, Weisheit und Lebenserfahrung andererseits zu erhellen. In kaum einem Rechtsbereich menschelt es so sehr wie gerade beim Thema „Vermögensnachfolge“. Die drei Hauptziele kluger Gestaltung – Gerechtigkeit, Schutz des Vermögens (auch gegenüber dem Fiskus) und vor allem Frieden – wird der Berater nur verwirklichen, wenn er zum einen die Rechtslage durchschaut, zum anderen sich einfühlsam in die ganz individuellen Besonderheiten des Einzelfalls versenkt. Jede gelungene Gestaltung einer Vermögensnachfolge dient nicht nur dem Glück der Beteiligten, sondern liefert zugleich einen wertvollen Beitrag zur Kultur. München, im Juli 2001

Der Herausgeber VII

Vorwort zur fünften Auflage Mit großer Freude stelle ich als Herausgeber die komplett überarbeitete 5. Auflage dieses Praxis-Handbuches vor. Zahlreiche Neuerungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung waren einzuarbeiten, stellvertretend nenne ich nur die Reform des Erbschaftsteuerrechts zum 1.7.2016, die Erbschaftsteuerrichtlinien 2019 und das „Facebook-Urteil“ des BGH. Um den Bedürfnissen der Praxis noch besser gerecht zu werden, wurden drei neue Kapitel aufgenommen: zum sozialrechtlichen Zugriff auf das Erbe, zum Bestattungsrecht und zur Mediation. Besonders freut es mich, dass das Autorenteam verstärkt und verjüngt werden konnte: Hinzugekommen sind Merle Bock, Dr. Rüdiger Gluth, Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz, Dr. Daniel Gubitz, Dr. Tobias Kappler, Dr. Maria Mesch, Dr. Torsten Schmitz und Dr. Michael Waxenberger. Mit frischem Blick haben sie das jeweilige Kapitel neu bearbeitet. Auch das praktisch so wichtige Kapitel über die Testierfähigkeit wurde komplett neu bearbeitet, dabei freue ich mich sehr, dass für die medizinischen Aspekte Prof. Dr. Clemens Cording als Autor gewonnen werden konnte. Allen Autoren, dem Verlag und seinen Mitarbeitern möchte ich ganz besonders herzlichen Dank sagen. Sie haben mit größtmöglicher Sorgfalt gearbeitet, um dem Leser die bestmögliche Hilfe bei den komplexen Beratungsaufgaben des Erbrechts an die Hand zu geben. München, im Februar 2019

Anton Steiner

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Die Normen, welche die Vermögensnachfolge regeln, zählen zu den kompliziertesten, zugleich tückischsten unserer Rechtsordnung. Selbst für den Spezialisten bedeutet die Befassung mit diesem Gegenstand ständige und anspruchsvollste Herausforderung, der Laie ist hier mit selbstgestrickten Gestaltungen ohnehin zum Scheitern verurteilt. Das Handbuch möchte den Leser möglichst umfassend mit den Besonderheiten der Vermögensnachfolge vertraut machen. Das verlangt die Vermittlung einer Fülle von Stoff. Herausgeber und Autoren haben sich im Interesse einer umfassenden Darstellung bemüht, die gesamte relevante Rechtsprechung sowie die maßgeblichen Literaturmeinungen zu berücksichtigen, können aber für die Vollständigkeit keine Gewähr übernehmen. Um die Darstellung aufzulockern und um dem Leser den Weg zu ebnen zu ganz typischen Fragestellungen, wurden zahlreiche klassische Beratungssituationen gebildet, deren Behandlung in vielfältige konkrete Beratungshinweise mündet. Die in den Text aufgenommenen Formulierungsvorschläge dienen als Beispiele, sind aber natürlich nicht ohne weiteres auf jeden denkbaren Sachverhalt anwendbar. Sie müssen in Bezug auf die Anforderungen des speziellen Einzelfalles geprüft und ggf. angepasst bzw. ergänzt werden. Zwecks Erleichterung der Stoffsuche orientiert sich die Gliederung des Handbuchs im Wesentlichen an derjenigen des BGB. Der juristische Stoff ist aber nur das eine. Er dient keinem Selbstzweck, sondern dem Leben. Er ist daher untrennbar mit dem Schicksal der beteiligten Personen verbunden. Wo immer sinnvoll, waren wir bemüht, den Zusammenhang zwischen dem Recht einerseits und der Psychologie, Weisheit und Lebenserfahrung andererseits zu erhellen. In kaum einem Rechtsbereich menschelt es so sehr wie gerade beim Thema „Vermögensnachfolge“. Die drei Hauptziele kluger Gestaltung – Gerechtigkeit, Schutz des Vermögens (auch gegenüber dem Fiskus) und vor allem Frieden – wird der Berater nur verwirklichen, wenn er zum einen die Rechtslage durchschaut, zum anderen sich einfühlsam in die ganz individuellen Besonderheiten des Einzelfalls versenkt. Jede gelungene Gestaltung einer Vermögensnachfolge dient nicht nur dem Glück der Beteiligten, sondern liefert zugleich einen wertvollen Beitrag zur Kultur. München, im Juli 2001

Der Herausgeber VII

Schnellübersicht Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . Musterübersicht . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . Allgemeines Literaturverzeichnis

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VII XI XLIII LIII LXI

§ 1 Grundüberlegungen zur Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Gebühren in Erbsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 29

Teil 1 Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

Teil 2 Vorweggenommene Erbfolge § 3 Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . § 4 Absicherung des Übergebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 82

Teil 3 Gestaltung letztwilliger Verfügungen §5 §6 §7 §8 §9 § 10 § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18 § 19 § 20

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . Formen letztwilliger Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nacherbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinschaftliches Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behinderten- und Bedürftigentestament . . . . . . . . . . . . . . . Nichteheliche Partner im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Minderjährige Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung . . . . Landwirtschaftliches Sondererbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht Digitaler Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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101 147 246 264 303 320 391 435 476 541 596 690 736 801 881 913

IX

Schnellübersicht

Teil 4 Folgen des Erbfalls Seite

§ 21 § 22 § 23 § 24 § 25 § 26 § 27 § 28 § 29 § 30 § 31 § 32 § 33

Gesetzliche Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . Annahme und Ausschlagung der Erbschaft . . Nachlasspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Alleinerben . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auskunftsansprüche im Erbrecht . . . . . . . . Erbschaftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis . Erbschaftskauf und Erbteilskauf . . . . . . . . . Bestattungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialrechtlicher Zugriff auf das Erbe . . . . .

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963 995 1073 1119 1218 1259 1644 1679 1698 1811 1913 1925 1951

§ 34 Klage vor dem Prozessgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 35 Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 36 Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1967 1993 2005

Teil 5 Verfahrensrechtliche Durchsetzung erbrechtlicher Ansprüche

Teil 6 Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht § 37 Mandat vor dem Erbfall: Steuerprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 38 Mandat nach dem Erbfall: Steueroptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 39 Internationales Erbschaftsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2011 2105 2121

Teil 7 Erbfall mit Auslandsberührung § 40 § 41 § 42 § 43

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2145 2170 2209 2220

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2231

X

Besonderheiten bei Auslandsberührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfügungen von Todes wegen und Formfragen bei Auslandsberührung . Internationales Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . Schnellübersicht . . . . . . . . . . . Musterübersicht . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . Allgemeines Literaturverzeichnis

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VII IX XLIII LIII LXI

Teil 1 Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung § 1 Grundüberlegungen zur Beratung (Steiner) I. 1. 2. 3. 4.

Der Mandant im Mittelpunkt ganzheitlicher Beratung . . . . . . Erwartungen des Mandanten und Anforderungen an den Berater Nachlassplanung als erbrechtsübergreifende Aufgabe . . . . . . . . Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenprofil und Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. 1. 2. 3.

Methodik der Nachlassplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungs-, Risiko- und Abwicklungsplanung . . . . . . . . . . Fünf Arbeitsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Einschränkungen des idealtypischen Arbeitsganges .

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III. 1. 2. 3.

Interessenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallgruppen der Interessenkollision im erbrechtlichen Mandat

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IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten, Verschuldensmaßstab, Beweislast, Mitverschulden . Haftende Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Haftungsrisiken im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . Haftpflichtversicherung und Verhalten im Haftungsfall . . . .

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I. Grundlegende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 2 Gebühren in Erbsachen (Ruby)

II. 1. 2. 3.

Honorar für Beratung, Gutachten, Mediation Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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31 31 34 34

XI

Inhaltsübersicht Seite

III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Vergütungsvereinbarung . Zulässigkeit . . . . . . . . . Form . . . . . . . . . . . . . . Hinweispflicht . . . . . . . . Ausgestaltung . . . . . . . . Erfolgshonorar . . . . . . . Checkliste . . . . . . . . . .

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IV. Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außergerichtliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 40 40

V. ABC der Gegenstandswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

VI. 1. 2. 3.

Außergerichtliche Vertretung . . Gebührentatbestände . . . . . . . Abgeltungsbereich der Gebühren Mehrere Auftraggeber . . . . . . .

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46 46 47 47

VII. 1. 2. 3.

Gerichtliche Vertretung . . . . . Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . Abgeltungsbereich der Gebühren Mehrere Auftraggeber . . . . . . .

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VIII. ABC der Anwaltsgebühren beim erbrechtlichen Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

X. Vergütung in Steuersachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

XI. ABC der GNotKG-Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

Teil 2 Vorweggenommene Erbfolge § 3 Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge (Grötsch) I. Die vorweggenommene Erbfolge im System der Nachlassplanung . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fallgruppen und rechtliche Instrumente der Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . .

62 62 62

II. 1. 2. 3.

Vor- und Nachteile lebzeitiger Vermögensübertragung Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. 1. 2. 3. 4.

Besonderheiten bei Beteiligung Minderjähriger . Durchführung der Zuwendung . . . . . . . . . . . . Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . Sicherung des Einflusses der Übergeber . . . . . . .

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74 75 77 78 78

IV. 1. 2. 3.

Gegenleistungen des Übernehmers Abstandszahlungen . . . . . . . . . . . Gleichstellungsgelder . . . . . . . . . . Übernahme von Schulden . . . . . .

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79 79 80 80

XII

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Inhaltsübersicht

§ 4 Absicherung des Übergebers (Grötsch) Seite

I. Notwendigkeit der Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

II. Versorgung des Übergebers und Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nutzungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederkehrende Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 83 87

III. 1. 2. 3. 4.

Rückforderungsrechte und Weiterübertragung Gesetzliche Rückforderungsrechte . . . . . . . . . Vertragliche Rückforderungsrechte . . . . . . . . . Verpflichtung zur Weiterübertragung . . . . . . . Verfügungsrechte des Übergebers . . . . . . . . . .

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91 91 92 98 99

I. 1. 2. 3. 4. 5.

Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der Testierfähigkeit für die erbrechtliche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychiatrische Kriterien zur Beurteilung der Testier(un)fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . Vorgehen bei zweifelhafter Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßnahmen des vorbeugenden Selbstschutzes vor den Folgen späterer Geistesschwäche

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103 103 105 118 130 136

II. 1. 2. 3. 4.

Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsatz der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung der Testierfreiheit durch die Rechtswahlmöglichkeit der EuErbVO Gesetzliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschränkungen durch Selbstbindung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . .

Teil 3 Gestaltung letztwilliger Verfügungen § 5 Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit (von Morgen/Cording)

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138 138 139 140 146

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150 150 154 164 177

II. Widerruf und Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerruf einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182 182 191

§ 6 Formen letztwilliger Verfügungen (Kappler) I. 1. 2. 3. 4.

III. 1. 2. 3. 4. 5.

Errichtung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . Formen der Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . Öffentliches Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenhändiges Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Außerordentliche Testamentsformen – Nottestamente .

Der Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . Erbvertrag in Abgrenzung zum Testament . . . . . . . Voraussetzungen für den Abschluss eines Erbvertrags Arten des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufhebungs- und Bindungswirkung des Erbvertrags .

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201 201 201 202 203 204 XIII

Inhaltsübersicht Seite

6. 7. 8. 9. 10. 11.

Beseitigung der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufhebung und Rücktritt beim Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . Form des Erbvertrags, Kosten nach GNotKG . . . . . . . . . . . . . Verbindung des Erbvertrags mit einem Ehevertrag . . . . . . . . . Wirkung des Erbvertrags auf lebzeitige Verfügungen . . . . . . . . Verwahrung des Erbvertrags und Rückgabe aus der Verwahrung

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206 212 219 220 220 222

IV. 1. 2. 3.

Hinterlegung, Ablieferung, Eröffnung des Testaments Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablieferung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eröffnung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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223 223 224 225

V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Auslegung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . Grundsätze der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergänzende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzliche Auslegungs- und Ergänzungsvorschriften . . . . . Wohlwollende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht: Auslegung letztwilliger Verfügungen . . . . . . . . . Auslegung und Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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226 227 228 231 234 236 237 237 238

VI. 1. 2. 3.

Schenkungsversprechen von Todes wegen, § 2301 BGB . . . Abgrenzung zu den Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . Überlebensbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollzogene Schenkung auf den Todesfall, § 2301 Abs. 2 BGB .

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VII. Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelfälle von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . .

243 243 244

§ 7 Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft (Grötsch) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

246

II. Checkliste für das erste Beratungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247

III. Gestaltungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247

IV. Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung, Vermächtnis und Teilungsanordnung (§ 2087 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einzelfälle aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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248 248 250 250 251 252

V. Einsetzung auf einen Bruchteil (§ 2088 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

254

VI. Erhöhung und Minderung der Bruchteile (§§ 2089, 2090 BGB) . . . . . . . . . . . . .

254

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VII. Unbestimmte Erbteile (§ 2091 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

254

VIII. Teilweise Einsetzung auf Bruchteile (§ 2092 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

IX. Gemeinschaftlicher Erbteil (§ 2093 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

XIV

Inhaltsübersicht Seite

X. Anwachsung (§§ 2094, 2095 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. 1. 2. 3. 4. 5.

Die Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB) . . . . Regelung unverzichtbar . . . . . . . . . . . Zweifelsfälle aus der Praxis . . . . . . . . . Die Rechtsstellung des Ersatzerben . . . . Die Ersatzerbschaft als Gestaltungsmittel Auslegungsregeln (§§ 2097 ff. BGB) . . . .

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256

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257 257 258 259 261 263

I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

§ 8 Vor- und Nacherbschaft (Edenfeld)

II. 1. 2. 3.

Anordnung der Vor- und Nacherbschaft durch Verfügung von Todes wegen . Notwendiger Inhalt der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gestaltungsfreiheit des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Auslegung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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267 267 268 272

Rechtliche Stellung des Vorerben . . Verfügung über Nachlassgegenstände Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . Der befreite Vorerbe . . . . . . . . . .

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277 278 285 288

IV. Rechtsposition des Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stellung des Nacherben während der Dauer der Vorerbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellung des Nacherben bei Eintritt des Nacherbfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

290 290 296

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

302

III. 1. 2. 3.

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§ 9 Auflage (Trilsch) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4. 5.

Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . .

304 304 304 305 305 306

III. Vor- und Nachteile der Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

306

IV. 1. 2. 3. 4.

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307 307 307 307 308

V. Beschwerter der Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

309

VI. Auflagenbegünstigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

310

VII. Vollziehungsberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311 311

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303

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Inhalt der Auflage . . . . . . . . . Vermögensrechtlicher Inhalt . . . Nichtvermögensrechtlicher Inhalt Die Zweckauflage . . . . . . . . . . Grenzen der Auflage . . . . . . . .

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XV

Inhaltsübersicht Seite

2. Wegfallbegünstigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

312 312 312

VIII. Gestaltungsmöglichkeiten für Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

313

IX. Unwirksamkeit der Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

317

X. Unmöglichkeit der Vollziehung einer Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

318

XI. Steuerliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

318

§ 10 Vermächtnis (Nienaber/Schmitz) I. Vorbemerkung und Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Checkliste für die Beratung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323 323 324

II. 1. 2. 3. 4.

Das Vermächtnis im Verhältnis zu anderen erbrechtlichen Gestaltungsformen Das Vorausvermächtnis und die Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Vermächtnis und die Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Vermächtnis und die Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung bei nicht eindeutiger letztwilliger Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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325 325 329 330

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330

III. 1. 2. 3.

Die Person des Bedachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch den Erblasser . . . . . Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch Dritte . . . . . . . . . Die Person des Vermächtnisnehmers bei besonderen Vermächtnisarten

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IV. 1. 2. 3. 4. 5.

Die Person des Beschwerten . . . . . . . . . . . . . . Der Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Begünstigte einer Schenkung von Todes wegen Mehrere Beschwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wegfall des Beschwerten . . . . . . . . . . . . . . .

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V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Der Vermächtnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Stückvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verschaffungsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wahlvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gattungsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zweckvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Universalvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Unternehmen als Vermächtnisgegenstand . . . . . . . . . Das Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das digitale Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nutzungen und Früchte des Vermächtnisgegenstandes .

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344 344 346 348 348 349 350 350 353 361 362 363

VI. Die Wirksamkeit des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

364

VII. Erwerb des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Anfall des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Fälligkeit des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XVI

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Inhaltsübersicht Seite

3. Verjährung des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Annahme und Ausschlagung des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

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369 369 372 374 375 375 376

Erfüllung des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auskunftsanspruch des Bedachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfüllung durch Dritte bzw. den Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sicherung des Vermächtnisanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sicherungsmöglichkeiten aufgrund besonderer Anordnungen des Erblassers Der Vermächtniserfüllungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfüllung von Vermächtnissen zugunsten Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Durchsetzung von Vermächtnisansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . Nachlasspflegschaft bei der Durchsetzung von Vermächtnisansprüchen gegen unbekannte Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die steuerrechtliche Behandlung des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten beim Nachvermächtnis und beim bedingten Vermächtnis Steuerliche Fragen beim Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten beim Rentenvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerliche Fragen im Kontext des sog. Berliner Testaments . . . . . . . . .

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385 385 386 387 387 388 388

XI. Das Vermächtnis in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

390

IX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. X. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung des beschwerten Vermächtnisnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung bei einer Mehrheit von Beschwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung des Beschwerten bei Vorerfüllung des Erblassers . . . . . . . . . . . Die Haftung des Testamentsvollstreckers gegenüber dem Vermächtnisnehmer . Die Haftung des Vermächtnisnehmers selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367 367

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§ 11 Gemeinschaftliches Testament (Edenfeld) I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4.

Errichtung . . . . . . . . . . . . . . Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . Errichtungszusammenhang . . . . Allein gegenseitige Erbeinsetzung

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392 393 394 397 399

III. 1. 2. 3.

Das gegenseitige gemeinschaftliche Testament Gestaltungsmöglichkeiten der Erblasser . . . . . . Trennungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berliner Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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400 400 404 407

IV. 1. 2. 3.

Wechselbezügliche Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechselbezüglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutz der Endbedachten vor lebzeitigen Verfügungen des überlebenden Ehegatten

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418 418 422 431

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

433 XVII

Inhaltsübersicht

§ 12 Behinderten- und Bedürftigentestament (Krauß) Seite

I. Gestaltungsaufgaben und -ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

436

II. „Enterbungslösung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

438

III. „Auflagenlösung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439

IV. 1. 2. 3.

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439 439 441 443

„Klassische“ Erbschaftslösung: Destinatär als Mitvorerbe, Testamentsvollstreckung Gestaltungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begleitende Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialrechtliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zivilrechtliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

444 444 447 456 458 459

VI. Variante I der Erbschaftslösung: Destinatär als alleiniger Vorerbe . . . . . . . . . . . .

460

V. 1. 2. 3. 4. 5.

Vermächtnislösungen . . . . . . . . . . . . Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachvermächtnis . . . . . . . . . Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts?

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VII. Variante II der Erbschaftslösung: Destinatär als Mitnacherbe . . . . . . . . . . . . . . . VIII. 1. 2. 3.

Das „Bedürftigentestament“ . . Erbschaftslösungen . . . . . . . . . Vermächtnislösungen . . . . . . . Aufhebung der Beschränkungen

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461

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461 461 464 465

I. Gesetzliches Erbrecht für nichteheliche Partner und gemeinschaftliche Kinder . . . 1. Erbrecht der nichtehelichen Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erbrecht der gemeinschaftlichen Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

477 477 479

II. 1. 2. 3.

§ 13 Nichteheliche Partner im Erbrecht (Krauß)

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489 489 492 500

III. 1. 2. 3.

Beschränkungen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindung durch gesetzliche Erbrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindung durch letztwillige Verfügung aus früheren Verbindungen „Erbentzug“ wegen nichtehelichen Zusammenlebens? . . . . . . . .

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512 512 515 516

IV. 1. 2. 3. 4. 5.

Lebzeitige Zuwendungen nichtehelicher Partner . . . . . . . . . . . . . . . Zivilrichterliche Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche Dritter aufgrund lebensgemeinschaftsbedingter Zuwendungen §§ 2287 f. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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517 518 522 522 532 534

V. Schenkung- und Erbschaftsteuer unter nichtehelichen Lebensgefährten . . . . . . . .

534

VI. Erbrecht der eingetragenen Lebenspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliches Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

536 536

XVIII

Erbrecht durch letztwillige Verfügung . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berücksichtigung der familiären und persönlichen Situation .

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Inhaltsübersicht Seite

2. Gewillkürtes Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schenkung- und Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

538 539

§ 14 Minderjährige Erben (Fröhler) I. Der Begriff des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4.

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543 543 543 544 545

Gestaltung durch Verfügung von Todes wegen des beschenkten Minderjährigen Ausgangsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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550 550 550 552

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553 553

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553 554 556 557 557

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558 559

V. Minderjährige Enkelkinder als Nutznießer letztwilliger Pflichtteilsbeschränkung . .

561

VI. Schutz minderjähriger Kinder des erstversterbenden Ehegatten in PatchworkFamilien durch Ausbildungsunterhaltsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

563

III. 1. 2. 3.

Lebzeitige Zuwendungen mittels vorweggenommener Erbfolge Ausgangsdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinder unter sieben Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sieben- bis 17-jährige Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lediglich-rechtlicher Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. Gestaltung durch letztwillige Verfügung zugunsten Minderjähriger . . . . . . . . 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsrechtsentzug zulasten der Eltern unter Benennung eines Ergänzungspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verwaltungsanordnung gegenüber den Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Benennung eines Vormundes für die eigenen minderjährigen Kinder . . . . . . . . 6. Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis . . . . . . . . . . . . 7. Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes für minderjährige nicht aus einer Ehe entstammende Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Testamentsvollstreckung bei minderjährigen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Gestaltung durch Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- bzw. Zuwendungsverzichtsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Praktische Relevanz bei Beteiligung Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgangsdifferenzierung nach Verzichtsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Differenzierung nach der Rolle des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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564 564 564 572

VIII. Die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinsantrag . . . . . . . . . .

574

IX. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Gestaltung durch Erbschaftsausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgangsproblematik für die Erbschaftsausschlagung minderjähriger Kinder . . Gesetzliche Vertretung des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genehmigungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problematik Kontrollvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere örtliche Zuständigkeit zur nachlassgerichtlichen Protokollierung von Erbausschlagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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576 576 578 578 579 583

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X. Vermögensverzeichnispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

592

XIX

Inhaltsübersicht Seite

XI. Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft als ausschließliche Erfüllung einer Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Pflichtteilsanspruch und Ergänzungspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Alleinerbschaft des längstlebenden Ehegatten und Pflichtteilsanspruch des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Alleinerbschaft des minderjährigen Kindes und Pflichtteilsanspruch des längstlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

593 594 594 595

§ 15 Unternehmensnachfolge (Kindler/Gubitz) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

598

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsmöglichkeiten des Erben nach dem Erbfall Haftungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Registerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miterbengemeinschaft als Unternehmensträger . . . . . . . Erbrechtliche Gestaltungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . . . .

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599 599 600 602 606 607 609 618 623

III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Nachfolge in Anteile an Personengesellschaften . . . . . Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsvertragliche Regelungsmöglichkeiten . . . . . Entscheidungsmöglichkeiten des Erben nach dem Erbfall Haftungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Registerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbrechtliche Gestaltungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . . . .

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626 626 627 642 644 651 652 663 667

IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Nachfolge in Anteile an Kapitalgesellschaften . . . . . . . Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzlicher Regelfall: Alle Erben in Miterbengemeinschaft Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . Haftungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbrechtliche Gestaltungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . . . . .

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669 669 670 673 681 683 687 688

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692 693 695 696

§ 16 Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung (Stein) I. 1. 2. 3.

XX

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motive für die Errichtung einer Stiftung Arten der Stiftungen . . . . . . . . . . . . Die privatrechtliche Stiftung . . . . . . .

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Inhaltsübersicht Seite

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Typologie der häufigsten Stiftungsarten . Gemeinnützige Stiftung . . . . . . . . . . . . Inländische Familienstiftung . . . . . . . . . Gemeinnützige Familienstiftung . . . . . . Doppelstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbrauchsstiftung . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensträgerstiftung . . . . . . . . .

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703 703 704 706 707 708 709

III. 1. 2. 3.

Steuerrechtliche Fragen . . . . . . . Besteuerung der Stiftungserrichtung Die laufende Besteuerung . . . . . . . Besteuerung der Stiftungsaufhebung

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711 711 715 720

IV. 1. 2. 3. 4.

Ausländische Stiftungen und verwandte Rechtsinstitute Deutsches Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbschaft- und Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Trust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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722 722 724 724 725

V. Alternative Rechtsformen zur Erreichung von Stiftungszielen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Stiftungs-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unselbständige Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

731 731 732

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§ 17 Landwirtschaftliches Sondererbrecht (Ruby) I. Zielsetzungen des Landwirtschaftserbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3.

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740 740 742 742

BGB-Landguterbrecht i.V.m. §§ 13 ff. GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsame Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Voraussetzungen des § 2049 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Voraussetzungen des § 2312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vererbung des Landguts bei fortgesetzter Gütergemeinschaft gem. § 1515 BGB . . . Verfahren auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs aus der Erbengemeinschaft nach §§ 13 ff. GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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743 746 756 759 764

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IV. Anerbengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleichende Darstellung der Anerbenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

775 776 777

III. 1. 2. 3. 4. 5.

V. 1. 2. 3.

Verhältnis der Anerbengesetze zum BGB-Landguterbrecht . . . . . . Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wann gilt ein Anerbengesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über die regionalen anerbenrechtlichen Sondervorschriften .

Hofübergabe zu Lebzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Hofübergabevertrags, insbesondere Altenteil Rechtsnatur des Hofübergabevertrags und Pflichtteil . . Formlos wirksames Hofübergabeversprechen . . . . . .

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790 790 796 800

XXI

Inhaltsübersicht

§ 18 Erbverzicht (Muscheler) Seite

I. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff, Rechtsnatur und praktische Bedeutung . . . . . . . . . Allgemeines zu den drei Arten des Erbverzichts . . . . . . . . . Beschränkungsmöglichkeiten beim Erbverzicht i.w.S. . . . . . Allgemeine Vorteile des Erbverzichts i.w.S. für den Erblasser . Anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbverzicht und EU-Erbrechtsverordnung . . . . . . . . . . . .

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804 804 805 806 809 810 810

II. 1. 2. 3.

Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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811 811 812 823

III. 1. 2. 3.

Der isolierte Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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827 827 828 830

IV. 1. 2. 3.

Der Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .

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832 832 837 838

V. 1. 2. 3.

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Kosten- und Gebührenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notarkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kostenübersicht über die neben dem Erbverzicht bestehenden Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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839 839 841

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841

Steuerliche Behandlung des Erbverzichts Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . .

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842 843 844 845

Das Kausalgeschäft zum Erbverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notwendigkeit und Inhalt eines Verpflichtungsgeschäfts (i.d.R. Abfindungsvertrag) Wirksamkeit des Kausalgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen eines unwirksamen oder fehlenden Kausalgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . Rücktritt vom Kausalgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungsstörungen beim Kausalgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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846 846 850 853 854 855

VIII. Verknüpfung des Kausalgeschäfts mit dem Erbverzicht i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . .

856

VI. 1. 2. 3. VII. 1. 2. 3. 4. 5. IX. 1. 2. 3.

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Der Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probleme bei Anbahnung und Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. . . . . . . . . Der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags im Zusammenhang mit anderen Verträgen (v.a. Übergabeverträgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Formerfordernisse, insbesondere stillschweigender Erbverzicht . . . . . . . . . . . . . .

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857 857 857

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861 862

X. Vorbereitung und Gestaltung von Erbverzichtsverträgen (Checkliste und Formulierungsvorschläge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

866

XI. Beseitigung der Wirkungen des Erbverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufhebungsvertrag (§ 2351 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

870 870

XXII

Inhaltsübersicht Seite

2. 3. 4. 5.

Rücktritt und Widerruf . . . . . . Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . Störung der Geschäftsgrundlage . Sittenwidrigkeit des Erbverzichts

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872 872 874 875

I. Einleitung: „Patientenverfügungen“ und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

882

§ 19 Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht (Spickhoff/Mesch)

II. Der rechtstatsächliche Hintergrund: Medizinische Extremsituationen und juristische Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Intensivbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tod und Todeszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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884 884 885 887 888 889

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890 890 891 893

IV. Genehmigung des Betreuungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

894

III. 1. 2. 3. V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . Der einwilligungsfähige Patient . . . . . . . . . . Die Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit Der nicht einwilligungsfähige Patient . . . . . .

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Die sog. Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition, Rechtsnatur, Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsorgeregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbindlichkeit: Grundsatz und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfungsrecht und Prüfungspflicht von Betreuer und Bevollmächtigtem Fehlen eines Betreuers oder Bevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . Druckausübung bei der Errichtung von Patientenverfügungen . . . . . . Widerruf einer Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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895 896 898 898 900 901 902 903

Die Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . Gesundheitsangelegenheiten . . . . . . Sonstige persönliche Angelegenheiten Vertretung im Vermögensbereich . . .

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904 904 905 906

VII. Die Betreuungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

907

VIII. Musterformulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. 1. 2. 3.

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§ 20 Digitaler Nachlass (Bock) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3.

Rechtliche Grundsätze zum digitalen Nachlass . Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . Allgemeine Grenzen der Vererblichkeit . . . . . . . Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte Dritter

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915

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916 916 917 926

III. Rechtspositionen mit digitalem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

937 937 XXIII

Inhaltsübersicht Seite

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Speichermedien und Hardware . . . . . . . . Accountverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . Online-Bezahlsysteme . . . . . . . . . . . . . . Virtuelle Gegenstände und Währungen . . . Webseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E-Books, Musik- und Videosammlungen . . Online-Bestellungen und Internetauktionen

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Gestaltung durch AGB . . . . . . . . . Befristungs- und Bedingungsklauseln Kündigungsklauseln . . . . . . . . . . . Legitimationsklauseln . . . . . . . . . . Kontosicherheitsklauseln . . . . . . . . Abwicklungsklauseln . . . . . . . . . . .

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V. Auslandsbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

948 948 950

IV. 1. 2. 3. 4. 5.

VI. 1. 2. 3.

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Konsequenzen für die Beratungspraxis . . Perspektiven und Interessen der Beteiligten Gestaltung der Rechtslage . . . . . . . . . . . . Faktische Gewährleistung des Zugriffs . . . .

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I. Wann tritt die gesetzliche Erbfolge ein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

965

II. Überraschungen und Tücken der gesetzlichen Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

965

Teil 4 Folgen des Erbfalls § 21 Gesetzliche Erbfolge (Grötsch)

III. 1. 2. 3.

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966 966 966 968

IV. Das gesetzliche Erbrecht des nichtehelichen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Erbrecht nach der Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Erbrecht nach dem Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

978 978 979

V. 1. 2. 3. VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Das gesetzliche Erbrecht als Verwandtenerbfolge . . . . Die gesetzliche Erbfolge als Quelle von Beratungsfehlern Der Begriff des „Verwandten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grundsäulen der Verwandtenerbfolge . . . . . . . . .

Das gesetzliche Erbrecht der als Kind Angenommenen Der minderjährig Angenommene . . . . . . . . . . . . . . . Der volljährig Angenommene . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . Grundvoraussetzungen des Ehegattenerbrechts . . . . . . . . . . . . Das Ehegattenerbrecht bei Gütertrennung und Gütergemeinschaft Besonderheiten bei der Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . Das Ehegattenerbrecht bei Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . . . Das Ehegattenerbrecht bei der Wahl-Zugewinngemeinschaft . . . . Tabellarische Übersicht zum gesetzlichen Ehegattenerbrecht . . . .

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XXIV

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7. Neue Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Der Ehegattenvoraus (§ 1932 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

991 991

VII. Das gesetzliche Erbrecht des eingetragenen Lebenspartners . . . . . . . . . . . . . . . .

992

VIII. Der Dreißigste (§ 1969 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

992

IX. Das Erbrecht des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

993 993 993

§ 22 Annahme und Ausschlagung der Erbschaft (Muscheler) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

997

II. Motive für eine Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Persönliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Finanzielle Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1002 1002 1003

III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

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1013 1013 1014 1015 1016 1017 1021

IV. Form der Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1026

V. Ausschlagungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1029 1029 1030

VI. 1. 2. 3. 4.

Ausschlagungsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vererblichkeit des Ausschlagungsrechts . . . . . . . . . . Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers Gesetzliche Ausschlagungsbeschränkungen . . . . . . . . Einflussmöglichkeiten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . Verlust des Ausschlagungsrechts durch Annahme . . . .

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IX. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1043 1043 1044 1045 1047

Besonderheiten bei Annahme und Ausschlagung eines Vermächtnisses Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen von Annahme und Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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X. 1. 2. 3.

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1039 1039 1042

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VII. Gesetzliche Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der minderjährige Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1033 1033 1034 1037 1038

Wirkung der Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wegfall des Zunächstberufenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfall an den Nächstberufenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung des Nächstberufenen durch das Nachlassgericht

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VIII. 1. 2. 3. 4.

Inhalt der Ausschlagungserklärung . Die Ausschlagungserklärung . . . . . . Bedingte Ausschlagung . . . . . . . . . Teilausschlagung . . . . . . . . . . . . . Umfang der Ausschlagung . . . . . . .

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1058 1058 1059 1060 XXV

Inhaltsübersicht Seite

4. Pflichtteilsberechtigter als Erbe und Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. 1. 2. 3. 4.

1061 1062

Haftung und Ansprüche des Zwischenerben . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche des endgültigen Erben gegen den Zwischenerben . Ansprüche des Zwischenerben gegen den endgültigen Erben . Zurechnung von Handlungen des Zwischenerben . . . . . . .

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1063 1063 1064 1065 1065

Der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschluss des Vertrags nach dem Erbfall . Abschluss des Vertrags vor dem Erbfall . .

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1070 1070 1070 1071

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Nachlasspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsstellung und Aufgaben des Nachlasspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1075 1075 1076

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

XII. 1. 2. 3.

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§ 23 Nachlasspflegschaft (Schulz)

Anordnung der Nachlasspflegschaft . . . . . . . . . . . . Sicherungspflegschaft, § 1960 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . Forderungspflegschaft („Klagepflegschaft“), § 1961 BGB Auswahl des Nachlasspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verpflichtung des Nachlasspflegers . . . . . . . . . . . . . . Ende der Nachlasspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1077 1077 1078 1079 1079 1081 1082 1082

Sicherung und Verwaltung des Nachlasses Erkenntnismöglichkeiten . . . . . . . . . . . . Umgang mit Gläubigern . . . . . . . . . . . . Sicherung und Verwaltung des Nachlasses .

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1083 1083 1083 1084

IV. Ermittlung der Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1094

V. Bericht, Vermögensverzeichnis und Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1094

III. 1. 2. 3.

VI. 1. 2. 3.

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1095 1095 1095 1095

VII. Vergütung und Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufwendungsersatz und berufsspezifische Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . .

1096 1096 1099

VIII. Beendigung der Nachlasspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abwicklung bei vermögendem Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwicklung bei überschuldetem Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1100 1100 1102

IX. Die Nachlassverwaltung als Unterfall der Nachlasspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Nachlassverwaltung und Rechtsstellung des Nachlassverwalters . . . . . . . . 2. Anordnungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1106 1106 1107

XXVI

Nachlassgerichtliche Genehmigungen . . . . . . . . . . . Genehmigungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genehmigungsverfahren/Wirksamkeit/Verfahrenspfleger Folgen fehlender Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Verfahren und Rechtsmittel . . . . . . . . . Ende der Nachlassverwaltung . . . . . . . . Wirkung der Anordnung . . . . . . . . . . . Sicherung und Verwaltung des Nachlasses Berichtspflicht und Genehmigungen . . . . Vergütung des Nachlassverwalters . . . . . Beendigung der Nachlassverwaltung . . . .

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X. Die Haftung des Nachlasspflegers und Nachlassverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1115

§ 24 Erbengemeinschaft (von Morgen) I. 1. 2. 3.

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . Typische Interessen der Beteiligten Typische Streitkomplexe . . . . . .

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1123 1123 1124 1129

II. 1. 2. 3. 4.

Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, Nachlassteilung . Grundsatz: Recht auf jederzeitige Auseinandersetzung . . . . . . . Aufschub oder Ausschluss der Erbauseinandersetzung . . . . . . . Wege der Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materiellrechtliche Grundsätze der Auseinandersetzung . . . . . .

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III. Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltung durch Testamentsvollstrecker, insbesondere als Dauertestamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftliche Verwaltung durch die Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lastentragung und Anspruch auf Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfall: Verwaltung von Unternehmensbeteiligungen im Nachlass . . . . . . . .

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1178

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1179 1179 1191 1193

IV. 1. 2. 3.

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Verfügungen über einen Erbanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pfändung eines Miterbenanteils im Wege der Zwangsvollstreckung . Belastung mit Nießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1205 1206 1212 1215 1217

Überblick über die Haftung des Alleinerben . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung mit dem Nachlass und dem Eigenvermögen . . . . . . . . . Das Recht, die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten zu verweigern Die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass . . . . . . . . . . . . . .

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1219 1219 1220 1220

II. Die Feststellung der Vermögenssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nachlassverbindlichkeiten und der Umfang der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Aufgebotsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1222 1222 1230

V. 1. 2. 3. 4.

Haftung und Forderungszuständigkeit Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungszuständigkeit . . . . . . . . . . Parteifähigkeit der Erbengemeinschaft? .

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§ 25 Haftung des Alleinerben (Endemann) I. 1. 2. 3.

XXVII

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3. Die Inventarerrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die vorläufigen Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3. 4. IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Die dauerhafte Beschränkung der Haftung auf den Nachlass . . . . . . . . . . . . . Die haftungsrechtlichen Folgen der Nachlassverwaltung und der Nachlassinsolvenz Die Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erbenhaftung nach Beendigung der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1245 1245 1248 1251

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Die Einreden der §§ 1990, 1992 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Dürftigkeitseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unzulänglichkeitseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erschöpfungseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Überbeschwerungseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Berechnung des Nachlasswertes und die Rangfolge der Nachlassverbindlichkeiten . Die weiteren Rechtsfolgen der Einreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geltendmachung der Einreden im Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geltendmachung der Einreden in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . .

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1254 1254 1255 1255 1255 1255 1257 1257 1258

§ 26 Pflichtteil (Rösler) I. 1. 2. 3.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellung der Beteiligten/Pflichtteilsreform für Erbfälle seit 1.1.2010 . Zwang zur Geltendmachung des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . Psychologie und Beratertipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1267 1267 1274 1279

II. 1. 2. 3. 4.

Pflichtteilsanspruch des Enterbten im Grundfall Kreis der Pflichtteilsberechtigten . . . . . . . . . . . Entstehung des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhe des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1280 1280 1285 1288 1294

III. Ansprüche auf Auskunft, Wertermittlung und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertermittlungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eidesstattliche Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verzug und Folgen falscher Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Checkliste für die Durchsetzung von Auskunftsansprüchen . . . . . . . . . . . 8. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1349 1349 1375 1380 1384 1385 1391 1393 1395

Pflichtteil trotz Zuwendung des Erblassers, §§ 2305–2307, 1371 Abs. 3 BGB Pflichtteilsanspruch des belasteten Erben oder Nacherben, § 2306 BGB . . . . . Pflichtteilszusatzanspruch des unzureichend bedachten Erben, § 2305 BGB . . Pflichtteilsanspruch des Vermächtnisnehmers, § 2307 BGB . . . . . . . . . . . . . Taktische Ausschlagung des Ehegatten, § 1371 Abs. 3 BGB? . . . . . . . . . . . . Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1395 1395 1405 1407 1410 1411

V. Pflichtteil bei Anrechnung und Ausgleichung von lebzeitigen Zuwendungen . . . . . . 1. Unterschiede zwischen Anrechnungs- und Ausgleichungspflichtteil, §§ 2315, 2316 BGB

1414 1414

IV. 1. 2. 3. 4. 5.

XXVIII

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Inhaltsübersicht Seite

2. 3. 4. 5.

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1415 1422 1429 1432

VI. Pflichtteilsergänzungsansprüche bei Schenkungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . 1. Pflichtteilsergänzung gegen den Erben, § 2325 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten, § 2329 BGB . . . . . . . . . . . .

1434 1434 1501

VII. 1. 2. 3. VIII. 1. 2. 3. 4. IX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Der Anrechnungspflichtteil, § 2315 BGB . . . . . . . Der Ausgleichungspflichtteil, § 2316 BGB . . . . . . . Zusammentreffen von § 2315 und § 2316 BGB . . . Zusammentreffen von § 2316 BGB und § 2325 BGB

Pflichtteil und Gesellschaftsrecht Pflichtteil . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsergänzungsansprüche . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . .

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Haftung und Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für Pflichtteilsansprüche im Außenverhältnis . . . . . . Verteidigung gegen Pflichtteilsansprüche im Außenverhältnis . Pflichtteilslast im Innenverhältnis, §§ 2320, 2321 BGB . . . . . . Haftung bei Vermächtnissen und Auflagen im Außenverhältnis

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Vermeidung und Beschränkung von Pflichtteilsansprüchen . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsentziehung und Unwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht, § 2338 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anrechnung oder Ausgleichung, §§ 2315, 2316 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösend bedingte Zuwendungen als Anreiz zum Verzicht . . . . . . . . . . . . . . Flucht in die Pflichtteilsergänzung: Schenkungen und Nutzung von Bewertungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlagerung oder Umzug ins „pflichtteilsfeindliche“ Ausland . . . . . . . . . . . . . . Flucht ins Gesellschaftsrecht und gegenseitige Zuwendungen . . . . . . . . . . . . . Einwirkung auf die Pflichtteilsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsmöglichkeiten verheirateter Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag über den künftigen Pflichtteil, § 311b Abs. 5 BGB . . . . . . . . . . . . . . . Strategien in Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1544 1544 1557 1559 1569 1569 1569

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1569 1572 1580 1580 1581 1585 1585

X. Pflichtteilsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. XII. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Taktik im Pflichtteilsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Klageart ist gegen wen richtig? . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrenshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitwert, Gerichts- und Anwaltskosten . . . . . . . . . . . . . . . Antragsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwangsvollstreckung aus Auskunfts- und Wertermittlungstiteln . Pfändung des Pflichtteilsanspruchs, § 852 ZPO . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachlassverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preisindizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage zu § 14 BewG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellarische Länderübersicht über Pflichtteils- und Noterbrechte Pflegestatistik und Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Checklisten zur Überprüfung von Immobiliengutachten . . . . . .

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XXIX

Inhaltsübersicht

§ 27 Auskunftsansprüche im Erbrecht (Edenfeld) Seite

I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auskunftsansprüche des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Auskunftsanspruch gegen den Erbschaftsbesitzer (§ 2027 Abs. 1 BGB) 2. Der Auskunftsanspruch gegen sonstige Besitzer von Nachlasssachen (§ 2027 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Auskunftsanspruch gegen Hausgenossen des Erblassers (§ 2028 BGB) 4. Die Auskunftspflicht des vorläufigen gegenüber dem endgültigen Erben . . 5. Ansprüche gegen den Testamentsvollstrecker (§§ 2215, 2218 BGB) . . . . . 6. Der Anspruch gegen den Scheinerben (§ 2362 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . 7. Allgemeine Auskunftspflichten (§§ 242, 666 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . .

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1650 1651 1654 1656 1658 1659

III. 1. 2. 3.

Auskunftsansprüche unter Miterben . . . . . . . . Der Auskunftsanspruch aus § 2057 BGB . . . . . . . Die Ansprüche aus §§ 2027, 2028 BGB . . . . . . . . Allgemeine Auskunftspflichten (§§ 242, 666 BGB) .

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1662 1662 1664 1664

IV. 1. 2. 3.

Auskunftsansprüche des Nacherben . Der Anspruch aus § 2121 BGB . . . . . Der Anspruch aus § 2127 BGB . . . . . Der Anspruch aus § 2130 Abs. 2 BGB .

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1665 1665 1667 1668

Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten Auskunftsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auskunftsschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuale Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . .

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1669 1669 1670 1671 1675

Auskunftsansprüche der Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . Der Anspruch gegen den Nachlasspfleger/-verwalter (§ 2012 BGB) Der Anspruch gegen den Fiskus als Erben (§ 2011 S. 2 BGB) . . . . Auskunftspflicht bei der Inventarerrichtung (§ 2003 Abs. 2 BGB) .

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VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1678

V. 1. 2. 3. 4. VI. 1. 2. 3.

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§ 28 Erbschaftsanspruch (Edenfeld) I. 1. 2. 3.

Bedeutung des Erbschaftsanspruchs . . . . . . . . Einzelansprüche des Erben . . . . . . . . . . . . . . Der erbrechtliche Gesamtanspruch (§ 2018 BGB) Verhältnis zu den Einzelansprüchen . . . . . . . . .

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1679 1679 1680 1681

II. 1. 2. 3.

Der Herausgabeanspruch gegen den Erbschaftsbesitzer Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuale Aspekte, Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . .

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1683 1683 1686 1689

Sekundäre Ansprüche bei Unmöglichkeit der Herausgabe Haftung des gutgläubigen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . . Haftung des verklagten Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . . . Haftung des bösgläubigen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . . Haftung des deliktischen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . .

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1690 1691 1691 1692 1692

III. 1. 2. 3. 4. XXX

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Inhaltsübersicht Seite

IV. 1. 2. 3.

Verwendungsansprüche des Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . Ansprüche des gutgläubigen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . . . Ansprüche des bösgläubigen oder verklagten Erbschaftsbesitzers Ansprüche des deliktischen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . . .

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1693 1693 1696 1696

V. Zusammenfassung und Übersicht der Ansprüche des wahren Erben . . . . . . . . . .

1696

§ 29 Testamentsvollstreckung (Steiner) I. 1. 2. 3.

Plädoyer für die Testamentsvollstreckung . Elementarziele des Erblassers . . . . . . . . . Funktionen der Testamentsvollstreckung . . Die Person des Testamentsvollstreckers . . .

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1702 1702 1703 1705

II. Allgemeine Ratschläge für die Amtsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1706

III. Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers und Abgrenzung zu anderen Rechtsfiguren (insbesondere Vollmacht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Testamentsvollstreckung und trans- sowie postmortale Vollmacht . . . . . . . . . . . . .

1707 1707 1707

IV. 1. 2. 3.

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1709 1709 1709 1712

Arten der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist Testamentsvollstreckung gewollt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über die Testamentsvollstreckungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Abwicklungstestamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dauer- und Verwaltungstestamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung als differenziertes Gestaltungsmittel (Erweiterungen und Beschränkungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung über Vor- und Nacherbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnistestamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung und Behindertentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung bei verschwenderischem Pflichtteilsberechtigten . . . . . .

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1713 1713 1715 1716 1716

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1719 1724 1727 1728 1728

VI. Der Nachlass vor Beginn der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verzögerter Amtsbeginn, Probleme der Handlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösungswege in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1728 1728 1729

6. 7. 8. 9.

VII. 1. 2. 3.

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1729 1730 1730 1732

Erbschein, Europäisches Nachlasszeugnis, Grundbuch, Handelsregister Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1733 1733 1734 1735

IX. Das Testamentsvollstreckerzeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legitimationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Was beweist das Testamentsvollstreckerzeugnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1736 1736 1737

VIII. 1. 2. 3.

Anordnung und Beginn der Testamentsvollstreckung Die Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ernennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Amtsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. 1. 2. 3. 4. 5.

Wer kann Testamentsvollstrecker sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Amtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliche Ausschlusstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erben, Familienangehörige und gesetzliche Vertreter als Testamentsvollstrecker

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XXXI

Inhaltsübersicht Seite

3. Arten von Testamentsvollstreckerzeugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhalt des Testamentsvollstreckerzeugnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1737 1737 1738

X. Pflichtteilsberechtigte und Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1739

XI. Rechtsverhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Gerichten . . . . . . . . . . . 1. Das Rechtsverhältnis zum Nachlassgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Rechtsverhältnis zum Prozessgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1739 1739 1740

XII. Aufgaben des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Umschreibung und Beurteilungsmaßstab für das Handeln des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Was der Testamentsvollstrecker nicht kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inbesitznahme und Konstituierung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Pflicht zur Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erstellung und Durchführung des Auseinandersetzungsplans . . . . . . . . . 7. Höchstpersönlichkeit, Auskunfts- und Rechnungslegungspflicht . . . . . . . 8. Prozessführung und Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Herausgabe des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Besonderheiten bei der Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . .

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1741

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1741 1741 1742 1743 1751 1752 1754 1758 1760 1762

XIII. Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1763 1763 1763

XIV. 1. 2. 3. 4. 5. XV. 1. 2. 3. XVI. 1. 2. 3. 4. 5. XVII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. XXXII

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Testamentsvollstrecker und Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuern vor dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durch den Erbfall entstandene Steuern (Erbschaftsteuer) . . . . . Steuern nach dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerliche Geltendmachung des Testamentsvollstreckerhonorars

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1764 1764 1765 1768 1773 1777

Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen . . . . Kennzeichnung des Problems und Weg der Darstellung Der Abwicklungsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Verwaltungsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1777 1777 1777 1778

Mehrere Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach dem Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meinungsverschiedenheiten zwischen Testamentsvollstreckern Notwendige Erhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Haftung des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . Haftung wem gegenüber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für welchen Zeitraum? . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Haftpflichtprozess gegen den Testamentsvollstrecker Haftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Erben für den Testamentsvollstrecker . . . . .

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1785 1785 1785 1785 1788 1789 1789 1789 1790 1791

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Inhaltsübersicht Seite

XVIII. Internationale Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. 1. 2. 3.

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1792 1792 1792 1793

Die Vergütung des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der Vergütung durch den Erblasser . . . . . . . . Vergütungsvereinbarung mit den Erben . . . . . . . . . . . . . Vergütungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhe der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vergütung mehrerer Testamentsvollstrecker . . . . . . . . Vergütung des vermeintlichen Testamentsvollstreckers . . . . Aufwendungsersatz, Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fälligkeit, Vorschuss, Entnahme, Zurückbehaltungsrecht . . . Schuldner der Testamentsvollstreckervergütung . . . . . . . . . Abtretung, Verjährung, Verwirkung, Insolvenz . . . . . . . . . Steuerliche Behandlung der Testamentsvollstreckervergütung

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1798 1798 1798 1799 1800 1800 1807 1807 1807 1808 1809 1810 1810

I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1813

XX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Die Beendigung des Amtes . . . . . . . . . . . Auflistung der Beendigungsgründe . . . . . . . Kündigung durch den Testamentsvollstrecker Entlassung des Testamentsvollstreckers . . . .

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1791

§ 30 Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis (Waxenberger)

II. 1. 2. 3. 4. 5.

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1813 1813 1813 1814 1816 1817

III. 1. 2. 3. 4.

Strategie zur Durchsetzung des Erbrechts . . . Erbrechtliche Mandate . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung: Erbscheinsverfahren – Zivilprozess Abwägung: Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . Entbehrlichkeit eines Erbscheins . . . . . . . . . .

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1817 1818 1819 1820 1823

IV. 1. 2. 3. 4. 5.

Der Erbscheinsantrag . . . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Bedeutung des Erbscheinsantrags . Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Erbscheinsantrags . . . . . . . . . . . . Informationsaufnahme zum Erbscheinsantrag Einreichen des Erbscheinsantrags . . . . . . . . .

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1828 1828 1829 1832 1839 1840

Das Erbscheinsverfahren beim Nachlassgericht . . . . . . Gestaltung des Erbscheinsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . Steuerungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . Beweiswürdigung, Feststellungslast . . . . . . . . . . . . . . . Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussetzung des Erbscheinsverfahrens . . . . . . . . . . . . . Vergleich, Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gebühren des Rechtsanwalts im Erbscheinsverfahren

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1849 1849 1851 1854 1856 1858 1859 1861

V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Das Mandat im Erbscheinsverfahren . . Beratungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . Die Funktion des Erbscheins . . . . . . . . Die einzelnen Wirkungen des Erbscheins . Die Arten der Erbscheine . . . . . . . . . . . Beratungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . .

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XXXIII

Inhaltsübersicht Seite

VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. VII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. VIII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. IX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. X. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

XXXIV

Entscheidungen des Nachlassgerichts zum Erbscheinsantrag Entscheidungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arten der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Erbscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten, Geschäftswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustellung, Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruch auf Ausfertigung des Erbscheins . . . . . . . . . . . . .

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1862 1862 1862 1866 1868 1870 1870

Das Erbscheinseinziehungsverfahren (§ 2361 BGB, § 353 Abs. 1 FamFG) Beschwerde oder Einziehungsverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrenseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltung des Einziehungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Einziehungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1870 1871 1871 1872 1875 1876 1877

Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Nachlassgerichts Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdegericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdeanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwaltszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten, Geschäftswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1878 1879 1879 1879 1881 1882 1883 1884 1885 1885 1887 1887 1887 1887

Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Beschwerdegerichts . . . . . . . . . . . Zulassungsgebundene Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist, Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdegegenstand und -ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprungrechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhörungsrüge (§ 44 FamFG) bei Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Rechtsbeschwerdegericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1888 1888 1888 1890 1891 1892

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1892

Das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) Die EU-Erbrechtsverordnung . . . . . . . . Zweck des ENZ . . . . . . . . . . . . . . . . . Antragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zum Erbschein . . . . . . . . . . . Wirkungen des ENZ . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel, Änderung, Widerruf . . . . . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich: Erbschein – ENZ . . . . . . . . .

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1893 1893 1895 1896 1903 1905 1906 1910 1911 1912

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Inhaltsübersicht

§ 31 Erbschaftskauf und Erbteilskauf (Grötsch) Seite

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1913

II. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1914

III. Pflichten der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die einzelnen Pflichten des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die einzelnen Pflichten des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1915 1915 1919

IV. Gefahrübergang, Nutzungen und Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1921

V. Vorkaufsrecht der Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1921

VI. Ähnliche Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1922

VII. Steuerliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1922 1922 1922

VIII. Checkliste für den Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1923

IX. Gestaltungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1923

§ 32 Bestattungsrecht (Grziwotz) I. 1. 2. 3.

Bestattungspflicht und Totenfürsorge Die Bestattung . . . . . . . . . . . . . . . . Die Totenfürsorge . . . . . . . . . . . . . Bestattungskostentragung . . . . . . . . .

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1925 1925 1926 1930

II. 1. 2. 3.

Öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht . Hintergrund und Gegenstand . . . . . . . . Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1933 1933 1934 1945

Tragung der Bestattungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentlich-rechtliche Kostentragungspflicht . . . . . . . . . . . . Adressat des Leistungsbescheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten der Bestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahlentscheidung und Absehen von der Kostenfestsetzung Sozialhilferechtliche Kostenübernahme (§ 74 SGB XII) . . . . .

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1945 1945 1946 1946 1947 1948

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1952

III. 1. 2. 3. 4. 5.

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§ 33 Sozialrechtlicher Zugriff auf das Erbe (Schulz)

II. 1. 2. 3.

Sozialrechtliche Erbenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbenhaftung für unrechtmäßige Sozialleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbenhaftung für rechtmäßige Sozialhilfeleistungen, § 102 SGB XII . . . . . . . . Erbenhaftung für rechtmäßige Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende, § 35 SGB II (a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1952 1952 1953

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1958

XXXV

Inhaltsübersicht Seite

III. Kostenersatzansprüche wegen sozialwidrigen Verhaltens, § 103 SGB XII, § 34 SGB II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1959

IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

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1959 1959 1960 1963 1963 1963 1964

V. Vermeidung des Regress- und Überleitungsrisikos durch Testamentsgestaltung . . . .

1965

Überleitung von Ansprüchen nach § 93 SGB XII . . . . . . . . . Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen einer Überleitung nach § 93 SGB XII . . . . . . Überleitungsanzeige, § 93 Abs. 2 SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen die Überleitung . . . . . . Durchsetzung des übergegangenen Anspruchs und Rechtsschutz

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Teil 5 Verfahrensrechtliche Durchsetzung erbrechtlicher Ansprüche § 34 Klage vor dem Prozessgericht (Grötsch/Rösler) I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Klage auf Feststellung des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Objektive Klagenhäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsklausel, örtliche Zuständigkeit und Streitwert . . . Einstweiliger Rechtsschutz im Erbenfeststellungsverfahren Der Erbvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1968 1968 1968 1969 1970 1971 1972 1972

II. Klage auf Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbteilungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Alternativen zur Erbteilungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1975 1975 1978

III. 1. 2. 3.

Klage auf Vermächtniserfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelf gegen die Teilungsversteigerung des Vermächtnisgegenstands

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1979 1979 1980 1982

IV. 1. 2. 3.

Grundbuchberichtigungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhinderung der Eintragung des Scheinerben als Eigentümer

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1982 1983 1983 1984

Klagen zum Pflichtteil . . Die Feststellungsklage . . . Die Leistungsklagen . . . . Der Pflichtteilsvergleich . . Einstweiliger Rechtsschutz

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1984 1984 1991 1991 1991

VI. Klagen auf Auskunft, Rechnungslegung und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1992

V. 1. 2. 3. 4.

XXXVI

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§ 35 Schiedsgerichtsbarkeit (Grötsch) Seite

I. Bedeutung des Schiedsgerichts im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3.

Anzuwendendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsrichterliches Verfahren im 10. Buch der ZPO . Ad-hoc- und institutionelles Schiedsverfahren . . . . . Abgrenzung von anderen Formen der Streitbeilegung

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1995 1995 1996 1996

III. 1. 2. 3. 4.

Entscheidungsbefugnisse des Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . . Zulässigkeit und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Schiedsklausel Einsetzung des Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsbefugnisse des Schiedsgerichts und ihre Grenzen . . Die Person des Schiedsrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1999 1999 1999 2000 2002

IV. 1. 2. 3.

Die Durchsetzung von Schiedssprüchen . Wirkung des Schiedsspruchs . . . . . . . . . Durchsetzung von Schiedssprüchen . . . . Aufhebung von Schiedssprüchen . . . . . .

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2003 2003 2004 2004

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Was ist Mediation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vor- und Nachteile der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2005 2005 2006

II. Mediation als Gestaltungsmittel in letztwilligen Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . .

2006

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1993

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§ 36 Mediation (Grötsch)

III. 1. 2. 3. 4. 5.

Mediationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschluss des Verhandlungsvertrags . . . . . . . . . . . Ermittlung der subjektiven Situation jedes Beteiligten Ermittlung der objektiven Situation . . . . . . . . . . . Verhandlung und Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichsabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2008 2008 2008 2009 2009 2009

IV. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2010

Teil 6 Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht § 37 Mandat vor dem Erbfall: Steuerprophylaxe (Gluth) I. 1. 2. 3.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele der Nachfolgeplanung . . . . . . . . . . Erbschaftsteuerreform und Verfassungsrecht Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 . . . . . . . .

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2016 2016 2017 2018

II. Vermögensstrukturanalyse als Ausgangspunkt: Bewertungsfragen . . . . . . . . . . . . .

2019

XXXVII

Inhaltsübersicht Seite

III. 1. 2. 3. 4. 5.

Das Bewertungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung des Grundvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung des Betriebsvermögens und von Anteilen an Kapitalgesellschaften Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens . . . . . . . . . . . . Bewertung sonstiger Vermögensgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2020 2020 2020 2031 2037 2041

IV. 1. 2. 3. 4.

Das Erbschaftsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundzüge des Rechts seit der Erbschaftsteuerreform 2009 . Steuertarif und Freibeträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschonungsregeln für Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . Verschonungsregeln für Betriebsvermögen . . . . . . . . . . .

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2043 2043 2043 2046 2053

Wahl der richtigen Vermögensstruktur . . . . . Vermögensanlage in Immobilien . . . . . . . . . . Gesellschaftsrechtliche Gestaltungen . . . . . . . . Vorbereitung auf den Verwaltungsvermögenstest Kulturgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermögensverlagerung ins Ausland . . . . . . . . . Unternehmensvermögen im Ausland . . . . . . .

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2072 2072 2073 2075 2076 2077 2077

Gestaltung des persönlichen Lebensbereichs . Heirat und ehelicher Güterstand . . . . . . . . . Eintragung der Lebenspartnerschaft . . . . . . . Adoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerflucht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2077 2077 2078 2078 2078

Vorweggenommene Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrfache Ausnutzung der Freibeträge durch zeitliche Staffelung . . . . . . . . . . . Verteilung von Zuwendungen und Generationensprung . . . . . . . . . . . . . . . . . Dreiecks- und Kettenschenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelegenheitsgeschenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuwendungen für Unterhalt und Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhalt der Steuerklasse I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelbare Grundstücksschenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelbare Schenkung von Hausrat und anderen beweglichen körperlichen Gegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familienheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungen mit dem Güterstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinschaftskonten und -depots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schenkung der Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schenkung der Schenkungsnebenkosten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuwendungen mit Lebens- und Rentenversicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2078 2078 2079 2080 2081 2081 2081 2083 2084

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2085 2085 2086 2089 2091 2091 2092

Steuergünstige Gestaltungen im Testament . Optimierung des Berliner Testaments . . . . . Vor- und Nacherbfolge . . . . . . . . . . . . . . Generationensprung . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnisregelungen . . . . . . . . . . . . . . Ausgleich der Steuerbelastung . . . . . . . . . .

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2094 2094 2097 2099 2100 2104

V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. VI. 1. 2. 3. 4. VII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. VIII. 1. 2. 3. 4. 5.

XXXVIII

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Inhaltsübersicht

§ 38 Mandat nach dem Erbfall: Steueroptimierung (Gluth) Seite

I. 1. 2. 3.

Steuerliche Pflichten der Beteiligten Erbschaftsteuerliche Pflichten . . . . . Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO . Nachträgliche Anzeigepflichten . . . .

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2105 2105 2109 2110

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Möglichkeiten steuergünstiger Abwicklung . . . . . . . . Bewertungsfragen und Ausübung steuerlicher Wahlrechte Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugewinnausgleich berechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltendmachung des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungen bei Geldvermächtnissen . . . . . . . . . . . . . Erfüllung ungültiger letztwilliger Verfügungen . . . . . . . . Erlassantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinnrealisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2111 2111 2111 2113 2115 2118 2118 2119 2120 2120

§ 39 Internationales Erbschaftsteuerrecht (Gluth) I. Systemüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2121

II. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2122

III. Grundzüge des deutschen Internationalen Erbschaftsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . 1. Persönliche Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermeidung von Doppelbesteuerung nach § 21 ErbStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2123 2123 2128

IV. 1. 2. 3. 4.

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2129 2129 2130 2130 2131

V. ABC der einzelnen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2131

Gestaltungshinweise . . . . . . . . . . . . . Wohnsitz und Staatsangehörigkeit . . . . . Vorweggenommene Erbfolge oder Erbfall . Umwandlung von Vermögen . . . . . . . . . Schuldenzuordnung . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 7 Erbfall mit Auslandsberührung § 40 Besonderheiten bei Auslandsberührung (Kindler/Kränzle) I. Typische Sachverhalte und Beratungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3.

Neuerungen durch die EuErbVO im Überblick Erfasste Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . .

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2151

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2153 2153 2153 2153

III. Funktion und Begriff des Internationalen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2156

IV. Grundbegriffe des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anknüpfungspunkt und Anknüpfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2157 2157 XXXIX

Inhaltsübersicht Seite

2. Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2157 2157 2158

V. 1. 2. 3. 4.

Quellen des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autonomes deutsches Kollisionsrecht bis 16.8.2015 Ausländisches Kollisionsrecht bis 16.8.2015 . . . . .

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2160 2160 2160 2162 2166

Anwendung ausländischen Rechts in der Praxis Amtsermittlungspflicht des Gerichts . . . . . . . . . Einholung von Rechtsgutachten . . . . . . . . . . . . Revisibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2168 2168 2169 2169

Bestimmung des Erbstatuts bei Fehlen einer Rechtswahl . . . . . . . . . . Letzter gewöhnlicher Aufenthalt, Art. 21 Abs. 1 EuErbVO . . . . . . . . . . Anknüpfung nach der engsten Verbindung nach Art. 21 Abs. 2 EuErbVO Der gewöhnliche Aufenthalt in der testamentarischen Verfügung . . . . . .

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2170 2170 2178 2178

II. Bestimmung des Erbstatuts bei Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wählbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtswahl in der Beratungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2179 2179 2181

VI. 1. 2. 3.

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§ 41 Erbstatut (Kindler/Kränzle) I. 1. 2. 3.

III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Umfang des Erbstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltungsbereich, Art. 23 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachlasseinheit/Eingriffsnormen, Art. 30 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückverweisung nach Art. 34 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ordre Public, Art. 35 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommorienten, Art. 32 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fiskuserbrecht und Aneignungsrecht, Art. 33 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung und Anpassung des Erbstatuts bei Angehörigen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ausgleich nach Ehegüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Vererbung von Gesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Abgrenzung zum Sachstatut (insb. Vindikationslegat) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2185 2185 2186 2187 2188 2190 2192 2192

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2193 2195 2201 2205

§ 42 Verfügungen von Todes wegen und Formfragen bei Auslandsberührung (Kindler/Kränzle) I. Die Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfügungen von Todes wegen von mehreren Erblassern bzw. bezüglich mehrerer Beteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2209 2209

II. Das auf Formfragen anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfung des Formstatuts von Testamenten und Erbverträgen ab dem 17.8.2015 . . .

2214 2214 2216

XL

2210

Inhaltsübersicht Seite

3. Überblick über ausländische Testamentsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassende Checkliste für die Beratungspraxis: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2218 2218

§ 43 Internationales Verfahrensrecht (Kindler/Kränzle) I. Das autonome internationale Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2220 2220 2222

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Die internationale Zuständigkeit nach Art. 4 ff. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Zuständigkeit, Art. 4 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Außergerichtliche Verfahrensbeendigung, Art. 8 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . Rügelose Einlassung, Art. 9 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forum necessitatis (Notzuständigkeit), Art. 11 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderzuständigkeit des Art. 13 EuErbVO für die Entgegennahme von Erklärungen . Zuständigkeit zur Erteilung eines ENZ, Art. 64 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2228 2229 2229 2229

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2231

III. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach Art. 39 ff. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennungsversagungsgründe nach Art. 40 EuErbVO . . . . . . . . . . 2. Vollstreckbarerklärung, Art. 43 ff. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Annahme“ ausländischer Urkunden, Art. 59 EuErbVO . . . . . . . . . . .

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XLI

Musterübersicht

Teil 1 Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung Seite

§ 1 Grundüberlegungen zur Beratung M1 M2 M3 M4 M5 M6 M7 M8 M9

Einleitung/Strukturierung Beratungsgespräch . . . Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . . . . . . . . Mandatsbeschränkung Steuerrecht . . . . . . . . . . Mandatsbeschränkung ausländisches Recht . . . . . Mandatsbeschränkung Internationales Privatrecht Haftungsbeschränkung im Einzelfall . . . . . . . . . Haftungsbeschränkung AGB . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . Antwort Haftungsverlangen . . . . . . . . . . . . . .

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3 8 24 24 24 25 26 26 28

M 10 Vergütungsvereinbarung (Stundenhonorarvereinbarung) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

§ 2 Gebühren in Erbsachen

Teil 2 Vorweggenommene Erbfolge § 3 Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge M 11 Pflichtteilsanrechnungsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

§ 4 Absicherung des Übergebers M 12 M 13 M 14 M 15

Nießbrauchsvorbehaltsklausel bei lebzeitiger Vermögensübertragung . . . . . . . . Rückforderungsklausel bei lebzeitiger Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . Veräußerungs- und Belastungsvollmacht bei lebzeitiger Vermögensübertragung . Veräußerungs- und Belastungsvollmacht nebst Teilungsausschluss bei lebzeitiger Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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86 96 100

...

100

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153 172 176 184 184

Ersatzerbenanordnung bei Wegfall des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ersatzerbenanordnung zur Vermeidung unerwünschter gesetzlicher Ersatzerbfolge Mehrere gleichberechtigte Ersatzerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrstufige Ersatzerbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ersatzerbschaft für Bruchteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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258 261 261 261 262

Teil 3 Gestaltung letztwilliger Verfügungen § 5 Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit § 6 Formen letztwilliger Verfügungen M 16 M 17 M 18 M 19 M 20

Eigenhändiges Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testament mit Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung Gemeinschaftliches Testament mit Schlusserbeneinsetzung Reines Widerrufstestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingtes Widerrufstestament . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 7 Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft M 21 M 22 M 23 M 24 M 25

XLIII

Musterübersicht Seite

§ 8 Vor- und Nacherbschaft M 26 Anordnung einer Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . . . .

274

§ 9 Auflage M 27 M 28 M 29 M 30 M 31 M 32 M 33 M 34 M 35

Zweckauflage eines Heimbewohners Auflage zur Bestattung . . . . . . . . . Allgemeine Zweckauflage . . . . . . . Konkrete Zweckauflage . . . . . . . . Auflage für die Katze . . . . . . . . . . Auflage für Behinderten . . . . . . . . Auflage für konkretes Projekt . . . . . Auflage Museum . . . . . . . . . . . . Auflage Teilungsverbot . . . . . . . . .

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309 313 314 314 315 315 316 317 317

Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der Erbquoten durch eine Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnis zugunsten eines gesetzlichen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewährleistung einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle sowie Fristvorgabe für die Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss eines Ersatzvermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewährleistung einer Anwachsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergänzende Vermächtnisanordnung bei Veräußerung des Vermächtnisgegenstandes Verschaffungsvermächtnis unter Erhöhung des Erfüllungsdrucks . . . . . . . . . . . . Wahlvermächtnis mit Fristsetzung und Wegfallklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quotenvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Universalvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsvertragliche einfache Nachfolgeklausel mit Verfügungsmöglichkeit an Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsvertraglicher Ausschluss der Erben aus der Gesellschaft bei Unterbleiben der Verfügung an Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnis der Gewinn- und Abfindungsansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB bei gescheiterter vermächtnisweiser Übertragung eines Kommanditanteils . . . . . . . . . Ernennung des Nießbrauchsvermächtnisnehmers zum Testamentsvollstrecker . . . . Ertragsnießbrauch an Gewinnansprüchen aus Gesellschaftsanteil . . . . . . . . . . . . Echter Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rentenvermächtnis mit Wertsicherungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungsvermächtnis mit Ersetzungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digitales Vermächtnis mit Testamentsvollstreckeranordnung . . . . . . . . . . . . . . . Bedingtes Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der Fälligkeit des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtschuldnerische Haftung nach Außen und Verteilungsmaßstab im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formulierungsbeispiel zur Kostentragungspflicht beim Vermächtnis . . . . . . . . . . Ausgleichspflicht des Nachtvermächtnisnehmers hinsichtlich eines Steuernachteils des Vorvermächtnisnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geldvermächtnisse im ersten Erbfall beim „Berliner Testament“ . . . . . . . . . . . . .

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327 329 330

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336 337 338 341 345 347 348 349 350

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351

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352

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353 354 358 360 361 362 363 366 367

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375 379

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387 389

§ 10 Vermächtnis M 36 M 37 M 38 M 39 M 40 M 41 M 42 M 43 M 44 M 45 M 46 M 47 M 48 M 49 M 50 M 51 M 52 M 53 M 54 M 55 M 56 M 57 M 58 M 59 M 60 M 61 M 62

XLIV

Musterübersicht Seite

§ 11 Gemeinschaftliches Testament M 63 M 64 M 65 M 66 M 67 M 68 M 69 M 70 M 71 M 72 M 73 M 74 M 75 M 76 M 77 M 78

Erbeinsetzung unter Berücksichtigung gleichzeitigen Ablebens . . . . . . . . . . . . . . Nießbrauch für überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung Vor- und Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . Anfechtungsausschluss im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung befreiter Vorerbschaft im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . Grundform Pflichtteilsklausel im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . . . . Grundform Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . Grundformel des Berliner Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache Pflichtteilsklausel im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsklausel mit Vermächtnisanordnung im gemeinschaftlichen Testament . . Wiederverheiratungsklausel mit Vermächtnislösung im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederverheiratungsklausel mit Vor-/Nacherbschaftslösung im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundformel des Berliner Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung der Wechselbezüglichkeit im Ehegattentestament . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss der Anfechtung im Ehegattentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderungsvorbehalt im Ehegattentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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399 403 404 405 405 406 406 409 410 411

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414

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417 421 422 428 431

§ 12 Behinderten- und Bedürftigentestament M 79 Bedingtes Vorausvermächtnis (als Vor- und Nachvermächtnis) beim „Behindertentestament“ (als Vorsorge gegen die Werttheorie sowie gegen überleitbare Pflichtteilsansprüche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 80 Dauertestamentsvollstreckung über den Vorerbenanteil beim „Behindertentestament“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 81 Hinweise und vorsorgende Hilfslösung beim Behindertentestament . . . . . . . . . . . M 82 Bedingte Befreiung von den Vorerbschaftsbeschränkungen und bedingter Wegfall der Testamentsvollstreckung beim Bedürftigentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 83 Muster eines „klassischen“ Behindertentestamentes (als Erbvertrag) . . . . . . . . . . .

449 452 454 466 468

§ 13 Nichteheliche Partner im Erbrecht M 84 M 85 M 86 M 87 M 88 M 89 M 90 M 91 M 92 M 93 M 94 M 95 M 96 M 97 M 98 M 99

Vaterschaftsanerkennung (notarielle Urkunde) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsame Sorgeerklärung nach § 1626a BGB (notarielle Urkunde) . . . . Notarielle Gleichstellungsvereinbarung gem. § 10a NEhelG . . . . . . . . . . . Erbeinsetzung des nichtehelichen Lebenspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbeinsetzung des nichtehelichen Lebenspartners (mit Motivangabe) . . . . Erbeinsetzung des nichtehelichen Partners unter auflösender Bedingung der Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erklärung: Keine Bindung durch frühere Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . Gegenseitige Erbeinsetzung durch Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rücktrittsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzicht auf Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbehalt anderweitiger Testierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsetzung des Lebensgefährten als Alleinerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbeinsetzung der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbehalt der Bestimmung der Erbquote der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . Einräumung eines Vermächtnisnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsetzung eines Lebensgefährten als Vorerben . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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481 482 488 492 492

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494 495 496 497 499 499 500 501 501 501 504

XLV

Musterübersicht Seite

M 100 M 101 M 102 M 103 M 104 M 105 M 106 M 107 M 108 M 109 M 110 M 111 M 112

Einsetzung der Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsetzung eines gemeinschaftlichen Kindes als Nacherbe . . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbehalt der Änderung der Nacherbeneinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuwendung einer Immobilie im Vermächtniswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung eines Nachvermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuwendung von Hausrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsverzicht mit Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuwendungsverzicht gegen Abfindungszahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darlehensvertrag zur Investitionsabsicherung unter Lebensgefährten . . . . . . . . Nutzungsabrede zur Sicherung des Lebensgefährten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechselseitige Erwerbsrechte unter Lebensgefährten bei Scheitern der Beziehung Erwerbende GbR; bewegliche Beteiligungsquoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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505 505 506 506 507 508 508 514 516 524 529 530 531

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547 549 551 555 556 557 558

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558 560

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562 563

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573

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581

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582

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601 606 606 629 634 637 640 641 674

§ 14 Minderjährige Erben M 113 M 114 M 115 M 116 M 117 M 118 M 119 M 120 M 121 M 122 M 123 M 124 M 125 M 126 M 127 M 128

Lediglich rechtlich vorteilhafter Rückübertragungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . Lediglich rechtlich vorteilhafte Anordnung der Pflichtteilsanrechnung . . . . . . . Notariell beurkundetes Testament durch Übergabe einer offenen Schrift . . . . . . Benennung eines Pflegers für minderjährige Kinder des Erblassers . . . . . . . . . Verwaltungsanordnung zugunsten minderjähriger Kinder gegenüber Eltern . . . . Vormundbenennung für minderjährige Kinder auf den Tod beider Eltern . . . . . Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis . . . . . . . . . . . Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes durch die Mutter für ihre minderjährigen nicht aus einer Ehe stammenden Kinder . . . Anordnung von Vermächtnisvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentarische Pflichtteilsbeschränkung des Kindes durch Eltern zugunsten minderjähriger Enkelkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausbildungsunterhaltsvermächtnis in Patchwork-Familie . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag über entgeltlichen auflösend bedingten Pflichtteilsverzicht des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag über entgeltlichen auflösend bedingten Zuwendungsverzicht des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufhebungsvertrag über den entgeltlichen Pflichtteilsverzicht des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschlagung einer Erbschaft durch den längstlebenden Elternteil für sich und das Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung zu einer Erbschaftsausschlagung für das gesetzlich vertretene minderjährige Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 15 Unternehmensnachfolge M 129 M 130 M 131 M 132 M 133 M 134 M 135 M 136 M 137

XLVI

Betriebsverpachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintragung eines haftungsbeschränkenden Vermerks in das Handelsregister . . Inhaberwechsel – registerrechtliche Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortsetzung einer GbR nach Tod eines Gesellschafters („Fortsetzungsklausel“) Nachfolgeklausel: Rechtsstellung der Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnis: Eintrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einziehungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Musterübersicht Seite

M 138 Verpflichtung der Erben zur Geschäftsanteilsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . M 139 Kaduzierungsklausel (GmbH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

678 680

§ 16 Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung § 17 Landwirtschaftliches Sondererbrecht M 140 M 141 M 142 M 143 M 144 M 145

Testament mit Drittbestimmung der Teilungsanordnung nach § 2049 BGB Antrag auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs . . . . . . . . . . . Ertragswertvereinbarung mit beschränktem Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . Auseinandersetzung bei fortgesetzter Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . Übernahmerecht für Landgut zum Ertragswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klageantrag zur Übernahme eines geschlossenen badischen Hofguts gegen Ertragswertabfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 146 Hofübergabevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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741 744 763 765 768

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784 794

§ 18 Erbverzicht M 147 Verzicht beim Ableben des Erstversterbenden und Bestehen der angeordneten Vermächtnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 148 Rücktrittsrecht bei Schmälerung der Abfindung (= Vermächtnisgegenstand) . . . . M 149 Vermächtnis als Abfindung – Kürzung vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 150 Isolierter Pflichtteilsverzicht berührt nicht gesetzliche Erbfolge . . . . . . . . . . . . . M 151 Gegenständliche Begrenzung des Pflichtteilsverzichts anlässlich einer Zuwendung an einen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 152 Schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Verzichtendem und Übernehmer . . . . .

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823 866 866 868

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868 869

M 153 Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 154 Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 155 Betreuungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

907 910 912

§ 19 Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

§ 20 Digitaler Nachlass M 156 Vorsorgevollmacht für digitale Angelegenheiten – Ergänzung zur Generalvollmacht vom … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 157 Anweisungen im Innenverhältnis (Anlage zur Vorsorgevollmacht in digitalen Angelegenheiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 158 Testamentarische Regelung des digitalen Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

955 957 958

Teil 4 Folgen des Erbfalls § 21 Gesetzliche Erbfolge § 22 Annahme und Ausschlagung der Erbschaft § 23 Nachlasspflegschaft M 159 Klagerubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 160 Entlastungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1091 1101

§ 24 Erbengemeinschaft M 161 Nachfolgeklausel GmbH-Anteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1197 XLVII

Musterübersicht Seite

§ 25 Haftung des Alleinerben § 26 Pflichtteil M 162 Antrag des Pflichtteilsberechtigten auf Vollstreckung einer eidesstattlichen Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 163 Ausschlagung nach § 2306 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 164 Erklärungsfrist gegen pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer . . . . . . . M 165 Pflichtteilsanrechnung nach § 2315 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 166 Letztwilliger Ausschluss der Ausgleichung nach §§ 2050 ff. BGB . . . . . . . . M 167 Fortsetzungsklausel mit Abfindungsausschluss bei Personengesellschaft . . . M 168 Stundungsantrag beim Nachlassgericht, § 2331a BGB . . . . . . . . . . . . . . . M 169 Stundungsantrag beim Prozessgericht, § 2331a BGB . . . . . . . . . . . . . . . M 170 Pflichtteilsentziehung, § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 171 Pflichtteilsentziehung, § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 172 Pflichtteilsbeschränkung bei Überschuldung, § 2338 BGB . . . . . . . . . . . . M 173 Abgeltungsklausel im Pflichtteilsverzichtsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 174 Herausgabevermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 175 Automatische Pflichtteilsklausel mit Jastrow’schem Vermächtnis . . . . . . . . M 176 Fakultative Pflichtteilsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 177 Pflichtteilsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 178 Feststellung des Pflichtteils zur Insolvenztabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 179 Pflichtteilsstufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 180 Pflichtteilsergänzungsklage gegen Grundstücksbeschenkten . . . . . . . . . . . M 181 Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung, § 780 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . M 182 Zwangsgeldantrag zur Vollstreckung von Auskunft und Wertermittlung . . . M 183 Nachlassverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 184 Angebotsanfrage bei Gutachter: Bewertung einer Immobilienübergabe unter Nießbrauch zur Ermittlung des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1384 1399 1410 1416 1426 1508 1527 1527 1551 1551 1559 1564 1586 1588 1589 1596 1603 1613 1615 1616 1619 1620

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1643

§ 27 Auskunftsansprüche im Erbrecht M 185 M 186 M 187 M 188 M 189 M 190

Auskunftsklage bzgl. Bestandsverzeichnis . . . . . . . . . . . . Vollstreckungsantrag zur Durchsetzung eines Auskunftstitels Auskunftsklage über Nachlassgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . Auskunftsklage zur Rechenschaftslegung . . . . . . . . . . . . . Auskunftsklage über ausgleichungspflichtige Zuwendungen . Auskunftsklage des Pflichtteilsberechtigten . . . . . . . . . . .

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1649 1650 1653 1656 1663 1676

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1714 1717 1718 1718 1719 1721 1722 1722 1722 1722 1723

§ 28 Erbschaftsanspruch § 29 Testamentsvollstreckung M 191 M 192 M 193 M 194 M 195 M 196 M 197 M 198 M 199 M 200 M 201 XLVIII

Benennung des Testamentsvollstreckers . . . . . . . Anordnung Dauertestamentsvollstreckung . . . . . Auseinandersetzungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung für überschuldeten Erben Ehefrau als Testamentsvollstreckerin . . . . . . . . . Erbteilsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschränkte Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . Zustimmungsbefugnis Dritter . . . . . . . . . . . . . Nacherbenvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnisvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . Beaufsichtigende Testamentsvollstreckung . . . . . .

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Musterübersicht Seite

M 202 M 203 M 204 M 205 M 206 M 207 M 208 M 209 M 210 M 211 M 212 M 213 M 214

Testamentsvollstreckung für Ersatzerben . . . . . . . . . . . . . . . . . Nacherbenvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckerernennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmungsrecht Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrfaches Bestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benennung Mittestamentsvollstrecker/Nachfolger . . . . . . . . . . . Benennung durch Nachlassgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entfall Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollmachtlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Treuhandlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umwandlungslösung mit Wahlrechten des Testamentsvollstreckers Testamentsvollstreckung Kommanditanteil . . . . . . . . . . . . . . . Vollmacht für den Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . .

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1723 1725 1730 1730 1731 1731 1732 1732 1778 1779 1780 1782 1792

M 215 Antrag auf Erteilung eines Überweisungszeugnisses nach § 36 GBO . . . . . . . . . . . M 216 Antrag auf Erteilung eines Erbscheins nach § 2353 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 217 Antrag nach § 352c Abs. 1 FamFG, Abweichungen vom allgemeinen Erbscheinsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 218 Feststellungsbeschluss im streitigen Erbscheinsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 219 Sofortige Beschwerde gegen einen Feststellungsbeschluss im streitigen Erbscheinsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 220 Erbschein ohne Quotenangabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 221 Anregung zur Einziehung des Erbscheins und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 49 Abs. 1 FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 222 Antrag auf Eintragung eines Widerspruchs aufgrund gerichtlichen Verfügungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 223 Antrag auf vorläufige Hinterlegung einer beweglichen Sache während des Einziehungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 224 Rechtsbeschwerde gem. §§ 70 ff. FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 225 Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses . . . . . . . . . . . . . .

1826 1845

§ 30 Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis

1846 1864 1865 1868 1872 1874 1875 1891 1900

§ 31 Erbschaftskauf und Erbteilskauf § 32 Bestattungsrecht M 226 M 227 M 228 M 229 M 230 M 231

Totenfürsorgeverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Totenfürsorgeverfügung – Ersatzberechtigter . . . . . . . . . . Totenfürsorgeverfügung – Ausschluss bestimmter Personen . Kostentragung Beerdigungskosten und Grabpflege . . . . . . Nachrangige Kostentragung der Beerdigungskosten . . . . . . Tragung der Grabpflegekosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1928 1929 1929 1932 1932 1932

M 232 Antrag auf Feststellung des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 233 Antrag auf Feststellung der Miterbenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1971 1971

§ 33 Sozialrechtlicher Zugriff auf das Erbe

Teil 5 Verfahrensrechtliche Durchsetzung erbrechtlicher Ansprüche § 34 Klage vor dem Prozessgericht

XLIX

Musterübersicht Seite

M 234 M 235 M 236 M 237 M 238 M 239 M 240 M 241 M 242 M 243 M 244 M 245 M 246 M 247 M 248 M 249 M 250 M 251

Antrag auf Herausgabe des Erbscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stufenklage auf Auskunft und Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klageantrag der Erbteilungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klageantrag der Erbteilungsklage nach Versteigerung und Hinterlegung . . . . . . . . Klageantrag der Feststellungsklage im Fall der §§ 2050 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . Klageantrag der Feststellungsklage im Fall eines Vorausvermächtnisses . . . . . . . . . Klageantrag (Eigentumsumschreibung und Herausgabe eines Grundstücks) . . . . . Klageantrag (Feststellung des befristeten Vermächtnisanspruchs) . . . . . . . . . . . . Einstweilige Verfügung zur Eintragung einer Auflassungsvormerkung . . . . . . . . . Herausgabe an Gerichtsvollzieher per einstweiliger Verfügung . . . . . . . . . . . . . . Erlass eines dinglichen Arrestes zur Sicherung eines Geldvermächtnisses (Antrag) . . Antrag auf negative Feststellung des Pflichtteilsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf positive Feststellung des Pflichtteilsentziehungsrechts . . . . . . . . . . . . Negative Feststellung des Pflichtteilsentziehungsrechts (Antrag) . . . . . . . . . . . . . Antrag des Pflichtteilsberechtigten auf positive Feststellung seines Pflichtteilsrechts . Antrag des Erben auf negative Feststellung des Pflichtteilsrechts . . . . . . . . . . . . . Antrag des Pflichtteilsberechtigten gegen den zuletzt Beschenkten auf Duldung der Zwangsvollstreckung und positiver Feststellung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen den früher Beschenkten zur Verjährungshemmung, § 2329 Abs. 3 BGB . . . .

1971 1972 1972 1976 1978 1978 1979 1980 1980 1981 1982 1982 1986 1986 1988 1990 1990 1990

§ 35 Schiedsgerichtsbarkeit M 252 M 253 M 254 M 255 M 256 M 257 M 258 M 259

Bestimmung der Schiedsrichtervergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung des Schiedsrichters und Schiedsgutachers bei Personenidentität . Bestimmung des Schiedsrichters und Schiedsgutachers bei Personendiversität Anordnung eines Schiedsgutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung eines Ersatzschiedsrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung eines Ersatzschiedsrichters durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung des Testamentsvollstreckers zum Schiedsrichter . . . . . . . . . . .

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1994 1995 1998 1998 1998 2002 2002 2003

M 260 Verbindliche Mediationsklausel im Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 261 Empfehlende Mediationsklausel im Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 262 Bestimmung des Mediators und einer Mediationsordnung . . . . . . . . . . . . . . . .

2007 2007 2008

§ 36 Mediation

Teil 6 Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht § 37 Mandat vor dem Erbfall: Steuerprophylaxe § 38 Mandat nach dem Erbfall: Steueroptimierung § 39 Internationales Erbschaftsteuerrecht

L

Musterübersicht

Teil 7 Erbfall mit Auslandsberührung Seite

§ 40 Besonderheiten bei Auslandsberührung § 41 Erbstatut M 263 M 264 M 265 M 266

Gewöhnlicher Aufenthalt in der testamentarischen Verfügung . . . . . . . . Vorsorgliche Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentarische Rechtswahlklausel nach dem 17.8.2015 . . . . . . . . . . . Ausführliche testamentarische Rechtswahlklausel für die (notarielle) Praxis

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2179 2182 2184 2185

M 267 Rechtswahlklausel für gemeinschaftliche Testamente/Erbverträge . . . . . . . . . . . .

2213

§ 42 Verfügungen von Todes wegen und Formfragen bei Auslandsberührung

§ 43 Internationales Verfahrensrecht

LI

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. Abs. AcP AE AEAO AfA AG AGBG AgrarR AGS AK-BGB AktG AktO ALB ALR Alt. and. AnfG Anh Anm AO ARB 94 Art. ArztR AStG Aufl. AVB BA BadWüLFGG BayAGGVG BayObLG BayObLGReport BayObLGZ BB BBEV BE BV BE GrV BE LuF BErzGG BeurkG BewG BFH BFH/NV

anderer Ansicht alte Fassung Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Anwendungserlass Anwendungserlass zur Abgabenordnung Absetzung für Abnutzung Aktiengesellschaft Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Zeitschrift für das Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes Anwaltsgebühren spezial (Zeitschrift) Alternativkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Aktiengesetz Aktenordnung Allgemeine Lebensversicherungs-Bedingungen Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Alternative anders Anfechtungsgesetz Anhang Anmerkung Abgabenordnung Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 1994 Artikel Arztrecht (Zeitschrift) Außensteuergesetz Auflage Allgemeine Versicherungsbedingungen für die VermögensschadenHaftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten Betriebsausgaben Baden-Württembergisches Landesgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes Bayerisches Oberstes Landesgericht Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts Sammlung der Entscheidungen in Zivilsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts Betriebs-Berater (Zeitschrift) BeraterBrief Erben und Vermögen (Zeitschrift) Bewertungserlass Betriebsvermögen Bewertungserlass Grundvermögen Bewertungserlass Land- und Forstwirtschaft Bundeserziehungsgeldgesetz Beurkundungsgesetz Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH (Zeitschrift) LIII

Abkürzungsverzeichnis

BGB BGBl. BGH BGHReport BGHSt BGHZ BJM BMF BNotO BR BRAGO BRAO BR-Drucks. BSHG BStBl. BT BT-Drucks. BtG BtPrax BVerfG BVerfGE BWLFGG BWNotZ

Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung des Bundesgerichtshofs Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium der Justiz Bundesministerium der Finanzen Bundesnotarordnung Bundesrat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestag Bundestags-Drucksache Betreuungsgesetz Betreuungsrechtliche Praxis (Zeitschrift) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) s. BadWüLFGG Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg

CR C’t

Computer und Recht (Zeitschrift) Magazin für Computertechnik (Zeitschrift)

DÄ DB DBA DGA Die Justiz DJ DNotZ DRiZ DStR DStRE DStZ DtZ

Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift) Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Deutsche Gesellschaft für Agrarrecht Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Deutsche Justiz (Zeitschrift) Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift

EE EFG EGBGB EGMR Einf EinigsV ErbbauRG ErbBstg ErbGleichG ErbR ErbStB ErbStDV ErbStDVO

Erbrecht effektiv (Zeitschrift) Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführung Einigungsvertrag vom 31.8.1990 (BGBl 1990 II 889) Gesetz über das Erbbaurecht Erbfolgebesteuerung (Zeitschrift) Erbrechtsgleichstellungsgesetz Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis, auch Erbrecht Der Erbschaft-Steuer-Berater (Zeitschrift) Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung s. ErbStDV

LIV

Abkürzungsverzeichnis

ErbStG ErbStH ErbStR ERMK EStG EuGH EuGRZ EV EWiR EWR

Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Erbschaftsteuer-Hinweis Erbschaftsteuer-Richtlinien Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte Einkommensteuergesetz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift Einigungsvertrag Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäischer Wirtschaftsraum

FahrlG FamFG

Fahrlehrergesetz Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen Der Familien-Rechts-Berater (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Feststellungserlass Forum Familienrecht (Zeitschrift) folgende Finanzgericht freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zeitschrift) Fußnote Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie (Zeitschrift) Familie, Partnerschaft, Recht (Zeitschrift) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Festschrift

FamGKG FamRB FamRZ FE FF ff. FG fG FGG FGPrax Fn. FPPK FPR FR FS GBl. GBO GbR GewO GewStG GG GKG GmbH GmbHG GmbHR GNotKG GrdstVG GrS GrStG GRUR-Prax GRUR-RR GüKG

Gesetzblatt Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Grundstückverkehrsgesetz Großer Senat Grundsteuergesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Praxis im Immaterialgüterund Wettbewerbsrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Güterkraftverkehrsgesetz

LV

Abkürzungsverzeichnis

GVBl. GVG

Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz

h.M. HandwO HeimG Hereditare HGB HöfeO HRR HRV Hs. HTÜ

herrschende Meinung Handwerksordnung Heimgesetz Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht Handelsgesetzbuch Höfeordnung Höchstrichterliche Rechtsprechung (Zeitschrift bis 1942) Handelsregisterverordnung Halbsatz Haager Testamentsformübereinkommen

i.d.R. i.S.d. i.S.v. i.V.m. INF InsO IntGesR IPR IPRax IStR

in der Regel im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit Die Information über Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Insolvenzordnung Internationales Gesellschaftsrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (Zeitschrift) Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)

JA JFG JhJ Jura JurBüro JuS JW JZ

Juristische Ausbildungsblätter (Zeitschrift) Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Das juristische Büro (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift (Zeitschrift, bis 1944) Juristenzeitung

K&R KapCoRiLiG KFR KG KGJ KGReport KindRG KJHG KO KonsG KÖSDI KostO KostRMoG KStG KStZ KWG

Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinien-Gesetz Kommentierte Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Kommanditgesellschaft; auch: Kammergericht Berlin Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung des Kammergerichts Kindschaftsrechtsreformgesetz Kinder- und Jugendhilfegesetz Konkursordnung Konsulargesetz Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Kostenordnung Kostenrechtsmodernisierungsrecht Körperschaftsteuergesetz Kommunale Steuer-Zeitschrift Kreditwesengesetz

LVI

Abkürzungsverzeichnis

LBG LFGG LG LM LPartErgG LPartG LS LwVfG LWVG m.w.N. MDR MedR MittBayNot MittRhNotK MMR MoMiG

Landesbeamtengesetz Landesgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Landgericht Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz Lebenspartnerschaftsgesetz Leitsatz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen Landeswohlfahrtsverbändegesetz

MüKo

mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) Medizinrecht (Zeitschrift) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer MultiMedia und Recht (Zeitschrift) Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

n.F. NEhelG NJ NJOZ NJW NJWE-FER NJW-RR notar nrkr. NWB NWB-EV NZG

neue Fassung Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht NJW Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Mitteilungsblatt des Deutschen Notarvereins nicht rechtskräftig Neue Wirtschaftsbriefe (Zeitschrift) NWB-Erben + Vermögen (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

OFD OGH OGHZ

Oberfinanzdirektion Oberster Gerichtshof Österreich Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Zivilsachen offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts, Band 1–46, erschienen 1900–1928 (zitiert nach Band, Seite) Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen 1965–1994 (zitiert nach Jahrgang, Seite) Oberverwaltungsgericht

oHG ÖJZ OLG OLGE OLGReport OLGZ OVG PalArch PartGG PBefG PreisKLG

Palandt Archiv (www.palandt.beck.de) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Personenbeförderungsgesetz Gesetz über das Verbot der Verwendung von Preisklauseln bei der Bestimmung von Geldschulden LVII

Abkürzungsverzeichnis

PublG

Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen

RabelsZ

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Rabel Reichsarbeitsgericht Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Recht der Landwirtschaft (Zeitschrift) Rechtsdienst der Lebenshilfe (Zeitschrift) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes mit Nebengesetzten, Kommentar Die Rechtsprechung des Reichsgerichts (Jahr und Nummer der Entscheidung) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft rechtskräftig Rheinische Notar-Zeitschrift (ehemals MittRhNotK) Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Rechtspflegergesetz Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randziffer

RAG RBerG RDG RdL RdLH RG RGBl. RGRK RGWarnR RGZ RIW rkr. RNotZ Rpfleger RpflG RVG Rz. SachenRBerG SchfG SchiedsVfG SGB SGB XII st. Rspr. StAZ Stbg StBGebV StEntlG StEuglG StGB StPO StSenkErgG StSenkG StuW StVergAbG StWi

Sachenrechtsbereinigungsgesetz Schornsteinfegergesetz Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz Sozialgesetzbuch Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe ständige Rechtsprechung Das Standesamt (früher: Zeitschrift für Standesamtswesen) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberatergebührenverordnung Steuerentlastungsgesetz Steuer-Euroglättungsgesetz Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Gesetz zur Ergänzung des Steuersenkungsgesetzes Gesetz zur Reform der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Steuervergünstigungsabbaugesetz Steirische Wirtschaft (Zeitschrift)

TPG

Transplantationsgesetz

Ubg UmwG UmwStG UntStFG UVR

Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift)

LVIII

Abkürzungsverzeichnis

VAStrRefG VBVG VersAusglG VersR VIZ VRegV VVG VZ

Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz Versorgungsausgleichsgesetz Versicherungsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Vorsorgeregister-Verordnung Gesetz über den Versicherungsvertrag Veranlagungszeitraum

WEG WertV WK WM WPg WpHG

Wohnungseigentumsgesetz Wertermittlungsverordnung Werbungskosten Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilungen Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz

ZAkDR ZAP ZBlFG ZD ZErb ZEuP ZEV ZfbF ZFE ZfL ZfSH/SGB

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zentralblatt für die Freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat Zeitschrift für Datenschutz Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Familien- und Erbrecht Zeitschrift für LebensrechtZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Sozialrecht in Deutschland und Europa Zivilgesetzbuch der DDR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für die NotarPraxis Zivilprozessordnung Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

ZGB ZGR ZHR ZIP ZNotP ZPO ZVG ZVglRW

LIX

Allgemeines Literaturverzeichnis Weitere Literaturhinweise finden sich jeweils am Anfang der einzelnen Kapitel. Alternativkommentar zum BGB, Bd. 6, 1990 Bamberger/Roth/Bearbeiter, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Auflage 2012 Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 38. Auflage 2018 Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Auflage 2015 Beck’sches Formularbuch Erbrecht, 4. Auflage 2019 Beck’sches Notar-Handbuch, 6. Auflage 2015 Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, 6. Auflage 2017 Bieritz-Harder/Conradis/Thie, Sozialgesetzbuch XII, 11. Auflage 2018 Bonefeld, Haftungsfallen im Erbrecht, 2. Auflage 2012 Bonefeld/Kroiß/Tanck (Hrsg.), Erbprozess, 5. Auflage 2017 Bonefeld/Wachter, Der Fachanwalt für Erbrecht, 3. Auflage 2014 Brox/Walker, Erbrecht, 28. Auflage 2018 Bumiller/Harders, FamFG/Freiwillige Gerichtsbarkeit, 11. Auflage 2015 Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019 Crezelius, Unternehmenserbrecht, 2. Auflage 2009 Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht, 3. Auflage 2014 Diller, Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte, 2. Auflage 2017 Doering-Striening, Sozialhilferegress bei Erbfall und Schenkung, 2015 Ebeling/Geck, Handbuch der Erbengemeinschaft, Steuerrecht – Zivilrecht (Loseblatt) Ebenroth, Erbrecht, 1992 Erman/Bearbeiter, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 15. Auflage 2017 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Handbuch der Vermögensnachfolge, 7. Auflage 2009 Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo, Höfeordnung, 3. Auflage 1994 Ferid/Firsching/Lichtenberger, Internationales Erbrecht (Loseblatt) Fiala/Keppel/Körner, Deckungslücken in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, 2010 Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage 2019 Fischer/Kühne/Wahrlich (Hrsg.), Anwaltformulare Bankvermögen im Erbfall, 2015 Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Auflage 2008 Frieser, Fachanwaltskommentar Erbrecht, 4. Auflage 2013 Frieser, Kompaktkommentar Erbrecht, 2007 Frieser/Sarres/Stückemann/Tschichoflos (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Erbrecht, 7. Auflage 2019 Fritz/Bünger, Praxishandbuch Erbrecht (Loseblatt) Frohnmayer, Geschiedenentestament, 2004 Gebel, Betriebsvermögensnachfolge, 2. Auflage 2002 Götzenberger, Optimale Vermögensübertragung: Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Auflage 2010 Gräfe/Brügge, Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung, 2. Auflage 2013 Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018 Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 5. Auflage 2014 Gursky/Lettmaier, Erbrecht, 7. Auflage 2018 Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, 2. Auflage 2010 Heldrich/Eidenmüller, Erbrecht, 4. Auflage 2001

LXI

Allgemeines Literaturverzeichnis

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LXII

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LXIII

Teil 1 Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung § 1 Grundüberlegungen zur Beratung I. Der Mandant im Mittelpunkt ganzheitlicher Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erwartungen des Mandanten und Anforderungen an den Berater . . . . . . . . 2. Nachlassplanung als erbrechtsübergreifende Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufgabenprofil und Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Methodik der Nachlassplanung . . . . . . 1. Gestaltungs-, Risiko- und Abwicklungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fünf Arbeitsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfassung des Ist-Zustandes . . . . . . . aa) Checkliste zur Erfassung der persönlichen Situation . . . . . . . . bb) Checkliste zu rechtlichen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . cc) Checkliste zur Analyse der Vermögensstruktur . . . . . . . . . . . b) Definition des Soll-Zustandes . . . . . . c) Analyse der rechtlichen Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ermittlung von Gestaltungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Auswahl und Umsetzung der geeigneten Lösungsvariante . . . . . . . . . . . . 3. Praktische Einschränkungen des idealtypischen Arbeitsganges . . . . . . . . . . . . . III. Interessenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spezialnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1 1.1 1.10 1.15 1.15 1.16 1.22 1.29 1.29 1.33 1.34 1.35 1.36 1.37 1.38 1.40 1.41 1.43 1.44 1.45 1.45 1.45 1.46

c) Sozien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tätigkeitsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflicht zur Niederlegung . . . . . . . . . . c) Verlust des Honorars . . . . . . . . . . . . . d) Parteiverrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Standesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fallgruppen der Interessenkollision im erbrechtlichen Mandat . . . . . . . . . . . . . . a) Ehegattentestament, Erbvertrag . . . . b) Vorweggenommene Erbfolge . . . . . . c) Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . d) Pflichtteilsberechtigte . . . . . . . . . . . . e) Frühere Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .

1.47 1.48 1.49 1.49 1.50 1.51 1.52 1.53 1.54

IV. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten, Verschuldensmaßstab, Beweislast, Mitverschulden . . . . . . . . . . 3. Haftende Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Typische Haftungsrisiken im Erbrecht . . 6. Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungsbeschränkung durch Eingrenzung der Tätigkeit . . . . . . . . . c) Haftungsbeschränkung durch Einzelvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . d) Haftungsbeschränkung durch allgemeine Vertragsbedingungen . . . . . e) Persönliche Haftungsbeschränkung . 7. Haftpflichtversicherung und Verhalten im Haftungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.60 1.60

1.55 1.55 1.56 1.57 1.58 1.59

1.62 1.68 1.69 1.73 1.80 1.80 1.84 1.91 1.94 1.97 1.99

Schrifttum: Becker-Eberhard, Anwaltswerbung: Was bleibt von den §§ 43b BRAO, 6 ff. BORA, AnwBl. 2017, 148; Bonefeld/Wachter, Der Fachanwalt für Erbrecht, 3. Aufl. 2014; Busmann, Chefsache Mandantenakquisition, 2. Aufl. 2017; Feuerich/Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung, 9. Aufl. 2016; Frieser, Die anwaltliche Praxis in Erbschaftssachen, 1995; Halfmann, Marketingpraxis für Anwälte, 2016; Hamatschek, Praxishandbuch Anwaltsmarketing, 2013; Hartung/Römermann, Marketing- und Management-Handbuch für Rechtsanwälte, 1999; Hartung/Scharmer, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 3. Aufl. 2015; Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. Aufl. 2014; Kerscher/Krug/Spanke, Das erbrechtliche Mandat, 5. Aufl. 2014; Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 7. Aufl. 2015; Kleine-Cosack, Vom Fachanwalt zum Spezialisten: Was bleibt von den Werbeverboten?, AnwBl. 2015, 358; Reimann, Nachlassplanung als erbrechtsübergreifende Beratungsaufgabe, ZEV 1997, 129; Ring, Anwaltliches Werberecht, 2. Aufl. 2018.

Steiner 1

§ 1 Rz. 1.1

Grundüberlegungen zur Beratung

I. Der Mandant im Mittelpunkt ganzheitlicher Beratung 1. Erwartungen des Mandanten und Anforderungen an den Berater

1.1 Beurteilen Sie Ihren Arzt danach, ob er Ihr Röntgenbild besonders gut auswerten kann? Oder danach, dass er sich Zeit für Sie nimmt, Ihrer Schilderung der Beschwerden zuhört und Ihnen die Symptomatik sowie seinen Behandlungsansatz ausführlich erklärt? Rechtliche Kompetenz ist die Basis dessen, was der Mandant erwartet, jedoch in der Regel nicht überprüfen kann. „Weiche Faktoren“, beginnend mit der Freundlichkeit des Sekretariats über die Fähigkeit des Zuhörens bis hin zur Honorartransparenz, sind daher meist die Entscheidungskriterien, nach denen sich die Zufriedenheit des Mandanten richtet. Dieser sucht den Berater mit einem mehr oder minder konkreten Problem auf, zu dem er eine konkrete Problemlösung erwartet. Dabei interessiert ihn, von vielen Beratern zu Unrecht in den Vordergrund gestellt, nicht in erster Linie der häufig komplizierte Weg zur Lösung seines Problems, sondern die Problemlösung selbst. So sehr es geboten ist, den Mandanten über die entscheidenden Weichenstellungen und über damit verbundene Risiken aufzuklären, so sollte am Ende jeder Beratung doch eine konkrete Handlungsempfehlung stehen, wobei es für den Mandanten wiederum in der Regel unerheblich ist, ob dabei rechtliche, steuerliche oder wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen.

1.2 Häufig von entscheidender Bedeutung ist das familienpsychologische Einfühlungsvermögen des Beraters. Oft lässt sich nur durch sorgfältiges und einfühlendes Zuhören feststellen, dass unterschwellig Konflikte zwischen Ehegatten bestehen, die ein Testament errichten wollen, bspw. zu der Frage, wie stark der überlebende Ehegatte durch ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag gebunden werden soll. Auch wird das Beratungsgespräch mit einem 50-jährigen Zahnarzt anders ablaufen müssen als mit einer 80-jährigen Witwe, die Zeit ihres Lebens gewohnt war, dass alle Dinge von rechtlicher oder wirtschaftlicher Relevanz durch ihren Mann erledigt wurden. Doch auch wenn jede Beratungssituation verschieden ist und ein individuelles Eingehen auf den Mandanten erfordert, ein gemeinsamer Nenner bleibt: Der Mandant sucht den Rechtsberater auf, weil er spürt, dass er vor einer Problemlage steht, die komplex ist und von ihm allein nicht zu bewältigen ist. Er erwartet daher zu Recht von seinem Berater, dass dieser zunächst Ordnung in seine oft diffusen Überlegungen bringt und ihm konkret bei der Umsetzung seiner Interessen hilft.

1.3 Das Stichwort Ordnung sollte sich daher wie ein roter Faden durch das Mandatsverhältnis ziehen. Dies beginnt bereits mit dem ersten Kontakt, der meist durch eine telefonische Terminvereinbarung zustande kommt. Dieses erste Telefonat sollte der Anwalt nicht seinem Sekretariat überlassen, da es eine wichtige Filterfunktion hat. Zwei Nebenaspekte sind zu nennen: Zum einen kann der Anwalt wichtige Zeit sparen, indem er bei dem Telefonat entscheidet, ob er überhaupt gewillt ist, das Mandat anzunehmen oder ob er bspw. wegen einer Interessenkollision sogar verhindert ist. Zum anderen kann in dem Telefonat geklärt werden, ob Fristen laufen und deshalb eiliger Handlungsbedarf besteht. Dies betrifft bspw. die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft oder zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. Versäumen es der Anwalt oder sein Sekretariat bei der Terminvereinbarung, den Lauf solcher Fristen zu klären, so kann dies zur Haftung aus culpa in contrahendo führen (s. Rz. 1.60).

1.4 Der Hauptaspekt, warum der Anwalt seine Termine selbst vereinbaren sollte, ist jedoch folgender: Nur auf diesem Wege kann sichergestellt werden, dass das erste Gespräch für beide Seiten zufriedenstellend verläuft. Der Anwalt kann mit seinem Mandanten klären, welche Unterlagen und Informationen benötigt werden, zugleich kann er sich auf die anstehende Rechtsproblematik vorbereiten. Meist kann auch eingeschätzt werden, welcher Zeitraum für das Gespräch zur Verfügung stehen muss. Häufig wird es sich dabei anbieten, den Mandanten zu bitten, seine Unterlagen vorab zu übersenden, damit der Anwalt sie in Ruhe studieren kann.

2

Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.9 § 1

Ein derart vorbereiteter Besprechungstermin läuft bereits deshalb wenig Gefahr „zu zerfasern“, weil bei der telefonischen Vorbereitung bereits das Gesprächsziel festgelegt werden kann. Dies erleichtert es dem Mandanten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Verstärkt wird dieser Effekt, indem der Anwalt sich bereits zu Beginn mit seinem Mandanten über die Struktur des Gesprächs einigt:

1.5

Beratungssituation: Ein älteres, sehr vermögendes Ehepaar, das kinderlos ist, sucht den Anwalt auf, um eine rechtlich und steuerlich möglichst günstige Struktur für seine Vermögensnachfolge zu finden.

Der Anwalt könnte das Gespräch bspw. wie folgt einleiten:

M 1 Einleitung/Strukturierung Beratungsgespräch

1.6

Ich schlage vor, dass wir unser heutiges Beratungsgespräch in drei Abschnitte gliedern: Zunächst möchte ich, damit ich Sie optimal beraten kann, mit Ihnen über Ihre persönliche Situation und über Ihre Vermögensstruktur sprechen. Danach bitte ich Sie, mir im zweiten Schritt zu schildern, welches Ihre vorrangigen Wünsche und Ziele sind. Auf dieser Grundlage kann ich Ihnen dann, drittens, Lösungen empfehlen, mit denen Sie Ihre Ziele und Wünsche verwirklichen können.

Eine so vorgegebene Struktur ermöglicht es dem Mandanten, sich mitzuteilen, und zugleich dem An- 1.7 walt, seiner Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung nachzukommen, ohne dass das Gespräch ausufert. Gerade eine klare Gliederung des Gesprächs verhindert, dass sich der Mandant „abgeblockt“ fühlt. Beginnt er bspw. bei der Schilderung seiner familiären Situation ausführlich darüber zu sprechen, welche Geschenke seine Kinder bereits erhalten haben, wie undankbar sie sich gezeigt haben und was er trotzdem noch zu übertragen gedenkt, so kann der anwaltliche Berater eingreifen und darauf verweisen, dass bei der Besprechung der familiären Situation die Vermögensverhältnisse zunächst noch zurückgestellt werden. Das darin liegende Versprechen, den entsprechenden Punkt später aufzugreifen, sollte aber, dies ist ein ganz wichtiger Aspekt der Gesprächsführung, unbedingt eingelöst werden. Besonders bedeutsam ist das Ende des Gesprächs. Mandantenbefragungen zeigen, dass diese oft den Eindruck haben, Steine statt Brot erhalten zu haben. Sie fühlen sich durch eine Fülle rechtlicher Informationen, die sie nicht einordnen und verarbeiten können, überfordert. (Zum psychologischen Einfühlungsvermögen des Beraters gehört in diesem Zusammenhang auch, dass er – fern jeder Überheblichkeit – Auffassungsgabe und Intelligenz des Mandanten realistisch einschätzt.) Zur Orientierung für den Mandanten, aber auch für den Anwalt selbst ist es unerlässlich, dass das Gespräch, wenn es nicht bei einer Erstberatung bleiben soll, mit einer konkreten Verabredung über das weitere Vorgehen endet. Dies kann bspw. in prozessualen Angelegenheiten die Fertigung eines Schriftsatzentwurfs oder in Beratungsangelegenheiten die Anfertigung eines Testamentsentwurfs sein. Wichtig zur Orientierung des Mandanten ist dabei, dass ihm konkret dargelegt wird, welche weiteren Schritte folgen und mit welchem Zeitrahmen er zu rechnen hat. Termintreue ist dabei ein Kriterium, das für den Mandanten ebenso wichtig wie für den Anwalt oft schwer einzuhalten ist, gleichwohl aber sollte es selbstverständlich sein, dass ins Auge gefasste Termine keinesfalls kommentarlos verstreichen, sondern der Mandant notfalls unaufgefordert eine Zwischennachricht erhält.

1.8

In komplexen Beratungsangelegenheiten bietet sich nicht selten ein Zwischenschritt in Form eines 1.9 Mandantenschreibens an. In diesem Schreiben werden der Sachverhalt, der Beratungsauftrag und das weitere Vorgehen festgehalten. Dies hat den Vorteil, dass auf beiden Seiten Missverständnissen vorgebeugt wird, dass der Mandant die Möglichkeit hat, seine Angaben zum Sachverhalt in der Form zu überprüfen, wie der Anwalt sie verstanden hat; schließlich ist die schriftliche Niederlegung der Gedanken für den Anwalt auch ein wichtiges Mittel der Selbst- und damit Qualitätskontrolle.

Steiner 3

§ 1 Rz. 1.10

Grundüberlegungen zur Beratung

Idealtypische Mustergliederung für ein Mandantenschreiben: A. Ausgangssituation I.

Familiäre Situation

II. Rechtliche Rahmenbedingungen – bisherige Verfügungen von Todes wegen – Erb- und Pflichtteilsverzichte – Vereinbarungen zum Güterstand – Verträge zugunsten Dritter (Lebensversicherungen, Bankverfügungen zugunsten Dritter) III. Vermögen und bisherige Schenkungen B. Wünsche des Mandanten und familiäre Besonderheiten – eigene Absicherung für Alter und Pflegebedürftigkeit – Absicherung des überlebenden Ehegatten – gerechte Weitergabe des Vermögens an die nächste Generation – Erhalt des Vermögens in der Familie – Hilfe beim Existenzaufbau der nächsten Generation – Sorge für behinderte Kinder – Vermeidung von Liquiditätsabflüssen durch Pflichtteilsansprüche – Berücksichtigung von Problemen mit Schwiegerkindern – steuergünstige Gestaltung C. Schlagwortartige Analyse der Probleme der derzeitigen Rechts- und Steuersituation D. Wiedergabe des Beratungsauftrags und von Lösungsansätzen E. Vorschläge zum weiteren Vorgehen und zur Honorargestaltung 2. Nachlassplanung als erbrechtsübergreifende Aufgabe

1.10 Ausgehend von den USA, wo sich das „Estate Planning“ bereits in den fünfziger Jahren als eigenständiges Rechtsgebiet durchgesetzt hat, ist mittlerweile auch in Deutschland der Begriff „Nachlassplanung“ etabliert. Sie lässt sich definieren als ein Maßnahmenbündel, mit dem das Vermögen einer bestimmten Person nach deren Wünschen unter familiären, wirtschaftlichen und steuerlichen Gesichtspunkten optimal auf die nächste oder auch auf weitere Generationen übergeleitet wird. Rechtlich sind dabei alle Gebiete einzubeziehen, die für die Vermögensüberleitung von Bedeutung sind, neben dem Erbrecht insbesondere das Familien- und Steuerrecht, zudem bspw. das Gesellschaftsrecht, das Schuldrecht und das Versicherungsrecht1.

1.11 Systematisch ist die Nachlassplanung dabei ein Teil der privaten Finanzplanung. Auch dies ist ein strategischer Planungsvorgang, der sich zunächst in den USA unter dem Begriff „Financial Planning“ etabliert hat. Hierunter wird der strategische Planungsvorgang verstanden, mit dem das Vermögen einer bestimmten Person oder Familie unter Ertragsgesichtspunkten und in Abstimmung mit den individuellen Bedürfnissen der Beteiligten optimal strukturiert werden soll.

1 Reimann, ZEV 1997, 129.

4

Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.14 § 1

Noch weitergehend – und dies wird den Erwartungen des Mandanten am meisten gerecht – kann Nachlassplanung auch als Teil eines Konzepts der persönlichen und finanziellen Vorsorge, also als Vorsorgeplanung verstanden werden.

1.12

Beratungssituation: Die Mandantin, eine vermögende Witwe, berichtet, dass sie sich mit ihren beiden Töchtern nicht versteht, der Kontakt sei unwiederbringlich abgerissen. Auf die Möglichkeit angesprochen, dass sie in den vom Pflichtteilsrecht gezogenen Grenzen abweichend von der gesetzlichen Erbfolge testieren könne, erklärt sie, was mit ihrem Vermögen nach ihrem Tod geschehe, sei ihr egal, dies gelte auch unter steuerlichen Gesichtspunkten. Damit ist die Beratungsaufgabe in Bezug auf die finanziellen Aspekte der Vorsorgeplanung erfüllt. In persönlicher Hinsicht ist die Mandantin aber darauf hinzuweisen, dass im Fall ihrer Betreuungsbedürftigkeit das Familiengericht eventuell von den Konflikten mit den Töchtern nichts erfährt und daher eine oder beide Töchter zu Betreuern bestellt werden, mit der Folge, dass diese über ihr persönliches Schicksal, bspw. auch über die Unterbringung in einem Pflegeheim, entscheiden können. Die Mandantin, die fürchtet, dass die Töchter derartige Entscheidungen vorrangig unter pekuniären Gesichtspunkten treffen werden, wird dankbar die Anregung aufgreifen, eine Betreuungsverfügung zu errichten. Dieses Beispiel zeigt, dass finanzielle oder steuerliche Aspekte nicht immer im Vordergrund der Nachlassplanung stehen müssen, ja manchmal sogar ganz zurücktreten.

1.13

Gestaltungsmittel der Nachlassplanung: – klassische erbrechtliche Gestaltungsmittel, insbesondere Testament und Erbvertrag, Erb- und Pflichtteilsverzicht – Vollmachten, insbesondere Altersvorsorgevollmacht und postmortale Vollmacht – Betreuungsverfügung – Nachfolgeregelungen in Gesellschaftsverträgen – familienrechtliche Gestaltungen, insbesondere Adoption und Eheverträge – Lebens- und Rentenversicherungen – Verträge zugunsten Dritter, insbesondere mit Banken – Schenkungs- und Übergabeverträge (vorweggenommene Erbfolge) – bei Auslandsberührung: Beeinflussung des anwendbaren Rechts, bspw. durch Wahl des Erb- oder Ehegüterrechtsstatuts nach Art. 15 und Art. 25 EGBGB – Veränderungen der Vermögensstruktur Der letztgenannte Gesichtspunkt, Strukturierung des Vermögens des künftigen Erblassers, wird meist vorrangig unter ertrag- und erbschaftsteuerrechtlichen Gesichtspunkten zu sehen sein, bspw. bei der Umschichtung von Privat- in Betriebsvermögen, um die hiermit aus der Sicht der Vermögensnachfolge verbundenen Vorteile zu erlangen. Nicht vergessen werden darf dabei aber, dass der Aufbau einer sinnvollen Vermögensstruktur auch aus zivilrechtlichem Blickwinkel von essenzieller Bedeutung für das Gelingen der Nachfolgeplanung sein kann. Beratungssituation: Ein Unternehmer hat im Laufe seines höchst erfolgreichen Berufslebens ein Konglomerat von Gesellschaften im In- und Ausland aufgebaut. Für all dies ordnet er Testamentsvollstreckung an.

In derartigen Fällen stellt sich stets die Frage, ob die Testamentsvollstreckung wegen der bekannten rechtlichen Probleme im Bereich von Personengesellschaften aber auch wegen der Frage, ob sie im Ausland für Auslandsgrundbesitz und Auslandsbeteiligungen anerkannt wird, reibungslos durchgeführt werden kann. Hier bietet es sich im Beispielsfall an, die Unternehmensstruktur nachfolgegerecht zu gestalten, indem die Gesellschaften und der Grundbesitz unter das Dach einer Holding gestellt werden,

Steiner 5

1.14

§ 1 Rz. 1.15

Grundüberlegungen zur Beratung

die als Kapitalgesellschaft vom Testamentsvollstrecker ohne rechtliche Probleme verwaltet werden kann. 3. Marketing a) Zielsetzung

1.15 Anwaltliches Marketing entspringt der Erkenntnis, dass in Zeiten steigenden Wettbewerbsdrucks auch die anwaltliche Leistung professionell dem potenziellen Mandanten nahegebracht werden muss1. Marketing ist aber mehr als Werbung: Es ist die Kunst, direkt oder indirekt Beziehungen zu potenziellen Klienten anzubahnen, um unternehmerische Ziele zu verwirklichen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei eine realistische Zielsetzung. Ein Einzelanwalt, der bspw. in einer Kanzleibroschüre den Eindruck erweckt, er decke alle Rechtsgebiete von A bis Z ab, wirkt heutzutage unglaubwürdig. Das Marketing eines Erbrechtsspezialisten muss anders aussehen als das des Generalisten, der sich – vergleichbar dem Hausarzt – als Hausanwalt seines Mandanten versteht. Letzterer wird den potenziellen Mandanten realistischerweise signalisieren, dass er sie zwar auch im Bereich des Erbrechts betreut, dass er aber in schwierigeren Fällen, vor allem in steuerlicher Hinsicht, nur koordinierend tätig ist. Ersterer hingegen wird seine Spezialisierung hervorheben und hierbei auch allgemein tätige Kollegen und Steuerberater gezielt ansprechen. Dass es zwischen diesen beiden Extremen viele Differenzierungen gibt, versteht sich von selbst. Somit ergeben sich zwei zusammenhängende Fragestellungen: 1. Welche Ausrichtung soll meine Kanzlei haben? 2. Welche Zielgruppe will und kann ich ansprechen? b) Instrumente

1.16 Aus der Zielsetzung und teilweise auch aus den finanziellen Möglichkeiten des Anwalts ergeben sich die einzusetzenden Marketing-Instrumente: Werbemaßnahmen: Nicht nur aus standesrechtlichen Gründen ist vor marktschreierischen Mitteln zu warnen, gerade im Erbrecht muss die Werbung in besonderer Weise vertrauensbildend wirken, da der Mandant in der Regel höchst persönliche familiäre und wirtschaftliche Informationen preisgibt. Am ehesten kann man daher von der Werbung derjenigen Branchen lernen, die ebenfalls von Kompetenz und Vertrauen leben (Banken, Versicherungen, Unternehmensberater). Geeignete Maßnahmen sind je nach Budget: Briefkopfgestaltung mit Hinweis auf Tätigkeitsschwerpunkt; Annoncen in Zeitungen und Zeitschriften; Kanzleibroschüren. Dabei ist es selbstverständlich, dass auf die erworbene Qualifikation eines Fachanwalts für Erbrecht hingewiesen werden darf (§ 43c Abs. 1 S. 2 BRAO i.V.m. § 14f FAO). Bei Selbstanpreisungen sollte hingegen Zurückhaltung geübt und die ständig in Fluss befindliche Rechtsprechung sorgfältig geprüft werden2. So wurde bspw. die Bezeichnung „Spezialist für Erbrecht“ als unzulässig angesehen3. Ebenso erging es dem „Spezialisten für Erbrecht und Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht“ vor dem BGH4, weil der Betroffene nicht darlegen konnte, dass seine Kenntnisse und Erfahrungen die eines „normalen“ Fachanwalts für Erbrecht erheblich übersteigen. Die Bereitschaft, Testamentsvollstreckungen zu übernehmen, darf kundgetan werden, irreführend und unzulässig ist hingegen die Selbstbezeichnung als Testamentsvollstrecker, da es sich um keine all-

1 Trimborn v. Landenberg, Anwaltliches Marketing im Erbrecht, ZErb 2000, 225. 2 Alphabetischer Überblick bei Ring, Anwaltliches Werberecht, 2. Aufl. 2018, § 2. 3 LG München I v. 9.2.2010 – 33 O 427/09, NJW-Spezial 2010, 158; großzügiger für den „Spezialisten für Familienrecht“ im Einzelfall allerdings BGH v. 24.7.2014 – I ZR 53/13, NJW 2015, 704. 4 BGH v. 5.12.2016 – AnwZ (Brfg) 31/14, NJW 2017, 669.

6

Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.21 § 1

gemeine Berufsbezeichnung handelt, sondern um ein Amt im Einzelfall1. In der Regel für unzulässig erachtet wird auch die Werbung als „zertifizierter Testamentsvollstrecker“2. Public Relations: Werbemaßnahmen, die in erster Linie konkrete Mandate akquirieren sollen, werden 1.17 durch Öffentlichkeitsarbeit ergänzt, bei der langfristig an der „Marke“ gearbeitet wird. Bei Anwälten stehen hier schriftstellerische bzw. fachjournalistische Aktivitäten sowie die Vortragstätigkeit im Vordergrund. Networking: Hier geht es um den Aufbau von Kontakten, insbesondere zu Multiplikatoren, die Empfehlungen aussprechen: Finanzdienstleister (Versicherungsagenten, Anlageberater etc.), Rechtsschutzversicherer, Vermögensplaner und natürlich Steuerberater, in der Literatur genannt werden ferner Bestattungsunternehmen und Leiter von Alten- und Pflegeheimen3.

1.18

Internet: Das Internet spielt auch im Erbrecht eine immer größere Rolle. Mittlerweile ist es fast unverzichtbar, dieses Werbe- und Kommunikationsmittel durch eine gut gestaltete Homepage zu nutzen4. Hinzu kommt vermehrt der Einsatz von Social Media (Facebook, Twitter). Auch wird für die Beantwortung einfacher Fragen Legal Tech, bspw. die Erstellung eines einfachen Testaments oder einer Patientenverfügung durch Algorithmen, sicherlich rasant an Bedeutung gewinnen5. Vorreiter sind die Portale zur Durchsetzung von Fluggastrechten.

1.19

Service: Dieser Punkt zielt insbesondere darauf ab, den Mandanten außerhalb der eigentlichen anwaltlichen Leistung zufrieden zu stellen und ihn so als Multiplikator zugunsten des Anwalts zu gewinnen. Hierzu gehören Selbstverständlichkeiten wie Termintreue, schnelle Terminvergabe und allgemeine Erreichbarkeit des Anwalts (zuverlässige Erledigung von Rückrufen!). Hinzu kommen Serviceangebote wie die Ausgabe von Merkblättern zu allgemein interessierenden Fragen, z.B. zum Thema „Patiententestament“. Immer wichtiger, auch außerhalb der Testamentsvollstreckung, wird das Thema „Rundum-Service“. Dies betrifft vor allem den Erben, der mit den Folgen des Erbfalls oft überfordert ist und außer juristischem Rat auch praktische Unterstützung benötigt, bspw. bei der Veräußerung einer Immobilie durch Herstellung des Kontakts zu einem seriösen Immobilienmakler.

1.20

Preispolitik: Auch die Preisgestaltung ist als Marketingmittel in den Vordergrund geraten. In erster Linie hängt dies davon ab, welche Zielgruppe angesprochen werden soll. Spricht eine Kanzlei in erster Linie den „Durchschnittsbürger“ an, so kann es lohnend sein, Schwellenängste durch preiswerte Erstberatungsangebote abzubauen. Andererseits muss sich der Unternehmensnachfolgespezialist davor hüten, in den Ruf des „billigen Jakobs“ zu kommen. Beiden Extremen gemein ist jedoch die Notwendigkeit, dem Mandanten das Gefühl zu vermitteln, dass er einen fairen Preis bezahlt. Gerade angesichts der im Verhältnis zum RVG teilweise niedrigeren Notargebühren bedarf das Honorarthema daher einigen Fingerspitzengefühls. Im Gegensatz zum Notar hat der Anwalt Gestaltungsspielraum, den er, bspw. durch die Vereinbarung von Stundenhonorar, nutzen sollte. Beachtet werden muss dabei natürlich im gerichtlichen Bereich das Verbot der Gebührenunterschreitung (§ 49b Abs. 1 BRAO). Außergerichtlich gilt dies nicht, so dass hier auch eine Preiswerbung bis hin zum Angebot der kostenlosen Erstberatung zulässig ist6.

1.21

1 AGH NRW v. 7.1.2011 – 2 AGH 36-38/10, NJW-Spezial 2011, 286. 2 BGH v. 9.6.2011 – I ZR 113/10, NJW 2012, 235; OLG Nürnberg v. 4.5.2010 – 3 U 318/10, ZEV 2010, 418; AGH Niedersachsen v. 12.1.2009 – AGH 23/08, NJW-Spezial 2009, 254. 3 Eich, Networking und Akquise für Rechtsanwälte, 2016; Hoeflmayr, Kanzleimarketing für die anwaltliche und steuerberatende Praxis, 4. Aufl. 2012. 4 Heyers u.a., Erfolgreich starten als Rechtsanwalt, 2013; Strangmeier, Internetpräsenz für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, 2000. 5 Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, 2018. 6 BGH v. 3.7.2017 – AnwZ (Brfg) 42/16, NJW 2017, 2554 m. Anm. Kilian; umfangreiche Nachweise bei Ring, Rz. 222 ff. (Stichwort „Gebührenunterschreitung“).

Steiner 7

§ 1 Rz. 1.22

Grundüberlegungen zur Beratung

4. Aufgabenprofil und Qualitätssicherung

1.22 Der umfassende Charakter der Nachlassplanung fordert mehr als fundierte Kenntnisse im Erbrecht, der Nachlassplaner muss auch weitreichende Kenntnisse im Familienrecht, Gesellschaftsrecht, Versicherungsrecht und vor allem im Erbschaftsteuerrecht besitzen. Hinzu kommt zumindest ein Überblickswissen zum Ertragsteuerrecht sowie zum Recht der Grunderwerbsteuer und der Gewerbesteuer. Auch sollte Verständnis für wirtschaftliche und familienpsychologische Zusammenhänge vorhanden sein. Eher zu eng bemessen ist also der Katalog der besonderen Kenntnisse, den § 14f FAO für den Fachanwalt für Erbrecht aufstellt. Beratungshinweis: Bewährt hat sich die Arbeit mit Checklisten, Beispiele finden sich nachfolgend in Rz. 1.35–1.37.

1.23 Um ein optimales Ergebnis zu erreichen, ist, vor allem bei komplexen Vermögensverhältnissen, die Zusammenarbeit mit anderen Beratungsberufen unerlässlich. Sie sollte vom Nachlassplaner aktiv gesucht und koordiniert werden. Dies betrifft in erster Linie den Steuerberater des Mandanten, der dessen steuerliche Verhältnisse am besten kennt. Hinzutreten, je nach Fallkonstellation, der Vermögensanlageberater des Mandanten, der Firmenkundenbetreuer seiner Hausbank, eventuell auch ein Versicherungsfachmann und ein Unternehmensberater, Letzterer vor allem im Bereich der Unternehmensnachfolge, wenn es darum geht, die Unternehmensstruktur auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu optimieren. Dabei treten zwei Problempunkte auf: – Entbindung von der Schweigepflicht – Honorarteilung und Honorargestaltung

1.24 Bei der Zusammenarbeit mit anderen Beratungsberufen ist darauf zu achten, dass der Mandant möglichst bereits zu Anfang des Mandats die Entbindung von der Schweigepflicht ausspricht, damit der nötige Informationsaustausch stattfinden kann. Die Entbindung kann auch stillschweigend oder mündlich erfolgen, je nach Fallgestaltung und Beziehung zum Mandanten kann es sich aber empfehlen, dies schriftlich festzuhalten, bspw. im ersten Anschreiben wie folgt:

1.25 M 2 Schweigepflichtentbindung Wir haben darüber gesprochen, dass Ihr Steuerberater und Ihr Vermögensanlageberater bei der XY-Bank in die Gestaltung einbezogen werden sollen. Diesen Personen gegenüber haben Sie mich von der anwaltlichen Schweigepflicht befreit.

1.26 Beratungshinweis: Generell hat der Anwalt bei seiner internen Organisation auf die Einhaltung der Anforderungen zu achten, die der Gesetzgeber Ende 2017 eingeführt hat, um einerseits die Mitwirkung Dritter (insbesondere im Bereich der Digitalisierung) zu ermöglichen, zugleich aber dem Schweigeinteresse der Mandanten Rechnung zu tragen1. Insbesondere schreibt § 43a Abs. 2 BRAO vor, dass der Anwalt die von ihm beschäftigten Personen in schriftlicher Form zur Verschwiegenheit zu verpflichten und sie dabei über die strafrechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung zu belehren hat. Ein vergleichbares Verpflichtungserfordernis sieht § 43e BRAO im Verhältnis zu Dienstleistern vor, die Zugang zu sensiblen Informationen erhalten (bspw. bei der EDV-Wartung). Zu beachten ist auch, dass diese Anforderungen teilweise strafbewehrt sind (Neufassung des § 203 StGB).

1.27 Zur Honorargestaltung ist zu beachten, dass es nach § 27 der Berufsordnung verboten ist, Dritte am wirtschaftlichen Ergebnis anwaltlicher Tätigkeit zu beteiligen. Zieht der Rechtsanwalt daher ei1 Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen v. 30.10.2017, BGBl. I 2017, 3618.

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Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.29 § 1

nen externen Steuerberater hinzu, so ist es nicht statthaft, diesen intern am Honorar des Anwalts zu beteiligen. Am klarsten ist es, stattdessen zu veranlassen, dass direkt zwischen dem Steuerberater und dem Mandanten ein Mandatsverhältnis zustande kommt, das entsprechend abgerechnet wird. Qualitätssicherung in der Anwaltspraxis ist in den letzten Jahren geradezu ein Modethema geworden. 1.28 Auch wenn es hier in formeller Hinsicht zu mancher Übertreibung gekommen ist (nach dem Motto: „Wenn ein Gespräch mit einem Mandanten stattfindet, ist für das Vorhandensein einer geeigneten Räumlichkeit zu sorgen.“), ist das Kernanliegen dennoch berechtigt: Maßnahmen der Qualitätssicherung, die seit jeher intuitiv ergriffen wurden, transparent zu machen, um sie effizienter zu gestalten, indem sie zuverlässig in den Arbeitsalltag integriert werden. Hierzu gehört für den Anwalt die regelmäßige Fortbildung in den maßgeblichen Rechtsgebieten und in der täglichen Arbeit die Benutzung von Checklisten, bspw. zur Sachverhaltserfassung und zu etwaigen Fristproblemen. Hinzu kommt, vor allem im Bereich der Erbschaftsteuerplanung, die EDV-Unterstützung1.

II. Methodik der Nachlassplanung 1. Gestaltungs-, Risiko- und Abwicklungsplanung Der Begriff „Testamentsgestaltung“ steht heute beispielhaft für die umfassende Planung der Vermö- 1.29 gensnachfolge des Klienten. In den USA hat sich das Estate Planning bereits vor Jahrzehnten zu einem eigenständigen Gebiet in Rechtswissenschaft und Praxis entwickelt, wobei Nachlassplanung wiederum als Teil der privaten Finanzplanung verstanden wird. Dies verdeutlicht, dass es sich um einen Planungsprozess handelt, der alle rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte berücksichtigt, die für den Übergang des Vermögens auf die nächste Generation Bedeutung erlangen können. Im Gegensatz zur forensischen Sichtweise ist der Status quo nur ein Ausgangspunkt, da der Kautelarjurist mögliche Änderungen der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen hat, indem er flexible Lösungen vorsieht, die dies berücksichtigen, sei es in Form von Änderungsvorbehalten, sei es in Form von Alternativlösungen. Wie jeder Planungsprozess unterliegt auch die Nachlassplanung drei Stufen, die naturgemäß eng miteinander verzahnt sind: – Im Wege der Gestaltungsplanung wird der normale, „programmgemäße“ Ablauf der Vermögensnachfolge geregelt. – Die Risikoplanung berücksichtigt mögliche Entwicklungen der Zukunft, insbesondere etwaige Störfaktoren wie bspw.: Wegfall eines Erben (Ersatzerbschaft), Geltendmachung eines Pflichtteils (Pflichtteilsstrafklausel), Wegfall eines Vermögensgegenstands (Verschaffungsvermächtnis oder Wertersatz). – Die Abwicklungsplanung hat eine wesentliche Hilfsfunktion, indem sie sicherstellen soll, dass die inhaltlichen Regelungen, die für den Normal- oder Risikofall vorgesehen sind, möglichst reibungslos und kostengünstig umgesetzt werden, bspw. durch Einsetzung eines Abwicklungstestamentsvollstreckers. Ein weiteres Beispiel bietet der Fall, dass der Nachlass hauptsächlich aus einem Unternehmen oder einer Immobilie besteht. Hier bietet es sich zur vereinfachten Abwicklung meist an, den für das Unternehmen oder die Immobilie vorgesehenen Nachfolger zum Alleinerben zu bestimmen und die übrigen Familienangehörigen durch Vermächtnisse zu bedenken. Einstweilen frei.

1.30–1.32

1 Bei der Werbung mit Zertifizierungen ist allerdings Zurückhaltung geboten, s. OLG Hamm v. 31.1.2012 – I-4 U 100/11, GRUR-RR 2012, 285 (unzulässige Werbung mit DEKRA-Siegel) und oben Rz. 1.16.

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§ 1 Rz. 1.33

Grundüberlegungen zur Beratung

2. Fünf Arbeitsschritte

1.33 Idealtypisch ergeben sich fünf Arbeitsschritte, die im praktischen Vorgehen naturgemäß ineinander übergehen: – Erfassung des Ist-Zustandes – Definition des Soll-Zustandes – Analyse der juristischen Ausgangssituation – Ermittlung von Gestaltungsvarianten – Auswahl und Umsetzung der geeigneten Gestaltungsvariante a) Erfassung des Ist-Zustandes

1.34 In einem ersten Schritt sind die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen möglichst vollständig zu erfassen, wobei auch Änderungen zu berücksichtigen sind, die sich bereits abzeichnen oder die realistischerweise zu erwarten sind1. aa) Checkliste zur Erfassung der persönlichen Situation

1.35 l Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt des Klienten l Familienstand (bzw. Vorhandensein eines Lebensgefährten) l Vorhandensein möglicherweise erb- oder pflichtteilsberechtigter Angehöriger, insbesondere Eltern der Mandanten sowie Kinder einschließlich nichtehelicher und adoptierter Kinder l In Fällen mit Auslandsberührung: Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt der Angehörigen2 l Feststellung des Eheschließungsorts und des erstes ehelichen Wohnsitzes zur Ermittlung des Güterrechtsstatuts l Persönliche Eigenschaften der Beteiligten: Hier geht es um „weiche“ Faktoren, die für die Vermögensnachfolge eine kaum zu überschätzende Rolle spielen wie bspw. die Fähigkeit eines Angehörigen, mit Geld verantwortungsbewusst umzugehen, oder die fachliche Qualifikation eines Ehegatten oder Kindes für die Unternehmensnachfolge. (Hier sollte der Berater nicht einfach die Einschätzung und Bewertung des Mandanten übernehmen, sondern diesen veranlassen, seine Einschätzung durch konkrete Geschehnisse und Erfahrungen zu belegen – oder auch sie kritisch zu reflektieren.) l Bestehen Zweifel an der Testier- oder Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten? l Mögliche Änderungen der persönlichen Situation: l Ehekrise oder gar Scheidungswunsch bei einem Beteiligten? l Ernsthafte Erkrankung oder fortgeschrittenes Alter bei einem Beteiligten? l Kinderwunsch bei einem Beteiligten? l Adoptionswunsch?

1 Zur Pflicht des Anwalts, den Sachverhalt zu klären, BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 23/04, NJW 2006, 501; BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/01, NJW-RR 2006, 923 (925); BGH v. 10.2.1994 – IX ZR 109/93, NJW 1994, 1472; für den Notar ist dies in § 17 Abs. 1 BeurkG geregelt. 2 Das hat Bedeutung für die Steuerplanung, zudem müssen in diesen Fällen etwaige Gerichtsstände oder Schutzvorschriften ermittelt werden, die das jeweilige Land für eigene Staatsangehörige kennt.

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Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.39 § 1

bb) Checkliste zu rechtlichen Rahmenbedingungen l Existiert ein Ehevertrag oder ein Vertrag mit einem nichtehelichen Lebensgefährten?

1.36

l Ist eine Bindung durch ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag gegeben? l Besteht ein Vertrag über den Nachlass eines lebenden Dritten nach § 312 BGB? l Ist der Mandant in einen Gesellschaftsvertrag oder eine Eigentümergemeinschaft eingebunden? l Bestehen Verträge zugunsten Dritter, insbesondere Lebensversicherungen? l Bestehen Vollmachten? l Bestehen langfristige vertragliche Bindungen, bspw. Miet- oder Pachtverträge im Unternehmensbereich? l Existieren Schenkungs- oder Übergabeverträge? l Bestehen Pflichtteils- oder Erbverzichtsverträge? cc) Checkliste zur Analyse der Vermögensstruktur

1.37

Gegenwartsbezogen: l Immobilien l Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen l Geld- und Wertpapiervermögen (Zuordnung von Gemeinschaftskonten und -depots) l Land- und forstwirtschaftliches Vermögen l Lebensversicherungen und Bausparverträge l Sonstiges bewegliches Vermögen (Kfz, Hausrat, Antiquitäten) l Auslandsvermögen Vergangenheitsbezogen: l Zuwendungen an Familienangehörige (Schenkungen, Ausstattungen) Zukunftsbezogen: l Veräußerungswunsch l Wunsch zur Auf- oder Übergabe des Unternehmens l Renten- und Altersversorgung des Klienten und seines Ehegatten b) Definition des Soll-Zustandes In einem zweiten Schritt werden mit dem Mandanten die Ziele der Nachfolgeplanung festgelegt. Diese bestimmen sich nach seinen individuellen Wünschen, typischerweise stehen sieben Gestaltungsziele im Vordergrund:

1.38

An erster Stelle steht die Versorgung des Ehegatten und der Kinder (oder Enkelkinder), indem der 1.39 Übergang des Vermögens oder seiner Erträge auf diese Personen sichergestellt wird. Als zweites Motiv spielt dabei im Verhältnis der Kinder eine gerechte Verteilung und der Ausgleich von Vorempfängen eine wichtige Rolle. Wenn zum Vermögen ein Unternehmen oder eine bedeutende Immobilie zählt, tritt als drittes Regelungsziel oft die Sicherung der Existenz dieser Vermögenseinheit und ihr Erhalt für die Familie in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang spielt als viertes Regelungsziel unter Liquiditätsgesichtspunkten die Ausschaltung von Störfaktoren wie Pflichtteilsansprüchen und güter-

Steiner 11

§ 1 Rz. 1.40

Grundüberlegungen zur Beratung

rechtlichen Zahlungsansprüchen eine wichtige Rolle. Häufig werden, fünftens, Regelungen gewünscht, die die Beteiligten auch nach dem Erbfall an die Vorstellungen des Erblassers binden, insbesondere durch Vor- und Nacherbschaft oder Dauertestamentsvollstreckung. Sechstens besteht das Ziel, den Familienfrieden zu wahren, indem Streit vermeidende und praktisch durchsetzbare Lösungen gefunden werden. Schließlich sollen, siebtens, die Steuern und Nachlassabwicklungskosten möglichst gering gehalten werden. c) Analyse der rechtlichen Ausgangssituation

1.40 Wenn der Sachverhalt feststeht und die Ziele des Klienten definiert sind, ist im dritten Schritt festzustellen, wie sich die Vermögensnachfolge im Erbfall ohne kautelarjuristisches Eingreifen ergeben würde: – Zivilrechtlicher Übergang des Vermögens auf gesetzliche Erben oder bei bereits existierender testamentarischer Lösung auf die hiernach Begünstigten; Ansprüche des Ehegatten; gesellschaftsrechtliche Nachfolgeklauseln; Bezugsberechtigungen aufgrund von Verträgen zugunsten Dritter (Lebensversicherungen); – Steuerliche Folgen des Erbfalls, insbesondere im Erbschaft- und Einkommensteuerrecht; – Im internationalen Bereich ist zu beachten, dass der potenzielle Erbfall (im Unterschied zur forensischen Tätigkeit) aus der Sicht aller beteiligten Rechtsordnungen zu untersuchen ist, in denen die Zuständigkeit eines Nachlass- oder Streitgerichts gegeben sein oder in denen Steuerhoheit bestehen könnte1. d) Ermittlung von Gestaltungsvarianten

1.41 Im vierten Schritt werden Lösungsvarianten ermittelt, die für die Verwirklichung der definierten Ziele geeignet sind. Hierbei bedient sich der Kautelarjurist der Gestaltungstypen, die für typische Fallgruppen entwickelt wurden2. Diese kautelarjuristischen Gestaltungstypen kombinieren rechtliche Lösungsmodelle und bündeln sie zu einem Maßnahmenpaket, welches die typischen Zielsetzungen des Mandanten bei einem gegebenen Sachverhalt verwirklicht (dass es sich hierbei nur um eine Richtschnur handelt, die an die Besonderheiten des jeweiligen Falles anzupassen ist, ist eine pure Selbstverständlichkeit).

1.42 Als Regelungsinstrumente stehen naturgemäß die klassischen erbrechtlichen Instrumente im Vordergrund: – Testament und gemeinschaftliches Testament, – Erbvertrag, – Erb- und Pflichtteilsverzicht, – Vertrag über den Nachlass eines lebenden Dritten (§ 311b Abs. 5 BGB).

1 Zum deutschen internationalen Privatrecht und zum deutschen internationalen Erbschaftsteuerrecht Checklisten bei von Oertzen, ZEV 1995, 167 ff.; Steiner, Testamentsgestaltung in Fällen kollisionsrechtlicher Nachlassspaltung, 2001. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Aufl. 2015, Kap. 1 Rz. 73 ff.; zu Vertragstypen der Grundstückszuwendung s. insbesondere Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2009; Gestaltungsmodelle zur Unternehmensnachfolge s. bspw. Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 5. Aufl. 2005, Kap. F.

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Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.45 § 1

Hinzu kommen die Regelungsinstrumente aus dem Schuld-, Familien- und Gesellschaftsrecht: – Schenkungs- und Übergabeverträge, – Eheverträge, – Gesellschaftsverträge, – Regelungen innerhalb einer Eigentümergemeinschaft, – Verträge zugunsten Dritter, – Vollmachten, – Schiedsverträge. e) Auswahl und Umsetzung der geeigneten Lösungsvariante Im fünften und letzten Schritt schließlich sind Zielkonflikte zu gewichten, und es wird die vorteilhafteste Gestaltungsvariante (bzw. die vorteilhafteste Kombination von Gestaltungsvarianten) gewählt und umgesetzt. Dabei gilt für den Kautelarjuristen grundsätzlich das Gebot der Wahl des sichersten Weges.

1.43

3. Praktische Einschränkungen des idealtypischen Arbeitsganges Die vorstehend geschilderten fünf Arbeitsschritte sind in der Praxis naturgemäß eng miteinander 1.44 verzahnt. Auch unterliegen sie in der Alltagspraxis zahlreichen Einschränkungen: Dies beginnt mit Problemen bei der vollständigen Erfassung des Sachverhalts, bspw. wenn der Kontakt zu (nichtehelichen) Kindern abgerissen ist. Auch sind die Zielvorstellungen der Klienten oft unklar, manchmal auch irrational. Hinzu kommt, dass vor allem in steuerlichen Fragen und in Fällen mit Auslandsberührung die Ermittlung des rechtlichen Status quo häufig mit Unsicherheiten behaftet ist. Gleiches gilt für Fragen im tatsächlichen Bereich, hier bedarf es oft aufwändiger Ermittlungen, bspw. zur Feststellung von Unternehmenswerten. In eilbedürftigen Fällen (schwere Erkrankung) steht die Zeit für eine sorgfältige Prüfung häufig nicht zur Verfügung, auch wird der Klient oft nur bereit sein, ein begrenztes Budget für seine Nachfolgeplanung zur Verfügung zu stellen. All dies zwingt zu Kompromissen, wobei nicht selten auch ein Abweichen vom kautelarjuristischen Grundgebot des sichersten Weges angezeigt ist, bspw. um ambitionierte Wünsche des Klienten zu erfüllen, die ein rechtliches „Restrisiko“ erfordern, oder indem bewusst eine risikoträchtige Lösung gewählt wird, etwa um durch eine Strafklausel, deren Durchsetzbarkeit ungewiss ist, einen potenziellen Anspruchsteller abzuschrecken.

III. Interessenkollision Schrifttum: Frieser, Interessenkollision und Berufspflichten im erbrechtlichen Mandat, ZErb 2001, 158; Grunewald, Die Vertretung mehrerer Miterben durch einen Rechtsanwalt bzw. eine Sozietät, ZEV 2006, 386; Karwatzki, Interessenkollision bei der Annahme erbrechtlicher Mandate, EE 2011, 213; Karwatzki, Interessenkollision bei Vertretung einer Miterbengemeinschaft, EE 2012, 51; Karwatzki, Interessenkollision bei Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft, EE 2012, 67; Offermann-Burckart, Interessenlage und Interessenwiderstreit in erbrechtlichen Mandaten, ZEV 2007, 151.

1. Rechtsgrundlagen a) Grundnorm „Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.“ Mit diesem Zitat des § 43a Abs. 4 BRAO ist an sich alles gesagt. Konkretisiert und erweitert wird dieses Verbot durch weitere Normen

Steiner 13

1.45

§ 1 Rz. 1.46

Grundüberlegungen zur Beratung

(§§ 45, 46 BRAO, § 3 BORA, Art. 3.2.3 CCBE). Aber wann liegen widerstreitende Interessen vor? In der Literatur findet sich die Aussage, dass Interessenkollision Sachverhaltsidentität voraussetze, diese liege wiederum vor, wenn es sich bei natürlicher Betrachtungsweise um ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis handelt1. Diese Definition ist allerdings oft wenig hilfreich, ja sie verstellt sogar den Blick. Beratungssituation: Rechtsanwalt R hat den S in einem Erbfall vertreten und weiß daher, dass dieser erhebliches Vermögen hat. Nunmehr wendet sich Gläubiger G an Rechtsanwalt R wegen der Beitreibung einer Forderung, wobei G vor einem Prozess zurückschreckt, weil er fälschlicherweise befürchtet, dass die Vollstreckungsaussichten gering wären.

In der Beratungssituation kann man kaum davon sprechen, dass beide Vorgänge, einerseits der Erbfall, andererseits die Forderungssache, ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis bilden. Dennoch kann es keinen Zweifel geben, dass R gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen würde, wenn er die Vertretung des G übernähme. Beim Aufspüren einer Interessenkollision ist es daher hilfreicher, i.S.d. Kant’schen Imperativs danach zu fragen, ob der frühere Mandant bei objektiver Betrachtung etwas dagegen haben könnte, wenn man ein neues Mandat übernimmt, insbesondere weil die Gefahr der Verletzung einer Verschwiegenheitspflicht bestünde oder weil der neue Mandant Vorteile erlangen könnte aus der Verwertung von Kenntnissen, die bei einem früheren Mandat erworben wurden2. b) Spezialnormen

1.46 § 45 BRAO konkretisiert Fallgruppen, in denen der Gesetzgeber aufgrund abstrakter Betrachtungsweise davon ausgegangen ist, dass eine Interessenkollision naheliegt. Hiernach darf der Rechtsanwalt nicht tätig werden, – wenn er in derselben Sache als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter bereits tätig geworden ist; – wenn er als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter eine Urkunde aufgenommen hat, deren Rechtsbestand oder Auslegung streitig ist oder aus der die Vollstreckung betrieben wird, besondere Bedeutung hat dies für Anwaltsnotare; – wenn er gegen den Träger des von ihm verwalteten Vermögens vorgehen soll bei Angelegenheiten, mit denen er als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion bereits befasst war; – wenn er in derselben Angelegenheit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit i.S.d. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO bereits beruflich tätig war; dies gilt nicht, wenn die berufliche Tätigkeit beendet ist. § 45 Abs. 2 BRAO untersagt dem Rechtsanwalt ferner das Tätigwerden: – in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war, als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion; – in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt befasst war, außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit i.S.d. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO. § 46 BRAO sieht zudem vor, dass der in einem ständigen Dienstverhältnis stehende Anwalt nicht für seinen Dienstherrn vor Gericht als Rechtsanwalt auftreten darf, zudem ist dem Anwalt die Tätig1 Kerscher/Krug/Spanke, § 4 Rz. 10 ff.; MAH Erbrecht/Scherer, § 2 Rz. 1; BGH v. 23.10.1990 – VI ZR 105/90, MDR 1991, 234 = NJW 1991, 1176. 2 Ähnlich MAH Erbrecht/Scherer, § 2 Rz. 2.

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Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.50 § 1

keit in einer Sache verboten, in der er als Berater in einem Dienstverhältnis bereits tätig wurde, sowie auch umgekehrt die Tätigkeit als Berater in einem Dienstverhältnis verboten ist, wenn er als Rechtsanwalt in dieser Sache tätig war. In diesen Fällen geht es also nicht um den Schutz des Mandanten vor Interessenkollision, sondern umgekehrt davor, die selbständige Stellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege zu schützen. Aus der Grundnorm des § 43a Abs. 4 BRAO folgt zudem, dass der Anwalt nicht mehr als Interessenvertreter für eine Partei tätig werden darf, wenn er zuvor in derselben Sache als Mediator fungierte. c) Sozien Bei Interessenkollision ist auch allen Sozien ein Tätigwerden verboten (§ 45 Abs. 3 BRAO). Dieses Tätigkeitsverbot gilt zudem für sonstige Rechtsanwälte, die mit dem betroffenen Anwalt gemeinschaftlich den Beruf ausüben, also für freie Mitarbeiter, angestellte Rechtsanwälte und sogar für alle Anwälte in einer bloßen Bürogemeinschaft (§ 3 Abs. 2 und 3 BORA). Eine kaum praxisrelevante Ausnahme regelt § 3 Abs. 2 S. 1 BORA: Wenn sich die betroffenen Mandanten nach umfassender Information mit der Vertretung durch die beruflich verbundenen Anwälte einverstanden erklären, ist dies zulässig, sofern nicht Belange der Rechtspflege entgegenstehen.

1.47

d) Einwilligung Die Einwilligung der von der Interessenkollision betroffenen Mandanten ändert nach herrschender 1.48 Meinung nichts am Tätigkeitsverbot, ja nicht einmal etwas an der bei Vorsatz gegebenen Strafbarkeit des Parteiverrats nach § 356 StGB1. Der Grund wird darin gesehen, dass die Vorschriften über die Interessenkollision in erster Linie die Ordnungsmäßigkeit der anwaltlichen Berufsausübung sichern2. Ganz so einfach ist es bei näherer Betrachtung aber nicht: Denn das Einverständnis der betroffenen Mandanten und die Frage, ob widerstreitende Interessen vorliegen, stehen oft in Wechselbeziehung3. Beratungssituation: Vater und Sohn suchen Rechtsanwalt R auf, um die rechtlich, steuerlich und wirtschaftlich günstigste Lösung für den Übergang des Unternehmens vom Vater auf den Sohn zu finden. Ausdrücklich möchten beide das Mandat erteilen. Als Rechtsanwalt R sie darauf hinweist, dass es zwischen Übergeber und Übernehmer einen Interessengegensatz gibt, erklären beide, dass sie dies nicht so sehen, weil ihnen an einer fairen Lösung gelegen ist, bei der auch die Interessen des jeweils anderen bestmöglich gewahrt werden. In dieser Konstellation wird man nicht von einer Interessenkollision sprechen können, zumal die Sichtweise der Mandanten auch objektiv nachvollziehbar ist. Entsteht allerdings im Laufe des Mandats ein Streit, so ist der Anwalt verpflichtet, das Mandat insgesamt niederzulegen.

2. Rechtsfolgen a) Tätigkeitsverbot Bei Interessenkollision ist dem Anwalt jegliche Tätigkeit verboten, nicht nur die prozessuale oder die außergerichtliche Vertretung, sondern auch jede beratende Tätigkeit4.

1.49

b) Pflicht zur Niederlegung Hat der Anwalt ein Mandat übernommen, welches mit einem früheren kollidiert, so muss er niederlegen, sobald er dies erkennt; hat er mehrere kollidierende Mandate angenommen, müssen alle nie-

1 2 3 4

Kerscher/Krug/Spanke, § 4 Rz. 3. BGH v. 16.12.1952 – 2 StR 198/51, NJW 1953, 472. Offermann-Burckart, ZEV 2007, 151 (154). Kerscher/Krug/Spanke, § 4 Rz. 4.

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1.50

§ 1 Rz. 1.51

Grundüberlegungen zur Beratung

dergelegt werden. Dies gilt insbesondere, wenn sich, bspw. bei der Vertretung einer Erbengemeinschaft, im Zuge des Mandats Interessenkonflikte herausstellen. c) Verlust des Honorars

1.51 Der Anwalt verliert jeden Vergütungsanspruch, da der Anwaltsvertrag nichtig ist (§ 134 BGB i.V.m. § 43a Abs. 4 bzw. § 45 BRAO). Bereits gezahltes Honorar kann der Mandant zurückfordern. Dies gilt auch, wenn der Verstoß unabsichtlich geschah oder sich erst im Nachhinein herausstellte, aber zumindest absehbar war1. Ausnahme: Der Anwalt hat den Mandanten bereits bei Abschluss des Anwaltsvertrags auf einen möglicherweise in Zukunft auftretenden Interessenkonflikt hingewiesen2. d) Parteiverrat

1.52 Bei vorsätzlicher Vertretung in „derselben Rechtssache“ macht sich der Anwalt zudem nach § 356 StGB wegen Parteiverrates strafbar. e) Standesrecht

1.53 Bei einem – auch fahrlässigen – Verstoß gegen das Verbot der Interessenkollision besteht die Möglichkeit standesrechtlicher Sanktionen (§ 113 Abs. 1 BRAO). f) Verfahrensrecht

1.54 Ein Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen hat keinen Einfluss auf Gerichtsverfahren, insbesondere kann der Anwalt nicht (analog § 56 Abs. 2 ZPO) zurückgewiesen werden; von ihm vorgenommene Rechts- und Prozesshandlungen bleiben wirksam3. 3. Fallgruppen der Interessenkollision im erbrechtlichen Mandat a) Ehegattentestament, Erbvertrag

1.55 Im Grundsatz ist es wohl unstrittig, dass der Anwalt beide Ehegatten bei der Errichtung und Gestaltung eines Ehegattentestaments beraten darf, solange zwischen den Ehegatten keine kollidierenden Auffassungen zutage treten. Hier zeigt sich deutlich, dass die Frage der Vertretung widerstreitender Interessen eine Wertungsfrage ist, bei der es auf die konkreten Umstände des Falles ankommt. Denn abstrakt liegen mögliche Interessengegensätze auf der Hand: – das mögliche Interesse des evtl. deutlich jüngeren Ehegatten, nach dem ersten Erbfall noch abweichend für die Schlusserbfolge testieren zu können; – die Frage, ob eine Wiederverheiratungsklausel aufgenommen werden soll; – die Berücksichtigung von Kindern aus früheren Beziehungen. All dies sind mögliche Interessengegensätze, derer sich die Ehegatten u.U. erst während der Beratung bewusst werden. Wenn sich dann ein solcher Interessengegensatz konkretisiert, ist der Anwalt gezwungen, das Mandat für beide Ehegatten niederzulegen. Beratungshinweis: Hierauf sollte zu Beginn der Beratung in schriftlich dokumentierter Form hingewiesen werden. Noch besser ist es allerdings, von vornherein das Mandat nur für einen Ehegatten zu übernehmen. Auf die in der Literatur vertretene Ansicht, nach entsprechendem Hinweis auf Interessengegensätze dürfe 1 Bonefeld/Wachter/Seiler-Schopp, § 11 Rz. 10. 2 BGH v. 19.9.2013 – IX ZR 322/12, FamRZ 2014, 35 m. Anm. Börger = MDR 2013, 1495 = NJW 2013, 3725 (Beratung beider Ehegatten zur Scheidung). 3 BGH v. 19.3.1993 – V ZR 36/92, NJW 1993, 1926.

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Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.58 § 1

der Anwalt das Mandat fortführen, sollte man sich nicht verlassen, da diese durch Rechtsprechung nicht abgesichert ist1. Beratungssituation: Der Anwalt hat beide Ehegatten bei der Abfassung des Ehegattentestaments beraten. Nach dem Tod des einen Ehegatten sucht ihn der andere Ehegatte, der mittlerweile wieder geheiratet hat, auf und bittet um Beratung, ob er das Testament anfechten kann. Eine solche Beratung ist dem Anwalt wegen der Kollision mit den Interessen des verstorbenen Ehegatten verboten.

Bei der Gestaltung eines Erbvertrags für Ehegatten gelten die vorstehenden Grundsätze. Sofern der Erbvertrag mit anderen Personen abgeschlossen werden soll, insbesondere zwischen Eltern und Kindern, wird sich eine Vertretung beider Vertragsparteien wegen der in der Regel auf der Hand liegenden Interessengegensätze verbieten. b) Vorweggenommene Erbfolge Praktisch in jedem Fall der vorweggenommenen Erbfolge ist eine Interessenkollision denkbar, da es aus der Sicht der älteren Generation in der Regel darum geht, Absicherungsmechanismen einzubauen, während die jüngere Generation naturgemäß freie Hand haben möchte. Hier sollte der Anwalt vorab klarstellen, dass er nur eine Seite vertritt (was ihn natürlich nicht hindert, im Rahmen der Beratung dem Mandanten auch die berechtigten Interessen der anderen Generation vor Augen zu führen und hierfür Lösungsmodelle vorzuschlagen; hierzu wird er in der Regel sogar verpflichtet sein).

1.56

c) Erbengemeinschaft Vorsicht ist auch geboten bei der Vertretung von Erbengemeinschaften. Unproblematisch ist hier in 1.57 der Regel nur der Fall, dass Ansprüche der Erbengemeinschaft gegen Außenstehende durchgesetzt oder Ansprüche von Außenstehenden, bspw. auch von Pflichtteilsberechtigten, abgewehrt werden sollen. Geht es hingegen um die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, so ist ein Interessenkonflikt in nahezu jedem Fall vorprogrammiert, insbesondere wenn die Anwendung von Ausgleichsvorschriften (§§ 2055 bis 2057a BGB) in Frage kommt. Hier muss sich der Anwalt von Anfang an entscheiden, ob er für die Erbengemeinschaft als Schiedsrichter oder Mediator tätig wird oder ob er, wie es der Regelfall sein wird, die Vertretung nur eines der Miterben übernimmt und die anderen darauf verweist, dass sie sich anderweitig vertreten lassen müssen. Zwar wird in der Literatur auch vertreten2, dass die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft, also die Vertretung aller oder mehrerer Miterben, zulässig sei, wenn diese umfassend informiert wurden, dass der Anwalt keine gegensätzlichen Standpunkte vertreten werde, und sie sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt haben, doch erscheint dies kaum praktikabel. Soll der Anwalt dann bspw. einem Miterben eine für ihn günstige Ausgleichsvorschrift verschweigen, nachdem er von einem anderen Miterben über ausgleichspflichtige Zuwendungen erfahren hat? d) Pflichtteilsberechtigte Die Vertretung mehrerer Pflichtteilsberechtigter bereitet in der Regel keine Probleme. Eine Ausnahme gilt, wenn einer der Beteiligten auch als Erbe in Betracht kommt oder wenn anrechnungs- oder ausgleichspflichtige Vorempfänge zu berücksichtigen sind (§§ 2315, 2316 BGB)3. Kommt ein Pflichtteilsberechtigter zugleich als Erbe oder Miterbe (und damit Schuldner des Pflichtteilsanspruchs) in

1 Grunewald, AnwBl 2005, 439; Schlosser, NJW 2002, 1376; Grunewald, ZEV 2006, 386; Muster für eine Bestätigungserklärung der Beteiligten bei Klinger/Ruby, Münchener Prozessformularbuch Erbrecht, 4. Aufl. 2018, A. I. 2. 2 Grunewald, ZEV 2006, 386 (389); kritisch hierzu Offermann-Burckart, ZEV 2007, 151; Mustererklärung zur Vertretung von Miterben bei Karwatzki, EE 2012, 51 (54). 3 Kerscher/Krug/Spanke, § 4 Rz. 30; s. auch Rz. 26.249 ff.

Steiner 17

1.58

§ 1 Rz. 1.59

Grundüberlegungen zur Beratung

Betracht, bspw. wegen möglicher Unwirksamkeit des Enterbungstestaments, so liegt stets eine Interessenkollision vor, die die gemeinschaftliche Vertretung verbietet. Beratungshinweis: Derartige Interessenkonflikte stellen sich oft erst im Laufe der Beratung bzw. Vertretung heraus. Um sich abzusichern und den Honoraranspruch nicht zu verlieren, sollte der Anwalt über mögliche spätere Interessengegensätze schriftlich aufklären und darauf hinweisen, dass er in diesen Fällen das Mandat für alle Beteiligten niederlegen muss,1 aber dennoch seine Vergütung erhält.

e) Frühere Tätigkeit

1.59 Zu beachten ist auch, dass der Nachlassbestand in ganz unterschiedlichen Rechtsstreitigkeiten von Bedeutung sein kann. So ist es dem Anwalt verboten, sowohl Pflichtteilsberechtigte zu vertreten als auch einen Dritten, der eine Nachlassforderung abwehren will, denn Erstere haben ein Interesse an einem möglichst hohen Nachlasswert2. Beratungssituation: Der Anwalt beriet den Erblasser bei der Errichtung seines Testaments. In diesem Testament wurde die Tochter des Erblassers zur Alleinerbin eingesetzt. Die zweite Ehefrau sollte ein auf ihren Pflichtteilsanspruch anzurechnendes Vermächtnis erhalten. Nach dem Ableben des Erblassers beauftragte die zweite Ehefrau den Anwalt, Pflichtteilsansprüche gegen die Tochter als Alleinerbin geltend zu machen.

Zunächst stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit des Rechtsanwalts bei der Errichtung des Testaments und bei der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs dieselbe Rechtssache betrifft. Dies ist wegen der „Klammerwirkung des Erbfalls“3 zu bejahen. Als Nächstes ist zu prüfen, ob ein Tätigwerden im widerstreitenden Interesse im Sinne von § 43a BRAO vorliegt. Dies hat das OLG Karlsruhe im Beispielsfall verneint, weil die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen die Gültigkeit oder Auslegung des Testaments nicht berührt4.

IV. Haftung Schrifttum: Bonefeld/Bittler, Haftungsfallen im Erbrecht, 2. Aufl. 2012; Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2014; Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl. 2017; G. Fischer/ Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2015 (zitiert: Fischer u.a.); Hinne/Klees/ Müllerschön/Teubel/Winkler, Vereinbarungen mit Mandanten, 3. Aufl. 2015; Schlitt, Anwaltshaftung für fehlerhafte Erblasserberatung, NJW 1996, 1325; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl. 2014.

1. Rechtsgrundlagen

1.60 Anders als die Haftung des Notars (§ 19 BNotO) ist die Haftung des Anwalts gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Es gelten daher die allgemeinen vertraglichen Haftungsgrundsätze. Hiernach haftet der Anwalt für „Kunstfehler“ auf Schadensersatz nach § 280 BGB5. Daneben kommt eine Haftung aus culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) in Betracht, wenn der Anwalt Pflichten verletzt hat, die sich aus einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis ergeben, bspw. wenn er telefonisch mit dem Mandanten einen Termin vereinbart, obwohl es Anhaltspunkte dafür gibt, dass zu die-

1 2 3 4

MAH Erbrecht/Scherer, § 2 Rz. 9. BGH v. 16.1.2013 – IV ZB 32/12, ZEV 2013, 212. BGH v. 16.1.2013 – IV ZB 32/12, ZEV 2013, 212. OLG Karlsruhe v. 3.7.2013 – 3 (5) Ss 67/13 – AK 26/13, ZEV 2014, 378 m. zust. Anm. Grunewald, ZEV 2014, 380. 5 Fischer u.a., § 1 Rz. 2.

18

Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.64 § 1

sem Zeitpunkt eine drohende Verjährung bereits eingetreten sein wird1. Ein gesetzlich geregelter Fall der Haftung für vorvertragliches Verschulden findet sich in § 44 BRAO. Hiernach hat der Anwalt, der einen Auftrag ablehnt, den Schaden zu ersetzen, der aufgrund einer schuldhaften Verzögerung der Ablehnung entsteht2. Schließlich kommt selbst für eine aus Gefälligkeit erteilte Auskunft eine Haftung kraft stillschweigenden Auskunftsvertrags in Betracht, wenn der Anwalt die Bedeutung der Auskunft erkennen musste3. In Betracht kommt auch eine Haftung des Anwalts nach § 826 BGB, wenn er Dritten gegenüber falsche Auskünfte erteilt, bspw. über die Tragweite eines Pflichtteilsverzichts mit seinem Mandanten4.

1.61

2. Pflichten, Verschuldensmaßstab, Beweislast, Mitverschulden Der Anwalt muss den Mandanten umfassend über die Rechtslage informieren. Hierbei wird vom An- 1.62 walt eine lückenlose Kenntnis der Gesetzeslage und der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlangt. In der Regel müssen ihm Entscheidungen innerhalb von 6 Wochen nach Veröffentlichung bekannt sein5. Im Vorfeld ist der Anwalt verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären, indem er die entscheidungserheblichen Informationen beim Mandanten anfordert oder für diesen, bspw. durch Grundbucheinsicht oder Zuziehung von Gerichtsakten, besorgt6. Steuerrechtliche Beratung zählt zum Berufsbild des Anwalts (§ 3 Abs. 1 BRAO, § 3 StBerG), zur steuerlichen Beratung ist der Anwalt jedoch nur verpflichtet, wenn dies mit dem Mandanten (auch stillschweigend) vereinbart ist7. Ein derart umfassendes Mandat liegt nahe, wenn der beauftragte Anwalt Fachanwalt für Steuerrecht oder zugleich Steuerberater ist, ferner wenn steuerrechtliche Gesichtspunkte erkennbar im Vordergrund stehen, wie dies vor allem bei der Unternehmensnachfolge der Fall sein kann. Der Klarheit halber sollte der Rechtsanwalt daher bereits bei Annahme des Mandats schriftlich festhalten, ob er die steuerrechtliche Prüfung übernimmt oder nicht.

1.63

Im Erbrecht spielt häufig die Frage der Haftung gegenüber Dritten eine Rolle. Die Rechtsprechung be- 1.64 jaht sie aufgrund Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, wenn der Dritte nach dem Inhalt des Vertrags und nach den Grundsätzen von Treu und Glauben in den Schutzbereich des Anwaltsvertrags einbezogen ist, was bei nahen Verwandten des Mandanten in der Regel der Fall ist8. Zu denken ist hier insbesondere an den Fall, dass der Dritte testamentarisch begünstigt werden sollte, diese Begünstigung aufgrund eines fehlerhaften Testamentsentwurfs des Anwalts aber nicht zum Zuge kommt9.

1 Zur ähnlich gelagerten Frage der unverzüglichen Prüfung von Posteingängen: BGH v. 19.2.1957 – VIII ZR 284/56, VersR 1957, 254; BGH v. 7.7.1971 – IV ZB 39/71, VersR 1971, 1022; BGH v. 21.2.1974 – II ZB 13/73, NJW 1974, 861. 2 BGH v. 19.4.1967 – VIII ZR 46/65, NJW 1967, 1567. 3 BGH v. 13.2.1992 – III ZR 28/90, NJW 1992, 2080; s.a. BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141 (Auskunft am Telefon). 4 BGH v. 17.5.1990 – IX ZR 85/89, NJW 1991, 31 (32); Fischer u.a., § 15 Rz. 113 ff. 5 BGH v. 29.3.1983 – VI ZR 172/81, MDR 1983, 1011 = NJW 1983, 1665; BGH v. 21.9.2000 – IX ZR 127/99, NJW 2001, 675 (für einen „realistischen Toleranzrahmen“, je nach Einzelfall); differenzierend Fahrendorf/Mennemeyer, Kap. 2 Rz. 535 ff. 6 BGH v. 8.10.1981 – III ZR 190/79, NJW 1982, 437. 7 Fischer u.a., § 2 Rz. 301. 8 BGH v. 11.1.1977 – VI ZR 261/75, NJW 1977, 2073; BGH v. 1.10.1987 – IX ZR 117/86, MDR 1988, 226 = NJW 1988, 200; Fischer u.a., § 10 Rz. 17 ff. 9 BGH v. 13.7.1994 – IV ZR 294/93, FamRZ 1994, 1173 m. Anm. Bartsch FamRZ 1995, 1339 = ZEV 1994, 358 = NJW 1995, 51, 52; BGH v. 13.6.1995 – IX ZR 121/94, MDR 1995, 1069 = FamRZ 1995, 1127 = NJW 1995, 2551.

Steiner 19

§ 1 Rz. 1.65

Grundüberlegungen zur Beratung

1.65 Der Anwalt haftet für jede Fahrlässigkeit. Die Anforderungen der Rechtsprechung sind hoch, so entlastet es ihn nicht, wenn selbst ein Kollegialgericht denselben Fehler beging1.

1.66 Die Beweislast für die Voraussetzungen der Haftung liegt nach allgemeinen Grundsätzen beim Mandanten2. Den Anwalt wiederum trifft die Pflicht, substantiiert zu bestreiten, wenn ihm bspw. vorgeworfen wird, nicht ausreichend über Prozessrisiken aufgeklärt zu haben. Zur Schadenskausalität wird im Wege des Anscheinsbeweises vermutet, dass der Mandant einer richtigen Beratung auch gefolgt wäre3.

1.67 Ein Mitverschulden des Mandanten kommt in der Regel nur in Betracht, wenn er den Anwalt nicht ausreichend informierte, obwohl die Bedeutung einer Information für ihn auf der Hand lag oder der Anwalt ihn befragt hatte4. Im Übrigen darf sich selbst ein juristisch vorgebildeter Mandant voll auf seinen Anwalt verlassen, bspw. auch bei der Fristenkontrolle5. 3. Haftende Personen

1.68 Bei einer Sozietät haften dem Mandanten alle Sozien, die Vertragspartner geworden sind (§ 52 Abs. 2 S. 1 BRAO). In der Regel wird das Mandat allen Sozien erteilt, insbesondere wenn es sich bei der Sozietät um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelt6. Nach den Grundsätzen der Anscheins- oder Duldungsvollmacht haften auch angestellte Anwälte, die nach außen hin als Mitglieder der Sozietät erscheinen, insbesondere aufgrund von Angaben auf dem Briefbogen, gesamtschuldnerisch mit den Sozien7. Ebenso haften auch die in einer Partnerschaft organisierten Anwälte neben dem Partnerschaftsvermögen gesamtschuldnerisch (§ 8 Abs. 1 PartGG), es sei denn, es liegt eine Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung vor. Die Mitglieder einer Bürogemeinschaft haften nur, wenn sie nach außen wie eine Sozietät auftraten8. 4. Verjährung

1.69 Da die Sondervorschrift des § 51b BRAO 2004 aufgehoben wurde (s. hierzu 3. Aufl. Rz. 63), gelten seitdem die Verjährungsvorschriften des BGB. Hiernach unterliegt die Anwaltshaftung der Regelverjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), beginnend mit dem Schluss des Jahres der Anspruchsentstehung und der Kenntnis (Kennenmüssen) des Gläubigers von anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners. Kenntnisunabhängig tritt die Verjährung somit erst nach zehn Jahren ab Schadensentstehung oder nach dreißig Jahren ab der Pflichtverletzung ein (§ 199 Abs. 4 BGB). Gerade für Fehler bei der Testamentsgestaltung besteht daher dreißig Jahre lang ein Haftungsrisiko, weshalb zumindest haftungsbeschränkende Vereinbarungen, besser noch die gesamten Handakten, auch so lange aufbewahrt werden sollten (also über die in § 50 Abs. 2 BRAO vorgeschriebenen fünf Jahre hinaus).

1.70 § 202 BGB erlaubt Vereinbarungen zur Verjährung, lediglich eine Abkürzung der Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes wird durch § 202 Abs. 1 BGB untersagt. Verjährungserleichternde Vereinbarungen für Schadensersatzansprüche wegen leichter oder auch grober Fahrlässigkeit sind dagegen grundsätzlich zulässig9. Die Einzelheiten für die Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung sind in Rechtsprechung und Literatur noch nicht geklärt, doch dürften folgende Grundsätze gelten: 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 31.10.1985 – IX ZR 175/84, NJW-RR 1986, 1281; Fahrendorf/Mennemeyer, Kap. 2 Rz. 750. BGH v. 9.6.1994 – IX ZR 125/93, NJW 1994, 3295; Fischer u.a. § 4 Rz. 29. BGH v. 17.12.1997 – VIII ZR 235/96, NJW 1998, 1860; Fahrendorf/Mennemeyer, Kap. 4 Rz. 796 ff. BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, NJW 2012, 3165 (3169) (Haftung Steuerberater); BGH v. 20.6.1996 – IX ZR 106/95, VersR 1997, 187. BGH v. 4.6.1996 – IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648; BGH v. 19.12.1991 – IX ZR 41/91, NJW 1992, 820. BGH v. 8.7.1999 – IX ZR 338/97, MDR 1999, 1350 = ZEV 1999, 446. BGH v. 5.11.1993 – V ZR 1/93, MDR 1994, 308 = NJW 1994, 257. MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 59. Fischer u.a., § 7 Rz. 286.

20

Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.75 § 1

In erbrechtlichen Mandaten wird, außer in Fällen der Unternehmensnachfolge, in aller Regel ein Ver- 1.71 brauchervertrag i.S.v. § 310 Abs. 3 BGB vorliegen, der der vollen Kontrolle des Rechts zur Regelung Allgemeiner Geschäftsbedingungen unterliegt. Eine Abkürzung der Verjährung auf weniger als ein Jahr würde hiernach ohnehin gegen das Klauselverbot nach § 309 Nr. 8b ff. BGB verstoßen. Zudem greift die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, so dass bspw. die Ansicht vertreten wird, eine Abkürzung der Verjährung der kenntnisunabhängigen Frist von zehn Jahren auf mehr als die Hälfte sei unangemessen und unwirksam1. Keine besonderen Vorschriften gelten für verjährungserleichternde Einzelvereinbarungen, wobei die Rechtsprechung bekanntlich strenge Anforderungen an das Vorliegen einer Individualabrede stellt. Auch unterliegt die Einzelvereinbarung der Prüfung, ob die „strukturelle Unterlegenheit“ des rechtsunkundigen Mandanten von seinem Rechtsberater in sittenwidriger Weise ausgenutzt wurde (§§ 138, 242 BGB)2.

1.72

5. Typische Haftungsrisiken im Erbrecht Besondere Vorsicht ist in diesen Fällen geboten3:

1.73

Ausschlagung: Nicht selten wird übersehen, dass mit Ausnahme der in §§ 2306, 2307, 1371 Abs. 3 BGB geregelten Fälle nach Ausschlagung auch kein Pflichtteilsanspruch mehr besteht. Eine Haftungsfalle ist auch der zu geringe Erbteil. Beispiel: Der verwitwete Erblasser hat seinen Sohn, sein einziges Kind, zum Erben zu 1/3 eingesetzt und zu 2/3 eine Nichte. Der Pflichtteil betrüge 1/2, aber der Rat zur Ausschlagung wäre ein anwaltlicher Kunstfehler, da dies zum Verlust des Erbteils führt, der Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB aber nicht etwa auf 1/2 anwächst, sondern bei 1/6 bleibt. Umgekehrt ist im Fall des pflichtteilsberechtigten Erben zu beachten, dass dieser, wenn er testamentarischen Beschränkungen unterliegt, den Pflichtteil nur verlangen kann, wenn er das Erbe ausschlägt. Aufgrund der kurzen Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB besteht hier meist großer Zeitdruck. Gleiches gilt, wenn der Anwalt prüfen muss, ob die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft angefochten werden kann (Anfechtungsfrist nach § 1954 BGB). Vor allem bei erbschaftsteuerlich motivierter Ausschlagung besteht das Risiko, dass ein anderer als der Gewünschte Erbe wird, bspw. wegen konkludenter Ersatzerbenregelung im Testament4.

Fehlerträchtig ist auch die Vorschrift des § 2318 BGB: Hiernach kann der Erbe Vermächtnisse in Höhe der Pflichtteilsquote kürzen, so dass der Vermächtnisnehmer den Pflichtteil anteilig mitträgt. Dies wird vor allem dann leicht übersehen, wenn der Pflichtteil noch nicht geltend gemacht wurde. Der anwaltliche Vertreter muss dann zu einem entsprechenden Einbehalt raten.

1.74

Verjährung: Wird eine Klage zur Verjährungsunterbrechung eingereicht, so muss der Anwalt auf rechtzeitige Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses achten und den Mandanten eindringlich darauf hinweisen5, dass die Verjährung nicht unterbrochen wird, wenn nicht unverzüglich gezahlt wird6. Auskunftsprozesse ziehen sich oft lange hin, hier kann leicht übersehen werden, dass die reine Auskunftsklage (anders als die Stufenklage) die Verjährung von Pflichtteilsansprüchen nicht unterbricht.

1.75

Zu beachten ist auch der erbschaftsteuerliche Aspekt: Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b ErbStG ist der steuerliche Erwerb vollzogen, wodurch die Erbschaftsteuer anfällt, sobald der Anspruch auf Zahlung des Pflichtteils – auch unbeziffert – geltend gemacht wurde. Hier kann ein Zielkonflikt entstehen zur Pflicht des 1 Palandt/Ellenberger, § 202 Rz. 16. 2 Fischer u.a., § 7 Rz. 326 ff. 3 Hierzu anschaulich Bonefeld, Haftungsfallen im Erbrecht, 2. Aufl. 2012; Grunsky, ErbR 2014, 203; ferner Lang, AnwBl 1983, 166; Wehrberger, AnwBl 1998, 338. 4 Hierzu Mayer, DStR 2004, 1541 ff. 5 BGH v. 24.9.1974 – VI ZR 82/73, NJW 1974, 2318. 6 Zu § 270 Abs. 3 ZPO: BGH v. 25.11.1985 – II ZR 236/84, NJW 1986, 1347.

Steiner 21

§ 1 Rz. 1.76

Grundüberlegungen zur Beratung

Anwalts, den Erben in Verzug zu setzen, um für den Mandanten Verzugszinsen fordern zu können. Dies ist mit dem Mandanten zu besprechen, um seine Entscheidung einzuholen. Leicht übersehen wird auch, dass Pflichtteilsergänzungsansprüche gegenüber Beschenkten (§ 2329 BGB) binnen drei Jahren ab Eintritt des Erbfalls verjähren, ohne dass es auf den Kenntnisstand des Pflichtteilsberechtigten ankommt (§ 2332 Abs. 2 BGB).

1.76 Gebot des sichersten Weges: Für die anwaltliche Tätigkeit gilt generell das Gebot, den Mandanten auf den sichersten Weg für die Erreichung seiner Zwecke hinzuweisen. Bspw. hat der Anwalt im Prozess gegen den Erben darauf zu achten, dass (auch in einem Vergleich) der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung nach § 780 Abs. 1 ZPO aufgenommen wird1. Zu prüfen ist auch, ob die Rechtsposition des Mandanten faktisch durch Sicherungsmaßnahmen geschützt werden kann, bspw. durch Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung eines aufschiebend bedingten Vermächtnisanspruches2. Wie streng die Rechtsprechung hier sein kann, zeigt auch das Beispiel des Anwalts, der den Mandanten darauf hinwies, dass er ein amtlich verwahrtes Testament persönlich beim Nachlassgericht abholen müsse, dabei aber den Rat unterließ, dass er das hinterlegte Testament auch durch Errichtung eines handschriftlichen Testaments widerrufen kann3. Beratungshinweis: Besteht zwischen Ehegatten ein Erbvertrag und sucht ein Ehegatte den Anwalt auf, um sich von diesem zu lösen, weil die Ehe gescheitert ist, so genügt nicht der Hinweis auf die Rechtsfolgen der §§ 2279, 2277 BGB, wonach letztwillige Verfügungen zugunsten des Ehegatten unwirksam werden, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt hatte. Der Anwalt ist nach der Rechtsprechung zudem verpflichtet, auf die Möglichkeit der notariell beurkundeten Rücktrittserklärung (§ 2296 BGB) hinzuweisen4.

1.77 Umfassende Interessenwahrnehmung: Hatte der Anwalt das Mandat, ein Testament zu entwerfen, so muss er dies sinnvoll mit den übrigen Vermögensinteressen des Mandanten koordinieren. Der Anwalt muss bspw. darauf achten, dass Bezugsberechtigungen in Lebensversicherungen der testamentarischen Regelung vorgehen, ebenso wie gesellschaftsrechtliche Nachfolgeklauseln. So hat der BGH einen Anwalt zu Schadenersatz verpflichtet, der übersehen hatte, dass die als Erbin vorgesehene Ehefrau des Mandanten aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Nachfolgeklausel zum Bilanzwert aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden konnte5 (der BGH nahm zugleich einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Ehefrau an).

1.78 Aufklärung über Kostenrisiken: Der Anwalt muss seinen Mandanten darauf hinweisen, dass ein bestimmtes Vorgehen dessen Kostenrisiko erhöht: Bspw. die Erhebung einer Zahlungsklage vor endgültiger Erfüllung des Auskunftsanspruchs oder die Erhebung einer Klage auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, bevor die Teilungsreife gegeben ist6. Es ist der kostengünstigste Weg zu suchen, bspw. kann sich der Anwalt schadenersatzpflichtig machen, wenn er dem Mandanten zur Beantragung eines Erbscheins rät, obwohl zur Legitimation gegenüber der Bank das notarielle Testament nebst Eröffnungsprotokoll genügt hätte7. Auch ist der Mandant über die Gefahr aufzuklären, dass ihm Kosten im Erbscheinsverfahren auferlegt werden könnten8. 1 BGH v. 11.7.1991 – IX ZR 180/90, MDR 1992, 195 = FamRZ 1991, 1286 = NJW 1991, 2839; BGH v. 2.7.1992 – IX ZR 256/91, MDR 1992, 1186 = FamRZ 1992, 1409 = NJW 1992, 2694. 2 OLG Hamm v. 5.10.1995 – 28 U 22/95, BeckRS 30986582. 3 BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 270/97, ZEV 1999, 357. 4 BGH v. 13.7.1994 – IV ZR 294/93, FamRZ 1994, 1173 m. Anm. Bartsch FamRZ 1995, 1339 = ZEV 1994, 358 = NJW 1995, 51. 5 BGH v. 13.6.1995 – IX ZR 121/94, MDR 1995, 1069 = FamRZ 1995, 1127 = NJW 1995, 2551. 6 LG Erfurt v. 18.11.1997 – 9 O 4376/96, ZEV 1998, 391. 7 KG Berlin v. 7.4.1995 – 1 W 2401/92, KGReport 1995, 154. 8 AG München v. 14.4.2015 – 251 C 17057/14, ZEV 2015, 540.

22

Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.83 § 1

Formvorschriften: Nicht selten werden Formvorschriften übersehen: So ist eine Auseinandersetzungsvereinbarung dann notariell zu beurkunden, wenn Grundstücke oder GmbH-Anteile betroffen sind1. Ein Vergleich über das Erbrecht kann als ein dem Erbschaftskauf ähnliches Geschäft nach den Vorschriften der §§ 2385, 2371 BGB beurkundungspflichtig sein, Gleiches gilt für den sog. Auslegungsvertrag2.

1.79

6. Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung a) Übersicht

1.80

§ 52a BRAO sieht drei Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung vor: – schriftliche Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung für den Einzelfall auf die Höhe der Pflichtversicherungssumme von 250.000 Euro (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO), – durch Allgemeine Geschäftsbedingungen im Fall einfacher Fahrlässigkeit auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme, sofern insoweit Versicherungsschutz besteht (§ 51a Abs. 1 Nr. 2 BRAO)3, – Beschränkung der Haftung auf namentlich benannte Mitglieder der Sozietät (§ 51a Abs. 2 BRAGO); bei der Partnerschaftsgesellschaft beschränkt sich die Haftung ohnehin auf den oder die sachbearbeitenden Partner (§ 8 Abs. 2 PartGG).

Daneben besteht als Viertes die Möglichkeit, die Haftung des Anwalts indirekt einzuschränken, indem 1.81 der Auftrag auf einen bestimmten Rechtsbereich beschränkt wird. Eine fünfte Möglichkeit der Haftungsbeschränkung ergibt sich durch Wahl der Rechtsform, da bei der Rechtsanwalts-GmbH oder -AG nur die juristische Person und nicht die handelnden Personen haften (§ 13 Abs. 2 GmbHG bzw. § 1 Abs. 1 S. 2 AktG)4. Ferner gibt es seit 2013 die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (§ 8 Abs. 4 PartGG), die Mindestversicherungssumme beträgt dann 2.500.000 Euro (§ 51a Abs. 2 BRAO). Schließlich besteht sechstens noch die Chance, eine Haftungsbeschränkung durch Abreden zur Verjährung zu erreichen, wobei allerdings keine Rechtssicherheit über die mögliche Reichweite solcher Vereinbarungen herrscht (s. Rz. 1.70). Im Erbrecht hat das Mandat häufig Schutzwirkung zugunsten Dritter, bspw. zugunsten derjenigen, 1.82 die der Erblasser in einem Testament bedenken will, zu dem der Anwalt berät5. Die genannten Haftungsbeschränkungen greifen auch gegenüber solchen Dritten6. Andere Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung gibt es nicht, insbesondere sind nicht zulässig7: – die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für telefonische Auskünfte (der entsprechende, bisweilen noch zu sehende Aufdruck auf Briefbögen ist also sinnlos, ganz abgesehen von dem „schlechten Eindruck“),

1 Palandt/Weidlich, § 2042 Rz. 10. 2 BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, MDR 1986, 653 = FamRZ 1986, 462 = NJW 1986, 1812; zum Auslegungsvertrag Dressler, ZEV 1999, 289. 3 Nach h.A. verstößt dies nicht gegen die EG-Verbraucherschutz-Richtlinien (abgedruckt in NJW 1993, 1838): Feuerich/Braun, BRAO § 51a Rz. 2; Henssler/Prütting, BRAO § 51a Rz. 87; Heinrichs, NJW 1997, 1407 (1412); Reiff, AnwBl 1997, 3 (12); Fahrendorf/Mennemeyer, Kap. 9 Rz. 2488; a.A. von Westphalen, MDR 1997, 989 f.; zu den versicherungstechnischen Anforderungen Zimmermann, NJW 2005, 177 (178). 4 Hinne u.a., S. 221. 5 BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 270/97, ZEV 1999, 357. 6 Grams, AnwBl 2001, 233. 7 Borgmann/Jungk/Schwaiger, Kap. VIII Rz. 40.

Steiner 23

1.83

§ 1 Rz. 1.84

Grundüberlegungen zur Beratung

– die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für schwierige Rechtsgebiete, wie bspw. Internationales Privatrecht oder ausländisches Recht, – ein Haftungsausschluss bei Übernahme eines Mandats „in letzter Minute“, – der Haftungsausschluss für grobe Fahrlässigkeit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 51a Abs. 1, 2 BRAO und § 309 Nr. 7 BGB), – ein Haftungsausschluss bei Vorsatz (§ 276 Abs. 2 BGB). b) Haftungsbeschränkung durch Eingrenzung der Tätigkeit

1.84 Übernimmt der Anwalt das Mandat für ein bestimmtes Rechtsgebiet, so haftet er für die Richtigkeit seiner Arbeitsergebnisse, ohne dass die Möglichkeit zur Haftungsminderung oder zum Haftungsausschluss bestünde. Es steht ihm aber frei, mit dem Mandanten zu vereinbaren, dass er das Mandat nur für bestimmte Rechtsgebiete übernimmt bzw. dass bestimmte Rechtsgebiete von der Bearbeitung ausgenommen werden. Diese Vereinbarung ist formfrei. Aus Beweisgründen sollte sie aber schriftlich fixiert werden, bspw. in einem Schreiben, mit dem die Übernahme des Mandats bestätigt wird. Zudem sollte sie individuell sein, da nicht sicher ist, ob sie einer AGB-Kontrolle standhalten würde1.

1.85 M 3 Mandatsbeschränkung Steuerrecht Wir haben vereinbart, dass ich die Sache in erbrechtlicher Hinsicht überprüfe. Die Prüfung steuerrechtlicher Fragen ist nicht Gegenstand des Auftrags, dies wird Ihr Steuerberater übernehmen.

1.86 Eine derartige Beschränkung des Auftragsumfangs wird auch für ausländisches Recht häufig angezeigt sein, da die Rechtsprechung ansonsten fordert, dass sich der Anwalt auch hierzu Kenntnis verschaffen müsse2.

1.87 M 4 Mandatsbeschränkung ausländisches Recht In diesem Erbrechtsfall kommt die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht. Die Prüfung ausländischen Rechts ist nicht Gegenstand des Auftrags.

1.88 Zu beachten ist in derartigen Fällen allerdings, dass das deutsche Internationale Privatrecht, auch soweit es in Staatsverträgen festgehalten ist, inländisches Recht ist, für dessen richtige Prüfung der Anwalt haftet, es sei denn, er schließt auch die Bearbeitung dieses Rechtsgebietes aus3.

1.89 M 5 Mandatsbeschränkung Internationales Privatrecht Der vorliegende Erbrechtsfall wirft Fragen des Internationalen Privatrechts auf. Dieses Rechtsgebiet ist nicht Gegenstand des Auftrags. Der Mandant wird diese Fragen vorab durch das Gutachten eines Universitätsinstituts klären lassen.

1 Kilian, ZEV 2016, 155. 2 OLG Koblenz v. 9.6.1989 – 2 U 1907/87, NJW 1989, 2699; LG München I v. 14.1.2015 – 30 O 27783/13, ZEV 2016, 152 m. Anm. Kilian; eingehend hierzu auch Fahrendorf/Mennemeyer, Kap. 2 Rz. 529 ff. 3 Fahrendorf/Mennemeyer, Kap. 2 Rz. 534.

24

Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.93 § 1

Durch eine derartige Eingrenzung des Mandats wird auch der Umfang der Sorgfaltspflichten des Anwalts begrenzt. Allerdings besteht die Nebenpflicht, den Auftraggeber vor Gefahren außerhalb des Mandatsgegenstands zu warnen, soweit diese für den Anwalt erkennbar sind1.

1.90

Beratungshinweis: Werden externe Fachleute hinzugezogen, bspw. ein Steuerberater oder ein ausländischer Anwalt, so sollte der Auftrag nicht in eigenem Namen erteilt werden, da sonst eine Haftung nach § 278 BGB droht.

c) Haftungsbeschränkung durch Einzelvereinbarung Durch Einzelvereinbarung kann sowohl die Haftung für einfache als auch für grobe Fahrlässigkeit bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme von 250.000 Euro beschränkt werden (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO). Angesichts der Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit ist dies ein erheblicher Gewinn an Rechtssicherheit. Der große Nachteil hingegen ist, dass die Rechtsprechung (zu § 305 BGB) außerordentlich hohe Anforderungen an das Vorliegen einer Vereinbarung im Einzelfall gestellt hat. Entscheidendes Kriterium hierbei ist, dass die Vereinbarung „frei ausgehandelt“ wurde, was bedeutet, dass der Mandant die Möglichkeit haben muss, auf das Ergebnis der Verhandlung einzuwirken2. Es ist fraglich, ob dies noch angenommen werden kann, wenn der Anwalt erklärt, er sei zur Übernahme des Mandats nur bereit, wenn seine Haftung wegen der Schwierigkeit des Falles „durch Einzelvereinbarung“ beschränkt werde3.

1.91

Somit ergeben sich folgende Empfehlungen:

1.92

– Keinesfalls dürfen vorformulierte Texte verwandt werden! – Die Vereinbarung bedarf der Schriftform (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO). – Gang und Ergebnis der Vereinbarung sollten schriftlich festgehalten werden.

M 6 Haftungsbeschränkung im Einzelfall

1.93

Wir haben heute über die Übernahme Ihres Erbrechtsfalles gesprochen. Ich habe Sie dabei darüber aufgeklärt, dass die Übernahme dieses Mandats aufgrund des hohen Nachlasswertes von vermutlich über 15 Millionen Euro und der Komplexität der Angelegenheit (u.a. diverse gesellschaftsrechtliche Aspekte der Unternehmensbeteiligungen) für unsere Sozietät ein außergewöhnlich hohes Haftungsrisiko birgt. Wir haben sodann über mehrere Möglichkeiten gesprochen, dieses Haftungsproblem zu lösen, u.a. durch Abschluss einer gesondert zu vergütenden Einzelfallversicherung. Im Ergebnis sind wir dann so verblieben, dass die Haftung unserer Sozietät für dieses Mandat auf den Betrag von 250.000 Euro für Fälle einfacher und grober Fahrlässigkeit beschränkt wird. Dies bedeutet, dass Sie auch dann keinen darüber hinausgehenden Ersatz fordern können, wenn Ihr tatsächlicher Schaden weit höher sein sollte4.

Zu beachten ist, dass derartige Schriftstücke von beiden Parteien zu unterzeichnen sind (126 BGB), alternativ genügt elektronische Form nach § 126a BGB.

1 BGH v. 13.3.1997 – IX ZR 81/96, MDR 1997, 894 = NJW 1997, 2168 (2169). 2 Fahrendorf/Mennemeyer, Kap. 9 Rz. 2473. 3 Vgl. BGH v. 26.2.1992 – XII ZR 129/90, MDR 1992, 771 = NJW 1992, 2283 (2285); dass die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den Anwaltsvertrag jedes Gespräch über die Haftungsbeschränkung zu einem Eiertanz werden lässt, steht auf einem anderen Blatt. 4 Dieser Satz trägt der Meinung im Schrifttum Rechnung, die den Anwalt für verpflichtet hält, rechtlich unerfahrene Mandanten über das Ausmaß ihres möglichen Rechtsverlustes aufzuklären, s. bspw. Fischer u.a., § 1 Rz. 485.

Steiner 25

§ 1 Rz. 1.94

Grundüberlegungen zur Beratung

d) Haftungsbeschränkung durch allgemeine Vertragsbedingungen

1.94 Voraussetzung ist, dass der Anwalt eine Versicherung mit einer Deckungssumme von mindestens 1.000.000 Euro unterhält. Die Haftungsbeschränkung gilt nur für Fälle einfacher Fahrlässigkeit (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BRAO). Wegen des für AGB geltenden Transparenzgebots1 muss der Haftungshöchstbetrag konkret beziffert werden, die Übernahme des Gesetzestextes („vierfacher Betrag der Mindestversicherungssumme“) genügt nicht.

1.95 M 7 Haftungsbeschränkung AGB Der Anspruch des Auftraggebers auf Ersatz eines fahrlässig verursachten Schadens wird für Fälle einfacher Fahrlässigkeit auf einen Höchstbetrag von einer Million Euro beschränkt. Der Auftraggeber erklärt sich hiermit einverstanden. (Ort, Datum, Unterschrift des Auftraggebers)

1.96 Soweit § 52 BRAO keine besonderen Regelungen enthält, gelten die allgemeinen Vorschriften. Die Einbeziehung der Haftungsbeschränkung in den Anwaltsvertrag bestimmt sich daher nach § 305 BGB. Hiernach genügt ein eindeutiger Hinweis auf die AGB, wenn der Mandant von ihnen in zumutbarer Weise Kenntnis nehmen kann und er sich zumindest stillschweigend einverstanden erklärt. Aus Beweisgründen empfiehlt es sich aber, die Geltung der Haftungsbeschränkung schriftlich bestätigen zu lassen, wie es im Muster vorgesehen ist. Da im Schrifttum die Ansicht vertreten wird2, § 305c BGB gebiete es, die vorformulierte Haftungsbeschränkung in einer getrennten Urkunde festzuhalten, sollte vorsichtshalber darauf verzichtet werden, sie mit einer Prozessvollmacht, einer Honorarvereinbarung oder anderen Erklärungen zu verbinden. e) Persönliche Haftungsbeschränkung

1.97 Anwälte einer Sozietät haften gesamtschuldnerisch (§ 52 Abs. 2 S. 1 BRAO). Gleiches gilt für überörtliche Sozietäten und für Scheinsozietäten3 (Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in gemischten Sozietäten sind von der Gesamtschuldnerhaftung allerdings ausgenommen4). § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO gibt die Möglichkeit, individuell oder durch vorformulierte Vertragsbedingungen die persönliche Haftung auf namentlich bezeichnete Mitglieder der Sozietät zu beschränken. Die Haftung der Sozietät an sich (in ihrer Eigenschaft als BGB-Gesellschaft) bleibt daneben bestehen5.

1.98 M 8 Persönliche Haftungsbeschränkung Das Mandat in der Erbsache … wird ausschließlich von Herrn Rechtsanwalt … bearbeitet. Die persönliche Haftung für Schadenersatzansprüche wird auf dieses Mitglied der Sozietät beschränkt. (Ort, Datum, Unterschrift des Auftraggebers)

Die Haftungsbeschränkung ist vom Mandanten gegenzuzeichnen, sie darf keine weiteren Erklärungen enthalten (§ 52 Abs. 2 S. 3 BRAO).

1 2 3 4 5

Palandt/Grüneberg, § 305 Rz. 41. Feuerich/Weyland, BRAO, § 51a Rz. 12; a.A. Fischer u.a., § 1 Rz. 501. Borgmann/Jungk/Schwaiger, Kap. VII Rz. 27. BGH v. 24.1.1978 – VI ZR 264/76, NJW 1978, 996. BGH v. 25.6.1992 – I ZR 120/90, MDR 1992, 1086 = NJW 1993, 3037 (3039).

26

Steiner

Grundüberlegungen zur Beratung

Rz. 1.103 § 1

Für Partnerschaften sieht § 8 Abs. 2 PartGG eine gesetzliche Haftungskonzentration auf diejenigen Partner vor, die den Auftrag bearbeiten. 7. Haftpflichtversicherung und Verhalten im Haftungsfall § 51 BRAO regelt die gesetzliche Versicherungspflicht des Anwalts. Die Mindestversicherungssumme beträgt 250.000 Euro (§ 51 Abs. 4 BRAO), daneben muss die Anwalts-GmbH eine eigene Haftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme für jeden Schadensfall von 2.500.000 Euro abschließen (§ 59j BRAO), desgleichen die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 51a Abs. 2 BRAO). Aufgrund der häufig sehr hohen Gegenstandswerte wird der regelmäßig im Erbrecht tätige Anwalt gut beraten sein, wenn er eine höhere Deckung als die gesetzliche Mindestsumme von 250.000 Euro mit seinem Versicherer vereinbart. Für Mandate mit einem außergewöhnlich hohen Risiko besteht die Möglichkeit, mit dem Versicherer gesondert eine höhere Versicherungssumme im Einzelfall zu vereinbaren (Exzedentenversicherung)1. Bei Gegenstandswerten über 30 Mio. Euro ist die Prämie für eine Mehrversicherung Teil der gesetzlichen Vergütung (Nr. 7007 Vergütungsverzeichnis).

1.99

Der Versicherungsschutz bezieht sich auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit des Anwalts. Bei 1.100 der Übernahme von Nebentätigkeiten sollte im Einzelfall anhand des Versicherungsvertrags und ggf. durch Rücksprache mit dem Versicherer geklärt werden, ob Versicherungsschutz besteht. Soweit die vereinbarte Versicherungssumme die Mindestsumme übersteigt, bestimmt die „Risikobeschreibung für Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten (einschließlich des Rechtsanwalts-Risikos von Anwaltsnotaren)“ u.a. folgende Tätigkeiten als mitversichert, wenn sie nicht überwiegend ausgeübt werden: – Testamentsvollstrecker, – Nachlasspfleger, – Nachlassverwalter, – Schiedsrichter, Schlichter, Mediator. Für die Praxis erhebliche Bedeutung hat der Risikoausschluss in § 4 Nr. 1b der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten (AVB). Hiernach umfasst der Versicherungsschutz nicht Haftpflichtansprüche aus Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung mit außereuropäischem Recht.

1.101

Nach Eintritt des Versicherungsfalls hat der Versicherungsnehmer die Obliegenheit, dem Versicherer 1.102 den Fall unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, schriftlich anzuzeigen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 AVB). Diese Anzeigepflicht sollte sehr ernst genommen werden, da die Versicherungsbedingungen vorsehen, dass bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung von Obliegenheiten der Versicherer nicht zu leisten braucht (§ 6 AVB). Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Anwalt meint, im Ergebnis mache der Mandant zu Unrecht Ansprüche geltend. Zu beachten ist ferner, dass nach § 11 AVB alle für den Versicherer bestimmten Anzeigen und Erklärungen in Text- oder Schriftform an die dort jeweils angegebene Adresse zu richten sind, Vertreter sind zur Entgegennahme nicht bevollmächtigt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine derartige Klausel wirksam2. Die sachliche Reaktion auf das Haftpflichtverlangen sollte mit dem Versicherer abgestimmt werden. Bis dahin sollte dem Anspruchsteller nur ein neutraler Zwischenbescheid erteilt werden.

1 Fischer u.a., § 18 Rz. 77. 2 BGH v. 10.2.1999 – IV ZR 324/97, MDR 1999, 740 (für die entsprechende Klausel in den Lebensversicherungsbedingungen).

Steiner 27

1.103

§ 1 Rz. 1.104

Grundüberlegungen zur Beratung

1.104 M 9 Antwort Haftungsverlangen Mit Bedauern haben wir Ihr Schreiben erhalten, in dem Sie von einem Fehlverhalten unsererseits ausgehen. Selbstverständlich ist uns dies Anlass, den gesamten Vorgang zu überprüfen. Danach werden wir uns baldmöglichst, spätestens aber bis … bei Ihnen melden.

1.105 Früher enthielt § 5 Abs. 3 Nr. 2 AVB ein Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot, ein Verstoß hiergegen sollte zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen. § 105 VVG verbietet nunmehr eine solche Klausel. Daher regelt § 3 Abs. 3 Nr. 1.2. AVB heute, dass Anerkenntnisse oder Vergleiche, die der Anwalt ohne Zustimmung seines Versicherers abschließt, den Versicherer nur soweit binden, als der Haftpflichtanspruch ohnehin bestanden hätte. Beratungshinweis: Damit verlagert sich das Risiko des Haftpflichtprozesses in den Deckungsprozess zwischen dem Anwalt und seinem Versicherer, der Anwalt übernimmt das Prozessrisiko seiner Mandanten. Deshalb ist nach wie vor davor zu warnen, Schäden ohne Zustimmung des Versicherers zu regulieren1.

1 Fischer u.a., § 18 Rz. 118.

28

Steiner

§ 2 Gebühren in Erbsachen I. Grundlegende Hinweise . . . . . . . . . . .

2.1

II. Honorar für Beratung, Gutachten, Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.6 2.6 2.15 2.16

III. Vergütungsvereinbarung . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Honorar unter der gesetzlichen Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Honorar über der gesetzlichen Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hinweispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erfolgshonorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.17 2.17

2.19 2.22 2.27 2.28 2.37 2.39

IV. Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .

2.42 2.42

2.18

2. Außergerichtliche Tätigkeit . . . . . . . . . a) Mögliche Tätigkeit vor Gericht . . . b) Sonstige Angelegenheiten . . . . . . . . V. ABC der Gegenstandswerte . . . . . . . .

2.44 2.45 2.46 2.47

VI. 1. 2. 3.

Außergerichtliche Vertretung . . . . . . Gebührentatbestände . . . . . . . . . . . . . . Abgeltungsbereich der Gebühren . . . . Mehrere Auftraggeber . . . . . . . . . . . . .

2.61 2.61 2.65 2.67

VII. 1. 2. 3.

Gerichtliche Vertretung . . . . . . . . . . . Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgeltungsbereich der Gebühren . . . . Mehrere Auftraggeber . . . . . . . . . . . . .

2.71 2.71 2.74 2.75

VIII. ABC der Anwaltsgebühren beim erbrechtlichen Mandat . . . . . . . . . . . .

2.78

IX. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.93

X. Vergütung in Steuersachen . . . . . . . .

2.97

XI. ABC der GNotKG-Gebühren . . . . . . . 2.104

Schrifttum: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curcovic/Klipstein/Klüsener/Uhrer, RVG Kommentar, 7. Aufl. 2016; Brieske/Teubel/Scheungrab, Münchener Anwaltshandbuch Vergütungsrecht, 2. Aufl. 2011; Förster, Anwaltliche Vergütung in Erbsachen, 1. Aufl. 2017; Gerold/Schmidt, RVG Kommentar, 22. Aufl. 1015; Hartmann, Kostengesetze, Kommentar, 47. Aufl. 2017; Hartung/Schons/Enders, RVG Kommentar, 3. Aufl. 2017; Jungbauer, Rechtsanwaltsvergütung, 6. Aufl. 2016; Klinger (Hg.), Münchener Prozessformularbuch Erbrecht, 4. Aufl. 2018; Korintenberg, GNotKG Kommentar, 19. Aufl. 2015; Mayer/Kroiß, RVG Handkommentar, 6. Aufl. 2013; Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015; Schneider, Gerichtskosten nach dem GNotKG, 2. Aufl. 2016; Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl. 2015; Von Seltmann, Beckscher Online Kommentar RVG.

I. Grundlegende Hinweise Das Thema Honorar war früher weitgehend tabu. Dies galt allerdings nicht nur im Verhältnis zum An- 2.1 walt, sondern auch zu anderen Branchen wie bspw. der Bank. („Was es kostet, das kostet es.“) Dies hat sich grundlegend gewandelt. Heute stellt der Mandant (zu Recht) die Frage nach dem Preis, da er Kosten und Nutzen der anwaltlichen Beratung abwägen möchte. Dies stellt den Anwalt vor das Problem, dem Mandanten den Nutzen seiner anwaltlichen Dienstleistung anschaulich zu machen. Dies ist in doppelter Hinsicht ein Transparenzproblem: Die meisten Mandanten haben weder eine Vorstellung von der Kostenstruktur eines Anwaltsbüros noch von dem Zeitaufwand, den der Anwalt tatsächlich für die Mandatsbearbeitung benötigt. Zudem gerät leicht in Vergessenheit, dass nicht nur der konkrete Zeitaufwand des Anwalts zu vergüten ist, sondern auch sein Wissen, das er sich durch Aus- und Fortbildung sowie im Laufe seines Berufslebens erworben hat. Diese Schwierigkeiten sollten für den Anwalt Anlass sein, das Honorarthema offensiv anzugehen, indem er vorab ein bestimmtes Vergütungsmodell vorschlägt und dem Mandanten erläutert. Nichts hinterlässt mehr Unzufriedenheit beim Mandanten als das Gefühl, bei der Endabrechnung durch den Anwalt eine böse Überraschung erfahren zu haben.

Ruby 29

2.2

§ 2 Rz. 2.3

Gebühren in Erbsachen

2.3 Die eben bejahte Frage, ob es sinnvoll ist, das Honorarthema anzusprechen, ist nicht mit der weiteren Frage zu verwechseln, in welchem Umfang der Anwalt zur Aufklärung in Honorarfragen verpflichtet ist: – Erkennt der Anwalt, dass der Mandant Anspruch auf Prozesskostenhilfe oder Beratungshilfe haben könnte, muss er hierauf hinweisen (§ 16 BORA)1. – Wünscht der Mandant eine Tätigkeit, die dem Notar vorbehalten ist, muss der Anwalt darauf hinweisen, dass er hierzu nur beraten und einen Entwurf fertigen kann, wobei für die Beurkundung durch den Notar gesonderte Kosten anfallen2; zugleich kann er selbstverständlich auch darauf hinweisen, dass er als Parteivertreter zur einseitigen Wahrung der Interessen seines Mandanten berechtigt und verpflichtet ist, während der Notar dem Neutralitätsgebot unterliegt. – Eine besondere Hinweispflicht trifft den Anwalt, wenn er im Rahmen eines Mandantengesprächs den Ratsuchenden ungefragt auf die Möglichkeit einer Testamentserrichtung hinweist. Aus dem bürgerlich-rechtlichen Dienst- oder Werkvertrag mit dem Mandanten folgt, dass der Anwalt verpflichtet ist, die Kosten für seinen Mandanten möglichst niedrig zu halten3. Er muss folglich bei einem ungefragten Hinweis auf die Sinnhaftigkeit eine Testamentserrichtung im Rahmen der allgemeinen vorsorgenden Beratung auf kostengünstige Alternativen zum Entwurf durch den Anwalt hinweisen. Das betrifft auf jeden Fall die Möglichkeit für den Mandanten das Testament – ohne fachliche Beratung – selbst kostenlos zu errichten. So hat das OLG Naumburg eine entsprechende Hinweispflicht für Notare auf kostengünstigere Alternativen zur Beurkundung festgestellt, wenn der Notar die Ratsuchenden im Rahmen seiner betreuenden Tätigkeit (§ 24 Abs. 1 BNotO) auf die Möglichkeit und Vorteilhaftigkeit einer Testamentserrichtung hinweist4. Stünden dem Rechtssuchenden mehrere Errichtungsalternativen zur Wahl und ist sich der Rechtssuchende dieser Gestaltungsalternativen nicht bewusst, so habe der Notar auf diese Wahlmöglichkeiten hinzuweisen. Das OLG Naumburg hob die Kostenrechnung, des Notars auf, weil dieser nicht auf die Möglichkeit der kostenlosen eigenhändigen Testamentserrichtung hingewiesen, und damit unvollständig und irreführend beraten hatte. Für Anwälte kann nichts anderes gelten. Der Anwalt wird im Rahmen einer ungefragten Testamentsberatung auch darauf hinzuweisen haben, wenn er das Testament teurer abrechnet als z.B. ein Notar nach dem GNotKG. Bei einem vom Anwalt ungefragt anempfohlenen Einzeltestament ohne zusätzliche steuerliche Beratung trifft ihn diese Hinweispflicht sicherlich. Anders ist es, wenn der Mandant den Anwalt mit dem festen Entschluss aufsucht, sich von ihm einen Testamentsentwurf erstellen zu lassen. Hier ist dem Mandanten klar, dass Kosten auf ihn zu kommen. Diese sind in einer Vergütungsvereinbarung zu regeln.

2.4 Nach § 49b Abs. 5 BRAO ist der Anwalt verpflichtet, dem Mandanten vor Übernahme des Mandats einen Hinweis zu geben, wenn sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert richten5. Eine Pflicht zur – empfehlenswerten – Dokumentation des Hinweises besteht nicht, dem Anwalt obliegt lediglich darzulegen, in welcher Weise er belehrt hat6. Darüber hinaus besteht keine allgemeine Aufklärungspflicht zur ungefragten Information über die Höhe der nach dem RVG zu erwartenden Kosten7. Ausnahmen kommen in Betracht, wenn der Mandant erkennbar falsche Vorstellungen über die Höhe der Kosten

1 2 3 4

BGH v. 18.9.1997 – IX ZR 49/97, NJW 1998, 136. Zugehör, Rz. 830. Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl. 2016, Einl II B Rz. 14. OLG Naumburg v. 2.1.2012 – 2 Wx 37/10, DNotZ 2012, 512 = FGPrax 2012, 80 = NJW-RR 2012, 1009. 5 Ein Verstoß gegen die Hinweispflicht kann zu einem Schadensersatzanspruch des Mandanten führen, der den Honoraranspruch mindert oder gar aufhebt, BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 89/06, FamRZ 2007, 1322 = MDR 2007, 1046 = NJW 2007, 2332. 6 BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 105/06, FamRZ 2008, 144 = MDR 2008, 235 = NJW 2008, 371 = AnwBl 2008, 68. 7 BGH v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, MDR 1998, 1313 = NJW 1998, 3486; Zugehör, Rz. 711.

30

Ruby

Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.7 § 2

hat oder die beabsichtigte Rechtsverfolgung offensichtlich unwirtschaftlich ist1. Ferner ist der Mandant in der Regel darüber aufzuklären, dass mit der Erstattung von Verkehrsanwaltsgebühren meist nicht gerechnet werden kann2. Ein Verstoß gegen die Hinweispflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO verpflichtet zum Ersatz eines etwaigen Vertrauensschadens3, wobei den Mandanten die Beweislast trifft. Er muss darlegen und beweisen, dass er sich anders verhalten hätte, wenn ihm der Hinweis erteilt worden wäre. Der Anwalt hat allerdings nach Treu und Glauben auf die Höhe seiner Vergütung und des Gegenstandswertes hinzuweisen, wenn für ihn erkennbar ist, dass der Mandant nicht mit einem so hohen Wert und den damit verbundenen Kosten rechnet4. Der Anwalt hat auch darauf hinzuweisen, wenn er mehrere Angelegenheiten abrechnen will, obwohl nur eine Angelegenheit nach § 15 RVG vorliegen dürfte5 Maßgebend für das Honorar des Anwalts ist auch in erbrechtlichen Angelegenheiten das RVG.

2.5

Ausnahmen: – zulässige Honorarvereinbarung, – Testamentsvollstreckung, – Nachlassverwaltung, – Schiedsrichteramt Typischerweise kommen Gebühren für folgende anwaltliche Tätigkeitsfelder in Betracht: – Beratung, – außergerichtliche Vertretung, – gerichtliche Vertretung in allgemeinen Zivilverfahren oder im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit, – Wahrnehmung steuerlicher Angelegenheiten, bspw. Anfertigung der Erbschaftsteuererklärung. Stets wird der Anwalt abwägen müssen, ob die ihm gesetzlich zustehende Vergütung ausreicht oder eine Gebührenvereinbarung erforderlich ist, um das Mandat wirtschaftlich bearbeiten zu können.

II. Honorar für Beratung, Gutachten, Mediation 1. Beratung § 34 Abs. 1 S. 1 RVG definiert Beratung als Erteilung eines mündlichen oder schriftlichen Rats oder einer Auskunft. Hierfür sieht das RVG keine eigenen Gebühren vor. Ganz bewusst soll der Anwalt zu einer Gebührenvereinbarung gedrängt werden. Die Gebührenvereinbarung kann z.B. nach dem Gegenstandswert, als Pauschale oder Zeitvergütung oder als Kombination von alledem getroffen werden.

2.6

Wird keine Vereinbarung getroffen, so verweist das RVG auf die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, 2.7 also auf § 612 Abs. 2 BGB, wonach beim Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung und bei Fehlen einer Taxe die ortsübliche Vergütung geschuldet wird. Üblich ist eine Vergütung, die am gleichen Ort, in gleichen oder ähnlichen Berufen für entsprechende Dienstleistungen gezahlt zu werden pflegt. Die

1 BGH v. 18.9.1997 – IX ZR 49/97, NJW 1998, 136; BGH v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, MDR 1998, 1313 = NJW 1998, 3486. 2 OLG Köln v. 12.3.1997 – 17 U 85/96, VersR 1998, 1282 (Ls.). 3 BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 89/06, NJW 2007, 2332. 4 BGH v. 20.11.2008 – IX ZR 34/06. 5 OLG Hamm v. 15.11.2012 – 28 U 32/12, ErbR 2013, 217 m. Anm. Schneider.

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§ 2 Rz. 2.8

Gebühren in Erbsachen

Ortsüblichkeit richtet sich nach dem jeweiligen Kammerbezirk1. In der Regel wird man auf die ortsüblichen Stundensätze abstellen2. Fehlt es an solchen ortsüblichen Stundensätzen, kann der Anwalt die Höhe des Stundensatzes nach billigem Ermessen selber bestimmen. Die Kriterien für die Bemessung der Höhe der Vergütung enthält § 14 Abs. 1 RVG (§ 34 Abs. 1 S. 3 RVG). Grundsätzlich begegnet ein Stundensatz von 250 Euro keinen Bedenken3. Im Zweifel soll ein Stundensatz von 150 Euro zugrunde zu legen sein, der überall als üblich angesehen werden könne4.

2.8 Beim Fehlen einer Gebührenvereinbarung werden die Gebühren für den Anwalt gedeckelt, wenn der Mandant Verbraucher i.S.v. § 13 BGB ist. Das ist bei Erbrechtsangelegenheiten regelmäßig der Fall. Die Kappungsgrenze der Anwaltsvergütung für eine Beratung oder Begutachtung liegt bei 250 Euro, bei einer Erstberatung sogar bei nur 190 Euro. Mehr gibt es nicht; sieht man einmal davon ab, dass die Gebührenvorschriften nach Teil 1 VV RVG (insbesondere die Einigungsgebühr) ebenso anwendbar sind wie die Auslagentatbestände nach Teil 7 VV RVG.

2.9 Ein erstes Beratungsgespräch ist eine Beratung, die es dem Mandanten ermöglicht, sich einen ersten Überblick über die Rechtslage zu verschaffen. Bei mehreren Auftraggebern erhöht sich die Beratungsgebühr für jeden weiteren Auftraggeber um 30 %, z.B. bei der Prüfung eines Ehegattentestamentes für beide Eheleute, Nr. 1008 VV RVG. Allerdings ist die Erhöhung nur bis zum Doppelten des Höchstbetrages, also um 500 Euro auf 750 Euro möglich, was ab 8 Auftraggebern der Fall ist. Von einer Erstberatung kann nicht mehr gesprochen werden, wenn das erste Beratungsgespräch aus Gründen, die nicht beim Anwalt liegen, unterbrochen werden muss, um es später fortzusetzen, bspw. weil fehlende Unterlagen beigebracht werden müssen, weil der Sachverhalt noch weiter aufzuklären ist oder weil sich der Anwalt wegen der Schwierigkeit des Beratungsgegenstandes erst in Unterlagen einarbeiten muss oder Berechnungen anzustellen hat. Auch bei schriftlicher Beratung wird der Bereich der Erstberatungsgebühr verlassen. Beispiel: Erstberatung (Verbraucher) Ein enterbter Pflichtteilsberechtigter wird über seine Ansprüche beraten. Es bleibt bei einem ersten Beratungsgespräch. Eine Gebührenvereinbarung wird nicht getroffen. Der Anwalt kann maximal 190 Euro abrechnen. Der Pflichtteilsberechtigte ist Verbraucher. Eine Postentgeltpauschale fällt bei nur mündlicher Beratung nicht an. Beratungsgebühr §§ 34 RVG, 612 BGB 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

190 Euro 36,10 Euro

Beispiel: Weitergehende Beratung (Verbraucher) Es kommt zu mehreren Beratungsterminen mit dem Pflichtteilsberechtigten. Der Anwalt fasst die verschiedenen Beratungsergebnisse schriftlich zusammen und sendet sie an den Mandanten. Eine Gebührenvereinbarung ist nicht getroffen worden. Es können maximal 250 Euro abgerechnet werden Beratungsgebühr §§ 34 RVG, 612 BGB

250 Euro

Beratungshinweis: Die Mitwirkung bei der Erstellung eines Testaments ohne wechselbezügliche Verfügungen – also auch der Testamentsentwurf – kann ohne Gebührenvereinbarung nur als Beratungstätigkeit abgerechnet werden5. Der Entwurf eines Testaments mit wechselbezüglichen Verfügungen stellt hingegen eine Geschäftstätigkeit nach Teil 2 VV RVG dar und löst eine Geschäftsgebühr aus6.

1 2 3 4 5 6

Hansen/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, Teil 8 Rz. 70. Bspw. 190 Euro: AG Bielefeld v. 2.3.2010 – 4 C 3/09, AGS 2010, 160. OLG Koblenz v. 26.4.2010 – 5 U 1409/09. AnwK-RVG/Onderka, § 34 Rz. 89; OLG Celle v. 18.11.2009 – 3 U 115/0955. AG Hamburg-Altona v. 6.11.2007 – 316 C 85/07, ZEV 2008, 294. OLG Frankfurt v. 28.11.2012 – 4 U 139/12, AGS 2015, 505.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.14 § 2

Zusätzlich zu der Beratung erhält der Anwalt Auslagen nach VV Teil 7 RVG ersetzt, auch die Postentgeltpauschale nach VV Nr. 7002 RVG, falls tatsächlich Telekommunikationsentgelte beim Anwalt angefallen sind, sei es auch nur in geringer Höhe.

2.10

Beratungshinweis: Kommt es infolge der Beratung zu einer Einigung, kann der Anwalt auch die Einigungsgebühr nach VV 1000 ff. RVG abrechnen1. Beispiel: Der Anwalt berät zum Entwurf eines Pflichtteilsverzichtsvertrags. Er rät zu einigen Änderungen, die dann auch umgesetzt werden. Neben der (üblichen oder vereinbarten) Vergütung für die Beratung erhält der Anwalt auch die Einigungsgebühr.

Wird der Anwalt im Anschluss an die Beratung nach außen hin tätig, ist sowohl die gesetzliche Vergütung für die Beratung als auch die vereinbarte Vergütung auf eine Geschäfts- oder Verfahrensgebühr nach § 34 Abs. 2 RVG anzurechnen.

2.11

Beratungshinweis: Die Anrechnung ist dispositiv und sollte daher in der Gebührenvereinbarung ausgeschlossen werden.

Die Vergütung für eine Beratung nach dem Gesetz ist wegen der bloßen Bezugnahme auf die orts- 2.12 übliche Vergütung streitträchtig und wegen der gegenüber Verbrauchern greifenden Deckelung der Vergütungshöhe auf 250 Euro oft unwirtschaftlich. Eine Gebührenvereinbarung ist daher dringend anzuraten. Was dabei vereinbart wird, liegt im Ermessen der Parteien, üblich sind Pauschalen für einzelne Beratungsschritte oder Zeitvergütungen. Die Vereinbarung ist formfrei möglich (§ 3a Abs. 1 S. 3 RVG). Aus Beweisgründen sollte sie dokumentiert werden, bspw. in einem Schreiben an den Mandanten. Für die gesetzlich geschuldete Vergütung ist es ein gravierender Unterschied, ob eine Beratungstätigkeit vorliegt, die gegenüber Verbrauchern mit allenfalls 250 Euro abgerechnet werden kann, oder eine Geschäftstätigkeit, die gegenstandswertbezogen ohne Deckelung abgerechnet wird. Damit stellt sich die Frage der Abgrenzung, die insbesondere einen Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit im Erbrecht betrifft, die Gestaltung von Testamenten.

2.13

Allgemein wird die Abgrenzung zwischen Beratung und Geschäftstätigkeit dadurch getroffen, dass 2.14 sich die Beratung auf Tätigkeiten im Verhältnis zum eigenen Mandanten beschränkt, während die Geschäftstätigkeit auf eine Vertretung nach außen hin gerichtet ist. Sobald der Anwalt auftragsgemäß, also gegenüber Dritten tätig wird, liegt eine Geschäftstätigkeit vor, die als solche zu vergüten ist. Zudem billigt das RVG in Vorbem. 2 Abs. 3 VV RVG die Geschäftsgebühr für die Mitwirkung an der „Gestaltung eines Vertrages“ zu, während das Gesetz früher in § 118 BRAGO von der Mitwirkung bei dem Entwerfen von „Urkunden und Verträgen“ sprach. Nun liegt es auf der Hand, dass der Entwurf eines Testaments typischerweise dem Entwurf eines Vertrags an Schwierigkeit und Arbeitsintensität nicht nachsteht. Auch die damit verbundene Verantwortung ist nicht nur vergleichbar, sondern in vielen Fällen sogar wesentlich höher als bei einem normalen Vertrag. Da es auch nach den Gesetzesmaterialien keinen Grund zu der Annahme gibt, dass es der Gesetzgeber bei der Neuregelung den Gebührenrahmen für die Gestaltung von Testamenten einschränken wollte, ist diese Tätigkeit nach wie vor mit der Geschäftsgebühr zu vergüten2. Allerdings ist eine Vergütungsvereinbarung dringend anzuraten, da in der Rechtsprechung abweichende Auffassungen vertreten werden, die die Gestaltung eines Testaments als bloße Beratungstätigkeit mit höchstens 250 Euro vergütet wissen wollen3. Bspw. billigte das OLG Düsseldorf die Geschäftsgebühr nur für den Entwurf eines

1 AG Neumünster v. 28.4.2011 – 32 C 1273/10, AGS 2011, 475. 2 Bonefeld, ZErb 2004, 146 (147); Bonefeld/Kroiß/Tanck/Uricher, Der Erbprozess, 5. Aufl. 2016, § 10 Rz. 86–91. 3 AG Hamburg-Altona v. 6.11.2007 – 316 C 85/07, ZEV 2008, 294.

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§ 2 Rz. 2.15

Gebühren in Erbsachen

wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testaments zu1. Dies ist wegen des vertragsähnlichen Charakters des wechselbezüglichen Testamentes zutreffend2. 2. Gutachten

2.15 Ebenso wie bei Beratungstätigkeiten gibt es auch für die Anfertigung eines Gutachtens keine gesetzlichen Gebühren mehr. Wenn keine Vereinbarung getroffen wird, verweist das Gesetz wiederum auf das Bürgerliche Recht (§ 34 Abs. 1 S. 2 RVG), in diesem Fall auf § 632 Abs. 2 BGB (Werkvertragscharakter). Die Höhe der Gebühr bemisst sich nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG. Gegenüber Verbrauchern gilt wiederum die Höchstgrenze von 250 Euro. Eine Anrechnung auf nachfolgende Tätigkeiten ist im Gesetz nicht vorgesehen. 3. Mediation

2.16 § 34 Abs. 1 RVG erfasst auch die Tätigkeit des Anwalts als Mediator. Wird der Anwalt hingegen im Mediationsverfahren als Parteivertreter tätig, gelten die allgemeinen Gebühren für die außergerichtliche oder gerichtliche Vertretung. Beratungshinweis: Bezieht sich die Mediation auf ein gerichtliches Verfahren, so ist die dortige Tätigkeit mit den Gebühren der Hauptsache abgegolten (§ 19 Abs. 1 S. 1 RVG), wenn keine abweichende Vergütungsvereinbarung getroffen wird3.

Wird für die Tätigkeit als Mediator keine Gebührenvereinbarung getroffen, so gelten wiederum die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts (§ 34 Abs. 1 S. 2 RVG), also § 612 Abs. 2 BGB. Anders als bei Beratung und Gutachten ist keine Höchstgrenze von 250 Euro gegenüber Verbrauchern vorgesehen.

III. Vergütungsvereinbarung 1. Zulässigkeit

2.17 Eine klare Vereinbarung über das Honorar dient der Streitvermeidung, wenn bspw. der Gegenstandswert schwer zu bestimmen ist. Aus der Sicht des Anwalts lassen sich viele Mandate auch nicht wirtschaftlich zum gesetzlichen Honorar bearbeiten, oder aber der Aufwand ist im Vorhinein schwer abschätzbar; dann empfiehlt sich ein Stundenhonorar. Im Bereich des Erbrechts stellt sich aufgrund der hier typischerweise hohen Gegenstandswerte häufig auch das umgekehrte Problem: Der Mandant ist zur Erteilung des Auftrags nur bereit, wenn ein niedrigeres Honorar vereinbart wird als das gesetzliche. Diesen Interessen trägt das Gesetz Rechnung, indem es erlaubt, eine vom Gesetz abweichende Vergütung zu vereinbaren. Zu beachten ist der Grundsatz der Nichtanrechenbarkeit der Vergütung aus einer Honorarvereinbarung für die außergerichtliche Vertretung auf die spätere Verfahrensgebühr. Es ist keine Geschäftsgebühr entstanden, so dass auch eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG ausscheidet4. Im Einzelnen gilt: a) Honorar unter der gesetzlichen Vergütung

2.18 Sofern die Vergütung dennoch in angemessenem Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Anwalts steht, ist eine solche Vereinbarung in außergerichtlichen Angelegenheiten erlaubt (§ 4 Abs. 1 S. 1 RVG). Verboten ist sie hingegen für die gerichtliche Tätigkeit des Anwalts (§ 49b 1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 30.4.2012 – I-24 U 224/11, FamRZ 2013, 727. Vgl. auch LG Wiesbaden v. 12.4.1017 – 5 S 33/16, BeckRS 2017, 126710. OLG Rostock v. 5.1.2007 – 8 W 67-68/06, AGS 2007, 126 (343). BGH v. 16.10.2014 – III ZB 13/14, AnwBl 2015, 274.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.22 § 2

Abs. 1 S. 1 BRAO). Eine Ausnahme gilt bei Vereinbarung eines Erfolgshonorars für ein gerichtliches Verfahren: Hier dürfen die gesetzlichen Gebühren unterschritten werden, wenn zum Ausgleich für den Fall des Erfolgs gleichzeitig eine höhere als die gesetzliche Vergütung vereinbart wird (§ 4a Abs. 1 S. 2 RVG). Beratungshinweis: Vereinbart ein Anwalt mit seinen Klienten für ein Gerichtsverfahren ein Stundenhonorar, ohne als Mindesthonorar die gesetzlichen Gebühren zu vereinbaren, so ist diese Vereinbarung wegen Verstoßes gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO nichtig, auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass aufgrund der geleisteten Stunden im Ergebnis eine höhere als die gesetzliche Vergütung vereinbart wurde1.

b) Honorar über der gesetzlichen Vergütung Der Anwalt ist nicht verpflichtet, zu den gesetzlichen Gebühren tätig zu werden2. Nach § 3a RVG kann er eine vom Gesetz abweichende höhere Vergütung vereinbaren. Lediglich folgende Beschränkungen sind zu beachten:

2.19

Unangemessen hohe Honorare werden herabgesetzt (§ 3a Abs. 2 RVG). Eine unangemessen hohe Vergütung wird vermutet3, wenn sie mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt. Der Anwalt kann diese Vermutung entkräften. Der BGH hat dabei wegen einer möglichen Sittenwidrigkeit von Gebührenvereinbarungen darauf hingewiesen, dass es bei niedrigen Streitwerten für die Beurteilung des auffälligen Missverhältnisses nicht ausreicht, alleine auf die gesetzlichen Gebühren abzustellen4. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars unterliegt den Schranken des § 4a RVG. Wenn dem Mandanten Beratungshilfe bewilligt worden ist, ist eine Vergütungsvereinbarung unzulässig (§ 3a Abs. 4 RVG; § 8 BerHG). Bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe regelt § 3a Abs. 3 S. 1 RVG, dass der Anwalt keine höhere Vergütung vereinbaren darf als die gesetzliche Vergütung eines Wahlanwalts. Hieraus folgt, dass vereinbart werden kann, dass der Mandant die Differenz zwischen den Pflicht- und den Wahlanwaltsgebühren zusätzlich zahlt5.

2.20

Beratungshinweis: Die Honorarvereinbarung kann zu jedem Zeitpunkt abgeschlossen werden, vor Übernahme des Mandats, bei seiner Übernahme oder im Nachhinein. Wurde das Mandat allerdings bereits vom Anwalt akzeptiert und legt dieser im Nachhinein das Mandat nieder, weil der Mandant nicht zum Abschluss einer Vereinbarung bereit ist, so verliert er seinen Anspruch auf das gesetzliche Honorar. Anzuraten ist also der Abschluss spätestens bei Annahme des Mandats.

Nichtig sind Vereinbarungen, die zur Unzeit geschlossen werden, wenn bspw. der Anwalt unmittelbar vor Ablauf einer wichtigen Frist oder vor einem anstehenden Termin den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung verlangt und er ansonsten mit Niederlegung des Mandats droht6.

2.21

2. Form Nur das Honorar für eine Beratung oder ein Gutachten kann formlos vereinbart werden (§ 34 Abs. 1 S. 1 RVG), ansonsten ist eine Vergütungsvereinbarung in Textform erforderlich, § 3a Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 126b BGB. Eine eigenhändige Unterschrift ist nicht mehr erforderlich7, somit kann die Vereinbarung auch bspw. durch wechselseitigen Austausch von E-Mails zustande kommen.

1 2 3 4 5 6 7

AG München v. 10.2.2011 – 223 C 21648/10, AGS 2011, 530. Die Ausnahmen in §§ 48, 49 BRAO spielen für die erbrechtliche Praxis keine Rolle. BGH v. 10.11.2016 – IX ZR 119/14, NJW-RR 2017, 377. BGH v. 10.11.2016 – IX ZR 119/14, NJW-RR 2017, 377. MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 18. BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 138/11, FamRZ 2013, 950 = MDR 2013, 747 = NJW 2013, 1591. Anders § 4b RVG i.d.F. bis zum 30.6.2008.

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2.22

§ 2 Rz. 2.23

Gebühren in Erbsachen

2.23 § 3a Abs. 1 S. 2 RVG verlangt, die Vereinbarung ausdrücklich als „Vergütungsvereinbarung“ oder in vergleichbarer Weise zu bezeichnen, bspw. als „Honorarvereinbarung“1. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht, soll der Begriff „Gebührenvereinbarung“ bedenklich sein, wenn zugleich Vereinbarungen über Auslagen getroffen werden2.

2.24 Die Vergütungsvereinbarung darf die Auftragserteilung und die nähere Ausgestaltung des Auftrags enthalten, von anderen Vereinbarungen muss sie deutlich abgesetzt sein (§ 3a Abs. 1 S. 2 RVG). Es empfiehlt sich daher, bspw. eine haftungsbeschränkende Vereinbarung in einem gesonderten Schriftstück festzuhalten. Völlig getrennt sein müssen Vergütungsvereinbarung und Vollmacht (§ 3a Abs. 1 S. 2 RVG).

2.25 Werden die Formvorschriften nicht eingehalten, kann der Anwalt keine höhere Vergütung als die gesetzliche verlangen (§ 4b S. 1 RVG). Ergibt sich nach der Vereinbarung eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung, bleibt es dabei, dass der Anwalt an diese unwirksame Vereinbarung zu seinen Ungunsten gebunden ist3. Ein höheres Honorar als das gesetzliche kann er hingegen nicht verlangen. Erfolgte Zahlungen sind nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln (§ 4 Abs. 1 S. 2 RVG), es sei denn der Mandant hätte im Bewusstsein der Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung gezahlt (§ 814 BGB).

2.26 Eine Vergütungsvereinbarung kann auch mit einem Dritten, bspw. einem Verwandten des Vertretenen abgeschlossen werden. Hierfür, wie auch für einen etwaigen Schuldbeitritt, gelten die gleichen Anforderungen, als wenn die Vereinbarung direkt mit dem Mandanten abgeschlossen worden wäre. 3. Hinweispflicht

2.27 Der Mandant muss darauf hingewiesen werden, dass ein anderer Beteiligter bei Kostenerstattung nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss (§ 3a Abs. 1 S. 3 RVG). Ein Fehlen dieses Hinweises hat allerdings nicht die Unwirksamkeit der Vereinbarung zur Folge, evtl. hat der Mandant jedoch Schadensersatzansprüche, wenn er auf die Kostenerstattung vertraut hatte. Beratungshinweis: Nicht vorgeschrieben, aber empfehlenswert ist zudem der Hinweis darauf, dass eine Rechtsschutzversicherung, sofern überhaupt Deckung besteht, nur die gesetzliche Vergütung übernimmt.

4. Ausgestaltung

2.28 Wie die vereinbarte Vergütung geregelt wird, bleibt den Parteien überlassen. Unzulässig ist es lediglich, die Höhe der Vergütung in das Ermessen eines Vertragsteils oder eines Dritten zu stellen (§ 4 Abs. 3 RVG). Die Parteien könnten allenfalls vereinbaren, dass die Höhe der Vergütung in das Ermessen des Vorstands der Rechtsanwaltskammer gestellt wird (§ 4 Abs. 3 S. 1 RVG), was aber unpraktikabel ist.

2.29 Was die Art des Honorars betrifft, so gibt es zahlreiche Möglichkeiten: – ein Pauschbetrag für das gesamte Mandat, – Pauschalbeträge für einzelne Bearbeitungsschritte, – ein prozentualer Aufschlag auf die gesetzlichen Gebühren oder die Vereinbarung eines Steigerungssatzes, – ein Festbetrag zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren, – die Vereinbarung eines höheren Gegenstandswertes, – Stundenhonorar. 1 AG Wolfratshausen v. 23.8.2007 – 1 C 691/07, AGS 2008, 11. 2 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 26 (wegen § 305c BGB). 3 OLG München v. 2.5.2012 – 15 U 2929/11, MDR 2013, 60 = NJW 2012, 3454.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.33 § 2

Wird ein Stundenhonorar vereinbart, so stellt sich naturgemäß die Frage nach der Höhe des an- 2.30 gemessenen Stundensatzes. Jeder Anwalt sollte hierzu prüfen, wie hoch die tatsächlichen Kosten einer Leistungsstunde in seiner Kanzlei nach deren Kostenstruktur sind. Die absolute Untergrenze dürfte bei 150 Euro zuzüglich Umsatzsteuer liegen1. Bei speziellen Erbrechtskenntnissen dürfte die Untergrenze bei 200 Euro liegen, die übliche Bandbreite zwischen 250 Euro und 500 Euro, jeweils zuzüglich Umsatzsteuer2. Aus der Sicht des Mandanten ist das Stundenhonorar allerdings eine höchst problematische Bezugsgrenze: So wird ein erbrechtlich versierter Anwalt einen Testamentsentwurf unter Umständen in kurzer Zeit fertigen können, während ein Berufsanfänger hierfür ein Mehrfaches an Zeit benötigt. Der aufgrund eines geringeren Stundensatzes augenscheinlich „billigere“ Anwalt kann im Ergebnis also durchaus teurer kommen. Umgekehrt steht der versierte Erbrechtsspezialist vor dem Problem, dass insbesondere in schwierigen Angelegenheiten und bei hohen Gegenstandswerten seinem speziellen Know-how und dem oft hohen Haftungsrisiko durch ein Stundenhonorar nur wenig Rechnung getragen wird. Dies gilt vor allem dann, wenn der Anwalt bspw. bei der Gründung von Stiftungen und Familiengesellschaften auf Vorkenntnisse und selbst entwickelte Muster zurückgreifen kann, die es ihm erlauben, Einzelfälle sehr schnell zu bearbeiten. Hier bietet es sich an, ein Kombinationsmodell zu vereinbaren, bei dem vorab eine Pauschale für das spezielle Know-how vereinbart und im Übrigen nach Stunden abgerechnet wird. Für die Leistung der erbrachten Stunden ist der Anwalt beweispflichtig. Eine genaue Dokumentation 2.31 ist daher unerlässlich. Klauseln, die die Beweislast umkehren, würden gegen § 309 Nr. 12 BGB verstoßen. Gleiches gilt wohl auch für Klauseln, die in eine ähnliche Richtung gehen, wie bspw. eine Regelung, wonach die abgerechneten Stunden als anerkannt gelten, wenn der Mandant nicht innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht3. Es bietet sich an, das Problem pragmatisch zu lösen, indem in kurzen Zeitabständen über die erbrachten Stunden abgerechnet wird. Im Streitfall gilt nach der Rechtsprechung des BGH4, dass zunächst nur der Anfall der Stunden darge- 2.32 legt und bewiesen werden muss. Eine nähere Differenzierung, bspw. durch Zuordnung zu einzelnen Tätigkeiten oder Tageszeiten, ist grundsätzlich nicht geschuldet. Der Mandant ist darlegungs- und beweispflichtig, wenn er einwenden will, der Anwalt habe unnötig lange gebraucht und daher gegen die vertragliche Nebenpflicht zur wirtschaftlich sinnvollen Geschäftsführung verstoßen. Allerdings trifft den Anwalt eine sog. sekundäre Darlegungslast, wonach er zu Art und Inhalt der abgerechneten Leistungen so viel vortragen muss, dass der Mandant seinen Einwand der Unwirtschaftlichkeit konkretisieren kann. In der Praxis wird daher eine detaillierte Dokumentation der geleisteten Arbeit unerlässlich sein. Bei Vereinbarung eines Stundenhonorars sollte auch der Zeittakt geregelt werden (ansonsten ist minutengenau zu erfassen). In der Rechtsprechung umstritten ist, ob die formularmäßige Vereinbarung einer Abrechnung je angefangene 15 Minuten gegen § 307 BGB verstößt5. Die Literatur sieht teilweise Intervalle von bis zu 30 Minuten als zulässig an6.

1 Vgl. die Untersuchungen von Franzen, NJW 1988, 1059; NJW 1993, 439; s. auch OLG Schleswig v. 1.8.1994 – 2 W 118/93, MDR 1994, 1048 = FamRZ 1995, 46 = JurBüro 1995, 156. 2 Kerscher/Tanck/Krug, § 6 Rz. 32; s. auch Gerold/Schmidt, § 4 RVG Rz. 86. 3 Gerold/Schmidt/Mayer, § 3a RVG Rz. 57. 4 BGH v. 17.4.2009 – VII ZR 164/07, MDR 2009, 863 = NJW 2009, 2199 (Zeithonorar eines Architekten). 5 OLG Schleswig v. 19.2.2009 – 11 U 151/07, AGS 2009, 209 für Wirksamkeit; ebenso LG München I v. 21.9.2009 – 4 O 10820/08, AGS 2010, 284; a.A.: LG Köln v. 18.10.2016 – 11 S 302/15, DStR 2017, 1503; OLG Düsseldorf v. 18.2.2010 – I-24 U 183/05, AGS 2010, 109; im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein früheres, gleichlautendes Urteil des OLG Düsseldorf v. 29.6.2006 – I-24 U 196/04, AGS 2006, 530 hat der BGH diese Rechtsfrage als Frage des Einzelfalls angesehen, BGH v. 5.3.2009 – IX ZR 144/06, AGS 2009, 209. 6 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 42 Fn. 71.

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2.33

§ 2 Rz. 2.34

Gebühren in Erbsachen

Beratungshinweis: Der Zielkonflikt zwischen praktikabler Zeiterfassung „ohne Stoppuhr“ und dem Interesse des Mandanten an genauer Abrechnung sollte aus Beratersicht fair geregelt werden, ohne die Grenzen des Erlaubten auszuloten. Vorzugswürdig ist daher eine Taktung je angefangener fünf, sechs oder zehn Minuten.

2.34 Meist wird der Anwalt vorformulierte Vergütungsvereinbarungen benutzen. Diese unterliegen der AGB-Kontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Daher ist auf Bestimmtheit und Transparenz der Vereinbarung zu achten. Ein in der Vereinbarung zugleich enthaltenes Empfangsbekenntnis verstößt nicht wegen Umkehr der Beweislast gegen § 309 Nr. 12 BGB und ist daher unbedenklich1.

2.35 Nicht vergessen werden darf eine Vereinbarung über die Auslagen, da diese ansonsten durch die vereinbarte Vergütung mitabgegolten sind2. Es kann auch auf die gesetzlichen Auslagen verwiesen werden.

2.36 Zu regeln ist auch die Umsatzsteuer. Beratungshinweis: Es sollte der bei Abrechnung jeweils gültige Umsatzsteuersatz vereinbart werden, da sonst der Umsatzsteuersatz bei Abschluss der Vereinbarung gilt3.

5. Erfolgshonorar

2.37 Ein Erfolgshonorar4 wird die Ausnahme bleiben. Es ist ohnehin nur unter den engen Voraussetzungen des § 4a RVG zulässig. Für den Anwalt gleicht es einem Vabanquespiel, es sei denn, er übernimmt eine große Zahl solcher Mandate, so dass sich die statistische Wahrscheinlichkeit ausgleichen kann. Eher empfiehlt es sich in Fällen, in denen der Mandant die Kosten der Rechtsverfolgung nicht aufbringen kann, einen Prozessfinanzierer einzuschalten.

2.38 Ein Erfolgshonorar liegt nach § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO vor, wenn die Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird oder der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrags als Vergütung erhalten soll. Kein Erfolgshonorar ist es, wenn sich die gesetzlichen Gebühren ohne weitere Bedingungen lediglich erhöhen, auch bspw. durch die Vereinbarung eines Vielfachen der Einigungsgebühr. Ebenso liegt kein Erfolgshonorar vor, wenn als Vergütung ein Anteil am Erbteil vereinbart wird, wenn lediglich der Erbteil betragsmäßig noch nicht feststeht, an sich aber unstrittig ist5. Zulässig ist es auch, nach Abschluss des Mandats eine Beteiligung am erstrittenen Betrag zu vereinbaren, also ein Erfolgshonorar im Nachhinein6. 6. Checkliste

2.39 Checkliste für den Inhalt einer Honorarvereinbarung l Äußeres: Gesondertes Schreiben bzw. gesondertes Blatt (nicht in einer Vollmacht), zumindest aber deutlich abgesetzt von anderen Vereinbarungen l ausdrückliche Bezeichnung als Vergütungsvereinbarung (oder vergleichbar) l Bezeichnung der Vertragsparteien l Gegenstand der Vereinbarung (möglichst konkret) l vereinbartes Honorar (Stundenhonorar, Pauschalvereinbarung etc.) 1 2 3 4 5 6

BGH v. 19.5.2009 – IX ZR 174/06, FamRZ 2009, 1319 = MDR 2009, 1011. OLG Karlsruhe v. 17.11.1978 – 15 U 111/77, OLGZ 1979, 230. LG München I v. 21.9.2009 – 4 O 10820/08, AGS 2010, 284. Hierzu Teubel/Schons, Erfolgshonorar für Anwälte, 2008. BGH v. 29.4.2003 – IX ZR 138/02, FamRZ 2003, 1096 = MDR 2003, 836. OLG Düsseldorf v. 6.4.2006 – I-24 U 191/05, OLGReport 2007, 20.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.40 § 2

l zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer l Vereinbarung zur Auslagenerstattung l Fälligkeit/Vorschussregelung l Hinweis, dass das Honorar die gesetzlichen Gebühren (möglicherweise) übersteigt und dass eine etwaige Kostenerstattung regelmäßig auf die gesetzlichen Gebühren beschränkt ist l im gerichtlichen Verfahren: Hinweis, dass die Honorarvereinbarung nur gilt, wenn die gesetzlichen Gebühren niedriger sind und dass im Fall des Obsiegens nur die gesetzlichen Gebühren vom Gegner zu erstatten sind

M 10 Vergütungsvereinbarung (Stundenhonorarvereinbarung)

2.40

Anm.: Nachstehendes Muster kann nur als Anregung dienen, eine ungeprüfte Übernahme verbietet sich – zu vielfältig sind die möglichen Mandats- und Interessenkonstellationen. Vergütungsvereinbarung1 1. Auftrag Der Mandant hat die Rechtsanwälte mit der außergerichtlichen Vertretung seiner Interessen in der Erbsache … beauftragt2. 2. Vergütung, Auslagen und Umsatzsteuer a) Anstelle der gesetzlichen Gebühren erhalten die Rechtsanwälte ein Stundenhonorar in Höhe von … Euro (in Worten: … Euro) je Arbeitsstunde eines Rechtsanwaltes3. Dieser Stundensatz4 gilt auch für erforderliche Fahrt- und Wartezeiten. b) Angefangene Stunden werden zeitanteilig je angefangene … Minuten abgerechnet. c) Zudem erhalten die Rechtsanwälte ihre Auslagen nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes5, ferner die jeweils geltende Umsatzsteuer. 3. Leistungserbringung Die Vergütung nach Nr. 2 fällt an, unabhängig welcher der für die Sozietät tätigen Rechtsanwälte sie erbringt, sie fällt auch an, soweit die Rechtsanwälte einen anderen Anwalt als Vertreter einschalten6. 4. Vorschüsse Die Rechtsanwälte können angemessene Vorschüsse verlangen. 5. Abrechnung und Fälligkeit Die Rechtsanwälte rechnen über ihre Tätigkeit monatlich/zum Ende eines Quartals/in angemessenen Zeitabständen ab. Mit Zugang der Abrechnung wird die jeweils abgerechnete Vergütung fällig.

1 § 3a Abs. 1 S. 2 RVG schreibt diese oder eine vergleichbare Bezeichnung vor. 2 Anders als früher dürfen nach § 3a Abs. 1 S. 2 RVG auch die Auftragserteilung und die genaue Ausgestaltung des Mandats in der Vergütungsvereinbarung enthalten sein. 3 Zusätzlich kommt auch die gesonderte Vereinbarung eines Stundensatzes für Hilfskräfte in Betracht, bspw. für Recherchearbeiten oder das Sortieren umfangreicher Belegunterlagen. 4 Selbstverständlich kann hierfür auch ein reduzierter Satz vereinbart werden. 5 Auch hier sind abweichende Vereinbarungen möglich, bspw. für Kilometergeld oder Kopien. 6 Besonders bei Einzelanwälten empfiehlt sich der Hinweis auf Vertreter nach § 5 RVG (wegen des Transparenzgebotes [§ 307 BGB] sollte dann der Gesetzestext in der Vereinbarung zitiert werden), ansonsten gilt die vereinbarte Vergütung nur für in Person erbrachte Leistungen, KG v. 16.11.1999 – 21 U 4354/98, AGS 2000, 143.

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§ 2 Rz. 2.41

Gebühren in Erbsachen

6. Keine Anrechnung a) Eine etwa für eine frühere Beratung angefallene oder vereinbarte Vergütung wird auf die hier unter Nr. 2 vereinbarte Vergütung nicht angerechnet1. b) Eine Anrechnung der hier unter Nr. 2 vereinbarten Vergütung auf die gesetzliche oder vereinbarte Vergütung in einem späteren gerichtlichen Verfahren wird ebenfalls ausgeschlossen2. 7. Hinweise für den Mandanten3 Die Rechtsanwälte weisen auf folgendes hin: a) die hier vereinbarte Vergütung kann die gesetzliche Vergütung übersteigen, b) in Fällen der Kostenerstattung müssen eine gegnerische Partei, ein Verfahrensbeteiligter oder die Staatskasse regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten, c) eine Rechtsschutzversicherung bezahlt in erbrechtlichen Angelegenheiten regelmäßig keine anwaltliche Vertretung, und wenn doch, dann allenfalls bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren.

2.41 Beratungshinweis: Soll die Vergütungsvereinbarung (auch) für gerichtliche Tätigkeiten gelten, so ist wegen des Verbots der Unterschreitung der gesetzlichen Vergütung (§ 49b Abs. 1 S. 1 BRAO) als Mindesthonorar zu vereinbaren: „Für Tätigkeiten vor Gericht sind mindestens die gesetzlichen Gebühren und Auslagen geschuldet.“

IV. Gegenstandswert 1. Gerichtsverfahren

2.42 Die Wertfestsetzung durch das Gericht ist für Anwalt und Mandant bindend, sofern diese keine abweichende Vergütungsvereinbarung getroffen haben (§ 32 Abs. 1 RVG i.V.m. § 63 GKG, § 55 FamGKG und § 79 GNotKG). Gegen die Wertfestsetzung kann der Anwalt aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, wenn sein Gebühreninteresse an der Beschwerde mehr als 200 Euro beträgt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat (§ 32 Abs. 2 RVG i.V.m. § 68 GKG, § 59 FamGKG, § 83 GNotKG). Das Verfahren über die Wertbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Eine Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und daher nicht zugelassen.

2.43 Falls in dem gerichtlichen Verfahren kein Wert festgesetzt wird, kann der Anwalt Festsetzung beantragen (§ 33 Abs. 1 RVG) und gegen eine seiner Auffassung nach zu niedrigere Wertfestsetzung aus eigenem Recht innerhalb von zwei Wochen eine fristgebundene Beschwerde einlegen (§ 33 Abs. 3 RVG). 2. Außergerichtliche Tätigkeit

2.44 Hier unterscheidet § 23 RVG, ob die Tätigkeit des Anwalts auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte:

1 Ohne diese Klausel fände eine Anrechnung nach § 34 Abs. 2 RVG statt. 2 Diese Klausel dient der Klarstellung, da nach dem RVG ohnehin nur die Anrechnung der Geschäftsgebühr vorgesehen ist und die vereinbarte Vergütung dem nicht gleichzusetzen ist, OLG München v. 24.4.2009 – 11 W 1237/09, FamRZ 2009, 1783 = AGS 2009, 379, ebenso OLG Frankfurt v. 16.2.2009 – 18 W 355/08, AnwBl. 2009, 310; OLG Stuttgart v. 21.4.2009 – 8 WF 32/09, FamRZ 2009, 1346 = AGS 2009, 214 (unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung des Senats). 3 Die Hinweise a) und b) sind nach § 3a Abs. 1 S. 3 RVG geboten, der Hinweis c) ist nicht erforderlich, aber zweckmäßig, damit der Mandant nicht enttäuscht wird.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.48 § 2

a) Mögliche Tätigkeit vor Gericht Könnte die Anwaltstätigkeit auch vor Gericht stattfinden, so gelten nach § 23 Abs. 1 S. 3 RVG für die Ermittlung des Gegenstandswertes die für die Gerichtsgebühren geltenden Vorschriften des GKG, des FamGKG oder des GNotKG.

2.45

b) Sonstige Angelegenheiten Nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens kann bspw. der Entwurf eines Erbvertrags oder eines Erbauseinandersetzungsvertrags sein. In diesen Fällen verweist § 23 Abs. 3 RVG auf die Wertvorschriften des GNotKG, insbesondere §§ 48, 52, 102 GNotKG. Findet sich auch dort keine passende Vorschrift, so ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu schätzen, gibt es für eine Schätzung keine ausreichenden Anhaltspunkte oder ist der Gegenstand nicht vermögensrechtlicher Art, so ist der Gegenstandswert 5.000 Euro, nach Lage des Falles auch höher oder niedriger, höchstens aber 500.000 Euro.

2.46

V. ABC der Gegenstandswerte Die frühere Rechtsprechung hat bei der Bewertung von Miterbenstreitigkeiten die rechtliche Betrachtungsweise der wirtschaftlichen vorgezogen und den Erbteil des klagenden Erben nicht berücksichtigt. So richtete sich z.B. der Streitwert einer Erbteilungsklage nach dem vollen Wert des Nachlasses1. Dies rechtliche Betrachtungsweise wurde von einer wirtschaftlichen abgelöst2, so dass heute gem. § 3 ZPO der Streitwert nach dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers bewertet wird. Der Streitwert bestimmt sich also nach dem, was der klagende Miterbe begehrt und nicht nach dem vollen Wert des zu teilenden Nachlasses3. Der Erbanteil des klagenden Erben wird bei der Ermittlung des klagenden Miterben nicht angesetzt. Werden aber Ansprüche von oder gegen Dritte außerhalb der Erbgengemeinschaft geltend gemacht gilt der volle Gegenstandswert4.

2.47

Altenteil: Der Wert des Wohnrechts wird nach § 3 ZPO geschätzt, Renten werden nach § 9 ZPO bewertet.

2.48

Anfechtung eines Testaments oder Erbvertrags: Maßgebend ist das wirtschaftliche Interesse des Anfechtenden, d.h. der Wert der Nachlassbeteiligung, die ihm bei erfolgreicher Anfechtung zufiele. Aufgebot der Nachlassgläubiger: Der Gegenstandswert für das Verfahren zum Aufgebot der Nachlassgläubiger kann bei einem geringen Aktivnachlass auf lediglich 5 % der bekannt gewordenen Nachlassverbindlichkeiten festgesetzt werden5. Auflassung: Wird z.B. auf Auflassung eines vermachten Grundstücks geklagt, wird der Wert nach § 6 ZPO bestimmt (Wert des Grundstücks bzw. Grundstücksanteils). Bei einer einstweiligen Verfügung zur Eintragung einer Auflassungsvormerkung ist der Wert nach dem Sicherungsinteresse zu schätzen, i.d.R. auf 1/3 des Verkehrswertes (§ 3 ZPO). Zu einer Miterbenklage auf Mitwirkung zur Auflassung eines Nachlassgrundstückes, siehe OLG Stuttgart v. 28.11.1974 – 13 W 50/74, NJW 1975, 394).

1 2 3 4 5

BGH v. 16.2.1962 – V ZR 6/61, NJW 1962, 914. BGH v. 23.2.1972 – IV ZR 95/71, NJW 1972, 909. BGH v. 24.4.1975 – III ZR 173/72, NJW 1975, 1415 m. abl. Anm. Schmidt. Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 13. Aufl., Rz. 4057. OLG Hamm v. 31.5.2012 – I-15 W 687/10, 15 W 687/10, FGPrax 2012, 265.

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§ 2 Rz. 2.49

Gebühren in Erbsachen

Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft: Maßgebend ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers und somit sein Anteil am Nachlass1. Bezieht sich der Verteilungsstreit nur auf einzelne Vermögensgegenstände, so ist der Streitwert nur aus dem Wert dieser Gegenstände zu ermitteln2. Wird umgekehrt auf Feststellung der Unzulässigkeit der Erbauseinandersetzung geklagt, so ist das Interesse des Klägers am Fortbestand der Erbengemeinschaft zu schätzen3. Ausgleichung: Streitwert ist der Betrag, um den sich der Erbanteil des Klägers bei Durchführung der Ausgleichung erhöht4. Bei einer Feststellungsklage zur Vorbereitung der Erbteilung ist der für bei einer Feststellungsklage übliche Abschlag gegenüber der Leistungsklage vorzunehmen (siehe Feststellungsklage). Auskunftsklage: Der Gegenstandswert bemisst sich nach dem Interesse des Klägers an der Offenlegung der Tatsachen. Dieses wiederum bemisst die Rechtsprechung regelmäßig nach einem Bruchteil des voraussichtlichen Wertes des Hauptanspruchs (ein Fünftel bis ein Halb hieraus)5. Wehrt sich der Beklagte in der Berufung gegen seine Verurteilung zur Auskunft, so ist sein Aufwand für deren Erteilung nach den Grundsätzen der Zeugenentschädigung zu schätzen6. Ausschlagung: Für die Tätigkeit des Anwalts bemisst sich der Gegenstandswert nach dem Wert der gegen den Nachlass gerichteten Forderungen, denen der Erbe mit der Ausschlagung entgehen will.

2.49 Beschränkung der Erbenhaftung: Der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung hat in erster Instanz keinen Einfluss auf den Streitwert; wird der Vorbehalt aber mit einem Rechtsmittel angegriffen, so richtet sich der Gegenstandswert nach dem Unterschied zwischen der Vollstreckungschance mit oder ohne Vorbehalt7.

2.50 Drittklage gegen Miterben: Verklagt ein außenstehender Dritter den einzigen sich weigernden Miterben, z.B. auf Auflassung eines Nachlassgrundstücks oder Herausgabe eines Nachlassgegenstandes, ist der gesamte Grundstücks- bzw. Gegenstandswert maßgeblich8.

2.51 Eidesstattliche Versicherung: Für die Gerichtskosten ist der Gegenstandswert wegen der Festgebühr von 35 Euro in Nr. 2114 KV GKG ohne Belang. Die Kosten trägt der Auskunftsberechtigte, z.B. der Pflichtteilsgläubiger (§ 261 Abs. 2 BGB). Bei einer Stufenklage geht der Wert der eidesstattlichen Versicherung im höchsten Stufenstreitwert auf9. Die Prozessgebühr fällt nur einmal für den höchsten Stufenstreitwert an. Eintragungsbewilligung: Wird auf Bewilligung der Eintragung eines Rechts im Grundbuch geklagt, richtet sich bei einem Eigentumsanspruch der Wert nach § 6 ZPO, bei einer Grunddienstbarkeit nach § 7 ZPO, bei einer Reallast nach § 9 ZPO. Erbanteil: Bei der Wertbemessung eines Erbteils ist der darauf lastende Pflichtteil abzuziehen.

1 BGH v. 24.4.1975 – III ZR 173/72, NJW 1975, 1415; Anders/Gehle, Streitwertlexikon, 4. Aufl. 2002, Erbrechtliche Streitigkeiten, Rz. 2. 2 BGH v. 17.3.1969 – III ZR 156/68, NJW 1969, 1350. 3 Kerscher/Krug/Spanke, § 5 Rz. 33. 4 BGH v. 14.7.1956 – IV ZB 64/56, FamRZ 1956, 347. 5 Schneider/Herget, Rz. 672, 3880; nach OLG Koblenz v. 6.8.2004 – 6 W 489/04, JurBüro 2005, 39 sind 50 % des Nachlasswertes maßgeblich. 6 BGH v. 1.10.2008 – IV ZB 27/07, ZEV 2009, 38. 7 Schmidt/Madert, Rz. 205. 8 Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl., GKG Anh I § 48 (§ 3 ZPO) Rz. 42. 9 Zöller/Herget, ZPO, § 3 Rz. 16 „Stufenklage“.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.52 § 2

Erbscheinseinziehung: Maßgeblich ist der Wert des vom Antragsteller beanspruchten Erbteils1. Erbscheinserteilung: Der Gegenstandswert für die Gebühren eines Anwalts, der einen Miterben im Erbscheinserteilungsverfahren vertritt, bemisst sich nach dem Erbteil, den der Antragsteller beansprucht, hierbei ist der Wert des Netto-Nachlasses zugrunde zu legen2. Das gilt auch im Beschwerdeverfahren3. Entscheidend ist der Reinwert des Nachlasses, § 40 Abs. 1 Nr. 3 GNotKG, bei Teilerbscheinen nach der betroffenen Quote. Bei der Berechnung des Gegenstandswertes für die Gerichtskosten (!) im Beschwerdeverfahren ist streitig, ob er sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Beschwerdeführers4 oder nach dem Gesamtwert des Nachlasses5 richtet. Bei einem Erbschein, der sich auf die im Inland befindlichen Gegenstände beschränkt, ist der Wert auf den Erbanteil an den im Inland befindlichen Gegenständen beschränkt. Erbteilungsklage: Bei einer Klage auf Zustimmung zur Erbauseinandersetzung bemisst sich der Streitwert am wirtschaftlichen Interesse des Klägers, das dem Wert seines Erbteils entspricht6. Erbunwürdigkeitsklage: Maßgebend soll der Wert der Beteiligung des Beklagten am Netto-Nachlass sein7. Nach richtiger Ansicht entscheidet das wirtschaftliche Interesse, also der Wert, um den der Kläger durch das Ausscheiden des Beklagten aus der Erbengemeinschaft bessergestellt wird8. Erbvertrag: Der Gegenstandswert für den Entwurf eines Erbvertrags bemisst sich in der Regel nach dem Nettowert des Vermögens, über das verfügt wird9. Ausnahmen ergeben sich, wenn nur über einen Teil des Nachlasses verfügt wird oder wenn sich die Beratung des Anwalts auch auf die Verbindlichkeiten bezieht. Der Streitwert bei Feststellung der Unwirksamkeit des Rücktritts von einem Erbvertrag bemisst sich nach dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Vertrags10. Europäisches Nachlasszeugnis: wie Erbschein (§ 40 GNotKG). Wurde allerdings bereits ein Erbschein erteilt, wird die Erbscheinsgebühr mit 75 % auf die Gebühr für das Europäische Nachlasszeugnis angerechnet (KV 12210 Abs. 2 GNotKG). Umgekehrt gilt das Gleiche. Feststellungsklage (positiv): Die Rechtsprechung nimmt bei positiven Feststellungsklagen meist einen Abschlag von 20 % vom wirtschaftlichen Interesse, das der Kläger mit der Feststellungsklage verfolgt, vor11. So wird z.B. bei der Ermittlung des Streitwerts einer Miterbenfeststellungsklage, dass ein bestimmtes Bankguthaben zum Nachlass gehört, der Erbanteil des Klägers an diesem Bankguthaben um 20 % herabgesetzt12. Bei der Klage auf Feststellung einer Vorerbenstellung, soll der Abschlag höher ausfallen als bei einer Vollerbenstellung13.

1 BayObLG v. 23.6.2004 – 3Z BR 29/04, FamRZ 2005, 822. 2 BGH v. 30.9.1968 – III ZB 11/67, NJW 1968, 2234. 3 BGH v. 30.9.1968 – III ZB 11/67, NJW 1968, 2334; BayObLG v. 1.10.2001 – 3 Z BR 112/01, ZEV 2003, 33 (Ls). 4 So OLG Düsseldorf v. 22.1.2016 – I-3 Wx 20/15, ZEV 2016, 387; OLG Hamm v. 5.8.2015 – I-15 W 341/14, FGPrax 2015, 277. 5 So OLG Karlsruhe v. 16.6.2016 – 11 Wx 103/15, ZEV 2016, 459; OLG Schleswig v. 16.10.2014 – 3 Wx 104/13, NJW-RR 2015, 767. 6 BGH v. 24.4.1975 – III ZR 173/72, NJW 1975, 1415; BayObLG JurBüro 1993, 227; OLG Celle OLGR 2001, 142. 7 BGH v. 20.10.1969 – III ZR 208/67, NJW 1970, 197; Schneider/Herget, Rz. 1771, 3897. 8 BGH v. 10.7.1959 – V ZR 30/59, MDR 1959, 922; MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 96. 9 Madert/von Seltmann, Rz. 576. 10 OLG Celle v. 15.12.1961 – 7 W 66/61, NJW 1962, 540. 11 Zöller/Herget, § 3 ZPO Rz. 3899 „Feststellungsklagen“; OLG Köln v. 27.5.1979 – 2 U 127/77, JurBüro 1979, 1704. 12 OLG Bamberg v. 15.7.1974 – 5 W 30/74, JurBüro 1974, 1433. 13 BGH v. 10.5.1989 – IV a ZR 126/88, FamRZ 1989, 958.

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2.52

§ 2 Rz. 2.53

Gebühren in Erbsachen

Feststellungsklage (negativ): Die negative Feststellungsklage ist das Spiegelbild der Leistungsklage, so dass der volle Wert gilt1. So gilt bei der Feststellungsklage, dass der Alleinerbe überhaupt kein Erbe sei, der volle Nachlasswert als Streitwert.

2.53 Grab: Bei Beisetzungsstreitigkeiten, wie Beisetzung in einem bestimmten Grab, Umbettung liegt eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit nach § 48 Abs. 2 GNotKG vor. Grundbuchberichtigung: Bei einer Falscheintragung der Miterben bemisst sich der Wert für den Miterben der die anderen auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung verklagt, gem. § 3 ZPO nach dem seinem wirtschaftlichen Berichtigungsinteresse2. Grundstücksübertragung: Wenn ein Miterbe gegen die anderen Miterben auf Zustimmung zur Auflassung eines Nachlassgrundstückes an sich selbst klagt (aufgrund Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnisses), richtet sich der Streitwert nach dem Wert des Grundstücks abzüglich des gesamthänderischen Anteils des Klägers, da er diesen Anteil auch bei einem Misserfolg der Klage behalten kann3.

2.54 Leistung an die Erbengemeinschaft: Bei der Klage eines Miterben nach § 2039 BGB bemisst sich der Gegenstandswert nach dem Wert der gesamten Forderung und nicht bloß nach dem Wertanteil des Klägers4. Wird ein Miterbe aufgrund § 2039 BGB verklagt, an die Erbengemeinschaft zu leisten, bemisst sich der Streitwert nach dem Wert der Klageforderung abzüglich des Erbquotenanteils des Beklagten an der geforderten Leistung5. Begehrt der Kläger umgekehrt Leistung seitens der Erbengemeinschaft an sich, so bemisst sich der Streitwert nach dem Wert der Forderung abzüglich der Erbquote des Klägers6.

2.55 Nacherbenvermerk: Bei der Klage auf Zustimmung zur Löschung eines Nacherbenvermerks ist ein Bruchteil des Grundstückswerts, je nach Interesse des Klägers, zwischen einem Zehntel und einem Drittel anzusetzen7. Bei Verkaufsabsicht kann auch der volle Grundstückswert maßgeblich sein8. Nachlassinsolvenz: Bei einer Klage auf Feststellung einer streitig gebliebenen Nachlassinsolvenzforderung zur Insolvenztabelle bestimmt sich der Streitwert nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist (§ 182 InsO) Nachlasspfleger: Der Geschäftswert für das Verfahren zu seiner Entlassung liegt bei einem Zehntel des Reinnachlasswertes9. Nachlassverzeichnis: Der Geschäftswert für die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses ist der Wert der verzeichneten Gegenstände (§ 115 GNotKG). Nichtigkeit Testament: Wird auf Feststellung der Nichtigkeit eines Testaments geklagt, so ist für den Gegenstandswert maßgeblich, was der Kläger hierdurch zu gewinnen hat10. Gleiches gilt für die Klage auf Feststellung einer bestimmten Auslegung des Testaments. Nießbrauch: Wird auf Einräumung oder Aufhebung eines Nießbrauchs geklagt, ist der abgezinste Reinertrag für die Nießbrauchsdauer für den Streitwert maßgeblich.

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BGH v. 21.11.2006 – IV ZR 143/05, FamRZ 2007, 464. BayObLG v. 24.9.1992 – 3Z BR 77/92, JurBüro 1993, 228. OLG Celle v. 22.11.1968 – 10 W 75/68, NJW 1969, 1355. OLG Düsseldorf MDR 1962, 912. BGH v. 23.2.1972 – IV ZR 95/71, NJW 1972, 909; BGH v. 7.11.1966 – III ZR 48/66, NJW 1967, 443. BGH v. 23.2.1972 – IV ZR 95/71, NJW 1972, 909. OLG Bamberg v. 9.1.2012 – 1 W 58/11, FamRZ 2012, 1001 = ZEV 2012, 549. OLG Celle v. 5.10.1994 – 3 U 84/94, OLGR 1995, 109. OLG München v. 30.12.2008 – 31 Wx 151/08, MDR 2009, 294 = FamRZ 2009, 1436 = ZErb 2009, 97. 10 BGH v. 17.10.1956 – IV ZR 270/56, NJW 1956, 1877.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.58 § 2

Notarielles Vermittlungsverfahren: Bei einem Verfahren nach §§ 363 FamFG richten sich die Notarsgebühren nach dem Wert des Nachlasses, die des Anwalts nach dem wirtschaftlichen Interesse des von ihm vertretenen Miterben1. Pflichtteilsanspruch: Anzusetzen ist bei der Stufenklage der höchste der verbundenen Ansprüche (§ 44 GKG), dabei ist der Leistungsanspruch zunächst auf der Grundlage des Vorbringens des Anspruchstellers zu schätzen2. Ist der Anspruch nur der Höhe nach streitig, bestimmt sich der Streitwert nach dem Differenzbetrag.

2.56

Rechnungslegung: Anzusetzen ist ein Bruchteil des Hauptsacheanspruchs, i.d.R. 25 % des Haupt- 2.57 sachanspruchs3. Hängt die Durchsetzung des Zahlungsanspruchs aber von der Rechnungslegung ab, kann der Streitwert dem Hauptsachwert entsprechen. Im Rechtsmittelverfahren ist der Gegenstandswert nach dem zu erwartenden Zeit- und Kostenaufwand der Rechnungslegung zu schätzen4. Stufenklage: Bei der Stufenklage werden der Auskunftsanspruch auf Erstellung eines Bestandsver- 2.58 zeichnisses, der Anspruch auf Bewertung und/oder auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung mit einem zunächst unbezifferten Leistungsantrag verbunden (§ 254 ZPO). Es liegt eine objektive Klagehäufung vor. Die sofort rechtshängigen Ansprüche sind gesondert zu bewerten. Der Wert des zunächst noch unbezifferten Leistungsantrags muss geschätzt werden. Er bestimmt sich nach den ursprünglichen Zahlungserwartungen des Klägers (siehe § 40 GKG), unabhängig davon, ob sie mit dem wirklich geschuldeten Anspruch übereinstimmen5. Der Wert der Auskunftsstufe ist ein Bruchteil des Wertes der Zahlungsstufe. Er ist nach dem klägerischen Interesse an der Auskunft zu bewerten. Entscheidend hierfür ist, in welchem Umfang die Durchsetzbarkeit des Zahlungsanspruchs von der Auskunft abhängt. Der Wert der Auskunftsstufe beträgt i.d.R. ein Zehntel bis ein Viertel des Wertes der Zahlungsstufe. Für die Bestimmung der Quote ist wiederum die Bedeutung der Auskunft für den Pflichtteilsberechtigten für die Geltendmachung des Zahlungsanspruches entscheidend die von der bereits vorhandenen Kenntnis oder Unkenntnis Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten vom Nachlassbestand abhängt. Die Werte der einzelnen Stufen werden aber nicht addiert. Maßgeblich für die das Verfahren insgesamt (!) betreffenden Gebühren ist der Anspruch mit dem höchsten Wert. Das ist in der Regel der Zahlungsanspruch (§ 44 GKG)6. Die das Verfahren insgesamt betreffenden Gebühren sind die Gerichtsgebühren und die anwaltliche Verfahrensgebühr (3100 VV RVG). Die anwaltliche Terminsgebühr hingegen bemisst sich nach dem Wert der Verfahrensstufe, in der sie angefallen ist7. Beispiel: Werden die Werte für die Auskunftsstufe auf 3.000 Euro und für die Zahlungsstufe auf 12.000 Euro festgesetzt, sind alle Gebühren nach dem höheren Wert festzusetzen, sofern die Stufen durchlaufen werden8: 1,3 Verfahrensgebühr (3100 VV RVG) aus 12.000 Euro 1,2 Terminsgebühr (3104 VV RVG) aus 12.000 Euro Wird die Stufenklage schon auf der ersten Stufe abgewiesen oder zurückgenommen oder bleibt sie auf der ersten Stufe „stecken“, weil die Folgestufen nicht aufgerufen werden, richtet sich zwar die Verfahrensgebühr nach dem höheren Wert, die anwaltliche Terminsgebühr hingegen nur nach dem Wert der verhandelten Auskunftsstufe9.

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OLG München v. 3.1.1990 – 15 U 3465/89, JurBüro 1990, 475. Madert/von Seltmann, Rz. 370. BGH v. 30.4.1962 – V ZR 29/61, NJW 1962, 1248. OLG Naumburg v. 6.7.2007 – 10 U 27/07. OLG Karlsruhe v. 22.10.2008 – 12 W 72/08, ZEV 2009, 40. OLG Karlsruhe v. 22.10.2008 – 12 W 72/08, ZEV 2009, 40. OLG Saarbrücken v. 31.8.2010 – 5 W 205/10, AGS 2011, 91. KG v. 26.4.2007 – 12 W 34/07, OLGR KG 2007, 888. OLG Saarbrücken v. 31.8.2010 – 5 W 205/10, AGS 2011, 91.

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§ 2 Rz. 2.59

Gebühren in Erbsachen

1,3 Verfahrensgebühr (3100 VV RVG) aus 12.000 Euro 1,2 Terminsgebühr (3104 VV RVG) aus 3.000 Euro

2.59 Teilungsversteigerung: Gegenstandswert ist für das Verfahren im Allgemeinen und die Abhaltung des Termins der Wert des Anteils des Miterben, § 23 Abs. 1 S. 1 RVG. Dieser wiederum bestimmt sich nach dem festgesetzten Verkehrswert des Objektes, § 54 Abs. 1 S. 1 GKG, 74a Abs. 5 ZVG. Erstreckt sich die Versteigerung auf mehrere Grundstücke, wird der Wert zusammengerechnet, § 54 Abs. 4 ZVG. Testament: Der Gegenstandswert für die Anfertigung eines Testamentsentwurfs oder für die Beratung zu einem Testament bestimmt sich nach dem Nettonachlass (§ 102 GNotKG). Wird in dem Testament nur über einen Teil des Vermögens verfügt, bspw. weil nur ein Vermächtnis ausgesetzt wird, ist Gegenstandswert der Wert dieses Teils1. Strittig ist allerdings, ob der Anwalt für diese Tätigkeiten überhaupt eine Wertgebühr in Ansatz bringen kann oder ob § 34 RVG eingreift. Testamentsvollstrecker: Beim Streit um seine Ernennung ist seine zu erwartende Vergütung maßgeblich2. Geht es hingegen um seine Entlassung, so setzt die Rechtsprechung ein Zehntel des reinen Nachlasswertes an3. Beim Streit um die Reichweite der Befugnisse des Testamentsvollstreckers setzt der BGH nur 1/200 des Vermögens als Streitwert an4.

2.60 Vermächtnis: Bei Klagen auf Vermächtniserfüllung bestimmt sich der Streitwert nach dem Verkehrswert des Vermächtnisgegenstands, bei wiederkehrenden Leistungen nach den Multiplikatoren in § 9 ZPO5. Der volle Verkehrswert ist auch maßgeblich, wenn sich die Klage nur gegen einen Miterben richtet6. Vorerbenklage auf Einwilligung: Muss der Vorerbe gegen den Nacherben nach § 2120 BGB vorgehen oder hat er als befreiter Vorerbe einen Anspruch gegen den Nacherben auf Zustimmung zu einer Grundstücksveräußerung7, bemisst sich der Wert nach dem wirtschaftlichen Interesse des Vorerben (§ 3 ZPO). Vorerbschaft: Bei Streitigkeiten um die Rechte des Vorerben ist zu berücksichtigen, dass seine Stellung schwächer ist als die eines Vollerben, weshalb vom Gegenstandswert ein Abschlag zu machen ist8. Vorkaufsrecht des Miterben: Bei § 2034 BGB ist der Wert des verkauften Erbanteils maßgeblich9.

VI. Außergerichtliche Vertretung 1. Gebührentatbestände

2.61 Für die außergerichtliche Vertretung erhält der Anwalt10 die Geschäftsgebühr nach VV 2300 RVG mit einem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5. Die Gebühr setzt voraus, dass der Anwalt nach außen hin tätig wird oder damit beauftragt ist, bei der Gestaltung eines Vertrags mitzuwirken (2.3 Abs. 3 VV RVG). Ob die Mitwirkung beim Entwurf eines Testaments Geschäftstätigkeit ist, ist strittig (s.o. Rz. 2.9).

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Madert/von Seltmann, Rz. 614. Kerscher/Krug/Spanke, S. 116. BayObLG v. 13.8.1985 – 1 Z 10/85 FamRZ 1986, 104. BGH v. 17.12.2003 – IV ZR 28/03, FamRZ 2004, 863 (865). Schneider/Herget, Rz. 6300. OLG Nürnberg v. 16.3.2012 – 12 W 444/12, FamRZ 2012, 1752 = MDR 2012, 978 = ZEV 2013, 203. OLG Frankfurt am Main v. 20.4.2011 – 4 U 78/10, RNotZ 2011, 614. BGH v. 10.5.1989 – IVa ZR 126/88, FamRZ 1989, 958 (im Fall: Abschlag von 25 %). LG Bayreuth JurBüro 1980, 1248. Zu Notarkosten im Erbrecht Bormann, ZEV 2013, 425.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.67 § 2

Der Gebührenrahmen wird nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG konkretisiert, also nach Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auftraggebers und dem besonderen Haftungsrisiko des Anwalts. Die Gebührenfestsetzung durch den Anwalt ist gerichtlich voll nachprüfbar, nach der Rechtsprechung des BGH besteht kein Toleranzbereich1.

2.62

Die Geschäftsgebühr ist nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte, höchstens jedoch mit 0,75 auf die Gebühren eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Wirkt der Anwalt bei einer Einigung mit, so erhält er die Einigungsgebühr, die bei der Einigung über nicht rechtshängige Gegenstände 1,5 beträgt (VV 1000 RVG). Ergänzend regelt das RVG in der seit 1.8.2013 geltenden Fassung, dass eine Einigungsgebühr auch bei einer Vereinbarung über die Erfüllung einer unstreitigen Forderung unter gleichzeitigem vorläufigen Verzicht auf Titulierung oder Vollstreckungsmaßnahmen anfällt (Zahlungsvereinbarung gem. Anmerk. Abs. 1 S. 1 Nr. 2 zu VV 1000 RVG). Eine solche Einigung wird allerdings nicht mit dem Wert der Hauptsache bewertet, sondern lediglich mit 20 % (§ 31b RVG).

2.63

Wenn der Anwalt auftragsgemäß Zahlungen über sein Konto abwickelt oder er Schecks oder Kostbarkeiten weiterleitet, kann er hierfür die Hebegebühren nach VV 1009 RVG berechnen.

2.64

2. Abgeltungsbereich der Gebühren Nach § 15 Abs. 1 RVG gelten die Pauschalgebühren des RVG die gesamte Tätigkeit des Anwalts in derselben Angelegenheit ab. Ein und dieselbe Angelegenheit liegt unter drei Voraussetzungen vor:

2.65

– innerlich zusammenhängende Beratungs- oder Streitgegenstände, – einheitlicher Auftrag, – Bearbeitung in einem gemeinsamen zeitlichen und sachlichen Rahmen. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, so handelt es sich um verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten, die getrennt abzurechnen sind. Liegt hingegen nur eine Angelegenheit vor, werden die verschiedenen Gegenstandswerte addiert (§ 22 Abs. 1 RVG). Dies ist bspw. der Fall, wenn Eltern kurz nacheinander versterben und ein Kind den Anwalt beauftragt, Pflichtteilsansprüche für jeden Nachlass durchzusetzen. Auch ist nur eine Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn gegeben, wenn der Anwalt von den Erben mit der Veräußerung eines Nachlasswertes beauftragt wird und er in der Folge mit mehreren Kaufinteressenten verhandelt2. Zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten liegen hingegen vor, wenn der Anwalt den Mandanten zunächst im Erbscheinsverfahren und dann bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft vertritt3.

2.66

3. Mehrere Auftraggeber Unsicherheiten treten in der Praxis häufig auf, wenn mehrere Auftraggeber beteiligt sind. Hier ist zu unterscheiden: Liegen verschiedene Angelegenheiten im Sinne von § 15 RVG vor, so ist grundsätzlich für jeden Auftraggeber getrennt abzurechnen. Handelt es sich aber um dieselbe Angelegenheit, so ist weiter zu unterscheiden: Bei Gegenstandsgleichheit erhöht sich für jeden Auftraggeber die Geschäfts- oder Prozessgebühr nach § 7 Abs. 1 RVG, VV 1008 um 0,3.

1 BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 273/11, FamRZ 2012, 1134 = MDR 2012, 810. 2 OLG Hamm v. 15.11.2012 – 28 U 32/12, AGS 2013, 323 (Nichtzulassungsbeschwerde abgelehnt BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 312/12). 3 LG Hannover v. 8.6.1995 – 16 O 158/94, MDR 1995, 1076.

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2.67

§ 2 Rz. 2.68

Gebühren in Erbsachen

Bei Gegenstandsverschiedenheit werden nur die Gegenstandswerte nach § 22 Abs. 1 RVG addiert. Eine Erhöhung um 0,3 für mehrere Auftraggeber scheidet aus. Ob „dieselbe Angelegenheit“ vorliegt ist anhand der Einzelfallumstände des konkreten Mandats zu ermitteln. Maßgebend sind1 – der Inhalt des erteilten Auftrags (z.B. sollen verschiedene Ansprüche zusammen geltend gemacht werden) – der gleiche Rahmen, innerhalb dessen der Anwalt in einem Gerichtsverfahren (z.B. eine Klage, dieselbe Instanz) oder in seinem außergerichtlichen Vorgehen (z.B. ein Brief, eine Akte) tätig werden soll. – die innere Zusammengehörigkeit, die verlangt, dass die mehreren Gegenstände alle in einem einzigen Gerichtsverfahren verfolgt werden könnten.

2.68 Von der „Angelegenheit“ ist der „Gegenstand“ der anwaltlichen Tätigkeit zu unterscheiden. Eine Angelegenheit kann mehrere Gegenstände umfassen. Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit sind die einzelnen Rechte oder Rechtsverhältnisse (z.B. mehrere Ansprüche, mehrere Mandanten), auf die sich der Auftrag bezieht. Beratungshinweis: Entweder – Oder Eine Kumulation von Erhöhungsgebühren mit einer Streitwertaddition ist bei derselben Angelegenheit unzulässig. Entweder Erhöhung um 0,3 für jeden weiteren Auftraggeber (bei gleichem Gegenstand) oder Erhöhung des Gegenstandswertes (bei verschiedenem Gegenstand).

2.69 Der gleiche Gegenstand liegt also vor, wenn der Rechtsanwalt für mehrere Auftraggeber wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses tätig wird. Diese Gegenstandsgleichheit liegt in Erbsachen bspw. vor, wenn der Anwalt Gesamtgläubiger oder Gesamtschuldner vertritt. Beispiel: Der Anwalt vertritt drei Mandanten, die als Erbengemeinschaft eine Forderung des Nachlasses geltend machen. Es handelt sich um denselben Gegenstand, die Geschäftsgebühr erhöht sich um zweimal 0,3, die Mittelgebühr beträgt somit 1,9.

Weitere Fälle von Gegenstandsgleichheit: – mehrere Miterben wehren sich gegen die Einziehung des Erbscheins2 – mehrere Miterben beantragen einen gemeinschaftlichen Erbschein3 – die Erbengemeinschaft macht Kostenerstattungsansprüche geltend4 – die Erbengemeinschaft klagt auf Räumung einer vermieteten Nachlasswohnung5 – das noch vom Erblasser erteilte Mandat geht auf die Erbengemeinschaft über6

2.70 Gegenstandsverschiedenheit ist bspw. in folgenden Fällen gegeben: – Mehrere Pflichtteilsberechtigte machen ihre Auskunfts- und/oder Zahlungsansprüche gegenüber den Erben geltend7

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BGH v. 1.3.2011 – VI ZR 127/10, NJW 2011, 2591. LG München I v. 5.2.2009 – 16 T 22419/08, RVGreport 2010, 65. Förster, Anwaltliche Vergütung in Erbsachen, § 2 Rz. 117. KG v. 28.5.1996 – 1 W 4275/95, AGS 1996, 73. BGH v. 16.3.2004 – VIII ZB 114/03, NJW-RR 2004, 1006. Förster, Anwaltliche Vergütung in Erbsachen, § 2 Rz. 117. OLG Köln v. 24.11.1993 – 17 W 326/93, JurBüro 1994, 730; OLG München v. 25.1.1990 – 11 W 3362/89, MDR 1990, 560.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.74 § 2

– Vertretung mehrerer Vermächtnisnehmer bei Durchsetzung ihrer Vermächtnisansprüche1 – Mehrere Miterben klagen gegen andere Miterben auf Bewilligung der Freigabe des Versteigerungserlöses aus einer Teilungsversteigerung2 Beispiel: Der Anwalt hat den Auftrag, vier Pflichtteilsberechtigte gegenüber der Erbengemeinschaft zu vertreten. Es liegt ein und dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 1 RVG vor, jeder Pflichtteilsanspruch bildet aber einen eigenen Gegenstand, weshalb die Werte zu addieren sind (§ 23 Abs. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG). Hieraus bemisst sich die Geschäftsgebühr. Eine Erhöhung um 0,3 für jeden weiteren Auftraggeber nach VV 1008 RVG scheidet hingegen aus3. Merkspruch: Erben erhöhen, Pflichtteilstreiter summieren.

VII. Gerichtliche Vertretung 1. Gebühren In Erbsachen erhält der Anwalt für die Vertretung vor Gericht die allgemein hierfür vorgesehenen Gebühren, insbesondere nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG, also nach den Nrn. 3100 ff. VV RVG, insbesondere die 1,3-Verfahrensgebühr nach VV 3100 RVG und die Terminsgebühr nach VV 3104 RVG in Höhe von 1,2, des Weiteren bei Abschluss eines Vergleichs die Einigungsgebühr nach VV 1000 RVG. All dies gilt auch bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

2.71

In der Berufungsinstanz beträgt die Verfahrensgebühr 1,6 (VV 3200 RVG). Für das nachlassgericht- 2.72 liche Beschwerdeverfahren sah das Gesetz ursprünglich nur eine Verfahrensgebühr von 0,5 vor, da diese Verfahrensart nicht in den Katalog der berufungsähnlichen Verfahren aufgenommen worden war. Die Rechtsprechung hatte eine Schließung dieser Lücke durch Analogie abgelehnt4. Diese Lücke wurde mit Wirkung ab 1.8.2013 geschlossen, so dass seitdem auch im nachlassgerichtlichen Beschwerdeverfahren die Verfahrensgebühr 1,6 beträgt. Die Terminsgebühr beträgt 1,2, die Einigungsgebühr 1,3, da das Beschwerdeverfahren auch hier einem Berufungsverfahren gleichgestellt ist (Anm. Abs. 1 zu VV 1004 RVG). Für das Verfahren der Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG) gelten seit 1.8.2013 ebenfalls die Gebühren 2.73 eines Revisionsverfahrens (Vorbemerk. 3.2.2 Nr. 1a VV RVG). 2. Abgeltungsbereich der Gebühren Hier gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 16 bis 19 RVG, die regeln, wann eine oder mehrere Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne gegeben sind. Insbesondere gilt jeder Rechtszug als eigene Angelegenheit. Zwei verschiedene Angelegenheiten liegen auch dann vor, wenn der Anwalt zunächst im Erbscheinsverfahren und anschließend im Verfahren auf Einziehung des Erbscheins tätig wird5. Setzen Erben den vom Erblasser begonnenen Rechtsstreit fort, so liegt nur eine Angelegenheit vor. Des Weiteren liegt nur eine Angelegenheit vor, wenn ein Anwalt zunächst eine Erbengemeinschaft und später im Verfahren nur noch einen einzelnen Miterben vertritt6.

1 2 3 4

Gerold/Schmidt, VV 1008, Rz. 77. OLG Karlsruhe v. 25.8.1988 – 13 W 122/88, JurBüro 1990, 334. Kritisch zur Gesetzesregelung: Ruby, Münchener Prozessformularbuch, 4. Aufl. 2017, S. 40. OLG München v. 7.3.2006 – 32 Wx 23/06, 32 Wx 26/06, NJW-RR 2006, 1727; OLG Schleswig v. 4.4.2006 – 9 W 40/06, AGS 2006, 478; LG Bamberg v. 19.9.2006 – 3 T 172/05, AGS 2006, 595; LG Heidelberg v. 25.10.2006 – 6 T 76/06, AGS 2007, 399. 5 LG Mannheim v. 2.5.2012 – 4 O 15/11, AnwBl 2013, 149. 6 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 106.

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2.74

§ 2 Rz. 2.75

Gebühren in Erbsachen

3. Mehrere Auftraggeber

2.75 Wenn der Anwalt für mehrere Mandanten in derselben Angelegenheit tätig wird, ist für die Ermittlung der Gebühr, ebenso wie bei außergerichtlicher Tätigkeit, zu differenzieren: – bei Gegenstandsgleichheit erhöht sich die Verfahrensgebühr um 0,3 je Auftraggeber; Beispiel: Der Anwalt vertritt eine Erbengemeinschaft, bestehend aus zwei Miterben, die auf Zahlung in Höhe von 10.000 Euro verklagt wird. Die Sache erledigt sich ohne mündliche Verhandlung. 1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV RVG (Wert: 10.000 Euro)

– bei Gegenstandsverschiedenheit werden die einzelnen Werte addiert, eine Gebührenerhöhung findet nicht statt.

2.76 Derselbe Gegenstand liegt vor bei: – der Vertretung einer Erbengemeinschaft, gleich ob Aktiv- oder Passivprozess1; dies gilt insbesondere auch, wenn ein vom Erblasser begonnener Rechtsstreit für mehrere Erben fortgeführt wird2, auch dies ist ein Fall der Gegenstandsgleichheit, der den Mehrvertretungszuschlag nach VV 1008 RVG auslöst3; – Vertretung mehrerer Erben im Erbscheinsverfahren4.

2.77 Gegenstandsverschiedenheit liegt dagegen vor, wenn – mehrere Pflichtteilsberechtigte vertreten werden5; – mehrere Erbprätendenten vertreten werden, die sich gegen eine Feststellungsklage wehren6. Beispiel: Der Anwalt vertritt zwei Pflichtteilsberechtigte, die jeweils 10.000,00 Euro Pflichtteil einklagen. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 20.000 Euro)

VIII. ABC der Anwaltsgebühren beim erbrechtlichen Mandat 2.78 Ablieferung eines Testaments beim Nachlassgericht: Reicht der Anwalt Testamente beim Nachlassgericht ein, kann er eine 0,3 Gebühr für ein einfaches Schreiben abrechnen (Nr. 2301 VV RVG). Ablieferungsanordnung: Regt der Anwalt beim Nachlassgericht an, eine Anordnung zur Ablieferung eines Testaments gegen einen Beteiligten zu erlassen, der das Testament verwahrt, kann der Anwalt eine 1,3 Geschäftsgebühr nach 3100 VV RVG verlangen7. Erfolgt die Anregung im Rahmen des Erbscheinsverfahrens ist sie durch die dafür anfallenden Gebühren abgegolten. Legt der Anwalt gegen eine Ablieferungsanordnung Beschwerde ein, beträgt seine Gebühr 0,5 nach 3500 VV RVG. Für die Beschwerde gegen die Ablehnung einer Ablieferungsanordnung gilt dasselbe.

1 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 98; BGH v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/05, FamRZ 2007, 41 = MDR 2007, 340 = NJW 2006, 3715. 2 OLG Düsseldorf v. 2.7.1996 – 10 W 58/96, MDR 1996, 1300 = 1300 m.w.N. (unter Aufgabe der früheren Senatsrechtsprechung); OLG Hamm v. 28.6.1993 – 23 W 243/93, JurBüro 1994, 730. 3 LG München I v. 5.2.2009 – 16 T 22419/08, ZEV 2009, 311 (zur Vertretung mehrerer Miterben im Erbscheinseinziehungsverfahren). 4 LG München I v. 5.2.2009 – 16 T 22419/08, ZEV 2009, 311; OLG München v. 7.3.2006 – 32 Wx 23/06, ZEV 2006, 366. 5 OLG Köln v. 24.11.1993 – 17 W 326/93, JurBüro 1994, 730; OLG München v. 25.1.1990 – 11 W 3362/89, MDR 1990, 560. 6 OLG Hamm v. 14.3.1994 – 23 W 2/93, AGS 1994, 41. 7 HK-RVG/Mayer, 3101 VV RVG Rz. 59.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.80 § 2

Amtliche Verwahrung: Für den schriftlichen Antrag an das Amtsgericht ein Testament in die amtliche Verwahrung zu nehmen, kann der Anwalt eine 0,3 Gebühr abrechnen (Nr. 2301 VV RVG). Gleiches gilt bei einem Antrag auf Einsichtnahme bei besonderer amtlicher Verwahrung. Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft: In aller Regel fällt hier die Geschäftsgebühr des 2300 VV RVG an. Bei einem gerichtlichen Verfahren erfolgt die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG. Die Gebühren für das gerichtliche Verfahren bestimmen sich nach 3100 ff. VV RVG. Anfechtung der Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung: Für die Anfechtung der Rücknahme einer letztwilligen Verfügung aus der besonderen amtlichen Verwahrung, um die Widerrufswirkung nach § 2256 BGB zu beseitigen, fällt die Geschäftsgebühr nach 2300 VV RVG an. Erfolgt die Anfechtung im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens entsteht die Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG. Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist: In aller Regel fällt hier die Geschäftsgebühr des 2300 VV RVG an. Bei einem gerichtlichen Verfahren erfolgt die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG. Die Gebühren für das gerichtliche Verfahren bestimmen sich nach 3100 ff. VV RVG. Anfechtung einer letztwilligen Verfügung: Erfolgt die Anfechtung im Rahmen des nachlassgerichtlichen Erbscheinsverfahren bleibt es bei der 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG. Bei einer isolierten Anfechtung entsteht die Geschäftsgebühr des 2300 VV RVG. Gleiches gilt für die Einwendungen gegen die Anfechtung. Aufgebot der Nachlassgläubiger: Der Anwalt erhält die 1,0 Verfahrensgebühr nach 3324 VV RVG. Fällt im Ausnahmefall ein Aufgebotstermin statt löst das für den Anwalt die 0,5 Terminsgebühr nach 3332 ff. VV RVG an. Auskunftsklagen: vor dem Prozessgericht gegen (vorläufige) Erben, Hausgenossen, Scheinerben etc. lösen die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG aus. Ausschlagung der Erbschaft: Handelt es sich nur um ein einfaches Ausschlagungsschreiben, das entweder vom Mandanten beim Nachlassgericht als eigene Ausschlagung erklärt werden muss oder ansonsten der notariellen Beglaubigung bedarf, fällt eine 0,3 Gebühr gem. 2301 VV RVG an. In der Regel wird das Ausschlagungsschreiben aber im Rahmen einer umfassenderen Tätigkeit erfolgen, so dass die Geschäftsgebühr des 2300 VV RVG anfällt. Bei einem gerichtlichen Verfahren erfolgt die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG. Die Gebühren für das gerichtliche Verfahren bestimmen sich nach 3100 ff. VV RVG. Ist eine familien- oder betreuungsgerichtliche Genehmigung der Ausschlagung erforderlich kann der Anwalt hierfür eine weitere 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG anfallen. Betreuungsverfahren: Die Anregung und Beteiligung an einem Betreuungsverfahren, z.B. um einer Vermögensverschleuderung entgegenzuwirken, führt zur üblichen 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und ggfs. 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG.

2.79

Eidesstattliche Versicherung – Abgabe: Der Antrag auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, z.B. durch den Erben, löst bei einer bloßen Antragstellung auf jeden Fall die 0,8 Verfahrensgebühr nach 3101 Nr. 3 VV RVG. Umstritten ist, ob die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG bereits immer dann entsteht, wenn der Antrag eine Begründung enthält1 oder nur dann, wenn sich das Amtsgericht nicht mit der bloßen Antragsschrift zufriedengibt, sondern eine Begründung nachfordert2.

2.80

1 So Mayer/Kroiß, 3101 VV RVG Rz. 59. 2 So Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 3101 VV RVG Rz. 115 ff.

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§ 2 Rz. 2.81

Gebühren in Erbsachen

Entlassung des Nachlasspflegers: Beantragt der Anwalt beim Nachlassgericht die Entlassung des Nachlasspflegers, fällt für das Verfahren eine 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an, sofern nicht ausnahmsweise nur eine 0,8 Gebühr nach 4303 VV RVG für eine Einzeltätigkeit abgerechnet werden kann. Erbenfeststellungsklage: Für diese Klage beim Prozessgericht fallen die übliche 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG, sowie evtl. die 1,0 Einigungsgebühr nach 1003 VV RVG an. Erbschein – Einstweilige Anordnung der Rückgabe des Erbscheins: Für die Vertretung im selbständig abzurechnenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 17 Nr. 4b RVG) zur Rückgabe des möglicherweise falschen Erbscheins an das Nachlassgericht sind die 1,3 Verfahrensgebühr, die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG und die 1,0 Einigungsgebühr nach 1003 VV RVG möglich. Erbscheinsantrag: Für die Vertretung im Erbscheinserteilungsverfahren fallen die Gebühren nach 3100 ff. VV RVG an, also die 1,3 Verfahrensgebühr und ggfs. die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG sowie die 1,0 Einigungsgebühr nach 1003 VV RVG. Erbscheinsberichtigung: Der Antrag auf Erbscheinsberichtigung, z.B. wegen eines Schreibfehlers, wird von den Gebühren für das Erbscheinsverfahren ach 3100 ff. VV RVG an mit umfasst. Erbscheinseinziehung: Für die Vertretung im Erbscheinseinziehungsverfahren fallen die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und ggfs. die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG an. Erbscheinsherausgabe an das Nachlassgericht: Bei der prozessgerichtlichen Klage wegen Herausgabe eines unrichtigen Erbscheins an das Nachlassgericht (§ 2362 Abs. 1 BGB) fallen eine 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG an. Erbscheinskraftloserklärung: Der Antrag beim Nachlassgericht einen erteilten Erbschein für kraftlos zu erklären löst die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und ggfs. die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG aus. Erbscheinsverfahren – Beschwerde zum OLG: Für die Beschwerde an das Amtsgericht zu richtende Beschwerde, die vom Oberlandesgericht entschieden wird, erhält der Anwalt die 1,6 Verfahrensgebühr nach 3200 VV RVG und die 1,2 Terminsgebühr nach 3202 VV RVG. Erbscheinsverfahren – Rechtsbeschwerde zum BGH: Für die beim BGH einzulegende Rechtsbeschwerde erhält der Anwalt die 1,6 Verfahrensgebühr nach 3206 VV RVG und die 1,5 Terminsgebühr nach 3210 VV RVG. Erbscheinsverfahren – Vergleich: Hier fällt für den Anwalt zusätzlich eine 1,0 Einigungsgebühr nach 1000 VV RVG an. Erbteilungsklage: Hier fallen die übliche 1,3 Verfahrens- und 1,2 Terminsgebühr sowie ggfs. 1,0 Einigungsgebühr nach 1000 VV RVG an. Erbunwürdigkeit: Bei einer Anfechtungsklage wegen Erbunwürdigkeit fallen die üblichen Verfahrens- und Terminsgebühren nach 3100 ff. VV RVG an. Eröffnung einer letztwilligen Verfügung: Reicht der Anwalt beim Nachlassgericht ein Testament zum Zwecke der Eröffnung mit oder ohne Begründung ein, beträgt seine Gebühr 0,8 nach 3101 Nr. 3 VV RVG.

2.81 Freigabe von Nachlasskonten: Muss beim Nachlassgericht die eilbedürftige Freigabe von Geldbeträgen, z.B. für die Bestattung gem. §§ 1960, 1915, 1846 beantragt werden, fällt die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.87 § 2

Geschäftswertbeschwerde: Bei einer Beschwerde gegen die Wertfestsetzung für nachlassgerichtliche Zeugnisse wie Erbschein oder Testamentsvollstreckerzeugnis erhält der Anwalt die 0,5 Verfahrensgebühr aus 3500 VV RVG.

2.82

Grundbuchberichtigung mittels Erbschein etc.: Bei einer bloßen Antragstellung mit Übersendung der Ausfertigung des Erbscheins und Entgegennahme der Entscheidung entsteht auf jeden Fall die 0,8 Verfahrensgebühr nach 3101 Nr. 3 VV RVG. Umstritten ist, ob die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG bereits immer dann entsteht, wenn der Antrag eine Begründung enthält1 oder nur dann, wenn sich das Grundbuchamt nicht mit der bloßen Antragsschrift zufriedengibt, sondern eine Begründung nachfordert2. Grundbuchklagen: Wird auf Grundbuchberichtigung, Eintragung eines Widerspruchs, einer Vormerkung oder Rechtshängigkeitsvermerks geklagt, fallen die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG an. Ein etwaiges Verfahren auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung und das Hauptsachverfahren sind verschiedene Angelegenheiten i.S.v. § 17 Nr. 4 b) RVG, so dass Anwaltsgebühren in beiden Verfahren anfallen. Herausgabe von Nachlassgegenständen an Nachlassgericht oder Gerichtsvollzieher: Muss beim Nachlassgericht zur Nachlasssicherung die Herausgabe von Nachlassgegenständen zur Hinterlegung, z.B. Geld gem. §§ 1960 Abs. 2 BGB beantragt werden, fällt die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an.

2.83

Hinterlegung von Nachlassgegenständen: Für den Antrag auf Hinterlegung hinterlegungsfähiger Nachlassgegenstände bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts fällt die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an. Bei einer Einzeltätigkeit gibt es nur die 0,8 Gebühr nach 3403 VV RVG. Bei Geld fällt noch die Hebegebühr nach 1009 VV RVG an. Inverwahrnahme von Nachlassgegenständen durch Nachlassgericht: Für das Verfahren auf Sicherung von Nachlassgegenständen durch Inverwahrnahme von Nachlassgegenständen durch das Nachlassgericht (§ 1960 BGB, 342 Abs. 1 Nr. 2 FamFG) fällt die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an.

2.84

Kontensperrung: Für das Verfahren auf Nachlasssicherung durch Kontensperrung (§ 1960 BGB, 342 Abs. 1 Nr. 2 FamFG) fällt die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an.

2.85

Miterbenklagen z.B. auf Aufwendungsersatz, Einziehung von Nachlassforderungen, oder Zustimmung zu Maßnahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung lösen die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG aus.

2.86

Nachlassgerichtliche Genehmigung bei Nachlasspflegschaft: Für die Beschwerde gegen eine nachlassgerichtliche Genehmigung, z.B. zum Verkauf einer Nachlassimmobilie, für den Nachlasspfleger erhält der Anwalt die 1,6 Beschwerdegebühr nach 3200 VV RVG, Vorbemerkung 3.2.1. Nr. 2b) VV RVG.

2.87

Nachlassinsolvenz – Anmeldung zur Tabelle: Hat der Anwalt nur eine Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden, erhält er eine 0,5 Verfahrensgebühr nach 3320 VV RVG. Nachlassinsolvenz – Verfahren: Der den Schuldner vertretende Anwalt erhält für sein gesamtes Geschäft beim Betreiben des Insolvenzverfahrens eine 1,0 Verfahrensgebühr 3313 VV RVG. Der anwaltliche Vertreter eines Gläubigers erhält eine 0,5 Verfahrensgebühr nach 3314 VV RVG. Nachlasspflegervergütung: Wird gegen den nachlassgerichtlichen Vergütungsbeschluss zugunsten des Nachlasspflegers Beschwerde für die Erben eingelegt, erhält der Anwalt die 1,6 Beschwerdegebühr nach 3200 VV RVG, Vorbemerkung 3.2.1. Nr. 2b) VV RVG. 1 So Mayer/Kroiß, 3101 VV RVG Rz. 59. 2 So Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 3101 VV RVG Rz. 115 ff.

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§ 2 Rz. 2.88

Gebühren in Erbsachen

Nachlasspflegschaft: Wird die Anordnung oder Aufhebung der Nachlasspflegschaft beim Nachlassgericht beantragt, fällt die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an. Bei einer Beschwerde gegen die Anordnung der Nacherbschaft erhält der Anwalt die 1,6 Beschwerdegebühr nach 3200 VV RVG, Vorbemerkung 3.2.1. Nr. 2b) VV RVG. Nachlassverwaltung.: Der Antrag beim Nachlassgericht auf Anordnung der Nachlassverwaltung löst für den Anwalt auf jeden Fall die 0,8 Verfahrensgebühr nach 3101 Nr. 3 VV RVG aus. Umstritten ist, ob die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG bereits immer dann entsteht, wenn der Antrag eine Begründung enthält1 oder nur dann, wenn sich das Nachlassgericht nicht mit der bloßen Antragsschrift zufriedengibt, sondern eine Begründung nachfordert2. Nachlassverwalter – Schlussrechnungsantrag: Wird beim Nachlassgericht beantragt, den Nachlassverwalter anzuweisen Schlussrechnung zu erteilen, entsteht auf jeden Fall die 0,8 Verfahrensgebühr nach 3101 Nr. 3 VV RVG. Umstritten ist, ob die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG bereits immer dann entsteht, wenn der Antrag eine Begründung enthält3 oder nur dann, wenn sich das Nachlassgericht nicht mit der bloßen Antragsschrift zufriedengibt, sondern eine Begründung nachfordert4. Notarielles Vermittlungsverfahren Beantragt der Anwalt die Vermittlung der Erbauseinandersetzung durch den Notar erhält er die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG und im Normalfall die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG und evtl. die Einigungsgebühr nach 1003 VV RVG.

2.88 Pfändungen – Erbanteil, Pflichtteil, Vermächtnis etc.: Für den Antrag auf Erlass eines Pfändungsund Überweisungsbeschlusses für einen Erbanteil etc. erhält der Anwalt die 0,3 Verfahrensgebühr nach 3309 VV RVG. Pflegschaften: Beantragt der Anwalt die Bestellung eines Abwesenheits- oder Ergänzungspfleger z.B. um eine Erbauseinandersetzung bewirken zu können, entsteht auf jeden Fall die 0,8 Verfahrensgebühr nach 3101 Nr. 3 VV RVG. Umstritten ist, ob die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG bereits immer dann entsteht, wenn der Antrag eine Begründung enthält5 oder nur dann, wenn sich das Gericht nicht mit der bloßen Antragsschrift zufriedengibt, sondern eine Begründung nachfordert6. Pflichtteilsklagen: Hier gelten keine Besonderheiten. Es fallen die üblichen Verfahrens- und Terminsgebühren nach 3100 ff. VV RVG an. Prozesskostenhilfe: Der Prozesskostenhilfeantrag wird nach §§ 16 Nr. 2,3, 49 RVG, 3335, 3336 VV RVG vergütet.

2.89 Sicherungsverzeichnis: Für die Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses zur Prüfung ob der Nachlass für Forderungen gegen denselben ausreichend ist durch das Nachlassgericht (§ 1960 BGB, 342 Abs. 1 Nr. 2 FamFG) fällt die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an. Siegelung der Erblasserwohnung: Für das Verfahren auf Sicherung des Nachlasses (§ 1960 BGB, 342 Abs. 1 Nr. 2 FamFG) fällt die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG an. Stufenklagen: Für jegliche Stufenklage, z.B. in Pflichtteils- oder Erbschaftsbesitzersachen, entsteht die 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG aus dem höchsten Stufenwert. Die 1,2 Terminsgebühr nach 3104 VV RVG entsteht für einen Termin nur aus dem Wert der Gegenstand des Termins ist.

1 2 3 4 5 6

So Mayer/Kroiß, 3101 VV RVG Rz. 59. So Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 3101 VV RVG Rz. 115 ff. So Mayer/Kroiß, 3101 VV RVG Rz. 59. So Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 3101 VV RVG Rz. 115 ff. So Mayer/Kroiß, 3101 VV RVG Rz. 59. So Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 3101 VV RVG Rz. 115 ff.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.92 § 2

2.90

Teilungsversteigerung Im Teilungsversteigerungsverfahren können anfallen: – Verfahrensgebühr 0,4 aus 3311 Nr. 1 VV RVG für die Vertretung im Versteigerungsverfahren bis zur Einleitung des Verteilungsverfahrens – Terminsgebühr 0,4 aus 3312 VV RVG für die Wahrnehmung des Versteigerungstermins für einen Beteiligten. – Gesonderte Verfahrensgebühr 0,4 aus 3311 Nr. 6 VV RVG bei Einstellungsantrag oder für außergerichtliche Verhandlungen mit dem Ziel der Aufhebung des Verfahrens. – Gesonderte Verfahrensgebühr 0,4 aus 3311 Nr. 2 VV RVG für Tätigkeit im Verteilungsverfahren oder außergerichtlicher Teilung – Verfahrensgebühr 0,5 aus 3500 VV RVG für jede Erinnerung oder Beschwerde – Terminsgebühr 0,5 aus 3513 VV RVG für Anwesenheit falls Termin über Erinnerung oder Beschwerde stattfindet Beratungshinweis: Für einen Kostenfestsetzungsbeschluss im Teilungsversteigerungsverfahren fehlt es an einer Rechtsgrundlage. § 788 ZPO greift nicht1. Die Anwaltsgebühren für die Teilungsversteigerung als ersten Verkaufsversucht tragen die Miterben nach § 753 Abs. 2 BGB gemeinsam2.

Testamentsvollstrecker: Zur Vergütung des Testamentsvollstreckers siehe im Kapitel Testamentsvollstreckung. Testamentsvollstrecker – Entlassung: Es fallen für den Entlassungsantrag und die Vertretung vor dem Nachlassgericht die üblichen Verfahrens- und Terminsgebühren nach 3100 ff. VV RVG an. Titelumschreibung vom Erblasser auf Erben: Hatte die Zwangsvollstreckung beim Tod des Schuldners noch nicht begonnen, muss der Titel auf die Erben umgeschrieben werden (727 ZPO). Der Anwalt erhält hier keine gesonderte Vergütung, da der Antrag auf Titelumschreibung für den Prozessbevollmächtigten zum Rechtszug gehört und für den Zwangsvollstreckungsanwalt zum Vollstreckungsauftrag. Wird die Umschreibung vom Gericht abgelehnt, erhält der Anwalt für die sofortige Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss eine 0,5 Verfahrensgebühr nach 3500 VV RVG. Ist auch die Beschwerde erfolglos und eine Klage nach § 731 ZPO erforderlich, erhält der Anwalt die üblichen Gebühren nach 3100 ff. VV RVG. Vermächtniserfüllungsklagen: Hier gelten keine Besonderheiten. Es fallen die üblichen Verfahrensund Terminsgebühren nach 3100 ff. VV RVG an.

2.91

Vollstreckungsabwehrklage gegen Nachlassgläubiger: Es fallen die Verfahrens- und Terminsgebühren nach 3100 ff. VV RVG an. Vorerben-/Nacherbenklagen: Es gelten keine Besonderheiten. Es fallen die üblichen Verfahrensund Terminsgebühren nach 3100 ff. VV RVG an. Zwangsgeld wegen Auskunft: Für einen Antrag nach § 888 ZPO erhält der Anwalt eine 0,3 Verfahrensgebühr nach 3309 VV RVG. Zwangsmaßnahmen zur Testamentsablieferung: Regt der Anwalt beim Nachlassgericht an Zwangsmaßnahmen zur Erzwingung der Testamentsablieferung durch den Verwahrer zu beschließen, kann er die Verfahrens- und Terminsgebühr von jeweils 0,3 nach 3309, 3310 VV RVG, § 25 Abs. 1 Nr. 2 RVG geltend machen. 1 LG Passau v. 9.8.2016 – 2 T 56/16, BeckRS 2016, 14755. 2 Staudinger/Eickelberg, 2015, § 753 Rz. 44.

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2.92

§ 2 Rz. 2.93

Gebühren in Erbsachen

Zwangsvollstreckung gegen unbekannte Erben: Wird vom Anwalt als Vertreter eines Nachlassgläubigers ein besonderer Vertreter für unbekannte Erben gem. § 779 Abs. 2 ZPO beantragt, damit die Zwangsvollstreckung fortgesetzt werden kann, erhält der Anwalt eine 0,3 Gebühr nach 2301 VV RVG. War der Anwalt bereits mit der Zwangsvollstreckung beauftragt zählt sein Antrag zur allgemeinen Zwangsvollstreckung (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG).

IX. Rechtsschutz 2.93 Nach § 2k ARB1 besteht Beratungsrechtsschutz im Familien- und Erbrecht, ansonsten ist der Versicherungsschutz in diesem Bereich ausgeschlossen (§ 3 Abs. 2g ARB). Voraussetzung ist, dass die Beratung durch einen Rechtsanwalt erfolgt und dass die Beratung nicht im Zusammenhang mit einer weiteren kostenpflichtigen Tätigkeit des Anwalts steht. Nach den Bedingungen beschränkt sich die Leistung der Rechtsschutzversicherung somit ausschließlich auf den Beratungsbereich. Allerdings bieten einzelne Rechtsschutzversicherer einen weitergehenden Rechtsschutz auch in Erbsachen an, so dass dies im Einzelfall anhand des konkreten Versicherungsvertrags geprüft werden muss.

2.94 Wurde der Mandant zunächst nur beraten und kommt es später zu einer weitergehenden Tätigkeit, so führt dies nach h.M. zum rückwirkenden Wegfall des Beratungsrechtsschutzes, wenn die Voraussetzungen einer Anrechnung vorliegen2. Beratungshinweis: Da dies für den Laien ein sehr überraschendes Ergebnis ist, sollte der Anwalt ihn hierauf hinweisen, bevor er weitergehend tätig wird.

2.95 Für den Anspruch auf Versicherungsschutz genügt es nicht, dass eine versicherbare Leistung (Beratungsrechtsschutz) vorliegt. Hinzu kommen muss der Eintritt des Versicherungsfalls, dies ist nach der Definition in § 4 ARB eine Änderung der Rechtslage beim Versicherungsnehmer oder bei einer mitversicherten Person durch ein bestimmtes Ereignis. Dies ist bspw. der Fall, wenn sich der Versicherungsnehmer zu den Folgen eines eingetretenen Erbfalls beraten lässt. Hingegen wird ein Versicherungsfall verneint, wenn sich der Versicherungsnehmer bei Erstellung oder Änderung eines Testaments beraten lässt3. Erfahrungsgemäß erbringen die Versicherer hier aber häufig Kulanzleistungen.

2.96 Die Besorgung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung oder die Korrespondenz hierüber ist beim Anwalt eine gesonderte Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG, die nach VV 2300 abgerechnet werden kann4. Diese Kosten wiederum erhält der Versicherungsnehmer vom Rechtsschutzversicherer nicht erstattet, da keine Deckung für die Interessenwahrnehmung gegen den eigenen Rechtsschutzversicherer besteht. Eine Ausnahme besteht unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes bei Verzug des Rechtsschutzversicherers, wenn dieser die Deckungszusage zu Unrecht abgelehnt hat5. Da die Abrechnung als gesonderte Angelegenheit für den Laien überraschend ist, muss der Mandant hierauf vorab hingewiesen werden6.

X. Vergütung in Steuersachen 2.97 Für die Hilfeleistung in Steuersachen verweist § 35 RVG auf §§ 23–39 sowie §§ 10 und 13 StBGebV. Im Einzelnen ergibt sich hierbei Folgendes: 1 Zitiert wird nachfolgend die Fassung v. 1.1.2012 (ARB 2012). 2 Böhme, § 25 ARB 75 Rz. 14; Harbauer, vor § 21 ARB 75 Rz. 154 f.; Prölss/Martin, § 25 ARB 75 Rz. 19. 3 AG Frankfurt a.M. v. 9.2.1989 – 31 C 2893/88–17, VersR 1989, 839; Harbauer, vor § 21 ARB 75 Rz. 164; Prölss/Martin, § 3 ARB 94 Rz. 16. 4 Gerold/Schmidt, § 19 RVG Rz. 27. 5 LG München I v. 1.3.1990 – 26 O 24064/88, JurBüro 1993, 163; Enders, JurBüro 2002, 25. 6 LG Zwickau v. 22.9.2005 – 6 S 68/05, AGS 2005, 525.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.105 § 2

Anfertigung der Erbschaft- oder Schenkungsteuererklärung: Hier kann nach § 24 Abs. 1 Nr. 12 bzw. Nr. 13 StBGebV eine Wertgebühr zwischen 2/10 und 10/10 der vollen Gebühr nach Tabelle A zur StBGebV abgerechnet werden. Gegenstandswert ist bei der Erbschaftsteuererklärung der Wert des Erwerbs von Todes wegen vor Abzug von Schulden und Lasten, mindestens aber 16.000 Euro. Bei der Schenkungsteuererklärung ist der Rohwert der Schenkung, ebenfalls mindestens 16.000 Euro, maßgeblich. Für die Bewertung sind die Steuerwerte (§ 12 ErbStG) entscheidend, nicht etwa abweichende Verkehrswerte.

2.98

Bedarfsbewertung bei Grundbesitz (§§ 138 ff. BewG): Die StBGebV sieht die Möglichkeit zur Ab- 2.99 rechnung der Zeitgebühr nach § 13 S. 1 Nr. 2 StGebV vor (30 Euro bis 70 Euro je angefangene halbe Stunde). Für den Anwalt empfiehlt sich daher die Vereinbarung eines höheren, angemessenen Stundenhonorars. Für die Anfertigung einer Erklärung zur Feststellung nach dem Bewertungsgesetz oder dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz erhält der Anwalt 1/20 bis 18/20 der Gebühr nach Tabelle A, bemessen nach dem erklärten Wert, jedoch mindestens nach einem Wert von 25.000 Euro. Ermittlung des steuerfreien Zugewinnausgleichs: Hierzu sieht § 24 Abs. 2 StBGebV eine eigene Ge- 2.100 bühr mit einem Rahmen zwischen 5/10 bis 15/10 der vollen Gebühr nach Tabelle A vor. Gegenstandswert ist der ermittelte Zugewinn, mindestens 12.500 Euro. Diese Tätigkeit kann neben der Anfertigung der Erbschaftsteuererklärung abgerechnet werden. Prüfung des Erbschaft- oder Schenkungsteuerbescheids: § 28 StBGebV verweist auf die Zeitgebühr nach § 13 S. 1 Nr. 1 StBGebV (30 bis 70 Euro je angefangene halbe Stunde). Auch hier sollte also ein angemessenes Pauschal- oder Stundenhonorar vereinbart werden.

2.101

Einspruch gegen Steuerbescheide: Hier greift die Geschäftsgebühr von 0,5 bis 2,5 nach VV 2300. Gegenstandswert der Abrechnung ist der Betrag, um den die Steuer herabgesetzt werden soll, also das Einspruchsziel. Kommt es später zum Verfahren vor dem Finanzgericht, so entstehen zusätzlich die Gebühren nach VV 3200 ff. RVG. Die vorhergehende Geschäftsgebühr ist auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits anzurechnen (Vorbemerk. 3 Abs. 4 VV RVG).

2.102

Ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist eigenständig und löst gesonderte Gebühren aus (§ 17 Nr. 4 RVG). Dies gilt bspw. für das Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung.

2.103

XI. ABC der GNotKG-Gebühren Der Anwalt muss auch die sonst anfallenden Kosten im Blick haben. Dazu soll die folgende Tabelle einen Überblick über die wichtigsten Gebührentatbestände nach dem GNotKG geben. Eine volle Gebühr beträgt z.B. bei einem Gegenstandwert von 100.000 Euro nach der Tabelle A in § 34 GNotKG 1.026 Euro und nach der Tabelle B 273 Euro.

2.104

Amtliche Verwahrung einer Verfügung von Todes wegen: Festgebühr in Höhe von 75 Euro, Nr. 12100 KV-GNotKG

2.105

Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen: Ist Beurkundungsgegenstand die Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen fällt eine 0,5 Verfahrensgebühr nach Tabelle B zu § 34 GNotKG an, Nr. 21201 Nr. 3 KV-GNotKG. Die Mindestgebühr beträgt 30 Euro. Für die nachlassgerichtliche Entgegennahme der Erklärungen zur Anfechtung eines Testaments oder eines Erbvertrags fällt nach Nr. 12410 KV-GNotKG ein Pauschbetrag von 15 Euro an. Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft: Wird die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft beurkundet, liegt eine Erklärung vor, die gegenüber dem Nachlassgericht abzugeben ist, Nr. 21201 Nr. 7 KV-GNotKG. Die Verfahrensgebühr für die Beurkundung beträgt 0,5, mindestens aber 30 Euro.

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§ 2 Rz. 2.106

Gebühren in Erbsachen

2.106 Beratung durch den Notar: Die Gebühr für eine notarielle Beratung beträgt 0,3 bis 1,0 nach Tabelle B zu § 34 GNotKG soweit der Beratungsgegenstand nicht Teil eines anderen gebührenpflichtigen Verfahrens oder Geschäft ist, Nr. 24200 KV-GNotKG. Im letzteren Fall ist die Beratungsgebühr auf die Gebühr für das andere Verfahren oder Geschäft anzurechnen.

2.107 Einzeltestament: Die notarielle Beurkundung eines Einzeltestamentes kostet nach Nr. 21200 KVGNotKG eine 1,0 Gebühr nach Tabelle B, mindestens aber 60 Euro. Einziehung eines Erbscheins: Für das Verfahren über die Einziehung eines Erbscheins werden nach Nr. 12215 KV GNotKG eine 0,5 Gebühr nach Tabelle B, höchstens aber 400 Euro erhoben. Einziehung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses: Für das nachlassgerichtliche Verfahren über die Einziehung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses werden nach Nr. 12215 KV GNotKG eine 0,5 Gebühr nach Tabelle B, höchstens aber 400 Euro erhoben. Erbschein: Der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins löst nach Nr. 12210 KV GNotKG eine 1,0 Gebühr nach Tabelle B aus. Diese Verfahrensgebühr deckt sämtliche Tätigkeiten des Nachlassgerichtes im Erbscheinsverfahren ab. Für die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung wird die Gebühr gesondert erhoben. Wird das Erbscheinsverfahren ohne Endentscheidung abgeschlossen oder der Erbscheinsantrag zurückgenommen ermäßigt sich die Verfahrensgebühr auf eine 0,3 Gebühr nach Tabelle B, höchstens jedoch 200 Euro, Nr. 12211 KV GNotKG. Erbteilsübertragung: Im Verfahren zur Beurkundung eine Vertrages durch den ein Erbteil übertragen wird, erhält der Notar eine 2,0 Gebühr nach Tabelle B (21100 KV-GNotKG), mindestens aber 120 Euro. Erbvertrag: Im Verfahren zur Beurkundung eines Erbvertrags erhält der Notar eine 2,0 Gebühr nach Tabelle B (21100 KV GNotKG), mindestens aber 120 Euro. Für die Rückgabe eines Erbvertrags aus der notariellen Verwahrung fällt nach Nr. 23100 KV GNotKG eine 0,3 Gebühr nach Tabelle B an. Eröffnung von Verfügungen von Todes wegen: Für die Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht fällt gem. Nr. 12101 KV GNotKG eine Festgebühr von 100 Euro an. Werden mehrere Testamente gleichzeitig eröffnet, bleibt es bei den 100 Euro. Europäisches Nachlasszeugnis: Im nachlassgerichtlichen Verfahren zur Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses fällt eine 1,0 Gebühr nach Tabelle B an, Nr. 12210 KV-GNotKG. Ist die Gebühr bereits für ein Verfahren über den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins entstanden, wird sie mit 75 % auf die Gebühr für das Europäische Nachlasszeugnis angerechnet. Für die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung wird die Gebühr gesondert erhoben.

2.108 Gemeinschaftliches Testament: Im Verfahren zur Beurkundung eines gemeinschaftlichen Testaments erhält der Notar eine 2,0 Gebühr nach Tabelle B (21100 KV GNotKG), mindestens aber 120 Euro. Grundstücksvermächtnis: Im Verfahren zur Beurkundung eines Vermächtniserfüllungsvertrages erhält der Notar grundsätzlich eine 2,0 Gebühr nach Tabelle B (21100 KV GNotKG), mindestens aber 120 Euro. Wurde das Vermächtnis aber in einer notariellen Verfügung von Todes wegen ausgesetzt, fällt nach Nr. 21102 KV GNotKG nur eine 1,0 Gebühr nach Tabelle B an.

2.109 Kraftloserklärung eines Erbscheins: Für das Verfahren über die Kraftloserklärung eines Erbscheins werden nach Nr. 12215 KV-GNotKG eine 0,5 Gebühr nach Tabelle B, höchstens aber 400 Euro erhoben.

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Gebühren in Erbsachen

Rz. 2.116 § 2

Kraftloserklärung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses: Für das Verfahren über die Kraftloserklärung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses werden nach Nr. 12215 KV-GNotKG eine 0,5 Gebühr nach Tabelle B, höchstens aber 400 Euro erhoben. Nachlassinventar: Für die Entgegennahme eines Nachlassinventars oder einer Erklärung nach § 2004 BGB fällt nach Nr. 12410 KV-GNotKG ein Fixbetrag von 15 Euro an. Für die Bestimmung oder Verlängerung der Inventarfrist beträgt die Gebührenpauschale jeweils 25 Euro, Nr. 12411 KV-GNotKG.

2.110

Nachlasssicherung: Für die Sicherung des Nachlasses entsteht eine nachlassgerichtliche Verfahrensgebühr von 0,5 nach Tabelle A, Nr. 12310 KV-GNotKG. Nachlassverwaltung: Bei der Nachlassverwaltung entsteht eine Jahresgebühr für jedes Kalenderjahr, die 10 Euro je angefangene 5.000 Euro des Nachlasswertes beträgt, mindestens aber 200 Euro, Nr. 12311 KV-GNotKG. Notarielles Nachlassverzeichnis: Im Verfahren über die Aufnahme eines Vermögensverzeichnisses erhält der Notar eine 2,0 Gebühr nach Tabelle B, Nr. 23500 KV-GNotKG. Patientenverfügung: Im Verfahren zur Beurkundung einer Patientenverfügung erhält der Notar eine 1,0 Gebühr nach Tabelle B (21200 KV GNotKG), mindestens aber 60 Euro.

2.111

Pflichtteilsverzicht: Im Verfahren zur Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages erhält der Notar eine 2,0 Gebühr nach Tabelle B (21100 KV GNotKG), mindestens aber 120 Euro. Rücktritt vom Erbvertrag: Ist Beurkundungsgegenstand der Rücktritt von einem Erbvertrag fällt gem. Nr. 21201 KV GNotKG eine 1,0 Gebühr nach Tabelle B, mindestens aber 30 Euro an.

2.111a

Stundung des Pflichtteilsanspruchs: Wird beim Nachlassgericht nach § 2331a BGB die Stundung 2.112 des Pflichtteilsanspruchs beantragt, löst dies gem. Nr. 12520 KV GNotKG eine Verfahrensgebühr von 2,0 nach Tabelle A aus. Testamentsvollstrecker – Anordnungen des Nachlassgerichts: Im Verfahren über die Ernennung 2.113 oder Entlassung von Testamentsvollstreckern und über sonstige anlässlich einer Testamentsvollstreckung vom Nachlassgericht zu treffenden Anordnungen entsteht eine 0,5 Gebühr nach Tabelle A, Nr. 12420 KV GNotKG. Testamentsvollstreckerzeugnis: Das nachlassgerichtliche Verfahren über den Antrag auf Erteilung eines (Testamentsvollstrecker-)„Zeugnisses“ löst gemäß Nr. 12210 KV GNotKG eine 1,0 Gebühr nach Tabelle B aus. Vorsorgevollmacht: Für die Beurkundung einer Vorsorgevollmacht erhält der Notar eine 1,0 Gebühr 2.114 nach Tabelle B (21200 KV GNotKG), mindestens aber 60 Euro. Das Gleiche gilt für die Beurkundung eines Vollmachtswiderrufs. Widerruf einer letztwilligen Verfügung: Ist Beurkundungsgegenstand der Widerruf eines Einzeltestaments oder gemeinschaftlichen Testaments fällt gem. Nr. 21201 KV GNotKG eine 1,0 Gebühr nach Tabelle B, mindestens aber 30 Euro an.

2.115

Zuwendungsverzichtsvertrag: Im Verfahren zur Beurkundung eines Zuwendungsverzichtsvertrages erhält der Notar eine 2,0 Gebühr nach Tabelle B (21100 KV GNotKG), mindestens aber 120 Euro.

2.116

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Teil 2 Vorweggenommene Erbfolge § 3 Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge I. Die vorweggenommene Erbfolge im System der Nachlassplanung . . . . . . . . 1. Begriff und Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . 2. Fallgruppen und rechtliche Instrumente der Vermögensübertragung . . . . . . . . a) Geld- und Wertpapierschenkung . . . b) Verträge zugunsten Dritter . . . . . . . . c) Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unternehmen und Familiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vor- und Nachteile lebzeitiger Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . 1. Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entscheidungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ist der vorgesehene Nachfolger geeignet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kann der Übergeber die Substanz entbehren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ist der Übergeber auf die Erträge angewiesen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entstehen durch die vorweggenommene Erbfolge erhebliche erbschaftsteuerliche Vorteile? . . . . . . . . . . . . . .

e) Ist die vorgesehene Maßnahme einkommensteuerneutral? . . . . . . . . . f) Können die für Betriebsvermögen geltenden erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien ausgeschöpft werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Sind Minderjährige beteiligt? . . . . . . h) Wie hoch sind die Kosten? . . . . . . . .

3.1 3.1 3.3 3.3 3.10 3.18 3.23 3.30 3.31 3.40 3.45 3.46 3.47 3.48

3.50

3.51 3.52 3.53

III. Besonderheiten bei Beteiligung Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Durchführung der Zuwendung . . . . . . . a) In-sich-Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Genehmigung . . . . . . . . 2. Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung des Minderjährigen . . . . . . . . . 4. Sicherung des Einflusses der Übergeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.71

IV. 1. 2. 3.

3.75 3.76 3.78 3.80

Gegenleistungen des Übernehmers . . . Abstandszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichstellungsgelder . . . . . . . . . . . . . . . Übernahme von Schulden . . . . . . . . . . .

3.54 3.55 3.56 3.61 3.66 3.68

3.49

Schrifttum: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017; Beckervordersandfort, Nachfolgegestaltung mit Familienpool, ZErb 2016, 189; Brüggemann, Zuwendung des Familienheims unter Lebenden, ErbBstg 2010, 210; Brüggemann, Grundstücksübertragungen: Keine Übernahme von Verbindlichkeiten bei Nießbrauchsvorbehalt, ErbBstg 2011, 195; Brüggemann, Schenkungsteuerliche (Nicht-)Anerkennung von Kettenschenkungen, ErbBstg 2013, 70; Carlé/Fuhrmann/Strahl, Vorweggenommene Erbfolge, 2013; Felten, Privates Immobilienvermögen – Steuereffiziente Nachfolgegestaltungen, ErbStB 2015, 210; Geck, Die unentgeltliche lebzeitige Übertragung von Anteilen an gewerblich geprägten Personengesellschaften nach der Erbschaftsteuerreform, ZEV 2009, 601; Geck, Die steuerlichen Rahmenbedingungen der vorweggenommenen Erbfolge 2003-2013 – Ein Rückblick auf ereignisreiche Jahre, ZEV 2013, 169; Gemmer, Unternehmensnachfolge: So wählen Sie die richtige Gestaltung, EE 2009, 23; Götz, Lebzeitige Übertragung des Familienheims zwischen Ehegatten, EE 2011, 82; Götz, Schenkungsteuerliche Risiken im Hinblick auf den Quotennießbrauch bei Mitunternehmeranteilen?, ZEV 2013, 430; Götzenberger, Optimale Vermögensübertragung: Erbschaftund Schenkungsteuer, 5. Aufl. 2017; Halaczinsky, Immobilien verschenken und vererben nach Inkrafttreten der Erbschaftsteuerreform, ZErb 2009, 21; Jülicher, Neue Gestaltungen um das eigengenutzte Familienheim (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a-c ErbStG), ZErb 2009, 222; Kesseler, Der Heimfallanspruch im Insolvenzfall, ZNotP 2007, 303; Krauß, Vermögensnachfolge in der Praxis, 5. Aufl. 2018; Langenfeld, Der Pool – ein Vertragstyp der Vergemeinschaftung, ZEV 2010, 17; Lasa, Die stille Beteiligung als Gestaltungsmittel der Vermögensnachfolge, ZEV 2010, 433; Mensch, Die Kettenschenkung an das Schwiegerkind, notar 2015, 172; Moes, Der Vermögensausgleich bei aufgelöster Lebensgemeinschaft, FamRZ 2016, 757; Müller, Familien- und erbrechtliche Erklärungen im Grundstücksübertragungsvertrag, ZEV 2015, 322; Peters, Die Lebensversiche-

Grötsch 61

§ 3 Rz. 3.1

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

rung als Instrument für Zuwendungen an Dritte auf den Todesfall – oder: Es lebe das römische Recht!, ZErb 2010, 165; Plitz, Die verunglückte Rückabwicklung einer Schenkung: der größte anzunehmende Unfall, ZEV 2009, 70; Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018; Schimpfky, Steuerorientierte Gestaltung der Nachfolge bei privatem Immobilienvermögen, ZEV 2013, 662; Stöckel, Übertragung von Grundbesitz an Verwandte der Steuerklasse II und III, NWB 2009, 838; Theissen/Steger, Grundstücksschenkungen unter Nießbrauchsvorbehalt nach der Erbschaftsteuerreform – Darstellung anhand von Beispielsfällen, ErbStB 2009, 158; von Oertzen/Blüm, Aktuelle Gestaltungsfragen der Vermögensnachfolgeplanung von Traditionsvermögen, ZEV 2016, 71; Wälzholz, Aktuelle Entwicklungen der Vermögensnachfolge in der Gestaltungspraxis, NWB-EV 2018, 11; Walter, Die Grundstücksschenkung unter Vorbehalt von Nutzungsrechten und die Pflichtteilsergänzung, MittBayNot 2015, 373; Weber/Schwind, Vertragliche Ausgestaltung von Poolvereinbarungen unter Berücksichtigung des neuen Erbschaftsteuerrechts, ZEV 2009, 16; Weigl, Pflichtteilsanrechnung gegenüber Minderjährigen – Abschied von der bisher „herrschenden“ Meinung!, MittBayNot 2008, 275; Welker, Die Lebensversicherung im Erbfall, NWB 2012, 2403.

I. Die vorweggenommene Erbfolge im System der Nachlassplanung 1. Begriff und Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge

3.1 Unter vorweggenommener Erbfolge werden Vermögensübertragungen verstanden, die bereits zu Lebzeiten an Personen erfolgen, die ansonsten den entsprechenden Vermögensgegenstand von Todes wegen erhalten hätten. Kennzeichnend für den Begriff der vorweggenommenen Erbfolge sind also drei Elemente: – Vermögensübertragung zu Lebzeiten – auf zukünftige Erben (meist Abkömmlinge) – im Vorgriff auf die Erbfolge

3.2 Anders als bei Verfügungen von Todes wegen ist bei der vorweggenommenen Erbfolge keine einseitige Anordnung möglich, sie ist stets nur im Konsens zwischen dem künftigen Erblasser und dem vorgesehenen Nachfolger möglich. Dank der gestiegenen Lebenserwartung der Bevölkerung hat die vorweggenommene Erbfolge im Vergleich zur Ausgangslage bei Schaffung des BGB erheblich an Bedeutung gewonnen, da sie es ermöglicht, die Nachfolgegeneration bereits zu Lebzeiten des Erblassers in den (partiellen) Genuss des Familienvermögens kommen zu lassen. Die Entscheidung hierfür wird der Übergebergeneration maßgeblich dadurch erleichtert, dass die kautelarjuristische Praxis zu ihren Gunsten zahlreiche Absicherungsmechanismen entwickelt hat, insbesondere durch Nutzungs- und Rückforderungsvorbehalte (hierzu näher § 4 Absicherung des Übergebers). Vorweggenommene Erbfolge und Übertragung von Todes wegen berühren sich in den Fällen, in denen der Zuwendende den Zuwendungsgegenstand auf seinen Todesfall aufschiebend befristet überträgt1. 2. Fallgruppen und rechtliche Instrumente der Vermögensübertragung a) Geld- und Wertpapierschenkung

3.3 Die Geldschenkung unterliegt in der Regel keinen besonderen rechtlichen Anforderungen, meist wird sie ohne schriftlichen Vertrag formlos vereinbart und durch Handschenkung oder Überweisung ausgeführt. Typisches Merkmal dieses Vertragstypus ist es, dass der Zuwendende den Geldbetrag und auch die Erträge hieraus nicht mehr benötigt, weshalb in der Regel keine Absicherungsmechanismen wie Nutzungs- oder Rückforderungsvorbehalte veranlasst sind. Behält sich der Schenker jedoch den Nießbrauch vor, so bleibt er Eigentümer des Geldes (§ 1067 Abs. 1 BGB), und auch die Erträge aus einer Anlage des Geldes sind ihm einkommensteuerlich zuzurechnen2. 1 Ausführlich hierzu Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 5. Aufl. 2015, § 4. 2 Zu den zivil- und steuerrechtlichen Fragen des Nießbrauchs an Geld- und Wertpapiervermögen Steiner, ErbStB 2007, 249 (273).

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.9 § 3

Gerade bei der Geldschenkung spielt die steuerliche Motivation häufig eine entscheidende Rolle: Die gem. § 14 ErbStG im 10-Jahres-Rhythmus anfallenden Freibeträge sollen ausgenutzt werden. In diesem Zusammenhang stellt sich vor allem bei Eheleuten das Problem der „Kettenschenkung“.

3.4

Beratungssituation: V schenkt seinem Sohn 400.000 Euro und seiner Ehefrau weitere 200.000 Euro mit der Maßgabe, dass diese das Geld an den Sohn weiterverschenkt.

Erhält jemand eine Zuwendung, die er aufgrund einer getroffenen Abrede an einen Dritten weitergeben muss, liegt schenkungsteuerrechtlich nur eine Zuwendung aus dem Vermögen des ursprünglichen Schenkers an den Dritten vor1. Im Beispielsfall liegt daher eine Schenkung von 600.000 Euro seitens des V an seinen Sohn vor. Das Ziel, auch den im Verhältnis zur Mutter bestehenden Freibetrag auszunutzen, ist damit gescheitert (zu Möglichkeiten, dem zu entgegnen, s. Rz. 37.150 f.). Ertragsteuerlich ist die Schenkung von Geld oder Wertpapieren ein neutraler Vorgang. Dies gilt auch für die Abgeltungsteuer: Werden Wertpapiere auf das Depot eines anderen übertragen, fingiert § 43 Abs. 1 S. 4 EStG zwar eine Veräußerung, doch kann der bisher Berechtigte seiner Bank mitteilen, dass der Vorgang unentgeltlich ist. Dann unterbleibt der Kapitalertragsteuerabzug, und die Bank ist lediglich verpflichtet, den Depotübertrag dem Finanzamt zu melden (§ 43 Abs. 1 S. 5 und 6 EStG).

3.5

Geldschenkungen unter Auflagen sind in der Praxis verhältnismäßig selten, mit Ausnahme der Auflage, das Geld zum Erwerb eines Grundstücks zu verwenden. Dies führt, wenn die Immobilie genau bezeichnet ist, in schenkungsteuerrechtlicher Hinsicht zur Anwendung der Grundsätze der mittelbaren Grundstücksschenkung, deren praktische Bedeutung durch die Erbschaftsteuerreform 2009 allerdings stark eingeschränkt wurde2 (s. Rz. 37.161 ff.).

3.6

In der Öffentlichkeit kaum bekannt ist die Anrechnungsbestimmung des § 2315 Abs. 1 BGB. Hiernach hat sich ein Pflichtteilsberechtigter eine lebzeitige freigebige Zuwendung des Erblassers dann auf seinen Pflichtteil anrechnen zu lassen, wenn der Erblasser dies bei der Zuwendung bestimmt hat. Laien übersehen häufig, dass diese Anrechnungsbestimmung spätestens mit Ausführung der Zuwendung erfolgen muss3. Die Anrechnungsbestimmung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die keiner Form unterliegt, sie kann auch stillschweigend erfolgen. Aus Beweisgründen sollte sich der Zuwendende vom Empfänger aber schriftlich bestätigen lassen, dass dieser von der Anrechnungsbestimmung Kenntnis genommen hat.

3.7

M 11 Pflichtteilsanrechnungsbestimmung

3.8

S erhält von V eine Zuwendung in Höhe von … Euro. Diese muss er sich auf seinen evtl. Pflichtteil nach dem V anrechnen lassen. (Ort, Datum, Unterschriften von S und V)

Eine Ausstattung nach § 1624 BGB ist keine Schenkung i.S. der §§ 516 ff. BGB. Lediglich auf den übermäßigen Teil einer Ausstattung ist Schenkungsrecht anwendbar4.

1 BFH v. 30.11.2011 – II B 60/11, FamRZ 2012, 548 = ErbStB 2012, 100 = ZEV 2012, 562. 2 Steiner, Das neue Erbschaftsteuerrecht, 2009, Rz. D 16 ff. 3 Das Vorhaben, eine nachträgliche Anrechnungsbestimmung durch letztwillige Verfügung zuzulassen (BT-Drucks. 16/8954), wurde nicht Gesetz, s. Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts v. 24.9.2009, BGBl. I, S. 3142. 4 Palandt/Götz, § 1624 Rz. 2.

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3.9

§ 3 Rz. 3.10

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

b) Verträge zugunsten Dritter

3.10 Verträge zugunsten Dritter, insbesondere Lebensversicherungen, sind beliebte und wirtschaftlich bedeutende Gestaltungsmittel, um nahe Angehörige für den Fall des Todes eines Familienmitglieds wirtschaftlich abzusichern und um Liquiditätsvorsorge für zu erwartende Pflichtteils- und Erbschaftsteuerbelastungen zu treffen. Bei der reinen Risikolebensversicherung wird die Versicherungssumme nur bei Tod der versicherten Person fällig, bei einer Todesfall- und Erlebensversicherung wird sie hingegen nach einem bestimmten Zeitablauf, in jedem Fall aber bei Tod des Versicherten fällig. Das Recht des für den Todesfall Bezugsberechtigten ist dabei auflösend bedingt durch den Eintritt des Erlebensfalls.

3.11 Die kapitalbildende Lebensversicherung ist somit sowohl ein Gestaltungsmittel der Vermögensanlage zu Lebzeiten als auch der vorweggenommenen Erbfolge. Wenn kein Bezugsberechtigter benannt ist, fällt die Versicherungssumme in den Nachlass1. Gleiches gilt, wenn der Bezugsberechtigte das Recht auf Leistung nicht erwirbt, § 160 Abs. 3 VVG, etwa weil die Einsetzung nichtig ist oder der Bezugsberechtigte das Recht zurückweist2. Beratungshinweis: Die Zurückweisung des Rechts auf Leistung kommt vor allem aus erbschaftsteuerlichen Gründen in Betracht: So wird oftmals die Risikolebensversicherung gewählt, um den nichtehelichen Lebensgefährten abzusichern. Das gemeinsame 3-jährige Kind wird als Erbe eingesetzt. Weist der Bezugsberechtigte das Recht auf Leistung zurück, erhält das Kind als Alleinerbe das Guthaben, der sorgeberechtigte Elternteil kann dieses Guthaben für das Kind verwenden. Somit kommt das Guthaben auch dem Kind zugute und die steuerlichen Nachteile beim Erwerb durch den Lebensgefährten (Freibetrag von 20.000 Euro, § 16 ErbStG, und Steuersatz von mindestens 30 %, § 19 ErbStG) werden vermieden. Deshalb sollte vor der Geltendmachung des Rechts auf Leistung immer sorgfältig geprüft werden, ob es nicht eine günstigere Möglichkeit gibt.

3.12 Ist dagegen ein Bezugsberechtigter benannt, erwirbt dieser – sofern er widerruflich eingesetzt ist – mit dem Erbfall ein unmittelbares Forderungsrecht gegen die Versicherung, § 159 Abs. 2 VVG. Ist er unwiderruflich eingesetzt, erwirbt er die Forderung schon mit der Einsetzung, § 159 Abs. 3 VVG. In beiden Fällen fällt die Forderung nicht in den Nachlass. Bis zum Erwerb des Forderungsrechts kann der Versicherungsnehmer den Bezugsberechtigten auswechseln. Nach § 332 BGB, der neben § 159 VVG ergänzende Anwendung findet3, könnte die Auswechslung des Bezugsberechtigten theoretisch sogar noch durch Verfügung von Todes wegen geschehen, dies wird durch die üblichen AVB, z.B. § 9 Abs. 4 ALB 2016 allerdings verhindert, weil eine Änderung des Bezugsberechtigten erst dann wirksam wird, wenn sie dem Versicherer vom Versicherungsnehmer angezeigt wurde4. Ein Testament, welches die Erklärung über eine Änderung oder den Widerruf der Bezugsberechtigung enthält, muss daher dem Versicherer noch zu Lebzeiten des Versicherungsnehmers bekannt gemacht werden5. Damit der Bezugsberechtigte die Leistung behalten darf, bedarf es, wie stets bei Verträgen zugunsten Dritter, eines rechtlichen Grundes im Valutaverhältnis; meist wird dies eine Schenkung sein.

3.13 Auch bei sonstigen Verträgen zugunsten Dritter, bei denen die Leistung nach dem Tod des Erblassers erfolgen soll, wird gem. § 331 Abs. 1 BGB vermutet, dass der Dritte sein Forderungsrecht erst mit dem Tod des Erblassers erwirbt. Deshalb kann bei einem Vertrag zugunsten Dritter mit einer Bank der Kontoinhaber die Rechtsstellung des Dritten in der Regel ohne dessen Zustimmung jederzeit noch ändern, sei es, weil er sich dieses stillschweigend vorbehalten hat (§ 328 Abs. 2 BGB), sei es auch einfach durch Kündigung des Deckungsverhältnisses mit der Bank oder dadurch, dass das Spar- oder Girokonto durch Abhebungen oder Umbuchungen reduziert wird. 1 Prölss/Martin/Schneider, § 159 VVG Rz. 1; BGH v. 8.5.1996 – IV ZR 112/95, FamRZ 1996, 935 = MDR 1996, 818 = ZEV 1996, 263. 2 Prölss/Martin/Schneider, § 160 VVG Rz. 11. 3 Palandt/Grüneberg, § 332 Rz. 1. 4 Prölss/Martin/Schneider, § 159 VVG Rz. 12. 5 Prölss/Martin/Schneider, § 159 VVG Rz. 6.

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.16 § 3

Damit der Begünstigte die Leistung der Bank behalten darf und nicht wegen ungerechtfertigter Berei- 3.14 cherung an die Erben herausgeben muss, bedarf es eines Rechtsgrundes im Valutaverhältnis1. Hat der Begünstigte an dem Vertrag zugunsten Dritter mitgewirkt oder wurde ihm dieser vor dem Tod des Kontoinhabers von diesem mitgeteilt, dann wird der Schenkungsvertrag in der Regel durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen sein (§§ 151, 145 BGB). Andernfalls kann der Rechtsgrund noch nach dem Tod des Bankkunden dadurch zustande kommen, dass die Bank aufgrund eines postmortalen Übermittlungsauftrages das Schenkungsangebot dem Begünstigten nach dem Tod des Kontoinhabers mitteilt (§§ 130 Abs. 2, 153, 151 BGB). Allerdings wird das Schenkungsangebot unwirksam, wenn der Begünstigte zuvor oder gleichzeitig einen Widerruf des Bankkunden, auch konkludent in dessen Testament2, oder der Erben des Bankkunden erhält. In letztem Fall entsteht das berühmte Problem der Wettlaufsituation. Dieser kann auf mehreren Wegen begegnet werden3: – Der sicherste Weg ist der, dass der Dritte das Schenkungsangebot bereits zu Lebzeiten des Kontoinhabers annimmt. Aus psychologischen Gründen ist dieser Weg aber oft nicht gewollt, weil der Begünstigte zu Lebzeiten des Kontoinhabers noch nicht von der geplanten Begünstigung erfahren soll. – Die Zuwendung kann durch parallele letztwillige Verfügung abgesichert werden, in der dem Begünstigten durch Vermächtnis das Kontoguthaben zugewandt wird. – Der Kunde kann gegenüber der Bank auf das Recht zum Widerruf des Schenkungsangebots verzichten (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB), was dann auch gegenüber den Erben wirkt4. Ein solcher Widerrufsverzicht belässt dem Kontoinhaber die Möglichkeit, das Deckungsverhältnis mit der Bank aufzuheben oder zu Lebzeiten frei über das Guthaben zu verfügen, da sich das unwiderrufliche Schenkungsangebot nur auf das Guthaben bezieht, welches am Todestag noch vorhanden ist. – Umstritten ist, ob der Erbenwiderruf auch durch eine Selbstkontrahierungsklausel ausgeschlossen werden kann, bei der der Bankkunde den Schenkungsvertrag bereits zu Lebzeiten mit sich selbst und als Vertreter des Begünstigten abschließt. Er handelt dabei als Vertreter ohne Vertretungsmacht, der Beschenkte kann dies nach dem Tod des Versprechensempfängers mit Rückwirkung genehmigen (§ 184 Abs. 1 BGB). Die Erben haben wegen § 178 S. 1 BGB keine Widerrufsmöglichkeit5. Ehegatten unterliegen häufig der Fehlvorstellung, bei einem Gemeinschaftskonto falle das gesamte Guthaben beim Tod eines von ihnen automatisch an den anderen. Richtig ist zwar, dass im Regelfall des Oder-Kontos der überlebende Teil als Gesamtgläubiger im Sinne von § 428 BGB über das Konto verfügen kann6, erbrechtlich unproblematisch ist dies allerdings nur, wenn er zugleich Alleinerbe des verstorbenen Teils wird. Andernfalls verbleibt den Erben die hälftige Ausgleichsforderung nach der Auslegungsregel des § 430 BGB. Soll dies ausgeschlossen werden, so muss der Anteil des Kontoguthabens durch Vermächtnis bzw. Vorausvermächtnis oder durch Vertrag zugunsten Dritter dem überlebenden Ehegatten zugewiesen werden.

3.15

Nicht unproblematisch ist auch die Anlegung eines Sparkontos auf den Namen des zu begünstigenden Dritten unter dem Vorbehalt einer Verfügungsbefugnis bis zum Tod. Denn allein durch die Anlage des Sparbuchs auf den Namen des Dritten geht die Forderungsinhaberschaft noch nicht auf ihn über7, vielmehr handelt es sich dann nur um eine Vorbereitungshandlung; damit der Dritte das For-

3.16

1 2 3 4 5

Palandt/Grüneberg, § 331 Rz. 4 f. m.w.N. BGH v. 30.1.2018 – X ZR 119/15, ZEV 2018, 278-282. Nieder/Kössinger, § 4 Rz. 51. OLG Celle v. 20.12.1995 – 3 U 275/94, WM 1996, 851. Lösungsansatz von Bühler, NJW 1976, 1727 (1728); bejahend Gubitz, ZEV 2006, 333 (336); ablehnend Muscheler, WM 1994, 921 (934). 6 Hierzu Werkmüller, ZEV 2000, 440. 7 BGH v. 18.1.2005 – X ZR 264/02, NJW 2005, 980; SG Karlsruhe v. 30.6.2011 – S 13 AS 1217/09.

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§ 3 Rz. 3.17

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

derungsrecht im Todesfall erwirbt, bedarf es wiederum eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall1.

3.17 Soll ein Wertpapierdepot im Wege des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall übergehen, so stellt sich die Schwierigkeit, dass dingliche Rechte nach st. Rspr. nicht im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter übertragen werden können2. Möglich ist aber ein Vertrag mit der Bank zugunsten Dritter, mit dem für den Dritten ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung der Wertpapiere begründet wird3. c) Immobilien

3.18 Da viele Bürger einen großen Anteil ihres Vermögens in Immobilien angelegt haben, verwundert es nicht, dass die Übergabe von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge wirtschaftlich eine erhebliche Bedeutung hat. Typischerweise wird dies mit Nutzungs- und Rückforderungsvorbehalten zugunsten der Übergebergeneration verbunden. Rechtlich am einfachsten gestaltet werden kann dabei die Übergabe einer Immobilie im Ganzen. Häufig entspricht dies aber nicht den Wünschen der Übergebergeneration, entweder weil mehrere Übernehmer bedacht werden sollen oder weil sich der Übergeber einen Teil des Eigentums zurückbehalten möchte. Hier bieten sich folgende Lösungen an: – Übertragung von Bruchteilseigentum, typischerweise verbunden mit Absicherungsmaßnahmen4, die verhindern, dass der Übernehmer bei Streitigkeiten die Verwaltung des Grundbesitzes behindern oder gar die Teilungsversteigerung betreiben kann. – Begründung und Übergabe von Wohnungseigentum: Diese Lösung bietet sich an, wenn es um die teilweise Übergabe eines Grundstücks geht, das mit einem Mehrfamilienhaus oder mit mehreren Häusern bebaut ist. Die Aufteilung in Wohnungseigentum sichert in diesem Fall eine Struktur, die es erlaubt, die einzelnen Teile als weitgehend unabhängige wirtschaftliche Einheiten zu verwalten. Zum Schutz gegen das Eindringen Familienfremder werden häufig Vorkehrungen wie bspw. ein Vorkaufsrecht getroffen. – Familienpool: Die Einbringung der Immobilien in eine Grundstücksverwaltungsgesellschaft bürgerlichen Rechts bietet sich bei mittleren und größeren Vermögen an5. Durch Nutzungs- und Geschäftsführungsvorbehalte kann sich der Übergeber lebenslang den Ertrag und die Verwaltungsbefugnis der Objekte vorbehalten. Durch Kündigungs- und Fortsetzungsklauseln kann des Weiteren sichergestellt werden, dass nur Abkömmlinge Mitgesellschafter werden, so dass das Gesellschaftsvermögen in der Familie bleibt.

3.19 Der Nutzungsvorbehalt des Übergebers kann in diesem Zusammenhang auf verschiedenen Wegen verwirklicht werden6. Möglich sind: – Bestellung eines Eigentümernießbrauchs am Grundbesitz, bevor dieser in die Gesellschaft eingebracht wird oder

1 2 3 4

BGH v. 2.2.1994 – IV ZR 51/93, FamRZ 1994, 625 = NJW 1994, 931. Palandt/Grüneberg, vor § 328 Rz. 9 m.w.N. Staudinger/Klumpp, vor § 328 ff. Rz. 48. In Frage kommen insbesondere von §§ 744 f. BGB abweichende Vereinbarungen über die Verwaltung und der Ausschluss der Aufhebung der Gemeinschaft (§ 1010 BGB); vgl. hierzu näher Rz. 4.65 f. 5 Beckervordersandfort, ZErb 2016, 189; Formulierungsbeispiel bei Langenfeld/Günther, Kap. 10 Rz. 15. 6 Hierzu mit Formulierungsmustern Schindhelm/Stein, ErbStB 2003, 405; Steiner, ErbStB 2005, 279; Steiner, ErbStB 2006, 31.

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.22 § 3

– Bestellung eines Nießbrauchs an den Geschäftsanteilen der übernehmenden Abkömmlinge, oder – Regelung der Gewinnverteilung, die von den Beteiligungsverhältnissen abweicht1. Einen besonderen Vertragstypus bildet im Rahmen von Grundstückszuwendungen die Ausstattung (§ 1624 BGB). Diese hat aus der Sicht der Beteiligten den Vorteil, dass sie nicht der Pflichtteilsergänzung nach § 2325 BGB unterliegt, soweit sie nicht als übermäßig im Sinne von § 1624 Abs. 1 BGB anzusehen ist2.

3.20

Als weiterer Vertragstyp hat sich in der kautelarjuristischen Praxis die gestufte Übergabe an Kinder 3.21 und Schwiegerkinder herausgebildet. Hintergrund ist, dass das Schwiegerkind häufig hälftiger Miteigentümer an dem übergebenen Grundbesitz werden soll, sei es aus psychologischen Gründen, sei es weil es erhebliche Kosten für Bebauung oder Renovierung investiert. Dabei verbietet es sich aus schenkungsteuerrechtlichen Gründen wegen des geringen Freibetrags von nur 20.000 Euro, dass die Eltern das hälftige Miteigentum direkt dem Schwiegerkind zuwenden. Stattdessen bietet es sich an, dass in der ersten Stufe die Eltern das gesamte Grundstück ihrem Kind unter Ausnutzung der Freibeträge von jeweils 400.000 Euro zuwenden und dass sodann das Kind in der zweiten Stufe seinem Ehegatten das hälftige Miteigentum unter Ausnutzung des Ehegattenfreibetrags von 500.000 Euro als ehebedingte Zuwendung überträgt3. Eine Gestaltungsvariante, die den Ehegattenfreibetrag unberührt lässt, ist es, stattdessen das Grundstück erst zu bebauen und dann das hälftige Miteigentum an dem so entstandenen „Familienwohnheim“ nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG steuerfrei auf den Ehepartner zu übertragen. Dem Scheidungsrisiko kann bei dieser Gestaltungsvariante durch Rückforderungsrechte des Kindes bzw. der Eltern Rechnung getragen werden (hierzu näher Rz. 4.39 ff.)4. Beratungshinweis: Bei dieser Gestaltung ist darauf zu achten, dass keine sog. „Kettenschenkung“ vorliegt, bei der der Erwerb des Zwischenerwerbers und dessen Weitergabe an den Letztbeschenkten steuerlich nicht anerkannt wird. Wenn das Kind jedoch nicht zur Weiterschenkung verpflichtet ist und die Eltern die Weitergabe des Miteigentumsanteils am Grundstück auch nicht veranlasst haben, ist regelmäßig nicht von einer Zuwendung der Eltern an das Schwiegerkind auszugehen, auch wenn die Eltern wissen und damit einverstanden sind, dass das Kind die Immobilie unmittelbar im Anschluss an die Schenkung weiterschenkt5.

Insbesondere bei erheblichen Altersunterschieden zwischen Ehegatten spielt auch die ehebedingte Zu- 3.22 wendung von Grundbesitz eine wirtschaftlich erhebliche Rolle. Sie unterliegt grundsätzlich als freigebige Zuwendung unter Lebenden nach § 7 Abs. 1 ErbStG der Schenkungsteuer, wobei eine wichtige Ausnahme für das Familienwohnheim gilt, dessen Erwerb steuerfrei gestellt ist (s. Rz. 37.120). Beratungshinweis: Befindet sich das Immobilienvermögen im Eigentum eines Ehegatten und soll das Vermögen steuergünstig an die nächste Generation übergeben werden, bietet es sich oftmals auch an, zunächst eine (teilweise) Übertragung der Immobilien an den anderen Ehegatten vorzunehmen. Anschließend können die Übertragungen von beiden Eltern an die Kinder erfolgen, so dass die Freibeträge gegenüber beiden Elternteilen genützt werden können. Die Übertragung an den Ehegatten sollte dabei schenkungsteuerfrei erfolgen: Durch Übertragung des Eigenheims, durch Zugewinnausgleich nach Beendigung des gesetzlichen Güterstands (mit anschließender Neubegründung der Zugewinngemeinschaft, sog. Güterstandsschaukel) und/oder unter Berücksichtigung des Freibetrags zwischen den Ehegatten.

1 2 3 4 5

Zu ertragsteuerlichen Problemen Mutter, ZEV 2007, 512. Langenfeld/Günther, Kap. 7 Rz. 49. Langenfeld/Günther, Kap. 9 Rz. 1; Mensch, notar 2015, 172. Langenfeld/Günther, Kap. 9 Rz. 3 f. BGH v. 30.11.2011 – II B 60/11, ZEV 2012, 562; BFH v. 18.7.2013 – II R 37/11, FamRZ 2013, 1802 = ErbStB 2013, 335 = ErbBstg 2013, 273; BGH v. 6.5.2015 – II R 35/13, UVR 2015, 361; Brüggemann, ErbBstg 2013, 70.

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§ 3 Rz. 3.23

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

d) Unternehmen und Familiengesellschaften

3.23 Für die Übergabe an die nächste Generation gibt es grundsätzlich drei Modelle1: – Weitergabe des (Einzel-)Unternehmens an den Nachfolger im Ganzen (Modell Erbhof). – Übergabe von Anteilen an einem Familienunternehmen, z.B. in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft, wobei die Leitungsmacht typischerweise für eine Übergangszeit beim Übergeber bleibt. – Stiftungsunternehmen, vor allem in Gestalt der Doppelstiftung, bei der die Familienstiftung eine geringe Beteiligung und eine gemeinnützige Stiftung den größeren Teil der Beteiligung an dem Unternehmen hält, die Leitungsmacht aber bei der Familienstiftung konzentriert ist.

3.24 Wenn sich Eltern entscheiden, Kinder am Unternehmen zu beteiligen, kommen grundsätzlich alle Gesellschaftsformen des Handelsrechts auch für eine Familiengesellschaft in Betracht2:

3.25 Typisch stille Gesellschaft: Die Begründung einer typisch stillen Beteiligung zugunsten der Abkömmlinge erfolgt häufig aus einkommensteuerrechtlichen Gründen: Der typisch stille Gesellschafter erzielt Einkünfte aus Kapitalvermögen, es können die einkommensteuerrechtlichen Grundfreibeträge sowie der Sparerfreibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG ausgeschöpft werden („Familiensplitting“), weshalb häufig bereits Minderjährige als stille Gesellschafter (auch durch Umbuchen des Kapitalkontos, also ohne zusätzlichen Liquiditätseinsatz) beteiligt werden; (dies erfordert bei Verlustbeteiligung eine Pflegerbestellung und die familiengerichtliche Genehmigung3). Zu beachten ist, dass der Gewinn i.d.R. höchstens 15 % des geschenkten Nominalkapitals erreichen darf, damit das Modell einkommensteuerlich anerkannt wird4. Bemessungsgrundlage für die Schenkungsteuer ist der Nominalbetrag der stillen Einlage. Da durch die stille Gesellschaft nur eine Forderung gegen das Unternehmen entsteht, nicht aber eine Unternehmensbeteiligung stattfindet, finden die Vergünstigungen der §§ 13a, 19a ErbStG keine Anwendung.

3.26 Atypisch stille Beteiligung: Im Unterschied zur typisch stillen Gesellschaft entsteht eine Mitunternehmerschaft, da der atypisch stille Gesellschafter an den stillen Reserven einschließlich des Firmenwertes schuldrechtlich beteiligt ist5. Einkommensteuerlich entstehen daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Schenkungsteuerlich ist der geschenkte Unternehmensanteil Bemessungsgrundlage, die Privilegien der §§ 13a, 19a ErbStG finden Anwendung6.

3.27 Offene Handelsgesellschaft: Überträgt ein bisheriger Gesellschafter seine Gesellschaftsbeteiligung ganz oder teilweise auf eine andere Person, so gilt der dem Kapitalanteil entsprechende Anteil am 1 Einteilung nach Reuter, ZGR 1991, 468. 2 S.a. Hübner-Weingarten, ZEV 1999, 81; Rund, DStR 2000, 265; die Beteiligung an einer GbR ist hingegen problematisch, da nach der Rspr. des BGH (v. 27.7.1999 – II ZR 371/98, NJW 1999, 3483, bestätigt durch Urt. v. 24.11.2004 – XII ZR 113/01, MDR 2005, 460) dort keine generelle Haftungsbeschränkung mehr möglich ist. 3 BFH v. 9.7.1987 – IV R 95/85, NJW 1988, 1343; H 15.9 (4) EStH 2012; Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 773. 4 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 776, 785; H 15.9 (3) EStH 2012. 5 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 343; zu den Gestaltungsmöglichkeiten. Hecht, ZEV 2004, 105. 6 Bay.LfSt v. 14.1.2013, ZEV 2013, 228; Bayer. Staatsmin. d. Fin. v. 23.3.2009, 34 – S 3811 – 035 – 11256/09, DStR 2009, 908 unter Aufgabe der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung (zu deren Kritik Wälzholz, ZEV 2007, 369); Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 74; zur Rechtslage vor der Erbschaftsteuerreform 2009 BFH v. 16.1.2008 – II R 10/06, FamRZ 2008, 987 (nur LS) = ErbStB 2008, 133 = BStBl. 2008 II, 631 m. Anm. Hübner, ZEV 2008, 254; s.a. Geck, ZEV 2001, 180; Jülicher, DStR 2001, 769; Mößlang, DStR 2001, 575; M. Söffing, ZEV 2001, 207; Ebeling, DB 2001, 768.

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.30 § 3

Betriebsvermögen als geschenkt (§ 12 Abs. 5 i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 4 ErbStG). Dies gilt nach § 7 Abs. 5 ErbStG auch, wenn der Erwerber bei Auflösung der Gesellschaft oder bei seinem Ausscheiden nur den Buchwert erhält. Kommanditgesellschaft: Die Kommanditgesellschaft, ggf. in Form der GmbH & Co. KG, ist für viele 3.28 Unternehmerfamilien die ideale Rechtsform, da sie es ermöglicht, die jüngere Generation als Kommanditisten (mit der immanenten Haftungsbegrenzung) zu beteiligen, während der älteren Generation die Leitungsmacht aufgrund der Komplementärstellung vorbehalten bleibt. Da die Kommanditisten lediglich ein Widerspruchsrecht für außergewöhnliche Geschäfte haben, droht hierbei nur ein geringes Blockadepotenzial. In einem zweiten Schritt kann dann die Stellung des Komplementärs auf den vorgesehenen Nachfolger übertragen werden, während die übrigen Kinder entsprechend ihrer Erboder Pflichtteilsquote beteiligt werden. Bei der Vertragsgestaltung ist allerdings sorgfältig darauf zu achten, dass keine Vertragsklauseln vorgesehen werden, die dazu führen, dass die Mitunternehmerstellung eines schenkungsweise aufgenommenen Kommanditisten in Frage gestellt wird1. Gefährlich sind hierbei bspw. Klauseln folgenden Inhalts:

3.29

– jederzeitiger Ausschluss zum Buchwert2 – jederzeitige Verpflichtung zur unentgeltlichen Rückübertragung – einseitiges Kündigungsrecht der Eltern (zum Buchwert)3 – Ausschluss der Informations- und Widerspruchsrechte gem. §§ 164, 166 HGB4 – Nießbrauchsvorbehalt, sofern Nießbraucher die Gesellschafterrechte wahrnimmt und vorsorglich Stimmrechtsvollmacht erhält5. Beratungshinweis: Auch für die unentgeltliche Übertragung eines Teils an einem Mitunternehmeranteil gilt § 6 Abs. 3 EStG: die Übertragung, ggf. nebst anteiligem Sonderbetriebsvermögen, erfolgt steuerneutral. Soweit der Übergeber Sonderbetriebsvermögen zurückbehält, kommt es nicht zu einer (steuerbaren) Entnahme, da er weiterhin – wegen der zurückbehaltenen Quote – Mitunternehmer bleibt. Wird das Sonderbetriebsvermögen insgesamt oder überproportional auf den Übernehmer eines Teils des Mitunternehmeranteils übertragen, so gilt laut Finanzverwaltung bis zur Quote des übertragenen Teilanteils § 6 Abs. 3 und für den überschießenden Teil des Sonderbetriebsvermögens § 6 Abs. 5 EStG mit der dort vorgesehenen Veräußerungssperrfrist.6 Anders die Rspr.7: So soll allein § 6 Abs. 3 EStG anwendbar sein, nicht § 6 Abs. 5 EStG. Zudem soll § 6 Abs. 3 S. 1 EStG gelten, nicht § 6 Abs. 3 S. 2 EStG, wenn der Gesamtwert der übertragenen Wirtschaftsgüter den Wert des gesamten quotal mit zu übertragenden Sonderbetriebsvermögens abdeckt. Eine Behaltensfrist gilt dann nicht.

II. Vor- und Nachteile lebzeitiger Vermögensübertragung Beratungssituation: Der Mandant ist unschlüssig, ob er seine Kinder bereits jetzt an seinem Vermögen beteiligen soll.

1 Überblick bei Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 750–752. 2 BFH v. 29.4.1981 – IV R 131/78, BStBl. 1981 II, 663. 3 BFH v. 6.7.1995 – IV R 79/94, BStBl. 1996 II, 269; FG Nürnberg v. 4.2.2004 – V 145/2002, BFHReport 2004, 35. 4 Vgl. BFH v. 10.11.1987 – VIII R 166/84, BStBl. 1989 II, 758. 5 Vgl. BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, FamRZ 2009, 696 = ErbStB 2009, 107 = ErbBStg. 2009, 57; BFH v. 4.5.2016 – II R 18/15, ZEV 2016, 603. 6 Schnitter, EStB 2005, 28, 29; BMF-Schreiben v. 3.3.2005 – IV B 2 - S 2241 – 14/05, FR 2005, 391. 7 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, ErbStB 2012, 352 = ZEV 2012, 685.

Grötsch 69

3.30

§ 3 Rz. 3.31

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Die Entscheidung zu lebzeitiger Vermögensübertragung setzt eine Einzelfallbetrachtung voraus, bei der Vor- und Nachteile für den konkreten Sachverhalt abgewogen werden. Häufig ist festzustellen, dass, auch in der Vorstellung der Laien, steuerliche Motive zu sehr im Vordergrund stehen. Diese haben ohne Zweifel ihre Berechtigung, eine vorweggenommene Erbfolge ist aber nur gerechtfertigt, wenn sie in ein familiäres und wirtschaftliches Gesamtkonzept passt. Idealtypisch lassen sich ihre Vor- und Nachteile wie folgt zusammenfassen: 1. Vorteile

3.31 „Geben mit warmer Hand“: Die Nachfolgegeneration wird zu dem Zeitpunkt bedacht, zu dem sie es benötigt, dies betrifft insbesondere Fälle der Ausstattung (Hausbau, Existenz- und Familiengründung). Angesichts der demografischen Entwicklung, bei der die Erblasser- wie auch die Erbengeneration immer älter wird, hat dieser Gesichtspunkt in den letzten Jahrzehnten verstärkt an Bedeutung gewonnen.

3.32 Nachfolgerbindung: Vor allem im Unternehmensbereich ist es ein nicht zu unterschätzender Vorteil, dass der Übergeber bei der vorweggenommenen Erbfolge entscheiden kann, wann er die nachfolgende Generation in die Verantwortung nimmt und sie so an das Unternehmen bindet. Dies vermeidet das „Prinz-Charles-Syndrom“ und trägt so erheblich zur Motivation der nachfolgenden Generation bei. Erfahrungsgemäß wird auch das Verantwortungsgefühl deutlich gesteigert, wenn zum richtig gewählten Zeitpunkt bereits Vermögen und damit Verantwortung übertragen wird.

3.33 Stufenweises Vorgehen: Anders als im Erbfall muss die vorweggenommene Erbfolge nicht nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip erfolgen. Sowohl bei Privatvermögen als auch im Unternehmensbereich ist es möglich, die nächste Generation schrittweise zu beteiligen, wobei der Übergeber zunächst beobachten kann, ob der Übernehmer verantwortungsvoll mit dem übertragenen Vermögen umgeht (Testphase).

3.34 Entlastung der älteren Generation: Für viele wird die Verwaltung des Vermögens, insbesondere von Grundbesitz und von Unternehmen, mit zunehmendem Alter zu einer schwer zu tragenden Last. Hiervon befreit die lebzeitige Übergabe auf die nächste Generation.

3.35 Dauernde Versorgung: Wenn der Übergeber krankheits- oder altersbedingt nicht mehr in der Lage ist, das Unternehmen fortzuführen, stellt die Liquidation des Unternehmens, ganz abgesehen davon, dass sie aus emotionalen Gründen meist höchst unerwünscht ist, finanziell oft keine attraktive Alternative dar (Einkommensbesteuerung der Unternehmensaufgabe, Sozialplanlasten, verhältnismäßig geringer Verkaufserlös). Hier bietet die Übergabe an die nächste Generation gegen Versorgungsleistungen dem Übergeber die Möglichkeit, sich indirekt die Ertragskraft des Unternehmens auch in Zukunft zunutze zu machen.

3.36 Reduzierung der Pflichtteilsbelastung: Wird frühzeitig übertragen, so kann die Abschmelzungsregelung des § 2325 Abs. 3 BGB zur völligen oder teilweisen Reduktion des Pflichtteils führen. (Unter der Voraussetzung, dass das übergebene Vermögen tatsächlich aus dem Bereich des Übergebers wirtschaftlich ausgegliedert wird, es dürfen also keine zu weit reichenden Nutzungs- und Rückforderungsvorbehalte vorgesehen werden.)1 Im Unternehmensbereich besteht ferner die Möglichkeit, das Pflichtteilsrisiko zumindest zu mindern, indem zwischen dem Erblasser und seinem vorgesehenen Nachfolger eine Fortsetzungsklausel im Gesellschaftsvertrag vereinbart wird, die einen allseitigen Abfindungsausschluss vorsieht. Hierzu hat der BGH die Auffassung vertreten, dass, da nicht feststeht, wer zuerst verstirbt, ein derartiger Vertrag Wagnischarakter hat und deshalb keine Schenkung vorliegt, die zu Pflichtteilsergänzungsansprü1 BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, MDR 1994, 1015 = FamRZ 1994, 885 = ZEV 1994, 233; Walter, MittBayNot 2015, 373.

70

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.40 § 3

chen führen würde1. Allerdings muss man beachten, dass diese Rspr. in der Kommentarliteratur in Frage gestellt wird2. Zur Pflichtteilsreduzierung trägt bei der vorweggenommenen Erbfolge auch bei, dass aufgrund des Niederstwertprinzips (§ 2325 Abs. 2 BGB) der Übernehmer für Wertzuwächse, die das übergebene Unternehmen erfährt, keine Pflichtteilsergänzungsansprüche fürchten muss. Ebenso sind Gewinne, die sich ansonsten beim Übergeber pflichtteilserhöhend angesammelt hätten, von Pflichtteilsergänzungsansprüchen frei. Entlastung bei der Erbschaftsteuer: Hier besteht bei der vorweggenommenen Erbfolge zunächst die Möglichkeit, die persönlichen Freibeträge und ggf. den Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 2 ErbStG im 10-Jahres-Rhythmus auszuschöpfen. Auch kann die Steuerprogression gemindert werden. Ferner sind aufgrund der Stichtagsbesteuerung Wertzuwächse, die der Übernehmer nach Übertragung erzielt, erbschaftsteuerfrei, ebenso Gewinne, die er aus dem übertragenen Vermögensgegenstand erzielen kann (s. auch Rz. 37.145 ff.). Zudem reduzieren vom Übernehmer zu tragende Belastungen, insbesondere ein Nießbrauchsvorbehalt, den schenkungsteuerlichen Wert der Schenkung um den gemäß §§ 12–16 BewG zu bestimmenden Kapitalwert der Belastung3.

3.37

Entlastung bei der Einkommensteuer: Häufig können bei der vorweggenommenen Erbfolge auch Ersparnisse im Bereich der Einkommensteuer erzielt werden. Zu nennen ist zunächst die Fallgruppe, bei der Vermögen auf die nachfolgende Generation, evtl. sogar auf Minderjährige, übertragen wird, um den Grundfreibetrag4 zu nutzen und eventuelle weitere Erträge lediglich einer geringeren Steuerprogression zu unterwerfen. Dies ist häufig auch bei der Übertragung gegen Versorgungsleistungen ein erheblicher Gesichtspunkt.

3.38

Als weiterer Aspekt tritt im Unternehmensbereich hinzu, dass es bei der vorweggenommenen Erbfolge wesentlich einfacher ist, der Aufdeckung stiller Reserven vorzubeugen als bei den Unwägbarkeiten einer Erbauseinandersetzung. Planbarkeit: Ein kaum zu überschätzender Vorteil der vorweggenommenen Erbfolge ist ihre Planbar- 3.39 keit. Jede noch so vorausschauende Testamentsgestaltung steht vor dem Problem, dass sie für einen zukünftigen, ungewissen Zeitpunkt planen muss. Ändern sich bis dahin die rechtlichen, steuerlichen oder tatsächlichen Rahmenbedingungen, so ist stets ungewiss, ob der Erblasser in der Lage sein wird, dem rechtzeitig vor seinem Tod Rechnung zu tragen. Demgegenüber kann die vorweggenommene Erbfolge von exakten Rahmenbedingungen ausgehen. Angesichts einer sich ständig wandelnden Steuergesetzgebung und Steuerpraxis ist dies vor allem im steuerlichen Bereich ein wertvoller Gesichtspunkt, bedenkt man zumal, dass im Unternehmensbereich für den Nachlass eine Gesamtsteuerbelastung in der Größenordnung bis zu 70 Prozent, bestehend aus latenten Einkommensteuern, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Erbschaftsteuer droht. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Bedeutung der Planungssicherheit im wirtschaftlichen Bereich, so kann für die vorweggenommene Erbfolge nicht nur ein Zeitpunkt gewählt werden, bei dem bspw. die Bilanzwerte des Unternehmens erbschaftsteuerlich günstig sind, sondern es kann auch das konjunkturelle Umfeld berücksichtigt werden, ebenso wie es von erheblichem Wert ist, wenn der Unternehmensnachfolger planmäßig mit Kunden, Lieferanten und Kreditinstituten vertraut gemacht wird. 2. Nachteile Verlust an Einfluss: Jede Vermögensübergabe bringt für den Übergeber einen Verlust an Macht und Einfluss mit sich. Insbesondere bei Unternehmen besteht das psychologische Problem, dass der 1 2 3 4

BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, FamRZ 1981, 653 = NJW 1981, 1956. MüKo.BGB/Lange, § 2325 Rz. 32 ff. Felten, ErbStB 2015, 210. § 32a Abs. 1 EStG, bei Kapitalerträgen kommt der Sparer-Pauschbetrag nach § 20 Abs. 9 EStG hinzu.

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3.40

§ 3 Rz. 3.41

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Übergeber nicht damit fertig wird, zum „alten Eisen“ zu gehören. Dieses nicht zu unterschätzende Problem kann zumindest eingeschränkt werden, indem der Erfahrungsschatz des Übergebers auch künftig in die Unternehmensführung eingebracht wird, bspw. in einem Beirat oder durch einen Beratervertrag.

3.41 Gefahr des Undanks: Es ist eine schlichtweg zu konstatierende Tatsache, dass Dankbarkeit ein Gefühl ist, das oft nur kurz anhält. Mit wachsendem Zeitablauf vergrößert sich die Gefahr, dass die Nachfolgegeneration Nutzungs- und Einflussvorbehalte der älteren Generation nur noch als lästig betrachtet. Menschliche Enttäuschungen können hier zu Familientragödien führen, wie es bspw. bei der Familie Benteler der Fall war. Hier verurteilte der BGH den Sohn zur Rückgabe der Beteiligung wegen groben Undanks, da er Vater und Onkel mit falschen Anschuldigungen aus der Firma drängen wollte1. Die Mutter nahm sich angesichts der langjährigen Streitigkeiten das Leben.

3.42 Versorgungsrisiko: Juristisch lässt sich die Versorgung der übergebenden Generation, also in der Regel des Firmeninhabers und seiner Frau, durch die Vereinbarung von Nutzungsvorbehalten oder Versorgungsleistungen in der Regel problemlos absichern. Dies hilft aber nichts, wenn der Nachfolger das Unternehmen herabwirtschaftet und dadurch die wirtschaftliche Grundlage der Versorgung wegfällt. Angesichts der in vielen Branchen anzutreffenden geringen Eigenkapitalausstattung von Unternehmen ist der in diesem Zusammenhang immer wieder gehörte Rat, Unternehmer sollten darauf achten, auch ausreichend Privatvermögen aufzubauen, theoretisch ebenso richtig wie praktisch nutzlos. Mindern lässt sich dieses Risiko letztlich nur durch eine gestufte Übergabe mit ausreichender „Testphase“.

3.43 Prognoserisiko: Der vorgenannte Gesichtspunkt ist Teil des Prognoserisikos, das sich bei der vorweggenommenen Erbfolge auf den Übergeber verlagert. Während bei der Testamentsgestaltung die nachfolgende Generation das Risiko hat, dass sich die Prognosen, die der Gestaltung zugrunde lagen, im Erbfall nicht bewahrheiten, geht der Übergeber bei der vorweggenommenen Erbfolge das Risiko ein, dass sich die Dinge in wirtschaftlicher oder menschlicher Hinsicht nicht so entwickeln, wie er es erwartet. Dieses Risiko kann durch Rückforderungsvorbehalte zwar begrenzt, aber nicht völlig ausgeschlossen werden.

3.44 Verlust der Vermögenssubstanz: Nutzungsvorbehalte und Versorgungsleistungen ändern nichts daran, dass sich der Übergeber seiner Vermögenssubstanz entledigt hat. Eine Übergabe des betreffenden Werts kommt daher nur in Betracht, wenn der Übergeber sicher sein kann, dass er oder sein Ehegatte auch bei unvorhergesehenen Ereignissen wie bspw. einer langen Pflegebedürftigkeit die Vermögenssubstanz nicht benötigen wird. Andernfalls sollte von der Übergabe abgesehen werden, da Widerrufsvorbehalte regelmäßig kein geeignetes Absicherungsinstrument bilden. Im Unternehmensbereich gefährden selbst enumerativ gestaltete Widerrufsklauseln die Kreditfähigkeit des Übernehmers, ganz zu schweigen von einem freien Widerrufsvorbehalt, der zudem dazu führt, dass der Übergeber nach wie vor als wirtschaftlicher Eigentümer im Sinne des Einkommensteuerrechts angesehen wird2. 3. Entscheidungshilfen

3.45 Die Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme der vorweggenommenen Erbfolge ist naturgemäß so komplex, dass sich der Entscheidungsweg nicht in ein starres Schema pressen lässt. Dennoch gibt es eine Reihe von Prüfsteinen, die vor jeder Maßnahme der vorweggenommenen Erbfolge zu erörtern sind: (a) Ist der vorgesehene Nachfolger geeignet? (b) Kann der Übergeber die Substanz entbehren?

1 BGH v. 2.7.1990 – II ZR 243/89, MDR 1991, 127 = NJW 1990, 2616. 2 H 15.9 (1) EStR 2012; BFH v. 16.5.1989 – VIII R 196/84, BStBl. 1989 II, 877; s.a. Jülicher, DStR 1998, 1977.

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.49 § 3

(c) Ist der Übergeber auf die Erträge angewiesen? (d) Entstehen durch die vorweggenommene Erbfolge erhebliche erbschaftsteuerliche Vorteile? (e) Ist die vorgesehene Maßnahme einkommensteuerneutral? (f) Können die für Betriebsvermögen geltenden erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien ausgeschöpft werden? (g) Sind Minderjährige beteiligt? (h) Wie hoch sind die Kosten? a) Ist der vorgesehene Nachfolger geeignet?

3.46

Diese Frage hat drei Facetten: – Verhältnis zum Übergeber: Bestehen tief greifende familiäre Konflikte, so vergrößert sich die Gefahr, dass diese bei einer lebzeitigen Vermögensübertragung aufbrechen. – Umgang mit Geld: Wenn der vorgesehene Nachfolger zu verschwenderischem oder unüberlegtem Umgang mit Geld neigt, empfiehlt sich meist eine testamentarische Lösung, die die Substanz des Vermögens bei gleichzeitiger Versorgung erhält, bspw. Vor- und Nacherbfolge mit Dauertestamentsvollstreckung. – Unternehmerische Qualitäten: Im Unternehmensbereich steht und fällt die Nachfolgefrage mit der unternehmerischen Qualifikation des auserkorenen Nachfolgers. Naturgemäß fällt es Eltern schwer, ihre Kinder objektiv zu beurteilen. Eine Unternehmensnachfolge sollte erst durchgeführt werden, wenn der Nachfolger seine Eignung objektiv unter Beweis gestellt hat, hierzu gehören in der Regel ein fachspezifischer Abschluss und die mehrjährige Bewährung im eigenen oder besser noch in fremden Unternehmen. Sollten diese Kriterien nicht erfüllt sein, so müssen meist andere Wege der Unternehmensfortführung gesucht werden, bspw. durch Umwandlung der Unternehmensform und durch Fremdgeschäftsführung. b) Kann der Übergeber die Substanz entbehren? Hier sollten strenge Maßstäbe angelegt werden. Besteht die Gefahr, dass der Übergeber auf den Verzehr der Substanz des Vermögenswertes angewiesen sein kann, bspw. bei langjähriger Krankheit und Pflegebedürftigkeit, so spricht dies in aller Regel gegen eine vorweggenommene Erbfolge.

3.47

c) Ist der Übergeber auf die Erträge angewiesen? Wenn diese Frage bejaht wird, kommt eine vorweggenommene Erbfolge nur unter Vereinbarung von Nutzungsvorbehalten oder Versorgungsleistungen in Betracht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese für den Übernehmer auch langfristig wirtschaftlich tragbar sein müssen, insbesondere für den Fall, dass sich die Erträge verschlechtern.

3.48

d) Entstehen durch die vorweggenommene Erbfolge erhebliche erbschaftsteuerliche Vorteile? Bei langfristiger Planung können die persönlichen Freibeträge und der Betriebsvermögensfreibetrag mehrfach ausgeschöpft werden. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, liegt ein erheblicher Vorteil der vorweggenommenen Erbfolge auch darin, drohenden Verschärfungen des Erbschaftsteuerrechts zuvorzukommen.

Grötsch 73

3.49

§ 3 Rz. 3.50

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

e) Ist die vorgesehene Maßnahme einkommensteuerneutral?

3.50 Diese Frage betrifft in erster Linie das Betriebsvermögen, bei dem in der Regel darauf zu achten sein wird, dass keine Entnahmetatbestände verwirklicht werden, bspw. bei der isolierten Übertragung von Betriebsgrundstücken. Aber auch im privaten Bereich hat dieser Gesichtspunkt seit der Verschärfung der Besteuerungsvorschriften über private Veräußerungsgewinne an Bedeutung gewonnen, bspw. bei der Übertragung von Grundstücken, die der Übergeber noch nicht länger als zehn Jahre in seinem Eigentum hat. Gegenleistungen des Übernehmers können hier zu einem steuerbaren Veräußerungsgewinn führen1. Auch kann bei ungeschickter Gestaltung Abschreibungspotenzial verloren gehen, bspw. in Zusammenhang mit einem Zuwendungsnießbrauch an den Ehegatten des Veräußerers. f) Können die für Betriebsvermögen geltenden erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien ausgeschöpft werden?

3.51 Die für den Übergang von Betriebsvermögen geltenden Privilegien (§§ 13a, 19a ErbStG) können im Regelfall auch bei der vorweggenommenen Erbfolge genutzt werden. g) Sind Minderjährige beteiligt?

3.52 Die Beteiligung Minderjähriger führt bei der Verwaltung von Grundbesitz und Unternehmen langfristig zu Komplikationen, da in vielen Fällen Pflegerbestellung und familiengerichtliche Genehmigungen erforderlich sind. Die vorweggenommene Erbfolge wird sich bei Minderjährigen daher in der Regel auf die Übertragung von Kapitalvermögen zur Ausschöpfung steuerlicher Freibeträge und zur Sicherstellung der Ausbildung beschränken, im Unternehmensbereich allenfalls auf stille Beteiligungen oder Kommanditanteile2. Dabei ist stets zu beachten, dass gerade bei Minderjährigen die Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschätzt werden kann. Das Erbrecht bietet in Form der Dauertestamentsvollstreckung, die auch über die Volljährigkeit hinausgehen kann, hier meist sachgerechtere Lösungen. Bei der Risikoplanung darf auch der Fall nicht vergessen werden, dass bei der vorweggenommenen Erbfolge der Übernehmer unvorhergesehen früh verstirbt. Für diesen Katastrophenfall muss durch Rückforderungsklauseln, besser aber noch durch geeignete letztwillige Verfügungen des Übernehmers, Vorsorge getroffen werden. h) Wie hoch sind die Kosten?

3.53 Die Kosten der Konzeption einer vorweggenommenen Erbfolge und einer entsprechenden Testamentsgestaltung werden sich in der Regel die Waage halten. Zu beachten sind jedoch die erheblichen Kosten, die für die Durchführung der vorweggenommenen Erbfolge anfallen können, insbesondere Notar- und Grundbuchgebühren.

III. Besonderheiten bei Beteiligung Minderjähriger 3.54 Sofern größere Vermögenswerte betroffen sind, ist Minderjährigkeit eines Beteiligten wegen der damit verbundenen Komplikationen per se ein Gesichtspunkt, der gegen die vorweggenommene Erbfolge spricht. Vier Problemkreise stehen dabei im Vordergrund: – die wirksame Durchführung der Zuwendung – die Verwaltung des zugewandten Vermögens

1 Kieser, ZERB 2000, 215 (220 f.). 2 Hübner-Weingarten, ZEV 1999, 81.

74

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.58 § 3

– die Haftungsbeschränkung des Minderjährigen – die Sicherung des Einflusses der Übergeber. 1. Durchführung der Zuwendung Es stellen sich zwei Fragen: Sind die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen wegen des Verbots des In-sich-Geschäfts verhindert und bedarf es daher der Bestellung eines Ergänzungspflegers? Bedarf es (zusätzlich) der familiengerichtlichen Genehmigung? Werden hier Fehler gemacht, so droht zivilrechtlich die Unwirksamkeit des jeweiligen Rechtsgeschäfts und – in der Regel schlimmer – die steuerliche Nichtanerkennung1.

3.55

a) In-sich-Geschäft Eltern können ihr Kind bei Rechtsgeschäften mit sich selbst nicht vertreten (§§ 181, 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 2 BGB). § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB (i.V.m. § 1629 Abs. 2 BGB) erstreckt dieses Verbot auf Rechtsgeschäfte mit Verwandten in gerader Linie, also insbesondere mit Großeltern. Dieses Vertretungsverbot gilt jedoch nicht, wenn mit dem Rechtsgeschäft für den Minderjährigen lediglich ein rechtlicher Vorteil verbunden ist, da dann der Schutzzweck nicht tangiert wird2. Da der Begriff des lediglich rechtlichen Vorteils unscharf ist, verwundert es nicht, dass sich hierzu eine teilweise verworrene und unübersichtliche Rspr. entwickelt hat3.

3.56

Beratungshinweis: Wenn Einkunftsquellen übertragen werden, sollte im Zweifel stets Ergänzungspflegschaft (§ 1909 BGB) beantragt werden, da ansonsten die steuerliche Anerkennung des Rechtsgeschäfts gefährdet ist.

Einzelne Fallgruppen: Die Schenkung von Geld oder Wertpapieren ist lediglich rechtlich vorteilhaft, anderes gilt aber, wenn 3.57 die Schenkung mit Auflagen verbunden wird, wie beispielsweise der Verpflichtung zur Rückgewähr des Geldes als Darlehen an die Eltern4. Die Zuwendung eines Grundstücks wird als lediglich rechtlich vorteilhaft gesehen, auch wenn dies un- 3.58 ter Nießbrauchs- oder Wohnrechtsvorbehalt geschieht5. Allerdings gelten erhebliche Einschränkungen, die in der Praxis meist doch die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig machen: So gilt der Erwerb eines vermieteten Grundstücks wegen des damit verbundenen Eintritts in das Mietverhältnis (§ 571 BGB) als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft6. Auch die Schenkung von Wohnungseigentum wird in der Rspr. als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft angesehen7. Vom Verbot des In-sich-Geschäfts

1 BFH v. 13.7.1999 – VIII R 29/97, BStBl. 2000 II, 386; v. 27.4.2005 – II R 52/02, BStBl. 2005 II, 892; v. 7.6.2006 – IX R 4/04, NJW 2006, 37; v. 22.2.2007 – IX R 45/06, FamRZ 2007, 1323 = ErbStB 2007, 239; v. 12.5.2016 – IV R 27/13, NJW 2016, 3470. 2 Teleologische Reduktion des Wortlauts des § 181 BGB, vgl. Palandt/Ellenberger, § 181 Rz. 9; Palandt/ Götz, § 1795 Rz. 13. 3 Übersicht bei Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 2–7. 4 BFH v. 23.6.1976 – I R 140/75, NJW 1977, 456; v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415. 5 BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415; Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 4. 6 Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 4; BGH v. 3.2.2005 – V ZB 44/04, FamRZ 2005, 1738 = MDR 2005, 562 = NJW 2005, 1430; BayObLG v. 5.12.2002 – 2 Z BR 108/02, BayObLG v. 5.12.2002 – 2Z BR 108/02, NJW 2003, 1129; a.A. (zu Recht) Everts, ZEV 2004, 231. 7 BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, NJW 2010, 3643; OLG München v. 6.3.2008 – 34 Wx 14/08, ErbStB 2008, 229 = ZEV 2008, 246; OLG Hamm v. 23.5.2000 – 15 W 119/00, FGPrax 2000, 176.

Grötsch 75

§ 3 Rz. 3.59

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

erfasst ist schließlich auch der Erwerb beschränkter dinglicher Rechte wie bspw. eines Erbbaurechts oder eines Zuwendungsnießbrauchs, da damit bspw. Erhaltungspflichten verbunden sind1.

3.59 Der Erwerb von Gesellschaftsbeteiligungen wird in der Rspr. als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft angesehen, da hiermit ein Bündel von Rechten und Pflichten verbunden ist. Dies gilt auch für die Zuwendung einer stillen Beteiligung, wenn hiermit eine Verlustbeteiligung verbunden ist2.

3.60 Schenkungen, die an eine Auflage oder einen vertraglichen Rückforderungsvorbehalt gekoppelt sind, werden von der herrschenden Meinung ebenfalls als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft eingestuft3. Gleiches soll gelten, wenn die Schenkung mit einer Bestimmung zur Pflichtteilsanrechnung nach § 2315 BGB verbunden ist (sehr zweifelhaft)4. Beratungshinweis: Bedarf es nach vorstehenden Grundsätzen der Ergänzungspflegschaft und sind mehrere Minderjährige beteiligt, so ist darauf zu achten, dass jeder Minderjährige durch einen eigenen Pfleger vertreten sein muss, da auch der Ergänzungspfleger dann dem Verbot des In-sich-Geschäfts (§ 181 Alt. 2 BGB) unterliegt5.

b) Gerichtliche Genehmigung

3.61 Zu beachten ist in einem zweiten Prüfungsschritt, dass zahlreiche im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge auftretende Rechtsgeschäfte bei Beteiligung Minderjähriger der gerichtlichen Genehmigung bedürfen. Für Rechtsgeschäfte der Eltern als gesetzliche Vertreter ihres Kindes folgt dies, wenn sie nicht ohnehin verhindert sind (oben Rz. 3.55 ff.), aus § 1643 BGB, zuständig für die Genehmigung ist das Familiengericht6. Für den Ergänzungspfleger folgt das Genehmigungserfordernis aus § 1915 BGB, zuständig ist ebenfalls das Familiengericht7. In beiden Fällen verweist das Gesetz im Wesentlichen auf den für den Vormund geltenden Katalog genehmigungspflichtiger Geschäfte in §§ 1821 f. BGB. Die wichtigsten Fallgruppen hieraus sind:

3.62 Die Verfügung über Grundstücke oder Rechte an Grundstücken, hierzu gehört auch die Bestellung von Grundpfandrechten (§ 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB)8. Genehmigungsbedürftig ist ferner als auf den (teil-)entgeltlichen Erwerb gerichteter Vertrag die gemischte Schenkung eines Grundstücks (§ 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB)9.

3.63 Soll im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht ausgesprochen werden, so bedarf dies der Genehmigung nach § 2347 BGB.

3.64 Das Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger10 hat die Diskussion darüber neu angefacht, ob bei der Schenkung von Gesellschaftsbeteiligungen an Minderjährige eine

1 BFH v. 13.5.1980 – VIII R 75/79, NJW 1981, 141. 2 Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 4. 3 Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 6; BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415; OLG Köln v. 10.11.1997 – 14 Wx 10/97, FamRZ 1998, 1326 = ZEV 1998, 110; a.A. (zu Recht) Jülicher, ZEV 1998, 285 (286). 4 Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026); so wohl auch OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 18/07, ZEV 2007, 493; Weigl, MittBayNot 2008, 275. 5 Reimann, DNotZ 1999, 183; Palandt/Götz, § 1909 Rz. 6. 6 Bis zur Änderung des Kindschaftsrechts durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz v. 16.12.1997 (BGBl. I, 2942) war allein das Vormundschaftsgericht für die Erteilung der Genehmigung zuständig. 7 Lohse/Triebel, ZEV 2000, 338. 8 Palandt/Götz, § 1821 Rz. 10. 9 Palandt/Götz, § 1821 Rz. 15. 10 BGBl. 1998 I, 2487.

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.67 § 3

gerichtliche Genehmigung (nach § 1822 Nr. 3 BGB) erforderlich ist1. Entscheidend ist jeweils die Einzelfallgestaltung2. So ist etwa die Schenkung eines Kommanditanteils an Minderjährige genehmigungsbedürftig, wenn die KG ein Erwerbsgeschäft betreibt3, nicht jedoch, wenn die KG nur vermögensverwaltend tätig ist4. Auch die Begründung einer stillen Gesellschaft wird als genehmigungspflichtig angesehen, wenn der Minderjährige an den Verlusten der Gesellschaft beteiligt wird5. Im Hinblick auf die Haftung von Vorgesellschaftern wird die Beteiligung an der Gründung von Ka- 3.65 pitalgesellschaften als genehmigungspflichtig angesehen6. Die Schenkung der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, insbesondere die Schenkung von GmbH-Anteilen, sieht die Rspr. (in Abweichung von der formalen Betrachtung, die § 1822 BGB zugrunde legt) dann als genehmigungspflichtig an, wenn hiermit ein Unternehmerrisiko verbunden ist, insbesondere beim Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile einer Einmann-GmbH7. Der BGH hat in diesem Zusammenhang bei der schenkweisen Übertragung von GmbH-Anteilen ein Genehmigungserfordernis aus § 1822 Nr. 10 BGB hergeleitet, wenn der Minderjährige für den Fehlbetrag einer noch nicht voll eingezahlten Einlage einstehen muss8. 2. Verwaltung Grundsätzlich unterliegen Eltern bei der Verwaltung des Vermögens ihrer Kinder keinen Einschränkungen. Dies gilt natürlich auch für Vermögen, das sie dem Minderjährigen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen haben. Geld ist nach den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung anzulegen (§ 1642 BGB); das Erfordernis der mündelsicheren Geldanlage wurde 1979 abgeschafft9. Auch bei Gesellschaftsbeteiligungen ist die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für die laufende Verwaltung der Beteiligung in der Regel nicht erforderlich, da nach höchstrichterlicher Rspr. gewöhnliche Gesellschafterbeschlüsse, die die laufende Geschäftsführung betreffen, nicht unter § 181 BGB fallen10. Minderjährige Gesellschafter können daher dabei durch ihre Eltern vertreten werden. Anderes gilt jedoch für Beschlüsse, die satzungsändernden Charakter haben, hier können Eltern die minderjährigen Gesellschafter nicht vertreten11.

3.66

Bei der Verwaltung von Immobilien ist zu beachten, dass die Bestellung von Grundpfandrechten als genehmigungsbedürftig angesehen wird (§ 1821 Abs. 1 Nr. 1 und 4 BGB)12. Von praktisch erheblicher Bedeutung ist ferner § 1822 Nr. 5 BGB: Der Abschluss von Miet- oder Pachtverträgen ist genehmigungspflichtig, wenn das Vertragsverhältnis länger als ein Jahr nach dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes fortdauern soll und nicht innerhalb eines Jahres nach Volljährigkeit des Kindes von diesem gekündigt werden kann. Entsprechendes gilt bei unbefristeten Mietverträgen nach umstrittener Ansicht auch dann, wenn das Kündigungsrecht zwar besteht, durch Sozialklauseln wie § 574 BGB aber stark eingeschränkt ist13.

3.67

1 Überblicksdarstellungen bei Damrau, ZEV 2000, 209 und Lohse/Triebel, ZEV 2000, 337; s.a. Ivo, ZEV 2005, 193; Rust, DStR 2005, 1943. 2 Einzelfälle bei Palandt/Götz, § 1822 Rz. 9, 10; MüKo.BGB/Kroll-Ludwigs, § 1822 Rz. 14. 3 OLG Frankfurt v. 27.5.2008 – 20 W 123/08, FamRZ 2009, 620 = ErbStB 2009, 41. 4 OLG München v. 6.11.2008 – 31 Wx 76/08, FamRZ 2009, 623 = ErbStB 2009, 42 = ZEV 2008, 609; OLG Jena v. 22.3.2013 – 2 Wf 26/13, ZEV 2013, 521. 5 Palandt/Götz, § 1822 Rz. 9. 6 Kurz, NJW 1992, 1800. 7 Palandt/Götz, § 1822 Rz. 6. 8 BGH v. 20.2.1989 – II ZR 148/88, MDR 1989, 610 = FamRZ 1989, 605 = NJW 1989, 1926; hiergegen Damrau, ZEV 2000, 211. 9 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge v. 18.7.1979, BGBl. I 1061. 10 Palandt/Ellenberger, § 181 Rz. 11. 11 Palandt/Ellenberger, § 181 Rz. 11a; Lohse/Triebel, ZEV 2000, 339. 12 Palandt/Götz, § 1821 Rz. 10. 13 Palandt/Götz, § 1822 Rz. 15.

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§ 3 Rz. 3.68

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

3. Haftung des Minderjährigen

3.68 Das BVerfG hatte mit Beschluss vom 13.5.1986 entschieden, dass die Möglichkeit einer unbegrenzten Verpflichtung von Kindern bei der Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Minderjähriger nicht vereinbar ist und daher der Gesetzgeber in diesem Bereich einen effektiven Minderjährigenschutz bereitstellen muss1. Diesem Regelungsauftrag ist der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger vom 25.8.1998, welches am 1.1.1999 in Kraft trat, in einer Weise nachgekommen, die auch Bedeutung für Übertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge hat2. Das Problem des Minderjährigenschutzes wird zweispurig gelöst: – durch die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung bei Volljährigkeit und – durch ein außerordentliches Kündigungsrecht bei Volljährigkeit.

3.69 Nach § 1629a Abs. 1 BGB kann der volljährig Gewordene seine Haftung auf den Bestand des beim Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens beschränken. Beruft er sich hierauf, so finden aufgrund einer Rechtsfolgenverweisung die §§ 1990, 1991 BGB entsprechende Anwendung3.

3.70 Die zweite Möglichkeit der Haftungsbeschränkung betrifft Gesellschaftsbeteiligungen. Das außerordentliche Kündigungsrecht der Gesellschafter nach § 723 Abs. 1 S. 3 BGB wurde durch das Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger dahin erweitert, dass ein minderjähriger Gesellschafter grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab Kenntniserlangung von seiner Gesellschafterstellung kündigen kann, wenn er das 18. Lebensjahr vollendet hat. Diese Vorschrift gilt via §§ 105 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB auch für die vollhaftenden Gesellschafter in einer oHG oder KG4. Dieses Sonderkündigungsrecht kann nicht ausgeschlossen oder den gesetzlichen „Vorschriften zuwider beschränkt“ werden (§ 723 Abs. 3 BGB). Dabei ist zu beachten, dass auch Kündigungsfolgenvereinbarungen eine unzulässige Beschränkung darstellen, wenn sie die Entscheidung zur Kündigung durch wirtschaftliche Nachteile gravierend erschweren5; dies betrifft insbesondere Klauseln, die zu einer Abfindung deutlich unter dem Verkehrswert führen. Beratungshinweis: Bei Familiengesellschaften müssen Abfindungsregelungen auf ihre Vereinbarkeit mit § 723 BGB überprüft werden; zudem muss die Gesellschaft das Kündigungsrisiko bei ihrer Liquiditätsplanung berücksichtigen.

4. Sicherung des Einflusses der Übergeber

3.71 Meist sind die Übergeber zugleich auch gesetzliche Vertreter des Minderjährigen, so dass sie bis zur Volljährigkeit ohnehin mit den oben unter 2. genannten Einschränkungen über die Verwaltung des übertragenen Vermögens entscheiden. Ist dies nicht der Fall, bspw. weil Großeltern an ihre Enkelkinder übertragen oder weil ein geschiedener Ehegatte, der nicht das Sorgerecht hat, an die Minderjährigen überträgt, so besteht die Möglichkeit, die Vermögensverwaltung des gesetzlichen Vertreters auszuschließen (§§ 1638, 1909 BGB). Das Kind erhält in diesem Fall einen Ergänzungspfleger, der vom Zuwendenden benannt werden kann (§ 1917 BGB). Dabei kann der Zuwendende auch sich selbst benennen6. Nach §§ 1915, 1917 Abs. 3 BGB können dem Pfleger bindende Verwaltungsanordnungen vorgegeben werden. 1 BVerfG v. 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, MDR 1986, 728 = FamRZ 1986, 769 = NJW 1986, 1859. 2 BGBl. 1998 I, 2487. 3 Zu Einzelheiten s. Behnke, NJW 1998, 3078; Klumpp, ZEV 1998, 409; Christmann, ZEV 1999, 416; Reimann, DNotZ 1999, 179. 4 Habersack, FamRZ 1999, 2; Lohse/Triebel, ZEV 2000, 342. 5 Palandt/Sprau, § 723 Rz. 7; Glöckner, ZEV 2001, 49. 6 Palandt/Götz, § 1917 Rz. 1.

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Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.76 § 3

Das größere Problem bildet die Frage, was bei Eintritt der Volljährigkeit geschehen soll. Einem 3.72 18-Jährigen die Disposition über erhebliche Vermögenswerte zu eröffnen, wird von vielen, nach Ansicht des Verfassers zu Recht, als verfrüht angesehen. Das Erbrecht bietet hier die Möglichkeit der Dauertestamentsvollstreckung (bekanntlich sogar auf Lebzeiten des Bedachten), dem steht im Bereich der vorweggenommenen Erbfolge kein vergleichbares Instrument gegenüber. Einen effektiven Ersatz bilden hier oft gesellschaftsrechtliche Lösungen, nicht nur im Unternehmensbereich, sondern auch indem bspw. Immobilien des Privatvermögens in eine Familiengesellschaft eingebracht werden. Das Gesellschaftsrecht ermöglicht es dabei, den volljährig Gewordenen in die gesellschaftsrechtlichen Entscheidungsprozesse einzubinden, bspw. durch Vereinbarung beteiligungskonträrer Stimmrechte1. Außerhalb des Gesellschaftsrechts besteht die Möglichkeit, die Schenkung mit Auflagen zu verknüpfen (§ 525 BGB), bspw. der Auflage, die erhaltene Vermögenssubstanz nur mit Zustimmung des Übergebers anzugreifen. Effektiv wird eine derartige Auflage dadurch, dass sie mit einem Rückforderungsvorbehalt sanktioniert wird. Bei Immobilien kann dieser durch eine Rückauflassungsvormerkung gesichert werden.

3.73

Zusammenfassend ergeben sich bei Beteiligung Minderjähriger folgende Grundsätze:

3.74

– Als Instrument der vorweggenommenen Erbfolge bietet sich die Schenkung von Geld oder Wertpapieren an. – Die Übertragung von Gesellschaftsbeteiligungen kommt in der Regel nur dann in Betracht, wenn damit noch keine unternehmerische Funktion verbunden ist. – Die Übertragung von Immobilien empfiehlt sich meist nur, wenn damit erhebliche sonstige, insbesondere steuerliche Vorteile verbunden sind.

IV. Gegenleistungen des Übernehmers Wenn es sich bei dem zu übergebenden Vermögensgegenstand um das wesentliche Vermögen des Übergebers handelt, wie bspw. einer wertvollen Immobilie oder einem Familienunternehmen, wird er, um einen Kapitalstock zu erhalten, meist auf eine Abstandszahlung Wert legen. Weiterhin stehen Gegenleistungen zur Abfindung nicht bedachter Erben, insbesondere von Geschwistern des Zuwendungsempfängers, zur Diskussion. Schließlich werden mit einer Immobilie oder einem Unternehmen in der Regel Restverbindlichkeiten verbunden sein, die übernommen werden sollen.

3.75

1. Abstandszahlungen Wird ein Vermögensgegenstand bewusst unter Wert hergegeben, so liegt eine gemischte Schenkung vor2. Das Rechtsgeschäft zerfällt in zwei Bestandteile, einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen. Für jeden der beiden Teile sind die jeweils geltenden Vorschriften anzuwenden. Dies kann zivilrechtlich schwierige Probleme hervorrufen, insbesondere beim Schenkungswiderruf. Nach der Trennungstheorie erstreckt sich das Widerrufsrecht nur auf den Schenkungsteil der gemischten Schenkung. Ist Gegenstand der gemischten Schenkung ein einheitlicher Gegenstand, bspw. ein Grundstück oder ein Unternehmen, so kommt es darauf an, ob der Schenkungscharakter bei der gemischten Schenkung überwiegt3. Dies ist der Fall, wenn die Zuwendung des Schenkers den doppelten Wert der Gegenleistung aufweist. Dann kann der Schenker die vollständige Herausgabe des Geschenks in Natur gegen Rückgewähr der Gegenleistung verlangen. Andernfalls hat er nur Anspruch auf Wertersatz in Höhe der

1 Allerdings sind bei Kommanditisten Vertragsklauseln zu meiden, die einkommensteuerrechtlich die Mitunternehmerschaft in Frage stellen, s. oben Rz. 3.29. 2 Palandt/Weidenkaff, § 516 Rz. 13. 3 BGH v. 23.5.1959 – V ZR 140/58, NJW 1959, 1363.

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3.76

§ 3 Rz. 3.77

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Differenz zwischen dem Wert der Zuwendung des Schenkers und der Gegenleistung1. Um hier Auslegungsproblemen vorzubeugen, sollten die Folgen eines Schenkungswiderrufs kautelarjuristisch ausdrücklich geregelt werden.2

3.77 Zur Schonung der Liquidität des Übernehmers wird häufig Ratenzahlung vereinbart. Hier sind die Punkte Verzinsung oder Wertsicherung sowie Vererblichkeit der Raten zu regeln. Auch ist die Absicherung der Zahlungen, bspw. durch Hypothek oder Grundschuld, zu erörtern. Einkommensteuerlich ist zu bedenken, dass der entgeltliche Teil der gemischten Schenkung zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn führen kann, insbesondere auch im privaten Bereich, wenn die Spekulationsfrist auf Seiten des Übergebers nicht gewahrt ist3; beim Erwerber entstehen vice versa insoweit Anschaffungskosten4. 2. Gleichstellungsgelder

3.78 Regelmäßig will der Erblasser seine Kinder wirtschaftlich gleich bedenken. Daher finden sich in Vereinbarungen über die Zuwendung von Unternehmen oder Immobilien häufig Bestimmungen über Zahlungen des Übernehmers an seine Geschwister. Dies sind keine direkten Leistungen des Übernehmenden an die weichenden Erben, sondern Teile der Leistung an den Übergeber und damit im Verhältnis zwischen Übergeber und den weichenden Erben Ausstattung oder Zuwendung in vorweggenommener Erbfolge.

3.79 Bei der Übertragung von Betriebsvermögen ist zu bedenken, dass die Vereinbarung über Abfindungszahlungen an Dritte einen steuerpflichtigen Veräußerungsvorgang begründet. Gleiches gilt bei Grundbesitz aus dem Privatvermögen, wenn die 10-jährige Spekulationsfrist auf Seiten des Übergebers noch nicht abgelaufen ist. In jedem Fall entstehen auf Seiten des Erwerbers nach den Grundsätzen des teilentgeltlichen Geschäfts Anschaffungskosten, die ihm steuerlich erwünschte Abschreibungsmöglichkeiten eröffnen5. 3. Übernahme von Schulden

3.80 In der Regel will sich der Übergeber mit der Zuwendung, insbesondere bei Übertragung von Grundbesitz oder Unternehmen, zugleich von den mit dem Zuwendungsgegenstand zusammenhängenden Restschulden befreien. Es wird daher vereinbart, dass der Übernehmer mit schuldbefreiender Wirkung in diese Schuldverhältnisse eintritt. Dies bedarf nach § 415 BGB der Genehmigung des Gläubigers. Den Beteiligten ist zu empfehlen, den Gläubiger vorab zu befragen, ob er bereit ist, die Genehmigung zu erteilen. Wird die Genehmigung verweigert, so kann vereinbart werden, dass die Schuld im Innenverhältnis im Wege der Erfüllungsübernahme vom Übernehmer zu tragen ist (§ 415 Abs. 3 BGB).

3.81 Bei der Grundstückszuwendung unter Nießbrauchsvorbehalt wird in der Regel der Übergeber die Grundpfanddarlehen für die Dauer des Nießbrauchs weiterhin verzinsen und tilgen, da ihm auch die Einnahmen zur Verfügung stehen und ansonsten kein Schuldzinsenabzug mehr möglich wäre. Hier sollte klargestellt werden, dass der Übernehmer befristet auf den Wegfall des Nießbrauchs, also in der Regel auf den Tod des Übergebers, verpflichtet ist, die Schulden zu übernehmen. Auf diesem Weg wird

1 2 3 4 5

BGH v. 18.10.2011 – X ZR 45/10, NJW 2012, 605. Ausführlich Langenfeld/Günther, Kap. 3 Rz. 821 ff. Beispiele bei Tiedtke/Wälzholz, ZEV 2000, 293. Krauß, Rz. 6213 f. BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. 1990 II, 847.

80

Grötsch

Lebzeitige Übertragung als Instrument der Vermögensnachfolge

Rz. 3.83 § 3

sichergestellt, dass die Schulden nicht in den Nachlass fallen und damit nicht von sonstigen Erben zu tragen sind1. Beratungssituation: V will ein vermietetes Mehrfamilienhaus seinem Sohn S übertragen. Der gemeine Wert der Immobilie beträgt 1.000.000 Euro. Zur Finanzierung der Anschaffungskosten hatte V ein Darlehen aufgenommen, welches noch mit 500.000 Euro valutiert. Der kapitalisierte Wert eines Vorbehaltsnießbrauchs zugunsten von V läge bei 300.000 Euro. V überlegt, ob er sich entweder einen Nießbrauch vorbehalten soll oder sich von S eine regelmäßige Rente zahlen lässt.

Bei der Übertragung unter Vorbehaltsnießbrauch müssten die Verbindlichkeiten bei V verbleiben, da nur er als Nießbraucher weiterhin Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung hat und im Gegenzug die Schuldzinsen als Werbungskosten abziehen kann. Der steuerpflichtige Erwerb des S betrüge daher unter Berücksichtigung von § 13d ErbStG: 90 % aus 1.000.000 Euro = abzüglich 90 % der Nießbrauchslast =

900.000 Euro 270.000 Euro 630.000 Euro

Bei einer Übertragung gegen Versorgungsleistungen würde S hingegen die Verbindlichkeiten und damit auch den Schuldzinsenabzug übernehmen, da er in diesem Fall die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Die Übernahme der Verbindlichkeiten wäre dann sofort und nicht erst bei Wegfall des Nießbrauchs bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bereicherung abzugsfähig (ebenfalls wegen § 13d ErbStG mit 90 %). Unter der Voraussetzung, dass der kapitalisierte Wert der Versorgungsrente ebenfalls bei 300.000 Euro liegen würde, ergäbe sich eine erbschaftsteuerliche Bereicherung von 180.000 Euro: 90 % aus 1.000.000 Euro = abzgl. 90 % der übernommenen Verbindlichkeiten = abzgl. 90 % des Kapitalwerts der Versorgungsrente =

3.82

900.000 Euro 450.000 Euro 270.000 Euro 180.000 Euro

1 Der Übergang der Verbindlichkeiten bei Wegfall des Nießbrauchs führt auf Antrag zu einer Berichtigung des ursprünglichen Schenkungsteuerbescheides (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. §§ 6 Abs. 2, 5 Abs. 2 BewG).

Grötsch 81

3.83

§ 4 Absicherung des Übergebers I. Notwendigkeit der Absicherung . . . . . . II. Versorgung des Übergebers und Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nutzungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Steuerliche Hinweise . . . . . . . . . cc) Formulierung der Nießbrauchsklausel . . . . . . . . . . . . . . b) Wohnrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederkehrende Leistungen . . . . . . . . . . a) Leibrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dauernde Last . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflegeverpflichtungen . . . . . . . . . . . . d) Steuerliche Behandlung der wiederkehrenden Leistungen . . . . . . . . . . . . aa) Als Sonderausgaben abziehbare Versorgungsleistungen . . . . . . . .

4.1 4.4 4.5 4.5 4.5 4.12 4.18 4.19 4.21 4.22 4.23 4.25 4.26 4.28

bb) Entgeltliche Vermögensübertragung gegen wiederkehrende Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unterhaltsleistungen . . . . . . . . . dd) Pflegeverpflichtungen . . . . . . . . . III. Rückforderungsrechte und Weiterübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Rückforderungsrechte . . . . . 2. Vertragliche Rückforderungsrechte . . . . a) Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . c) Steuerliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einkommensteuerliche Folgen . . bb) Folgen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht . . . . . . . . cc) Steuerklausel . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verpflichtung zur Weiterübertragung . . 4. Verfügungsrechte des Übergebers . . . . . .

4.30 4.31 4.32 4.33 4.34 4.38 4.38 4.41 4.45 4.46 4.49 4.52 4.57 4.62

Schrifttum: Beckervordersandfort, Nachfolgegestaltung mit Familienpool, ZErb 2016, 189; Breithaupt, Vorbehaltsnießbrauch als Gestaltungsinstrument bei der vorweggenommenen Erbfolge, ErbBstg 2009, 67; Brüggemann, Übertragung eines KG-Anteils unter Nießbrauchsvorbehalt oder gegen Versorgungsleistungen, ErbBstg 2009, 99; Brüggemann, (Teil-)entgeltliche Vermögensübertragung gegen wiederkehrende Leistungen, ErbBstg 2010, 123; Brüggemann, Grundstücksübertragungen: Keine Übernahme von Verbindlichkeiten bei Nießbrauchsvorbehalt, ErbBstg 2011, 195; Esskandari, Grundstücksübertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt und der frühe Tod, ErbStB 2013, 149; Geck, Der Rentenerlass IV zur Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen – Schwerpunkte und Bewertung aus Sicht der Beratungspraxis, ZEV 2010, 161; Götz, Nießbrauchsvorbehalt bei unentgeltlicher Zuwendung von verschontem Vermögen, EE 2009, 203; Götz, Nach Wegfall des § 25 ErbStG: Nießbrauch als Gestaltungsinstrument wieder interessant, EE 2009, 109; Götz, Die Rückgängigmachung von Schenkungen, ZEV 2017, 371; Götz, Schenkungsteuerliche Risiken im Hinblick auf den Quotennießbrauch bei Mitunternehmeranteilen?, ZEV 2013, 430; Goetze, Der lebzeitige Nießbrauch an Grundstücken des Privatvermögens im Steuerrecht, RNotZ 2013, 147; Hochheim/Wagenmann, Der Vorbehaltsnießbrauch am Kommanditanteil und die Mitunternehmerschaft, ZEV 2010, 109; Ivens, Rückforderung geschenkter Personengesellschaftsanteile, ZErb 2010, 286; Jülicher, Grundstücksschenkung unter Nießbrauchsvorbehalt, ZEV 2012, 71; Kesseler, Der Heimfallanspruch im Insolvenzfall, ZNotP 2007, 303; Krauß, Vermögensnachfolge in der Praxis, 5. Aufl. 2018; Neufang/Merz, Einkommenund erbschaft- bzw. schenkungsteuerrechtliche Folgen bei Wegfall des Nießbrauchs, DStR 2012, 939; Plitz, Die verunglückte Rückabwicklung einer Schenkung: der größte anzunehmende Unfall, ZEV 2009, 70; Roth, Nießbrauchsvorbehalt an Immobilien bei vorweggenommener Erbfolge, NJW-Spezial 2011, 295; Scheuber/ Roth, Wertersatz bei Rückabwicklung einer Grundstücksschenkung, NJW-Spezial 2009, 567; Siebert, So wird der Vorbehaltsnießbrauch besteuert, EE 2010, 176; Siebert, Der Nießbrauch – ein wichtiges Gestaltungsinstrument in der Praxis, EE 2012, 98; Steiner, Sicherungsmittel bei Immobilienschenkungen, ErbStB 2016, 150; Theissen/Steger, Grundstücksschenkungen unter Nießbrauchsvorbehalt nach der Erbschaftsteuerreform – Darstellung anhand von Beispielsfällen, ErbStB 2009, 158; Walter, Die Grundstücksschenkung unter Vorbehalt von Nutzungsrechten und die Pflichtteilsergänzung, MittBayNot 2015, 373; Weidlich, Das Verhältnis von vertraglichen Rückforderungsrechten und Pflichtteilsrecht, MittBayNot 2015, 193.

I. Notwendigkeit der Absicherung 4.1 Die Gründe für eine lebzeitige Vermögensübertragung sind vielfältig. Im Vordergrund steht oftmals die Situation des Empfängers: Kann durch die Übertragung zu dessen Gunsten die Erbschaftsteuer

82

Grötsch

Absicherung des Übergebers

Rz. 4.5 § 4

reduziert werden? Wird seine Einkommenssituation verbessert? Kann er damit seine zukünftige Versorgung besser planen? Mindestens genauso wichtig sollte es aber sein, dass auch der Übergeber abgesichert ist. Dies ist zum einen eine absolute Notwendigkeit, zum anderen gebietet es auch der Respekt vor dem Übergeber. Denn schließlich ist er es, der sein Vermögen, das er oftmals mit großem Einsatz erwirtschaftet hat, freiwillig abgibt. Sicherzustellen ist einerseits, dass der Übergeber ausreichend versorgt ist und auch weiter ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung hat, sowohl für den gewöhnlichen angemessenen Lebensunterhalt als auch in Situationen erhöhten finanziellen Bedarfs, etwa kostenintensiver Operationen oder im Fall der Pflegebedürftigkeit. Hierfür sollte jeweils ein ausreichender Puffer für alle Eventualitäten vorgesehen werden, auch wenn dies zu Nachteilen beim Übernehmer führen sollte, etwa steuerlicher Art.

4.2

Zudem gilt es, das Risiko zu verringern, dass Dritte auf das übergebene Vermögen zugreifen können, solange der Übergeber lebt. Zum einen schützt das wiederum den Übergeber, dessen Versorgung in vielen Fällen aus dem übergebenen Vermögen bestritten wird, zum anderen erhält es das Familienvermögen.

4.3

Hierzu haben sich einige Gestaltungen entwickelt:

II. Versorgung des Übergebers und Dritter Die Versorgung des Übergebers oder Dritter wird entweder durch Vorbehalt eines Nutzungsrechts oder durch eine regelmäßige Zahlung sichergestellt. Welche Art der Versorgung gewählt wird, hängt von verschiedenen Aspekten ab, unter anderem auch davon, inwieweit der Übergeber sich noch aktiv an der Verwaltung zum Beispiel eines Mietshauses beteiligen möchte. Beruht der Wunsch zur Übergabe etwa auch darauf, nicht mehr so stark mit den Verwaltungstätigkeiten beschäftigt sein zu wollen, bietet sich eher eine Rente an als ein Nießbrauchsvorbehalt. Jedoch gilt es, Vor- und Nachteile zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen.

4.4

1. Nutzungsvorbehalte a) Nießbrauch aa) Allgemeines Der Nießbraucher hat das Recht, sämtliche Nutzungen des belasteten Gegenstands oder Rechts zu 4.5 ziehen (§ 1030 BGB). Die Möglichkeit, sich den Nießbrauch vorzubehalten, erleichtert der übergebenden Generation regelmäßig den Entschluss zur vorweggenommenen Erbfolge. Vor allem bei der Übertragung von Immobilien ist ein Vorbehaltsnießbrauch daher häufig, möglich ist er aber auch im Unternehmensbereich. Beim einzelkaufmännischen Unternehmen ist dabei zu beachten, dass der Nießbrauch nicht durch einen einheitlichen Rechtsakt bestellt werden kann, sondern dass er an sämtlichen zu dem Unternehmen gehörenden Gegenständen und Rechten einzeln begründet werden muss1. Bei Anteilen an Personengesellschaften ist der Vorbehalt eines Nießbrauchs grundsätzlich zulässig. Voraussetzung ist, dass nach dem Gesellschaftsvertrag die Übertragung von Anteilen an der Gesellschaft zugelassen ist2. Da fraglich ist, ob der Gesellschaftsvertrag zudem die Belastung eines Geschäftsanteils mit einem Nießbrauch ausdrücklich zulassen muss, sollte in der Praxis stets der sichere Weg gewählt werden und eine entsprechende Modifikation des Gesellschaftsvertrags angestrebt werden3. Eine Alternative zum Nießbrauch bildet die Bestellung von Unterbeteiligungen.

1 MüKo.BGB/Pohlmann, § 1085 Rz. 17. 2 MüKo.BGB/Pohlmann, § 1068 Rz. 31 ff. 3 MüKo.BGB/Pohlmann, § 1068 Rz. 33.

Grötsch 83

§ 4 Rz. 4.6

Absicherung des Übergebers

4.6 Bei Geschäftsanteilen einer GmbH ist die Bestellung eines Nießbrauchs grundsätzlich zulässig, etwaige Beschränkungen nach der Satzung (§ 15 Abs. 5 GmbHG) sind aber zu beachten, insbesondere wenn diese für die Abtretung von Geschäftsanteilen besondere Voraussetzungen vorsieht oder die Veräußerung von Geschäftsanteilen ausschließt. Diese Beschränkungen erstrecken sich analog auch auf die Bestellung eines Nießbrauchs1. Die Verpflichtung zur Einräumung des Nießbrauchs am GmbHAnteil kann formfrei eingegangen werden, die dingliche Belastung selbst bedarf der notariellen Beurkundung (§ 1069 Abs. 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 GmbHG). Die Obliegenheit zur Anmeldung nach § 16 GmbHG ist zu beachten.

4.7 Sollen mehrere Personen nießbrauchsberechtigt sein, insbesondere bei vorweggenommener Erbfolge die übergebenden Eltern, so ist die Bestellung einer Gesamtgläubigerschaft der Nießbrauchsberechtigten die Regel (§ 428 BGB). Dies bewirkt ohne weiteres, dass der überlebende Nießbrauchsberechtigte den Nießbrauch ungeschmälert weitergenießt.

4.8 Die Einräumung einer Gesamtgläubigerschaft führt steuerlich zur Annahme eines Zuwendungsnießbrauchs, wenn der Ehegatte nicht zugleich Miteigentümer des übergebenen Vermögens ist2. Soll dies beim Zeitpunkt der Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge verhindert werden, so kann anstelle der Gesamtgläubigerschaft der Weg gewählt werden, dass der Nießbrauch zunächst nur dem Eigentümer-Ehegatten und erst ab seinem Tode dem Nichteigentümer-Ehegatten zustehen soll (aufschiebend bedingter Nießbrauch)3. Eine weitere, etwas flexiblere Alternative besteht darin, dem Nichteigentümer-Ehegatten lediglich einen Anspruch auf Bestellung eines definierten Nießbrauchs zum Zeitpunkt des Erbfalls des Eigentümer-Ehegatten einzuräumen und diesen Anspruch durch eine Vormerkung zu sichern.

4.9 Wenn nicht alle Nutzungen des zu übergebenden Vermögens vorbehalten bleiben sollen, kann zum Bruchteils- oder Quotennießbrauch gegriffen werden. Der Unterschied besteht darin, dass beim Bruchteilsnießbrauch ein ideeller Miteigentumsanteil mit einem Nießbrauch belastet ist, beim Quotennießbrauch hingegen der gesamte Vermögenswert, allerdings nur entsprechend der Quote. In der Praxis macht dies kaum einen Unterschied.

4.10 Durch den Nießbrauch behält der Übergeber die Verwaltung des Vermögens, also bspw. auch die mit der Verwaltung eines Grundstücks verbundene Arbeit. Will er sich die Option offen halten, sich hiervon zu befreien, so kann ein Rentenwahlrecht vereinbart werden, nach dem er verlangen kann, dass ihm anstelle des Nießbrauchs eine Rente gezahlt wird, bspw. bemessen nach dem Durchschnitt der letzten 3-Jahres-Netto-Erträge4.

4.11 Sofern mit dem „Störfaktor“ Pflichtteil gerechnet werden muss, sollte beachtet werden, dass die Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt in der Regel die Abschmelzung nach § 2325 Abs. 3 BGB verhindert, da der BGH hierfür fordert, dass sich der Erblasser des verschenkten Gegenstands auch wirtschaftlich entäußert hat5. bb) Steuerliche Hinweise

4.12 Bei Beteiligung Minderjähriger empfiehlt es sich aus Sicht der Praxis, immer einen Pfleger hinzuzuziehen, da nach Auffassung der Finanzverwaltung zumindest bei Einkünften aus Vermietung und 1 Baumbach/Hueck/Fastrich, § 15 GmbHG Rz. 52. 2 Der entscheidende Unterschied liegt in der AfA-Befugnis: Diese steht dem Vorbehaltsnießbraucher (also dem früheren Eigentümer) weiterhin zu, während sie beim Zuwendungsnießbrauch sowohl dem Nießbrauchsberechtigten als auch dem Eigentümer verloren geht, Nießbrauchserlass v. 30.9.2013 (BStBl. I 2013, 1184) Rz. 20, 24, 42. 3 Mit dem Vorversterben des Eigentümer-Ehegatten (Eintritt der aufschiebenden Bedingung) ist dies nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ein schenkungsteuerrelevanter Zuwendungsvorgang. 4 Langenfeld/Günther, Kap. 3 Rz. 48 mit Formulierungsbeispiel. 5 BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, MDR 1994, 1015 = FamRZ 1994, 885 = ZEV 1994, 233.

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Absicherung des Übergebers

Rz. 4.15 § 4

Verpachtung die Bestellung des Nießbrauchs ohne Mitwirkung eines Ergänzungspflegers einkommensteuerlich nicht anzuerkennen ist1. Anderes gilt nach der Rspr. des BFH aber, wenn das Familiengericht die Pflegerbestellung für entbehrlich gehalten hat2. Beratungshinweis: Vorsorglich sollte die Bestellung eines Ergänzungspflegers beantragt werden.

Einkommensteuerlich sind Einkünfte aus Kapitalvermögen beim Vorbehaltsnießbrauch dem Nießbrauchsberechtigten zuzurechnen3. Gleiches gilt für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß BMF-Schreiben vom 30.9.2013 (Nießbrauchserlass)4. Hiernach erzielt grundsätzlich der Nießbrauchsberechtigte die Einkünfte nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn er das Grundstück durch Vermietung nutzt, ihm die volle Besitz- und Verwaltungsbefugnis zusteht, er die Nutzungen tatsächlich zieht und es verwaltet. Der Vorbehaltsnießbraucher kann in diesem Fall auch die AfA für das Gebäude wie zuvor schon als Eigentümer in Anspruch nehmen. Werbungskosten sind abziehbar, sofern der Nießbrauchsberechtigte sie nach dem Vereinbarten zu tragen hat und tatsächlich trägt.

4.13

Beratungshinweis: Außergewöhnliche Aufwendungen muss der Nießbrauchsberechtigte nach dem Gesetz (§ 1043 BGB) nicht tragen. Dies gilt bspw. für eine aufwändige Dachsanierung. Der Nießbraucher kann diese Kosten daher steuerlich nicht geltend machen, ebenso wenig der Eigentümer, der keine Einnahmen aus V und V erzielt. Es sollte daher vereinbart werden, dass der Nießbrauchsberechtigte auch außergewöhnliche Lasten zu tragen hat5.

Beim Zuwendungsnießbrauch kann der Nießbrauchsberechtigte im Unterschied zum Vorbehaltsnießbrauch nach Auffassung der Finanzverwaltung für Gebäude keine AfA abziehen und auch auf das Nießbrauchsrecht keine AfA vornehmen6. Dies ist ein gravierender Nachteil, der immer dann bedacht werden muss, wenn im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge ein Nießbrauchsrecht nicht zugunsten des Übertragenen vorbehalten, sondern, bspw. aus Gleichstellungsgründen einem Dritten, etwa einem anderen Kind des Übertragenden, zugewandt werden soll.

4.14

Problematisch kann auch die Übertragung von Betriebsvermögen unter Nießbrauchsvorbehalt sein. 4.15 Bei Anteilen an Personengesellschaften führt dies dazu, dass die Begünstigungen der §§ 13a, 19a ErbStG nicht gewährt werden, wenn der Bedachte nicht Mitunternehmer wird7. Dieses Risiko kommt allerdings nur in Ausnahmefällen in Betracht, bspw. wenn der Schenker seinen Vorbehaltsnießbrauch auch auf außerordentliche Erträge erstreckt und er sich das Stimmrecht auch für außergewöhnliche Entscheidungen vorbehält.8 Beratungshinweis: Die Mitunternehmerstellung kann nicht allein dadurch gestärkt werden, dass nur ein Quotennießbrauch (von bspw. 95 %) bestellt wird. Denn behält sich der Schenker bei der freigebigen Zuwendung einer Beteiligung den Nießbrauch zu einer bestimmten Quote hiervon einschließlich der Stimmund Mitverwaltungsrechte vor und vermittelt daher der mit dem Nießbrauch belastete Teil der Beteiligung dem Erwerber für sich genommen keine Mitunternehmerstellung, können für diesen Teil die Steuervergünstigungen nicht beansprucht werden9. 1 BMF-Schreiben v. 30.9.2013, Nießbrauchserlass, BStBl. I 2013, 1184 Rz. 4. 2 BMF-Schreiben v. 30.9.2013, Nießbrauchserlass, BStBl. I 2013, 1184 Rz. 5; s. auch BFH v. 13.7.1999 – VIII R 29/97, DStRE 1999, 937. 3 Schmidt/Weber-Grellet, § 20 EStG Rz. 176; Stuhrmann, DStR 1998, 1406. 4 BStBl. I 2013, 1184. 5 Krauß, Rz. 5824. 6 BMF-Schreiben v. 30.9.2013, Nießbrauchserlass, BStBl. I 2013, 1184 Rz. 19, 20. 7 BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, FamRZ 2009, 696 = ErbStB 2009, 107 = DStR 2009, 321; BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, DB 2015, 1817; Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 144; krit. hierzu Ebeling, DB 1999, 611 (612). 8 Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 144 ff. 9 BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, ErbStB 2013, 243 = DStR 2013, 1380; BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, DB 2015, 1817.

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§ 4 Rz. 4.16

Absicherung des Übergebers

4.16 Bei der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften besteht dieses Problem, soweit das notwendige Quorum von 25 Prozent überschritten wird, nicht, da hier für die Begünstigung keine Mitunternehmerschaft nötig ist. Der Kapitalwert des Nießbrauchs kann bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Steuer vom Substanzerwerb abgezogen werden1. Jedoch findet § 10 Abs. 6 S. 4 ErbStG Anwendung: Der Abzug des Nießbrauchs ist nur mit dem Betrag zulässig, der dem Verhältnis zwischen dem ursprünglichen Wert des Betriebsvermögens und seinem Wert nach Anrechnung der Vergünstigungen nach § 13a ErbStG entspricht2. Beratungssituation: V möchte seinem Sohn helfen und auf den im Jahr 2008 vorbehaltenen Nießbrauch verzichten.

4.17 Vorsicht ist geboten, da die Finanzverwaltung mit Billigung des BFH den Verzicht auf den Nießbrauch auch in Altfällen aus der Zeit vor 2009 als neue selbständige Zuwendung behandelt3. Neben dem Wegfall der Steuerstundung (§ 25 Abs. 1 S. 2 a.F. ErbStG) droht also eine weitere erhebliche Zahlungslast, sofern der Kapitalwert des Nießbrauchs zum Zeitpunkt des Verzichts höher ist als zum Zeitpunkt der ursprünglichen Schenkung. V sollte daher zunächst prüfen, ob sein Ziel anstatt durch Verzicht auch anders erreicht werden kann, bspw. durch Gewährung eines Darlehens an den Sohn. cc) Formulierung der Nießbrauchsklausel

4.18 Eine typische Nießbrauchsklausel bei Übertragung einer Immobilie kann wie folgt formuliert werden: 4.18a M 12 Nießbrauchsvorbehaltsklausel bei lebzeitiger Vermögensübertragung 1. Der Erwerber räumt dem Veräußerer auf Lebensdauer den Nießbrauch am Vertragsobjekt ein. Der Inhalt des Nießbrauchs richtet sich nach den gesetzlichen Bestimmungen, jedoch mit folgenden Abweichungen: a) Der Nießbraucher hat sämtliche öffentlichen und privatrechtlichen Lasten des Vertragsobjekts zu tragen, die sonst der Eigentümer tragen müsste, insbesondere auch die außergewöhnlichen, auf der Sache ruhenden öffentlichen Lasten, die als auf den Stammwert der Sache gelegt anzusehen sind. b) Der Nießbraucher hat Ausbesserungen und Erneuerungen auch insoweit vorzunehmen und zu tragen, als sie über die gewöhnliche Unterhaltung hinausgehen. c) Die Verkehrssicherungspflicht trägt der Nießbraucher. 2. Aufschiebend bedingt auf das Ableben des Veräußerers und auf Veranlassung des Veräußerers räumt der Erwerber der heute miterschienenen Ehefrau des Veräußerers, Frau …, auf Lebensdauer den Nießbrauch am Vertragsobjekt ein. Der Nießbrauch steht unter der weiteren aufschiebenden Bedingung, dass zum Zeitpunkt des Todes des Ehemanns, Herrn …, die Ehe besteht, bzw. kein begründeter Scheidungsantrag bei Gericht anhängig ist. Für den Nießbrauch gelten die vorstehenden Bestimmungen in Ziffer 1 entsprechend. 3. Die Vertragsteile bewilligen und beantragen die Eintragung des Nießbrauchs im Grundbuch mit dem Vermerk, dass zur Löschung der Nachweis des Todes des Berechtigten genügt. Der Nießbrauch erhält im Grundbuch Rang nach den in Abteilung II derzeit eingetragenen Belastungen. 4. Der Nießbraucher kann den Nießbrauch jederzeit durch Erklärung gegenüber dem Eigentümer oder gegenüber dem Grundbuchamt aufgeben.

1 Gestaltungsansätze bei Breithaupt, ErbBStg. 2009, 67. 2 So schon zum alten Recht BFH v. 6.7.2005 – II R 34/03, ErbStB 2005, 304 = BStBl. 2005 II, 797. 3 BFH v. 20.5.2014 – II R 7/13, DStR 2014, 1919.

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Absicherung des Übergebers

Rz. 4.23 § 4

b) Wohnrecht Speziell bei Wohnimmobilien kann nach § 1093 BGB als beschränkte persönliche Dienstbarkeit das Recht bestellt werden, ein Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu benutzen. Auf dieses Wohnungsrecht finden weitgehend die Vorschriften über den Nießbrauch Anwendung. Die Abgrenzung zum Nießbrauchsrecht ergibt sich daraus, dass das Wohnungsrecht seinen Hauptzweck im Wohnen hat, während der Nießbrauch zur umfassenden Nutzung eines Vermögensgegenstands, insbesondere auch von Gegenständen oder Rechten, die nicht Wohnimmobilien sind, berechtigt.

4.19

Ebenso wie beim Nießbrauch ist der Eigentümer nicht verpflichtet, eine außergewöhnliche Ausbes- 4.20 serung des Grundstücks oder Gebäudes auf seine Kosten vorzunehmen. Im Unterschied zum Nießbrauch trägt der Eigentümer allerdings im Verhältnis zum Wohnungsberechtigten die öffentlichen und privaten Lasten des Grundstücks wie Brandversicherung, Grundsteuer und Zinsen bei Grundpfandrechten1. Da das Wohnungsrecht des § 1093 BGB nach h.M. mit Zerstörung des Gebäudes erlischt2, gebietet es kautelarjuristische Vorsicht, ergänzend dem Wohnungsberechtigten den schuldrechtlichen Anspruch auf Neubestellung eines entsprechenden Wohnungsrechts in einem neuen Gebäude zu geben und diesen Anspruch durch eine sog. Brandvormerkung zu sichern3. Einkommen- wie erbschaftsteuerlich gelten für das Wohnungsrecht weitgehend die Regelungen zum Nießbrauch analog, als sog. Duldungs- oder Nutzungsauflage minderte das dem Veräußerer oder seinem Ehegatten vorbehaltene Wohnrecht in Steuerfällen bis 31.12.2008 wegen des Abzugsverbots nach § 25 ErbStG die schenkungsteuerliche Bemessungsgrundlage nicht4; seit 1.1.2009 ist sein Kapitalwert hingegen bei der Ermittlung der Steuer vom Wert der übertragenen Immobilie abzuziehen. 2. Wiederkehrende Leistungen Durch den Vorbehaltsnießbrauch sichert sich der Übergeber auch weiterhin den Ertrag des übergebenen Vermögens, zugleich behält er aber auch die Mühen der Verwaltung und das Risiko des Schwankens der Einkünfte. Wenn dies nicht gewollt ist, kann zur vorweggenommenen Erbfolge gegen Vereinbarung von wiederkehrenden Leistungen gegriffen werden.

4.21

a) Leibrente Bei der Verpflichtung des Zuwendungsempfängers, dem Übergeber lebenslang eine Rente zu zahlen, handelt es sich regelmäßig um eine Leibrente im Sinne von § 759 BGB. Rechtstechnisch beruhen die Rentenansprüche auf einem Rentenstammrecht, aus dem sie als Rechtsfrüchte nach § 99 Abs. 2 BGB fließen. Die dingliche Sicherung erfolgt bei Immobilien durch Bestellung einer Rentenreallast nach §§ 1105 ff. BGB. Regelmäßig wird eine Wertsicherung vereinbart. Eine Verbraucherpreisindexklausel, die die Wertsicherung automatisch sicherstellt, ist nach § 3 Abs. 1 PreisklG zulässig. Ein Leistungsvorbehalt, der für das Ausmaß der Änderung des geschuldeten Betrages einen Ermessensspielraum lässt, ist nach § 1 Nr. 1 PreisklG ohne weiteres zulässig, wegen des damit verbundenen Streitpotenzials aber nicht empfehlenswert.

4.22

b) Dauernde Last Die dauernde Last ist ein Produkt des Steuerrechts, im BGB ist sie nicht vorgesehen. Im Unterschied zur Rente ist sie dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Leistungen nicht betragsmäßig gleich bleiben oder lediglich wertgesichert sind, sondern nach § 323 ZPO der Abänderung unterliegen. Dadurch

1 2 3 4

§ 1047 BGB ist in § 1093 Abs. 1 S. 2 BGB nicht für anwendbar erklärt. MüKo.BGB/Mohr, § 1093 Rz. 23 m.w.N. Langenfeld/Günther, Kap. 4 Rz. 58. Meincke, 14. Aufl., § 25 ErbStG Rz. 10.

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4.23

§ 4 Rz. 4.24

Absicherung des Übergebers

bringt die dauernde Last für die Beteiligten Risiken mit sich, da die Höhe der Leistungspflicht sowohl von der Bedürftigkeit des Berechtigten als auch von der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten abhängt.

4.24 Die dauernde Last kann bei Grundstücken ebenfalls durch Eintragung einer Reallast gesichert werden, wobei allerdings wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes nur der Ausgangsbetrag (mit Indexierung) durch Reallast gesichert werden kann und der zugehörige Anpassungsvorbehalt nur schuldrechtlich vereinbart wird1. c) Pflegeverpflichtungen

4.25 Die Übernahme von Pflegeverpflichtungen ist bei landwirtschaftlichen Hofübergaben typischer Bestandteil der vorweggenommenen Erbfolge (Altenteilsvertrag, vgl. Art. 96 EGBGB)2. Unabhängig vom Altenteil kann eine Pflegeverpflichtung auch mit einem Wohnungsrecht im Sinne von § 1093 BGB gekoppelt und durch Reallast abgesichert werden3. d) Steuerliche Behandlung der wiederkehrenden Leistungen

4.26 Erbschaftsteuerlich ergibt sich aus der Vermögensübergabe gegen wiederkehrende Leistungen eine gemischte Schenkung4. Zur Klärung der einkommensteuerlichen Folgen dient folgende Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob es aus einkommensteuerlichen Gründen klüger ist, eine Mietimmobilie oder einen Betrieb an seine Tochter lebzeitig zu übertragen. Spielt es dabei eine Rolle, ob eine dauernde Last oder eine Leibrente als Gegenleistung vereinbart wird?

4.27 Ziel aus Sicht der Gestaltungspraxis ist es in der Regel, die Unterschiede in der Steuerprogression zwischen übergebender und übernehmender Generation optimal zu nutzen. Die übergebende Generation unterwirft die Einnahmen der Besteuerung, weil sie einen geringeren Steuersatz hat, die übernehmende Generation erhält die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs.

4.27a Rechtslage bis 31.12.2007 Zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von wiederkehrenden Leistungen hatte sich im Laufe der Jahrzehnte eine umfangreiche und teilweise widersprüchliche Rspr. angesammelt. Mit zwei Beschlüssen vom 12.5.2003 hatte der Große Senat des BFH versucht, unter dieses Thema einen Schlussstrich zu ziehen5. Die Quintessenz hieraus fasste die Finanzverwaltung (nolens volens) im sog. Dritten Rentenerlass zusammen6. Der BFH hatte den Anwendungsbereich des Sonderausgabenabzugs nahezu auf alle Vermögensübertragungen im Generationenverbund ausgeweitet, bis hin zu Grundstücks-, Wertpapier- und sogar Geldübertragungen. Mit dem Jahressteuergesetz 2008 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Sonderausgabenabzugs hingegen deutlich eingeschränkt. Für Übergabeverträge aus der Zeit bis 31.12.2007 gelten jedoch die alten großzügigen Regelungen des Dritten Rentenerlasses fort (§ 52 Abs. 23g EStG)7.

1 2 3 4 5 6

Wegmann, Rz. 396. Ausführlich Langenfeld/Günther, Kap. 4 Rz. 76 ff. Langenfeld/Günther, Kap. 4 Rz. 102. BFH v. 14.4.1989 – II R 37/87. BFH v. 12.5.2003 – GrS 1/00 und 2/00, FamRZ 2003, 1747 = ErbStB 2003, 343, BStBl. 2004 II, 95, 100. BMF-Schreiben v. 16.9.2004 – IV C 3 - S 2255 - 354/04, BStBl. 2004 I, 922, hierzu Heinrichshofen, ErbStB 2004, 335; Hipler, ZEV 2004, 412. 7 Einschränkung: Die Neuregelung gilt auch für Altverträge, bei denen das übertragene Vermögen nur deshalb ausreichenden Ertrag bringt, weil ersparte Aufwendungen hinzugerechnet werden (wiederum mit der Ausnahme des Nutzungsvorteils eines zu eigenen Zwecken vom Vermögensübernehmer genutzten Grundstücks). Hier wurde keine Fortgeltung angeordnet, weil diese Fallgruppe bereits im Rentenerlass von der Begünstigung ausgenommen war (BStBl. 2004 I, 922 Rz. 21).

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Absicherung des Übergebers

Rz. 4.28 § 4

4.27b

Rechtslage seit 1.1.2008 Für Übergabeverträge ab 1.1.2008 wurde die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs auf den Bereich der Unternehmensnachfolge begrenzt. Die Finanzverwaltung reagierte hierauf mit dem sog. Vierten Rentenerlass1, der den Dritten Rentenerlass ergänzt. Demnach können die wiederkehrenden Leistungen unter bestimmten Voraussetzungen als sog. „Versorgungsleistungen“ beim Verpflichteten als Sonderausgaben abziehbar und beim Berechtigten steuerpflichtig sein (vgl. Rz. 4.28). Liegen dagegen wiederkehrende Leistungen im Austausch mit einer Gegenleistung vor, wird auf eine nichtsteuerbare oder steuerbare Vermögensumschichtung und einen Zinsanteil abgestellt (vgl. Rz. 4.30). Bloße Unterhaltsleistungen dürfen dagegen nicht abgezogen werden (vgl. Rz. 4.31). aa) Als Sonderausgaben abziehbare Versorgungsleistungen Unter folgenden Voraussetzungen sind die Versorgungsleistungen beim Verpflichteten als Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbar und beim Berechtigten nach § 22 Nr. 1b EStG steuerpflichtig2: – die Versorgungsleistungen stehen im Zusammenhang mit der Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft, die eine Tätigkeit im Sinne der §§ 13, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder des § 18 Abs. 1 EStG ausübt, der Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs oder der Übertragung eines mindestens 50%igen Anteils an einer GmbH, wenn der Übergeber als Geschäftsführer tätig war und der Übernehmer diese Tätigkeit nach der Übertragung übernimmt; der Übergeber muss aus der Geschäftsführung ausscheiden; § 10 Abs. 1a Nr. 2c EStG3; – der Übernehmer erhält nach dem Willen der Beteiligten wenigstens teilweise eine unentgeltliche Zuwendung. Bei der Übertragung auf Angehörige spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die wiederkehrenden Leistungen unabhängig vom Wert des übertragenen Vermögens nach dem Versorgungsbedürfnis des Berechtigten und nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bemessen worden sind. Bei einer Übertragung unter Fremden besteht dagegen eine nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung, dass bei der Übertragung von Vermögen Leistung und Gegenleistung kaufmännisch gegeneinander abgewogen sind und somit keine teilunentgeltliche Zuwendung vorliegt; – das übertragene Vermögen muss ausreichend Ertrag erbringen, um die Versorgung des Übergebers aus dem übernommenen Vermögen zumindest zu einem Teil zu sichern. Ein Anhaltspunkt für ein rein entgeltliches Rechtsgeschäft und somit für den Wegfall des Sonderausgabenauszugs kann sich daraus ergeben, dass die wiederkehrenden Leistungen auf Dauer die erzielbaren Erträge übersteigen; schichtet der Übernehmer das überlassene Vermögen in nicht ausreichend ertragbringende Wirtschaftsgüter um, sind die wiederkehrenden Leistungen auch dann nicht als Sonderausgaben abziehbar, wenn die Beteiligten die geschuldeten Versorgungsleistungen an die Erträge der neu erworbenen Vermögensgegenstände anpassen4; veräußert der Übernehmer das überlassene Vermögen und wendet er den Erlös einem Dritten zu, ohne hierfür einen Gegenwert zu erhalten, sind die wiederkehrenden Leistungen nicht mehr als Sonderausgaben zu behandeln5; – die Versorgungsleistungen müssen lebenslang, auf die Lebenszeit des Empfängers, gezahlt werden; – als Empfänger der Versorgungsleistungen kommen in erster Linie der Übergeber des Vermögens im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in Betracht, jedoch auch dessen Ehegatte und die gesetzlich 1 2 3 4

BMF-Schreiben v. 11.3.2010 – IV C 3-S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227, ZEV 2010, 212. BMF-Schreiben v. 11.3.2010 – IV C 3-S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227, ZEV 2010, 212. BFH v. 20.3.2017 – X R 35/16, ZEV 2017, 539; Wälzholz, NWB-EV 2017, 11. BFH v. 18.8.2010 – X R 55/09, FamRZ 2011, 562 = ErbStB 2011, 65 = Erbfolgebesteuerung 2011, 59; BFH v. 15.7.2014 – X R 39/12, HFR 2015, 224. 5 BFH v. 8.12.2010 – X R 35/10, ErbStB 2011, 124 = Erbfolgebesteuerung 2011, 93.

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4.28

§ 4 Rz. 4.29

Absicherung des Übergebers

erb- und pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge des Übergebers sowie der Lebenspartner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Sind dagegen Geschwister des Übernehmers Empfänger der wiederkehrenden Leistungen, besteht die widerlegbare Vermutung, dass diese nicht versorgt, sondern gleichgestellt werden sollen. Nicht zum Generationennachfolgeverbund gehörende Personen, wie etwa der Lebensgefährte, Mitarbeiter im Betrieb, können nicht Empfänger von Versorgungsleistungen sein. – die gegenseitigen Rechte und Pflichten müssen klar und eindeutig sowie rechtswirksam vereinbart und ernsthaft gewollt sein und die Leistungen wie vereinbart auch tatsächlich erbracht werden. Als wesentlicher Inhalt des Übertragungsvertrags müssen der Umfang des übertragenen Vermögens, die Höhe der Versorgungsleistungen und die Art und Weise der Zahlung vereinbart sein. Änderungen können nur dann steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie zukünftig gelten und von den Vertragsparteien schriftlich fixiert worden sind. Nötig ist zudem, dass die Änderungen auf ein langfristig verändertes Versorgungsbedürfnis oder die veränderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zurückgehen. Werden die Versorgungsleistungen willkürlich ausgesetzt, so dass die Versorgung des Übergebers gefährdet ist, sind spätere Zahlungen nicht mehr als Sonderausgaben abziehbar1. Ist eines dieser Kriterien nicht erfüllt, kommen ein Sonderausgabenabzug beim Übernehmer sowie die Versteuerung der wiederkehrenden Leistung beim Übergeber nicht in Betracht.

4.29 Beratungshinweis: Wurde im vor dem 1.1.2008 errichteten Übergabevertrag ein Nießbrauch vorbehalten und dieser ab dem 1.1.2008 abgelöst durch Versorgungsleistungen, sah der 4. Rentenerlass unter Rz. 85 vor, dass die Versorgungsleistungen nur steuerlich berücksichtigt wurden, wenn die Ablösung des Nießbrauchs gegen Versorgungsleistungen und deren genauer Zeitpunkt bereits im Übergabevertrag vereinbart waren. Aufgrund eines Urteils des BFH2 wurde Rz. 85 des 4 Rentenerlasses geändert3. Nun gelten für diese Versorgungsleistungen zur Ablösung des Nießbrauchs wieder die günstigeren früheren Regelungen, sofern der Überlassungsvertrag vor dem 1.1.2008 geschlossen wurde, unabhängig davon, ob im Überlassungsvertrag die Ablösung des Nießbrauchs bereits vorgesehen war.

bb) Entgeltliche Vermögensübertragung gegen wiederkehrende Leistungen

4.30 Sofern die Voraussetzungen für die Qualifizierung als als Sonderausgaben abziehbare Versorgungsleistungen nicht erfüllt sind, enthalten wiederkehrende Leistungen im Austausch mit einer Gegenleistung bis zur Grenze der Angemessenheit eine nichtsteuerbare oder steuerbare Vermögensumschichtung in Höhe ihres Barwerts (Tilgungsanteil) und einen Zinsanteil. Der Zinsanteil kann beim Zahlungsverpflichteten zu Betriebsausgaben oder Werbungskosten führen, beim Berechtigten kann er zu versteuern sein. Der Tilgungsanteil kann beim Verpflichteten zu abschreibungsfähigen Anschaffungskosten und beim Berechtigten zu steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnen führen4. cc) Unterhaltsleistungen

4.31 Bloße Unterhaltsleistungen sind auf Seiten des Verpflichteten nach § 12 Nr. 2 EStG nicht abzugsfähig und werden auf Seiten des Berechtigten nicht besteuert. Diese Fallgruppe ergibt sich durch negative Abgrenzung von den übrigen Fallgruppen, es handelt sich um eine Art Auffangtatbestand. Ist etwa der Tilgungsanteil einer wiederkehrenden Leistung höher als der Wert des übertragenen Vermögens, ist Entgeltlichkeit nur in Höhe des angemessenen Kaufpreises anzunehmen. Der übersteigende Betrag ist eine Zuwendung im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG. Ist der Barwert der wiederkehrenden Leistung jedoch mehr als doppelt so hoch wie der Wert des übertragenen Vermögens, liegt insgesamt eine Zuwendung im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG vor5. 1 2 3 4 5

BFH v. 15.9.2010 – X R 13/09, FamRZ 2011, 112 = ErbStB 2011, 66 = ZEV 2011, 98. BFH v. 12.5.2015 – IX R 32/14, ZEV 2015, 545. BMF-Schreiben v. 6.5.2016 – IV C 3-S 2221/15/10011:004, BStBl 2016 I S. 476. 4. Rentenerlass, Rz. 65 ff. 4. Rentenerlass, Rz. 66.

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Rz. 4.36 § 4

Beratungssituation: Ist in der Beratungssituation gewünscht, die Steuerprogression, wie unter Rz. 4.31 geschildert, zu nutzen, bietet es sich an, nicht die Mietimmobilie, sondern den Betrieb zu übertragen, da nur dann der Sonderausgabenabzug beim Übernehmer möglich ist. Ob die Versorgungsleistung variabel oder dauerhaft festgelegt ist, spielt für die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit keine Rolle mehr.

dd) Pflegeverpflichtungen Schenkungsteuerlich handelt es sich um eine zunächst nur aufschiebend bedingte Last. Bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit und Erbringung der Pflegeleistungen wird der Schenkungsteuerbescheid berichtigt, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO. Maßgebend für die Kapitalisierung der Pflegeleistungen sind dabei die sozialrechtlichen Pauschalvergütungen1, alternativ der tatsächliche Aufwand in Verbindung mit einem Stundenlohn für ungelernte Pflegekräfte i.H.v. 11 Euro2.

4.32

Beratungshinweis: Vorsicht: Wird die Pflegeverpflichtung als Gegenleistung vereinbart, ist die Übertragung insoweit Leistungsentgelt, das der Einkommensteuer unterliegt und Grunderwerbsteuer auslöst3. Die schenkungsteuerliche Abzugsfähigkeit hat dann erhebliche einkommensteuerliche Nachteile. Insbesondere bei langer Pflegedauer kann der einkommensteuerliche Nachteil die schenkungsteuerlichen Vorteile bei weitem überwiegen.

III. Rückforderungsrechte und Weiterübertragung Beratungssituation: Der Mandant fürchtet die Unwägbarkeiten der Zukunft und schreckt daher vor einer vorweggenommenen Erbfolge zurück; er fragt, ob er von Gesetzes wegen ausreichend abgesichert ist.

4.33

1. Gesetzliche Rückforderungsrechte Von Gesetzes wegen gibt es bei Schenkungen drei schenkungsspezifische Rückforderungstatbestände:

4.34

– Nichtvollzug einer Auflage (§ 527 BGB), – Notbedarf des Schenkers (§ 528 BGB), – Grober Undank (§ 530 BGB). Zudem sind die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Trennungen von Lebensgemeinschaften zu berücksichtigen, etwa bei ehebedingten Zuwendungen4, bei Schenkungen an den Lebensgefährten5 oder das Schwiegerkind6. Auch Ansprüche wegen Zweckverfehlung, § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB, kommen in Betracht7.

4.35

Diese gesetzlichen Rückforderungsrechte sind aus der Sicht der kautelarjuristischen Praxis ungeeig- 4.36 net, teilweise sogar ein echter Störfaktor: Nach § 527 BGB kann der Schenker bei Nichtvollziehung einer Auflage die Herausgabe des Geschenks nach bereicherungsrechtlichen Vorschriften verlangen. 1 Troll/Gebel/Jülicher, § 12 ErbStG Rz. 69a. 2 ErbStR 2011, H E 7.4 (1), neugefasst durch gleichlautenden Ländererlass v. 4.6.2014, BStBl. I S. 891; ergänzend dazu OFD Frankfurt/Main v. 18.5.2017, ZEV 2017, 431. 3 ErbStR 2011, R E 13.5. 4 BGH v. 17.1.1990 – XII ZR 1/89, MDR 1990, 716 = FamRZ 1990, 600 = WM 1990, 856. 5 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, MDR 2008, 1275 = ErbStB 2008, 325 = FamRZ 2008, 1822; BGH v. 25.11.2009 – XII ZR 92/06, MDR 2010, 445 = FamRZ 2010, 277; OLG Brandenburg v. 9.2.2016 – 3 U 8/12, NZFam 2016, 336. 6 BGH v. 21.7.2010 – XII ZR 180/09, NJW 2010, 2884; BGH v. 3.2.2010 – XII ZR 189/06, MDR 2010, 932 = FamRZ 2010, 958 (m. Anm. Wever FamRZ 2010, 1047) = ErbStB 2010, 201; BGH v. 16.12.2015 – XII ZB 516/14, NJW 2016, 629. 7 BGH v. 21.7.2010 – XII ZR 180/09, NJW 2010, 2884; BGH v. 3.2.2010 – XII ZR 189/06, MDR 2010, 932 = FamRZ 2010, 958 (m. Anm. Wever FamRZ 2010, 1047) = ErbStB 2010, 201.

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§ 4 Rz. 4.37

Absicherung des Übergebers

Dies führt zur Rückabwicklung sämtlicher gezogener Nutzungen und sämtlicher Verwendungen, soweit nicht Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) eingetreten ist. Dabei kann das Geschenk nur insoweit zurückgefordert werden, als es zur Vollziehung der Auflage hätte verwendet werden müssen. All dies ist nicht praktikabel und sollte daher vertraglich ausdrücklich abbedungen werden, was zulässig ist1.

4.37 Die Rückforderungsvorschrift des § 528 BGB, nach der der Schenker die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften des Bereicherungsrechts fordern kann, wenn er seinen angemessenen Unterhalt2 nicht mehr bestreiten oder seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht mehr nachkommen kann, hat auf sozialrechtlichem Gebiet erhebliche praktische Bedeutung erlangt, da die Sozialbehörde diesen Anspruch nach § 93 SGB XII überleiten kann. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Übergeber in ein Pflegeheim kommt. Die Unterbringungskosten dort liegen regelmäßig bei mehr als 2.500 Euro monatlich, teilweise sogar bei über 4.000 Euro. Hiervon übernimmt die Pflegeversicherung nach § 43 SGB XI in der Regel lediglich einen Teil. Da nach herrschender Ansicht § 528 BGB nicht abbedungen werden kann, müssen die Beteiligten mit dem Risiko der sozialrechtlichen Überleitung leben3. 2. Vertragliche Rückforderungsrechte a) Tatbestände

4.38 Beratungssituation: Der Mandant möchte sein Mietshaus übergeben, aber dennoch „das Heft in der Hand behalten“.

4.39 Durch die Aufnahme vertraglicher Rückforderungsrechte können Risiken der vorweggenommenen Vermögensübertragung minimiert werden, zugleich erleichtert dies dem Übergeber den Entschluss zur Übergabe. Als Auslösetatbestand für ein vertragliches Rückforderungsrecht kommt zunächst das freie Ermessen des Veräußerers in Betracht. Obwohl dies naturgemäß dem Veräußerer sehr sympathisch sein kann, ist hiervon regelmäßig abzuraten, da derartige Klauseln gegenüber dem Erwerber unfair sind und zudem steuerliche und pflichtteilsrechtliche Probleme aufwerfen können4.

4.40 Wesentlich sinnvoller5 und für den Übernehmer meist auch akzeptabel sind klar definierte Rückforderungstatbestände. In der kautelarjuristischen Praxis hat sich ein Kanon von enumerativen Rückforderungstatbeständen herausgebildet: – Tod des Erwerbers vor dem Veräußerer, – Tod des (kinderlosen) Erwerbers vor seinen Geschwistern, – Veräußerung oder Belastung des übergebenen Vermögens durch den Erwerber ohne Zustimmung des Veräußerers; dabei ist zu beachten, dass umfassende Verfügungsverbote in Übergabeverträgen deren Nichtigkeit zur Folge haben können6, – Insolvenz des Erwerbers oder Zwangsvollstreckung in das übergebene Vermögen, 1 Palandt/Weidenkaff, § 527 Rz. 1. 2 Zur Auslegung dieses Begriffs BGH v. 11.7.2000 – X ZR 126/98, FamRZ 2001, 21 = MDR 2001, 94 = ZEV 2000, 455; BGH v. 5.11.2002 – X ZR 140/01, NJW 2003, 1384; OLG Köln v. 2.12.2016 – 1 U 21/16, FamRZ 2017, 1313. 3 BGH v. 28.10.1997 – X ZR 157/96, FamRZ 1998, 155 = MDR 1998, 955 = NJW 1998, 537; MüKo.BGB/ Koch, § 528 Rz. 18; Hörlbacher, ZEV 1995, 202 (204). 4 Zwar ist der Vermögensübergang schenkungsteuerlich trotz der Möglichkeit des Widerrufs anzuerkennen (BFH v. 16.5.1989 – VIII R 196/84, NJW 1990, 1750), jedoch werden die steuerbaren Einkünfte einkommensteuerlich weiterhin dem Übergeber zugerechnet; auch können Gläubiger des Übergebers das Widerrufs- und Rückforderungsrecht pfänden; zudem wird bei freiem Widerrufsvorbehalt die Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB nicht in Gang gesetzt, Palandt/Weidlich, § 2325 Rz. 28. 5 Steiner, ErbStB 2016, 150. 6 BGH v. 6.7.2012 – V ZR 122/11, NJW 2012, 3162; von Oertzen/Blüm, ZEV 2016, 71.

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Absicherung des Übergebers

Rz. 4.43 § 4

– Vereinbarung von Gütergemeinschaft durch den Erwerber (evtl. nur, wenn das Empfangene nicht zum Vorbehaltsgut erklärt wird, § 1416 BGB), – Geltendmachung von Zugewinnausgleichsansprüchen gegen den Beschenkten bzw. generell Ehescheidung des Erwerbers zu Lebzeiten des Veräußerers, auf diesem Wege soll das übergebene Vermögen dem Zugewinnausgleich insgesamt entzogen werden, also auch für Wertsteigerungen, die mehr als inflationsbedingt sind, – Notbedarf des Veräußerers, – Grober Undank des Erwerbers. Die beiden letztgenannten Tatbestände decken sich mit der gesetzlichen Regelung. Indem sie vertraglich vereinbart werden, können jedoch die Modalitäten der Rückabwicklung abweichend vom Gesetz geregelt werden. Beratungshinweis: In den Katalog der Rückforderungstatbestände aufgenommen werden sollte auch der Fall, dass der Erwerber dauernd geschäftsunfähig wird (nachgewiesen bspw. durch das Attest zweier Fachärzte).

b) Rechtliche Gestaltung Das Rückforderungsrecht kann als auflösende Bedingung nach § 158 BGB gestaltet werden, bei Grundstücken wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Auflassung (§ 925 Abs. 2 BGB) allerdings nur im Hinblick auf den schuldrechtlichen Vertrag. Da sich der Veräußerer regelmäßig die Entscheidung über die Rückforderung vorbehalten möchte, ist die mit der auflösenden Bedingung verbundene Automatik meist nicht zweckmäßig.

4.41

Beratungshinweis: Zu klären ist, ob das Rückforderungsrecht mit dem Tod des Übergebers erlischt oder ob es auf Dritte (bspw. den Ehegatten des Übergebers oder dessen andere Kinder) übergeht.

Ebenso wie bei Eintritt einer auflösenden Bedingung erfolgt im Fall des Widerrufsvorbehalts die Ab- 4.42 wicklung rückwirkend in Anwendung der bereicherungsrechtlichen Vorschriften. Ähnliches gilt bei Vereinbarung eines Rücktrittsrechts nach §§ 346 ff. BGB. Durch den Rücktritt wandelt sich das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Die empfangenen Leistungen sind nach den §§ 346, 348 BGB zurückzugewähren1. Die Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses, also der Ersatz der vom Beschenkten gemachten Aufwendungen und die Herausgabe der von ihm gezogenen Erträge, ist in der Praxis, vor allem nach Jahren, meist nur schwer durchzuführen. Sie sollte nicht dem Bereicherungsrecht oder den §§ 346 ff. BGB überlassen bleiben, da die gesetzliche Regelung unspezifiziert und streitträchtig ist. Vielmehr sollte im Einzelnen geregelt werden, was zu erstatten ist, insbesondere im Fall der gemischten Schenkung. Nach Möglichkeit sollte die Regelung der Einfachheit halber so aussehen, dass der Beschenkte die zwischenzeitlich gezogenen Erträge behalten darf und ihm umgekehrt seine auf den Gegenstand gemachten Verwendungen nicht zu ersetzen sind2. Problematisch kann aber der komplette Ausschluss der Erstattung von Aufwendungen für den Rückforderungsgrund des Vermögensverfalls des Beschenkten sein. Der Ausschluss unterliegt dann wohl der Gläubigeranfechtung gem. § 133 Abs. I InsO3.

1 Jülicher, ZEV 1998, 201 ff. 2 Einzelheiten bei Langenfeld/Günther, Kap. 3, Rz. 107 ff. 3 Krauß, Rz. 2256; Kesseler, ZNotP 2007, 303.

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4.43

§ 4 Rz. 4.44

Absicherung des Übergebers

4.44 Bei Grundstücken sollte der Rückgewähranspruch durch Rückauflassungsvormerkung gesichert werden. Eine wesentliche Abwicklungserleichterung bringt es mit sich, wenn der Übergeber für den Fall des Vorversterbens unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB unwiderruflich zur Rückauflassung bevollmächtigt oder die Vormerkung selbst auflösend befristet wird1. c) Steuerliche Folgen

4.45 Es ist zu unterscheiden zwischen den Steuerfolgen, die bereits die Vereinbarung eines Rückforderungsrechts nach sich ziehen können und den steuerlichen Folgen, die bei Durchführung der Rückabwicklung eintreten. aa) Einkommensteuerliche Folgen

4.46 Der freie Widerrufsvorbehalt führt dazu, dass die Finanzverwaltung Einkünfte aus dem übergebenen Vermögen nicht dem Beschenkten zurechnet, sondern aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise nach wie vor dem Schenker2. Diese Gefahr besteht auch bei enumerativ gestalteten Rückforderungsrechten, wenn der Schenker den Eintritt des Rückforderungsfalles willentlich beeinflussen kann. Bei gewerblichen Einkünften führt dies insbesondere dazu, dass dem Beschenkten die Mitunternehmerstellung versagt wird. Bei der Prüfung, ob eine Beteiligung nach § 17 EStG steuerverstrickt ist, ist die weitere Folge eines zu weit gehenden Rückforderungsvorbehalts, dass dem Schenker die Anteile nach wie vor bei der Feststellung seiner Beteiligungsquote zugerechnet werden3.

4.47 Maßstab dafür, ob ein Widerrufsvorbehalt schädlich ist oder nicht, bildet die Frage, ob sein Eintritt unwahrscheinlich ist und ob seine Voraussetzungen vom Schenker bei vernünftiger Betrachtungsweise nach freiem Belieben herbeigeführt werden können4. Hierzu vertritt der BFH (zu Recht) die Ansicht, dass reine Scheidungsklauseln unschädlich sind, da der Schenker im Regelfall nicht wegen einer bloßen Meinungsverschiedenheit hinsichtlich eines Schenkungsgegenstands die Scheidung herbeiführen werde, um diesen zurückzuerhalten5. Beratungshinweis: Der freie Widerrufsvorbehalt ist zu vermeiden. Im Übrigen ist aus steuerlicher Sicht bei der Auswahl von Rückforderungsrechten darauf zu achten, dass diese hinsichtlich ihres Eintritts unwahrscheinlich sind (Stichwort: Bloße Risikoprophylaxe) und der Schenker ihre Voraussetzungen nicht einseitig herbeiführen kann.

4.48 Die Rückabwicklung des Schenkungsvorgangs führt, wenn rückwirkend Erträge zurückverlangt und im Gegenzug Aufwendungsvergütung begehrt wird, zu erheblichen Problemen. Fest steht, dass dies für Veranlagungszeiträume, die bereits bestandskräftig abgeschlossen sind, keine einkommensteuerlichen Konsequenzen hat. Inwieweit die Beteiligten hieraus Einwendungen gewinnen können, bspw. der Beschenkte den Einwand der teilweisen Entreicherung wegen der von ihm entrichteten Einkommensteuer, ist streitig6. Auch dies spricht dafür, die Folgen der Rückabwicklung vertraglich so zu regeln, dass dem Beschenkten die Erträge verbleiben und er umgekehrt keine Erstattung seiner Aufwendungen verlangen kann (vgl. aber Rz. 4.43).

1 Zu den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Varianten ausführlich Krauß, Rz. 2357 ff. 2 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 752; BFH v. 27.1.1994 – IV R 114/91, FamRZ 1994, 1382 = ZEV 1994, 318; BFH v. 30.5.2006 – IV B 168/06, BFH/NV 2006, 1828. 3 Schmidt/Wacker, § 17 EStG Rz. 54. 4 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 752; BFH v. 27.1.1994 – IV R 114/91, FamRZ 1994, 1382 = ZEV 1994, 318; BFH v. 30.5.2006 – IV B 168/06, BFH/NV 2006, 1828. 5 BFH v. 4.2.1998 – XI R 35/97, DStR 1998, 636 = BStBl. II 1998, 542. 6 Jülicher, DStR 1998, 1977 (1981).

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Absicherung des Übergebers

Rz. 4.52 § 4

bb) Folgen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht Erbschaft- und schenkungsteuerlich ist selbst die Schenkung unter freiem Widerrufsvorbehalt anzuerkennen1. Erhebliche Nachteile können bei Vereinbarung von Rückforderungsrechten aber entstehen, wenn sich die einkommensteuerliche Betrachtung im Bereich des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts widerspiegelt. Dies ist bei der Wertermittlung von Betriebsvermögen der Fall. Sofern der Beschenkte aufgrund zu umfangreicher Rückforderungsrechte nicht Mitunternehmer wird, erhält er auch kein Betriebsvermögen im Sinne des § 12 Abs. 5 ErbStG. In der Folge führt dies zur Versagung der Begünstigung nach § 13a ErbStG2.

4.49

Beratungshinweis: Bestehen wegen vereinbarter Rückforderungsrechte (oder aus sonstigen Gründen) Zweifel daran, ob der Beschenkte Mitunternehmer wird, kann ein zusätzliches Rückforderungsrecht für den Fall vereinbart werden, dass die Mitunternehmerstellung tatsächlich von der Finanzverwaltung nicht anerkannt wird. Die Schenkung kann dann steuerunschädlich nach § 29 ErbStG rückgängig gemacht werden3.

Die Rückschenkung ist im Schenkungsteuerrecht nicht privilegiert, sondern begründet grundsätzlich 4.50 einen eigenständigen Schenkungsteuervorgang. Anders ist dies, wenn die Rückgabe wegen eines vertraglich vereinbarten Rückforderungsrechts erfolgt. Hier handelt es sich nicht um eine freiwillige Zuwendung, sondern um die Erfüllung einer vertraglichen Pflicht. Beratungshinweis: Es ist darauf zu achten, dass die Rückgabe erst erfolgt, wenn der Schenker die nach dem Schenkungsvertrag hierfür erforderliche Gestaltungserklärung abgegeben hat.

Besondere Bedeutung hat die Vereinbarung eines vertraglichen Rückforderungsrechts für den Fall 4.51 des Vorversterbens des Beschenkten, da § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG den Rückfall ansonsten nur steuerfrei stellt, wenn Eltern oder Voreltern von Todes wegen das zurückerhalten, was sie ihren Kindern bzw. Kindeskindern geschenkt haben. Bekanntlich vertritt der BFH hierzu eine sehr enge Auslegung, nach der bspw. Surrogate oder Erträge nicht von der Vorschrift erfasst sind4. Die Rückgabe aufgrund des Rückforderungsrechts an den Schenker ist nicht nur selbst steuerfrei, sie führt nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zudem zur Erstattung der bereits gezahlten Steuer. Dies gilt auch bei Personenidentität von Schenker und Alleinerbe, da auch der Alleinerbe aufgrund des Konfusionsverbots des § 10 Abs. 3 ErbStG den Rückforderungsanspruch geltend machen kann5. Vom Erstattungsbetrag wird allerdings der Betrag abgezogen, der der Nutzungsdauer des Beschenkten entspricht, wenn er die Erträge des Schenkungsgegenstands behalten darf (§ 29 Abs. 2 ErbStG). cc) Steuerklausel Auch bei größter Sorgfalt lassen sich die schenkungsteuerlichen Folgen einer lebzeitigen Vermögensübertragung nicht immer genau vorhersagen. Dafür sorgen bei vielen Vermögensgegenständen, insbesondere Immobilien und Betriebsvermögen allein schon die Unsicherheiten der neuen Bewertung zum Verkehrswert. Böse Überraschungen können daher in vielen Fallkonstellationen auftreten.

1 BFH v. 13.9.1989 – II R 67/86, DStR 1989, 780 = BStBl. II 1989, 1034; Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 54. 2 Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 110; a.A. Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 21; Köhler, DStR 1997, 1553 (1554). 3 Kamps, ErbStB 2003, 69 mit Formulierungsbeispielen. 4 BFH v. 22.6.1994 – II R 1/92, BStBl. 1994 II, 656; BFH v. 22.6.1994 – II R 13/90, BStBl. 1994 II, 759; wenigstens reicht nach R E 13.6 ErbStR 2011 aber „Art und Funktionsgleichheit“ von zugewendetem und rückfallendem Vermögensgegenstand. 5 Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 56.

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4.52

§ 4 Rz. 4.53

Absicherung des Übergebers

4.53 Ein Irrtum über die schenkungsteuerlichen Folgen eines Rechtsgeschäfts kann nach § 313 BGB zum Rücktritt wegen Störung der Geschäftsgrundlage berechtigen1. Eine solche Rückabwicklung der Schenkung führt nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zum Erlöschen der Steuer mit Wirkung für die Vergangenheit. Die Feststellungslast für eine Störung der Geschäftsgrundlage trägt der Steuerpflichtige. Er muss nachweisen, dass bei Abschluss des Rechtsgeschäfts die Parteien davon ausgingen, dass keine (oder eine wesentlich geringere) Schenkungsteuer anfallen würde und dass dieser Gesichtspunkt für sie erkennbar maßgebende Bedeutung hatte2. Gelingt dieser Nachweis nicht, so wird die Rückabwicklung einer Schenkung wegen Störung der Geschäftsgrundlage zum „größten anzunehmenden Schenkungsteuerunfall“: Es bleibt nicht nur bei der angefallenen Steuer für die ursprüngliche Schenkung, sondern die Rückabwicklung gilt als neue Schenkung, für die wiederum Schenkungsteuer anfällt3. Beratungshinweis: Um wenigstens das Risiko einer steuerpflichtigen Rückschenkung auszuschließen, kann die Rückübertragung unter dem ausdrücklichen Vorbehalt erfolgen, dass sie als steuerfrei anerkannt wird4.

4.54 Um nicht auf die steuerlich gefährliche Rückabwicklung nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage angewiesen zu sein, empfiehlt es sich, im Zweifelsfall in den Schenkungsvertrag eine Steuerklausel aufzunehmen. Beratungshinweis: Wichtig ist, dass das Widerrufsrecht dem Schenker eingeräumt wird. Wird es dem Beschenkten eingeräumt, so führt dies nicht zum Erlöschen der Steuerschuld nach § 29 ErbStG5.

4.55 Das vertragliche Rückforderungsrecht kann nicht nur für den Fall begründet werden, dass mit überhaupt keinem Anfall von Schenkungsteuer gerechnet wird. Die Rückforderungstatbestände können auch andere Fallgruppen erfassen, bspw. ein Widerrufsrecht für den Fall, dass das zuständige Finanzamt Schenkungsteuer von mehr als … Euro festsetzt oder das geschenkte Wirtschaftsgut für Zwecke der Schenkungsteuer mit mehr als … Euro bewertet oder für die Zuwendung die Begünstigungen für Betriebsvermögen nach § 13a, c und § 19a ErbStG nicht gewährt6.

4.56 M 13 Rückforderungsklausel bei lebzeitiger Vermögensübertragung 1. Der Erwerber verpflichtet sich, das Vertragsobjekt auf seine Kosten an den Veräußerer oder von diesem zu benennende Dritte zurück zu übertragen, wenn einer der nachfolgend genannten Rückforderungsgründe eintritt und die Rückübertragung verlangt wird. Der Veräußerer ist auch berechtigt, das Vertragsobjekt teilweise zurück zu verlangen. 2. Ein Rückforderungsgrund ist gegeben, wenn a) der Erwerber über das Vertragsobjekt oder über Teile davon ohne schriftliche Zustimmung des Veräußerers verfügt, insbesondere dieses veräußert oder belastet wird – die Vereinbarung einer Gütergemeinschaft steht einer Verfügung gleich –, oder b) der Erwerber das Eigentum am Vertragsobjekt auf andere Weise verliert oder c) der Erwerber das Vertragsobjekt ohne schriftliche Zustimmung des Veräußerers vermietet oder d) der Erwerber vor dem Berechtigten verstirbt oder

1 FG Rheinland-Pfalz v. 23.3.2001 – 4 K 2805/99, DStRE 2001, 765; Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 41 ff.; Wachter, ZEV 2002, 176; Götz, ZEV 2017, 371. 2 FG Berlin-Bdb. v. 22.4.2008 – 14 V 14016/08, DStRE 2008, 1339; BFH v. 11.11.2009 – II R 54/08, HFR 2010, 952. 3 Piltz, ZEV 2009, 70. 4 Wachter, ZEV 2002, 176 (179); Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 37. 5 Piltz, ZEV 2009, 70 (72). 6 Formulierungsbeispiele bei Wachter, ZEV 2002, 176 (180).

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Absicherung des Übergebers

Rz. 4.56 § 4

e) die Zwangsvollstreckung in das Vertragsobjekt betrieben, in Bezug auf den Erwerber das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels kostendeckender Masse abgelehnt, ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird oder sich die Vermögensverhältnisse des Erwerbers so wesentlich verschlechtern, dass die vorgenannten Maßnahmen drohen, oder f) der Erwerber oder sein (künftiger) Ehegatte Antrag auf Scheidung ihrer Ehe oder vorzeitigen Zugewinnausgleich stellt, es sei denn, durch vertragliche Vereinbarung ist sichergestellt, dass das Vertragsobjekt im Rahmen des Zugewinnausgleichs bzw. Vermögensausgleiches nicht berücksichtigt wird, sondern lediglich tatsächlich getätigte Investitionen oder Tilgungsleistungen zu erstatten sind, oder g) der Erwerber geschäftsunfähig oder für ihn ein Betreuer gemäß § 1896 BGB bestellt wird oder h) das zuständige Finanzamt für den heutigen Übertragungsvorgang Schenkungsteuer festsetzt, unabhängig vom Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuer oder das Vertragsobjekt für schenkungsteuerliche Zwecke mit mehr als … Euro bewertet, oder i) die Voraussetzungen der §§ 528, 530 BGB vorliegen. Tritt der Rückforderungsgrund nur in der Person eines Erwerbers bezüglich seines erworbenen Miteigentumsanteils ein, so kann der Veräußerer nach seiner Wahl die Rückforderung des gesamten Vertragsobjekts verlangen oder die Rückforderung auf denjenigen Miteigentumsanteil beschränken, hinsichtlich dessen der Rückforderungsgrund eintrat. In letzterem Falle findet die Rückabwicklung nur in Bezug auf den betroffenen Erwerber und den von ihm erworbenen Miteigentumsanteil statt. Die Rückübertragung hat nur zu erfolgen, wenn der Veräußerer dies in schriftlicher Erklärung verlangt. Soweit eine Rückübertragung nicht vorher verlangt wurde, erlischt ein Rückforderungsrecht sechs Monate nach Kenntnis des Rückübertragungsberechtigten vom Vorliegen des jeweiligen Rückforderungsgrundes. Die Rückübertragungsansprüche sind nicht übertragbar und nicht vererblich. Ein form- und fristgerecht geltend gemachter Rückübertragungsanspruch ist jedoch übertragbar und vererblich. Ein Rückforderungsrecht steht dem Veräußerer auch dann zu, wenn ein Rückforderungsgrund bei einem Rechtsnachfolger im Eigentum des Erwerbers eintritt; dann ist dieser zur Rückübertragung verpflichtet. Im Grundbuch eingetragene Belastungen sind vom Veräußerer zu übernehmen, soweit sie bereits heute bestehen oder mit seiner Zustimmung im Grundbuch eingetragen worden sind. Insoweit sind Eigentümerrechte und Rückgewähransprüche mit zu übertragen. Der Veräußerer hat Zug um Zug gegen die Rückübertragung des Vertragsobjekts mit seiner Zustimmung vom Erwerber auf das Vertragsobjekt vorgenommene Verwendungen insoweit zu erstatten, als durch diese der Wert des Vertragsobjekts gegenüber heute erhöht ist. Nutzungen verbleiben beim Erwerber. Alle im Zusammenhang mit der Rückübertragung anfallenden Kosten, Auslagen und Steuern hat der Erwerber zu tragen. Mit Durchführung der Rückübertragung entfallen die gegebenenfalls angeordnete Anrechnung der Zuwendung auf den Pflichtteilsanspruch des heutigen Erwerbers sowie ein etwa mit ihm in dieser Urkunde vereinbarter Pflichtteilsverzicht1. 3. Zur Sicherung der bedingten Ansprüche des Veräußerers auf Übertragung des Eigentums am Vertragsobjekt bewilligen und beantragen die Vertragsteile die Eintragung einer Vormerkung am Vertragsobjekt für den Veräußerer Zug um Zug mit der Eintragung der Auflassung. Die Vormerkung ist befristet; sie erlischt 6 Monate nach dem Ableben des Veräußerers. 4. Der Erwerber erteilt hiermit für den Fall der Rückforderung aufgrund Vorversterbens des Erwerbers dem Veräußerer eine unwiderrufliche Vollmacht unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB und über den Tod des Erwerbers hinaus, gegen Vorlage einer Sterbeurkunde des Erwerbers das Vertragsobjekt an den Veräußerer oder einen von diesem zu benennenden Dritten aufzulassen und alle Erklärungen abzugeben, die zum Eigentums- und Besitzübergang auf den Veräußerer bzw. den Dritten zweckmäßig sind.

1 Müller, ZEV 2015, 322.

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§ 4 Rz. 4.57

Absicherung des Übergebers

3. Verpflichtung zur Weiterübertragung

4.57 Die Vereinbarung einer Verpflichtung zur Weiterleitung an einen Dritten ist ein Unterfall des Rückforderungsrechts. Die hierbei vereinbarten Tatbestände (Vorversterben etc.) entsprechen regelmäßig denen des Rückforderungsrechts. Der Unterschied besteht darin, dass der Schenkungsgegenstand nicht an den Schenker zurückfällt, sondern im Wege des Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) weitergeleitet wird1. Für Weiterleitungsklauseln gilt daher weitgehend das zu den Rückforderungsrechten Gesagte (Rz. 4.39 ff.). Insbesondere führt eine Weiterleitungsklausel, deren Eintritt im Belieben des Schenkers steht, dazu, dass die Einkünfte und das wirtschaftliche Eigentum nach wie vor dem Schenker zugerechnet werden2. Bei Anteilen an Personengesellschaften wird der Beschenkte folglich nicht Mitunternehmer und kann daher bereits deshalb nicht von den Begünstigungen für Betriebsvermögen profitieren.

4.58 Beratungssituation: Der verwitwete V schenkt seinen Kindern S und T jeweils Vermögen im Steuerwert von einer Mio. Euro. Da beide kinderlos sind, wird zwischen S und T zugleich ein Erbvertrag abgeschlossen, in dem sich diese gegenseitig zu Erben einsetzen.

4.59 Verstirbt S, so kommt es (gleich bleibende Wertverhältnisse unterstellt) zu folgender Besteuerung: (1) Schenkung von V, jeweils an S und T: Erwerb abzüglich Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG steuerpflichtiger Erwerb 15 % hieraus nach § 19 ErbStG (2) Erbschaft des T von S: Erwerb3 abzüglich Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steuerpflichtiger Erwerb 30 % hieraus nach § 19 ErbStG (3) Gesamtsteuerbelastung von T: (4) Gesamtsteuerbelastung von S und T:

1.000.000 Euro ./. 400.000 Euro 600.000 Euro 90.000 Euro (S und T gesamt 180.000 Euro) 1.000.000 Euro ./. 20.000 Euro 980.000 Euro 294.000 Euro 384.000 Euro 474.000 Euro

4.60 Die bessere Alternative: Hätte V mit seinen Kindern im Schenkungsvertrag vereinbart, dass die Schenkung beim Tod eines Kindes an den Geschwisterteil herauszugeben ist, so wäre die erbschaftsteuerrechtliche Rechnung selbst dann günstiger, wenn der Weiterleitungsfall binnen zehn Jahren nach der Schenkung stattfindet und der überlebende Geschwisterteil daher im Verhältnis zum Vater nicht erneut den Freibetrag von 400.000 Euro hat. (1) Schenkung von V an T: Steuer (wie oben): (2) Erwerb des T kraft Weiterleitungsklausel (von V): Erwerb plus Vorschenkung (§ 14 ErbStG) abzüglich Freibetrag steuerpflichtiger Erwerb 19 % hieraus abzüglich bei der Vorschenkung gezahlter Steuer Von T noch zu zahlende Steuer

90.000 Euro 1.000.000 Euro 1.000.000 Euro 2.000.000 Euro ./. 400.000 Euro 1.600.000 Euro 304.000 Euro ./. 90.000 Euro 214.000 Euro

1 Jülicher, ZEV 1998, 202 (205). 2 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 752; Jülicher, DStR 1998, 1977 (1980). 3 Um der vereinfachten Darstellung willen wird unterstellt, dass S die bei der Schenkung von V anfallende Steuer aus sonstigem Vermögen aufbringen konnte.

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Absicherung des Übergebers

(3) Gesamtsteuerbelastung von T: (4) Gesamtsteuerbelastung von S und T:

Rz. 4.63 § 4

304.000 Euro Da die Besteuerung des S zumindest teilweise entfällt, § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ErbStG, kommt es zu einer erheblichen Vergünstigung.

Beratungshinweis: Der beschenkte Zwischenerwerber bzw. im Fall der Weiterleitung wegen Versterbens des Zwischenerwerbers dessen Erben sollten stets Antrag auf Erstattung der bei der Zwischenschenkung gezahlten Steuern stellen1.

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist auch auf vertragliche Weiterleitungsfälle anzuwenden2. Somit erlischt die vom Zwischenerwerber ursprünglich gezahlte Steuer mit Wirkung für die Vergangenheit, jedoch beschränkt durch die verbleibende Besteuerung des Zwischenerwerbers wie bei einem Nießbraucher für den Zeitraum, in dem ihm die Nutzungen des zugewendeten Vermögens zugestanden haben (§ 29 Abs. 2 ErbStG)3.

4.61

Beratungshinweis: Beim selbstgenutzten Familienheim würde eine Weiterleitungsklausel in dem Vertrag, mit dem ein Ehegatte das Familienheim dem anderen geschenkt hat, zugunsten der Kinder nach dem Tod des längstlebenden Ehepartners stets zum Verlust der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG führen, da diese Befreiung nur für einen Erwerb von Todes wegen gilt, während der Erwerb aufgrund einer Weiterleitungsklausel in einem Schenkungsvertrag als Erwerb unter Lebenden gilt4.

4. Verfügungsrechte des Übergebers Vor allem bei Grundstücksübertragungen mit Nießbrauchsvorbehalt stellt sich die Frage, ob sich der Übergeber Verfügungsrechte vorbehalten kann. Hier ist zunächst eine Vollmacht denkbar, nach der der Nießbrauchsberechtigte den Zuwendungsgegenstand auf eigene Rechnung verkaufen und belasten kann. Hiervon ist aber abzuraten, da davon auszugehen ist, dass in diesem Fall die Übergabe steuerlich nicht als Schenkung anerkannt würde5. Zivilrechtlich möglich und schenkungsteuerrechtlich unbedenklich ist hingegen die Vollmacht zur Veräußerung des Nießbrauchsgrundstücks für Rechnung des Grundstückseigentümers. Dies führt dazu, dass der Kaufpreis nach § 1075 Abs. 2 BGB in das Eigentum des Nießbrauchers übergeht und nach Beendigung des Nießbrauchs Wertersatz zu leisten ist (§§ 1075 Abs. 2, 1067 BGB).

4.62

Beratungssituation: V möchte seinem Sohn S ein Mietshaus unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen. Aus einkommensteuerlichen Gründen6 und mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des S soll vereinbart werden, dass V weiterhin alle Lasten zu tragen hat, also auch die Kosten für außerordentliche Ausbesserungen und Erneuerungen am Haus. V möchte sich jedoch für den Fall absichern, dass größere Aufwendungen (bspw. für eine Dachsanierung) nicht aus Rücklagen finanziert werden können.

Häufig möchte sich der Übergeber die Möglichkeit vorbehalten, das Grundstück weiterhin als Kredit- 4.63 sicherheit zu verwenden. Für diesen Fall besteht zum einen die Möglichkeit, dass der Übergeber vor Übergabe eine Eigentümergrundschuld bestellt und das Grundstück mit dieser Belastung weitergibt, zum anderen kann schuldrechtlich vereinbart werden, dass der Übernehmer verpflichtet ist, eine Realbürgschaft zu leisten, zusammen mit einer in der Höhe begrenzten, unwiderruflichen Belastungsvoll-

1 2 3 4 5 6

Jülicher, DStR 1998, 1977, 1984. Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 66. Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 122. Troll/Gebel/Jülicher, § 15 ErbStG Rz. 174. Langenfeld/Günther, Kap. 3 Rz. 38. Der Werbungskostenabzug steht nur dem offen, der Einkünfte aus V und V hat, also nur dem Nießbraucher.

Grötsch 99

§ 4 Rz. 4.64

Absicherung des Übergebers

macht für den Übergeber1. Letzteres ist meist der einfachere Weg. Wenn zugleich durch Rückauflassungsvormerkung gesichert ist, dass der Übernehmer das Grundstück nicht ohne Zustimmung des Übergebers belasten kann, muss der Übergeber bei diesem Weg auch nicht befürchten, dass die Realbürgschaft wegen vorrangiger anderweitiger Belastungen wirtschaftlich sinnlos wird.

4.64 M 14 Veräußerungs- und Belastungsvollmacht bei lebzeitiger Vermögensüber-

tragung 1. Der Erwerber erteilt hiermit dem Veräußerer Vollmacht wie folgt: Der Veräußerer ist berechtigt, den Erwerber hinsichtlich des in Ziffer … bezeichneten Grundbesitzes in allen Angelegenheiten uneingeschränkt zu vertreten, die diesen betreffen. Der Veräußerer ist insbesondere zur Verwaltung des Grundbesitzes, zur Vornahme baulicher Veränderungen und zum Abschluss aller Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte, einschließlich der Veräußerung und Belastung und zur Entgegennahme von Geld berechtigt. Soweit Grundpfandrechte bestellt werden, ist der Veräußerer berechtigt zur Abgabe von abstrakten Schuldanerkenntnissen in beliebiger Höhe (alternativ: bis zu einer Höhe von …) und mit beliebigen Zinsen, einschließlich Zwangsvollstreckungsunterwerfung in dinglicher und persönlicher Weise. Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB wird erteilt. Der Veräußerer ist ferner berechtigt (alternativ: nicht berechtigt), seinerseits im Umfang der vorstehenden Vollmacht einem Dritten Untervollmacht unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB zu erteilen. Die Vollmacht gilt unwiderruflich. Die Vollmacht gilt über den Tod des Erwerbers hinaus.

4.65 Oftmals werden Immobilien nur teilweise übergeben, insbesondere wenn die Freibeträge trotz Nießbrauchsvorbehalts nicht ausreichen. Dies hat für den Übergeber auch den Vorteil, dass ihm noch Vermögen verbleibt, mit dem er abgesichert ist, sollte er unerwarteten erhöhten Finanzbedarf haben. Da aber ein Miteigentumsanteil nur schwer veräußerbar ist, sollte bei einer teilweisen Übertragung eine Veräußerungs- und auch Belastungsvollmacht aufgenommen werden, zudem vorsorglich zu Lasten des Empfängers ein Auseinandersetzungsverbot.

4.66 M 15 Veräußerungs- und Belastungsvollmacht nebst Teilungsausschluss bei

lebzeitiger Vermögensübertragung Anm.: Muster in Ergänzung zu M14 Ein eventueller Verkaufserlös ist entsprechend der Eigentumsquote und unter Berücksichtigung des Kapitalwerts des Nießbrauchs zum Zeitpunkt der Veräußerung zu verteilen. 2. Die Beteiligten als Miteigentümer des vorbezeichneten Grundstücks treffen gemäß §§ 745 ff., 1010 BGB mit Wirkung für und gegen Sonderrechtsnachfolger folgende Miteigentümervereinbarung: Das Recht des Erwerbers, die Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft zu verlangen, wird ausgeschlossen bis zum Ableben des Veräußerers. Sofern der Miteigentumsanteil des Erwerbers noch weiter unterteilt wird, soll dies auch im Verhältnis zu den Miteigentumsanteilen und für diese untereinander gelten. Ausgenommen bleibt die Aufhebung aus wichtigem Grund, § 749 Abs. 2 S. 1 BGB. Rein klarstellend wird festgehalten, dass diese Regelung ausschließlich zu Lasten des vom Erwerber gehaltenen Miteigentumsanteils geht. Es wird bewilligt und beantragt, den Teilungsausschluss als Belastung des Miteigentumsanteils des Erwerbers zu Gunsten des Miteigentumsanteils des Veräußerers im Grundbuch einzutragen.

1 Langenfeld/Günther, Kap. 3 Rz. 40 ff.

100

Grötsch

Teil 3 Gestaltung letztwilliger Verfügungen § 5 Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit I. Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung der Testierfähigkeit für die erbrechtliche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff und Systematik . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingeschränkte Testierfähigkeit Minderjähriger, § 2229 Abs. 1 BGB . . aa) Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vor Vollendung des 16. Lebensjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Nach Vollendung des 16. Lebensjahres . . . . . . . . . . . . . bb) Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einschränkungen der Testierfähigkeit bei bestimmten körperlichen Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Testierunfähigkeit bei Geistesstörung, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Voraussetzungen . . . bb) Die drei Fälle einer geistigen/ psychischen Beeinträchtigung (1. Prüfungsstufe) . . . . . . . . . . . . cc) Konkreter Einfluss auf die Urteilsfähigkeit (2. Prüfungsstufe) . dd) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bedeutung einer für den Erblasser gerichtlich angeordneten Betreuung (§ 1896 BGB) . . . . . . (2) Partielle Testier(un)fähigkeit? . . . (3) Relative Testierfähigkeit? . . . . . . (4) „lucidum intervallum“ . . . . . . . . (5) Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . (6) Feststellungen des beurkundenden Notars . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Rückschlüsse aus Form und Inhalt des (eigenhändigen) Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Darlegungs- und Beweislast . . . . ff) Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . (1) Ermittlung der sog. Anknüpfungstatsachen . . . . . . . . . . . . . . (2) Bewertung der festgestellten Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung durch Vergleich . . . . 3. Psychiatrische Kriterien zur Beurteilung der Testier(un)fähigkeit . . . . . . . . .

5.1 5.2 5.9 5.9 5.10 5.11 5.11 5.14 5.16 5.18 5.24 5.24 5.26 5.28 5.29 5.29 5.31 5.33 5.36 5.38 5.39 5.41 5.44 5.45 5.45 5.49 5.53 5.58

a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beurteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . aa) Erste Beurteilungsebene (krankheitswertige Störung) . . . bb) Zweite Beurteilungsebene (psychopathologische Funktionsstörungen) . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . (2) Psychopathologische Beurteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . c) Anknüpfungstatsachen . . . . . . . . . . . d) Zeitverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Krankheiten (erste Beurteilungsebene) . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Psychopathologische Symptomatik (zweite Beurteilungsebene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorgehen bei zweifelhafter Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Informationsgewinnung . . . . . . . . . . aa) Einsichtnahmerecht gemäß § 630g Abs. 3 BGB für Erben und nächste Angehörige . . . . . . . bb) Recht auf Einsichtnahme in Urkunden gemäß § 810 BGB . . . cc) Einholung eines Privatgutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) „Blindflug“ in das Erbscheinsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsweg bei zweifelhafter Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Streit über die Erbenstellung . . . (1) Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht . . . . . . . . . . . . . . (2) Feststellungsklage im streitigen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Streit über sonstige erbrechtliche Ansprüche, insbesondere Vermächtnisse . . . . . . . . . . . . . . c) Verwertung von psychiatrischen Gutachten nach § 411a ZPO . . . . . . . 5. Maßnahmen des vorbeugenden Selbstschutzes vor den Folgen späterer Geistesschwäche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erbvertrag, gemeinschaftliches Testament mit Bindungswirkung . . .

von Morgen/Cording

5.58 5.62 5.62 5.65 5.65 5.69 5.83 5.87 5.89 5.89 5.91 5.92 5.92 5.94 5.98 5.99 5.100 5.101 5.101 5.102 5.107 5.110 5.111 5.116 5.118

101

§5

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit b) Lebzeitige Übertragungen in vorweggenommener Erbfolge . . . . . . . . . 5.121 c) Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.122 d) Vorsorgevollmacht, Betreuung . . . . . 5.123

II. Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Testierfreiheit . . . . . . . . . 2. Erweiterung der Testierfreiheit durch die Rechtswahlmöglichkeit der EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Beschränkungen . . . . . . . . . a) Beschränkungen aufgrund erbrechtlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzliche Verbote gemäß § 134 BGB, insbesondere nach den Heimgesetzen der Länder . . . . . . . . . . . . . .

5.124 5.124 5.125 5.128 5.128 5.130

d) Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB . . aa) „Geliebtentestament“ . . . . . . . . . bb) Behinderten- bzw. Bedürftigentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sittenwidrige Bedingungen . . . . (2) Verwirkungsklauseln . . . . . . . . . (3) Pflichtteilsstrafklauseln . . . . . . . . 4. Beschränkungen durch Selbstbindung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine wirksame Verpflichtung (§ 2302 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bindung durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament . . . . . . c) Sonderfall Hoferbfolge . . . . . . . . . . .

5.137 5.137 5.139 5.144 5.144 5.148 5.150 5.157 5.157 5.158 5.159

5.131

Schrifttum: Adler, Paranoide Störungen im höheren Lebensalter, 2001; Aebi-Müller, Testierfähigkeit im Schweizerischen Erbrecht, Successio 2012, 4; Bonefeld, Schutz vor Erbschleicherei, ZErb 2014, 241; Cording, Beweismittel zur Klärung der Testier(un)fähigkeit, ZEV 2010, 23; Cording, Kriterien zur Feststellung der Testier(un)fähigkeit, ZEV 2010, 115; Cording, Geschäftsfähigkeit und ihre Unterformen: Die Freiheit der Willensbestimmung, in Cording/Nedopil (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtungen im Zivilrecht – Ein Handbuch für die Praxis, 2014 (zit.: Cording, 2014); Cording/Foerster Psychopathologische Kurztests durch den Notar – ein im Grundsatz verfehlter Vorschlag, DNotZ 2006, 329; Cording/Saß, Standards und Fehler bei der Begutachtung der Geschäfts- und Testierfähigkeit, FPPK 2017, 228; Damasio, Descartes’ Error. Emotion, Reason, and the Human Brain, 1995; Damasio, Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins, Deutsche Ausgabe, 2000; Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 6. Aufl. 2015; Dölling, Gutachten aus anderen Verfahren im Zivilprozess, NJW 2018, 2092; Dreher/Görner, Das Behindertentestament und § 138 BGB, NJW 2011, 1761; Förstl, Frontallappendegenerationen und verwandte Erkrankungen, in Förstl (Hrsg.), Frontalhirn. Funktionen und Erkrankungen, 2002; Gauggel, Neuropsychologische Therapie der Frontalhirnstörungen, in: Förstl (Hrsg.), Frontalhirn. Funktionen und Erkrankungen, 2002; Habermalz, Das Akteneinsichtsrecht des Patienten und seine zivilprozessuale Durchsetzung, NJW 2013, 3403; Habermeyer/Saß, Die überdauernde krankhafte Störung der Geistestätigkeit als Voraussetzung der Geschäftsunfähigkeit, Nervenarzt 2002, 1094; Habermeyer/Saß, Ein am Willensbegriff ausgerichteter, symptomorientierter Ansatz zur Prüfung der Geschäftsfähigkeit, Fortschr Neurol Psychiat 2002, 5; Hahn, Die Auswirkungen des Betreuungsrechts auf das Erbrecht, FamRZ 1991, 27; Heinzelmann, Erbschleicherei: Altes Drama – Neues Unrecht, 2013; Hinne, Das Einsichtsrecht in Patientenakten, NJW 2005, 2270; Herzog, Das streitige Erbscheinsverfahren aus anwaltlicher Sicht unter besonderer Berücksichtigung des Einwandes der Testierunfähigkeit, ZErb 2016, 34; Horn, Prüfung der Wirksamkeit von Testamenten und Erbverträgen, NJW 2017, 2392; Jahn, Neuropsychologische Gutachten in zivilrechtlichen Verfahren. Möglichkeiten und Grenzen psychometrischer Untersuchungsmethoden, FPPK 2017, 213; Janda, Grundfragen der Einschränkung der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit – Das Rechtsinstitut der Betreuung im Spiegel der allgemeinen Regeln zu Geschäftsfähigkeit und gesetzlicher Vertretung, FamRZ 2013, 16; Karl, Auswirkungen der Länderregelungen zum Heimrecht in der erbrechtlichen Praxis, ZEV 2009, 544; v. Keyserlingk, Die Frage der Testierfähigkeit Verstorbener bei Testamentsanfechtungen, Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psychologie, Zeitschrift für Forschung und Praxis 1951, 170; Klühs, Das sog. „Bedürftigentestament“ und seine Alternativen – Eine Bestandsaufnahme, ZEV 2011, 15; Kröber/Dölling/Leygraf/Saß – Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 5: Forensische Psychiatrie in Privatrecht und Öffentlichem Recht, 2009; Kroeschell, Anmerkung zu BGH vom 14.5.1987 – BLw2/87 (JR 1989, 415 ff.), JR 1989, 418; Lange, Die Begutachtung der Testierfähigkeit nach dem Tode des Erblassers, Psychiat Neurol Med Psychol 1989, 1; Losch, Testierfähigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Krankheitsbildes der Demenz und ihrer postmortalen Begutachtung, ZErb 2017, 188; Ludyga, Vererben im betreuten Wohnen – Zur Bedeutung der „Landesheimgesetze“ in der testamentarischen Gestaltungspraxis, ZEV 2014, 177; Lübbert, Verwirkung der Schlusserbfolge durch Geltendmachung des Pflichtteils, NJW 1988, 2706; Manthey/Trilsch, Das „Bedürftigentestament“: die hohe Schule der Testamentsgestaltung, ZEV 2015, 618; Müller, Erwiderung zum Beitrag von Stoppe/Lichtenwinner, Die Feststellung zur Geschäfts- und Testierfähigkeit beim alten Menschen durch den Notar – ein interdisziplinärer

102

von Morgen/Cording

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.2 § 5

Vorschlag (DNotZ 2005, 806 ff.), DNotZ 2006, 325; Nieder, Das Behindertentestament, NJW 1994, 1264; Rauch, Über die Begutachtung der Testierfähigkeit, Med Sachv 1962, 1; Reischies Psychopathologie. Merkmale psychischer Krankheitsbilder und klinische Neurowissenschaft, 2007; Reischies, Psychopathologie des Frontalhirns, in: Förstl (Hrsg.), Frontalhirn. Funktionen und Erkrankungen, 2002, 89; Rossak, Folgen des verfassungswidrigen Ausschlusses Mehrfachbehinderter von jeglicher Testiermöglichkeit für die notarielle Praxis, ZEV 1999, 254; Scherer/Lehmann, ZEV-Report Zivilrecht, ZEV 2005, 453; Schmoeckel, Die Geschäfts- und Testierfähigkeit von Demenzerkrankten, NJW 2016, 433; Spickhoff, Postmortaler Persönlichkeitsschutz und ärztliche Schweigepflicht, NJW 2005, 1982; Tersteegen, Sozialhilferechtliche Verwertbarkeit von Vermögen bei Anordnung von Verwaltungstestamentsvollstreckung, ZEV 2008, 121; Urban/Kalthoff, Die Testier(un)fähigkeit in der Praxis – Herausforderungen für die notarielle und anwaltliche Beratungspaxis, NWB-EV 2017, 17; Wendt, Höchstrichterliches zu Bindungen und Lösungen von letztwilligen Verfügungen – Neuere Rechtsprechungslinien des BGH zum Behindertentestament, Erbvertrag, gemeinschaftlichem und Einzeltestament, ErbR 2015, 62; Wetterling, Was hat der Erbrechtler mit Fragen der Medizin zu tun?, ErbR 2010, 345; Wetterling, Krankheitsbedingte Auswirkungen auf die Testierfähigkeit – Eine Darstellung aus medizinsicher Sicht, ErbR 2014, 94; Wetterling, Mehr Schein als Sein – zum sog. Fassadenphänomen, ErbR 2015, 355; Wetterling, Freier Wille und Neuropsychiatrische Erkrankungen – Ein Leitfaden zur Begutachtung der Geschäfts- und Testierfähigkeit, 2016 (zit.: Wetterling, 2016)

I. Testierfähigkeit Voraussetzung für die wirksame Errichtung einer Verfügung von Todes ist die Testierfähigkeit des Erblassers, die das Gesetz in § 2229 BGB regelt.

5.1

1. Bedeutung der Testierfähigkeit für die erbrechtliche Praxis Beratungssituation: Mandant ist einziges Kind eines kürzlich im Alter von 95 Jahren verstorbenen vermögenden Unternehmers. Der verwitwete Erblasser wurde in seinen letzten Lebensjahren zu Hause von einer privaten Pflegekraft versorgt und war zuletzt aufgrund einer Vielzahl von Gebrechen bettlägerig. Wenn der Mandant versuchte, zu seinem Vater Kontakt aufzunehmen, wurde er zumeist bereits am Telefon von dieser Pflegekraft mit der Begründung abgeblockt, sein Vater könne oder wolle ihn nicht sehen. Bei den wenigen Besuchen, die dem Mandanten noch ermöglicht wurden, stellte er im Verhalten des körperlich bereits sehr geschwächten Erblassers deutliche Auffälligkeiten fest. So äußerte der Erblasser unter anderem, seine langjährige Haushälterin habe er entlassen müssen, weil sie versucht habe, ihn zu vergiften. Auch von dem Familienanwalt und seinem persönlichen Steuerberater habe er sich trennen müssen, da sie ihn jahrelang betrogen hätten. Zum Glück habe seine Pflegekraft, die ihn ausgezeichnet betreue, dies nun festgestellt und ihm zugleich neue, ehrliche Berater vermitteln können. Außerdem solle er, der Mandant, doch einmal im Fernseher nachsehen, der Erblasser habe nämlich den Verdacht, dass er darüber überwacht und gefilmt werde, teilweise seien sogar Stimmen aus der Steckdose zu vernehmen. Außerdem habe er bereits mehrfach vor dem Fenster Gestalten beobachtet. Dies alles gab der Erblasser, der zeitlebens eine energische Persönlichkeit gewesen war, dem Mandanten mit gewohnter Deutlichkeit und Entschiedenheit zu verstehen. Nach dem Erbfall ist nunmehr vom zuständigen Nachlassgericht ein von einem dem Mandanten gänzlich unbekannten Notar am Krankenbett des Erblasser kurz vor dessen Tod beurkundetes Testament eröffnet worden, in welchem der Erblasser unter Widerruf seines bereits vor Jahrzehnten zugunsten des Mandanten errichteten Testaments eben diese seine Pflegekraft zur Alleinerbin eingesetzt hat. Im Vorspann des Testaments heißt es: „Der Notar hat sich vor Eintritt in die Beurkundung durch eine längere Unterredung mit dem Erschienenen von dessen Geschäfts- und Testierfähigkeit überzeugt.“ Der Mandant ist jedoch der Meinung, dass dieses Testament nicht wirksam sein könne, weil sein Vater, der Erblasser, zum Zeitpunkt der Errichtung nicht mehr „Herr seiner Sinne“ gewesen sei. Zum einen zeige sich dies schon am Inhalt seiner letztwilligen Verfügung, indem er eine „einfache Pflegekraft“, mit der er überhaupt erst in seinen allerletzten Lebensjahren in Kontakt gekommen sei, zu seiner Alleinerbin eingesetzt und damit sein einziges Kind, nämlich den Mandanten, zu dem er Zeitlebens ein ausgezeichnetes Verhältnis gepflegt habe, enterbt habe. Zum anderen seien da die wahnhaften Vorstellungen seines Vaters, des Erblassers, gewesen, die in den Äußerungen, die der Erblasser zuletzt gegenüber dem Mandanten getätigt habe, zum Ausdruck gekommen seien. Der Mandant bittet darum, ihm mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln zu seinem (Erb-) Recht zu verhelfen.

von Morgen/Cording

103

5.2

§ 5 Rz. 5.3

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

5.3 Lange Zeit war die Frage der Testierfähigkeit des Erblassers nur selten Gegenstand erbrechtlicher Verfahren. Insbesondere dann, wenn ein öffentliches Testament vorlag und der Notar – mit oftmals nur formelhaften Wendungen – in der Urkunde einleitend festgehalten hatte, dass er sich von der Testier- und Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt habe, stand damit die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung geradezu fest. Ebenfalls wurde die Frage der Testierfähigkeit selbst von den durch die Unwirksamkeit der betreffenden letztwilligen Verfügung begünstigten Beteiligten eines Erbrechtsstreits bzw. deren anwaltlichen Vertretern nur selten in Zweifel gezogen und noch seltener im Ergebnis mit Erfolg angegriffen. Notfalls vernahm das Gericht den beurkundenden Notar, der – wie hätte es auch anders sein sollen – selbstverständlich dasjenige bestätigte, was er bereits in seiner Urkunde festgehalten hatte: nämlich die uneingeschränkte Testierfähigkeit des Erblassers. Dies mag auch darin begründet gewesen sein, dass eine Überprüfung der Frage der Testierfähigkeit, wenn sie nicht gemäß § 2229 Abs. 1 BGB unterstellt wird, gemäß § 2229 Abs. 4 BGB zwar im Ausgangspunkt eine juristische ist, inhaltlich jedoch durch eine den Juristen teilweise fremde Materie, nämlich durch psychiatrische Beurteilungen ausgefüllt wird.

5.4 Erst in den letzten Jahren ist die Frage der Testierfähigkeit vermehrt in den Fokus erbrechtlicher Auseinandersetzungen gerückt und die geistige/psychische Verfassung des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung seiner letztwilligen Verfügung einer fundierteren psychiatrischen Untersuchung unterzogen worden. Dies hängt zum einen sicherlich mit dem allgemein gestiegenen Lebensalter und der damit einhergehenden Vielzahl von Erkrankungen zusammen. Zum anderen, und damit einhergehend, treten jedoch, wie die anwaltliche Praxis zeigt, vermehrt Fälle auf, in denen hoch betagte, von ihren Familienangehörigen entfremdete Erblasser in ihrer letzten Lebensphase ihren letzten Willen zu Gunsten familienfremder Personen (Nachbarn, Pflegekräfte u.a.), die sich in ihrer allerletzten Lebensphase um sie kümmern, gestalten, die nach dem Erbfall den Konflikt mit dem Kreis der gesetzlichen Erben geradezu herausfordern. Bestand zum Beispiel über Jahrzehnte ein im Familienkreis bekanntes Testament zu Gunsten der nächsten Angehörigen und taucht dann im Erbfall ein nur kurze Zeit vor dem Tod des bereits hoch betagten Erblassers errichtetes Testament zu Gunsten der Haushälterin auf, steht für die meisten damit enterbten Familienangehörigen schon allein aufgrund dieses Sinneswandels von vornherein unverrückbar fest, dass der Erblasser nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte im Sinne einer Testierfähigkeit gewesen sein kann und damit dieses letzte Testament unwirksam ist.

5.5 Auf diese Weise hängt der Ausgang von Erbscheinsverfahren, wie auch einzelnen Erbstreitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten, immer häufiger vom Ergebnis psychiatrischer Sachverständigengutachten ab. Die Besonderheit besteht dabei darin, dass im Rahmen der Prüfung der Testierfähigkeit gemäß § 2229 Abs. 4 BGB eine medizinische Beurteilung unter juristische Begrifflichkeiten zu subsumieren ist. Dies erfordert sowohl auf Seiten der beteiligten Juristen (Rechtsanwälten und Richtern) ein zumindest grundsätzliches Verständnis der psychiatrischen Fragestellungen, als auch von Seiten des ärztlichen Gutachters ein Verständnis der juristischen Beurteilungskriterien. Beides in Übereinstimmung zu bringen, stößt häufig auf Schwierigkeiten. In der gerichtlichen Praxis ist immer wieder zu beobachten, dass die Gerichte scheinbar „blind“ dem Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens folgen, wobei unterschiedliche Gutachter häufig ein deutlich voneinander abweichendes Verständnis der (juristischen) Kriterien für die Beurteilung der Testierfähigkeit entwickeln, was nicht selten zu überraschenden Ergebnissen führt.

5.6 Umso wichtiger sind ein wechselseitiger Austausch und die Herstellung einer gemeinsamen Verständigungsebene zwischen Juristen und Medizinern, um dem wahren letzten (noch im Sinne der Testierfähigkeit frei gebildeten) Willen des Erblassers zur Geltung zu verhelfen und die Erbfolge dementsprechend zutreffend feststellen zu können.

5.7 Erschwert wird diese Feststellung – auch aus der Warte des zur Beurteilung herangezogenen medizinischen Sachverständigen – ohnehin bereits durch die Schwierigkeit, anhand der häufig dürftigen Befundlage und aller übrigen Umstände, die insoweit, ggf. als Ergebnis einer zuvor vom Gericht durchzuführenden Beweisaufnahme, Relevanz haben können, ex post zu einem zurückliegenden be-

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von Morgen/Cording

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.10 § 5

stimmten Datum eine sichere medizinische Beurteilung der geistigen Verfassung des Erblassers abzugeben. Dieser Abschnitt über die Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen, namentlich die Frage der Tes- 5.8 tier(un)fähigkeit des Erblassers, führt daher durch die doppelte Autorenschaft beide Fachrichtungen – juristische wie medizinische – zusammen, um dem in der Praxis mit der Frage der Testier(un)fähigkeit – und damit der entscheidenden Wirksamkeit der betreffenden letztwilligen Verfügung – befassten Rechtsanwalt sowohl ein besseres Verständnis als auch ein beiderseitiges Instrumentarium zur Durchsetzung der Rechte seines Mandanten an die Hand zu geben. Es teilt sich in einen „juristischen“ und einen, darin eingebetteten, „medizinischen“ Teil auf. 2. Begriff und Systematik a) Begriff Testierfähigkeit bedeutet die Fähigkeit eines Menschen, ein Testament rechtswirksam zu errich- 5.9 ten, zu ändern und aufzuheben1. Sie muss beim Errichtungsakt bis zu dessen Abschluss vorhanden sein2. Obwohl eine spezielle Ausprägung der Geschäftsfähigkeit3, sind die Regeln über die Testierfähigkeit losgelöst von den allgemeinen Grundsätzen der §§ 104 Nr. 2, 3, 105 Abs. 1, 2 BGB in § 2229 BGB gesondert geregelt. Zum Abschluss eines Erbvertrages ist gemäß § 2275 Abs. 1 BGB folgerichtig Geschäftsfähigkeit, nicht Testierfähigkeit erforderlich4. Ein Unterschied zwischen Geschäftsfähigkeit und Testierfähigkeit besteht nur bei Minderjährigen (siehe noch im Folgenden Rz. 5.10 ff.). Um in rechtlicher Hinsicht als testierfähig angesehen zu werden, muss der Erblasser – vorbehaltlich der Schranken für Minderjährige (siehe dazu noch im Folgenden Rz. 5.14 ff.) – in der Lage sein, den Inhalt des Testaments von sich aus zu bestimmen und seinen Willen auszudrücken5, dabei also nach eigenem Urteil frei von Einflüssen interessierter Dritter handeln können6. Eine nur allgemeine Vorstellung des Erblassers von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt reicht nicht aus7; der Erblasser muss vielmehr eine konkrete Vorstellung von seinem letzten Willen haben und in der Lage sein, sich unter Abwägung des „Für“ und „Wider“ über die Tragweite seiner Anordnungen und ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen ein klares Urteil zu bilden8. Dazu gehört, dass der Erblasser sich im Sinne einer Erlebnisund Verarbeitungskontinuität an Sachverhalte erinnern, Informationen aufnehmen, Zusammenhänge erfassen und Abwägungen vornehmen kann (s. Rz. 5.65)9. b) Eingeschränkte Testierfähigkeit Minderjähriger, § 2229 Abs. 1 BGB In der anwaltlichen Praxis spielen letztwillige Verfügungen Minderjähriger so gut wie keine Rolle10. 5.10 In dieser Altersgruppe ist die gedankliche Vorsorge für den Fall des eigenen Todes, von Ausnahmefällen wie schweren Erkrankungen abgesehen, naturgemäß noch wenig vertreten. Auch dürfte zumindest der Aufbau eigenen nennenswerten Vermögens bei Minderjährigen nur selten vorkommen. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 1. BGH v. 1.7.1959 – V ZR 169/58, BGHZ 30, 294 (297 f.). Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 12. BayObLG v. 6.3.1996 – 1Z BR 199/95, NJW-RR 1996, 1289. BayObLG v. 20.12.1985 – BReg. 1 Z 81/85, FamRZ 1986, 728, (730). BGH v. 29.1.1958 – IV ZR 251/58, FamRZ 1958, 127 (128); BayObLG v. 11.5.1984 – BReg. 1 Z 16/84, FamRZ 1985, 314 (315); Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 14a m.w.N. OLG Hamm v. 9.11.1988 – 15 W 198/87, FamRZ 1989, 437 (439). BGH v. 29.1.1958 – IV ZR 251/58, FamRZ 1958, 217 (128); OLG Hamm v. 9.11.1988 – 15 W 198/87, FamRZ 1989, 437 (439); BayObLG v. 24.3.2005 – 1 Z BR 107/04, ZEV 2005, 345 (346); OLG Jena v. 4.5.2005 – 9 W 614/04, ZEV 2005, 343 (344). Vgl. auch Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 15. Vgl. auch Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 25, selbst in Bezug auf die notarielle Praxis.

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§ 5 Rz. 5.11

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Und schließlich ist schon wegen der der notariellen Tätigkeit zugewiesenen Einschränkung hinsichtlich der Form letztwilliger Verfügungen Minderjähriger eine anwaltliche Tätigkeit auch nur begleitend denkbar. Dies rechtfertigt es, die eingeschränkte Testierfähigkeit Minderjähriger hier im Vergleich zur Problematik des § 2229 Abs. 4 BGB nur kursorisch zu behandeln. aa) Testament (1) Vor Vollendung des 16. Lebensjahres

5.11 Ein Minderjähriger, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat1, ist nicht testierfähig, sodass ein gleichwohl von ihm errichtetes Testament nichtig ist und auch nicht dadurch nachträglich wirksam wird, dass der Minderjährige vor seinem Tod noch die Volljährigkeit erreicht.

5.12 Beachte: Allerdings soll eine „Genehmigung“ dadurch im Einzelfall möglich sein, dass der ursprünglich noch testierunfähige „Testator“ nach Erreichen der erforderlichen Altersgrenze in einem formwirksam errichteten Testament auf das vorherige, nichtige verweist oder jenes ein zweites Mal unterschreibt2.

5.13 Rechtlich unerheblich ist im Übrigen auch eine etwaige Zustimmung der gesetzlichen Vertreter zum Testament eines Minderjährigen, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Schon aufgrund der in § 2064 BGB vorgeschriebenen Höchstpersönlichkeit der Testamentserrichtung, welche jegliche Form der Stellvertretung ausschließt, kann die Wirksamkeit dadurch nicht herbeigefügt werden3. (2) Nach Vollendung des 16. Lebensjahres

5.14 Mit Vollendung des 16. Lebensjahres kann ein Minderjähriger ein Testament wirksam errichten (§ 2229 Abs. 1 BGB) und bedarf dafür auch nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters (§ 2229 Abs. 2 BGB); in der Wahl der Testamentsform ist er jedoch beschränkt. Gemäß §§ 2233 Abs. 1, 2247 Abs. 4, 1. Alt. BGB kann er nur ein öffentliches Testament, d.h. durch mündliche Erklärung gegenüber dem Notar oder durch Übergabe einer offenen Schrift zu Protokoll des Notars errichten, nicht jedoch durch eigenhändiges Testament im Sinne des § 2247 BGB oder durch Übergabe einer verschlossenen Schrift an den Notar wirksam letztwillig verfügen. Auch ein Drei-Zeugen-Testament in der Alternative der mündlichen Erklärung gemäß § 2250 Abs. 1 BGB ist dem Minderjährigen nicht wirksam möglich, wohl hingegen ein Nottestament vor dem Bürgermeister gemäß § 2249 Abs. 1 S. 4 BGB und, sofern dabei die Voraussetzung des § 2233 Abs. 1 BGB (durch Übergabe einer offenen Schrift) gegeben ist, auch das Nottestament vor drei Zeugen gemäß § 2250 BGB.

5.15 Der Grund für die dem Minderjährigen nur in beschränkter Auswahl zur Verfügung stehenden Testamentsformen wird darin gesehen, dass er bei Errichtung seiner letztwilligen Verfügung in besonderem Maße einer (fachkundigen) Beratung bedürfe, die bei Errichtung eines eigenhändigen Testaments „im stillen Kämmerlein“ nicht gewährleistet sei4. Rechtspolitisch ist daran zu kritisieren, dass die fachkundige anwaltliche Beratung bei Errichtung eines eigenhändigen Testaments dabei unberücksichtigt bleibt. Auch wegen der geringen praktischen Bedeutung letztwilliger Verfügungen Minderjähriger wird mit Recht vorgeschlagen, die Altersgrenze für die Testierfähigkeit einheitlich erst mit Erreichen der Volljährigkeit eintreten zu lassen5. bb) Erbvertrag

5.16 Im Gegensatz zum Testament können letztwillige Verfügungen durch einen Minderjährigen auch nach Vollendung des 16. Lebensjahres in einem Erbvertrag grundsätzlich nicht wirksam getroffen 1 2 3 4 5

Gemäß § 187 Abs. 2 S. 2 BGB ist bei der Berechnung der Tag der Geburt mitzuzählen. So u. a. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2229 Rz. 6. Soergel/Mayer, § 2229 Rz. 4. MünchKomm/Hagena, § 2233 Rz. 4. So auch Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 25; MüKo/Hagena, § 2229 Rz. 8.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.22 § 5

werden, wie sich aus § 2275 Abs. 1 BGB ergibt. Der – zutreffende – Grund besteht in der stärkeren Bindung1. Einzige Ausnahme: Gemäß § 2275 Abs. 2 BGB kann ein bereits im Sinne des § 106 BGB beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger (also, nur theoretisch, ab Vollendung des 7. Lebensjahres!) letztwillige Verfügungen in einem Erbvertrag mit seinem Ehegatten treffen, bedarf in diesem Falle aber der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gemäß §§ 107 f. BGB. Diese Ausnahme dürfte allerdings kaum von praktischer Bedeutung sein. Beachte: Für den Vertragspartner des Testierenden gelten diese Beschränkungen hingegen nicht, sodass sich gemäß §§ 106, 107 BGB auch Siebenjährige durch Abschluss eines Erbvertrages mit bindender Wirkung für den anderen Teil zu Erben einsetzen lassen oder einen Erbverzicht des anderen Teils an ihrem eigenen künftigen Nachlass vereinbaren können, sofern sie selbst darin keine Gegenleistung, wie beispielsweise Geldzahlungen, Unterhalts- oder Pflegeleistungen, übernehmen2!

5.17

c) Einschränkungen der Testierfähigkeit bei bestimmten körperlichen Behinderungen In Abhängigkeit von den jeweiligen Formvorschriften bestehen für Menschen mit bestimmten Behin- 5.18 derungen bzw. fehlenden Fähigkeiten Einschränkungen bei der Auswahl der ihnen zur Verfügung stehenden Testamentsformen: Wer, wegen Blindheit oder Analphabetismus, nicht in der Lage ist, Geschriebenes zu lesen, kann weder ein eigenhändiges Testament errichten (vgl. § 2247 Abs. 4, 2. Alt. BGB) noch ein öffentliches Testament durch Übergabe einer Schrift an den Notar gemäß § 2232 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB; ihm bleibt gemäß § 2233 Abs. 2 BGB nur die Möglichkeit der Erklärung seines letzten Willens zu Protokoll des Notars. Beratungshinweis: Bei fortschreitender Erblindung älterer Mandanten, beispielsweise aufgrund seniler Makuladegeneration oder Grünem Star, ist bei eigenhändigen Testamenten im Nachhinein oft zweifelhaft, ob diese in Ansehung des § 2247 Abs. 4, 2. Alt. BGB noch wirksam errichtet worden sind. In diesen Fällen empfiehlt sich eine Beweissicherung durch ärztliche Bescheinigung, Leseproben, ggfs. auch mittels technischer Hilfsmittel, wie beispielsweise Vergrößerungsgeräten, in Zeugengegenwart o.ä.; der sicherste Weg ist jedoch die Errichtung eines Testaments gemäß §§ 2232 S. 1, 1. Alt., 2233 Abs. 2 BGB.

5.19

Beachte: Auch beim gemeinschaftlichen eigenhändigen Testament gemäß § 2267 BGB muss die Lesefähigkeit bei beiden Ehegatten/eingetragenen Lebenspartnern gegeben sein, nicht nur bei demjenigen, der das gemeinschaftliche Testament eigenhändig errichtet3. Denn gerade derjenige, der nur mitunterzeichnet, muss – in diesem Fall: erst recht – vor einem Testamentsinhalt geschützt sein, der nicht seinem letzten Willen entspricht.

5.20

Bei Schreibunfähigkeit, sei es aufgrund körperlicher Gebrechen oder aufgrund Analphabetismus, ist die Errichtung eines eigenhändigen Testaments gemäß § 2347 BGB ausgeschlossen und der Testator auf die Errichtung eines öffentlichen Testaments gemäß § 2232 BGB verwiesen, wobei auch die Übergabe einer Schrift an den Notar möglich ist, da diese vom Erblasser nicht selbst geschrieben sein muss4.

5.21

Ein stummer Erblasser ist ohne Weiteres zur Errichtung eines eigenhändigen Testaments gemäß § 2247 BGB in der Lage; ein öffentliches Testament gemäß § 2232 BGB kann er durch Übergabe einer Schrift und nunmehr – nach der Streichung des Wortes „mündlich“ in § 2232 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB durch Art. 25 Abs. 1 Nr. 24 des OLGVertrÄndG vom 23.7.20025 in Verbindung mit den erweiterten Möglichkeiten gemäß §§ 22 bis 24 BeurkG, etwa unter Hinzuziehung eines Gebärdensprachdolmetschers oder Verständigungshelfers – auch durch Erklärung gegenüber dem Notar gemäß § 2232 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB errichten. Die Beschränkung auf mündliche Erklärungen in § 2232

5.22

1 2 3 4 5

Palandt/Weidlich, § 2275 Rz. 1. Palandt/Weidlich, § 2275 Rz. 3. Palandt/Weidlich, Einf vor § 2265 Rz. 5. BGH v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79 (85). BGBl. I S. 2850, 4410.

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§ 5 Rz. 5.23

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB a.F. verstieß nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts1 gegen die Erbrechtsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 GG, den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG sowie das Verbot der Benachteiligung von Behinderten gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. Erforderlich ist nur noch, dass der Erblasser hinreichend klar seinen Testierwillen zum Ausdruck bringt, was auch durch eine konkludente Genehmigung der Niederschrift nach § 13 Abs. 1 S. 1, 1. HS BeurkG über die Erklärung des letzten Willens im Sinne des § 2232 S. 1, 1. Alt. BGB, also z.B. auch durch Gebärden oder Zeichen, wie Kopfnicken oder Kopfschütteln, erfolgen kann2.

5.23 Faktisch testierunfähig bleiben jedoch auch nach der Gesetzesänderung diejenigen Mehrfachbehinderten, mit denen auch mit Hilfe einer gemäß § 24 BeurkG hinzugezogenen Vertrauensperson die Verständigung nicht möglich ist, wie es etwa bei blinden oder sonst leseunfähigen Taubstummen der Fall sein kann3. d) Testierunfähigkeit bei Geistesstörung, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung aa) Gesetzliche Voraussetzungen

5.24 Das Gesetz geht in seinem Regel-Ausnahme-Verhältnis gemäß § 2229 Abs. 4 BGB davon aus, dass grundsätzlich jeder Volljährige und Minderjährige, der das 16. Lebensjahr vollendet hat (dieser ist in der Wahl der zur Verfügung stehenden Formen der Errichtung einer letztwilligen Verfügung allerdings beschränkt, siehe oben) testierfähig ist, es sei denn, die in § 2229 Abs. 4 BGB geregelten Voraussetzungen einer Testierunfähigkeit lassen sich feststellen. Diese sind:

5.25 (1) Es muss mindestens eine der folgenden drei Arten von Beeinträchtigungen des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung vorgelegen haben: – krankhafte Störung der Geistestätigkeit, – Geistesschwäche, – Bewusstseinsstörung. (2) Infolge dieser Beeinträchtigung(en) darf der Erblasser nicht mehr in der Lage gewesen sein, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Feststellung der Testierfähigkeit ist also stets eine zweistufige Prüfung erforderlich. bb) Die drei Fälle einer geistigen/psychischen Beeinträchtigung (1. Prüfungsstufe)

5.26 Terminologisch stimmen die drei Arten von Beeinträchtigungen, die zur Testierunfähigkeit führen können, zwar mit den Weiterentwicklungen in der modernen Medizin nicht mehr überein4, als normative Vorgaben im Rahmen der rechtlichen Prüfung der Testierfähigkeit können sie jedoch gleichwohl noch verwendet werden5. Für die Beurteilung maßgeblich ist ohnehin nicht der jeweils aktuelle medizinisch-psychiatrische Diagnosebegriff (z.B. nach der WHO-Klassifikation ICD-10 oder demnächst ICD-11), sondern der durch die Judikative definierte rechtliche (normative) Krankheitsbegriff6. Während die sich ständig weiter entwickelnde medizinische Diagnostik auf die Klärung der Krankheitsursachen und Behandlungsmöglichkeiten ausgerichtet ist, orientiert sich der rechtliche Krankheitsbegriff nicht an den Ursachen der jeweiligen psychischen/geistigen Störung, sondern da1 2 3 4 5 6

BVerfG v. 19.1.1999 – 1 BvR 2161/94, ZEV 1999, 14. OLG Hamm v. 11.10.2012 – I-15 W 265/11, FamRZ 2013, 1424. Vgl. Rossak, ZEV 1999, 254 (255). Vgl. Cording, ZEV 2010, 115 (116); Wetterling, ErbR 2010, 345. Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 34. RGZ 162, 229; OLG Düsseldorf v. 6.3.1998 – 7 U 210/95, FamRZ 1998, 1064 f.; Staudinger/Klumpp, § 104 Rz. 10; Cording, 2014, 41 f. m.w.N.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.28 § 5

ran, ob die damit einhergehenden Funktionseinbußen grundsätzlich zu einem Ausschluss der freien Willensbestimmung führen können1. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit liegt vor, wenn schwere psychische Krankheitsbilder, wie z.B. Demenzen, schizophrene oder andere Psychosen, Wahnsyndrome, ausgeprägte hirnorganische Psychosyndrome oder erhebliche organische Persönlichkeitsveränderungen bestehen2. Unter Geistesschwäche werden graduell minder schwere, meist dauerhaft irreversible Zustände verstanden3, vor allem ausgeprägte Intelligenzminderung (geistige Behinderung) und Residualzustände nach Psychosen oder hirnorganischen Schädigungen4. Diese werden in § 104 Nr. 2 BGB mit unter den Begriff krankhafte Störung der Geistestätigkeit subsumiert, ein Unterschied zu § 2229 Abs. 4 BGB besteht insoweit nicht5. Der juristische Begriff der Bewusstseinsstörung in § 2229 Abs. 4 BGB entspricht noch der Bewusstlosigkeit des § 105 Abs. 2 BGB6. Wie dort, ist jedoch auch für die Testierunfähigkeit nicht erforderlich, dass die Sinnestätigkeit eingestellt ist und das Bewusstsein für die Außenwelt völlig fehlt; es genügt vielmehr eine erhebliche Bewusstseinstrübung, die das Erkennen vom Inhalt und Wesen der eigenen Handlung ganz oder zumindest in einer bestimmten Richtung ausschließt7. In Betracht kommen vor allem: delirante Syndrome jeglicher Ursache, epileptische Anfälle/Dämmerzustände, Bewusstseinstrübungen bei schweren körperlichen Erkrankungen bzw. moribunden Zuständen, ferner gravierende Rauschzustände durch Alkohol (ab ca. 3 ‰) oder andere Substanzen8.

5.27

In der Praxis spielt die Unterscheidung der drei Fälle des § 2229 Abs. 4 kaum eine Rolle, zumal die Rechtsfolgen identisch sind. Zur Frage, welche medizinisch-psychiatrischen Diagnosen i.d.R. unter den rechtlichen Krankheitsbegriff (1. Prüfungsstufe) subsumiert werden und welche nicht, siehe Rz. 5.62 f. und Rz. 5.89 f. cc) Konkreter Einfluss auf die Urteilsfähigkeit (2. Prüfungsstufe) Das Vorliegen einer oder mehrerer Beeinträchtigungen der in § 2229 Abs. 4 genannten Art allein ge- 5.28 nügt nicht, um die Testierunfähigkeit des Erblassers festzustellen. So führt z.B. selbst eine mittelschwere Demenz nicht zwingend zur Testierunfähigkeit9. Es müssen vielmehr, wie der weitere Text des § 2229 Abs. 4 BGB zum Ausdruck bringt, infolge einer/mehrerer dieser Beeinträchtigungen die kognitiven und/oder voluntativen Fähigkeiten zur freien Willensbildung (etwa durch Wahnvorstellungen oder andere Störungen des Realitätsbezugs, Merkfähigkeits-/Gedächtnisstörungen, Desorientiertheit, Affektstörungen, Fremdbeeinflussbarkeit, kognitive bzw. Denkstörungen10) und/oder das zur freien Willensbildung notwendige Urteilsvermögen und die Fähigkeit, die gefassten Entscheidungen in Handlungen umzusetzen (wie etwa bei Apathie oder dysexekutiven Symptomen11) entscheidend eingeschränkt sein12 (2. Prüfungsstufe).

1 MünchKomm/Hagena, § 2229 Rz. 13 f.; Staudinger/Klumpp, § 104 Rz. 9 f.; Cording, 2014, 37 ff. m.w.N. 2 MünchKomm/Hagena, § 2229 Rz. 17 f.; vgl. Staudinger/Baumann 2018, Rz. 36; Cording, 2014, 41 ff.; Wetterling, 2016, 49. 3 RGZ 130, 70; MünchKomm/Hagena, § 2229 Rz. 13, 19; Staudinger/Klumpp, § 104 Rz. 11. 4 Vgl. Cording, ZEV 2010, 115 f.; Cording, 2014, 42; Wetterling 2016, 50 (107 ff.). 5 BGH WM 65, 895; BGH NJW 1960, 1393; Staudinger/Klumpp, § 104 Rz. 11. 6 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 38. 7 Palandt/Ellenberger, § 105 Rz. 2; Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 38 m.w.N. 8 Vgl. Cording 2014, 42, 47 f., 68 f.; Wetterling, 2016, 50, 88 f., 112 ff., 170 f. 9 OLG Jena v. 4.5.2009 – 9 W 612/04, NJW-RR 2005, 1247 (1248); OLG Düsseldorf v. 15.6.2015 – 3 Wx 103/14, ErbR 2015, 451; Cording, ZEV 2010, 115. 10 Vgl. Cording, ZEV 2010, 115, 117 ff.; Cording, 2014, 46 ff.; Wetterling, ErbR 2010, 345 (347); siehe im Folgenden Rz. 5.70 ff. 11 Wetterling, ErbR 2010, 345 (374). 12 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 44 f.

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§ 5 Rz. 5.29

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

dd) Einzelfragen (1) Bedeutung einer für den Erblasser gerichtlich angeordneten Betreuung (§ 1896 BGB)

5.29 Anders als die frühere Entmündigung, hat die sie mit dem 1.1.1992 ablösende Betreuung keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Geschäfts- oder Testierfähigkeit des Betreuten1. Selbst ein nach dem früheren Recht wegen Geistesschwäche Entmündigter, der nachfolgend unter Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge gestellt wurde, kann testierfähig sein2. Auch wenn in vielen Fällen der unter Betreuung stehende Erblasser sich gleichzeitig als testierunfähig erweisen wird, besteht keine Vermutung für eine Testierunfähigkeit, sodass grundsätzlich, wie bei jeder anderen mindestens 16 Jahre alten Person auch, von der Testierfähigkeit des unter Betreuung stehenden Erblassers auszugehen ist3.

5.30 Praxishinweis: Als Tatsachengrundlage für die ex-post-Beurteilung der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung seines Testaments können die Akten des Betreuungsverfahrens jedoch wertvolle Aufschlüsse geben, insbesondere die darin enthaltenen medizinischen Sachverständigengutachten im Rahmen des Anordnungsverfahrens, aber auch im Rahmen der mindestens alle fünf Jahre erneut zu überprüfenden Notwendigkeit eines Fortbestands der Betreuung4. Diese Daten können wertvolle Anknüpfungstatsachen für die gutachterliche Beurteilung im Rahmen des Erbscheins- bzw. Feststellungsklagverfahrens liefern, auch wenn in der Praxis häufig Fälle anzutreffen sind, in denen die Betreuung hoch betagter Erblasser erst nach dem Zeitpunkt der Errichtung ihrer letztwilligen Verfügung, nicht selten sogar erst in der allerletzten, letalen Lebensphase angeordnet worden ist.

(2) Partielle Testier(un)fähigkeit?

5.31 Beratungssituation: Der im Übrigen geistig in keiner Weise beeinträchtigte Erblasser litt unter der wahnhaften Vorstellung, seine Ehefrau betrüge ihn mit dem Nachbarn. Nur aufgrund dessen errichtete er ein Testament, in dem er seine Ehefrau ausdrücklich von der Erbfolge ausschloss und nur seine Kinder zu Erben einsetzte. Die Kinder fragen, ob das Testament damit insgesamt wegen Testierunfähigkeit des Erblassers unwirksam ist, womit ein vorangegangenes, vor langer Zeit errichtetes Testament zugunsten der Schwester des Erblassers wiederum Wirksamkeit erlangen würde, oder nur der Ausschluss der Ehefrau von der Erbfolge.

5.32 Ob eine partielle Testierunfähigkeit, d.h. nur für einen gegenständlich begrenzten Lebensbereich oder bezogen auf eine bestimmte Person, analog der Rechtsprechung zur Geschäftsfähigkeit5 – im Beispielsfall mit der Folge, dass nur der Ausschluss der Ehefrau von der Erbfolge unwirksam und die letztwillige Verfügung des Erblassers im Übrigen wirksam wäre – anzuerkennen ist, ist umstritten. Eine Mindermeinung bejaht dies, wenn der Erblasser ausschließlich personen- oder sachbezogen geistesgestört ist, z.B. unter monothematischen Wahnvorstellungen leidet6. Nach der ganz h.M. ist die Testierfähigkeit – auch im Interesse der Rechtssicherheit – jedoch nicht teilbar, sodass eine partielle Testier(un)fähigkeit auch in den genannten besonderen Fällen nicht in Betracht kommt7. Dem ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, sondern, trotz oder gerade wegen des Grundsatzes zugunsten des Erblasserwillens in § 2084 BGB, auch deshalb zuzustimmen, weil ansonsten, wie der Eingangsfall zeigt, durch die nur partielle (Un)Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung letztlich ein anderes Ergebnis zustande käme, als es der Erblasser bestimmt hätte, wenn er vollumfänglich testierfähig gewesen wäre.

1 2 3 4 5 6

Vgl. OLG München v. 31.10.2014 – 34 Wx 293/14, FamRZ 2015, 698 (700). OLG Hamm v. 20.5.2003 – 15 W 393/01, FamRZ 2004, 659 (660 f.). Vgl. OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, NJW-RR 2008, 164 (165); Hahn, FamRZ 1991, 27. Vgl. auch Hahn, FamRZ 1991, 27. Dort st. Rspr., s.u. BGH v. 2.10.1970 – V ZR 125/68, WM 1970, 1366. BayObLG v. 22.10.1984 – BReg. 1 Z 53/84, FamRZ 1985, 539 (541); MünchKomm/Hagena, § 2229 Rz. 16; Schmoeckel, NJW 2016, 433 (434 f.); Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 18. 7 BayObLG v. 31.1.1991 – BReg. 1a Z 37/90, NJW 1992, 248 (249).

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.35 § 5

(3) Relative Testierfähigkeit? Beratungssituation: Mandant ist Landwirt, der durch Baulandverkäufe zu erheblichem Wohlstand gekommen ist. Seine familiäre Situation ist diejenige einer sog. Patchwork-Familie. Er vertraut seiner derzeitigen, zweiten Ehefrau und möchte sie zur Erbin einsetzen. Nach deren Tod soll sein gesamtes Vermögen jedoch ungeschmälert an seine Kinder aus erster Ehe fallen; keinesfalls sollen die ihm missliebigen Kinder seiner derzeitigen Ehefrau aus deren erster Ehe etwas erhalten. Der beratende Anwalt setzt dem Mandanten ausführlich verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, die seiner Interessenlage gerecht werden könnten, auseinander: die Unterschiede zwischen Allein- und Schlusserbschaft sowie Vor- und Nacherbschaft, die Möglichkeit der Erbeinsetzung seiner Kinder mit Nießbrauchsvermächtnis zugunsten seiner derzeitigen Ehefrau, Bedeutung und Inhalt von Pflichtteilsstrafklauseln etc. Der Mandant versteht nichts. Der beratende Anwalt entwirft schließlich ein umfangreiches und differenziertes Testament, welches nach seinem Verständnis der Interessenlage des Mandanten am nächsten kommt und erläutert die einzelnen vorgesehenen Regelungen in einem zehnseitigen Begleitschreiben. Dieses zu lesen, ist dem Mandanten zu kompliziert und aufwendig. Er ruft den beratenden Rechtsanwalt an und fragt: „Hat das alles seine Richtigkeit?“ Dies bejaht der beratende Rechtsanwalt, womit der Mandant zufrieden ist; die angebotenen telefonischen Erläuterungen möchte er nicht hören. Stattdessen setzt er sich am nächsten Sonntag daran, den Testamentsentwurf unter großer Anstrengung Wort für Wort in Schülerschrift eigenhändig abzuschreiben und zu unterschreiben. Als ihn seine Ehefrau fragt, was er denn nun im Testament bestimmt habe, sagt er: „Das weiß ich auch nicht so genau. Du und meine Kinder, Ihr seid aber versorgt.“ Der beratende Rechtsanwalt quält sich derweil mit dem Zweifel, ob er, gemessen an der sehr beschränkten Auffassungsgabe seines Mandanten, den Testamentsentwurf nicht zu kompliziert gestaltet und dadurch die Wirksamkeit des Testaments gefährdet habe.

5.33

Auch die Frage, ob eine nach dem Grad der Schwierigkeit abgestufte Testierfähigkeit im Sinne einer relativen Testierfähigkeit anzuerkennen ist, ist umstritten. Die h.M.1 lehnt auch dies ab. Und zwar zum einen ebenfalls mit dem Argument der Rechtssicherheit, zum anderen mit dem Argument, dass die Testierfähigkeit bei einem einfachen, unter Umständen nur die Einsetzung eines (Allein-)Erben beinhaltenden Testaments nicht nur aus diesem Grunde bejaht werden dürfe, denn der Erblasser hätte sich, wäre sein Urteilsvermögen noch intakt gewesen, in der Abwägung des Für und Wider ggfs. auch für eine kompliziertere Gestaltung als Alternative entscheiden können.

5.34

Für die Anerkennung einer relativen Testierfähigkeit, abgestuft nach Schwierigkeitsgrad der im Kon- 5.35 kreten errichteten letztwilligen Verfügung, wird hingegen vorgebracht, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Betreuung gerade auch denjenigen Personen, welche nicht uneingeschränkt geschäftsund testierfähig sind, in einfachen Dingen die Möglichkeit habe eröffnen wollen, Willenserklärungen abzugeben, also auch einfach gestaltete Testamente wirksam zu errichten. Dies auch unter dem Gesichtspunkt der durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 GG geschützten privatautonomen Testierfreiheit und der Einzelfallgerechtigkeit2. Wollte man dem Schwierigkeitsgrad des konkret zu beurteilenden Testaments bei der Frage der Testierfähigkeit eine Bedeutung zumessen, so wären danach, überspitzt formuliert, wegen der Komplexität der in Betracht kommenden testamentarischen Regelungen nur noch juristisch vorgebildete Personen, im Extremfall nur noch Fachanwälte für Erbrecht in der Lage, wirksam ein Testament zu errichten3. Diese Auffassung verkennt jedoch, dass es schon generell für die Anerkennung der Testierfähigkeit des Erblassers nicht erforderlich ist, dass er kompliziertere erbrechtliche Zusammenhänge versteht, solange er in der Lage ist, mit einfachen Worten aus eigener Überlegung frei von Einflüssen Dritter sich abwägend ein Urteil zu bilden, das keinen Zweifel daran

1 BGH v. 13.5.1959 – V ZR 159/58, BGHZ 30, 112 (117), allerdings zur Geschäftsfähigkeit; OLG Hamburg v. 7.9.1950 – 3 U 142/1950, MDR 1950, 731 (732); OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, DNotZ 2008, 296; Soergel/Mayer, § 2229 Rz. 9; Scherer/Lehmann, ZEV 2005, 453 (455); a.A. hingegen: OLG Köln v. 29.1.1960 – 9 U 36/59, NJW 1960, 1389 (ebenfalls zur Geschäftsfähigkeit) – Janda, FamRZ 2013, 16 (21). 2 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 19c. 3 Schmoeckel, NJW 2016, 433 (435); Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 19e.

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§ 5 Rz. 5.36

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

lässt, wem er sein Vermögen nach seinem Tod zuwenden will, und dass er sich über seine Gründe im Klaren ist1. (4) „lucidum intervallum“

5.36 Während derartige „lichte Momente“ zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung eines ansonsten vorher und nachher testierunfähigen Erblassers von der bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich für möglich gehalten wurden2, sind sie nach neuerer Rechtsprechung jedenfalls bei chronisch-progredienten Demenzerkrankungen praktisch ausgeschlossen3. Nach medizinisch-psychiatrischer Auffassung werden kurz (Stunden, Tage) dauernde „luzide Momente“ im Rahmen chronischer Erkrankungen sehr kritisch gesehen und sollten grundsätzlich von Besserungen/Heilungen bei reversiblen Erkrankungen sowie von den länger (Monate, Jahre) dauernden symptomfreien Intervallen bei bestimmten phasenhaft verlaufenden Erkrankungen (vor allem bipolaren, manisch-depressiven Störungen) unterschieden werden4; siehe im Folgenden Rz. 5.87.

5.37 Beachte: Die Testierfähigkeit im Rahmen eines „lucidum intervallum“ ist, anders als grundsätzlich (s. noch im Folgenden unter Rz. 5.44), von demjenigen darzulegen und zu beweisen, der aus dem Testament Rechte herleitet5. Es kommt also insoweit zu einer Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast6.

(5) Testverfahren

5.38 Mitunter sind zu Lebzeiten des Erblassers vor allem zur „Abklärung“ einer möglichen Demenz kurze Testverfahren durchgeführt worden, deren Ergebnisse (möglichst auch die Erhebungsbögen!) dokumentiert sind und die demzufolge zur Beurteilung der Testierfähigkeit im Nachhinein herangezogen werden können. Die bekanntesten dieser Testverfahren sind der sog. Mini Mental State Test (MMST) von Folstein (1975), der Uhren-Zeichen-Test nach Shulman (2000) und der DemTect von Calabrese u.a. (2000). Diese Tests dienen der Abschätzung einiger kognitiver Fähigkeiten (MMST), der Prüfung visuell-konstruktiver und problemlösender Funktionen (Uhren-Zeichen-Test) bzw. der Testung des Gedächtnisses, der Wortflüssigkeit, der intellektuellen Flexibilität und der Aufmerksamkeit (DemTect). Liegen derartige Testergebnisse – möglichst zeitnah zum Datum der letztwilligen Verfügung – für den Erblasser vor, liefern sie im Rahmen der Beurteilung der Testierfähigkeit sicherlich einige Anhaltspunkte. Sie allein erlauben jedoch weder die Diagnose noch den Ausschluss einer Demenz, und die Testier(un)fähigkeit lässt sich damit ohnehin nicht erfassen: sie ist allein aus Testergebnissen nicht beurteilbar7. Insofern sind derartige Tests für die Frage der Testier(un)fähigkeit nur sehr bedingt aussagefähig, und nicht zuletzt sind häufig auch deren korrekte Anwendung und Interpretation in Frage zu stellen8. (6) Feststellungen des beurkundenden Notars

5.39 Liegt ein öffentliches Testament vor, findet sich eingangs der Urkunde häufig der formelhafte Satz des beurkundenden Notars:

1 S. OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 016/07, DNotZ 2008, 296/297. 2 S. etwa BayObLG v. 29.1.1985 – BReg. 172/85, FamRZ 1985, 739 (741 f.); BayObLG v. 28.12.1993, ZEV 1994, 303 (304); BayObLG vom 29.1.1996 – 1 Z BR 114/95, FamRZ 1996, 969 (970). 3 OLG München v. 1.7.2013 – 31 Wx 266/12; OLG Hamburg v. 20.2.2018 – 2 W 63/17, ZErb 2018, 280 (282, 287 f.). 4 Cording, 2014, 106 ff.; Wetterling 2016, 200 f. 5 OLG Frankfurt v. 22.12.1997 – 20 W 264/95, NJW-RR 1998, 870; BayObLG v. 24.3.2005 – 1 Z BR 107/04, FamRZ 2006, 68 (69); OLG München v. 1.7.2013 – 31 Wx 266/12, ErbR 2014, 127. 6 S. etwa BayObLG v. 29.1.1985 – BReg. 172/85, FamRZ 1985, 739 (741 f.); BayObLG v. 28.12.1993 – 1 Z BR 85/93, ZEV 1994, 303 (304); BayObLG v. 29.1.1996 – 1 Z BR 114/95, FamRZ 1996, 969 (970). 7 Cording/Foerster 2006. 8 Cording, 2014, 102 f.; Jahn, 2017.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.41 § 5

„Vor Eintritt in die Beurkundung habe ich mich in einer längeren Unterredung von der uneingeschränkten Geschäfts- und Testierfähigkeit des Erschienenen überzeugt.“

Gemäß § 28 BeurkG soll der Notar sich vor Beurkundung eines Testaments davon überzeugen, dass der Erblasser testierfähig ist und seine Wahrnehmungen hierzu in der Niederschrift vermerken. Wie der Notar sich sein Urteil bildet, steht in seinem Ermessen1. Der Vermerk ist vom Notar grundsätzlich in die Urkunde selbst und nicht in die Nebenakten aufzunehmen. Allerdings kann die Achtung der Persönlichkeitsrechte des Erblassers und die Vermeidung einer (Alters-)Diskriminierung es im Einzelfall angemessen erscheinen lassen, weitergehende Feststellungen über Wahrnehmungen des Notars aus dem zum Zwecke der Überprüfung der Testierfähigkeit des Erblassers geführten Vorgespräch außerhalb der Urkunde zu treffen und in der Nebenakte des Notars aufzubewahren2. An der Beweiskraft der öffentlichen Urkunde gemäß §§ 415, 418 ZPO nehmen nur die vom Notar als „Beurkundungszeuge“ festgestellten Tatsachen hinsichtlich der Äußerungen und des Eindrucks in Bezug auf den Erblasser und dessen geistigen Zustand teil, nicht die rechtlichen Schlussfolgerungen, die der Notar aufgrund seiner Wahrnehmungen in Bezug auf die Testierfähigkeit des Erblassers gezogen hat3. Beachte: Der beurkundende Notar ist kein psychiatrischer Sachverständiger. Er ist im Ergebnis genau so wenig in der Lage, den geistigen Gesundheitszustand und dessen Auswirkungen auf die freie Willensentschließung des Erblassers zu beurteilen wie jeder andere psychiatrische Laie. Die Feststellungen des Notars bei der Beurkundung, jedenfalls wenn sie sich, wie im hier eingangs erwähnten Formulierungsbeispiel, auf formelhafte Standardsätze reduzieren, sind im Verfahren um die Testierfähigkeit ebenso kritisch zu hinterfragen wie wertende Aussagen jeglicher anderer Zeugen4. Zumal kognitive Störungen des Erblassers auch bei fortgeschrittener Demenz häufig durch ein sog. Fassadenverhalten überspielt werden5. Hinzu kommt, dass der Notar gemäß § 11 Abs. 1 BeurkG die Beurkundung nur dann ablehnen soll, wenn er von der Testierunfähigkeit des Erblassers überzeugt ist. Bloße Zweifel genügen insoweit nicht6. Da aber der Schaden eines nicht beurkundeten Testaments, welches wirksam gewesen wäre, weitaus größer ist als der Schaden eines beurkundeten Testaments, welches sich im Nachhinein jedoch wegen Testierunfähigkeit des Erblassers als unwirksam erweist, wird der beurkundende Notar außer in sehr extremen Fällen einer offenkundigen Testierunfähigkeit stets die Beurkundung vornehmen, um sich nicht Schadensersatzansprüchen der durch das vorgesehene Testament Begünstigten auszusetzen. Und wenn er einmal beurkundet hat, wird der Notar später auch als Zeuge, wie die Praxis der Beweisaufnahme lehrt, nur in seltenen Fällen seine damaligen Beobachtungen und Eindrücke, die zur Annahme der Testierfähigkeit des Erblassers im Rahmen der Beurkundung führten, in Zweifel ziehen.

5.40

(7) Rückschlüsse aus Form und Inhalt des (eigenhändigen) Testaments Ein fehlerfrei und kohärent geschriebenes eigenhändiges Testament, dessen Inhalt plausibel und nachvollziehbar ist, wird auch in Fällen deutlicher gegenteiliger Anzeichen außerhalb des Schriftstücks häufig als unwiderleglicher Beweis für die Testierfähigkeit des Erblassers bei Errichtung des Testaments gewertet. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten. Gerade bei einem z.B. wegen fortgeschrittener Demenz willens- und geistesschwachen Erblasser, dessen freie eigene Willensbestimmung bereits ausgeschlossen ist, stellen sich eigenhändige Testamente nicht selten als rein mechanische Wiedergabe des Willens einer beeinflussenden Person dar7. Zumal bei einem eigenhändigen Testament auch die Möglichkeit der Rückdatierung in einen Zeitraum vor Eintritt der Testierunfähigkeit möglich und im Nachhinein nur schwer zu widerlegen ist. 1 2 3 4 5 6 7

Müller, DNotZ 2006, 325. Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 62b. Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 62c. Cording, ZEV 2010, 23 (25, 27). Wetterling, ErbR 2015, 355; Wetterling, 2016, 147 ff. Winkler, § 28 BeurkG Rz. 9. S. auch BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 206/82, FamRZ 1984, 1003 (1003 f.); Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 47, 49. Dies im Gegensatz zu denjenigen Fällen, in denen der Testierende in vollem Vertrauen den Vorschlägen eines Dritten ohne weitere Nachprüfung, aber bewusst und kraft eigenen Entschlusses folgt, s. dazu BayObLG v. 2.11.1989 – BReg. 1a Z 52/88, NJW-RR 1990, 202 (203).

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5.41

§ 5 Rz. 5.42

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

5.42 Beachte: Umgekehrt schließen aber auch eine querulatorische Veranlagung oder ein abnormes Persönlichkeitsbild die Testierfähigkeit grundsätzlich nicht aus1. Ebenso wenig moralisch oder sittlich verwerfliche Vorstellungen des Erblassers2. Ob der vom Erblasser verfügte Inhalt seines Testaments gemessen an allgemeinen Maßstäben vernünftig und nachvollziehbar ist, steht per se nicht zur Überprüfung der Rechtsordnung, sondern es entspricht dem Grundsatz der Testierfreiheit, dass ein testierfähiger Erblasser auch berechtigt ist, unvernünftige Bestimmungen zu treffen.

5.43 Beispiele: Die exaltierte Gräfin macht ihren Erben zur testamentarischen Auflage, dass sie in ihrem seltenen und wertvollen Oldtimer der Marke Aston Martin erdbestattet werden möchte; der berühmte Happening-Künstler verfügt in seinem Testament, dass die drei wertvollsten seiner Werke als „Ausdruck der Vergänglichkeit des Seins“ zusammen mit seinem Leichnam im Krematorium verbrannt werden sollen.

ee) Darlegungs- und Beweislast

5.44 Da das Gesetz in § 2229 BGB davon ausgeht, dass grundsätzlich jede Person, die das 16. Lebensjahr vollendet hat, testierfähig ist, liegt die Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess (Erbfeststellungsklage) bzw. die sog. Feststellungslast im Erbscheinsverfahren nach FamFG für die Ausnahme der Testierunfähigkeit bei demjenigen, der sich auf die Unwirksamkeit des Testaments beruft3. Erforderlich ist, dass die Testierunfähigkeit mit einem „für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit zur Überzeugung des Gerichts feststeht“4. Bei nicht behebbaren Zweifeln muss von der Testierfähigkeit ausgegangen werden5. Da die Testierunfähigkeit zudem für den genauen Zeitpunkt der Testamentserrichtung feststehen muss, stellt der Beweis diejenige Partei, welche sich auf die Unwirksamkeit des Testaments beruft, häufig vor Beweisschwierigkeiten. Ist die Testierunfähigkeit des Erblassers um die Zeit der Testamentserrichtung jedoch festgestellt worden, so lässt die Rechtsprechung einen Anscheinsbeweis dafür zu, dass der Erblasser auch im Zeitpunkt der Testamentserrichtung selbst testierunfähig war6. Auch soll nicht nur bei einem ordnungsgemäß errichteten öffentlichen Testament oder Erbvertrag eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Testierfähigkeit sprechen7, sondern das Gleiche soll auch dann gelten, wenn ein privatschriftliches Testament sich nach Form und Inhalt als wohlüberlegt, sinnvoll und zweckentsprechend darstellt8, was zweifelhaft erscheint (siehe Rz. 5.41). Die Darlegungs- und Beweislast bzw. Feststellungslast kehrt sich im Übrigen zu Lasten desjenigen, der sich auf die Wirksamkeit des Testaments beruft, um, wenn ein sog. „lucidum intervallum“ bei ansonsten vor und nach dem Zeitpunkt der Testamentserrichtung jeweils feststehender Testierunfähigkeit behauptet wird9 (siehe Rz. 5.37).

1 BayObLG v. 18.12.1991 – BReg. 1 Z 45/91, FamRZ 1992, 724. 2 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 31a. 3 BGH v. 23.11.2011 – IV ZR 49/11, ZEV 2012, 100 (103); OLG Jena v. 4.5.2005 – 9 W 612/04, FamRZ 2005, 2021. 4 BayObLG v. 30.4.1985 – BReg. 1 Z 16/85, FamRZ 1985, 743 (746); BayObLG v. 18.12.1991 – BReg. 1 Z 45/91, FamRZ 1992, 724; BayObLG v. 24.10.1991 – 1 Z BR 40/01, FamRZ 2002, 497; OLG Köln v. 26.8.1991 – 2 Wx 10/91, FamRZ 1992, 729 (730); KG v. 7.9.1999 – 1 W 4291/98, FamRZ 2000, 912; OLG Frankfurt v. 15.11.1995, 20 W 144/94, FamRZ 1996, 970; OLG Frankfurt v. 22.12.1997 – 20 W 264/95, FamRZ 1998, 1061 (1062 f.); OLG Celle v. 28.4.2003 – 6 W 26/03, FamRZ 2003, 1700 (1701). 5 BayObLG vom 6.5.1988 – BReg. 1a Z 15/88, FamRZ 1988, 1100 (1101); BayObLG v. 24.10.2001 – 1 Z BR 40/01, FamRZ 2002, 497; OLG Frankfurt v. 22.12.1997 – 30 W 264/95, FamRZ 1998, 1061 (1062 f.); OLG Frankfurt v. 15.11.1995 – 20 W 144/94, FamRZ 1996, 970 (971). 6 S. z.B. OLG Frankfurt v. 22.12.1997 – 20 W 264/95, FGPrax 1998, 62 (63). 7 So OLG Hamm v. 12.11.1996 – 15 W 233/96, FGPrax 1997, 68 (69). 8 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 68. 9 BayObLG v. 24.3.2005 – 1 Z BR 107/04, FamRZ 2006, 68 (70); OLG Frankfurt/Main v. 22.12.1997 – 20 W 264/97, NJW-RR 1998, 870.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.46 § 5

ff) Verfahrensablauf (1) Ermittlung der sog. Anknüpfungstatsachen Im Erbscheinsverfahren, welches dem Amtsermittlungsgrundsatz folgt, verlangt die Prüfung der 5.45 Testierfähigkeit eine sorgfältige Untersuchung unter Einbeziehung der Vorgeschichte und aller äußeren Umstände durch das Gericht1. Im Rahmen der Ermittlungen sind zunächst die konkreten Anhaltspunkte und Verhaltensweisen des Erblassers aufzuklären, die zu Bedenken gegen seine Testierfähigkeit Anlass geben2. Weiterhin sind vorhandene medizinische Befunde über den Erblasser heranzuziehen, die Aufschluss über eine Testier(un)fähigkeit geben können. Zeugen, die Wahrnehmungen gehabt haben, welche für die Testierfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung von Bedeutung sein können, sind zu vernehmen. Dabei soll der Aussage des Hausarztes und des beurkundenden Notars bei der Ermittlung der Tatsachen zur Beurteilung der Testierfähigkeit erhöhte Bedeutung zukommen3, was nicht uneingeschränkt zu bejahen ist (siehe oben Rz. 5.40). Zumal der Hausarzt, der die körperlichen Erkrankungen des Erblassers behandelte, erfahrungsgemäß meist weder auf dessen Geisteszustand geachtet hat noch die dafür erforderlichen psychiatrischen Fachkenntnisse aufweist. Beachte: Der Vernehmung von Berufs wegen zur Verschwiegenheit verpflichteter Personen, insbesondere Ärzten, Rechtsanwälten und Notaren kann ein – vermeintliches oder tatsächlich bestehendes – Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §§ 376, 383–390 ZPO, die im Erbscheinsverfahren gemäß § 29 Abs. 2 FamFG analog gelten, sowie gemäß § 18 BNotO entgegenstehen. Das unbefugte Offenbaren der diesen Berufsgruppen durch den Erblasser anvertrauten Geheimnisse steht immerhin unter der Strafandrohung des § 203 Abs. 1 StGB, gemäß § 203 Abs. 4 Nr. 3 StGB ausdrücklich auch über den Tod des Erblassers hinaus. Und eine Entbindung von der beruflichen Verschwiegenheitspflicht ist, da ein höchst persönliches, nicht vererbliches Recht betroffen ist, durch den/die Erben grundsätzlich nicht möglich4. Allerdings behilft sich die Rechtsprechung gegenüber diesem Dilemma zutreffender Weise mit der Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung, indem für den Regelfall unterstellt wird, dass es dem wohlverstandenen Interesse des Verstorbenen entspricht, dass die allgemeinen Vorschriften zum Schutze einer testierunfähigen Person nicht durch die berufliche Verschwiegenheitspflicht eines Zeugen unterlaufen werden5. Die Vermutung der Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch den Erblasser zum Zwecke der postmortalen Feststellung seiner Testier(un)fähigkeit gilt selbstverständlich nur vorbehaltlich eines vom Erblasser ausdrücklich geäußerten oder aus den dem Berufsträger bekannten Umständen zu folgernden entgegenstehenden Willen des Erblassers. Dabei wird der zur Verschwiegenheit verpflichtete Berufsträger insoweit als eine Art Treuhänder des Erblassers über dessen Tod hinaus betrachtet6. Seine Gewissensentscheidung7 ist nur bedingt justiziabel. Zwar wird bei einer Berufung auf das Aussageverweigerungsrecht eine gewisse Substantiierung der Gründe verlangt8, insbesondere genügt weder eine Verweigerung „aus grundsätzlichen Erwägungen“9 noch – erst recht – die

1 OLG Frankfurt v. 26.11.1997 – 20 W 264/95, OLGR 1998, 84 (85); BayObLG v. 11.2.2004 – 1 Z BR 6/03, OLGR 2004, 229; OLG Karlsruhe v. 21.5.2015 – 11 Wx 82/14, ErbR 2015, 456. 2 OLG Düsseldorf v. 4.11.2013 – 3 Wx 93/13, MDR 2014, 546. 3 OLG Karlsruhe v. 21.5.2015 – 11 Wx 82/14, ErbR 2015, 456; KG v. 7.9.1999 – 1 W 4291/98, FamRZ 2000, 912 (913). 4 OLG Naumburg v. 9.12.2004 – 4 W 43/04, NJW 2005, 2017 (2018) m.w.N. 5 BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627 (2628); allg. A., vgl. BGH v. 4.7.1984 – IV a ZB 18/83, BGHZ 91, 392 (398 ff.); OLG Naumburg v. 9.12.2004, NJW 2005, 2017 (2018 f.); OLG Köln v. 15.5.2018 – 2 Wx 202/18, BeckRS 2018, 14200; krit. Spickhoff, NJW 2005, 1982 (1983), der geltend macht, der testamentarisch ausdrücklich geäußerte Wille des Erblassers werde dadurch geradezu konterkariert, weil die Feststellung der Unwirksamkeit der testamentarischen Verfügung erstrebt werde, dabei aber übersieht, dass ein wegen Testierunfähigkeit des Erblassers unwirksames Testament eben gerade nicht den letzten Willen des Erblassers repräsentiert, da er in diesem Zustand zur Bildung eines freien Willens nicht mehr in der Lage war (§ 2229 Abs. 4 BGB). 6 BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627 (2628) m.w.N. 7 BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627 (2629). 8 BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627 (2629). 9 BGH v. 4.7.1984 – IV a ZB 18/83, BGHZ 91, 392 (399 f.).

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5.46

§ 5 Rz. 5.47

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Verweigerung zur Verdeckung eigenen oder fremden Verschuldens1; indessen darf die Verpflichtung, das Zeugnisverweigerungsrecht auf nachvollziehbare Gründe zu stützen, wiederum nicht so weit gehen, dass hierdurch bereits die Verschwiegenheitspflicht verletzt wird2.

5.47 Ferner sind Behandlungsunterlagen aus Krankenhäusern, Pflegedokumentationen, Unterlagen des Betreuungsgerichts und anderer Stellen heranzuziehen3. Dabei steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es sich mit formlosen Ermittlungen gemäß § 29 Abs. 1 FamFG (Freibeweis) begnügt oder gemäß §§ 29 Abs. 2, 30 FamFG analog den Vorschriften der ZPO förmlich Beweis (Strengbeweis) erhebt4. Zum Beispiel kann das Gericht ein von einem Beteiligten vorgelegtes Privatgutachten verwerten. Allerdings ist den übrigen Beteiligten dann Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben5. Bei ernsthaften Zweifeln an der Testierfähigkeit wird jedoch regelmäßig ein Strengbeweisverfahren gemäß § 30 FamFG durchzuführen sein6. Auf diese Weise werden die sog. „Anknüpfungstatsachen“ ermittelt, d.h. der Sachverhalt als Tatsachengrundlage für eine Beurteilung der Testier(un)fähigkeit des Erblassers festgestellt.

5.48 Gleiches gilt im Verfahren der Erbrechtsfeststellungsklage im Zivilprozess, der allerdings zwingend den Regeln des Strengbeweises und der Beibringungsmaxime folgt. (2) Bewertung der festgestellten Tatsachen

5.49 Nachdem der Sachverhalt, ggfs. einschließlich einer Beweisaufnahme, vollständig ermittelt ist, hat das Gericht dann zu prüfen, ob die eigene Sachkunde zur Beurteilung der Testierfähigkeit ausreicht oder ein Sachverständigengutachten erforderlich ist7. Wenn nicht schon ausnahmsweise sämtliche für eine etwaige Testierunfähigkeit des Erblassers bei Testamentserrichtung sprechenden Gesichtspunkte im Zuge der Beweisaufnahme sich als unhaltbar erwiesen haben, entspricht es gerichtlicher Praxis, für die Bewertung des festgestellten Sachverhalts zur Frage der Testierunfähigkeit des Erblassers ein Gutachten zu beauftragen, welches von einem psychiatrischen Sachverständigen zu erstatten ist8.

5.50 Beratungshinweis: Darauf achten, dass das Gericht vor Weitergabe der Akte an den Sachverständigen eine Beweiswürdigung hinsichtlich der zugrunde zu legenden Anknüpfungstatsachen vornimmt, sodass der vom Sachverständigen seinem Gutachten zugrunde zu legende Sachverhalt vorab bestimmt wird und es nicht dem Sachverständigen überlassen bleibt, welche Angaben und Zeugenaussagen er für zutreffend erachtet und seiner Beurteilung zugrunde legt. Ferner sollte darauf geachtet werden, dass bereits die Zeugenvernehmung in Anwesenheit des zu beauftragenden Sachverständigen vorgenommen wird, weil erst durch fachkundige Fragen des Sachverständigen eine vollständige Aufklärung zu erwarten ist9. Die Entscheidung darüber liegt zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters10. Es ist jedoch äußerste Sorgfalt bei der Überwachung der Sachverhaltsermittlung durch das Gericht von Seiten des vertretenden Rechtsanwaltes unbedingt geboten, da gegen das Ergebnis eines einmal erstatteten Sachverständigengutachtens schwer anzukommen ist. Von entscheidender Bedeutung ist somit die vollständige und richtige Vorgabe der Anknüp-

1 BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627 (2629); OLG Naumburg v. 9.12.2004 – 4 W 43/04, NJW 2005, 2017 (2019). 2 OLG Naumburg v. 9.12.2004 – 4 W 43/04, NJW 2005, 2017 (2019). 3 OLG Karlsruhe v. 21.5.2015 – 11 Wx 82/14, ErbR 2015, 456; OLG Karlsruhe v. 10.6.2015 – 11 Wx 33/15, ErbR 2015, 456. 4 BayObLG v. 22.3.1977 – BReg. 1 Z 166/76, BayObLGZ 1977, 59 (65); OLG München vom 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, ErbR 2008, 85. 5 BayObLG v. 28.12.1979 – BReg 1 Z 75, 79. 6 OLG Frankfurt v. 19.2.1997 – 20 W 409/94, DNotZ 1998, 216 (218). 7 KG v. 7.9.1999 – 1 W 4291/98 FamRZ 2000, 912 (913); Cording, ZEV 2010, 23 ff. 8 BayObLG v. 5.7.1990 – 1a Z 26/90, FamRZ 1990, 1405 (1406). 9 OLG Köln v. 20.12.1993 – 3 Wx 36/93, NJW-RR 1994, 396 (397); BayObLG v. 21.7.1999 – 1 Z BR 122/98, FamRZ 2000, 701 (702). 10 BayObLG v. 19.1.1985 – BReg. 172/85, FamRZ 1985, 739 (741).

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.55 § 5

fungstatsachen für die Beurteilung der Testierfähigkeit durch den psychiatrischen Sachverständigen, bevor dieser sein schriftliches Gutachten erstellt.

Das zur Kritik am gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten von einer Partei beauftragte 5.51 Privatgutachten stellt kein Beweismittel dar, sondern lediglich (qualifizierten) substantiierten Parteivortrag1. Die Einholung eines Obergutachtens ist nur ausnahmsweise geboten2. Zwar kann das Gericht von dem Ergebnis eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens zur Testierfähigkeit auch ohne Einholung eines Obergutachtens abweichen3; dies wird in der Praxis jedoch nur in seltensten Ausnahmefällen vorkommen. Und in einem etwaigen Beschwerdeverfahren gemäß §§ 58 ff. FamFG gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts im Erbscheinsverfahren ist insoweit lediglich noch zu überprüfen, ob das vom Nachlassgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten vom als erwiesen erachteten Sachverhalt und vom rechtlich richtigen Begriff der Testierfähigkeit ausgeht4, nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, logische Denksätze oder feststehende Erfahrungssätze verstoßen worden ist und die Beweisanforderungen nicht vernachlässigt oder überspannt worden sind5. Entsprechendes gilt für den ebenfalls nur beschränkten Überprüfungsmaßstab im Zuge der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil im Zivilprozess zur Feststellung des Erbrechts.

5.52

(3) Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung durch Vergleich Nachdem das Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens de facto kaum vorhersehbar 5.53 ist, selbst fachlich mangelhafte Gerichtsgutachten erfahrungsgemäß eher selten mit Erfolg angegriffen werden können6 und die gerichtliche Entscheidung über die Testier(un)fähigkeit für die Beteiligten bzw. Parteien stets ein „Alles oder Nichts“ bedeutet, besteht für beide Seiten immer ein erhebliches Risiko, so sicher sie sich subjektiv auch fühlen mögen. Deshalb erscheint es sinnvoll, von Anfang an die Möglichkeiten einer Mediation bzw. einvernehmlichen Lösung in anderer Weise in Betracht zu ziehen und immer wieder ernsthaft zu überprüfen. Im Laufe des Verfahrens verhärten sich die Fronten in der Regel weiter, und nach Bekanntwerden des Ergebnisses des Gerichtsgutachtens sind die Chancen für eine gütliche Einigung ohnehin nur noch sehr gering. Erbscheinsverfahren und Zivilprozesse zur Erbenfeststellung nehmen stark zu und ziehen sich oft über viele Jahre hin. Einiges spricht dafür, dass Mediation und die kompetente Durchführung von Vergleichsverhandlungen ein interessantes Zukunftsmodell für die anwaltliche Tätigkeit gerade auch bei Erbstreitigkeiten sind. Die rechtlichen Möglichkeiten für einen Vergleichsabschluss existieren7, sind aber noch nicht allgemein bekannt.

5.54

Zwar hat wohl jeder auf dem Gebiet des Erbrechts tätige Rechtsanwalt, wenn die Erbenstellung aufgrund zweifelhafter Testierfähigkeit umstritten war und die Beteiligten nach Einigungsmöglichkeiten suchten, von Seiten des Gerichts schon mehr als einmal den Satz gehört: „Sie können sich nicht aussuchen, wer Erbe ist“, und dieser Satz ist für sich genommen auch durchaus zutreffend. Indessen steht er einer Einigung der Beteiligten bzw. Parteien gleichwohl nicht entgegen. Ist bereits eine Feststellungsklage in Bezug auf das strittige Erbrecht rechtshängig, besteht die Möglichkeit, dass der Be-

5.55

1 2 3 4

OLG Frankfurt v. 22.12.1997 – 30 W 264/95, FGPrax 1998, 62 (64). BayObLG v. 21.4.1971 – BReg. 3 Z 2/71, BayObLGZ 1971, 147. BGH v. 12.1.1967 – V ZR 179/60, NJW 1962, 676 (zur Geschäftsfähigkeit). BayObLG v. 14.9.2001 – 1 Z BR 124/09, FamRZ 2002, 1066 (1067); OLG Celle v. 26.9.2006 – 6 W 43/06, FamRZ 2007, 417. 5 BayObLG v. 11.5.1984 – BReg. 1 Z 162/84, FamRZ 1985, 314 (315); BayObLG v. 21.7.1999 – 1 Z BR 122/98, FamRZ 2000, 701 (702). 6 Zu einer der seltenen Ausnahmen s. jüngst OLG Frankfurt v. 23.1.2018 – 20 W 4/16, ErbR 2018, 516 (517 ff.), in einem Fall allerdings extremer Unsorgfältigkeit des erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachtens zur Testierfähigkeit. 7 Urban/Kalthoff, NWB-EV 2017, 17 ff.

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§ 5 Rz. 5.56

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

klagte das aufgrund zweifelhafter Testierfähigkeit des Erblassers streitgegenständliche Erbrecht des Klägers anerkennt, sodass das Gericht ein Anerkenntnisurteil gemäß § 307 ZPO erlässt. Sobald damit das Erbrecht des Klägers rechtskräftig festgestellt ist, muss auch das Nachlassgericht auf Antrag einen entsprechenden Erbschein erteilen.

5.56 Davon abgesehen, gibt es in jedem Fall die Möglichkeit, im Wege der Vergleichsvereinbarung unabhängig von der tatsächlichen Erbenstellung die Verteilung des Nachlasses so zu gestalten, wie es dem getroffenen Konsens der Beteiligten bzw. Parteien entspricht. Dabei werden vorsorglich für alle in Betracht kommenden Fälle wechselseitig jeweils diejenigen Nachlassgegenstände zugeordnet, die einem bestimmten Beteiligten zukommen sollen. Derjenige der Beteiligten, der dann im Erbscheinsverfahren am Ende als Erbe festgestellt wird, verpflichtet sich jeweils, diejenigen Nachlassgegenstände, die anderen Beteiligten zukommen sollen, an diese zu übertragen. Bei einer Erbengemeinschaft kann der Vergleich auch eine vorsorgliche Übertragung von Erbteilen gemäß § 2033 BGB beinhalten, bei einer strittigen Alleinerbschaft einen vorsorglichen Erbschaftskauf gemäß § 2371 ff. BGB, beides gegen entsprechende Abfindung. Während eines begrenzten Zeitraums bis zur gesetzlichen Neuregelung in § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG war eine solche Abfindung des weichenden Erben aufgrund der Entscheidung des BFH vom 15.6.20161 sogar erbschaftsteuerfrei, da sie keinem Besteuerungstatbestand unterfiel. Diese erbschaftsteuerliche Lücke hat aber der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfung) vom 23.6.20172 dann sogleich geschlossen.

5.57 Darüber hinaus zeigt die praktische Erfahrung, dass gerade in denjenigen Nachlassverfahren, in welchen das Ergebnis von einer ansonsten höchst aufwendigen Ermittlung zur Testierfähigkeit des Erblassers abhängt, der Erbschein dann doch zumeist ohne weitere Amtsermittlung des Nachlassgerichts entsprechend der im Vergleich von den Beteiligten präferierten Erbenstellung erteilt wird. 3. Psychiatrische Kriterien zur Beurteilung der Testier(un)fähigkeit a) Einführung

5.58 Welche psychischen Störungen zu Testierunfähigkeit führen können und wie sich diese äußern, ist vielen Juristen und Medizinern nicht bekannt, teils kursieren auch unzutreffende Vorstellungen darüber. Insbesondere die Unterscheidungsmerkmale zwischen natürlichen Willensäußerungen und dem hier zentralen Kriterium der freien Willensbestimmung sind nicht allgemein geläufig. Der folgende Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über die durch Gesetz und Rechtsprechung im Dialog mit forensisch-psychiatrischen Sachverständigen entwickelten Kriterien für die Beurteilung der freien Willensbestimmung im Sinne der §§ 104 Nr. 2, 2229 Abs. 4 BGB. Bezüglich weiterer Details, Methodenfragen und hilfreicher Beweismittel muss auf ausführlichere Publikationen verwiesen werden3.

5.59 Da die Testierfähigkeit eines Erwachsenen lediglich infolge einer krankheitswertigen psychischen Störung ausgeschlossen sein kann und dabei letztlich immer die psychopathologischen Merkmale ausschlaggebend sind, benötigt der Gutachter gründliche Kenntnisse der Psychopathologie, was in der Regel zumindest eine psychiatrische Facharztweiterbildung voraussetzt4. Nachdem die Begutachtung der Testier(un)fähigkeit zu den schwierigsten Aufgaben der Forensischen Psychiatrie gehört und ein Spezialwissen erfordert, das allein durch die Facharztweiterbildung nicht gewährleistet ist5, sollten jedenfalls

1 2 3 4

BFH v. 15.6.2016 – II R 24/15, NJW 2016, 3327. BGBl. I S. 1682, in Kraft seit 25.6.2017. Cording 2014, 29 ff.; Wetterling 2016; Cording/Saß 2017. BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 206/82; BayObLG v. 9.3.2005 – 1 Z BR 112/04; OLG Bamberg v. 10.11.2015, 6 W 23/15. 5 Vgl. Kröber/Dölling/Leygraf/Saß, 2009, Bd. 5, Vorwort; Cording/Nedopil 2014, 6; Wetterling 2016, 209.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.63 § 5

in allen größeren Verfahren und für Zweit- bzw. „Ober“-Gutachten nur speziell hierfür qualifizierte psychiatrische Sachverständige bestellt werden1). Ungeachtet ihrer gesonderten Regelung ist die Testierunfähigkeit ein Spezialfall von Geschäftsunfä- 5.60 higkeit, und in forensisch-psychiatrischer Hinsicht gelten für die Beurteilung der Geschäfts- und der Testier(un)fähigkeit dieselben Kriterien2. Diese Rechtsvorschriften dienen dem Schutz der wohlverstandenen Interessen der Personen, die ihre zivilrechtlichen Belange wegen eines gravierenden psychischen Krankheitszustands nicht kompetent wahrnehmen können, also vor eigenen Fehlentscheidungen und einer eventuellen Ausnutzung durch Dritte bewahrt werden müssen. Insofern wird die Testierfreiheit durch § 2229 Abs. 4 BGB nicht eingeschränkt, sondern abgesichert. Wenn das gelegentlich als „Entmündigung“ oder gar als Verstoß gegen Selbstbestimmung und Menschenwürde älterer Menschen missverstanden wird, so wird verkannt, dass Selbstbestimmung stets Selbstbestimmungsfähigkeit voraussetzt3. Das Beurteilungsverfahren erfolgt zweistufig: Als Eingangsvoraussetzung für die Annahme von Tes- 5.61 tierunfähigkeit muss immer eine im rechtlichen Sinne krankheitswertige geistige bzw. psychische Störung nachgewiesen sein (das bloße Alter, Exzentrik, habituelle Persönlichkeitsstörungen, Abhängigkeiten u.ä. erfüllen dieses Kriterium nicht, s. Rz. 5.90). Selbst der Nachweis einer ausgeprägten psychischen Krankheit reicht aber nicht aus, um Geschäfts- oder Testierunfähigkeit zu begründen, denn hierbei ist auf einer zweiten Beurteilungsstufe stets noch zu überprüfen, ob und ggf. wodurch die krankheitswertige Störung im konkreten Fall tatsächlich zum Ausschluss der Voraussetzungen für die Fähigkeit zur freien Willensbestimmung im Sinne des BGB geführt hat4. Ist dieser Nachweis nach Überzeugung des Gerichts nicht erbracht, bleibt es bei der Grundannahme der Testierfähigkeit. b) Beurteilungskriterien aa) Erste Beurteilungsebene (krankheitswertige Störung) § 2229 Abs. 4 BGB nennt als relevante Diagnosenkategorien „krankhafte Störung der Geistestätig- 5.62 keit“, „Geistesschwäche“ und „Bewusstseinsstörung“. Das kann zu Missverständnissen führen, weil diese Rechtsbegriffe inhaltlich weder dem entsprechen, was man umgangssprachlich darunter versteht, noch mit den z.T. gleichlautenden Fachbegriffen der Psychiatrie übereinstimmen. Da eine hinreichende Kenntnis dieser Rechtsbegriffe allenfalls bei forensisch erfahrenen Psychiatern vorausgesetzt werden kann, sollte in Anschreiben an die behandelnden Ärzte und andere Zeugen nicht nach diesen rechtlichen Kategorien gefragt werden, sondern nach konkreten Verhaltensweisen und Äußerungen sowie nach eventuellen psychisch-geistigen Auffälligkeiten oder Funktionsbeeinträchtigungen des Erblassers. Als rechtliche Voraussetzung auf der ersten Beurteilungsebene genügt es letztlich, wenn eine „irgendwie geartete (psychische bzw.) geistige Anomalie“5 vorliegt, die grundsätzlich zu einer Aufhebung der freien Willensbestimmung führen kann. Unter welchen medizinisch-psychiatrischen Diagnosebegriff die Störung der Geistestätigkeit einzuordnen ist (z.B. nach der internationalen Diagnosenklassifikation ICD-10), ist nicht entscheidend6. Maßgeblich sind psychopathologische Syndromdiagnosen, nicht Ursachen-bezogene bzw. biologisch definierte Diagnosen (vgl. Rz. 5.26). Die Störung der Geistestätigkeit muss jedoch im rechtlichen Sinne krankhaft sein; entscheidend für die Krankhaftigkeit einer psy1 Vgl. OLG Frankfurt v. 23.1.2018 – 20 W 4/16 Rz. 75 f. 2 Vgl. OLG Hamburg v. 10.5.2012 – 2 W 96/11, BeckRS 2014, 15126; OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, ZEV 2008, 37 (39). 3 BVerfG v. 19.1.1999 – 1 BvR 2161/94, NJW 1999, 1853; Cording 2014, 32 m.w.N. 4 Cording 2014, 35 ff., 39 ff.; vgl. auch Staudinger/Knothe § 104 BGB Rz. 4. 5 MünchKomm.BGB/Schmitt, § 104 BGB Rz. 10. 6 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 36; vgl. OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, ZEV 2008, 37 (39).

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5.63

§ 5 Rz. 5.64

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

chischen Störung im Sinne des deutschen Zivilrechts sind Art und Ausmaß der Störung im Hinblick auf die Möglichkeit eines Ausschlusses der freien Willensbestimmung1. Dies trifft vor allem auf Störungen mit Verlust des normalen, lerngeschichtlich fundierten Realitätsbezugs zu, also insbesondere auf psychotische Zustände, Wahnsyndrome, Demenzen oder auch schwere geistige Behinderungen. In der Praxis stehen in diesen Fällen meist Demenzen, andere hirnorganische Psychosyndrome (sog. Durchgangssyndrome nach Operationen oder Schlaganfällen, organische Wesens- bzw. Persönlichkeitsänderungen nach Hirntraumen, chronischem Alkoholismus o.ä.), Wahnkrankheiten oder schwere Depressionen zur Diskussion (s. Rz. 5.89). Hingegen erfüllen bloße Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, Neurosen, Persönlichkeitsstörungen (inkl. „Psychopathie“) und leicht- bis mäßiggradige Depressionen oder Angststörungen in aller Regel nicht die Kriterien des zivilrechtlichen Krankheitsbegriffs (s. Rz. 5.90)2.

5.64 Praktisch bedeutsam ist hier die Unterscheidung von krankheitswertigen psychischen bzw. geistigen Störungen und bloßen Ursachen. So kann eine mit bildgebenden Verfahren (CCT oder MRT) nachgewiesene Verminderung oder Veränderung der Gehirnsubstanz (Hirnatrophie, subkortikale vaskuläre Enzephalopathie o.ä.) zu psychopathologischen Funktionsstörungen z.B. im Sinne einer Demenz führen, muss dies aber nicht. Dasselbe gilt für die vielfach angeführten Auswirkungen „starker“ Medikamente (z.B. Opiate, Psychopharmaka) – die in den Produktinformationen aufgeführten Nebenwirkungen können, müssen aber nicht auftreten. Aus derartigen Risikofaktoren, körperlichen Erkrankungen (z.B. Zuckerkrankheit) oder anderen möglichen Ursachen kann nicht geschlossen werden, dass tatsächlich psychopathologische Funktionsstörungen oder gar die Voraussetzungen für Testierunfähigkeit vorhanden waren, denn es handelt sich dabei immer nur um statistische Zusammenhänge, die mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeiten anzeigen, für den Einzelfall jedoch nicht zutreffen müssen. Diesbezüglich kommt es also letztlich immer auf den Nachweis konkreter psychischer/geistiger Funktionsdefizite im fraglichen Zeitraum an, d.h. auf die tatsächlich aufgetretenen psychopathologischen Symptome3. Selbst die Diagnose einer psychischen Erkrankung (z.B. Demenz) spricht nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für Testierunfähigkeit – die Frage, ob die Voraussetzungen für den Ausschluss der freien Willensbestimmung im konkreten Fall tatsächlich gegeben waren, entscheidet sich letztlich immer erst auf der zweiten Beurteilungsebene. bb) Zweite Beurteilungsebene (psychopathologische Funktionsstörungen) (1) Rechtliche Vorgaben

5.65 Da das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bzw. Störung lediglich eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für den Ausschluss der freien Willensbestimmung darstellt, sind letztlich Art und Ausmaß der nachgewiesenen psychopathologischen Funktionsstörungen (Symptome) und deren Auswirkung auf die Einsichts-, Kritik- und Urteilsfähigkeit bzw. – in rechtlicher Terminologie – auf die freie Willensbestimmung maßgeblich. Eine psychische/geistige Erkrankung steht der Gültigkeit einer Willenserklärung nicht entgegen, solange der Betreffende trotzdem die Fähigkeit hatte, die Bedeutung des Rechtsgeschäfts zu erkennen und sich bei seiner Entschließung von normalen Erwägungen leiten zu lassen4.

5.66 Hinsichtlich dieser zweiten Beurteilungsebene gelten zunächst die klassischen Formulierungen des BGH zur Geschäftsfähigkeit: „Nach § 104 Ziff. 2 BGB sind für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit nicht so sehr die Fähigkeiten des Verstandes ausschlaggebend als die Freiheit des Willensentschlusses. Es kommt darauf an, ob eine freie Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider, eine sachliche Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist, oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gespro1 2 3 4

Staudinger/Klumpp, § 104 Rz. 6; Cording 2014, 37 ff. Staudinger/Klumpp, § 104 Rz. 6; Cording 2014, 41 ff. Vgl. Cording 2014, 68 f., 103 f. Vgl. Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 31.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.67 § 5

chen werden kann, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliegt oder die Willenserklärung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ähnlich einer mechanischen Verknüpfung von Ursache und Wirkung ausgelöst wird.“ (BGH v. 14.7.1953 – V ZR 97/52, NJW 1953, 1342; BGH v. 19.6.1970 – IV ZR 83/69, NJW 1970, 1680 [1681])

Im Hinblick auf Testierunfähigkeit hat das Oberlandesgericht München in Fortsetzung und Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts dies am 14.8.2007 (OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, ZEV 2008, 37) konkretisiert und u.a. ausgeführt: „Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, vielmehr von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildung braucht nicht darin zu Tage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letzten Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag; sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (st. Rspr.; vgl. BGH v. 29.1.1958 – IV ZR 251/57, FamRZ 1958, 127/128; BayOLG v. 20.7.1962 – BReg 1 Z 33/61, BayObLGZ 1962, 219/223 f.; BayObLG v. 17.8.2004 – 1Z BR 053/04, BayObLGZ 2004, 237/240 f.). Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnte (BayObLGZ 1999, 205/210 f.). Es gibt auch keine nach Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte Testierfähigkeit; die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder fehlt ganz (vgl. BGH NJW 1989, 1878 und BayObLG v. 5.12.1991 – BReg 3 Z 182/91, NJW 1992, 2100 […]). [Deshalb] reicht es für die Testierfähigkeit nicht aus, dass der Testierende in der Lage ist, die eigenen Bezugspersonen zu erkennen und einfache Sachverhalte zu erfassen. Diese Einschätzung beruht auf der verfehlten Annahme, die Testierfähigkeit stelle eine Zwischenstufe zwischen dem ‚natürlichen Willen‘, den auch ein Geschäftsunfähiger bilden und äußern kann, und der vollen Geschäftsfähigkeit dar. Diese Auffassung verkennt wesentliche Elemente der Testierfähigkeit. Der Testierende muss in der Lage sein, die für und gegen eine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe abzuwägen und sich aus eigener Überlegung, frei von Einflüssen Dritter, ein klares Urteil zu bilden. Es genügt nicht, dass er überhaupt einen Wunsch äußern oder eine Meinung artikulieren kann. Entscheidend ist vielmehr, dass der Testierende fähig ist, sich die Gründe für und wider seine Entscheidung zu vergegenwärtigen und sie gegeneinander abzuwägen, sich also selbständig und aus eigener Kraft ein Urteil zu bilden. Das setzt voraus, dass es ihm bei der Testamentserrichtung möglich ist, sich an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob die konkrete letztwillige Verfügung ihrem Inhalt nach besonders einfach oder schwierig ist. Verfehlt sind auch hypothetische Erwägungen darüber, ob der Erblasser eine inhaltlich gleichlautende Verfügung auch getroffen hätte, solange er testierfähig war. […] [Die Rechtsbeschwerde verkennt,] dass es für die Kritik- und Urteilsfähigkeit vor allem auf die Fähigkeit zum Verarbeiten aktueller Informationen und weniger auf das Abrufen alter Erinnerungen ankommt. […] […] Nachdem es für die Beurteilung der Testierfähigkeit vorrangig auf das Ausmaß der geistigen Erkrankung und die Auswirkungen auf die Willensbildung ankommt, konnte das LG trotz verbleibender Unsicherheiten über die genaue Einordnung der mit Sicherheit vorliegenden Demenz als vaskuläre Demenz oder Demenz vom Alzheimer-Typ zur Überzeugung von der Testierunfähigkeit gelangen.“

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5.67

§ 5 Rz. 5.68

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

5.68 Entscheidend ist stets das Gesamtbild der betreffenden Person im fraglichen Zeitraum unter Einbeziehung der Vorgeschichte und aller äußeren Umstände1. (2) Psychopathologische Beurteilungskriterien

5.69 Welche psychopathologischen Funktionsdefizite (Symptome) schließen die freie Willensbestimmung typischerweise aus? Hier ist zu beachten, dass es in der Regel psychiatrischer Kenntnisse und Erfahrungen bedarf, um die nachfolgend aufgelisteten Symptome richtig erkennen und entsprechend den anerkannten fachlichen Definitionen2 korrekt klassifizieren zu können. Gleichlautende umgangssprachliche Bezeichnungen stimmen meist nicht mit den fachlichen Definitionen dieser Begriffe überein.

5.70 Bewusstseinsstörungen Bewusstseinsstörungen im Sinne der psychiatrischen Terminologie sind charakteristisch für durch körperliche Krankheiten, Delirien oder Intoxikationen (inkl. Rauschzustände) bedingte akute Psychosyndrome. Sie gehören nicht zur Symptomatik von chronischen Erkrankungen wie Demenzen oder Wahnkrankheiten. Qualitative und quantitative Bewusstseinsstörungen schließen eine freie Willensbestimmung in der Regel aus3, stehen bei der Beurteilung der Testierfähigkeit aber nicht oft zur Diskussion, weil diese akuten Zustände meist nur kurz dauern und währenddessen nur ausnahmsweise Testamente verfasst werden; v.a. bei protrahierten Delirien kommt das allerdings gelegentlich vor.

5.71 Orientierungsstörungen Die klinisch-psychiatrische Prüfung der Orientierung bezieht sich lediglich auf Zeit, Ort, Situation und grundlegende Angaben zur eigenen Person des Betroffenen, beinhaltet also nicht etwa die „Orientiertheit“ über komplexere Zusammenhänge wie sie bei einer Testamentserrichtung zu bedenken sind. Wenn eine Person in psychiatrischem Sinne als „voll orientiert und bewusstseinsklar“ bezeichnet wird, schließt dies eine Demenz, einen Wahn oder andere gravierende psychische Störungen keineswegs aus. Derartige Orientierungsstörungen sind – wie auch Bewusstseinsstörungen – kein obligates Symptom einer Demenz. Störungen der zeitlichen und/oder der örtlichen Orientierung können ein wichtiger Indikator für den Schweregrad der zugrunde liegenden Störung sein und z.T. auch als solche die Freiheit des Willensentschlusses aufheben, sofern davon für die Entscheidungsfindung wesentliche Umstände betroffen sind. Orientierungsstörungen zur Situation oder zur eigenen Person (z.B. Name, Familienstand, Beruf) bedingen in der Regel Testierunfähigkeit, da das Wissen um die eigene Person und die Tatsache der Testamentserrichtung Grundvoraussetzungen für eine diesbezüglich freie Willensbestimmung sind.

5.72 Gedächtnisstörungen Isolierte leichtere Gedächtnisstörungen (z.B. im Rahmen einer sog. „Leichten kognitiven Störung“), die der Betroffene selbstkritisch adäquat realisiert und durch geeignete Hilfsmittel kompensiert, sind für die Frage der Testierfähigkeit unerheblich, solange Selbstkritik und Urteilsfähigkeit und ein hinreichend realitätsadäquater Überblick über die entscheidungserheblichen Zusammenhänge erhalten sind4. Es genügt allerdings nicht, wenn nur Altgedächtnis-Bestände verfügbar sind, denn zur Testamentserrichtung müssen auch aktuelle Informationen verarbeitet, in den Gesamtzusammenhang eingeordnet und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden können5. 1 Vgl. Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 82. 2 Z.B. Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (AMDP); Reischies, 2007. 3 Habermeyer/Saß, Fortschr Neurol Psychiat 2002. 4 Cording 2014, 49 ff. 5 OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, ZEV 2008, 37 (39).

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.74 § 5

Wie auch andere kognitive Funktionsbeeinträchtigungen müssen die Gedächtnisstörungen Demenzkranker nicht alle Lebensbereiche gleichermaßen betreffen. In den zur Begutachtung kommenden Fällen besteht praktisch niemals ein totaler Gedächtnisverlust. Vielmehr kommt es zu einer sukzessiven Einengung des mentalen Horizonts auf Alltagsroutinen und das unmittelbar erlebte Umfeld; das betrifft oft auch Gedächtnisinhalte. Meist schrumpft die gedächtnismäßig repräsentierte Vorstellungswelt auf das sinnlich-konkret Erlebte zusammen, abstraktere Sachverhalte und Zusammenhänge geraten aus dem Blick. Mit dem Schwächerwerden des Neugedächtnisses ist die Gegenwart immer weniger prägnant repräsentiert. Dafür drängen Altgedächtnisbestände in den Vordergrund, und aufmerksamen Laien fällt auf, dass die Betroffenen mehr und mehr „in der Vergangenheit leben“. Die Fülle der dabei oft erinnerten Details darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf anderen, für die Gutachtensfrage wichtigen Gebieten, zugleich erhebliche Lücken bestehen können – dies übrigens auch dann, wenn einfache Merkfähigkeitsaufgaben wie etwa im Mini-Mental-State-Test (MMST) noch gut gelingen. Letzteres kommt besonders bei primär überdurchschnittlich intelligenten Personen vor oder wenn dies mit „Gedächtnistraining“ geübt wurde. Für die Beurteilung der freien Willensbestimmung kommt es weniger auf quantitative als auf qualitative Gedächtnisstörungen an, die u.a. die hierarchische Ordnung der Gedächtnisinhalte betreffen: Sind nur unbedeutende Details verloren gegangen („die Stellen hinter dem Komma“) oder aber (auch) wesentliche Aspekte, insbesondere die Fähigkeit, durch den Abruf der relevanten Gedächtnisinhalte einen realitätsadäquaten Überblick über die für das jeweilige Rechtsgeschäft wichtigen Zusammenhänge zu gewinnen und Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden zu können? Auf Gebieten, in denen sich eine Person besonders gut auskannte und mit denen sie sich weiterhin regelmäßig beschäftigt (z.B. Schachspiel, Kreuzworträtsel, Liebhabereien), können Alt- und Neugedächtnis noch deutlich besser erhalten sein als auf Gebieten, die in ihrem Erleben an die Peripherie gerückt sind und nicht mehr geübt werden. Insgesamt ist die Selektivität der Gedächtnisstörungen gutachtlich von besonderer Bedeutung. So werden subjektiv stark emotional gefärbte Inhalte intensiver und länger erinnert, können dann aber nicht mehr durch andere Gedächtnisinhalte relativiert, kritisch abgewogen, korrigiert oder desaktualisiert werden. Das führt häufig zu qualitativen Verzerrungen des Gedächtnisses, die einen realistischen Überblick über entscheidungserhebliche Zusammenhänge verhindern.

5.73

Intelligenzdefizite Eine angeborene oder früh erworbene Beeinträchtigung der Intelligenz (Oligophrenie, geistige Behinderung), mit der der Betroffene zeitlebens gewohnt war, sich in seiner Umwelt zurecht zu finden, ist für seine Testier(un)fähigkeit weit weniger gravierend als eine vom Ausmaß her vergleichbare Beeinträchtigung der Intelligenz, die erst im höheren Lebensalter eingetreten ist, also in einem signifikanten Verlust früher vorhandener Fähigkeiten besteht (Demenz)1. Eine Person, deren intellektuelle Fähigkeiten nicht ausreichen, bestimmte schwierige rechtliche Beziehungen verstandesmäßig zu erfassen, ist deswegen noch nicht testierunfähig, sofern sie in der Lage ist, ihren Willen frei zu bestimmen2. Zu beachten ist allerdings, dass bei einer deutlichen Intelligenzminderung oft auch nicht-kognitive Beeinträchtigungen bestehen, die ihrerseits die freie Willensbestimmung aufheben können.

5.74

Wahn und wahnartige Realitätsverkennungen, Sinnestäuschungen Im Sinne der psychiatrischen Fachterminologie handelt es sich um erfahrungsunabhängige und meist auch erfahrungswidrige, pathologische Formen der Überzeugungsbildung mit apriorischem subjektiven Evidenzcharakter, die vernünftigem Abwägen und logischen Argumenten nicht zugänglich sind – darin besteht der auch in rechtlicher Hinsicht entscheidende Unterschied zum Irrtum3. Das Wesentliche ist also nicht so sehr der meist objektiv unzutreffende Inhalt des wahnhaften Erlebens, sondern die krankheitsbedingte Abkoppelung von Erfahrung, Logik und (sub-)kulturellem Konsens über

1 Cording, 2014, 51 ff. 2 KG v. 11.1.1995 – 11 U 5086/92. 3 Cording, 2014, 54 ff.

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§ 5 Rz. 5.75

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

die Realität, sowie der Verlust der diesbezüglichen Kritik- und Urteilsfähigkeit. Sinngemäß dasselbe gilt für Halluzinationen und andere pathologische Sinnestäuschungen.

5.75 Wahnsyndrome kommen im höheren Lebensalter relativ häufig und keineswegs nur im Rahmen dementieller Erkrankungen vor1; sie werden von Ärzten, Pflegepersonen, Notaren usw. häufig nicht erkannt2. Im Alter am häufigsten sind Bestehlungs- und Beeinträchtigungswahn, häufig auch in Form wahnhaften Misstrauens bzw. ungerechtfertigter Unterstellungen, vor allem gegenüber nahen Angehörigen, denen eigensüchtige oder feindselige Motive zugeschrieben werden, wenn sie z.B. auf ärztlichen Rat für den krankheitsuneinsichtigen Erblasser eine Betreuung oder einen Heimaufenthalt organisieren. Wenn ein Erblasser wegen solcher Realitätsverkennungen bestimmte Bezugspersonen ablehnt, ist das keine normalpsychologisch motivierte Einstellungsänderung, sondern schließt eine freie Willensbildung bezüglich letztwilliger Verfügungen aus. Dabei kommt es infolge nicht erkannter oder missverstandener Psychopathologie des Betroffenen nicht selten zu familiären Zerwürfnissen mit gegensätzlichen Parteinahmen3, die dann u.U. in der Erbauseinandersetzung erbittert fortgeführt werden.

5.76 Das BayObLG hat zustimmend hervorgehoben: „Den Verlust der freien Willensentschließung hat das Landgericht auf den Ausfall bestimmter psychischer Fähigkeiten zurückgeführt, wie die Uneinsichtigkeit der Erblasserin in ihre eigene Situation, ihren durchgehenden Kritikverlust gegenüber der eigenen Person, den eigenen Fähigkeiten und Einschränkungen, sowie auf wahnartige Realitätsverkennungen und die Unfähigkeit, wesentliche Aspekte der Realität adäquat wahrzunehmen und zu beurteilen“4.

5.77 Störungen der Affektivität Störungen der Affektivität werden in ihrer Bedeutung für die Geschäfts- und Testierfähigkeit häufig unterschätzt. In ihrer Qualität und/oder Dynamik veränderte Affekte können die Freiheit der Willensbildung und Entscheidungsfindung mindestens ebenso gravierend beeinträchtigen wie rein kognitive Defizienzen5. Maniforme und ausgeprägt depressive Syndrome, hirnorganisch bedingte Euphorie, Affektverflachung (z.B. mit Fehlen somatischer bzw. affektiver „Marker“6), Apathie oder pathologische Reizbarkeit können die Dynamik und die inhaltlichen Ergebnisse von Entscheidungsprozessen pathologisch determinieren, den Zugang zu den biographisch gewachsenen Wertvorstellungen verstellen oder das individuelle Wertgefüge pathologisch verformen7 und somit die Freiheit des Willensentschlusses aufheben.

5.78 Im Rahmen hirnorganischer bzw. dementieller Prozesse kommt es bei verminderter kognitiver Kompetenz häufig zu einer Affektdominanz: Affekte wirken sich ungebremst verhaltensdeterminierend aus, wenn der regulierende Einfluss kognitiver Konzepte und Gegenvorstellungen (bezüglich Konsequenzen8, möglichen Alternativen etc.) fehlt. Personen mit schweren kognitiven Gedächtnisstörungen können noch eine Art „emotionales Gedächtnis“ besitzen, aufgrund dessen sie ihre affektiven Reaktionen auf bestimmte Personen unreflektiert und unbewusst speichern und daraus resultierende Präferenzen oder Aversionen gegenüber diesen Personen konstant beibehalten und äußern können, auch wenn sie diese kognitiv nicht einmal mehr wiedererkennen9. Bei pathologischer Affektdominanz ist ein vernünftiges Abwägen und somit eine freie Willensbestimmung nicht mehr möglich.

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Adler, 2001. Lange, 1989; ähnlich auch BayObLG v. 20.7.1962 – BReg 1 Z 33/61, BayObLGZ 1962, 219 (223). v. Keyserlingk, 1952. BayObLG v. 6.5.2002 – 1 Z BR 25/02. Vgl. BayObLG v. 5.12.1991 – BReg. 3 Z 182/91, NJW 92, 2100 (2101); Reischies, 2002; Damasio, 1995. Damasio, 1995. Vgl. Habermeyer/Saß, Fortschr Neurol Psychiat 2002; Reischies, 2002. Vgl. Gauggel 2002. Damasio 2000, 59 ff.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.80 § 5

5.79

Persönlichkeitsveränderungen, dysexekutive Syndrome Persönlichkeitsveränderungen bei Demenzen oder organischen Psychosyndromen, insbesondere auch nach traumatischen Hirnschädigungen, chronischem Alkoholismus oder chronischer Rauschgiftabhängigkeit spielen in der Begutachtungspraxis zur Testierfähigkeit keine unerhebliche Rolle. Ist der biographisch gewachsene Fundus an Erfahrungen, Überzeugungen und persönlichen Wertvorstellungen1 krankheitsbedingt nicht mehr verfügbar oder pathologisch überlagert bzw. verformt, ist also die Sinnkontinuität der persönlichkeitseigenen Motivbildung unterbrochen, so fehlt es an einer Grundvoraussetzung für die freie Willensbestimmung2. Dies ist nicht nur bei Depravationen im Rahmen chronischer Abhängigkeitserkrankungen der Fall, sondern auch bei anderen organischen Persönlichkeitsveränderungen3, insbesondere bei dysexekutiven Syndromen im Rahmen von (z.B. hirntraumatischen) Frontallappenschädigungen4 oder Diskonnektionssyndromen etwa bei subkortikalen vaskulären Enzephalopathien, Normaldruckhydrozephalus oder ähnlichen Erkrankungen5. Da die formal-intellektuellen Fähigkeiten bei solchen Wesensänderungen durchaus erhalten sein können und sich auch bei den gängigen Testuntersuchungen oft keine Auffälligkeiten zeigen, werden diese Defizite häufig nicht richtig diagnostiziert6.

5.80

Fremdbeeinflussbarkeit Von der Rechtsprechung zur Testier(un)fähigkeit wurde stets besonders hervorgehoben, dass testierunfähig auch derjenige ist, der nicht in der Lage ist, „frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln“7. Diese Formulierung meint selbstverständlich nicht normalpsychologisch wirksame Einflüsse Dritter, wie sie üblicherweise in die Urteilsbildung eingehen. Entscheidend ist, ob die Freiheit des Willensentschlusses gewahrt bleibt oder ob Fremdeinflüsse ein Gewicht erhalten, dem gegenüber kritische Distanz, Abwägen und eigenständige Gegenvorstellungen nicht mehr möglich sind bzw. nicht mehr handelnd verwirklicht werden können8. Bei ausgeprägten Demenzen ist dies meist der Fall, insbesondere bei gleichzeitig bestehender Affektdominanz. Auch bei Frontalhirnsyndromen bzw. der Störung exekutiver Funktionen sind Kritikverlust und leichte Beeinflussbarkeit sehr häufig9. Abnorme Fremdbeeinflussbarkeit vermittelt sich wesentlich über erhöhte emotionale Ansprechbarkeit bei reduziertem kognitiven Kontrollvermögen. Typisch sind dysproportional überschießende Dankbarkeit für relativ kleine Gefälligkeiten, Vertrauensseligkeit und die Tendenz, rasch pseudofamiliäre Beziehungskonstellationen herzustellen, die konventionelle soziale Distanz z.B. gegenüber Pflegepersonen oder Fremden nicht mehr so einhalten zu können wie es der prämorbiden Persönlichkeit entsprochen hätte. Pathologische Fremdbeeinflussbarkeit muss aber keineswegs bedeuten, dass die Betroffenen von jedem Dritten beliebig beeinflussbar wären. Vielmehr kann daneben manchen Personen gegenüber eine „starrköpfige“ Unbeeinflussbarkeit bestehen10, die in der Regel genauso kritiklos und krankheitsbedingt ist (und sich oft gerade gegen die nächsten Angehörigen richtet). Bei der Beurteilung krankheitsbedingt erhöhter Fremdbeeinflussbarkeit geht es nicht um die Frage, ob tat-

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Vgl. Reischies 2002. Vgl. Habermeyer/Saß, Fortschr Neurol Psychiat 2002. Habermeyer/Saß, Nervenarzt 2002. Reischies 2002. Förstl, 2002; Cording, 2014, 60 ff. m.w.N. Cording, 2014, 63 f. m.w.N. BGH v. 29.1.1958 – IV ZR 251/57, FamRZ 1958, 127 (127 f.); OLG Hamm v. 13.3.1989 – 15 W 40/89, OLGZ 1989, 271 (273); vgl. auch Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 42. 8 Vgl. Reischies, 2002; BayObLG v. 2.11.1989 – BReg. 1a Z 52/88, FamRZ 1990, 318 (319). 9 Gauggel, 2002. 10 Vgl. v. Keyserlingk, 1952; Rauch, 1962.

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§ 5 Rz. 5.81

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

sächlich irgendein Dritter bewusst versucht hat, den Testator zu beeinflussen1. Der psychiatrische Sachverständige hat nicht das Verhalten Dritter (Fremdbeeinflussung), sondern nur die Fähigkeit des zu Begutachtenden zu beurteilen, etwaigen Beeinflussungen durch kritisches Infragestellen, innere Distanznahme und vernünftiges Abwägen begegnen und gleichwohl eine eigenständige, freie Entscheidung treffen zu können (Fremdbeeinflussbarkeit).

5.81 Mangelnde Einsichts-, Kritik- und Urteilsfähigkeit Die entscheidende psychopathologische Voraussetzung für die Freiheit der Willensbestimmung ist letztlich eine hinreichend intakte Einsichts-, Kritik- und Urteilsfähigkeit2. Mangelnde Kritik- und Urteilsfähigkeit lässt sich häufig besonders klar am Fehlen von Krankheitseinsicht und daraus resultierender Uneinsichtigkeit in die erforderlichen Konsequenzen erkennen3. Ein typischer Fall ist, dass ein Testator sich im Verlauf einer beginnenden Demenz (z.B. während passagerer Verwirrtheitszustände) erheblich gefährdet, dies aber auch rückblickend nicht einsieht bzw. realitätswidrig bagatellisiert und Hilfe ablehnt; die Ärzte empfehlen eine Betreuung und/oder Heimaufnahme, die Angehörigen folgen diesem Rat und veranlassen entsprechende Schritte, aber der Betroffene erlebt das infolge krankheitsbedingter Uneinsichtigkeit als ungerechtfertigte Schikane, unterstellt seinen Angehörigen böswillige Motive, z.B. dass sie es nur auf sein Geld abgesehen hätten4, und „enterbt“ sie (diese Fallkonstellation ist auch in die Schweizerische Rechtsprechung eingegangen5).

5.82 Weitere Gesichtspunkte Häufig wird vorgebracht, der Erblasser habe doch genau gewusst, was er wollte und habe seinen Willen wiederholt klar zum Ausdruck gebracht. Dieses Argument verkennt, dass damit nichts über die Freiheit der Willensbildung gesagt ist. Zu natürlichen Willensäußerungen sind nämlich auch Kinder sowie die meisten psychisch kranken bzw. dementen Erwachsenen durchaus fähig6. c) Anknüpfungstatsachen

5.83 Wird ein Rechtsanwalt mit der Fragestellung Testier(un)fähigkeit konfrontiert, empfiehlt es sich, schon im Vorfeld einen entsprechend fachkundigen Psychiater zuzuziehen, um sicherzustellen, dass alle zur weiteren Abklärung sinnvollen Beweismittel beigezogen werden, bevor der gerichtlich bestellte Sachverständige sein Gutachten erarbeitet7. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass viele Sachverständige ihr Gutachten einfach auf der Basis der vom Gericht übersandten Akten erstatten, ohne zunächst zu prüfen, ob alle aus psychiatrischer Sicht zur Aufklärung zweckdienlichen Anknüpfungstatsachen ermittelt wurden, und das Gericht erst einmal bezüglich der Möglichkeiten ergänzender Sachverhaltsaufklärung zu beraten. Dieser Fehler lässt sich später meist nicht mehr korrigieren, da die Sachverständigen nur sehr selten bereit sind, ihre einmal abgegebene Beurteilung zu revidieren, selbst wenn neue Anknüpfungstatsachen hinzugekommen sind, die das nahelegen würden8.

5.84 Zu den Aufgaben des Sachverständigen gehört es auch, die Aussagekraft der vorliegenden Anknüpfungstatsachen unter fachlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Das gilt für die Erläuterung von medizinischen und pflegerischen Routinedokumentationen, Befund- und Entlassungsberichten, insbesondere aber auch für die fachlichen Erfahrungen mit der Wahrnehmung psychisch kranker Per1 OLG München v. 18.7.2012 – 8 U 2279/12. 2 BGH v. 29.1.1958 – IV ZR 251/57 FamRZ 1958, 127 (127 f.); OLG Hamburg v. 10.5.2012 – 2 W 96/11, BeckRS 2014, 15126; KG Berlin v. 11.1.1995 – 11 U 5086/92; BayObLG v. 6.5.2002 – 1 Z BR 25/02. 3 Reischies, 2007, 334 ff.; Cording, 2014, 46. 4 Vgl. Reischies, 2007, 253 f. 5 Aebi-Müller, 2012. 6 BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 206/82, WM 1984, 1063 (1064); OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, ZEV 2008, 37; OLG Hamburg v. 10.5.2012 – 2 W 96/11, BeckRS 2014, 15126. 7 Vgl. OLG Frankfurt v. 4.5.2017 – 20 W 33/16. 8 Vgl. Cording, 2014, 114, 122; Cording/Saß, 2017, 230.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.87 § 5

sonen und ihrer Funktionsdefizite durch psychiatrische Laien einschließlich Hausärzten und Notaren1. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat diese Aufgabe des Sachverständigen klar formuliert und deutlich gegen die allein dem Gericht zustehende Beweiswürdigung abgegrenzt: Demnach gehört es zu den Aufgaben des Sachverständigen, die fachliche Plausibilität der einzelnen Befunde und Zeugenaussagen zu überprüfen und für das Gericht einzuordnen, auch im Hinblick auf Gepflogenheiten von behandelnden Ärzten oder die Wahrnehmungsmöglichkeiten anderer Kontaktpersonen. Ob hingegen die Angaben von Zeugen oder Beteiligten der Wahrheit entsprechen, hat allein das Gericht zu prüfen und gegebenenfalls einzelne Äußerungen von der Begutachtung auszunehmen2. Diese wichtige Abgrenzung bei der Würdigung von Zeugenaussagen wird häufig missachtet, indem Gutachter eigenwillige Bewertungen von Zeugen abgeben oder Angaben von Beteiligten einfach unberücksichtigt lassen, weil diese von Interessen geleitet sein könnten. Unter fachlichen Gesichtspunkten haben alle Angaben von Beteiligten und Zeugen (einschließlich Ärzten, Notaren etc.) besonderes Gewicht, die konkrete Verhaltensweisen und Äußerungen des Probanden beobachtungsnah (z.B. anhand von Beispielen) beschreiben und möglichst auch zeitlich hinreichend zugeordnet werden können. Dagegen haben Wertungen, Schlussfolgerungen und Pauschalaussagen wie „im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte“, „dement“, „altersentsprechend“, „normale Gespräche“ oder gar Subsumtionen unter Rechtsbegriffe wie „voll geschäftsfähig“ nahezu keine Aussagekraft3, zumal sich selbst schwere Defizite oft erst bei gezielter Prüfung zeigen und gerade bei älteren Menschen häufig übersehen werden4. Das gilt auch für die Standardsätze vieler Notare, sie hätten sich im Gespräch von der vollen Geschäfts-/Testierfähigkeit des Betreffenden überzeugt, sowie für ärztliche Atteste zu derartigen Rechtsbegriffen, sofern die Aussagen nicht durch konkrete Befunde und Beobachtungen hinreichend untermauert werden5. Es ist eine gut belegte Erfahrungstatsache, dass wegen der häufig noch vorhandenen sog. guten Fas- 5.85 sade Demenzkranker selbst gravierende psychopathologische Funktionsdefizite psychiatrischen Laien und selbst Fachärzten ohne zielgerichtete Prüfung oft nicht auffallen, vor allem bei sehr alten und/oder primär überdurchschnittlich intelligenten Personen6. Dies gilt auch für Notare; diese sollen evtl. vorhandene Zweifel an der Testierfähigkeit dokumentieren, müssen Testamente im Zweifelsfall aber trotzdem beurkunden7. Psychologische Testuntersuchungen liegen bei der meist erst posthum erfolgenden Begutachtung überwiegend nicht vor, sind für die Beurteilung der Testier(un)fähigkeit aber auch nicht notwendig und werden in ihrer Aussagekraft von Ärzten sowie von Juristen oft falsch eingeschätzt, das gilt insbesondere auch für den weit verbreiteten „Mini Mental Status“ Kurztest (MMST)8. Geeignete Tests können in diesem Gutachtenskontext durchaus sinnvoll und hilfreich sein, allerdings nur dann, wenn spezielle Expertise zu ihrer fachkundigen Interpretation im Hinblick auf die Gutachtensfrage vorhanden ist – das ist bei gutachtlich tätigen Fachärzten jedoch nur ausnahmsweise der Fall9.

5.86

d) Zeitverlauf Da zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung aus verschiedenen Gründen meist keine psychiatrisch verwertbaren Angaben vorliegen, steht der Gutachter in der Regel vor der Aufgabe, den Zustand zum 1 Vgl. Cording, 2014, 97 ff.; Wetterling, 2016, 133, 138 ff. 2 OLG Hamburg v. 10.5.2012 – 2 W 96/11, BeckRS 2014, 15126. 3 Vgl. BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 206/82, WM 1984, 1063 (1064); OLG Frankfurt v. 4.5.2017 – 20 W 33/16. 4 Cording, 2014, 97 ff.; Wetterling, 2016, 144 ff. 5 Vgl. BGH v. 29.1.1957 – 1 StR 333/56, NJW 1957, 718; BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 206/82, WM 1984, 1063 (1064); Cording/Saß, 2017, 230 m.w.N.; Wetterling, 2016, 133, 150 f. 6 Cording, 2014, 97 ff. m.w.N.; Wetterling, 2016, 147 ff. 7 Cording, 2014, 105 f. m.w.N. 8 Jahn, 2017, 218 ff.; Cording, 2014, 102 f.; Cording/Foerster, 2006. 9 Jahn, 2017, 218 f.

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5.87

§ 5 Rz. 5.88

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

relevanten Zeitpunkt (Testaments-Unterzeichnung) anhand des individuell dokumentierten Krankheitsverlaufs zu erschließen. Dafür gelten folgende Regeln: – Kurz dauernde (Stunden, Tage) oder stark fluktuierende psychische Störungen wie etwa bei Intoxikationen oder vielen Delirien, wenn außerhalb dieser Zustände das psychisch-geistige Funktionsniveau nicht wesentlich beeinträchtigt ist: Hier kommt Testierunfähigkeit nur in Betracht, wenn die Testamentserrichtung nachweislich in die Zeit der akuten Störung fiel. – Länger anhaltende (Wochen, Monate), aber typischerweise spontan oder unter Therapie abklingende Erkrankungen wie z.B. phasisch verlaufende Psychosen: Testierunfähigkeit ist nur belegt, wenn das Testament nachweislich während einer solchen Krankheitsphase abgefasst wurde; in der symptomfreien Zeit nach oder zwischen diesen Krankheitsepisoden besteht Testierfähigkeit. – Chronische bzw. chronisch-progrediente Störungen (wie beispielsweise irreversible dementielle Syndrome): Die Beurteilung der Testierfähigkeit richtet sich hier nach den im fraglichen Zeitraum vorhandenen Dauerveränderungen (insbesondere der Einsichts- und Urteilsfähigkeit), die sorgsam von den sich ggf. überlagernden passageren Zusatzsymptomen (z.B. Delirien) abzugrenzen sind. Wenn im Rahmen einer chronisch-progredienten Erkrankung vor und nach der Testamentserrichtung chronische psychopathologische Symptome bzw. Syndrome belegt sind, die Testierunfähigkeit bedingen, so sind kurzfristige (Stunden, Tage dauernde) „luzide Intervalle“ mit Wiedererlangung der Urteilsfähigkeit praktisch ausgeschlossen und kommen als ernsthafte Möglichkeit nicht in Betracht1.

5.88 Bei Besserungen von behandelten oder spontan rückbildungsfähigen Krankheiten ist zu beachten, dass eine allgemeine Besserung des Krankheitsbildes zur Wiedererlangung von Testierfähigkeit nicht ausreicht, sondern dass es hierbei allein auf die Besserung der für die Testierfähigkeitsbeurteilung maßgeblichen Symptomatik ankommt, vor allem also auf die Wiedergewinnung der Einsichtsund Urteilsfähigkeit. Diese ist nicht schon dadurch wiederhergestellt, dass die ursprüngliche Symptomatik (z.B. Wahn, Affektdominanz, Gedächtnisstörungen, Uneinsichtigkeit, mangelnde Urteilsfähigkeit) zurückgetreten ist, sondern es sind darüber hinaus auch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit und eine rückblickende Distanzierung von diesen Symptomen notwendig, die den Kranken zuvor beherrscht haben. Dasselbe gilt für Zustände (z.B. bei Demenzen oder auch bei länger dauernden Bewusstseinstrübungen), in denen neue Informationen nicht oder nicht adäquat in das Gedächtnis aufgenommen werden konnten – hier genügt es zur Wiedererlangung der freien Willensbestimmung nicht, dass die Lernfähigkeit als solche wiedererlangt wurde, sondern es müssen die Lücken und Verzerrungen in der kognitiven sowie emotionalen Repräsentanz relevanter Umweltinformationen erst wieder adäquat mit Informationen gefüllt und korrigiert werden, damit die personale Sinnkontinuität des eigenen Lebens wiederhergestellt ist2. Diese nach längeren Krankheitszeiten notwendigen kognitiven und emotionalen Reorientierungen sind nicht innerhalb von Stunden oder Tagen möglich, sondern benötigen in der Regel zumindest mehrere Wochen selbstkritischer Auseinandersetzung auf der Basis eines wiedererlangten Urteilsvermögens.

1 OLG München v. 1.7.2013 – 31 Wx 266/12, BeckRS 2013, 11657; Cording, 2014, 107. 2 OLG München v. 1.7.2013 – 31 Wx 266/12, BeckRS 2013, 11657; OLG Hamburg v. 20.2.2018 – 2 W 63/17, ZErb 2018, 280 (287 f.); Cording, 2014, 108 f.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.91 § 5

e) Überblick aa) Krankheiten (erste Beurteilungsebene) Testierunfähigkeit kann insbesondere bei folgenden Diagnosen gegeben sein1:

5.89

Diagnosenklassifikation nach ICD-10 (WHO)

Ältere psychiatr. Nomenklatur

F0

organisch bedingte psychische Störungen F00-F03 Demenzen F04-F09 org. Psychosen, org. Psychosyndrome, insbesondere: F05 Delir, nicht alkohol- oder substanzbedingt; F07.0 org. Persönlichkeitsstörungen, Frontalhirnsyndrom (nicht bei F0.6.4 – F06.8; selten bei F07.2)

(hirn-)organisch bedingte Psychosen bzw. Psychosyndrome einschl. org. Wesens- bzw. Persönlichkeitsveränderungen, „Cerebralsklerose“ etc.

F1

psych. Störungen durch psychotrope Substanzen (außer F1x.1, F1x.2, F1x.8, F1x.9) vor allem: F10.71 = alkoholische Wesensänderung

F2

Schizophrenien, wahnhafte u. ä. Störungen (seltener bei F21 = schizotype Störung) (gelegentlich auch bei F60.0 = paranoide Persönlichkeitsstörung)

F3

affektive Störungen (Manien, Depressionen) (außer F30.0, F31.0, F31.7, F32.0, F33.0, F33.4, F34)

F7

Intelligenzminderung (Geistige Behinderung) (selten bei F70)

„endogene Psychosen“

„Schwachsinn“, Oligophrenie

Dagegen führen folgende Störungen in der Regel nicht zu Testierunfähigkeit2:

5.90

Diagnosenklassifikation nach ICD-10 (WHO)

Ältere psychiatr. Nomenklatur

F0

leichte organische Störungen gem. F06.4 – F06.8, F07.2

organische „Schwächezustände“

F1

bloßer Substanzabusus gem. F1x.1, F1x.2, F1x.8, F1x.9

Sucht, Abhängigkeit, Missbrauch

F3

affektive Störungen gemäß F30.0, F31.0, F31.7, F32.0, F33.0, F33.4, F34

leichte Depressionen, Hypomanien

F4

Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen

F5

Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Ess- oder Schlafstörungen)

F6

Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (inkl. F63.0), ausgenommen u. U. F60.0

Neurosen, abnorme psychische Reaktionen, Persönlichkeitsstörungen, „Psychopathie“, Impulskontrollstörungen, Spielsucht u.ä.

bb) Psychopathologische Symptomatik (zweite Beurteilungsebene) In Betracht kommen vor allem (aber nicht ausschließlich) folgende psychische Funktionsstörungen (Rz. 5.70 ff.)3:

1 Modifizierte Tabelle nach Cording, 2014, 43. 2 Modifizierte Tabelle nach Cording, 2014, 43. 3 Ausführlicher bei Cording, 2014, 46 ff.

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5.91

§ 5 Rz. 5.92

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

– Bewusstseinsstörungen – Orientierungsstörungen – Gedächtnisstörungen – primäre oder sekundäre Intelligenzdefizite – Wahn, wahnartige Realitätsverkennungen, Sinnestäuschungen – Störungen der Affektivität – Persönlichkeitsveränderungen, dysexekutive Syndrome – Fremdbeeinflussbarkeit – Mangelnde Einsichts-, Kritik- und Urteilsfähigkeit. 4. Vorgehen bei zweifelhafter Testierfähigkeit a) Informationsgewinnung

5.92 Beratungssituation: Mandantin ist eine Stiftung privaten Rechts, die im vorletzten Testament des Erblassers zu seiner Alleinerbin eingesetzt wurde. Kurz vor seinem Tod im fortgeschrittenen Alter hat der Erblasser dieses Testament widerrufen und zugunsten einer Nachbarin verfügt. Der Stiftung ist zugetragen worden, dass der Erblasser infolge des fortgeschrittenen Stadiums seiner letztlich letalen Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Errichtung dieses letzten Testaments schon äußerst geschwächt war und unter starken Morphiumgaben stand. Entsprechende medizinische und/oder pflegerische Unterlagen, mit deren Hilfe sie die Testierunfähigkeit des Erblassers belegen könnte, stehen ihr jedoch nicht zur Verfügung. Die Stiftung sieht sich daher in Beweisnot und bittet um rechtlichen Rat, wie sie an diese Unterlagen zur Stützung ihrer Rechtsposition gelangen kann.

5.93 Eine fundierte Einschätzung und erfolgreiche Durchsetzung der Rechtsposition eines Mandanten, die sich auf die Testierunfähigkeit des Erblassers stützt, hängt, zumal angesichts des häufig begrenzten Aussagewertes der Beobachtungen von Zeugen für die Testierfähigkeit1, in der anwaltlichen Praxis ganz wesentlich von einer – möglichst frühzeitigen – Kenntnis vom Umfang und Inhalt medizinischer und pflegerischer Dokumentationen über den Gesundheitszustand des Erblassers ab. Auch der vom Gericht im Erbscheins- oder Klageverfahren beauftragte psychiatrische Sachverständige wird sich vorrangig hierauf stützen. Dazu gehören, je nach Einzelfall, insbesondere: – Patientenakten des Hausarztes und der behandelnden Fachärzte – Pflegedokumentationen von Heimen und ambulanten Pflegediensten – Krankenakten aus Anlass stationärer Krankenhausaufenthalte – Akten von Betreuungsverfahren – Begutachtungen im Rahmen von Anträgen zur Pflegeversicherung – bei Beamten: Beihilfeakten – ggfs. Polizeiberichte, etwa über das Aufgreifen des Erblassers als hilflose Person – Unterlagen der gesetzlichen bzw. privaten Krankenversicherung.

1 Cording, ZEV 2010, 23 (25 f.); Cording 2014, 97 ff. m.w.N.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.98 § 5

aa) Einsichtnahmerecht gemäß § 630g Abs. 3 BGB für Erben und nächste Angehörige Gemäß der neu eingeführten1 Vorschrift des § 630g BGB ist einem Patienten auf dessen Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen (Abs. 1), und der Patient kann auch elektronische Abschriften seiner Patientenakten – gegen Kostenersatz – verlangen (Abs. 2). Gemäß § 630g Abs. 3 BGB stehen die Rechte aus den Absätzen 1 und 2 dieser Vorschrift im Falle des Todes des Patienten zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen seinen Erben und, soweit diese immaterielle Interessen geltend machen, seinen nächsten Angehörigen zu. Allerdings ist dieses Recht jeweils ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des (verstorbenen) Patienten entgegensteht.

5.94

Wie weit der Kreis der „nächsten Angehörigen“ des Erblassers zu ziehen ist, definiert das Gesetz 5.95 nicht. Man wird darunter wohl jedenfalls die in der Gesetzesbegründung beispielhaft genannten Ehegatten (eingetragenen Lebenspartner), Kinder, Eltern, Geschwister und Enkel verstehen müssen2. Die insoweit im Gesetz formulierte Einschränkung: „Soweit sie immaterielle Interessen geltend machen“, dürfte dabei in der Praxis kein entscheidender Hinderungsgrund sein, auch wenn die Einsichtnahme, wie oft, letztlich zur Durchsetzung eines Erbrechts dient. Denn es wird keinem nächsten Angehörigen versagt werden können, gegenüber dem behandelnden Arzt oder Krankenhausträger immaterielle Interessen zwecks Einsichtnahme in die Patientenakte geltend zu machen, die dabei gewonnenen Informationen und Erkenntnisse dann jedoch zur Durchsetzung seines Erbrechts zu nutzen. Im Ausgangsfall (Rz. 5.92) ist der Erbprätendentin, einer Stiftung privaten Rechts, mit dieser Alter- 5.96 native jedoch nicht geholfen. Sie könnte sich lediglich auf die andere Alternative, nämlich ihre Erbenstellung, berufen. Hierbei beißt sich jedoch im sprichwörtlichen Sinne „die Katze in den Schwanz“: Geht der behandelnde Arzt bzw. das Krankenhaus förmlich vor, auch im Hinblick auf die zu wahrende ärztliche Verschwiegenheitspflicht, wird von der Erbprätendentin zum Nachweis der Erbenstellung die Vorlage eines Erbscheins verlangt werden. Dessen Erteilung möchte die Erbprätendentin aber gerade erst mit Hilfe der aus der Krankenakte des Erblassers gewonnenen Informationen durchsetzen. Dafür hilft ihr die Vorschrift des § 630g Abs. 3 S. 1 BGB mithin wenig. Praxishinweis: Auch hier gilt häufig das Sprichwort: „Versuch macht klug“. In nicht wenigen Fällen sind die behandelnden Ärzte, ungeachtet der Formalitäten, recht auskunftsfreudig, zumal wenn sie anwaltlich oder gar von einem ärztlichen Kollegen oder durchaus auch nur von einer ihnen bekannten Vertrauensperson des Erblassers angeschrieben werden oder ihnen eine Vollmacht des Erblassers übermittelt wird.

5.97

bb) Recht auf Einsichtnahme in Urkunden gemäß § 810 BGB Gemäß dieser allgemeinen gesetzlichen Regelung kann derjenige, der ein rechtliches Interesse daran hat, eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde unter anderem dann einsehen, wenn sie in seinem Interesse errichtet worden ist. Letzteres ist in Bezug auf Operations- und Krankenunterlagen des Arztes für den Patienten selbst bejaht worden3. Zu § 630g BGB besteht dabei im Grundsatz freie Anspruchskonkurrenz4. Soweit die ärztliche Schweigepflicht nicht entgegensteht, geht dieser Anspruch auf die Erben über5. Auch hierzu stellt sich aber wiederum für den Erbprätendenten die Problematik des Erbnachweises. Insoweit als § 810 BGB, anders als § 630g Abs. 3 BGB, keinen weiteren, gesonderten Anspruch zugunsten der nächsten Angehörigen, d.h. unabhängig von der Erbenstellung, beinhaltet, erweist er sich diesem gegenüber sogar noch als enger und damit hier wirkungsloser.

1 BT-Drucks. 17/10488, S. 26. 2 S. auch MünchKomm.BGB/Wegner, § 630g Rz. 30. 3 BGH v. 27.6.1978 – VI ZR 183/96, BGHZ 72, 132 (137 f.); s. auch Hinne, NJW 2005, 2270; Habermalz, NJW 2013, 3403. 4 Palandt/Sprau, § 810 BGB Rz. 5. 5 BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627 (2629 f.).

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5.98

§ 5 Rz. 5.99

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

cc) Einholung eines Privatgutachtens

5.99 Sofern im Vorfeld die in einem späteren Gerichtsverfahren zugrunde zu legenden Anknüpfungstatsachen, insbesondere die medizinische Dokumentation über den geistigen Gesundheitszustand des Erblassers, in hinreichender Vollständigkeit zugänglich gewesen sind und vorliegen, kann es sich für den Mandanten empfehlen, vorab selbst ein psychiatrisches Gutachten zur Testier(un)fähigkeit in Auftrag zu geben. Dieses dient in erster Linie der besseren Einschätzung der Prozesschancen und hilft, wenn es zu einem für den Mandanten günstigen Ergebnis kommt, der Substantiierung des eigenen Sachvortrages im späteren Gerichtsverfahren. Als sog. Privatgutachten kommt ihm allerdings im Zivilprozess auf Feststellung des Erbrechts kein darüber hinausgehender Wert zu; es handelt sich nicht um ein Beweismittel. Anders kann es sich unter Umständen in einem dem Freibeweis unterliegenden Erbscheinsverfahren verhalten (siehe Rz. 5.45). dd) „Blindflug“ in das Erbscheinsverfahren

5.100 Scheitern die Versuche, vorprozessual Einsicht in die zur Verfügung stehenden medizinischen und pflegerischen Unterlagen über den Gesundheitszustand des Erblassers zu erlangen, sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht, so bleibt dem Erbprätendenten, wie dies in der Praxis zumeist der Fall ist, nur der „Blindflug“ in ein Erbscheinsverfahren, indem er in seinem auf die Testierunfähigkeit des Erblassers im Falle eines abweichenden Testaments gestützten Erbscheinsantrag nur anhand der ihm bekannten Tatsachen die Testierunfähigkeit des Erblassers begründet, ohne dies auf eine entsprechende medizinische Dokumentation stützen zu können. Welche Unterlagen hierzu zur Verfügung stehen und welches Ergebnis sie als Grundlage eines künftigen psychiatrischen Sachverständigengutachtens zeitigen werden, ist dann eine Unbekannte, die sich zumeist erst im Verlaufe der von Amts wegen angestellten Ermittlungen des Nachlassgerichts ergibt – mit offenem Ergebnis. Zur Erhebung einer auf die Testierunfähigkeit des Erblassers gestützten Feststellungsklage kann aufgrund der Beibringungsmaxime einem solchen Mandanten hingegen nicht geraten werden. Das Erbscheinsverfahren mit seinem Amtsermittlungsgrundsatz dient dann unter Umständen als „Vorschaltverfahren“, d.h. in erster Linie der Informationsgewinnung für eine anschließende Feststellungsklage, soweit diese dann, je nach Ausgang des Erbscheinsverfahrens, einerseits noch geboten, andererseits aber auch noch sinnvoll ist. b) Rechtsweg bei zweifelhafter Testierfähigkeit aa) Streit über die Erbenstellung

5.101 Soweit die Frage der Testierfähigkeit für die Erbenstellung maßgeblich ist, stehen dem Erbprätendenten zwei Wege zur Verfügung, die (Vor-)Frage der Testierfähigkeit gerichtlich klären zu lassen, nämlich im Erbscheinsverfahren und/oder durch Feststellungsklage. (1) Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht

5.102 Sowohl derjenige Erbprätendent, der sich auf die Testierfähigkeit und damit die Wirksamkeit der entsprechenden letztwilligen Verfügung des Erblassers beruft, als auch derjenige Erbprätendent, der sich insoweit auf die Testierunfähigkeit des Erblassers und infolge dessen auf die eigene Erbenstellung aufgrund eines damit nicht wirksam widerrufenen früheren Testaments oder die damit eingetretene gesetzliche Erbfolge beruft, können dies jeweils durch entsprechenden Erbscheinsantrag an das zuständige Nachlassgericht gemäß §§ 2353 ff. BGB als notwendige Vorfrage klären lassen. Das Verfahren richtet sich nach FamFG. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts (Nachlassgerichts) ist gemäß § 58 FamFG die Beschwerde zum Oberlandesgericht, gegen dessen Entscheidung unter den Voraussetzungen des § 70 FamFG die Rechtsbeschwerde zum BGH gegeben.

5.103 Beachte: Wird der Erbscheinsantrag auf die Unwirksamkeit einer ansonsten vorrangigen letztwilligen Verfügung gestützt, sollten die Testierunfähigkeit des Erblassers bei Errichtung jenes Testaments und die An-

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.106 § 5

haltspunkte dafür tunlichst bereits in den Erbscheinsantrag aufgenommen werden, um dem Nachlassgericht Anlass für die Überprüfung zu geben.

5.104

Vorteile: – Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG); die nach pflichtgemäßem Ermessen auszuübende Amtsermittlung1 verlangt vom Nachlassgericht gemäß § 30 FamFG, sämtliche zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Beweise zu erheben2. Auch wenn die Amtsermittlung nicht bedeutet, dass allen denkbaren Möglichkeiten nachgegangen werden muss, besteht sie jedenfalls insoweit, wie vorgetragene oder feststehende Tatsachen dazu Anlass geben3. Das Nachlassgericht kann – und muss, je nach Lage des Falles – von sich aus z.B. Betreuungsakten4, PflegeversicherungsGutachten, weitere psychiatrisch relevante Gutachten, Pflegedokumentationen und ärztliche Dokumentationen5 heranziehen und Zeugen ebenso wie die Beteiligten selbst vernehmen. Nur wenn alle zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind, ohne dass ein klares Ergebnis vorliegt, darf das Nachlassgericht nach der sog. Feststellungslast (materielle Beweislast) zu Lasten desjenigen entscheiden, der sich auf die Testierunfähigkeit und damit die Unwirksamkeit des betreffenden Testaments beruft6. – Das Kostenrisiko ist niedriger als in streitigen Verfahren7. Wenn kein Ausnahmefall gemäß § 81 Abs. 2 FamFG vorliegt, erfolgt in erster Instanz, d.h. vor dem Nachlassgericht, keine Kostenerstattung unter den Beteiligten.

5.105

Nachteile: – Das Erbscheinsverfahren schafft unter Umständen keine endgültige Klärung. Denn die Entscheidung erwächst nicht in Rechtskraft. Vielmehr kann ein Erbschein, wenn er sich als unrichtig erweist, jederzeit gemäß § 2361 BGB, auch von Amts wegen, eingezogen werden. Insbesondere ist dies geboten, wenn aufgrund einer Feststellungsklage im streitigen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten eine abweichende Entscheidung ergeht. Denn die Feststellungsklage hinsichtlich des Erbrechts ist auch dann noch möglich, wenn bereits eine abschließende Entscheidung im Erbscheinsverfahren vorliegt. Umgekehrt ist die Beantragung eines abweichenden Erbscheins nicht mehr zulässig, wenn zwischen den Beteiligten bereits ein rechtskräftiges Feststellungsurteil besteht. Der im Erbscheinsverfahren unterlegene Beteiligte versucht demzufolge häufig noch, durch Erhebung einer Feststellungsklage über sein (tatsächliches oder vermeintliches) Erbrecht im streitigen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten, welches nicht dem Amtsermittlungsgrundsatz, sondern den Regeln des Strengbeweises unterliegt, eine Korrektur zu erreichen. Dabei ist in der Praxis zudem eine deutliche Abneigung der Gerichte zu verspüren, bei der anschließenden Entscheidung über die Feststellungsklage eine vom Erbscheinsverfahren abweichende Entscheidung zu treffen. In der Berufungsinstanz landet die beim Landgericht erhobene Feststellungsklage ohnehin wieder beim Oberlandesgericht und zumeist sogar beim selben Senat, der bereits über die Beschwerde im Erbscheinsverfahren entschieden hat. Zudem besteht die akute Gefahr, dass das in den meisten Fällen ausschlaggebende psychiatrische Sachverständigengutachten, welches vom Nachlassgericht bereits im Erbscheinsverfahren eingeholt wurde, gemäß § 411a ZPO auch im Rahmen der Feststellungsklage zum Beweis der Testier(un)fähigkeit verwertet (s. dazu noch geson1 Vgl. BayObLG v. 29.1.1986 – 1 Z BR 114/95, FamRZ 1996, 969 (970). 2 OLG Frankfurt v. 15.11.1995 – 20 W 144/94, FamRZ 1996, 971; KG v. 7.9.1999 – 1 W 429/98, NJW 2001, 903. 3 BayObLG v. 2.10.2002 – 1 Z BR 68/02, FamRZ 2003, 713 (714). 4 OLG Karlsruhe v. 10.6.2015 – 11 Wx 33/15, FamRZ 2016, 264. 5 OLG Karlsruhe v. 21.5.2015 – 11 Wx 82/14, ErbR 2015, 156; Cording, ZEV 2010, 23 ff. 6 BGH v. 14.4.2010 – IV ZR 135/08, FamRZ 2010, 1068; BGH v. 23.11.2011 – IV ZR 49/11, ZEV 2012, 100 (103). 7 S. auch Horn, NJW 2017, 2392 (2394).

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5.106

§ 5 Rz. 5.107

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

dert unter Rz. 5.111 ff.), zumindest aber derselbe psychiatrische Sachverständige mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt wird, der seine Einschätzung – trotz ihm unter Umständen, auch aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensgrundsätze, vorgegebener abweichender Anknüpfungstatsachen – nur in den seltensten Fälle ändern wird. So gesehen schlägt dann auch der oben angeführte Vorteil des Erbscheinsverfahrens in sein Gegenteil um, da die – wenngleich geringeren – Kosten des Erbscheinsverfahrens zu denjenigen der Feststellungsklage noch hinzukommen, die erspart worden wären, wenn die Klärung sogleich im Wege der Feststellungsklage erfolgt wäre. (2) Feststellungsklage im streitigen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten

5.107 Ist die Erbenstellung aufgrund behaupteter Testierunfähigkeit des Erblassers bei Errichtung einer ansonsten vorrangigen letztwilligen Verfügung streitig, besteht für jeden Erbprätendenten ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 256 ZPO, seine (behauptete, aber von einem oder mehreren anderen Erbprätendenten bestrittene) Erbenstellung im Wege einer Feststellungsklage, welche gegen die bestreitenden Erbprätendenten zu richten ist, feststellen zu lassen.

5.108 Vorteile: – Die Entscheidung erwächst in Rechtskraft und schafft damit endgültige Klarheit. – Es findet eine Kostenerstattung durch die unterliegende Partei statt.

5.109 Nachteile: – Es gelten die Regeln des sog. Strengbeweises gemäß ZPO. Derjenige, der sich auf die Testierunfähigkeit des Erblassers beruft, gerät häufig in Beweisnot. Seine eigene Vernehmung als Partei, von den Fällen des Anbeweises gemäß § 448 ZPO abgesehen, ist nur mit – kaum zu erwartender – Zustimmung der Gegenseite gemäß § 447 ZPO oder im Rahmen einer lediglich informellen Anhörung (§§ 118, 141 Abs. 1 S. 1 ZPO) durch das Gericht, welche in dessen Ermessen steht, möglich, anders als im Erbscheinsverfahren. – Gerade in Fällen wie dem hier einleitend beschriebenen Beispielsfall besteht damit ein erhebliches Kostenrisiko für den Kläger. bb) Streit über sonstige erbrechtliche Ansprüche, insbesondere Vermächtnisse

5.110 Soweit es um andere Rechte, insbesondere die Geltendmachung von Vermächtnisansprüchen geht, ist die Testierfähigkeit des Erblassers als Voraussetzung für die Wirksamkeit derjenigen letztwilligen Verfügung, auf welche sich der Anspruchsteller stützt, als Vorfrage im Rahmen einer (Erfüllungs)Klage vor den ordentlichen Gerichten zu klären. Die Frage der Erbenstellung als Folge einer zweifelhaften Testierfähigkeit des Erblassers stellt sich indessen auch insoweit nicht selten, nämlich als Problem der Passivlegitimation. Zumal für den rein schuldrechtlichen Vermächtnisanspruch die Verjährungsvorschriften der §§ 195, 199 BGB zu beachten sind. Gegebenenfalls ist eine Nachlasspflegschaft (§ 1960 BGB) anzustreben. Ein ähnliches Problem stellt sich für den Pflichtteilsberechtigten, dessen vorrangige eigene Erbenstellung aufgrund zweifelhafter Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung der betreffenden letztwilligen Verfügung unsicher ist. Und schließlich sind in der anwaltlichen Praxis auch häufig Fälle zu beobachten, in denen dem Mandanten durch ein früheres Testament des Erblassers ein Vermächtnis ausgesetzt worden war und der Erblasser ihn dann in einem weiteren, im Hinblick auf die Testierfähigkeit des Erblassers zu diesem späteren Zeitpunkt allerdings streitigen Testament zu seinem Erben bestimmt hat. In diesen Fällen hilft eine Klage gegen den/die weiteren Erbprätendenten, gerichtet auf Feststellung des Erbrechts des Mandanten im Hauptantrag und auf Erfüllung des Vermächtnisses im Hilfsantrag, um für den Fall des Unterliegens im Hauptantrag die Verjährung hinsichtlich des dann bestehenden Vermächtnisanspruchs zu hemmen.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.115 § 5

c) Verwertung von psychiatrischen Gutachten nach § 411a ZPO Beratungssituation: Mandant ist im Erbscheinsverfahren unterlegen. Das vom Nachlassgericht eingeholte – und in der Beschwerdeinstanz vom OLG bestätigte – psychiatrische Sachverständigengutachten hat seine Auffassung zur Testierunfähigkeit des Erblassers nicht bewiesen. Dieses Ergebnis möchte der Mandant nunmehr durch Erhebung einer Feststellungsklage im streitigen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten korrigieren lassen, hat aber Sorge, dass das Gericht es sich „einfach machen“ und anstelle eines neu – und möglichst durch einen anderen Sachverständigen – zu beauftragenden Gutachtens im Rahmen der Beweisaufnahme schlicht das vorhandene psychiatrische Sachverständigengutachten aus dem Erbscheinsverfahren heranziehen und zur Grundlage seiner Entscheidung machen wird.

5.111

Gemäß dem zum 1.9.2004 neu eingeführten § 411a ZPO ist es dem Gericht erlaubt, Sachverständigengutachten, die in einem beliebigen anderen Verfahren bereits gerichtlich (oder, insoweit seit dem 31.12.2006, auch staatsanwaltschaftlich) eingeholt wurden, im Wege des Beweises zu verwerten. Das anderweitige Sachverständigengutachten ersetzt dann die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens im laufenden Verfahren. Eine Identität der Parteien/Beteiligten ist dabei ebenso wenig Voraussetzung wie eine Identität des Streitstoffs. Lediglich die Beweisfrage muss identisch sein. Diese Regelung dient der Prozesswirtschaftlichkeit; das Verfahren, in welchem das betreffende Gutachten aus einem anderen, vorangegangenen Verfahren verwertet wird, soll dadurch kostengünstiger sein und schneller vorankommen.1 Ob für die Verwertung des Gutachtens gemäß § 411a ZPO ein förmlicher Beweisbeschluss des Gerichts erforderlich ist, wie im Schrifttum zum Teil gefordert2, hat der BGH bisher offen gelassen3. Jedenfalls setzt eine Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Gutachtens aber einen Hinweis seitens des Gerichts an die Parteien auf diese beabsichtigte Verfahrensweise voraus, damit ihnen noch vor Verwertung des Gutachtens in der abschließenden Entscheidung des Gerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird4. Die bloße Beiziehung von Akten des Vorprozesses ersetzt das Verfahren nach § 411a ZPO keinesfalls5.

5.112

Eine Anwendung des § 411a ZPO steht namentlich auch in nahezu jedem Rechtsstreit zwischen Erb- 5.113 prätendenten auf Feststellung des Erbrechts im streitigen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten im Raum, wenn über die zwischen ihnen streitige Frage der Testierfähigkeit des Erblassers im Zuge eines vorangegangenen Erbscheinsverfahrens bereits ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt worden ist. Zumal in diesen Fällen die Beteiligten des vorangegangenen Erbscheinsverfahrens mit den Prozessparteien des Klagverfahrens zumindest weitgehend identisch sein werden, ebenso wie der Streitgegenstand. Diejenige Partei, zu deren Gunsten das Sachverständigengutachten im Erbscheinsverfahren ausgefallen ist, wird sich mithin darauf berufen und – schon aus Gründen der Prozessökonomie – eine Verwertung gemäß § 411a ZPO im Feststellungsverfahren dem Gericht dringend nahe legen. Allenfalls wird sie sich – entgegenkommender Weise – noch mit einer ergänzenden mündlichen Anhörung des seinerzeitigen Sachverständigen zu seinem damaligen Gutachten einverstanden erklären, wohl wissend, dass daraus in der Praxis kaum jemals ein abweichendes Ergebnis resultiert.

5.114

Für die als Beteiligte des Erbscheinsverfahrens dort aufgrund der gutachterlichen Feststellungen des psychiatrischen Sachverständigen bereits unterlegene Partei kommt es hingegen für den Prozesserfolg im Verfahren der Feststellungsklage entscheidend darauf an, eine Verwertung zu verhindern und die Einholung eines neuen Gutachtens zur Frage der Testierfähigkeit, möglichst zu erstatten durch einen

5.115

1 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 411a ZPO Rz. 2. 2 Zöller/Greger, § 411a ZPO Rz. 4; Stein/Jonas/Berger, § 411a ZPO Rz. 17; a.A. Dölling, NJW 2018, 2092 (2093). 3 BGH v. 23.11.2011 – IV ZR 49/11, FamRZ 2012, 297. 4 BGH v. 23.11.2011 – IV ZR 49/11, FamRZ 2012, 297 (298); BVerwG v. 29.5.2009 – 2 B 3/09, NJW 2009, 2614 (2614 f.). 5 BGH v. 23.11.2011 – IV ZR 49/11, FamRZ 2012, 297 (298).

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§ 5 Rz. 5.116

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

anderen Gutachter, zu erwirken. Als vertretender Anwalt dieser Partei wird man dabei, je nach Lage des Einzelfalls, auf folgende Argumente zurückgreifen: – Im Zivilprozess gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gemäß §§ 355, 402 ZPO. Dieser wird durch Vorschriften wie § 411a ZPO geschwächt. – Die Anwendung dieser Vorschrift kann daher nur Ausnahme, nicht der Regelfall sein1. Im Rahmen des dem Gericht gemäß § 411a ZPO gewährten Ermessens ist behutsam abzuwägen und im Zweifel ein eigenes Gutachten im Rahmen der Beweisaufnahme zu beauftragen, auch wenn es auf den ersten Blick verführerisch erscheinen könnte, einfach den bequemen Weg der Verwertung des bereits aus einem anderen Verfahren vorhandenen Gutachtens zu wählen2. – Dies gilt insbesondere, wenn eine der Parteien Einwendungen gegen die Person des Gutachters oder gegen den Inhalt des Gutachtens erhoben hat3. – Vor allem ist zu berücksichtigen, dass die im früheren Verfahren geltenden, unter Umständen vom Zivilprozessrecht abweichenden Verfahrensregeln auf das Gutachten Einfluss gehabt haben können4. Hier kann sich im Einzelfall entscheidend ausgewirkt haben, dass das vorangegangene Erbscheinsverfahren dem Grundsatz der Amtsermittlung unterliegt. So kann das Nachlassgericht namentlich der Anhörung eines Beteiligten, der später Prozesspartei ist, und dessen überzeugender Darstellung einen entscheidenden Beweiswert zugemessen und dem psychiatrischen Sachverständigen dessen streitige Sachverhaltsangaben als Anknüpfungstatsachen für die Erstattung seines Gutachtens vorgegeben haben. Auch kann das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren Zeugen nicht unmittelbar angehört, sondern nur deren schriftliche Aussagen eingeholt haben, was nach den Regeln des Strengbeweises der ZPO ebenfalls nur in Ausnahmefällen und unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig gewesen wäre5. Damit kann der Ausgangssachverhalt, der für den psychiatrischen Sachverständigen im Erbscheinsverfahren Grundlage seiner gutachterlichen Bewertung gewesen ist, ein entscheidend anderer gewesen sein, als er sich nach dem Beibringungsgrundsatz und den Strengbeweisregeln des Zivilprozesses ergeben hätte. Der anwaltliche Vertreter der im Erbscheinsverfahren unterlegenen Partei ist gut beraten, in der Argumentation sein Augenmerk im konkreten Einzelfall auf diese Abweichungen und deren Auswirkungen zu richten, um einer Verwertung gemäß § 411a ZPO erfolgreich entgegenzutreten. Bei genauerer Betrachtung wird sich erweisen, dass die Verwertung gemäß § 411a ZPO sich im Rahmen des vom Gericht insoweit auszuübenden Ermessens als „selten sinnvoll“6 erweist. 5. Maßnahmen des vorbeugenden Selbstschutzes vor den Folgen späterer Geistesschwäche

5.116 Beratungssituation: Mandantin ist eine 75jährige Witwe. Sie hat bereits vor Jahren eine letztwillige Verfügung errichtet, in der sie alle vier Kinder – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen lebzeitigen Vorempfänge – gleich bedacht hat. Jetzt haben die Ärzte ihr eröffnet, dass sie an einer beginnenden Demenz vom Alzheimertypus leidet. Da einer ihrer Söhne, der zudem in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wohnt und bereits die größten lebzeitigen Vorempfänge erhalten hat, bereits seit längerem seine Unzufriedenheit mit der bisherigen testamentarischen Regelung zum Ausdruck gebracht und sie massiv bedrängt hat, eine Änderung ihrer letztwilligen Verfügung zu seinen Gunsten vorzunehmen, hat die Mandantin die berechtigte Sorge, dass sie bei fortschreitender Erkrankung unter dem Einfluss dieses Sohnes stehen und seiner Forderung nachgeben könnte.

5.117 Da, wie die Praxis zeigt, bei weitem nicht alle im Zustand objektiver Testierunfähigkeit errichteten letztwilligen Verfügungen im Nachhinein erfolgreich angegriffen werden können, stellt sich im Zu1 2 3 4 5 6

Wieczorek/Schütze/Ahrens, § 411a ZPO Rz. 13. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 411a ZPO Rz. 2. Stein/Jonas/Berger, § 411a ZPO Rz. 10. Stein/Jonas/Berger, ZPO, § 411a ZPO Rz. 10. Vgl. § 373 Abs. 3 ZPO. MünchKomm.ZPO/Zimmermann, § 411a ZPO Rz. 4.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.120 § 5

sammenhang mit der Gefahr späterer Willensschwäche, die von sog. Erbschleichern zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden könnte, die Frage des Selbstschutzes eines Testators vor späteren ungewollten Änderungen unter dem Einfluss interessierter Dritter1. a) Erbvertrag, gemeinschaftliches Testament mit Bindungswirkung Die effektivste erbrechtliche Form des Selbstschutzes vor späterer Ausnutzung eines Zustands der Willensschwäche liegt im Abschluss eines Erbvertrages gemäß §§ 1941, 2274 ff. BGB mit dem vorgesehenen Erben/Vermächtnisnehmer. Die darin gemäß § 2278 BGB vertragsmäßig getroffenen Verfügungen können gemäß § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB aufgrund der Bindungswirkung nicht mehr durch spätere einseitige letztwillige Verfügungen (abgesehen von dem Sonderfall des § 2298 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 2297 S. 1 BGB) aufgehoben werden. Indessen bleibt das Risiko lebzeitiger unentgeltlicher Verfügungen durch den (künftigen) Erblasser zugunsten sog. Erbschleicher. Der Schutz der §§ 2287, 2288 BGB zugunsten des im Erbvertrag bedachten Erben/Vermächtnisnehmers hiergegen besteht erst im Erbfall und keineswegs umfassend2. Soweit der Erbschleicher nicht ohnehin „entreichert“ ist, wird er sich im Herausgabeverfahren auf ein die Rückforderung ausschließendes lebzeitiges Eigeninteresse3 im Hinblick auf seine – häufig im Nachhinein kaum überprüfbaren – Leistungen für den Erblasser hinsichtlich dessen Versorgung, Pflege u.ä. berufen. Ein weiterer Nachteil des Erbvertrages liegt in seiner Natur begründet: Von den Ausnahmesituationen abgesehen, die zur Anfechtung (§§ 2281 ff. i.V.m. §§ 2078 ff. BGB) oder zum Rücktritt (§§ 2293 ff. BGB) berechtigen, besteht aufgrund der Bindungswirkung naturgemäß auch für den Erblasser selbst keine rechtliche Möglichkeit mehr, seinen letzten Willen einseitig zu ändern, selbst wenn der sich in seiner Erberwartung sicher fühlende Vertragspartner durch sein eigenes Verhalten den Wunsch nach einer Änderung der letztwilligen Verfügung unter Umständen sogar selbst auslöst. Bei Wahl eines Erbvertrages als Mittel zum Selbstschutz vor den Folgen möglicher späterer Willensschwäche gilt es in der Beratung also, den richtigen Zeitpunkt zu empfehlen: Nicht zu früh im Leben des Erblassers, damit die Reaktion auf künftige Entwicklungen nicht verbaut wird, aber auch nicht zu spät, damit der Erbvertrag selbst nicht bereits dem Risiko einer möglichen Geschäftsunfähigkeit ausgesetzt ist.

5.118

Das gleiche gilt im Prinzip für den vorbeugenden Selbstschutz durch ein gemeinschaftliches Testament unter Ehegatten gemäß §§ 2265 ff. BGB, soweit darin wechselbezügliche Verfügungen (§ 2270 BGB) getroffen werden, die dann nach dem Tod des Erstversterbenden Ehegatten gemäß § 2271 Abs. 2 BGB durch eine neue letztwillige Verfügung des überlebenden Ehegatten (außer im Falle der Ausschlagung, § 2271 Abs. 2 S. 1, 2 HS BGB) nicht mehr geändert werden können.

5.119

Allerdings werden gemeinschaftliche Testamente unter Ehegatten typischer Weise in einem früheren 5.120 Lebensstadium getroffen, da beide Partner meist derselben Generation angehören. Dies bedingt eine vergleichsweise frühe Entscheidung über die spätere erbrechtliche Bindungswirkung. Als Instrument zur Vermeidung eines späteren Erbschleicher-Risikos unter Ausnutzung der Willensschwäche meist hoch betagter und dann typischer Weise alleinstehender Erblasser ist der Erbvertrag besser geeignet, da er, auch wenn im gemeinschaftlichen Testament eine bindende Schlusserbeinsetzung möglich ist, in Situationen, wie im Eingangsfall (Rz. 5.116) beschrieben, gezielt zum Selbstschutz vor dem Einfluss Dritter mit der Nachfolgegeneration geschlossen werden kann. Da in diesen Fällen beim Erbvertrag in der Regel nur die vorangegangene Generation vertragsmäßige letztwillige Verfügungen trifft, besteht, anders als beim gemeinschaftlichen Testament aufgrund der Vorschrift des § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. HS BGB, auch nicht das Risiko, dass der überlebende Ehepartner unter Ausnutzung seiner Willensschwäche durch den Erbschleicher bereits zur Ausschlagung veranlasst wird, um gemäß §§ 2298 Abs. 2 S. 3, 2297 S. 1 BGB zugunsten des Erbschleichers neu verfügen zu können.

1 S. auch Bonefeld, ZErb 2014, 241 ff. 2 S. auch Bonefeld, ZErb 2014, 241 (244). 3 BGH v. 27.1.1982 – 4a ZR 240/80, BGHZ 83, 44 (46 f.).

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§ 5 Rz. 5.121

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

b) Lebzeitige Übertragungen in vorweggenommener Erbfolge

5.121 Ein sicherer Weg vor der Ausnutzung späterer Willensschwäche durch sog. Erbschleicher besteht in der vorzeitigen Übertragung zumindest derjenigen Teile des eigenen Vermögens, deren Substanz der künftige Erblasser zu Lebzeiten nicht mehr für eigene Zwecke benötigt, auf den/die vorgesehenen Erben im Wege der Schenkung gemäß §§ 516 ff. BGB. Dabei sollte, je nach Einzelfall, zur Sicherung des Lebensunterhalts des künftigen Erblassers und auch zum Zwecke der erbschaftsteuerlichen Reduzierung des Erwerbs an den Vorbehalt eines Nießbrauchs (§§ 1030 ff. BGB) bzw. eines Wohnungsrechts (§ 1093 BGB) gedacht werden. Diejenigen Vermögenswerte, die auf diese Weise bereits vorzeitig übertragen werden, sind dem Zugriff möglicher interessierter Dritter sowohl zu Lebzeiten als auch bezogen auf den künftigen Nachlass von vornherein entzogen. Einziger Nachteil: „Geschenkt ist geschenkt“, d.h. abgesehen von etwaigen vorbehaltenen sowie den gesetzlichen Widerrufsrechten gemäß §§ 528, 530 BGB ist die Vermögensübertragung abgeschlossen und auch im Falle einer durch das Verhalten des Beschenkten selbst herbeigeführten Willensänderung des Schenkers nicht rückgängig zu machen. c) Stiftung

5.122 Handelt es sich um ein größeres Vermögen und ist der Erblasser kinderlos, so kommt auch die lebzeitige Errichtung einer Stiftung gemäß §§ 80 ff. BGB zur Aufnahme der entsprechenden Vermögensteile in Betracht. Gerade diejenigen künftigen Erblasser, die keine näheren Familienangehörigen haben, sind erfahrungsgemäß einem erhöhten Risiko der Einflussnahme interessierter Dritter auf ihren letzten Willen ausgesetzt, auch und gerade, wenn und soweit sie selbst noch gar nicht entschlossen sein sollten, wem sie ihr Vermögen nach ihrem Tode zukommen lassen wollen. Für diese Mandanten kann sich die rechtzeitige Errichtung einer Stiftung, in die das eigene Vermögen durch jeweilige Zustiftungen auch sukzessive übertragen werden kann, empfehlen. d) Vorsorgevollmacht, Betreuung

5.123 Zum Teil wird zum Selbstschutz künftiger Erblasser auch die Erteilung einer Vorsorgevollmacht bzw. die Anregung einer Betreuung sowie gegebenenfalls auch einer Kontrollbetreuung empfohlen1. Diese Maßnahmen schützen jedoch von vornherein nur vor unerwünschten lebzeitigen Verfügungen des künftigen Erblassers, und auch insoweit ist der Schutz höchst unvollkommen. Denn eine Vollmacht kann jederzeit unter dem Einfluss interessierter Dritter durch den Vollmachtgeber widerrufen werden. Auch schützt sie nicht vor eigenen lebzeitigen Verfügungen des Vollmachtgebers unter dem Einfluss interessierter Dritter oder der Erteilung einer weiteren Vollmacht an diese interessierten Dritten. In der Praxis häufen sich die Fälle, in denen der sog. Erbschleicher sich bereits eine Vorsorgevollmacht in Form einer Generalvollmacht hat erteilen lassen2. Wegen des Vorrangs der Bevollmächtigung gemäß § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB wird es gerade in diesen Fällen zudem schwer, die Anordnung einer Betreuung durchzusetzen, und eine Vollmachtsüberwachungs- oder Kontrollbetreuung gemäß § 1896 Abs. 3 BGB scheitert in der Praxis häufig am Nachweis der Voraussetzungen oder kommt zu spät.

II. Grenzen der Testierfreiheit 1. Grundsatz der Testierfreiheit

5.124 Das Erbrecht des BGB wird vom Grundsatz der Testierfreiheit beherrscht: Jeder Erblasser kann grundsätzlich nach freiem Ermessen letztwillig über sein Vermögen verfügen3. Als Bestandteil der Erbrechtsgarantie ist die Testierfreiheit verfassungsrechtlich verankert; sie untersteht dem Schutz des

1 So, mit Einschränkungen, u.a. Bonefeld, ZErb 2014, 241 (244). 2 S. auch Heinzelmann, 116; Bonefeld, ZErb 2014, 241 (244). 3 BGH v. 2.12.1998 – IV ZB 19/97, FamRZ 1999, 580.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.127 § 5

Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG1. Von der Testierfreiheit sind nicht nur das Recht auf Bestimmung des Vermögensnachfolgers von Todes wegen, einschließlich des Rechts auf Einsetzung mehrerer Erben und Bestimmung ihrer Erbteile, sondern auch die rechtliche und wirtschaftliche Aufteilung des Vermögens im Erbfall sowie die Vornahme sonstiger testamentarischer Verfügungen nach dem freien Willen des Erblassers umfasst. Die Testierfreiheit betrifft somit unmittelbar die inhaltliche Gestaltung einer letztwilligen Verfügung2. Eingeschränkt wird der Testator in der Ausübung der ihm durch das Gesetz gewährten Testierfreiheit nur dort, wo das Gesetz oder die Sittenwidrigkeit einzelne Grenze beinhalten oder er sich selbst Beschränkungen durch vorangegangene Selbstbindung auferlegt hat. 2. Erweiterung der Testierfreiheit durch die Rechtswahlmöglichkeit der EuErbVO Für Erbfälle vor dem 17.8.2015 war gemäß Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F. die Wahl des deutschen Erb- 5.125 rechts für die Rechtsnachfolge von Todes wegen Erblassern vorbehalten, die (zumindest auch) die deutsche Staatsangehörigkeit hatten; eine Ausnahme galt gemäß Art. 25 Abs. 2 EGBGB a.F. nur für im Inland belegenes unbewegliches Vermögen. Mit Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverordnung für alle Erbfälle ab dem 17.8.2015 hat das Internationale Privatrecht auf dem Gebiet des Erbrechts einen Systemwechsel vollzogen, indem gemäß Art. 21 Abs. 1 EuErbVO nunmehr für alle Staatsangehörigen der unter den Anwendungsbereich der EuErbVO fallenden Mitgliedsstaaten einheitlich für die Rechtsnachfolge von Todes wegen grundsätzlich das Recht desjenigen Staates gilt, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Indessen bleibt dem Erblasser im Anwendungsbereich der EuErbVO gemäß Art. 22 Abs. 1 derselben auch weiterhin das Recht, durch Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen (Art. 22 Abs. 2 EuErbVO) für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht desjenigen Staates zu wählen, dem er im Zeitpunkt seines Todes oder – insoweit erweiternd gegenüber der bisherigen Rechtslage – im Zeitpunkt der Rechtswahl durch letztwillige Verfügung angehört. Erblasser, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen, können dabei gemäß Art. 22 Abs. 1 S. 2 EuErbVO für die Vermögensnachfolge von Todes wegen das Recht eines der Staaten wählen, denen sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehören. Insofern stellt die EuErbVO eine Erweiterung der Testierfreiheit gegenüber der bisherigen Rechts- 5.126 lage dar, indem sie deutschen Erblassern die Option verschafft, nach einem anderen nationalen Erbrecht beerbt zu werden, ebenso wie sie Angehörigen anderer EU-Mitgliedsstaaten die Möglichkeit verschafft, unter anderem auch nach deutschem Erbrecht beerbt zu werden, vorausgesetzt, der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers liegt jeweils im entsprechenden Mitgliedsland. Dabei ist ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts, zumal innerhalb der EU, sehr viel unproblematischer vorzunehmen als ein Wechsel der Staatsangehörigkeit. Auf diese Weise können bei der Nachfolgeplanung sogar Schranken eines nationalen Erbrechts, wie beispielsweise die zwingenden Vorschriften des deutschen Pflichtteilsrechts gemäß §§ 2303 ff. BGB (siehe dazu noch im Folgenden Rz. 5.130), gegebenenfalls sogar gezielt durch Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers in seiner letzten Lebensphase vermieden werden. Beispielsfall: Der hochbetagte und verwitwete, sehr vermögende Erblasser E, ein deutscher Staatsangehöriger, ist mit seinem Sohn S, seinem einzigen Abkömmling, heillos zerstritten. Er möchte, dass sein Sohn S nach seinem Tode „nichts bekommt“, also insbesondere auch keinen Pflichtteil, der in diesem Fall gemäß § 2303 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 1924 Abs. 1 BGB immerhin die Hälfte des Nettonachlasswertes zum Zeitpunkt des Erbfalls betrüge. Nach erfolgreicher Abwicklung der Einwanderungsformalitäten verzieht E daher in die USA und begründet seinen gewöhnlichen Aufenthalt in San Francisco im Bundesstaat Kalifornien, dessen lokales Erbrecht keinen Pflichtteilsanspruch kennt3. Denn der Anwendungsbereich der EuErbVO ist gemäß Art. 20 EuErbVO universell, d.h. sie ist für die Angehörigen der der EuErbVO beigetretenen Mitgliedsstaaten der EU auch dann anzuwenden, wenn diese zum Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen 1 BGH v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89, BGHZ 111, 36 (39). 2 Palandt/Weidlich, § 1937 BGB Rz. 3. 3 S. Leithold in Ferid/Firsching/Dörner/Hansmann, VSNr. 4 California Grdz. Rz. 75.

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5.127

§ 5 Rz. 5.128

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Aufenthalt in einem Drittstaat, wie hier den USA, haben. Folglich errichtet E nunmehr ein Testament, in welchem er eine Wohltätigkeitsorganisation seiner Wahl zu seiner Alleinerbin bestimmt und enterbt seinen missliebigen Sohn S. Diesem steht auf diese Weise auch kein Pflichtteilsanspruch zu, er geht also vollständig leer aus.

3. Gesetzliche Beschränkungen a) Beschränkungen aufgrund erbrechtlicher Vorschriften

5.128 Neben den bereits oben unter Abschnitt I. ausführlich behandelten Voraussetzungen der Testierfähigkeit schränkt das Erbrecht selbst die Testierfreiheit durch die zwingend einzuhaltenden Formvorschriften der §§ 2231 bis 2233, 2247 Abs. 1, Abs. 4, 2267, 2276 Abs. 1, 2249 Abs. 1, Abs. 6, 2250 Abs. 3 S. 1, S. 3, 2251 BGB, für öffentliche Testamente i.V.m. §§ 9, 13, 16 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, 23 S. 1, 24 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 25, 27, 30 S. 1, 32, 33 BeurkG, sowie verschiedene Einzelvorschriften ein. Zu letzteren gehören § 2064 BGB, der dem Testator die persönliche Errichtung der letztwilligen Verfügung unter Ausschluss einer Stellvertretung vorschreibt, § 2065 BGB, wonach die Geltung der letztwilligen Verfügung und die Auswahl der Begünstigten nicht einem Dritten überlassen werden darf, § 2265 BGB, wonach ein gemeinschaftliches Testament nur von Ehegatten (und eingetragenen Lebenspartnern, § 10 Abs. 4 LPartG) wirksam errichtet werden kann, sowie schließlich auch § 2274 BGB, der vorschreibt, dass auch ein Erbvertrag vom Erblasser nur persönlich, d.h. unter Ausschluss einer Stellvertretung, geschlossen werden kann.

5.129 Beachte jedoch: Der Vertragsgegner kann hingegen wirksam beim Abschluss des Erbvertrages vertreten werden, sofern er nicht darin gleichzeitig eigene letztwillige Verfügungen trifft, also ebenfalls Erblasser ist.

b) Pflichtteilsrecht

5.130 Das Pflichtteilsrecht der §§ 2303 ff. BGB, einschließlich des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gemäß §§ 2325 ff. BGB, stellt, wie Baumann zutreffend feststellt1, im Grunde keine Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers dar, sondern lediglich eine wirtschaftliche Einschränkung. Denn anders als in manchen anderen europäischen Rechtsordnungen, wie beispielsweise dem italienischen Erbrecht gemäß dortigem Art. 457 Abs. 3 Codice Civile, gewährt das deutsche Pflichtteilsrecht als Ausdruck des Grundsatzes des Familienerbrechts auch den nächsten Angehörigen des Erblassers keine Pflichtquote am Nachlass, über welche letztwillig nicht anders verfügt werden kann, sondern nur einen Geldanspruch gegen den/die Erben, der als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 1967 Abs. 2 BGB zu erfüllen ist. In die Verfügungsfreiheit des Erblassers greift das deutsche Pflichtteilsrecht also weder zu Lebzeiten noch von Todes wegen ein. Es bleibt dem Erblasser danach vorbehalten, auch die pflichtteilsberechtigten Angehörigen vollständig zu enterben. Gleichwohl werden die dadurch entstehenden Pflichtteilsansprüche bei einer sorgfältigen Nachfolgeplanung stets zu berücksichtigen sein. c) Gesetzliche Verbote gemäß § 134 BGB, insbesondere nach den Heimgesetzen der Länder

5.131 Beratungssituation: Der Hamburger Multimillionär M.M., der keine nächsten Angehörigen hat, erfährt während seiner letzten Lebensjahre, in denen er bereits bettlägerig ist, eine aufopfernde Intensivpflege durch die Inhaberin eines privaten Pflegedienstes. Nur dadurch wird es ihm ermöglicht, diese letzten Lebensjahre in seiner geliebten Villa an der Elbchaussee und nicht auf der Pflegestation eines Heimes zu verbringen. Hierfür ist M.M. der Inhaberin des Pflegedienstes unendlich denkbar. Er bespricht mit ihr, dass er sich gern erkenntlich zeigen möchte, indem er sie zu seiner Alleinerbin bestimmt. Die Inhaberin des Pflegedienstes hat hiergegen Bedenken. Sie schlägt vor, dass M.M. stattdessen ihre volljährige Tochter, die nicht im Pflegedienst mitarbeitet, zur Alleinerbin bestimmt. So geschieht es, nachdem auch die Tochter eingeweiht worden ist. Nach dem Tod des M.M. beantragt die Tochter der Pflegedienstinhaberin einen Erbschein. Eine entferntere Verwandte des M.M., die bei gesetzlicher Erbfolge mit einem kleineren Bruchteil

1 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 59.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.136 § 5

zum Zuge käme, tritt dem mit der Begründung entgegen, das Testament sei wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB unwirksam.

Von den denkbaren gesetzlichen Verboten, gegen die eine letztwillige Verfügung mit der Folge ihrer 5.132 Unwirksamkeit gemäß § 134 BGB verstoßen kann, sind in der Praxis im Allgemeinen nur die Zuwendungsverbote der Heimgesetze relevant. Gemäß § 14 HeimG des Bundes ist es dem Träger (Betreiber1), dem Leiter, dem Personal oder sonstigen Mitarbeitern des Heims verboten, sich über das vereinbarte Entgelt hinaus Geld oder geldwerte Leistungen von oder zugunsten von Bewohnern oder Heimplatzbewerbern versprechen oder gewähren zu lassen. Dieses Verbot gilt auch für Verfügungen von Todes wegen, sogar wenn die entsprechende letztwillige Verfügung vor Einzug des Bewohners/Testators bereits errichtet wurde2. Allerdings setzt dies voraus, dass der Bedachte von der letztwilligen Zuwendung Kenntnis hat und dies dem Heimbewohner wiederum bekannt ist3. Beachte: Eine vor Inkrafttreten des Heimgesetzes am 1.1.1975 erfolgte Erbeinsetzung bleibt auch für später eintretende Erbfälle wirksam4, ein Vermächtnis wegen der Vorschrift des § 2171 Abs. 1 BGB jedoch nicht.

5.133

Aufgrund der Föderalismusreform sind nunmehr die Bundesländer gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG für das Heimrecht zuständig geworden, wobei das Heimgesetz des Bundes gemäß Art. 125 Abs. 1 GG als Bundesrecht fortgilt, jedoch durch Landesrecht ersetzt werden kann. Von dieser Ersetzungsmöglichkeit haben sämtliche Bundesländer mittlerweile Gebrauch gemacht5.

5.134

Da die Heimgesetze der Bundesländer zu § 14 HeimG des Bundes weitgehend inhaltsgleich sind, wird 5.135 die dazu ergangene Rechtsprechung auf sie weiterhin angewendet6. Allerdings enthalten die Heimgesetze der Länder teilweise Abweichungen, insbesondere Erweiterungen des Anwendungsbereichs. So bestimmt beispielsweise § 5a Abs. 1 HmbWbg vom 15.12.20097, weiter als § 14 HeimG8, dass auch Betreibern von ambulanten Diensten grundsätzlich untersagt ist, sich von Nutzerinnen/Nutzern Geld oder geldwerte Leistungen über das vertraglich vereinbarte Entgelt hinaus versprechen oder gewähren zu lassen9. Beachte: Nach der Rechtsprechung zu § 14 HeimG, die auch auf die Heimgesetze der Länder übertragbar sein dürfte, wird das Verbot auch auf unzulässige Umgehungen in bestimmtem Umfang analog angewen-

1 BayObLG v. 4.6.2003 – 1 Z BR 17/03, FamRZ 2003, 1882 (1883 f.). 2 St. Rspr., s. u.a. KG v. 14.5.1998 – 1 W 3540/97, FamRZ 1998, 1542 (1543); VGH Mannheim v. 1.7.2004 – 6 S 40/04, NJW 2004, 3792 (3793). 3 BGH v. 26.10.2011 – IV ZB 33/10, NJW 2012, 155 (155 f.); BayObLG v. 28.6.1991 – BReg. 1a 73/90, NJW 1992, 55 (57); BayObLG v. 22.6.2004 – 1 Z BR 40/04, NJW-RR 2004, 1591 (1593). 4 OLG Stuttgart v. 24.6.2010 – 8 W 241/10, NJW-RR 2011, 85 (86). 5 Baden-Württemberg: Gesetz für unterstützende Wohnformen, Teilhabe und Pflege (WTPG), Bayern: Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoqG), Berlin: Wohnteilhabegesetz (WTG), Brandenburg: Brandenburgisches Pflege- und Betreuungswohngesetz (BbgPBWoG), Bremen: Bremisches Wohn- und Betreuungsgesetz (BremWoBeG), Hamburg: Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz (HmbWBG), Hessen: Hessisches Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen (HGBP), Mecklenburg-Vorpommern: Einrichtungenqualitätsgesetz (EQG), Niedersachsen: Niedersächsisches Heimgesetz (NHeimG), NordrheinWestfalen: Wohn- und Teilhabegesetz (WTG), Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG), Saarland: Landesheimgesetz Saarland (LHeimGS), Sachsen: Betreuungs- und Wohnqualitätsgesetz, Sachsen-Anhalt: Wohn- und Teilhabegesetz (WTG-LSA), Schleswig-Holstein: Selbstbestimmungsstärkungsgesetz (SbStG), Thüringen: Thüringer Gesetz über betreute Wohnformen und Teilhabe); Überblick bei Ludyga, ZEV 2014, 177. 6 S. Palandt/Ellenberger, § 134 Rz. 19; Palandt/Weidlich, § 1937 Rz. 13. 7 HmGVBl. 2009, S. 494. 8 Vgl. Palandt/Weidlich, § 1937 Rz. 13; OLG Düsseldorf v. 9.2.2001 – 3 Wx 350+366/00, FGPrax 2001, 122; Suyter, ZEV 2003, 104. 9 S. auch Karl, ZEV 2009, 544 (547).

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5.136

§ 5 Rz. 5.137

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

det, z.B. auf die Erbeinsetzung eines nahen Angehörigen eines Bediensteten1, auf den geschäftsführenden Gesellschafter der das Heim betreibenden GmbH2 und sogar dessen Familienangehörige3. Die Erbeinsetzung einer Stiftung, welche das Pflegeheim an eine Betriebs-GmbH vermietet hat, soll hingegen dann nicht als Umgehung des § 14 HeimG unwirksam sein, wenn keine besonderen Verflechtungen zwischen der Stiftung und der GmbH bestehen4.

d) Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB aa) „Geliebtentestament“

5.137 Beratungssituation: Nach dem Tod eines treusorgenden Ehemannes und Vaters fünfer Kinder wird sein bis dahin der Familie unbekanntes Testament eröffnet, in welchem er sich zu seiner der Familie bis dahin ebenfalls unbekannten Bisexualität bekennt und seinen langjährigen geheimen Geliebten zum Alleinerben bestimmt. Ehefrau und Kinder sind empört und möchten die Unwirksamkeit dieses ihrer Meinung nach sittenwidrigen Testaments gemäß § 138 Abs. 1 BGB festgestellt wissen.

5.138 Die frühere Rechtsprechung5 ließ allein das Bestehen eines außerehelichen Liebesverhältnisses des Erblassers zu dem/der Begünstigten ausreichen, um die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Zuwendung an die entsprechende Person mit der Folge der Unwirksamkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB anzunehmen. Im Zuge weitaus liberaler gewordener gesellschaftlicher Moralvorstellungen hat sich indessen auch die Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 BGB zwischenzeitlich gewandelt. Die heutige Rechtsprechung6 wendet § 138 Abs. 1 S. BGB grundsätzlich nicht mehr auf letztwillige Zuwendungen zwischen Partnern einer nicht- bzw. außerehelichen Liebesbeziehung an7, konsequenter Weise auch ohne Unterscheidung danach, ob es sich um eine hetero- oder homosexuelle Beziehung gehandelt hat8. Die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Zuwendung kommt heute nur noch ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sie ausschließlich den Zweck hat, eine geschlechtliche Hingabe zu belohnen oder zu fördern9, was jedoch sehr selten vorkommt10 und noch seltener beweisbar sein dürfte, da die Darlegungs- und Beweislast bei demjenigen liegt, der sich auf die Unsittlichkeit der letztwilligen Zuwendung beruft11. Die Problematik des sog. „Geliebtentestaments“ kann für die heutige erbrechtliche Gestaltungspraxis also weitgehend vernachlässigt werden. In Fällen wie dem eingangs beschriebenen kann es sich zur weiteren Absicherung der Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung gleichwohl empfehlen, eine Begründung, die auf achtenswerten Motiven, beispielsweise Unterstützung in einer schwierigen Lebenslage, beruht, aufzunehmen. Dann sollten diese Motive allerdings auch einen realen Hintergrund haben, um nicht wiederum die Gefahr einer späteren Anfechtung gemäß § 2079 BGB heraufzubeschwören. bb) Behinderten- bzw. Bedürftigentestament

5.139 Beratungssituation: Eines der Kinder des Erblassers E. ist behindert und lebt in einer Einrichtung. Die Kosten werden weitgehend vom zuständigen Träger der Sozialhilfe übernommen. E. möchte durch die Gestaltung seines Testaments vermeiden, dass Teile seines Nachlasses dem Zugriff des Sozialhilfeträgers aus1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

OLG Frankfurt v. 29.1.2001 – 20 W 71/99, NJW 2001, 1504 (1505). BayObLG v. 9.2.2000 – 1 Z BR 149/99, NJW 2000, 1875 (1876). BayObLG v. 13.9.2000 – 1 Z BR 68/00, NJW-RR 2001, 295. BayObLG v. 4.6.2003 – 1 Z BR 17/03, FamRZ 2003, 1882 (1884). RG v. 16.5.1941 – VII 143/40, RGZ 166, 395 (399); sowie noch BGH v. 26.2.1968 – III ZR 38/95, NJW 1968, 932 ff. Seit BGH v. 31.3.1970 – III ZB 23/68, BGHZ 53, 369. S.u. BGH v. 10.11.1982 – IVa ZR 83/81, NJW 1983, 674 (675); BGH v. 12.1.1984 – III ZR 69/83, NJW 1984, 2150 (2151). OLG Frankfurt v. 27.6.1994 – 20 W 108/94, NJW-RR 1995, 265 (266). S. BGH v. 24.3.1980 – II ZR 191/79, BGHZ 77, 55 (59); BGH v. 28.9.1990 – V ZR 109/89, BGHZ 112, 259 (262). S. auch Palandt/Ellenberger, § 138 Rz. 150. BGH v. 31.3.1970 – III ZB 23/68, BGHZ 53, 369 (379).

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.144 § 5

gesetzt sind. Er bestimmt daher, dass sein behindertes Kind zu dessen Erbteil nur Vorerbe sein soll und ordnet darüber Dauertestamentsvollstreckung mit der Maßgabe an, dass der Testamentsvollstrecker aus den anteilig auf das behinderte Kind entfallenden Erträgen an dieses jeweils nur zweckgebunden Beträge für über den normalen Lebensunterhalt hinausgehende Bedürfnisse, wie beispielsweise Taschengeld, Urlaubsreisen, etc. nach seinem Ermessen auszahlen darf. Nachträglich kommen E. jedoch Bedenken, ob ein solches Testament nicht sittenwidrig sein könnte, da durch diese Gestaltung die öffentliche Hand bewusst benachteiligt wird.

Die hierzu ergangene zivilrechtliche Rechtsprechung hat eine Sittenwidrigkeit des sog. Behindertentestaments bisher standhaft verneint1. Dies mit der Begründung, dass der Nachrangigkeitsgrundsatz des Sozialleistungsrechts in seiner gesetzlichen Ausgestaltung vielfach durchbrochen sei und keine hinreichende Prägekraft habe, um eine Einschränkung der Privatautonomie über § 138 BGB zu rechtfertigen2. Dies gilt selbst dann, wenn der dadurch, wie im obigen Beispielsfall, ausgeschlossene Pflichtteilsanspruch die Versorgung des behinderten Erben abdecken würde3.

5.140

Allerdings ist in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung eine deutliche gegenläufige Tendenz zu beobachten, auch unter dem Gesichtspunkt der Leistungskürzung gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII wegen Herbeiführung der eigenen Bedürftigkeit4.

5.141

Für das sog. Bedürftigentestament, d.h. eine entsprechende testamentarische Gestaltung wie im obi- 5.142 gen Beispielsfall zugunsten eines Sozialhilfeempfängers oder Überschuldeten, bei dem keine Behinderung vorliegt, ist umstritten und höchstrichterlich bisher noch ungeklärt, ob auch dieses dem Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB standhält oder wegen Sittenwidrigkeit gemäß dieser Vorschrift nichtig ist5. Beratungshinweis: Auf eine mögliche Änderung der Rechtsprechung zum sog. Behindertentestament in der anwaltlichen Beratung des Mandanten unbedingt hinweisen, sog. Behindertentestamente regelmäßig dahingehend überprüfen. Bei sog. Bedürftigentestamenten auf die bisher höchstrichterlich ungeklärte Frage der Wirksamkeit hinweisen.

5.143

cc) Bedingungen (1) Sittenwidrige Bedingungen Beratungssituation: Mandant ist Seniorchef eines ehemals führenden deutschen Adelshauses. In seiner tiefen Enttäuschung über die seiner Meinung nach verfehlte politische und gesetzgeberische Entwicklung seit 1919 möchte er wenigstens die sog. Hausgesetze seiner Familie in seinem Testament fortschreiben. Er bestimmt daher seinen ältesten Sohn zum Alleinerben. Allerdings nur unter der Bedingung, dass dieser zum Zeitpunkt des Erbfalls in einer „standesgemäßen Ehe“ verheiratet ist. Zum Ersatzerben bestimmt er seinen nächst älteren Sohn, unter der gleichen Bedingung, und so abgestuft, alle weiteren seiner insgesamt fünf Söhne. Im Erbfall ist der älteste Sohn mit einer „Bürgerlichen“, der zweiälteste Sohn des Erblassers mit einer nach den Hausgesetzen „standesgemäßen“ Ehefrau verheiratet. Der zweitälteste Sohn des Erblassers beruft sich darauf, dass die Bedingung für die Erbeinsetzung des ältesten Sohnes des Erblassers nicht eingetreten sei, der älteste Sohn des Erblassers hingegen beruft sich auf eine Sittenwidrigkeit eben dieser Bedingung, die gemäß § 138 Abs. 1 BGB zu ihrer Unwirksamkeit führe. Sie streiten um das Erbrecht.

1 S.u. a. BGH v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92, BGHZ 123, 368 (372 ff.). 2 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, NJW 2011, 1586 (1587 ff.); BGH v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92, BGHZ 123, 368 (373). 3 LG Essen v. 3.12.2015 – 2 O 321/14, ZEV 2016, 324 (325); zu Gestaltungsfragen s. Manthey/Trilsch, ZEV 2015, 618; Dreher/Görner, NJW 2011, 1761; Tersteegen, ZEV 2008, 121; Nieder, NJW 1994, 1264 (1266). 4 S. etwa SG Dortmund v. 25.9.2004 – 29 AS 309/09 ER, ZEV 2010, 54 (55 f.); BSG v. 17.2.2015 – B 14 KG 1/14R, ZEV 2015, 484 (486 f.). 5 Für eine Sittenwidrigkeit u.a. SG Dortmund v. 25.9.2009 – S 29 AS 309/09 ER, ZEV 2010, 54 (55 f.); dagegen u. a. Klühs, ZEV 2011, 15.

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5.144

§ 5 Rz. 5.145

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

5.145 Grundsätzlich sind Erbeinsetzungen oder sonstige testamentarische Zuwendungen sowohl unter einer aufschiebenden (§ 158 Abs. 1 BGB) als auch unter einer auflösenden Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) zulässig, wie sich bereits aus § 2074 BGB bzw. § 2075 BGB ergibt.

5.146 Ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB kann jedoch dann zu bejahen sein, wenn der Erblasser auf die Entschließungsfreiheit oder andere Rechte des Bedachten damit einen nicht zu billigenden Druck ausübt, etwa indem er dessen Erbeinsetzung von einer Konversion1, von seiner Ehelosigkeit2, der Unterlassung einer Wiederheirat3 oder seiner Priesterweihe4 abhängig macht. Grundsätzlich am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB gemessen zulässig sind hingegen Bedingungen, die sich auf die Verwaltung und den Erhalt des vererbten Vermögens selbst beziehen, z.B. die Bedingung, einen bestimmten Gesellschaftsvertrag abzuschließen, im Falle einer Heirat Gütertrennung zu vereinbaren, zumindest aber das ererbte Vermögen vom Zugewinnausgleich auszuschließen, sowie auch die Anordnung von Testamentsvollstreckung für die Dauer der Zugehörigkeit des Erben zu einer bestimmten umstrittenen Sekte5.

5.147 Im berühmt gewordenen Hohenzollern-Fall, dem der Eingangsfall hier nachgebildet ist, verneinte der BGH die Sittenwidrigkeit einer testamentarischen Ebenbürtigkeits-Heiratsklausel6. Das Urteil wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben7. (2) Verwirkungsklauseln

5.148 Am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB sind – als auflösende Bedingungen im Sinne des § 158 Abs. 2 BGB – auch sog. Verwirkungsklauseln zu messen, wonach Angriffe gegen die letztwillige Verfügung mit dem Entfall der darin vorgesehenen Zuwendung sanktioniert werden. Derartige Klauseln erfreuen sich gerade in von juristischen Laien ohne rechtliche Beratung aufgesetzten Testamenten großer Beliebtheit. Das im Ansatz durchaus verständliche Bemühen des Erblassers, dadurch Auseinandersetzungen nach seinem Tode zu vermeiden, wird dabei jedoch häufig durch unklare und teilweise sogar nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksame Formulierungen in sein Gegenteil verkehrt. Grundsätzlich gilt: – Verwirkungsklauseln sind insoweit gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam, als sie auch Angriffe gegen das Testament sanktionieren, die sich im Ergebnis als erfolgreich erweisen, beispielsweise eine wirksame Anfechtung einer Verfügung wegen § 2078 BGB8. Richtet sich der erfolgreiche Angriff gegen das Testament insgesamt, gilt das Gleiche schon deshalb, weil damit auch die Sanktionsklausel als solche vernichtet wird. – Bei unbegründeten Angriffen gegen die Gültigkeit des Testaments ist nach Verschulden des Angreifenden zu differenzieren: Geht ein Bedachter vorsätzlich oder fahrlässig, d.h. ohne Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht9, gegen das Testament vor, gilt die Sanktionsklausel und das Erbrecht oder die sonstige Zuwendung ist danach verwirkt. Bleibt der Angriff hingegen erfolglos, obwohl der Betroffene nach seiner Überzeugung und hinreichend sorgfältiger Prüfung die Unechtheit, Nichtigkeit, Anfechtung oder eine bestimmte Auslegung, für die bestimmte Anhaltspunkte sprechen, geltend macht, erweist sich die Strafklausel insoweit gemäß § 138 Abs. 1 BGB als unwirksam, als sie auch für diesen Fall gelten soll10.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

RG v. 18.9.1913 – Reg III 37/13, SeuffA 69 Nr. 48. Rstk, SeuffA 49 Nr. 4. OLG Zweibrücken v. 14.3.2011 – 3 W 150/10, ZEV 2011, 661 (662). BayObLG v. 29.10.1894 – Reg-Nr. I 66/1894, SeuffA 50 Nr. 97. OLG Düsseldorf v. 2.3.1988 – 3 Wx 290/87, NJW 1988, 2615. BGH v. 2.12.1998 – IV ZB 19/97, NJW 1999, 566 (569 f.); BGH v. 26.4.2006 – IV ZR 26/05, NJW 2006, 2856 f. BVerfG v. 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01, NJW 2004, 2008 (2009 ff.). MünchKomm.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 35. OLG Dresden v. 16.2.1999 – 7 W 1571/98, Rpfl. 1999, 276 (277). MünchKomm.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 37.

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Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

Rz. 5.156 § 5

Beratungshinweis: Bei der Testamentsgestaltung unklare Formulierungen wie: „Wer Streit anfängt …“, oder: „Wer damit nicht einverstanden ist …“, vermeiden, bei Aufnahme von Sanktionsklauseln möglichst genau beschreiben, welche Angriffe gegen das Testament zum Eintritt der auflösenden Bedingung führen sollen, und zudem die Erfolglosigkeit und Verschulden zur Voraussetzung machen.

5.149

(3) Pflichtteilsstrafklauseln Zu den Verwirkungsklauseln gehören auch die sog. Pflichtteilsstrafklauseln in gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen.

5.150

Beispiel: „Verlangt eines unserer Kinder nach dem Tod des Erstversterbenden von uns den Pflichtteil, erhält es, ebenso wie seine Abkömmlinge, auch nach dem Tod des Letztversterbenden von uns nur den Pflichtteil.“

5.151

Beachte: Von juristischen Laien, die bei Abfassung ihres gemeinschaftlichen Testaments nicht rechtlich beraten worden sind, wird diese Formulierung häufig auch auf eine Stiefkinder-Konstellation in der sog. Patchwork-Familie angewandt. Dies ist jedoch in der Regel unangebracht. Denn dort genügt die reine Enterbung nach dem zweitversterbenden Ehepartner, da dem pflichtteilsberechtigten Kind des Erstversterbenden nach dem Stiefelternteil als Letztversterbendem kein Pflichtteil zusteht, und das Stiefkind des Erstversterbenden ist nach diesem ohnehin nicht pflichtteilsberechtigt und wird keinen Pflichtteil geltend machen (können). Die unbedachte Anwendung obiger Formulierung auf eine Stiefkinder-Konstellation führt in den meisten Fällen sogar dazu, dass das leibliche Kind des erstversterbenden Ehepartners, welches seinen Pflichtteil nach diesem geltend macht, mehr als notwendig erhält, da die Formulierung, dass es dann „seinen Pflichtteil“ nach dem zweitversterbenden Ehepartner, von dem es nicht abstammt, erhalten soll, als Vermächtnis in Höhe eines fiktiven Pflichtteils ausgelegt werden kann1.

5.152

Die Gültigkeit von Pflichtteilsstrafklauseln ist unbestritten; sie verstoßen nach einhelliger Auffassung 5.153 in Rechtsprechung und Schrifttum nicht gegen § 138 Abs. 1 BGB2. Dies gilt auch dann, wenn durch die sog. Jastrow’sche Klausel der Pflichtteil des nicht Folgsamen durch ein Vermächtnis zugunsten des Schlusserben in Höhe des gesetzlichen Erbteils durch den erstversterbenden Elternteil ausgesetzt wird, das erst mit dem Tod des letztversterbenden Elternteils fällig wird3. Formulierungsbeispiel: „Dasjenige Kind, welches den Pflichtteil nach dem Tod des Erstversterbenden von uns nicht gefordert hat, erhält aus dem Nachlass des Erstversterbenden ein Geldvermächtnis im Wert des gesetzlichen Erbteils, welches aus dem Vermögen des Erstversterbenden, aber erst nach dem Tod des Letztversterbenden zu zahlen ist.“

5.154

Auf diese Weise wird der Pflichtteil des nicht folgsamen Kindes nach dem letztversterbenden Elternteil gemindert, da der Schlusserbe die Vermächtnislast als Nachlassverbindlichkeit erbt (wohingegen das Vermächtnis als im Range nachgehende Nachlassverbindlichkeit bei der Berechnung des Pflichtteils nach dem erstversterbenden Ehepartner nicht abzusetzen ist4).

5.155

Rechtsfolge einer gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksamen Bedingung ist, dass die Zuwendung ohne die Bedingung aufrechterhalten bleibt5.

5.156

1 S. OLG Celle v. 12.11.2009 – 6 W 142/09, FamRZ 2010, 1012 (1013); OLG Schleswig v. 24.1.2013 – 3 Wx 59/12, ZEV 2013, 501 (502 f.). 2 S.u. a. BayObLG v. 20.3.1990 – BReg. 1a Z 65/88, FamRZ 1990, 1158; Lübbert, NJW 1988, 2706 (2707); Staudinger/Otte, § 2074 BGB Rz. 64. 3 Dittmann/Reimann/Bengel/Mayer, Teil E Rz. 104 ff.; MünchKomm.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 41. 4 BGH v. 27.8.2014 – XII ZB 133/12, NJW 2014, 3370 (3371 f.). 5 Staudinger/Otte, § 2074 Rz. 66; MünchKomm.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 28.

von Morgen/Cording

145

§ 5 Rz. 5.157

Testier(un)fähigkeit und Grenzen der Testierfreiheit

4. Beschränkungen durch Selbstbindung des Erblassers a) Keine wirksame Verpflichtung (§ 2302 BGB)

5.157 Ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben, ist gemäß dem gesetzlichen Verbot des § 2302 BGB nichtig. Durch ein entsprechendes Verpflichtungsgeschäft lässt sich die Testierfreiheit des Erblassers mithin nicht einschränken. Gleiches gilt in entsprechender Anwendung des § 2302 BGB für dahingehende einseitige Verpflichtungen des Erblassers1 sowie testamentarische Auflagen, mit denen der Bedachte mit der Verpflichtung belegt wird, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder zu unterlassen, aufzuheben oder nicht aufzuheben2. Zulässig bleibt allein, eine testamentarische Zuwendung an die Bedingung zu knüpfen, dass der Begünstigte seinerseits jemanden letztwillig bedenkt, weil dadurch lediglich die Zuwendung eingeschränkt wird, nicht aber die Testierfreiheit (des Bedachten)3. In Einzelfällen ist eine Umdeutung gemäß § 2302 BGB nichtiger Vereinbarungen gemäß § 140 BGB möglich, z.B. in eine unmittelbare Erbeinsetzung4 oder die Anordnung von Vor- und Nacherbschaft5. b) Bindung durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament

5.158 Eine Selbstbindung des Erblassers ist ausschließlich durch vertragsmäßige Verfügungen im Rahmen eines Erbvertrages gemäß § 2289 BGB oder, unter Ehegatten bzw. eingetragenen Lebenspartnern, durch wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament gemäß § 2271 BGB möglich (siehe dazu auch bereits Rz. 5.118 f.) c) Sonderfall Hoferbfolge

5.159 Nach einzelnen noch bestehenden landesrechtlichen Höfeordnungen, insbesondere § 8 Abs. 2 der Höfeordnung der Norddeutschen Länder, ist die Bestimmung des Hoferben außer durch Verfügung von Todes wegen (§ 7) auch durch Übergabevertrag, ggfs. sogar formlos6, möglich. Ist diese Bestimmung wirksam, verwehrt sie dem Erblasser eine anderweitige Bestimmung des Hoferben durch letztwillige Verfügung, sodass der Erblasser hinsichtlich der Sondererbfolge7 in den eingetragenen Hof in seiner Testierfreiheit dann beschränkt ist8.

1 2 3 4 5 6

BayObLG v. 5.12.2000 – 1 Z BR 115/00, FamRZ 2001, 771 (773). Palandt/Weidlich, § 2302 BGB Rz. 3. BGH v. 9.2.1977 – IV ZR 201/75, NJW 1977, 950; Wendt, ErbR 2015, 62 (73). Palandt/Weidlich, § 2302 BGB Rz. 4. OLG Hamm v. 17.10.1973 – 15 W 285/72, NJW 1974, 60 (61 f.). Vgl. BGH v. 5.5.1983 – V BLw 12/82, BGHZ 87, 237 (238); BGH v. 16.10.1992 – V ZR 127/91, WM 1993, 390 (391); OLG Oldenburg v. 7.6.2007 – 10 W 11/07, FamRZ 2009, 645 (646); OLG Oldenburg v. 8.5.2003 – 10 W 32/02, NJW-RR 2003, 1306 (1307). 7 Vgl. §§ 4, 6, 9 Abs. 1 der Höfeordnung der Norddeutschen Länder. 8 Kroeschell, JR 1989, 418.

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von Morgen/Cording

§ 6 Formen letztwilliger Verfügungen I. Errichtung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formen der Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formstrenge im Erbrecht . . . . . . . . . aa) Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auslegung des Testaments . . . . . cc) Umdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formen ordentlicher Testamente . . . aa) Öffentliches Testament gem. § 2232 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eigenhändiges Testament gem. § 2247 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . c) Außerordentliche Testamentsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentliches Testament . . . . . . . . . . . . . a) Errichtung durch Erklärung zur Niederschrift des Notars, § 2232 S. 1 Hs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Niederschrift . . . . . . . . . . . . . . . bb) Angaben über die Person des Testators . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zeugen der Beurkundung . . . . . dd) Persönliche Erklärung des Testators . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Aufklärungspflichten des Notars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Vorlesen und Genehmigung der Niederschrift . . . . . . . . . . . . (1) Vorlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Genehmigung der Niederschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unterschrift des Testators . . . . . gg) Verwahrung des Testaments . . . hh) Registrierung des Testaments . . b) Errichtung durch Übergabe einer offenen Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Errichtung durch Übergabe einer verschlossenen Schrift . . . . . . . . . . . d) Ausschluss des Notars . . . . . . . . . . . aa) Vorschriften, durch deren Verletzung die Verfügung insgesamt unwirksam wird . . . . . . bb) Vorschriften, durch deren Verletzung die Verfügung teilweise unwirksam wird . . . . . . . . . . . . cc) Vorschriften, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Verfügung führen . . . . . . . . . . . e) Kosten nach dem GNotKG . . . . . . . . 3. Eigenhändiges Testament . . . . . . . . . . . a) Testierwille des Erblassers . . . . . . . . b) Eigenhändigkeit der Niederschrift . . c) Äußere Form des Testaments . . . . . .

6.1 6.3 6.3 6.7 6.8 6.10 6.11 6.12 6.14 6.17 6.18 6.19 6.19 6.24 6.28 6.35 6.37 6.39 6.39 6.40 6.41 6.45 6.47 6.48 6.52 6.55 6.56 6.58 6.61 6.62 6.64 6.66 6.73 6.80

d) Unterschrift des Erblassers . . . . . . . . e) Erfordernis von Zeit- und Ortsangaben bei Errichtung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Errichtungszusammenhang, Nachträge zum Testament . . . . . . . . g) Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Gemeinschaftliches Testament, § 2267 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt eines gemeinschaftlichen Testaments . . . . . . . . . . . . bb) Form eines gemeinschaftlichen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . i) Verwahrung eigenhändiger Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Außerordentliche Testamentsformen – Nottestamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bürgermeistertestament, § 2249 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Formverstöße . . . . . . . . . . . . . . cc) Gültigkeitsdauer . . . . . . . . . . . . b) Drei-Zeugen-Testament, § 2250 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Formverstöße . . . . . . . . . . . . . . c) Seetestament, § 2251 BGB . . . . . . . . II. Widerruf und Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . 1. Widerruf einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur und Wirksamkeitsvoraussetzungen des Widerrufs . . . . b) Arten des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . aa) Widerruf durch Testament, § 2254 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde, § 2255 BGB . . . cc) Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung . . . . . . . dd) Widerruf durch ein neues, widersprechendes Testament, § 2258 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Widerruf gemeinschaftlicher Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Widerruf einseitiger Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufhebung und Rücktritt vom Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.81 6.84 6.85 6.89 6.92 6.92 6.98 6.104 6.107 6.108 6.109 6.114 6.118 6.120 6.121 6.125 6.126 6.128 6.128 6.130 6.131 6.133 6.139 6.148 6.152 6.158 6.158 6.159 6.161

Kappler 147

§6

Formen letztwilliger Verfügungen

d) Wirkung des Widerrufs . . . . . . . . . . e) Beseitigung des Widerrufs . . . . . . . . aa) Widerruf des Widerrufs, § 2257 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Anfechtung des Widerrufs, §§ 2078 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anfechtung einseitiger Verfügungen von Todes wegen, §§ 2078–2083 BGB . . . . . . . . . . . . . . aa) Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . (1) Anfechtung wegen Irrtums über die Erklärungshandlung oder die Erklärungsbedeutung, § 2078 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . (a) Erklärungsirrtum, § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB . . . . . . . . . . . (b) Inhaltsirrtum, § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anfechtung wegen Drohung, § 2078 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . (3) Anfechtung wegen Irrtums im Beweggrund (Motivirrtum), § 2078 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . (4) Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten, § 2079 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten durch Kausalitäts- bzw. Erheblichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verzicht auf das Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bestätigung eines anfechtbaren Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anfechtungsberechtigung . . . . . . . . d) Form der Anfechtung durch Dritte . e) Anfechtungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . f) Wirkung der Anfechtung . . . . . . . . . g) Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur des Erbvertrags . . . . . . . . . 2. Erbvertrag in Abgrenzung zum Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen für den Abschluss eines Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Arten des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . a) Einseitiger, zweiseitiger und mehrseitiger Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . b) Erbverträge zugunsten des Vertragspartners oder eines Dritten . . . . c) Entgeltlicher oder unentgeltlicher Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148

Kappler

6.162 6.163 6.164 6.166 6.171 6.174 6.176 6.176

6.177 6.177 6.178 6.182 6.184 6.189

6.190 6.193 6.196 6.198 6.202 6.204 6.208 6.211 6.212 6.212 6.216 6.220 6.222 6.222 6.224 6.225

5. Aufhebungs- und Bindungswirkung des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufhebungswirkung . . . . . . . . . . . . . b) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beseitigung der Bindungswirkung . . . . a) Abänderungsvorbehalt . . . . . . . . . . . b) Beseitigung durch Anfechtung, § 2281 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Selbstanfechtung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . (2) Form und Frist der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Folgen der Anfechtung . . . . . . . bb) Anfechtung durch Dritte bei Erbverträgen, § 2285 BGB . . . . . c) Beschränkung in guter Absicht, § 2289 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . 7. Aufhebung und Rücktritt beim Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufhebung des Erbvertrags durch die Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . aa) Aufhebung durch Vertrag, § 2290 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufhebung durch Testament, § 2291 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufhebung durch gemeinschaftliches Testament, § 2292 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rücktritt vom Erbvertrag . . . . . . . . . aa) Rücktrittsvorbehalt, § 2293 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzliche Rücktrittsrechte . . . (1) Rücktritt nach § 2294 BGB . . . . (2) Rücktritt nach § 2295 BGB . . . . cc) Erklärung des Rücktritts, §§ 2296, 2297 BGB . . . . . . . . . . (1) Rücktritt zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden, § 2296 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rücktritt nach dem Tod des anderen Vertragschließenden, § 2297 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Form des Erbvertrags, Kosten nach GNotKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Verbindung des Erbvertrags mit einem Ehevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Wirkung des Erbvertrags auf lebzeitige Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz des Vertragserben, § 2287 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz des vertragsmäßigen Vermächtnisnehmers, § 2288 BGB . . . . 11. Verwahrung des Erbvertrags und Rückgabe aus der Verwahrung . . . . . . .

6.227 6.228 6.231 6.236 6.236 6.240 6.241 6.241 6.247 6.250 6.252 6.257 6.258 6.258 6.259 6.266 6.272 6.275 6.276 6.280 6.280 6.283 6.288 6.288 6.290 6.293 6.296 6.298 6.299 6.305 6.309

Formen letztwilliger Verfügungen IV. Hinterlegung, Ablieferung, Eröffnung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . 1. Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahren der besonderen amtlichen Verwahrung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sinn und Zweck der besonderen amtlichen Verwahrung . . . . bb) Annahme zur Verwahrung . . . . b) Zuständigkeit für die besondere amtliche Verwahrung . . . . . . . . . . . . c) Rückgabe des Testaments . . . . . . . . . 2. Ablieferung des Testaments . . . . . . . . . . a) Gegenstand der Ablieferung . . . . . . . b) Pflicht zur Ablieferung . . . . . . . . . . . 3. Eröffnung des Testaments . . . . . . . . . . . a) Eröffnung durch das Nachlassgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtigkeit eines Eröffnungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eröffnungsfrist für Testamente . . . . . d) Möglichkeit der Einsichtnahme oder der Erteilung einer Abschrift eines eröffneten Testaments . . . . . . . V. Auslegung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . a) Auslegung einseitiger Verfügungen . b) Auslegung einseitiger Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten . . . . . . . . . . . . . . c) Auslegung vertragsmäßiger bzw. wechselbezüglicher Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . a) Erläuternde Auslegung . . . . . . . . . . . b) Andeutungstheorie . . . . . . . . . . . . . . c) Auslegungsbeispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beachtung äußerer Umstände für die Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergänzende Auslegung . . . . . . . . . . . . . a) Ergänzende Auslegung . . . . . . . . . . . b) Anwendungsfälle der ergänzenden Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einsetzung eines Ersatzerben . . bb) Wegfall des eingesetzten Ehegatten und Wiederheirat des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Veränderungen der Vermögenslage des Erblassers . . . . . . .

6.311 6.311 6.312 6.312 6.313 6.315 6.316 6.319 6.320 6.322 6.323

4. 5. 6.

6.323 6.324 6.325 6.326 6.327 6.328 6.329 6.330

6.331 6.333 6.334 6.339 6.341 6.344 6.345 6.345 6.351 6.352 6.353

7. 8.

dd) Zuwendung von Einzelgegenständen und Vermögensgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Tatsächliche Veränderungen an einem vermachten Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Änderung der Rechtslage . . . . . gg) Geldentwertung und Währungsänderung . . . . . . . . . . . . . hh) Änderungsvorbehalte bei gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten und Erbverträgen . Gesetzliche Auslegungs- und Ergänzungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . Wohlwollende Auslegung . . . . . . . . . . . Übersicht: Auslegung letztwilliger Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegung und Prozessrecht . . . . . . . . . Auslegungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI. Schenkungsversprechen von Todes wegen, § 2301 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung zu den Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überlebensbedingung . . . . . . . . . . . . . . a) Schenkungsversprechen . . . . . . . . . . b) Überlebensbedingung . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen des Schenkungsversprechens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollzogene Schenkung auf den Todesfall, § 2301 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfälle vollzogener Schenkungen i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB . . . . . . aa) Schenkung eines Grundstücks und anderer Rechte daran . . . . . bb) Schenkung von Wertpapieren . . cc) Schenkung von Forderungen und Bankguthaben . . . . . . . . . . VII. Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . 2. Einzelfälle von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . a) Zuwendung von Bankkonten und Sparguthaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuwendung von Wertpapierdepots . c) Zuwendung von Bauspar- und Ansparverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zuwendung von Lebensversicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§6

6.355 6.356 6.357 6.358 6.359 6.360 6.375 6.377 6.378 6.382 6.385 6.385 6.388 6.389 6.391 6.394 6.395 6.395 6.397 6.397 6.398 6.399 6.401 6.401 6.405 6.405 6.407 6.408 6.409

6.354

Schrifttum: Brox, Der Bundesgerichtshof und die Andeutungstheorie, JA 1984, 549; Dippel, Zur Auslegung von Wiederverheiratungsklauseln in gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen, AcP 177, 349; Everts, Die Erstreckungswirkung beim Zuwendungsverzicht: Ein Fortschritt und (fast) ein Glücksgriff des

Kappler 149

§ 6 Rz. 6.1

Formen letztwilliger Verfügungen

Gesetzgebers!, ZEV 2010, 392; Horn/Kroiß/Seitz, „Testamentsfälschung“: Das Schriftgutachten im Erbscheinsverfahren, ZEV 2013, 24; Kanzleiter, Die Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten nach §§ 2079, 2281 BGB bei Erbvertrag und gemeinschaftlichen Testament, DNotZ 2016, 745; Keim, Der Änderungsvorbehalt beim Erbvertrag – bei richtiger Handhabung ein sicheres Gestaltungsmittel!, ZEV 2005, 365; Keim, Die Überwindung der erbvertraglichen Bindung beim mehrseitigen Erbvertrag, RNotZ 2012, 496; Landsmittel/Rumland, Risiken gemeinschaftlicher Testamente für juristische Laien, ZEV 2012, 644; Liessem, Anwendungsmöglichkeiten und Vorteile der Schenkung von Todes wegen gegenüber erbrechtlichen Lösungen, BB 1989, 862; Mayer, Die Schenkung von Todes wegen: Probleme de lege lata und Plädoyer für eine rein schuldrechtliche Lösung de lege ferenda, ZEV 2017, 682; Rosemeier, Beginn der Frist zur Anfechtung letztwilliger Verfügungen, ZEV 1995, 124; Siebert, Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegenüber dem Beschenkten, ZEV 2013, 241; Storz, Zivilrechtliche Auswirkungen des erbrechtlichen Auslegungsvertrages, ZEV 2008, 308; Zimmer, Vorsorgevollmachten im Erbrecht, ZEV 2013, 307; Zimmer, Aktuelle Entwicklungen im Bereich wechselbezüglicher Verfügungen beim gemeinschaftlichen Testament, ZEV 2015, 450.

I. Errichtung einer Verfügung von Todes wegen 6.1 Das Testament ist die einseitige Verfügung von Todes wegen. Die in der Willenserklärung „Testament“ angeordneten Rechtsfolgen treten erst mit dem Tod des Erblassers ein. Ein Testament kann alle oder auch nur einige der im Erbrecht möglichen Verfügungen und Anordnungen enthalten. Dies sind die Erbeinsetzung, das Vermächtnis, Auflagen, die Anordnung der Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnungen sowie weitere sonstige Anordnungen.

6.2 Das Gesetz sieht folgende Testamentsformen vor: – das öffentliche Testament (§ 2232 BGB) und – das eigenhändige Testament (§ 2247 BGB) als ordentliche Testamentsformen (§ 2231 BGB) sowie – die in §§ 2249–2251 BGB geregelten außerordentlichen Testamentsformen. – Für Ehegatten und gleichgeschlechtliche Lebenspartner nach LPartG ist zudem die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments möglich, vgl. § 2265 BGB. 1. Formen der Verfügungen von Todes wegen a) Formstrenge im Erbrecht

6.3 Im Gegensatz zu schuldrechtlichen Rechtsgeschäften unterliegen die Verfügungen von Todes wegen einem strengen Formzwang. Da letztwillige Verfügungen ihre Wirkung erst nach dem Tod des Erblassers entfalten, soll hierdurch sichergestellt werden, dass der letzte Wille unmissverständlich feststeht1 – dies auch um Erbstreitigkeiten zu verhindern. Zudem soll durch den Formzwang gewährleistet werden, dass die letztwillige Verfügung als ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft tatsächlich vom Erblasser selbst stammt (Identitätsfunktion). Dies gilt für die ordentlichen Testamente (§§ 2231, 2247 BGB) und den Erbvertrag (§ 2276 BGB) ebenso wie für die außerordentlichen Testamentsformen. Gerade die Testamentsformen, die für die Fälle einer besonderen Notlage des Erblassers vorgesehen sind, zeigen, dass bestimmte zwingende Formvorschriften zum Schutz des Testierenden unverzichtbar sind.

6.4 Der Erblasser soll aufgrund der Formvorschriften vor übereilten und unbedachten Handlungen geschützt werden, da jede Formvorschrift, insbesondere natürlich die Schriftform gem. § 2247 BGB, ihn dazu zwingt, seinen letzten Willen zu überdenken (Schutz- und Warnfunktion)2. Daneben sol1 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242 (246); BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80, FamRZ 1981, 767. 2 Staudinger/Baumann, § 2231 Rz. 17; MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 1.

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Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.8 § 6

len die Formvorschriften für Rechtsklarheit sorgen. Der Erblasser wird durch sie gezwungen, seinen letzten Willen zu präzisieren, gegebenenfalls sogar juristischen Beistand zu suchen, damit Streitigkeiten bei Eintritt des Erbfalls vermieden werden können (Beweissicherungsfunktion, Kundbarmachungsfunktion). Der Formzwang dient somit auch der Rechtssicherheit. Die Verfügung von Todes wegen muss als solche förmlich manifestiert werden, damit erkennbar wird, wann der Bereich der Vorerwägung verlassen und derjenige der Verfügung erreicht wird (Rechtssicherheitsfunktion)1. Für das öffentliche Testament und den Erbvertrag gilt die gesetzliche Verankerung von Prüfungs-, Beratungsund Belehrungspflichten durch den Notar. Neben die Erfüllung der sonstigen Formvoraussetzungen tritt hier noch das Beurkundungsverfahren mit den damit verbunden Formerfordernissen hinzu. Ein Durchbrechen der Formstrenge stellt die sog. formlose Hoferbbestimmung im Bereich der HöfeO dar (§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 HöfeO)2.

6.5

Der Verstoß gegen eine Formvorschrift löst unterschiedliche Folgen aus, abhängig davon, ob es sich 6.6 um eine Soll- oder um eine Mussvorschrift handelt. Ein Verstoß gegen zwingende Formvorschriften macht grds. die gesamte Verfügung von Todes wegen nach § 125 S. 1 BGB nichtig. Auch wenn der mögliche Wille des Erblassers feststeht, kann der Formmangel nicht geheilt werden. Die Nichtigkeit wird in diesem Fall auch nicht durch wohlwollende Auslegung i.S.v. § 2084 BGB beseitigt, da diese Vorschrift bei Formmängeln grds. nicht anwendbar ist. Die Anwendung des § 2084 BGB setzt vielmehr voraus, dass bereits eine wirksame Verfügung festgestellt wurde. Sind jedoch nur einzelne Verfügungen bzw. Teile unwirksam, bleiben die restlichen formgültigen Bestimmungen hiervon unberührt, wenn sie in sich eine abgeschlossene Verfügung darstellen. Wird lediglich eine Sollvorschrift nicht beachtet, führt dies hingegen nicht per se zur Nichtigkeit der Verfügung. Bereits das Testamentsgesetz von 1938 hatte das erklärte Ziel, unnötige Formstrenge zu vermeiden, sofern nur eine zuverlässige Wiedergabe des Willens des Erblassers sichergestellt ist. Das BeurkG, welches 1970 in Kraft getreten ist, hat viele Vorschriften, die bisher zwingender Natur waren, zu Sollvorschriften umgestaltet, um die Konsequenzen eines Formverstoßes gering zu halten. Beratungshinweis: Jedes Testament muss nach § 2064 BGB vom Erblasser persönlich und gem. § 2229 BGB im Zustand der Testierfähigkeit errichtet werden. Durch Verstoß gegen eine dieser Vorschriften wird die letztwillige Verfügung unheilbar nichtig.

aa) Heilung Die Nichtigkeit des Testaments kann nur durch Neuerrichtung beseitigt werden. Auch die Bestäti- 6.7 gung nach § 141 BGB kann nur durch Neuerrichtung erfolgen, da § 141 BGB die erneute Vornahme des Rechtsgeschäfts voraussetzt3. Als genügend wird es insofern jedoch erachtet, wenn der Testator in einem nunmehr formwirksam errichteten Testament auf das nichtige Testament verweist oder dieses ein zweites Mal unterschreibt4. Beratungshinweis: Hat der Erblasser im Zustand der Testierunfähigkeit ein Testament errichtet, das er in einem späteren lichten Moment durch Hinzufügen einer entsprechenden Erklärung bestätigt, wird hierdurch das zunächst nichtige Testament wirksam.

bb) Auslegung des Testaments Soweit es sich um Verstöße gegen den Errichtungsvorgang oder die äußere Form der Verfügung von 6.8 Todes wegen handelt, kann die Nichtigkeit der Verfügung nicht durch Auslegung gem. § 2084 BGB ge-

1 2 3 4

Staudinger/Baumann, § 2231 Rz. 17. BGH v. 14.5.1987 – BLw 2/87, BGHZ 101, 57. Staudinger/Baumann, § 2231 Rz. 21; Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 7. Vgl. Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 53; Reimann/Bengel/J. Mayer/Voit, § 2229 Rz. 6; Reimann/Bengel/J. Mayer/Voit, § 2247 Rz. 8 und 12.

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§ 6 Rz. 6.9

Formen letztwilliger Verfügungen

heilt werden, da diese Vorschrift bei Formmängeln grundsätzlich nicht anwendbar ist1. Die Abgrenzung zwischen letztwilligen Verfügungen und unverbindlichen Erklärungen erfolgt ausschließlich nach § 133 BGB; es ist dabei der Rechtsbindungswille des Erblassers zu ermitteln2. Beispiel: Ist unklar, ob der Erblasser ein Testament oder nur einen Entwurf angefertigt hat, ist § 133 BGB und nicht § 2084 BGB anwendbar.

6.9 Steht aber fest, dass der Erblasser eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgegeben hat und bestehen lediglich Zweifel hinsichtlich der Natur des Rechtsgeschäfts, so kann nach h.M. § 2084 BGB entsprechend zur Anwendung kommen (bspw. bei der Frage, ob eine letztwillige Verfügung oder eine Schenkung unter Lebenden vorliegt)3. Hinsichtlich der inhaltlichen Auslegung eines formgültigen, aber unklaren Testaments wird § 2084 BGB angewendet, mit der von der Rechtsprechung gemachten Einschränkung, dass der Wille des Erblassers zumindest andeutungsweise aus dem Text hervorgehen muss (Andeutungstheorie)4, siehe hierzu Rz. 6.339 f. cc) Umdeutung

6.10 Bei Formnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen kann gegebenenfalls eine Umdeutung nach § 140 BGB in eine andere Testamentsform oder in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden die Nichtigkeit beseitigen, wenn die Verfügung alle wesentlichen Merkmale des anderen Rechtsgeschäfts aufweist und dieses auch dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht5. Zweck der Umdeutung ist es, dem auf ein bestimmtes wirtschaftliches Ergebnis gerichteten erklärten Willen des Testators zum Erfolg zu verhelfen, obwohl sich der eingeschlagene rechtliche Weg als unzulässig erweist6. b) Formen ordentlicher Testamente

6.11 Das Gesetz sieht zwei gleichwertige Formen des ordentlichen Testaments vor (§ 2231 BGB): Das öffentliche, zur Niederschrift eines Notars errichtete Testament und das eigenhändige Testament. Hinsichtlich ihrer materiell-rechtlichen Wirkungen sind beide Testamentsformen gleichwertig7. Derart ist es auch möglich, beide Testamentsformen miteinander zu verbinden. Jedes Testament kann durch eine in anderer Form errichtete letztwillige Verfügung geändert oder aufgehoben werden und umgekehrt. Das gilt auch für die Nottestamente. aa) Öffentliches Testament gem. § 2232 BGB

6.12 Das öffentliche Testament kann gem. § 2232 BGB durch mündliche Erklärung zur Niederschrift eines Notars oder durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift an diesen errichtet werden. Die Vorschriften des BGB (§§ 2231 Nr. 1, 2232 BGB) werden durch die Bestimmungen des BeurkG ergänzt. Das Beurkundungsverfahren ist insbesondere in den §§ 27–35 BeurkG geregelt.

6.13 Die Vorteile des öffentlichen Testaments gegenüber dem eigenhändigen Testament sind: – Ein öffentliches Testament kann, im Gegensatz zum eigenhändigen Testament, auch von einer minderjährigen Person (ab 16 Jahren) errichtet werden (§§ 2229 Abs. 1, 2233 Abs. 1, 2247 Abs. 4 BGB)8. 1 2 3 4 5

Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 3. Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 15. BGH v. 11.1.1984 – IV a ZR 30/82, FamRZ 1985, 693; Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 3. BGH v 8.12.1982 – IV a ZR 94/81, NJW 1983, 672; Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 28 ff. Vgl. BGH v. 16.8.1987 – IVa ZR 74/86, NJW-RR 1987, 1410; MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 130 ff.; Staudinger/Otte, § 2084 Rz. 4 ff. 6 BGH v. 13.11.1963 – V ZR 56/62, BGHZ 40, 218 (222); MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 130. 7 Erman/Kappler/Kappler, § 2231 Rz. 3. 8 Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 3.

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Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.17 § 6

– Es dient dem Schutz des Erblassers vor Beeinflussung und übereilten Entschlüssen. – Das öffentliche Testament gewährt durch die Rechtsberatung des Notars die Rechtssicherheit des Erblassers. – Es hat gem. §§ 415, 418 ZPO als Urkunde eine erhöhte Beweiskraft1. – Es erbringt vollen Beweis für den beurkundeten Vorgang, auch hinsichtlich des Zeitpunkts, des Orts, der Anwesenheit von Urkundspersonen und des Inhalts der Erklärung sowie deren Vollständigkeit, nicht jedoch für deren Richtigkeit2. Der Gegenbeweis ist nach § 415 Abs. 2 ZPO zulässig. – Das öffentliche Testament schützt durch die amtliche Verwahrung gem. § 34 BeurkG vor unbefugten Veränderungen. – Es vermeidet fast ausnahmslos Formfehler. – In Verbindung mit den Eröffnungsprotokollen erspart es zum Nachweis der Erbfolge gegenüber dem Grundbuchamt sowie dem Handels- und Schiffsregister die Vorlage eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstreckerzeugnisses, vgl. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO, § 12 Abs. 1 S. 4 HGB3. bb) Eigenhändiges Testament gem. § 2247 BGB Das eigenhändige Testament nach § 2247 BGB schreibt und unterschreibt der Erblasser selbst, ohne die Hilfe eines Notars.

6.14

M 16 Eigenhändiges Testament

6.15

Ich, Marlies Müller, geborene Herzog, geboren am 26.5.1930, setze hiermit meine Nichte Susanne Liebig zur alleinigen Erbin meines gesamten Vermögens ein. Ulm, den 15.10.2017 Unterschrift

6.16

Die Vorteile des eigenhändigen Testaments sind: – Es entstehen (jedenfalls bei rechtlich nicht beratenen) Erblassern zunächst keine Kosten, wenngleich nach dem Erbfall oftmals ein (kostenpflichtiger) Erbschein erforderlich sein wird (vgl. § 35 GBO). – Es kann schnell und an jedem Ort errichtet werden. c) Außerordentliche Testamentsformen In bestimmten Notlagen, die befürchten lassen, dass ein Erblasser stirbt, ehe er ein eigenhändiges oder ein notarielles Testament errichten kann, sieht das Gesetz die Errichtung eines sog. Nottestaments vor. Die Nottestamente haben jedoch nur eine eingeschränkte Geltungsdauer (s. Rz. 6.118 f.). Bei den außerordentlichen Testamentsformen wird unterschieden zwischen: – dem Nottestament vor einem Bürgermeister (§§ 2249, 2250 Abs. 1 BGB), – dem Drei-Zeugen-Testament (§ 2250 BGB) und – dem Seetestament (§§ 2251, 2250 Abs. 3 BGB)

1 MüKo.BGB/Hagena, § 2231 Rz. 18. 2 OLG Frankfurt v. 26.2.1990 – 20 W 66/90, Rpfleger 1990, 290; MüKo.BGB/Hagena, § 2231 Rz. 19. 3 BGH v. 8.10.2013 – XI ZR 401/12, ZEV 2014, 41; Erman/Kappler/Kappler, § 2231 Rz. 3.

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6.17

§ 6 Rz. 6.18

Formen letztwilliger Verfügungen

sowie den nicht mehr möglichen Formen des – Verfolgtentestaments (zwischen 30.1.1933 und 8.5.1945) und des – Militärtestaments (bis 28.8.1946). Die Bestimmungen für das Verfolgten- und das Militärtestament haben nur noch für die während ihrer Geltung errichteten Testamente Gültigkeit. Für Bundeswehrangehörige gelten diese Sondervorschriften nicht1. 2. Öffentliches Testament

6.18 Ein öffentliches Testament wird entweder durch Erklärung des Erblassers vor einem Notar oder durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift an den Notar, verbunden mit der Erklärung, dass diese den letzten Willen des Erblassers enthalte, errichtet, § 2232 BGB. Verfahrensrechtlich wird das öffentliche Testament nach den Vorschriften des BeurkG errichtet. a) Errichtung durch Erklärung zur Niederschrift des Notars, § 2232 S. 1 Hs. 1 BGB aa) Niederschrift

6.19 Nach § 2232 S. 1 Hs. 1 BGB kann ein Erblasser zur Niederschrift eines Notars ein Testament errichten, indem er dem Notar seinen letzten Willen erklärt. Zuständig für die Errichtung eines öffentlichen Testaments sind innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich die Notare. Nur im Ausland kann der Notar nicht tätig werden. Dort besteht für deutsche Staatsangehörige die Möglichkeit, vor einem Konsularbeamten ein Konsulartestament zu errichten2.

6.20 Über die Verfügung von Todes wegen ist eine Niederschrift aufzunehmen (§ 8 BeurkG). Diese ist grundsätzlich in deutscher Sprache (§ 5 Abs. 1 BeurkG) zu errichten. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Notar der anderen Sprache kundig ist (§ 5 Abs. 2 BeurkG). Die Aufnahme einer Niederschrift über die Verhandlung ist Teil der Testamentserrichtung und hat zwingend durch den Notar zu erfolgen. Die Niederschrift muss in Gegenwart des Notars, nicht unbedingt von ihm selbst, vorgelesen und vom Erblasser genehmigt werden. Für die Genehmigung genügen auch schlüssige Handlungen, wie z.B. ein Kopfnicken3. Zudem muss die Niederschrift vom Erblasser eigenhändig unterschrieben werden (§ 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG). In der Niederschrift soll ein Vermerk enthalten sein, dass dies geschehen ist (§ 13 Abs. 1 S. 2 BeurkG). Wurde die Niederschrift durch die Beteiligten eigenhändig unterschrieben, wird vermutet, dass sie in Gegenwart des Notars vorgelesen oder, soweit erforderlich, den Beteiligten zur Durchsicht vorgelegt und von diesen genehmigt wurde (§ 13 Abs. 1 S. 3 BeurkG). Der Erblasser kann verlangen, dass ihm die Niederschrift zur Durchsicht vorgelegt wird (§ 13 Abs. 1 S. 4 BeurkG). Fehlt die Niederschrift oder verstößt sie gegen zwingende Formvorschriften, ist die Verfügung von Todes wegen nach § 125 BGB nichtig.

6.21 Ein Verstoß gegen sog. Sollvorschriften lässt die Wirksamkeit der Niederschrift unberührt. Sollvorschriften sind die Niederschrift betreffende Protokollvorschriften, insbesondere die darin enthaltenen Angaben über: – Ort und Tag der Verfügung, § 9 Abs. 2 BeurkG, – die Testierfähigkeit des Erblassers, § 28 BeurkG, – Zweifel an der Wirksamkeit der beabsichtigten Verfügung, dem Inhalt der Belehrung des Notars und der eventuellen Erklärung von Beteiligten, § 17 BeurkG,

1 Erman/Kappler/Kappler, Vor § 2229 Rz. 6. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2231 Rz. 2. 3 RG v. 25.9.1924 – IV 25/24, RGZ 108, 403; BayObLG v. 9.7.1965 – BReg. 2 Z 20/65, NJW 1966, 56.

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Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.25 § 6

– Hinweise auf eine etwa bestehende Genehmigungspflicht, § 18 BeurkG, – die Zuziehung von Zeugen, von einem zweiten Notar oder einer Vertrauensperson, §§ 22, 24, 25, 29 BeurkG, – die Feststellung über die Vorlage der Niederschrift bei hörbehinderten Beteiligten, 23 BeurkG, – den Hinweis darauf, dass die Niederschrift vorgelesen, unterschrieben und genehmigt wurde, § 13 Abs. 1 S. 2 BeurkG. In der Niederschrift kann auch auf andere notarielle Beurkundungen verwiesen werden, deren Re- 6.22 gelungen Inhalt des Testaments werden sollen (ersetzende Verweisung oder ergänzende Bezugnahme)1. Die in Bezug genommenen Dokumente müssen der Niederschrift nicht beigefügt oder den Beteiligten vorgelesen werden, wenn hierauf ausdrücklich verzichtet wird (§ 13a BeurkG). Der Inhalt der Dokumente, auf die Bezug genommen wurde, gehört durch die Verweisung zum Inhalt der Niederschrift. Auch können nach § 9 Abs. 1 S. 3 BeurkG Karten, Zeichnungen oder Abbildungen dem Testament als Anlagen und Bestandteil des Testaments beigefügt werden. Zur näheren Identifizierung, Erläuterung oder Verdeutlichung dessen, was in der Niederschrift selbst zumindest in Andeutungen enthalten ist, kann, ohne dass es hierfür einer besonderen Form bedürfte, auf bestehende Tatsachen oder Rechtsverhältnisse (z.B. frühere Testamente) verwiesen werden (unechte Verweisung; hinweisende oder erläuternde Bezugnahme)2. Ein Testament, welches eine Erbeinsetzung enthält, ohne die bedachten Personen wenigstens andeutungsweise zu nennen oder sonst zu bestimmen, ist jedoch nach § 125 S. 1 BGB in jedem Fall nichtig3.

6.23

Beratungshinweis: Schreibt der Erblasser in seinem Testament nur von „meinen Erben“, ohne diese weiter zu benennen, oder wenigstens auf die gesetzlichen Erben zu verweisen, so dass diese nach § 2066 BGB zu bestimmen wären, ist die letztwillige Verfügung nichtig.

bb) Angaben über die Person des Testators Nach den §§ 10, 11, 28 BeurkG stellt der Notar zunächst die Person des Erblassers und seine Testier- 6.24 fähigkeit fest. Der Notar hat den Testator in der Niederschrift so genau zu bezeichnen, dass Zweifel und Verwechslungen ausgeschlossen sind (§ 10 Abs. 2 BeurkG). Der Notar kann die Personalien entweder durch persönliche Kenntnis oder durch Vorlage eines Ausweises mit Lichtbild feststellen (§ 10 Abs. 3 S. 1 BeurkG). Grds. sind Vor- und Nachname, Geburtsdatum und Geburtsort, Wohnanschrift sowie Staatsangehörigkeit festzustellen. Wird der Testierende durch Dritte (Erkennungs- oder Nämlichkeitszeugen) vorgestellt, so ist deren Identität zu prüfen. Regelmäßig werden hierfür nur solche Personen in Betracht kommen, die durch die in der Niederschrift enthaltenen Verfügungen nicht begünstigt sind. Wurde die Personenidentität durch den Notar festgestellt und in der Niederschrift vermerkt, dient die Feststellung nach § 415 Abs. 1 ZPO als Beweis dafür, dass die beurkundete Erklärung von der als erschienen festgestellten Person abgegeben worden ist4. Der Gegenbeweis ist gem. § 415 Abs. 2 ZPO zulässig. Kann sich der Notar keine Gewissheit über die Identität der Person verschaffen, so ist er nicht gem. § 4 BeurkG verpflichtet, die Beurkundung abzulehnen. Der Notar kann, wenn der Erschienene darauf besteht, die Beurkundung vornehmen. Er sollte jedoch die mangelnde Feststellung der Identität des Erblassers in der Urkunde vermerken, § 10 Abs. 3 S. 2 BeurkG, und versuchen, die Personalien nachträglich festzustellen. Eine Pflicht zur Ablehnung der Beurkundung besteht nur dann, wenn der Notar

1 2 3 4

Soergel/J. Mayer, § 13a BeurkG Rz. 3. Soergel/J. Mayer, § 13a BeurkG Rz. 3; Winkler, BeurkG, § 13a Rz. 20 ff. BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80, BGHZ 80, 246. LG Berlin v. 14.12.1962 – 84 T 4/62, NJW 1962, 125.

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6.25

§ 6 Rz. 6.26

Formen letztwilliger Verfügungen

zur Überzeugung gelangt, dass die erschienene Person ihre wahre Identität in unredlicher Absicht verschleiern will (§ 4 BeurkG)1.

6.26 Zur Feststellung des materiell-rechtlich geltenden Erbrechts ist der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers zu ermitteln (vgl. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO). Sofern Auslandsberührung vorliegt, sollte auch dies festgestellt und vermerkt werden. Der Notar sollte zudem die Familienverhältnisse des Testators ermitteln. Hierdurch können die gesetzliche Erbfolge und bestehende Pflichtteilsansprüche bestimmt und ein damit verbundener weitergehender Beratungs- und Aufklärungsbedarf festgestellt werden. Die Aufnahme dieser Auskünfte in der Niederschrift dient gleichzeitig dem Schutz des Notars vor späteren haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen, z.B. mit übergangenen Erben.

6.27 Nach § 28 BeurkG soll der Notar bei der Beurkundung von Verfügungen von Todes wegen seine Wahrnehmung über die erforderliche Testier- bzw. Geschäftsfähigkeit des Erblassers in der Niederschrift vermerken. Die erforderliche Geschäftsfähigkeit ergibt sich aus dem materiellen Recht, bei Errichtung eines Testaments aus § 2229 BGB (Testierfähigkeit). Mittel und Ergebnisse der Prüfung sowie Zweifel in Bezug auf die Identität oder die Testierfähigkeit des Erblassers sollen ebenfalls in die Niederschrift aufgenommen werden. Nur wenn der Notar von der Testierunfähigkeit überzeugt ist, hat er die Beurkundung abzulehnen (§ 11 BeurkG). Beratungshinweis: Für die Errichtung eines öffentlichen Testaments durch den Notar müssen gegenüber dem Notar genaue Angaben über die Person des Erblassers sowie der sonstigen Beteiligten gemacht werden. Dazu zählen Vor- und Nachname, Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort, gewöhnlicher Aufenthalt sowie Staatsangehörigkeit. Entsprechende Dokumente zur Feststellung der Identität sind mitzuführen. Daneben sollten Informationen über die sonstigen Familienverhältnisse bereitgehalten sowie ggf. Informationen über einen vorhandenen Auslandsbezug mitgeteilt werden.

cc) Zeugen der Beurkundung

6.28 Auf Verlangen des Beteiligten (bei mehreren Erblassern ist die Zustimmung aller erforderlich)2 soll der Notar bei der Beurkundung bis zu zwei Zeugen oder einen weiteren Notar zur Überwachung der Beurkundung hinzuziehen (§ 29 BeurkG).

6.29 Ein Zeuge oder ein zweiter Notar muss nach § 25 BeurkG beim Vorlesen und bei der Genehmigung hinzugezogen werden, wenn der Erblasser nach seinen Angaben oder nach Überzeugung des Notars seinen Namen nicht schreiben kann. Hier muss, damit das Testament wirksam ist, die Niederschrift von den Zeugen oder dem weiteren Notar unterschrieben werden. Die Unterschrift des Schreibzeugen ersetzt dann die des Erblassers. Fehlt die Unterschrift, so ist das Testament nichtig. Wird lediglich der Vermerk über die Schreibunfähigkeit und über die Zuziehung der Zeugen in der Niederschrift vergessen oder ist der Vermerk falsch abgefasst, beeinträchtigt dies die Wirksamkeit der Beurkundung im Übrigen nicht3.

6.30 Vermag der Erblasser nach seinen Angaben oder nach Überzeugung des Notars nicht hinreichend zu hören oder zu sprechen und kann er sich auch nicht schriftlich verständigen, so dass eine Kommunikation mit dem Notar ausgeschlossen ist, muss nach § 24 Abs. 1 BeurkG zur Beurkundung eine Vertrauensperson hinzugezogen werden, die sich mit dem behinderten Erblasser verständigen kann. Vermag der Erblasser nach eigenen Angaben oder nach der Überzeugung des Notars lediglich nicht hinreichend zu hören, zu sprechen oder zu sehen, ist eine Verständigung mit dem Notar aber möglich, soll der Notar einen Zeugen oder einen zweiten Notar hinzuziehen (§ 22 Abs. 1 BeurkG). Allerdings kann der Erblasser hierauf verzichten, was in der Praxis auch der Regelfall ist.

1 Soergel/J. Mayer, § 10 BeurkG Rz. 8. 2 Winkler, § 29 BeurkG Rz. 5. 3 BeckOK-BGB/Litzenburger, § 25 Rz. 3.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.36 § 6

Beratungshinweis: Hält der Notar die Zuziehung eines Zeugen oder eines zweiten Notars für wünschenswert, bspw. weil die Testier- oder Geschäftsfähigkeit des Erblassers fraglich ist, sollte er die Beteiligten auf diese Möglichkeit hinweisen. Gegen den Willen des Testierenden darf der Notar jedoch keine Zeugen hinzuziehen.

Zwei Zeugen oder ein weiterer Notar dürfen – auch auf Verlangen des Erblassers – dann nicht an 6.31 der Beurkundung teilnehmen, wenn bereits ein zweiter Notar wegen § 22 BeurkG (hör-, sprach- oder sehbehinderte Beteiligte) oder § 25 BeurkG (Schreibunfähige) daran beteiligt ist. Nach der Systematik des Gesetzes ersetzt der Notar zwei Zeugen. Ist ein Ausländer an der Beurkundung beteiligt, kann der Notar mehrere Zeugen hinzuziehen, um da- 6.32 durch eine wirksame Beurkundung auch nach ausländischem Recht sicherzustellen. Zwar wird § 29 BeurkG hierdurch verletzt. Da es sich jedoch um eine Soll-Vorschrift handelt, beeinträchtigt dies die Wirksamkeit der Beurkundung im Übrigen nicht1. Ist der Erblasser der deutschen Sprache nicht mächtig und hat der Notar nicht die erforderlichen Sprachkenntnisse, um die Niederschrift zu übersetzen, muss gem. § 16 BeurkG ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Als Dolmetscher sind kraft Gesetzes diejenigen Personen ungeeignet, die auch als Notar nach §§ 6, 7 BeurkG von der Beurkundung auszuschließen sind. Die Auswahl der Zeugen oder eines zweiten Notars erfolgt durch den Notar, da er nur dem Grunde nach an den Wunsch, Zeugen zu beteiligen, gebunden ist. Der Notar kann statt der vorgeschlagenen Zeugen, auch ohne das ausdrückliche Verlangen der Beteiligten, einen weiteren Notar hinzuziehen. Wünschen die Beteiligten jedoch die Hinzuziehung eines zweiten Notars, ist der beurkundende Notar an diesen Wunsch gebunden, da die Teilnahme eines weiteren Notars aufgrund seiner beruflichen Qualifikation und seiner Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 18 BeurkG) Vorteile gegenüber „einfachen“ Zeugen hat2. Für den Ausschluss von Zeugen und dem zweiten Notar gilt § 26 BeurkG.

6.33

Die mitwirkenden Personen haben am gesamten Beurkundungsakt teilzunehmen. Die Personen haben körperlich anwesend und sich der Beteiligung am Akt bewusst zu sein. Die zugezogenen Personen sollen gem. § 29 S. 2 BeurkG die Niederschrift unterschreiben. Bei diesen hinzugezogenen Personen dürfen, wie beim Notar, keine Mitwirkungsverbote oder Ausschlussgründe nach §§ 3, 6, 26, 27 BeurkG vorliegen.

6.34

dd) Persönliche Erklärung des Testators Der Testator muss seinen letzten Willen persönlich erklären (§ 2064 BGB). Eine Vertretung ist – gleich ob durch einen rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Vertreter – in jedem Fall ausgeschlossen3. Da der letzte Wille persönlich zu erklären ist, ist auch eine Erklärung am Telefon gegenüber dem Notar ausgeschlossen; hierbei kann es sich lediglich um eine Vorbesprechung handeln.

6.35

Nicht erforderlich ist, dass der Erblasser seine Erklärung als Ganzes im Zusammenhang vorbringt. Es reicht aus, dass er seinen Willen während der Unterhaltung mit dem Notar nach und nach formuliert. Ausreichend ist auch, wenn der Notar den Testamentsentwurf vorliest und der Erblasser diesen durch einfaches „Ja-Sagen“4 oder durch sonst schlüssiges Handeln in nonverbaler Form, wie kommentarloses Unterschreiben, stummes Kopfnicken oder Gebärden bestätigt5.

6.36

1 2 3 4 5

Staudinger/Firsching, § 29 BeurkG Rz. 10. Jansen, § 22 BeurkG Rz. 8 f. MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 4. Vgl. BGH v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79 (84). MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 9.

Kappler 157

§ 6 Rz. 6.37

Formen letztwilliger Verfügungen

ee) Aufklärungspflichten des Notars

6.37 Das BeurkG enthält eine Reihe von Formvorschriften, die unmittelbar an den beurkundenden Notar gerichtet sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei die amtliche Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars gem. § 17 BeurkG. Der Notar hat den Willen der Beteiligten zu erforschen, den Sachverhalt zu klären und die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Akts zu belehren. Er soll darauf achten, dass Irrtümer und Zweifel vermieden und unerfahrene, ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden. Die Prüfungspflicht des Notars verlangt somit die sorgfältige Erforschung und klare, unzweideutige Niederlegung des mündlich erklärten letzten Willens des Erblassers1.

6.38 Des Weiteren hat der Notar eine Belehrungspflicht über das Pflichtteilsrecht. Schließt der Erblasser einen Abkömmling oder den Ehegatten aus, so hat der Notar den Testator darüber zu belehren, dass gesetzlich bestimmte Pflichtteilsansprüche bestehen. Auch auf das Pflichtteilsrecht eines nichtehelichen Kindes gegenüber seinem Vater ist hinzuweisen, wenn der Notar Anhaltspunkte für einen entsprechenden Sachverhalt sieht. Ein Vermerk über die Belehrung sollte in die Niederschrift zum einen aus haftungsrechtlichen Gründen, zum anderen, um eine Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten gem. § 2079 BGB zu verhindern, aufgenommen werden, da die Anfechtung auch bei einem Rechtsirrtum über das Pflichtteilsrecht eines dem Erblasser bekannten Berechtigten zulässig ist2. Daneben zählt es zu den Pflichten des Notars, festzustellen, ob Bindungen des Erblassers an andere Verfügungen von Todes wegen bestehen. Es genügt die Nachfrage des Notars, ob gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge vorhanden sind, aus denen sich Verpflichtungen ergeben könnten3. ff) Vorlesen und Genehmigung der Niederschrift (1) Vorlesen

6.39 Die gesamte Niederschrift muss gem. § 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG in Gegenwart des Notars vorgelesen, genehmigt und unterschrieben werden4. Das zwingend vorgeschriebene Vorlesen kann nicht durch lautes Diktat ersetzt werden. Sinn dieser Vorschrift ist es, dem Erblasser vor Genehmigung der Niederschrift die erneute Gelegenheit zu geben, den Inhalt der Niederschrift zu überprüfen5. Vorzulesen sind gem. § 9 Abs. 1 S. 3, § 13 Abs. 1 BeurkG auch solche Schriftstücke, auf welche die Niederschrift verweist oder die ihr beigefügt sind. Zeichnungen oder Abbildungen, auf die in der Urkunde verwiesen wird, sind dem Erblasser zur Durchsicht vorzulegen (§ 13 Abs. 1 BeurkG). Handelt es sich bei dem Schriftstück, auf welches verwiesen wurde, um eine andere notarielle Niederschrift, kann gem. § 13a BeurkG auf das Vorlesen und Beifügen verzichtet werden. Das Vorlesen ist auch durch eine Hilfsperson möglich, muss aber in Gegenwart des Notars und der Beteiligten erfolgen6. Wird das Vorlesen unterlassen, so leidet die Verfügung von Todes wegen an einem unheilbaren Formfehler, der zur Nichtigkeit des Testaments führt7. Auf Verlangen soll das Testament dem Testator vor der Genehmigung auch zur Durchsicht vorgelegt werden (§ 13 Abs. 1 S. 4 BeurkG). Dem hörbehinderten Erblasser muss die Niederschrift gem. § 23 BeurkG zur Durchsicht und Prüfung vorgelegt werden. (2) Genehmigung der Niederschrift

6.40 Nach dem Vorlesen muss die Niederschrift in Gegenwart des Notars und eventuell eines Zeugen (§ 25 S. 1 BeurkG) oder einer Vertrauensperson (§ 24 BeurkG) vom Erblasser genehmigt werden. Die Genehmigung muss erkennbar zum Ausdruck gebracht werden. Nur der Testator kann die Niederschrift genehmigen, nicht auch die Überwachungsperson, da diese nur Mittler- bzw. Kontaktfunktion 1 2 3 4 5 6 7

Soergel/J. Mayer, § 17 BeurkG Rz. 1. Palandt/Weidlich, § 2079 Rz. 4. Reithmann/Albrecht, Rz. 1114. BayObLG v. 20.7.1973 – BReg. Z 34/73, BayObLGZ 1973, 213. MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 95. Winkler, § 13 BeurkG Rz. 5, 8. BayObLG v. 20.7.1979 – BReg.1 Z 119/78, FamRZ 1980, 505.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.44 § 6

ausübt1. Genehmigung bedeutet, der Erblasser muss sein Einverständnis mit dem Inhalt der Niederschrift erklären. Die Form der Genehmigung ist nicht vorgeschrieben. Die Genehmigung kann nicht nur durch ausdrückliche Erklärung, sondern auch in jeder anderen unmissverständlichen Weise zum Ausdruck gebracht werden, wie durch Zeichen oder Gebärden, insbesondere z.B. durch Kopfnicken oder widerspruchslose Unterzeichnung. Voraussetzung ist, dass diese Zeichen über den Genehmigungswillen keinen Zweifel lassen2. (3) Unterschrift des Testators Die Niederschrift ist vom Testator zwingend eigenhändig und in Gegenwart des Notars und der Beteiligten zu unterschreiben (§ 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG). Die Unterschrift des Testierenden muss den typischen Schriftzug erkennen lassen, der dessen Identität kennzeichnet und sich als Unterschrift eines Namens darstellt. Da es entscheidend auf den individuellen Charakter der Unterschrift ankommt, der es erlauben soll, sie von anderen Unterschriften zu unterscheiden und damit eine Nachahmung durch Dritte zu erschweren, reicht auch eine Paraphe aus, wenn der Testierende allgemein so zu unterzeichnen pflegt3. Die Unterzeichnung mit dem Familiennamen genügt aber in jedem Fall, i.d.R. hingegen nicht die Unterzeichnung nur mit dem Vornamen4. Sofern keine Zweifel an der Identität aufkommen, ist auch der Gebrauch eines Künstlernamens oder eines unrichtigen, aber ständig geführten Namens zulässig5. Generell sollten für Unterschriften unter öffentliche Testamentsformen keine strengeren Voraussetzungen gelten als bei privatschriftlichen Testamenten6.

6.41

Der Erblasser kann bei der Unterschrift durch einen Dritten unterstützt werden. Der Dritte darf jedoch nur behilflich sein; die Unterschrift muss noch individuell vom Erblasser herrühren7. Stellt sich die Schreibunfähigkeit erst beim Versuch zu unterschreiben heraus, ist ein Schreibzeuge hinzuzuziehen (§ 25 S. 1 BeurkG). Die Niederschrift muss dann jedoch in Anwesenheit des Schreibzeugen erneut vorgelesen und genehmigt werden8.

6.42

Schreiben i.S.d. § 25 S. 1 BeurkG stellt ausschließlich auf das Schreiben des eigenen Namens ab. 6.43 Es bedeutet aber nicht, dass der Erblasser darüberhinausgehende Schreib- oder auch Lesefähigkeiten haben muss. Daher sind Analphabeten und Blinde, die nur ihren Namen schreiben können, schreibfähig i.S.d. § 25 BeurkG9. Der im Falle des § 25 BeurkG zugezogene Zeuge oder zweite Notar muss, auch wenn ein Fall der Zuziehung nach § 22 oder § 29 BeurkG gegeben ist, die Niederschrift unterschreiben (vgl. § 25 S. 2 BeurkG). Stirbt der Testator oder wird er testierunfähig, bevor er selbst oder der gem. § 25 BeurkG zugezogene Schreibzeuge für ihn unterschrieben hat, ist das Testament nichtig, da ein zwingendes Merkmal der Niederschrift gem. § 25 BeurkG fehlt10. Problematisch sind die Fälle, in denen der Notar oder die Zeugen bei Tod des Erblassers noch nicht unterschrieben haben. Einigkeit besteht dahingehend, dass Notare und Zeugen die Urkunde nicht in Gegenwart des Erblassers unterschreiben müssen, anders als die Schreibzeugen. Die Unterschrift des Zeugen ist überhaupt nicht Wirksamkeitsvoraussetzung11. Der Notar hingegen muss unterzeichnen, wenngleich er seine Unterschrift noch nachholen kann. Umstrit1 Winkler, § 13 BeurkG Rz. 43. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 2; MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 107. 3 Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 3; a.M. BGH v. 13.7.1967 – Ia ZB 1/67, NJW 1967, 2310 (zum Schriftsatz). 4 BGH v. 25.10.2002 – V ZR 279/01, DNotZ 2003, 269. 5 Vgl. KG v. 30.1.1996 – 1 W 7243/94, FamRZ 1996, 1242. 6 Baumann, RNotZ 2010, 310, 314; Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 3. 7 BayObLG v. 15.1.1987 – BReg. 1Z 62/86, Rpfleger 1987, 358. 8 BeckOK.BGB/Litzenburger, § 25 BeurkG Rz. 2. 9 Soergel/J. Mayer, § 25 BeurkG Rz. 1. 10 BGH v. 30.10.1956 – V ZB 17/59, BGHZ 31, 136. 11 BeckOK-BGB/Litzenburger, § 22 BeurkG Rz. 12.

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6.44

§ 6 Rz. 6.45

Formen letztwilliger Verfügungen

ten ist jedoch, innerhalb welcher zeitlichen Grenze der Notar seine Unterschrift nachholen darf. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, die jedoch insoweit übereinstimmen, als der letzte mögliche Termin die Eröffnung des Testaments ist1. Nach § 35 BeurkG ersetzt bei nach dem 1.1.1970 errichteten Verfügungen von Todes wegen die Unterschrift des Notars auf dem Testamentsumschlag seine fehlende Unterschrift unter der Niederschrift2. Fehlt auch diese, ist die Beurkundung unwirksam. gg) Verwahrung des Testaments

6.45 Der Notar soll das Testament nach § 34 Abs. 1 S. 1 BeurkG in einen Umschlag geben und diesen mit dem Prägesiegel verschließen. Auf dem Umschlag wird der Erblasser seiner Person nach näher bezeichnet und angegeben, wann das Testament errichtet worden ist; diese Aufschrift unterschreibt der Notar (§ 34 Abs. 1 S. 3 BeurkG). Dieser Vorgang hat nicht in Gegenwart des Erblassers zu geschehen3.

6.46 Der Notar hat weiter zu veranlassen, dass das Testament unverzüglich in besondere amtliche Verwahrung gebracht wird (§ 34 Abs. 1 S. 4 BeurkG). Für die besondere amtliche Verwahrung sind die Amtsgerichte nach §§ 344 Abs. 1 FamFG sachlich zuständig. Ein Verstoß gegen § 34 BeurkG beeinträchtigt jedoch nicht die Wirksamkeit der Beurkundung. hh) Registrierung des Testaments

6.47 Der beurkundende Notar ist zur Meldung des Testaments nach § 34a Abs. 1 S. 1 BeurkG bei dem seit 1.1.2012 eingerichteten Zentralen Testamentsregister (ZTR) verpflichtet, wenngleich ein Verstoß hiergegen das Testament nicht unwirksam macht. Im ZTR sind alle erbfolgerelevanten Urkunden in notarieller oder gerichtlicher Verwahrung registriert. Das ZTR soll in verfahrensrechtlicher Hinsicht die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Erbrechts und der Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 S. 1, Fall 2 GG) sicherstellen. Die Registrierung dient sowohl einer geordneten Nachlassabwicklung als auch der schnellen Umsetzung des letzten Willens des Erblassers. Das Auffinden der amtlich verwahrten erbfolgerelevanten Urkunden soll gesichert werden, weshalb das ZTR die Verwahrstellen im Sterbefall benachrichtigt, um die Eröffnung der erbfolgerelevanten Urkunden sicherzustellen. b) Errichtung durch Übergabe einer offenen Schrift

6.48 Nach § 2232 BGB kann ein öffentliches Testament zur Niederschrift eines Notars auch dadurch errichtet werden, dass der Erblasser dem Notar eine offene Schrift mit der Erklärung übergibt, dass diese Schrift seinen letzten Willen enthält. Die Schrift muss, im Gegensatz zum eigenhändigen Testament, nicht vom Erblasser selbst geschrieben sein (§ 2232 S. 2 Hs. 2 BGB). Auch ein mit Schreibmaschine oder am Computer verfasstes Schriftstück erfüllt die an eine offene Schrift gestellten Voraussetzungen; zulässig ist auch jede andere Art einer Schrift (auch Blindenschrift), sofern diese (ggf. unter Beifügen eines Entschlüsselungscodes) entschlüsselbar ist4. Entscheidend ist lediglich, dass es sich um eine für Dritte lesbare schriftliche Aufzeichnung handelt. Beratungshinweis: Die Errichtung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer offenen Schrift eignet sich insbesondere für solche Fälle, in denen das Testament von einem anderen Rechtskundigen als dem Notar, bspw. von einem Rechtsanwalt, verfasst wurde, oder auch für die Protokollierung umfangreicher, im Vorfeld bereits ausführlich besprochener Verfügungen von Todes wegen. Diese Form des öffentlichen Testaments bietet sich auch dann an, wenn Zeugen zugezogen werden müssen, die jedoch vom Inhalt der letztwilligen Verfügung nichts erfahren sollen5.

1 2 3 4 5

Erman/Kappler/Kappler, § 35 BeurkG Rz. 3. Erman/Kappler/Kappler, § 35 BeurkG Rz. 2. Winkler, § 34 BeurkG Rz. 5. Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 4. Haegele, Rpfleger 1969, 414 (416 f.).

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Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.53 § 6

Voraussetzung für die Errichtung eines Testaments durch Übergabe einer offenen Schrift ist die münd- 6.49 liche Erklärung des Erblassers, die Schrift enthalte seinen letzten Willen (§ 2232 Abs. 1 BGB), wobei es auf den gewählten Wortlaut nicht ankommt1. Es genügt, wenn er die Worte „Das ist mein Testament“ nachspricht2 oder die Frage danach mit „Ja“ beantwortet3. Die Abfassung in fremder Sprache oder in ungewöhnlichen Schriftzeichen (Chiffrieren) ist zulässig, sofern der Erblasser die Verfügung versteht und lesen (nicht notwendig schreiben) kann4. Der Erblasser muss den Inhalt kennen5, da bei Unkenntnis des Inhalts – trotz Beachtung der erforderlichen Form – kein erklärter letzter Wille des Erblassers vorliegt. Im Gegensatz zur Errichtung durch Übergabe einer verschlossenen Schrift soll der Notar vom Inhalt der Schrift Kenntnis nehmen und den Erblasser auf etwaige Bedenken hinweisen (§ 30 S. 4 BeurkG). Der Notar muss die Schrift jedoch nicht verstehen, § 30 S. 4 BeurkG. Sie kann daher auch in einer Sprache verfasst sein, die der Notar nicht beherrscht6. Freilich entfallen in diesen Fällen entsprechende Hinweispflichten des Notars. Die Schrift muss mit Willen des Erblassers in die Hand des Notars gelangen7. Der Notar hat gem. § 30 S. 1 BeurkG eine Niederschrift hinsichtlich der Übergabe zu fertigen. Nach § 30 S. 2 BeurkG hat der Notar die ihm übergebene Schrift so zu kennzeichnen, dass sie nicht verwechselt werden kann. Die Kennzeichnung kann dabei entweder durch angebrachte Zeichen oder durch ihre Beschreibung im Protokoll erfolgen. Die übergebene Schrift soll nach § 30 S. 5 BeurkG der Niederschrift beigefügt werden. Sie wird durch die Übergabe jedoch nicht Teil der Niederschrift und muss daher auch nicht vorgelesen werden. Wie bei dem durch mündliche Erklärung errichteten Testament soll der Notar auch bei der offenen Schrift gem. § 34 Abs. 1 BeurkG die Niederschrift und das übergebene Schriftstück in einen Testamentsumschlag versiegeln und unverzüglich in die besondere amtliche Verwahrung bringen.

6.50

Für Minderjährige zwischen 16 und 18 Jahren ist nach § 2233 Abs. 1 BGB die Errichtung eines Testaments nur durch Übergabe einer offenen Schrift oder durch mündliche Erklärung möglich.

6.51

c) Errichtung durch Übergabe einer verschlossenen Schrift Bei der Errichtung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer verschlossenen Schrift wird 6.52 das verschlossene Schriftstück gem. § 2232 BGB dem Notar durch den Erblasser mit der Erklärung übergeben, dass es seinen letzten Willen enthalte. Der Erblasser muss den Inhalt der Schrift kennen8; alleine die Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt nicht9. Wie bereits bei der offenen Schrift hat der Notar hinsichtlich der erfolgten Übergabe eine Nieder- 6.53 schrift zu verfassen. Die Niederschrift muss die Feststellung enthalten, dass die Schrift übergeben wurde. Ebenso sollte die verschlossene Schrift so gekennzeichnet werden, dass eine Verwechslung ausgeschlossen ist. Die übergebene verschlossene Schrift soll der Niederschrift beigefügt werden (vgl. § 30 BeurkG). Im Übrigen erfolgt die Testamentserrichtung durch Übergabe einer verschlossenen Schrift entsprechend der einer Errichtung durch Übergabe einer offenen Schrift. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Brox/Walker, § 10 Rz. 4. RG v. 25.9.1924 – IV 25/24, JW 1925, 357 ff. Brox/Walker, § 10 Rz. 4; MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 107. Soergel/J. Mayer, § 2232 Rz. 17. Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 4; MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 30; a.M. Soergel/J. Mayer, § 2232 Rz. 17, BaRo/Litzenburger, § 2232 Rz. 12: Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt. MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 19. RG v. 25.9.1924 – IV 25/24, JW 1925, 357 ff.; RG v. 3.2.1936 – IV 139/35, RGZ 150, 189; Staudinger/Baumann, § 2232 Rz. 35. Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 5; MüKo-BGB/Hagena, § 2232 Rz. 30; Palandt/Weidlich, § 2232 Rz. 3. Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 5; a.M. BaRo/Litzenburger, § 2232 Rz. 12; Soergel/J. Mayer, § 2232 Rz. 17.

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§ 6 Rz. 6.54

Formen letztwilliger Verfügungen

6.54 Der Vorteil der verschlossenen Schrift ist, dass der letzte Wille des Erblassers auch gegenüber dem Notar geheim gehalten wird. Denn während dieser von dem Inhalt einer offenen Schrift Kenntnis nehmen soll, darf er es bei einer verschlossenen Schrift ohne den Willen des Erblassers nicht1. Der Erblasser verzichtet damit auf eine Rechtsbelehrung. Der Notar ist jedoch berechtigt, den Erblasser über den Inhalt der Schrift zu befragen und ihn auf mögliche Bedenken hinzuweisen2. Es empfiehlt sich, in die Niederschrift die Belehrung des Erblassers darüber aufzunehmen, dass durch seine eventuell fehlenden Rechtskenntnisse die mit dem Testament verfolgten Ziele möglicherweise nicht erreicht werden können. Wurde der Hinweis nicht in der Niederschrift aufgenommen, kann hierauf jedoch keine Haftung des Notars gestützt werden3. d) Ausschluss des Notars

6.55 Es gibt gesetzlich normierte Fälle, in denen der Notar von der Beurkundung einer Willenserklärung ausgeschlossen ist. Beurkundet der Notar die Willenserklärung dennoch, so ist diese Verfügung von Todes wegen ganz oder teilweise unwirksam. aa) Vorschriften, durch deren Verletzung die Verfügung insgesamt unwirksam wird

6.56 Für die Beurkundung von Verfügungen von Todes wegen hat § 6 BeurkG die §§ 2234, 2276 a.F. BGB abgelöst. Danach darf der Notar keine Verfügungen von Todes wegen beurkunden, bei denen als Erblasser folgende Personen beteiligt sind (§ 6 Abs. 1 BeurkG): – der Notar selbst (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG), – sein derzeitiger Ehegatte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BeurkG), – sein Lebenspartner (§ 6 Abs. 1 Nr. 2a BeurkG), – ein mit ihm in gerader Linie Verwandter (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 BeurkG) oder – ein Vertreter, der für eine der genannten Personen handelt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG).

6.57 Gegenüber den §§ 2234, 2276 a.F. BGB ist der in § 6 Abs. 1 BeurkG aufgezählte Katalog eingeschränkt worden. So führt bspw. die Beteiligung eines früheren Ehegatten nicht mehr zur Unwirksamkeit der Verfügung. Eine Beurkundung, die entgegen § 6 BeurkG vorgenommen wurde, ist immer insgesamt unwirksam. Insbesondere können die an der Beurkundung Beteiligten nicht auf die Anwendung der Vorschrift verzichten. Die Unwirksamkeit der Urkunde kann jedoch nur in dem Verfahren geltend gemacht werden, in dem die Urkunde verwendet werden soll. bb) Vorschriften, durch deren Verletzung die Verfügung teilweise unwirksam wird

6.58 An die Stelle der §§ 2235, 2276 a.F. BGB ist § 7 BeurkG i.V.m. § 27 BeurkG getreten. Eine entgegen § 7 BeurkG vorgenommene Beurkundung ist jedoch im Gegensatz zu einer entgegen § 6 BeurkG vorgenommenen nicht insgesamt unwirksam, sondern nur insoweit, als sie darauf gerichtet ist, einer der dort genannten Personen einen rechtlichen Vorteil zu verschaffen.

6.59 Danach dürfen infolge der Beurkundung keinen rechtlichen Vorteil erlangen: – der Notar selbst (§ 7 Nr. 1 BeurkG), – sein derzeitiger oder früherer Ehegatte (§ 7 Nr. 2 BeurkG), – sein derzeitiger oder früherer Lebenspartner (§ 7 Nr. 2a BeurkG) oder

1 Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 5; NK-BGB/Beck/Kroiß, § 2232 Rz. 27. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2232 Rz. 5. 3 Boehmer, DNotZ 1940, 144 f.

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Kappler

Rz. 6.63 § 6

Formen letztwilliger Verfügungen

– Personen, die mit dem Notar in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren (§ 7 Nr. 3 BeurkG). Rechtlicher Vorteil i.S.d. § 7 BeurkG ist alles, was die Rechtsstellung des Betreffenden verbessert1. 6.60 Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung ist nach § 27 BeurkG ein rechtlicher Vorteil insbesondere die Ernennung zum Testamentsvollstrecker und das Bedenken in einer Verfügung von Todes wegen. „Bedacht“ i.S.d. § 27 BeurkG meint jedwede Zuwendung im weitesten Sinne; sie kann in allem liegen, was zum Gegenstand eines Schuldverhältnisses gemacht werden kann, sofern dadurch unmittelbar oder mittelbar eine vermögensrechtliche Besserstellung bezweckt wird2. Der Notar oder eine der in § 27 BeurkG bezeichneten Personen können auch nicht zum Testamentsvollstrecker benannt werden. Jedoch kann die Bestimmung des Notars oder eine der bezeichneten Personen zum Testamentsvollstrecker durch privatschriftliches Testament erfolgen. Beratungshinweis: Soll der beurkundende Notar zum Testamentsvollstrecker ernannt werden, ist es zulässig, die Testamentsvollstreckung dem Grund nach im (beurkundeten) Testament anzuordnen, aber die Person des Testamentsvollstreckers hier nicht zu benennen. Die Benennung der Person des Testamentsvollstreckers (hier des Notars) erfolgt dann in einem separaten privatschriftlichen Testament. Dieses kann zusammen mit dem öffentlichen Testament in die besondere amtliche Verwahrung des Nachlassgerichts gegeben werden3.

cc) Vorschriften, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Verfügung führen Der Notar soll nach § 3 Abs. 1 BeurkG keine Verfügung von Todes wegen beurkunden, an der als Tes- 6.61 tator Personen i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BeurkG in ihren Rechten und Pflichten unmittelbar betroffen sind. Wenngleich der Notar an § 3 BeurkG gebunden ist4, führt ein derartiger Verstoß nicht zur Unwirksamkeit der Beurkundung. e) Kosten nach dem GNotKG Für das notarielle Testament wird eine volle Gebühr nach dem Geschäftswert (§ 102 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 S. 1, 2, Nr. 21200 KV-GNotKG), mindestens 60 Euro erhoben. Im Falle eines gemeinschaftlichen Testaments gem. §§ 2265 ff. BGB sieht das Gesetz eine doppelte Gebühr vor (§ 102 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2, S. 1, 2, Nr. 21100 KV-GNotKG), mindestens 120 Euro. Der Geschäftswert bemisst sich in beiden Fällen nach dem vorhandenen Vermögen des Erblassers, soweit dieser über den gesamten Nachlass verfügt. Verbindlichkeiten werden vom Aktivvermögen bis zur Hälfte des Aktivvermögens abgezogen. Soll die Verfügung von Todes wegen nicht den gesamten Nachlass betreffen, so ist die wirtschaftliche Bedeutung der konkreten Verfügung zu berücksichtigen.

6.62

Hinzu kommen noch die Dokumentenpauschale (Nr. 32001 KV-GNotKG), sonstige Auslagen (Nr. 32011, 32015 KV-GNotKG) und Umsatzsteuer (Nr. 32014 KV-GNotKG). Im Rahmen der sonstigen Auslagen nach Nr. 32105 KV-GNotKG sind seit dem 1.1.2012 insbesondere die Kosten für die Registrierung im Zentralen Testamentsregister bei der Bundesnotarkammer zu berücksichtigen. Die Bundesnotarkammer erhebt hierfür einmalig eine Gebühr in Höhe von 15 Euro je Registrierung (= je Testator), die sämtliche Kosten der Registrierung, eventueller Berichtigungen, Ergänzungen und Folgeregistrierungen sowie der Benachrichtigung im Sterbefall abdecken.

6.63

1 RG v. 4.3.1916 – V 404/15, RGZ 88, 147 (155, 172). 2 Erman/Kappler/Kappler, § 27 BeurkG Rz. 3. 3 OLG Bremen v. 10.3.2016 – 5 W 40/15, ZEV 2016, 273, entgegen OLG Bremen v. 23.9.2015 – 5 W 23/15, RNotZ 2013, 107; Erman/Kappler/Kappler, § 27 BeurkG Rz. 4. 4 BGH v. 25.5.1984 – V ZR 13/83, DNotZ 1985, 231.

Kappler 163

§ 6 Rz. 6.64

Formen letztwilliger Verfügungen

3. Eigenhändiges Testament

6.64 Neben dem öffentlichen (notariellen) Testament sieht das Gesetz in § 2247 BGB die Form des eigenhändigen Testaments vor. In diesem errichtet der Erblasser sein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung. Zu beachten ist, dass Minderjährige oder Leseunfähige nach § 2247 Abs. 4 BGB kein eigenhändiges Testament errichten können.

6.65 Der Vorteil eines eigenhändigen Testaments ist seine bequeme, jederzeit mögliche Errichtung bzw. Abänderung. Bei einer in der Form des eigenhändigen Testaments errichteten letztwilligen Verfügung muss der Testator zudem seine Vermögens- und Familienverhältnisse einem Dritten gegenüber nicht offenlegen. Der vermeintliche Kostenvorteil (zunächst keine Kosten bei Selbsterrichtung) wird oftmals durch einen nach dem Erbfall erforderlichen Erbschein relativiert. Zudem besteht die Gefahr, insbesondere infolge mangelnder Kenntnisse über das Erbrecht, dass fehlerhafte Anordnungen von Todes wegen errichtet werden, die in ihrer Umsetzung gerade nicht den letzten Willen des Erblassers erreichen: Fehlende Beachtung des Pflichtteilsrechts, mehrdeutige Formulierungen, nicht berücksichtigte Vorabschenkungen und insbesondere auch die oft übersehene steuerrechtliche Optimierung der letztwilligen Verfügung lassen das eigenhändige Testament häufig zum Gegenstand erbrechtlicher Auseinandersetzungen werden. Beratungshinweis: Der Nachteil des eigenhändigen Testaments ist zudem die Verfälschungs- und Untergangsgefahr sowie die Gefahr der Unterdrückung oder der Unauffindbarkeit.

a) Testierwille des Erblassers

6.66 Das Testament ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Es ist nur wirksam, wenn der Erblasser bei seiner Errichtung einen ernsthaften Testierwillen hatte1. Ob dieser vorliegt, kann teils zweifelhaft sein. Der Testierwille grenzt das Testament von möglicherweise formwahrenden Entwürfen ab2. Demnach muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden3. Strenge Anforderungen an den Nachweis des Testierwillens sind insbesondere dann zu stellen, wenn die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht4. Ein Testament, dass der Erblasser ohne das Bewusstsein errichtet hat, dass es sich hierbei um eine Verfügung von Todes wegen handelt, ist daher unwirksam. Beispiel: So ist z.B. bei einer Niederschrift auf ein Tischtuch oder einen Bierdeckel der ernstliche Testierwille erheblich in Frage gestellt. Eine Willenserklärung, die auf einem abgerissenen Zettel festgehalten wurde oder in einem Schuhkarton verwahrt wird, ist im Zweifel der Entwurf einer letztwilligen Verfügung und kein formwirksam errichtetes eigenhändiges Testament.

6.67 Ein geheimer Vorbehalt hinsichtlich der letztwilligen Verfügung ist nach § 116 S. 1 BGB unbeachtlich. Die Nichtigkeit eines Testaments nach § 116 S. 2 BGB oder § 117 BGB kommt nicht in Betracht, da es an einem Erklärungsempfänger (nicht empfangsbedürftige Willenserklärung!) fehlt, der den Vorbehalt kennt oder der mit der Abgabe einer Willenserklärung zum Schein einverstanden ist5. Deshalb fordert das Verkehrsinteresse, dass an der einmal in Verkehr gebrachten ernsthaften Willenserklärung des Erblassers, die als letztwillige Verfügung verstanden werden durfte, festgehalten wird6.

1 2 3 4

BayObLG v. 7.4.1989 – BReg.1a Z 9/88, FamRZ 1989, 1124. BayObLG v. 18.5.2004 – 1Z BR 7/04 u. 8/04, FamRZ 2005, 308. BayObLG v. 2.8.2004 – 1Z BR 56/04, FamRZ 2005, 656. OLG München v. 25.9.2008 – 31 Wx 42/08, Rpfleger 2009, 24; OLG Karlsruhe v. 26.3.2010 – 14 Wx 30/09, FamRZ 2011, 500. 5 OLG Frankfurt v. 8.2.1993 – 27 U 124/91, FamRZ 1993, 858 (860); Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 21. 6 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 21.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.71 § 6

Ein Testament ist jedoch dann nichtig, wenn es vom Erblasser in der Erwartung errichtet wurde, die fehlende Ernsthaftigkeit werde erkannt. Beispiel: Erblasser T errichtet im Rahmen einer Silvesterparty auf einem Stück Papier ein Testament, in dem er seine Tischdame zur Alleinerbin einsetzt.

Ob der erforderliche Testierwille vorliegt, ist Tatfrage und erfordert eine Prüfung der Erklärung ein- 6.68 schließlich aller Nebenumstände entsprechend § 133 BGB1. Deshalb müssen auch Umstände, die außerhalb der Urkunde liegen, sowie die allgemeine Lebenserfahrung beachtet werden. Liegt ein äußerlich formgültiges und inhaltlich vollständiges eigenhändiges Testament vor, so spricht die tatsächliche Vermutung dafür, dass der Erblasser seinen letzten Willen niederlegen wollte, er also Testierwillen hatte2. Regelmäßig zweifelhaft ist der Testierwille bei Brieftestamenten. Zwar kann auch ein Brief ein ei- 6.69 genhändiges Testament enthalten3. Da dies jedoch nicht der „normale“ Weg für die Errichtung eines Testaments ist, kann der Brief nur als eigenhändiges Testament angesehen werden, wenn unzweifelhaft nachgewiesen wird, dass ein ernsthafter Testierwille des Erblassers vorlag und es sich nicht nur um ein unverbindliches Schreiben mit Informationscharakter handeln sollte4. Da der Testierwille bei einem Brief zunächst zweifelhaft erscheint, muss er sich aus den Umständen des Einzelfalles ergeben5. Bei allen Briefen oder anderen Schriftstücken, die nicht den üblichen Anforderungen an ein eigenhändiges Testament entsprechen, sind daher besonders strenge Voraussetzungen an den Nachweis eines vorhandenen Testierwillens zu stellen6. Ist ein Testierwille nicht abschließend nachweisbar, trägt derjenige die Beweis- bzw. Feststellungslast, der Rechte aus dem Schriftstück ableitet7. Ein eigenhändiges Testament in Briefform kann bspw. dann angenommen werden, wenn der Testator ein besonderes Interesse daran haben konnte, sich gerade dieser Art der Übersendung an den Empfänger zu bedienen, um seinem letzten Willen zur Durchsetzung zu verhelfen. Ein mit „Entwurf“ überschriebenes, aber im Übrigen formgültiges Schriftstück kann als Testament wirksam sein, wenn nachgewiesen wird, dass der Erblasser es mit dem ernstlichen Willen verfasst hat, es bis zur Abfassung einer endgültigen Urkunde als vollumfänglich wirksame letztwillige Verfügung zu betrachten8.

6.70

Beispiel: Der Erblasser hält konkrete, nachvollziehbare und formgerecht aufgesetzte Verfügungen in einem z.B. als „Entwurf meines Testaments“ bezeichneten Schriftstück fest, welches er später als offene Schrift einem Notar im Rahmen des Beurkundungstermins übergeben möchte.

Maßgeblich für das Bestehen eines Testierwillens ist der Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments9. Problematisch wird die Feststellung des Testierwillens bei nachträglichen Änderungen und Ergänzungen sowie bei einem lückenhaften Testament. Ist die nachträgliche Änderung offensichtlich vom Testierwillen gedeckt, so ist sie wirksam.

1 BayObLG v. 21.7.1970 – 1a Z 108/69, BayObLGZ 1970, 173; BayObLG v. 5.2.1992 – BReg.1 Z 28/91, FamRZ 1992, 1206. 2 Soergel/J. Mayer, § 2247 Rz. 7; Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 19. 3 BayObLG v. 16.10.1980 – BReg.1 Z 52/80, FamRZ 1981, 402. 4 BayObLG v. 28.12.1979 – BReg.1 Z 75/79, Rpfleger 1980, 189 (190); MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 24. 5 OLG Brandenburg v. 9.9.1997 – 10 Wx 9/97, FamRZ 1998, 985 (986). 6 Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 6. 7 KG v. 6.11.1990 – 1 W 2992/90, FamRZ 1991, 486. 8 BayObLG v. 21.7.1970 – 1a Z 108/69, BayObLGZ 1970, 173. 9 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242; BayObLG v. 23.5.1995 – 1Z BR 128/94, FamRZ 1996, 123.

Kappler 165

6.71

§ 6 Rz. 6.72

Formen letztwilliger Verfügungen

Beispiel: In Ergänzung zu meinem am 17.11.2000 in Fulda errichteten Testament vermache ich meiner Tochter A neben unserem Segelboot auch meine Uhren-Sammlung.

6.72 Fehlt der Testierwille bei der Errichtung des Testaments, so reicht es bei späteren Änderungen aus, wenn der zunächst fehlende Testierwille im Zeitpunkt der Änderung oder Ergänzung vorhanden ist, soweit er sich dann auch auf den gesamten Text erstreckt. Bei einer Lücke im Testament ist die Verfügung grds. nur dann wirksam, wenn trotz der Auslassung ein Testierwille zweifelsfrei festgestellt werden kann und die Verfügungen auch nach Maßgabe des § 2085 BGB wirksam ist. b) Eigenhändigkeit der Niederschrift

6.73 Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines privatschriftlichen eigenhändigen Testaments ist zunächst, dass der Erblasser das Schriftstück seinem ganzen Inhalt nach eigenhändig geschrieben hat (§ 2247 Abs. 1 BGB). Dieses zwingende Formerfordernis kann nicht umgangen werden, bspw. indem Dritte hierfür durch den Erblasser beauftragt werden und für diesen ein Testament niederschreiben. Denn die Eigenhändigkeit soll aufgrund der individuellen Züge, die jede Handschrift aufweist, die Authentizität der Niederschrift gewährleisten1. Der Erblasser muss die gesamte Testamentserklärung eigenhändig geschrieben haben (§ 2247 Abs. 1 BGB). Ist dies nicht der Fall, so ist das Testament nichtig. Ein mit der Maschine geschriebenes und vom Erblasser nur unterschriebenes Testament ist ebenso unwirksam errichtet worden wie eine nach Diktat des Erblassers durch eine dritte Person errichtete Niederschrift, die der Erblasser unterzeichnet hat2. Unerheblich ist hingegen das Material, auf dem das Testament errichtet wurde; so kann das verwendete Papier auch schon anders verwendet worden sein3. Auch eine Durchschrift, die mittels Kohlepapier oder Blaupause entsteht, ist eigenhändig geschrieben; je nach Testierwillen kann sie als Original gelten4.

6.74 Möglich ist auch, dass der Erblasser beim Schreiben seines Testaments von einem Dritten unterstützt wird, z.B. durch Halten des Arms oder der Hand. Eine bloße Unterstützung durch Dritte kann so lange angenommen werden, wie die Schriftzüge des Erblassers von seinem Willen abhängig sind und durch ihn bestimmt werden5. Jeder darüberhinausgehende Einfluss auf die Schreibleistung des Testators führt zur Unwirksamkeit des Testaments, selbst wenn die niedergelegte Erklärung dem tatsächlichen Willen des Erblassers entspricht.6

6.75 Das Erfordernis der Eigenhändigkeit kann nicht durch Zeugen oder andere Hilfs- und Beweismittel ersetzt werden. Auch durch Auslegung kann die zwingende Formvorschrift der Eigenhändigkeit nicht nachträglich konstruiert werden. Der Begriff eigenhändig ist jedoch nicht buchstäblich zu verstehen: Behinderte können bspw. auch mit Prothese, einem Fuß oder ihrem Mund ein Schreibwerkzeug führen und so ihre letztwillige Verfügung schreiben7. Ist die Eigenhändigkeit strittig, kann das Gericht einen Schriftvergleich anordnen, selbst Augenschein durchführen oder ein Sachverständigengutachten einholen8.

6.76 Das eigenhändige Testament kann in jeder lebenden oder toten Sprache geschrieben werden, die der Erblasser hinreichend beherrscht und lesen kann9. Gleichgültig ist auch die Schriftart (Druckbuchstaben, Kurzschrift), solange der Inhalt der letztwilligen Verfügung nur mit den üblichen Mit-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BayObLG v. 30.11.1989 – BReg. 1a Z 28/89, FamRZ 1990, 441. Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 5. BayObLG v. 5.11.1985 – Breg. 1 Z 48/85, FamRZ 1987, 98. BGH v. 3.2.1967 – III ZB 14/66, BGHZ 47, 68 (69 ff.). BGH v. 3.2.1967 – III ZB 14/66, BGHZ 47, 68 (71). OLG Hamm v. 2.10.2012 – 15 W 231/12, FamRZ 2013, 1069. Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 5. BayObLG v. 10.9.1985 – BReg. 1 Z 49/85, FamRZ 1985, 1286. MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 12; Soergel/J. Mayer, § 2247 Rz. 13.

166

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.78 § 6

teln nachvollzogen werden kann. Allerdings müssen Schriftzeichen verwendet werden. Ein Pfeildiagramm erfüllt die Voraussetzungen eines eigenhändig geschriebenen Testaments nicht1. Ein Erblasser, der nicht schreiben kann, hat daher auch nicht die Möglichkeit, ein eigenhändiges Testament zu errichten2. Ebenso wenig genügt Blindenschrift, da diese Punktschrift nicht die geforderten individuellen Merkmale einer Handschrift aufweist3. Da der objektive Inhalt der Verfügung von einem Dritten zu ermitteln ist, muss der Text auch lesbar sein4. Ein nicht lesbares Testament ist nichtig und bleibt es auch, selbst wenn im Nachhinein seine Bedeutung anhand von Zeugenaussagen nachvollzogen werden kann5. Unlesbare Teile des Testaments machen nur die dort enthaltenen Verfügungen unwirksam6. Ist die Urkunde lediglich vom Erblasser verschlüsselt worden und kann sie durch einen Code außerhalb der Urkunde entschlüsselt werden, so ist der Wille des Testators objektiv erkennbar schriftlich niedergelegt und damit formwirksam erklärt worden7. Da das eigenhändige Testament gem. § 2247 Abs. 1 BGB vom Erblasser selbst geschrieben werden 6.77 muss, kann auch nur auf eigenhändig geschriebene und unterschriebene Testamente oder in der Form eines öffentlichen Testaments errichtete Verfügungen von Todes wegen Bezug genommen werden8. Erfolgt die Bezugnahme jedoch auf ein Testament, welches durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung unwirksam geworden ist, wird der Form nur dann genügt, wenn es sich um ein eigenhändiges Testament handelt, das den hierfür geltenden Formerfordernissen entspricht9. Wird im Testament hingegen auf Anlagen Bezug genommen, die nicht den Formerfordernissen des 6.78 § 2247 BGB genügen, ist zwischen „erläuternden Anlagen“ und „ergänzenden Anlagen“ zu unterscheiden: Dient die Bezugnahme der näheren Erläuterung der testamentarischen Bestimmungen, so ist die Verweisung unproblematisch, da es sich lediglich um eine weitere Konkretisierung des formgültig erklärten wirklichen Willens des Erblassers handelt10. Dasselbe gilt für eine maschinenschriftlich erstellte Auflistung der im eigenhändig geschriebenen Testament bereits erwähnten Vermögensgegenstände11. Dient die Anlage hingegen der Ergänzung der im Testament enthaltenen Verfügungen derart, dass eine Verfügung erst durch die Bezugnahme verständlich wird, kommt ihr ergänzende Funktion zu. In diesem Fall muss sie der Formvorschrift des § 2247 BGB genügen, andernfalls sie nichtig ist12. Beispiele: (1) Werden in der Anlage lediglich die Adressen der im Testament bereits benannten Erben festgehalten, ist dies genauso unschädlich, wie wenn eine im Testament bereits mit Worten beschriebene Grundstücksfläche in einem beigefügten Lageplan nochmals dargestellt ist13.

1 OLG Frankfurt v. 11.2.2013 – 20 W 542/11, FamRZ 2013, 1423. 2 MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 14. 3 Muscheler, ErbR I Rz. 1731; Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 32; Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 5; a.M. Neuner, NJW 2000, 1822. 4 OLG Hamm v. 27.6.1991 – 15 W 116/91, FamRZ 1992, 356. 5 OLG Hamm v. 27.6.1991 – 15 W 116/91, FamRZ 1992, 356. 6 Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 9. 7 Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 9. 8 BayObLG v. 6.7.1990 – BReg.1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404 (1405); Grundmann, AcP 187 (1987), 429 (468); MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 20. 9 OLG Zweibrücken v. 11.1.1989 – 3 W 177/88, FamRZ 1989, 900; BayObLG v. 6.7.1990 – BReg. 1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404. 10 BGH v. 29.5.1980 – IVa ZR 26/80, MDR 1980, 831; BayObLG v. 10.7.1979 – 1Z 28/79, BayObLGZ 79, 215. 11 OLG Zweibrücken v. 11.1.1989 – 3 W 177/88, FamRZ 1989, 900. 12 Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 10. 13 BaRo/Litzenburger, § 2247 Rz. 14; Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 10; weiter Soergel/J. Mayer, § 2247 Rz. 34.

Kappler 167

§ 6 Rz. 6.79

Formen letztwilliger Verfügungen

(2) Setzt der Erblasser hingegen in seiner letztwilligen Verfügung „die in beigefügter Liste aufgeführten lebenden Verwandten“ als Erben ein, ist diese Erbeinsetzung unwirksam1.

6.79 Werden aber (unzulässigerweise) Erben durch die Bezugnahme auf ein nicht eigenhändig geschriebenes Schriftstück eingesetzt oder Vermächtnisse auf diese Weise zugewandt, kann das nach den Grundsätzen der §§ 2085, 139 BGB die Nichtigkeit der gesamten letztwilligen Verfügung bewirken2. Gleiches gilt, wenn sich aus der Bezugnahme überhaupt erst der Testierwille des Erblassers ergibt3. Tritt bei einem gemeinschaftlichen eigenhändigen Testament ein Ehegatte der formnichtigen (weil nicht unterschriebenen) Haupterklärung des anderen Ehegatten bei, führt die unterschriebene Beitrittserklärung nicht zur Heilung des Formmangels und stellt keine zulässige Bezugnahme dar4. Das gemeinschaftliche Testament ist insgesamt unwirksam. Die Umdeutung nach § 140 BGB in ein formwirksames Einzeltestament ist hier nicht möglich5. c) Äußere Form des Testaments

6.80 Das Schriftstück muss nicht die Bezeichnung „Testament“, „letzter Wille“ oder einen ähnlichen Titel erhalten. Auch ein Schriftstück, das anders bezeichnet wurde, ist als Testament anzuerkennen – maßgeblich ist alleine der Testierwille. Das Testament kann sich aus mehreren Blättern zusammensetzen, eine mechanische Verbindung der Blätter ist nicht erforderlich6. Allerdings müssen die mehreren Blätter ihrem Inhalt nach zusammengehören und dadurch eine inhaltlich untrennbare Urkunde bilden. Die Zusammengehörigkeit muss sich durch inneren Zusammenhang, fortlaufenden Text, Nummerierung oder sonstige typische Zeichen feststellen lassen7; dies ist z.B. nicht der Fall bei einem Stapel unterschiedlicher Blätter unter einem Zettel mit der Aufschrift „Testament“8 oder alleine durch gemeinsame Aufbewahrung oder auch Aufbewahrung zusammen mit der Kopie eines notariellen Testaments9; ungenügend ist i.d.R. auch eine bloße Verbindung mit einer Büro- oder Heftklammer10 oder einem Ringbuch11, außer wenn eine fälschungssichere Verbindung gewährleistet ist. d) Unterschrift des Erblassers

6.81 Die Erklärung des Erblassers muss eigenhändig unterschrieben werden, ein Faksimile oder ein Stempel genügen nicht. Die Unterschrift soll erkennen lassen, wer die Erklärung geschrieben hat und klarstellen, dass mit ihr eine rechtsverbindliche Erklärung abgeschlossen wird12. Die Unterschrift soll den Vornamen und den Familiennamen des Erblassers enthalten (§ 2247 Abs. 3 S. 1 BGB). Es genügt jedoch jede Unterzeichnung in anderer Weise, die keinen Zweifel an der Identität des Erblassers aufkommen lässt, z.B. Spitznamen, Kosenamen, Familienstellung13. Darunter fallen auch Initialen und 1 BayObLG v. 6.7.1990 – Breg 1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404; OLG Köln v. 6.10.2014 – 2 Wx 249/14, FamRZ 2015, 1529; OLG München v. 7.10.2010 – 31 Wx 161/10, NJW-RR 2011, 156; a.M. OLG Hamm v. 1.10.2002 – 15 W 164/02, FamRZ 2003, 1325. 2 Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 8. 3 OLG Hamm v. 27.6.1991 – 15 W 116/91, FamRZ 1992, 356 m. Anm. Musielak. 4 BayObLG v. 29.11.1968 – 1a Z 87/68, BayObLGZ 1968, 311. 5 OLG Düsseldorf v. 26.7.1996 – 3 Wx 278/96, FamRZ 1997, 518; Erman/Kappler/Kappler, § 2265 Rz. 5. 6 BGH v. 24.9.1997 – XII ZR 234/95, MDR 1998, 31 m. Anm. Sternel; BayObLG v. 6.9.1990 – 1a Z 75/89, FamRZ 1991, 370 (371). 7 BayObLG v. 6.9.1990 – 1a Z 75/89, FamRZ 1991, 370 (371). 8 LG München v. 9.2.2004 – 16 T 17192/03, FamRZ 2004, 1905. 9 OLG Köln v. 14.2.2014 – 2 Wx 299/13, NJW-RR 2014, 1035; OLG Hamm v. 19.9.2012 – I-15 W 420/11, ZEV 2013, 507. 10 BaRo/Litzenburger, § 2247 Rz. 25. 11 OLG Hamm v. 6.9.1982 – 15 W 149/81, NJW 1983, 689. 12 Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 7. 13 BayObLG v. 28.12.1979 – BReg.1 Z 75/79, MDR 1980, 403.

168

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.83 § 6

Abkürzungen, nicht jedoch Handzeichen, bloße Schnörkel oder „drei Kreuze“1. Die bloßen Anfangsbuchstaben genügen, wenn die Urheberschaft des Erblassers und ein entsprechender Testierwille einwandfrei feststellbar sind oder der Erblasser unter dem Kürzel allgemein bekannt war und es stets verwendet hat2. Die Unterschrift muss, im Gegensatz zum Text, nicht leserlich sein3. Fehlt eine wirksame Unterschrift, so ist das Testament unwirksam. Eine Heilung dieses Formfehlers ist nicht möglich. Die Unterschrift muss den Wortlaut des Testaments abschließen, also unter dem Text stehen. Die Unterschrift ist der Abschluss der Testamentserrichtung, so dass sie grundsätzlich an den Schluss der Urkunde gehört. Sie garantiert die ernsthafte und abschließende Willensbildung des Erblassers4 und damit zugleich Schutz vor nachträglichen Zusätzen und Änderungen5. Sie muss sich bei vernünftiger Betrachtung auf den gesamten Text beziehen. Die häufig verwendete Selbstbezeichnung zu Beginn oder im Verlauf des Textes (z.B. „Hiermit erkläre ich, Hans Schnell, meinen letzten Willen.“) genügt nicht, da dieses nach der h.M. keine Unterschrift i.S.v. § 2247 Abs. 1 BGB darstellt6. Die Selbstbezeichnung des Erblassers am Schluss der Urkunde (z.B. „Ich, Hans Schnell, habe dieses Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben.“) genügt als Unterschrift nur dann, wenn der Erblasser mit diesem Vermerk die Urkunde endgültig abschließen und damit seine Unterschrift leisten wollte7. Setzt sich das Testament aus mehreren Blättern zusammen, genügt die Unterschrift auf dem letzten Bogen, selbst wenn die Bogen nicht miteinander verbunden sind8.

6.82

Ist das Testament selbst nicht unterschrieben, befindet es sich jedoch in einem unterschriebenen 6.83 Briefumschlag, ist zunächst danach zu unterscheiden, ob der Umschlag verschlossen oder offen ist. Die Unterschrift auf dem verschlossenen Umschlag ist dann ausreichend, wenn sie sich eindeutig auf den Inhalt des Umschlags bezieht, also eine äußere Fortsetzung der innen liegenden Erklärung gegeben ist9. Hieran fehlt es, wenn sich die Aufschrift auf dem Umschlag lediglich als Absendervermerk oder als Schutzmaßnahme gegen Einsicht durch fremde Personen oder als Kennzeichnung des Inhalts erweist10, wie etwa bei Formulierungen „Nach meinem Tod zu öffnen“11 oder „Hier befindet sich mein Testament“12. Ebenso wenig reicht der Namenszug des Absendervermerks eines an das Nachlassgericht adressierten Briefes, der das Testament enthält; anders bei einer Postkarte, der ein entsprechender Testierwille zugrunde liegt13. Die Unterschrift auf einem unverschlossenen Umschlag, in dem sich das Testament befindet, genügt hingegen den Erfordernissen des § 2247 BGB nicht, da es sich hierbei um eine nur vorläufige, ungeschützte und jederzeit aufhebbare Verbindung handelt14.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 7; Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 10. Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 7; Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 10. Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 7. BayObLG v. 12.8.2002 – 1Z BR 66/02, ZEV 2003, 26 m.w.N. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 11. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 11. BayObLG v. 29.11.1968 – 1a Z 87/68, BayObLGZ 1968, 311; Haegele, JurBüro 1968, 3. MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 34; Soergel/J. Mayer, § 2247 Rz. 28. BGH v. 30.10.1985 – IVa ZR 26/84, FamRZ 1986, 156; BayObLG v. 1.7.1988 – BReg.1a Z 1/88, NJW-RR 1989, 9; BayObLG v. 12.8.2002 – 1Z BR 66/02, ZEV 2003, 26. BayObLG v. 12.8.2002 – 1 Z BR 66/02, ZEV 2003, 26. OLG Düsseldorf v. 8.11.1971 – 3 W 105/71, NJW 1972, 260. RG v. 7.2.1925 – IV 485/24, RGZ 110, 166 (168 f.). Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 7 m.w.N. OLG Hamm v. 14.3.1986 – 15 W 423/85, FamRZ 1986, 728; Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 12; BaRo/ Litzenburger, § 2247 Rz. 26; ausnahmsweise bejaht von BayObLG v. 1.7.1988 – BReg 1a Z 1/88, NJWRR 1989, 9; weitergehend Reimann/Bengel/J. Mayer/Voit, § 2247 Rz. 23; Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 108.

Kappler 169

§ 6 Rz. 6.84

Formen letztwilliger Verfügungen

e) Erfordernis von Zeit- und Ortsangaben bei Errichtung des Testaments

6.84 Nach § 2247 Abs. 2 BGB soll der Erblasser bei Errichtung des Testaments Ort und Zeit der Errichtung angeben. Da § 2247 Abs. 2 BGB aber nur eine Sollvorschrift ist, hat die Nichtbeachtung keine Auswirkung auf die Wirksamkeit des Testaments. Aus der fehlenden Angabe über Ort und Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung können sich jedoch Zweifel an seiner Wirksamkeit ergeben, wenn bspw. der Erblasser testierunfähig geworden ist und nicht mehr festgestellt werden kann, ob das Testament noch im Zustand der Testierfähigkeit errichtet worden ist, oder, wenn mehrere Testamente vorhanden sind, die sich inhaltlich widersprechen1. Die Darlegungs- und Beweislast für die Wirksamkeit des Testaments hat nach § 2247 Abs. 5 BGB dann derjenige, der sich darauf beruft. Beratungshinweis: Zur Vermeidung nachträglich auftretender Probleme ist daher dringend anzuraten, jede eigenhändige letztwillige Verfügung mit der Angabe des Ortes und des Datums ihrer Errichtung zu versehen.

f) Errichtungszusammenhang, Nachträge zum Testament

6.85 Die Errichtung des Testaments muss nicht einheitlich und zusammenhängend erfolgen2. Die Errichtung kann sich auch über längere Zeit erstrecken und an verschiedenen Orten erfolgen3. Nach der h.M. ist es für die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung ohne Bedeutung, in welcher zeitlichen Reihenfolge die einzelnen Bestandteile des Testaments niedergeschrieben worden sind4. So ist es unschädlich, wenn der Erblasser zunächst seine Unterschrift leistet und erst später (Tage, Wochen, Monate) seine Verfügungen ergänzt5; die Verfügungen müssen nur von der Unterschrift gedeckt sein. Auf diese Weise kann der Erblasser das Schriftstück jederzeit modifizieren. Den früheren Text muss der Testierende auch nicht von vornherein in Testierabsicht verfasst haben6. Es kommt nur darauf an, dass am Ende alle Verfügungen der nötigen Form entsprechen7.

6.86 Da das Testament nicht zeitlich zusammenhängend errichtet werden muss, sind auch nachträgliche Veränderungen jederzeit möglich8. Der Erblasser braucht demnach seine Nachträge nicht gesondert zu unterschreiben, wenn er sie von der vorhandenen Unterschrift gedeckt wissen will und das äußere Erscheinungsbild der Urkunde dem nicht entgegensteht, und zwar ohne Rücksicht auf den Inhalt der neuen Verfügung9. Dies ist dann der Fall, wenn der von der Unterschrift gedeckte Text auf den Nachtrag verweist10 oder ein derart enger Bezug zwischen Zusatz und von der Unterschrift gedecktem Text besteht, dass der Text erst mit der Ergänzung einen Sinn ergibt, etwa weil das Testament ohne die Ergänzungen lückenhaft, unvollständig oder nicht durchführbar wäre11; ferner bei einer lediglichen Klarstellung oder Bekräftigung der früheren Verfügung12. Ergänzungen auf einem neuen Blatt wirken wie eine neue letztwillige Verfügung und müssen, da sie in keinem räumlichen Zusammenhang mit 1 Vgl. hierzu Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 4. 2 BGH v. 1.7.1959 – V ZR 169/58, BGHZ 30, 294; BayObLG v. 6.9.1990 – 1a Z 75/89, FamRZ 1991, 370 (371). 3 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 46. 4 Planck/Strecker, § 2247 BGB Anm. II 5. 5 Vgl. BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, FamRZ 1974, 302; MüKo/Hagena, § 2247 Rz. 18. 6 OLG Karlsruhe v. 15.1.2002 – 14 Wx 114/01, NJW-RR 2003, 653. 7 BayObLG v. 25.11.2002 – 1 Z BR 93/02, Rpfleger 2003, 190; OLG Zweibrücken v. 6.10.1997 – 3 W 166/97, NJWE-FER 1998, 39. 8 RG v. 13.12.1926 – IV 520/26, RGZ 115, 111 (114). 9 BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083; BayObLG v. 24.7.1984 – BReg. 1 Z 41/84, FamRZ 1984, 1268; a.M. noch BayObLG v. 14.11.1974 – BReg. 1 Z 73/74, BayObLGZ 1974, 440. 10 OLG Karlsruhe v. 18.8.2011 – 11 Wx 46/10, FamRZ 2012, 400. 11 BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083; BayObLG v. 29.7.2004 – 1Z BR 39/04, FamRZ 2005, 1012. 12 BayObLG v. 1.3.1991 – BReg. 1a Z 70/90, FamRZ 1991, 962.

170

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.90 § 6

dem bereits unterzeichneten Testament stehen, vom Erblasser unterzeichnet werden1. Verändert der Erblasser eine Anlage, auf die im Testament hingewiesen wird, oder tauscht er diese aus, wird die Veränderung wie ein Nachtrag behandelt2. Beinhaltet die Anlage lediglich Erläuterungen, ist sie nicht formbedürftig. Keinerlei Bedenken bestehen bei bloßen Berichtigungen von Schreibfehlern, Rechenfehlern und anderen offenkundigen Unrichtigkeiten, wenn sich diese aus dem Zusammenhang des Testaments oder aus den Umständen der Errichtung des Testaments ohne Weiteres ergeben; eine Unterschrift ist hier keinesfalls nötig3. Eigenhändige Durchstreichungen oder Rasuren des Erblassers sind formlos, also ohne Unterschrift zulässig, selbst wenn sie der Errichtung nachfolgen4. Sie beeinträchtigen allerdings u.U. die Beweiskraft der Urkunde, § 419 ZPO.

6.87

Auch eine früher errichtete Verfügung von Todes wegen kann durch Bezugnahme zur Grundlage eines späteren Testaments gemacht werden, sofern das frühere Testament dem Formerfordernis genügt5. Insofern ist es ausreichend, wenn der Erblasser seine Änderungen auf einer Kopie seines vormals eigenhändig6 oder notariell errichteten Testaments7 handschriftlich anbringt und unterzeichnet. Gleichfalls zulässig ist eine Bezugnahme auf einen notariellen Erbvertrag8, nach zutreffender Meinung auch dann, wenn der Erbvertrag aus der amtlichen Verwahrung zurückgegeben worden ist, vgl. §§ 2256 Abs. 1, 2300 Abs. 2 S. 3 BGB9. Ein vormals wirksam errichtetes Testament kann, zusammen mit einer nicht unterschriebenen Hinzufügung, auch Entwurf einer neuen Verfügung von Todes sein, die erst mit der Unterschrift des Nachtrags formwirksam wird10.

6.88

g) Beweisfragen Im Erbscheinsverfahren wird von Amts wegen ermittelt (§ 26 FamFG). Dabei steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Tatsachengerichts zu entscheiden, ob die Beweiserhebung durch formlose Ermittlung im Wege des Freibeweises (§ 26 FamFG) oder durch eine förmliche Beweisaufnahme (§ 29 FamFG) erfolgt; es erhebt die erforderlichen Beweise in geeigneter Weise. Außerhalb des Erbscheinverfahrens gelten die allgemeinen prozessualen Grundsätze.

6.89

Derjenige, der sich auf ein Testament beruft, trägt nach den allgemeinen Grundsätzen die Feststellungs- bzw. Beweislast für die Wirksamkeit der Verfügung. Er hat die Echtheit der Unterschrift, die Eigenhändigkeit des Textes und den Testierwillen des Erblassers darzulegen bzw. zu beweisen, sofern und soweit dies bestritten wird11. Dabei ist zu beachten, dass äußerlich formwirksame Testamente eine tatsächliche Vermutung dahingehend enthalten, dass sie in dieser Form und mit diesem Inhalt vom Erblasser verfasst worden sind12. Dies umfasst auch die Tatsache, dass es sich um eine mit Testierwillen errichtete letztwillige Verfügung und nicht nur um einen Entwurf handelt. Die Anforderungen dürfen diesbezüglich aber nicht überspannt werden, so dass ein formgerecht abgefasstes

6.90

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083 (1084); Stumpf, FamRZ 1992, 1131 (1134). Reimann/Bengel/J. Mayer/Voit, § 2247 Rz. 27. Soergel/J. Mayer, § 2247 Rz. 28. Palandt/Weidlich, § 2255 Rz. 5. Vgl. BayObLG v. 10.7.1979 – BReg 1 Z 28/79, BayObLGZ 1979, 215; OLG Hamm v. 10.1.2006 – 15 W 414/05, FamRZ 2006, 1484. BGH v. 25.10.1965 – III ZR 47/64, NJW 1966, 201. Vgl. OLG Hamm v. 3.11.1999 – 15 W 289/99, NJW-RR 2000, 742. OLG Hamm v. 3.11.1999 – 15 W 289/99, NJW-RR 2000, 742. BaRo/Litzenburger, § 2247 Rz. 18; Soergel/J. Mayer, § 2247 Rz. 33; a.M. BayObLG v. 6.7.1990 – BReg 1a Z 30/90, NJW-RR 1990, 1481; MüKo/Hagena, § 2247 Rz. 20; offengelassen von BGH v. 29.5.1980 – IVa ZR 26/80, DNotZ 1980, 761. Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 59. Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 14. KG v. 6.11.1990 – 1 W 2992/90, Rpfleger 1991, 154.

Kappler 171

§ 6 Rz. 6.91

Formen letztwilliger Verfügungen

und inhaltlich vollständiges Testament regelmäßig keinen Anlass dazu gibt, den animus testandi in Frage zu stellen1. Fehlt das Original, können die Errichtung und der Inhalt eines Testaments mit Hilfe anderer Beweismittel dargetan werden, wenngleich an den Nachweis dabei jedoch strenge Anforderungen zu stellen sind2, wobei der Existenz einer beglaubigten Abschrift besondere Wirkung zukommen kann3. Für die Richtigkeit eigenhändiger Zeit- und Ortsangaben spricht eine Vermutung4, auch bei ersichtlich nachträglicher Einfügung5. Auf tatsächlichem Gebiet liegt auch die Frage, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung Geschriebenes nicht mehr lesen und mithin gar kein eigenhändiges Testament errichten konnte. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass der Testierende zu lesen vermochte6. Die Feststellungs- bzw. Beweislast trifft somit denjenigen, der sich auf die mangelnde Fähigkeit zu lesen beruft7. Auch wer behauptet, der Erblasser habe bewusst unwirksam testieren wollen, trägt für diesen Ausnahmetatbestand die Feststellungs- bzw. Beweislast8. Vgl. i.ü. Rz. 6.378 ff.

6.91 M 17 Testament mit Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung Testament Ich, Marlies Müller, geb. Graf, geboren am 26.5.1930, wohnhaft in Trier, Von-Herzog-Str. 1, treffe hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte die folgenden letztwilligen Verfügungen: Zu meinem alleinigen Erben berufe ich meinen Sohn Karl Müller, geboren am 9.12.1957. Ersatzerben sind dessen Abkömmlinge unter sich nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge. Ich belaste meinen Erben mit folgendem Vermächtnis: Meinen Gesellschaftsanteil an der Müller und Seif GmbH mit dem Sitz in Trier erhält zur alleinigen Berechtigung mein Enkel Sebastian Müller, geboren am 12.7.1998. Ersatzvermächtnisnehmer werden nicht benannt, so dass das Vermächtnis bei Vorversterben ersatzlos entfällt. Das Vermächtnis fällt mit meinem Tode an und ist auf Kosten des Vermächtnisnehmers zu erfüllen. Anfallende Steuern trägt der Vermächtnisnehmer. Trier, den 23.9.2017 Unterschrift

h) Gemeinschaftliches Testament, § 2267 BGB aa) Inhalt eines gemeinschaftlichen Testaments

6.92 Das gemeinschaftliche Testament als besondere Art des Testaments9 enthält letztwillige Verfügungen verschiedener Personen (siehe auch § 11 Gemeinschaftliches Testament). Es kann nur von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartner (§ 10 Abs. 4 S. 1 LPartG) errichtet werden (vgl. § 2265 BGB). Andere Personen sind von dieser Form der Testamentserrichtung ausgeschlossen10. Gemeinschaftlich ist das Testament, wenn zwischen den Verfügungen ein Zusammenhang in dem Sinne besteht, dass die 1 KG v. 6.11.1990 – 1 W 2992/90, Rpfleger 1991, 154. 2 BayObLG v. 1.4.2004 – 1 Z BR 13/04, BayObLGZ 2004, 91; OLG Schleswig v. 12.8.2013 – 3 Wx 27/13, NJW-RR 2014, 73. 3 KG v. 9.1.2007 – 1 W 188/06, Rpfleger 2007, 264. 4 BayObLG v. 29.11.2000 – 1 Z BR 125/00, ZEV 2001, 399 m. Anm. J. Mayer. 5 OLG München v. 28.7.2009 – 31 Wx 28/09, ZEV 2010, 50. 6 OLG Hamburg v. 18.8.2015 – 2 U 21/13, ZErb 2016, 186; OLG Düsseldorf v. 4.2.2000 – 7 U 23/96, ZEV 2000, 316. 7 BayObLG v. 23.7.1987 – BReg. 1 Z 8/87, FamRZ 1987, 1199. 8 BayObLG v. 26.11.1993 – 1 Z BR 84/93, ZEV 1994, 40. 9 BaRo/Litzenburger, § 2265 Rz. 2; Staudinger/Kanzleiter, Vor § 2265 Rz. 12. 10 BayObLG v. 27.3.2001 – 1 Z BR 130/00, FamRZ 2001, 1563.

172

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.94 § 6

Testierenden ihren letzten Willen in gewolltem Zusammenwirken festlegen (Errichtungszusammenhang). Wie eng das Zusammenwirken sein muss, hat in der Rspr. und Lit. eine Entwicklung durchlaufen, die vom streng formalistischen Standpunkt der objektiven Theorie zu verschieden aufgelockerten Formen der subjektiven Theorie gelangt ist1. Die nunmehr ganz h.M. knüpft zutreffend an die Andeutungstheorie an und verlangt, dass der Wille, gemeinschaftlich zu verfügen, in der Testamentsurkunde zumindest angedeutet sein muss2. Der volle Beweis kann sich dann auch erst aus außertestamentarischen Umständen ergeben3. Als Anhaltspunkte für einen Willen zum gemeinschaftlichen Testieren werden herangezogen: Einheitlichkeit des Errichtungsakts4, urkundlicher Zusammenhang5, gegenseitige Mitunterzeichnung6, nicht aber bei bloßer Billigung der Verfügungen des anderen7, inhaltliche Abstimmung oder Bezugnahme8, Formulierungen in der „Wir-Form“, etwa „wir verfügen“, „unser Erbe“, „unser Hab und Gut“9, und inhaltliche Übereinstimmung10. Die Ehegatten können ihr gemeinschaftliches Testament demnach an getrennten Orten, zu verschiedenen Zeiten11 und auf gesonderten Blättern12 niederschreiben, wenn sie nur den – in der Testamentsurkunde jedenfalls angedeuteten – Willen zur gemeinschaftlichen Errichtung haben. Dabei müssen sie die Erklärungen des anderen kennen; dass sie sie auch inhaltlich billigen, ist hingegen nicht erforderlich13. Bei sukzessiver Errichtung muss der Wille des Ersttestierenden zur gemeinschaftlichen Errichtung auch noch bis zum Beitritt des anderen Ehegatten andauern14. Der Inhalt der letztwilligen Verfügung kann verschiedenartig sein und führt dementsprechend zu verschiedenen Arten des gemeinschaftlichen Testaments: a) Das sog. gleichzeitige gemeinschaftliche Testament fasst inhaltlich unterschiedliche und voneinander unabhängige Einzelverfügungen der Ehegatten nur äußerlich in einem gemeinschaftlichen Testament zusammen. Der Vorteil ist, dass die Ehegatten die Formerleichterungen der §§ 2266, 2267 BGB nutzen können und vom Offenheitsprinzip des § 2272 BGB profitieren15. b) Beim gegenseitigen gemeinschaftlichen Testament setzen sich die Ehegatten gegenseitig zu Erben ein oder bedenken denselben Dritten. Die Verfügungen sind jedoch nicht voneinander abhängig und nicht wechselbezüglich i.S.d. § 2270 Abs. 1 BGB. c) Beim wechselseitigen (korrespektiven) Testament sollen wechselbezügliche Verfügungen der Ehegatten in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängig sein (vgl. § 2270 Abs. 1 BGB).

6.93

Von Einzeltestamenten unterscheidet sich das gemeinschaftliche Testament im Wesentlichen durch 6.94 die mögliche Wechselwirkung des § 2270 BGB, verbunden mit den eingeschränkten Widerrufs1 Eingehend hierzu Erman/Kappler/Kappler, Vor § 2265 Rz. 2. 2 BGH v. 12.3.1953 – IV ZR 131/52, BGHZ 9, 113; BayObLG v. 21.7.1992 – BReg 1 Z 62/91, DNotZ 1993, 450. 3 BayObLG v. 6.3.1997 – 1 Z 118/96, FamRZ 1997, 1246; OLG Nürnberg v. 30.9.2009 – 14 U 2056/08, ZEV 2010, 411; MüKo/Musielak, Vor. § 2265 Rz. 9; Gockel, ZErb 2012, 72. 4 BGH v. 12.3.1953 – IV ZR 131/52, BGHZ 9, 113; OLG Nürnberg v. 30.9.2009 – 14 U 2056/08, ZEV 2010, 411. 5 BayObLG v. 23.7.1993 – 1 Z BR 23/93, FamRZ 1994, 191; BaRo/Litzenburger, § 2265 Rz. 6. 6 BayObLG v. 6.3.1997 – 1 Z 118/96, FamRZ 1997, 1246. 7 Staudinger/Kanzleiter, Vor § 2265 Rz. 23. 8 OLG Nürnberg v. 30.9.2009 – 14 U 2056/08, ZEV 2010, 411; Staudinger/Kanzleiter, Vor § 2265 Rz. 22; Soergel/Wolf, § 2265 Rz. 3. 9 BayObLG v. 11.2.1991 – BReg 1a Z 66/90, FamRZ 1991, 1485; OLG München v. 1.12.2011 – 31 Wx 249/10, ZEV 2012, 153; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1271 f.; Staudinger/Kanzleiter, Vor § 2265 Rz. 22. 10 OLG München v. 23.7.2008 – 31 Wx 34/08, ZEV 2008, 485. 11 OLG München v. 1.12.2011 – 31 Wx 249/10, ZEV 2012, 153. 12 OLG Nürnberg v. 30.9.2009 – 14 U 2056/08, ZEV 2010, 411; OLG Zweibrücken v. 17.7.2002 – 3 W 82/02, ZEV 2002, 414. 13 Erman/Kappler/Kappler, Vor § 2265 Rz. 4; Soergel/Wolf, Vor § 2265 Rz. 6; a.M. Staudinger/Kanzleiter, Vor § 2265 Rz. 18. 14 OLG München v. 1.12.2011 – 31 Wx 249/10, ZEV 2012, 153. 15 MüKo.BGB/Musielak, Vor § 2265 Rz. 15 ff.

Kappler 173

§ 6 Rz. 6.95

Formen letztwilliger Verfügungen

möglichkeiten der §§ 2271, 2272 BGB. Andererseits genießt das privatschriftliche gemeinschaftliche Testament die Formerleichterung des § 2267 BGB. Ein Erbvertrag bedarf der notariellen Beurkundung und setzt (für Ehegatten, Lebenspartner und Verlobte) Geschäftsfähigkeit voraus. Darüber hinaus kann die vertragsmäßige Bindung jedermann eingehen, während das gemeinschaftliche Testament Eheleuten und eingetragenen Lebenspartnern vorbehalten ist. Andererseits braucht der Erbvertrag nur letztwillige Verfügungen einer Partei zu enthalten; er muss aber jedenfalls eine vertragsmäßige Verfügung beinhalten, während das gemeinschaftliche Testament auch ohne wechselbezügliche Verfügungen auskommt, aber Verfügungen eines jeden der beiden Ehegatten enthalten muss1.

6.95 Ist die Nachlassplanung von Ehegatten von einem gemeinsamen Willen derart getragen, dass die Verfügungen des einen Ehegatten mit den Verfügungen des anderen Ehegatten „stehen und fallen“ sollen2, können sie im gemeinschaftlichen Testament sog. wechselbezügliche Verfügungen treffen (§ 2270 Abs. 1 BGB). Wechselbezüglich (korrespektiv oder abhängig) sind Verfügungen der testierenden Ehegatten, die aufgrund innerer Willensverbundenheit nur zusammen wirksam sein sollen, also miteinander „stehen und fallen“. Die Ehegatten können das Verhältnis ihrer Verfügungen zueinander frei bestimmen. Die Abhängigkeit kann von den Ehegatten bestimmungsgemäß eingeschränkt und nur auf Teile der im Testament enthaltenen Verfügungen beschränkt werden3. Maßgeblich ist das von den Ehegatten Gewollte. Enthält das Testament keine ausdrückliche Bestimmung über die Wechselbezüglichkeit, ist diese durch Auslegung nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu bestimmen4. Erst wenn sich derart die Frage nach der Wechselbezüglichkeit nicht klären lässt, ist die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB heranzuziehen5. § 2270 Abs. 2 BGB vermutet für zwei Fälle Wechselbezüglichkeit: Zum einen gilt sie für das gegenseitige Bedenken der Ehegatten durch Erbeinsetzung, Zuwendung von Vermächtnissen oder begünstigenden Auflagen6. Zum anderen gilt sie, wenn ein Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und dieser für den Fall seines Überlebens einen Verwandten oder sonst nahe Stehenden des Erstverstorbenen bedenkt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, der eine Ehegatte würde in der Verfügung zugunsten einer ihm nahe stehenden Person durch den anderen Ehegatten eine Art Gegenleistung für seine Zuwendung an den anderen Ehegatten sehen mit der Folgerung, dass er ohne die Verfügung des anderen seine eigene Verfügung nicht getroffen hätte7.

6.96 Wechselbezügliche Verfügungen können zu Lebzeiten der Ehegatten nur durch notariell beurkundeten Erklärung (§§ 2271 Abs. 1, 2296 BGB) widerrufen werden. Mit dem Tod eines Ehegatten tritt die Bindung an wechselbezügliche Verfügungen ein; nach § 2271 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB erlischt in diesem Zeitpunkt das Widerrufsrecht. Spätere Verfügungen von Todes wegen, die der überlebende Ehegatte trifft, sind daher unwirksam, soweit sie der Bindung widersprechen; § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB gilt entsprechend8; zur Bindungswirkung siehe Rz. 6.231 ff. sowie Rz. 11.115 ff. Allerdings kann dem längerlebenden Ehegatten ein sog. Abänderungsvorbehalt eingeräumt worden sein; siehe hierzu Rz. 6.236 ff. sowie Rz. 11.138 ff. Die Rechtssicherheit gebietet i.Ü. eine strikte Bindung, so dass von der Bindungswirkung nach § 2271 Abs. 2 BGB auch solche letztwilligen Verfügungen nicht ausgenommen sind, mit denen einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen werden soll9, es sei denn, es lässt sich ein entsprechender Gestattungswille feststellen10. U.U. kann in diesen Fällen eine Umdeutung der späteren Verfügung in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden in Betracht kom1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Erman/Kappler/Kappler, Vor § 2265 Rz. 11 f. Vgl. Prot. V S. 451. Vgl. BGH v. 13.2.1957 – IV ZR 243/56, FamRZ 1957, 129. BayObLG v. 18.3.2002 – 1 Z BR 46/01, NJW-RR 2002, 1160. BayObLG v. 14.3.1988 – BReg 1 Z 63/87, FamRZ 1988, 878. MüKo/Musielak, § 2270 Rz. 10; Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2270 Rz. 55. OLG Koblenz v. 13.12.2006 – 2 U 80/06, FamRZ 2007, 1917. OLG Frankfurt v. 27.6.1994 – 20 W 108/94, NJW-RR 1995, 265. BGH v. 30.11.1977 – IV ZR 165/76, NJW 1978, 423. Diesen eher großzügig bejahend Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 25; restriktiv hingegen MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 18.

174

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.99 § 6

men, wenn der Erblasser damit den gleichen Erfolg hätte erreichen können, ohne gegen die Bindung zu verstoßen1. Allein aufgrund formloser Zustimmung des Bedachten entfällt nicht die Bindung an die wechselbezügliche Verfügung, anders freilich, wenn die Formalia des Zuwendungsverzichts gewahrt sind (§ 2352 BGB). Aber u.U. kann auch derjenige, der sich formlos mit einer ihn belastenden Verfügung einverstanden erklärt, einen Vertrauenstatbestand schaffen und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn er die Unwirksamkeit der späteren Verfügung geltend macht2. Zur Unwirksamkeit sämtlicher im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügungen führt auch die Scheidung der Ehe der vormals testierenden Ehegatten (vgl. § 2268 Abs. 1 BGB), wenngleich die Feststellung eines abweichenden Willens des Ehegatten möglich bleibt (vgl. § 2268 Abs. 2 BGB)3. Lässt sich in einem ersten Schritt feststellen, dass eine Verfügung auch über die Eheauflösung hinaus Bestand hat, ist bei wechselbezüglichen Verfügungen in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob auch die Wechselbezüglichkeit aufrechterhalten bleiben oder wegfallen soll. Auch die Wechselbezüglichkeit kann über die Eheauflösung hinaus aufrechterhalten bleiben4, wenngleich es auch in diesen Fällen maßgeblich auf das von den Ehegatten Gewollte ankommt5.

6.97

Beratungshinweis: Bei der Gestaltung von letztwilligen Verfügungen sind die erbrechtlichen Folgen einer Trennung und Scheidung exakt zu regeln. Zudem müssen mit Einleitung des Scheidungsverfahrens letztwillige Verfügungen überprüft und ggf. angepasst werden. Ebenso bedarf es einer Kontrolle und ggf. eines Widerrufs etwaiger Bezugsrechte in Verträgen, z.B. Lebensversicherungen, zugunsten eines Partners. Gleiches gilt für Bankvollmachten, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen.

bb) Form eines gemeinschaftlichen Testaments § 2267 BGB gewährt für die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments eine Formerleichterung. Nach § 2267 BGB ist es ausreichend, wenn ein Ehegatte das Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichtet und der andere Ehegatte diese Verfügung lediglich eigenhändig (mit-)unterzeichnet. Zusätze, die der Unterschrift des mitunterzeichnenden Ehegatten beigefügt werden und durch die das Einverständnis mit dem Inhalt der gemeinschaftlichen Erklärung zum Ausdruck gebracht wird, sind nicht erforderlich, schaden aber auch nicht6. Die früher gesetzlich vorgeschriebene Beitrittserklärung ist heute nicht mehr erforderlich. Deshalb bleibt es für die Formgültigkeit ohne Wirkung, wenn ein solcher Zusatz nicht von dem unterschreibenden Ehegatten, sondern von dem anderen handschriftlich hinzugefügt worden ist7.

6.98

Den Formerfordernissen ist auch dann Genüge getan, wenn das gemeinschaftliche Testament durch einen Ehegatten in der „Ich-Form“ verfasst, dann aber von beiden Ehegatten unterschrieben wurde8. Möglich ist auch, dass die Ehegatten den Text abwechselnd schreiben und dann unterzeichnen9. Es müssen jedoch sämtliche Verfügungen von den Unterschriften gedeckt sein. Bei der Unterschrift beider Ehegatten sind die Formerfordernisse des § 2247 BGB zu beachten10 (vgl. Rz. 6.81 ff.). Der mit-

6.99

1 BGH v. 30.11.1977 – IV ZR 165/76, NJW 1978, 423; krit. Schubert, JR 1978, 289; abl. Tiedtke, NJW 1978, 2572. 2 BGH v. 28.4.1958 – III ZR 98/56, MDR 1958, 490; LG Düsseldorf v. 26.2.1988 – 20 a S 124/87, FamRZ 1988, 661. 3 BayObLG v. 23.5.1995 – 1Z BR 128/94, FamRZ 1996, 123. 4 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 187/03, NJW 2004, 3113; MüKo/Musielak, § 2268 Rz. 7; Lehmann, NotBZ 2004, 480; Müller, Rpfleger 2005, 493; Musielak, LMK 2004, 208; Schlitt, ZEV 2005, 96. 5 Erman/Kappler/Kappler, § 2268 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 2268 Rz. 4; Keim, ZEV 2004, 425. 6 BayObLG v. 8.6.1993 – 1Z BR 95/92, FamRZ 1994, 193. 7 MüKo.BGB/Musielak, § 2267 Rz. 12; Staudinger/Kanzleiter, § 2267 Rz. 16; Erman/Kappler/Kappler, § 2267 Rz. 3. 8 BayObLG v. 8.6.1993 – 1Z BR 95/92, FamRZ 1994, 193; MüKo.BGB/Musielak, § 2267 Rz. 10. 9 LG München I v. 29.7.1996 – 16 T 7591/96, FamRZ 1998, 1391; BaRo/Litzenburger, § 2267 Rz. 8; NKBGB/Radlmayer, § 2267 Rz. 15. 10 RGRK/Johannsen, § 2267 Rz. 13.

Kappler 175

§ 6 Rz. 6.100

Formen letztwilliger Verfügungen

unterzeichnende Ehegatte soll zudem angeben, wann und wo er den Text mitunterschrieben hat. Fehlt diese Angabe, so ist § 2247 Abs. 5 BGB entsprechend anzuwenden. Nach § 2267 BGB sind die Unterschriften beider Ehegatten gleichwertig, so dass es auf ihre Reihenfolge nicht ankommt.

6.100 Aus dem Wesen des gemeinschaftlichen Testaments folgt aber, dass jeder Ehegatte die Mitwirkung des anderen kennen muss1. Deshalb genügt eine vorab erteilte Blankounterschrift nicht2. Eine fehlende Unterschrift muss spätestens bis zum Tod des anderen Ehegatten nachgeholt werden. Ein Beitritt, der erst nach längerer Zeit erfolgt, ist unschädlich, solange im Zeitpunkt des Beitritts der Wille des ersttestierenden Ehegatten zum gemeinschaftlichen Testieren weiterhin besteht.3

6.101 Ein Testament, in dem ein Ehegatte zunächst seine Verfügungen und dann die des Ehegatten unterschreibt, erfüllt weder die Voraussetzungen des § 2267 BGB noch die des § 2247 BGB und ist daher nichtig4. Die Erblasser haben hier außer Acht gelassen, dass Voraussetzung für die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung zum einen die Einhaltung der erforderlichen Form der Errichtung ist und zum anderen ein Errichtungszusammenhang gegeben sein muss. Im oben geschilderten Fall ist zwar der Errichtungszusammenhang gegeben, das zwingende Formerfordernis der Unterzeichnung der gemeinschaftlichen Erklärung durch beide Ehegatten wurde jedoch nicht eingehalten5.

6.102 Die Umdeutung formnichtiger gemeinschaftlicher Testamente in wirksame Einzeltestamente ist grundsätzlich nach § 140 BGB möglich6. Voraussetzung ist, dass die Verfügung zum einen den Formerfordernissen des § 2247 BGB genügt und die Umdeutung zum anderen dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht7. Eine Umdeutung in ein Einzeltestament ist damit aus dem Formerfordernis heraus praktisch nur für denjenigen Ehegatten möglich, der die Haupterklärung verfasst hat. Bei demjenigen Ehegatten, der sich auf die Beitrittserklärung bzw. Unterschrift beschränkt hat, ermangelt es bereits an einem formgültigen Testament8. Zudem erforderlich ist aber auch die Feststellung, dass nach dem Willen des Testierenden seine Verfügung auch unabhängig vom Beitritt des anderen gelten sollte9.

6.103 M 18 Gemeinschaftliches Testament mit Schlusserbeneinsetzung Gemeinschaftliches Testament Wir, Lisa Denk, geb. Honold, geboren am 26.5.1930, und Heinz Denk, geboren am 13.2.1933, beide wohnhaft zur Zeit der Aufsetzung dieses gemeinschaftlichen Testaments in Hamburg, Lerchenstraße 19, verfügen das Folgende: Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere beiden gemeinsamen Kinder, David Denk und Jan Denk, zu untereinander gleichen Teilen. Ersatzerben eines jeden Miterben sind jeweils dessen Abkömmlinge, unter sich nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge. Im Übrigen tritt Anwachsung ein. Vorstehende Verfügungen sind jeweils wechselbezüglich vereinbart i.S.d. § 2270 BGB.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Erman/Kappler/Kappler, Vor 2265 Rz. 4. OLG Hamm v. 19.10.1992 – 15 W 235/92, FamRZ 1993, 606. Beitritt nach sechs Jahren: OLG München v. 1.12.2011 – 31 Wx 249/10, FamRZ 2012, 581. Rötelmann, NJW 1957, 876; vgl. Erman/Kappler/Kappler, § 2267 Rz. 3. BGH v. 28.1.1958 – V BLW 52/57, NJW 1958, 547. Palandt/Weidlich, § 2267 Rz. 4. OLG München v. 19.5.2010 – 31 Wx 38/10, NJW-RR 2010, 1382; Palandt/Weidlich, § 2267 Rz. 4. Vgl. Palandt/Weidlich, § 2267 Rz. 4. OLG München v. 23.4.2014 – 31 Wx 22/14, FamRZ 2014, 1662.

176

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.108 § 6

Für den Fall, dass die Voraussetzungen des § 2077 BGB vorliegen, soll das Testament im Ganzen unwirksam sein. Ort und Datum Unterschriften beider Ehegatten

i) Verwahrung eigenhändiger Testamente Auch ein eigenhändiges Testament kann vom Erblasser in die besondere amtliche Verwahrung ge- 6.104 geben werden, § 2248 BGB, um es vor Unterdrückung, Fälschung oder Verlust zu schützen. Der Antrag auf Verwahrung kann jederzeit formlos, auch durch Boten oder einen Vertreter1 gestellt werden2. Durch die Verwahrung wird jedoch das eigenhändige Testament nicht zu einem öffentlichen Testament; es bleibt eine Privaturkunde3. Durch die Rückgabe des eigenhändigen Testaments aus der amtlichen Verwahrung wird es daher auch nicht widerrufen (§ 2256 Abs. 3 Hs. 2 BGB). Die Rückgabe ist ohne Einfluss auf die Wirksamkeit des Testaments. Die Rückgabe darf nach § 2256 Abs. 2 S. 2 BGB nur an den Erblasser persönlich erfolgen; eine Vertretung ist hier ausgeschlossen. Da das Rückgabeverlangen geschäftsähnliche Handlung ist, ist Geschäftsfähigkeit des Erblassers jedenfalls bei Äußerung des Rückgabeverlangens erforderlich4. Die Übersendung des Testaments an den Erblasser durch die Post ist unzulässig5. Das gemeinschaftliche Testament kann nur von beiden Ehegatten zusammen aus der besonderen amtlichen Verwahrung zurückgenommen werden (§ 2272 BGB).

6.105

Zu unterscheiden von der Rückgabe ist die Einsicht in das verwahrte Testament, die durch den Erblasser persönlich oder einen (hierzu besonders) Bevollmächtigten jederzeit zulässig ist, nicht jedoch durch einen Betreuer oder einen sonstigen Dritten6. Beim gemeinschaftlichen Testament kann jeder Ehegatte jederzeit, auch ohne Zustimmung des anderen Ehegatten, Einsicht in das Testament verlangen und sich eine Abschrift erteilen lassen7.

6.106

4. Außerordentliche Testamentsformen – Nottestamente Als Nottestamente werden die sog. außerordentlichen Testamente bezeichnet. Zu ihnen zählen die Verfügungen von Todes wegen nach §§ 2249–2251 BGB. Sie können nur aus besonderem Anlass errichtet werden, stehen den ordentlichen Testamentsformen im Rang aber nicht nach.

6.107

a) Bürgermeistertestament, § 2249 BGB Das sog. Bürgermeistertestament gehört als Nottestament zu den außerordentlichen Testamentsformen. Da der Bürgermeister als Urkundsperson an die Stelle des Notars rückt (vgl. § 2256 Abs. 1 BGB, § 344 Abs. 1 Nr. 2 FamFG) steht dieses Testament dem öffentlichen gleich, ist aber gem. § 2252 Abs. 1 BGB – wie alle Nottestamente – in seiner Gültigkeit auf die Dauer von drei Monaten beschränkt. Die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde (§ 415 ZPO) hat hier nur die ordnungsgemäße Niederschrift.

1 2 3 4 5 6 7

OLG München v. 25.6.2012 – 31 Wx 213/12, FamRZ 2013, 156. Erman/Kappler/Kappler, § 2248 Rz. 2. MüKo.BGB/Hagena, § 2248 Rz. 19. Vgl. OLG Hamm v. 1.8.2012 – 15 W 266/12, FGPrax 2012, 261. Vgl. MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 7. Vgl. OLG Jena v. 18.12.1997 – 6 W 172/97, Rpfleger 1998, 249. MüKo.BGB/Musielak, § 2272 Rz. 4.

Kappler 177

6.108

§ 6 Rz. 6.109

Formen letztwilliger Verfügungen

aa) Errichtung

6.109 Ein Nottestament zur Niederschrift des Bürgermeisters ist unter folgenden Voraussetzungen zulässig: Der Bürgermeister muss die Besorgnis haben, dass der Erblasser früher sterben werde, als die Errichtung eines Testaments vor einem Notar möglich ist (Todesbesorgnis nach § 2249 Abs. 1 BGB). Die Besorgnis muss der Bürgermeister als Urkundsperson haben, nicht die anderen Beteiligten, etwa die Zeugen oder der Erblasser. Alleine das pflichtgemäße Ermessen des Bürgermeisters ist maßgebend1. Die Todesgefahr muss somit nicht objektiv vorliegen. Allerdings muss der Bürgermeister nach pflichtgemäßer Prüfung wenigstens subjektiv von ihrem Bestehen überzeugt sein, andernfalls ist das Testament nichtig, da die Beurkundungszuständigkeit des Bürgermeisters fehlt. Fehlte dem Bürgermeister die subjektive Überzeugung und nahm er die Beurkundung dennoch vor, ist das Testament gleichwohl wirksam, wenn jedenfalls objektiv die bezeichnete Gefahr bestand2. Der Besorgnis des vorzeitigen Ablebens steht die Besorgnis des Eintritts einer bis zum Tod fortdauernden Testierunfähigkeit gleich3. Lehnt der Bürgermeister die Testamentserrichtung ab, weil er die Besorgnis des plötzlichen Todes nicht teilt, liegt darin keine dienstliche Verfehlung, selbst wenn die Gefahr eines plötzlichen Todes tatsächlich bestanden hat.

6.110 Auch Ehegatten können ein gemeinschaftliches Testament (nicht jedoch einen Erbvertrag) als Nottestament vor dem Bürgermeister errichten, wenn die Todesbesorgnis nur bei einem Ehegatten vorliegt und beide Ehegatten während der gesamten Dauer der Verhandlung anwesend sind (§ 2266 BGB).

6.111 Zuständig für die Errichtung ist der Bürgermeister (sachliche Zuständigkeit) der Gemeinde, in der sich der Erblasser gerade aufhält (örtliche Zuständigkeit), § 2249 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Wohnsitz des Erblassers ist ohne Bedeutung. Wer Bürgermeister i.S.v. § 2249 BGB ist, bestimmt sich nach den Ländergemeindeordnungen. Gem. § 2249 Abs. 5 BGB kann aber bei Vorliegen eines Verhinderungsgrundes auch der gesetzliche Vertreter des Bürgermeisters die Beurkundung rechtswirksam vollziehen. Der Vertreter soll dabei in der Niederschrift angeben, worauf er seine Vertretungsmacht stützt. Fehlt die Vertretungsmacht, ist das Testament dennoch wirksam4. Eine Verletzung der örtlichen Zuständigkeiten des Bürgermeisters durch Überschreiten des Amtsbezirks hat seit der Neuregelung durch das BeurkG auf die Wirksamkeit des Nottestaments keinen Einfluss mehr (§ 2249 Abs. 1 S. 4 BGB i.V.m. § 2 BeurkG)5.

6.112 Der Bürgermeister muss anwesend sein, mit dem Erblasser verhandeln und dessen letzten Willen entgegennehmen. Nach §§ 7, 27 BeurkG ist der Bürgermeister ausgeschlossen, wenn er selbst oder sein Ehegatte durch das Testament bedacht bzw. als Testamentsvollstrecker ernannt werden oder sonst einen rechtlichen Vorteil erlangen soll. Ferner müssen zwei Zeugen hinzugezogen werden, die während der gesamten Verhandlung gleichzeitig anwesend sind6. Eine getrennte Beurkundung mit jeweils einem Zeugen ist unwirksam7. Zeuge kann nach § 2249 Abs. 1 S. 3 BGB nicht sein, wer bedacht oder als Testamentsvollstrecker eingesetzt werden soll. Entsprechend den Ausführungen für das öffentliche Testament hat ein Verstoß gegen die Zuwendungsbeschränkungen nach der allgemeinen Meinung aber nicht die Unwirksamkeit des gesamten Testaments zur Folge, sondern nur der Verfügungen, welche die Zuwendungen an den Zeugen bzw. seine Einsetzung als Testamentsvollstrecker enthalten8.

6.113 Das Bürgermeistertestament kann sowohl durch persönliche Erklärung als auch durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift errichtet werden (§§ 2249 Abs. 1 S. 4, 2232 BGB). Ist der 1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 15.11.1951 – IV ZR 66/51, NJW 1952, 181. Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 2. BGH v. 15.11.1951 – IV ZR 66/51, BGHZ 3, 372. Erman/Kappler/Kappler, § 2249 Rz. 6; BaRo/Litzenburger, § 2249 Rz. 13. Erman/Kappler/Kappler, § 2249 Rz. 3. BGH v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79 (87). Staudinger/Baumann, § 2249 Rz. 43; Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 5. MüKo.BGB/Hagena, § 2249 Rz. 22; Soergel/J. Mayer, § 2249 Rz. 10.

178

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.116 § 6

Erblasser minderjährig, sprach- oder leseunfähig, so gelten die Vorschriften des § 2233 BGB entsprechend. Der Bürgermeister hat bei der Errichtung grundsätzlich dieselben Beurkundungsvorschriften anzuwenden wie der Notar. Im Einzelnen sind vom Bürgermeister die in § 2249 Abs. 1 S. 4 BGB aufgeführten Vorschriften kraft ausdrücklicher gesetzlicher Verweisung einzuhalten. Der Bürgermeister hat über die Testamentserrichtung eine Niederschrift in deutscher Sprache zu errichten, ohne die das Testament nicht wirksam ist1. Die Niederschrift muss in Anwesenheit aller Mitwirkenden dem Erblasser vorgelesen und von diesem genehmigt werden. Danach ist sie vom Erblasser, vom Bürgermeister und von den beiden Zeugen (§ 2249 Abs. 1 S. 5 BGB) zu unterschreiben. Ist der Erblasser schreibunfähig, ersetzt die entsprechende Feststellung seine Unterschrift (§ 2249 Abs. 1 S. 6 BGB). bb) Formverstöße Nach § 2249 Abs. 6 BGB sind nicht nur Verstöße gegen bloße Sollvorschriften, sondern auch gegen 6.114 Mussvorschriften (zwingende Protokollierungsvorschriften) beim Bürgermeistertestament unschädlich, soweit sie im Zusammenhang mit der Abfassung der Niederschrift unterlaufen sind (wenn sie also nur die Niederschrift, nicht den Errichtungsakt als solchen betreffen) und wenn zweifelsfrei feststeht, dass das Testament eine zuverlässige Wiedergabe der Erklärung des Erblassers enthält2. Dafür beweispflichtig ist, wer sich auf die Wirksamkeit des Testaments beruft. Nach dem Zweck des Gesetzes ist § 2249 Abs. 6 BGB weit auszulegen3, damit die Durchsetzung eines von der Rechtsordnung nicht missbilligten Willens des Erblassers nicht aufgrund formaler Hindernisse scheitert4. Ausgehend von der Annahme, dass ein Bürgermeister nicht über dieselbe Sach- und Fachkenntnis wie ein Notar verfügt, soll die Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen entsprechend weniger streng geprüft werden und dem Erblasser in einer entsprechenden Notsituation nicht zum Nachteil gereichen. Zu den unschädlichen Formverstößen gehören z.B. die Mangelhaftigkeit der Bezeichnung des Erblas- 6.115 sers und der mitwirkenden Personen oder ein Mangel in der Art der Abgabe der Erklärung durch den Erblasser. Ferner die fehlende Feststellung der Todesbesorgnis in der Niederschrift5, die fehlende Angabe über Ort und Zeit der Verhandlung, fehlende Angaben über Identitätsnachweise der Beteiligten, die fehlende Angabe der Überzeugung des Bürgermeisters, dass der Erblasser schreiben kann, die fehlende Bezeichnung der mitunterzeichnenden Zeugen als solche, das Verfassen der Niederschrift in der Ich- statt in Protokollform6, die Überschreitung des Amtsbezirks durch den Bürgermeister7. In den genannten Fällen ist der Errichtungsakt formgerecht erfolgt, die Protokollierung aber war unvollständig. Der Beweis, dass die nicht protokollierten Umstände dennoch vorlagen, kann dann auch durch außerhalb des Testaments liegende Beweismittel erbracht werden8. Die Beweislast dafür, dass ein unter Verstoß gegen die Formvorschriften errichtetes Nottestament die Wiedergabe der Verfügungen des Erblassers enthält, trifft denjenigen, der sich auf dessen Rechtswirksamkeit beruft. Dagegen ist die Nichtbeachtung der zwingenden materiellen Erfordernisse über den Errichtungsakt unheilbar, soweit es sich hierbei um Mussvorschriften handelt. Zu den Verstößen, die zur Nichtigkeit des Testaments führen, zählt nach der Rechtsprechung das Fehlen der mündlichen Erklärung des letzten Willens durch den Erblasser oder die Übergabe einer Schrift, die fehlende Todesbesorgnis, das Erstellen der Niederschrift erst nach dem Ableben des Erblassers oder eine fehlende Niederschrift, die fehlende Vorlesung oder Genehmigung der Niederschrift durch den Erblasser, ein Verstoß gegen die dauernde Anwesenheitspflicht des Erblassers, der Zeugen und des Bürgermeisters9. Umstritten ist, bis 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 9. Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 11. BGH v. 4.4.1962 – 2 U ZR 110/60, BGHZ 37, 79; BGH v. 1.6.1970 – III ZB 4/70, BGHZ 54, 89. MüKo.BGB/Hagena, § 2249 Rz. 32. Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 11. BGH v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79 (89). Vgl. Erman/Kappler/Kappler, § 2249 Rz. 6. MüKo.BGB/Hagena, § 2249 Rz. 32. Vgl. Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 11.

Kappler 179

6.116

§ 6 Rz. 6.117

Formen letztwilliger Verfügungen

wann eine fehlende Unterschrift des Bürgermeisters bzw. der Zeugen nachgeholt werden kann. Nach h.M. kann die Niederschrift des Bürgermeisters nur zu Lebzeiten des Erblassers, die der Zeugen jedoch auch noch nach dem Tod des Erblassers nachgeholt werden1.

6.117 Das Nottestament ist nach der Beurkundung durch den Bürgermeister in einen Umschlag zu geben, zu versiegeln und unverzüglich in die besondere amtliche Verwahrung zu übergeben (§ 2249 Abs. 1 S. 4 BGB, § 34 BeurkG). cc) Gültigkeitsdauer

6.118 Gem. § 2252 BGB werden Nottestamente nach Ablauf von drei Monaten ungültig, sofern der Erblasser zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstorben ist. Das Testament gilt dann als rückwirkend nicht errichtet. Unwirksam wird auch ein durch das Nottestament ausgesprochener Widerruf eines früheren Testaments2. Die durch das Nottestament aufgehobene letztwillige Verfügung tritt nach Ablauf der drei Monate wieder in Kraft. Für die Fristberechnung wird der Tag der Testamentserrichtung nicht mitgerechnet (§ 187 BGB, vgl. auch § 188 Abs. 2 und 3 BGB). Die Frist endet mit Ablauf des Tages des dritten Monats, dessen Zahl dem Tag entspricht, an dem das Testament errichtet worden ist. Beginn und Lauf der Frist sind jedoch gehemmt, solange der Erblasser außerstande ist, ein (neues) Testament vor einem deutschen Notar zu errichten (§ 2252 Abs. 2 BGB). Der Bürgermeister soll den Erblasser auf die beschränkte Gültigkeitsdauer des Testaments hinweisen und dies in der Niederschrift vermerken (§ 2249 Abs. 3 S. 2 BGB). Beispiel: Infolge einer lang anhaltenden Krankheit, verbunden mit einem mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt, ist es dem Erblasser nicht möglich, ein Testament vor Ablauf der drei Monate vor einem Notar zu errichten. Das Nottestament bleibt wirksam.

6.119 Die Wirkungsdauer eines gemeinschaftlichen Nottestaments hängt ebenfalls von § 2252 BGB ab. Die Dreimonatsfrist ist solange gehemmt, wie ein Ehegatte an der Errichtung eines ordentlichen Testaments gehindert ist3. Sterben beide Ehegatten innerhalb der Dreimonatsfrist, wird das Testament mit all seinen Verfügungen wirksam. Überleben beide Ehegatten die Frist, wird das Nottestament rückwirkend ungültig. Überlebt nur ein Ehegatte, werden die Verfügungen des Verstorbenen mit dem Erbfall wirksam. Auch die Verfügungen des Überlebenden bleiben gültig, und zwar sowohl die wechselbezüglichen als auch die einseitigen4. b) Drei-Zeugen-Testament, § 2250 BGB

6.120 Das Dreizeugentestament ist ein Nottestament (vgl. § 2249 Abs. 1), das der Erblasser vor Privatpersonen errichtet. Auf diese Weise werden keine hoheitlichen Befugnisse i.S.v. § 415 ZPO wahrgenommen, so dass es sich nicht um eine öffentliche, sondern um eine Privaturkunde handelt5. Es ist – wie auch die anderen Nottestamente in seiner Gültigkeitsdauer beschränkt (§ 2252 BGB), siehe hierzu Rz. 6.118. aa) Errichtung

6.121 Die Voraussetzungen des Drei-Zeugen-Testaments ergeben sich aus § 2250 BGB. Danach muss sich der Erblasser an einem Ort aufhalten, der durch außergewöhnliche Umstände so abgesperrt ist, dass er ein Testament vor einem Notar nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten errichten kann

1 2 3 4

Vgl. Erman/Kappler/Kappler, § 2249 Rz. 4 m.w.N. Soergel/J. Mayer, § 2252 Rz. 3. PWW/Avenarius, § 2266 Rz. 2. Erman/Kappler/Kappler, § 2266 Rz. 3; Palandt/Weidlich, § 2266 Rz. 2; a.M. Staudinger/Kanzleiter, § 2266 Rz. 5: einseitige Verfügungen treten außer Kraft. 5 Staudinger/Baumann, § 2250 Rz. 40.

180

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.124 § 6

(§ 2250 Abs. 1 BGB). Keine Rolle spielt es, aufgrund welcher Umstände die Absperrung besteht1. Vor allem braucht das Leben oder die Gesundheit des Erblassers in keiner Weise gefährdet zu sein. Es reicht aus, dass dessen tatsächlicher Aufenthaltsort objektiv derart abgesperrt ist, dass ein Notar nicht zugezogen werden kann, mögen die Zeugen hiervon auch nicht überzeugt sein2; bestand hingegen nur nach der (irrtümlichen) Vorstellung der Zeugen die Notlage, ist das Nottestament gleichwohl wirksam, sofern deren Befürchtung anhand der objektiven Sachlage als gerechtfertigt angesehen werden kann3. Auf die Vorstellung des Erblassers kommt es hingegen nicht an4. Beispiel: K erleidet einen schweren Unfall im Hochgebirge und wird dabei schwer verletzt. Aus Besorgnis um den plötzlichen Tod vor Eintreffen der Rettungswacht errichtet K ein Drei-Zeugen-Testament unter Mitwirkung seiner drei Bergkameraden.

Zulässig ist das Drei-Zeugen-Testament zudem dann, wenn sich der Erblasser in so naher Todesgefahr befindet, dass voraussichtlich auch die Errichtung eines Testaments nach § 2249 BGB nicht mehr möglich ist (§ 2250 Abs. 2 BGB). Die nahe Todesgefahr muss nur entweder objektiv oder subjektiv nach Einschätzung der drei Zeugen bestehen; unerheblich ist die Einschätzung des Erblassers5. Objektiv kann sie durch Unfall oder Krankheit ausgelöst sein. Der nahen Todesgefahr ist die Gefahr des Eintritts der dauerhaften Testierunfähigkeit gleichzusetzen6. Maßgeblich für die Beurteilung ist stets der vom Erblasser gewählte Zeitpunkt für die gewünschte Errichtung des Testaments; ihm kann also kein Verschulden für ein zu langes Zuwarten derart angelastet werden, als eine Testamentserrichtung in der Form des Drei-Zeugen-Testaments dann unzulässig wäre7.

6.122

Die Zeugen treten bei dieser Testamentsform an die Stelle der Amtsperson und übernehmen deren 6.123 Beurkundungsfunktion8. Alle drei Zeugen müssen zur Mitwirkung bereit sein und die Verantwortung für die richtige Wiedergabe des Erblasserwillens übernehmen9. Gem. § 2250 Abs. 3 S. 2 BGB finden auf die Zeugen die Ausschlussgründe des § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BeurkG mit der Folge der Unwirksamkeit der Verfügung, des § 7 BeurkG mit der Folge einer teilweisen Unwirksamkeit und die Mitwirkungsverbote des § 26 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 BeurkG als Sollvorschrift Anwendung. Nach § 27 BeurkG sind begünstigte Personen, die somit nicht als Zeugen auftreten dürfen, solche, die in der Verfügung von Todes wegen bedacht oder zum Testamentsvollstrecker ernannt werden sollen10. Die Errichtung eines Drei-Zeugen-Testaments kann nur durch eine mündliche Erklärung des Erb- 6.124 lasserwillens gegenüber den drei Zeugen erfolgen, nicht jedoch durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift11. Über die mündliche Erklärung des Erblassers muss noch zu dessen Lebzeiten eine Niederschrift angefertigt werden. Diese muss dem Erblasser vorgelesen und von ihm genehmigt werden. Kann der Erblasser schreiben, muss er die Niederschrift eigenhändig unterschreiben (§ 2250 Abs. 3 BGB, §§ 8, 13 Abs. 1 BeurkG). Ist er schreibunfähig, wird seine Unterschrift durch die Feststellung der Schreibunfähigkeit ersetzt (§ 2250 Abs. 3, § 2249 Abs. 1 S. 5, 6 BGB). Das Testament ist nur gültig, wenn die Zeugen während des gesamten Errichtungsvorgangs anwesend sind12. Eine Ausnahme besteht, wenn zunächst der Entwurf des Nottestaments angefertigt und danach die mündliche Erklärung des letzten Willens, zumindest durch ein deutliches „Ja“ des Erblas1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

MüKo.BGB/Hagena, § 2250 Rz. 4. BGH v. 15.11.1951 – IV ZR 66/51, BGHZ 3, 372. OLG München v. 14.7.2009 – 31 Wx 131/08, NJW 2010, 684. Erman/Kappler/Kappler, § 2250 Rz. 2. BaRo/Litzenburger, § 2250 Rz. 3. OLG München v. 14.7.2009 – 31 Wx 131/08, NJW 2010, 684. LG Freiburg v. 19.3.2003 – 4 T 187/02, ZEV 2003, 370 m. Anm. Dümig. BGH v. 1.6.1970 – III ZB 4/70, BGHZ 54, 89; MüKo.BGB/Hagena, § 2250 Rz. 10. BGH v. 24.11.1971 – IV ZR 230/69, NJW 1972, 202. OLG Frankfurt v. 20.3.1981 – 20 W 792/80, MDR 1981, 673. Palandt/Weidlich, § 2250 Rz. 6. BGH v. 1.6.1970 – III ZB 4/70, BGHZ 54, 89.

Kappler 181

§ 6 Rz. 6.125

Formen letztwilliger Verfügungen

sers zum Entwurf, sowie die Verlesung und Genehmigung der Testamentsniederschrift in einem Vorgang zusammengefasst werden. In diesem Fall müssen alle drei Zeugen erst mit Abgabe der Willenserklärung durch den Erblasser bis zur Genehmigung der Niederschrift dauernd anwesend sein1. bb) Formverstöße

6.125 Durch die Verweisung in § 2250 Abs. 3 S. 2 BGB auf § 2249 Abs. 1, 2 und 6 BGB sind beim Drei-Zeugen-Testament, wie auch beim Bürgermeistertestament, alle bei der Abfassung der Niederschrift unterlaufenden Formfehler unschädlich. Schädlich sind nur die Fehler, die den Errichtungsakt als solchen betreffen, z.B. die Anwesenheit von nur zwei Zeugen, die fehlende Aufnahme einer Niederschrift, das unterlassene Verlesen der Niederschrift sowie die nicht erfolgte Genehmigung und die fehlende Unterzeichnung der Niederschrift durch den Erblasser2. c) Seetestament, § 2251 BGB

6.126 Das Seetestament nach § 2251 BGB ist die dritte Form eines Nottestaments. Das Seetestament hat ebenfalls eine dreimonatige Gültigkeitsdauer, mit der Sonderregelung des § 2252 Abs. 3 BGB, wonach bei Antritt einer erneuten Seereise vor dem Ablauf der Frist, die Frist mit der Wirkung unterbrochen wird, dass nach Beendigung der neuen Reise die volle Drei-Monats-Frist erneut zu laufen beginnt.

6.127 Voraussetzung für die Errichtung eines Seetestaments ist eine Seereise, also jede Seefahrt außerhalb eines inländischen Hafens. Das ist vor der Küste und auch schon in Zufahrtsgewässern der Fall, mithin mit Verlassen des Hafens bis Erreichen des Zielhafens3. Ausgenommen sind jedoch Fahrten auf einem Binnengewässer4 sowie Fahrten von nur kurzer Dauer, wie bspw. eine Angeltour am Sonntagnachmittag5. Der Erblasser muss sich an Bord eines deutschen Schiffes befinden. Die Errichtung des Seetestaments erfolgt nach § 2250 Abs. 3 BGB durch mündliche Erklärung vor drei Zeugen. Die Errichtung durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift ist nicht möglich. Die Niederschrift muss in einer Sprache erfolgen, die sowohl der Erblasser als auch die Zeugen verstehen. Wie auch bei den anderen außerordentlichen Testamentsformen sind die gesetzlichen Vorschriften für den Ausschluss der Zeugen, ebenso die Pflicht zum Vorlesen, Genehmigen und Unterschreiben der Niederschrift zu beachten. Formfehler werden, entsprechend dem Verweis auf § 2250 Abs. 3 BGB und § 2249 Abs. 6 BGB, wie bereits ausgeführt behandelt (vgl. Rz. 6.114 ff. und 6.125).

II. Widerruf und Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen 1. Widerruf einer Verfügung von Todes wegen

6.128 Aus dem Prinzip der Testierfreiheit folgt, dass der Erblasser gem. § 2253 Abs. 1 BGB die Möglichkeit hat, getroffene Verfügungen von Todes wegen jederzeit ganz oder teilweise ohne Begründung zu widerrufen. Da der Testator nicht an seine rechtsgeschäftlichen Erklärungen im (einseitigen) Testament gebunden ist, hat der im Testament Bedachte lediglich eine bloße tatsächliche Erwerbsaussicht, die jedoch erst mit dem Tod des Erblassers rechtliche Wirksamkeit erlangt. Ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen aufzuheben oder nicht aufzuheben, ist gem. § 2302 BGB nichtig.

6.129 Auch bei gemeinschaftlichen Testamenten gilt § 2253 BGB, jedoch mit den für wechselbezügliche Verfügungen bestehenden Ausnahmen des § 2271 BGB. Nur beim Erbvertrag ist eine Bindung des Erblassers hinsichtlich vertraglicher Verfügungen möglich (siehe hierzu Rz. 6.231 ff). 1 2 3 4 5

OLG Zweibrücken v. 2.10.1986 – 3 W 145/86, MDR 1987, 142. Vgl. Erman/Kappler/Kappler, § 2250 Rz. 8. BaRo/Litzenburger, § 2251 Rz. 2. NK-BGB/Beck/Kroiß, § 2251 Rz. 1. Erman/Kappler/Kappler, § 2251 Rz. 1.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.134 § 6

a) Rechtsnatur und Wirksamkeitsvoraussetzungen des Widerrufs Der Widerruf einer Verfügung von Todes wegen ist selbst auch letztwillige Verfügung und erfordert 6.130 daher die Testierfähigkeit des Verfügenden (vgl. § 2229 BGB). Ein gem. §§ 1896 ff. BGB unter Betreuung stehender Erblasser kann daher jederzeit sein Testament widerrufen, sofern er nicht gem. § 2229 Abs. 4 BGB testierunfähig ist1. Der Widerruf muss nicht die Form des widerrufenen Testaments haben, sondern kann nach Maßgabe der in den §§ 2254 bis 2256, 2258 BGB geregelten Widerrufsmöglichkeiten erfolgen. Er muss aber in jedem Fall durch den Erblasser persönlich erklärt werden (§ 2064 BGB)2. b) Arten des Widerrufs

6.131

Das Gesetz unterscheidet folgende Arten des Widerrufs: – Widerruf durch Testament (§ 2254 BGB), – Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde (§ 2255 BGB), – Widerruf durch Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB) und – Widerruf durch Errichtung eines neueren Testaments abweichenden Inhalts (§ 2258 Abs. 1 BGB).

Neben den gesetzlich vorgesehenen Widerrufsmöglichkeiten besteht keine Möglichkeit, durch 6.132 schlüssiges Verhalten ein Testament zu widerrufen, wie etwa durch Billigung des Verlustes der Testamentsurkunde3. Ein Widerruf durch schlüssige Handlung ist nur unter den Voraussetzungen des § 2255 BGB möglich. aa) Widerruf durch Testament, § 2254 BGB Der Widerruf kann nach § 2254 BGB durch ein neues formgültiges Testament erfolgen. Dabei muss der Widerruf hier den Formerfordernissen eines Testaments entsprechen, bedarf aber nicht derselben Form wie das zu widerrufende Testament. Ein öffentliches Testament kann daher auch durch ein eigenhändiges widerrufen werden und umgekehrt4. Auch durch Nottestament kann der Widerruf erfolgen5.

6.133

Beratungshinweis: Wird das Widerrufstestament als Nottestament errichtet, ist darauf zu achten, dass ein Nottestament nur für die Dauer von drei Monaten ab Errichtung Geltung hat. Nach Ablauf der drei Monate lebt daher das vorangegangene Testament wieder auf. Es ist daher unbedingt darauf zu achten, ein ordentliches Testament mit unbeschränkter Geltungsdauer vor Ablauf der drei Monate zu errichten.

Der Widerruf muss nicht ausdrücklich erklärt werden, wenn der entsprechende Widerrufswille nur 6.134 durch Auslegung zu ermitteln ist6. Insoweit gelten die allgemeinen Vorschriften. So kann es etwa genügen, wenn (in der Form des § 2247 BGB) auf eine mit der Schreibmaschine geschriebene Testamentsabschrift eine Widerrufserklärung gesetzt wird und diese erst durch den Inhalt der Testamentsabschrift Sinn bekommt7, oder bei dem auf einem Hinterlegungsschein unterschriebenen Vermerk „Testament überholt“8. Die Problematik, was gelten soll, wenn das später errichtete Testament keine 1 2 3 4 5 6 7 8

MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 11. MüKo.BGB/Hagena, § 2254 Rz. 6, Rz. 2 m.w.N. MüKo.BGB/Hagena, § 2253 Rz. 2, § 2254 Rz. 4; Soergel/J. Mayer, § 2254 Rz. 3. Palandt/Weidlich, § 2254 Rz. 1. Erman/Kappler/Kappler, § 2254 Rz. 1. BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 188/80, NJW 1981, 2745. BGH v. 25.10.1965 – III ZR 47/64, NJW 1966, 201; Palandt/Weidlich, § 2254 Rz. 2. LG München I v. 22.5.1997 – 16 T 18326/96, FamRZ 1998, 1623.

Kappler 183

§ 6 Rz. 6.135

Formen letztwilliger Verfügungen

ausdrückliche Widerrufserklärung enthält, regelt § 2258 BGB. Während bei § 2254 BGB der Widerruf mit Widerrufsbewusstsein erfolgt, ist ein ausdrücklicher Aufhebungswille bei § 2258 BGB nicht erforderlich1. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen § 2254 BGB und § 2258 BGB ist, ob der Widerrufswille in der Erklärung Ausdruck gefunden hat, wobei der Widerruf gem. § 2254 BGB nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden muss2. Zur Klärung der Frage, ob der Testierende bewusst von der früheren Regelung Abstand genommen hat, ist das Testament auszulegen, wobei auch außerhalb des Testaments liegende Umstände herangezogen werden können3. Enthält das Testament keine ausdrückliche Widerrufserklärung und ist ein Aufhebungswille auch nicht im Rahmen einer Auslegung oder Umdeutung erkennbar, beurteilt sich die Rechtslage nach § 2258 BGB bzw. § 2289 BGB.

6.135 Es kann sich bei der neuen letztwilligen Verfügung um ein reines Widerrufstestament handeln, das außer dem Widerruf keine weiteren letztwilligen Verfügungen enthält4. Der ausdrückliche Widerruf eines alten Testaments kann jedoch auch in einem neuen Testament neben weiteren neuen Verfügungen enthalten sein. Genügt die Widerrufshandlung nicht dem Formerfordernis des § 2247 BGB, ist zu prüfen, ob hierin ein wirksamer Widerruf nach § 2255 BGB liegt5. Allein in einem schlüssigen Handeln, wie der Billigung des Verlustes der Testamentsurkunde, kann aber keinesfalls ein wirksamer Widerruf liegen6. Freilich kann sich der Widerruf auch bloß auf einzelne testamentarische Anordnungen des Erblassers beschränken.

M 19 Reines Widerrufstestament 6.136 Hiermit widerrufe ich, Wolfgang Herbst, mein am 12.6.2001 errichtetes eigenhändiges Testament. Hamburg, den 28.7.2017 Unterschrift

6.137 Auch der bedingte Widerruf einer Verfügung von Todes wegen ist möglich. Der Erblasser erklärt, dass sein Testament nur dann wirksam sein soll, wenn vom ihm vorgegebene Bedingungen eintreten. Diese Bedingungen sind sog. Verwirkungsklauseln nach Maßgabe der §§ 2074 bis 2076 BGB7. Werden durch die Bedingungen nur einzelne Verfügungen widerrufen, hat das die Unwirksamkeit der übrigen Anordnungen nur dann zur Folge, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Erblasser die weiteren Regelungen ohne die unwirksame Verfügung nicht treffen wollte.

6.138 M 20 Bedingtes Widerrufstestament Sollte mein Sohn Hans Meier, geb. am 22.3.1976, heiraten, erhält er im Wege eines Vermächtnisses mein Haus in der Toskana. Heiratet mein Sohn nicht, erhält das Haus die Volkshochschule Ulm.

bb) Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde, § 2255 BGB

6.139 Der Widerruf eines Testaments kann nach § 2255 S. 1 BGB durch schlüssige Handlung, nämlich durch Vernichtung oder Veränderung der Urkunde durch den Erblasser, erfolgen. Die Handlung des 1 2 3 4 5 6 7

Erman/Kappler/Kappler, § 2254 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2258 Rz. 1. MüKo.BGB/Hagena, § 2254 Rz. 4. Erman/Kappler/Kappler, § 2254 Rz. 2. OLG Frankfurt v. 22.9.1949 – 2a W 7/49, NJW 1950, 607. BaRo/Litzenburger, § 2254 Rz. 2. BGH v. 10.5.1951 – IV ZR 12/50, NJW 1951, 559. MüKo.BGB/Hagena, § 2253 Rz. 4; § 2254 Rz. 8.

184

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.142 § 6

Erblassers erfordert objektiv eine körperliche Veränderung der Urkunde und subjektiv die Absicht des Testierenden, die alte Verfügung aufzuheben1. Praktisch hat diese Form des Widerrufs daher insbesondere für das eigenhändige Testament eine besondere Bedeutung. Aber auch öffentliche Testamente können nach § 2255 BGB widerrufen werden, wenn sich die Testamentsurkunde versehentlich oder auch unrechtmäßig in den Händen des Erblassers befindet2. Entgegen dem Wortlaut der Norm muss sich der Widerruf nicht auf das gesamte Testament erstrecken; es können auch nur einzelne Verfügungen widerrufen werden3. Der Widerruf ist letztwillige Verfügung4. Als solche setzt er Testierfähigkeit voraus5. Der Erblasser 6.140 muss die Testamentsurkunde persönlich verändert oder vernichtet haben. Ein Widerruf durch die Vernichtung des Testaments, bei der sich der Erblasser eines Dritten als Werkzeug bedient, ist nur dann wirksam, wenn sich der Erblasser dabei eines Dritten bedient, der im Auftrag und mit Willen des Erblassers zu dessen Lebzeiten als unselbständiges Werkzeug die Vernichtung vornimmt6. Auch andere mechanische Handlungen zur Veränderung des Testaments wie Streichungen durch einen Dritten im Auftrag des Erblassers in dessen Gegenwart sind wirksam7. Der Dritte darf bei der Veränderung oder Vernichtung nur als Werkzeug, nicht jedoch als gesetzlicher Vertreter oder Bevollmächtigter des Erblassers mit eigener Entschlussfreiheit handeln. In diesem Fall liegt kein wirksamer Widerruf vor8. Das gilt nicht nur für die Vernichtung, sondern auch für Veränderungen am Testament. Die nachträgliche Genehmigung der Vernichtung durch einen Dritten ist nicht möglich, da § 185 Abs. 2 BGB nicht auf tatsächliche Handlungen anwendbar ist9. Als mögliche Widerrufshandlungen sieht das Gesetz die Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde vor. Das Vernichten der Urkunde kann durch Zerreißen, Verbrennen oder die sonstige eigenhändige Zerstörung der Testamentsurkunde geschehen. Nach richtiger Ansicht genügt auch eine bloß „ideelle“ Vernichtung10.

6.141

Beispiel: Der Erblasser wirft das Testament in den Papierkorb oder behandelt es wie Altpapier.

Die Veränderung der Urkunde kann durch Ausradieren, Durchstreichen, Einreißen, Einschneiden, 6.142 Herausreißen und Unleserlichmachen vorgenommen werden11. Auch kann die Veränderung in Form eines Ungültigkeits- oder Entwertungsvermerks vorgenommen werden, wenn für jedermann dadurch sofort zu erkennen ist, dass die Verfügung nicht mehr wirksam sein soll12. Ein derartiger Vermerk muss nicht gesondert unterschrieben sein13.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

11 12 13

BGH v. 16.9.1959 – V ZR 20/59, NJW 1959, 2113. MüKo.BGB/Hagena, § 2255 Rz. 2; Soergel/J. Mayer, § 2255 Rz. 3. Soergel/J. Mayer, § 2255 Rz. 3. Muscheler, ErbR, Bd. I Rz. 1805. BayObLG v. 18.3.1996 – 1 Z BR 67/95, FamRZ 1996, 1110. BayObLG v. 10.2.1992 – BReg.1 Z 57/91, FamRZ 1992, 1350 (1351). Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 5. Vgl. dazu Schmidt, MDR 1951, 321 (323); BayObLG v. 10.2.1992 – BReg.1 Z 57/91, FamRZ 1992, 1350 (1351). Soergel/J. Mayer, § 2255 Rz. 11. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 3; a.M. Palandt/Weidlich, § 2255 Rz. 1; Muscheler, ErbR I Rz. 1807; differenzierend Staudinger/Baumann, § 2255 Rz. 10: wenn der Erblasser durch das Wegwerfen die Verfügungsgewalt verliert und nach den gewöhnlichen Umständen mit einer Vernichtung durch Dritte zu rechnen ist; Soergel/J. Mayer, § 2255 Rz. 4: wenn sich der Erblasser in beabsichtigter Weise eines Entsorgungsunternehmens bedient. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 3 m.w.N. Palandt/Weidlich, § 2255 Rz. 6. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 3.

Kappler 185

§ 6 Rz. 6.143

Formen letztwilliger Verfügungen

6.143 Mit Änderungen können sachlich neue Verfügungen verbunden sein. Grds. bedürfen neue Verfügungen der Form des § 2247 BGB, sie müssen insbesondere von der Unterschrift des Erblassers gedeckt sein, etwa bei einem Zusatz, dass sich ein Geldvermächtnis erhöhen soll1. Anders aber, wenn sich durch die Veränderung (bspw. Streichen eines Erben) quasi als Reflex die Erbquoten anderer Erben aufgrund der §§ 2089, 2088 BGB verändern2.

6.144 Wird nur der Umschlag mit einem Ungültigkeitsvermerk versehen, so liegt ein wirksamer Widerruf vor, wenn der Vermerk den Formerfordernissen des Testaments entspricht3. Ist der Vermerk auf dem Umschlag „jetzt vollständig ungültig“ nicht gesondert unterschrieben, so muss durch Auslegung geklärt werden, ob Testament und Umschlag als einheitliche Urkunde angesehen werden können: Ein wirksamer Widerruf liegt dann vor, wenn die Aufschrift auf dem Umschlag derart mit dem Testament in einem inneren Zusammenhang steht, dass der Vermerk nach dem Willen des Erblassers als Fortsetzung der Testamentsurkunde betrachtet werden kann4.

6.145 Der Erblasser muss zudem mit Aufhebungsabsicht handeln. Es besteht gem. § 2255 S. 2 BGB die widerlegbare Vermutung für eine solche Absicht, wenn der Erblasser die Urkunde vernichtet oder verändert hat. Die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB knüpft nur an die Widerrufshandlung an. Es besteht jedoch keine Vermutung dahin gehend, dass bei Unauffindbarkeit des Testaments der Erblasser das Testament vernichtet hat5 oder dass die Vernichtung oder Veränderung vom Erblasser selbst vorgenommen wurde6.

6.146 Die Beweis- bzw. Feststellungslast für die Vernichtung oder Veränderung des Testaments obliegt demjenigen, der sich auf den Widerruf beruft7. Die Beweisanforderungen an die Vernichtung oder Veränderung durch den Erblasser sind hier nicht sehr hoch, wenn die Schrift sich im Gewahrsam des Erblassers befunden hat und Einwirkungen Dritter nicht ernstlich in Betracht kommen8. Steht fest, dass das Testament durch den Erblasser oder in dessen Auftrag durch einen Gehilfen vernichtet wurde, greift die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB, die durch den Gegenbeweis des testamentarisch Bedachten entkräftet werden kann, der Erblasser habe keine Widerrufsabsicht gehabt. Beratungshinweis: Kann der testamentarisch Bedachte den Nachweis erbringen, der Erblasser habe in der irrigen Annahme der Formgültigkeit eines neueren Testaments die alte Verfügung von Todes wegen vernichtet, behält das alte Testament seine Wirksamkeit9.

6.147 Ist das Testament nicht mehr auffindbar, zufällig vernichtet oder beiseite geschafft worden, wird die Wirksamkeit des Testaments nicht berührt, solange der Inhalt rekonstruierbar ist10, denn allein eine formlose Billigung des Verlusts stellt ohne Widerrufshandlung keinen Widerruf dar11. Beweispflichtig für die formwirksame Errichtung und den zu rekonstruierenden Inhalt der Verfügung ist derjenige, der aus dem Testament Rechte für sich ableitet12. Will der Erblasser das nicht mehr vorhandene Testament nicht mehr gelten lassen, muss er es durch ein neues Testament gemäß § 2254 BGB oder § 2258 BGB

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083. BayObLG v. 30.9.2002 – 1 Z BR 33/02, FamRZ 2003, 1506. MüKo.BGB/Hagena, § 2255 Rz. 7. MüKo.BGB/Hagena, § 2255 Rz. 7; BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083 (1084). BayObLG v. 23.12.1985 – BReg. 1Z 97/85, FamRZ 1986, 1043. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 7. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 7. OLG Hamm v. 8.7.1974 – 15 Wx 42/74, NJW 1974, 1827. Soergel/J. Mayer, § 2255 Rz. 14. BayObLG v. 23.12.1985 – BReg. 1Z 97/85, FamRZ 1986, 1043 (1044). Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 8. BayObLG v. 23.12.1985 – BReg. 1Z 97/85, FamRZ 1986, 1043 (1044); MüKo.BGB/Hagena, § 2255 Rz. 15.

186

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.152 § 6

aufheben1. Bei Unauffindbarkeit der Testamentsurkunde spricht keine Vermutung dafür, dass der Erblasser sie in Widerrufsabsicht vernichtet hat2. cc) Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung Gem. § 2256 Abs. 1 S. 1 BGB gilt ein vor einem Notar oder nach § 2249 BGB errichtetes Testament als widerrufen, wenn die in amtliche Verwahrung genommene Urkunde dem Erblasser zurückgegeben wird. Die Widerrufswirkung tritt kraft Gesetzes ein, so dass es unerheblich ist, ob der Erblasser die Wirkung kannte oder Widerrufsabsicht hatte (Widerrufsfiktion)3. Der Widerruf nach § 2256 BGB wirkt endgültig. Die Wirkung des Widerrufs kann daher nicht dadurch beseitigt werden, dass das zurückgegebene öffentliche Testament erneut in die besondere amtliche Verwahrung gegeben oder durch Testament widerrufen wird4.

6.148

Beratungshinweis: Nach erfolgtem Widerruf ist eine neue, formwirksame Verfügung von Todes wegen zu errichten.

Wegen der kraft Gesetzes eintretenden Widerrufswirkung „soll“ gem. § 2256 Abs. 1 S. 2 BGB der Erblasser bei der Rückgabe über die Folgen der Rückgabe belehrt werden. Die Belehrung soll auf der Urkunde vermerkt und sodann aktenkundig gemacht werden, dass die Rückgabe und die Belehrung geschehen sind. Die Belehrung ist dabei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Widerruf, jedoch kann bei unterbliebener Belehrung ein Schadenersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung gegeben sein.

6.149

Der Erblasser kann die Rückgabe jederzeit verlangen, § 2256 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Rücknahme eines öffentlichen Testaments ist sowohl Rechtsgeschäft unter Lebenden als auch wegen seiner damit verbundenen Wirkung gleichsam Verfügung von Todes wegen; sie setzt daher Testierfähigkeit voraus5. Das Testament darf nur an den Erblasser persönlich zurückgegeben werden, § 2256 Abs. 2 S. 2 BGB, bei einem gemeinschaftlichen Testament kann die Rückgabe gem. §§ 2256, 2272 BGB nur an beide Ehegatten erfolgen. Die persönliche Rückgabe ist Wirksamkeitsvoraussetzung für den Widerruf. Erst mit der tatsächlichen Aushändigung wird der Widerruf wirksam. Die Übersendung mit der Post oder die Aushändigung an einen (bevollmächtigten) Dritten gilt nicht als Widerruf6, selbst wenn der Erblasser nachträglich bei Gericht seine Zustimmung erklärt. Ohne das Rückgabeverlangen tritt die Widerrufswirkung nicht ein. Zu unterscheiden ist die Rückgabe daher von einem bloßen Einsichtsverlangen oder wenn das Testament versehentlich zugesendet wurde; in beiden Fällen liegt keine Rücknahme vor7.

6.150

Gem. § 2248 BGB kann auch ein eigenhändiges Testament in die besondere amtliche Verwahrung gegeben werden. Die Rückgabe des eigenhändigen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung ist jedoch gem. § 2256 Abs. 3 BGB kein Widerruf.

6.151

dd) Widerruf durch ein neues, widersprechendes Testament, § 2258 BGB Nach § 2258 Abs. 1 BGB wird durch die Errichtung eines neuen, formgültigen Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch 1 BGH v. 10.5.1951 – IV ZR 12/50, NJW 1951, 559. 2 BayObLG v. 21.2.2005 – 1Z BR 101/04, FamRZ 2005, 1866; OLG Naumburg v. 29.3.2012 – 2 Wx 60/11, ZEV 2013, 196. 3 BayObLG v. 15.12.2004 – 1Z BR 103/04, FamRZ 2005, 841. 4 Palandt/Weidlich, § 2256 Rz. 1. 5 BayObLG v. 9.3.2005 – 1Z BR 108/04, FamRZ 2006, 294; OLG Köln v. 12.7.2013 – 2 Wx 177/13, RNotZ 2013, 573. 6 BGH v. 16.9.1959 – V ZR 20/59, NJW 1959, 2113; OLG Saarbrücken v. 16.10.1991 – 5 W 96/91, NJW-RR 1992, 586. 7 MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 5 und 7.

Kappler 187

6.152

§ 6 Rz. 6.153

Formen letztwilliger Verfügungen

steht. Unerheblich ist, ob der Erblasser bei der Errichtung der späteren Verfügung an das frühere Testament gedacht hat oder einen entsprechenden Abänderungswillen hatte1. Es kommt nur darauf an, dass er einen in der späteren Verfügung zum Ausdruck kommenden Testierwillen hatte und die neue Verfügung objektiv in Widerspruch zur älteren Verfügung steht2.

6.153 Ein Widerspruch zum früheren Testament besteht dann, wenn die Verfügungen sich gegenseitig wegen objektiv-sachlicher Unvereinbarkeit ausschließen, also nicht nebeneinander Geltung erlangen können3. Dies ist etwa dann der Fall, wenn im früheren Testament Sohn A zum Alleinerben benannt ist, im späteren Testament hingegen Sohn B. Ein Widerspruch kann auch darin liegen, dass in der späteren Verfügung der Inhalt der früheren Verfügung wiederholt wird, eine (oder mehrere) weitere Verfügung(en) aber weggelassen werden, etwa eine Erbeneinsetzung4. Dies ist unter Umständen durch Auslegung zu ermitteln, wobei nicht der Wortlaut, sondern der Sinn der Verfügung maßgeblich ist und auch Umstände außerhalb des Testaments herangezogen werden können, um den Willen des Erblassers herauszufinden5. Soweit die Testamente inhaltlich identisch sind, beruht die Erbfolge dann regelmäßig auf beiden Testamenten6.

6.154 Der Umfang der Aufhebung des Testaments gilt nur „insoweit“, als das frühere Testament mit dem späteren in Widerspruch steht. Liegt kein Widerspruch, sondern nur eine Ergänzung vor, gelten beide Verfügungen nebeneinander7. Kommt man zu dem Schluss, dass die neue Verfügung im Ganzen oder jedenfalls in einem Teilbereich eine abschließende und umfassende (Neu-)Regelung darstellen soll, führt dies (insoweit) zur Aufhebung des früheren Testaments8. Folgt aber aus der Auslegung des späteren Testaments die Absicht des Erblassers, eine frühere Verfügung außer Kraft zu setzen, wird es sich in aller Regel schon um einen Widerruf nach § 2254 BGB handeln9; § 2254 BGB setzt allerdings Kenntnis der früheren Verfügung voraus.

6.155 Aufhebende Wirkung kommt nur solchen Testamenten zu, die gültig, also formwirksam errichtet worden sind10, ansonsten liegt kein wirksamer Widerruf nach § 2258 Abs. 1 BGB vor. Unerheblich ist hingegen, wenn das spätere Testament später (tatsächlich) wirkungslos wird, ohne dass der Grund seiner Errichtung betroffen ist (z.B. durch Ausschlagung oder Vorversterben des Erben, Nichteintritt einer Bedingung, Verlust und fehlende Rekonstruierbarkeit); die gemäß § 2258 BGB aufgehobenen Verfügungen bleiben unwirksam.

6.156 Liegen mehrere Testamente vor, ist zunächst festzustellen, welches Testament zuletzt errichtet wurde. Ist dies nicht möglich, sind die sich widersprechenden Verfügungen unwirksam. Ebenso verhält es sich, wenn widersprüchliche Testamente gleichen Alters vorliegen11. Insoweit gilt dann die gesetzliche Erbfolge.

6.157 Nach § 2258 Abs. 2 BGB wird im Falle des Widerrufs eines später errichteten Testaments im Zweifel das frühere Testament in gleicher Weise wieder wirksam, als ob es nicht aufgehoben worden wäre12. 1 OLG Düsseldorf v. 22.7.2013 – I-3 Wx 163/12, FGPrax 2013, 267. 2 BGH v. 7.11.1984 – IV a ZR 77/83, NJW 1985, 969; BayObLG v. 15.11.1988 – BReg. 1a Z 55/88, DNotZ 1989, 583. 3 BGH v. 7.11.1984 – IV a ZR 77/83, FamRZ 1985, 175. 4 OLG Köln v. 15.11.1988 – BReg. 1a Z 55/88, NJW-RR 1992, 1418; Soergel/J. Mayer, § 2256 Rz. 6. 5 MüKo.BGB/Hagena, § 2258 Rz. 4. 6 BayObLG v. 15.11.1988 – BReg.1a Z 55/88, FamRZ 1989, 441 (442). 7 Erman/Schmidt, 13. Aufl., § 2258 Rz. 2. 8 BGH v. 7.11.1984 – IV a ZR 77/83, NJW 1985, 969; BayObLG v. 26.4.1991 – BReg. 1a Z 82/90, FamRZ 1992, 607. 9 BayObLG v. 18.3.1965 – BReg. 1 b Z 4/65, NJW 1965, 1276. 10 Soergel/J. Mayer, § 2258 BGB Rz. 4. 11 Erman/Kappler/Kappler, § 2258 Rz. 3; MüKo.BGB/Hagena, § 2258 Rz. 8. 12 OLG Hamm v. 10.6.1983 – 15 W 16/82, Rpfleger 1983, 401.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.161 § 6

Diese widerlegbare Auslegungsregel gilt nicht, wenn das frühere Testament nach §§ 2255, 2256 BGB widerrufen wurde, und ist auch dann nicht anwendbar, wenn ein entsprechender mutmaßlicher Wille des Erblassers im Zeitpunkt des Widerrufs nicht feststellbar ist1. ee) Widerruf gemeinschaftlicher Testamente (1) Widerruf einseitiger Verfügungen Jeder Ehegatte kann einseitige, d.h. nicht wechselbezügliche Verfügungen i.S.v. § 2270 BGB jederzeit auch nach dem Tod des anderen Ehegatten wie ein einseitiges Testament allein und frei widerrufen. Dies kann entweder durch ein Widerrufstestament (§ 2254 BGB), ein widersprechendes Testament (§ 2258 BGB) oder gem. § 2255 BGB durch Vernichtung oder Veränderung der Urkunde geschehen2. Ein Ehegatte kann jedoch nicht durch Rücknahme des gemeinschaftlichen öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung i.S.v. § 2256 BGB seine einseitigen testamentarischen Anordnungen widerrufen. Hierfür bedarf es gem. § 2272 BGB der Zustimmung des anderen Ehegatten3.

6.158

(2) Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen durch beide Ehegatten gemeinsam kann in allen Widerrufsformen geschehen4:

6.159

– durch gemeinschaftliches, widerrufendes Testament (§ 2254 BGB), – durch einverständliches Vernichten, Verändern oder sonstige schlüssige Widerrufshandlung (§ 2255 BGB), – durch gemeinschaftliche Rücknahme des gemeinschaftlichen öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2256 Abs. 1 BGB) und – durch widersprechende spätere Verfügung von Todes wegen (§ 2258 Abs. 1 BGB). Durch neue einseitige Verfügungen von Todes wegen können zu Lebzeiten beider Ehegatten wechsel- 6.160 bezügliche Verfügungen nicht aufgehoben werden. Allerdings ist ein einseitiger Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB möglich. Für den Widerruf gelten aber die Vorschriften für den Rücktritt vom Erbvertrag, § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB; siehe hierzu Rz. 6.288 f. Das Widerrufsrecht erlischt gem. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB mit dem Tod des anderen Ehegatten. Der Überlebende kann seine Verfügung dann nur noch aufheben, indem er das ihm Zugewendete ausschlägt. Nach § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB ist auch nach Annahme der Zuwendung eine Aufhebung in den Fällen der §§ 2294, 2336 BGB möglich. Der einseitige Widerruf nach § 2271 Abs. 1 BGB ist anfechtbar gem. § 2078 Abs. 1 BGB5. Seine Wirkung kann aber nicht gem. § 2257 BGB durch den Widerruf des Widerrufs beseitigt werden6. c) Aufhebung und Rücktritt vom Erbvertrag Ebenso wie einseitige Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten können einseitige Verfügungen in Erbverträgen jederzeit vom Testator frei und ohne Kenntnis des Vertragspartners gem. §§ 2254, 2255, 2258 BGB widerrufen werden (s. im Übrigen Rz. 6.131 ff.).

1 2 3 4 5 6

Erman/Kappler/Kappler, § 2258 Rz. 4; MüKo.BGB/Hagena, § 2258 Rz. 9. Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 3, 4. Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 6. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 4. Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 26.

Kappler 189

6.161

§ 6 Rz. 6.162

Formen letztwilliger Verfügungen

d) Wirkung des Widerrufs

6.162 Durch den Widerruf werden die in der widerrufenen Verfügung von Todes wegen getroffenen Regelungen unmittelbar beseitigt und erlangen keine Wirksamkeit mehr. e) Beseitigung des Widerrufs

6.163 Die Beseitigung des Widerrufs kann bei einem Widerruf nach § 2254 BGB, und nur dort, durch erneuten Widerruf (§ 2257 BGB) erfolgen. Dagegen ist die Anfechtung des Widerrufs gem. §§ 2078 ff. BGB bei allen Widerrufsarten möglich. aa) Widerruf des Widerrufs, § 2257 BGB

6.164 Ein durch Testament gem. § 2254 BGB erfolgter Widerruf kann nach § 2257 BGB ebenfalls widerrufen werden. Durch den Widerruf wird die ursprüngliche Verfügung wieder wirksam. Das frühere Testament wird nur dann nicht wieder wirksam, wenn der Wille des Erblassers im Zeitpunkt des Widerrufs positiv feststellen lässt, die Wirksamkeit des früheren Testaments nicht wieder herzustellen1. Die Wirkung des testamentarischen Widerrufs wird durch den zweiten Widerruf rückwirkend beseitigt. Diese widerlegbare Vermutung gilt nicht, wenn ein gegenteiliger Wille des Erblassers feststellbar ist. Lässt sich die Regel widerlegen, dann gilt das insoweit vom Erblasser Gewollte: Deckt sich z.B. das erstmals widerrufende Testament im Wesentlichen mit dem dadurch widerrufenen Testament, ist anzunehmen, dass der Erblasser mit dem zweiten Widerruf die Regelungen insgesamt, d.h. sowohl die Anordnungen des ersten Widerrufstestaments als auch des dadurch erstmals widerrufenen Testaments, rückgängig machen wollte2. Will der Erblasser hingegen mit seinem letzten Widerruf nicht die Aufhebung der vorherigen Verfügung ändern, sondern nur die Neuregelung im ersten Widerrufstestament aufheben, bleibt das frühere Testament widerrufen; Folge dessen kann dann freilich auch die gesetzliche Erbfolge sein3. Das frühere Testament bleibt dann widerrufen und es tritt die gesetzliche Erbfolge ein, wenn nicht in dem zweiten Widerruf eine neue Verfügung von Todes wegen getroffen wurde4.

6.165 Auf die §§ 2255, 2256 BGB ist die Vorschrift nicht anwendbar, da hier der Widerruf endgültig wirkt5. Der Erblasser kann die widerrufenen letztwilligen Verfügungen nur durch eine formgerechte Neuerrichtung wieder aufleben lassen6. Dazu genügt etwa bei einem eigenhändigen Testament dann, wenn der Widerruf durch Veränderung der Urkunde erfolgt war (z.B. durch Streichen der Unterschrift), dass unter das Testament ein Vermerk gesetzt wird, es solle wieder gelten und dieser Vermerk erneut unterschrieben wird7. Oder wenn der Erblasser sein vormals zerrissenes Testament wieder zusammenklebt, es in einen Umschlag schließt und diesen in der nach § 2247 BGB nötigen Form unterzeichnet8. bb) Die Anfechtung des Widerrufs, §§ 2078 ff. BGB

6.166 Jede Art von Widerruf, also nicht nur der durch Testament gem. § 2254 BGB oder § 2258 BGB erfolgte, kann nach §§ 2078 ff. BGB durch die Anfechtungsberechtigten (also nicht durch den Erblas1 OLG Köln v. 8.2.2006 – 2 Wx 49/05, FamRZ 2006, 731. 2 BayObLG v. 22.6.2004 – 1Z BR 60/04, FamRZ 2005, 558. 3 OLG Köln v. 8.2.2006 – 2 Wx 49/05, FamRZ 2006, 731; OLG Zweibrücken v. 17.4.2003 – 3 W 48/03, ZEV 2003, 367. 4 Erman/Kappler/Kappler, § 2257 Rz. 3; Palandt/Weidlich, § 2257 BGB Rz. 1. 5 BayObLG v. 5.6.1992 – 1Z BR 21/92, FamRZ 1992, 1353. 6 BayObLG v. 6.7.1990 – BReg. 1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404; Erman/Kappler/Kappler, § 2257 BGB Rz. 1. 7 Palandt/Weidlich, § 2257 Rz. 2; anders aber bei fehlender Unterschrift, BayObLG v. 7.6.1994 – 1 Z BR 69/93, NJW-RR 1995, 1096. 8 Staudinger/Baumann, § 2255 Rz. 8; Hellfeier, ZEV 2003, 1.

190

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.172 § 6

ser!) angefochten werden1. Anfechtungsberechtigt ist gem. § 2078 Abs. 1 BGB derjenige, welchem die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zustattenkommt. Voraussetzung für die Anfechtung ist ein beachtlicher Irrtum i.S.d. § 2078 Abs. 1 BGB. Dieser ist gegeben, wenn der testierfähige Erblasser eine Erklärung dieses Inhalts, also einen Widerruf, überhaupt nicht abgeben wollte. Keine Anfechtung nach § 2078 Abs. 1 BGB ist notwendig, wenn der Widerruf durch schlüssige Handlung gem. § 2255 BGB erfolgte. Das durch den Irrtum bedingte Fehlen der Widerrufsabsicht lässt bereits den Widerrufstatbestand nach § 2255 BGB entfallen2.

6.167

Erfolgt der Widerruf durch Rücknahme aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB), ist die Rücknahme als Rechtsgeschäft unter Lebenden und mit Blick auf die damit verbundene Widerrufswirkung nach §§ 2078 Abs. 2, 2080 BGB anfechtbar, wenn geltend gemacht wird, dass dem Erblasser die Bedeutung der Rücknahme als Widerruf nicht bekannt war3. Wird ein Testament in der irrigen Annahme aus der besonderen amtlichen Verwahrung genommen, ein neueres Testament sei wirksam errichtet, kann eine Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB in Betracht kommen, wenn das zurückgenommene Testament mit dem unwirksamen neuen Testament fast inhaltsgleich ist, da in diesem Fall noch der wahre Wille des Erblassers verwirklicht wird4. Auch wenn der Erblasser irrig davon ausging, er könne die Folgen des Widerrufs nach § 2256 BGB durch erneuten Widerruf wieder beseitigen, kann wegen Motivirrtums nach § 2078 Abs. 2 BGB angefochten werden5.

6.168

Eine Anfechtung des Widerrufs wegen Motivirrtums oder widerrechtlicher Drohung gem. § 2078 Abs. 2 BGB ist ebenfalls bei jeder Art von Widerruf denkbar. Dabei muss der Motivirrtum im Zeitpunkt des Widerrufs bestanden haben.

6.169

Die Anfechtungserklärung muss form- und fristgerecht erfolgen: Die Anfechtungsfrist beträgt gem. 6.170 § 2082 BGB ein Jahr vom Zeitpunkt der Kenntnis des Anfechtungsgrundes an. Die Erklärung muss, soweit sie die Erbeinsetzung betrifft, gegenüber dem Nachlassgericht abgegeben werden, § 2081 BGB. Die Anfechtung bei Vermächtnissen ist entsprechend § 143 BGB gegenüber dem Vermächtnisnehmer bzw. gegenüber den durch das Vermächtnis Beschwerten zu erklären6. Die begründete, form- und fristgerecht erklärte Anfechtung durch den hierzu Berechtigten führt zur Nichtigkeit des Widerrufs von Anfang an (§ 142 BGB). 2. Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen ist in den §§ 2078 bis 2083 BGB geregelt. Während der Widerruf einer letztwilligen Verfügung jederzeit durch den Erblasser erfolgen kann, geben die Anfechtungsregeln der §§ 2078 ff. BGB Dritten, denen die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zustattenkommt (§ 2080 Abs. 1 BGB), die Möglichkeit, Verfügungen von Todes wegen zu beseitigen.

6.171

Im Gegensatz zu den §§ 119 ff. BGB stellen die §§ 2078 ff. BGB jedoch nicht auf das Schutzbedürfnis eines Erklärungsempfängers ab, da es bei einer letztwilligen Verfügung weder einen Erklärungsempfänger noch andere schutzbedürftige Personen gibt. Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen ist daher in weiterem Umfang als bei anderen Rechtsgeschäften zugelassen7. Deshalb enthalten die §§ 2078 ff. BGB

6.172

1 BayObLG v. 22.12.1960 – BReg. 1Z 8/60, MDR 1961, 505; MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 10; Palandt/ Weidlich, § 2256 Rz. 2; Kipp/Coing, § 31 II 3. 2 Lange/Kuchinke, § 23 III 2b. 3 BayObLG v. 6.7.1990 – BReg.1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404; MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2256 Rz. 2. 4 Soergel/J. Mayer, § 2256 Rz. 11. 5 BayObLG v. 6.7.1990 – BReg. 1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404. 6 BayObLG v. 22.12.1960 – BReg.1 Z 8/60, BayObLGZ 1960, 490 (495). 7 Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 2.

Kappler 191

§ 6 Rz. 6.173

Formen letztwilliger Verfügungen

auch keinen Anspruch auf Ersatz eines Vertrauensschadens (§ 2078 Abs. 3 BGB). Des Weiteren berechtigt, abweichend von § 119 Abs. 2 BGB, bereits ein bloßer Motivirrtum des Erblassers zur Anfechtung der letztwilligen Verfügung1. Die Anfechtung nach §§ 2078 ff. BGB setzt nicht voraus, dass sich in der Verfügung selbst ein Anhaltspunkt für den Willensmangel findet2.

6.173 Besondere Regeln gelten für Erbverträge, deren Anfechtung das Gesetz in den §§ 2281 ff. BGB gesondert regelt, sowie für wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten, auf die die §§ 2281 ff. BGB entsprechend anwendbar sind (s. Rz. 6.240 ff.). a) Abgrenzung

6.174 Der Widerruf steht, im Gegensatz zur Anfechtung, nur dem Erblasser zu und kann deshalb nur bis zu seinem Tod ausgeübt werden. Der Erblasser kann, im Gegensatz zur Anfechtung durch Dritte, seine letztwillige Verfügung völlig grundlos widerrufen (§ 2253 BGB).

6.175 Da die Auslegung (auch die ergänzende) den wahren Willen des Erblassers zur Geltung bringt und dazu führt, dass die Erbfolge eintritt, die der Erblasser wollte oder bei richtiger Bewertung der Umstände gewollt hätte, geht sie der Anfechtung vor3. Voraussetzung für eine Anfechtung ist daher, dass der wahre Inhalt der Verfügung zuvor klargestellt, also gegebenenfalls gem. §§ 133, 2084 BGB der reale oder hypothetische Wille des Erblassers ermittelt wurde4. Für das Verhältnis der ergänzenden Testamentsauslegung zur Anfechtung wegen Motivirrtums bedeutet dies, dass, ganz i.S.d. § 2084 BGB, nach einem dem irrtumsfreien, wirklichen oder hypothetischen Willen des Erblassers entsprechenden Auslegungsergebnis zu suchen ist und, wenn ein solches gefunden werden kann, die Anfechtung ausgeschlossen ist5. Damit bleibt für die Anfechtung oft kein Raum mehr6. b) Anfechtung einseitiger Verfügungen von Todes wegen, §§ 2078–2083 BGB aa) Anfechtungsgründe

6.176 Das Erbrecht kennt nur die Anfechtung wegen Irrtums des Erblassers (§§ 2078 Abs. 1, 2, 2079 BGB) und wegen widerrechtlicher Bestimmung des Erblassers zur Errichtung einer Verfügung durch Drohung (§ 2079 Abs. 2 BGB), die mit dem allgemeinen Anfechtungstatbestand des § 123 BGB übereinstimmt. Gegenüber § 119 BGB wurde die Anfechtung wegen Irrtums im Erbrecht so erweitert, dass auch falsche Vorstellungen über die künftige Entwicklung zur Anfechtung berechtigen (Motivirrtum). (1) Anfechtung wegen Irrtums über die Erklärungshandlung oder die Erklärungsbedeutung, § 2078 Abs. 1 BGB (a) Erklärungsirrtum, § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB

6.177 Beim Irrtum über die Erklärungshandlung ist schon das äußere Erklärungsverhalten des Erblassers nicht von seinem Willen getragen. Der Erblasser wollte entweder eine Verfügung von Todes wegen überhaupt nicht oder jedenfalls nicht so wie geschehen errichten. Beispiel: Der Erblasser verschreibt sich bei der Errichtung seines eigenhändigen Testaments. Oder: Der bei einem gemeinschaftlichen Testament mitunterzeichnende Ehegatte irrt über den Wortlaut der unterzeichneten Erklärung. 1 2 3 4

Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 4. OLG Köln v. 25.5.1990 – 2 Wx 6/90, FamRZ 1990, 1038 (1040). BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246 (247). KG v. 15.6.1971 – 1 W 14/71, NJW 1971, 1992; BayObLG v. 27.6.1997 – 1Z BR 240/96, NJW-RR 1997, 1438. 5 Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 6. 6 Brox/Walker, § 16 Rz. 3.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.182 § 6

Auch der Irrtum über die Identität einer Person (error in persona) und der Irrtum über die Identität (error in objecto) und die Bedeutung des Geschäftsgegenstands oder die Identität des Geschäftstyps (error in negotio) sind Erklärungsirrtümer i.S.d. § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB. (b) Inhaltsirrtum, § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB Beim Irrtum über die Erklärungsbedeutung (Inhaltsirrtum) muss sich der Erblasser über die Rechtsnatur seiner Erklärung oder die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung getäuscht haben1. Der Erblasser wollte zwar eine Erklärung in dieser Handlungsform abgeben, irrt aber über den rechtlichen Gehalt, mit dem die von ihm errichtete Verfügung Geltung erlangt2.

6.178

Der Inhaltsirrtum kann sowohl ein Tatsachen- als auch ein Rechtsirrtum sein. Ein Rechtsirrtum liegt allerdings nur dann vor, wenn er sich auf wesentliche Rechtsfolgen und damit auf die Rechtsnatur der anzufechtenden Willenserklärung bezieht3, nicht jedoch der Irrtum über die nicht erkannten und nicht gewollten mittelbaren Nebenwirkungen. Ein Irrtum über solche Nebenwirkungen ist kein Inhaltsirrtum, sondern ein Motivirrtum4 und kann deshalb nur über § 2078 Abs. 2 BGB angefochten werden.

6.179

Beispiele für einen Inhaltsirrtum i.S.v. § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB sind Irrtümer über:

6.180

– die rechtliche Bedeutung der Vor- und Nacherbschaft, – die Bindungswirkung des Erbvertrags5, – den Personenkreis, der nach der gesetzlichen Erbfolge erben soll (z.B. wenn darüber geirrt wird, dass nichteheliche Kinder nicht zu den Erben gehören). Voraussetzung für die Anfechtung der Verfügung von Todes wegen ist gem. § 2078 Abs. 1 BGB neben der Abweichung des Erklärungstatbestandes oder der Erklärungsbedeutung vom subjektiven Willen des Erblassers, dass der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage die Erklärung nicht abgegeben hätte (Kausalitäts- oder Erheblichkeitsprüfung)6. Es genügt, wenn der Irrtum für die Abgabe der Erklärung wesentlich mitbestimmend war. Die Verkehrssitten sind unerheblich. Maßgebend ist allein die wirkliche Absicht des Erblassers entsprechend seiner subjektiven Denk- und Anschauungsweise7. Gesetz- und sittenwidrige Vorstellungen sind nicht zu berücksichtigen8. Der Irrtum muss so gewichtig sein, dass er der Verfügung ihre innere, auf dem Willen des Erblassers beruhende Rechtfertigung nimmt9.

6.181

(2) Anfechtung wegen Drohung, § 2078 Abs. 2 BGB Nach § 2278 Abs. 2 BGB ist eine Anfechtung zulässig, wenn der Erblasser zu seiner Verfügung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Die Rechtswidrigkeit der Drohung kann sich aus dem angewandten Mittel, dem mit ihr verfolgten Zweck oder aus dem Verhältnis zwischen Mittel und Zweck ergeben10. Ob der Bedachte selbst oder ein Unbeteiligter die Drohung tätigt, spielt bei § 2078

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

NK-BGB/Fleindl, § 2078 Rz. 16. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 BGB Rz. 21. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 BGB Rz. 24; OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, FamRZ 1981, 1202. BayObLG v. 29.10.1987 – BReg.1 Z 2/87, FamRZ 1988, 324; BayObLG v. 16.3.1995 – 1Z BR 82/94, FamRZ 1996, 59. BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430. Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 3. BGH v. 29.11.1951 – IV ZR 71/51, BGHZ 4, 91 (95); KG v. 1.12.1975 – 12 V 117/75, FamRZ 1977, 271 (273). MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 25. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 25. Brox/Walker, § 17 Rz. 5.

Kappler 193

6.182

§ 6 Rz. 6.183

Formen letztwilliger Verfügungen

Abs. 2 BGB, im Gegensatz zu § 123 Abs. 2 BGB, keine Rolle1. Geht die Drohung aber vom Begünstigten aus, kann er zugleich erbunwürdig sein gem. § 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Verursacht die arglistige Täuschung eines Dritten beim Erblasser einen Motivirrtum, so ist ein Anfechtungstatbestand nach § 2078 Abs. 2 Alt 1. BGB gegeben2.

6.183 Dagegen ist die Beeinflussung des Erblassers durch fortgesetztes aufdringliches Bitten oder durch Widerspruch gegen die von ihm beabsichtigte Verfügung3 nicht ausreichend. Führt jemand dem Erblasser gewaltsam die Hand, fehlt es bereits an einer zurechenbaren Willenserklärung, so dass es einer Anfechtung nicht bedarf. (3) Anfechtung wegen Irrtums im Beweggrund (Motivirrtum), § 2078 Abs. 2 BGB

6.184 Im Gegensatz zu § 119 Abs. 2 BGB ist nach § 2078 Abs. 2 BGB auch ein Motivirrtum beachtlich. Hierdurch soll der wahre Wille des Erblassers stärker berücksichtigt werden als sonst im rechtsgeschäftlichen Verkehr üblich4. Anfechtbar ist danach jede letztwillige Verfügung, zu welcher der Erblasser durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes bestimmt worden ist5. Dies gilt sowohl für die Anfechtung von Testamenten als auch für die Anfechtung von Erbverträgen und bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten. Beim Erbvertrag und beim bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testament ist die Anfechtbarkeit jedoch nur nachvollziehbar, wenn man sie als Ausdruck einer von vornherein eingeschränkten Bindungswirkung begreift6.

6.185 Nicht jede Fehlvorstellung des Erblassers von bestimmten Umständen reicht für eine Anfechtung aus. Vielmehr können nur besonders schwerwiegende Umstände ein Anfechtungsrecht begründen, die gerade diesen Erblasser unter Berücksichtigung seiner ihm eigenen Vorstellungen mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren7. Strittig ist, ob der Erblasser von den die Anfechtung begründenden Umständen eine positive Fehlvorstellung gehabt haben muss oder ob bloßes Nichtwissen genügt. Nach der h.M. muss der Erblasser von den vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Umständen, die eine Anfechtung begründen sollen, bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung eine positive irrtümliche Vorstellung gehabt haben8. Dabei ist zwischen Irrtum und Nichtwissen zu unterscheiden, da der hypothetische Wille des Erblassers bei der Anfechtung, im Gegensatz zur Auslegung, nicht zu berücksichtigen ist9. Der BGH hat seine Rechtsprechung hinsichtlich der sog. unbewussten Vorstellungen10 dahingehend konkretisiert, dass die eine Anfechtung begründenden Umstände in der Vorstellungswelt des Erblassers ohne nähere Überlegung so selbstverständlich sind, dass er sie zwar nicht konkret im Bewusstsein hat, aber doch jederzeit abrufen und in sein Bewusstsein holen kann11. Der vom Erblasser bei Errichtung seiner letztwilligen Verfügung erwartete und vorgestellte Umstand muss nicht in der Person des Erblassers selbst oder des Bedachten liegen. Es kann auch ein von den Beteiligten unabhängiger Grund sein, wie z.B. eine erhebliche Veränderung der wirtschaftlichen Situation12 oder eine erneute Heirat.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 56. Lange/Kuchinke, § 26 III 5. Nieder/Kössinger/Kössinger, § 24 Rz. 7. OLG Köln v. 25.5.1990 – 2 Wx 6/90, FamRZ 1990, 1038 (1039). MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 27. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 22. BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412. BGH v. 31.10.1962 – V ZR 129/62, NJW 1963, 246 (247). BGH v. 31.10.1962 – V ZR 129/62, NJW 1963, 246 (247). BGH v. 27.5.1971 – III ZR 53/68, WM 1971, 1153 (1154); OLG Hamm v. 17.1.1994 – 15 W 96/93, ZEV 1994, 109 (111). 11 BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412; Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 5. 12 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 28.

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Kappler

Rz. 6.189 § 6

Formen letztwilliger Verfügungen

Die Umstände können objektiver oder subjektiver Art sein und in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft liegen1. Der Irrtum kann Personen, Gegenstände, politische und wirtschaftliche Verhältnisse sowie Rechtsverhältnisse betreffen. Der Motivirrtum i.S.d. § 2078 Abs. 2 BGB umfasst auch den durch arglistige Täuschung herbeigeführten Irrtum. Auf eine gesetzliche Normierung eines dem § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB entsprechenden Anfechtungstatbestandes konnte daher verzichtet werden.

6.186

Beispiele für Irrtümer i.S.v. § 2078 Abs. 2 BGB sind:

6.187

– enttäuschte Erwartungen über das künftige Verhalten des Bedachten gegenüber dem

Erblasser2,

– die Annahme, zwischen Erblasser und Bedachtem bestehe ein bestimmtes Verwandtschaftsverhältnis, – die Annahme, der gemeinsame Nachlass der Eheleute werde auf die Abkömmlinge übergehen, was infolge der Wiederheirat des Überlebenden nicht eintritt, – die Dauer des Streits zwischen dem Erblasser und seinem Sohn3, – ein bereits gezeugtes Kind werde lebend zur Welt kommen. Die Umstände, deren Eintritt oder Nichteintritt der Erblasser erwartet hatte, müssen nicht von seinem Willen abhängen, sie können aber, wie eine erneute Heirat oder die Geburt eines Kindes, auch durch ihn verursacht werden4. Nach der h.M. darf der Anfechtungsgrund jedoch nicht unter Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben durch den Erblasser geschaffen werden5.

6.188

(4) Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten, § 2079 BGB Nach § 2079 BGB kann die Anfechtung auch darauf gestützt werden, dass der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten (vgl. § 2303 BGB) übergangen hat. Dabei handelt es sich um einen gesetzlich besonders hervorgehobenen Fall des Motivirrtums. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 2079 BGB ist, dass – der Pflichtteilsberechtigte bei Eintritt des Erbfalls gelebt hat oder zumindest bereits gezeugt war (§ 1923 BGB), – dem übergangenen Pflichtteilsberechtigten nichts aus dem Nachlass zugewandt worden ist und er auch nicht ausdrücklich enterbt wurde6, – der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten als Träger des Pflichtteils bei der Errichtung der Verfügung nicht kannte bzw. der Pflichtteilsberechtigte erst nach Errichtung der Verfügung geboren oder sonst pflichtteilsberechtigt geworden ist (z.B. durch Heirat, § 2303 Abs. 2 BGB)7.

1 BGH v. 21.3.1962 – V ZR 157/61, FamRZ 1962, 256; BGH v. 16.3.1983 – IVa ZR 216/81, FamRZ 1983, 898; BayObLG v. 22.4.1971 – 1Z 108/70, BayObLGZ 1971, 147 (149). 2 BGH v. 29.11.1951 – IV ZR 71/51, BGHZ 4, 91; BGH v. 31.10.1962 – V ZR 129/62, NJW 1963, 246; BayObLG v. 12.11.2001 – 1Z BR 134/00, ZEV 2002, 190. 3 OLG Köln v. 25.5.1990 – 2 Wx 6/90, FamRZ 1990, 1038. 4 Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 15 f. 5 BGH v. 29.11.1951 – IV ZR 71/51, BGHZ 4, 91; BGH v. 4.7.1962 – V ZR 206/60, FamRZ 1962, 426 f.; Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 7; Soergel/Loritz, § 2078 Rz. 16. 6 BayObLG v. 21.12.1993 – 1Z BR 49/93, FamRZ 1994, 1066 (1067). 7 BayObLG v. 26.5.1983 – 1Z 82/82, FamRZ 1983, 952.

Kappler 195

6.189

§ 6 Rz. 6.190

Formen letztwilliger Verfügungen

bb) Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten durch Kausalitäts- bzw. Erheblichkeitsprüfung

6.190 Voraussetzung der Anfechtung nach § 2078 Abs. 1 und Abs. 2 BGB ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Irrtum und der Verfügung (Erfordernis der Kausalität)1. Die Anfechtbarkeit nach Abs. 1 setzt voraus, dass der Erblasser die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben hätte. Durch die Verweisung in Abs. 2 auf Abs. 1 wird zudem vorausgesetzt, dass der Erblasser durch den Irrtum oder die Drohung zu der Verfügung bestimmt worden ist. Im Gegensatz zu § 119 Abs. 1 BGB kommt es hier aber nur auf den subjektiven Standpunkt des Erblassers an, nicht aber auf einen objektiven Maßstab2. Ob der Erblasser „bei verständiger Würdigung des Falles“ durch einen objektiven Dritten ebenso verfügt hätte, ist unerheblich3.

6.191 Die irrige Vorstellung muss nicht der alleinige Grund für die Verfügung gewesen sein. Es reicht aus, wenn sie bestimmend oder jedenfalls nicht wegdenkbar für die Entschließung des Erblassers gewesen ist (Motivbündel)4. Der BGH5 verlangt aber, dass der Umstand, der die Fehlvorstellung des Erblassers begründet hat, nicht nur eine Ursache, sondern der bewegende Grund für den geäußerten letzten Willen gewesen sein muss. Deshalb können nur die für den Erblasser besonders schwerwiegenden Umstände von erheblichem Gewicht, die gerade diesen Erblasser aufgrund seiner ihm eigenen Vorstellung mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu verfügen, die Anfechtung begründen (subjektive Erheblichkeit). Der Wille des Erblassers selbst soll im Mittelpunkt stehen, nicht die nachträgliche Spekulation über ihn6.

6.192 Die Anfechtung ist aber ausgeschlossen, wenn der Erblasser seine ursprünglich von einem Irrtum beeinflusste Verfügung bewusst bestehen lässt, nachdem er seinen Irrtum erkannt hat7. Hierzu muss aber feststehen, dass der Erblasser bewusst die Abänderung oder den Widerruf unterließ und dies nicht nur aus Nachlässigkeit, Passivität oder sonstigen anderen Gründen geschah8. Beratungshinweis: Um nach dem Tod des Erblassers ein Anfechtungsrecht zu eröffnen oder aber gerade auch, um die Möglichkeit einer Anfechtung auszuschließen, kann es sich u.U. anbieten, die wesentlichen Verfügungsmotive des Erblassers im Testament anzugeben.

cc) Verzicht auf das Anfechtungsrecht

6.193 Da die Anfechtung ausgeschlossen ist, wenn feststeht, dass der Erblasser die Verfügung auch bei Kenntnis der Sachlage getroffen hätte (§§ 2078 Abs. 1, 2079 S. 2 BGB), soll der Erblasser bereits in der Verfügung von Todes wegen auf sein künftiges Anfechtungsrecht ganz oder teilweise verzichten können9. Hierbei handelt es sich um keinen Verzicht im „klassischen Sinne“, sondern vielmehr um die Offenlegung des Motivs für die Verfügung von Todes wegen10. Durch diesen „Vorausverzicht“ schließt der Erblasser die Anfechtung der Verfügung wegen solcher Tatsachen aus, mit denen er bei Ausspruch des Verzichts rechnen konnte11. Dieser Vorausverzicht wirkt auch gegenüber anfechtungsberechtigten Dritten. 1 BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246; Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 28; Soergel/Loritz, § 2078 Rz. 24; Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 9. 2 KG v. 1.12.1975 – 12 U 1117/75, FamRZ 1977, 271 (273). 3 NK-BGB/Feindl, § 2078 Rz. 33. 4 Lange/Kuchinke, § 35 IV 1, Rz. 78; RGRK/Johannsen, § 2078 Rz. 50. 5 BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412 (1413). 6 BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412 (1413). 7 BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246 (248 f.); Erman/Schmidt, § 2078 BGB Rz. 13. 8 BayObLG v. 12.11.2001 – 1Z BR 134/00, NJW-RR 2002, 367 (370); NK-BGB/Fleindl, § 2078 Rz. 34. 9 vgl. BGH v. 10.1.1983 – VIII ZR 231/81, NJW 1983, 2247 (2249); MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 17 und § 2271 Rz. 37; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 29, § 2281 Rz. 7. 10 Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2281 Rz. 26; NK-BGB/Kornexl, § 2281 Rz. 53. 11 Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 20, § 2271 Rz. 73; Palandt/Weidlich, § 2281 Rz. 2.

196

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.199 § 6

Voraussetzung ist nach h.M. aber, dass sich dieser Vorausverzicht nur auf einen konkret möglich erscheinenden Anfechtungsgrund (z.B. Pflichtteilsübergehung) bezieht und nicht generell auf jeden möglichen Anfechtungsgrund. Das Anfechtungsrecht kann daher nicht für solche Umstände ausgeschlossen werden, die für den Testierenden nicht vorhersehbar gewesen sind, sondern nur hinsichtlich der Tatsachen, mit denen er vernünftigerweise rechnen musste1.

6.194

Für Erbvertrag und gemeinschaftlichen Testament gilt das Gleiche. Da im Erbvertrag oder im gemeinschaftlichen Testament ein Verzicht auf ein künftiges Anfechtungsrecht nach §§ 2078, 2079 BGB regelmäßig kein gesondertes Rechtsgeschäft unter Lebenden ist, sondern Inhalt der Verfügung von Todes wegen, kann er auch vertragsmäßig gem. § 2278 Abs. 2 BGB, bzw. wechselbezüglich gem. § 2270 Abs. 3 BGB, vereinbart werden2.

6.195

dd) Bestätigung eines anfechtbaren Testaments Das Erbrecht selbst enthält keine Vorschriften über die Bestätigung eines anfechtbaren Testaments. In entsprechender Anwendung des § 144 BGB erlischt das Anfechtungsrecht durch formlose einseitige Bestätigung des Anfechtungsberechtigten, obwohl er nicht der Erklärende ist3.

6.196

Der Erblasser selbst ist hingegen nicht zur Anfechtung berechtigt4. Er kann den Anfechtungsgrund aber durch eine erneute, formwirksam errichtete, letztwillige Verfügung beseitigen, in der er den Willen äußert, die anfechtbare Verfügung aufrechtzuerhalten5. Eine inhaltliche Wiederholung ist nicht notwendig. Die Bestätigung der Verfügung durch den Erblasser kann im Einzelfall Indiz dafür sein kann, dass er ohne den Willensmangel bei der Errichtung ebenso verfügt hätte6. Auch bereits in der Untätigkeit des Erblassers, eine neue Verfügung von Todes wegen zu errichten, kann u.U. eine Bestätigung liegen. Erkennt der Erblasser nämlich seinen Irrtum und ändert er die Verfügung von Todes wegen dennoch nicht, kann sich hieraus ergeben, dass die getroffene Verfügung seinem Willen im Zeitpunkt des Erbfalls entspricht; anders aber, wenn sein Unterlassen auf Nachlässigkeit, Passivität oder Scheu vor Kosten basiert7. Alleine die Nichtänderung der letztwilligen Verfügung nach Kenntnis vom Irrtum kann zwar ein aussagekräftiger Umstand über den Willen des Erblassers, gleichwohl bei seiner letztwilligen Verfügung zu bleiben, sein, dazu ist aber die zusätzliche Feststellung erforderlich, dass der Erblasser nicht durch die o.g. Umstände an einer Änderung gehindert worden ist8.

6.197

c) Anfechtungsberechtigung Der Kreis der anfechtungsberechtigten Personen ergibt sich aus § 2080 BGB. Obwohl Erklärender, ist der Erblasser selbst grundsätzlich nicht anfechtungsberechtigt, da er sein Testament jederzeit widerrufen und so Unklarheiten über die Wirksamkeit seiner Verfügung ausschließen kann. Nur beim Erbvertrag und bei einem gemeinschaftlichen Testament steht dem Erblasser nach § 2281 BGB bzw. analog § 2281 BGB ein Selbstanfechtungsrecht zu (s. hierzu Rz. 6.241 ff.).

6.198

Nach dem Erbfall ist grds. jeder, dem die Aufhebung der Verfügung unmittelbar zugutekommt, anfechtungsberechtigt (§ 2080 Abs. 1 BGB), soweit sich aus § 2080 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nichts Anderweitiges ergibt. Dies ist durch Vergleich mit der Rechtslage zu beurteilen, wie sie sich infolge der An-

6.199

1 2 3 4 5 6 7 8

Soergel/Wolf, § 2281 Rz. 7; Staudinger/Otte, § 2079 Rz. 11; MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 16. Bengel, DNotZ 1984, 132 (139 f.). Brox/Walker, § 17 Rz. 12. Palandt/Weidlich, § 2080 Rz. 3. Kipp/Coing, § 24 VII 1; Bengel, DNotZ 1984, 132 (134). BayObLG v. 7.1.1975 – 1 ZS BReg 1Z 100/74, Rpfleger 1975, 242. Palandt/Weidlich, § 2278 Rz. 9; OLG Köln v. 28.5.1990 – 2 Wx 6/90, FamRZ 1990, 1038. OLG Köln v. 28.5.1990 – 2 Wx 6/90, FamRZ 1990, 1038; BayObLG v. 3.10.1989 – BReg. 1 A Z 23/89, FamRZ 1990, 211.

Kappler 197

§ 6 Rz. 6.200

Formen letztwilliger Verfügungen

fechtung darstellen würde1. Unmittelbar bedeutet, dass der Anfechtende mit dem Wegfall der Verfügung Erbe oder von einer Verpflichtung (z.B. Vermächtnis) frei wird2. So können auch Ersatzerben (§ 2096 BGB) oder gesetzliche Erben eine Erbeinsetzung, der Vorerbe die Einsetzung eines Nacherben (und umgekehrt), der Beschwerte die Anordnung eines Vermächtnisses oder einer Auflage und der durch ein früheres Testament eingesetzte Erbe die Einsetzung eines anderen Erben in einem späteren Testament anfechten. Unter mehreren Anfechtungsberechtigten kann jeder von ihnen mit Wirkung für alle anfechten3.

6.200 Bei der Irrtumsanfechtung kann nur derjenige die Verfügung anfechten, auf den sich der Irrtum bezieht (§ 2080 Abs. 2 BGB). Bei der Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) ist nur dieser zur Anfechtung berechtigt (§ 2080 Abs. 3 BGB).

6.201 Das einmal entstandene Anfechtungsrecht ist vererblich, jedoch nicht übertragbar oder pfändbar4. Seine Ausübung kann aber demjenigen überlassen werden, der ein eigenes Interesse an der Anfechtung hat. Testamentsvollstrecker und Nachlasspfleger können nur die Anordnungen des Erblassers anfechten, die ihre Befugnisse einschränken5. d) Form der Anfechtung durch Dritte

6.202 Die Anfechtungserklärung durch Dritte kann schriftlich oder zu Protokoll gegenüber dem Nachlassgericht (§ 2081 Abs. 1 BGB) abgegeben werden6. Sie ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und wird erst mit Zugang beim örtlich und sachlich zuständigen Nachlassgericht wirksam7. Sie muss nach h.M. weder das Wort „Anfechtung“ enthalten noch müssen gesetzliche Bestimmungen genannt werden8. Es muss jedoch der eindeutige Willen zu erkennen sein, dass die Verfügung so vernichtet werden soll, als habe sie nie bestanden9. Die Anfechtungserklärung muss daher die betroffene Verfügung erkennen lassen und zum Ausdruck bringen, dass ein Mangel des Erblasserwillens geltend gemacht wird10. Nicht ausreichend ist daher das bloße Bestreiten der Testierfähigkeit11. Nach Ansicht der Rspr. muss die Anfechtung aber nicht begründet werden12. Richtigerweise wird man aber jedenfalls verlangen können, dass Anfechtungsgrund und zugrundeliegender Lebenssachverhalt wenigstens in groben Zügen angegeben werden13.

6.203 Für die Anfechtung von Erbverträgen durch Dritte nach dem Tod des Erblassers gilt ebenfalls § 2081 BGB14, ebenso für die Anfechtung von gemeinschaftlichen Testamenten durch Dritte15.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, FamRZ 1985, 806. Brox/Walker, § 17 Rz. 8. BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, FamRZ 1985, 806. Palandt/Weidlich, § 2080 Rz. 4. Palandt/Weidlich, § 2080 Rz. 4. Palandt/Weidlich, § 2081 Rz. 2. Keidel/Sternal, FamFG, § 2 Rz. 33; Palandt/Weidlich, § 2081 Rz. 2. BayObLG v. 3.8.1989 – BReg.1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346; BayObLG v. 11.6.1991 – 1Z 31/91, FamRZ 1992, 226. BayObLG v. 11.6.1991 – BReg.1 Z 31/91, FamRZ 1992, 226. BayObLG v. 3.8.1989 – 1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346. BayObLG v. 3.8.1989 – 1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346 (1347). BayObLG v. 3.8.1989 – 1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346; BayObLG v. 11.6.1991 – BReg.1 Z 31/91, FamRZ 1992, 226. NK-BGB/Feindl, § 2081 Rz. 5; MüKo.BGB/Leipold, § 2081 Rz. 18; Staudinger/Otte, § 2082 Rz. 12. Staudinger/Kanzleiter, § 2285 Rz. 3. Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 82.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.207 § 6

e) Anfechtungsfrist Die Anfechtung kann nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen 6.204 (§ 2082 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB). Auf den Lauf der Frist finden die §§ 203, 206, 207 BGB entsprechende Anwendung (§ 2082 Abs. 2 S. 2 BGB). Der Fristbeginn setzt die Kenntnis vom Erbfall, von den anfechtungsbegründenden Tatsachen und der anzufechtenden letztwilligen Verfügung voraus1, ferner die Kenntnis des Irrtums oder der Drohung und des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Irrtum bzw. der Drohung und der letztwilligen Verfügung. Fehlvorstellungen des Anfechtungsberechtigten rein tatsächlicher Art hindern somit den Lauf der Anfechtungsfrist2. Hierzu zählt auch der Fall, dass sich der überlebende wiederverheiratete Ehegatte ohne weitere Gedächtnishilfe nicht mehr an die bindende Schlusserbeneinsetzung erinnern kann3. Strittig ist, inwieweit auch ein Rechtsirrtum die Kenntnis vom Anfechtungsgrund ausschließt4. Nach h.M.5 kann ein Rechtsirrtum den Fristbeginn nur dann hinausschieben, wenn er die Unkenntnis einer die Anfechtung begründenden Tatsache zur Folge hat. Es genügt jedoch nicht, wenn es sich nur um die rechtsirrtümliche Beurteilung des Anfechtungstatbestandes handelt6.

6.205

Beratungshinweis: Beim gemeinschaftlichen Testament wird die Anfechtungsfrist nicht gehemmt, wenn der gebundene Erblasser nach seiner Wiederheirat die Bindung und/oder seine Anfechtungsmöglichkeit nach §§ 2281, 2079 BGB nicht kennt7. Dagegen beginnt die Frist nicht, wenn er das gemeinschaftliche Testament für ungültig oder seinen neuen Ehegatten für nicht pflichtteilsberechtigt hält8.

Beim gemeinschaftlichen Testament bzw. Erbvertrag kann die Anfechtungsfrist frühestens mit dem ersten Erbfall und der Kenntnis des Anfechtungsgrundes beginnen. Soll jedoch die Schlusserbeneinsetzung angefochten werden, beginnt die Frist erst mit dem zweiten Erbfall, da insoweit immer nur die Verfügung des zweitverstorbenen Ehegatten Wirksamkeit erlangen kann9.

6.206

Ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Anfechtungsgrundes erlischt das Anfechtungsrecht mit dem Ablauf von 30 Jahren seit dem Erbfall (§ 2082 Abs. 3 BGB).

6.207

Beratungshinweis: Wird durch die anfechtbare letztwillige Verfügung die Verpflichtung zu einer Leistung begründet (Vermächtnis oder Auflage), bleibt dem Verpflichteten auch nach dem Ablauf der Ausschlussfrist des § 2082 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht erhalten (§ 2083 BGB). Dies resultiert aus dem Umstand, dass der Anfechtungsberechtigte bisweilen keinen Anlass haben wird, die Anfechtung zu erklären, wenn der aus der letztwilligen Verfügung Begünstigte ihn bislang nicht auf Leistung in Anspruch genommen hat10.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BayObLG v. 14.9.1994 – 1Z BR 29/94, FamRZ 1995, 1024. Soergel/Loritz, § 2082 Rz. 3; MüKo.BGB/Leipold, § 2082 Rz. 5. BayObLG v. 14.9.1994 – 1Z BR 29/94, FamRZ 1995, 1024. S. dazu Rosemeier, ZEV 1995, 124; eingehend J. Mayer, Der Rechtsirrtum und seine Folgen im bürgerlichen Recht, 1989. RG v. 11.12.1930 – IV B 27/30, RGZ 132, 1 (4); BGH v. 3.12.1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79 (80); BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430; Staudinger/Kanzleiter, § 2283 Rz. 8; Palandt/Weidlich, § 2082 Rz. 3; krit. MüKo.BGB/Leipold, § 2082 Rz. 5; Rosemeier, ZEV 1995, 124 (129). BGH v. 9.3.2011 – IV ZB 16/10, FamRZ 2011, 1224. BGH v. 3.12.1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79 (80); BayObLG v. 3.12.1990 – BReg. 1a Z 70/88, NJW-RR 1991, 454; BayObLG v. 14.9.1994 – 1Z BR 29/94, FamRZ 1995, 1024. Gutachten in DNotI-Report 1998, 78. MüKo.BGB/Leipold, § 2082 Rz. 10. NK-BGB/Feindl, § 2083 Rz. 1; Staudinger/Otto, § 2083 Rz. 1.

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§ 6 Rz. 6.208

Formen letztwilliger Verfügungen

f) Wirkung der Anfechtung

6.208 Die form- und fristgerecht von dem dazu Berechtigten erklärte Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen führt rückwirkend zu deren Nichtigkeit (§ 142 Abs. 1 BGB)1. Die Nichtigkeit erfasst aber im Zweifel, mit Ausnahme des § 2079 BGB, nicht das gesamte Testament (§ 2085 BGB), sondern immer nur die angefochtenen Verfügungen des Erblassers2 und diese auch nur soweit, als anzunehmen ist, dass der Erblasser sie bei Kenntnis der Sachlage nicht getroffen hätte3. Die vom Irrtum unbeeinflussten anderen Verfügungen des Testaments lässt die Anfechtung dagegen unberührt (§ 2085 BGB). Die von nur einem von mehreren Berechtigten erklärte Anfechtung wirkt absolut und kommt auch den übrigen Berechtigten zugute4.

6.209 Soweit durch die Anfechtung nicht ein älteres Testament wieder in Kraft gesetzt wird oder spätere Verfügungen des Überlebenden trotz § 2271 Abs. 2 BGB wirksam werden, gelangt die gesetzliche Erbfolge zur Wirkung. Da die letztwillige Verfügung keinen Vertrauensschutz rechtfertigt, ist der Anfechtende im Gegensatz zur Regelung des § 122 BGB auch nicht zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet (§ 2078 Abs. 3 BGB).

6.210 Im Gegensatz zu § 2078 BGB vernichtet die Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB grundsätzlich das gesamte Testament, weil die Berücksichtigung eines weiteren Erben alle Erbteile verschieben würde. Einzelne Verfügungen bleiben nur wirksam, wenn nach § 2079 S. 2 BGB positiv feststeht, dass der Erblasser sie auch bei Kenntnis der Sachlage getroffen haben würde5. g) Beweisfragen

6.211 Derjenige, der sich auf die Anfechtung beruft, trägt die Darlegungs- und Beweis- bzw. Feststellungslast für ihre Voraussetzungen6. Hinsichtlich eines behaupteten Motivirrtums dürfen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden7. Der Nachweis des Irrtums des Erblassers kann mit allen Beweismitteln geführt werden, auch mit seinen eigenen, nachgewiesenen mündlichen Äußerungen8. Der Anfechtende muss auch die Kausalität (Erheblichkeit) zwischen dem Irrtum und der letztwilligen Verfügung beweisen9. Die – an sich nicht erforderliche – Angabe von Gründen durch den Erblasser in der letztwilligen Verfügung hat eine Vermutung dahingehend zur Folge, dass diese Gründe für den Erblasser maßgebend waren10. Die Beweis- bzw. Feststellungslast für den Ausschluss eines entstandenen Anfechtungsrechts durch Zeitablauf trägt nach h.M. der Anfechtungsgegner11.

1 2 3 4 5

6 7 8 9 10 11

Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 10. BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, FamRZ 1985, 806. BayObLG v. 22.4.1971 – 1Z 108/70, NJW 1971, 1565. BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, FamRZ 1985, 806. BayObLG v. 26.3.2004 – 1Z BR 114/03, NJW-RR 2005, 91; OLG Brandenburg v. 27.5.1997 – 10 Wx 31/96, FamRZ 1998, 59 (62); OLG Schleswig v. 7.12.2015 – 3 Wx 108/15, NJW 2016, 1831; Palandt/ Weidlich, § 2079 Rz. 6; a.A.: nur insoweit, als die Verfügung den Pflichtteilsberechtigten vom seinem gesetzlichen Erbrecht ausschließt, OLG Köln v. 13.4.1956 – 8 W 16/56, NJW 1956, 1522; Erman/Schmidt, § 2079 Rz. 5. BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, FamRZ 1985, 806. OLG Frankfurt v. 12.2.1997 – 20 W 96/95, FamRZ 1997, 1433. Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 11. BayObLG v. 22.4.1971 – 1Z 108/70, BayObLGZ 1971, 147 (150). BGH v. 14.1.1965 – III ZR 131/63, NJW 1965, 584. BayObLG v. 14.9.1994 – 1Z BR 29/94, FamRZ 1995, 1025; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2283 Rz. 6.

200

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.216 § 6

III. Der Erbvertrag 1. Rechtsnatur des Erbvertrags Der Erbvertrag ist ein einheitliches, abstraktes, unentgeltliches Rechtsgeschäft von Todes wegen. Gleichzeitig ist er ein echter Vertrag, der eine besondere erbrechtliche Bindung des Erblassers an seine vertragsmäßigen Verfügungen von Todes wegen begründet1. Die Besonderheit des Erbvertrags liegt in seiner Doppelnatur als Verfügung von Todes wegen und Vertrag. Nach heute h.M. ist der Erbvertrag ein einheitliches Rechtsgeschäft, bestehend aus einem echten, abstrakten Vertrag2 und gleichzeitig einer Verfügung von Todes wegen3.

6.212

Aus seiner Natur als echter Vertrag ergibt sich die Bindung des Erblassers und die damit verbundene Einschränkung seiner Testierfreiheit (vgl. § 2289 BGB). Insoweit unterscheidet sich der Erbvertrag vom Testament. Insbesondere ist bei ihm die freie Widerrufbarkeit ausgeschlossen (vgl. §§ 2290 ff. BGB).

6.213

Als Verfügung von Todes wegen gelten für den Erbvertrag weitgehend die gesetzlichen Vorschriften 6.214 über letztwillige Zuwendungen und Auflagen entsprechend (vgl. § 2279 Abs. 1 BGB). Der Erblasser verfügt auch beim Erbvertrag nicht in dem Sinne, dass er eine unmittelbare Rechtsänderung bewirkt. Schuldrechtliche Verpflichtungen werden durch den Erbvertrag nicht begründet. Der Vertragspartner, der die Willenserklärung des Erblassers annimmt, geht damit nicht die Verpflichtung ein, die Erbschaft oder das Vermächtnis anzunehmen, wenn er selbst im Erbvertrag bedacht ist. Er kann die Zuwendung jederzeit ausschlagen4. Der im Erbvertrag bedachte Erbe oder Vermächtnisnehmer erwirbt, wie beim Testament, vor dem Tod des Erblassers weder einen künftigen Anspruch noch eine rechtlich gesicherte Anwartschaft, sondern lediglich eine tatsächliche Aussicht5. Rechte und Pflichten des erbrechtlich Bedachten entstehen erst mit dem Erbfall. Soweit sie schuldrechtlicher Art sind, richten sie sich nicht gegen den Erblasser, sondern gegen den Erben oder Dritte, z.B. den Erbschaftsbesitzer (§ 2018 BGB). Dieses ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen einem Erbvertrag und einem Rechtsgeschäft unter Lebenden. Kein Erbvertrag, sondern ein Vertrag unter Lebenden ist daher ein Rechtsgeschäft, das den Vollzug des Vertrags bis zum Tod hinauszögert, aber dennoch mit sofortiger Wirkung rechtliche Pflichten erzeugt6. Auch ein Erbschaftskaufvertrag, durch den sich der Erbe verpflichtet, nach dem Erbfall die ihm angefallene Erbschaft auf den Käufer zu übertragen (§§ 2371 ff. BGB), ist kein Erbvertrag. Verträge über den Nachlass noch lebender Dritter unterscheiden sich von Erbverträgen dadurch, dass an ihnen der Erblasser nicht beteiligt ist und sie nur einen schuldrechtlichen, nicht aber erbrechtlichen Inhalt aufweisen (vgl. § 311b Abs. 4 und 5 BGB)7. Schenkungen von Todes wegen nach § 2301 BGB sind keine Erbverträge. Für sie gelten nach § 2301 Abs. 1 BGB jedoch die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen.

6.215

2. Erbvertrag in Abgrenzung zum Testament Sowohl das Testament als auch der Erbvertrag können als Verfügungen von Todes wegen nur vom 6.216 Erblasser persönlich errichtet werden (§§ 2274, 2064 BGB). Auf vertragsmäßige Zuwendungen und Auflagen finden zudem die für letztwillige Zuwendungen und Auflagen geltenden Vorschriften ent1 2 3 4 5

Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 3. BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (207). MüKo.BGB/Musielak, Vor § 2274 Rz. 3; Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 4. Kipp/Coing, § 87 I. BGH v. 19.1.1954 – V ZB 28/53, BGHZ 12, 115 (118); BayObLG v. 28.11.1952 – BReg. 1Z 216/52, BayObLGZ 1952, 289. 6 BGH v. 1.6.1983 – IVa ZR 35/82, FamRZ 1983, 897. 7 Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 13.

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§ 6 Rz. 6.217

Formen letztwilliger Verfügungen

sprechende Anwendung (§ 2279 Abs. 1 BGB). Auch sind einseitige Verfügungen, die in einem Erbvertrag enthalten sind, nach Testamentsrecht zu beurteilen (§ 2299 BGB).

6.217 Das Besondere am Erbvertrag in Abgrenzung zum Testament ist jedoch die Bindung des Erblassers an seine vertragsmäßigen Verfügungen. Während das Testament grundsätzlich nach den §§ 2253 ff. BGB widerrufen werden kann, sind die vertragsmäßigen Verfügungen eines Erbvertrags grundsätzlich nach § 2289 Abs. 1 S. 2 unwiderruflich. Hinzu kommen unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit des Erblassers, bei den Formvorschriften und bei der Anfechtung, die bei einem Erbvertrag durch den Erblasser im Wege der Selbstanfechtung vorgenommen werden kann (vgl. §§ 2275, 2276, 2281 ff., 2229, 2265 ff. BGB)1.

6.218 Anders als beim gemeinschaftlichen Testament, bei dem jeder Ehegatte wenigstens eine Verfügung von Todes wegen treffen muss – wenngleich überhaupt keine wechselbezügliche Verfügung enthalten sein muss – muss ein Erbvertrag mindestens eine vertragsmäßige Verfügung enthalten, andernfalls kein Erbvertrag vorliegt2. In der Bindungswirkung nähern sich wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten in ihrer Rechtsfolge den vertragsmäßigen Verfügungen in Erbverträgen aber an; denn die §§ 2287 f. BGB gelten ab diesem Zeitpunkt für die wechselbezüglichen Verfügungen entsprechend3.

6.219 Erbverträge, die unwirksam sind, bspw. weil sie keine vertragsmäßige Verfügung enthalten, können nach § 140 BGB in ein gemeinschaftliches Testament oder einseitige Testamente umgedeutet werden, wenn die entsprechenden Wirksamkeitsvoraussetzungen gegeben sind4. 3. Voraussetzungen für den Abschluss eines Erbvertrags

6.220 Der Erblasser kann einen Erbvertrag nur persönlich schließen, § 2274 BGB. Eine Stellvertretung ist nicht möglich. Der Erblasser kann sich bei Abschluss eines Erbvertrags weder durch einen gesetzlichen Vertreter noch durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen5. Ein Verstoß gegen das Vertretungsverbot hat die Nichtigkeit des Erbvertrags zur Folge. Erblasser i.S.v. § 2274 BGB ist nur, wer selbst eine vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen trifft6. Der andere Vertragspartner, der lediglich zur Herbeiführung der Bindungswirkung am Erbvertrag beteiligt ist, kann sich hingegen, soweit er nicht selbst Verfügungen trifft, vertreten lassen7.

6.221 Der Erblasser muss bei Abschluss des Erbvertrags unbeschränkt geschäftsfähig sein, § 2275 BGB, da er sich vertragsmäßig bindet. Die Testierfähigkeit allein reicht nicht. Erbverträge Geschäftsunfähiger oder beschränkt Geschäftsfähiger sind daher nichtig, § 105 BGB. Sie bleiben es selbst dann, wenn der gesetzliche Vertreter den Vertrag genehmigt oder wenn der Erblasser später volljährig wird8. Unter den Voraussetzungen des § 140 BGB kann der nichtige Erbvertrag jedoch in ein Testament umgedeutet werden9.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 11. BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204. BGH v. 23.2.1982 – IV a ZR 186/81, BGHZ 87, 24. Erman/Kappler/Kappler, § 2278 Rz. 1; NK-BGB/Kornexl, § 2278 Rz. 3. Vgl. BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, NJW 1955, 100. MüKo.BGB/Musielak, § 2274 Rz. 5; Soergel/Wolf, § 2274 Rz. 4. Staudinger/Kanzleiter, § 2274 Rz. 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2274 Rz. 2. NK-BGB/Kornexl, § 2275 Rz. 8. Staudinger/Kanzleiter, § 2275 Rz. 3.

202

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.226 § 6

4. Arten des Erbvertrags a) Einseitiger, zweiseitiger und mehrseitiger Erbvertrag Erbverträge lassen sich in drei Typen einteilen: einseitige Erbverträge, zweiseitige Erbverträge und mehrseitige Erbverträge. Ein einseitiger Erbvertrag liegt vor, wenn nur ein Vertragspartner (also der sog. Vertragserblasser) eine oder mehrere vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen trifft. Der andere Vertragspartner nimmt diese Erklärung lediglich an, ohne dass er vertragsmäßig über sein Vermögen letztwillig verfügt; er wirkt mithin lediglich zur Herbeiführung der vertragsmäßigen Bindungswirkung mit. Der Vertrag ist auch dann einseitig, wenn der Vertragspartner ebenfalls einseitige Verfügungen von Todes wegen vornimmt oder sich schuldrechtlich durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden verpflichtet1.

6.222

Wird ein Erbvertrag von zwei Personen geschlossen und treffen beide Vertragsteile vertragsmäßige Verfügungen i.S.d. § 2278 BGB, spricht man von einem zweiseitigen Erbvertrag. Die Erblasser können sich entweder gegenseitig bedenken oder zugunsten eines Dritten verfügen. Bedenken sich die Vertragspartner gegenseitig, liegt ein sog. gegenseitiger, reziproker Erbvertrag vor. Enthält ein Erbvertrag vertragsmäßige Verfügungen von drei oder noch mehr Personen, spricht man von einem mehrseitigen Erbvertrag2.

6.223

b) Erbverträge zugunsten des Vertragspartners oder eines Dritten Der Erblasser kann in einem Erbvertrag vertragsmäßige Verfügungen zugunsten anderer Vertragspartner und/oder zugunsten eines Dritten treffen. Auch wenn im letztgenannten Fall von einem „Erbvertrag zugunsten Dritter“ gesprochen werden könnte, handelt es sich freilich nicht um einen Vertrag zugunsten Dritter entsprechend den §§ 328 ff. BGB; diese Vorschriften sind hier nicht anwendbar (s. auch Rz. 6.401 ff.).

6.224

c) Entgeltlicher oder unentgeltlicher Erbvertrag Ein entgeltlicher Erbvertrag ist ein einheitliches, zusammengesetztes Rechtsgeschäft, welches aus einem Erbvertrag mit einer vertragsmäßigen Zuwendung und einem Verkehrsgeschäft besteht, in dem sich der Vertragspartner mit Blick auf die erbvertraglichen Verfügungen zur Erbringung von Leistungen an den Erblasser verpflichtet3. Durch die Verbindung zwischen Erbvertrag und schuldrechtlichen Verpflichtungen wird dennoch kein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung (Synallagma) geschaffen; die §§ 320 ff. BGB sind nicht anwendbar4. Da aber Erbvertrag und Versorgungsvertrag (oftmals als „Verpfründungsvertrag“ bezeichnet) in einem engen wirtschaftlichen und ursächlichen Zusammenhang stehen, will § 2295 BGB dem Erblasser ein Rücktrittsrecht gewähren, wenn der Versorgungsvertrag aufgehoben wird.

6.225

Beispiel: Der Vertragserbe verpflichtet sich zur Betreuung des Erblassers im Alter oder im Krankheitsfall.

Ein unentgeltlicher Erbvertrag liegt vor, wenn der Bindung des Erblassers an seine vertragsmäßigen Verfügungen keine Gegenleistung des Vertragspartners gegenübersteht5. Ist der Vertragspartner nur beschränkt geschäftsfähig, kann er nach § 107 BGB den Vertrag selbst abschließen, da er lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt.

1 2 3 4

Erman/Kappler/Kappler, Vor §§ 2274 Rz. 2. Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 21. Eingehend hierzu J. Mayer, DNotZ 2012, 89. BGH v. 5.10.2010 – IV ZR 30/10, NJW 2011, 224; BayObLG v. 28.1.1998 – 1Z BR 162/97, BayObLGZ 1998, 22 (25). 5 Brox/Walker, § 14 Rz. 13.

Kappler 203

6.226

§ 6 Rz. 6.227

Formen letztwilliger Verfügungen

5. Aufhebungs- und Bindungswirkung des Erbvertrags

6.227 Vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag sind bindend. Die Bindung richtet sich nach den Verhältnissen zur Zeit des Vertragsschlusses, und zwar in dem Umfang, den die Vertragsparteien im Rahmen der gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten gewollt haben. Damit wird bezweckt, dass der Vertragsgegner (nicht der Bedachte) sich auf die vertragsmäßigen Verfügungen verlassen kann. § 2289 BGB behandelt die Folgen dieser Bindung. Sie wirkt durch Aufhebung früherer Verfügungen in die Vergangenheit (Abs. 2 S. 1) und durch Einengung der Testierfreiheit in die Zukunft (Abs. 1 S. 2). Seine Aufhebungs- und Bindungswirkung entfaltet der Erbvertrag aber nur, wenn er bis zum Eintritt des Erbfalls wirksam bestehen bleibt1. Vor dem Erbfall erwirbt der Bedachte kein Anwartschaftsrecht, sondern lediglich eine tatsächliche Erwerbsaussicht. Auch Rechtsgeschäfte unter Lebenden bleiben dem Erblasser gestattet (§ 2286) wie auch familienrechtliche Geschäfte2. Auf wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament ist § 2289 BGB, mit Ausnahme von Abs. 2 (i.V.m. § 2271 Abs. 3 BGB) nicht (entsprechend) anwendbar3. a) Aufhebungswirkung

6.228 Durch den Abschluss eines Erbvertrags werden frühere letztwillige Verfügungen des Erblassers aufgehoben, soweit durch sie das Recht des Vertragserben beeinträchtigt würde, § 2289 Abs. 1 S. 1 BGB. Wechselbezügliche bzw. vertragsmäßige Verfügungen in vorangegangenen gemeinschaftlichen Testamenten bzw. Erbverträgen können freilich nur dann aufgehoben werden, wenn der Aufhebungsvertrag von denselben Vertragsparteien geschlossen wird, vgl. §§ 2271, 2289 Abs. 1 S. 2, 2290 BGB. Im Erbvertrag enthaltene einseitige Verfügungen i.S.v. § 2299 BGB haben hingegen nur die Wirkung eines widersprechenden Testaments gem. § 2258 BGB, da für sie § 2289 BGB auch nicht entsprechend gilt4.

6.229 Die Aufhebungswirkung eines Erbvertrags ist weit stärker als die eines widersprechenden Testaments. Durch § 2258 BGB hat ein später errichtetes Testament insoweit aufhebende Wirkung, als es mit dem früheren in Widerspruch steht. § 2289 Abs. 1 BGB stellt jedoch darauf ab, ob das Recht des durch den Vertrag Bedachten aufgrund des früheren Testaments beeinträchtigt wird. Im Falle einer Beeinträchtigung wird die frühere Verfügung unwirksam5. Eine Beeinträchtigung i.d.S. liegt vor, wenn bei Fortgeltung der früheren (bzw. hinsichtlich der Sperrwirkung des Abs. 1 S. 2 einer späteren) Verfügung von Todes wegen Inhalt und Umfang der Rechtsstellung des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigt werden würde6. Auf bloß wirtschaftliche Aspekte darf dabei nicht abgestellt werden, dies wäre mit dem Wesen des Erbvertrags unvereinbar7. Auch ein bloß ideeller Nachteil ist unerheblich. Gleichwohl verbietet sich, wie auch der BGH andeutet8, eine starre Abgrenzung9. Maßgebliches Kriterium ist vielmehr der Nachlassverteilungsplan des Erblassers: Eine Beeinträchtigung liegt demnach immer dann vor, wenn der Inhalt einer früheren (oder späteren) Verfügung von Todes wegen nicht mit dem bindenden Teil des Verteilungsplans vereinbar ist; die Beeinträchtigung kann demnach sowohl rechtlicher als auch wirtschaftlicher Art sein. Selbst unter Zugrundelegung der Bedenken des BGH, nach dem eine rein wirtschaftliche Beeinträchtigung nicht genügen soll, sind Fälle,

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Erman/Kappler/Kappler, § 2289 Rz. 4. Erman/Kappler/Kappler, § 2289 Rz. 1. NK-BGB/Kornexl, § 2289 Rz. 3. MüKo.BGB/Musielak, § 2289 Rz. 5; Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 2. Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rz. 3. Vgl. BGH v. 6.4.2011 – IV ZR 232/09, NJW 2011, 1733; MüKo.BGB/Musielak, § 2289 Rz. 10. BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204. BGH v. 6.4.2011 – IV ZR 232/09, NJW 2011, 1733. So aber etwa Muscheler, ErbR Bd. I, 2228: bei der Beeinträchtigung darf nicht auch auf wirtschaftliche Aspekte abgestellt werden; oder MüKo.BGB/Musielak, § 2289 Rz. 10: der Vergleich ist rein aus rechtlicher Sicht vorzunehmen.

204

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.233 § 6

in denen eine wirtschaftliche Beeinträchtigung nicht zugleich auch eine rechtliche Beeinträchtigung darstellt, schwer vorstellbar1. So beeinträchtigt bspw. die frühere Einsetzung eines Miterben die spätere vertragsmäßig verfügte 6.230 Alleinerbenstellung ebenso wie die Einsetzung eines Nacherben die spätere Vollerbenstellung. Auf unvereinbare Verfügungen ist die Beeinträchtigung aber nicht beschränkt. Es werden auch miteinander vereinbare Verfügungen erfasst, die aber das vertragsmäßig vorgesehene Erbrecht beeinträchtigen. I.d.S. werden frühere Anordnungen von Testamentsvollstreckung und Vermächtnissen sowie Auflagen aufgehoben, wenn die spätere vertragsmäßige Zuwendung frei von solchen Belastungen gelten sollte. Stellt die vertragsmäßige Verfügung einen Bedachten im Verhältnis zur früheren letztwilligen Verfügung schlechter (etwa wenn der testamentarisch eingesetzte Alleinerbe im Erbvertrag nur zum Miterben eingesetzt wird, ohne jedoch weitere Miterben zu benennen), greift § 2289 BGB mangels Beeinträchtigung nicht ein. Gleichwohl kann in diesem Fall die widersprochene letztwillige Verfügung nicht wirksam bleiben, der Vertragspartner soll sichergehen, dass die vertragsmäßige Verfügung zum Zuge kommt2. Beratungshinweis: Der Erblasser ist nicht verpflichtet, den Widerruf bzw. Aufhebung früherer testamentarischer Anordnungen in einen Erbvertrag ausdrücklich aufzunehmen. Ein entsprechender Widerruf bzw. Aufhebung können sich auch durch Auslegung ergeben3. Die Frage nach dem Fortbestand bzw. dem Widerruf/Aufhebung früherer Verfügungen von Todes wegen sollte aber im Interesse einer eindeutigen Rechtslage niemals offen gelassen, sondern ausdrücklich geregelt werden.

b) Bindungswirkung Spätere Verfügungen von Todes wegen treffen von vornherein auf die Bestandskraft der Bindung. So- 6.231 weit die Bindung reicht, sind sie unwirksam (§ 2289 Abs. 1 S. 2 BGB). Freilich bezieht sich die vertragsmäßige Bindung des Erblassers ausschließlich auf die vertragsmäßigen Verfügungen. Einseitige Verfügungen des Erblassers im Erbvertrag kann der Erblasser entsprechend § 2299 BGB jederzeit durch einseitige oder vertragliche Verfügungen von Todes wegen widerrufen oder ändern. Unabhängig davon, dass die Bindung gegenüber dem Vertragspartner besteht, betrifft sie die für den Bedachten vorgesehene Rechtsstellung. Beeinträchtigt werden kann nur die verbindlich vorgesehene Rechtsstellung. Hat sich der Erblasser aber eine Änderung der vertragsmäßigen Verfügung vorbehalten, sog. Änderungsvorbehalt (s hierzu Rz. 6.236 ff.), ist er insoweit ungebunden, und die vorbehaltene Verfügung von Todes wegen vermag die Rechtsstellung des Bedachten nicht zu beeinträchtigen. Ob i.Ü. eine Beeinträchtigung des vertragsmäßig Bedachten durch eine spätere Verfügung anzunehmen ist, ergibt sich aus einem Vergleich der einerseits im Erbvertrag, andererseits in der späteren Verfügung festgelegten Rechtsstellung des vertragsmäßig Bedachten4; zum Beurteilungsmaßstab s. Rz. 6.229 f.

6.232

So liegen z.B. Beeinträchtigungen in der nachträglichen Anordnung einer Nacherbschaft5, bei der Anordnung eines Vorausvermächtnisses über den gesamten Nachlass6, bei anderweitiger Festlegung einer Erbquote7, bei der Einsetzung eines Schiedsgerichts8 oder der späteren Anordnung einer Tes-

6.233

1 Erman/Kappler/Kappler, § 2289 Rz. 3; NK-BGB/Kornexl, § 2289 Rz. 29; BaRo/Litzenburger, § 2289 Rz. 7. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2289 Rz. 5. 3 Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2289 Rz. 9. 4 BGH v. 6.4.2011 – IV ZR 232/09, NJW 2011, 1733. 5 OLG Hamm v. 27.2.1974 – 15 W 180/73, NJW 1974, 1774. 6 OLG Stuttgart v. 29.8.2002 – 19 U 39/02, ZEV 2003, 79. 7 OLG Düsseldorf v. 29.1.2007 – 3 Wx 256/06, FamRZ 2007, 769. 8 OLG Hamm v. 8.10.1990 – 8 U 38/90, NJW-RR 1991, 455; Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 5; Wendt, ErbR 2016, 248; a.M. OLG Celle v. 10.12.2015 – 6 W 205/15, NJW-RR 2016, 331.

Kappler 205

§ 6 Rz. 6.234

Formen letztwilliger Verfügungen

tamentsvollstreckung1. Ob die Auswechslung lediglich der Person des Testamentsvollstreckers beeinträchtigend wirkt, ist eine Frage des Einzelfalls2.

6.234 Die nachträgliche Anordnung einer Teilungsanordnung hat hingegen keinen beeinträchtigenden Charakter, solange sie nicht wertverschiebend ist3. Verbessert der Erblasser die Rechtsstellung des vertragsmäßig Bedachten durch eine spätere Verfügung von Todes wegen und werden dadurch keine Rechte anderer vertragsmäßig Bedachter beeinträchtigt, ist die spätere Verfügung wirksam4; soweit Verfügungen vertragsmäßig getroffen sind, verbleibt es bei der Bindung im Umfang des Erbvertrags. Keine Beeinträchtigung einer vertragsmäßigen Verfügung liegt vor, wenn sich die spätere Verfügung auf einen anderen Gegenstand bezieht oder über denselben Gegenstand dasselbe bestimmt wird. Auch wenn die spätere letztwillige Verfügung nur für den Fall getroffen wurde, dass die vertragsmäßige unwirksam ist, liegt keine Beeinträchtigung des vertragsmäßig Bedachten vor5. Zulässig ist auch die nachträgliche Anordnung familienrechtlicher Regelungen durch den Erblasser. Hierzu zählen der Entzug des Verwaltungsrechts gegenüber dem gesetzlichen Vertreter (§ 1638 BGB), die Erklärung zum Vorbehaltsgut (§ 1418 Abs. 2 Nr. 2 BGB) oder die Anordnung der Vermögensverwaltung durch die Eltern oder den Vormund (§§ 1639, 1909 BGB)6. Beratungshinweis: Will der Erblasser neue Verfügungen von Todes wegen treffen, ist vorab immer zu prüfen, inwieweit entgegenstehende Bindungswirkung vorliegt. Alleine der Umstand, dass ein gemeinschaftliches Testament bzw. ein Erbvertrag vorliegen, ist noch kein ausreichendes Indiz für entgegenstehende Bindungswirkung. Vielmehr kommt es auf den konkreten Fall an.

6.235 Die Erteilung einer postmortalen Vollmacht verstößt ebenfalls nicht gegen § 2289 Abs. 1 BGB. Ihrer Rechtsnatur nach ist die postmortale Vollmacht eine den Vorschriften über die Bevollmächtigung unter Lebenden unterliegende Willenserklärung und daher nicht von § 2289 Abs. 1 BGB erfasst. Hat der Erblasser jedoch auf das Recht zum Widerruf der postmortalen Vollmacht ausdrücklich verzichtet, liegt nunmehr die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers vor, so dass § 2289 BGB wieder eingreift7. 6. Beseitigung der Bindungswirkung a) Abänderungsvorbehalt

6.236 Der Erblasser kann sich das Recht vorbehalten, durch eine spätere Verfügung von Todes wegen eine im Erbvertrag vorgesehene vertragsmäßige Verfügung zu ändern. Der sog. Abänderungsvorbehalt ist allgemein anerkannt8. Der Vorbehalt muss in der für den Erbvertrag vorgeschriebenen Form vereinbart sein. Er braucht allerdings nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sondern kann sich auch im Wege der Auslegung ergeben9, wenngleich hiervon nur in Ausnahmefällen und unter engen Voraussetzungen auszugehen sein wird10. Ein Änderungsvorbehalt zugunsten des länger lebenden Ehegatten 1 BGH v. 14.2.1962 – VI ZR 65/61, NJW 1962, 912; OLG München v. 3.6.2008 – 34 Wx 29/08, ZEV 2008, 340. 2 BGH v. 6.4.2011 – IV ZR 232/09, NJW 2011, 1733; KG v. 23.11.2009 – 8 U 144/09, ZEV 2010, 40; Erman/Kappler/Kappler, § 2289 Rz. 6. 3 BGH v. 23.9.1981 – IV a ZR 185/08, NJW 1982, 43; Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2289 Rz. 45; NK-BGB/Kornexl, § 2289 Rz. 36; Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 5; a.M. Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rz. 12b. 4 Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 5. 5 Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2289 Rz. 34. 6 Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2289 Rz. 46. 7 Staudinger/Reimann, Vor §§ 2197 ff. Rz. 62 ff., 69 (71). 8 Vgl. BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204. 9 BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204; BayObLG v. 7.10.1994 – 2Z BR 84/94, FamRZ 1995, 899. 10 Erman/Kappler/Kappler, § 2289 Rz. 4; NK-BGB/Kornexl, § 2289 Rz. 39.

206

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.238 § 6

wird bspw. bei einem Erbvertrag nach „Berliner Modell“ anzunehmen sein, wenn dieser eine Pflichtteilsstrafklausel enthält1. Der Vorbehalt muss für seine Wirksamkeit aber eindeutig bestimmt sein. Es muss sich aus ihm ableiten lassen, welche Einschränkungen durch nachträgliche Verfügungen des Erblassers vollzogen werden können und welche Grenzen hierfür gelten2. Dies geschieht in Abgrenzung zur einseitigen Verfügung. Ist es dem Erblasser überlassen, in welchem Sinn und Umfang die vom Vorbehalt erfassten Verfügungen geändert werden dürfen, besteht für den Erblasser keine Bindung an diese Verfügungen und es handelt sich hierbei nicht um eine vertragsmäßige, sondern um eine einseitige Verfügung3. Beratungshinweis: Die Formulierung „Dem überlebenden Ehegatten steht das Recht zu, die Bestimmungen für den zweiten Todesfall abzuändern, wenn sich die Verhältnisse ändern“ gibt den für den zweiten Erbfall geltenden Anordnungen den Charakter einseitiger Verfügungen. Durch Auslegung kann man jedoch auch zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich hierbei um einen Rücktrittsvorbehalt i.S.v. §§ 2293, 2297 BGB handelt.

Ob und mit welchem Inhalt ein Vorbehalt in den Vertrag aufgenommen wird, betrifft die Bindung des Erblassers an die Verfügung und steht im Zusammenhang mit der Frage, ob die Verfügung vertragsmäßig ist. Soweit der Vorbehalt reicht, ist der Erblasser an seine Verfügung nicht gebunden4. In der inhaltlichen Gestaltung des Vorbehalts sind die Vertragspartner frei. Seine Grenzen findet der Vorbehalt dort, wo durch ihn das Wesen des Erbvertrags und der vertragsmäßigen Verfügungen inhaltlos werden würde5. Ausgeschlossen ist danach ein sog. Totalvorbehalt; d.h. der Abänderungsvorbehalt darf sich nicht auf alle vertragsmäßigen Verfügungen beziehen; im Erbvertrag muss zumindest eine den Erblasser bindende Verfügung enthalten sein6. Mit der h.M. ist es jedoch zulässig, wenn der Erblasser zwar alle vertragsmäßigen Verfügungen abändern kann, die Ausübung des Änderungsvorbehalts aber nur unter bestimmten, genau festgelegten Voraussetzungen möglich oder inhaltlich beschränkt ist7.

6.237

Beratungshinweis: Hieraus ergibt sich auch ein gesonderter Anwendungsbereich des Änderungsvorbehalts gegenüber dem Rücktrittsrecht. Beispiele eines beschränkten Vorbehalts sind die Möglichkeiten, einen weiteren Erben zu bestimmen, die gleichberechtigte Erbfolge der gemeinsamen Kinder aus „triftigen Gründen“ anders zu regeln8, wenn das Verhalten der Kinder „Anlass hierzu gibt“9, einzelne der bezeichneten Ersatzerben unter genau festgelegten Voraussetzungen mangelnder Eignung für die Unternehmensnachfolge von der Erbfolge auszuschließen und den Anteil innerhalb des bezeichneten Personenkreises aufzuteilen10, eine bedachte Person mit einem Vermächtnis oder einer Auflage zu belasten11 oder eine Testamentsvollstreckung anzuordnen12.

Der Erblasser kann sich bspw. vorbehalten, über einen bestimmten Bruchteil seines Vermögens oder einen bestimmten Gegenstand später anders zu verfügen. Auch kann sich der Erblasser, der in einem Erbvertrag mit seinem Ehegatten die Abkömmlinge vertragsmäßig zu Erben berufen hat, vorbehal1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

BayObLG v. 4.11.1997 – 1Z BR 169/97, FamRZ 1998, 644. BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (209). MüKo.BGB/Musielak, § 2278 Rz. 23. Erman/Kappler/Kappler, § 2289 Rz. 4. BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (208); MüKo.BGB/Musielak, § 2278 Rz. 14. BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (208); BGH v. 2.12.1981 – IV a ZR 252/80, NJW 1982, 441; OLG München v. 18.9.2008 – 31 Wx 8/08, DNotZ 2009, 138; OLG Hamm v. 18.9.1995 – 15 W 248/95, FGPrax 1995, 241. OLG München v. 10.10.2006 – 31 Wx 029/06, DNotZ 2007, 53; Soergel/Wolf, § 2289 Rz. 7; BaRo/Litzenburger, § 2289 Rz. 12; Keim, ZEV 2005, 365; Weiler, DNotZ 1994, 427. OLG Koblenz v. 4.3.1997 – 3 W 86/97, DNotZ 1998, 218. OLG München v. 18.9.2008 – 31 Wx 8/08, DNotZ 2009, 138. OLG München v. 10.10.2006 – 31 Wx 029/06, DNotZ 2007, 53. OLG Stuttgart v. 29.8.2002 – 19 U 37/02, ZEV 2003, 79. OLG Stuttgart v. 25.10.1978 – 8 W 256/78, OLGZ 1979, 49.

Kappler 207

6.238

§ 6 Rz. 6.239

Formen letztwilliger Verfügungen

ten in einer späteren einseitigen Verfügung von Todes wegen die Erbquote der Abkömmlinge zugunsten des Ehepartners zu ändern1.

6.239 Ist ein Vorbehalt unwirksam, beurteilt sich nach § 2085 BGB i.V.m. § 2279 Abs. 1 BGB, ob die Verfügung, auf die er sich bezieht, wirksam bleibt. Ist danach die Nichtigkeit der vertragsmäßigen Verfügung anzunehmen, führt das nach § 2298 Abs. 1, 2 S. 1 BGB zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags, wenn nicht die Vertragspartner einen anderen Willen hatten, was durch Auslegung zu ermitteln ist. b) Beseitigung durch Anfechtung, § 2281 BGB

6.240 Die Anfechtung ist beim Erbvertrag in weiterem Umfang zugelassen als beim Testament. Beim Testament ist der Erblasser, obwohl Erklärender, im Gegensatz zu §§ 119, 123 BGB grundsätzlich nicht anfechtungsberechtigt, weil er sein Testament widerrufen und so Unklarheiten und Streit über die Wirksamkeit seiner Anfechtung ausschließen kann2. Anfechtungsberechtigt nach § 2080 BGB kann daher nur derjenige sein, welchem die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zustattenkommt, also ausschließlich ein Dritter. Beim Erbvertrag hat jedoch insbesondere der Erblasser selbst das Recht zur Anfechtung (§ 2281 BGB), während das Anfechtungsrecht für Dritte erschwert ist (§ 2285 BGB). aa) Selbstanfechtung des Erblassers (1) Voraussetzungen

6.241 Beim Erbvertrag (§ 2281 BGB) ist die Selbstanfechtung durch den Erblasser nach §§ 2281, 2282 und 2283 BGB möglich, soweit er seine Verfügungen nicht mehr einseitig widerrufen kann. Für die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen im gemeinschaftliche Testament gelten die §§ 2281 ff. BGB entsprechend3. Einseitige Verfügungen können vom Erblasser jederzeit und ohne Grund widerrufen (§§ 2299 Abs. 2, 2253, 2254, 2258 BGB) oder durch Aufhebungsvertrag mit dem Vertragspartner aufgehoben werden (§§ 2299 Abs. 2, 2290 BGB), so dass es keiner Anfechtungsmöglichkeit bedarf. Vertragsmäßige Verfügungen sind hingegen ab Vertragsschluss grds. bindend. Deshalb sieht § 2281 Abs. 1 BGB ein Selbstanfechtungsrecht des Erblassers vor, wenn Anfechtungsgründe i.S. der §§ 2278, 2279 BGB gegeben sind. Erblasser und damit Anfechtungsberechtigter i.S.d. § 2281 Abs. 1 BGB ist nur derjenige, der selbst vertragsmäßige Verfügungen trifft. Bei einem zweiseitigen Erbvertrag steht daher jedem Vertragspartner ein Anfechtungsrecht nach § 2281 BGB zu, jeweils aber nur bezüglich der eigenen Verfügungen. Die Unwirksamkeit der Verfügungen des anderen ergibt sich nach vollzogener Anfechtung aus § 2298 Abs. 1 BGB4.

6.242 Die Möglichkeit der Anfechtung schwächt die bindende Wirkung von Erbverträgen, und analog auch die gemeinschaftlicher Testamente, erheblich ab. Durch sie wird jedoch der wahre Wille des Erblassers geschützt, da nach erfolgter Anfechtung neue Verfügungen unbeschränkt getroffen werden können. Der Schutz der Willens- und Testierfreiheit des Erblassers ist Rechtfertigung der weitgehenden Anfechtungsmöglichkeit5.

6.243 Hinsichtlich der Gründe für die Anfechtung eines Erbvertrags kann weitestgehend auf die Ausführungen unter s. Rz. 6.176 ff. verwiesen werden. Der Tatbestand des § 2079 BGB (Anfechtung durch Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten) wird durch § 2281 Abs. 1 Hs. 1 BGB dahingehend modifiziert, dass der Pflichtteilsberechtigte nur den Anfechtungszeitpunkt, nicht jedoch den Erbfall erleben muss. Fällt der Pflichtteilsberechtigte nach erfolgter Anfechtung weg, bleibt die Anfechtung dennoch wirk-

1 BayObLG v. 29.6.1961 – BReg. 1Z 13/1961, BayObLGZ 1961, 207 (211). 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2281 Rz. 1. 3 BGH v. 3.11.1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79; OLG Düsseldorf v. 31.10.2006 – 3 Wx 154/06, FamRZ 2007, 1272. 4 MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 4. 5 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 7 f.

208

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.246 § 6

sam1. Die Erweiterung des § 2079 BGB soll sicherstellen, dass der Erblasser durch Beseitigung der Bindungswirkung das Recht wiedererhält, die Verteilung seines Nachlasses neu zu ordnen, um hierbei auch den hinzugekommenen Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen. Zugleich wird dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit genommen, die Verfügung von Todes wegen anzufechten2. Beispiel: Der Erblasser ficht einen Erbvertrag am 10.5.2007 wegen Übergehung seines Sohnes an. Am 30.6.2012 verstirbt der Sohn. Der Erblasser verstirbt am 28.8.2017. Die Anfechtung des Erbvertrags nach § 2281 Abs. 1 BGB bleibt dennoch wirksam. Ist die Anfechtung erfolgreich und hat der Erblasser vor seinem Versterben ein neues Testament errichtet, wird dieses wirksam.

Auch die Anfechtung wegen Motivirrtums (§ 2078 Abs. 1 BGB) ist nach § 2281 Abs. 1 BGB möglich, wodurch die Anfechtungsgründe mit denen bei der Testamentsanfechtung übereinstimmen und weit über die Anfechtung von Willenserklärungen nach den Regeln des allgemeinen Teils des BGB hinausgehen. Die Bindungswirkung vertragsmäßiger Verfügungen in Erbverträgen und wechselbezüglicher Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten steht daher von vornherein unter einer clausula rebus sic stantibus und ist daher prinzipiell schwächer als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden3. Ein Anwendungsfall der Selbstanfechtung wegen Motivirrtums können auch Störungen der Gegenleistung bei entgeltlichen Erbverträgen sein4.

6.244

Ebenso wie bei der Anfechtung einseitiger Verfügungen lässt die Rechtsprechung auch bei der Selbstanfechtung neben einer Enttäuschung über die positiven, wirklichen Vorstellungen des Erblassers, die Enttäuschung der sog. unbewussten, selbstverständlichen Vorstellungen zu. Für den Beweis unbewusster selbstverständlicher Vorstellungen genügt nach Auffassung des BGH5 nicht, von der Lebenserfahrung oder einem Anscheinsbeweis auszugehen. Maßgebend sollen, zum Schutz der grundsätzlichen Bindung des Erblassers an Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten, immer die besonderen Umstände des Einzelfalles sein.

6.245

Beispiel: Zu den selbstverständlichen Erwartungen und unbewussten Vorstellungen zählen z.B. die Annahmen, die Währungs- und Wirtschaftsverhältnisse würden sich nicht wesentlich ändern, eine nichteheliche Lebensgemeinschaft werde auch in Zukunft weiter bestehen6, eine Nichte (Vermächtnisnehmerin) werde nicht versuchen, ihrem Sohn (dem Erben) das Leben zu nehmen7, der Bedachte werde nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Sekte den Nachlass einer vernünftigen Verwendung entziehen8.

Der Erblasser kann die anfechtbare Verfügung aber auch durch eine formlose (§ 144 Abs. 2 BGB), nicht empfangsbedürftige Erklärung bestätigen9. Die Bestätigung kann nur durch den Erblasser persönlich erfolgen (§ 2284 S. 1 BGB) und setzt seine volle Geschäftsfähigkeit voraus (§ 2284 S. 2 BGB). In diesem Fall ist das Anfechtungsrecht ausgeschlossen. Auch kann der Erblasser im Erbvertrag auf die Möglichkeit der Anfechtung verzichten10. Die Anfechtung ist dann wegen solcher Tatsachen ausgeschlossen, auf die sich der Verzicht bezieht11, wenngleich ein derartiger Verzicht nur solche Tatsa-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BGH v. 3.11.1969 – III ZR 52/69, NJW 1970, 279. Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2281 Rz. 18. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 8; Nolting, S. 93 f. Stürzebecher, NJW 1988, 2717. BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412 (1413). OLG Celle v. 23.6.2003 – 6 W 45/03, ZEV 2003, 328. BGH v. 21.3.1962 – V ZR 157/61, FamRZ 1962, 256, 258. OLG München v. 13.1.1981 – 17 U 3742/80, NJW 1983, 2577. Palandt/Weidlich, § 2284 Rz. 2. BGH v. 10.1.1983 – VIII ZR 231/81, NJW 1983, 2247. Erman/Kappler/Kappler, § 2281 Rz. 6.

Kappler 209

6.246

§ 6 Rz. 6.247

Formen letztwilliger Verfügungen

chen ausschließt, mit denen der Erblasser vernünftigerweise rechnen musste, vgl. Rz. 6.193 ff.1. U.U. kann ein Verzicht auch erst im Wege der Auslegung festgestellt werden2. (2) Form und Frist der Anfechtung

6.247 Der Erblasser kann seine Verfügungserklärung nur persönlich anfechten (§ 2282 Abs. 1 BGB). Für einen geschäftsunfähigen Erblasser kann dagegen nur sein gesetzlicher Vertreter die Anfechtung der Verfügung erklären; er bedarf zudem der Genehmigung durch das Betreuungsgericht, § 2282 Abs. 2 BGB.

6.248 Die Anfechtung nach §§ 2078 ff., 2281 BGB bedarf aus Gründen der Beweissicherung der notariellen Beurkundung, § 2282 Abs. 3 BGB. Die Anfechtungsfrist beträgt ein Jahr, § 2082 Abs. 1 BGB. Die Anfechtungsfrist beginnt, wenn der Anfechtungsberechtigte vom Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt, oder, im Fall der Drohung, bei Beendigung der Zwangslage (§ 2283 Abs. 1, 2 BGB)3. Anfechtungsgegner ist der Vertragspartner (§ 143 BGB). Bei mehrseitigen Erbverträgen hat die Anfechtung gegenüber allen Vertragspartnern zu erfolgen4. Ist der Vertragspartner bereits vor Anfechtung der Verfügung verstorben, kann der Erblasser die zugunsten eines Dritten getroffene vertragsmäßige Verfügung nur noch durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht anfechten, § 2281 Abs. 3 BGB.

6.249 Das Anfechtungsrecht des Erblassers geht nicht auf seine Erben über. Soweit der Erblasser jedoch bei Eintritt des Erbfalls sein Anfechtungsrecht noch nicht verloren hat, entsteht es für die durch den Wegfall des vertragsmäßig Bedachten unmittelbar Begünstigten (§§ 2285, 2080 ff. BGB). (3) Folgen der Anfechtung

6.250 Eine erfolgreich angefochtene Verfügung von Todes wegen ist von Anfang an nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB). Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift muss sich die Anfechtung nicht auf den gesamten Erbvertrag beziehen. Sie kann sich auch auf nur einzelne Verfügungen erstrecken5; ggf. erfasst das Anfechtungsrecht selbst auch nur einzelne Verfügungen (vgl. § 2078 Abs. 1 BGB: „soweit“). Die Anfechtung einer vertragsmäßigen Verfügung im einseitigen Erbvertrag hat die Unwirksamkeit der übrigen (nicht angefochtenen) Verfügungen nur dann zur Folge, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die angefochtene nicht getroffen haben würde (§§ 2279, 2085 BGB). Bei zweiseitigen Verträgen gilt hingegen § 2298 BGB, wonach im Zweifel der gesamte Erbvertrag unwirksam wird6. Bei der Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) führt dies i.d.R. zur Nichtigkeit aller vom Anfechtenden getroffenen Verfügungen7, wird doch i.d.R. der gesamte Verteilungsplan durch den nachträglich bekannt gewordenen Pflichtteilsberechtigten gestört.

6.251 Hat der Erblasser eine Verfügung selbst angefochten, haftet er dem Vertragspartner nach § 122 BGB auf das negative Interesse, das in Beurkundungs- bzw. Beratungskosten und bereits erbrachten Leistungen bestehen kann. § 2078 Abs. 3 BGB, der § 122 BGB für nicht anwendbar erklärt, will nur einen anfechtenden Dritten nicht für einen Irrtum des Erblassers haften lassen; anders stellt sich die Sachlage aber beim Erblasser dar, der den Vertrauenstatbestand selbst gesetzt hat8. Nach erklärter Anfechtung 1 Erman/Kappler/Kappler, § 2281 Rz. 6; BaRo/Litzenburger Rz. 13; weiter OLG Celle v. 29.11.1962 – 10 U 197/61, NJW 1963, 353: umfassender Ausschluss möglich; differenzierend Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 20; MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 17: Frage der Auslegung. 2 BGH v. 10.1.1983 – VIII ZR 231/81, NJW 1983, 2247. 3 BayObLG v. 3.12.1990 – BReg. 1a Z 70/88, NJW-RR 1991, 454 (455). 4 NK-BGB/Kornexl, § 2281 Rz. 17; Veit, NJW 1993, 1553. 5 Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 34. 6 Erman/Kappler/Kappler, § 2281 Rz. 8. 7 BaRo/Litzenburger, § 2281 Rz. 17; NK-BGB/Kornexl, § 2281 Rz. 60. 8 Erman/Kappler/Kappler, § 2281 Rz. 8; Soergel/Wolf, § 2281 Rz. 6; Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 37; Mankowski, ZEV 1998, 46; a.M. OLG München v. 5.6.1997 – 19 U 5421/96, NJW 1997, 2331; Burandt/ Rojahn/Burandt, § 2281 Rz. 21; Veit, NJW 1993, 1556; für eine mögliche Haftung aus cic MüKo/Musielak, § 2281 Rz. 21; Palandt/Weidlich, § 2281 Rz. 10.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.254 § 6

sind sowohl der Erblasser1 als auch der Vertragspartner2 berechtigt, Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Erbvertrags zu erheben3. bb) Anfechtung durch Dritte bei Erbverträgen, § 2285 BGB Das höchstpersönliche Anfechtungsrecht des Vertragserblassers ist nicht vererblich. Stattdessen wer- 6.252 den mit dessen Tod diejenigen Personen anfechtungsberechtigt, denen die Aufhebung der vertragsmäßigen Verfügung von Todes wegen unmittelbar zustattenkommen würde. Die Dritten sind insoweit nicht Rechtsnachfolger des Erblassers, erwerben ihr eigenes Recht dennoch nur, wenn das des Erblassers zur Zeit des Erbfalls nicht erloschen ist und sie selbst nicht darauf verzichtet haben. Sowohl Anfechtungsgrund als auch die Modalitäten der Anfechtung richten sich ausschließlich nach den §§ 2078 ff. BGB. Entsprechende Anwendung findet § 2285 BGB auf die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen des überlebenden Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament durch Dritte. Die Abhängigkeit vom Anfechtungsrecht des Erblassers versagt dem Dritten die Anfechtung aus einem Grund, den der Erblasser bereits durch vertraglichen Verzicht (vgl. § 2281 BGB), Fristablauf (§ 2283 BGB), Bestätigung (§ 2284 BGB) oder rechtsmissbräuchliche Herbeiführung verloren hat4. Hat der Erblasser das Anfechtungsrecht aber lediglich ohne Erfolg (gerichtlich) ausgeübt, so ist es für den Dritten nicht erloschen5. Dritte können denselben Anfechtungsgrund geltend machen, den bereits der Erblasser geltend gemacht hatte, ohne zusätzliche neue Gründe vorbringen zu müssen6. Die Rechtskraft eines die Anfechtung des Erblassers abweisenden Urteils wirkt nicht gegen den Dritten nach § 325 ZPO7. War der Erblasser aus mehreren Gründen zur Anfechtung berechtigt, so kann das Anfechtungsrecht aus dem einen Grund vor Eintritt des Erbfalls bereits erloschen sein, während es aus dem anderen Grunde zur Zeit des Erbfalls noch fortbesteht. Der Dritte kann dann auch nur aufgrund des zweiten Anfechtungsgrundes ein Anfechtungsrecht geltend machen8.

6.253

Das Anfechtungsrecht entsteht für den Dritten, sofern es nicht bereits beim Erblasser erloschen ist, mit dem Tod des Erblassers9. Die Anfechtung einer vertragsmäßigen Erbeinsetzung und einer Auflage ist durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht vorzunehmen (§ 2081 Abs. 1, 3 BGB)10. Die Anfechtung einer vertragsmäßigen Verfügung anderer Art, insbesondere bei Vermächtnissen, richtet sich gegen denjenigen, der durch die Verfügung unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat, also den Bedachten oder Begünstigten, nicht jedoch den Vertragsgegner oder dessen Erben11. Die Anfechtung bedarf keiner besonderen Form, wenn sie gegenüber dem Begünstigten erfolgt; § 2282 Abs. 3 BGB gilt nur für die Anfechtung durch den Erblasser12. Erfolgt sie gegenüber dem Nachlassgericht, muss dies schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle erfolgen13.

6.254

1 Vgl. OLG Oldenburg v., ZEV 1999, 1537 zum gemeinschaftlichen Testament. 2 Vgl. BGH v. 4.7.1962 – V ZR 206/60, NJW 1962, 1913 zum gemeinschaftlichen Testament. 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 23; NK-BGB/Kornexl, § 2281 Rz. 69; a.M. Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 39. 4 BGH v. 3.11.1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79. 5 BGH v. 19.11.1951 – IV ZR 71/51, BGHZ 4, 91, Erman/Kappler/Kappler, § 2285 BGB Rz. 2; Palandt/ Weidlich, § 2285 Rz. 2. 6 MüKo.BGB/Musielak, § 2285 Rz. 6; Staudinger/Kanzleiter, § 2285 Rz. 5; a.M. Soergel/Wolf, § 2285 Rz. 2. 7 Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2285 Rz. 7. 8 Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2285 Rz. 6. 9 Palandt/Weidlich, § 2285 Rz. 1. 10 Staudinger/Kanzleiter, § 2285 Rz. 3. 11 NK-BGB/Kornexl, § 2285 Rz. 5. 12 Palandt/Weidlich, § 2282 Rz. 2. 13 NK-BGB/Kornexl, § 2285 Rz. 7.

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§ 6 Rz. 6.255

Formen letztwilliger Verfügungen

6.255 Die Anfechtungsfrist für Dritte bemisst sich nach § 2082 BGB i.V.m. § 2279 BGB, nicht nach § 2283 BGB, der nur für die Anfechtung durch den Erblasser gilt1. Sie beginnt mit dem Eintritt des Erbfalls neu zu laufen, auch wenn sie für den Erblasser bereits zum Teil verstrichen war2. Bei Fristablauf für den Erblasser ist auch das Anfechtungsrecht des Dritten erloschen.

6.256 Bei einseitigen Verfügungen ist § 2285 BGB nicht anwendbar, da auch der Erblasser (aufgrund seines unbeschränkten Widerrufsrechts) einseitige Verfügungen nicht anfechten kann. Für Dritte gelten hier die §§ 2078 ff. BGB unmittelbar. c) Beschränkung in guter Absicht, § 2289 Abs. 2 BGB

6.257 Der Erblasser kann den Erwerb eines durch Vertrag bedachten pflichtteilsberechtigten Abkömmlings nach § 2289 Abs. 2 BGB einseitig beschränken, wenn infolge einer regelrechten Verschwendungssucht oder einer erheblichen Überschuldung des Bedachten das Erbe erheblich gefährdet ist. Die Beschränkung betrifft also nicht nur den Pflichtteil3. Der Erblasser kann hier durch Anordnung einer Nacherbschaft oder eines Nachvermächtnisses zugunsten der gesetzlichen Erben des Abkömmlings eine Beschränkung des Vertragserben herbeiführen. Auch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung ist denkbar. § 2289 Abs. 2 BGB stellt daher eine weitere Ausnahme von der Bindungswirkung des Erbvertrags dar. 7. Aufhebung und Rücktritt beim Erbvertrag a) Aufhebung des Erbvertrags durch die Vertragsparteien

6.258 Durch die Bindungswirkung der vertragsmäßigen Verfügungen wird der Vertragspartner vor der einseitigen Veränderung der Anordnungen durch den Erblasser geschützt. Die übereinstimmende Aufhebung der vertragsmäßigen Verfügung durch beide Vertragsparteien (entweder durch Aufhebungsvertrag, § 2290 BGB, oder Testament unter Zustimmung des anderen Vertragsschließenden, § 2291 BGB) ist jedoch möglich. Ein in einer vertragsmäßigen Verfügung etwa bedachter Dritter braucht der Aufhebung jedoch nicht zuzustimmen4. Mit dem Dritten kann lediglich ein Zuwendungsverzichtsvertrag nach § 2352 S. 2 BGB geschlossen werden. Dritter kann hier auch derjenige sein, der bei Abschluss des Erbvertrags mitgewirkt hat5. Beispiel: Ehegatten setzten ihre Kinder als Erben des Überlebenden ein. Die Kinder sind Dritte, soweit es sich um ihre Erbeinsetzung handelt. Auch nach dem Tod eines Elternteils kann daher mit ihnen ein Zuwendungsverzichtsvertrag geschlossen werden, selbst wenn sie den Erbvertrag mitunterzeichnet haben.

aa) Aufhebung durch Vertrag, § 2290 BGB

6.259 Die Vertragsparteien können den Erbvertrag durch einen gegenläufigen Vertrag („actus contrarius“), einen Aufhebungsvertrag i.S.v. § 2290 BGB, aufheben. Da der Aufhebungsvertrag der Wiedererlangung der Testierfreiheit dient, kann der Erblasser nach § 2302 BGB nicht wirksam auf sein Recht der Vertragsaufhebung verzichten6. Ein von Ehegatten abgeschlossener Vertrag kann auch durch ein gemeinschaftliches Testament der Vertragschließenden nach § 2292 BGB aufgehoben werden.

6.260 Vertragspartner des Aufhebungsvertrags können nur die Personen sein, die den Erbvertrag geschlossen haben, § 2290 Abs. 1 S. 1 BGB. Mit dem bedachten Vertragspartner kann kein Aufhebungsvertrag geschlossen werden. Das Gesetz sieht hierfür nur die Möglichkeit des Zuwendungsverzichtsvertrags 1 2 3 4 5 6

BGH v. 3.11.1969 – III ZR 52/67, DNotZ 1970, 167. MüKo.BGB/Musielak, § 2285 Rz. 3. Erman/Kappler/Kappler, § 2289 Rz. 8. Lange, ErbR, Kap. 8 Rz. 69; Erman/Kappler/Kappler, § 2290 Rz. 2. MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2352 Rz. 8. NK-BGB/Seiler/Horn, § 2290 Rz. 3; Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2290 Rz. 4.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.265 § 6

vor, der den strengeren Formvorschriften unterliegt1. Nach dem Tod eines Vertragspartners ist die Aufhebung des Vertrags nicht mehr möglich, § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB. Bei einem mehrseitigen Erbvertrag ist im Zweifel anzunehmen, dass jeder Vertragspartner gegenüber allen anderen gebunden ist, so dass der Vertrag nur von allen Beteiligten gemeinsam aufgehoben werden kann. Ist einer von ihnen gestorben, kann der Erbvertrag überhaupt nicht mehr aufgehoben werden (vgl. § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB). Der Erblasser kann auch nicht mit den Erben eines verstorbenen Vertragsbeteiligten einen Vertrag zur Aufhebung des Erbvertrags schließen2. Ist die Aufhebung des Vertrags aufgrund des Todes eines Vertragspartners nicht mehr möglich, kann der Erblasser die Bindungswirkung des Erbvertrags nur noch durch Anfechtung nach § 2281 Abs. 2 oder durch Rücktritt nach Maßgabe des § 2297 BGB oder durch Zuwendungsverzichtsvertrag beseitigen. Der Erblasser kann den Aufhebungsvertrag nur persönlich schließen, § 2290 Abs. 2 S. 1 BGB. Er muss 6.261 den Vertrag in allen Teilen selbst schließen und kann sich nicht eines Vertreters oder eines Boten bedienen3. In einem Prozessvergleich kann ein Aufhebungsvertrag nur geschlossen werden, wenn der Erblasser persönlich anwesend ist4. Im Anwaltsprozess müssen die notwendigen Erklärungen daher sowohl vom Erblasser selbst als auch von seinem Anwalt abgegeben werden. Ein geschäftsunfähiger Erblasser kann keinen Aufhebungsvertrag mehr schließen. Ist für den Vertragspartner ein Betreuer bestellt und schließt der Betreuer den Vertrag, bedarf es der Genehmigung durch das Betreuungsgericht, § 2290 Abs. 3 BGB. Gegenstand des Aufhebungsvertrags können sowohl der Erbvertrag im Ganzen als auch einzelne, in ihm enthaltene, vertragsmäßige Verfügungen sein5. Eine vertragsmäßige Verfügung, durch die ein Vermächtnis oder eine Auflage angeordnet ist, kann vom Erblasser auch durch Testament aufgehoben werden, wenn der andere Vertragschließende dem zustimmt, § 2291 Abs. 1 S. 1 BGB. Einseitige Verfügungen des Erblassers können wahlweise einseitig nach § 2299 Abs. 2 BGB oder durch Vertrag gemeinsam mit vertragsmäßigen Verfügungen aufgehoben werden, § 2299 Abs. 2 S. 2 BGB. Der Aufhebungsvertrag bewirkt, dass der aufgehobene Erbvertrag oder die aufgehobenen vertragsmäßigen Verfügungen außer Kraft treten. Verliert der gesamte Erbvertrag durch Aufhebungsvertrag seine Wirksamkeit, so sind hiervon im Zweifel auch die einseitigen Verfügungen der Vertragsparteien betroffen, § 2299 Abs. 3 BGB. Werden nur einzelne vertragsmäßige Verfügungen aufgehoben, bleiben die übrigen bestehen.

6.262

Nach § 2290 Abs. 4 BGB bedarf der Aufhebungsvertrag der für den Erbvertrag in § 2276 BGB vorgeschriebenen Form. Er muss zur Niederschrift eines Notars bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Parteien geschlossen werden. Wird ein Aufhebungsvertrag über einen Erbvertrag zwischen Ehegatten oder Verlobten geschlossen und war der Erbvertrag mit einem Ehevertrag in derselben Urkunde verbunden, so genügt die Form des Ehevertrags, § 2276 Abs. 2 BGB, §§ 1408, 1410 BGB.

6.263

Schließen die Parteien, zwischen denen bereits ein Erbvertrag besteht, einen neuen Erbvertrag, der dem bisherigen widerspricht, ist § 2258 BGB zwar nicht anwendbar. Der zweite Erbvertrag ist jedoch als Aufhebungsvertrag des ersten i.S.v. § 2290 BGB anzusehen.

6.264

Der Aufhebungsvertrag kann seinerseits durch Vertrag aufgehoben werden. Hierdurch werden die ursprünglichen vertragsmäßigen Verfügungen wieder in Kraft gesetzt (vgl. §§ 2279 Abs. 1, 2257 BGB)6. Die Anfechtung des Aufhebungsvertrags kann durch einen nicht vertragschließenden Dritten nur nach §§ 119 ff. BGB erfolgen, durch den durch die Verfügung Bedachten gemäß §§ 2078 ff.

6.265

1 2 3 4

MüKo.BGB/Musielak, § 2290 Rz. 5. OLG Schleswig v. 10.1.2006 – 3 U 6/05, NJW-RR 2006, 1665. MüKo.BGB/Musielak, § 2290 Rz. 6. Soergel/Wolf, § 2290 Rz. 5, ebenso bei einem gemeinschaftlichen Testament, geschlossen bei Anwesenheit der Ehegatten im Termin, vgl. OLG Bremen v. 1.8.2012 – 5 W 18/12, FamRZ 2013, 661. 5 MüKo.BGB/Musielak, § 2290 Rz. 2. 6 Staudinger/Kanzleiter, § 2290 Rz. 19; Palandt/Weidlich, § 2290 Rz. 4.

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§ 6 Rz. 6.266

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BGB1. Der Erblasser kann den Aufhebungsvertrag entsprechend §§ 2281 ff. BGB anfechten2. Auch die Beseitigung des Aufhebungsvertrags durch Anfechtung stellt den Erbvertrag wieder her. bb) Aufhebung durch Testament, § 2291 BGB

6.266 Vertragsmäßige Verfügungen, durch die ein Vermächtnis, eine Auflage oder eine Rechtswahl vertragsmäßig angeordnet worden sind, können in der vereinfachten Form des § 2291 BGB durch Testament aufgehoben werden, nicht jedoch eine getroffene Erbeinsetzung. Das Aufhebungstestament i.S.d. § 2291 BGB ist der Form nach ein Testament, für das die Bestimmungen des Widerrufstestaments (§ 2254 BGB) gelten. Da es aber die Zustimmung des anderen Vertragspartners voraussetzt, ist es nach seiner Rechtsnatur ein Vertrag3.

6.267 Das Aufhebungstestament kann in jeder zulässigen Testamentsform, also auch als Not- oder Seetestament, errichtet werden, wenn die entsprechend geltenden Voraussetzungen erfüllt sind. Durch das Aufhebungstestament kann die vertragsmäßige Verfügung entweder ausdrücklich widerrufen werden oder mittelbar durch neue widersprechende Verfügungen4.

6.268 Voraussetzung für die Wirksamkeit des Aufhebungstestaments ist, dass der andere Vertragspartner ihm zustimmt, § 2291 Abs. 1 S. 2 BGB. Der Vertragspartner kann seine Zustimmung vorher erteilen (Einwilligung) oder nach Errichtung des Testaments (Genehmigung)5. Ist die Zustimmung zur Aufhebung eines vertragsmäßigen Vermächtnisses oder einer Auflage bereits im Erbvertrag enthalten, kommt aber erst gar keine vertragsmäßige Verfügung zustande6. Ist für den Vertragspartner ein Betreuer bestellt, gilt § 2290 Abs. 3 BGB entsprechend, vgl. § 2291 Abs. 1 S. 2 HS. 2 BGB.

6.269 Die Zustimmungserklärung des Vertragspartners bedarf der notariellen Beurkundung, § 2291 Abs. 2 HS. 1 BGB. Sie ist, einmal erklärt, unwiderruflich, § 2291 Abs. 2 HS. 2 BGB. Sie kann auch nicht bis zur Errichtung des Aufhebungstestaments widerrufen werden7. Die Zustimmungserklärung ist empfangsbedürftig, § 130 BGB. Sie kann deshalb nur zu Lebzeiten der Vertragsparteien erteilt werden. Nach dem Tod des Vertragspartners kann die Zustimmung nicht mehr erteilt werden, insbesondere auch nicht durch oder gegenüber dem Erben8.

6.270 Das Aufhebungstestament kann durch den Erblasser nach den §§ 2253 ff. BGB bis zur Zustimmung des Vertragspartners widerrufen werden. Hierdurch wird die vertragsmäßige Verfügung wieder wirksam. Nach Erteilung der Zustimmung kann das Aufhebungstestament nur mit der Zustimmung des anderen Vertragschließenden und in der Form des § 2291 Abs. 2 BGB widerrufen werden.

6.271 Die wirksame Aufhebung beseitigt nur die sie betreffende vertragsmäßige Verfügung. Als mittelbare Folge kann hierdurch aber auch eine vertragsmäßige Erbeinsetzung wegfallen (vgl. § 2085 BGB). Daraus kann die Unzulässigkeit des Aufhebungstestaments jedoch nicht hergeleitet werden9, da § 2291 BGB nur die bewusste, unmittelbare Aufhebung der vertragsmäßigen Erbeinsetzung ausschließt. Ansonsten wäre die Anwendbarkeit des § 2291 BGB erheblich eingeschränkt und kaum mehr von praktischer Relevanz.

1 Palandt/Weidlich, § 2290 Rz. 4. 2 Palandt/Weidlich, § 2290 Rz. 4; Staudinger/Kanzleiter, § 2290 Rz. 20; Erman/Kappler/Kappler, § 2290 Rz. 6. 3 Palandt/Weidlich, § 2291 Rz. 1; Erman/Kappler/Kappler, § 2291 Rz. 1; a.M. MüKo.BGB/Musielak, § 2291 Rz. 2. 4 Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2291 Rz. 4. 5 Erman/Kappler/Kappler, § 2291 Rz. 1. 6 Erman/Kappler/Kappler, § 2291 Rz. 2; Soergel/Wolf, § 2291 Rz. 3; Palandt/Weidlich, § 2291 Rz. 2. 7 NK-BGB/Horn, § 2291 Rz. 5. 8 Palandt/Weidlich, § 2291 Rz. 2. 9 Soergel/Wolf, § 2290 Rz. 9; Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2291 Rz. 12.

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Rz. 6.277 § 6

cc) Aufhebung durch gemeinschaftliches Testament, § 2292 BGB Ein von Ehegatten geschlossener Erbvertrag kann auch durch ein gemeinschaftliches Testament ganz oder teilweise wieder aufgehoben werden. Die Vorschrift des § 2292 BGB ist entgegen dem Wortlaut nicht nur dann anwendbar, wenn die Vertragsschließenden im Zeitpunkt des Erbvertragsschlusses bereits verheiratet waren. Es genügt, wenn die Vertragschließenden zur Zeit der Aufhebung miteinander verheiratet sind1. Ausgeschlossen ist die Aufhebung durch gemeinschaftliches Testament aber dann, wenn bei der Errichtung des Erbvertrags weitere Personen neben den (jetzigen) Ehegatten beteiligt waren2.

6.272

Das gemeinschaftliche Ehegattentestament kann in jeder der in den §§ 2265 ff. BGB mit §§ 2231 bis 2233, 2247, 2249 ff. BGB zugelassenen Formen errichtet werden, also als ordentliches öffentliches, privates (eigenhändiges) Testament oder als Nottestament3. Beide Ehegatten müssen testierfähig sein, wenn sie beide als Vertragserblasser handeln und ihre vertragsmäßigen Verfügungen aufheben4. Für den Ehegatten, der im Erbvertrag nicht Erblasser gewesen ist, gilt durch die Verweisung in § 2292 HS. 2 BGB wiederum § 2290 Abs. 3 BGB.

6.273

Wird das aufhebende gemeinschaftliche Testament lediglich einseitig widerrufen, kann der Erbvertrag nicht wieder in Kraft treten. Durch einen neuen Erbvertrag, einen Vertrag nach § 2290 BGB oder ein neues gemeinschaftliches Testament kann die Wirkung des gemeinschaftlichen Aufhebungstestaments jedoch beseitigt werden5.

6.274

b) Rücktritt vom Erbvertrag Der Vertragserblasser kann sich einseitig, ohne Zustimmung des Vertragspartners, von der Bindung des Erbvertrags lösen, wenn ihm im Erbvertrag ein Rücktrittsrecht nach § 2293 BGB vorbehalten ist oder gesetzliche Rücktrittsrechte nach §§ 2294 und 2295 BGB eingreifen. Im Gegensatz zur Anfechtung nach § 2281 BGB, die den Erbvertrag entsprechend § 142 BGB rückwirkend von Anfang an nichtig macht, wirkt der Rücktritt nur für die Zukunft.

6.275

aa) Rücktrittsvorbehalt, § 2293 BGB Der Vorbehalt muss im Erbvertrag selbst oder in einem Nachtrag zum Erbvertrag enthalten sein. 6.276 Er unterliegt dem Willen der Parteien und kann für den ganzen Erbvertrag oder nur für einzelne vertragsmäßige Verfügungen, unbeschränkt oder auf bestimmte Fälle beschränkt, bedingt oder befristet vereinbart werden6. Hat sich der Erblasser den Rücktritt für den Fall vorbehalten, dass der Vertragspartner einer Pflicht (z.B. zur Pflege) nicht nachkommt, so kann der Grundsatz von Treu und Glauben es erfordern, dass der Rücktritt erst nach einer erfolglosen Abmahnung zulässig ist7. Hat sich der Erblasser ein Rücktrittsrecht vorbehalten, sichert es nur ihm persönlich das Recht zu, durch einseitige Erklärung seine vertragsmäßigen Verfügungen außer Kraft zu setzen. Seinen Erben steht dieses Recht nicht zu. Hat sich der Erblasser das Recht zum Rücktritt vom gesamten Erbvertrag vorbehalten, steht es ihm jedoch frei, auch von nur einzelnen vertragsmäßigen Verfügungen zurückzutreten8. Die Ausübung des Rücktrittsrechts bedarf der Form des § 2296 Abs. 2 BGB (zu Lebzeiten des Vertragspartners) oder des § 2297 BGB (nach dem Tod des Vertragspartners).

1 2 3 4 5 6 7 8

BayObLG v. 6.11.1995 – 1Z BR 56/95, FamRZ 1996, 566. BaRo/Litzenburger, § 2292, Rz. 1. Erman/Kappler/Kappler, § 2292 Rz. 3. BayObLG v. 6.11.1995 – 1Z BR 56/95, FamRZ 1996, 566. Palandt/Weidlich, § 2292 Rz. 3; Erman/Kappler/Kappler, § 2292 Rz. 5. Palandt/Weidlich, § 2293 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 2293 Rz. 3. Staudinger/Kanzleiter, § 2293 Rz. 3.

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6.277

§ 6 Rz. 6.278

Formen letztwilliger Verfügungen

6.278 Das Rücktrittsrecht erlischt beim zwei- oder mehrseitigen Erbvertrag mit dem Tod des Vertragspartners, sofern nichts Abweichendes vereinbart ist, § 2298 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BGB; anders ist dies beim einseitigen Erbvertrag nach § 2297 BGB. Der Überlebende kann aber, wenn er das ihm durch Vertrag Zugewendete ausschlägt, seine Verfügung durch Testament aufheben, § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB. Ein Erlöschen des Rücktrittsrechts kommt nur beim vorbehaltenen Rücktrittsrecht in Betracht; anders ist es beim gesetzlichen Rücktrittsrecht1. Das Rücktrittsrecht soll im Zweifel auch dann nicht erlöschen, wenn es nur für einzelne Verfügungen vorbehalten war2.

6.279 Der einmal erklärte Rücktritt ist grundsätzlich unwiderruflich3. Ist der Rücktritt erklärt, ist hinsichtlich dessen Wirkungen zu unterscheiden: Wird der gesamte Erbvertrag aufgehoben, treten neben den vertragsmäßigen Verfügungen auch die einseitigen (letztwilligen) Verfügungen außer Kraft, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist (§ 2299 Abs. 3 BGB). Bezieht sich der Rücktritt nicht auf alle vertragsmäßigen Verfügungen des Erblassers, bleiben die übrigen nach Maßgabe der §§ 2279, 2085 BGB wirksam. Im Falle eines zweiseitigen Erbvertrags werden die „wechselbezüglichen“ Verfügungen unwirksam, nach § 2298 Abs. 2 und Abs. 3 BGB im Zweifel alle. Andere, mit dem Erbvertrag zu einer rechtlichen Einheit verbundene Verträge unterfallen § 139 BGB. Anders aber, wenn der Erbvertrag mit einem Ehevertrag in einer Urkunde verbunden ist (vgl. § 2276 Abs. 2 BGB); in diesem Fall berührt der Rücktritt vom Erbvertrag die Wirksamkeit des Ehevertrags nicht4. bb) Gesetzliche Rücktrittsrechte (1) Rücktritt nach § 2294 BGB

6.280 Nach § 2294 BGB hat der Erblasser ein Rücktrittsrecht, wenn aufgrund von Verfehlungen des Bedachten dem Erblasser ein Festhalten an dem Erbvertrag nicht zugemutet werden kann. Es kommt allein auf das Verhalten des Bedachten an, gleichgültig ob er am Vertrag beteiligt ist oder nicht. Etwaige Verfehlungen des nicht bedachten Vertragspartners sind hingegen unerheblich5. Nur Verfehlungen, die nach dem Abschluss eines Erbvertrags begangen worden sind, berechtigten den Vertragserblasser zum Rücktritt. Frühere Verfehlungen des Bedachten, die dem Erblasser bekannt gewesen sind, sind unbeachtlich. Waren sie dem Erblasser nicht bekannt, können sie die Anfechtung des Erbvertrags nach § 2078 Abs. 2 BGB, §§ 2281 ff. BGB begründen, nicht aber einen Rücktritt6. Hat der Erblasser dem Bedachten seine Verfehlung verziehen, kann er vom Vertrag aus diesem Grunde nicht mehr zurücktreten (§ 2337 S. 1 BGB).

6.281 Dem rücktrittsberechtigten Erblasser steht es frei, von seinem Recht nicht in vollem Umfang Gebrauch zu machen; er kann auch nur hinsichtlich einzelner Verfügungen zurücktreten7. Die Rücktrittserklärung erfolgt zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden in der Form des § 2296 BGB. Da anders als in § 2297 BGB nicht auf § 2336 Abs. 2 und 3 BGB verwiesen ist, muss der Grund des Rücktritts nicht miterklärt werden8. Erfolgt der Rücktritt nach dem Tod des anderen Vertragschließenden, gilt die Form des § 2297 BGB mit § 2336 Abs. 2 und 3 BGB.

6.282 Das Rücktrittsrecht nach § 2294 BGB steht nur dem Erblasser zu, nicht dem Vertragspartner, und geht nach dem Tod nicht auf die Erben über. Auf das Rücktrittsrecht nach § 2294 kann nicht bereits im Voraus verzichtet werden9. Mit der Rücktrittserklärung wird die vom Rücktritt erfasste vertrags1 Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2298 Rz. 22. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2298 Rz. 4; BaRo/Litzenburger, § 2298 Rz. 10; MüKo.BGB/Musielak, § 2298 Rz. 5. 3 Erman/Kappler/Kappler, § 2296 Rz. 1. 4 BGH v. 19.12.1958 – IV ZR 136/58, BGHZ 29, 129. 5 Soergel/Wolf, § 2294 Rz. 2. 6 BaRo/Litzenburger, § 2294 Rz. 1. 7 Erman/Kappler/Kappler, § 2294 Rz. 2. 8 BGH v. 20.3.1952 – IV ZR 152/51, NJW 1952, 700. 9 Erman/Kappler/Kappler, § 2294 Rz. 1.

216

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.285 § 6

mäßige Verfügung unwirksam. Der wirksam erklärte Rücktritt kann nicht widerrufen werden. Weder eine nachträgliche Besserung des Bedachten noch eine nachträgliche Verzeihung durch den Erblasser beseitigen die Wirkung eines zu Recht erklärten Rücktritts1. (2) Rücktritt nach § 2295 BGB Bei einem sog. entgeltlichen Erbvertrag, also wenn ein Erbvertrag mit einem anderen Vertrag, der eine Verpflichtung enthält, verbunden ist, kann der Vertragserblasser nach § 2295 BGB von einzelnen vertragsmäßigen Verfügungen oder dem ganzen Erbvertrag zurücktreten, wenn die Verpflichtung zur Leistung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wurde. Voraussetzung ist, dass der andere Vertragschließende eine wiederkehrende Leistung, z.B. Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Erblasser, übernommen hat2. Die Pflicht zu dieser Leistung muss sich aus einem Rechtsgeschäft ergeben, d.h. eine gesetzliche Pflicht (z.B. eine gesetzliche Unterhaltspflicht) reicht hierfür nicht aus3. Die Leistungspflicht muss weder in einer mit dem Erbvertrag verbundenen Urkunde übernommen worden sein noch müssen beide Verträge eine rechtliche Einheit bilden4.

6.283

Der Zusammenhang zwischen dem Erbvertrag und dem Rechtsgeschäft wird durch den vom Erb- 6.284 lasser verfolgten Zweck hergestellt. Nur wenn diese innere, durch die subjektive Einstellung des Erblassers geschaffene Verbindung zwischen einer vertragsmäßigen Verfügung und der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung des Bedachten besteht, kann sich ein Rücktrittsrecht nach § 2295 BGB ergeben. Der Bedachte muss den Zusammenhang kennen, aber nicht ausdrücklich zustimmen5. Ist der Bestand der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung, auch stillschweigend, zur Bedingung für die Wirksamkeit des Erbvertrags gemacht worden, führt die Aufhebung der Verpflichtung automatisch nach § 158 Abs. 2 BGB zur Unwirksamkeit des Erbvertrags, so dass für die Anwendung des § 2295 BGB gar kein Raum bleibt6. Die Verpflichtung des Bedachten muss zu Lebzeiten des Erblassers aufgehoben worden sein. „Auf- 6.285 hebung“ ist weit zu verstehen. Sie ist verwirklicht, wenn es zu einem nachträglichen rechtlichen Wegfall der Verpflichtung des Bedachten kommt7. Dies kann durch Vereinbarung8, Eintritt einer Bedingung9, nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung10, Rücktritt11 oder Kündigung nach § 314 BGB12 erfolgen. Schlechterfüllung, Verzug oder Nichterfüllung des Bedachten berechtigen hingegen nicht unmittelbar zum Rücktritt nach § 2295 BGB, da die Leistungspflicht des Bedachten hierdurch nicht bereits entfällt13. Allerdings kommt in diesen Fällen dann ein Rücktrittsrecht nach § 2295 BGB in Betracht, wenn nicht nur der Erbvertrag einerseits und die Versorgungsverpflichtung des Bedachten andererseits bestehen, sondern der Erblasser darüber hinaus selbst eine eigene schuldrechtliche Ver1 2 3 4 5

6 7 8 9 10 11 12 13

NK-BGB/Horn, § 2294 Rz. 4; Staudinger/Kanzleiter, § 2294 Rz. 5. Erman/Kappler/Kappler, § 2295 Rz. 2. Erman/Kappler/Kappler, § 2295 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 2295 Rz. 2. BaRo/Litzenburger, § 2295 Rz. 2; Erman/Kappler/Kappler, § 2295 Rz. 3; MüKo.BGB/Musielak, § 2295 Rz. 3; Burandt/Rojahn/Burandt Rz. 3; a.M. OLG München v. 16.4.2009 – 31 Wx 90/08, ZEV 2009, 345; NK-BGB/Horn, § 2295 Rz. 3; Palandt/Weidlich, § 2295 Rz. 2: die Vertragsteile müssen sich über die Zweckgebundenheit der erbvertraglichen Zuwendung einerseits und der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung des Vertragspartners andererseits einig sein. Reimann/Bengel/J. Mayer/J. Mayer, § 2295 Rz. 8. Muscheler, ErbR Bd. I, Rz. 2265. Muscheler, ErbR Bd. I, Rz. 2265; nicht ausreichend ist eine bloß einvernehmliche Leistungseinstellung, OLG München v. 16.4.2009 – 31 Wx 90/08, ZEV 2009, 345. OLG Hamm v. 14.2.1977 – 15 W 159/75, DNotZ 1977, 751: die Bedingung kann auch stillschweigend vereinbart sein. BGH v. 19.12.2012 – IV ZR 207/12, ZEV 2013, 330. KG v. 14.12.2004 – 1 W 194, 195/02, FamRZ 2005, 1573. BGH v. 5.10.2010 – IV ZR 30/10, NJW 2011, 224. Erman/Kappler/Kappler, § 2295 Rz. 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2295 Rz. 5.

Kappler 217

§ 6 Rz. 6.286

Formen letztwilliger Verfügungen

pflichtung übernommen hat, die im Synallagma mit der Versorgungsverpflichtung steht; löst sich der Erblasser hier wegen Schlechterfüllung, Verzug oder Nichterfüllung vom Versorgungsvertrag, kann er als Folge nach § 2295 BGB auch vom Erbvertrag zurücktreten1.

6.286 Nur eine bestehende Verpflichtung kann aufgehoben werden. War die Verpflichtung, durch die das Rechtsgeschäft begründet worden ist, nichtig, kann § 2295 BGB nicht angewendet werden. Das gesetzliche Rücktrittsrecht nach § 2295 BGB steht allein dem Erblasser zu. Ein formnichtiges Vertragsangebot zur Aufhebung eines Erbvertrags kann in die Erklärung des Rücktritts nach § 2295 BGB umgedeutet werden2.

6.287 Das Rücktrittsrecht des § 2295 BGB ist auf die vertragsmäßige Verfügung beschränkt, die der Erblasser mit Rücksicht auf die rechtsgeschäftliche Verfügung getroffen hat3. Bei wirksam erklärten Rücktritt treten die vertragsmäßigen Verfügungen außer Kraft, die der Erblasser mit Rücksicht auf die rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten getroffen hat. Enthält der Erbvertrag daneben noch andere vertragsmäßige Verfügungen, beurteilt sich deren Wirksamkeit nach den §§ 2085, 2279 Abs. 1 BGB. Der Bedachte kann bereits erbrachte Leistungen vom Erblasser nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern4. cc) Erklärung des Rücktritts, §§ 2296, 2297 BGB (1) Rücktritt zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden, § 2296 BGB

6.288 Der Erblasser kann zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden nach § 2296 BGB vom Vertrag zurücktreten. Der Rücktritt ist ein höchstpersönliches Recht des Erblassers und muss von diesem persönlich erklärt werden, § 2296 Abs. 1 BGB. Ist der Erblasser geschäftsunfähig, kann er nicht mehr zurücktreten5. Nach dem Tod des Erblassers geht sein Rücktrittsrecht nicht auf die Erben über. Die Erklärung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die als solche unwiderruflich ist. Da es sich um ein Gestaltungsrecht handelt, kann er nicht unter einer Bedingung erklärt werden6.

6.289 Die Rücktrittserklärung bedarf nach § 2296 Abs. 2 S. 2 BGB zwingend der Form der notariellen Beurkundung. Die Willenserklärung muss, wenn sie in Abwesenheit des anderen Vertragschließenden abgegeben wurde, diesem bzw. dessen gesetzlichen Vertreter (§ 131 BGB) in Urschrift oder als Ausfertigung der notariellen Urkunde zugehen, § 130 BGB. Bei mehreren Vertragschließenden muss jedem Beteiligten die Urschrift bzw. die Ausfertigung der notariellen Urkunde zugehen. Der Zugang einer einfachen Abschrift genügt der Formvorschrift des § 2296 BGB keinesfalls; ob der Zugang (nur) einer beglaubigten Abschrift genügt, ist hingegen str.7. Der wirksame Zugang der Rücktrittserklärung muss (grds.) vor dem Tod des Erklärenden erfolgt sein8. (2) Rücktritt nach dem Tod des anderen Vertragschließenden, § 2297 BGB

6.290 Nach dem Tod des anderen Vertragspartners kann der Rücktritt nur noch in der Form des § 2297 BGB erfolgen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 2297 BGB ist, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung aufgrund eines Vorbehalts nach § 2293 BGB oder aufgrund eines gesetzlichen Rücktrittsrechts nach §§ 2294, 2295 BGB zum Rücktritt berechtigt ist. Unerheblich ist, ob das Rücktrittsrecht bereits zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden ent1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 5.10.2010 – IV ZR 30/10, NJW 2011, 224. Palandt/Weidlich, § 2295 Rz. 2. Staudinger/Kanzleiter, § 2295 Rz. 13. OLG München v. 16.4.2009 – 31 Wx 90/08, ZEV 2009, 345. BayObLG v. 29.1.1996 – 1 Z BR 114/95, FamRZ 1996, 969. BGH v. 21.3.1986 – V ZR 23/85, BGHZ 97, 264 (267). Vgl. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 5; Weidlich, MittBayNot 2018, 425. BGH v. 19.10.1967 – III ZB 18/67, BGHZ 48, 374 (377); s. aber OLG Oldenburg v. 19.12.2017 – 3 W 112/17, MittBayNot 2018, 471 zur Möglichkeit der Zustellung „alsbald“ nach dem Ableben.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.295 § 6

standen ist1. Der Rücktritt nach § 2297 BGB ist nur zulässig, wenn der oder die Vertragspartner des Erblassers verstorben sind. Solange von mehreren Vertragspartnern noch einer lebt, ist der Rücktritt in der Form des § 2297 BGB ausgeschlossen und kann nur nach § 2296 Abs. 2 BGB erklärt werden2. Der Erblasser muss die vertragsmäßige Verfügung nicht ausdrücklich aufheben, sondern kann dies auch durch eine neue widersprechende Verfügung tun oder indem er im Erbvertrag enthaltene Regelungen in einem neuen Testament wiederholt, andere dabei aber unerwähnt lässt3. Erklärt der Erblasser aufgrund einer Verfehlung des Bedachten i.S.d. § 2294 BGB den Rücktritt, muss der Erblasser die Vorschrift des § 2336 Abs. 2 und 3 BGB beachten4.

6.291

Das Testament, durch das der Erblasser die vertragsmäßigen Verfügungen aufgehoben hat, kann von 6.292 diesem widerrufen werden nach Maßgabe der §§ 2253 ff. BGB. Durch den Widerruf wird die aufgehobene Verfügung wieder als vertragsmäßige wirksam5. 8. Form des Erbvertrags, Kosten nach GNotKG Nach § 2276 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein Erbvertrag nur vor einem Notar bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile geschlossen werden. Gleichzeitige Anwesenheit heißt, dass ein Vertragsschluss durch Angebot und Annahme ausgeschlossen ist6. Zuständig ist ausschließlich der Notar. Die Voraussetzung der Beurkundung für die Wirksamkeit des Erbvertrags ist Ausdruck der im deutschen Erbrecht geltenden Formstrenge. Die für den Abschluss des Erbvertrags gebotene Mitwirkung des Notars soll darüber hinaus sicherstellen, dass der Erbvertrag wirksam zustande kommt, der Erblasser sachkundig beraten wird und dass dem Erblasser die besondere Bindungswirkung des Erbvertrags im Gegensatz zum eigenhändigen oder auch öffentlichen Testament bewusst gemacht wird7.

6.293

Bei der Beurkundung müssen die Vertragserblasser persönlich anwesend sein. Der Vertragspartner, der keine vertragsmäßigen Verfügungen von Todes wegen trifft, muss nicht am Beurkundungsakt teilnehmen. Er kann sich vertreten lassen; zulässig ist auch, wenn bspw. der Vertragserblasser für den nicht erschienenen Vertragspartner als Vertreter ohne Vertretungsmacht handelt8. Im Gegensatz zu einem Testament kann ein Erbvertrag auch in einem durch den Erblasser persönlich geschlossenen (§ 2274 BGB) Prozessvergleich beurkundet werden, oder in einem Vergleich eines Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit9.

6.294

Die Erklärung des letzten Willens kann mündlich oder durch Übergabe einer offenen oder ver- 6.295 schlossenen Schrift geschehen (§ 2276 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 2232 BGB). Ausgeschlossen ist die Errichtung eines Erbvertrags in der Form eines „Noterbvertrags“. Die Vertragschließenden müssen ihren Willen nicht in derselben Weise erklären, wenngleich es die Regel sein wird, dass die Vertragserblasser ihren Willen gemeinsam erklären. Bei Minderjährigen, Leseunfähigen und Stummen muss § 2233 BGB beachtet werden (vgl. § 2276 Abs. 1 S. 2 BGB). Da für den Erbvertrag die Form des öffentlichen Testaments vorgeschrieben ist, kann hinsichtlich des Beurkundungsverfahrens auf die Ausführungen in Rz. 6.19 ff. verwiesen werden. Die Kosten für die Beurkundung eines Erbvertrags sind nach GNotKG die gleichen wie beim gemeinschaftlichen Testament, siehe Rz. 6.62 f.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Staudinger/Kanzleiter, § 2297 Rz. 4; Erman/Kappler/Kappler, § 2297 BGB Rz. 2. Reithmann, DNotZ 1957, 530; Erman/Kappler/Kappler, § 2297 Rz. 1. OLG Köln v. 31.8.1992 – 2 Wx 36/92, FamRZ 1993, 242. Palandt/Weidlich, § 2297 Rz. 2. Staudinger/Kanzleiter, § 2297 Rz. 9; MüKo.BGB/Musielak, § 2297 Rz. 5. Erman/Kappler/Kappler, § 2276 Rz. 2. MüKo.BGB/Musielak, § 2276 Rz. 1. Staudinger/Kanzleiter, § 2276 Rz. 3. BGH v. 5.10.1954 – V BLw 25/54, BGHZ 14, 381.

Kappler 219

§ 6 Rz. 6.296

Formen letztwilliger Verfügungen

9. Verbindung des Erbvertrags mit einem Ehevertrag

6.296 Nach § 2276 Abs. 2 BGB genügt für einen Erbvertrag zwischen Ehegatten oder Verlobten, der mit einem Ehevertrag (§ 1408 BGB) in derselben Urkunde verbunden ist, die für den Ehevertrag nach § 1410 BGB vorgeschriebene Form. § 2276 Abs. 2 BGB befreit letztlich aber nur von den Formvorschriften der §§ 28 bis 33 BeurkG1 und ist damit letztlich bedeutungslos.

6.297 Welche gegenseitigen Auswirkungen Rechtsänderungen des einen Teilvertrags auf den anderen haben, hängt von der Art der Rechtsänderung und vom Willen der Parteien ab. Erbvertrag und Ehevertrag bilden nicht notwendigerweise eine rechtliche Einheit i.S.v. § 139 BGB. Allein die Nichtigkeit eines Vertrags führt grds nicht zur Nichtigkeit auch des anderen2. Gleichwohl kann sich die Nichtigkeit des einen Teils auf den anderen Teil erstrecken, wenn es sich nach dem Parteiwillen um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt. Die Verbindung der beiden Verträge in einer Urkunde begründet jedoch noch keine entsprechende Vermutung3. Keine Anwendung findet § 139 BGB jedenfalls beim Rücktritt vom Erbvertrag4. Schließen Verlobte unter Anwendung der Formerleichterung des Abs. 2 einen Ehe- und Erbvertrag, wird mit der Auflösung des Verlöbnisses im Zweifel auch der Erbvertrag unwirksam (§ 2279 Abs. 2 i.V.m. § 2077 BGB); wirksam bleibt der Erbvertrag dagegen beim Tod eines Verlobten, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist5. 10. Wirkung des Erbvertrags auf lebzeitige Verfügungen

6.298 Die Auswirkungen des Erbvertrags sind ausschließlich erbrechtlicher Natur. Durch den Abschluss eines Erbvertrags wird der Erblasser nicht in seinem Recht beschränkt, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen, § 2286 BGB. Es gilt der Grundsatz der lebzeitigen Entscheidungsfreiheit des Erblassers6. Keineswegs ist der Erblasser verpflichtet, sein Vermögen zugunsten des Nachlasses zu erhalten. Die Ansprüche des Bedachten richten sich auf das, was im Zeitpunkt des Erbfalls noch vorhanden ist, und nur für den Fall einer missbräuchlichen Verfügung auf Bereicherungsausgleich (vgl. §§ 2287, 2288 BGB). Dergestalt vermittelt ihm der Erbvertrag bloß eine tatsächliche Erwerbsaussicht, nicht aber ein Anwartschaftsrecht schon vor dem Erbfall7. a) Schutz des Vertragserben, § 2287 BGB

6.299 § 2286 BGB bekräftigt die Freiheit des Erblassers, Rechtsgeschäfte unter Lebenden zu tätigen. Damit korrespondiert § 2287 BGB, der den gezielten Missbrauch dieser Freiheit sanktioniert, indem der durch eine Schenkung absichtlich beeinträchtigte Vertragserbe nach dem Erbfall einen Bereicherungsanspruch gegen den Beschenkten erhält. Der wirtschaftliche Erfolg einer erbvertraglichen Erbeinsetzung soll nicht durch Verfügungen unter Lebenden beliebig vereitelt werden können. In gleicher Weise schützt § 2288 BGB vertragsmäßige Vermächtnisnehmer. Dingliche Wirkung entfalten die Schutzvorschriften aber nicht8. Das Regelungsbedürfnis von Freiheits- und Schutzinteressen besteht in gleichem Umfang, wenn wechselbezügliche Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments bindend werden; § 2287 f. BGB gelten hier entsprechend9. 1 Palandt/Weidlich, § 2276 Rz. 6; Erman/Kappler/Kappler, § 2276 Rz. 5. 2 BGH v. 19.12.1958 – IV ZR 136/58, BGHZ 29, 129; MüKo.BGB/Musielak, § 2276 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2276 Rz. 10. 3 Erman/Kappler/Kappler, § 2276 Rz. 6; MüKo.BGB/Musielak, § 2276 Rz. 11; NK-BGB/Kornexl, § 2276 Rz. 27; Soergel/Wolf, § 2276 Rz. 15; a.M. OLG Stuttgart v. 13.5.1986 – 17 UF 77/86, FamRZ 1987, 1034. 4 BGH v. 19.12.1958 – IV ZR 136/58, BGHZ 29, 129 (131 f.). 5 Erman/Kappler/Kappler, § 2276 Rz. 6. 6 BGH v. 3.11.1993 – IV ZR 36/93, BGHZ 124, 35 (38). 7 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319. 8 Erman/Kappler/Kappler, § 2287 Rz. 1. 9 BGH v. 23.9.1981 – IV a ZR 185/80, NJW 1982, 43.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.304 § 6

§ 2287 Abs. 1 BGB setzt eine Schenkung voraus. Der Schenkungsbegriff ist der Gleiche wie bei § 516 6.300 BGB1. Die Zuwendung muss auf objektiver Tatbestandsebene einerseits das Vermögen des Erblassers vermindern und andererseits das des Zuwendungsempfängers vermehren. Es muss eine objektive Beeinträchtigung des Vertragserben vorliegen. Unter den Begriff der Schenkung fällt jede Art der Schenkung, also auch die Pflicht- und Anstandsschenkung (§ 534 BGB)2, eine gemischte Schenkung3, eine verschleierte Schenkung4 und eine Ausstattung soweit sie das den Umständen entsprechende Maß überschreitet5. Auch die sog. unbenannte (bzw. ehebedingte oder ehebezogene) Zuwendung ist Schenkung i.S.d. § 2287 BGB, soweit sie objektiv unentgeltlich ist6. Die Gleichsetzung der unbenannten Zuwendung mit einer Schenkung hielt der BGH für notwendig, um zu verhindern, dass der Erblasser am Nachlass vorbei erhebliche Teile seines Vermögens zum Nachteil von Pflichtteilsberechtigten und Vertragserben durch Rechtsgeschäft unter Lebenden anderen Personen zuleitet7. Auf subjektiver Tatbestandsseite bedarf es der Einigung über die Unentgeltlichkeit (sog. Schenkungsabrede). Unentgeltlich ist eine Zuwendung, wenn sie nicht durch eine Gegenleistung abgegolten wird. Maßgeblich hierfür ist, ob die Gegenleistung nach der subjektiven Wertung der Parteien (und nur hierauf kommt es an) der Leistung äquivalent ist8.

6.301

§ 2287 BGB schützt die berechtigte Erberwartung des Vertrags- bzw. Schlusserben. Die Vorschrift setzt dessen objektive Beeinträchtigung durch missbräuchliche Schenkung voraus9. Das Ausmaß der berechtigten Erberwartung und somit der möglichen Beeinträchtigung ergibt sich aus der Bindung durch die Verfügung von Todes wegen10. Nur wenn der Erblasser hiergegen verstößt, kommt ein Anspruch aus § 2287 BGB in Betracht. Deshalb scheiden von vornherein alle Schenkungen aus dem Anwendungsbereich des § 2287 BGB aus, die der Erblasser zugunsten des Vertragserben vornimmt11.

6.302

Der Erblasser muss zudem in Beeinträchtigungsabsicht handeln. Hierfür reicht es aber aus, wenn der Schenkung kein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers zur Seite steht. Abgestellt wird darauf, ob die Schenkung billigenswert und gerechtfertigt ist, infolgedessen der erbvertragsmäßig Bedachte die Beeinträchtigung hinnehmen muss; dazu sind die berechtigten Erberwartungen des Vertragserben gegen die Beweggründe des Erblassers abzuwägen12.

6.303

Beratungshinweis: Ein Erblasser, der zur Sicherstellung der Versorgung seines vertragsmäßig bedachten, behinderten Sohnes eine Schenkung an zur Pflege bereite Angehörige vornimmt, handelt nicht in Beeinträchtigungsabsicht.

Liegt eine Schenkung in Beeinträchtigungsabsicht vor, die nach Abschluss des Erbvertrags voll- 6.304 zogen wurde, erwirbt der Vertragserbe mit dem Anfall der Erbschaft einen Bereicherungsanspruch gegen den Beschenkten (vgl. § 2287 Abs. 1 BGB). Der Beschenkte muss das Erlangte herausgeben, auch wenn er von dem Erbvertrag und der Beeinträchtigungsabsicht des Schenkenden nichts gewusst hat.

1 BGH v. 23.9.1981 – IV a ZR 185/80, NJW 1982, 43. 2 Staudinger/Kanzleiter, § 2287 Rz. 15 mit dem Hinweis, dass in diesem Falle regelmäßig wohl keine Beeinträchtigungsabsicht vorliegen dürfte. 3 OLG Köln v. 14.9.1995 – 2 W 125/95, FamRZ 1996, 251. 4 Erman/Kappler/Kappler, § 2287 Rz. 3. 5 Staudinger/Kanzleiter, § 2287 Rz. 4. 6 BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167; BGH v. 27.9.1995 – IV ZR 217/93, NJW-RR 1996, 133. 7 BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167 (174 f.). 8 BGH v. 1.2.1995 – IV ZR 36/95, NJW 1995, 1349. 9 BGH v. 12.10.1988 – IV a ZR 166/87, WM 1988, 1759. 10 BGH v. 23.9.1981 – IV a ZR 185/80, NJW 1982, 43. 11 BGH v. 23.4.1986 – IVa ZR 97/85, FamRZ 1986, 980. 12 BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167; BGH v. 27.9.1995 – IV ZR 217/93, ZEV 1996, 25.

Kappler 221

§ 6 Rz. 6.305

Formen letztwilliger Verfügungen

Wusste der Beschenkte davon, so haftet er verschärft nach § 819 BGB1. Schuldner des Anspruch ist ausschließlich der Beschenkte, nicht jedoch der Erblasser oder ein anderer Miterbe2. b) Schutz des vertragsmäßigen Vermächtnisnehmers, § 2288 BGB

6.305 Der vertragsmäßige Vermächtnisnehmer wird durch § 2288 BGB geschützt. § 2288 BGB gibt dem vertragsmäßig eingesetzten Vermächtnisnehmer einen weitergehenden Schutz als § 2287 BGB dem Vertragserben. § 2288 BGB erfasst sämtliche Handlungen, die den Wert des Vermächtnisgegenstandes im Vermögen des Erblassers beeinträchtigen, auch tatsächliche Handlungen und entgeltliche Verfügungen. Geschützt werden neben dem Stückvermächtnis auch Geld- und Gattungsvermächtnisse3. Würde die Vorschrift fehlen, hätte der Vermächtnisnehmer infolge der Beeinträchtigung keinen Leistungsanspruch, da ein Vermächtnis (abgesehen vom Verschaffungsvermächtnis nach § 2169 Abs. 1 BGB) unwirksam ist, wenn der Vermächtnisgegenstand zur Zeit des Erbfalls nicht mehr zur Erbschaft gehört; entsprechend könnte der Vermächtnisnehmer im Zweifel nicht Beseitigung einer Belastung verlangen (vgl. § 2165 BGB).

6.306 Wurde danach die Erfüllung eines Vermächtnisses vom Erblasser in Beeinträchtigungsabsicht ganz oder teilweise unmöglich gemacht, kann der Bedachte vom Erben Erfüllung und Wertersatz verlangen. Solange es dem Erben möglich ist, trotz der Beeinträchtigungshandlung des Erblassers das Vermächtnis zu erfüllen, geht der Anspruch auf Leistung des vermachten Gegenstands (§ 2174 BGB)4.

6.307 In den Fällen des § 2288 Abs. 2 BGB (Veräußerung oder Belastung des Vermächtnisgegenstands) wandelt sich das Stückvermächtnis in ein Verschaffungsvermächtnis, auf das § 2170 Abs. 2 BGB entsprechend anzuwenden ist. Der Erbe wird demnach nur dann von seiner Verschaffungspflicht frei, wenn er zur Verschaffung nicht in der Lage oder die Verschaffung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist. Ist die Veräußerung oder Belastung des Vermächtnisgegenstands schenkweise vorgenommen, hat der Erbe ebenfalls den Gegenstand zu verschaffen oder Wertersatz nach § 2287 BGB zu leisten, § 2288 Abs. 2 S. 2 BGB.

6.308 Anspruchsberechtigt ist der mit einem wirksamen vertragsmäßigen Vermächtnis Bedachte. Auf Vermächtnisse, die nur durch einseitige Verfügung angeordnet worden sind, findet § 2288 BGB keine Anwendung. Anspruchsverpflichtet sind der Erbe oder die Erbengemeinschaft5, auch wenn nur einer der Erben oder ein Vermächtnisnehmer mit dem Vermächtnis beschwert ist6. 11. Verwahrung des Erbvertrags und Rückgabe aus der Verwahrung

6.309 Der Erbvertrag ist in die besondere amtliche Verwahrung zu geben (vgl. §§ 346, 347 Abs. 3, 344 Abs. 3 FamFG), soweit nicht alle Vertragsparteien übereinstimmend das Gegenteil verlangen, § 34 Abs. 2 BeurkG. Ein solcher Wunsch wird im Zweifel dann angenommen, wenn der Erbvertrag mit einem anderen Vertrag in derselben Urkunde verbunden wird (§ 34 Abs. 2 Hs. 2 BeurkG). Über die Inverwahrungnahme erhält jede Partei einen Hinterlegungsschein.

6.310 Nach Maßgabe des § 2300 Abs. 2 BGB kann ein Erbvertrag aus der besonderen amtlichen oder notariellen Verwahrung zurückgenommen werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Erbvertrag ausschließlich Verfügungen von Todes wegen enthält. Ausgenommen von der Rücknahmemöglichkeit sind daher Erbverträge, die mit einem Ehevertrag, Verfügungsunterlassungsvertrag, Erb- oder Pflicht-

1 2 3 4 5 6

NK-BGB/Horn, § 2287 Rz. 67. MüKo.BGB/Musielak, § 2287 Rz. 20. BGH v. 4.4.1990 – IV ZR 344/88, BGHZ 111, 138. MüKo.BGB/Musielak, § 2288 Rz. 5. BGH v. 24.1.1958 – IV ZR 234/57, BGHZ 26, 274 (279 f.); Palandt/Weidlich, § 2288 Rz. 2. MüKo.BGB/Musielak, § 2288 Rz. 9; a.A. Palandt/Weidlich, § 2288 Rz. 2.

222

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.314 § 6

teilsverzicht oder sonstigem Vertrag verbunden sind1. Mit der Rückgabe gelten die im Erbvertrag vertragsmäßig enthaltenen Verfügungen als aufgehoben, einseitige als widerrufen (§ 2300 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 2256 Abs. 1 BGB). Aus diesem Grunde muss das Rückgabeverlangen von allen Vertragsschließenden geltend gemacht werden, obwohl § 2300 Abs. 2 S. 2 BGB nur an die Rückgabehandlung selbst anknüpft2. Wie bei der vertraglichen Aufhebung scheidet die Rückgabe nach dem Tod eines Vertragspartners aus (§ 2300 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BGB i.V.m. § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB). Wie die vertragliche Aufhebung setzt auch die Rücknahme voraus, dass der Erblasser höchstpersönlich handelt (§ 2290 Abs. 2 S. 1 BGB), mithin geschäftsfähig ist, während der nicht testierende Vertragspartner, der auch durch die Rücknahme nicht zum Erblasser wird, sich wie bei Errichtung und Aufhebung des Erbvertrags vertreten lassen kann3. Nach Eintritt des Erbfalls ist der Erbvertrag an das Nachlassgericht abzuliefern, wo er zur Verwahrung verbleibt, § 34 Abs. 3 S. 2 BeurkG.

IV. Hinterlegung, Ablieferung, Eröffnung des Testaments 1. Hinterlegung Die besondere amtliche Verwahrung steht Testamenten und Erbverträgen grds. offen. Testamente, die vor einem Notar errichtet wurden, sind von diesem hingegen ohne Ausnahme unverzüglich in die besondere amtliche Verwahrung zu bringen (§ 34 Abs. 1 S. 4 BeurkG). Gleiches gilt wegen der Verweisung in § 2249 Abs. 1 S. 4 BGB auch für das nach § 2249 BGB errichtete Testament und durch § 11 KonsG für Testamente, die von Konsularbeamten errichtet wurden. Für letztwillige Verfügungen gem. §§ 2250, 2251 BGB fehlt eine entsprechende Verpflichtung. Solche Testamente sind, wie auch jene nach § 2247 BGB, nur nach § 2248 BGB auf Verlangen des Erblassers in die besondere amtliche Verwahrung zu nehmen. Eine Verletzung der Verwahrungspflichten hat auf die Wirksamkeit der Testamentserrichtung keinen Einfluss.

6.311

a) Verfahren der besonderen amtlichen Verwahrung aa) Sinn und Zweck der besonderen amtlichen Verwahrung Zweck der besonderen amtlichen Verwahrung ist die Sicherung der letzten Erklärungen des Erblassers durch den Erhalt der Urkunde und deren Schutz vor Veränderung, Unterdrückung sowie die Geheimhaltung des Inhalts.

6.312

bb) Annahme zur Verwahrung Bei öffentlichen Testamenten hat die Urkundsperson das Testament nach dem Verschließen in die besondere amtliche Verwahrung zu geben (§ 34 BeurkG; § 2249 Abs. 1 S. 4 BGB). Die Ablieferung des Testaments braucht nicht persönlich zu erfolgen. Das Testament wird vom Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2 RPflG) und dem Verwahrungsbeamten entgegengenommen (§ 346 Abs. 1 FamFG). Die Verwahrung erfolgt durch Verschluss (§ 346 Abs. 2 FamFG). Gemäß § 346 Abs. 3 FamFG soll dem Erblasser ein Hinterlegungsschein erteilt werden.

6.313

Bei der Annahme der Urkunde besteht keine Pflicht zur Überprüfung der Wirksamkeit des Testa- 6.314 ments von Seiten des Rechtspflegers. Aber auch ohne eine Prüfungspflicht ist es sein „nobile officium“, auf Bedenken hinsichtlich der Formwirksamkeit aufmerksam zu machen. Dies gilt insbesondere bei privatschriftlichen Testamenten. Zu beachten ist hier, dass eine Amtspflicht auch dann verletzt wird, wenn Auskünfte unrichtig erteilt werden, auf die kein Anspruch besteht. Der Beamte hat die Amtspflicht, die Auskunft, die er dem Bürger erteilt, richtig, klar, unmissverständlich und vollständig zu er-

1 Erman/Kappler/Kappler, § 2300 Rz. 3. 2 MüKo.BGB/Musielak, § 2300 Rz. 5; Keim, ZEV 2003, 55. 3 BaRo/Litzenburger, § 2300 Rz. 5; Erman/Kappler/Kappler, § 2300 Rz. 3; Keim, ZEV 2003, 55.

Kappler 223

§ 6 Rz. 6.315

Formen letztwilliger Verfügungen

teilen, damit der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann1. Verweigert der Rechtspfleger die Annahme, können sowohl der Testator als auch die Urkundsperson Beschwerde einlegen. b) Zuständigkeit für die besondere amtliche Verwahrung

6.315 Gem. § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG ist sachlich zuständig das Amtsgericht und dort funktionell der Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2c RPflG). Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 344 FamFG. Danach ist bei öffentlichen Testamenten grundsätzlich der Errichtungsort maßgebend. Verlangt der Erblasser, dass die Verwahrung bei einem anderen Amtsgericht erfolgen soll, so ist dem ohne Weiteres nachzukommen. Konsulartestamente sind beim Amtsgericht Schöneberg in Berlin zu hinterlegen, falls der Erblasser kein anderes Amtsgericht bestimmt hat (§ 11 Abs. 2 KonsG). c) Rückgabe des Testaments

6.316 Die Rückgabe des Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung erfolgt durch Rückgabe an den Testator (§ 2256 Abs. 2 BGB), was bei öffentlichen Testamenten als Widerruf gilt (§ 2256 Abs. 1 S. 1 BGB). Das Verfahren der Rückgabe ist in § 346 FamFG geregelt, so dass auch sie vom Rechtspfleger verfügt und vom Urkundsbeamten im Verwahrungsbuch vermerkt wird. Der Erblasser ist über die Rechtsfolgen und Wirkungen der Rückgabe zu belehren (§ 2256 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Belehrung ist auf der Testamentsurkunde zu vermerken2. Über den Akt der Rückgabe ist eine Niederschrift zu errichten (vgl. § 27 Nr. 9 BayAktO). Die Rückgabe eines nach § 2248 BGB verwahrten eigenhändigen Testaments ist ohne Einfluss auf dessen Wirksamkeit, § 2256 Abs. 3 Hs. 2 BGB. Von der Rückgabe zu unterscheiden ist die bloße Einsichtsgewährung in das abgelieferte Testament, die keinesfalls Widerrufsfiktion hat.

6.317 Ein gemeinschaftliches Testament kann nur aufgrund eines Antrags beider Ehegatten in die besondere amtliche Verwahrung gebracht und zurückgenommen werden (§ 2272 BGB)3. Einsicht kann aber jeder Ehegatte allein ohne Zustimmung des anderen nehmen4. Nach Ableben eines Ehepartners ist eine Rücknahme hingegen unzulässig5.

6.318 Der Erbvertrag wird, falls die Vertragschließenden dies nicht ausgeschlossen haben, in besondere amtliche Verwahrung genommen (§ 34 Abs. 2 BeurkG). Jeder Vertragschließende erhält dabei einen Hinterlegungsschein (§ 346 Abs. 3 Hs. 2 FamFG). Die Rücknahme ist nur auf Antrag beider Parteien möglich6. 2. Ablieferung des Testaments

6.319 Wer ein Testament, welches nicht in amtliche Verwahrung gebracht wurde, im Besitz hat, ist verpflichtet, es unverzüglich, nachdem er vom Tod des Erblassers Kenntnis erlangt hat, an das Nachlassgericht abzuliefern (§ 2259 Abs. 1 BGB). Die zwingende Vorschrift gilt auch für Erbverträge, § 2300 Abs. 1 BGB. Die Verpflichtung dient der Erhaltung und Sicherstellung nicht verwahrter Verfügungen von Todes wegen sowie der Vorbereitung der Eröffnung. Die Ablieferungspflicht liegt daher im öffentlichen Interesse, so dass gegenteilige Weisungen des Erblassers7 oder Absprachen zwischen den Beteiligten8 von ihrer Erfüllung nicht entbinden. 1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 24.6.1993 – III ZR 43/92, NJW 1993, 3204 (3205). Soergel/J. Mayer, § 2256 Rz. 6. Staudinger/Baumann, § 2258b a.F. Rz. 23, 26. Erman/Kappler/Kappler, § 2272 Rz. 1. Erman/Kappler/Kappler, § 2272 Rz. 2. Erman/Kappler/Kappler, § 34 BeurkG Rz. 4. BayObLG v. 19.1.1988 – BReg.1 Z 65/87, FamRZ 1988, 658 (660). Staudinger/Baumann, § 2259 Rz. 18.

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Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.323 § 6

a) Gegenstand der Ablieferung Abzuliefern sind, ohne Ausnahme, alle Schriftstücke, die sich nicht in Verwahrung des Nachlassgerichts befinden und die sich äußerlich oder ihrem Inhalt nach als letztwillige Verfügung des Erblassers darstellen, ohne Rücksicht darauf, ob sie als solche sachlich oder formell gültig, offen oder verschlossen sind1. Die Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen ist für die Ablieferungspflicht ohne Bedeutung2, da auch ein formunwirksames Testament für die Auslegung oder die Anfechtung eines weiteren Testaments wichtig sein kann. Auch widerrufene und beschädigte Verfügungen von Todes wegen sind abzugeben3. Gleiches gilt für Nottestamente, die durch Zeitablauf nichtig wurden (§ 2252 BGB).

6.320

Abzuliefern sind die Urschriften der Verfügungen von Todes wegen4. Selbst einfache Abschriften 6.321 sind dann abzuliefern, wenn sich der Besitzer daneben nicht auch noch im Besitz der Urschrift befindet; denn auch eine einfache Abschrift kann als wirksames Testament anerkannt werden5. Die Ablieferung hat unverzüglich (§ 121 BGB) nach Kenntnis vom Tod des Erblassers zu erfolgen, muss aber nicht persönlich geschehen. b) Pflicht zur Ablieferung Nach § 2259 Abs. 1 BGB ist der unmittelbare Besitzer (§ 857 BGB) der Verfügung von Todes wegen zur Ablieferung verpflichtet. Nach Abs. 2 trifft die Pflicht zur Ablieferung auch alle Behörden. Erfasst werden hiervon die Urkundspersonen, soweit sie ihrer Verpflichtung aus § 34 Abs. 1 S. 4 BeurkG nicht nachgekommen sind oder eine solche Pflicht erst nach dem Tod des Erblassers besteht (vgl. § 34 Abs. 3 S. 2 BeurkG), sowie Staatsanwaltschaften, die Polizei und (entgegen dem Wortlaut der Vorschrift) andere Gerichte als das Nachlassgericht, wenn sich in deren Besitz eine Verfügung von Todes wegen befindet6. Die Ablieferung hat an das Amtsgericht als Nachlassgericht zu erfolgen. Gleichgültig ist, ob die Ablieferung an das örtlich zuständige Nachlassgericht erfolgt; bei Unzuständigkeit erfolgt gerichtsintern die Weiterleitung. Erhält das Nachlassgericht Kenntnis davon, dass jemand im Besitz eines Testaments ist, kann es zur Durchsetzung der Ablieferung Zwangsmittel einsetzen (Zwangsgeld: §§ 358, 35 Abs. 1 FamFG).

6.322

3. Eröffnung des Testaments a) Eröffnung durch das Nachlassgericht Das Nachlassgericht hat gem. § 348 FamFG eine Verfügung von Todes wegen zu eröffnen, sobald es 6.323 von dem Tod des Erblassers Kenntnis erlangt. Zuständig für die Eröffnung ist das Amtsgericht als Nachlassgericht (§ 23a Abs. 2 Nr. 2 GVG). Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers, § 343 Abs. 1 FamFG. Funktionell zuständig ist der Rechtspfleger gem. § 3 Nr. 2c RPflG. Die Eröffnung erfolgt von Amts wegen. Hat ein anderes Gericht als das örtlich zuständige Nachlassgericht das Testament in amtlicher Verwahrung, eröffnet dieses Gericht gem. § 344 Abs. 6 FamFG das Testament. Es ist jedes als Testament abgelieferte Schriftstück zu eröffnen, das angeblich vom Erblasser stammt. Unerheblich ist, ob die Schrift sachlich oder formell wirksam ist und ob sie offen oder verschlossen abgegeben wurde. Bei gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen sind gem. § 349 Abs. 1 FamFG die Verfügungen des überlebenden Ehegatten, soweit sie sich sondern lassen, weder zu verkünden noch sonst zur Kenntnis der Beteiligten zu bringen.

1 2 3 4 5 6

Erman/Kappler/Kappler, § 2259 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2259 Rz. 2. BayObLG v. 19.1.1988 – BReg.1 Z 65/87, FamRZ 1988, 658 (659). Erman/Kappler/Kappler, § 2259 Rz. 2; Soergel/J. Mayer, § 2259 Rz. 2. Soergel/J. Mayer, § 2259 Rz. 2, 6. Erman/Kappler/Kappler, § 2259 Rz. 4. Erman/Kappler/Kappler, § 2259 Rz. 1; Palandt/Weidlich, § 2259 Rz. 1.

Kappler 225

§ 6 Rz. 6.324

Formen letztwilliger Verfügungen

b) Nichtigkeit eines Eröffnungsverbots

6.324 Nach dem Tod des Erblassers muss geklärt werden, wer Erbe geworden ist. Gem. § 2263 BGB ist daher eine Anordnung des Erblassers nichtig, die es verbietet, das Testament alsbald nach seinem Tod zu eröffnen. Ebenfalls unbeachtlich ist das Verbot der Ablieferung (§ 2259 BGB), der Benachrichtigung (§ 348 FamFG), der Einsicht (§ 357 FamFG) sowie die Anordnung, die Wohnung des Erblassers nicht zu öffnen1. Die Unwirksamkeit des Eröffnungsverbots berührt die Wirksamkeit der übrigen Verfügungen nicht (§ 2085 BGB). Hat der Erblasser jedoch grundsätzlich verboten, das Testament zu eröffnen, kann dies u.U. als Widerruf auszulegen sein. c) Eröffnungsfrist für Testamente

6.325 Gem. § 351 S. 1 FamFG sind bei einem Testament, das sich seit mehr als 30 Jahren in amtlicher Verwahrung befindet, von der verwahrenden Stelle Ermittlungen darüber anzustellen, ob der Erblasser noch lebt. Führen die Ermittlungen nicht zur Feststellung des Fortlebens des Erblassers, ist das Testament nach § 351 S. 2 FamFG zu eröffnen. Die Eröffnungsfrist des § 351 FamFG gilt auch für gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge. d) Möglichkeit der Einsichtnahme oder der Erteilung einer Abschrift eines eröffneten Testaments

6.326 Wer ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, ist gem. § 357 Abs. 1 FamFG berechtigt, ein eröffnetes Testament einzusehen sowie unter Heranziehung von § 13 Abs. 3 FamFG eine beglaubigte Abschrift der Verfügung von Todes wegen zu erhalten. Das Recht auf Einsichtnahme und Abschriftenerteilung setzt die Eröffnung des Testaments voraus. Vor der Eröffnung kann nur der Erblasser selbst Einsicht nehmen. Ein rechtliches Interesse liegt vor, wenn die erstrebte Kenntnis der eröffneten Verfügung von Todes wegen zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist, diese also auf die rechtlichen Beziehungen des Einsichtnehmers einwirken kann oder die Kenntnis vom Inhalt der Verfügung erforderlich ist, um Rechte zu verfolgen oder Ansprüche abzuwehren2. Nicht ausreichend ist ein bloß wirtschaftliches Interesse, auch nicht ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 13 Abs. 2 FamFG3. Berechtigt i.d.S. sind demnach insbesondere die gesetzlichen Erben, auch soweit sie durch Verfügung von Todes wegen enterbt worden sind4, durch die Verfügung bedachte Personen, nicht aber Nachlassgläubiger5. Bei Ablehnung kann der Antragsteller Beschwerde nach § 58 FamFG einlegen.

V. Auslegung einer Verfügung von Todes wegen 6.327 Der Erblasser kann in einer Verfügung von Todes wegen entsprechend dem Grundsatz der Testierfreiheit den Erben nach seinem Willen frei bestimmen. Hat der Wille des Erblassers in der Verfügung von Todes wegen nur unvollständig Ausdruck gefunden oder kann der wahre Wille des Erblassers nicht zweifelsfrei festgestellt werden, wird die Erklärung des Erblassers anhand bestimmter Grundsätze, die insbesondere von der Rechtsprechung entwickelt wurden, ausgelegt. Ziel der Auslegung ist die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte, nicht aber die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens6. Mithilfe der Auslegung soll der Wille des Erb1 Palandt/Weidlich, § 2263 Rz. 1. 2 Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, § 357 Rz. 2; vgl. BayObLG v. 12.5.1998 – 1Z BR 5/98, NJW-RR 1999, 661, 662. 3 Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, § 357 Rz. 2. 4 BayObLG v. 7.12.1954 – BReg. 2 Z 188/54, BayObLGZ 1954, 310, 312. 5 Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, § 357 Rz. 2; a.A. BayObLG v. 28.10.1996 – 1 Z BR 214/96, NJW-RR 1997, 771: Einsichtsrecht nach § 13 FamFG. 6 BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, FamRZ 1993, 318.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.331 § 6

lassers ermittelt werden1. Dabei kann jedoch nur der Wille ausgelegt werden, der formwirksam Inhalt der letztwilligen Verfügung geworden ist2. 1. Grundsätze der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen Bei der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen ist zu unterscheiden zwischen einseitigen Verfügungen und vertragsmäßigen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen. Die Auslegung geht der den Erblasserwillen vernichtenden Anfechtung vor, da durch die Auslegung der wahre Wille des Erblassers verwirklicht werden kann, während durch die Anfechtung die Verfügung von Todes wegen vernichtet wird und die – vom Erblasser oft nicht gewünschte – gesetzliche Erbfolge eintritt3. Ziel der Auslegung ist, den rechtlich geltenden Inhalt der Verfügung von Todes wegen festzustellen4. Die Auslegung einer testamentarischen Verfügung darf sich daher nicht auf die Deutung des Wortlauts der Erklärung beschränken5.

6.328

a) Auslegung einseitiger Verfügungen Abweichend von den allgemeinen Grundsätzen der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist es bei der Auslegung einseitiger Testamente, also dem Einzeltestament, sowie bei einseitigen Verfügungen im Erbvertrag und im gemeinschaftlichen Testament, unerheblich, wie die Erklärung nach dem Empfängerhorizont zu verstehen ist: Es gibt keine Person, deren Vertrauen geschützt werden muss6. Auch der im Testament Bedachte ist nicht maßgeblicher Erklärungsempfänger der einseitigen testamentarischen Verfügung7. § 157 BGB und auch § 242 BGB finden demnach keine Anwendung bei der Auslegung der letztwilligen Verfügung8. Maßgeblich ist allein der wirkliche Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung und nicht der objektive Sinn der Erklärung9. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung des subjektiven Willens des Erblassers ist der Errichtungszeitpunkt10. Unbeachtlich ist folglich, wenn sich der Erblasserwillen nach diesem Zeitpunkt ändert11.

6.329

b) Auslegung einseitiger Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten Wie bereits unter Rz. 6.329 dargestellt, werden auch einseitige Verfügungen im Erbvertrag und im gemeinschaftlichen Testamenten nur unter Berücksichtigung des Erklärendenhorizonts, nicht jedoch unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts ausgelegt.

6.330

c) Auslegung vertragsmäßiger bzw. wechselbezüglicher Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten Bei vertragsmäßigen Verfügungen nach § 2278 Abs. 1 BGB ist aus Gründen des Vertrauensschutzes die letztwillige Verfügung aus Sicht des Vertragspartners auszulegen, sofern ein übereinstimmender 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, FamRZ 1993, 318. Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 26, 28 ff. Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 1. MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 1. BGH v. 27.2.1985 – IVa ZR 136/83, BGHZ 94, 36; BayObLG v. 16.11.1993 – 1Z BR 73/93, FamRZ 1994, 853 (854). Brox/Walker, § 16 Rz. 25. Otte, ZEV 1995, 408 (410). Dippel, AcP 177, 349 (355) m.w.N. Palandt/Ellenberger, § 133 Rz. 13. BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 (233); BayObLG v. 7.11.1988 – BReg. 1a Z 39/88, FamRZ 1989, 325. RG v. 2.11.1933 – IV. B 43/33, RGZ 142, 171 (175); BayObLG v. 13.4.1995 – 1Z BR 32/95, FamRZ 1995, 1446.

Kappler 227

6.331

§ 6 Rz. 6.332

Formen letztwilliger Verfügungen

Wille der Parteien nicht festgestellt werden kann. Es finden die üblichen Regeln über die Vertragsauslegung Anwendung, so dass neben § 133 BGB auch § 157 BGB für die Auslegung im Gegenseitigkeitsverhältnis stehender Verfügungen herangezogen wird1.

6.332 Auch bei wechselbezüglichen Verfügungen nach § 2270 Abs. 1 BGB ist in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament der Empfängerhorizont des anderen Ehegatten für die Auslegung entscheidend, wenn ein übereinstimmender Wille nicht festgestellt werden kann. Der überlebende Ehegatte muss die Möglichkeit haben, sich bei seinen Verfügungen auf diejenigen des anderen einzustellen und umgekehrt2. Bevor auf den Empfängerhorizont des anderen Ehegatten abgestellt wird, muss jedoch die Feststellung eines übereinstimmenden Willens gescheitert sein. Dabei ist insbesondere eine vom üblichen Sprachgebrauch abweichende Ausdrucksweise der Ehegatten so auszulegen, wie es dem Verständnis der Ehegatten entsprochen hat3. Jeder Ehegatte muss seine Anordnungen so gelten lassen, wie sie der Partner anhand der ihm erkennbaren Umstände verstehen durfte4. 2. Auslegungsmethoden

6.333 Die Rechtsprechung des BGH hat für die Auslegung von Verfügungen von Todes wegen unterschiedliche Methoden entwickelt, die in der folgend dargestellten Prüfungsreihenfolge dazu dienen, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. a) Erläuternde Auslegung

6.334 Ausgangspunkt für die Auslegung von einseitigen Testamenten ist, wie bereits dargestellt, § 133 BGB5. Danach ist das Ziel der Auslegung der tatsächliche Wille des Erblassers. Die erläuternde Auslegung geht vom Wortlaut der letztwilligen Verfügung des Erblassers aus. Zunächst ist also der tatsächliche, wortwörtliche Inhalt der Verfügung von Todes wegen festzustellen und erst dann ist zu erforschen, was der Erblasser mit seinen Worten wirklich sagen wollte. Durch den Wortlaut der Erklärung sind der Auslegung keine Grenzen gesetzt, vielmehr dient er als Anhaltspunkt für die Erforschung des tatsächlich Gewollten6.

6.335 Was der Erblasser erklären wollte, richtet sich somit nach seinem subjektiven Verständnis hinsichtlich der von ihm verwendeten Begriffe7. Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung setzt voraus, dass Umstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Erklärende einen vom üblichen Sprachgebrauch abweichenden Sinn mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte8. Der Wille des Erblassers muss durch den Inhalt der Erklärung gestützt werden, damit am Ende des Auslegungsprozesses der tatsächliche Wille des Erblassers steht9.

6.336 Zur Erforschung des Erblasserwillens müssen auch Umstände herangezogen werden, die außerhalb des Testaments liegen, die aber bei der Ermittlung des wahren Willens des Verfügenden hilfreich sein könnten. Zwar wird durch die erläuternde Auslegung der Willensverwirklichung des Erblassers 1 BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, FamRZ 1989, 496; BayObLG v. 22.7.1996 – 1Z BR 76/96, FamRZ 1997, 123. 2 BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, FamRZ 1993, 318. 3 Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 51. 4 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 140. 5 BGH, LM § 2078 BGB Nr. 3; MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 4. 6 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242; BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, FamRZ 1993, 318; BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 (45 f.). 7 BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475; Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 1. 8 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80, BGHZ 80, 246 (250); BayObLG v. 9.12.1985 – BReg. 1 Z 90/85, FamRZ 1986, 835. 9 BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475; BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, FamRZ 1993, 318.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.341 § 6

der Vorrang vor dem Wortlaut der Verfügung eingeräumt, jedoch begründet ein eindeutiger Wortlaut die widerlegbare Vermutung, dass der Erklärungsinhalt auch den tatsächlichen Willen des Erblassers wiedergibt und der Wortlaut folglich objektiv zu verstehen ist1. Auch die Fälle der sog. falsa demonstratio, also der Falschbezeichnungen in Testamenten, werden mithilfe der erläuternden Auslegung gelöst2. Eine falsa demonstratio ist auch dann gegeben, wenn der Erblasser, seinen Gepflogenheiten entsprechend, bspw. einen Erben mit einem falschen Namen oder einen vermachten Gegenstand mit einem anderen Ausdruck bezeichnet.

6.337

Beispiel: Der Erblasser bezeichnet seine Ehefrau als „Mutti“, den Weinkeller als „Bibliothek“3.

Ist die Erklärung von einem Notar beurkundet worden, spricht aber eine Vermutung dafür, dass der objektive Erklärungsinhalt dem Willen des Erblassers entspricht, wenngleich auch notarielle Testamente, ebenso wie privatschriftliche, grundsätzlich der Auslegung zugänglich sind4. Dies gilt auch dann, wenn Rechtsbegriffe verwendet werden, da nicht die Auffassung des Notars, sondern des Erblassers maßgeblich ist5. Allerdings lässt der Sinn, den der Notar einer Erklärung des Erblassers beigemessen hat, regelmäßig den Schluss darauf zu, was der Erblasser wollte6.

6.338

b) Andeutungstheorie Ist der tatsächliche Wille des Erblassers mithilfe der erläuternden Auslegung ermittelt worden und 6.339 widerspricht dieser dem eindeutigen Wortlaut der letztwilligen Verfügung, ist zu prüfen, ob der durch die Auslegung ermittelte Wille des Erblassers formgerecht erklärt worden ist. Nach der Andeutungstheorie muss der maßgebliche Wille des Erblassers in der Testamentsurkunde irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise, zum Ausdruck gekommen sein. Nicht erforderlich ist, dass bereits das Ergebnis der Testamentsauslegung angedeutet wird. Es genügt, wenn aus dem Testament erkennbar ist, wie die Willensrichtung des Erblassers gewesen ist7. In den Fällen der sog. verschlüsselten Ausdrucksweise8 wählt der Erblasser bewusst eine objektiv unrichtige Bezeichnung, die jedoch nur vom Standpunkt des insoweit nicht maßgeblichen Betrachters falsch ist9. Die „Andeutung“ des wirklichen Willens ist in den Fällen der falsa demonstratio in der Falschbezeichnung selbst zu sehen, denn ob eine Andeutung vorhanden ist, richtet sich nach dem Standpunkt des Erklärenden und dessen besonderem Sprachgebrauch, nicht aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder dem Verständnis des Bedachten10.

6.340

c) Auslegungsbeispiele aus der Rechtsprechung Für eine Reihe von Begriffen hat die Rechtsprechung festgestellt, dass sie auslegungsfähig sind, also u.U. nicht klar abgeleitet werden kann, was hiermit gemeint ist. Unter anderem wurde dies für folgende Begriffe festgestellt:

1 2 3 4 5 6 7

Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 14. MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 18; Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 5. Vgl. Brox/Walker, § 16 Rz. 4. Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 2 m.w.N. OLG Saarbrücken v. 6.1.1994 – 5 W 119/93-70, NJW-RR 1994, 844 (845 f.). Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 2. BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41; BGH v. 27.2.1985 – IVa ZR 136/83, FamRZ 1985, 587; Erman/Schmidt, § 2084 Rz. 3; Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 28 ff. 8 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 34. 9 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 33. 10 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 35.

Kappler 229

6.341

§ 6 Rz. 6.342

Formen letztwilliger Verfügungen

– die Bezeichnung „Kinder“ mit der Folge, dass auch Adoptivkinder darunter fallen können, falls kein gegenteiliger Wille feststellbar ist1 oder aber die Erbberechtigung eines nichtehelichen Kindes nicht gewollt ist2; – die Formulierung „unser gemeinsames Ableben“ mit der Folge, dass damit auch der Fall gemeint sein kann, dass die Eheleute aufgrund des gleichen Unfallereignisses nacheinander sterben3; – die Zuwendung der „Wohnung“, die auch die in der Wohnung vorhandenen Wertgegenstände wie Schmuck und Hausrat umfassen kann4; – „Vor- und Nacherbe“ die auch bedeuten können, dass Schlusserbe gemeint ist oder aber Vollerbe des längstlebenden Ehegatten5.

6.342 Besondere Schwierigkeiten treten bei der Auslegung nicht vollständig vorliegender Testamente auf, also soweit die Urschrift einer Testamentsurkunde insgesamt oder in Teilen fehlt. Das BayObLG hat festgestellt, dass in diesen Fällen alle zulässigen Beweismittel zur Ermittlung des Erblasserwillens heranzuziehen sind6. An den Nachweis der Erbeinsetzung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen7. Beweispflichtig ist, entsprechend den allgemein geltenden Grundsätzen, wer Ansprüche aus dem Testament behauptet.

6.343 Zur Abgrenzung zwischen Erb- und Vermächtnisanordnung kommt es maßgeblich darauf an, ob der Nachlass aus einem oder mehreren Hauptgegenständen (wie z.B. Grundstücken) besteht und die übrigen Nachlasswerte erheblich hinter dem Hauptgegenstand zurückbleiben; dann kann in der Zuwendung eines solchen Hauptgegenstands auch eine Erbeinsetzung gesehen werden, wohingegen die Zuwendung kleinerer Werte ein Vermächtnis darstellen kann8. Dabei darf sich die Auslegung eines Testaments nicht nur auf ein dem Willen des Erblassers entsprechendes Ergebnis in der Nachlassverteilung beschränken. Sie muss vielmehr auch die Anordnung juristischer Laien so umsetzen, dass das Verteilungsergebnis auch in konkret nicht eingetretenen Geschehensabläufen dem Willen des Erblassers entsprochen hätte9. d) Beachtung äußerer Umstände für die Auslegung

6.344 Die Beachtung äußerer Umstände für die Auslegung bedeutet, dass alle zugänglichen Umstände, die außerhalb des Testaments liegen, ebenfalls zur Ermittlung des tatsächlichen Willens des Erblassers – freilich im Rahmen der Andeutungstheorie – auszuwerten sind10. Dies können bspw. Äußerungen in Briefen und gegenüber Familienangehörigen oder anderen Personen anlässlich der Testamentserrichtung sein. Auch Erklärungen in früheren Testamenten können helfen, den wirklichen Erblasserwillen zu erforschen, besonders dann, wenn die neue Verfügung nur zur Ergänzung oder Präzisierung des früheren Inhalts dienen sollte11. Das persönliche Verhältnis zu den bedachten Personen kann Rückschlüsse auf den Willen des Testators zulassen, ebenso wie dessen Bildungsstand, seine berufliche Stel-

1 OLG Düsseldorf v. 10.12.1987 – 3 Wx 477/97, FamRZ 1998, 1206. 2 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 246. 3 OLG Stuttgart v. 10.3.1982 – 8 W 224/81, FamRZ 1982, 1136 f.; BayObLG v. 18.12.2003 – 1Z BR 130/02, ZEV 2004, 200 f. 4 BayObLG v. 29.6.1994 – 1Z BR 125/93, FamRZ 1994, 1554. 5 BayObLG v. 19.9.1988 – BReg.1a Z 40/88, FamRZ 1989, 99 (101). 6 BayObLG v. 23.12.1985 – BReg. 1Z 97/85, FamRZ 1986, 1043. 7 OLG Köln v. 30.4.1993 – 2 Wx 56–57/92, FamRZ 1993, 1253. 8 BayObLG v. 12.3.2002 – 1Z BR 14/01, FamRZ 2002, 1745. 9 BayObLG v. 16.3.2005 – 1Z BR 77/04, FamRZ 2006, 226. 10 Erman/Schmidt, § 2084 BGB Rz. 5. 11 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 68.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.349 § 6

lung oder auch örtliche Besonderheiten1. Äußerungen nach der Testamentserrichtung können ebenfalls herangezogen werden, jedoch nur soweit sie nicht auf eine Absicht, das Testament zu ändern, hindeuten2. 3. Ergänzende Auslegung a) Ergänzende Auslegung Während die erläuternde Auslegung an den wahren Willen des Erblassers anknüpft, findet die ergän- 6.345 zende Auslegung Anwendung, wenn der hypothetische Erblasserwille ermittelt werden muss, also planwidrige Lücken des Testaments zu schließen sind3. Solche Lücken können entstehen, wenn zwischen der Errichtung des Testaments und dem Eintritt des Erbfalls eine gewisse Zeitspanne liegt, innerhalb deren sich die Verhältnisse grundlegend ändern. Auch können bereits bei Errichtung des Testaments Umstände vorgelegen haben, die dem Erblasser nicht bekannt gewesen sind, bei dessen Kenntnis er aber andere Verfügungen getroffen hätte. Während sich die erläuternde Auslegung am Sinn der Erklärung orientiert und dadurch der vom Erblasser gewollten Rechtsfolge zur Durchsetzung verhilft, führt die ergänzende Auslegung zu Rechtsfolgen, die dem Wortlaut der Verfügung weder ausdrücklich noch dem Sinn nach zu entnehmen sind. Die Ergänzung des Testaments im Wege der ergänzenden Auslegung erfolgt in drei Schritten:

6.346

(1) Zunächst ist das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke zu prüfen. Dabei ist zu klären, welche Ziele und welche Motivationen den Erblasser bei seinen Anordnungen leiteten. Beispiel: Der Erblasser kann bei Errichtung seiner letztwilligen Verfügung die Alterssicherung seiner Ehefrau oder die gerechte Aufteilung des Vermögens zwischen den Bedachten als bestimmendes Kriterium der Gestaltung gewünscht, dieses Ziel aber mit den getroffenen Verfügungen nicht erreicht haben. Hier besteht eine planwidrige Regelungslücke.

(2) Ist das Ziel des Erblassers definiert und findet sich keine entsprechende Regelung im Testament, so ist eine Lücke vorhanden. Kann festgestellt werden, dass der Erblasser diese Lücke zur Erreichung seines Ziels geschlossen hätte, ist die Regelungslücke planwidrig.

6.347

(3) Sodann ist die Lücke zu schließen. Hierfür ist der hypothetische Wille des Erblassers zu ermitteln, den er gehabt hätte, wenn ihm im Zeitpunkt der Testamentserrichtung die nicht bedachten Umstände bekannt oder bewusst gewesen wären. Es ist immer von der Person des Erblassers auszugehen und aus dessen Sicht ist die Lücke zu schließen. Der Auslegende hat sich hierfür gedanklich in den Zeitpunkt der Testamentserrichtung zurückzuversetzen und von dort aus die sich aus damaliger Sicht entwickelnde Zukunft vorzustellen4. Der hypothetische Wille des Erblassers kann sich dabei sowohl aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergeben als auch aus außerhalb des Testaments liegenden Umständen.

6.348

Beispiel: Der 1989 verstorbene Erblasser hatte umfangreiches Immobilienvermögen in der früheren DDR. Nach der Wiedervereinigung wurden die Immobilien an die Erben rückübertragen. In seinem 1985 errichteten Testament sind für diese Vermögensgegenstände keinerlei Verfügungen getroffen worden, da der Erblasser nicht mit einer Wiedervereinigung rechnete. Die entstandene Regelungslücke ist durch ergänzende Auslegung zu schließen.

Von allen denkbaren Möglichkeiten, wie die planwidrige Lücke geschlossen werden kann, ist diejenige auszuwählen, welche am besten geeignet ist, den mit dem hypothetischen Erblasserwillen ange1 2 3 4

Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 75. Erman/Schmidt, § 2084 Rz. 5. Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 34. Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 8.

Kappler 231

6.349

§ 6 Rz. 6.350

Formen letztwilliger Verfügungen

strebten Erfolg zu verwirklichen1. Dabei kommt es auf den Willen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an, nicht etwa auf einen späteren Willen2. Die Rechtsprechung will auch im Rahmen der ergänzenden Auslegung die Andeutungstheorie beachtet wissen; für das erzielte Ergebnis muss danach in der Testamentsurkunde zumindest ein Anhaltspunkt gegeben sein3. Die Ergänzung einer letztwilligen Verfügung ist danach nur zulässig, wenn hierfür Anhaltspunkte in der Willensrichtung des Erblassers bestehen, die sich anhand des Testaments, aufgrund von Umständen außerhalb des Testaments oder aus der allgemeinen Lebenserfahrung feststellen lassen4. Keinesfalls darf die ergänzende Auslegung jedoch in der Art vorgenommen werden, dass dem Erblasser ein Wille unterstellt wird, der „vernünftig“ gewesen wäre.

6.350 Das Gericht ist bei der Ergänzung des Erblasserwillens weder gegenständlich noch zeitlich beschränkt. Derjenige, der sich auf Veränderungen beruft, die sich aus der ergänzenden Auslegung ergeben, kann sich so lange darauf berufen, wie Rechte in der gewählten Verfahrensart geltend gemacht werden können. Die Ausschlussfristen für die Irrtumsanfechtung sind nicht anwendbar. Grenzen setzt hier der Gedanke des allgemeinen Rechtsmissbrauchs entsprechend § 242 BGB5. b) Anwendungsfälle der ergänzenden Auslegung

6.351 Die Rechtsprechung wendet die ergänzende Auslegung nur zurückhaltend an, was auf die Schwierigkeit der Ermittlung eines hypothetischen Erblasserwillens und die damit verbundenen Unsicherheiten zurückzuführen ist. Es haben sich aber einige Fallgruppen herausgebildet, bei denen regelmäßig die ergänzende Auslegung herangezogen wird. aa) Einsetzung eines Ersatzerben

6.352 Ein anerkannter und typischer Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung betrifft die Berufung von Ersatzerben, wenn die bedachte Person vor Eintritt des Erbfalls stirbt. Da die Regelung des § 2069 BGB als Sonderregelung für die Abkömmlinge des Erblassers nicht analog auf den Wegfall anderer eingesetzter Erben angewendet werden kann6, entsteht bei Wegfall der Bedachten in anderen als den dort genannten Fällen eine planwidrige Lücke. Findet sich im Testament ein Anhaltspunkt dafür, dass der Erblasser eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des ursprünglich Bedachten gewünscht hätte (Zuwendung an den Stamm des ursprünglichen Erben), so ist eine dahingehende ergänzende Auslegung möglich7. bb) Wegfall des eingesetzten Ehegatten und Wiederheirat des Erblassers

6.353 Die ergänzende Auslegung ist im Hinblick auf eine Auswechslung des Zuwendungsempfängers grundsätzlich zurückhaltend anzuwenden. Insbesondere bei Wegfall des eingesetzten Ehegatten und Wiederheirat des Erblassers, der nach erneuter Eheschließung keine neue letztwillige Verfügung getroffen hat, ist die Annahme einer Erbeinsetzung des zweiten Ehegatten weder nach § 2071 BGB noch im Wege der ergänzenden Auslegung möglich. Dies gilt sowohl bei der namentlichen Einsetzung als auch bei einer unpersönlichen und mehrdeutigen Bezeichnung des Bedachten, wie z.B. „mein Mann“8. Im ersten Fall kommt die erläuternde Auslegung schon wegen der namentlichen Benennung des ersten Ehegatten nicht zu dem Ergebnis, der zweite Ehegatte könne an die Stelle des Ersten getreten 1 Nieder/Kössinger/Kössinger, § 23 Rz. 35. 2 BGH v. 23.1.1963 – V ZR 82/61, NJW 1963, 1150 (1151). 3 BGH v. 16.11.1982 – IV a ZR 52/81, FamRZ 1983, 380 (382); BayObLG v. 16.5.1988 – BReg. 1 Z 47/87; NK-BGB/Feindl, § 2084 Rz. 44. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 81. 5 BayObLG v. 27.6.1997 – 1Z BR 240/96, FamRZ 1997, 1509. 6 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, NJW 1973, 240 (242). 7 Palandt/Weidlich, § 2069 Rz. 9. 8 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 98; Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 108.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.356 § 6

sein1. Und auch im zweiten Fall ermöglicht die objektiv neue Situation keine ergänzende Auslegung, sondern verlangt eine neue Verfügung des Erblassers. cc) Veränderungen der Vermögenslage des Erblassers Hatte der Erblasser falsche Vorstellungen von seiner Vermögenslage im Zeitpunkt des Erbfalls, weil 6.354 sich seine Vermögensverhältnisse nach der Testamentserrichtung verändert haben, kann ebenfalls die ergänzende Auslegung in Betracht kommen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten, da grundsätzlich eine Vermögensveränderung die Verfügung von Todes wegen nicht berührt2. Hat der Erblasser eine Bestimmung der Erbquote vorgenommen, wird die Erbeinsetzung auch dann nicht in Frage gestellt, wenn der Erblasser nach Testamentserrichtung weiteres erhebliches Vermögen erhält3. dd) Zuwendung von Einzelgegenständen und Vermögensgruppen Die Zuwendung von Einzelgegenständen oder Vermögensgruppen ohne die Bestimmung einer 6.355 Erbquote kann als Erbeinsetzung nach Bruchteilen, verbunden mit einer Teilungsanordnung i.S.v. § 2048 BGB, ausgelegt werden. Die Erbquoten sind dann anhand des wirtschaftlichen Wertverhältnisses der zugewandten Vermögensgruppen zum gesamten Nachlass zu ermitteln4. Eine andere Möglichkeit ist, dass die ergänzende Auslegung zu dem Ergebnis führt, dass der Erblasser nur über den Bruchteil seines Vermögens verfügen, im Übrigen aber die gesetzliche Erbfolge eintreten lassen wollte, entsprechend § 2088 BGB. Dies ist dann der Fall, wenn der Erblasser durch Zuwendung einzelner Gegenstände oder Vermögensgruppen die Bedachten zwar zu Erben einsetzen wollte, ihnen objektiv aber nur einen Bruchteil seines Vermögens zugewandt hat5. Die zugewandten Gegenstände sind dann in Bruchteile des Nachlasses umzudeuten, i.d.R. entsprechend ihrem Anteil am Wert des hinterlassenen Vermögens6. Im Wege der Auslegung ist hier nicht nur zu ermitteln, ob der Erblasser die Zuwendungsempfänger zu Erben einsetzen wollte, sondern auch, ob sie alleinige Erben werden sollten oder nur zu einem Bruchteil. Sollten die Bedachten als alleinige Erben eingesetzt werden, sind ihre Erbteile gem. § 2089 verhältnismäßig zu erhöhen. Sollten sie nur zu einem Bruchteil als Erben eingesetzt werden, tritt hinsichtlich des übrigen Nachlasses die gesetzliche Erbfolge ein7. ee) Tatsächliche Veränderungen an einem vermachten Gegenstand Gehört der vermachte Gegenstand im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr zum Nachlass, sind vor 6.356 der ergänzenden Auslegung die gesetzlichen Auslegungsregeln nach §§ 2169, 2170 und 2173 BGB anzuwenden. Nach der h.M. kann jedoch § 2169 Abs. 3 BGB im Fall der Veräußerung des vermachten Gegenstands weder direkt noch entsprechend angewandt werden8. Im Wege der ergänzenden Auslegung kann man u.U. jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass der Erlös des verkauften Gegenstands, soweit er sich noch im Nachlass befindet, oder der Wert des veräußerten Gegenstands als vermacht anzusehen ist9.

1 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 108. 2 Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 43. 3 BGH v. 16.10.1996 – IV ZR 349/95, FamRZ 1997, 349; BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995. 4 BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 59/88, FamRZ 1990, 396. 5 BayObLG v. 19.3.1998 – 1Z BR 82/97, FamRZ 1998, 1334; zur Abgrenzung, wann überhaupt die ergänzende Auslegung heranzuziehen ist, vgl. BGH v. 12.7.2017 – IV ZB 15/16, FamRZ 2017, 1716. 6 BayObLG v. 24.6.1998 – 1Z BR 46/98, FamRZ 1999, 62. 7 Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 6. 8 BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 238/56, BGHZ 22, 357; Staudinger/Otte, § 2169 Rz. 16; Palandt/Weidlich, § 2169 Rz. 7. 9 BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41.

Kappler 233

§ 6 Rz. 6.357

Formen letztwilliger Verfügungen

ff) Änderung der Rechtslage

6.357 Hat sich die Rechtslage zwischen Testamentserrichtung und Erbfall so verändert, dass eine ursprünglich vorgesehene Rechtsfolge aufgrund dieser Rechtsänderung nicht mehr erreicht werden kann, ist der Verfügung – unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks – im Wege der ergänzenden Auslegung ein anderer Inhalt zu geben, soweit dieser dem hypothetischen Willen des Erblassers entspricht1. Beispiel: Das neu eingeführte Erbrecht des nichtehelichen Kindes, die Einführung des Erbrechts eines adoptierten Kindes, die Einführung des BGB in den neuen Bundesländern, die Einführung der Zugewinngemeinschaft, der Erlass der HöfeO oder eine Währungsumstellung stellen eine Änderung der Rechtslage dar, die eine ergänzende Auslegung erforderlich machen kann.

gg) Geldentwertung und Währungsänderung

6.358 Eine zwischen Testamentserrichtung und Erbfall eingetretene Geldentwertung kann im Rahmen der ergänzenden Auslegung zur Anpassung eines Geldvermächtnisses, einer Geldrente oder eines vom Erblasser festgelegten Übernahmepreises, welcher von einem Miterben zu zahlen ist, führen2. hh) Änderungsvorbehalte bei gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten und Erbverträgen

6.359 Grundsätzlich müssen Änderungsvorbehalte bereits ausdrücklich im gemeinschaftlichen Testament bzw. im Erbvertrag aufgenommen werden. Nach Ansicht der Rechtsprechung kann sich ein entsprechender Änderungsvorbehalt aber auch aufgrund ergänzender Auslegung ergeben3. Beispiel: Der überlebende, aufgrund eines Erbvertrags gebundene Ehepartner hat nach dem Tod des Erstverstorbenen unerwartet ein erhebliches Vermögen erworben. Über dieses kann der Überlebende, auch ohne dass entsprechende Klauseln und Vorbehalte in den Erbvertrag aufgenommen worden sind, anderweitig verfügen.

4. Gesetzliche Auslegungs- und Ergänzungsvorschriften

6.360 Die §§ 2066 ff. BGB sehen gesetzliche Auslegungs- und Ergänzungsvorschriften vor. Während die Auslegungsvorschrift einer zweifelhaften Regelung einen eindeutigen Sinn geben soll, soll die Ergänzungsvorschrift die Lücke ausfüllen, die durch eine fehlende Regelung entstanden ist. Aus der erheblichen Anzahl der im Erbrecht enthaltenen Auslegungs- und Ergänzungsvorschriften sollen hier beispielhaft nur die Wichtigsten erörtert werden.

6.361 (1) § 2066 BGB, Einsetzung der „gesetzlichen Erben“; die Vorschrift verweist nicht auf die gesetzliche Erbfolge, sondern begründet eine mit ihr übereinstimmende, gewillkürte Erbfolge. Die Ergänzungsnorm des Satzes 1 gilt nur, wenn kein anderer Wille des Erblassers feststellbar ist.

6.362 (2) § 2067 BGB, Verwandte; diese Auslegungsregel, die ebenso wie die des § 2066 BGB den Kreis der Erben regelt, hat einen doppelten Zweck: Einmal wird der Kreis der Verwandten konkretisiert auf diejenigen, die zur Zeit des Erbfalls seine gesetzlichen Erben sein würden. Zugleich hilft sie über die fehlende Angabe der Erbteile hinweg.

6.363 (3) § 2068 BGB, Kinder des Erblassers; diese Auslegungsregel greift bei einem Wegfall des Kindes durch Erbverzicht nicht ein (vgl. § 2349 BGB). 1 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 77, 78, 104. 2 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 97 m.w.N. 3 Gemeinschaftliches Testament: OLG Zweibrücken v. 28.10.1991 – 3 W 34/91, FamRZ 1992, 608; Erbvertrag: BayObLG v. 9.11.1995 – 1Z BR 31/95, FamRZ 1996, 898; OLG Köln v. 10.9.1993 – 2 Wx 34/93, NJW-RR 1994, 651.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.371 § 6

(4) § 2069 BGB, Abkömmlinge des Erblassers; die Vorschriften der §§ 2068, 2069 BGB gehen davon aus, dass der Erblasser nicht dem einzelnen Abkömmling die Zuwendung machen will, sondern seinem Stamm.

6.364

Beispiel: Der Erblasser hat seinen Sohn A zum Alleinerben eingesetzt. Sein Sohn B soll nur den Pflichtteil erhalten. Sohn A, der zwei Kinder hat, ist nach der Errichtung des Testaments aber vor dem Erbfall gestorben. Nach der Auslegungsregel gilt, dass der Erblasser, der einen Abkömmling bedenkt, auch dessen Stamm die Zuwendung machen will. Die Kinder des A sind damit Erben zu 1/2 geworden.

(5) § 2070 BGB, Abkömmlinge eines Dritten; diese Auslegungsregel ist im Zusammenhang damit zu verstehen, dass ein beim Erbfall nicht Erzeugter nur als Nacherbe eingesetzt werden kann (§§ 1923, 2101 Abs. 1 BGB), der Nacherbfall erst mit der Geburt eintritt (§ 2106 Abs. 2 S. 1 BGB) und Vorerben bis dahin die gesetzlichen Erben sind (§ 2105 Abs. 2 BGB). Eine so komplizierte Regelung wollte der Erblasser im Zweifel eben nicht, wenn er die Abkömmlinge eines Dritten ohne nähere Bestimmung bedacht hat. Hinterlässt der Dritte keine Abkömmlinge, ist die Verfügung unwirksam.

6.365

(6) § 2071 BGB, Personengruppe; diese Auslegungsregel gilt bei Zuwendung z.B. an die Arbeiter und Angestellten des Erblassers. Die Personengruppe muss eindeutig bezeichnet sein. Die Anteile der Angehörigen der jeweiligen Gruppe richten sich bei fehlender Anordnung nach den §§ 2091, 2157 BGB.

6.366

(7) § 2074 BGB, aufschiebende Bedingung; die Bedeutung dieser Bestimmung zeigt sich vor allem bei der Nacherbeneinsetzung. Tritt die Bedingung erst nach dem Erbfall ein, so handelt es sich ebenso wie bei Bedingungen, die nach dem Erbfall liegen, um Nacherbfolge, § 2115 BGB.

6.367

(8) § 2075 BGB, auflösende Bedingung; durch diese Regelung bekommt der Bedachte die Zuwendung bereits mit dem Erbfall. Er soll sie aber nur behalten dürfen, wenn er sich entsprechend dem Erblasserwillen verhält.

6.368

(9) § 2087 BGB enthält eine Regel, nach der in Zweifelsfällen zu entscheiden ist, ob eine Erbeinset- 6.369 zung gewollt war. Für eine Erbeinsetzung ist der Gebrauch der Worte „Erbe“, „erben“ usw. nicht wesentlich. Notwendig ist nur, dass sich der Wille des Erblassers ergibt, die Gesamtrechtsnachfolge herbeizuführen. Das bringt § 2087 Abs. 1 BGB zum Ausdruck, denn wenn der Erblasser einem anderen sein Vermögen oder Bruchteile seines Vermögens zuwendet, dann will er im Zweifel eine Gesamtrechtsnachfolge. Nach § 2087 Abs. 2 BGB ist die Zuwendung einzelner Gegenstände (auch wenn der Begriff „erben“ gebraucht wird) im Zweifel keine Erbeinsetzung, sondern regelmäßig nur ein Vermächtnis. Diese spezielle Auslegungsregel gilt jedoch nur dann, wenn nach Anwendung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze weiterhin Zweifel bleiben. (10) §§ 2088, 2089 BGB; Erschöpft eine Erbeinsetzung (eines oder mehrerer Erben) auf Bruchteile den Nachlass nicht, so ist zu unterscheiden: Ergibt die allgemeine Auslegung, dass die gesetzliche Erbfolge ausgeschlossen sein soll, so tritt nach § 2089 BGB eine verhältnismäßige Erhöhung der Bruchteile der Testamentserben ein. Ist ein Wille des Erblassers, die gesetzliche Erbfolge auszuschließen, nicht feststellbar, so gilt der Grundsatz, dass eine Erbeinsetzung nicht weiter reicht als ihr Inhalt, § 2088 BGB. Hinsichtlich des Vermögensrestes, über den nicht verfügt wurde, tritt gesetzliche Erbfolge ein.

6.370

(11) § 2091 BGB; Die Ergänzungsregel des § 2091 BGB spricht bei Einsetzung mehrerer Erben ohne Quotenbestimmung für die Gleichheit der Erbteile; das gilt nicht, soweit sich aus den Regeln der §§ 2066 bis 2069 BGB etwas anderes ergibt.

6.371

Beispiel: Der Erblasser E setzt seine Frau und seine beiden Kinder in der Weise zu Erben ein, dass er testiert: „Meine Frau Frieda und meine Söhne Anton und Bruno sollen mich gemeinsam beerben.“

Kappler 235

§ 6 Rz. 6.372

Formen letztwilliger Verfügungen

Namentliche Erbeinsetzung ist kein Fall des § 2066 BGB, es greift also § 2091 BGB ein. Es sind also F, A und B testamentarische Miterben zu je 1/3. Abwandlung: E hat testiert wie folgt: „Mein Vermögen soll an meine gesetzlichen Erben fallen.“ Es liegt der Fall des § 2066 BGB vor: F, A und B sind testamentarische Miterben in Höhe ihrer gesetzlichen Erbteile, also die F zu 1/2, A und B je zu 1/4. Für die Anwendung des § 2091 BGB ist somit kein Raum mehr.

6.372 (12) § 2094 BGB, Anwachsung; die Vorschrift über die Anwachsung, trifft eine dem vermutlichen Willen des Erblassers entsprechende Regelung für den Fall, dass ein eingesetzter Erbe wegfällt. Beispiel: Der Erblasser E setzt seine Frau und seine beiden Kinder zu Erben zu untereinander gleichen Teilen ein. Kind A verstirbt ohne Hinterlassung eigener Abkömmlinge. Erben sind somit die Ehefrau und das verbliebene Kind zu je 1/2.

6.373 Weitere Auslegungs- und Ergänzungsvorschriften sind: §§ 2049 Abs. 1, 2051 Abs. 2, 2052, 2072, 2043, 2076, 2077, 2097, 2098, 2101, 2102, 2107, 2108 Abs. 2, 2110, 2137 Abs. 2, 2147, 2148, 2161, 2164 Abs. 1, 2, 2165 Abs. 1, 2166 Abs. 1, 2167, 2168, 2169, 2172 Abs. 2, 2173, 2181, 2182, 2208, 2209, 2221, 1168 Abs. 2, 2269 Abs. 1, 2, 2270 Abs. 2, 2298 Abs. 3 und 2304 BGB.

6.374 Behauptet eine Partei Umstände, die Schlussfolgerungen auf einen einer Auslegungsvorschrift entgegenstehenden Erblasserwillen zulassen, wirken die Auslegungsvorschriften als Beweislastregeln. Der normative Gehalt der Auslegungsvorschriften beeinflusst die prozessuale Darlegungs- und Beweislast. Diejenige Partei, die einen von der Auslegungsvorschrift abweichenden Erblasserwillen behauptet, hat diejenigen Tatsachen und Umstände, aus denen sich dieser Wille ergeben soll, im Einzelnen darzulegen und zu beweisen. Können die Tatsachen festgestellt werden, bleibt aber die Auslegung dennoch zweifelhaft, dann greifen die Wertungsanweisungen der Auslegungs- und Ergänzungsvorschriften ein. 5. Wohlwollende Auslegung

6.375 Lässt der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zu, so ist gem. § 2084 BGB im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die durch den Testator gewählte Verfügung Erfolg haben kann. Die Regelung ergänzt die allgemeinen Auslegungsregeln für den seltenen Fall, dass bei einer mehrdeutigen Anordnung eine Auslegungsmöglichkeit zur Unwirksamkeit der Verfügung führen würde. Können mehrere Auslegungen zum selben Ziel führen, so ist in Anwendung des § 2084 BGB die für den Bedachten kostengünstigste und mit den wenigsten Umständen verbundene Auslegung zu wählen1.

6.376 Entsprechend anwendbar ist § 2084 BGB, wenn unstreitig eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Erblassers vorliegt, deren rechtliche Natur aber zweifelhaft ist. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn unklar ist, ob die Erklärung eine letztwillige Verfügung oder eine Schenkung unter Lebenden bzw. eine testamentarische Anordnung oder eine widerrufliche Vollmacht auf den Todesfall ist2. § 2084 BGB ist hingegen nicht anwendbar, wenn die Frage zu klären ist, ob überhaupt eine letztwillige Verfügung des Erblassers vorliegt oder nur ein unverbindlicher Wunsch, eine unverbindliche Mitteilung oder eine Ankündigung, wie es etwa in Form eines Briefes möglich ist3. Diese Zweifel betreffen den Testierwillen und sind daher als Fragen der Auslegung nur über § 133 BGB zu beantworten. Auch fehlende zwingende Formerfordernisse, wie bspw. die fehlende Unterschrift unter dem eigenhändigen Testament, lassen sich nicht mithilfe des § 2084 BGB ersetzen4.

1 Erman/Schmidt, § 2084 BGB Rz. 8; Palandt/Weidlich, § 2084 BGB Rz. 15. 2 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, FamRZ 1988, 945; Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 16; a.A. Soergel/Stein, § 1937 Rz. 2; Erman/Schmidt, § 2084 Rz. 9; Bork, JZ 1988, 1059 (1063). 3 Erman/Schmidt, § 2084 Rz. 8 m.w.N. 4 OLG Hamm v. 16.3.1993 – 15 W 135/92, FamRZ 1994, 188; BayObLG v. 4.3.1983 – BReg. 1Z 127/82, FamRZ 1983, 836.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.379 § 6

6. Übersicht: Auslegung letztwilliger Verfügungen Ermittlung des wahren Willens des Erblassers

– Da ein Vertrauensschutz grundsätzlich nicht eingreift, kommt es nicht auf den Empfängerhorizont, sondern auf den Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung an (§ 133); anders (§ 157 gilt!) bei der Auslegung von vertragsmäßig bindenden Verfügungen im Erbvertrag sowie von wechselbezüglichen Verfügungen im gern. Testament. – Die Auslegung geht der Anfechtung vor. – Bei der Ermittlung des Erblassetwillens sind auch außerhalb des Testaments liegende Umstände zu berücksichtigen (jedoch Einschränkung durch Formerfordernis s.u.).

Erläuternde und ergänzende Auslegung; Auslegungsregeln

– Erläuternde Auslegung knüpft an den Wortlaut der Anordnung an und ermittelt, was der Erblasser in Wahrheit zum Ausdruck bringen wollte. Die erläuternde Auslegung kommt nicht nur bei objektiv widersprüchlichen oder mehrdeutigen Erklärungen in Betracht, sondern auch bei scheinbar eindeutigen Erklärungen, denen der Erblasser eine abweichende Bedeutung beigemessen hat (Bsp. Vor-/Nachbzw. Ersatzerbschaft) – Fehlt eine Anordnung und ist ein hypothetischer Wille andeutungsweise erkennbar, dann ergänzende Auslegung. Wichtige Fälle: Änderung wesentlicher Umstände; Unkenntnis bereits bei Testamentserrichtung vorliegender Umstände. – Fehlt eine Regelung und ist ein hypothetischer Wille nicht erkennbar, dann gesetzliche Auslegungsregeln. §§ 2066 ff. greifen ein, wenn die bedachten Personen unbestimmt sind; §§ 2088 ff., wenn der Bruchteil unklar ist. – Bei verschiedenen Möglichkeiten wohlwollende Auslegung(§ 2084).

Einhaltung der Form

– H.M.: der durch (insbes. erläuternde) Auslegung ermittelte Wille des Erblassers muss in der Verfügung von Todes wegen irgendeinen Ausdruck gefunden haben, sog. Andeutungstheorie. – M.M. Andeutungstheorie ist abzulehnen, da weitschweifiger Erblasser bevorzugt wird.

6.377

7. Auslegung und Prozessrecht Ziel der Auslegung ist es, den rechtlich verbindlichen Inhalt der Verfügung von Todes wegen festzustellen. Die Auslegung selbst ist im erbrechtlichen Verfahren daher keine Tatsachenfeststellung, sondern eine richterliche Tätigkeit im Bereich der Rechtsanwendung1. Dies gilt sowohl für die einfache (erläuternde) als auch für die ergänzende Auslegung. Die Auslegung der Verfügung ist Aufgabe des Richters im Erbscheins- oder im Prozessverfahren. Der Richter hat dabei die allgemeinen, geschriebenen und ungeschriebenen, Auslegungsgrundsätze anzuwenden und die, soweit einschlägig, besonderen gesetzlichen Auslegungsregeln zu beachten2.

6.378

Einen unmittelbaren Beweis des Auslegungsergebnisses gibt es nicht, so dass das Gericht nicht an eine übereinstimmende Auslegung durch die Parteien gebunden ist. Das Gericht kann also, unabhängig von den streitenden Bedachten, eine eigene Auslegung des Testaments vornehmen. Die Beteiligten können die Auslegung des Testaments nicht durch einen Vertrag mit unmittelbarer dinglicher Wirkung festlegen, sondern sich nur schuldrechtlich in einem notariell zu beurkundenden Auslegungsvertrag dazu verpflichten, ein bestimmtes Ergebnis herbeizuführen3 (siehe Rz. 6.382 f.).

6.379

1 BGH v. 18.1.1978 – IV ZR 181/76, WM 1978, 377 (378). 2 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 144; vor § 2064 Rz. 8. 3 BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, FamRZ 1986, 462; OLG Frankfurt v. 9.10.1989 – 20 W 306/89, OLGZ 1990, 15.

Kappler 237

§ 6 Rz. 6.380

Formen letztwilliger Verfügungen

6.380 Auch wenn der erkennende Richter große Zweifel hat, ob die Auslegung dem wirklichen Willen des Erblassers entspricht, muss er eine Entscheidung treffen1. Bei nicht behebbaren Zweifeln muss der Richter eine Entscheidung treffen, die, von allen denkbaren Auslegungen, nach den überwiegend dafürsprechenden Gründen dem hypothetischen Erblasserwillen am Nächsten kommt. Entsprechend der durch Auslegung gebildeten Überzeugung, für welche Interpretation der getroffenen Verfügungen die überwiegenden Gründe sprechen, muss sich der Richter dabei unter Umständen mit einem durch Wortlaut und Umstände nur naheliegenden, mutmaßlichen Erblasserwillen begnügen2.

6.381 Im Revisionsverfahren (§ 561 Abs. 2 ZPO) oder bei der Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG) ist die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Auslegung nicht voll überprüfbar, sondern nur soweit bei der Feststellung der Tatsachen ein Verstoß gegen verfahrensrechtliche Normen, z.B. das Beweisrecht, in Betracht kommt. Die Auslegung ist daraufhin zu prüfen, ob sie dem klaren Wortlaut und Sinn des Testaments widerspricht3. Sie ist dann rechtsfehlerhaft, wenn dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und der auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Willen des Erblassers gestützt werden kann4. 8. Auslegungsvertrag

6.382 Ist die letztwillige Verfügung in der Bestimmung der Bedachten oder der Zuwendungen nicht eindeutig, haben die Beteiligten (Erben, Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigte) die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Vertrags zu einigen. Bei diesen Verträgen handelt es sich entweder um einen Vergleich i.S.d. § 779 BGB oder um einen gesetzlich nicht normierten Feststellungs- bzw. Auslegungsvertrag5. Das Gericht ist an den außergerichtlichen Vergleich oder einen Auslegungsvertrag im Zivilprozess oder im Erbscheinsverfahren jedoch nicht gebunden6. Es wird den einverständlichen Erklärungen aller Beteiligten über die Auslegung der letztwilligen Verfügung jedoch eine gewisse Indizwirkung zumessen, da die Beteiligten in der Regel am besten mit den Vorstellungen und Wünschen des Erblassers vertraut sind7.

6.383 Durch den Auslegungsvertrag werden jedoch nur schuldrechtliche Verpflichtungen der Vertragsparteien zueinander begründet, eine dingliche Wirkung auf die eingetretenen Erbrechtsfolgen entfaltet er nicht8. Mithilfe notarieller Erbteilsübertragungen gem. § 2033 BGB oder durch Einzelübertragungsakte kann die schuldrechtlich vereinbarte Stellung der Beteiligten auch weitgehend dinglich angenähert werden9. Schuldrechtliche Vereinbarungen über den Abschluss notarieller Erbteilsübertragungen oder die Durchführung von Einzelübertragungsakten fallen unter § 2385 BGB und bedürfen daher gem. § 2371 BGB der notariellen Beurkundung.

6.384 Der Auslegungsvertrag bedarf der notariellen Beurkundung gem. §§ 2385, 2371, 2033 Abs. 1 S. 2 BGB10.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Erman/Schmidt, § 2084 BGB Rz. 11. BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, NJW 1993, 256; Nieder/Kössinger/Kössinger, § 23 Rz. 54. BayObLG v. 31.8.1990 – BReg.1a Z 60/89, FamRZ 1996, 636. BGH v. 24.2.1993 – IV ZR 239/91, BGHZ 121, 357. BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, FamRZ 1986, 462. BayObLG v. 19.9.1988 – BReg. 1a Z 40/88, FamRZ 1989, 99. Lange/Kuchinke, § 34 IV 3c. BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, FamRZ 1986, 462. Nieder/Kössinger/Kössinger, § 23 Rz. 59. BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, NJW 1986, 1812; OLG Frankfurt v. 10.12.1999 – 20 W 224/97, DNotZ 2001, 143 (149).

238

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.389 § 6

VI. Schenkungsversprechen von Todes wegen, § 2301 BGB 1. Abgrenzung zu den Verfügungen von Todes wegen Die Schenkung unter Lebenden, geregelt in den §§ 516 ff. BGB, und die Zuwendung durch Verfügung von Todes wegen stimmen insoweit überein, als durch beide Rechtsgeschäfte Gegenstände einem anderen unentgeltlich zugewendet werden. Zwar ist die Schenkung auf den Todesfall kein eigenes Rechtsinstitut, jedoch bestehen für beide Rechtsgeschäfte unterschiedliche Regelungen, weshalb eine Abgrenzung notwendig ist.

6.385

Hat der Schenker die Schenkung zu seinen Lebzeiten durch Leistung des zugewendeten Gegenstands an den Beschenkten vollzogen, § 2301 Abs. 2 BGB, finden hierauf die für die gewöhnliche Schenkung geltenden Vorschriften der §§ 516 ff. BGB Anwendung. Soweit nicht die Eigenart der Schenkung, z.B. bei Übertragung eines Grundstücks, eine besondere Form erfordert, muss der Schenker keine besonderen Formerfordernisse beachten. Wird die Schenkung hingegen nur versprochen, zu Lebzeiten des Schenkers aber nicht vollzogen, finden nach § 2301 Abs. 1 S. 1 BGB die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen Anwendung. Folge ist, dass das Schenkungsversprechen in der für den Erbvertrag geforderten Form des § 2276 BGB geschlossen werden muss1.

6.386

Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen vollzogener und nicht vollzogener Schenkung ist, ob der Schenker sein Vermögen sofort und unmittelbar mindert. Trifft das Vermögensopfer den Schenker selbst, liegt eine Schenkung unter Lebenden vor. Trifft das Vermögensopfer jedoch erst den Erben, handelt es sich um eine Schenkung auf den Todesfall2.

6.387

2. Überlebensbedingung Ein Schenkungsversprechen nach § 2301 Abs. 1 BGB steht unter der Bedingung, dass der Beschenkte den Schenker überlebt. Es soll erst nach dem Tod des Verfügenden erfüllt werden. Ist nur die Erfüllung des Versprechens bis zum Tod des Schenkers hinausgeschoben worden, hat der Beschenkte aber schon zu Lebzeiten des Schenkers einen Anspruch aus dem Versprechen, sind die Vorschriften für Schenkungen unter Lebenden (§§ 516 ff. BGB), nicht die von Todes wegen, anwendbar3.

6.388

a) Schenkungsversprechen § 2301 BGB gilt nur für Schenkungen, nicht für entgeltliche Geschäfte auf den Todesfall4. Schen- 6.389 kung ist nach § 516 BGB eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, wenn beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgen soll5. Unentgeltlich ist eine Zuwendung, der nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts keine Gegenleistung gegenübersteht. Das Schenkungsversprechen ist Teil eines Vertrags, durch den eine Leistung schenkweise versprochen wird, § 518 BGB. Eine Schenkung, die sofort vollzogen wird, ist daher kein Schenkungsversprechen i.S.v. § 2301 Abs. 1 BGB. Auch der Erlass einer Schuld, selbst wenn nach § 161 BGB aufschiebend bedingt, ist eine sofort vollzogene Schenkung, da der Schenker über die Forderung nicht weiter verfügen kann. Das Versprechen des schenkungsweisen Erlasses auf den Todesfall ist dagegen ein Befreiungsvermächtnis ohne dingliche Wirkung gem. § 2173 BGB6.

1 2 3 4 5 6

Erman/Kappler/Kappler, § 2301 Rz. 5. MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 2. BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 34/83, NJW 1985, 1553; Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 14. BGH v. 12.11.1952 – IV ZB 93/52, BGHZ 8, 23 (31). Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 5. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 6.

Kappler 239

§ 6 Rz. 6.390

Formen letztwilliger Verfügungen

6.390 Durch ihre Gleichstellung mit den Verfügungen von Todes wegen untersteht die Schenkung von Todes wegen den Vorschriften über den Erbvertrag1. Sie bedarf danach der notariellen Beurkundung bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Vertragsteile (§ 2276 BGB). Der Schenker kann den Vertrag gem. § 2274 BGB nur persönlich schließen. b) Überlebensbedingung

6.391 Das Schenkungsversprechen des § 2301 Abs. 1 BGB muss unter der Bedingung erteilt worden sein, dass der Beschenkte den Schenker überlebt. Eine unbedingte Schenkung oder eine Schenkung unter anderer Bedingung ist immer eine Schenkung unter Lebenden2. Die Bedingung kann nur eine aufschiebende sein, da bei einer auflösenden Bedingung die Schenkung bereits vollzogen ist3. Auch wenn der Schenker die Bedingung des Überlebens nicht ausdrücklich formuliert hat, kann sie sich aus den Umständen, dem Sinn der Schenkung oder der Interessenlage des Schenkers ergeben4. Abzustellen ist bei der Erforschung der Interessenlage des Schenkenden auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen der unbedingten Schenkung, deren Erfüllung auf den Todesfall aufgeschoben ist, und dem Schenkungsversprechen mit Überlebensbedingung. Während nämlich bei der unbedingten Schenkung der Anspruch auf den Erben des Begünstigten übergeht, wird die Schenkung mit Überlebensbedingung durch den Tod des Verfügenden hinfällig. Die Interessenlage spricht daher für eine Schenkung mit Überlebensbedingung, wenn der Schenker gerade dieser bestimmten Person für die Zeit nach seinem Tod eine Zuwendung verspricht und dafür auch besondere Gründe gerade in der Person des Begünstigten hat5.

6.392 Bei der Prüfung der Überlebensbedingung soll der Tatrichter nach Rechtsprechung des BGH nicht „engherzig“ verfahren6. Maßgeblich ist stets der individuelle Wille des Erblassers bzw. des Schenkers. Im Einzelfall ist dieser durch Auslegung nach § 133 BGB zu ermitteln. Führt diese Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist auch der Rechtsgedanke des § 2084 BGB heranzuziehen, also im Zweifel die Auslegung zu wählen, bei der der Wille des Erblassers Erfolg hat7.

6.393 Ohne die Überlebensbedingung liegt ein reines Rechtsgeschäft unter Lebenden vor, das der Form des § 518 Abs. 1 BGB bedarf und bereits zu Lebzeiten des Schenkers einen Rechtsanspruch entstehen lässt, der bei Vorversterben des Beschenkten auf dessen Erben übergeht. c) Rechtsfolgen des Schenkungsversprechens

6.394 In seiner Rechtsfolge ist das Schenkungsversprechen i.S.v. § 2301 Abs. 1 BGB den Verfügungen von Todes wegen gleichgestellt. Der Schenker ist an das gegebene Versprechen gebunden und kann sich nur durch Anfechtung, Aufhebung oder Rücktritt nach §§ 2281, 2290, 2293 ff. BGB von ihm befreien. Die Schenkung widerrufen nach §§ 530 ff. BGB kann er dagegen nicht. Zu Lebzeiten des Schenkers hat der Versprechensempfänger, wie der erbrechtlich Bedachte, keine gesicherte Rechtsposition, insbesondere keinen Anspruch gegen den Schenker und auch kein Anwartschaftsrecht8. Bei Eintritt des Erbfalls ist das Schenkungsversprechen als Vermächtnis (wenn es sich auf einen Einzelgegen-

1 Erman/Kappler/Kappler, § 2301 Rz. 5; Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 6; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 13: Form des § 2247 BGB soll genügen. 2 Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 10. 3 Erman/Kappler/Kappler, § 2301 Rz. 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 9; NK-BGB/Müßig, § 2301 Rz. 18; a.A. Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 3; Soergel/Wolf, § 2301 Rz. 3. 4 BGH v. 12.11.1986 – IVa ZR 77/85, BGHZ 99, 97. 5 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, FamRZ 1988, 945. 6 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, FamRZ 1988, 945. 7 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, FamRZ 1988, 945. 8 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 14.

240

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.396 § 6

stand bezieht) oder als Erbeinsetzung (wenn es sich auf das gesamte Vermögen oder einen Bruchteil hiervon bezieht, § 2087 BGB) zu behandeln1. 3. Vollzogene Schenkung auf den Todesfall, § 2301 Abs. 2 BGB a) Voraussetzungen Ist die Schenkung bereits zu Lebzeiten des Schenkers vollzogen, finden nicht die Vorschriften von To- 6.395 des wegen, sondern diejenigen über Schenkungen unter Lebenden Anwendung2. § 2301 Abs. 2 BGB erfasst demnach nicht nur Fälle der sog. Handschenkung, sondern auch die lebzeitige Erfüllung eines Schenkungsversprechens von Todes wegen nach § 2301 Abs. 1 BGB zu Lebzeiten des Versprechenden3. Schenkungen ohne Überlebensbedingung unterfallen ohnehin den §§ 516 ff. BGB. Die sofort vollzogene Schenkung kann, wie die Schenkung unter Lebenden, nach §§ 530 ff. BGB widerrufen werden. Sie unterliegt nicht den Regelungen des Rücktritts, die für den Erbvertrag Anwendung finden. Die Voraussetzungen des § 2301 Abs. 2 BGB sind nicht völlig identisch mit denen des § 518 Abs. 2 6.396 BGB4. Unterschiede bestehen insbesondere hinsichtlich der Heilungsmöglichkeiten bei Formmangel. Anders als bei § 2301 Abs. 2 BGB kann es für eine Heilung gemäß § 518 Abs. 2 BGB nämlich ausreichen, wenn der Versprechensempfänger selbst oder ein Dritter die Leistung mit Hilfe einer Vollmacht des Erblassers noch nach dessen Tod bewirkt5. Vollzogen i.S.d. § 2301 BGB ist eine auflösend bedingte Schenkung mit dem Eintritt des dinglichen Leistungserfolgs, eine aufschiebend bedingte, sobald der Bedachte ein Anwartschaftsrecht erlangt hat6. In der zweiten Fallgruppe müssen alle übrigen Voraussetzungen erfüllt sein, die den endgültigen Rechtserwerb herbeizuführen geeignet sind. Der Schenker muss die Rechtsänderung nicht nur verheißen, sondern alles seinerseits Erforderliche getan haben, um das Vermögensopfer noch zu Lebzeiten zu erbringen, ohne dass es auf die Mitwirkung seiner Erben ankommt7. Denn im Rahmen des § 2301 BGB bildet der Tod des Schenkers eine prinzipielle Zäsur8. Es ist daher ausgeschlossen, dass der Begünstigte mit einer transmortalen oder postmortalen Vollmacht das Verfügungsgeschäft noch zulasten der vertretenen Erben tätigt9. Das Gleiche gilt für die Einschaltung eines Boten, der die notwendigen Willenserklärungen erst nach dem Ableben des Schenkers übermitteln kann (vgl. den Bonifatiusfall10). Die h.M. wendet allerdings die §§ 130 Abs. 2, 153 BGB dann an, wenn der Versprechende zwischen Abgabe und Zugang seiner Erklärung verstirbt, um den Vollzug nicht von dem Zufall abhängig zu machen, ob der Schenker zwischen Abgabe und Zugang seiner Erklärung verstirbt11. Dies gilt sowohl in Fällen, in denen der Versprechende selbst gehandelt hat, als auch dann, wenn er sich eines Boten bediente; anders in Fällen eines Vertreterhandelns, da hier nach dem Tod des Versprechenden dessen Erben verpflichtet werden. In beiden Fällen darf der postmortale Zugang der den Vollzug der Schenkung bewirkenden Willenserklärung aber nicht beabsichtigt sein12.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Erman/Kappler/Kappler, § 2301 Rz. 5; Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 7. Erman/Kappler/Kappler, § 2301 Rz. 6; NK-BGB/Müßig, § 2301 Rz. 32. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 18; MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 17. Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 8. BGH v. 12.11.1986 – IVa ZR 77/85, BGHZ 99, 97. BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338; MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 19; Erman/Kappler/ Kappler, § 2301 Rz. 7. BGH v. 25.5.1970 – III ZR 141/68, NJW 1970, 1638. BGH v. 12.11.1986 – IVa ZR 77/85, BGHZ 99, 97. BGH v. 23.2.1983 – IVa ZR 186/81, BGHZ 87, 19; NK-BGB/Müßig, § 2301 Rz. 52 ff. Siehe hierzu Martinek/Röhrborn, JuS 1994, 473 und 564. OLG Düsseldorf v. 16.8.1996 – 7 U 209/95, ZEV 1996, 423; MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 23; Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 23; Schreiber, Jura 1995, 161. Erman/Kappler/Kappler, § 2301 Rz. 7.

Kappler 241

§ 6 Rz. 6.397

Formen letztwilliger Verfügungen

b) Einzelfälle vollzogener Schenkungen i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB aa) Schenkung eines Grundstücks und anderer Rechte daran

6.397 Wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Auflassung nach § 925 Abs. 2 BGB kann die Übereignung eines Grundstücks nicht mit einer Überlebensbedingung verknüpft werden. Das Problem des Vollzugs der bedingten Eigentumsübertragung stellt sich hier insoweit nicht. Die Schenkung anderer Rechte an einem Grundstück, z.B. das eines Nießbrauchs, ist hingegen vollzogen, wenn sich Schenker und Beschenkter über den Übergang des Rechts einig sind, der Schenker die Eintragungsbewilligung erteilt hat und der Beschenkte den Antrag auf Eintragung gestellt hat1. Nach anderer Auffassung soll der Vollzug der Schenkung bereits eingetreten sein, wenn der Schenker an die Einigung nach § 873 Abs. 2 BGB gebunden ist2. Geht man mit dem BGH davon aus, dass für die Annahme des Vollzugs der Schenkung zu Lebzeiten des Schenkers ausreicht, dass der Schenkende alles getan hat, was zum Rechtsübergang des Schenkungsgegenstands durch ihn getan werden konnte und der endgültige Rechtsübergang nun nur noch von dem Verhalten des Beschenkten, Dritter oder von Ereignissen abhängt, reicht die Bindung des Schenkers nach § 873 Abs. 2 BGB für den Vollzug der Schenkung i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB aus. bb) Schenkung von Wertpapieren

6.398 Für den Vollzug einer Schenkung von Wertpapieren lässt die Rechtsprechung die Übergabe der Mäntel ausreichen, auch wenn die Zinsscheine nicht übergeben wurden und der Schenker sich den Zinsgenuss bis zu seinem Tod vorbehält3. Eine vollzogene Schenkung i.S.d. § 2301 Abs. 2 BGB ist auch dann anzunehmen, wenn der Schenker mittels eines undatierten, als letztwillige Verfügung gedachten und der betreffenden Person übergebenen Briefs dieser mitteilt, dass alle bei ihr deponierten Wertpapiere und Gelder jetzt in ihrem Eigentum stehen und auf das eigene Konto gebucht werden sollen. Auch durch Abtretung eines Herausgabeanspruchs des Schenkers an den Bedachten wird eine Schenkung vollzogen i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB4. cc) Schenkung von Forderungen und Bankguthaben

6.399 Die überlebensbedingte Schenkung von Forderungen wird durch aufschiebend oder auflösend bedingte Abtretung gemäß § 398 BGB vollzogen. Die Abtretung ist formlos gültig. Sie ist praktisch bedeutsam für die Schenkung von Kontoguthaben. Einvernehmen besteht darüber, dass die überlebensbedingte Schenkung des Kontoguthabens nicht schon durch Erteilung einer (unwiderruflichen, transmortalen) Vollmacht vollzogen wird5. Darüber hinaus sind die Anforderungen umstritten. Der BGH lässt für den Vollzug die gemeinsame Errichtung eines Oder-Kontos genügen, wenn das Guthaben nach dem Tod des Schenkers „ohne großen Papierkrieg“ allein dem Überlebenden zufallen sollte6. Zutreffend kann hier die Annahme eines Abtretungswillens sein, obwohl sich die Parteien der rechtlichen Konstruktion der Abtretung nicht bewusst waren; problematisch ist aber die Annahme eines Vermögensopfers, solange der Schenker selbst die volle Verfügungsbefugnis behält7.

6.400 Weist hingegen der Erblasser seine Bank an, nach seinem Tod ein Sparguthaben an einen Dritten auszuzahlen, erlangt dieser im Todesfall einen Anspruch nur dann, wenn der Bankkunde es ihm durch Vertrag zugunsten Dritter zuwenden wollte und diese Rechtsfolge auch vom Vertragswillen der Bank

1 2 3 4 5 6 7

MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 26. Kipp/Coing, § 81 III 1c. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 27. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 27. BGH v. 23.2.1983 – IVa ZR 186/81, BGHZ 87, 19. BGH v. 16.4.1986 – IVa ZR 198/84, FamRZ 1986, 982. Erman/Kappler/Kappler, § 2301 Rz. 10.

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Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.404 § 6

umfasst worden ist1. Die schenkweise Hingabe eines Schecks wird nach Ansicht des BGH2 erst vollzogen und wirksam, wenn der Scheck durch den Empfänger, auch nach dem Tod des Ausstellers, eingelöst wird.

VII. Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall 1. Dogmatische Einordnung Unentgeltliche Zuwendungen auf den Todesfall können auch durch den sog. Vertrag zugunsten Dritter 6.401 auf den Todesfall vorgenommen werden. Der zwischen dem Versprechenden und dem Versprechensempfänger (dem Erblasser) geschlossene Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall ist ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, bei dem die Parteien anstelle des Vertragspartners einen Dritten als Gläubiger der Leistung bestimmen. Den Inhalt der Leistung können die Parteien frei bestimmen. Typische Anwendungsfälle sind die schenkweise Begünstigung eines Dritten in Lebensversicherungsverträgen, Bausparverträgen und Sparverträgen. Der Dritte erwirbt hier erst nach dem Tod des Versprechensempfängers einen Anspruch. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Verträgen zugunsten Dritter, die in den §§ 328 ff. BGB geregelt 6.402 sind, hat der Versprechende bei einem Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall seine Leistung an den begünstigten Dritten erst mit dem Tod des Versprechensempfängers zu erbringen. Die Zulässigkeit dieser Verträge, die eigentlich der Wertung des § 2301 BGB widersprechen, wird in § 331 BGB vorausgesetzt3. Der Vertrag nach § 331 BGB ist daher, obwohl er den Erwerb vom Tod des Versprechensempfänger abhängig macht, keine Verfügung von Todes wegen, sondern ein Rechtsgeschäft unter Lebenden. Vor dem Tod des Versprechensempfängers entsteht nicht einmal eine Anwartschaft des Dritten, sondern lediglich die Erwartung eines künftigen Rechtserwerbs4. Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall unterfallen nicht dem Anwendungsbereich des § 2301 BGB5. Wie bei jedem Vertrag zugunsten Dritter sind auch hier die Rechtsbeziehungen zwischen dem Versprechendem (Versicherungsunternehmen, Bank) und dem Versprechensempfänger (Erblasser), sog. Deckungsverhältnis, zwischen dem Versprechensempfänger und dem begünstigten Dritten, sog. Valutaverhältnis, und zwischen dem Versprechenden und dem begünstigtem Dritten, sog. Vollzugsverhältnis, voneinander zu unterscheiden. Auch wenn das Valutaverhältnis in seinen Zielen und Wirkungen eigentlich einer Verfügung von Todes wegen entspricht, unterliegt dieses nicht den Formvorschriften einer Verfügung von Todes wegen6.

6.403

Der Rechtserwerb des Dritten muss durch einen Rechtsgrund im Valutaverhältnis gerechtfertigt 6.404 sein. Nur wenn in dem Verhältnis zwischen dem begünstigten Dritten und dem Erblasser ein rechtlicher Anspruch für die Vermögensverschiebung besteht, darf der Dritte den erworbenen Anspruch gegen den Versprechenden oder die zu dessen Erfüllung bewirkte Leistung als den Gegenstand der Zuwendung behalten. Andernfalls hat er sie an den Erben nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung, § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, herauszugeben7. Rechtsgrund für die Zuwendung ist zumeist eine Schenkung, für deren Wirksamkeit ein nach § 518 Abs. 1 BGB formwirksam erteiltes Schenkungsversprechen Voraussetzung ist. Der Formmangel des Schenkungsversprechens wird durch Erwerb des Leistungsanspruchs nach § 518 Abs. 2 BGB geheilt. Weiß der Beschenkte von der beabsichtigten 1 2 3 4 5 6

BGH v. 19.10.1983 – IVa ZR 71/82, FamRZ 1984, 781. BGH v. 12.4.1978 – IV ZR 68/77, NJW 1978, 2027. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 42. OLG Frankfurt v. 22.2.1989 – 17 U 291/87, NJW-RR 1990, 968. BGH v. 19.10.1983 – IVa ZR 71/82, NJW 1984, 480. BGH v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8 (12 f.); BGH v. 12.5.1993 – IV ZR 227/92, FamRZ 1993, 1059. 7 BGH v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8 (12 f.).

Kappler 243

§ 6 Rz. 6.405

Formen letztwilliger Verfügungen

Schenkung nichts oder ist sonst zu Lebenszeiten des Schenkers noch kein Schenkungsvertrag abgeschlossen worden, liegt im Vertrag zugunsten Dritter ein Schenkungsangebot an den Beschenkten, das dieser nach dem Tod des Schenkers, regelmäßig nach § 151 BGB oder stillschweigend durch Entgegennahme des Geschenks, annehmen kann1. Ist das Schenkungsangebot dem Begünstigten zum Zeitpunkt des Todes des Schenkers noch nicht zugegangen, kann der Erbe des Schenkers das Angebot nach § 130 Abs. 1 S. 2 BGB widerrufen2. Dies führt zu einem Wettlauf zwischen Erben und Versprechendem3. Die Erben sind danach berechtigt, den Versprechenden anzuweisen, das noch nicht zugegangene Schenkungsversprechen nicht zu übermitteln. Der Auftrag des Kunden, so die Rechtsprechung, könne jederzeit widerrufen werden. Mit Wirkung für seine Erben kann der Erblasser den Widerruf nur ausschließen, wenn er auch für ihn selbst zu Lebzeiten gilt, also nur durch unwiderrufliche Begünstigung4. Dem Verlangen des Dritten auf Leistung kann dann nur der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden5. 2. Einzelfälle von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall a) Zuwendung von Bankkonten und Sparguthaben

6.405 Das formlose Versprechen einer Bank gegenüber einem Kunden, nach seinem Tod einem Dritten eine bestimmte Geldsumme zu zahlen, ist ein wirksamer Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall (§ 331 BGB)6.

6.406 Weist jemand seine Bank an, nach seinem Tod ein Sparguthaben an einen Dritten auszuzahlen, erlangt dieser im Todesfall einen Anspruch auf das Guthaben nur dann, wenn der Bankkunde es ihm zuwenden wollte und diese Rechtsfolge vom Vertragswillen der Bank umfasst war7. Nach Ansicht des BGH sind jedoch bei der Frage, ob eine solche Zuwendung auch vom Vertragswillen der Bank mit umfasst ist, keine strengen Anforderungen zu stellen, weil die Bank es dem Kunden überlässt, wen er als den Berechtigten bestimmen will. Nicht ausreichend soll hingegen die bloße Anlegung eines Kontos auf den Namen eines Dritten sein8, insbesondere dann nicht, wenn der Anlegende sich die Verfügungsbefugnis vorbehält9. Im Fall des Todes des Kontoführenden ist jedoch zu prüfen, ob nicht bezüglich des bei seinem Ableben verbleibenden Guthabens eine Verfügung zugunsten des Dritten auf den Todesfall vorliegt10. b) Zuwendung von Wertpapierdepots

6.407 Der Inhaber eines Wertpapierdepots kann durch Vertrag mit der verwahrenden Bank auf den Zeitpunkt seines Todes den Anspruch eines Dritten auf Übereignung der Wertpapiere begründen11. Ein vom Erblasser mit einer Bank abgeschlossener Treuhandvertrag mit der Anweisung an die Bank, nach seinem Tod die Wertpapiere zu verkaufen und den Erlös an einen Begünstigten zu zahlen, bedarf auch dann nicht der Form des § 2301 BGB, wenn es sich um eine schenkweise Zuwendung handelt12.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 42 m.w.N. BGH v. 30.10.1974 – IV ZR 172/73, NJW 1975, 382 ff. Deshalb zweifelnd MüKo.BGB/Gottwald, § 331 Rz. 11. MüKo.BGB/Gottwald, § 331 Rz. 9. Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 19. RG v. 25.2.1915 – Rep. III 368/15, RGZ 88, 137. BGH v. 19.10.1983 – IVa ZR 71/82, FamRZ 1984, 781. BGH v. 9.11.1966 – VIII ZR 73/64, BGHZ 46, 198. MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 40. BGH v. 9.11.1966 – VIII ZR 73/64, BGHZ 46, 198 (202). BGH v. 29.1.1964 – V ZR 209/61, BGHZ 41, 95. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 46.

244

Kappler

Formen letztwilliger Verfügungen

Rz. 6.409 § 6

c) Zuwendung von Bauspar- und Ansparverträgen Wird in einem Bausparvertrag für den Todesfall ein Dritter unentgeltlich begünstigt, ist hierin in der Regel eine schenkweise Zuwendung an den Dritten auch hinsichtlich der einbezahlten Sparraten des Bausparers zu sehen1.

6.408

d) Zuwendung von Lebensversicherungen Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Zuwendung von Versicherungssummen aus Lebensversicherungsverträgen; hierbei handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall i.S.d. § 331 BGB. § 2301 BGB findet hierauf keine Anwendung2.

1 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 41. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2301 Rz. 11.

Kappler 245

6.409

§ 7 Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1

II. Checkliste für das erste Beratungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII. Unbestimmte Erbteile (§ 2091 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.24

7.2

III. Gestaltungsempfehlungen . . . . . . . . .

7.4

VIII. Teilweise Einsetzung auf Bruchteile (§ 2092 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.27

IX. Gemeinschaftlicher Erbteil (§ 2093 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.29

X. Anwachsung (§§ 2094, 2095 BGB) . . .

7.33

IV. Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung, Vermächtnis und Teilungsanordnung (§ 2087 BGB) . . . . . . . . . . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . 5. Einzelfälle aus der Praxis . . . . . . . . . . .

7.6 7.6 7.11 7.14 7.16 7.19

V. Einsetzung auf einen Bruchteil (§ 2088 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.20

VI. Erhöhung und Minderung der Bruchteile (§§ 2089, 2090 BGB) . . . . .

7.22

XI. 1. 2. 3. 4.

Die Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB) . . . Regelung unverzichtbar . . . . . . . . . . . . Zweifelsfälle aus der Praxis . . . . . . . . . Die Rechtsstellung des Ersatzerben . . . Die Ersatzerbschaft als Gestaltungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auslegungsregeln (§§ 2097 ff. BGB) . .

7.39 7.39 7.42 7.43 7.48 7.64

Schrifttum: Bartz, Erbeinsetzung oder Vermächtnis, Diss. Köln, 1972; Brüggemann, Gegenseitige Erbeinsetzung von Ehegatten und Benennung von Nichten/Neffen als Schlusserben, ErbBstg 2011, 99; Eidenmüller, Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung, JA 1991, 150; Hahn, Die gegenständlich beschränkte Erbeinsetzung, ZEV 2016, 360; Lindemann, Erben nach Gegenständen, DNotZ 51, 215; Loritz, Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis, NJW 1988, 2697; Mathern, Einzelzuwendungen von Todes wegen, DNotZ 1963, 450; Mathern, Einzelzuweisungen auf den Todesfall, BWNotZ 1965, 1; Mayer, Gewillkürte Erbfolge, FPR 2011, 247; A. Möller, Ersatzerbfolge oder Nacherbfolge?, Erbrecht effektiv 2007, 46; A. Möller, Abgrenzung Erbeinsetzung und Vermächtnis, Erbrecht effektiv 2008, 182; G. Möller, Zuwendung eines Sparguthabens, Erbrecht effektiv 2007, 21; G. Möller, Auslegung: Erbeinsetzung oder Vermächtnis?, Erbrecht effektiv 2007, 169; Nieder, Die ausdrücklichen oder mutmaßlichen Ersatzbedachten im deutschen Erbrecht, ZEV 1996, 241; Otte, Lässt das Erbrecht des BGB eine Erbeinsetzung auf einzelne Gegenstände zu?, NJW 1987, 3164; Roth, Verteilungstestament – Zuwendung von Einzelgegenständen, NJW-Spezial 2017, 615; Schäfer, Die Mindestanforderungen an die Bestimmtheit des Erblasserwillens bei der letztwilligen Verfügung, BWNotZ 1962, 188; Schlüter, Abgrenzungsfragen: Vermächtnis – Teilungsanordnung – Erbeinsetzung, ErbR 2011, 233; Schrader, Erb- und Nacherbeneinsetzung auf einzelne Nachlassgegenstände, NJW 1987, 117; Sommer/Kerschbaumer, „Echte“ und „überquotale“ Teilungsanordnungen – Zivil- und steuerrechtliche Probleme, ZEV 2004, 13; Staats, Anwachsung oder Erhöhung bei Wegfall eines „gesetzlichen Erben“, ZEV 2002, 11; Steiner, Ertragsteuerliche Folgen von Erbeinsetzung, Vermächtnis und Teilungsanordnung, ErbStB 2005, 17; Wendelstein, Gegenständliche Verteilung des Nachlasses im Testament, BWNotZ 1966, 274.

I. Allgemeines 7.1 Der Gesetzgeber hätte sich die §§ 2087 ff. BGB weitgehend ersparen können, wenn die Bürger sachverständigen Rat suchen und vernünftige und vollständige letztwillige Verfügungen hinterlassen würden. Das Gegenteil ist bekanntlich oft der Fall, so dass die Auslegungs- und Ergänzungsregeln der §§ 2087 ff. BGB dort (und nur dort) helfen müssen, wo sich der Erblasserwille nicht ermitteln lässt. Was der Erblasser wirklich gewollt hat, ist also vorab zu eruieren. Nur wenn dies nicht gelingt, ist auf die §§ 2087 ff. BGB zurückzugreifen. Der Berater hilft jedoch nicht nur im Erbfall, wenn es u.a. darum geht, den letzten Willen zu erforschen, sondern steht dem Mandanten auch vor dessen Tod im Rahmen der Gestaltung der letztwilligen Verfügung zur Seite. Nur wenn der Berater die §§ 2087 ff. BGB kennt, überblickt er den Regelungsbedarf und schließt von vornherein alle denkbaren Lücken. Dann muss im Erbfall nicht spekuliert wer246

Grötsch

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Rz. 7.4 § 7

den, was der Erblasser wohl gewollt haben mag, und dann entgeht man auch der Gefahr, dass die Anwendung der genannten gesetzlichen Regelungen den wirklichen Willen des Erblassers konterkarieren. Ein Handbuch soll Orientierung beim ersten Zugriff schaffen. Gerade die Erbeinsetzung offenbart jedoch eine so komplexe Kasuistik, dass hier nur die Grundlinien erfasst werden können. Dabei empfiehlt es sich, die Darstellung der Reihenfolge der gesetzlichen Vorschriften folgen zu lassen.

II. Checkliste für das erste Beratungsgespräch Beratungssituation: Der Mandant verfügt über Immobilien- und Barvermögen. Im Falle seines Todes sollen sowohl seine Ehefrau als auch seine drei Söhne am Nachlass teilhaben. Er hat auch einige Freunde, denen er etwas zukommen lassen möchte. Welche Fragen wird der Berater stellen?

7.2

Checkliste Beratungsgespräch

7.3

l Welche Vermögensgegenstände sind vorhanden? l Welchen Verkehrswert haben sie? l Welche wirtschaftlichen Erwägungen sind maßgebend? l Wer soll welchen Gegenstand bzw. welche Erbquote erhalten? l Wer soll welche Mitsprache- (Mitverwaltungs)rechte haben? l Ist eine Erbengemeinschaft gewünscht und sinnvoll? l Wie alt sind die Zuwendungsempfänger? l Wie ist das Verständnis zwischen ihnen, wie der Charakter der Beteiligten? l Welche Ausbildung, welchen Beruf haben sie? l Wie ist die Beziehung zu den Schwiegerkindern? l Wer soll Erbe, wer Vermächtnisnehmer sein? l Kommt Teilungsanordnung in Betracht? l Soll bei der Zuwendung unterschiedlicher Werte ein Geldausgleich erfolgen (Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnis)? l Soll alles endgültig festgelegt werden, oder bleiben z.B. noch gewisse postmortale Bestimmungsrechte (etwa bzgl. Vermächtnissen oder Testamentsvollstreckung)? l Was soll gelten, wenn ein eingesetzter Erbe oder Vermächtnisnehmer vorverstirbt, ausschlägt oder für erbunwürdig erklärt wird?

III. Gestaltungsempfehlungen Die konkrete Gestaltung hängt im Wesentlichen von den Antworten auf die unter II. gestellten Fra- 7.4 gen ab. Wenn (zutreffend) immer wieder darauf verwiesen wird, dass ca. 90 Prozent der letztwilligen Verfügungen unwirksam, widersprüchlich, unklar oder unvernünftig sind, so liegt das nicht zuletzt daran, dass man auf Musterlösungen zurückgreift, die den Besonderheiten des Einzelfalls nicht gerecht werden. Entweder werden die unter II. aufgezählten Fragen überhaupt nicht gestellt oder aus den Antworten nicht die richtigen Konsequenzen gezogen. Die Praxis beweist leider, dass sich Fehlgestaltungen nicht auf Details beschränken, sondern das Grundsätzliche der Konstruktion betreffen. Viele Testamente befassen sich über Seiten hinweg mit sehr speziellen Regeln über einen Armreif oder eine Kuckucksuhr, und doch begegnen sich die Beteiligten im Erbfall trotz der Schreibarbeit des Erblassers total zerstritten vor Gericht, weil schon das Gerüst der letztwilligen Verfügung falsch konzipiert ist. Grötsch 247

§ 7 Rz. 7.5

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

7.5 Folgende Gestaltungs- und Formulierungsgrundregeln müssen Berater und Testator beachten: – Keine Lücken lassen. – Äußerste terminologische Klarheit, d.h. präzise Formulierung von Allein- und Miterbschaft, Vorund Nacherbschaft, Voll- und Schlusserbschaft, Ersatzerbschaft, Einsetzung auf einen Bruchteil, Teilungsanordnung (mit Wertausgleich), Vermächtnis, Vorausvermächtnis (ohne Wertausgleich) oder Nießbrauchsvermächtnis. – Nachlass gegenständlich verteilen, d.h. zugleich: Erbengemeinschaft soweit wie möglich vermeiden bzw. entschärfen. – Erbengemeinschaft in der Regel nicht sinnvoll bei: größerem Vermögen, Immobilienvermögen, Unternehmen, Auslandsvermögen, zerstrittener Familie, zu jungen, unwilligen oder unfähigen Kindern. – Liegen die Dinge wie im vorigen Punkt und ist Erbengemeinschaft ausnahmsweise sinnvoll, kann sich Dauer- oder Verwaltungstestamentsvollstreckung empfehlen. – Können Pflichtteile vermutlich nicht in Geld ausgezahlt werden, kann der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten, die er nicht in der Erbengemeinschaft sehen will, Vermächtnisse in Form von Gegenständen in Höhe des Pflichtteilswerts zuwenden (allerdings nur unbeschadet ihres Ausschlagungsrechts, § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB). – Sollen z.B. Schwiegerkinder oder nachfolgende Ehepartner nichts von dem erben, was ursprünglich vom Erblasser stammt, bedarf es der Vor- und Nacherbschaft.

IV. Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung, Vermächtnis und Teilungsanordnung (§ 2087 BGB) 1. Grundsätze

7.6 Eine Nachfolge (mit unmittelbarer rechtlicher Wirkung) in Einzelgegenstände kennt unser Recht nicht. Der Erbe ist Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers, als Alleinerbe allein, als Miterbe in Gesamthandsgemeinschaft zu einem Bruchteil. Der Vermächtnisnehmer ist nicht Erbe, sondern besitzt gegen den Nachlass nur einen schuldrechtlichen Anspruch. Der Vorausvermächtnisnehmer besitzt ebenfalls einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Nachlass, ist aber zugleich Miterbe, steht also auf beiden Seiten. Das Vorausvermächtnis ist ein Extra und wird auf den Erbteil nicht angerechnet. Die Teilungsanordnung gewährt dem einzelnen Miterben dagegen nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Auseinandersetzung des Nachlasses mit der Maßgabe, dass der Betreffende den für ihn bestimmten Gegenstand im Rahmen der Erbauseinandersetzung erhält. Der Wert des per Teilungsanordnung zugewiesenen Gegenstands wird dabei auf seinen Erbteil angerechnet. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist hierbei, ob der Erblasser den Bedachten durch die Zuweisung wertmäßig begünstigen wollte, ihm den Gegenstand also neben dem Erbteil zukommen lassen wollte (dann Vorausvermächtnis), oder ob der Erblasser lediglich sicherstellen wollte, dass der Bedachte einen bestimmten Gegenstand erhält, wertmäßig aber nicht mehr als seine Erbquote erhalten sollte (näher hierzu Rz. 10.43). Weichen die Werte des speziell Zugewandten von der gesetzlichen oder festgelegten Erbquote ab, hat bei einer Teilungsanordnung (im Gegensatz zum Vorausvermächtnis) ein Wertausgleich (in der Regel in Geld) stattzufinden1. Jeder Miterbe kann auf Kosten des Nachlasses Wertgutachten durch Sachverständige verlangen2. Leider lassen viele Testamente diese klarstellenden Begriffe vermissen.

1 OLG Frankfurt v. 5.10.2007 – 3 U 272/06, ZErb 2008, 166; OLG Koblenz v. 13.10.2005 – 5 U 451/05, FamRZ 2006, 292. 2 LG Nürnberg-Fürth v. 25.1.2000 – 10 O 8569/99, NJWE-FER 2000, 261.

248

Grötsch

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Rz. 7.10 § 7

Beispiel: Das Testament des Erblassers lautet: „Wenn ich einmal sterbe, soll mein Vermögen wie folgt verteilt werden: Mein Sohn Hans bekommt mein Haus, Sohn Peter das Auto, Tochter Ulrike meinen Schmuck. Unterschrift: E.“

7.7

Ein klassisches Laientestament: Die meisten Gegenstände des Nachlasses sind nicht erfasst, kein Wort dazu, wer (mit welchem Anteil) Erbe, wer Vermächtnisnehmer sein, kein Wort dazu, wer für etwaige Nachlassverbindlichkeiten aufkommen soll. Beispiel: Das Testament des Erblassers lautet: „Mein Vermögen vermache ich meiner Tochter Rosemarie. Meine Schwester Christine erbt meinen Pkw.“

7.8

Auch dies ein Testament aus der Laienfeder: Derjenigen, die nahezu alles erhalten soll, wird etwas „vermacht“, diejenige, die nur einen Gegenstand erhält, „erbt“. Beispiel: Wortlaut des Testaments: „Mein Sohn Karl-Heinz erhält die Hälfte meines Vermögens. Den Rest sollen sich meine vier Geschwister teilen.“

7.9

Auch dies ist eine höchst unpräzise Regelung. In allen hier skizzierten Beratungssituationen bedarf es per Auslegung der Klärung, wer was erhält, wer für die Abwicklung des Nachlasses zuständig und wer Rechtsnachfolger des Erblassers ist, zudem, wer für die Verbindlichkeiten einzustehen hat, schließlich auch, wen welche Steuerpflicht trifft (was ebenfalls mit dem Status zusammenhängt). Die Antworten folgen aus § 2087 BGB, wenn auch nur im Grundsatz.

7.10

Folgende Kernaussagen können getroffen werden: – Entscheidend ist der Wille des Erblassers. § 2087 BGB greift nur ein, wenn dieser Wille nicht zu ermitteln ist1. – Wer den gesamten Nachlass erhält, ist Erbe, auch wenn er nicht als solcher bezeichnet wurde. – Auch wer auf einen Bruchteil gesetzt wurde, ist Erbe (drittes Beispiel: Karl-Heinz ist also Erbe, fraglich ist der Status der vier Geschwister). Einsetzung auf den Bruchteil ist nach allgemeiner Meinung auch dann gegeben, wenn der Erblasser sog. Vermögensgruppen bildet, etwa in der Weise, dass einer das Immobilienvermögen erhält, der andere die Wertpapiere, ein Dritter sämtliche Urheberrechte2. Auch die Verteilung des Vermögens nach (gestaffelten) Beträgen kann für eine Erbeinsetzung sprechen3. – Wer einzelne Gegenstände erhält, ist Vermächtnisnehmer. Wird jedoch das gesamte zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorhandene Vermögen einzeln zugewiesen, liegt Erbeinsetzung vor4. Dies gilt nicht, wenn nur über 3/4 des Vermögens verfügt wird5. Eine feste Quote kann aber nicht gefordert werden6. – Die Auslegung klebt nicht am Wortlaut (zweites Beispiel). Es kann jemand Erbe sein, dem etwas „vermacht“ wurde, umgekehrt kann derjenige, der nur einzelne Gegenstände aus dem Nachlass erhält, Vermächtnisnehmer sein, auch wenn er als „Erbe“ bezeichnet wurde7. 1 BGH v. 22.3.1972 – IV ZR 134/70, FamRZ 1972, 561; BayObLG v. 25.6.1990 – BReg. 1a Z 69/89, FamRZ 1990, 1399; KG Berlin v. 15.3.2016 – 6 W 102/15, ErbR 2016, 595; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 1; § 2087 BGB enthält eine Auslegungsregel, keine gesetzliche Vermutung. 2 OLG München v. 27.8.2009 – 23 U 3098/06, FamRZ 2010, 758–762; OLG Hamm v. 2.2.2010 – I-10 U 137/09. 3 KG v. 22.12.2015 – 6 W 136/15, ErbR 2016, 598. 4 OLG Düsseldorf v. 5.8.2016 – I-3 Wx 74/16, FamRZ 2017, 485. 5 OLG Hamburg v. 6.10.2015 – 2 W 69/15, ZEV 2016, 384. 6 OLG Kiel v. 7.8.2015 – 3 Wx 61/15, FamRZ 2016, 406. 7 Klinger/Scheuber, NJW-Spezial 2008, 135; KG v. 29.1.2016 – 6 W 107/15, ErbR 2016, 337; OLG München v. 9.8.2016 – 31 Wx 286/15, ErbR 2016, 656.

Grötsch 249

§ 7 Rz. 7.11

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

2. Ausnahmen

7.11 Folgte man dem Wortlaut des § 2087 Abs. 2 BGB, wären im ersten Beispiel des vorigen Abschnitts (Rz. 7.7) alle Empfänger nur Vermächtnisnehmer. Das ist jedoch nicht der Fall. Zum einen gibt es keinen erbenlosen Nachlass, zum anderen gilt nach allgemeiner Auffassung derjenige als Erbe, dem wertmäßig der Hauptgegenstand zugewendet wurde1, in der Beratungssituation also Hans, es sei denn, der Wert des Schmucks läge weit über dem des Hauses. Diese Sichtweise gilt insbesondere dann, wenn der Hauptgegenstand eine Immobilie ist2 oder wenn einzelne Gegenstände an mehrere Personen verteilt werden sollen und der Erblasser zugleich bestimmt hat, dass ein anderer das „übrige Vermögen“ erhält (wenn dieses wertmäßig deutlich über dem jeweiligen Wert der anderen Gegenstände liegt)3. Hans ist also Alleinerbe, die anderen sind Vermächtnisnehmer.

7.12 Hat ein Gegenstand gegenüber anderen Gegenständen, die weiteren Personen konkret zugewendet wurden, wertmäßig keine herausragende Bedeutung, so gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder handelt es sich um Vorausvermächtnisse oder um Teilungsanordnung, je nachdem, was dem Erblasserwillen mehr entspricht. Entscheidend ist, dass hier mehrere Personen zu Erben eingesetzt wurden, wiederum entgegen dem Gesetzeswortlaut, nach dem es sich um reine Vermächtnisse handeln würde.

7.13 Eine weitere Ausnahme von der Regel des § 2087 Abs. 2 BGB wird gebildet, wenn ein Gegenstand ausdrücklich vermächtnisweise zugewendet wurde, er jedoch den Hauptwert des Nachlasses bildet. Der Empfänger ist dann in der Regel Erbe. 3. Auslegungshilfen

7.14 Lässt sich der Erblasserwille nicht anders ermitteln, greift § 2087 BGB ein. Aus den bisherigen Ausführungen folgt: Wer den größten Brocken erhält, ist unabhängig vom Wortlaut des Testaments in der Regel Erbe, wenn die den anderen Personen zugewendeten Gegenstände wertmäßig von sehr untergeordneter Bedeutung sind. Hat das im Testament so genannte „Vermächtnis“ den größten Wert, kann der Empfänger dennoch Erbe sein. Sind mehrere Personen Erben, weil zwischen den konkreten Zuwendungen keine großen Wertunterschiede bestehen, handelt es sich um Vorausvermächtnisse oder Teilungsanordnung. Mit der Entscheidung für eines von beiden ist aber noch nichts Endgültiges über die Erbquoten gesagt. Sie können sich, wenn der Erblasser dazu nichts bestimmt hat, nach dem Wert der konkreten Zuwendungen richten, Maßstab kann aber auch das Verhältnis der gesetzlichen Erbquoten sein. Im Zweifel gilt: Die Erbquoten richten sich nach den zugewendeten Werten4.

7.15 Ermöglichen die Werte keine klare Entscheidung, ob jemand Erbe oder Vermächtnisnehmer ist, dienen als weitere Auslegungshilfen folgende Gesichtspunkte: – Wie stark hat sich der Erblasser die Rolle des Zuwendungsempfängers vorgestellt? Soll dieser nur etwas aus dem Nachlass erhalten oder als Rechtsnachfolger in die Stellung des Erblassers eintreten? Hierbei geht es nicht nur um die Vermögensnachfolge, also die Fortsetzung der wirtschaftlichen Stellung, sondern auch um psychologische Aspekte, z.B. die geistig-seelischen Strukturen der Familie. Je mehr der Erblasser im Bedachten seinen Nachfolger sieht, je mehr er ihn am Schicksal des Nachlasses teilhaben lassen will, desto mehr spricht für den Erbenstatus5.

1 BGH v. 19.1.1972 – IV ZR 1208/68, DNotZ 1972, 500; BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 5; OLG Brandenburg v. 18.6.2008 – 13 U 77/07, OLGReport 2009, 12; Möller, Erbrecht effektiv 2008, 182 und 2007, 169; OLG München v. 21.5.2007 – 31 Wx 120/06, ZEV 2007, 383; OLG Düsseldorf v. 5.8.2016 – I-3 Wx 74/16, FamRZ 2017, 485. 2 Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 5. 3 BayObLG v. 4.4.2002 – 1Z BR 19/01, NJW-RR 2002, 1232. 4 OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – I-3 Wx 56/13, ErbBstg 2014, 10. 5 Klinger/Roth, NJW-Spezial 2008, 39.

250

Grötsch

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Rz. 7.18 § 7

– Für diesen spricht es auch, wenn der Empfänger die Belastungen des Nachlasses tragen, insbesondere für die Nachlassverbindlichkeiten einstehen soll1. Das kann selbst dann gelten, wenn nach deren Erfüllung kein nennenswerter Vorteil verbleibt oder dem Erben nicht der größte Teil des Nachlasses verbleibt2. Im Einzelfall kann der Vermächtnisnehmer also sogar besser dastehen als der Erbe. – Erbe und nicht Vermächtnisnehmer ist schließlich, wem die Aufgabe zufällt, den Nachlass abzuwickeln, wozu auch die Organisation und Finanzierung der Beerdigung zählen3. Bleibt die Waagschale in der Schwebe, sollte pragmatisch ausgelegt werden. Im Zweifel verdient die Auslegung den Vorzug, wonach einer Erbe ist, die anderen Vermächtnisnehmer. Tendenziell ist es immer von Vorteil, es nicht mit einer Erbengemeinschaft zu tun zu haben. 4. Maßgeblicher Zeitpunkt Beratungssituation: Das Testament lautet: „Universalerbin ist meine Schwägerin Antonia. Etwaiges Bargeld erhält mein Bruder Carl.“ Nach dem Tod des Erblassers beantragt Carl einen Erbschein, der ihn als Alleinerbe ausweist. Begründung: Zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments sei neben fast wertlosem Hausrat nur geringes Bargeld vorhanden gewesen. Dann habe der Erblasser jedoch ein Sparguthaben in Höhe von 50.000 Euro gebildet. Dies verkörpere im Zeitpunkt des Todes wertmäßig nahezu den gesamten Nachlass. Ist Carl Erbe, obwohl der Erblasser ausdrücklich Antonia zur „Universalerbin“ bestimmt hatte?

7.16

Die Antwort hängt davon ab, an welchen Zeitpunkt die Auslegung anknüpft: Testamentserrichtung oder Erbfall? Allgemein entscheiden die Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Sie gelten auch für das dann bei seinem Tod vorhandene Vermögen. Nachträgliche Veränderungen (Mehrung oder Verringerung) lassen also die Erbeinsetzung und die mit ihr verbundenen Quoten unberührt4, ebenso wenig tritt bezüglich des nach Testamentserrichtung eingetretenen Vermögenszuwachses gesetzliche Erbfolge ein5. Im Beispielsfall ist also davon auszugehen, dass Antonia Alleinerbin ist.

7.17

Etwas anderes kann in folgenden Fällen gelten: Wenn für den Erblasser bei Errichtung des Testaments, in dem er die Erbquoten durch Zuweisung seines gesamten Vermögens per Einzelgegenständen an die Erben bestimmte, im Vordergrund stand, den Bedachten gerade die ihnen zugewiesenen Gegenstände zukommen zu lassen, kann auf den Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt werden6. Eine weitere Ausnahme: Die Verringerung des Vermögens zwischen Testamentserrichtung und Erbfall beruht darauf, dass bereits eine lebzeitige Schenkung an den testamentarisch Bedachten erfolgte. Hier ist an eine Anrechnung auf den per Teilungsanordnung zufließenden Wert zu denken7. Eine Berücksichtigung von Vermögensänderungen kann im Rahmen der Auslegung auch dann geboten sein, wenn der Erblasser Verschiebungen seines Vermögens bereits bei Testamentserrichtung erkennbar in seine Dispositionen einbezogen hat. Das gilt etwa, wenn sich der Erblasser eine gesonderte Regelung z.B. für sein ausländisches Vermögen vorbehalten hat, was auch seine lebzeitige Verfügungen umfasst8.

7.18

1 BayObLG v. 27.8.1985 – BReg. 1Z 20/85, FamRZ 1986, 604; BayObLG v. 9.12.1985 – BReg. 1Z 90/85, FamRZ 1986, 835; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 2. 2 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 135/03, MDR 2004, 1423 = FamRZ 2004, 1562 = NJW 2004, 3558; FG München v. 5.4.2017 – 4 K 1859/15, ZEV 2017, 431. 3 BayObLG v. 9.12.1985 – BReg. 1Z 90/85, FamRZ 1986, 835. 4 BGH v. 22.3.1972 – IV ZR 134/70, FamRZ 1972, 561; BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BReg. 107/96, FamRZ 1997, 1177 = NJW-RR 1997, 517; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 7; OLG Düsseldorf v. 5.8.2016 – I-3 Wx 74/16, FamRZ 2017, 485. 5 BayObLG v. 9.12.1985 – BReg. 1Z 90/85, FamRZ 1986, 835. 6 OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – I-3 Wx 56/13, ErbBstg 2014, 10. 7 BGH v. 16.10.1996 – IV ZR 349/95, FamRZ 1997, 349 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 392; Palandt/ Weidlich, § 2087 Rz. 7. 8 BayObLG v. 4.12.1997 – 1Z BReg. 112/97, RPfleger 1998, 201.

Grötsch 251

§ 7 Rz. 7.19

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

5. Einzelfälle aus der Praxis

7.19 – Zuwendung einer Immobilie, wenn sie den wesentlichen Wert des Nachlasses bildet: Empfänger ist Alleinerbe1. Das gilt auch bei Zuwendung des Immobilienvermögens und des nach Abzug von Geldzuwendungen verbleibenden übrigen Vermögens2. – Zuwendung einer Immobilie, wenn noch weiteres erhebliches Vermögen vorhanden ist: Empfänger ist nur dann Alleinerbe, wenn Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass Erblasser seinem restlichen Vermögen keine Bedeutung beigemessen hat3. – Empfänger wurde bestimmt zum „Alleinerben der Wohnung“, die allerdings nur gemietet war: Dennoch Einsetzung als Alleinerbe, wenn sich in ihr das Hauptvermögen des Erblassers befand4. – Zuwendung von „Haus mit Inhalt“: Dann Vermächtnis, wenn es sich nicht um den wesentlichen Nachlass handelt5. – Zuwendung eines Geldbetrags: In der Regel Vermächtnis, es sei denn, der Nachlass erschöpft sich darin im Wesentlichen6. – Die Zuwendung des gesetzlichen Erbteils kann im Einzelfall „Quotenvermächtnis“ sein (Zahlung eines dem Bruchteil entsprechenden Barerlöses)7. – Wurde ein Erbe eingesetzt und angeordnet, ein bestimmter Gegenstand falle ihm nicht zu, ist dies ein Vermächtnis zugunsten der gesetzlichen Erben8. – Divergieren bei Vermögensgruppen die errechneten Erbteile und die vom Erblasser ausdrücklich angegebenen, können im Einzelfall die tatsächlichen Wertverhältnisse für die Erbquoten maßgeblich sein9. – Enthält das Testament nur eine Verfügung in Bezug auf einen geringen Vermögensanteil, z.B. einen bestimmten Geldbetrag, handelt es sich insoweit um ein Vermächtnis, für den Rest gilt gesetzliche Erbfolge10. – Die Zuwendung des Pflichtteils ist in der Regel keine Erbeinsetzung (§ 2304 BGB). – Soll der Ehepartner gemäß dem Testament über den Nachlass lebzeitig und von Todes wegen frei verfügen können und sollen andere Verwandte das erhalten, worüber der überlebende Ehepartner bis zu seinem Tod nicht lebzeitig oder letztwillig verfügt hat, dann ist er beim Tod des ersten Ehepartners Alleinerbe, die Verwandten sind Vermächtnisnehmer11, sofern nicht von bedingter Vorund Nacherbschaft auszugehen ist12.

1 BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BReg. 107/96, FamRZ 1997, 1177; BayObLG v. 7.9.2004 – 1Z BR 66/04, FamRZ 2005, 1202. 2 BayObLG v. 22.2.2005 – 1Z BR 94/04, OLGReport 2005, 766. 3 KG v. 12.4.2016 – 6 W 82/15, ErbR 2016, 594. 4 BayObLG v. 29.6.1994 – 1Z BReg. 125/93, FamRZ 1994, 1554. 5 BayObLG v. 22.6.1990 – BReg. 1a Z 9/90, FamRZ 1990, 1401; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 8 (so auch BayObLG v. 26.4.2002 – 1Z BR 34/01, OLGReport 2003, 15). 6 BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BReg. 107/96, FamRZ 1997, 1177; OLG Naumburg v. 27.6.2006 – 10 Wx 3/06, FamRZ 2007, 943. 7 BGH v. 25.5.1960 – V ZR 57/59, NJW 1960, 1759; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 8. 8 Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 9. 9 BGH v. 17.2.1960 – V ZR 144/58, LM, § 2084 Nr. 12; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 9. 10 BayObLG v. 3.5.1990 – BReg. 1a Z 81/89, FamRZ 1990, 1156. 11 OLG Bremen v. 14.10.1955 – 1 W 290/55, DNotZ 1956, 149. 12 BayObLG v. 3.8.2001 – 1Z BR 101/00, FamRZ 2002, 274 = NJW-RR 2001, 1588.

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Rz. 7.19 § 7

– Wendet der Erblasser einer Person eine Erbschaft zu, die ihm selber zugefallen war, handelt es sich in der Regel um ein Vermächtnis1. – Der Nießbrauch am Nachlass oder an einem Teil davon ist in der Regel Vermächtnis2. – Mangels Bestimmtheit nichtige Erbeinsetzung bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Vermächtnisnehmer Ersatzerbe wird.3 – Gehört der vermächtnisweise zugewendete Gegenstand zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht zum Nachlass, kann dies ein Verschaffungsvermächtnis sein (§ 2170 BGB),4 welches sich auch auf ein Recht, z.B. ein Wohnrecht5 oder ein Ankaufsrecht,6 beziehen lässt. – Die Verteilung des gesamten Nachlasses an zwei Personen ohne ausdrückliche Erbeneinsetzung kann bedeuten, dass der eine Erbe, der andere Vermächtnisnehmer ist.7 – Erfolgte die Erbeinsetzung nach Bruchteilen entsprechend den zugewendeten Werten, tritt bezüglich der übrigen Gegenstände nicht gesetzliche Erbfolge ein8. – Bezeichnet der Erblasser in seinem Testament drei Personen als „Erben“ und wendet ihnen jeweils bestimmte Gegenstände zu, die den Nachlass erschöpfen, kann dies (entgegen § 2087 Abs. 2 BGB) eine Erbeinsetzung auf den Bruchteil sein (die Höhe des Bruchteils richtet sich nach dem Wert der Zuwendungen)9. – Verteilt der Erblasser nahezu sein ganzes Vermögen nach Gegenständen und Vermögensgruppen auf mehrere Personen, so handelt es sich (entgegen § 2087 Abs. 2 BGB) um eine Erbeinsetzung mit Teilungsanordnung (die Erbquoten richten sich nach den zugewendeten Werten)10. – Benennt der Erblasser mehrere Personen als Erben und wendet ihnen den Nachlass nicht erschöpfende Gegenstände zu, so ist dennoch einer von ihnen Alleinerbe, wenn er laut Testament für den Ausgleich fälliger Nachlassverbindlichkeiten und für die Organisation der Bestattung zuständig sein soll. Die anderen sind dann Vermächtnisnehmer11. – Setzt jemand 38 Personen ausdrücklich zu „Erben“ ein, kann es dennoch geboten sein, nur einen von ihnen als (Allein-)Erben, die anderen als Vermächtnisnehmer zu betrachten12. – Erhalten laut Testament vier Töchter und sechs Enkel des Erblassers je den gleichen Geldbetrag und den Rest ein anderer, so ist Letzterer Alleinerbe, und die Erstgenannten sind Vermächtnisnehmer, wenn das Restvermögen den Wert jeder einzelnen anderen Zuwendung erheblich übersteigt13.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Staudinger/Otte, § 2087 Rz. 20; BayObLG v. 2.3.1998 – 1Z BR 130/97, FamRZ 1998, 1262. Soergel/Loritz, § 2087 Rz. 21. OLG München v. 29.9.2000 – 21 U 2369/00, FamRZ 2001, 940. Grziwotz, MDR 2002, 10. OLG Bremen v. 29.9.2000 – 5 U 39/2000, ZEV 2001, 401. BGH v. 27.6.2001 – IV ZR 120/00, MDR 2001, 1296. BayObLG v. 22.2.2001 – 1Z BR 70/00, FamRZ 2001, 1252. BayObLG v. 28.12.1999 – 1Z BR 137/99, BayObLGReport 2000, 16. OLG Celle v. 19.7.2002 – 6 W 82/02, MDR 2003, 89. BayObLG v. 8.5.2003 – 1Z BR 124/02, OLGReport 2003, 339; OLG Naumburg v. 28.1.2016 – 2 Wx 73/14, RNotZ 2016, 483. 11 BayObLG v. 14.12.2000 – 1Z BR 95/00, ZEV 2001, 240. 12 BayObLG v. 12.3.2002 – 1Z BR 14/01, FamRZ 2002, 1745 = NJW-RR 2002, 873. 13 BayObLG v. 4.4.2002 – 1Z BR 19/01, NJW-RR 2002, 1232.

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§ 7 Rz. 7.20

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

– Bestimmt der Erblasser zwei Personen namentlich zu Erben zu je 40 Prozent und verfügt, dass der Restnachlass für Grabpflege verwendet werden soll, so gilt für diese 20 Prozent nicht etwa gesetzliche Erbfolge, sondern die beiden Personen sind Erben zu je ein Halb, zugleich mit einer Grabpflegeauflage belastet1.

V. Einsetzung auf einen Bruchteil (§ 2088 BGB) 7.20 Beratungssituation: Das Testament lautet: „Zum Alleinerben meines Vermögens in Deutschland setze ich meinen Sohn Kurt ein.“ Wer ist Erbe des Vermögens in Österreich?

7.21 Entscheidend ist wieder der Wille des Erblassers. Was wollte er? Sollte Kurt bewusst nur das Vermögen in der Deutschland erhalten oder hat der Erblasser sein in Österreich belegenes Vermögen vielleicht übersehen oder wollte er die Nachfolge insoweit erst später regeln? Nur wenn sich das alles nicht klären lässt, greift § 2088 Abs. 1 BGB ein: Das in Österreich belegene Vermögen geht an die gesetzlichen Erben (aber wohl nicht anteilig an Kurt, wenn er zu ihnen zählt2). Gleiches würde gelten, wenn der Erblasser mehrere Erben unter Beschränkung eines jeden auf einen Bruchteil eingesetzt hätte und die Bruchteile das Ganze nicht erschöpfen, § 2088 Abs. 2 BGB. Gesetzliche Erbfolge bezüglich des Restes tritt gem. § 2088 BGB auch dann ein, wenn der Erblasser den Bedachten durch Zuwendung einzelner Gegenstände zum Erben einsetzen wollte, diese jedoch nicht den ganzen Nachlass erfassen. Aber nochmals zur Klarstellung: Wenn sich z.B. ein Erblasserwille des Inhalts ermitteln lässt, dass der benannte Erbe trotz nicht vollständiger Aufzählung der Gegenstände im Testament dennoch alles erhalten sollte, dann kommt § 2088 BGB überhaupt nicht zum Zuge.

VI. Erhöhung und Minderung der Bruchteile (§§ 2089, 2090 BGB) 7.22 Beratungssituation: Wortlaut des Testaments: „Zu meinen Erben setze ich ein meine Töchter Dita (1/2), Waltraud (1/5) und Ulrike (1/5).“ Wer erbt das nicht genannte restliche Zehntel?

7.23 Wieder herrscht der Erblasserwille. Ist ihm zu entnehmen, dass die drei Töchter nur diese 9/10 erben sollten, tritt für das letzte Zehntel gesetzliche Erbfolge ein. Soll jedoch niemand außer ihnen erben, gilt § 2089 BGB. Die Bruchteile werden verhältnismäßig (also auf der Basis 5:2:2) erhöht, so dass sich mit Rücksicht auf den neuen Nenner 9 folgende Quoten ergeben: Dita 5/9, Waltraud und Ulrike je 2/9. Nach dem gleichen Prinzip wird verfahren, wenn die Summe der vom Erblasser gebildeten Bruchteile 100 % übersteigt. Dann erfolgt eine verhältnismäßige Minderung, § 2090 BGB.

VII. Unbestimmte Erbteile (§ 2091 BGB) 7.24 Beratungssituation: Zunächst hatte der Erblasser sein Testament wie folgt formuliert: „Meine Freunde A (1/2), B (1/4), C (1/8) und D (1/8) werden meine Erben.“ Später strich er die Quoten in den Klammern, ließ den Text im Übrigen aber unverändert. Wie ist die Erbfolge?

7.25 Die Lösung folgt aus § 2091 BGB: Alle vier Freunde erben je ein Viertel, da der Erblasser die Erbquoten letztlich nicht festgelegt hat. Dann nämlich sind die Erben zu gleichen Teilen eingesetzt.

1 BayObLG v. 29.1.2003 – 1Z BR 42/02, ZEV 2003, 241. 2 Palandt/Weidlich, § 2088 Rz. 1.

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Rz. 7.30 § 7

Da § 2091 BGB immer wieder falsch angewendet wird, hier die wichtigsten Grundsätze1:

7.26

– § 2091 BGB kommt nur zum Zuge, wenn mehrere Erben eingesetzt wurden und sich der wirkliche Wille des Erblassers bzgl. der Quoten nicht ermitteln lässt, weil sie weder ausdrücklich noch mittelbar bestimmt sind2. – § 2091 BGB greift nicht ein, wenn sich die Erbfolge aus der direkten oder analogen Anwendung der §§ 2066 bis 2069 BGB oder aus den tatsächlichen Umständen ergibt3. § 2091 BGB ist nur ein Notnagel. – § 2091 BGB kommt zur Anwendung, wenn sich der Erblasser die Bestimmung der Quoten noch vorbehalten hatte (§ 2086 BGB), dann jedoch untätig blieb. – Gleiches gilt, wenn die Quoten zunächst festgelegt, dann jedoch gestrichen wurden (Beratungssituation)4, oder wenn die Formulierung unsinnig ist (Beispiel aus der Rechtsprechung: „Als Erben setze ich ein meinen Bruder und dessen Tochter, meine Nichte, zum gesetzlichen Erbteil.“)5. – Benennt der Erblasser im Testament nach einleitender Einsetzung „folgender Verwandtschaft von Seiten meiner Mutter als Erben meines Vermögens“ aus diesem Kreis mehrere, nicht im selben Grad mit ihm verwandte Personen ohne Angaben von Erbquoten, gilt im Zweifel § 2091 BGB6. – Bei der Formulierung „Erben sind meine Frau und meine Kinder“ dürfte die gesetzliche Erbfolge zum Zuge kommen (Stammprinzip), so dass § 2091 BGB keine Anwendung findet. – Sind ausdrücklich Geschwister verschiedener Kinder eingesetzt, gelten Kopfteile gem. § 2091 BGB. – Bei namentlicher Nennung gesetzlicher Erben ohne Erbteile gilt ebenfalls § 2091 BGB, nicht § 2066 BGB, sofern die vorrangige Auslegung nichts anderes ergibt7.

VIII. Teilweise Einsetzung auf Bruchteile (§ 2092 BGB) Beratungssituation: Das Testament lautet: „A ist Erbe zu 1/3, B zu 1/4, C zu 1/8. D und E erhalten den Rest.“ Erbfolge?

7.27

Über 17/24 hat der Erblasser verfügt, den Rest, also 7/24, teilen sich gem. § 2092 BGB D und E hälftig. Wenn die konkret bestimmten Bruchteile 100 % erreichen oder sogar übersteigen, erfolgt, sollten weitere Erben eingesetzt sein, eine verhältnismäßige Rückrechnung gem. §§ 2092, Abs. 2, 2090 BGB.

7.28

IX. Gemeinschaftlicher Erbteil (§ 2093 BGB) Beratungssituation: Wortlaut des Testaments: „Zu meinen Erben setze ich meine Neffen A, B, C und D ein. A und B erhalten meine Firma, C und D mein Mietshaus.“ Handelt es sich bei den beiden Blöcken um gemeinschaftliche Erbteile?

7.29

§ 2093 BGB regelt nur die Rechtsfolgen eines gemeinschaftlichen Erbteils, nicht, wann ein solcher überhaupt vorliegt. Das muss per Auslegung ermittelt werden. Entscheidend ist, ob der Erblasser die

7.30

1 Palandt/Weidlich, § 2091 Rz. 1. 2 BGH v. 6.12.1989 – IV a ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396; KG v. 19.1.2012 – 8 U 171/10, NotBZ 2012, 174. 3 KG v. 19.1.2012 – 8 U 171/10, NotBZ 2012, 174; KG v. 19.1.2012 – 8 U 171/10, NotBZ 2012, 174. 4 Soergel/Loritz, § 2091 Rz. 2. 5 RGRK/Johannsen, § 2091 Rz. 1. 6 OLG Dresden v. 17.8.2010 – 17 W 840/10, ZErb 2011, 20. 7 OLG Frankfurt v. 3.9.1993 – 20 W 344/93, FamRZ 1994, 327.

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§ 7 Rz. 7.31

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

betreffenden Erben im Verhältnis zu den übrigen Erben enger miteinander verknüpfen wollte1 und die Erbeinsetzung diesen Willen in irgendeiner Form ausdrückt. Anhaltspunkte können sich aus der räumlichen Anordnung der Benannten im Testament, der Zusammenfassung mehrerer Erben unter einen Gliederungspunkt, der Beziehung der Bedachten untereinander2 oder aus der Erbeinsetzung mehrerer auf denselben Nachlassgegenstand ergeben3. In der Beratungssituation dürfte es sich um solche Bruchteile handeln.

7.31 Rechtsfolgen eines gemeinschaftlichen Erbteils sind: – Anwendbarkeit der §§ 2089 bis 2092 BGB, – Anwachsung gem. § 2094 Abs. 1 S. 2 BGB innerhalb der Gruppe, – Ersatzberufung zunächst innerhalb der Gruppe, § 2098 Abs. 2 BGB.

7.32 Zudem gilt trotz gemeinschaftlichen Erbteils Folgendes4: – Die Mitglieder des Bruchteils bilden keine Untererbengemeinschaft. – Kein Vorkaufsrecht der betreffenden Bruchteilsgemeinschaftserben vor den anderen Miterben (§ 2037 BGB). – Keine abweichenden Besonderheiten bei Abstimmungen im Rahmen der Nachlassverwaltung. – Die Mitglieder des gemeinschaftlichen Erbteils können jeweils nur über ihren eigenen Erbteil verfügen. Umgekehrt kann auch nur dieser ge- oder verpfändet werden. – Über den Umfang der Haftung (§§ 2059 Abs. 1, 2060 BGB) entscheidet nur der auf den Einzelnen entfallende Bruchteil.

X. Anwachsung (§§ 2094, 2095 BGB) 7.33 Beratungssituation: Erblasser E, ein Witwer, hat zwei Söhne A und B, mit denen er jedoch zerstritten ist. In seinem Testament setzte er zunächst seine Freunde X, Y und Z zu je einem Drittel zu Erben ein. Später strich er den Namen des Z, ohne sonst eine Änderung vorzunehmen. E stirbt. Wie ist die Erbfolge?

7.34 Die Anwachsung ist die aufgrund des Wegfalls eines letztwillig eingesetzten Miterben eintretende Vergrößerung des einem anderen Miterben zugewendeten Erbteils. Fällt also einer der eingesetzten Erben vor (Tod, Zuwendungsverzicht, Totgeburt einer als Erbe eingesetzten Leibesfrucht, auch nach dem Erbfall, Eintritt einer auflösenden oder Ausfall einer aufschiebenden Bedingung) oder nach dem Erbfall (Ausschlagung, Erbunwürdigkeitserklärung, Anfechtung) weg, kann Anwachsung gem. § 2094 BGB stattfinden, das heißt: Der frei gewordene Erbteil geht nicht an die gesetzlichen Erben, sondern an die übrigen Testamentserben im Verhältnis ihrer Quoten. Das Gesetz unterstellt, dass dies dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht. Tritt Anwachsung ein, ist diese bei einem gemeinschaftlichen Testament grundsätzlich von der Regelung des § 2270 Abs. 2 BGB umfasst5. Haben Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament zwei Kinder als Schlusserben eingesetzt und schließt der überlebende Ehegatte mit einem dieser Kinder einen entgeltlichen Zuwendungsverzicht mit Erstreckung auf dessen Abkömmlinge, § 2352 BGB, so bezieht sich die Bindungswirkung der Schlusserbeinsetzung für den überlebenden Ehegatten im Zweifel auch auf den Erbteil, der dem anderen Kind infolge des Zuwendungsverzichtes angewachsen ist6. 1 2 3 4 5 6

BayObLG v. 31.5.1976 – BReg. 1Z 32/76, MDR 1976, 933. OLG Düsseldorf v. 16.6.2014 – I-3 Wx 256/13, NJW-RR 2014, 1287. Staudinger/Otte, § 2093 Rz. 1; MüKo.BGB/Rudy, § 2093 Rz. 2. MüKo.BGB/Rudy, § 2093 Rz. 3. OLG Nürnberg v. 24.4.2017 – 1 W 642/17, MDR 2017, 708 = ZEV 2017, 642. OLG Hamm v. 28.1.2015 – I-15 W 503/14, ErbR 2015, 507.

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Rz. 7.39 § 7

Hat der Erblasser nicht über den gesamten Nachlass verfügt, tritt Anwachsung nur ein, wenn mehrere Erben auf einen gemeinschaftlichen Erbteil gem. § 1093 BGB eingesetzt sind und einer dieser Erben wegfällt, § 2094 Abs. 1 S. 2 BGB, § 2094 Abs. 2 BGB. Andernfalls erhöht sich die Erbquote der gesetzlichen Erben, die neben den testamentarisch eingesetzten Erben berufen sind.

7.35

Anwachsung findet nicht statt:

7.36

– Wenn dem Testament ein entgegenstehender Wille zu entnehmen ist, also der Erblasser die Anwachsung per letztwilliger Verfügung gem. § 2095 Abs. 3 BGB zumindest konkludent1 ausgeschlossen hat, – wenn der Erblasser die Einsetzung einzelner Erben selber widerrufen hat (Beratungssituation), Grund: Es dürfte am Willen fehlen, abschließend zu verfügen2, – wenn die Erbeinsetzung von Anfang an nichtig war3, zumindest sofern der Grund der Nichtigkeit einem auf Anwachsung gerichteten mutmaßlichen Willen des Erblassers entgegensteht4, – bei Einsetzung von Ersatzerben (§ 2099 BGB), auch in den Fällen der §§ 20695, 2102 Abs. 1 BGB, – beim Tod eines Mitnacherben zwischen Erbfall und Nacherbfall, dessen Anwartschaft vererblich ist (die Vererblichkeit des Nacherbenrechts ist vorrangig gegenüber der Anwachsung)6. Beim Tod eines Mitnacherben, dessen Anwartschaftsrecht nicht vererblich ist, kann jedoch Anwachsung eintreten7. Fällt ein Mitvorerbe vor (oder nach dem Erbfall mit Rückwirkung auf den Erbfall) weg, ist die Anwachsung durch die gem. § 2099 BGB vorrangige Ersatzberufung gem. §§ 2102 Abs. 1, 2105 Abs. 1 BGB ausgeschlossen8, sofern die Ersatzerbenregelungen nicht abbedungen sind. Stirbt ein Vorerbe zwischen Erbfall und Nacherbfall, ist die Anwachsung ausgeschlossen, denn durch den Tod des Vorerben bleibt der bereits eingetretene Erbanfall an ihn unberührt. Deshalb geht der Erbteil des Vorerben bis zum Nacherbfall auf seine Erben über. Dies gilt jedoch nicht, sofern die übrigen Vorerben auch für die Zeit bis zum eigentlichen Nacherbfall als Nacherben auf den Erbteil des verstorbenen Mitvorerben berufen sind, wiederum belastet mit der Nacherbschaft9.

7.37

Rechtsnatur des angewachsenen Erbteils: Er bildet mit dem ursprünglichen eine Einheit. Ausnahme: § 2095 BGB.

7.38

XI. Die Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB) 1. Regelung unverzichtbar

7.39

Nicht selten lebt der eingesetzte Erbe beim Tod des Erblassers nicht mehr. Beispiel: Vater und Sohn verunglücken zusammen. Der Sohn, der Erbe werden sollte, stirbt eine Stunde vor dem Vater.

Der Wunscherbe kann aber auch nach dem Erbfall wegfallen, z.B. durch Ausschlagung, Erbunwürdigkeitserklärung oder Anfechtung. Schließlich erfolgt ein Wegfall bei Nichtigkeit oder Widerruf der 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 10. BayObLG v. 30.9.1992 – BReg. 1Z 72/91, FamRZ 1993, 736. Palandt/Weidlich, § 2094 Rz. 2; a.A. KG v. 7.5.1956 – 1 W 871/56, NJW 1956, 1523. Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 2. KG v. 19.12.2014 – 6 W 155/14, MDR 2015, 226. Palandt/Weidlich, § 2094 Rz. 5, Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 3. Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 4. Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 5. Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 5.

Grötsch 257

§ 7 Rz. 7.40

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Erbeinsetzung. Es bedeutet einen schweren Beratungsfehler, wenn der Mandant nicht auf die Möglichkeit der Ersatzerbenregelung (Gleiches gilt für den Ersatzvermächtnisnehmer, § 2190 BGB) hingewiesen wird. Denn bei Wegfall des auserkorenen Erben könnte der Nachlass gem. den §§ 2069, 2094, 2102 BGB einen vom Willen des Erblassers vollkommen abweichenden Weg nehmen. Also: Keine letztwillige Verfügung ohne Ersatzerbenregelung (insbesondere bei Nacherbschaft nicht)! Die Formulierung ist einfach:

7.40 M 21 Ersatzerbenanordnung bei Wegfall des Erben Hiermit setze ich meinen Neffen Kevin zu meinem Alleinerben ein, ersatzweise meinen Neffen Robin.

7.41 Vorsicht: Durch die Formulierung „Ersatzerben will ich heute ausdrücklich nicht benennen“ ist die Anwendung des § 2069 BGB nicht zwingend ausgeschlossen1. Soll auch diese Regelung sicher nicht zur Anwendung kommen, ist eine klarstellende Klausel zu empfehlen. 2. Zweifelsfälle aus der Praxis

7.42 Bei richtiger Wortwahl könnte alles so einfach sein. Da diese jedoch häufig vernachlässigt wird, finden sich in vielen letztwilligen Verfügungen höchst unklare Regelungen: – Oft ist es zweifelhaft, ob der eingesetzte Nacherbe auch Ersatzerbe sein soll. Ist der Erblasserwille nicht zu ermitteln, bejaht § 2102 Abs. 1 BGB diese Frage. – Bleiben Zweifel, ob der Erblasser den Bedachten zum Ersatzerben oder Nacherben einsetzen wollte, entscheidet dies § 2102 Abs. 2 BGB zugunsten der Ersatzerbschaft. – Ist nicht feststellbar, ob der Erblasser Nacherbfolge wollte, bedeutet Einsetzung als Ersatzerbe nicht zugleich diejenige als Nacherbe2. Wollte der Erblasser Nacherbschaft, schließt die Verwendung des Begriffs „Ersatzerbe“ Nacherbfolge nicht aus3. – Steht die Ersatzerbschaft selbst unter einer echten Bedingung, findet § 2096 BGB keine Anwendung4. – Bei Einsetzung einer zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch nicht gezeugten Person kann es sich nur um Nacherbschaft handeln, §§ 1923, 2101 Abs. 1, 2106 Abs. 2 BGB. – Hat der Erblasser nicht ausdrücklich Ersatzerbfolge verfügt, kann sie sich nach allgemeiner Auffassung dennoch per Auslegung ergeben, z.B. wenn er eine ihm besonders nahestehende Person eingesetzt hat und davon auszugehen ist, dass er etwa deren Abkömmlinge zu Erben bestimmt hätte, wenn ihm der Gedanke gekommen wäre, der von ihm benannte Erbe könnte wegfallen5, etwa auch bei der Einsetzung des langjährigen Lebensgefährten6. Entscheidend ist dabei, ob die Zuwendung nur dem Weggefallenen persönlich zukommen sollte oder dieser vom Erblasser als erster seines

1 OLG München v. 4.3.2009 – 31 Wx 73/08, FamRZ 2009, 1250 = ZEV 2009, 239. 2 RG v. 4.1.1932 – IV 284/31, HRR 32 Nr. 1055; vgl. dazu auch OLG Hamm v. 11.12.2006 – 15 W 94/06, FamRZ 2007, 939 = ZErb 2007, 191, wo Ersatz-, nicht Nacherbeneinsetzung angenommen wird (Testament: „Sollte meine Frau ebenfalls sterben, so gilt Folgendes“). 3 BGH v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LM Nr. 1 zu § 2096 BGB. 4 Palandt/Weidlich, § 2096 Rz. 6. 5 BayObLG v. 16.5.1988 – BReg. 1Z 47/87, MDR 1988, 866 = FamRZ 1988, 986 = NJW 1988, 2744; Palandt/Weidlich, § 2096 Rz. 1. 6 OLG Düsseldorf v. 30.7.2012 – 3 Wx 247/11, ZEV 2012, 662.

258

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Rz. 7.43 § 7

Stammes bzw. seiner Familie angesehen wurde1. Die nötige Andeutung im Testament kann sich schon aus der Einsetzung des Bedachten ergeben. Strittig ist, ob Letzteres auch gilt, wenn der Ehegatte des nahestehenden Alleinerben als Ersatzerbe in Betracht kommt2. – Fallen neben dem als Erben eingesetzten auch sämtliche ausdrücklich benannten Ersatzerben weg, kann sich die weitere Ersatzerbenberufung auch durch ergänzende Testamentsauslegung ergeben3. Dabei kann auch ein Vermächtnisnehmer als Ersatzerbe in Betracht kommen4. – Hat der Erblasser einen Ersatzerben bestimmt, der nicht Abkömmling ist, genießt diese Bestimmung im Regelfall gegenüber der Rechtsfolge des § 2069 BGB Vorrang5. – Abkömmlinge von zu Erben eingesetzten, aber vorverstorbenen Geschwistern können Ersatzerben sein, wenn sie vom Erblasser als jeweils erste eines Stammes angesehen wurden. Hierfür spricht eine Erbeinsetzung entsprechend der gesetzlichen Erbfolge6. Bei einer davon abweichenden Erbeinsetzung kann dagegen davon ausgegangen werden, dass die Abkömmlinge des vorverstorbenen Geschwisters nicht Ersatzerben werden sollten7. – Abkömmlinge von bei Testamentserrichtung bereits verstorbenen einzelnen Geschwistern sind nicht Ersatzerben, wenn zugleich Geschwister des vorverstorbenen Ehegatten zu Erben eingesetzt waren8. – § 2270 Abs. 2 BGB gilt nur dann für einen Ersatz-Schlusserben, wenn der Wille der Eheleute auf seine Einsetzung gerichtet war9. – Die Erbeinsetzung des nichtehelichen Sohnes des Ehemanns der Erblasserin kann dahin auszulegen sein, dass im Falle des Vorversterbens des Bedachten dessen Abkömmlinge Ersatzerben sein sollen10. 3. Die Rechtsstellung des Ersatzerben

7.43

Welche Rechte besitzt der Ersatzerbe? Es ist wie folgt zu unterscheiden: – Vor dem Erbfall hat der Ersatzerbe wie jeder potentielle Erbe keine Rechte. – Nach dem Erbfall, aber vor dem Wegfall des Erstberufenen (der den Erblasser überlebt hat, aber z.B. ausschlägt) wird vielfach dargestellt, der Ersatzerbe erwerbe ein Anwartschaftsrecht, das, wenn kein entgegenstehender Wille des Erblassers vorhanden ist, vererbt und übertragen werden

1 OLG München v. 13.4.2011 – 31 Wx 31/11, FamRZ 2011, 1692; OLG München v. 25.7.2016 – 31 Wx 156/15, FamRZ 2016, 2154. 2 Für die Notwendigkeit einer weitergehenden Andeutung: OLG München v. 19.12.2012 – 31 Wx 372/12, FamRZ 2013, 1067 = MDR 2013, 350; dagegen: OLG Schleswig v. 10.6.2013 – 3 Wx 15/13, FamRZ 2014, 693. 3 OLG Köln v. 10.11.2008 – 2 Wx 38/08, FamRZ 2010, 502 = ZEV 2009, 241. 4 OLG Köln v. 10.11.2008 – 2 Wx 38/08, FamRZ 2010, 502 = ZEV 2009, 241. 5 So auch MüKo.BGB/Rudy, § 2096 Rz. 8. 6 BayObLG v. 8.8.2003 – 1Z BR 16/03, ErbBStg 2004, 109. 7 OLG München v. 13.4.2011 – 31 Wx 31/11, FamRZ 2011, 1692. 8 BayObLG v. 15.11.2000 – 1Z BR 116/00, FamRZ 2001, 515 = ZEV 2001, 152. 9 BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, MDR 2002, 456 = FamRZ 2002, 747 = ZEV 2002, 150 (mit teilw. abl. Anm. Otte), abw. von BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277 und BGH v. 28.3.2001 – IV ZR 245/99, MDR 2001, 939 = FamRZ 2001, 993 = ZEV 2001, 237; wie die erstgenannte BGH-Entscheidung auch BayObLG v. 9.1.2004 – 1Z BR 95/03, OLGReport 2004, 173 sowie OLG Hamm v. 7.10.2003 – 15 W 78/03, FamRZ 2004, 1065 = ZErb 2004, 171; OLG München v. 20.4.2010 – 31 Wx 83/09, FamRZ 2010, 1846 = ZErb 2010, 157; OLG Schleswig v. 25.6.2010 – 3 W 13/10, FamRZ 2011, 66. 10 BayObLG v. 4.8.2004 – 1Z BR 44/04, ZEV 2005, 528.

Grötsch 259

§ 7 Rz. 7.44

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

könne1. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen: Denn die oft herangezogene Parallele zum Ersatznacherben besteht nicht. So hat letzterer ein Rechtsverhältnis zum Vorerben. Der Ersatzerbe hat aber kein Rechtsverhältnis zum Erben. Auch unterscheidet sich die Ersatzerbenstellung nicht von der Position des nächstberufenen gesetzlichen Erben, für den aber auch keine Anwartschaft angenommen wird. Die Rechte des Ersatzerben ergeben sich allein daraus, dass der Erstbedachte mit Rückwirkung zum Erbfall wegfällt und der Ersatzerbe somit zum Zeitpunkt des Erbfalls Erbe wird. Verstirbt der Ersatzerbe zwischen Erbfall und Wegfall des Erstbedachten, geht also nicht die Ersatzerbenstellung bzw. die „Anwartschaft“ auf die Erben des Ersatzerben über, sondern die ihm aufgrund der Rückwirkung des Wegfalls des Erstberufenen angefallene Erbschaft selbst2. – Der Ersatzerbe muss jedenfalls den Tod des Erblassers erleben, mindestens bereits gezeugt sein. Ein Recht, auf den Nachlass Einfluss zu nehmen, besteht vor dem Wegfall des Erstberufenen noch nicht. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft sind jedoch schon möglich3, auch ist der Ersatzerbe schon anfechtungsberechtigt (§ 2080 BGB)4. Er wird nicht in den Erbschein aufgenommen, es sei denn, er ist Ersatznacherbe5. Der Zuwendungsverzicht gem. § 2352 BGB erfasst seit der für alle Erbfälle ab dem 1.1.2010 geltenden Neufassung des § 2352 S. 3 BGB sämtliche Ersatzerben, unabhängig ob ausdrücklich genannt oder über § 2069 BGB bestimmt, unabhängig davon, ob der Verzichtende für sein Erbrecht eine Abfindung erhalten hat und entgegen dem Wortlaut von § 2349 BGB unabhängig davon, ob der Verzichtende ein Abkömmling oder Seitenverwandter des Erblassers ist (str.)6. Nach dem Erbfall und nach Wegfall des Erstberufenen: Der Ersatzerbe wird unmittelbarer Rechtsnachfolger des Erblassers, auch bei Wegfall des zunächst eingesetzten Erben erst nach dem Tod des Erblassers, etwa durch Ausschlagung. Das Erbe wird rückwirkend auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers angetreten. Der Ersatzerbe ist also nicht Nachfolger des Erstberufenen, der nie Erbe gewesen sein darf.

7.44 Im Grundsatz, d.h., wenn der Erblasser nichts Anderes bestimmt hat, tritt der Ersatzerbe in die für den Erstberufenen vorgesehene Erbenposition ein. Das bedingt die Übernahme aller Rechte des Erstberufenen, aber auch aller Pflichten, als da sind: – Erfüllung von Vermächtnissen und Auflagen – Erfüllung von Pflichtteilen und Ausgleichspflichten gem. § 2051 Abs. 2 BGB – Bindung an Teilungsanordnungen

7.45 Beratungssituation: Das Testament hat folgenden Wortlaut: „Hiermit setze ich meine Söhne A und B zu meinen Erben zu je 1/2 ein. Ersatzerbin ist jeweils meine Nichte Christine. B erhält als Vorausvermächtnis mein Klavier.“ Der Erblasser stirbt, B schlägt die Erbschaft und das Vermächtnis aus. Christine begehrt das Klavier allein für sich. A, mit dem sie nun eine Erbengemeinschaft bildet, verweigert dies mit der Begründung, sie spiele im Gegensatz zu B kein Klavier, der Erblasser hätte es ihr daher niemals zukommen lassen wollen. Wem steht das Klavier zu?

7.46 Ansprüche aus Vermächtnissen gehen nicht ohne weiteres auf den Ersatzerben über. Zum einen ist zu klären, ob die Ausschlagung auch das Vermächtnis umfasst. Ist dies der Fall, ist entscheidend, ob der Erblasser den Ersatzerben auch als Ersatzvermächtnisnehmer bestimmen wollte7. Das bedeutet für die Beratungssituation wohl, dass die Ersatzerbin keinen Anspruch auf das Klavier besitzt. Lässt

1 BayObLG v. 20.10.1960 – BReg. 1Z 213/59, BayObLGZ 60, 407, 410; Palandt/Weidlich, § 2096 Rz. 4; a.A. OLG Hamm v. 3.4.1970 – 15 W 496/69, NJW 1970, 1606. 2 Staudinger/Otte, § 2096 Rz. 14. 3 RG v. 9.11.1912 – IV 187/12, RGZ 80, 377 (382); MüKo.BGB/Rudy, § 2096 Rz. 10. 4 MüKo.BGB/Rudy, § 2096 Rz. 10. 5 BayObLG v. 20.10.1960 – BReg. 1Z 213/59, BayObLGZ 60, 407 (410). 6 MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2352 Rz. 12 ff. 7 Staudinger/Otte, § 2096 Rz. 15.

260

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Rz. 7.55 § 7

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

sich der Wille des Erblassers nicht ermitteln, erhält der Ersatzerbe das Vorausvermächtnis, da er im Grundsatz dieselbe Position einnimmt wie der Erstberufene. Der Ehegattenvoraus steht dem Ersatzerben nicht zu1, er kann aber Gegenstand eines Ersatzvermächtnisses sein2.

7.47

4. Die Ersatzerbschaft als Gestaltungsmittel Nie wird der Wille des Menschen ernster genommen, als wenn es um seinen „Letzten Willen“ geht. Deshalb sollte man die Chance nutzen. Mit einer klugen letztwilligen Verfügung kann man vor allem folgende Ziele verwirklichen: Schutz des Vermögens, gerechte Verteilung, juristische Unanfechtbarkeit, Friedenstiftung und Steuerersparnis. Einige dieser Ziele können verfehlt werden, wenn der Nachlass an die falschen Personen geht. Das kann jedoch geschehen, wenn ein eingesetzter oder gesetzlicher Erbe vor oder nach dem Tod des Erblassers wegfällt. Hier liefert das Recht mit der Ersatzerbschaft ein taugliches Instrument, den Nachlass in die richtige Richtung zu lenken bzw. unliebsame Vermögensnachfolger auszuschließen.

7.48

An folgende Gestaltungsmöglichkeiten ist zu denken:

7.49

Will der Erblasser z.B. seinen Sohn A zum Alleinerben einsetzen, auf jeden Fall aber vermeiden, dass dessen Sohn B anstelle des A erbt, so besteht wegen § 2069 BGB (B wäre Ersatzerbe) dringender Handlungsbedarf. Das Testament könnte lauten:

M 22 Ersatzerbenanordnung zur Vermeidung unerwünschter gesetzlicher Ersatzerbfolge

7.50

Zu meinem Alleinerben setze ich meinen Sohn A ein. Ersatzerbe für A ist meine Schwester Ruth.

Möglich ist auch die Einsetzung mehrerer Ersatzerben nebeneinander:

7.51

M 23 Mehrere gleichberechtigte Ersatzerben

7.52

Hiermit setze ich meinen Bruder Peter zu meinem Alleinerben ein, ersatzweise meine Nichten Verena und Andrea.

In diesem Fall wären die Nichten gemeinschaftliche Ersatzerbinnen und zwar, da nichts Gegenteiliges erkennbar ist, zu gleichen Teilen (§ 2091 BGB).

7.53

Die Ersatzerben können auch nacheinander eingesetzt sein, so dass der zuletzt genannte Ersatzerbe nur zum Zuge kommt, wenn der zunächst berufene Ersatzerbe wegfällt:

7.54

M 24 Mehrstufige Ersatzerbschaft

7.55

Zu meinem Alleinerben setze ich meinen Bruder Peter ein, ersatzweise meine Cousine Isolde, wiederum ersatzweise meine Schwägerin Helga.

1 MüKo.BGB/Rudy, § 2096 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2096 Rz. 7. 2 Staudinger/Otte, § 2096 Rz. 15.

Grötsch 261

§ 7 Rz. 7.56

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

7.56 Helga wird nur dann Erbin, wenn sowohl Peter als auch Isolde wegfallen. 7.57 Gelegentlich findet sich die Formulierung: „Ersatzerben sind die Ehefrauen der Erben oder die Kinder.“ Hier hätte man sich mehr Klarheit gewünscht, es dürften aber primär die Ehefrauen und erst bei deren Wegfall die Kinder Ersatzerben sein.1

7.58 In der Bestimmung der Person des Ersatzerben ist der Erblasser frei. Ersatzerben können sein ein Miterbe, ein gesetzlicher Erbe oder ein beliebiger Dritter.

7.59 Der Ersatzerbe kann auch nur auf einen Bruchteil des Nachlasses berufen sein: 7.60 M 25 Ersatzerbschaft für Bruchteile Hiermit setze ich meine Mutter Rosemarie zu meiner Alleinerbin ein. Ersatzerbin zu 1/2 ist meine Schwester Christine, im Übrigen gilt gesetzliche Erbfolge.

7.61 Der Erblasser kann auch für mehrere Miterben einen Ersatzerben bestellen: „Zu meinen Erben setze ich ein meine Freunde Wolfgang, Gustav und Giacomo zu gleichen Teilen. Zum Ersatzerben bestimme ich meinen Vetter Richard.“ Der Erblasser hätte präziser formulieren sollen, denn es ist offen, ob zunächst Anwachsung unter den drei Erstberufenen erfolgen soll (mit der Folge, dass alle drei weggefallen sein müssen, bevor Richard erbt) oder ob Richard bereits Ersatzerbe für den erstwegfallenden Erben wird. Gibt es für den Erblasserwillen keine konkreten Anhaltspunkte, dürfte (ganz abgesehen vom Grundgedanken des § 2099 BGB) Letzteres gelten, weil der Erblasser im Normalfall nicht davon ausgegangen sein wird, dass alle drei Erstberufenen nicht zum Zuge kommen2.

7.62 Weitere Gestaltungsmöglichkeit ist die, dass der Erblasser die Rechtsposition des Ersatzerben gegenüber der des Erstberufenen verbessern oder verschlechtern kann, auch über die in Rz. 7.60 geschilderte Möglichkeit hinaus, wo er den Ersatzerben nur einen geringeren Erbteil zukommen ließ. Beispiel für Verschlechterung: „Zu meiner Alleinerbin setze ich meine Tochter Charlotte ein, ersatzweise meinen Onkel Walter. Wird Walter Erbe, belaste ich ihn mit einem Barvermächtnis zugunsten der Klinik X in Höhe von 5.000 Euro.“ Beispiel (1) für Verbesserung: „Zu meinem Alleinerben setze ich meine Tante Eva ein. Ich beschwere sie mit einem Barvermächtnis zugunsten meiner Schwester Waltraud in Höhe von 3.000 Euro. Ersatzerbin ist meine Nichte Friederike. Wird sie Erbin, entfällt das vorgenannte Vermächtnis.“ Beispiel (2) für Verbesserung: „Zu meinen Erben setze ich meine Söhne Klaus und Peter je zur Hälfte ein. Im Wege der Teilungsanordnung bestimme ich, dass Klaus meine Eigentumswohnung in Weilheim erhält, Peter diejenige in Rosenheim. Ersatzerbe jeweils für Klaus und Peter ist mein Bruder Fritz. Wird er Erbe anstelle einer meiner Söhne, entfällt die Teilungsanordnung.“

7.63 Der Berater muss mit dem Mandanten besprechen, ob Ersatzerbschaft wirklich für jeden Wegfallsgrund gelten soll, sie kann nämlich auch auf bestimmte Fälle oder nur einen einzigen Fall beschränkt sein, was ggf. per Auslegung zu ermitteln ist. So kann Ausschluss der Ersatzerbschaft z.B. gewollt sein, wenn ein Mitnacherbe die Erbschaft ausschlägt und den Pflichtteil verlangt und als Ersatznacherben die Abkömmlinge dieses Nacherben berufen waren. Teilweise wird angenommen, dass es zur Ersatzerbschaft nur bei Pflichtteilsverzicht des Erstberufenen komme, weil sonst der Stamm eine ungerechtfertigte Bevorzugung erführe, was jedoch wegen § 2320 Abs. 2 BGB nur eingeschränkt 1 BayObLG v. 26.1.1999 – 1Z 44/98, ZEV 1999, 227. 2 So auch Schopp, MDR 1978, 10.

262

Grötsch

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Rz. 7.67 § 7

zutrifft1. Gleiches gelte, wenn sich der Nacherbe den Verzicht auf den Erbteil abfinden lasse. Andere bejahen auch in einem solchen Fall den Eintritt der Ersatzerbfolge2. Die Unklarheiten zeigen, wie gründlich der Erblasser die Vermögensnachfolge planen und wie viele Eventualitäten er berücksichtigen muss. 5. Auslegungsregeln (§§ 2097 ff. BGB) Der Erblasser kann die Ersatzerbschaft auf bestimmte Wegfallgründe beschränken. Hat er dies getan, ohne dass klar ist, ob er eine solche Beschränkung wirklich wollte, kommt es gem. § 2097 BGB zur Ersatzerbschaft auch bei Vorliegen der nicht ausdrücklich von ihm genannten Wegfallgründe. Hat also z.B. der Erblasser bestimmt, dass B Ersatzerbe wird, wenn der erstberufene Erbe A vorverstirbt, unterstellt das Gesetz, dass der Erblasser den B auch dann zum Ersatzerben bestimmen wollte, wenn A die Erbschaft ausschlägt, § 2097 BGB. Allein die notarielle Beurkundung einer solchen letztwilligen Verfügung schließt die Vermutung des § 2097 BGB nicht aus3.

7.64

Eine weitere Auslegungsregel enthält § 2098 BGB:

7.65

Beratungssituation: Laut Testament wurden A zu 1/2, B zu 1/3 und C zu 1/6 zu Erben eingesetzt. Zugleich wurde bestimmt, dass alle gegenseitig Ersatzerben sein sollen. oder: Der Erblasser bestimmt in seinem Testament A, B und C zu Erben mit den Quoten gemäß der vorigen Beratungssituation. Zugleich ordnet er an, dass, sollte A (und nur er) wegfallen, B und C an seine Stelle als Ersatzerben treten.

In beiden Beratungssituationen richten sich die Ersatzerbenquoten gem. § 2098 BGB nach dem Verhältnis ihrer Erbteile, nicht dagegen erben die Bedachten gem. § 2091 BGB zu gleichen Teilen. Wenn der Erblasser mehrere Erben gegenseitig als Ersatzerben einsetzt und zugleich bestimmt, dass einige von ihnen einen gemeinschaftlichen Erbteil erhalten, dann gehen letztere in Bezug auf diesen Erbteil den anderen als Ersatzerben vor, § 2098 Abs. 2 BGB.

7.66

Bestimmt der Erblasser einen Ersatzerben, schließt er damit, was er gem. § 2094 Abs. 3 BGB darf, die Anwachsung aus, § 2099 BGB. Sie ist auch ausgeschlossen im Falle der Ersatzerbfolge des § 2069 BGB, es sei denn, der Erblasser hat die Folge des § 2069 BGB ausgeschlossen. Nur wenn auch der Ersatzerbe wegfällt, findet Anwachsung statt.

7.67

1 OLG München v. 26.10.2011 – 31 Wx 30/11, FamRZ 2012, 478 = MDR 2011, 1424. 2 Zum Streitstand: Staudinger/Otte, § 2096 Rz. 7 ff. 3 OLG Frankfurt v. 12.5.2011 – 20 W 350/10.

Grötsch 263

§ 8 Vor- und Nacherbschaft I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anordnung der Vor- und Nacherbschaft durch Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendiger Inhalt der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gestaltungsfreiheit des Erblassers . . a) Stärkung der Rechte des Vor- oder Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staffelung der Nacherbfolge . . . . . . . c) Einsatz von Bedingungen und Befristungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausschöpfung des zeitlichen Rahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Auslegung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung des Erblasserwillens . . . . b) Gesetzliche Auslegungsregeln für die Vor- und Nacherbfolge . . . . . . . . III. Rechtliche Stellung des Vorerben . . . . . 1. Verfügung über Nachlassgegenstände . . a) Verfügungsbeschränkungen bei Grundstücken (§ 2113 Abs. 1 BGB) . b) Verfügungsbeschränkungen bei Schenkungen (§ 2113 Abs. 2 BGB) . . c) Schutz des guten Glaubens (§ 2113 Abs. 3 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.1

8.6 8.7 8.12 8.13 8.14 8.16 8.19 8.22 8.23 8.30 8.40 8.41 8.42 8.56

d) Verfügungsbeschränkungen bei Grundstücksrechten (§ 2114 BGB) . . 2. Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . . . . . a) Recht und Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . b) Nutzungen und Erhaltungskosten der Erbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prozessführung des Vorerben . . . . . . d) Haftung des Vorerben . . . . . . . . . . . . 3. Der befreite Vorerbe . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsposition des Nacherben . . . . . . . 1. Stellung des Nacherben während der Dauer der Vorerbschaft . . . . . . . . . . . . . a) Das Anwartschaftsrecht des Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechte gegenüber dem Vorerben . . . . c) Stellung des Ersatznacherben . . . . . . 2. Stellung des Nacherben bei Eintritt des Nacherbfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirkungen der Nacherbfolge . . . . . . b) Gegenstand der Nacherbfolge . . . . . . c) Rechte des Nacherben gegenüber dem Vorerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutz des Nacherben vor den Eigengläubigern des Vorerben . . . . . .

8.67 8.68 8.69 8.73 8.75 8.79 8.81 8.85 8.87 8.88 8.99 8.106 8.111 8.112 8.119 8.124 8.127

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 8.132 8.63

Schrifttum: Bengel, Die Pflichtteilsproblematik beim Tod des Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls, ZEV 2000, 388; Coing, Die unvollständige Regelung der Nacherbfolge, NJW 1975, 521; Custodis, Zur Berechtigung des Vorerben, über Gesamtgutsgegenstände zu verfügen, in: Notar und Rechtsgestaltung. JubiläumsFestschrift des Rheinischen Notariats (1998), 163; Damrau, Beweisprobleme bei Vor- und Nacherbschaft, ZERB 2003, 281; Damrau, Der Zeitpunkt des Nacherbfalls, wenn der Vorerbe wegfällt und der Nacherbe noch nicht geboren ist, ZEV 2004, 19; Diederichsen, Ersatzerbfolge oder Nacherbfolge, NJW 1965, 671; Dillmann, Verfügungen während der Vorerbschaft, RNotZ 2002, 1; Dumoulin, Nacherbenzustimmung zur Grundstücksüberlassung vom Vorerben an Nacherben, DNotZ 2003, 571; Edenfeld, Lebenslange Bindungen im Erbrecht?, DNotZ 2003, 4; Edenfeld, Auslegungsprobleme bei Wünschen des Erblassers: Erbenbindung oder moralischer Appell?, ZEV 2004, 141; Harder, Unentgeltliche Verfügungen und ordnungsgemäße ordnungsmäßige Nachlassverwaltung des Vorerben, DNotZ 1994, 822; Hartmann, Das sog. Behindertentestament – Vor- und Nacherbschaftskonstruktion oder Vermächtnisvariante?, ZEV 2001, 89; Hartmann, Das Vorvermächtnis mit Vorerbschaftswirkung, ZEV 2007, 458; Hartmann, Nacherbfolge und Grundbuchrecht – insbesondere zur Gestaltung und Abwicklung von Grundstücksverträgen, DNotZ 2017, 28; Heeg, Alternativen zur Nacherbeneinsetzung: Ist die erbrechtliche Auflage ein geeignetes Instrument zur Erbschaft(steuer)planung?, DStR 2007, 89; Heider, Die Befugnis des Vorerben zu unentgeltlichen Verfügungen über Nachlassgegenstände, ZEV 1995, 1; Jülicher, Erbschaftsteuerliche Gestaltungsüberlegungen im Vergleich: Vorerbschaft und Nacherbschaft bzw. -vermächtnis und Weiterleitungsklauseln zugunsten Dritter, ZEV 2003, 350; Kanzleiter, Ermächtigung des Vorerben zu Schenkungen aus dem Nachlass?, in: Festschrift für Schippel (1996), 287; Keim, Erbauseinandersetzung zwischen Vor- und Nacherben durch Freigabe aus der Nacherbenbindung?, DNotZ 2003, 822; Keim, Die Vollmacht über den Tod hinaus bei Vor- und Nacherbschaft, DNotZ 2008, 175; Keim, Die Befreiung einzelner Gegenstände aus den Fesseln der Nacherbenbindung, DNotZ 2016, 751; Ludwig, Gegenständliche Nachlassspaltung bei Vor- und Nacherbschaft, DNotZ 2001, 102; Mayer, Der superbefreite Vorerbe? – Möglichkeiten und Grenzen der Befreiung des Vor-

264

Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.2 § 8

erben, ZEV 2000, 1; Meincke, Rechtsgestaltung zwischen Vorerbfall und Nacherbfall, Festschrift Klaus Korn (2005), 573; Muscheler, Konsolidation bei Übertragung der Nacherbenanwartschaft auf den Vorerben, ZEV 2012, 289; Muscheler, Schadensersatz bei befreiter Vorerbschaft, ZEV 2012, 389; Michalski, Die Vor- und Nacherbschaft in einen OHG (KG)- und GmbH-Anteil, DB 1987 Beilage 16; Musielak, Zur Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts eines Nacherben, ZEV 1995, 5; Najdecki, Teilungsversteigerung bei Vor- und Nacherbschaft, DNotZ 2007, 643; Reimann, Die vorweggenommene Nacherbfolge, DNotZ 2007, 579; Ricken, Die Verfügungsbefugnis des nicht befreiten Vorerben, AcP 202 (2002), 465; Sarres, Auskunftspflichten bei Vor- und Nacherbschaft, ZEV 2004, 56; Schneider, Vor- und Nacherbschaft im Steuerrecht, ErbBstg 2006, 54; Seifert, Vor- und Nacherben bei der Erbschaftsteuer, BB 1965, 200; Werkmüller, Bankrechtliche Probleme der Vor- und Nacherbschaft, ZEV 2004, 276; Zimmer, Die Vor- und Nacherbfolge im Grundbuch, ZEV 2014, 526.

I. Vorbemerkung Nach § 2100 BGB kann der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen einen Erben in der Weise 8.1 einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem ein anderer Erbe geworden ist (Nacherbe). Mit dem Erbfall fällt die Erbschaft zunächst dem Vorerben an. Erst mit einem vom Erblasser letztwillig vorgesehenen Ereignis (im Zweifel dem Tod des Vorerben, § 2106 Abs. 1 BGB) tritt der Nacherbfall ein. Der Vorerbe hört auf, Erbe zu sein, und die Erbschaft fällt dem Nacherben an, § 2139 BGB. Das entscheidende Merkmal der Vor- und Nacherbschaft ist den an der Testamentserrichtung Beteiligten nicht immer geläufig: Vor- und Nacherbe beerben beide, wenn auch zeitlich nacheinander, den Erblasser1. Der Nacherbe ist Erbe und Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht etwa des Vorerben. Nur erbschaftsteuerrechtlich wird der Nacherbe im Grundsatz so behandelt, als stamme das Vermögen vom Vorerben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Jeder von ihnen hat ein ungeteiltes, zeitlich beschränktes Erbrecht. Sie sind keine Miterben im Sinne der §§ 2032 ff. BGB. Der Verstorbene wird nicht von mehreren gleichzeitig, sondern nacheinander beerbt. Auch unter mehreren Nacherben besteht vor dem Nacherbfall keine Erbengemeinschaft. Sind mehrere Personen gleichzeitig zu Vorerben berufen, sind sie bis zum Nacherbfall Miterben. Die beteiligten Nachlässe sind streng zu trennen: Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau testamentarisch zur Vorerbin und die gemeinsamen Kinder zu Nacherben eingesetzt. Der Nacherbfall soll mit dem Ableben der Frau eintreten. Die Ehefrau hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Wenige Monate nach dem Tod des Mannes verstirbt auch die Frau. Die Kinder fragen, wie sie ihre Eltern beerbt haben.

Mit dem Tod des Mannes ist die Ehefrau seine alleinige Vorerbin geworden, mit ihrem Ableben ist der Nacherbfall eingetreten, § 2139 BGB. Die Kinder haben den Vater und nicht etwa ihre Mutter als Vorerbin beerbt. Dieser Erbgang betrifft freilich nur den Nachlass des Mannes. Die Kinder haben kraft gesetzlicher Erbfolge auch ihre Mutter beerbt, §§ 1924 Abs. 1, 1930 BGB. Mit dem Tod der Frau erben sie gleichzeitig kraft gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge. Sie sind sowohl Nacherben ihres Vaters als auch Vollerben ihrer Mutter. Es handelt sich um zwei verschiedene Nachlässe. Sie sind gesondert zu verwalten, auseinander zu setzen (§ 2042 BGB) und zu versteuern (§ 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG). Es werden nicht ein, sondern zwei Erbscheine erteilt: Einer nach dem Mann und einer nach der Frau. Die Vor- und Nacherbschaft gewinnt vor allem beim gemeinschaftlichen Testament (§§ 2265 ff. 8.2 BGB) praktische Bedeutung (dazu Rz. 11.39 ff., 11.85 ff.). Nach der Trennungslösung setzen sich die Eheleute gegenseitig zu Vorerben und den Dritten zum Nacherben ein. Mit dem Tod des ersten Ehegatten wird der Überlebende nicht Vollerbe, sondern nur Vorerbe. Der Dritte – zumeist die gemeinsamen Kinder – wird Nacherbe und zugleich Ersatzerbe des Überlebenden. Der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten verschmilzt nicht mit dem Vermögen des überlebenden Ehepartners. Der Überlebende wird zwar Eigentümer der Nachlassgegenstände, vererbt sie aber nicht selbst. Tritt mit dem Tod des überlebenden Ehegatten der Nacherbfall ein, erhalten die Kinder nicht eine, sondern zwei Vermögensmassen: Das Vermögen des erstverstorbenen Ehegatten erwerben sie als Nacherben, das des zuletzt 1 Allgemeine Meinung: Erman/M. Schmidt, § 2100 Rz. 8; Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 10.

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§ 8 Rz. 8.3

Vor- und Nacherbschaft

Versterbenden als Vollerben. Der Nachlass der Eheleute wird nicht einheitlich übertragen, sondern aufgespaltet. Anders als nach dem Einheitsprinzip (§ 2269 Abs. 1 BGB) wird nicht nur der längerlebende Ehegatte beerbt, sondern auch der Erstverstorbene im Rahmen der Nacherbschaft.

8.3 Für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft können gute Gründe bestehen: – Der Erblasser erreicht, dass sein Vermögen zunächst dem Vorerben (z.B. seinem Ehegatten) zugewendet wird und dieser daraus Nutzungen ziehen kann, ohne die Substanz anzugreifen. Die Rechtsstellung des Vorerben ähnelt, obwohl er bis zum Nacherbfall Eigentümer der Nachlassgegenstände wird, der eines Erbschafts-Nießbrauchers (§ 1089 BGB). Die Vorerbschaft ermöglicht eine wirtschaftliche Absicherung auf (Lebens-)Zeit. Die Versorgung des überlebenden Ehegatten ist das in der Praxis oft ausschlaggebende Motiv. – Ist der vorgesehene endgültige Rechtsnachfolger zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht erzeugt, kann er nicht Erbe sein, § 1923 BGB. Er kann jedoch als Nacherbe eingesetzt werden, § 2101 Abs. 1 BGB. Ist der Nacherbe schon erzeugt, aber noch nicht zur Vermögensverwaltung in der Lage, kann er auf Zeit von der Erbschaft fern gehalten werden. Der Vorerbe fungiert für ihn wie ein Verwaltungstestamentsvollstrecker, §§ 2205, 2209 BGB. Entsprechendes gilt, wenn der vorgesehene Erbe zeitlich befristet (bis zum Erreichen eines bestimmten Alters, Berufsabschluss) vom Nachlass ferngehalten werden soll. – Der Erblasser stellt sicher, dass der Nachlass möglichst ungeschmälert mit einem bestimmten Ereignis (Tod oder Wiederheirat des Vorerben, Studienabschluss des Nacherben, Unternehmensnachfolge) seinen weiteren (Nach-)Erben zufällt. Alles, was der Vorerbe aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts oder als Ersatz für einen Erbschaftsgegenstand kraft Gesetzes oder mit Mitteln des Nachlasses durch Rechtsgeschäft erwirbt, bleibt dem Nacherben erhalten. Es fällt als Surrogat in den Nachlass, § 2111 BGB. Der Vorerbe ist zur ordnungsmäßigen Nachlassverwaltung verpflichtet (§§ 2116 ff. BGB) und in seiner Dispositionsbefugnis beschränkt, §§ 2112 ff. BGB. Bei überschuldetem Vorerben ist der Nachlass gegen dessen Eigengläubiger geschützt, § 2115 BGB. Das Vermögen kann in den zeitlichen Grenzen des § 2109 BGB in der Familie zusammengehalten werden.

8.4 Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft hat auch Nachteile: – Sie ist ein kompliziertes Rechtsinstitut. Die Trennung der Vermögensmassen ist juristischen Laien schwer vermittelbar und kann während der Dauer der Vorerbschaft zu verwaltungstechnischen Problemen führen. – Die mit der Vorerbschaft verbundenen Verfügungsbeschränkungen des Vorerben (§§ 2112 ff. BGB) und Kontrollrechte des Nacherben stellen eine erhebliche Belastung für den Vorerben dar. Die verbindliche Festlegung des Nacherben verhindert, dass der Vorerbe auf nachträgliche Veränderungen reagieren kann. Das ist namentlich bei der Unternehmensnachfolge zu beachten. – Die Belastungen des Vorerben erschweren den Rechtsverkehr. So werden unternehmerische Entscheidungen behindert, wenn eine Gesellschaftsbeteiligung zum Nachlass gehört und unklar ist, ob die Verfügung des Vorerben darüber unentgeltlich und damit unzulässig ist (§ 2113 Abs. 2 BGB; Rz. 8.60).

8.5 Ob die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft für die Beteiligten im Einzelfall günstig ist, hängt von zahlreichen Aspekten wie den familiären Verhältnissen, Art und Umfang des Vermögens und steuerrechtlichen Aspekten ab (vgl. für die Vor- und Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament Rz. 11.38 ff.)1. Sowohl Vor- als auch Nacherbe sind steuerrechtlich Erbe, § 6 Abs. 1 und 2 ErbStG. Erb1 Zur Abwägung Frank, MittBayNotK 1987, 231; Langenfeld/Fröhler, 2. Kap. Rz. 24 ff.; Mayer, ZEV 2000, 1 (2). Zur Besteuerung des Letzterwerbs bei mehreren Erwerben eines Nacherben vom Vorerben BFH v. 3.11.2010 – II R 65/09, FamRZ 2011, 215 = ZEV 2011, 95 m. Anm. Kobor. Zur Freistellung des Vorerben von Erbschaftsteuerkosten OLG Frankfurt a.M. v. 25.06.2015 – 16 U 193/14, ZEV 2016, 271.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.8 § 8

schaftsteuerrechtlich kann darum anstelle der Vor- und Nacherbschaft ein Nießbrauchsvermächtnis ratsam sein (Rz. 8.25). Letztwillige Verfügungen lassen nicht immer erkennen, ob eine Vor- und Nacherbschaft gewollt ist. Für den Berater wirft das zum Teil schwierige Gestaltungs- und Auslegungsfragen auf, mit denen sich die drei folgenden Abschnitte – Anordnung der Vor- und Nacherbschaft durch Verfügung von Todes wegen (Rz. 8.6 ff.), – Rechtliche Stellung des Vorerben (Rz. 8.40 ff.), – Rechtsposition des Nacherben (Rz. 8.85 ff.) beschäftigen.

II. Anordnung der Vor- und Nacherbschaft durch Verfügung von Todes wegen Die Vor- und Nacherbschaft tritt nicht kraft Gesetzes ein. Sie setzt eine Verfügung von Todes wegen (Testament, Erbvertrag) voraus, in der der Erblasser Vor- und Nacherben „einsetzt“, § 2100 BGB. Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft hat einen notwendigen Inhalt (Rz. 8.7 ff.), bietet aber auch vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten (Rz. 8.12 ff.). Die inhaltliche Ausformung kann die Frage aufwerfen, ob eine Vor- und Nacherbfolge gewollt ist. In diesem Fall ist die Verfügung von Todes wegen unter Hinzuziehung der gesetzlichen Auslegungsregeln auszulegen (Rz. 8.22 ff.).

8.6

1. Notwendiger Inhalt der Verfügung von Todes wegen Beratungssituation: Der Erblasser hat das erste Kind, das seine Tochter bekommen wird, testamentarisch zu seinem Erben eingesetzt. Als er bei einem Autounfall ums Leben kommt, hat seine erst 20-jährige Tochter noch keine Kinder. Sie fragt, wer ihren Vater beerbt hat.

8.7

Der Erblasser hat – den Vorerben, – den Nacherben und – den Nacherbfall grundsätzlich selbst zu bestimmen. Er darf die Entscheidung nicht in das freie Ermessen eines Dritten, z.B. eines Testamentsvollstreckers, stellen, § 2065 Abs. 2 BGB. Er muss die Person des Vor- und Nacherben und den Zeitpunkt bzw. das Ereignis des Nacherbfalls bezeichnen. Ordnet er an, dass seine gesetzlichen Erben Vor- bzw. Nacherben sein sollen, beruht auch diese Erbeinsetzung auf einer Verfügung von Todes wegen, für die die Auslegungsregel des § 2066 BGB gilt. Inwieweit der Erblasser eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet hat, welche Personen berufen sind, wann und in welchem Umfang der Nacherbfall eintritt, ist nicht immer einfach und durch Auslegung der letztwilligen Verfügung nach allgemeinen Grundsätzen (§ 133 BGB) zu ermitteln1. Die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB kommen erst zum Zuge, wenn über den Willen des Erblassers ernsthafte Zweifel bestehen (Rz. 8.22 ff.). Der Erblasser muss erstens einen oder mehrere Vorerben bestimmen. Der Vorerbe wird Rechtsträ- 8.8 ger der Erbschaft zwischen Erbfall und Nacherbfall und kann über die zu ihr gehörenden Gegenstände verfügen, § 2112 BGB. Hat der Verstorbene eine Nacherbfolge angeordnet, aber keinen Vorerben bestimmt, ist die Verfügung von Todes wegen unvollständig. Vorerben sind dann die gesetzlichen Erben des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls (§§ 2105 Abs. 1, 1924 ff. BGB; Rz. 8.35). Das Gleiche gilt, wenn die Persönlichkeit des Erben durch ein erst nach dem Erbfall eintretendes Ereignis bestimmt wird 1 OLG Hamm v. 11.12.2006 – 15 W 94/06, FamRZ 2007, 939; OLG München v. 25.7.2006 – 31 Wx 39/06, FamRZ 2007, 767; OLG München v. 16.4.2007 – 31 Wx 109/06; zum erforderlichen Rechtsbindungswillen des Erblassers bei Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff.

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§ 8 Rz. 8.9

Vor- und Nacherbschaft

oder wenn die Einsetzung einer zur Zeit des Erbfalls noch nicht erzeugten natürlichen Person oder noch nicht entstandenen juristischen Person als Erbe nach § 2101 BGB als Nacherbeinsetzung anzusehen ist, § 2105 Abs. 2 BGB.

8.9 Der Erblasser muss zweitens einen oder mehrere Nacherben bestimmen. Der Nacherbe wird mit dem Nacherbfall endgültiger Rechtsträger der Erbschaft und kann über die zu ihr gehörenden Gegenstände verfügen, §§ 1922, 2100 BGB. Hat der Verstorbene angeordnet, dass eine Person nur bis zum Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses (Vor-)Erbe sein soll, aber keinen Nacherben bestimmt, ist die Verfügung von Todes wegen unvollständig. Nacherben sind im Zweifel die gesetzlichen Erben des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls mit Ausnahme des Fiskus (§§ 2104, 1924 ff. BGB; Rz. 8.34). Während Erbe nur sein kann, wer beim Erbfall lebt (§ 1923 Abs. 1 BGB) oder zumindest erzeugt ist (§ 1923 Abs. 2 BGB), kann zum Nacherben auch berufen werden, wer beim Erbfall noch nicht erzeugt ist, § 2101 Abs. 1 S. 1 BGB. Er muss lediglich zur Zeit des Nacherbfalls erzeugt sein, §§ 2108 Abs. 1, 1923 Abs. 2 BGB. Ihm wird für die Zeit bis zum Eintritt der Nacherbfolge ggf. ein Pfleger bestellt, § 1913 S. 2 BGB. Das Nacherbenrecht fällt ihm mit seiner Geburt rückwirkend auf den Erbfall an. Entsprechendes gilt, wenn eine juristische Person, die erst nach dem Erbfall entsteht, zum Nacherben berufen wird, § 2101 Abs. 2 BGB.

8.10 Der Erblasser muss drittens den Zeitpunkt oder das Ereignis bestimmen, mit dem der Nacherbfall eintreten soll. Auch diese Entscheidung darf er keiner anderen Person, etwa dem Vorerben, überlassen, § 2065 BGB. Hat der Verstorbene eine Nacherbfolge angeordnet, ohne Zeitpunkt oder Ereignis zu bestimmen, mit dem die Nacherbfolge eintreten soll, ist die Verfügung von Todes wegen unvollständig. § 2106 Abs. 1 BGB schließt diese Lücke: Die Erbschaft fällt dem Nacherben mit dem Tod des Vorerben an (dazu Rz. 8.36). Ist die Einsetzung einer noch nicht erzeugten Person als Erbe nach § 2101 Abs. 1 BGB als Nacherbeinsetzung anzusehen, fällt die Erbschaft dem Nacherben mit dessen Geburt an, § 2106 Abs. 2 S. 1 BGB. Im Fall des § 2101 Abs. 2 BGB ist dies die Entstehung der juristischen Person.

8.11 In der obigen Beratungssituation sind die Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB sowohl zur Ermittlung des Vor- und Nacherben als auch des Nacherbfalls heranzuziehen. Das bislang weder geborene noch erzeugte Enkelkind kann den Erblasser nicht sofort beerben, § 1923 BGB. Nach der Auslegungsregel des § 2101 Abs. 1 BGB ist es jedoch mit seiner testamentarischen Einsetzung als Erbe zum Nacherben berufen. Nacherbe kann auch werden, wer zur Zeit des Erbfalls nicht erzeugt ist. Der Enkel muss allein zur Zeit des Nacherbfalls erzeugt sein, §§ 2108 Abs. 1, 1923 Abs. 2 BGB. Seine Einsetzung als Nacherbe wäre nur unwirksam, wenn sich durch Auslegung ermitteln ließe, dass der Erblasser keine Nacherbschaft gewollt hat, § 2101 Abs. 1 S. 2 BGB. Da das Testament hierfür keine Anhaltspunkte enthält, stellt sich die weitere Frage, wer zwischenzeitlich Vorerbe wird. Eine letztwillige Anordnung (§ 1937 BGB) fehlt. Vorerben sind daher nach § 2105 Abs. 1 BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls. Sie bleiben bis zum Eintritt des Nacherbfalls seine Erben. Der Zeitpunkt des Nacherbfalls ist ebenfalls nicht ausdrücklich angeordnet. Er tritt mit der Geburt des ersten Kindes der Tochter ein, § 2106 Abs. 2 S. 1 BGB. 2. Die Gestaltungsfreiheit des Erblassers

8.12 Der Erblasser legt Gegenstand und Umfang der Nacherbfolge fest. Sie braucht sich nicht auf die gesamte Erbschaft zu erstrecken, sondern kann auch in einer bestimmten Erbteilsquote angeordnet sein. Der Alleinvorerbe wird hinsichtlich eines Bruchteils der Erbschaft durch die Nacherbeneinsetzung beschränkt1. Die Nacherbfolge an einzelnen Nachlassgegenständen (Immobilien, Gesellschaftsbeteiligungen etc.) ist unzulässig. Davon abgesehen darf der Erblasser den Inhalt der Nacherbfolge frei gestalten und so das weitere Schicksal des Nachlasses nach seinen Wünschen bestimmen. Dafür

1 BGH v. 24.10.1979 – IV ZR 31/78, MDR 1980, 294 = NJW 1980, 1276; Soergel/Harder/Wegmann, Vor § 2100 Rz. 8.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.15 § 8

stehen ihm folgende Mittel zur Verfügung, die nach Belieben miteinander kombiniert werden können: a) Stärkung der Rechte des Vor- oder Nacherben Das Gesetz normiert in den §§ 2113 ff. BGB Beschränkungen und Verpflichtungen des Vorerben, die den Nacherben schützen. Der Erblasser kann den Vorerben nach § 2136 BGB von einzelnen Verfügungsbeschränkungen und Verpflichtungen befreien, um dessen Verfügungsmacht und Verwaltungsbefugnis zu stärken (befreiter Vorerbe; Rz. 8.81 ff.). Umgekehrt kann er die Stellung des Vorerben schwächen, indem er ihn durch Auflagen bindet (§§ 1940, 2192 ff. BGB) oder eine Testamentsvollstreckung während der Dauer der Vorerbschaft anordnet (Vorerbentestamentsvollstrecker, §§ 2205, 2209, 2211 BGB). Auch der Nacherbe kann Testamentsvollstrecker sein. Der Erblasser darf einen Testamentsvollstrecker ferner zu dem Zweck ernennen, dass dieser bis zum Eintritt des Nacherbfalls die Rechte des Nacherben ausübt und dessen Pflichten erfüllt, § 2222 BGB. Eine solche Nacherbentestamentsvollstreckung ist angezeigt, wenn der Vorerbe im Interesse des (z.B. minderjährigen) Nacherben wirksam beaufsichtigt werden soll. Zulässig ist auch, dass sich die Testamentsvollstreckung nur auf den Nacherben ab Eintritt der Nacherbfolge oder auf die gesamte Zeit der Vor- und Nacherbschaft erstreckt, §§ 2199 Abs. 2, 2210 BGB1. Näheres Rz. 29.80 ff.

8.13

b) Staffelung der Nacherbfolge Der Erblasser muss zwar den Zeitpunkt bzw. das Ereignis bestimmen, mit dem die Nacherbfolge 8.14 eintritt. Das heißt aber nicht, dass der Nacherbe die Erbschaft auf Dauer behält. Dem Erblasser steht es frei, eine sich anschließende weitere Nacherbschaft anzuordnen. Die zeitliche Staffelung ist trotz der missverständlichen Formulierung des § 2100 BGB („einen“ Erben) zulässig2. Durch die gestaffelte Nacherbfolge wird der erste Nacherbe zugleich wieder Vorerbe des zweiten Nacherben. Auch der zweite Erbe beerbt den Erblasser und nicht etwa den ersten Nacherben (Rz. 8.1)3. Tritt der zweite Nacherbfall mit dem Tod des ersten Nacherben ein (§ 2106 Abs. 1 BGB), geht das Vermögen nicht auf die Erben des ersten Nacherben, sondern auf den zweiten Nacherben über. In den zeitlichen Grenzen des § 2109 BGB (Rz. 8.19) kann auch ein Dritter oder vierter Nacherbe eingesetzt werden. Anders als in anderen Rechtsordnungen ist die Zahl der Nacherbfolgen hier zu Lande nicht beschränkt4. Die Rechtsnachfolger können nicht nur nacheinander, sondern auch nebeneinander eingesetzt werden. Der Erblasser darf anordnen, dass einem Vorerben mehrere Nacherben folgen oder einem einzigen Nacherben mehrere Vorerben als Erbengemeinschaft (§§ 2032 ff. BGB) vorangehen. Bei der Nachfolgeplanung ist ferner zu bedenken, dass der Nacherbe durch vorzeitigen Tod oder Ausschlagung der Erbschaft wegfallen kann. Die Anordnung der Nacherbfolge wird gegenstandslos, der Vorerbe wider Erwarten zum Vollerben. Der Erblasser beugt dem dadurch vor, dass er einen Ersatznacherben beruft, der beim Wegfall des Nacherben an dessen Stelle tritt, § 2096 BGB. Eine schlüssige Berufung zu Ersatzerben kann sich aus § 2069 BGB für die Abkömmlinge des verstorbenen Nacherben ergeben, falls der Nacherbe seinerseits Abkömmling des Erblassers ist (Rz. 8.97).

1 Zu den einzelnen Fallgestaltungen beim Zusammentreffen von Nacherbeneinsetzung und Testamentsvollstreckung Erman/M. Schmidt, § 2222 Rz. 1; MüKo.BGB/Zimmermann, § 2222 Rz. 1. 2 BayObLG v. 12.7.1994 – 1Z BR 148/93, FamRZ 1995, 124 (126); Edenfeld, ZEV 2004, 141 (143); Kipp/ Coing, S. 277. 3 BayObLG v. 21.11.1989 – BReg. 1a Z 56/89, FamRZ 1990, 320 = NJW-RR 1990, 199 (200); Edenfeld, ZEV 2004, 141 (143); Soergel/Harder/Wegmann, Vor § 2100 Rz. 11. 4 Zur zeitlichen Erbenbindung im BGB und anderen europäischen Staaten Edenfeld, DNotZ 2003, 4 (7 ff.).

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8.15

§ 8 Rz. 8.16

Vor- und Nacherbschaft

c) Einsatz von Bedingungen und Befristungen

8.16 Ein beliebtes Gestaltungsmittel ist die bedingte (§§ 158, 2074, 2075 BGB) oder befristete (§ 163 BGB) Vor- und Nacherbschaft1. Für die Vorerbschaft ist die auflösende Befristung oder Bedingung begriffsnotwendig. Der Erblasser bestimmt den Zeitpunkt oder das Ereignis, zu dem der Nacherbfall eintreten soll, § 2106 Abs. 1 BGB. Er kann den Nacherben aufschiebend befristet (z.B. der Nacherbfall soll 15 Jahre nach dem Erbfall eintreten) oder aufschiebend bzw. auflösend bedingt (z.B. Tod oder Wiederheirat des Vorerben, Berufsabschluss des Nacherben) einsetzen. Dass derartige Bedingungen zulässig sind, wird in §§ 2108 Abs. 2 S. 2, 2074 BGB vorausgesetzt. Der Erblasser darf den Eintritt der Vorerbschaft davon abhängig machen, dass der Vorerbe bestimmte Voraussetzungen (Volljährigkeit, Berufsabschluss o.Ä.) erfüllt. Liegen sie nicht vor, wird der Nacherbe schon mit dem Erbfall Erbe, es sei denn, der Erblasser hat einen Ersatzvorerben bestimmt, § 2096 BGB.

8.17 Auch der Nacherbe kann auflösend oder aufschiebend bedingt bzw. befristet eingesetzt sein, §§ 158, 163, 2074, 2075 BGB. Gängige Formeln sind Tod, Wiederheirat und Berufsabschluss des Berufenen. Manche Erblasser versuchen Einfluss auf das Verhalten des Nacherben zu nehmen, indem sie den Eintritt des Nacherbfalls an seine Kinderlosigkeit, „gute Führung“ oder die (Nicht-)Vornahme einer bestimmten Handlung knüpfen. Das wird gemeinhin als zulässig angesehen2. Im Hinblick auf das beeinträchtigte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Erben ist die Testierfreiheit des Erblassers jedoch beschränkt. Die „Herrschaft aus dem Grabe“ hat Grenzen3. Der Erblasser darf den Eintritt der Nacherbschaft allerdings davon abhängig machen, dass der Vorerbe nicht anderweitig letztwillig über die Erbschaft verfügt4. Hierin ist kein Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB zu sehen, auch wenn sich der Vorerbe durch die Gestaltung seiner letztwilligen Verfügung zum Vollerben machen kann. Bedenklich wird es, wenn der Vorerbe Einfluss auf die Wahl desjenigen erhält, dem die Erbschaft endgültig zufällt, etwa durch die Klausel, der Vorerbe dürfe aus mehreren Nacherben eine Person zum alleinigen Nacherben ernennen oder die Erbquoten nachträglich ändern. Die herrschende Meinung hält aber auch das für zulässig5.

8.18 Häufigster Anwendungsfall der bedingten oder befristeten Vor- und Nacherbschaft ist die Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament (dazu Rz. 11.85 ff.). Nach der Einheitslösung wird der überlebende Ehegatte mit dem Tod seines Ehepartners Vollerbe, § 2269 Abs. 1 BGB. Die Kinder sind hinsichtlich des gesamten elterlichen Nachlasses Schlusserben. Das gilt so lange, bis der überlebende Ehegatte wieder heiratet. In diesem Fall verliert er seine Alleinerbenstellung. Sie ist auflösend bedingt durch die Eingehung einer neuen Ehe, §§ 2075, 158 Abs. 2 BGB. Zugleich ist aufschiebend bedingt eine Vor- und Nacherbfolge angeordnet, §§ 2074, 158 Abs. 1 BGB. Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, treten beide Bedingungen ein. Tritt der Nacherbfall nicht erst mit dem Tod des Vorerben, sondern schon mit der Wiederheirat ein, werden die Kinder sofort mit der Wiederheirat endgültige Erben des verstorbenen Elternteils, § 2139 BGB. Zur Umgehung der Wiederverheiratungsklausel durch Verzicht auf die Eheschließung (nichteheliche Lebensgemeinschaft) Rz. 8.37.

1 Vgl. etwa BayObLG v. 2.2.2004 – 1Z BR 43/03, ZEV 2005, 27 zum Eintritt des Nacherbfalls wegen Nichteinhaltung einer testamentarisch angeordneten Bauverpflichtung. 2 MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 12; Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 6. 3 Näher Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935 (1999), S. 575 ff. 4 BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (36 f.); BGH v. 14.7.1972 – V ZR 124/70, BGHZ 59, 220 (222); OLG Oldenburg v. 6.11.1990 – 5 U 50/90, MDR 1991, 539 = FamRZ 1991, 862 = NJW-RR 1991, 646; OLG Hamm v. 24.8.1999 – 15 W 218/99, FamRZ 2000, 446 = ZEV 2000, 197 (198); Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 6. 5 BGH v. 14.7.1972 – V ZR 124/70, BGHZ 59, 220 (222); OLG Oldenburg v. 6.11.1990 – 5 U 50/90, MDR 1991, 539 = FamRZ 1991, 862 = NJW-RR 1991, 646; OLG Hamm v. 24.8.1999 – 15 W 218/99, FamRZ 2000, 446 = ZEV 2000, 197 (198) m. Anm. Loritz; OLG München v. 27.1.2016 – 31 Wx 168/15, ZEV 2016, 390; a.A. Brox, Festschrift für Bartholomeyczik (1973), S. 41, 52 f.; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 13.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.20 § 8

d) Ausschöpfung des zeitlichen Rahmens Die postmortale Herrschaft des Erblassers ist nicht grenzenlos. Seine „kalte Hand“ soll die Erben nicht ewig, sondern nur über die mittlere zeitliche Dauer einer Generation binden. Darum bestimmt § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB, dass die Einsetzung eines Nacherben mit dem Ablauf von dreißig Jahren nach dem Erbfall unwirksam wird, wenn nicht zuvor die Nacherbfolge eingetreten ist. Die Bindung der Nacherben kann auch bei gestaffelter Nacherbfolge die Gesamtfrist von 30 Jahren grundsätzlich nicht überschreiten. Nach Ablauf der Frist wird der Nachlass frei. Der Vorerbe darf als Vollerbe verfügen. Allerdings macht § 2109 Abs. 1 S. 2 BGB davon eine Ausnahme, durch die die Dreißigjahresfrist ähnlich wie in den Fällen der §§ 2044 Abs. 2 S. 2, 2163, 2210 S. 2 BGB erheblich überschritten werden kann. Die Nacherbeinsetzung bleibt auch nach Ablauf der Dreißigjahresfrist wirksam, wenn die Nacherbfolge für den Fall angeordnet ist, dass in der Person des Vorerben oder des Nacherben ein bestimmtes Ereignis eintritt, und derjenige, in dessen Person das Ereignis eintreten soll, zur Zeit des Erbfalls lebt, § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB. Nur bei juristischen Personen, die keines natürlichen Todes sterben, bleibt es bei der dreißigjährigen Frist, § 2109 Abs. 2 BGB. Damit lassen sich in der Praxis jahrzehntelange Bindungen erzielen:

8.19

Beratungssituation: Der Erblasser bestimmt im Jahr 1946, dass sein Sohn zeitlebens Vorerbe und sein Enkel Nacherbe sein soll. Der Erblasser verstirbt 1950. Sein Sohn ist zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt. Dieser stirbt Anfang 2010 und hinterlässt einen 15 Jahre alten Enkel.

Die Dreißigjahresfrist endete 1980. Nach der Grundregel des § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB konnte später kein Nacherbfall mehr eintreten; der bisherige Vorerbe wurde Vollerbe. Dennoch trat Anfang 2010 der Nacherbfall ein. Er beruht auf der gesetzlichen Ausnahme. Der Sohn lebte zur Zeit des Erbfalls (1940). Die Nacherbfolge ist für den Fall angeordnet, dass in seiner Person der Tod als bestimmtes Ereignis eintritt, § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB. Die Nacherbfolge erfasst damit auch noch die nächste Generation. Die Dreißigjahresfrist verdoppelt sich auf 60 Jahre. Wird der Enkel 70 Jahre alt1, setzt sich der Erblasserwille von 1946 bis ins Jahr 2065 durch. Die Auswirkungen der Vor- und Nacherbfolge dauern weit über 100 Jahre. Eine derart langfristige „Herrschaft aus dem Grabe“ ist bedenklich2. Der Erblasser kann die jahrzehntelange Bindung noch verstärken, indem er mehrere Nacherbfolgen hintereinander staffelt und zusätzlich eine Testamentsvollstreckung anordnet: Beratungssituation: Der Erblasser setzt im Jahr 1979 den jeweils ältesten Sohn der folgenden Generation zum Erben auf Lebenszeit ein. Dieser wird jeweils nur Vorerbe. Die Nacherbfolge soll so lange dauern, wie es das Gesetz zulässt, mindestens aber 30 Jahre nach dem Erbfall. Der Nacherbfall tritt jeweils ein, wenn ein Vorerbe stirbt. Zugleich ordnet der Erblasser eine umfassende Testamentsvollstreckung (§§ 2209, 2222 BGB) nebst Erbteilungsverbot an. Sie soll die gesamte Zeit der Vor- und Nacherbschaft überdauern. Jeder Testamentsvollstrecker ernennt vor seinem Tod einen Nachfolger. Als der Erblasser 1982 stirbt, hinterlässt er einen Sohn und einen soeben geborenen Enkel. Der Sohn verunglückt 2003. Der Enkel erkundigt sich, ob er nach Ablauf der Dreißigjahresfrist (2012) Vollerbe geworden ist. Die Frage ist zu verneinen. Der Sohn starb 2003. Der 1. Nacherbfall trat innerhalb der Dreißigjahresfrist ein, die testamentarische Anordnung ist schon deshalb wirksam, § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Enkel ist Nacherbe. Er ist aber zugleich wiederum Vorerbe, weil er zur Zeit des Erbfalls lebte. Für den Fall seines Ablebens ist eine weitere Nacherbschaft verfügt. Damit tritt auch nach Ablauf der Dreißigjahresfrist der 2. Nacherbfall ein, § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB. Erst der Urenkel wird letzter Nacherbe. Er ist nach dem Erbfall (1982) geboren, die zeitliche Koexistenz mit dem Erblasser fehlt. Sein Tod löst keinen weiteren Nacherbfall mehr aus. Bei langer Lebensdauer der Beteiligten (2. Nacherbfall um das Jahr 2060) erstreckt sich die zeitliche Bindung bis ins 22. Jahrhundert.

1 Er muss als letzter Nacherbe nicht zur Zeit des Erbfalls gelebt haben. Es genügt, wenn er bei Eintritt des ihn betreffenden Nacherbfalls gezeugt ist, §§ 2101 Abs. 1, 2108, 1923 Abs. 2 BGB. 2 Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 12 ff.

Edenfeld

271

8.20

§ 8 Rz. 8.21

Vor- und Nacherbschaft

8.21 Hinzu kommt, dass der Testamentsvollstrecker während der gesamten Vor- und Nacherbschaft den Nachlass verwaltet, §§ 2205, 2209 BGB. Er nimmt die Rechte der Nacherben gegenüber den Vorerben wahr, § 2222 BGB. Die Vorerben sind in ihrer Verfügungsbefugnis beschränkt, § 2211 BGB. Die Testamentsvollstreckernachfolge ist gesichert. Es können so lange neue Testamentsvollstrecker ernannt werden, wie sie mit dem Erblasser zeitlich koexistieren, § 2210 S. 2 BGB1. Diese zulässige2 Kombination von allgemeiner Dauervollstreckung und Nacherbentestamentsvollstreckung verschafft dem Verwalter eine enorme Machtfülle. Er ist Treuhänder des Familienbesitzes und beaufsichtigt die zur Erbfolge Berufenen. Sowohl Vor- als auch Nacherben haben keine Möglichkeit, sich über den Erblasserwillen hinwegzusetzen. Da der Testamentsvollstrecker an das Erbteilungsverbot gebunden ist (§§ 2044 Abs. 1, 2204 Abs. 1 BGB), bleibt der Nachlass als Ganzes erhalten. Keiner der Erben wird zu Lebzeiten je über das ihm angefallene Vermögen verfügen. Noch der 3. Erbengeneration sind die Hände gebunden. Sie ist wie ihre Vorgänger Nießbraucherin eines fremd verwalteten Sondervermögens. Eine derart langfristige „Herrschaft der kalten Hand“ ist bedenklich3. 3. Die Auslegung der Verfügung von Todes wegen

8.22 Ob und in welchem Umfang eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet ist, welche Personen berufen sind und wann der Nacherbfall eintritt, lässt sich nicht immer leicht feststellen. Der Wille des Erblassers muss vorrangig durch Auslegung der letztwilligen Verfügung nach allgemeinen Grundsätzen ermittelt werden, § 133 BGB (Rz. 8.23 ff.)4. Erst wenn der maßgebliche Inhalt der Verfügung nicht zweifelsfrei feststeht, kommen die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB zum Zuge (Rz. 8.30 ff.). a) Ermittlung des Erblasserwillens

8.23 Beratungssituation: Der Sohn der Erblasserin legt ein Testament seiner Mutter vor, in dem es heißt: „Mein Sohn erbt das Wohnhaus. Er darf es nur an seine Abkömmlinge übergeben und nicht letztwillig darüber verfügen.“ Wie ist der letzte Wille zu beurteilen, wenn das Hausgrundstück den wesentlichen Teil der Erbschaft ausmacht?

8.23a Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft wird nicht allein nach der Formulierung der letztwilligen Verfügung bestimmt. Der Wortlaut ist nur eines von mehreren Auslegungskriterien. Selbst wenn in einem notariellen Testament die Worte „Vor- und Nacherbe“ verwendet werden, spricht das nicht zwingend für eine Vor- und Nacherbfolge. Es kann im Einzelfall auch eine Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB), Testamentsvollstreckung (§§ 2205, 2209 BGB) oder ein Berliner Testament (§ 2269 BGB; Rz. 8.27) gemeint sein. Andersherum kann eine Vor- und Nacherbfolge auch dann gewollt sein, wenn der Erblasser diese Ausdrücke nicht verwendet5. Entscheidend ist, dass er sein Vermögen zwei oder mehr Personen zeitlich nacheinander zuwenden will6. Der zunächst Berufene kann durchaus eine freie Stellung haben, § 2136 BGB. Es braucht nicht gewährleistet zu sein, dass der spätere Erbe noch Vermögenswerte im Nachlass vorfindet. Die Nacherbeneinsetzung setzt allerdings einen Rechtsbin-

1 § 2199 Abs. 2 BGB verschafft dem Erblasser nicht das Recht, die Dauervollstreckung durch stete Nachfolgerernennung zu verewigen. Auch der jeweilige Testamentsvollstrecker muss zum Zeitpunkt des Erbfalls gelebt haben, MüKo.BGB/Zimmermann, § 2210 Rz. 6; Soergel/Damrau, § 2210 Rz. 2; Kipp/Coing, S. 396 f.; a.A. BGB-RGRK/Kregel, § 2210 Rz. 2: Der Nachfolger muss innerhalb der Dreißigjahresfrist ernannt sein. 2 BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, BGHZ 127, 360 (363) = MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 m. Anm. Skibbe, ZEV 1995, 69; Staudinger/Reimann, § 2222 Rz. 4, 18. 3 Edenfeld, DNotZ 2003, 4 (12 ff.). 4 Zum erforderlichen Rechtsbindungswillen des Erblassers bei Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff. 5 KG v. 17.10.1986 –1 W 732/85, OLGZ 1987, 1 f.; Staudinger/Avenarius, § 2100 Rz. 14. 6 BGH v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LM Nr. 1 zu § 2100 BGB; zur gleichzeitigen Voll- und Vorerbschaft OLG Celle v. 4.10.2012 – 6 W 180/12, FamRZ 2013, 660 = ZEV 2013, 40 m. Anm. Weidlich.

272

Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.26 § 8

dungswillen des Erblassers1 voraus. Die zum Ausdruck kommende Erwartung, die Erbschaft werde in seinem Sinne weitervererbt werden, genügt nicht. Der moralische Appell macht den Dritten nicht zum Nacherben. Hält sich der Erbe an den Wunsch des Erblassers, wird der Dritte Erbe des Erben und nicht – wie im Fall der Nacherbfolge (Rz. 8.1) – Erbe des Erblassers. In der obigen Beratungssituation wollte die Erblasserin erreichen, dass ihr Sohn den Grundbesitz nur 8.24 bis zu seinem Ableben nutzen und nicht frei darüber verfügen können soll. Das Vermögen soll letztlich den Enkeln zukommen. Dieser im Testament zum Ausdruck gelangten Vorstellung wird am ehesten die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft gerecht2. Auch in folgenden Fällen hat die Rechtsprechung eine Nacherbeinsetzung angenommen: – Einsetzung zum „Alleinerben“, wenn sich aus der letztwilligen Verfügung eine nacherbenähnliche Bindung ergibt3. In der Regel ist mit Begriffen wie „Universal-“, „Haupt-“ oder „Vollerbe“ jedoch keine Vorerbschaft gemeint, solange der Erblasser nicht auf einzelne Rechtsfolgen der §§ 2100 ff. BGB Bezug nimmt. – Einsetzung zum „Ersatzerben“4. Rechtsunkundigen ist der Unterschied zwischen Ersatz- und Nacherbschaft oft nicht geläufig. Vor allem bei einer bedingten Erbeinsetzung (Rz. 8.16) ist häufig eine Nacherbfolge (mit)gemeint. Nur wenn zweifelhaft bleibt, ob jemand als Ersatz- oder Nacherbe eingesetzt ist, gilt er als Ersatzerbe, § 2102 Abs. 2 BGB. – Einsetzung als „Schlusserbe“, wenn der zunächst Berufene nach seiner Rechtsmacht nur Vorund nicht Vollerbe ist (Rz. 8.27) – Verbot, den Nachlass an andere als die angegebenen Personen („Blutsverwandte“; „leibliche Abkömmlinge“) weiterzuvererben5. Dabei ist zu beachten, dass der Erblasser dem Vorerben nicht die Auswahl des Nacherben überlassen darf (§ 2065 Abs. 2 BGB; Rz. 8.17). Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung zwischen Vorerbschaft und Nießbrauch (§ 1089 BGB), weil der Vorerbe dem Nießbraucher wirtschaftlich nahesteht. Auch hier entscheidet nicht die vom Erblasser verwendete Terminologie. Ausschlaggebend für die Vorerbschaft ist, dass der Bedachte mit gewissen Einschränkungen eigenverantwortlicher Herr des Nachlasses wird. Soll er dagegen keine nennenswerte Verwaltungs- oder Verfügungsmacht über den Nachlass ausüben, liegt regelmäßig ein Nießbrauchsvermächtnis vor6.

8.25

Für den Erblasser spielen nicht selten erbschaftsteuerliche Erwägungen eine Rolle: Beim Nieß- 8.26 brauch ergibt sich nur ein einziger Erbfall. Der Nachlass wird auf den oder die Erben und den Nießbraucher verteilt. Sie profitieren von mehrfachen Freibeträgen und günstigeren Steuersätzen. Anders ist es bei der Vor- und Nacherbschaft. Der Vorerbe gilt als Vollerbe, § 6 Abs. 1 ErbStG. Er hat die Erbschaftsteuer aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten, § 20 Abs. 4 ErbStG, ohne dass die für ihn in der Nacherbschaft liegende Beschränkung steuerlich berücksichtigt wird. Der Nacherbe hat den Nachlass als vom Vorerben stammend nochmals zu versteuern, § 6 Abs. 2 ErbStG. Diese steuerrechtlichen Konsequenzen sind im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. So kann der Wunsch des

1 Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff.; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 7; Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 2. 2 Vgl. BayObLG v. 30.12.1985 – BReg. 1Z 96/85, FamRZ 1986, 608; BayObLG v. 13.12.1989 – BReg. 1a Z 78/89, FamRZ 1990, 562; Soergel/Harder/Wegmann, § 2100 Rz. 8. 3 RG v. 3.4.1939 – IV 165/38, RGZ 160, 109 (111); BayObLG v. 8.2.1966 – BReg. 1a Z 64/65, NJW 1966, 1223. 4 BGH v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LM Nr. 1 zu § 2100 BGB. Zur Abgrenzung zwischen Vorerbschaft und Ersatzerbschaft OLG Hamm v. 18.7.2013 – I-15 W 88/13, NJW-RR 2014, 9. 5 BayObLG v. 22.8.1958 – BReg. 1Z 156/57, BayObLGZ 1958, 226. 6 BGH v. 14.6.1951 – IV ZR 10/50, LM Nr. 2 zu § 2100 BGB; BayObLG v. 7.11.1980 – 1Z 64/80, RPfleger 1981, 64; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 10.

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273

§ 8 Rz. 8.27

Vor- und Nacherbschaft

Erblassers, den wiederholten Anfall von Erbschaftsteuer bei der Vor- und Nacherbschaft zu vermeiden, für ein Nießbrauchsvermächtnis sprechen1. Er liegt gerade bei größeren Erbschaften nahe.

8.27 Auch beim gemeinschaftlichen Testament entstehen oft Abgrenzungsprobleme (dazu unten Rz. 8.30 ff.). Die Ehegatten bedenken sich gegenseitig und bestimmen, dass der Nachlass des Überlebenden an einen Dritten – meist die gemeinsamen Kinder – fällt. Hier muss durch Auslegung ermittelt werden, ob der überlebende Ehegatte Vollerbe (§ 2269 BGB) oder nur Vorerbe sein soll. Beratungshinweis: Um Unsicherheiten über die Schluss- oder Nacherbenstellung der Kinder zu vermeiden, sollte aus der Testamentsgestaltung eindeutig hervorgehen, dass eine Vor- und Nacherbfolge im Sinne der §§ 2100 ff. BGB beabsichtigt ist. Bezeichnen sich die Ehegatten in ihrem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament als „Vorerben“ und ihre gemeinsamen Kinder als „Nacherben“, ist damit nicht unbedingt die Vor- und Nacherbschaft gewollt2. Laien verstehen diese Begriffe oft dahin gehend, dass damit jeder gemeint ist, der vor oder nach jemand anderem erbt. Es kann auch eine doppelte Vollerbschaft beabsichtigt sein, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, dass das Vermögen der Eheleute als wirtschaftliche Einheit erhalten bleiben und der längerlebende Partner von Bindungen zugunsten späterer Erben frei sein soll. Umgekehrt kann in der Einsetzung als „Schlusserbe“ auch eine Einsetzung als Nacherbe liegen. Bei begründeten Zweifeln an der richtigen Verwendung der Rechtsbegriffe gilt die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB. Sie führt zum Berliner Testament.

Die Grundformel für eine Vor- und Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament lautet:

8.28 M 26 Anordnung einer Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben des erstversterbenden Ehegatten und zugleich Erben des Längerlebenden sind beim Tod des Letztversterbenden (Nacherbfall) unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Stirbt eines unserer Kinder nach dem Tod des Ersten, aber vor dem zweiten Ehegatten, treten seine Abkömmlinge an seine Stelle.

8.29 Rechtliche Konsequenz: Verstirbt der erste Ehepartner, darf der Überlebende als Vorerbe über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen, sofern sich nicht aus den Beschränkungen der §§ 2113 bis 2115 BGB ein anderes ergibt (§ 2112 BGB; Rz. 8.40 ff., 8.127 ff.). Nach § 2113 Abs. 1 BGB sind Verfügungen des Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück bei Eintritt des Nacherbfalls insoweit unwirksam, als sie das Recht der Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Ferner darf der überlebende Ehegatte grundsätzlich nichts aus dem Nachlass seines verstorbenen Partners verschenken, § 2113 Abs. 2 BGB. Die Verwirklichung von Grundpfandrechten unterliegt Beschränkungen, § 2114 BGB. Hinzu kommen Verwaltungs-, Auskunfts- und Sorgfaltspflichten des Vorerben, §§ 2116 ff. BGB. Den zur Nacherbfolge berufenen Abkömmlingen wird die Vermögensmasse weitgehend erhalten. Sie erlangen mit dem Tod des ersten Ehegatten ein vererbliches und veräußerliches Anwartschaftsrecht3. Die Einsetzung der Kinder als Nacherben enthält im Zweifel ihre Einsetzung als Ersatzerben, § 2102 BGB (Rz. 8.31)4. 1 BayObLG v. 1.4.1960 – BReg. 1Z 81/59, NJW 1960, 1765; Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 3; Petzold, BB 1975 Beilage 6, S. 5 ff.; zur Festsetzung der Erbschaftsteuer für den Vorerbfall nach dem Tod des Vorerben BFH v. 13.4.2016, ZEV 2016, 463; zur Freistellung des Vorerben von Erbschaftsteuerkosten OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2015 – 16 U 193/14, ZEV 2016, 271. 2 BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277 (278); BayObLG v. 7.8.1990 – BReg. 1a Z 32/90, MDR 1990, 1118 (1119); OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 153/95, FamRZ 1996, 1567 = ZEV 1996, 310 (311); Erman/Kappler/Kappler, § 2269 Rz. 9. 3 BGH v. 9.6.1983 – IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367 (369) = MDR 1983, 839 = FamRZ 1983, 809, 882; BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456. 4 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (174); RG v. 11.3.1942 – IV B 5/42, RGZ 169, 38 (39); BGH v. 28.10.1998 – IV ZR 275/97, ZEV 1999, 26. Zur Auslegung, wenn die gemeinsamen Abkömmlinge als „Nacherben des Letztversterbenden“ eingesetzt sind, MüKo.BGB/Grunsky, § 2102 Rz. 3.

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.34 § 8

b) Gesetzliche Auslegungsregeln für die Vor- und Nacherbfolge Lässt sich der Erblasserwille nicht zweifelsfrei feststellen, kommen die gesetzlichen Auslegungsregeln der Vor- und Nacherbfolge (§§ 2101 ff. BGB) zur Anwendung. Setzt der Erblasser eine zur Zeit des Erbfalls noch nicht erzeugte Person als Erben ein (vgl. die Beratungssituation in Rz. 8.7), ist die Verfügung von Todes wegen eigentlich unwirksam. Nach § 1923 BGB ist nur derjenige erbfähig, der im Zeitpunkt des Erbfalls lebt oder zumindest erzeugt ist. Die Auslegungsregel des § 2101 Abs. 1 S. 1 BGB erhält die letztwillige Verfügung durch Umdeutung in eine Nacherbfolge aufrecht: Der noch nicht Erzeugte wird Nacherbe. Er muss lediglich zur Zeit des Nacherbfalls erzeugt sein, §§ 2108 Abs. 1, 1923 Abs. 2 BGB. Ihm kann für die Zeit bis zum Eintritt der Nacherbfolge ein Pfleger bestellt werden, § 1913 S. 2 BGB. Seine Einsetzung als Nacherbe ist nur unwirksam, wenn sich durch Auslegung ermitteln lässt, dass der Erblasser keine Nacherbschaft gewollt hat, § 2101 Abs. 1 S. 2 BGB. Vorerben werden nach § 2105 Abs. 1 BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls (Rz. 8.35). Der Nacherbfall tritt im Zweifel mit der Geburt des Nacherben ein (§ 2106 Abs. 2 S. 1 BGB; Rz. 8.36). Der Vorerbe wird endgültiger Erbe, wenn der Bedachte nicht mehr geboren werden kann oder die Frist des § 2109 BGB abgelaufen ist. Entsprechendes gilt für die Erbeinsetzung einer juristischen Person, die erst nach dem Erbfall zur Entstehung gelangt, § 2101 Abs. 2 BGB.

8.30

§ 2102 Abs. 1 BGB bestimmt, was gelten soll, wenn der zuerst Berufene nicht Erbe wird, weil er die Erbschaft ausschlägt oder vorverstirbt. Das Gesetz vermutet, dass der Erblasser den als Nacherben Eingesetzten im Zweifel auch als Ersatzerben einsetzen will. § 2102 Abs. 2 BGB trägt dem Umstand Rechnung, dass die Position des Ersatzerben schwächer ist als die des Nacherben. Der erstberufene Erbe ist im Zweifel nicht mit einer Nacherbschaft belastet. Zur Stellung des Ersatznacherben Rz. 8.106 ff.

8.31

Beratungssituation: Der Erblasser hat seinen Bruder zum Vorerben und seine Nichte zur Nacherbin eingesetzt. Er verstirbt Anfang 2017. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Bruder schon zwei Jahre tot. Die Nichte fragt, ob und in welchem Umfang sie ihren Onkel beerbt hat.

Der Erblasser hat seinen Bruder überlebt. Dieser kann nicht mehr Vorerbe werden, § 1923 Abs. 1 BGB. Die Vor- und Nacherbfolge ist hinfällig. Der Wegfall des Vorerben bedeutet jedoch nicht, dass auch die Nichte nicht mehr erbt. Die Einsetzung als Nacherbe enthält im Zweifel die Einsetzung als Ersatzerbe, §§ 2102 Abs. 1, 2096 BGB. Die Nichte tritt als Ersatzerbin an die Stelle des vorverstorbenen Vorerben. Sie wird nicht Nacherbin, sondern mit dem Erbfall Vollerbin ihres Onkels. In letztwilligen Verfügungen findet sich gelegentlich die laienhafte Formulierung, dass der Erbe die 8.32 Erbschaft mit dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses an einen anderen „herauszugeben“ habe. § 2103 BGB deutet das als Vor- und Nacherbfolge. Die Auslegung kann auch hier zu einem anderen Ergebnis führen. So fehlt es bei der Anordnung der „sofortigen“ Herausgabe an einer zumindest vorübergehenden Vorerbenstellung. Die Verfügung ist widersprüchlich, kann aber als sofortige Erbeinsetzung des Dritten verbunden mit der Ernennung des Erstberufenen zum Testamentsvollstrecker zu werten sein1. Die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge setzt voraus, dass der Erblasser einen Vor- und Nacherben einsetzt (Rz. 8.8 f.). Hat er es unterlassen, seine Rechtsnachfolger näher zu bestimmen, und bleibt die Willenserforschung ergebnislos, droht die Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung. Um das zu vermeiden, muss die fehlende Benennung des Vor- oder Nacherben ersetzt werden. Die §§ 2104, 2105 BGB ermöglichen eine konstruktive Vor- bzw. Nacherbfolge. Sie kommt in Betracht, wenn zumindest ein Bedachter feststeht. Sonst ist die Verfügung unwirksam.

8.33

Hat der Erblasser angeordnet, dass der Erbe nur bis zum Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses Erbe sein soll, ohne festzulegen, wer alsdann die Erbschaft erhält, so ist nach § 2104 S. 1 BGB anzunehmen, dass als Nacherben diejenigen eingesetzt sind, welche die gesetzlichen Erben des Erblassers sein würden, wenn er zur Zeit des Eintritts des Zeitpunkts oder des Ereignisses gestorben

8.34

1 Palandt/Weidlich, § 2103 Rz. 2; Soergel/Harder/Wegmann, § 2103 Rz. 2.

Edenfeld

275

§ 8 Rz. 8.35

Vor- und Nacherbschaft

wäre. Die unvollständige Verfügung wird dahingehend ergänzt, dass die gesetzlichen Erben Nacherben sind. Der Fiskus gehört nicht dazu, § 2104 S. 2 BGB. Es handelt sich um eine gewillkürte Erbeinsetzung. An der Nacherbeneinsetzung fehlt es auch, wenn jemand zwar zunächst ernannt ist, die Ernennung aber durch durchstreichen (§ 2255 BGB) widerrufen wird, sofern die Nacherbfolge nicht insgesamt widerrufen werden sollte1. Für die Auslegungsregel ist dagegen kein Raum, wenn der Erblasser zwar einen Nacherben eingesetzt hat, diese Einsetzung aber wegen Formfehlers oder erfolgreicher Testamentsanfechtung unwirksam ist. Der Fall, dass dem Nacherben die Erbschaft nicht anfällt, kann dem anfänglichen Fehlen der Nacherbenberufung nicht gleichgesetzt werden2. Die Anwendbarkeit des § 2104 BGB ist ferner zweifelhaft, wenn es der Erblasser unter Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB dem Vorerben überlassen hat, den Nacherben zu bestimmen (vgl. Rz. 8.7)3. Das ergibt sich schon daraus, dass der vom Erblasser benannte Personenkreis selten mit den gesetzlichen Erben übereinstimmt.

8.35 Hat der Erblasser angeordnet, dass der eingesetzte Erbe die Erbschaft erst mit dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses erhält, ohne festzulegen, wer bis dahin Erbe ist, so sind nach § 2105 Abs. 1 BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers Vorerben (vgl. die Beratungssituation in Rz. 8.7). Dadurch wird eine unserem Erbrecht fremde „ruhende Erbschaft“ vermieden. Der Nachlass wird trotz fehlender Vorerbenbestimmung zwischen Erbfall und Nacherbfall nicht herrenlos. Der Anwendungsbereich der Vorschrift entspricht weitgehend dem des § 2104 BGB, wobei auch der Fiskus gesetzlicher Erbe (§§ 1936, 1942 Abs. 2 BGB) und damit Vorerbe sein kann. Der Kreis der gesetzlichen Erben richtet sich nach dem Zeitpunkt des Erbfalls4. Bis zum Eintritt des Nacherbfalls hinzukommende Personen werden nicht Mitvorerben, selbst wenn sie beim Vorhandensein zur Zeit des Erbfalls zu den Vorerben gehört hätten. Stirbt ein nach § 2105 Abs. 1 BGB zum Vorerben Berufener nach dem Erbfall, geht die Vorerbenstellung auf seine Erben über. § 2105 Abs. 2 BGB enthält die zu § 2101 BGB notwendige Ergänzung.

8.36 Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft setzt ferner voraus, dass der Erblasser bestimmt, wann der Nacherbfall eintreten soll (Rz. 8.10). Hat er das versäumt und lässt sich sein wirklicher Wille nicht mehr ermitteln, füllt § 2106 Abs. 1 BGB die entstandene Lücke aus. Dem Nacherben fällt die Erbschaft mit dem Tod des Vorerben an. Der Erblasser darf die Entscheidung keiner anderen Person (Vorerbe, Testamentsvollstrecker etc.) überlassen, § 2065 BGB5. Tut er es gleichwohl, muss durch Auslegung erforscht werden, ob der Tod des Vorerben maßgeblich oder die Nacherbfolge unwirksam sein soll. Davon abgesehen hat der Erblasser Gestaltungsfreiheit (Rz. 8.12 ff.). § 2106 Abs. 2 BGB enthält die zu § 2101 BGB notwendige Ergänzung (vgl. die Beratungssituation in Rz. 8.7).

8.37 Führt der Nacherbe den Nacherbfall – etwa durch Tötung des Vorerben – treuwidrig herbei, fällt ihm die Erbschaft in entsprechender Anwendung des § 162 Abs. 2 BGB nicht an6. Wem die Erbschaft endgültig verbleibt, muss durch Testamentsauslegung geklärt werden. Umgekehrt tritt der Nacherbfall auch dann ein, wenn der Vorerbe dessen Eintritt wider Treu und Glauben verhindert, § 162 Abs. 1 BGB analog. Dabei ist allerdings Zurückhaltung geboten. Verzichtet der überlebende Ehegatte zur Umgehung der Wiederverheiratungsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament auf die erneute Eheschließung (als vorgesehener Nacherbfall, Rz. 8.18) und geht stattdessen eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft ein, greift § 162 BGB in aller Regel nicht. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur,

1 BayObLG v. 5.3.1991 – BReg. 1a Z 13/90, FamRZ 1991, 1114. 2 H.M.: BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, MDR 1986, 653 = FamRZ 1986, 462 = NJW 1986, 1812; MüKo.BGB/Grunsky, § 2104 Rz. 3. 3 So auch MüKo.BGB/Grunsky, § 2104 Rz. 3a gegen OLG Hamm v. 6.7.1995 – 15 W 172/95, MDR 1995, 1237 = FamRZ 1996, 378 = NJW-RR 1995, 1477. 4 Erman/M. Schmidt, § 2105 Rz. 5; Palandt/Weidlich, § 2105 Rz. 1. 5 BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, BGHZ 15, 199; Erman/M. Schmidt, § 2106 Rz. 3. 6 BGH v. 10.6.1968 – III ZR 67/66, NJW 1968, 2051; Erman/M. Schmidt, § 2106 Rz. 1.

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.40 § 8

wenn die Auslegung der Wiederverheiratungsklausel ergibt, dass der Nacherbfall mit jeder neuen Partnerschaft unabhängig von der Eheschließung eintreten soll1. Hat der Erblasser einem Abkömmling, der zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung keinen 8.38 Abkömmling hat oder von dem der Erblasser zu dieser Zeit nicht weiß, dass er einen Abkömmling hat, für die Zeit nach dessen Tod einen Nacherben bestimmt, so ist nach § 2107 BGB anzunehmen, dass der Nacherbe nur für den Fall eingesetzt ist, dass der Abkömmling ohne Nachkommenschaft stirbt. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Erblasser den Nachlass regelmäßig in der Familie halten und die künftigen Nachkommen eines von ihm bedachten (Enkel-)Kindes nicht zugunsten Dritter vom Familienvermögen ausschließen will. Hinterlässt der Vorerbe Abkömmlinge, entfällt die Nacherbeneinsetzung. Der Vorerbe wird rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erbfalls Vollerbe und kann den Nachlass an seine Abkömmlinge weitervererben. Der Wegfall der Nacherbfolge im Interesse der Abkömmlinge des Vorerben setzt nicht voraus, dass sie den Vorerben tatsächlich beerben und den Nachlass des Erblassers erhalten2. Es muss aber sichergestellt sein, dass die Nacherbschaft nicht auch für den Fall angeordnet ist, dass der Vorerbe eigene Nachkommen hinterlässt. Der Erblasserwille geht vor3. § 2110 BGB enthält Auslegungsregeln über den Umfang des Nacherbenrechts. Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser dem Nacherben im Zweifel den gesamten Nachlass zukommen lassen will. Der Nacherbe rückt in die volle Position des Vorerben ein. Hat dieser von dem Wegfall eines Miterben profitiert (§§ 1935, 2094, 2096 BGB), kommt das auch dem Nacherben zugute, § 2110 Abs. 1 BGB. Ein dem Vorerben zugewandtes Vorausvermächtnis (§§ 2150, 2174 BGB) unterliegt hingegen im Zweifel nicht der Nacherbschaft, § 2110 Abs. 2 BGB. Es bleibt im Vermögen des Vorerben, weil er den Gegenstand unabhängig von seinem Erbteil bekommen hat. Dem Erblasser ist es unbenommen, den Nacherben als Nach- oder Ersatzvermächtnisnehmer einzusetzen, §§ 2190, 2191 BGB. Steht die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge nach Inhalt und Umfang fest, ist die rechtliche Stellung des Vor- und Nacherben zu ermitteln.

8.39

III. Rechtliche Stellung des Vorerben Beratungssituation: Nach dem Tod ihres Mannes legt die Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament vor, in dem es heißt: „Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben des erstversterbenden Ehegatten und zugleich Erben des Längerlebenden sind beim Tod des Letztversterbenden unsere Kinder zu gleichen Teilen“ Die Mandantin erkundigt sich, was sie nun zu beachten habe.

Mit dem Erbfall ist der Nachlass der Ehefrau als Vorerbin angefallen. Sie wird Rechtsnachfolgerin ihres Mannes und hat die Erbschaft wie ein Vollerbe zu versteuern, § 6 Abs. 1 ErbStG. Die Erbschaftsteuer ist aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten, § 20 Abs. 4 ErbStG, ohne dass die in der Nacherbschaft bestehende Beschränkung steuerlich berücksichtigt werden kann (Rz. 8.26). Erst mit dem letztwillig vorgesehenen Ereignis (Tod des Vorerben, § 2106 Abs. 1 BGB) tritt der Nacherbfall ein. Die Frau hört auf, Vorerbin zu sein, und die Erbschaft fällt den Kindern als Nacherben an, § 2139 BGB. Im Zeitraum zwischen Erbfall und Nacherbfall stellt sich die Frage, inwieweit sie den Nachlass zu ihren Gunsten verwerten kann. Immerhin sind die Kinder endgültige Erben. Der Vorerbe soll lebzeitige Nutzungen aus der Erbschaft ziehen (§ 2111 Abs. 1 BGB), die Substanz aber den gemeinsamen Abkömmlingen erhalten bleiben. Mit dieser Zielsetzung regeln die §§ 2112 ff. BGB die Befugnisse des Vorerben im Verhältnis zu den Nacherben. Zwischen beiden besteht ein gesetzliches 1 MüKo.BGB/Grunsky, § 2106 Rz. 1. 2 BGH v. 24.10.1979 – IV ZR 31/78, MDR 1980, 294 = NJW 1980, 1276 (1277); Palandt/Weidlich, § 2107 Rz. 2. 3 BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 177/80, MDR 1982, 38 = FamRZ 1981, 1173 = NJW 1981, 2743 (2744); BayObLG v. 25.4.1991 – BReg. 1a Z 72/90, FamRZ 1991, 1234 = NJW-RR 1991, 1094; BayObLG v. 9.3.1992 – BReg. 1Z 51/91, NJW-RR 1992, 839 (840); OLG Nürnberg v. 22.10.2012 – 14 W 31/12, FamRZ 2013, 660 = NJW-RR 2013, 330.

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8.40

§ 8 Rz. 8.41

Vor- und Nacherbschaft

Schuldverhältnis1. Es verpflichtet den Vorerben zur ordnungsmäßigen Behandlung des Nachlasses im Interesse der Nacherben, § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Vorerbenstellung wird durch die beschränkte Verfügungsbefugnis über den Nachlass (Rz. 8.41 ff.) und die Rechte und Pflichten während der Nachlassverwaltung (Rz. 8.68 ff.) geprägt. Für den befreiten Vorerben gelten Besonderheiten (§ 2136 BGB; Rz. 8.81 ff.). 1. Verfügung über Nachlassgegenstände

8.41 Mit dem Erbfall wird der Vorerbe – wenn auch nur auf Zeit – Rechtsnachfolger des Erblassers. Er ist Eigentümer (§ 1922 BGB) und Besitzer (§ 857 BGB) der zum Nachlass gehörenden Sachen sowie Inhaber der vererblichen Rechte. Nach § 2112 BGB ist er berechtigt, über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände zu verfügen. Zum Schutz der Nacherben fällt jedoch alles das, was der Vorerbe durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erwirbt, kraft dinglicher Surrogation in den Nachlass, sofern der Erwerb dem Vorerben nicht als Nutzung gebührt (§ 2111 Abs. 1 S. 1 BGB; Rz. 8.120). Damit er den Nachlass nicht durch Verfügungen aufzehrt, unterliegt er ferner den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB (Rz. 8.42 ff.). Kann der Vorerbe wirksam verfügen, heißt das nicht, dass er es im Innenverhältnis zu den Nacherben auch darf. Läuft die Verfügung den Grundsätzen der ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses zuwider, macht er sich schadenersatzpflichtig, §§ 2130, 2131 BGB. Zum Schutz des Nacherben vor den Eigengläubigern des Vorerben vgl. § 2115 BGB (Rz. 8.127 ff.). a) Verfügungsbeschränkungen bei Grundstücken (§ 2113 Abs. 1 BGB)

8.42 Beratungssituation: In der Beratungssituation in Rz. 8.40 benötigt die Mandantin dringend Geld zur Sanierung des Hauses. Sie fragt, ob sie das Hausgrundstück mit einer kreditsichernden Grundschuld belasten oder die wertvolle Münzsammlung ihres Mannes, für die sie keine Verwendung mehr hat, veräußern darf.

8.42a Nach § 2113 Abs. 1 BGB ist die Verfügung des Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück bei Eintritt der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. Der Gesetzgeber betrachtet Grundstücksgeschäfte als besonders gefährlich. Sie sollen nicht ohne die Zustimmung des Nacherben wirksam sein, es sei denn, der Erblasser hat den Vorerben von der Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB befreit (§ 2136 BGB; Rz. 8.81).

8.43 Das Gesetz legt den rechtlichen Verfügungsbegriff zugrunde. Darunter fallen alle dinglich wirkenden Übertragungen, Belastungen, Inhaltsänderungen und die Aufgabe eines Grundstücksrechts. Dazu gehören auch die Bewilligung einer Vormerkung, die Bestellung eines Erbbaurechts und der Rangrücktritt bei einem Grundpfandrecht. Dass die Gegenleistung nach § 2111 BGB in den Nachlass fällt, ist unerheblich. Die Beeinträchtigung bestimmt sich allein nach rechtlichen und nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die Veräußerung oder Belastung eines Grundstücks ist selbst dann unwirksam, wenn der Vorerbe dafür einen angemessenen oder günstigen Preis erzielt. Die Eingehung schuldrechtlicher Verbindlichkeiten wird von §§ 2112, 2113 Abs. 1 BGB nicht berührt. Der Vorerbe kann sich ohne Zustimmung des Nacherben wirksam zur Verfügung über ein Nachlassgrundstück verpflichten2. Bleibt die Zustimmung des Nacherben aus, haftet der Vorerbe dem Vertragspartner nach den schuldrechtlichen Vorschriften. Der Vorerbe kann das Grundstück auch vermieten oder verpachten. Der Nacherbe ist an den vom Vorerben geschlossenen Vertrag gebunden, darf ihn allerdings unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist kündigen, §§ 2135, 1056 BGB.

8.44 Die Verfügung des Vorerben muss sich auf ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück beziehen. Die Verfügungsbeschränkung gilt für alle im Grundbuch eintragungs1 Ebenroth, Rz. 582; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 19. 2 BGH v. 14.7.1969 – V ZR 122/66, NJW 1969, 2043 (2045); Erman/M. Schmidt, § 2113 Rz. 9. Zur Bestellung eines Vorkaufsrechts durch den für einen Vorerben ernannten Testamentsvollstrecker BGH v. 8.4.2016 – V ZR 73/15, NJW 2016, 2035.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.48 § 8

bedürftigen dinglichen Rechte einschließlich des Erbbaurechts (§ 11 ErbbauRG) und des Wohnungseigentums (§ 1 WEG). Schuldrechtliche Ansprüche und die Berechtigung zur Verfügung über bewegliche Sachen werden von § 2113 Abs. 1 BGB nicht erfasst1. Streitig ist, ob die Vorschrift auch dann eingreift, wenn das Grundstück Bestandteil eines Gesamt- 8.45 handsvermögens (BGB-Gesellschaft, OHG, KG, eheliche Güter- oder Miterbengemeinschaft) ist. Hier ist zu unterscheiden: Wird allein über den Gesamthandsanteil verfügt, wird das dazugehörige Grundstück nur mittelbar betroffen. § 2113 Abs. 1 BGB ist schon deshalb nicht anwendbar, weil der Verfügungsbegriff rechtlich zu verstehen ist. Es kommt nicht darauf an, ob das Grundstück wirtschaftlich im Wesentlichen den Gesamthandsanteil ausmacht. Verfügungen über Gesellschaftsanteile fallen nicht unter die Verfügungsbeschränkung, selbst wenn das Gesellschaftsvermögen vorwiegend aus Grundstücken besteht2. Nach herrschender Auffassung3 greift § 2113 Abs. 1 BGB ebenso wenig ein, wenn über das gesamthän- 8.46 derischer Bindung unterliegende Grundstück selbst verfügt wird. Der überlebende Ehegatte kann bei fortgesetzter Gütergemeinschaft über ein zum Gesamtgut gehörendes Grundstück verfügen (§§ 1487 Abs. 1, 1422 BGB), auch wenn er nur Vorerbe des verstorbenen Ehegatten ist und die gemeinsamen Kinder als Nacherben nicht zugestimmt haben. Im Rahmen der Auseinandersetzung einer Miterbengemeinschaft (§§ 2042 ff. BGB) kann einem Miterben ein Grundstück ohne Zustimmung des für einen anderen Miterben benannten Nacherben übertragen werden. In einer OHG oder KG können die Gesellschafter über ein Gesellschaftsgrundstück verfügen, auch wenn einer von ihnen der Nacherbfolge unterliegt. Dem ist unter Zugrundelegung des Verfügungsbegriffs zuzustimmen: Gegenstand der Nacherbfolge ist der Gesamthandsanteil und nicht jeder zum Gesamthandsvermögen zählende Gegenstand. Weder der zum Vorerben berufene Gesamthänder noch sein Nacherbe haben Rechte an einzelnen Sachen. § 2113 Abs. 1 BGB schützt den Nacherben vor dinglichen Rechtsgeschäften des Vorerben, rechtfertigt aber nicht den Eingriff in Rechte Dritter. Wären die übrigen Gesamthänder von der Zustimmung des Nacherben abhängig, würde ihre Verfügungsmacht blockiert, obwohl nur ein Gesamthänder nacherbschaftlich beschränkt ist. Rechtsfolge des § 2113 Abs. 1 BGB ist die Unwirksamkeit der Verfügung, soweit sie das Recht des Nacherben beeinträchtigt oder vereitelt. Sie ist zeitlich auf den Eintritt des Nacherbfalls hinausgeschoben. Verfügungen des Vorerben über Grundstücke oder Grundstücksrechte sind bis zu diesem Zeitpunkt wirksam. Sie tragen den Keim künftiger Ungültigkeit in sich, wenn der Nacherbe nicht eingewilligt hat, § 183 BGB. Mit Eintritt des Nacherbfalls wird die Verfügung auch ohne Zutun des Nacherben von selbst unwirksam. Die Unwirksamkeit ist keine relative im Sinne von § 135 BGB, die sich auf das Verhältnis zwischen Vor-, Nacherben und Erwerber beschränken würde. Das Wort „insoweit“ in § 2113 Abs. 1 BGB hat sachliche, keine personelle Teilwirkung. Die Verfügung wird wie in § 161 BGB gegenüber jedermann absolut unwirksam.

8.47

Die Unwirksamkeit kann von jedem Betroffenen und nicht nur vom Nacherben geltend gemacht 8.48 werden. Sie erfasst allein das dingliche Rechtsgeschäft (z.B. Eigentumsübertragung nach §§ 873, 925 BGB) und nicht auch das Kausalgeschäft (z.B. Kaufvertrag). Bei mehreren Mitnacherben darf jeder von ihnen die Unwirksamkeit geltend machen, § 2039 BGB. Entsteht schon vor dem Erbfall Streit über die Wirksamkeit der Verfügung des Vorerben, kann der Nacherbe gegen ihn oder den beteilig-

1 Zur Löschung des Hofvermerks bei Vor- und Nacherbschaft BGH v. 16.4.2004 – BLw 27/03, MDR 2004, 1061 = FamRZ 2004, 1196. 2 Erman/M. Schmidt, § 2113 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2113 Rz. 2. 3 BGH v. 12.2.1964 – V ZR 59/62, NJW 1964, 768; BGH v. 10.3.1976 – V ZB 7/72, NJW 1976, 893; BGH v. 15.3.2007 – V ZB 145/06, MDR 2007, 887 = FamRZ 2007, 1015 = NJW 2007, 2114; BayObLG v. 25.10.1995 – 2Z BR 61/95, ZEV 1996, 65; MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 3 f.; a.A. Kanzleiter, ZEV 1996, 66; K. Schmidt, FamRZ 1976, 683.

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§ 8 Rz. 8.49

Vor- und Nacherbschaft

ten Dritten Feststellungsklage nach § 256 ZPO erheben1. Bei gutgläubigem Erwerb des Dritten (§ 2113 Abs. 3 BGB; Rz. 8.64) kann er auf Feststellung der Ersatzfähigkeit des Schadens gegen den Vorerben klagen. Der Schadenersatzanspruch steht ihm erst nach Eintritt des Nacherbfalls zu.

8.49 Die Verfügung muss das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Vereitelung ist die vollständige Rechtsentziehung, Beeinträchtigung, Beschränkung oder Belastung. Sie bestimmt sich jeweils nach rechtlichen und nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Keine Beeinträchtigung liegt vor, wenn die Verfügung – z.B. die Bestellung eines zeitlich begrenzten Nießbrauchs – den Nachlass nur für die Dauer der Vorerbschaft berührt. Maßgeblich ist der Eintritt des Nacherbfalls. Wirkt die Verfügung über den Zeitraum der Vorerbschaft hinaus, kommt es nicht darauf an, ob sich die Gegenleistung in der Erbschaft befindet. Die Verfügung ist unwirksam, wenn sie der Nacherbe nicht nachträglich genehmigt (Rz. 8.52).

8.50 Schwierigkeiten entstehen, wenn der Vorerbe eine Verfügung vornehmen will, um eine Nachlassverbindlichkeit zu erfüllen. Man denke an die Erfüllung eines Vermächtnisses (§ 2174 BGB), einer Auseinandersetzungsanordnung (§ 2048 BGB) oder einer vom Erblasser herrührenden Verpflichtung, etwa zur Übereignung eines bereits verkauften Grundstücks. Einerseits ist der Vorerbe als Erbe dem Dritten gegenüber zur Erfüllung verpflichtet (§ 1967 Abs. 1 BGB), andererseits darf er die Rechte des Nacherben nicht beeinträchtigen. Die Behandlung dieser Fälle ist streitig.

8.50a Die Literatur2 nimmt zum Teil an, dass die Verfügung auch bei Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit unwirksam ist. Der Nacherbe müsse die Möglichkeit haben, den Bestand und die Fälligkeit der Verbindlichkeit zu überprüfen. Er sei allenfalls aus § 2120 BGB zur Zustimmung verpflichtet. Bei einem Vermächtnis oder einer Teilungsanordnung könne die Auslegung der letztwilligen Verfügung ergeben, dass der Vorerbe zu ihrer Erfüllung von der Verfügungsbeschränkung befreit sei.

8.50b Überwiegend3 geht man davon aus, dass die Verfügung wegen des Wegfalls der Verbindlichkeit rechtlich nicht nachteilig ist. Der Gläubiger einer gegen den Nachlass gerichteten Forderung könne deren Erfüllung jederzeit durchsetzen, nach Eintritt des Nacherbfalls auch gegen den Nacherben. Rechte des Nacherben seien daher nicht beeinträchtigt. Aus § 2120 S. 1 BGB könne nicht gefolgert werden, dass der Gesetzgeber die Wirksamkeit derartiger Verfügungen von der Zustimmung des Nacherben abhängig machen wolle. Sie seien auch ohne dessen Billigung wirksam.

8.51 Der herrschenden Meinung ist zuzustimmen. Die Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit ist keine Beeinträchtigung der Rechte des Nacherben, sondern bei einer Vermächtnis- oder Auseinandersetzungsanordnung vom Erblasser beabsichtigt. Die Auslegung der letztwilligen Verfügung wird regelmäßig ergeben, dass der Vorerbe die Verpflichtung erfüllen und der Nacherbe sie nicht blockieren soll. § 2113 Abs. 1 BGB dient dem Schutz des Nacherben vor dem Vorerben, darf sich aber nicht zulasten Dritter auswirken, wenn der Nacherbe mit Eintritt des Nacherbfalls für die Nachlassverbindlichkeit einzustehen hat, § 1967 Abs. 1 BGB. § 2120 S. 1 BGB, der den Nacherben zur Einwilligung in eine Verfügung des Vorerben verpflichtet, wenn sie zur Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten erforderlich ist, verfolgt nur den Zweck, späteren Streit über das Bestehen der Nachlassverbindlichkeit und die Erforderlichkeit der Verfügung auszuschließen. Obwohl die Vorschrift die Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten erwähnt, ist die Interessenlage hier eine andere, weil sowohl Vor- als auch Nacherbe vom Nachlassgläubiger zur Erfüllung gezwungen werden können. In der Praxis führt die Gegenansicht ohnehin meist zum gleichen Ergebnis. Die Begleichung einer fälligen und durchsetzbaren Nachlassschuld gehört zur ordnungsmäßigen Verwaltung im Sinne des § 2120 S. 1 BGB.

1 RG v. 4.2.1933 – V 379/32, RGZ 139, 343 (347); BGH v. 14.7.1969 – V ZR 122/66, BGHZ 52, 269 (271). 2 Brox, Rz. 350; Ebenroth, Rz. 564; MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 13. 3 OLG Hamm v. 19.9.1994 – 15 W 205/94, FamRZ 1995, 961 = NJW-RR 1995, 1289; Erman/M. Schmidt, § 2113 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 2113 Rz. 5.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.55 § 8

Weil die Verfügung nicht nichtig, sondern nur insoweit unwirksam ist, als sie bei Eintritt des Nach- 8.52 erbfalls das Recht des Nacherben vereitelt oder beeinträchtigt, kann ihr der Nacherbe durch seine Zustimmung Wirksamkeit verleihen, § 185 BGB1. Die Zustimmung wird als vorherige Einwilligung (§§ 183, 185 Abs. 1 BGB) oder als nachträgliche Genehmigung (§§ 184 Abs. 1, 185 Abs. 2 BGB) erteilt. Unter den Voraussetzungen des § 2120 BGB ist der Nacherbe zur Zustimmung verpflichtet. Bei mehreren Nacherben müssen alle zustimmen, bei einer mehrfachen Nacherbfolge müssen auch die weiteren Nacherben zustimmen. Die Zustimmung des Ersatznacherben ist vor dem Ersatznacherbfall nicht notwendig2. Der minderjährige Nacherbe bedarf der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters, der seinerseits die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts einholen muss, § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Vorerbe, ist § 181 BGB zu beachten. Eine ohne Zustimmung vorgenommene Verfügung ist auch in den weiteren Fällen des § 185 Abs. 2 BGB (der Verfügende erwirbt den Gegenstand, wird von dem Berechtigten beerbt oder haftet für die Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkt) wirksam. Das gewinnt praktische Relevanz, wenn der Vorerbe durch Übertragung des Nacherbenrechts auf seine Person das Grundstück zu freiem Eigentum erwirbt (Rz. 8.88a), der Nacherbe unbeschränkt haftender Erbe des Vorerben wird oder die Nacherbfolge endgültig wegfällt3. Anders als bei der Zustimmung entfällt die Unwirksamkeit der Verfügung nicht rückwirkend (§ 184 Abs. 1 BGB), sondern für die Zukunft4. § 185 Abs. 2 BGB greift nicht ein, wenn die Verfügung zugunsten eines mehrerer Mitnacherben getroffen wird, die alle den Vorerben beerben. Hier bleibt die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs (§ 2113 Abs. 3 BGB; Rz. 8.63 ff.).

8.53

In der obigen Beratungssituation (Rz. 8.42) stellt die Belastung des Hausgrundstücks mit einer Sicherungsgrundschuld eine die Rechte der Nacherben beeinträchtigende Verfügung im Sinne des § 2113 Abs. 1 BGB dar. Sie ist ohne Zustimmung der Kinder selbst dann unwirksam, wenn die Ehefrau des Erblassers dafür einen angemessenen oder sogar günstigen Kredit zur Sanierung des Hauses erzielt. Auf den sinnvollen Verwendungszweck kommt es nur insoweit an, als die Kinder nach § 2120 BGB zur Zustimmung verpflichtet sind. Die Bank kann die Sicherungsgrundschuld gutgläubig erwerben, wenn kein Nacherbenvermerk (§ 51 GBO) zugunsten der Kinder im Grundbuch eingetragen ist, §§ 2113 Abs. 3, 892 BGB.

8.54

Die Berechtigung der Mandantin zur entgeltlichen Verfügung über bewegliche Sachen (Münzsammlung) wird durch die §§ 2113 bis 2115 BGB nicht eingeschränkt. Für die Beurteilung der rechtlichen Verfügungsbefugnis kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsstellung der Nacherben durch die Belastung des Grundstücks wirtschaftlich stärker betroffen wäre als durch den Verkauf der Münzen. Die Ehefrau kann die zum Nachlass ihres Mannes gehörige Münzsammlung übereignen. Zur Vermeidung einer Schadenersatzpflicht gegenüber ihren Kindern muss sie die Grundsätze der ordnungsmäßigen Verwaltung (keine Veräußerung unter Wert) beachten, §§ 2130, 2131 BGB. Vorsichtshalber sollte sie die Zustimmung ihrer Kinder zur geplanten Maßnahme einholen.

8.55

1 RG v. 30.2.1907 – V 14/07, RGZ 65, 214 (219); BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115; zur Entlassung eines Nachlassgrundstücks aus der Verfügungsbeschränkung durch Vereinbarung zwischen Vorund Nacherbe OLG Hamm v. 13.5.2016 – I-15 W 594/15, ZEV 2016, 638. 2 BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115; Palandt/Weidlich, § 2113 Rz. 7; Heider, ZEV 1995, 1 (2 ff.). Vgl. auch OLG München v. 9.2.2015 – 34 Wx 416/14, NJW-RR 2015, 907: Keine Anhörung etwaiger Ersatznacherben bei Löschung eines Nacherbenvermerks wegen Grundbuchunrichtigkeit aufgrund wirksamer Verfügung des Vorerben. 3 Vgl. RG v. 19.1.1925 – IV 474/24, RGZ 110, 94; OLG München v. 9.7.1969 – 12 U 1277/69, FamRZ 1971, 93 (94); MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 17. 4 Soergel/Harder/Wegmann, § 2113 Rz. 8.

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§ 8 Rz. 8.56

Vor- und Nacherbschaft

b) Verfügungsbeschränkungen bei Schenkungen (§ 2113 Abs. 2 BGB)

8.56 Beratungssituation: In der Beratungssituation in Rz. 8.40 ist die Mandantin der Auffassung, dass das Patenkind des Verstorbenen bei der Erbnachfolge zu kurz kommt. Sie fragt, ob sie dem Kind die CD-Sammlung ihres Mannes überlassen darf.

8.56a Der Stamm der Erbschaft soll dem Nacherben zukommen und nicht durch Schenkungen des Vorerben geschmälert werden. Unentgeltliche Verfügungen über Nachlassgegenstände werden den Verfügungen über Grundstücke gleichgestellt, § 2113 Abs. 2 S. 1 BGB. Anders als § 2113 Abs. 1 BGB erstreckt sich die Verfügungsbeschränkung nicht nur auf Grundstücke, sondern erfasst Erbschaftsgegenstände jeglicher Art, d.h. auch bewegliche Sachen, Forderungen und Gesellschaftsanteile. Ebenfalls anders als im Fall des § 2113 Abs. 1 BGB kann der Erblasser den Vorerben von der Beschränkung des § 2113 Abs. 2 BGB nicht befreien (§ 2136 BGB; zur Vermächtnislösung Rz. 8.81). Anstandsschenkungen sind von der Unwirksamkeit ausgenommen, § 2113 Abs. 2 S. 2 BGB.

8.57 Der Verfügungsbegriff ist derselbe wie in § 2113 Abs. 1 BGB (Rz. 8.43). Die Verfügung ist unentgeltlich, wenn der Vorerbe einen Wert aus dem Nachlass hergibt, ohne dass die eingetretene Schmälerung der Erbschaft durch eine gleichwertige Gegenleistung ausgeglichen wird (objektives Kriterium). Ferner muss der Vorerbe wissen oder bei ordnungsmäßiger Verwaltung des Nachlasses (§ 2130 BGB) erkennen können, dass die Gegenleistung kein vollwertiges Entgelt darstellt (subjektives Kriterium)1. Angesichts der Regelung des § 2138 Abs. 2 BGB ist mitunter zweifelhaft, ob die fahrlässige Unkenntnis des unzulänglichen Ausgleichs ausreicht. Denkbar ist hier, dass die Verfügung wirksam und der Vorerbe dem Nacherben schadenersatzpflichtig ist. Die unentgeltliche Verfügung ist wirksam, wenn sie ausnahmsweise den Grundsätzen ordnungsmäßiger Nachlassverwaltung entspricht. Man denke an den Verzicht auf eine praktisch nicht durchsetzbare Forderung oder einen nahezu unverkäuflichen, aber kostenträchtigen Gegenstand.

8.58 Aus dem Sinn und Zweck der Erbschaftserhaltung für den Nacherben folgt, dass die Gegenleistung in den Nachlass und nicht an Dritte (z.B. an einen von mehreren Nacherben ohne Anrechnung auf seinen Nacherbteil) fließen muss. Aufgrund der dinglichen Surrogation nach § 2111 BGB ist das grundsätzlich der Fall. Verwendet der Vorerbe die Gegenleistung für eigene Zwecke, lässt das die Wirksamkeit der Verfügung unberührt. Etwas anderes gilt, wenn es nach der Art der Gegenleistung ausgeschlossen ist, dass sie dem Nacherben zugute kommt. Lässt sich der nicht befreite Vorerbe eine für seinen persönlichen Gebrauch bestimmte Leistung (z.B. Zahlung einer Leibrente gegen Verkauf eines Grundstücks oder Übertragung eines Gesellschaftsanteils) gewähren, ist die Verfügung unentgeltlich. Im Gegensatz zum befreiten Vorerben ist er nicht berechtigt, Erbschaftsgegenstände für sich zu verwenden, §§ 2134, 2136 BGB2. Bei befreiter Vorerbschaft hängt die Gleichwertigkeit der Gegenleistung von der Rentenhöhe und der verbleibenden Lebenserwartung des Vorerben ab. In der obigen Beratungssituation ist die Weggabe der nachlasszugehörigen CD-Sammlung durch die Mandantin mangels adäquater Gegenleistung des Patenkindes von der Zustimmung der Nacherben abhängig, sofern nicht die Voraussetzungen einer Anstandsschenkung vorliegen.

8.59 Gemischte Schenkungen sind ebenfalls der Verfügungsbeschränkung unterworfen. Teilweise unentgeltliche Verfügungen werden wie unentgeltliche behandelt3. Dem Nacherben steht nicht nur ein Anspruch auf Zahlung der Wertdifferenz zu. Das entspricht dem Schutzzweck des § 2113 Abs. 2 BGB. 1 BGH v. 24.9.1971 – V ZB 6/71, BGHZ 57, 84 (90); BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, MDR 1984, 293 = FamRZ 1984, 258 = NJW 1984, 362 (364); BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 147/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 258 = NJW 1984, 366 (367); BGH v. 24.10.1990 – IV ZR 296/89, MDR 1991, 419 = FamRZ 1991, 188 = NJW 1991, 842 f.; OLG Braunschweig v. 11.11.1993 – 4 W 13/93, FamRZ 1995, 443 (445); Soergel/Harder/Wegmann, § 2113 Rz. 17. 2 BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47 (51 f.); OLG Hamm v. 8.10.1990 – 15 W 194/90, FamRZ 1991, 113 (115); MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 23. 3 BGH v. 15.2.1952 – V ZR 54/51, BGHZ 5, 173 (182); BGH v. 2.10.1952 – IV ZR 24/52, BGHZ 7, 274 (279); Erman/M. Schmidt, § 2113 Rz. 17.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.62 § 8

Beruft sich der Nacherbe auf die Unwirksamkeit und verlangt er mit Eintritt des Nacherbfalls von dem Erwerber die Berichtigung des Grundbuchs, ist dessen Gegenleistung in die Rückabwicklung des Geschäfts einzubeziehen. Der Dritte ist Zug um Zug zur Herausgabe verpflichtet1. Sonst würde die Rechtsstellung des Nacherben über die Sicherung des Nachlasswerts hinaus verbessert. Verfügt der Vorerbe über einen zum Nachlass gehörigen Gesellschaftsanteil, wirft die Feststellung der Unentgeltlichkeit erfahrungsgemäß besondere Schwierigkeiten auf.

8.60

Beratungssituation: Der Erblasser war OHG-Gesellschafter. Für den Fall seines Todes sieht der Gesellschaftsvertrag den Eintritt der Erben in die OHG vor. Dies sind seine Ehefrau als Vorerbin und seine Tochter als Nacherbin. Als die OHG dringende Investitionen tätigen muss, hat die Ehefrau nicht die nötigen Geldmittel. Der Gesellschaftsvertrag wird daher abgeändert. Die Mitgesellschafter übernehmen den finanziellen Beitrag der Vorerbin, wofür ihre Beteiligung in einen unvererblichen Kommanditanteil umgewandelt wird. Die Tochter fragt, ob sie mit Eintritt des Nacherbfalls Kommanditistin wird.

Sowohl die Zustimmung des Vorerben zur Änderung des Gesellschaftsvertrags, durch die in seine Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird, als auch sein freiwilliges Ausscheiden aus der Gesellschaft kann eine unentgeltliche Verfügung über den Gesellschaftsanteil darstellen. Die Gesellschaftsbeteiligung zielt zwar nicht auf den Leistungsaustausch, Rechte und Pflichten stehen jedoch in einem Wertverhältnis. Dessen Veränderung zuungunsten des Vorerben wirkt sich auf die Position des Nacherben aus. Die Verfügung ist folglich nur wirksam, wenn ein gleichwertiges Äquivalent in den Nachlass fließt, § 2113 Abs. 2 BGB. Scheidet der Vorerbe freiwillig ohne objektiv vollwertige Abfindung aus der Gesellschaft aus, ist eine zumindest teilweise Unentgeltlichkeit anzunehmen. In die gesellschaftsvertragliche Abfindungsregelung müssen alle vermögenswerten Bestandteile der Gesellschaft (laufende Geschäfte, stille Reserven, „good will“ etc.) einbezogen sein2. In der obigen Beratungssituation rückt die Tochter in die Kommanditistenstellung der Mutter ein, 8.61 wenn die Vererblichkeit des Kommanditanteils (§ 177 HGB) durch die Abänderung des Gesellschaftsvertrags nicht wirksam ausgeschlossen worden ist. Der vertragliche Ausschluss der Vererblichkeit könnte eine unentgeltliche Verfügung zugunsten der Mitgesellschafter sein. Dafür spricht, dass die Tochter bei Eintritt des Nacherbfalls weder den ursprünglichen OHG-Anteil ihres Vaters noch den verbliebenen Kommanditanteil erhält. Andererseits dient die Vertragsänderung der Entwicklung des Unternehmens und kommt im Ergebnis dem Nachlassvermögen zugute. Der BGH3 hält § 2113 Abs. 2 BGB nach seinem Sinn und Zweck, eine Wertminderung des Nachlasses ohne Gegenleistung zu verhindern, nicht für anwendbar. Die Änderung des Gesellschaftsvertrags sei keine unentgeltliche Verfügung, wenn sie entweder die Mitgliedschaftsrechte aller Gesellschafter gleichermaßen treffe oder die anderen Gesellschafter nur bei Abänderung zu zusätzlichen Leistungen bereit seien. Vorliegend hat die Vorerbin der einseitigen Änderung zulasten ihres Gesellschaftsanteils zugestimmt, weil die übrigen OHG-Gesellschafter ihrerseits zusätzliche Leistungen für die Stärkung des Unternehmens erbringen. Die Vertragsänderung ist damit wirksam, die Kommanditbeteiligung unvererblich. Die Tochter wird mit Eintritt des Nacherbfalls nicht Kommanditistin. Ihr bleibt der schuldrechtliche Anspruch gegen die Kommanditgesellschaft, §§ 738 BGB, 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB. Rechtsfolge ist wie im Fall des § 2113 Abs. 1 BGB die Unwirksamkeit der Verfügung, sofern es sich nicht um eine Anstandsschenkung handelt, § 2113 Abs. 2 S. 2 BGB. Beeinträchtigt oder vereitelt die Verfügung das Recht des Nacherben, ist ihre Wirksamkeit von seiner Zustimmung abhängig, § 185 BGB. Im Übrigen gilt das unter Rz. 8.47 Gesagte. Besonderheiten bestehen insofern, als der Erblasser 1 BGH v. 10.10.1984 – IVa ZR 75/83, MDR 1985, 300 = FamRZ 1985, 64 = NJW 1985, 382; BGH v. 30.5.1990 – IV ZR 83/89, FamRZ 1990, 1344. 2 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, MDR 1984, 293 = FamRZ 1984, 258 = NJW 1984, 362; Harder, DNotZ 1994, 822, 825; MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 22a; Paschke, ZIP 1985, 129 ff. 3 BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177 = MDR 1981, 206 = FamRZ 1981, 35; dazu Harder, DNotZ 1994, 822; Lutter, ZGR 1982, 108.

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8.62

§ 8 Rz. 8.63

Vor- und Nacherbschaft

den Vorerben von der Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 2 BGB nicht befreien kann, § 2136 BGB. Auch der befreite Vorerbe ist nicht befugt, unentgeltlich über Grundstücke oder Grundstücksrechte zu verfügen. Stellt er einen Eintragungsantrag beim Grundbuchamt (§ 13 GBO), muss er nachweisen, dass seine Verfügung entgeltlich ist. Weil ihm das mit den Beweismitteln des Grundbuchrechts kaum gelingt, lassen sich Zweifel an der Wirksamkeit der Verfügung meist nur dadurch ausräumen, dass der Vorerbe die Zustimmungserklärung des Nacherben in der Form des § 29 GBO beibringt. In der Praxis geht das Grundbuchamt der Frage der Unentgeltlichkeit erst nach, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Unentgeltlichkeit vorliegen1. c) Schutz des guten Glaubens (§ 2113 Abs. 3 BGB)

8.63 Beratungssituation: In der Beratungssituation in Rz. 8.40 wird die Ehefrau des Erblassers als Eigentümerin des Hausgrundstücks im Grundbuch eingetragen. Die Einsetzung der Kinder als Nacherben ist im Grundbuch versehentlich nicht vermerkt. Vier Jahre nach dem Tod ihres Mannes veräußert die Frau das Grundstück an einen Immobilienmakler, der von der Vor- und Nacherbschaft nichts weiß. Kurz darauf stirbt sie. Die Kinder verlangen Grundbuchberichtigung.

8.64 § 2113 Abs. 1 und 2 BGB bewahrt die Nacherben vor Verfügungen des Vorerben. Dessen Vertragspartner ist jedoch bei Unkenntnis der Vor- und Nacherbfolge nicht minder schützenswert. Dem trägt § 2113 Abs. 3 BGB Rechnung: Die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, finden entsprechende Anwendung. Das sind die §§ 892, 893 BGB bei Grundstücken, die §§ 932 ff., 1032, 1207 BGB bei beweglichen Sachen und die §§ 2365 ff. BGB beim Erbschein. Der gute Glaube muss sich darauf beziehen, dass der betreffende Gegenstand nicht zu einer der Nacherbfolge unterliegenden Erbschaft gehört bzw. dass der Vorerbe nach § 2136 BGB von den Beschränkungen des § 2113 Abs. 1 BGB befreit ist. Der Erwerber erwirbt das Recht auch dem Nacherben gegenüber. Der gute Glaube an die Entgeltlichkeit der Verfügung ist nicht geschützt. Hat der Erwerber das Recht unentgeltlich gutgläubig erworben (§ 2113 Abs. 2, 3 BGB), haftet er dem Nacherben bereicherungsrechtlich, § 816 Abs. 1 S. 2 BGB.

8.65 Beratungshinweis: Bei Grundstücksgeschäften des Vorerben scheitert der gutgläubige Erwerb regelmäßig schon daran, dass die Verfügungsbeschränkung aus dem Grundbuch zu ersehen ist. Mit der Eintragung des Vorerben als Eigentümer wird das Recht des Nacherben von Amts wegen eingetragen (Nacherbenvermerk, § 51 GBO). Für den lastenfreien Erwerb nach § 2113 Abs. 3 BGB bleiben die Fälle, in denen der Vorerbe als Berechtigter eingetragen und der Nacherbenvermerk fälschlich nicht eingetragen oder gelöscht worden ist. Hieraus folgt zugleich, dass er nicht ohne Zustimmung des Nacherben und eines etwaigen Ersatznacherben gelöscht werden darf. Stimmen diese der Löschung zu, verzichten sie allein auf ihren Schutz vor gutgläubigem Erwerb, nicht auf ihr Nacherbenrecht. Bei irrtümlicher Löschung haben sie bis zum Eintritt des Nacherbfalls einen Anspruch auf Wiedereintragung. Im Übrigen bewirkt der Nacherbenvermerk keine Grundbuchsperre2. Verfügungen, die der Vorerbe unter Verstoß gegen § 2113 Abs. 1, 2 BGB trifft, werden eingetragen.

8.66 In der obigen Beratungssituation sind die Kinder mit dem Tod ihrer Mutter Nacherben geworden, §§ 2106 Abs. 1, 2139 BGB. Als Eigentümer können sie von jedem, der zu Unrecht im Grundbuch eingetragen ist, Grundbuchberichtigung verlangen, § 894 BGB. Die ihnen zugefallene Erbschaft könnte allerdings durch die Übereignung des Grundstücks geschmälert sein. Zwar scheitert die Verfügung der Vorerbin nach §§ 873, 925 BGB an § 2113 Abs. 1 BGB; der gutgläubige Immobilienmakler kann sich aber auf § 2113 Abs. 3 BGB berufen. Die Verfügungsbeschränkung ist ihm gegenüber nur wirksam, wenn sie aus dem Grundbuch ersichtlich oder ihm positiv bekannt ist, § 892 Abs. 1 S. 2 BGB. Hier 1 Vgl. OLG Hamm v. 2.5.1969 – 15 W 113/69, NJW 1969, 1492; Soergel/Harder/Wegmann, § 2113 Rz. 27 f.; zur Notwendigkeit der Zustimmung auch des Nachnacherben zu unentgeltlichen Verfügungen des Vorerben OLG Zweibrücken v. 12.1.2011 – 3 W 195/10, FamRZ 2011, 1430 = ZEV 2011, 321. 2 RG v. 3.9.1935 – III 36/35, RGZ 148, 385 (392); BayObLG v. 30.1.1991 – BReg. 2Z 1/91, BWNotZ 1991, 142 f.; Ebenroth, Rz. 566. Zur Löschung von Nacherbenvermerken BGH v. 19.12.2013 – V ZB 209/12, ZEV 2014, 252; OLG München v. 13.1.2014 – 34 Wx 166/13, NJW-RR 2014, 1161.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.70 § 8

waren die Mutter als Eigentümerin und das Nacherbenrecht der Kinder unter Verstoß gegen § 51 GBO nicht eingetragen. Dem Makler sind die testamentarischen Umstände nicht bekannt gewesen. Er hat das Eigentum an dem Grundstück gutgläubig erworben. Die Kinder haben keinen Anspruch aus § 894 BGB. Es kommt allenfalls eine Haftung des Grundbuchamts wegen des fehlenden Nacherbenvermerks in Betracht. d) Verfügungsbeschränkungen bei Grundstücksrechten (§ 2114 BGB) Zieht der Vorerbe eine Hypothekenforderung, Grund- oder Rentenschuld ein, verfügt er über ein 8.67 Grundstücksrecht. Die Verfügungsbeschränkung des § 2113 BGB greift jedoch nicht ein, weil § 2114 S. 1 BGB davon eine Ausnahme macht: Gehört eine Hypothekenforderung, eine Grundschuld oder eine Rentenschuld zur Erbschaft, steht deren Kündigung und Einziehung dem Vorerben zu. Die Zustimmung des Nacherben ist nicht erforderlich. Das gilt sowohl für das dingliche Recht als auch für die gesicherte persönliche Forderung einschließlich der prozessualen Geltendmachung. Zum Schutz des Nacherben ist das Einziehungsrecht eingeschränkt. Der Vorerbe kann es ohne Zustimmung des Nacherben nur so geltend machen, dass er Hinterlegung des Kapitals für sich und den Nacherben verlangt. Zahlungen an ihn sind dem Nacherben gegenüber nur wirksam, wenn dieser zugestimmt hat (§ 2114 S. 2 BGB) oder eine Befreiung nach § 2136 BGB vorliegt. Bei mehreren Nacherben müssen alle zustimmen. Andernfalls ist die Zahlung unwirksam und befreit den Schuldner gegenüber dem Nacherben nicht1. § 2114 BGB stärkt die Position des Vorerben ausschließlich im Hinblick auf die Kündigung und Einziehung eines Grundpfandrechts. Auf andere Verfügungen bleibt § 2113 BGB uneingeschränkt anwendbar, § 2114 S. 3 BGB. 2. Verwaltung des Nachlasses Bis zum Eintritt des Nacherbfalls ist der Vorerbe Erbe. Er hat das Recht und die Pflicht, den Nachlass ordnungsmäßig zu verwalten. Das folgt aus § 2130 Abs. 1 BGB. Danach hat der Vorerbe nach Eintritt des Nacherbfalls dem Nacherben die Erbschaft in dem Zustand herauszugeben, der sich bei einer bis zur Herausgabe fortgesetzten ordnungsmäßigen Verwaltung ergibt. Darüber hinaus hat der Vorerbe auf Verlangen Rechenschaft abzulegen, § 2130 Abs. 2 BGB.

8.68

a) Recht und Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung Die ordnungsmäßige Verwaltung des Nachlasses bestimmt sich vorrangig nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der Vorerbe soll den Wert der Erbschaft im Interesse des Nacherben möglichst erhalten und vermehren. Immaterielle Gesichtspunkte wie die Pflege der Familientradition und die Bewahrung historisch bedeutender Bestandteile der Erbschaft können hinzutreten. Recht und Pflicht des Vorerben zur ordnungsmäßigen Verwaltung umfassen insbesondere

8.69

– die Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten, §§ 1967 ff. BGB. Sie ist eine typische und legitime Verwaltungshandlung des Vorerben. Dazu gehört die Begleichung noch offener Forderungen gegen den Erblasser oder die Erfüllung von Vermächtnissen, §§ 2147, 2174 BGB. Trifft der Vorerbe zur Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit eine Verfügung, ist darin keine Beeinträchtigung der Rechte des Nacherben im Sinne von § 2113 BGB zu sehen (Rz. 8.51).

8.70

– die Eingehung neuer Verpflichtungen. Begründet der Vorerbe eine neue Verbindlichkeit, muss er nicht erkennbar im Namen oder für den Nachlass handeln. Er haftet mit seinem Eigenvermögen, sofern er die Haftung nicht durch Haftungsbeschränkungsvertrag auf den Nachlass beschränkt. Der Nachlass und damit auch der Nacherbe (nach Eintritt des Nacherbfalls, § 2144 BGB) haften nur, soweit der Vorerbe die Verbindlichkeit vom Standpunkt eines sorgfältigen Verwalters fremden Ver-

1 BGH v. 4.12.1969 – III ZR 31/68, WM 1970, 221 (223); Erman/M. Schmidt, § 2114 Rz. 3.

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§ 8 Rz. 8.71

Vor- und Nacherbschaft

mögens in ordnungsmäßiger Verwaltung des Nachlasses (§ 2120 BGB) eingegangen ist1. So ist die Ordnungsmäßigkeit einer Kreditaufnahme zu bejahen, wenn Nachlassverbindlichkeiten befriedigt werden müssen oder Reparaturen an Nachlassgegenständen notwendig sind. Lässt sich die Tilgung nicht aus den Erbschaftserträgen, sondern nur aus der Nachlasssubstanz bestreiten, kann das einer ordnungsmäßigen Verwaltung entgegenstehen. Zur ordnungsmäßigen Verwaltung eines Unternehmens gehört es, vorhandene Marktchancen wahrzunehmen, den Geschäftsbereich an die Absatzentwicklung anzupassen und ggf. zu expandieren. – die Anlegung von Geld und die Verwaltung von Wertpapieren. Verfügbares Geld hat der Vorerbe mündelsicher anzulegen (§§ 1806 ff. BGB), wenn es nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft dauernd anzulegen ist, § 2119 BGB. Für die Verwaltung von Wertpapieren und Buchforderungen legt das Gesetz dem Vorerben besondere Pflichten auf. Auf Verlangen des Nacherben muss er besonders verkehrsgängige Papiere hinterlegen (§ 2116 BGB), Inhaberpapiere umschreiben (§ 2117 BGB) und Sperrvermerke in Schuldbücher eintragen lassen (§ 2118 BGB).

8.71 Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung, insbesondere zur Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten, eine Verfügung erforderlich, die der Vorerbe nicht mit Wirkung gegen den Nacherben vornehmen kann, so ist der Nacherbe dem Vorerben gegenüber zur Einwilligung verpflichtet (§§ 2120 S. 1, 183 BGB; Rz. 8.51). Der Sinn dieser Regelung besteht darin, dem Vorerben die Verwaltung des Nachlasses zu ermöglichen. Er soll Dritten gegenüber nachweisen können, dass die Erfüllung nicht am Widerstand des Nacherben scheitert, und vor späteren Schadenersatzforderungen des Nacherben sicher sein. Letzteres setzt voraus, dass der Vorerbe dem Nacherben alle relevanten Umstände der geplanten Verfügung durch Vorlage von Vertragsunterlagen, Angabe des Verwendungszwecks aufgenommener Darlehen etc. korrekt mitteilt. Bei einer Kreditaufnahme zulasten des Nachlasses kann es zur Ordnungsmäßigkeit der Nachlassverwaltung gehören, dass ein Treuhänder eingeschaltet wird, ohne dessen Zustimmung der Vorerbe nicht über die Kreditmittel verfügen kann2.

8.72 Einstweilen frei. b) Nutzungen und Erhaltungskosten der Erbschaft

8.73 Der Vorerbe ist Eigentümer des Nachlasses und hat bis zum Eintritt des Nacherbfalles eine dem Nießbraucher ähnliche Stellung. Ihm stehen die Nutzungen der Erbschaft zu. Sie fallen in sein Vermögen (§§ 2111 Abs. 1 S. 1, 100, 101 BGB)3. Gehören Gesellschaftsanteile oder ein Unternehmen zum Nachlass, lassen sich die dem Vorerben zustehenden Nutzungen oft nur schwer bestimmen. Maßstab ist auch hier § 2130 BGB. Der Vorerbe hat seine Beteiligung in ordnungsmäßig verwaltetem Zustand herauszugeben. Bei einem Unternehmen verbleibt ihm nicht der Brutto-, sondern der nach Abzug der Steuern ermittelte Reingewinn, wie er sich aus der Jahresbilanz ergibt. Bei Anteilen an einer Kapitalgesellschaft stehen ihm die ausgeschütteten Dividenden und sonstige Erträgnisse zu4. Zieht der Vorerbe Übermaßfrüchte aus der Erbschaft, gewährt § 2133 BGB dem Nacherben einen Wertersatzanspruch.

8.74 Als Ausgleich für den Anfall der Nutzungen hat der Vorerbe die gewöhnlichen Erhaltungskosten zu tragen, § 2124 Abs. 1 BGB. Das sind die üblichen Ausbesserungs- und Erhaltungs- (nicht aber Wertsteigerungs-)Kosten, auf Erbschaftsgegenstände anfallende Steuern und Versicherungsprämien sowie 1 BGH v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, BGHZ 32, 60 (64); BGH v. 31.1.1990 – IV ZR 326/88, BGHZ 110, 176 = MDR 1990, 521 = FamRZ 1990, 511 (179); OLG Oldenburg v. 28.3.1994 – 13 U 181/93, NJW 1994, 2772. 2 BGH v. 31.1.1990 – IV ZR 326/88, BGHZ 110, 176 (177 ff.) = MDR 1990, 521 = FamRZ 1990, 511; BGH v. 10.2.1993 – IV ZR 274/91, MDR 1993, 656 = FamRZ 1993, 801 = NJW 1993, 1582. 3 BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177 (188) = MDR 1981, 206 = FamRZ 1981, 35; BGH v. 3.6.1981 – IVa ZR 195/80, BGHZ 81, 8 (12) = MDR 1981, 917; BGH v. 29.6.1983 – IVa ZR 57/82, MDR 1984, 30 = FamRZ 1983, 1018 = NJW 1983, 2874 (2875); Palandt/Weidlich, § 2111 Rz. 7. 4 Baur, JZ 1958, 465 ff.; Ebenroth, Rz. 596; Soergel/Harder/Wegmann, § 2111 Rz. 13.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.76 § 8

die Zinsen für Nachlassverbindlichkeiten. Bei einem Unternehmen muss der Vorerbe für die laufenden Betriebskosten (Rohstoffe, Löhne, Werbungskosten, Steuern) aufkommen. Dadurch, dass diese Kosten in die Bilanz eingehen, darf der Nacherbe allerdings nicht mehr erhalten, als ihm nach den §§ 2111, 2124 BGB zusteht1. Sonstige Aufwendungen darf der Vorerbe aus der Erbschaft bestreiten, § 2124 Abs. 2 S. 1 BGB. Dazu zählen die Kosten eines Rechtsstreits, es sei denn, dieser bezieht sich ausschließlich auf die Nutzungen des Vorerben. Bestreitet der Vorerbe die sonstigen Aufwendungen aus seinem Vermögen, ist ihm der Nacherbe bei Eintritt der Nacherbfolge ersatzpflichtig, § 2124 Abs. 2 S. 2 BGB. Der Erblasser kann den Vorerben im Wege eines Vermächtnisses zugunsten des Nacherben verpflichten, die Grundpfandrechte aus den an sich dem Vorerben zustehenden Nutzungen der Erbschaft zu tilgen mit der Folge, dass Erstattungsansprüche aus § 2124 Abs. 2 BGB insoweit nicht geltend gemacht werden können2. Zur Geltendmachung von Ansprüchen des Vorerben auf Aufwendungsersatz in der Nachlassinsolvenz s. § 329 InsO i.V.m. §§ 323, 324 Abs. 1 Nr. 1, 326 Abs. 2, 3 InsO. c) Prozessführung des Vorerben Als Rechtsträger des Nachlasses ist der Vorerbe uneingeschränkt zur Prozessführung über Erbschafts- 8.75 gegenstände und Nachlassverbindlichkeiten berechtigt. Die aktive oder passive Prozessführung stellt keine Verfügung über das streitbefangene Recht dar. Für den Prozessgegner stellt sich die Frage, ob sich die Rechtskraft des Urteils auch auf den Nacherben erstreckt. § 325 Abs. 1 ZPO greift nicht ein, weil der Nacherbe nicht Rechtsnachfolger des Vorerben, sondern des Erblassers ist (Rz. 8.1). Der Nacherbe ist nur an ein dem Erblasser gegenüber ergangenes Urteil gebunden. Will der Kläger eine nicht allein den Vorerben, sondern auch den Nacherben bindende Entscheidung, muss er diesen mitverklagen. Unter den Voraussetzungen des § 326 ZPO entfaltet ein vor Eintritt der Nacherbfolge rechtskräftig gewordenes Urteil, das im Streit zwischen dem Vorerben und einem Dritten über eine Nachlassverbindlichkeit oder einen der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand ergangen ist, ausnahmsweise Rechtskraftwirkung für und gegen den Nacherben. Die Vorschrift unterscheidet zwei Fallgestaltungen: – Ist das Urteil über eine Nachlassverbindlichkeit oder einen der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand zugunsten des Vorerben ergangen, wirkt das Urteil auch für den Nacherben, § 326 Abs. 1 ZPO. Ein ungünstiges Urteil bindet ihn nicht. Beratungssituation: Der Vorerbe hat ein rechtskräftiges Urteil auf Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 50.000 Euro, das der Erblasser dem Beklagten gewährt hatte, erstritten. Nach Eintritt des Nacherbfalls fragt der Nacherbe, wie er gegen den weiterhin säumigen Schuldner vorzugehen hat.

Das Urteil entfaltet nicht nach § 325 Abs. 1 ZPO, wohl aber nach § 326 Abs. 1 ZPO Rechtskraftwirkung für den Nacherben. Er muss den säumigen Darlehensnehmer des Erblassers nicht noch einmal verklagen. Er kann die dem Vorerben erteilte vollstreckbare Ausfertigung des Urteils auf sich umschreiben lassen (§§ 728 Abs. 1, 727 ZPO) und daraus die Zwangsvollstreckung betreiben. – Ist das Urteil zuungunsten des Vorerben ergangen und betraf es eine Nachlassverbindlichkeit, bindet es den Nacherben nicht. Nur wenn das für den Vorerben ungünstige Urteil einen der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand betrifft und der Vorerbe über ihn ohne Zustimmung des Nacherben verfügen konnte, wirkt das Urteil gegen den Nacherben, § 326 Abs. 2 ZPO. Das ist etwa der Fall, wenn der Vorerbe nach § 2136 BGB befreit war (Rz. 8.81) oder der Nacherbe der Verfügung oder Prozessführung zugestimmt hat, § 185 BGB. Ist der Vorerbe zur Herausgabe eines Nachlassgegenstands verurteilt und wirkt das Urteil gegen den Nacherben, kann eine Vollstreckungsklausel auch gegen ihn erteilt werden, §§ 728 Abs. 1, 727 ZPO. Eine im Wege der Zwangsvollstreckung gegen den Vorerben getroffene Verfügung ist nach Maßgabe des § 2115 BGB gegenüber dem Nacherben wirksam (Rz. 8.127 ff.). 1 Zum Umfang der Erhaltungskosten BGH v. 24.1.1973 – IV ZR 140/71, FamRZ 1973, 187; BGH v. 7.7.1993 – IV ZR 96/92, FamRZ 1993, 1311 (1312); MüKo.BGB/Grunsky, § 2124 Rz. 2 f.; Voit, ZEV 1994, 138 ff. 2 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 140/03, MDR 2004, 1422 = FamRZ 2004, 1567.

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8.76

§ 8 Rz. 8.77

Vor- und Nacherbschaft

8.77 Tritt während des anhängigen Rechtsstreits zwischen dem Vorerben und dem Dritten der Nacherbfall ein, wird das Verfahren unterbrochen, wenn der Vorerbe über den der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand ohne Zustimmung des Nacherben verfügen konnte, § 242 ZPO. Obwohl der Nacherbe Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht des Vorerben ist, wird er prozessual wie dessen Rechtsnachfolger behandelt, § 239 Abs. 1 ZPO. Tritt der Nacherbe in den Prozess ein, ergeht das Urteil gegen ihn. Sonst berührt ihn das Urteil mangels gesetzlichen Übergangs der Parteistellung nicht. Das führt regelmäßig zur einseitigen Erledigungserklärung in der Hauptsache. War der Vorerbe durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, setzt das Gericht das Verfahren auf Antrag aus, § 246 ZPO.

8.78 Einstweilen frei. d) Haftung des Vorerben

8.79 Lässt der Vorerbe im Rahmen der Nachlassverwaltung die erforderliche Sorgfalt vermissen, können die Nacherben schon während der Dauer der Vorerbschaft nach §§ 2127 ff. BGB gegen ihn vorgehen. Mit Eintritt des Nacherbfalls entsteht ein Schadenersatzanspruch, § 2130 Abs. 1 BGB. Der Vorerbe hat in Ansehung der Verwaltung für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, § 2131 BGB. Für grobe Fahrlässigkeit haftet er immer, § 277 BGB. Verwendet er Erbschaftsgegenstände eigennützig für sich, ist er nach Eintritt des Nacherbfalls zum Wertersatz und bei schuldhaftem Verhalten zum Schadenersatz verpflichtet, § 2134 BGB. Veränderungen oder Verschlechterungen von Erbschaftssachen, die durch die ordnungsmäßige Benutzung herbeigeführt werden, hat er nicht zu vertreten, § 2132 BGB. Beratungssituation: Der Vorerbe verwaltet den Nachlass schlecht. Er veräußert Gegenstände und macht Dritten großzügige Schenkungen, ohne sich mit den Nacherben abzustimmen. Sein nicht zur Erbschaft gehörendes Eigenvermögen hat er verbraucht. Die Nacherben fürchten um ihre Erbschaft und erkundigen sich, was sie gegen den Vorerben unternehmen können.

8.80 Besteht Grund zu der Annahme, dass der Vorerbe durch seine Verwaltung die Rechte des Nacherben erheblich verletzt, ist der Nacherbe berechtigt, von dem Vorerben Auskunft über den Bestand der Erbschaft zu verlangen, § 2127 BGB (dazu Rz. 27.83 ff.). Der Nacherbe kann Sicherheitsleistung begehren, wenn durch das Verhalten des Vorerben oder seine ungünstige Vermögenslage die Besorgnis einer erheblichen Verletzung der Rechte des Nacherben begründet wird, § 2128 Abs. 1 BGB. Ist der Vorerbe rechtskräftig zur Sicherheitsleistung verurteilt, können die Nacherben ferner verlangen, dass dem Vorerben die Verwaltung der Erbschaft entzogen und einem Verwalter übertragen wird, §§ 2128 Abs. 2, 1052 BGB. Damit verliert der Vorerbe nicht nur sein Verwaltungsrecht, sondern zugleich das Recht, über Erbschaftsgegenstände zu verfügen, § 2129 Abs. 1 BGB. Gutgläubige Dritte werden wie im Fall des § 2113 Abs. 3 BGB (Rz. 8.64) geschützt, § 2129 Abs. 2 BGB. Zu den Rechten des Nacherben während der Dauer der Vorerbschaft Rz. 8.99 ff.; zu seinen Rechten nach Eintritt des Nacherbfalls Rz. 8.124 ff. 3. Der befreite Vorerbe

8.81 Nach § 2136 BGB kann der Erblasser den Vorerben von den Beschränkungen und Verpflichtungen des § 2113 Abs. 1 und der §§ 2114, 2116 bis 2119, 2123, 2127 bis 2131, 2133, 2134 BGB befreien. Das ermöglicht die flexible Gestaltung der Vor- und Nacherbfolge1. Von der Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 2 BGB kann der Erblasser den Vorerben nach dem Wortlaut des § 2136 BGB nicht befreien (Rz. 8.62). Auch der befreite Vorerbe ist nicht befugt, unentgeltlich über Grundstücke oder Grundstücksrechte zu verfügen. Die Praxis umgeht diese fehlende Befreiungsmöglichkeit mit

1 Zu den Gestaltungsmöglichkeiten und -grenzen Mayer, ZEV 2000, 1 (2 ff.).

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.84 § 8

einer Vermächtnislösung1: Der Nacherbe wird mit einem Vermächtnis dahin gehend beschwert, dass er bestimmten unentgeltlichen Verfügungen des Vorerben zuzustimmen hat. Da der betreffende Nacherbe verpflichtet ist, den durch die Verfügung herbeigeführten Erfolg hinzunehmen, beeinträchtigt ihn die unentgeltliche Verfügung des Vorerben gem. § 2113 Abs. 2 BGB nicht. Die Befreiung des Vorerben verschafft ihm eine selbständige, von Kontroll- und Zustimmungsrech- 8.82 ten des Nacherben weitgehend unabhängige Stellung. Sie wird von Amts wegen im Grundbuch eingetragen (§ 51 GBO), hat jedoch Grenzen. Der Vorerbe bleibt Treuhänder des Nacherben und ist über § 2113 Abs. 2 BGB hinaus nicht von allen Beschränkungen und Verpflichtungen der §§ 2113 ff. BGB befreit. Er muss die gewöhnlichen Erhaltungskosten tragen (§ 2124 Abs. 1 BGB), auf Verlangen ein Nachlassverzeichnis mitteilen (§ 2121 BGB; dazu Rz. 27.76 ff.) und den Grundsatz der Surrogation (§ 2111 BGB; Rz. 8.120) sowie seine Schadenersatzpflicht bei Minderung des Nachlasses in Benachteiligungsabsicht (§ 2138 Abs. 2 BGB) beachten. Seine Eigengläubiger sind bei Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber der Vorerbschaft auch im Fall des § 2136 BGB beschränkt (§ 2115 BGB; Rz. 8.127 ff.). Soweit der Erblasser den Vorerben nicht befreien kann, darf er die Rechte des Nacherben nicht dadurch schmälern, dass er den Vorerben zum Testamentsvollstrecker des Nacherben (§ 2222 BGB) beruft. Die Befreiung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen (vgl. § 2137 BGB)2. Sie ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung zu ermitteln. Es können auch außerhalb der letztwilligen Verfügung liegende Umstände hinzugezogen werden, wenn die Befreiung in der Urkunde andeutungsweise zum Ausdruck kommt.

8.83

Beratungssituation: Der Erblasser hat seinen Ehegatten zum Vorerben und entferntere Verwandte zu Nacherben eingesetzt. Der Ehegatte, der wesentlich zum Erwerb des Vermögens beigetragen und mit einer Vollerbenstellung gerechnet hat, fragt, ob er jetzt zumindest befreiter Vorerbe ist.

Die Rechtsprechung3 hat in dieser Konstellation eine stillschweigende Befreiung bejaht: Handele es sich bei dem Vorerben um eine dem Erblasser nahestehende Person (z.B. der Ehegatte) und bei dem Nacherben mangels anderer naher Verwandter um einen entfernten Verwandten, sei die schlüssige Befreiung von den gesetzlichen Beschränkungen anzunehmen, wenn die nahestehende Person wesentlich zum Vermögenserwerb des Erblassers beigetragen habe. Auch sonst spielen die verwandtschaftliche Nähe und der Wille, das Familienvermögen zusammenzuhalten, für die Auslegung eine große Rolle. Je mehr die Vorerbschaft darauf beruht, dass der Vorerbe zeitlebens ein sicheres Auskommen haben soll, desto eher liegt die Annahme nahe, dass er zu diesem Zweck den Stamm des Nachlasses angreifen darf. Die bloße Einsetzung zum „alleinigen Vorerben“ spricht dagegen noch nicht für eine Befreiung, weil auch der nicht befreite Vorerbe Alleinerbe ist4. Wird der Nacherbe auf dasjenige eingesetzt, was von der Erbschaft bei Eintritt des Nacherbfalls übrig ist, gilt diese Einsetzung auf den Überrest nach § 2137 Abs. 1 BGB als Befreiung im Sinne von § 2136 BGB. Das Gleiche ist im Zweifel anzunehmen, wenn der Vorerbe zur freien Verfügung über die Erbschaft berechtigt sein soll, § 2137 Abs. 2 BGB. Zu der Frage, ob der überlebende Ehegatte bei einer Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament befreiter Vorerbe ist, vgl. Rz. 11.55. Die Befreiung kann personell und gegenständlich sein. Sie kann sich auf bestimmte Personen (einer 8.84 von mehreren Vorerben, Ersatzvorerbe, Erbe des Vorerben), auf einzelne Erbschaftsgegenstände (z.B. Unterscheidung von Privat- und Geschäftsvermögen) oder auf einzelne Geschäfte beziehen5. Des Weiteren ist es zulässig, die Befreiung von dem Eintritt einer oder mehrerer Bedingungen (§§ 158, 2074, 1 OLG Düsseldorf v. 14.6.1999 – 3 Wx 104/99, ZEV 2000, 29 (30) m. krit. Anm. Wübben; Kipp/Coing, § 51 III 1b; Mayer, ZEV 1996, 104 (105); Müller, ZEV 1996, 179 (180); Staudinger/Avenarius, § 2136 Rz. 7; ablehnend MüKo.BGB/Grunsky, § 2136 Rz. 9. 2 BayObLG v. 29.11.1991 – BReg. 1Z 12/91, FamRZ 1992, 728 (729). 3 BayObLG v. 28.10.1960 – BReg. 1Z 39/60, BayObLGZ 1960, 432 (437). 4 BGH v. 4.12.1969 – III ZR 31/68, FamRZ 1970, 192; Brox, Rz. 369; Palandt/Weidlich, § 2136 Rz. 5. 5 MüKo.BGB/Grunsky, § 2136 Rz. 7 f.

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§ 8 Rz. 8.85

Vor- und Nacherbschaft

2075 BGB) abhängig zu machen1. So können die Wirkungen des § 2136 BGB für den Fall angeordnet werden, dass der Vorerbe wirtschaftlich in Bedrängnis gerät und den Stamm der Erbschaft angreifen muss oder dass der Nacherbe aufgrund seiner finanziellen Stellung auf die Erbschaft nicht mehr angewiesen ist. Da umgekehrt auch letztwillige Beschränkungen auferlegt werden können, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen, eröffnet das in der Praxis vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten2. Sie sind namentlich beim Unternehmertestament von Bedeutung.

IV. Rechtsposition des Nacherben 8.85 Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau testamentarisch zur Vorerbin und die gemeinsamen Kinder zu Nacherben eingesetzt. Der Nacherbfall soll mit dem Ableben der Frau eintreten. Die Ehefrau hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Wenige Monate nach dem Tod des Mannes verstirbt auch die Frau. Die Kinder fragen, wie sie ihre Eltern beerbt haben.

8.86 Mit dem Tod des Mannes ist die Ehefrau seine alleinige Vorerbin geworden, mit ihrem Ableben der Nacherbfall eingetreten, § 2139 BGB. Die Kinder haben in ihrer Eigenschaft als Nacherben den Vater und nicht etwa ihre Mutter als Vorerbin beerbt (Rz. 8.1). Nur erbschaftsteuerrechtlich werden sie so behandelt, als stamme das Vermögen von der Mutter, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Dieser Erbgang betrifft allerdings nur den Nachlass des Mannes. Die Kinder haben kraft gesetzlicher Erbfolge auch ihre Mutter beerbt, §§ 1924 Abs. 1, 1930 BGB. Mit dem Tod der Frau erben sie gleichzeitig kraft gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge. Sie sind sowohl Nacherben ihres Vaters als auch Vollerben ihrer Mutter. Es handelt sich um zwei verschiedene Nachlässe, die gesondert zu verwalten, auseinander zu setzen (§ 2042 BGB) und zu versteuern sind (§ 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG; Rz. 8.26). Die Stellung der Nacherben hängt davon ab, wann sie ihre Rechte geltend machen. Zu unterscheiden sind der Zeitraum der Vorerbschaft (Rz. 8.87 ff.) und die Zeit nach Eintritt des Nacherbfalls (Rz. 8.111 ff.): 1. Stellung des Nacherben während der Dauer der Vorerbschaft

8.87 Der Nacherbe wird zwar erst mit dem Nacherbfall Erbe (§ 2139 BGB). Er erlangt jedoch schon mit dem Erbfall eine so sichere Aussicht auf die Erbenstellung, dass von einem Anwartschaftsrecht gesprochen werden kann (Rz. 8.88 ff.). Die Wirkung der Anwartschaft äußert sich darin, dass der Nacherbe gegenüber dem Vorerben bestimmte Sicherungsrechte erhält (Rz. 8.99 ff.). Dazu gehören Zustimmungsrechte zu bestimmten Verfügungen (§ 2113 BGB), Rechte auf Auskunft (§ 2127 BGB), Sicherheitsleistung (§ 2128 BGB) oder Mitteilung des Inventars (§ 2121 BGB). Die Prozessführung des Vorerben über Erbschaftsgegenstände und Nachlassverbindlichkeiten bindet ihn nur ausnahmsweise (Rz. 8.75 ff.). a) Das Anwartschaftsrecht des Nacherben

8.88 Mit dem Erbfall erwirbt der Nacherbe ein bedingtes oder befristetes Erbrecht in Gestalt eines Anwartschaftsrechts auf Eintritt in die Erbenposition3. Der Nacherbe kann vor Eintritt des Nacherbfalls – nicht des Erbfalls (§ 311 Buchstabe b BGB) – darüber verfügen, sofern der Erblasser die Übertragbarkeit nicht ausgeschlossen hat. Das Nacherbenrecht wird von Amts wegen als Verfügungsbeschränkung des Vorerben in Abteilung II des Grundbuchs eingetragen (§ 51 GBO), um den nacherbschaftsfreien Erwerb Dritter zu verhindern (§ 2113 Abs. 3 BGB; Rz. 8.65). Kann der Nacherbe noch nicht namentlich bezeichnet werden (§§ 2101 Abs. 1, 2106 Abs. 2 BGB), muss er durch anderweitige Merkmale so 1 BayObLG v. 10.7.1984 – BReg. 1Z 4/84, FamRZ 1984, 1272; Erman/M. Schmidt, § 2136 Rz. 1. 2 Mayer, ZEV 2000, 1 (3 ff.) mit zahlreichen Formulierungsbeispielen. 3 RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (168); BGH v. 9.6.1983 – IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367 (369) = MDR 1983, 839 = FamRZ 1983, 809, 882; BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456; BayObLG v. 29.11.1991 – BReg. 1Z 12/91, BayObLG v. 29.11.1991 – BReg.1 Z 12/91, FamRZ 1992, 728 (729); Erman/M. Schmidt, § 2100 Rz. 10.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.91 § 8

umschrieben werden, dass keine Unklarheiten über die Verfügungsbeschränkung des Vorerben auftreten können. Voraussetzung ist stets, dass auch der Vorerbe eingetragen ist. Ein isolierter Nacherbenvermerk ist unzulässig. Die Übertragung des Nacherbenrechts vor Eintritt der Nacherbfolge ist nach herrschender Mei- 8.88a nung1 selbst dann zulässig, wenn das Nacherbenrecht nach §§ 2108 Abs. 2 S. 2, 2074 BGB aufschiebend bedingt ist. Die Übertragbarkeit hängt nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Nacherbfalls ab. Das entspricht dem wirtschaftlichen Interesse des Nacherben: Er kann den Wert seiner Erbaussicht vor dem Nacherbfall durch Veräußerung oder Kreditsicherung nutzen. Anders als der Vorerbe hat er noch keine Rechte an einzelnen Nachlassgegenständen. Ebenso wie im Fall des § 2033 BGB besteht ein gesteigertes Interesse an der Verkehrsfähigkeit des Erblasservermögens. Aus der entsprechenden Anwendung des § 2033 Abs. 1 S. 2 BGB resultiert, dass die Verfügung der notariellen Beurkundung (§ 128 BGB) bedarf. Für das zugrunde liegende Kausalgeschäft gilt die Form der §§ 2371, 2385 BGB2. Mitnacherben und Vorerben steht ein Vorkaufsrecht zu, § 2034 BGB. Mit der Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts tritt der Erwerber in die Rechtsstellung des 8.89 Nacherben ein, ohne selbst Nacherbe zu sein. Er wird nicht in den Erbschein nach dem Erblasser aufgenommen, darf die Anwartschaft aber weiterveräußern. Vor dem Eintritt des Nacherbfalls übt er die Rechte des bisherigen Nacherben aus, nach dem Nacherbfall erlangt er ohne Durchgangserwerb die Rechtsstellung des Erben. Ist der Vorerbe auf die Zustimmung des Nacherben angewiesen (z.B. nach § 2113 BGB), muss diese vom Erwerber erteilt werden. Wird das Nacherbenrecht auf den Vorerben übertragen, ist dieser sogleich Vollerbe. Die Abfindung des Nacherben ist von ihm nach § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG zu versteuern. Der Vorerbe seinerseits kann sie nicht als Erwerbskosten (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG) absetzen. Zu beachten ist, dass in der Verfügung des Nacherben oft die schlüssige Annahme der Erbschaft liegt, so dass sie der Erwerber nicht mehr ausschlagen kann, § 1943 BGB. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, die Annahme der Erbschaft wegen Irrtums des Nacherben anzufechten, § 1957 Abs. 1 BGB. Mit dem Nacherbfall haftet der Erwerber für die Nachlassverbindlichkeiten. Anders als im Fall des § 2382 Abs. 1 BGB haftet der Veräußerer nicht mit. Das Anwartschaftsrecht kann durch die Gläubiger des Nacherben gepfändet und verwertet werden. 8.90 Gegenstand der Pfändung ist das Nacherbenrecht und nicht der künftige Herausgabeanspruch gem. § 2130 Abs. 1 BGB. Die Pfändung erfolgt durch Pfändungsbeschluss nach § 857 Abs. 1 ZPO. Sind Mitnacherben vorhanden, muss er auch ihnen zugestellt werden. Ob der Beschluss dem Vorerben als Drittschuldner (§ 857 Abs. 2 ZPO) zugestellt werden muss, ist streitig3. Schlägt der Nacherbe die Nacherbschaft aus, wird die Pfändung gegenstandslos. Das gepfändete Nacherbenrecht wird durch Versteigerung (§ 857 Abs. 5 ZPO) oder freihändigen Verkauf (§ 844 ZPO) verwertet, wobei Mitnacherben und Vorerbe kein Vorkaufsrecht haben. Tritt nach der Pfändung, aber vor der Verwertung, der Nacherbfall ein, setzt sich das Pfändungspfandrecht am Herausgabeanspruch (§ 2130 Abs. 1 BGB) und an den Nachlassforderungen, nicht an den Nachlasssachen fort. In der Insolvenz des Nacherben gehört das Nacherbenrecht zur Insolvenzmasse, vgl. §§ 329 ff. InsO. Das Anwartschaftsrecht fällt weg, wenn der Nacherbe die Erbschaft ausschlägt. Dazu ist er nicht erst nach Eintritt des Nacherbfalls, sondern schon mit dem Erbfall berechtigt, §§ 2142 Abs. 1, 1946 BGB. Das gilt auch, wenn er unter aufschiebender Bedingung oder Befristung oder als weiterer Nacherbe berufen ist. Die Erbschaft verbleibt dann im Zweifel dem Vorerben, § 2142 Abs. 2 BGB. Die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB beginnt erst mit dem Anfall der Erbschaft durch den Nacherbfall, §§ 2139, 2142 Abs. 1 BGB. Der Nacherbe darf den Nacherbfall abwarten. Wegen der drohenden Verjährung des

1 Lange/Kuchinke, § 28 VII 3e; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 27; Soergel/Harder/Wegmann, § 2100 Rz. 11. 2 RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (169); Palandt/Weidlich, § 2108 Rz. 6; Soergel/Harder/Wegmann, § 2100 Rz. 12. 3 Bejahend MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 32, verneinend Brox, Rz. 346.

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8.91

§ 8 Rz. 8.92

Vor- und Nacherbschaft

Pflichtteilsanspruchs (§§ 2306 Abs. 2, 2332 BGB) kann er aber gehalten sein, vor dem Nacherbfall auszuschlagen1. Das Ausschlagungsrecht des Nacherben ist von dem des Vorerben unabhängig.

8.92 Schlägt der Nacherbe die Erbschaft vor dem Nacherbfall wirksam aus (§§ 1944 ff. BGB), wird sein Anwartschaftsrecht rückwirkend beseitigt. Erfolgt die Ausschlagung nach dem Eintritt der Nacherbfolge, gilt der Anfall der Erbschaft an ihn als nicht erfolgt, § 1953 Abs. 1 BGB. Der Vorerbe wird Vollerbe, falls der Erblasser nichts anderes bestimmt hat, § 2142 Abs. 2 BGB. Maßgeblich ist der durch Auslegung zu ermittelnde Erblasserwille, nicht der Wunsch des Nacherben, gegen den Willen des Verstorbenen zugunsten des Vorerben auszuschlagen. So wird der Vorerbe nicht Vollerbe, wenn der Erblasser eine Ersatznacherbfolge (§§ 2096, 2102 BGB) angeordnet hat, diese vermutet wird (§ 2069 BGB) oder eine Anwachsung unter Mitnacherben nach § 2094 Abs. 1 BGB eintritt, es sei denn, der Erblasser hat die Anwachsung ausgeschlossen, § 2094 Abs. 3 BGB. Schlägt der Nacherbe die Erbschaft aus, um den Pflichtteil zu erlangen (§ 2306 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB), entspricht es gewöhnlich nicht dem Willen des Erblassers, dass die Erbschaft an die Abkömmlinge des Nacherben als Ersatznacherben fällt. Sie verbleibt dem Vorerben, sofern der Erblasser im Testament nichts anderes bestimmt2. Treten weder Ersatznacherbfolge noch Anwachsung ein, wollte der Erblasser jedoch ausschließen, dass der Vorerbe bei Ausschlagung des Nacherben zum Vollerben wird, fällt das Nacherbenrecht den gesetzlichen Erben des Erblassers zu (§ 2104 BGB; Rz. 8.34). Ist die Rechtslage nach § 2142 Abs. 2 BGB unklar und soll der Vorerbe auf jeden Fall Vollerbe werden, ist anstelle der Ausschlagung die Übertragung der Nacherbenanwartschaft auf den Vorerben ratsam (Rz. 8.88a).

8.93 Über die Annahme der Erbschaft durch den Nacherben sagt § 2142 BGB nichts. Es ist jedoch anerkannt3, dass der Nacherbe die Erbschaft bereits mit dem Erbfall und nicht erst mit dem Nacherbfall annehmen kann, § 1946 BGB. Die Annahme kann schlüssig erfolgen. So wird in der Verfügung über das Nacherbenrecht meist die konkludente Annahme der Erbschaft zu sehen sein. Die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten, die nur das Anwartschaftsrecht sichern sollen (Auskunftsverlangen nach § 2127 BGB; Zustimmung zu einer Verfügung des Vorerben nach §§ 2113, 2120 BGB), reicht nicht aus. Dass der Nacherbe die Anwartschaft nach der Annahme der Erbschaft nicht mehr durch Ausschlagung beseitigen kann, gewinnt praktische Bedeutung – für den Erwerber der Anwartschaft (Rz. 8.89). Er kann sicher sein, dass die Nacherbschaft nicht mehr durch Ausschlagung des Nacherben erlischt. – für die Pfändungsgläubiger (Rz. 8.90). Sie sind davor geschützt, dass die Nacherbschaft als Vollstreckungsobjekt verloren geht.

8.94 Stirbt der Nacherbe im Zeitraum zwischen Erbfall und Nacherbfall, stellt sich die Frage nach der Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts. Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau testamentarisch zur Vorerbin und die beiden gemeinsamen Kinder zu Nacherben eingesetzt. Der Nacherbfall soll mit dem Ableben der Frau oder ihrer Wiederheirat eintreten. Im letzteren Fall soll die Frau mit dem Pflichtteil abgefunden werden und die Erbschaft an die Kinder herausgeben. Einige Monate nach dem Tod des Mannes kommt das älteste Kind bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Als die Ehefrau wenig später erneut heiratet, hält sich das überlebende Kind aus erster Ehe für den Alleinerben des Vaters und verlangt den Nachlass von seiner Mutter heraus. Diese weigert sich. Sie sei als gesetzliche Erbin ihres verstorbenen Kindes zur Hälfte am Nachlass ihres Mannes beteiligt.

1 RG v. 5.1.1905 – Rep. IV 320/04, RGZ 59, 341 (346); BGB-RGRK/Johannsen, § 2142 Rz. 6. Zum Beginn der Ausschlagungsfrist des Nacherben OLG München v. 2.12.2010 – 31 Wx 67/10, FamRZ 2011, 678 = ZEV 2011, 318. 2 OLG Frankfurt v. 25.8.1970 – 6 W 244/70, OLGZ 1971, 208; Erman/M. Schmidt, § 2142 Rz. 4. 3 RG v. 9.12.1912 – Rep. IV 187/12, RGZ 80, 377 (380); BayObLG v. 22.6.1966 – BReg. 1b Z 12/66. BayObLGZ 1966, 227 (230); Erman/M. Schmidt, § 2142 Rz. 1.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.97 § 8

Für die Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts ist in erster Linie der Wille des Erblassers maßgeblich. Er kann die Vererblichkeit durch Verfügung von Todes wegen ganz oder teilweise ausschließen, § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB. Wenn kein Ersatznacherbe (§ 2096 BGB) bestimmt ist, wird der Vorerbe mit dem Tod des Nacherben Vollerbe. Die Beschränkung der Vererblichkeit auf einen Teil der Erben des Nacherben ermöglicht es dem Erblasser, die Vererbung nur innerhalb eines bestimmten Personenkreises, z.B. den Familienangehörigen, zuzulassen1. Gehören die Erben des Nacherben dem Personenkreis an, fällt ihnen der Nachlass zu. Die Vererblichkeit kann auch an eine zeitliche Grenze geknüpft sein. Setzt der Erblasser mehrere Mitnacherben in der Weise ein, dass die Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts ausgeschlossen ist, wächst der Anteil eines zwischen Erb- und Nacherbfall wegfallenden Mitnacherben den anderen Mitnacherben im Verhältnis ihrer Anteile an, § 2094 BGB. Anders ist es, wenn eine ausdrückliche oder schlüssige Ersatzberufung für den fortgefallenen Nacherben festgestellt wird. Sie geht der Anwachsung vor, § 2099 BGB. Lässt sich durch Auslegung der Verfügung von Todes wegen kein eindeutiges Ergebnis erzielen, greift 8.95 die Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB ein. Danach ist das Anwartschaftsrecht des Nacherben im Zweifel vererblich. Es geht auf die gesetzlichen oder testamentarischen Erben über, deren Rechtsstellung wiederum vererblich ist, § 1922 BGB. Da der Nacherbe den Nacherbfall nicht mehr zu erleben braucht, geht das Anwartschaftsrecht auch beim Tod des Nacherben im Augenblick des Nacherbfalls auf seine Erben über. Die Auslegungsregel gilt nicht, wenn eine aufschiebend bedingte Nacherbeneinsetzung vorliegt, §§ 2108 Abs. 2 S. 2, 2074 BGB. Erbschaftsteuerrechtlich ist zu beachten, dass ein steuerpflichtiger Erwerb erst mit dem Nacherbfall eintritt. Stirbt der Nacherbe vor dem Nacherbfall, geht sein Anwartschaftsrecht als zunächst nicht steuerpflichtiger Erwerb auf seine Erben über, § 10 Abs. 4 ErbStG. In der obigen Beratungssituation bestehen zwei Möglichkeiten: Ist das Nacherbenrecht des verstor- 8.96 benen Kindes nach § 2108 Abs. 2 BGB auf die Mutter als gesetzliche Erbin (§ 1925 Abs. 1 BGB) übergegangen, ist sie zur Hälfte am Nachlass ihres ersten Ehemannes beteiligt. Dagegen wird das überlebende Kind aus erster Ehe mit der Wiederheirat der Mutter (Eintritt des Nacherbfalls) Alleinerbe seines Vaters, wenn ihm der Erbteil des verstorbenen Mitnacherben angewachsen ist, § 2094 BGB. Entscheidend ist der Wille des Erblassers. Hat er das Nacherbenrecht vererblich ausgestaltet, geht die Vererblichkeit (zugunsten seiner Ehefrau) der Anwachsung (zugunsten seines überlebenden Abkömmlings) vor. Vorliegend dürfte ein Ausschluss der Vererblichkeit anzunehmen sein. Zwar fehlt die ausdrückliche Anordnung des verstorbenen Ehemannes für den Fall, dass eines seiner Kinder vor der Ehefrau stirbt. Das Testament lässt aber erkennen, dass die Ehefrau im Fall ihrer Wiederheirat nicht mehr als Erbin am Nachlass beteiligt, sondern nur noch Pflichtteilsberechtigte sein soll. Der Nacherbenanteil des verstorbenen Kindes ist dem überlebenden Kind aus erster Ehe angewachsen, § 2094 BGB. Es ist Alleinerbe seines Vaters. Bei der Berufung eines Abkömmlings zum Nacherben ergeben sich auch deshalb Probleme, weil das Verhältnis von vererblichem Nacherbenrecht und schlüssiger Berufung eines Ersatznacherben (§§ 2069, 2096 BGB; Rz. 8.15, 8.106 ff.) nicht einfach zu bestimmen ist: Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau zur Vorerbin und seinen Sohn zum Nacherben eingesetzt. Zwei Jahre nach dem Tod des Erblassers stirbt auch der Sohn. Er hinterlässt eine Ehefrau sowie zwei Kinder. Nach dem Tod der Vorerbin fragen die Überlebenden, ob und in welcher Höhe sie geerbt haben.

Wäre das mit dem Erbfall erworbene Nacherbenrecht des Sohnes vererblich (§ 2108 Abs. 2 BGB), wäre es mit seinem Tod auf die gesetzlichen Erben übergegangen, § 1922 BGB. Die Ehefrau des Sohnes könnte die Hälfte (§§ 1931 Abs. 1, 1371 Abs. 1 BGB), seine Kinder könnten jeweils ein Viertel (§ 1924 Abs. 1, 4 BGB) beanspruchen. Nach Eintritt des Nacherbfalls (Tod der Vorerbin, § 2106 Abs. 1 BGB) 1 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (173); BGH v. 23.1.1963 – V ZR 82/61, NJW 1963, 1150; Brox, Rz. 345; Erman/M. Schmidt, § 2108 Rz. 4.

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8.97

§ 8 Rz. 8.98

Vor- und Nacherbschaft

hätten sie den Erblasser mit diesen Erbquoten beerbt. Anders wäre es, wenn die beiden Kinder des Sohnes nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB – sie sind Abkömmlinge des Nacherben – zu Ersatznacherben berufen wären. Dann würden nur sie und nicht auch ihre Mutter erben.

8.98 Über das Verhältnis der §§ 2069, 2108 Abs. 2 BGB zueinander lässt sich keine generelle Aussage treffen. Nimmt man an, dass die Ersatzberufung der Vererblichkeit vorgeht, fällt der Nachlass allein den Abkömmlingen zu. Er bleibt in der Familie des Erblassers. Geht man von einer Vererbung des Nacherbenrechts aus, können auch familienfremde Personen (hier die Schwiegertochter) zu den Erben des Nacherben gehören. Maßgeblich ist wiederum der Wille des Erblassers1. Es kommt darauf an, ob er eine Ersatzberufung oder die Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft gewollt hat. Angesichts der Gefahr, dass der Nachlass Familienfremden zufällt, wird es oft seinem Willen entsprechen, dass die Abkömmlinge des Nacherben Ersatzberufene sind und die Nacherbenanwartschaft unvererblich ist2. Andererseits ist die Vererblichkeit nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Nacherbe ein Abkömmling des Erblassers ist. In der obigen Beratungssituation bedeutet das: Ein Wille des Erblassers, die Vererblichkeit zulasten seiner Schwiegertochter auszuschließen, lässt sich nicht feststellen. Das Nacherbenrecht seines Sohnes insgesamt vererblich. Mit dem Tod der Vorerbin ist der Erblasser zur Hälfte von seiner Schwiegertochter und zu je einem Viertel von seinen Enkeln beerbt worden. b) Rechte gegenüber dem Vorerben

8.99 Die Rechtsstellung des Nacherben ist bereits vor Eintritt des Nacherbfalls geschützt. Das äußert sich in den Verfügungsbeschränkungen des Vorerben (§§ 2113 ff. BGB; Rz. 8.42 ff.) und in seiner Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses (§§ 2116 ff. BGB; Rz. 8.68 ff.). Die Prozessführung des Vorerben bindet den Nacherben nur ausnahmsweise (§ 326 ZPO; Rz. 8.75). Der Nacherbe hat vor Eintritt des Nacherbfalls Auskunfts-, Prüfungs- und Mitbestimmungsrechte:

8.100 § 2121 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet den Vorerben, dem Nacherben auf Verlangen ein Verzeichnis der zur Erbschaft gehörenden Gegenstände mitzuteilen. Von dieser Pflicht kann ihn der Erblasser nicht befreien, § 2136 BGB. Das Verzeichnis hat Kontrollfunktion für den Nacherben und schafft die Beweisgrundlage für spätere Auseinandersetzungen mit dem Vorerben über dessen ordnungsmäßige Verwaltung des Nachlasses, die Pflicht zur Herausgabe des Nachlasses nach Eintritt des Nacherbfalls (§ 2130 Abs. 1 BGB) und die Feststellung seiner Haftung (§§ 2131 ff. BGB; Rz. 8.79). Zu den Einzelheiten des Auskunftsanspruchs Rz. 27.40 ff.

8.101 Die Verzeichnispflicht wird nach Maßgabe des § 2121 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 3 BGB erfüllt: Das Verzeichnis muss mit der Angabe des Tages der Aufnahme versehen und vom Vorerben unterzeichnet sein. Dieser hat die Unterzeichnung auf Verlangen öffentlich beglaubigen zu lassen. Zur Vermeidung von Manipulationen kann der Nacherbe verlangen, bei der Aufnahme des Verzeichnisses hinzugezogen zu werden. Der Vorerbe ist berechtigt und auf Verlangen des Nacherben verpflichtet, das Verzeichnis durch die zuständige Behörde oder durch einen zuständigen Beamten oder Notar aufnehmen zu lassen. Sind Auseinandersetzungen mit dem Nacherben absehbar, wird er an der amtlichen Aufnahme des Verzeichnisses selbst interessiert sein, zumal die Kosten der Erbschaft zur Last fallen, § 2121 Abs. 4 BGB.

8.102 Der Nacherbe hat ferner das Recht, den Zustand der zur Erbschaft gehörenden Sachen auf seine Kosten durch Sachverständige feststellen zu lassen, § 2122 BGB. Auch diese Befugnis hat Kontrollfunktion für den Nacherben und schafft die Beweisgrundlage für spätere Auseinandersetzungen mit 1 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (174); RG v. 11.3.1942 – IV B 5/42, RGZ 169, 38 (39); BayObLG v. 30.9.1993 – 1Z BR 9/93, FamRZ 1994, 783 = NJW-RR 1994, 460; Musielak, ZEV 1995, 5 (6 f.). 2 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (173); RG v. 11.3.1942 – IV B 5/42, RGZ 169, 38 (42); BGH v. 23.1.1963 – V ZR 82/61, NJW 1963, 1150; OLG Oldenburg v. 23.2.2010 – 12 U 75/09, ZEV 2010, 635.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.107 § 8

dem Vorerben. Von der entsprechenden Duldungspflicht kann der Vorerbe nicht befreit werden, § 2136 BGB. Die Geltendmachung des Anspruchs ist auf einzelne Gegenstände beschränkbar. Sie umfasst auch die in die Erbschaft gelangten Surrogate (§ 2111 BGB; Rz. 8.120). Ist eine erhebliche Verletzung der Rechte des Nacherben zu befürchten, gewähren ihm die §§ 2127 bis 2129 BGB während der Dauer der Vorerbschaft zusätzliche Rechte:

8.103

– Könnte der Nacherbe nur den einmaligen Auskunftsanspruch des § 2121 BGB geltend machen, wären sein Anwartschaftsrecht und sein Herausgabeanspruch nach dem Eintritt der Nacherbfolge (§ 2130 Abs. 1 BGB) unzureichend geschützt. § 2127 BGB verschafft dem Nacherben darum während der Dauer der Vorerbschaft eine Kontrollmöglichkeit. Er kann von dem Vorerben Auskunft über den Bestand der Erbschaft verlangen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Vorerbe durch seine Verwaltung die Rechte des Nacherben erheblich verletzt. Der Anspruch zielt auf Auskunft über den aktuellen Nachlassbestand. Dazu gehört nicht nur der gefährdete Gegenstand, sondern die gesamte Erbschaft einschließlich der Surrogate (§ 2111 BGB; Rz. 8.120). Mit jedem neuen Grund, der eine Verletzung der Nacherbenrechte vermuten lässt, ist das Rechtsschutzbedürfnis im Sinne des § 2127 BGB zu bejahen. Zu den Einzelheiten des Auskunftsanspruchs Rz. 8.83 ff. – Der Nacherbe kann Sicherheitsleistung begehren, wenn durch das Verhalten des Vorerben oder seine ungünstige Vermögenslage die Besorgnis einer erheblichen Verletzung der Rechte des Nacherben begründet wird, § 2128 Abs. 1 BGB. Das Verhalten des Vorerben muss mit seiner Erbschaftsverwaltung zusammenhängen. Verschulden ist nicht erforderlich. Eine Gefährdung der Rechte des Nacherben durch die ungünstige Vermögenslage des Vorerben ist bspw. zu bejahen, wenn die Gläubiger des Vorerben in Nachlassgegenstände zu vollstrecken drohen. § 2115 BGB ändert daran nichts. Ist der Vorerbe rechtskräftig zur Sicherheitsleistung verurteilt, kann der Nacherbe verlangen, dass ihm die Verwaltung der Erbschaft entzogen und einem Verwalter übertragen wird, §§ 2128 Abs. 2, 1052 BGB. – Wird dem Vorerben die Verwaltung der Erbschaft nach §§ 2128 Abs. 2, 1052 BGB entzogen, verliert er neben der Verwaltungsbefugnis das Recht, über Erbschaftsgegenstände zu verfügen, § 2129 Abs. 1 BGB. Gutgläubige Dritte werden wie im Fall des § 2113 Abs. 3 BGB (Rz. 8.64) geschützt, § 2129 Abs. 2 BGB.

8.104–8.105

Einstweilen frei. c) Stellung des Ersatznacherben

§ 2102 Abs. 1 BGB bestimmt, was gelten soll, wenn der zuerst Berufene nicht Erbe wird, weil er die Erbschaft ausschlägt oder vorverstirbt. Das Gesetz vermutet, dass der Erblasser den als Nacherben Eingesetzten im Zweifel auch als Ersatzerben einsetzen will. § 2102 Abs. 2 BGB trägt dem Umstand Rechnung, dass die Position des Ersatzerben schwächer ist als die des Nacherben (Rz. 8.31). Für den Fall, dass der Nacherbe nicht Erbe wird, kann der Erblasser einen Ersatznacherben einsetzen. Dieser muss beim Nacherbfall erzeugt sein, § 1923 BGB. Andernfalls wird er zweiter Nacherbe (§ 2101 Abs. 1 S. 1 BGB; Rz. 8.30). Der in erster Linie Berufene kann vor dem Erbfall, während der Zeit der Vorerbschaft oder nach dem Nacherbfall wegfallen. Stirbt der Nacherbe zwischen dem Erb- und dem Nacherbfall, muss die Vererblichkeit des Nacherbenrechts (§ 2108 Abs. 2 BGB) von der schlüssigen Berufung eines Ersatznacherben (§§ 2069, 2096 BGB) abgegrenzt werden (Rz. 8.97 f.).

8.106

Die Rechtsstellung des Nacherben wird durch die Anordnung einer Ersatznacherbschaft nicht berührt. Der Ersatznacherbe hat mit Eintritt des Erbfalls eine eigene, übertragbare Anwartschaft1. Weil

8.107

1 BayObLG v. 29.11.1991 – BReg. 1Z 12/91, FamRZ 1992, 728 (729); OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 3 Wx 80/09, FamRZ 2010, 1771 = ZEV 2010, 574 m. Anm. Hartmann; Haegele, Rpfleger 1967, 161 (165); MüKo.BGB/Grunsky, § 2102 Rz. 9.

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§ 8 Rz. 8.108

Vor- und Nacherbschaft

die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Ersatznacherbfolge wesentlich geringer ist als die für den Eintritt der Nacherbfolge, ist die Position des Ersatznacherben gegenüber dem Vorerben nicht in gleichem Umfang gesichert wie die des Nacherben:

8.108 – Der Nacherbe kann über sein Anwartschaftsrecht (Rz. 8.88 ff.) auch ohne Zustimmung des Ersatznacherben verfügen und es auf den Vorerben oder einen Dritten übertragen. Die Stellung des Ersatznacherben wird dadurch nicht beeinträchtigt. Tritt der Ersatznacherbfall ein, ist die Verfügung dem Ersatznacherben gegenüber unwirksam, wenn er ihr nicht zugestimmt hat. Der Erwerber der Anwartschaft verliert seine Stellung in dem Moment, in dem der Nachlass an den Ersatznacherben fallen sollte1. Aus diesem Grund wird der Ersatznacherbenvermerk im Grundbuch nicht gelöscht, wenn der Nacherbe sein Anwartschaftsrecht überträgt. – Der Ersatznacherbe wird nicht nur ins Grundbuch, sondern auch in den Erbschein des Vorerben aufgenommen2. Schließlich steht beim Vorerbfall fest, dass der Vorerbe möglicherweise durch eine Ersatznacherbschaft beschränkt ist. Ohne den Ersatznacherbenvermerk könnten sich Dritte nach dem Wegfall des Nacherben auf das unbeschränkte Erbrecht des Vorerben berufen, § 2365 BGB. – Der gewöhnliche Ersatzerbe (§ 2096 BGB) hat vor dem Ersatzerbfall keine Rechte am Nachlass des Erben. Folglich hat auch der Ersatznacherbe vor dem Wegfall des Nacherben grundsätzlich keine Kontroll-, Sicherungs- und Zustimmungsrechte. Der Vorerbe benötigt in den Fällen der §§ 2113, 2114 BGB (Rz. 8.42 ff.) allein die Zustimmung des Nacherben, nicht auch die des Ersatznacherben3. Er schuldet ihm vor Eintritt des Ersatznacherbfalls weder ein Verzeichnis der Erbschaftsgegenstände (§ 2121 BGB) noch Auskunft (§ 2127 BGB) oder Sicherheitsleistung (§ 2128 BGB). Im Einzelfall kann es ratsam sein, auch den Ersatznacherben zustimmen zu lassen oder ihm die gewünschte Auskunft zu erteilen.

8.109–8.110 Einstweilen frei. 2. Stellung des Nacherben bei Eintritt des Nacherbfalls

8.111 Mit dem Nacherbfall realisiert sich das Anwartschaftsrecht des Nacherben. Er erwirbt die Erbschaft kraft Gesetzes vom Erblasser (§ 1922 BGB; Rz. 8.1). Mit dem Eintritt der Nacherbfolge hört der Vorerbe auf, Erbe zu sein, und fällt die Erbschaft dem Nacherben an, § 2139 BGB. Der Nacherbe darf sie ausschlagen, wenn er sie nicht vorher angenommen hat, §§ 2142, 1942 ff. BGB. Führt der Nacherbe den Nacherbfall wider Treu und Glauben herbei (z.B. durch Tötung des Vorerben), kann er sich nicht auf den Eintritt berufen (§ 162 Abs. 2 BGB; Rz. 8.37). Hat es der Vorerbe den Nachlassgläubigern gegenüber versäumt, den Eintritt des Nacherbfalls beim Nachlassgericht anzuzeigen, wird das durch die Anzeige des Nacherben ersetzt, § 2146 Abs. 1 S. 2 BGB. a) Wirkungen der Nacherbfolge

8.112 Die Wirkungen der Nacherbfolge ergeben sich aus den §§ 2139 bis 2146 BGB. Der Nacherbe erwirbt automatisch das Eigentum an allen Erbschaftsgegenständen. Er wird Gläubiger der Nachlassforderungen und Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten, § 2144 BGB. Durch den Anfall der Erbschaft an den Nacherben werden das Grundbuch und der Erbschein des Vorerben unrichtig. War ein 1 BayObLG v. 27.5.1970 – BReg. 2Z 16/70, NJW 1970, 1794; OLG Hamm v. 3.4.1970 – 15 W 496/69, NJW 1970, 1606; MüKo.BGB/Grunsky, § 2102 Rz. 8. Zur Löschung des Nacherbenvermerks ohne Zustimmung der Ersatznacherben OLG München v. 25.2.2015 – 34 Wx 3/15, ZEV 2015, 347. 2 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (173); Palandt/Weidlich, § 2102 Rz. 6. Vgl. auch OLG München v. 9.2.2015 – 34 Wx 416/14, NJW-RR 2015, 907: Keine Anhörung etwaiger Ersatznacherben bei Löschung eines Nacherbenvermerks wegen Grundbuchunrichtigkeit aufgrund wirksamer Verfügung des Vorerben. 3 RG v. 8.11.1934 – IV B 51/34, RGZ 145, 316 (321); BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115; Palandt/Weidlich, § 2102 Rz. 5.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.116 § 8

Nacherbenvermerk (§ 51 GBO) im Grundbuch eingetragen, genügt zur Umschreibung nicht die Bewilligung des Vorerben oder der Nachweis des Nacherbfalls. Der Nacherbe muss die Erbnachfolge durch einen sein Nacherbenrecht bezeugenden Erbschein nachweisen1. Der Erbschein des Vorerben wird vom Nachlassgericht eingezogen, § 2361 BGB. Der Nacherbe kann vom Vorerben Herausgabe des unrichtig gewordenen Erbscheins an das Nachlassgericht verlangen, §§ 2363 Abs. 2, 2362 Abs. 1 BGB. Der unmittelbare Besitz an den Nachlasssachen geht nicht immer kraft Gesetzes (§ 857 BGB) vom 8.113 Vorerben auf den Nacherben über. Vielmehr ist zu differenzieren: Hatte der Vorerbe die tatsächliche Sachherrschaft (§ 854 Abs. 1 BGB) begründet, bleibt der Besitz dem noch lebenden Vorerben auch mit Eintritt des Nacherbfalls. Ist der Nacherbfall der Tod des Vorerben, geht der Besitz auf dessen Erben über, § 857 BGB. Der Besitz muss durch Herausgabe der Erbschaft an den Nacherben übertragen werden, § 2130 Abs. 1 BGB. Nur wenn der Vorerbe den unmittelbaren Besitz noch nicht tatsächlich (§ 854 BGB), sondern allein über § 857 BGB erworben hatte, geht dieser automatisch auf den Nacherben über. Der Nacherbe ist Erbe und Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht etwa des Vorerben. Nur erb- 8.114 schaftsteuerrechtlich wird der Nacherbe im Grundsatz so behandelt, als stamme das Vermögen vom Vorerben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Eine vom Erblasser erteilte, über seinen Tod hinauswirkende und nicht widerrufene (§ 168 BGB) Vollmacht bleibt auch dem Nacherben gegenüber bestehen. Dagegen erlischt die vom Vorerben erteilte Vollmacht, weil der Nacherbe nicht sein Rechtsnachfolger ist, es sei denn, der Nacherbe hat der Bevollmächtigung zugestimmt. Tritt der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben ein (§ 2106 Abs. 1 BGB), sind die beteiligten Nachlässe streng zu trennen (s. dazu die Beratungssituation in Rz. 8.85). Sie sind gesondert zu verwalten, auseinander zu setzen (§ 2042 BGB) und zu versteuern (§ 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG). Es werden nicht ein, sondern zwei Erbscheine erteilt: einer nach dem Erblasser und einer nach dem Vorerben. Mit dem Erbfall erlöschen die zwischen dem Erblasser und dem Vorerben bestehenden Rechtsverhältnisse, § 1922 BGB. Vereinigen sich Gläubigerrecht und Schuld in einer Person, tritt Konfusion, vereinigen sich Recht und Belastung in einer Person, tritt Konsolidation ein. Angesichts der Nacherbfolge handelt es sich jedoch nur um ein vorübergehendes Ruhen. Mit dem Nacherbfall leben die erloschenen Rechtsverhältnisse wieder auf (§ 2143 BGB), wenn der Nachlass nicht vorher durch Testamentsvollstreckung, Nachlassverwaltung oder -insolvenz vom Eigenvermögen des Vorerben getrennt und dieselbe Rechtswirkung erzielt worden ist, § 1976 BGB2. Der Nacherbe erhält ohne rechtsgeschäftliche Neubegründung dieselben Rechte und Pflichten gegenüber dem Vorerben, als hätte er die Erbschaft im Zeitpunkt des Nacherbfalls vom Erblasser erhalten.

8.115

Da der Vorerbe Rechtsträger des Nachlasses ist, kann er während der Vorerbschaft gegen Ansprüche 8.116 seiner Eigengläubiger mit Nachlassforderungen aufrechnen, § 389 BGB. Mit dem Nacherbfall schuldet er dem Nacherben nicht nur Wertersatz, § 2134 BGB. Die Aufrechnung wirkt sich als unentgeltliche Verfügung über die Nachlassforderung aus, weil der Gegenwert nicht dem Nachlass, sondern dem Eigenvermögen des Vorerben zugeflossen ist. Sie wird gem. § 2113 Abs. 2 BGB (Rz. 8.56 ff.) unwirksam. Der Nacherbe wird Gläubiger der Nachlassforderung, der Eigengläubiger kann sich wieder an den Vorerben halten. Umgekehrt darf der Vorerbe gegen die Forderung eines Nachlassgläubigers mit einer Forderung seines Eigenvermögens aufrechnen. Er berichtigt dadurch unter Mehrung des Nachlasses eine Nachlassschuld aus seinem Eigenvermögen. Der Nacherbe ist ihm mit Eintritt der Nacherbfolge zum Ersatz verpflichtet, § 2124 Abs. 2 S. 2 BGB. Entsprechendes gilt, wenn der Nachlassgläubiger gegen eine Forderung des Eigenvermögens des Vorerben aufrechnet. Hier ist der Nacherbe nach § 2125 Abs. 1 BGB ersatzpflichtig. Zur Aufrechnung durch Eigengläubiger des Vorerben gegen eine Nachlassforderung Rz. 8.131. 1 H.M.: BGH v. 26.5.1982 – V ZB 8/81, BGHZ 84, 196 = MDR 1982, 839; Soergel/Harder/Wegmann, § 2139 Rz. 10. 2 BGH v. 1.6.1967 – II ZR 150/66, BGHZ 48, 214; Palandt/Weidlich, § 2143 Rz. 2.

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§ 8 Rz. 8.117

Vor- und Nacherbschaft

8.117 Mit dem Eintritt der Nacherbfolge hört der Vorerbe auf, Erbe zu sein, und fällt die Erbschaft dem Nacherben an, § 2139 BGB. Davon erfährt der Vorerbe jedoch häufig nicht sofort. § 2140 S. 1 BGB schützt ihn dadurch, dass seine Verfügungsbefugnis fortbesteht: Der Vorerbe ist auch nach Eintritt der Nacherbfolge in gleichem Umfang wie zuvor zur Verfügung über Nachlassgegenstände berechtigt, bis er vom Eintritt des Nacherbfalls Kenntnis erlangt oder ihn kennen muss. Das Verfügungsrecht erlischt bei einfacher Fahrlässigkeit. Die Regelung ist auf schuldrechtliche Verträge über Nachlassgegenstände entsprechend anwendbar1. Dritte können sich auf die Fortdauer der Berechtigung nicht berufen, wenn sie den Eintritt der Nacherbfolge bei Vornahme des Rechtsgeschäfts kennen oder kennen müssen, § 2140 S. 2 BGB.

8.118 Prozessual unterbricht der Nacherbfall die zwischen dem Vorerben und Dritten anhängigen Verfahren, §§ 239, 242, 246 ZPO. Dazu sowie zur Rechtskrafterstreckung auf den Nacherben (§ 326 ZPO) Rz. 8.75 ff. b) Gegenstand der Nacherbfolge

8.119 Die Erbschaft geht in dem Zustand auf den Nacherben über, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Nacherbfalls befindet. Gegenstand und Umfang der Nacherbfolge legt in erster Linie der Erblasser fest. Das gehört zu seiner inhaltlichen Gestaltungsfreiheit (Rz. 8.12). Daneben enthält § 2110 BGB Auslegungsregeln über den Umfang des Nacherbenrechts (Rz. 8.39). Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser dem Nacherben im Zweifel den gesamten Nachlass zukommen lassen will. Der Nacherbe rückt in die volle Position des Vorerben ein. Hat dieser von dem Wegfall eines Miterben profitiert (§§ 1935, 2094, 2096 BGB), kommt das auch dem Nacherben zugute, § 2110 Abs. 1 BGB. Ein dem Vorerben zugewandtes Vorausvermächtnis (§§ 2150, 2174 BGB) unterliegt hingegen im Zweifel nicht der Nacherbschaft, § 2110 Abs. 2 BGB. Es bleibt im Vermögen des Vorerben, weil er den Gegenstand unabhängig von seinem Erbteil bekommen hat. Dem Erblasser ist es unbenommen, den Nacherben als Nach- oder Ersatzvermächtnisnehmer einzusetzen, §§ 2190, 2191 BGB. Soll das Vorausvermächtnis dem Nacherben nicht zufallen, ist das im Erbschein zu vermerken, damit der Erbschein keine unzutreffende Beschränkung des Vorerben ausweist.

8.120 Zur Erbschaft des Nacherben gehören auch die Surrogate, § 2111 Abs. 1 S. 1 BGB. Dem Ersatzerwerb unterliegt alles, was der Vorerbe aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Erbschaftsgegenstandes oder durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erwirbt, sofern ihm der Erwerb nicht als Nutzung gebührt (§§ 100, 101 BGB; Rz. 8.73). Zur Erbschaft gehört ferner, was der Vorerbe dem Inventar eines erbschaftlichen Grundstücks einverleibt, § 2111 Abs. 2 BGB. Das entspricht den §§ 2019, 2041 BGB und ist maßgeblich für die Aufteilung des Nachlasses zwischen Vor- und Nacherben. Die Surrogation verhindert, dass die Substanz des Nachlasses während der Dauer der Vorerbschaft zulasten des Nacherben geschmälert wird. Das Surrogat fällt mit dinglicher Wirkung in den Nachlass2. Tritt an seine Stelle ein weiteres Surrogat, gehört auch dieses zur Erbschaft (sog. Kettensurrogation). Dritte, die einen Gegenstand an den Vorerben persönlich übertragen wollen, genießen grundsätzlich keinen Vertrauensschutz. Davon macht nur § 2111 Abs. 1 S. 2 BGB für den gutgläubigen Schuldner einer durch Rechtsgeschäft erworbenen, erbschaftszugehörigen Forderung eine Ausnahme3. Beratungssituation: Der Vorerbe hat für seinen persönlichen Gebrauch einen neuen Pkw gekauft. Den Kaufpreis hat er aus Mitteln des Nachlasses beglichen. Dabei ging er irrtümlich davon aus, dass es sich um

1 BGB-RGRK/Johannsen, § 2140 Rz. 3; Erman/M. Schmidt, § 2140 Rz. 1. 2 BGH v. 21.11.1989 – IVa ZR 220/88, BGHZ 109, 214 (217) = MDR 1990, 318 = FamRZ 1990, 288; MüKo.BGB/Grunsky, § 2111 Rz. 3. Zur Grundbuchberichtigung auf den Nacherben nach Eintritt des Nacherbfalls OLG Hamm v. 11.6.2002 – 15 W 170/02, FamRZ 2003, 484 = ZEV 2003, 31. 3 Zur Leistung an den Vertreter des Vorerben nach Eintritt des Nacherbfalls KG v. 21.11.2001 – 23 U 9309/99, ZEV 2003, 110.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.124 § 8

Mittel aus seinem Eigenvermögen handelt. Nach dem Eintritt des Nacherbfalls verlangt der Nacherbe Herausgabe des Pkw.

8.121

§ 2111 Abs. 1 S. 1 BGB unterscheidet drei Fälle der Surrogation: – Zur Erbschaft gehört erstens, was der Vorerbe aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts erwirbt, § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB. Damit ist der Erwerb kraft Gesetzes z.B. nach den §§ 937, 946 ff., 984 BGB gemeint. – Zur Erbschaft gehört zweitens, was der Vorerbe als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Erbschaftsgegenstandes erwirbt, § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB. Hierunter fallen deliktische Schadenersatzansprüche, Bereicherungsansprüche wegen Verlusts eines Erbschaftsgegenstands und Ansprüche auf Versicherungsleistungen, Enteignungsentschädigungen oder Lastenausgleich1. – Zur Erbschaft gehört drittens, was der Vorerbe durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erwirbt, § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB. Diese sog. Mittelsurrogation ist der praktisch wichtigste Fall. Art und Zweckmäßigkeit des Vertrags, Angemessenheit der Gegenleistung und Willensrichtung des Vorerben sind unerheblich. Eine Absicht, für die Erbschaft zu handeln, ist nicht notwendig. Auch wenn der Vorerbe die eingesetzten Mittel gutgläubig für Eigenvermögen hält, fällt das Surrogat in den Nachlass. Maßgeblich ist allein, dass der Erwerb objektiv mit Nachlassmitteln erfolgt. Das Surrogat kann nicht in gegenseitigem Einvernehmen mit dem Geschäftspartner vom Nachlass ausgeschlossen werden. In der obigen Beratungssituation liegt eine Mittelsurrogation vor. Der Vorerbe hat mit Mitteln der Erbmasse einen Vermögensgegenstand rechtsgeschäftlich erworben. Auf seine subjektive Vorstellung kommt es nicht an. Ausschlaggebend ist allein, dass er das Rechtsgeschäft abgeschlossen und in diesem Zusammenhang objektiv Nachlassmittel aufgewendet hat. Der Pkw gehört kraft dinglicher Wirkung zum Nachlass, § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB. Der Nacherbe kann ihn vom Vorerben herausverlangen, § 2130 Abs. 1 BGB.

8.122

Besondere rechtliche und praktische Schwierigkeiten ergeben sich, wenn der Erwerb aus vermischten Nachlass- und Eigenmitteln des Vorerben erfolgt. Häufigster Fall ist die Weiterführung eines Wertpapierdepots, Bank- oder Girokontos des Erblassers. Ist der Kontostand beim Nacherbfall höher als beim Erbfall, liegt kein einheitlicher Surrogationsgegenstand vor. Es muss für jede einzelne Position geklärt werden, ob sie aus dem freien Vermögen des Vorerben oder dem Nachlass herrührt2. Sind Erben hinsichtlich eines Gesamthandanteils zusätzlich Nacherben, so kann bei einer Erbauseinandersetzung zwischen ihnen und dem Vorerben der auf den Vorerben übertragene Nachlassgegenstand mit Mitteln der Erbschaft im Sinne des § 2111 Abs. 1 BGB erworben worden sein3.

8.123

c) Rechte des Nacherben gegenüber dem Vorerben Mit dem Eintritt der Nacherbfolge hat der Vorerbe dem Nacherben die Erbschaft in dem Zustand herauszugeben, der sich bei einer bis zur Herausgabe fortgesetzten ordnungsmäßigen Verwaltung ergibt, § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB. Daneben hat der Nacherbe Ansprüche aus §§ 985, 894 BGB, die sich auf die einzelnen Erbschaftsgegenstände beziehen. Bestreitet der Vorerbe den Eintritt des Nacherbfalls, tritt der Erbschaftsanspruch nach § 2018 BGB hinzu4. Der Anspruch aus § 2130 Abs. 1 S. 1 1 BGH v. 16.12.1965 – III ZR 98/64, BGHZ 44, 336; Palandt/Weidlich, § 2111 Rz. 4; Soergel/Harder/Wegmann, § 2111 Rz. 3. 2 BGH v. 10.10.1995 – XI ZR 263/94, BGHZ 131, 60 = FamRZ 1996, 103 = MDR 1996, 274; Krampe, ZEV 1996, 63; MüKo.BGB/Grunsky, § 2111 Rz. 1b, 7a. 3 BGH v. 3.12.1958 – V ZR 98/57, BGHZ 40, 115, 122 ff.; BGH v. 13.10.2000 – V ZR 451/98, MDR 2001, 157 = FamRZ 2001, 220 = ZEV 2001, 19. 4 H.M.: Soergel/Harder/Wegmann, § 2130 Rz. 6; Brox, Rz. 360; a.A. Ebenroth, Rz. 606.

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8.124

§ 8 Rz. 8.125

Vor- und Nacherbschaft

BGB zielt auf Herausgabe der gesamten Erbschaft, so wie sie dem Vorerben angefallen war, einschließlich der Erhöhung (§ 1935 BGB), Anwachsung (§ 2094 BGB) und der Surrogate (§ 2111 BGB; Rz. 8.120). Sind Gegenstände aus der Erbmasse ausgeschieden, tritt an die Stelle des Herausgabeanspruchs der Schadenersatzanspruch, § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Vorerbe hat ein Zurückbehaltungsrecht, soweit die Verwaltung des Nachlasses mit Kosten verbunden war und er vom Nacherben Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann, §§ 2124 bis 2126 BGB.

8.125 Hat der Vorerbe im Rahmen der Nachlassverwaltung die erforderliche Sorgfalt vermissen lassen, entsteht mit Eintritt des Nacherbfalls ein Schadenersatzanspruch, § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Vorerbe hat in Ansehung der Verwaltung für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, § 2131 BGB. Für grobe Fahrlässigkeit haftet er immer, § 277 BGB. Verwendet er Erbschaftsgegenstände eigennützig für sich, ist er nach Eintritt des Nacherbfalls zum Wertersatz (§ 2134 S. 1 BGB) und bei schuldhaftem Verhalten zum Schadenersatz verpflichtet, §§ 2134 S. 2, 280, 249 ff. BGB. Veränderungen oder Verschlechterungen von Erbschaftssachen, die durch die ordnungsmäßige Benutzung herbeigeführt werden, hat der Vorerbe nicht zu vertreten, § 2132 BGB. Bis zur Grenze des § 2138 Abs. 2 BGB ist die Befreiung durch den Erblasser möglich, § 2136 BGB. Näher zur Haftung des Vorerben Rz. 8.79.

8.126 Dem Nacherben sind der Zustand der Erbschaft und der Inhalt seines Herausgabeanspruchs oft nicht bekannt. Er kann darum vom Vorerben Rechenschaft verlangen (§ 2130 Abs. 2 BGB; dazu näher Rz. 8.87 ff.). Der Vorerbe muss eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben enthaltende Rechnung mitteilen und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, diese vorlegen, § 259 Abs. 1 BGB. Die Mitteilung beschränkt sich auf den herauszugebenden Stamm der Erbschaft1. Sie umfasst nicht die dem Vorerben zustehenden Nutzungen (§ 2111 Abs. 1 S. 1 BGB; Rz. 8.120). Hat der Vorerbe bereits nach § 2121 BGB oder § 2127 BGB Auskunft erteilt (Rz. 8.100 ff.), darf er darauf bei der Rechenschaftslegung Bezug nehmen. Zwischenzeitliche Veränderungen sind anzugeben. Beratungshinweis: Der Berater sollte darauf aufmerksam machen, dass statt der ausführlichen Rechnungslegung die Vorlage eines Bestandsverzeichnisses verlangt werden kann, weil der Herausgabeanspruch nach § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB auf einen Inbegriff von Gegenständen zielt, § 260 Abs. 1 BGB. Die Pflicht zur eidesstattlichen Versicherung besteht in beiden Fällen, §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB.

d) Schutz des Nacherben vor den Eigengläubigern des Vorerben

8.127 Während der Dauer der Vorerbschaft ist der Vorerbe Eigentümer und Besitzer des Nachlasses. Das bietet seinen Eigengläubigern Vorteile. Sie nutzen die mit dem Erbfall gesteigerte Haftungsmasse und vollstrecken, bevor der Vorerbe seine Rechtsposition mit dem Eintritt des Nacherbfalls wieder verliert. Andererseits soll die Erbschaft dem Nacherben mit dem Nacherbfall möglichst ungeschmälert zufallen. Die Rechte der Eigengläubiger des Vorerben, sich wegen ihrer Forderungen aus dem Nachlass zu befriedigen, sind daher beschränkt. Haftungsgrundlage ist lediglich das Eigenvermögen des Vorerben. Das gilt sowohl für die Zwangsvollstreckung als auch für die Aufrechnung.

8.128 Die Vollstreckung der Eigengläubiger des Vorerben in Nachlassgegenstände beurteilt sich nach § 2115 S. 1 BGB: Die Verfügung über einen Erbschaftsgegenstand, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Insolvenzverwalter erfolgt, ist im Fall des Eintritts der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben beeinträchtigt oder vereitelt. Dass dies nur für die Eigengläubiger des Vorerben gilt, ergibt sich aus § 2115 S. 2 BGB: Die Verfügung ist unbeschränkt wirksam, wenn der Anspruch eines Nachlassgläubigers oder ein an einem Erbschaftsgegenstand bestehendes Recht geltend gemacht wird, das im Fall des Eintritts der Nacherbfolge dem Nacherben gegenüber wirksam ist.

1 Erman/M. Schmidt, § 2130 Rz. 5; Palandt/Weidlich, § 2130 Rz. 6.

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 8.131 § 8

Beratungssituation: Ein Kreditinstitut erkundigt sich, ob es während laufender Vorerbschaft in den vom Vorerben verwalteten Nachlass vollstrecken darf. Die Bank legt zwei rechtskräftige Titel vor. Im Ersten ist der Erblasser zur Zahlung von 10.000 Euro verurteilt; im Zweiten der Vorerbe zur Rückzahlung eines Darlehens i.H.v. 20.000 Euro, das er nach dem Erbfall zu persönlichen Zwecken aufgenommen hat.

Die Unwirksamkeit nach § 2115 S. 1 BGB erfasst alle im Wege der Zwangsvollstreckung ergangenen 8.129 Verfügungen zur Befriedigung von Geldforderungen. Entsprechendes gilt, wenn die Zwangsverfügung durch den Insolvenzverwalter erfolgt. Auf den Erbschaftsgegenstand (bewegliches oder unbewegliches Vermögen, Forderungen, Rechte) kommt es nicht an. Die Unwirksamkeit ist absolut. Sie wirkt gegenüber jedermann1. Bis zum Eintritt des Nacherbfalls bleibt die Zwangsverfügung wirksam (ähnlich §§ 2113, 2114 BGB; Rz. 8.42 ff.). Weil vorher nicht feststeht, ob der Nacherbfall eintritt oder die Erbschaft endgültig dem Vorerben verbleibt, beschränkt sich die Vollstreckung der Eigengläubiger des Vorerben auf die Sicherung ihrer Ansprüche durch Pfändung (§§ 804, 829, 846 f., 857 f., 930 ZPO) oder Eintragung einer Sicherungshypothek (§§ 866 ff. ZPO). Die Verwertung durch Veräußerung oder Überweisung der beschlagnahmten Erbschaftsgegenstände ist unzulässig. Der Nacherbe kann der Verwertung durch Klage widersprechen, § 773 ZPO. Anders als bei § 2113 Abs. 3 BGB (Rz. 8.64) scheidet der gutgläubige Erwerb Dritter mangels rechtsgeschäftlichen Erwerbs aus. In der obigen Beratungssituation ist zu differenzieren: In Bezug auf das gegen den Erblasser erlangte Urteil über 10.000 Euro ist das Kreditinstitut Nachlassgläubiger. Die Vollstreckung gegen den Vorerben in den Nachlass ist nach § 2115 S. 2 BGB unbeschränkt wirksam. Der Nacherbe ist nicht schutzwürdig. Nach Eintritt des Nacherbfalls müsste er selbst für die Nachlassverbindlichkeit einstehen, § 1967 BGB. Vor Eintritt des Nacherbfalls ist er verpflichtet, der Verfügung zur Berichtigung der Nachlassverbindlichkeit zuzustimmen, § 2120 BGB. Anders verhält es sich hinsichtlich des Titels über 20.000 Euro. Hier ist die Bank Eigengläubigerin des Vorerben. § 2115 S. 1 BGB greift ein. Die Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung ist im Fall des Eintritts der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben beeinträchtigt oder vereitelt. Es muss mit einer Widerspruchsklage der Nacherben (§§ 773 S. 2, 771 ZPO) gerechnet werden. Von der Vollstreckung ist abzuraten.

8.130

Die Aufrechnung durch Eigengläubiger des Vorerben ist gesetzlich nicht geregelt. Es ist aber an- 8.131 erkannt2, dass der Nacherbe die Aufrechnung der Gläubiger, denen gegen den Vorerben eine von seiner Erbenstellung unabhängige persönliche Forderung zusteht, gegen Nachlassforderungen nicht hinzunehmen braucht. Er wäre bei Eintritt des Nacherbfalls geschädigt, weil eine § 1977 Abs. 2 BGB vergleichbare Regelung zur Beseitigung der Aufrechnungswirkung fehlt. Beratungssituation: In der Beratungssituation unter Rz. 8.128 fragt die Bank, ob sie, anstatt wegen der Darlehensforderung über 20.000 Euro in den Nachlass zu vollstrecken, gegen eine Forderung des Vorerben aus positiver Forderungsverletzung wegen verspätet ausgeführter Aktienkäufe aufrechnen kann.

Fraglich ist schon, ob die notwendige Gegenseitigkeit der Forderungen vorliegt, § 387 BGB. Sieht man den Nachlass in der Hand des Vorerben als Sondervermögen an, können Eigengläubiger des Vorerben – hier die Bank – mangels Gegenseitigkeit nicht aufrechnen. Hierfür sprechen die §§ 2111, 2113 ff. BGB. Die Unzulässigkeit der Aufrechnung rechtfertigt sich jedenfalls aus einer Analogie zu §§ 2115 S. 1, 394 BGB, 773 ZPO: Mit der Aufrechnung würden sich die Eigengläubiger des Vorerben ebenso wie im Fall des § 2115 BGB aus dem Nachlass befriedigen, obwohl der Erbschaftsgegenstand nicht der Haftung für ihre Forderung gewidmet ist. Er soll letztlich dem Nacherben zufallen. Zu sonstigen Aufrechnungskonstellationen Rz. 8.116.

1 BGH v. 8.7.1960 – V ZB 8/59, BGHZ 33, 76 (86); Palandt/Weidlich, § 2115 Rz. 4. Zur wirksamen Teilungsversteigerung durch den Vorerben BGH v. 16.7.2004 – IXa ZB 330/03, BGHReport 2004, 1660 (1661). 2 RG v. 3.7.1912 – Rep. I 262/11, RGZ 80, 30 (33); Palandt/Weidlich, § 2115 Rz. 1.

Edenfeld

301

§ 8 Rz. 8.132

Vor- und Nacherbschaft

V. Zusammenfassung 8.132 Der Erblasser kann durch Verfügung von Todes wegen einen Erben in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem ein anderer Erbe geworden ist (Nacherbe). Mit dem Erbfall fällt die Erbschaft zunächst dem Vorerben an. Erst mit einem vom Erblasser letztwillig vorgesehenen Ereignis (im Zweifel dem Tod des Vorerben, § 2106 Abs. 1 BGB) tritt der Nacherbfall ein. Der Vorerbe hört auf, Erbe zu sein, und die Erbschaft fällt dem Nacherben an, § 2139 BGB. Vor- und Nacherbe beerben beide – zeitlich nacheinander – den Erblasser. Auch der Nacherbe ist Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht etwa des Vorerben. Nur erbschaftsteuerrechtlich wird der Nacherbe im Grundsatz so behandelt, als stamme das Vermögen vom Vorerben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Praktische Bedeutung gewinnt die Vor- und Nacherbschaft vor allem beim gemeinschaftlichen Testament, §§ 2265 ff. BGB.

8.133 Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft bietet zahlreiche Vorteile: – Der Erblasser erreicht, dass sein Vermögen zunächst dem Vorerben (z.B. seinem Ehegatten) zugewendet wird und dieser daraus Nutzungen ziehen kann, ohne die Substanz anzugreifen. Die Rechtsstellung des Vorerben ähnelt, obwohl er bis zum Nacherbfall Eigentümer der Nachlassgegenstände wird, der eines Erbschafts-Nießbrauchers (§ 1089 BGB). Die Vorerbschaft ermöglicht eine wirtschaftliche Absicherung auf (Lebens-)Zeit. Die Versorgung des überlebenden Ehegatten ist das in der Praxis oft ausschlaggebende Motiv. – Ist der vorgesehene endgültige Rechtsnachfolger zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht erzeugt, kann er nicht Erbe (§ 1923 BGB), aber als Nacherbe eingesetzt sein, § 2101 Abs. 1 BGB. Ist der Nacherbe schon erzeugt oder geboren, aber nicht zur Vermögensverwaltung in der Lage, kann er zeitlich befristet (bis zum Erreichen eines bestimmten Alters, Berufsabschluss etc.) von der Erbschaft fern gehalten werden. Der Vorerbe fungiert für ihn wie ein Verwaltungstestamentsvollstrecker. – Der Erblasser stellt sicher, dass der Nachlass möglichst ungeschmälert mit einem bestimmten Ereignis (Tod oder Wiederheirat des Vorerben, Studienabschluss des Nacherben, Unternehmensnachfolge) dem Nacherben zufällt. Alles, was der Vorerbe aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts oder als Ersatz für einen Erbschaftsgegenstand kraft Gesetzes oder mit Mitteln des Nachlasses durch Rechtsgeschäft erwirbt, bleibt als Surrogat erhalten. Das Vermögen kann in den zeitlichen Grenzen des § 2109 BGB an die Familie gebunden werden.

8.134 Dagegen sind die Nachteile abzuwägen: – Die Vor- und Nacherbschaft ist ein kompliziertes Rechtsinstitut. Die Trennung der Vermögensmassen ist juristischen Laien schwer vermittelbar und kann während der Dauer der Vorerbschaft zu verwaltungstechnischen Problemen führen. – Die mit der Vorerbschaft verbundenen Verfügungsbeschränkungen des Vorerben (§§ 2112 ff. BGB) und Kontrollrechte des Nacherben stellen eine erhebliche Belastung für den Vorerben dar. Die verbindliche Festlegung des Nacherben verhindert, dass der Vorerbe auf nachträgliche Veränderungen reagieren kann. Das ist namentlich bei der Unternehmensnachfolge zu beachten. – Die Belastungen des Vorerben erschweren den Rechtsverkehr. So werden unternehmerische Entscheidungen behindert, wenn eine Gesellschaftsbeteiligung zum Nachlass gehört und unklar ist, ob die Verfügung des Vorerben darüber unentgeltlich und damit unzulässig ist (§ 2113 Abs. 2 BGB). Ob die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft im Einzelfall ratsam ist, hängt neben der Zielsetzung des Erblassers von zahlreichen weiteren Aspekten wie den familiären Verhältnissen, Art und Umfang des Vermögens und steuerrechtlichen Aspekten ab. Für den Berater wirft das interessante, aber zum Teil recht schwierige Gestaltungs- und Auslegungsfragen auf. Da sowohl Vor- als auch Nacherbe steuerrechtlich Erbe sind (§ 6 Abs. 1 und 2 ErbStG), ist daran zu denken, dass ein Nießbrauchsvermächtnis günstiger sein kann.

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Edenfeld

§ 9 Auflage I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . .

9.1

VI. Auflagenbegünstigter . . . . . . . . . . . . . VII. 1. 2. 3. 4.

9.44

9.3 9.3 9.8 9.13 9.17 9.21

Vollziehungsberechtigter . . . . . . . . . . Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wegfallbegünstigter . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.51 9.52 9.54 9.55 9.57

VIII. Gestaltungsmöglichkeiten für Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.59

III. Vor- und Nachteile der Auflage . . . . .

9.24

IX. Unwirksamkeit der Auflage . . . . . . . .

9.89

IV. 1. 2. 3. 4.

Inhalt der Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . Vermögensrechtlicher Inhalt . . . . . . . . Nichtvermögensrechtlicher Inhalt . . . . Die Zweckauflage . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen der Auflage . . . . . . . . . . . . . .

9.26 9.26 9.27 9.28 9.31

X. Unmöglichkeit der Vollziehung einer Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.91

XI. Steuerliche Auswirkungen . . . . . . . . .

9.94

V. Beschwerter der Auflage . . . . . . . . . . .

9.39

Schrifttum: Edenfeld, Auslegungsprobleme bei Wünschen des Erblassers: Erbenbindung oder moralischer Appell?, ZEV 2004, 141; Engelmann, Letztwillige Verfügungen zugunsten Verschuldeter oder Sozialhilfeempfänger, 2001; Götz, Erbschaftsteuerliche Risiken bei testamentarischen Auflagen, die Haustiere des Erblassers zu pflegen, ZEV 2012, 649; Heeg, Alternativen zur Nacherbeneinsetzung: Ist die erbrechtliche Auflage ein geeignetes Instrument zur Erbschaft(steuer)planung?, DStR 2007, 89; Horn/Kroiß, Testamentsauslegung – Strategien bei unklaren letztwilligen Verfügungen, 2012; Schmid, Steuerfallen im Erbrecht, 2017; Steiner/Holzer, Praktische Empfehlungen zum digitalen Nachlass, ZEV 2015, 262; Wochner, Die unselbständige Stiftung, ZEV 1999, 125; Tanck, § 2318 III BGB schützt nur den „Pflichtteilsberechtigten“, ZEV 1998, 132; Vorwerk, Geldzuwendung durch erbrechtliche Auflage, ZEV 1998, 297; Zacher-Röder, Die bedingte Erbeinsetzung als Alternative zum sog. „Drei-Zügel-Testament“, ZEV 2008, 277.

I. Allgemeines Mit der Auflage kann der Erblasser gem. §§ 1940, 2192 bis 2196 BGB seinem Erben oder Vermächtnisnehmer ein bestimmtes Tun oder Unterlassen aufgeben. Das setzt nicht notwendigerweise voraus, dass es sich um einen konkret abgegrenzten Gegenstand handelt, der weitergegeben wird, und dass es überhaupt um einen Vermögensvorteil geht. Mittelpunkt der Auflage ist es, dass der Beschwerte in einer bestimmten Weise handeln oder etwas unterlassen muss. In der Praxis sollte man mit der Verwendung der Auflage bei der Testamentsgestaltung sorgsam umgehen und sie auch wirklich nur dort einsetzen, wo sie sinnvoll und angebracht ist. Der Vorteil, der aber zugleich ein Nachteil der Auflage sein kann, ist, dass dem Verpflichteten etwas aufgegeben wird, ohne dass einer evtl. begünstigten Person ein Recht auf diese Leistung zugewandt wird.

9.1

Ein evtl. Auflagenbegünstigter hat anders als ein Vermächtnisnehmer kein einklagbares Recht, vom 9.2 Erben die geschuldete Leistung zu verlangen. Insofern kann eine falsch eingesetzte Auflage ein stumpfes Schwert sein, so dass der Berater vorher abklären muss, ob im ganz konkreten Fall der Wille des Erblassers statt mit einer Auflage ggf. mit einem anderen Instrument, wie Vermächtniseinsetzung oder Ähnlichem, besser erreicht werden kann.

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§ 9 Rz. 9.3

Auflage

II. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten 1. Auflage

9.3 Anders als eine Bedingung oder ein Wunsch muss eine Auflage erfüllt werden und ist damit rechtlich verpflichtend für den Beschwerten. Zu erfüllen ist die Auflage immer durch den Erben oder Vermächtnisnehmer.

9.4 Gegenstand einer Auflage ist anders als beim Vermächtnis die Verpflichtung zu einer Leistung, ein Tun oder Unterlassen.

9.5 Bei der Auflage steht der Pflicht des Beschwerten kein Rechtsanspruch eines evtl. Begünstigten der Auflage gegenüber. Es ist nicht einmal notwendig, dass es einen solchen Begünstigten überhaupt gibt, da hier die Verpflichtung zu einer Leistung, ein Tun oder Unterlassen, im Vordergrund steht. Die Bestimmung derjenigen Person, die eventuell durch eine Auflage begünstigt wird, kann bei der Zweckauflage im Ermessen des Verpflichteten liegen. Grenze dafür, was dem Verpflichteten aufgegeben werden kann, bildet hier lediglich die Sittenwidrigkeit.

9.6 Im gemeinschaftlichen Testament von Ehegatten kann die Auflage gemäß § 2270 Abs. 3 BGB wechselbezüglich sein.

9.7 Sieht das Testament keine weitere Regelung vor, ob etwa eine andere Person beim Wegfall eines Begünstigten diese erhalten soll, ist eine solche Begünstigung nicht vererblich. Dies rührt daher, dass zum einen kein Rechtsanspruch auf die Auflage besteht und es sich zum anderen um ein höchstpersönliches Recht handelt. Der Erblasser kann jedoch für den Wegfall des Begünstigten einen Ersatzbegünstigten benennen1. Das Testament kann entweder einen konkreten Ersatzbegünstigten nennen, oder aber die Erben des ursprünglich Begünstigten nachrücken lassen2. 2. Vermächtnis

9.8 Ebenso wie bei der Auflage besteht eine rechtliche Verpflichtung für den Erben, das Vermächtnis zu erfüllen. Die Erfüllung erfolgt wie bei der Auflage immer durch den Erben bzw. bei einem Untervermächtnis auch durch einen Vermächtnisnehmer oder beim Nachvermächtnisnehmer durch den Vorvermächtnisnehmer. Anders als bei Auflage oder Bedingung steht der Pflicht zur Leistung des Erben das Recht des Vermächtnisnehmers auf Leistung gegenüber3.

9.9 Im Gegensatz zur Auflage muss der Erblasser beim Vermächtnis den Vermächtnisnehmer entweder konkret bestimmt oder ihn konkret bestimmbar bezeichnet haben.

9.10 Die Grenze für die Aussetzung eines Vermächtnisses bildet wie bei Auflage und Bedingung die Sittenwidrigkeit. Auch das Vermächtnis kann wechselbezüglich im Ehegattentestament gem. § 2270 Abs. 3 BGB festgelegt werden.

9.11 Vererblich ist das Vermächtnis bzw. der Teil des Vermächtnisses, der bis zum Tod des Berechtigten fällig war, wenn er zum Zeitpunkt des Erbfalles am Leben war. War der Berechtigte schon vor dem Erbfall verstorben, ist das Vermächtnis gem. § 2160 BGB unwirksam. Der Erblasser kann aber ausdrücklich gem. §§ 2190, 2097 bis 2099 BGB oder stillschweigend gem. § 2069 BGB einen Ersatzvermächtnisnehmer berufen haben, oder es kann gem. § 2158 BGB zur Anwachsung kommen, wenn andere Vermächtnisnehmer denselben Gegenstand erhalten sollen.

1 Staudinger/Otte, § 2192 Rz. 25. 2 Vorwerk, ZEV 1998, 298. 3 KG v. 29.5.1997 – 22 U 8110/95, ZEV 1998, 306.

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Auflage

Rz. 9.19 § 9

Bei der Abgrenzung, ob ein Vermächtnis oder eine Auflage vom Erblasser gewollt war, kommt es 9.12 insbesondere darauf an, ob der Erblasser den Zugriff Dritter verhindern wollte und ob die Verwirklichung eines Zwecks im Vordergrund stand1. Dritte können z.B. Gläubiger des Auflagenbegünstigten sein, die keine Möglichkeit erhalten sollen, etwaige Zuwendungen an den Auflagenbegünstigten zu pfänden. Die Verwirklichung eines Zwecks ist z.B. gegeben, wenn der Erblasser im Testament zum Ausdruck gebracht hat, dass das Nachlassgrundstück gemeinnützigen Zwecken gewidmet werden soll2. 3. Bedingung Hier ist es dem Erben oder Vermächtnisnehmer freigestellt, ob er eine Bedingung erfüllen will oder nicht, was dann die entsprechend im Testament festgelegten rechtlichen Konsequenzen hat. Je nachdem, ob es sich um eine aufschiebende oder eine auflösende Bedingung handelt, kann der Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung zu den im Testament genannten Folgen führen. Die Herbeiführung einer Bedingung kann man einem Erben oder Vermächtnisnehmer auferlegen.

9.13

Bei der Bedingung, die ein Erbe oder Vermächtnisnehmer erfüllen soll, gibt es keine Pflicht zur Leistung. Ein Recht, das sich aus der Erfüllung der Bedingung herleitet, kann erst dann eingefordert werden, wenn die Bedingung auch tatsächlich durch den Verpflichteten erfüllt wurde3. Das bedeutet, dass die Gegenleistung von einer Bedingung abhängig ist, deren Erfüllung im Belieben des Verpflichteten steht.

9.14

Grenze für eine Bedingung bildet auch hier wieder die Sittenwidrigkeit.

9.15

Gegebenenfalls können Bedingung und Auflage in einem Testament kombiniert vorkommen. So 9.16 kann der Erblasser zur Sicherung der Erfüllung einer Auflage eine Bedingung verwenden. Eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis können unter die auflösende oder aufschiebende Bedingung gestellt werden, dass der Erbe oder Vermächtnisnehmer die im Testament genannte Auflage erfüllt4. 4. Wunsch Ein Wunsch des Erblassers begründet, anders als die Auflage, keine rechtliche Verpflichtung, diesen 9.17 Wunsch zu erfüllen. Es handelt sich hierbei vielmehr um einen Rat oder eine Empfehlung des Erblassers, bei dem es rein im Ermessen des Erben oder Vermächtnisnehmers steht, ob er diesem Wunsch Folge leisten wird oder nicht. Anders als bei der Auflage oder dem Vermächtnis hat der Wunsch keinen Verpflichtungscharakter5. Im Testament kann der Erblasser jeder beliebigen Person gegenüber einen Wunsch äußern. Diese Person braucht nicht einmal in irgendeiner Form im Testament bedacht zu sein. Gegenstand eines Wunsches ist ebenso wie bei der Auflage und beim Vermächtnis eine bestimmte Leistung, ein Tun oder ein Unterlassen. Auch hier kann wie bei der Auflage die Bestimmung einer Person, die durch den Wunsch begünstigt wird, im Ermessen des durch den Wunsch Angesprochenen liegen.

9.18

Im Gegensatz zu Auflage, Vermächtnis oder Bedingung ist dem Wunsch nicht durch Sittenwidrigkeit eine Grenze gesetzt. Da es im freien Ermessen des Angesprochenen liegt, ob er den Wunsch erfüllt oder nicht, ist es denkbar, dass auch ein sittenwidriger Wunsch vom Erblasser geäußert wird. Da der Wunsch keine rechtliche Verpflichtung aussprechen kann, ist es die freie Entscheidung des Angesprochenen, wenn er einem sittenwidrigen Wunsch folgt.

9.19

1 Horn/Kroiß, § 5 Rz. 59 ff. 2 BGH v. 24.2.1993 – IV ZR 239/91, NJW 1993, 2168. 3 Ausnahmsweise genügt das Bemühen um die Herbeiführung des Erfolges, BayObLG v. 10.12.1985 – BReg.1 Z 59/85, FamRZ 1986, 606. 4 Langenfeld/Fröhler, Kap. 3 Rz. 311 ff. 5 OLG Koblenz v. 24.4.1986 – 6 U 87/86, NJW-RR 1986, 1039; Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff.

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§ 9 Rz. 9.20

Auflage

9.20 Gem. § 2270 Abs. 3 BGB ist es anders als bei Auflage und Vermächtnis nicht möglich, einen Wunsch wechselbezüglich im Ehegattentestament auszusprechen. Da keine Rechtspflicht zur Erfüllung eines Wunsches besteht, ist auch eine eventuelle Begünstigung aus einem Wunsch heraus nicht vererblich, es sei denn, der Erblasser hat dies bei der Formulierung des Wunsches ausdrücklich so bestimmt. 5. Testamentsvollstreckung

9.21 Die Verpflichtung für den Testamentsvollstrecker, in der vom Erblasser gewünschten Weise zu verfahren, ist wie Auflage und Vermächtnis für den Testamentsvollstrecker rechtlich bindend.

9.22 Grenze für das, was einem Testamentsvollstrecker aufgegeben werden kann, bildet wiederum die Sittenwidrigkeit.

9.23 Der Testamentsvollstrecker ist verpflichtet, im Testament angeordnete Auflagen zu erfüllen, sofern der Erblasser keine davon abweichenden Anordnungen erlassen hat.

III. Vor- und Nachteile der Auflage 9.24 Vorteile: – Kein unmittelbar Berechtigter erforderlich (z.B. auch an Tiere oder nicht rechtsfähige Personenkreise sind Zuwendungen möglich); – Auswahl des Begünstigten durch Dritte möglich (Zweckauflage); – Einflussmöglichkeit auf Verhalten eines Bedachten; – Bedachter steht möglicherweise nicht unter Druck eines evtl. Begünstigten; – geeignet für erbrechtliche Anordnungen, die nicht vermögensrechtliche Vorteile bringen, z.B. Teilungsverbot; – zeitlich unbegrenzt wirksam, z.B. im Rahmen einer unselbständigen Stiftung (eine juristische Person erhält ein Erbteil bzw. Vermächtnis unter der Auflage, dieses Vermögen auf Dauer zu Stiftungszwecken zu verwenden).

9.25 Nachteile: – Kein unmittelbarer Berechtigter vorhanden; – nicht vom Begünstigen erzwingbar, gegen den Willen des Beschwerten unter Umständen schwer durchsetzbar (Abhilfe kann Testamentsvollstrecker schaffen); – wird dem Beschwerten meist erst mit zeitlicher Verzögerung bekannt gegeben, bei Auffinden des Testaments bzw. bei Testamentseröffnung. Wurden im Wege der Auflage Beerdigungsmodalitäten festgelegt, Verfügungen über Organentnahmen oder Übergabe des Körpers an die Anatomie getroffen, ist es zu spät, wenn der Beschwerte dies erst nach der Beerdigung erfährt. Deshalb sollten solche Verfügungen separat geregelt und vorab dem Beschwerten oder einem Bestatter übergeben werden; – bei Nichterfüllung kein Schadenersatzanspruch für Begünstigten; – Zuwendung aus Auflage an Pflichtteilsberechtigten wird diesem nicht auf seinen Pflichtteil angerechnet.

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Auflage

Rz. 9.29 § 9

IV. Inhalt der Auflage 1. Vermögensrechtlicher Inhalt Es ist möglich, mittels Auflage einem Begünstigten einen Vermögensvorteil zuzuwenden. Es kann sich 9.26 dabei um Geld- oder Sachleistungen handeln. In der Beratung ist aber immer zu prüfen, ob der Mandant tatsächlich den Vermögensvorteil im Wege einer Auflage zuwenden will oder ob nicht ein Vermächtnis angebrachter ist. Beim Vermächtnis hat der Begünstigte einen unmittelbar einklagbaren Rechtsanspruch, wogegen er einen solchen bei der Auflage nicht hat. Dies kann aber auch von Vorteil sein, weil dadurch der Beschwerte u.U. nicht unter einem solchen Druck steht. Beispiele für vermögensrechtliche Auflagen können die Zuwendung eines konkreten Geldbetrages sein, die Zuwendung eines abgrenzbaren Geldbetrages bei einem bestimmten Prozentsatz des Nettonachlasses in Geld oder die Übertragung einer Beteiligung an einem Unternehmen1. Werden vermögensrechtliche Werte weitergegeben, so hat die Auflage dann immer einen konkret Begünstigten. Ein Begünstigter kann dabei jede natürliche oder juristische Person sein oder auch eine Personengruppe.

2. Nichtvermögensrechtlicher Inhalt Mit einer Auflage kann der Erblasser den Beschwerten zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen veranlassen. Er kann ihm dabei all das aufgeben, was auch Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages sein könnte. Derartige Auflagen sind bspw. denkbar bei Anordnungen zur Grabpflege, zur Versorgung von Haustieren, zur Art und Weise der Fortführung eines Betriebes, zur Vereinbarung eines bestimmten Güterstandes oder zum Umgang mit dem digitalen Nachlass2. Auch ein Verbot der Erbauseinandersetzung ist eine Auflage mit nichtvermögensrechtlichem Inhalt.

9.27

3. Die Zweckauflage Gemäß § 2193 BGB kann der Erblasser eine Zweckauflage verfügen. Normalerweise gilt im Erbrecht 9.28 äußerst streng der Grundsatz, dass der Erblasser nicht Dritten die Bestimmung einer Person überlassen kann, die im Erbfall Zuwendungen erhalten soll (§ 2065 Abs. 2 BGB). Bei der Auflage in Form der Zweckauflage entfernt sich das BGB selbst recht weit von diesem Grundsatz3. Der Zweckauflage genügt es, dass der Erblasser hinreichend bestimmt anordnet, welchem Zweck die Auflage dienen soll. Es bleibt dann dem Beschwerten im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens überlassen, welche konkrete Leistung er in Erfüllung dieser Auflage erbringt. Ob es dabei einen Auflagenbegünstigten gibt, hängt davon ab, wie der Erblasser die Auflage konkret formuliert hat. Es hängt vom Wortlaut sowie Willen des Erblassers ab, ob eine vermögensrechtliche oder eine nicht vermögensrechtliche Auflage gemeint war. Denkbar ist aber auch, dass sie beides beinhaltet und dass der Verpflichtete auswählen kann. Hat bspw. der Erblasser verfügt, dass der Beschwerte jedes Jahr zu Weihnachten behinderten Menschen eine Freude machen soll, so muss dies nicht zwingend eine vermögensrechtliche Auflage sein. Denkbar ist, dass der Beschwerte eine Geldzuwendung an eine geeignete Behinderteneinrichtung macht. Es wäre aber auch möglich, dass er sich mit aktivem Handeln an der Ausgestaltung einer Weihnachtsfeier beteiligt, indem er die Feier selbst organisiert, ohne Geld oder Sachwerte zu leisten. Die Zweckauflage sollte man nur dort einsetzen, wo der Erblasser davon ausgehen kann, dass der Be- 9.29 schwerte diese Auflage tatsächlich auch so erfüllen wird, wie der Erblasser selbst sich das vorstellt. Auf der einen Seite ist es ein Vorteil, dass der Beschwerte hier relativ freie Hand hat, wie er diese Auflage konkret erfüllen will. Andererseits kann dies aber auch ein Nachteil werden, wenn es im o.g. Beispiel im freien Ermessen des Beschwerten steht, ob er z.B. zu Weihnachten 2.500 Euro oder 25 Euro an das Behindertenheim spendet. Befürchtet der Erblasser, dass sich der Beschwerte um die 1 Heeg, DStR 2007, 89. 2 Steiner/Holzer, Praktische Empfehlungen zum digitalen Nachlass, ZEV 2015, 262. 3 Palandt/Weidlich, § 2193 Rz. 1.

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§ 9 Rz. 9.30

Auflage

Erfüllung der Auflage drücken wird, sollte entweder die Auflage konkreter formuliert oder ein konkretes Vermächtnis ausgesetzt werden.

9.30 Die Zweckauflage ist besonders dafür geeignet, eine unselbständige Stiftung zu errichten, da der Inhalt der Leistung sehr offen gestaltet werden kann1. Dabei wird einer natürlichen Person ein Vermögenswert übertragen und gleichzeitig die Auflage erteilt, einen bestimmen Zweck zu fördern. Den Stiftungszweck muss der Erblasser jedoch testamentarisch selbst vorgeben2. Der Beschwerte ist damit flexibel, wie er konkret den Zweck erfüllen wird und kann entsprechende Ausgaben im Bedarfsfall vornehmen. 4. Grenzen der Auflage

9.31 Die Auflage findet ihre Grenzen dort, wo entweder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, die nicht Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages sein können, oder wo sittenwidrige Ziele verfolgt werden. Möglich sind auch Auflagen, in denen dem Beschwerten ein Verhalten aufgegeben wird, das ihn selbst unmittelbar betrifft3. Dies wäre bspw. der Fall, wenn dem Beschwerten aufgegeben werden soll, keinen Alkohol mehr zu trinken, keine Glücksspiele zu tätigen oder Geld in einer bestimmten Form anzulegen. Will der Erblasser diesen Zweck erreichen, wäre eine Erbeinsetzung unter einer Bedingung sinnvoller, ggf. gekoppelt mit Testamentsvollstreckung. Auf diese Art und Weise kann besser und sicherer gewährleistet werden, dass entsprechend dem Willen des Erblassers der Bedachte nur dann etwas aus dem Nachlass erhält, wenn er tatsächlich von Alkohol und Glücksspielen ablässt. Es ist möglich, dass der Erblasser eine Auflage zum Vorteil des Beschwerten anordnet4.

9.32 Will der Erblasser einem Beschwerten aufgeben zu heiraten, so ist das nicht unbedingt sittenwidrig, kann aber nicht Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages sein. Hier wäre es angebracht, wenn der Erblasser dies tatsächlich so wünscht, dass dieser Wunsch als Bedingung formuliert wird. Mittels einer Auflage ist das nicht möglich. Weiterhin ist es auch ausgeschlossen, jemanden dazu zu bestimmen, dass er eine letztwillige Verfügung mit einem ganz konkreten Inhalt errichten muss. Wünscht der Erblasser dies, so ist die Auflage das falsche Mittel und es sollte überlegt werden, ob ein ähnlicher Effekt nicht mit der Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge erzielt werden kann.

9.33 Als sittenwidrig wäre es einzustufen, wenn der Erblasser dem Beschwerten mittels Auflage aufgäbe, gesetzeswidrig zu handeln und zum Beispiel eine Straftat zu begehen. Selbstverständlich kann niemandem mit einer Auflage aufgeben werden, eine Steuerhinterziehung oder eine Körperverletzung zu begehen. Nicht sittenwidrig ist eine Auflage, wenn die Zuwendung eines Heimbewohners an einen Dritten geht und im Rahmen einer Zweckauflage das Heim mittelbar begünstigen kann. Da der Zuwendungsempfänger bei der Erfüllung der Zweckauflage mehrere Alternativen zur Erfüllung hat, verstößt eine solche Auflagebegünstigung des Heimes nicht gegen das Verbot von § 14 HeimG5.

9.34 Beratungssituation: Der Mandant ist Heiminsasse des Städtischen Altenpflegeheimes der Stadt D. Er ist bedenkenlos testierfähig und möchte dem Heim eine große Geldsumme zur Verfügung stellen, damit die Sanitäranlagen erneuert werden können. Er befürchtet aber, damit gegen das Verbot in § 14 HeimG zu verstoßen.

Der Mandant sollte in seinem Testament die Stadt D. entweder als Alleinerben oder Vermächtnisnehmer für die dem Heim zugedachte Summe einsetzen. Die Erbeinsetzung bzw. Aussetzung des Vermächtnisses wird verbunden mit einer Auflage an die Stadt D., dieses Geld für soziale Zwecke zu verwenden, wie zum Beispiel die Verbesserung der Einrichtung und Ausstattung der Pflegeheime der 1 2 3 4 5

Wochner, ZEV 1999, 125. OLG Celle v. 10.4.2017 – 6 W 36/17, BeckRS 2017, 107072. MüKo.BGB/Leipold, § 1940 Rz. 4; MüKo.BGB/Rudy, § 2192 Rz. 1. Palandt/Weidlich, § 2192 Rz. 1. BayObLG v. 22.2.2000 – 1Z BR 147/99, FamRZ 2000, 1395 = NJW 2000, 1959.

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Auflage

Rz. 9.40 § 9

Stadt. Da der Zweck hier nur allgemein vorgegeben wurde, liegt auch kein Umgehungstatbestand vor, der gegen § 14 HeimG verstößt.

M 27 Zweckauflage eines Heimbewohners

9.35

Meine Heimatstadt D. erhält ein Vermächtnis i.H.v. 400.000 Euro. Gleichzeitig erteile ich der Stadt D. die Auflage, dieses Geld für soziale Zwecke zu verwenden und älteren, hilfsbedürftigen Bürgern der Stadt Unterstützung zukommen zu lassen, bspw. durch Verbesserung der Ausstattung der Pflegeheime der Stadt, unabhängig von deren Trägerschaft, oder durch Unterstützung karitativer Hilfsdienste.

In der Literatur ist umstritten1, ob es sittenwidrig ist, mittels einer Auflage dem Erben oder Vermächt- 9.36 nisnehmer aufzugeben, einen bestimmten Beruf zu ergreifen oder nicht zu ergreifen, eine bestimmte Religion anzunehmen, in eine bestimmte Partei einzutreten, ganz allgemein zu heiraten, nie zu heiraten oder sich scheiden zu lassen. Bevor sich die Frage der Sittenwidrigkeit einer Auflage stellt, sollte geprüft werden, ob das auferlegte Verhalten überhaupt Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages sein kann oder nicht. Kann es dies nicht, scheidet eine Auflage von vornherein aus. Zu prüfen wäre dann aber die Frage, ob die Klausel u.U. als Bedingung auszulegen wäre. Falls ja, müsste auch hier die Sittenwidrigkeit geprüft werden. Das Ergebnis hängt vom Einzelfall ab. Denkbar ist auch die Verknüpfung einer Auflage mit einer Bedingung in einer Wohlverhaltensklausel2. Der Verwirkungsfall kann dann gegeben sein, wenn ein im Testament bestimmtes Wohlverhalten gegenüber dem Erblasser oder einer ihm nahestehenden Person verletzt wird. Eine Wohlverhaltensklausel mit Auflage ist z.B. in der Form denkbar, dass der Erbe einer konkret bezeichneten Person das gesamte Tischlerwerkzeug aus dem Nachlass aushändigen soll unter der aufschiebenden Bedingung, dass diese Person tatsächlich den Beruf eines Tischlers ergreift. Auch eine Auflage an den Sohn des Erblassers wäre denkbar, dass dieser in geeigneter Form seine Schwester unterstützen soll unter der aufschiebenden Bedingung, dass diese sich scheiden lässt.

9.37

Dem Erblasser ist es ferner nicht möglich, Streitigkeiten über die Entlassung eines Testamentsvoll- 9.38 streckers im Wege der Auflage unter Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit einem Schiedsgutachten zuzuweisen3.

V. Beschwerter der Auflage Mit einer Auflage können sowohl Erben als auch Vermächtnisnehmer beschwert werden. Unter den Begriff „Erben“ fallen dabei auch Miterben4 oder nach Eintritt der Nacherbfolge der Nacherbe. Ist dem Testament nicht eindeutig zu entnehmen, wer Beschwerter sein soll, so ist im Zweifelsfall der Erbe beschwert. Nicht möglich ist es jedoch, eine Person, die in gar keiner Weise eine Zuwendung vom Erblasser erhalten soll, mit einer Auflage zu beschweren. Bspw. kann nicht der Erblasser seinen einen Sohn zum Alleinerben einsetzen und dem anderen nichts zuwenden, aber ihn mit einer Auflage zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen zwingen. Eine solche Auflage wäre unwirksam oder es wäre im Wege der Auslegung zu erwägen, ob evtl. der erbende Sohn Beschwerter sein soll.

9.39

Die Erfüllung der Auflage ist nachrangig im Verhältnis zum Pflichtteil und kann deshalb den Pflichtteil nicht schmälern. Nach § 2318 BGB kann die Erfüllung einer Auflage – ebenso wie beim Vermächtnis –

9.40

1 Grundsätzlich zustimmend: Palandt/Weidlich, § 2192 Rz. 3; dagegen: bei Eheschließung MüKo.BGB/Leipold, § 1940 Rz. 5. 2 Staudinger/Otte, § 2074 Rz. 15, 72. 3 BGH v. 17.5.2017 – IV ZB 25/16, NJW 2017, 2112. 4 Z.B. im Rahmen einer konkreten Anweisung des Erblassers zur Auseinandersetzung zwischen den Miterben, Zacher-Röder, ZEV 2008, 277.

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§ 9 Rz. 9.41

Auflage

anteilig vom Erben gekürzt werden, so dass Erbe und ein Auflagenbegünstigter die Pflichtteilslast verhältnismäßig tragen.

9.41 Verstirbt der Beschwerte der Auflage, so gilt § 2161 BGB. Meist müssen seine Erben aber nicht die Erfüllung dieser Auflage übernehmen, da aufgrund des höchstpersönlichen Charakters dieser Verpflichtung dies nur den unmittelbar Beschwerten betroffen hat1. Auch wenn der Vorerbe zur Erfüllung der Auflage verpflichtet war und nicht der Nacherbe, so kann beim Eintritt der Nacherbfolge das bis dahin Versäumte nicht vom Nacherben verlangt werden.

9.42 Hat der Beschwerte jedoch die Erbschaft ausgeschlagen oder ist er vor Eintritt des Erbfalles verstorben, so fällt damit die Auflage nicht automatisch weg. Gem. § 2192 i.V.m. § 2161 BGB bleibt die Auflage aufrechterhalten, sofern nicht ein abweichender Wille des Erblassers anzunehmen ist. Der neue Beschwerte ist dann derjenige, dem der Wegfall des Beschwerten zugute kommt. Ist also bspw. ein Vermächtnisnehmer mit einer Auflage beschwert worden und dieser vor Eintritt des Erbfalls verstorben, so wäre zunächst zu prüfen, ob das Testament einen Ersatzvermächtnisnehmer vorsieht. Sieht das Testament keinen Ersatzvermächtnisnehmer vor, so würde dem Erben der Wegfall des Vermächtnisnehmers zugute kommen, so dass dann der Erbe der neue Beschwerte der Auflage wäre. Auch hier ist wieder im Einzelfall zu prüfen, ob dies dem Willen des Erblassers entspricht.

9.43 Ist ein Erbteil mit Vermächtnissen und Auflagen beschwert, so kann der Erbe, wenn er zugleich Pflichtteilsschuldner ist, gem. §§ 2318, 2322 BGB die Vermächtnisse und Auflagen kürzen. Damit trägt gewissermaßen auch ein Auflagenbegünstigter im Verhältnis zum Erben die Last des Pflichtteils mit2.

VI. Auflagenbegünstigter 9.44 Die Auflage gibt in erster Linie dem Erben oder Vermächtnisnehmer ein bestimmtes Tun oder Unterlassen auf, es muss aber nicht notwendigerweise einen Auflagenbegünstigten geben. Wurde bspw. dem Erben aufgegeben, ein bestimmtes Grabmal oder eine Büste zu errichten, so gibt es keinen Begünstigten. Häufig wird es aber entsprechend dem Willen des Erblassers eine oder mehrere begünstigte Personen geben. Es ist dabei denkbar, dass der Erblasser im Testament eine konkrete Person als Begünstigten benennt. Denkbar ist aber auch, dass der Erblasser sehr viel allgemeiner von einem nicht konkret bestimmbaren Kreis von Begünstigten spricht, wie bspw. „Obdachlose“ oder „bedürftige Menschen“.

9.45 Wenn es einen oder mehrere Begünstigte gibt, so haben diese keinen Anspruch auf Vollziehung der Auflage gegen den Verpflichteten. Ein Ausschlagungsrecht oder ein Verzicht auf eventuelle Zuwendungen und Vorteile aus der Auflage ist für den Berechtigten nicht möglich3. Dies ist aber eher ein theoretisches Problem, denn in aller Regel bringt die Vollziehung der Auflage für den Begünstigten Vorteile, so dass im Normalfall eine Ausschlagung kein Thema für ihn sein wird.

9.46 Da die §§ 2339 und 2345 BGB lediglich die Unwürdigkeit eines Erben, Vermächtnisnehmers oder Pflichtteilsberechtigten regeln und diese gesetzlichen Regelungen nicht für die Auflage gelten, ist es nicht möglich, in analoger Anwendung eine „Auflagenunwürdigkeit“ herbeizuführen. Dies kann jedoch im Einzelfall zu ungerechtfertigten Ergebnissen führen, wenn bspw. ein Auflagenbegünstigter versucht hat, den Erblasser zu töten. Hier wäre der Verpflichtete berechtigt, von der Erfüllung der Auflage abzusehen.

9.47 Gibt es einen konkreten Begünstigten, so kann diesem die Begünstigung aus der Auflage nur zuteil werden, wenn er zum Zeitpunkt des Erbfalles noch am Leben ist. Ist ein Begünstigter jedoch vor 1 Palandt/Weidlich, § 2192 Rz. 2. 2 MüKo.BGB/Lange, § 2318 Rz. 1; Tanck, ZEV 1998, 132. 3 MüKo.BGB/Rudy, § 2192 Rz. 11.

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Rz. 9.53 § 9

dem Erbfall weggefallen, so ist im Wege der Auslegung zu prüfen, ob eventuell ein anderer oder eine andere Personengruppe begünstigt sein könnte. Ist ausnahmsweise durch den Erblasser gewünscht, dass auch der Erbe des Begünstigten durch die Auflage begünstigt sein soll, so muss dies ausdrücklich im Testament angeordnet werden1. Bei der Formulierung der Auflage kann der Erblasser dem Berechtigten auch gewisse Rechte einräumen. Bspw. kann der Erblasser eine Wahlauflage formulieren, bei der der Berechtigte ein gewisses Mitspracherecht und eine Auswahlmöglichkeit hat, in welcher Form ihm eine Zuwendung gemacht werden soll. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Berechtigte etwa einen unmittelbaren Anspruch auf diese Leistung hat. Er kann dennoch keinen Druck auf den Verpflichteten ausüben, sondern bleibt auf die Mitwirkung eines Vollziehungsberechtigten angewiesen2.

9.48

Hat der Erblasser den Begünstigten nicht konkret benannt, so kann er dennoch einen unbestimm- 9.49 ten Personenkreis als Begünstigten benannt haben und es bei der Zweckauflage dem Beschwerten überlassen, die Personen oder den Personenkreis konkret zu bestimmen, denen bzw. dem die Auflage zugute kommen soll (§ 2193 Abs. 1 BGB). Möglich ist dabei auch, dass gem. § 2193 Abs. 3 BGB ein Dritter die Bestimmung des Begünstigten vornimmt. Soll es bei der Zweckauflage also Begünstigte geben, so müssen diese vom Beschwerten oder von dem Dritten bestimmt werden. Wird eine solche Bestimmung des Begünstigten vom Beschwerten oder von dem Dritten nicht vorgenommen bzw. wird eine Person als Begünstigter bestimmt, die nicht unter den vom Erblasser verfolgten Zweck fällt, ist es schwierig, den Willen des Erblassers durchzusetzen. Aus diesem Grunde sollte in der Praxis eine Zweckauflage so eindeutig wie möglich formuliert werden, um späterem Streit vorzubeugen. Begünstigter eine Auflage kann nicht nur jede natürliche Person sein, sondern auch eine juristische Person oder ein nicht rechtsfähiger Verein. Da mit der Auflage auch Zuwendungen gemacht werden können, die einem Tier zugute kommen, kann man davon sprechen, dass sogar Hund oder Katze im gewissen Sinne Begünstigte sein können.

9.50

VII. Vollziehungsberechtigter Der jeweilige Vollziehungsberechtigte wird zunächst außergerichtlich die Vollziehung der Auflage erreichen wollen. Scheitert dies, ist der Anspruch einklagbar im Wege der Leistungsklage3. Sofern es sich bei der Erfüllung der Auflage um eine vertretbare Handlung handelt, kann sie im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden4.

9.51

1. Erbe § 2194 BGB regelt, wer die Vollziehung der Auflage verlangen kann. Dies ist von besonderer Bedeu- 9.52 tung, da der Begünstigte keinen unmittelbaren Anspruch gegen den Beschwerten hat, aber andererseits die Erfüllung der Auflage nicht in das Belieben des Beschwerten gestellt werden soll. Ist ein Vermächtnisnehmer der Beschwerte, so hat der Erbe das Recht, die Vollziehung der Auflage zu verlangen, notfalls im Klageweg. Auch ein Miterbe hat das Recht, wenn ein anderer Miterbe oder ein Vermächtnisnehmer beschwert ist. Mit Erbe ist entweder der Alleinerbe, der Miterbe oder nach Eintritt des Nacherbfalls der Nacherbe gemeint. Dabei kann der Erblasser im Testament auch die Beschwerung zu unterschiedlichen Quoten zwischen evtl. gemeinsam Verpflichteten regeln. Fehlt eine solche Regelung, sind Miterben im 1 2 3 4

Vorwerk, ZEV 1998, 297. MüKo.BGB/Rudy, § 2192 Rz. 10. Muster einer Klage auf Erfüllung eines Auflagenvermächtnisses in Klinger/Schlitt, MPFErbR, O. IV.9. Muster eines Zwangsvollstreckungsantrags nach § 887 ZPO in Bonefeld/Kroiß/Tanck, Der Erbprozess, 5. Aufl., 11 D Rz. 137 ff.

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9.53

§ 9 Rz. 9.54

Auflage

Verhältnis ihrer Erbteile zueinander beschwert. Auch wenn bei mehreren Miterben davon ausgegangen werden muss, dass alle gleichermaßen zur Erfüllung der Auflage verpflichtet sind, so kann jeder Miterbe, auch wenn er selbst mit der Auflage beschwert ist, die Erfüllung verlangen und ist damit Vollziehungsberechtigter1. Ob der vollziehungsberechtigte Erbe jedoch tatsächlich im Weigerungsfall des Beschwerten Vollziehungsklage erheben will und damit den letzten Willen des Erblassers durchsetzt, steht in seinem Belieben. In den meisten Fällen wird er wohl kein eigenes Interesse an der Durchsetzung der Auflage haben, so dass auch hier der Erblasser wieder die Ungewissheit hat, ob der Vollziehungsberechtigte dem an ihn selbst gerichteten Anspruch gerecht wird, dem Willen des Erblassers Geltung zu verschaffen. Der Erbe kann die Vollziehung einer Auflage auch dann verlangen, wenn er selbst durch die Auflage begünstigt wird2. 2. Wegfallbegünstigter

9.54 Der Wegfallbegünstigte ist diejenige Person, die geerbt hätte, falls der Beschwerte weggefallen wäre. Dies ist also beim Wegfall eines testamentarischen Erben bspw. der gesetzliche Erbe oder ein Ersatzerbe. 3. Testamentsvollstrecker

9.55 § 2194 BGB hat den Kreis der Vollziehungsberechtigten nicht abschließend und vollständig geregelt. Auch der Testamentsvollstrecker ist berechtigt, die Vollziehung der Auflage zu verlangen. Anders als bei den sonstigen Vollziehungsberechtigten ist es nicht in das Ermessen des Testamentsvollstreckers gestellt, ob er die Erfüllung der Auflage verlangt oder nicht. Gem. § 2203 BGB ist er verpflichtet, die letztwilligen Verfügungen des Erblassers zur Ausführung zu bringen. Es wäre also eine Pflichtverletzung, wenn er die Vollziehung einer Auflage nicht durchsetzt. Aus diesem Grunde ist es empfehlenswert, einen Testamentsvollstrecker einzusetzen, der die Einhaltung der Auflagen überwacht und notfalls auch durchsetzt, wenn der Erblasser Bedenken hat, dass der Beschwerte die Auflage nicht freiwillig erfüllen will.

9.56 Der Testamentsvollstrecker hat einen eigenen Anspruch auf die Erfüllung der Auflage. Da der Testamentsvollstrecker verpflichtet ist, die Erfüllung der Auflage durchzusetzen, ist dies die stärkste Waffe des Erblassers. Ist einem Testamentsvollstrecker die Erfüllung von Vermächtnissen übertragen worden, gehört dazu im Zweifel auch die Durchsetzung einer Auflage, die der Erblasser gegenüber dem Vermächtnisnehmer angeordnet hat3. 4. Behörde

9.57 Gem. § 2194 S. 2 BGB kann auch eine Behörde die Vollziehung der Auflage verlangen. Die jeweils zuständigen Behörden können die Vollziehung der Auflage verlangen, wenn diese im öffentlichen Interesse liegt, wobei dieses öffentliche Interesse ein dehnbarer Begriff ist. Die jeweilige Zuständigkeit ist landesrechtlich geregelt.

9.58 Das pflichtgemäße Ermessen der Behörde bei der Prüfung, ob öffentliches Interesse vorliegt oder nicht, ist gerichtlich nachprüfbar4. Keinesfalls sollte sich der Erblasser darauf verlassen, dass bei der von ihm gewünschten Auflage öffentliches Interesse zum Zeitpunkt des Erbfalles besteht, auch wenn dies zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung so ist. Die Frage, was von öffentlichem Interesse ist, unterliegt im Wandel der Zeiten auch bestimmten Veränderungen, so dass es auch aus diesem Grun-

1 2 3 4

MüKo.BGB/Rudy, § 2194 Rz. 2 f. OLG Karlsruhe v. 7.5.2004 – 14 U 103/02, MDR 2005, 37 = FamRZ 2005, 137 = ZEV 2004, 331 ff. OLG Karlsruhe v. 18.4.2017 – 9 W 4/17, BeckRS 2017, 111901. MüKo.BGB/Rudy, § 2194 Rz. 8.

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Auflage

Rz. 9.63 § 9

de empfehlenswert ist, selbst bei Dingen, bei denen der Erblasser sicher annimmt, dass sie im öffentlichen Interesse liegen, zusätzlich eine Absicherung durch einen Testamentsvollstrecker zu treffen.

VIII. Gestaltungsmöglichkeiten für Auflagen Hat sich der Mandant nach gründlicher Beratung entschieden, im Testament eine Auflage zu verfügen, so muss sie vom Berater präzise formuliert werden. Zwar sind Testamente auslegbar, aber zwecks Streitvermeidung sollte der Begriff „Auflage“ ausdrücklich verwendet werden.

9.59

Es sollte auch keine Zweifel geben, wer mit der Auflage konkret beschwert wird. Es kann auch zweckmäßig sein, ausdrücklich einen Vollziehungsberechtigten zu bestimmen oder auszuschließen. Besitzt die Auflage einen hohen Rang, sollte sie zusätzlich mit Testamentsvollstreckung verbunden werden, um die Vollziehung abzusichern. Bei Fragen der Beerdigung ist dies dagegen nur selten notwendig. Weiterhin kann durch Verbindung der Auflage mit aufschiebenden oder auflösenden Bedingungen ein gewisser Druck seitens des Erblassers ausgeübt werden. Es gibt eine ganze Reihe von Fallkonstellationen, bei denen die Gestaltung einer Auflage zumindest erwogen werden muss:

9.60

Beratungssituation: Der Mandant möchte im Testament die Beerdigungsmodalitäten geregelt haben. Er wünscht Erdbestattung, eine würdige Dauerbepflanzung für das Grab und eine Bestattung auf dem Waldfriedhof. Weiterhin möchte er regeln, dass bei seinem Ableben sein Körper für Organentnahmen zur Verfügung steht.

Grundsätzlich ist es möglich und sinnvoll, diese Wünsche des Mandanten mit einer Auflage zu regeln. 9.61 Es ist davon auszugehen, dass der Erbe im Normalfall eine solche Auflage befolgen und die Beerdigung entsprechend den Wünschen des Erblassers gestalten wird. Ob er allerdings einer Organentnahme zustimmen wird, ist bereits wieder fraglich, da es möglich ist, dass er selbst grundsätzlich ein Gegner von Organentnahmen ist. Es bietet sich daher folgende Formulierung im Testament an:

M 28 Auflage zur Bestattung

9.62

Meinem Erben erteile ich die Auflage, für meine Beerdigung zu sorgen. Ich wünsche ausdrücklich eine Erdbestattung auf dem Waldfriedhof in X-Stadt. Mein Erbe soll für eine würdige Dauerbepflanzung des Grabes Sorge tragen. Als weitere Auflage gebe ich meinem Erben auf, dass er im Bedarfsfall meinen Körper für Organentnahmen zur Verfügung stellt.

Aus praktischen Gründen empfiehlt es sich hier aber noch, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Häufig wird das Testament erst Wochen nach der Beerdigung eröffnet. Hat der Erbe inzwischen eine Feuerbestattung organisiert und auch nichts von einer eventuellen Organentnahme gewusst, ist dies im Nachhinein nicht mehr rückgängig zu machen. Aus diesem Grunde wäre dem Mandanten anzuraten, zusätzlich einen Organspenderausweis auszufüllen und diesen bei sich zu tragen. Was die Einzelheiten der Beerdigung betrifft, sollte er dies schon zu Lebzeiten mit seinem künftigen Erben besprechen. Denkbar ist auch, dass man in einem gesonderten Testament, ohne irgendeine sonstige Verfügung vorzunehmen, nur die Beerdigungsmodalitäten regelt und dieses gleich dem künftigen Erben aushändigt. Wenn der Erblasser dies nicht möchte, könnte er alternativ dazu den künftigen Erben darauf hinweisen, dass wichtige Regelungen für den Todesfall im Testament zu finden sind und wo dieses hinterlegt ist. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Erblasser nicht mit dem künftigen Erben darüber sprechen möchte. Dann kann es eine sinnvolle Alternative sein, dass sich der Erblasser bereits zu Lebzeiten um seine eigene Beerdigung kümmert und sich diesbezüglich mit einem Bestattungsunternehmen seines Vertrauens in Verbindung setzt. Hat er mit dem Bestattungsunter-

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9.63

§ 9 Rz. 9.64

Auflage

nehmen eine vertragliche Regelung getroffen, wie seine Beerdigung gestaltet werden soll, ist dies dann für den späteren Erben bindend.

9.64 Beratungssituation: Der Mandant hat häufig Geld für wohltätige Zwecke ausgegeben. Er möchte gern, dass seine Kinder dies nach seinem Tode ebenso tun.

Der Vorteil der Auflage ist, dass hier der Mandant seine Kinder zu diesem Tun veranlassen kann, ohne dass er ihnen bereits ganz konkret vorgeben muss, wie sie die wohltätigen Zwecke im Einzelnen erfüllen wollen.

9.65 M 29 Allgemeine Zweckauflage Ich erteile meinen beiden Erben die Auflage, jedes Jahr zu Weihnachten alten oder bedürftigen Menschen eine Freude zu machen.

9.66 Beratungssituation: Der Mandant fürchtet jedoch, dass sein geiziger Sohn die Wohltätigkeit in äußerst engen Grenzen halten wird.

9.67 Bei der oben angeführten allgemeinen Zweckauflage für beide Kinder steht es diesen völlig frei, in welcher Form oder mit welchem Geldbetrag sie diesen wohltätigen Zweck erfüllen wollen. Gleichfalls haben sie auch die Wahl, welches Heim und welche gemeinnützige Organisation sie damit unterstützen. Geht der Erblasser davon aus, dass seine Erben die von ihm gepflegte Großzügigkeit im selben Stil fortführen werden, gibt es keine Probleme. Befürchtet aber der Mandant, dass bspw. sein Sohn diese Auflage möglichst engherzig erfüllen wird, wäre es ratsam, einen konkreten Geldbetrag zu nennen:

9.68 M 30 Konkrete Zweckauflage Ich erteile meinen beiden Erben die Auflage, jedes Jahr zu Weihnachten alten oder bedürftigen Menschen eine Freude zu machen mit einem Geldbetrag von jährlich je 2.500 Euro.

9.69 Oder der Erblasser wählt für beide Kinder unterschiedliche Gestaltungen. Denkbar wäre, dass bei einem Kind die allgemeine Zweckauflage ausreicht. Hinsichtlich des anderen Kindes wäre es dann ratsam, dass gleich ein ganz konkreter Vermächtnisanspruch über eine bestimmte Summe für ein ganz konkretes Heim oder eine gemeinnützige Einrichtung im Wege des Vermächtnisses festgelegt wird, das dann der Sohn zu erfüllen hat. Da als Vermächtnisnehmer die Stellung des Begünstigten sehr viel stärker ist, wird es dem Sohn nicht gelingen, die auferlegte Verpflichtung zu umgehen. Beratungssituation: Der Erblasserin ist es äußerst wichtig, dass ihre Katze auch nach ihrem Tode gut versorgt ist; am liebsten würde sie die Katze zur Alleinerbin einsetzen.

9.70 Es bietet sich an, dass ein Tierheim oder der Tierschutzverein Erbe oder zumindest Vermächtnisnehmer für einen bestimmten Geldbetrag wird, verbunden mit der Auflage, sich um das Tier zu kümmern. Die Zuwendung sollte aber aus praktischen Gründen nicht unter 4.000 Euro liegen, damit für das Tierheim ein gewisser wirtschaftlicher Anreiz besteht, das Erbe oder Vermächtnis auch wirklich anzunehmen, wenn gleichzeitig die Katze mitversorgt werden muss.

9.71 Die Zuwendung, die mit der Auflage zur Versorgung eines Tiers verbunden ist, muss der Empfänger nicht versteuern, wenn es sich um eine gemeinnützige Organisationsform handelt. Eine Privatperson oder ein nicht gemeinnütziger Verein dagegen müssen die Zuwendung versteuern, wenn sie den jeweiligen Freibetrag gem. §§ 15, 16 ErbStG überschreitet.

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Auflage

Rz. 9.78 § 9

Ratsam wäre auch, dass die Mandantin sich ggf. mit dem betreffenden Tierheim oder dem sonstigen 9.72 Verein oder einer zuverlässigen Person aus dem Bekanntenkreis vorher in Verbindung setzt und abklärt, ob diese grundsätzlich ein solches Vermächtnis oder eine solche Erbschaft annehmen würden, wenn damit die Pflege eines Tieres verbunden wäre. Selbst wenn das Testament korrekt und präzise formuliert ist, würde der Zweck verfehlt, wenn die Person oder Organisation, die sich um die Katze kümmern soll, beim Erbfall das Erbe oder Vermächtnis ausschlägt und damit auch die Auflage nicht erfüllt. Diese Auflage sollte unbedingt mit Testamentsvollstreckung verbunden werden, wobei dem Testamentsvollstrecker ganz konkret aufgegeben werden muss, dass er auf artgerechte Haltung des Tieres achtet. Das Vermächtnis entfällt, wenn der Verein die Auflage nicht erfüllt und die Katze nicht artgerecht gehalten wird.

9.73

M 31 Auflage für die Katze

9.74

Zu meinem Erben setze ich den Förderverein Tierheim X-Stadt e.V. ein. Den Verein belaste ich mit der Auflage, sich um meine Katze Mohrle zu kümmern und sie bis an ihr Lebensende gut zu versorgen. Die Kosten für Unterhalt und Pflege meiner Katze sind aus dem Nachlass zu bezahlen. Beratungssituation: Der Mandant möchte sein Erbe an seine beiden Kinder verteilen. Er hat einen geistig behinderten Neffen, der stationär in einer Einrichtung untergebracht ist und Leistungen nach dem SGB XII bezieht. Wie sollte der Mandant das Testament formulieren, wenn er seinem Neffen kleine Zuwendungen machen möchte, ohne dass dadurch die Leistungen des Sozialhilfeträgers geschmälert werden?

9.75

Da der Neffe Leistungen nach dem SGB XII bezieht, ist es nicht sinnvoll, ihn zum Miterben oder Vermächtnisnehmer zu machen. Hieraus resultierende Ansprüche würden entweder durch den gesetzlichen Forderungsübergang direkt auf den Sozialhilfeträger übergehen oder zur Kürzung von Sozialleistungen führen. Die Zuwendungen, die der Mandant hier geben möchte, fallen auch nicht unter das Schonvermögen, so dass sie auch grundsätzlich pfändbar sind1. Das Problem lässt sich dadurch lösen, dass die beiden Kinder zu Erben eingesetzt und mit einer Auflage beschwert werden. Dabei sollte der Erblasser konkret beschreiben, was dem Neffen zugewendet werden soll. Da der Neffe keinen eigenen Anspruch auf diese Leistungen hat, ist dieser auch nicht pfändbar. Eine solche Gestaltung ist allerdings nur dann zu empfehlen, wenn es sich bei dem Begünstigten nicht um einen Pflichtteilsberechtigten handelt. Ist der Begünstigte pflichtteilsberechtigt, so wäre diese Gestaltung mit der Auflage sogar schädlich, da der Pflichtteilsanspruch übergeleitet werden kann auf einen Sozialhilfeträger und sonstige Vermögensvorteile aus einer Auflage nicht auf den Pflichtteil angerechnet werden, sondern unabhängig davon bestehen (vgl. auch § 12 Behinderten- und Bedürftigentestament).

9.76

M 32 Auflage für Behinderten

9.77

Hiermit setze ich meine beiden Kinder zu meinen Erben zu je 1/2 ein. Weiterhin erteile ich ihnen die Auflage, meinem Neffen Thomas jährlich einen zweiwöchigen Urlaub bzw. Kuraufenthalt zu finanzieren. Weiterhin erteile ich ihnen die Auflage, bis zu einem Betrag von jährlich 1.500 Euro für meinen Neffen medizinische Maßnahmen zu bezahlen, die aus ärztlicher Sicht nicht unbedingt erforderlich, aber dennoch wünschenswert sind, und für die weder die Krankenkasse noch der Sozialhilfeträger aufkommen. Beratungssituation: Der Mandant bedauert schon seit vielen Jahren den beklagenswerten baulichen Zustand des Rathausturmes seiner Heimatstadt. Er würde gern nach seinem Tod der Stadt einen großen Geldbetrag hinterlassen, damit der Rathausturm wenigstens neu gedeckt werden kann. Er befürchtet aber, dass 1 Engelmann, Letztwillige Verfügungen, S. 5 ff.

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9.78

§ 9 Rz. 9.79

Auflage

dieses Geld nicht für das Dachdecken des Rathausturmes eingesetzt wird, sondern in irgendwelchen sonstigen Kanälen verschwindet.

9.79 Der beratende Jurist sollte hier mit dem Mandanten klären, ob es sinnvoll ist, die Auflage tatsächlich so zu gestalten, dass eine Dacheindeckung gefordert wird. Zum einen fragt sich, ob das Geld überhaupt ausreicht. Zum anderen ist zu bedenken, ob diese Auflage aus bautechnischer Sicht sinnvoll ist. Es wäre bspw. möglich, dass eine preiswerte Reparatur ausreicht und die Neueindeckung des Daches erst zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich ist. Vielleicht ist es aber auch viel dringender, das Gebäude neu zu isolieren gegen aufsteigende Nässe, wofür die öffentliche Hand ebenfalls kein Geld zur Verfügung hat. Deshalb könnte es vernünftiger sein, dass man in der Auflage allgemein von baulicher Sanierung des Rathauses oder Rathausturmes spricht und das Dacheindecken nur als Wunsch formuliert, der aber nicht unbedingt erfüllt werden muss.

9.80 Eine zu starr formulierte Auflage kann gerade bei baulicher Sanierung dem Begünstigten mehr Probleme schaffen als helfen. So ist es bspw. vorgekommen, dass einem Zoo über Jahre hinweg erbrechtliche Zuwendungen gemacht wurden, verbunden mit ganz konkreten Auflagen für die Sanierung des Elefantenhauses. Für den Zoo stand es bereits seit Jahren fest, dass eine Sanierung des Elefantenhauses ausgeschlossen ist, da dort auch nach einer Sanierung eine artgerechte Haltung für die Tiere nicht möglich wäre. Vielmehr standen der Abriss und der Bau eines größeren Gebäudes an einem anderen Standort zur Debatte. Der Zoo hätte die Gelder gerne für den Bau des neuen Elefantenhauses verwendet, aber einige Testamentsvollstrecker sahen sich dazu verpflichtet, die Auflage wörtlich durchzusetzen. Solche Streitigkeiten können durch eine etwas offenere Formulierung der Auflage vermieden werden.

9.81 M 33 Auflage für konkretes Projekt Meine Heimatstadt D. soll ein Vermächtnis i.H.v. 250.000 Euro erhalten. Die Stadt belege ich mit der Auflage, das Geld für die bauliche Sanierung des Rathausturmes bzw. des gesamten Rathauses zu verwenden. Ich würde mir wünschen und empfehlen, dass von diesem Geld zunächst das Neudecken des Daches bezahlt wird. Wenn die Stadt bautechnische Gründe dafür sieht, das Geld in einer anderen Form für die Sanierung des Rathauses zu verwenden, bin ich auch damit einverstanden.

9.82 Beratungssituation: Die Mandantin ist eine bekannte Kunstsammlerin, die durch jahrzehntelange, intensive Sammlertätigkeit eine einmalige Gemäldesammlung zusammengetragen hat. Da sie kinderlos und verwitwet ist, geht die Erbschaft an diverse Neffen und Nichten. Die Mandantin möchte aber nicht, dass die Kunstsammlung aufgelöst und an die Erben aufgeteilt wird. Es ist der Wunsch, dass auch andere Menschen die schöne Sammlung später bewundern können.

9.83 Der Berater kann der Mandantin mehrere Wege vorschlagen. Möglich ist es, dass zwar die Neffen und Nichten Erben werden, aber belastet mit der Auflage, die Bildersammlung komplett als Dauerleihgabe einer bestimmten Gemäldegalerie zur Verfügung zu stellen. Man könnte ggf. der Mandantin auch raten, eine Stiftung zu gründen, die dann die Bilder erhält. Möglich wäre aber auch, der Stadt, einem Förderverein oder einer ähnlichen Einrichtung die Bilder unmittelbar im Wege des Vermächtnisses zukommen zu lassen, verbunden mit der Auflage, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und auszustellen. Unter Umständen kann es ratsam sein, dass die Mandantin sich bereits zu Lebzeiten mit der später zu bedenkenden Einrichtung oder Stadt in Verbindung setzt und dort klärt, ob Interesse an der Übernahme der Sammlung besteht und ob oder in welcher Form die Bildersammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Geeignete Ausstellungsräume sind u.U. schwer zu finden. Man sollte also auch hier dem Bedachten bei der Gestaltung der Auflage nach Möglichkeit freie Hand lassen, in welcher Form die Bilder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Denkbar wären hier u.U. auch Wanderausstellungen oder regelmäßige Sonderausstellungen.

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Auflage

Rz. 9.90 § 9

M 34 Auflage Museum

9.84

Meine drei Neffen setze ich untereinander zu gleichen Teilen zu Erben ein. Im Wege des Vermächtnisses erhält der Förderverein Kunstsammlung D. alle in meinem Nachlass befindlichen Ölgemälde. Dieses Vermächtnis ist verbunden mit der Auflage, die Bilder in geeigneter Form und am geeigneten Ort der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Beratungssituation: Der Mandant hat drei Kinder und ein wertvolles Grundstück in idealer Lage. Da seine Kinder gerade erst volljährig geworden sind, befürchtet er, dass eines der Kinder noch nicht die Vernunft besitzt, den Wert dieses Anwesens zu erkennen, und auf einer baldigen Teilung des Erbes oder Teilungsversteigerung besteht. Wie lässt sich das verhindern?

9.85

Nicht immer ist es sinnvoll, ein Teilungsverbot auszusprechen, gelegentlich ist es dennoch angebracht, um entweder einen Erben vor sich selbst zu schützen, damit er nichts Unvernünftiges tut, oder einen wirtschaftlich schwächeren Miterben zu schützen, dem eine sofortige Aufteilung des Erbes Probleme bereiten könnte.

9.86

Dem Mandanten sollte zu einem Teilungsverbot gem. § 2044 BGB geraten werden. Man muss es nicht auf den gesamten Nachlass ausdehnen; die Beschränkung auf einen bestimmten Gegenstand ist zulässig und kann sinnvoll sein, wie hier die Immobilie betreffend. Im Ausgangsfall möchte der Erblasser einen Auseinandersetzungsausschluss für das Grundstück erreichen, der für alle Erben gilt und über den sich die Erben auch nicht einvernehmlich hinwegsetzen können. Dieses Teilungsverbot gem. § 2044 BGB ist dann als Auflage zu gestalten1. Das Teilungsverbot durch Auflage hat zwar auch nur schuldrechtliche und keine dingliche Wirkung, aber in Kombination mit Testamentsvollstreckung kann dennoch die Durchsetzung erzwungen werden.

9.87

M 35 Auflage Teilungsverbot

9.88

Hiermit setze ich meine drei Kinder zu untereinander gleichen Teilen zu Erben ein. Im Wege der Auflage verbiete ich meinen Erben die Teilung des Nachlasses hinsichtlich meines Grundstückes in X-Stadt (Grundbuchangaben). Ich untersage auch ausdrücklich eine einverständliche Teilung zwischen den Miterben sowie die Teilungsversteigerung. Dieses Teilungsverbot soll mit dem Ablauf von fünf Jahren ab meinem Todestag entfallen. Zum Testamentsvollstrecker bestimme ich meinen Freund, Herrn A.B. Dem Testamentsvollstrecker wird ausdrücklich aufgegeben, die Einhaltung des von mir ausgesprochenen Teilungsverbotes zu überwachen und eine Teilung auch nicht bei übereinstimmendem Willen der Miterben zu gestatten.

IX. Unwirksamkeit der Auflage Ist eine Auflage unwirksam, wird dadurch gem. § 2195 BGB nicht automatisch die unter der Auflage gemachte Zuwendung unwirksam. Dies folgt aus dem Grundsatz von § 2085 BGB, dass mehrere in einem Testament enthaltene Verfügungen im Zweifel unabhängig voneinander wirksam sind. Hat z.B. ein Erblasser eine Zuwendung gemacht, zugleich aber den Bedachten mit einer sittenwidrigen Auflage beschwert, so ist die Zuwendung dennoch wirksam, auch wenn die Auflage unwirksam ist.

9.89

Im Einzelfall ist durch Auslegung des Testamentes zu prüfen, ob der Erblasser die Zuwendung nicht 9.90 ohne die Auflage gemacht hätte. Kommt man im Wege der Auslegung zu dem Schluss, dass die Zuwendung unbedingt an diese Auflage gekoppelt sein soll, so würde auch die Zuwendung wegfallen. 1 MüKo.BGB/Ann, § 2044 Rz. 14.

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§ 9 Rz. 9.91

Auflage

Beispiel: Dem Testament ist zu entnehmen, dass der Erblasser einem Verwandten nur aus dem Grund ein kleines Vermächtnis zukommen lassen wollte, damit dieser dann auch entsprechend einer Auflage das Grab pflegt. Würde die Auflage in Wegfall kommen, hätte sich der Erblasser hier nicht verpflichtet gesehen, dem Verwandten auch die Zuwendung zu machen.

X. Unmöglichkeit der Vollziehung einer Auflage 9.91 Ist es wegen Umständen, die der Beschwerte nicht zu vertreten hat, unmöglich, eine Auflage zu erfüllen, so entfällt gem. § 2196 BGB die Auflage. Ist bspw. noch vor Ableben des Erblassers ein Bild verbrannt, welches vom Erben im Wege der Auflage einem geeigneten Museum zur Verfügung gestellt werden sollte, hat das keinerlei rechtliche Konsequenzen für den Erben. Auch wenn ein konkret benannter Auflagenbegünstigter vor Eintritt des Erbfalles weggefallen ist und dem Testament auch im Wege der Auslegung kein sonstiger ersatzweise Begünstigter zu entnehmen ist, kann diese Auflage nicht vollzogen werden. Das wäre gegeben, wenn in dem in Rz. 9.75 genannten Fall der auflagenbegünstigte behinderte Neffe des Erblassers weggefallen ist. Der Erblasser wollte einen Vorteil zuwenden, der nur und ausschließlich dem Neffen zugute kommt. Verstirbt dieser Neffe jedoch vor dem Erblasser, fällt die Auflage ersatzlos weg. Diese Unmöglichkeit der Vollziehung ist nicht vom Erben zu vertreten, so dass auch dieser Wegfall für ihn keinerlei negative Folgen hat.

9.92 Anders liegt der Fall, wenn der Beschwerte die Unmöglichkeit der Vollziehung der Auflage selbst zu vertreten hat. Dann treten die in § 2196 BGB genannten Rechtsfolgen ein. Der Wegfallbegünstigte kann nach den Vorschriften über die Herausgabe ungerechtfertigter Bereicherung den Ersatz des Wertes vom Beschwerten fordern. Selbst für den Fall, dass es einen unmittelbar Begünstigten gibt, wird dieser nichts erhalten. Damit ist zwar verhindert, dass sich der Beschwerte dadurch bereichert, dass er sich weigert, die Auflage zu erfüllen, oder die Erfüllung der Auflage unmöglich gemacht hat. Der eigentliche Zweck der Auflage ist aber dennoch verfehlt. Dadurch ist es möglich, dass ein Begünstigter leer ausgeht. Aus diesem Grunde kann man diese gesetzliche Regelung auch wiederum nur als ein stumpfes Schwert für die Durchsetzung einer Auflage betrachten.

9.93 Der Herausgabeberechtigte kann damit den Geldwert erlangen, den der Beschwerte für die Erfüllung der Auflage hätte ausgeben müssen. Das hat aber nicht zur Folge, dass dann der Vollziehungsberechtigte die Auflage erfüllen muss1. In der Praxis sollte sich daher der Erblasser nicht mit diesen Rechtsfolgen begnügen, sondern es sollte gleich im Testament von vornherein eine Sanktion oder Bedingung an die Nichterfüllung der Auflage geknüpft werden, da damit wirtschaftlich ein höherer Druck auf den Beschwerten ausgeübt werden kann.

XI. Steuerliche Auswirkungen 9.94 Grundsätzlich muss der Begünstigte einer Auflage, wenn es einen solchen gibt, das, was er mittels der Auflage erwirbt, auch versteuern. Die Erbschaftsteuer fällt jedoch gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1d ErbStG erst mit der Vollziehung der Auflage an. Dagegen kann der Beschwerte als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaftsteuererklärung diejenigen Verbindlichkeiten abziehen, die aus der Auflage herrühren2. Dieser Abzug ist gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG sofort vom Erwerb des Verpflichteten vorzunehmen, auch wenn die Auflage erst später erfüllt wird. Der zu versteuernde Wert der Auflage wird gem. §§ 13–16 BewG ermittelt.

9.95 Bei einer Zweckauflage gibt es keinen Begünstigten im eigentlichen Sinne. Damit ist der Beschwerte verpflichtet, den der Auflage zugrunde liegenden Zweck zu versteuern. Werden bei einer Zweck1 MüKo.BGB/Rudy, § 2196 Rz. 8. 2 Nieder/Kössinger, § 9 Rz. 129, Erbschaftsteuergesetz; Schmid, Steuerfallen im Erbrecht, § 3 Rz. 113; Dorsel, Kölner Formularbuch Erbrecht, § 4 Rz. 203.

318

Trilsch

Auflage

Rz. 9.96 § 9

zuwendung kirchliche, gemeinnützige oder wohltätige Zwecke erfolgt, wird keine Erbschaftsteuer erhoben. Wird einem Erben vom Erblasser im Wege der Auflage die Pflege eines im Nachlass befindlichen Tieres aufgegeben, ist Vorsicht geboten, wenn diese Auflage einen höheren erbschaftsteuerlichen Wert als 20.000 Euro hat. Bei der Pflege von Hund oder Katze wird dies wohl kaum der Fall sein. Die Pflege eines oder mehrerer Pferde kann jedoch leicht diesen Kostenrahmen sprengen. Kosten, die dem Erben für die Versorgung des Tieres entstehen, kann dieser einerseits als Nachlassverbindlichkeiten steuerlich absetzen. Zugleich muss jedoch die Zweckauflage versteuert werden, was bei hohen Kosten für die Pflege des Tieres zum steuerlichen Nachteil werden kann1.

1 Götz, ZEV 2012, 649.

Trilsch

319

9.96

§ 10 Vermächtnis I. Vorbemerkung und Einführung . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Checkliste für die Beratung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Vermächtnis im Verhältnis zu anderen erbrechtlichen Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Vorausvermächtnis und die Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . a) Die Unterschiede zwischen der Teilungsanordnung und dem Vorausvermächtnis . . . . . . . . . . . . aa) Die Ausgleichspflicht bei der Teilungsanordnung . . . . . bb) Die Ausschlagungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Haftung . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Geltendmachung von Vermächtnis und Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Das gemeinschaftliche Testament, der Erbvertrag, die Testamentsvollstreckung und die Nachlassverwaltung . . . . . ff) Die Stellung des Vorerben . . . b) Die Möglichkeiten einer Angleichung von Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis . . . . . . . . 2. Das Vermächtnis und die Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Vermächtnis und die Auflage . . . 4. Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung bei nicht eindeutiger letztwilliger Verfügung . . . . . a) Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung . . . . b) Die Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Auflage . . . . . . . III. Die Person des Bedachten . . . . . . . . 1. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch den Erblasser . . . . . . 2. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch Dritte . . . . . . . . . . . . a) Die Drittbestimmung nach § 2151 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmbarer Personenkreis . bb) Der Bestimmungsberechtigte . cc) Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers . . . . . . . . . b) Das Personenwahlvermächtnis . . .

320

Nienaber/Schmitz

10.1 10.1 10.8

10.10 10.11 10.13 10.14 10.19 10.20 10.21

10.22 10.23 10.25 10.30 10.35 10.37 10.38 10.43 10.45 10.46 10.50 10.51 10.53 10.54 10.57 10.60 10.69

3. Die Person des Vermächtnisnehmers bei besonderen Vermächtnisarten . . . a) Das Ersatzvermächtnis . . . . . . . . . b) Das Vor- und Nachvermächtnis . . c) Das Untervermächtnis . . . . . . . . . d) Das gemeinschaftliche Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Vorausvermächtnis . . . . . . . . f) Gemeinnützige Stiftungen als Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . .

10.70 10.71 10.74 10.81 10.82 10.88 10.89

IV. 1. 2. 3.

Die Person des Beschwerten . . . . . . 10.91 Der Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.92 Der Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . 10.97 Der Begünstigte einer Schenkung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . 10.98 4. Mehrere Beschwerte . . . . . . . . . . . . . . 10.99 5. Der Wegfall des Beschwerten . . . . . . . 10.100

V. Der Vermächtnisgegenstand . . . . . . 1. Das Stückvermächtnis . . . . . . . . . . . . 2. Das Verschaffungsvermächtnis . . . . . a) Der Verschaffungswille des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die lebzeitige Verfügung des Erblassers über den Vermächtnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs aus einem Verschaffungsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . d) Der Wertersatz . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Wahlvermächtnis . . . . . . . . . . . . 4. Das Gattungsvermächtnis . . . . . . . . . 5. Das Zweckvermächtnis . . . . . . . . . . . 6. Das Universalvermächtnis . . . . . . . . . 7. Das Unternehmen als Vermächtnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftsrechtliche Vorbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gestaltung und Folgen des Unternehmensvermächtnisses . . . . . . . . 8. Das Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . a) Die Unterschiede zwischen Nießbrauchsvermächtnis und Vorerbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bestellung des Nießbrauchs . . c) Die Modifikation der Rechte und Pflichten des Nießbrauchers durch Anordnungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der dingliche und der „obligatorische“ Nießbrauch . . . . . . . . . . . . e) Der Nießbrauch an einem Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.103 10.104 10.110 10.112 10.113 10.114 10.115 10.118 10.122 10.127 10.128 10.130 10.131 10.139 10.144 10.146 10.155

10.158 10.160 10.161

Vermächtnis aa) Der Nießbrauch an einer Personenhandelsgesellschaft . . . . bb) Der Nießbrauch an einem GmbH-Anteil . . . . . . . . . . . . . cc) Der Nießbrauch an einer Aktie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Das Rentenvermächtnis . . . . . . . . 9. Forderungsvermächtnis . . . . . . . . . . . 10. Das digitale Vermächtnis . . . . . . . . . . 11. Die Nutzungen und Früchte des Vermächtnisgegenstandes . . . . . . . . .

10.169 10.180 10.181 10.182 10.187 10.191 10.195

VI. Die Wirksamkeit des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.199 VII. 1. 2. 3. 4.

Erwerb des Vermächtnisses . . . . . . . Der Anfall des Vermächtnisses . . . . . . Die Fälligkeit des Vermächtnisses . . . Verjährung des Vermächtnisses . . . . . Annahme und Ausschlagung des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . .

VIII. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Haftung des Erben . . . . . . . . . . . a) Die Überschwerungseinrede . . . . . b) Die Rechts- und Sachmängelhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Rechts- und Sachmängelhaftung beim Stückvermächtnis . . . . . . . . . bb) Die Rechtsmängelhaftung beim Gattungs- und Verschaffungsvermächtnis . . . . . . cc) Die Sachmängelhaftung beim Gattungsvermächtnis . . . . . . . dd) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Haftung für die Kosten der Vermächtniserfüllung . . . . . . . . . . 2. Die Haftung des beschwerten Vermächtnisnehmers . . . . . . . . . . . . . a) Die Beschränkung auf das Erlangte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Kürzungsrecht . . . . . . . . . . . . c) Die Rechts- und Sachmängelhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolge bei Ausschlagung des Hauptvermächtnisnehmers . . . . . 3. Die Haftung bei einer Mehrheit von Beschwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Haftung des Beschwerten bei Vorerfüllung des Erblassers . . . . . . . .

10.203 10.203 10.210 10.213

5. Die Haftung des Testamentsvollstreckers gegenüber dem Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Haftung des Vermächtnisnehmers selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Verwendungsersatz . . . . . . . . b) Die Haftung des Vermächtnisnehmers für Schulden des Erblassers . IX. 1. 2. 3. 4.

10.216 10.222 10.222 10.223 10.226 10.227

5.

10.229

6. 7.

10.242 10.244

8.

10.245 10.246 10.247 10.251 10.252 10.253 10.254 10.261

9.

Erfüllung des Vermächtnisses . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auskunftsanspruch des Bedachten . . Erfüllung durch Dritte bzw. den Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sicherung des Vermächtnisanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Sicherungsmöglichkeiten ohne besondere Anordnungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Sicherung eines Vermächtnisanspruchs auf Übertragung eines Grundstücks . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Sicherung eines aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnisanspruchs durch die §§ 160, 162 BGB . . . . . . . . . . . . . . d) Arrest und einstweilige Verfügung Die Sicherungsmöglichkeiten aufgrund besonderer Anordnungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vermächtniserfüllungsvertrag . . . Erfüllung von Vermächtnissen zugunsten Minderjähriger . . . . . . . . . . . Gerichtliche Durchsetzung von Vermächtnisansprüchen . . . . . . . . . . Nachlasspflegschaft bei der Durchsetzung von Vermächtnisansprüchen gegen unbekannte Erben . . . . . . . . . .

X. Die steuerrechtliche Behandlung des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten beim Nachvermächtnis und beim bedingten Vermächtnis 4. Steuerliche Fragen beim Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderheiten beim Rentenvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Steuerliche Fragen im Kontext des sog. Berliner Testaments . . . . . . . . . .

§ 10

10.262 10.265 10.265 10.268 10.270 10.270 10.273 10.278 10.280 10.281 10.282

10.283 10.285 10.286 10.295 10.296 10.300 10.303 10.304 10.305 10.308 10.309 10.312 10.315 10.316

XI. Das Vermächtnis in der Insolvenz . . 10.323 Schrifttum: Amend, Schuldrechtsreform und Mängelhaftung beim Gattungsvermächtnis, ZEV 2002, 227; Baltzer, Die Vermächtnislösung lebt! – Zur Anspruchskonkurrenz zwischen Nachvermächtnis und anderen Gläubigern, insbesondere dem Sozialhilfeträger, ZEV 2008, 116; Bambring, Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf das Erbrecht, ZEV 2002, 137; Bengel, Rechtsfragen zum Vor- und Nachvermächtnis, NJW

Nienaber/Schmitz 321

§ 10

Vermächtnis

1990, 1826; Benk, Teilungsanordnung, Vorausvermächtnis, Übernahmerecht, MittRhNotK 1979, 53; Bredemeyer, Praxisrelevante Fälle zum Vermächtnisrecht, ZErb 2017, 343; Buchholz, Verfügungsunterlassungsvertrag, Vormerkung und künftige Ansprüche – Zur Vormerkungsfähigkeit erbrechtlicher Ansprüche, Jura 1989, 393; Bühler, Erbschaftsteuerreform: Übersicht und Vorschläge zur Verminderung der Steuernachteile beim Berliner Testament, im Jahr 1996 angefallene Erbschaftsteuerfälle werden benachteiligt, BB 1997, 551; Crezelius, Anmerkung zu BFH v. 2.7.2004 – II R 902, ZEV 2004, 476; Damrau/Mayer, Zur Vor- und Nachvermächtnislösung beim sog. Behindertentestament, ZEV 2001, 293; Eidenmüller, Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung, JA 1991, 150; Evert, Berliner Testament und Rettung erbschaftsteuerlicher Freibeträge, NJW 2008, 557; Friedrich-Büttner/Runte, Erbschaften und Vermächtnisse, npoR 2016, 57; Friedrich-Büttner/Wiese, Keine Erfüllung von Vermächtnissen zugunsten Minderjähriger ohne das Familiengericht?, ZEV 2014, 513; Fröhler, Das Vorausvermächtnis zugunsten des Vorerben und der Erbnachweis vor sowie ab Eintritt des Nacherbfalls, BWNotZ 2005, 1; Gloser, „Digitale Erblasser“ und „digitale Vorsorgefälle“ – Herausforderungen der Onlinewelt in der notariellen Praxis – Teil II, MittBayNot 2016, 101; Grunewald/Rizor, Wer trägt die Lasten, wenn ein vermachtes Grundstück belastet ist?, ZEV 2008, 510; Grziwotz, Verfügungen von Todes wegen, FPR 2005, 283; Halding-Hoppenheit, Sicherstellung der Vermächtniserfüllung, RNotZ 2005, 311; Hannes/Onderka, Die Übertragung von Betriebsvermögen nach dem neuen Erbschaftsteuergesetz, ZEV 2009, 10; Hartmann, Das sog. Behindertentestament: Vor- und Nacherbschaftskonstruktion oder Vermächtnisvariante, ZEV 2001, 89; Hartmann, Das Vorvermächtnis mit Vorerbschaftswirkung, ZEV 2007, 458; Haspl, Der Ersatzvermächtnisnehmer nach § 2069 BGB, ZEV 2013, 60; Helms, Erbrechtliches Drittbestimmungsverbot und kautelarjuristische Praxis, ZEV 2007, 1; Hermreck, Das Nachlassinsolvenzverfahren, NJW-Spezial 2017, 149; Hölscher, Ist die Vermächtnislösung pflichtteilsfest?, ZEV 2011, 569; Hölzerkopf/Bauer, Überblick über die Erbschaftsteuerreform und erste Gestaltungshinweise, BB 2009, 20; Horn, Vermächtnisse in der Testamentsgestaltung, NJW 2018, 1000; Horn, Gestaltung des Einzeltestaments, NJW 2016, 3500; Ivens, Leitlinien zur Unternehmensnachfolge: Die Vererbung von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen, ZEV 2011, 177; Ivo, Die Vererbung von GmbH-Geschäftsanteilen, ZEV 2006, 252; Ivo, Die Vererbung von Kommanditanteilen, ZEV 2008, 302; Johannsen, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf dem Gebiete des Erbrechts – 8. Teil: Das Vermächtnis, WM 1972, 866; Joussen, Das Testament zugunsten behinderter Kinder, NJW 2003, 1851; Kanzleiter, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 24.4.1991 – IV ZR 156/90, DNotZ 1992, 511; Kanzleiter, Das Berliner Testament: immer aktuell und fast immer ergänzungsbedürftig, ZEV 2014, 225; Keim, Vermächtnisse zugunsten Minderjähriger: Schwierigkeiten und Lösungen, ZEV 2011, 563; Keim, „Super“ oder „(super) falsch“? – Das „Supervermächtnis zur Erbschaftssteuerersparnis beim Berliner Testament, ZEV 2016, 6; Klarner, Die Anzeigepflichten des ErbStG im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZEV 2019, 13; Klinger/Roth, Abgrenzung von Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis, NJW 2008, 263; Kollmeyer, Unternehmensnachfolge und Geschwisterabfindung durch Bestimmungs- und Zweckvermächtnis in der Praxis, NJW 2017, 3271; Kornexl, Geld-, Immobilien- und Hausratsvermächtnisse: Risiken für den Verteilungsplan des Erblassers und gestalterische Vorsorge, ZEV 2002, 173; Kuchinke, Die Rechtsfolgen der Vorausleistung eines Vermächtnisgegenstandes an den Bedachten, JZ 1983, 483; Leipold, Erbrecht 1995, JZ 1996, 287; Loritz, Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis, NJW 1988, 2697; Mayer, Neues zum Berliner Testament auf Grund der Erbschaftsteuerreform?, ZEV 1997, 325; Menz, Die Regelung der Unternehmensnachfolge bei noch jugendlichen Erben, I. Stellungnahme, DB 1966, 1719; Muscheler, Testamentsvollstreckung und Vermächtnis, ZEV 2011, 230; Muscheler, Das gemeinschaftliche Vermächtnis, NJW 2012, 1399; Muscheler, Die Haftung des Testamentsvollstreckers gegenüber dem Vermächtnisnehmer und bei der Auflage, ZEV 2013, 229; von Oertzen, Wertsicherungsklauseln in letztwilligen Verfügungen, ZEV 1994, 160 f.; Otte, 10 Jahre ZEV: Die Entwicklung des Erbrechts von 1994 bis 2003, ZEV 2004, 9; Paus, Der Unternehmensnießbrauch, BB 1990, 1675; Petzoldt, Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, DStR 1992, 1171; Raude, Der digitale Nachlass in der notariellen Praxis, RNotZ, 17; Reymann, Das Vermächtnis des Kommanditisten, ZEV 2006, 307; Röhl, Annahme und Erfüllung von Vermächtnissen zugunsten Minderjähriger – zugleich Anmerkung zum Beschluss des OLG München vom 22.8.2012, 34 Wx 200/12 –, MittBayNot 2013, 189; Rossak, Problematik der gegenständlichen Beschränkung einer zeitlich gestuften Sukzession, insbesondere bei Vor- und Nacherbfolge, ZEV 2005, 14; Roth, Praktische Fragen zum Quotenvermächtnis, NJW-Spezial 2017, 39; Roth, Praktische Fragen zum Wahlvermächtnis, NJW-Spezial 2017, 487; Sarres, Erbrechtliche Auskunftsansprüche aus Treu und Glauben, ZEV 2001, 225; Schlichting, Schuldrechtsmodernisierung im Erbrecht, ZEV 2002, 478; Schlieper, Vor- und Nacherbschaft oder Nießbrauchsvermächtnis – Zur zweckmäßigen Gestaltung der Verfügung von Todes wegen, MittRhNotK 1995, 249; Schmid, Anmerkung zum Urteil des FG Münster v. 18.5.2017 – 3 K 961/15, in: jurisPR-FamR 21/2017 Anm. 1; Schmidt, Stimmrecht beim Anteilsnießbrauch, Besprechung des Urteils BGH, NJW 1999, 571, ZGR 1999, 600; Schön, Der Nießbrauch am Gesellschaftsanteil, ZHR 158 (1994), 229; Schwarz, Herausgabever-

322

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.5 § 10

mächtnis und Drittbestimmungsverbot: Lösung über kumulative Zweckauflage?, ZEV 2011, 292; Spell, Vorzug eines Nachvermächtnisses durch den Testamentsvollstrecker, ZEV 2002, 5; Steiner/Holzer, Praktische Empfehlungen zum digitalen Nachlass, ZEV 2015, 262; Stein, Das aufschiebend bedingte Vermächtnis: Eine Möglichkeit zur mehrfachen Nutzung der Steuerfreibeträge und zur Steueroptimierung, ZEV 2011, 572; Streck, Durch Vermächtnis auferlegte Renten und dauerhafte Lasten: Eine Steuerfalle seit dem Jahressteuergesetz 2008?, DStR 2011, 959; Sudhoff, Die Regelung der Unternehmensnachfolge bei noch jugendlichen Erben, II. Stellungnahme, DB 1966, 1720; Sudhoff, Der Nießbrauch am Anteil einer Personengesellschaft, NJW 1971, 481 ff.; Tersteegen, Behindertentestament – aktuelle Entwicklungen aus sozialrechtlicher Sicht, ZErbR 2013, 141; Tersteegen, Vermächtnisweise Zuwendung von Grundstücken und Rechten an Grundstücken, ZEerb 2013, 282 und 313; Tiedtke/Peterek, Zurechnung von Einkünften, die zwischen Erbfall und Vermächtniserfüllung anfallen, ZEV 2007, 349; Trappe, Der Anspruch auf die Nutzungen bei der Teilungsanordnung – Zur Frage der analogen Anwendung des § 2184 BGB bei der Teilungsanordnung, ZEV 2018, 123; Tschernoster, Der Minderjährige als Erbe und Vermächtnisnehmer – unter Berücksichtigung der Besonderheiten bei der Testamentsvollstreckung, RNotZ 2017, S. 125; Wegmann, Die Schiedsgerichtsbarkeit in Nachlasssachen, ZEV 2003, 20; Weidmann, Vermächtniserfüllung durch Testamentsvollstrecker: steuerliche Haftungsgefahren und Vermeidungsstrategien, ZEV 2014, 404; Werner, Regelungsbedürftige Punkte bei der Anordnung einer Testamentsvollstreckung an GmbH-Gesellschaftsanteilen, ZEV 2018, 252; Zawar, Gedanken zum bedingten oder befristeten Rechtserwerb, NJW 2007, 2353.

I. Vorbemerkung und Einführung 1. Allgemeines Wer als Erbe eingesetzt wird, tritt vollständig in die Rechtsposition des Erblassers. Der gesamte Nach- 10.1 lass geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vom Erblasser auf den Erben durch „Von-Selbst-Erwerb“ über (§§ 1922 Abs. 1, 1942 Abs. 1 BGB). Soll dahingegen einem Dritten ohne weitere Verpflichtungen nur ein konkreter Vermögensvorteil zugewandt werden, dann bietet sich die Anordnung eines Vermächtnisses an. Der Unterschied zwischen der Erbfolge und einem Vermächtnis ist fundamental, wenngleich die Begriffe „Vermachen“ und „Vererben“ oft umgangssprachlich gleichgesetzt werden1. Ein Vermächtnis im Sinne des § 1939 BGB liegt grundsätzlich vor, wenn der Erblasser durch Testament oder Erbvertrag einer anderen Person einen Vermögensvorteil zuwendet, ohne diesen zum Erben einzusetzen. Das Vermächtnis berechtigt den Bedachten von dem mit dem Vermächtnis Beschwerten den Vermögensvorteil zu verlangen.

10.2

Hauptanwendungsfall des Vermächtnisses ist die Zuwendung von Geld oder Wertgegenständen an 10.3 Personen, die dem Erblasser nahe stehen, ohne zu dessen engerer Familie zu gehören2. Da das Vermächtnis in vielen Bereichen wesentlich flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten als eine Erbeinsetzung bietet, hat es als Mittel erbrechtlicher Gestaltungen jedoch auch darüber hinaus große Bedeutung. Es müssen nicht zwingend konkrete Gegenstände sein, die der Erblasser einer bestimmten Person zuwenden will; es können auch Forderungen und Rechte, zum Bespiel aus einem Darlehensvertrag sein, die dann einen Vermögensvorteil für den Bedachten darstellen. Insbesondere bei der Unternehmensnachfolge kann durch die Aussetzung von Vermächtnissen den besonderen Bedürfnissen bei einem erbrechtlich bedingten Generationswechsel Rechnung getragen werden. Ein Vermächtnis ist die Zuwendung eines Vermögensvorteils von Todes wegen, die weder Erbeinsetzung noch Auflage ist. Oft wird mit dem Begriff des Vermächtnisses sowohl die Verfügung des Erblassers, das hieraus resultierende Recht des Bedachten sowie der zugewendete Vermögensvorteil selbst bezeichnet.

10.4

Da das Vermächtnis keine Erbeinsetzung ist, wird kein dingliches Recht am Vermächtnisgegenstand begründet, sondern es entsteht lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch des Bedachten gegen den

10.5

1 Vgl. auch Bartsch in Uricher, § 3 Rz. 4. 2 MüKo.BGB/Rudy, Vor § 2147 Rz. 8.

Nienaber/Schmitz 323

§ 10 Rz. 10.6

Vermächtnis

Beschwerten (i.d.R. der Erbe, § 2147 S. 2 BGB)1 auf die Leistung des vermachten Gegenstandes (§ 2174 BGB). Der Vermächtnisnehmer ist also Nachlassgläubiger und wird erst durch das selbständige Erfüllungsgeschäft seitens des Beschwerten zum dinglich Berechtigten. Anders als beim Vindikationslegat anderer Rechtsordnungen, wo der Vermächtnisnehmer unmittelbar das Eigentum an dem vermachten Gegenstand erwirbt, bedarf es im deutschen Erbrecht der Vollziehung durch ein Erfüllungsgeschäft2. Für das Erfüllungsgeschäft gelten die allgemeinen Regeln3.

10.6 Der Erblasser kann ein Vermächtnis in einem Testament oder in einem Erbvertrag aussetzen (siehe hierzu auch Rz. 7.6). Auch wenn die Bezeichnung als Vermächtnis nicht ausdrücklich verwendet wird, ist bei der Zuwendung einzelner Gegenstände nach § 2087 Abs. 2 BGB im Zweifel von einem Vermächtnis und nicht von einer Erbeinsetzung auszugehen (näher Rz. 10.39 f.). Um Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen erbrechtlichen Anordnungen zu vermeiden, sollte eine testamentarische oder erbvertragliche Bestimmung ausdrücklich als Vermächtnis bezeichnet werden.

10.7 Sog. gesetzliche Vermächtnisse, auf welche die Regeln der §§ 2147 ff. BGB entsprechende Anwendung finden, bestehen hinsichtlich des Voraus des Ehegatten (§ 1932 BGB) sowie beim Dreißigsten (§ 1969 BGB). 2. Checkliste für die Beratung des Erblassers

10.8 Beratungssituation: Nach eingehender Beratung des Mandanten ergibt sich, dass dieser nicht nur seine Ehefrau und die gemeinsamen Abkömmlinge, sondern auch noch einen Freund – als Honorierung seines Amtes als Testamentsvollstrecker – und eine gemeinnützige Stiftung zur Erforschung einer seltenen Krankheit bedenken will. Der Mandant besitzt keine Immobilie, dagegen erhebliches Barvermögen sowie eine unter Experten anerkannte Sammlung seltener Uhren. Die Beratung hatte zum Ergebnis, dass eine Erbeinsetzung der Ehefrau zur Alleinerbin sinnvoll ist. Gleichwohl sucht der Mandant nach weiteren Möglichkeiten, in seinem Todesfall sowohl seine beiden Kinder als auch den Freund und die Stiftung bedenken zu können, ohne dass diese eine Erbenstellung erhalten. Dabei spielen für den sehr vermögenden Mandanten insbesondere auch erbschaftssteuerliche Aspekte eine Rolle. Welche Fragen sind im weiteren Beratungsgespräch zu klären?

10.9 Checkliste Beratung des Erblassers l Welcher Vermögensvorteil soll genau zugewendet werden? l Wer soll für die Erfüllung dieses Vermögensvorteils sorgen? Wer ist also mit dem Vermächtnis beschwert? l Wer soll genau bedacht werden? l Soll ggfls. die Person des Bedachten noch offen bleiben und die Bestimmung durch eine dritte Person später erfolgen? l Was soll geschehen, wenn der Bedachte etwa durch Tod wegfällt? Ist dann ein Ersatzvermächtnis gewünscht oder soll es ersatzlos wegfallen? l Soll das Vermächtnis unmittelbar mit dem Tode des Erblassers anfallen oder erst später, etwa nach Eintritt einer Bedingung oder Befristung?

1 Ist der Beschwerte selbst Vermächtnisnehmer, handelt es sich um ein Untervermächtnis; vgl. hierzu Rz. 10.81. 2 Vgl. Bengel/Dietz, Beck’sches Notar-Handbuch, Kap. C. Rz. 143. 3 D.h., bewegliche Sachen werden nach §§ 929 ff. BGB, Grundstücke nach §§ 925, 873 BGB und Forderungen durch Abtretung nach § 398 BGB übertragen. Vgl. zum gutgläubigen lastenfreien Erwerb eines Grundstücks durch den Vermächtnisnehmer OLG Naumburg v. 25.2.2003 – 11 Wx 19/02, NJW 2003, 3209.

324

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.12 § 10

l Wer soll etwaige Kosten für die Erfüllung des Vermächtnisses tragen? l Was ist erbschaftssteuerrechtlich zu beachten?

II. Das Vermächtnis im Verhältnis zu anderen erbrechtlichen Gestaltungsformen Die Gründe für die Anordnung eines Vermächtnisses können vielfältig sein. Es kann dem Erblasser 10.10 darum gehen, einzelne Gegenstände bestimmten Personen zuzuwenden, oder auch im Falle eines Nießbrauchsvermächtnisses der Person den wirtschaftlichen Nutzen am gesamten Nachlass ohne zwingende Erbeinsetzung zukommen zu lassen (vgl. auch Rz. 10.144 ff.). In Form eines Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) (vgl. Rz. 10.88) kann der Erblasser dem Bedachten dahingegen auch eine Doppelstellung als Erbe und Vermächtnisnehmer verschaffen, um ihn hierdurch – vor allem gegenüber Miterben – zu begünstigen oder hinsichtlich des Vermächtnisgegenstandes von einer Nachlasshaftung zu befreien. Im Einzelfall können auch steuerrechtliche Gründe für die Aussetzung eines Vermächtnisses sprechen. Zwar unterliegt das Vermächtnis ebenfalls der Erbschaftsteuer (näher Rz. 10.305), doch können vermächtnisweise Zuwendungen, die nicht den Gegenstand selbst, sondern nur dessen Nutzungen erfassen (z.B. ein Wohnrecht oder ein Nießbrauch), eine ausreichende Absicherung des Bedachten zu Lebzeiten gewähren, ohne ihn einer hohen Erbschaftsteuerbelastung auf die Substanz des genutzten Gegenstandes auszusetzen. Dieser Gedanke greift insbesondere, wenn der Bedachte keine Freibeträge in Anspruch nehmen kann und daher einer besonders hohen Erbschaftsteuerbelastung unterliegen würde1. 1. Das Vorausvermächtnis und die Teilungsanordnung Beratungssituation: Der Mandant ist Eigentümer zweier gleichwertiger Grundstücke sowie einer wertvollen Kunstsammlung. Dieses Vermögen möchte der Mandant nach seinem Tod zwischen seinem Sohn und seiner Tochter aufteilen. Jedes Kind soll ein Grundstück, der Sohn die Kunstsammlung erhalten. Der Mandant fragt, durch welche erbrechtlichen Gestaltungen er diese Aufteilung am besten gewährleisten kann.

10.11

Beim Vorausvermächtnis wird der Bedachte gleichzeitig Vermächtnisnehmer und (Mit-)Erbe 10.12 (§ 2150 BGB). Sinnvoll ist ein Vorausvermächtnis etwa zugunsten des Vorerben, wenn der Vermächtnisgegenstand dem Vorerben frei von den Verfügungsbeschränkungen und Kontrollrechten des Nacherben zukommen soll2. Weiterhin eignet sich das Vorausvermächtnis zur gegenständlichen Aufteilung des Nachlasses zwischen mehreren Erben. Damit kann es in Konkurrenz zur Teilungsanordnung treten (§ 2048 BGB, s. auch Rz. 7.6). Denkbar sind aber auch Kombinationen aus Vorausvermächtnis und Teilungsanordnungen, die nach wohl überwiegender Ansicht zulässig sind3. Praktisch häufig ist der Fall, dass der Erblasser zusätzlich zur Erbeinsetzung eine bestimmte Nachlassaufteilung vorgibt, aber eine Ausgleichungspflicht unter seinen Erben nicht wünscht. Hierzu kann sich eine Kombination aus Teilungsanordnung mit Vorausvermächtnis anbieten4. Ob im Einzelfall eine solche Gestaltung sinnvoll ist, muss vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Wirkungen beider Gestaltungsformen entschieden werden5.

1 Grziwotz, FPR 2005, 283 (284 f.). 2 Fröhler, BWNotZ 2005, 1. 3 Vgl. BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, NJW 1985, 51 ff.; Roglmeier in Riedel, § 4 Rz. 90; Steinhauer in Scherer, § 16 Rz. 13 m.w.N.; Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 6.; abl. Staudinger/Otte, § 2150 Rz. 23. 4 Siehe hierzu den Formulierungsvorschlag zur Testamentsgestaltung M 36 Rz. 10.18; zu Ausgleichungspflichten im Folgenden Rz. 10.14 ff. 5 Vgl. hierzu auch OLG Hamburg v. 22.12.2016 – 2 U 10/16, FD-ErbR 2017, 387050 mit Anm. Litzenberger (S. 2 f.), der zur Vermeidung von Abgrenzungs- und Auslegungsproblemen empfiehlt, bei der Gestaltung letztwilliger Verfügungen klare Wirkungs- und Bedingungsanordnungen unter Hinweis auf die Motivation des Erblassers vorzunehmen; Trappe, ZEV 2018, 123 ff.

Nienaber/Schmitz 325

§ 10 Rz. 10.13

Vermächtnis

a) Die Unterschiede zwischen der Teilungsanordnung und dem Vorausvermächtnis

10.13 Das Vorausvermächtnis und die Teilungsanordnung haben unterschiedliche Wirkungen1, die regelmäßig zu einer Besserstellung des mit einem Vorausvermächtnis bedachten (Mit-)Erben führen dürften2. aa) Die Ausgleichspflicht bei der Teilungsanordnung

10.14 Der BGH geht entgegen seiner früheren Rechtsprechung3 heute davon aus, dass eine Teilungsanordnung keine Wertverschiebung herbeiführen kann4. Trifft der Erblasser also eine Anordnung über die gegenständliche Auseinandersetzung des Nachlasses zwischen seinen gesetzlichen Erben, bringt er hierdurch zum Ausdruck, dass er die Höhe und den Wert der gesetzlichen Erbteile nicht verschieben, sondern im Gegenteil unangetastet lassen möchte5.

10.15 Führt die Teilungsanordnung des Erblassers zu einer von den gesetzlichen Erbquoten abweichenden Aufteilung des Nachlasses, wird hierdurch eine Ausgleichspflicht der Miterben untereinander ausgelöst. Die dem Miterben zugewiesenen Vermögensgegenstände werden auf ihren Erbanteil angerechnet und der die Erbquote übersteigende Anteil ist gegenüber den anderen Miterben ausgleichspflichtig6. Diese Ausgleichspflicht besteht unabhängig von einer entsprechenden Anordnung des Erblassers, muss also nicht ausdrücklich festgelegt werden. Schon ein Schweigen in einer letztwilligen Verfügung spricht für einen Wertausgleich7.

10.16 Da sich im Beispielsfall die Werte der Grundstücke decken, übersteigt die zusätzliche Zuwendung der Kunstsammlung den Erbteil des Sohnes. Auch die Kunstsammlung zum Gegenstand einer Erbschaft des Sohnes zu machen, bietet sich also vor allem an, wenn der Mandant seinen Sohn insoweit verpflichten möchte, der Tochter einen Wertausgleich zu zahlen.

10.17 Ist die Entscheidung des Erblassers über die Zuweisung eines bestimmten Gegenstandes hingegen von einem Begünstigungswillen getragen, ist die Anordnung eines Vorausvermächtnisses der einfachste Weg.8 Denn den mit einem Vorausvermächtnis bedachten Erben trifft gegenüber seinen Miterben keine Ausgleichspflicht. Möchte der Mandant im Beispielsfall seinem Sohn die Kunstsammlung also zusätzlich zum Grundstück zuteilen, ohne dass eine Ausgleichspflicht gegenüber der Tochter entsteht, so bietet sich die Anordnung eines Vorausvermächtnisses hinsichtlich der Kunstsammlung an.

1 2 3 4

5 6 7 8

Vgl. hierzu Klinger/Roth, NJW 2008, 263 ff. Vgl. Loritz, NJW 1988, 2697 (2699). BGH v. 29.12.1961 – V ZR 229/60, LM § 2048 BGB Nr. 5. Zur Unzulässigkeit sog. wertverschiebender Teilungsanordnungen: BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56; BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688 = NJW 1985, 51, 52; BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 (476); BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396 = NJW-RR 1990, 391 (392); BGH v. 25.10.1995 – IV ZR 362/94, NJW-RR 1996, 577. Diese Rechtsprechung wird auch von der h.M. im Schrifttum geteilt; vgl. z.B. Benk, MittRhNotK 1979, 53; Eidenmüller, JA 1991, 150 (155); Loritz, NJW 1988, 2697 (2705); Soergel/Wolf, § 2048 Rz. 8; MüKo.BGB/Ann, § 2048 Rz. 2. BGH v. 23.5.1984 – IVa ZR 185/82, FamRZ 1985, 62 (63); Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 1. Benk, MittRhNotK 1979, 53 (54); Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 1; ist der Ausgleichspflichtige zur Zahlung des Ausgleichs nicht bereit, ist die Auseinandersetzungsanordnung nicht vollziehbar und daher unbeachtlich. Vgl. dazu Schlüter, Erbrecht, Rz. 898. BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396 (397); BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688; BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56. Vgl. zum Begünstigungswillen als Indiz für ein Vorausvermächtnis OLG Karlsruhe v. 24.3.2005 – 9 U 152/04, ZEV 2005, 296; OLG Koblenz v. 27.11.2013 – 5 U 851/13, FamRZ 2014, 874.

326

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.23 § 10

M 36 Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis

10.18

Mein Vermögen vererbe ich meinen beiden Kindern. Zur Teilung des Nachlasses verfüge ich, dass meine Tochter das Grundstück in X und mein Sohn das Grundstück in Y bekommen soll. Meinem Sohn vermache ich außerdem meine Kunstsammlung. Diese Zuwendung soll Vorausvermächtnis sein. Eine Ausgleichspflicht gegenüber meiner Tochter soll sie nicht begründen.

bb) Die Ausschlagungsmöglichkeiten Wegen der rechtlichen Selbständigkeit des Vorausvermächtnisses von der Erbschaft kann der Voraus- 10.19 bedachte das Vermächtnis annehmen und die Erbschaft ausschlagen (§§ 1943 ff. BGB) oder umgekehrt das Vermächtnis ausschlagen (§ 2180 BGB) und die Erbschaft annehmen. Eine Teilungsanordnung hingegen kann nicht isoliert „ausgeschlagen“ werden. Bei einer Erbschaft mit Teilungsanordnung bleibt dem bedachten Erben also nur die Möglichkeit, die gesamte Erbschaft auszuschlagen. Da durch die Ausschlagung i.d.R. auch der Pflichtteilsanspruch entfällt1, erhält der ausschlagende Erbe nichts aus dem Nachlass. Schlägt ein Pflichtteilsberechtigter hingegen ein (Voraus)Vermächtnis aus, entfallen nach § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB seine Pflichtteilsansprüche nicht. cc) Die Haftung Bei der Erbenhaftung gehört der Nachlassgegenstand, der einem Erben im Rahmen einer Teilungsanordnung zugewiesen wird, zum haftenden Nachlass2. Der Vermächtnisgegenstand haftet hingegen nach der Erfüllung des Vermächtnisses nicht mehr für die Nachlassverbindlichkeiten. Den Nachlassgläubigern bleibt allein die Möglichkeit, die Übertragung des Vermächtnisgegenstandes nach dem Anfechtungsgesetz oder nach § 322 InsO anzufechten (vgl. Rz. 10.323).

10.20

dd) Die Geltendmachung von Vermächtnis und Teilungsanordnung Während eine Teilungsanordnung nur im Rahmen der Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft geltend gemacht werden kann (§ 2048 S. 1 BGB), kann der Vermächtnisnehmer seinen Anspruch bereits vor der Teilung des Nachlasses mittels einer Gesamthandsklage gegen die Erbengemeinschaft durchsetzen (§ 2059 Abs. 2 BGB). Im Falle der Nachlassinsolvenz (§ 1980 BGB, § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO; vgl. Rz. 10.323), der Dürftigkeit (§§ 1990, 1991 Abs. 4 BGB) oder Überschuldung (§ 1992 BGB; vgl. Rz. 10.223 ff.) des Nachlasses ist der Vermächtnisnehmer allerdings erst nachrangig nach anderen Nachlassgläubigern zu befriedigen.

10.21

ee) Das gemeinschaftliche Testament, der Erbvertrag, die Testamentsvollstreckung und die Nachlassverwaltung Nur das Vermächtnis, nicht auch die Teilungsanordnung ist von der Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments (§ 2270 Abs. 3 BGB) oder eines Erbvertrags (§ 2278 Abs. 2 BGB) erfasst. Der Gegenstand eines Vorausvermächtnisses unterliegt nach seiner Übertragung an den Vermächtnisnehmer anders als das im Rahmen der Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft Erworbene nicht mehr einer Testamentsvollstreckung oder Nachlassverwaltung.

10.22

ff) Die Stellung des Vorerben Ein entscheidender Grund für die Anordnung eines Vorausvermächtnisses anstelle einer Auseinandersetzungsanordnung kann der Umstand sein, dass der Gegenstand des Vorausvermächtnisses an-

1 Eine Ausnahme gilt nur für den Ehegatten, der nach § 1371 Abs. 3 BGB auch bei einer Ausschlagung der Erbschaft sein Pflichtteilsrecht nicht verliert (s. aber auch § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB). 2 BayObLG v. 30.7.1974 – 2Z 28/74, BayObLGZ 74, 312, 315; Loritz, NJW 1988, 2697 (2699).

Nienaber/Schmitz 327

10.23

§ 10 Rz. 10.24

Vermächtnis

ders als das im Rahmen einer Erbschaft Übernommene nicht dem Nacherbenrecht unterfällt (§ 2110 Abs. 2 BGB).

10.24 Ein Vermächtnis wird grundsätzlich nicht in den Erbschein aufgenommen. Ist allerdings der Vorerbe mit einem Vorausvermächtnis bedacht, sollte darauf geachtet werden, dass die hieraus i.d.R. für den Vermächtnisgegenstand resultierende Ausnahme von der Verfügungsbeschränkung des Vorerben im Erbschein angegeben wird1. b) Die Möglichkeiten einer Angleichung von Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis

10.25 Bei der Auswahl zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung muss der beratende Anwalt oder Notar die unterschiedlichen Wirkungen beider erbrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der Motive des Mandanten für die gewünschte Aufteilung seines Nachlasses überprüfen. Dabei muss er jedoch berücksichtigen, dass durch entsprechende testamentarische oder erbvertragliche Bestimmungen die Rechtswirkungen von Teilungsanordnung und Vermächtnis in vieler Hinsicht einander angeglichen werden können. Sofern die unterschiedlichen Wirkungen von Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis also zur Disposition des Erblassers stehen, müssen sie bei der Auswahlentscheidung des Erblassers zwischen beiden Gestaltungsformen nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein.

10.26 Durch eine abweichende Bestimmung des Erblassers können folgende Wirkungen einander angeglichen werden: – Die alternativen Ausschlagungsmöglichkeiten aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit von Erbschaft und Vorausvermächtnis können dadurch aufgehoben werden, dass die Annahme der Erbschaft bzw. des Vorausvermächtnisses zur Bedingung der Erben- bzw. Vermächtnisnehmerstellung gemacht wird2. – Die Geltendmachung des Vorausvermächtnisses schon vor der Auseinandersetzung des Nachlasses kann dadurch verhindert werden, dass das Vorausvermächtnis auf den Erbauseinandersetzungszeitpunkt befristet oder betagt oder an die Bedingung der gleichzeitigen Durchführung der Erbauseinandersetzung geknüpft wird3. – Die Bindungswirkung von gemeinschaftlichem Testament und Erbvertrag kann auf die Teilungsanordnung erstreckt werden, indem die Gegenverfügung des Ehegatten oder die übrigen erbvertraglichen Bestimmungen durch die Durchführung der Teilungsanordnung bedingt werden4. – Die Testamentsvollstreckung sowie die Nachlassverwaltung können (nur oder auch) zur Verwaltung des Vermächtnisgegenstandes angeordnet werden5. (Näheres unter Rz. 29.90 ff.). – Das Nacherbenrecht kann vom Erblasser auch auf den Vermächtnisgegenstand erstreckt werden (§ 2110 Abs. 2 BGB: „im Zweifel“).

10.27 Unabänderliche Unterschiede zwischen der Teilungsordnung und dem Vorausvermächtnis sind vor allem – die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten, die für den Vorausvermächtnisnehmer hinsichtlich des Vermächtnisgegenstandes nach der Erfüllung des Vermächtnisses nicht mehr besteht, und

1 2 3 4 5

Palandt/Weidlich, § 2363 Rz. 4. Vgl. BeckOK-BGB/Siegmann/Höger, § 1950 Rz. 4. Vgl. Staudinger/Otte, § 2150 Rz. 23. Benk, MittRhNotK 1979, 53 (56). BGH v. 29.4.1954 – IV ZR 152/53, BGHZ 13, 203 (205).

328

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.32 § 10

– die Ausgleichspflicht der Erben untereinander für die im Rahmen einer Teilungsanordnung erfolgte Zuweisung von Vermögensgegenständen, welche den Wert der Erbquote übersteigen. Da die h.M. eine sog. wertverschiebende Teilungsanordnung nicht zulässt (vgl. Rz. 10.14), kann die Ausgleichspflicht durch den Erblasser bei einer Teilungsanordnung nicht ausgeschlossen werden. Will der Erblasser einen bestimmten Gegenstand dennoch unbedingt im Wege der Erbfolge und nicht durch ein Vermächtnis auf seinen Rechtsnachfolger übertragen, ohne hierdurch eine Ausgleichspflicht gegenüber den Miterben zu begründen, kann er allerdings durch die gegenständliche Aufteilung des Nachlasses die Erbquoten entsprechend dem Wert der im Einzelnen zugewiesenen Nachlassgegenstände bestimmen. Eine solche Bestimmung der Erbquoten durch die gegenständliche Verteilung des Nachlasses ist zulässig1. Allerdings sollte der Erblasser diesen Willen zur Bestimmung der Erbquoten durch die Aufteilung des Nachlasses in der letztwilligen Verfügung deutlich zum Ausdruck bringen, da die Gerichte seine Anordnung sonst entgegen dem anders lautenden Wortlaut als Aussetzung eines Vermächtnisses auslegen könnten.

10.28

M 37 Bestimmung der Erbquoten durch eine Teilungsanordnung

10.29

Meine Erben sind meine beiden Kinder. Zur Aufteilung des Nachlasses bestimme ich, dass meine Tochter das Grundstück in X und mein Sohn das Grundstück in Y sowie die Kunstsammlung erhalten. Die Erbquoten meiner Kinder sollen sich nach dem Wert der ihnen im Wege dieser Teilungsanordnung zugewiesenen Nachlassgegenstände bestimmen.

2. Das Vermächtnis und die Teilungsanordnung Dem Erblasser kann es besonders darauf ankommen, dass der Bedachte nicht Mitglied der Erbengemeinschaft wird.

10.30

Beratungssituation: Der Mandant ist Inhaber eines mittelständischen Unternehmens. Eines seiner drei Kinder ist geistig behindert. Diesem Kind möchte der Mandant einen gleichwertigen Anteil am Nachlass zukommen lassen, es aber im Interesse einer effektiven Fortführung des Unternehmens von der Unternehmensleitung ausschließen.

Die Zusammensetzung einer Erbengemeinschaft, insbesondere die Fähigkeit und Bereitschaft, miteinander Entscheidungen zu treffen, ist vor allem bei der Vererbung eines Unternehmens von erheblicher Bedeutung. Möchte der Erblasser verhindern, dass ein gesetzlicher Erbe Mitglied einer Erbengemeinschaft wird, will er ihm aber dennoch Vermögen im Wert seines Erb- oder Pflichtteils zukommen lassen, bietet sich die Anordnung eines Vermächtnisses an2.

10.31

Wird zugunsten eines gesetzlichen Erben ein Vermächtnis angeordnet, liegt hierin allerdings keine 10.32 Enterbung, sondern zunächst ein Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB; vgl. Rz. 10.88). Will der Erblasser also die Beteiligung eines gesetzlichen Erben an einer Miterbengemeinschaft durch ein Vermächtnis ersetzen, muss er ihn zusätzlich zur Anordnung des Vermächtnisses enterben. Die Anordnung eines Vermächtnisses zugunsten eines enterbten gesetzlichen Erben hat Auswirkungen auf den Pflichtteil. Nach § 2307 BGB kann der Vermächtnisnehmer das Vermächtnis ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil verlangen. Schlägt er das Vermächtnis nicht aus, hat er einen Anspruch auf den Pflichtteilsrest, sofern der Wert des Vermächtnisses den Wert des Pflichtteils nicht erreicht (§ 2307 Abs. 1 S. 2 BGB; vgl. hierzu auch Rz. 26.240 ff.

1 BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396 = NJW-RR 1990, 391 (392 f.); Eidenmüller, JA 1991, 150 (151 f.). 2 Vgl. zu den weiteren Vorteilen einer Vermächtnislösung vor allem bei Testamenten zugunsten geistig behinderter Menschen: Joussen, NJW 2003, 1851 (1852 ff.).

Nienaber/Schmitz 329

§ 10 Rz. 10.33

Vermächtnis

10.33 Das Ziel, einen gesetzlichen Erben aus einer Erbengemeinschaft auszuschließen, kann dauerhaft auch durch eine Teilungsanordnung erreicht werden (§ 2048 BGB). Bis zur Teilung besteht die Erbengemeinschaft allerdings. Nimmt die Auseinandersetzung längere Zeit in Anspruch, können sich die vom Erblasser befürchteten Schwierigkeiten im Rahmen der Erbengemeinschaft auswirken und daher einer effektiven Verwaltung des Nachlasses – z.B. eines Unternehmens – entgegenstehen.

10.34 M 38 Vermächtnis zugunsten eines gesetzlichen Erben Hiermit enterbe ich meinen Sohn S. Ich vermache ihm stattdessen 50.000 Euro in bar.

3. Das Vermächtnis und die Auflage

10.35 Möchte der Erblasser dem Bedachten keinen eigenen klagbaren Anspruch auf die Leistung des ihm zugedachten Vermögensvorteils einräumen, bietet sich die Anordnung einer Auflage an. Denn die Auflage begründet zwar wie das Vermächtnis eine Leistungspflicht für den Beschwerten, aber keinen Leistungsanspruch für den Bedachten. Die Erfüllung der Auflage können nur die in § 2194 BGB benannten Personen verlangen. Möchte der Erblasser den Leistungsdruck auf den Beschwerten bei einer Auflage erhöhen, bietet sich an, die Vollziehung der Auflage zur aufschiebenden oder auflösenden Bedingung für den Anfall bzw. den Erhalt der erbrechtlich veranlassten Zuwendung zu machen.

10.36 Neben der Versagung eines eigenen Leistungsanspruchs kann noch ein weiterer Gesichtspunkt für die Anordnung einer Auflage anstelle eines Vermächtnisses sprechen: Kann der Erblasser sich hinsichtlich der Person des Bedachten noch nicht festlegen, kann er dessen Bestimmung einem Dritten überlassen. Hat der Erblasser noch nicht einmal konkrete Vorstellungen über den begünstigten Personenkreis, kommt allein die Anordnung einer Auflage in Betracht, weil die Drittbestimmung eines Vermächtnisnehmers nur zulässig ist, wenn der Kreis der möglichen Vermächtnisnehmer hinreichend bestimmbar ist (vgl. Rz. 10.51 ff.; s. auch Rz. 9.8 ff.). 4. Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung bei nicht eindeutiger letztwilliger Verfügung

10.37 Wird der Anwalt bereits bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung beratend tätig, kann er dafür Sorge tragen, dass die Anordnungen des Erblassers so zweifelsfrei formuliert werden, dass Abgrenzungsschwierigkeiten nach dem Erbfall nicht auftreten. Hat der Erblasser seine letztwillige Verfügung aber ohne anwaltliche Beratung abgefasst, fehlt es häufig an der wünschenswerten Eindeutigkeit. Selbst notariell begleitete Verfügungen weisen leider nicht selten Unklarheiten auf. Aus diesem Grunde ist bei der anwaltlichen Beratung des Bedachten oder Beschwerten häufig nicht zweifelsfrei, ob ein Vermächtnis, eine Erbeinsetzung oder lediglich eine Auflage angeordnet worden ist. a) Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung

10.38 Beratungssituation: Der Nachlass des Erblassers besteht aus einem Grundstück und einem erheblichen Aktienvermögen. Der Wert des Grundstücks und der des Aktienvermögens sind ungefähr identisch. Im Testament des Erblassers heißt es: „Ich vermache mein Vermögen meinen drei Kindern. Meine Tochter M soll das Grundstück erhalten. Meinem Freund F vererbe ich meine Angelausrüstung.“

10.39 Für die Auslegung einer letztwilligen Verfügung sind die Bezeichnungen „Erbe“ und „Vermächtnis“ nicht unbedingt ausschlaggebend. Nach § 2087 Abs. 2 BGB ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass der Bedachte Erbe sein soll, sofern ihm nur einzelne Gegenstände zugewendet worden sind, selbst wenn er als Erbe bezeichnet ist (§ 2087 Abs. 2 BGB). Entscheidendes Auslegungskriterium für die Abgrenzung zwischen Erbschaft und Vermächtnis ist das Wertverhältnis der zugewandten Gegenstände zum

330

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.43 § 10

Wert des Nachlasses1. Erschöpfen die Einzelzuwendungen den nahezu gesamten Nachlass, so kann entgegen der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB eine Erbeinsetzung angenommen werden2. Größere Bedeutung kann den Begrifflichkeiten einer letztwilligen Verfügung nur beigemessen werden, wenn der Testierende anwaltlich beraten war oder selbst über hinreichende Rechtskenntnisse verfügt hat. Im Beispielsfall kann also trotz der Formulierung „Meinem Freund F vererbe ich meine Angelausrüstung.“ nicht von einer Erbschaft ausgegangen werden. Angesichts des geringen Wertes der Angelausrüstung im Verhältnis zum Gesamtnachlasswert liegt hier ein Vermächtnis vor.

10.40

Wendet der Erblasser umgekehrt nicht einzelne Gegenstände, sondern sein Vermögen als ganzes oder einen Bruchteil hiervon zu, so ist hierin nach § 2087 Abs. 1 BGB eine Erbeinsetzung zu sehen, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist. Auch diese Auslegungsregel ist allerdings widerlegbar. Es kann sich hierbei auch um ein Universal- oder Quotenvermächtnis3 handeln.

10.41

Obwohl der Erblasser im Beispielsfall also seinen drei Kindern sein Vermögen zu gleichen Teilen „vermacht“, ist hierin eine Erbeinsetzung zu sehen, da die Anordnung das gesamte Vermögen des Erblassers erfasst.

10.42

b) Die Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung Abgrenzungsprobleme können sich aber nicht nur zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung, sondern darüber hinaus zwischen einem Vorausvermächtnis und einer Teilungsanordnung ergeben. Insoweit wurde bereits darauf hingewiesen, dass entscheidendes Motiv für die Anordnung eines Vorausvermächtnisses der Begünstigungswille des Erblassers ist (vgl. Rz. 10.17). Fehlen insoweit deutliche Hinweise in der letztwilligen Verfügung, so muss eine oft schwierige Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung durch Auslegung erfolgen4. Ist ein Wille des Erblassers bezüglich einer Ausgleichspflicht nicht erkennbar, muss der Sinn ermittelt werden, der dem mutmaßlichen Erblasserwillen am ehesten entspricht5. Ein dem Erblasser bekannter objektiver Vermögensvorteil ist ein Indiz für einen Begünstigungswillen und damit ein Vorausvermächtnis. War dem Erblasser die wertmäßige Begünstigung hingegen nicht bewusst und lässt sich der letztwilligen Verfügung eine zusätzliche Zuwendung des Mehrwerts nicht entnehmen, ist grundsätzlich von einer nicht wertverschiebenden Teilungsanordnung auszugehen6. Da allerdings die Ausgleichspflicht nicht der einzige Unterschied zwischen einem Vorausvermächtnis und einer Teilungsanordnung ist, ist diese Auslegung nicht zwingend, sondern es muss stets überprüft werden, ob die Zuwendung eines bestimmten Vermögensgegenstands auf anderen als die Ausgleichspflicht betreffenden Gründen beruht.

1 BGH v. 22.3.1972 – IV ZR 134/70, FamRZ 1972, 561 (563); BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246 (248); BayObLG v. 25.3.1999 – 1Z BR 102/98, NJW-RR 1999, 1021; vgl. auch KG Berlin v. 8.3.2017 – 26 W 62/16 Rz. 10 ff. 2 BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BR 107/96, FamRZ 1997, 1177 = NJW-RR 1997, 517 (518); OLG Düsseldorf v. 28.4.1995 – 7 U 113/94, FamRZ 1995, 1299 = ZEV 1995, 410 (411); OLG Köln v. 5.12.1988 – 2 Wx 49/88, FamRZ 1989, 549 (550); OLG München v. 21.5.2007 – 31 Wx 120/06, FamRZ 2008, 187 = ZEV 2007, 383 (384); OLG Düsseldorf v. 5.8.2016 – I-3 Wx 74/16, FGPrax 2016, 272 ff.; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 3. 3 Zur Zulässigkeit eines Quotenvermächtnisses z.B.: BGH v. 25.5.1960 – V ZR 57/59, NJW 1960, 1759; BayObLG v. 17.1.1996 – 1Z BR 84/95, NJW-RR 1996, 1478; zur Zulässigkeit eines Universalvermächtnisses: Bartsch in Uricher, § 3 Rz. 89. 4 Vgl. dazu Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 7. 5 BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 = NJW 1983, 672 (673); BGH v. 23.5.1984 – Iva ZR 185/82, FamRZ 1985, 62 (63). 6 BGH v. 14.3.1984 – Iva ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688 = NJW 1985, 51 (52); BGH v. 28.1.1987 – Iva ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 (476); Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 7.

Nienaber/Schmitz 331

10.43

§ 10 Rz. 10.44

Vermächtnis

10.44 Im Beispielsfall stellt sich die Frage, ob die Zuwendung des Grundstücks an die Tochter B ein Vorausvermächtnis ist und die Tochter das Grundstück also zusätzlich zu einem Drittel vom Aktienvermögen erhalten soll. Es kann sich aber auch um eine Teilungsanordnung handeln, so dass die Tochter einer Ausgleichspflicht gegenüber ihren Geschwistern ausgesetzt wäre, da der Wert des Grundstücks höher als ein Drittel des Nachlasswertes ist. Die letztwillige Verfügung gibt hierüber wenig Aufschluss. Kann ein Wille des Erblassers nicht mehr ermittelt werden, muss geprüft werden, ob er den Mehrwert des Grundstückes kannte. Hierin könnte ein Indiz für einen Begünstigungswillen gesehen werden. Im Zweifel ist von einer nicht wertverschiebenden Teilungsanordnung auszugehen, mit der Konsequenz, dass eine Ausgleichspflicht der Tochter gegenüber ihren Geschwistern besteht. c) Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Auflage

10.45 Maßgebliches Auslegungskriterium für die Unterscheidung zwischen der Anordnung eines Vermächtnisses und einer Auflage ist, ob der Erblasser dem Bedachten einen eigenen klagbaren Anspruch auf die Leistung geben wollte (Vermächtnis), oder ob lediglich eine Leistungspflicht des Beschwerten, aber kein Leistungsanspruch des Bedachten begründet werden sollte (Auflage; vgl. auch Rz. 10.35).

III. Die Person des Bedachten 10.46 Vermächtnisnehmer kann jede rechtsfähige Person sein, also sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person.

10.47 Auch eine Leibesfrucht kann Vermächtnisnehmer sein (§ 1923 Abs. 2 BGB), der Vermächtnisnehmer muss zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht einmal erzeugt sein (§ 2178 BGB). Das Vermächtnis fällt dem beim Erbfall noch nicht erzeugten Vermächtnisnehmer im Zeitpunkt seiner Geburt an (§ 2178 BGB). Bis dahin unterfällt das Recht der Leibesfrucht den Vorschriften über (aufschiebend) bedingte Vermächtnisse (§ 2179 BGB; vgl. zu bedingten Vermächtnissen Rz. 10.204 ff., 10.283, 10.291). Wird der Vermächtnisnehmer allerdings nicht innerhalb einer Frist von 30 Jahren gezeugt, wird das Vermächtnis unwirksam (§ 2162 Abs. 2 BGB). § 2178 BGB gilt für beim Erbfall noch nicht entstandene juristische Personen entsprechend1.

10.48 Erlebt der Vermächtnisnehmer den Erbfall nicht mehr, wird das Vermächtnis unwirksam (§ 2160 BGB). Möchte der Erblasser den vermachten Gegenstand in diesem Fall nicht dem Erben, sondern einem Dritten zuwenden, muss er einen Ersatzvermächtnisnehmer bestimmen (§ 2190 BGB) (vgl. zum Ersatzvermächtnis Rz. 10.71 f.).

10.49 Will der Erblasser einen Gegenstand mehreren Vermächtnisnehmern zuwenden, so sind sie ohne eine abweichende Bestimmung des Erblassers im Zweifel zu gleichen Bruchteilen bedacht (§ 2157 BGB i.V.m. §§ 2091, 2093, 741 ff. BGB). Fällt einer der Vermächtnisnehmer vor dem Erbfall weg und hat der Erblasser keinen Ersatzvermächtnisnehmer bestimmt, wächst sein Anteil den übrigen Vermächtnisnehmern an (§§ 2158, 2159 BGB), sofern der Erblasser die Anwachsung nicht ausgeschlossen hat (§ 2158 Abs. 2 BGB; vgl. zum gemeinschaftlichen Vermächtnis Rz. 10.83 f.). 1. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch den Erblasser

10.50 I.d.R. benennt der Erblasser selbst den Vermächtnisnehmer. In Einzelfällen kann die Bestimmung des Vermächtnisnehmers aber auch durch Dritte erfolgen.

1 Palandt/Weidlich, § 2178 Rz. 2.

332

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.54 § 10

2. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch Dritte Der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit letztwilliger Verfügungen (§ 2065 Abs. 2 BGB) eröffnet 10.51 nur wenige Möglichkeiten, die Bestimmung des Vermögensnachfolgers einem Dritten zu überlassen. Während die Drittbestimmung des Erben lediglich als feststellende Bezeichnung nach vom Erblasser genau festgelegten sachlichen Kriterien möglich ist1, kann hinsichtlich der Auswahl der Person des Vermächtnisnehmers der vom Erblasser ermächtigte Dritte eine echte freie Ermessensentscheidung treffen2. Möchte der Erblasser die Entscheidung über die Person eines von ihm bedachten Vermögensnachfolgers also einem Dritten überlassen, bietet sich die Aussetzung eines Vermächtnisses an. Gegenüber der Drittbezeichnung eines Erben hat diese Gestaltungsform den Vorteil, dass die Voraussetzungen für eine zulässige Drittbestimmung im Vermächtnisrecht nicht so eng sind (§§ 2151, 2152 BGB) wie bei der Drittbezeichnung des Erben. Aufgrund dieser engen Voraussetzungen bildet die Drittbezeichnung des Erben einen „schwankenden Boden“ für eine wirksame letztwillige Anordnung, ob die Bestimmtheit des Erben in der letztwilligen Verfügung ausreicht, um einen Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB zu vermeiden3. Die Anordnung eines Vermächtnisses stellt indes eine sichere Möglichkeit für eine zulässige Drittbestimmung des Vermögensnachfolgers dar4. Vor diesem Hintergrund ist das Vermächtnis vor allem für die erbrechtliche Regelung der Unternehmensnachfolge bei noch jugendlichen Abkömmlingen von großem Interesse, da es dem Erblasser hier häufig noch nicht möglich ist, unter seinen Abkömmlingen einen geeigneten Unternehmensnachfolger auszuwählen.

10.52

a) Die Drittbestimmung nach § 2151 BGB

10.53

Nach § 2151 BGB muss der Erblasser – einen bestimmbaren Personenkreis bezeichnen, – aus dem der Bestimmungsberechtigte den Vermächtnisnehmer – durch formlose, empfangsbedürftige Willenserklärung auszuwählen hat. aa) Bestimmbarer Personenkreis

Obwohl § 2151 BGB uneingeschränkt von der Bestimmung (irgend)eines Vermächtnisnehmers durch 10.54 einen Dritten spricht, kann der Erblasser die Auswahl des Vermächtnisnehmers nach allgemeiner Meinung nicht völlig in das Belieben eines Dritten stellen. Vielmehr muss der Personenkreis, aus dem der Dritte den Vermächtnisnehmer bestimmen darf, hinreichend genau bestimmt sein5. Der Personenkreis muss allerdings nicht so eng begrenzt sein wie bei der Erbenauswahlermächtigung6. Vielmehr reicht aus, dass der Personenkreis überschaubar ist und durch den Erblasser so genau bestimmt ist, dass sich die Zugehörigkeit zu diesem Kreis zweifelsfrei ergibt7. Die Zahl der Angehörigen des Personenkreises darf allerdings nicht allzu weit ausgedehnt werden8. Da die Angehörigen des vom Erblasser bezeichneten Personenkreises Gesamtgläubiger werden, wenn der Bestimmungsberechtigte die Bestimmung nicht treffen kann (§ 2151 Abs. 3 BGB), muss der Erblasser den Personenkreis so bestim-

1 BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, NJW 1955, 100 (101); BGH v. 14.7.1965 – V BLw 11/65, NJW 1965, 2201; BGH v. 31.1.1969 – V BLw 21/68, WM 1969, 664 f. 2 Nieder/Kössinger-Nieder, § 3 Rz. 47; Horn, NJW 2018, 1000. 3 Vgl. hierzu auch MüKo.BGB/Leipold, § 2065 Rz. 36 f. 4 BeckOK-BGB/Litzenburger, § 2065 Rz. 16. 5 RG v. 13.5.1919 – VII 89/19, RGZ 96, 15 (19); OLG Düsseldorf v. 4.12.1923 – 8 U 376 und 402/24, JW 1925, 2147; MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 1. 6 Nieder/Kössinger/Nieder, § 3 Rz. 47. 7 Vgl. Mayer in Kroiß/Ann/Mayer, § 2151 Rz. 3; Soergel/Wolf, § 2151 Rz. 2. 8 Lange/Kuchinke, § 29 III 2b; Nieder/Kössinger/Nieder, § 3 Rz. 47.

Nienaber/Schmitz 333

§ 10 Rz. 10.55

Vermächtnis

men, dass die Bedachten gegebenenfalls als Gesamtgläubiger vorstellbar sind1. Zu dem bestimmbaren Personenkreis können auch der Bestimmungsberechtigte selbst und der Beschwerte gehören2. Das gilt auch für den beschwerten Erben, da § 2151 BGB auch auf das Vorausvermächtnis Anwendung findet3.

10.55 Änderungen im Personenkreis der Bedachten sind i.d.R. ohne Belang. Entscheidend ist grundsätzlich die Angehörigkeit zum bedachten Personenkreis zur Zeit der Bestimmung. Auch eine Person, die erst nach dem Erbfall geboren wird, kann bei Angehörigkeit zum bedachten Personenkreis als Vermächtnisnehmer bestimmt werden4. Ist ein potenziell Bedachter nach dem Erbfall gestorben, kann er dennoch bestimmt werden mit der Folge, dass seine Erben das Vermächtnis erhalten5. Ist ein potenziell Bedachter hingegen vor dem Erbfall weggefallen, kommt er entsprechend § 2160 BGB für die Auswahl nicht mehr in Betracht6. Da sich der bedachte Personenkreis nach dem Erblasserwillen bestimmt, kann der Erblasser natürlich auch hiervon abweichende Regelungen treffen. So kann er etwa anordnen, dass nur diejenigen bedacht sein sollen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt – z.B. bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung oder beim Erbfall – bereits dem von ihm benannten Personenkreis angehörten.

10.56 Möchte der Erblasser sich indes noch nicht einmal hinsichtlich des in Betracht kommenden Personenkreises festlegen, z.B. weil er sein Vermögen allgemein zu „wohltätigen Zwecken“ verwendet wissen will, kann er ein Vermächtnis mangels hinreichender Bestimmbarkeit des Kreises der auszuwählenden Vermächtnisnehmer nicht aussetzen. Es besteht dann aber die Möglichkeit, eine entsprechende Auflage anzuordnen, da der Erblasser hier auf Angaben zum begünstigten Personenkreis ganz verzichten kann (§ 2193 BGB)7. bb) Der Bestimmungsberechtigte

10.57 Der Erblasser kann sowohl dem mit dem Vermächtnis Beschwerten, aber auch einem Dritten die Bestimmung des Vermächtnisnehmers überlassen. Als Dritte kommen z.B. ein Testamentsvollstrecker oder der letztversterbende Ehegatte in Betracht. Benennt der Erblasser einen Bestimmungsberechtigten nicht, so ist der Beschwerte als bestimmungsberechtigt anzusehen (§ 2152 BGB).

10.58 Die richtige Auswahl des Bestimmungsberechtigten ist vor allem für die Benennung eines Unternehmensnachfolgers von erheblicher Bedeutung. Ist dem Erblasser die Auswahl des Bedachten besonders wichtig, kann er auch mehreren Personen das Bestimmungsrecht einräumen, die im Zweifel eine übereinstimmende Entscheidung zu treffen haben (§ 317 Abs. 2 BGB)8. Sollen mehrere Testamentsvollstrecker den Vermächtnisnehmer bestimmen, gilt § 2224 BGB.

10.59 Das Bestimmungsrecht ist nicht übertragbar und erlischt durch den Wegfall des vom Erblasser benannten Bestimmungsberechtigten9. Die Angehörigen des vom Erblasser bestimmten Personenkreises werden dann Gesamtgläubiger (§ 2151 Abs. 3 S. 1 BGB). Möchte der Erblasser dennoch eine Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers gewährleisten, muss er einen Ersatzbestimmungsberechtigten benennen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 1. Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 1. KG v. 5.5.1937 – 1 Wx 157/37, JW 1937, 2200. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 4. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 4; RGRK/Johannsen, § 2151 Rz. 5. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 5; möglich ist nur eine Ersatzberufung, z.B. entsprechend § 2069 BGB. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 2, 6. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 9. Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 2; Staudinger/Otte, § 2151 Rz. 11.

334

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.64 § 10

cc) Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers Der Bestimmungsberechtigte kann den Vermächtnisnehmer durch formlose, empfangsbedürftige Willenserklärung bestimmen. Ist der Beschwerte selbst bestimmungsberechtigt, muss er die Bestimmungserklärung gegenüber dem Ausgewählten abgeben (§ 2151 Abs. 2, 1. Hs BGB). Möchte der Beschwerte sich selbst bestimmen, muss dieser Wille nach außen erkennbar werden1. Die Auswahl des Vermächtnisnehmers durch einen Dritten erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Beschwerten (§ 2151 Abs. 2, 2. Hs BGB). Die Bestimmung ist unwiderruflich und kann daher nur wiederholt werden, wenn der Ausgewählte das Vermächtnis ausschlägt oder die Erklärung wirksam angefochten wird. Der Irrtum über die Eignung der ausgewählten Person ist allerdings ein zur Anfechtung nicht berechtigender Motivirrtum2.

10.60

Sofern der Erblasser nichts anderes festlegt, liegt die Bestimmung des Vermächtnisnehmers im freien Ermessen des Bestimmungsberechtigten und ist daher gerichtlich nur sehr eingeschränkt überprüfbar.

10.61

Die gerichtliche Kontrolle erfasst allerdings zumindest die Überprüfung, ob der Erblasserwille bei der Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers beachtet worden ist. Überprüft wird also die Bestimmungsberechtigung, die Zugehörigkeit des Ausgewählten zum vom Erblasser bestimmten Personenkreis sowie die Beachtung der vom Erblasser unter Umständen vorgegebenen Auswahlkriterien3. Darüber hinaus darf das Gericht nach unstreitiger Ansicht die Wirksamkeit der Bestimmungserklärung kontrollieren, ob also ein handlungsfähiger Dritter eine nicht sittenwidrige Bestimmung vorgenommen hat. Die h.M. lässt außerdem eine gerichtliche Überprüfung dahin gehend zu, ob die Bestimmung arglistig war4. Eine Billigkeitsüberprüfung nach § 319 Abs. 1 S. 1 BGB erfolgt indes grundsätzlich nicht5.

10.62

Beratungssituation: Der Unternehmer, der unter seinen minderjährigen Kindern noch keinen Unternehmensnachfolger auszusuchen vermag, möchte die Auswahlentscheidung seinem Geschäftsführer überlassen, da dieser die Belange des Unternehmens genau kennt und daher am besten beurteilen kann, wer die zur Unternehmensführung erforderlichen Fähigkeiten besitzt. Zwar vertraut er seinem Geschäftsführer, sieht aber auch die Gefahr, dass dieser das Kind auswählen könnte, von dem er die geringste Einmischung in die Geschäftsführung befürchten muss. Er möchte daher die Auswahlentscheidung nicht ins völlig unkontrollierbare Ermessen des Geschäftsführers stellen.

10.63

Hat der Erblasser ein Interesse daran, die Auswahlentscheidung nicht in das freie Ermessen des Bestimmungsberechtigten zu stellen, so kann er Auswahlkriterien vorgeben6. Dadurch eröffnet er einen größeren gerichtlichen Kontrollumfang hinsichtlich der Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers. Die Gerichte müssen überprüfen, ob der Bestimmungsberechtigte die Auswahlkriterien bei seiner Bestimmung beachtet hat. Legt der Erblasser z.B. fest, dass die Auswahl nach „billigem Ermessen“ zu erfolgen hat, so eröffnet er damit den Weg für eine gerichtliche Billigkeitsprüfung nach § 319 Abs. 1 S. 1 BGB. Um Zweifel über den Erblasserwillen hinsichtlich des Umfangs der Bestimmungsberechtigung und der damit einhergehenden gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten zu vermeiden, sollten diese in einer letztwilligen Verfügung möglichst genau bezeichnet werden.

10.64

1 Lange/Kuchinke, § 29 III 2b, Fn. 97. 2 MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 11. 3 Staudinger/Otte hält selbst im Fall von durch den Erblasser vorgegebenen Auswahlkriterien eine gerichtliche Überprüfung nicht automatisch für eröffnet, sondern will im Zweifel die Entscheidung des Erblassers als inappellabel ansehen (§ 2151 Rz. 9). 4 Erman/Nobis, § 2151 Rz. 2; MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 12. 5 MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 12; Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 3; Soergel/Wolf, § 2151 Rz. 4; a.A. Johannsen, WM 1972, 866 (872). 6 So auch Werner, ZEV 2018, 252 (256), in Bezug auf die Bestimmung eines Unternehmensnachfolgers durch einen Testamentsvollstrecker.

Nienaber/Schmitz 335

§ 10 Rz. 10.65

Vermächtnis

10.65 Unterbleibt die Bestimmung, weil der Bestimmungsberechtigte hierzu nicht in der Lage ist und hat der Erblasser einen Ersatzbestimmungsberechtigten nicht bestimmt, so erlischt das Bestimmungsrecht und die Angehörigen des vom Erblasser festgelegten Personenkreises werden Gesamtgläubiger (§§ 2151 Abs. 3 S. 1, 428 BGB). Unterlässt der Bestimmungsberechtigte eine ihm mögliche Bestimmung, kann er nicht auf Vornahme verklagt werden1. Die Beteiligten können dann bei Gericht lediglich beantragen, dem Bestimmungsberechtigten eine Frist zur Abgabe der Erklärung zu setzen, bei deren Ablauf die Bedachten wiederum Gesamtgläubiger werden (§ 2151 Abs. 3 S. 1, 2 BGB).

10.66 Werden die Bedachten Gesamtgläubiger, entscheidet der erste Zugriff darüber, wer von ihnen den Vermächtnisgegenstand erhält. Bei der Beratung eines der Bedachten sollte der Anwalt sich also um eine möglichst zügige Bearbeitung bemühen. Der Beschwerte kann auch nach Erhebung einer Klage durch einen Gesamtgläubiger noch an einen anderen Gesamtgläubiger leisten (§ 428 S. 2 BGB). Entgegen der allgemein für Gesamtgläubiger geltenden Regel des § 430 BGB ist der Bedachte, der das Vermächtnis erhält, nach § 2151 Abs. 3 S. 3 BGB im Zweifel nicht zur Teilung verpflichtet. Beratungssituation: Der Erblasser sieht die Gefahr, dass der von ihm mit der Auswahl des Bedachten betraute Geschäftsführer eine Bestimmung zu Lebzeiten nicht vornehmen wird, um die Geschäfte des Unternehmens völlig unkontrolliert führen zu können.

10.67 Gerade bei Vermächtnisgegenständen von besonderer Bedeutung, wie etwa einem Unternehmen, wird es dem Erblasser i.d.R. nicht recht sein, dass letztlich der erste Zugriff über den Erhalt des Vermächtnisgegenstandes entscheidet. Um das zu verhindern, kann der Erblasser dem Bestimmungsberechtigten z.B. eine Frist zur Bestimmung setzen und anordnen, dass nach Ablauf der Frist ein Ersatzbestimmungsberechtigter die Auswahl zwischen den Bedachten vornehmen soll. Ein Vermächtnis zur Regelung der Unternehmensnachfolge bei noch minderjährigen Abkömmlingen könnte bei der soeben geschilderten Beratungssituation z.B. folgenden Inhalt haben:

10.68 M 39 Gewährleistung einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle sowie Fristvorgabe für

die Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers Hiermit vermache ich mein unter der Firma U betriebenes Unternehmen mit allen Aktiva und Passiva sowie dem Betriebsvermögen einem meiner drei Kinder. Mein Geschäftsführer G soll unter meinen Kindern das zur Unternehmensführung am besten geeignete Kind nach billigem Ermessen2 auswählen. Er soll diese Auswahlentscheidung frühestens nach der Vollendung des 25. Lebensjahres und spätestens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres meines jüngsten Kindes treffen. Hat er eine Bestimmung des Vermächtnisnehmers bis dahin nicht vorgenommen, soll meine Ehefrau das zur Unternehmensführung das am besten geeignete Kind auswählen3,4.

1 MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 13; Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 3. 2 Durch diese Formulierung wird die gerichtliche Billigkeitskontrolle der Ermessensentscheidung des Bestimmungsberechtigten eröffnet. 3 Durch die Fristsetzung und die Benennung eines Ersatzbestimmungsberechtigten wird verhindert, dass bei Unterbleiben der Bestimmung eines Vermächtnisnehmers durch den Geschäftsführer der erste Zugriff über die Person des Unternehmensnachfolgers entscheidet. 4 Bei der Regelung der Unternehmensnachfolge im Wege der Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers muss in der letztwilligen Verfügung auch eine Regelung zur Führung des Unternehmens bis zur Benennung des Unternehmensnachfolgers getroffen werden. Insofern bietet sich die Anordnung einer Testamentsvollstreckung an.

336

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.73 § 10

b) Das Personenwahlvermächtnis Die Übergänge zwischen § 2151 BGB und dem Personenwahlvermächtnis nach § 2152 BGB sind flie- 10.69 ßend. Während die potenziell Bedachten im Rahmen des § 2151 BGB Angehörige einer nach Gattungsmerkmalen bestimmten Personengruppe sind (z.B. die Kinder oder die Angehörigen eines bestimmten Vereins), können im Falle des § 2152 BGB verschiedenste Personen vom Erblasser alternativ bedacht werden (z.B. der Bruder „B“ oder der Freund „F“). Nach § 2152 BGB bestimmt der Beschwerte den Vermächtnisnehmer. Wie bei § 2151 BGB sind aber auch hier abweichende Anordnungen des Erblassers möglich. Im Übrigen gelten die Vorschriften des § 2151 Abs. 2 und Abs. 3 BGB über die Bestimmung des Vermächtnisnehmers sowie die Folgen des Unterbleibens der Bestimmung auch für § 2152 BGB1. 3. Die Person des Vermächtnisnehmers bei besonderen Vermächtnisarten Es gibt Vermächtnisarten, die ihre Besonderheit in der Person des Vermächtnisnehmers haben.

10.70

a) Das Ersatzvermächtnis Der Erwerb des Vermächtnisses durch den Bedachten kann aus diversen Gründen ausbleiben: z.B. 10.71 Tod des Bedachten vor dem Erbfall (§ 2160 BGB), Ausschlagung (§ 2180), Verzicht (§ 2352 BGB), Vermächtnisunwürdigkeit (§ 2345 BGB). Sofern der Vermächtnisgegenstand in diesen Fällen mehreren Personen vermacht worden ist, wächst der Anteil des weggefallenen Vermächtnisnehmers den übrigen an (§ 2158 Abs. 1 BGB), wenn der Erblasser die Anwachsung nicht ausgeschlossen hat (§ 2158 Abs. 2 BGB; vgl. zum gemeinschaftlichen Vermächtnis Rz. 10.83 f.). War der weggefallene Bedachte hingegen der einzige Vermächtnisnehmer, fällt der Vermächtnisgegenstand dem Erben zu. Ein solcher ersatzloser Wegfall kann ausdrücklich vom Erblasser gewünscht sein.

M 40 Ausschluss eines Ersatzvermächtnisses

10.72

Kann oder will der Bedachte den von mir zugewendeten Gegenstand nicht annehmen, so entfällt das Vermächtnis ersatzlos. Auf die Gründe für die Entscheidung des Bedachten kommt es nicht an.

Hat der Erblasser hingegen einen Ersatzvermächtnisnehmer bestimmt (§ 2190 BGB), fällt das Vermächtnis dem Ersatzbedachten an. Insoweit gelten die §§ 2097–2099 BGB entsprechend. Die Anordnung eines Ersatzvermächtnisses kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend erfolgen. Ist der Vermächtnisnehmer ein Abkömmling des Erblassers, so sind nach § 2069 BGB im Zweifel dessen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge Ersatzvermächtnisnehmer2. Eine stillschweigende Anordnung eines Ersatzvermächtnisses zugunsten der Abkömmlinge wird häufig durch ergänzende Testamentsauslegung auch bei anderen nahen Angehörigen angenommen3. Zur Vermeidung späterer Auslegungsschwierigkeiten sollte der Anwalt dem Erblasser raten, entweder ausdrücklich einen Ersatzvermächtnisnehmer zu bestimmen oder die Ersatzvermächtnisfolge explizit auszuschließen.

1 BeckOK-BGB/Müller-Christmann, § 2152 Rz. 1. 2 Vgl. zur Anwendbarkeit des § 2069 BGB auf Vermächtnisse Haspl, ZEV 2013, 60 ff. 3 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, NJW 1973, 240 (242); KG v. 30.4.1974 – 1 W 1446/73, FamRZ 1977, 344; BayObLG v. 23.3.1982 – 1Z 143/81, BayObLGZ 1982, 159 (163, 165); BayObLG v. 16.5.1988 – BReg.1 Z 47/87, MDR 1988, 866 = FamRZ 1988, 986 = BayObLGZ 1988, 165 (169); BayObLG v. 6.8.1991 – BReg.1 Z 9/91, FamRZ 1992, 355 (356); OLG Karlsruhe v. 18.8.1992 – 4 W 24/92, FamRZ 1993, 363 (364); MüKo.BGB/Leipold, § 2069 Rz. 34.

Nienaber/Schmitz 337

10.73

§ 10 Rz. 10.74

Vermächtnis

b) Das Vor- und Nachvermächtnis

10.74 Der Erblasser kann gem. § 2191 BGB mehrere Personen zeitlich hintereinander als Bedachte auf einen bestimmten Vermächtnisgegenstand einsetzen. Der Erblasser verfolgt damit i.d.R. das Ziel, bestimmte Vermögensgegenstände, wie bspw. ein Unternehmen, an seine Familie zu binden. Der Nachvermächtnisfall kann an einen bestimmten Zeitpunkt oder ein Ereignis, etwa das Ableben des ersten Vermächtnisnehmers, geknüpft sein. Beschwert ist der jeweilige erste Vermächtnisnehmer (§ 2191 Abs. 1 BGB). Insoweit ähnelt diese rechtliche Konstellation der Vor- und Nacherbschaft1; § 2191 Abs. 2 BGB erklärt einige Vorschriften über den Nacherben für entsprechend anwendbar. Der Schutz des Nachvermächtnisnehmers ist jedoch deutlich schwächer ausgestaltet als der des Nacherben.

10.75 Beim Nachvermächtnis bestimmt also der Erblasser, dass ein bestimmter Vermächtnisgegenstand zunächst dem ersten (Vor-)Vermächtnisnehmer anfallen soll (§ 2191 BGB). Hat der Erblasser den Zeitpunkt oder das Ereignis für den Anfall des Nachvermächtnisses nicht bestimmt, fällt es spätestens mit dem Tod des ersten Vermächtnisnehmers an (§ 2191 Abs. 2 i.V.m. § 2106 Abs. 1 BGB). Im Gegensatz zum Ersatzvermächtnisnehmer erhält der Nachvermächtnisnehmer den Vermächtnisgegenstand also nicht sofort, sondern erst nach dem ersten Vermächtnisnehmer. Letztlich handelt es sich beim Nachvermächtnis um ein aufschiebend bedingtes oder befristetes Untervermächtnis, mit dem der erste Vermächtnisnehmer beschwert ist.

10.76 M 41 Vor- und Nachvermächtnis Folgendes Vermächtnis möchte ich aussetzen: Mein alter Schulfreund F soll mein Wertpapierdepot bei der X-Bank zur alleinigen Berechtigung erhalten. Dieses Vermächtnis ist innerhalb von 12 Monaten nach meinem Tode zu erfüllen. Es ist unverzinslich. Der o.g. Bedachte ist jedoch nur Vorvermächtnisnehmer. Meine beiden Abkömmlinge sollen Nachvermächtnisnehmer zu gleichen Teilen sein. Ersatzweise deren Abkömmlinge, also meine Enkelkinder. Mit dem Tode des Vorvermächtnisnehmers soll es meinen Abkömmlingen anfallen. Die Anwartschaften der Nachvermächtnisnehmer sind nicht übertragbar. Die bis zum Anfall des Nachvermächtnisses zu ziehenden Nutzungen stehen ausschließlich dem Vorvermächtnisnehmer zu.

10.77 Der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers auf Erfüllung des Vermächtnisses richtet sich also gegen den ersten Vermächtnisnehmer, nicht gegen den Erben. Der Testamentsvollstrecker kann ebenfalls passiv legitimiert sein, wenn er auch für den Vollzug des Nachvermächtnisses eingesetzt ist2. Möglich ist auch die Einsetzung eines Nachvermächtnistestamentsvollstreckers entsprechend § 2223 BGB3, der analog § 2222 BGB die Rechte des Nachvermächtnisnehmers geltend macht4.

10.78 Die Anordnung eines Nachvermächtnisses kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend erfolgen. Bei der Beratung des Erblassers empfiehlt sich, wie stets, eine eindeutige, ausdrückliche Regelung vorzunehmen. Fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung, ist im Zweifel von einem Ersatz- und nicht von einem Nachvermächtnis auszugehen (§§ 2191 Abs. 2, 2102 Abs. 2 BGB). Fällt der erste Vermächtnisnehmer weg, so liegt in der Anordnung des Nachvermächtnisses im Zweifel auch die Anordnung eines Ersatzvermächtnisses (§§ 2191 Abs. 2, 2102 Abs. 1 BGB), so dass der Nachvermächtnisnehmer direkt mit dem Erbfall Ersatzvermächtnisnehmer wird.

10.79 In den Rechtsfolgen ist das Nachvermächtnis nur eingeschränkt mit der Nacherbfolge vergleichbar. § 2191 Abs. 2 BGB erklärt nur wenige Vorschriften der §§ 2100 ff. BGB für entsprechend anwendbar. Wesentlicher Unterschied ist insbesondere, dass die Anordnung eines Nachvermächtnisses nicht zu einer Verfügungsbeschränkung des ersten Vermächtnisnehmers führt, da § 161 BGB auf das Nach1 2 3 4

Vgl. Bartsch in Uricher, § 2 Rz. 112. Hartmann, ZEV 2001, 89 (91); Spell, ZEV 2002, 5; a.A. Damrau/Mayer, ZEV 2001, 293 (294). BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 = NJW 2001, 520. Müller-Engels, BeckOGK-BGB, § 2191 Rz. 104.

338

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.81 § 10

vermächtnis nicht anwendbar ist1. Der Nachvermächtnisnehmer ist vor Anfall des Nachvermächtnisses nur über die §§ 2177, 2179, 160, 162 BGB geschützt2. Daher sollte der den Erblasser beratende Anwalt darauf hinweisen, dass der Nachvermächtnisnehmer ohne besondere Anordnungen nur wenig abgesichert ist (vgl. zu den Möglichkeiten der Sicherung des Vermächtnisnehmers Rz. 10.281 ff.). Flankierende Schutzmaßnahmen zugunsten des Nachvermächtnisnehmers können etwa in der Anordnung eines Untervermächtnisses zulasten des Vorvermächtnisnehmers zur Bewilligung der Eintragung einer Auflassungsvormerkung oder in der Anordnung einer Testamentsvollstreckung zur Erfüllung des Nachvermächtnisses bestehen3. Die Nachvermächtnislösung wird insbesondere auch für Erblasser mit behinderten Kindern dis- 10.80 kutiert. Der Behinderte wird zum Vorvermächtnisnehmer, und sein Vermächtnis wird unter eine Testamentsvollstreckung gestellt4. Nach dem Tod des Behinderten (Vermächtnisnehmers) fällt der Vermächtnisgegenstand an den Nachvermächtnisnehmer, etwa ein nicht behindertes Geschwisterkind. Unsicherheiten bei dieser Lösung bestehen aber hinsichtlich der Frage, in welchem Verhältnis der Vermächtnisanspruch des Nachvermächtnisnehmers zur sozialhilferechtlichen Erbenhaftung nach § 102 Abs. 1 SGB XII steht. Nach § 102 Abs. 1 SGB XII ist der Erbe zum Ersatz der zehn Jahre vor dem Erbfall aufgewendeten Kosten der Sozialhilfe verpflichtet. Da dieser Anspruch nach § 102 Abs. 2 SGB XII ebenso wie der Nachvermächtnisanspruch zu den Nachlassverbindlichkeiten gehört, wird zum Teil eine Gleichrangigkeit beider Ansprüche in einem eventuellen Nachlassinsolvenzverfahren befürwortet, die letztlich zu einer Teilung zwischen Sozialhilfeträger und Nachvermächtnisnehmer führe5. Vor diesem Hintergrund wird häufig das klassische Behindertentestament mit Vor- und Nacherbschaft einer Nachvermächtnislösung vorgezogen6. Die Gegenmeinung in der Literatur geht indes von einer Vorrangigkeit des Nachvermächtnisanspruchs aus, da der Nachvermächtnisanspruch als echte Erblasserschuld den Nachlasswert mindere7. Da es zu dieser Frage noch keine Rechtsprechung gibt, ist bei der Gestaltung einer erbrechtlichen Regelung durch ein Vor-/Nachvermächtnis zugunsten eines behinderten Kindes besondere Vorsicht geboten. c) Das Untervermächtnis I.d.R. ist der Erbe mit dem Vermächtnis beschwert (§ 2147 S. 2 BGB). Nach § 2147 S. 1 BGB kann aber auch der Vermächtnisnehmer selbst mit einem Untervermächtnis beschwert werden. Im Gegensatz zum Nachvermächtnis muss der Gegenstand des Untervermächtnisses mit dem des Hauptvermächtnisses nicht identisch sein. Das Untervermächtnis wird nach § 2186 BGB erst fällig, wenn der Hauptvermächtnisnehmer berechtigt ist, seinerseits Erfüllung des Vermächtnisses zu verlangen. Ob der Hauptvermächtnisnehmer das Vermächtnis indes schon angenommen hat, ist für die Fälligkeit ohne Belang. § 2186 BGB benennt lediglich den frühestmöglichen Fälligkeitstermin. Möchte der Erblasser dem Hauptvermächtnisnehmer mehr Zeit zur Erfüllung des Untervermächtnisses einräumen, kann er die Fälligkeit durch entsprechende Anordnungen hinausschieben. Fällt der Hauptvermächtnisnehmer weg, so bleibt das Untervermächtnis wirksam. Beschwert ist nun derjenige, der an die Stelle des beschwerten Vermächtnisnehmers tritt (§§ 2187 Abs. 2, 2161 BGB).

1 Baltzer, ZEV 2008, 116; Hartmann, ZEV 2007, 458 (459); MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 2179 Rz. 2. 2 MüKo.BGB/Rudy, § 2191 Rz. 6; Rossak, ZEV 2005, 14 (15). 3 Vgl. hierzu Hartmann, ZEV 2007, 458 (459 ff.); Rossak, ZEV 2005, 14 (15 f.); Zawar, NJW 2007, 2353 (2355). 4 Vgl. zu dieser Lösung auch Tersteegen, ZErb 2013, 141 ff. 5 Damrau, ZEV 1998, 1; Damrau/Mayer, ZEV 2001, 293; für eine Minderung des Vermögenswertes des Nachlasses durch den Nachvermächtnisanspruch und damit für dessen Vorrang hingegen: Hartmann, ZEV 2001, 89 (93); Weidlich, ZEV 2001, 94 (97). 6 Nieder/Kössinger/Kössinger, § 21 Rz. 101, 102. 7 Baltzer, ZEV 2008, 116 (119); Hartmann, ZEV 2001, 89 (93).

Nienaber/Schmitz 339

10.81

§ 10 Rz. 10.82

Vermächtnis

d) Das gemeinschaftliche Vermächtnis

10.82 Beratungssituation: Der Erblasser setzt seine Ehefrau zur Alleinerbin ein. Seinen drei Kindern möchte er gemeinsam ein Mietshaus vermachen.

10.83 Möchte der Erblasser denselben Gegenstand mehreren vermachen, sind die Bedachten ohne eine abweichende Bestimmung des Erblassers nach § 2157 BGB i.V.m. § 2091 BGB zu gleichen Teilen eingesetzt, soweit sich nicht aus den §§ 2066–2069 BGB ein anderes ergibt. Handelt es sich bei dem vermachten Gegenstand um eine teilbare Leistung, hat jeder Bedachte einen selbständigen Anspruch gegen den Beschwerten auf Leistung des entsprechenden Teiles (§ 420 BGB)1. Bei Unteilbarkeit des Vermächtnisgegenstandes (z.B. bebautes Grundstück) kann jeder Vermächtnisnehmer nach § 432 BGB Leistung an alle Bedachten gemeinsam fordern. Fällt ein Vermächtnisnehmer weg, so wächst sein Anteil den übrigen Bedachten nach dem Verhältnis ihrer Anteile an (§ 2158 Abs. 1 BGB).

10.84 Vermacht der Erblasser im Beispielsfall also seinen drei Kindern das Mietshaus ohne eine nähere Bestimmung der Anteile, so erhält jedes Kind einen Bruchteil von? an dem Mietshaus. Jedes Kind kann von der Ehefrau des Erblassers aber nur die Übereignung des Grundstücks an alle Kinder gemeinsam verlangen.

10.85 Der Erblasser hat aber auch von §§ 2157, 2158 BGB abweichende Gestaltungsmöglichkeiten. So kann er z.B. die Anteile selbst bestimmen. Wenn die vom Erblasser vorgenommene Aufteilung den Gegenstand nicht erschöpft oder übersteigt, tritt nach § 2157 BGB i.V.m. §§ 2089, 2090 BGB eine verhältnismäßige Erhöhung oder Minderung der Bruchteile ein. Nimmt der Erblasser eine Bestimmung der Anteile vor, wird vereinzelt angenommen, es liege kein gemeinschaftliches Vermächtnis vor, sondern eine Mehrheit von Einzelvermächtnissen hinsichtlich der realen oder ideellen Teile des Gegenstandes2. Nach anderer Ansicht steht die Bestimmung der Anteile wie auch die Zuweisung realer Teile der vermachten Sache der Auslegung als gemeinschaftliches Vermächtnis nicht zwingend entgegen3. Bedeutung hat diese Einordnung für die Frage, ob der Anteil eines weggefallenen Bedachten den übrigen Vermächtnisnehmern anwächst (§ 2158 Abs. 1 BGB) oder dem Erben anfällt Um insoweit Auslegungsschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, sollte der Anwalt dem Erblasser raten, die Frage der Anwachsung ausdrücklich zu regeln. Möchte der Erblasser eine Anwachsung erreichen, kann er die anderen Bedachten entsprechend ihrer Anteile zu Ersatzvermächtnisnehmern des weggefallenen Bedachten bestimmen. Auf der anderen Seite kann er die Anwachsung auch explizit ausschließen (§ 2158 Abs. 2 BGB).

10.86 Im Beispielsfall kann der Erblasser also seinen drei Kindern das Mietshaus etwa dergestalt vermachen, dass er seiner Tochter die Hälfte des Mietshauses und seinen Söhnen je ein Viertel vermacht. Regelt er die Folgen des Wegfalls eines seiner Kinder als Vermächtnisnehmer nicht, kann nicht sicher vorausgesagt werden, wie seine Verfügung im Rechtsstreit ausgelegt werden würde. Denkbar ist, dass von mehreren Einzelvermächtnissen hinsichtlich der ideellen Mietshausanteile ausgegangen würde. Dann würde der Mietshausanteil des weggefallenen Vermächtnisnehmers dem Erben, also im Beispielsfall der Ehefrau des Erblassers, zufallen. Wird die Verfügung des Erblassers hingegen als gemeinschaftliches Vermächtnis ausgelegt, würde der ideelle Anteil des weggefallenen Bedachten den übrigen Vermächtnisnehmern entsprechend ihrer Anteile anwachsen. Möchte der Erblasser also z.B. sicher-

1 A.A. Muscheler, NJW 2012, 1399 (1402), der auch bei teilbaren Gegenständen von einer Bruchteilsgemeinschaft (§ 741 ff. BGB) an der Vermächtnisforderung ausgeht. 2 Muscheler, NJW 2012, 1399 ff.; Soergel/Wolf, § 2157 Rz. 12. 3 Staudinger/Otte, § 2157 Rz. 3; Bei der anteiligen Zuwendung eines nicht teilbaren Vermächtnisgegenstandes (z.B. ein GmbH-Anteil) dürfte allerdings im Hinblick auf § 2084 BGB nur die Annahme eines gemeinschaftlichen Vermächtnisses möglich sein; MüKo.BGB/Rudy, § 2157 Rz. 2; RGRK/Johannsen, § 2158 Rz. 1.

340

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.90 § 10

gehen, dass der Anteil des weggefallenen Bedachten den anderen Vermächtnisnehmern anfällt, sollte er sie als Ersatzberufene (§ 2190 BGB) bestimmen. Möchte der Erblasser die Anwachsung hingegen vermeiden, sollte er sie ausdrücklich ausschließen (§ 2158 Abs. 2 BGB).

M 42 Gewährleistung einer Anwachsung

10.87

Hiermit vermache ich meiner Tochter die Hälfte und meinen beiden Söhnen jeweils ein Viertel des Grundstückes in X. Sollte eines meiner Kinder als Vermächtnisnehmer wegfallen, werden die anderen Kinder entsprechend ihrer Anteile zu Ersatzvermächtnisnehmern an dem Anteil des weggefallenen Vermächtnisnehmers.

e) Das Vorausvermächtnis Beim Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) ist der Erbe selbst Vermächtnisnehmer. Gründe für die Anordnung eines Vorausvermächtnisses sind vor allem

10.88

– die Begünstigung des Vorausvermächtnisnehmers gegenüber anderen Miterben wegen des Nichtbestehens einer Ausgleichspflicht (vgl. Rz. 10.17), – die Befreiung des Vorausvermächtnisnehmers von der Erbenhaftung (vgl. Rz. 10.20), – die rechtliche Selbständigkeit von Vorausvermächtnis und Erbschaft, so dass das Vorausvermächtnis im Zweifel wirksam ist, wenn die Erbeinsetzung unwirksam ist (§ 2085 BGB), und die Erbschaft unabhängig vom Vorausvermächtnis ausgeschlagen werden kann und umgekehrt (vgl. Rz. 10.19), – die Möglichkeit der Geltendmachung des Vorausvermächtnisses vor der Auseinandersetzung des Nachlasses (vgl. Rz. 10.21), – die Befreiung des Vorausvermächtnisses von der Testamentsvollstreckung und Nachlassverwaltung (vgl. Rz. 10.22), – die Befreiung des Vorausvermächtnisses vom Nacherbenrecht (vgl. Rz. 10.23 f.). Ist ein Vorerbe als Vorausvermächtnisnehmer eingesetzt, sollte bei der Beantragung des Erbscheins darauf geachtet werden, dass hinsichtlich des Vermächtnisgegenstandes die Ausnahme von der Verfügungsbeschränkung des Vorerben im Erbschein angegeben wird (vgl. Rz. 10.24). f) Gemeinnützige Stiftungen als Vermächtnisnehmer Beratungssituation: Der kinderlose Erblasser setzt seine Ehefrau zur Alleinerbin ein. Seine noch lebenden Eltern sollen nichts bekommen. Stattdessen möchte er eine gemeinnützige Stiftung für die Erforschung von unheilbaren Kinderkrankheiten bedenken. Im Beratungsgespräch stellt sein Rechtsanwalt die Vorteile einer Begünstigung durch die Aussetzung eines Geldvermächtnisses heraus. Der Mandant entscheidet sich sodann für die vermächtnisweise Zuwendung verbunden mit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung, die zur Herstellung der erforderlichen Liquidität den Verkauf von Aktien zum Gegenstand hat.

10.89

– Das Betätigungsfeld im Rahmen des sog. Fundraising von gemeinnützigen Vereinen oder Stiftun- 10.90 gen weitet sich seit geraumer Zeit auch auf Geldzuwendungen im Nachlasswege aus1. Auf Seiten der Erblasser besteht ein Interesse daran, durch Zuwendungen von Todes wegen etwas Sinnvolles zu tun und eine Gewähr zu bekommen, dass die Zuwendungen zweckentsprechend verwendet werden. Aus diesem Grunde haben sich mehrere gemeinnützige Organisationen in der Initiative „Mein

1 Vgl. auch Stein, Kap. B XII Rz. 3.

Nienaber/Schmitz 341

§ 10 Rz. 10.91

Vermächtnis

Erbe tut Gutes – das Prinzip Apfelbaum“1 zusammengeschlossen. Die praktischen Aspekte der Abwicklung der Nachlässe werden jedoch von den Testierenden oft nur vage geregelt2. – Insbesondere für gemeinnützige Organisationen bieten sich Zuwendungen des Erblassers in der Form eines Vermächtnisses an3. Denn anders als bei einer Erbeinsetzung scheidet beim Vermächtnis eine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten in der Regel aus. Ebenso sind keine besonderen Fristen und Verpflichtungen bei der Nachlassabwicklung zu beachten.

IV. Die Person des Beschwerten 10.91 Nach § 2147 S. 1 BGB können mit einem Vermächtnis der Erbe und ein Vermächtnisnehmer beschwert werden. 1. Der Erbe

10.92 Sofern der Erblasser nichts anderes bestimmt, ist der Erbe mit einem Vermächtnis beschwert (§ 2147 S. 2 BGB). Mit einem Vermächtnis können sowohl der gesetzliche als auch der gewillkürte, der Allein-, aber auch alle oder einzelne Miterben beschwert werden. Voraussetzung ist lediglich, dass der Beschwerte schon Erbe ist. Der Ersatzerbe oder der unter einer aufschiebenden Bedingung eingesetzte Erbe können erst nach dem Eintritt des Ersatzerbfalls oder der Bedingung beschwert sein.

10.93 Ist bei einer Vor- und Nacherbschaft nicht bestimmt, wer mit dem Vermächtnis beschwert ist, ist die Erbschaft als solche beschwert. Die Verpflichtung zur Erfüllung des Vermächtnisses geht also mit dem Eintritt des Nacherbfalles vom Vor- auf den Nacherben über. Leistet hingegen bereits der Vorerbe, ist er zum Abzug nach § 2126 BGB berechtigt4. Möchte der Erblasser entweder nur den Vor- oder ausschließlich den Nacherben beschweren, muss er das ausdrücklich bestimmen. Eine Beschwerung des Nacherben mit einer Leistung, die er vor Eintritt des Nacherbfalls erbringen soll, ist nicht möglich5. Eine entsprechende Verfügung kann aber als bedingte Nacherbeinsetzung auszulegen sein6.

10.94 Der durch Vertrag oder eine wechselseitige Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament eingesetzte Erbe kann i.d.R. nachträglich nicht mehr einseitig durch ein Vermächtnis beschwert werden7.

10.95 Auch der Hoferbe kann mit einem Vermächtnis beschwert werden. Das gilt auch, wenn er den Hof im Wege der vorweggenommenen Hoferbfolge durch Übergabevertrag erhalten hat8.

10.96 Einstweilen frei. 2. Der Vermächtnisnehmer

10.97 Wird der Vermächtnisnehmer mit einem Vermächtnis beschwert, liegt ein Untervermächtnis vor (vgl. Rz. 10.81). Wurde das Vermächtnis allerdings durch Erbvertrag oder durch eine wechselseitige Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament angeordnet, scheidet die nachträgliche einseitige Beschwerung mit einem Untervermächtnis i.d.R. aus9.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Siehe hierzu: https://www.mein-erbe-tut-gutes.de. Vgl. Friedrich-Büttner/Runte, npoR 2016, 57 ff. So auch Friedrich-Büttner/Runte, npoR 2016, 57, 58. MüKo.BGB/Rudy, § 2147 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2147 Rz. 2. BayObLG v. 5.8.1966 – 1a Z 35/66, BayObLGZ 1966, 271; MüKo.BGB/Rudy, § 2147 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 2147 Rz. 2; RGRK/Johannsen, § 2147 Rz. 6. Vgl. dazu Schlüter, Erbrecht, Rz. 889 i.V.m. Rz. 273 ff., 363 f. BGH v. 6.6.1962 – V ZR 90/61, NJW 1962, 1615; Soergel/Wolf, § 2147 Rz. 13. Vgl. dazu Schlüter, Erbrecht, Rz. 890.

342

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.102 § 10

3. Der Begünstigte einer Schenkung von Todes wegen Eine Schenkung von Todes wegen (§ 2301 BGB) wird, sofern sie das gesamte Vermögen oder einen Bruchteil davon erfasst, als Erbeinsetzung, sofern sie einen bestimmten Vermögensgegenstand betrifft, als Vermächtnis behandelt1. Daher kann auch der nach § 2301 BGB auf den Todesfall Beschenkte mit einem Vermächtnis beschwert werden2. Wird die Schenkung dagegen schon zu Lebzeiten des Schenkers vollzogen (§ 2301 Abs. 2 BGB), hat der Beschenkte den Gegenstand aufgrund einer Verfügung unter Lebenden erhalten und kann daher nicht mit einem Vermächtnis beschwert werden3. Möglich ist in diesem Fall nur eine Schenkungsauflage.

10.98

4. Mehrere Beschwerte Der Erblasser kann auch mehrere mit einem Vermächtnis beschweren. Ohne eine abweichende Anordnung des Erblassers sind die Beschwerten im Verhältnis ihrer Erb- bzw. Vermächtnisanteile beschwert (§ 2148 BGB)4.

10.99

5. Der Wegfall des Beschwerten Wird der Beschwerte nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer, bleibt das Vermächtnis grundsätzlich 10.100 wirksam (§ 2161 S. 1 BGB). Ein Wegfall des Beschwerten kann z.B. durch das Vorversterben des Beschwerten, dessen Ausschlagung, Verzicht oder Erbunwürdigkeit5 oder die Unwirksamkeit, den Widerruf und die Anfechtung der letztwilligen Verfügung eintreten. Beschwert ist dann derjenige, dem der Wegfall des zunächst Beschwerten unmittelbar zustatten kommt (§ 2161 S. 2 BGB). Das ist – beim Wegfall des eingesetzten Erben der Ersatzerbe oder der gesetzliche Erbe, – beim Wegfall des gesetzlichen Erben der gesetzliche Erbe der nächsten Ordnung, – beim Wegfall des Hauptvermächtnisnehmers der Ersatzvermächtnisnehmer oder der Erbe. – Rückt der Vermächtnisnehmer selbst als Erbe nach, bleibt das Vermächtnis als Vorausvermächtnis wirksam6. Der Erblasser kann aber auch eine von § 2161 BGB abweichende Bestimmung treffen, nach der das 10.101 Vermächtnis mit dem Wegfall des Beschwerten unwirksam werden oder sich gegen einen anderen Beschwerten richten soll. Eine solche abweichende Bestimmung kann sich auch aus den Umständen ergeben, etwa bei persönlichen Dienst- oder Werkleistungen des Beschwerten7. Kein Fall des § 2161 BGB liegt vor, wenn der Beschwerte nach dem Erbfall verstirbt. Hier haften seine Erben für die Vermächtniserfüllung.

1 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 14; Soergel/Wolf, § 2301 Rz. 7. 2 MüKo/Rudy, § 2147 Rz. 4; Schlüter, Erbrecht, Rz. 891; a.A. Ebenroth, Erbrecht, Rz. 451. 3 BGH v. 6.3.1985 – IVa ZR 171/83, MDR 1986, 37 = FamRZ 1985, 696 = NJW-RR 1986, 164; MüKo.BGB/ Rudy, § 2147 Rz. 6; Schlüter, Erbrecht, Rz. 891. 4 Vgl. zu den Schwierigkeiten der Anwendung des § 2148 BGB auch Rz. 10.255 ff. 5 Für die Unwürdigkeit, ein Vermächtnis zu empfangen, gelten gem. § 2345 Abs. 1 BGB die gleichen Gründe wie für die allgemeine Erbunwürdigkeit. 6 RG v. 10.4.1913 – IV 640/12, Recht 1913 Nr. 1625; Schlüter, Erbrecht, Rz. 893. 7 Mayer in Kroiß/Ann/Mayer, § 2161 Rz. 3.

Nienaber/Schmitz 343

10.102

§ 10 Rz. 10.103

Vermächtnis

V. Der Vermächtnisgegenstand 10.103 Jeder Vermögensvorteil, der Ziel eines Anspruchs bzw. Gegenstand einer Leistung im Sinne von § 241 BGB sein kann1, ist tauglicher Gegenstand eines Vermächtnisses (§ 1939 BGB)2. Ein Vermögensvorteil setzt keine Bereicherung im wirtschaftlichen Sinne voraus, sondern lediglich eine Begünstigung des Bedachten3. Inhaltlich kann es sich dabei um eine Leistung gem. § 241 S. 1 BGB oder auch ein Unterlassen handeln. Ausreichend ist daher z.B. auch die Einräumung einer Sicherheit für eine bereits bestehende Forderung des Vermächtnisnehmers. Voraussetzung gem. § 2169 Abs. 1 BGB ist dahingegen, dass der Gegenstand des Vermächtnisses zum Zeitpunkt des Erbfalls zum Nachlass gehört4. 1. Das Stückvermächtnis

10.104 I.d.R. wird ein bestimmter Gegenstand vermacht (Stückvermächtnis). Bei dem Vermächtnisgegenstand handelt es sich häufig um eine Sache; in Betracht kommen aber auch eine Forderung oder ein Recht5.

10.105 Für die Wirksamkeit des Stückvermächtnisses ist nach § 2169 Abs. 1 BGB erforderlich, dass der Gegenstand zum Zeitpunkt des Erbfalls zum Nachlass gehört6. Allerdings kann ein beschränkt dingliches Recht auch dann vermacht werden, wenn es beim Erbfall noch nicht besteht, aber durch Bestellung an einem Nachlassgegenstand zu verschaffen ist7. Hat der Erblasser nur den Besitz an dem zugewendeten Gegenstand, so gilt der Besitz als vermacht, sofern er dem Bedachten einen rechtlichen Vorteil bringt (§ 2169 Abs. 2 BGB). Gehört der Gegenstand nicht zum Nachlass, ist das Vermächtnis grundsätzlich unwirksam. Es kann allerdings als Verschaffungsvermächtnis (§ 2270 BGB; vgl. Rz. 10.111 ff.) wirksam bleiben, wenn der Gegenstand dem Bedachten auch für diesen Fall zugewendet sein soll (§ 2169 Abs. 1 BGB)8. Gehört der vermachte Gegenstand nur teilweise zum Nachlass, beschränkt sich die Unwirksamkeit des Vermächtnisses nach § 2085 BGB auf den nicht im Nachlass vorhandenen Teil.

10.106 Gehört der Gegenstand selbst nicht zum Nachlass, stand dem Erblasser beim Erbfall allerdings ein Anspruch auf Leistung des vermachten Gegenstandes zu, so gilt dieser Leistungsanspruch als vermacht (§ 2169 Abs. 3, 1. Alt. BGB). Gehört der vermachte Gegenstand beim Erbfall nicht mehr zum Nachlass, weil er nach der Anordnung des Vermächtnisses untergegangen oder dem Erblasser entzogen worden ist, so gilt der Wertersatzanspruch als vermacht (§ 2169 Abs. 3, 1. Alt. BGB). Das gilt entsprechend, wenn der Wertersatzanspruch bereits vor der Anordnung des Vermächtnisses entstanden ist, dieser

1 Vgl. BGH v. 27.6.2001 – IV ZR 120/00, NJW 2001, 2883: „Der Erblasser kann […] alles vorsehen, was als Inhalt der Leistungspflicht eines Schuldners nach § 241 BGB vereinbart werden könnte.“ 2 MüKo.BGB/Rudy, Vor § 2147 Rz. 3; Palandt/Weidlich, § 1939 Rz. 4, 5 (vgl. hier auch wegen verschiedener Einzelbeispiele von Vermächtnisgegenständen). 3 MüKo.BGB/Rudy, Vor § 2147 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 1939 Rz. 4; Soergel/Stein, § 1939 Rz. 3; a.A. Ebenroth, Erbrecht, Rz. 471 (Auflage ohne klagbaren Anspruch des Bedachten). 4 Ausnahme hiervon ist das sog. Verschaffungsvermächtnis gem. § 2170 Abs 1 BGB, wonach der Beschwerte verpflichtet ist, einen Gegenstand, der nicht zum Nachlass gehört, dem Vermächtnisnehmer zu beschaffen. Siehe zum Verschaffungsvermächtnis auch Rz. 10.111 ff. 5 Räumt der Erblasser einem Nichterben z.B. das Recht ein, ein Nachlassgrundstück zu einem bestimmten Preis zu übernehmen, so liegt hierin das Vermächtnis eines Kaufrechts. Die Differenz zwischen dem Ankaufspreis und dem höheren Verkehrswert unterliegt der Erbschaftsteuer (BFH v. 6.6.2001 – II R 76/99, NJW 2001, 3576). 6 BGH v. 28.9.1983 – IVa ZR 217/81, FamRZ 1984, 41 = WM 1983, 1211; Soergel/Wolf, § 2169 Rz. 4 ff. 7 Vgl. Schlüter, Erbrecht, Rz. 906: Vermächtnis über die Bestellung einer Grundschuld an einem Grundstück des Nachlasses. 8 Vgl. zum Stückverschaffungsvermächtnis Rz. 10.111 ff.

344

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.109 § 10

Umstand dem Erblasser allerdings nicht bekannt war1. Hat der Erblasser den Wertersatz beim Erbfall indes schon erhalten, gilt § 2173 BGB. Danach gilt im Zweifel der Wertersatz als vermacht. Beratungssituation: Der Erblasser hat seinem Neffen in einem Erbvertrag ein wertvolles Gemälde vermacht. Als er ein besonders gutes Angebot für das Gemälde bekommt, verkauft er es. Der Neffe möchte nun wissen, welche Auswirkungen dieser Verkauf auf sein Vermächtnis hat.

Hat der Erblasser den Vermächtnisgegenstand freiwillig veräußert, so kann die eng auszulegende Vorschrift des § 2169 Abs. 3 BGB hierauf nicht entsprechend angewendet werden. Der Gegenleistungsanspruch tritt also nicht an die Stelle des Vermächtnisgegenstandes2. Hat der Erblasser sich zur Veräußerung des vermachten Gegenstandes verpflichtet, gilt der Gegenstand nach § 2169 Abs. 4 BGB vielmehr als nicht zum Nachlass gehörig, so dass das Vermächtnis i.d.R. unwirksam ist (§ 2169 Abs. 1 BGB). Im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung kann aber anzunehmen sein, dass der Veräußerungserlös als vermacht anzusehen ist3. Eine Vermutung besteht hierfür aber nicht4. Entscheidendes Auslegungskriterium ist, ob der Zweck des Vermächtnisses die Übertragung des konkreten Gegenstandes oder mehr die Zuwendung eines wirtschaftlichen Wertes überhaupt war5. Um insoweit Auslegungsschwierigkeiten vorzugreifen, sollte der Erblasser bei Veräußerung eines Vermächtnisgegenstandes in einer Ergänzung zur Vermächtnisanordnung klarstellen, ob diese nunmehr unwirksam sein, oder ob an die Stelle des ursprünglichen Vermächtnisgegenstandes die Gegenleistung bzw. deren Wert treten soll. Im obigen Fall könnte der Erblasser also z.B. verfügen:

10.107

M 43 Ergänzende Vermächtnisanordnung bei Veräußerung des Vermächtnisgegenstandes

10.108

Anstelle des meinem Neffen N mit Verfügung aus dem Jahre 2018 vermachten Gemäldes, ordne ich nach Veräußerung des Bildes ein Vermächtnis von 5.000 Euro (= Verkaufspreis) an. Oder: Nachdem ich das meinem Neffen N zunächst mit Verfügung aus dem Jahre 2018 vermachte Gemälde verkauft habe, ist das Vermächtnis unwirksam. Der Verkaufserlös soll nicht an die Stelle des Gemäldes treten.

Die vorbenannten Grundsätze gelten auch bei erbvertraglicher Bindung des Erblassers6. Der erbvertraglich bedachte Vermächtnisnehmer ist aber vor Veräußerungen des Erblassers, die dieser in Beeinträchtigungsabsicht trifft, durch § 2288 Abs. 2 BGB geschützt. § 2288 Abs. 2 BGB begründet ein gesetzliches Verschaffungsvermächtnis (vgl. Rz. 10.111 ff.). Eine Beeinträchtigungsabsicht i.S.d. § 2288 Abs. 2 BGB liegt grundsätzlich schon vor, wenn die Veräußerung in dem Bewusstsein erfolgt, dass damit dem Vermächtnis die Grundlage entzogen wird. Etwas anderes gilt nur, wenn der Erblasser ein berechtigtes lebzeitiges Eigeninteresse hatte7. Zur weiteren Absicherung des erbvertraglichen Vermächtnisnehmers kann der Erblasser mit diesem auch eine zusätzliche, schadenersatzbewehrte Vereinbarung treffen, in der er sich verpflichtet, auch zu Lebzeiten über den Vermächtnisgegenstand nicht zu verfügen (vgl. dazu auch Rz. 10.288)8. 1 MüKo.BGB/Rudy, § 2169 Rz. 14; a.A. Kipp/Coing, Erbrecht, § 59 I 5. 2 BGH v. 25.12.1956 – IV ZR 238/56, BGHZ 22, 357 (359); MüKo.BGB/Rudy, § 2169 Rz. 15. 3 BGH v. 25.12.1956 – IV ZR 238/56, BGHZ 22, 357 (360); KG v. 13.3.1975 – 12 U 2643/74, FamRZ 1977, 267 (270). 4 Soergel/Wolf, § 2169 Rz. 14. 5 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (22 f.). 6 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (23). 7 BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 230/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 165 = NJW 1984, 731; Soergel/ Wolf, § 2288 Rz. 5. 8 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (19).

Nienaber/Schmitz 345

10.109

§ 10 Rz. 10.110

Vermächtnis

2. Das Verschaffungsvermächtnis

10.110 Beratungssituation: Der Mandant ist Miterbe in einer ungeteilten Erbengemeinschaft am Nachlass seines Vaters. Zum Nachlass gehört ein wertvoller Flügel. Der Mandant möchte diesen Flügel seinem musikalischen Enkel vermachen.

10.111 Gehört der Vermächtnisgegenstand beim Erbfall nicht zum Nachlass, ist das Vermächtnis unwirksam, es sei denn, dass der Gegenstand dem Bedachten auch für den Fall zugewendet sein soll, dass er nicht zur Erbschaft gehört (Verschaffungsvermächtnis, § 2169 Abs. 1 BGB). Stirbt der Mandant im Beispielsfall, bevor die Erbengemeinschaft nach seinem Vater auseinandergesetzt worden ist, so gehört der Flügel beim Erbfall nicht zu seinem Nachlass. a) Der Verschaffungswille des Erblassers

10.112 Die Beweislast für den auf ein Verschaffungsvermächtnis gerichteten Erblasserwillen trägt der Vermächtnisnehmer. Ein Indiz hierfür ist der Umstand, dass der Gegenstand zum Zeitpunkt der Anordnung des Vermächtnisses nicht zum Nachlass gehörte1. Das Bewusstsein fehlender Nachlasszugehörigkeit ist für den qualifizierten Zuwendungswillen des Erblassers aber nicht zwingend2. Ein Verschaffungsvermächtnis liegt zudem nahe, wenn der Gegenstand zwar nicht rechtlich zum Nachlass gehört, aber wie im Beispielsfall vom Erblasser wirtschaftlich zum eigenen Vermögen gerechnet wird3. Der Anwalt oder Notar sollte dem Erblasser raten, das Vermächtnis ausdrücklich als Verschaffungsvermächtnis zu bezeichnen. Ist die Anordnung eines Verschaffungsvermächtnisses allerdings nicht explizit erfolgt, so entscheidet die Intensität des Zuwendungswillens des Erblassers zur Zeit der Anordnung des Vermächtnisses4. b) Die lebzeitige Verfügung des Erblassers über den Vermächtnisgegenstand

10.113 Gehörte der Vermächtnisgegenstand zwar zum Zeitpunkt der Anordnung des Vermächtnisses zum Vermögen des Erblassers, hat der Erblasser allerdings zwischenzeitlich über den Vermächtnisgegenstand verfügt, so muss hierin nicht zwingend ein nachträglicher stillschweigender Widerruf des Vermächtnisses liegen5. Entscheidend für die Annahme eines Verschaffungsvermächtnisses ist der Erblasserwille zum Zeitpunkt der Anordnung des Vermächtnisses. Ein auf die Anordnung eines Verschaffungsvermächtnisses gerichteter Erblasserwille ist vor allem anzunehmen, wenn der Erblasser bei der Anordnung des Vermächtnisses bereits damit rechnete, dass der Vermächtnisgegenstand sich beim Erbfall nicht mehr in seinem Vermögen befinden würde. Wurde der Vermächtnisgegenstand in einem Erbvertrag zugewendet, kann hierin sogar die schadenersatzbewehrte Verpflichtung des Erblassers enthalten sein, auch unter Lebenden über den Vermächtnisgegenstand nicht zu verfügen (vgl. dazu auch Rz. 10.288)6. Für einen solchen Erblasserwillen ist der Bedachte beweispflichtig. Um insoweit Auslegungsschwierigkeiten vorzubeugen, sollte der Erblasser bei der Anordnung des Vermächtnisses ausdrücklich festlegen, ob er eine solche schadenersatzbewehrte Verpflichtung übernehmen möchte oder nicht.

1 BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 230/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 165 = NJW 1984, 731 (732); BGH v. 29.5.1964 – V ZR 47/62, NJW 1964, 2298 (2299); OLG Celle v. 29.4.1949 – 4 WR 88/49, MDR 1950, 353 (354); OLG Bremen v. 29.9.2000 – 5 U 39/2000, ZEV 2001, 401. 2 BGH v. 3.11.1982 – IVa ZR 47/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 937; BGH v. 28.9.1983 – IVa ZR 217/81, FamRZ 1984, 41 (42). 3 BGH v. 3.11.1982 – IVa ZR 47/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 937; OLG Oldenburg v. 7.7.1998 – 3 U 42/98, OLG Oldenburg v. 7.7.1998 – 5 U 42/98, FamRZ 1999, 532. 4 BGH v. 3.11.1982 – IVa ZR 47/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 937; BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 230/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 165 = NJW 1984, 731 (732). 5 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (15 f.); Johannsen, WM 1972, 866 (873). 6 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (19).

346

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.117 § 10

c) Die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs aus einem Verschaffungsvermächtnis Meist ist ein Verschaffungsvermächtnis dahingehend angeordnet, dass der Beschwerte mit der Be- 10.114 schaffung des Gegenstandes beauftragt wird. Der Vermächtnisnehmer kann Klage gegen den Beschwerten mit dem Antrag erheben, dass der Beschwerte die Bereitschaft des Dritten herbeizuführen hat, den vermachten Gegenstand an den Beschwerten oder den Bedachten zu übertragen. Die Vollstreckung richtet sich dann nach § 887 ZPO und für den Fall, dass sich der Vermächtnisgegenstand im eigenen Vermögen des Beschwerten befindet, nach §§ 894, 897 ZPO. Im Fall einer Vollstreckung nach § 887 ZPO kann der Bedachte nach § 887 Abs. 1 ZPO ermächtigt werden, die Beschaffung des Vermächtnisgegenstandes selbst auf Kosten des Beschwerten vorzunehmen. Hierfür kann der Bedachte nach § 887 Abs. 2 ZPO zugleich eine Vorschusszahlung des Beschwerten beantragen1. d) Der Wertersatz Ist der Beschwerte zur Verschaffung des Vermächtnisgegenstandes außerstande, so ist er zum Wertersatz verpflichtet (§ 2170 Abs. 2 S. 1 BGB). Ein subjektives Unvermögen des Beschwerten liegt z.B. vor, wenn der Inhaber des Vermächtnisgegenstandes diesen nicht übertragen will oder hierfür einen Preis verlangt, den der Beschwerte nicht aufbringen kann. Eine Befreiung von der Verpflichtung zur Verschaffung des Vermächtnisgegenstandes tritt durch die Leistung von Wertersatz ebenfalls ein, wenn die Verschaffung mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist (§ 2170 Abs. 2 S. 2 BGB). Um dem Verschaffungsvermächtnis nachdrücklich Geltung zu verschaffen, sollte der Erblasser den Spielraum des Beschwerten einschränken2. So kann er z.B. einen besonderen Druck auf den Beschwerten ausüben, indem er ihm einen Endtermin für die Verschaffung setzt und die Nichtverschaffung bis zu diesem Termin zur auflösenden Bedingung der Zuwendung an ihn macht oder den Wertersatz höher als nach § 2170 Abs. 2 BGB bestimmt3.

10.115

M 44 Verschaffungsvermächtnis unter Erhöhung des Erfüllungsdrucks

10.116

Hiermit vermache ich meinem Enkel den zum Nachlass der Erbengemeinschaft nach meinem Vater gehörenden Flügel. Meine Erben sollen meinem Enkel den Flügel auch verschaffen, wenn dieser bei meinem Tod nicht zu meinem Nachlass gehört. Verschaffen meine Erben meinem Enkel den Flügel nicht binnen drei Monaten nach meinem Tod, sind sie verpflichtet, meinem Enkel den doppelten Verkehrswert des Flügels zu ersetzen.

§ 2170 Abs. 2 S. 1 BGB betrifft nur den Fall des subjektiven Unvermögens des Beschwerten. Bei objektiver Unmöglichkeit der Verschaffung zur Zeit des Erbfalls ist das Vermächtnis nach § 2171 BGB unwirksam. § 2171 BGB kommt in der Praxis nur selten zur Anwendung. In den praktisch bedeutenden Fällen, in denen die Unmöglichkeit auf der Versagung einer Genehmigung beruht, tritt die Unmöglichkeit i.d.R. erst nach dem Erbfall ein, wenn die Genehmigung endgültig versagt wird4. Tritt die objektive Unmöglichkeit nach dem Erbfall ein, gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 275 ff. BGB, so dass Ansprüche des Vermächtnisnehmers nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 und § 285 BGB in Betracht kommen5.

1 2 3 4 5

Vgl. Staudinger/Otte, § 2170 Rz. 13-15. Vgl. dazu auch MüKo.BGB/Rudy, § 2170 Rz. 11. Vgl. Burandt in Burandt/Rojahn, § 2170 Rz. 8. BGH v. 28.1.1960 – II ZR 236/57, BGHZ 32, 35 (40), zu § 17 a.F. GmbHG. RGRK/Johannsen, § 2170 Rz. 12; Staudinger/Otte, § 2170 Rz. 6.

Nienaber/Schmitz 347

10.117

§ 10 Rz. 10.118

Vermächtnis

3. Das Wahlvermächtnis

10.118 Der Erblasser kann ein Vermächtnis auch in der Art anordnen, dass der Bedachte von mehreren Gegenständen nur den einen oder anderen erhalten soll (§ 2154 BGB). Nach h.M. wird § 2154 BGB auch angewendet, wenn die Vermächtnisanordnung aufgrund einer ungenauen Bezeichnung des Vermächtnisgegenstandes auf mehrere Gegenstände zutrifft1.

10.119 Hat der Erblasser die Wahl nicht einem Dritten übertragen, so gelten zwischen dem Bedachten und dem Beschwerten unmittelbar die §§ 262–265 BGB über die Wahlschuld. Der Bedachte kann vom Beschwerten die Vorlage der zur Auswahl stehenden Gegenstände gem. §§ 242, 809 BGB verlangen2. Sollte sich der Bedachte jedoch nicht entscheiden können, bestimmt gem. § 262 BGB im Zweifel der Beschwerte den Vermächtnisgegenstand. Die Wahl des Beschwerten erfolgt durch unwiderrufliche Erklärung gegenüber dem Bedachten. Die gewählte Leistung gilt als die von Anfang an allein geschuldete (§ 263 Abs. 1, 2 BGB). Hat der Erblasser Zweifel daran, dass der Beschwerte die Wahl vornehmen wird, so kann er ihm z.B. in Form einer Auflage einen Zeitpunkt vorgeben, bis zu dem die Wahl getroffen sein muss. Der Erblasser kann das Wahlrecht aber auch dem Bedachten selbst oder einem Dritten übertragen. Für die Wahl durch den Bedachten gelten ebenfalls die §§ 262 ff. BGB. Unterlässt der Bedachte die Wahl, kann der Beschwerte ihm eine Frist setzen und nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist das Wahlrecht selbst ausüben (§ 264 Abs. 2 BGB). Für die Wahl durch einen Dritten gilt § 2154 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB. Trifft der Dritte die Wahl nicht, kann ihm das Nachlassgericht auf Antrag des Beschwerten oder des Bedachten eine Frist setzen, nach deren Ablauf das Wahlrecht auf den Beschwerten übergeht (§ 2155 Abs. 3 S. 2 BGB). Ist die Wahl einmal ausgeübt, wandelt sich die Wahlschuld in eine Stückschuld mit der Folge, dass diese im Wege der Leistungsklage eingeklagt werden kann3. Bei der anwaltlichen Beratung ist daher stets darauf zu achten, dass der Inhaber des Wahlrechts exakt testamentarisch bestimmt wird. Um eine zügige und problemlose Abwicklung zu ermöglichen, sollte zudem eine Frist zur Ausübung des Wahlrechts gesetzt werden. Für den Fall des fruchtlosen Verstreichenlassens dieser Frist, empfiehlt es sich, Regelungen zum Wegfall des Vermächtnisses zu treffen4.

10.120 M 45 Wahlvermächtnis mit Fristsetzung und Wegfallklausel Hiermit vermache ich meinem Skatfreund F eine meiner alten Rolex-Uhren. F darf sich seine Uhr selbst aussuchen. Erfolgt die Auswahl jedoch nicht binnen drei Monaten nach meinem Tode, so entfällt das Wahlvermächtnis ersatzlos.

10.121 Die erbschaftsteuerliche Bewertung richtet sich ausschließlich nach dem Gegenstand, den der Bedachte gewählt hat5. 4. Das Gattungsvermächtnis

10.122 Im Unterschied zum Wahlvermächtnis erstreckt sich das Gattungsvermächtnis nach § 2155 BGB nicht auf verschiedene, sondern auf gleichartige Gegenstände. Umstritten ist, ob § 2155 BGB nur Sachen6 oder auch sonstige Gegenstände, wie z.B. Rechte oder Dienstleistungen7, erfasst. Uneinheitlich 1 2 3 4 5 6 7

MüKo.BGB/Rudy, § 2154 Rz. 2. BeckOK-BGB/Müller-Christmann, BGB, § 2154 Rz. 8. Vgl. Roth, NJW-Spezial 2017, 487. So auch Roth, NJW-Spezial 2017, 487. BFH v. 6.6.2001 – II R 14/00, ZEV 2001, 452. So z.B. Erman/Nobis, § 2155 Rz. 1; Soergel/Wolf, § 2155 Rz. 2. Dafür: OLG Bremen v. 29.9.2000 – 5 U 39/2000, ZEV 2001, 401; MüKo.BGB/Rudy, § 2155 Rz. 2; Palandt/ Weidlich, § 2155 Rz. 1.

348

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.127 § 10

wird ferner die Frage beurteilt, ob es sich bei einem Geldvermächtnis um ein Gattungsvermächtnis handelt1. Hiervon ist auszugehen und zwar unabhängig davon, ob eine bestimmte Geldsumme oder eine Quote vom Nachlasswert vermacht ist (sog. Quotenvermächtnis)2, welches eine hohe Praxisrelevanz hat3. Bei der anwaltlichen Beratung sollte dem Erblasser stets die Möglichkeit vor Augen gehalten werden, dass er das Vermächtnis durch die Anordnung eines Quotenvermächtnisses von Geldwertschwankungen und Währungsumstellungen unabhängig machen kann. Bei der Zuwendung einer Quote am Nachlasswert können allerdings Schwierigkeiten hinsichtlich der Abgrenzung von einer Erbeinsetzung des Bedachten entstehen (vgl. dazu Rz. 10.39 ff.). Der beratende Anwalt muss hier darauf achten, die Zuwendung ausdrücklich als Vermächtnis zu bezeichnen. Zudem sind oftmals Begrifflichkeiten im Rahmen eines Quotenvermächtnisses streitanfällig. Ist bspw. erhebliches Kapitalvermögen Teil des Nachlasses, so stellt sich in diesem Zusammenhang oftmals die Frage, ob Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen sind. Hier empfiehlt sich bei der Formulierung des Vermächtnisses eine konkrete Festlegung.

M 46 Quotenvermächtnis

10.123

Meine Kinder J und M erhalten je ein Vermächtnis in Geld. Die Vermächtnisse betragen je ein 25 % des im Todeszeitpunkt vorhandenen Kapitalvermögens, d.h. inklusive Kontoguthaben, Wertpapiere und Wertpapierdepotvermögen, wie es zur Erbschaftsteuer festgestellt wird. Abzuziehen sind jedoch sämtliche Verbindlichkeiten, auch die wegen des Erbfalls, nicht jedoch etwaige Erbschaftssteuerschulden.

Das Gattungsvermächtnis kann auch auf Gegenstände gerichtet sein, die nicht zum Nachlass gehören4. Da Gattungsgegenstände mehrfach vorhanden sind, ist ihre Verschaffung einfacher als beim Stückvermächtnis, so dass hier die Verschaffungspflicht und nicht die Unwirksamkeit des Vermächtnisses der gesetzliche Regelfall ist. Der Erblasser kann die Gattung aber auf die Nachlassgegenstände beschränken (sog. beschränktes Gattungsvermächtnis).

10.124

Anders als bei § 243 BGB hat der Beschwerte beim Gattungsvermächtnis nicht eine Sache mittlerer Art und Güte, sondern eine den Verhältnissen des Bedachten entsprechende Sache zu leisten (§ 2155 Abs. 1 BGB) (vgl. zu den Besonderheiten des Klageantrags auf Vermächtniserfüllung siehe auch Rz. 10.301).

10.125

Die Bestimmung des Gegenstandes obliegt ohne eine Anordnung des Erblassers dem Beschwerten, kann aber auch einem Dritten oder dem Bedachten selbst übertragen werden (§ 2155 Abs. 2 BGB). Ist ein Dritter oder der Bedachte selbst bestimmungsberechtigt, so erfolgt die Bestimmung entsprechend § 2154 BGB (vgl. Rz. 10.118). Entspricht die Bestimmung des Dritten oder des Bedachten offensichtlich nicht den Verhältnissen des Bedachten, so geht das Bestimmungsrecht nach § 2155 Abs. 3 BGB auf den Beschwerten über.

10.126

5. Das Zweckvermächtnis Möchte der Erblasser sich hinsichtlich des Vermächtnisgegenstandes noch nicht einmal auf die Gattung festlegen, so kann er auch lediglich dessen Zweck bestimmen. Der Erblasser kann also dem Be-

1 Dafür: Ebenroth, Erbrecht, Rz. 488; MüKo.BGB/Rudy, § 2155 Rz. 2; Schlüter, Erbrecht, Rz. 913; dagegen: Palandt/Weidlich, § 2155 Rz. 1; Soergel/Wolf, § 2155 Rz. 2; vgl. zur Gestaltung eines Geldvermächtnisses Kornexl, ZEV 2002, 173. 2 MüKo.BGB/Rudy, § 2155 Rz. 2; vgl. zum Quotenvermächtnis auch BGH v. 18.1.1978 – IV RZ 181/76, DNotZ 1978, 487 (488 ff.). 3 So auch Roth, NJW-Spezial 2017, 39. 4 Vgl. Bartsch in Uricher, § 2 Rz. 36.

Nienaber/Schmitz 349

10.127

§ 10 Rz. 10.128

Vermächtnis

schwerten oder einem Dritten – nicht aber dem Bedachten1 – die Bestimmung der Leistung nach billigem Ermessen überlassen (§ 2156 BGB). Dabei kann der Erblasser dem Bestimmungsberechtigten allerdings nur die Bestimmung über den Gegenstand überlassen, nicht aber auch darüber, ob der Bedachte überhaupt etwas erhalten soll2. Außerdem muss der Erblasser den Vermächtniszweck so genau bezeichnen, dass der Bestimmungsberechtigte ausreichende Anhaltspunkte für die Ausübung seines Ermessens hat. Für die Bestimmung gelten die §§ 315–319 BGB. 6. Das Universalvermächtnis

10.128 Wendet der Erblasser seinen ganzen oder nahezu ganzen Nachlass zu, so ist hierin im Zweifel eine Erbeinsetzung zu sehen (§ 2087 Abs. 1 BGB; vgl. Rz. 10.39 ff.). Nach ganz überwiegender Ansicht ist eine solche Zuwendung aber auch als Universalvermächtnis möglich3. Der Erblasser sollte zur Entkräftung der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB in der letztwilligen Verfügung eindeutig klarstellen, dass er sein Vermögen bewusst als Vermächtnis überträgt. Insoweit bietet es sich an, dass der Erblasser in der letztwilligen Verfügung auch eine Regelung über die Erbfolge trifft. Selbst wenn er nämlich sein gesamtes Vermögen im Wege des Universalvermächtnisses überträgt, gibt es einen Erben, da es zwar einen vermögens-, aber keinen erbenlosen Nachlass gibt. Der Universalvermächtnisnehmer kann selbst der Erbe sein; das Universalvermächtnis ist dann ein Vorausvermächtnis. Das Universalvermächtnis ist gegenüber der Erbeinsetzung wegen der großzügigeren Möglichkeit der Drittbestimmung des Bedachten oft vor allem für die Auswahl eines Unternehmensnachfolgers vorzugswürdig (vgl. Rz. 10.51 ff.). Da der Universalvermächtnisnehmer den Nachlass mit allen Aktiva und Passiva übernimmt, haftet er nach § 2385 Abs. 1 BGB gem. der §§ 2382, 2383 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten4.

10.129 M 47 Universalvermächtnis Zulasten der Erben setzte ich folgende Vermächtnisse aus: Meinem Sohn vermache ich mein Unternehmen, das Grundstück in X sowie mein sonstiges Vermögen. An der gesetzlichen Erbfolge ändere ich nichts5.

7. Das Unternehmen als Vermächtnisgegenstand

10.130 Das Vermächtnis eignet sich wegen der flexibleren Möglichkeit der Drittbestimmung des Bedachten (vgl. Rz. 10.52) sowie der Möglichkeit, hierdurch ein ganzes Unternehmen der schwierigen Verwaltung durch eine Erbengemeinschaft zu entziehen (vgl. Rz. 10.31), besonders für die Regelung der Unternehmensnachfolge. Im Falle eines Unternehmensvermächtnisses fällt das Unternehmen zunächst an die Erben, die dieses dann im Wege der Erfüllung des Vermächtnisanspruchs auf den Bedachten übertragen. Die Erfüllung des Unternehmensvermächtnisses ist allerdings komplex, da alle Gegenstände des Unternehmens einzeln nach den hierfür geltenden dinglichen Bestimmungen übertragen werden müssen6. Es empfiehlt sich daher, neben der präzisen handels- und gesellschaftsrechtlichen Bezeichnung des zu übertragenden Betriebs oder der Gesellschaftsanteile eine ausführliche Anlage mit Angabe der vom Vermächtnis erfassten Wirtschaftsgüter und Unternehmensgegenstände der letztwilligen Ver1 BGH v. 24.4.1991 – IV ZR 156/90, MDR 1991, 644 = FamRZ 1991, 933 = NJW 1991, 1885; MüKo.BGB/ Rudy, § 2156 Rz. 4; Schlüter, Erbrecht, Rz. 917; Staudinger/Otte, § 2156 Rz. 3; a.A. Kanzleiter, DNotZ 1992, 511 (512 ff.). 2 RG v. 20.10.1910 – IV 596/09, WarnR 1911 Nr. 42. 3 MüKo.BGB/Rudy, Vor § 2147 Rz. 4; Staudinger/Otte, § 2151 Rz. 2; Helms, ZEV 2007, 1 (6); dagegen eine früher vertretene Ansicht: Menz, DB 1966, 1719; Sudhoff, DB 1966, 1720. 4 Vgl. MüKo.BGB/Musielak, § 2385 Rz. 4; Ebenroth, Erbrecht, Rz. 469. 5 Durch diese Formulierung stellt der Erblasser sicher, dass seine Anordnung entgegen der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB als Vermächtnisanordnung verstanden wird. 6 Vgl. hierzu Kollmeyer, NJW 2017, 3271 ff.

350

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.134 § 10

fügung hinzuzufügen. Ein bloßer Verweis auf die Bilanz mit den obligatorischen Anlagen ist i.d.R. nicht ausreichend1. a) Gesellschaftsrechtliche Vorbedingungen Handelt es sich bei dem Unternehmen um eine Gesellschaft, müssen vor der konkreten Ausgestal- 10.131 tung der erbrechtlichen Unternehmensnachfolgeregelungen stets die gesellschaftsrechtlichen Bedingungen für eine Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteils innergesellschaftlich geschaffen werden2. Dies bedeutet zweierlei: Zum einen darf der Tod des Erblassers nicht zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft führen, sondern sein Anteil muss auf seine Erben übergehen; zum anderen müssen die Erben berechtigt sein, den Anteil dann in Erfüllung des Vermächtnisanspruchs auf den Bedachten zu übertragen. Dies ist insbesondere bei Personenhandelsgesellschaften nicht immer gegeben. Für persönlich haftende Gesellschafter sieht § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB vor, dass ihr Tod zu ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft führt. Erforderlich ist hier also eine Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag. Diese ist für Kommanditisten nicht nötig, da § 177 HGB die Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben vorsieht. Sowohl für persönlich haftende Gesellschafter als auch für Kommanditisten muss allerdings die Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteiles im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein, damit die Erben den Anteil dann an den Bedachten übertragen dürfen. Auch wenn diese Vorbedingungen erfüllt sind, hängt die Übertragung des Gesellschaftsanteils ohne eine anders lautende Regelung im Gesellschaftsvertrag von der Zustimmung aller Gesellschafter ab. Die Gesellschafter können im Einzelfall aus ihrer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zur Zustimmung verpflichtet sein3. Ist das indes nicht der Fall, kann die Erfüllung des Vermächtnisses hieran scheitern. Teilweise wird vertreten, dass eine einfache Nachfolgeklausel zugunsten eines Erben eine weitgehende Öffnung des Gesellschafterbestandes enthält, die regelmäßig auch die Zustimmung der Gesellschafter zu einer Übertragung an einen Vermächtnisnehmer zum Inhalt hat4. Unabdingbare gesellschaftsvertragliche Vorbedingung für ein Unternehmensvermächtnis ist also eine 10.132 Nachfolgeklausel zugunsten der Erben (einfache Nachfolgeklausel) oder zugunsten eines konkreten Erben (qualifizierte Nachfolgeklausel) hinsichtlich der Anteile der persönlich haftenden Gesellschafter. Hiermit kombiniert werden muss die Regelung der freien Verfügbarkeit der Anteile oder zumindest der Verfügbarkeit an einen Vermächtnisnehmer.

M 48 Gesellschaftsvertragliche einfache Nachfolgeklausel mit Verfügungsmöglichkeit an Vermächtnisnehmer

10.133

Im Falle des Todes eines Gesellschafters wird die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern mit den Erben des Verstorbenen fortgesetzt. Die Erben des Verstorbenen sind berechtigt, ihre Beteiligung an der Gesellschaft auf einen oder mehrere Vermächtnisnehmer oder in Vollzug einer Teilungsanordnung auf einen oder mehrere Erben zu übertragen.

Kann diese Regelung im Gesellschaftsvertrag nicht rechtzeitig verankert werden, sollte versucht wer- 10.134 den, noch zu Lebzeiten des Erblassers die Zustimmung der Gesellschafter zur Übertragung an den Bedachten einzuholen. Gelingt auch dies nicht, so muss der Erblasser überlegen, welche Folgen eintreten sollen, sofern die Erfüllung des Vermächtnisses nicht möglich ist. Er kann sich insofern dafür entscheiden, dass der Gesellschaftsanteil mit allen Rechten und Pflichten beim Erben verbleibt, er kann aber für diesen Fall auch die frei übertragbaren Ansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB vermachen (vgl. Rz. 10.139)5. 1 2 3 4 5

So Riedel in Riedel, § 8 Rz. 56. Vgl. Riedel in Riedel, § 8 Rz. 39 ff. OLG Stuttgart v. 3.12.1991 – 12 U 99/91, DStR 1992, 623. Ivo, ZEV 2008, 302 (303). Vgl. dazu auch Reymann, ZEV 2006, 307 (308).

Nienaber/Schmitz 351

§ 10 Rz. 10.135

Vermächtnis

Wenn der Erblasser allerdings die Erben nicht dauerhaft zu Gesellschaftern machen möchte, muss hierfür im Gesellschaftsvertrag eine Vorkehrung getroffen werden.

10.135 M 49 Gesellschaftsvertraglicher Ausschluss der Erben aus der Gesellschaft bei

Unterbleiben der Verfügung an Vermächtnisnehmer Soll nach den erbrechtlichen Verfügungen des verstorbenen Gesellschafters sein Gesellschaftsanteil an einen Vermächtnisnehmer übertragen werden und erfolgt diese Übertragung innerhalb einer Frist von … Monaten nach dem Erbfall nicht, so scheiden die Erben aus der Gesellschaft aus. Für die Abfindungsansprüche gilt § … dieses Vertrags.

10.136 Enthält der Gesellschaftsvertrag noch nicht einmal eine Nachfolgeklausel, so ist ein Vermächtnis nur hinsichtlich der Abfindungsansprüche des Erblassers möglich.

10.137 Eine qualifizierte Nachfolgeklausel direkt zugunsten des Vermächtnisnehmers, der nicht Erbe ist, ist nicht möglich, weil der Vermächtnisanspruch nur obligatorisch wirkt und der Anteil immer zunächst dem Erben anfällt. Denkbar ist, eine solche Klausel in eine Eintrittsklausel umzudeuten1, aufgrund derer der Begünstigte einen vom Erbrecht unabhängigen Anspruch auf Eintritt in die Gesellschaft erlangt (§ 328 Abs. 1 BGB). Um allerdings Unsicherheiten hinsichtlich einer solchen Umdeutungsmöglichkeit zu vermeiden, sollte die qualifizierte Nachfolgeklausel hier lieber direkt als Eintrittsklausel ausgestaltet werden.

10.138 Bei GmbH-Anteilen sowie Aktien sind die gesellschaftsrechtlichen Vorbedingungen i.d.R. wegen der Vererb- und Veräußerlichkeit der Anteile erfüllt. Die Vererblichkeit kann durch den Gesellschaftsvertrag nicht ausgeschlossen werden2, so dass eine Nachfolgeklausel hier entbehrlich ist. Wenn die Veräußerbarkeit von Gesellschaftsanteilen indes ausgeschlossen wurde, ist ein Vermächtnis nicht möglich. b) Gestaltung und Folgen des Unternehmensvermächtnisses

10.139 Da das Vermächtnis nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Beschwerten begründet, fällt das Unternehmen bzw. der Gesellschaftsanteil beim Unternehmensvermächtnis immer zunächst den Erben an. Daraus folgt, dass auch eine Zwischeneintragung der Erben in das Handelsregister erfolgen muss. Allerdings trifft den Erben eines Kommanditanteils kein Haftungsrisiko nach § 176 Abs. 2 HGB, wenn der Erblasser als Kommanditist eingetragen war3. Der Vermächtnisnehmer indes ist dem Haftungsrisiko des § 176 Abs. 2 HGB ausgesetzt, so dass es sich anbietet, die Übertragung des Kommanditanteils an die aufschiebende Bedingung der Registereintragung zu knüpfen.

10.140 Da bis zur Vermächtniserfüllung einige Zeit vergehen kann, bietet es sich an, explizite Regelungen für diese Zeit, insbesondere hinsichtlich der Gewinnverwendung, zu treffen. Ohne eine solche Regelung gilt nach § 2184 BGB, dass dem Vermächtnisnehmer alle tatsächlich ausgeschütteten Gewinne zustehen, die seit dem Anfall des Vermächtnisses entstanden sind. Gewinne, die (anteilig) die Zeit vor dem Vermächtnisanfall betreffen, stehen indes dem Beschwerten zu4.

1 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, NJW 1978, 264; BGH v. 25.5.1987 – II ZR 195/86, MDR 1987, 1001 = FamRZ 1987, 936 = WM 1987, 981. 2 Ivo, ZEV 2006, 252. 3 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 = FamRZ 1989, 1168 = NJW 1989, 3152 (3155). 4 Reymann, ZEV 2008, 307 (308).

352

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.146 § 10

Bei der Gestaltung des Unternehmensvermächtnisses müssen stets erst die gesellschaftsrechtlichen Vorbedingungen geklärt werden, damit das Vermächtnis hierauf abgestimmt werden kann1. Ferner sollte darauf geachtet werden, den Vermächtnisgegenstand möglichst exakt zu bezeichnen, d.h. explizit die gesamte Gesellschafterstellung mit allen Rechten und Pflichten zum Gegenstand des Vermächtnisses zu machen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Rechtsprechung die aus der Gesellschafterstellung resultierenden Vermögensrechte abspaltet und diese nicht zum Gegenstand des Vermächtnisses, sondern der Erbschaft erklärt. Besonderer Regelungsbedarf besteht auch bei einem Mehrkontenmodell. Hier ist unzweifelhaft das feste Kapitalkonto Gegenstand eines Vermächtnisses an einem Gesellschaftsanteil, da die Gesellschafterstellung an die Einlage gebunden ist. Hinsichtlich anderer Konten können allerdings Zweifel hinsichtlich der Erfassung vom Vermächtnis bestehen, die durch eine eindeutige erbrechtliche Anordnung ausgeräumt werden sollten.

10.141

Besteht die Möglichkeit, dass die Erfüllung des Vermächtnisses, etwa wegen fehlender Zustimmung 10.142 der Mitgesellschafter, scheitert, so muss die Vermächtnisanordnung auch für diesen Fall Vorkehrung treffen. Möchte der Erblasser die Gesellschafterstellung dann seinen Erben übertragen, muss er sich darüber Gedanken machen, ob er dem Vermächtnisnehmer wenigstens die frei übertragbaren Ansprüche aus der Gesellschafterstellung, also insbesondere die Gewinn- und Abfindungsansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB, vermachen möchte.

M 50 Vermächtnis der Gewinn- und Abfindungsansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB bei 10.143 gescheiterter vermächtnisweiser Übertragung eines Kommanditanteils Ich vermache meiner Tochter T meinen Kommanditanteil an der K-KG (Handelsregisternummer). Gegenstand des Vermächtnisses ist der Kommanditanteil mit allen hieraus resultierenden Rechten und Pflichten, inklusive aller in allen Kapitalkonten ausgewiesenen Aktiv- und Passivposten. Das Vermächtnis erfasst insbesondere auch sämtliche Ansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB, wie z.B. künftigen Gewinn oder eventuelle Auseinandersetzungsguthaben. Sollte die Übertragung des Kommanditanteils scheitern, vermache ich meiner Tochter T sämtliche aus diesem Anteil resultierenden Ansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB.

8. Das Nießbrauchsvermächtnis Beratungssituation: Der Mandant hat ein Einzelhandelsunternehmen. Er ist zudem Eigentümer einiger Häuser. Sein Sohn soll langfristig das gesamte Vermögen erhalten. Bis zum Tod seiner Ehefrau möchte er sie dadurch absichern, dass sie bis zum 30. Geburtstag des gemeinsamen Sohnes sämtliche Nutzungen aus dem Nachlass erhält. Bis dahin soll sie auch das Vermögen verwalten und insbesondere das Unternehmen leiten. Nach dem 30. Geburtstag soll der Sohn des Mandanten die Unternehmensleitung übernehmen. Die Ehefrau des Mandanten soll dann nach wie vor bis zu ihrem Lebensende die Nutzungen aus den Häusern sowie 50 Prozent des Unternehmensgewinns erhalten. Der Mandant möchte wissen, durch welche erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeit er diese Ziele am besten verwirklichen kann.

10.144

Gegenstand eines Vermächtnisses kann auch ein beschränktes dingliches Recht, also z.B. ein Nieß- 10.145 brauch sein. Der Nießbrauch an einer Erbschaft ist in § 1089 BGB ausdrücklich erwähnt. Die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses bietet sich häufig vor allem aus erbschaftsteuerrechtlichen Gründen an (vgl. Rz. 10.149). a) Die Unterschiede zwischen Nießbrauchsvermächtnis und Vorerbschaft Das Nießbrauchsvermächtnis kann nach seiner konkreten Ausgestaltung der Vorerbschaft weitgehend entsprechen2. So wird durch beide Gestaltungsmöglichkeiten in erster Linie die Versorgung 1 Zur Notarhaftung bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung ohne Kenntnis des Gesellschaftsvertrags BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 72/99, MDR 2002, 1064 = ZEV 2002, 322. 2 Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (251 ff.); Schlüter, Erbrecht, Rz. 739.

Nienaber/Schmitz 353

10.146

§ 10 Rz. 10.147

Vermächtnis

des Erstbedachten und die Erhaltung des Vermögens für den Endbedachten erreicht. Zudem werden durch die Anordnung einer Vorerbschaft sowie eines Nießbrauchsvermächtnisses Pflichtteilsansprüche des Vorerben bzw. Nießbrauchsvermächtnisnehmers umgangen1.

10.147 Die anwaltliche Beratung darüber, ob eine Vorerbschaft oder ein Nießbrauchsvermächtnis angeordnet werden soll, muss sich an den Unterschieden zwischen beiden Gestaltungsformen orientieren: – Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft muss z.B. erfolgen, wenn der Endbedachte zur Zeit des Todes des Erblassers noch nicht erzeugt sein wird. Dann bietet § 2101 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, auch eine noch nicht erzeugte Person zum Nacherben einzusetzen. Beim Nießbrauchsvermächtnis werden die Endbedachten dagegen mit dem Erbfall direkt Erben und müssen daher nach § 1923 Abs. 2 BGB zum Zeitpunkt des Erbfalls zumindest erzeugt sein2. Gleiches gilt, wenn mehrere Endbedachte in Betracht kommen und der Erblasser noch nicht in der Lage ist, eine endgültige Auswahl zu treffen (z.B. zwischen mehreren minderjährigen Kindern). Dann steht beim Erbfall der Erbe noch nicht fest, so dass der Erstbedachte nur als Vorerbe eingesetzt werden kann. – Im Gegensatz zur Vorerbschaft führt ein Nießbrauchsvermächtnis nicht zum Eigentumserwerb des Bedachten. Der Nießbraucher hat daher per se auch keine Verfügungsbefugnisse über die mit dem Nießbrauch belasteten Vermögensgegenstände. Eine Verfügungsbefugnis kann der Erblasser ihm allerdings z.B. durch die Benennung des Nießbrauchsvermächtnisnehmers zum Testamentsvollstrecker3 oder durch Einräumung einer postmortalen Vollmacht4 einräumen (Dispositionsnießbrauch). – Ein Nachteil des Nießbrauchsvermächtnisses gegenüber der Vorerbschaft ist, dass der Nießbrauch noch nicht direkt mit dem Erbfall durch die Zuwendung mittels Vermächtnis entsteht, sondern wie jedes Vermächtnis erst durch eine Erfüllung durch den Beschwerten begründet werden muss. Auch im Hinblick hierauf bietet sich die Einräumung einer Testamentsvollstreckerstellung oder Bevollmächtigung5 für den Nießbrauchsvermächtnisnehmer zumindest mit dem Aufgabenkreis an, den Nießbrauchsanspruch zu erfüllen. Der Erblasser kann zudem direkt in seiner letztwilligen Verfügung die dingliche Einigungserklärung zur Bestellung des Nießbrauchs erklären.

10.148 M 51 Ernennung des Nießbrauchsvermächtnisnehmers zum Testamentsvollstrecker Hiermit ernenne ich den Nießbrauchsvermächtnisnehmer zum Testamentsvollstrecker mit dem Aufgabenkreis, sich selbst den Nießbrauch zu bestellen und den Nießbrauchsgegenstand zu verwalten. Er ist in der Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nießbrauchsgegenstand nicht beschränkt und von den Beschränkungen nach § 181 BGB befreit. Er kann den Nießbrauchsgegenstand nur mit der Zustimmung der Erben veräußern.

10.149 – Der entscheidende Vorteil des Nießbrauchsvermächtnisses gegenüber der Vorerbschaft liegt darin, dass der wiederholte Anfall von Erbschaftsteuer bezogen auf die volle Vermögenssubstanz, wie er 1 Beim Nießbrauchsvermächtnis stehen die Vermögensgegenstände dem Nießbaucher zu keinem Zeitpunkt zu und spielen daher bei der Berechnung von Pflichtteilsansprüchen nach ihm keine Rolle. Das der Vorerbschaft unterliegende Vermögen wird zwar während der Vorerbschaft dem Vorerben zugeordnet, bildet jedoch ein Sondervermögen, das ebenfalls nicht in die Berechnung der Pflichtteilsansprüche einfließt. 2 Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (251). 3 Vgl. zur Zulässigkeit der Kombination der Stellung als Nießbrauchsvermächtnisnehmer und Testamentsvollstrecker z.B. BayObLG v. 24.2.1988 – BReg.1 Z 48/86, MDR 1988, 674 = FamRZ 1988, 770 = BayObLGZ 1988, 42 (46); Staudinger/Heinze, § 1089 Rz. 6. 4 OLG Köln v. 10.2.1992 – 2 Wx 50/91, FamRZ 1992, 859 = MittRhNotK 1992, 88. 5 Die Bevollmächtigung erfolgt unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB.

354

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.155 § 10

bei Vor- und Nacherbschaft erfolgt, vermieden wird (§ 6 ErbStG). Der Nießbrauchsvermächtnisnehmer muss lediglich den Kapitalwert des Nießbrauchs versteuern, wobei er ein Wahlrecht zwischen einer einmaligen oder einer jährlichen Versteuerung hat (§ 23 ErbStG). Die volle Vermögenssubstanz muss indes nur einmal nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vom Erben versteuert werden. Von dem Nachlasswert kann der Kapitalwert des Nießbrauchs abgezogen werden. Der beratende Anwalt sollte den Erblasser darauf hinweisen, dass diese erbschaftsteuerrechtlichen Konsequenzen zwar häufig zu einer Bevorzugung des Nießbrauchsvermächtnisses gegenüber der Vorerbschaft führen können, dass aber vor allem der Erbe, der aufgrund des Nießbrauchs beim Erbfall noch keine wirtschaftlichen Vorteile aus der Erbschaft ziehen kann, häufig nicht in der Lage sein wird, die sofort anfallende Erbschaftsteuer zu entrichten. Insoweit kann der Nießbrauchsberechtigte verpflichtet werden, den Erben in Höhe der Erbschaftsteuer aus den Erträgen des Nießbrauchs freizustellen. – Einkommensteuerrechtlich werden die Einkünfte aus dem Nießbrauch bzw. den Gegenständen der Vorerbschaft dem Nießbraucher bzw. dem Vorerben zugerechnet. Unterschiede bestehen zwischen der Vorerbschaft und dem Nießbrauch insoweit, als es um die Abschreibung von durch den Erblasser getätigten Anschaffungs- und Herstellungskosten nach dessen Tod und die Absetzung für Abnutzungen geht. Während der Vorerbe insoweit Abschreibungsmöglichkeiten hat, wird dem Vermächtnisnießbraucher diese Abschreibungsbefugnis vom BFH1 abgesprochen. Die Anschaffungsund Herstellungskosten seien gem. § 1922 Abs. 1 BGB nicht dem Vermächtnisnehmer, sondern dem Erben zuzurechnen. Soll dem Erstbedachten also eine Abschreibungsmöglichkeit zustehen, so sollte eine Vorerbschaft angeordnet werden. Es kann aber auch darüber nachgedacht werden, insoweit testamentarisch eine Ausgleichspflicht des Erben im Hinblick auf seinen Steuervorteil anzuordnen.

10.150

Im Beispielsfall bestünden also verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten: – Die Ehefrau könnte zur Vorerbin werden. Der Nacherbfall würde dann mit dem 30. Geburtstag des Sohnes anfallen. Ab diesem Zeitpunkt müssten der Ehefrau allerdings durch Vermächtnis 50 % der Unternehmensgewinne und 100 % der Nutzungen des übrigen Vermögens zugewendet werden. – Denkbar wäre aber auch, den Sohn direkt zum Erben zu machen und der Ehefrau lediglich ein Vermächtnis zuzuwenden, das sich bis zum 30. Geburtstag des Sohnes auf die gesamten Nutzungen des Nachlasses und danach auf 50 % der Unternehmensgewinne und die gesamten Nutzungen des übrigen Vermögens erstreckt. Damit die Ehefrau das Unternehmen bis zum 30. Geburtstag des Sohnes leiten kann, müsste ihr ferner bis dahin eine Verwaltungsbefugnis – am besten durch eine Testamentsvollstreckerstellung – eingeräumt werden. Da die Vermächtnisnehmerin in diesem Fall die Ehefrau des Erblassers ist, sind die erbschaftsteuerrechtlichen Vorteile dieser Lösung nicht ganz so groß wie bei anderen Vermächtnisnehmern, da der Sohn, der sofort beim Erbfall Erbe wird, die Belastung nicht in Abzug bringen kann. Bei besonders großen Vermögen ergibt sich aber dennoch oft ein erheblicher Steuervorteil, da der Kapitalwert der Nutzungen häufig geringer als die Vermögenssubstanz ist und daher die zweifache Versteuerung der Vermögenssubstanz bei der Vor- und Nacherbschaft wesentlich höher wäre.

10.151–10.154

Einstweilen frei. b) Die Bestellung des Nießbrauchs

Der Nießbrauch kann an Sachen (§§ 1030–1067 BGB), an Rechten (§§ 1068 bis 1084 BGB), an Vermögen (§§ 1085–1088 BGB) und an einer Erbschaft (§ 1089 BGB) bestehen. Ein Nießbrauch an Rechten ist allerdings nur möglich, soweit das Recht übertragbar ist (§§ 1069 Abs. 2 BGB). Ist das Recht nicht übertragbar, kann nur ein schuldrechtlicher, dem Nießbrauch möglichst angenäherter Anspruch

1 BFH v. 28.9.1993 – IX R 156/88, NJW 1994, 2483 entgegen der zuvor bestehenden Rechtslage.

Nienaber/Schmitz 355

10.155

§ 10 Rz. 10.156

Vermächtnis

gegen den Erben auf die Herausgabe der Nutzungen vermacht werden (sog. obligatorischer Nießbrauch, vgl. dazu Rz. 10.160)1.

10.156 Soll der Nießbrauch am gesamten Nachlass bestellt werden, muss er wegen des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes an jedem Nachlassgegenstand entsprechend den für den jeweiligen Gegenstand geltenden Vorschriften einzeln bestellt werden. Ist ein Nießbrauch an einem Erbteil zugewendet, handelt es sich um einen Nießbrauch an einem Recht, zu dessen dinglicher Einräumung es einer notariellen Beurkundung bedarf (§§ 2169 Abs. 1, 2033 Abs. 1 BGB). Möglich ist die Beschränkung des Nießbrauchs auf bestimmte Nachlassgegenstände. Zulässig sind auch sog. Bruchteils- oder Quotenvermächtnisse. Beim Bruchteilsvermächtnis wird ein ideeller Bruchteil eines Gegenstandes (z.B. 1/2 Anteil eines Grundstücks) mit dem Nießbrauch belastet, beim Quotenvermächtnis erhält der Berechtigte aus den Nutzungen nur eine Quote2. Im Beispielfall kann der Ehefrau nach dem 30. Geburtstag des Sohnes also an dem Unternehmensgewinn ein Quotenvermächtnis mit einer Quote von 50 % zugewendet werden.

10.157 Bis zur Bestellung des Nießbrauchs hat der Vermächtnisnehmer lediglich einen obligatorischen Anspruch auf Bestellung des Nießbrauchs. Hat der Erblasser ihm nicht gleichzeitig durch eine postmortale Vollmacht oder durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckerstellung die Befugnis eingeräumt, das Nießbrauchsrecht selbst zu bestellen (vgl. Rz. 10.147), kann der Nießbrauchsvermächtnisnehmer als Nachlassgläubiger unter Umständen Nachlassverwaltung beantragen (§ 1981 Abs. 2 BGB). c) Die Modifikation der Rechte und Pflichten des Nießbrauchers durch Anordnungen des Erblassers

10.158 Ohne eine besondere Anordnung des Erblassers ist der Nießbraucher zur Verfügung über den Nießbrauchsgegenstand grundsätzlich nicht befugt (vgl. Rz. 10.147). Nach § 1048 Abs. 1 BGB darf er aber innerhalb der Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft über das Inventar eines Grundstücks verfügen. Diese Vorschrift wird auf den Nießbrauch an einem Sachinbegriff, wie z.B. einem Unternehmen, entsprechend angewendet3. Wegen dieser nur eingeschränkten Verfügungsbefugnis sollte der Mandant stets über die Möglichkeit der Kombination von Nießbrauch und Testamentsvollstreckung aufgeklärt werden4.

10.159 Nach § 1047 BGB hat der Nießbraucher die Lasten der Sache (z.B. Grundsteuer, Grundschuldforderungen etc.) zu tragen, sofern es sich nicht um außerordentliche Lasten handelt, die als auf den Stammwert der Sache gelegt anzusehen sind (z.B. Erschließungsbeiträge, Flurbereinigungsbeiträge5). Der Erblasser kann eine hiervon abweichende Anordnung treffen6. Der Nießbraucher muss ferner für die Erhaltung der Sache sorgen (§ 1041 BGB), zu außergewöhnlichen Unterhaltungsmaßnahmen7 ist er allerdings nicht verpflichtet. Auch insoweit ist eine abweichende Bestimmung des Nießbrauchsinhalts durch den Erblasser zulässig8.

1 Wird dennoch ein Nießbrauchsvermächtnis angeordnet, kann dieses als Vermächtnis eines entsprechenden obligatorischen Nutzungsanspruchs ausgelegt werden. Vgl. dazu Staudinger/Frank, § 1089 Rz. 12. 2 Vgl. dazu BayObLG v. 3.7.1973 – 2Z 25/73, DNotZ 1974, 241 (243); LG Köln v. 22.6.1999 – 11 T 122/99, MittRhNotK 1999, 246. 3 BGH v. 18.11.1974 – VIII ZR 236/73, WM 1974, 1219 (1220). 4 Bühler, BB 1997, 551 (557 f.); vgl. auch Rz. 10.147. 5 OVG Lüneburg v. 14.8.1959 – OVG I 21/59, RdL 1959, 332 (333); Palandt/Bassenge, § 1047 Rz. 2. 6 RG v. 26.1.1934 – VII 261/33, RGZ 143, 231 (234). 7 Z.B. Dachsanierung nach Ablauf der Lebensdauer: OLG Koblenz v. 4.11.1993 – 5 U 1714/92, MDR 1994, 1115 = NJW-RR 1995, 15. 8 Zur Zulässigkeit einer abweichenden Vereinbarung des Nießbrauchsinhalts BayObLG v. 18.9.1997 – 2 ZBR 85/97, RPfleger 1998, 70, 71.

356

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.165 § 10

d) Der dingliche und der „obligatorische“ Nießbrauch Dem Bedachten kann anstelle eines dinglichen Nießbrauchs auch ein schuldrechtlicher Nutzungs- 10.160 anspruch zugewendet werden, der dem dinglichen Nießbrauch im Ergebnis weitgehend entspricht. Hiervon ist trotz der Bezeichnung als Nießbrauch z.B. bei der Einräumung eines Nutzungsrechts an einem nicht übertragbaren Recht auszugehen, an dem wegen § 1069 Abs. 2 BGB ein dinglicher Nießbrauch nicht bestellt werden kann. Ein solcher schuldrechtlicher Nutzungsanspruch ist i.d.R. auch anzunehmen, wenn der Erbe dem Bedachten den Nießbrauch dinglich – etwa wegen unterlassener Eintragung im Grundbuch – nicht bestellt hat, die Parteien aber davon ausgehen, dass der Nießbrauch bereits besteht. e) Der Nießbrauch an einem Unternehmen Um den Bedachten in den Genuss der Gewinne bzw. eines Gewinnanteils an einem Unternehmen zu bringen, bieten sich verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich des Vermächtnisrechts an.

10.161

Zunächst besteht die Möglichkeit, dem Bedachten lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben auf Auszahlung des gesamten oder teilweisen Reinertrags des Unternehmens zu vermachen („obligatorischer Nießbrauch“; vgl. Rz. 10.160)1.

10.162

Außerdem kann ein Ertragsnießbrauch vermacht werden, wonach dem Nießbraucher zwar an allen Gegenständen des Unternehmens der Nießbrauch vermacht ist, der Nießbrauch jedoch nur auf den Ertrag dieser Gegenstände gerichtet ist. Der Nießbraucher ist dann von der Führung des Unternehmens ausgeschlossen, hat aber einen Anspruch auf den Reingewinn2. Das Ertragsnießbrauchsvermächtnis ist meist als Quotennießbrauchsvermächtnis ausgestaltet3. Da der Nießbrauchsvermächtnisnehmer hier nicht Unternehmer wird, haftet er nicht nach außen.

10.163

Der echte Unternehmensnießbrauch4 führt zur Unternehmereigenschaft des Nießbrauchers und da- 10.164 mit – zum unmittelbaren Besitz des Nießbrauchers an den Unternehmensgegenständen, – zur Verfügungsbefugnis des Nießbrauchers über das Umlaufvermögen, das nach § 1067 BGB ins Eigentum des Nießbrauchers übergeht, – zum Recht auf Eigenerwerb des Reingewinns5 sowie – zur vollen Haftung des Nießbrauchers nach außen. Diese Haftung erstreckt sich bei Firmenfortführung auch auf die bis zur Übernahme des Handelsgeschäfts begründeten Verbindlichkeiten (§§ 22 Abs. 2, 25 Abs. 1 HGB), es sei denn, ein Haftungsausschluss ist mit dem Erben nach § 25 Abs. 2 HGB vereinbart und ins Handelsregister eingetragen. Der Erbe ist zur Vereinbarung eines solchen Haftungsausschlusses nur verpflichtet, wenn der Erblasser eine entsprechende Anordnung getroffen hat. Bei der anwaltlichen Beratung über die Ausgestaltung eines Nießbrauchsvermächtnisses ist die Regelung der Haftungsfrage mit dem Mandanten zu erörtern. Der Nießbrauchsvermächtnisnehmer hat abgesehen von der Möglichkeit einer Ausschlagung kein Wahlrecht, ob er die Unternehmensnachfolge antreten möchte, da er nach § 1036 Abs. 2 BGB verpflichtet ist, die Zweckbestimmung der Gegenstände aufrechtzuerhalten. Der Erbe muss der Firmenfortführung durch den Nießbrauchsvermächtnisnehmer zustimmen. 1 2 3 4

BGH v. 16.12.1968 – III ZR 102/66, WM 1969, 337. Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (260). BayObLG v. 3.7.1973 – 2Z 25/73, BayObLGZ 1973, 168 (172). Der echte Unternehmensnießbrauch ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, wird aber in § 22 Abs. 2 HGB vorausgesetzt. 5 BayObLG v. 3.7.1973 – 2Z 25/73, BayObLGZ 1973, 168 (171).

Nienaber/Schmitz 357

10.165

§ 10 Rz. 10.166

Vermächtnis

10.166 Auch beim Unternehmensnießbrauch muss der dingliche Nießbrauch an jedem einzelnen Gegenstand des Unternehmens entsprechend der hierfür geltenden Vorschriften bestellt werden. Der Nießbraucher wird lediglich Eigentümer der Gegenstände des Umlaufvermögens, das Anlagevermögen verbleibt im Eigentum des Erben. Der Nießbrauchsvermächtnisnehmer kann daher nur über die Gegenstände des Anlagevermögens analog § 1048 BGB im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verfügen1. Auch im Hinblick hierauf sollte bei der anwaltlichen Beratung über die Möglichkeiten der Erweiterung der Verfügungsbefugnisse des Nießbrauchsvermächtnisnehmers durch seine Bestellung zum Testamentsvollstrecker aufgeklärt werden.

10.167 Die dem Nießbraucher zustehenden Früchte bestehen in den entnahmefähigen Erträgen. Die Ermittlung des Reingewinns erfolgt nach anerkannten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden2. Zur Vermeidung eines Streits über die Bewertung sollte dem Erblasser geraten werden, diesbezüglich eine genaue Festlegung vorzunehmen.

10.168 Die Steuerfolgen eines Unternehmensnießbrauchs sind bis heute nicht hinreichend gelöst3. Die anwaltliche Beratung sollte daher unter Hinzuziehung eines Steuerberaters erfolgen, der die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten genau kennt4. Hat der Nießbraucher nur einen Ertragsnießbrauch, werden seine Einkünfte meist als vom Nießbrauchsbesteller abgeleitet nach § 22 Nr. 1 EStG versteuert und für den Nießbrauchsbesteller werden die an den Nießbraucher abgeführten Beträge als dauernde Last angesehen, die er nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehen kann. Beim Unternehmensnießbrauch werden die Einkünfte indes direkt beim Nießbraucher versteuert (§ 15 EStG). aa) Der Nießbrauch an einer Personenhandelsgesellschaft

10.169 Der Tod eines Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft führt nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB zum Ausscheiden des Gesellschafters aus der Gesellschaft. Möchte der Gesellschafter seine Nachfolge in dem Unternehmen erbrechtlich gestalten, so muss zunächst sichergestellt werden, dass der Gesellschaftsvertrag für den Fall seines Todes eine Nachfolgeklausel enthält. Erst wenn diese Vorbedingung erfüllt ist, können erbrechtliche Gestaltungen zur Unternehmensnachfolge greifen (vgl. Rz. 10.130). Der Nießbrauch im Hinblick auf einen Anteil an einer Personengesellschaft kann als reiner Ertragsnießbrauch, also ein Nießbrauch an den aus der Gesellschaftsbeteiligung resultierenden Gewinnansprüchen, vermacht werden. Da die Gewinnansprüche nach § 717 S. 2 BGB abtretbar sind, ist insoweit eine Nießbrauchsbestellung unproblematisch möglich5.

10.170 M 52 Ertragsnießbrauch an Gewinnansprüchen aus Gesellschaftsanteil Zulasten meines Erben vermache ich meiner Ehefrau an meinem Geschäftsanteil der Firma O-OHG einen lebenslangen Nießbrauch, der an den vermögensrechtlichen Bezügen, also den Gewinnansprüchen und einem etwaigen Auseinandersetzungsguthaben, in Höhe von jeweils 60 % besteht. Der Nießbrauch bezieht sich auch auf Kapitalerhöhungen, allerdings nicht auf solche gegen Einlagen. Mein Erbe bleibt Gesellschafter. Meine Ehefrau hat insbesondere keine Stimm- oder sonstigen Verwaltungsrechte an der O-OHG. Mein Erbe benötigt für folgende Geschäfte die Zustimmung meiner Ehefrau: Veräußerung des Gesellschaftsanteils, Kündigung der Beteiligung und Austritt aus der Gesellschaft.

10.171 Der Gesellschaftsanteil selbst kann mit einem Unternehmensnießbrauch nur belastet werden, wenn der Gesellschaftsanteil laut Gesellschaftsvertrag übertragbar ist oder wenn alle Gesellschafter der Nieß-

1 2 3 4 5

Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (260); Staudinger/Heinze, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 35. Vgl. dazu z.B. Staudinger/Heinze, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 42 f. Staudinger/Heinze, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 45. Siehe auch Laukemann, jurisPK-BGB, § 1069 Rz. 47. BGH v. 12.12.1974 – II ZR 166/72, DNotZ 1975, 735 (737).

358

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.173 § 10

brauchsbestellung zustimmen (§ 1069 Abs. 2 BGB; vgl. auch Rz. 10.131)1. Umstritten ist, ob es ausreichend ist, wenn der Gesellschaftsvertrag zwar die Übertragbarkeit der Beteiligung, nicht aber eine ausdrückliche Regelung zur Zulässigkeit der Nießbrauchsbestellung vorsieht2. Selbst wenn aber die gesellschaftsrechtlichen Vorbedingungen (Nachfolgeklausel/Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteils) erfüllt sind, ist weiter umstritten, ob an dem Gesellschaftsanteil einer Personenhandelsgesellschaft wirklich ein dinglicher Nießbrauch bestellt werden kann3. Hintergrund für diesen Streit ist die Frage, ob ein Gesellschaftsanteil dergestalt gesplittet werden kann, dass Inhaber des Anteils und damit Gesellschafter der Nießbrauchsbesteller bleibt, während die aus dem Anteil herrührenden Befugnisse auf den Nießbraucher übergehen. Die früher herrschende Meinung lehnte eine solche Aufteilung ab und ging davon aus, dass letztlich der „Nießbraucher“ treuhänderisch die Beteiligung an der Gesellschaft komplett übernehme und der „Nießbrauchsbesteller“ für die Zeit des „Nießbrauchs“ aus der Gesellschaft ausscheide. Damit läge kein wirklicher Nießbrauch vor, da diese treuhänderische Vollrechtsübertragung mehr als ein Nießbrauch ist. Der „Nießbrauchstreuhänder“ rückt vollständig in die Gesellschafterstellung ein, so dass ihm sämtliche aus der Gesellschafterstellung resultierenden Rechte (evtl. Geschäftsführung, Vertretung, Stimmrecht) zustehen. Als Gesellschafter ist er in das Handelsregister einzutragen. Möchte der Erblasser bei dieser Gestaltungsform die Befugnisse des „Nießbrauchstreuhänders“ begrenzen, so kann er das Vermächtnis derart ausgestalten, dass er den Vermächtnisnehmer verpflichtet, schuldrechtlich wirkende Abreden im Innenverhältnis mit dem Erben zu treffen. Diese Vereinbarungen haben allerdings keine begrenzende Wirkung auf die Rechtsmacht des Vermächtnisnehmers im Außenverhältnis bei der Ausübung seiner mitgliedschaftlichen Rechte.

10.172

Heute ist allerdings die Meinung, dass die Bestellung eines echten Nießbrauchs am Gesellschaftsanteil einer Personenhandelsgesellschaft zulässig ist, immer mehr im Vordringen begriffen4. Danach bleibt der Nießbrauchsbesteller Gesellschafter, während die aus dem Anteil herrührenden Befugnisse dem Nießbraucher zustehen. Stark umstritten ist aber, ob wirklich alle aus dem Anteil resultierenden Befugnisse auf den Nießbraucher übergehen und vor allem wie die Mitgliedschaftsrechte verteilt sind. Der Bundesgerichtshof hat sich hinsichtlich des Stimmrechts – zumindest soweit es die Grundlagen der Gesellschaft berührt – dafür entschieden, dass dieses Recht dem Gesellschafter und damit dem Nießbrauchsbesteller verbleiben müsse5. Ob die Mitgliedschaftsrechte damit entsprechend einer weit verbreiteten Meinung allgemein6 oder nur bei Grundlagenfragen beim Nießbrauchsbesteller verbleiben sollen, hat der Bundesgerichtshof leider nicht geklärt. Insofern wird häufig eine Aufspaltung der Mitgliedschaftsrechte dergestalt vorgeschlagen, dass der Nießbraucher die seine Rechtsstellung betreffenden Rechte hinsichtlich der laufenden Verwaltung erhalte, während beim Nießbrauchsbesteller die Grundlagenkompetenzen hinsichtlich der Substanz verblieben7.

10.173

1 Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (261); Staudinger/Heinze, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 48. 2 Für die Möglichkeit einer Nießbrauchsbestellung ohne ausdrückliche Regelung im Gesellschaftsvertrag: Palandt/Bassenge, § 1069 Rz. 2; Staudinger/Heinze, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 67; a.A. Petzoldt, DStR 1992, 1171; MüKo.BGB/Ulmer/Schäfer, § 705 Rz. 97. 3 Gegen die Möglichkeit eines dinglichen Nießbrauchs: Paus, BB 1990, 1675 (1679); offengelassen in BGH v. 12.12.1974 – II ZR 166/72, DNotZ 1975, 735 (737). 4 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, NJW 1995, 1918 (1919); BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, MDR 1999, 240 = NJW 1999, 571 (572); K. Schmidt, ZGR 1999, 600 (601); Staudinger/Heinze, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 57 ff. 5 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, MDR 1999, 240 = NJW 1999, 571 (572) (zu der Frage der Mitwirkung beim Rechnungsabschluss). 6 Hierfür z.B. OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, NJW 1992, 2163 (2164); K. Schmidt, ZGR 1999, 600 (609 f.). 7 Baumbach/Hopt, § 105 HGB Rz. 46; Gschwendtner, NJW 1995, 1875 (1876); Koller/Roth/Morck, § 105 HGB Rz. 23; MüKo.HGB/Schmidt, Vor § 230 Rz. 21.

Nienaber/Schmitz 359

§ 10 Rz. 10.174

Vermächtnis

10.174 In gewissen Grenzen ist es möglich, die Zuordnung der Mitgliedschaftsrechte vertraglich zu regeln. Da angesichts der verworrenen Rechtslage nicht sicher vorhergesagt werden kann, wem die Mitgliedschaftsrechte ohne eine vertragliche Regelung zustehen, ist hierzu dringend zu raten. Der Erblasser sollte bereits in seiner letztwilligen Verfügung solche vertraglichen Regelungen zwischen dem Erben und dem Vermächtnisnehmer anordnen, indem er z.B. das Vermächtnis an die Bedingung des Abschlusses eines entsprechenden Vertrags knüpft und den Vertragsabschluss auf der anderen Seite für den Erben zur Auflage macht. – Möchte der Erblasser dem Nießbraucher sämtliche Mitgliedschaftsrechte im Außenverhältnis zuordnen, bietet sich die Gestaltung als „Nießbrauchstreuhand“ an. Der beratende Anwalt sollte dann aber mit dem Erblasser die Möglichkeiten durchsprechen, die Ausübung dieser Mitgliedschaftsrechte im Innenverhältnis zum Erben zu beschränken (vgl. Rz. 10.172). – Entscheidet der Erblasser sich indes für die Bestellung eines echten Nießbrauchs, so kann er den Erben verpflichten, den Nießbraucher zur Ausübung der dem Gesellschafter zustehenden Stimmrechte zu bevollmächtigen1. – Ob der Erblasser den Erben indes auch verpflichten kann, im Falle des echten Nießbrauchs das Stimmrecht selbst auf den Nießbraucher zu übertragen, ist umstritten2. Jedenfalls ist hierfür zumindest erforderlich, dass der Gesellschaftsvertrag die Übertragung des Stimmrechts zulässt oder doch zumindest eine entsprechend konkludente Vereinbarung unter den Gesellschaftern getroffen worden ist. – Möchte der Erblasser die Mitgliedschaftsrechte indes beim Erben belassen, so bietet sich angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheit an, auch dies testamentarisch ausdrücklich zu regeln und den Erben und den Vermächtnisnehmer zu verpflichten, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Soll mittels des Vermächtnisses lediglich sichergestellt werden, dass der Vermächtnisnehmer die Erträge des Gesellschaftsanteils erhält, sollen ihm aber keine Mitgliedschaftsrechte zustehen, bietet sich das Vermächtnis eines bloßen Ertragsnießbrauchs an.

10.175 M 53 Echter Unternehmensnießbrauch Zulasten meines Erben vermache ich meiner Ehefrau einen lebenslangen Nießbrauch an meinem Geschäftsanteil an der O-OHG. Das Nießbrauchsrecht soll die volle Rechtsstellung eines Gesellschafters erfassen (echter Unternehmensnießbrauch). Meiner Ehefrau sollen sämtliche Mitgliedschaftsrechte aus dem Geschäftsanteil, insbesondere auch das Stimmrecht, zustehen. Der Erbe ist insoweit verpflichtet, das Stimmrecht meiner Ehefrau zu übertragen3. Sollte diese Übertragung nicht zulässig sein, muss er meine Ehefrau unwiderruflich bevollmächtigen, das Stimmrecht für ihn auszuüben. Im Innenverhältnis zum Erben ist meine Ehefrau verpflichtet, folgende Maßnahmen nicht ohne seine Zustimmung vorzunehmen: …

10.176–10.179 Einstweilen frei. bb) Der Nießbrauch an einem GmbH-Anteil

10.180 Der GmbH-Anteil kann Gegenstand des Nießbrauchs sein, sofern seine Übertragbarkeit nicht durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen ist4. Wie auch beim Nießbrauch an Personenhandelsgesellschaften ist bei der GmbH umstritten, wer das Stimmrecht aus dem mit dem Nießbrauch belasteten Gesellschaftsanteils ausüben darf (vgl. Rz. 10.173). 1 Vgl. zur Zulässigkeit der Bevollmächtigung K. Schmidt, ZGR 1999, 600 (611). 2 Dagegen z.B. OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, NJW 1992, 2163; dafür K. Schmidt, ZGR 1999, 600 (611). 3 Ob diese Stimmrechtsübertragung zulässig ist, ist umstritten; s. Rz. 10.173. 4 Vgl. z.B. Ivens, ZEV 2011, 177 (179).

360

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.187 § 10

cc) Der Nießbrauch an einer Aktie Auch die Bestellung des Nießbrauchs an einer Aktie ist zulässig, wenn die Aktie übertragbar ist. Hier 10.181 stellt sich die Frage nach der Verteilung der Mitgliedschaftsrechte in vergleichbarer Form wie bei der Personenhandelsgesellschaft und der GmbH (vgl. Rz. 10.173). f) Das Rentenvermächtnis Beratungssituation: Der Erblasser setzt seinen Sohn zum Alleinerben ein. Er möchte seine Ehefrau allerdings dadurch abgesichert wissen, dass sie lebenslang von seinem Sohn eine monatliche Rente erhält. Da seine Ehefrau erst 53 Jahre alt ist, befürchtet er aber, dass inflationsbedingt der von ihm festgesetzte Betrag in Höhe von monatlich 2.500 Euro nicht immer angemessen bleiben wird.

10.182

Das Vermächtnis kann auf wiederkehrende Leistungen gerichtet werden, die im Gegensatz zum Nieß- 10.183 brauch nicht von der Erzielung bestimmter Nutzungen abhängen, sondern gegebenenfalls aus der Substanz geleistet werden müssen. Zur Sicherung eines Rentenvermächtnisses bietet sich an, den Beschwerten zu verpflichten, eine Rentenreallast an einem Grundstück zu bestellen (§ 1105 BGB). Bei Rentenvermächtnissen, die ein Dauerschuldverhältnis begründen, sollten Wertsicherungsklauseln vorgesehen werden1. Diese Wertsicherungsklauseln können in zweifacher Weise erfolgen: – Als Gleitklausel: Wertsicherungsklauseln werden häufig derart an die Entwicklung des Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes angelehnt, dass der vermachte Rentenanspruch bei einem bestimmten Anstieg dieser Bezugsgröße automatisch steigt. Die Zulässigkeit solcher Wertsicherungsklauseln ist am Preisklauselgesetz zu messen und nach § 3 Abs. 1 Nr. 2a 2. Hs PrKG zu bejahen.

10.184

M 54 Rentenvermächtnis mit Wertsicherungsklausel

10.185

Zulasten meines Erben vermache ich meiner Ehefrau eine bis zu ihrem Lebensende monatlich im Voraus zu zahlende Rente von 2.500 Euro monatlich. Die Höhe dieser Rente soll sich sowohl in der Zeit von heute bis zu meinem Tod als auch danach ändern, wenn sich der vom Statistischen Bundesamt festgestellte Verbraucherpreisindex für Deutschland für die mittlere Verbrauchergruppe um mehr als 10 % ändert. Die Rente soll sich dann jeweils beginnend mit dem Januar des Folgejahres im gleichen prozentualen Verhältnis wie der Verbraucherpreisindex ändern. Mein Erbe ist verpflichtet, diese Rentenzahlungsverpflichtung binnen dreier Monate nach meinem Tod durch Eintragung einer Rentenreallast im Grundbuch auf dem Grundstück X zu sichern.

– Als Leistungsvorbehalt: Hier ordnet der Erblasser an, dass der Beschwerte mit dem Vermächtnisnehmer über die Anpassung der Höhe der Rentenzahlung neu verhandeln muss, wenn sich eine bestimmte Vergleichsgröße wie z.B. der Verbraucherpreisindex ändert. Es erfolgt keine automatische Anpassung, sondern die Anpassung wird erst mit einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Bedachtem und Beschwertem wirksam. Der Erblasser kann auch anordnen, dass die Anpassung durch einen Dritten bestimmt werden soll.

10.186

9. Forderungsvermächtnis Eine der häufigsten Formen des Vermächtnisses ist das sog. Forderungsvermächtnis gem. § 2173 BGB, speziell in der Ausprägung eines Geldvermächtnisses. Durch das Vermächtnis steht dem Bedachten ein Anspruch gegen die Erben auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zu. Dabei darf es dem Bedachten gleichgültig sein, wie der Anspruch von den Erben erfüllt wird. In Betracht kommt

1 Vgl. dazu z.B. Oertzen, ZEV 1994, 160.

Nienaber/Schmitz 361

10.187

§ 10 Rz. 10.188

Vermächtnis

die Verwertung von Nachlassvermögen (bspw. bei ausreichender Nachlassliquidität), aber auch der Einsatz eigenen Vermögens durch die Erben (bei fehlender Liquidität des Nachlasses)1.

10.188 Der Erblasser kann in dem Vermächtnis vorsehen, dass bestimmte geldwerte Ansprüche aus dem Nachlass zur Abfindung des Vermächtnisnehmers zu realisieren sind (bspw. die Auflösung von Sparkonten oder Wertpapierdepots) oder eine bestimmte Forderung geltend zu machen ist. Im Zweifel ist nach der Auslegungsregel des § 2173 S. 1 BGB der auf die Forderung geleistete Gegenstand vermacht worden. Ist dieser im Erbfall aber nicht mehr vorhanden, so entsteht kein weitergehender Ersatzanspruch2.

10.189 M 55 Forderungsvermächtnis mit Ersetzungsanordnung Ich habe gegen meinen Nachbarn N einen Anspruch auf Rückgabe meines Original Sylter Strandkorbes, den ich ihm zu Ostern 2010 geliehen habe. Bis heute steht er noch bei N im Garten. Hiermit vermache ich meinem Jugendfreund F den Rückgabeanspruch. Sollte der Strandkorb von meinem Nachbarn bereits vor meinem Tod zurückgebracht werden, so entfällt das Vermächtnis. Dann soll mein Freund F aus dem Nachlass meine alte Armbanduhr der Marke Rolex erhalten.

10.190 In diesem Zusammenhang sind weitere Vermächtnisarten zu nennen: Beim Befreiungsvermächtnis befreit der Erblasser den Bedachten von einer Forderung des Nachlasses oder eines Dritten; beim Erlassvermächtnis wird der Beschwerte verpflichtet, dem durch das Vermächtnis Bedachten eine Schuld zu erlassen (§ 397 BGB)3; beim Schuldvermächtnis schließlich wendet der Erblasser dem Bedachten etwas zu, was er ihm ohnehin schuldet. Diese auf den ersten Blick sonderbare Anordnung kann sinnvoll sein, um die Gläubigerstellung des Bedachten durch ein solches Vermächtnis zu stärken. Im Ergebnis kommt dies nach dem Anfall des Vermächtnisses einem Schuldanerkenntnis gleich4. 10. Das digitale Vermächtnis

10.191 In der Beratungspraxis stellen sich zunehmend Fragen nach dem Verbleib elektronischer Daten im Erbfall (s.a. § 20 – Digitaler Nachlass). Denkbar sind in diesem Zusammenhang Vermächtnisse, deren Inhalt allein Rechte an elektronisch gespeicherten Daten – gleich an welchem Ort und gleich in welchem Medium – sind5. Dies sind vor allem Nutzungsrechte, wie etwa für Musik- und Schriftwerke sowie Rechte an Digitalfotos6. Ein Vermächtnis kommt vor allem dann in Betracht, wenn nur bestimmte elektronische Rechte an einen bestimmbaren Kreis von Vermächtnisnehmern zugewendet werden sollen.

10.192 Beratungssituation: Der Erblasser hat Zeit seines Lebens die Welt bereist und dabei unzählige Naturfotos geschossen, die er zum Teil an internationale Fotomagazine und weltweite Museen verkauft und damit ein Vermögen verdient hat. Nun will er gezielt seine umfangreiche Fotosammlung, die er auf einer entsprechenden Internet-Plattform gespeichert hat, seinem langjährigen Weggefährten W vermachen. Da es sich um teilweise sehr persönliche Erinnerungsfotos der von den beiden unternommenen Reisen handelt, will er sicherstellen, dass seine Erben keine Einsicht erhalten.

10.193 Oftmals soll gerade der vorherige Zugriff durch den oder die Erben verhindert werden7. Die Berechtigung an elektronischen Daten fällt grundsätzlich gem. § 1922 Abs. 1 BGB in den Gesamtnachlass8. 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Mayer in Kroiß/Ann/Mayer, BGB, § 2173 Rz. 9. So auch Mayer in Kroiß/Ann/Mayer, BGB, § 2173 Rz. 8. Mayer in Kroiß/Ann/Mayer, BGB, § 2173 Rz. 11 f.; MüKo.BGB/Rudy, § 2173 Rz. 7. MüKo.BGB/Rudy, § 2173 Rz. 8. Vgl. hierzu auch Gloser, MittBayNot 2016, 101 (107). Vgl. hierzu Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (266). So Raude, RNotZ 2017, 17 (27). Siehe hierzu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, BeckRS 2018, 16463.

362

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.197 § 10

Es ist daher nicht auszuschließen, dass Erben versuchen werden, sich vor Vermächtniserfüllung selbst Zugang zu den Daten zu verschaffen. Daher ist in der obigen Beratungssituation dem Mandanten zu empfehlen, sein Vermächtnis in Bezug auf die digitalen Daten auf der Internetplattform mit der Anordnung einer Vermächtnistestamentsvollstreckung zu verknüpfen1.

M 56 Digitales Vermächtnis mit Testamentsvollstreckeranordnung

10.194

Meinem langjährigen Reisefreund R vermache ich sämtliche Digitalfotos, inkl. Kopien, in meinem Account auf der Internet-Plattform „Cloud …“. Nach Erfüllung des Vermächtnisses ist der Account zu löschen. Ich ordne Testamentsvollstreckung an. Der Testamentsvollstrecker hat ausschließlich die Aufgabe, das vorgenannte angeordnete Vermächtnis zu erfüllen. Zum Testamentsvollstrecker bestimme ich unter Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens den Vermächtnisnehmer selbst, also meinen Freund R. Der Testamentsvollstrecker erhält für seine Tätigkeit keine gesonderte Vergütung.

11. Die Nutzungen und Früchte des Vermächtnisgegenstandes Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Frau zur Alleinerbin eingesetzt. Seiner Nichte hat er eine Mietwohnung sowie eine Wohnung vermacht, in der seine Ehefrau wohnt. Die Ehefrau des Erblassers ist nach dessen Tod der Ansicht, das Vermächtnis zugunsten der Nichte sei unwirksam. Auf die Klage der Nichte wird die Ehefrau des Erblassers nach einem insgesamt 1 1/2 Jahre dauernden Rechtsstreit rechtskräftig verurteilt, die Wohnungen auf die Nichte zu übertragen. Seit dem Erbfall hat die Frau des Erblassers Mieteinnahmen in Höhe von 8.500 Euro aus der vermachten Mietwohnung eingenommen.

10.195

Nach § 2184 S. 1 BGB hat der Beschwerte dem Vermächtnisnehmer die seit dem Anfall des Vermächtnisses gezogenen Früchte sowie das sonst aufgrund des vermachten Rechts Erlangte herauszugeben. Es sind nur die tatsächlich gezogenen Früchte herauszugeben. Eine Pflicht des Beschwerten zur Fruchtziehung, deren Unterlassung Schadenersatzansprüche auslösen kann, besteht erst ab Verzug oder Rechtshängigkeit (§§ 286, 292 BGB)2. Nicht herauszugeben sind sonstige Nutzungen (§ 2184 S. 2 BGB).

10.196

Der Nießbrauch kann erst ab seiner Bestellung Früchte tragen. Die nach dem Anfall aber vor der Be- 10.197 stellung des Nießbrauchs gezogenen Früchte sind Früchte des Gegenstandes und nicht des Nießbrauchs, so dass sie dem Nießbrauchsvermächtnisnehmer nicht herauszugeben sind3. Allerdings kann die letztwillige Verfügung des Erblassers so auszulegen sein, dass auch die Früchte bis zur Bestellung des Nießbrauchs mitvermacht sind4. Um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, sollte der Erblasser insofern eine ausdrückliche Anordnung treffen. § 2184 BGB bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf das Stückvermächtnis. Für das Gattungsvermächtnis gilt § 2184 BGB unstreitig nicht. Ein Zinsanspruch des Vermächtnisnehmers kann sich hier nur aus den §§ 284, 291 BGB ergeben5. Beim Verschaffungsvermächtnis gilt § 2184 BGB nach herrschender Meinung erst ab der Besitzerlangung des Gegenstandes durch den Beschwerten. Beim Wahlvermächtnis ist der Gegenstand bestimmt, wenn die Wahl vorgenommen ist6.

1 Vgl. Biermann in Scherer, § 50 Rz. 77; Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (266); Raude, RNotZ 2017, 17 (27). Siehe auch Gloser, MittBayNot 2016, 101 (107), der ergänzend auf die sinnvolle Möglichkeit einer gesonderten Verschlüsselung der Daten und der Zurverfügungstellung der Zugangsdaten im Rahmen einer gesonderten Vorsorgevollmacht hinweist. 2 MüKo.BGB/Rudy, § 2184 Rz. 3. 3 KG v. 10.3.1964 – 64 U 840/62, NJW 1964, 1808 (1809). 4 BGH v. 26.1.1977 – IV ZR 208/75, WM 1977, 416. 5 OLG Hamburg v. 8.11.1916 – 4. ZS, OLGE 34, 295 (296); Palandt/Weidlich, § 2184 Rz. 3. 6 Palandt/Weidlich, § 2184 Rz. 3.

Nienaber/Schmitz 363

§ 10 Rz. 10.198

Vermächtnis

10.198 Im Beispielsfall muss die Ehefrau des Erblassers die Mieteinnahmen nach § 2184 S. 1 BGB herausgeben. Zum Nutzungsersatz für die unentgeltliche Nutzung der ebenfalls vermachten Wohnung ist die Ehefrau des Erblassers nach § 2184 S. 2 BGB indes nicht verpflichtet. Spätestens mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage der Nichte muss sie Nutzungsersatz allerdings nach § 292 Abs. 2 BGB leisten.

VI. Die Wirksamkeit des Vermächtnisses 10.199 Nach § 2171 Abs. 1 BGB ist ein Vermächtnis unwirksam, das auf eine zum Zeitpunkt des Erbfalls objektiv unmögliche oder verbotene Leistung gerichtet ist1. Ein Vermächtnis, das aufgrund einer Bedingung oder Befristung erst nach dem Erbfall anfällt, ist nur dann unwirksam, wenn die Leistung zur Zeit des Anfalls unmöglich oder verboten ist (§ 2171 Abs. 3 BGB)2. Die Unmöglichkeit oder Verbotswidrigkeit führt allerdings nach § 2171 Abs. 2 BGB nicht zur Unwirksamkeit, wenn das Hindernis beseitigt werden kann und das Vermächtnis auch für diesen Fall angeordnet ist. Das Gesetz betrachtet das Möglichwerden der Leistung als aufschiebende Bedingung, so dass die §§ 158 ff. BGB anzuwenden sind3. Ist dem Erblasser also das mögliche Hindernis bewusst, sollte er in der letztwilligen Verfügung ausdrücklich erwähnen, dass das Vermächtnis auch für den Fall der Beseitigung des Hindernisses angeordnet sein soll.

10.200 § 2171 BGB erfasst nur den Fall der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit. Nach § 2172 BGB gilt die Leistung der vermachten Sache auch bei Verbindung, Vermischung und Vermengung als unmöglich. Das Fehlen einer behördlichen oder sonstigen Genehmigung ist kein Fall der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit und unterfällt damit nicht § 2171 BGB. Das Vermächtnis ist hier nur schwebend unwirksam4. Die endgültige Versagung der Genehmigung führt zur nachträglichen Unmöglichkeit, so dass die §§ 275 ff. BGB Anwendung finden5. Das subjektive Unvermögen des Beschwerten beurteilt sich nach den §§ 2169, 2170 BGB. Nach § 2169 Abs. 1 BGB ist das Vermächtnis unwirksam, es sei denn, es ist ein Verschaffungsvermächtnis angeordnet (vgl. Rz. 10.111 ff.). Ist an die Stelle des Vermächtnisgegenstandes ein Wertersatzanspruch getreten, so gilt im Zweifel dieser als vermacht (vgl. Rz. 10.106).

10.201 Erlischt eine vermachte Forderung durch Erfüllung vor dem Erbfall, so tritt an die Stelle der vermachten Forderung der noch in der Erbschaft befindliche Forderungsgegenstand (§ 2173 S. 1 BGB). War die Forderung auf die Zahlung einer Geldsumme gerichtet, gilt im Zweifel die entsprechende Geldsumme als vermacht, auch wenn sie sich in der Erbschaft nicht vorfindet (§ 2173 S. 2 BGB). Erst recht gilt auch eine neue Geldanlage als vermacht, wenn der Erblasser nach Testamentserrichtung hierfür Geld von einem vermachten Bankguthaben verwendet hat6. Hat der Erblasser dem Vermächtnisnehmer eine gegen den Erben gerichtete Forderung oder ein Recht vermacht, mit dem eine Sache oder ein Recht des Erben belastet ist, so erlischt in Ansehung des Vermächtnisses die Forderung nicht durch Konfusion und das Recht nicht durch Konsolidation (§ 2175 BGB).

10.202 Die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) setzt das Bestehen des gesetzlichen Verbots zum Zeitpunkt des Erbfalls voraus. Die Sittenwidrigkeit eines Vermächtnisses

1 Umgekehrt kann sich ein Vertragserbe nicht auf die Unwirksamkeit eines jahrzehntelang widerspruchslos gezahlten (formunwirksamen) Rentenvermächtnisses berufen; so OLG Düsseldorf v. 21.4.2017 – I-7 U 12/16, ZEV 2017, 645. 2 BGH v. 3.11.1982 – IVa ZR 47/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 937. 3 Palandt/Weidlich, § 2171 Rz. 3. 4 BGH v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 (235). 5 BGH v. 28.1.1960 – II ZR 236/57, BGHZ 32, 35 (40); BGH v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 (235). 6 OLG Oldenburg v. 20.4.2000 – 15 U 103/99, ZEV 2001, 276 (277).

364

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.206 § 10

(§ 138 BGB) richtet sich dagegen nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung1.

VII. Erwerb des Vermächtnisses 1. Der Anfall des Vermächtnisses Der Begriff des Anfalls des Vermächtnisses bezeichnet das Entstehen der Vermächtnisforderung, 10.203 die durch Ausschlagung wieder vernichtet werden kann (§ 2176 BGB). Die Annahme des Vermächtnisses ist nicht Voraussetzung für dessen Anfall. I.d.R. fällt der Vermächtnisanspruch mit dem Erbfall an (§ 2176 BGB). Das dinglich wirkende Vindikationslegat anderer Rechtsordnungen wurde nicht ins BGB übernommen2. Daraus folgt, dass lediglich die Vermächtnisforderung gem. § 2176 BGB „vonselbst“ i.S.v. § 1922 Abs. 1 BGB mit dem Erbfall entsteht3, es zur Erfüllung des Vermächtnisses noch der Mitwirkung durch den Beschwerten bedarf (konstruktiv damit ein sog. „Damnationslegat“)4. Der BGH setzt die vorweggenommene Hoferbfolge dem Erbfall im Hinblick auf § 2176 BGB gleich5. Nach § 2178 BGB fällt das Vermächtnis einem zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht geborenen oder in seiner Persönlichkeit durch ein nach dem Erbfall eintretendes Ereignis zu bestimmendem Vermächtnisnehmer erst mit der Geburt oder dem Eintritt des Ereignisses an. Der Erblasser hat die Möglichkeit, den Anfall durch Bedingung oder Befristung zu verschieben 10.204 (§ 2177 BGB). Ordnet der Erblasser für den Anfall des Vermächtnisses eine aufschiebende Bedingung an oder bestimmt er einen Anfangstermin, so entsteht die Vermächtnisforderung nach § 2177 BGB erst mit dem Eintritt der Bedingung oder des Termins. Mit dem Erbfall erwirbt der Bedachte ein Anwartschaftsrecht, das übertragbar, belastbar und (ver)pfändbar ist. Von der Möglichkeit eines aufschiebend bedingten Vermächtnisses wird häufig Gebrauch gemacht, um bestimmte Personen von der Teilhabe am Nachlass auszuschließen. Beratungssituation (Patchworkfamilientestament): Die Ehefrau des Erblassers hat zwei Söhne aus einer früheren Beziehung. Gemeinsam haben der Erblasser und seine Frau eine Tochter. Der Erblasser möchte seine Ehefrau umfassend absichern und sie keinen Verfügungsbeschränkungen aussetzen. Er möchte allerdings verhindern, dass die Söhne seiner Frau nach dem Tod seiner Frau am Nachlass teilhaben.

Hier kann der Erblasser seine Frau zur Alleinerbin machen. Daneben steht der gemeinsamen Tochter ein Pflichtteilsanspruch zu. Die Söhne seiner Frau stehen in keiner gesetzlichen Erbenstellung zum Erblasser und partizipieren daher zunächst nicht am Nachlass. Beim Tod der Frau stünde den Söhnen allerdings zumindest ein Pflichtteil nach ihrer Mutter zu, zu deren Nachlass dann auch die Erbschaft gehören würde, die sie vom Erblasser erhalten hat. Um dies zu verhindern kann der Erblasser in seiner letztwillige Verfügung bestimmen, dass seine Tochter ein auf den Tod seiner Frau aufschiebend bedingtes Vermächtnis hinsichtlich des gesamten verbleibenden Nachlasses erhält. Diese Lösung hat im Vergleich zur Vor- und Nacherbfolge vor allem den Vorteil, dass sie nach h.M. pflichtteilsfest ist, d.h., dass die Söhne der Frau hinsichtlich der vom aufschiebend bedingten Vermächtnis betroffenen Vermögensgegenstände keine Pflichtteilsansprüche haben6.

10.205

Das Anwartschaftsrecht aufgrund eines bedingten Vermächtnisses ist grundsätzlich unvererblich (§ 2074 BGB). § 2074 BGB ist nur auf die Bedingung, nicht auch auf die Befristung anwendbar. Daher muss stets sorgfältig zwischen beiden unterschieden werden. Insofern kann im Einzelfall auch

10.206

1 2 3 4 5 6

BGH v. 15.2.1956 – IV ZR 294/55, BGHZ 20, 71 (74); a.A. Soergel/Wolf, § 2171 Rz. 8. Palandt/Weidlich, § 2174 Rz. 1. Vgl. Muscheler, § 38 Rz. 2616. So Bengel/Dietz, in Notar-HdB., Kap. C Rz. 143. BGH v. 6.6.1962 – V ZR 90/61, BGHZ 37, 192. Vgl. für die h.M. z.B. Hölscher, ZEV 2011, 569 ff.; MüKo.BGB/Lange, § 2311 Rz. 15. Bedenken hinsichtlich der Pflichtteilsfestigkeit äußert z.B. Schwarz, ZEV 2011, 292 (293).

Nienaber/Schmitz 365

§ 10 Rz. 10.207

Vermächtnis

zweifelhaft sein, ob der Erblasser lediglich die Fälligkeit hinausschieben oder den Anfall unter eine Bedingung stellen wollte1. Um vor allem im Hinblick auf den Eintritt der Rechtsfolgen des § 2074 BGB Unsicherheiten vorzubeugen, sollte der Anwalt dem Erblasser raten, in seiner letztwilligen Verfügung ausdrücklich zu bestimmen, ob das Vermächtnis den Erben des Bedachten entgegen § 2074 BGB anfallen soll, wenn der Bedachte den Eintritt der Bedingung nicht erlebt. Denn bei § 2074 BGB handelt es sich nur um eine Auslegungsregel, die sowohl durch einen gegenteiligen Erblasserwillen als auch durch die Norm des § 2069 BGB widerlegt werden kann2.

10.207 M 57 Bedingtes Vermächtnis Meinem Neffen N vermache ich 25.000 Euro, für den Fall, dass das bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstück X aus meinem Nachlass Baugelände wird. Sollte mein Neffe zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben sein, sollen seine Erben die 25.000 Euro (nicht) erhalten.

10.208 Auch zwischen dem Aufschieben der Fälligkeit und der Befristung des Vermächtnisses nach § 2177 BGB muss sorgfältig unterschieden werden. Schiebt der Erblasser durch eine Befristung den Anfall des Vermächtnisses hinaus, so ist eine vorzeitige Leistung rechtsgrundlos erbracht und damit kondizierbar. Bei der bloßen Bestimmung des Fälligkeitszeitpunktes scheidet die Kondiktion des zuvor Geleisteten hingegen nach § 813 Abs. 2 BGB aus. Außerdem stehen dem Bedachten nach § 2184 BGB die seit dem Anfall des Vermächtnisses gezogenen Früchte zu. Liegt eine den Anfall aufschiebende Bedingung oder Befristung vor, kann der Bedachte daher nur die nach dem Eintritt der Bedingung oder des Termins gezogenen Früchte verlangen. Auch im Hinblick auf diese Konsequenzen sollte der Erblasser zur Verhinderung von Streitigkeiten nach dem Erbfall eindeutige Regeln treffen.

10.209 Ein auflösend bedingtes oder unter der Bestimmung eines Endtermins zugewandtes Vermächtnis fällt direkt mit dem Erbfall an. Beim Eintritt der Bedingung oder des Termins muss der Vermächtnisgegenstand entweder als Nachvermächtnis auf den Nachvermächtnisnehmer (§ 2191 BGB) oder als Rückvermächtnis auf den Beschwerten übertragen werden. 2. Die Fälligkeit des Vermächtnisses

10.210 Nach § 2176 BGB wird das Vermächtnis grundsätzlich sofort mit dem Erbfall fällig. Hat der Erblasser die Zeit der Erfüllung ins freie Belieben des Beschwerten gestellt, wird das Vermächtnis im Zweifel mit dem Tod des Beschwerten fällig (§ 2181 BGB). Ein Untervermächtnis wird nicht vor dem Hauptvermächtnis fällig (§ 2186 BGB).

10.211 Der Erblasser kann Anordnungen zur Fälligkeit treffen und dies ist im Rahmen der Testamentsgestaltung auch empfehlenswert3. Dazu kann der Erblasser bspw. einen bestimmten Anfangstermin setzen (sog. „betagtes Vermächtnis“)4. Weichen hierdurch der Zeitpunkt der Entstehung und der Fälligkeit voneinander ab, kann im Einzelfall zweifelhaft sein, welcher Stichtag für eine Wertberechnung maßgeblich sein soll, etwa wenn bei einem Quotenvermächtnis zwischen dem Anfall und der Fälligkeit eine

1 Vgl. zur Abgrenzung z.B. MüKo.BGB/Rudy, § 2176 Rz. 5. 2 Vgl. zum Verhältnis von § 2069 BGB und § 2074 BGB z.B. Bengel, NJW 1990, 1826 (1827); Palandt/ Weidlich, § 2074 Rz. 2. 3 Vgl. auch Horn, NJW 2016, 3500 (3501). 4 Vgl. MüKo.BGB/Rudy, § 2176 Rz. 5; siehe auch Stein, ZEV 2011, 572 ff., der auf die in diesem Zusammenhang häufig genutzte Möglichkeit der Steueroptimierung abstellt. Denn unter Berücksichtigung der Bestimmungen zur Besteuerung von Vermächtnissen können sich bei der Ausschöpfung von erbschaftssteuerrechtlichen Freibeträgen Optimierungen ergeben.

366

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.216 § 10

Geldentwertung stattgefunden hat1. Um insoweit Streit nach dem Erbfall vorzubeugen, sollte der Erblasser gleichzeitig mit Anordnungen zur Fälligkeit auch Anordnungen zum Bewertungsstichtag treffen. Generell ist anzuraten, in der letztwilligen Verfügung Regelungen zur Fälligkeit aufzunehmen. Denn zwischen Erbfall und Erteilung eines Erbscheins können nicht selten einige Monate liegen. Hier bietet sich an, die Fälligkeit ebfls. einige Monate aufzuschieben, um etwa Fragen der Verzinsung des Vermächtnisanspruchs konfliktvermeidend zu klären2.

M 58 Bestimmung der Fälligkeit des Vermächtnisses

10.212

Meiner Nichte N vermache ich einen Anteil in Höhe von 2 % des Nachlasswertes zum Zeitpunkt des Erbfalls (zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Vermächtnisses). Sie kann dieses Vermächtnis nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Erbfall geltend machen.

3. Verjährung des Vermächtnisses Anders als beim Erben findet beim Vermächtnis kein „Von-Selbst-Erwerb“ (§§ 1922 Abs. 1, 1942 10.213 Abs. 1 BGB) statt3. Mit dem Erbfall entsteht lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch gegen die Erben gem. § 2176 BGB, wenn der Erblasser keine anderweitige Anordnung getroffen hat4. Gleichwohl kann der Bedachte das Vermächtnis ausschlagen (siehe hierzu auch Rz. 10.216 ff.). Der Anspruch aus dem Vermächtnis verjährt bei beweglichen Sachen in drei Jahren (§ 195 BGB), bei Grundstücken in 10 Jahren (§ 196 BGB). Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist5.

10.214

Da es beim Vermächtnis gem. § 2180 BGB keine Ausschlagungsfrist gibt, droht bei Untätigsein ledig- 10.215 lich die dreijährige Regelverjährungsfrist gem. § 195 BGB. 4. Annahme und Ausschlagung des Vermächtnisses Dem Vermächtnisnehmer steht es frei, das Vermächtnis anzunehmen oder es auszuschlagen. Bei der anwaltlichen Beratung des Vermächtnisnehmers muss die Möglichkeit erörtert werden, ein Vermächtnis auszuschlagen. Die Ausschlagung erfolgt ebenso wie die Annahme durch formlose und nicht fristgebundene Erklärung gegenüber dem Beschwerten (§ 2180 Abs. 2 S. 1 BGB)6. Auch eine Erklärung durch schlüssiges Verhalten ist möglich7. Die Erklärung kann erst nach dem Eintritt des Erbfalls abgegeben werden. Sie ist gegenüber dem Beschwerten abzugeben (§ 2180 Abs. 2 S. 1 BGB); die Erklärung kann aber auch gegenüber dem Nachlasspfleger oder einem Testamentsvollstrecker abgegeben werden, nicht aber gegenüber dem Nachlassgericht8. Dass das Vermächtnis schon angefallen und fällig ist, ist allerdings nicht erforderlich. Die Ausschlagung kann daher wie die Annahme eines

1 Der BGH (v. 29.5.1974 – IV ZR 65/72, WM 1974, 838) hält den Zeitpunkt der Tilgung für ausschlaggebend, wenn der Vermächtnisnehmer nach dem Erblasserwillen den Wert eines bestimmten Teils des Nachlasses erhalten sollte. 2 So auch Seiler-Schopp in Krug, § 3 Rz. 210, der eine Fälligkeitsfrist von drei bis sechs Monaten nach dem Erbfall empfiehlt. 3 Siehe auch Rz. 10.1 ff. 4 Vgl. Horn, NJW 2018, 1000 (1001). 5 Vgl. Erman/Nobis, § 2174 BGB Rz. 3a. 6 BGH v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, ZEV 2011, 251 (252). 7 BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 = NJW 2001, 520 (521); LG Mönchengladbach v. 7.11.2017 – 3 O 99/15, BeckRS 2017, 147232 Rz. 53. 8 Vgl. Palandt/Weidlich, § 2180 Rz. 1.

Nienaber/Schmitz 367

10.216

§ 10 Rz. 10.217

Vermächtnis

aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnisses schon vor dem Eintritt der Bedingung oder Befristung (entsprechend §§ 2142 S. 1, 1946 BGB)1, bei einem Vermächtnis nach § 2191 BGB vor dem Eintritt des Nachvermächtnisfalles2 erklärt werden. Eine Frist für die Ausschlagungs- sowie die Annahmeerklärung besteht nicht3. Der Erblasser kann das Vermächtnis aber unter die aufschiebende Bedingung stellen, dass der Bedachte die Annahme binnen einer bestimmten Frist erklärt. Die Ausschlagungs- oder Annahmeerklärung ist unwirksam, wenn sie unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung abgegeben wird (§ 2180 Abs. 2 S. 2 BGB). Nach der Annahme ist die Ausschlagung nicht mehr möglich (§ 2180 Abs. 1 BGB). Der Vermächtnisanspruch kann dann nur noch durch einen Erlassvertrag zwischen dem Beschwerten und dem Vermächtnisnehmer erlöschen. Die Annahme- wie auch die Ausschlagungserklärung sind nach den §§ 119 ff. BGB anfechtbar. Durch eine Pfändung des Vermächtnisanspruchs ist der Bedachte nicht an der Ausschlagung gehindert.

10.217 Schlägt der Vermächtnisnehmer das Vermächtnis aus, gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt (§§ 2180 Abs. 3, 1953 Abs. 1, 2 BGB).

10.218 Eine Besonderheit besteht bei minderjährigen Vermächtnisnehmern. Sofern es sich um noch geschäftsunfähige bzw. beschränkt geschäftsfähige Minderjährige handelt, müssen diese grundsätzlich von den sorgeberechtigten Eltern gem. § 1626 ff. BGB bei der Ausschlagung vertreten werden. Die Ausschlagungserklärung bedarf stets der familiengerichtlichen Genehmigung (§ 1643 Abs. 2 i.V.m. § 1822 Nr. 2 BGB)4. Von diesem Erfordernis wird allerdings gem. § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB eine Ausnahme gemacht, wenn das Vermächtnis dem minderjährigen Kind erst aufgrund der Ausschlagung eines Elternteils angefallen ist.

10.219 Bei der Annahme eines Vermächtnisses gem. § 2180 BGB muss ein geschäftsunfähiges Kind stets von den sorgeberechtigten Eltern vertreten werden. Uneinheitlich wird dahingegen die Frage der Vermächtnisannahme durch beschränkt geschäftsfähige Minderjährige (§ 107 BGB) beurteilt. Ob eine Einwilligung der Eltern als gesetzliche Vertreter gem. § 107 BGB notwendig ist, hängt davon ab, ob es sich bei der Annahme um ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft i.S.v. § 107 BGB handelt. In diesem Falle bedürfte es keiner Vertretung durch die sorgeberechtigten Eltern. Die h.M. differenziert bei der Beurteilung dieser Frage zwischen belasteten und unbelasteten Vermächtnissen5. Ist die Annahme des Vermächtnisses für den Minderjährigen mit der Eingehung von Verpflichtungen verbunden, für die er bspw. nicht nur dinglich mit der zugewendeten Sache, sondern auch persönlich haften würden, so ist die Vermächtnisannahme „belastet“ und nicht lediglich rechtlich vorteilhaft6. Die in der Literatur vertretene, nicht überzeugende Gegenansicht sieht ein Vertretungserfordernis generell als

1 BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 = NJW 2001, 520 (521); MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 7. 2 BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 NJW 2001, 520. 3 Der BGH (v. 9.12.2010 – III ZR 272/09, NJW 2011, 1353 [1354] und v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, FamRZ 2011, 468 = MDR 2011, 304 = ZEV 2011, 251 [252]), verneint eine Anwendung der Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB auf das Vermächtnis. So auch in Bezug auf wechselbezügliche Verfügungen gem. §§ 2270, 2271 BGB BGH v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, ZEV 2011, 251 ff. Bei Zuwendung eines Vermächtnisses an einen Pflichtteilsberechtigten, kann ausnahmsweise doch eine Erklärungsfrist gem. § 2307 Abs. 2 entstehen; nämlich dann, wenn der Erbe den Bedachten zur Erklärung der Annahme auffordert. Lässt der Bedachte die Frist verstreichen, gilt das Vermächtnis gem. § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB als ausgeschlagen. Diese Bestimmung gilt jedoch nicht bei dem mit einem Vorausvermächtnis bedachten Erben, so OLG München v. 26.7.2017 – 7 U 302/17, BeckRS 2017, 121285. 4 Vgl. Reymann, jurisPK-BGB, § 2180 BGB Rz. 32; Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 2. 5 Vgl. Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 3; Burandt/Rojahn/Burandt, § 2180 Rz. 5; BeckOGK-BGB/Sachs, § 2180 Rz. 8; wohl auch: OLG München v. 23.9.2011 – 34 Wx 311/11, ZEV 2011, 658 ff. 6 So im Zusammenhang der Schenkung einer Eigentumswohnung BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, NJW 2010, 3643.

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Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.224 § 10

notwendig an, da die Annahme eines Vermächtnisses wegen des Verlustes des Ausschlagungsrechts nie lediglich rechtlich vorteilhaft i.S.v. § 107 BGB sein könne1. Für den Fall, dass ein nicht lediglich rechtlich vorteilhaftes Vermächtnis, z.B. eine WEG-Immobilie, angenommen werden soll, ist eine Vertretung durch die Eltern ausgeschlossen und eine familiengerichtliche Genehmigung gem. §§ 1643 Abs. 1 i.V.m. 1821, 1822 BGB erforderlich. Ist ein Elternteil sogar selbst Erbe und in der Pflicht, das Vermächtnis zu erfüllen, muss zur Erklärung der Annahme des Vermächtnisses zusätzlich ein Ergänzungspfleger gem. §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1 Nr. 1, 181 BGB bestellt werden. Die Genehmigungspflicht des Familiengerichts gilt in gleicher Weise auch für den Ergänzungspfleger.

10.220

In der Praxis ist angesichts der komplexen Rechtsfragen bei der Vermächtnisannahme durch be- 10.221 schränkt geschäftsfähige Minderjährige zu empfehlen, rein vorsorglich die Annahme durch den oder die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen erklären zu lassen. Sollte es ferner zu einer Interessenkollision kommen, etwa in dem Falle, dass der gesetzliche Vertreter selbst der Beschwerte und damit gem. §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 2, 181 BGB von der Vertretung ausgeschlossen sein könnte, dann sollte die Bestellung eines Ergänzungspflegers gem. § 1909 Abs. 1 BGB angeregt werden.

VIII. Haftungsfragen 1. Die Haftung des Erben Die Verbindlichkeit aus einem Vermächtnis ist für den Erben eine Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 Abs. 2 BGB)2, für die er nach den allgemeinen Regeln der Erbenhaftung haftet (siehe ausführlich zur Erbenhaftung Rz. 25.1 ff.).

10.222

a) Die Überschwerungseinrede Beruht die Überschuldung des Nachlasses allein auf Auflagen und Vermächtnissen, ist der Erbe nach § 1980 Abs. 1 S. 3 BGB nicht verpflichtet, die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen. Der Erbe kann nach § 1992 BGB der Vermächtnisforderung die Einrede der Überschwerung entgegenhalten. Die Überschwerungseinrede steht dem Erben allerdings nur zu, sofern er sein Recht zur Haftungsbeschränkung weder allgemein (§ 2013 Abs. 1 BGB), noch speziell gegenüber dem Vermächtnisnehmer verloren hat3.

10.223

§ 1992 BGB setzt voraus, dass die Überschuldung des Nachlasses auf Vermächtnissen und Auflagen be- 10.224 ruht. Ob § 1992 BGB auch anwendbar ist, wenn der Nachlass auch ohne Vermächtnisse und Auflage überschuldet ist, ist streitig4. Macht der Erbe die Überschwerungseinrede geltend, so muss er die Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigten gleichmäßig befriedigen (§ 1991 Abs. 4 BGB i.V.m. § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Der Erblasser kann allerdings eine von der gleichmäßigen Befriedigung abweichende Regelung treffen (§ 2189 BGB). Hierauf sollte der Erblasser bei der anwaltlichen Beratung hingewiesen werden, wenn eine Überschwerung zu befürchten ist. Wegen des Nachrangs der Vermächtnis- und Auflagenforderung (§ 1991 Abs. 4 BGB i.V.m. § 327 Abs. 1 Nr. 2 BGB) kann der Beschwerte seine eigenen Forderungen sowie die Forderungen der übrigen Nachlassgläubiger bei den Passiven einstellen. Den danach verbleibenden Aktivnachlass hat er zur gleichmäßigen Befriedigung der Vermächtnisneh1 Vgl. BeckOK-BGB/Müller-Christmann, § 2180 Rz. 8; Reymann, jurisPK-BGB, § 2180 Rz. 37, Röhl, MittbayNot 2013, 189 (192); Keim, ZEV 2011, 563 (565). 2 Siehe hierzu LG Stade v. 27.1.2017 – 5 O 76/16, BeckRS 2017, 143646 Rz. 40. 3 MüKo.BGB/Küpper, § 1992 Rz. 2; Schlüter, Erbrecht, Rz. 929. 4 Für die Anwendbarkeit des § 1992 BGB auch bei Überschuldung ohne Vermächtnisse und Auflagen: RGRK/Johannsen, § 1992 Rz. 2; dagegen: RG v. 19.10.1911 – 52/11 V, JW 1912, 40; KG v. 30.5.1913 – 3. ZS, OLGE 30, 175 (176); OLG München v. 3.12.1998 – 5 U 97/96, ZEV 1998, 100 (101); MüKo.BGB/ Küpper, § 1992 Rz. 5; Soergel/Stein, § 1992 Rz. 2.

Nienaber/Schmitz 369

§ 10 Rz. 10.225

Vermächtnis

mer und Auflagenbegünstigten im Wege der Zwangsvollstreckung herauszugeben (§§ 1992, 1990 Abs. 1 S. 2 BGB). Das bedeutet, dass er die Zwangsvollstreckung der Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigten zu dulden und die zur Verfügung stehenden Nachlassgegenstände genau zu bezeichnen hat. Die Herausgabe der Nachlassgegenstände kann der beschwerte Erbe nach § 1992 S. 2 BGB aber durch Zahlung des Wertes abwenden (Abfindungsrecht). Ist der Vermächtnisanspruch auf eine bestimmte Sache gerichtet und kommt eine vollständige Erfüllung wegen der Überschwerung des Nachlasses nicht in Betracht, ist der Vermächtnisanspruch gem. § 1991 Abs. 4 BGB i.V.m. § 45 InsO mit einem gekürzten Geldwert geltend zu machen. Der Vermächtnisnehmer hat aber die Möglichkeit, durch Einzahlung des Kürzungsbetrags sowohl die Kürzungsmöglichkeit des Erben wie auch dessen Abfindungsrecht auszuschließen1. Dem Vermächtnisnehmer verbleibt zudem das Recht, trotz Erhebung der Überschwerungseinrede mit dem Vermächtnisanspruch gegen eine Nachlassforderung aufzurechnen2.

10.225 Im Prozess führt die Erhebung der Überschwerungseinrede zur Klageabweisung, wenn feststeht, dass Mittel auch für die gekürzte Erfüllung des Vermächtnisses nicht vorhanden sind3. Das Gericht kann im Erkenntnisverfahren aber auch auf die Klärung des Umfangs des Nachlasses verzichten und diese dem Vollstreckungsverfahren überlassen, indem es sich mit dem Ausspruch des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung (§ 780 ZPO) begnügt4. Ist der Nachlass erschöpft, kann der Erbe im Zwangvollstreckungsverfahren eine Vollstreckungsgegenklage zur Abwendung der Vollstreckung in sein Eigenvermögen erheben (§§ 785, 784, 767 ZPO). Diese hat aber nur Erfolg, wenn das vollstreckbare Urteil den Haftungsbeschränkungsvorbehalt (§ 780 ZPO) enthält. Daher muss der Anwalt des Erben im Erkenntnisverfahren unbedingt auf die Aufnahme des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung drängen. b) Die Rechts- und Sachmängelhaftung

10.226 Das Vermächtnisrecht sieht eine Haftung des Beschwerten für Rechts- (§ 2182 BGB) und Sachmängel (§ 2183 BGB) vor. In Bezug auf Sachmängel wird hinsichtlich der Mängelhaftung zwischen Stück- und Gattungsvermächtnissen differenziert5. aa) Die Rechts- und Sachmängelhaftung beim Stückvermächtnis

10.227 Das Vermächtnisrecht enthält keine besonderen Regeln für die Rechts- und Sachmängelhaftung beim Stückvermächtnis. Der Vermächtnisnehmer erhält den Vermächtnisgegenstand hier in dem – rechtlichen und faktischen – Zustand, in dem er sich zum Zeitpunkt des Erbfalls im Nachlass befindet. Dies dürfte auch allgemein dem mutmaßlichen Erblasserwillens entsprechen6. Der Erblasser kann aber anordnen, dass der Beschwerte bestimmte Lasten oder Sachmängel zu beseitigen hat. Für einen Untergang der Sache nach dem Erbfall gelten die §§ 275 ff. BGB. Verschlechtert der Vermächtnisgegenstand sich nach dem Erbfall aufgrund eines Verschuldens des Beschwerten, gelten die allgemeinen Grundsätze über den Schadensersatz bei Pflichtverletzung (§§ 280 ff. BGB)7.

10.228 Hat der Erblasser über die Beseitigung von Lasten keine Anordnung getroffen, so kann der Vermächtnisnehmer die Beseitigung nach § 2165 Abs. 1 BGB nicht verlangen. Stand dem Erblasser ein Anspruch auf Beseitigung der Belastung zu, gilt dieser im Zweifel als mitvermacht (§ 2165 Abs. 1 S. 2 BGB). Die der Belastung des Gegenstandes zugrunde liegende persönliche Schuld geht nicht auf den Vermächtnisnehmer über, sondern muss nach wie vor durch den Erben getilgt werden, sofern der 1 RG v. 2.5.1930 – IV 71/29, Recht 1930, 1521; BGH v. 29.5.1964 – V ZR 47/62, NJW 1964, 2298 (2300); MüKo.BGB/Küpper, § 1992 Rz. 9. 2 Palandt/Weidlich, § 1992 Rz. 3. 3 RG v. 23.3.1930 – IV 620/29, JW 1930, 2215; Soergel/Stein, § 1992 Rz. 5. 4 BGH v. 29.5.1964 – V ZR 47/62, NJW 1964, 2300; Palandt/Weidlich, § 1992 Rz. 1. 5 Kritisch zur legislativen Umsetzung im Rahmen der Schuldrechtsreform Amend, ZEV 2002, 227 ff. 6 So auch Burandt in Burandt/Rojahn, § 2182 Rz. 1. 7 Bambring, ZEV 2002, 139.

370

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.242 § 10

Erblasser keine abweichende Bestimmung getroffen hat (vgl. auch Rz. 10.268). Stand eine Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld dem Erblasser selbst zu, so ist aus den Umständen zu entnehmen, ob diese als mitvermacht gilt (§ 2165 Abs. 2 BGB). Der Bedachte trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast1. bb) Die Rechtsmängelhaftung beim Gattungs- und Verschaffungsvermächtnis Beim auf die Nachlassgegenstände beschränkten Gattungsvermächtnis (vgl. Rz. 10.123) haftet der Beschwerte nur dann für Sach- und Rechtsmängel, wenn sich im Nachlass auch mangelfreie Gegenstände aus der Gattung befinden2. Ist das nicht der Fall, gelten die Regeln über das Stückvermächtnis entsprechend.

10.229

Für das unbeschränkte Gattungsvermächtnis verweist § 2182 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Rechts- 10.230 mängelhaftung auf das Kaufrecht. Der Beschwerte muss dem Vermächtnisnehmer den Gegenstand entsprechend § 435 S. 1 BGB frei von Rechten Dritter verschaffen, sofern sich nicht aus der Anordnung des Erblassers ergibt, dass der Vermächtnisnehmer diese zu übernehmen hat3. Ist Gegenstand des Vermächtnisses ein Grundstück, sind Grunddienstbarkeiten, beschränkte persönliche Dienstbarkeiten und Reallasten allerdings im Zweifel von der Rechtsmängelhaftung ausgenommen (§ 2182 Abs. 3 BGB). Für sonstige dingliche Rechte haftet der Beschwerte hingegen nach § 435 S. 1 BGB und ist zudem nach § 436 Abs. 1 BGB verpflichtet, Erschließungs- und sonstige Anliegerbeiträge für solche Maßnahmen zu tragen, die bis zum Anfall des Vermächtnisses bautechnisch begonnen worden sind. Die Rechtsmängelhaftung beim Vermächtnis eines eingetragenen Schiffes, Schiffsbauwerkes oder einer Schiffshypothek entspricht der beim Grundstücksvermächtnis (§ 452 BGB). Aus dem Verweis in § 2182 Abs. 1 BGB auf § 453 BGB folgt, dass § 2182 BGB auch für vermachte Rechte gilt4, die entsprechend §§ 453 Abs. 1, 435 S. 1 BGB frei von Rechten Dritter zu übertragen sind. Uneinheitlich wird beantwortet, wie der Beschwerte haftet, wenn er seiner Pflicht zur rechtsmängelfreien Übertragung des Vermächtnisgegenstandes nicht nachkommt. Ob aus der Formulierung des § 2182 Abs. 1 BGB, der Beschwerte hafte „wie ein Verkäufer“ geschlossen werden kann, § 437 BGB sei entsprechend anwendbar5, erscheint zweifelhaft, da im Folgenden nur auf einzelne kaufrechtliche Vorschriften Bezug genommen wird. Richtig ist wohl eine Haftung nach §§ 280 ff. BGB anzunehmen6.

10.231

Für das Verschaffungsvermächtnis gelten über § 2182 Abs. 2 BGB angesichts der Rechtsmängelhaftung grundsätzlich die gleichen Regeln wie für das Gattungsvermächtnis. § 2182 Abs. 2 BGB enthält aber durch die Inbezugnahme des § 2170 BGB eine Besonderheit. Ist der Beschwerte zur Verschaffung eines rechtsmängelfreien Vermächtnisgegenstandes nicht in der Lage oder würde diese einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, so kann der Beschwerte sich durch die Leistung von Wertersatz befreien (§ 2182 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2170 Abs. 2 BGB). Der Vermächtnisnehmer kann aber auch verlangen, dass ihm der rechtsmängelbehaftete Gegenstand verschafft und Wertersatz zum Ausgleich der Wertminderung geleistet wird7.

10.232

10.233–10.241

Einstweilen frei. cc) Die Sachmängelhaftung beim Gattungsvermächtnis

Die Sachmängelhaftung ist im Vermächtnisrecht in § 2183 BGB nur für das Gattungsvermächtnis geregelt. Für das Verschaffungsvermächtnis gelten insoweit die Ausführungen zum Stückvermächtnis 1 2 3 4 5 6 7

BayObLG v. 15.5.2001 – 2Z BR 52/01, NJW-RR 2001, 1665. Ebenroth, Erbrecht, Rz. 489; Staudinger/Otte, § 2182 Rz. 9. Staudinger/Otte, § 2182 Rz. 3. Amend, ZEV 2002, 227 (228); Schlichting, ZEV 2002, 478; zweifelnd Soergel/Wolf, § 2182 Rz. 2. So z.B. Staudinger/Otte, § 2182 Rz. 5. So auch Palandt/Weidlich, § 2182 Rz. 2; Soergel/Wolf, § 2182 Rz. 2. MüKo.BGB/Rudy, § 2182 Rz. 9.

Nienaber/Schmitz 371

10.242

§ 10 Rz. 10.243

Vermächtnis

entsprechend1. Ist die zur Erfüllung des Gattungsvermächtnisses geleistete Sache mit einem Sachmangel behaftet, kann der Vermächtnisnehmer zunächst Nachlieferung einer mangelfreien Sache verlangen. Hat der Beschwerte den Mangel arglistig verschwiegen, kann der Vermächtnisnehmer statt der Nachlieferung auch Schadenersatz statt der Leistung ohne Nachfristsetzung fordern.

10.243 In der Literatur umstritten ist die Frage, ob dem Vermächtnisnehmer weitergehende Ansprüche, speziell auf Nachbesserung i.S.v. § 439 BGB, zustehen. Fraglich ist dies vor allem deshalb, weil § 2183 S. 3 BGB nur hinsichtlich „dieser“ Ansprüche, also der in S. 1 und 2 genannten Ansprüche, auf das Kaufrecht verweist. Nach herrschender Ansicht kann der Vermächtnisnehmer aber statt Nachlieferung auch Nachbesserung i.S.v. § 439 Abs. 1 BGB verlangen2. Man wird jedoch konzedieren müssen, dass anders als im Kaufrecht, auf das der § 2183 BGB verweist, der Beschwerte sich nicht durch eigene Verhandlungen zur mangelfreien Lieferung des Vermächtnisgegenstands verpflichtet hat, sondern dies durch einseitige Anordnung des Erblassers geschah. Wollte er sich entziehen, bliebe dem Beschwerten nur die Ausschlagung. Insoweit ist es sachgerecht, die Erfüllung des Nachbesserungsanspruchs dahingehend einzuschränken, wie es dem des Beschwerten tatsächlich und rechtlich möglich sowie zumutbar ist3. Um Zweifelsfragen zu vermeiden, sollte der Erblasser im Rahmen seiner Vermächtnisanordnung festlegen, ob der Bedachte neben der Nachlieferung auch die Nachbesserung verlangen kann, oder die Sachmängelhaftung auf einen Nachlieferungsanspruch beschränkt ist. Diese Aspekte sind in der Beratungspraxis zu beachten, wenn der Erblasser ein Gattungsvermächtnis gem. § 2155 BGB in seiner letztwilligen Verfügung anordnen will. dd) Verjährung

10.244 Die Verjährung von Ansprüchen wegen Rechts- und Sachmängeln richtet sich nach § 438 Abs. 1–3 BGB i.V.m. §§ 2182 Abs. 1 S. 1, 2183 S. 3 BGB und nicht nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB4. c) Die Haftung für die Kosten der Vermächtniserfüllung

10.245 Die Kosten der Vermächtniserfüllung trägt der Beschwerte, wenn der Erblasser keine anderweitige Anordnung getroffen hat5. Der Klarheit halber sollte dies vom Erblasser stets ausdrücklich geregelt werden. 2. Die Haftung des beschwerten Vermächtnisnehmers

10.246 Bei einem Untervermächtnisnehmer ist der Hauptvermächtnisnehmer im Verhältnis zum Untervermächtnisnehmer beschwert. a) Die Beschränkung auf das Erlangte

10.247 Beratungssituation: Alleinerbin des Erblassers ist dessen Ehefrau. Seinem Sohn hat der Erblasser ein Mietshaus vermacht. Seiner Schwester hat er bis zu ihrem Lebensende die Hälfte der Mieteinnahmen aus diesem Haus vermacht. Der Sohn des Erblassers vereinbart daraufhin mit der Alleinerbin, dass diese ihm 1 Vgl. Rz. 10.227 ff.; hier kommt bei Verschaffung einer mangelhaften Sache nur ein Anspruch gem. §§ 280 ff. BGB in Betracht. 2 Dafür: Erman/Nobis, § 2183 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2183 Rz. 2; Soergel/Wolf, § 2183 Rz. 2; BeckOKBGB/Müller-Christmann, § 2183 Rz. 3; HK-BGB/Hoeren, § 2183 Rz. 2; MüKo.BGB/Rudy, § 2183 Rz. 4; Mayer in Kroiß/Ann/Mayer, § 2183 Rz. 6; Schlichting, ZEV 2002, 478 (479); Amend, ZEV 2002, 227 (229); dagegen: BeckOGK-BGB/Sachs, § 2183 Rz. 5; Staudinger/Otte, § 2183 Rz. 2; Burandt in Burandt/ Rojahn, § 2183 Rz. 7; Otte, ZEV 2004, 9 (12). 3 So MüKo.BGB/Rudy, § 2183 Rz. 4. 4 Staudinger/Otte, § 2183 Rz. 4. 5 BGH v. 20.3.1963 – V ZR 89/62, NJW 1963, 1602 (1604); Reymann, jurisPK-BGB, § 2174 BGB Rz. 161 ff.

372

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.252 § 10

das Haus erst übertragen soll, wenn die Schwester des Erblassers verstorben ist. Die Schwester möchte nun wissen, ob und von wem sie die Mieteinnahmen aus dem Haus erhalten kann.

Die Höhe des Untervermächtnisses ist nicht durch den Wert des Hauptvermächtnisses begrenzt. Der Hauptvermächtnisnehmer kann die Erfüllung des Untervermächtnisses aber insoweit verweigern, als dasjenige, was er aus dem Vermächtnis erhält, zur Erfüllung nicht reicht (§ 2187 Abs. 1 BGB). Entscheidend ist also der dem Hauptvermächtnisnehmer wirtschaftlich tatsächlich zugeflossene Vermögenswert. § 2187 BGB ist aber nicht dahin gehend zu verstehen, dass der Anspruch des Untervermächtnisnehmers erst entsteht, wenn der Hauptvermächtnisnehmer aus dem Vermächtnis tatsächlich etwas erhält. Vielmehr kann der Untervermächtnisnehmer nach angemessener Wartezeit vom Vermächtnisnehmer die Abtretung seines Anspruchs verlangen, um die Durchsetzung des Hauptvermächtnisses selbst zu betreiben. Außerdem kann dem Hauptvermächtnisnehmer die Berufung auf § 2187 BGB verwehrt sein, wenn er es unter Verletzung des Schuldverhältnisses zwischen ihm und dem Untervermächtnisnehmer versäumt hat, seinen Vermächtnisanspruch geltend zu machen1.

10.248

Im Beispielsfall wird man dem Sohn des Erblassers die Berufung auf § 2187 Abs. 1 BGB im Hinblick 10.249 auf § 242 BGB versagen müssen, da er das Hauptvermächtnis unter Verletzung seiner Pflichten gegenüber der Schwester des Erblassers nicht geltend macht. Denkbar ist aber auch, den Sohn auf Abtretung des Hauptvermächtnisanspruchs zu verklagen und dann die Ehefrau des Erblassers wegen der Erfüllung des Hauptvermächtnisses in Anspruch zu nehmen. Über § 2187 Abs. 3 BGB gilt für die Beschränkung auf den Wert des Hauptvermächtnisgegenstandes § 1992 BGB. Die Ausführungen zur Überschwerungseinrede des Erben geltend daher entsprechend (vgl. Rz. 10.223 ff.). An die Stelle des Nachlasswertes tritt dann der Wert des Vermächtnisgegenstandes.

10.250

b) Das Kürzungsrecht Bei einer Kürzung des Vermächtnisses des Hauptvermächtnisnehmers aufgrund der Beschränkung 10.251 der Haftung des Erben (§§ 1990–1992 BGB; vgl. Rz. 10.223 ff.; § 327 InsO), wegen eines Pflichtteilsanspruchs (§§ 2318, 2322–2324 BGB)2 oder nach § 2187 BGB (vgl. Rz. 10.248 f.) kann der Hauptvermächtnisnehmer die Kürzung verhältnismäßig an seine Untervermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigten weitergeben (§ 2188 BGB). § 2188 BGB trägt mit dieser Regelung dem Umstand Rechnung, dass der Erblasser i.d.R. Haupt- und Untervermächtnis in einer bestimmten Relation gesehen hat. Dem Erblasser steht es aber frei, eine von § 2188 BGB abweichende Regelung zu treffen. Ist Gegenstand des Untervermächtnisses ein unteilbarer Gegenstand, kann der Untervermächtnisnehmer den Gegenstand nur gegen Zahlung des Kürzungsbetrages verlangen3. Ist der Untervermächtnisnehmer zur Zahlung des Kürzungsbetrages nicht bereit, kann der Hauptvermächtnisnehmer sich durch Zahlung eines gekürzten Wertersatzes befreien4. Ist der Hauptvermächtnisnehmer mit mehreren Untervermächtnissen oder Auflagen beschwert, erfolgt die Kürzung grundsätzlich bei jedem Begünstigten gleichmäßig. Der Erblasser kann aber auch den Vorrang eines Begünstigten anordnen (§ 2189 BGB). Die Kürzung tritt nicht per Gesetz ein, sondern muss als Einrede im Erkenntnisverfahren geltend gemacht werden. c) Die Rechts- und Sachmängelhaftung Für die Rechts- und Sachmängelhaftung des Hauptvermächtnisnehmers gegenüber dem Untervermächtnisnehmer gelten die zur Haftung des beschwerten Erben gemachten Ausführungen entsprechend (vgl. Rz. 10.226 ff.). 1 MüKo.BGB/Rudy, § 2187 Rz. 2. 2 Zum Kürzungsrecht gem. § 2318 BGB siehe auch LG Essen v. 12.1.2017 – 6 O 420/16, BeckRS 2017, 139983 Rz. 20 ff. 3 BGH v. 21.12.1955 – IV ZR 105/55, NJW 1956, 507. 4 MüKo.BGB/Rudy, § 2188 Rz. 3.

Nienaber/Schmitz 373

10.252

§ 10 Rz. 10.253

Vermächtnis

d) Rechtsfolge bei Ausschlagung des Hauptvermächtnisnehmers

10.253 Schlägt der beschwerte Hauptvermächtnisnehmer das Vermächtnis aus, so bleibt das Vermächtnis im Zweifel gem. § 2161 S. 1 BGB wirksam. Beschwert ist dann, wer aus dem Wegfall des ursprünglich Beschwerten unmittelbar Vorteil zieht; dies gilt dann auch gegenüber den gesetzlichen Erben1. 3. Die Haftung bei einer Mehrheit von Beschwerten

10.254 Beratungssituation: Der Mandant möchte sein Vermögen zu gleichen Teilen seinem Sohn und seiner Tochter vererben. Das einzige Enkelkind des Mandanten, der Sohn seiner Tochter, soll 50.000 Euro erhalten. Der Mandant möchte nun wissen, welche Auswirkungen diese Vermächtnisanordnung auf die Erbteile seiner Kinder hat.

10.255 Sind mehrere Erben oder mehrere Vermächtnisnehmer mit demselben Vermächtnis beschwert, so sind im Zweifel die Erben nach dem Verhältnis der Erbteile, die Vermächtnisnehmer nach dem Verhältnis des Werts der Vermächtnisse beschwert (§ 2148 BGB). Über seinen Wortlaut hinaus ist § 2148 BGB auch anzuwenden, wenn Erben und Vermächtnisnehmer gemeinsam mit einem (Unter-)Vermächtnis beschwert sind. Auch bei einer alternativen Beschwerung verschiedener Personen soll § 2148 BGB Anwendung finden2.

10.256 Nach herrschender Meinung betrifft die Vorschrift nur das Innenverhältnis der Beschwerten untereinander3. Im Außenverhältnis haften mehrere Beschwerte für dasselbe Vermächtnis als Gesamtschuldner nach den §§ 420 ff., 2058 ff. BGB. Der Ausgleich im Innenverhältnis erfolgt gem. § 2148 BGB nach dem Verhältnis der Erbteile bzw. bei der Beschwerung mehrerer Vermächtnisnehmer nach dem Verhältnis des Werts der Vermächtnisse im Zeitpunkt des Erbfalls. Sind sowohl Erben als auch Vermächtnisnehmer beschwert, ist wie bei der Beschwerung mehrerer Vermächtnisnehmer einheitlich auf den Wert der Zuwendung abzustellen4.

10.257 Im Beispielsfall haften also ohne eine abweichende Anordnung des Erblassers die Tochter und der Sohn für die Vermächtniserfüllung gegenüber dem Enkel als Gesamtschuldner. Im Innenverhältnis müssen beide die Vermächtnislast zu je 50 % tragen.

10.258 Der Erblasser kann von der Verteilung des § 2148 BGB abweichende Anordnungen treffen. Um insoweit Streit zwischen den Hinterbliebenen zu vermeiden, sollte der Anwalt oder Notar dem Erblasser raten, eine eindeutige Regelung zu treffen, in der er klarstellt, ob die Beschwerten im Außenverhältnis als Gesamtschuldner oder nur nach Anteilen haften und wie die Verteilung im Innen- bzw. Außenverhältnis vorgenommen werden soll5. Solche Anordnungen sind vor allem sinnvoll, wenn der Erblasser Streit unter den Erben über die Erfüllung des Vermächtnisses befürchtet und den Vermächtnisnehmer aus diesem Streit völlig heraushalten möchte.

1 Vgl. Bartsch in Urich, § 2 Rz. 141. 2 Vgl. Palandt/Weidlich, § 2148 Rz. 2. 3 MüKo.BGB/Rudy, § 2148 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2148 Rz. 1; Staudinger/Otte, § 2148 Rz. 4. Nach a.A. wird § 2148 BGB zwar auch grundsätzlich nur Bedeutung im Innenverhältnis beigemessen, für den Fall, dass aber nicht alle Miterben oder nur Vermächtnisnehmer mit einer teilbaren Leistung beschwert sind, soll § 2148 BGB zu einer lediglich anteiligen Haftung auch im Außenverhältnis führen. Vgl. dazu RGRK/ Johannsen, § 2148 Rz. 3. 4 MüKo.BGB/Rudy, § 2148 Rz. 9. 5 Vgl. zu den Regelungsmöglichkeiten auch BGH v. 29.5.1964 – V ZR 47/62, NJW 1964, 2298 (2309); Soergel/Wolf, § 2148 Rz. 2.

374

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.263 § 10

M 59 Gesamtschuldnerische Haftung nach Außen und Verteilungsmaßstab im Innenverhältnis

10.259

Hiermit vermache ich meinem Enkel 50.000 Euro. Für die Vermächtniserfüllung haften die Erben als Gesamtschuldner. Im Innenverhältnis der Erben untereinander soll die Vermächtnislast zu drei Viertel meine Tochter und zu einem Viertel meinen Sohn treffen.

§ 2148 BGB gilt nicht, wenn ein Erbe anstelle eines Pflichtteilberechtigten gesetzlicher Erbe wird und 10.260 der Pflichtteilsberechtigte der Vermächtnisnehmer ist. Hier hat der Erbe das Vermächtnis in Höhe des erlangten Vorteils zu tragen (§ 2320 Abs. 1 BGB) und kann daher von den anderen Miterben keinen Ausgleich verlangen. 4. Die Haftung des Beschwerten bei Vorerfüllung des Erblassers Obwohl der Vermächtnisanspruch frühestens mit dem Erbfall entstehen kann (vgl. Rz. 10.203), wird 10.261 allgemein vertreten, der Erblasser könne den Anspruch auch schon zu Lebzeiten erfüllen1. In der Vorerfüllung durch den Erblasser kann aber auch eine Schenkung liegen2, so dass die Zuwendung ihren Rechtsgrund nicht in dem Vermächtnis hat und somit keine Erfüllung des Vermächtnisanspruchs vorliegt. Liegt keine Erfüllung vor, wird das Stückvermächtnis durch die Übertragung des vermachten Gegenstandes zu Lebzeiten unwirksam (§ 2171 BGB)3. Beim Gattungsvermächtnis ist es hingegen Auslegungsfrage, ob der Vermächtnisanspruch und damit die Haftung des Beschwerten noch besteht. Denkbar ist hier, dass das Vermächtnis unter der stillschweigenden Bedingung angeordnet worden war, dass der Erblasser den Bedachten nicht noch unter Lebenden befriedigt, oder dass der Erblasser zur Erfüllung des zukünftigen Vermächtnisanspruchs geleistet hat4. Der Erblasser sollte die Folgen seiner Zuwendung unter Lebenden im Hinblick auf das Vermächtnis ausdrücklich festlegen. 5. Die Haftung des Testamentsvollstreckers gegenüber dem Vermächtnisnehmer Hat der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung zusätzlich zum Vermächtnis eine Testamentsvollstreckung angeordnet, so hat der Testamentsvollstrecker anstelle der Erben das Vermächtnis zu erfüllen. Hier sieht sich der Testamentsvollstrecker regelmäßig damit konfrontiert, dass der Vermächtnisnehmer eine rasche Erfüllung seines Vermächtnisses erwartet. Diese kann aber wirtschaftliche Risiken für den Nachlass und für den für die Abwicklung eingesetzten Testamentsvollstrecker mit sich bringen.

10.262

Gem. § 2219 Abs. 1 BGB haftet der Testamentsvollstrecker bei der Pflichtverletzungen auch gegenüber 10.263 dem Vermächtnisnehmer auf Schadensersatz5. Aus § 2219 Abs. 1 BGB folgt eine persönliche Haftung des Testamentsvollstreckers. Er haftet unbeschränkt mit seinem eigenen Vermögen6. Problematisch ist 1 OLG Hamm v. 14.7.1995 – 10 U 17/95, MDR 1995, 1236; Leipold, JZ 1996, 287 (295). 2 OLG Hamm v. 14.7.1995 – 10 U 17/95, MDR 1995, 1236; OLG München v. 20.6.1989 – 25 U 3632/88, MDR 1990, 54 = NJW-RR 1989, 1410 (1411). 3 I.E. auch Staudinger/Otte, § 2174 Rz. 29; kritisch hierzu OLG Köln v. 31.7.2014 – 2 U 153/12, BeckRS 2014, 18316, in Bezug auf Auswirkungen lebzeitiger Übertragung eines Vermächtnisgegenstandes auf die Wirksamkeit der Vermächtnisanordnung. Das OLG Köln stellt heraus, dass bei belasteten Stückvermächtnissen, auf die zu Lebzeiten bereits geleistet worden ist, bei entsprechender Interessenlage § 2171 BGB nicht anwendbar sein kann. 4 OLG Hamm v. 14.7.1995 – 10 U 17/95, MDR 1995, 1236. 5 Vgl. Palandt/Weidlich, § 2219 Rz. 3; ferner OLG Köln v. 23.1.2018 – 22 U 77/16, ErbR 2018, 266 ff., sowie OLG Hamburg v. 23.2.2016 – 2 U 18/15, BeckRS 2016, 6248, in Bezug auf Haftung gegenüber Hauptund Untervermächtnisnehmer. 6 Vgl. Niemöller in Bengel/Reimann, § 12 Rz. 1, der zu Recht auf die Notwendigkeit einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung verweist (siehe Niemöller in Bengel/Reimann, § 12 Rz. 118 ff.).

Nienaber/Schmitz 375

§ 10 Rz. 10.264

Vermächtnis

dann die Frage, ob der Vermächtnisnehmer im Falle einer Schadensersatzpflicht des Testamentsvollstreckers einen zusätzlichen Ersatzanspruch gegen die Erben hat. Nach überwiegender Ansicht müssen sich die Erben das Verhalten des Testamentsvollstreckers gem. § 278 BGB zurechnen lassen1. Hierzu kann auf die für den Beschwerten dargestellten Haftungsgrundsätze verwiesen werden (siehe Rz. 10.226 ff.).

10.264 In der Praxis stellt sich oftmals die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Testamentsvollstrecker ein fälliges Vermächtnis zu erfüllen hat und ob er dieses zurückbehalten kann, bis alle Haftungsrisiken für den Nachlass, insbesondere im Hinblick auf die anfallenden Erbschaftssteuern, oder für ihn persönlich ausgeschlossen sind. Zu den wesentlichen Aufgaben des Testamentsvollstreckers i.S.v. § 2203 BGB gehört im Regelfall die Erfüllung von Vermächtnisansprüchen (gem. § 2213 Abs. 1 Satz 3 BGB, nicht hingegen die Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen). Auch muss sich der Testamentsvollstrecker um die steuerlichen Pflichten des Erblassers kümmern. Für die nach dem Erbfall entstandenen Steuern muss er für die Erben, die Steuerschuldner sind, die erforderlichen Mittel zur Steuerzahlung aus dem Nachlass zur Verfügung stellen2. Höchstrichterlich nicht entschieden, aber in der Rechtsprechung diskutiert wird zudem eine Haftung des Testamentsvollstreckers für die Erbschaftsteuer der Vermächtnisnehmer (§ 20 Abs. 3 ErbStG i.V.m. § 2219 BGB)3. Eine ungesicherte Auskehrung des Nachlasses vor Begleichung der Erbschaftsteuer des Vermächtnisnehmers kann daher Haftungsrisiken nach sich ziehen. Dem kann der Testamentsvollstrecker vorbeugen, indem er aus dem Vermächtnis einen entsprechenden Betrag einbehält oder bei Sachvermächtnissen eine Sicherheit fordert4. Praxishinweis: Eine Negativbescheinigung des Finanzamts, dass es eine Haftung des Nachlasses für Erbschaftsteuerschulden des Vermächtnisnehmers ausschließt, wird voraussichtlich in der Praxis nur schwer zu erlangen sein5.

6. Die Haftung des Vermächtnisnehmers selbst a) Der Verwendungsersatz

10.265 Beratungssituation: Der Mandant ist Alleinerbe seiner kürzlich verstorbenen Mutter. In den Nachlass fällt neben reichlich Barvermögen und Aktienfonds auch ein Einfamilienhaus. Dieses hat die Erblasserin der langjährigen Pflegekraft vermächtnisweise zugewandt. Regelungen über die Kosten der Bewirtschaftung und Unterhaltung des Grundbesitzes bis zur endgültigen Eigentumsumschreibung enthält das notarielle Testament nicht. Kurz vor dem Tod der Erblasserin zeigten sich Schäden am Hausdach. Noch am Tag ihres Todes beauftragte die Erblasserin den örtlichen Dachdecker mit der Reparatur. Die umfangreichen Arbeiten wurden erst einige Wochen nach dem Tode der Erblasserin fertiggestellt. Der Handwerksbetrieb sendet die umfangreiche Rechnung an den Mandanten. Dieser möchte nun wissen, ob er als Alleinerbe anstelle der neuen Hauseigentümerin die Kosten tragen muss, obwohl er nichts von dem Haus hat.

10.266 Grds. haftet der Vermächtnisnehmer dem Beschwerten nach § 2185 BGB für die nach dem Erbfall auf die Sache gemachten Verwendungen sowie für Aufwendungen, die der Beschwerte nach dem Erbfall zur Bestreitung von Lasten der Sache gemacht hat, nach den Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. § 2185 BGB gilt wie § 2184 BGB nur für das Stückvermächtnis und nach der h.M. für das Verschaffungsvermächtnis ab dem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerte im Besitz des Vermächtnisgegenstandes ist.

10.267 Nach § 994 BGB kann der Beschwerte für notwendige Verwendungen vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit oder Bösgläubigkeit Ersatz verlangen, danach kommt ein Ersatz nur noch über die Regeln 1 So Staudinger/Reimann, § 2219 Rz. 28; a.A. Muscheler, ZEV 2013, 229 (230 ff.). 2 Vgl. MüKo.BGB/Zimmermann, § 2203 Rz. 11. 3 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuergesetz, § 20 Rz. 53; zu Recht a.A. Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuergesetz, § 20 Rz. 20. 4 So Weidmann, ZEV 2014, 404 (407 f.). 5 Ebenso Weidmann, ZEV 2014, 404 (408).

376

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.268 § 10

der Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht (§ 994 Abs. 2 BGB). Bösgläubig ist der Beschwerte beim bedingten oder befristeten Vermächtnis nicht erst, wenn er den Anfall des bedingten oder befristeten Vermächtnisses kennt, sondern schon mit der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Vermächtnisanordnung, sofern der spätere Anfall nicht zweifelhaft ist1. Für nützliche Verwendungen besteht ein Ersatzanspruch nach § 996 BGB nur vor Eintritt der Rechtshängigkeit oder Bösgläubigkeit. Nach §§ 2185, 994 Abs. 1 S. 2 BGB kann der Beschwerte keinen Ersatz für die gewöhnlichen Erhaltungskosten während der Zeit verlangen, zu der ihm die Nutzungen verbleiben. Diese Regelung ist im Bereich des Vermächtnisrechts aus zwei Gründen schwierig zu handhaben. Zum einen ist die Frage, wann die Nutzungen dem Beschwerten verbleiben, nach § 2184 BGB nicht pauschal zu beantworten. Zunächst stehen alle Nutzungen, Früchte wie auch sonstige Nutzungen dem Beschwerten bis zum Anfall des Vermächtnisses zu. Danach verbleiben nach § 2184 S. 2 BGB die Nutzungen, die nicht zu den Früchten gehören (wie z.B. Gebrauchsvorteile), bis zur Vermächtniserfüllung beim Beschwerten, während die Früchte ab dem Anfall des Vermächtnisses dem Vermächtnisnehmer gebühren, § 2184 S. 1 BGB. Die Regelung des § 2185 BGB stellt indes, anders als § 2184 S. 1 BGB, nicht auf den Anfall des Vermächtnisses ab, sondern regelt den Verwendungsersatz seit dem Erbfall. Aus diesem Zusammenspiel von § 2184 BGB und § 2185 BGB folgt, dass der Beschwerte bis zum Anfall des Vermächtnisses den Ersatz der gewöhnlichen Erhaltungskosten nicht verlangen kann, da ihm hier noch alle Nutzungen inklusive der Früchte gebühren. Nach dem Anfall des Vermächtnisses muss eine schwierige Abgrenzung zwischen den Verwendungen mit Fruchtbezug und den Verwendungen im Hinblick auf Gebrauchsvorteile vorgenommen werden. Hinsichtlich der gewöhnlichen Erhaltungskosten mit Fruchtbezug kommt ein Ersatzanspruch nach Anfall des Vermächtnisses in Betracht, die gewöhnlichen Erhaltungskosten für die beim Beschwerten verbleibenden Gebrauchsvorteile muss der Vermächtnisnehmer indes nicht ersetzen2. Eindeutige Regelungen durch den Erblasser sollten hier für Klarheit sorgen. Dieses hat die Erblasserin in dem Beispielsfall versäumt; dann hätte sie klarstellen müssen, dass die von ihr bedachte Pflegekraft die Unterhaltskosten bereits ab Zeitpunkt des Erbfalls hätte tragen sollen. Es gibt darüber hinaus auch keinen allgemein anerkannte Erfahrungssatz, wonach ein Erblasser regelmäßig den Willen habe, den Beschwerten von den Verbindlichkeiten der Vermächtnisverschaffung freizustellen3. Im Beispielsfall hat somit der Mandant keine Ansprüche auf Verwendungsersatz gem. § 2185 BGB4. b) Die Haftung des Vermächtnisnehmers für Schulden des Erblassers Grundsätzlich gehen die Schulden des Erblassers nach § 1922 BGB auf den Erben über. Geht beim 10.268 Universalvermächtnis der gesamte Nachlass auf den Vermächtnisnehmer über, haftet der Vermächtnisnehmer nach § 2385 Abs. 1 BGB i.V.m. den §§ 2382, 2383 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten. Aber auch beim Stückvermächtnis, das nicht den ganzen Nachlass erfasst, kommt eine Haftung des Vermächtnisnehmers in Betracht. So kann etwa der Vermächtnisnehmer beim Stückvermächtnis i.d.R. die Beseitigung der auf seinem Vermächtnisgegenstand ruhenden Belastungen nicht verlangen (vgl. Rz. 10.228). Ist also z.B. ein Vermächtnisgrundstück mit einer Hypothek oder Grundschuld belastet, so wird das Grundstück zur Vermächtniserfüllung im Zweifel mit der Belastung übertragen, so dass der Vermächtnisnehmer für die Hypothek bzw. Grundschuld mit dem Grundstück haftet. Die der Belastung zugrunde liegende persönliche Forderung geht dagegen i.d.R. nicht auf den Vermächtnisnehmer über (vgl. Rz. 10.228). Der Erblasser kann den Vermächtnisnehmer indes durch eine abweichende Anordnung verpflichten, die persönliche Schuld zu tilgen. Insoweit ist z.B. die Anordnung eines Untervermächtnisses zugunsten des Erben denkbar, durch das ihm ein Anspruch auf Befreiung von der persönlichen Schuld gegen den Hauptvermächtnisnehmer vermacht wird. Da die Frage, wer die Belastungen eines Vermächtnisgegenstandes bzw. die zugrunde liegenden persönlichen Schulden des Erblassers 1 2 3 4

BGH v. 6.3.1991 – IV ZR 114/89, MDR 1991, 1067 = FamRZ 1991, 690 = NJW 1991, 1736 (1739). Vgl. dazu auch Staudinger/Otte, § 2185 Rz. 5. Vgl. BeckOGK-BGB/Sachs, § 2185 Rz. 10.1. So auch in einem ähnlich gelagerten Fall LG Osnabrück v. 17.1.2003 – 7 O 3125/00, NJW-RR 2003, 1373.

Nienaber/Schmitz 377

§ 10 Rz. 10.269

Vermächtnis

zu tragen hat, häufig ein Anlass für Streit zwischen den Hinterbliebenen des Erblassers ist, empfiehlt es sich dringend, diese Fragen in der letztwilligen Verfügung ausdrücklich zu regeln.

10.269 Nur ausnahmsweise besteht für den Vermächtnisnehmer auch ohne eine entsprechende Anordnung des Erblassers eine gesetzliche Verpflichtung zur Tilgung einer persönlichen Schuld des Erblassers. Nach § 2166 Abs. 1 BGB ist der Vermächtnisnehmer gegenüber dem Erben zur Berichtigung einer persönlichen Schuld verpflichtet, wenn das Vermächtnisgrundstück mit einer Hypothek für eine Schuld des Erblassers oder für eine Schuld, zu deren Berichtigung der Erblasser gegenüber dem Schuldner verpflichtet ist, belastet ist. Hier ist der Vermächtnisnehmer im Innenverhältnis gegenüber dem Erben im Zweifel zur Befriedigung des Gläubigers insoweit verpflichtet, als der Wert des Grundstückes ausreicht (§ 2166 Abs. 1 S. 1 BGB). § 2166 BGB wird entsprechend auf Grundschulden angewendet, die eine persönliche Schuld sichern1. § 2166 Abs. 1 BGB betrifft nur die Verpflichtung des Vermächtnisnehmers gegenüber dem Erben im Innenverhältnis. Im Außenverhältnis zum Gläubiger haftet der Vermächtnisnehmer für die persönliche Schuld nicht. Tilgt der Erbe die persönliche Schuld, obwohl er insoweit einen Anspruch gegen den Vermächtnisnehmer hatte, geht die Hypothek bis zur Höhe des Grundstückswerts auf ihn über (§ 1164 BGB). Befriedigt der Vermächtnisnehmer den Gläubiger indes über den Wert des Grundstücks hinaus, so erwirbt er in Höhe des überschießenden Betrages die persönliche Forderung (§ 1143 BGB). Bei einer Höchstbetragshypothek mit ständig wechselnden zugrunde liegenden Forderungen (§ 1190 BGB) gilt § 2166 Abs. 1 BGB nicht (§ 2166 Abs. 3 BGB). § 2166 Abs. 3 BGB gilt entsprechend für eine einen Kontokorrentkredit sichernde Grundschuld2. Der Erblasser kann von § 2166 BGB abweichende Regelungen treffen. Interessengerecht dürfte insoweit meist eine Regelung sein, nach der der Bedachte die gesicherte persönliche Schuld zu tragen hat, wenn diese einen Bezug zum Grundstück aufweist bzw. diesem zugutekommt.3

IX. Erfüllung des Vermächtnisses 1. Allgemeines

10.270 Das Vermächtnis begründet einen letztwilligen, durch den Erblasser angeordneten, schuldrechtlichen Leistungsanspruch gegen den Beschwerten auf Übertragung des Vermächtnisgegenstandes (§ 2174 BGB). Die Erfüllung des Vermächtnisanspruches selbst wird durch dinglichen Übertragungsakt nach sachenrechtlichen Grundsätzen erfüllt. Dabei variiert die Erfüllungsleistung in Abhängigkeit vom Vermächtnisgegenstand. So erfolgt bspw. die Erfüllung beim Grundstücksvermächtnis durch Auflassung und Eintragung im Grundbuch gemäß §§ 873, 925 BGB, 20 GBO; beim Forderungsvermächtnis durch Erfüllung der Forderungsschuld (etwa durch Überweisung des Geldbetrages auf das Konto des Bedachten) und beim Erlassvermächtnis durch Erlassvertrag gemäß § 397 BGB.

10.271 Die Kosten für die Erfüllung des Vermächtnisses hat grundsätzlich der Beschwerte zu tragen4. Die Frage der Kostentragungspflicht ist in der Praxis oft mit Konflikten zwischen dem Beschwerten und dem Vermächtnisnehmer behaftet. Hier sollte bei der testamentarischen Gestaltung bei der Vermächtnisanordnung eine klare Regelung getroffen werden.

1 BGH v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, NJW 1962, 1715; BGH v. 22.5.1963 – V ZR 112/61, NJW 1963, 1612; OLG München v. 19.2.1975 – 12 U 3934/74, NJW 1975, 1521. 2 BGH v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 (246); Soergel/Wolf, § 2166 Rz. 2. 3 Grunewald/Rizor, ZEV 2008, 510 (511) wollen Grundschulden in analoger Anwendung von § 2166 Abs. 3 BGB auch ohne eine entsprechende Regelung des Erblassers vom Anwendungsbereich des § 2166 Abs. 1 BGB ausnehmen, wenn sie eine Forderung absichern, die keinen Bezug zum Grundstück aufweist und diesem auch nicht zugutekommt. 4 Siehe Staudinger/Otte, § 2174 Rz. 51.

378

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.276 § 10

M 60 Formulierungsbeispiel zur Kostentragungspflicht beim Vermächtnis

10.272

Hiermit beschwere ich meinen Sohn als Alleinerben mit folgendem Vermächtnis: Das Hausgrundstück FlSt. Nr. … Gemarkung …, eingetragen zu meinem Eigentum im Grundbuch des Amtsgerichts … von … BlattNr. … erhält mein Jugendfreund F. Die Kosten der Vermächtniserfüllung, insbesondere die Kosten des Vermächtniserfüllungsvertrages und die Grundbuchkosten trägt mein Sohn als der Beschwerte.

2. Auskunftsanspruch des Bedachten Der Vermächtnisnehmer steht regelmäßig vor dem Problem, nicht einschätzen zu können, ob die Erben die Erfüllung seines Vermächtnisses ordnungsgemäß, d.h. dem Grunde und auch der Höhe nach, vorgenommen haben. In den Vorschriften des BGB zum Vermächtnis (§ 2147 ff. BGB) ist ein Auskunftsanspruch des Bedachten gegen die Erben nicht geregelt1.

10.273

Anders ist es nur dann, wenn der Erblasser einen Auskunftsanspruch ausdrücklich in der testamentarischen Verfügung geregelt hat. Ist der Bedachte zugleich Pflichtteilsberechtigter ergibt sich ein Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB.

10.274

Dem Vermächtnisnehmer kann jedoch im Einzelfall ein Auskunftsanspruch aus §§ 242, 260 BGB zustehen, wenn die Auskunft zur Bestimmung und Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs erforderlich ist2. Der Auskunftsanspruch kann bereits vor dem Anfall bestehen, wenn dem Bedachten eine Anwartschaft auf das Vermächtnis zusteht3, und kann sich ferner auch gegen den Vorerben richten, selbst wenn das Vermächtnis erst mit dem Nacherbfall anfallen soll4. Verlangt der Bedachte für sein Vermächtnis eine Wertermittlung, muss er die Kosten hierfür selbst tragen5.

10.275

Speziell beim wertbezogenen Quotenvermächtnis stellt sich für den Bedachten das Problem, dass er 10.276 den Vermächtnisgegenstand bzw. die Höhe des Geldwertes selbst nicht konkret feststellen kann. Um das Quotenvermächtnis beziffern zu können, ist der Bedachte darauf angewiesen, zunächst Auskunft über die Berechnungsgrundlagen, bspw. über den gesamten Nachlasswert oder das „Kapitalvermögen“ von den Erben zu erhalten. Mangels gesetzlich ausdrücklich geregelter Auskunftsansprüche gelten nach der überwiegend in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht6 die Auskunftsansprüche des Bedachten als Annex zum Vermächtnisanspruch als mitvermacht, wenn dieser seinen Vermächtnisanspruch nur nach erfolgter Auskunft seitens des Erben entsprechend verfolgen kann7. Teilweise greift die Rechtsprechung unter anderem auch auf § 242 BGB zurück, um dem Vermächtnisnehmer den Auskunftsanspruch zu gewähren8.

1 Ebenso wenig ist ein Rechnungslegungsanspruch geregelt; vgl. hierzu auch Lange, § 46 Rz. 198. 2 OLG Oldenburg v. 27.2.1990 – 5 U 130/89, MDR 1990, 633 = FamRZ 1990, 912 = NJW-RR 1990, 650; LG Köln v. 25.4.1989 – 22 O 331/88, NJW-RR 1990, 13; Staudinger/Otte, § 2174 Rz. 12; Lange, § 46 Rz. 199; so auch für das Wahlvermächtnis Burandt in Burandt/Rojahn, § 2154 Rz. 7. 3 Vgl. BeckGOK-BGB/Schnellenberger, § 2174 Rz. 39. 4 OLG Oldenburg v. 27.2.1990 – 5 U 130/89, MDR 1990, 633 = FamRZ 1990, 912 = NJW-RR 1990, 650. 5 BGH v. 27.2.1991 – IV ZR 293/89, MDR 1991, 973 = FamRZ 1991, 796 = NJW-RR 1991, 706 (707); Sarres, ZEV 2001, 225 (228 ff.). So sind bspw. die Kosten eines Verkehrswertgutachtens vom Vermächtnisnehmer zu tragen, wenn es um die Ermittlung des Wertes eines Anteils an einem Nachlassgrundstück geht. 6 Vgl. Keilbach, FamRZ 1996, 1191 (1192). 7 RGZ 129, 239 (242); siehe auch Roth, NJW-Spezial 2017, 39. 8 LG Köln, NJW-RR 1990, 14.

Nienaber/Schmitz 379

§ 10 Rz. 10.277

Vermächtnis

10.277 Neben diesem Auskunftsanspruch kann dem Bedachten auch ein Recht auf Einsicht in die Verfügung von Todes wegen zustehen. Insbesondere wenn es darum geht zu prüfen, ob er nur Vermächtnisnehmer oder sogar Miterbe geworden ist, kann er ein weitergehendes Recht auf Einsicht in alle Teile der Verfügung geltend machen, die für die Beurteilung dieser Frage relevant sind1. 3. Erfüllung durch Dritte bzw. den Erblasser

10.278 Der Erblasser kann sich zur Erfüllung des Vermächtnisses dritter Personen bedienen. Bekanntestes Beispiel ist der Testamentsvollstrecker gem. § 2223 BGB. Zum Testamentsvollstrecker kann der Erblasser den Vermächtnisnehmer selbst bestimmen2.

10.279 Sind beispielsweise Grundstücksrechte Gegenstand des Vermächtnisses hat der Erblasser ferner die Möglichkeit, die dingliche Einigung zur Erfüllung dieser Rechte direkt in eine notariell beurkundete Verfügung aufzunehmen. So führt der Erblasser nach Eintritt des Erbfalls die Erfüllung seines Vermächtnisses selbst herbei3. 4. Die Sicherung des Vermächtnisanspruchs

10.280 Beratungssituation: Der Erblasser setzt seine Frau zur Alleinerbin ein. Zur Absicherung seines Sohnes aus erster Ehe vermacht er diesem ein Grundstück. Aufgrund des schlechten Verhältnisses seiner Frau zu seinem Sohn befürchtet er, dass seine Frau die Übertragung des Grundstückes allenfalls widerwillig vornehmen wird.

a) Die Sicherungsmöglichkeiten ohne besondere Anordnungen des Erblassers

10.281 Das Vermächtnis wirkt mit dem Erbfall nicht dinglich. Der Bedachte erwirbt mit dem Erbfall lediglich einen Anspruch. Einen Anspruch auf Sicherung dieses Anspruchs hat er ohne entsprechende Anordnungen des Erblassers gegen den Beschwerten nicht4. Er ist darauf angewiesen, dass der Beschwerte den Vermächtnisanspruch erfüllt. Der Bedachte hat daher ein Interesse daran, seinen Vermächtnisanspruch bis zur Erfüllung durch den Beschwerten zu sichern. b) Die Sicherung eines Vermächtnisanspruchs auf Übertragung eines Grundstücks

10.282 Der Vermächtnisnehmer kann den Vermächtnisanspruch auf Übertragung eines Grundstückes ab dem Erbfall durch eine Vormerkung sichern. Der Vermächtnisnehmer kann einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Eintragung einer Vormerkung nach § 885 Abs. 1 BGB stellen, ohne dass er eine Gefährdung des Anspruchs glaubhaft machen muss. Vor dem Erbfall besteht noch keine Anwartschaft des Bedachten, so dass eine Vormerkung noch nicht möglich ist5. Ob auch der bedingte oder befristete Vermächtnisanspruch auf Übertragung eines Grundstückes ab dem Erbfall durch eine Vormerkung gesichert werden kann, wird uneinheitlich beantwortet. Das OLG Hamm6 leitet den Anspruch auf Bewilligung einer Vormerkung ohne weiteres aus den §§ 883, 885 BGB her. Überwiegend wird allerdings vertreten, eine Vormerkung komme hier nur in Betracht, wenn der Erblasser

1 So OLG Düsseldorf v. 23.9.2016 – I-3 Wx 115/16, ZEV 2017, 43 f.; OLG Hamm v. 12.12.2014 – 10 W 102/14, BeckRS 2015, 20973. 2 Kein Verstoß gegen das Selbstkontrahierungsverbot gem. § 181 BGB, vgl. Staudinger/Schilken, § 181 Rz. 58. 3 Vgl. Maulbetsch in Bonefeld/Wachter, § 6 Rz. 138. Siehe zur Bindung an ein Untervermächtnis trotz zu Lebzeiten vorweggenommener Erfüllung des Hauptvermächtnisses: OLG Köln v. 31.7.2013 – 2 U 153/12, ZErb 2014, 203 ff. 4 Palandt/Weidlich, § 2174 Rz. 10. 5 MüKo.BGB/Rudy, § 2174 Rz. 24. 6 OLG Hamm v. 24.11.1983 – 10 U 118/83, MDR 1984, 402.

380

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.288 § 10

einen entsprechenden Anspruch auf Bewilligung einer Vormerkung mitvermacht habe1. Hat der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung keine Anordnung zur Eintragung einer Vormerkung getroffen, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob er den Vermächtnisanspruch gegen den Erben auch dinglich sichern wollte, was i.d.R. bejaht wird2. Zur Vermeidung von Unsicherheiten sollte eine ausdrückliche Regelung in die letztwillige Verfügung aufgenommen werden. c) Die Sicherung eines aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnisanspruchs durch die §§ 160, 162 BGB Das Sicherungsinteresse des Bedachten ist besonders groß, wenn zwischen dem Erbfall und dem Anfall des Vermächtnisses lange Zeiträume liegen können. Das ist z.B. beim aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnis wie auch beim Nachvermächtnis, das letztlich ein aufschiebend bedingtes Vermächtnis ist, der Fall. Hier sind nach § 2179 BGB die §§ 158 ff. BGB anwendbar. Der Beschwerte haftet dem Bedachten nach § 160 Abs. 1 BGB für schuldhafte Beeinträchtigungen der Vermächtnisanwartschaft. Keine Anwendung findet indes § 161 BGB, da das Vermächtnis keine dingliche Wirkung entfaltet3. Die ganz überwiegende Meinung unterstellt das Anwartschaftsrecht ferner dem Schutz des § 285 BGB4.

10.283

Eine Vormerkung zur Sicherung des künftigen Anspruchs des Nachvermächtnisnehmers ist möglich, wenn der Vorvermächtnisnehmer bereits im Grundbuch eingetragen ist. Der Anspruch auf Bewilligung kann sich aus dem Testament ergeben5.

10.284

d) Arrest und einstweilige Verfügung Hat der Erblasser keine besonderen Anordnungen zur Sicherung des Vermächtnisanspruchs getroffen, ist der Vermächtnisnehmer im Übrigen auf die Sicherungsmöglichkeiten durch Arrest (§§ 916 ff. ZPO) und einstweilige Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) beschränkt. Eine Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) oder ein Aussonderungsrecht (§ 47 InsO) stehen dem Bedachten nicht zu.

10.285

5. Die Sicherungsmöglichkeiten aufgrund besonderer Anordnungen des Erblassers Möchte der Erblasser den Vermächtnisnehmer über diese gesetzlichen Sicherungsmöglichkeiten hinaus schützen, muss er entsprechende Anordnungen treffen. Bei der anwaltlichen Beratung sollten mit dem Erblasser und vor allem einem am Erbvertrag beteiligten Vermächtnisnehmer daher stets die Möglichkeiten besprochen werden, die Sicherstellung der Vermächtniserfüllung zu gewährleisten.

10.286

Denkbar ist zunächst, dem Bedachten einen Anspruch auf Sicherung der Vermächtniserfüllung mit zu vermachen.

10.287

Der Erblasser kann mit dem Bedachten auch einen sog. Verfügungsunterlassungsvertrag schließen. Hierdurch kann der Erblasser sich gegenüber dem Bedachten bereits zu Lebzeiten verpflichten, über

10.288

1 MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 8; vgl. hierzu auch Tersteegen, Zerb 2013, 282, 287 f. 2 BGH v. 27.6.2001 – IV ZR 120/00, FamRZ 2001, 1297 = MDR 2001, 1296 = NJW 2001, 2883; vgl. hierzu auch Bengel, NJW 1990, 1826 (1828); Halding-Hoppenheit, RNotZ 2005, 311 (314); Soergel/Wolf, § 2179 Rz. 3; vgl. auch OLG Hamburg v. 19.8.2015 – 2 U 16/13, BeckRS 2016, 6247, welches einen Nießbrauchsvermerk im Grundbuch zur Sicherung eines Nießbrauchs an einer gesamthänderischen Beteiligung an der Erbengemeinschaft anerkannt hat. 3 MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 2179 Rz. 2. 4 MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 5. 5 MüKo.BGB/Rudy, § 2191 Rz. 6.

Nienaber/Schmitz 381

§ 10 Rz. 10.289

Vermächtnis

den Vermächtnisgegenstand nicht mehr zu verfügen1. Der Verfügungsunterlassungsvertrag ist formfrei; das gilt selbst dann, wenn er die Verfügungsunterlassungsverpflichtung des Erblassers über ein Grundstück enthält2. Ein Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung des Erblassers führt grundsätzlich zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes oder bei dessen Unmöglichkeit zu Schadenersatzansprüchen gegen den Erblasser3. Der Erblasser kann sich darüber hinaus dazu verpflichten, bei einem Verstoß das Eigentum an dem Vermächtnisgegenstand an den Bedachten zu übertragen. Dieser bedingte Übereignungsanspruch ist vormerkungsfähig4.

10.289 Möglich ist auch, dass der Erblasser den Vermächtnisnehmer – z.B. in der Verfügung von Todes wegen5 – bevollmächtigt, sich nach dem Erbfall den Vermächtnisgegenstand selbst zu übertragen. Ein Verstoß gegen § 181 BGB liegt nicht vor, da es sich ausschließlich um die Erfüllung einer Verbindlichkeit handelt. Selbstverständlich kann der Erblasser auch einen Dritten zur Vermächtniserfüllung bevollmächtigen. Da dem Erben als Rechtsnachfolger aber grundsätzlich die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs der Vollmacht zusteht, kann die Vermächtniserfüllung durch eine Bevollmächtigung nur sichergestellt werden, wenn der Erblasser die Vollmacht unwiderruflich ausgestaltet. Der Widerruf ist dann nur aus wichtigem Grund möglich6.

10.290 Sofern der Erblasser Testamentsvollstreckung gem. §§ 2197 ff. BGB anordnet, gehört zum Aufgabenkreis des Testamentsvollstreckers i.d.R. die Erfüllung von Vermächtnissen. Der Vermächtnisnehmer hat somit sein Erfüllungsanspruch gegen den Testamentsvollstrecker zu richten. Der Erblasser kann den Vermächtnisnehmer selbst oder einen Dritten ferner zum Testamentsvollstrecker mit der Aufgabe ernennen, nach dem Erbfall das Vermächtnis zu erfüllen7.

10.291 Beim aufschiebend bedingten Vermächtnis kann der Erblasser dem Bedachten zusätzlich einen Anspruch darauf vermachen, dass der Beschwerte ihm den Vermächtnisgegenstand bereits beim Erbfall aufschiebend bedingt auf den Vermächtnisanfall überträgt. Durch die aufschiebend bedingte Übertragung des Vermächtnisgegenstandes erhält der Vermächtnisnehmer den Schutz des § 161 BGB.

10.292 Ist der Vermächtnisgegenstand ein Grundstück, ist auch denkbar, bereits die Auflassung in die letztwillige Verfügung aufzunehmen. Diese Erklärung bleibt nach dem Tod des Erblassers wirksam8. Zur Wirksamkeit ist natürlich erforderlich, dass eine notarielle Beurkundung erfolgt. Außerdem erfordert die Auflassung die zeitgleiche Erklärung des Bedachten (§ 925 BGB), so dass diese Möglichkeit letztlich nur bei einem Erbvertrag zwischen dem Erblasser und dem Bedachten in Betracht kommt. Außerdem bindet der Erblasser sich hier bereits zu Lebzeiten, da die Auflassung bedingungsfeindlich ist (§ 925 Abs. 2 BGB) und so nicht etwa unter die Bedingung des Versterbens des Erblassers gestellt werden kann. Die vorzeitige Herbeiführung der Rechtsänderung an dem Grundstück kann aber zumindest durch die Bedingtheit der Eintragungsbewilligung herbeigeführt werden9.

1 Zur Zulässigkeit solcher Vereinbarungen z.B. BGH v. 19.1.1954 – V ZB 28/53, BGHZ 12, 122; BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (18 f.); BGH v. 2.10.1970 – V ZR 125/68, WM 1970, 1366; Buchholz, Jura 1989, 393, 398; Staudinger/Kanzleiter, § 2286 Rz. 16. 2 BGH v. 20.3.1963 – V ZR 89/62, NJW 1963, 1602 (1603); BGH v. 27.2.1967 – III ZR 68/66, FamRZ 1967, 471; MüKo.BGB/Musielak, § 2286 Rz. 11. 3 BGH v. 20.3.1963 – V ZR 89/62, NJW 1963, 1604; MüKo.BGB/Musielak, § 2286 Rz. 13. 4 BayObLG v. 5.10.1978 – 2Z 10/78, BayObLGZ 1978, 287 (290); LG Bad Kreuznach v. 20.3.1964 – 2 T 180/63, DNotZ 1965, 301. 5 Zur Zulässigkeit der Bevollmächtigung in der letztwilligen Verfügung: OLG Köln v. 10.2.1992 – 2 Wx 50/91, FamRZ 1992, 859 = NJW-RR 1992, 1357; Palandt/Weidlich, Einf vor § 2197 Rz. 9. 6 Vgl. Palandt/Weidlich, Einf. vor § 2197 Rz. 13. 7 Zu den Verfügungsbefugnissen des Vermächtnisvollstreckers siehe auch OLG Hamm v. 27.7.2010 – 15 Wx 374/09, NJW-RR 2011, 11 f. 8 Halding-Hoppenheit, RNotZ 2005, 311 (315). 9 Halding-Hoppenheit, RNotZ 2005, 311 (316).

382

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.298 § 10

Ist Gegenstand des Vermächtnisses ein dingliches Recht an einem Grundstück, ist die Aufnahme der Erklärung zur Einigung über die Übertragung dieses Rechts sowie der Eintragungsbewilligung erleichtert, da diese im Gegensatz zur Auflassung nicht die gleichzeitige Erklärung des Bedachten erfordern. Außerdem können hier beide Erklärungen des Erblassers auf den Todesfall bedingt werden1. Nach dem Bedingungseintritt kann der Bedachte dann durch seine Annahmeerklärung die Einigung herbeiführen und auf der Grundlage der Bewilligungserklärung des Erblassers die Eintragung ins Grundbuch bewirken.

10.293

Werden die dinglichen Einigungserklärungen in diesem Sinne bereits in die letztwillige Verfügung aufgenommen, ist allerdings stets das Risiko zu berücksichtigen, dass der Bedachte unter Vorlage dieser letztwilligen Verfügung den dinglichen Vollzug herbeiführen kann, auch wenn das Vermächtnis inzwischen widerrufen oder aus anderen Gründen unwirksam geworden ist2. Außerdem sind die Erklärungen des Erblassers durch die Erben i.d.R. widerruflich, es sei denn, es liegt ein Erbvertrag vor oder der Erblasser hat dem Bedachten eine beglaubigte Abschrift der Eintragungsbewilligung ausgehändigt (§ 873 Abs. 2 BGB).

10.294

6. Der Vermächtniserfüllungsvertrag Neben den vorgenannten dinglichen Sicherungsmöglichkeiten, stellt sich die Frage, ob auch eine Sicherung im Wege einer schuldrechtlichen Vereinbarung erreicht werden kann, indem sich der Erblasser gegenüber dem Bedachten verpflichtet, zu Lebzeiten nicht mehr über den vermachten Gegenstand zu verfügen. Eine solche Vereinbarung ist grundsätzlich zulässig und kann formlos geschlossen werden3, sofern dem keine besonderen Formvorschriften entgegenstehen, wie dies bspw. bei der Erfüllung eines Grundstücksvermächtnisses der Fall ist4.

10.295

7. Erfüllung von Vermächtnissen zugunsten Minderjähriger Häufig werden zu Gunsten Minderjähriger eher Vermächtnisse anstelle einer direkten Erbeinsetzung angeordnet. Eine bestmögliche Ausschöpfung der erbschaftssteuerrechtlichen Freibeträge steht dabei oft im Vordergrund. Aber auch die Vermeidung einer Haftung des Minderjährigen bei Einbindung in eine Erbengemeinschaft ist für viele Testierende von Bedeutung. In der Beratungspraxis kann sich speziell bei Grundstücksvermächtnissen Klärungsbedarf zur Frage der Stellvertretung oder gerichtlicher Genehmigungen ergeben5.

10.296

Beratungssituation: Der Erblasser setzt in einer testamentarischen Verfügung seinen kinderlosen Sohn sowie seine Tochter zu Miterben ein. Zugunsten der beiden Kinder seiner Tochter, im Alter von 6 und 10 Jahren ordnet der Erblasser Vermächtnisse an. Da sich in seinem Vermögen mehrere Immobilien und erhebliches Bargeld befinden, soll aus steuerrechtlichen Gründen den beiden minderjährigen Kindern jeweils eine lastenfreie Eigentumswohnung in attraktiven Universitätsstädten zugewendet werden. Zur Erfüllung des Vermächtnisses ihres Großvaters müssten nun die Eltern der beiden minderjährigen Vermächtnisnehmer die Auflassung erklären und stellen nun dem anwaltlichen Berater die Frage, ob sie hierzu ggfls. einen Ergänzungspfleger bestellen müssten oder darüber hinaus sogar eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich sein könnte.

10.297

Der vorgenannte Fall skizziert eine typische Beratungssituation, da viele Testierende auf diesen Weise vermeintlich unkompliziert etwas Gutes für die Enkelkinder erzielen wollen. Unberücksichtigt bleibt dabei oft, dass für die Erfüllung des Vermächtnisses ein Rechtsgeschäft zwischen dem Erben und dem minderjährigen Vermächtnisnehmer notwendig ist, das wiederum konkrete Umsetzungsfragen

10.298

1 2 3 4 5

Mayer, BWNotZ 1997, 62, 62 f. Halding-Hoppenheit, RNotZ 2005, 311 (317). Vgl. Erman/Nobis, § 2174 Rz. 6. Siehe hierzu auch Schmitz in Fischer/Kühne/Warlich, § 12 Rz. 11 ff. Ausführlich zur Thematik: Friedrich-Büttner/Wiese, ZEV 2014, 513.

Nienaber/Schmitz 383

§ 10 Rz. 10.299

Vermächtnis

nach sich zieht. So kann möglicherweise für die Vertretung des Minderjährigen durch die Eltern die Bestellung eines Ergänzungspflegers oder gar eine gerichtliche Genehmigung notwendig sein. Die konkrete Erfüllung des Vermächtnisses führt daher zu einem – vom Testierenden – oftmals unerwarteten Zeit- und Kostenaufwand. Nicht zuletzt besteht auch das Risiko, dass die Genehmigung vom Gericht bzw. vom gerichtlich bestellten Ergänzungspfleger verweigert wird. Zu den Voraussetzungen einer familiengerichtlichen Genehmigungspflicht bzw. der Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers kann auf die Ausführungen zur Vermächtnisannahme in diesem Kapitel unter Rz. 10.219 f. verwiesen werden.

10.299 In der anwaltlichen Beratung des Testierenden sollte wegen der skizzierten Vertretungs- und Genehmigungsfragen auf die Möglichkeit der Testamentsvollstreckung zur Erfüllung des Vermächtnisses hingewiesen werden1. Die Anordnung von Testamentsvollstreckung unter Befreiung von § 181 BGB ist angesichts der unsicheren Rechtslage bei der Vermächtnisannahme von Minderjährigen empfehlenswert, da der Testamentsvollstrecker als Inhaber eines privaten Amtes anders als die sorgeberechtigten Eltern keiner familiengerichtlichen Genehmigung bedarf2. 8. Gerichtliche Durchsetzung von Vermächtnisansprüchen

10.300 Eine Klage gegen den Beschwerten auf Erfüllung des Vermächtnisanspruchs kann gegen den beschwerten Erben erst nach Ablauf der Ausschlagungsfrist bzw. nach der Erklärung der Annahme der Erbschaft erhoben werden (§ 1958 BGB). Von besonderer praktischer Bedeutung kann zur Vorbereitung der Klage das zugunsten des Vermächtnisnehmers bestehende rechtliche Interesse an Akteneinsicht sein. Verweigert bspw. der Beschwerte die Erfüllung des Vermächtnisses unter Hinweis darauf, dass das angeordnete Vermächtnis durch spätere letztwillige Verfügung des Erblassers widerrufen worden sei, so hat der Bedachte im Umfang des zur Durchsetzung seines Vermächtnisanspruchs bestehenden Klärungsbedarfs ein berechtigtes Interesse an Einsicht in die Nachlassakte3.

10.301 Richtet sich der Vermächtnisanspruch gegen eine Erbengemeinschaft, kann der Vermächtnisnehmer seinen Anspruch bereits vor der Teilung des Nachlasses mittels einer Gesamthandsklage gegen die Erbengemeinschaft geltend machen (§ 2059 Abs. 2 BGB). Beim Verschaffungsvermächtnis lautet der Klageantrag darauf, die Bereitschaft des Dritten herbeizuführen, den vermachten Gegenstand an den Beschwerten oder den Bedachten zu veräußern (vgl. Rz. 10.114). Beim Gattungsvermächtnis ist der Klageantrag so zu fassen, dass er die Kriterien, nach denen die Auswahl des Gegenstandes zu erfolgen hat, möglichst konkret bezeichnet. Da nach § 2155 Abs. 1 BGB eine den Verhältnissen des Bedachten entsprechende Sache zu leisten ist, sind in der Klagebegründung zudem die Verhältnisse des Bedachten, sofern sie sich auf die Beschaffenheit des auszuwählenden Gegenstandes auswirken, zu beschreiben (vgl. Rz. 10.125).

10.302 Für den Fall, dass der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung eine Schiedsklausel gem. § 1066 ZPO aufgenommen hat, besteht zur Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs die Möglichkeit der Anrufung eines (privaten) Schiedsgerichts. Dies kann bei zu erwartenden Konflikten und komplexen Nachlässen aus wirtschaftlichen oder zeitökonomischen Gesichtspunkten durchaus vorteilhaft sein4. In der Praxis kommen Schiedsklauseln jedoch relativ selten zum Einsatz, da nach heutiger Rechtslage noch nicht hinreichend geklärt ist, welche Rechtsstreitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt und damit verbindlich geregelt werden können5. In Bezug auf die Erfüllung von Vermächtnisansprüchen ist dies dahingegen geklärt und deren Schiedsfähigkeit anerkannt6. 1 So auch Keim, ZEV 2011, 563 (567 f.). 2 Vgl. MüKo/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 13 a.E.; ebenso Friedrich-Büttner/Wiese, ZEV 2014, 513 (520). 3 So OLG Hamm v. 12.12.2014 – 10 W 102/14, BeckRS 2015, 20973. 4 Vgl. Grötsch, Rz. 35.2 ff. 5 So Grötsch, Rz. 35.10 ff. 6 So OLG München v. 13.10.2017 – 34 SchH 8/17, FamRZ 2018, 533 ff.; Wegmann, ZEV 2003, 20 (21).

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Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.306 § 10

9. Nachlasspflegschaft bei der Durchsetzung von Vermächtnisansprüchen gegen unbekannte Erben Ein Mittel zur Durchsetzung von Vermächtnisansprüchen kann die Beantragung einer Nachlasspflegschaft gemäß § 1960 Abs. 2 BGB sein, wenn der Vermächtnisnehmer bspw. Schwierigkeiten hat, den Beschwerten des Vermächtnisses zu ermitteln bzw. die Erbfolge unklar oder gar unbekannt ist. Auch wenn die Vermächtniserfüllung nicht zur originären Tätigkeit eines Nachlasspflegers gehört, kann es im Einzelfall durchaus im Interesse der – noch unbekannten – Erben zur Sicherung des Nachlasses gestattet sein, um bspw. bei eindeutigen Nachlassverbindlichkeiten etwaige Schäden oder unnötige Prozesse und Kosten zu vermeiden1. Die Alternative, dass der Vermächtnisnehmer frühzeitig einen Erbscheinsantrag stellt, empfiehlt sich i.d.R. nicht. Denn hier trägt der Bedachte das Kostenrisiko für einen im Nachhinein möglicherweise falsch erteilten Erbschein2.

10.303

X. Die steuerrechtliche Behandlung des Vermächtnisses Entscheidender Aspekt für die Ausgestaltung letztwilliger Verfügungen sind häufig die steuerrechtlichen Konsequenzen der Anordnungen des Erblassers (vgl. z.B. Rz. 10.149, 10.168).

10.304

1. Erbschaftsteuer Allgemein unterliegt der Erwerb durch Vermächtnis der Erbschaftsteuer (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 10.305 Nr. 1 ErbStG)3. Steuerschuldner ist der Vermächtnisnehmer4. Abweichend vom Zivilrecht wird der Vermächtnisnehmer im Steuerrecht so behandelt, als sei ihm der Vermächtnisgegenstand direkt vom Erben zugewandt5. Der Wert des Vermächtnisses bestimmt sich dementsprechend nach dem Wert des vermachten Gegenstandes und nicht nach dem Wert des Vermächtnisanspruchs6. Neben dem Vermächtnisnehmer haftet auch der Nachlass bis zur Erfüllung der Vermächtnisforderung für die Erbschaftsteuer auf den Vermächtnisgegenstand (§ 20 Abs. 1, 3 ErbStG). Als Nachlassverbindlichkeit mindert das Vermächtnis die Steuerschuld des Erben (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 10.306 ErbStG)7, natürlich mit Ausnahme des Vorausvermächtnisses (§ 10 Abs. 9 ErbStG). Ist das Vermächtnis unwirksam, ist es dennoch erbschaftsteuerrechtlich zu erfassen, wenn es einer (unwirksamen) Anordnung des Erblassers entsprechend erfüllt wird8. Eine Minderung der Steuerschuld des Erben nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG kommt allerdings nicht in Betracht, wenn das Vermächtnis erst beim Tod des Erben anfällt, da es hier an einer wirtschaftlichen Belastung des Erben fehlt9. Ob eine Abzugsfähigkeit zu bejahen ist, wenn ein Fälligkeitstermin unabhängig vom Tod des Erben bestimmt wird (Korrektur 1 Vgl. OLG Nürnberg v. 29.11.2016 – 6 U 2145/15, BeckRS 2016, 122391 Rz. 56; ebenso MüKo.BGB/Leipold, § 1960 Rz. 67. 2 Vgl. Maulbetsch in Bonefeld/Wachter, § 6 Rz. 163. 3 Der Erwerb durch Vermächtnis kann allerdings steuerrechtlich als entgeltlich zu beurteilen sein, wenn der Vermächtnisnehmer mit einem Untervermächtnis belastet ist, das den Wert des Vermächtnisses annähernd ausgleicht (BFH v. 13.11.2002 – 1 R 11000, ZEV 2003, 255 (256). Siehe auch Schmid, jurisPRFamR 21/2017 Anm. 1. In einem Verfahren vor dem FG Münster wurde nochmals herausgestellt, dass Erbeinsetzung und Vermächtnis zwei eigenständige Erwerbe im steuerlichen Sinne sind. 4 Vgl. Fischer/Richter in Viskorf/Schuck/Wälzholz, § 20 ErbStG Rz. 2. Daraus resultiert entsprechend eine Anzeigepflicht des Vermächtnisnehmers gem. § 30 ErbStG; vgl. hierzu auch Klarner, ZEV 2019, 13 ff. 5 BFH v. 18.7.1972 – VIII R 17/68, BStBl. II 1972, 874 (875). 6 Vgl. Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 171; Ebenroth, Erbrecht, Rz. 450. 7 Dies gilt auch für den Wert eines auf Geldzahlung gerichteten Untervermächtnis, wenn der vermächtnisweise Erwerb von Anteilen an einer Personengesellschaft durch § 13a ErbStG (Steuerbefreiung bei Betriebsvermögen) begünstigt wird; so BFH v. 22.7.2015 – II R 21/13, MittBayNot 2016, 359 (360). 8 BFH v. 28.3.2007 – II R 25/05, FamRZ 2007, 1168 = ErbStB 2007, 196 = ZEV 2007, 343; BFH v. 7.10.1981 – II R 16/80, NJW 1982, 407. 9 Everts, NJW 2008, 557 (558).

Nienaber/Schmitz 385

§ 10 Rz. 10.307

Vermächtnis

des ursprünglichen Erbschaftssteuerbescheides), ist gerichtlich noch nicht geklärt und insbesondere dann zweifelhaft, wenn von vornherein klar ist, dass der Fälligkeitszeitpunkt nach dem Tod des Erben liegen wird1.

10.307 Die Steuerschuld entsteht mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 ErbStG)2 bzw. mit dem Eintritt der Bedingung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG). Dieser Zeitpunkt ist nach § 11 ErbStG auch maßgeblich für die Wertermittlung. Da der Vermächtnisnehmer mit dem Tod des Erblassers zunächst nur den schuldrechtlichen Vermächtnisanspruch und nicht den Vermächtnisgegenstand selbst erhält, war vor Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24.12.2008 insbesondere für Grundstücksvermächtnisse unklar, ob der Vermächtnisanspruch entsprechend seiner Natur als schuldrechtlicher Anspruch mit dem gemeinen Wert (§§ 12 I ErbStG, 9 BewG) oder mit dem u.U. günstigeren Steuerwert des Vermächtnisgegenstandes selbst anzusetzen war.3 Da nach jetzt geltendem Recht (§ 177 BewG) Grundstücke ohnehin mit dem gemeinen Wert bewertet werden4, gilt dies ebenso für den hierauf gerichteten Vermächtnisanspruch, so dass sich die Diskussion um eine Schlechterstellung des Vermächtnisnehmers im Vergleich zum Erben erledigt hat. 2. Einkommensteuer

10.308 Nach der Übertragung des Vermächtnisgegenstandes auf den Vermächtnisnehmer sind die Einkünfte aus dem Vermächtnisgegenstand, wie bspw. bei einem Grundstücksvermächtnis mit vermieteter Immobilie, vom Vermächtnisnehmer zu versteuern. Vor dem Vollzug des Vermächtnisses sind die Einkünfte einkommensteuerrechtlich dagegen grundsätzlich dem Erben zuzurechnen5. Die Regelung, dass der Erbe vor der Übertragung des Vermächtnisses die aus dem Vermächtnis erzielten Einkünfte versteuern muss, ist problematisch, da die Einkünfte aus dieser Zeit ohne Abzug der hierauf entfallenden Steuerlast an den Vermächtnisnehmer herauszugeben sind (§ 2184 S. 1 BGB; vgl. Rz. 10.168). Dieses Auseinanderfallen von zivilrechtlicher und steuerrechtlicher Behandlung der Einkünfte zwischen Anfall und Erfüllung des Vermächtnisses6 kann durch eine abweichende Testamentsgestaltung vermieden werden, etwa indem angeordnet wird, dass die Einkünfte bis zur Erfüllung des Vermächtnisses entgegen § 2184 BGB dem Erben verbleiben sollen oder die Herausgabeverpflichtung nach § 2184 BGB nur unter Abzug der Steuerbelastung bestehen soll7. Zudem besteht die Möglichkeit, auch steuerrechtlich die Einkunftserzielung dem Vermächtnisnehmer zuzurechnen, sofern er als wirtschaftlicher Eigentümer des Vermächtnisgegenstandes schon ab dem Erbfall angesehen werden kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Das ist jedenfalls der Fall, wenn er die tatsächliche Sachherrschaft in der Weise ausübt, dass er den Erben wirtschaftlich von der Einwirkung auf den Vermächtnisgegenstand ausschließen kann8.

1 Dafür Everts, NJW 2008, 557 (558). 2 Vgl. hierzu FG München v. 6.9.2017 – 4 K 1916/16, BeckRS 129029, wonach auch ein postmortaler Auslegungsvertrag den Wert des erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbs nicht mehr ändert. 3 In einem viel kritisierten obiter dictum hatte der BFH angekündigt, Grundstücksvermächtnisse zukünftig abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung mit dem gemeinen Wert zu bewerten (BFH v. 2.7.2004 – II R 902, ZEV 2004, 474 (475)). 4 Vgl. zum Fokus des ErbStRG auf den gemeinen Wert und Begünstigungsregelungen z.B. Hannes/Onderka, ZEV 2009, 10; Hölzerkopf/Bauer, BB 2009, 20. 5 BFH v. 5.7.1990 – GrS 2/89, BFHE 161, 332 = FamRZ 1991, 64; BFH v. 24.9.1991 – VIII R 349/83. 6 Tiedtke/Peterek sprechen hier von einer Steuerfalle (ZEV 2007, 349). 7 von Oertzen, ZEV 1991, 459 (460). 8 BFH v. 5.5.1983 – IV R 43/80, BFHE 139, 36; BFH v. 27.9.1988 – VIII R 193/83, BFHE 154, 525; BFH v. 24.9.1991 – VIII R 349/99; Tiedtke/Peterek (ZEV 2007, 349 (352)) bejahen unabhängig von einer tatsächlichen Sachherrschaft das wirtschaftliche Eigentum des Vermächtnisnehmer, indem sie den Erben als Treuhänder ansehen.

386

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.313 § 10

3. Besonderheiten beim Nachvermächtnis und beim bedingten Vermächtnis Das Nachvermächtnis wird erbschaftsteuerrechtlich wie eine Nacherbschaft behandelt (§ 6 Abs. 4 10.309 ErbStG). Tritt der Anfall des Nachvermächtnisses also mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers ein, so ist der Erwerb als vom Vorvermächtnisnehmer stammend zu versteuern, so dass Vor- und Nachvermächtnisnehmer grundsätzlich doppelt besteuert werden. Der Nachvermächtnisnehmer kann allerdings die Besteuerung nach dem Verhältnis zum Erblasser beantragen (§ 6 Abs. 2 ErbStG). Das Verhältnis des Nachvermächtnisnehmers zum Erblasser ist ohnehin immer entscheidend, wenn der Nachvermächtnisfall durch einen anderen Umstand als den Tod des Vorvermächtnisnehmers eintritt (§ 6 Abs. 4, Abs. 3 ErbStG). Tritt der Nachvermächtnisfall nicht durch den Tod des Vorvermächtnisnehmers ein, hat der Nachvermächtnisnehmer zudem den Vorteil, dass er sich bei seiner Steuerbelastung den vom Vorvermächtnisnehmer zu viel gezahlten Steuerbetrag anrechnen lassen kann, der dadurch entstanden ist, dass der Erwerb des Vermächtnisgegenstandes beim Vorvermächtnisnehmer nicht dauerhaft war (§ 6 Abs. 3 ErbStG). Eine Berichtigung der Erbschaftsteuerveranlagung des Vorvermächtnisnehmers kommt nicht in Betracht1. Hierdurch muss der Vorvermächtnisnehmer mehr Steuern zahlen, als es seiner tatsächlichen Bereicherung entspricht, während der Nachvermächtnisnehmer steuerlich begünstigt wird. Dieses ungerechte Ergebnis wird teilweise zu verhindern versucht, indem das Nachvermächtnis, zumindest wenn es nicht beim Tod des Vorvermächtnisnehmers anfällt, entsprechend seiner zivilrechtlichen Rechtsnatur auch im Steuerrecht als bedingtes Vermächtnis behandelt wird. Für das bedingte Vermächtnis gilt § 9 Nr. 1a ErbStG i.V.m. §§ 4 ff. BewG. Hier findet eine Verrechnung nach § 6 Abs. 3 ErbStG nicht statt, sondern es erfolgt eine Korrektur der ursprünglichen Veranlagung des Vorerwerbers gem. § 5 Abs. 2 BewG2. Angesichts der Regelung des § 6 Abs. 3 ErbStG wird sich diese Konstruktion bei den Finanzbehörden aber nur schwer durchsetzen können. Um insoweit Ungerechtigkeiten auszugleichen, kann der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung etwa im Wege einer Auflage oder eines Untervermächtnisses anordnen, dass der Nachvermächtnisnehmer dem Vorvermächtnisnehmer den Steuernachteil auszugleichen hat.

10.310

M 61 Ausgleichspflicht des Nachtvermächtnisnehmers hinsichtlich eines Steuernachteils des Vorvermächtnisnehmers

10.311

Hiermit vermache ich das Grundstück … meinem Sohn. Zulasten meines Sohnes bestimme ich ferner, dass das Grundstück … meinem Enkel als Nachvermächtnisnehmer mit Vollendung seines 21. Lebensjahres zustehen soll. Im Wege des Untervermächtnisses ordne ich an, dass mein Enkel meinem Sohn aus den Erträgen des Grundstücks einen Ausgleich in der Höhe des Steuervorteils zahlen muss, den er dadurch erhält, dass er sich den von meinem Sohn zu viel gezahlten Steuerbetrag nach § 6 Abs. 3 ErbStG anrechnen lassen kann.

4. Steuerliche Fragen beim Nießbrauchsvermächtnis Da steuerrechtliche Aspekte für die Anordnungen eines Nießbrauchsvermächtnisses häufig im Vorder- 10.312 grund stehen (vgl. Rz. 10.149, 10.168), sollen diese hier noch einmal kurz dargestellt werden. Die Erbschaftsteuer des Nießbrauchsvermächtnisnehmers wird nämlich lediglich nach dem Kapitalwert des Nießbrauchs bemessen, wobei ein Wahlrecht zwischen einer einmaligen oder einer jährlichen Versteuerung besteht (§ 23 ErbStG). Einkommensteuerrechtlich werden die Einkünfte aus dem Nießbrauch dem Nießbraucher zugerechnet. Der Nießbrauchsvermächtnisnehmer kann vom Erblasser getätigte Anschaffungs- und Her-

1 Vgl. Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, § 6 ErbStG Rz. 26 ff.; Bengel, NJW 1990, 1826 (1830). 2 Vgl. Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, § 6 ErbStG Rz. 34; Bengel, NJW 1990, 1826 (1830).

Nienaber/Schmitz 387

10.313

§ 10 Rz. 10.314

Vermächtnis

stellungskosten nach dessen Tod nach der Rechtsprechung des BFH1 nicht abschreiben, da die Anschaffungs- und Herstellungskosten gem. § 1922 Abs. 1 BGB nicht dem Vermächtnisnehmer, sondern dem Erben zugerechnet werden.

10.314 Die steuerrechtliche Behandlung des Unternehmensnießbrauchs ist nach wie vor nicht befriedigend gelöst (vgl. auch Rz. 10.168)2, d.h. der Nießbrauchsinhaber führt das Unternehmen selbst und auf eigene Rechnung. Es empfiehlt sich daher zur Vermeidung von steuerlich unerwünschten Rechtsfolgen, vertraglich klar die Rechte und Pflichten von Nießbraucher und Besteller zu regeln, die dann durch eine gründliche steuerliche Beratung flankiert wird3. Von großer Bedeutung ist, ob nach dem vertraglichen Regelwerk der Nießbrauchsinhaber eine echte Unternehmerstellung erhalten soll oder nicht. Hat der Nießbraucher nämlich nur einen Ertragsnießbrauch, werden in Ermangelung einer Unternehmerstellung diese Einkünfte i.d.R. als vom Nießbrauchsbesteller abgeleitet nach § 22 Nr. 1 EStG versteuert4. Für den Nießbrauchsbesteller werden die an den Nießbraucher abgeführten Beträge dann als dauernde Last angesehen, die er nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehen kann5. Beim echten Unternehmensnießbrauch und einer echten Unternehmerstellung des Nießbrauchers werden die Einkünfte indes direkt bei ihm versteuert. 5. Besonderheiten beim Rentenvermächtnis

10.315 Das Rentenvermächtnis ist erbschaftsteuerrechtlich vom Bedachten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Kapitalwert zu versteuern und kann vom Beschwerten in Abzug gebracht werden. Die einkommenssteuerrechtliche Behandlung der in Folge eines Rentenvermächtnisses gezahlten Bezüge ist unklar. Zunächst unterfallen sie als wiederkehrende Bezüge § 22 Nr. 1 S. 1 EStG; allerdings ist umstritten, ob ihre Besteuerung aufgrund der Ausnahmeregelung des § 22 Nr. 1 S. 2, 1. Hs. ausscheidet, wonach Bezüge, die aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gewährt werden, beim Empfänger nicht berücksichtigt werden. Mit der Entscheidung dieses Meinungsstreites korrespondiert die Frage, ob die Leistungen nach § 12 Nr. 2 EStG einem Abzugsverbot für den Beschwerten unterfallen. Der BFH vertritt die Ansicht, dass letztlich auf die Entscheidungslage des Erblassers abzustellen sei. Handele es sich aus Sicht des Erblassers um die Erfüllung einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder einer gesetzlichen Unterhaltspflicht, so gelte dies auch für die Erfüllung des Rentenvermächtnisses; so dass dieses auf der einen Seite beim Bedachten nicht besteuert werden könne (§ 22 Nr. 1 S. 2, 1. Hs. EStG) und auf der anderen Seite vom Beschwerten nicht in Abzug gebracht werden könne (§ 12 Nr. 2 EStG)6. Etwas anderes gilt möglicherweise, wenn das Rentenvermächtnis aus den aus einem Betrieb erzielten Einkünften erfüllt wird, da die Bezüge dann als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG als Sonderausgaben beim Beschwerten in Abzug gebracht werden können und dann wohl beim Bedachten weiterhin einer Besteuerung nach § 22 Nr. 1 EStG unterliegen7. 6. Steuerliche Fragen im Kontext des sog. Berliner Testaments

10.316 Das unter Eheleuten sehr verbreitete sog. „Berliner Testament“, wonach die Kinder im ersten Erbfall enterbt sind, ist immer wieder Gegenstand von Kritik unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten. Denn in der Regel tastet der überlebende Ehegatte den Nachlass des Erstversterbenden nicht an, sondern ver1 2 3 4

BFH v. 28.9.1993 – IX 156/88, NJW 1994, 2783 (2784), entgegen der zuvor bestehenden Rechtslage. So Staudinger/Heinze, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 45; kritisch auch Kögel in Scherer, § 40 Rz. 164. Staudinger/Heinze, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 45. Siehe von Sothen in Scherer, § 36 Rz. 303; Döbereiner in MVH BR II, XIII 2 Rz. 9; vgl. auch BFH v. 24.9.1991 – VIII R 349/83, DStR 1992, 495. 5 Döbereiner, in MVH BR II, XIII 2 Rz. 9. 6 BFH v. 20.7.2010 – IX R 30/09, FamRZ 2011, 35; in diesem Sinne auch Streck, DStR 2011, 959 ff. sowie von Sothen in Scherer, § 35 Rz. 389. 7 Streck, DStR 2011, 959 (961).

388

Nienaber/Schmitz

Vermächtnis

Rz. 10.322 § 10

erbt ihn nahezu ungeschmälert an die Schlusserben weiter. So würde der Nachlass zweimal versteuert, wird dann kritisiert; nämlich zum einen beim Tod des Erstversterbenden durch den überlebenden Ehegatten und zum anderen durch die Schlusserben beim Tod des Letztversterbenden. Beratungssituation: Die von Ihnen beratenen vermögenden Eheleute wollen sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Jeder der Eheleute ist durch eigenes Vermögen hinreichend versorgt, um den Nachlass des Erstversterbenden aller Voraussicht nach nicht antasten zu müssen. Aus diesem Grunde bitten die Mandanten um Beantwortung der Frage, inwiefern erbschaftssteuerrechtliche Freibeträge der drei Abkömmlinge auch schon bei ersten Erbfall ausgenutzt werden können.

10.317

Sollten im Beispielsfall die drei Kinder schon beim ersten Erbfall ihren Pflichtteil geltend machen, würde bereits Erbschaftssteuer anfallen. So würde sich das Problem der nur einmaligen Ausschöpfung der Freibeträge nicht stellen. Wer sich aber nicht auf diese Pflichtteilsgeltendmachung verlassen will oder dies aufgrund einer Pflichtteilsstrafklausel erschwert hat, sollte seinen Kindern Vermächtnisse aussetzen (§§ 2147 ff. BGB). Wenn genaue Beträge angegeben werden sollen, bietet sich folgende Formulierung an:

10.318

M 62 Geldvermächtnisse im ersten Erbfall beim „Berliner Testament“

10.319

Hiermit setzen wir für den ersten Erbfall für jedes unserer drei Kinder ein Geldvermächtnis von 400.000 Euro aus. Dieses ist erst ein halbes Jahr nach dem Tod des Erstverstorbenen von uns fällig.

Sollten die eigenen Abkömmlinge bereits im Erwachsenenalter sein und möglicherweise schon eigene 10.320 Kinder haben, so bietet sich im Hinblick auf die Freibeträge auch von Enkeln von jeweils 200.000 Euro eine Steueroptimierung durch Vermächtnisse zugunsten der Enkelkinder an. Empfehlenswert ist die Angabe eines konkreten Wertes bis hin zur jeweiligen Freibetragsgrenze. Ein schlichter Hinweis auf die geltenden Freibeträge ist nicht zu empfehlen, denn durch Gesetzesänderungen können diese verändert werden, so dass die Nachfolgeplanung erheblich gestört werden kann. Eine Optimierung aus steuerlichen Gründen dadurch, dass Vermächtnisse erst mit dem zweiten Erbfall fällig werden, ist aus steuerlichen Gründen nicht zulässig. Diese sog. betagten Vermächtnisse werden Nachvermächtnissen gleichgestellt. Diese sind als Erwerb vom länger lebenden Ehegatten zu versteuern (§ 6 Abs. 4 EStG)1.

10.321

Im Zusammenhang mit der steuerlichen Optimierung des Berliner Testaments wird immer wieder auch das sog. „Supervermächtnis“ diskutiert2. Dabei handelt es sich um eine Kombination eines Zweckvermächtnisses (§ 2156 BGB), mit einem Bestimmungsvermächtnis (§§ 2151, 2153 BGB) und einer Regelung zur Fälligkeitsbestimmung (§ 2181 BGB), welches dem zum Alleinerben eingesetzten überlebenden Ehegatten das Recht einräumt, die Höhe, die Bedingungen, den Leistungszeitpunkt und aus dem Kreis der Abkömmlinge zu bestimmen, wer und zu welchen Anteilen diese das Vermächtnis erhalten sollen. Die Frage der Zulässigkeit einer solchen Vermächtnisgestaltung zur Steueroptimierung ist umstritten. Die zivilrechtliche Wirksamkeit solcher Vermächtnisse wird jedoch angezweifelt3. Auch das Risiko einer Besteuerung gem. § 6 Abs. 4 ErbStG wird diskutiert4. Letztlich entscheidend für die Beurteilung der Zulässigkeit eines solchen Vermächtnisses ist insbesondere eine möglichst exakte Zweckbestimmung, so dass der bestimmungsberechtigte überlebende Ehegatte hinreichend konkrete

10.322

1 Vgl. Daragan in Daragan/Halaczinsky/Riedel, § 6 ErbStG Rz. 37. 2 Langenfeld/Fröhler, Kap. 5 Rz. 204 ff.; vgl. hierzu insbes. Keim, ZEV 2016, 6 ff.; Bredemeyer, ZErb 2017, 343, 347 ff. 3 Ablehnend Kanzleiter, ZEV 2014, 225 (228). 4 Vgl. Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, EStG, § 6 Rz. 156; umfassend: Keim, ZEV 2016, 6 (11 ff.).

Nienaber/Schmitz 389

§ 10 Rz. 10.323

Vermächtnis

Anhaltspunkte für die Ermessensausübung erhält1, sowie eine eindeutige Fristsetzung für die Fälligkeit des Vermächtnisses2.

XI. Das Vermächtnis in der Insolvenz 10.323 Im Falle der Nachlassinsolvenz gehen nach § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Verbindlichkeiten aus vom Erblasser angeordneten Vermächtnissen und Auflagen den in § 39 InsO bezeichneten Verbindlichkeiten und den Verbindlichkeiten gegenüber Pflichtteilsberechtigten nach. Ein Vermächtnis, durch welches das Recht des Bedachten auf den Pflichtteil nach § 2307 BGB ausgeschlossen wird, steht im Rang den Pflichtteilsansprüchen gleich, soweit es den Pflichtteil nicht übersteigt (§ 327 Abs. 2 S. 1 BGB). Die Verbindlichkeiten mehrerer Vermächtnisnehmer bzw. Auflagenbegünstigter werden gleichrangig nach dem Verhältnis ihrer Beträge erfüllt. Von dieser gleichmäßigen Befriedigung kann der Erblasser abweichende Bestimmungen treffen (§ 327 Abs. 2 S. 2 BGB). Ist das Vermächtnis nicht auf einen Geldbetrag gerichtet, so ist es mit einem Geldwert geltend zu machen (§ 45 InsO). Ist der Vermächtnisanspruch schon vor Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens erfüllt worden, kann die Erfüllung wie eine unentgeltliche Leistung des Erben nach § 322 InsO angefochten werden3.

1 So Erman/Nobis, § 2156 Rz. 3; Nieder/Kössinger/Nieder, § 3 Rz. 56; krit. Staudinger/Otte, § 2156 Rz. 2. 2 Vgl. Bartsch in Uricher, § 2 Rz. 105. 3 Vgl. Hermreck, NJW-Spezial 2017, 149 (150).

390

Nienaber/Schmitz

§ 11 Gemeinschaftliches Testament I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.1

II. Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Errichtung als eigenhändiges Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Form des § 2247 BGB . . . . . . . . bb) Form des § 2267 BGB . . . . . . . . b) Errichtung als ordentliches öffentliches Testament . . . . . . . . . . . . . . . c) Errichtung als Nottestament . . . . . . 3. Errichtungszusammenhang . . . . . . . . . 4. Allein gegenseitige Erbeinsetzung . . . .

11.4 11.5 11.10

III. Das gegenseitige gemeinschaftliche Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gestaltungsmöglichkeiten der Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einheitslösung (Vollerbschaft) . . . . aa) Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Trennungslösung (Vor- und Nacherbschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . 2. Trennungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einsetzung der Vor- und Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befreiung des Vorerben . . . . . . . . . . c) Pflichtteilsklauseln . . . . . . . . . . . . . . d) Wiederverheiratungsklauseln . . . . . 3. Berliner Testament . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegungsregeln des § 2269 BGB . . b) Einsetzung des Voll- und Schlusserben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflichtteilsklauseln . . . . . . . . . . . . . . aa) Verwirkungsklausel . . . . . . . . . . bb) Jastrow’sche Formel . . . . . . . . .

11.11 11.12 11.13 11.18 11.21 11.22 11.26 11.32 11.33 11.34 11.35 11.36 11.38 11.39 11.40 11.41 11.45 11.45 11.50 11.52 11.55 11.59 11.59 11.62 11.69 11.71 11.75

cc) Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . . . d) Wiederverheiratungsklauseln . . . . . aa) Anordnung eines Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedingte Vor- und Nacherbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wechselbezügliche Verfügungen . . . . 1. Wechselbezüglichkeit . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung und Rechtsfolge . . . . . . . b) Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gegenseitige Zuwendungen (§ 2270 Abs. 2 Alt. 1 BGB) . . . . bb) Zuwendungen an Dritte (§ 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB) . . . . cc) Widerlegung der Vermutung . . 2. Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerruf zu Lebzeiten der Ehegatten (§ 2271 Abs. 1 BGB) . . . . . . . aa) Ausschluss neuer Verfügungen . bb) Widerruf nur in der Form des § 2296 BGB . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerruf nach dem Tod eines Ehegatten (§ 2271 Abs. 2 BGB) . . . . . . . aa) Ausschlagung (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anfechtung (§§ 2281 ff. BGB analog) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Änderungsvorbehalt . . . . . . . . . 3. Schutz der Endbedachten vor lebzeitigen Verfügungen des überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die frühere „Aushöhlungsnichtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entsprechende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB . . . . . . . . . . . . .

11.78 11.79 11.82 11.85 11.98 11.99 11.100 11.104 11.106 11.107 11.111 11.113 11.114 11.115 11.118 11.123 11.126 11.132 11.138 11.143 11.144 11.145

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . 11.151

Schrifttum: Battes, Gemeinschaftliches Testament und Ehegattenerbvertrag als Gestaltungsmittel für die Vermögensordnung der Familie, 1974; Ebeling, Korrekturvermächtnisse im Berliner Testament und deren erbschaftsteuerliche Folgen, ZEV 2000, 87; Edenfeld, Auslegungsprobleme bei Wünschen des Erblassers: Erbenbindung oder moralischer Appell?, ZEV 2004, 141; Helms, Der Widerruf und die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen bei Geschäfts- und Testierunfähigkeit, DNotZ 2003, 104; Hülsmann, Berliner Testament – Steuerreduzierung beim Schlusserben, NWB 2007, 1585; Jünemann, Rechtsstellung und Bindung des überlebenden Ehegatten bei vereinbarter Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament, ZEV 2000, 81; Kanzleiter, Das Berliner Testament: immer aktuell und fast immer ergänzungsbedürftig, ZEV 2014, 225; Keim, Regelungen für den gemeinsamen und gleichzeitigen Tod im Ehegattentestament, ZEV 2005, 10; Keim, Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testamentes auch gegenüber dem Bevollmächtigten des anderen Ehegatten?, ZEV 2010, 358; Lehmann, Die Zukunft des deutschen gemeinschaftlichen Testaments in Europa, ZEV 2007, 193; Leipold, Das Europäische Erbrecht (EuErbVO) und das deutsche gemeinschaftliche Testament, ZEV 2014, 139; Litzenburger, Die interessengerech-

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§ 11 Rz. 11.1

Gemeinschaftliches Testament

te Gestaltung des gemeinschaftlichen Testaments von Eltern zugunsten behinderter Kinder, RNotZ 2004, 138; Mayer, Auf der Suche nach dem Bindungswillen beim Berliner Testament – Hinweise aus der Praxis, ZEV 2016, 420; Meier-Kraut, Zur Wiederverheiratungsklausel in gemeinschaftlichen Testamenten mit Einheitslösung, NJW 1992, 143; Mittenzwei/Rohlfing, Der Erklärungsgegner bei der Anfechtung eines Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments, ZEV 2003, 49; Musielak, Die Bindung an wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament, ZErb 2008, 189; Nordmeier, EuErbVO: Neues Kollisionsrecht für gemeinschaftliche Testamente, ZEV 2012, 513; Proff, Das gemeinschaftliche Testament von Nichtehegatten, ZErb 2008, 254; Schmucker, Die Wechselbezüglichkeit von Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten in der Rechtsprechung des BayObLG, MittBayNot 2001, 526; Schmucker, Die Bindung beim gemeinschaftlichen Testament und Erbvertrag, ZNotP 2006, 414; Simshäuser, Auslegungsfragen bei Wiederverheiratungsklauseln in gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen, FamRZ 1972, 273; Steiner, Gestaltungspraxis gemeinschaftlicher Testamente und Erbverträge bei gemischtnationalen Ehen, insbesondere bei deutsch-österreichischen Ehepaaren, ZEV 2004, 362; Steiner, Erbschaftsteuerliche Probleme beim „Berliner Testament“, ZErb 2015, 165; Wacke, Gemeinschaftliche Testamente von Verlobten, FamRZ 2001, 457; Wilhelm, Wiederverheiratungsklausel, bedingte Erbeinsetzung und Vor- und Nacherbfolge, NJW 1990, 2857; Zimmer, Aktuelle Entwicklungen im Bereich wechselbezüglicher Verfügungen beim gemeinschaftlichen Testament, ZEV 2015, 450.

I. Vorbemerkung 11.1 Die bürgerlich-rechtliche Ehe ist eine Lebens-, Wirtschafts- und Schicksalsgemeinschaft. Viele Ehegatten wollen nicht nur ihr Leben zusammen gestalten, sondern auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse für die Zeit nach ihrem Tod gemeinsam regeln. Dabei wird eine doppelte Zielrichtung verfolgt. Zum einen wird der überlebende Ehegatte abgesichert. Er soll zeitlebens über das gemeinsam Erarbeitete verfügen können. Andererseits soll das Vermögen nicht auf Dauer in seinen Familienzweig fallen. Es soll nach dessen Tod möglichst ungeschmälert den gemeinsamen Abkömmlingen zugute kommen.

11.2 Das Gesetz gibt den Ehegatten das gemeinschaftliche Testament als Gestaltungsmittel an die Hand. Es hat sich in der Rechtspraxis bewährt und gilt noch heute als die für Eheleute ratsamste Art, von Todes wegen zu verfügen1. Dabei ist eine Reihe formaler, materiell- und steuerrechtlicher Aspekte zu beachten. Das gemeinschaftliche Testament ist in den §§ 2265 bis 2272 BGB geregelt und weist im Vergleich zum Einzeltestament wichtige Besonderheiten auf. Dazu gehören einzelne Formerleichterungen und gewisse Bindungswirkungen. Nachfolgend werden seine Errichtung (Rz. 11.5 ff.), die rechtlichen Besonderheiten des gegenseitigen gemeinschaftlichen Testaments (Rz. 11.33 ff.) und die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen (Rz. 11.98 ff.) erörtert. Die abschließende Zusammenfassung (Rz. 11.151) enthält eine Aufzählung der wichtigsten Aspekte, auf die in der Praxis bei der Errichtung gemeinschaftlicher Testamente zu achten ist.

11.3 Erbschaftsteuerrechtlich ist zu beachten, dass das gemeinschaftliche Testament bei großen Nachlässen zu Nachteilen führen kann: Das Vermögen des zuerst Versterbenden wird zweimal der Erbschaftsteuer unterworfen, die Freibeträge der Kinder können nur einmal – beim Tod des zweiten Elternteils – geltend gemacht werden und die Steuerprogression verschärft sich beim Tod des zweiten Ehegatten, bei dem sich das gesamte Vermögen angesammelt hat. Zu den steuerlichen Optimierungsmöglichkeiten in diesen Fällen s. §§ 37–39.

II. Errichtung 11.4 Beratungssituation: Ein junges, noch kinderloses Ehepaar erkundigt sich, wie sich die Partner gegenseitig zu Erben einsetzen können. Im Rahmen der erbrechtlichen Nachfolgeregelung soll der Überlebende den 1 Sogar zur Ergänzung eines Erbvertrags, vgl. BayObLG v. 20.2.2003 – 1Z BR 77/02, NJW-RR 2003, 658.

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Rz. 11.7 § 11

Erstversterbenden unbeschränkt beerben. Der Berater verweist auf die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments. Die Eheleute fragen nach dessen Voraussetzungen.

1. Beteiligte a) Ein gemeinschaftliches Testament liegt vor, wenn mehrere Erblasser ihren letzten Willen gemein- 11.5 schaftlich erklären. Anders als der Erbvertrag (§§ 2274 ff. BGB) hat es keine Doppelnatur. Trotz der Gemeinschaftlichkeit der Errichtung verfügt jeder von ihnen einseitig für den Fall seines Todes über sein Vermögen. Es handelt sich um zwei Testamente mit gemeinschaftlichem Verfügungswillen. Nach § 2265 BGB kann ein gemeinschaftliches Testament nur durch Ehegatten errichtet werden. Sie regeln ihre Erbfolge gemeinsam. Gleiches gilt nach § 10 Abs. 4 LPartG für eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner. Nichtehegatten wie Geschwister oder Verlobte dürfen nicht in dieser Weise testieren. Wollen sie gemeinschaftlich verfügen, müssen sie den Erbvertrag wählen. Auch die nachfolgende Ehe macht eine vorher errichtete gemeinsame Verfügung nicht wirksam. Verlobte können nicht „für den Fall der Eheschließung“ gemeinsam testieren. Ein gemeinschaftliches Testament unverheirateter Personen ist unwirksam. b) Haben Nichtehegatten zusammen in einer Urkunde verfügt, darf es der Berater nicht bei der Feststellung der Nichtigkeit belassen. Er muss – ebenso wie im Fall der Unwirksamkeit wegen Testierunfähigkeit1 oder Nichtunterzeichnung2 eines Ehegatten – an die Möglichkeit einer Umdeutung (§ 140 BGB) der Erklärungen in Einzeltestamente denken.

11.6

Beratungssituation: Zwei Geschwister bestimmen für den Fall ihres Todes, dass jeder von ihnen als Alleinerbe des anderen eingesetzt wird. Der Bruder hat den gesamten Text eigenhändig geschrieben und unterschrieben, die Schwester lediglich unterschrieben. Nach dem Tod des Bruders fragt die Schwester, ob sie ihn aufgrund des Testaments beerbt hat.

Als Nichtehegatten konnten die Geschwister kein gemeinschaftliches Testament errichten, § 2265 BGB. Sie durften nicht in der für Ehegatten zugelassenen Form des § 2267 BGB testieren. Fraglich ist, ob zumindest die letztwillige Verfügung des Bruders nach § 140 BGB aufrechterhalten werden kann. Sie ist – anders als die der Schwester – eigenhändig geschrieben und unterschrieben, wahrt also die Form des § 2247 BGB. Das RG3 hat in einem ähnlichen Fall die Umdeutung verneint. § 2265 BGB enthalte ein Verbot für Nichtehegatten, um Auslegungszweifel zu vermeiden. Das wird heute einhellig4 abgelehnt. Nach überwiegender Auffassung5 können von Nichtehegatten gemeinsam errichtete Testamente als Einzeltestamente aufrechterhalten werden, wenn sie deren Form genügen. Der herrschenden Meinung ist zuzustimmen. Das Gesetz lässt in den §§ 2084, 2085 BGB die Tendenz 11.7 erkennen, dass der Wille des Erblassers möglichst verwirklicht werden soll. Auslegungsschwierigkeiten bei gemeinsam errichteten Testamenten sind kein Argument, ihnen die Wirksamkeit abzusprechen. § 2265 BGB stellt nur die Geltung der §§ 2266 ff. BGB für Ehegattentestamente klar. Ob auch wechselbezügliche Verfügungen (zum Begriff unten Rz. 11.100) nicht verheirateter Personen aufrechterhalten werden können, lässt sich nicht allgemein beantworten. Maßgeblich ist die Auslegung im Einzelfall. Die Umdeutung scheitert, wenn die eine Verfügung ohne die andere hinfällig sein soll, § 158 BGB. Im 1 Dazu OLG München v. 19.5.2010 – 31 Wx 38/10, FamRZ 2010, 1769 = MDR 2010, 1266 = ZEV 2010, 471 m. Anm. Zimmer. 2 Dazu OLG München v. 23.4.2014 – 31 Wx 22/14, NJW-RR 2014, 838 = FamRZ 2014, 1662 = RPfleger 2014, 598. 3 RG v. 20.5.1915 – Rep. IV. 699/14, RGZ 87, 33 (34). 4 BGH v. 16.6.1987 – IVa ZR 74/86, DNotZ 1988, 178 m.w.N.; KG v. 5.12.1968 – 1 W 4146/68, FamRZ 1969, 172. 5 KG v. 15.8.1972 – 1 W 2500/71, NJW 1972, 2133 (2137); OLG Frankfurt v. 8.3.1976 – 20 W 98/76, FamRZ 1979, 347; BayObLG v. 27.4.1993 – 1Z BR 120/92, FamRZ 1993, 1370 (1370 f.); OLG Braunschweig v. 21.4.2005 – 2 W 225/04 – OLGReport 2006, 283; Kanzleiter, DNotZ 1973, 133 ff.

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§ 11 Rz. 11.8

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obigen Beispiel muss der hypothetische Wille des Bruders ermittelt werden. Ergibt die Auslegung, dass er seine Schwester auch in Kenntnis der Nichtigkeit ihrer letztwilligen Verfügung zur Alleinerbin eingesetzt hätte, kann seine Verfügung als Einzeltestament isoliert aufrechterhalten werden. Zu beachten ist, dass die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB bei Nichteheleuten nicht gilt.

11.8 c) Die Ehe muss bestehen. Bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments gehen die Eheleute vom Bestand ihrer Ehe bis zum Tod aus. Im Normalfall testieren sie nicht gemeinschaftlich, wenn sie mit dem Scheitern der Ehe rechnen. Dem trägt das Gesetz Rechnung. Mit der Auflösung der Ehe entfällt die Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments, §§ 2268 Abs. 1, 2077 BGB. Das entspricht dem vermuteten Willen der Erblasser. Es können jedoch triftige Gründe dafür bestehen, dass die Erblasser ihre letztwillige Verfügung auch für den Fall getroffen hätten, dass die Ehe scheitert. Die Auslegungsregel des § 2268 Abs. 2 BGB macht daher von der Nichtigkeitsfolge eine Ausnahme: Wird die Ehe durch rechtskräftiges Scheidungs- (§ 1564 BGB), Aufhebungsurteil (§ 1313 BGB) oder durch Wiederverheiratung nach vorausgegangener Todeserklärung (§ 1319 BGB) aufgelöst oder liegt einer der Tatbestände des § 2077 Abs. 1 S. 2 oder 3 BGB vor, wird das gemeinschaftliche Testament erst im Zweifel unwirksam.

11.9 Die Verfügungen bleiben insoweit gültig, als anzunehmen ist, dass sie auch für diesen Fall getroffen sein würden. Haben sich die Ehegatten gegenseitig und wechselbezüglich (dazu Rz. 11.98 ff.) bedacht, behalten über § 2268 Abs. 2 BGB fortgeltende wechselbezügliche Verfügungen auch nach Scheidung der Ehe ihre Wechselbezüglichkeit und können nicht nach § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB durch einseitige Verfügung von Todes wegen aufgehoben werden1. Haben sie sich nicht gegenseitig, sondern hat jeder die gemeinschaftlichen Kinder zu Erben seines Vermögens eingesetzt, spricht einiges für die Wirksamkeit beider Erbeinsetzungen2. Im Übrigen ist auch hier die Umdeutung in Einzeltestamente zu erwägen. Die Auslegungsregel des § 2268 Abs. 2 BGB erfasst über ihren Wortlaut hinaus den Fall, dass der Beklagte oder Antragsgegner vor Abschluss des anhängigen Ehescheidungs- oder Aufhebungsverfahrens verstirbt3. 2. Form

11.10 Wie jedes Testament kann das gemeinschaftliche in der Form des eigenhändigen Testaments, des ordentlichen öffentlichen Testaments und des Nottestaments errichtet werden. a) Errichtung als eigenhändiges Testament

11.11 Beim gemeinschaftlichen eigenhändigen Testament haben die Eheleute die Wahl: – Es kann aus zwei Haupterklärungen bestehen, von denen jede der Form des § 2247 BGB genügt. – Es kann als gemeinschaftliche Erklärung nach § 2267 BGB abgefasst sein. aa) Form des § 2247 BGB

11.12 Machen die Ehegatten von der ersten Möglichkeit Gebrauch, müssen beide eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung abgeben, § 2247 BGB. Manche Eheleute schreiben das gemeinschaftliche Testament eigenhändig in wörtlich übereinstimmender Fassung nieder und unterzeichnen jeder für sich den Text. Aus der Erklärung muss der Wille, gemeinschaftlich zu verfügen, deutlich hervorgehen. Erst dann kann davon ausgegangen werden, dass nicht lediglich zwei Einzeltestamente 1 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 187/03, MDR 2004, 1421 = FamRZ 2004, 1565; OLG Hamm v. 26.8.2010 – 15 Wx 317/09, ZEV 2011, 265; a.A. Muscheler, DNotZ 1994, 733 (740 ff.); OLG Frankfurt a.M. v. 20.3.2014 – 20 W 520/11, FamRZ 2015, 1318 = ZEV 2015, 548. 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 27.6.1978 – 20 W 448/78, RPfleger 1978, 412 (413); BayObLG v. 8.6.1993 – 1Z BR 95/92, FamRZ 1994, 193 (195); OLG Hamm v. 8.11.1993 – 15 W 267/91, FamRZ 1994, 994 (995). 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2268 Rz. 10 ff. m.w.N.

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Rz. 11.15 § 11

vorliegen. Erfahrungsgemäß entstehen über den notwendigen Errichtungszusammenhang (dazu Rz. 11.22) oft Unklarheiten. Die Einheit der Urkunde ist nur ein Indiz. In der Praxis sollte daher vorrangig von der zweiten Form (§ 2267 BGB) Gebrauch gemacht werden. bb) Form des § 2267 BGB § 2267 BGB sieht für das gemeinschaftliche eigenhändige Testament eine Formerleichterung vor. Da- 11.13 nach genügt es, wenn einer der Ehegatten das Testament in der Form des § 2247 BGB errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet. Entsprechend § 2247 Abs. 2 BGB soll auch der Ehegatte angeben, an welchem Ort und zu welcher Zeit (Tag, Monat und Jahr) er seine Unterschrift beigefügt hat, § 2267 S. 2 BGB1. Trotz dieser einfachen Regelung kommt es in der Testierpraxis immer wieder zu Zweifelsfragen. Beratungssituation: Die Eheleute legen eine „Gemeinschaftliches Testament“ überschriebene Erklärung mit der Bitte um Durchsicht vor. Darin heißt es: „Hiermit setze ich meine Ehefrau Maria zur Alleinerbin ein. Heinz Wagner.“ Darunter schreibt der Ehemann weiter: „Hiermit setze ich meinen Mann Heinz zum Alleinerben ein.“ Es folgt die Unterschrift der Gattin.

Die Testamentsgestaltung ist fehlerhaft. Allein die Verfügung des Mannes, nicht aber die der Ehefrau 11.14 entspricht § 2247 BGB. Sie hat ihre Erklärung nicht eigenhändig geschrieben. Ihre Anordnung ist auch nach § 2267 BGB formunwirksam. Danach genügt es zwar, wenn einer der Eheleute die letztwillige Verfügung niederschreibt und der andere eigenhändig mitunterzeichnet. Es muss sich aber um eine gemeinschaftliche Erklärung handeln. Die Unterschriften beider Eheleute müssen beide Verfügungen decken2. Daran fehlt es hier. Das gemeinschaftliche Testament wäre in der vorstehenden Fassung wirksam, wenn der Ehemann seine Unterschrift nicht unter seine eigene letztwillige Anordnung, sondern an das Ende beider Verfügungen gesetzt hätte. In diesem Fall decken die Unterschriften beider Eheleute beide Erklärungen. Beratungshinweis: Um derartige Fehler auszuschließen, kann die kürzere Formel „Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein“ mit der nachfolgenden Unterschrift beider Ehegatten bevorzugt werden. Nachteilig ist diese Variante allerdings im Hinblick auf die gesonderte Eröffnung der Verfügungen (Rz. 11.20).

Dem Wortlaut des § 2267 BGB folgend übernimmt ein Ehegatte die Niederschrift des gemeinschaftli- 11.15 chen Testaments. Es genügt nicht, dass die Eheleute den Text abwechselnd verfassen. Die letztwillige Verfügung jedes Einzelnen muss auch ohne die Erklärung des anderen einen Sinn ergeben. Wie die Unterschriften unter der gemeinsamen Erklärung angeordnet sind, ist unerheblich. Es darf auch der mitunterzeichnende Ehegatte vor demjenigen unterzeichnen, der den Text geschrieben hat3. Entscheidend ist der räumliche Bezug zum Text. Dieser ist bei der Unterzeichnung auf der Rückseite mangels Raums auf der Vorderseite anzunehmen, aber auf einem gesonderten Blatt problematisch und sollte vermieden werden. Beratungshinweis: Bei späteren Zusätzen und Korrekturen ist darauf zu achten, dass sie durch die Unterschriften beider Eheleute gedeckt werden4. Den Anforderungen des § 2267 BGB entsprechend schreibt ein Ehegatte die Ergänzung handschriftlich nieder und unterzeichnet sie. Der andere bringt durch seine weitere Unterschrift zum Ausdruck, dass auch die Änderung seinem Willen entspricht. Der Einfachheit halber werden gelegentlich Streichungen im Text vorgenommen. Das ist zwar zulässig, sollte aber unterbleiben. Nicht 1 Zur wirksamen Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments trotz Beitritts des zweittestierenden Ehegatten erst nach längerer Zeit OLG München v. 1.12.2011 – 31 Wx 249/10, FamRZ 2012, 581 = MDR 2012, 589. 2 BGH v. 28.1.1958 – V BLw 52/57, NJW 1958, 547; OLG Hamm v. 1.10.1971 – 15b W 112/71, MDR 1972, 241; Erman/Kappler/Kappler, § 2267 Rz. 2; MüKo.BGB/Musielak, § 2267 Rz. 20. 3 Haegele, BWNotZ 1977, 29 (33). 4 BayObLG v. 23.7.1993 – 1Z BR 26/93, FamRZ 1994, 191 (192); zur Ergänzung s. OLG Düsseldorf v. 13.6.2016 – I-3 Wx 111/16, FamRZ 2017, 68 = ZEV 2016, 534.

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§ 11 Rz. 11.16

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selten kommt es später zum Streit darüber, ob der ursprüngliche Text im beiderseitigen Einverständnis oder einseitig verändert worden ist. Auch die Angabe des Änderungsdatums ist zu empfehlen, §§ 2247 Abs. 2, 2267 S. 2 BGB. Für die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments spielt es eine große Rolle, wann und warum die Korrektur erfolgt ist.

11.16 Wird die Form des § 2267 BGB nicht eingehalten, ist an die Möglichkeit einer Umdeutung (§ 140 BGB) oder Formheilung zu denken: Beratungssituation: Dem Berater wird eine „Gemeinschaftliches Testament“ überschriebene Erklärung vorgelegt, in der sich die Eheleute gegenseitig zu Erben einsetzen. Das Testament ist einschließlich beider Unterschriften vom Ehemann geschrieben. Nach dem Tod des Mannes erkundigt sich die Ehefrau, ob sie Alleinerbin ist oder das Testament nachträglich unterschreiben kann.

Die Form des § 2267 BGB ist mangels eigenhändiger Unterschrift der Frau nicht eingehalten. Das gemeinschaftliche Testament ist ungültig. Die letztwillige Verfügung des Ehemannes genügt den Erfordernissen des § 2247 BGB, so dass die Umdeutung in ein gültiges Einzeltestament zu erwägen ist. Diese Aufrechterhaltung eines formnichtigen gemeinschaftlichen Testaments ist möglich, setzt jedoch voraus, dass die Umdeutung dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht. Davon ist hier nicht auszugehen. Setzen sich die Eheleute gegenseitig zu Erben ein, sind die Erklärungen im Zweifel wechselbezüglich (§ 2270 Abs. 2 BGB, dazu Rz. 11.98 ff.). Die Nichtigkeit der Verfügung der Frau macht die des Mannes unwirksam, § 2270 Abs. 1 BGB. Entsprechend ist im Fall der Unwirksamkeit wegen Testierunfähigkeit eines Ehegatten zu verfahren1.

11.17 Das wirft die Frage auf, ob die Ehefrau dem Testament durch ihre nachträgliche Unterschrift Gültigkeit verleihen kann. Auch das ist zu verneinen. Grundsätzlich darf der mitunterzeichnende Ehegatte zwar seine Unterschrift später leisten. Die Eheleute brauchen nicht an ein und demselben Tag zu unterzeichnen. Beide müssen aber die Mitwirkung des anderen kennen und wollen. Das gemeinschaftliche Testament setzt einen gemeinsamen Entschluss voraus. Ob ein längerer Zeitablauf zwischen den Unterschriften dem beiderseitigen Willen entgegensteht, hängt von den Umständen ab. In jedem Fall muss der erste Ehegatte bei der Unterzeichnung durch den zweiten noch leben. Nach dessen Tod kann die Beitrittserklärung nicht mehr mit Wissen und Wollen des anderen Teils abgegeben werden2. Anders ist es, wenn der länger lebende Ehegatte in einem eigenhändigen Testament auf ein gültig unterzeichnetes gemeinschaftliches Ehegattentestament Bezug nimmt. Die Bezugnahme ist auch dann zulässig, wenn der vorverstorbene Ehegatte das gemeinschaftliche Testament niedergeschrieben hat3. b) Errichtung als ordentliches öffentliches Testament

11.18 Das ordentliche öffentliche Testament wird zur Niederschrift eines Notars errichtet. Beide Eheleute können dem Notar ihren letzten Willen entweder mündlich erklären oder ihm eine offene oder verschlossene Schrift mit der Erklärung übergeben, dass die Schrift ihren letzten Willen enthält, § 2232 BGB4. Die Ehegatten brauchen nicht die gleiche Form zu wählen. Das gemeinschaftliche Testament wird vom beurkundenden Notar in die besondere amtliche Verwahrung des Amtsgerichts gegeben, §§ 346 FamFG, 34 BeurkG. Dieses erteilt den Erblassern einen Hinterlegungsschein und stellt durch Benachrichtigung ihrer Geburtsstandesämter sicher, dass beim Tod eines Ehegatten über die Nachfrage bei diesem die nachlassgerichtliche Eröffnung des Testaments gewährleistet ist. 1 Dazu OLG München v. 19.5.2010 – 31 Wx 38/10, FamRZ 2010, 1769 = MDR 2010, 1266 = ZEV 2010, 471 m. Anm. Zimmer. 2 KG KGJ 35 A 100 (102); 51 A 82; BGB-RGRK/Johannsen, § 2267 Rz. 9. Zu den Auswirkungen einer möglicherweise späteren Unterzeichnung durch den zweiten Ehegatten OLG Düsseldorf v. 3.1.2017 – I-3 Wx 55/16, MDR 2017, 343 = ZEV 2017, 235. 3 OLG Frankfurt v. 6.8.2001 – 20 W 483/2000, ZEV 2002, 70. 4 Zu den Sonderfällen der Errichtung (Minderjährige, Blinde, Stumme) vgl. § 2233 BGB und BVerfG v. 19.1.1999 – 1 BvR 2161/94, FamRZ 1999, 985 = BGBl. I 699.

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Rz. 11.22 § 11

Das gemeinschaftliche Testament kann nur von beiden Ehegatten aus der besonderen amtlichen Ver- 11.19 wahrung zurückgenommen werden. § 2272 BGB verhindert, dass ein Ehegatte ohne Kenntnis des anderen die Wirksamkeit des Testaments durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung beseitigt. Er schützt das Vertrauen der Testierenden auf den Bestand ihrer letztwilligen Verfügungen1. Die Wirkung des § 2256 BGB tritt ein, wenn beide gemeinschaftlich die Herausgabe verlangen. Der eine Ehegatte kann den anderen nicht zum Empfang der Urkunde bevollmächtigen, § 2256 Abs. 2 S. 2 BGB. Das Recht des Einzelnen, in das amtlich verwahrte Testament Einsicht zu nehmen, bleibt unberührt. Bei der Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments werden die Verfügungen des überlebenden Ehegatten, soweit sie sich sondern lassen, weder verkündet noch sonst zur Kenntnis der Beteiligten gebracht, § 349 Abs. 1 FamFG. Der überlebende Ehegatte hat ein berechtigtes Interesse daran, dass seine Verfügungen nicht vor seinem Tod bekannt werden. Davon abgesehen gelten die allgemeinen Vorschriften über die Eröffnung von Testamenten, §§ 348 ff. FamFG. Sobald das Nachlassgericht von dem Tod des erstversterbenden Ehegatten Kenntnis erlangt, bestimmt es einen Termin zur Eröffnung des verwahrten gemeinschaftlichen Testaments. Der Inhalt darf nur insoweit verkündet werden, als die Verfügung des einen Ehegatten nicht auf die des anderen Bezug nimmt. Da die eine Verfügung nicht ohne die andere verständlich ist, führt das vielfach zur Untrennbarkeit im Sinne des § 349 Abs. 1 FamFG. Um diesen praktischen Schwierigkeiten zu entgehen, sollten die Verfügungen nach Möglichkeit getrennt formuliert werden. Im Übrigen kann der überlebende Ehegatte auf die Geheimhaltung seiner Verfügung verzichten2. Nach der Verkündung wird das Testament wieder verschlossen und bis zum zweiten Erbfall in die besondere amtliche Verwahrung zurückgebracht, § 349 Abs. 2 S. 2 FamFG.

11.20

Beratungshinweis: Soweit nachfolgend zur Vereinfachung die Formel „Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein“ verwendet wird, sollte im Hinblick auf die gesonderte Eröffnung der Verfügungen stets überlegt werden, zwischen den Verfügungen des Mannes und der Frau zu unterscheiden: „1. Verfügungen des Ehemannes: (…); 2. Verfügungen der Ehefrau: (…).“ Die Unterschriften beider Eheleute müssen dann beide Verfügungen decken (Rz. 11.13 f.).

c) Errichtung als Nottestament Das gemeinschaftliche Testament kann als Bürgermeister- oder Dreizeugentestament errichtet werden. Legt man die §§ 2249, 2250 BGB zugrunde, müssen die Voraussetzungen bei beiden Eheleuten vorliegen. § 2266 BGB sieht hier eine Formerleichterung vor. Ein gemeinschaftliches Nottestament kann auch dann errichtet werden, wenn die in den §§ 2249, 2250 BGB vorgesehenen Voraussetzungen nur bei einem der Ehegatten vorliegen. Der andere Ehegatte muss sich nicht derselben Testamentsform bedienen. Er kann die Form des handgeschriebenen Testaments wählen3. Die Bedeutung dieser Regelung ist gering. Das erklärt, warum § 2266 BGB das gemeinschaftliche Seetestament (§ 2251 BGB) nicht erwähnt.

11.21

3. Errichtungszusammenhang Das gemeinschaftliche Testament setzt einen gemeinsamen Willensentschluss der Eheleute voraus. Ohne den Errichtungszusammenhang sind die §§ 2265 ff. BGB nicht anwendbar. Auch hier ist zwischen den verschiedenen Testamentsarten zu unterscheiden. Beim ordentlichen öffentlichen Testament, beim Nottestament und beim eigenhändigen Testament in der Form des § 2267 BGB fällt die Feststellung der Gemeinschaftlichkeit leicht. Beim ordentlichen öffentlichen Testament ergibt sich 1 BGH v. 18.1.1995 – IV ZR 88/94, BGHZ 128, 302 (306 f.) = MDR 1995, 608 = FamRZ 1995, 422; Limmer, ZEV 1994, 290 (294). 2 Die Gegenmeinung (OLG München, JFG 14, 73 (75); BGB-RGRK/Johannsen, § 2273 Rz. 14) verkennt, dass – der inzw. aufgehobene – § 2273 BGB nicht öffentlichen, sondern privaten Interessen des überlebenden Ehegatten diente. 3 So die h.M.: BGB-RGRK/Johannsen, § 2266 Rz. 2; Erman/Kappler/Kappler, § 2266 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2266 Rz. 1; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2266 Rz. 2.

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11.22

§ 11 Rz. 11.23

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der Errichtungszusammenhang aus der Einheit der Verhandlung und der Niederschrift, §§ 2232 BGB, 8 f. BeurkG. Entsprechendes gilt für das Nottestament, §§ 2249 Abs. 1 S. 4 BGB, 8 f. BeurkG. Machen die Eheleute von der Formerleichterung des § 2267 BGB Gebrauch, liegt der Errichtungszusammenhang auch beim privatschriftlichen eigenhändigen Testament nahe.

11.23 Problematisch sind vor allem die Fälle, in denen jeder für sich in der Form des § 2247 BGB verfügt (dazu Rz. 11.12): Beratungssituation: Die Eheleute setzen sich dergestalt zu Erben ein, dass jeder den anderen allein beerbt. Sie schreiben und unterschreiben jeweils auf einem gesonderten Blatt. Jeder bewahrt „zur Sicherheit“ das Testament des anderen auf. Nach dem Tod des Ehemannes legt sein Neffe ein später verfasstes Testament des Mannes vor, in dem er letztwillig bedacht wird. Die Ehefrau fühlt sich getäuscht.

Handelt es sich bei der von der Ehefrau aufbewahrten letztwilligen Verfügung des Ehemannes um ein Einzeltestament, konnte es zugunsten des Neffen widerrufen werden, §§ 2247, 2253, 2254, 2258 Abs. 1 BGB. Anders wäre die Rechtslage zu beurteilen, wenn es ein gemeinschaftliches Testament mit wechselbezüglichen Verfügungen darstellte. Dann konnte der Ehemann seine Verfügung nicht mehr einseitig zum Nachteil seiner Frau aufheben, §§ 2267, 2271 Abs. 1 S. 2 BGB (dazu Rz. 11.113 ff.). Ausschlaggebend dafür ist die Feststellung, ob die Verfügungen den notwendigen Errichtungszusammenhang aufweisen. Seine Kriterien sind streitig:

11.24 – Das RG1 stellte auf die Einheitlichkeit der Urkunde ab. Es verlangte, dass die Erklärungen äußerlich in einer Urkunde zusammengefasst sind. Die Niederlegung des letzten Willens auf verschiedenen Blättern wie im vorstehenden Beispiel genügt danach nicht. Diese objektive Auffassung dient der Rechtssicherheit, hat sich aber als zu eng erwiesen. Für den inneren Zusammenhang der Verfügungen spielen auch ihr Inhalt, die Umstände des Errichtungsakts und die Absichten der Erblasser eine Rolle. – Für die subjektive Ansicht2 ist allein der Wille der Ehegatten maßgeblich. Er muss darauf abzielen, die Vermögensverhältnisse für die Zeit nach dem Tod gemeinsam zu regeln. Der Wille braucht sich nicht aus den testamentarischen Erklärungen, sondern kann sich auch aus Umständen außerhalb der Urkunde ergeben. Dafür soll ein räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang der Verfügungen genügen. Er müsste vorliegend im Rahmen der Auslegung ermittelt werden, §§ 133, 2084 BGB. – Die herrschende Meinung3 stellt zwar ebenfalls auf den Willen der Ehegatten, gemeinsam zu verfügen, ab. Dieser muss aber eindeutig aus der Testamentsurkunde hervorgehen. Liegen die Umstände vollständig außerhalb der Urkunde, reicht das für die Feststellung des Errichtungszusammenhangs nicht aus. Dem ist zuzustimmen: Für die Eröffnung gemeinschaftlicher Testamente muss klar sein, ob die Urkunden zusammengehören und welche Verfügungen zu verkünden sind. Angesichts der Bindungswirkungen gemeinschaftlicher Testamente (§§ 2270, 2271 BGB) ist ein Mindestmaß an Rechtssicherheit erforderlich. Dazu bedarf es nachvollziehbarer Anhaltspunkte in der Urkunde selbst. Verfügen die Eheleute auf verschiedenen Blättern, muss der gemeinsame Wille aus jedem Testament erkennbar sein. Rein äußerliche Umstände wie der Austausch der Schriftstücke reichen nicht aus.

1 RG v. 14.1.1902 – Rep. VII. 406/01, RGZ 50, 308 (309); RG v. 18.11.1909 – Rep. IV. 265/08, RGZ 72, 204 (205). 2 OGHZ 1, 333 (337); Brox, Rz. 174; Lange/Kuchinke, § 24 III 2. 3 BGH v. 12.3.1953 – IV ZR 131/52, BGHZ 9, 113 (115 ff.); BayObLG v. 29.8.1985 – BReg.1 Z 47/85, FamRZ 1986, 392 (393); BayObLG v. 23.7.1993 – 1Z BR 26/93, FamRZ 1994, 191 (192); OLG Zweibrücken v. 17.7.2002 – 3 W 82/02, FamRZ 2003, 1415 = ZEV 2002, 414; OLG Braunschweig v. 13.3.2006 – 2 W 121/05 (gemeinschaftliches Widerrufstestament); OLG München v. 23.7.2008 – 31 Wx 34/08, OLGReport 2008, 712; Coing, JZ 1952, 611 (613).

398

Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.29 § 11

Zur Vermeidung derartiger Unsicherheiten sollte in der Praxis die Form des § 2267 BGB bevorzugt werden. Wählen die Eheleute die Form des § 2247 BGB, führt das erfahrungsgemäß zu schwierigen Feststellungs- und Auslegungsfragen. Das gilt vor allem dann, wenn der erstverstorbene Ehegatte wie in der obigen Konstellation zwischenzeitlich anders verfügt hat. Auseinandersetzungen unter den Angehörigen sind vorprogrammiert.

11.25

4. Allein gegenseitige Erbeinsetzung Liegen die unter 1. bis 3. genannten Voraussetzungen vor, können die Ehegatten nach Maßgabe der §§ 2265 ff. BGB testieren. Im Eingangsfall (Rz. 11.4) wird der Berater den Eheleuten vorschlagen, sich in einer Urkunde gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben einzusetzen.

11.26

Beratungshinweis: Das bietet sich gerade in jungen Ehen an, in denen noch keine Kinder vorhanden sind. Zu einem späteren Zeitpunkt der Ehe kann das Ehegattentestament durch Verfügungen auf den Tod des Letztversterbenden ergänzt werden. Die Eltern und Geschwister werden so frühzeitig als gesetzliche Miterben (§ 1931 Abs. 1 BGB) ausgeschlossen. Verstirbt der erste Ehegatte, erbt der Überlebende allein. Der Nachlass wird sein eigenes Vermögen. Er darf darüber unter Lebenden und von Todes wegen frei verfügen, solange die Schlusserbfolge noch nicht geregelt ist. Verlangen Abkömmlinge beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil (§ 2303 BGB), kann der Überlebende darauf reagieren, indem er sie in seiner Erbfolge nicht berücksichtigt. Dabei ist dreierlei zu beachten:

a) Die gegenseitige Erbeinsetzung geht davon aus, dass ein Ehegatte den anderen eine gewisse Zeit- 11.27 spanne überlebt. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Eheleute aufgrund des gleichen äußeren Ereignisses, z.B. bei einem Autounfall, Flugzeugabsturz oder einem anderen Unglück mit tödlichem Ausgang gleichzeitig oder kurz hintereinander versterben. Das sollte in einer vorausschauenden Testamentsgestaltung berücksichtigt werden. Mehrere Verstorbene beerben sich nicht, wenn nicht bewiesen werden kann, dass der eine den anderen überlebt hat, § 11 VerschG1. Es beerbt also kein Ehegatte den anderen. Die gegenseitige Erbeinsetzung für den Überlebensfall wird gegenstandslos, und jeder Ehegatte wird von seinen gesetzlichen Erben beerbt. Auch wenn der eine Partner den anderen kurzzeitig überlebt, ist er meist nicht mehr in der Lage, ein eigenes und neues Testament zu errichten. Die Eheleute sollten für diesen Fall vorsorgen und eine besondere Anordnung treffen. Sie kann beim Fehlen gemeinsamer Abkömmlinge wie folgt formuliert werden:

M 63 Erbeinsetzung unter Berücksichtigung gleichzeitigen Ablebens

11.28

Versterben wir gleichzeitig, wird der Ehemann von seinem Neffen Arnold und die Ehefrau von ihrer Schwester Elena beerbt. Dies gilt auch für den Fall des Versterbens von uns beiden hintereinander infolge gleicher Ursache (Unfall oder Ähnliches). Das Vermögen des Ehemannes soll Arnold und das Vermögen der Ehefrau Elena zugute kommen. Diese Aufteilung soll nicht durch Ansprüche auf Pflichtteil oder Zugewinnausgleich, die in den Nachlass des zweitversterbenden Ehegatten fallen würden, verfälscht werden. Daher vermacht der zweitversterbende Ehegatte diese Ansprüche dem Erben des Erstversterbenden.

Misslich ist auch der umgekehrte Fall, dass die Ehegatten ausschließlich die vorstehende oder eine ähnliche Formulierung verwenden („Bei unserem gemeinsamen Ableben“; „bei gleichzeitigem Sterben“). Hier stellt sich im Rahmen der Auslegung die Frage, ob der Tod im selben Augenblick eintreten muss oder ob es genügt, dass die Partner kurz nacheinander versterben. Für die Anwendung des § 2269 BGB (dazu Rz. 11.61) ist das von großer Bedeutung2. 1 Vgl. RG v. 11.11.1935 – IV 160/35, RGZ 149, 200 (201); OLG Köln v. 24.2.1992 – 2 Wx 41/91, FamRZ 1992, 860 = NJW-RR 1992, 1480 (1481). 2 Dazu BayObLG v. 8.2.1996 – 1Z BR 157/95, FamRZ 1996, 1037 = ZEV 1996, 191 (192); OLG Stuttgart v. 29.12.1993 – 8 W 583/92, FamRZ 1994, 852 = NJW-RR 1994, 592 (593); OLG Frankfurt v. 3.3.1998 – 20 W 143/95, FamRZ 1998, 1393 = ZEV 1999, 66 (67); OLG München v. 14.10.2010 – 31 Wx 84/10,

Edenfeld

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11.29

§ 11 Rz. 11.30

Gemeinschaftliches Testament

11.30 b) Der überlebende Ehegatte ist Alleinerbe. Er versteuert den Nachlass bei der Erbschaftsteuer in der Steuerklasse I allein, §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 ErbStG. Er kann Ehegattenfreibeträge (§§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 17 Abs. 1 ErbStG) geltend machen. Die Freibeträge der Kinder auf den erstversterbenden Elternteil gehen verloren.

11.31 c) Die lediglich gegenseitige Erbeinsetzung setzt voraus, dass sich die Eheleute vertrauen. Der Erstversterbende hat keinen Einfluss mehr darauf, wie der Letztversterbende testiert. Das zu Lebzeiten gemeinsam Erarbeitete kann an einen neuen Ehepartner oder Dritten fallen, zu dem der Erstverstorbene zeitlebens keine Beziehung hatte. Das ist oft unerwünscht. Im Regelfall wollen sich die Ehegatten gegenseitig als Erben einsetzen und den Nachlass gemeinsamen Abkömmlingen zukommen lassen. Damit beschäftigt sich der folgende Abschnitt.

III. Das gegenseitige gemeinschaftliche Testament 11.32 Beratungssituation: Ein Ehepaar erkundigt sich nach einer erbrechtlichen Nachfolgeregelung, bei der das gemeinsame Vermögen nach dem Tod des Letztversterbenden den gemeinsamen Kindern zu gleichen Teilen zufällt. Der Berater verweist auf die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments. Die Eheleute erkundigen sich, was sie dabei zu beachten haben.

1. Gestaltungsmöglichkeiten der Erblasser

11.33 Die vorstehende Konstellation beschäftigt die rechtsberatende Praxis nahezu täglich1. Die Ehegatten bedenken sich gegenseitig (reziprokes gemeinschaftliches Testament). Sie wollen ihr Vermögen zunächst dem überlebenden Partner übertragen, um ihn bis zu seinem Tod wirtschaftlich abzusichern. Anschließend soll der Nachlass den gemeinsamen Abkömmlingen oder anderen nahestehenden Personen zufallen. Um dieses Ziel zu erreichen, stehen mit der Einheits- und der Trennungslösung zwei unterschiedliche Gestaltungsformen zur Verfügung. Daneben besteht die Möglichkeit, einen Dritten schon beim Tod des ersten Ehegatten zum Vollerben zu berufen und dem überlebenden Ehegatten ein Nießbrauchsvermächtnis einzuräumen. a) Einheitslösung (Vollerbschaft)

11.34 Das Einheitsprinzip beruht auf dem Gedanken, dass der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten bei dessen Tod mit dem Vermögen des überlebenden Ehepartners rechtlich zu einer Einheit verschmilzt. Stirbt der überlebende Ehegatte, geht sein Vermögen, zu dem der Nachlass des Erstverstorbenen gehört, als einheitlicher Nachlass auf den Dritten als Schlusserben über. Dieser beerbt nicht den Erstverstorbenen als Nacherbe (§ 2100 BGB), sondern den Überlebenden als dessen Erbe. Die Ehegatten setzen sich gegenseitig zu Vollerben und Dritte als Schlusserben des Längstlebenden ein. Die zu Schlusserben eingesetzten Kinder erhalten beim Tod des erstversterbenden Elternteils zunächst nichts. Der Nachlass kommt ihnen mit dem Tod des Längerlebenden zugute. Nach der Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB ist im Zweifel die Einheitslösung gewollt. Sie wird durch das Berliner Testament verkörpert (dazu Rz. 11.61 ff.). Beratungshinweis: Ob die Einheitslösung für die Eheleute im Einzelfall günstig ist, lässt sich nicht mit allgemeiner Gültigkeit sagen. Zahlreiche Faktoren wie die familiären Verhältnisse, Art und Umfang des Vermögens und nicht zuletzt steuerrechtliche Aspekte spielen eine Rolle. Die Einheitslösung bietet Vorteile,

ZEV 2011, 31 m. Anm. Lehmann; OLG Hamm v. 6.1.2011 – 15 Wx 484/10, ZEV 2011, 427 m. Anm. Herrler; OLG Hamm v. 1.7.2011 – 15 W 327/10, ZEV 2011, 536 m. Anm. Böttcher; OLG Jena v. 23.2.2015 – 6 W 516/14, FamRZ 2016, 412 = ZEV 2015, 433; OLG Düsseldorf v. 1.7.2015 – I-3 Wx 193/14, FamRZ 2016, 408 = ZEV 2015, 548. 1 Vgl. auch das Beispiel bei Edenfeld, ZEV 2004, 141 (142 ff.).

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Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.37 § 11

setzt die Nachfolgeregelung aber auch spezifischen Gefahren aus. Obwohl das Gesetz diese Gestaltung in § 2269 Abs. 1 BGB nahelegt, sollte sie nur nach Abwägung aller Belange empfohlen werden.

aa) Vorteile – Die doppelte Vollerbschaft trägt der Vermögenseinheit in der Ehe Rechnung. Der Nachlass wird 11.35 nicht aufgespalten. Der Dritte erwirbt mit dem zweiten Erbfall das Vermögen beider Ehegatten als Erbe. – Der überlebende Ehegatte erhält eine rechtlich starke Stellung. Er ist Vollerbe, nicht Vorerbe. Er kann über das Vermögen des Erstverstorbenen durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden verfügen und ist lediglich an die wechselbezüglichen Verfügungen von Todes wegen (z.B. die Einsetzung der gemeinsamen Abkömmlinge als Schlusserben) gebunden, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Bindungen wie im Fall der §§ 2113 ff. BGB zugunsten späterer Erben bestehen nicht. – Der überlebende Ehegatte kann beim ersten Erbgang im Rahmen der Erbschaftsteuer hohe Freibeträge geltend machen. Der allgemeine Ehegattenfreibetrag beläuft sich auf 500.000 Euro, § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Hinzu kommt der besondere Versorgungsfreibetrag in Höhe von bis zu 256.000 Euro, § 17 Abs. 1 S. 1 ErbStG. Nicht vergessen werden darf der Freibetrag einer fiktiven Zugewinnausgleichsforderung, wenn die Eheleute im gesetzlichen Güterstand (§ 1363 BGB) leben, § 5 ErbStG. – Die Schlusserben können nach dem Tod des ersten Ehegatten nicht auf den Nachlass selbst zugreifen. Sie haben nur eine tatsächliche, rechtlich nicht geschützte Aussicht auf die Erbschaft nach dem Tode des zweiten Ehepartners. bb) Nachteile – Der überlebende Ehegatte sieht sich nach dem Tod des Ehepartners den Pflichtteilsansprüchen der Kinder ausgesetzt. Diese sind beim Tod des erstverstorbenen Elternteils enterbt und können ihren Pflichtteil verlangen, § 2303 Abs. 1 BGB. Um diese Ansprüche zu befriedigen, müssen nicht selten Nachlassgegenstände veräußert werden. Das gefährdet – man denke an die Versteigerung des Hausgrundstücks – nicht nur die wirtschaftliche Existenz des überlebenden Ehegatten, sondern begünstigt auch das Kind, das den Pflichtteil beansprucht.

11.36

– Bei älteren Paaren mit erwachsenen Kindern und größerem Vermögen ist der überlebende Ehegatte oft überversorgt. Durch seine Bindung an das Testament (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) kann er die unterschiedliche persönliche und wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Kinder nicht mehr durch eine Anpassung seiner letztwilligen Verfügung berücksichtigen. – Der erstversterbende Ehegatte hat keinen Einfluss darauf, wie der überlebende mit seinem Vermögen verfährt. Die Kinder erhalten den Nachlass aus dem ersten Erbfall, soweit er noch vorhanden ist. Vor allem die Wiederverheiratung des längerlebenden Ehegatten führt erfahrungsgemäß zum Streit zwischen den gemeinsamen Kindern aus der ersten Ehe und dem neuen Ehepartner bzw. seinen Angehörigen. – Für die Kinder wirkt sich steuerlich nachteilig aus, dass der Kinderfreibetrag von 400.000 Euro (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) beim Tod des erstversterbenden Elternteils verloren geht und das Vermögen beider Eltern beim zweiten Erbfall gebündelt auf sie übergeht. Der Nachlass kann dadurch einem höheren Steuersatz nach § 19 ErbStG unterliegen. Dem lässt sich in gewissem Umfang dadurch begegnen, dass man den Kindern Vermögen durch Verfügung unter Lebenden zuwendet (unter Beachtung der 10-Jahres-Frist des § 14 ErbStG) oder Vermächtnisse für die Kinder nach dem ersten Erbfall anordnet (Näheres s. Kapitel § 3 und Kapitel §§ 37–39). Wird der Nachlass nicht wirtschaftlich durch frühzeitige Vermächtnisse und Verfügungen unter Lebenden geteilt, unterliegt dasselbe Vermögen zwei vollen Erbgängen, §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Seine doppelte steuerliche Erfassung wird nur durch § 27 Abs. 1 ErbStG gemildert. Tritt Edenfeld

401

11.37

§ 11 Rz. 11.38

Gemeinschaftliches Testament

der zweite Erbgang innerhalb von zehn Jahren nach dem ersten Erbgang ein, ermäßigt sich die Erbschaftsteuer für den zweiten Erbgang um 50 %, wenn zwischen den beiden Zeitpunkten der Entstehung der Steuer nicht mehr als ein Jahr liegt. Die Ermäßigung geht mit zunehmendem Zeitablauf zurück. Bei mehr als acht Jahren macht sie noch 10 % aus. b) Trennungslösung (Vor- und Nacherbschaft)

11.38 Bei der Trennungslösung setzen sich die Eheleute gegenseitig zu Vorerben und den Dritten zum Nacherben (§ 2100 BGB) ein. Mit dem Tod des ersten Ehegatten wird der Überlebende nicht Vollerbe, sondern Vorerbe. Der Dritte – zumeist die gemeinsamen Kinder – wird Nacherbe und zugleich Ersatzerbe des Überlebenden. Der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten verschmilzt nicht mit dem Vermögen des überlebenden Ehepartners. Der Überlebende wird zwar Eigentümer der Nachlassgegenstände, vererbt sie aber nicht selbst. Tritt mit dem Tod des überlebenden Ehegatten der Nacherbfall ein, erhalten die Kinder nicht eine, sondern zwei Vermögensmassen: Das Vermögen des erstverstorbenen Ehegatten erwerben sie als Nacherben, das des zuletzt versterbenden als Vollerben. Der Nachlass der Eheleute wird nicht einheitlich übertragen, sondern aufgespalten. Anders als nach dem Einheitsprinzip wird nicht nur der längerlebende Ehegatte beerbt, sondern auch der Erstverstorbene im Rahmen der Nacherbschaft. Schon beim Tod des erstversterbenden Elternteils erhalten die Kinder eine rechtlich geschützte Stellung, §§ 2113 ff. BGB (dazu Rz. 8.40 ff.). Beratungshinweis: Auch wenn die Trennungslösung nicht dem gesetzlichen Leitbild des § 2269 Abs. 1 BGB entspricht, stellt sie eine in der Praxis häufige Nachfolgeregelung dar (dazu Rz. 11.45 ff.). Ob sie für die Eheleute im Einzelfall günstig ist, hängt von zahlreichen Faktoren wie den familiären Verhältnissen, Art und Umfang des Vermögens und steuerrechtlichen Aspekten ab. Auch die Trennungslösung hat Vor- und Nachteile.

aa) Vorteile

11.39 – Die Nacherben haben nicht nur eine tatsächliche Aussicht auf die Erbschaft nach dem Tode des zweiten Ehepartners. Sie haben mit dem Ableben des ersten Ehegatten ein vererbliches und veräußerliches Anwartschaftsrecht1 auf Eintritt in die Erbenstellung (dazu auch Rz. 4.23). Die Kinder erhalten eine rechtlich starke Stellung. Das Familienvermögen wird weitgehend erhalten. – Durch die Verfügungsbeschränkungen und die Pflicht des Vorerben, den Nachlass im Interesse der Nacherben ordnungsmäßig zu verwalten, wird der Nachlass vor der Verschwendung geschützt. Der überlebende Ehegatte kann nur über sein eigenes Vermögen unter Lebenden frei verfügen. Im Hinblick auf das Vermögen des Erstversterbenden unterliegt er den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB. Ihm stehen die Erträge des Nachlasses zu. Der Vermögensstamm bleibt unangetastet. – Die Vor- und Nacherbschaft kann mit einem Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) kombiniert und auf einen Bruchteil des Nachlasses beschränkt werden2. Durch diese Gestaltungsmöglichkeiten lässt sich etwa das Familienheim den Abkömmlingen erhalten, während die Testierfreiheit des Überlebenden im Übrigen nicht angetastet wird. – Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils entfallen, es sei denn, ein Kind schlägt die Nacherbschaft aus, § 2306 BGB. – Die Trennungslösung ist immer dann empfehlenswert, wenn die Eheleute verhindern wollen, dass die Pflichtteilsberechtigten des Längerlebenden am Nachlass des Erstversterbenden teilhaben. Das betrifft neben den Folgen einer Wiederheirat alle Fälle, in denen bei Ableben der Ehegatten unterschiedliche Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind.

1 BGH v. 9.6.1983 – IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367 (369) = MDR 1983, 839 = FamRZ 1983, 882; BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, Kap. 2, Rz. 89; Kap. 3, Rz. 1.

402

Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.43 § 11

bb) Nachteile – Während bei der Einheitslösung die doppelte Vollerbschaft der Vermögenseinheit in der Ehe Rechnung trägt, spaltet die Vor- und Nacherbschaft den Nachlass auf. Der Dritte erwirbt mit dem zweiten Erbfall das Vermögen beider Ehegatten nicht einheitlich als Erbe. Er erwirbt mit dem zweiten Erbfall das Vermögen des erstverstorbenen Ehegatten als Nacherbe, das des letztverstorbenen als Erbe.

11.40

– Die Vor- und Nacherbschaft ist rechtlich schwerfällig. Ihre Regelungen sind im Einzelnen kompliziert und für den Laien kaum verständlich. Die Bindung des Vorerben engt seine Handlungsfreiheit oft übermäßig ein. Wird er nicht nach § 2136 BGB von einzelnen Beschränkungen befreit, kann er den Nachlass wenig verwerten. Hinzu kommt, dass er stets zwei Vermögen verwalten und unterscheiden muss: das eigene und das des verstorbenen Ehegatten. Das kann zu wirtschaftlichen Unklarheiten führen. – Steuerrechtlich unterscheidet sich die Vor- und Nacherbschaft kaum von der doppelten Vollerbschaft. Der Vorerbe wird wie ein Vollerbe behandelt, § 6 Abs. 1 ErbStG. Sowohl der Anfall der Erbschaft an den überlebenden Ehegatten als Vorerben als auch der Anfall der Erbschaft an Dritte als Nacherben wird besteuert, § 6 Abs. 1 und 2 ErbStG. Das führt wie bei der Einheitslösung zu einer doppelten Belastung des Nachlasses. Da der längerlebende Ehegatte die Erbschaftsteuer aus dem Nachlass entrichten darf, § 20 Abs. 4 ErbStG, trifft die gesamte Steuerlast den Nacherben. Dessen Steuerklasse richtet sich im Grundsatz nach seinem Verhältnis zum Vorerben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Zivilrechtlich beerbt der Nacherbe den Erblasser, steuerrechtlich wird er als Nachfolger des Vorerben behandelt. Steuerliche Erleichterungen schafft auch hier § 27 Abs. 1 ErbStG, wenn der Nacherbfall binnen zehn Jahren eintritt. Hinzu kommt, dass wie beim Einheitsprinzip die Freibeträge der Kinder beim Tod des ersten Ehegatten verschenkt werden. c) Nießbrauchsvermächtnis Um die doppelte steuerliche Belastung nach der Einheits- und Trennungslösung zu vermeiden, ist eine dritte Möglichkeit der Testamentsgestaltung in Betracht zu ziehen. Nach dem Tod des ersten Ehegatten wird der überlebende Partner nicht zum Voll- oder Vorerben berufen. Zu seiner lebzeitigen wirtschaftlichen Absicherung erhält er ein Nießbrauchsvermächtnis, § 1089 i.V.m. §§ 1085 ff., 2147 ff. BGB1. Das führt zu einer vollständigen Nachlasstrennung. Der Dritte wird sogleich Vollerbe. Handelt es sich dabei um ein gemeinsames Kind, ist der Freibetrag zwar geringer, §§ 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 17 Abs. 1 ErbStG. Die Steuerklasse ist jedoch identisch (§ 15 Abs. 1 ErbStG), und es wird ein kompletter Erbgang gespart.

11.41

Der Nachteil dieser Regelung besteht darin, dass der überlebende Ehegatte eine noch schwächere Po- 11.42 sition innehat als der Vorerbe nach der Trennungslösung. Als Nichteigentümer hat er allein Nutzungs-, aber keine Verfügungsbefugnisse. Er ist zur Substanzerhaltung verpflichtet, §§ 1036 Abs. 2, 1037 Abs. 1, 1041 BGB. Bei der Testamentsgestaltung muss daher den Bedürfnissen des überlebenden Ehegatten in besonderer Weise Rechnung getragen werden (Quoten- oder Bruchteilsnießbrauch, Nießbrauchsvermächtnis für Grundbesitz, dingliches Wohnrecht usw.). Seine Rechte aus dem Nießbrauch dürfen eingeschränkt, aber auch erweitert werden. Namentlich die Einsetzung zum Testamentsvollstrecker verschafft dem längerlebenden Ehegatten eine umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis am Nachlass, § 2205 BGB. Die Eheleute können wie folgt formulieren:

M 64 Nießbrauch für überlebenden Ehegatten

11.43

Wir setzen unser einziges Kind, die gemeinsame Tochter Birgit, zur Alleinerbin ein. Ihre Abkömmlinge sind Ersatzerben. Dem überlebenden Ehegatten steht ein lebenslanger unentgeltlicher Nießbrauch am gesam1 Dazu Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, Kap. 3, Rz. 153 ff.; Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 ff.

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§ 11 Rz. 11.44

Gemeinschaftliches Testament

ten Nachlass zu. Der Überlebende ist zugleich lebenslanger Testamentsvollstrecker. Der Nießbraucher ist berechtigt, den Nießbrauch einseitig aufzugeben. Das Nutzungsrecht erlischt (wandelt sich in einen Abfindungsanspruch in Höhe von …), wenn der überlebende Ehegatte wiederheiratet. Der Eigentümer trägt für die Dauer des Nießbrauchs alle Lasten, auch soweit sie das Gesetz dem Nießbraucher zuweist.

11.44 Beratungshinweis: Es kann steuerlich nachteilig sein, dass der Eigentümer für die Dauer des Nießbrauchs alle Kosten trägt. Unter einkommensteuerrechtlichen Gesichtspunkten ist es meist günstiger, wenn derjenige die Lasten trägt, dem auch die Erträge wie z.B. Mieteinnahmen zufließen. Wollen die Eheleute aus steuerlichen oder anderen Gründen nicht auf die gegenseitige Erbeinsetzung nach herkömmlichem Muster verzichten, haben sie zwischen der Trennungs- und der Einheitslösung zu wählen.

2. Trennungslösung a) Einsetzung der Vor- und Nacherben

11.45 Aus der Testamentsgestaltung muss eindeutig hervorgehen, dass eine Vor- und Nacherbfolge im Sinne der §§ 2100 ff. BGB beabsichtigt ist1. Bezeichnen sich die Ehegatten in ihrem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament als „Vorerben“ und ihre gemeinsamen Kinder als „Nacherben“, ist damit nicht unbedingt die Trennungslösung gewollt2. Laien verstehen diese Be-griffe oft dahin gehend, dass damit jeder gemeint ist, der vor oder nach jemand anderem erbt. Es kann auch eine doppelte Vollerbschaft im Sinne der Einheitslösung beabsichtigt sein, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, dass das Vermögen der Eheleute als wirtschaftliche Einheit erhalten bleiben und der längerlebende Partner von Bindungen zugunsten späterer Erben frei sein soll. Bei begründeten Zweifeln an der richtigen Verwendung der Rechtsbegriffe gilt die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB. Sie führt zum Berliner Testament (Näheres Rz. 8.14 ff.). Die Grundformel nach dem Trennungsprinzip lautet wie folgt:

11.46 M 65 Anordnung Vor- und Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben des erstversterbenden Ehegatten und zugleich Erben des Längerlebenden beim Tod des Letztversterbenden (Nacherbfall) sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Das gilt auch für den Fall unseres gleichzeitigen Todes. Die Nacherbenanwartschaften sind unveräußerlich und unvererblich. Stirbt eines unserer Kinder nach dem Tod des ersten, aber vor dem zweiten Ehegatten, treten seine Abkömmlinge an seine Stelle.

11.47 Rechtliche Konsequenz: Verstirbt der erste Ehepartner, darf der andere über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen, sofern sich nicht aus den Beschränkungen der §§ 2113 bis 2115 BGB ein anderes ergibt, § 2112 BGB. Nach § 2113 Abs. 1 BGB sind Verfügungen des Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück bei Eintritt des Nacherbfalls insoweit unwirksam, als sie das Recht der Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Ferner darf der überlebende Ehegatte grundsätzlich nichts aus dem Nachlass seines verstorbenen Partners verschenken, § 2113 Abs. 2 BGB. Die Verwirklichung von Grundpfandrechten unterliegt Beschränkungen, § 2114 BGB. Hinzu kommen Verwaltungs-, Auskunfts- und Sorgfaltspflichten des Vorerben, §§ 2116 ff. BGB (Näheres Rz. 8.25 ff., 8.46 ff., 8.67 ff., 8.124 ff.).

1 Zum erforderlichen Rechtsbindungswillen des Erblassers Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff. 2 BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277 (278); BGH v. 10.12.2014 – IV ZR 31/14, ZEV 2015, 343; BayObLG v. 7.8.1990 – BReg 1a Z 32/90, MDR 1990, 1118 (1119); OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 153/95, FamRZ 1996, 1567 = ZEV 1996, 310 (311); OLG Schleswig v. 23.1.2015 – 3 Wx 110/14, ZEV 2015, 471 = FamRZ 2015, 1427; Erman/Kappler/Kappler, § 2269 Rz. 9.

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Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.52 § 11

Den Abkömmlingen wird die Vermögensmasse weitgehend erhalten. Sie erlangen mit dem Tod des ers- 11.48 ten Ehegatten ein vererbliches und veräußerliches Anwartschaftsrecht1, dessen Vererblichkeit und Veräußerlichkeit wie im obigen Beispiel vom Erblasser ausgeschlossen werden kann. Die Einsetzung der Kinder als Nacherben enthält im Zweifel ihre Einsetzung als Ersatzerben, § 2102 BGB2, kann jedoch in der letztwilligen Verfügung klargestellt werden. Die Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigene letztwillige Verfügung sollte man durch den Ausschluss der Selbstanfechtung ausdrücklich fest halten. Dem dient der vertragliche Verzicht auf das Anfechtungsrecht nach § 2079 BGB oder eine geeignete Sanktion:

M 66 Anfechtungsausschluss im gemeinschaftlichen Testament

11.49

(…) An die vorstehenden Bestimmungen ist der überlebende Ehegatte auch gebunden, wenn er wiederheiratet oder sonstige Pflichtteilsberechtigte hinzukommen. Ficht er seine Verfügungen an, tritt im Hinblick auf den Nachlass des Erstverstorbenen die Nacherbfolge zugunsten der Kinder ein.

b) Befreiung des Vorerben Wollen die Eheleute den Vorerben nicht solchen Bindungen aussetzen, können sie ihn von den meisten der genannten Beschränkungen befreien, § 2136 BGB. Der überlebende Ehegatte wird befreiter Vorerbe (dazu Rz. 8.81).

11.50

Beratungshinweis: Im Ehegattentestament sollte detailliert geregelt sein, von welchen Pflichten er im Einzelnen entbunden wird. Nur so lässt sich Streit zwischen dem Überlebenden und den Kindern vermeiden. § 2136 BGB bietet hier zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten3. Dabei ist zu beachten, dass der Vorerbe vom Schenkungsverbot des § 2113 Abs. 2 BGB nicht befreit werden kann. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, dem überlebenden Ehegatten eine vorweggenommene Erbfolge für den Fall zu gestatten, dass eines der Kinder das Familienheim übernimmt. Das lässt sich im Wege des Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) an den Vorerben erreichen. Das Ehegattentestament wird wie folgt ergänzt:

M 67 Anordnung befreiter Vorerbschaft im gemeinschaftlichen Testament

11.51

Der Vorerbe darf den Nachlass des Erstversterbenden zu Lebzeiten in vollem Umfang in Anspruch nehmen. Er ist von allen gesetzlichen Beschränkungen und Verpflichtungen befreit, soweit es zulässig ist. Er ist berechtigt, vor Eintritt des Nacherbfalles das zur Vorerbschaft gehörende Grundstück mit dem darauf befindlichen Haus der Familie auf eines unserer Kinder zu übertragen. Macht er davon Gebrauch, gilt ihm das Hausgrundstück als durch Vorausvermächtnis auf den Tod des ersten Ehegatten zugewendet.

c) Pflichtteilsklauseln Die gemeinschaftliche Nachfolgeplanung der Eheleute wird gestört, wenn eines der Kinder nach dem Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil verlangt. Die Abkömmlinge sind zwar anders als im Fall der Vollerbschaft des überlebenden Ehegatten nicht enterbt, § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB. Ist jedoch ein Pflichtteilsberechtigter anstatt als Vollerbe nur als Nacherbe berufen, stellt auch das eine Beschränkung in der Erbeinsetzung dar, § 2306 Abs. 2 BGB. Sie kann zu erheblichen Auseinandersetzungen führen: 1 BGH v. 9.6.1983 – IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367 (369) = MDR 1983, 839 = FamRZ 1983, 882; BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456. 2 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (174); RG v. 11.3.1942 – IV B 5/42, RGZ 169, 38 (39); BGH v. 28.10.1998 – IV ZR 275/97, ZEV 1999, 26. Zur Auslegung, wenn die gemeinsamen Abkömmlinge als „Nacherben des Letztversterbenden“ eingesetzt sind, s. MüKo.BGB/Grunsky, § 2102 Rz. 3. 3 Mayer, ZEV 2000, 1 (2 ff.).

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11.52

§ 11 Rz. 11.53

Gemeinschaftliches Testament

Beratungssituation: Die Eheleute haben sich gegenseitig zu Vorerben und ihre beiden Kinder zu Nacherben eingesetzt. Nach dem Tod des Vaters verlangt die Tochter den Pflichtteil und erhält ihn ausgezahlt. Als die Mutter stirbt, streiten die Geschwister um ihr Erbe.

Den Beteiligten ist beim Tod des Vaters ein Fehler unterlaufen. Die Tochter konnte den Pflichtteil erst verlangen, wenn sie den Erbteil ausschlug, § 2306 BGB. In diesem Fall hätte sie nur noch die Mutter zur Hälfte beerbt. Der gesamte Nachlass des Vaters wäre – abzüglich des ausgezahlten Pflichtteils – an das andere Kind gefallen. Diese Ausschlagung der Nacherbschaft, die schon bei Eintritt des Vorerbfalls zulässig ist (§ 2142 Abs. 1 BGB), ist unterblieben. Die Tochter ist beim Tod des letzten Elternteils an beiden Nachlässen beteiligt. Sie erhält ihren Erbteil von der Mutter und ist zugleich Nacherbin der Hälfte des restlichen Nachlasses des Vaters. Den rechtsgrundlos erhaltenen Pflichtteil muss sie sich als Vorausempfang anrechnen lassen1.

11.53 Oft entsteht der Konflikt nicht beim Tod des zweiten, sondern schon beim Tod des ersten Ehegatten. Dieser ist gezwungen, zur Befriedigung der Pflichtteilsgläubiger wertvolle Nachlassgegenstände zu veräußern. Das gefährdet – man denke an die Versteigerung des Hausgrundstücks – die wirtschaftliche Existenz des überlebenden Ehegatten. Es vereitelt die ursprüngliche Zielsetzung, das elterliche Vermögen den Kindern mit dem Tod des zweiten Ehepartners zukommen zu lassen. Zur Vorbeugung ist eine Pflichtteilsklausel zu empfehlen. Sie umfasst den Ausschluss des betreffenden Abkömmlings von der Nacherbfolge am Nachlass des erstversterbenden Ehegatten und die Enterbung beim zweiten Erbfall (Nachlass des überlebenden Ehegatten):

11.54 M 68 Grundform Pflichtteilsklausel im gemeinschaftlichen Testament Verlangt eines unserer Kinder nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten den Pflichtteil, wird es samt seinen Abkömmlingen weder Nacherbe des Erstversterbenden noch Erbe des Letztversterbenden.

d) Wiederverheiratungsklauseln

11.55 Die Wiederheirat des längerlebenden Ehegatten stellt für die Erbaussichten der als Nacherben eingesetzten Abkömmlinge vor allem dann eine Bedrohung dar, wenn der Ehegatte von den Beschränkungen und Verpflichtungen der §§ 2113 ff. BGB befreit ist. Er kann zu Lebzeiten relativ frei über den Nachlass verfügen. Der ungeschmälerte Übergang des beim Tod des ersten Ehegatten vorhandenen Vermögens wird gefährdet. Um die Nachlassbeteiligung der Nacherben zu sichern, sollte daher für den Fall der Wiederheirat zumindest die Befreiung des Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen (§ 2136 BGB) aufgehoben werden. Einschneidendere Folgen haben die Beschränkung der Nacherbfolge auf einen Bruchteil oder der sofortige Eintritt der Nacherbfolge mit der Wiederheirat. Um dem überlebenden Ehegatten die wirtschaftliche Existenzgrundlage nicht zu entziehen, empfiehlt sich die gleichzeitige Anordnung eines Vermächtnisses:

11.56 M 69 Grundform Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben des erstversterbenden Ehegatten und zugleich Erben des Längerlebenden sind beim Tod des Letztversterbenden (Nacherbfall) unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen.

11.57 Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, tritt die Nacherbfolge nicht erst mit dessen Tod, sondern mit der erneuten Eheschließung ein. Der überlebende Ehegatte erhält für diesen Fall ein Vermächtnis

1 BayObLG v. 15.10.1973 – BReg. 2Z 45/73, BayObLGZ 1973, 272 (275); Palandt/Weidlich, § 2306 Rz. 15.

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.61 § 11

aus dem Nachlass des Erstverstorbenen. Die Höhe des Vermächtnisses richtet sich nach dem gesetzlichen Pflichtteil. Die erläuterten Pflichtteils- (Rz. 11.52 f.) und Wiederverheiratungsklauseln (Rz. 11.55) sind nicht nur bei der Trennungslösung, sondern auch bei der Einheitslösung von Bedeutung. Näheres dazu im folgenden Abschnitt.

11.58

3. Berliner Testament a) Auslegungsregeln des § 2269 BGB Bei der Auslegung gemeinschaftlicher Testamente ist vorrangig der wirkliche Wille der Erblasser zu 11.59 ermitteln. Maßgebend sind die allgemeinen Auslegungsgrundsätze, wobei das Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Ehepartners entsprechen muss. Es kommt auf die gemeinsamen Absichten beider Ehegatten an. Das liegt nahe, weil die beiderseitigen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten aufeinander abgestimmt und inhaltlich abgesprochen sind. Jeder Partner misst der letztwilligen Erklärung des anderen besondere Bedeutung bei. Lässt sich diese Übereinstimmung nicht feststellen, ist auf den einzelnen Erblasser abzustellen. Dessen Wille gibt allerdings nicht den Ausschlag. Die Auslegung der Verfügungen ist aus der Sicht des anderen Ehegatten vorzunehmen, §§ 133, 157 BGB. Dieser muss die Möglichkeit haben, sich mit seinen Verfügungen auf die des anderen einzustellen. Führt auch das zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist die gesetzliche Auslegungsregel heranzuziehen. § 2269 BGB findet erst Anwendung, wenn sich aus dem gemeinschaftlichen Testament nicht klar ergibt, ob die Ehegatten die Einheits- oder die Trennungslösung gewollt haben („im Zweifel“)1. Er enthält zwei Auslegungsregeln, die auch gelten, wenn die Verfügungen nicht wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB sind (dazu Rz. 11.98 ff.): aa) Die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB enthält die Grundkonstellation des Berliner Testaments. Haben sich die Eheleute gegenseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt, dass ihr Nachlass nach dem Tod des Längerlebenden an Dritte (zumeist die Kinder) fallen soll, ist im Zweifel anzunehmen, dass der Nachlass des Erstverstorbenen zunächst an den Überlebenden als Vollerben fallen soll. Das Gesetz vermutet für den Normalfall die Einheitslösung (zu ihren Vor- und Nachteilen Rz. 11.35 ff.). Der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten vereinigt sich bei dessen Tod mit dem Vermögen des überlebenden Ehepartners. Stirbt der überlebende Ehegatte, geht sein Vermögen, zu dem der Nachlass des Erstverstorbenen gehört, als einheitlicher Nachlass auf den Dritten als Schlusserben über. Dieser beerbt nicht den Erstverstorbenen als Nacherbe (§ 2100 BGB), sondern den Überlebenden als dessen Erbe. Die Ehegatten sind gegenseitig Vollerben und die Kinder Schlusserben des Längstlebenden. Die Schlusserben erhalten beim Tod des erstversterbenden Elternteils nichts. Der Nachlass kommt ihnen mit dem Tod des Längerlebenden zugute.

11.60

bb) Die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 2 BGB betrifft den Fall, dass sich die Eheleute gegenseitig zu Erben einsetzen und einem Dritten ein Vermächtnis zuwenden, das nach dem Tod des Überlebenden zu erfüllen ist. Hier kann zweifelhaft sein, welcher Ehegatte die Anordnung getroffen hat und bei welchem Erbfall das Vermächtnis anfällt. Das Gesetz geht im Zweifel davon aus, dass das Vermächtnis dem Dritten erst mit dem Tod des zweiten Ehepartners anfällt. Die Erblasser können andere Anordnungen treffen. Der Vermächtnisnehmer muss zu diesem Zeitpunkt noch leben, § 2160

11.61

1 BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, BGHZ 22, 364 (366); BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 (233) = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52; BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, MDR 1993, 151 = FamRZ 1993, 318 = NJW 1993, 256; BayObLG v. 8.10.1991 – BReg. 1Z 34/91, FamRZ 1992, 1476 = NJW-RR 1992, 200 (201); BayObLG v. 12.8.1994 – 1Z BR 152/93, FamRZ 1995, 251 (252); OLG Hamm v. 16.3.1993 – 15 W 135/92, FamRZ 1994, 188 = JZ 1994, 628 (629) m. Anm. Muscheler; OLG Koblenz v. 14.6.2010 – 2 U 831/09, MDR 2010, 1331 = FamRZ 2011, 146 = ZEV 2010, 473 m. Anm. Keim; Erman/Kappler/Kappler, § 2269 Rz. 9.

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§ 11 Rz. 11.62

Gemeinschaftliches Testament

BGB. Nur wenn der Bedachte ein Abkömmling des überlebenden Ehegatten ist, treten seine Abkömmlinge an seine Stelle, § 2069 BGB. b) Einsetzung des Voll- und Schlusserben

11.62 Aus der Testamentsgestaltung muss hervorgehen, dass eine Vollerbschaft des überlebenden Ehegatten (Einheitslösung) und keine Vor- und Nacherbfolge im Sinne der Trennungslösung beabsichtigt ist. Die fehlerhafte Verwendung von Rechtsbegriffen führt zu Missverständnissen. Das ist misslich, wenn ein Notar an der Testamentsgestaltung mitgewirkt hat1. Auch wenn die Wortwahl scheinbar eindeutig ist, kommt es im Rahmen der Auslegung nicht auf seine Sicht an. Maßgeblich ist, was die Erblasser gemeint haben. Es müssen Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass sie trotz der gebrauchten Formulierung darunter etwas anderes verstanden haben.

11.63 Ernennt ein Ehegatte den anderen zum „Alleinerben“, spricht das nach allgemeinem Sprachgebrauch für eine Vollerbschaft im Sinne der Einheitslösung. Andererseits kann der Begriff in dem Sinne verwendet worden sein, dass sich der Überlebende keiner Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB) ausgesetzt sehen soll2. Bezeichnen sich die Ehegatten in ihrem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament als „Vorerben“ und ihre gemeinsamen Kinder als „Nacherben“, ist das ein Indiz für die Anwendbarkeit der §§ 2100 ff. BGB. Die Trennungslösung ist jedoch keineswegs zwingend3. Rechtsunkundige verstehen diese Begriffe oft dahin gehend, dass damit jeder gemeint ist, der vor oder nach jemand anderem erbt. Eine doppelte Vollerbschaft im Sinne der Einheitslösung ist trotz der verwendeten Rechtsbegriffe beabsichtigt, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, dass das Vermögen der Eheleute als wirtschaftliche Einheit erhalten bleiben und der längerlebende Partner von Bindungen zugunsten späterer Erben frei sein soll, § 2269 Abs. 1 BGB.

11.64 Soll der überlebende Ehegatte lebenslangen „Nießbrauch“ haben und den Nachlass des Erstverstorbenen verwalten, kann das als Einheits- oder Trennungslösung oder als Nießbrauchsvermächtnis in Verbindung mit einer Testamentsvollstreckung ausgelegt werden4. Für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft spricht in diesem Fall, wenn der Erblasser eine „gemeinsame Nachlassverwaltung“ zwischen dem Überlebenden und den Dritten verfügt oder die Nutzung des Nachlasses auf die Erträge beschränkt. Führt die Auslegung der Verfügung aus der Sicht des anderen Ehegatten zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist die gesetzliche Auslegungsregel des § 2269 BGB heranzuziehen: Der Längerlebende wird zum Vollerben und die Dritten werden zu Schlusserben berufen. Entsprechendes gilt für die Formulierung, der Nachlass gehe nach dem Tod des Längerlebenden nach den „gesetzlichen Vorschriften“ auf die Erben über. Dies kann als bloßer Hinweis auf die gesetzliche Erbfolge, aber auch als Schlusserbeneinsetzung aufzufassen sein5.

11.65 Schwierigkeiten bereitet die Vermögenslosigkeit des überlebenden Ehegatten. Die Eheleute betrachten ihr Hab und Gut zumeist wirtschaftlich als gemeinsames Vermögen, selbst wenn es recht1 Vgl. BGH v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LM Nr. 1 zu § 2100 BGB; OLG Saarbrücken v. 6.1.1994 – 5 W 119/93 – 70, OLG Saarbrücken v. 6.1.1994 – 5 W 119/93-70, NJW-RR 1994, 844 (845); BayObLG v. 28.11.1990 – BReg.1a Z 43/90, FamRZ 1991, 493 (494); BGB-RGRK/Johannsen, § 2269 Rz. 8. 2 RG v. 3.4.1939 – IV 165/38, RGZ 160, 109 (111); RG v. 21.3.1911 – Rep. VII. 534/10, RGZ 76, 20 (25); BayObLG v. 8.2.1966 – BReg. 1a Z 64/65, BayObLGZ 1966, 49 (53); Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rz. 29. 3 BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277 (278); OLG Karlsruhe v. 13.8.1969 – 5 W 38/69, OLGZ 1969, 495 (497); BayObLG v. 7.8.1990 – BReg.1a Z 32/90, MDR 1990, 1118 (1119); OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 153/95, FamRZ 1996, 1567 = ZEV 1996, 310 (311); Erman/Kappler/Kappler, § 2269 Rz. 9. 4 RG Recht 1913 Nr. 219; KG OLGR 16, 68 (70); 21, 337; Soergel/Wolf, § 2269 Rz. 17. 5 Vgl. BayObLG v. 17.2.1965 – BReg. 1b Z 299/64, BayObLGZ 1965, 53 (57); AK-BGB/Schaper, § 2269 Rz. 28; zur pauschalen Schlusserbeneinsetzung von Angehörigen OLG München v. 9.5.2012 – 31 Wx 269/11, ZEV 2012, 367.

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.69 § 11

lich nur einem von ihnen gehört. Bleibt der Wertanteil des einen Ehegatten so erheblich hinter dem des anderen zurück, dass dem anderen praktisch alles gehört, tritt der Grundgedanke der Einheitslösung, das Vermögen zusammenzuhalten, zurück. Einige1 folgern daraus, dass nur eine Vor- und Nacherbschaft in Betracht kommt. Andererseits steht das vermögensmäßige Ungleichgewicht der Einsetzung als Vollerben nicht entgegen. Die Eheleute können ihren Nachlass erbrechtlich gemeinschaftlich übertragen wollen. Lassen sich dafür Anhaltspunkte ermitteln, ist vom Einheitsprinzip auszugehen. Die finanzielle Situation kann die Vermutung des § 2269 Abs. 1 BGB nicht widerlegen. Die Auslegungsregel bringt den Erblasserwillen auch bei Vermögenslosigkeit des überlebenden Ehepartners so zur Geltung, wie ihn der Gesetzgeber im Normalfall vermutet2. Zur Vermeidung derartiger Auslegungsschwierigkeiten hat sich folgende Grundformel des Berliner Testaments als zweckmäßig erwiesen:

M 70 Grundformel des Berliner Testaments

11.66

Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen.

Rechtliche Konsequenz: Der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten fällt mit dessen Tod an den Überlebenden. Dieser wird Vollerbe. Sein Vermögen vereinigt sich mit dem des verstorbenen Ehepartners. Stirbt der überlebende Ehegatte, geht sein Vermögen, zu dem der Nachlass des Erstverstorbenen gehört, als einheitlicher Nachlass auf den Dritten als Schlusserben über. Dieser beerbt nicht den Erstverstorbenen als Nacherbe (§ 2100 BGB), sondern allein den Überlebenden als dessen Erbe. Die Ehegatten sind gegenseitig Vollerben und die Kinder Schlusserben des Längstlebenden. Beide Erbfälle werden getrennt versteuert. Weisen die Schlusserben unterschiedliche Verwandtschaftsgrade zu den Eheleuten auf (z.B. einseitige Abkömmlinge), wird für den Erwerb die günstigere Steuerklasse nach dem erstverstorbenen Ehegatten zugrunde gelegt, soweit sein Vermögen beim Tod des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist, § 15 Abs. 3 S. 1 ErbStG.

11.67

Zu Lebzeiten können beide Ehegatten über ihr Vermögen frei verfügen. Nach dem Tod des ersten Ehepartners ist der Überlebende an die Einsetzung der Abkömmlinge als Schlusserben gebunden, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Er kann seine Testierfreiheit wiedererlangen, indem er den ihm zugewendeten Nachlass binnen sechs Wochen ausschlägt, § 1944 Abs. 1 BGB3. Durch eine Freistellungsklausel kann dem überlebenden Ehegatten gestattet werden, seine letztwillige Verfügung teilweise abzuändern oder vollständig aufzuheben, ohne dass sich das nachteilig auf seine Alleinerbenstellung auswirkt. Das kann bspw. sinnvoll sein, um die Erbteile der Kinder anders als geplant festzulegen oder nachträglich Vermächtnisse zugunsten einzelner Abkömmlinge anzuordnen. Der überlebende Ehegatte muss auf nachhaltige Änderungen der Sachlage reagieren können. Im Übrigen sollte genau bestimmt sein, welche der getroffenen Verfügungen wechselbezüglich oder widerrufbar sind.

11.68

c) Pflichtteilsklauseln Die rechtliche Stellung der Schlusserben ist beim Berliner Testament dadurch gekennzeichnet, dass sie beim Tod des ersten Elternteils nichts erhalten. Sie können nur hoffen, dass von dessen Nachlass nach dem Ableben des zweiten Ehepartners etwas übrig ist. Die Abkömmlinge sind auf den Tod des 1 KG v. 21.6.1954 – 1 W 1948/54, DNotZ 1955, 408 (411 f.); Brox, Rz. 187. 2 BayObLG v. 8.2.1966 – BReg. 1a Z 64/65, NJW 1966, 1223; BayObLG v. 23.6.1983 – BReg. 1Z 41/83, FamRZ 1984, 211; BGB-RGRK/Johannsen, § 2269 Rz. 7; Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rz. 32. 3 Die Schlusserben können dagegen erst nach dem Tod des zweiten Ehegatten ausschlagen, BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, FamRZ 1998, 103 = MDR 1998, 108 = WM 1998, 188; a.A. OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 153/95, FamRZ 1996, 1567 = ZEV 1996, 310 ff. m. Anm. Edenfeld.

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11.69

§ 11 Rz. 11.70

Gemeinschaftliches Testament

ersten Ehegatten enterbt, § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB. Verlangt eines der Kinder nach dem Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil, stört das die Nachfolgeplanung der Eltern. Der überlebende Elternteil ist oftmals gezwungen, zur Befriedigung des Pflichtteilsanspruchs Nachlassgegenstände zu veräußern. Das gefährdet – man denke an die Versteigerung des Hausgrundstücks – die wirtschaftliche Existenz des überlebenden Ehegatten und vereitelt die ursprüngliche Zielsetzung, das elterliche Vermögen den Kindern mit dessen Tod zukommen zu lassen. Hinzu kommt der unerwünschte Effekt, dass sich derjenige, der den Pflichtteil begehrt, gegenüber seinen Geschwistern einen finanziellen Vorteil verschafft: Beratungssituation: Die Eheleute haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt. Als Schlusserben sind ihre beiden Kinder berufen. Als der Vater stirbt, hinterlässt er Vermögen im Wert von 128.000 Euro. Die ältere Tochter verlangt und erhält daraus den Pflichtteil. Ihre Mutter hat zu diesem Zeitpunkt 80.000 Euro eigenes Vermögen. Als sie stirbt, fragt die jüngere Tochter, ob sich die ältere bei der Erbauseinandersetzung den Pflichtteil aus dem ersten Nachlass anrechnen lassen muss.

11.70 Die Frage ist zu verneinen. In der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs liegt kein Verzicht auf die Schlusserbschaft. Auch auf die Erbteile nach dem Tod der Mutter hat es keine Auswirkungen, dass die ältere Tochter beim ersten Erbfall ihren Pflichtteil in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils geltend gemacht hat, § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB. Er beträgt nach §§ 1924, 1931 Abs. 1, 1371 Abs. 1 BGB ein Achtel (16.000 Euro). Zieht man den ausgezahlten Pflichtteil vom Nachlass des Vaters ab, blieben 112.000 Euro übrig. Das Vermögen der Ehefrau erhöhte sich dadurch auf 192.000 Euro. Davon steht beim Tod der Mutter jedem Kind die Hälfte (96.000 Euro) zu, § 1924 Abs. 4 BGB. Die ältere Tochter bekommt insgesamt 112.000 Euro aus dem Nachlass ihrer Eltern. Sie steht finanziell besser da als ihre Schwester, die den letzten Willen ihrer Eltern respektiert hat, aber nur 96.000 Euro beanspruchen kann. Beratungshinweis: Erbstreitigkeiten unter den Kindern lassen sich in derartigen Konstellationen nicht dadurch verhindern, dass die Mutter die Erbteile zugunsten des benachteiligten Kindes abändert. Sie ist an ihre eigene letztwillige Verfügung gebunden. Die Erbeinsetzung der Kinder ist wechselbezüglich (dazu Rz. 11.98 ff.). Das gemeinschaftliche Testament enthält keine Klausel, die eine nachträgliche Anpassung der Erbquoten ermöglicht. Hätte die Mutter angeordnet, dass sich die älteste Tochter ihren durch den Pflichtteil erlangten Vorteil anrechnen lassen muss, stünde das zu ihrer früheren, im gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügung im Widerspruch und wäre nach § 2271 Abs. 2 BGB unwirksam. Um solchen Konflikten vorzubeugen, ist eine Pflichtteilsklausel ratsam. Sie ist in verschiedenen Variationen geläufig1.

aa) Verwirkungsklausel

11.71 Die übliche Sanktion besteht in der Enterbung beim zweiten Erbfall. Sie hält den Schlusserben davon ab, nach dem Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil zu verlangen. Macht er ihn geltend, wird er nicht Erbe des überlebenden Ehegatten:

11.72 M 71 Einfache Pflichtteilsklausel im gemeinschaftlichen Testament Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Verlangt einer unserer Abkömmlinge nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil, erhält er ebenso wie seine Abkömmlinge auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur den Pflichtteil.

1 Zur Auslegung einer Pflichtteilsklausel bei Schlusserben aus früheren Ehen OLG Schleswig v. 24.1.2013 – 3 Wx 59/12, DNotZ 2013, 461 m. Anm. Reymann; s. auch OLG München v. 29.3.2006 – 31 Wx 7/06, 8/06, OLGReport 2006, 511; zur zeitlichen Grenze des Eintritts der auflösenden Bedingung BGH v. 12.7.2006 – IV ZR 298/03, MDR 2007, 93 = FamRZ 2006, 1443 = NJW 2006, 3064. Zur Ergänzung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments um eine Pflichtteilssanktion durch den überlebenden Ehegatten OLG Düsseldorf v. 19.2.2016 – I-3 Wx 34/15, FamRZ 2016, 2040 = NJW-RR 2016, 779.

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.76 § 11

Jedes Kind ist unter der auflösenden Bedingung (§§ 2075, 158 Abs. 2 BGB) zum Schlusserben ein- 11.73 gesetzt, dass es nach dem Tod des ersten Ehegatten keinen Pflichtteil geltend macht. Tritt die Bedingung ein, ist der gesamte Stamm des Abkömmlings beim zweiten Erbfall ausgeschlossen. Sein Erbteil wächst den anderen Erben an, § 2094 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Pflichtteilsanspruch von einem anderen Erben geltend gemacht wird, der an die Stelle des in der Pflichtteilsklausel genannten Kindes getreten ist. Der den Pflichtteil fordernde Erbe muss in vorwerfbarer Art und Weise zeigen, dass er das gemeinschaftliche Testament nicht anerkennt. Die gerichtliche Geltendmachung des Auskunftsanspruchs über den Umfang des Nachlasses genügt nicht. Er muss sich bewusst, wenn auch nicht böswillig, gegen den Erblasserwillen auflehnen1. Zu beachten ist, dass mit der automatischen Enterbung nicht immer allen gedient ist. Namentlich bei größeren Vermögen kann es wirtschaftlich sinnvoll sein, die Erbschaftssteuerbelastung des Erben durch Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs zu senken. Als weniger einschneidende Variante bietet es sich hier an, auf die Geltendmachung des Pflichtteils gegen des Willen des Alleinerben abzustellen oder dem überlebenden Ehegatten eine Änderungsmöglichkeit (Rz. 11.138 ff.) zu gewähren. Die Verwirkungsklausel ist auch insoweit unbefriedigend, als der Pflichtteilsberechtigte nach wie vor zweimal am Nachlass des erstversterbenden Ehegatten teilhat: zum ersten Mal nach dem Tod des Erstversterbenden und zum zweiten Mal nach dem Ableben des Letztversterbenden, zu dessen Nachlass nach dem Einheitsprinzip auch der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten gehört. Eine Anrechnung des ersten Pflichtteils auf den zweiten scheidet aus. Der Erblasser kann sie nicht testamentarisch anordnen, weil das den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch mindert. Eine entsprechende Klausel kann allenfalls dahin gehend ausgelegt werden, dass der längerlebende Ehegatte an seine Verfügung zugunsten desjenigen, der den Pflichtteil fordert, nicht mehr gebunden sein soll2. Die wiederholte Berücksichtigung des Nachlasses zugunsten testamentsuntreuer Kinder lässt sich so nicht unterbinden.

11.74

bb) Jastrow’sche Formel Die Jastrow’sche Klausel3 geht über die bloße Enterbung hinaus. Sie verhindert, dass derjenige Ab- 11.75 kömmling, der den Pflichtteil verlangt, sich zulasten der anderen Schlusserben einen größeren Wertanteil am Nachlass des erstversterbenden Ehegatten verschafft. Die Pflichtteilsstrafklausel wird um eine Vermächtnisanordnung ergänzt. Jeder Ehegatte setzt für den Fall, dass ein Kind den Pflichtteil fordert, für die Geschwister Vermächtnisse in Höhe ihrer gesetzlichen Erbteile aus:

M 72 Pflichtteilsklausel mit Vermächtnisanordnung im gemeinschaftlichen Testament

11.76

Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Verlangt einer unserer Abkömmlinge nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil, erhält er ebenso wie seine Abkömmlinge auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur den Pflichtteil. 1 OLG Braunschweig v. 13.1.1976 – 2 Wx 30/75, OLGZ 1977, 185 (188); BayObLG v. 23.10.1990 – BReg. 1a Z 50/90, MDR 1991, 253 = FamRZ 1991, 494 = NJW-RR 1991, 394 (395); BayObLG v. 18.9.1995 – 1Z BR 34/94, FamRZ 1996, 440 = NJW-RR 1996, 262 (263); OLG München v. 29.1.2008 – 31 Wx 68/07, FamRZ 2008, 1118; OLG Frankfurt a.M. v. 27.11.2013 – 20 W 138/13, FamRZ 2014, 1143 = ZEV 2014, 257 m. Anm. Litzenburger; Palandt/Weidlich, § 2269 Rz. 13; einschränkend Lübbert, NJW 1988, 2706 (2711 ff.). Zur Frage, ob der Pflichtteil zur Auszahlung gelangt sein muss, OLG Zweibrücken v. 30.10.1998 – 3 W 116/98, FamRZ 1999, 468 = ZEV 1999, 108 (109 f.) m. Anm. Loritz, ZEV 1999, 187. 2 BayObLG v. 8.2.1966 – BReg. 1a Z 64/65, BayObLGZ 1966, 49 (55); BayObLG v. 20.3.1990 – BReg. 1a Z 65/88, MDR 1990, 723 = MDR 1991, 156 = FamRZ 1990, 1158 = NJW-RR 1990, 969 (970); Kipp/ Coing, § 79 IV 2. 3 Jastrow, DNotZ 1904, 424; verbesserte Form bei Weiss, MDR 1979, 812. Dazu auch Langenfeld, NJW 1987, 1577 (1581); Mayer, ZEV 1995, 136.

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§ 11 Rz. 11.77

Gemeinschaftliches Testament

Die anderen Kinder, die den Pflichtteil nicht gefordert haben, erhalten aus dem Nachlass des Erstversterbenden Geldvermächtnisse im Wert ihres gesetzlichen Erbteils. Sie werden aus dem Vermögen des Erstverstorbenen, aber erst beim Tod des Längerlebenden bezahlt.

11.77 Die Vermächtnisse gehören zu den Nachlassverbindlichkeiten des Nachlasses des Erstversterbenden, §§ 1967 Abs. 2, 2174 BGB. Das hat die erwünschte Wirkung, dass sich der Vermögenszuwachs beim zweiten Ehegatten verringert. Er erbt eine Nachlassverbindlichkeit, die sich auf den Pflichtteil beim zweiten Erbfall auswirkt. Derjenige Schlusserbe, der beim ersten Erbfall den Pflichtteil verlangt, profitiert nicht doppelt. Das Vermächtnis muss nicht mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten anfallen. Es genügt, wenn die Bedingung mit dem Pflichtteilsverlangen eintritt, § 2177 BGB. Um zu verhindern, dass Abkömmlinge desjenigen, der den Pflichtteil fordert, über die Auslegungsregel des § 2069 BGB Vermächtnisse erhalten, sollte man die Klausel entsprechend ergänzen. Dem überlebenden Ehegatten kann zudem das Recht eingeräumt werden, die Enterbung zu widerrufen, wodurch die Vermächtnisse der anderen Schlusserben wegfallen. Das gestaltet die testamentarische Regelung flexibel. cc) Pflichtteilsverzicht

11.78 Der sicherste Weg, um das gemeinschaftliche Testament vor den Schlusserben zu schützen, besteht im Pflichtteilsverzicht. Er setzt einen Pflichtteilsverzichtsvertrag und damit das Einverständnis der Kinder voraus, § 2346 Abs. 2 BGB1. Darüber hinaus ist die notarielle Beurkundung erforderlich, § 2348 BGB. d) Wiederverheiratungsklauseln

11.79 Die Wiederheirat des längerlebenden Ehegatten stellt ein weiteres Problem des Berliner Testaments dar. Nach der Lebenserfahrung will der erstverstorbene Ehegatte sicherstellen, dass sein Nachlass auf die gemeinsamen Abkömmlinge und nicht auf Dritte übergeht. Das Familienvermögen soll nicht in eine fremde Familie abfließen. Diese Absicht wird durch die Pflichtteilsrechte des neuen Ehepartners und aus der neuen Ehe hervorgehender Kinder gefährdet. Sie können auf den Nachlass des erstverstorbenen Ehegatten zugreifen, der nach der Einheitslösung mit dem Vermögen des längerlebenden Partners verschmilzt. Der verstorbene Ehegatte hat keinen Einfluss darauf, dass die hinzutretenden Berechtigten auf ihren Pflichtteil verzichten. Die Erbaussichten der als Schlusserben eingesetzten Kinder sind beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass der längerlebende Ehegatte zu Lebzeiten zum Nachteil der Schlusserben über den Nachlass verfügen kann. In der Testierpraxis werden daher Wiederverheiratungsklauseln verwendet. Sie sollen nicht die neue eheliche Bindung durch Enterbung bestrafen, sondern die Nachlassbeteiligung der Schlusserben sichern. Ihre fehlerhafte Gestaltung wirft schwierige Auslegungsfragen auf: Beratungssituation: Die Eheleute haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt. Nach ihrem Tod sollen ihre beiden Kinder den Nachlass teilen. Für den Fall, dass ein Ehegatte heiratet, soll er sich mit den Kindern „nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge“ auseinandersetzen.

11.80 Diese oft verwendete Formulierung2 eröffnet ebenso wie die Wendung „soll im Fall der Wiederheirat den Nachlass herausgeben“ verschiedene Möglichkeiten: – Mit der Wiederverheiratungsklausel kann eine Trennungslösung gemeint sein. Der überlebende Ehegatte ist Vorerbe. Die gemeinsamen Kinder sind Nacherben und zugleich Ersatzerben des

1 Zum Erb- und Pflichtteilsverzicht Damrau, Der Erbverzicht als Mittel zweckmäßiger Vorsorge auf den Todesfall (1966); Edenfeld, ZEV 1997, 134 ff.; Reul, MittRhNotK 1997, 373 ff. 2 Vgl. RG v. 25.11.1937 – IV B 34/37, RGZ 156, 172 (180); KG v. 7.3.1968 – 1 W 2454/67, FamRZ 1968, 331 (332); BayObLG v. 17.4.1962 – BReg. 1Z 180/61, MDR 1962, 738; OLG Hamm v. 16.3.1993 – 15 W 135/92, FamRZ 1994, 188; OLG Zweibrücken v. 14.11.2012 – 1 U 195/11, ZEV 2013, 395.

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Rz. 11.82 § 11

Überlebenden. Die Vor- und Nacherbschaft ist unbedingt angeordnet. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod oder der Wiederverheiratung des Vorerben ein. – Geht man nach § 2269 Abs. 1 BGB von der Einheitslösung aus, wird der Längerlebende Vollerbe. Denkbar ist, dass er seine Erbenstellung auch im Fall der Wiederheirat behält und die Kinder ein Vermächtnis (§§ 2147, 2174 BGB) in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils bekommen. Dagegen spricht im vorstehenden gemeinschaftlichen Testament, dass sich der überlebende Elternteil nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinander setzen soll. Die Auseinandersetzung findet nur unter Miterben statt, §§ 2042 ff. BGB. Die Eheleute sind davon ausgegangen, dass die Kinder neben dem wiederheiratenden Ehegatten Miterben in Höhe ihrer gesetzlichen Erbteile und nicht Vermächtnisnehmer werden sollen. – Näherliegend ist eine durch Bedingungen verknüpfte Einheits- und Trennungslösung. Der überlebende Ehegatte wird mit dem Tod seines Ehepartners zunächst Vollerbe im Sinne des § 2269 Abs. 1 BGB. Die Kinder sind hinsichtlich des gesamten elterlichen Nachlasses Schlusserben. Das gilt so lange, bis der überlebende Ehegatte wiederheiratet. In diesem Fall verliert er seine Alleinerbenstellung. Sie ist auflösend bedingt durch die Eingehung einer neuen Ehe, §§ 2075, 158 Abs. 2 BGB. Zugleich ist aufschiebend bedingt eine Vor- und Nacherbfolge angeordnet, §§ 2074, 158 Abs. 1 BGB. Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, treten die Bedingungen ein. Tritt der Nacherbfall nicht mit dem Tod des Vorerben, sondern schon mit der Wiederheirat ein, werden die Kinder mit der Wiederheirat endgültige Erben des verstorbenen Elternteils, § 2139 BGB. Fraglich bleibt, ob der zum bedingten Vorerben eingesetzte überlebende Ehegatte bis zu seiner Wiederheirat die Stellung eines befreiten Vorerben hat (§ 2136 BGB) oder die Kinder durch die §§ 2113 ff. BGB geschützt sind. Welche dieser Lösungen mit der Wiederverheiratungsklausel gemeint ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Einen Erfahrungssatz, dass Ehegatten die eine oder die andere bevorzugen, gibt es nicht. § 2269 Abs. 1 BGB spricht für die Einheitslösung, es kann im Einzelfall aber auch eine Trennungslösung gewollt sein, bei der der Nacherbfall mit dem Tod oder der Wiederverheiratung des Vorerben eintritt. Wollen die Eheleute bis zur Wiederheirat des längerlebenden Ehegatten die Einheitslösung, bleiben zwei Grundtypen1:

11.81

– die Anordnung von Vermächtnissen – die aufschiebend bedingte Vor- und Nacherbschaft. aa) Anordnung eines Vermächtnisses Die Ehegatten können testieren, dass der überlebende Ehegatte für den Fall der Wiederheirat Vollerbe bleibt. Das hat den Vorteil, dass er sich nicht den Beschränkungen der Vorerbschaft ausgesetzt sieht und die Einheit des Nachlasses erhalten bleibt. Die Kinder werden nicht Nacherben. Sie sind weiterhin Schlusserben ohne gesicherte Aussicht auf die Erbschaft. Um ihnen den Mindestanteil am Nachlass des Erstverstorbenen zu gewährleisten, werden zu ihren Gunsten Vermächtnisse (§ 2147 BGB) angeordnet. Diese sind aufschiebend bedingt durch die Wiederheirat, §§ 2074, 158 Abs. 1 BGB. Die Vermächtnisnehmer erhalten mit dem Eintritt der Bedingung einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den überlebenden Elternteil aus § 2174 BGB. Das Vermächtnis kann in Höhe der gesetzlichen Erbteile der Abkömmlinge, aber auch auf einen bestimmten Betrag oder einen Bruchteil des bei der Wiederheirat noch vorhandenen Vermögens des Erstversterbenden bestimmt werden. Beratungshinweis: Um Streit über den früheren und aktuellen Nachlassbestand und damit über den Umfang des Vermächtnisses auszuschließen, sollte man den Erbfall oder die Wiederheirat als maßgeblichen Zeitpunkt der Nachlassbewertung festlegen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch Anfall und Fäl1 Zu den in der Praxis gebräuchlichsten Wiederverheiratungsklauseln Dippel, AcP 177 (1977), 349 (352 ff.); Meier-Kraut, NJW 1992, 143 ff.; Simshäuser, FamRZ 1972, 273 ff.; Wilhelm, NJW 1990, 2857 ff.; Zawar, NJW 1988, 16 ff.; Zawar, FS Schippel (1996), 327 ff.

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11.82

§ 11 Rz. 11.83

Gemeinschaftliches Testament

ligkeit der Vermächtnisse. Die Kinder sind am ehesten vor dem Zugriff Dritter auf den Nachlass geschützt, wenn beides mit der Wiederheirat einsetzt. Mit Rücksicht auf den überlebenden Ehegatten kann es angezeigt sein, die Fälligkeit auf dessen Tod hinauszuschieben und die Ansprüche der Vermächtnisnehmer durch Grundpfandrechte o.Ä. zu sichern. An die rechtzeitige amtliche Aufnahme des Nachlassinventars (§ 2003 BGB) zu Beweiszwecken ist zu denken. Die Vermächtnislösung lässt sich wie folgt formulieren:

11.83 M 73 Wiederverheiratungsklausel mit Vermächtnislösung im gemeinschaftlichen

Testament Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, hat er unseren Kindern Vermächtnisse in Höhe ihrer gesetzlichen Erbteile auszuzahlen. Maßgeblich für Berechnung, Anfall und Fälligkeit des Vermächtnisses ist der Zeitpunkt der Wiederheirat. Die Ansprüche der Vermächtnisnehmer sind voneinander unabhängig. Der Anspruch entsteht nicht, wenn das betreffende Kind nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt und erhalten hat.

11.84 Soll der überlebende Ehegatte mit der Wiederheirat seine Testierfreiheit wiedererlangen, bietet sich eine Freistellungsklausel an. Durch sie kann ihm gestattet werden, seine letztwillige Verfügung ganz oder teilweise zu widerrufen. Die Bindung an die Einsetzung der Schlusserben entfällt. Steuerrechtlich ist zu beachten, dass die Vermächtnisnehmer ihren aufschiebend bedingten Erwerb des Vermächtnisses mit dem Eintritt der Bedingung (Wiederheirat) zu versteuern haben, während der Erbe die zu viel gezahlte Steuer zurückerhält, § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG. bb) Bedingte Vor- und Nacherbschaft

11.85 Die Vermächtnislösung ändert nichts daran, dass der gesamte Nachlass des Erstverstorbenen beim überlebenden Ehegatten verbleibt. Sicherer als ein Vermächtnisanspruch der Kinder ist die Nachlasstrennung. Die Eheleute bestimmen, dass die Verschmelzung ihrer Vermögensmassen, wie sie nach der Einheitslösung mit dem Tod des ersten Partners eintritt, im Fall der Wiederheirat rückgängig gemacht wird. Der überlebende Ehegatte, der zunächst Vollerbe ist, wird im Hinblick auf den Nachlass des Erstverstorbenen oder eines Bruchteils Vorerbe, die Abkömmlinge Nacherben. Die Einheits- wird von der Trennungslösung abgelöst. Für die Beteiligten bedeutet das Folgendes:

11.86 – Der überlebende Ehegatte wird mit dem Tod seines Ehepartners Vollerbe im Sinne des § 2269 Abs. 1 BGB. Das gilt so lange, bis er wieder heiratet. Mit der erneuten Eheschließung verliert er seine Alleinerbenstellung und wird Vorerbe. Die Vollerbschaft ist auflösend bedingt durch die Eingehung einer neuen Ehe, § 2075 BGB. Zugleich ist eine aufschiebend bedingte Vor- und Nacherbfolge angeordnet, § 2074 BGB. Diese Kombination von Einheits- und Trennungslösung durch zwei Bedingungen ist nach ganz herrschender Auffassung1 zulässig. Jeder der Eheleute wird mit dem Tod seines Partners auflösend bedingter Vollerbe (§ 158 Abs. 2 BGB) und aufschiebend bedingter Vorerbe (§ 158 Abs. 1 BGB). Heiratet er erneut, treten beide Bedingungen ein. Wie lange er seine Rechte als Vorerbe ausübt, hängt davon ab, wann der Nacherbfall eintritt. Tritt dieser erst mit dem Tod des Vorerben ein, profitiert der längerlebende Ehegatte zeitlebens vom Nachlass des verstorbenen Partners. Erst danach fällt das Vermögen den Kindern zu. Tritt der Nacherbfall mit der Wiederheirat ein, werden die Kinder mit der erneuten Eheschließung endgültige Erben des verstorbenen Elternteils, § 2139 BGB.

1 RG v. 25.11.1937 – IV B 34/37, RGZ 156, 172 (180 f.); BGH v. 6.11.1985 – IVa ZB 5/85, BGHZ 96, 198 (200 ff.) = MDR 1986, 295 = FamRZ 1986, 155; KG OLGE 43, 185 (192); BGB-RGRK/Johannsen, § 2269 Rz. 19; Kipp/Coing, § 79 IV 1; Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (274).

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Rz. 11.89 § 11

– Die rechtliche Stellung der Kinder verläuft parallel. Sie sind mit dem Tod des ersten Elternteils auf den gesamten elterlichen Nachlass als Schlusserben eingesetzt, § 2269 Abs. 1 BGB. Geht der überlebende Ehegatte eine neue Ehe ein, wandelt sich ihre Erbaussicht auf das Vermögen des Erstverstorbenen in eine Nacherbschaft. Die Kinder sind auflösend bedingte Schlusserben (§§ 2075, 158 Abs. 2 BGB) und aufschiebend bedingte Nacherben (§§ 2074, 158 Abs. 1 BGB) des Erstverstorbenen. Durch den Wechsel von der Einheits- zur Trennungslösung beerben sie nicht mehr allein den überlebenden Ehegatten als dessen Vollerben, sondern auch den Erstverstorbenen als dessen Nacherben. Gleichzeitig bleiben sie Ersatzerben des Letztverstorbenen. Wie lange sie Nacherben sind, hängt davon ab, wann der Nacherbfall eintritt. Tritt dieser mit dem Tod des längerlebenden Ehegatten ein, fällt den Kindern das Vermögen später zu. Tritt der Nacherbfall schon mit der Wiederheirat ein, werden sie mit der erneuten Eheschließung endgültige Erben des verstorbenen Elternteils, § 2139 BGB. Die steuerrechtlichen Folgen richten sich nach den §§ 15 ff. ErbStG. – Mit der Wiederheirat tritt der erwünschte Effekt ein. Der neue Ehepartner und andere Pflichtteilsberechtigte werden nur am Nachlass des Wiederheiratenden beteiligt. Vom Nachlass des erstverstorbenen Ehegatten sind sie durch die nachträgliche Trennung der Vermögensmassen ausgeschlossen. Vorteile aus dessen Vermögen kommen ihnen insoweit zugute, als der überlebende Ehegatte als Vorerbe zu Lebzeiten über den Nachlass verfügen kann. Durch den Eintritt der Bedingung gelten die Schutzvorschriften zugunsten der Nacherben (§§ 2113 ff. BGB; dazu Rz. 8.42 ff.) mit Rückwirkung vom Erbfall an. Tritt der Nacherbfall mit der Wiederheirat ein, entfällt jede weitere Zugriffsmöglichkeit. Die Kinder aus der ersten Ehe werden mit der erneuten Eheschließung endgültige Erben des verstorbenen Elternteils. Die Vorerbschaft wird von der Vollerbschaft abgelöst, § 2139 BGB. Gegen diese Bedingungslösung werden Bedenken1 erhoben. Die Umwandlung der Einheits- in eine 11.87 Trennungslösung für den Fall der Wiederheirat passe nicht zum Berliner Testament. Sie bedeute für den überlebenden Ehegatten, dass er mit dem Tod des Erstversterbenden praktisch den Beschränkungen des Vorerben unterliege, auch wenn er nicht wiederheirate. Die Auslegung herkömmlicher Wiederverheiratungsklauseln als bedingte Vor- und Nacherbschaft sei reine Fiktion. Sie laufe darauf hinaus, dass der längerlebende Ehepartner im Rechtsverkehr für einen Vollerben gehalten, aber mit dem Erbfall den Verfügungsbeschränkungen eines Vorerben unterworfen sei. Das sei widersprüchlich und stelle einen Gestaltungsfehler dar. Derartige Wiederverheiratungsklauseln seien streitträchtig und stellten keine Seite voll zufrieden. Sie stärkten die Position der erbenden Kinder, benachteiligten jedoch den überlebenden Elternteil. Dieser könne im Alter auf die Unterstützung des neuen Partners angewiesen sein, werde aber an der Wiederheirat gehindert. Es sei sachgerechter, wenn er mit dem neuen Ehegatten einen Pflichtteilsverzichtsvertrag abschließe. Der Kritik ist zuzugeben, dass die doppelt bedingte Voll- und Vorerbschaft rechtlich kompliziert ist und für den überlebenden Ehegatten einen erheblichen Eingriff in seine Rechtsposition bedeutet, wenn der Nacherbfall nicht erst mit seinem Tod, sondern mit der Wiederheirat eintritt. Das gilt umso mehr, als die Schutzvorschriften der §§ 2113 ff. BGB auch zugunsten bedingt eingesetzter Nacherben gelten2. Der Nachlass des ersten Elternteils ist bis zur Entscheidung über Eintritt oder Ausfall der Bedingung geschützt. Es kommt nicht darauf an, ob man den längerlebenden Ehepartner bis zur Wiederheirat als Vollerben oder Vorerben ansieht. Er ist in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt.

11.88

Andererseits ist die nachträgliche Trennung der Vermögensmassen beider Elternteile der sicherste Weg, um den Zugriff neuer Pflichtteilsberechtigter auf den Nachlass des Erstverstorbenen zu verhindern. Es ist gewährleistet, dass die Substanz auf die Letztbedachten übergeht. Weder der verstorbene

11.89

1 Meyer-Kraut, NJW 1992, 143 (147); MüKo.BGB/Musielak, § 2269 Rz. 55 ff.; Rode, LZ 1924, 716 (719); Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2860 ff.). 2 RG v. 25.11.1937 – IV B 34/37, RGZ 156, 172 (181); OLG München, JFG 15, 39 (40); BayObLG v. 22.6.1966 – BReg. 1b Z 12/66, BayObLGZ 1966, 227 (231); Dippel, AcP 177 (1977), 349 (361); Palandt/ Weidlich, § 2269 Rz. 20; Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2863).

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§ 11 Rz. 11.90

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Ehegatte noch die Kinder haben Einfluss darauf, dass die hinzutretenden Berechtigten auf ihren Pflichtteil verzichten. Der längerlebende Ehegatte kann den Nachlass zusammen mit seinem neuen Partner zulasten der Abkömmlinge aus erster Ehe schmälern. Dem Wunsch vieler Erblasser, den Nachlass in der „Blutslinie“ weiterzugeben und nicht an Dritte fallen zu lassen, muss man Rechnung tragen. An der Konstruktion einer bedingten Vor- und Nacherbschaft ist festzuhalten.

11.90 Die herrschende Meinung1 will die erbrechtlichen Folgen der Wiederheirat für den überlebenden Ehegatten dadurch mildern, dass sie ihm eine der ursprünglichen Vollerbenstellung angenäherte Rechtsposition verschafft. Fehlten entgegenstehende Anhaltspunkte, müsse im Zweifel davon ausgegangen werden, dass der zum bedingten Vorerben eingesetzte überlebende Ehepartner die Stellung eines befreiten Vorerben habe (vgl. Rz. 11.50 und Rz. 8.81). Er sei von den in § 2136 BGB genannten Beschränkungen befreit. Nur das Verbot des § 2113 Abs. 2 BGB, unentgeltlich zu verfügen, bleibe bestehen. Dafür spricht, dass dem längerlebenden Elternteil grundsätzlich eine unbeschränkte Verfügungsgewalt zukommen soll. Andererseits muss das Maß des gegenseitigen Vertrauens, wie es im gemeinschaftlichen Testament zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden2. Richtigerweise ist zu differenzieren3:

11.91 Dadurch, dass sich die Eheleute gegenseitig zu Vollerben und nicht zu Vorerben im Sinne der Trennungslösung einsetzen, bringen sie ihr Vertrauen in die Alleinverantwortung des Überlebenden für den Nachlass zum Ausdruck. Er soll das ihm angefallene Vermögen bis zu dessen Übergang auf die Schlusserben verwalten. Im Zweifel ist anzunehmen, dass er auch bei der bedingten Vorerbeneinsetzung aufgrund einer Wiederverheiratungsklausel von allen Beschränkungen befreit sein soll, die sich auf die Verwaltung des Nachlasses beziehen. An diejenigen Bestimmungen, die die Substanzerhaltung für die Abkömmlinge sichern (z.B. §§ 2133, 2134 BGB), bleibt er gebunden, sofern der Nachlass dem überlebenden Ehegatten nicht als Verwertungsobjekt zustehen soll. Das spielt vor allem bei Verfügungen über Grundbesitz eine Rolle, § 2113 Abs. 1 BGB.

11.92 Um Auslegungsschwierigkeiten zu entgehen, ist in der Praxis auf die eindeutige und sachgerechte Gestaltung der Wiederverheiratungsklausel Wert zu legen. Dem Sicherungsverlangen der Letztbedachten muss Genüge getan werden, ohne den überlebenden Ehegatten in seiner persönlichen Lebensführung unnötig zu beschränken. Diesen Interessen ist im Rahmen der Beratung Rechnung zu tragen. Unklare und konfliktträchtige Formulierungen, wie „Der überlebende Ehegatte“ soll sich im Fall der Wiederheirat nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinandersetzen“ (vgl. das obige Beispiel Rz. 11.79) oder „Der überlebende Ehegatte soll im Fall erneuter Eheschließung den Nachlass an die gemeinsamen Kinder herausgeben“ sind zu vermeiden. So lassen sich Auseinandersetzungen zwischen dem Überlebenden, den gemeinsamen Kindern und neuen Pflichtteilsberechtigten vermeiden. Folgende Punkte müssen testamentarisch klar sein: – Bedingte Nacherbeneinsetzung der Abkömmlinge, – Zeitpunkt des Nacherbfalls (Wiederheirat oder Tod des Vorerben), – Umfang der Beschränkungen des Vorerben (§§ 2113 ff., 2136 BGB), – ggf. Wegfall der Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigenen Verfügungen und Abfindung der Endbedachten.

1 KG, KGJ 42, 109 (114 f.); KG, Recht 1930 Nr. 322; BayObLG v. 22.6.1966 – BReg. 1b Z 12/66, FamRZ 1967, 695 (697); OLG Hamm v. 9.7.1971 – 15a W 108/71, DNotZ 1972, 96; Dippel, AcP 177 (1977), 349 (361); Haegele, RPfleger 1976, 73 (76). 2 BGH v. 18.1.1961 – V ZR 83/59, FamRZ 1961, 275 (277). Gegen die Anwendung des § 2136 BGB OLG Stuttgart, JFG 6, 162 (164 f.); Asbeck, MDR 1959, 897 (899); für „ländliche Verhältnisse“ auch BGH v. 5.3.1951 – I ZR 64/50, NJW 1951, 354. 3 Ebenso Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rz. 44; zustimmend Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 2. Aufl. (1986), Rz. 42.

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Rz. 11.96 § 11

Die Wiederverheiratungsklausel lässt sich wie folgt formulieren:

M 74 Wiederverheiratungsklausel mit Vor-/Nacherbschaftslösung im gemeinschaftlichen Testament

11.93

Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, ist er hinsichtlich des gesamten Nachlasses des Vorverstorbenen Vorerbe. Er ist von allen Beschränkungen befreit, sofern dies gesetzlich zulässig ist (§ 2136 BGB). Nacherben sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Der Nacherbfall tritt mit dem Zeitpunkt der erneuten Eheschließung ein. Kommt diese Klausel zur Verwirklichung, fällt die Bindung des längerlebenden Ehegatten an die eigene Verfügung auf seinen Tod vollständig weg; die Schlusserbeneinsetzung entfällt.

Fortdauer oder Ende der Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigenen Verfügungen (§ 2270 BGB) sollten – wie im vorstehenden Beispiel – ausdrücklich geklärt werden. Ohne eine solche Bestimmung kann Streit über den hypothetischen Willen der Ehegatten entstehen, wenn das gemeinschaftliche Testament keine weiteren Anhaltspunkte für die Auslegung liefert. Die überwiegende Ansicht1 geht davon aus, dass der überlebende Ehegatte mit der Wiederheirat im Zweifel nicht mehr an die testamentarische Verfügung über seinen Nachlass und die Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Erben gebunden ist. Die Fortdauer der Bindung ist von den Eheleuten in aller Regel nicht beabsichtigt, weil der Längerlebende seine Rechtsstellung als Alleinerbe wegen der Wiederverheiratung verloren hat. Er darf anders über seinen eigenen Nachlass verfügen, seinen neuen Ehegatten und die Kinder aus seiner neuen Ehe bedenken. Die ursprüngliche Bindung entfällt nicht teilweise, sondern vollständig.

11.94

Unterschiedlich beurteilt wird in Rechtsprechung und Schrifttum die Frage, ob die eigene wechselbe- 11.95 zügliche Verfügung des überlebenden Ehegatten mit dessen Wiederverheiratung automatisch gegenstandslos wird oder ob der überlebende Ehegatte sie widerrufen muss. Teilweise2 wird angenommen, dass seine letztwilligen Verfügungen mit der Wiederverheiratung unwirksam werden, ohne dass es eines Widerrufstestaments (§ 2254 BGB) bedarf. Es kann jedoch nicht unterstellt werden, dass die Ehegatten die Gegenstandslosigkeit ihrer Anordnungen wollen. Immerhin kann der längerlebende Ehegatte seinen Willen verwirklichen, indem er neu verfügt. Es spricht einiges dafür, dass die letztwilligen Verfügungen gemeinschaftlicher Testamente gültig bleiben, bis sie durch die Äußerung eines anderen testamentarischen Willens ersetzt werden3.

11.96

Mangels höchstrichterlicher Entscheidung bedeutet das für die Beratungspraxis: – Fortdauer, gänzliches oder teilweises Ende der Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigenen Verfügungen sind im gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich zu regeln. – Ist die testamentarische Regelung versäumt worden, ist dem überlebenden Ehegatten dringend zu empfehlen, die eigene Verfügung zu widerrufen oder, wenn die Bindung nach dem Willen der

1 KG, JFG 15, 325 (329 f.); BayObLG v. 17.4.1962 – BReg. 1Z 180/61, MDR 1962, 738 (739); OLG Köln v. 27.10.1975 – 2 Wx 42/75, FamRZ 1976, 552; OLG Hamm v. 23.6.1994 – 15 W 265/93, FamRZ 1995, 250 = ZEV 1994, 365; Huken, DNotZ 1965, 729 (731); MüKo.BGB/Musielak, § 2269 Rz. 62 m.w.N. 2 KG v. 10.1.1957 – 1 W 2398/56, NJW 1957, 1073; KG v. 7.3.1968 – 1 W 2454/67, FamRZ 1968, 331; OLG Hamm v. 23.6.1994 – 15 W 265/93, ZEV 1994, 365 (366); Leipold, FamRZ 1988, 352 (354); Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (276 ff.). 3 OLG Hamm v. 13.3.1987 – 15 U 40/85, JR 1987, 376 (376 f.); OLG Hamm v. 23.6.1994 – 15 W 265/93, FamRZ 1995, 250 = NJW-RR 1994, 1355; Hüber, RPfleger 1981, 41 (44); Palandt/Weidlich, § 2269 Rz. 19; Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rz. 50; offengelassen von BGH v. 15.5.1985 – IVa ZR 231/83, FamRZ 1985, 1123 = WM 1985, 1178 (1179 f.).

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§ 11 Rz. 11.97

Gemeinschaftliches Testament

Testierenden bestehen bleiben sollte, anzufechten, §§ 2281, 2285, 2078 f. BGB analog (dazu Rz. 11.132 ff.). – Ist der überlebende Ehegatte verstorben, ohne zu widerrufen, bleibt den Erben aus zweiter Ehe die Anfechtung, §§ 2281, 2285, 2078, 2079 BGB analog. Die Anfechtungsfrist ist zu beachten, §§ 2082, 2285 BGB.

11.97 Die vorstehende Problematik zeigt, dass es bei Wiederverheiratungsklauseln nicht allein um die Erhaltung des Nachlasses für die Schlusserben geht. Der längerlebende Ehegatte hat unter bestimmten Umständen ein Interesse daran, die Testierfreiheit auf seinen Tod wiederzuerlangen. Fehlt ein testamentarischer Änderungsvorbehalt, tritt die Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente ein. Sie äußert sich in wechselbezüglichen Verfügungen, §§ 2270, 2271 BGB.

IV. Wechselbezügliche Verfügungen 11.98 Wechselbezügliche Verfügungen weisen im Vergleich zu anderen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten drei Besonderheiten auf: Sie sind in ihrem Bestand voneinander abhängig (§ 2270 BGB, dazu Rz. 11.100 ff.), ihr Widerruf ist erschwert oder ausgeschlossen (§ 2271 BGB, dazu Rz. 11.113 ff.) und zum Schutz der Schlussbedachten vor lebzeitigen Verfügungen sind die für den Erbvertrag geltenden §§ 2287, 2288 BGB entsprechend anwendbar (dazu Rz. 11.144 ff.). 1. Wechselbezüglichkeit

11.99 Beratungssituation: Die Eheleute setzen sich gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sollen ihre gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen sein. Gleichzeitig ordnen sie eine Dauertestamentsvollstreckung für den gesamten Nachlass nach dem Tod des zweiten Ehegatten an. Als die Ehefrau stirbt, fragt der Ehemann, ob er der ältesten Tochter das Hausgrundstück zuwenden und die Testamentsvollstreckung aufheben kann.

a) Bedeutung und Rechtsfolge

11.100 Treffen die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde, hat die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge, § 2270 Abs. 1 BGB. Wechselbezügliche Verfügungen stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Sie brauchen nicht unbedingt gegenseitig zu sein. Es genügt, wenn der eine Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder sonst nahesteht, § 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB. Entscheidend ist, dass der Ehegatte seine testamentarische Anordnung mit Rücksicht auf die Verfügung des anderen Ehegatten trifft: Die eine steht und fällt mit der anderen1. Wechselbezüglich sind immer einzelne Verfügungen, nie das gemeinschaftliche Testament als solches. Die Eheleute können darin neben wechselbezüglichen auch voneinander unabhängige Anordnungen treffen oder die Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen auf Teile beschränken. Die Wechselbezüglichkeit muss für jede einzelne Anordnung gesondert geprüft werden2.

1 Protokolle V, S. 451; RG v. 14.2.1927 – IV 766/26, RGZ 116, 148 (149); OLG Hamm v. 2.8.1993 – 15 W 115/93, FamRZ 1994, 1210 (1211); OLG Koblenz v. 13.12.2006 – 2 U 80/06, OLGReport 2007, 282; OLG Düsseldorf v. 14.9.2007 – 3 Wx 131/07, OLGReport 2008, 48; OLG München v. 6.7.2007 – 31 Wx 33/07, FamRZ 2008, 728; OLG Düsseldorf v. 11.9.2014 – I-3 Wx 128/13, ZEV 2015, 222. 2 BayObLG v. 27.8.1985 – BReg. 1Z 20/85, FamRZ 1986, 604 (606); BayObLG v. 29.1.1993 – 1Z BR 80/92, FamRZ 1993, 1126 (1127); BayObLG v. 23.7.1993 – 1Z BR 26/93, FamRZ 1994, 191 (192); BayObLG v. 26.1.1999 – 1Z BR 44/98, ZEV 1999, 227; Kipp/Coing, § 35 II 1; Staudinger/Kanzleiter, § 2270 Rz. 2.

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Rz. 11.104 § 11

Verfügt der eine Ehegatte mit Rücksicht auf die Verfügung des anderen, trifft der andere seine Anordnung aber ohne Rücksicht auf die des Partners, liegt eine einseitige Wechselbezüglichkeit vor. § 2270 Abs. 1 BGB regelt die gegenseitige Abhängigkeit, ist jedoch nach seinem Sinn und Zweck auch auf diesen Fall anzuwenden. Die Verfügung des anderen Ehegatten wird wie eine beiderseitig wechselbezügliche Verfügung behandelt. Die §§ 2270, 2271 BGB gelten analog1. Hebt ein Ehegatte die Wechselbezüglichkeit seiner Verfügung durch neue Verfügung von Todes wegen auf, gilt sie als einseitige fort. Da der andere Ehegatte wieder frei wird, er selbst aber an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden bleibt, steht § 2271 BGB der einseitigen Aufhebung der Bindung nicht entgegen.

11.101

Die Ehegatten können bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments frei bestimmen, welche ihrer letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen. Das gilt mit einer Einschränkung. § 2270 Abs. 3 BGB lässt die Wechselbezüglichkeit nur für bestimmte Arten von Verfügungen zu. Dies sind wie beim Erbvertrag (vgl. § 2278 Abs. 2 BGB) Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen. Alle anderen Verfügungen können nicht wechselbezüglich sein. Enterbung (§ 1938 BGB), Teilungsanordnung (§ 2048 BGB), Testamentsvollstreckung (§ 2197 BGB) oder Pflichtteilsentziehung (§ 2333 BGB) sind selbst dann nicht wechselbezüglich, wenn die Eheleute es wollen. Im obigen Beispielsfall scheitert die veränderte Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Tochter an den §§ 2270, 2271 BGB, während der Vater nicht gehindert ist, die Testamentsvollstreckung einseitig zu widerrufen. Sein Widerrufsrecht ist nicht nach § 2271 Abs. 2 BGB eingeschränkt, weil die Anordnung einer Testamentsvollstreckung nicht wechselbezüglich sein kann, § 2270 Abs. 3 BGB2.

11.102

Wechselbezügliche Verfügungen bedingen sich gegenseitig in ihrer Wirksamkeit. Die Nichtigkeit oder 11.103 der Widerruf der einen führt zur Nichtigkeit der anderen, § 2270 Abs. 1 BGB. Durch die Beschränkung des § 2270 Abs. 3 BGB bleiben Enterbungen, Teilungsanordnungen, Testamentsvollstreckungen oder Pflichtteilsentziehungen gültig, sofern sie nicht vom Erblasser selbst widerrufen (§ 2253 BGB) oder nach seinem Tod von einem Anfechtungsberechtigten angefochten werden, §§ 2078 Abs. 2, 2080 BGB. Allein die Nichtigkeit und der Widerruf führen zur Rechtsfolge des § 2270 Abs. 1 BGB3. Ist eine Verfügung zwar wechselbezüglich, aber aus anderen Gründen gegenstandslos, z.B. weil der Berufene erbunwürdig ist (§ 2339 BGB) oder das Erbe ausschlägt (§ 1944 BGB), sind abhängige Verfügungen allenfalls unwirksam, wenn die Testamentsauslegung ergibt, dass ihre Anordnung durch die Ausführung anderer bedingt sein soll (§§ 158, 2074 f. BGB) oder wenn sie angefochten werden, §§ 2078 Abs. 2, 2080 BGB. Im Übrigen hat die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen, selbständigen Verfügungen die Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen zur Folge, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde, § 2085 BGB. b) Ermittlung Ob und welche Verfügungen der Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich sind, richtet sich nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Maßgeblich ist in erster Linie der wirkliche Wille der Erblasser, §§ 133, 157, 2084 BGB. Soll die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen und jede Anordnung so mit der anderen verknüpft sein, dass sie mit ihr „steht und fällt“, ist von dem für § 2270 Abs. 1 BGB erforderlichen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis auszugehen. Es kann auch auf Umstände gestützt werden, die außerhalb des Testaments liegen. Die Vermögensverhältnisse, der Grad der Verwandtschaft und das Alter der Eheleute sind wenig aussagekräf1 KG, JFG 10, 67 (69 f.); KG v. 16.12.1937 – 1 Wx 584/37, DNotZ 1938, 179 (180); BGB-RGRK/Johannsen, § 2270 Rz. 3; Erman/Kappler/Kappler, § 2270 Rz. 2. 2 Zur Auswechslung eines im gemeinschaftlichen Testament ernannten Testamentsvollstreckers durch den überlebenden Ehegatten OLG Hamm v. 6.11.2000 – 15 W 188/00, FamRZ 2001, 1176 = ZEV 2001, 271 m. Anm. Reimann. 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2270 Rz. 18.

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11.104

§ 11 Rz. 11.105

Gemeinschaftliches Testament

tig1. Lässt sich der wirkliche Wille der Erblasser nicht ermitteln, ist im Rahmen der ergänzenden Auslegung zu prüfen, wie die Erblasser das Verhältnis bestimmter Verfügungen zueinander gestaltet hätten, wenn ihnen nachträglich eingetretene Umstände bei der Testamentserrichtung bekannt gewesen wären2.

11.105 Führt die erläuternde oder ergänzende Auslegung zu keinem Ergebnis und lässt sich die Wechselbezüglichkeit aufgrund aller in Betracht kommenden Umstände nicht klären, greift die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ein. Sie enthält zwei Fälle, die miteinander kombiniert sein können. Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten sind im Zweifel wechselbezüglich, wenn – sich die Ehegatten gegenseitig bedenken (§ 2270 Abs. 2 Alt. 1 BGB) oder – der eine Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht (§ 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB). aa) Gegenseitige Zuwendungen (§ 2270 Abs. 2 Alt. 1 BGB)

11.106 Die Ehegatten bedenken sich gegenseitig entweder durch Erbeinsetzung oder Vermächtnis. Der Erbeinsetzung steht es gleich, wenn sie der gegenseitigen gesetzlichen Erbfolge (§ 1931 BGB) absichtlich freien Lauf lassen. Die Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB gilt nicht, wenn sich die Eheleute etwas durch Auflagen zuwenden. Die Auflage ist kein gegenseitiges Bedenken im eigentlichen Sinne3. bb) Zuwendungen an Dritte (§ 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB)

11.107 Der gegenseitigen Erbeinsetzung steht es gleich, wenn der eine Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person trifft, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht. In dieser Alternative des § 2270 Abs. 2 BGB ist zwischen Verwandten und anderen nahestehenden Personen zu unterscheiden.

11.108 – Der Begriff der Verwandtschaft ist in § 1589 BGB definiert. Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in gerader Linie verwandt. Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt. Der Grad der Verwandtschaft richtet sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten. Der häufigste Anwendungsfall dieser Auslegungsregel ist die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten und die Berufung der Kinder des einen oder beider Ehegatten nach dem Tod des Letztversterbenden4. Das Gesetz geht davon aus, dass jeder Ehepartner die Kinder testamentarisch bedenkt, weil es auch der andere tut:

1 RG v. 14.2.1927 – IV 766/26, RGZ 116, 148 (149 f.); RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (172); BGH v. 13.2.1957 – IV ZR 243/56, LM Nr. 2 zu § 2270 BGB; BayObLG v. 28.4.1992 – 1Z BR 17/92, FamRZ 1992, 1102 (1103); BayObLG v. 12.8.1994 – 1Z BR 152/93, FamRZ 1995, 251 (252 f.); Staudinger/Kanzleiter, § 2270 Rz. 22. 2 OLG München HRR 1942 Nr. 839; KG v. 3.1.1963 – 1 W 2345/62, NJW 1963, 766 (768); BayObLG v. 12.8.1994 – 1Z BR 152/93, FamRZ 1995, 251 (252 f.); Staudinger/Kanzleiter, § 2270 Rz. 22. 3 BGB-RGRK/Johannsen, § 2270 Rz. 14; Erman/Kappler/Kappler, § 2270 Rz. 4; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2270 Rz. 10. Zum Vermächtnis OLG Hamm v. 2.8.1993 – 15 W 115/93, FamRZ 1994, 1210 (1212). 4 OLG München v. 13.9.2010 – 31 Wx 119/10, FamRZ 2011, 679 = ZEV 2011, 315. Vgl. aber die Entscheidungen BayObLG v. 4.3.1996 – 1Z BR 160/95, FamRZ 1996, 1040; BayOblG v. 2.7.1985 – 1Z 42/85, Rpfleger 1985, 445, nach denen die Verfügungen von Eheleuten in einem gemeinschaftlichen Testament, in dem sie gemeinsame Kinder zu Schlusserben einsetzen, nicht wechselbezüglich sind. Zur Wechselbezüglichkeit bei Schlusserbeinsetzung eines Neffen OLG Nürnberg v. 30.9.2009 – 14 U 2056/08, FamRZ 2010, 1765 = ZEV 2010, 411.

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Rz. 11.111 § 11

M 75 Grundformel des Berliner Testaments

11.109

Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen.

– Schwerer fällt die Feststellung, wer zu den sonst nahestehenden Personen gehört. Das können Ver- 11.110 schwägerte, Freunde, Nachbarn, langjährige Angestellte, Mitbewohner oder andere natürliche Personen sein. Um die gesetzliche Vermutung nicht zur Regel werden zu lassen, werden strenge Anforderungen gestellt. Es müssen enge persönliche Beziehungen bestehen, die mindestens dem üblichen Verhältnis zu Verwandten entsprechen1. Das zeigt das Wort „sonst“ in § 2270 Abs. 2 BGB. Gutnachbarliche Beziehungen reichen nicht aus. Personen, die zur Zeit der Testamentserrichtung noch nicht geboren oder dem Erblasser anderweitig unbekannt waren, stehen ihm nicht persönlich nahe. Im Fall der Schwägerschaft spielt es eine Rolle, durch welchen der Ehegatten sie vermittelt wird. Maßgeblich ist das Verhältnis der Beteiligten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Die Einsetzung eines Schlusserben (§ 2269 BGB), der mit keinem der Eheleute verwandt oder verschwägert ist, ist im Zweifel nicht wechselbezüglich. cc) Widerlegung der Vermutung Derjenige, der aus der Wechselbezüglichkeit Rechte herleiten will, muss beweisen, dass jede Verfügung 11.111 mit Rücksicht auf die andere getroffen ist. Dabei hilft ihm die Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB. Sie ist nach allgemeinen Grundsätzen widerlegbar, § 292 ZPO. Sie ist widerlegt, wenn festgestellt wird, dass die Eheleute ihre Verfügungen unabhängig voneinander treffen wollten. Das kann sich aus früheren Äußerungen, dem Verhältnis ihrer Vermögensmassen, der Höhe der beiderseitigen Zuwendungen, den Zuwendungen während der Ehe und der finanziellen Vorsorge auf den Todesfall ergeben. Beratungshinweis: Die Tatsache, dass der eine Ehegatte erheblich vermögender ist als der andere (vgl. Rz. 11.70), spricht gegen die Wechselbezüglichkeit, reicht aber nicht aus, um die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Namentlich bei langer und intakter Ehe lassen sich die Partner nicht nur von wirtschaftlichen Überlegungen leiten2.

Bei gemeinschaftlichen Testamenten mit vielfältigen Anordnungen entsteht erfahrungsgemäß immer wieder Streit darüber, welche Verfügungen bindend sind und welche nicht. Man denke etwa an den Fall, dass der eingesetzte Schlusserbe wegfällt. Hier ist § 2270 Abs. 2 BGB auf Ersatzerben nur anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Eheleute feststellen lassen, die Ersatzerbfolge also nicht allein auf § 2069 BGB beruht3. Die Wechselbezüg-

1 BayObLG v. 2.7.1985 – BReg. 1Z 42/85, FamRZ 1985, 1287 (1289); BayObLG v. 10.4.1991 – BReg. 1a Z 60/90, FamRZ 1991, 1232 (1234) m. Anm. Hohloch, JuS 1992, 77 f.; BayObLG v. 23.7.1993 – 1Z BR 26/93, FamRZ 1994, 191 (193); KG v. 16.2.1993 – 1 W 6261/91, FamRZ 1993, 1251 = OLGZ 1993, 398 (403); OLG Koblenz v. 13.12.2006 – 2 U 80/06, OLGReport 2007, 282; OLG München v. 16.4.2007 – 31 Wx 108/06, OLGReport 2008, 445 (für gemeinsame Bekannte); Bengel, DNotZ 1977, 5 (8); Staudinger/Kanzleiter, § 2270 Rz. 31. Auch die Schlusserbeneinsetzung juristischer Personen in einem gemeinschaftlichen Testament kann im Einzelfall wechselbezüglich sein, OLG München v. 1.10.1999 – 23 W 1996/99, FamRZ 2000, 853 = ZEV 2000, 104 (105); LG Stuttgart v. 20.4.1999 – 2 T 28/99 u. 29/99, ZEV 1999, 441 (442 f.); a.A. Staudinger/Kanzleiter, § 2270 Rz. 22. 2 RG v. 14.2.1927 – IV 766/26, RGZ 116, 148 (150); BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (37); OLG Hamm v. 7.11.1994 – 15 W 288/94, FamRZ 1995, 1022 = ZEV 1995, 146 (147); BayObLG v. 12.8.1994 – 1Z BR 152/93, FamRZ 1995, 251 (252); OLG Saarbrücken v. 21.6.1990 – 5 W 95/90, FamRZ 1990, 1285 (1286); Lange, NJW 1963, 1571 (1572 ff.). 3 BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, MDR 2002, 456 = FamRZ 2002, 747. Anders noch BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277.

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§ 11 Rz. 11.112

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lichkeit sollte nicht der erläuternden oder ergänzenden Auslegung oder der Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB überlassen, sondern ausdrücklich klargestellt werden:

11.112 M 76 Anordnung der Wechselbezüglichkeit im Ehegattentestament 1. Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. 2. Unser Patenkind Charlotte erhält aus dem Nachlass des Längerlebenden ein Geldvermächtnis in Höhe von 50.000 Euro. 3. Die unter Punkt 1 getroffenen Verfügungen sind wechselbezüglich. Die unter Punkt 2 getroffene Anordnung ist einseitig und kann vom überlebenden Ehegatten jederzeit geändert werden.

2. Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen

11.113 Die in gemeinschaftlichen Testamenten enthaltenen Verfügungen können ebenso wie Anordnungen in gewöhnlichen Testamenten grundsätzlich jederzeit frei widerrufen werden, §§ 2253 ff. BGB. Das kann durch inhaltlich widersprechende Verfügungen (§§ 2254, 2258 BGB), gemeinschaftliche Vernichtung der Testamentsurkunde (§ 2255 BGB), gemeinschaftliche Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§§ 2256, 2272 BGB; dazu Rz. 11.19) oder Erbvertrag (§ 2289 Abs. 1 S. 1 BGB, vgl. auch § 2291 BGB) geschehen. Für wechselbezügliche Verfügungen enthält § 2271 BGB eine wichtige Sonderregelung. Sie verwirklicht die besondere Bindungswirkung voneinander abhängiger Verfügungen. Das Gesetz unterscheidet im Hinblick auf die Widerrufsmöglichkeit danach, ob die Ehegatten leben (§ 2271 Abs. 1 BGB) oder ob einer von ihnen bereits verstorben ist, § 2271 Abs. 2 BGB. a) Widerruf zu Lebzeiten der Ehegatten (§ 2271 Abs. 1 BGB)

11.114 Treffen die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezügliche Verfügungen, gehen sie davon aus, dass jede mit der anderen „steht und fällt“. Beide wollen, dass die Anordnungen des Partners wirksam sind, solange die eigenen Bestand haben. Die Rechtsfolge des § 2270 Abs. 1 BGB, wonach der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge hat, birgt Gefahren. Es muss verhindert werden, dass ein Ehegatte durch seinen einseitigen Widerruf die Nachlassregelung des anderen durcheinander bringt oder heimlich hinter dem Rücken des anderen Ehegatten widerruft. Da jeder auf den Fortbestand seiner letztwilligen Anordnungen vertraut, muss aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sichergestellt sein, dass er vom Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung erfährt und darauf zu Lebzeiten reagieren kann. Dem trägt § 2271 Abs. 1 BGB in zweierlei Weise Rechnung: aa) Ausschluss neuer Verfügungen

11.115 Keiner der Ehegatten kann zu Lebzeiten des anderen eine wechselbezügliche Verfügung durch eine Verfügung von Todes wegen einseitig aufheben. § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB verhindert neue Anordnungen, soweit sie Anordnungen im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB widersprechen und den bedachten Ehepartner beeinträchtigen. Er schränkt nicht die Testierfreiheit ein. Neue einseitige Verfügungen sind zulässig, wenn die wechselbezügliche Verfügung unwirksam oder gegenstandslos geworden ist: Beratungssituation: Die Eheleute setzen sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben ein. Weitere letztwillige Verfügungen werden nicht getroffen. Später vermacht die Ehefrau ihrer Schwester in einem einseitigen privatschriftlichen Testament 20.000 Euro. Als die Eheleute bei einem Autounfall tödlich verunglücken, weigern sich die Kinder unter Berufung auf das gemeinschaftliche Testament, ihrer Tante das Vermächtnis in Höhe von 20.000 Euro auszuzahlen.

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Rz. 11.118 § 11

Die Eheleute haben es versäumt, eine Regelung für den Fall zu treffen, dass sie gleichzeitig versterben. Die gegenseitige Erbeinsetzung ist gegenstandslos. Keiner beerbt den anderen (dazu Rz. 11.27). Jeder Ehegatte wird von seinen gesetzlichen Erben beerbt. Der den Kindern zufallende Nachlass der Mutter ist mit einem Vermächtnis zugunsten ihrer Tante belastet, § 2174 BGB. § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB kommt ihnen nicht zugute, weil das Vermächtnis nicht im Widerspruch zu einer gültigen wechselbezüglichen Verfügung steht. Ist diese gegenstandslos geworden, steht einem einseitigen Testament nichts im Wege. Die unzureichende Gestaltung des gemeinschaftlichen Testaments wirkt sich zum Nachteil der Abkömmlinge aus. Nach herrschender Ansicht1 scheitert eine einseitige Verfügung auch nicht an § 2271 Abs. 1 S. 2 11.116 BGB, wenn der andere Ehegatte rechtlich besser gestellt wird als nach dem gemeinschaftlichen Testament. Dem ist insofern zuzustimmen, als die Möglichkeit, zugunsten des anderen von bindenden Verfügungen abzuweichen, dem hypothetischen Willen der Erblasser entspricht. Im Rahmen der Auslegung ist zu bedenken, dass die Besserstellung des Ehegatten zulasten anderer durch die wechselbezügliche Verfügung Bedachter geht: Beratungssituation: Um die doppelte steuerliche Belastung nach der Einheits- und Trennungslösung zu vermeiden, setzen die Eheleute ihre gemeinsamen Kinder zu Vollerben des Erstversterbenden ein. Sich selbst vermachen sie gegenseitig einen lebenslänglichen Nießbrauch am Nachlass des Erstversterbenden (dazu Rz. 11.45). Später errichtet die Ehefrau ein einseitiges Testament, in dem sie ihren Ehemann zum Alleinerben einsetzt. Nach dem Tod der Mutter fragen die Kinder, ob sie (Mit-)Erben geworden sind.

Die im einseitigen Testament der Frau enthaltene Anordnung ändert die Bestimmung des gemeinschaftlichen Testaments zum Vorteil des Ehemannes. Er wird Vollerbe anstatt Nießbraucher. Die spätere Verfügung ist nach überwiegender Meinung zulässig. Lässt man im vorstehenden Beispiel die Aufhebung der wechselbezüglichen Verfügung zu, kommt der Schutz der §§ 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 1 BGB nur dem überlebenden Ehegatten zugute. Die Kinder haben trotz ihrer Begünstigung durch das gemeinschaftliche Testament kein unentziehbares Recht auf den Erwerb der Erbschaft. Aus ihrer Sicht wäre ein Erbvertrag (§§ 2274 ff. BGB) vorteilhafter gewesen. Unschädlich ist es, wenn eine spätere Verfügung die wechselbezügliche wiederholt. Sie bestärkt das Erbrecht und kann im Fall des öffentlichen Testaments den Erbschein entbehrlich machen, § 35 GBO. Im Übrigen ist es den Eheleuten unbenommen, sich die einseitige Aufhebung wechselbezüglicher Verfügungen ausdrücklich zu gestatten. Auch die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments kann ergeben, dass der andere Ehegatte unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sein soll, abweichend von wechselbezüglichen Verfügungen zu testieren2. Bei der Aufnahme eines Änderungsvorbehalts in ein gemeinschaftliches Testament ist darauf zu achten, dass die Wechselbezüglichkeit nicht infrage gestellt wird. Geht die Gestattung soweit, dass der andere beliebig testieren kann, dürfte es an der Wechselbezüglichkeit fehlen.

11.117

bb) Widerruf nur in der Form des § 2296 BGB Die Ehegatten dürfen wechselbezügliche Verfügungen nicht einseitig durch eine neue Verfügung von 11.118 Todes wegen aufheben, können diese jedoch einseitig widerrufen, § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Widerruf ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die wirksam wird, wenn sie dem anderen zugeht. Das Gesetz verlangt zusätzlich die Einhaltung der für den Rücktritt von Erbverträgen geltenden Form des § 2296 BGB. Der Widerruf muss persönlich erklärt werden und erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Ehepartner. Er bedarf der notariellen Beurkundung. Dadurch wird ver-

1 BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (264 ff.) m. Anm. Bärmann, NJW 1960, 142 f.; BayObLG v. 20.7.1966 – BReg. 1b Z 27/66, BayObLGZ 1966, 242 (245); Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 15; Soergel/ Wolf, § 2271 Rz. 12. 2 BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (37); BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (265 f.); Kipp/Coing, § 35 III 4; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 22.

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§ 11 Rz. 11.119

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hindert, dass ein Ehegatte heimlich hinter dem Rücken des anderen widerruft. Der Partner soll vom Widerruf erfahren und zu Lebzeiten durch eine neue Erbfolgeregelung darauf reagieren können.

11.119 Der Widerruf ist wirksam, wenn die Formalia des § 2296 Abs. 2 BGB eingehalten sind. Der Widerrufende muss dem anderen Ehegatten die Urschrift oder eine Ausfertigung (§§ 47 ff. BeurkG) der Widerrufserklärung zugehen oder zustellen lassen, §§ 130, 132 BGB. Eine einfache oder beglaubigte Abschrift genügt nicht1. Anders als die Widerrufserklärung bedarf die Übermittlung keiner Form. Aus Beweisgründen ist die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher ratsam, §§ 166 ff. ZPO. Enthält das gemeinschaftliche Testament sowohl wechselbezügliche als auch selbständige Verfügungen, muss der Erblasser beim Widerruf der wechselbezüglichen die Form des § 2296 Abs. 2 BGB und beim Widerruf der einseitigen die Vorschriften über den Widerruf gewöhnlicher Testamente (§§ 2253 ff. BGB) beachten. Der Widerruf ist letztwillige Verfügung und nach § 2078 BGB anfechtbar. Der widerrufende Ehegatte muss testierfähig sein. Notfalls kann der gesetzliche Vertreter eines geschäftsunfähig gewordenen Ehegatten mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts widerrufen, § 2282 Abs. 2 BGB analog2. Probleme tauchen auf, wenn der Widerrufende oder der Adressat zwischen Abgabe und Zugang des Widerrufs sterben. Beratungssituation: Die Eheleute setzen sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben ein. Später widerruft der Ehemann das Testament in notariell beurkundeter Form. Er weist den Notar an, die Ausfertigung der Urkunde erst nach seinem Tod der Ehefrau zukommen zu lassen. Zugleich setzt er seinen Bruder zum Alleinerben ein. Als die Ehefrau nach dem Tod des Mannes die Widerrufserklärung vom Notar erhält, fühlt sie sich getäuscht und fragt, ob der Widerruf gültig ist.

Im vorstehenden Beispiel ist der Erklärende nach Abgabe, aber vor Zugang des Widerrufs verstorben. Da der Widerruf eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ist, gilt § 130 Abs. 2 BGB. Auf die Wirksamkeit der Erklärung hat es keinen Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird3. Danach ist es unschädlich, dass der Ehemann vor Zugang des Widerrufs verstorben ist. Das gilt jedoch nicht, wenn der Widerrufende den Zugang absichtlich verzögert hat oder sich der Zugang ungewollt so verspätet, dass der Adressat mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte4. § 130 Abs. 2 BGB ordnet dem anderen Ehegatten das Risiko, vom Widerruf zu spät zu erfahren und nicht mehr neu testieren zu können, so lange zu, wie der Tod ein zufälliges Ereignis nach Abgabe der Erklärung ist. Missbräuchliche oder ungewöhnliche Verzögerungen werden vom Schutzzweck der Norm nicht gedeckt. Keiner der Ehegatten soll heimlich widerrufen und das Vertrauen des anderen auf den Bestand der wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament enttäuschen können, § 2271 Abs. 1 BGB. Da der Ehemann seine Erklärung bewusst nach dem Tod der Frau hat zugehen lassen, ist der Widerruf unwirksam. Die Ehefrau ist Alleinerbin.

11.120 Der Widerruf ist auch unwirksam, wenn der Notar dem anderen Ehegatten eine Abschrift der Erklärung und erst nach dem Tod des Widerrufenden die Urschrift oder eine notarielle Ausfertigung zukommen lässt5. Erschleicht der eine Ehegatte die öffentliche Zustellung des Widerrufs, soll sie dennoch wirksam sein6. Das ist insofern zweifelhaft, als der eine Ehegatte den anderen wie im Fall der 1 BGH v. 28.9.1959 – III ZR 112/58, BGHZ 31, 5 (7); BGH v. 19.10.1967 – III ZB 18/67, BGHZ 48, 374 (377 f.); BGH v. 7.6.1995 – VIII ZR 125/94, MDR 1995, 1108 = NJW 1995, 2217; a.A. Jansen, NJW 1960, 475 f.; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 8. 2 A.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 6. 3 BGH v. 12.12.1975 – IV ZR 101/74, JZ 1976, 243 (244); OLG Hamm v. 16.7.1991 – 15 W 133/91, FamRZ 1991, 1486 (1487); Dilcher, JuS 1961, 20 (21). 4 BGH v. 1604.1953 – IV ZB 25/53, BGHZ 9, 233 (236); BGH v. 19.10.1967 – III ZB 18/67, BGHZ 48, 374 (380 ff.); Dilcher, JZ 1968, 188 f.; Roth, NJW 1992, 791 (792). 5 BGH v. 19.10.1967 – III ZB 18/67, BGHZ 48, 374 (380 ff.); OLG Hamm v. 16.7.1991 – 15 W 133/91, FamRZ 1991, 1486 (1487); Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 7. 6 BGH v. 31.1.1975 – IV ZR 18/74, BGHZ 64, 5 (8); ebenso Lange/Kuchinke, § 24 VI 2; a.A. Johannsen, DNotZ Sonderheft 1977, 69 (72).

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Rz. 11.124 § 11

absichtlichen Zugangsverzögerung hintergeht. Er will selbst anders testieren, den Ehepartner davon aber nicht in Kenntnis setzen und an einer neuen Verfügung von Todes wegen hindern. Das Ergebnis lässt sich nur vor dem Hintergrund der §§ 132 Abs. 2 BGB, 203 ff. ZPO aufrechterhalten und setzt voraus, dass gegen denjenigen, der aus einer nach dem Widerruf errichteten neuen letztwilligen Verfügung Rechte herleitet, der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) erhoben werden kann1. Stirbt nicht der widerrufende Ehegatte, sondern der Adressat des Widerrufs zwischen Abgabe und Zugang, greift § 130 Abs. 2 BGB nach seinem Wortlaut nicht ein. Die Erklärung geht dem verstorbenen Ehepartner nicht mehr wirksam zu, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB. Die wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments bleiben bestehen2. Auch gegenüber einem Geschäftsunfähigen kann das gemeinschaftliche Testament nicht mehr widerrufen werden3. Dass der andere Ehegatte zum Zeitpunkt des Widerrufs nicht mehr geschäfts- bzw. testierfähig ist, steht der Wirksamkeit eines Widerrufs allerdings nicht entgegen, wenn für ihn ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Vermögenssorge“ bestellt ist und diesem die Widerrufserklärung als dessen gesetzlicher Vertreter zugeht, §§ 131 Abs. 1, 1902 BGB4.

11.121

Den Ehegatten ist es unbenommen, ihre wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Tes- 11.122 taments zu Lebzeiten gemeinsam zu widerrufen. Wissen beide vom Widerruf des anderen, steht der Schutzzweck des § 2271 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Die Eheleute können ein neues gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag errichten (§ 2289 Abs. 1 S. 1 BGB), die Testamentsurkunde gemeinschaftlich vernichten (§ 2255 BGB) oder das gemeinschaftliche Testament gemeinsam aus der amtlichen Verwahrung zurücknehmen (§§ 2256, 2272 BGB). Für die Aufhebung von Vermächtnissen und Auflagen gilt die erbvertragliche Erleichterung des § 2291 BGB entsprechend5. Danach genügt es, dass der Ehegatte, der das Vermächtnis oder die Auflage angeordnet hat, seine Verfügung durch einfaches Testament widerruft und der andere Ehegatte in einer öffentlich beurkundeten Erklärung seine Zustimmung erklärt. b) Widerruf nach dem Tod eines Ehegatten (§ 2271 Abs. 2 BGB) Nach dem ersten Erbfall verstärkt sich die Bindung an die wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament. Sie nimmt erbvertragliche Züge an. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB stellt sicher, dass der Wille des verstorbenen Ehegatten durchgeführt wird: Mit dem Tod des Ehegatten erlischt das Recht des anderen, wechselbezügliche Verfügungen zu widerrufen. Die Bindung ist umfassend, wenn der erstverstorbene Ehegatte dem Überlebenden nicht den Widerruf nach seinem Tod gestattet hat oder sich im Einzelfall aus der ergänzenden Testamentsauslegung ein Abänderungsrecht ergibt. Der Überlebende darf weder Wertverschiebungen zuungunsten einzelner Bedachter (Teilungsanordnungen etc.) noch sonstige einschränkende Anordnungen (Testamentsvollstreckung usw.) treffen, die den Bedachten entgegen der wechselbezüglichen Verfügung schlechterstellen6.

11.123

Einseitige Anordnungen, die den Bedachten begünstigen, sind nach dem Tod des ersten Ehegatten 11.124 ebenso zulässig wie solche, die wechselbezügliche Verfügungen inhaltlich wiederholen. Die Bindung an eine wechselbezügliche Verfügung entfällt auch, wenn die andere Verfügung gegenstandslos wird. 1 BGH v. 31.1.1975 – IV ZR 18/74, BGHZ 64, 5 (8 f.); Lange/Kuchinke, § 24 VI 2. 2 RG v. 9.3.1907 – Rep. V. 329/06, RGZ 65, 270 (273); Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 6. 3 BayObLG v. 12.6.2002 – 1Z BRH 1/02, ZEV 2003, 287; OLG Nürnberg v. 6.6.2013 – 15 W 764/13, MDR 2013, 1409 = FamRZ 2013, 1842 = NJW 2013, 2909. 4 OLG Nürnberg v. 6.6.2013 – 15 W 764/13, NJW 2013, 2909 = ZEV 2013, 450 m. Anm. Klein. 5 BGB-RGRK/Johannsen, § 2271 Rz. 8; Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 2; Staudinger/Kanzleiter, § 271 Rz. 7. 6 BGH v. 4.12.1968 – IV ZR 550/68, FamRZ 1969, 207 (208); BayObLG v. 20.7.1990 – BReg. 1a Z 34/90, FamRZ 1991, 111 (113); OLG Frankfurt v. 18.1.1993 – 4 U 173/91, WM 1993, 803 (804); OLG Braunschweig v. 11.11.1994 – 5 U 13/94, ZEV 1996, 69 (70).

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§ 11 Rz. 11.125

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Teilweise1 wird angenommen, dass Verfügungen, die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen, nicht der Bindung des § 2271 Abs. 2 BGB unterliegen. Der Überlebende sei zur Anordnung eines Vermächtnisses zugunsten ihm Nahestehender stillschweigend ermächtigt, wenn es der Dank für langjährige Pflegedienste sei. Diese Ansicht ist mit dem BGH2 abzulehnen. Verfügungen, die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen, sind von der Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen nicht ausgenommen. § 2271 Abs. 2 BGB liefert nach seinem Wortlaut keinen Anhalt für eine Ausnahme. Auch nach seinem Sinn und Zweck besteht dafür kein Bedürfnis. Belohnungen können durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden bewirkt werden. Die Frage der inhaltlichen Angemessenheit des Vermächtnisses führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Das sollte bei der ergänzenden Testamentsauslegung bedacht werden.

11.125 Dem überlebenden Ehegatten bleiben drei Wege, um sich von der Bindungswirkung des § 2271 Abs. 2 BGB zu befreien: – durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) – durch Anfechtung entsprechend §§ 2281 ff. BGB – durch Ausübung eines ihm eingeräumten Änderungsrechts. aa) Ausschlagung (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB)

11.126 Schlägt der längerlebende Ehegatte das ihm Zugewendete aus, gewinnt er seine Testierfreiheit zurück, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Zugewendet sein können Erbeinsetzung, Erbteil oder Vermächtnis. Auf ihren vermögensmäßigen Wert kommt es nicht an. Auch bei wirtschaftlich wertlosen Zuwendungen entfällt die Bindung. Für die Ausschlagung gelten die §§ 1942 ff., 1953, 2176 und 2180 BGB. Sie erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht in öffentlich beglaubigter Form, § 1945 Abs. 1 BGB. Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Wochen. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt, § 1944 Abs. 1, 2 BGB (Näheres § 22).

11.127 Die Ausschlagung hebt nicht die wechselbezüglichen Verfügungen auf, sondern verschafft dem überlebenden Ehegatten das Recht, abweichende testamentarische Anordnungen zu treffen. Um die wechselbezüglichen Verfügungen außer Kraft zu setzen, muss er durch Widerrufstestament (§ 2254 BGB), widersprechendes Testament (§ 2258 BGB) oder Erbvertrag (§ 2289 BGB) anders testieren. Vernichtung der Testamentsurkunde (§ 2255 BGB) oder Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB) genügen nicht3. Werden wechselbezügliche Verfügungen widerrufen, werden auch entsprechende wechselbezügliche Verfügungen des verstorbenen Ehegatten unwirksam, § 2270 Abs. 1 BGB.

11.128 Ist dem überlebenden Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament nichts zugewandt, steht ihm diese Möglichkeit nicht offen. Er kann sich von seiner Bindung an die eigene Verfügung befreien, wenn er das Gegenseitigkeitsverhältnis der wechselbezüglichen Verfügungen aufhebt. Durch den Verzicht auf die Zuwendung muss er ein persönliches Opfer bringen.

11.129 In der Praxis stellt sich gelegentlich die Frage, ob er seine Testierfreiheit zumindest dann zurückgewinnt, wenn derjenige, dem anstelle des überlebenden Ehegatten etwas zugewandt ist, ausschlägt. Beratungssituation: Die Ehegatten bedenken sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament nicht gegenseitig, sondern ihre gemeinsame Tochter. Der erstverstorbene Ehegatte setzt nicht den überlebenden, sondern

1 OLG Köln, LZ 1928, 1710; v. Lübtow I, S. 501; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 25. 2 BGH v. 30.11.1977 – IV ZR 165/76, FamRZ 1978, 182 (183). Bedenklich ist es, wenn das Gericht die nach § 2271 Abs. 2 BGB unwirksame Verfügung durch Umdeutung (§ 140 BGB) in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden aufrechterhält, dazu Schubert, JR 1978, 289 f.; Tiedtke, NJW 1978, 2572 (2576). 3 KG, KGJ 48, 99 (101); Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 2; v. Lübtow I, S. 507.

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Rz. 11.131 § 11

sogleich die Tochter durch wechselbezügliche Verfügung (§ 2270 Abs. 1 BGB) zur Erbin ein. Nach dem Tod des Ehemannes fragt die Frau, ob sie anderweitig testieren kann, wenn sie oder ihre Tochter ausschlägt.

Die eigene Ausschlagung nützt der Ehefrau nichts. Ihr ist nichts zugewendet im Sinne von § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Ein Teil des Schrifttums1 will diese Vorschrift für den Fall, dass ein Verwandter oder eine andere nahestehende Person als begünstigter Dritter ausschlägt, entsprechend anwenden. Der Gesetzgeber habe die Möglichkeit, dass ein Dritter durch die wechselbezügliche Verfügung bedacht wird, übersehen. Dieser Fall sei dem in § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB geregelten gleichzustellen. Folgt man dem, könnte die Ehefrau ihre wechselbezüglichen Verfügungen aufheben, wenn die Tochter die Zuwendung ausschlägt. Die herrschende Meinung2 lehnt das zu Recht ab. Es fehlt an einer analogiefähigen Lücke. § 2271 BGB soll widersprüchliches Verhalten des überlebenden Partners verhindern. Die gemeinsame Nachlassregelung der Eheleute ist so lange gültig, bis der Überlebende ausschlägt und zum Ausdruck bringt, dass er sich daran nicht mehr gebunden fühlt. Das Verhalten bedachter Dritter spielt nach der gesetzlichen Wertung für die Wiedererlangung der Testierfreiheit der am gemeinschaftlichen Testament Beteiligten keine Rolle. Legt man das zugrunde, bleibt der Ehefrau die eng begrenzte Möglichkeit der Aufhebung nach § 2271 Abs. 2 S. 2 i.V.m. §§ 2294, 2336 BGB (Pflichtteilsentziehung) und § 2271 Abs. 3 BGB i.V.m. §§ 2289 Abs. 2, 2338 BGB (Beschränkung in guter Absicht) oder der Anfechtung.

11.129a

Das Vorstehende gilt auch, wenn sowohl dem Ehegatten als auch einem Dritten etwas zugewendet wird. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB verlangt allein, dass der längerlebende Ehegatte das ihm Zugewendete ausschlägt. Auf das Verhalten anderer durch wechselbezügliche Verfügung Bedachter kommt es nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht an. Der Dritte muss nicht ausschlagen3. Die Bindung des überlebenden Ehegatten entfällt im Übrigen, wenn ein als Schlusserbe bedachter Dritter (§ 2270 Abs. 2 BGB) vertraglich auf sein Erbrecht verzichtet. Die letztwillige Verfügung des Überlebenden wird in diesem Fall gegenstandslos, sofern keine Ersatzerbfolge (§ 2069 BGB) angeordnet ist4. Fällt der in einem Ehegattentestament eingesetzte Schlusserbe weg, ist § 2270 Abs. 2 BGB auf Ersatzerben nur anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Eheleute feststellen lassen, die Ersatzerbfolge also nicht allein auf § 2069 BGB beruht5.

11.130

Schlägt der längerlebende Ehegatte das ihm Zugewendete aus, kann er gesetzlicher Erbe des verstorbenen Ehegatten sein, § 1948 Abs. 1 BGB. Das wird relevant, wenn der Dritte nicht Ersatzerbe (§ 2096 BGB) des Ausschlagenden ist und eine Anwachsung nach § 2094 BGB ausscheidet. Die Annahme des entsprechenden gesetzlichen Erbes läuft der Intention des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB zuwider. Der Erstverstorbene will regelmäßig nicht, dass der Längerlebende seine wechselbezügliche Verfügung aufhebt und die gleiche Zuwendung aus einem anderen Berufungsgrund bekommt. Der Längerlebende könnte sich so nach dem Tod des Ehepartners ungerechtfertigte Vorteile verschaffen. Er erlangt seine Testierfreiheit zurück, wenn er auch auf sein gesetzliches Erbe verzichtet. Unter dieser Voraussetzung wird er

11.131

1 Brox, Rz. 192; Ebenroth, Rz. 227; Kipp/Coing, § 35 III 3b; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280). 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 15; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 23; Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 17. 3 Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 15; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 24; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 41; a.A. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 17; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280): Beide müssen ausschlagen. Zu den Folgen der Ausschlagung für die Erbeinsetzung einseitiger Verwandter OLG Hamm v. 14.3.2014 – I-15 W 136/13, NJW-RR 2014, 781 = FamRZ 2014, 1664 = MDR 2014, 1033. 4 Vgl. OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203 = OLGZ 1982, 272 (276); OLG Köln v. 23.7.1982 – 6 U 199/81, FamRZ 1983, 837 f. m. Anm. Brems, FamRZ 1983, 1278 f. 5 BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, MDR 2002, 456 = FamRZ 2002, 747. Anders noch BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277.

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§ 11 Rz. 11.132

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von der eingegangenen Bindung frei. Eine Ausnahme kommt in Betracht, wenn der gesetzliche Erbteil erheblich geringer ausfällt als das testamentarisch Zugewendete1. bb) Anfechtung (§§ 2281 ff. BGB analog)

11.132 Zu Lebzeiten beider Ehegatten bedarf es keiner Anfechtung. Beide können ihre Verfügungen frei widerrufen, § 2271 Abs. 1 BGB. Gleiches gilt für einseitige Verfügungen nach dem Tod des ersten Ehepartners. Wegen der Widerrufsmöglichkeit muss der Testator nicht anfechten. Nur wechselbezügliche Verfügungen, die mit dem Tod des ersten Ehegatten nach § 2271 Abs. 2 BGB unwiderruflich geworden sind, können wie vertragsmäßige erbvertragliche Verfügungen angefochten werden. Grundlage dafür ist die entsprechende Anwendung der §§ 2281 ff. i.V.m. §§ 2078, 2079 BGB2. Sie rechtfertigt sich aus einer vergleichbaren Interessenlage desjenigen, der vertragsmäßig (§§ 2274 ff. BGB) oder wegen § 2271 Abs. 2 BGB an letztwillige Verfügungen gebunden ist. Der Erblasser soll durch das gemeinschaftliche Testament nicht stärker gebunden sein als durch einen Erbvertrag.

11.133 Der praktisch häufigste Anwendungsfall ist die Wiederheirat des überlebenden Ehegatten (dazu Rz. 11.79 ff.): Beratungssituation: Die Ehegatten setzen sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Schon wenige Monate nach dem Tod der Ehefrau geht der Mann eine neue Ehe ein. Er fragt, ob er das gemeinschaftliche Testament anfechten kann. An eine Wiederheirat habe man seinerzeit nicht gedacht.

Die Anfechtung der wechselbezüglichen Verfügungen ist nach §§ 2281 ff. BGB analog möglich. Der Mann wird als Erblasser im Sinne dieser Bestimmungen behandelt. Voraussetzung für eine wirksame Anfechtung sind eine Anfechtungserklärung, ein Anfechtungsgrund und die Einhaltung der Anfechtungsfrist (vgl. auch Rz. 6.171 ff.):

11.134 – Für die Anfechtungserklärung gelten die allgemeinen Bestimmungen, § 143 BGB. Daneben ist die Form des § 2282 BGB zu beachten. Die Erklärung des überlebenden Ehegatten muss persönlich gegenüber dem Nachlassgericht (§ 2281 Abs. 2 S. 1 BGB) abgegeben und notariell beurkundet werden. Stellvertretung ist unzulässig. Erklärt der Ehemann die Anfechtung, teilt sie das Nachlassgericht den Kindern mit, § 2281 Abs. 2 S. 2 BGB. Das Anfechtungsrecht darf nicht ausgeschlossen sein. Das ist einmal der Fall, wenn der überlebende Ehegatte die anfechtbare Verfügung bestätigt hat, §§ 144, 2284 BGB. Die Bestätigung ist formlos und durch konkludentes Verhalten möglich3. Zum anderen kann die Anfechtung durch Erklärung der Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament ausgeschlossen werden. Eine entsprechende Klausel ist für den Fall der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) zu erwägen4:

11.135 M 77 Ausschluss der Anfechtung im Ehegattentestament Die vorstehenden Verfügungen haben auch Bestand, wenn ein Pflichtteilsberechtigter übergangen wird.

1 OLG München, JFG 15, 36 (38); KG v. 24.7.1990 – 1 W 949/89, MDR 1991, 155 = NJW-RR 1991, 330 (331); v. Lübtow I, S. 506; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 25; anders Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 19. 2 RG v. 11.12.1930 – IV B 27/30, RGZ 132, 1 (4); BGH v. 4.7.1962 – V ZR 206/60, BGHZ 37, 331 (333); BGH v. 18.1.1956 – IV ZR 199/55, FamRZ 1956, 83 (84); BGH v. 3.11.1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79 (80); OLG Celle v. 10.9.1968 – 10 Wx 6/68, OLGZ 1969, 84 (87); OLG Bamberg v. 6.11.2015 – 4 W 105/15, ZEV 2016, 397; BGB-RGRK/Johannsen, § 2271 Rz. 44; Kipp/Coing, § 35 III 4b. 3 BayObLG v. 12.3.1954 – BReg. 2Z 245/53, BayObLGZ 1954, 71 (77); Lange/Kuchinke, § 24 VI 7d. 4 Vgl. OLG Celle v. 23.11.1962 – 10 U 197/61, NJW 1963, 353 (354); Johannsen, DNotZ 1977, Sonderheft S. 69 (74).

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.137 § 11

– Der Anfechtungsgrund ergibt sich aus § 2281 Abs. 1 BGB analog i.V.m. den §§ 2078, 2079 BGB. 11.136 Der überlebende Ehegatte kann eine wechselbezügliche Verfügung anfechten, wenn er über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollte und anzunehmen ist, dass er die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben haben würde, § 2078 Abs. 1 BGB. Das Gleiche gilt, wenn der überlebende Ehegatte durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, § 2078 Abs. 2 BGB. Im obigen Beispiel ist der Ehemann nach § 2079 S. 1 BGB anfechtungsberechtigt: Durch seine Wiederheirat ist die neue Ehefrau als Pflichtteilsberechtigte hinzugekommen, §§ 1931 Abs. 1, 2303 Abs. 2 S. 1 BGB. Sie ist zurzeit der Anfechtung vorhanden (vgl. § 2281 Abs. 1 BGB) und durch die frühere Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen bzw. testamentarisch übergangen, weil die Kinder zu alleinigen Schlusserben eingesetzt sind. Der Mann ist an der Anfechtung nicht durch § 2079 S. 2 BGB gehindert. Es ist nicht anzunehmen, dass er die ursprüngliche Verfügung auch bei Kenntnis der durch die Wiederheirat geschaffenen neuen Rechtslage getroffen haben würde. – Die Anfechtungsfrist bestimmt sich nach § 2283 BGB analog. Der überlebende Ehegatte kann seine wechselbezügliche Verfügung binnen eines Jahres anfechten, § 2283 Abs. 1 BGB. Der Fristbeginn richtet sich nach § 2283 Abs. 2 BGB. Im Fall der Wiederheirat (Anfechtungsgrund § 2079 S. 1 BGB) muss die Anfechtung binnen Jahresfrist seit der erneuten Eheschließung erfolgen, §§ 2283 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB. – Die Rechtsfolge ergibt sich aus § 142 Abs. 1 BGB. Durch die Anfechtung wird die angefochtene eigene Verfügung von Anfang an nichtig. Andere wechselbezügliche Verfügungen werden davon nach Maßgabe des § 2270 Abs. 1 BGB erfasst. Wechselbezüglich ist im obigen Beispiel nicht nur die Einsetzung der Ehegatten, sondern auch die der Kinder als Schlusserben des letztversterbenden Elternteils. Die Anfechtung der Verfügungen des Mannes führt zur Nichtigkeit des gesamten gemeinschaftlichen Testaments. Es tritt nachträglich gesetzliche Erbfolge nach dem Erstverstorbenen ein1. Sie hätte verhindert werden können, wenn in das gemeinschaftliche Testament eine Klausel aufgenommen worden wäre, die die Anfechtung für den Fall der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten ausschließt. Für andere als wechselbezügliche Verfügungen gilt die Auslegungsregel des § 2085 BGB. Sie sind unwirksam, wenn der Erblasser die weiteren Verfügungen nicht ohne die angefochtene getroffen haben würde. – Für die Anfechtung durch Dritte bedarf es keiner Analogie zu den §§ 2281 ff. BGB. Die §§ 2078 ff. BGB gelten unmittelbar. Anfechtungserklärung und -frist bestimmen sich nach den §§ 2081, 2082 BGB, nicht nach §§ 2282, 2283 BGB. Anfechtungsberechtigt sind insbesondere der neue Ehegatte des Überlebenden und die Kinder aus der zweiten Ehe, § 2079 BGB. Sie können anders als der überlebende Ehegatte nicht zu dessen Lebzeiten, sondern erst nach dessen Tod anfechten, weil das Anfechtungsrecht mit diesem Erbfall entsteht2. Beratungshinweis: Eine weitere Einschränkung für die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen durch Dritte resultiert aus § 2285 BGB. Er gilt beim gemeinschaftlichen Testament für die wechselbezüglichen Verfügungen des letztverstorbenen Ehegatten entsprechend3. Danach kann der Dritte nicht anfechten, wenn der überlebende Ehegatte sein Anfechtungsrecht durch Bestätigung (§§ 144, 2284 BGB) oder Fristablauf (§ 2283 BGB) verloren hat. Das wird die Anfechtung oft vereiteln: Im obigen Fall kann die neue Ehefrau die Schlusserbeneinsetzung der Kinder durch den Ehemann erst nach dessen Tod anfechten. Die mit der Wiederheirat einsetzende Jahresfrist des § 2283 BGB darf zu diesem Zeitpunkt nicht abgelaufen 1 OLG Hamm v. 4.2.1972 – 15 W 18/72, NJW 1972, 1088; Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 34. Zur Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments bei Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen OLG München v. 10.2.2015 – 31 Wx 427/14, FamRZ 2015, 1323 = ZEV 2015, 474. 2 KG v. 5.2.1968 – 1 W 2180/67, FamRZ 1968, 218 (219); Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 33; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 37. 3 BGH v. 15.6.2010 – IV ZR 21/09, ZEV 2010, 364; BayObLG v. 28.4.1992 – 1Z BR 17/92, FamRZ 1992, 1102 = NJW-RR 1992, 1223 (1224); Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 23.

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11.137

§ 11 Rz. 11.138

Gemeinschaftliches Testament

sein. Unter dieser Voraussetzung treten die Rechtsfolgen der §§ 142 Abs. 1, 2270 Abs. 1 BGB (hier: gesetzliche Erbfolge) ein. Auf die Anfechtung von wechselbezüglichen Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch Dritte – vor oder nach dem Tod des Überlebenden – kann § 2285 BGB hingegen nicht entsprechend angewendet werden, weil dem erstversterbenden Ehegatten selbst kein Anfechtungsrecht, sondern ein Widerrufsrecht hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen zusteht1.

cc) Änderungsvorbehalt

11.138 Ähnlich wie im Fall des § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB (dazu Rz. 11.115) können sich die Ehegatten abweichend von der gesetzlichen Bindungswirkung im gemeinschaftlichen Testament vorbehalten, dass der Überlebende befugt sein soll, nach dem Tod des ersten Ehegatten (§ 2271 Abs. 2 BGB) anders über sein eigenes Vermögen zu verfügen. Den Eheleuten ist es unbenommen, sich die einseitige Aufhebung wechselbezüglicher Verfügungen zu gestatten2. Auch die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments kann ergeben, dass der andere Ehegatte nach dem Tod seines Partners ermächtigt ist, abweichend von wechselbezüglichen Verfügungen zu testieren. Bei der Aufnahme einer Änderungsklausel in ein gemeinschaftliches Testament ist auf zweierlei zu achten:

11.139 Zum einen darf die Wechselbezüglichkeit nicht infrage gestellt werden. Geht die Gestattung soweit, dass der andere beliebig testieren kann, kann es zu Auslegungsschwierigkeiten kommen. Zu ihrer Vermeidung sollte formuliert werden, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen der überlebende Ehegatte über sein eigenes Vermögen anders testieren darf (z.B. Ernennung neuer oder anderer Vermächtnisnehmer sowie Art und Höhe der Vermächtnisse). Das Änderungsrecht kann an Bedingungen geknüpft sein, §§ 158, 2074 f. BGB. Die Freistellung bezieht sich auf die eigenen Verfügungen des überlebenden Ehegatten. Ihm kann nicht das Recht eingeräumt werden, die letztwilligen Verfügungen des anderen zu ändern. Jeder Erblasser muss seine Erben selbst bestimmen, § 2065 BGB. Zulässig ist nach herrschender Meinung3 (zu den Bedenken Rz. 8.17), dass der längerlebende Ehegatte im Fall der Einheitslösung einen anderen Schlusserben (§ 2269 Abs. 1 BGB) und bei der Trennungslösung einen anderen Nacherben (§ 2100 BGB) berufen darf. Ein dahin gehender Änderungsvorbehalt ist sinnvoll, wenn sich voraussichtlich nach dem Tod des ersten Ehegatten herausstellt, welches der gemeinsamen Kinder den Familienbesitz übernehmen und weiterführen kann.

11.140 Zum anderen muss aus der Freistellungsklausel hervorgehen, dass sie sich nicht nur auf Verfügungen unter Lebenden, sondern auf die Errichtung einer abweichenden Verfügung von Todes wegen bezieht. In der Praxis erweisen sich viele Formulierungen als fehlerhaft. Sie bedeuten für den Beratenden eine Regressgefahr, wenn der durch späteres einseitiges Testament als Erbe eingesetzte Mandant feststellen muss, dass seine Berufung an einem unzureichenden Änderungsvorbehalt scheitert. Gleiches gilt für einen Testamentsvollstrecker, der ein einseitiges Testament unter Missachtung bindend gewordener Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments durchführt, § 2219 BGB4. Beratungssituation: Die Ehegatten setzen sich gegenseitig zu Vollerben und ihre Kinder zu Schlusserben ein. Sie versehen ihr gemeinschaftliches Testament mit dem Zusatz: „Änderungen bleiben den Eheleuten vorbehalten. Der Überlebende ist in der Verfügung über den Nachlass des zuerst versterbenden Ehegatten nicht beschränkt.“

1 BGH v. 25.5.2016 – IV ZR 205/15, ZEV 2016, 442 = NJW 2016, 2566 m. Anm. Kollmeyer; Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 31. 2 BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (37); BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (265 f.); OLG Hamm v. 7.11.1994 – 15 W 288/94, FamRZ 1995, 1022 = ZEV 1995, 146 (148); Kipp/Coing, § 35 III 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 31. 3 RG v. 16.4.1919 – Rep. IV. 58/19, RGZ 95, 278 (279); BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (36); BGH v. 14.7.1972 – V ZR 124/70, BGHZ 59, 220 (222 f.); Kipp/Coing, § 35 III 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 32. 4 Zur Anordnung der Testamentsvollstreckung aufgrund Änderungsklausel im gemeinschaftlichen Testament OLG Köln v. 16.10.2013 – 2 Wx 252/13, FamRZ 2014, 1061 = ZEV 2014, 255 m. Anm. Goez.

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Rz. 11.144 § 11

Laien halten eine derartige Wendung für ausreichend. Sie verstehen sie dahin gehend, dass beide ge- 11.141 meinsam zu Lebzeiten und der Überlebende nach dem Tod des ersten Ehepartners berechtigt sind, neue Verfügungen von Todes wegen zu treffen und einen anderen Schlusserben einzusetzen. Die Klausel ist jedoch teils überflüssig, teils unvollständig. Die Formel „Änderungen bleiben den Eheleuten vorbehalten“ gibt die Selbstverständlichkeit wieder, dass die Eheleute ihr gemeinschaftliches Testament zu Lebzeiten abändern und neu testieren können1. Der zweite Teil der Erklärung enthält allein die Ermächtigung, unter Lebenden, nicht auch von Todes wegen frei zu verfügen. Sofern im Testament keine anderen Anhaltspunkte enthalten sind, dient die Klausel dazu, die unbeschränkte Erbenstellung des Überlebenden im Vergleich zur Vorerbenstellung bei der Trennungslösung außer Zweifel zu stellen. Sie berechtigt nicht zur testamentarischen Änderung2. Zweckmäßigerweise wird die Freistellungsklausel wie folgt gefasst:

M 78 Änderungsvorbehalt im Ehegattentestament

11.142

Der Überlebende ist auch nach dem Tod des ersten Ehegatten berechtigt, über das eigene und das ererbte Vermögen durch Verfügung von Todes wegen anders zu verfügen. Das gilt namentlich für den Fall, dass …

3. Schutz der Endbedachten vor lebzeitigen Verfügungen des überlebenden Ehegatten Stirbt der erste Ehegatte, unterliegt der überlebende den Bindungen des § 2271 Abs. 2 BGB. Er kann die den Schlussbedachten begünstigenden Verfügungen nicht mehr widerrufen. Das beschränkt jedoch nur die Freiheit neuer testamentarischer Regelung. Wird der längerlebende Ehegatte nach der Einheitslösung Vollerbe des Vorverstorbenen und nicht Vorerbe (Trennungslösung mit Bindungsfolge der §§ 2112 ff., 2136 BGB), darf er über sein Vermögen, zu dem auch das des Vorverstorbenen gehört, durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen, vgl. § 2286 BGB. Das kann er ausnutzen, um der Bindung an seine wechselbezüglichen Verfügungen zu entgehen. Er kann einen Dritten zwar nicht als Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzen, ihn aber beschenken oder anderweitig durch Vermögensübertragungen begünstigen. Die Schlussbedachten sehen ihre Erbaussichten beeinträchtigt. Das führt zwangsläufig zum Konflikt. Fallgestaltungen wie die folgende beschäftigen die Praxis immer wieder.

11.143

Beratungssituation: Die Ehegatten setzen sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Nach dem Tod der Ehefrau macht der Mann seiner neuen Lebensgefährtin großzügige Zuwendungen. Die Kinder fürchten um ihre Beteiligung am Nachlass der Mutter und fragen, ob sie etwas dagegen unternehmen können.

a) Die frühere „Aushöhlungsnichtigkeit“ Lange Zeit schützte die höchstrichterliche Rechtsprechung3 die Schlussbedachten eines Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments vor lebzeitigen Schenkungen durch die sog. „Aushöhlungsnichtigkeit“. Der überlebende Ehegatte sollte über sein Vermögen, zu dem das des Vorverstorbenen gehört, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen können, § 2286 BGB. In besonders gelagerten Fällen wurde eine lebzeitige Verfügung aber für nichtig gehalten. Entscheidend war die vermögensmäßige „Aushöhlung“ des gemeinschaftlichen Testaments. Darunter verstand man die Vor1 Vgl. BayObLG v. 28.2.1989 – BReg. 1a Z 33/88, NJW-RR 1989, 587 (588). Zur Auslegung eines Änderungsvorbehalts OLG Hamm v. 20.1.2005 – 15 W 427/04, FamRZ 2005, 2023. 2 OLG München JFG 15, 353 (358); KG v. 11.6.1936 – 1 Wx 235/36, JW 1936, 3264 (3265); BayObLG v. 30.8.1984 – BReg. 1Z 71/84, FamRZ 1985, 209 (210); Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 22. 3 BGH v. 24.1.1958 – IV ZR 234/57, BGHZ 26, 274 (282); zuletzt BGH v. 12.10.1970 – III ZR 254/68, FamRZ 1971, 641 (642 f.).

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11.144

§ 11 Rz. 11.145

Gemeinschaftliches Testament

nahme lebzeitiger Geschäfte, die mit der erbrechtlichen Bindung nicht vereinbar sind und die Schlussbedachten unangemessen benachteiligen. Unter Berücksichtigung aller Umstände mussten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Drittzuwendung eine anstößige Umgehung der §§ 2271, 2289 BGB darstellen. Die dafür verwendeten Kriterien waren uneinheitlich und führten zu großer Rechtsunsicherheit. Die verfehlte Judikatur wurde 1972 aufgegeben1. Zu weit reichende Eingriffe in den Nachlass werden seitdem durch die entsprechende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB ausgeglichen. b) Entsprechende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB

11.145 Nach Auffassung des BGH2 kann der durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament gebundene Erblasser zu Lebzeiten uneingeschränkt über sein Vermögen verfügen, § 2286 BGB. Die Schlussbedachten eines Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments sind nicht dagegen geschützt, dass der Erblasser sein Vermögen durch Rechtsgeschäfte davor Lebenden verbraucht. Im obigen Beispiel darf der verwitwete Mann seiner neuen Lebensgefährtin lebzeitige Zuwendungen machen, auch wenn das die Erbaussichten der Kinder schmälert. Die Interessenlage hinsichtlich der Bindung des Erblassers an erbvertragliche Verfügungen und an wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament nach dem Tod des ersten Ehegatten ist jedoch ähnlich. Sie rechtfertigt die analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB (zur entsprechenden Anwendung der §§ 2281 ff. BGB s. Rz. 11.132 ff.) Es gelten erbvertragliche Grundsätze.

11.146 Nach § 2287 Abs. 1 BGB kann der Vertragserbe, sobald ihm die Erbschaft angefallen ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, wenn der Erblasser die Schenkung in der Absicht gemacht hat, den Vertragserben zu beeinträchtigen. Der Bereicherungsanspruch setzt voraus, dass der Erblasser berechtigte Erwartungen des Schlusserben objektiv beeinträchtigt. Der Anspruch kann erst nach Anfall der Erbschaft, d.h. dem Tod des Erblassers, geltend gemacht werden. Von der erforderlichen Beeinträchtigungsabsicht ist auszugehen, wenn kein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an der Verfügung erkennbar und sie ersichtlich darauf angelegt ist, anstelle der Schlussbedachten einem anderen das Vermögen ohne angemessenes Äquivalent zuzuwenden. Maßgeblich ist, ob die lebzeitige Verfügung nach dem Urteil eines objektiven Beobachters in Anbetracht aller Umstände und unter Berücksichtigung der eingetretenen Bindungen billigenswert erscheint3.

11.147 Übertragen auf das gemeinschaftliche Testament bedeutet das: Die Schlusserben haben einen Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB analog, wenn der überlebende Ehegatte keinen anerkennenswerten Grund für die Zuwendung an den Dritten hat. Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist bspw. anzunehmen, wenn die Schenkung der Altersversorgung oder der Erfüllung einer sittlichen Pflicht für langjährige persönliche Pflege dient. Gemischte Schenkungen bereiten erfahrungsgemäß Schwierigkeiten. Hier muss ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegen. Der obige Sachverhalt bedarf insoweit weiterer Aufklärung. Man wird nachforschen, ob der Ehemann für die großzügigen Zuwendungen an seine neue Lebensgefährtin einen nachvollziehbaren Anlass hat. Zugleich wird man die Lebensgefährtin von den Einwänden der Kinder in Kenntnis setzen, weil der bösgläubige Beschenkte verschärft haftet, § 819 BGB. Sonst kann die Pflicht zur Herausgabe oder zum Wertersatz

1 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (346) m. zust. Anm. Spellenberg, FamRZ 1973, 136 ff. 2 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (347 f.); BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 (276 f.) = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56; BGH v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, FamRZ 1976, 205 (207); BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56 = NJW 1982, 43 (44); zustimmend Brox, Rz. 158 f.; Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 10; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 45. 3 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (350); BGH v. 27.1.1982 – IVa ZR 240/80, BGHZ 83, 44 = FamRZ 1982, 370 (45 f.); BGH v. 30.3.1977 – IV ZR 211/75, FamRZ 1977, 539 (540); BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 230/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 165 = NJW 1984, 731 (732); BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, MDR 1992, 264 = FamRZ 1992, 300 = NJW 1992, 564 (566); zum „lebzeitigen Eigeninteresse“ Dilcher, Jura 1988, 72 (78 f.); MüKo.BGB/Musielak, § 2287 Rz. 12 ff.

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 11.151 § 11

(§ 818 Abs. 2 BGB) wegen Wegfalls der Bereicherung entfallen, § 818 Abs. 3 BGB. Des Weiteren ist zu beachten, dass der Anspruch gegen den Beschenkten verjährt, § 2287 Abs. 2 BGB. Die lebzeitige Zuwendung des längerlebenden Ehegatten an den Dritten lässt sich nicht verhindern. Die Herausgabe des Schenkungsgegenstandes kann nach § 2287 Abs. 1 BGB mit dem Anfall der Erbschaft, d.h. dem Tod des längerlebenden Ehegatten, verlangt werden. Ein weitergehender Schutz der Schlussbedachten gem. § 138 Abs. 1 BGB oder § 134 BGB in Verbindung mit dem Testierverbot des § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB besteht nicht. Der Sittenwidrigkeit lebzeitiger Rechtsgeschäfte des längerlebenden Ehegatten steht die Wertung des § 2286 BGB entgegen. Es müssen zusätzliche, über die Beeinträchtigungsabsicht hinausgehende Umstände hinzutreten1. Auch deliktischer Schutz scheidet aus. § 826 BGB ist nicht anwendbar, weil die §§ 2287, 2288 BGB abschließend sind2. Die §§ 2287, 2288 BGB stellen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar. Der durch eine wechselbezügliche Verfügung Begünstigte hat bis zum Tod des zweiten Ehegatten keine Rechtsstellung nach § 823 Abs. 1 BGB. Nach herrschender Auffassung besitzt er kein Anwartschaftsrecht3.

11.148

In der obigen Beratungssituation müssen die Kinder hinnehmen, dass der verwitwete Mann seiner neuen Lebensgefährtin lebzeitige Zuwendungen macht, die ihre Erbaussichten schmälern. Sie haben keinen Unterlassungsanspruch, der durch Arrest oder einstweilige Verfügung (§§ 916 ff., 935 ff. ZPO) sicherbar wäre. Auch eine Feststellungsklage (§ 256 ZPO), wonach die lebzeitige Verfügung in Beeinträchtigungsabsicht erfolgt, scheidet aus. Das Rechtsverhältnis zwischen Schlusserben und beschenktem Dritten ist kein gegenwärtiges, sondern ein zukünftiges, § 2287 Abs. 1 BGB („Anfall der Erbschaft“).

11.149

Etwas anderes gilt, wenn dem überlebenden Ehegatten durch Verfügungsunterlassungsvertrag4 un- 11.150 tersagt ist, zu Lebzeiten über bestimmte Nachlassgegenstände zuungunsten der Schlussbedachten zu verfügen. Die Sicherung wirkt schuldrechtlich, § 137 BGB. Handelt der überlebende Ehegatte dem Verbot zuwider, haben die vertraglich Begünstigten einen Anspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustandes, im Fall der Unmöglichkeit Schadenersatzansprüche. Auch vorläufiger Rechtsschutz ist möglich. Der Verfügungsunterlassungsvertrag ist grundsätzlich formfrei und kann auch konkludent geschlossen werden. Das gemeinschaftliche Testament muss dafür eindeutige Hinweise bieten. Ratsam ist die Aufnahme einer ausdrücklichen Klausel.

V. Zusammenfassung Die §§ 2265 bis 2272 BGB geben den Ehegatten ein geeignetes Gestaltungsmittel an die Hand, um gemeinsam von Todes wegen zu verfügen. Dabei ist eine Reihe formaler, materiell- und steuerrechtlicher Gesichtspunkte relevant. In der Beratungspraxis sind vor allem folgende Punkte zu beachten: 1. Wie sind die Familien- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten? Wollen sie sich nur untereinander oder auch Dritte bedenken? Lassen sich die Regelungsziele mit dem gemeinschaftlichen Testament erreichen oder bedarf es eines Erbvertrags (§§ 2274 ff. BGB)? Bestehen erbrechtliche Bindungen durch gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag?

1 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (348, 350); Dilcher, Jura 1988, 72 (77); MüKo.BGB/ Musielak, § 2271 Rz. 47; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 44. 2 BGH v. 21.6.1989 – IVa ZR 302/87, BGHZ 108, 73 (78) = MDR 1989, 1085 = FamRZ 1989, 961; BGH v. 30.4.1991 – IV ZR 104/90, NJW 1991, 1952; OLG Köln v. 14.9.1995 – 2 W 125/95, FamRZ 1996, 251 = ZEV 1996, 23 (24) m. Anm. Hohmann; Palandt/Weidlich, § 2287 Rz. 2. 3 BGH v. 19.1.1954 – V ZB 28/53, BGHZ 12, 115 (118); BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (322); MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 46; a.A. Mattern, BWNotZ 1962, 229 (234). 4 Er ist nach h.M. zulässig: BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (18 f.); BGH v. 27.2.1967 – III ZR 68/66, FamRZ 1967, 470 (471); Buchholz, Jura 1989, 393 (398 f.); Palandt/Weidlich, § 2286 Rz. 2.

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11.151

§ 11 Rz. 11.151

Gemeinschaftliches Testament

2. Welche Form des gemeinschaftlichen Testaments wird gewählt? Soll es in amtliche Verwahrung gegeben werden? Gilt es auch für den Fall, dass die Ehegatten gleichzeitig oder kurz hintereinander sterben? 3. Wie soll die erbrechtliche Stellung des längerlebenden Ehegatten beschaffen sein: Fungiert er als Alleinerbe oder in Erbengemeinschaft mit den Kindern? Soll er Vollerbe im Sinne der Einheitslösung, (befreiter) Vorerbe im Sinne der Trennungslösung oder Nießbraucher bzw. Vermächtnisnehmer sein? Darf er die Nachlassverteilung nach dem Tod des Ehepartners ändern? 4. Wie sieht die Erbenstellung der Abkömmlinge aus: Sollen sie Schlusserben im Sinne der Einheitslösung, Nacherben im Sinne der Trennungslösung oder mit dem Tod des ersten Ehegatten Volloder Miterben sein? Sind Vorempfänge der Kinder auszugleichen? Sind Vorausvermächtnisse, Teilungsanordnungen oder eine Testamentsvollstreckung angezeigt? 5. Sollen die Letztbedachten davon abgehalten werden, nach dem Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil zu verlangen (Pflichtteilsklausel)? Wenn ja, wie wird dem Pflichtteilsbegehren vorgebeugt: Durch Enterbung desjenigen, der den Pflichtteil verlangt, durch zusätzliche Vermächtnisse (Jastrow’sche Formel) oder einen Pflichtteilsverzicht? Wird dem überlebenden Ehegatten das Recht eingeräumt, die Enterbung zu widerrufen? 6. Soll durch eine Wiederverheiratungsklausel sichergestellt werden, dass der Nachlass im Fall der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten ungeschmälert auf die gemeinsamen Abkömmlinge übergeht? Wenn ja, wie soll sie aussehen: Anordnung von Vermächtnissen oder bedingte Nacherbeneinsetzung der Abkömmlinge? Tritt der Nacherbfall mit Wiederheirat oder dem Tod des Vorerben ein? Unterliegt der längerlebende Ehegatte den gesetzlichen Beschränkungen des Vorerben? Gewinnt er seine Testierfreiheit durch Widerruf der eigenen Verfügungen zurück? 7. Welche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament sind so voneinander abhängig, dass sie sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig bedingen (Wechselbezüglichkeit)? In welchem Umfang ist der überlebende Ehegatte gebunden: Soll das Anfechtungsrecht wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten ausgeschlossen sein? Soll der längerlebende Ehegatte ein einseitiges Abänderungsrecht haben (Freistellungsklausel)? Wird dem überlebenden Ehegatten durch Verfügungsunterlassungsvertrag untersagt, zu Lebzeiten zuungunsten der Schlussbedachten über bestimmte Gegenstände zu verfügen?

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§ 12 Behinderten- und Bedürftigentestament I. Gestaltungsaufgaben und -ziele . . . .

12.1

II. „Enterbungslösung“? . . . . . . . . . . . .

12.11

III. „Auflagenlösung“? . . . . . . . . . . . . . .

12.13

IV. 1. 2. 3.

12.14 12.14 12.20

Vermächtnislösungen . . . . . . . . . . . . Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachvermächtnis . . . . . . . . Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V. „Klassische“ Erbschaftslösung: Destinatär als Mitvorerbe, Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . 1. Gestaltungselemente . . . . . . . . . . . . . a) Vorerbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Testamentsvollstreckung . . . . . . . . 2. Gefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB . . . . . . . . . b) § 2305 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefahren aufgrund früherer Zuwendungen . . . . . . . . . . . . bb) Gefahren aufgrund Ausschlagung durch den überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . .

12.26

12.30 12.30 12.30 12.33 12.36 12.36 12.38 12.39 12.44

c) § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB . . . . . . . . . 12.45 d) Person des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.48 e) Ungeplante Entwicklungen . . . . . . 12.52 f) Änderungen der Rechtslage . . . . . 12.53 g) Fehlerhafte Ausübung der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . 12.55a 3. Begleitende Anordnungen . . . . . . . . . 12.56 a) Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . 12.56 b) Trennungslösung? . . . . . . . . . . . . . 12.57 4. Sozialrechtliche Wertung . . . . . . . . . . 12.60 5. Zivilrechtliche Wertung . . . . . . . . . . . 12.61 a) Subsidiaritätsverstoß? . . . . . . . . . . 12.61 b) Sättigungsgrenze? . . . . . . . . . . . . . 12.63 VI. Variante I der Erbschaftslösung: Destinatär als alleiniger Vorerbe . . .

12.64

VII. Variante II der Erbschaftslösung: Destinatär als Mitnacherbe . . . . . . .

12.66

VIII. 1. 2. 3.

Das „Bedürftigentestament“ . . . . . . Erbschaftslösungen . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnislösungen . . . . . . . . . . . . Aufhebung der Beschränkungen . . . .

12.68 12.68 12.74 12.78

Schrifttum: Baltzer, Die Vermächtnislösung lebt!, ZEV 2008, 116; Bengel, Gestaltung letztwilliger Verfügungen bei Vorhandensein behinderter Abkömmlinge, ZEV 1994, 29; Brambring/Mutter, in: Beck’sches Formularbuch Erbrecht, Teil F I (Behindertentestament, Tersteegen) und F II (Bedürftigentestament, Kleensang); Conradis, Sozialhilferegress: Kostenersatz durch den Erben, § 102 SGB XII, § 35 SGB II, ZEV 2005, 379; Damrau, Das Behinderten-Testament mit Vermächtnislösung, ZEV 1998, 1; Damrau/Mayer, Zur Vor- und Nachvermächtnislösung beim so genannten Behindertentestament, ZEV 2001, 293; Doering-Striening, Sozialhilferegress bei Erbfall und Schenkung, 2015; Grziwotz, Die umgekehrte Vermächtnislösung beim Behindertentestament: Der Königsweg?, ZEV 2002, 409; Hartmann, Das Vorvermächtnis mit Vorerbschaftswirkung, ZEV 2007, 458; Hartmann, Das so genannte Behindertentestament: Vor- und Nacherbschaftskonstruktion oder Vermächtnisvariante?, ZEV 2001, 89; Heinz-Grimm/Krampe/Pieroth, Testamente zugunsten von Menschen mit geistiger Behinderung, 3. Auflage 1997; Juchem, Vermögensübertragung zugunsten behinderter Menschen durch vorweggenommene Erbfolge und Verfügung von Todes wegen, Diss. 2002; Kaden, Zur Sittenwidrigkeit von Behindertentestamenten, 1998; Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, 2006; Nazari Golpayegani/Boger, Aktuelle Gestaltungsempfehlungen zum Behindertentestament, ZEV 2005, 377; Otte, Zum Zugriff des Sozialhilfeempfängers bei befreiten Vorerben, JZ 1990, 1027; Ruby, Behindertentestament: Häufige Fehler und praktischer Vollzug, ZEV 2006, 66; Ruby/Schindler, Das Behindertentestament, 3. Aufl. 2018; Settergren, Das „Behindertentestament“ im Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und sozialhilferechtlichem Nachrangprinzip, 1999; Spall, Die vernachlässigten Erbquoten der Geschwisterkinder, § 2306 Abs. 2 BGB und Behindertentestament, ZEV 2006, 344; Tersteegen, Sozialhilferechtliche Verwertbarkeit von Vermögen bei Anordnung von Verwaltungstestamentsvollstreckung, ZEV 2008, 121; TrilschEckardt, Nochmals: Vorweggenommene Erbfolge und Behindertentestament, ZEV 2001, 229.

Krauß 435

§ 12 Rz. 12.1

Behinderten- und Bedürftigentestament

I. Gestaltungsaufgaben und -ziele 12.1 Beratungssituation: (1) Der vermögende Vater eines behinderten Kindes möchte wissen, ob eine Testamentsgestaltung möglich ist, bei der sein Vermögen dem behinderten Kind und dessen gesundem Bruder verbleiben kann, dem behinderten Kind jedoch weiterhin Sozialhilfe gewährt wird, und aus dem Nachlassanteil ergänzende Unterstützung für das behinderte Kind geleistet werden kann. (2) Der Mandant möchte sein Hausgrundstück an seinen Sohn übertragen. Seine behinderte Tochter soll nur ihren Pflichtteil erhalten. Der Mandant fragt, ob es sinnvoll ist, das Hausgrundstück bereits vorab an den Sohn zu übergeben oder dieses testamentarisch zu verfügen? (3) Der Sohn des Mandanten ist insolvent und bezieht Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende („Hartz IV“). Der Mandant wünscht Aufklärung, ob er ihm testamentarisch Vermögenswerte zukommen lassen kann, ohne dass diese durch Gläubiger bzw. den Insolvenzverwalter verwertbar sind, und ohne dass infolge dessen die Sozialleistungen an seinen Sohn gekürzt würden.

12.2 Die Gestaltung letztwilliger Verfügungen zugunsten (potenziell) sozialleistungsbedürftiger Destinatäre betrifft häufig Sozialhilfeleistungen „in besonderen Lebenslagen“, also nach dem 5. bis 9. Kapitel des SGB XII, und ist dann in der Anwendung weitgehend deckungsgleich mit dem Vorhandensein körperlich und/oder geistig behinderter Abkömmlinge. Denkbar ist jedoch auch der Bezug von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende (SGB II) seitens des Destinatärs, etwa infolge chronischer Überschuldung oder Dauerarbeitslosigkeit des Abkömmlings, die auch mit (Regel- oder Verbraucher-)Insolvenz einhergehen kann. Es handelt sich dann um einen Sonderfall der testamentarischen Regelungsmöglichkeiten mit dem Ziel, einem Hinterbliebenen Vermögenswerte letztwillig zuzuwenden, ohne damit den Eigengläubigern des Hinterbliebenen Zugriffsmöglichkeiten zu eröffnen (z.B. beim Testament überschuldeter Erben). Letzteres (sog. „Bedürftigentestament“) kommt auch in Fällen schlichter Überschuldung (Regelinsolvenz oder Verbraucherinsolvenz in Erwartung der Restschuldbefreiung = RSB) ohne gleichzeitigen Bezug steuerfinanzierter Grundsicherungsleistungen in Betracht; dann in der Erwartung einer „Normalisierung“ der Verhältnisse nach Rechtskraft des RSBBeschlusses, so dass die Schutzmechanismen nur vorübergehend benötigt werden (Rz. 12.78 ff.).

12.2a Wird testamentarische Vorsorge versäumt und fällt daher dem überschuldeten Abkömmling zumindest eine Miterbenstellung an, war nach den im Ergebnis bedenklichen Entscheidungen des OLG Stuttgart1 und des OLG Hamm2 zu befürchten, dass nachträgliche „Rettungsversuche“ (Ausschlagung gegen ergänzende Versorgungsleistungen) wegen angeblichen Verstoßes gegen die guten Sitten nicht mehr betreuungsgerichtlich genehmigungsfähig und damit endgültig versperrt wären. Das obiter dictum des BGH im Urteil vom 19.1.20113 (Recht auf negative Erbfreiheit) lässt insoweit jedoch hoffen.

12.3 Bei der soeben erwähnten Fallgruppe des „Behindertentestaments“, d.h. der Regelung letztwilliger Verfügungen zugunsten von Nachkommen, die SGB XII-Leistungen beziehen werden, steht regelmäßig im Vordergrund des Bemühens der testierenden Eltern, den behinderten Abkömmling (bzw. den behinderten Ehegatten des Testators) möglichst durch letztwillige Verfügung besser zu stellen, als er stehen würde, wenn er lediglich auf die „staatlichen Leistungen“ verwiesen wäre.

12.4 Aus diesem Grund ist das wesentliche Augenmerk der Erblasser bei kleinen oder mittleren Vermögen darauf gerichtet, Vermögensbestandteile zwar dem behinderten Hinterbliebenen tatsächlich zukommen zu lassen, jedoch in einer Weise, die nicht zu einer Kürzung der im Übrigen zu gewährenden

1 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484; a.A. jedoch LG Aachen v. 4.11.2004 – 7 T 99/04, NJW-RR 2005, 307. 2 OLG Hamm v. 16.7.2009 – I-15 Wx 85/09, FamRZ 2009, 2036 = ZEV 2009, 471, m. zust. Anm. Leipold. 3 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258, m. zust. Anm. Zimmer.

436

Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.8 § 12

staatlichen nachrangigen Unterstützungsleistungen (insbesondere der Eingliederungshilfe für Behinderte oder der Hilfe zur Pflege) führen. Bei größerem Vermögen steht jedoch erfahrungsgemäß weniger die Vermeidung des Regress- oder Überleitungsrisikos von Seiten des Sozialleistungsträgers im Vordergrund als vielmehr die Sicherstellung einer möglichst optimalen Versorgung, d.h. der persönlichen, seelischen und wirtschaftlichen Betreuung des Hinterbliebenen durch private Vorsorge. Einer „versteckten“ Besserstellung des Heiminsassen durch letztwillige Zuwendungen an das Heim stehen bereits § 14 HeimG bzw. die an dessen Stelle tretenden landesrechtlichen Bestimmungen entgegen.

12.5

Wichtiges „Durchgangsziel“ ist die Vermeidung originärer Pflichtteilsansprüche des betroffenen Destinatärs. Ein solcher Anspruch ist zwar gem. § 852 Abs. 1 ZPO der Pfändung nur dann unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Die Zugriffsmöglichkeiten des Sozialfürsorgeträgers auf den Pflichtteilsanspruch sind jedoch erweitert, da eine Überleitung durch Sozialverwaltungsakt gem. § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII, bzw. ein gesetzlicher Forderungsübergang gem. § 33 Abs. 1 aE SGB II ausdrücklich bereits dann möglich ist, wenn der Anspruch noch unpfändbar ist1, so dass ein anschließend erklärter Verzicht ohnehin ins Leere gehen würde.

12.6

Lediglich bei sehr geringen Pflichtteilsansprüchen kann § 93 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII der Überleitung entgegenstehen, nämlich stets dann, wenn auch bei Leistung des Geldpflichtteils keine Sozialkürzung einträte, da insgesamt der kleine Barbetrag als „Notgroschen“ nicht überschritten ist. Im Bereich des § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II – 150 Euro multipliziert mit den Lebensjahren des Grundsicherungsempfängers und seines Partners – kann der Schutz u.U. weiter reichen, soweit der Vermögensfreibetrag nicht bereits, wie häufig, durch andere Vermögenswerte, die noch ihrerseits Schonvermögen sind, in Anspruch genommen ist; steht der Freibetrag noch ganz oder teilweise zur Verfügung, mindert sich die übergeleitete Pflichtteilssumme um das noch freien Volumen. In Einzelfällen kann ferner gegenüber dem Pflichtteilsverpflichteten (z.B. der Mutter eines arbeitslosen Hartz IV – Empfängers) eine unbillige Härte i.S.d. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II vorliegen, etwa wenn sie dadurch das selbst genutzte angemessene Eigenheim verlieren würde, das sie auch als Leistungsbezieherin verteidigen könnte2, oder wenn eine Kreditaufnahme zur Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs angesichts des sonst vorhandenen Einkommens dem Erben weniger Einkommen belassen würde, als er gem. § 9 Abs. 5 SGB II i.V.m. §§ 1 Abs. 2 und 4 Abs. 2 ALG II-Verordnung (Leistungsfähigkeit von Angehörigen) verteidigen könnte (doppelte Regelleistung – also im Jahr 2019 848 Euro – zuzüglich der Hälfte des darüber hinaus vorhandenen Einkommens zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung)3.

12.7

Der untergerichtlich geäußerte Ansatz4, die Geltendmachung5 des übergeleiteten Pflichtteilsanspruches verstoße gegen die guten Sitten und sei daher auch dem Sozialhilfeträger verwehrt – Analogie zu § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB –, sofern eine „automatische Pflichtteilsstrafklausel“6 dann auch beim

12.8

1 Vgl. etwa BGH v. 8.12.2004 – IV ZR 223/03, FamRZ 2005, 448 = MDR 2005, 692 = RNotZ 2005, 176, m. Anm. Litzenburger, 162. 2 LSG NRW v. 24.11.2008 – L 20 AS 92/07, notar 2009, 115, m. Anm. Odersky; ähnlich BSG v. 6.5.2010 – B 14 AS 2/09 R, FamRZ 2010, 1729 = ZEV 2010, 585. 3 BSG v. 6.5.2010 – B 14 AS 2/09 R, FamRZ 2010, 1729 = ZEV 2010, 585 Rz. 31. 4 Z.B. OLG Frankfurt v. 7.10.2003 – 14 U 233/02, ZEV 2004, 24. 5 Zur Auslegung des Merkmals des „Geltendmachens“ bzw. „Verlangens“ z.B. OLG München v. 29.3.2006 – 31 Wx 007/06, ZErb 2006, 203: hochverzinsliche Stundung des Pflichtteils steht dem Verlangen gleich; die tatsächliche, womöglich gerichtliche, Durchsetzung des Anspruchs ist nicht erforderlich, OLG Düsseldorf v. 18.7.2011 – 3 Wx 124/11, RNotZ 2011, 554. 6 Beispiel einer automatischen Pflichtteilsklausel: „Verlangt einer der Schlusserben beim Tode des Erstversterbenden von uns gegen den Willen des Längerlebenden (damit sollen „einvernehmliche Pflichtteilsverlangen zur Erbschaftssteuerreduzierung“ ausgefiltert werden!) seinen Pflichtteil, so fallen er und seine Abkömmlinge als Schlusserben weg. Auch die Bindungswirkung des Erbvertrages wird bzgl. dieses Schlusserbanteils aufgehoben.“

Krauß 437

§ 12 Rz. 12.9

Behinderten- und Bedürftigentestament

zweiten Sterbefall der Eltern den behinderten Abkömmling nur auf den Pflichtteil setze, wurde vom BGH zu Recht verworfen1. Die Pflichtteilsstrafklausel ersetzt also nicht das Behindertentestament. Der Überleitung „sekundärer“ Pflichtteilsansprüche, die erst nach Ausschlagung (etwa gem. § 2306 BGB) und nicht bereits gem. § 2317 BGB entstehen, steht die mangelnde Überleitungsfähigkeit des Ausschlagungsrechts selbst entgegen, vgl. Rz. 12.26 ff.

12.9 Der Bedarf für „Behindertentestamente“ ist eher noch gestiegen angesichts des Umstands, dass der neue Ansatz der „Inklusion“ – „alles gemeinsam, von Anfang an“2 – im Vergleich zu dem früher eher gewählten Ansatz einer „Gesamtversorgung“ von Behinderten in ausschließlich hierfür geschaffenen, großen Behinderteneinrichtungen mit Mehrkosten verbunden ist. Zusätzlicher Vorsorgebedarf mag sich ergeben durch das Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung für den (allerdings bei Eltern behinderter Kinder zugegebenermaßen seltenen) Fall, dass die Eltern, bspw. auch nach Errichtung des Behindertentestaments, dauerhaft ins Ausland verziehen, ohne zuvor eine Rechtswahl gem. Art. 22 EUErbVO getroffen zu haben, denn die „klassischen“ Gestaltungsinstrumente des Behinderten- und Bedürftigentestaments, die Vor- und Nacherbfolge sowie die Testamentsvollstreckung stehen nur im deutschen Erbrecht zur Verfügung.

12.10 Die dem Behindertentestament entgegengesetzte (der vorweggenommenen Erbfolge unmittelbar vergleichbare) Konstellation, dass ein Sozialhilfebedürftiger über das ihm verbliebene Schonvermögen testiert, ist von weitaus geringerer Bedeutung, zumal jedenfalls mit dem Ableben des sozialhilfebedürftigen Testators die ggf. bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Schonvermögenseigenschaften wegfallen und damit der Nachlass i.R.d. § 102 SGB XII der geschilderten Erbenhaftung unterliegt, was jedenfalls nicht durch bloße Vermächtnisanordnungen etc., und wohl auch nicht durch Schaffung lebzeitiger Schenkungsversprechen auf den Todesfall als Erblasserschulden „unterlaufen“ werden kann3.

II. „Enterbungslösung“? 12.11 In der Beratungspraxis kommt durchaus auch die „schlichte Enterbungslösung“ in Betracht, bei der das bedürftige Kind weder Erbe wird noch ein Vermächtnis erhält: Das Entstehen des überleitungsfähigen (Rz. 12.6 ff.) Pflichtteils kann (1) bei voraussichtlichem Eintreten der Sozialleistungsbedürftigkeit erst nach dem zweiten Sterbefall4, (2) bei kleinem Vermögen, (3) bei Vorhandensein zahlreicher Abkömmlinge und gesetzlichem Güterstand, (4) bei geringer Pflichtteilslast (z.B. wegen § 2312 BGB: Landgut), (5) oder beim Erstversterben des mit geringerem Vermögen ausgestatteten Ehegatten häufig in Kauf genommen werden. Ist der überlebende Ehegatte bereit, auf die volle lebzeitige Verfügungsmöglichkeit auch im Bereich unentgeltlicher Zuwendungen zu verzichten, wird eine Pflichtteilsreduzierung dadurch erreicht, dass der überlebende Ehegatte zum befreiten Vorerben und das nicht behinderte/bedürftige Kind zum Nacherben bestimmt wird – auf diese Weise fällt der Pflichtteil nicht zweimal aus wirtschaftlich identischem Vermögen an.

1 BGH v. 8.12.2004 – IV ZR 223/03, FamRZ 2005, 448 = MDR 2005, 692 = ZEV 2005, 117, m. abl. Anm. Muscheler. 2 Hierzu hat sich Deutschland auch durch seinen Beitritt zur UN-Behindertenrechtskonvention 2009 bekannt. 3 Vgl. hierzu Krauß, ZErb Beilage „Fachanwalt für Erbrecht“ zu Heft 10/2005, S. 24 bis 29. 4 Z. B. da das Kind zu Lebzeiten beider daheim versorgt werden soll, vgl. Limmer, Erbrechtsberatung 2007, S. 43, 63.

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.15 § 12

Denkbar sind weiter Sachverhalte, in denen der Betroffene bereits wirksam auf Pflichtteilsansprüche verzichtet hat oder diese durch lebzeitige, rechtzeitig zur Anrechnung bestimmte, Zuwendungen weitgehend erledigt sind. Dass ein solcher Pflichtteilsverzicht – durch einen geschäftsfähigen Behinderten selbst abgegeben – sogar auf dem Sterbebett während des Bezugs von Sozialhilfeleistungen abgegeben werden kann, ohne gegen die guten Sitten zu verstoßen, hat der BGH1 zwischenzeitlich bekräftigt. Möglicherweise werden damit sogar Pflichtteilsverzichte, die für geistig Behinderte durch einen Betreuer abgegeben werden, genehmigungsfähig (§ 2347 Abs. 1 S. 2 BGB).

12.12

III. „Auflagenlösung“? Denkbar wäre weiter, den Zugriff der Eigengläubiger bzw. des Sozialleistungsträgers gegen den Hinterbliebenen dadurch auszuschließen, dass Vermögenswerte nicht an diesen selbst, sondern an nahestehende natürliche oder juristische Personen übertragen werden, die dann zusätzliche Vorteile hieraus für den Hinterbliebenen zu gewähren haben. In Betracht kommt bspw. die Zuwendung an einen dem Hinterbliebenen nahestehenden Dritten unter einer den ersteren begünstigenden Auflage (§ 1940 BGB). Eine solche Auflage ist für Gläubiger oder Sozialleistungsträger weder pfändbar noch überleitbar, da der Begünstigte selbst keinen eigenen Anspruch auf Vollziehung hat. Vollziehungsberechtigt dürfte freilich auch der Sozialleistungsträger als öffentliche Behörde sein, sofern durch die Leistung der Auflage nachrangige Sozialhilfegewährung reduziert wird, § 2194 S. 2 BGB. Gegen diese Lösung spricht jedoch, dass der Pflichtteilsanspruch des überschuldeten oder sozialhilfebedürftigen Destinatärs neben einer begünstigenden Auflage in voller Höhe bestehen bleibt, da jener weder Erbe noch Vermächtnisnehmer ist und eine Erweiterung der Pflichtteilsanrechnungsvorschriften der §§ 2305 und 2307 BGB nicht in Betracht kommt und auch eine Ausschlagung nicht möglich ist2.

12.13

IV. Vermächtnislösungen 1. Vorteile Die nachstehend bei Rz. 12.30 ff. vorgestellte „klassische Konstruktion“ des Behindertentestaments erweist sich in der praktischen Handhabung insbesondere insoweit als nachteilig, als der behinderte/bedürftige Abkömmling schon beim ersten Sterbefall gesamthänderisch am Nachlass zu beteiligen ist, mag auch diese im Einzelfall durch Teilungsanordnung in eine gegenständliche Zuweisung von Geld „umgemünzt“ werden können. Mit zunehmender Lebenserwartung auch behinderter Nachkommen wird diese Belastung den Beteiligten deutlicher bewusst.

12.14

Ferner unterliegt auch die Testamentsvollstreckung Verfügungsbeschränkungen (z.B. bei Bestellung eines Grundpfandrechts am gesamthänderischen Grundstück der Erbengemeinschaft zur Sicherung eines nicht dem Nachlass zuzurechnenden Kredites: unentgeltliche Verfügung i.S.d. § 2205 S. 3 BGB, die nur nach Freigabe seitens des Vollstreckers durch Mitwirkung aller Nachlassbeteiligten [Miterben, Vermächtnisnehmer, sowie des Nacherben]3 überwunden werden kann. Bei Geschäftsunfähigkeit können die gesetzlichen Vertreter wegen §§ 1641, 1804 BGB diese für den Vorerben ebenfalls nicht erteilen)4. Ist der überwiegende Miterbe (z.B. die überlebende Ehefrau) in Personenidentität zugleich Testamentsvollstrecker über den nicht befreiten Vorerbenanteil des behinderten Abkömmlings und dessen Betreuer oder sonstiger gesetzlicher Vertreter, kann ferner die Bestellung eines familienfremden Dauerergänzungsbetreuers bzw. -pflegers erforderlich sein.

12.15

1 BGH, v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 m. zust. Anm. Zimmer. 2 Seit RG, JW 1928, 907, st. Rspr., vgl. auch MüKo.BGB/Lange, § 2307 Rz. 10. 3 BGH v. 18.6.1971 – V ZB 4/71, NJW 1971, 1805; wohl nicht des Ersatznacherben, vgl. Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung, Rz. 488; Reimann, ZEV 2007, 262. 4 Vgl. DNotI-Report 2002, 155.

Krauß 439

§ 12 Rz. 12.16

Behinderten- und Bedürftigentestament

12.16 Befinden sich im Nachlass schließlich Anteile an einer Personengesellschaft, wird das behinderte Kind als Mit-Vorerbe aufgrund der Sonderrechtsnachfolge unmittelbar Mitgesellschafter, wenn keine gesellschaftsvertraglichen Vorkehrungen dagegen getroffen wurden (was mitunter unerwünschte ertragsteuerliche Folgen auslöst).

12.17 Aus diesem Grunde sind „Vermächtnislösungen“ von besonderem kautelarem Reiz, und zwar auch als unmittelbare Vermächtnislösungen (lediglich mit Dauertestamentsvollstreckung gem. § 2209 BGB versehen, jedoch ohne Nachvermächtniselement, mithin in der Erwartung, der Vermächtnisgegenstand werde zu Lebzeiten des Vermächtnisnehmers ohnehin vollständig für ihn aufgebraucht)1: Zur Stärkung des Nutzungszugriffs des sozialleistungsbedürftigen (z.B. behinderten oder überschuldeten) Hinterbliebenen könnte erwogen werden, ihm vermächtnisweise unmittelbar Gegenstände zuzuwenden, vorzugsweise solche, die zum sozialhilferechtlichen Schonvermögen (§ 90 SGB XII, § 12 SGB II) oder Schoneinkommen zählen. Hierdurch würde zugleich eine Anrechnung auf den Pflichtteil und damit eine Reduzierung des überleitungsfähigen Pflichtteilsrestanspruchs erreicht.

12.18 Der schuldrechtliche, vermächtnisweise zugewendete Anspruch auf das zu Leistende ist nur pfändbar bzw. gem. § 93 SGB XII überleitbar, wenn es der zugewendete Gegenstand selbst ist2, also z.B. nicht bei einem Wohnungsrechtsvermächtnis3. Das Wohnungsrecht ist sowohl unter Einkommensaspekten wie auch hinsichtlich der Vermögensanrechnung jedenfalls bei angemessenen Wohnverhältnissen sozialleistungsfest. In der Regelinsolvenz ist das nicht zur Ausübung an Dritte überlassbare (sonst § 857 Abs. 3 ZPO) Wohnungsrecht gem. §§ 851 Abs. 1, 857 Abs. 1 ZPO, § 36 Abs. 1 S. 1 InsO nicht verwertbar; während der Wohlverhaltensphase besteht keine Obliegenheit zur „Herausgabe“ des hälftigen Wertes des Wohnungsrechtes gem. § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO4. Steht die Immobilie, auf die sich diese künftige Wohnnutzung bezieht, im Miteigentum beider Eltern, kann bereits im ersten Sterbefall ein Mitbenutzungsrecht (neben dem überlebenden Ehegatten) als Vermächtnisgegenstand eingeräumt werden – einzutragen ist dieser jedoch am Gesamtobjekt, so dass es sich teilweise auch um ein Verschaffungsvermächtnis handelt –, für den zweiten Sterbefall oder für den Fall vorzeitiger Veräußerung des belasteten Objekts erstarkt dieses Mitbenutzungsrecht zu einem Wohnungsrecht5. Die Überlassung zur Ausübung an Dritte, § 1092 Abs. 1 S. 2 BGB, sollte ausgeschlossen werden, die Befugnis, gem. § 1093 Abs. 2 BGB z.B. Pflegepersonal aufzunehmen, bleibt davon selbstverständlich unberührt. Zur Vermeidung einer Umwandlung in Geldansprüche für den Fall, dass beispielsweise aus medizinischen Gründen die Nutzung dauerhaft ausscheidet, sind entsprechende Begrenzungsklauseln aufzunehmen. Verbreitet sind auch Leibrentenzahlungen, über die Testamentsvollstreckung angeordnet wird (so dass die Einkommensschongrenze des § 85 SGB XII nicht einzuhalten ist, sondern wohl entsprechend § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO Unpfändbarkeit besteht6). Allerdings verbleibt dem Sozialleistungsträger die Überleitung und Verwertung des Pflichtteilsrestanspruchs gem. § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB, soweit der Wert der Vermächtnisses hinter dem Wert des Pflichtteils zurückbleibt. Um dies zu vermeiden, empfiehlt sich die Anordnung eines Quotenvermächtnisses, das sich zumindest auf den Pflichtteilsbruchteil beläuft7.

12.19 Die Ausschlagung des Vermächtnisses ist, anders als die Ausschlagung des Erbes gem. §§ 2180 Abs. 3, 1944 Abs. 1 BGB, nicht fristgebunden, allerdings besteht die Möglichkeit einer Fristsetzung gem.

1 Littig in FS für Damrau, 2007, S. 201. 2 Zöller/Stöber, § 847 ZPO Rz. 1. 3 Das jedoch nur sinnvoll ist, wenn der Berechtigte es auch in Anspruch nehmen können wird. Allgemein zum Schutz des Familienheims vor dem sozialrechtlichen Zugriff Reich, ZEV 2011, 639 ff. 4 Vgl. Kiesgen, RNotZ 2018, 429 (451); LG Stuttgart v. 4.6.2010 – 10 T 158/09, BeckRS 2012, 22454. 5 Vgl. hierzu Schneider, ZEV 2017, 617 ff. 6 So jedenfalls OLG Frankfurt v. 20.1.2000 – 26 W 170/99, ZEV 2001, 156; a.A. MüKo.BGB/Zimmermann, § 2214 Rz. 4: Anspruch auf Auszahlung von Nachlasserträgen ist pfändbar. 7 Eine sichere Prognose zum Wert des künftigen Nachlasses wird kaum möglich sein; vgl. hierzu Nieder, NJW 1994, 1265.

440

Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.22 § 12

§ 2307 Abs. 2 BGB1 (zur – zu verneinenden – Frage der Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts s. nachstehend Rz. 12.26 ff.). Um einen geschäftsfähigen Vermächtnisnehmer von der Ausschlagung abzuhalten, sollte der Vermächtnisgegenstand von besonderem affektivem oder beruflichem Interesse sein2. 2. Vor- und Nachvermächtnis Der Gegenstand eines Vermächtnisses ist vor dem Verwertungszugriff (der zivilrechtlichen Einzelgläubiger, des Insolvenzverwalters, als auch des Sozialleistungsträgers) gem. § 2214 BGB durch Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung zu schützen. Um diesen Zugriffsschutz auch über die Lebenszeit des Vermächtnisnehmers hinaus zu verlängern, bietet sich – als gedachte Parallele zur Vor- und Nacherbfolge – die Wahl eines Vor- und Nachvermächtnisses an. Die Position des Nachvermächtnisnehmers ist gleichwohl schwach, sie berechtigt nicht zur Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO gegen Pfändungen beim Vorvermächtnisnehmer; fällt Letzterer in Insolvenz, ist der Nachvermächtnisanspruch bloße Insolvenzforderung3. In einer Nachlassinsolvenz nach dem Tod des (z.B. überschuldeten) Vorvermächtnisnehmers ist der Nachvermächtnisnehmer allerdings gleichberechtigt4 und dem Pflichtteilsanspruch gegenüber vorrangig5. Wegen der geringen gesetzlichen Regelungsdichte sind detaillierte Ausgestaltungen erforderlich6.

12.20

Gegen diese Lösung, zu der noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung veröffentlicht ist, werden insbesondere fünf Argumente ins Feld geführt:

12.21

a) Mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers endet die den Gläubiger abschirmende Wirkung der Dauertestamentsvollstreckung (§ 2214 BGB). Kann Vermächtnisvollstreckung über den Tod des Vorvermächtnisnehmers hinaus angeordnet werden7? § 2223 BGB zählt zwar die Erfüllung der einem Vermächtnisnehmer auferlegten Beschwerungen zu den Aufgaben eines (Abwicklungs-)Vollstreckers, enthält jedoch keine Aussage zur transmortalen Fortdauer, so dass vorsichtige Stimmen deren Zulässigkeit über den Vorvermächtniszeitraum hinaus verneinen8. Es dürfte jedoch möglich sein, unmittelbar im Anschluss an die Dauervermächtnisvollstreckung (§ 2209 BGB) eine Abwicklungsvollstreckung (§ 2223 BGB)9, auch durch dieselbe Person, folgen zu lassen10. b) Der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers, der sich ja nicht (wie der Anfall des Vermögens vom Vorerben auf den Nacherben) „von selbst“ erfüllt, sondern einen schuldrechtlichen Anspruch auf Auskehr des Nachvermächtnisses gegen den Erben des Vorvermächtnisnehmers darstellt (§ 2191 BGB), kollidiere mit der sozialhilferechtlichen Nachlasshaftung der Erben des behinderten Vorvermächtnisnehmers aus § 102 SGB XII. Beide seien gleichrangige Verpflichtungen, die den Wert des 1 Gem. OLG Köln v. 5.12.2006 – 2 U 103/05, FamRZ 2007, 169, muss die Aufforderung zur Erklärung über das Vermächtnis einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Ablaufs der Frist enthalten. Es bleibt offen, ob es auch an einen Minderjährigen gerichtet werden kann. 2 Keim, NJW 2008, 2075. 3 Bis zum Bedingungseintritt erfolgt Hinterlegung durch den Insolvenzverwalter, §§ 191 Abs. 1 S. 2, 198 InsO. 4 Vgl. Randt, BWNotZ 2001, 76 m.w.N. 5 Vgl. Baltzer, ZEV 2008, 116, 117; § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO betrifft nur ein vom Erblasser (= Vorvermächtnisnehmer) angeordnetes Vermächtnis. 6 Vgl. im Einzelnen Baltzer, Das Vor- und Nachvermächtnis in der Kautelarjurisprudenz, S. 109 ff.; NKBGB/J. Mayer, § 2179 Rz. 22. 7 Grds. wirkt eine (z.B. auf 30 Jahre) befristete Testamentsvollstreckung im Fall der Erbfolge auch für die Erbeserben, vgl. § 2210 S. 2 BGB e contrario und Gutachten, DNotI-Report 2007, 3. 8 Z.B. Damrau in FS für A. Kraft, 1998, S. 37; vgl. auch Damrau/J. Mayer, ZEV 2001, 294. 9 Und sodann ggf. sogar eine Nachvermächtnisvollstreckung, wenngleich unter Schutzgesichtspunkten nicht mehr erforderlich. 10 Baltzer, Das Vor- und Nachvermächtnis in der Kautelarjurisprudenz, S. 130.

Krauß 441

12.22

§ 12 Rz. 12.23

Behinderten- und Bedürftigentestament

Nachlasses ausschöpften1. Dagegen spricht jedoch, dass der Anspruch auf Erfüllung des Nachvermächtnisses, der vom ersten Erblasser dem Vorvermächtnisnehmer aufgebürdet worden ist eine echte Erblasserschuld darstellt. Dies, sowie der Umstand, dass nur die Nachvermächtnisbelastung, nicht jedoch die Verwertungspflicht des § 102 SGB XII schon zu Lebzeiten des Vorvermächtnisnehmers auf dem Schonvermögensgegenstand latent haftete2, spricht dafür, den Nachvermächtnisanspruch bei der Berechnung des „Wertes des Nachlasses“ i.S.d. § 102 Abs. 2 SGB XII vorab in Abzug zu bringen3, ebenso wie bei einem auf den Tod befristeten Herausgabevermächtnis, mit dem der Erbe seinerseits, wenn auch ohne Lästigkeit, beschwert war4. Die Position des Nachvermächtnisnehmers, insbesondere der nur schuldrechtliche Schutz gegen beeinträchtigende Verfügungen des Vorvermächtnisnehmers, gegen Pfändungen und in der (Nachlass-)Insolvenz lässt sich ferner durch eine „vorgezogene“, aufschiebend befristete Erfüllung des Nachvermächtnisanspruchs (also eine i.S.d. § 161 BGB geschützte, bedingte Verfügung) hinsichtlich beweglicher Sachen bzw. eine aufschiebend befristete Abtretung von Rechten verstärken. Bei Grundstücken verstärkt eine Vormerkung, sofern testamentarisch Anspruch auf diese Sicherung vermacht ist, die Position im Sinne einer Quasi-Verdinglichung.

12.23 c) Auch bei der Vor- und Nachvermächtnislösung stellt sich die Problematik, dass der (Vor-)Vermächtnisnehmer nach § 2307 Abs. 1 BGB das Vermächtnis ausschlagen kann, um den (allerdings nach drei Jahren verjährten: § 2332 Abs. 2 BGB) ungekürzten Pflichtteil zu erlangen. Hierfür gilt keine generelle Ausschlagungsfrist (§ 2180 Abs. 3 BGB verweist nicht auf § 1944 BGB!), vielmehr müsste der Erbe ihm eine Frist gem. § 2307 Abs. 2 BGB setzen. Der Sozialfürsorgeträger ist daher deutlich länger versucht, den behinderten Vorvermächtnisnehmer darauf zu verweisen, er verfüge ja über einsatzfähiges Vermögen in Gestalt der Ausschlagungsposition (hierzu Rz. 12.28); das Ausschlagungsrecht selbst kann allerdings – Rz. 12.26 ff. – nicht gem. § 93 SGB XII auf ihn übergeleitet werden, da es sich nicht um einen Anspruch handelt.

12.24 d) Vereinzelt wird vertreten, der Nachvermächtnisnehmer unterfalle im Verhältnis zum Vorvermächtnisnehmer unmittelbar oder in analoger Anwendung der Erbenhaftung des § 102 SGB XII, da er nicht Rechtsnachfolger von Todes wegen nach dem ursprünglichen Erblasser, sondern nach dem Vorvermächtnisnehmer sei bzw. weil typischerweise der Nachvermächtnisnehmer zugleich Eigenerbe des Vorvermächtnisnehmers ist. Dies ist jedoch ebenso abzulehnen, wie eine zivilrechtliche Erbenhaftung gem. § 1967 BGB zulasten des Nachvermächtnisnehmers nicht greift5.

12.25 e) Ebenso wenig tragfähig ist eine mögliche Haftung des Nachvermächtnisnehmers für Nachlassverbindlichkeiten des Vorvermächtnisnehmers aufgrund einer Analogie zu §§ 2385 Abs. 1, 2382 BGB6 (Haftung des Erbschaftskäufers für Nachlassverbindlichkeiten; eine Verkörperung des Rechtsgedankens des zwischenzeitlich außer Kraft getretenen § 419 BGB). Es mag durchaus sein, dass aufgrund der Aufzehrung des sonstigen Vermögens des Vorvermächtnisnehmers der Nachvermächtnisgegenstand den gesamten Nachlass darstellen wird, so dass faktisch ein Tatbestand vorliegt, der dem „Universalvermächtnis“ gleicht, für das §§ 2382 f., 2385 Abs. 1 BGB nach verbreiteter Auffassung analog gelten. Der Analogie zum Erbschaftskauf ist jedoch wegen der unterschiedlichen Haftungsgrundlage (schuldrechtlicher Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber – beim Vermächtnis jedoch allein der Wille des Erblassers) entgegenzutreten.

1 So etwa Damrau, ZEV 1998, 3; Damrau/J. Mayer, ZEV 2001, 295 f.; Staudinger/Otte (2003), vor §§ 2064 ff. Rz. 173 (wirtschaftlich handele es sich jeweils um Eigenschulden). 2 Dies betont Muscheler, AcP 2008, 70 (96 f.); sowie Sarres, Vermächtnis, Rz. 99. 3 Hartmann, ZEV 2001, 93; Gutachten, DNotI-Report 1999, 150 f. und 2010, 22; Spall, MittBayNot 2001, 252; Weidlich, ZEV 2001, 96 f.; Joussen, NJW 2003, 1853; Baltzer, ZEV 2008, 116(119); derzeit wohl h.M. 4 Vgl. Gutachten DNotI-Report 2010, 23. 5 Hartmann, ZEV 2001, 93. 6 Hierzu Muscheler, RNotZ 2009, 74 ff.

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.28 § 12

3. Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts? Auch soweit die Zuwendung die Höhe des Pflichtteils übersteigt, könnte der pflichtteilsberechtigte Vermächtnisempfänger gem. § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil geltend machen (die Vermächtniserfüllung sollte daher erst erfolgen, wenn eine Ausschlagung wegen vorheriger Annahme des Vermächtnisses ausscheidet). Eine risikovermeidende Annahme der künftigen Erbschaft bzw. des künftigen Vermächtnisses bereits vor dem Erbfall ist gem. § 1946 BGB nicht möglich1, ebenso wenig eine diesbezügliche vertragliche Verpflichtung2. Ist der „Behinderte“ selbst geschäftsfähig, wird er die postmortale Ausschlagung unterlassen, verlöre er doch dadurch die Chance auf eine Besserung seiner Lebensstellung aus ergänzenden, zugriffsfreien Zuwendungen. Jedwede letztwillige Gestaltung, auch die klassische Erbschaftslösung, steht jedoch (letztere wegen § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB, bei Sterbefällen seit 2010 in beiden Varianten des § 2306 BGB) unter dem Vorbehalt, dass nicht der Sozialleistungsträger diese Entscheidung (und zwar dann im fiskalischen Sinne zugunsten des Pflichtteilsverlangens) an sich zieht.

12.26

Das Ausschlagungsrecht selbst ist allerdings als Gestaltungsrecht nicht durch Sozialverwaltungsakt gem. § 93 SGB XII (vgl. Wortlaut „Anspruch“, nicht „Recht“) überleitbar3 bzw. geht nicht durch Legalzession gem. § 33 SGB II über – es wäre wohl auch rechtsgeschäftlich nicht abtretbar4 und seine Ausübung könnte nicht einem Dritten überlassen werden5; aus eigenen Stücken wird der lediglich körperlich Behinderte nicht ausschlagen, da er hierdurch schlechter gestellt würde (ihm entginge der anrechnungsfreie Vermächtniserwerb, stattdessen erhielte er eine schlichte Geldforderung, die nach Überleitung gem. § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII den öffentlichen Sozialleistungshaushalt entlastet, ihm jedoch keine zusätzlichen Leistungen sichert). Gleiches gilt für den Betreuer eines etwa geistig Behinderten, der die Ausschlagung bei einer allein am Wohl des Betreuten orientierten Entscheidung nicht vornehmen wird bzw. dessen Ausschlagungserklärung durch das Betreuungsgericht nicht genehmigt werden wird, sofern er durch die dadurch ermöglichten ergänzenden Zuwendungen besser gestellt wird6.

12.27

Denkbar ist allenfalls, dass der Sozialhilfeträger den Vermächtnisnehmer (oder Erben im Fall des § 2306 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB, bei Sterbefällen ab 2010 in allen Varianten des § 2306 BGB) bzw. dessen gesetzlichen Vertreter (Betreuer) auffordert, im Weg der Selbsthilfe die Ausschlagung zu erklären (bzw. bei bereits vor Beginn der besonderen Ausschlagungsfrist erfolgter Erbschaftsannahme diese anzufechten)7, um seinen Lebensunterhalt bis zur Aufzehrung von den zu erbringenden Pflichtteilszahlungen zu bestreiten. Eine solche Verweisung auf eine zur Verfügung stehende Einkommens- oder Vermögensquelle ist zwar sozialhilferechtlich ohne weiteres denkbar (bereites Mittel i.S.d. § 2 SGB XII)8, jedenfalls solange die Ausschlagungsfrist noch läuft; ein Verstoß gegen die Aufforderung des Sozialleistungsträgers wird jedoch nur in seltenen Fällen des § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII zu einer

12.28

1 Vgl. BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, FamRZ 1998, 103 = MDR 1998, 108 = DNotZ 1998, 830. 2 Gutachten, DNotI-Report 2007, 132, auch nicht als Erbschaftsvertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB. Möglich ist nur der umgekehrte vertragliche Zuwendungsverzicht, § 2352 BGB. 3 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 m. Anm. Zimmer (obiter, auch mit Hinweis auf die bewusste Untätigkeit des Gesetzgebers) = NotBZ 2011, 168; OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484; OLG Frankfurt v. 7.10.2003 – 14 U 233/02, ZEV 2004, 24. 4 Vgl. NK-BGB/Ivo, § 1942 Rz. 20; das Ausschlagungsrecht ist lediglich gem. § 1952 Abs. 1 BGB vererblich. 5 OLG Zweibrücken v. 13.11.2007 – 3 W 198/07, FamRZ 2008, 646 = NJW 2008, 1007, auch nicht durch transmortale Vorsorgevollmacht, a.A. richtigerweise Schmidt, ZNotP 2008, 301 und Keim, ZErb 2008, 260 (Vertretung ist gem. § 1945 Abs. 3 BGB zulässig, allerdings führt die postmortale Ausschlagung nicht zur Aufhebung der Bindung aus einem entgegenstehenden gemeinschaftlichen Testament). 6 So ausdr. OLG Köln v. 29.6.2007 – 16 Wx 112/07, ZEV 2008, 196: keine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Ausschlagung für einen zum nicht befreiten Vorerben eingesetzten Behinderten. 7 OLG Hamm v. 18.3.2004 – 15 W 38/04, FamRZ 2005, 306 = MittBayNot 2004, 456. 8 BVerwGE 38, 309 f.

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§ 12 Rz. 12.29

Behinderten- und Bedürftigentestament

Leistungskürzung oder -einstellung führen. Steht der Hilfeempfänger unter Betreuung, handelt es sich mangels Genehmigungsfähigkeit der Ausschlagung ohnehin um kein „bereites Mittel“; selbst wenn eine solche Genehmigung zu erlangen wäre, müsste sich der Betreute das Verhalten seines gesetzlichen Vertreters nicht zurechnen lassen1.

12.29 Problematischer ist allerdings die Wertung in schlichten Überschuldungs- bzw. Grundsicherungsfällen (SGB II), in denen aus dem geschützten Vermögen keine zusätzlichen, das staatliche Existenzsicherungsangebot ergänzende Naturalleistungen (wie Urlaubsfahrten mit einem Betreuer etc) erbracht werden. Die untergerichtliche Rechtsprechung (SG Mannheim2) behauptet in solchen Fällen durchaus eine Obliegenheit zur Ausschlagung mit der Folge, dass Sozialleistungen lediglich als Darlehen zu gewähren seien. Dem ist entgegenzutreten3: weder führt die Nichtausschlagung zu einer Verminderung des Einkommens oder Vermögens i.S.d. § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II, noch liegt darin sozialwidriges Verhalten i.S.d. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II. Auch § 35 SGB II (Ersatzpflicht des Erben) und § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II (Übergang von Ansprüchen – nicht Rechten) erfassen den Sachverhalt nicht.

V. „Klassische“ Erbschaftslösung: Destinatär als Mitvorerbe, Testamentsvollstreckung 1. Gestaltungselemente a) Vorerbschaft

12.30 Zur Pflichtteilsvermeidung und gleichzeitigen Immunisierung des dem Hilfebedürftigen zugedachten Nachlasses (§ 2115 BGB) weitverbreitet ist die Einsetzung des „behinderten“ Abkömmlings zum bloßen Miterben bereits auf den ersten Sterbefall, und zwar als Vorerbe4. Nacherbe sei bspw. der weitere, nicht bedürftige Abkömmling, oder der überlebende Ehegatte des Vorerben, oder etwaige (auch künftige) Abkömmlinge des Vorerben (zugleich zur Entkräftung der regelmäßig nicht gewollten Wegfallsvermutung der Vorerbschaft insgesamt gem. § 2107 BGB), oder weiter ersatzweise ein Verein/eine Stiftung der Behindertenhilfe.

12.31 Der Vorerbe sollte jedenfalls von §§ 2133, 2134 BGB nicht befreit werden5: Da der befreite Vorerbe lediglich den beim Nacherbfall noch vorhandenen Nachlass herauszugeben hat und im Übrigen Schadensersatz nur bei Benachteiligungsabsicht schuldet (§ 2138 BGB6), könnten Sozialleistungsträger ihn darauf verweisen, seinen Unterhalt aus der Substanz des Nachlassanteils zu bestreiten (§ 2 Abs. 2 SGB XII)7 und in diesem Umfang gegen den Testamentsvollstrecker auf Freigabe zu klagen (§ 2217 Abs. 1 BGB); diesen Anspruch könnte der Sozialleistungsträger auf sich überleiten – sofern keine geeigneten, vorrangigen, Verwaltungsanordnungen erteilt sind.

12.32 Ist der Vorerbe vom Verbot entgeltlicher Verfügungen (§§ 2113, 2114 BGB) und der Einhaltung weiterer Verfügungsbeschränkungen (§§ 2116 bis 2118 BGB) befreit, führt dies zwar zur Fortsetzung der Nacherbenbindungen am Surrogat (§ 2111 BGB), allerdings kann der Testamentsvollstrecker dadurch gehalten sein, das liquide gewordene Vermögen rascher und umfassender einzusetzen. Ist der Testamentsvollstrecker zugleich Nacherbe, besteht ebenfalls kein Bedarf an einer Befreiung vom Ver1 Gutachten, DNotI-Report 1996, 48/53; Ivo, FamRZ 2003, 9; Settergren, Das „Behindertentestament“ im Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und sozialhilferechtlichem Nachrangprinzip, S. 128. 2 SG Mannheim v. 20.12.2006 – S 12 AS 526/06. 3 Angermaier, Soziale Sicherung 2010, 194 (198). 4 Instruktiv zu Gestaltungsfragen der Vor- und Nacherbschaft in der Gestaltungspraxis Hartmann, ZNotP 2012, 322 ff. und 371 ff. 5 Ausführlich hierzu Spall, in: FS 200 Jahre Notarkammer Pfalz, 2003, S. 140 ff. 6 Hierzu Muscheler, ZEV 2012, 389 ff. 7 Otte, JZ 1990, 1027; a.A. OVG Bautzen v. 2.5.1997 – 2 S 682/96, NJW 1997, 2898; zum Ganzen vgl. Gutachten, DNotI-Report 1996, 48 ff.

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Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.35 § 12

fügungsverbot, da er in seiner Eigenschaft als Nacherbe zustimmen kann1. Werden einzelne Gegenstände (z.B. Finanzvermögen) von der Beschränkung durch Vor- und Nacherbfolge (und Testamentsvollstreckung) ausgenommen, unterliegen sie naturgemäß dem Sozialhilfezugriff2. b) Testamentsvollstreckung Zusätzlich3 wird (für den ersten wie auch den zweiten Sterbefall, ggf. aufgrund entsprechenden Vor- 12.33 behalts) Dauertestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB) angeordnet über die Vorerbschaft4 und insbesondere die hieraus zu gewinnenden Erträgnisse, die ja gem. §§ 2124, 2130, 100 BGB sonst freies Eigenvermögen des Vorerben werden, verbunden mit klaren Verwaltungsanweisungen an den Testamentsvollstrecker (§ 2216 Abs. 2 BGB), die den staatlichen Leistungskatalog ergänzende Zuwendungen aus den Erträgnissen dem behinderten Vorerben sichern5. Die hiervon betroffenen Vermögenswerte sind wegen § 2211 BGB dem Zugriff des Erben und wegen § 2214 BGB (bereits ab dem Sterbefall, nicht erst mit dem Amtsantritt des Vollstreckers!) dem Zugriff seiner Eigengläubiger entzogen, was zur „Unverwertbarkeit“ der im Nachlass vorhandenen Vermögensgegenstände i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII führt6. Derselbe Testamentsvollstrecker kann über die Vorerbschaft und die Rechte des Nacherben eingesetzt sein7. Ist der Testamentsvollstrecker nicht ohnehin zugleich Nacherbe, ist zu erwägen, ihn auch hierüber zum Vollstrecker zu bestimmen, um eine möglichst deckungsgleiche Umsetzung der Verwaltungsanordnungen zu ermöglichen (und zudem bei minderjährigen Nacherben dem Erfordernis familiengerichtlicher Genehmigung zu entgehen).

12.34

Im Rahmen der Vollstreckungsanordnungen (§ 2216 BGB) ist entscheidend, dass die der Testamentsvollstreckung unterliegenden Werte zuvörderst der Finanzierung ergänzender Hilfeleistungen dienen, die Übernahme der Heimkosten oder sonstiger vom Staat übernommenen Aufwands (Bekleidungsbeihilfe!8) selbst also erst dann zu erfolgen hat, wenn dies ohne Gefährdung vorrangiger Ziele aus den Erträgen (je nach Anordnung auch aus der Substanz, allerdings unter Vermeidung vorzeitigen

12.35

1 BGHZ 40, 115, Wegmann, ZErb Beilage Fachanwalt Erbrecht 2005, 33. 2 OVG Münster v. 18.7.2008 – 12 A 2471/06, ZEV 2009, 402. 3 Eine „reine Testamentsvollstreckerlösung“ eröffnet den postmortalen Zugriff gem. § 102 SGB XII – was die Beteiligten bei nur einem Abkömmling ohne Hoffnung auf weitere Nachkommen in Kauf nehmen mögen – und erscheint auch wegen der noch offenen Schwächen, unten Rz. 12.45, nicht empfehlenswert, ebenso Spall, MittBayNot 2007, 70 zur Entscheidung des OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05, MittBayNot 2007, 65. 4 U.U. auch über die Nacherbenrechte während der Vorerbschaft, § 2222 BGB, aber nicht zugleich über die Nacherbschaft selbst, wie es zu vermuten wäre, wenn bei Vor- und Nacherbfolge schlicht „Dauertestamentsvollsteckung“ angeordnet wird, vgl. OLG Düsseldorf v. 3.1.2012 – I-3 Wx 217/11, MittBayNot 2012, 468 m. Anm. Reimann. 5 Seit Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes empfiehlt sich, nicht mehr nur von „Sozialhilfeleistungen“, sondern von „Sozialleistungen“ zu sprechen; die Eingliederung des GSiG in §§ 41 ff. SGB XII hat die Thematik allerdings entschärft, Littig in FS für Damrau, 2007, S. 185. 6 So ausdrücklich (zu einem Sachverhalt ohne gleichzeitige Vor- und Nacherbfolge, in welchem also nach dem Tod des Bedürftigen § 102 SGB XII die Verwertung seines Nachlasses ermöglicht, was die Beteiligten bei nur einem Kind in Kauf nahmen) OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05, MittBayNot 2007, 65 m. Anm. Spall (durch Auslegung wurden die im Testament der Großmutter zugunsten der behinderten Enkelin enthaltenen Anweisungen an den Testamentsvollstrecker dahin gehend konkretisiert, dass eine Substanzverwertung zugunsten der Heimkosten nicht in Betracht komme), ebenso zuvor VGH Mannheim v. 22.1.1992 – 6 S 384/90, NJW 1993, 152; VGH Kassel, NDV 1989, 210. 7 Vgl. BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, BGHZ 127, 360 = MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158; Schubert, JR 1996, 60. 8 LSG Darmstadt v. 26.6.2013 – L 6 SO 165/12, notar 2014, 20.

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§ 12 Rz. 12.35

Behinderten- und Bedürftigentestament

Aufbrauchs) möglich ist1. Neben der sorgsamen Formulierung ist auch die genaue Umsetzung der Verwaltungsanordnungen entscheidend2. Im Regelfall wird die Befugnis zur Verwertung der Substanz beschränkt sein auf Zuwendungen, welche den Lebensstandard des Destinatärs über die staatliche „Grundversorgung“ hinaus verbessern3. Auch in den Fällen, in denen die dem Testamentsvollstrecker erteilten Anweisungen (§ 2216 BGB) nicht eindeutig ausweisen, dass der Vermögensstamm nicht für den privaten Lebensunterhalt des der Vollstreckung Unterworfenen (Erben oder Vermächtnisnehmers) zur Verfügung stehen soll, hilft die sozialgerichtliche Rechtsprechung durch Heranziehung auch außerhalb des Testaments liegender Umstände, im Rahmen der Auslegung, einen entsprechenden Erblasserwillen herauszuarbeiten und umzusetzen. Damit kann der Betroffene gegenüber dem Testamentsvollstrecker nicht im Wege der Selbsthilfe Teile der Vermächtnis- bzw. Erbschaftssubstanz zur Finanzierung des allgemeinen Lebensunterhalts einfordern, so dass kein verwertbares Vermögen i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB II vorliegt4, wobei eine ausdrückliche diesbezügliche Festlegung stets vorzuziehen ist5. Je weniger allerdings das zur Verfügung stehende Vermögen nennenswerte Erträge abwirft (Niedrigzinsphase!), umso mehr sollten Substanzeingriffe gestattet sein. Zur Ermöglichung von (ggf. beschränkten) Substanzeingriffen kommt in Betracht6, entweder (1) den Vorerben gänzlich von den Beschränkungen zu befreien (so dass der Vorerben-Testamentsvollstrecker insoweit auch nach seinem i.R.d. § 2216 BGB verbleibenden pflichtgemäßen Ermessen die Substanz verwerten darf) oder (2) gänzlich auf die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft zu verzichten, also lediglich die Testamentsvollstreckung anzuordnen (allerdings mit der Folge, dass der etwa noch verbleibende Restbetrag sodann gem. § 102 SGB XII als Kostenersatz an den Sozialleistungsträger herauszugeben sein wird), oder aber – so die typischerweise gewählte Lösung – (3) es bei der nicht befreiten Vorerbschaft zu belassen, aber dem Testamentsvollstrecker in Anlehnung an ein obiter dictum des BGH7 (in der Wirkung vergleichbar einem Vorausvermächtnis gem. § 2110 Abs. 2 BGB8) als Bestandteil der Verwaltungsanordnung gem. § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB einen bspw. jährlich prozentual begrenzten Zugriff auch auf die Substanz zu ermöglichen, indem er insoweit – also bezogen auf diesen, ggf. quantitativ beschränkten, Substanzzugriff, ähnlich einem „Zustimmungsvermächtnis“ – auch die Aufgaben eines Nacherbenvollstreckers gem. § 2222 BGB wahrnimmt (sofern er nicht ohnehin generell beide Aufgaben in Personalunion in sich vereinigt).

1 Das OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05, MittBayNot 2007, 65 m. Anm. Spall hat zur Aufrechterhaltung des Gewollten diese Konkretisierung der Anweisung (§ 2216 BGB) durch Auslegung, gestützt auch auf eine Stellungnahme des beurkundenden Notars, gewonnen. 2 LSG Darmstadt v. 26.6.2013 – L 6 SO 165/12, notar 2014, 20: schädliche Barauszahlung von Mitteln, die zur Anschaffung neuen Mobiliars bestimmt waren. 3 Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 301. 4 So ausdrücklich LSG Baden-Württemberg v. 9.10.2007 – L 7 AS 3528/07, ZFSH/SGB 2007, 669 ff. = ZEV 2008, 147 Rz. 10. 5 Tersteegen, ZEV 2008, 121 (123). 6 Vgl. Spall in Limmer (Hrsg.), Erbrecht und Vermögenssicherung, 2016, S. 70 ff.; Schmidl, ZErb 2018, 81 ff. 7 BGH v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92, ZEV 1994, 35 Rz. 14: „Wenn die Leistungen, die der Testamentsvollstrecker nach dem Erbvertrag zugunsten des Behinderten zu erbringen hat, nicht aus den Nutzungen der Vorerbschaft bestritten werden können, dürfte der Testamentsvollstrecker wie für die Erfüllung anderer Nachlassverbindlichkeiten gem. § 2126, 2124 Abs. 2 S. 1 BGB berechtigt sein, Nachlassgegenstände zu veräußern. Die im Erbvertrag zugedachten Leistungen können insoweit (auch) als Vermächtnis gewertet werden, das die Nacherbschaft beschwert“. Im konkreten Fall war kein Grundbesitz in der Vorerbschaft, so dass § 2113 Abs. 1 BGB keine Rolle spielte; der auf die ordnungsgemäß Verwaltung i.S.d. §§ 2126, 2124 Abs. 2 S. 1 BGB abstellende Gedankengang greift freilich unabhängig von § 2113 BGB. 8 Die Konstruktion als unmittelbares Vorausvermächtnis (bedingter Natur, nämlich nur für den Fall ungenügender Erträge angeordnet) außerhalb der Vor- und Nacherbfolge erscheint sozialrechtlich unsicher, vgl. im Einzelnen Schmidl, ZErb 2017, 303 (305, Fn. 86); Schmidl, ZErb 2018, 81 (83).

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.38 § 12

2. Gefährdungen a) § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB Die Quote, zu welcher der behinderte Vorerbe bereits auf den ersten Sterbefall eingesetzt wird, muss- 12.36 te bei Sterbefällen bis Ende 2009 auf jeden Fall höher sein als dessen Pflichtteilsquote, da sonst die vorerwähnten Beschränkungen der Nacherbschaft und der Testamentsvollstreckung als nicht angeordnet galten (§ 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB), mithin also eine schlichte Einsetzung zum Miterben vorlag, die den Weg zu einem Regress des Sozialleistungsträgers durch Verwertung dieses einsatzpflichtigen Vermögens im Weg der Auseinandersetzungsversteigerung eröffnete (§§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 SGB XII, §§ 180 ff. ZVG). Die mathematisch korrekte Bestimmung der Pflichtteilsquote erforderte genaue Kenntnis des Sachverhaltes einschließlich des Güterstandes der Beteiligten. Selbst eine „rechnerisch richtige“ Quotenermittlung konnte jedoch bei Sterbefällen bis zum 31.12.2009 ungewollt und häufig auch unerkannt zur Anwendung des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB führen, etwa bei Einsetzung mehrerer pflichtteilsberechtigter Nacherben aufgrund § 2306 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 1 BGB. Teilweise wird auch unter Geltung des neuen Rechts empfohlen, dem betroffenen Destinatär eine höhere Quote zuzuwenden als die Pflichtteilsquote, um die Ausschlagung unattraktiver erscheinen zu lassen1. Bei vernünftiger Abwägung wird freilich der Betroffene selbst, sofern er geschäftsfähig ist, nicht ausschlagen – der gem. § 2306 n.F.BGB entstehende Pflichtteilsanspruch unterliegt dem Verwertungszugriff des Sozialleistungsträgers (Rz. 12.6 ff.), kommt ihm selbst jedoch nicht zugute, und es können auch keine ergänzenden Leistungen aus dem Nachlass zu seinen Gunsten generiert werden, da hierfür kein geschützter „Fonds“ mehr zur Verfügung steht. Der für den geistig behinderten Vorerben bestellte (oder gem. §§ 1944 Abs. 2 S. 3, 203, 206 BGB zur Ingangsetzung der Frist zu bestellende) Betreuer2 wird ebenso wenig ausschlagen, da dies dem Wohl des Betreuten nicht entspräche, jedenfalls dürfte die gerichtliche Genehmigung (§ 1822 Nr. 2 BGB) hierfür nicht erteilt werden3. Eine Überleitung des Ausschlagungsrechts selbst als Gestaltungserklärung auf den Sozialleistungsträger schließlich kann i.R.d. auf Ansprüche beschränkten § 93 Abs. 1 SGB XII nicht erfolgen4 und findet ebenso wenig kraft Gesetzes gem. § 33 Abs. 1 SGB II statt (Rz. 12.26 ff.). Daher besteht kein überzeugender rechtlicher Anlass mehr, die Pflichtteilsquote zu überschreiten – entscheidend ist vielmehr der Verteilungsplan der Erblasser und deren Bestreben, den durch Nacherbfolge und Testamentsvollstreckung geschützten „Fonds“ ausreichend zu dotieren, um spürbare Verbesserungen für das behinderte Kind zu erreichen.

12.37

b) § 2305 BGB Auch für Sterbefälle seit 1.1.2010 ist jedoch auf jeden Fall davon abzuraten, die Erbteilsquote des Vor- 12.38 erben zu klein zu wählen, da der sonst entstehende Pflichtteilsrestanspruch des § 2305 BGB – als Teil des ordentlichen Pflichtteils gem. § 2303 BGB – weder den Nacherbschafts- noch den Testamentsvollstreckungsbeschränkungen unterliegt und uneingeschränkt überleitbar ist (Rz. 12.6 ff.). Maßgeblich ist auch i.R.d. § 2305 BGB (wie bei Sterbefällen vor dem 31.12.2009 i.R.d. § 2306 BGB für die Differenzierung, ob Abs. 1 S. 1 a.F. oder Abs. 1 S. 2 a.F. Anwendung fände) der Vergleich der Quotenhöhe (mit der Hälfte des gesetzlichen Erbteils). Beschränkungen und Beschwerungen der in § 2306 BGB be1 Z.B. bei Schlitt/Müller/G. Müller, Pflichtteilsrecht, § 10 Rz. 273. 2 Vorausgesetzt, sein Aufgabenkreis i.S.d. § 1902 BGB umfasst auch die Ausschlagung (die „Vermögenssorge“ umfasst im Gegensatz zu „allen Angelegenheiten“ zwar die Annahme, aber wohl nicht die Ausschlagung einer Erbschaft, vgl. Wirich, ZErb 2013, 249, 250. 3 So ausdrücklich OLG Köln v. 29.6.2007 – 16 Wx 112/07, ZEV 2008, 196: keine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Ausschlagung für einen zum nicht befreiten Vorerben eingesetzten Behinderten. 4 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484; OLG Frankfurt v. 7.10.2003 – 14 U 233/02, ZEV 2004, 24, ganz h.M., obiter auch bestätigt in BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 m. Anm. Krauß = NotBZ 2011, 168.

Krauß 447

§ 12 Rz. 12.39

Behinderten- und Bedürftigentestament

zeichneten Art, also die Belastung mit der Nacherbfolge bzw. der Testamentsvollstreckung, bleiben bei der Berechnung des Wertes gem. § 2305 S. 2 BGB außer Betracht (ebenso wie gem. § 2307 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB bei der Annahme eines Vermächtnisses solche Beschwerungen außer Betracht bleiben): der Erbe hat sich schließlich, da er von einer Ausschlagung gem. § 2306 n.F. BGB abgesehen hat, „aus freien Stücken“ diesen Beschränkungen unterworfen. Doch auch im Rahmen des § 2305 BGB können Tücken lauern: aa) Gefahren aufgrund früherer Zuwendungen

12.39 Die Ermittlung des „Wertes des an der Hälfte [des Erbteils] fehlenden Teils“ (§ 2305 S. 1 BGB) ist nicht immer einfach, insbesondere wenn nicht allein die „Quotentheorie“ (Vergleich lediglich mit der Bruchteilsgröße des zugewendeten Anteils am Gesamtnachlass) zugrunde zu legen ist, sondern die sog. „Werttheorie“ („Quantum statt Quote“). Die ganz h.M. geht (nach wie vor davon aus, dass die Werttheorie unter bestimmten Umständen auch i.R.d. § 2305 BGB (nicht nur wie bisher bei der Prüfung des § 2306 BGB) Anwendung finden kann (obwohl sich das damit verfolgte Ziel, den erbenden Pflichtteilsberechtigten nicht schlechter zu stellen als den völlig enterbten Pflichtteilsberechtigten, nun auch durch unmittelbare Anwendung des § 2316 BGB erreichen ließe1), und zwar (nach h.M.) wenn aufgrund früherer Zuwendungen an Dritte Anrechnungs- und/oder Ausgleichspflichten (§§ 2315, 2316 BGB) zu einer Veränderung des ordentlichen Pflichtteils führen (nach Mindermeinung auch dann, wenn der belastete [Mit-]erbe – allein oder zusätzlich auch – pflichtteilsergänzungsberechtigt, § 2325 BGB, ist).

12.40 Die Veränderung des ordentlichen (ggf. auch des Ergänzungs-)Pflichtteils müsste durch eine Erhöhung der (Vor-)Miterbenquote berücksichtigt werden, deren Berechnung jedoch schwerfällt. Auch Vertreter der erweiterten Werttheorie gestehen jedoch zu, dass im Rahmen der Prüfung, ob noch ein Restpflichtteil gem. § 2305 BGB verbleibt, die Summe aus hinterlassenem Erbteil (ohne Abzug für die Beschwerungen: § 2305 S. 2 BGB) und etwa ausgesetzten Vermächtnissen (wiederum ohne Abzug für die Beschwerungen, § 2307 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB) auf der einen Seite und der Gesamtpflichtteil auf der anderen Seite zu erfassen seien.

12.41 Daher bietet sich an2, dem Behinderten/Bedürftigen neben dem belasteten Erbteil (berechnet nach der Quotentheorie) ein durch die Existenz von Vorschenkungen bedingtes Vorausvermächtnis (ausgestaltet als Vor- und Nachvermächtnis, der Testamentsvollstreckung unterworfen) auszusetzen, das den isolierten Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) bzw. den Ausgleichungspflichtteil (§ 2316 BGB) angemessen übersteigt (vgl. das Muster in Rz. 12.42). In Sterbefällen bis zum 31.12.2009 (Art. 229 § 21 Abs. 4 EGBGB) wurde damit nach der erweiternden Auffassung (unter Anwendung der Werttheorie) verhindert, dass die Gefahrenzone des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB erreicht wird; nach der herrschenden Auffassung (welche die Quotentheorie anwenden würde) wird vermieden, dass ein schlicht überleitbarer und auf Geldzahlung gerichteter Pflichtteilsergänzungsanspruch entsteht. Für Sterbefälle seit 1.1.2010 wird das Entstehen freier, überleitbarer Pflichtteilsrestansprüche gem. § 2305 BGB (bei Anwendung der Werttheorie) bzw. (nach neuerer Ansicht, die anstelle der Werttheorie unmittelbar §§ 2325, 2316 BGB anwendet) das Entstehen freier Pflichtteilsergänzungs- oder Ausgleichspflichtteilsansprüche verhindert.

12.42 Der bedingte Anspruch (gerichtet auf Geldleistung, jedoch mit Ersetzungsbefugnis seitens des Beschwerten) übersteigt die Pflichtteilsbetragserhöhung maßvoll, um die Ausschlagung des beschwerten Vermächtnisses (§ 2307 Abs. 1 BGB) zu vermeiden, wobei die in Rz. 12.26 angestellten Überlegungen an sich (wie i.R.d. § 2306 BGB) auch gegen diese Ausschlagung schon dem Grunde nach sprechen: 1 So z.B. PWW/Deppenkemper, 7. Aufl. (2012), § 2305 Rz. 2; J. Mayer in Mayer, J./Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht, § 4 Rz. 9 ff.; a.A. die weiter h.M.: Blum in Schlitt/Müller, § 3 Rz. 78 f. m.w.N.; Damrau/Riedel, § 2305 Rz. 6. 2 Gemäß dem Vorschlag von Weidlich, ZEV 2001, 96.

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Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.43 § 12

M 79 Bedingtes Vorausvermächtnis (als Vor- und Nachvermächtnis) beim „Behindertentestament“ (als Vorsorge gegen die Werttheorie sowie gegen überleitbare Pflichtteilsansprüche)

12.43

Bedingtes Vorausvermächtnis 1. Beschwerter Der länger lebende Ehegatte wird als Miterbe des erstversterbenden Ehegatten zugunsten des gemeinsamen (behinderten) Kindes C mit folgendem bedingtem Vorausvermächtnis beschwert: Soweit infolge lebzeitige Zuwendungen des erstverstorbenen Ehegatten dem C Pflichtteilsansprüche gleich welcher Art (also Pflichtteilsergänzungsansprüche oder Erhöhungsbeträge hinsichtlich des Ausgleichungspflichtteils, oder Pflichtteilsrestansprüche bei Anwendung der Werttheorie, §§ 2325, 2316, 2305 BGB) gegen den Nachlass oder den Beschenkten zustehen würden, hat der Länger lebende diesem einen baren Geldbetrag in Höhe von 110 % dieser Ansprüche zu verschaffen. Übersteigt der Vermächtnisbetrag den Nachlassanteil, handelt es sich insoweit um ein Verschaffungsvermächtnis. Das jeweilige Vermächtnis entfällt, wenn C das ihm in dieser Urkunde Zugewendete ausschlägt, ebenso wenn er oder ein (gesetzlicher bzw. gewillkürter) Vertreter oder Überleitungsberechtigter den betreffenden Pflichtteilsanspruch selbst geltend macht (auflösende Bedingung). 2. Nachvermächtnis C ist jedoch hinsichtlich jedes Vermächtnisses nur Vorvermächtnisnehmer. Nachvermächtnisnehmer sind seine Abkömmlinge, ersatzweise die oben genannten anderen Schlusserben A und B gemäß den dort getroffenen Verteilungsgrundsätzen. Die Nachvermächtnisanwartschaftsrechte sind nur an den Vorerben veräußerlich, im Übrigen jedoch unvererblich und unveräußerlich. Das Nachvermächtnis fällt an mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers. Die bis dahin zu ziehenden Nutzungen stehen dem Vorvermächtnisnehmer zu. Sie dürfen jedoch nur in derselben Weise verwendet werden, wie die Erträge seines Miterbenanteils. 3. Vermächtnisvollstreckung Der erstversterbende Ehegatte ordnet zur Sicherung der vorstehenden Nutzungsverwendung hinsichtlich des jeweiligen Vermächtnisses Vorvermächtnisvollstreckung an, für welche die unten getroffenen Bestimmungen über die Testamentsvollstreckung am Miterbenanteil von C, auch hinsichtlich der Person des Vermächtnisvollstreckers, entsprechend gelten. Der Beschwerte ist berechtigt, nach seiner Wahl das Vermächtnis auf seine Kosten durch die Verschaffung von Immobilienvermögen oder anderen Sachwerten zu erfüllen. 4. Bedingtes Vorausvermächtnis beim zweiten Sterbefall Auch der länger Lebende beschwert die Miterben des C zu dessen Gunsten mit dem oben a bis c geregelten Vor- und Nachvermächtnis als Vorausvermächtnis, ggf. zugleich Verschaffungsvermächtnis, für den Fall, dass aufgrund lebzeitiger Zuwendungen des Länger Lebenden unserem Kind C Ansprüche der genannten Art gegen den Nachlass oder den Beschenkten zustehen würden, und ordnet insoweit Vorvermächtnis-Testamentsvollstreckung an. Es gelten die in Bezug genommenen Regelungen. Testamentsvollstrecker ist der Vorerbenvollstrecker auf den Schlusserbfall.

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§ 12 Rz. 12.44

Behinderten- und Bedürftigentestament

bb) Gefahren aufgrund Ausschlagung durch den überlebenden Ehegatten

12.44 Weitere Gefahren drohen schließlich gem. § 1371 Abs. 2, 2. Hs. BGB: Schlägt nämlich der zum überwiegenden Vollerben eingesetzte überlebende Ehegatte nach dem ersten Sterbefall aus und verlangt stattdessen den „kleinen Pflichtteil“ (berechnet also aus dem nicht gem. §§ 1931, 1371 BGB um ein Viertel erhöhten Erbteil) zuzüglich des konkret ermittelten „familienrechtlichen“ Zugewinnausgleichs auf den Todestag, § 1371 Abs. 3 BGB, berechnen sich die Erb- und Pflichtteilsquoten der anderen Erben ebenfalls ohne das Erhöhungsviertel des Ehegatten, § 1371 Abs. 2, 2. Hs. BGB1.

12.44a Daher muss die „frei gewordene“ Miterbenquote des ausschlagenden Ehegatten dem Vorerben zumindest in einem solchen Umfang zugutekommen, dass die erhöhte Pflichtteilsquote „wieder eingeholt“ wird, was ausdrücklicher Ersatzerbanordnung bedarf (es gilt weder die Auslegungsregel des § 2097 BGB noch die des § 2102 Abs. 1 BGB!) c) § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB

12.45 Zentrale Steuerungsinstrumente zur Sicherung des positiven Gestaltungsziels (der Besserstellung des Hinterbliebenen durch Ergänzung des staatlichen Leistungsangebotes) sind die Verwaltungsanordnungen an den Testamentsvollstrecker gem. § 2216 Abs. 2 BGB. Die (dort Abs. 1 geregelte) subsidiäre gesetzliche Verpflichtung zur „ordnungsmäßigen Verwaltung“ ist in keinem Fall ausreichend2. § 2216 Abs. 2 Satz 2 BGB eröffnet allerdings dem Nachlassgericht die Befugnis, solche Anordnungen – allerdings nur auf Antrag – ganz oder teilweise außer Kraft zu setzen und wohl bei Änderung der Umstände auch zu modifizieren3, wenn ihre Befolgung „den Nachlass ernstlich gefährden würde“. Bei sachgerechter Antragstellung erlaubt somit § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB ältere, nicht optimal formulierte testamentarische Verwaltungsanordnungen so anzupassen, dass einerseits eine bedarfsbezogene Verwertung ggf. auch der Nachlasssubstanz möglich ist, andererseits der Zugriff des Sozialleistungsträgers weiterhin abgewehrt wird. Zuständig ist das Nachlassgericht4. Als solche Beeinträchtigung wird auch die wirtschaftliche Gefährdung der am Nachlass beteiligten Personen verstanden5 (hier: des Behinderten, der sonst die Vermögenswerte für den eigenen Konsum verwenden könnte).

12.46 Die Literatur zieht die Grenze im Hinblick auf das Verbot eines vollständigen Ausschlusses der Ertragsnutzung (§ 2220 BGB) sehr unterschiedlich: (1) die Früchte des Nachlasses seien stets der freien Verfügung des Erben anheimzustellen6, (2) aus den Erträgen sei zumindest dasjenige freizustellen, was für den eigenen angemessenen Unterhalt und die Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten benötigt werde7, (3) eine vollständige Thesaurierung sei unzulässig; wenn Erträge für die „Zusatzversorgung“ bereitgestellt werden, müsse der Ertragsrest auch der allgemeinen Unterbringung zur Verfügung stehen8,

1 Hierauf weisen Mundanjohl/Tanck, ZErb 2006, 180 zu Recht hin. 2 Wobei sich das dabei zugrunde gelegte Leitbild seit Inkrafttreten des BGB bereits erheblich gewandelt hat, vom „guten Hausvater“ und „kaufmännischer Vorsicht“ hin zum „umsichtigen, soliden aber zugleich dynamischen Kaufmann“, vgl. Tolksdorf, ErbStB 2008, 54 ff., 86 ff. und 118 ff.; zur unternehmerischen Entscheidungsverantwortung Illiou, ZErb 2008, 96 ff. 3 A.A. KG OLGZ 1971, 220 (das nur von einer Teilaufhebbarkeit bei entsprechender Teilbarkeit ausgeht), dagegen überzeugend Schmidl, ZErb 2017, 276 ff., ZErb 2017, 303 ff. sowie ZErb 2017, 339 ff. 4 Vgl. hierzu umfassend Schmidl, ZErb 2017, 339 (342), mit Formulierungsvorschlag für einen Korrekturantrag an das Nachlassgericht. 5 NK-BGB/Weidlich, § 2216 Rz. 24; Soergel/Damrau, § 2216 Rz. 12. 6 Otte, JZ 1990, 1028. 7 Nieder, NJW 1994, 1266 unter Berufung auf RG, LZ 1918, 1267. 8 In diese Richtung J. Mayer, DNotZ 1994, 358.

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.49 § 12

(4) zulässig sei eine „Sperranordnung“ des Inhaltes, dass Erträge nur in Gestalt von Naturalverpflegung zu verwenden seien1, (5) zulässig sei der „weitgehende Ausschluss“ des Erben von den Erträgen dann, wenn er im „wohlverstandenen Interesse“ des Erben liege2. Vorsichtige Gestalter raten daher3, die Umsetzung der Verwendungsanweisungen durch eine Auflage abzusichern, die den Behinderten davon abhalten soll, bei etwaiger Unwirksamkeit oder Aufhebung der Vollstreckeranweisungen (bzw. dem Fehlen eines Vollstreckers) die Mittel schlicht für den eigenen Konsum einzusetzen.

12.47

d) Person des Testamentsvollstreckers Der Testamentsvollstrecker haftet persönlich für Schäden aus schuldhafter Verletzung von Pflichten, die ihm dem Erben bzw. Vermächtnisnehmer gegenüber obliegen (§ 2219 BGB), insbesondere der Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung (§ 2216 BGB). Er hat Rechnung zu legen (§ 2218 BGB) und ein Nachlassverzeichnis aufzustellen (§ 2215 BGB). Die Wahrnehmung dieser Kontroll- und Überwachungsrechte des Betroffenen ggü. dem Testamentsvollstrecker erfolgt beim minderjährigen oder sonst nicht voll Geschäftsfähigen an sich durch seinen gesetzlichen Vertreter.

12.48

Besteht (etwa in Gestalt des länger lebenden Ehegatten) Personenidentität als Testamentsvollstrecker 12.49 über den nicht befreiten Vorerbenanteil4 des behinderten Abkömmlings und als dessen gesetzlicher Vertreter (qua Elternschaft, Ergänzungspflegschaft bzw. Betreuung), forderte die Instanzrechtsprechung5 überwiegend wegen des Interessenkonfliktes i.S.d. § 1629 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 1796 BGB (also nicht gegründet auf § 1795 Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB)6 eine Dauerergänzungspflegschaft oder (bei Volljährigen) Dauerergänzungsbetreuung für den Teilbereich „Überwachung des Testamentsvollstreckers“7 durch eine familienfremde Person. Der BGH8 betont demgegenüber, es sei tatrichterlich jeweils im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Ergänzungspflegschaft/Ergänzungsbetreuung zur Wahrnehmung der Rechte ggü. dem Testamentsvollstrecker angeordnet werden müsse. Wenn sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen und des engen persönlichen Verhältnisses zwischen Testamentsvollstrecker und Minderjährigem bzw. Betreutem keinerlei Anlass zu der Annahme ergebe, der Vollstrecker werde unbeschadet seiner eigenen Interessen die Belange des Betroffenen nicht in gebotenem Maß wahren und fördern, sei nicht bereits aufgrund des bloßen „typischen Interessengegensatzes“ ein betreuungs- oder familiengerichtliches Eingreifen erforderlich.

1 2 3 4

5

6 7 8

Staudinger/Reimann (2003), § 2209 Rz. 20. OLG Bremen v. 29.12.1982 – 1 W 83/82a, FamRZ 1984, 213. Vgl. Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 281 mit Formulierungsvorschlag. Ist der Nacherbenvollstrecker (§ 2222 BGB) zugleich gesetzlicher Vertreter des Nacherben, gilt wohl Gleiches für die Erfüllung der Auskunftspflichten gegenüber dem Nacherben, Keim, ZErb 2008, 6. Ist er zugleich gesetzlicher Vertreter des Vorerben, bedarf es zur Entgegennahme der Zustimmung eines Ergänzungspflegers (außer die Genehmigung wird nach § 182 BGB gegenüber dem Vertragspartner erteilt und als Nacherbenvollstrecker ist er von § 181 BGB befreit). OLG Hamm v. 13.1.1993 – 15 W 216/92, FamRZ 1993, 1122 = MittBayNot 1994, 53; OLG Nürnberg v. 29.6.2002 – 11 UF 1441/01, MDR 2001, 1117 = FamRZ 2002, 272 = MittBayNot 2002, 403 m. krit. Anm. Kirchner, MittBayNot 2002, 368; A.A. OLG Zweibrücken v. 21.12.2006 – 5 UF 190/06, FamRZ 2007, 1836 = RNotZ 2007, 157: nur bei konkret vorgetragener Konfliktlage. Es handelt sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Tätigkeit i.S.d. § 181 BGB, vgl. Werner, SchiedsG Handelskammer Hamburg v. 16.10.2007 – DIS-SV-B-435/04, GmbHR 2008, 934 (unabhängig davon könnte zwar der Testamentsvollstrecker, nicht aber der Betreuer von § 181 BGB befreit werden). Der (auch einzige) Nacherbe kann jedoch (sofern nicht zugleich Betreuer oder gesetzlicher Vertreter) zugleich Testamentsvollstrecker des Vorerben sein; vgl. insgesamt Gutachten, DNotI-Report 2003, 145 f. BGH v. 5.3.2008 – XII ZB 2/07, NotBZ 2008, 344.

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§ 12 Rz. 12.50

Behinderten- und Bedürftigentestament

12.50 Wollen die Beteiligten verhindern, dass ein völlig fremder Ergänzungsbetreuer als „Aufpasser“ bestellt wird, ist zu erwägen, einen Mit-(„Neben“)testamentsvollstrecker1 einzusetzen bzw. durch den „Hauptvollstrecker“ gem. § 2199 BGB bestimmen zu lassen2, dessen abweichender Aufgabenbereich (§ 2224 Abs. 1 S. 3 BGB) sich auf die Überwachung des Hauptvollstreckers beschränkt, § 2208 BGB3.

12.51 M 80 Dauertestamentsvollstreckung über den Vorerbenanteil beim

„Behindertentestament“ 1. Testamentsvollstreckung bei beiden Erbfällen Unser gemeinsames Kind … ist wegen seiner Behinderung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Es wird daher die ihm beim jeweiligen Erbfall als Vorerbe zugewendeten Erbteile nicht selbst verwalten können. Sowohl der erstversterbende als auch der länger lebende Ehegatte ordnen deshalb hinsichtlich des unserem behinderten Sohn jeweils zufallenden Erbteils Testamentsvollstreckung in Form einer Dauertestamentsvollstreckung gem. § 2209 BGB an. 2. Person des Testamentsvollstreckers Zum Testamentsvollstrecker wird ernannt: – beim Tod des Erstversterbenden der länger lebende Ehegatte – beim Schlusserbfall das gemeinsame Kind … Der jeweilige Testamentsvollstrecker wird ermächtigt, jederzeit einen Nachfolger zu benennen (§ 2199 BGB) bzw, sofern er das Amt nicht antritt, als Dritter gem. § 2198 BGB den Vollstrecker zu bestimmen. Kann oder will er dies nicht, ist … als Ersatzvollstrecker für den ersten und den zweiten Sterbefall berufen, dem wiederum die Benennungsmöglichkeiten gem. § 2198, 2199 BGB entsprechend zustehen. Hilfsweise soll der Vollstrecker gem. § 2200 BGB durch das Nachlassgericht ernannt werden. Wir empfehlen, im Fall einer Kollision zwischen dem Amt des Betreuers/gesetzlichen Vertreters und des Testamentsvollstreckers, die zur möglicherweise nicht gewollten Bestellung eines fremden Ergänzungs-Überwachungsbetreuers führen würde, das Amt des Betreuers/gesetzlichen Vertreters anzunehmen und im Wege der §§ 2198, 2199 bzw. hilfsweise § 2200 BGB einen anderen, geeigneten Vollstrecker zu bestimmen. Das Amt des für den ersten Sterbefall eingesetzten Testamentsvollstreckers endet mit dem Schlusserbfall. An seine Stelle tritt der für den Schlusserbfall eingesetzte Testamentsvollstrecker, der dann die Miterbenanteile von (Behinderter) am Nachlass beider Elternteile verwaltet. 3. Aufgabe des Vollstreckers Aufgabe des jeweiligen Testamentsvollstreckers ist die Verwaltung des Erbteils unseres behinderten Sohnes … und damit die Verwaltung des Nachlasses gemeinsam mit dem weiteren Miterben. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat alle Verwaltungsrechte auszuüben, die unserem genannten Sohn als (Mit-)Vorerbe zustehen. Er ist zur Verwaltung des Nachlasses in Gemeinschaft mit den weiteren Miterben berechtigt und verpflichtet. Nach Teilung des Nachlasses setzt sich die Testamentsvollstreckung an den dem Vorerben zugefallenen Vermögenswerten fort, ebenso an allen Surrogaten. Aufgabe des Vollstreckers ist ferner die Durchführung der in dieser Verfügung von Todes wegen enthaltenen Teilungsanordnungen.

1 Vorzuziehen gegenüber einem Ersatzvollstrecker (dafür Kirchner, MittBayNot 1997, 203), bei welchem der ursprüngliche Vollstrecker die vollständige Amtsführung verliert. 2 Wobei das Nachlassgericht einwenden könnte, der Minderjährigenschutz sei aufgrund dieser Benennung durch den Überwachenden selbst nicht gewahrt, vgl. Scherer/Lehmann, ZEV 2007, 318, 320. 3 Reimann, MittBayNot 1994, 56; Bonefeld, ZErb 2007, 3.

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.51 § 12

Der Testamentsvollstrecker ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Sowohl der zuerst Versterbende als auch der Überlebende von uns beiden trifft folgende, für den jeweiligen Testamentsvollstrecker verbindliche Verwaltungsanordnung gem. § 2216 Abs. 2 BGB: Die nachstehenden Anordnungen sollen zu einer Verbesserung der Lebensqualität unseres Sohnes führen, indem ihm Leistungen zugewendet werden, die er durch den Standard der Sozialhilfe nicht bekäme. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat daher unserem genannten Sohn die ihm gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgnisse (Nutzungen) des Nachlasses, wie beispielsweise etwaige anteilige Miet- und Pachtzinsen, Zinserträge, Dividenden- und Gewinnanteile und etwaige sonstige Gebrauchsvorteile und Früchte von Nachlassgegenständen, zuzuwenden und dabei sich an folgenden Maßgaben („Regelbeispielen“) zu orientieren: – Geschenke zum Geburtstag und Namenstag, zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten; – Zuwendungen zur Befriedigung von individuellen Bedürfnissen geistiger und künstlerischer Art sowie in Bezug auf die Freizeitgestaltung, insbesondere Hobbys; – Finanzierung von Freizeiten und Urlaubsaufenthalten, einschließlich der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände, und gegebenenfalls Bezahlung einer erforderlichen, geeigneten Begleitperson; – Aufwendungen für Besuche bei Verwandten und Freunden; – Aufwendungen für ärztliche Behandlungen, Heilbehandlungen, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) gezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz usw.; – Anschaffung von Hilfsmitteln und Ausstattungsgegenständen, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) bezahlt werden; dabei sollen die Hilfsmittel von der Qualität so bemessen und ausgewählt werden, dass sie dem Kind optimal dienlich sind; – Aufwendungen für zusätzliche Betreuung, z.B. bei Spaziergängen, Theater- und Konzertbesuchen, Einkäufen und ähnlichem, entsprechend den Wünschen des Kindes – Aufwendungen für Güter des persönlichen Bedarfs des Kindes, z.B. (modische) Kleidung oder Einrichtung seines Zimmers. Für welche der genannten Leistungen die jährlichen Reinerträgnisse verwendet werden sollen, ob diese also auf sämtliche Leistungen gleichmäßig oder nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden oder ob diese in einem Jahr nur für eine oder mehrere der genannten Leistungen verwendet werden, entscheidet der jeweilige Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen, wobei er allerdings immer auf das Wohl des behinderten Abkömmlings bedacht sein muss. Werden die jährlichen Reinerträgnisse in einem Jahr nicht in voller Höhe in Form der bezeichneten Leistungen unserem behinderten Abkömmling zugewendet, sind die entsprechenden Teile vom jeweiligen Testamentsvollstrecker gewinnbringend anzulegen. Sind größere Anschaffungen für unseren Sohn wie beispielsweise der Kauf eines Gegenstandes zur Steigerung des Lebensstandards unseres genannten Sohnes (z.B. die Anschaffung eines Pkw kleiner oder mittlerer Klasse) oder eine größere Reise oder Ähnliches, beabsichtigt, hat der jeweilige Testamentsvollstrecker entsprechende Rücklagen zu bilden. Im Übrigen gelten für die Testamentsvollstreckung die gesetzlichen Bestimmungen. 4. Vergütung Für seine Tätigkeit erhält ein etwa durch das Nachlassgericht bestimmter Ersatztestamentsvollstrecker (§ 2200 BGB) neben dem Ersatz seiner notwendigen Auslagen eine Vergütung in angemessener Höhe (§ 2221 BGB), deren Bemessung sich an den Richtlinien des Deutschen Notarvereins e.V. in ihrer jeweils geltenden Fassung orientiert (vgl. z.B. Zeitschrift „notar“, Jahrgang 2000, S. 2 ff.). Andere Personen haben nur Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. § 2218 BGB, wobei jedoch Tätigkeiten im jeweiligen Beruf oder Gewerbe des Testamentsvollstreckers gesondert zu vergüten sind. Die Vergütung geht zulasten des verwalteten Erbteils.

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§ 12 Rz. 12.52

Behinderten- und Bedürftigentestament

e) Ungeplante Entwicklungen

12.52 Zu denken ist dabei etwa an folgende Aspekte: (1) Stirbt der behinderte Abkömmling (Vorerbe) vor dem ersten Elternteil, vermutet § 2102 Abs. 1 BGB den Nacherben als Ersatzerben. Handelt es sich dabei um eine andere Person als den überlebenden Ehegatten (z.B. das andere Kind oder einen Träger der Behindertenhilfe), ist dies regelmäßig nicht gewollt, vielmehr soll dann der überlebende Ehegatte Alleinerbe (und zwar als Vollerbe) sein. (2) Stirbt der Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalles, sollte sich das Testament dazu verhalten, ob Ersatznacherbfolge (z.B. analog § 2104 BGB) eintritt (so dass der Vermögensstamm auch nach dem Tod des Vorerben weiter geschützt bleibt) oder ob der Vorerbe zum Vollerben wird (der allerdings weiterhin zu Lebzeiten durch die Testamentsvollstreckung vor einem Verwertungszugriff geschützt ist). (3) Es kann sich nachträglich der Wunsch einstellen, den behinderten Vorerben zum Vollerben werden zu lassen, etwa weil an den Vorerbschaftsbeschränkungen (mangels Sozialhilferegressrisikos) kein Bedarf mehr besteht. Im praktischen Ergebnis lässt sich dies durch Übertragung der Nacherbenanwartschaften auf den Vorerben erreichen. (Mit Eintritt des Nacherbfalls wird der Vorerbe Vollerbe, sofern auch der Nacherbe zu diesem Zeitpunkt eine volle Erbenstellung erhalten hätte.) Haben jedoch nicht alle Ersatznacherben zugestimmt oder ihre diesbezüglichen Anwartschaften ebenfalls mitübertragen, würde der Vorerbe seine „Vollerbenstellung“ in dem Zeitpunkt wieder verlieren, in dem der Nacherbe sie an den Ersatznacherben verloren hätte. Um die Mitwirkung der Ersatznacherben entbehrlich zu machen, sollte die Ersatznacherbenanwartschaft dadurch auflösend bedingt sein, dass der Nacherbe seinerseits seine Anwartschaft auf den Vorerben überträgt1. f) Änderungen der Rechtslage

12.53 Selbst wenn die tatsächlichen Verhältnisse und die Gestaltungswünsche der Beteiligten sich nach Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht (mehr) ändern sollten, droht dem „Behindertentestament“ Unbill, wenn sich entweder die rechtliche Würdigung der Zugriffsvermeidungsinstrumente (Testamentsvollstreckung/Vor- und Nacherbfolge bzw. Vor- und Nachvermächtnis) im Lichte des § 138 BGB, etwa aufgrund knapperer Kassen, ändern sollte, oder aber (insbesondere aufgrund einer Änderung des Wortlautes des § 93 SGB XII: „Recht“ statt „Anspruch“) das Ausschlagungsrecht des § 2306 Abs. 1 oder 2 BGB bzw. des § 2307 Abs. 1 BGB) durch den Sozialleistungsträger übergeleitet und ausgeübt werden könnte, so dass ein überleitbarer Pflichtteilsanspruch (den die nachrückenden Ersatzbegünstigten zu erfüllen hätten) entsteht.

12.54 Kann der Erblasser auf eine solche Änderung der Rechtslage (etwa mangels Testierfähigkeit) nicht mehr reagieren, vermag nur eine von Anfang an „beigegebene Ersatzlösung“ das Schlimmste zu verhindern. Sie wird im Regelfall eine Enterbung des behinderten Abkömmlings bezwecken (um ihn aus der gesamthänderischen Nachlassmasse fernzuhalten), möglicherweise aber durch Auflagen (mit Durchsetzung durch den eigentlich vorgesehenen Vollstrecker) zu seinen Gunsten eine die staatlichen Leistungen ergänzende Versorgung bezwecken (allerdings nicht für den Fall, dass der Betroffene selbst ausgeschlagen hat, zumal sonst im Fall einer Betreuung auch das Betreuungsgericht versucht sein könnte, bei Abwägung beider Varianten doch die Ausschlagung genehmigen zu wollen).

12.55 M 81 Hinweise und vorsorgende Hilfslösung beim Behindertentestament 1. Der amtierende Notar hat uns aus Anlass der heutigen Beurkundung unseres gemeinschaftlichen Testaments noch auf Folgendes hingewiesen: 1 OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 3 Wx 80/09, ZEV 2010, 574 m. Anm. Hartmann.

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Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.55a § 12

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass zufolge künftiger Rechtsprechung die heutigen Vereinbarungen im Hinblick auf das Nachrangprinzip der Sozialhilfe gegen § 138 BGB verstoßen, obwohl wir mit den heutigen Vereinbarungen lediglich Regelungen treffen, die auch dem wohlverstandenen Interesse unseres behinderten Sohnes dienen, oder dass eine Sozialleistungsbehörde gesetzliche Ausschlagungsrechte unseres behinderten Sohnes an sich ziehen und für ihn ausüben könnte mit der Folge, dass unsere wohlmeinenden Anordnungen die Wirkung verlieren. 2. Sollte dieses gemeinschaftliche Testament wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB beim jeweiligen Erbfall unwirksam sein, ordnen wir an: Wir setzen uns durch vertraglich bindende Verfügung gegenseitig zum Alleinerben ein. Schlusserben sind unsere beiden Kinder A und B zu gleichen Teilen, ersatzweise deren Abkömmlinge zu gleichen Stammanteilen. 3. Sollten die Belastungen, mit denen die Ziele dieses „Behindertentestaments“ erreicht werden sollen (Verwaltungsvollstreckung; Vor- und Nacherbfolge) unwirksam sein wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB oder aufgrund Ausschlagung durch die Sozialleistungsbehörde mit Wirkung für ihn oder sollte unser behinderter Sohn C aufgrund des Hilfstestaments gem. Nr. 2 lediglich den Pflichtteil erhalten, so gilt: Die anstelle unseres behinderten Sohnes Berufenen sind dann mit einer Auflage zu seinen Gunsten beschwert, für die folgende Bestimmungen gelten: – Von den Erträgen des Vermögens, welches den Ersatzberufenen – nach Abzug der von ihnen jeweils zu tragenden Pflichtteilslast – verbleibt, sind auf Lebzeiten unseres Sohnes jeweils 90 % an diesen auszuhändigen. – Die Vollziehung der Auflage ist Aufgabe des Testamentsvollstreckers, der bei Nichteintritt der Bedingung die betroffene Nachlassbeteiligung unseres Sohnes verwaltet hätte. Erst danach endet sein Amt. Für die an unser behindertes Kind auszuhändigenden Erträge gilt die in dieser Verfügung von Todes wegen angeordnete Verwaltungsanweisung entsprechend. – Neben dem Testamentsvollstrecker steht die Vollziehungsberechtigung für die Auflage sämtlichen Personen zu, die bei Eintritt der Bedingung Ersatzberufene sind, und zwar jeweils in Bezug auf die übrigen Auflagebeschwerten. Für alle anderen Personen, die nach § 2194 BGB die Vollziehung der Auflage verlangen könnten, wird die Vollziehungsberechtigung hiermit ausgeschlossen. – Unter Ausschluss anderslautender Auslegungs- und Ergänzungsregeln entfällt die Auflage, wenn unser behinderter Sohn sie nicht annehmen kann oder will.

g) Fehlerhafte Ausübung der Testamentsvollstreckung Nicht gefeit ist die Gestaltungspraxis freilich vor lebzeitigen Eingriffen in den durch ein fachgerechtes 12.55a „Behindertentestament“ nach dem Eintritt des Erbfalls geschaffenen Tatbestand „im Unverstand“, z.B. den Verkauf des Erbteils des Behinderten gegen Barzahlung (keine Surrogation des Testamentsvollstreckungsschutzes, da der Erbteil selbst diesem nicht unterliegt) mit der Folge, dass nun einsatzpflichtiges Vermögen vorliegt1. Jede Erbauseinandersetzung, auch wenn sie einer angeordneten Teilungsanordnung, Rz. 12.56, folgt, und gleichgültig ob sie (wie anzuraten) durch den Testamentsvollstrecker oder durch den Betroffenen selbst bzw. dessen Betreuer vorgenommen wird, muss sicherstellen, dass die für den Vermögensschutz maßgeblichen Beschränkungen der Vor- und Nacherbfolge sowie der Testamentsvollstreckung in Bezug auf dasjenige, was der „behinderte“ Miterbe im Rahmen der Auseinandersetzung erhält, bestehen bleiben2. Bei der „klassischen“ Einzelübertragung von Nachlassgegenständen setzt sich die Vor- und Nacherbfolge gemäß § 2111 BGB an den zugewiesenen Gegenständen fort („Erwerb mit Mitteln der Erbschaft“), gleiches gilt nach h.M. für die Dauer- (nicht lediglich Abwicklungs!-)testamentsvollstreckung, die sich an der Abfindung analog § 2041 BGB fortsetzt, sofern die Auslegung im Einzelfall kein abweichendes Ergebnis ergibt (was allerdings bei einem „Behindertentestament“ angesichts der klaren Intention des Erblassers ausscheidet). Anders verhält es sich bei einer 1 LG Kassel v. 17.10.2013 – 3 T 342/13, ZEV 2014, 104 m. Anm. Wirich (auch wenn die Erbteilsübertragung zuvor vom Betreuungsgericht genehmigt wurde). 2 Vgl. zum folgenden Keim, DNotZ 2014, 895 ff.

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§ 12 Rz. 12.55b

Behinderten- und Bedürftigentestament

Erbauseinandersetzung durch Übertragung eines Erbanteils: Die Nacherbenbindung des übertragenen Erbteils selbst sowie die Behaftetheit mit der Testamentsvollstreckung setzen sich fort1, am erhaltenen Erlös findet jedoch keine Surrogation statt.

12.55b In gleicher Weise vergebens ist der mit dem klassischen Behindertentestament verbundene gestalterische Aufwand, wenn der Testamentsvollstrecker entgegen der in der letztwilligen Verfügung enthaltenen Anweisung (§ 2216 BGB) Mittel aus der Erbschaft schlicht (i.S.d. § 2217 Abs. 1 S. 2 BGB) freigibt, so dass sie dem Erben zur freien Verfügung stehen und damit zur Deckung des Bedarfs eingesetzt werden können2. So liegt es etwa, wenn monatlich gleichbleibende Beträge auf das Eigenkonto des betroffenen Erben „für private Dinge“ überwiesen werden3. Gleiches gilt, wenn der Testamentsvollstrecker aus den Mitteln des gebundenen Nachlasses die Kosten des Wohnens (auch Nebenkosten wie Versicherung, Verbrauchskosten etc.) übernimmt, so dass für die über die Regelleistung hinausgehenden Kosten der Unterkunft und Heizung kein Leistungsbezug mehr in Betracht kommt. Übernimmt der Testamentsvollstrecker schließlich dauerhaft den Aufwand für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie etc., können die in der Regelleistung enthaltenen, darauf entfallenden Anteile (ca. 37 % für Nahrung und Getränke, ca. 10 % für Bekleidung und Schuhe etc.) aus dem Regelbedarf ausscheiden, § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII. Die ursprünglichen Verwaltungsanweisungen leben nach der Zurverfügungstellung der Mittel nicht mehr als Verfügungsbeschränkungen (im Sinn einer Theorie des „verlängerten Arms“) weiter, so dass es sich um „bereite Mittel“ i.S.d. § 11 SGB II handelt. Zur Vermeidung eines fehlerhaften Umgangs mit dem Instrument der Testamentsvollstreckung, insbesondere durch Laien, empfiehlt es sich daher, möglichst konkrete Verwaltungsanweisungen zu formulieren und nicht allzu sehr auf die korrekte Ermessensausübung des Testamentsvollstreckers zu vertrauen4, und ggf. an Stelle der typischerweise favorisierten Familienangehörigen fachkundige Personen (Fachanwälte für Erbrecht) einzusetzen. 3. Begleitende Anordnungen a) Teilungsanordnung

12.56 Die gesamthänderische Bindung des Nachlasses bereits beim Ableben des ersten Ehegatten (aufgrund der Mit-Vorerbenstellung des „Bedürftigen“) wird gemeinhin als Nachteil empfunden werden. Zu deren Vermeidung ist – und zwar nach beiden Sterbefällen – an eine Teilungsanordnung zu denken, die dem Mit-Vorerben anstelle des Anteils am gesamten Nachlass (Reinnachlass ohne Abzug von Vermächtnissen) z.B. Geldwerte zuweist, die ihrerseits (als Surrogat) wiederum den Vor-/Nacherbenbeschränkungen unterliegen. Die Erfüllung5 dieser Teilungsanordnung ist (auch hinsichtlich des Zeitpunkts) in das billige Ermessen des Testamentsvollstreckers gestellt (§ 2048 Abs. 1 S. 2 BGB); dieser wird der Anordnung insbesondere nachkommen, falls und sobald im Nachlass genügend liquide Geldmittel vorhanden sind. Allerdings kann das Verbot unentgeltlicher Verfügungen (§ 2205 S. 3 BGB), das nur durch Handeln aller Miterben überwunden werden kann, eine sachgerechte Auseinandersetzung beeinträchtigen. Auch bei Grundbesitz bedarf es zur Auseinandersetzung, sofern diese auf einer Tei-

1 BayObLG v. 27.7.1982 – 2 Z 12/82, DNotZ 1983, 320 (325). 2 LSG Niedersachsen-Bremen v. 13.11.2014 – L 15 AS 457/12, ZEV 2015, 291 m. Anm. Tersteegen, hierzu Doering-Striening, ErbR 2016, 10 (12) und ZErb 2017, 95 (104 f.). 3 Vgl. auch LSG Hessen v. 26.6.2013 – L 6 SO 165/10, BeckRS 2013, 71069 Rz. 37. 4 Vgl. Tersteegen, ZEV 2015, 294 f. 5 Muster eines solchen Auseinandersetzungsvertrages bei Ruby, ZEV 2006, 67, sowie Ruby/Schindler/Wirich, Das Behindertentestament, § 5 Rz. 5.

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Rz. 12.59 § 12

lungsanordnung beruht, keiner Zustimmung des Nacherben1. Der Vorerbe bzw. sein Testamentsvollstrecker handelt insoweit lediglich in Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit (ähnlich der Erfüllung eines Vermächtnisses)2. b) Trennungslösung? Üblicherweise wird der überlebende Ehegatte zum Miterben hinsichtlich der neben dem bedürftigen Abkömmling verbleibenden Erbquote eingesetzt, und zwar gemeinhin zum Vollerben, um ihm den höchstmöglichen Grad an lebzeitiger und letztwilliger Freiheit einzuräumen. Ohne den behinderten Abkömmling hätten die Ehegatten häufig das Berliner Testament in Reinform (Einheitslösung) gewählt. Es ist jedoch deutlich darauf hinzuweisen, dass diese (zumindest hinsichtlich des überwiegenden, verbleibenden Miterbanteils verwirklichte) Einheitslösung den tatsächlichen Umfang der Beteiligung des behinderten/bedürftigen Abkömmlings beim Schlusserbfall deutlich vergrößert, da sich die ihm sodann notwendigerweise erneut einzuräumende Vorerbschaftsquote (zumindest in Höhe der Pflichtteilsquote) auf das (noch vorhandene) kombinierte Vermögen beider Ehegatten bezieht.

12.57

Dem könnte gegengewirkt werden durch die Wahl der sog. „Trennungslösung“, d.h. durch Einsetzung des überlebenden Ehegatten hinsichtlich seiner Quote ebenfalls lediglich als Vorerben, allerdings als in höchstmöglichem Umfang befreiten Vorerben. Nacherben werden die anderen (nicht behinderten) Kinder bzw. deren Abkömmlinge, nicht jedoch der behinderte/bedürftige Geschwister, auch nicht als Ersatznacherbe3. Damit begibt sich jedoch der überlebende Ehegatte der Möglichkeit, über das ihm nach der Teilungsanordnung Zufallende (an dem sich diese Vorerbenbeschränkung surrogatweise fortsetzt) ohne Mitwirkung der Nacherben unentgeltlich zu verfügen oder insoweit letztwillig Veränderungen hinsichtlich der Nacherbfolge vorzunehmen. Er bezahlt also mit einem Minus an eigenen, lebzeitigen und letztwilligen Verfügungsmöglichkeiten für eine Entlastung hinsichtlich des baren Aufwandes, den die nicht behinderten/bedürftigen Abkömmlinge zur Bedienung des Mitvorerbteils ihres betroffenen Geschwisters aufzuwenden haben.

12.58

Eine andere (vorzugswürdige, im Gesamtmuster Rz. 12.87 verwendete) Möglichkeit besteht darin, (1) zur rechtzeitigen „wirtschaftlichen Entleerung“ des Nachlasses bereits vor dem zweiten Sterbefall, sowie (2) zur Ausnutzung der sonst verschenkten Freibeträge der anderen Kinder nach dem ersten Sterbefall, den nicht behinderten/nicht bedürftigen Abkömmlingen Vermächtnisse in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils auszusetzen, die ausreichend lang nach dem ersten Sterbefall (z.B. 20 Jahre danach) – wegen § 6 Abs. 4 ErbStG jedoch nicht erst mit dem Eintritt des zweiten Sterbefalls, es fehlt sonst an einer wirtschaftlichen Belastung4 – fällig werden. Auch dadurch wird der „wirtschaftliche“ Anteil des behinderten/bedürftigen Abkömmlings beim zweiten Sterbefall (Wert seines Mit-Vorerbanteils) geschmälert, nicht jedoch der Wert seiner Beteiligung am Nachlass des Erstversterbenden (ebenso wenig wie solche Vermächtnisse bei der Pflichtteilsberechnung, § 2311 BGB, abzuziehen wären).

12.59

1 OLG Hamm v. 19.9.1994 – 15 W 205/94, ZEV 1995, 336 = NJW-RR 1995, 1289; ebenso wenig liegt darin ein Verstoß gegen das Schenkungsverbot des § 2113 Abs. 2 BGB, da der Vorerbteil wertgleich durch Geld ersetzt wird (Fortsetzung der Beschränkungen am Surrogat). 2 Nach anderer, zum selben Ergebnis führender dogmatischer Konstruktion liegt darin eine partielle Befreiung von § 2113 BGB durch den Erblasser. 3 So die Empfehlung von Ruby, ZEV 2006, 67. 4 BFH v. 27.6.2007 – II R 30/05, DStR 2007, 1435 bei Abfindungsleistung für die Nichtgeltendmachung des Pflichtteilsanspruchs, vgl. hierzu Berresheim, ZNotP 2007, 520 und ZErb 2007, 439; krit. Everts, NJW 2008, 557.

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§ 12 Rz. 12.60

Behinderten- und Bedürftigentestament

4. Sozialrechtliche Wertung

12.60 Die auch von den Verwaltungs- und Sozialgerichten (OVG Sachsen1, OVG Saarland2, LSG Niedersachsen-Bremen3) anerkannte Regressfestigkeit des vorstehend skizzierten „Grundmodells“ des Behindertentestaments stützt sich auf zwei Gesetzesbegriffe: (1) das Wort „verwertbar“ in § 90 Abs. 1 SGB XII/§ 12 Abs. 1 SGB II und (2) das Wort „Erbe“ (anstelle von „Erbe oder Nacherbe“) in § 102 SGB XII/§ 35 SGB II. Zu Lebzeiten des behinderten Vorerben sind die Vermögenssubstanz gem. §§ 2115, 2214 BGB, die daraus erzielten Erträge gem. § 2214 BGB aus Rechtsgründen unverwertbar i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII. Nach dem Eintritt des Nacherbfalls unterliegt das frühere Vorerbengut der Substanz nach ebenfalls nicht dem Regresszugriff, da dieser gem. § 102 Abs. 1 SGB XII nur den „Erben“ des Hilfeempfängers, nicht dessen Nacherben trifft. Die akkumulierten, nicht bestimmungsgemäß eingesetzten Erträge allerdings fallen nach dem Tod des Vorerben in seinen Eigennachlass, unterliegen also dem Erbenregress des § 102 SGB XII/§ 35 SGB II.

12.60a Auch wenn man die erhaltene Erbschaft mit dem BSG4 jedenfalls im Bereich des SGB II als Einkommen qualifiziert, ändert dies zunächst am Resultat nichts5: Die Substanz des der Vorerbschaft unterliegenden Vermögens bleibt wegen § 2111 BGB, die der Testamentsvollstreckung unterliegenden Erträge wegen § 2214 BGB nicht anrechenbar, da sie dem Betroffenen nicht zur Verfügung stehen. Es handelt sich noch nicht um „bereites“ Einkommen, sondern allenfalls dann – so das BSG6 –, wenn die geerbten Gegenstände liquide (z.B. nach einem Verkauf) zur Verfügung stehen. Ist der Testamentsvollstrecker angewiesen, lediglich ergänzende Zusatzleistungen zum „normalen LebensunterhaltE einräumen, handle es sich nur bei diesen verfügbaren Früchten um „bereite Mittel“. Anders liege es, wenn dem Erben ein gesicherter Anspruch gegen den Testamentsvollstrecker z.B. auf einen bestimmten monatlichen Betrag oder sonstige Einzelzuwendungen zustehe. Unstreitig liegen sozialleistungsschädliche bereite Mittel vor, sobald der Testamentsvollstrecker Geldbeträge aus der seiner Verwaltung unterliegenden Vermögensmasse endgültig, nicht nur zur Nutzung, dem Erben zuwendet, oder z.B. Immobilien aus dem „Beschlag“ entlässt und sie damit von seinem Verwaltungs- und Verfügungsrecht freigibt. Erst damit werden sie zu „bereitem“ Einkommen; auf die Herkunft des Einkommens kommt es (abgesehen von § 83 SGB XII, § 11a Abs. 3 SGB II: Einkommen mit öffentlich-rechtlicher Zweckbestimmung) nicht an.

12.60b Der Testamentsvollstrecker kann den Zugriff des Sozialleistungsträgers auf die freigegebenen Werte (im Sinne verwertbaren Einkommens) dadurch abwehren, dass Zuwendungen (1) nur zur Nutzung, nicht „zum Verzehr“ gewährt werden, oder dass sie (2) unter Einkommensschontatbestände fallen. Letzteres kann z.B. der Fall sein nach (a) dem „Gesetz über die Contergan-Stiftung für behinderte Menschen“ (b) im Rahmen des SGB XII ferner in Gestalt der einheitlichen Schoneinkommensgrenze nach § 85 SGB XII, sowie (c) in Gestalt der Sonderregeln des § 92 SGB XII bei Leistungen der Eingliederungshilfe bzw. des § 92a SGB XII bei Leistungen in Einrichtungen. Die (c) allgemeine Härteklausel des § 84 Abs. 2 SGB XII (für die es im Rahmen des SGB II kein Pendant gibt), wonach Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu rechtlich oder sittlich verpflichtet zu sein, als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für den Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde, wird möglicherweise ebenfalls, wenn auch selten, zum Zuge kommen.

1 OVG Bautzen v. 2.5.1997 – 2 S 682/96, MittBayNot 1998, 127 m. Anm. Krauß, 130. 2 OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05 (rk.), MittBayNot 2007, 65 m. Anm. Spall; ähnlich bereits zuvor VGH Mannheim v. 22.1.1992 – 6 S 384/90, NJW 1993, 152. 3 LSG Celle v. 29.9.2009 – L 8 SO 177/09. 4 BSG v. 25.1.2012 – B 14 AS 101/11 R, FamRZ 2012, 1136. 5 Vgl. hierzu und zum Folgenden Doering-Striening, ZErb 2014, 105, 110 ff. 6 BSG, v. 17.2.2015 – B 14 KG 1/14 R, ErbR 2016, 204 m. Anm. Wendt = ZEV 2015, 484 m. Anm. Tersteegen, mit Hinweis auf BSG v. 25.1.2012 – B 14 AS 101/11 R, SozR 4-4200, § 11 Nr. 47 Rz. 22.

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Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.61 § 12

(3) Darüber hinaus wird empfohlen, Zuwendungen in Gestalt von Sachwerten bzw. in Gestalt der unmittelbaren Erfüllung von Verbindlichkeiten (Überweisung des Rechnungsbetrags an den Lieferanten, das Reisebüro etc.) zu erbringen. Auch Sachwerte können jedoch anzurechnendes Einkommen sein1, soweit sie geeignet sind, den konkreten sozialhilferechtlichen Bedarf abzudecken. Letztere anderweitige Bedarfsdeckung könnte gemäß § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII (allerdings nur im Bereich der Sozialhilfe, nicht der Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB II) dazu führen, dass der monatliche Regelsatz abweichend bemessen wird, weil einzelne darin enthaltene Bestandteile (etwa Innenausstattung, Gesundheitspflege, Freizeit, Unterhaltung, Kultur oder Mobilität) bereits dauerhaft durch Sachzuwendungen erbracht wurden2. Mittelbar können also auch Sachzuwendungen, jedenfalls wenn sie periodisch und nachhaltig mit gleicher Bedarfsdeckungsabsicht erbracht werden, zu einer Reduzierung der staatlichen Leistungen führen. (4) Zu berücksichtigen ist schließlich, dass nach der Rechtsprechung des BSG3 erhaltenes und als „bereites Mittel“ zur Verfügung stehendes Einkommen, das nach Ablauf des Verteilungszeitraums4 noch vorhanden ist, Vermögensqualität erlangt mit der Folge, dass sodann die Schonvermögensregeln des § 90 SGB XII/§ 12 SGB II gelten und damit auch die Härtefallklausel des § 90 Abs. 3 SGB XII, § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II. Solche Härtefälle werden für Behinderte eher in Betracht kommen als für Nichterwerbstätige i.S.d. SGB II. 5. Zivilrechtliche Wertung a) Subsidiaritätsverstoß? Der Erbrechtssenat des BGH5 (ebenso der Familienrechtssenat6) und dem BGH folgend die Instanz- 12.61 gerichte haben das vorstehend skizzierte Gestaltungsmodell des Behindertentestaments zivilrechtlich vom Vorwurf der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) jedenfalls dem Grunde nach freigestellt. Maßgeblich hierfür war zum einen die Erwägung, dass der gesetzliche Nachrang der Sozialfürsorgeleistung (§ 2 SGB XII) gerade beim Bezug von Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen (etwa der Hilfe zur Pflege) deutlich abgeschwächt ist: So wird etwa eigenes Einkommen des Hilfeempfängers und der weiteren Mitglieder der Einsatzgemeinschaft des § 19 Abs. 1 oder 3 SGB XII (d.h. des nicht getrennt lebenden Ehegatten/des Verpartnerten bzw. des nichtehelichen Lebensgefährten gem. § 20 SGB XII) geschont, solange es die allgemeine Einkommensgrenze des § 85 SGB XII7 nicht übersteigt. Selbst das darüber hinausgehende Einkommen ist gem. § 87 Abs. 1 SGB XII nur in angemessenem Umfang einzusetzen. Auch das Vermögen der Mitglieder der Einsatzgemeinschaft erfährt in § 90 Abs. 2 SGB XII eine über das bürgerliche Unterhaltsrecht deutlich hinausgehende Schonung (wobei insoweit die weitere Privilegierung der Leistungen zur Hilfe in besonderen Lebenslagen lediglich noch in Gestalt erhöhter Freibeträge für Ersparnisse gem. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Erscheinung tritt). Hinzu kommt die deutlich gedämpfte Heranziehung jedenfalls der Eltern eines volljährigen behinderten Kindes, § 94 Abs. 2 SGB XII, mit der eine „postmortale“ Pflicht zur Entlastung des Staates durch solches privilegiertes Eltern- bzw. Familienvermögens (wie sie durch die Nichtbeachtung einer auf Erhalt gerichteten Nachlassplanung mittelbar geschaffen würde) schwerlich zu vereinbaren wäre.

1 2 3 4

Vgl. §§ 1, 2 der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII; Doering-Striening, ZErb 2014, 105 (113). Vgl. Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 SGB XII v. 24.3.2011, BGBl. 2011 I, S. 453. Vgl. etwa BSG v. 10.9.2013 – B4 AS 89/12 R. Z.B. gemäß § 11 Abs. 3 SGB II sechs Monate, gemäß §§ 8 Abs. 1 S. 3, 11 Abs. 1 S. 1 der Verordnung zu § 82 SGB XII zwölf Monate. 5 BGH v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89, MittBayNot 1990, 245 und DNotZ 1992, 241, jeweils m. Anm. Reimann, und erneut BGH v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92, MDR 1994, 591 = FamRZ 1994, 162 = ZEV 1994, 35 m. Anm. Bengel, ZEV 1994, 29 ff.; sowie MittBayNot 1994, 49 ff. m. Anm. Reimann. 6 BGH v. 27.3.2013 – XII ZB 679/11, FamRZ 2013, 874 = DNotZ 2013, 860, Tz. 20. 7 Seit 1.1.2005 gem. § 86 SGB XII nur bei Ausübung des landesrechtlichen Vorbehalts.

Krauß 459

§ 12 Rz. 12.62

Behinderten- und Bedürftigentestament

12.62 In wertender Hinsicht stützt die zivilrechtliche Rechtsprechung die Zulässigkeit des Behindertentestaments jedoch maßgeblich auf die Erwägung, das durch die Erblasser verfolgte Ziel bestehe gerade nicht in der Umkehrung des sozialrechtlichen Subsidiaritätsprinzips um seiner selbst willen, sondern in der verfassungsrechtlich (Testierfreiheit!) anzuerkennenden Besserstellung des Behinderten durch eine verantwortungsvolle Gestaltung von Todes wegen, die allerdings zur Vermeidung frühzeitiger Erschöpfung des Nachlasses als notwendigen Reflex die Zurückdrängung sozialhilferechtlicher Verwertungspflichten zur Folge haben muss, indem die Tatbestandsvoraussetzungen der verschiedenen in Betracht kommenden Regressalternativen jedenfalls eines Elements („verwertbar“, „Erbe“) nicht eintreten. Der BGH führt hierzu1 aus, die Eltern behinderter Kinder müssten sich „geradezu fragen, ob sie nicht sittlich gehalten sind, auch für den Fall vorzusorgen, dass die öffentliche Hand ihre Leistungen für Behinderte nicht mehr auf dem heute erreichten hohen Stand halten kann.“ Dies deckt sich mit der veröffentlichten Einschätzung von BGH-Richtern2. Die Wertung ist auch insoweit konsequent, als der BGH3 dem Schenker freigestellt hat, keine Rücksicht auf die eigene Versorgung bei später eintretender Hilfebedürftigkeit nehmen zu müssen – dies muss dann erst recht gelten, wenn es um die Hilfebedürftigkeit anderer geht. b) Sättigungsgrenze?

12.63 Diese zivilrechtliche Unbedenklichkeit des Behindertentestaments gilt jedenfalls dann und so lange, als nicht allein aus der Vorerbschaft die voraussichtlich lebenslange Versorgung des Behinderten ohne Inanspruchnahme nachrangiger Sozialleistungen auf Dauer gesichert werden kann. Zu berücksichtigen ist zum einen die erzielbare Rendite, zum anderen der Wertverlust durch Inflation, schließlich die Kosten der Testamentsvollstreckung und der getroffenen Anordnungen – nur wenn die Heimkosten zusätzlich übernommen werden könnten und dennoch kein Totalverzehr des Nachlassanteils vor Erreichen der statistischen Lebenserwartungsgrenze eintreten würde, sei in eine Missbrauchsabwägung einzutreten4. Die neuere Rechtsprechung5 verneint demgegenüber teilweise bereits gänzlich eine Differenzierung der Sittenwidrigkeitsbeurteilung eines Behindertentestaments in Abhängigkeit vom Volumen des dem behinderten Kind hinterlassenen Nachlassanteils. Selbst bei einem (durch Nacherbenstellung und Testamentsvollstreckung beschränkten) Erbteil von über 960.000 Euro wurde ein Behindertentestament als wirksam aufrechterhalten. Dabei sei auch der Umstand zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber spürbare Reaktionen in Kenntnis der seit Jahrzehnten bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines Behindertentestaments nicht ergriffen, bspw. keine Möglichkeit zur Überleitung der Ausschlagungsbefugnis durch Verwaltungsakt auf den Sozialleistungsträger gem. § 93 SGB XII eröffnet hat.

VI. Variante I der Erbschaftslösung: Destinatär als alleiniger Vorerbe 12.64 Die in Abschnitt V, Rz. 12.30 ff., vorgestellte „klassische Konstruktion“ des Behindertentestaments erweist sich in der praktischen Handhabung insoweit als nachteilig, als der behinderte Abkömmling schon beim ersten Sterbefall gesamthänderisch am Nachlass zu beteiligen ist. Es wird daher mitunter6 vorgeschlagen, den sozialhilfebedürftigen Abkömmling zum Alleinerben einzusetzen, und zwar als 1 BGH v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89, DNotZ 1992, 241 (244). 2 RiBGH Wendt auf der Gründungsveranstaltung des Rheinischen Instituts für Notarrecht am 4.11.2006 in Bonn, vgl. Gsänger, DNotZ 2007, 7, und erneut ZNotP 2008, 2, 5 sowie ZErb 2010, 45, 48. 3 BGH v. 6.2.2009 – V ZR 130/08, FamRZ 2009, 865 = MDR 2009, 622 = ZEV 2009, 254 m. Anm. Litzenburger. 4 OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05, ZErb 2006, 275; strenger SG Mannheim v. 20.12.2006 – S 12 AS 526/06, das bereits bei Sicherung des Unterhalts über elf Jahre die Unwirksamkeit eines „Bedürftigentestaments“ diskutiert. 5 OLG Hamm v. 27.10.2016 – 10 U 13/16, ErbR 2017, 418; zustimmend Wendt, ErbR 2017, 403 ff. sowie Zehentmeier, NWB 2017, 1740 ff. 6 Grziwotz, ZEV 2002, 409 (mit Textvorschlag S. 410), ebenso NotBZ 2006, 155.

460

Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.68 § 12

nicht befreiten Vorerbe und mit Testamentsvollstreckung zu belasten. Für den überlebenden Ehegatten und den nicht behinderten Abkömmling werden Vermächtnisse ausgesetzt, deren Erfüllung dem Testamentsvollstrecker überantwortet ist, z.B. gerichtet auf Übertragung des Familienheims (sog. „umgekehrte Vermächtnislösung“). Das abstrakte Ausschlagungsrisiko des § 2306 BGB besteht allerdings auch hier; ferner müssen sich im Nachlass außer den Vermächtnisgegenständen noch so viele Werte befinden, dass der Pflichtteil des behinderten Kindes überstiegen wird, damit die Vermächtnisse ungekürzt erfüllt werden können. Der Gefahr einer Fehlprognose über die künftige Nachlasszusammensetzung kann jedoch entgegengetreten werden, wenn anstelle gegenständlicher Vermächtnisinhalte mit Quotengeldvermächtnissen gearbeitet wird, und dem Beschwerten die Möglichkeit einer Ersetzung durch Sachzuwendungen eröffnet ist1.

12.65

VII. Variante II der Erbschaftslösung: Destinatär als Mitnacherbe In gleicher Weise, wie die umgekehrte Vermächtnislösung (Rz. 12.64 f.) vermeidet die gegenseitige 12.66 Einsetzung der Eltern zu befreiten Vorerben („Trennungsmodell“) die gesamthänderische Bindung des Nachlasses bereits nach dem ersten Sterbefall. Der sozialhilfebedürftige Destinatär wird in diesem Fall zum (Mit-)Nacherben eingesetzt, und zwar wiederum seinerseits als den gesetzlichen Beschränkungen unterworfener Vorerbe, welcher der Dauer-Testamentsvollstreckung unterliegt. Nach-Nacherbe ist z.B. sein nicht sozialhilfebedürftiges Geschwister. Bereits beim Tod des Erstverstorbenen können wesentliche Vermögensteile wie z.B. der selbstgenutzte Grundbesitz als Vorausvermächtnis dem überlebenden Ehegatten frei von den lebzeitig wirkenden (Schenkungsverbot!) Vorerbschaftsbindungen zugeordnet werden. Beim zweiten Sterbefall greift dann insoweit die „klassische Lösung“ (Destinatär als Mitvorerbe des überlebenden Ehegatten). Auch diese Erbschaftslösung2 unterliegt dem Risiko, dass durch den Mit-Nacherben selbst oder ei- 12.67 nen ihm beigeordneten Betreuer eine Ausschlagung stattfindet (nunmehr gestützt auf § 2306 Abs. 2 BGB), und zwar während eines deutlich längeren Zeitraums, da die Ausschlagungsfrist erst mit Eintritt des Nacherbfalls (also Ableben des länger lebenden Ehegatten) zu laufen beginnt (der Pflichtteilsanspruch allerdings verjährt in drei Jahren ab Kenntnis vom Erbfall: §§ 195, 199 BGB, ungeachtet der Ausschlagung: § 2332 Abs. 2 BGB). Das Ausschlagungsrecht ist ferner vererblich. Dieser längere Unsicherheitszeitraum führt insbesondere dann zu schwierigen Abwägungen, wenn der Behinderte z. Zt. noch nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist. Der Betreuer hat dann den Vorteil des sofort verfügbaren Geldpflichtteils – als lediglich künftiger Nacherbe ist er ja ohne Ausschlagung bis zum Nacherbfall vollständig von der Erbschaft und ihren Nutzungen abgeschnitten – gegen die möglichen künftigen Nachteile (Verlust der größeren Nacherbschaft) abzuwägen, und kann sich nicht auf die Überlegung zurückziehen, angesichts des bereits gegebenen Sozialhilfebedarfs würde eine Ausschlagung wegen der Verwertung dieses Betrags durch den Sozialhilfeträger zu keiner Besserstellung des Destinatärs führen.

VIII. Das „Bedürftigentestament“ 1. Erbschaftslösungen Im Anschluss an Kornexl3 hat sich für die Gestaltung letztwilliger Verfügungen bei Vorhandensein potenziell überschuldeter Destinatäre der Begriff „Bedürftigentestament“ eingebürgert. Kautelarjuristisch vorrangig ist auch stets der vorherige Verzicht auf sonst anfallende, überleitungsfähige erbrecht1 Vgl. Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 343. 2 Empfohlen von Litzenburger, RNotZ 2004, 138/145 ff. und Kleensang, RNotZ 2007, 22; Letzterer mit Formulierungsvorschlag, S. 26 f. 3 Auf der zweiten Jahresarbeitstagung des Notariats in Würzburg (DAI-Veranstaltung) am 23.9.2004.

Krauß 461

12.68

§ 12 Rz. 12.69

Behinderten- und Bedürftigentestament

liche Positionen (insbesondere der Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB, vgl. Rz. 12.8). Die geschilderten Gestaltungselemente der Vor- und Nacherbfolge, einerseits, sowie der Dauertestamentsvollstreckung, andererseits, gewährleisten zugleich einen Schutz des Nachlasses gegen Zugriff von Eigengläubigern des Erben bzw. Miterben auch außerhalb des sozialhilferechtlichen Kontextes (§ 2115 BGB, § 83 S. 2 InsO, § 773 ZPO einerseits, § 2214 BGB andererseits). Eine Betreuung wird für den Bedürftigen nicht erforderlich sein, so dass der überlebende Ehegatte ohne weiteres zum Testamentsvollstrecker des bedürftigen Mit-Vorerben (und zusätzlich des Nacherben, § 2222 BGB) bestellt werden kann. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Status der Überschuldung (anders als i.d.R. der Status der Behinderung, also mangelnder Erwerbsfähigkeit überhaupt) seiner Natur nach nur vorübergehend ist (bzw. sein sollte), so dass Wege zu suchen sind, die Beschränkungen auf den notwendigen Zeitraum (des Bezugs von Fürsorgeleistungen bzw. bis zum Eintritt der Restschuldbefreiung) zu begrenzen, vgl. Rz. 12.78 ff.

12.69 Bei einem der Vor- und Nacherbfolge unterliegenden Miterben erfasst das an die Gläubiger des Vorerben gerichtete Verwertungsverbot des § 2115 BGB nur die einzelnen zu einer Erbschaft gehörenden Sachen und Rechte, nicht aber den Miterbenanteil selbst, über den der Miterbe verfügen könnte, so dass die Gläubiger diesen nach § 859 Abs. 2 ZPO bis zur Auseinandersetzung pfänden könnten.1 Die angeordnete Pfändung des Vorerbteils erlischt allerdings mit Eintritt des Nacherbfalls, da der Nacherbe nicht Schuldner des Pfändungspfandgläubigers wird (§§ 2100, 2139, 2144 Abs. 1 BGB). Ein Auseinandersetzungsverbot mit Absicherung durch Testamentsvollstreckung (s. nachstehend) bietet flankierenden Schutz. Ist allerdings die Nacherbfolge auflösend bedingt auf den „Wegfall der Bedürftigkeit“, wird der gepfändete Erbteil des früher Bedürftigen frei verwertbar, da der Nacherbfall nicht mehr eintreten kann. Hierin liegt ein wesentliches Argument gegen diese Gestaltungsalternative zur Anpassung des „Bedürftigentestaments“ bei späterer wirtschaftlicher Gesundung.

12.70 Auch in Bezug auf die Testamentsvollstreckung ist jedoch beim Miterben zu berücksichtigen, dass der Eigengläubiger trotz Testamentsvollstreckung dessen Erbteil zusammen mit dem Anspruch auf Auseinandersetzung (§ 2042 BGB) pfänden kann, § 859 Abs. 2 ZPO; diese Pfändung kann sogar ohne Zustimmung des Testamentsvollstreckers im Grundbuch zugehöriger Grundstücke als Verfügungsbeschränkung eingetragen werden2. Die Pfändung des Erbteils hindert jedoch nicht den Vollstrecker an einer Verfügung über die Nachlassgegenstände; nach dem Vollzug der Verfügung ist der Pfändungsvermerk als gegenstandslos im Grundbuch zu löschen3. Ein vom Erblasser gem. § 2044 BGB angeordnetes Auseinandersetzungsverbot (auf die Dauer von bis zu 30 Jahren oder, ohne Zeitlimit, bis zum Eintritt der Nacherbfolge) bindet zwar per se nicht den Pfändungsgläubiger (§ 2044 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 751 S. 2 BGB), ebenso wenig den Insolvenzverwalter (§ 84 Abs. 2 S. 2 InsO); ist aber zusätzlich Testamentsvollstreckung angeordnet, kann auch der Gläubiger nach Pfändung eines Erbteils vom Testamentsvollstrecker nicht mehr verlangen als der Miterbe selbst, also jedenfalls nicht die vorzeitige Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft – das Verbot ist demnach auch gegenüber dem Pfändungsgläubiger durchsetzbar4.

12.71 Im Verhältnis zu Gläubigern weist die Situation des „schlicht überschuldeten“ Abkömmlings ggü. demjenigen, der steuerfinanzierte Sozialfürsorgeleistungen bezieht, einen wichtigen Wertungsunterschied insoweit auf, als eine Möglichkeit zur Überleitung etwa entstandener Pflichtteilsansprüche (etwa bei der schlichten Enterbungslösung) für den normalen Gläubiger wie auch für den Insolvenzverwalter nicht besteht (§ 852 Abs. 1 ZPO, § 36 InsO). Gleiches gilt für Bedürftige, die sich in der „Wohlverhaltensphase“ auf dem Weg zur Restschuldbefreiung befinden, trotz des insoweit nicht ein-

1 Vgl. van de Loo, NJW 1990, 2853. 2 Staudinger/Reimann (2003), § 2215 Rz. 8. 3 KG, DNotZ 1941, 127; BayObLG v. 27.12.1982 – BReg.1 Z 112/82, FamRZ 1983, 840 = BayObLGZ 1982, 459 (462); BGH v. 14.5.2009 – V ZB 176/08, FamRZ 2009, 1321 = MDR 2009, 949 = DNotZ 2010, 64, Tz. 16. 4 Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, S. 310 m.w.N.

462

Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.73 § 12

deutigen Wortlautes des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO1; bezieht der Bedürftige allerdings während der Verjährungsphase des Pflichtteilsanspruchs Grundsicherung für Arbeitsuchende (ALG II gemäß SGB II), geht der Pflichtteilsanspruch gem. § 33 SGB II in voller Höhe ohne weiteres kraft Legalzession auf den Sozialleistungsträger über. Vor dieser möglichen Risikoerweiterung zielt auch das Bedürftigentestament darauf ab, das „automatische“ Entstehen von originären Pflichtteilsansprüchen zu verhindern. Die oben Rz. 12.61 ff. begründete grundsätzliche Unbedenklichkeit des „Behindertentestaments“ unter dem Blickwinkel eines zur Sittenwidrigkeit führenden Subsidiaritätsverstoßes kann auf das schlichte „Bedürftigentestament“ nicht ohne weiteres übertragen werden kann, wenn steuerfinanzierte Sozialfürsorgeleistungen bezogen werden (Grundsicherung für Arbeitsuchende = SGB II, Grundsicherung im Alter oder Hilfe zum Lebensunterhalt: 3. und 4. Kapitel des SGB XII). Das „positive Gestaltungsziel“ ergänzender postmortaler Versorgungsleistungen an das behinderte Kind tritt tendenziell zurück hinter das „negative Gestaltungsziel“ der Zugriffsabwehr; letztere ist nicht mehr allein notwendiges Mittel zum Zweck weiterer Unterstützung, sondern wird Selbstzweck. Das SG Dortmund2 wertet z.B. die Anordnung der Testamentsvollstreckung selbst als sittenwidrig und damit unwirksam

12.72

Das LSG Mannheim3 und das LSG Hamburg4 gehen gleichwohl davon aus, dass im Hinblick auf die Prüfung der Sittenwidrigkeit (Verstoß gegen das Subsidaritätsprinzip) kein Unterschied zwischen dem „Bedürftigen-“ und dem „Behinderten-“ Testament besteht. Wie bei einem behinderten, also dauernd erwerbsunfähigen, Destinatär komme es entscheidend darauf an, ob der Erbe/Vermächtnisnehmer in absehbarer Zeit eine Freigabe von Nachlassgegenständen oder Nutzungen gem. §§ 2216, 2217 BGB erreichen könne bzw. der Testamentsvollstrecker zeitnah verpflichtet sei, Geldmittel an den Berechtigten auszukehren bzw. sie für Bedarfe einzusetzen, zu deren Befriedigung der Kläger Fürsorgeleistungen erhalte. Das LSG Hamburg führt5 hierzu interessanterweise aus, dass sich der vom BGH in seinen Grundsatzentscheidungen verwendete Begriff des behinderten „Kindes“ eben nicht auf das Lebensalter des Berechtigten beziehe, sondern auf das Verwandtschaftsverhältnis, und auch der Begriff der „Behinderung“ sei nicht notwendig im sozialgesetzlichen Sinn zu verstehen. Auch das BSG6 hat im Fall eines Bedürftigentestaments ausgeführt, eine Dauertestamentsvollstreckung, die der Erbschaft die Eigenschaft nehme, „als bereites Mittel“ zu gelten, verstoße nicht gegen die guten Sitten, dann jedoch (ohne Not) ausgeführt, dass selbst im Fall der Sittenwidrigkeit „bereite Mittel“ erst vorliegen könnten, wenn die Erbin die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung erfolgreich „angefochten“ habe. Letzte Entwarnung kann also insoweit nicht gegeben werden7, insbesondere nicht in den Fällen, in denen die prekären Verhältnisse voraussichtlich nur vorübergehend sein werden (zeitweilige Arbeitslosigkeit)8.

12.73

1 BGH v. 25.6.2009 – IX ZB 196/08, FamRZ 2010, 460 m. Anm. Floeth = MDR 2009, 1191 = FamRZ 2009, 1485 = MittBayNot 2010, 52 m. Anm. Menzel. 2 SG Dortmund v. 25.9.2009 – S 29 AS 309/09 ER, ZEV 2010, 54m. teilw. krit. Anm. Keim, bei einer Erbschaft i.H.v. 240.000 Euro. Zu Unrecht sieht Roth, NJW-Spezial 2009, 760 damit auch „das Behindertentestament wieder auf dem Prüfstand“, vgl. Wendt, ZErb 2010, 45, 48 und Tersteegen, MittBayNot 2010, 105 ff. sowie Ihrig, NotBZ 2011, 345 (351). 3 LSG Mannheim v. 9.10.2007 – L 7 AS 3528/07, ZEV 2008, 147; dazu Tersteegen, ZEV 2008, 121. 4 LSG Hamburg v. 13.9.2012 – L 4 AS 167/10, FamRZ 2013, 1428 = ErbBstg 2013, 30; hierzu J. Mayer, in: DAI, 11. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2013, Skript S. 512 ff. 5 In Tz. 45 des genannten Beschlusses. 6 BSG v. 17.2.2015 – B 14 KG 1/14 R, ZEV 2015, 484 m. Anm. Tersteegen = ErbR 2016, 204 m. Anm. Wendt, der das Urteil als klare Bestätigung für die auch sozialrechtliche Anerkennung des Bedürftigentestaments wertet, ähnlich Manthey/Trilsch, ZEV 2015, 618 ff. 7 Kritisch insbesondere Armbrüster, ZErb 2013, 77, der darauf hinweist, dass § 138 Abs. 1 BGB normenhierarchisch auf derselben Stufe stehe wie die Bestimmungen des Erbrechts; als offen bezeichnet von Proff, RNotZ 2012, 272, die Übertragbarkeit der BGH-Behindertentestamentsrechtsprechung auf das „Bedürftigentestament“. Ablehnend zur gesamten Wertung Dutta, AcP 209 (2009), 760 (787). 8 Vgl. Wendt, ZNotP 2014, 162 (170).

Krauß 463

§ 12 Rz. 12.74

Behinderten- und Bedürftigentestament

2. Vermächtnislösungen

12.74 Die beim „Behindertentestament“ diskutierte „schlichte“ Vor- und Nachvermächtnislösung ist beim „Bedürftigentestament“ wenig empfehlenswert: Zwar kann die Testamentsvollstreckung über das Vorvermächtnis gem. § 2214 BGB den Zugriff von Eigengläubigern des Vorvermächtnisnehmers abwehren (allein die Vor- und Nachvermächtniskonstruktion genügt hierfür nicht, da § 2191 Abs. 2 BGB nicht auf § 2115 BGB verweist). Stirbt aber der überschuldete Vorvermächtnisnehmer, nimmt der Nachvermächtnisnehmer in der zu erwartenden Nachlassinsolvenz über das Vermögen des verarmt verstorbenen Vorvermächtnisnehmers als gewöhnlicher Gläubiger teil, der Nachvermächtnisanspruch wird also nur i. H. d. vernachlässigbaren Quote erfüllt werden1. Während der Nacherbe den ersten Erblasser beerbt, beschwert das Nachvermächtnis nämlich den Vorvermächtnisnehmer und dessen Nachlass, § 2191 Abs. 1 BGB. Allenfalls könnte die Stellung des Nachvermächtnisnehmers in der Nachlassinsolvenz des Vorvermächtnisnehmers dadurch entscheidend verbessert werden, dass der Vorvermächtnisnehmer bereits zu Lebzeiten eine aufschiebend auf den eigenen Tod befristete Erfüllung des Nachvermächtnisses vornimmt, § 161 BGB2.

12.75 Überlegenswert ist allerdings ein schlichtes Vermächtnis zugunsten des Bedürftigen, das dieser so lange als notwendig (d.h. zumindest während der Wohlverhaltensphase einer Insolvenz und solange Gläubigerzugriffe Dritter auf den dann zu erlangenden Vermächtnisgegenstand drohen) „in der Schwebe hält“, also weder annimmt noch ausschlägt, § 2180 BGB. Da auch eine stillschweigende Annahme oder Ausschlagung erfolgen kann, ist strikte Untätigkeit unerlässlich. Nach der bereits in der Literatur überwiegend vertretenen,3 nun vom BGH bestätigten4 Auffassung trifft den Bedürftigen weder (1) im Verhältnis zum „normalen Gläubiger“ eine anfechtungsrechtliche noch (2) im Verhältnis zum Insolvenzverwalter eine insolvenzrechtliche Verpflichtung bzw. (3) auf dem Weg zur Restschuldbefreiung eine aus § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO5 zu schöpfende Obliegenheit, das Vermächtnis anzunehmen. Auch eine (4) Gläubigeranfechtung scheidet insbesondere aus, da (anders als bei der Erbschaft) kein „vonselbst-Erwerb“ eintritt, der durch die Ausschlagung beseitigt werden würde; das Recht zur Annahme bzw. Ausschlagung des Vermächtnisses kann ferner nicht von der Vermächtnisnehmerstellung getrennt werden6, ist also nicht durch Pfändung überweisbar (§ 851 Abs. 1 ZPO) und – mangels Anspruchsqualität, § 93 Abs. 1 SGB XII/§ 33 SGB II – auch nicht auf den Sozialleistungsträger überleitbar. Allerdings hat der „schwebend Bedachte“ weder Zugriff auf Substanz noch auf Erträge des Vermächtnisgegenstandes. Weiter ist zu bedenken, dass mögliche Gläubiger des mit dem Vermächtnis belasteten Erben durch Pfändung und Verwertung die Leistung des Vermächtnisses vereiteln könnten; hiergegen bedürfte es der Testamentsvollstreckung über die Erbschaft, § 2214 BGB.

12.76 Die später, nach Ausspruch der Restschuldbefreiung, erklärte Annahme des Vermächtnisses führt wohl nicht zu einer Nachtragsverteilung i.S.d. § 203 InsO, da – anders als im Fall des nachträglich geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs7 oder der nachträglich durch Anfechtung, also mit zivilrechtlicher Rückwirkung, unbeschwert angefallenen Erbschaft, Rz. 12.80 f. – während der Regelinsolvenz- und während der Wohlverhaltensphase kein tatsächlicher oder rechtlicher Vermögenswert vorhanden war: Zwar wirkt die Ausschlagung eines Vermächtnisses zurück, § 2180 Abs. 3 i.V.m. § 1953

1 Vgl. Everts, ZErb 2005, 355; MüKo.InsO/Siegmann, § 327 Rz. 6; Watzek, MittRhNotK 1999, 37. 2 So die Empfehlung von Baltzer, Das Vor- und Nachvermächtnis in der Kautelar-Jurisprudenz, S. 200, Formulierungsvorschlag auf S. 219. 3 Everts, ZErb 2005, 355; Limmer, ZEV 2004, 136; Hartmann, ZNotP 2005, 86. 4 BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, NotBZ 2011, 212 m. Anm. Krauß. 5 BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, NotBZ 2011, 212; MüKo.InsO/Ehricke, § 295 Rz. 57 m.w.N. (auch zur Gegenansicht) in Fn. 168: § 295 InsO setzt nicht an am „Ob“ des Erwerbs, sondern setzt diesen voraus. 6 MüKo.BGB/Lange, § 2317 Rz. 16. 7 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 184/09, FamRZ 2011, 212 = MDR 2011, 131 = FamRZ 2011, 1399 m. Anm. Floeth, ZEV 2011, 87, m. Anm. Reul.

464

Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.79 § 12

BGB, nicht aber die Annahme, unbeschadet des rechtlichen Anfalls eines Vermächtnisses mit dem Erbfall, § 2176 BGB, die eben unter dem Vorbehalt der Ausschlagung oder Annahme steht. Anders dürfte es sich allerdings verhalten bei aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächt- 12.77 nissen, für welche § 2179 BGB für die Zeit zwischen Erbanfall und Eintritt der Bedingung/Befristung auf § 161 BGB verweist, so dass ab dem Erbfall eine „Vermächtnisanwartschaft“ besteht, die gepfändet werden kann1. Wird also das Vermächtnis ausdrücklich so gestaltet, dass es erst mit Ausspruch der Restschuldbefreiung oder Ablauf des Insolvenzverfahrens anfällt, liegt nahe, dass mit Eintritt dieser Bedingung eine Nachtragsverteilung gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO stattfindet2. Empfehlenswerter ist daher ein schlichtes Vermächtnis, das „in der Schwebe“ gehalten wird. 3. Aufhebung der Beschränkungen Anders als in Behinderungsfällen („Fehlen der Erwerbsfähigkeit“) besteht in Fällen der schlichten Bedürftigkeit („Fehlen von Erwerbsmöglichkeiten“) Anlass, nicht mehr benötigte Beschränkungen zu beseitigen, so z.B. durch den Erblasser selbst (Nachtragstestament bei – in diesen Fällen stets empfehlenswerter – Aufrechterhaltung solcher Änderungsmöglichkeit), oder durch die Erben selbst, z.B. indem alle Nacherben einschließlich aller (ggf. noch ungeborenen!) gem. § 2096 BGB bestimmten bzw. gem. § 2069 BGB im Zweifel berufenen Ersatznacherben3 die Nacherbschaft ausschlagen und dadurch dem Vorerben nach Maßgabe des § 2142 Abs. 2 BGB die unbeschränkte Erbschaft verschaffen, oder indem alle Nacherben einschließlich der Ersatznacherben4 (sofern die Ersatznacherbenstellung nicht durch Übertragung auf den Vorerben auflösend bedingt ist) ihre Nacherbenanwartschaften auf den Vorerben übertragen (§ 2033 Abs. 1 BGB analog), so dass dieser – da die Nacherben ihrerseits Vollerben geworden wären – im Zeitpunkt des Nacherbfalls Vollerbe wird. Eine nicht mehr „benötigte“ Testamentsvollstreckung kann „händisch“ durch schlichte Niederlegung des Amts, auch durch etwaige Ersatzvollstrecker, bzw. Unterlassen des Antrags auf Bestellung eines Ersatzvollstreckers beseitigt werden.

12.78

Vorkehrungen in der letztwilligen Verfügung selbst sind demgegenüber schwieriger5:

12.79

a) Zum einen empfiehlt sich im Testament die Angabe des Motivs für die Verfügungsbeschränkungen zulasten des überschuldeten Erben, um diesem binnen eines Jahres nach Eintritt der Schuldenfreiheit die Möglichkeit einer Anfechtung durch den Erben gegenüber dem zuständigen Nachlassgericht zu ermöglichen (§§ 2080 Abs. 1, 2081 Abs. 1, 2078 Abs. 2 BGB). Das Anfechtungsrecht selbst ist gem. § 857 Abs. 1, 851 ZPO unpfändbar und zählt analog § 83 InsO nicht zur Insolvenzmasse6. Fraglich ist jedoch, ob nicht gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Nachtragsverteilung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in Betracht kommt, da der mit Rückwirkung angefallene Erbteil (ohne die durch Anfechtung beseitigten Belastungen) als „nachträglich ermittelter Massegegenstand“ gelten könnte. Dafür spricht der Vergleich zur vom BGH7 angeordneten Nachtragsverteilung bei späterer Anerkennung eines bereits während der Insolvenz-/Wohlverhaltensphase bestehenden (hier: durch

1 Müller-Christmann, BeckOK-BGB, § 2179 Rz. 7 m.w.N. 2 Zweifelnd, jedoch hierzu tendierend, Menzel, MittBayNot 2011, 374, mit Formulierungsvorschlag S. 375. 3 Die betreuungsgerichtliche Genehmigung für eine solche durch einen Pfleger gem. § 1911 BGB zu erklärende Ausschlagung ist aber kaum zu erlangen, vgl. Zawar, NJW 2007, 2356. 4 A.A. insoweit (gegen die ganz h.M.) Muscheler, ZEV 2012, 289 ff. (Konsolidation auch ohne Mitwirkung der Ersatz- oder Nachnacherben). 5 Vgl. zum Folgenden auch Kiesgen, RNotZ 2018, 429 (447 ff.) sowie J. Mayer, MittBayNot 2012, 18, 19 ff. 6 Staudinger/Otte (2002), § 2080 Rz. 17. 7 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 184/09, FamRZ 2011, 212 = MDR 2011, 131 = FamRZ 2011, 1399 m. Anm. Floeth, ZEV 2011, 87 m. Anm. Reul.

Krauß 465

§ 12 Rz. 12.80

Behinderten- und Bedürftigentestament

die Rückwirkung der Anfechtung ex tunc geschaffenen), jedoch (noch) nicht pfändbaren/verwertbaren Pflichtteilsanspruchs.

12.80 b) Die belastenden testamentarischen Anordnungen (Testamentsvollstreckung, Vor- und Nacherbfolge) könnten ferner auf die rechtskräftige Erteilung der Restschuldbefreiung und Ablauf der Frist des § 303 Abs. 2 InsO oder aber durch eine gutachtliche Bescheinigung eines Rechtsanwalts über die Tilgung oder Verjährung der derzeit bekannten Verbindlichkeiten auflösend bedingt sein1. Dagegen spricht allerdings, dass der aufschiebend bedingt/befristet eingesetzte Vollerbe zugleich wie ein Nacherbe (konstruktive Nacherbfolge) zu behandeln ist2, so dass den Gläubigern ein weiterer, übertragbarer und vererblicher Vermögenswert, nämlich die Nacherbenanwartschaft, zur Verfügung stehen würde. Auch wenn die Übertragbarkeit des Anwartschaftsrechts gem. § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB ausgeschlossen wird, steht dies nach zutreffender Ansicht einer Pfändung gem. § 851 Abs. 2 ZPO nicht entgegen3 (lediglich während der Wohlverhaltensphase wird die (Un)übertragbarkeit bedeutsam für § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO – keine Obliegenheit zur Herausgabe des hälftigen Wertes, da diese unmöglich ist).

12.81 Nicht zu verwechseln mit dieser (problembehafteten) auflösenden Bedingtheit/Befristetheit der Beschränkungen als solcher ist jedoch eine nach dem Datum des Sterbefalles differenzierende Alternativgestaltung: tritt der Sterbefall während eines Zeitraums ein, in dem mutmaßlich die Restschuldbefreiung (Erfüllung der Obliegenheiten in der Wohlverhaltensphase vorausgesetzt) bereits ausgesprochen wurde, ist der Destinatär zum schlichten Erben oder Vermächtnisnehmer eingesetzt, ohne weitere Kautelen; tritt der Sterbefall jedoch in einem „voraussichtlich ungünstigen“ Zeitpunkt ein, gelten die Vorsorgeregelungen eines Bedürftigentestaments.

12.82 c) Die vorstehend beschriebenen Schwächen der „großen Bedingungslösung“ (Entstehen verwertbarer Anwartschaftsrechte in Gestalt der aufschiebend bedingten Vollerbenstellung) werden vermieden, wenn nicht die Vorerbschaft als solche auflösend bedingt ist, sondern lediglich die Anordnung der Beschränkungen, so dass mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung aus dem „nicht befreiten Vorerben“ ein „befreiter Vorerbe“ mit erweiterten Verfügungsmöglichkeiten wird. Litzenburger macht sich in seinem Gestaltungsvorschlag4 hierzu in geschickter Weise zunutze, dass mit dem Wegfall der Vorerbenbeschränkungen ohnehin ein neuer Erbschein zu erteilen ist, so dass die auflösende Bedingung in der Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung liegen könnte.

12.83 M 82 Bedingte Befreiung von den Vorerbschaftsbeschränkungen und bedingter

Wegfall der Testamentsvollstreckung beim Bedürftigentestament Mit dem Eintritt beider nachstehend genannten Umstände erlangt … (bedürftiger Erbe) die Rechtsstellung eines von allen gesetzlichen Beschränkungen – soweit zulässig – befreiten Vorerben, d.h. die zunächst angeordneten Beschränkungen fallen weg unter Aufrechterhaltung der Vorerbenstellung als solcher. Zugleich endet die Testamentsvollstreckung mit dem Eintritt der nachstehenden Umstände ersatzlos.

1 So etwa noch Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, 2. Aufl. (2000), Rz. 52. 2 Vgl. Limmer, ZEV 2004, 140. Zum umgekehrten Fall der aufschiebend bedingten Vorerbenstellung vgl. OLG Celle v. 4.10.2012 – 6 W 180/12, NotBZ 2012, 451: Vorerbschaftsbeschränkungen gelten erst ab Eintritt; a.A. Palandt/Weidlich, § 2269 Rz. 18 m.w.N. 3 Diese lässt sich auch nicht durch vermeiden, dass man die Anwartschaft als durch ihre Pfändung auflösend bedingt ausgestaltet (Hartmann, ZNotP 2005, 82 ff.; Formulierungsvorschlag von Kleensang, in: Beck’sches Formularbuch Erbrecht, Muster F II 4), da diese Abrede als Gläubigerbenachteiligung unwirksam sein dürfte, J. Mayer, ZEV 2005, 178. Außerdem bleibt er dann dauerhaft beschränkter Vorerbe. 4 Litzenburger, ZEV 2009, 278 (281).

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.86 § 12

Vorstehende Wirkungen (Befreiung von den Vorerbenbeschränkungen und Beendigung der Testamentsvollstreckung) treten ein, wenn a) der Vorerbe mindestens ein Jahr lang ununterbrochen keine staatlichen Fürsorgeleistungen nach SGB II oder SGB XII erhalten und solche auch nicht beantragt hat b) und er dies gegenüber dem Nachlassgericht eidesstattlich versichert. Sollten die Bestimmungen des vorstehenden Absatzes nicht wirksam sein oder aus rechtlichen Gründen nicht zu einem Wegfall der Vorerbenbeschränkungen bzw. der Dauertestamentsvollstreckung führen, verbleibt es bei der bisherigen Rechtsstellung des Vorerben.

d) Entscheidendes Schutzinstrument des Bedürftigen- (wie auch des Behinderten-)Testaments ist die Dauertestamentsvollstreckung (§ 2214 BGB); die Vor- und Nacherbfolge „verlängert“ den Vermögensschutz lediglich (gerichtet gegen § 102 SGB XII, § 35 SGB II) über die Lebenszeit des Bedürftigen/Behinderten hinaus. Es liegt also (mit Blick auf die in Rz. 12.80 f. dargestellten Risiken) nahe, lediglich die Dauertestamentsvollstreckung zu befristen1. Eine zugriffsgefährdete „Anwartschaft“ wird dadurch nicht begründet, wie sich aus § 2210 BGB ergibt: Da keine Testamentsvollstreckung ewig währen kann, liefe § 2214 BGB sonst leer2.

12.84

e) Ist nicht abzusehen, ob der Destinatär zum Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich überschuldet sein 12.85 wird (etwa wegen Eventualverbindlichkeiten aus Haftpflichtprozessen), kann auch auf die flexible Ausschlagungslösung nach Empfehlung von Tönnies3 zurückgegriffen werden: In Erweiterung des § 1951 Abs. 3 BGB (Teilbarkeit der Ausschlagung) kann der Erblasser den Erben durch Verfügung von Todes wegen gestatten, bei mehrfacher Einsetzung zum Alleinerben unter unterschiedlicher Ausgestaltung seiner Erbenstellung (zum einen als unbeschränkter Alleinerbe, als bloßer Vorerbe, als nicht befreiter Vorerbe etc.) die verschiedenen Erbenstellungen gesondert auszuschlagen oder anzunehmen. Demnach würde also bspw. der potenziell überschuldete Abkömmling zunächst zum „normalen“ Erben (bzw. Miterben), ersatzweise zum nicht befreiten, mit Testamentsvollstreckung belasteten (Mit-)erben eingesetzt sein. f) Kornexl4 schlägt schließlich vor, den Nacherbfall (bzw. die Fälligkeit des Nachvermächtnisses) mit 12.86 Wegfall der Bedürftigkeit nicht etwa entfallen, sondern eintreten zu lassen (also keine aufschiebend bedingte Vollerbenstellung!). Sofern der Nacherbfall/Nachvermächtnisfall durch den Wegfall der Bedürftigkeit/Überschuldung ausgelöst wurde, sind die dadurch Begünstigten jedoch mit der Auflage beschwert, bestimmte Werte (oder Nachlassquoten) dem nicht mehr Bedürftigen zuzuwenden; zu deren Erfüllung ist Testamentsvollstreckung angeordnet. Da der Begünstigte somit weder einen eigenen künftigen/bedingten Leistungsanspruch (§ 1940 BGB) hat noch verfügungsberechtigt ist, scheidet ein Zugriff Dritter (d.h. eines Pfändungsgläubigers, des Insolvenzverwalters oder des Sozialleistungsträgers) hierauf aus.

1 Die bedingte Befristung ist im Testamentsvollstreckerzeugnis zu vermerken, OLG Düsseldorf v. 20.1.2011 – 3 Wx 281/10, ZEV 2011, 650. 2 Vgl. Tersteegen, ZErb 2011, 234 (236). 3 Tönnies, ZNotP 2003, 92. 4 Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 423 ff.

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§ 12 Rz. 12.87

Behinderten- und Bedürftigentestament

12.87 M 83 Muster eines „klassischen“ Behindertentestamentes (als Erbvertrag) URNr. … Erbvertrag Heute, den … zweitausendneunzehn - … 2019 erschienen vor mir, …, Notar in … in meinen Amtsräumen in …: Herr …, geb … geb. am … und dessen Ehefrau, Frau …, geb. … geb. am … beide wohnhaft: … nach Angabe im gesetzlichen Güterstand verheiratet, ausgewiesen durch gültigen deutschen Personalausweis. Die Erschienenen erklärten, einen Erbvertrag errichten zu wollen. Nach meiner, aus der Verhandlung gewonnenen Überzeugung, sind sie voll geschäftsfähig. Ein Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament, das bei letztwilligen Verfügungen Bindungswirkung entfalten würde, besteht nach Angabe bisher nicht. Vorsorglich wird der Notar gem. § 78f Abs. 1 S. 3 BNotO bevollmächtigt, jedoch nicht beauftragt, beim Zentralen Testamentsregister frühere Verfügungen von Todes wegen zu erfragen. Es war weder gesetzlich geboten noch von den Beteiligten gewünscht worden, Zeugen oder einen zweiten Notar hinzuzuziehen. Der Notar fragte nach einer Vorbefassung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG; sie wurde von den Beteiligten verneint. Die Erschienenen erklärten sodann mir, dem Notar, bei gleichzeitiger Anwesenheit, mündlich zur Beurkundung, was folgt: I. Vorbemerkungen 1. Abstammung … wurde am … in … als Sohn von … und …, geb. …, geboren. … wurde am … in … als Tochter von … und …, geb. …, geboren. 2. Eheschließung Die für den Ehemann und die Ehefrau jeweils erste Ehe wurde standesamtlich am … in … geschlossen.

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.87 § 12

3. Kinder Aus dieser Ehe sind drei Kinder hervorgegangen: A, geb. am … B, geb. am … Das weitere gemeinsame Kind C ist geistig behindert. Weitere Kinder hat keiner der Ehegatten. 4. Staatsangehörigkeit; Auslandsvermögen; Vorerwerbe; Pflichtteilsrecht Die Beteiligten erklären, beide deutsche Staatsangehörige zu sein. Sie erklären weiter, kein im Ausland gelegenes Vermögen zu besitzen. Jeder Beteiligte wählt erbvertraglich das deutsche Recht als Vertrags- und Erbstatut. Keines der Kinder hat bisher seitens der Beteiligten Ausstattungen oder Schenkungen erhalten, die ausgleichungspflichtig wären oder die bei einem derzeitigen Sterbefall Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen würden. Mit keinem der Kinder besteht ein Pflichtteilsverzichtsvertrag. 5. Frühere Verfügungen von Todes wegen Etwaige frühere Verfügungen von Todes wegen werden hiermit vollinhaltlich widerrufen. Sämtliche Verfügungen in diesem Erbvertrag gelten ohne Rücksicht auf gegenwärtige oder künftige Pflichtteilsberechtigte und vorrangig gegenüber anderslautenden gesetzlichen Auslegungs-, Vermutungs- und Ergänzungsregelungen. II. Vertragsmäßige Verfügungen In vertragsmäßiger, also einseitig nicht widerruflicher Weise, vereinbaren die Beteiligten folgendes: 1. Erbfolge nach dem Erstversterbenden a) Erbquoten Erben des erstversterbenden Ehegatten werden der länger lebende Ehegatte zu 11/12 und das gemeinsame Kind C zu 1/12. Ersatzerbe anstelle von C ist der länger lebende Ehegatte, weiter ersatzweise die anderen Kinder zu gleichen Stammanteilen, jeweils als Vollerben. Ersatzerben des länger lebenden Ehegatten sind die nachstehend benannten Schlusserben gemäß den dort getroffenen Verteilungsgrundsätzen, also A und B zu je 5/12 als Vollerben, C zu 2/12 als Vorerbe. b) Nacherbfolge Unser Kind C ist jedoch nur Vorerbe. Er ist von den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB lediglich hinsichtlich §§ 2119 (Pflicht zur dauerhaften Geldanlage), 2123 (Waldwirtschaftsplan), und 2127 bis 2129 BGB (Auskunftsanspruch und Stellung von Sicherheiten) befreit. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein. Nacherbe ist der länger lebende Ehegatte. Die Nacherbenanwartschaftsrechte sind nur an den Vorerben veräußerlich, im Übrigen jedoch unvererblich und unveräußerlich. Ersatznacherben sind etwaige Abkömmlinge des Vorerben, weiter ersatzweise die Geschwister A und B je zur Hälfte. Die Einsetzung der Ersatznacherben ist für den Fall auflösend bedingt, dass die Nacherbenanwartschaftsrechte auf den Vorerben übertragen werden.

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§ 12 Rz. 12.87

Behinderten- und Bedürftigentestament

2. Vermächtnisse Der länger lebende als Miterbe des erstversterbenden Ehegatten wird mit folgendem Vermächtnis zugunsten der gemeinsamen Kinder A und B beschwert: a) Vermächtnisgegenstand Jedes der gemeinschaftlichen Kinder mit Ausnahme von C erhält einen baren Geldbetrag, der seinem gesetzlichen Erbteil am Nachlass des erstversterbenden Elternteils entspricht. Der Beschwerte ist berechtigt, das Vermächtnis durch Übereignung von Immobilien oder anderer Sachwerte zu erfüllen. b) Fälligkeit Die Vermächtnisse fallen jeweils mit dem Tod des Erstversterbenden an, sind jedoch erst zwanzig Jahre nach ihrem Anfall ohne Beilage von Zinsen zur Zahlung fällig. Vor Fälligkeit kann dingliche Sicherung nicht verlangt werden. c) Ersatzvermächtnisnehmer Ersatzvermächtnisnehmer sind jeweils die Abkömmlinge der Vermächtnisnehmer zu unter sich gleichen Stammanteilen. Entfällt ein Vermächtnisnehmer vor dem Anfall des Vermächtnisses ohne Hinterlassung von Abkömmlingen, entfällt auch das zu seinen Gunsten angeordnete Vermächtnis. 3. Bedingtes Vorausvermächtnis a) Beschwerter Der länger lebende Ehegatte wird als Miterbe des erstversterbenden Ehegatten zugunsten des gemeinsamen Kindes C mit folgendem bedingten Vorausvermächtnis beschwert: Soweit durch lebzeitige Zuwendungen des erstverstorbenen Ehegatten dem C Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Nachlass oder den Beschenkten zustehen würden, hat der länger Lebende diesem einen baren Geldbetrag i.H.v. 110 % dieser Ansprüche zu verschaffen. Bei deren betragsmäßiger Berechnung ist so vorzugehen, als ob der Vorausvermächtnisnehmer vollständig enterbt worden wäre, so dass eine Anrechnung im Sinne des § 2326 S. 2 BGB nicht stattfindet. Übersteigt der Vermächtnisbetrag den Nachlassanteil, handelt es sich insoweit um ein Verschaffungsvermächtnis. Entsprechendes gilt, soweit durch ausgleichungspflichtige Zuwendungen des erstverstorbenen Ehegatten der ordentliche Pflichtteilsanspruch des C erhöht worden ist (Ausgleichungspflichtteil gem. § 2316 BGB); der Geldanspruch besteht i.H.v. 110 v.H. der Pflichtteilserhöhung. Das jeweilige Vermächtnis entfällt, wenn C das ihm in dieser Urkunde Zugewendete ausschlägt, ebenso wenn er oder ein (gesetzlicher bzw gewillkürter) Vertreter oder Überleitungsberechtigter den Pflichtteilsergänzungsanspruch selbst geltend macht (auflösende Bedingung). b) Nachvermächtnis C ist jedoch hinsichtlich jedes Vermächtnisses nur Vorvermächtnisnehmer. Nachvermächtnisnehmer sind seine Abkömmlinge, ersatzweise die oben genannten anderen Schlusserben A und B gemäß den dort getroffenen Verteilungsgrundsätzen. Die Nachvermächtnisanwartschaftsrechte sind nur an den Vorerben veräußerlich, im Übrigen jedoch unvererblich und unveräußerlich. Das Nachvermächtnis fällt an mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers. Die bis dahin zu ziehenden Nutzungen stehen dem Vorvermächtnisnehmer zu. Sie dürfen jedoch nur in derselben Weise verwendet werden, wie die Erträge seines Miterbenanteils.

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.87 § 12

c) Vermächtnisvollstreckung Der erstversterbende Ehegatte ordnet zur Sicherung der vorstehenden Nutzungsverwendung hinsichtlich des jeweiligen Vermächtnisses Vorvermächtnisvollstreckung an, für welche die unten getroffenen Bestimmungen über die Testamentsvollstreckung am Miterbenanteil von C, auch hinsichtlich der Person des Vermächtnisvollstreckers, entsprechend gelten. Der Beschwerte ist berechtigt, nach seiner Wahl das Vermächtnis auf seine Kosten durch die Verschaffung von Immobilienvermögen zu erfüllen. Macht er hiervon Gebrauch, ist der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers bei Erfüllung des Vorausvermächtnisses durch Eintragung einer Vormerkung zu sichern. 4. Erbfolge nach dem länger Lebenden a) Erbquoten Schlusserben, also Erben des Letztversterbenden und Erben im Fall eines durch dasselbe Ereignis bedingten (annähernd) gleichzeitigen Versterbens, sind – A und B zu je 5/12 als Vollerben und – C zu 2/12. Gesetzliche Ausgleichungspflichten der Abkömmlinge wegen lebzeitiger Vorabzuwendungen werden im Wege des Vorausvermächtnisses erlassen. Ersatzschlusserben sind jeweils die Abkömmlinge der Schlusserben zu unter sich gleichen Stammanteilen. Sind solche nicht vorhanden, tritt bei den übrigen Schlusserben Anwachsung gem. § 2094 BGB ein. b) Nacherbfolge C ist jedoch auch beim Schlusserbfall nur Vorerbe. Er ist von den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB lediglich hinsichtlich §§ 2119 (Pflicht zur dauerhaften Geldanlage), 2123 (Waldwirtschaftsplan), und 2127 bis 2129 BGB (Auskunftsanspruch und Stellung von Sicherheiten) befreit. Nacherben sind die Abkömmlinge des Vorerben. Ersatznacherben sind die anderen Schlusserben A und B gemäß den dort getroffenen Verteilungsgrundsätzen. Die Einsetzung der Ersatznacherben ist für den Fall auflösend bedingt, dass die Nacherbenanwartschaftsrechte auf den Vorerben übertragen werden. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein. c) Bedingtes Vorausvermächtnis Auch der länger Lebende beschwert die Miterben des C zu dessen Gunsten mit dem oben Nr. 3a)-c) geregelten Vor- und Nachvermächtnis als Vorausvermächtnis, ggf. zugleich Verschaffungsvermächtnis, für den Fall, dass aufgrund lebzeitiger Zuwendungen des länger Lebenden unserem Kind C Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Nachlass oder den Beschenkten zustehen würden, oder eine Erhöhung seines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs gem. § 2316 BGB eingetreten ist, und ordnet insoweit Vorvermächtnis-Testamentsvollstreckung an. Es gelten die in Bezug genommenen Regelungen. Testamentsvollstrecker ist der Vorerbenvollstrecker auf den Schlusserbfall. 5. Abänderungsbefugnis In Abweichung von der gesetzlichen erbvertraglichen Bindungswirkung gilt folgende Abänderungsbefugnis: Der länger Lebende ist befugt, die nach ihm geltende Erbfolge innerhalb der gemeinsamen Abkömmlinge einseitig abzuändern oder zu ergänzen. Er kann insbesondere

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§ 12 Rz. 12.87

Behinderten- und Bedürftigentestament

– die Erbquoten der Schluss- und Ersatzschlusserben verändern, – eine für den Schlusserbfall angeordnete Nacherbfolge ändern oder aufheben, – andere gemeinsame Abkömmlinge, insbesondere Enkelkinder, anstelle der oder neben den oben genannten Schlusserben einsetzen oder ihnen Vermächtnisse zuwenden, – einzelne Abkömmlinge enterben und ihnen, bei Vorliegen eines gesetzlichen Grundes, den Pflichtteil entziehen, – die für den Schlusserbfall angeordnete Testamentsvollstreckung aufheben, – die Folgen der Pflichtteilsstrafklausel verändern, – das bedingte Vorausvermächtnis verändern und aufheben. Anderen Personen darf er von Todes wegen nur Vermögenswerte zuwenden, die er nach dem Ableben des Erstversterbenden hinzuerworben hat, soweit sie nicht wirtschaftlich Ersatz oder Ertrag des beim ersten Erbfall vorhandenen Vermögens sind. Wurden durch solche hinzuerworbenen Vermögenswerte Verbindlichkeiten getilgt, die bereits beim Tod des Erstversterbenden vorhanden waren, dürfen auch Vermächtnisse in Höhe dieser Beträge ausgesetzt werden. Auf Verlangen eines Schluss- oder Ersatzschlusserben ist beim Tod des Erstversterbenden ein Vermögensverzeichnis zu erstellen. 6. Nicht bedachte Pflichtteilsberechtigte Vorstehende Verfügungen werden hiermit gegenseitig als vertragsmäßig angenommen. Sie sollen ausdrücklich auch Bestand behalten, wenn beim Tod eines der Ehegatten nicht bedachte Pflichtteilsberechtigte, insbesondere aus einer Wiederverheiratung des länger Lebenden, vorhanden sein sollten. Insoweit verzichten die Beteiligten auf ihr gesetzliches Anfechtungsrecht. III. Einseitige Verfügungen und Bestimmungen 1. Teilungsanordnung Der erstversterbende wie auch der länger lebende Ehegatte bestimmen im Wege der Teilungsanordnung, dass C auf seinen jeweiligen Vorerbteil Geld erhalten soll in Höhe seines rechnerischen Anteils am Reinnachlass, jedoch ohne Abzug angeordneter Vermächtnisse. Auch zur Erfüllung dieser Teilungsanordnung ist die Testamentsvollstreckung gemäß III. Nr. 2 angeordnet; es ist gem. § 2048 S. 2 BGB in das billige Ermessen des Vollstreckers gestellt, ob und wann er die Teilungsanordnung – insbesondere mit Blick auf die Zusammensetzung und Liquidität des Nachlasses – durchführt. 2. Testamentsvollstreckung a) Testamentsvollstreckung bei beiden Erbfällen Unser gemeinsames Kind C ist wegen seiner Behinderung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Es wird daher die ihm beim jeweiligen Erbfall zugewendeten Erbteile nicht selbst verwalten können. Sowohl der erstversterbende als auch der länger lebende Ehegatte ordnen deshalb hinsichtlich des unserem Kind C jeweils zufallenden Erbteils Testamentsvollstreckung in Form einer Dauertestamentsvollstreckung gem. § 2209 BGB an. b) Person des Testamentsvollstreckers Zum Testamentsvollstrecker wird ernannt: – beim Tod des erstversterbenden der länger lebende Ehegatte – beim Schlusserbfall das gemeinsame Kind … (A oder B).

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Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.87 § 12

Der jeweilige Testamentsvollstrecker wird ermächtigt, jederzeit einen Nachfolger zu benennen (§ 2199 BGB) bzw, sofern er das Amt nicht antritt, als Dritter gem. § 2198 BGB den Vollstrecker zu bestimmen. Kann oder will er dies nicht, ist … als Ersatzvollstrecker für den ersten und den zweiten Sterbefall berufen, dem wiederum die Benennungsmöglichkeiten gem. §§ 2198, 2199 BGB entsprechend zustehen. Hilfsweise soll der Vollstrecker gem. § 2200 BGB durch das Nachlassgericht ernannt werden. Wir empfehlen, im Falle einer Kollision zwischen dem Amt des Betreuers/gesetzlichen Vertreters und des Testamentsvollstreckers, die zur möglicherweise nicht gewollten Bestellung eines fremden Ergänzungs-Überwachungsbetreuers führen würde, das Amt des Betreuers/gesetzlichen Vertreters anzunehmen und im Wege der §§ 2198, 2199 bzw hilfsweise § 2200 BGB einen anderen, geeigneten Vollstrecker zu bestimmen. Das Amt des für den ersten Sterbefall eingesetzten Testamentsvollstreckers endet mit dem Schlusserbfall. An seine Stelle tritt der für den Schlusserbfall eingesetzte Testamentsvollstrecker, der dann die Miterbenanteile von C (Behinderter) am Nachlass beider Elternteile verwaltet. c) Aufgabe des Vollstreckers Aufgabe des jeweiligen Testamentsvollstreckers ist die Verwaltung des Erbteils unseres Kindes C und damit die Verwaltung des Nachlasses gemeinsam mit dem weiteren Miterben. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat alle Verwaltungsrechte auszuüben, die unserem genannten Sohn als (Mit-)Vorerben zustehen. Er ist zur Verwaltung des Nachlasses in Gemeinschaft mit den weiteren Miterben berechtigt und verpflichtet. Nach Teilung des Nachlasses setzt sich die Testamentsvollsteckung an den dem Vorerben zugefallenen Vermögenswerten fort, ebenso an sonstigen Surrogaten. Aufgabe des Vollstreckers ist ferner die Durchführung der vorstehend Nr. 1 getroffenen Teilungsanordnungen. Der Testamentsvollstrecker ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Sowohl der zuerst Versterbende als auch der Überlebende von uns beiden trifft folgende, für den jeweiligen Testamentsvollstrecker verbindliche Verwaltungsanordnung gem. § 2216 Abs. 2 BGB: Die nachstehenden Anordnungen sollen zu einer Verbesserung der Lebensqualität unseres Sohnes führen, indem ihm Leistungen zugewendet werden, die er durch den Standard der Sozialhilfe nicht bekäme. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat daher unserem genannten Sohn die ihm gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgnisse (Nutzungen) des Nachlasses, wie beispielsweise etwaige anteilige Miet- und Pachtzinsen, Zinserträge, Dividenden- und Gewinnanteile und etwaige sonstige Gebrauchsvorteile und Früchte von Nachlassgegenständen, in einer Weise zuzuwenden, welche nicht zu einer Anrechnung auf staatliche Sozialleistungen führt, und dabei sich an folgenden Maßgaben („Regelbeispielen“) zu orientieren: – Geschenke zum Geburtstag und Namenstag, zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, – Zuwendungen zur Befriedigung von individuellen Bedürfnissen geistiger und künstlerischer Art sowie in bezug auf die Freizeitgestaltung, insbesondere Hobbys, – Finanzierung von Freizeiten und Urlaubsaufenthalten, einschließlich der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände, und gegebenenfalls Bezahlung einer erforderlichen, geeigneten Begleitperson, – Aufwendungen für Besuche bei Verwandten und Freunden, – Aufwendungen für ärztliche Behandlungen, Heilbehandlungen, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) gezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz usw., – Anschaffung von Hilfsmitteln und Ausstattungsgegenständen, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) bezahlt werden; dabei sollen die Hilfsmittel von der Qualität so bemessen und ausgewählt werden, dass sie dem Kind optimal dienlich sind, – Aufwendungen für zusätzliche Betreuung, z.B. bei Spaziergängen, Theater- und Konzertbesuchen, Einkäufen und ähnlichem, entsprechend den Wünschen des Kindes, – Aufwendungen für Güter des persönlichen Bedarfs des Kindes, z.B. (modische) Kleidung oder Einrichtung seines Zimmers. Für welche der genannten Leistungen die jährlichen Reinerträgnisse verwendet werden sollen, ob diese also auf sämtliche Leistungen gleichmäßig oder nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden oder ob diese

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§ 12 Rz. 12.87

Behinderten- und Bedürftigentestament

in einem Jahr nur für eine oder mehrere der genannten Leistungen verwendet werden, entscheidet der jeweilige Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen, wobei er allerdings immer auf das Wohl des behinderten Abkömmlings bedacht sein muss. Werden die jährlichen Reinerträgnisse in einem Jahr nicht in voller Höhe in Form der bezeichneten Leistungen unserem behinderten Abkömmling zugewendet, sind die entsprechenden Teile vom jeweiligen Testamentsvollstrecker gewinnbringend anzulegen. Sind größere Anschaffungen für unseren Sohn wie beispielsweise der Kauf eines Gegenstandes zur Steigerung des Lebensstandards unseres genannten Sohnes (z.B. die Anschaffung eines Pkw kleiner oder mittlerer Klasse) oder eine größere Reise oder ähnliches, beabsichtigt, hat der jeweilige Testamentsvollstrecker entsprechende Rücklagen zu bilden. Im Übrigen gelten für die Testamentsvollstreckung die gesetzlichen Bestimmungen. Sollten vorstehende Verwaltungsanordnungen unwirksam oder außer Kraft gesetzt sein, beschwert jeder von uns vorsorglich unser behindertes Kind C mit der bedingten Auflage, Substanz und Erträge seiner Nachlassbeteiligung nur unter Einhaltung dieser Verwaltungsanordnungen einzusetzen. d) Vergütung Für seine Tätigkeit erhält ein etwa durch das Nachlassgericht bestimmter Ersatztestamentsvollstrecker (§ 2200 BGB) neben dem Ersatz seiner notwendigen Auslagen eine Vergütung in angemessener Höhe (§ 2221 BGB), deren Bemessung sich an den Richtlinien des Deutschen Notarvereins e.V. in ihrer jeweils geltenden Fassung orientiert (vgl. z.B. Zeitschrift „notar“, Jahrgang 2000, S. 2 ff.). Andere Personen haben nur Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. § 2218 BGB, wobei jedoch Tätigkeiten im jeweiligen Beruf oder Gewerbe des Testamentsvollstreckers gesondert zu vergüten sind. Die Vergütung geht zu Lasten des verwalteten Erbteils. 3. Benennung eines Vormunds; Betreuung Sollte beim Ableben des länger Lebenden eines der gemeinsamen Kinder noch minderjährig sein, benennt der länger Lebende hiermit gem. § 1777 Abs. 3 BGB als Vormund Herrn/Frau/Ehegatten … Wir regen ferner an, sofern erforderlich, Herrn/Frau … zum Betreuer unseres Kindes C nach unser beider Ableben zu bestellen. Sollte er/sie zugleich Testamentsvollstrecker für ihn sein oder in einer schädlichen Nähebeziehung zu ersterem stehen, empfehlen wir ihm/ihr, das Betreueramt anzunehmen und gem. §§ 2198, 2199 und hilfsweise § 2200 BGB einen anderen geeigneten Testamentsvollstrecker zu bestimmen/bestimmen zu lassen. 4. Pflichtteilsstrafklausel Verlangt einer unserer Abkömmlinge nach dem Tod des zuerst Versterbenden von uns gegen den Willen des länger Lebenden, sofern dieser das Verlangen erlebt, seinen Pflichtteil (ggf. nach Ausschlagung) in verzugsbegründender Weise, entfällt jede in dieser Urkunde oder späteren Änderungen zu seinen Gunsten und zugunsten seiner Abkömmlinge getroffene letztwillige Verfügung. Der frei gewordene Erbanteil wächst mangels abweichender Verfügung des länger Lebenden den anderen eingesetzten Erben – nicht jedoch unserem Kind C – an. Ein Verlangen im Sinn dieser Bestimmung setzt weder vorwerfbares Verhalten noch Kenntnis dieser Bestimmung voraus, liegt jedoch nur vor, wenn der Abkömmling oder ein durch ihn rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter selbst – nicht also ein gesetzlicher Vertreter oder ein Rechtsnachfolger infolge Überleitung – (ausschlägt und) das Verlangen stellt. IV. Belehrungen Die Vertragsteile wurden vom Notar über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen belehrt, insbesondere über – das Pflichtteilsrecht; sie wurden dabei besonders auf das Ausschlagungsrecht eines Pflichtteilsberechtigten gem. § 2306 BGB aufgrund ihn belastender Beschränkungen hingewiesen, – das Recht der Pflichtteilsergänzung, – das Wesen der Vor- und Nacherbfolge sowie der Testamentsvollstreckung, – die Einschränkung der Testierfreiheit durch die vertragsmäßigen Verfügungen,

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Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 12.87 § 12

– den Grundsatz des freien lebzeitigen Verfügungsrechts, seine Einschränkungen und deren Auswirkungen, – das durch diese Urkunde eingeschränkte Anfechtungsrecht gem. den §§ 2078, 2079 BGB. V. Schlussbestimmungen 1. Verteiler Die Vertragsteile beantragen, – jedem Beteiligten eine Ausfertigung dieser Urkunde zu erteilen, – die Urschrift in die besondere amtliche Verwahrung beim Amtsgericht zu bringen, – eine beglaubigte Abschrift unverschlossen in der Urkundensammlung aufzubewahren. 2. Kosten Den Reinwert ihres Vermögens geben die Vertragsteile gesondert an. Sie erklären, die Kosten dieser Urkunde sowie die der amtlichen Verwahrung gemeinsam zu tragen. VI. Zusatzbestimmungen; hilfsweise getroffene Verfügungen 1. Der amtierende Notar hat uns aus Anlass der heutigen Beurkundung unseres gemeinschaftlichen Testaments noch auf folgendes hingewiesen: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass zufolge künftiger Rechtsprechung die heutigen Vereinbarungen im Hinblick auf das Nachrangprinzip der Sozialhilfe gegen § 138 BGB verstoßen, obwohl wir mit den heutigen Vereinbarungen lediglich Regelungen treffen, die auch dem wohlverstandenen Interesse unseres behinderten Sohnes dienen, oder dass eine Sozialleistungsbehörde gesetzliche Ausschlagungsrechte unseres behinderten Sohnes an sich ziehen und für ihn ausüben könnte mit der Folge, dass unsere wohlmeinenden Anordnungen die Wirkung verlieren. 2. Sollte dieses gemeinschaftliche Testament wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB beim jeweiligen Erbfall unwirksam sein, ordnen wir an: Wir setzen uns durch vertraglich bindende Verfügung gegenseitig zum Alleinerben ein. Schlusserben sind unsere beiden Kinder A und B zu gleichen Teilen, ersatzweise deren Abkömmlinge zu gleichen Stammanteilen. 3. Sollten die Belastungen, mit denen die Ziele dieses „Behindertentestaments“ erreicht werden sollen (Verwaltungsvollstreckung; Vor- und Nacherbfolge) unwirksam sein wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB oder aufgrund Ausschlagung durch die Sozialleistungsbehörde mit Wirkung für ihn oder sollte unser behinderter Sohn aufgrund des Hilfstestamentes gem. Nr. 2 lediglich den Pflichtteil erhalten, so gilt: Die anstelle unseres behinderten Sohnes Berufenen sind dann mit einer Auflage zu seinen Gunsten beschwert, für die folgende Bestimmungen gelten: – Von den Erträgen des Vermögens, welches den Ersatzberufenen – nach Abzug der von ihnen jeweils zu tragenden Pflichtteilslast – verbleibt, sind auf Lebzeiten unseres Sohnes jeweils 90 % an diesen auszuhändigen. – Die Vollziehung der Auflage ist Aufgabe des Testamentsvollstreckers, der bei Nichteintritt der Bedingung die betroffene Nachlassbeteiligung unseres Sohnes verwaltet hätte. Erst danach endet sein Amt. Für die an unser behindertes Kind auszuhändigenden Erträge gilt die in dieser Verfügung von Todes wegen angeordnete Verwaltungsanweisung entsprechend. – Neben dem Testamentsvollstrecker steht die Vollziehungsberechtigung für die Auflage sämtlichen Personen zu, die bei Eintritt der Bedingung Ersatzberufene sind, und zwar jeweils in Bezug auf die übrigen Auflagebeschwerten. Für alle anderen Personen, die nach § 2194 BGB die Vollziehung der Auflage verlangen könnten, wird die Vollziehungsberechtigung hiermit ausgeschlossen. Vorgelesen vom Notar, von den Beteiligten genehmigt, und eigenhändig unterschrieben:

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§ 13 Nichteheliche Partner im Erbrecht I. Gesetzliches Erbrecht für nichteheliche Partner und gemeinschaftliche Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbrecht der nichtehelichen Partner . . 2. Erbrecht der gemeinschaftlichen Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erbrecht nach der Mutter . . . . . . . . c) Erbrecht nach dem Vater . . . . . . . . . d) Pflichtteilsrechte . . . . . . . . . . . . . . .

13.1 13.1 13.9 13.9 13.22 13.23 13.40

II. Erbrecht durch letztwillige Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.43 1. Gestaltungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.43 a) Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.44 b) Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.48 c) Kriterien für die Wahl der Verfügungsform . . . . . . . . . . . . . . . . 13.51 2. Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.54 a) Erbeinsetzung des Partners durch Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.54 aa) Wirksamkeitsgrenzen . . . . . . . . 13.57 bb) Auflösende Bedingung der Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.61 cc) Widerruf früherer Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.65 dd) Pflichtteilsansprüche . . . . . . . . 13.69 b) Gegenseitige Erbeinsetzung durch Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.73 aa) Rücktrittsvorbehalt . . . . . . . . . . 13.76 bb) Verzicht auf Anfechtungsrecht . 13.80 cc) Vorbehalt erneuter Testiermöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 13.83 3. Berücksichtigung der familiären und persönlichen Situation . . . . . . . . . . . . . 13.88 a) Regelung bei gemeinschaftlichen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.89 b) Kinder aus früheren Verbindungen . 13.98 aa) Vor- und Nacherbschaft . . . . . . 13.101 bb) Vermächtnislösung . . . . . . . . . . 13.114 c) Adoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.123

III. Beschränkungen der Testierfreiheit . . 1. Bindung durch gesetzliche Erbrechte . . 2. Bindung durch letztwillige Verfügung aus früheren Verbindungen . . . . . . . . . 3. „Erbentzug“ wegen nichtehelichen Zusammenlebens? . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Lebzeitige Zuwendungen nichtehelicher Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zivilrichterliche Rückabwicklung . . . . a) Innengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . b) Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . c) Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . 2. Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gestaltungsalternativen . . . . . . . . . . . . a) Ausdrücklicher Schenkungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unter Lebenden . . . . . . . . . . . . bb) Auf den Todesfall . . . . . . . . . . . b) Ehefiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wohnungsleihe . . . . . . . . . . . . . . . . e) Miteigentümervereinbarungen . . . . f) Erwerbsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Innengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . h) Außengesellschaft bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ansprüche Dritter aufgrund lebensgemeinschaftsbedingter Zuwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) §§ 812, 138 BGB? . . . . . . . . . . . . . . b) §§ 2325 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 5. §§ 2287 f. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.132 13.132 13.138 13.146 13.150 13.151 13.154 13.156 13.157 13.160 13.162 13.162 13.162 13.163 13.165 13.166 13.170 13.172 13.174 13.175 13.176 13.177 13.179 13.180 13.183

V. Schenkung- und Erbschaftsteuer unter nichtehelichen Lebensgefährten . . 13.184 VI. Erbrecht der eingetragenen Lebenspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliches Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewillkürtes Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . 3. Schenkung- und Erbschaftsteuer . . . . .

13.192 13.192 13.201 13.205

Schrifttum: Bruns/Kemper (Hrsg.), Lebenspartnerschaftsrecht, 2. Aufl. 2005; Burhoff/Willemsen, Handbuch der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. 2014; Duderstadt, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. 2004; Ehmann, Partner ohne Trauschein, 2. Aufl. 1999; Fischer, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. 2003; Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 5. Auflage 2014; Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. 2004; Müller, Nichteheliche Lebensgemeinschaft und eingetragene Lebenspartnerschaft, in: Würzburger Notarhandbuch, 5. Aufl. 2017; von Münch, Zusammenleben ohne Trauschein, 7. Aufl. 2001; von Proff zu Irnich, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Kautelarpraxis, RNotZ 2008, 313 ff.; Reinstorf, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft und das Erbrecht, Schriftenreihe des Deutschen Forums für Erbrecht e.V. München (1999); Schmidt-Burbach, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft und ihre erbrechtlichen Verfügungsmöglichkeiten, 2004; Schürrmann, Nichtehe-

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Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.5 § 13

liche Lebensgemeinschaften und ihre Einordnung im Internationalen Privatrecht, 2001; Thieler, Lebensgemeinschaft ohne Trauschein, 1995; Tzschaschel, Vereinbarungen bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften, 5. Aufl. 2010; Waldner, Eheverträge, Scheidungs- und Partnerschaftsvereinbarungen, 2. Aufl. 2004; Wilker, Die vertragliche Gestaltung nichtehelichen Zusammenlebens durch „Partnervereinbarungen“, 1987.

I. Gesetzliches Erbrecht für nichteheliche Partner und gemeinschaftliche Kinder 1. Erbrecht der nichtehelichen Partner Das Zusammenleben in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft, also ohne – gleichgeschlechtlich oder verschiedengeschlechtlich – verheiratet zu sein oder in eingetragener Lebenspartnerschaft zu leben (im Folgenden kurz „nichteheliche Lebensgemeinschaft“) ist ein Massenphänomen unserer Zeit1. Nach dem Ergebnis des Mikrozensus 2010 hat die Zahl der Ehepaare zwischen 1996 und 2010 um 7 % – von 19,6 auf 18,2 Mio Paare – abgenommen, die der Lebensgemeinschaften sich um 44 % – von 1,9 auf 2,6 Mio (2015: 2,8 Mio.) Paare – erhöht; knapp 98 % davon waren gemischtgeschlechtliche, nicht miteinander verheiratete Paare. In gut 62 % dieser Fälle leben zwei ledige Personen zusammen, in 10 % der Fälle zwei geschiedene Personen, in 7 % der Fälle ist eine Person geschieden, die andere ledig, in 2 % der Fälle sind beide Partner verwitwet. Die Zahl der Alleinerziehenden ist um 19 % auf 2,7 Mio gestiegen2.

13.1

Das BGB sieht gleichwohl gesetzliche Erbrechte nur für Verwandte (§§ 1587, 1924–1929 BGB) und für Ehegatten (§ 1931 BGB) vor. Der Partner oder die Partnerin einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft haben daher kein gesetzliches Erbrecht, es sei denn, sie sind zufällig mit dem anderen Partner verwandt. Eine analoge Anwendung des § 1931 BGB auf die Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft scheidet nach allgemeiner Meinung aus, weil die nichteheliche Lebensgemeinschaft ein „aliud“ zur Ehe ist und die rechtliche Bewertung eines ehelosen Zusammenlebens nicht nach gesetzlichen Regelungen erfolgen kann, die eine Ehe zwingend voraussetzen3. Auch § 10 LpartG gilt nur für eingetragene (gleichgeschlechtliche) Lebenspartnerschaften, vgl. Rz. 13.193.

13.2

Dem nichtehelichen Lebenspartner steht nach h.M. auch kein Anspruch auf den in § 1932 BGB geregelten Voraus zu. Eine Analogie zu § 1932 BGB, der dem Ehegatten als gesetzlichem Erben neben Verwandten den Hausrat belässt, wird von der herrschenden Meinung ebenfalls abgelehnt4. Ohne gesetzliche Regelung fällt der Hausrat, den die Lebenspartner gemeinsam nutzten, daher in den Nachlass und ist den Erben herauszugeben.

13.3

Dagegen wird der nichteheliche Lebenspartner nach überwiegender Meinung in den Kreis der Anspruchsberechtigten für den „Dreißigsten“ gem. § 1969 BGB mit der Begründung einbezogen, dass er wegen der persönlichen Bindung zum Erblasser als Familienangehöriger zu betrachten sei5.

13.4

Der nichteheliche Lebenspartner ist allerdings6 „sonstiger Haushaltsangehöriger“ i.S.d. § 563 Abs. 2 S. 4 BGB, der mit dem Tod des Mieters in dessen Wohnraummietverhältnis eintritt (sofern nicht der vorrangige Eintritt des Ehegatten oder Lebenspartners gem. § 563 Abs. 2 S. 2 BGB stattfindet), es sei

13.5

1 2015 bestanden in Deutschland 2,8 Mio. nichteheliche Lebensgemeinschaften, davon 33 % mit Kindern. Vgl. im Überblick von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 313 ff. 2 Hammes et al., Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Oktober 2011, S. 988 ff. 3 OLG Saarbrücken v. 18.5.1979 – 7 W 8/79, NJW 1979, 2050; Palandt/Weidlich, § 1931 Rz. 15; MüKo.BGB/Leipold, § 1931 Rz. 6. 4 Soergel/Lange, NEhelG Rz. 131; MüKo.BGB/Wacke, nach § 1302 Rz. 43, a.A. Grziwotz, § 29 Rz. 29. 5 So OLG Düsseldorf v. 14.12.1982 – 21 U 120/82, FamRZ 1983, 274 = NJW 1983, 1566 f.; MüKo.BGB/ Siegmann, § 1969 Rz. 2; Soergel/Lange, NEhelG Rz. 132; Grziwotz, § 29 Rz. 11; a.A. Steinert, NJW 1986, 686. 6 Seit Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes, vgl. BT-Drucks. 14/4553, S. 61.

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§ 13 Rz. 13.6

Nichteheliche Partner im Erbrecht

denn, der nichteheliche Lebenspartner erklärt binnen eines Monats nach Kenntniserlangung vom Tod des Mieters gegenüber dem Vermieter, nicht eintreten zu wollen (§ 563 Abs. 3 S. 1 BGB).

13.6 Sozialrechtlich bilden zwar Personen in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft (ebenso wie nicht getrennt lebende Ehegatten oder Lebenspartner, §§ 19, 27 SGB XII) eine Einsatz- und Bedarfsgemeinschaft (§ 20 SGB XII) hinsichtlich des einzusetzenden Einkommens und Vermögens, ebenso der zu gewährenden Leistungen (vergleichbar im Bereich des SGB II: Einsatzgemeinschaft gem. § 9 Abs. 2 SGB II, Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 SGB II). Hierzu enthält § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II eine Legaldefinition als „Zusammenleben mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen“, was vermutet wird, wenn Partner (1) länger als ein Jahr1 zusammenleben oder (2) mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben oder (3) Kinder oder Angehörige2 im Haushalt versorgen oder (4) befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Damit übernimmt das SGB II die „Definitionshoheit“ zur Lebensgemeinschaft, die früher bei § 122 BSHG (jetzt § 20 SGB XII) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung gelegen hatte.3 Letztere hatte gefordert eine Lebensgemeinschaft (nicht notwendig in einer gemeinsamen Wohnung)4 die (1) auf Dauer angelegt ist (bzw. seit etwa drei Jahren besteht),5 (2) die daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und (3) die sich durch innere Bindungen auszeichnet, welche ein gegenseitiges Verantworten und Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Hausund Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen – ähnlich den Anforderungen an die „verfestigte Lebensgemeinschaft“ i.S.d. § 1579 Nr. 2 BGB:6 Die Leistungsfähigkeit des Partners spielt insoweit keine Rolle – anders als bei der Berücksichtigung eines (fiktiven) Entschädigungsbetrags für die Führung des Haushalts eines leistungsfähigen Dritten.7

13.7 Nach dem Tod des nichtehelichen Lebenspartners haftet gem. § 102 SGB XII, § 35 SGB II zwar dessen Erbe mit dem Wert des Nachlasses für die in den letzten zehn Jahren vor dem Tod gewährten Sozialleistungen, nicht aber der Nachlass des eheähnlichen/lebenspartnerschaftsähnlichen Partners (erfasst von der gesetzlichen Erbenhaftung ist lediglich der Nachlass des vor dem Hilfeempfänger verstorbenen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners).

13.8 Einzelne ausländische Rechtsordnungen gewähren dem Überlebenden einer nicht registrierten „faktischen Partnerschaft“ ein gesetzliches Erbrecht (z.B. Israel8, Slowenien, Australien), i.d.R. unabhängig ob hetero- oder homosexuell, andere für „eingetragene heterosexuelle Partnerschaften“, die nicht als

1 Bewusste Verkürzung ggü. den zwei bis drei Jahren, welche die Rspr. für die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gem. § 1579 Abs. 1 Nr. 7 BGB fordert. 2 Scholz, FamRZ 2006, 1418 plädiert dafür, nur Kinder/Angehörige des anderen Partners genügen zu lassen. 3 Insbesondere BVerfG v. 17.11.1992 – 1 BvL 8/87, NJW 1993, 643 – gegen eine uneingeschränkte Übertragung auf den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende LSG Hessen v. 27.7.2005 – L 7 AS 18/05, FamRZ 2006, 296 (Ls). 4 „Living apart together“. 5 So das BSG, NZS 2003, 546 im Recht der Arbeitsförderung; abschwächend LSG Nordrhein-Westfalen, NJW 2005, 2253; LSG Hessen v. 3.11.2005 – L 7 AS 67/05 ER: ein Jahr ist zu kurz; SG Düsseldorf v. 23.11.2005 – S 35 AS 343/05 ER: jugendliches Alter der Beteiligten spricht eher für schlichte „liaison d’amour“. 6 Vgl. hierzu Schnitzler, FamRZ 2006, 239 ff. 7 Zwischen 200 und 550 Euro bei nicht erwerbstätigem Lebensgefährten, gem. Nr. 6 der Süddeutschen Leitlinien, Stand 1.1.2013. 8 Auch die Vorfrage des Bestehens einer solchen faktischen Partnerschaft richtet sich dann nach ausländischem Recht, BayObLG, NJW 1976, 2076.

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Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.12a § 13

Ehe gelten. Art. 17b Abs. 1 S. 2 EGBGB verweist aus deutscher Sicht1 derzeit hinsichtlich der erbrechtlichen Folgen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft auf das Erbstatut des Verstorbenen (ab 17.8.2015 wird diese erbrechtliche Kollisionsnorm freilich durch die EuErbVO verdrängt, vgl. Rz. 13.200); die Norm gilt (wohl) für alle registrierten (auch verschiedengeschlechtlichen) Partnerschaften2. Die frühere Kappungsregelung des Art. 17b Abs. 4 EGBGB (wonach die Folgen einer im Ausland eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht weiter gehen können als die einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nach deutschem Recht), die nach früherer Rechtsprechung auch für im Ausland begründete gleichgeschlechtliche Ehen Anwendung finden sollte, wurde durch das Eheöffnungsgesetz mit Wirkung ab 1.10.2017 abgeschafft, das Gesetz zur Umsetzung des Eheöffnungsgesetzes (BGBl. I 2018, 2639) stellt in Gestalt des Art. 229 § 48 EGBGB n.F. klar, dass alle Beschränkungen aus Art. 17b Abs. 4 EGBGB a.F. auch für die Zeit vor dem 1.10.2017 entfallen sind. 2. Erbrecht der gemeinschaftlichen Kinder a) Abstammung Voraussetzung für das Erbrecht des Kindes nach deutschem Recht ist die Abstammung, also das Mutter- bzw. Vaterschaftsverhältnis. Insoweit gilt:

13.9

aa) Mutter eines Kindes ist stets die Frau, die es geboren hat, § 1591 BGB, ohne Rücksicht auf die leibliche Abstammung. Demzufolge ist Mutter auch die Frau, die (im Ausland3: Kalifornien, Indien, Ukraine) eine befruchtete Eizelle einer anderen Frau, also der genetischen Mutter, austrägt. Die „Wunschmutter“, Spenderin der Eizelle, kann also lediglich durch spätere Adoption zur Mutter werden; entgegenstehende nationale Verbote einer solchen Adoption verstoßen gegen Art. 8 EMRK4. Eine „Mutterschaftsanerkenntnis“ oder eine „Mutterschaftsanfechtung“ kennt das deutsche Recht nicht. Diese gesetzliche Definition (nicht lediglich Vermutung) gilt auch für sämtliche Verwandte der als Mutter geltenden Frau, mithin auch mit Blick auf das Unterhalts- und Erbrecht.

13.10

bb) Vater eines Kindes ist der Mann,

13.11

(1) der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (maßgeblich ist also der Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung, § 1592 Nr. 1 BGB), (2) der die Vaterschaft gem. § 1592 Nr. 2 BGB anerkannt hat, gem. §§ 1594 bis 1598 BGB, auch schon vor der Geburt des Kindes (§ 1594 Abs. 4 BGB), und unabhängig davon, ob er der genetische Vater des Kindes ist oder nicht (vgl. jedoch Rz. 13.12a). Es handelt sich um ein bedingungsfeindliches Rechtsgeschäft mit Gestaltungswirkung, das der Zustimmung der Mutter bedarf (§ 1595 Abs. 1 BGB), der hierfür gem. § 1629 Abs. 1 S. 3 BGB kein Pfleger bestellt werden muss. Die Zustimmung auch des Kindes ist nur erforderlich, falls der Mutter die elterliche Sorge nicht zusteht (§ 1595 Abs. 2 BGB). Ist die Anerkennung nicht binnen Jahresfrist wirksam geworden, kann der anerkennende Mann seine Erklärung widerrufen (§ 1597 Abs. 3 BGB). Wird ein Kind nach Anhängigkeit eines Scheidungsantrags geboren und erkennt ein Dritter spätestens bis zum Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft der Scheidung die Vaterschaft an, gilt er gem. § 1599 Abs. 2 BGB als Vater.

13.12

Bedenklich (und nunmehr nach § 1597a Abs. 1 BGB ausdrücklich verboten) sind wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkennungen jedoch, wenn sie aufenthaltsrechtlichen Zielen dienen: das Kind einer

13.12a

1 Zur Lage im Ausland in Bezug auf nichteheliche Lebensgemeinschaften heterosexueller Paare Schaal, ZNotP 2010, 207. 2 Vgl. Buschbaum, RNotZ 2010, 73 ff. und 149 ff. 3 Die Ei- oder Embryonenspende ist in Deutschland gem. §§ 1, 3 ESchG verboten. 4 EuGHMR v. 26.6.2014 – 65192/11 Mennesson/Frankreich und 65941/11 Labassée/Frankreich, FamRZ 2014, 1525 m. Anm. Frank. Für die Prüfung eines Verstoßes gegen den ordre public (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) kommt es auf die letzte gerichtliche Entscheidung an; ist das Kind dann in die „Wunschfamilie“ integriert, darf das Fehlverhalten der Eltern sich nicht zu dessen Lasten auswirken.

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§ 13 Rz. 13.13

Nichteheliche Partner im Erbrecht

(z.B. ausreisepflichtigen) Mutter kann durch die Anerkennung der Vaterschaft seitens eines deutschen Mannes gem. § 4 Abs. 1 StAG ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen, so dass die Mutter gem. § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, sog. Familiennachzug, ein Aufenthaltsrecht erwirbt. In gleicher Weise kann ein ausreisepflichtiger Mann gem. § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ein Aufenthaltsrecht erlangen, wenn er die Vaterschaft des Kindes einer deutschen Mutter anerkennt. Die zwischen 2008 und 2013 in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F. eröffnete behördliche Anfechtung war verfassungswidrig1, so dass seit 1.7.2017 stattdessen in Gestalt des § 1597a BGB die Missbrauchskontrolle durch die beurkundende Stelle eingeführt wurde2. Verdachtsmomente sind das Bestehen einer Ausreisepflicht für Vater, Mutter oder Kind, die Stellung eines Asylantrags durch einen Staatsangehörigen sicherer Herkunftsländer, das Fehlen näherer persönlicher Beziehungen, die Anerkennung mehrerer Vaterschaften, die Gewährung von Vermögensvorteilen für die Erklärung.

13.13 (3) Gem. § 1592 Nr. 3 BGB auch der Mann, dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB oder § 182 Abs. 1 FamFG gerichtlich festgestellt ist. Erfolgen Anerkenntnis (2) oder gerichtliche Feststellung (3) nach der Geburt des Kindes, ist dies gem. § 29 PStG am Rande des Geburtseintrages zu vermerken.

13.14 Schließlich besteht gem. § 1593 BGB eine Vaterschaftsvermutung, falls das Kind binnen 300 Tagen nach Auflösung der Ehe durch Tod (nicht: Auflösung durch Scheidung) geboren wurde, ohne dass aufgrund Eingehung einer neuen Ehe der neue Ehemann nach § 1592 Nr. 1 BGB als Vater anzusehen wäre.

13.15 Eine Vaterschaftsanfechtung kann gem. § 1600 BGB erfolgen. Zur Anfechtung berechtigt sind zum einen der Mann, der nach §§ 1592 Nr. 1 und 2, 1593 BGB als Vater feststeht, zum weiteren der Mann, der an Eides Statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben (unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 1600 Abs. 2 BGB), ferner die Mutter, schließlich das Kind selbst. Dieser Kreis der zur Anfechtung der Vaterschaft Berechtigten ist abschließend3. Stirbt der Vater während eines laufenden Anfechtungsverfahrens, tritt Erledigung des Rechtsstreits ein, § 181 FamFG – dessen Verwandte (insbesondere Eltern) können also nicht mehr – wie früher gem. § 640g a.F. ZPO – das Verfahren fortführen.

13.16 Ist das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch künstliche Befruchtung durch Samenspende (künstliche Insemination) eines Dritten gezeugt worden, ist die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann und durch die Mutter gem. § 1600 Abs. 4 BGB ausgeschlossen. Auch der Samenspender kann die Vaterschaft des Mannes nicht anfechten, wenn zuvor eine Vereinbarung getroffen wurde, dass ein anderer Mann – z.B. der Ehemann der Mutter – Vater werden soll4. Das Recht des Kindes selbst auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird dadurch nicht ausgeschlossen (solange es noch minderjährig ist, allerdings gem. § 1600a Abs. 4 BGB allerdings nur, wenn es seinem Wohl dient); das Kind hat sogar einen Auskunftsanspruch gegen den behandelnden Arzt5. Das am 1.7.2018 2018 in Kraft getretene Samenspenderegistergesetz eröffnet Kindern ab dem 16. Lebensjahr Einsichtsrechte in das beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information DIMDI ein1 BVerfG v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10, NJW 2014, 1364. 2 Vgl. Balzer, NZFam 2018, 5 ff.; Grziwotz, MittBayNot 2018, 288 ff., mit Formulierungsvorschlägen für den Notar zur Anhörung der Beteiligten, § 1597a Abs. 2 S. 1 BGB (mit der Bitte um Übermittlung eines Nachweises zur biologischen Vaterschaft), und zur Mitteilung über die Aussetzung des Verfahrens in „Verdachtsfällen“. Gegen die Aussetzung ist kein Rechtsmittel eröffnet, insb. nicht die Beschwerde gem. § 15 Abs. 2 BNotO, sondern erst gegen eine ungünstige Entscheidung der Ausländerbehörde. 3 Dies ist verfassungsgemäß, vgl. BVerfG v. 23.11.2015 – 1 BvR 2269/15, FamRZ 2016, 199; hiergegen Franken, ErbR 2018, 633: auch die Ehefrau des verstorbenen „Vaters“ sei gem. Art. 12 § 3 Abs. 2 S. 2 NEhelG anfechtungsberechtigt. 4 BGH v. 15.5.2013 – XII ZR 49/11, FamRZ 2013, 1209 (str.; gegen die Wirksamkeit des Verzichts des leiblichen Vaters = Samenspenders auf das Anfechtungsrecht und damit das Einrücken in die rechtliche Vaterstellung z.B. Remus/Liebscher, NJW 2013, 2558). 5 OLG Hamm v. 6.2.2013 – I-14 U 7/12, MedR 2013, 672 m. Anm. Spickhoff (causa „Sarah Pienkoss“).

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Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.19 § 13

zurichtende Register, wo die Daten 110 Jahre vorzuhalten sind, allerdings ist bei Verwendung und Registrierung von Samen ab dem 1.7.2018 (Art. 229 § 46 EGBGB) gem. § 1600d Abs. 4 BGB eine gerichtliche Feststellung der rechtlichen Vaterschaft ausgeschlossen. Nach deutschem Recht (anders als in vielen ausländischen Rechtsordnungen, etwa Dänemark) kann der Samenspender seine Anonymität nicht (auch nicht nach dem Transplantationsgesetz) wahren. „Leihmutterschaft“ ist in Deutschland unzulässig1; ausländische Gerichtsentscheidungen über die Elternschaft der „Wunscheltern“ werden jedoch in Deutschland anerkannt2, auch besteht die Möglichkeit der Inlandsadoption bei einer im Ausland durchgeführten Leihmuttergeburt3. In der Einwilligung in die heterologe Insemination sieht die Rechtsprechung4 die (ggf. stillschweigen- 13.16a de) Vereinbarung zugunsten des Samenspenders5, diesen von den gesetzlich zwingenden Unterhaltstatbeständen freizustellen und zwar im Weg eines Vertrags zugunsten des noch ungeborenen Kindes (§ 328 Abs. 1 BGB), der weder notarieller Beurkundung noch (nach Leibrentenrecht, § 761 S. 1 BGB) der Schriftform bedarf, jedoch bis zum Beginn der Schwangerschaft widerruflich ist. Auf erbrechtliche Fragen hat der Inseminationsvertrag freilich keinen Einfluss. Ungeklärt ist noch, ob das Erbrecht des Nasciturus, § 1923 Abs. 2 BGB, voraussetzt, dass die Leibesfrucht im Mutterleib sei oder ob auch eine Befruchtung der Eizellen außerhalb des Mutterleibes zu diesen erbrechtlichen Ansprüchen führt. Nach dem Tod des Spenders darf nach dem Embryonenschutzgesetz der Spendersamen zwar nicht mehr verwendet werden; geschieht dies gleichwohl, bestehen jedoch keine erbrechtlichen Beschränkungen. Die erbrechtlichen Folgen der Vaterschaftsanerkennung und der Vaterschaftsfeststellung treten rückwirkend auf den Erbfall, aber erst nach Wirksamwerden des Anerkenntnisses bzw. der Rechtskraft der Feststellung ein, §§ 1594, 1600d Abs. 4 BGB.

13.17

Die Vaterschaftsanerkennung und die Zustimmung der Mutter bzw. des Kindes müssen öffentlich 13.18 beurkundet werden (§ 1597 Abs. 1 BGB). Die öffentliche Beurkundung kann erfolgen durch die ermächtigten Beamten der Jugendämter (§ 59 Abs. 1 SGB VIII), einen Notar (§ 20 BNotO) oder Standesbeamten (§ 44 PStG, § 58 BeurkG) oder zur Niederschrift eines Amtsgerichts (§ 3 Nr. 1f RPflG). Zusätzlich können übereinstimmende Erklärungen zur gemeinsamen Wahrnehmung der elterlichen Sorge (§ 1626a BGB) beim Notar oder Jugendamt abgegeben werden, wobei den Beteiligten jedoch vor Augen geführt werden sollte, dass diese Erklärung der Mutter nicht unter der auflösenden Bedingung einer Beendigung der Lebensgemeinschaft abgegeben werden kann.

M 84 Vaterschaftsanerkennung (notarielle Urkunde)

13.19

Daten des Vaters und der Mutter Die Erschienenen waren gleichzeitig vor mir anwesend. Auf Ansuchen der Erschienenen beurkunde ich ihren Erklärungen gemäß folgende Vaterschaftsanerkennung: § 1 Persönliche Verhältnisse der Beteiligten Herr … wurde am … in … geboren. Er ist … Staatsangehöriger. Frau … wurde am … in … geboren. Sie ist deutsche Staatsangehörige. Frau … ist derzeit in der … Woche schwanger. Das Kind wird voraussichtlich am … geboren. Es ist ein Einzelkind. Sein Geschlecht ist bisher unbekannt. Ein Mutterpass wurde noch nicht ausgestellt.

1 2 3 4 5

Vgl. Grziwotz, notar 2018, 163 ff. BGH v. 5.9.2018 – XII ZB 224/17, ErbR 2018, 698. OLG München v. 12.2.2018 – 33 UF 1152/17, NZFam 2018, 286, hierzu Raude, notar 2018, 390 (396). BGH v. 23.9.2015 – XII ZR 99/14, DNotZ 2016, 54. In Deutschland wird mit ca. 100.000 Samenspendern gerechnet!

Krauß 481

§ 13 Rz. 13.20

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Das Kind wird voraussichtlich in der Bundesrepublik Deutschland geboren werden und dort auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die Anerkennung der Vaterschaft unterliegt daher gem. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Gesichtspunkte für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft i.S.d. § 1597a BGB (insbesondere Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für den inländischen Aufenthalt des Kindes, der Mutter oder des Anerkennenden ohne tatsächliches Bestehen einer Vaterschaft) sind nicht erkennbar. § 2 Anerkennung Ich, …, erkenne an, der Vater des noch nicht geborenen Kindes von Frau … zu sein. Mir ist bekannt, dass ich die Anerkennung widerrufen kann, wenn sie ein Jahr nach der Beurkundung noch nicht wirksam geworden ist. Die zur Wirksamkeit der Anerkennung erforderliche Zustimmung der Mutter wird nachstehend erteilt. § 3 Zustimmung Ich, …, erkläre als Mutter des Kindes meine Zustimmung zur Anerkennung der Vaterschaft durch Herrn … § 4 Hinweise; Schlussbestimmungen Der amtierende Notar hat uns über die Rechtswirkungen der Anerkennung der Vaterschaft in familien- und erbrechtlicher Hinsicht belehrt und insbesondere auf Folgendes hingewiesen: – die gesetzliche Vaterschaft desjenigen, der die Vaterschaft anerkannt hat; – die wechselseitige Unterhaltspflicht von Vater und Kind; – die Unterhaltspflicht von nicht miteinander verheirateten Eltern; – das wechselseitige Erb- und Pflichtteilsrecht von Vater und Kind. Der Notar hat uns ferner darauf hingewiesen, dass die elterliche Sorge allein der Mutter zusteht, solange die Eltern nicht verheiratet sind und auch nicht erklärt haben, die Sorge gemeinsam übernehmen zu wollen. Eine derartige Sorgeerklärung wollen wir in der heutigen Urkunde nicht abgeben. § 5 Kosten; Abschriften Diese Urkunde ist gem. Vorbem. 2 Abs. 3 KV GNotKG gebührenfrei. Die anfallenden Auslagen trägt … Von dieser Urkunde erhalten beglaubigte Abschriften: – der Vater – die Mutter mit der Bitte, dem Jugendamt Tag und Ort der Geburt des Kindes mitzuteilen – das für den Wohnsitz der Mutter zuständige Jugendamt – das Standesamt

13.20 M 85 Gemeinsame Sorgeerklärung nach § 1626a BGB (notarielle Urkunde) Daten des Vaters und der Mutter Auf Ansuchen der Erschienenen beurkunde ich ihren bei gleichzeitiger Anwesenheit vor mir abgegebenen Erklärungen gemäß, was folgt: Wir sind nicht miteinander verheiratet. Wir sind die Eltern des am … in … geborenen Kindes … Herr … hat mit Zustimmung von Frau … bzw. des Jugendamts als Amtspfleger bzw. in Beistandschaft am … die Vaterschaft anerkannt. Wir versichern, dass eine gerichtliche Entscheidung über die elterliche Sorge nach den §§ 1671, 1672 BGB nicht getroffen oder eine solche Entscheidung nach § 1696 Abs. 1 BGB nicht geän-

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Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.21a § 13

dert wurde. Auch hat der Vater des Kindes keinen Antrag auf Erlangung der gemeinsamen elterlichen Sorge an das Gericht gem. § 1626a Abs. 1 S. 3 BGB gestellt. Die Mutter des Kindes erklärt: Die elterliche Sorge für das genannte Kind soll dem genannten Vater des Kindes und mir gemeinsam zustehen. Der Vater erklärt: Ich bin damit einverstanden, die gemeinsame Sorge für das oben genannte Kind zu übernehmen. Der Notar hat sich von der Geschäftsfähigkeit der Beteiligten überzeugt. Er hat sie darauf hingewiesen, dass eine Sorgeerklärung unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung unwirksam ist, diese also bspw. nicht unter dem Vorbehalt abgegeben werden kann, dass die gemeinsame Sorge nur so lange bestehen möge, wie Mutter und Vater des Kindes zusammenleben oder ihren Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind nachkommen. Ist gemeinsame Sorge eingetreten, kann diese nur in Ausnahmefällen auf Antrag eines Ehegatten bei nicht nur vorübergehender Trennung durch das Familiengericht aufgehoben werden. Voraussetzung hierfür ist unter anderem, dass entweder der andere Elternteil gem. § 1671 Abs. 2 BGB zustimmt (es sei denn, das Kind hat bereits das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht der Übertragung), oder aber dass zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Wir sind darüber belehrt, dass wir durch die Sorgeerklärung die Pflicht und das Recht haben, für das minderjährige Kind zu sorgen, und die elterliche Sorge die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge) umfasst. Beim Tod eines Elternteils steht das Sorgerecht dem überlebenden Elternteil alleine zu. Wir vertreten künftig das Kind gemeinschaftlich. Den Erschienenen ist bekannt, dass im Fall der Begründung gemeinsamer Sorge beider Eltern, wenn das Kind bereits einen Namen führt, der Name des Kindes binnen drei Monaten nach der Abgabe der gemeinsamen Sorgerechtserklärung durch Erklärung gegenüber dem Standesbeamten neu bestimmt werden kann. Hierbei kann der Name des Vaters oder der Mutter zum Geburtsnamen des Kindes bestimmt werden. Gesichtspunkte für einen vom Regelwert in Höhe von 5.000 Euro abweichenden Geschäftswert (§ 36 Abs. 3 GNotKG, 1,0 Gebühr) sind nicht ersichtlich. Die Kosten dieser Urkunde trägt … Wir beantragen, uns je eine Ausfertigung der Niederschrift zu erteilen und eine beglaubigte Abschrift an das für den Geburtsort des Kindes zuständige Jugendamt zu übersenden zum Zweck der Auskunftserteilung (§ 58a SGB VIII). Liegt der Geburtsort des Kindes im Ausland oder ist er nicht zu ermitteln, ist die Mitteilung an das Jugendamt des Landes Berlin zu richten (§ 87c Abs. 6 S. 2 i.V.m. § 88 Abs. 1 S. 2 SGB VIII).

Außer durch Anerkennung kann die Vaterschaft durch gerichtliche Entscheidung festgestellt werden 13.21 (§ 1600d Abs. 1 BGB). Klageberechtigt nach der Neufassung der Vorschrift durch das KindRG sind nicht nur der Vater und das Kind, sondern auch die Mutter (§ 1600e Abs. 1 BGB). Das Kind hat (aus Art. 6 Abs. 5 GG und § 1618a BGB: Beistandspflicht) einen Auskunftsanspruch gegen seine Mutter auf Benennung des Vaters1; ebenso hat der „Scheinvater“ gegen die Mutter einen Auskunftsanspruch auf Nennung des Erzeugers2. Das Verfahren in Abstammungssachen richtet sich seit dem 1.9.2009 nach §§ 47, 169 ff. FamFG; so kann z.B. die Feststellungsentscheidung gem. § 185 FamFG abgeändert werden, etwa wenn neue Erkenntnisse vorliegen. Hinzu kommt seit 1.4.2008 das Abstammungsklärungsverfahren des § 1598a BGB (Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung) unabhängig von einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren, zunächst zur Klärung der biologischen Vaterschaft, dem im zweiten Schritt ggf. die rechtliche Loslösung des nichtbiologischen Vaters vom Kind folgen kann. Die gesetzliche Neuregelung hinsichtlich der Abstammung gilt gem. § 224 EGBGB nur für Kinder, 13.21a die ab dem 1.7.1998 geboren werden. Die Vaterschaft hinsichtlich eines vor dem 1.7.1998 geborenen 1 BVerfG v. 21.6.1988 – 2 BvL 6/86, MDR 1989, 227 m. Anm. Schultz-Gerstein = NJW 1988, 3010; BVerfG v. 6.5.1997 – 1 BvR 409/90, FamRZ 1997, 869 = MDR 1997, 741 = NJW 1997, 1769; zur Exhumierung des Vaters zur Klärung der Abstammung OLG München v. 19.1.2000 – 26 UF 1453/99, FamRZ 2001, 126. 2 Bei kollusivem Zusammenwirken (Anspruchsgrundlage §§ 826, 249 S. 1 BGB), zur Vorbereitung des Unterhaltsregresses (mit u.U. inzidenter zu treffender Vaterschaftsfeststellung: BGH v. 16.4.2008 – XII ZR 144/06, MDR 2008, 1040 = NJW 2008, 2433) und der Vaterschaftsanfechtung.

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§ 13 Rz. 13.21b

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Kindes richtet sich nach den bisherigen Vorschriften (Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB). Nach dem bis zum 30.6.1998 geltenden Abstammungsrecht ist der Status als Kind der eines ehelichen (§§ 1591–1600 a.F. BGB) oder der eines nichtehelichen Kindes (§§ 1600a-1600o BGB). Für alle Erbfälle von Kindern, die vor dem 1.7.1998 geboren sind, gilt für die Anerkennung oder die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft demnach altes Recht1.

13.21b Seit dem 1.1.2009 werden nichteheliche Kinder in gleicher Weise wie eheliche Kinder in das Geburtsregister beider Elternteile eingetragen, so dass ein Nachlassgericht im Erbfall hierauf zugreifen kann. Die Geburten nichtehelicher Kinder zwischen 1970 und 2008 wurden jedoch auf sogenannten „weißen Karteikarten“ festgehalten, die in den Testamentskarteien beim Geburtsstandesamt der Eltern aufbewahrt werden. Die Führung dieser Karteikarten und die Weitergabe der Angaben über nichteheliche Kinder an die Nachlassgerichte beruhten auf der „Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden“, die jedoch seit März 2010 außer Kraft getreten ist. Um dem Verlust der Daten vorzubeugen und die zentrale Erfassung der gespeicherten Informationen zu gewährleisten, werden diese weißen Karteikarten (zusammen mit den Verwahrungsnachrichten) von Seiten der rund 5.000 Standesämter, bei denen sie bisher verwahrt werden, an die Bundesnotarkammer weitergereicht, dort digitalisiert und in das zentrale Testamentsregister aufgenommen auf der Grundlage des „Gesetzes zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren“ v. 21.3.2013, BGBl 2013 I, 554. b) Erbrecht nach der Mutter

13.22 Das nichteheliche Kind ist als Verwandte/r der Mutter nach dieser seit jeher voll erbberechtigt (§§ 1924 Abs. 1, 1591 BGB)2. Die Eltern der Mutter sind durch das Erbrecht des nichtehelichen Kindes von der Erbfolge gänzlich ausgeschlossen (§ 1930 BGB). Die Mutter ihrerseits beerbt das Kind (§ 1925 Abs. 1 BGB). Gleiches gilt für die Vorfahren mütterlicherseits. Diese und das nichteheliche Kind sind wechselseitig voll erbberechtigt. c) Erbrecht nach dem Vater

13.23 Die gesetzliche Regelung für das Erbrecht zwischen nichtehelichem Vater und Kind ist verzweigt. Sie differiert je nach Geburtsdatum des Erbberechtigten, Sterbedatum des Erblassers und Wohnsitz des Erblassers zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung (3.10.1990) sowie zum Zeitpunkt des Erbfalls. Im Hinblick auf die überwundene deutsche Teilung gilt, dass sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einem deutschen Erblasser nach den Bestimmungen derjenigen Teilrechtsordnung richtet, deren räumlichem Geltungsbereich der Erblasser durch seinen gewöhnlichen Aufenthalt angehörte3. Im Einzelnen ist insoweit zu differenzieren:

13.24 aa) Gewöhnlicher Aufenthalt des nichtehelichen Vaters im „Beitrittsgebiet“ zum Zeitpunkt seines Ablebens, spätestens zum Beitrittszeitpunkt (3.10.1990). Abzustellen ist dann auf den Todeszeitpunkt des Vaters: (1) Ist der nichteheliche Vater in der DDR vor dem 1.4.1966 verstorben, hatten nichteheliche Kinder keine Erbberechtigung, vgl. Art. 22 Abs. 2, 33 Abs. 2 der DDR-Verfassung vom 7.10.19494. (2) Verstarb der nichteheliche Vater zwischen dem 1.4.1966 und dem 31.12.1975 und war das nichteheliche Kind im Zeitpunkt des Erbfalls noch minderjährig, wurde es gegenüber dem zuletzt in

1 Vgl. zu Einzelheiten Palandt/Diederichsen, 57. Aufl., §§ 1591–1600o BGB. 2 RGRK/Kregel, § 1924 Rz. 13; Soergel/Stein, 12. Aufl., vor § 1934a Rz. 1, § 1934a BGB Rz. 3; Staudinger/ Werner, § 1934a Rz. 5. 3 BGH v. 1.12.1993 – IV ZR 261/92, BGHZ 124, 270, 128, 41 = MDR 1994, 384 = FamRZ 1994, 304. 4 Vgl. BezG Erfurt v. 27.5.1993 – W 15/93, FamRZ 1994, 465.

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Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.27 § 13

der DDR wohnhaften nichtehelichen Vater durch § 9 EGFGB-DDR dem ehelichen Kind gleichgestellt. (3) Verstarb der nichteheliche, zuletzt in der DDR wohnhafte Vater zwischen dem 1.1.1976 (Inkrafttreten des ZGB: § 365 ZGB) und dem 2.10.1990, waren alle nichtehelichen Kinder, auch die beim Erbfall bereits volljährigen, den ehelichen gleichgestellt. In all diesen Varianten spielt es keine Rolle, wo der gewöhnliche Aufenthalt des nichtehelichen Kindes war. Bei Erbfällen zwischen dem 1.1.1976 und dem 2.10.1990 durchbricht die kollisionsrechtliche Norm des § 25 Abs. 2 RAG-DDR den Grundsatz der Nachlasseinheit zugunsten der lex rei sitae „in Bezug auf das Eigentum und andere Rechte an Grundstücken und Gebäuden, die sich in der DDR befinden“. Bei ausländischer Staatsangehörigkeit (und somit – aus Sicht der DDR – auch bei Staatsangehörigkeit der BRD) trat somit Nachlassspaltung ein. Das Erbrecht der früheren DDR bestimmte (bezogen auf die in § 25 Abs. 2 RAG-DDR genannten Gegenstände) Erbfähigkeit, Erbfolge, Erbanteile und Pflichtteilsrecht dem Grunde wie der Höhe nach sowie die Erbenhaftung und die Ausschlagung. (4) Verstirbt der nichteheliche Vater nach dem 3.10.1990, hatte aber am 2.10.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der DDR, ist für Sterbefälle zwischen dem 3.10.1990 und dem 31.3.1998 zu differenzieren: (a) War das nichteheliche Kind vor dem 3.10.1990 geboren, galt zunächst gem. Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB (Besitzstandswahrung) weiter das (aus Sicht des nichtehelichen Kindes günstigere) DDR-Erbrecht, also die für die erbrechtlichen Verhältnisse eines ehelichen Kindes geltenden Vorschriften, mit der Folge völliger Gleichstellung ggü. ehelichen Kindern auch bei Geburt vor dem 1.7.19491; mithin über die Wirkungen des Erbrechtsgleichstellungsgesetzes 1998 hinaus.2 Gleiches galt (wohl) auch für die Beerbung des nichtehelichen Kindes durch den Vater. Unerheblich war dabei, ob der Abkömmling beim Eintritt des Erbfalls dem Erblasser gegenüber unterhaltsberechtigt war, wie es § 369 Abs. 1 Nr. 2 ZGB zur Voraussetzung erhoben hatte3. Im Hinblick auf die zwischenzeitliche Rechtsprechung des EGMR v. 29.5.2009 und die sich daran anschließende allgemeine Gesetzesänderung v. 12.4.2011 (vgl. Rz. 13.31) mit Wirkung ab 29.5.2009 ist Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB ersatzlos entfallen. (b) Ist das nichteheliche Kind jedoch nach dem 3.10.1990 geboren, gilt stets uneingeschränkt das Erbrecht der Bundesrepublik Deutschland. bb) Gewöhnlicher Aufenthalt des nichtehelichen Vaters in den „alten Bundesländern“ zum Zeitpunkt seines Ablebens, spätestens zum Beitrittszeitpunkt (3.10.1990):

13.25

(1) Geburt des nichtehelichen Kindes vor dem 1.7.1949 (a) Tod des nichtehelichen Vaters vor dem 29.5.2009 Das nichteheliche Kind ist gegenüber dem Vater gem. § 1589 Abs. 2 a.F. BGB, Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG nicht erbberechtigt, es sei denn, es wäre ein Gleichstellungsvertrag gem. Art. 12 § 10a NEhelG geschlossen worden (hierzu Rz. 13.38 ff.).

13.26

Daneben sind nichtehelich vor dem 1.7.1949 geborene Kinder, deren Eltern geheiratet haben, dadurch gem. § 1719 BGB a.F. legitimiert worden. Dies gilt auch, wenn die Eltern erst nach dem 1.7.1998 (also u.U. mehr als 50 Jahre nach der Geburt!) heiraten, obwohl § 1719 a.F. BGB durch das KindRG mit Wirkung zum 1.7.1998 aufgehoben wurde. Zur Vermeidung einer sonst gegen Art 6 Abs. 5 GG verstoßenden ungleichen Behandlung einzelner Gruppen nichtehelicher Kinder untereinander4 sind demnach einfachgesetzlich solche Kinder nicht mehr als „nicht ehelich“ i.S.d. Überleitungsvorschrift des Art. 12

13.27

1 2 3 4

Vgl. im Einzelnen Egerland in: 10 Jahre Deutsches Notarinstitut (2003), S. 175 ff. Verkannt von LG Chemnitz v. 5.7.2006 – 2 O 1602/05, ZEV 2007, 227 m. abl. Anm. Leve. OLG Dresden v. 15.9.2009 und v. 29.9.2009 – 3 U 1341/09, FamRZ 2010, 1375 = ZEV 2010, 260. BVerfG v. 8.1.2009 – 1 BvR 755/08, ZEV 2009, 134 m. Anm. Herrler.

Krauß 485

§ 13 Rz. 13.28

Nichteheliche Partner im Erbrecht

§ 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG anzusehen, so dass die nunmehr geltenden, nicht mehr zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern differenzierenden, erbrechtlichen Bestimmungen zum Erb- und Pflichtteilsrecht gelten.

13.28 Eine weitere Ausnahme besteht dann, wenn der nichteheliche Vater durch den Bund oder ein Land gem. § 1936 BGB beerbt wurde (Fiskalerbschaft); in diesem Fall erhält das nichteheliche Kind einen Wertersatzanspruch in Höhe des Wertes des entgangenen Erbteils nach Maßgabe des 2. Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder v. 12.4.2011, s. nachstehend Rz. 13.31.

13.29 Aufgrund des insoweit fortgeltenden Art. 12 § 10 Abs. 2 a.F. NEhelG steht den vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kindern für Sterbefälle vor dem 29.5.2009 (s. Rz. 13.31 ff.) im Übrigen aber kein Erbrecht zu. Der BGH1 führt hierzu aus, die Beibehaltung des alten Rechtszustands rechtfertige sich auch verfassungsrechtlich daraus, dass zum einen die Vaterschaft zu vor diesem Zeitpunkt geborenen nichtehelichen Kindern nur schwierig festzustellen sei (Rz. 13.27), zum anderen einem Erblasser, der die Rechtsprechung des EuGHMR weder hätte kennen können noch damit rechnen müssen, nachträglich die Möglichkeit genommen würde, anderweitig zu verfügen. Die Erben wären damit möglicherweise nachträglich mit Ansprüchen anderer Abkömmlinge aus einem Erb- oder Pflichtteilsrecht konfrontiert worden, das erst Jahrzehnte nach dem Erbfall entstanden wäre. Der Schutz des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, dem auch das Erbrecht der nichtehelichen Kinder unterfällt, wird insoweit durch den Schutz des Eigentums (und Erbrechts) aus Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK eingeschränkt; ferner fehlt es häufig an der für Art. 8 Abs. 1 EMRK erforderlichen Nähe zwischen Vater und nichtehelichem Kind. Auch das BVerfG hält die geschaffene Stichtagsregelung für verfassungsgemäß2.

13.30 Allerdings hat der EuGHMR3 entschieden, dass ein nichteheliches Kind ungeachtet der im französischen Recht erst seit 2001 herbeigeführten Gleichstellung auch bei einem Sterbefall vor dem Stichtag eine solche Gleichstellung beanspruchen kann; die Grundsätze dieses Urteils sind wohl auf die deutsche Rechtslage übertragbar. Demnach gebietet es wohl die konventionskonforme Auslegung, zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot i.V.m. der Gewährleistung des Eigentums, dem nichtehelichen Kind das volle Erb- und Pflichtteilsrecht dann nicht vorzuenthalten, wenn nicht durch eine tatsächliche Auseinandersetzung des Nachlasses oder eine auch dem nichtehelichen Kind gegenüber materiell rechtskräftige Entscheidung4 bereits ein schutzwürdiges Vertrauen auf die frühere, das nichteheliche Kind ausschließende Rechtslage begründet war. (b) Tod des nichtehelichen Vaters nach dem 28.5.2009

13.31 Während das BVerfG5 den Ausschluss nichtehelicher, vor dem 1.7.1949 geborener Kinder als verfassungsgemäß anerkannt hatte, sah der EuGHMR im Urteil v. 28.5.2009 darin eine Verletzung der Rechte aus Art. 8 und 14 der EMRK6. Das 2. Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder7 beließ es für die oben (a) genannte Fallgruppe, also Erbfälle bis zum 28.5.2009, aus Vertrauensschutzgründen bei der bisherigen Regelung, es sei denn, Fiskalerbrecht wäre eingetreten (dann Wertersatzanspruch gegen den Bund oder das Land8). Auch letztere Ausnahme kann jedoch konven1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 26.10.2011 – IV ZR 150/10, FamRZ 2012, 119 = MDR 2012, 101 = NJW 2012, 231. BVerfG v. 18.3.2013 – 1 BvR 2436/11, 1 BvR 3155/11, ZEV 2013, 326. EuGHMR v. 7.2.2013 – 16574/08, Fabris/France, ZEV 2014, 491. Dafür genügt ein Erbscheinsverfahren nicht, da der Erbschein nicht in materieller Rechtskraft erwächst, vgl. Leipold, ZEV 2014, 449 ff. BVerfG v. 8.12.1976 – 1 BvR 810/70, NJW 1977, 1677. EuGHMR v. 28.5.2009 – 3545/04, Brauer/Deutschland, FamRZ 2009, 1293. V. 12.4.2011, BGBl. 2011 I, 615; hierzu Übersicht bei Bestelmeyer, Rpfleger 2012, 361 ff.; Rebhan, MittBayNot 2011, 285 ff. Der Wertersatzanspruch gegen dem Staat gem. Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG umfasst keine Zinsen (Nutzungsersatz), BGH v. 18.10.2017 – IV ZR 97/15, ZEV 2017, 705, anders jedoch der Anspruch gegen

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Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.35 § 13

tionswidrig sein1, so dass Art. 5 S. 2 des Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetzes teleologisch zu erweitern ist2, wenn die Nichtberücksichtigung des nichtehelichen Kindes einem gerechten Ausgleich zwischen den betroffenen widerstreitenden Interessen zuwiderlaufen würde, insbesondere weil eine besondere Nähebeziehung zum nichtehelichen Vater bestand, während die sonst erbberechtigten Familienangehörigen sich abgewendet haben3. Für alle danach eintretenden Erbfälle wird rückwirkend ohnehin dem nichtehelichen Kind ein Erbrecht nach seinem Vater bzw. dessen Verwandten zuerkannt4. Die für Sterbefälle nach dem 28.5.2009 bereits erteilten Erbscheine, die aufgrund der rückwirkenden 13.32 Gesetzesänderung unrichtig werden, sind auf Antrag einzuziehen und neu zu erteilen, Gerichtskosten hierfür werden nicht erhoben. Eine Anfechtung der letztwilligen Verfügung durch das nun pflichtteilsberechtigt gewordene nichteheliche Kind nach § 2079 BGB ist ebenfalls ausgeschlossen (§ 10 Abs. 3 NEhelG i.d.F. des Gesetzes v. 12.4.2011, BGBl. 2011 I, 615). (2) Geburt des nichtehelichen Kindes nach dem 1.7.1949 (a) Tod des nichtehelichen Vaters zwischen dem 1.7.1949 und dem 30.6.1970 Es besteht (weiterhin) kein Erbrecht des nichtehelichen Kindes, vgl. § 1589 Abs. 2 a.F. BGB, Art. 12 § 10 Abs. 1 i.V.m. § 1 NEhelG, Art. 227 Abs. 1 EGBGB.

13.33

(b) Tod des nichtehelichen Vaters zwischen dem 1.7.1970 und dem 31.3.1998 Maßgeblich ist weiterhin das NEhelG v. 19.8.1969, also die Regelungen über den Erbersatzanspruch gem. §§ 1934a-1934e, 2338a a.F. BGB. Der Erbersatzanspruch gem. § 1934a a.F. BGB tritt dann, wenn neben dem nichtehelichen Kind eine Ehefrau oder ein Abkömmling des Erblassers vorhanden ist, an die Stelle des gesetzlichen Erbteils. Er besteht in Höhe des Wertes des Erbteils, ist jedoch wie der Pflichtteilsanspruch ein bloßer Geldanspruch, der sich gegen den Erben richtet (§ 1934a Abs. 1 a.F. BGB). Der Berechnung des Erbersatzanspruchs ist der Bestand des Wertes des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrundezulegen (§ 1934b a.F. BGB)5.

13.34

Der Vater des nichtehelichen Kindes seinerseits ist bei Tod des nichtehelichen Kindes vor dem 1.4.1998, wenn dieses keine eigenen Abkömmlinge hinterlässt, nicht dinglich erbberechtigt, sondern ebenfalls auf den Erbersatzanspruch verwiesen (§ 1934a Abs. 2 a.F. BGB). Trifft der Vater des nichtehelichen Kindes mit dem Ehegatten des Kindes zusammen, hat er ebenfalls nur einen Erbersatzanspruch. Gleiches gilt, wenn er mit dem Ehegatten des nichtehelichen Kindes zusammentrifft (§ 1934a Abs. 3 a.F. BGB).

13.35

1 2 3 4

5

den Staat als Erbschaftsbesitzer: BGH v. 14.10.2015 – IV ZR 438/14, ErbR 2016, 80; in Höhe des EONIAZinssatzes, LG Münster v. 20.11.2017 – 11 O 316/14, ErbR 2018, 721 m. Anm. Wolter. EGMR v. 23.3.2017 – 59752/13, 66277/13, Wolter und Sarfert ./. Deutschland, FamRZ 2017, 656, hierzu Magnus, FamRZ 2017, 586, sowie EGMR v. 9.2.2017 – 29762/10, FamRZ 2017, 656, Mitzinger ./. Deutschland. BGH v. 12.7.2017 – IV ZB 6/15, RNotZ 2018, 38 = MittBayNot 2018, 466 m. Anm. Braun, hierzu Weber, NotBZ 2018, 32 ff.; sodann Entscheidung des KG in dieser Sache: KG v. 13.10.2017 – 6 W 162/14, ErbR 2018, 344. Vgl. Leipold, ZEV 2017, 489 ff. Übersicht zur Rechtslage und möglichen Kriterien: Rohlfing, ErbR 2018, 118 (121 ff.). Abgestellt wird auf den Todeszeitpunkt des jeweiligen Erblassers aus der Verwandtschaft des Vaters im konkreten Fall, vgl. OLG München v. 21.1.2013 – 31 Wx 485/12, MDR 2013, 345 = FamRZ 2013, 1333 = FGPrax 2013, 73, also unabhängig davon, ob der Vater des nichtehelichen Kindes oder das nichteheliche Kind selbst bereits vor oder erst nach dem 28.5.2009 verstorben ist. Zum Erbersatzanspruch im Einzelnen vgl. Palandt/Edenhofer, 57. Aufl., §§ 1934a-1934e BGB. Zur erbrechtlichen Gleichstellung von nichtehelichen Kindern in Europa, vgl. Edenfeld, ZEV 2001, 457 (459).

Krauß 487

§ 13 Rz. 13.36

Nichteheliche Partner im Erbrecht

(c) Tod des nichtehelichen Vaters ab dem 1.4.1998

13.36 Es besteht (als Folge des ErbGleichG v. 16.12.19971) völlige Gleichstellung nichtehelicher mit ehelichen Kindern gem. § 1924 BGB, und zwar unabhängig vom Aufenthaltsort des Erblassers im Zeitpunkt des Beitritts (Art. 2 Nr. 2 Abs. 2 ErbGleichG).

13.37 Für die vor dem 1.7.1949 nichtehelich geborenen Kinder kann (vgl. Rz. 13.38 ff.) seit 1.4.1998 durch Vereinbarung zwischen Erblasser und Erbberechtigtem ein gesetzliches Erbrecht begründet werden. Diese Vereinbarung kann nur von dem Vater und dem Kind persönlich geschlossen werden. Sie bedarf der notariellen Beurkundung (§ 10a Abs. 2 NEhelG). Der „Erbrechtsgleichstellungsvertrag“ begründet konstitutiv ein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht und greift zugleich (ohne deren Beteiligung) reduzierend in das Pflichtteilsrecht anderer Verwandter (erster oder zweiter Ordnung) ein. Als Folge kann auch eine Anfechtung frührerer letztwilliger Verfügungen gem. § 2079 BGB wegen Hinzutretens weiterer Plfichtteilsberechtigter in Betracht kommen!

13.38 Sind der Vater oder das Kind verheiratet, so bedarf die Vereinbarung überdies der Einwilligung des betreffenden Ehegatten und zwar ebenfalls in notarieller Form (§ 10a Abs. 3 NEhelG). Die Geburtsstandesämter des Erblassers und des Kindes sind zu verständigen.

13.39 M 86 Notarielle Gleichstellungsvereinbarung gem. § 10a NEhelG § 1 Sachstand Herr/Frau … ist als nichteheliches Kind von Herrn … geboren. Da die Geburt vor dem 1.7.1949 liegt, sind kraft Gesetzes für die erbrechtlichen Verhältnisse die bis dahin geltenden Vorschriften maßgebend, auch wenn der Erblasser (Vater) nach dem 1.7.1949 verstirbt (Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG). Danach haben solche Kinder weiterhin weder ein gesetzliches Erbrecht – somit auch kein gesetzliches Pflichtteilsrecht – noch einen Erbersatzanspruch, es sei denn, das Kind wäre durch spätere Heirat der Eltern legitimiert worden. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Nach Maßgabe des Kindschaftsrechtsreformgesetzes kann nunmehr durch notarielle Vereinbarung zwischen Vater und Kind auch das nichteheliche Kind, das vor dem Stichtag geboren wurde, unter Anwendung der jetzt geltenden Vorschriften des BGB, nach denen es erbrechtlich keinen Unterschied zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern mehr gibt, den ehelichen Kindern für künftige Erbfälle gleichgestellt werden. Hierzu verlangt das Gesetz die Einwilligung der Ehegatten von Vater und Kind sowie die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für den Fall, dass einer der Beteiligten nach § 1903 Abs. 1 BGB betreut wird. § 2 Gleichstellungsvereinbarung Herr … – „Erblasser“ – und … – „Kind“ – vereinbaren hiermit unwiderruflich, das Kind als Abkömmling des Erblassers mit vollem Verwandtenerbrecht zu behandeln. Das Kind wird daher wie ein eheliches Kind behandelt. § 10 Abs. 2 NEhelG wird abbedungen. Vereinbarungen, die die heutige Urkunde aufheben oder abändern, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit ebenfalls der notariellen Beurkundung. § 3 Einwilligungen Frau … als Ehegatte des Erblassers und … als Ehegatte des Kindes erklären hiermit unwiderruflich – ein jeder für sich – ihre Einwilligung in die Vereinbarung gem. § 2 dieser Urkunde.

1 BGBl. 1997 I, S. 2968.

488

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.43 § 13

Eine solche notariell beurkundete Gleichstellungsvereinbarung gestattet also keine einseitige Begrün- 13.39a dung des gesetzlichen Erbrechts durch den Erblasser allein, der möglicherweise auf Diskretion in seiner ehelichen Familie Wert legt. Die Begründung des gesetzlichen Erbrechts bedarf nämlich der Zustimmung des Ehegatten des Erblassers. Hinzu kommt, dass der Erbberechtigte und, wenn dieser verheiratet ist, auch dessen Ehegatte zu beteiligen sind. Weil die erbrechtlichen Verhältnisse offengelegt werden müssen, wird in der Praxis daher regelmäßig der Begründung eines Erbrechts zugunsten des nichtehelichen Kindes durch letztwillige Verfügung, sei es in Form eines Testaments oder eines Erbvertrags, der Vorzug gegeben werden. d) Pflichtteilsrechte Die Kinder der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind, wenn sie durch Verfügung 13.40 von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind, pflichtteilsberechtigt. Für Erbfälle ab dem 1.4.1998 gilt dies uneingeschränkt auch für das Verhältnis zwischen nichtehelichem Kind und seinem Vater. Gleiches gilt für Pflichtteilsergänzungsansprüche, wobei es auch insoweit auf den Zeitpunkt des Sterbefalls, nicht der Schenkung ankommt. Auch eine vor dem 29.5.2009 durchgeführte Schenkung vermittelt also einem vor 1949 geborenen nichtehelichen Kind einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung, obwohl das Kind nach der zur Zeit der Schenkung noch geltenden Rechtslage nicht zum Kreis der abstrakt Pflichtteilsberechtigten gehört hätte1 (Folge der Aufgabe des Erfordernisses der sog. Doppelberechtigung durch den BGH2). Für Erbfälle vor dem 1.4.1998 ist zu differenzieren: Beim Tod des Vaters ist das nichteheliche Kind 13.41 pflichtteilsberechtigt nur, sofern der Erbfall nach dem 1.1.1970 eingetreten ist und das Kind nicht vor dem 1.7.1949 geboren ist3. Bei Erbfällen vor dem 1.4.1998 ist das Kind pflichtteilsberechtigt, obwohl es nur einen Erbersatzanspruch hatte4. Auch das Kind, das durch die Legitimation (§§ 1719, 1723 a.F. BGB) ehelich geworden ist, ist pflichtteilsberechtigt, und zwar auch, wenn die Ehe der Eltern erst nach Wegfall des § 1719 a.F. BGB, also nach dem 1.7.1998 geschlossen wurde. Die Eltern nach dem nichtehelichen Kind sind ebenfalls pflichtteilsberechtigt, sofern dieses keine ei- 13.42 genen Abkömmlinge hat. Die Mutter ist uneingeschränkt pflichtteilsberechtigt, der Vater nur in den vorstehend genannten zeitlichen Einschränkungen. Der Vater ist bei Erbfällen vor dem 1.4.1998 auch dann pflichtteilsberechtigt, wenn er nach dem Kind nicht unmittelbar erbberechtigt war, sondern nur einen Erbersatzanspruch hatte (§§ 1934a, 2338a S. 2 a.F. BGB). Durch einen durchgeführten vorzeitigen Erbausgleich zwischen Vater und Kind ging das Pflichtteilsrecht allerdings verloren (§§ 1934d, 1934e a.F. BGB).

II. Erbrecht durch letztwillige Verfügung 1. Gestaltungsmittel Der nichteheliche Partner hat, sofern er nicht zufällig mit dem anderen Partner verwandt ist, kein 13.43 gesetzliches Erbrecht (Rz. 13.1 ff.). Analogien zum Ehegattenerbrecht werden weder in Rechtsprechung noch im Schrifttum vertreten5, auch nicht unter Verlobten. Ein Erbrecht für den Partner in 1 Vgl. Gutachten, DNotI-Report 2011, 185 ff. 2 BGH v. 23.5.2012 – IV ZR 250/11, FamRZ 2012, 1383 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 977 = DNotZ 2012, 860 m. Anm. Lange, a.A. z.B. zuvor BGH v. 25.6.1997 – IV ZR 233/96, DNotZ 1998, 135. 3 Art. 12 § 10 NEhelG, Art. 235 § 1 Abs. 2, Art. 230 Abs. 2 EGBGB, §§ 1589, 2303 Abs. 1 BGB. 4 BGH v. 13.5.1981 – IVa 171/80, BGHZ 80, 290 = MDR 1981, 735 = FamRZ 1981, 661 m. Anm. Dieckmann, FamRZ 1981, 948. 5 OLG Saarbrücken v. 18.5.1979 – 7 W 8/79, NJW 1979, 2051; OLG Frankfurt v. 23.10.1981 – 17 W 29/81, NJW-RR 1995, 265; Grziwotz, ZEV 1994, 267; Palandt/Weidlich, § 1931 Rz. 1; Staudinger/Strätz, Anh. zu §§ 1297 ff. Rz. 144.

Krauß 489

§ 13 Rz. 13.44

Nichteheliche Partner im Erbrecht

nichtehelicher Lebensgemeinschaft kann jedoch im Wege der gewillkürten Erbfolge durch Verfügung von Todes wegen begründet werden (§ 2231 BGB). Hierfür stehen verschiedene Gestaltungsmittel zur Verfügung, nämlich einseitige Verfügungen in Form eines Testaments (§ 1937 BGB) oder Verfügungen in Form eines Erbvertrags (§ 1941 Abs. 1 BGB). a) Testament

13.44 Zur Begünstigung des Partners steht nur das eigenhändige oder notarielle Einzeltestament (§ 2231 BGB) zur Verfügung; das gemeinschaftliche Testament, das Verfügungen von zwei Erblassern enthält, steht lediglich Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern zur Verfügung (§ 2265 BGB, § 10 Abs. 4 LPartG). Diese Verschiedenbehandlung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken1 – wegen der Besonderheiten des ehelichen Güterrechts ist es gerechtfertigt, Ehegatten und Verpartnerten die gemeinschaftliche Regelung ihrer erbrechtlichen Verhältnisse zu erleichtern.

13.45 Der untaugliche Versuch eines gemeinschaftlichen Testaments durch Nicht-Ehegatten kann – sofern tatsächlich notariell beurkundet – in einen wirksamen Erbvertrag umgedeutet werden, so dass Heilung eintritt (§ 2084 BGB).2 Handschriftliche gemeinschaftliche Testamente von Nicht-Ehegatten dagegen werden (1) nach einer Mindermeinung stets als wirksame Einzeltestamente gewertet3 – nach dieser „Allheil-Theorie“ bleibe der untaugliche Versuch, die Anordnung wechselbezüglich zu gestalten, auf die Anordnung selbst ohne Einfluss; dagegen ist jedoch vorzubringen, dass sie den Erblasserwillen zu missachten droht, der im Einzelfall durchaus darauf gerichtet sein kann, entweder mit bindender Wirkung oder gar nicht zu testieren. (2) Eine weitere Mindermeinung4 vertritt ein absolutes Umdeutungsverbot, so dass es sich stets um ein rechtliches Nullum handle.

13.46 (3) Die heute herrschende vermittelnde Ansicht geht zweistufig vor: Zunächst ist nach der „subjektiven Andeutungstheorie“ zu prüfen, ob überhaupt ein gemeinschaftliches Testament vorliegt (eine von lediglich einem nichtehelichen Partner ge- und unterschriebene letztwillige Verfügung ist daher niemals ein gemeinschaftliches Testament, auch wenn sie ihrem Wortlaut nach auf eine Mitunterzeichnung durch den anderen Partner abzielt, die jedoch nicht erfolgt ist). Liegt ein gemeinschaftliches Testament (gleichgültig ob in einem oder zwei Dokumenten niedergelegt) vor, kann sodann in ein Einzeltestament umgedeutet werden, wenn (a) dessen Formerfordernisse erfüllt sind und (b) anzunehmen ist, dass der Erblasser bei Kenntnis der Unwirksamkeit seine Verfügung als einseitige errichtet haben würde, § 140 BGB.5 Eine Umdeutung scheidet daher aus, wenn ein Beteiligter das vom anderen verfasste Testament nur mitunterschrieben hat (untauglicher Versuch der Form des § 2267 S. 1 BGB); auch eine nachfolgende Heirat heilt dann diesen Formfehler nicht.6

13.47 Die Ermittlung des hypothetischen Willens zur Errichtung einer einseitigen Verfügung wird in der Regel dazu führen, dass subsidiär eine einzeltestamentarische Verfügung gewollt wäre, da für den verfassenden Partner das gegenseitige Vertrauen entscheidend ist und der andere Teil diesem Vertrauen durch seine Unterschrift gerecht wurde. Hinzu kommt, dass mit dem Erstversterben des verfassenden Teils die intendierte gegenläufige Erbeinsetzung ohnehin gegenstandslos wird. Eine Umdeutung ist daher allenfalls in den Ausnahmefällen ausgeschlossen, in denen der Urheber die Erbeinsetzung des Mitunterzeichners daran knüpfte, dass dieser tatsächlich wirksam gegenläufig testiert. Dies gilt jedenfalls für die gegenseitige Erbeinsetzung durch (beiderseits) formwirksame „gemeinschaftliche“ Testamente; zurückhaltend ist die Rechtsprechung jedoch mit der Anerkennung von darin enthaltenen Schlusserbeinsetzungen nahestehender Personen: Umgedeutet werden muss dann regelmäßig in eine Vor- und 1 2 3 4 5 6

BVerfG v. 26.4.1989 – 1 BvR 512/89, NJW 1989, 1986; § 10 LPartG in Kraft seit 1.8.2001. BayObLG v. 14.3.1919, OLGE 40, 146. KG v. 15.8.1972 – 1 W 2500/71, DNotZ 1973, 158 (160); Goßrau, NJW 1947, 365 (367). RG v. 20.5.1915, RGZ 87, 33. Vgl. Kanzleiter, ZEV 1996, 306 (307). Ganz h.M., vgl. Kanzleiter, FamRZ 2001, 1198; OLG Hamm v. 25.4.1996 – 15 W 379/95, ZEV 1996, 304; a.A. nur Wacke, FamRZ 2001, 457 (462).

490

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.53 § 13

Nacherbfolge; dahinter zurückbleibend ist jedoch auch denkbar die Einsetzung des Lebensgefährten als auflösend bedingter Vollerbe und des Letztbedachten als aufschiebend bedingter Nacherbe, wobei die auflösende Bedingung und der Nacherbfall darin bestünde, dass der Lebensgefährte seine letztwillige Verfügung unverändert aufrechterhält.1 b) Erbvertrag Wollen Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gemeinschaftlich verfügen, steht ihnen demnach nur der notarielle (§ 2276 Abs. 1 BGB) Erbvertrag als Gestaltungsmittel zur Verfügung. In ihm können dieselben Bestimmungen (Erbeinsetzung, Vermächtnisse, Auflagen, nach Inkrafttreten der Pflichtteilsrechtsreform am 1.1.2010 auch bindende Anordnungen zu §§ 2315, 2050 BGB etc.) getroffen werden, wie im gemeinschaftlichen Testament (§ 2278 BGB), auch im Hinblick auf die Widerrufs- und Rücktrittsmöglichkeiten2, und zwar sowohl einseitig als auch vertragsmäßig, sofern nur zumindest eine bindende bzw. nur eingeschränkt abänderbare Verfügung verbleibt, ferner alle nur einseitig denkbaren Anordnungen, wie z.B. die Anordnung der Testamentsvollstreckung, Pflichtteilsentziehung etc.

13.48

Für Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bedeutet dies, dass sie sich gegenseitig durch Erbvertrag als Erben einsetzen, sich mit Vermächtnissen bedenken, aber auch gleichzeitig Dritte, seien es gemeinschaftliche Kinder oder Kinder aus früheren Verbindungen, mit Vermächtnissen bedenken oder ebenfalls als Erben einsetzen können. Sie beide können eine Testamentsvollstreckung anordnen, die Auseinandersetzung des Nachlasses ausschließen etc.

13.49

Testieren zwei Personen in einem Erbvertrag, schließt das Gesetz allerdings von der äußeren Verbin- 13.50 dung auf einen inneren Zusammenhang und unterstellt eine gegenseitige Abhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen3. Bei zweiseitigen vertragsmäßigen Verfügungen wird – mangels abweichender Anordnung – vermutet, dass diese voneinander abhängig sind, so dass die Nichtigkeit der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge hat (§ 2298 Abs. 1 BGB)4. Tritt eine Vertragspartei zurück, wird dadurch der ganze Vertrag aufgehoben (§ 2298 Abs. 2 S. 1 BGB). Diese Rechtsfolge gilt nicht für einseitige, nicht vertragsmäßige Verfügungen wie z.B. Anordnung der Testamentsvollstreckung. Deren Unwirksamkeit beurteilt sich nach §§ 2299 Abs. 2 S. 1, 2085, 2299 Abs. 3 BGB. c) Kriterien für die Wahl der Verfügungsform Testamente sind frei widerruflich und erlauben daher die jederzeitige, auch heimliche Anpassung 13.51 an geänderte persönliche oder wirtschaftliche Verhältnisse, und zwar durch Widerruf (§ 2254 BGB), durch Vernichtung der Testamentsurkunde (§ 2255 BGB) oder durch ein späteres Testament, das im Widerspruch zum früher errichteten Testament steht (§ 2258 BGB). Ein notarielles Testament kann daneben auch durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB) widerrufen werden Demgegenüber ist eine Änderung oder Aufhebung von vertragsmäßigen Anordnungen im Erbver- 13.52 trag nicht ohne Kenntnis des Begünstigten möglich und überdies formgebunden: Der Rücktritt vom Erbvertrag muss notariell beurkundet werden und dem anderen Vertragschließenden zugehen (§ 2296 Abs. 2 BGB). Ein weiteres, wenngleich nicht ausschlaggebendes Kriterium für die Wahl der letztwilligen Verfügung können Kostenaspekte sein: die Zusatzkosten der notariellen Beurkundung ersparen allerdings im 1 Vgl. Staudinger/Kanzleiter (2006), § 2265 ff. Rz. 13. 2 In der Vermutung der Wechselbezüglichkeit der vertragsmäßigen Verfügungen besteht allerdings ein Unterschied zum gemeinschaftlichen Testament (§§ 2298 Abs. 1, 2279 Abs. 1 BGB). 3 Staudinger/Kanzleiter, Vorbemerkung zu §§ 2274 ff. Rz. 3. 4 Bei gemeinschaftlichen Testamenten wird diese Abhängigkeit mit dem Begriff Wechselbezüglichkeit bezeichnet (§ 2270 Abs. 1 BGB).

Krauß 491

13.53

§ 13 Rz. 13.54

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Regelfall die späteren Kosten der eidesstattlichen Versicherung beim Erbscheinsantrag und der Erbscheinserteilung selbst, vgl. § 35 GBO. Erbverträge können beim errichtenden Notar kostenfrei verwahrt werden (§ 34 BeurkG), im Übrigen ist gerichtliche Hinterlegung stets, auch bei eigenhändigen Testamenten, ratsam. 2. Regelungsinhalte a) Erbeinsetzung des Partners durch Testament

13.54 Die Erbeinsetzung des Partners kann durch Testament erfolgen, die wie folgt formuliert werden kann:

13.54a M 87 Erbeinsetzung des nichtehelichen Lebenspartners Zu meinem alleinigen Erben setze ich meinen Lebensgefährten A ein.

13.55 Im Hinblick auf einen nicht in jedem Fall auszuschließenden Einwand der Sittenwidrigkeit (Rz. 13.57 ff.) des Testaments empfiehlt es sich, das Motiv für die Erbeinsetzung anzugeben, wie z.B. durch die Formulierung:

13.55a M 88 Erbeinsetzung des nichtehelichen Lebenspartners (mit Motivangabe) …, der mich während unseres Zusammenlebens immer unterstützt hat. oder: …, mit dem ich jahrelang partnerschaftlich verbunden bin.

13.56 Die Erbeinsetzung des Partners gilt im Regelfall nur dem Lebenspartner persönlich, nicht dessen Abkömmlingen. Die Auslegungsregel des § 2069 BGB kann nicht analog angewendet werden, wenn der Erblasser eine Person als Erben einsetzt, die nicht zu seinen Abkömmlingen gehört. Sollen also für den Fall, dass der Lebenspartner vor dem Erblasser verstirbt, dessen Kinder als Erben eingesetzt werden, ist eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung im Testament erforderlich. Fehlt diese, gilt im Fall des Vorversterbens des Lebenspartners die gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser1. Zu Gestaltungsmöglichkeiten für Lebenspartner mit Kindern aus früheren Verbindungen s. Rz. 13.98 ff. aa) Wirksamkeitsgrenzen

13.57 Die Berücksichtigung eines Lebensgefährten/einer Lebensgefährtin in einer Verfügung von Todes wegen ist nurmehr in Ausnahmefällen wegen Sittenwidrigkeit nichtig2. Die frühere Rechtsprechung des BGH zum „Mätressentestament“3 vermutete im Zweifel, dass der „Entgeltcharakter einer letztwilligen Verfügung zugunsten einer Frau, mit welcher der Testator außereheliche, insbesondere ehebrecherische Beziehungen unterhalten hat“, im Vordergrund stehe. Selbst bei langjährigen Beziehungen, aus denen Kinder hervorgegangen waren, gelangte der BGH zur (partiellen) Sittenwidrigkeit, auch wenn die sexuelle Motivation nicht im Vordergrund stand. Aufgrund der „favor testamenti“-Regel (§ 2085 BGB)

1 BayObLG v. 25.8.2000 – IZ BR 15/00, NJWE-FER 2000, 318. 2 Vgl. zum folgenden Paal, JZ 2005, 436 (437). 3 Z.B. BGH v. 17.3.1969 – III ZR 188/65, BGHZ 52, 17; BGH v. 31.3.1970 – III ZB 23/68, BGHZ 53, 369 (376); vgl. hierzu umfassend Leipold, Testierfreiheit und Sittenwidrigkeit in der Rechtsprechung des BGH, in 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft (2000), Band 1, S. 1011 ff.

492

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.61 § 13

wurde eine verfügte Alleinerbeinsetzung daher lediglich als Miterbeinsetzung, z.B. zu einem Viertel, aufrechterhalten1. Seit einer Rechtsprechungsänderung im Jahr 1970 hat nicht mehr die eingesetzte Lebensgefährtin die Vermutung allein sexueller Motivation zu widerlegen, sondern die Sittenwidrigkeit ist (entsprechend den allgemeinen Regeln) von demjenigen zu beweisen, der sich auf sie beruft. Zudem ist nach § 1 ProstG von einer mit vereinbarten sexuellen Handlungen einhergehenden Sittenwidrigkeit ohnehin nicht mehr auszugehen; der sittlich gebotene Mindestanteil der nächsten Angehörigen wird zudem durch das Pflichtteilsrecht gewährleistet. Zwischenzeitlich werden also Zuwendungen in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt und von innerer Bindung getragen ist, auch dann nicht als sittenwidrig angesehen, wenn ein oder beide Partner anderweit verheiratet sind2.

13.58

Während nach der früher herrschenden Rechtsprechung das Sittenwidrigkeitsurteil sowohl im Hin- 13.59 blick auf die tatsächlichen Umstände als auch im Hinblick auf die maßgeblichen Wertanschauungen dem Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung folgte (Inhaltskontrolle) und zusätzlich die Berufung auf eine wirksame letztwillige Verfügung als unzulässige Rechtsausübung versagt sein konnte, wenn sie infolge späterer Entwicklungen zu unsittlichen Auswirkungen führte (Ausübungskontrolle)3, ist – jedenfalls seit der Hohenzollern-Entscheidung des BVerfG4 – sowohl im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände als auch hinsichtlich der zugrunde zu legenden Wertanschauungen allein auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen. Im Licht dieser Rechtsprechung dürfte derzeit Sittenwidrigkeit allenfalls anzunehmen sein, wenn die Einsetzung mit einer groben Vernachlässigung von Unterhaltspflichten gegenüber Familienangehörigen einhergeht5, die Umgehung der Regeln der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung beabsichtigt ist6 oder wenn zur bedachten Partnerin keine längerdauernde, auf emotionaler Nähe beruhende Verbindung bestand7. Zu Recht hat das BayObLG8 betont, der Erblasser solle durch die Testierfreiheit auch davor geschützt werden, seine Vermögensnachfolge nach allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder nach den Anschauungen der Mehrheit ausrichten zu müssen.

13.60

bb) Auflösende Bedingung der Trennung Bei letztwilligen Einsetzungen des Lebensgefährten sollte stets auch der Trennungsfall Berücksichtigung finden, etwa durch Aufnahme einer auflösenden Bedingung, die bspw. an die räumliche Trennung oder an die melderechtliche Registrierung anknüpft (untauglich ist dagegen ein Anknüpfen an die „Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft“, da letztere z.B. auch durch die Heirat der Lebensgefährtin einträte). Das Kriterium „Auszug des Partners aus der gemeinschaftlichen Wohnung“ ist dabei in stärkerem Maße streitanfällig und kann gesetzliche Erben oder Pflichtteilsberechtigte des erstversterbenden Partners dazu ermuntern, eine solche Trennung zu behaupten. Die Praxis stellt daher sinnvollerweise auf das Vorliegen einer übereinstimmenden Wohnung im melderechtlichen Sinn, § 12 MRRG, ab:

1 Etwa in BGH v. 31.3.1970 – III ZB 23/68, BGHZ 53, 369. 2 BGH v. 28.9.1990 – V ZR 109/89, BGHZ 112, 259 = MDR 1991, 514 = FamRZ 1991, 168 (262); OLG Düsseldorf v. 22.8.2008 – 3 Wx 100/08, JuS 2009, 184: Der Erblasser lernte die bedachte Geliebte in ihrem früheren Beruf als Prostituierte kennen; das Testament führte zu Miteigentum zwischen Ehegatte und Geliebter am durch die Ehefrau bewohnten Familienheim. 3 BayObLG v. 3.9.1996 – 1Z BR 41/95, FamRZ 1997, 705 (710). 4 BVerfG v. 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01, FamRZ 2004, 765 = NJW 2004, 2008. 5 BGH v. 24.3.1980 – II ZR 191/79, BGHZ 77, 55 (59) = MDR 1980, 736 = FamRZ 1980, 664. 6 OLG Schleswig v. 16.12.1994 – 14 U 138/94, NJW-RR 1995, 900. 7 OLG Düsseldorf v. 20.6.1997 – 7 U 152/96, FamRZ 1997, 1506. 8 BayObLG v. 3.9.1996 – 1Z BR 41/95, FamRZ 1997, 705 (709).

Krauß 493

13.61

§ 13 Rz. 13.61a

Nichteheliche Partner im Erbrecht

13.61a M 89 Erbeinsetzung des nichtehelichen Partners unter auflösender Bedingung der

Trennung Die Erbeinsetzung von X (meiner Lebensgefährtin) steht unter der auflösenden Bedingung, dass X und ich bei meinem Ableben nicht mit einer übereinstimmenden Wohnung, gleichgültig ob Haupt- oder Nebenwohnung, gemeldet sind. Der Eintritt bzw. Nichteintritt dieser auflösenden Bedingung ist durch die entsprechende erweiterte Melderegisterauskunft, die den Wohnsitz von X und mir zum Zeitpunkt meines Todes wiedergibt, unwiderleglich geführt.

13.61b Vorstehende Lösung hat auch den Vorteil, dass beim öffentlichen Testament (ohne Erbschein) der Nichteintritt der auflösenden Bedingung in der Form des § 29 GBO nachgewiesen werden kann.

13.62 Fehlt eine ausdrückliche Regelung zu den Folgen einer Trennung, ist der mutmaßliche Wille des Erblassers durch ergänzende Testamentsauslegung zu ermitteln. Das bloße Bedenken „meines Lebensgefährten“ kann dabei im Einzelfall durchaus auch schlichtes Motiv, nicht aber tatsächliche Bedingung sein1. Eine analoge Anwendung des § 2077 BGB auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird von der h.M. verneint2; es fehle an der Vergleichbarkeit, da ein formalisierter und nachprüfbarer Beendigungstatbestand bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht existiert (zur Kritik hieran Rz. 13.86). Die h.M. bürdet die Beweislast demnach demjenigen Beteiligten auf, der sich auf die Unwirksamkeit der Zuwendung beruft, so dass aus Sicht des Übergangenen häufig nur eine Anfechtung der letztwilligen Verfügung wegen Motivirrtums (§ 2078 Abs. 2 BGB) in Betracht kommt. § 2077 BGB gilt also nur, wenn der Lebensgefährte durch letztwillige Verfügung bedacht ist, anschließend Erblasser und Bedachte(r) heiraten und diese Ehe sodann geschieden wird.

13.63 Der Fortbestand der nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann in der Tat Gegenstand einer „unbewussten Vorstellung“ sein, die zur Anfechtung berechtigt3, wobei die einjährige Anfechtungsfrist ab Kenntniserlangung des Berechtigten vom Anfechtungsgrund zu beachten ist. Es kann jedoch auch sachgerecht sein, eine solche Anfechtung wegen Motivirrtums auszuschließen, um zu vermeiden, dass der Anfechtungsberechtigte selbst einen Anfechtungsgrund schafft (Wiederheirat!). Dann ist im Erbvertrag ein ausdrücklicher Verzicht auf das Anfechtungsrecht nach §§ 2078, 2079 BGB aufzunehmen, unter Einschluss solcher Umstände, mit denen die Erblasser bei Errichtung des Erbvertrags nicht rechnen und die sie auch in diesem Zeitpunkt nicht voraussehen konnten.

13.64 Vorstehendes gilt erst recht bei der Einsetzung des Lebensgefährten als Bezugsberechtigten eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall, insbesondere einer Lebensversicherung. Da schon die Einsetzung des „Ehegatten des Versicherten“ (damit ist der im Zeitpunkt der Benennung vorhandene Ehegatte gemeint4) nicht analog § 2077 BGB mit einer Scheidung wegfällt5, bedarf es bei einer Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft umso mehr der Anpassung der (hoffentlich nicht unwiderruflich gestalteten) Bezugsberechtigung, soll der Anfall der Versicherungssumme beim Ex-Partner vermieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass der Lebensgefährte mittlerweile im Sachversicherungsrecht als „Familienangehöriger des Versicherungsnehmers“ gilt, so dass Regressansprüche gem. § 67 Abs. 2 a.F. VVG auf den Versicherer übergehen6.

1 So etwa BayObLG v. 6.9.1983 – BReg. 1Z 53/83, MDR 1984, 146 = FamRZ 1983, 1226. 2 Vgl. Ritter, Münchner Anwaltshandbuch Erbrecht, 2. Aufl. 2007, § 12 Rz. 17; DNotI-Gutachten v. 14.9.2001, Nr. 1251; OLG Celle v. 23.6.2003 – 6 W 45/03, FamRZ 2004, 310 = ZEV 2003, 328. 3 Sandweg, BWNotZ 1990, 49 (56). 4 BGH v. 14.2.2007 – IV ZR 150/05, FamRZ 2007, 1005 = MDR 2007, 952 = DNotZ 2007, 762. 5 BGH v. 1.4.1987 – IVa ZR 26/86, MDR 1987, 914 = FamRZ 1987, 806 = DNotZ 1987, 771; vgl. Tappmeier, DNotZ 1987, 715 ff. 6 BGH v. 22.4.2009 – IV ZR 160/07, MDR 2009, 803 = NJW 2009, 2062.

494

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.69 § 13

cc) Widerruf früherer Verfügungen Aus Gründen der Vorsorge sollte empfohlen werden, vor der Erbeinsetzung den Widerruf sämtlicher früherer Verfügungen mit den Worten „ich widerrufe sämtliche früheren Verfügungen von Todes wegen“ zu erklären. Da das Erbrecht des Partners ausschließlich im Wege der gewillkürten Erbfolge begründet werden kann, ist eine klare rechtliche Situation und die Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten (mit Blick auf § 2258 Abs. 1 BGB) primäres Ziel.

13.65

Die Voraussetzung für einen wirksamen Widerruf ist allerdings, dass der Testierende nicht durch frühere Verfügungen von Todes wegen an der neu zu errichtenden letztwilligen Verfügung gehindert ist. Bestehen bspw. ein gemeinschaftliches Testament oder ein Erbvertrag mit einem noch lebenden, jedoch getrennt lebenden Ehegatten, ist eine einseitige Loslösung von dieser gemeinschaftlichen Verfügung nur durch Widerruf, beim gemeinschaftlichen Testament in notarieller Form gem. § 2271 Abs. 1 BGB oder durch Rücktritt beim Erbvertrag ebenfalls in notarieller Form gem. § 2296 BGB, überdies nur unter Beachtung der gesetzlichen Rücktrittsgründe möglich (§§ 2293, 2294, 2295 BGB).

13.66

Ist ein früherer Ehegatte bereits verstorben, besteht die Bindungswirkung der gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügung über dessen Tod hinaus (§§ 2271 Abs. 2, 2298 Abs. 1 BGB). Der Überlebende kann sich von der Bindungswirkung nur durch Ausschlagung befreien, die allerdings innerhalb der Sechswochenfrist des § 1954 BGB erklärt werden muss, es sei denn, es besteht aufgrund der Umstände im Einzelfall die Möglichkeit, die Versäumung der Ausschlagungsfrist gem. § 1956 BGB anzufechten. Besteht Einigkeit mit den Begünstigten, gibt es vertragliche Möglichkeiten, der Bindungswirkung zu entgehen (s. hierzu ausführlich Rz. 13.76 ff.). Es stehen jedoch keine einseitigen Lösungsmöglichkeiten gegen den Willen des Begünstigten zur Verfügung.

13.67

Unproblematisch hingegen sind die Fälle, in denen zwar mit einem Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet oder ein Erbvertrag geschlossen, jedoch bereits Scheidungsreife besteht und der Erblasser Antrag auf Scheidung gestellt bzw. ihr zugestimmt hat oder gar die Ehe bereits geschieden wurde. In diesen Fällen entfällt nicht nur das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten, sondern auch das Erbrecht, das aufgrund letztwilliger Verfügung begründet wurde (§§ 2077 Abs. 1, 2268 Abs. 1, 2279 BGB).

13.68

Beratungshinweis: Es empfiehlt sich, am Anfang der Testamentsurkunde die Feststellung aufzunehmen, dass der Erblasser nicht durch frühere Verfügungen an der Errichtung der neuen Verfügung gebunden ist. Dies entlastet den Berater, da damit demonstriert wird, dass das Bestehen früherer Testamente mit Bindungswirkung erfragt worden ist. Es kann formuliert werden:

M 90 Erklärung: Keine Bindung durch frühere Verfügungen

13.68a

Ich bin nicht durch ein früher errichtetes gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag an der Errichtung einer letztwilligen Verfügung gehindert.

dd) Pflichtteilsansprüche Leben (eheliche oder nichteheliche) Kinder des Erblassers oder, sofern er kinderlos ist, Eltern bzw. zumindest ein Elternteil, sind diese bei Enterbung (etwa als Folge der Einsetzung des Lebensgefährten) pflichtteilsberechtigt (§ 2303 Abs. 1 BGB). Der Pflichtteilsanspruch als reiner Geldanspruch besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils und richtet sich gegen den als Erben berufenen Partner, ohne dass sich jener gegen die Pflichtteilslast da-rauf berufen könnte, selbst in seinem (nicht gegebenen) Pflichtteil verletzt zu sein. Maßgeblich für die Berechnung des Pflichtteils ist der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls (§ 2311 Abs. 1 BGB).

Krauß 495

13.69

§ 13 Rz. 13.70

Nichteheliche Partner im Erbrecht

13.70 Ist der Partner noch verheiratet und ist kein Scheidungsantrag gestellt, besteht auch ein Pflichtteilsrecht des getrennt lebenden Ehegatten (§ 2303 Abs. 2 BGB). Beratungshinweis: Auf die bestehenden Pflichtteilsansprüche sollte in jeder Beratungssituation hingewiesen werden. Sie können selbst in durchschnittlichen finanziellen Verhältnissen beträchtlich sein.

13.71 Herrscht zwischen den Partnern und dem Pflichtteilsberechtigten Einvernehmen, kann der Pflichtteilsanspruch (in allen seinen Komponenten, auch hinsichtlich des Zusatzpflichtteils gem. § 2305 BGB, der Pflichtteilsergänzung gem. §§ 2325 ff. BGB, des Ausgleichungspflichtteils gem. § 2316 BGB, der Möglichkeit einer Abwehr von Beschränkungen und Beschwerungen gem. § 2306 BGB) durch einen notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag zum Erlöschen gebracht werden (s. Rz. 13.134 ff.). Gegen den Willen der Pflichtteilsberechtigten kommt nur eine Entziehung1 des Pflichtteils in der letztwilligen Verfügung in den außerordentlich engen Grenzen der §§ 2333–2335 BGB in Betracht2.

13.72 Daneben bestehen jedoch (wohl) Möglichkeiten, durch lebzeitige Vorkehrungen das Entstehen von Pflichtteilsansprüchen jedenfalls nach dem Erstversterbenden zu verhindern. In Betracht kommt bspw. das Halten gemeinschaftlicher Gegenstände in einer aus beiden Lebensgefährten bestehenden Personengesellschaft (GbR, KG, oHG etc), in welcher die Vererblichkeit des Anteils ausgeschlossen ist (mithin Anwachsung beim verbleibenden Lebenspartner eintritt) und im Todesfall auch keine Abfindung vorgesehen ist. Pflichtteilsansprüche bestehen dann weder nach § 2303 BGB (die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung stellt keine Verfügung von Todes wegen dar) noch nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB (die dort abschließend aufgezählten Beschränkungen erfassen nicht gesellschaftsrechtliche Regelungen) oder nach § 2305 BGB (der Gesellschaftsanteil fällt nicht in den Nachlass). Allerdings könnte § 2325 BGB erfüllt sein, wenn im Abfindungsverzicht eine Schenkung läge. Wird die Fortsetzungsklausel mit Abfindungsausschluss allerdings für alle Gesellschafter gleichmäßig vereinbart und ist das Risiko des Ablebens etwa vergleichbar (Altersunterschied, Erkrankung), handelt es sich um ein Wagnisgeschäft ähnlich wechselseitigen Zuwendungen auf den Todesfall, so dass Entgeltlichkeit angenommen wird3. Die Pflichtteilsansprüche werden damit (ähnlich dem Modell der fortgesetzten Gütergemeinschaft, §§ 1483 Abs. 1 S. 3, 1505 BGB) auf das Ableben des Längerlebenden begrenzt. Erbschaftsteuer lässt sich allerdings dadurch nicht sparen, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 ErbStG. b) Gegenseitige Erbeinsetzung durch Erbvertrag

13.73 Häufig besteht der Wunsch, in einer Urkunde gemeinsam zu testieren. Den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft steht, wie bereits angeführt, hierfür ausschließlich der notarielle Erbvertrag (§§ 2274–2300a BGB) zur Verfügung. Die Formulierung ist denkbar einfach:

13.73a M 91 Gegenseitige Erbeinsetzung durch Erbvertrag Wir setzen uns gegenseitig vertragsmäßig wechselseitig zu alleinigen Erben ein.

13.74 Das Gesetz unterstellt bei Verfügungen in einer Urkunde einen inneren Zusammenhang und eine gegenseitige Abhängigkeit beider Verfügungen4. Diese Abhängigkeit wird legal durch den Begriff Wechselbezüglichkeit definiert (§§ 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 2 BGB). Bei zweiseitigen Verfügungen wird ver1 Zur Pflichtteilsentziehung gegenüber einem nichtehelichen Kind z.B. LG Bonn v. 17.2.2009 – 18 O 144/07, ZErb 2009, 190. 2 Diese Normen sind weder auslegungs- noch analogiefähig, BGH v. 1.3.1974 – IV ZR 58/72, NJW 1974, 1084. 3 Vgl. die Übersichten bei Mayer, ZEV 2003, 355 und Wälzholz, NWB 2008, 4332 = Fach 19, S. 3974; ferner grundlegend BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 194. 4 Vgl. § 2298 BGB; Staudinger/Kanzleiter, Vorbemerkung zu §§ 2274 ff. Rz. 20.

496

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.77b § 13

mutet, dass die eine Verfügung, z.B. Erbeinsetzung eines Partners, nicht ohne die Erbeinsetzung des anderen Partners getroffen worden wäre. Bedeutung erlangt diese Wechselbezüglichkeit beim Rücktritt. Erfolgt der Rücktritt vom Erbvertrag, z.B. weil er vorbehalten bleibt (§ 2293 BGB), wird durch den Rücktritt nicht nur die Verfügung des Zurücktretenden, sondern auch die Verfügung des anderen Vertragsteils aufgehoben (§ 2298 Abs. 2 S. 1 BGB), es sei denn, die Parteien haben etwas anderes gewollt (§ 2298 Abs. 3 BGB), was durch Auslegung zu ermitteln ist1. Der andere Partner, der vom Rücktritt zwangsläufig erfährt, da dieser, notariell beurkundet, ihm zugestellt wird (§ 2296 Abs. 2 BGB), muss seine eigene Verfügung zugunsten des zurücktretenden Partners daher nicht gesondert widerrufen. Wollen die Partner nicht in einer gemeinsamen Urkunde testieren, sondern parallele Einzeltestamen- 13.75 te errichten, kann grundsätzlich die Erbeinsetzung unter der Bedingung erklärt werden, dass auch der andere Partner den Testierenden zum Erben eingesetzt hat2 oder das gegenseitige Beerben als Motiv für die Erbeinsetzung durch den anderen Partner aufgenommen wird – sog. unechte Wechselbezüglichkeit. Sollte der Testierende sodann nicht zum Erben eingesetzt sein, verbleibt ihm die Möglichkeit, sein Testament wegen Motivirrtums anzufechten, sofern er keine Ersatzerben eingesetzt hat Diese Lösung birgt den Nachteil, dass sie Missbrauchsmöglichkeiten insoweit eröffnet, als jeder in der Hoffnung, der Überlebende zu sein, heimlich sein Testament widerrufen kann. Sie sollte daher nur gewählt werden, wenn die Betroffenen dies ausdrücklich wünschen3. aa) Rücktrittsvorbehalt Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, wie er sich im Fall der Trennung vom Partner von der Erbeinsetzung lösen kann.

13.76

Eine Erbeinsetzung soll nach der Vorstellung der Erblasser im Regelfall nur so lange bestehen, wie auch persönliche Bindungen vorhanden sind. Bei Ehegatten ist die Loslösung von gemeinschaftlichen Verfügungen zugunsten des anderen im Fall der Nichtigkeit der Ehe, der Auflösung derselben und im Fall der Stellung eines Scheidungsantrags oder der Zustimmung zum Scheidungsantrag gesetzlich normiert (§§ 2077, 2268 Abs. 1 BGB). Für Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft fehlt jede gesetzliche Regelung, so dass auch für diesen Fall auf gewillkürte Regelungen zurückgegriffen werden muss, vgl. Rz. 13.62. Während Einzeltestamente jederzeit widerruflich sind, kann bei gegenseitigen Erbeinsetzungen in einem Erbvertrag vertraglich ein Rücktrittsrecht vorbehalten bleiben (§ 2293 BGB), am komplikationslosesten als freies Rücktrittsrecht ausgestaltet:

13.77

M 92 Rücktrittsvorbehalt

13.77a

Jeder von uns behält sich jederzeit den Rücktritt von diesem Erbvertrag vor. oder einschränkend: Wir behalten uns vor, von diesem Vertrag zurückzutreten, wenn wir uns dauernd trennen.

Es empfiehlt sich, das Rücktrittsrecht, wenn es nicht frei ausübbar sein soll, nicht an moralisierende Floskeln, die sich an das bis zum 1.1.1977 im Scheidungsrecht geltende Schuldprinzip anlehnen, zu knüpfen, wie z.B. den Rücktritt für den Fall, dass ein Partner schuldhaft die Trennung herbeigeführt hat, sondern an objektivierbare Umstände4.

1 2 3 4

BayObLG v. 21.12.1992 – 1Z BR 77/92, FamRZ 1994, 196. Vgl. hierzu BGH v. 9.2.1977 – IV ZR 201/75, NJW 1977, 950. So auch Grziwotz, § 30 Rz. 47; Reinstorf, S. 36. Reinstorf, S. 35 f.

Krauß 497

13.77b

§ 13 Rz. 13.78

Nichteheliche Partner im Erbrecht

13.78 Im Übrigen ist die Ausgestaltung des Rücktrittsrechts mannigfaltig. Der Rücktrittsvorbehalt kann für einzelne vertragsmäßige Verfügungen oder für den ganzen Erbvertrag erklärt, er kann unbeschränkt oder nur für bestimmte Fälle, ebenso bedingt oder befristet erklärt werden1.

13.79 Das Rücktrittsrecht ermöglicht eine einseitige Loslösung vom Vertrag, die gegen den Willen des anderen erfolgen kann. Sind sich dagegen beide Partner einig, dass der Erbvertrag hinfällig sein soll, steht ihnen die gemeinschaftliche Aufhebung durch Vertrag zur Verfügung (§ 2290 BGB), die naturgemäß nur zu Lebzeiten beider Vertragsteile erfolgen kann. Der Aufhebungsvertrag bedarf ebenfalls der notariellen Beurkundung (§ 2290 Abs. 4 BGB). Eine vertragsmäßige Verfügung, durch die eine Auflage oder ein Vermächtnis angeordnet wurde, kann durch Testament aufgehoben werden. Die Aufhebung bedarf ebenfalls der Zustimmung des anderen Partners, und zwar in notarieller Form (§ 2291 BGB). bb) Verzicht auf Anfechtungsrecht

13.80 Beim Erbvertrag steht dem Erblasser in den Grenzen der §§ 2078, 2079 BGB ein Selbstanfechtungsrecht zu (§ 2281 Abs. 1 BGB). Das Selbstanfechtungsrecht korreliert mit der freien Widerrufsmöglichkeit bei Testamenten und eröffnet eine weitere Möglichkeit, sich vom Erbvertrag einseitig zu lösen. Es gewinnt dann, wenn im Erbvertrag kein Rücktrittsvorbehalt vorgesehen ist oder kein Rücktrittsrecht gem. §§ 2294, 2295 BGB gegeben ist, überragende Bedeutung. Das Selbstanfechtungsrecht geht nach dem Tode des Erblassers auf die in § 2080 BGB bezeichneten Personen über (§ 2285 BGB), nämlich auf die, denen die Anfechtung unmittelbar zu Gute kommen würde. Diese können jedoch dann den Erbvertrag nicht mehr anfechten, wenn das Anfechtungsrecht des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalls erloschen war (§ 2285 BGB), sei es durch Fristablauf, Formfehler, Bestätigung (§ 2284 BGB) oder durch Verzicht2.

13.81 Bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft hat das Anfechtungsrecht insofern praktische Bedeutung, als bei Beendigung der Lebensgemeinschaft und einer darauf folgenden Eheschließung mit dem Ehegatten eine weitere pflichtteils- und damit anfechtungsberechtigte Person i.S.d. §§ 2285, 2079, 2080 BGB vorhanden ist.

13.82 Um die Anfechtung durch spätere Pflichtteilsberechtigte auszuschließen, muss dem Erblasser empfohlen werden, auf sein eigenes Anfechtungsrecht im Erbvertrag zu verzichten. Ein solcher Verzicht wird allgemein für zulässig erachtet. Dies wird aus den §§ 2078 Abs. 1, 2079 Abs. 1 S. 2 BGB gefolgert, nach denen das Anfechtungsrecht entfällt, wenn der Erblasser die letztwillige Verfügung auch bei Kenntnis der Sachlage getroffen hätte3. Der Verzicht sollte alle Umstände umfassen, die sich der Erblasser nicht vorstellen konnte4, da andernfalls nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass eine Anfechtung wegen überhaupt nicht vorhersehbarer Umstände doch wirksam erfolgen kann5. Für den Erblasser selbst hat der Verzicht auf das Anfechtungsrecht dann keinen rechtlichen Nachteil, wenn er sich, wie hier empfohlen, gleichzeitig den Rücktritt vom Erbvertrag vorbehält. Rücktritt und Anfechtung führen zu Lebzeiten des anderen Vertragsteils nämlich gleichermaßen dazu, dass die Verfügungen des Erblassers ex tunc nichtig sind (§§ 142, 2298 Abs. 1, Abs. 2 BGB). In beiden Fällen wird auch die ver-

1 Palandt/Weidlich § 2293 Rz. 2; MüKo.BGB/Musielak, § 2293 Rz. 2; Staudinger/Kanzleiter, § 2293 Rz. 7. 2 Palandt/Weidlich, § 2285 Rz. 1; MüKo.BGB/Musielak, § 2285 Rz. 5; Staudinger/Kanzleiter, § 2285 Rz. 4. 3 BGH v. 10.1.1983 – VIII ZR 231/81, MDR 1983, 661 = NJW 1983, 2247, 2249; Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 14; RGRK/Kregel, § 2281 Rz. 6; MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 17 und § 2271 Rz. 37; Bengel, DNotZ 1984, 132; zur Anwendung des § 2078 Abs. 2 BGB bei späterem Scheitern der nichtehelichen Lebensgemeinschaft OLG Celle v. 23.6.2003 – 6 W 45/03, FamRZ 2004, 310 = ZEV 2003, 328 ff. 4 Vgl. BayObLG v. 30.10.1989 – BReg. 1a Z 19/88, FamRZ 1990, 322; BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412. 5 Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 18–20; MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 17.

498

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.86 § 13

tragsmäßige Verfügung des anderen Vertragsteils unwirksam (§ 2298 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Der Verzicht auf das Anfechtungsrecht kann wie folgt formuliert werden:

M 93 Verzicht auf Anfechtungsrecht

13.82a

Jeder von uns verzichtet auf seine gesetzlichen Anfechtungsrechte, auch hinsichtlich aller Umstände, seien sie bekannt oder nicht bekannt, in unsere Überlegungen aufgenommen oder nicht, vorhersehbar oder nicht.

cc) Vorbehalt erneuter Testiermöglichkeit Es darf nicht übersehen werden, dass der Rücktritt vom Erbvertrag eine Lösungsmöglichkeit nur zu 13.83 Lebzeiten des anderen Vertragsteils darstellt (§ 2298 Abs. 1 BGB). Zwar gestattet § 2297 BGB im Falle des Todes des anderen Vertragsteils einen Rücktritt durch Testament. Dies setzt jedoch, soweit vertragsmäßige wechselbezügliche Verfügungen betroffen sind, voraus, dass gleichzeitig das Zugewendete ausgeschlagen wird (§ 2298 Abs. 2 S. 3 BGB). Nach dem Tod des anderen steht für die Erblasser als Mittel zur Lösung nur die Selbstanfechtung des Erbvertrags zur Verfügung (§ 2281 BGB). Auf sein Selbstanfechtungsrecht, das ihm nach dem Tod des anderen eine anderweitige erbrechtliche Bestimmung ermöglicht hätte, hat er, um die spätere Anfechtung gegen seinen Willen durch Dritte auszuschließen, jedoch verzichtet. Um in diesem Fall die erbrechtliche Regelung den veränderten Gegebenheiten anpassen zu können, muss dem Erblasser empfohlen werden, sich das Recht, bei Tod des Partners anderweitig zu testieren, vorzubehalten. Dies kann durch Formulierungen erreicht werden wie:

13.84

M 94 Vorbehalt anderweitiger Testierung

13.84a

Jeder von uns behält sich vor, nach dem Tod des Erstversterbenden erneut zu testieren.

Die praktische Relevanz dieser Regelung veranschaulicht folgendes Beispiel: Die Partner einer nicht- 13.85 ehelichen Lebensgemeinschaft haben sich durch Erbvertrag gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und trennen sich. Es erfolgt trotz Trennung kein Rücktritt vom Erbvertrag, weil dieser vergessen wird oder in Unkenntnis privat schriftlich und damit formnichtig erklärt wird. Nach der Trennung verheiraten sich die Partner mit anderen Personen. Stirbt nun die nichteheliche Partnerin, ist der Ehemann der verstorbenen Partnerin erbberechtigt hinsichtlich des Vermögens des überlebenden Partners der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Hat sich der Partner das Recht, nach dem Tode der Partnerin erneut zu testieren, im Erbvertrag vorbehalten, wird er dies spätestens jetzt, zumindest wenn er vom Tod des anderen Partners erfährt, tun, da es nicht in seinem Interesse liegen kann, dass Erbe seines Vermögens die Familie seiner ehemaligen nichtehelichen Partnerin wird. Ohne diesen Vorbehalt kann er nicht erneut testieren und den Erbanfall seines Vermögens an die eheliche Familie der verstorbenen Partnerin nicht verhindern. Bei Ehegatten wäre eine Korrektur dieses ungewünschten Ergebnisses insofern erfolgt, als gem. §§ 2077, 2279 Abs. 2 BGB die Erbeinsetzung des anderen Ehepartners mit Stellung des Scheidungsantrags unwirksam gewesen wäre. Diese ungewünschte Rechtsfolge kann nur über eine analoge Anwendung der §§ 2077, 2279 Abs. 2 BGB vermieden werden, die jedoch abgelehnt wird (Rz. 13.62), wenngleich sie durch § 2279 Abs. 2 BGB gerechtfertigt wäre, da diese Vorschrift die Anwendung des § 2077 BGB auch für Verlobte, also ebenfalls Nichtehegatten gestattet. Hiergegen ist eingewendet worden, dass Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft Verlobten nicht gleichgestellt werden können, da sie im Gegensatz zu diesen sich gerade nicht die Ehe versprochen haben (§ 1297 BGB). Diese Wertung berücksichtigt jedoch nicht in ausreichendem Maße, dass die Interessenslage bei Krauß 499

13.86

§ 13 Rz. 13.87

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, sich von den Wirkungen einer erbrechtlichen Lösung im Fall der persönlichen Trennung lossagen zu können, die Gleiche ist, wie bei Ehegatten oder Verlobten. Schließlich kannte der historische Gesetzgeber bei der Kodifizierung des BGB im Jahr 1900 als Formen des Zusammenlebens lediglich die bürgerliche Ehe und das dieser vorausgehende Verlöbnis, so dass nur diese beiden Gruppen erfasst wurden. Letztendlich manifestiert sich in der gesetzlichen Regelung des §§ 2077, 2268 BGB nichts Anderes als die Wertvorstellung, Vermögen im Wege der Erbfolge nur in Personengefügen weiterzugeben, die durch persönliche und soziale Verantwortlichkeit untereinander verbunden sind.

13.87 Zusammenfassung: Ein Erbvertrag für die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sollte nach dem Vorstehenden folgende Mindestregelungen enthalten: – Widerruf sämtlicher früherer Verfügungen – Feststellung, dass keine Bindung durch früher errichtete gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge besteht – Gegenseitige vertragsmäßige Einsetzung zu Erben – Rücktrittsvorbehalt – Verzicht auf Anfechtungsrecht – Vorbehalt der eigenen Verfügung von Todes wegen im Fall des Vorversterbens des Partners 3. Berücksichtigung der familiären und persönlichen Situation

13.88 Bei Vorschlägen für die Testamentsgestaltung muss vor allem die Lebenssituation derjenigen, die ein Testament errichten wollen, bedacht werden. Dies gilt gleichermaßen bei verheirateten wie bei unverheirateten Partnern. Bei unverheirateten Partnern kompliziert sich das Regelungsbedürfnis insofern, als dort häufig zumindest im mittleren Lebensalter Kinder der Partnerschaft gemeinsam mit Kindern aus anderen Verbindungen im sozialen Verbund leben. Auf diese gegenüber dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGB am 1.1.1900 gewandelte gesellschaftliche Realität muss sachgerecht reagiert werden. a) Regelung bei gemeinschaftlichen Kindern

13.89 Derjenigen von Ehegatten vergleichbar ist die Interessenslage in nichtehelichen Lebensgemeinschaften nur, wenn ausschließlich gemeinschaftliche Kinder vorhanden sind. Hier dürften sich die persönlichen Bindungen und die Gestaltungsmotive kaum von denen einer ehelichen Lebensgemeinschaft unterscheiden. Auf typische Gestaltungsmuster kann daher insoweit verwiesen werden, allerdings mit dem Hinweis, dass die Einsetzung des Partners zum Alleinerben mit möglicherweise hoher Erbschaftsteuerbelastung erkauft wird. Bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist gleichwohl die Absicherung des Partners oft umso entscheidender, als den Überlebenden keine Hinterbliebenenrenten zur Verfügung stehen. Diese Absicherung wird erreicht, indem der andere Partner als Alleinerbe und die Kinder als Schlusserben eingesetzt werden. Es kann bei dieser „Einheitslösung“ wie folgt formuliert werden:

13.89a M 95 Einsetzung des Lebensgefährten als Alleinerbe Wir setzen uns gegenseitig vertragsmäßig zu Alleinerben des Erstversterbenden ein. Der Überlebende von uns darf frei über den gesamten Nachlass, auch über Grundbesitz, verfügen. Er darf den Nachlass ganz verbrauchen.

500

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.93 § 13

Die Erbeinsetzung der Kinder kann lauten:

13.90

M 96 Erbeinsetzung der Kinder

13.90a

Schlusserben sind unsere gemeinschaftlichen Kinder A und B, und zwar unter sich zu gleichen Stammanteilen. Sie erben dasjenige, was beim Tod des Letztversterbenden noch übrig ist.

Will sich der Überlebende vorbehalten, die Erbquote der Kinder zu bestimmen, könnte formuliert werden:

13.91

M 97 Vorbehalt der Bestimmung der Erbquote der Kinder

13.91a

Schlusserben sind unsere Kinder A und B. Der Überlebende von uns bestimmt, zu welchen Anteilen sie erben; er kann auch beliebige Beschränkungen und Beschwerungen anordnen. Wird keine weitere Verfügung getroffen, erben beide Kinder zu gleichen Stammanteilen.

Es darf nicht übersehen werden, dass die Kinder durch die Einsetzung des Partners von der Erbfolge nach dem ersten Sterbefall ausgeschlossen werden und dadurch Pflichtteilsansprüche entstehen, deren Geltendmachung die Praxis durch bedingte Enterbung auf den zweiten Sterbefall („Pflichtteilsstrafklausel“) oder durch Anordnung eines Ausgleichsvermächtnisses für das andere Kind gegenzusteuern versucht.

13.92

Beratungshinweis: Um diese hohe Steuerbelastung zu vermindern, kann empfohlen werden, den Partner nach dem „Württembergischen Modell“ lediglich durch Nutzungsrechte abzusichern: Der Erstversterbende beschwert die gemeinsamen Kinder als Erben zugunsten des längerlebenden Partners mit Hausratvermächtnissen sowie einem Nießbrauchsvermächtnis als Wahlvermächtnis (am Nachlass oder an den Erbteilen). Dadurch sollen dem Überlebenden die Nutzungen des gesamten Nachlasses zustehen, welcher nach Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten übrig geblieben ist. Zusätzlich werden die Erben des Erstversterbenden mit einem vermächtnisweisen Auseinandersetzungsverbot beschwert und unterliegen der Dauertestamentsvollstreckung durch den überlebenden Partner. Die Ausgestaltung des Vermächtnisnießbrauchs könnte wie folgt formuliert werden:

M 98 Einräumung eines Vermächtnisnießbrauchs

13.93

Dem Längerlebenden von uns ist der lebenslange Nießbrauch einzuräumen, und zwar nach dessen Wahl (§ 2154 Abs. 1 S. 1 BGB): entweder am gesamten Nachlass, der den Erben nach Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten und nach Begleichung etwaiger Erbschaftsteuern verbleibt; uns ist bekannt, dass hierfür die Bestellung eines Nießbrauches an jedem einzelnen Nachlassgegenstand erforderlich ist; oder an jedem Miterbenanteil, wobei auch hier jedem Miterben die Mittel für die Bezahlung seiner Erbschaftsteuer aus der Nachlasssubstanz zur Verfügung zu stellen sind; uns ist bekannt, dass zur Erfüllung dieses Vermächtnisses notarielle Beurkundung der Nießbrauchsbestellung erforderlich ist. Für den vom Vermächtnisnehmer gewählten Nießbrauch gelten die gesetzlichen Vorschriften, jedoch mit folgenden Abweichungen: Entscheidet er sich für den Nießbrauch am gesamten Nachlass, ist abweichend von den §§ 1041 und 1047 BGB zu vereinbaren, dass der Nießbraucher für die Dauer seines Rechts im Verhältnis zum Eigentümer auch den außerordentlichen Erhaltungsaufwand sowie außerordentliche, auf den Stammwert der Sache angelegte, öffentliche Lasten zu tragen hat. Werden vom Nießbrauch Immobilien erfasst, an denen beim Erbfall Grundpfandrechte zur Sicherung von Darlehensverbindlichkeiten eingetragen waren, hat der Nießbraucher

Krauß 501

§ 13 Rz. 13.94

Nichteheliche Partner im Erbrecht

für die Dauer seines Rechts neben den Zinsen auch die Tilgung solcher Verbindlichkeiten zu tragen. Die gesamten Kosten und Lasten sowie die Verkehrssicherungspflicht verbleiben demnach beim Nießbraucher. Beim Nießbrauch am gesamten Nachlass ist der Nießbrauch an den Immobilien, die in den Nachlass fallen, durch Eintragung im Grundbuch an nächstoffener Rangstelle zu sichern, wobei Löschung durch Sterbeurkunde möglich sein soll. Beim Nießbrauch an den Erbteilen ist die damit verbundene Verfügungsbeschränkung im Grundbuch einzutragen. Die Kosten für die Vermächtniserfüllung und einer etwaigen Löschung tragen die Beschwerten. Der Erstversterbende von uns verlängert hiermit die Verjährungsfrist für sämtliche, zugunsten des Längerlebenden angeordneten Vermächtnisse auf 30 Jahre.

13.94 Haben die Partner größere Vermögen, z.B. mehrere Immobilien, sollte jedenfalls aus steuerlichen Erwägungen von der oben gewählten Lösung – Alleinerbschaft des Überlebenden und Schlusserbschaft – abgesehen werden. Hier können die gemeinschaftlichen Kinder Miterben werden, wodurch die im Verhältnis zwischen nichtehelichen Eltern und gemeinschaftlichen Kindern bestehenden Freibeträge von 400.000 Euro je Kind und Elternteil (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) ausgenutzt werden können. Durch Teilungsanordnungen im Erbvertrag dergestalt, dass das Haus in A-Stadt der Überlebende und das Haus in B-Stadt Kind 1 und das Haus in C-Stadt Kind 2 erhält, lässt sich Streit vermeiden. Letztendlich gelten auch bei Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit größerem Vermögen ähnliche Überlegungen wie bei letztwilligen Verfügungen von Ehegatten mit größerem Vermögen, unter Einschluss der Übertragung von Immobilien zu Lebzeiten, der Sondererbfolge in Gesellschaftsanteile etc.

13.94a Auch bei der hier vorgestellten erbvertraglichen Regelung sollte ein Rücktrittsvorbehalt aufgenommen werden. Schließlich ist bei Partnern mit gemeinschaftlichen Kindern eine Trennung ebenso denkbar wie bei Partnern ohne Kinder oder Ehepartnern. Mit der Ausübung des Rücktrittsrechts entfällt auch die Schlusserbeneinsetzung der Kinder, da der Erbvertrag insgesamt unwirksam wird (§ 2298 Abs. 2 BGB). Den Kindern bleibt im Fall des Rücktritts ihr gesetzliches Erbrecht (§ 1924 Abs. 1 BGB), und zwar bei Erbfällen ab dem 1.4.1998 (Art. 1 Nr. 3, 8 ErbGleichG) nach beiden Elternteilen.

13.95 Ist der Partner allerdings verstorben, ohne dass das Rücktrittsrecht ausgeübt worden ist, bleibt der Überlebende ohne anderweitige Regelungen im Erbvertrag an die Schlusserbeneinsetzung der Kinder gebunden, es sei denn, er schlägt das Zugewendete aus (§ 2298 Abs. 2 S. 2, 3 BGB). Nur in diesem Fall kann er anderweitig testieren.

13.96 Hat sich der Überlebende im Erbvertrag jedoch vorbehalten, beim Tod des Partners anderweitig zu verfügen, entfällt, wenn er anderweitig testiert, die Schlusserbeneinsetzung. Sollte aber eine freie Verfügung nach dem Tod des Erstversterbenden aus Gründen der Fürsorge für die gemeinschaftlichen Kinder nicht gewünscht sein, was häufig der Fall sein wird, bietet sich ggf. als Lösung an, dem Schlusserben bereits zu Lebzeiten Vermögen zur freien Verfügung zu übertragen, und „im Gegenzug“ durch einen notariell zu beurkundenden Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) die Testierfreiheit wieder zu erlangen.

13.97 Zusammenfassung: In einen Erbvertrag mit gemeinsamen Kindern sollten folgende Mindestregelungen aufgenommen werden: – Feststellung, dass keine Bindung durch früher errichtete gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge besteht – Widerruf sämtlicher früherer Verfügungen – Gegenseitige vertragsmäßige Einsetzung zu Erben

502

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.101 § 13

– Rücktrittsvorbehalt – Verzicht auf Anfechtungsrecht – Vorbehalt der eigenen Verfügung von Todes wegen im Fall des Vorversterbens des Partners oder Lösungsmöglichkeit durch Zuwendung eines Teils des Nachlasses an den Schlusserben zur Erlangung der freien Verfügungsmöglichkeit entsprechend klassischer Wiederverheiratungsklausel – Pflichtteilssanktion b) Kinder aus früheren Verbindungen „Scheidungsgeschädigte“ Beteiligte scheuen mitunter die Eingehung einer neuen Ehe und bevorzu- 13.98 gen in einer neuen Partnerschaft unverheiratet zu bleiben, auch angesichts der Unwägbarkeiten, ob ehevertragliche Ausschlüsse im erneuten Scheidungsfall tatsächlich Bestand behalten. Im Rentenalter unterbleiben neuerliche Eheschließungen häufig, um den Verlust der Hinterbliebenenrentenansprüche zu vermeiden. Sind einseitige Kinder aus früheren Verbindungen vorhanden, treten die Regelungsziele der Absiche- 13.99 rung des Partners und der Vermögenszuwendung an die eigenen Kinder in ein Spannungsverhältnis. Dieses wird noch verschärft, wenn gemeinsames (Immobilien-)eigentum gebildet wurde, da sich nach dem Tod des ersten Partners bei getrennter Vererbung dann eigenartige Miteigentumsgemeinschaften mit den „Schwieger“-Kindern bilden. Beratungssituation: Die Mandanten, ca. 60 Jahre alt, beide haben Kinder aus früheren Verbindungen, wünschen Lösungsvorschläge für ihre erbrechtliche Regelung.

Um diesen Bedürfnissen der Erblasser mit Kindern aus früheren Verbindungen Rechnung zu tragen, stehen zwei erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, nämlich

13.100

– die Einsetzung des Partners als Vorerben und der eigenen Kinder als Nacherben, – die Zuwendung von Vermächtnissen an den Lebenspartner bei gleichzeitiger Einsetzung der Kinder als Erben. Zu den erbschaftsteuerlichen Konsequenzen s. Rz. 13.153 ff. Ohne Regelung im Wege einer letztwilligen Verfügung sind ausschließlich die Kinder aus früheren Verbindungen erbberechtigt (§ 1924 Abs. 1 BGB), nicht jedoch der Partner. aa) Vor- und Nacherbschaft Der Erblasser kann einen Erben in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe (Nacherbe) wird, wenn zunächst ein anderer Erbe (Vorerbe) geworden ist, § 2100 BGB (vgl. zur Vor- und Nacherbschaft im Einzelnen § 8 Vor- und Nacherbschaft). Das Erbrecht des Vorerben ist jedoch zeitlich befristet. Der Erblasser kann die Beendigung der Vorerbschaft an Bedingungen und Befristungen knüpfen, wie z.B. an das Eingehen einer neuen Bindung (§ 2109 BGB). Ohne Bestimmung durch den Erblasser endet die Vorerbschaft mit dem Tod des Vorerben (§ 2106 BGB). Der Vorerbe ist wahrer Erbe des Erblassers und damit grundsätzlich zur Verfügung über den Nachlass befugt1. Zum Schutz des Nacherben ist die Verfügungsbefugnis des Vorerben jedoch beschränkt. Verfügungen über Grundstücke, Rechte an Grundstücken und eingetragenen Schiffen sind unwirksam, wenn sie die Rechte des Nacherben beeinträchtigen würden (§ 2113 Abs. 1 BGB). Von dieser Beschränkung und von den weiteren Beschränkungen des Vorerben gem. §§ 2114, 2116, 2119, 2123, 2127–2131, 2133, 2134 BGB kann der Erblasser den Vorerben befreien, nicht jedoch von dem Verbot, unentgeltlich über Nachlassgegenstände zu verfügen (§§ 2113 Abs. 2, 2138 Abs. 2 BGB) und nicht von der Inventarisierungspflicht (§§ 2121, 2122 BGB). Die Inventarisierungspflicht dient dazu, den Umfang des Nachlasses, der im Nacherbfall an die Nacherben fällt, festzuhalten. 1 Palandt/Weidlich, Einf. zu § 2100 BGB Rz. 1.

Krauß 503

13.101

§ 13 Rz. 13.102

Nichteheliche Partner im Erbrecht

13.102 Das Vermögen des Erstversterbenden vermischt sich nicht mit dem Vermögen des Längerlebenden, sondern bleibt dessen Sondervermögen (Trennungslösung)1. Gerade deshalb eignet sich die Vor- und Nacherbschaft zur Weitergabe des Vermögens an die eigenen Kinder des nichtehelichen Partners. Sein Vermögen steht zu Lebzeiten des Letztversterbenden diesem zur Verfügung, bleibt jedoch als Sondervermögen getrennt und fällt im Nacherbfall an die eigenen Kinder des Erstversterbenden. Auch für den Letztversterbenden hat diese Lösung den Vorzug, dass sein eigenes Vermögen getrennt gehalten bleibt und im Fall seines Todes auf die eigenen Kinder übergeht.

13.103 Auch bei gleichzeitigem Tod der Partner, etwa in Folge eines Unglücksfalls, hat diese Lösung keine Nachteile, da dann beide Vermögensmassen jeweils getrennt an die jeweiligen eigenen Kinder des jeweiligen Partners fallen.

13.104 Ob der nichteheliche Lebenspartner als befreiter oder nicht befreiter Vorerbe eingesetzt werden soll, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Die Befreiung des Vorerben gestattet diesem die entgeltliche Verfügung über Grundstücke (§§ 2136, 2113 Abs. 1 BGB). Soll nach dem Willen des Erblassers der Nachlass in seinem Bestand auf den Nacherben übergehen, muss die Befreiung unterbleiben. Die nicht befreite Vorerbschaft rückt den Letztlebenden in die Nähe eines Nießbrauchsberechtigten. Im mittleren Lebensalter erscheint sie daher ungeeignet, weil sie außer dem Recht, die Erträgnisse der Vermögenssubstanz zu vereinnahmen, die ihrerseits wiederum mit der Verpflichtung zur Lastentragung einhergeht (§ 2124 BGB), keine Vorteile, dafür aber den Nachteil der ständigen Inventarisierungspflicht hat.

13.105 Es darf auch nicht übersehen werden, dass dann, wenn Grundbesitz vorhanden ist, zur Sicherung der Rechte des Nacherben im Grundbuch in Abt. II ein Nacherbenvermerk eingetragen wird, und zwar gleichermaßen bei befreiter und nicht befreiter Vorerbschaft (§ 21 GBO). Die Verfügung über Grundstücke ist zwar bei befreiter Vorerbschaft materiellrechtlich zulässig (§§ 2136, 2113 Abs. 1 BGB), tatsächlich wird sie jedoch nur mit Zustimmung des Nacherben erfolgen können, da er die Bewilligung zur Löschung des Nacherbenvermerks erteilen muss (§ 19 GBO). Ein Grundstück, das mit einem Nacherbenvermerk belastet ist, wird kaum jemand erwerben wollen, da er immer mit einer späteren Inanspruchnahme durch den Nacherben rechnen muss (§ 2113 Abs. 3 BGB).

13.106 Die Einsetzung eines Lebensgefährten als Vorerben kann wie folgt formuliert werden: 13.106a M 99 Einsetzung eines Lebensgefährten als Vorerben Formulierung im Einzeltestament Meine Lebensgefährtin A setze ich zu meiner Vorerbin ein. Sie soll nicht befreite Vorerbin sein. oder (je nach Entscheidung des Erblassers und Beraters im Einzelfall): Sie soll von allen Beschränkungen befreit sein, von denen nach dem Gesetz Befreiung erteilt werden kann. Formulierung im Erbvertrag Wir setzen uns gegenseitig vertragsmäßig zu nicht befreiten Vorerben ein. oder: Wir setzen uns gegenseitig vertragsmäßig zu Vorerben ein. Jeder von uns wird als Vorerbe von den Beschränkungen befreit, von denen nach dem Gesetz Befreiung erteilt werden kann.

1 Staudinger/Behrends, § 2100 Rz. 41; RGRK/Johannsen, § 2100 Rz. 8.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.110 § 13

Die Einsetzung der Nacherben kann wie folgt formuliert werden:

13.107

M 100 Einsetzung der Nacherben

13.107a

Formulierung im Testament Nacherben sind meine Kinder aus erster Ehe, A und B. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod der Vorerbin ein. oder: Der Nacherbfall tritt ein, wenn meine Lebensgefährtin nach meinem Tod heiratet, sich verpartnert, oder erneut eine Lebensgemeinschaft i.S.d. § 20 SGB XII mit einem anderen Partner begründet1. Formulierung im Erbvertrag Nacherben nach mir, L 1, sind meine Kinder aus erster Ehe A und B. Nacherben nach mir, L 2, sind meine Kinder aus zweiter Ehe C und D. Der Nacherbfall tritt jeweils nach unserem Tode ein.

Haben die Partner außer eigenen Kindern ein gemeinschaftliches Kind, wird der Wunsch bestehen, 13.108 auch dieses Kind gleichermaßen, möglicherweise aber auch zu einem größeren Anteil zu bedenken. Dies kann erreicht werden, indem das gemeinschaftliche Kind ebenfalls als Nacherbe eingesetzt wird, durch Formulierungen wie:

M 101 Einsetzung eines gemeinschaftlichen Kindes als Nacherbe

13.108a

Nacherben nach mir, L 1, sind unser gemeinschaftliches Kind E und meine Kinder aus zweiter Ehe C und D, und zwar alle drei untereinander jeweils zu gleichen Teilen.

Werden die Kinder aus verschiedenen Verbindungen zu verschiedenen Erbquoten eingesetzt, ist da- 13.109 rauf zu achten, dass die Quoten größer sein müssen als es die Hälfte des gesetzlichen Erbteils wäre, weil sonst ein freier Pflichtteilsrestanspruch entstünde, dem der länger Lebende ausgesetzt wäre (nach der Rechtslage vor der Erbrechtsreform 2009, also für Sterbefälle vor dem 1.1.2010, wäre die Nacherbfolge gem. § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB von selbst weggefallen). Abgesehen von diesem Pflichtteilsrestanspruch bei zu geringer Quote haben die Nacherben keinen Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Erstversterbenden, es sei denn, sie schlagen die Nacherbschaft aus (§§ 2306 Abs. 1, 2306 Abs. 2 BGB)2. Bevor die Quoten für die Nacherben festgelegt werden, sollten daher vorsorglich die gesetzlichen Erbquoten und die Pflichtteilsquoten ermittelt werden. Wichtig ist in dieser Fallgruppe überdies die Bestimmung von Ersatzerben und Ersatznacherben. Schließlich fällt die Nacherbschaft erst mit dem Tode des Letztversterbenden an die eigenen Kinder. Der Erblasser kann, sollte der Nacherbe während Lebzeiten des Vorerben versterben und keine Ersatznacherben eingesetzt sein, hierauf nicht mehr durch Änderung seiner eigenen letztwilligen Verfügung reagieren, da er selbst nicht mehr lebt. Er muss diese Entscheidung also vorziehen und zu seinen Lebzeiten einen Ersatzerben namentlich benennen. Es empfiehlt sich, aus Gründen der Klarheit auch die Vererblichkeit des Nacherbenrechts auszuschließen, zumindest dann, wenn keiner der Abkömmlinge des designierten Nacherben Ersatzerbe sein soll, sondern z.B. das gemeinschaftliche

1 Diese Formulierung bietet im Streitfall Nachweisprobleme und sollte von daher eher vermieden als empfohlen werden. 2 BayObLG v. 22.6.1966 – BReg. 1b Z 12/66, BayObLGZ 1966, 232.

Krauß 505

13.110

§ 13 Rz. 13.110a

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Kind aus der nichtehelichen Beziehung der Partner oder ein anderes Kind aus einer früheren Verbindung. Das kann wie folgt formuliert werden:

13.110a M 102 Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenrechts Das Nacherbenrecht ist nicht vererblich. Verstirbt ein Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalls, ist Ersatznacherbe unser gemeinschaftliches Kind D. Oder: … das überlebende Kind aus meiner ersten Ehe.

13.111 Wird von den Partnern gemeinschaftlich im Erbvertrag testiert, sollten sich beide Partner das Recht vorbehalten, die Nacherbeneinsetzung der Kinder aus früheren Verbindungen zu ändern oder widerrufen zu können. Die Vertragsteile eines Erbvertrags können frei bestimmen, welche Verfügungen der Überlebende frei widerrufen oder abändern kann1. Beim Testament wird hierzu selten Anlass sein, da der Erblasser hier durch einfachen Widerruf des Testaments (§ 2254 BGB) anderweitige Regelungen treffen kann. Im Erbvertrag sollte daher zusätzlich die Bestimmung aufgenommen werden:

13.111a M 103 Vorbehalt der Änderung der Nacherbeneinsetzung Jeder von uns behält sich vor, die Einsetzung des Nacherben, soweit seine eigenen Kinder betroffen sind, und die Einsetzung der Ersatznacherben nach dem Tod des Letztversterbenden einseitig abzuändern.

13.112 Widerruft der Erblasser nach dem Tod des Erstversterbenden die Nacherbeneinsetzung, trifft jedoch keine neue Verfügung von Todes wegen, wächst das Erbe den verbleibenden Nacherben an (§ 2094 BGB).

13.113 Zusammenfassung: Wählen die Partner den Erbvertrag, müssen die übrigen bereits in Rz. 13.73 ff. dargestellten Regelungen ebenfalls mit aufgenommen werden. Der Erbvertrag bei Partnern mit Kindern aus früheren Verbindungen sollte daher enthalten: – Widerruf sämtlicher früherer Verfügungen – Feststellung, dass keine Bindung durch früher errichtete gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge besteht – Gegenseitige vertragsmäßige Einsetzung zu befreiten oder nicht befreiten Vorerben – Einsetzung der Nacherben – Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenrechts und Einsetzung von Ersatzerben – Vorbehalt, die Nacherbenseinsetzung abzuändern – Rücktrittsvorbehalt – Verzicht auf Anfechtungsrecht – Zuwendung des Hausrats und der persönlichen Sachen im Vermächtniswege.

1 Palandt/Weidlich, § 2289 BGB Rz. 8; BGH v. 2.12.1981 – IVa ZR 252/80, MDR 1982, 557 = FamRZ 1982, 370 = NJW 1982, 441.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.116 § 13

bb) Vermächtnislösung Anstelle der Einsetzung der Partner als Vorerben und der Kinder als Nacherben kann auch der Weg gewählt werden, die Kinder unmittelbar als Erben einzusetzen und dem Lebenspartner Vermögensgegenstände im Wege des Vermächtnisses (§§ 2147 f. BGB) zuzuwenden. Hierfür stehen mannigfaltige Möglichkeiten zur Verfügung. Dem Lebenspartner können ein Geldvermächtnis, Hausratsvermächtnisse, eine Immobilie, lediglich ein Wohnrecht an einer Immobilie, ein Nießbrauch an Immobilien, an Unternehmensbeteiligungen, der Nießbrauch am Nachlass insgesamt (vgl. Muster in Rz. 13.70), eine private Rente etc. zugewendet werden. Wird z.B. eine Immobilie im Vermächtniswege zugewendet, kann die letztwillige Verfügung lauten:

13.114

M 104 Zuwendung einer Immobilie im Vermächtniswege

13.115

Zu meinen Erben setze ich meine Kinder A und B ein. Meiner langjährigen Lebensgefährtin vermache ich mein Haus in D-Stadt. oder: Meiner langjährigen Lebensgefährtin vermache ich mein Aktiendepot bei der X-Bank. oder: … einen Betrag von 150.000 Euro von meinem Konto … bei der X- Bank. oder: … ein lebenslängliches Wohnungsrechtgem. gem. § 1093 BGB an meiner Eigentumswohnung in D-Stadt. Meine Erben sind verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten nach meinem Tod das Wohnrecht im Grundbuch an rangbereiter Stelle zu sichern. Das Wohnrecht soll unentgeltlich sein. Meine Lebensgefährtin ist lediglich verpflichtet, die Nebenkosten, deren Umlage auf einen Mietergem. gem. BetriebskostenVO in der zum Erbfall gültigen Fassung zulässig ist, zu tragen. oder: … eine lebenslängliche Rente in Höhe des Betrags zu zahlen, der zum Tag des Vermächtnisanfalls dem gegenwärtigen Betrag von 2.000 Euro entspricht. Der Betrag ist nach Maßgabe des Verbraucherpreisindex zum Zeitpunkt der ersten Fälligkeit und sodann alle zwei Jahre anzupassen. oder: Meine Erben sind verpflichtet, die Rente als Reallast zulasten meines in D-Stadt gelegenen Grundbesitzes an rangbereiter Stelle dinglich sichern zu lassen, und zwar innerhalb von zwei Monaten nach meinem Tod. oder: … einen lebenslänglichen Nießbrauch an meinem Kommanditanteil an der ABC GmbH & Co. KG1.

Wird dem Lebenspartner im Vermächtniswege ein Sachwert zugewendet, der nicht, wie etwa Nutzungsrechte, auf seine Lebensdauer beschränkt ist, muss bedacht werden, dass der Sachwert im Fall des Versterbens des Lebenspartners in dessen Erbmasse fällt und an seine Kinder bzw. möglicherweise an seine Verwandten gelangt. Falls dies nicht gewünscht ist, verbleibt dem Erblasser die Möglichkeit, seine eigenen Kinder als Nachvermächtnisnehmer einzusetzen (§ 2191 Abs. 1 BGB). Der Partner als Vorvermächtnisnehmer unterliegt im Gegensatz zur Vor- und Nacherbschaft keinen gesetzlichen Beschränkungen2. Er darf den vermachten Gegenstand also verbrauchen und uneingeschränkt über ihn verfügen. Gem. § 2184 BGB ist er berechtigt, die Nutzungen des Vermachten zu vereinnahmen, er muss 1 Wird ein Nießbrauch an einer Unternehmensbeteiligung zugewendet, ist es unerlässlich, dies an die erbrechtliche Regelung des Gesellschaftsvertrags anzugleichen. 2 Palandt/Weidlich, § 2191 Rz. 2. Für die Zeit zwischen dem Anfall des Vorvermächtnisses und des Nachvermächtnisses gelten gem. §§ 2177, 2179 BGB die Vorschriften des BGB für aufschiebend bedingte Leis-

Krauß 507

13.116

§ 13 Rz. 13.117

Nichteheliche Partner im Erbrecht

allerdings auch die gewöhnlichen und außergewöhnlichen Lasten tragen (§ 2185 BGB). Trifft der Erblasser keine andere Bestimmung, fällt das Nachvermächtnis mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers an (§§ 2191 Abs. 2, 2106 Abs. 1 BGB). Eine gegenteilige Anordnung sollte der Erblasser nicht treffen, schon um zu verhindern, dass seine eigenen Kinder als Nacherben nicht Verwendungsersatzansprüchen des Partners zu dessen Lebzeiten ausgesetzt sind (§ 2185 BGB).

13.117 Um Auseinandersetzungen seiner eigenen Kinder mit den Erben des Lebenspartners zu verhindern, kann es sinnvoll sein, die Geltendmachung von gegenseitigen Verwendungsersatzansprüchen (§ 2185 BGB) gänzlich auszuschließen. Die Anordnung eines Nachvermächtnisses kann wie folgt formuliert werden:

13.118 M 105 Anordnung eines Nachvermächtnisses Nachvermächtnisnehmer nach dem Tod meiner Lebensgefährtin sind meine Kinder A und B. Verwendungsersatzansprüche zwischen Vorvermächtnis- und Nachvermächtnisnehmer sind in beiden Richtungen ausgeschlossen. Eine Sicherung des Nachvermächtnisses kann nicht verlangt werden.

13.119 Für Haushaltsgegenstände gilt nichts Besonderes. Sie fallen, ebenso wie ein Kfz und persönliche Gegenstände, in den Nachlass, so dass sie den Regelungen der Vorerbschaft und der Nacherbschaft unterliegen. Dies bedeutet, dass auch die Haushaltsgegenstände der Pflicht zur Inventarisierung (§ 2121 BGB) unterliegen. Von dieser Pflicht kann der Vorerbe nicht befreit werden (§ 2136 BGB). Um diese unzweckmäßige Handhabung auszuschließen, sollten der Hausrat und die persönlichen Gegenstände den Lebenspartnern im Wege des Vermächtnisses zugewendet werden (§ 2147 BGB). Gleiches sollte für die persönlichen Gegenstände und möglicherweise das Kfz gelten, um das, wie die Praxis zeigt, häufig Streit entsteht. Es kann formuliert werden:

13.119a M 106 Zuwendung von Hausrat Meinen Hausrat, meine persönlichen Sachen mit Ausnahme meines Schmucks und den bei meinem Ableben auf mich zugelassenen Pkw vermache ich meinem Lebensgefährten.

13.120 Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung kann zur Sicherung der Rechte des Nacherben, aber vor allem zur Sicherung des Vermächtnisnehmers, sinnvoll sein. Von den verschiedenen Möglichkeiten der Testamentsvollstreckung – Abwicklungsvollstreckung nach §§ 2203–2207 BGB, Dauervollstreckung nach § 2209 BGB oder Nacherbenvollstreckung (§ 2222 BGB) – erscheint je nach Gestaltung allenfalls die Abwicklungsvollstreckung sinnvoll. Bei der Vermächtnislösung sollte, um sicherzustellen, dass das Vermächtnis auch erfüllt wird, in jedem Fall Testamentsvollstreckung als Abwicklungsvollstreckung angeordnet werden, da nur so sichergestellt ist, dass der nichteheliche Partner das Vermächtnis auch tatsächlich erhält. Sollten die Erben nämlich das Vermächtnis nicht freiwillig erfüllen, ist der nichteheliche Partner auf langwierige Rechtsstreitigkeiten angewiesen, die in höherem Lebensalter nicht immer durchgestanden werden.

13.121 Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung ist auch dann sinnvoll, wenn der nichteheliche Partner und Kinder aus früheren Verbindungen zu Miterben berufen sind und eine Aufteilung des Nachlasses durch Teilungsanordnung vorgesehen ist.

tungen entsprechend (Schadensersatz, § 160 Abs. 1 BGB). Eine dingliche Verfügungsbeschränkung besteht jedoch nicht, § 161 BGB schützt daher den Nachvermächtnisnehmer nicht, ihm kommt noch kein Anwartschaftsrecht, sondern nur eine schwächere Rechtsposition, auch Anwartschaft genannt, zugute.

508

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.124 § 13

Wird befürchtet, dass die Nacherben den Vorerben zu seinen Lebzeiten über die Maßen beeinträchtigen, kann dies durch die Anordnung einer Nacherbenvollstreckung (§ 2222 BGB) unterbunden werden. Sie beschränkt nicht den Vorerben, sondern nimmt die Rechte wahr, die dem Nacherben bereits vor dem Nacherbfall zustehen1, beschränkt also den Nacherben während der bestehenden Vorerbschaft2.

13.122

c) Adoption Insbesondere der enorme Belastungsunterschied zwischen Steuerklasse I einerseits und den Steuer- 13.123 klasse II und III andererseits (Eingangssteuersatz bei Letzterer 30 %!) lässt die Adoption, auch die Adoption Volljähriger3 und mit Auslandsberührung4, insbesondere in einer zunehmend kinderlosen Gesellschaft immer attraktiver erscheinen. Hinzu kommt, dass auf diese Weise ein gesetzliches Erbund Pflichtteilsrecht geschaffen und das Erb- und Pflichtteilsrecht schon vorhandener Abkömmlinge, des Lebenspartners oder der Eltern vermindert bzw. gänzlich beseitigt werden kann. Reizvoll ist dabei die Volljährigenadoption mit schwachen Wirkungen, da hierdurch die Verwandtschaftsverhältnisse mit den leiblichen Eltern nicht beendet werden (§ 1770 Abs. 2 BGB). Bei Stiefkindadoptionen steht dagegen die emotionale Betonung des Näheverhältnisses im Vordergrund, da schenkung-/erbschaftsteuerrechtlich auch das Stiefkind zur Steuerklasse I zählt (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 2 ErbStG). Die (nacheheliche) Adoption eines Kindes kann ferner (ebenso wie eine spätere Heirat) die Höhe des Unterhalts reduzieren, der dem geschiedenen Ehegatten/Lebenspartner geschuldet ist.5 Auch wer als Minderjähriger adoptiert wurde,6 kann als Volljähriger erneut anderweit adoptiert werden (das Verbot der Mehrfachadoption – § 1742 BGB – gilt insoweit nicht, § 1768 Abs. 1 S. 2 BGB). Der Adoptierende selbst muss bis zur Entscheidung über den Antrag geschäftsfähig sein.7 Kinderlosigkeit ist nicht erforderlich, wobei jedoch die Interessen der bereits vorhandenen Kinder zu prüfen sind8 (§ 1769 BGB), was zu einer Anhörung durch das Familiengericht führt9.

1 2 3 4 5

6 7 8

9

BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456. Staudinger/Reimann, § 2222 Rz. 4. Überblick bei Brandt, RNotZ 2013, 459 ff. Emmerling de Oliveira, MittBayNot 2010, 429 ff. BGH v. 1.10.2008 – XII ZR 62/07, FamRZ 2009, 23 m. Anm. Maurer, FamRZ 2009, 204 = MDR 2009, 87; allerdings kann eine spätere Heirat die ehelichen Lebensverhältnisse der ersten Ehe nicht mehr prägen, a.A. BGH v. 30.7.2008 – XII ZR 177/06, MDR 2008, 1338 („Dreiteilungsgrundsatz“); hiergegen BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 918/10, vgl. Eickelberg, notar 2011, 400f; demzufolge Abkehr des BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung in BGH v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281 ff.: Bei der Bedarfsermittlung dürfen nur solche nachehelichen Umstände berücksichtigt werden, die bereits während der Ehezeit absehbar waren). Krit. zum damit einhergehenden Verlust des Erbrechts nach den leiblichen Eltern unter dem Aspekt des Minderjährigenschutzes Wetzel, ZEV 2011, 401 ff. OLG München v. 7.4.2010 – 31 Wx 3/10, MDR 2010, 751 = FamRZ 2010, 2087, ZErb 2010, 181. Nach AG Rüdesheim v. 19.7.2007 – 4 XVI 1/07, MittBayNot 2008, 57 ist die Adoption auszusprechen bei gleicher Gewichtung der jeweiligen Interessen; ein Überwiegen der Interessen des zu adoptierenden volljährigen Kindes oder ein Fehlverhalten der leiblichen Kinder ist also nicht erforderlich. Ein naturgegebener Vorrang der Interessen schon vorhandener Kinder besteht nicht, OLG München v. 10.1.2011 – 33 UF 988/10, FamRZ 2011, 1411. Unterbleibt diese, ist die Adoption unwirksam, BVerfG v. 20.10.2008 – 1 BvR 291/06, ZEV 2009, 44.

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13.124

§ 13 Rz. 13.125

Nichteheliche Partner im Erbrecht

13.125 Eingetragene Lebenspartner können das Kind ihres Partners (§ 9 Abs. 7 LPartG) – und zwar auch, wenn dieses bereits seinerseits adoptiert worden war (verfassungsrechtlich1 gebotene Aufhebung2 des Verbots der Sukzessivadoption3), nicht aber gemeinsam ein fremdes Kind, annehmen (Verbot des Simultanadoption; § 1741 Abs. 2 S. 2 BGB gilt weiterhin nur für Ehegatten: diese dagegen können ein Kind sogar grundsätzlich nur gemeinsam annehmen4, es sei denn, der Ehegatte wäre geschäftsunfähig oder unter 21 Jahre alt oder es handelt sich um die Adoption des Kindes gerade des anderen Ehegatten, sog. Stiefkindadoption). Sobald die Beteiligten allerdings (rückwirkend) – was seit 1.10.2017 möglich ist – ihre eingetragene Lebenspartnerschaft gem. § 20a LPartG, § 17a PStG in eine (gleichgeschlechtliche) Ehe umwandeln, gilt auch für sie § 1741 Abs. 2 S. 2 BGB.

13.126 Bei Volljährigen müssen die leiblichen Eltern (ggf. auch der Samenspender5) nicht einwilligen (allerdings werden bei einer Adoption mit starker Wirkung die Eltern zur Prüfung angehört, ob deren überwiegende Interessen entgegenstehen, § 1772 Abs. 1 S. 2 BGB)6.

13.127 Der durch das Familiengericht bei Vorliegen und positivem7 Nachweis8 des dauerhaften9 Vorliegens der Voraussetzungen, insbesondere des Eltern-Kind-Verhältnisses10, eines angemessenen Altersab-

1 Nach BVerfG v. 19.2.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847. 2 Gesetz v. 26.6.2014, BGBl. I, 786. In der Zwischenzeit erlaubte eine Übergangsregelung bereits die Sukzessivadoption i.S.d. § 1743 BGB. 3 Frühere Rechtsprechung zum Verbot der Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner: OLG Hamm v. 1.12.2009 – I-15 Wx 236/09, FamRZ 2010, 1259 m. Anm. Grziwotz = MDR 2010, 449 = DNotZ 2010, 698 m. Anm. Müller. Die Adoption eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners, also die Stiefkindadoption, war dagegen stets zulässig. 4 Dies ist verfassungsgemäß, vgl. OLG Schleswig v. 20.12.2013 – 8 UF 173/13, FamRZ 2014, 1039 = NotBZ 2014, 191 und OLG Koblenz v. 5.12.2013 – 13 UF 793/13, MDR 2014, 545 = FamRZ 2014, 1039 = MittBayNot 2014, 343; krit. Brandt, notar 2014, 298. 5 BGH v. 18.2.2015 – XII ZB 473/13, ErbR 2015, 337 es sei denn, er hätte „auf sein grundrechtlich geschütztes Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen, von vorneherein verzichtet“, vgl. OLG Bamberg v. 26.4.2017 – 2 UF 70/17, RNotZ 2017, 538; zum Auskunftsanspruch des Kindes gegen den Reproduktionsmediziner BGH v. 28.1.2015 – XII ZR 201/13, DNotZ 2015, 426; etwaige Verzichtserklärungen der Wunscheltern binden das Kind nicht. 6 Beispielsfall: OLG München v. 8.5.2009 – 31 Wx 147/08, NotBZ 2009, 498 (Gefahr, dass der leibliche Vater, der Unterhalt gezahlt hat, seinerseits keine Unterhaltsansprüche gegen das „wegadoptierte“ Kind mehr hat). 7 Verbleiben begründete Zweifel, muss der Antrag abgelehnt werden, OLG Köln v. 1.8.2011 – 4 UF 108/11, NotBZ 2011, 448 (nur Ls.). 8 Zu den Anforderungen LG Saarbrücken v. 26.9.2008 – 5 T 187/08: Ablehnung der Adoption, wenn sich die Beteiligten in der mündlichen Anhörung mit „Sie“ anreden und zur Häufigkeit der Kontakte angeben, „das komme darauf an“. Ähnlich OLG München v. 8.6.2009 – 31 Wx 22/09, MDR 2009, 930 = FamRZ 2010, 46 = ZEV 2009, 355: lediglich einzelne Telefonate und Besuche; der Anzunehmende stimmt der Adoption durch seinen begüterten Paten nur zu, „da man sechs Richtige im Lotto nicht ausschlagen dürfe“. 9 Daran fehlt es i.d.R. bei der Adoption des Schwiegersohns, da das familiäre Band vom Fortbestand der Ehe abhängt, vgl. Gutachten, DNotI-Report 2009, 75. 10 Gute Zusammenstellung der Kriterien bei OLG Braunschweig v. 15.3.2017 – 1 UF 139/16, ErbStB 2017, 276: grundsätzliche Sympathie, Verfestigung der Beziehung über Jahre, wechselseitige Bereitschaft zu Hilfe und Unterstützung, Unterstützung bei schweren Krankheiten und Trennungen, Aufnahme in die eigenen Räumlichkeiten in Krisenzeiten, gemeinsames Verbringen von Freizeit, Ausführung von Hilfsdiensten im Haushalt, häufige Besuche, wechselseitige Einbindung in das familiäre Beziehungsgeflecht, gemeinsame Oster- oder Weihnachtsfeiern, Erhalt von Geschenken wie z.B. Schmuck aus dem Familieneigentum, Erbringung höchstpersönlicher Unterstützungsleistungen, insbesondere der Körperpflege, Erledigung von Schriftverkehr, Aufnahme in die Patientenverfügung, Kenntnis vom Testamentsinhalt.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.129 § 13

stands1, der sittlichen Rechtfertigung2 – dabei darf die Steuerersparnis3 bzw. finanzielle Absicherung beim Adoptivkind4 oder die Erlangung künftig von ihm zu erbringender Pflegeleistungen5, also der „Nutzen“ für den Adoptierenden oder den Anzunehmenden, allenfalls Neben-, nicht aber Hauptzweck sein –, und des Fehlens entgegenstehender überwiegender Interessen Dritter6 zwingend auszusprechende Adoptionsbeschluss war weder nach früherer (§ 56e S. 2, 3 FGG) noch ist er nach neuer Rechtslage (§ 197 Abs. 3 FamFG) anfechtbar, sofern nicht ausnahmsweise Nichtigkeit gegeben ist, oder aber z.B. die weiterhin beantragten starken Adoptionswirkungen abgelehnt wurden7. Die Volljährigenadoption führt8 weder (bei der Adoption durch einen ausländischen Staatsangehörigen) zum Verlust (§ 27 StAG) noch (bei der Adoption eines Ausländers) zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit (§ 6 StAG)9. Genuine Auslandsadoptionen können über das Umwandlungsverfahren nach dem Adoptionswirkungsgesetz und die Gleichstellungsverfügung nach Art. 22 Abs. 3 EGBGB auch im Inland erb- und erbschaftsteuerlich nutzbar gemacht werden10. Unterhaltsrechtlich werden die Beteiligten einander unterhaltspflichtig. Auch ggü. den leiblichen Eltern bleibt (außer bei der Adoption mit starken Wirkungen und der Minderjährigenadoption) das gegenseitige Unterhaltsverhältnis bestehen, wobei jedoch die Unterhaltspflicht der Adoptiveltern vorrangig ist (§ 1770 Abs. 3 BGB).

13.128

Erbrechtlich bleiben im Fall der (den von § 1772 BGB durchbrochenen gesetzlichen Regelfall darstellenden11) schwachen Volljährigenadoption die Verwandtschaftsverhältnisse zu den leiblichen Eltern bestehen, so dass sowohl die leiblichen als auch die Adoptiveltern Erben zweiter Ordnung sind. Die Kinder des Angenommenen werden dann zwar rechtlich Enkel des Annehmenden, eine Erstreckung auf andere Beteiligte tritt allerdings nicht mehr ein. Namensrechtlich erhält auch der mit schwachen Wirkungen adoptierte Volljährige den Familiennamen des Annehmenden als Geburts-

13.129

1 Zwölf Jahre genügen nicht, KG v. 27.3.2013 – 17 UF 42/13, FamRZ 2014, 225 = DNotZ 2013, 780; bei Stiefkindadoptionen sollen allerdings nach OLG Hamm v. 5.8.2013 – 8 UF 68/13, FamRZ 2014, 227 = RNotZ 2014, 236 im Einzelfall 13 Jahre und sieben Monate ausreichend sein. 2 Vgl. Becker, ZEV 2009, 25 ff. Ein gutes Verwandtschaftsverhältnis zur Adoptivtante genügt nicht, OLG Nürnberg v. 4.8.2014 – 9 UF 468/14, RNotZ 2015, 167, vgl. jedoch auch OLG Nürnberg v. 12.6.2015 – 10 UF 272/15, MittBayNot 2016, 42: bejahte Adoption zwischen Onkel und Nichte. Ein intaktes Verhältnis zu den leiblichen Eltern steht der Volljährigenadoption regelmäßig nicht entgegen, OLG München v. 10.2.2017 – 33 UF 1304/16, DNotZ 2017, 703 m. Anm. Leiß; a.A. zu Unrecht OLG Stuttgart v. 3.7.2014 – 11 UF 316/13, DNotZ 2015, 855 m. Anm. Leiß. Nach OLG Bremen v. 9.11.2016 – 4 UF 108/16, ZErb 2017, 18, ist eine Volljährigenadoption regelmäßig abzulehnen, wenn zu wenigstens einem leiblichen Elternteil eine funktionierende Eltern-Kind-Beziehung besteht und auch der Altersunterschied gegen die natürliche Generationenfolge spricht, es sei denn, der Annehmende ist der Lebensgefährte des leiblichen Elternteils. Auch zu einem ehemaligen Hausangestellten kann ein Eltern-Kindähnliches Verhältnis entstehen, OLG Braunschweig v. 15.3.2017 – 1 UF 139/16, ZEV 2017, 343. 3 OLG München v. 19.12.2008 – 31 Wx 49/08, FamRZ 2009, 1335 = MDR 2009, 333 = ZEV 2009, 83; OLG Hamm v. 29.6.2012 – II-2 UF 274/11, FamRZ 2013, 557 = EE 2012, 189; ausführlich (und krit.) zur „Nebenzweckthese“ in Bezug auf schenkungssteuerliche Motive Hölscher, ZErb 2012, 253 ff. 4 OLG München v. 8.6.2009 – 31 Wx 22/09, MDR 2009, 930 = FamRZ 2010, 46, ZEV 2009, 355. 5 OLG München v. 5.5.2009 – 31 Wx 17/09, FamRZ 2009, 1336, ZEV 2009, 354. 6 Z.B. auch Interessen des leiblichen, potenziell unterhaltsberechtigten Vaters, wenn eine Volljährigenadoption mit den starken Wirkungen der Minderjährigenadoption beantragt ist, OLG München v. 8.5.2009 – 31 Wx 147/08, FamRZ 2009, 1337 = ZEV 2009, 355. 7 OLG München v. 8.4.2010 – 31 Wx 30/10, MDR 2010, 996 = FamRZ 2010, 2088, ZErb 2010, 183. 8 Vgl. hierzu und zum folgenden Steiner, ErbStB 2008, 83 ff. 9 Vgl. BVerwG v. 21.11.2006 – 5 C 19.05, NJW 2007, 937. 10 Vgl. monografisch Hölscher, Die Adoption mit schwacher Wirkung in der erbrechtlichen Gestaltung, 2010. 11 OLG Düsseldorf v. 15.12.2011 – I-3 Wx 313/11, NotBZ 2012, 427.

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§ 13 Rz. 13.130

Nichteheliche Partner im Erbrecht

namen1 (§ 1757 BGB), wobei auf Antrag der bisherige Familienname vorangestellt oder angefügt werden kann.2 Ist das Adoptivkind verheiratet, kann es jedoch seinen bisherigen Ehenamen behalten, sofern sich der Ehegatte/Verpartnerte der Namensänderung nicht anschließt (§ 1757 Abs. 3 BGB);3 darüber hinaus ist möglicherweise verfassungsrechtlich die Beibehaltung des bisherigen Geburtsnamens auch aus sonstigen „schwerwiegenden Gründen“ möglich.4

13.130 Ist die Adoption vor dem Zeitpunkt der Steuerentstehung durch Zustellung des Beschlusses wirksam geworden (oder wird die Annahme nach dem Tod des Annehmenden mit Rückwirkung gem. § 1753 Abs. 2 BGB ausgesprochen)5, zählt das Adoptivkind gem. §§ 15 Abs. 1 Nr. 2, 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG zur Steuerklasse I und erhält den Freibetrag eines leiblichen Kindes. Die leiblichen Eltern bleiben – selbst bei der Volladoption (§ 15 Abs. 1a ErbStG) in Steuerklasse I, ebenso wie die Stiefeltern in den Genuss der Steuerklasse I kommen. Gleiches gilt im Verhältnis der Kinder des Adoptivkindes zu den Annehmenden (Enkelverhältnis, § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), auch im Verhältnis zu den Eltern der leiblichen Eltern und zwar auch bei der Volladoption (§ 15 Abs. 1a ErbStG).

13.131 Im Verhältnis zu sonstigen Verwandten (Onkel, Tanten etc.) gilt: Bei der Erwachsenenadoption mit starken Wirkungen entsteht auch insoweit ein Verwandtschaftsverhältnis, das steuerlich nachvollzogen wird – die steuerliche (nicht die zivilrechtliche!) Verwandtschaft zu den bisherigen leiblichen Verwandten bleibt jedoch auch bei der Adoption mit starken Wirkungen aufrechterhalten (§ 15 Abs. 1a ErbStG). Findet eine Volljährigenadoption mit schwachen Wirkungen statt, gewährt die Rechtsprechung im Verhältnis zu Geschwistern der Adoptiveltern ebenfalls die Steuerklasse II (§ 15 Abs. 1 Teil II Nr. 3 ErbStG)6, obwohl insoweit eine zivilrechtliche Verwandtschaft nicht entsteht.

III. Beschränkungen der Testierfreiheit 1. Bindung durch gesetzliche Erbrechte

13.132 Beratungssituation: Der Mandant ist verheiratet, hat Kinder aus erster Ehe und lebt mit seiner Lebenspartnerin zusammen., Eine Scheidung seiner Ehe ist nicht beabsichtigt. Er will ein Testament zugunsten seiner Partnerin errichten. Was muss er beachten?

13.133 In diesen Fällen bestehen gesetzliche Erbrechte der Kinder des nichtehelichen Partners gem. § 1924 Abs. 1 BGB und des Ehegatten gem. § 1931 Abs. 1 BGB, die anders als im Fall der Scheidung (§ 1933 BGB) nicht erlöschen. Bei gleichgeschlechtlichen Verbindungen, in denen keine Kinder vorhanden und auch nicht zu erwarten sind, bestehen gesetzliche Erbrechte der Eltern (§ 1925 Abs. 1 BGB) und gesetzliche Erbrechte des Lebenspartners (§ 10 Abs. 1 LPartG). Den Anfall der gesetzlichen Erbberechtigung kann der Partner dadurch umgehen, indem er zugunsten des nichtehelichen Partners testiert, da die gewillkürte Erbfolge die gesetzliche Erbfolge verdrängt (§ 1937 BGB)7. 1 Nach BGH v. 17.8.2011 – XII ZB 656/10, FamRZ 2011, 1718 m. Anm. Maurer = MDR 2011, 1233 = MittBayNot 2012, 49, tritt der „neue“ Geburtsname dann auch zwingend an die Stelle des bisherigen Geburtsnamens als „Beiname“ zum Ehenamen; allenfalls kann die Beifügung des Beinamens als solche gem. § 1355 Abs. 3 S. 4 BGB widerrufen werden. 2 LG Regensburg v. 5.8.2008 – 7 T 320/08, MittBayNot 2008, 481. Lediglich AG Leverkusen v. 16.4.2009 – 14 XVI 01/09, RNotZ 2009, 544, sowie AG Halberstadt v. 22.12.2011 – 8 F 661/10 AD, NotBZ 2012, 135 m. Anm. Kiupel gestatten praeter legem die Beibehaltung des Geburtsnamens bei Vorliegen „schwerwiegender Gründe“. 3 Vgl. Wartenburger, MittBayNot 2008, 504 f. 4 AG Leverkusen v. 16.4.2009 – 14 XVI 01/09, RNotZ 2009, 544. 5 Hierzu muss der Antrag zu Lebzeiten eingereicht oder der Notar unwiderruflich mit der sofortigen Einreichung beauftragt worden sein; es genügt also nicht die Anweisung zur Einreichung erst nach dem Tod des Annehmenden, OLG München v. 2.2.2010 – 31 Wx 157/09, NotBZ 2010, 231. 6 BFH v. 14.5.1986 – II R 37/84, FamRZ 1986, 1204 = BStBl. 1986 II, 613. 7 Palandt/Weidlich, § 1937 Rz. 7.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.136 § 13

Die Pflichtteilsansprüche der Kinder und des getrennt lebenden Ehegatten bleiben jedoch bestehen (§ 2303 Abs. 1, 2 BGB). Gleiches gilt für die Pflichtteilsansprüche der Eltern der kinderlosen Partner (§ 2303 Abs. 2 BGB) und Pflichtteilsansprüche gleichgeschlechtlicher Partner (§ 10 Abs. 6 LPartG).

13.133a

Kooperiert der Pflichtteilsberechtigte, kann er mit dem Erblasser einen notariell beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrag (§ 2346 Abs. 2 BGB) schließen, ggf. gegen Abfindung (kein Erbverzicht, da sich hierdurch die Erb- und damit mittelbar die Pflichtteilsquoten der anderen erhöhen, § 2310 S. 2 BGB!). Beim Pflichtteilsverzicht handelt es sich um einen abstrakten, keiner causa bedürfenden Verfügungsvertrag, sodass die „Entgeltlichkeit“ des Verzichts nicht Inhalt der Vereinbarung selbst ist. Die Verknüpfung zu einer „Gegenleistung“ kann sich jedoch auch aus einer etwa daneben bestehenden Verpflichtungsabrede ergeben, in der bspw. die dort vereinbarte Leistung einer Geldabfindung (schuldrechtlicher Zahlungsanspruch1) in ein synallagmatisches Verhältnis zur Abgabe und Aufrechterhaltung des Pflichtteilsverzichts gestellt wird. Unterbleibt demnach die später fällige Abfindungsleistung, kann der Verzichtende nach Setzung einer angemessenen Nachfrist von diesem Verpflichtungsvertrag zurücktreten (§ 323 BGB) mit der Folge, dass der Erblasser das Erlangte, die Verzichtswirkung, durch Aufhebungsvertrag (§ 2351 BGB) „rückzuerstatten“ hat (§ 346 BGB). Ist der Verzichtende bei einer solchen synallagmatischen Abrede jedoch nicht zur Vorleistung verpflichtet, kann er bereits die Abgabe des Verzichts vom Erhalt der Gegenleistung abhängig machen, § 320 BGB.

13.134

Noch unmittelbarer verknüpft mit einer erst künftig zu erbringenden Gegenleistung ist die Verzichtsverfügung jedoch dann, wenn sie ihrerseits durch den Erhalt der Abfindung bedingt (§ 158 BGB) ist. Hierbei stellen sich folgende Regelungsthemen:

13.135

– Dass ein Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht überhaupt unter Bedingungen erklärt werden kann, also nicht kraft seiner Natur bedingungsfeindlich ist, ergibt sich bereits aus § 2350 Abs. 1 BGB, wonach der Erbverzicht zugunsten eines anderen (sog. „relativer Verzicht“) im Zweifel dadurch als aufschiebend bedingt gilt, dass dieser andere gesetzlicher oder gewillkürter Erbe wird. – Damit ist jedoch noch nicht entschieden, ob auch Bedingungen oder Befristungen zulässig sind, die erst nach dem Erbfall eintreten. Beide Umstände wirken lediglich ex nunc (§ 159 BGB hat nur schuldrechtliche Wirkung), sodass im Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht feststeht, ob und wann die Verfügungswirkungen eintreten oder außer Kraft treten. Mit der Begründung, mit dem Erbfall seien eindeutige Verhältnisse zu fordern, sowie unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH, dass ein Vertrag i.S.d. § 2346 BGB nur bis zum Erbfall angenommen2 oder familiengerichtlich, bei Volljährigen betreuungsgerichtlich, genehmigt werden könne3, wird daher teilweise die Zulässigkeit solcher Bedingungen abgelehnt4. Anders als in der Entscheidung des BGH5 geht es jedoch vorliegend nicht um das wirksame Zustande- 13.136 kommen des Verzichts als solchen, sondern um die Frage des Zeitpunkts des Eintritts seines Effekts. Aufgrund der Verpflichtung der Beteiligten, sich schuldrechtlich so zu stellen, als wäre die Bedingung bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls eingetreten (§ 159 BGB), muss daher ein zunächst entstandener Pflichtteilsgeldanspruch erlassen werden (§ 397 BGB) bzw. ein bereits erfüllter Anspruch zurückgezahlt werden. Gleiches gilt für den späteren Eintritt einer auflösenden Bedingung. Sogar beim Erbverzicht sind die Folgen einer beim Erbfall noch schwebenden aufschiebenden oder auflösenden Bedingung lösbar durch sog. „konstruktive Nacherbfolge“, §§ 2104, 2105 BGB: Bis zum Eintritt der aufschiebenden Bedingung ist der Verzichtende Vorerbe und die an seine Stelle tretenden Personen

1 Verjährung gem. § 195 BGB, nicht nach erbrechtlicher Anknüpfung: OLG Celle v. 26.7.2007 – 6 U 12/07, ZEV 2008, 485. 2 BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 521. 3 BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. 4 Ausführlich Lange in FS für Nottarp, 1961, S. 123. 5 BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 521.

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§ 13 Rz. 13.137

Nichteheliche Partner im Erbrecht

sind Nacherben; bis zum Eintritt einer auflösenden Bedingung sind die Ersatzerben Vorerben und der Verzichtende seinerseits ist Nacherbe.1 Der Verzicht mit Abfindungsregelung kann etwa wie folgt formuliert werden (notarielle Beurkundung erforderlich):

13.137 M 107 Pflichtteilsverzicht mit Abfindung … (Verzichtender) verzichtet hiermit mit Wirkung für sich und seine (auch künftigen) Abkömmlinge auf das Pflichtteilsrecht am künftigen Nachlass des … (Erblasser), der diesen Verzicht entgegen- und annimmt. Den Beteiligten ist dabei Folgendes bewusst: Der Verzicht umfasst neben dem „ordentlichen Pflichtteilsanspruch“, der etwa als Folge einer Enterbung entsteht, auch Pflichtteilsergänzungsansprüche und Ausgleichspflichtteilsansprüche als Folge unentgeltlicher lebzeitiger Zuwendungen an Dritte, und zwar gleichgültig, ob diese Ansprüche sich gegen die Erben oder gegen den Beschenkten richten würden. Umfasst ist weiter der Verzicht auf den Pflichtteilsrestanspruch bei Erb- oder Vermächtniszuwendung unterhalb der „Pflichtteilsquote“ sowie die Möglichkeit, eine unter Beschränkungen oder Beschwerungen (z.B. Vor- und Nacherbfolge, Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnung, Vermächtnisbelastung etc.) erfolgte Erbeinsetzung von diesen Beschränkungen zu befreien oder aber auszuschlagen und anstelle dessen den unbelasteten Pflichtteil in Geld zu verlangen (§ 2306 BGB). Die gesetzliche Erbfolge bleibt jedoch durch diesen Pflichtteilsverzicht unberührt. Will also der Erblasser diese verändern, bedarf es eines Testaments oder Erbvertrags. Auch soweit der Verzichtende und/oder dessen Abkömmlinge jetzt oder künftig durch Testament oder Erbvertrag bedacht sind oder werden, hat der Pflichtteilsverzicht keine über § 2306 BGB hinausgehende Auswirkungen. Der Verzichtende hat also hinzunehmen, ob und in welchem Umfang er durch den Erblasser bedacht wird, sofern nicht zwischen beiden eine Bindung aufgrund eines Erbvertrags besteht. Der Erblasser verpflichtet sich, an den Verzichtenden als Abfindung für die vorstehend erfolgte Abgabe des [gegebenenfalls: gegenständlich beschränkten] Verzichts einen Betrag in Höhe von … Euro zu entrichten, fällig am … und bis zu diesem Zeitpunkt zinsfrei gestundet. [Ggf. bei Befristung über länger als ein Jahr: Den Beteiligten ist bekannt, dass aufgrund dieser zinslosen Befristung über länger als ein Jahr der Abfindungsbetrag einkommensteuerlich zerlegt wird in eine Kapitalsumme und (fiktive, in Höhe von 5,5 % jährlich angenommene), beim Empfänger steuerpflichtige Zinsen]. Auf Wertsicherung (also Anpassung dieses Betrags an die Geldentwertung) und dingliche Sicherung (durch Bestellung eines Pfandrechts oder eines Grundpfandrechts) wird verzichtet. Der Erblasser unterwirft sich wegen dieser Zahlungsverpflichtung der Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in sein Vermögen mit der Maßgabe, dass vollstreckbare Ausfertigung auf Antrag ab Fälligkeitstermin ohne weitere Nachweise erteilt werden kann. Der Anspruch auf die Abfindungsleistung ist abtretbar und vererblich. Der eingangs geschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag ist aufschiebend bedingt. Aufschiebende Bedingung ist die Erfüllung der vorstehend eingegangenen Verpflichtung zur Abfindungsleistung in Haupt- und Nebensache, also einschließlich etwaiger Verzugszinsen ab Fälligkeitstermin in gesetzlicher Höhe (fünf Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszins), oder aber die Erteilung einer schriftlichen Bestätigung des Verzichtenden bzw. seiner Rechtsnachfolger, die jeweils geschuldete Leistung vollständig erhalten zu haben. Die Bedingung ist ausgefallen, wenn die geschuldete Leistung in Haupt- und Nebensache trotz einer nach Eintritt der Fälligkeit schriftlich zu setzenden Nachfrist von mindestens zwei Monaten nicht vollständig erbracht wurde. Der Eintritt der Bedingung ist nicht auf den Tod des Erblassers endbefristet; bis zum Eintritt der Bedingung wird die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs hiermit erbvertraglich verlängert (§§ 2301, 202 Abs. 2 BGB). Teilleistungen sind aufgrund hiermit getroffener und hingenommener Anordnung auf den noch fortbestehenden Pflichtteilsanspruch des Verzichtenden anzurechnen, § 2315 BGB.

1 Vgl. ausf. hierzu J. Mayer, MittBayNot 1985, 101, und MittBayNot 1997, 85 ff. (mit dem Vorschlag, vorsichtshalber einen weiteren, lediglich schuldrechtlichen Verzicht auf die künftigen Pflichtteilsansprüche beizufügen).

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.143 § 13

2. Bindung durch letztwillige Verfügung aus früheren Verbindungen Der Grundsatz der Testierfreiheit ist eingeschränkt durch frühere Verfügungen von Todes wegen, wenn diese nicht widerrufen werden können und noch über den Tod hinaus Bindungswirkung entfalten. Einzeltestamente, seien es privatschriftliche oder notarielle, sind grundsätzlich frei widerruflich, auch nach dem Tod des im Testament Bedachten (§§ 2253, 2255, 2256, 2258 BGB).

13.138

Gemeinschaftliche Testamente können zu Lebzeiten des Ehepartners durch notarielle Erklärung gegenüber dem anderen Ehepartner widerrufen werden (§ 2271 BGB). Dem anderen Ehepartner muss eine Ausfertigung (nicht lediglich beglaubigte Abschrift) der Widerrufsurkunde zugehen, die Zustellung sollte zur Beweiserleichterung durch den Gerichtsvollzieher erfolgen (§ 132 BGB).

13.139

Erbverträge können zu Lebzeiten des anderen Vertragspartners, sofern dort der Rücktritt vorbehalten 13.140 blieb, oder bei Vorliegen der gesetzlichen Rücktrittsmöglichkeiten gem. §§ 2294, 2295 BGB durch Rücktritt ebenfalls in notarieller Erklärung, der dem anderen Vertragspartner gegenüber zu erfolgen hat, aufgehoben werden. Beim Erbvertrag steht, sofern auf das Selbstanfechtungsrecht im Vertrag nicht verzichtet wurde, außerdem die Anfechtung in den Grenzen des § 2282 BGB zur Verfügung. Ist der andere Ehepartner jedoch verstorben, entfällt beim gemeinschaftlichen Testament und beim Erbvertrag die einseitige Aufhebungsmöglichkeit, zumindest dann, wenn die Erbschaft angenommen wurde. Der Überlebende kann sich von der Bindungswirkung beim gemeinschaftlichen Testament und beim Ehevertrag von wechselbezüglichen Verfügungen nur durch Ausschlagung befreien (§§ 2271 Abs. 2 S. 1, 2298 Abs. 2 S. 3 BGB). Die Ausschlagung muss immer innerhalb der Frist des § 1944 BGB erfolgen, also innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis vom Anfall der Erbschaft oder bei der Berufung aufgrund letztwilliger Verfügung sechs Wochen nach Eröffnung der Verfügung durch das Nachlassgericht, lediglich bei Auslandsaufenthalt im Erbfall verlängert sich die Frist auf sechs Monate. Die Versäumung der Ausschlagungsfrist ist in den Grenzen des §§ 1956, 1954 BGB anfechtbar.

13.141

Wird die Erbschaft nach dem Zuerstversterbenden nicht ausgeschlagen, bleibt der Überlebende beim gemeinschaftlichen Testament und beim Erbvertrag an die wechselbezüglichen Verfügungen gebunden. Wechselbezüglich sind die Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre (§ 2270 Abs. 1 BGB). Wechselbezügliche Verfügungen in einem Ehegattentestament liegen nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB vor, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Wird ein Verwandter nur eines Ehepartners als Schlusserbe eingesetzt, so spricht dieser Umstand nach der Lebenserfahrung für eine Wechselbezüglichkeit der Verfügung1, was für eine Schlusserbeneinsetzung von gemeinschaftlichen Kindern beider Ehegatten nicht gilt2. Beim Erbvertrag fehlt es, wenn dieser nicht von Ehegatten geschlossen wurde, an einer dem § 2270 Abs. 2 BGB entsprechenden Auslegungsregel, so dass Wechselbezüglichkeit und damit Bindungswirkung auch dann anzunehmen ist, wenn ein Dritter nicht mit den Ehepartnern Verwandter zum Schlusserben eingesetzt worden ist3.

13.142

Will der Partner, der an die Schlusserbeneinsetzung gebunden ist, zugunsten des nichtehelichen Partners testieren, steht ihm zur Befreiung von der Bindungswirkung gegenüber dem Schlusserben nur der Zuwendungsverzichtsvertrag zur Verfügung (§ 2352 BGB). Nach § 2352 BGB kann der durch das Testament oder Erbvertrag eingesetzte Erbe oder Vermächtnisnehmer durch Vertrag mit dem Erblasser auf die Zuwendung verzichten. Dieser Zuwendungsverzichtsvertrag bedarf der notariellen Beurkundung (§§ 2352 S. 2, 2348 BGB). Er bewirkt zwar nicht die Aufhebung der letztwil-

13.143

1 OLG Frankfurt v. 9.4.1996 – 20 W 265/95, FamRZ 1996, 1039. 2 BayObLG v. 4.3.1996 – 1Z BR 160/95, FamRZ 1996, 1040. 3 BayObLG v. 10.4.1991 – BReg.1a Z 60/90, FamRZ 1991, 1232 m. Anm. Hohloch; BGH v. 14.3.1991 – I ZR 55/89, MDR 1991, 956 = JuS 1992, 77.

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§ 13 Rz. 13.144

Nichteheliche Partner im Erbrecht

ligen Verfügung, sondern verhindert nur den Anfall der Zuwendung an den Verzichtenden, wie wenn dieser den Anfall der Erbschaft nicht erlebt hätte1.

13.144 Während sich der Erbverzicht im Hinblick auf das gesetzliche Erbrecht nach § 2349 BGB auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, wirkte der Erbverzicht auf das Erbrecht aufgrund letztwilliger Verfügung bei Sterbefällen bis zum 31.12.2009 nur für den Verzichtenden2. Nach der Auslegungsregelung des § 2069 BGB werden beim Verzicht des Testamentserben dessen Abkömmlinge berufen. Diese Auslegungsregelung ist jedoch dann nicht heranzuziehen, wenn ein gegenteiliger Wille des Erblassers erkennbar ist, was regelmäßig dann angenommen wird, wenn der Verzichtende vollständig abge-funden wird3. Für Sterbefälle ab dem 1.1.2010 sorgt die erweiterte Verweisung des § 2352 BGB auch auf § 2349 BGB dafür, dass sich der Zuwendungsverzicht ohnehin im Zweifel auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt. Sofern der Zuwendungsverzicht, wie es häufig der Fall ist, mit Abfindungszahlung verbunden ist, können diese wie beim Pflichtteilsverzichtsvertrag i. S. einer auflösenden Bedingung verbunden sein. Es könnte wie folgt formuliert werden (notarielle Beurkundung erforderlich):

13.145 M 108 Zuwendungsverzicht gegen Abfindungszahlung 1. Ich… (Sohn) verzichte auf mein gesetzliches Erbrecht und mein Erbrecht aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments meiner Eltern vom 1.1.1995 für mich und meine Abkömmlinge nach meinem Vater. 2. Ich… (Vater) verpflichte mich, meinem Sohn als Abfindung für den von ihm erklärten Verzicht den Betrag von 150.000 Euro bis zum Ablauf von sechs Wochen ab heute zu zahlen. 3. Der Verzicht ist nur wirksam, wenn der Abfindungsbetrag von 150.000 Euro beim Verzichtenden eingegangen ist. Alternativlösung zu 3: 3. Von meinem Vater habe ich zum Bau meines Einfamilienhauses im Jahr 1997 bereits einen Betrag von 150.000 Euro erhalten. Wir sind uns darüber einig, dass diese Zahlung als Abfindung für den heute hier erklärten Verzicht im Voraus geleistet worden ist.

3. „Erbentzug“ wegen nichtehelichen Zusammenlebens?

13.146 Als Ausfluss der Testierfreiheit kann der Erblasser einen gesetzlichen Erben durch Verfügung von Todes wegen (§ 1938 BGB) von der Erbfolge ausschließen. War das Motiv für die Enterbung bspw. der Umstand, dass das enterbte Kind in „wilder Ehe“ lebte, und hat der Betroffene später geheiratet, kommt eine Anfechtung wegen Motivirrtums, § 2078 Abs. 2 BGB, in Betracht, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser bei Kenntnis der wahren Sachlage die Enterbung nicht getroffen hätte. Entscheidend dabei ist allein, dass der Irrtum kausal war, nicht ob er vermeidbar, unvernünftig, nachvollziehbar o. ä. war oder nicht. Gleiches kann gelten, wenn der Erblasser im Testament zwei Personen bedenkt, in der (irrigen) Annahme, diese seien verheiratet, jedoch zu erkennen gibt, dass er das Zusammenleben „ohne Trauschein“ missbilligt.4

1 Staudinger/Schotten, § 2352 Rz. 27. 2 OLG Stuttgart v. 9.12.1957 – 8 W 329/57, NJW 1958, 347; OLG Stuttgart v. 27.10.1981 – 8 W 507/80, OLGZ 1982, 272; BayObLG v. 4.12.1986 – BReg. 1Z 30/86, Rpfleger 1987, 374. 3 Palandt/Weidlich, § 2352 BGB Rz. 6 m.w.N.; BGH v. 24.10.1973 – IV ZR 3/72, NJW 1974, 43; OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. 4 BayObLG v. 27.10.1983 – BReg. 1Z 35/83, FamRZ 1984, 422.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.150 § 13

Davon zu trennen ist die Frage der Anfechtungsmöglichkeit des Erbschaftserwerbs aufgrund „Unwürdigkeit“ des Erben, § 2339 Abs. 1 BGB. Jedenfalls nach der älteren Rechtsprechung kann solche Unwürdigkeit auch im Verschweigen einer anderweitigen intimen Beziehung liegen, es sei denn, es handelte sich um einen zurückliegenden Fehltritt, oder die schonungslose Offenlegung gegenüber dem Erblasser hätte dessen Gesundheitszustand gefährdet bzw. unterblieb mit Rücksicht auf das Wohl der Kinder.1 Die Erbunwürdigkeit ergibt sich in diesem Zusammenhang nicht aus dem „Nebenverhältnis“ als solchem, sondern aus der Unaufrichtigkeit gegenüber dem Erblasser, trotz Kenntnis der letztwilligen Verfügung, also im Verstoß gegen den Grundsatz „Wer Vertrauen erwartet, schuldet Offenheit“. Das bloße Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft stellt jedoch – jedenfalls nach der gewandelten gesellschaftlichen Auffassung – keinen Grund dar, den Pflichtteil wegen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels i.S.d. § 2333 Nr. 5 BGB zu entziehen.2

13.147

Letztwillige Verfügungen enthalten häufig „Wiederverheiratungsklauseln“, die den gemeinsamen Kindern oder sonstigen Schlusserben das Nachlassvermögen möglichst ungeschmälert auch für den Fall der Wiederverheiratung bzw. Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft erhalten sollen. Da solche Klauseln regelmäßig auf die Entstehung neuer Erb- bzw. Pflichtteilsansprüche des hinzutretenden Ehegatten/eingetragenen Lebenspartners abstellen und nicht den Eintritt weiterer fester sozialer Bindungen inkriminieren wollen, kommt eine erweiternde Auslegung für den Fall der Aufnahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht in Betracht, es sei denn, die Klausel zielt erkennbar darauf ab, auch Ansprüche möglicher Kinder aus der neuen Beziehung, auch ohne Trauschein, zu vermeiden.

13.148

Häufiger finden sich jedoch auflösende Bedingungen bspw. in Wohnungsrechtsvermächtnissen für den Fall, dass dauerhaft eine weitere Person (etwa der künftige Lebensgefährte – Abbedingung des § 1093 Abs. 2 BGB3 –, nicht jedoch Hauspersonal oder Pflegekräfte) in die Wohnung aufgenommen wird. Zur Konkretisierung des Tatbestands, der die auflösende Bedingung bildet, empfiehlt es sich, auf Normen abzustellen, die in der Rechtsprechung bereits eine hinreichende Konkretisierung erfahren haben, etwa i.S.d. § 20 SGB XII oder gem. § 6 Abs. 3 S. 2 BErzGG.

13.149

IV. Lebzeitige Zuwendungen nichtehelicher Partner In der Praxis durchaus häufig sind Fälle, in denen nichteheliche oder lebenspartnerschaftsähnliche Lebensgefährten gemeinsam Investitionen im Eigentum nur eines Beteiligten schaffen, z.B. die Errichtung eines Eigenheims auf Grundbesitz eines Partners (etwa auf dem von dessen Eltern überlassenen Bauplatz). Aufwendungen finanzieller Natur, die nicht für den Konsum oder die gemeinsame Lebensführung bestimmt sind, sondern zu einer dauerhaften Bereicherung des Partners führen, werden regelmäßig nicht als dauerhafte Schenkung gewollt sein, weder im zivilrechtlichen noch schenkungssteuerlichen Sinn (Freibetrag in Steuerklasse III gem. § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG lediglich 20.000 Euro [nach altem Recht gar nur 5.200 Euro], Mindeststeuersatz für den übersteigenden Betrag 30 [nach altem Recht: 17] bis max. 50 %!), vgl. Rz. 13.184 ff. Laufende Unterstützungsleistungen an einen Lebensgefährten, v. a. soweit dadurch Sozialleistungen vermieden werden, sind einkommensteuerlich als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig4.

1 Vgl. im einzelnen Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. 2006, S. 334 f. 2 H.M., vgl. Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2003, Rz. 42. 3 Auch der nichteheliche Lebensgefährte zählt zur Familie i.S.d. § 1093 Abs. 2 BGB, BGH v. 7.5.1982 – V ZR 58/81, MDR 1982, 743 = FamRZ 1982, 774 = NJW 1982, 1868. 4 BFH v. 29.5.2008 – III R 23/07, FamRZ 2008, 2026, und zwar ohne Limitierung auf eine „Opfergrenze“.

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13.150

§ 13 Rz. 13.151

Nichteheliche Partner im Erbrecht

1. Zivilrichterliche Rückabwicklung

13.151 Die Rechtsprechung betont zunächst die rein tatsächliche und damit endgültige Natur von Zuwendungen – laufender oder einmaliger Art1 – während intakter Beziehung. So sei es fernliegend, in der Einräumung der Mitnutzung der im Alleineigentum eines Partners stehenden Wohnung einen „Leihvertrag“ zu sehen; vielmehr beruhe sie i.d.R. auf faktischer, also jederzeit beendbarer Grundlage2 (sog. Abwicklungs-, Abrechnungs- und Verrechnungsverbot)3. Haben die Lebensgefährten hinsichtlich der Tragung der gemeinschaftlichen Kosten (Miete einer gemeinsamen Wohnung) Absprachen getroffen, stehen diese demgemäß (als „anderweitige Bestimmung“ i.S.d. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB) einem Ausgleichsanspruch entgegen.4 Gleiches gilt, wenn die Lebensgefährten auf andere Weise einen Ausgleich für getätigte Investitionen schaffen, etwa durch Einräumung eines dinglichen Wohnungsrechtes5.

13.152 Schlichte Schenkungen liegen (ebenso wenig wie unter Ehegatten) typischerweise nicht vor; der Sachverhalt ist vergleichbar den sog. „ehebedingten Zuwendungen“: Hier wie dort dienen die Zuwendungen der Verwirklichung der Lebensgemeinschaft aufgrund der bestehenden persönlichen Beziehungen und Bindungen, führen jedoch regelmäßig nicht zu einer den Empfänger einseitig begünstigenden und frei disponiblen Bereicherung, sondern sollen der Lebensgemeinschaft und damit auch dem „Schenker“ selbst zugutekommen.6

13.153 Im Einzelfall kann jedoch eine „Rückabwicklung“ von Zuwendungen nach Beendigung des nichtehelichen Zusammenlebens insbesondere auf folgenden Grundlagen beruhen: a) Innengesellschaft

13.154 Werden keine vertraglichen Regelungen getroffen wurden, gewähren die Gerichte7 teilweise auch einen Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung der §§ 730 ff. BGB, sofern durch nicht nur unerhebliche Beiträge des „weichenden“ Beteiligten eine über die Verwirklichung der Lebensgemeinschaft hinausgehende gemeinsame Wertschöpfung als Gesellschaftszweck festgestellt werden kann. Klare Kriterien fehlen, so dass eine Prognose für den Einzelfall nur schwer getroffen werden kann8. 1 Selbst in nennenswerter Höhe: 40.000 Euro, allerdings nach 17-jährigem Zusammenleben, davon vier Jahre in Pflege: BGH v. 31.10.2007 – XII ZR 261/04, MDR 2008, 147 = FamRZ 2008, 247 = ErbStB 2008, 230. 2 BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, MDR 2008, 1162 = ZNotP 2008, 325. 3 Den inneren Bindungen entsprechen bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft keine Pflichten i.S.d. § 1353 BGB, die im Trennungsfall hinsichtlich der Wohnung sich gem. § 1361b BGB auswirken können. 4 Auch, wenn die erfassten Zahlungspflichten aus der Zeit vor der Trennung erst danach erfüllt worden sind, vgl. BGH v. 3.2.2010 – XII ZR 53/08, MDR 2010, 575 = FamRZ 2010, 542 m. Anm. Wellenhofer = DNotZ 2010, 864. 5 OLG Naumburg v. 2.1.2012 – 8 W 7/11, NotBZ 2012, 479. 6 Vgl. BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, FamRZ 2008, 1822, 1824; Bruch, MittBayNot 2009, 142. Allerdings kann die behauptete Zweckabrede nach BGH v. 6.7.2011 – XII ZR 190/08, FamRZ 2011, 1563 m. Anm. Grziwotz = MDR 2011, 1109 = ZEV 2012, 47 nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, die Möglichkeit des Scheiterns einer Beziehung könne nie ausgeschlossen werden. 7 BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, MDR 2006, 997 = FamRZ 2006, 607 m. zust. Anm. Hoppenz, S. 610 und krit. Anm. Volmer, S. 844 fordert jedoch einen zumindest schlüssig zustande gekommenen Vertrag (in Abweichung von BGH v. 24.3.1980 – II ZR 191/79, MDR 1980, 736 = FamRZ 1980, 664 = NJW 1980, 1520); vgl. zum Ganzen auch Schlünder/Geißler, ZEV 2007, 64. 8 Ein Ersatz wurde bspw. abgelehnt von BGH v. 1.4.1965 – II ZR 182/62, FamRZ 1965, 368 (Errichtung eines Wohnhauses in gemeinsamer Arbeit), BGH v. 24.3.1980 – II ZR 191/79, BGHZ 77, 55 = MDR 1980, 736 = FamRZ 1980, 664 (Kaufpreiszahlung); BGH v. 23.2.1981 – II ZR 124/80, MDR 1981, 733 = FamRZ 1981, 530 = NJW 1981, 1502 (Ratenzahlung zur Finanzierung eines Pkw); BGH v. 20.1.1983 – II ZR 91/82, MDR 1983, 648 = FamRZ 1983, 349 = NJW 1983, 1055 (Zahlung von Handwerkerrechnungen); BGH v. 3.10.1983 – II ZR 133/82, FamRZ 1983, 1213 (Hausumbau); BGH v. 8.7.1996 – II ZR 340/95,

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Rz. 13.155 § 13

Aus Planung, Umfang und Dauer der Zusammenarbeit sollen sich jedoch Indizien für eine schlüssig zustande gekommene „Lebenspartner-Innengesellschaft“ ergeben können1. Dies gilt auch für Arbeitsleistungen, die zu einer messbaren (mindestens 5%igen)2 Vermögensmehrung geführt haben, das bloße Leisten von unbezahlten Überstunden genügt nicht3. Erforderlich ist stets die Absicht, einen „gemeinschaftlichen Wert“ zu schaffen, der nicht nur für die Dauer der Lebensgemeinschaft gemeinsam genutzt werden, sondern beiden auch wirtschaftlich dauerhaft zugutekommen sollte4. Dies ist in erster Linie denkbar bei Vermögenswerten, die zur Einkünfteerzielung dienen (Mietobjekte, Unternehmen, Freiberuflerpraxen), während das Familienwohnhaus eher als Teil der Verwirklichung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als solchen gesehen werden wird5. Endet die Lebensgemeinschaft durch den Tod des Zuwendenden, sind allerdings Rückforderungsansprüche6 der Erben (ähnlich der Auflösung eines Verlöbnisses durch Tod: § 1301 Abs. 2 BGB) regelmäßig ausgeschlossen7 (vgl. auch Rz. 13.159); die Erben sind lediglich durch §§ 2325, 2329 BGB geschützt. In keinem Fall ist jedoch ein solcher Ausgleichsanspruch auf Zahlung i.H.d. tatsächlich erbrachten Aufwendungen gerichtet, sondern auf Ausgleich des geschaffenen Mehrwerts, soweit er nach dem Verhältnis der wechselseitigen Beiträge auf den ausscheidenden Partner entfällt. Zugrunde zu legen ist also anders als bei Auflösung einer Ehe in Zugewinngemeinschaft nicht der Halbteilungsgrundsatz für die während des Zusammenlebens geschaffenen Werte. In entsprechender Weise haben Gerichte in allerdings nicht einheitlicher Rechtsprechung8 bei Aufnahme gemeinsamer Kreditverbindlichkeiten dem „scheidenden Partner“ einen Anspruch auf Freistellung gegen den „begünstigten Partner“ zuerkannt, wenn die Kreditaufnahme allein im Interesse des Letzteren erfolgte, also nicht zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele der Lebensgemeinschaft (Möbel, Pkw etc.) diente.

1 2 3 4 5 6 7 8

FamRZ 1996, 1141 = MDR 1996, 1035 = DNotZ 1997, 404 (Zuwendung einer Lebensversicherung); OLG München v. 28.7.1987 – 5 U 2074/87, FamRZ 1988, 58 (Renovierung einer Werkstatt); OLG Köln v. 7.11.1994 – 16 U 58/94, NJW-RR 1996, 518 (Geldbetrag für Geschäftsschulden); OLG Hamm v. 16.1.2001 – 29 U 54/00, FamRZ 2002, 159 (Aufwendungen für Wohnung im Haus der „Schwiegereltern“). Bejaht wurde der Aufwendungsersatz von BGH v. 24.6.1985 – II ZR 255/84, FamRZ 1985, 1232 = NJW 1986, 51 (Bebauung mit zwei Drei-Familien-Häusern als Renditeobjekt); OLG Köln v. 22.7.1992 – 11 U 50/92“ FamRZ 1993, 432 (Bau eines Doppelhauses in Eigenleistung); OLG Frankfurt v. 26.5.1999 – 19 U 98/98, ZEV 1999, 404 (Mitfinanzierung des Hauses); OLG Schleswig v. 20.7.2001 – 14 U 187/00, MittBayNot 2003, 54; in ähnlicher Weise bejaht OLG Schleswig v. 17.11.2015 – 3 U 20/15, NWB 2016, 167, eine stillschweigende „gemeinschaftliche Berechtigung“ beider Lebensgefährten am Festgeldkonto des (verstorbenen) Partners, das der Modernisierung einer gemeinsamen Eigentumswohnung dienen sollte. BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, FamRZ 2006, 607 (609); vgl. eingehend Schulz, FamRZ 2007, 595 ff. So OLG Schleswig v. 20.7.2001 – 14 U 187/00, MittBayNot 2003, 54. OLG Brandenburg v. 10.12.2014 – 10 WF 63/14, RNotZ 2015, 434. BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, FamRZ 2008, 1822, und BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, FamRZ 2008, 1828 m. Anm. Grziwotz. Löhnig, DNotZ 2009, 59, 60. Auch hierfür gilt der Erbschaftsgerichtsstand der §§ 27, 28 ZPO: OLG Naumburg v. 27.11.2013 – 1 AR 25/13, FamRZ 2014, 955 = MDR 2014, 410 = ZEV 2014, 170. BGH v. 31.10.2007 – XII ZR 261/06, FamRZ 2008, 247 m. Anm. Grziwotz. Vgl. etwa BGH v. 20.1.1983 – II ZR 91/82, MDR 1983, 648 = FamRZ 1983, 349 = NJW 1983, 1055; OLG Hamm v. 19.10.1999 – 29 U 7/99, FamRZ 2001, 95, OLG Karlsruhe v. 11.2.1993 – 11 U 20/92, FamRZ 1994, 377. Der Freistellungsanspruch bezieht sich allerdings nur auf den Schuldsaldo bei Trennung.

Krauß 519

13.155

§ 13 Rz. 13.156

Nichteheliche Partner im Erbrecht

b) Bereicherungsrecht

13.156 In Abkehr von der Rechtsprechung des II. Zivilsenats1 hat der nunmehr zuständige XII. (Familienrechts-)Senat des BGH mit Entscheidungen v. 9.7.20082 und 18.2.20093 ausgeführt, dass – sofern keine vorrangigen vertraglichen bzw. quasi vertraglichen Regelungen zur Innengesellschaft feststellbar sind (etwa wegen Fehlens eines über die Lebensgemeinschaft hinausgehenden Zwecks) – eine zumindest teilweise Rückabwicklung auch nach bereicherungsrechtlichen Vorschriften, gestützt auf eine Zweckverfehlung i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB, in Betracht kommt. Erforderlich ist dann jedoch eine konkrete Zweckabrede, wie sie etwa vorliegen kann, wenn die Partner zwar keinen gemeinsamen Vermögenswert schaffen wollten (wie es für die Innengesellschaft erforderlich wäre), der eine aber das Vermögen des anderen in der Erwartung vermehrt habe, an dem geschaffenen Gegenstand langfristig partizipieren zu können. Dies wird die Ausnahme bleiben4; eine über die Ausgestaltung des nichtehelichen Zusammenlebens hinausgehende Zweckbestimmung kommt ohnehin nur bei solchen Leistungen in Betracht, die deutlich über das hinausgehen, was die Gemeinschaft Tag für Tag benötigt5. c) Wegfall der Geschäftsgrundlage

13.157 Im Einzelfall können schließlich auch unter Lebensgefährten „unbenannte“, sog. „gemeinschaftsbezogene Zuwendungen“6 vorliegen, die wohl nicht der Form des § 518 Abs. 1 BGB unterliegen7. Sie können bei lebzeitigem Scheitern der Lebensgemeinschaft nach § 313 BGB anzupassen sein8 – allerdings auch im Fall der direkten Zuwendung eines Grundstücks selten durch dingliche Rückgewähr, sondern durch finanziellen Ausgleich9. Der BGH10 bejaht (wiederum in Abkehr von der früheren Rechtsprechung) solche Ansprüche, soweit der gemeinschaftsbezogenen Zuwendung, die über alltägliche Beiträge hinaus gehen muss11, die Vorstellung und Erwartung zugrunde lag, die Lebensgemeinschaft, deren Ausgestaltung sie diente, werde Bestand haben (diese Vorstellung muss sich nicht zu einer 1 Etwa BGH v. 6.10.2003 – II ZR 63/02, FamRZ 2004, 94, sowie BGH v. 8.7.1996 – II ZR 193/95, NJWRR 1996, 1473. 2 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, FamRZ 2008, 1822, sowie BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, FamRZ 2008, 1828, m. Anm. Grziwotz. 3 BGH v. 18.2.2009 – XII ZR 163/07, FamRZ 2009, 849 = MDR 2009, 693 = ZNotP 2009, 199. 4 Bruch, MittBayNot 2009, 142; Langenfeld, ZEV 2008, 494. Allerdings kann die behauptete Zweckabrede nach BGH v. 6.7.2011 – XII ZR 190/08, NotBZ 2011, 390 m. Anm. Krause nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, die Möglichkeit des Scheiterns einer Beziehung könne nie ausgeschlossen werden. 5 BGH v. 18.2.2009 – XII ZR 163/07, FamRZ 2009, 849 = MDR 2009, 693 = ZNotP 2009, 199; beweispflichtig ist der Bereicherungsgläubiger. 6 Bei Arbeitsleistungen spricht BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, MDR 2008, 1275 = FamRZ 2008, 1822 = DNotZ 2009, 52 m. Anm. Löhnig, von einem „Kooperationsvertrag“. 7 Die Frage stellt sich wegen § 518 Abs. 2 BGB praktisch nur bei der Zusage freiwilliger Unterhaltszahlungen; entgegen BGH v. 7.12.1983 – IVa ZR 160/82, MDR 1984, 472 = FamRZ 1984, 141 = NJW 1984, 797 (Anstandsschenkung gem. § 534 BGB) tendiert die neuere Rspr. (OLG Köln v. 22.11.2000 – 11 U 84/00, MDR 2001, 756 = FamRZ 2001, 1608) insoweit zur Formfreiheit, ebenso Wever, FamRZ 2008, 1485 (1491) (Fn. 78) für die ehebedingte Zuwendung. Auch § 1585c S. 2 BGB wird nicht analog gelten. Die Schriftform des § 761 BGB (Leibrentenversprechen) ist jedenfalls mit Leistungserbringung ebenfalls geheilt (BGH v. 17.3.1978 – V ZR 217/75, NJW 1978, 1577). 8 So etwa OLG Naumburg v. 14.2.2006 – 8 W 4/06, NJW 2006, 2418; OLG Düsseldorf v. 31.1.1997 – 7 U 59/96, NJW-RR 1997, 1497; vgl. Schulz, FamRZ 2007, 598 ff. 9 Vgl. Haußleiter/Schulz, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung, Kap. 6 Rz. 122. 10 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, MDR 2008, 1275 = FamRZ 2008, 1822 = MittBayNot 2009, 137 m. Anm. Bruch, sowie BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, FamRZ 2008, 1828 m. Anm. Grziwotz; ihm folgend KG v. 8.10.2009 – 8 U 196/07, NJW-RR 2010, 295. 11 Auch in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist davon auszugehen, dass solche, sich rasch verflüchtigenden Beiträge endgültig unentgeltlich zugewendet sind.

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Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.159 § 13

Zweckabrede i.S.d. Bereicherungsrechts – vgl. oben Rz. 13.156 – verdichtet haben). Solche Ansprüche können sogar bestehen, wenn die Partner Miteigentümer einer Immobilie je zur Hälfte sind, der eine aber erheblich höhere Beiträge hierzu geleistet hat, als der andere1. Häufig ist ferner die Zuwendung eines Vermögenswertes, die der Absicherung des anderen Partners für den Fall dienen soll, dass der Zuwendende während des Bestandes der Lebensgemeinschaft verstirbt2. Ein korrigierender Eingriff sei allerdings nur gerechtfertigt, wenn dem Leistenden die Beibehaltung der geschaffenen Vermögensverhältnisse nach Treu und Glauben nicht zumutbar sei, insbesondere wenn die Vermögensmehrung beim Anderen noch dauerhaft vorhanden ist3. Der Zinsanteil aus der Bedienung eines Darlehens spiegelt allerdings die laufenden Wohnkosten im gemeinsamen Zusammenleben wider, ist also nicht auszugleichen4, jedenfalls nicht, wenn die Leistungen nicht deutlich über die Miete hinausgehen, die für vergleichbaren Wohnraum aufzuwenden wäre5. Es liegt nahe, im Ergebnis auf die Maßstäbe zurückzugreifen, die für den Ausgleich von Zuwendungen unter Ehegatten im Güterstand der Gütertrennung gelten. Die „faktische Lebensgemeinschaft“ hat sich damit im Fall gemeinsamer Investitionen6 zwischenzeitlich zu einer „Zusammenlebens-Rechtsgemeinschaft“ fortentwickelt7, ohne dass diesem „Binnenrecht der Solidargemeinschaft“ ein entsprechender Schutz nach außen korrespondiert (etwa hinsichtlich Haushaltsführungsschäden aus Delikt)8.

13.158

Anders verhält es sich nach h.M., wenn die nichteheliche Lebensgemeinschaft durch den Tod eines 13.159 Partners beendet wird, und zwar sowohl beim Tod des „spendablen Partners“9 als auch beim Tod des „Zuwendungsempfängers“10: i.d.R. wollen die Beteiligten dann gerade nicht, dass in der Person ihrer Erben Ausgleichsansprüche gegen den anderen entstehen11. Die Geschäftsgrundlage ist dadurch nicht entfallen; auch eine Zweckverfehlung i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB scheidet aus12. Dies entspricht der gesetzlichen Wertung des § 1301 Abs. 2 BGB (Auflösung eines Verlöbnisses durch Tod)13; den Erben stehen allenfalls gesetzliche Ansprüche aus §§ 2325, 2329, 2287 BGB zu, wobei die „wirtschaftliche Ausgliederung“ i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB wohl erst mit Beendigung der Mitnutzung im Rahmen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft eintrat14. 1 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, NJW 2008, 3282. 2 BGH v. 6.5.2014 – X ZR 135/11, FamRZ 2014, 1547: Sparbrief i.H.v. 25.000 Euro ist nach Beendigung der (nur fünf Jahre währenden) Lebensgemeinschaft gem. § 313 BGB zurückzugewähren. 3 Dies hat, so BGH v. 6.7.2011 – XII ZR 190/08, NotBZ 2011, 390 m. Anm. Krause, „wesentliche Bedeutung“. 4 BGH v. 19.9.2012 – XII ZR 136/10, FamRZ 2012, 1789 m. Anm. Hoppenz = MDR 2012, 1288 = DNotZ 2013, 610, Rz. 29. 5 BGH v. 8.5.2013 – XII ZR 132/12, FamRZ 2013, 1295 m. Anm. Grziwotz (instruktiver Überblick S. 1299). 6 Haushaltsführung und „Rückenfreihalten“ werden jedoch nicht berücksichtigt, Kindererziehung nur im Rahmen des Unterhalts nach § 1615l BGB. 7 So plakativ Grziwotz, FamRZ 2008, 1829, der die frühere Ablehnung des auf § 242 BGB gestützten Ansatzes durch den BGH schon zuvor heftig kritisiert hatte: Grziwotz, Partnerschaftsvertrag für die nichteheliche und nicht eingetragene Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. (2002), S. 70. 8 Vgl. Löhnig, DNotZ 2009, 59. 9 BGH v. 25.11.2009 – XII ZR 92/06, MDR 2010, 445 = FamRZ 2010, 277 m. Anm. Grziwotz; hierzu Muscheler, ZEV 2010, 147; Schlögel, MittBayNot 2010, 398. 10 Vgl. OLG Bbd. v. 27.5.2010 – 9 U 2/09 EE 2010, 167 m. zust. Anm. Möller; a.A. allerdings OLG Naumburg v. 3.9.2009 – 1 W 23/09, NJW-RR 2010, 224 (in einem PKH-Verfahren) m. zust. Anm. Ruby/ Schindler, ZEV 2010, 188. 11 Coester, JZ 2008, 315, 316, Löhnig, DNotZ 2009, 59 (61). 12 BGH v. 25.11.2009 – XII ZR 92/06, MDR 2010, 445 = FamRZ 2010, 277 m. Anm. Grziwotz; hierzu Muscheler, ZEV 2010, 147. 13 BGH v. 31.10.2007 – XII ZR 261/04, MDR 2008, 147 = FamRZ 2008, 247 m. Anm. Grziwotz (sog. „Umbuchungsfall“: Ein krebskranker Partner überwies wenige Wochen vor seinem Tod 40.000 Euro an seine langjährige Lebensgefährtin als „Umbuchung“). 14 Vgl. Schlögel, MittBayNot 2010, 400.

Krauß 521

§ 13 Rz. 13.160

Nichteheliche Partner im Erbrecht

2. Schenkungsteuer

13.160 Die Übernahme von Zins- und Tilgungsleistungen auch bzgl. gemeinsamer Darlehen durch den Lebensgefährten über seine Miteigentumsquote hinaus kann1 ferner Schenkungsteuer auslösen2 (immaterielle Haushaltsführungsbeiträge sowie Kindererziehungsleistungen werden vom BFH nicht als „entgelttaugliche Gegenleistung“ gewertet)3. Zinszahlungen als Äquivalent der Nutzungsmöglichkeit (im Unterschied zum Tilgungsanteil) können jedoch bei gemeinsamem Bewohnen wohl unter die Befreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG („angemessener Unterhalt“) subsumiert werden4. Einmalige (Vermögens-)zuwendungen, die über bloße Gelegenheitsgeschenke i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 14 ErbStG hinausgehen, sind in keinem Fall privilegiert5, unterliegen also bei Überschreiten des Basisfreibetrages von 20.000 Euro der 30%igen Besteuerung in Steuerklasse III. Bei gemeinsamen Investitionen bieten sich z.B. gesellschaftsrechtliche Ausweichlösungen mit flexibler Quote an (Rz. 13.176 f.).

13.161 Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen (gleich ob vorübergehender oder dauernder Natur, gleich ob schuldrechtlich oder dinglich gewährt, auch in Form einer verbilligten Miete) können grundsätzlich – auch wenn zivilrechtlich mangels Vermögenssubstanzverlustes keine Schenkung i.S.d. §§ 516 ff. BGB vorliegt – der Schenkungsteuer unterliegen6. Anders verhält es sich jedoch bspw., wenn der Eigentümer die Räume, hätte er sie nicht zur Mitbenutzung zur Verfügung gestellt, nicht vermietet7, sondern ausschließlich eigengenutzt hätte oder hätte leerstehen lassen8, da es dann an einer Entreicherung fehlt9. Die Mitbenutzung während der bestehenden Lebensgemeinschaft ist jedoch nicht steuerbar10, anders als die Gewährung eines zinslosen Darlehens, wo immerhin das Eigentum übergeht11. Wird das Mitbenutzungsrecht oder Nießbrauchsrecht dagegen aufschiebend befristet auf das Vorversterben des Eigentümers bestellt, liegt jedoch eine steuerbare Schenkung auf den Todesfall vor12. 3. Gestaltungsalternativen a) Ausdrücklicher Schenkungscharakter aa) Unter Lebenden

13.162 Soweit solche Sachverhalte in das Gesichtsfeld juristischer Gestaltung gelangen, sollte daher – noch dringlicher als bei ehebedingten Zuwendungen – auf eine vertragliche Regelung gedrängt werden. Diese kann zum einen bestehen in der (mit Risikohinweis und der Verdeutlichung der wirtschaftlichen Folgen verbundenen) Klarstellung, dass es sich tatsächlich um eine Schenkung handele, die al-

1 Entgegen früherer Verwaltungsauffassung (BMF v. 3.1.1984, DB 1984, 327), vgl. Grziwotz, FamRZ 2008, 1830. Überblick bei Steiner, ErbStB 2011, 252 ff. 2 In casu wegen Geringwertigkeit der Zuwendung durch FG München v. 3.2.2006 – 4 V 2881/05, EFG 2006, 686 m. Anm. Loose, jedoch nicht besteuert (Zuwendungen i.H.d. üblichen Miete). 3 BFH v. 2.3.1994 – II R 59/92, FamRZ 1994, 887 = BStBl. 1994 II, S. 366; FG Hessen v. 2.4.2009 – 1 K 2778/07, ErbStB 2009, 209. 4 Für analoge Anwendung Schlünder/Geißler, ZEV 2007, 67, für unmittelbare Geltung Weimer, ZEV 2007, 316, da die Norm für gesetzlich geschuldeten und damit nicht freiwilligen Unterhalt ohnehin nicht erforderlich sei. Hinsichtlich des Tilgungsanteils hilft – allerdings nur bei Ehegatten – § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. 5 Von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 463 m.w.N. 6 Vgl. FG München v. 22.3.2006 – 4 K 1631/04, EFG 2007, 779; von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 465. 7 Dann liegt steuerpflichtige Zuwendung vor: FG Rh.-Pf. v. 18.4.2002 – 4 K 1869/01, DStRE 2002, 1078. 8 Gebel, DStZ 1992, 577, 580. 9 Vgl. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 7 Rz. 28. 10 FG Rheinland-Pfalz v. 18.4.2002 – 4 K 1869/01, DStRE 2002, 1078. 11 Vgl. umfassend Cornelius/Loleit, ErbStB 2014, 223 ff. 12 FG München v. 22.3.2006 – 4 K 1631/04, EFG 2006, 1262 m. Anm. Fumi.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.167 § 13

lenfalls unter den engen gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 528, 530 BGB rückgefordert werden könne. bb) Auf den Todesfall Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall (Lebensversicherung, Wertpapierdepots, Bankkonto- 13.163 oder Sparguthaben) bieten eine Möglichkeit der Zuwendung von Vermögen am Nachlass vorbei, ohne die Formvorschriften letztwilliger Verfügungen bzw. Schenkungsversprechen von Todes wegen unter Überlebensbedingung (§ 2301 BGB) einhalten zu müssen. Die Bezugsberechtigung im Todesfall kann sogar in abstrakter Form zugunsten „der Lebensgefährtin, mit der die versicherte Person zum Eintritt des Versicherungsfalls in nichtehelicher Lebensgemeinschaft unter gleicher Meldeanschrift lebt“ bestimmt sein1. Erfährt der Lebensgefährte vom Abschluss der Lebensversicherung bereits zu Lebzeiten und nimmt diesen Umstand zustimmend zur Kenntnis, ist ein (noch formnichtiger) Schenkungsvertrag geschlossen; Heilung tritt dann bei der (i.d.R. gegebenen) widerruflichen Bezugsberechtigung mit dem Zeitpunkt des Versicherungsfalls ein, bei der unwiderruflichen Bezugsberechtigung sofort2. Erfolgt noch keine Abgabe des Schenkungsversprechens dem Lebensgefährten gegenüber zu Lebzeiten, kann es zum „Wettlauf“ zwischen der Lebensversicherung als Erklärungsbotin des verstorbenen Partners einerseits und den Erben, die den Widerruf erklären werden, andererseits kommen.

13.164

b) Ehefiktion In Betracht kommt weiter – wenngleich selten gewünscht – die (wohl formfreie3) Vereinbarung, sich 13.165 schuldrechtlich so zu stellen, als bestünde seit Beginn der gemeinsamen Investition eine Ehe mit gesetzlichem Güterstand („Ehefiktion“; an die Stelle der Zustellung eines Scheidungsantrags tritt dann z.B. die schriftliche Erklärung eines der beiden Beteiligten, die Lebensgemeinschaft nicht mehr fortsetzen zu wollen)4. c) Darlehen Häufiger wird jedoch die Aufwendung den Charakter eines Darlehens unter nicht Verheirateten gewinnen5. Die Darlehensgewährung umfasst nur solche Zuwendungen, die unmittelbar der Errichtung bzw. dem Ausbau oder der Ausstattung des genannten Anwesens dienen oder zum Zweck der Tilgung bestehender hauserrichtungsbedingter Verbindlichkeiten erbracht werden. Zuwendungen zur laufenden Unterhaltung und Verwaltung des Anwesens, die Beteiligung an den Kosten des Verbrauchs, der Grundsteuer, Versicherung etc. werden regelmäßig nicht davon erfasst, ebenso wenig i.d.R. die Beteiligung an Schuldzinsen, da diese ein Ausgleich für die durch das gemeinsame Bewohnen vermittelten Nutzungsvorteile darstellen.

13.166

Ebenso wenig werden erfasst Zuwendungen für die Finanzierung anderer Gegenstände der gemeinsamen Lebensführung (Urlaub, Pkw etc.), auch wenn dadurch eine Entlastung des anderen Beteiligten und damit erhöhte Leistungsfähigkeit bei der Übernahme hausbezogener Lasten eintritt. Arbeitsleistungen werden mit einem zu vereinbarenden Stundensatz (i.d.R. acht bis zehn Euro) in den Darlehensverbund einbezogen werden, soweit sie zu Ersparnis von Fremdleistungen i.R.d. Errichtung oder des Ausbaus geführt haben (also nicht bloße Reinigungs- oder Haushaltsführungsarbei-

13.167

1 2 3 4

Vgl. von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 478. Vgl. BGH v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02, MDR 2004, 451 = FamRZ 2004, 450 = NJW 2004, 767 (768). A.A. MüKo.BGB/Wacke, 4. Aufl. 2000, Anh. § 1302 Rz. 47. Zur Zulässigkeit einer solchen schuldrechtlichen Regelung Hausmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaft und Vermögensausgleich, S. 109. 5 Vgl. hierzu N. Meyer, ZNotP 1999, 384 ff.; Everts, MittBayNot 2012, 258 ff. und 337 ff., und Franck, ErbStB 2014, 100 ff.

Krauß 523

§ 13 Rz. 13.168

Nichteheliche Partner im Erbrecht

ten). Es ist ratsam, die Beteiligten zur Führung eines „Wirtschaftsbuchs“ mit periodischer gemeinsamer Abzeichnung als Obliegenheit zu verpflichten.

13.168 Das Darlehen wird regelmäßig bis zur Rückzahlungsfälligkeit unverzinslich sein (die zinsfreie Gewährung bildet weiteren Ausgleich für das Bewohnen und die gemeinschaftliche Nutzung i.R.d. Lebensgemeinschaft1). Rückzahlungsfälligkeit wird eintreten bei der Veräußerung des finanzierten Anwesens an einen Dritten, bei der Zwangsvollstreckung von dritter Seite oder Insolvenzeröffnung bzw. Ablehnung der Eröffnung mangels Masse, beim Versterben des Darlehensnehmers, beim Versterben des Darlehensgebers (sofern das Darlehen dann nicht als erlassen gelten soll)2 sowie im Fall einer Kündigung nach mindestens sechsmonatigem Getrenntleben analog § 1567 BGB. Zur Sicherung der Darlehensansprüche und der ab Rückzahlungsfälligkeit geschuldeten Zinsen wird typischerweise eine Grundschuld im Rang nach Fremdfinanzierungsgrundpfandrechten bestellt werden; teilweise wird auch der bedingt rückzahlungspflichtige Partner zum Abschluss einer Risikolebensversicherung angehalten sein.

13.168a Klärungsbedürftig ist auch das Schicksal solcher Aufwendungen im Fall einer künftigen Eheschließung. Folgende Lösungen sind denkbar: (1) Das Darlehen soll in diesem Fall nur für Aufwendungen bis zur Heirat gelten, i.Ü. findet jedoch der Zugewinnausgleich statt; die Darlehensverpflichtung bzw. -berechtigung ist dann im Anfangsvermögen des Ehemannes bzw. der Ehefrau zu berücksichtigen. (2) Denkbar ist natürlich der Fortbestand der Darlehensvereinbarung (dann regelmäßig gepaart mit einer Vereinbarung, dass i.Ü. das Hausanwesen beim Zugewinnausgleich nicht berücksichtigt werden soll, so dass allein das Darlehen zu einer teilweisen Rückvergütung führt). (3) Wird das Darlehen insgesamt aufgehoben, dürfte es sachgerecht sein, den Stichtag für die Bemessung des Anfangsvermögens zurückzubeziehen auf den tatsächlichen Baubeginn, um die bereits in der Vergangenheit (bisher durch das Darlehen i.H.d. Aufwands abgegoltene) tatsächliche Wertsteigerung des Anwesens hälftig (also nicht notwendig i.H.d. Darlehenssumme!) zu erfassen.3 (4) Häufig werden jedoch solche tatsächlich gemeinschaftlich finanzierten Investitionen nach Heirat zur ehebedingten Zuwendung in Höhe eines Halbanteils am Grundbesitz führen, im Rahmen dessen die bisherige Darlehensvereinbarung, möglicherweise auch die Rückbeziehung des Zugewinnausgleichsstichtags aufgehoben werden können. Eine solche Gesamtvereinbarung in Form einer Darlehensgewährung könnte bspw. wie folgt getroffen werden:

13.169 M 109 Darlehensvertrag zur Investitionsabsicherung unter Lebensgefährten I. Grundbuch- und Sachstand Das Grundbuch des Amtsgerichts München für … Blatt … wurde am … eingesehen. Dort ist im alleinigen Eigentum des Herrn … (nachstehend „Darlehensnehmer“) folgender Grundbesitz eingetragen:… Flst. Nr. … Frau … – nachstehend „Darlehensgeber“ genannt – trägt durch Zuwendungen aus ihrem Vermögen und Einkommen zur Errichtung und zur Tragung des Schuldendienstes für den geplanten Hausausbau und dessen Ausstattung bei. Diese Beiträge erfolgen insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, durch Mitbeteiligung an der Finanzierung (Verzinsung und Tilgung), Verauslagung von Materialkosten und Handwerker1 FG München v. 25.2.2016 – 4 K 1984/14, ErbStB 2016, 169 sieht jedoch ohne ausdrückliche Vereinbarung die Duldung unentgeltlichen Mitbewohnens als der Lebensgemeinschaft geschuldet, so dass die Zinslosigkeit des Darlehens schenkungsteuerlich unentgeltlich bleibe. 2 So der Vorschlag von Schlögel, MittBayNot 2009, 109. 3 Vgl. Mayer, ZEV 1999, 387 mit Formulierungsvorschlag.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.169 § 13

rechnungen bei der Errichtung des Anwesens sowie durch die Übernahme solcher Arbeiten, für die sonst Handwerkerleistungen zugekauft werden müssten. Ggf: Die Betreuung des gemeinsamen Kindes, mit welchem Frau … schwanger ist, wird bis zu dessen … Lebensjahr als gleichwertiger Beitrag zum Zins- und Tilgungsdienst des Herrn … bezüglich des gemeinsam aufgenommenen Darlehens bei der … Bank angesehen. Da der Darlehensgeber nicht Miteigentümer des Grundstücks ist und dies – jedenfalls bis zu einer eventuellen Heirat zwischen beiden Beteiligten – nach dem übereinstimmenden Willen beider Beteiligten auch nicht werden soll, erfährt dadurch das Vermögen des Darlehensnehmers eine Mehrung, die ihm jedoch nicht schenkweise zugewendet werden soll. Vielmehr ist der Darlehensnehmer bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen zur Rückgewähr der erlangten Vorteile verpflichtet. Zur Regelung dieser Rechtsverhältnisse treffen die genannten Beteiligten die folgende II. Darlehensvereinbarung 1. Der Darlehensgeber gewährt dem Darlehensnehmer in Form eines Darlehens Geldzuwendungen zur Durchführung des oben bezeichneten Vorhabens. Hierzu regeln die Beteiligten: a) Von dieser Darlehensvereinbarung umfasst und somit ausgleichspflichtig sind nur solche Zuwendungen, die unmittelbar der Errichtung bzw. Ausbau und Ausstattung des genannten Anwesens dienen oder zum Zweck der Verzinsung oder Tilgung bezüglich der hauserrichtungsbedingten Verbindlichkeiten erbracht werden. Zuwendungen, die lediglich der laufenden Unterhaltung und Verwaltung des Anwesens dienen (z.B. auch Beteiligung an den Kosten der Grundsteuer, der Brandversicherung etc.) werden hierbei nicht erfasst; sie bilden einen Ausgleich für die durch das gemeinsame Bewohnen vermittelten Nutzungsvorteile. Ebenso wenig werden erfasst Zuwendungen des Darlehensgebers für die Finanzierung anderer Gegenstände, etwa eines Pkw, auch wenn dadurch eine Entlastung des Darlehensnehmers und erhöhte Leistungsfähigkeit bei der Übernahme der hausbezogenen Lasten eintritt. Soweit die Beteiligten auch solche nicht unmittelbar hausbezogenen Zuwendungen als darlehensweise gewährt behandeln möchten, werden sie dies im nachstehend (b) genannten Wirtschaftsbuch vermerken. b) Die Beteiligten sind verpflichtet, Aufzeichnungen über Art, Zeitpunkt und Höhe der jeweiligen Einzelzuwendung, die durch diese Darlehensvereinbarung erfasst werden soll, vorzunehmen. Diese können etwa in Form eines „Wirtschaftsbuchs“ erfolgen. Den Eintragungen sind, sofern einschlägig, Belege beizufügen, die zumindest bis zur gemeinsamen Unterzeichnung und damit Genehmigung der Eintragungen aufzubewahren sind; eine solche abschnittsweise Genehmigung soll in regelmäßigen Abschnitten, mindestens jedoch auf Verlangen eines Partners, erfolgen. Bei der Eintragung in das Wirtschaftsbuch haben sich die Beteiligten auch darüber ins Benehmen zu setzen, wie etwaige Zuwendungen, die nicht unmittelbar in Geld stattfinden, zu bewerten sind. Die Beteiligten gehen derzeit davon aus, dass die Ableistung von Arbeitsstunden im Zusammenhang mit der Errichtung des Anwesens nur dann zu berücksichtigen ist, wenn sonst hierfür Handwerkerleistungen in Anspruch zu nehmen gewesen wären, und dass – sofern keine Festlegung erfolgt – für jede solche Arbeitsstunde acht Euro zu veranschlagen ist. c) Ausdrücklich wird klargestellt, dass eine Verpflichtung des Darlehensgebers zur Leistung eines bestimmten Mindestaufwands in Geldzuwendungen oder geldwerten Zuwendungen ausdrücklich nicht vereinbart wird, auch nicht während der Dauer der zwischen den Beteiligten derzeit bestehenden eheähnlichen Lebensgemeinschaft. 2. Bis zum Eintritt der Rückzahlungsfälligkeit des Darlehens ist dieses nicht zu verzinsen; die zinsfreie Gewährung bildet einen weiteren Ausgleich für die durch das gemeinschaftliche Bewohnen des Anwesens im Rahmen der Lebensgemeinschaft vermittelten Nutzungsvorteile. Ab Eintritt der Rückzahlungsfälligkeit ist der dann offene Betrag bis zur tatsächlichen Tilgung in Höhe von vier vom Hundert über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen. Die Zinsen sind quartalsweise im Nachhinein, spätestens jedoch mit der Hauptsache selbst, zur Zahlung fällig. Die Geltendmachung eines höheren Verzugsschadens bleibt vorbehalten. 3. Die Rückzahlungsfälligkeit des dann gesamt geschuldeten Betrags tritt ein, wenn einer der nachstehenden Umstände verwirklicht wird, sofern die Beteiligten nicht einvernehmlich etwas anderes im konkreten Anwendungsfall bestimmen:

Krauß 525

§ 13 Rz. 13.169

Nichteheliche Partner im Erbrecht

a) Bei Veräußerung des finanzierten Anwesens (d.h. nicht lediglich unbebauter Grundstücksteile) an einen Dritten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine entgeltliche, teilentgeltliche oder unentgeltliche Veräußerung handelt; die Fälligkeit tritt binnen eines Monats nach dem Zeitpunkt der Veräußerung (Datum der notariellen Beurkundung) ein. b) Wenn die Zwangsvollstreckung von dritter Seite in den Pfandgegenstand oder der Grundschuld verhaftetes Zubehör betrieben wird, es sei denn, sämtliche Maßnahmen werden binnen drei Monaten aufgehoben, oder wenn über das Vermögen des Schuldner das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird, oder wenn der Schuldner die Richtigkeit seines Vermögensverzeichnisses an Eides statt versichert – in jedem dieser Fälle tritt die Fälligkeit mit Eintritt des jeweiligen Umstandes ein. c) Bei Versterben des Darlehensnehmers oder bei Versterben des Darlehensgebers; die Fälligkeit tritt in jedem dieser Fälle binnen drei Monaten nach dem Ableben ein und wirkt zugunsten bzw zulasten der Erben [alternativ: bei Versterben des Darlehensnehmers; die Fälligkeit tritt drei Monate nach dem Ableben ein. Bei Versterben des Darlehensgebers gilt Nr. 5]. d) Sofern die für das Darlehen nachstehend bestellte Grundschuld nicht die bedungene Rangstelle erhält, ihre Rechtswirksamkeit bestritten wird oder der vereinbarte Grundschuldrang nicht bis zur vollständigen Erfüllung aller Darlehensverpflichtungen bzw. dem Erwerb des Halbanteils erhalten bleibt; die Bestellung tritt binnen zwei Monaten nach Zurückweisung des Antrags auf Eintragung der Grundschuld am bedungenen Rang ein. e) Im Fall einer Kündigung des Darlehens im Ganzen oder in Teilen (in Höhe des gekündigten Betrags); die Fälligkeit tritt dann binnen drei Monaten nach Eingang der Kündigung (Übergabe-Einschreiben mit Rückschein oder öffentliche Zustellung) ein. Eine solche Kündigung kann jedoch durch den Darlehensgeber nur dann ausgesprochen werden, wenn die Beteiligten seit mindestens sechs Monaten getrennt leben, d.h. die zwischen den Beteiligten derzeit bestehende ehe-ähnliche Lebensgemeinschaft in analoger Anwendung der eherechtlichen Getrenntlebensbestimmungen (§ 1567 BGB) seit mindestens sechs Monaten nicht mehr besteht. Ein sonstiges, freies Kündigungsrecht wird ausdrücklich nicht vereinbart. Ausdrücklich wird klargestellt, dass eine frühere Tilgung – auch unabhängig von einem die Rückzahlungsfälligkeit bedingenden Umstand – dem Darlehensnehmer jederzeit möglich ist. 4. Sollten wir heiraten, bleiben die Vereinbarungen dieses Darlehens unberührt für alle Aufwendungen, die bis zur Heirat getätigt wurden, erfasst jedoch keine künftigen Aufwendungen mehr. Die Rückzahlungsfälligkeit für den erreichten Schuldsaldo kann unter den oben genannten Voraussetzungen (wobei § 1567 BGB unmittelbar, nicht nur entsprechend gilt) eintreten. Für nach Heirat getätigte Aufwendungen sollen die gesetzlichen Regelungen zum Zugewinnausgleich gelten bzw. deren ehevertragliche Abänderung. Darlehensschuld bzw. -anspruch sind bei Durchführung eines Zugewinnausgleichs im Anfangsvermögen zu berücksichtigen. Wir wurden auf alternative Regelungsmöglichkeiten hingewiesen (z.B. die ehevertragliche Rückbeziehung des Anfangsvermögensstichtags auf den Beginn der Baumaßnahmen), wünschen diese jedoch derzeit nicht. Sollte nach Eheschließung der zuwendende Partner Miteigentum am Objekt übertragen erhalten, werden wir im Rahmen der Zuwendungsurkunde festlegen, ob dadurch die bereits entstandenen Pflichten aus dem Darlehensverhältnis aufgehoben sind. Treffen wir keine andere Regelung, ist dies bei mindestens hälftiger Beteiligung am Objekt der Fall. 5. Die Ansprüche aus dieser Darlehensvereinbarung sind auf Gläubigerseite nicht abtretbar oder verpfändbar. [Ggf: Stirbt der Darlehensgeber, bevor die Fälligkeit des Darlehens gem. Nr. 3 eingetreten ist, ist der nicht getilgte Darlehensbetrag erlassen; es handelt sich um eine auf den Todesfall aufgeschobene Schenkung]. Eine Anpassung oder Änderung dieser Vereinbarungen in einvernehmlicher Form behalten sich die Beteiligten ausdrücklich vor, vereinbaren jedoch hierfür das Erfordernis schriftlicher Niederlegung und Unterzeichnung durch beide Beteiligten. Erfüllungsort ist der Wohnsitz der Gläubigerin. Sämtliche Zahlungen sind auf ein noch bekanntzugebendes Konto der Gläubigerin zu bewirken. Die Überweisungen erfolgen auf Kosten und Gefahr des Schuldners.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.170 § 13

6. Zur Sicherung der Ansprüche aus dieser Darlehensvereinbarung vereinbaren die Beteiligten nachstehend die Bestellung eines Grundpfandrechts am finanzierten Anwesen im Rang nach den zur Fremdfinanzierung erforderlichen Eintragungen. III. Grundschuldbestellung und weitere Absicherung Zur Sicherung des Anspruchs der Gläubigerin bestellt Herr … daher zugunsten von Frau … eine Grundschuld ohne Brief in Höhe von … Euro (in Worten Euro …) nebst 18 v.H. Jahreszinsen ab heute, die nachträglich jeweils am 31.12. eines Jahres fällig sind, und einer einmaligen, sofort fälligen Nebenleistung in Höhe von fünf v.H. und bewilligt und beantragt deren Eintragung am Vertragsobjekt im Grundbuch an zunächst nächstoffener Rangstelle mit der Maßgabe, dass – der jeweilige Eigentümer der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde unterworfen ist (§ 800 ZPO), – die Abtretung der Grundschuld der Zustimmung des jeweiligen Eigentümers bedarf, was hiermit vereinbart ist. Die Grundschuld wird hiermit gekündigt; der Zugang der Kündigung wird bestätigt. Der Gläubiger wird an einer Abtretung der Grundschuld an etwaige Finanzierungsgläubiger mitwirken, sofern sichergestellt ist, dass die dadurch zu sichernden Darlehen der Tilgung der Darlehensrestschuld dienen. Aus diesem Grunde wurden Zinsen und Nebenleistungen der Grundschuld denen eines Grundpfandrechts bei Fremdfinanzierung vergleichbar gestaltet. IV. Rangvorbehalt Der Eigentümer behält sich die einmal ausübbare Befugnis vor, im Rang vor dem hier bestellten Grundpfandrecht für beliebige Gläubiger Grundpfandrechte bis zum Gesamtbetrag von … Euro nebst Zinsen bis zu 20 % jährlich und einmaligen Nebenleistungen bis zu 10 % des Hauptsachebetrages jeweils ab dem Tag der Bestellung eintragen zu lassen. Die Eintragung des Rangvorbehaltes bei vorbestelltem Grundpfandrecht wird bewilligt und beantragt. Eine Verpflichtung des Schuldners zum Abschluss einer Risikolebensversicherung mit Einsetzung des Gläubigers als Bezugsberechtigten besteht ausdrücklich nicht. Auf Vollstreckungsunterwerfung in das sonstige Vermögen des Schuldners wegen eines abstrakt anzuerkennenden Betrages wird derzeit trotz notariellen Hinweises verzichtet. V. Abschriften und Ausfertigungen Die Kosten dieser Urkunde und ihres Vollzuges trägt der Schuldner. Von dieser Urkunde erhalten die Beteiligten und das Grundbuchamt je eine Ausfertigung [im Falle des Erlasses der Restschuld nach dem Tod des Darlehensgebers: ferner das Finanzamt – Schenkungsteuerstelle – eine beglaubigte Abschrift].

d) Wohnungsleihe Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung, auch aufschiebend befristet auf den eigenen Todesfall, 13.170 an den Lebensgefährten, stellt nach überwiegender Auffassung (vgl. Rz. 13.181) zivilrechtlich keine Schenkung dar, so dass insbesondere keine Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2325 BGB) der Verwandten des verstorbenen Lebensgefährten ausgelöst werden und – sofern letzterer hinsichtlich der Erbfolge gebunden war – auch keine „Verfolgungsrechte“ zugunsten des Vertragserben i.S.d. § 2287 Krauß 527

§ 13 Rz. 13.171

Nichteheliche Partner im Erbrecht

BGB bestehen1. Die Existenz der nichtehelichen Lebensgemeinschaft an sich genügt nicht als Nachweis des ausreichenden „lebzeitigen Eigeninteresses“ zur Abwehr der §§ 2287 ff. BGB2.

13.171 Die Vereinbarung einer Leihe ist nach der Rechtsprechung des IV. und des V. Senats des BGH selbst dann formfrei zulässig, wenn das Kündigungsrecht auf Lebenszeit des Verleihers ausgeschlossen wird, der begünstigte Partner als Entleiher also auf den Tod des Leihers „fest“ eingesetzt ist: Es sollen weder § 2301 BGB noch § 518 BGB gelten3. Der Familiensenat des BGH hat jedoch diese Frage ausdrücklich offengelassen und tendiert demnach wohl dazu, dass die notarielle Beurkundung nach §§ 518, 2301 BGB Wirksamkeitserfordernis sei4. Werden keine vom Gesetz abweichenden Regelungen getroffen, kann der Verleiher jedoch das Dauerschuldverhältnis jederzeit kündigen; bei einer Veräußerung der verliehenen Sache gilt § 566 BGB nicht analog5. Wird zur Vermeidung solcher zivilrechtlicher Schwächen ein Wohnungsrecht bzw. Nießbrauchsrecht auf den Todesfall zugewendet, stellt dies jedoch eine Schenkung dar6. Erbschaftsteuerlich ist auch die Leihe auf den Todesfall als Erwerb von Todes wegen gem. § 3 Abs. 1 ErbStG steuerbar7. e) Miteigentümervereinbarungen

13.172 Auch bei originärem Miteigentum beider Lebensgefährten können Regelungen erforderlich sein. Denkbar sind Erwerbsrechte eines Partners (regelmäßig zum anteiligen Verkehrswert, den im Dissensfall ein Sachverständiger als Schiedsgutachter zu ermitteln hat), v. a. aber Ausführungen zur Frage, ob Abweichungen von der quotenentsprechenden Tragung der Finanzierungslasten bei Veräußerung gänzlich unbeachtlich bleiben sollen (analog der Situation beim gesetzlichen Güterstand), nur für bestimmte Zeiträume (Erziehung eines gemeinsamen Kindes) außer Betracht bleiben sollen oder aber zu einer entsprechenden disquotalen Beteiligung am Veräußerungsnettoerlös führen.8

13.172a Eher abzuraten ist von pauschalen Ausschlüssen des Versteigerungsrechtes – in mancher sonst ausweglosen Situation stellt die (Drohung mit der) Teilungsversteigerung das einzige Druckmittel zu vernünftigem Verhandeln dar. Haben Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft beim gemeinsamen Erwerb einer Immobilie die Teilungsversteigerung ausgeschlossen, liegt9 im Scheitern der Lebensgemeinschaft kein Wegfall der Geschäftsgrundlage! Auch der Sterbefall ist kein wichtiger Grund, der gem. § 749 BGB zur Aufhebung der Gemeinschaft berechtigen würde10. Naheliegend ist jedoch, im Rahmen einer Nutzungsvereinbarung nach §§ 745, 1010 Abs. 1 BGB die Weiterbenutzung der gemeinsamen Wohnung nach dem Tod des Partners zu regeln11:

1 Vgl. BGH v. 11.7.2007 – IV ZR 218/06, ZEV 2008, 192 m.w.N.; teilweise kritisiert durch die Lit., vgl. J. Mayer, ZEV 2008, 192; Frieser, ErbR 2008, 34, 37 ff., wonach ein langfristiger Leihvertrag einer Substanzverlagerung gleichkomme. 2 OLG Köln v. 30.9.1991 – 2 W 140/91, FamRZ 1992, 607 = NJW-RR 1992, 200. 3 Grundlegend BGH v. 11.12.1981 – V ZR 247/80, BGHZ 82, 354 = MDR 1982, 394, bestätigt durch BGH v. 11.7.2007 – IV ZR 218/06, ZEV 2008, 192, m. Anm. J. Mayer; DNotI-Gutachten v. 19.12.1997, Nr. 1227, jedoch offengelassen in BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, BGHZ 176, 262 = MDR 2008, 1162. 4 BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, BGHZ 176, 262, Rz. 20 = MDR 2008, 1162. 5 BGH v. 17.3.1994 – III ZR 10/93, BGHZ 125, 293, 301; OLG Köln v. 23.4.1999 – 19 U 13/96, NJW-RR 2000, 152. 6 BGH v. 27.9.1995 – IV ZR 217/93, NJW-RR 1996, 133; OLG Karlsruhe v. 18.3.1999 – 17 U 19/97, ZEV 2000, 108, 109. 7 FG München v. 24.1.2007 – 4 K 816/05, EFG 2007, 779. 8 Formulierungsvorschläge bei Mayer, ZEV 2003, 454 ff. 9 Nach BGH v. 6.10.2003 – II ZR 63/02, FamRZ 2004, 94 = MDR 2004, 154 = DStR 2004, 50. 10 LG Konstanz v. 12.12.2008 – 2 O 410/08 D, ZErb 2010, 247. 11 Angelehnt an Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, § 15 Rz. 101.

528

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.174 § 13

M 110 Nutzungsabrede zur Sicherung des Lebensgefährten

13.173

Herr … und Frau … vereinbaren als Miteigentümer der gemeinsam genutzten Immobilie … (Grundbuch von … Blatt …), dass ab dem Tod des Erstversterbenden der verbleibende Miteigentümer das Recht hat, den Grundbesitz zu eigenen Wohnzwecken auf Lebenszeit zu nutzen. Die Nutzungsvereinbarung ist auflösend bedingt für den Fall, dass die Miteigentümer zum Zeitpunkt des Ablebens des Erstversterbenden den Grundbesitz nicht mehr in nichtehelicher Lebensgemeinschaft (§ 20 SGB XII) gemeinsam bewohnen. Die Nutzung ist nur zu gewähren, wenn der Berechtigte die für das Objekt anfallenden laufenden Unkosten (Grundsteuer, Umlage an die Hausverwaltung, Versicherungskosten), die Schönheitsreparaturen sowie die Verbrauchskosten trägt. Im Übrigen gelten die Vorschriften über die Leihe, §§ 598 ff. BGB, entsprechend, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Kündbarkeit. Die Beteiligten beantragen und bewilligen die Eintragung der aufschiebend befristeten und auflösend bedingten Nutzungsvereinbarung in das Grundbuch bei beiden Miteigentumsanteilen an nächstoffener Rangstelle.

f) Erwerbsrechte In Betracht kommt weiterhin, bereits im Zeitpunkt der gemeinsamen Investition ein- oder gegenseitige Erwerbsrechte, gerichtet auf den Miteigentums- bzw. Gesamthandsanteil des anderen Partners, für den Fall des Scheiterns der Lebensgemeinschaft zu vereinbaren. Solche „Ankaufsrechte“ dürften – vergleichbar Rückforderungsrechten bei Ehegattenzuwendungen für den Fall des Scheiterns der Ehe, gestützt auf den Rechtsgedanken des § 852 Abs. 2 ZPO (Zugewinnausgleich)1 – nicht pfändbar sein. Regelungsbedürftig ist: (1) zum einen, wer bei gegenseitigen Ankaufsrechten zunächst zur Ausübung befugt ist. Denkbar ist bspw., insoweit auf die Höhe der bisher erbrachten Tilgungsleistungen abzustellen (wobei zur Vermeidung von Missbräuchen Sondertilgungen nach Eintritt der Trennung oder auch in einem knappen Rückwirkungszeitraum zuvor nicht mehr berücksichtigt werden sollten)2 oder aber demjenigen Partner, der gemeinsame Kinder bis zu einem bestimmten Lebensalter betreut, das Vorrecht zu gewähren3 oder aber das Los entscheiden zu lassen4. (2) Festzulegen ist weiterhin der Übernahmepreis (anteiliger Verkehrswert, der ggf. durch einen Sachverständigen als Schiedsgutachter festzusetzen ist, oder aber anteiliger Verkehrswert abzgl. eines „Lebensgefährtenabschlags“ von bspw. 15 % oder aber die tatsächliche Höhe des eingebrachten Eigenkapitals zuzüglich einer geringen Verzinsung, wobei jedoch insoweit – vergleichbar der Darlehenslösung, s. Rz. 13.166 ff. – Beiträge zu laufenden Aufwendungen und wohl auch die Tragung der Zinslasten, als Äquivalent zur ersparten Miete, nicht berücksichtigt werden können). (3) Zu bestimmen ist weiter die Ausübungsfrist; nach deren fruchtlosem Ablauf wird dasselbe Erwerbsrecht dem anderen Partner zustehen; macht keiner der Partner hiervon Gebrauch, wird teilweise vereinbart, dass sodann jeder der Beteiligten die Mitwirkung beim Verkauf an Dritte verlangen kann, sofern mindestens 90 % des von einem Sachverständigen ermittelten Verkehrswerts erzielt werden. Besteht die Befürchtung, dass die Erfüllung der wechselseitigen Erwerbsrechte bei Miteigentumsanteilen durch (auch fraudulente) Belastung oder rasche Veräußerung

1 Vgl. BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 102/02, MDR 2003, 776 = DNotZ 2004, 298; ebenso Schlögel, MittBayNot 2009, 102. Das LG Koblenz, RNotZ 2001, 391, bejaht allerdings die Pfändbarkeit der Annahmebefugnis aus einem Angebot des Vaters an den Sohn nach Übertragung eines GmbH-Geschäftsanteils. 2 Vgl. Schlögel, MittBayNot 2009, 108. 3 So etwa Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte, Rz. 1715, im Rahmen einer Ehegattengesellschaft. 4 So Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte, Rz. 1708 unter Bezugnahme auf Langenfeld, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen, 5. Aufl. (2005), Rz. 1217.

Krauß 529

13.174

§ 13 Rz. 13.174a

Nichteheliche Partner im Erbrecht

vereitelt werden kann, sollten die bedingten Ansprüche durch wechselseitige Vormerkungen gesichert werden.

13.174a M 111 Wechselseitige Erwerbsrechte unter Lebensgefährten bei Scheitern der

Beziehung Herr … und Frau … (nachstehend jeweils „Partner“ genannt) erwerben die Eigentumswohnung … grundbuchlich zu je hälftigem Miteigentum. Im Fall einer Trennung – diese gilt als erfolgt, wenn ein Partner sie dem anderen per Einschreiben mitgeteilt hat – bestehen wechselseitige Erwerbsrechte hinsichtlich des Miteigentumsanteils des anderen Partners nach folgender Maßgabe: 1. Zunächst ist binnen eines Monats nach Zugang des die Trennung herbeiführenden Einschreibens derjenige Partner zum Erwerb berechtigt, der bis zum Zeitpunkt der Trennung einen höheren Anteil an den Tilgungsaufwendungen des gemeinsam eingegangenen Darlehens sowie der unmittelbar von ihm getragenen Anschaffungs- und Herstellungskosten erbracht hat. Wird das Erwerbsrecht in diesem Zeitraum nicht ausgeübt, steht es dem anderen Partner inhaltsgleich binnen eines weiteren Monats zu. 2. Dem zur Übertragung verpflichteten Partner ist die Summe der von ihm erbrachten Tilgungsleistungen sowie der von ihm in Geld erbrachten Anschaffungs- und Herstellungsaufwendungen zu erstatten, zuzüglich eines Aufschlags von fünf Prozent als pauschalem Zinsausgleich, fällig binnen sechs Wochen nach Beurkundung des notariellen Übertragungsvertrags, in dem das Ankaufsverlangen erfüllt werden soll. Darüber hinaus ist der zur Übertragung verpflichtete Partner von gemeinsam eingegangenen objektbezogenen Verbindlichkeiten auch im Außenverhältnis freizustellen (befreiende Schuldübernahme oder Ablösung durch ein neues Darlehen des Übernehmenden bzw. Sondertilgung des gesamten Darlehens). Die Umschreibung des zu übertragenden Miteigentumsanteils darf erst nach Erstattung des Eigenkapitalbeitrags und Befreiung von den objektbezogenen Verbindlichkeiten erfolgen. 3. Zur Sicherung der wechselseitigen Erwerbsrechte wird die Eintragung je einer Vormerkung am Miteigentumsanteil zugunsten des anderen Partners bewilligt und beantragt. 4. Macht keiner der Partner von seinem Erwerbsrecht Gebrauch, sind beide Partner auf Verlangen auch nur eines Partners verpflichtet, das gemeinsam gehaltene Objekt nach der Trennung an Dritte zu veräußern. Dem Verlangen muss nur Folge geleistet werden, wenn dabei mindestens 90 Prozent des Verkehrswerts des Objekts erzielt werden. Der Verkehrswert wird im Dissensfall durch den Gutachterausschuss – für beide Teile verbindlich als Schiedsgutachter – bestimmt. Aus dem Erlös des Drittverkaufs sind zunächst gemeinsame objektbezogene Verbindlichkeiten zu tilgen; der Restbetrag steht beiden Partnern im Verhältnis ihrer Eigenkapitalbeiträge zu.

g) Innengesellschaft

13.175 Auch die ausdrückliche Begründung einer Innengesellschaft1 (zu deren richterlicher Schöpfung Rz. 13.154 f.) kommt in Betracht, ggf. mit reduziertem Abfindungsanspruch bei Kündigung, und gänzlichem Ausschluss von Ausgleichsansprüchen im Todesfall). Da kein Gesamthandsvermögen gebildet wird, ist der Vorgang grunderwerbsteuerlich irrelevant; andererseits unterliegt der Eigentümer uneingeschränkt dem Gläubigerzugriff Dritter. Zur partiellen2 Investitionssicherung können schließlich wechselseitige Zuwendungen auf den Todesfall vereinbart sein. h) Außengesellschaft bürgerlichen Rechts

13.176 Besonders günstig erscheint die GbR-Lösung als Erwerbsform bei ungewissen künftigen Finanzierungsbeiträgen (z.B. zweier Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft), da sie „bewegliche Be1 Zu den Anforderungen an eine Innengesellschaft BGH v. 12.11.2007 – II ZR 183/06, MittBayNot 2008, 233. 2 Nämlich auf den Todesfall begrenzten, also nicht z.B. den Fall der Trennung berücksichtigenden.

530

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.176a § 13

teiligungsquoten“ ermöglicht. Würde die starre Bruchteilsgemeinschaft gewählt, könnten überobligationsmäßige Finanzierungsbeiträge eines Beteiligten nämlich Schenkungsteuer gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auslösen, sobald sie über den geringen Freibetrag hinausgehen, vgl. Rz. 13.160 f.1

M 112 Erwerbende GbR; bewegliche Beteiligungsquoten

13.176a

Die Erwerber erklären, dass die jeweilige Beteiligung am Vermögen der erwerbenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie am Liquidationserlös und etwaigen laufenden Gewinnen, ebenso die für die Abfindung eines Gesellschafters beim Ausscheiden maßgebliche Höhe der Beteiligung, dem Anteil des Gesellschafters an den jeweils zum Ende eines Kalenderjahres insgesamt ab heute geleisteten Finanzierungs- und Investitionsbeiträgen zueinander entspricht. Als zu berücksichtigende Beiträge gelten dabei Eigenkapitalleistungen auf die vereinbarten Gegenleistungen und künftige Aufwendungen zur Instandhaltung des Objekts sowie Bestandserweiterungen (nicht jedoch bloße Unterhaltungsmaßnahmen) sowie Tilgungsleistungen auf objektbezogene Darlehen (nicht jedoch Zinszahlungen, ebenso wenig laufende Kosten wie Grundsteuer, Versicherung, Verbrauchskosten, Reparaturen etc.). Arbeitsleistungen werden zusätzlich berücksichtigt, wenn hierdurch Fremdhandwerkerleistungen erspart wurden, allerdings nur in Höhe eines Stundenwerts von 15 Euro. Dienstleistungen zugunsten des Veräußerers, die im Rahmen des Erwerbsvertrags eingegangen wurden (z.B. hauswirtschaftliche Verrichtungen oder Pflegeleistungen) werden mit fünf Euro Stundenwert angesetzt. Leistungen von Eltern oder Geschwistern eines Gesellschafters sind dem betreffenden Gesellschafter zuzurechnen. Die Beteiligten verpflichten sich, über die wechselseitigen Beiträge, auch der zuzurechnenden Angehörigen, Buch zu führen und den Jahresendstand jeweils als Prozentverhältnis auszudrücken sowie diesen zu unterzeichnen; dies gilt schuldrechtlich und dinglich als Übertragung der entsprechenden Anteile mit Wirkung auf das betreffende Jahresende. Sie geben die entsprechenden Übertragungserklärungen bereits heute dem Grunde nach ab und nehmen sie entgegen. Nutzungsentschädigungen wegen unterschiedlicher Beteiligungshöhe können erst ab einer Kündigung in Höhe der anteiligen ortsüblichen Kaltmiete verlangt werden, ebenso sind dann die hälftigen (bei Alleinnutzung ausschließlichen) Verbrauchs- und Nebenkosten zu tragen. Die Gesellschaft kann vor dem … (Datum, z.B. 15 Jahre ab heute) nur aus wichtigem Grund gekündigt werden; als solcher gilt – die Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft über länger als sechs Monate durch schriftliche Mitteilung an den anderen Gesellschafter oder behördliche Ummeldung; – ebenso die Pfändung des Gesellschaftsanteils des anderen Gesellschafters oder die Insolvenzeröffnung bzw. dessen Ablehnung mangels Masse. – [sofern nicht für diesen Fall nachstehend die Anwachsungsregelung vereinbart ist]: sowie das Ableben des anderen Gesellschafters. Mit Wirksamwerden einer Kündigung hat der Kündigende binnen drei Monaten, im Fall der Kündigung wegen Beendigung der Lebensgemeinschaft zunächst binnen sechs Wochen der Gesellschafter mit der aktuell höheren Beteiligung, sodann binnen sechs weiterer Wochen der andere Gesellschafter, das Recht, vom Mitgesellschafter [sofern nachstehend keine Anwachsungsklausel im Todesfall: bzw. dessen Erben] anstelle einer Abfindung die Übernahme der im Gesellschaftsvermögen befindlichen Immobilie zu verlangen. Übernahmepreis ist die (auch im Außenverhältnis schuldbefreiende) Übernahme der für Erwerb, Umbau und Erhaltung des Objektes eingegangenen Verbindlichkeiten, gleich ob solche der Gesellschaft oder des ausscheidenden Gesellschafters, und der gegenüber dem Veräußerer ggf. noch zu erbringenden Pflichten (gleich ob auf Zahlen, Tun, oder Dulden gerichtet) mindestens jedoch – sofern der anteilige, hierauf anzurechnende Schuldübernahme- und Pflichtenerbringungsbetrag geringer ist – achtzig vom Hundert des anteiligen Verkehrswertes der im Gesellschaftsvermögen befindlichen Immobilie im Zeitpunkt des Übernahmeverlangens. Kommt über den Verkehrswert binnen eines Monats ab Übernahmeverlangen keine Einigung zwischen den Beteiligten zustande, bestimmt ihn der örtlich zuständige Gutachterausschuss gem. § 315 BGB; hinsichtlich

1 Vgl. von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 325; zur „Finanzierungs-GbR“ auch Milzer, NJW 2008, 1621.

Krauß 531

§ 13 Rz. 13.177

Nichteheliche Partner im Erbrecht

der Gutachtenskosten gilt § 92 ZPO. Wird ein Übernahmeverlangen nicht fristgerecht gestellt oder wird bereits zuvor darauf verzichtet, ist das Gesellschaftsvermögen zu räumen und bestmöglich zu verkaufen; nach Ablauf von sechs Monaten [alternativ: eines Jahres etc] kann jeder Beteiligte den Verkauf zum dann bestehenden Meistgebot ohne weiteres Zuwarten verlangen. Nach Begleichung der Veräußerungsnebenkosten und Tilgung aller für Erwerb, Umbau, und Erhaltung eingegangenen Verbindlichkeiten ist der verbleibende Erlös im Verhältnis der dann bestehenden Beteiligungsquoten auszukehren. Verfügungen über Gesellschaftsanteile bedürfen der Zustimmung beider; die Geschäftsführung und Vertretung wird ebenfalls durch beide gemeinschaftlich wahrgenommen. Beim Tod eines Gesellschafters wird die Gesellschaft mit seinen Erben fortgesetzt. (Alternativ: Beim Tod eines Gesellschafters wächst dessen Beteiligung, sofern nicht zuvor gekündigt, mit allen Aktiva und Passiva dem anderen Gesellschafter, der somit Alleineigentümer wird, an; die Beteiligung ist also nicht vererblich. Eine Abfindung erhalten die Erben bzw. Vermächtnisnehmer des Verstorbenen nicht; sie können jedoch vom verbleibenden Gesellschafter uneingeschränkte Freistellung aus der (Mit-)schuld oder (Mit-)haftung von Verbindlichkeiten verlangen, die zur Finanzierung des Erwerbs, Umbaus, und der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens eingegangen wurden, gleich ob es sich um eine Gesellschafts- oder eine Gesellschafterschuld handelt, sowie Freistellung hinsichtlich aller etwa weiterhin noch an den Veräußerer zu erbringenden Leistungen verlangen, gleich ob auf Zahlung, Tun, oder Dulden gerichtet. Der wechselseitige Abfindungsausschluss beruht auf dem beiderseits etwa gleich hohen Risiko des Vorversterbens und ist im Interesse des jeweils Überlebenden vereinbart, stellt also nach Einschätzung der Beteiligten keine Schenkung dar.)

4. Ansprüche Dritter aufgrund lebensgemeinschaftsbedingter Zuwendungen

13.177 Zuwendungen unter nichtehelichen Lebensgefährten unterliegen nicht nur im internen Verhältnis zwischen den Partnern für den Fall der Beendigung der Lebensgemeinschaft der Rückforderung aufgrund gesetzlicher bzw. richterlicher Bestimmung (oben 1) bzw. vertraglicher Vereinbarung (oben 3), sondern auch im Verhältnis zu Dritten. So wird der Lebensgefährte regelmäßig die Voraussetzungen einer nahestehenden Person i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfüllen („wer im letzten Jahr vor der Handlung in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldner gelebt hat“), so dass entgeltliche Verträge unter Lebensgefährten binnen zwei Jahren, unentgeltliche binnen vier Jahren vor der Pfändung/der Insolvenz der erleichterten Gläubiger- bzw. Insolvenzanfechtung unterliegen (vgl. im Einzelnen § 133 InsO, § 3 AnfG).

13.178 Im Zusammenhang dieser Darstellung relevant sind insbesondere die Zugriffsmöglichkeiten Dritter, die sich bei einer Beendigung der Lebensgemeinschaft durch Tod aufgrund früherer Zuwendungen ergeben, seien sie gestützt auf das Kondiktionsrecht (mögliche Unwirksamkeit der Zuwendung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten, § 138 BGB, Rz. 13.179), das Pflichtteilsergänzungsrecht (Rz. 13.180 ff.) oder die Bestimmungen zum Schutz des Vertragserben (nachstehend Rz. 13.183): a) §§ 812, 138 BGB?

13.179 Ebenso wie letztwillige Verfügungen („Mätressen-Testament“, vgl. Rz. 13.58 ff.) verstoßen lebzeitige Zuwendungen in einer eheähnlichen bzw. lebenspartnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt und von inneren Bindungen getragen ist, nicht gegen die guten Sitten, und zwar selbst dann nicht, wenn mindestens einer der Partner noch verheiratet ist1. Nachteilige Auswirkungen für Dritte (Unterhaltsgefährdung etc.) können allenfalls in Ausnahmefällen, bei Hinzutreten besonders rücksichtslosen oder illoyalen Verhaltens, die Unwirksamkeit gem. § 138 BGB rechtfertigen, etwa wenn ein Ehemann während eines Scheidungsverfahrens seinen Miteigentumsanteil am gemeinsamen Hausgrundstück an seine Lebensgefährtin veräußert, um auf diesem Umweg die Tei-

1 Vgl. BGH v. 28.9.1990 – V ZR 109/89, MDR 1991, 514 = FamRZ 1991, 168 = NJW 1991, 830 (831).

532

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.182 § 13

lungsversteigerung zu erleichtern1. Im Übrigen aber sind die (insbesondere erbrechtlichen) Instrumente eines Ausgleichs zugunsten Dritter (§§ 2325 ff., 2287 f. BGB, Rz. 13.180 und 13.183 ff.) vorrangig. b) §§ 2325 ff. BGB Ist der vom Erblasser beschenkte überlebende Lebensgefährte zugleich dessen Erbe, wird er häufig 13.180 Pflichtteilsergänzungsansprüchen des „übergangenen“ Ehegatten bzw. der „übergangenen“ Kinder des Zuwendenden ausgesetzt sein (§ 2325 Abs. 1 BGB), gegen die er sich zudem nicht mit Blick auf die Verletzung seines eigenen (nicht vorhandenen) Pflichtteilsrechts wehren kann (§ 2318 BGB). Wird er nicht Erbe, ist er möglicherweise dem Bereicherungsanspruch des § 2329 Abs. 1 BGB ausgesetzt. Auch wenn die „lebenspartnerschaftsbedingte Zuwendung“ ebenso wie die ehebedingte Zuwendung keine Schenkung im strengen Sinn darstellen mögen, zumal es am subjektiven Tatbestandsmerkmal fehlt, ist sie im Verhältnis zu Dritten ebenso wenig privilegiert wie jene. Sie ist demnach für Zwecke des Pflichtteilsrechts wie eine Schenkung zu behandeln2. Auch sie ist regelmäßig objektiv unentgeltlich, da keine Leistungen in Erfüllung einer Rechtspflicht entgolten, sondern allenfalls im Sinn einer belohnenden Schenkung anerkannt werden. Gesetzliche Unterhaltspflichten sind allenfalls im Fall der Geburt eines gemeinsamen Kindes gem. § 1615l BGB denkbar. Auch § 2330 BGB (Pflichtschenkung) hilft, da richterlich zum Schutz des Pflichtteilsrechts weitgehend zurückgedrängt, selten. Eine Schenkung im Rahmen der §§ 2325 ff. BGB und des § 2287 BGB3 liegt jedoch wohl nicht vor 13.181 bei einer – objektiv unentgeltlichen – Leihe (Rz. 13.178), auch einer auf den Tod aufschiebend bedingten Leihe. Sie bedarf nach der Rechtsprechung des IV. und V. Senats des BGH selbst dann keiner Form, wenn das Kündigungsrecht auf Lebenszeit des Verleihers ausgeschlossen wird, der begünstigte Partner als Entleiher also auf den Tod des Leihers „fest“ eingesetzt ist: Es sollen weder § 2301 BGB noch § 518 BGB gelten4. Der Familiensenat des BGH hat diese Frage ausdrücklich offengelassen und tendiert demnach wohl dazu, dass die notarielle Beurkundung nach §§ 518, 2301 BGB Wirksamkeitserfordernis sei5. Die zivilrechtliche Schwäche der Leihe, insbesondere der Leihe auf den Todesfall, liegt jedoch darin, dass der Verleiher jederzeit kündigen kann und im Fall der Veräußerung der verliehenen Sache der Erwerber nicht analog § 566 BGB in die Pflichten des Entleihers eintritt6. Die Zuwendung eines Wohnungsrechts bzw. Nießbrauchsrechts auf den Todesfall – wodurch sich diese zivilrechtlichen Schwächen sich vermeiden lassen – stellt hingegen eine Schenkung dar7. Erbschaftsteuerlich ist auch die Leihe auf den Todesfall als Erwerb von Todes wegen steuerbar, § 3 Abs. 1 ErbStG8. Immerhin sind nichteheliche Lebensgefährten gegenüber Ehegatten insoweit „privilegiert“, als der Anlaufhemmungstatbestand des § 2325 Abs. 3, 2. Halbs. BGB (Beginn der Frist nicht vor Auslösung der Ehe), der für § 2329 BGB analog gilt, nicht auf Zuwendungen in nichtehelicher Lebensgemein1 OLG Schleswig v. 29.9.1994 – 14 U 138/94, FamRZ 1995, 735. 2 Grundsatzentscheidung des BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 169/90, BGHZ 116, 167 (170); zur ausdr. Anerkennung der unbenannten Zuwendung unter Lebensgefährten vgl. BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, FamRZ 2008, 1828 = NJW 2008, 3282 und BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, MDR 2008, 1275 = FamRZ 2008, 1822 = DNotZ 2009, 52 m. Anm. Löhnig. 3 So ausdr. BGH v. 11.7.2007 – IV ZR 218/06, ZEV 2008, 192 m.w.N. 4 Grundlegend BGH v. 11.12.1981 – V ZR 247/80, BGHZ 82, 354 = MDR 1982, 394, bestätigt durch BGH v. 11.7.2007 – IV ZR 218/06, ZEV 2008, 192 m. Anm. J. Mayer; DNotI-Gutachten v. 19.12.1997, Nr. 1227, jedoch offengelassen in BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, MDR 2008, 1162 = FamRZ 2008, 1404 m. Anm. Grziwotz. 5 BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, MDR 2008, 1162. 6 BGH v. 17.3.1994 – III ZR 10/93, BGHZ 125, 293 = MDR 1995, 368 (301); OLG Köln v. 23.4.1999 – 19 U 13/96, MDR 1999, 1271 = NJW-RR 2000, 152. 7 BGH v. 27.9.1995 – IV ZR 217/93, NJW-RR 1996, 133; OLG Karlsruhe v. 18.3.1999 – 17 U 19/97, ZEV 2000, 108 (109). 8 FG München v. 24.1.2007 – 4 K 816/05, EFG 2007, 779.

Krauß 533

13.182

§ 13 Rz. 13.183

Nichteheliche Partner im Erbrecht

schaft Anwendung findet, und zwar selbst dann nicht, wenn die Lebensgefährten nach der Zuwendung heiraten1. 5. §§ 2287 f. BGB

13.183 Der Vertrags-/Schlusserbe (§ 2287 BGB) bzw. der bindend eingesetzte Vermächtnisnehmer (§ 2288 BGB) ist gegenüber Zuwendungen unter nichtehelichen Lebensgefährten in gleicher Weise geschützt; auch insoweit (wie bei § 2325 BGB) gilt die lebensgemeinschaftsbedingte Zuwendung, auch wenn sie nicht subjektiv unentgeltlich ist, als auslösende „Schenkung“. Die Anforderungen an die „Beeinträchtigungsabsicht“ sind dabei eher gering; das erforderliche lebzeitige Eigeninteresse ist bspw. nicht allein durch das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu bejahen2. Allenfalls eine Zuwendung, die als Gegenleistung für tatsächlich erbrachte Versorgung und Pflege durch den Lebensgefährten aufgrund nachträglich entstandener Pflegebedürftigkeit gewährt wird, kann gegenüber dem „Verfolgungsrecht“ des Vertragserben/-vermächtnisnehmers geschützt sein3; Gleiches gilt, wenn der Lebensgefährte die Kinder aus der Ehe des Zuwendenden mitbetreut hat. Altruistische Motive, wie etwa der Wunsch nach Versorgung und Besserstellung des Lebensgefährten, vermögen jedoch in keinem Fall vor §§ 2287 f. BGB zu schützen4.

V. Schenkung- und Erbschaftsteuer unter nichtehelichen Lebensgefährten 13.184 Schenkung- und erbschaftsteuerrechtlich zählen nichteheliche (gleich- oder verschiedengeschlechtliche) Partner, auch wenn sie gemeinsame Kinder haben, zur Steuerklasse III, so dass sie lediglich über einen Freibetrag von (seit 1.1.2009) 20.000 Euro verfügen, § 15 ErbStG. Übersteigende Erwerbe (jeweils unter Zusammenrechnung aller Schenkungen und Erbschaften vom selben Veräußerer binnen zehn Jahren, § 16 ErbStG) unterliegen einem Steuersatz von einheitlich 30 %, über sechs Mio. Euro von 50 %, mit Härteausgleich gem. § 19 Abs. 3 ErbStG. Dies gilt auch für Verlobte5. Hinzu kommt ein Freibetrag (für Hausrat einschließlich sonstiger beweglicher Gegenstände) von insgesamt 10.300 Euro, § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Die weiteren objektbezogenen Befreiungen (z.B. Übertragung des Familienheims zu Lebzeiten und von Todes wegen, § 13 Abs. 1 Nr. 4a und 4b) stehen nichtehelichen Partnern nicht zur Verfügung, allerdings (seit 1.1.2009) eingetragenen Lebenspartnern, s. Rz. 13.207.

13.185 Lebzeitige oder letztwillige Zuwendungen an Personen, die den Zuwendenden/Erblasser gepflegt oder unterhalten haben, ohne hierzu gesetzlich verpflichtet gewesen zu sein, sind bis zu 20.000 Euro gem. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG steuerbefreit (Pflegepauschbetrag). Voraussetzung ist jedoch stets die unentgeltliche Pflege-/Unterhaltsgewährung, an der es bspw. fehlt bei der Erbringung der Pflege im Rahmen eines vergüteten Dienstleitungsverhältnisses, § 611 BGB, oder als vertraglich ausbedungene Gegenleistung für eine Immobilienübertragung6. Entgegen früherer Verwaltungsauffassung (R E 13.5 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 20117) liegt jedoch die erforderliche Freiwilligkeit auch vor, wenn die Pflegeleistungen durch gesetzlich Unterhaltspflichtige erbracht werden, und zwar gleichgültig ob eine Unter1 DNotI-Gutachten v. 12.12.2001, Nr. 1255; OLG Düsseldorf v. 31.5.1996 – 7 U 120/95, FamRZ 1996, 1506 = NJW 1996, 3156, a.A. nur OLG Zweibrücken v. 22.2.1988 – 4 U 121/87, FamRZ 1994, 1492. 2 OLG Köln v. 30.9.1991 – 2 W 140/91, FamRZ 1992, 607 = NJW-RR 1992, 200. 3 OLG Köln v. 30.4.1987 – 24 U 472/86, NJW-RR 1987, 1484. 4 OLG Celle v. 15.6.2006 – 6 U 99/06, FamRZ 2006, 1876 = RNotZ 2006, 477. 5 Selbst bei einem Versterben nach Bestellung des Aufgebots bleibt es bei Steuerklasse III, vgl. BFH, BStBl. 1998 II, S. 396. 6 Es genügt nach FG Nürnberg v. 1.3.2007 – IV 23/2005, ErbStB 2007, 231, dass die Beteiligten eine Grundbesitzübertragung als angemessene Gegenleistung für spätere Pflege angesehen haben. 7 Nach dieser Auffassung konnte in der erbrachten Pflege eine gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähige Schuldposition liegen, die § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG vorgeht, vgl. Kieser, ZErb 2014, 300 (302); Grootens, ErbStB 2015, 114 (115); BFH v. 13.7.1983 – II R 105/82, BStBl. 1984 II S. 37. Kosten zur Erlangung des Erwerbs gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG liegen nicht vor, vgl. R E 13.5 ErbStR 2011.

534

Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.190 § 13

haltspflicht nur abstrakt (aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses) oder konkret (aufgrund eigener Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit des Berechtigten) bestand1. Pflegebedürftigkeit i.S.d. § 14 Abs. 1 SGB XI oder gar das Erreichen einer Pflegestufe i.S.d. § 15 Abs. 1 SGB XI sind nicht erforderlich2, jedoch müssen die Leistungen mit gewisser Regelmäßigkeit über eine längere Dauer erbracht worden sein3. Die Weitergabe des staatlichen Pflegegeldes (vgl. § 37 SGB XI) an die tatsächlich pflegende Person ist zu Lebzeiten steuerfrei, § 13 Abs. 1 Nr. 9a ErbStG, um die Motivationswirkung nicht zu gefährden. Ähnlich wie bei der einkommensteuerlichen Befreiung des Pflegegeldes (§ 3 Nr. 36 EStG) gilt nach h.M. die Steuerfreiheit unabhängig von der Herkunft der Mittel4. Bei der Schenkung oder Vererbung tatsächlichen Betriebsvermögens (auch von Vermögen der Land- 13.186 und Forstwirtschaft, einer freiberuflicher Praxis etc.) bewirkt allerdings die Tarifbegrenzung des § 19a Abs. 1 bis 4 ErbStG, dass die Steuerbelastung auf das Niveau der Steuerklasse I reduziert wird (ohne dass die personenbezogenen Freibeträge angehoben würden!) Technisch wird für den steuerpflichtigen Erwerb die Steuer nach der tatsächlichen Steuerklasse des Erwerbers (hier: III) und alternativ nach Steuerklasse I ermittelt; der Differenzbetrag ist mit dem zuvor ermittelten Anteil (Wert des begünstigten Vermögens nach Abzug aller Verschonungsabschläge und des Abzugsbetrags sowie der mit dem Vermögen wirtschaftlich im Zusammenhang stehenden abzugsfähigen Schulden und Lasten einerseits zum Wert des gesamten Vermögensanfalls andererseits) zu multiplizieren; dieser Entlastungsbetrag ist dann bei der Ermittlung der festzusetzenden Steuer abzuziehen. Die Tarifbegrenzung unterliegt demselben Vorbehalt der Behaltensregelung (§ 13a Abs. 5 ErbStG) 13.187 wie der Verschonungsabschlag von 85 %, allerdings hat das Ergebnis der Lohnsummenprüfung nach § 13a Abs. 1 ErbStG auf die Gewährung des Tarifabschlags keinen Einfluss. Sinkt – aufgrund Verstoßes gegen die Behaltensregelungen – der Verschonungsabschlag, ist auch der Abzugsbetrag neu zu berechnen (regelmäßig mit der Folge einer Reduzierung, sofern der nichtbegünstigungsfähige Anteil über 150.000 Euro steigt), so dass der steuerpflichtige Teil des Betriebsvermögens höher wird und demnach auch der Entlastungsbetrag des § 19a ErbStG sich erhöht. Die Einsetzung des nichtehelichen Lebenspartners zum Vorerben führt dazu, dass dieser den gesamten ihm zugewendeten Nachlass zu versteuern hat. Der Vorerbe gilt als Erbe (§ 6 Abs. 1 ErbStG). Da der Lebenspartner der Steuerklasse III angehört (§ 15 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG) und ihm nur ein Freibetrag von 20.000 Euro zur Verfügung steht, ist er immer einer hohen Erbschaftsteuerbelastung ausgesetzt (Steuersatz mindestens 30 %).

13.188

Der Nacherbe hat, wenn der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben eintritt, ein Wahlrecht (§ 6 Abs. 2 ErbStG). Auf seinen Antrag hin ist der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen. Von diesem Antragsrecht muss unbedingt Gebrauch gemacht werden, da Kinder aus früheren Verbindungen gegenüber ihren leiblichen Eltern einen Freibetrag von 400.000 Euro haben (§§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Tritt die Nacherbschaft nicht mit dem Tod des Vorerben ein, sondern z.B. dann, wenn dieser erneut eine neue Lebensgemeinschaft in fester sozialer Bindung begründet, wird gem. § 6 Abs. 3 ErbStG eine vom Vorerben entrichtete Steuer dem Nacherben angerechnet. Im Hinblick auf die hohe Steuerbelastung, die der Vorerbe zu tragen hatte, dürfte der Nacherbe keine Erbschaftsteuer mehr zu zahlen haben.

13.189

Der Nachvermächtnisnehmer wird gem. § 6 Abs. 4 ErbStG wie der Nacherbe besteuert.

13.190

1 BFH v. 10.5.2017 – II R 37/15, ZEV 2017, 464, vgl. zur Vorinstanz Paus, ErbStB 2016, 313 ff. 2 BFH v. 11.9.2013 – II 37/12, MittBayNot 2014, 194; hierzu Pilz-Hönig, ZErb 2014, 70. 3 FG Baden-Württemberg v. 6.7.2012 – 11 K 4190/11, ErbStB 2012, 351; ferner muss das Zugewendete als angemessenes Entgelt für die Pflegeleistung erscheinen, wobei ein großzügiger Maßstab anzulegen ist, vgl. Ihle, notar 2014, 48 (52). 4 Vgl. Paus, ErbStB 2016, 313 (315).

Krauß 535

§ 13 Rz. 13.191

Nichteheliche Partner im Erbrecht

13.191 Wird dem nichtehelichen Partner ein Vermögensgegenstand im Wege des Vermächtnisses zugewendet, unterliegt die Zuwendung ebenfalls der Erbschaftsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Hier gelten, soweit die Steuerklasse und der Freibetrag betroffen sind, keine Besonderheiten. Der nichteheliche Partner hat auch hier lediglich einen Freibetrag von 20.000 Euro; Sachvermächtnisse versprechen seit 2009 (Bewertung mit dem gemeinen Wert) keine Besserung (allenfalls bei vermieteten Wohnimmobilien schafft § 13d ErbStG einen 10%igen Wertabschlag). Lediglich auf der Verschonungsebene kann bei Betriebsvermögen eine Linderung erreicht werden, vgl. Rz. 13.186 ff.

VI. Erbrecht der eingetragenen Lebenspartner 1. Gesetzliches Erbrecht

13.192 Für gleichgeschlechtliche Partner wurden durch das Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz – LPartG) v. 16.1.2001, das am 1.8.2001 in Kraft trat, gesetzliche Erbrechte begründet1. Die gesetzlichen Erbrechte des LPartG stehen aber nur den gleichgeschlechtlichen Partnern zu, die in Lebenspartnerschaft i.S.v. § 1 LPartG leben. Eine Lebenspartnerschaft konnte nur bis 1.10.2017 (Inkrafttreten der Neufassung des § 1353 Abs. 1 BGB: „Ehe für alle“), und zwar zwischen volljährigen unverheirateten Personen gleichen Geschlechts, die nicht in gerader Linie miteinander verwandt sind, begründet werden. Überdies war von ihnen in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung des Gesetzes2 eine Erklärung über ihren Vermögensstand abzugeben (§ 1 LPartG). Mit der Einführung der Zugewinngemeinschaft als dem gesetzlichen Güterstand (§ 6 n.F. LPartG) und der Gütertrennung (§ 7 n.F. LPartG i.V.m. § 1414 BGB) ist diese Erklärung entbehrlich geworden. Welche Behörde für die Entgegennahme der Erklärung der Lebenspartner zuständig war, ist in den Ausführungsgesetzen der Länder zum Lebenspartnerschaftsgesetz geregelt. Die Publizitätsakte sind ebenfalls landesgesetzlich geregelt3. Auch eine im Ausland bereits geschlossene „gleichgeschlechtliche Ehe“ ist auf Antrag erneut in das deutsche Partnerschaftsregister gem. § 35 PStG einzutragen4.

13.193 Die erbrechtlichen Regelungen für Lebenspartner sind den erbrechtlichen Regelungen der Ehepartner im Wesentlichen nachgebildet5 (sofern eingetragene Lebenspartner, wie häufig, ihre Lebenspartnerschaft seit 1.10.2017 gem. § 20a LPartG, § 17a PStG, rückwirkend in eine Ehe umwandeln, gelten diese unmittelbar und ohne jede Einschränkung). Die Bestimmungen sind in § 10 LPartG zusammengefasst, der eine Art „Kurzfassung“ des gesamten Erbrechts enthält. § 10 LPartG gilt, wie in Rz. 13.2 bereits ausgeführt, nur für eingetragene Lebenspartnerschaften, nicht, auch nicht im Wege der Analogie, für gleichgeschlechtliche oder verschiedengeschlechtliche Lebenspartner ohne Eintragung. Die Bestimmungen zum gesetzlichen Erbrecht des überlebenden Lebenspartners, enthalten in § 10 Abs. 1 und Abs. 2 LPartG, entsprechen inhaltlich den gesetzlichen Bestimmungen zum Erbrecht unter Ehegatten, wobei § 10 Abs. 1 S. 1 LPartG den Regelungen in § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB, § 10 Abs. 1 S. 2 LPartG wiederum § 1931 Abs. 1 S. 2 BGB, § 10 Abs. 2 S. 1 der Bestimmung des § 1931 Abs. 2 BGB und § 10 Abs. 2 S. 2 LPartG der Regelung in § 1931 Abs. 4 BGB entspricht. Voraussetzung ist stets, dass im Zeitpunkt des Todes noch eine rechtsgültig begründete Lebenspartnerschaft 1 BGBl I, 266; Zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vgl. BVerfG v. 17.7.2002 – 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543 ff.; zum Gesetzgebungsverfahren s. BT-Drucks. 14/3751, 14/4545, 14/4550, BR-Drucks. 738/00; Muscheler, Das Recht der eingetragenen Lebenspartnerschaft (2001), Rz. 8 ff.; Röthel in Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Kap. 2 Rz. 13 ff. 2 Das LPartG v. 16.1.2001 wurde in Teilen neu gefasst durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts, in Kraft seit 1.1.2005 (BGBl. 2004 I, 3396), vgl. BT-Drucks. 15/4052 v. 27.10.2004; Grziwotz, DNotZ 2005, 13. 3 S. Einzelheiten bei Röthel in Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Kap. 2 Rz. 157–216. 4 OLG München v. 6.7.2011 – 31 Wx 103/11, FamRZ 2011, 1526 = MittBayNot 2013, 321. 5 Zum Erbrecht der Lebenspartner vgl. v. Dickhut/Harrach in Schwab (Hrsg.), Die eingetragene Lebenspartnerschaft, S. 248; HK-LPartG/Kemper, § 10.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.198 § 13

bestand, diese also nicht rechtskräftig durch gerichtliches Urteil gem. § 15 LPartG aufgehoben wurde oder sie aus anderen Gründen nichtig ist (etwa wegen bereits bestehender Ehe).1 Nach § 10 Abs. 1 LPartG ist der überlebende Ehepartner neben Verwandten der ersten Ordnung zu 1/4, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern zur Hälfte der Erbschaft gesetzlicher Erbe. Sind weder Verwandte der ersten noch der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, erhält der überlebende Lebenspartner die gesamte Erbschaft (§ 10 Abs. 2 LPartG).

13.194

Zusätzlich stehen ihm die Haushaltsgegenstände, soweit sie nicht Zubehör eines Grundstücks sind, und die Geschenke zur Begründung der Lebenspartnerschaft als Voraus zu. Auch hier ist bereits eine Gleichstellung mit dem Ehegatten vollzogen, dem gem. § 1932 BGB der Voraus zusteht.

13.195

Wie beim Erbrecht der Ehepartner hat der Güterstand der Lebenspartner, der in § 6 a.F. LPartG als Vermögensstand bezeichnet wurde, Auswirkungen auf die Erbquote. Leben die Lebenspartner im Vermögensstand der Ausgleichsgemeinschaft, der der Zugewinngemeinschaft entspricht, erhöhte sich die Erbquote um 1/4 (§§ 10 Abs. 1, 6 Abs. 2 S. 4 LPartG, § 1371 Abs. 1 BGB). Gleiches gilt für den ab 1.1.2005 geltenden gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Im Güterstand der Vermögenstrennung, die eintrat, falls der Lebenspartnerschaftsvertrag oder die Ausgleichsgemeinschaft unwirksam vereinbart worden war (§ 6 Abs. 3 a.F. LPartG), entfiel die Quotenveränderung, die § 1931 Abs. 4 BGB für die Ehegatten bei Zusammentreffen mit Kindern des Erblassers vorsieht. Die Quotenveränderung entfällt ebenfalls bei Gütertrennung, die ab 1.1.2005 anstelle der Vermögenstrennung in notarieller Urkunde vereinbart werden kann.

13.196

Das gesetzliche Erbrecht entfällt, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Aufhebung der Lebenspartnerschaft gegeben waren und der Erblasser die Aufhebung beantragt oder ihr zugestimmt hatte oder der Erblasser einen Antrag auf Aufhebung der Lebenspartnerschaft wegen unzumutbarer Härte gestellt hatte und der Antrag begründet war (§§ 10 Abs. 3, 15 Abs. 1, 2 LPartG). Die in § 10 Abs. 3 S. 1 LPartG enthaltene „Vorverlagerung“ der Wirkung der Aufhebung entspricht in weiten Zügen § 1933 S. 1 BGB;2 allerdings fehlt eine dem § 1933 S. 2 BGB entsprechende Regelung, so dass im Bereich des § 15 Abs. 2 S. 2 LPartG erst die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung, nicht bereits der auf § 15 Abs. 2 S. 2 LPartG i.V.m. § 1314 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 BGB gestützte Aufhebungsantrag zum Entfallen des Erbrechts führt.

13.197

Das gesetzliche Erbrecht entfällt ferner (auch ohne gesonderte Verweisung in § 19 LPartG) für den 13.198 Fall der Erbunwürdigkeitserklärung, § 2344 BGB (§§ 2339 ff. BGB sprechen allgemein nur von Erblasser und Erben, erfassen also auch das Verhältnis zwischen eingetragenen Lebenspartnern) sowie für den Fall des Erbverzichts, für den in § 10 Abs. 7 LPartG „die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über den Erbverzicht entsprechend gelten“ lässt. Da diese Verweisung enger ist als bspw. die Verweisung auf das Pflichtteilsrecht in § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG (wo das Gesetz ergänzt „mit der Maßgabe, dass der Lebenspartner wie ein Ehegatte zu behandeln ist“), gilt allerdings die Vermutungsregelung des § 2350 Abs. 2 BGB nicht entsprechend (wonach bei einem Verzicht durch einen Abkömmling des Erblassers im Zweifel davon auszugehen sei, dass der Verzicht nur zugunsten der anderen Abkömmlinge und des Ehepartners – aber eben nicht des Lebenspartners – gelten solle)3. Ebenso ohne 1 Durch das Lebenspartnerschaftsüberarbeitungsgesetz v. 15.12.2004 hat § 1306 BGB eine Änderung erfahren, so dass die bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nach dem Wortlaut gesetzlich mögliche Bigamie beseitigt wurde. 2 Allerdings mit dem Unterschied, dass nach § 10 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 LPartG nur der Antrag des Erblassers und die in der Person des Überlebenden liegenden Gründe zu einem Wegfall des Erbrechts führen, während es in § 1933 S. 1 BGB stets genügt, dass die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe überhaupt vorliegen, gleichgültig, bei welchem der Ehegatten diese Gründe gegeben sind, vgl. Kaiser, FPR 2005, 286 (289). 3 Vgl. N. Mayer, ZEV 2001, 169, 173; Braun in Erbrecht, Ordnungsnr. 20: LPartG, § 10 Rz. 16, a.A. die wohl h.M., z.B. MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2350 Rz. 10.

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§ 13 Rz. 13.199

Nichteheliche Partner im Erbrecht

ausdrückliche Verweisung in § 10 LPartG entfällt das gesetzliche Erbrecht als Folge einer Ausschlagung, da auch § 1942 BGB allgemein von „dem Erben“ spricht.

13.199 In Bezug auf die „Sondererbfolge“ in Personengesellschaftsanteile können sich Auslegungsfragen ergeben, wenn z.B. ältere Gesellschaftsverträge sog. qualifizierte Nachfolgeklauseln enthalten, denen zufolge z.B. „Ehegatten“ nachfolgeberechtigt sind. Stammt der Vertrag aus einer Zeit, in der die eingetragene Lebenspartnerschaft noch nicht gesetzlich existierte, und kam es den Beteiligten erkennbar auf Personen an, die in rechtlich gesicherter Weise dem Gesellschafter besonders nahe stehen, dürfte auch der eingetragene Lebenspartner als Ehegatte „gelten“1.

13.200 IPR-rechtlich galt für Sterbefälle bis zum 16.8.2015 aus deutscher Sicht Art. 17b Abs. 1 S. 2, 1. Hs. EGBGB a.F. Danach bestimmten sich die erbrechtlichen Folgen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft grundsätzlich nach dem Erbstatut des verstorbenen Partners (aus deutscher Sicht also nach dessen Staatsangehörigkeit im Todeszeitpunkt, Art. 25 Abs. 1 EGBGB, vorbehaltlich einer Rück- oder Weiterverweisung des dadurch berufenen Rechts und vorbehaltlich einer Nachlassspaltung aufgrund Sonderanknüpfung nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB). Soweit dessen Heimatrecht die eingetragene Lebenspartnerschaft erbrechtlich nicht berücksichtigte2 (anders, wenn gesetzliche Erbansprüche gewährt werden, die aber hinter dem deutschen Niveau zurückbleiben), galt gem. Art. 17b Abs. 1 S. 2, 2. Hs. EGBGB a.F. auch für die erbrechtlichen Folgen (wie etwa für die güterrechtlichen Folgen ohnehin) das Recht des Registrierungsstaates, also bei Begründung der Lebenspartnerschaft in Deutschland § 10 LPartG. Umgekehrt wurde aufgrund einer (rechtspolitisch verfehlten) Kappungsregelung (Art. 17 Abs. 4 EGBGB a.F.) das ggf. anzuwendende ausländische Erbrecht, soweit es (wie etwa in den Niederlanden) weitergehende Erbansprüche gewährt, „verkürzt“ auf die Regelungen des deutschen Rechts. Für Sterbefälle seit 17.8.2015 wird Art. 17b Abs. 1 S. 2 EGBGB a.F. freilich durch die (auch für eingetragene Lebenspartner uneingeschränkt geltende, vgl. deren Art. 23 Abs. 2b) EuErbVO verdrängt3 und wurde daher ersatzlos aufgehoben, so dass sich das Erbstatut primär nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Verstorbenen richtet (Art 21 Abs. 1 EuErbVO), sofern keine abweichende Rechtswahl zugunsten des Staatsangehörigkeitsrechtes (z.B. gem. Art. 22 EuErbVO) getroffen wurde. Erfolgt Wegzug in ein Gebiet mit geringeren erbrechtlichen Ansprüchen, und führt die Rechtswahl (da auch das Heimatrecht keine ausreichenden Ansprüche gewährt) nicht weiter, hilft künftig nur die testamentarische Einsetzung (da die bisher in Art. 17b Abs. 1 S. 2 EGBGB a.F. enthaltene Hilfsanknüpfung an das Recht des Registrierungsstaates, also bei inländischer Registrierung das deutsche Recht, entfällt). Es ist fraglich, ob eine gesetzliche Nachlassbeteiligung des überlebenden eingetragenen Lebenspartners (auch ohne Testament) in solchen Fällen durch Anwendung des ordre-public-Vorbehalts (Art. 35 EuErbVO) erreicht werden kann (Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Ausrichtung, vgl. Erwägungsgrund 58 EuErbVO, Art. 21 EU-Charta)4.

13.200a Die Vorfrage, ob eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft i.S.d. EuErbVO überhaupt existiert, wird allerdings (leider) nicht durch die EuErbVO beantwortet, sondern nach dem am Ort des angerufenen Gerichtes geltenden Recht. Dies kann zu Problemen führen, wenn letzteres z.B. die in einem anderen Mitgliedsstaat eingetragene Lebenspartnerschaft nicht als gültig ansieht oder eigenen bzw. ausländischen Staatsangehörigen die Anerkennung einer solchen Partnerschaft verweigert5. 2. Gewillkürtes Erbrecht

13.201 Lebenspartner können wie Ehepartner ein gemeinschaftliches Testament errichten (§ 10 Abs. 4 LPartG). Es muss jedoch im Zeitpunkt der Errichtung bereits eine wirksame Lebenspartnerschaft be1 2 3 4 5

Gutachten DNotI-Report 2011, 33 ff. Etwa bei in Luxemberg eingetragener Lebenspartnerschaft: Hertel, ZErb 2014, 132, ebenso in Italien. Coester, ZEV 2013, 115 ff. Vgl. Bruns, ZErb 2014, 181 (182). Zu Recht plädieren Mansel/Thorn/Wagner, IPrax 2011, 1 (3) daher für eine Kollisionsrechtsharmonisierung auch zu diesen Vorfragen.

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Krauß

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Rz. 13.205 § 13

stehen, die spätere Begründung, selbst wenn bereits ein Verlöbnis1 besteht, genügt nicht. Gem. § 10 Abs. 4 S. 2 LPartG gelten §§ 2266 bis 2272 BGB entsprechend, so dass Lebenspartner – in gleicher Weise wie Ehegatten – ihre Verfügungen wechselbezüglich treffen können, auch in der erleichterten Form des § 2267 BGB. Dass eingetragene Lebenspartner einen Erbvertrag errichten können, bedarf keiner gesetzlichen Erwähnung, da dort keine besondere persönliche Beziehung zwischen den Vertragsparteien erforderlich ist. Gesetzlich wurde insoweit im Rahmen der materiellen Bestimmungen des BGB, die bisher ausdrücklich auf Ehegatten zugeschnitten sind, eine Erweiterung auch auf den eingetragenen Lebenspartner vorgenommen (so etwa in §§ 2275 Abs. 3, 2279 Abs. 2, 2280, 2290 Abs. 3 S. 2, 2292 BGB) bzw. – dann bewusst – nicht vorgenommen (§§ 2275 Abs. 2 S. 1, 2276 Abs. 2 BGB). Auch das Erbrecht des Lebenspartners bei gewillkürter Erbfolge entfällt im Fall der Aufhebung der Lebenspartnerschaft, es sei denn, es ist anzunehmen, dass der Erblasser die Verfügung von Todes wegen zugunsten des Lebenspartners auch für den Fall der Aufhebung der Lebenspartnerschaft getroffen haben würde (§ 10 Abs. 5 LPartG, § 2077 Abs. 3 BGB). Da § 10 Abs. 5 LPartG (anders als § 10 Abs. 3 LPartG, s. oben Rz. 13.197) sämtliche Aufhebungsgründe in § 2077 BGB umfasst, können Verfügungen zugunsten des anderen Lebenspartners in einem Testament früher entfallen als das gesetzliche Erbrecht.

13.202

Dem Lebenspartner steht ebenso wie dem Ehegatten ein Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte 13.203 des Wertes des gesetzlichen Erbteils zu, wenn der Erblasser den überlebenden Ehepartner durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen hatte (§ 10 Abs. 6 LPartG). Da § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG die Vorschriften des BGB über den Pflichtteil entsprechend Anwendung finden lässt „mit der Maßgabe, dass der Lebenspartner wie ein Ehegatte zu behandeln ist“, ist der Lebenspartner dem Ehegatten auch beim Pflichtteil dritter Personen gleichgestellt, etwa in Bezug auf § 2325 Abs. 3 BGB (Nichtanlaufen der 10-Jahres-Frist hinsichtlich der Pflichtteilsergänzung, sofern Zuwendungen unter eingetragenen Lebenspartnern stattfinden). Wo immer in §§ 2303 ff. BGB demnach vom „Ehegatten“ die Rede ist, ist auch der eingetragene Lebenspartner zu lesen. Ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht als Lebenspartner oder das Pflichtteilsrecht ist zulässig. Erbverzichtsvertrag und Pflichtteilsverzichtsvertrag bedürfen der notariellen Beurkundung (§ 10 Abs. 7 LPartG, § 2348 BGB). Auch ohne ausdrückliche Erwähnung in § 10 LPartG entfällt der Pflichtteil ferner dann, wenn er gem. § 2335 BGB wirksam entzogen wurde oder die Pflichtteilsunwürdigkeit nach §§ 2344, 2345 Abs. 2 BGB festgestellt wurde2.

13.204

3. Schenkung- und Erbschaftsteuer Während für gleichgeschlechtliche Partner, die in einer Lebenspartnerschaft leben, durch § 10 LPartG 13.205 ein gesetzliches Erbrecht wie für Ehegatten begründet wurde, ist ihnen eine steuerrechtliche Gleichstellung mit den Ehegatten zunächst versagt geblieben. Diese war im Gesetz zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze (Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz – LPartGErgG)3 dergestalt vorgesehen, dass auch Verpartnerten die Ehegattenprivilegien der §§ 5, 15 und 16 ErbStG (u.a. Freibetrag von 307.000 Euro, Steuerklasse I) zukommen sollten. Das LPartErgG fand während der 14. Legislaturperiode im Bundesrat jedoch keine Mehrheit; das Vermittlungsverfahren blieb ohne 1 Das gem. § 1 Abs. 4 LPartG auch zwischen künftigen Lebenspartnern bestehen kann. 2 Vgl. Kaiser, FPR 2005, 286 (289). 3 BT-Drucks. 14/4545 Anl. 2; BR-Drucks. 738/00 mit Anl. 2. Das Gesetzesvorhaben wurde aufgespalten in einen nicht zustimmungsbedürftigen Teil, der im LPartG geregelt wurde, und einen zustimmungsbedürftigen Teil, der im LPartErgG geregelt war. Art. 12 LPartErgG enthielt eine Änderung von §§ 1, 3, 6 LPartG, Art. 2 enthielt Änderungen von immerhin 71 Bundesgesetzen, mit denen u.a. die sozial- und steuerrechtliche Gleichstellung von Lebenspartnern und Ehepartnern erreicht werden sollte. Das BVerfG hat die Aufspaltung des Gesetzeswerkes in einen zustimmungsbedürftigen und einen nicht zustimmungsbedürftigen Teil als nicht willkürlich und damit zulässig angesehen, BVerfG v. 17.7.2002 – 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543 (2545/2546).

Krauß 539

§ 13 Rz. 13.206

Nichteheliche Partner im Erbrecht

Ergebnis. Demnach wurden Verpartnerte für Schenkungs- und Sterbefälle bis Ende 2008 wie fremde Personen behandelt (Personenfreibetrag 5.200 Euro). Lediglich über güterrechtliche Modelle (Beendigung des gesetzlichen Güterstandes durch Wechsel bspw. in die Gütertrennung oder durch Tod) konnten Freibeträge in Höhe des gesetzlich geschuldeten Zugewinnausgleichs (§ 5 Abs. 1 und 2 ErbStG) genutzt werden.

13.206 Im Rahmen der Erbschaftsteuerreform 2009 wurde die Gleichstellung Verpartnerter mit Ehegatten zumindest teilweise herbeigeführt: Sie zählen zwar für alle Schenkungs- und Sterbefälle ab 2009 (die bis 30.6.2009 mögliche „Vorausoption“ für Sterbefälle der Jahre 2007 und 2008 zugunsten der neuen Rechtslage gilt nicht für die Freibeträge, Art. 3 Abs. 1 ErbStRG!) weiterhin zur Steuerklasse III (Steuersatz demnach einheitlich 30 % bis sechs Mio. Euro), verfügen aber wie Ehegatten über einen Freibetrag von nunmehr 500.000 Euro – dieser hat sich also fast verhundertfacht – zuzüglich des steuerfreien Zugewinnausgleichs gem. § 5 Abs. 1 und 2 ErbStG bei Beendigung des gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft durch Ehevertrag oder Tod.

13.207 Hinzu kommt die Möglichkeit der steuerfreien Übertragung des (jeweiligen) selbst genutzten Anteils am „Familienheim“ unter Verpartnerten gem. (dem inhaltlich erweiterten, auch auf Objekte innerhalb der EU/des EWR erstreckten) § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG, unabhängig vom Güterstand; diese objektbezogene Steuerbefreiung ist an keine Nachbewohnzeiten geknüpft und kann mehrfach ausgenutzt werden („Familienheimschaukel“). Für Ehegatten und Verpartnerte neu ist ab 2009 ferner die in § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG geschaffene Freistellung der letztwilligen Zuwendung des selbst genutzten Familienheims, allerdings unter der (bis zum letzten Tag einzuhaltenden) Voraussetzung, dass der hinterbliebene Verpartnerte das Objekt zehn Jahre lang selbst nutzt, sofern er hieran nicht durch zwingende Gründe (eigenen Tod, erhebliche Pflegebedürftigkeit etc) gehindert ist.

13.208 Gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 ErbStG bleibt ferner (wie unter Ehegatten) der Erwerb von Hausrat bis zu einem Betrag von 41.000 Euro und von anderen beweglichen Gegenständen, die üblicherweise zur Ausstattung einer gemeinschaftlichen Wohnung gehören, bis zu einem Wert von 12.000 Euro steuerfrei. Darüber hinaus erhält der überlebende Lebenspartner den Versorgungsfreibetrag gem. § 17 Abs. 1 ErbStG in Höhe von 256.000 Euro. Die spürbar gesteigerte erbschaftsteuerliche Attraktivität der eingetragenen Lebenspartnerschaft ist Hauptursache für die seit Anfang 2009 deutlich zunehmende Registrierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften.

540

Krauß

§ 14 Minderjährige Erben I. Der Begriff des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lebzeitige Zuwendungen mittels vorweggenommener Erbfolge . . . . . 1. Ausgangsdifferenzierung . . . . . . . . . . 2. Kinder unter sieben Jahren . . . . . . . . 3. Sieben- bis 17-jährige Kinder . . . . . . 4. Lediglich-rechtlicher Vorteil . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nießbrauchsvorbehalt . . . . . . . . . c) Vermieteter bzw. verpachteter Grundbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rücktrittsvorbehalt . . . . . . . . . . . . e) Wohnungs- und Teileigentum . . . f) Anordnung der Pflichtteilsanrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Anordnung der Erbausgleichung und sonstige Vorbehalte . . . . . . . . h) Schenkung eines Kommanditanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gestaltung durch Verfügung von Todes wegen des beschenkten Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsproblematik . . . . . . . . . . . . 2. Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gestaltung durch letztwillige Verfügung zugunsten Minderjähriger . . 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsrechtsentzug zulasten der Eltern unter Benennung eines Ergänzungspflegers . . . . . . . . . . . . . . 3. Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . 4. Verwaltungsanordnung gegenüber den Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Benennung eines Vormundes für die eigenen minderjährigen Kinder . . . . . 6. Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis . . . . . . . . . 7. Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes für minderjährige nicht aus einer Ehe entstammende Kinder . . . . . . . . 8. Testamentsvollstreckung bei minderjährigen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14.1 14.2 14.2 14.4 14.8 14.10 14.10 14.11 14.12 14.13 14.15 14.16 14.21 14.22

14.23 14.23 14.24 14.27 14.29 14.29 14.30 14.35 14.41 14.45 14.48

14.50 14.52

V. Minderjährige Enkelkinder als Nutznießer letztwilliger Pflichtteilsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . .

14.60

VI. Schutz minderjähriger Kinder des erstversterbenden Ehegatten in Patchwork-Familien durch Ausbildungsunterhaltsvermächtnis . . . . . .

14.66

VII. Gestaltung durch Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- bzw. Zuwendungsverzichtsvertrag . . . . . . . . . . . 14.70 1. Praktische Relevanz bei Beteiligung Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.70 2. Ausgangsdifferenzierung nach Verzichtsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.73 a) Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . 14.73 b) Zuwendungsverzichtsvertrag . . . . 14.85 c) Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . 14.93 3. Differenzierung nach der Rolle des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.96 a) Das minderjährige Kind als Verzichtender (§ 2347 Abs. 1 BGB) . . 14.96 b) Das minderjährige Kind als Erblasser (§ 2347 Abs. 2 BGB) . . . . . . 14.101 VIII. Die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinsantrag . 14.107 IX. Gestaltung durch Erbschaftsausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgangsproblematik für die Erbschaftsausschlagung minderjähriger Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Vertretung des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grad der Geschäftsfähigkeit . . . . . b) Vertretungstatbestände . . . . . . . . . 4. Genehmigungsbedürftigkeit . . . . . . . a) Gesetzessystematik . . . . . . . . . . . . b) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anfall durch Erbausschlagung eines nicht vertretungsberechtigten Elternteils . . . . . bb) Werthaltiger Nachlass . . . . . . cc) Erbausschlagung nur für eines von mehreren Kindern . . dd) Gesetzlicher Vertreter wird durch Erbausschlagung für das eingesetzte Kind selbst Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Erbausschlagung durch längstlebenden Elternteil für sich und das Kind . . . . . . . . . ff) Erbausschlagung für das Kind durch den daneben berufenen Elternteil . . . . . . . . c) Genehmigungserteilung . . . . . . . . 5. Problematik Kontrollvertreter . . . . . . 6. Besondere örtliche Zuständigkeit zur nachlassgerichtlichen Protokollierung von Erbausschlagungen . . . . . . .

Fröhler

14.110 14.110 14.117 14.118 14.118 14.119 14.120 14.120 14.121 14.121 14.122 14.123

14.124 14.125 14.128 14.129 14.130 14.131

541

§ 14 Rz. 14.1

Minderjährige Erben

a) Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . . c) Verweisung auf die Terminologie der internationalen Zuständigkeit d) Zielvorgabe nach Erwägungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . aa) Objektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Subjektiv . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Problematik: eventuelle Mehrzahl gewöhnlicher Aufenthalte . . . . . . . h) Problematik: Vertretung bei der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Exkurs: mittelbares Indiz des gewählten Wohnsitzes . . . . . . . . . .

14.131 14.132

aa) Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.164 bb) Indizwirkung des Wohnsitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.166

14.138

X. Vermögensverzeichnispflicht . . . . . . 14.179

14.141 14.145 14.145 14.149 14.159

XI. Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft als ausschließliche Erfüllung einer Verbindlichkeit . . . . 14.183

14.162 14.163

XII. Pflichtteilsanspruch und Ergänzungspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 14.187 1. Alleinerbschaft des längstlebenden Ehegatten und Pflichtteilsanspruch des minderjährigen Kindes . . . . . . . . 14.187 2. Alleinerbschaft des minderjährigen Kindes und Pflichtteilsanspruch des längstlebenden Ehegatten . . . . . . . . . 14.188

14.164

Schrifttum: Automo, Verbot von Kinderehen?, ZRP 2017, 77; Coester, Kinderehen in Deutschland, Stellungnahme der Kinderrechtekommission des DFGT v. 29.11.2016, FamRZ 2017, 77; Baumann, Erbausschlagung gegen Abfindung bei minderjährigen Ersatzerben – Zugleich Anmerkungen zum Beschl. des OLG Köln v. 26.4.2012 – II-12 UF 10/12, DNotZ 2012, 803; Damrau, Auswirkungen des Testamentsvollstreckeramtes auf elterliche Sorge, Vormundsamt und Betreuung, ZEV 1994, 1; Damrau, Minderjährige Kinder aus geschiedenen Ehen als Erben, ZEV 1998, 90; Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, 2002; Fembacher/ Franzmann, Rückforderungsklauseln und Pflichtteilsklauseln in Überlassungsverträgen mit Minderjährigen, MittBayNot 2002, 78; Frenz, Familienrechtliche Anordnungen, DNotZ 1995, 908; Fröhler, Der Gesetzentwurf zur Änderung des nationalen Rechts zwecks Durchführung der EuErbVO und neue Erkenntnisse zur internationalen Zuständigkeit deutscher Nachlassgerichte im Erbscheinsverfahren, BWNotZ 2015, 47; Fröhler, Erbausschlagung und FamFG, BWNotZ 2012, 160; Fröhler, Erbausschlagungen von Eltern für ihr minderjähriges Kind, BWNotZ 2013, 88; Horn, Testamentsgestaltung für Eltern von minderjährigen Kindern, ZEV 2013, 297; Ivo, Die Erbausschlagung für das minderjährige Kind, ZEV 2002, 309; Keim, Grenzen der Anrechenbarkeit lebzeitiger Zuwendungen auf den Pflichtteil, MittBayNot 2008, 8; Kirchner, Vormundschaft und Testamentsvollstreckung im Elterntestament, MittBayNot 1997, 203; Löhnig, Ausschlagung einer Erbschaft durch die Mutter als gesetzlicher Vertreter des Kindes, JA 2016, 867; Mensch, Die Ausschlagung Minderjähriger, BWNotZ 2013, 144; Menzel/Wolf, Der minderjährige Kommanditist – bei Gründung, unentgeltlicher Anteilsübertragung und Erwerb von Todes wegen, MittBayNot 2010, 186; Muscheler, Anmerkung zu BGH Beschl. v. 29.6.2016, ZEV 2017, 36; Ott, Beschränkung des elterlichen Verwaltungsrechts durch den Erblasser, NJW 2014, 3473; Ott, Vormundbenennung durch letztwillige Verfügung, BWNotZ 2014, 138; Rastätter, Grundstücksschenkungen an Minderjährige, BWNotZ 2006, 1; Sagmeister, Die Erbausschlagung bei minderjährigen Nach- und Ersatzerben, ZEV 2012, 121; Tschernoster, Der Minderjährige als Erbe und Vermächtnisnehmer – unter Berücksichtigung der Besonderheiten bei Testamentsvollstreckung, RNotZ 2017, 125.

I. Der Begriff des minderjährigen Kindes 14.1 Aus dem Umkehrschluss zur Regelung des § 2 BGB, die ausdrücklich den Eintritt der Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres1 definiert, und der Vorschrift des § 106 BGB, wonach die Altersgruppe der sieben- bis siebenzehnjährigen Kinder lediglich den bereits beschränkt geschäftsfähigen Teil der Minderjährigen darstellt, folgt zugleich, dass ein Kind von seiner Geburt bis unmittelbar vor Vollendung des 18. Lebensjahres, mithin vom ersten Lebenstag bis zum Ablauf des 17. Lebensjahres minderjährig ist2. Nach § 188 Abs. 2 Alt. 2 i.V.m. § 187 Abs. 2 S. 2 BGB endet die Minderjährigkeit daher mit Ablauf desjenigen Tages des 17. Lebensjahres eines Kindes, der dem Tag vorangeht, 1 Gesetz zur Neuregelung des Volljährigenalters v. 31.7.1974, BGBl. 1974 I, S. 1713. 2 Staudinger/Knothe, § 104 Rz. 1.

542

Fröhler

Minderjährige Erben

Rz. 14.5 § 14

der nach seiner Zahl dem Tag der Geburt als Anfangstag entspricht. Danach ist bspw. ein am 16.7.1996 geborenes Kind bis unmittelbar vor Ablauf des 15.7.2014 minderjährig und mit Ablauf des 15.7.2014 am 16.7.2014 um 00.00 Uhr volljährig1. Bis zum Inkrafttreten des § 2 BGB zugrundeliegenden Gesetzes zur Neuregelung des Volljährigenalters vom 31.7.1974 galt als Volljährigkeitsstichtag noch der durch Reichsgesetz vom 17.2.1975 eingeführte Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres2.

II. Lebzeitige Zuwendungen mittels vorweggenommener Erbfolge 1. Ausgangsdifferenzierung Beratungssituation: Die Eltern M und F verfügen über ein sehr großes Vermögen. Sie erwägen aus steuerlichen Gründen bereits zu Lebzeiten Grundbesitzübertragungen an ihre noch minderjährigen Kinder. Die betroffenen Objekte sind teilweise vermietet. Die Eltern möchten eventuelle Verfügungen über den Grundbesitz kontrollieren können.

14.2

Neben oder anstelle von letztwilligen Zuwendungen auf den Tod des Zuwendenden kommen insbesondere zum Zwecke der Reduzierung von Pflichtteils-, Sozialhilferegress- bzw. Steuerlasten (zu den Vor- und Nachteilen lebzeitiger Vermögensübertragungen im Allgemeinen s. Rz. 3.1 ff.) auch zugunsten minderjähriger Kinder lebzeitige Vermögensübertragungen als Ausstattung, Schenkung bzw. gemischte Schenkung in Betracht. Bei unentgeltlichen Zuwendungen an minderjährige Kinder bis zum Ablauf deren 17. Lebensjahres ist wiederum zwischen i.S.d. § 104 Nr. 1 BGB geschäftsunfähigen und nach § 107 BGB beschränkt geschäftsfähigen minderjährigen Beschenkten zu unterscheiden.

14.3

2. Kinder unter sieben Jahren Kinder sind nach § 104 Nr. 1 BGB bis zur Vollendung ihres 7. Lebensjahres, mithin gem. § 188 Abs. 2 Alt. 2 i.V.m. § 187 Abs. 2 S. 2 BGB bis zum Ablauf desjenigen Tages ihres 7. Lebensjahres, der dem Tag vorangeht, der nach seiner Zahl dem Tag der Geburt als Anfangstag entspricht – bspw. ein am 16.7.2007 geborenes Kind bis unmittelbar vor Ablauf des 15.7.20143 –, geschäftsunfähig. Sie bedürfen unabhängig davon, ob ein in Rede stehendes Rechtsgeschäft für sie lediglich rechtlich vorteilhaft ist, stets einer gesetzlichen Vertretung, ohne die das Rechtsgeschäft nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig ist, da die insoweit missverständlich formulierte Regelung des § 107 BGB nicht für alle, sondern ausschließlich für nach § 106 BGB beschränkt geschäftsfähige Minderjährige gilt. Nach § 1629 Abs. 1 S. 2 BGB vertreten die Eltern ihr Kind vorbehaltlich einer Entscheidung nach § 1671 Abs. 1 BGB grundsätzlich gemeinschaftlich. Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, vertritt die Mutter das Kind aufgrund alleinigen elterlichen Sorgerechts gem. § 1629 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 1626a Abs. 3 BGB allein, soweit beide Elternteile keine Sorgeerklärung i.S.d. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben haben, sie einander nicht geheiratet haben und das Familiengericht ihnen die elterliche Sorge nicht nach §§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 1671 BGB4 gemeinsam oder einem allein übertragen hat5.

14.4

Die Eltern können insoweit nach §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB insbesondere dann von der Vertretung ausgeschlossen sein, wenn das Rechtsgeschäft zwischen dem Kind und einem Elternteil oder einem Verwandten in gerader Linie geschlossen wird. In derartigen Fällen ist die Bestellung und Mitwirkung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 BGB erforderlich.

14.5

1 2 3 4

Staudinger/Kannowski, § 2 Rz. 2; Staudinger/Knothe, § 104 Rz. 2. Staudinger/Kannowski, § 2 Rz. 1. Staudinger/Kannowski, § 2 Rz. 2; Staudinger/Knothe, § 104 Rz. 2. §§ 1626a, 1671 BGB neu gefasst und § 1672 BGB aufgehoben mit Wirkung v. 19.5.2013 durch Gesetz v. 16.4.2013, BGBl. 2013 I, S. 795. 5 Fröhler, BWNotZ 2013, 88; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 53.

Fröhler

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§ 14 Rz. 14.6

Minderjährige Erben

Beratungshinweis: Wird erst im notariellen Beurkundungstermin festgestellt, dass ein Ergänzungspfleger bestellt werden muss, ist aber der Vertragsinhalt mit dem nach §§ 23a Abs. 1 Nr. 1, 23b Abs. 1 S. 1 GVG i.V.m. § 151 Nr. 5 FamFG sachlich zuständigen Familiengericht inhaltlich bereits besprochen, muss im Hinblick auf die Insichgeschäftsbeschränkung nach § 181 BGB1 darauf geachtet werden, dass die für den noch zu bestellenden Ergänzungspfleger auftretende Person nicht zugleich anderweitig Partei bzw. Vertreter einer Partei des Vertrags ist, da auch ein Gericht nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien und damit keine wirksame Genehmigung zu einem Insichgeschäft erteilen kann2.

14.6 Soweit das Rechtsgeschäft für das Kind jedoch lediglich rechtlich vorteilhaft ist, findet der Rechtsgedanke des § 181 BGB und damit auch das Vertretungsverbot der §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB sowohl bei geschäftsunfähigen als auch bei dann ohnehin insoweit alleine handlungsfähigen beschränkt geschäftsfähigen minderjährigen Kindern keine Anwendung3. Zur Abgrenzung zwischen vorteilhaften und nachteiligen Rechtsgeschäften s. Rz. 14.10 ff.

14.7 Je nach Regelungsgegenstand bedürfen sowohl Eltern als auch Ergänzungspfleger der familiengerichtlichen Genehmigung (Eltern nach § 1643 Abs. 1 i.V.m. §§ 1821, 1822 BGB bzw. §§ 1643 Abs. 2, 2347 Abs. 1 BGB; Ergänzungspfleger nach § 1915 Abs. 1 i.V.m. §§ 1821, 1822 BGB bzw. § 2347 Abs. 1 BGB). Dies gilt insbesondere nach § 2347 Abs. 1 BGB für Pflichtteilsverzichtsverträge und Grundbesitzübertragungen unter Rückübertragungsvorbehalt i.S.d. § 1821 Abs. 1 Nr. 4 BGB bzw. vereinbarter (teil-)entgeltlicher Gegenleistung bspw. durch Darlehensübernahme i.S.d. § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB als gemischte Schenkung. Umgekehrt löst weder die lediglich rechtlich vorteilhafte und damit keinen Ergänzungspfleger voraussetzende Grundbesitzübertragung unter Nießbrauchsvorbehalt (vgl. dazu Rz. 14.11) noch die rechtlich nachteilige und daher eine Genehmigung eines Ergänzungspflegers erfordernde Übertragung von Wohnungseigentum (vgl. dazu Rz. 14.15) eine familiengerichtliche Genehmigungspflicht aus, da vor allem jeweils keine Entgeltlichkeit i.S.d. § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB vorliegt, insbesondere die aus dem Wohnungseigentum resultierende persönliche Haftung gesetzlich bedingt und nicht vereinbart ist4. 3. Sieben- bis 17-jährige Kinder

14.8 Minderjährige Kinder zwischen sieben und 17 Jahren sind nach § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig. Sie bedürfen zu einer Willenserklärung dann der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, wenn sie dadurch nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangen. Dies gilt auch dann, wenn das betroffene nachteilige Rechtsgeschäft unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Volljährigkeit des Beschenkten vereinbart wird, da der diesbezügliche Schutzzweck nicht ausschließlich auf die Verhinderung von Nachteilen noch während der Minderjährigkeit des minderjährigen Beschenkten beschränkt ist, sondern auch solche nach Erreichen der Volljährigkeit erfasst, wenn diese noch während der Minderjährigkeit des Beschenkten angelegt werden5. Zur Abgrenzung zwischen vorteilhaften und nachteiligen Rechtsgeschäften Rz. 14.10 ff.

14.9 Ist das in Rede stehende Rechtsgeschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft und daher eine Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters erforderlich, gelten der Vertretungsausschluss nach §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB und die Notwendigkeit eines Ergänzungspflegers i.S.d. § 1909 BGB. Im Rahmen der familiengerichtlichen Genehmigungserfordernisse nach §§ 1643, 1821, 1822 bzw. 2347 BGB 1 Zur Anwendbarkeit des § 181 BGB bei Vertretung ohne Vertretungsmacht BeckOGK/Fröhler, § 181 BGB Rz. 234 ff.; Fröhler, BWNotZ 2006, 97, 102 f. 2 BGH v. 9.7.1956 – 5 Blw 11/56, BGHZ 21, 229, 234; RG v. 13.5.1909 – IV 248/08, RGZ 71, 162, 164; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 54. 3 BayObLG v. 29.5.1998 – 2Z BR 85/98, NJW 1998, 3574 f.; Fröhler, BWNotZ 2006, 97, 104. 4 Fembacher/Franzmann, MittBayNot 2002, 78, 82; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 55. 5 KG v. 31.8.2010 – 1 W 167/10, FamRZ 2011, 736 = FGPrax 2011, 79, 80; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 56.

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Fröhler

Minderjährige Erben

Rz. 14.12 § 14

(zum Genehmigungsverfahren vgl. Rz. 14.17) bedarf eine Grundstücksveräußerung selbst dann der gerichtlichen Genehmigung nach § 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB, wenn diese Veräußerung durch eine GbR erfolgt, an der auch der gesetzlich Vertretene beteiligt ist, sowie deren Satzung nicht nach dem Gesellschaftszweck den Erwerb samt der Veräußerung von Grundbesitz vorsieht und dadurch ausnahmsweise die Genehmigung zum Gesellschaftsbeitritt i.S.d. § 1822 Nr. 3 BGB bereits die Grundbesitzveräußerung nach § 1821 Abs. 1 Nr. 3 BGB miterfasst, da die Änderung der BGHRspr. zur Rechtsfähigkeit einer GbR den Schutz des gesetzlich Vertretenen nicht einschränkt1. 4. Lediglich-rechtlicher Vorteil a) Allgemeines Ein lediglich rechtlicher Vorteil kommt insbesondere bei Schenkungen in Betracht. Maßgebend ist zum Schutz des Kindes dabei grundsätzlich entgegen der früheren Durchbrechung des Abstraktionsprinzips (Gesamtbetrachtung des schuldrechtlichen und dinglichen Vertrags2) nunmehr eine isolierte Prüfung alleine des dinglichen Erwerbsgeschäfts. Die Auflassung bleibt selbst bei rechtlichem Nachteil gerichtlich genehmigungsfrei und kann – ggf. auch ohne Rechtsgrund – im Grundbuch vollzogen werden3.

14.10

Beratungshinweis: Es sollte im Falle einer eventuellen isolierten Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Vertrags jedoch unbedingt auf die Risiken einer drohenden Kondiktion hingewiesen und erwogen werden, den Grundbuchvollzug nach § 53 BeurkG einvernehmlich auch von der Wirksamkeit des Grundgeschäfts abhängig zu machen.

b) Nießbrauchsvorbehalt Eine der praktisch häufigsten Gestaltungen in diesem Zusammenhang ist die unentgeltliche Übertra- 14.11 gung von Grundbesitz durch Eltern auf ihre Kinder bzw. von Großeltern an ihre Enkel unter Nießbrauchsvorbehalt, über den meist auch die außergewöhnlichen Lasten durch den Nießbrauchsberechtigten getragen werden. Dabei gelten derartige Übertragungen nur unter der Voraussetzung als für den Übernehmer lediglich rechtlich vorteilhaft, dass der Nießbrauchsberechtigte auch sämtliche Kosten für außergewöhnliche Ausbesserungen und Erneuerungen sowie die außergewöhnlichen Grundstückslasten trägt4, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Nießbrauch bereits auf dem übertragenen Grundbesitz lastet oder erst anlässlich der Übertragung vorbehalten wird. Selbst wenn die laufenden öffentlichen Lasten durch den Übernehmer zu tragen sind, handelt es sich um unschädliche, typischerweise ungefährliche Rechtsnachteile, die die lediglich rechtliche Vorteilhaftigkeit nicht in Frage stellen5. c) Vermieteter bzw. verpachteter Grundbesitz Die dingliche Übertragung ist jedoch – im Gegensatz zu einer isolierten ausschließlich schuldrechtlichen Schenkungsvereinbarung, durch die noch kein gesetzlicher Eintritt in einen Mietvertrag aus1 OLG Nürnberg v. 4.10.2012 – 15 W 1623/12, FamRZ 2013, 1055 = MDR 2012, 1344 = NJW 2013, 82 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 57; Michael, notar 2013, 367 (369). 2 BGH v. 9.7.1980 – V ZB 16/79, MDR 1981, 37 = FamRZ 1981, 761 = NJW 1981, 109. 3 BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, MDR 2011, 25 = FamRZ 2010, 2065 = NJW 2010, 3643 ff.; BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415 (416 ff.); Langenfeld/ Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 58. 4 OLG Celle v. 7.11.2003 – 4 W 186/13, FamRZ 2014, 673 = RNotZ 2014, 317 (318 f.) unter Aufgabe seiner entgegengesetzten früheren Rspr. v. 16.2.2001 – 4 W 324/00; Stößer, FamRB 2014, 94. 5 BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415 (41f f.); OLG Karlsruhe v. 3.12.1999 – 11 Wx 134/99, FamRZ 2001, 181; BeckOGK/Fröhler, § 181 BGB Rz. 323; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 59.

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14.12

§ 14 Rz. 14.13

Minderjährige Erben

gelöst wird und deren dinglicher Vollzug erst in einem gesonderten späteren Vertrag nach Eintritt der Volljährigkeit des Beschenkten geregelt werden soll, soweit keine in einem solchen Fall für den Beschenkten doch nachteilige schuldrechtliche interne Haftungsfreistellungsverpflichtung zugunsten des Schenkers mitvereinbart ist1 – dann nicht mehr lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn der Grundbesitz bei Übergabe bereits vermietet oder verpachtet war – unproblematisch soll hingegen die bloße Möglichkeit einer späteren Vermietung bzw. Verpachtung durch den Nießbrauchsberechtigten sein –, da den Erwerber insbesondere gem. §§ 536a, 581 Abs. 2, 586 Abs. 2 BGB Schadens- und Aufwendungsersatzpflichten sowie die Pflicht zur Rückgewähr einer durch den Mieter oder Pächter geleisteten Sicherheit treffen können2. Beratungshinweis: Da nach der vorstehenden Entscheidung die bloße Möglichkeit einer späteren Vermietung bzw. Verpachtung durch den Nießbrauchsberechtigten insoweit unschädlich ist, wird vereinzelt zur Ermöglichung der lediglich rechtlichen Vorteilhaftigkeit der Übertragung vorgeschlagen, dass der Übergeber/Nießbrauchsberechtigte mit dem Mieter bzw. Pächter für den Zeitraum der Überlassung einen Aufhebungsvertrag schließt3. Hiervon ist jedoch abzuraten, da auf diese Weise die Vorgaben der vorstehenden BGH-Rechtsprechung unzulässig umgangen werden und die Notwendigkeit einer Ergänzungspflegerbestellung nicht entfällt4.

d) Rücktrittsvorbehalt

14.13 Erfolgt die Schenkung an geschäftsunfähige Kinder unter einem Rücktrittsvorbehalt bspw. für den Fall von Verfügungen ohne Zustimmung ihrer Eltern, ist eine entsprechende Rückforderungsklausel nur dann mit der Folge der Entbehrlichkeit der Mitwirkung eines Ergänzungspflegers i.S.d. § 1909 BGB trotz Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung i.S.v. § 1821 Abs. 1 Nr. 4 BGB lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn sich die Haftung des Übernehmers auf den Zustand des Zugewendeten im Zeitpunkt der Geltendmachung der Rückübertragung beschränkt, keine Wert- oder Schadensersatzpflicht insbesondere wegen zwischenzeitlicher Verschlechterung der Sache droht5 und der Übernehmer Ersatz für seine zwischenzeitlichen Verwendungen verlangen kann. Dabei ist insbesondere ausdrücklich zu regeln, dass das Haftungsrisiko nicht über die gesetzlichen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsrechte wegen Verarmung des Schenkers nach § 528 BGB oder erfolgten Widerrufs bei grobem Undank nach § 530 BGB hinausgeht. Damit sind bei Ausübung des Rücktrittsrechts vor allem Ansprüche des Berechtigten auf Wert- bzw. Schadensersatz, insbesondere wegen zwischenzeitlicher Verschlechterung der Sache auszuschließen6. Die Eintragung einer sichernden Erwerbsvormerkung schadet der lediglich rechtlichen Vorteilhaftigkeit ebenso wenig7 wie die Einräumung derartiger Rückübertragungsansprüche zugunsten Dritter8.

1 KG v. 31.8.2010 – 1 W 167/10, FamRZ 2011, 736 = FGPrax 2011, 79 (80). 2 BGH v. 3.2.2005 – V ZB 44/04, DNotZ 2005, 625 (626 f.); krit. dazu Fembacher, DNotZ 2005, 627 (629 f.); BeckOGK/Fröhler, § 181 BGB Rz. 324; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 60. 3 Everts, ZEV 2005, 211. 4 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 60. 5 BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415 (416). 6 BayObLG v. 22.5.1974 – Breg. 2Z 20/74, DNotZ 1975, 219 (220); OLG Köln v. 10.11.1997 – 14 Wx 10/97, FamRZ 1998, 1326 = Rpfleger 1998, 159; OLG Dresden v. 2.4.1996 – 3 W 336/96, MittBayNot 1996, 288 (289 ff.); Fembacher/Franzmann, MittBayNot 2002, 78 (82 f.). 7 OLG Dresden v. 2.4.1996 – 3 W 336/96, MittBayNot 1996, 288 (290). 8 OLG Köln v. 10.11.1997 – 14 Wx 10/97, FamRZ 1998, 1326 = Rpfleger 1998, 159; BeckOGK/Fröhler, § 181 BGB Rz. 325; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 61.

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Rz. 14.15 § 14

M 113 Lediglich rechtlich vorteilhafter Rückübertragungsvorbehalt

14.14

(Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) (Eingang; Übertragung; Rückübertragungsvorbehalt) … Die vorstehend vorbehaltene Rückübertragung richtet sich ausschließlich nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts und kann nur Zug-um-Zug gegen Ersatz der Verwendungen des Übernehmers bzw. dessen Gesamtrechtsnachfolgern (Erben) verlangt werden1. …

e) Wohnungs- und Teileigentum Der schenkweise Erwerb von Wohnungs- bzw. Teileigentum ist seit Inkrafttreten der WEG-Novelle 14.15 zum 1.7.2007 aufgrund der persönlichen, unbeschränkten und einer Handelsgesellschaft i.S.d. §§ 128, 129 HGB ähnlichen Haftung jedes Wohnungseigentümers nach § 10 Abs. 8 WEG bzw. § 16 Abs. 2 WEG stets rechtlich nachteilig, ohne dass es auf eine nach früherem Gesetzesstand noch maßgebende konkrete Prüfung einer nicht unerheblichen Verschärfung der gesetzlichen Regelungen durch die Gemeinschaftsordnung2 oder eines Eintritts in einen Zahlungspflichten auslösenden Verwaltervertrag3 ankommt4. Das Rechtsgeschäft wird in derartigen Fällen selbst dann nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn ein Nießbrauch bestellt ist und der Nießbrauchsberechtigte auch die außergewöhnlichen Lasten trägt, da sich eine solche Regelung nicht auf das Verhältnis zwischen Übernehmer und übrigen Wohnungseigentümern auswirkt5. Zwar ist dann ein Ergänzungspfleger i.S.d. § 1909 BGB erforderlich, mangels Einschlägigkeit des § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB gleichwohl eine familiengerichtliche Genehmigung entbehrlich6. Soweit einem Kind Wohnungs- bzw. Teileigentum jedoch vermächtnisweise zugeteilt ist, erfolgt die Übereignung im Wege einer insofern ausreichenden Erfüllung einer testamentarischen Verbindlichkeit sogar ohne Erfordernis eines Ergänzungspflegers7, jedoch bedarf die diesbezügliche Auflassung dann ausnahmsweise nach § 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1822 Nr. 10 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung wegen Übernahme einer fremden Verbindlichkeit durch gesamtschuldnerische persönliche Haftung aller Bruchteilseigentümer für Lasten und Kosten des Wohnungs- und Teileigentums aus § 16 Abs. 2 WEG, wenn das Wohnungs- und Teileigentum lediglich in Bruchteilen übertragen wird8. 1 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 61. 2 BGH v. 9.7.1980 – V ZB 16/79, MDR 1981, 37 = FamRZ 1981, 761 = NJW 1981, 109: z.B. Wiederaufbaupflicht nach Gebäudezerstörung. 3 OLG Celle v. 29.7.1976 – 4 Wx 9/76, NJW 1976, 2214; BayObLG v. 30.7.1979 – BReg. 2Z 1/79, NJW 1981, 144 – nach zwischenzeitlicher Anerkennung der Teilrechtfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft als alleinigem Verwaltervertragspartner dürfte jedoch insoweit kein rechtlicher Nachteil mehr bestehen können, vgl. DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2008, 131, 132. 4 BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, NJW 2010, 3643 f.; OLG München v. 6.3.2008 – 34 Wx 14/08, RNotZ 2008, 346 (348). 5 BayObLG v. 18.9.1997 – 2Z BR 85/97, FamRZ 1998, 1619 = Rpfleger 1998, 70 (71). 6 Fembacher/Franzmann, MittBayNot 2002, 78 (82). 7 OLG München v. 22.8.2012 – 34 Wx 200/12, FamRZ 2013, 494 m. Anm. Zimmermann = DNotZ 2013, 205 (206 ff.) m. zust. Anm. Müller; OLG München v. 23.9.2011 – 34 Wx 311/11, FamRZ 2012, 740 = DNotZ 2012, 193 unter Aufgabe seiner entgegengesetzten früheren Rspr. ZEV 2011, 263; BayObLG v. 8.4.2004 – 2Z BR 068/04, DNotZ 2004, 925 (926 f.); DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2008, 131 (132 f.). 8 OLG München v. 22.8.2012 – 34 Wx 200/12, FamRZ 2013, 494 m. Anm. Zimmermann = DNotZ 2013, 205 (206 ff.) m. zust. Anm. Müller; KG v. 15.7.2010 – 1 W 312/10, NZM 2011, 78 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 62.

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§ 14 Rz. 14.16

Minderjährige Erben

f) Anordnung der Pflichtteilsanrechnung

14.16 Eine Pflichtteilsanrechnungsbestimmung i.S.d. § 2315 BGB ist im Gegensatz zur Anordnung einer Ausgleichungspflicht nach § 2050 BGB (dazu Rz. 14.21) nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, da der Anrechnungspflichtige nach § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB das Risiko ggf. erheblicher Wertminderungen am Zuwendungsgegenstand zwischen Zuwendung und Erbfall (z.B. bei Aktien) trägt1. Die empfangsbedürftige Anrechnungserklärung kann daher weder persönlich durch ein minderjähriges Kind noch durch die nach § 1795 Abs. 1 BGB von der Vertretung ausgeschlossenen Eltern für ein geschäftsunfähiges Kind wirksam entgegengenommen werden. Hierzu bedarf es vielmehr eines Ergänzungspflegers i.S.d. § 1909 BGB, der seinerseits analog §§ 1822 Nr. 2, 2347 Abs. 1 BGB2 eine familiengerichtliche Genehmigung benötigt.

14.17 Im diesbezüglichen Genehmigungsverfahren ist nach Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 die zuvor bereits verfassungsrechtlich gebotene Vorbescheids-3 durch eine Suspensivlösung ersetzt worden. Dabei wird die gerichtliche Genehmigung entgegen der früheren Rechtslage (FGG) noch nicht mit ihrer Bekanntgabe an den gesetzlichen Vertreter, sondern gem. § 40 Abs. 2 S. 1 FamFG erst mit Rechtskraft wirksam, die nach § 45 FamFG durch Ablauf der Rechtsmittelfrist eintritt, die wiederum gegenüber dem Kind, dem der Genehmigungsbeschluss nach §§ 40 Abs. 3, 41 Abs. 3 FamFG bekannt zu geben ist, nur dann zu laufen beginnt, wenn die Genehmigungsentscheidung dem Verfahrensbeistand des Kindes analog § 158 FamFG4 und bei einem über 14-jährigen Kind nach § 164 S. 1 FamFG zusätzlich dem Kind selbst bekannt gegeben wird. Die Beschwerdefrist beträgt nach § 63 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 S. 1 FamFG bezüglich der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts jeweils zwei Wochen ab schriftlicher Bekanntgabe des Genehmigungsbeschlusses an den jeweiligen Beteiligten. Bis zu einer endgültigen höchstrichterlichen oder gesetzlichen Klärung dieser Problematik kann als zusätzliche Absicherung ein weiterer Ergänzungspfleger gem. § 1909 BGB zur Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses und zur Erklärungen eines Rechtsmittelverzichts bestellt werden5. In der diesbezüglichen Parallelproblematik bei Erbausschlagungen ist die lange Zeit zwischen den Obergerichten heftig umstrittene Frage, ob und ggf. wann im Verfahren auf Genehmigung einer Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind ein Ergänzungspfleger bestellt werden muss6, durch Beschluss des BGH v. 12.2.2014 entschieden worden: Danach ist zur Entgegennahme des Beschlusses über die beantragte familiengerichtliche Genehmigung und für die Entscheidung über die diesbezügliche Erteilung eines Rechtsmittelverzichts bzw. die Einlegung von Rechtsmitteln nach § 9 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB innerhalb des Genehmigungsverfahrens für ein vertretenes geschäftsunfähiges bzw. noch nicht 14-jähriges beschränkt geschäftsfähiges minderjähriges Kind nur dann ein Ergänzungspfleger erforderlich, wenn die Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB festgestellt sind7. 1 MüKo.BGB/Lange, § 2315 Rz. 9; Staudinger/Haas, § 2315 Rz. 26 und 32; Keim, MittBayNot 2008, 8 (12); insoweit offengelassen OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 018/07, DNotZ 2008, 199 ff.; a.A. OLG Dresden v. 2.4.1996 – 3 W 336/96, MittBayNot 1996, 288 (291) ohne Erörterung des Risikos eines ggf. erheblichen Zuwendungswertverlustes jenseits des Pflichtteilsanrechnungsbetrags. 2 MüKo.BGB/Lange, § 2315 Rz. 9; Staudinger/Haas, § 2315 Rz. 32; Bamberger/Roth/J. Mayer, § 2315 Rz. 8. 3 BVerfG v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96, NJW 2000, 1709 ff. 4 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 145 (148 f.): auf vermögensrechtliche Angelegenheiten findet § 158 FamFG analog Anwendung; a.A. Zorn, Rpfleger 2009, 421 (426): einem zweiten Ergänzungspfleger mit der alleinigen Aufgabe der Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses. 5 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 64; Schaal, notar 2010, 393 (405). 6 Grds. bejahend: OLG Celle v. 4.5.2011 – 10 UF 78/11, ZErb 2011, 198; OLG Celle v. 11.9.2012 – 10 UF 56/12, FamRB 2012, 336 (Stößer); KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, MDR 2010, 815 = MittBayNot 2010, 482; OLG Köln v. 10.8.2010 – 4 UF 127/10, FamRZ 2011, 231; OLG Karlsruhe v. 5.9.2012 – 20 WF 135/12, n.v.; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 88; a.A. OLG Brandenburg v. 6.12.2010 – 9 UF 61/10, FamRZ 2011, 1305 = MittBayNot 2011, 240 (Notwendigkeit eines konkreten – nicht nur abstrakten – Interessengegensatzes für Ausschluss der Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters). 7 BGH v. 12.2.2014 – XII ZB 592/12, MDR 2014, 420 = FamRZ 2014, 640 m. Anm. Zorn = DNotI-Report 2014, 70 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 36.

548

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Minderjährige Erben

Rz. 14.21 § 14

Weiter ist zu beachten, dass nach § 75 FamFG – unter den dort genannten Voraussetzungen – alternativ unter Übergehung der Beschwerdeinstanz auf Antrag unmittelbar die Rechtsbeschwerde (Sprungrechtsbeschwerde) zulässig ist, für die nach § 75 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 566 Abs. 2 S. 2, 548 ZPO eine einmonatige Antragsfrist gilt. Für die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses i.S.d. § 46 S. 1 FamFG soll selbst hinsichtlich eines Antrages auf Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde, der im Gegensatz zu der nach § 64 FamFG beim Gericht des ersten Rechtszuges einzulegenden Beschwerde beim Rechtsbeschwerdegericht zu stellen ist, kein Notfristzeugnis erforderlich sein1.

14.18

Die Frist läuft auch dann nicht, wenn die nach § 39 FamFG vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung fehlt oder hinsichtlich des geforderten Mindestinhalts unrichtig ist, wobei nach dem seit 19.5.2013 neu hinzugefügten Satz 2 des § 39 Abs. 1 FamFG2 ausdrücklich nicht auf die Möglichkeit der Sprungrechtsbeschwerde hingewiesen werden muss3.

14.19

Beratungshinweis: Das Familiengericht prüft dabei im Genehmigungsverfahren unter Gesamtabwägung aller Umstände, ob das Gesamtgeschäft im Ganzen für das Mündel vorteilhaft ist, ohne jede Einzelregelung isoliert auf ihre Wirkung zu untersuchen, so dass eine Pflichtteilsanrechnung je nach Inhalt der sonstigen Regelungen ggf. auch dann genehmigungsfähig sein kann, wenn der Anrechnungswert nicht auf den beim Erbfall noch vorhandenen Zuwendungswert begrenzt wird4. Um trotz eventueller Wertverluste des Übergabeobjektes nach der Übertragung die Erteilung der familiengerichtlichen Genehmigung des Zuwendungsvertrags nicht alleine wegen des Inhalts der Anrechnungsbestimmung zu gefährden, sollte sicherheitshalber gleichwohl ausdrücklich vorgesehen werden, dass die Höhe des Anrechnungsbetrags auf den Wert des Zuwendungsobjekts im Zeitpunkt des Todes des Übergebers begrenzt5 und die Anrechnungspflicht im Falle eines Rückübertragungsvorbehalts durch eine seitens des Zuwendenden veranlasste Rückübertragung auflösend bedingt ist6.

M 114 Lediglich rechtlich vorteilhafte Anordnung der Pflichtteilsanrechnung

14.20

(Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) (Eingang; Übertragung; Rückübertragungsvorbehalt) … Der Zuwendungsempfänger … (Name) hat sich den Zuwendungswert i.S.d. § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB, der klarstellend mit … Euro vorbehaltlich eines zusätzlich zu berücksichtigenden Kaufkraftschwunds zwischen Zuwendung und Erbfall festgestellt wird, auf den Tod des Zuwendenden, … (Name), auf Pflichtteilsansprüche anrechnen zu lassen, höchstens jedoch in Höhe des Wertes zum Zeitpunkt des Todes des Zuwendenden. Zusatz bei Rückübertragungsvorbehalt: Die vorstehende Anrechnungspflicht ist durch eine seitens des Zuwendenden veranlasste Rückübertragung des Zuwendungsobjektes auflösend bedingt7. …

g) Anordnung der Erbausgleichung und sonstige Vorbehalte Eine Grundbesitzschenkung unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts8, dinglicher Übernahme eines Grundpfandrechts, Erbausgleichungsanordnung nach § 2050 Abs. 3 BGB im Gegensatz zu einer 1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 9.12.2009 – XII ZB 215/09, FamRZ 2010, 284 = DNotI-Report 2010, 41 (42). BGBl. 2012 I, S. 2418. Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 67. OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 018/07, DNotZ 2008, 199 ff. Vgl. dazu Fembacher/Franzmann, MittBayNot 2002, 78 (85). BeckOGK/Fröhler, § 181 BGB Rz. 328; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 67. Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 67. BayObLG v. 15.2.1979 – 2Z 29/58, Rpfleger 1979, 197.

Fröhler

549

14.21

§ 14 Rz. 14.22

Minderjährige Erben

schuldrechtlich verpflichtenden Auflage i.S.d. § 525 BGB1, Ausschlusses der Aufhebung der Miteigentümergemeinschaft2 bzw. Vorbehalt oder Übernahme eines dinglichen Vorkaufsrechts3 ist ebenso wie der Erwerb unter Nießbrauchsvorbehalt (vgl. Rz. 14.11) lediglich rechtlich vorteilhaft. Umgekehrt verkörpert die Übernahme einer Reallast wegen der aus § 1108 Abs. 1 BGB resultierenden persönlichen Haftung des Eigentümers einen rechtlichen Nachteil, soweit diese nicht durch abweichende Vereinbarung und deren Grundbucheintragung4 ausgeschlossen ist5. h) Schenkung eines Kommanditanteils

14.22 Die schenkweise Übertragung eines Kommanditanteils an ein minderjähriges Kind ist dann lediglich rechtlich vorteilhaft und bedarf weder der Bestellung eines Ergänzungspflegers noch nach §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 3 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung, wenn eine persönliche Haftung des beschenkten minderjährigen Kindes auf die bereits erbrachte Kommanditeinlage beschränkt wird, das Haftungsrisiko i.S.d. § 176 Abs. 2 HGB zwischen Eintritt und Handelsregistereintragung ausgeschlossen ist, indem die Wirksamkeit der Abtretung unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung des Anteilsübergangs gestaltet wird, und eine ausschließlich vermögensverwaltende Kommanditgesellschaft ohne Ausrichtung auf Erwerbsgeschäfte betroffen ist6. Im Gegensatz dazu bedarf die Beteiligung eines minderjährigen Kindes an einer auf Erwerbsgeschäfte gerichteten Personengesellschaft der familiengerichtlichen Genehmigung analog §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 3 BGB7.

III. Gestaltung durch Verfügung von Todes wegen des beschenkten Minderjährigen 1. Ausgangsproblematik

14.23 Beratungssituation: Der 17-jährige K hat von seinen Großeltern mütterlicherseits schenkweise eine Eigentumswohnung übertragen bekommen. Er erkrankt schwer und möchte nun seinerseits letztwillig regeln, dass diese Wohnung bei seinem Tod ausschließlich in das Eigentum seiner Mutter und nicht an die nichtehelichen Kinder seines Vaters fällt.

Soweit nicht im Falle letztwilliger Zuwendungen an minderjährige Kinder durch Nacherbfolge- oder Nachvermächtnisanordnung bzw. bei diesbezüglichen lebzeitigen Übertragungen mittels Rückübertragungs- bzw. Erwerbsvorbehalt geregelt ist, an wen das betroffene Vermögen auf den Tod des Zuwendungsempfängers fällt, stellt sich die Frage, ob und ggf. inwieweit das minderjährige Kind selbst als Erblasser durch Verfügung von Todes wegen entsprechende Anordnungen treffen kann. Dabei ist zwischen Testament und Erbvertrag zu unterscheiden. 2. Testament

14.24 Nach § 2229 Abs. 1 BGB ist ein minderjähriges Kind testierfähig und kann daher wirksam ein Testament errichten, wenn es das 16. Lebensjahr vollendet hat. Es bedarf dazu dann gem. § 2229 Abs. 2 BGB nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Dies folgt zwingend aus dem Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Testamentserrichtung nach § 2064 BGB8. 1 2 3 4 5 6

BGH v. 10.11.1954 – II ZR 165/53, NJW 1955, 1353. LG Münster v. 30.9.1998 – 5 T 757/98, FamRZ 1999, 739 = Rpfleger 1999, 73 f. BayObLG v. 29.5.1998 – 2Z BR 85/98, DNotZ 1999, 589 (592 f.). Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, Rz. 1310. Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 68. OLG Jena v. 22.3.2013 – 2 WF 26/13, FamRZ 2014, 140 = RNotZ 2013, 636 ff.; OLG Bremen v. 26.6.2008 – 2 W 38/2008, ZEV 2008, 608; Menzel/Wolf, MittBayNot 2011, 186 (187 ff.); Gerono, MittBayNot 2013, 389 f. 7 OLG Frankfurt v. 27.5.2008 – 20 W 123/08, FamRZ 2009, 620 = ZEV 2008, 607 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 69; MüKo.BGB/Wagenitz, § 1822 Rz. 22. 8 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 20 und 22.

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Fröhler

Minderjährige Erben

Rz. 14.26 § 14

Aus Gründen des Minderjährigenschutzes ist nach § 2233 Abs. 1 BGB zusätzliches zwingendes diesbe- 14.25 zügliches Wirksamkeitserfordernis, dass der minderjährige Erblasser das Testament durch Erklärung gegenüber dem Notar oder durch Übergabe einer offenen Schrift errichtet. Beide Varianten gewährleisten die aufgrund fehlender Volljährigkeit des Testierers erforderliche fachkundige erbrechtliche Beratung durch einen Notar als staatliches Organ vorsorgender Rechtspflege1. Bei Übergabe einer offenen Schrift muss der Minderjährige gegenüber dem Notar die Erklärung abgeben, dass diese seinen letzten Willen enthalte. Darauf, ob das Schriftstück vom Erblasser selbst oder von einem Dritten verfasst ist, kommt es nicht an. Der Notar hat bei der Testamentsbeurkundung eine Amtspflicht zu umfassender Prüfung der Rechtslage und Belehrung des Erblassers über die rechtliche Tragweite der Verfügungen. Die über die Testamentserrichtung aufgenommene Niederschrift (Protokoll) ist den Beteiligten vorzulesen, von ihnen zu genehmigen und durch die Beteiligten und den Notar zu unterschreiben (§§ 8, 13 BeurkG). Auf Verlangen des Erblassers hat der Notar bei der Beurkundung bis zu zwei Zeugen oder einen zweiten Notar zuzuziehen und dies in der Niederschrift, die auch von diesen Personen zu unterschreiben ist, zu vermerken. Die Niederschrift über die Errichtung des Testaments ist von dem Notar nach § 34 BeurkG in einen Umschlag zu nehmen, der mit dem Amtssiegel verschlossen wird und sodann in die besondere amtliche Verwahrung des nach § 344 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FamFG örtlich zuständigen Nachlassgerichts2 zu geben ist. Dem Erblasser soll nach § 346 Abs. 3 FamFG ein Hinterlegungsschein erteilt werden. Daraus folgt zugleich, dass insbesondere ein eigenhändiges, ein durch Übergabe einer verschlossenen Schrift errichtetes oder ein Testament eines noch nicht sechzehnjährigen Minderjährigen nicht wirksam errichtet werden kann, sondern nichtig ist3. Maßgebender Bezugszeitpunkt ist dabei die Errichtung des Testaments, so dass auch durch späteres Erreichen der Volljährigkeit keine Heilung eintritt4.

14.25a

M 115 Notariell beurkundetes Testament durch Übergabe einer offenen Schrift

14.26

(Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug)5 Heute, am …, ist vor mir, Notar … mit Amtssitz in …, im Amtszimmer des Notariats in … erschienen: Herr/Frau … (alle Vornamen, Nachname und ggf. Geburtsname des Erblassers), geb. am … in …, (bei Geburt im Inland:) Geburtsstandesamt …, Geburtenregisternummer …, (bei Geburt im Ausland:) Staat der Geburt …, wohnhaft …, ausgewiesen durch … (amtlicher Lichtbildausweis) … oder: dem Notar persönlich bekannt, zusätzliche nicht registerpflichtige Angabe: Sohn/Tochter des … und der …, Zusätzlich liegt zum Nachweis des Geburtsortes und der Geburtenregisternummer eine Geburtsurkunde des/der Erschienenen vor oder: Bei Beurkundung liegt keine Geburtsurkunde vor. Herr/Frau … weiß, dass das Testament im Erbfall nur dann sicher aufgefunden werden kann, wenn er/sie seinen/ihren Geburtsort heute richtig angegeben hat. Gleichwohl verzichtet er/sie trotz Belehrung auf eigene Vorlage und zudem auf spätere Einholung einer Geburtsurkunde, sondern besteht stattdessen auf sofortige Beurkundung. Der Notar wird insoweit von jeder Haftung freigestellt. Trotz Belehrung wünscht Herr/Frau … keine vorherige Testamentsregistereinsicht. Herr/Frau … hat das sechzehnte Lebensjahr vollendet und ist aufgrund des persönlichen Eindrucks des Notars, den dieser heute während der gemeinsamen Unterredung gewonnen hat, uneingeschränkt testierfähig … (ggf. weitere Ausführungen über den Gesundheitszustand, insbesondere bei erkrankten Erblassern). Auf die Hinzuziehung eines Zeugen oder zweiten Notars wird verzichtet.

1 2 3 4 5

Staudinger/Baumann, § 2233 Rz. 8. Dazu Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 13 bis 29. Staudinger/Baumann, § 2233 Rz. 11. Staudinger/Baumann, § 2233 Rz. 12. In Anlehnung an Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 81 M 81.2.

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§ 14 Rz. 14.27

Minderjährige Erben

Herr/Frau … möchte ein öffentliches Testament durch Übergabe einer offenen Schrift ohne Hinzuziehung von Zeugen errichten. Er/Sie übergibt dem Notar eine offene Schrift, die dieser Niederschrift beigefügt wird. Dabei erklärt Herr/Frau … gegenüber dem Notar mündlich, dass diese Schrift seinen/ihren letzten Willen enthalte. Der Notar besprach den Inhalt dieser Schrift mit Herrn/Frau …. Ergänzend belehrt der Notar ihn/ sie insbesondere darüber, dass gem. § 27 BeurkG Zuwendungen an den beurkundenden Notar oder dessen Einsetzung zum Testamentsvollstrecker selbst dann unwirksam sind, wenn der Notar hiervon keinerlei Kenntnis hatte. Zum Zwecke der Kostenberechnung gibt Herr/Frau den derzeitigen Wert seines/ihres Vermögens netto mit … Euro bzw. brutto mit … Euro an. Sodann kennzeichnete der Notar die offene Schrift durch den darauf aufgebrachten Vermerk „Urkundenrolle Nr. …“. Schließlich fügte der Notar die übergebene Schrift der Niederschrift bei. Vom Notar vorgelesen, vorab zur Durchsicht vorgelegt, von dem/der Erschienenen genehmigt und wie folgt unterschrieben:

3. Erbvertrag

14.27 Im Gegensatz zur Maßgeblichkeit der Testierfähigkeit bei Testamentserrichtung war bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.20171 für die Wirksamkeit eines Erbvertrags unter Beteiligung eines minderjährigen Kindes als Erblasser nach § 2275 BGB der Grad dessen Geschäftsfähigkeit entscheidend. Grundsätzlich konnte bis dahin daher nach § 2275 Abs. 1 i.V.m. §§ 104, 106 BGB ein Minderjähriger als Erblasser einen Erbvertrag nicht wirksam abschließen.

14.28 Als Ausnahme dazu ermöglichte § 2275 Abs. 2 bzw. 3 BGB a.F. gleichwohl einen wirksamen persönlichen Erbvertragsschluss des nach § 1303 Abs. 2 BGB ehemündigen mindestens sechzehnjährigen minderjährigen Kindes als Erblasser mit seinem volljährigen Ehegatten bzw. mit seinem ggf. sogar ebenfalls minderjährigen2 Verlobten, wobei das Verlöbnis entweder auf Eheschließung oder nach § 1 Abs. 4 LPartG auf Begründung einer Lebenspartnerschaft3 ausgerichtet sein konnte, soweit der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen zustimmte bzw. genehmigte. Dabei war nur dann eine zusätzliche familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, wenn der gesetzliche Vertreter ein Vormund war. Der bei Errichtung des Erbvertrags minderjährige Erblasser konnte nach Erreichen der Volljährigkeit seinen noch nicht genehmigten Erbvertrag selbst wirksam genehmigen, nach dem Tod des anderen Vertragsteils jedoch nur dann, wenn dieser nicht seinerseits Erblasser war4. Der beurkundende Notar hatte dabei lediglich gem. §§ 17 Abs. 2, 18 bzw. 28 BeurkG darauf hinzuweisen, dass der Erbvertrag zu seiner Wirksamkeit der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters bzw. ggf. des Familiengerichts bedurfte und bis zu deren Erteilung schwebend unwirksam war, durfte jedoch die Beurkundung, auch wenn keine Gefahr in Verzug ist, nicht nach § 11 Abs. 1 S. 1 BeurkG verweigern5. Dieses jeweilige Privileg galt nicht entsprechend für bereits eingetragene Lebenspartner, da die Begründung einer Lebenspartnerschaft nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG anders als die Ehemündigkeit bzw. die Berechtigung zur Eingehung eines auf Eheschließung oder Lebenspartnerschaftsbegründung ausgerichteten Verlöbnisses ausnahmslos Volljährigkeit voraussetzte6.

1 BGBl. 2017 I 2429. 2 Erman/Kroll-Ludwigs, vor § 1297 Rz. 7; Erman/Kappler/Kappler, § 2275 Rz. 2. 3 Erman/Kappler/Kappler, § 2275 BGB Rz. 2; HK-BGB/Hoeren, § 2275 Rz. 6; MüKo.BGB/Musielak, § 2275 Rz. 2; NK-BGB/Kornexl, § 2275 Rz. 15; Wellenhofer, NJW 2005, 705, 709. 4 BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159; Staudinger/Kanzleiter, § 2275 Rz. 9. 5 Bamberger/Roth/Litzenburger, § 2275 Rz. 6; HK-BGB/Hoeren, § 2275 Rz. 6; Jauernig/Stürner, § 2275 Rz. 1; MüKo.BGB/Musielak, § 2275 Rz. 10; NK-BGB/Kornexl, § 2275 Rz. 23; Palandt/Weidlich, § 2275 Rz. 2. 6 Erman/Kappler/Kappler, § 2275 Rz. 2.

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Minderjährige Erben

Rz. 14.30 § 14

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.20171 sind die bisherigen Ausnahmen aus § 1303 Abs. 2, 3 u. 4 BGB bzw. § 2275 Abs. 2 u. 3 BGB weggefallen. Eine ab diesem Stichtag unter Verstoß gegen die Ehemündigkeitsvorschriften eingegangene Ehe ist unwirksam, wenn einer der Ehegatten das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, bzw. aufhebbar, wenn einer der Ehegatten zwar noch nicht das 18. Lebensjahr, jedoch bereits das 16. Lebensjahr vollendet hat.2 Erbverträge eines geschäftsunfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen Erblassers sind nichtig, können jedoch ggf. in ein Testament eines testierfähigen Erblassers umgedeutet werden.3

IV. Gestaltung durch letztwillige Verfügung zugunsten Minderjähriger 1. Übersicht Beratungssituation: M und F sind voneinander geschieden und haben eine minderjährige Tochter T. F möchte letztwillig sicherstellen, dass sie allein von T beerbt wird, der Nachlass jedoch nicht der Verfügungsmacht des M untersteht.

14.29

Je nach Zielrichtung einer letztwilligen Verfügung stehen dem letztwillig Verfügenden hinsichtlich betroffener Minderjähriger beschränkt auf das zugewendete Vermögen insbesondere folgende Gestaltungsinstrumentarien zur Verfügung: – Verwaltungsrechtsentzug zulasten der Eltern nach § 1638 Abs. 1 BGB, – Verwaltungsanordnung gegenüber den Eltern gem. § 1639 BGB, – Benennung bzw. Ausschluss einer Person als Vormund nach § 1776 bzw. § 1782 BGB samt Verpflichtungsbefreiung, – Benennung der Person eines Ergänzungspflegers gem. § 1917 BGB samt Verpflichtungsbefreiung, – Anordnung von Testaments- bzw. Vermächtnisvollstreckung bzw. Ernennung des Testamentsbzw. Vermächtnisvollstreckers, – Befreiung von der ansonsten nach § 1640 Abs. 1 BGB bestehenden Pflicht zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses beim Familiengericht (§ 1640 Abs. 2 BGB)4, unberührt bleibt die Information des Familiengerichts durch das Nachlassgericht nach § 356 Abs. 1 FamFG. 2. Verwaltungsrechtsentzug zulasten der Eltern unter Benennung eines Ergänzungspflegers Nach § 1638 Abs. 1 BGB kann ein Erblasser durch letztwillige Verfügung – ebenso wie ein lebzeitig Verfügender durch Anordnung bei Zuwendung – bestimmen, – dass den Eltern des minderjährigen Begünstigten beschränkt auf das von Todes wegen zugewendete Vermögen das gesetzliche Verwaltungsrecht entzogen wird, – welche Person stattdessen nach § 1917 Abs. 1 BGB als Ergänzungspfleger zur diesbezüglichen Verwaltung berechtigt ist, woran das zuständige Familiengericht, soweit nicht ausnahmsweise ein Übergehungstatbestand aus § 1778 Abs. 1 BGB eröffnet ist, gebunden ist, während § 1778 Abs. 3 BGB hingegen aufgrund der Gesetzessystematik keine Anwendung findet5 und sicherheitshalber, wenn auch wohl nicht zwingend, nicht dieselbe Person Pfleger und Testamentsvollstrecker sein sollte6, 1 2 3 4 5 6

BGBl. 2017 I, 2429. Vgl. dazu Automo, ZRP 2017, 77; Coester, FamRZ 2017, 77. Erman/Roth, § 1303 Rz. 3. Erman/Kappler/Kappler § 2275 Rz. 1. Horn, ZEV 2013, 297 (301 ff.). Palandt/Götz, § 1917 BGB Rz. 2. Tschernoster, RNotZ 2017, 125 (129).

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14.30

§ 14 Rz. 14.31

Minderjährige Erben

– den Pfleger, der nach §§ 1915 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 1785 BGB vorbehaltlich der in § 1786 BGB gewährten Ablehnungsgründe grundsätzlich zur Übernahme der Pflegschaft verpflichtet ist, gem. §§ 1915, 1803 BGB zu bestimmten Maßnahmen bzw. Unterlassungen bei der Vermögensverwaltung anweisen1 und – für diese Person unmittelbar die in den §§ 1852 bis 1854 BGB bezeichneten Befreiungen ganz oder teilweise anordnen, zu denen insbesondere der Ausschluss folgender gesetzlicher Erfordernisse gehört: – Bestellung eines Gegenpflegers, – Sperrvermerke und Mitwirkung eines Gegenpflegers bzw. des Familiengerichts bei der Anlegung von Geld, – Genehmigungserfordernis durch einen Gegenpfleger bzw. das Familiengericht bei Verfügungen über Forderungen und Wertpapiere, – Hinterlegung von Inhaber- und Orderpapieren samt Veranlassung der Eintragung des Vermerks in das Bundes-/Landesschuldbuch – Rechnungslegung.

14.31 Im Rahmen eines letztwilligen Entzuges der elterlichen Vermögenssorge nach § 1638 Abs. 1 BGB ist jedoch zu bedenken, dass für den von Todes wegen bedachten Minderjährigen die gesetzliche elterliche Vertretungsmacht aus § 1626 Abs. 1 S. 1 BGB entfällt2.

14.32 Dabei erstreckt sich der diesbezügliche Wegfall der bisherigen gesetzlichen elterlichen Vertretungsmacht auch auf die aus einem etwaigen Pflichtteilsanspruch resultierenden Rechte3. Hierzu gehören insbesondere die Entscheidungsbefugnis über die Geltendmachung, den Verzicht oder das bloße Verstreichenlassen von Pflichtteilsrechten einerseits und eine etwaige anschließende Verwaltung des aus etwa durchgesetzten Pflichtteilsrechten zugefallenen Vermögens andererseits.

14.33 Zudem verlieren die Eltern durch einen letztwilligen Entzug der Vermögenssorge nach § 1638 Abs. 1 BGB aufgrund des diesbezüglichen vermögensrechtlichen Charakters auch die gesetzliche Entscheidungsbefugnis und Vertretungsmacht für die Annahme, Ausschlagung bzw. eine diesbezügliche Anfechtung einer Erbschaft bzw. eines Vermächtnisses4.

14.34 Weiter sind den Eltern dann auch ein Antrag auf Entlassung des Testamentsvollstreckers nach § 2227 BGB sowie die einen Testamentsvollstrecker kontrollierenden Befugnisse i.S.d. §§ 2215, 2216 bzw. 2218 BGB verwehrt5. 3. Testamentsvollstreckung

14.35 Statt durch einen Ergänzungspfleger kann der Erblasser das von ihm dem Minderjährigen zugewendete Vermögen auch mittels Testamentsvollstrecker (s. dazu Rz. 14.52 ff.) verwalten lassen. Im Gegensatz zur Pflegschaft wird die Testamentsvollstreckung insbesondere auch über das achtzehnte Lebensjahr des bedachten Kindes hinaus angeordnet und unabhängig von gerichtlichen Genehmigungen geführt. Dabei ist der Nachlass während der Testamentsvollstreckung gleichermaßen bei einer Abwick1 Horn, ZEV 2013, 297 (302). 2 BGH v. 30.11.1988 – IVa ZB 12/88, NJW 1989, 984 (985). 3 BGH v. 29.6.2016 – XII ZB 300/15, FamRZ 2016, 1149; Frenz, DNotZ 1995, 908 (914 f.); Tschernoster, RNotZ 2017, 125 (128); a.A. Staudinger/Engler, § 1638 BGB Rz. 16. 4 BGH v. 29.6.2016 – XII ZB 300/15, FamRZ 2016, 1149; Frenz, DNotZ 1995, 908 (914 f.); Löhnig, JA 2016, 867; Tschernoster, RNotZ 2017, 125 (128); a.A. Horn, ZEV 2013, 297 (301); Muscheler, ZEV 2017, 36; Ott, NJW 2014, 3473 (3474). 5 Palandt/Götz, § 1638 BGB Rz. 6.

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Minderjährige Erben

Rz. 14.40 § 14

lungs- oder einer Verwaltungsvollstreckung aufgrund des Vollstreckungsverbotes aus § 2214 BGB parallel zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung aus § 1629a BGB besonders geschützt. Da ein Testamentsvollstrecker jedoch weder den Erblasser noch den Erben vertreten kann1, sondern treuhänderähnlich kraft Amtes agiert, kann er weder eine Erbschaft noch Vermächtnisse als höchstpersönliche Rechtspositionen annehmen, ausschlagen oder diesbezügliche Annahmen, Ausschlagungen bzw. deren Anfechtungen anfechten2.

14.36

Grundsätzlich kann der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen zugleich im Wege der Personenidentität auch Testamentsvollstrecker sein, solange dadurch kein konkreter Interessenskonflikt ausgelöst wird, der im konkreten Einzelfall festgestellt werden müsste und dann die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig machen würde3.

14.37

Familiengerichtliche Genehmigungen zu Verfügungen des Testamentsvollstreckers über Nachlassvermögen minderjähriger Erben oder Vermächtnisnehmer sind nur dann ausnahmsweise erforderlich, wenn ein letztwilliges Verfügungsverbot mittels Zustimmung des durch seinen gesetzlichen Vertreter vertretenen minderjährigen Erben umgangen wird und daher erstmals die Tatbestände der §§ 1643, 1821, 1822 BGB einschlägig werden4.

14.38

Beratungshinweis: Hierbei ist im Einzelnen sehr sorgfältig abzuwägen, ob und inwieweit auf die gesetzliche Vorgabe zum Minderjährigenschutz tatsächlich verzichtet werden soll. An Stelle einer vollständigen Befreiung einerseits oder vollumfänglichen Beibehaltung der gesetzlichen Beschränkungen andererseits kommt alternativ auch eine nach einzelnen Befreiungstatbeständen differenzierende Entscheidung über teilweise Befreiung bzw. Beschränkung in Betracht. Dies gilt insbesondere für eine bloße lockernde Befreiung von der Rechnungspflicht nach § 1854 Abs. 1 BGB mit der Folge, dass dem Familiengericht gem. § 1854 Abs. 2 BGB ersatzweise nach dem Ablauf von grundsätzlich jeweils zwei Jahren zumindest eine Übersicht über den Bestand des der Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen ist.

Insbesondere im Rahmen eines Geschiedenentestaments möchten voneinander geschiedene frühere 14.39 Ehegatten mit gemeinschaftlichen minderjährigen Kindern häufig dafür Sorge tragen, dass auf ihren Tod der jeweils andere Ehegatte nicht mittels Sorgerechts für die zu Erben eingesetzten gemeinsamen Kinder auf das Nachlassvermögen Zugriff nimmt.

M 116 Benennung eines Pflegers für minderjährige Kinder des Erblassers

14.40

(Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Soweit meine Kinder bei meinem Tod noch minderjährig sind, ordne ich hiermit an, dass mein von mir geschiedener Ehegatte … (Vor- und Nachname) in der Vermögenssorge für unsere Kinder hinsichtlich desjenigen Nachlassvermögens beschränkt ist, das diese durch Erbfolge, vermächtnisweise oder als Pflichtteil von mir erhalten. Als Pfleger benenne ich hierfür … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift), ersatzweise … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift). Der Pfleger wird hiermit gem. §§ 1915, 1803 BGB angewiesen, das meinen Kindern von mir zugewendete Vermögen so zu verwalten, dass ihre jeweilige schulische und berufliche Ausbildung sichergestellt ist. Hierbei sollen je nach individuellen Fähigkeiten auch Auslandsaufenthalte für Schul-, Studien-, Berufsausbildungs- oder Praktikumszeiten ermöglicht werden. 1 BGH v. 29.4.1954 – IV ZR 152/53, NJW 1954, 1036. 2 Palandt/Weidlich, § 1945 BGB Rz. 2; Tschernoster, RNotZ 2017, 125 (130). 3 BGH v. 5.3.2008 – XII ZB 2/07, FamRZ 2008, 1156; OLG Hamm v. 15.5.2017 – 7 WF 240/16, FamRB 2018, 111; Adamus, FamRB 2018, 112. 4 Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rz. 3429.

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§ 14 Rz. 14.41

Minderjährige Erben

Jeder dieser Pfleger ist im Sinne der §§ 1852 bis 1855, 1909, 1917 BGB vollumfänglich befreit. Alternativ: Jeder dieser Pfleger wird von der Rechnungspflicht nach § 1854 Abs. 1 BGB mit der Folge befreit, dass dem Familiengericht gem. § 1854 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzweise nach dem Ablauf von mindestens zwei Jahren eine Übersicht über den Bestand des der Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen ist. Eine familiengerichtliche Anordnung längerer Vorlagefristen nach § 1854 Abs. 2 S. 2 BGB wird hiermit jedoch ausgeschlossen. Sollte keiner der von mir vorstehend Genannten das Amt des Pflegers übernehmen bzw. sollten alle Genannten später nach Amtsübernahme wegfallen, ist ein durch das Familiengericht eingesetzter anderer Pfleger nicht im o.g. Sinne befreit. …

4. Verwaltungsanordnung gegenüber den Eltern

14.41 Gem. § 1639 BGB kann ein Erblasser durch letztwillige Verfügung – ebenso wie ein lebzeitig Verfügender durch entsprechende Anordnung bei Zuwendung – bestimmen, auf welche Weise die Eltern das – sei es unmittelbar durch Erbfolge oder in Gestalt eines erfüllten schuldrechtlichen Vermächtnisses bzw. Pflichtteilsanspruchs1 angefallene – Zugewendete zu verwalten haben. Andernfalls richtet sich die Verwaltung nach den gegenüber § 1639 BGB dispositiven2 gesetzlichen Regelungen, die insbesondere gem. § 1642 BGB die Anlage des Kindesgeldes nach den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung vorschreiben, ohne jedoch Ausgaben für außergewöhnliche Kosten des minderjährigen Kindes wie bspw. einen Auslandsaufenthalt auszuschließen3, und nach § 1649 BGB lediglich die Verwendung der Einkünfte und damit grundsätzlich nicht auch der Substanz des Kindesvermögens selbst für den Unterhalt erlauben.

14.42 Im Gegensatz zur Führung einer Vormundschaft besteht somit insbesondere für die Eltern als gesetzliche Vertreter ihres minderjährigen Kindes keine Verpflichtung zur mündelsicheren versperrten Geldanlage i.S.d. §§ 1807 Abs. 1 Nr. 5, 1809 BGB.

14.43 Eine typische Gestaltungsvariante zugunsten des bedachten minderjährigen Kindes ist der letztwillige Ausschluss von Verwendungen aus dem zugeteilten Vermögen an andere als das minderjährige Kind, insbesondere an dessen Eltern oder minderjährige unverheiratete Geschwister i.S.d. § 1649 Abs. 2 BGB.

14.44 M 117 Verwaltungsanordnung zugunsten minderjähriger Kinder gegenüber Eltern (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Vermächtnisweise erhält mein Enkel … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift), ersatzweise dessen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung … mein gesamtes bei der … – Bank angelegtes Geld-, Spar- und Wertpapiervermögen. Mein Enkel … (Vorund Nachname) ist derzeit noch minderjährig. Ich ordne hiermit an, dass das aus diesem ihm bzw. dem Ersatzvermächtnisnehmer zugewendeten Vermächtnis resultierende Vermögen ausschließlich ihm selbst und insbesondere entgegen § 1649 Abs. 2 BGB weder seinen Eltern noch seinen minderjährigen unverheirateten Geschwistern ausgekehrt werden darf. …

1 Horn, ZEV 2013, 297 (301 f.). 2 BeckOK-BGB/Veit, § 1642 Rz. 5. 3 Horn, ZEV 2013, 297 (301); Palandt/Götz, § 1642 Rz. 3.

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Minderjährige Erben

Rz. 14.48 § 14

5. Benennung eines Vormundes für die eigenen minderjährigen Kinder Sind nach dem Tod beider Eltern zurückbleibende Kinder noch minderjährig, muss für diese gem. 14.45 § 1773 Abs. 1 BGB ein Vormund bestellt werden. Dabei wird der Vormund nach § 1779 BGB grundsätzlich durch das Familiengericht bestimmt. Die Eltern können jedoch bereits vorsorglich gem. § 1776 BGB einen Vormund benennen, der vom Familiengericht nach § 1778 BGB lediglich bei schwerwiegenden entgegenstehenden Gründen, insbesondere im Falle des Widerspruchs eines bereits mindestens 14-jährigen nicht geschäftsunfähigen Mündels oder bei Gefährdung des Mündelwohls, übergangen werden darf. Eine derartige Bestimmung ist jedoch nur dann wirksam, wenn den Eltern zur Zeit ihres Todes die Personen- und Vermögenssorge für das betroffene Kind zusteht. Der Vormund kann dabei nach § 1777 Abs. 3 BGB ausschließlich durch letztwillige Verfügung wirksam benannt werden. Ein bspw. nicht beurkundeter maschinengeschriebener Text der Eltern wäre daher mangels Erfüllung der Testamentsform unbeachtlich. Gem. §§ 2270 Abs. 2 bzw. 2278 Abs. 2 BGB kann die gemeinsame Benennung in einem gemeinschaftlichen Testament bzw. Erbvertrag nicht wechselbezüglich bzw. vertragsmäßig bindend erfolgen. Vielmehr ist nach § 1776 Abs. 2 BGB die Benennung durch den zuletzt verstorbenen Elternteil stets vorrangig. Der Vormund kann gem. §§ 1852–1855 BGB befreit werden.

14.46

M 118 Vormundbenennung für minderjährige Kinder auf den Tod beider Eltern

14.47

(Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Unsere beiden Kinder … (Vor- und Nachname) und … (Vor- und Nachname) sind derzeit noch minderjährig. Soweit sie beim Tod des Längstlebenden von uns bzw. bei unserem gleichzeitigen Tod noch minderjährig sind, benennt jeder von uns … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft in … (Wohnanschrift), ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft in … (Wohnanschrift) zu deren Vormund. Unsere Kinder sollen möglichst gemeinsam aufwachsen können. Jeder genannte Vormund ist im Sinne der §§ 1852 bis 1855 BGB vollumfänglich befreit. Alternativ: Jeder genannte Vormund wird von der Rechnungspflicht nach § 1854 Abs. 1 BGB mit der Folge befreit, dass dem Familiengericht gem. § 1854 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzweise nach dem Ablauf von mindestens zwei Jahren eine Übersicht über den Bestand des der Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen ist. Eine familiengerichtliche Anordnung längerer Vorlagefristen nach § 1854 Abs. 2 S. 2 BGB wird hiermit jedoch ausgeschlossen. Sollte keiner der von mir vorstehend Genannten das Amt des Vormundes übernehmen bzw. sollten alle Genannten später nach Amtsübernahme wegfallen, ist ein durch das Familiengericht eingesetzter anderer Vormund nicht im o.g. Sinne befreit. …

6. Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis Nach § 1640 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann ein Erblasser durch letztwillige Verfügung – ebenso wie ein 14.48 lebzeitig Verfügender durch entsprechende Anordnung bei Zuwendung – bestimmen, dass die Eltern hinsichtlich des so letztwillig Zugewendeten abweichend vom Grundsatz des § 1640 Abs. 1 BGB (s. dazu Rz. 14.178 ff.) trotz Überschreitens der diesbezüglichen Wertgrenze von 15.000 Euro doch kein Vermögensverzeichnis zu erstellen, mit Versicherung der Richtig- und Vollständigkeit zu versehen und dem Familiengericht vorzulegen haben. Beratungshinweis: Hierbei sollte der Erblasser sehr sorgfältig abwägen, ob er auf diese gesetzliche Vorgabe zum Minderjährigenschutz tatsächlich verzichtet. Bejahendenfalls erlangt das Familiengericht auch nach

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§ 14 Rz. 14.49

Minderjährige Erben

§ 156 Abs. 1 FamFG keine Kenntnis von dem Anfall des Vermögens und hat dann auch keinerlei Veranlassung zu Überprüfungen, die jedoch im Interesse des Erblassers liegen können.

14.49 M 119 Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Zu meinem alleinigen Erben setze ich hiermit meinen Enkel … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift) ein, ersatzweise die Abkömmlinge eines wegfallenden Erben nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung, wiederum ersatzweise tritt Anwachsung ein. Es ist keine Nacherbfolge angeordnet. Mein Enkel … (Vor- und Nachname) ist derzeit noch minderjährig. Ich ordne hiermit an, dass nach § 1640 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf die Erstellung und Vorlage eines Vermögensverzeichnisses gem. § 1640 Abs. 1 BGB an das Familiengericht verzichtet wird. …

7. Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes für minderjährige nicht aus einer Ehe entstammende Kinder

14.50 Nach § 1777 Abs. 3 BGB kann eine leibliche Mutter durch letztwillige Verfügung hinsichtlich ihrer minderjährigen, nicht aus einer Ehe entstammenden Kinder anordnen, dass nach ihrem Tod abweichend von § 1680 Abs. 2 BGB anstelle des leiblichen Vaters ein Vormund zum gesetzlichen Vertreter bestellt wird. Zudem kann sie den Vormund benennen und ihn innerhalb der o.g. Optionen aus den Regelungen der §§ 1852 bis 1855 BGB befreien (s. dazu Rz. 14.30). Soweit beide Elternteile keine gemeinsame Sorgeerklärung i.S.d. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben haben, sie einander auch später nicht geheiratet haben und das Familiengericht ihnen die elterliche Sorge nicht nach §§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 1671 BGB gemeinsam oder einem allein übertragen hat1, so muss das Familiengericht beim Tod der Mutter nach § 1680 Abs. 2 BGB diese elterliche Sorge dann auf den leiblichen Vater übertragen, wenn dies dem Wohl der Kinder nicht widerspricht. Beratungshinweis: Zur Vermeidung einer im Einzelfall ungerechtfertigten Sorgerechtsübertragung auf den leiblichen Vater sollte die leibliche Mutter in ihrer letztwilligen Verfügung eventuell vorhandene Gründe für eine negative Kindeswohlprüfung aufführen. Hierzu gehören insbesondere Umstände, aufgrund derer nicht zu erwarten ist, dass der Vater die Belange der Kinder ernsthaft wahrnehmen würde, insbesondere wenn er zu den Kindern jeglichen Kontakt gemieden und sich um diese niemals gekümmert hatte.

14.51 M 120 Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes

durch die Mutter für ihre minderjährigen nicht aus einer Ehe stammenden Kinder (Verfügung von Todes wegen – Auszug) Meine beiden o.g. Kinder entstammen nicht aus einer Ehe. Mit dem leiblichen Vater, Herrn … (Vor- und Nachname), wurde keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben. Wir haben auch nach der Geburt der Kinder keine Ehe miteinander geschlossen. Er hat sich um die Kinder seit deren Geburt nicht gekümmert und zu ihnen auch keinen Kontakt gesucht. Eine Übertragung der elterlichen Sorge auf ihn als den leiblichen Vater würde dem Wohl der Kinder nach § 1680 Abs. 2 BGB widersprechen. Soweit meine beiden o.g. Kinder bei meinem Tod noch minderjährig sind, benenne ich … (Vor- und Nachname) geb. am … (Ge1 §§ 1626a, 1671 BGB neu gefasst und § 1672 BGB aufgehoben mit Wirkung vom 19.5.2013 durch Gesetz v. 16.4.2013, BGBl. 2013 I, S. 795.

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Rz. 14.54 § 14

burtsname), wohnhaft in … (Anschrift), ersatzweise … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift) zu deren Vormund. Der Vormund ist im Sinne der §§ 1852 bis 1855 BGB vollumfänglich befreit. Alternativ: Der Vormund wird von der Rechnungspflicht nach § 1854 Abs. 1 BGB mit der Folge befreit, dass dem Familiengericht gem. § 1854 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzweise nach dem Ablauf von mindestens zwei Jahren eine Übersicht über den Bestand des der Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen ist. Eine familiengerichtliche Anordnung längerer Vorlagefristen nach § 1854 Abs. 2 S. 2 BGB wird hiermit jedoch ausgeschlossen. Sollte keiner der von mir vorstehend Genannten das Amt des Vormundes übernehmen bzw. sollten alle Genannten später nach Amtsübernahme wegfallen, ist ein durch das Familiengericht eingesetzter anderer Vormund nicht im o.g. Sinne befreit. …

8. Testamentsvollstreckung bei minderjährigen Erben Soweit sich Ehegatten als Erblasser für eine von den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Testa- 14.52 mentsvollstreckung entscheiden, die auch über das 18. Lebensjahr ihrer von ihnen bedachten zunächst noch minderjährigen Kinder hinausgeht und eine eventuelle Ergänzungspflegschaft für die Ausführung der Testamentsvollstreckeraufgaben samt damit ggf. verbundenen gerichtlichen Genehmigungserfordernissen vermeidet, stellt sich vielfach die Frage, inwieweit auf den Tod des Erstversterbenden eine Ernennung des Längstlebenden von ihnen zum Testamentsvollstrecker möglich ist, verneinendenfalls, ob ein Ersatztestamentsvollstrecker bestimmt, und bejahendenfalls, wer als solcher ernannt wird. Zwar ist auch bei einer Testamentsvollstreckung durch den ausdrücklich von den Beschränkungen 14.53 des § 181 BGB befreiten längstlebenden Ehegatten als zugleich alleinigem gesetzlichen Vertreter der zunächst noch minderjährigen Kinder nicht ausschließbar, dass ein Ergänzungspfleger bestellt wird, der zugunsten der noch minderjährigen Kinder deren Kontrollrechte wahrnimmt. Dabei besteht zwar kein genereller Interessengegensatz zwischen elterlichem Sorgerecht und Testamentsvollstreckeramt des gesetzlichen Vertreters, doch kann zur Wahrnehmung der Rechte des Vertretenen gegenüber dem gesetzlichen Vertreter als Testamentsvollstrecker – nicht jedoch zur Wahrnehmung der Rechte des Vertretenen aus dem Nachlassvermögen – je nach Einzelfall eine Ergänzungspflegschaft erforderlich sein1. Grundsätzlich darf weder der Alleinvollerbe2 noch der alleinige Vorerbe3 alleiniger Testamentsvoll- 14.54 strecker sein, da er als alleiniger Erbe ohnehin wie ein an seiner Stelle eingesetzter Testamentsvollstrecker verfügen kann und eine zusätzliche Anordnung der Testamentsvollstreckung überflüssig, sinnlos und daher unzulässig wäre. Etwas Anderes soll nur dann gelten, wenn sich die Testamentsvollstreckung auf die sofortige Erfüllung eines Vermächtnisses beschränkt, somit insbesondere nicht der Dauerverwaltung dient und das Nachlassgericht bei groben Pflichtverstößen einen anderen Testamentsvollstrecker bestimmen kann4. Daher kann insbesondere der längstlebende Ehegatte als Alleinvorerbe im Gegensatz zu einem Mitvorerben5 nicht zugleich Nacherbenvollstrecker i.S.d. § 2222 BGB sein und dabei auch die Nacherbenrechte der als Nacherben eingesetzten zunächst minderjährigen und später volljährigen Kinder mit der Folge nicht wahrnehmen, dass entweder ein fremder in derartigen Konstellationen gerade nicht gewünschter Ersatztestamentsvollstrecker oder ein noch weniger gewollter Ergän1 BGH v. 5.3.2008 – XII ZB 2/07, MDR 2008, 805 = ZEV 2008, 330 (331 f.). 2 RG v. 15.2.1940 – IV 111/39, RGZ 163, 57 (58); RG v. 26.10.1911 – Rep. IV 34/11, RGZ 77, 177, 178; BayObLG v. 8.9.2004 – 1Z BR 59/04, NJW-RR 2005, 232 (233). 3 OLG Zweibrücken v. 30.6.1999 – 3 W 124/99, FamRZ 2000, 323 = ZEV 2001, 27. 4 BGH v. 26.1.2005 – IV ZR 296/03, FamRZ 2005, 1829 = FamRZ 2005, 614 = MDR 2005, 690 = ZEV 2005, 204, 205 m. Anm. Adams. 5 BayObLG v. 12.7.1994 – 1Z BR 148/93, FamRZ 1995, 124 = NJW-RR 1995, 711 (713); Staudinger/Reimann, § 2222 Rz. 16; a.A. BeckOK-BGB/J. Mayer, § 2222 Rz. 5.

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§ 14 Rz. 14.55

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zungspfleger zur Wahrnehmung der Rechte des Vertretenen nicht nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter, sondern dann auch erstmals aus dem Nachlassvermögen erforderlich wäre1.

14.55 Wird hingegen hinsichtlich der zunächst noch minderjährigen und später volljährigen, aber noch bis zu einem bestimmten Alter zu kontrollierenden Kinder eine Vermächtnislösung gewählt, die auch mittels Vor- und Nachvermächtnis ausgestaltbar ist, kann über das Gestaltungsinstrument der Vermächtnisvollstreckung nach § 2223 BGB der längstlebende Ehegatte selbst als Alleinerbe zugleich unproblematisch zum Vermächtnisvollstrecker ernannt werden2.

14.56 Unter eine derartige Vermächtnisvollstreckung kann zudem die Überwachung einer Auflagenvollziehung fallen, bspw. die Bezahlung der Grabpflege oder der Versorgung eines Haustieres aus einem vermachten Geldbetrag. Daneben ist die Vermächtnisvollstreckung auch zum Zwecke der Verwaltung eines einem Vermächtnisnehmer zugewendeten Vermächtnisgegenstandes zulässig, bspw. eines Miteigentumsanteils an einem Betriebsgrundstück, das aus steuerlichen Gründen minderjährigen Kindern vermächtnisweise zugeteilt wurde, bis diese ein bestimmtes Alter erreicht haben werden. Eine Vermächtnisvollstreckung erfasst zudem Abwicklungsvollstreckungsaufgaben zur Erfüllung der dem Vermächtnisnehmer auferlegten Beschwerungen wie bspw. von Nachvermächtnissen, kann im Grundbuch eingetragen werden3, ermöglich dem Vermächtnisvollstrecker die nachlassgerichtliche Ausstellung eines Vermächtnisvollstreckerzeugnisses zur Legitimation im Rechtsverkehr4, wird jedoch anders als die Testamentsvollstreckung mangels Beschränkung der Verfügungsrechte des Erben nicht im Erbschein vermerkt5.

14.57 Ein Vermächtnisvollstrecker kann dabei alleine auf die Aufgabe der Vermächtnisvollstreckung beschränkt oder zusätzlich auch (sonstiger) Testamentsvollstrecker sein. Beratungshinweis: Erwägen Ehegatten unter gegenseitiger Alleinerbeneinsetzung eine Testamentsvollstreckungsanordnung auf den Tod des Erstversterbenden bezüglich der zunächst noch minderjährigen Kinder bis über das Erreichen deren Volljährigkeit hinaus, ggfs. auch unter Nachvermächtnisanordnung, und soll der Längstlebende von ihnen zwingend zugleich Testamentsvollstrecker sein, kann dies regelmäßig ausschließlich mittels Vermächtnisvollstreckung nach § 2223 BGB erreicht werden, da der Alleinerbe in anderen Testamentsvollstreckungsvarianten grundsätzlich als Testamentsvollstrecker ausgeschlossen ist.

14.58 M 121 Anordnung von Vermächtnisvollstreckung (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Wir ordnen sowohl auf den Tod des Erstversterbenden als auch auf den Tod des Längstlebenden von uns sowie im Falle unseres gleichzeitigen Todes Testamentsvollstreckung nach folgender Maßgabe an: Auf den Tod des Erstversterbenden ist der Längstlebende von uns, ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), wiederum ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), als Testamentsvollstrecker ernannt. Ersatzweise ist das Nachlassgericht ersucht, einen geeigneten Testamentsvollstrecker zu ernennen. Dabei ist die Testamentsvollstreckung auf eine bloße Vermächtnisvollstreckung und diesbezüglich darauf beschränkt, die nach Nr. … (Bezifferung) dieses Testaments geschuldeten Grundbesitzvermächtnisse anteilig an unsere Abkömmlinge unter Aufhebungsversteigerungserschwernis nach § 1010 BGB, Nießbrauchs- und Rückübertragungsvorbehalt Zug um Zug gegen entsprechende dingliche Absicherung durch Eintragung ei1 RG v. 26.10.1911 – Rep. IV 34/11, RGZ 77, 177, 178; MüKo.BGB/Zimmermann, § 2222 Rz. 4; Soergel/ Damrau, § 2222 Rz. 6; Staudinger/Reimann, § 2222 Rz. 15. 2 BayObLG v. 8.9.2004 – 1Z BR 59/04, NJW-RR 2005, 232 (233). 3 Staudinger/Reimann, § 2223 Rz. 20. 4 Prütting/Helms/Fröhler, § 354 FamFG Rz. 20 f.; Staudinger/Reimann, § 2223 Rz. 19. 5 Prütting/Helms/Fröhler, § 352 FamFG Rz. 52.

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Rz. 14.62 § 14

nes Vermerks nach § 1010 BGB, des Nießbrauchs mit Löschungszusatz und einer Rückübertragungsvormerkung in dort genannter Weise durch Grundbuchvollzug zu erfüllen sowie sodann während der dort vorgesehenen Dauer insgesamt bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des jüngsten Vermächtnisnehmers zu verwalten. Auf den Tod des Längstlebenden von uns sowie im Falle unseres gleichzeitigen Todes ist … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), wiederum ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), als Testamentsvollstrecker ernannt. Ersatzweise ist das Nachlassgericht ersucht, einen geeigneten Testamentsvollstrecker zu ernennen. Dabei ist die Erbauseinandersetzung zunächst bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des jüngsten Miterben unter Verwaltung aller Erbteile aufzuschieben und sodann unter Berücksichtigung der nach Nr. … (Bezifferung) dieses Testaments vorgesehenen Teilungsanordnung, im Übrigen nach billigem Ermessen auszuführen. Der Testamentsvollstrecker ist dabei zur Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlass in unbeschränktem Umfang berechtigt und unter Beachtung seiner Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Verwaltung von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Alternativ: Der Testamentsvollstrecker ist entgegen der Vermutung aus § 2209 S. 2 BGB nicht in unbeschränktem Umfang zur Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlass berechtigt und auch nicht unter Beachtung seiner Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Verwaltung von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. …

Der Erblasser kann das von ihm einem Minderjährigen zugewendete Vermögen statt durch einen Testamentsvollstrecker auch mittels Ergänzungspfleger (s. dazu Rz. 14.30) verwalten lassen. Im Gegensatz zur Testamentsvollstreckung wird die Ergänzungspflegschaft jedoch nicht über das achtzehnte Lebensjahr des bedachten Kindes hinaus angeordnet und unterliegt nach § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB im Umfang des Vormundschaftsrechts je nach Regelungsgegenstand, dort insbesondere nach den §§ 1821, 1822 BGB, verschiedenen gerichtlichen Genehmigungsvorbehalten.

14.59

V. Minderjährige Enkelkinder als Nutznießer letztwilliger Pflichtteilsbeschränkung Beratungssituation: Die Eltern M und F möchten letztwillig sicherstellen, dass ihr Nachlass nicht aufgrund Überschuldung ihres Kindes im Wege der Verwertung durch dessen Gläubiger aufgezehrt wird. Sie erwägen daher eine Nacherbfolgeanordnung samt Testamentsvollstreckung und Pflichtteilsbeschränkung zugunsten ihrer Enkelkinder.

14.60

Überschuldete oder der Verschwendung ergebene Abkömmlinge kann der Erblasser gem. § 2338 14.61 BGB in guter Absicht in ihren Pflichtteilsrechten beschränken, um das Familienvermögen zu schützen. Voraussetzung ist dabei, dass die Überschuldung bzw. Verschwendungssucht sowohl bei Errichtung der letztwilligen Verfügung – hieran wird die Anwendung des § 2338 BGB insbesondere gegenüber behinderten Abkömmlingen, denen zu diesem Zeitpunkt zumeist lediglich eine spätere Überschuldung drohen wird, häufig scheitern – als auch im Erbfall besteht und den späteren Erwerb der Erbschaft in erheblichem Maß gefährdet. Die Pflichtteilsbeschränkung nach § 2338 BGB ist ausschließlich gegenüber Abkömmlingen i.S.d. 14.62 § 2303 BGB – dabei jedoch ungeachtet des Grades – und nur dann eröffnet, wenn der Erblasser die gesetzlichen Erben des zu beschränkenden Abkömmlings auf dessen Tod – ein anderes Ereignis ist hingegen nicht ausreichend – als Nacherben bzw. Nachvermächtnisnehmer nach dem Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile einsetzt und/oder auf Lebenszeit des zu beschränkenden Abkömmlings Verwaltungstestamentsvollstreckung mit Weisung zur Auskehrung des jährlichen Reinertrages an den zu beschränkenden Abkömmling anordnet. § 2338 BGB schützt daher unter Beschränkung jeglicher Pflichtteilsansprüche des Abkömmlings insbesondere durch Anordnung der Nacherbfolge bzw.

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§ 14 Rz. 14.63

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Verwaltungstestamentsvollstreckung mittels der Regelungen nach §§ 2111 ff. bzw. 2211 BGB vor Verfügungen des betroffenen Abkömmlings und vor einem Gläubigerpfändungszugriff nach § 2115 bzw. § 2214 BGB sowie hinsichtlich der Erbschaftsnutzungen gem. § 863 ZPO.

14.63 Auch für Erbfälle bis zum 31.12.2009 galten derartige Beschränkungen bei Wahrung des Rahmens des § 2338 BGB trotz der zwischenzeitlich aufgehobenen Regelung des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB selbst dann als wirksam, wenn der dem Abkömmling hinterlassene Erbteil nicht größer als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils war1. Beratungshinweis: Die gesetzlichen Regelungen verweisen dabei teilweise auf die Vorschriften über die Pflichtteilsentziehung. Gem. §§ 2338 Abs. 2 S. 1, 2336 Abs. 2 BGB muss die letztwillige Verfügung den Grund der Beschränkung angeben. Nach §§ 2338 Abs. 2 S. 1, 2336 Abs. 3 BGB obliegt demjenigen die Beweislast für die Voraussetzungen der Beschränkung, der sich darauf beruft. Soweit möglich sollten daher bereits bei Errichtung der letztwilligen Verfügung vorhandene Nachweise benannt und sicher sowie auch später noch auffindbar verwahrt werden.

14.64 Eine analoge Anwendung der Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht nach den §§ 2338 BGB, 863 ZPO auf überschuldete Ehegatten ist nicht möglich. Insoweit kommen ausschließlich pflichtteilsanfällige Gestaltungen – bspw. eine Nacherbenanordnung mit Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung oder ein bloßes Nießbrauchs- bzw. Wohnungsrechtsvermächtnis unter Erbausschluss – in Betracht.

14.65 M 122 Testamentarische Pflichtteilsbeschränkung des Kindes durch Eltern

zugunsten minderjähriger Enkelkinder (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Zu meinen Erben setze ich zu gleichen Teilen meinen Sohn/meine Tochter … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum) in … (Geburtsort), wohnhaft … (Wohnanschrift) und meine Tochter/meinen Sohn … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum) in … (Geburtsort), wohnhaft … (Wohnanschrift) ein. Ersatzerben meines Sohnes/meiner Tochter … (Vor- und Nachname), sind dessen/deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung. Hierzu zählen ohne Einschränkung auch nicht aus einer Ehe stammende Kinder und deren Abkömmlinge. Meine Tochter/mein Sohn … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum) in … (Geburtsort), wohnhaft … (Wohnanschrift) ist suchtkranke Alkoholikerin/suchtkranker Alkoholiker und dadurch erheblich überschuldet. Ihr/Sein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde zwischenzeitlich mangels Masse abgelehnt. Wegen daraus resultierender weitreichender Gefährdung ihres/seines späteren Erwerbs ist sie/er nach § 2338 BGB lediglich von den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB nicht befreite Vorerbin/nicht befreiter Vorerbe. Nacherbfolge tritt gem. § 2338 BGB mit dem Tod meiner Tochter/meines Sohnes ein. Nacherben sind die gesetzlichen Erben meiner Tochter/meines Sohnes i.S.d. §§ 2338, 2066 BGB. Die Nacherbanwartschaft ist weder vererblich noch veräußerlich, auch nicht an die Vorerbin/den Vorerben. Zugleich ist die Vorerbin/der Vorerbe nach § 2338 BGB durch Verwaltungs- und Nacherbenvollstreckung i.S.d. § 2222 BGB beschränkt, hat jedoch Anspruch auf den ihrer/seiner Erbquote entsprechenden jährlichen Reinertrag. Schlägt meine Tochter/mein Sohn ihren/seinen Erbteil aus und verlangt sie/er den Pflichtteil, unterliegt dieser den für den Erbteil angeordneten Beschränkungen. Ersatzerben der Vorerbin sind die Nacherben, zu deren Gunsten dann alle hiesigen Beschränkungen entfallen. Zum Testamentsvollstrecker ist mein Sohn/meine Tochter … (Vor- und Nachname) ernannt. Ersatzweise ersuche ich das Nachlassgericht, eine geeignete Person als Testamentsvollstrecker zu ernennen. Der Testa1 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Kap. Rz. 145 ff.; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 88 Rz. 36 ff.

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Rz. 14.69 § 14

mentsvollstrecker ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit und unterliegt in der Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlass keinen Beschränkungen. Dem Testamentsvollstrecker steht eine angemessene Vergütung zu, wobei diese an den Empfehlungen des Deutschen Notarvereins (Neue Rheinische Tabelle mit eventuellen Fortschreibungen) ausgerichtet sein soll, der Testamentsvollstrecker die Vergütung nach billigem Ermessen festsetzen darf1 und der Vergütungsanspruch erst dreißig Jahre nach meinem Tod verjährt2. …

VI. Schutz minderjähriger Kinder des erstversterbenden Ehegatten in Patchwork-Familien durch Ausbildungsunterhaltsvermächtnis Beratungssituation: Die Eheleute F und M sowie die minderjährigen Kinder KF, KM und KFM bilden eine Patchwork-Familie. F und M möchte sich letztwillig zunächst gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Es soll jedoch auch sichergestellt sein, dass jedem Kind des erstversterbenden Ehegatten, das nicht zugleich Kind des Längstlebenden ist, eine Ausbildung finanziert wird.

14.66

Häufig besteht eine sog. Patchwork-Familie aus zwei miteinander verheirateten Ehepartnern, von 14.67 denen jeder ein Kind oder mehrere Kinder aus seiner vorherigen anderweitigen Beziehung hat und die zudem mindestens ein gemeinsames Kind haben. Soweit sich die Eheleute für eine Vollerbeneinsetzung des längstlebenden Ehegatten mit Schlusserbenberufung aller Kinder auf den Tod des längstlebenden Ehegatten anstelle einer Trennungs- bzw. Herausgabevermächtnislösung unter freiem auch quotenmäßig nicht nach Stämmen beschränktem Abänderungsvorbehalt des längstlebenden Ehegatten entscheiden, sind minderjährige Kinder ausschließlich des erstversterbenden Ehegatten besonders schutzbedürftig, zumal dann kein Anspruch auf Ausbildungsgewährung nach § 1371 Abs. 4 BGB besteht, da es an der dazu erforderlichen gesetzlichen Erbfolge zugunsten des längstlebenden Ehegatten aus § 1371 Abs. 1 BGB bzw. dessen dem gleichzusetzenden letztwilligen Erbeinsetzung gemäß gesetzlicher Erbfolge3 fehlt.

14.68

Beratungshinweis: Da nach dem Tod des leiblichen Elternteils als erstversterbendem Ehegatten den Stiefkindern gegenüber ihrem Stiefelternteil als längstlebendem Ehegatten keine gesetzlichen Unterhaltsansprüche zustehen, empfiehlt sich auf den Tod des Erstversterbenden zugunsten dessen nicht gemeinschaftlicher, insbesondere minderjährigen Abkömmlinge, die noch keine Berufsausbildung abgeschlossen haben, zumindest für den Ausbildungsunterhalt ein entsprechendes Vermächtnis bzw. alternativ oder ergänzend eine Unterhaltsvereinbarung der Eheleute4.

M 123 Ausbildungsunterhaltsvermächtnis in Patchwork-Familie

14.69

(Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Vermächtnisweise erhält derjenige nichtgemeinschaftliche Abkömmling des erstversterbenden Ehegatten, der kein Abkömmling des längstlebenden Ehegatten ist und noch keine Berufsausbildung abgeschlossen hat, auf den Tod des erstversterbenden Ehegatten aus dessen Nachlass ein Geldvermächtnis, das sich nach den voraussichtlichen Kosten der Berufsausbildung bemisst, sofort mit dem Erbfall fällig ist und erst dreißig

1 Odersky, notar 2010, 23. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Kap. FBsp. 15; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 88 M. 88.4. 3 Erman/Budzikiewicz, § 1371 Rz. 20. 4 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Kap. Rz. 13 f.; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 88 Rz. 3.

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§ 14 Rz. 14.70

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Jahre nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten verjährt. Der erstversterbende Ehegatte ersucht das Nachlassgericht, einen geeigneten Testamentsvollstrecker zu ernennen, der sodann Art und Höhe der Zahlung zu bestimmen hat und dem eine angemessene Vergütung zusteht, wobei diese an den Empfehlungen des Deutschen Notarvereins (Neue Rheinische Tabelle mit eventuellen Fortschreibungen) ausgerichtet sein soll, der Testamentsvollstrecker die Vergütung nach billigem Ermessen festsetzen darf1 und der Vergütungsanspruch erst dreißig Jahre nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten verjährt2. …

VII. Gestaltung durch Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- bzw. Zuwendungsverzichtsvertrag 1. Praktische Relevanz bei Beteiligung Minderjähriger

14.70 Beratungssituation: Die Eheleute M und F haben zwei gemeinsame Kinder K1 und K2. M ist zudem Vater eines minderjährigen nichtehelichen Kindes N, das bei der leiblichen Mutter FN lebt und keinen engeren Kontakt zu ihm hat. M möchte seine künftige Vermögensnachfolge zuverlässig gestalten. Hierzu soll FN vorab finanziell abgefunden werden. M ist sich unschlüssig, ob dazu ein Erbverzichts- oder vielmehr ein bloßer Pflichtteilsverzichtsvertrag das richtige Gestaltungsmittel ist.

14.71 Regelungen über Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- bzw. Zuwendungsverzichtsverträge können auch bei Beteiligung minderjähriger Kinder erhebliche praktische Relevanz aufweisen. Dies gilt sowohl für die Mitwirkung Minderjähriger auf Erblasser- als auch auf Verzichtendenseite. Soll bspw. eine bestimmte Immobilie bzw. Firmenbeteiligung lebzeitig von einem auf den anderen Elternteil oder von Elternseite auf ein Geschwisterkind des Minderjährigen gegen diesbezügliche Abfindung übertragen werden, kommt dafür ein gegenständlich beschränkter, auflösend um die Nichtbegleichung der vereinbarten Abfindungszahlung bedingter Pflichtteilsverzichtsvertrag mit dem Minderjährigen auf Verzichtendenseite in Betracht. Wird hingegen eine letztwillige Zuordnung gewünscht und widerspricht diese einer erbrechtlichen Bindung des Längstlebenden nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils, kann insoweit neben der Änderung der Verfügung von Todes wegen und dem Pflichtteilsverzichtsvertrag zusätzlich ein entsprechender entgeltlicher Zuwendungsverzichtsvertrag zur Aufhebung der entgegenstehenden erbrechtlichen Bindung erforderlich werden.

14.72 Umgekehrt sind Konstellationen vorstellbar, in denen auf den Tod eines minderjährigen Kindes, solange dieses kinderlos und nicht verheiratet ist, dessen Nachlass ausschließlich auf einen bestimmten Elternteil übergehen soll, da dieses Vermögen bei dem anderen Elternteil aufgrund dessen gefahrund haftungsgeneigter beruflicher Tätigkeit abstrakt gefährdet erscheint. Insoweit kommt insbesondere noch vor Entstehung von konkreten Ansprüchen Dritter ein Pflichtteilsverzichtsvertrag dieses in guter Absicht übergangenen abstrakt gefährdeten Elternteils mit dem minderjährigen Kind auf Erblasserseite in Betracht. 2. Ausgangsdifferenzierung nach Verzichtsart a) Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag

14.73 Gem. § 2346 BGB können Verwandte bzw. der Ehegatte durch Vertrag mit dem Erblasser auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht (Abs. 1), beschränkt auf das gesetzliche Erbrecht unter Aufrechterhaltung oder Vorbehalt des Pflichtteilsrechts3 oder beschränkt auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht 1 Odersky, notar 2010, 23. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Kap. FBsp. 2; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 88 M. 88.1. 3 Mot. V S. 472; BayObLG v. 10.2.1981 – BReg 1Z 125/80, BayObLGZ 1981, 30, 33; Bamberger/Roth/ J. Mayer, § 2346 Rz. 15; jurisPK-BGB/Hau, § 2346 Rz. 18; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 11; Palandt/

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Rz. 14.77 § 14

unter Aufrechterhaltung des Erbrechts (Abs. 2) verzichten. Der Verzicht, der auch auf einen bloßen Bruchteil des gesetzlichen Erbrechts in Gestalt eines Erbteils an dem ansonsten anfallenden Gesamtnachlass bzw. einen Teil eines Erbteils beschränkt werden kann1, muss dabei durch einen gegenseitigen Vertrag, der nach § 2348 BGB der notariellen Beurkundung bedarf, vereinbart werden. Hierbei hat der Erblasser gem. § 2347 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB im Gegensatz zum Verzichtenden höchstpersönlich mitwirken und darf daher, solange er nicht geschäftsunfähig ist, weder rechtsgeschäftlich noch gesetzlich vertreten werden. Ein Verstoß gegen dieses Höchstpersönlichkeitsgebot führt grundsätzlich zur Nichtigkeit des Verzichtsvertrags2. Da das Gesetz keine gleichzeitige Anwesenheit beider Parteien vorsieht, können Verzichtsverträge, 14.74 wie häufig praktiziert, nach § 128 BGB durch jeweils gesondert beurkundete Antrags- und Annahmeerklärung wirksam zustande kommen. Verträge über einen Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht können nur zu Lebzeiten des Erblassers wirksam vereinbart werden3. Teilweise wird in der Literatur abweichend hiervon differenzierend vertreten, dass Pflichtteilsverzichtsverträge anders als ein Erbverzichtsvertrag auch noch – z.B. durch isolierte Annahme des Verzichtenden – nach dem Tod des Erblassers wirksam zustande kommen können, da hierdurch die gesetzliche Erbfolge nicht berührt wird4, wobei sich diese Ansicht bislang jedoch in der Rechtsprechung nicht hat durchsetzen können5. Rechtsfolge eines Erbverzichtsvertrags ist die unmittelbare Veränderung der gesetzlichen Erbfolge 14.75 dahingehend, dass der Verzichtende und – soweit es sich dabei um einen Abkömmling oder Seitenverwandten des Erblassers handelt und keine andere Regelung getroffen ist – gem. § 2349 BGB seine Abkömmlinge beim Erbfall von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind, als wenn sie zurzeit des Erbfalls nicht mehr lebten. Nach § 2310 S. 2 BGB werden die durch Erbverzicht ausgeschlossenen Verzichtenden bei der Erbteilsfeststellung zur Berechnung von Pflichtteilen anders als gem. § 2310 S. 1 BGB bei ausschließlichem Pflichtteilsverzichtsvertrag, Erbschaftsausschlagung, Erbunwürdigerklärung oder Ausschluss durch letztwillige Verfügung nicht mitgezählt. Wurde eine Erstreckung des Erbverzichts auf die Abkömmlinge entgegen § 2349 BGB ausgeschlossen, werden diese gemäß ihrem Eintrittsrecht nach § 1924 Abs. 3 BGB mitgezählt. Erbverzichts- und/oder Pflichtteilsverzichtsverträge sind Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Daraus 14.76 folgt, dass sich Willensmängel nach den §§ 116 ff. BGB, eine teilweise Unwirksamkeit nach § 139 BGB statt nach § 2085 BGB und eine Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB statt nach § 2078 BGB richten6. Widerrufs- oder Rücktrittsvorbehalte sind unzulässig und dürften regelmäßig in zulässige auflösende Bedingungen umzudeuten sein7. Gem. § 2349 BGB erstreckt sich die Wirkung eines Erbverzichts eines Abkömmlinge oder eines Seitenverwandten des Erblassers auf dessen Abkömmlinge, sofern nicht ein anderes bestimmt wird. Nach überwiegender Ansicht gilt diese Vermutungsregelung über den Wortlaut hinaus auch für einen Pflichtteilsverzichtsvertrag8. Zur Vermeidung von Auslegungsrisiken ist jedoch zu empfehlen, dass sowohl beim Erbverzichts- als auch beim Pflichtteilsverzichtsvertrag ausdrücklich klargestellt wird, ob eine Wirkungserstreckung auf die Abkömmlinge des Verzichtenden gewollt ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass eine derartige Erstreckung auf Abkömmlinge lediglich bei verzichtenden Abkömmlin-

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Weidlich, § 2346 Rz. 3; Reul, MittRhNotK 1997, 373, 378; Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 9; Staudinger/ Schotten, § 2346 Rz. 35; a.A. Harrer, ZBlFG 1915, 1, 11. MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 14. BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319, 321; Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 26; Wurm/Wagner/ Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 1. BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 521. Mayer, MittBayNot 1997, 85. Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 1. Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 21. Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 3. Erman/Simon, § 2349 Rz. 1.

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14.77

§ 14 Rz. 14.78

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gen oder Seitenverwandten des Erblassers, nicht jedoch bei verzichtenden Ehegatten des Erblassers oder dessen Eltern eintritt1. Beratungshinweis: Die Unterscheidung zwischen einem reinen Pflichtteilsverzichtsvertrag einerseits und einem Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag andererseits gewinnt erhebliche Bedeutung zur Bestimmung der für die übrigen Pflichtteilsberechtigten maßgebenden Pflichtteilsquoten. Gem. § 2310 S. 2 BGB wird bei der Feststellung des für die Berechnung des Pflichtteils maßgebenden Erbteils derjenige nicht mitberücksichtigt, der durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist. Umgekehrt wird gleichwohl mitberücksichtigt, wer lediglich auf seine Pflichtteilsrechte und nicht zugleich auch auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet hat2. Der Erblasser sollte zur Vermeidung einer ungewollten Erhöhung der Pflichtteilsquoten weiterer nicht verzichtender Pflichtteilsberechtigter darauf dringen, dass der Verzichtende lediglich auf sein Pflichtteils- und nicht zugleich auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet3.

14.78 M 124 Vertrag über entgeltlichen auflösend bedingten Pflichtteilsverzicht des

minderjährigen Kindes (Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) … Als Ergänzungspfleger verzichte ich, … (Vor- und Nachname), hiermit namens des von mir vertretenen minderjährigen Kindes, … (Vor- und Nachname), geb. am …, für dieses und mit Wirkung für dessen Abkömmlinge gegenüber seiner Mutter … (Vor- und Nachname), geb. am …, auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht, einschließlich eventueller Ausgleichspflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche. Der Verzicht erfolgt dadurch auflösend bedingt, dass als Gegenleistung auf das Konto IBAN: … BIC: … des verzichtenden Kindes nicht bis spätestens zehn Wochen nach Eingang der familiengerichtlichen Genehmigung zu diesem Vertrag mit Rechtskraftvermerk beim beurkundenden Notar ein Geldbetrag von … Euro (Abfindungsbetrag) gutgeschrieben sein wird, und ist insoweit gegenständlich beschränkt, als bei der Bewertung des Nachlasses auf den Tod der Mutter … (Vor- und Nachname) zum Zwecke der Pflichtteilsberechnung der Wert ihrer Eigentumswohnung in … (genauer Grundbuchbeschrieb) nicht berücksichtigt wird. Der Abfindungsbetrag ist vier Wochen nach Eingang der familiengerichtlichen Genehmigung zu diesem Vertrag mit Rechtskraftvermerk beim beurkundenden Notar und Absendung einer diesbezüglichen schriftlichen Mitteilung durch den Notar an die Mutter zur Zahlung fällig. Ich, … (Vor- und Nachname), nehme hiermit den vorstehenden gegenständlich beschränkten auflösend bedingten Pflichtteilsverzicht meines minderjährigen Kindes an. … (Genehmigungseinholung samt Doppelvollmacht)

14.79 Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträge können bedingt bzw. befristet vereinbart werden. Hiervon wird insbesondere bei Pflichtteilsverzichtsverträgen zwischen Eltern und Kindern auf den Tod des erstversterbenden Elternteils regelmäßig Gebrauch gemacht, indem der Verzicht der Kinder von der Erbeinsetzung des längstlebenden Ehegatten durch den erstversterbenden Ehegatten und dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Ausschlusses des Ehegattenerbrechts nach § 1933 BGB, insbesondere vom Ausbleiben einer Eheauflösung, abhängig gemacht wird. Dabei sollte, da der Pflichtteilsverzicht noch zu Lebzeiten des Erblassers wirksam werden muss (vgl. dazu Rz. 14.74), eine auflösende und keine aufschiebende Bedingung verwendet werden. Ein Rücktrittsvorbehalt kann hingegen nicht wirksam vorgesehen werden. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu § 2293 BGB. Er ist jedoch möglicherweise in eine auflösende Bedingung umzudeuten.

1 Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 4. 2 BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497. 3 Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 5.

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Rz. 14.84 § 14

Erbringt der künftige Erblasser für einen Pflichtteilsverzicht des Pflichtteilsberechtigten keine Gegen- 14.80 leistung, liegt darin gleichwohl keine Schenkung des Verzichtenden an den künftigen Erblasser, die bspw. zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen dieses Pflichtteilsberechtigten bzw. ggfs. von dessen Abkömmlingen führen könnte1. Stark umstritten ist umgekehrt die Frage, ob und bejahendenfalls inwieweit eine Schenkung vorliegt, 14.81 wenn der Erblasser eine Abfindung für den Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht leistet. Dies gilt insbesondere in Zusammenhang mit Pflichtteilsergänzungsansprüchen (im Einzelnen nachfolgend Rz. 26.303 f.). Beratungshinweis: Steuerlich ist die Sache klar: Die für einen Erb- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrag gezahlte Abfindung unterliegt der Schenkungssteuer (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG), unabhängig davon, ob die Abfindung angemessen ist oder nicht.

Ein Erbverzicht kann im Hinblick auf den Grundsatz der Universalsukzession nicht gegenständlich 14.82 beschränkt werden, es sei denn es liegt ein auf ein Vermächtnis bezogener Zuwendungsverzicht vor2. Im Gegensatz dazu ist ein auf bestimmte Nachlassgegenstände beschränkter reiner Pflichtteilsverzichtsvertrag zulässig, da der vom Verzicht betroffene Pflichtteilsanspruch lediglich einen rechnerischen Geldausgleichsposten darstellt und von dem Grundsatz der Universalsukzession, die einem gegenständlichen Erbverzicht entgegensteht, nicht erfasst ist. Neben der Beschränkung des Pflichtteilsverzichts auf einen bestimmten Nachlassgegenstand ist die Beschränkung auf eine bestimmte Zahlungssumme, eine besondere Bewertungsart, einen Bruchteil oder auf Pflichtteilsergänzungsansprüche anerkannt3. Ähnlich der gerichtlichen Überprüfung von Eheverträgen wird nunmehr auch eine gerichtliche Aus- 14.83 übungs- und Wirksamkeitskontrolle für Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträge, insbesondere hinsichtlich eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage für einen unter Eheleuten geschlossenen isolierten Pflichtteilsverzichtsvertrag erwogen4. Dies ist auch bei Beteiligung eines Minderjährigen zu beachten. Daher sollte bei Beurkundung auf diesbezügliche eventuelle Risiken hingewiesen werden. Bspw. kann eine ausdrücklich beabsichtigte spätere Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments oder Erbvertrags Geschäftsgrundlage für einen vorab vereinbarten wechselseitigen Pflichtteilsverzichtsvertrag sein5. Nach Eintritt des Erbfalls bleibt ein abstrakter Erbverzichtsvertrag, soweit keine Anfechtung möglich ist, grundsätzlich wirksam, ggf. kommt jedoch eine Anpassung eines dem Erbverzicht möglicherweise zugrunde liegenden schuldrechtlichen Grundgeschäfts in Betracht6. Es empfiehlt sich daher, das jeweilige Motiv für eine Verzichtserklärung ausdrücklich in die Urkunde aufzunehmen7. Ein Erbverzichtsvertrag, durch den der Begünstigte aufgrund unrichtig geschilderter Ausgangstatsachen die alters- und erfahrungsmäßig schwächere Position des Verzichtenden ausnutzt und verstärkt, kann nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und daher nichtig sein8. Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag ist nicht allein deshalb sittenwidrig, weil der verzichtende Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt der Beur-

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Palandt/Weidlich, § 2346 BGB Rz. 4. Nieder/Kössinger, § 19 Rz. 12. Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 8. Wendt, ZNotP 2006, 2 ff. OLG Nürnberg v. 12.11.2002 – 3 U 1192/02, RNotZ 2003, 187 (188 ff.). BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 = DNotZ 1997, 806, 808 f. Reimann/Bengel/J. Mayer, A Rz. 184; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 11. 8 OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, FamRZ 2007, 418 = MittBayNot 2006, 428 (429 f.) – Verzicht des nichtehelichen Kindes gegenüber dem leiblichen Vater.

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14.84

§ 14 Rz. 14.85

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kundung und beim Tod des Erblassers hilfebedürftig ist1. Im Gegensatz dazu kann jedoch ein erst nach dem Tod des Erblassers zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und den Erben des Erblassers vereinbarter unentgeltlicher Pflichtteilserlassvertrag sittenwidrig sein2. b) Zuwendungsverzichtsvertrag

14.85 Im Gegensatz zu einem lediglich das gesetzliche Erbrecht betreffenden Erbverzichtsvertrag können gem. § 2352 BGB durch letztwillige Verfügung als Erbe oder Vermächtnisnehmer Bedachte durch Vertrag mit dem Erblasser auf ihre diesbezügliche gewillkürte Zuwendung verzichten. Ist diese Zuwendung durch Erbvertrag angeordnet, sind Besonderheiten zu beachten (vgl. dazu Rz. 14.89). Ein Zuwendungsverzichtsvertrag ist in der Praxis insbesondere dann bedeutsam, wenn der Erblasser bei mehrseitigem Erbvertrag oder gemeinschaftlichem Testament seinerseits aufgrund vertragsmäßig bzw. wechselbezüglich bindend gewordener Verfügungen nicht mehr frei über seinen eigenen Nachlass verfügen kann oder testierunfähig und daher ausschließlich über den gesetzlichen Vertreter i.S.d.§§ 2352 S. 3, 2347 Abs. 2 BGB handlungsfähig ist. Ist der Erblasser hingegen testierfähig und bspw. aufgrund Abänderungsvorbehalts dazu in der Lage, von ihm bereits getroffene letztwillige Verfügungen von Todes wegen durch Testament abzuändern, bedarf es keines Zuwendungsverzichtsvertrags. Soweit der längstlebende Ehegatte als Erblasser aus einem gemeinschaftlichen Testament mit dem erstverstorbenen Ehegatten resultierende Bindungen aus wechselbezüglich getroffenen Verfügungen aufheben möchte, kommt zumeist keine Anfechtung der eigenen bindenden Verfügung – sofern nicht ohnehin ein testamentarischer Anfechtungsausschluss vereinbart wurde – etwa im Falle der Wiederverheiratung nach §§ 2079, 2281 Abs. 1 BGB in Betracht, da diese regelmäßig auch die Nichtigkeit der wechselbezüglichen Verfügung des erstverstorbenen Ehegatten und damit der wichtigen Erbeinsetzung durch den erstversterbenden Ehegatten bewirken würde3 – etwas anderes soll jedoch dann gelten, wenn der längstlebende Ehegatte mangels Verwirkungsklausel auch gegenüber denjenigen Kindern gebunden ist, die von ihm beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt haben4. Scheidet daher eine Anfechtung aus, kann ein Zuwendungsverzichtsvertrag mit den durch das gemeinschaftliche Testament bindend begünstigten Personen eine einvernehmliche Lösung ermöglichen5. Insoweit stellt sich auch die hier relevante Problematik des Zuwendungsverzichtsvertrags mit einem minderjährigen Kind des längstlebenden Ehegatten.

14.86 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass trotz einer derartigen vertraglichen Vereinbarung der zunächst wechselbezüglich bzw. vertragsmäßig gebundene Erblasser gleichwohl nicht frei verfügen kann, wenn und soweit der Zuwendungsverzichtsvertrag Dritte nicht erfasst, die an die Stelle der verzichtenden Vertragspartner als durch die Bindung geschützte Berechtigte nachrücken. Aufgrund der zwischenzeitlich gem. Art. 229 § 23 Abs. 4 S. 2 EGBGB für Erbfälle seit dem 1.1.2010 in Kraft getretenen Erbrechtsreform verweist § 2352 S. 3 n.F. BGB nunmehr auf die Erstreckungsregelung für Erbverzichtsund Pflichtteilsverzichtsverträge nach § 2349 BGB. Daraus folgt, dass ein Zuwendungsverzicht eines Abkömmlings oder Seitenverwandten des Erblassers auch die Abkömmlinge dieses Verzichtenden erfasst, soweit der Zuwendungsverzichtsvertrag nichts anderes regelt. Hierbei handelt es sich um eine Dispositivnorm und nicht um eine Auslegungsregel6. Damit werden ebenso wie beim Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht keine anderen als die in § 2349 BGB genannten Ersatzerben, insbesondere keine ersatzweise berufenen Geschwister des Erblassers erfasst (sehr wohl jedoch deren Abkömmlinge, 1 OLG Köln v. 9.12.2009 – 2 U 46/09, FamRZ 2010, 838 m. Anm. Dutta = RNotZ 2010, 139 (140 f.) – Verzicht der Sozialleistungen beziehenden Tochter gegenüber ihrer Mutter; Vaupel, RNotZ 2009, 497 (508). 2 VGH Mannheim v. 8.6.1993 – 6S 1068/92, NJW 1993, 2953 (2954 f.); Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 12. 3 Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 33. 4 Nieder/Kössinger, § 14 Rz. 83. 5 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 168. 6 Keim, RNotZ 2009, 574 (575).

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Rz. 14.88 § 14

wenn Geschwister des Erblassers unmittelbar bedacht waren und verzichtet haben). Diesen gegenüber entfaltet ein Zuwendungsverzicht nur dann Wirkung, wenn die Ersatzberufung um eine Zuwendungsverzichtsvereinbarung auflösend bedingt vereinbart worden ist. Die Erstreckungswirkung gilt unabhängig davon, ob der Zuwendungsverzicht entgeltlich oder unentgeltlich1 bzw. umfassend, eingeschränkt oder teilweise vereinbart wurde2, und erfasst aufgrund des Wortlauts nicht nur insbesondere über § 2069 BGB auslegungsbedingt berufene, sondern auch ausdrücklich eingesetzte Ersatzerben3. Eine Beschränkung der Erstreckungswirkung des Zuwendungsverzichts auf einzelne von mehreren betroffenen Abkömmlingen dürfte unzulässig sein4. Gegenstand des Zuwendungsverzichts sind nach § 2352 BGB Erbeinsetzungen oder Vermächtnisse, 14.87 die auf einer Verfügung von Todes wegen beruhen. Anderweitige Begünstigungen, insbesondere der Voraus des Ehegatten oder Auflagen sind hiervon nicht erfasst. Die vom Verzicht erfasste Zuwendung muss exakt bezeichnet werden. Es kommen ausschließlich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verzichtsvertrags bereits angeordnete Zuwendungen in Betracht. Gegenständliche Beschränkungen des Zuwendungsverzichtes sind möglich, soweit sie sich auf einzelne Vermächtnisgegenstände oder ideelle Erbteile beziehen. Auch kann ein Zuwendungsverzicht auf die Berechtigung des Erblassers zur Anordnung von Auflagen, Vermächtnissen, Testamentsvollstreckungen bzw. Vor- und Nacherbschaftsregelungen beschränkt werden5. Bezüglich einer Erbeinsetzung ist eine gegenständliche Beschränkung auf einzelne Nachlassgegenstände jedoch unzulässig, soweit diese dem Erben nicht vorausvermächtnisweise zugeteilt sind und sich der Verzicht gegenständlich auf das Vorausvermächtnis beschränkt. Hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen gelten die Regelungen des Erbverzichtsvertrags über § 2352 S. 3 BGB entsprechend. Das zugrunde liegende Kausalgeschäft – vor allem eine Abfindungsregelung – bedarf der notariellen Mitbeurkundung6.

M 125 Vertrag über entgeltlichen auflösend bedingten Zuwendungsverzicht des minderjährigen Kindes

14.88

(Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) … Die Eheleute … (Vor- und Nachname) und … (Vor- und Nachname) haben am … (Datum) vor dem Notar … (Name) in … (Ort) unter UR … (Urkundenrollennummer) ein gemeinschaftliches Testament beurkunden lassen. Danach hat der erstversterbende Ehegatte den längstlebenden Ehegatten zum alleinigen Vollerben und der längstlebende Ehegatte die gemeinschaftliche Tochter … (Vor- und Nachname) zur Schlusserbin eingesetzt, ersatzweise deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung. Sämtliche vorstehenden Verfügungen sind mit wechselbezüglich bindender Wirkung angeordnet. … (Vor- und Nachname des erstversterbenden Ehemanns) ist zwischenzeitlich verstorben. Die Tochter … (Vor- und Nachname) ist derzeit noch minderjährig und hat keine Kinder. Das gemeinschaftliche Testament enthält keinen Änderungsvorbehalt zugunsten des längstlebenden Ehegatten. Der Ergänzungspfleger,… (Vor- und Nachname), verzichtet hiermit namens des von ihm vertretenen minderjährigen Kindes,… (Vor- und Nachname), geb. am …, für dieses und mit Wirkung für dessen Abkömmlinge gegenüber dessen Mutter … (Vor- und Nachname), geb. am …, auf das dem Kind im vorstehend genannten gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich zugeteilte Erbrecht, ohne zugleich auf dessen gesetzliches Erb- oder Pflichtteilsrecht zu verzichten. Dieser Verzicht steht unter der auflösenden Bedingung, dass die nachstehend vereinbarte Gegenleistung nicht bis spätestens zehn Wochen nach Eingang der fami1 Schaal/Grigas, BWNotZ 2008, 2 (24). 2 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 173 (175). 3 Odersky, notar 2009, 362 (365); DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 173 (175); Keim, RNotZ 2009, 574 (575), zweifelnd Schaal/Grigas, BWNotZ 2008, 2 (24). 4 Keim, RNotZ 2009, 574 (575); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 169. 5 BGH v. 27.1.1982 – IVa ZR 240/80, FamRZ 1982, 370 = NJW 1982, 1100 (1101 f.). 6 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 171.

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§ 14 Rz. 14.89

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liengerichtlichen Genehmigung zu diesem Vertrag mit Rechtskraftvermerk beim beurkundenden Notar durch Gutschrift auf dem unten genannten Konto erbracht sein wird. Der vorstehende gegenständlich beschränkte auflösend bedingte Zuwendungsverzicht wird hiermit von der Mutter … (Vor- und Nachname der Ehefrau als längstlebendem Erblasser) angenommen. Als Gegenleistung verpflichtet sich hiermit die Mutter … (Vor- und Nachname der durch den Verzicht Begünstigten) ihrem minderjährigen Kind … (Vor- und Nachname der Verzichtenden) gegenüber, bis spätestens vier Wochen nach Eingang der familiengerichtlichen Genehmigung zu diesem Vertrag mit Rechtskraftvermerk beim beurkundenden Notar und Absendung einer diesbezüglichen schriftlichen Mitteilung durch den Notar einen Geldbetrag von … Euro (Höhe) durch Gutschrift auf deren Konto IBAN: … BIC: … zu bezahlen. … (Genehmigungseinholung samt Doppelvollmacht)

14.89 Für einen Verzicht auf erbvertragliche Zuwendungen sieht § 2352 S. 2 BGB Besonderheiten vor. Danach kann wirksam nur auf solche durch Erbvertrag erfolgte Zuwendungen verzichtet werden, die einem Dritten zukommen. Diese Einschränkung gilt zunächst nicht für einseitige letztwillige Verfügungen, die in Erbverträgen enthalten sind. § 2352 S. 2 BGB meint lediglich vertragsmäßig bindende Verfügungen von Todes wegen. Sind derartige vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag zwischen lediglich zwei Personen ausschließlich zugunsten eines dieser beiden Personen angeordnet worden, so kann ein Zuwendungsverzichtsvertrag nicht wirksam abgeschlossen werden1. Ist die Zuwendung durch einen Erbvertrag, an dem ausschließlich zwei Personen mitgewirkt haben, zugunsten einer dritten Person angeordnet worden, ist ein Zuwendungsverzichtsvertrag zwischen Erblasser und Drittpersonen unzweifelhaft möglich. Haben bei Beurkundung des Erbvertrags neben dem Notar drei Personen mitgewirkt, ist unklar, ob eine Zuwendung an einen Dritten i.S.d. § 2352 S. 2 BGB erfolgt ist, um einen wirksamen Zuwendungsverzichtsvertrag mit diesem abschließen zu können. Denkbar ist, die Person des Dritten i.S.d. § 2352 S. 2 BGB rein formell zu definieren und einen Zuwendungsverzichtsvertrag bereits dann auszuschließen, wenn die Drittperson den in Rede stehenden Erbvertrag lediglich mitunterschrieben hat, ohne Vertragspartner zu sein2. Stellt man hingegen funktionell darauf ab, ob der Dritte unabhängig von einer förmlichen Mitunterzeichnung des Erbvertrags Vertragspartner gewesen ist, sind Zuwendungsverzichtsverträge mit Personen, die zwar den Erbvertrag zur Kenntnisnahme mitunterschrieben haben, aber nicht Vertragspartner geworden sind, zulässig (vgl. dazu Rz. 18.80)3.

14.90 Für den Fall, dass ein Zuwendungsverzichtsvertrag wegen Wegfalls des Verzichtenden vor Eintritt des Erbfalls und gleichzeitiger Ersatzerbenberufung ins Leere geht, sollten hilfsweise Ausgleichsregelungen mitbeurkundet werden. Hier empfiehlt sich insbesondere die Verpflichtung zur Rückerstattung bereits erbrachter Abfindungszahlungen an den Verzichtsbegünstigten und die Verpflichtung des Verzichtenden auf Abtretung des vom Zuwendungsverzichtsvertrag anvisierten Erbteils an den Verzichtsbegünstigten gegen Bezahlung einer neuen Abfindung4. Diese Erbteilsabtretungsverpflichtung muss sich im Rahmen des § 311b Abs. 5 BGB bewegen. Sie ist nur dann zwingend zu vollziehen, wenn die Erben des Verzichtenden mit den Ersatzerben identisch sind und damit in diese Verpflichtung eintreten.

14.91 Ein wirksam abgeschlossener Zuwendungsverzichtsvertrag verhindert analog § 2346 BGB den Anfall der bindend vorgesehenen Zuwendung an den Verzichtenden, der so behandelt wird, als hätte er 1 OLG Hamm v. 14.2.1977 – 15 W 159/75, DNotZ 1977, 751, 753 ff. 2 OLG Celle v. 8.7.1959 – 4 Wx 7/59, NJW 1959, 1923 unter Verweis auf den Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und den Sprachgebrauch auch der §§ 123 Abs. 2, 328, 333, 362 Abs. 2, 414, 571 BGB; BayObLG v. 11.7.1925 – Reg. III Nr. 77/1925, JFG 3, 166, 167 f.; a.A. Endemann, JW 25, 279. 3 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 172. 4 Reimann/Bengel/J. Mayer, Muster 84; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 173.

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Rz. 14.93 § 14

den Erbfall nicht erlebt1. Soweit infolge der Wirkungserstreckung nach §§ 2352 S. 3, 2349 BGB aufgrund Wegfalls des Verzichtenden kein ausdrücklich berufener oder durch Auslegung zu ermittelnder Ersatzberufener nachrückt (s. dazu Rz. 14.86), wird die vom Zuwendungsverzicht betroffene bindende Verfügung gegenstandslos, jedoch anders als bspw. nach Anfechtung oder Widerruf nicht unwirksam. Folglich bleiben die Verfügungen, die mit der vom Zuwendungsverzicht betroffenen Verfügung korrespondieren, anders als nach Anfechtung oder Widerruf ebenfalls bestehen. Dem Erblasser ist nunmehr die Möglichkeit eröffnet, abweichend von der bisherigen Bindung anderweitige letztwillige Verfügungen zu treffen, muss diese dann jedoch noch anordnen, um insbesondere das verbleibende gesetzliche Erbrecht des vom Verzicht Betroffenen auszuschalten. Es empfiehlt sich daher, dass der Erblasser parallel zu dem Zuwendungsverzicht eine neue Verfügung von Todes wegen errichtet und mit pflichtteilsberechtigten Verzichtenden einen Pflichtteilsverzichtsvertrag mit Wirkungserstreckung nach § 2349 BGB auf deren Abkömmlinge schließt. Von einem Erbverzichtsvertrag ist hingegen zur Vermeidung einer ungewünschten Erhöhung der Pflichtteilsquoten nicht mitwirkender anderer Pflichtteilsberechtigter nach § 2310 S. 2 BGB (s. Rz. 14.75 ff.) nachhaltig abzuraten. Wird ausschließlich ein Zuwendungsverzichtsvertrag ohne weitergehenden Verzichtsvertrag geschlossen, bleibt das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht des Verzichtenden unberührt. Entsprechendes gilt bei im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheirateten Ehegatten hinsichtlich der Ansprüche aus § 1371 Abs. 3 BGB2. Ein durch vertragsmäßig bindende Verfügung aus Erbvertrag bzw. durch wechselbezüglich bindende Verfügung aus gemeinschaftlichem Testament Begünstigter kann gegenüber dem gebundenen Erblasser, der einem Dritten eine Schenkung zuwendet, auf den Schutz der §§ 2287 f. BGB durch zuwendungsverzichtsähnlichen Vertrag wirksam verzichten, sofern die Beurkundungsform des § 2348 BGB und ein eventuelles aus dem Rechtsgedanken des § 2347 Abs. 1 BGB resultierendes gerichtliches Genehmigungserfordernis gewahrt bleiben3. Wegen der durch die Rechtsprechung bejahten Nähe eines derartigen Verzichtsvertrags zum Zuwendungsverzichtsvertrag i.S.d. § 2352 BGB dürfte insoweit auch von einer analog §§ 2352 S. 3, 2349 BGB eintretenden Wirkungserstreckung auf Abkömmlinge verzichtender Abkömmlinge bzw. Seitenverwandter des Erblassers auszugehen sein, zumal der Schutz der §§ 2287 f. BGB nicht weiter reichen kann als die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments bzw. Erbvertrags4.

14.92

c) Vertragsaufhebung Ein Vertrag über Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht kann nach § 2351 BGB durch entsprechenden Aufhebungsvertrag beseitigt werden, ohne dass dazu die Zustimmung der von der Wirkungserstreckung erfassten Abkömmlinge oder der dadurch Begünstigten erforderlich ist5. Ebenso wie beim Abschluss des Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsvertrags ist neben notarieller Beurkundung grundsätzlich die höchstpersönliche Mitwirkung des Erblassers erforderlich. Zur Problematik der diesbezüglichen gesetzlichen Vertretung s. Rz. 14.104 f.

1 KG v. 18.8.1896 – 1 Wx 18/37, JFG 15, 98, 99; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2352 Rz. 12. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 174. 3 BGH v. 12.7.1989 – IVa ZR 174/88, MDR 1989, 1086 = FamRZ 1989, 1076 m. Anm. Damrau, FamRZ 1991, 552 = DNotZ 1990, 803, 804 f. 4 Keim, RNotZ 2009, 574, 577; DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 173, 174 f.: wahlweise Zustimmungsvereinbarung zur konkreten Schenkung, Zuwendungsverzichtsvertrag auf Gestattung derartiger Schenkungen oder umfassender Zuwendungsverzichtsvertrag mit bindender Neueinsetzung des Verzichtenden auf den Rest durch den Erblasser jeweils unter ausdrücklicher Ablehnung der Begründung von Kanzleiter, ZEV 1997, 261, 266 über einen Erstrechtschluss aus dem Nichterfordernis der Zustimmung des Ersatznacherben bei Zustimmung eines Nacherben zu einer nach § 2113 BGB zustimmungspflichtigen Grundbesitzveräußerung; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 175. 5 Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 21.

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14.93

§ 14 Rz. 14.94

Minderjährige Erben

14.94 Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Verweisung in § 2352 S. 3 BGB auf § 2351 BGB sind Zuwendungsverzichtsverträge nach dem Regelungszweck ebenfalls analog § 2351 BGB vertraglich aufhebbar1. Auch insoweit dürfte eine Wirksamkeitserstreckung auf Abkömmlinge verzichtender Abkömmlinge bzw. Seitenverwandter des Erblassers erfolgen2. Zur Problematik der diesbezüglichen gesetzlichen Vertretung auf Erblasserseite s. Rz. 14.106.

14.95 Ein Aufhebungsvertrag i.S.d. § 2351 BGB kann nur dann wirksam abgeschlossen werden, wenn sowohl der Erblasser als auch der Verzichtende zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch leben3 Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Folge, dass sich Willensmängel der Beteiligten nach den §§ 116 ff. BGB, eine teilweise Unwirksamkeit nach § 139 BGB statt nach § 2085 BGB und eine Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB statt nach § 2078 BGB richten. Die sukzessive Beurkundung von Angebot und Annahme i.S.d. § 128 BGB ist zulässig. 3. Differenzierung nach der Rolle des Minderjährigen a) Das minderjährige Kind als Verzichtender (§ 2347 Abs. 1 BGB)

14.96 Schließt das auf sein Pflichtteilsrecht verzichtende minderjährige Kind mit seinen Eltern einen Pflichtteilsverzichtsvertrag, sind die Eltern nach § 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 BGB von der Vertretung ausgeschlossen ist, so dass insoweit für den Minderjährigen ein Ergänzungspfleger i.S.d. § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB erforderlich ist.

14.97 Nach § 2347 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB entfällt die zum Abschluss eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags unter Beteiligung eines minderjährigen Kindes grundsätzlich erforderliche familiengerichtliche Genehmigung nur für den Fall, dass dieser Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrag mit dem unter elterlicher Sorge stehenden Minderjährigen unter Ehegatten oder Verlobten geschlossen wird.

14.98 Die Erteilung der familiengerichtlichen Genehmigung setzt stets voraus, dass zugunsten des Minderjährigen eine vollentgeltliche Gegenleistung erbracht wird.

14.99 Da zur Aufhebung eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags nach § 2351 BGB eine Verweisung auf § 2347 Abs. 1 BGB in Ansehung des Verzichtenden fehlt, kann der beschränkt geschäftsfähige minderjährige Verzichtende als lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft i.S.d. § 107 BGB ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters persönlich allein4 bzw. der geschäftsunfähige minderjährige Verzichtende zwar nur über seinen gesetzlichen Vertreter, aber ohne Bedürfnis einer familiengerichtlichen Genehmigung handeln5. War der aufzuhebende Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags entgeltlich geschlossen worden, ist die Aufhebung wegen der damit verbundenen Rückzahlungsverpflichtung des minderjährigen Verzichtenden für diesen nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, wegen des Vertretungsausschlusses der Eltern nach § 1795 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB vertritt nur ein Ergänzungspfleger nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB, mangels Verweisung des § 2351 BGB auf § 2347 Abs. 1 BGB in Ansehung des Verzichtenden bleibt das Rechtsgeschäft jedoch ebenfalls familiengerichtlich genehmigungsfrei.

1 BGH v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = MittBayNot 2008, 481, 482 ff. m. Anm. Müller; LG Kempten v. 7.12.1977 – 4 T 147/77, MittBayNot 1978, 63, 64; Erman/Simon, § 2352 Rz. 10; a.A. Kornexl, Der Zuwendungsverzicht, 1998, Rz. 554 ff. 2 Keim, RNotZ 2009, 574, 577; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 177. 3 BGH v. 24.6.1998 – IV ZR 159/97, MDR 1998, 1481 m. Anm. Steiner = FamRZ 1998, 1293 = MDR 1998, 1229 = NJW 1998, 3117, 3118 f.; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 23. 4 Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1. 5 Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1; Staudinger/Schotten, § 2351 Rz. 22; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 176.

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Rz. 14.101 § 14

M 126 Aufhebungsvertrag über den entgeltlichen Pflichtteilsverzicht des minderjährigen Kindes

14.100

(Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) … Das von mir,… (Vor- und Nachname), als Ergänzungspfleger vertretene minderjährige Kind, … (Vor- und Nachname), geb. am …, und dessen Mutter … (Vor- und Nachname), geb. am …, haben am … (Datum) vor dem Notar … (Name) in … (Amtssitz) unter UR … (Urkundenrollennummer) einen entgeltlichen gegenständlich beschränkten auflösend bedingten Pflichtteilsverzichtsvertrag beurkunden lassen, durch den das von mir,… (Vor- und Nachname), als Ergänzungspfleger vertretene minderjährige Kind,… (Vor- und Nachname), für sich und mit Wirkung für seine Abkömmlinge gegenüber seiner Mutter … (Vor- und Nachname) auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht, einschließlich eventueller Ausgleichspflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche verzichtet hat. Der Verzicht erfolgte dadurch auflösend bedingt, dass als Gegenleistung auf das Konto des verzichtenden minderjährigen Kindes IBAN: … BIC: … nicht bis spätestens … (Datum der Gutschrift auf diesem Konto) ein Geldbetrag von … Euro (Abfindungsbetrag) gutgeschrieben wird, und ist ausschließlich insoweit gegenständlich beschränkt, als bei der Bewertung des Nachlasses auf den Tod der Mutter … (Vor- und Nachname) zum Zwecke der Pflichtteilsberechnung der Wert deren Eigentumswohnung in … (genauer Grundbuchbeschrieb) nicht berücksichtigt wird. Wegen des weiteren Inhalts wird auf die vorstehende Bezugsurkunde verwiesen. Sie liegt bei Beurkundung urschriftlich vor. Ihr Inhalt ist uns bekannt. Auf erneutes Verlesen und Beifügen verzichten wir. Die erforderliche familiengerichtliche Genehmigung wurde mit Rechtskraftvermerk erteilt. Die auflösende Bedingung ist durch Erfüllung der Zahlungsverpflichtung endgültig ausgefallen. Der Pflichtteilsverzichtsvertrag ist damit wirksam geblieben. Wir heben hiermit den vorstehend genannten Pflichtteilsverzichtsvertrag (Bezugsurkunde) mit sofortiger Wirkung dadurch auflösend bedingt auf, dass im Wege der Rückabwicklung der ursprünglich von der Mutter an die minderjährige Tochter überwiesene Abfindungsbetrag nicht bis spätestens acht Wochen ab einschließlich morgen auf das Konto der Mutter IBAN: … BIC: … gutgeschrieben wird. Uns ist bekannt, dass der heutige Aufhebungsvertrag den Pflichtteilsverzicht beseitigt und den gesetzlichen Ausgangszustand wieder herstellt, soweit die auflösende Bedingung nicht eintritt. Mangels Verweisung des § 2351 BGB auf § 2347 Abs. 1 BGB in Ansehung des Verzichtenden ist das Rechtsgeschäft familiengerichtlich genehmigungsfrei. …

b) Das minderjährige Kind als Erblasser (§ 2347 Abs. 2 BGB) Gem. § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB kann – anders als nach § 2274 BGB bei einem Erbvertrag – für einen nach § 104 Nr. 1 BGB mangels Vollendung des siebenten Lebensjahres geschäftsunfähigen minderjährigen Erblasser dessen gesetzlicher Vertreter in Durchbrechung des Höchstpersönlichkeitsgebots aus § 2347 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB einen Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrag abschließen. Hierzu ist nach § 2347 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. i.V.m. Abs. 1 BGB eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, im Falle gesetzlicher Vertretung kraft elterlicher Sorge jedoch nur dann, wenn dieser Vertrag weder mit dem Ehegatten noch mit dem Verlobten des gesetzlich vertretenen Erblassers abgeschlossen wird. Die erst i.S.d. § 40 Abs. 2 S. 1 FamFG mit Rechtskraft nach § 45 FamFG durch Ablauf der Rechtsmittelfrist wirksame Genehmigung (s. zum Genehmigungsverfahren ausführlich Rz. 14.17–14.20) muss dem gesetzlichen Vertreter gegenüber noch während Bestehens seiner Vertretungsmacht und zu Lebzeiten des Erblassers erklärt werden. Soweit der gesetzliche Vertreter nach § 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB von der Vertretung ausgeschlossen ist, muss die Willenserklärung durch einen Ergänzungspfleger i.S.d. § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB abgegeben werden. Eine Vertretung durch Vollmacht bzw. eine vollmachtlose Vertretung unter späterer Nachgenehmigung kommt angesichts des grundsätzli-

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14.101

§ 14 Rz. 14.102

Minderjährige Erben

chen Höchstpersönlichkeitsgebots aus § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB selbst dann nicht in Betracht, wenn Bevollmächtigter der gesetzliche Vertreter ist1.

14.102 Soweit der gesetzliche Vertreter zugleich verzichtender Vertragspartner ist, dürfte zumindest bei einem reinen Pflichtteilsverzichtsvertrag kein Vertretungsausschluss i.S.d. §§ 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB eintreten, da der Pflichtteilsverzicht für den Erblasser lediglich rechtlich vorteilhaft ist2. Da bei einem Erbverzichtsvertrag nicht ausgeschlossen werden kann, dass aufgrund nunmehr ausgelöster Änderung der gesetzlichen Erbfolge bei gleichzeitiger geschäftsunfähigkeitsbedingter Verhinderung des Erblassers an einer eigenen letztwilligen Verfügung für diesen nicht lediglich ein rechtlicher Vorteil eintritt3, sollte insoweit sicherheitshalber ein Ergänzungspfleger bestellt werden, der für den geschäftsunfähigen Erblasser handelt.

14.103 Ein beschränkt geschäftsfähiger minderjähriger Erblasser kann bei Abschluss eines Erbverzichtsbzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags nach § 2347 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB ausschließlich persönlich handeln, ohne hierzu der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder der Genehmigung des Familiengerichts zu bedürfen4.

14.104 Zur Aufhebung eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags nach § 2351 BGB ist der geschäftsunfähige minderjährige Erblasser von dem grundsätzlichen Erfordernis der höchstpersönlichen Mitwirkung befreit, für den nach § 2351 i.V.m. § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB sein gesetzlicher Vertreter handelt, der wiederum nach § 2351 i.V.m. § 2347 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. i.V.m. Abs. 1 S. 1 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung bedarf.

14.105 Mangels Verweisung auf § 2347 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB ist für den beschränkt geschäftsfähigen minderjährigen Erblasser angesichts der ihn betreffenden Nachteiligkeit zwar die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, jedoch keine gerichtliche Genehmigung erforderlich5.

14.106 Für Zuwendungsverzichtsverträge, die trotz Fehlens einer ausdrücklichen Verweisung in § 2352 S. 3 BGB auf § 2351 BGB nach dem Regelungszweck analog § 2351 BGB vertraglich aufhebbar sind6, ist nach wie vor unklar, ob angesichts der Verweisung des § 2351 BGB auf § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB dem Abschluss eines Vertrags über Zuwendungsverzichtsaufhebung, bei dem der gesetzliche Vertreter den zwischenzeitlich testierunfähigen Erblasser vertritt, das Höchstpersönlichkeitsgebot des § 2065 BGB entgegensteht7 und ob ein Aufhebungsvertrag zurückwirkt8.

VIII. Die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinsantrag 14.107 Nach § 2353 BGB wird ein als Erbnachweis benötigter Erbschein ausschließlich auf entsprechenden Erbscheinsantrag erteilt. Der Erbscheinsantrag ist als solcher verfahrensrechtlich zunächst formfrei zulässig. Insbesondere propagiert § 25 FamFG keine Zulässigkeitsvoraussetzung in Form eines Schrift-

1 OLG Düsseldorf v. 6.7.2001 – 7 U 205/00, NJW-RR 2002, 584; Erman/Simon, § 2347 Rz. 2; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 9. 2 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2004, 197 (198). 3 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2004, 197 (198), worin letztlich jedoch der lediglich rechtliche Vorteil bejaht wird. 4 Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 9. 5 Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1; Staudinger/Schotten, § 2351 Rz. 13. 6 BGH v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = MittBayNot 2008, 481 (482 ff.) m. Anm. Müller; LG Kempten v. 7.12.1977 – 4 T 147/77, MittBayNot 1978, 63 (64); Erman/Simon, § 2352 Rz. 10; a.A. Kornexl, Der Zuwendungsverzicht, 1998, Rz. 554 ff. 7 Vgl. dazu Müller, MittBayNot 2008, 484 (485); Keim, RNotZ 2009, 574 (577). 8 Müller, MittBayNot 2008, 484 (485); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 177.

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Minderjährige Erben

Rz. 14.109a § 14

formerfordernisses i.S.d. § 126 BGB, sondern zeigt lediglich Möglichkeiten der Antragstellungsform auf1. Gleichwohl soll der Erbschein verfahrensrechtlich schriftlich oder durch Niederschrift zur Geschäftsstelle beantragt werden2. Gleichwohl wird der Erbscheinsantrag jedoch im Hinblick auf das grundsätzliche Erfordernis einer eidesstattlichen Versicherung aller Erben – für den Vorerbschein jedoch nicht der Nacherben – i.S.d. §§ 2356 Abs. 2 S. 1, 2357 Abs. 4 BGB (dass dem Antragsteller „nichts bekannt sei, was der Richtigkeit seiner Angaben entgegensteht“), die auch nachgereicht werden kann3 und grundsätzlich höchstpersönlich ohne Möglichkeit einer Bevollmächtigung (anders aber die Ausnahme für Geschäftsunfähige, s. unten Rz. 14.109) abzugeben ist4, regelmäßig gerichtlich protokolliert bzw. notariell beurkundet werden5, soweit das Nachlassgericht die eidesstattliche Versicherung nicht ausnahmsweise einzelnen Miterben oder insgesamt gem. §§ 2356 Abs. 2 S. 2, 2357 Abs. 4 BGB erlässt6.

14.108

Die erforderliche höchstpersönliche Abgabe der eidesstattlichen Versicherung obliegt geschäftsfähi- 14.109 gen Erben7, Parteien kraft Amtes (z.B. Testamentsvollstreckern, Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter)8, gesetzlichen Vertretern für Geschäftsunfähige (z.B. Eltern, Vormund bzw. Betreuer)9, wobei der Vertretungsausschluss nach § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB mangels diesbezüglichen Rechtsstreits nicht einschlägig ist, aber das Nachlassgericht im Falle eines Interessenkonfliktes dem zuständigen Betreuungs- bzw. Familiengericht die Nachlassakte unter Hinweis auf die diesbezügliche Problematik zwecks Prüfung etwaiger Maßnahmen nach § 1629 Abs. 2 S. 2 bzw. § 1796 BGB vorzulegen hat10, Vorsorgebevollmächtigten für zwischenzeitlich Geschäftsunfähige (nicht aber für Geschäftsfähige)11 sowie analog § 455 Abs. 2 ZPO eidesfähigen minderjährigen Erben nach Vollendung des 16. Lebensjahres (insoweit ggf. gem. § 2358 Abs. 1 BGB zusätzlich gesetzlichen Vertretern)12. Daraus folgt, dass für einen minderjährige Erben nach dessen Alter zu differenzieren ist: Ein minderjähriger Erbe gibt die eidesstattliche Versicherung ab einschließlich Vollendung des 16. bis unmittelbar vor Vollendung des 17. Lebensjahres persönlich und sicherheitshalber zusätzlich durch seinen gesetzlichen Vertreter (Eltern, Vormund bzw. Pfleger), jedoch vor Vollendung des 16. Lebensjahres ausschließlich durch seinen gesetzlichen Vertreter (Eltern, Vormund bzw. Pfleger) ab.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Staudinger/Herzog, § 2353 Rz. 30; MüKo.BGB/J. Mayer, § 2353 Rz. 63. Horndasch/Viefhues/Heinemann, § 352 FamFG Rz. 6. Staudinger/Herzog, § 2353 Rz. 31. KG v. 3.5.1967 – 1 W 791/67, OLGZ 1967, 247, 249; BayObLG v. 13.1.1961 – BReg. 1 ZS 143/58, BayObLGZ 1961, 4, 10; OLG München v. 4.4.1936 – 8 III 32/36, DNotZ 1937, 702 (703); Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 113 f. OLG Köln v. 2.11.2009 – I-2 Wx 88/09, 2 Wx 88/09, FamRZ 2010, 1013 = FGPrax 2009, 287 (289). Prütting/Helms/Fröhler, § 352 FamFG Rz. 19. BayObLG v. 13.1.1961 – BReg. 1 ZS 143/58, BayObLGZ 1961, 4 (10); Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 113 f. KG v. 3.5.1967 – 1 W 791/67, OLGZ 1967, 247 (249); Staudinger/Herzog, § 2356 Rz. 58; Litzenburger, ZEV 204, 450 (451); Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 113 f. LG Berlin v. 18.11.1975 – 83 T 460/75, Rpfleger 1976, 60; Prütting/Helms/Fröhler, § 352 FamFG Rz. 19; Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 114. BayObLG v. 25.9.1961 – BReg. 1Z 141, 149/61, NJW 1961, 2309. Litzenburger, ZEV 204, 450 (452); Staudinger/Herzog, § 2356 Rz. 58. Prütting/Helms/Fröhler, § 352 FamFG Rz. 19; Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 114; Lange/Kuchinke, § 39 II 4; Staudinger/Herzog, § 2356 Rz. 58; MüKo.BGB/J. Mayer, § 2356 Rz. 49; Bamberger/Roth/Siegmann/Höger, § 2356 Rz. 7; Erman/Simon, § 2356 Rz. 6; a.A. OLG Colmar v. 3.7.1907 – Az. n.v., OLGR 16, 64 (65).

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14.109a

§ 14 Rz. 14.110

Minderjährige Erben

IX. Gestaltung durch Erbschaftsausschlagung 1. Allgemeines

14.110 Beratungssituation: Die verwitwete F möchte die Erbschaft nach ihrem verstorbenen Ehemann M für sich selbst und für das gemeinsame minderjährige Kind K ausschlagen. Sie möchte diesbezüglich insbesondere wissen, was insoweit zu beachten ist und ob sie dazu einer gerichtlichen Genehmigung bedarf.

14.111 Gem. § 1942 Abs. 1 BGB geht die Erbschaft zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers von selbst auf den Erben über. Dies geschieht auch dann, wenn der Erbe vom Erbfall keinerlei Kenntnis hat. Einer Annahmeerklärung oder eines behördlichen bzw. gerichtlichen Aktes bedarf es nicht. Insbesondere ist eine Annahmeerklärung durch den gesetzlichen Vertreter auch für das minderjährige Kind ohne gerichtliche Genehmigung wirksam – gleiches gilt für eine durch Ablauf der Ausschlagungsfrist, die je nach Kenntnisstand der gesetzlichen Vertreter ausgelöst wird, eintretende Annahme1 – und unterliegt, da sie weder empfangsbedürftige Willenserklärung ist, noch die anderen Miterben Erklärungsadressat sind, nicht den Beschränkungen der §§ 181, 1795 BGB2.

14.112 Der Anfall der Erbschaft kann jedoch durch Ausschlagung, Erbunwürdigkeitserklärung oder Anfechtung einer zu Grunde liegenden Verfügung von Todes wegen rückwirkend beseitigt werden. Häufigster Anlass einer Erbausschlagung ist die Überschuldung des Nachlasses. Der Fiskus (Staat) kann die ihm als gesetzlichem Erben angefallene Erbschaft anders als seine letztwillige Einsetzung gem. § 1942 Abs. 2 BGB nicht ausschlagen. Eine Ausschlagung der Erbschaft ist nach § 1946 BGB erst nach dem Erbfall möglich. Sie erfolgt gem. § 1945 Abs. 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht entweder zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form. Bei Bevollmächtigung bedarf die Vollmacht nach § 1945 Abs. 3 S. 1 BGB der öffentlich beglaubigten Form i.S.d. § 129 BGB. Beratungshinweis: Eine von § 1945 Abs. 3 BGB ausdrücklich zugelassene Bevollmächtigung vermag jedoch für die eigenen letztwilligen Verfügungen des Ausschlagenden wegen des Höchstpersönlichkeitsgebotes aus § 2065 BGB keine Wirkung nach § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB auszulösen, so dass insoweit ein erbrechtlich gebundener längstlebender Ehegatte seine Testierfreiheit nur dann wiedererlangen kann, wenn er seine Einsetzung durch den Erstverstorbenen persönlich ausschlägt3.

14.113 Die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft, die zu einem Fortbestehen der Sozialhilfebedürftigkeit des vorläufigen Erben führt, ist entgegen früherer obergerichtlicher Rechtsprechung4 nach Ansicht des BGH grundsätzlich wegen der aus Art. 14 Abs. 1 GG resultierenden negativen Erbfreiheit des Erben samt damit verbundener Ablehnungsmöglichkeit gegenüber erbrechtlichen Zuwendungen nicht i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig5. Bei einem Behindertentestament kommt eine gerichtliche Genehmigung zu einer Ausschlagung der Vorerbenstellung dann nicht in Betracht, wenn die darin vorgesehenen Zuwendungen den Behinderten besser stellen als bei einem Sozialhilfezugriff auf den durch die Ausschlagung ausgelösten Pflichtteil6.

1 OLG Koblenz v. 16.7.2007 – 5 W 535/07, FamRZ 2008, 1031. 2 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2010, 47 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 1. 3 Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 44; ähnlich, aber missverständlich OLG Zweibrücken v. 13.11.2007 – 3 W 198/07, FamRZ 2008, 646 = DNotZ 2008, 384 (385) m. Anm. Müller; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 4. 4 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484 ff.; OLG Hamm v. 16.7.2009 – 15 Wx 85/09, ZEV 2009, 471 ff. m. krit. Anm. Leipold. 5 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, ZEV 2011, 258 (259 ff.); LG Aachen v. 4.11.2004 – 7 T 99/04, ZEV 2005, 120 (121). 6 OLG Köln v. 29.6.2007 – 16 Wx 112/07, FamRZ 2008, 1113; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 5.

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Minderjährige Erben

Rz. 14.115 § 14

Beratungshinweis: Soweit die Ausschlagung nach § 1945 Abs. 1, 2. Hs. i.V.m. § 129 BGB in öffentlich beglaubigter Form erstellt und bei dem Nachlassgericht eingereicht bzw. unmittelbar zur Niederschrift des Nachlassgerichts erklärt wird, muss zur Vermeidung einer etwaigen gerichtlichen Zurückweisung darauf geachtet werden, dass damit ausschließlich das allgemein nach § 343 FamFG örtlich zuständige Nachlassgericht oder das seit 1.9.2009 nach § 344 Abs. 7 FamFG speziell für Erbausschlagungen zuständige Gericht am Wohnsitz (so noch für bis einschließlich 16.8.2015 eingetretene Erbfälle1) bzw. am gewöhnlichen Aufenthalt (so für ab einschließlich 17.8.2015 eingetretene Erbfälle2) des Ausschlagenden, über dessen Zuständigkeit bisherige Unsicherheiten im Verfahren vor einem ersuchten Gericht beseitigt werden sollen, betraut wird. Dabei sind mit größter Vorsicht die Voraussetzungen eines Wohnsitzes nach den §§ 7 ff. BGB (so noch für bis einschließlich 16.8.2015 eingetretene Erbfälle3) bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltes (so für ab einschließlich 17.8.2015 eingetretene Erbfälle4) zu prüfen (s. dazu Rz. 14.131 ff.), insbesondere fehlt am Studienort wohnhaften Studenten regelmäßig der dazu erforderliche nicht nur vorübergehende Domizilwille5. Wird eine Erbausschlagungserklärung von einem örtlich unzuständigen Gericht entgegengenommen, gilt sie gleichwohl analog § 2 Abs. 3 FamFG als wirksam und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingegangen6, es sei denn, das Gericht gibt die dadurch dann unwirksam werdende Erklärung wegen Unzuständigkeit an den Erklärenden zurück7.

§ 344 Abs. 7 FamFG begründet aufgrund seines Regelungszwecks trotz des noch für bis einschließlich 16.8.2015 eingetretene Erbfälle unpräzisen und unvollständigen Wortlauts8 insoweit neben ausdrücklich benannten Erbausschlagungen und deren Anfechtung auch eine Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts für die Anfechtung der Erbschaftsannahme, der Fristversäumnis und der Ausschlagung des Pflichtteilsberechtigten und neben der ausdrücklich erwähnten Entgegennahme auch für die Protokollierung derartiger Erklärungen9. Dabei ist der diesbezügliche Gesetzeswortlaut nunmehr jedoch für ab dem 17.8.2015 eingetretene Erbfälle präzisiert und vervollständigt worden10. Die in öffentlich beglaubigter Form durch den Erben am Ort seines Wohnsitzes (so noch für bis einschließlich 16.8.2015 eingetretene Erbfälle) bzw. am Ort seines gewöhnlichen Aufenthaltes (so für ab dem 17.8.2015 eingetretene Erbfälle) vor einem Notar erklärte Ausschlagung sollte daher zur Vermeidung von postalischen Verzögerungs- bzw. Verlustgefahren persönlich vor Ort beim Wohnsitzgericht (so noch für bis einschließlich 16.8.2015 eingetretene Erbfälle) bzw. beim Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts (so für ab dem 17.8.2015 eingetretene Erbfälle) i.S.d. § 344 Abs. 7 FamFG gegen Eingangsbestätigung fristwahrend11 abgegeben werden.

14.114

Gem. § 1947 BGB kann die Ausschlagung nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen. Nach § 1944 Abs. 1 BGB beträgt die Ausschlagungsfrist sechs Wochen, dann, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält, jedoch sechs Monate. Hinsichtlich des Beginns der Ausschlagungsfrist ist zu differenzieren: Ist der Erbe durch Verfügung von Todes wegen berufen, beginnt die Frist gem. § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB nicht vor der nach § 348 Abs. 2 FamFG mündlich gegenüber dem im Eröffnungstermin anwesenden Erben bzw. nach § 348 Abs. 3 FamFG schriftlich erfolgenden Bekanntgabe der Verfügung,

14.115

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Fröhler, BWNotZ 2015, 47 (48). Fröhler, BWNotZ 2015, 47 (48). Fröhler, BWNotZ 2015, 47 (48). Fröhler, BWNotZ 2015, 47 (48). BVerfG v. 22.6.1990 – 2 BvR 116/90, NJW 1990, 2193 (2194); OLG Düsseldorf v. 6.11.1990 – 6 UF 195/90, FamRZ 1992, 103. BayObLG v. 22.12.1997 – 1Z BR 138/97, MittBayNot 1998, 192, 193; Heinemann, FamFG für Notare, Rz. 288; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 81. Heinemann, FamFG für Notare, Rz. 289; Palandt/Edenhofer, 68. Aufl., § 1945 Rz. 7 zu § 7 FGG; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 81. Fröhler, BWNotZ 2015, 47 (48). Heinemann, ZErb 2008, 293, 295; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 67 ff. Fröhler, BWNotZ 2015, 47 (48). Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 68; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 7.

Fröhler

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§ 14 Rz. 14.116

Minderjährige Erben

bei erst späterer Kenntniserlangung (bspw. aufgrund verloren gegangener Post) ist dieser spätere Zeitpunkt maßgebend, während eine frühere Kenntnis nicht schadet1.

14.116 Bei gesetzlicher Erbfolge – auch bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen, die den gesetzlichen Erben lediglich beschränkt bzw. beschwert, nicht jedoch bei einer solchen, die eine gewillkürte Erbeinsetzung entsprechend der gesetzlichen Erbfolge vorsieht – beginnt die Ausschlagungsfrist bereits mit dem Zeitpunkt, in dem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Hierzu ist Kenntnis der das Erbrecht begründenden Familienverhältnisse und des Nichtvorhandenseins einer die gesetzliche Erbfolge ausschließenden Verfügung erforderlich. Die Ausschlagungsfrist beginnt daher bspw. dann nicht zu laufen, wenn der Erbe irrtümlich annimmt, aufgrund eines Testamentes berufen zu sein, obschon er tatsächlich gesetzlicher Erbe ist. Dabei steht selbst grob fahrlässige Unkenntnis der Kenntnis nicht gleich2. 2. Ausgangsproblematik für die Erbschaftsausschlagung minderjähriger Kinder

14.117 Abweichend von anderweitiger gesetzlicher Vertretung durch Vormund, Betreuer bzw. Pfleger i.S.d. (§§ 1908i bzw. 1915 BGB i.V.m.) § 1822 Nr. 2 BGB sind Erbausschlagungen von Eltern für ihr minderjähriges Kind nach § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB durch besondere Erleichterungen im Rahmen der Wirkungsamkeitsvoraussetzungen privilegiert. 3. Gesetzliche Vertretung des minderjährigen Kindes a) Grad der Geschäftsfähigkeit

14.118 Erbausschlagungen betreffende Erklärungen unterliegen den allgemeinen Regelungen über die Geschäftsfähigkeit3. Danach muss eine Erbausschlagung für einen geschäftsunfähigen Erben ausschließlich durch dessen gesetzlichen Vertreter erfolgen, während ein beschränkt geschäftsfähiger Erbe gem. §§ 107, 111 BGB eine Erbschaft entweder vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter oder mit dessen Einwilligung persönlich ausschlagen kann4. Wird ein gesetzlich vertretenes minderjähriges Kind zwischen Abgabe durch Absendung der Erklärung und deren Zugang volljährig, ist die Ausschlagungserklärung der Eltern gleichwohl analog § 130 Abs. 2 BGB ausreichend5. b) Vertretungstatbestände

14.119 Nach § 1629 Abs. 1 S. 2 BGB vertreten die Eltern ihr Kind vorbehaltlich einer Entscheidung nach § 1671 Abs. 1 BGB, grundsätzlich gemeinschaftlich. Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, vertritt die Mutter das Kind aufgrund alleinigen elterlichen Sorgerechts gem. § 1629 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 1626a Abs. 3 BGB allein, soweit beide Elternteile keine Sorgeerklärung i.S.d. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben haben, sie einander nicht geheiratet haben und das Familiengericht ihnen die elterliche Sorge nicht nach §§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 1671 BGB gemeinsam oder einem alleine übertragen hat6.

1 2 3 4 5

Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 4; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 8. Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 10. Fröhler, BWNotZ 2012, 160 (166). MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 12. OLG Karlsruhe v. 22.7.1965 – 5 W 134/64, OLGZ 1965, 260 (261 f.); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 20. 6 §§ 1626a, 1671 BGB neu gefasst und § 1672 BGB aufgehoben mit Wirkung v. 19.5.2013 durch Gesetz v. 16.4.2013, BGBl. 2013 I, S. 795.

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Fröhler

Minderjährige Erben

Rz. 14.123 § 14

4. Genehmigungsbedürftigkeit a) Gesetzessystematik Während ein Vormund, Betreuer bzw. Pfleger für eine Ausschlagung gem. (§§ 1908i bzw. 1915 BGB 14.120 i.V.m.) § 1822 Nr. 2 BGB ausnahmslos der familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf, erfordert die Erbausschlagung bzw. Ausschlagung einer Nacherbschaft i.S.d. § 2142 BGB1 durch Eltern bzw. den allein sorge- und damit vertretungsberechtigten Elternteil für das minderjährige Kind mangels entsprechenden Verweises durch § 1643 Abs. 1 BGB auf § 1822 Nr. 2 BGB nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB nur dann eine familiengerichtliche Genehmigung, wenn kein Ausnahmetatbestand i.S.d. § 1643 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB eröffnet oder stattdessen eine Gegenausnahme nach § 1643 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB einschlägig ist. Eine familiengerichtliche Genehmigung ist dabei nach § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn das Kind ausschließlich dadurch Erbe geworden ist, dass der allein oder mitvertretende Elternteil seinerseits zuvor die Erbschaft mit Wirkung nach § 1953 Abs. 2 BGB ausgeschlagen hat, ohne neben dem Kind berufen gewesen zu sein2. Insoweit sind insbesondere die nachstehenden Fallgruppen bedeutsam. b) Fallgruppen aa) Anfall durch Erbausschlagung eines nicht vertretungsberechtigten Elternteils Insbesondere bedarf bspw. die mangels Sorgeerklärung oder familiengerichtlicher gemeinsamer Über- 14.121 tragung der elterlichen Sorge alleinsorgeberechtige Mutter eines minderjährigen nichtehelichen Kindes bezüglich der von ihr für das Kind erklärten Ausschlagung nach dessen Großeltern väterlicherseits dann nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB mangels Ausnahmetatbestands i.S.d. § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung, wenn diesem Kind die Erbschaft aufgrund der Ausschlagung des nichtsorgeberechtigten Vaters angefallen ist3. Darüber hinaus besteht ein Genehmigungserfordernis mangels gesetzlich vermuteten generell-abstrakten Interessengleichlaufs auch dann, wenn die ein gemeinsames Sorgerecht begründende Sorgeerklärung bzw. familiengerichtliche Sorgerechtsübertragung zwar vor der gemeinsamen elterlichen Erbausschlagung für das Kind, aber erst nach der Ausschlagungserklärung des bislang nicht vertretungsberechtigten Vaters für sich selbst erfolgt4. bb) Werthaltiger Nachlass Schlägt jedoch bspw. der mitvertretungsberechtigte Vater die Erbschaft nach seiner vermögenden verwitweten Mutter zunächst für sich selbst und sodann gemeinsam mit seiner Ehefrau für das gemeinsame minderjährige und zugleich für ihn einzige Kind aus, ist selbst dann keine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, wenn der Nachlass einen hohen Wert hat und die Ausschlagung wirtschaftlich unvernünftig erscheint, da die Regelung des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB das konkrete Ausschlagungsmotiv unbeachtlich lässt, generell abstrakt ausgerichtet ist, der Entlastung der Gerichte dient und deren Neigung zur Versagung von Genehmigungen in Zweifelsfällen unterbinden soll5.

14.122

cc) Erbausschlagung nur für eines von mehreren Kindern Schlägt bspw. die mitvertretungsberechtigte Mutter die Erbschaft nach ihrem Vater zunächst für sich selbst und sodann gemeinsam mit ihrem Ehemann selektiv für lediglich eines von zwei gemein1 BeckOK/Veit, § 1643 Rz. 4; Ivo, ZEV 2002, 309 (310). 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 23. 3 OLG Naumburg v. 19.10.2006 – 3 WF 194/06, FamRZ 2007, 1047; BeckOK/Veit, § 1643 BGB Rz. 5.1; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 86; DNotI, DNotI-Report 2002, 139; Ivo, ZEV 2002, 309 (311). 4 Ivo, ZEV 2002, 309 (311), BeckOK/Veit, § 1643 Rz. 5.1; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 24. 5 Staudinger/Engler, § 1643 Rz. 37; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 25; MüKo.BGB/ Huber, § 1643 Rz. 19; Ivo, ZEV 2002, 309 (310).

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14.123

§ 14 Rz. 14.124

Minderjährige Erben

samen minderjährigen Kindern aus, um sie für das andere Kind alleine anzunehmen, ist entgegen dem Wortlaut des insoweit teleologisch zu reduzierenden Tatbestands des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB sehr wohl eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, da durch die mittelbare Weiterleitung der Erbschaft an das andere nicht von der Ausschlagung erfasste Kind die generell-abstrakte Vermutung aus § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB ihrerseits generell-abstrakt widerlegt ist1. dd) Gesetzlicher Vertreter wird durch Erbausschlagung für das eingesetzte Kind selbst Erbe

14.124 Verstirbt bspw. ein Ehemann, der neben seiner Ehefrau einen Sohn, eine verwitwete Tochter und von dieser einen minderjährigen Enkel hinterlässt sowie testamentarisch die Tochter zur Alleinerbin und den minderjährigen Enkel zum alleinigen Ersatzerben einsetzt, dann bedarf diese Tochter, die ihre testamentarische Alleinerbeneinsetzung mit dem Ziel der Herbeiführung der mit ihrer Mutter und ihrem Bruder gemeinsamen gesetzlichen Erbfolge nach § 1948 BGB ausschlägt, zur Ausschlagung der testamentarischen Ersatzerbeneinsetzung ihres von ihr kraft alleinigen Sorgerechts vertretenen minderjährigen Sohnes entgegen dem Wortlaut des insoweit teleologisch zu reduzierenden Tatbestands des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB ebenfalls einer familiengerichtlichen Genehmigung. Dies folgt in derartigen Konstellationen im Wege des Erst-Recht-Schlusses aus der Gegenausnahmeregelung des § 1643 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB, die sogar bei einer ursprünglichen Berufung des erstausschlagenden Elternteils neben dem Kind ein generell-abstraktes familiengerichtliches Genehmigungserfordernis begründet2. Trotz dieses Genehmigungserfordernisses besteht kein Vertretungsverbot i.S.d. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB, da § 181 BGB aufgrund der materiellen Empfangszuständigkeit des Nachlassgerichts auf derartige amtsempfangsbedürftige Erklärungen nicht anwendbar ist und der Genehmigungstatbestand des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB typischerweise auch derartige Interessenkonflikte betrifft3. ee) Erbausschlagung durch längstlebenden Elternteil für sich und das Kind

14.125 Verstirbt bspw. der überschuldete Ehemann ohne Hinterlassung einer Verfügung von Todes wegen, sind die Ehefrau sowie das minderjährige einzige Kind nebeneinander gesetzliche Erben und schlägt dann die Ehefrau ihren Erbteil aus, bedarf die Ausschlagung durch die Ehefrau für das Kind nach § 1643 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BGB insgesamt der Genehmigung4, da die Ehefrau zunächst neben dem Kind berufen war, das Kind zudem einen originären nicht erst durch Ausschlagung seiner Mutter (der Ehefrau) angefallenen Erbteil hat und die aufgrund der eigenen Ausschlagung der Ehefrau durch den Anfall beim Kind nach § 1953 Abs. 2 BGB rückwirkend auf den Erbfall ausgelöste Erbteilserhöhung gemeinsam mit dessen originärem Erbteil insoweit -anders als in Ansehung hier nicht relevanter Vermächtnisse bzw. Auflagen nach § 1935 BGB- einheitlich behandelt wird5, obwohl die durch die Ausschlagung der Ehefrau dem Kind angefallene Erbteilserhöhung ein für sich isoliert betrachtet genehmigungsfreier Tatbestand wäre und die Ausschlagung der Mutter ein wirtschaftliches 1 OLG Hamm v. 13.12.2013 – I-15 W 374/13, MittBayNot 2014, 350 f.; KG v. 13.3.2012 – 1W 747/11, ZEV 2012, 332 f.; Engler, FamRZ 1972, 7 (8); Staudinger/Engler, § 1643 Rz. 38; BeckOK/Veit, § 1643 Rz. 5.1; Erman/Döll, § 1643 Rz. 22; Erman/J. Schmidt, § 1945 Rz. 8; Fröhler, BWNotZ 2013, 88 (89); MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 25; Palandt/Götz, § 1643 Rz. 2; a.A. (unter Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers) Sagmeister, ZEV 2012, 121 (123 ff.); Sagmeister, MittBayNot 2014, 352 f.; Baumann, DNotZ 2012, 803 (807); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 26; Litzenburger, ZEV 2012, 333; Mensch, BWNotZ 2013, 144 (145 f.). 2 OLG Frankfurt v. 2.6.1954 – 1 Wx 18/54, NJW 1955, 466; Engler, FamRZ 1972, 7 (8); Staudinger/Engler, 2009, § 1643 Rz. 39; BeckOK/Veit, § 1643 Rz. 5.1; Erman/Döll, § 1643 Rz. 22; MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 25. 3 BayObLG v. 5.8.1983 – 1Z 25/83, Rpfleger 1983, 482 f. (unter Hinweis auf die Möglichkeit einer punktuellen Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB); Ivo, ZEV 2002, 309, 313; Coing, NJW 1985, 6, 10; Palandt/Ellenberger, § 181 Rz. 13; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 27; a.A. Buchholz, NJW 1993, 1161, 1166; Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, Rz. 32. 4 MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 21; Staudinger/Engler, § 1643 Rz. 40. 5 BeckOK/Müller-Christmann, § 1935 Rz. 6.

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Fröhler

Minderjährige Erben

Rz. 14.126 § 14

Ausschlagungserfordernis indiziert1. Diese Konstellation ist streng von einer zulässigen Teilausschlagung mehrerer Erbteile i.S.d. § 1951 BGB zu unterscheiden (s. dazu nachstehend Rz. 14.128).

M 127 Ausschlagung einer Erbschaft durch den längstlebenden Elternteil für sich und das Kind (Notarieller Entwurf mit Unterschriftsbeglaubigung – Auszug) An das Amtsgericht – Nachlassgericht – … (Ort) Nachlass des … (Vor- und Nachname des Erblassers), verstorben am … (Sterbedatum) in … (Sterbeort), geb. am … (Geburtsdatum), beim Erbfall befand sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers in … (letzter gewöhnlicher Aufenthalt) Ihr Zeichen: … (Aktenzeichen) Am … (Sterbedatum) ist mein Ehemann … (Vor- und Nachname des Erblassers), mit dem gewöhnlichen Aufenthalt in … (letzter gewöhnlicher Aufenthalt) in … (Sterbeort) verstorben. Ein Testament hat er nicht hinterlassen. Als gesetzliche Erben kommen dessen und mein gemeinsamer minderjähriger Sohn … (Vorund Nachname), geb. am … (Geburtsdatum) sowie ich, … (Vor- und Nachname), als Witwe in Betracht. Der Nachlass ist überschuldet. Ich schlage hiermit für mich selbst und gleichzeitig als alleiniger Inhaber des elterlichen Sorgerechts für unseren gemeinsamen vorstehend genannten minderjährigen Sohn die Erbschaft nach meinem verstorbenen Ehemann … (Vor- und Nachname des Erblassers) aus allen möglichen Berufungsgründen und ohne jede Bedingung aus, somit hinsichtlich unseres Sohnes sowohl hinsichtlich des ihm durch meine Ausschlagung als auch bezüglich des ihm direkt mit dem Erbfall angefallenen Erbteils. Die erforderliche Ausfertigung der familiengerichtlichen Genehmigung werde ich samt Rechtskraftvermerk gemeinsam mit einem Nachweis über deren mir gegenüber erfolgte Bekanntgabe unverzüglich beim zuständigen Familiengericht beantragen und sodann unverzüglich nach Erhalt eigenverantwortlich an das Nachlassgericht weiterleiten. Über die Bedeutung der heutigen Ausschlagung bin ich belehrt. Mir ist bekannt, dass diese hiesige Erklärungen von mir unverzüglich vorab alleine und nach Erhalt zusätzlich gesondert die mir dann überlassene Ausfertigung des familiengerichtlichen Genehmigungsbeschlusses samt Rechtskraftvermerk gemeinsam mit einem Nachweis über deren mir gegenüber erfolgte Bekanntgabe an das zuständige Nachlassgericht zu übersenden sind und der dortige jeweilige rechtzeitige Eingang der Unterlagen von mir überprüft werden sollte2. … (Ort, Datum) … (Unterschrift) (notarielle Unterschriftsbeglaubigung) …

1 Fröhler, BWNotZ 2012, 160, 165 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 28; Wurm/ Wagner/Zartmann/Fröhler, Kap. 93 Rz. 15. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. FBsp. 2.

Fröhler

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14.126

§ 14 Rz. 14.127

Minderjährige Erben

14.127 M 128 Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung zu einer Erbschaftsaus-

schlagung für das gesetzlich vertretene minderjährige Kind An das Amtsgericht – Familiengericht – … (Ort) Mein minderjähriges Kind … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), gewöhnlicher Aufenthalt in … (Anschrift des gewöhnlichen Aufenthalts beim Erbfall), ist kraft gesetzlicher Erbfolge zunächst zu 1/2 – Erbteil, aufgrund meiner Erbausschlagung hinsichtlich des anderen Erbteils von 1/2 sodann zu 1/1 Alleinerbe seines am … (Sterbedatum) verstorbenen Vaters … (Vor- und Nachname des Erblassers), geb. am …, letzter gewöhnlicher Aufenthalt in … (Anschrift des gewöhnlichen Aufenthalts bei Erbfall), geworden. Von dem Anfall der Erbschaft habe ich am … (Datum) Kenntnis erlangt. Da der Nachlass überschuldet ist, habe ich im Interesse meines minderjährigen Kindes die Erbschaft durch notariell beglaubigte Erklärung vom … (Errichtungsdatum) ausgeschlagen. Durch dieselbe Erklärung habe ich zudem den mir zunächst selbst zugefallenen Erbteil von 1/2 ausgeschlagen und diesen sodann nach § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB namens meines Kindes ausgeschlagen. Die Erklärung ist in beglaubigter Abschrift beigefügt. Ich beantrage, die Ausschlagungserklärung schnellst möglich familiengerichtlich zu genehmigen, auf dem Genehmigungsbeschluss das Datum der Rechtskraft zu vermerken und mir den Genehmigungsbeschluss rechtzeitig vor Ablauf der Ausschlagungsfrist schnellst möglich durch Übersendung einer Beschlussausfertigung mit Rechtskraftvermerk bekannt zu geben, damit ich diese sodann beim Nachlassgericht einreichen kann1. … (Ort, Datum) … (Unterschrift)

ff) Erbausschlagung für das Kind durch den daneben berufenen Elternteil

14.128 Eine zur Genehmigungsbedürftigkeit führende Gegenausnahme i.S.d. § 1643 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB von der eigentlichen Genehmigungsbefreiung nach § 1643 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB kann auch aufgrund bloßer Rückwirkungsfiktion nach § 1953 Abs. 2 BGB ausgelöst werden. Verstirbt bspw. der verwitwete Vater, der seine Tochter als einziges Kind zu 2/3 Erbteil testamentarisch ohne dortige weitere letztwillige Verfügung als Erbe und ohne Hinterlassung einer anderweitigen Verfügung von Todes wegen eingesetzt hat, schlägt sodann diese Tochter ihren gesetzlichen Erbteil von 1/3 für sich selbst und sodann als alleine sorgeberechtigte Mutter für ihren nichtehelichen minderjährigen Sohn aus, dann bedarf sie zur letztgenannten Erbausschlagung für den Sohn nach § 1643 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung, da sie nach § 1953 Abs. 2 BGB rückwirkend auf den Erbfall mit 2/3 testamentarischem Erbteil neben dem Kind mit 1/3 gesetzlichem Erbteil berufen war, eine Interessenkollision nicht ausgeschlossen ist und das Festhalten der Tochter an ihrem testamentarischen Erbteil von 2/3 sogar für eine Werthaltigkeit des Nachlasses spricht2. c) Genehmigungserteilung

14.129 In derartigen Konstellationen muss die familiengerichtliche Genehmigung für die Ausschlagung als einseitige amtsempfangsbedürftige Erklärung gemeinsam mit einem Nachweis über deren Bekanntgabe gegenüber dem gesetzlichen Vertreter i.S.d. § 1643 Abs. 3 i.V.m. § 1828 BGB bis zum Ablauf

1 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. FBsp. 3. 2 Ivo, ZEV 2002, 309 (313); Staudinger/Engler, § 1643 Rz. 40; a.A. MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 22.

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Fröhler

Minderjährige Erben

Rz. 14.130 § 14

der Ausschlagungsfrist rechtskräftig beim Nachlassgericht vorliegen1. Wird die Erteilung der Genehmigung innerhalb dieser Frist beantragt und verzögert sich daher die Erteilung der gerichtlichen Genehmigung aufgrund des dortigen Verfahrens, kann ein Fall höherer Gewalt i.S.d. §§ 206, 1944 Abs. 2 S. 2 BGB vorliegen, der den Lauf der Ausschlagungsfrist hemmt, wobei jedoch die nach Zugang der rechtskräftigen Genehmigung für deren Übermittlung an das Nachlassgericht noch benötigte Zeit nicht in den Hemmungszeitraum einbezogen wird und daher der Antrag auf Genehmigungserteilung rechtzeitig vor Fristablauf gestellt werden sollte2. 5. Problematik Kontrollvertreter Die lange Zeit zwischen den Obergerichten heftig umstrittene Frage, ob und ggf. wann im Verfahren 14.130 auf Genehmigung einer Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind ein Ergänzungspfleger bestellt werden muss3, ist durch Beschluss des BGH v. 12.2.2014 entschieden worden: Danach ist zur Entgegennahme des Beschlusses über die beantragte familiengerichtliche Genehmigung und für die Entscheidung über die diesbezügliche Erteilung eines Rechtsmittelverzichts bzw. die Einlegung von Rechtsmitteln nach § 9 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB innerhalb des Genehmigungsverfahrens für ein vertretenes geschäftsunfähiges bzw. noch nicht 14-jähriges beschränkt geschäftsfähiges minderjähriges Kind nur dann ein Ergänzungspfleger erforderlich, wenn die Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB festgestellt sind4. Dies folgt dann daraus, dass diesem Kind der Beschluss mangels eigener Verfahrensfähigkeit i.S.d. § 9 Abs. 1 FamFG nach § 41 Abs. 3 FamFG nicht persönlich, wegen dortiger erheblicher generell-abstrakter Interessengegensätze aus den grundrechtsgleichen Rechten auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG und faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip)5 auch nicht dem die Genehmigung namens des Vertretenen beantragenden gesetzlichen Vertreter6 – unabhängig davon, ob dies ein Elternteil oder als Vormund das Jugendamt ist – und schließlich nicht einem Verfahrensbeistand i.S.d. § 158 Abs. 4 S. 6 FamFG bekannt gegeben werden kann, da dieser kein gesetzlicher Vertreter des Kindes ist und hier das Vermögen statt – wie jedoch für eine Kindschaftssache erforderlich – die Person des Kindes betroffen ist7. Die Bekanntgabe erfolgt nach § 164 i.V.m. § 151 Nr. 1 FamFG jedoch gegenüber dem Kind selbst, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat und nicht gem. § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig ist8, da es dann nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähig ist und gem. § 60 Abs. 1 FamFG ein eigenes selbständiges Beschwerderecht hat9. 1 Erman/Döll, § 1643 Rz. 26; Erman/Saar, § 1831 Rz. 3; Erman/J. Schmidt, § 1945 Rz. 8; Fröhler, BWNotZ 2012, 160, 166. 2 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 153/65, OLGZ 1966, 337, 338 ff.; Fröhler, BWNotZ 2012, 160, 166; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 35; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 87. 3 Grds. bejahend: OLG Celle v. 4.5.2011 – 10 UF 78/11, ZErb 2011, 198; OLG Celle v. 11.9.2012 – 10 UF 56/12, FamRB 2012, 336 (Stößer); KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, MDR 2010, 815 = MittBayNot 2010, 482; OLG Köln v. 10.8.2010 – 4 UF 127/10, FamRZ 2011, 231; OLG Karlsruhe v. 5.9.2012 – 20 WF 135/12, n.v.; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 88; a.A. OLG Brandenburg v. 6.12.2010 – 9 UF 61/10, FamRZ 2011, 1305 = MittBayNot 2011, 240 (Notwendigkeit eines konkreten – nicht nur abstrakten – Interessengegensatzes für Ausschluss der Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters). 4 BGH v. 12.2.2014 – XII ZB 592/12, MDR 2014, 420 = FamRZ 2014, 640 m. Anm. Zorn = DNotI-Report 2014, 70 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 36. 5 BVerfG v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96, NJW 2000, 1709, wobei in durch Rechtspfleger geführten Verfahren mangels diesbezüglicher Richtereigenschaft i.S.d. Art. 92 GG kein Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG eröffnet ist. 6 BVerfG v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96, NJW 2000, 1709, 1710. 7 OLG Celle v. 4.5.2011 – 10 UF 78/11, FamRZ 2011, 1304 = ZErb 2011, 198; OLG Celle v. 11.9.2012 – 10 UF 56/12, FamRZ 2013, 651; KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, FamRZ 2010, 1171 = MDR 2010, 815 = MittBayNot 2010, 482; OLG Köln v. 10.8.2010 – 4 UF 127/10, FamRZ 2011, 231; OLG Karlsruhe v. 5.9.2012 – 20 WF 135/12, n.v. 8 KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, FamRZ 2010, 1171 = MDR 2010, 815 = MittBayNot 2010, 482. 9 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 36.

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§ 14 Rz. 14.131

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6. Besondere örtliche Zuständigkeit zur nachlassgerichtlichen Protokollierung von Erbausschlagungen a) Einordnung

14.131 § 344 Abs. 7 FamFG regelt für die Entgegennahme einer Erklärung im Zusammenhang mit einer Erbschaftsausschlagung neben dem allgemein nach § 343 FamFG zuständigen Nachlassgericht zusätzlich die ergänzende besondere örtliche Zuständigkeit auch desjenigen Nachlassgerichts, in dessen Bezirk der diesbezüglich Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. b) Gewöhnlicher Aufenthalt

14.132 § 344 Abs. 7 FamFG knüpft hinsichtlich der besonderen örtlichen Zuständigkeit für die Entgegennahme einer Erbausschlagung grundsätzlich ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Erblassers an dessen inländischen gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der Entgegennahme an.

14.133 Ob ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, richtet sich nach der materiellen lex fori, somit nach deutschem Sachrecht1, in das die Regelungen der EuErbVO ihrerseits als unmittelbar geltendes nach Art. 3 Nr. 1 EGBGB gegenüber nationalen Regelungen vorrangiges2 Recht und zudem ausdrücklich durch das IntErbRErbschÄndG übernommen wurden3. Im Gegensatz dazu ist das internationale Privatrecht für die Klärung von Vorfragen aus der Anwendung dieses deutschen Sachrechts maßgebend, bspw. zur Bestimmung der Minderjährigkeit bzw. des Vertretungsrechts analog § 11 BGB durch Art. 7 EGBGB4.

14.134 Eben daraus kann – wenn auch ausschließlich für die örtliche, nicht jedoch für die internationale Zuständigkeit – eine Durchbrechung des monistischen Prinzips, grundsätzlich nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt haben zu können5, bspw. aufgrund verschiedener gewöhnlicher Aufenthaltsorte beider gemeinsam sorgeberechtigter Elternteile resultieren, die somit ausnahmsweise einen gewöhnlichen Doppelaufenthalt ihres minderjährigen Kindes begründen6.

14.135 Der Terminus des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 344 Abs. 7 einerseits und der EuErbVO andererseits (dort insbesondere zur internationalen Zuständigkeit nach Art. 4 EuErbVO und allgemeinen Kollisionsrechtsnorm des Art. 21 EuErbVO) ist grundsätzlich identisch7. Denn zum einen wurde dieser Begriff durch das IntErbRErbschÄndG ausdrücklich in nationales Recht übernommen. Zum anderen sind die Regelungen der EuErbVO als unmittelbar geltendes Recht ohnehin nach Art. 3 Nr. 1 EGBGB gegenüber nationalen Regelungen vorrangig8.

14.136 Nachstehend sind daher die Grundsätze aus der internationalen Zuständigkeit dahingehend an die örtliche Zuständigkeit anzupassen, dass anstelle des Begriffs des Staates in der internationalen Zuständigkeit der Begriff des Ortes in der örtlichen Zuständigkeit tritt.

1 So zum Wohnsitz im Inland nach Abs. 1 a.F.: OLG Frankfurt v. 2.2.1995 – 20 W 36/95, FamRZ 1995, 1434 = FGPrax 1995, 112; KG v. 16.2.1961 – 1 W 2644/60, FamRZ 1961, 383 (384); Schäuble, ZErb 2009, 200 (204); Keidel/Zimmermann, 18. Aufl. 2014, § 343 FamFG Rz. 41. 2 Bachmayer, BWNotZ 2010, 146 (157). 3 Bachmayer, BWNotZ 2010, 146 (157). 4 Schäuble, ZErb 2009, 200 (204 f.); Bassenge/Roth, § 343 FamFG Rz. 3. 5 Bahrenfuss/Schaal, § 343 FamFG Rz. 16. 6 Bahrenfuss/Schaal, § 344 FamFG Rz. 43; a.A. BeckOK.FamFG/Schlögel, § 343 Rz. 7(jedoch ohne Differenzierung zwischen örtlicher Zuständigkeit einerseits und internationaler Zuständigkeit andererseits). 7 Zur Ausnahme eines Doppelaufenthalts bei gesetzlicher Vertretung ausschließlich im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 9 u. Rz. 9a. 8 Bachmayer, BWNotZ 2010, 146 (157).

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Rz. 14.141 § 14

Insoweit muss der bislang weder im europäischen internationalen Privatrecht1 noch im nationalen 14.137 Recht legaldefinierte Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts europarechtlich autonom und damit ungeachtet eventueller nationaler Handhabung ausgelegt werden2. Dabei sind zudem die besonderen Ziele samt den Erwägungsgründen der EuErbVO3 und alle nach § 26 von Amts wegen zu ermittelnde Einzelfallumstände zu berücksichtigen4. c) Verweisung auf die Terminologie der internationalen Zuständigkeit Nach Art. 4 EuErbVO sind für erbrechtliche Entscheidungen vorbehaltlich anderweitiger Regelungen 14.138 derselben Verordnung die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats international zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes den gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Hierdurch soll nach Erwägungsrund 27 grundsätzlich – soweit der Erblasser nicht nach Art. 22 EuErbVO eine abweichende Rechtswahl getroffen hat – ein Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht eintreten5. Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers muss beim Erbfall in einem Mitgliedstaat gewesen sein. 14.139 Nach ErwGr 23 ist der gewöhnliche Aufenthalt durch „eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes“ zu bestimmen, wobei „insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe“, die eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen sollte, zu berücksichtigen sind. Nach ErwGr 24 kann „in familiärer und sozialer Hinsicht“ der gewöhnliche Aufenthalt ggf. auch im Herkunftsstaat liegen, wenn sich der Erblasser unter Aufrechterhaltung seiner dortigen engen und festen Bindung „aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen – unter Umständen auch für längere Zeit – in einen anderen Staat begeben hat, um dort zu arbeiten“ bzw. wenn er „abwechselnd in mehreren Staaten gelebt hat oder auch von Staat zu Staat gereist ist, ohne sich in einem Staat für längere Zeit niederzulassen. War der Erblasser ein Staatsangehöriger eines dieser Staaten oder hatte er alle seine wesentlichen Vermögensgegenstände in einem dieser Staaten, so könnte seine Staatsangehörigkeit oder der Ort, an dem diese Vermögensgegenstände des Erblassers sich befinden, ein besonderer Faktor“ für dessen gewöhnlichen Aufenthalt sein. Ziel der Regelung ist die Vermeidung positiver (Zuständigerklärung durch Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten) wie negativer (keinerlei gerichtliche Zuständigkeit) Kompetenzkonflikte durch eine nunmehr einheitliche Maßgeblichkeit der in den Mitgliedstaaten am häufigsten verbreiteten Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Erbfall6.

14.140

d) Zielvorgabe nach Erwägungsgründen Nach Erwägungsgrund 27 EuErbVO soll grundsätzlich mittels dort unterstellter Maßgeblichkeit des 14.141 gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers, soweit dieser nicht nach Art. 22 EuErbVO eine abweichende Rechtswahl getroffen hat, ein Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht eintreten7. Ziel des Abstellens auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers ist nach den Vorgaben der EuErbVO zudem die Vermeidung positiver (Zuständigerklärung durch Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten) wie negativer (keinerlei gerichtliche Zuständigkeit) Kompetenzkonflikte 1 Dutta/Herrler/Solomon, 19 (21); Kunz, GPR 2012, 208 (210); Lehmann, DStR 2012, 2085 f.; Wilke, RIW 2012, 601 (603). 2 Dutta/Herrler/Solomon, 19 (21 f.); Kunz, GPR 2012, 208 (210); Wilke, RIW 2012, 601 (603). 3 Dutta/Weber/Lein, Art. 4 EuErbVO Rz. 9. 4 Bahrenfuss/Schaal, § 343 FamFG Rz. 12; Mankowski, IPrax 2015, 39 (43 ff.). 5 Dörner, ZEV 2012, 505 (509). 6 KOM (2009) 154, Erläuterung, S. 5 f. 7 Dörner, ZEV 2012, 505 (509).

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§ 14 Rz. 14.142

Minderjährige Erben

durch eine nunmehr einheitliche Maßgeblichkeit der in den Mitgliedstaaten am häufigsten verbreiteten Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Erbfall1.

14.142 Gem. ErwGr 23 EuErbVO ist der gewöhnliche Aufenthalt durch „eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes“ zu bestimmen, wobei „insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe“, die „eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen“ sollte, zu berücksichtigen sind.

14.143 Nach ErwGr 24 EuErbVO kann – „in familiärer und sozialer Hinsicht“ der gewöhnliche Aufenthalt ggf. auch im Herkunftsstaat liegen, wenn sich der Erblasser unter Aufrechterhaltung seiner dortigen engen und festen Bindung „aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen – unter Umständen auch für längere Zeit – in einen anderen Staat begeben hat, um dort zu arbeiten“ bzw. – wenn er „abwechselnd in mehreren Staaten gelebt hat oder auch von Staat zu Staat gereist ist, ohne sich in einem Staat für längere Zeit niederzulassen“, der Herkunftsstaat oder der Ort, an dem sich Vermögensgegenstände des Erblassers befinden, dessen gewöhnlicher Aufenthalt sein.

14.144 Gem. ErwGr 25 EuErbVO, der zwar das anzuwendende Recht i.S.d. Art. 21 EuErbVO und nicht die internationale Zuständigkeit betrifft, aber gleichwohl aufgrund sich diesbezüglich entsprechender Auslegungsgrundsätze insoweit herangezogen werden kann2, kann die mit der Erbsache befasste Behörde – „in Ausnahmefällen – in denen der Erblasser bspw. erst kurz vor seinem Tod in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts umgezogen ist und sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass er eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat hatte – zu dem Schluss gelangen, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts unterliegt, sondern dem Recht des Staates, zu dem der Erblasser offensichtlich eine engere Verbindung hatte“, – wobei die „offensichtlich engste Verbindung“ … „jedoch nicht als subsidiärer Anknüpfungspunkt gebraucht werden“ sollte, „wenn sich die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes als schwierig erweist.“ e) Tatbestandsmerkmale aa) Objektiv

14.145 Der gewöhnliche Aufenthalt setzt zunächst die körperliche Anwesenheit des Erblassers im betreffenden Staat voraus3. Zudem ist nach ständiger Rspr. des EuGH in Abgrenzung vom bloßen schlichten Aufenthalt insbesondere die dortige soziale und familiäre Integration des späteren Erblassers zu dessen Lebzeiten erforderlich4, aus der sich wiederum sein tatsächlicher Daseins- bzw. Lebensmittelpunkt ergibt5. Ein ausschließlich verwaltungs- bzw. steuerrechtlicher Wohnsitz ist nicht ausreichend6.

1 2 3 4

KOM (2009) 154, Erläuterung, S. 5 f. Dutta/Weber/Lein, Art. 4 EuErbVO Rz. 9. Dutta/Weber/Lein, Art. 4 EuErbVO Rz. 9. EuGH v. 22.12.2010 – C-497/10, IPrax 2012, 340; EuGH v. 2.4.2009 – C-523/07, FamRZ 2009, 843 = IPrax 2011, 76; jeweils zu Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO. 5 Dörner, ZEV 2012, 505 (510); Dutta/Herrler/Solomon, 19 (23); Kunz, GPR 2012, 208 (210); Palandt/ Thorn, Art. 21 EuErbVO Rz. 6. 6 Dutta/Weber/Lein, Art. 4 EuErbVO Rz. 9.

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Rz. 14.161 § 14

Dabei muss bereits eine diesbezügliche Verfestigung dieser Umstände dergestalt eingetreten sein, dass der Aufenthalt nicht lediglich sporadisch oder nur vorübergehend ausgeübt wird1, sondern vielmehr von beständiger und regelmäßiger Art ist2.

14.146

Insoweit manifestieren sich die diesbezüglich signifikanten Parameter der Beständigkeit und Regelmäßigkeit insbesondere durch objektive äußere Anzeichen bspw. in Gestalt der Begründung eines nicht befristeten Arbeitsverhältnisses, Aufgabe der bisherigen Wohnung im Wegzugsstaat unter Neubezug einer Wohnung im Zuzugsstaat gemeinsam mit Partner und ggf. Kind(ern)3.

14.147

Es besteht jedoch kein Erfordernis einer Mindestaufenthaltsdauer. Vielmehr ist die jeweilige Aufenthaltsdauer Indiz für den Grad der Beständigkeit des Aufenthalts4.

14.148

bb) Subjektiv In eingeschränktem Umfang kann zudem über den rein objektiven Tatbestand hinaus in Anlehnung an den dem common law eigenen animus manendi5 auch eine subjektive Komponente in Gestalt eines Bleibewillens relevant sein6. Dies gilt jedoch nur in abgeschwächtem objektivierten7 Umfang dahingehend, dass noch eine Gesamtbetrachtung aller Einzelfallumstände stattfinden muss8.

14.149

14.150–14.158

Einstweilen frei. f) Kasuistik

Ein länger andauernder Aufenthalt im Ausland verkörpert dann keinen gewöhnlichen Aufenthalt im hiesigen Sinne, wenn er von Anfang an zeitlich begrenzt ausgerichtet ist. Dies gilt ungeachtet einer tatsächlich langfristigen, sogar mehrjährigen Verweildauer am ausländischen Aufenthaltsort. Typische Beispiele sind eine berufliche Zwischenverwendung oder ein Studiumsaufenthalt im Ausland. Dabei ist aus Gründen der Rechtssicherheit typisierend auf die bereits im Ausgangspunkt bestehende zeitliche Begrenzung, ungeachtet eventueller späterer Veränderungen, abzustellen9.

14.159

Wer sich regelmäßig zu einer bestimmten Jahreszeit in dem einen bzw. während einer anderen Jahres- 14.160 zeit in einem anderen Staat aufhält (sog. Mallorca-Rentner), wird im Rahmen der Gesamtbeurteilung aller relevanten Umstände als Indizien für seinen tatsächlichen Daseins- bzw. Lebensmittelpunkt gem. ErwGr 24 EuErbVO insbesondere nach seiner Staatsangehörigkeit oder dem Belegenheitsort seiner wesentlichen Vermögensgegenstände beurteilt. Klarer sind diejenigen Konstellationen einzuordnen, in denen der berufliche Aufenthaltsort zwar zeitlich länger bzw. öfter aufgesucht wird als der familiäre, letzterer jedoch angesichts der Ausrichtung der Erwägungsgründe 23 und 24 EuErbVO als privater Lebensmittelpunkt eindeutig vorrangig ist10. 1 EuGH v. 22.12.2010 – C-497/10, IPrax 2012, 340; EuGH v. 2.4.2009 – C-523/07, FamRZ 2009, 843 = IPrax 2011, 76; jeweils zu Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO. 2 EuGH v. 22.12.2010 – C-497/10, IPrax 2012, 340; EuGH v. 2.4.2009 – C-523/07, FamRZ 2009, 843 = IPrax 2011, 76; zu Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO; Dutta/Herrler/Solomon, 19 (23). 3 EuGH v. 2.4.2009 – Rs. C-523/07, FamRZ 2009, 843 = IPrax 2011, 76; zu Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO; Dutta/Herrler/Solomon, 19 (24). 4 EuGH v. 22.12.2010 – C-497/10, IPrax 2012, 340; Döbereiner, MittBayNot 2013, 358 (362); Odersky, notar 2013, 3 (4); Palandt/Thorn, Art. 21 EuErbVO Rz. 6. 5 Dutta/Herrler/Solomon, 19 (24) m.w.N.; a.A. Odersky, notar 2013, 3 (5). 6 EuGH v. 22.12.2010 – C-497/10, IPrax 2012, 340. 7 Dutta/Herrler/Solomon, 19 (25). 8 EuGH v. 22.12.2010 – C-497/10, IPrax 2012, 340. 9 Dutta/Herrler/Solomon, 19 (27). 10 Dörner, ZEV 2012, 505 (510); Dutta/Herrler/Solomon, 19 (30); Odersky, notar 2013, 3 (5); Lehmann, DStR 2012, 2085 (2086); Soergel/Kegel, Art. 5 EGBGB Rz. 44.

Fröhler

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14.161

§ 14 Rz. 14.162

Minderjährige Erben

g) Problematik: eventuelle Mehrzahl gewöhnlicher Aufenthalte

14.162 Da ErwGr 27 EuErbVO den Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht propagiert und nicht mehrere Erbstatute nebeneinander gelten können, kann selbst innerhalb der bei isolierter Betrachtung dafür offenen internationalen Zuständigkeit keine Mehrzahl unterschiedlicher gewöhnlicher Aufenthalte zugelassen werden1. Unabhängig davon muss jedoch trotz der grundsätzlichen Ableitung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts aus der internationalen Zuständigkeit, die hingegen ohne ihre o.g. Verknüpfung mit dem Erbstatut durchaus mehrere gewöhnliche Aufenthalte zulassen könnte, für die örtliche Zuständigkeit eine Mehrzahl unterschiedlicher gewöhnlicher Aufenthalte eröffnet sein. h) Problematik: Vertretung bei der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts

14.163 Soweit der Erblasser selbst nicht mehr uneingeschränkt geschäftsfähig ist, wird er bei der Begründung, Beibehaltung bzw. Aufhebung seines gewöhnlichen Aufenthalts von dem dann dazu berechtigten gesetzlichen bzw. rechtsgeschäftlichen Vertreter vertreten. Hierbei können insbesondere bei Aufenthalt in einem im Ausland befindlichen Pflegeheim erhebliche Missbrauchsgefahren bspw. bezüglich des Erbstatuts mit Auswirkungen auch auf das Pflichtteilsrecht bestehen2. i) Exkurs: mittelbares Indiz des gewählten Wohnsitzes aa) Relevanz

14.164 Gemäß den o.g. international-rechtlichen Grundsätzen gilt zudem der Wohnsitz des Erblassers als mögliches Indiz für dessen gewöhnlichen Aufenthalt3. Daher kann selbst nach der o.g. Änderung des § 344 Abs. 7 FamFG ergänzend mittelbar auf die Kriterien für die Begründung bzw. Aufhebung eines Wohnsitzes zurückgegriffen werden. Daneben ist das Kriterium des Wohnsitzes gem. Art. 229 EGBGB § 36 nach Art. 15 IntErbRErbschÄndG unmittelbar nur noch übergangsrechtlich für vor dem 17.8.2015 eingetretene Erbfälle maßgebend.

14.165 Dieser mittelbar als mögliches Indiz für den gewöhnlichen Aufenthalt relevante Wohnsitz des Erblassers bestimmt sich – auch für einen ausländischen Erblasser (s. Rz. 14.9) – für die örtliche Zuständigkeit nach den Regelungen der §§ 7, 8, 9 und 11 BGB4. Maßgebend ist dabei grundsätzlich der räumliche Schwerpunkt (Mittelpunkt) der gesamten Lebensverhältnisse des Erblassers5. Dabei wird zwischen dem selbständig gewählten Wohnsitz nach §§ 7 bzw. 8 BGB einerseits und dem abgeleiteten gesetzlichen Wohnsitz i.S.d. §§ 9 bzw. 11 BGB andererseits unterschieden. bb) Indizwirkung des Wohnsitzes

14.166 Der diesbezügliche Wohnsitz bestimmt sich nach den Regelungen der §§ 7, 8, 9 und 11 BGB6. Maßgebend ist dabei grundsätzlich der räumliche Schwerpunkt (Mittelpunkt) der gesamten Lebensverhältnisse des Erblassers7. Dabei wird zwischen dem selbständig gewählten Wohnsitz nach §§ 7 bzw. 8 1 Dörner, ZEV 2012, 505 (510); Döbereiner, MittBayNot 2013, 358 (362); Dutta/Herrler/Solomon, 19 (31); Odersky, notar 2013, 3 (4); Lehmann, DStR 2012, 2085 (2086). 2 Dutta/Herrler/Solomon, 19 (28); Lehmann, DStR 2012, 2085 (2087). 3 EuGH v. 17.7.2008 – C-66/08, Slg. 2008, I-6041; EuGH v. 11.11.2004 – C-372/02, Slg. 2004, I-10761; EuGH v. 15.9.1994 – C-452/93 P, Slg. 1994, I-4295; Dutta/Weber/Lein, Art. 4 EuErbVO Rz. 9. 4 BayObLG v. 17.12.1984 – 1 ZS AllgReg 94/84, Rpfleger 1985, 66. 5 BGH v. 14.2.1962 – IV ZR 192/61, LM Nr. 3 zu § 7 BGB; BayObLG v. 17.12.1984 – AllgReg.94/84, FamRZ 1985, 533 = BayObLGZ 1984, 289 (290); Palandt/Ellenberger, § 7 BGB Rz. 1. 6 BayObLG v. 17.12.1984 – 1 ZS AllgReg 94/84, Rpfleger 1985, 66. 7 BGH v. 14.2.1962 – IV ZR 192/61, LM Nr. 3 zu § 7 BGB; BayObLG v. 17.12.1984 – Allg. Reg. 94/84, FamRZ 1985, 533 = BayObLGZ 1984, 289 (290); Palandt/Ellenberger, § 7 Rz. 1; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 11.

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Fröhler

Minderjährige Erben

Rz. 14.167 § 14

BGB einerseits und dem abgeleiteten gesetzlichen Wohnsitz i.S.d. §§ 9 bzw. 11 BGB andererseits unterschieden. Der gewählte Wohnsitz wird durch Niederlassung an einem Ort, der nach dem Willen des Erblassers 14.167 dem ständigen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse dienen soll1, begründet2. Dies gilt uneingeschränkt auch für Ordensangehörige. Kirchenrechtliche Besonderheiten, wie bspw. eine Wohnsitzfiktion für Ordensschwestern am Sitz des Mutterhauses, sind unbeachtlich3. Bei dauernder Anstaltsunterbringung i.S.v. § 1906 BGB wird der Wohnsitz am Ort der Anstalt begründet4. Der erforderliche Domizilwille setzt voraus, dass am Ort der Niederlassung der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dauerhaft beibehalten werden soll5. Indizien für den Willen zur dauerhaften Beibehaltung des Lebensmittelpunktes ergeben sich regelmäßig aus einer bereits fortgeschrittenen Dauer des tatsächlichen Aufenthaltes bzw. aus dem Bemühen, an dem Wohnort bessere Wohnbedingungen zu finden, bspw. an Stelle einer bisher gemeinsam mit Dritten genutzten Unterkunft eine eigene Wohnung zu beziehen6. Grundsätzlich ist der unter Aufgabe der bisherigen Wohnung erfolgende Umzug in ein Hospiz als Sterbeort auf Dauer ausgerichtet7. Entsprechendes gilt für den Einzug in ein Pflegewohnzentrum, wenn der Gesundheitszustand eine auf unbegrenzte Dauer angelegte medizinische und pflegerische Betreuung erfordert und keine Möglichkeit einer Veränderung ersichtlich ist8. Der erforderliche Domizilwille fehlt jedoch, wenn die Niederlassung lediglich mit dem Ziel einer vorübergehenden Wohnungsnahme erfolgt. So begründet insbesondere ein Student am Universitätsort nur unter besonderen Umständen seinen Wohnsitz9, da sich die für den Willen zu einem ständigen Aufenthalt maßgebende berufliche Entwicklung regelmäßig erst nach Abschluss des Studiums absehen lässt. Entsprechendes gilt für den regelmäßig nicht auf Dauer, sondern lediglich zur vorübergehenden medizinischen Versorgung ausgerichteten Krankenhausaufenthalt eines Patienten10. Die polizeiliche Anmeldung am neuen Wohnort und Abmeldung am früheren Wohnort kann nur gemeinsam mit weiteren Faktoren einen Domizilwillen manifestieren11. Ausreichend ist insoweit etwa bei Umzug in ein Frauenhaus, jedenfalls bei größerer Entfernung vom bisherigen Wohnort, ein dort unbefristet angelegter Aufenthalt12, im Rahmen des Möglichen im Hinblick auf das Alter mitumziehender Kinder deren dortige Schulanmeldung13, während eine kurzzeitige, bspw. auf drei Wochen beschränkte Befristung nicht genügt14. Hierbei ist jeweils ohne Bedeutung, dass ein Frauenhaus übli1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

BayObLG v. 14.2.1962 – IV ZR 192/61, BayObLGZ 1985, 158 (161). BVerwG v. 9.11.1967 – VIII C 141/67, NJW 1968, 1059. BayObLG v. 25.11.1960 – Allg. Reg. 71/60, BayObLGZ 1960, 455, 456. OLG Rostock v. 16.6.1915 – Az. ist n.v., OLGR 33, 19; OLG Oldenburg v. 1.3.1899 – Az. ist n.v., SeuffA 55 Nr. 64; MüKo.BGB/Schmitt, § 7 Rz. 49. BVerwG v. 21.5.1985 – 1 C 52/82, NJW 1986, 674. BGH v. 30.11.1983 – IVb ARZ 50/83, MDR 1984, 473 = FamRZ 1984, 162 = NJW 1984, 971; Prütting/ Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 23. OLG Düsseldorf v. 7.1.2002 – 3 Sa 3/01, FamRZ 2002, 1128 = Rpfleger 2002, 314; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 23. OLG Düsseldorf v. 27.8.2009 – I-3 Sa 1/09, FGPrax 2009, 271; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – I-3 Sa 5/12, FamRZ 2013, 807 = FGPrax 2013, 27; Keidel/Zimmermann, § 343 FamFG Rz. 41. BVerfG v. 22.6.1990 – 2 BvR 116/90, NJW 1990, 2193, 2194; OLG Düsseldorf v. 6.11.1990 – 6 UF 195/90, FamRZ 1992, 103. OLG Düsseldorf v. 7.1.2002 – 3 Sa 3/01, FamRZ 2002, 1128 = Rpfleger 2002, 314; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – I-3 Sa 5/12, FamRZ 2013, 807 = FGPrax 2013, 27; Keidel/Zimmermann, § 343 FamFG Rz. 41; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 24. BayObLG v. 14.11.1988 – AR 1Z 75/88, FamRZ 1989, 526 = NJW-RR 1989, 262, 263; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – I-3 Sa 5/12, FamRZ 2013, 807 = FGPrax 2013, 27. OLG Karlsruhe v. 10.2.1995 – 2 UF 290/94, FamRZ 1995, 1210 = NJW-RR 1995, 1220 bei Entfernung von 100 km; OLG Karlsruhe v. 7.5.2009 – 16 WF 61/09, MDR 2009, 931 = FamRZ 2009, 1768 = NJWRR 2009, 1598. OLG Nürnberg v. 8.9.1993 – 11 WF 1097/93, FamRZ 1994, 1104 (1105). BGH v. 14.12.1994 – XII ARZ 33/94, FamRZ 1995, 728 = NJW 1995, 1224 (1225).

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§ 14 Rz. 14.168

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cherweise nur dem vorübergehenden Aufenthalt dient, da bereits ein beabsichtigter anschließender Umzug in eine andere Unterkunft im gleichen Ort, bspw. eine Sozialwohnung, ausreicht1.

14.168 Der Wohnsitz nicht voll Geschäftsfähiger wird entweder durch alleinige Bestimmung des gesetzlichen Vertreters nach § 7 BGB oder durch eigene Handlung des nicht voll Geschäftsfähigen begründet bzw. aufgehoben2, die dann jedoch nach § 8 Abs. 1 BGB grundsätzlich der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bedarf, der dazu jedoch als Betreuer bzw. Vormund seinerseits hinsichtlich des gerichtlich bestimmten Aufgabenkreises die Berechtigung zur Aufenthalts- bzw. Wohnungsbestimmung benötigt3. Von diesem Erfordernis ist ein verheirateter oder verheiratet gewesener nicht geschäftsunfähiger Minderjähriger nach § 8 Abs. 2 BGB befreit, wenn dieser, der das 16. Lebensjahr vollendet haben und dessen künftiger Ehegatte volljährig sein muss, auf seinen Antrag durch das Familiengericht nach § 1303 Abs. 2 BGB von der Notwendigkeit der eigenen Volljährigkeit befreit worden ist4, und dessen Wohnsitz der gesetzliche Vertreter dann weder begründen noch aufheben kann5. Der Wohnsitz anderer nicht voll geschäftsfähiger, mithin auch niemals verheiratet gewesener minderjähriger Kinder richtet sich gem. § 11 BGB nach dem Wohnsitz ihres Personensorgeberechtigten, mithin regelmäßig der Eltern, hilfsweise eines Vormunds bzw. Pflegers, soweit nicht nach § 7 i.V.m. § 8 Abs. 1 BGB ein anderer Wohnsitz begründet wird. Ein Betreuter bedarf nur dann einer Zustimmung nach § 8 Abs. 1 BGB, wenn er geschäftsunfähig ist oder einem Einwilligungsvorbehalt i.S.d. § 1903 BGB untersteht, und bestimmt im Übrigen seinen Wohnsitz allein, wobei dann der Betreuer seinerseits bei entsprechend bestimmtem Aufgabenkreis kraft eigener Vertretungsmacht aus § 1902 BGB den Wohnsitz des Betreuten nach § 7 BGB bestimmen kann. Soweit § 8 Abs. 1 BGB einschlägig ist, muss über dessen Wortlaut hinaus anstelle der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Willensausübung durch denjenigen genügen, der durch den Geschäftsunfähigen bzw. beschränkt Geschäftsfähigen, als dieser noch geschäftsfähig war, rechtsgeschäftlich bevollmächtigt worden ist. Dies ergibt sich aus einem ErstRecht-Schluss zu § 1906 Abs. 5 BGB, nach dem eine Vollmacht einer gesetzlichen Vertretung sogar bei freiheitsentziehender Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt gleichsteht. Ist das Vorhandensein der Geschäftsfähigkeit ungewiss, wird sie insoweit unterstellt6.

14.169 Nach § 7 Abs. 3 BGB wird der Wohnsitz analog zu seiner Begründung kumulativ durch objektive tatsächliche Wohnsitzaufgabe und subjektiven Domizilaufgabewillen aufgehoben. Wird der bisherige Wohnsitz ohne Begründung eines neuen Wohnsitzes aufgehoben, entsteht ein Status der Wohnungslosigkeit7.

14.170 Gem. § 11 BGB ist für ein minderjähriges Kind kraft Gesetzes der Wohnsitz seines Personensorgeberechtigten gesetzlicher Wohnsitz. Sind beide Elternteile personensorgeberechtigt – dies ist bei verheirateten Eltern regelmäßig nach § 1626 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB, bei nicht verheirateten Eltern lediglich ausnahmsweise aufgrund einer Sorgeerklärung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB bzw. nach einer gerichtlichen Sorgerechtsübertragung iSv. § 1672 Abs. 2 BGB der Fall –, begründen sie mit ihrem gemeinsamen Wohnsitz zugleich den gesetzlichen Wohnsitz ihres minderjährigen Kindes. Haben gemeinsam personensorgeberechtigte Eltern unterschiedliche Wohnsitze, erhält das Kind – auch wenn es nach der Begründung getrennter Wohnsitze geboren ist8 – bis zu einer eventuellen gerichtlichen Sorgerechtsübertragung i.S.v. § 1671 BGB einen entsprechenden gesetzlichen Doppel1 OLG Karlsruhe v. 10.2.1995 – 2 UF 290/94, FamRZ 1995, 1210 = NJW-RR 1995, 1220; OLG Nürnberg v. 8.9.1993 – 11 WF 1097/03, FamRZ 1994, 1104, 1105; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 25. 2 MüKo.BGB/Schmitt, § 8 Rz. 1; Staudinger/Weick, § 8 Rz. 1. 3 BayObLG v. 12.5.1992 – 1Z AR 22/92, FamRZ 1992, 1222 = NJW-RR 1993, 460, 461; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – I-3 Sa 5/12, FamRZ 2013, 807 = FGPrax 2013, 27. 4 MüKo.BGB/Schmitt, § 8 Rz. 11; Staudinger/Weick, § 8 Rz. 5. 5 MüKo.BGB/Schmitt, § 8 Rz. 11. 6 BayObLG v. 24.8.1989 – AR 1Z 90/89, FamRZ 1990, 301 = Rpfleger 1990, 73 (Wohnsitzaufhebung); Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 26. 7 MüKo.BGB/Schmitt, § 9 Rz. 44. 8 KG v. 16.4.1964 – 2 W 564/64, NJW 1964, 1577, 1578.

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Rz. 14.174 § 14

wohnsitz1. Es ist jedoch auch dann von einem gemeinsamen Wohnsitz der Eltern auszugehen, wenn ein davon abweichender Aufenthalt eines Elternteils im Ausland ohne dauerhafte Trennung der Eltern lediglich zwecks Verhinderung der Schulpflicht erfolgt2. Die Eltern können dann jedoch gemeinschaftlich nach § 7 i.V.m. § 8 BGB einen davon abweichenden alleinigen Wohnsitz am Wohnort eines von ihnen3 bzw. neben oder zusätzlich zu dem bisherigen einen neuen Wohnsitz, bspw. in einer Pflegefamilie4, begründen. Ist – nach § 1626a Abs. 2 BGB (nicht verheiratete Mutter ohne Sorgeerklärung), § 1666 BGB (Entzie- 14.171 hung des Sorgerechts), §§ 1671, 1672 BGB (Übertragung des Sorgerechts) bzw. §§ 1680, 1681 BGB (Tod bzw. Todeserklärung eines Elternteils; Entziehung des Sorgerechts) – nur ein Elternteil personensorgeberechtigt, wird nach § 11 S. 1, 2. Hs. BGB allein dessen Wohn- bzw. Doppelwohnsitz gesetzlicher Wohnsitz des Kindes. Der alleinsorgeberechtigte Elternteil kann nach § 7 i.V.m. § 8 BGB neben oder zusätzlich zu dem bisherigen einen neuen Wohnsitz wählen, bspw. am Ort des durch das Kind ständig besuchten Internats5. Steht das Personensorgerecht – nach § 1773 BGB (Vormund) bzw. nach § 1909 BGB (Pfleger) – einem Dritten zu, ist nach § 11 S. 2 BGB dessen Wohnsitz maßgebend. Die vorstehenden Anmerkungen gelten dann entsprechend. Wird der den gesetzlichen Wohnsitz begründende Vertreter des minderjährigen Kindes wohnsitzlos, 14.172 ist auch das Kind wohnsitzlos6, wenn nicht daneben nach § 7 i.V.m. § 8 BGB ein gewählter Doppelwohnsitz besteht, der nunmehr zum alleinigen Wohnsitz wird. Nach § 11 S. 3 BGB verliert ein minderjähriges Kind seinen gesetzlichen Wohnsitz, soweit nicht ein 14.173 anderer gesetzlicher Wohnsitz begründet wird, erst durch gewählte Aufhebung i.S.d. § 7 Abs. 3 BGB, die während der Minderjährigkeit durch den gesetzlichen Vertreter nach § 8 BGB bzw. nach Erreichen der Volljährigkeit durch das Kind selbst, dessen Bevollmächtigten oder den gesetzlichen Vertreter nach § 8 BGB ausgeübt wird. Insbesondere hebt die Anmeldung eines Kindes durch seine Eltern zu einem mehrjährigen auswärtigen Internatsaufenthalt dessen abgeleiteten Wohnsitz aus § 11 S. 1 BGB nicht auf7. Entsprechendes gilt für einen auswärtigen Aufenthalt des minderjährigen Kindes bis zum dortigen Ausbildungsabschluss8. Wird das minderjährige Kind volljährig, verwandelt sich der gesetzliche in einen gewählten Wohnsitz und besteht bis zu dessen Aufgabe fort9. Nach § 7 Abs. 2 BGB kann der gewählte Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen. Dies setzt voraus, dass der jeweilige Wohnort beim jeweiligen Aufenthaltswechsel Schwerpunkt der Lebensverhältnisse ist10. Eine bloße Ausrichtung auf längere Besuche ist nicht ausreichend11. Ein Doppelwohnsitz kann zudem insbesondere aus gesetzlichem Wohnsitz für das minderjährige Kind bei Trennung seiner gemeinsam personensorgeberechtigten Eltern seinerseits als gesetzlicher Wohnsitz oder durch Wahl eines zusätzlichen gewillkürten Wohnsitzes begründet werden. Trotz Verstoßes ge1 BGH v. 30.11.1983 – IVb ARZ 50/83, MDR 1984, 473 = FamRZ 1984, 162 = NJW 1984, 971; OLG Brandenburg v. 21.3.2003 – 9 AR 9/02, FamRZ 2003, 1559 = FGPrax 2003, 129; OLG Karlsruhe v. 7.5.2009 – 16 WF 61/09, NJW-RR 2009, 1598. 2 VG Aachen v. 15.4.2011 – 9 K 1917/10, n.v. (vorübergehender Aufenthalt in Belgien). 3 BGH v. 3.11.1993 – XII ARZ 27/93, NJW-RR 1994, 322. 4 OLG Köln v. 30.10.1995 – 16 Wx 186/95, FamRZ 1996, 859 (860); OLG Brandenburg v. 18.12.2008 – 9 UF 64/08, FamRZ 2009, 1499; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 42. 5 BayObLG v. 14.11.1988 – AR 1Z 75/88, FamRZ 1989, 526 = NJW-RR 1989, 262 (263). 6 Erman/Westermann, § 11 Rz. 2; MüKo.BGB/Schmitt, § 11 Rz. 13; Palandt/Heinrichs, § 11 Rz. 6; a.A. Staudinger/Weick, § 11 Rz. 12. 7 BayObLG v. 14.11.1988 – AR 1Z 75/88, FamRZ 1989, 526 = NJW-RR 1989, 262, 263; Staudinger/Weick, § 11 Rz. 11. 8 OVG Saarbrücken v. 29.10.2012 – 3 A 238/12, n.v. 9 MüKo.BGB/Schmitt, § 11 Rz. 11; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 46. 10 PreußOVG v. 8.2.1916 – Az. ist n.v., OLGR 35, 26. 11 BVerwG v. 21.5.1985 – 1 C 52/82, NJW 1986, 674.

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14.174

§ 14 Rz. 14.175

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gen ein gesetzliches Verbot eines Wohnsitzwechsels wird der neue Wohnsitz gleichwohl begründet. Zugleich bleibt jedoch der bisherige Wohnsitz als Doppelwohnsitz bestehen1. Derartige gesetzliche Verbote sind ihrerseits nur dann wirksam, wenn sie mit höherrangigem Recht, insbesondere dem europarechtlichen Anspruch auf Freizügigkeit nach Art. 8a EGV und dem Grundrecht auf freie Wahl des Wohnsitzes nach Art. 11 Abs. 1 GG vereinbar sind2.

14.175 Bestehen mehrfache Wohnsitze, ist nach § 2 Abs. 1 FamFG unter mehreren örtlich zuständigen Gerichten das zuerst mit der Sache befasste Gericht zuständig.

14.176 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für den aus ererbtem Ausschlagungsrecht nach § 1952 BGB Ausschlagenden bzw. Anfechtenden, für den demnach dessen eigener Wohnsitz und nicht der Wohnsitz des verstorbenen Erben des Ausgangserblassers maßgebend ist3.

14.177 Wird in derselben Urkunde nicht nur die Ausschlagung des aktuellen Erben, sondern zusätzlich auch diejenige des aufgrund dessen Ausschlagung in der Erbfolge nächstberufenen Erben aufgenommen, muss zwingend beachtet werden, dass das Wohnsitzgericht für diesen nächstberufenen Erben ebenfalls nur dann nach § 344 Abs. 7 FamFG örtlich zuständig ist, wenn auch dieser im Gerichtsbezirk seinen Wohnsitz hat4.

14.178 Die Zuständigkeit nach § 344 Abs. 7 FamFG ist nicht ausschließlich. Aus der Formulierung „auch“ in § 344 Abs. 7 S. 1 FamFG und der Übersendungspflicht aus § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG ergibt sich vielmehr, dass das nach § 343 FamFG allgemein zuständige Nachlassgericht daneben örtlich zuständig bleibt. § 2 Abs. 1 FamFG ist insoweit nicht anwendbar5. Wird eine Ausschlagungserklärung von einem örtlich unzuständigen Gericht entgegengenommen, gilt sie gleichwohl analog § 2 Abs. 3 FamFG als wirksam und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingegangen6, es sei denn, das Gericht gibt die dadurch unwirksam werdende Erklärung wegen Unzuständigkeit an den Erklärenden zurück7. Entsprechendes gilt analog § 2 Abs. 3 FamFG, wenn die Entgegennahme durch ein international unzuständiges Gericht erfolgt8.

X. Vermögensverzeichnispflicht 14.179 Nach § 1640 Abs. 1 BGB sind die Eltern dazu verpflichtet, folgende Positionen in einem Vermögensverzeichnis schriftlich aufzulisten: – dasjenige Vermögen, das ein minderjähriges Kind von Todes wegen (Erbfolge, Vermächtnis bzw. Pflichtteil)9 bzw. – sonst anlässlich eines Sterbefalls (Leistungen aus Lebensversicherung10 bzw. aufgrund Auflage i.S.d. § 1940 BGB11), 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Palandt/Ellenberger, § 7 Rz. 9. MüKo.BGB/Schmitt, § 7 Rz. 33; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 49. Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 72a. Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 72d und Rz. 78. Heinemann, ZErb 2008, 293, 299. BayObLG v. 22.12.1997 – 1Z BR 138/97, MittBayNot 1998, 192 (193); Heinemann, FamFG für Notare, Rz. 288. Heinemann, FamFG für Notare, Rz. 289; Palandt/Edenhofer, 68. Aufl., § 1945 Rz. 7 zu § 7 FGG; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 81. BayObLG v. 11.3.1994 – 1Z BR 109/93, NJW-RR 1994, 505 (507); Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 82. Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 7. BT-Drucks. 8/2788, S. 56. Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 8.

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Rz. 14.183 § 14

– als anstelle von Unterhalt gewährte Abfindungen (zB bei einem verheirateten Kind nach § 1585 Abs. 2 bzw. § 1585c BGB1) bzw. – als unentgeltliche Zuwendungen (Schenkungen nach §§ 516 ff. BGB, Ausstattungen nach § 1624 BGB bzw. Schenkungen von Todes wegen nach § 2301 BGB2) erwirbt und – das ihrer Verwaltung unterliegt. Sodann ist dieses Vermögensverzeichnis mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu versehen und dem Familiengericht einzureichen.

14.180

Die Inventarisierungspflicht besteht jedoch nur dann, wenn der Wert des Vermögenserwerbs den Betrag von 15.000 Euro nicht übersteigt. Dieser Wert ist einerseits für jeden einzelnen Erwerb isoliert maßgebend, andererseits ausnahmsweise bei einem mehrfachen Erwerb aufgrund desselben Ereignisses (zB aufgrund des Todes derselben Person sowohl Vermächtnis als auch Lebensversicherungssumme an denselben Begünstigten) in Höhe der diesbezüglichen Summe auf die o.g. Wertgrenze anzurechnen3. Dabei ist jeweils der Verkehrswert statt des Steuerwerts maßgebend. Zudem sind auf den jeweiligen Gegenstand entfallende Verbindlichkeiten zur Ermittlung des Nettowertes abzugsfähig. Die Inventarisierungspflicht entfällt zudem, soweit der Erblasser bei letztwilliger Zuwendung in der zugrunde liegenden Verfügung von Todes wegen (s. dazu Rz. 14.48) bzw. der lebzeitig Zuwendende im Rahmen der lebzeitigen Zuwendung eine abweichende Anordnung getroffen hat.

14.181

Diese Vermögensverzeichnispflicht wird durch die besondere verfahrensrechtliche gesetzliche Meldepflicht nach § 356 Abs. 1 FamFG flankierend abgesichert. Danach hat das Nachlassgericht das gem. § 152 Abs. 2 bzw. Abs. 3 FamFG zuständige Familiengericht über den von Todes wegen erfolgten Erwerb zu informieren, wenn nach Art. 21 EGBGB ein deutsches Sorgerechtsstatut besteht4. Im Falle einer Verletzung der Mitteilungspflicht drohen Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung5. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 356 Abs. 1 FamFG und des Umstandes, dass dieser auch in Kenntnis der diesbezüglichen Fachdiskussion unverändert aus § 74a FGG übernommen wurde, statuiert die Vorschrift keine weitergehende Mitteilungspflicht für einen anderweitig erfolgten Vermögenserwerb anlässlich des Sterbefalls, bspw. in Gestalt bestimmter Versicherungsleistungen bzw. Sparverträge6. Dabei erscheint gleichwohl eine entsprechende Mitteilung an das Familiengericht sinnvoll und empfehlenswert. Eine erfolgte Mitteilung ist nicht anfechtbar, da sie keine Endentscheidung verkörpert7.

14.182

XI. Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft als ausschließliche Erfüllung einer Verbindlichkeit Eine Erbauseinandersetzung erfolgt mangels Teilungsanordnung des Erblassers i.S.d. § 2048 oder anderweitiger vorheriger wirksamer bindender Vereinbarung nur dann ausschließlich in Erfüllung einer Verbindlichkeit und erfordert daher mangels Ausschlusses der gesetzlichen elterlichen Vertretungsmacht aus § 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 1909 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 BGB keine Bestellung eines Ergänzungspflegers, wenn diese gemäß den gesetzlichen Regelungen der §§ 2042 ff. BGB durchgeführt wird8. Nach § 2042 Abs. 2 i.V.m. §§ 752 ff. BGB ist dies durch Teilung in Natur in reale Teile, 1 2 3 4 5 6

Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 9. Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 10. Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 14. Bahrenfuss/Schaal, § 356 FamFG Rz. 4. OLG München v. 6.6.2002 – 1 U 4182/00, Rpfleger 2003, 657 (658 f.). Bassenge/Roth, § 356 FamFG Rz. 1; Jansen/Müller-Lukoschek, § 74a FGG Rz. 7; Keidel/Zimmermann, § 356 FamFG Rz. 5; Bahrenfuss/Schaal, § 356 FamFG Rz. 3; a.A. Keidel/Winkler, 15. Aufl., § 74a FGG Rz. 2. 7 Keidel/Zimmermann, § 356 FamFG Rz. 8. 8 BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff.; RG v. 3.10.1918 – IV 213/18, RGZ 93, 334, 336.

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14.183

§ 14 Rz. 14.184

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bei diesbezüglicher Unmöglichkeit hilfsweise durch Verkauf bzw. Zwangsversteigerung und Erlösteilung, nicht jedoch durch Umwandlung in eine Bruchteilsgemeinschaft zu bewirken1, die dann mangels ausschließlicher Erfüllung einer Verbindlichkeit vielmehr dem Vertretungsausschluss des § 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB und damit dem Erfordernis einer Ergänzungspflegschaft nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB unterliegt2.

14.184 Das Gesetz sieht nach §§ 753, 2047 BGB den Verkauf von Nachlassgegenständen durch Zwangsversteigerung sowie die Teilung des nach Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten verbleibenden Überschusses und damit gerade nicht den freihändigen Verkauf samt unmittelbarer Teilung des Erlöses vor3. Gleichwohl kann ein gesetzlicher Anspruch auf teilweise Auseinandersetzung des Kaufpreises als Nachlassforderung i.S.d. § 2041 BGB gemäß den jeweiligen Erbquoten bestehen, dessen ausschließliche Erfüllung eine Anwendbarkeit des § 181 BGB ausschließt, wenn keine Interessen eines beteiligten Miterben insbesondere aufgrund erbrechtlicher Ausgleichungspflicht bzw. aus Schuldverhältnissen entgegenstehen und ein wirksamer Vertrag zugrunde liegt4.

14.185 Soweit im Rahmen einer Erbauseinandersetzung eine Ergänzungspflegschaft wegen der Minderjährigkeit von Erben erforderlich ist, muss für jeden Miterben ein gesonderter Ergänzungspfleger bestellt werden, da sich hier alle Miterben i.S.d. § 181 BGB einander gegenüberstehen5. Gleiches gilt zudem im Falle einer Veräußerung durch alle Miterben auf derselben Verkäuferseite an einen Dritten als Käufer, wenn der Kaufpreis sofort im Wege der Teilerbauseinandersetzung, bei der sich alle Miterben wiederum gegenüberstehen, verteilt und nicht zunächst auf dem Erbengemeinschaftskonto verbucht wird sowie Interessen eines beteiligten Miterben insbesondere aufgrund erbrechtlicher Ausgleichungspflicht bzw. aus Schuldverhältnissen entgegenstehen.

14.186 Der alleinige Umstand einer Erbauseinandersetzung begründet mangels Verweises durch § 1643 Abs. 1 BGB auf den diesbezüglich einschlägigen Tatbestand des § 1822 Nr. 2 BGB noch keine familiengerichtliche Genehmigungspflicht. Diese kann jedoch dadurch ausgelöst werden, dass die Erbauseinandersetzung ihrerseits andere von § 1643 Abs. 1 BGB erfasste Genehmigungstatbestände erfasst, insbesondere bei einer dabei oftmals betroffenen Verfügung über ein Grundstück nach § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB.

XII. Pflichtteilsanspruch und Ergänzungspflegschaft 1. Alleinerbschaft des längstlebenden Ehegatten und Pflichtteilsanspruch des minderjährigen Kindes

14.187 Wird der erstversterbende alleine durch den längstlebenden Ehegatten beerbt, steht dem erbrechtlich übergangenen Kind ein Pflichtteilsanspruch zu, dessen Verjährung nach § 207 Abs. 1 S. 2 Buchst. a bzw. b BGB auch bei dessen Minderjährigkeit bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt ist. Nach überwiegender Ansicht liegt alleine in einer derartigen Konstellation kein Grund für eine Interessenkollision, die die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft rechtfertigen könnte, vielmehr sind

1 BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff.; RG v. 9.11.1907 – V 154/07, RGZ 67, 61, 64. 2 BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff.; RG v. 9.11.1907 – V 154/07, RGZ 67, 61, 64; a.A. unter Missachtung der Regelung nach § 2042 i.V.m. §§ 752 ff. LG Köln v. 26.1.1951 – 6 T 28/51, DNotZ 1951, 229; Riedel, DNotZ 1951, 229, 231. 3 RG v. 3.10.1918 – IV 213/18, RGZ 93, 334, 336 f. 4 RG v. 3.10.1918 – IV 213/18, RGZ 93, 334, 337. 5 BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff.; RG v. 3.10.1918 – IV 213/18, RGZ 93, 334, 335; RG v. 9.11.1907 – V 154/07, RGZ 67, 61, 63 f.; OLG München v. 17.6.2010 – 31 Wx 70/10, MDR 2011, 49 = BWNotZ 2011, 29; OLG Zweibrücken v. 15.2.1980 – 1 U 99/79, OLGZ 1980, 213, 214 f., Menzel/Wolf, MittBayNot 2010, 186 f.; Haegele, Rpfleger 1959, 159 f.

594

Fröhler

Minderjährige Erben

Rz. 14.188 § 14

dazu zusätzliche konkrete Anhaltspunkte erforderlich1. Zudem hätte eine Ergänzungspflegschaft allenfalls Sicherungsaufgaben, während die eigentliche Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche dem Kind nach Erreichen der Volljährigkeit vorbehalten bliebe2. 2. Alleinerbschaft des minderjährigen Kindes und Pflichtteilsanspruch des längstlebenden Ehegatten Wird umgekehrt das minderjährige Kind testamentarischer Alleinerbe und steht dem erbrechtlich übergangenen längstlebenden Ehegatten und Vater ein Pflichtteilsanspruch zu, begründet dieser Umstand seinerseits alleine noch keine Interessenkollision, die eine Ergänzungspflegschaft rechtfertigen würde, solange nicht konkrete Anhaltspunkte dafür hinzutreten, aus denen deutlich wird, dass der Vater seinen Verpflichtungen als gesetzlicher Vertreter des Alleinerben nicht nachkommt3.

1 BeckOK/J. Mayer, § 2317 Rz. 6; Palandt/Weidlich, § 2317 Rz. 4; Staudinger/Haas, § 2317 Rz. 47; a.A. Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, § 9 Rz. 77; krit. Horn, ZEV 2013, 297, 300. 2 BayObLG v. 7.12.1988 – BReg. 1a Z 8/88, FamRZ 1989, 540 ff. 3 BayObLG v. 11.2.1982 – BReg. 1Z 117/81, FamRZ 1982, 737 = Rpfleger 1982, 180 ff.

Fröhler

595

14.188

§ 15 Unternehmensnachfolge I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.1

II. Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsmöglichkeiten des Erben nach dem Erbfall . . . . . . . . . . . . 3. Haftungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nichtkaufmännisches Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kaufmännisches Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Registerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Miterbengemeinschaft als Unternehmensträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erbrechtliche Gestaltungsoptionen . . . a) Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . b) Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vor- und Nacherbfolgeanordnung . d) Bedingungen, Straf- und Verwirkungsklauseln, Auflagen . . . . . . . . . e) Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . 7. Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strategien zur Pflichtteilsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unternehmensbewertung . . . . . . . . 8. Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.3 15.3

III. Nachfolge in Anteile an Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschaftsvertragliche Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erbrechtliche Nachfolge . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besonderheiten bei der qualifizierten Nachfolgeklausel . . . . d) Rechtsgeschäftliche Nachfolge . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . . e) Besonderheiten bei der KG . . . . . . . 3. Entscheidungsmöglichkeiten des Erben nach dem Erbfall . . . . . . . . . . . . 4. Haftungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.8 15.13 15.14

5. 6.

15.16 15.24 15.27 15.32 15.33 15.38 15.45 15.49 15.53 15.62 15.62 15.70 15.74 15.83 15.83 15.85 15.85 15.89 15.96 15.96 15.104 15.108 15.108 15.109 15.113 15.124 15.128 15.136 15.136 15.138

7.

8.

c) Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erbrechtliche Nachfolge . . . . . . . . . aa) GbR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kommanditist . . . . . . . . . . . . . cc) OHG-Gesellschafter und Komplementär . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsgeschäftliche Nachfolge . . . . . Registerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbrechtliche Gestaltungsoptionen . . . a) Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . b) Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vor- und Nacherbfolgeanordnung . d) Bedingungen, Straf- und Verwirkungsklauseln, Auflagen . . . . . . . . . e) Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strategien zur Pflichtteilsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche . . . . . . . . . . . c) Bewertung des Gesellschaftsanteils . Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. Nachfolge in Anteile an Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzlicher Regelfall: Alle Erben in Miterbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten im Hinblick auf die Nachfolge einer Miterbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten a) Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kaduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schuldrechtliche Nebenabreden . . . 4. Haftungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erbrechtliche Gestaltungsoptionen . . . a) Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . b) Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vor- und Nacherbfolgeanordnung . d) Bedingungen, Straf- und Verwirkungsklauseln, Auflagen . . . . . . . . . e) Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . 6. Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.139 15.141 15.141 15.145 15.150 15.159 15.163 15.169 15.169 15.170 15.174 15.190 15.193 15.208 15.208 15.210 15.217 15.221 15.228 15.228 15.231 15.231 15.234 15.239 15.239 15.251 15.262 15.264 15.266 15.271 15.271 15.274 15.277 15.281 15.282 15.288 15.293

Schrifttum: Baumann, Die Einmann-Personengesellschaft, BB 1998, 225; Baur/Grunsky, Eine „EinmannoHG“ – Zugleich ein Beitrag zur Vor- und Nacherbschaft an einem oHG-Anteil, ZHR 133 (1969), 209; Boujong, Abfindungsklauseln nach dem Tod des Gesellschafters einer OHG und Pflichtteilsergänzungsansprü-

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Kindler/Gubitz

Unternehmensnachfolge

§ 15

che, FS P. Ulmer (2003), S. 41; Bratke, Die Auswirkungen gesellschaftsvertraglicher Abfindungsklauseln auf Pflichtteils- und erbrechtliche Ausgleichsansprüche (1998); Bratke, Gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln und Pflichtteilsansprüche, ZEV 2000, 16; Crezelius, Unternehmenserbrecht (2009); Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen (1998); Deckert, Vererbung von Anteilen an Personengesellschaften, NZG 1998, 43; Einmahl, Die Ausübung der Verwaltungsrechte des Gesellschaftererben durch den Testamentsvollstrecker, AcP 160 (1961), 29; Eiselt, Buchwertabfindung in Personengesellschaften und Pflichtteil, NJW 1981, 2447; Faust, Die Testamentsvollstreckung am Anteil eines persönlich haftenden Gesellschafters, DB 2002, 189; Fett/Brandt, Die sogenannte „Einmann-Personengesellschaft“, NZG 1999, 45; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Band, 1. Teil, Die Personengesellschaft, 1977; Gebel, Betriebsvermögensnachfolge, 2. Aufl. 2002; Götz, Die Nachfolgeregelung bei einer GmbH & Co. KG, NZG 2004, 345; Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei – ein Vergleich mit dem Vermögensanfall von Todes wegen, 2005; Habersack, Die unentgeltliche Einziehung des Geschäftsanteils beim Tod des GmbH-Gesellschafters, ZIP 1990, 625; Habersack, Das neue Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger, FamRZ 1999, 1; Hannes/Reich, ZEV-Report Gesellschaftsrecht/Unternehmensnachfolge, ZEV 2017, 700; Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1973; Hennerkes/Kirchdörfer, Unternehmenshandbuch Familiengesellschaften, 2. Aufl. 1997; Hoppe, Haftungsfalle für Erben von GbR-Anteilen?, ZEV 2004, 226; Huber, U., Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970; Ivo, Die Vererbung von GmbH-Geschäftsanteilen, ZEV 2006, 252; Ivo, Die Vererbung von Kommanditanteilen, ZEV 2006, 302; Kohl, Ausschluss und Beschränkung von Abfindungsbeschränkungen nach dem Tod eines Personengesellschafters gegen Pflichtteilsrecht und Zugewinnausgleich, MDR 1995, 865; Kolmann, Stock Options im Erbfall – Ausgewählte zivil- und steuerrechtliche Fragen, ZEV 2002, 216; Kuchinke, Die Firma in der Erbfolge, ZIP 1987, 681; Langner/Heydel, Vererbung von GmbH-Geschäftsanteilen – Sicherstellung einer familieninternen Nachfolge, GmbHR 2005, 377; Lessmann, Vinkulierungsklauseln bei der Vererbung von GmbH-Geschäftsanteilen, GmbHR 1986, 411; Lorz, Testamentsvollstreckung und Unternehmensrecht, 1995; Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge, 2002; Marotzke, Die Mitgliedschaft in einer offenen Handelsgesellschaft als Gegenstand der Testamentsvollstreckung, JZ 1986, 457; Marotzke, Die Nachlasszugehörigkeit ererbter Personengesellschaftsanteile und der Machtbereich des Testamentsvollstreckers nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Mai 1986, AcP 187 (1987), 223; Marotzke, Haftungsverhältnisse und Probleme der Nachlassverwaltung bei der Beerbung des einzigen Komplementärs durch den einzigen Kommanditisten, ZHR 156 (1992), 17; Mayer, J., Die Testamentsvollstreckung über GmbH-Anteile, ZEV 2002, 209; Mayer, U., Der Abfindungsausschluss im Gesellschaftsrecht: pflichtteilsfester Vermögenstransfer am Nachlass vorbei?, ZEV 2003, 355; Menges/Stähle, Erbfolgeregelungen bei qualifizierter Nachfolgeklausel, BB 1994, 2122; Muscheler, Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, 1994; Paschke, Nacherbenschutz in der Vorerben-Personengesellschaft, ZIP 1985, 129; Petzoldt, Gesellschaftsvertrag und Erbrecht bei der GmbH und der GmbH und Co. KG, GmbHR 1977, 25; Reichert, Unternehmensnachfolge aus anwaltlicher Sicht, GmbHR 1998, 257; Reimann, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 3.7.1989 – II ZB 1/89, DNotZ 1990, 190; Reimann, Die qualifizierte Nachfolgeklausel – Gestaltungsmittel und Störfaktor, ZEV 2002, 487; Reimann, Gesellschaftsvertragliche Abfindung und erbrechtlicher Ausgleich, ZEV 1994, 7; Reimann, Gesellschaftsvertragliche Bewertungsvorschriften in der notariellen Praxis, DNotZ 1992, 472; Reimann, Unternehmensteuerreform und die Nachfolgeregelung in Gesellschaftsverträgen, ZEV 2002, 47; Reymann, Das Vermächtnis des Kommanditisten, ZEV 2006, 307; Riemenschneider, Unternehmensnachfolge, in: Hauschild/Kallrath/Wachter (Hrsg.), Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 29; Rothärmel, Gestaltungsfreiheit der Familiengesellschafter im deutschen und U.S.-amerikanischen Aktienrecht, 2006; Rothärmel, Möglichkeiten zur Kontrolle des Aktionärskreises in nichtbörsennotierten Gesellschaften nach deutschem und US-amerikanischem Recht, ZEV 2006, 435; Säcker, Gesellschaftsvertragliche und erbrechtliche Nachfolge in Gesamthandsmitgliedschaften, 1970; K. Schmidt, Die Erbengemeinschaft nach einem Einzelkaufmann, NJW 1985, 2785; K. Schmidt, Ehegatten-Miteigentum oder „Eigenheim-Gesellschaft“?, AcP 182 (1982), 481; K. Schmidt, Was wird aus der unbeschränkten Kommanditistenhaftung nach § 176 HGB? Auslegung, Vertragsgestaltung und Gesetzgebung vor einer Neubesinnung, GmbHR 2002, 341; K. Schmidt, Zur kombinierten Nachfolgeund Umwandlungsklausel bei OHG- oder Komplementäranteilen, BB 1989, 1702; Schörnig, Die Bedeutung des § 139 HGB bei der Gesellschafternachfolge, ZEV 2001, 139; Stimpel, Testamentsvollstreckung über den Anteil an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts in: FS Brandner (1996), S. 779; Sudhoff, Familienunternehmen, 2. Aufl. 2005; Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 5. Aufl. 2005; Ulmer, Gesellschafternachfolge und Erbrecht, ZGR 1972, 195, 324; Wälzholz, Besonderheiten der Satzungsgestaltung bei der Familien-AG, DStR 2004, 779; Weidlich, Befugnisse des Testamentsvollstreckers bei der Verwaltung von Beteiligungen einer werbenden BGB-Gesellschaft, ZEV 1998, 339; Weidlich, Die Testamentsvollstreckung an Beteiligungen einer wer-

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§ 15 Rz. 15.1

Unternehmensnachfolge

benden OHG bzw. Kommanditgesellschaft, ZEV 1994, 205; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965.

I. Einleitung 15.1 Die praktische Relevanz der Vererbung von Unternehmen als „Inbegriff von Vermögensgegenständen“1 ist erheblich2. Die „Erbengeneration“ wird auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erhebliche Vermögenswerte in Form von Unternehmen übertragen bekommen. Gerade, aber nicht nur in Familiengesellschaften ist die Nachfolgeregelung der kritischste Punkt, wobei die Nachfolge nicht auf Abstammung, Geschlecht und Alter gegründet sein sollte („Kronprinzenregelung“), sondern auf Qualifikation, Einsatzbereitschaft und Erfahrung. In diesem Zusammenhang stellen sich Probleme, die weit über den rechtlichen Ordnungsrahmen hinausreichen. Jedoch ist die Unternehmensvererbung auch in rechtlicher Hinsicht mit vielen komplexen Fragestellungen behaftet. Dies liegt einerseits daran, dass bei der Unternehmensnachfolge eine Vielzahl von Rechtsbereichen berührt ist. Andererseits hat der Gesetzgeber Gesellschaftsrecht und Erbrecht nicht vollständig in Übereinstimmung gebracht3. Bei der Nachfolge in Gesellschaftsanteile sind Probleme im Grenzgebiet zwischen Erbrecht und Gesellschaftsrecht zu lösen, das „zu den dogmatisch schwierigsten Rechtsgebieten“4 gehört. Es ist der Rechtsprechung jedoch gelungen, einen Rechtsrahmen zur Verfügung zu stellen, in dem sich die Vererbung von Unternehmen geordnet zu vollziehen vermag. Gleichwohl ist im Zuge der Unternehmensnachfolge stets eine eingehende rechtliche Beratung erforderlich. Denn während sich das Erbrecht in vielen Fällen als sinnvolles Haftungs- und Verteilungsinstrumentarium darstellt, selbst wenn es bei der gesetzlichen Erbfolge verbleibt, ist es im Rahmen der Vererbung von Unternehmen nahezu undenkbar, dass sich eine optimale rechtliche und damit nicht zuletzt auch wirtschaftliche Lösung ohne erheblichen Gestaltungsaufwand ergeben kann5.

15.2 Ausgangspunkte einer sinnvollen Nachfolgeberatung müssen stets die Fragen nach dem Vorhandensein eines geeigneten Nachfolgers und dem Umfang des – gesamten, nicht lediglich im Unternehmen gebundenen – Erblasservermögens6 sein. Auf dieser Grundlage kann etwa geklärt werden, ob Pflichtteilsansprüche oder gesellschaftsrechtliche Ausgleichsansprüche entstehen können und ob ggf. Überbrückungsmöglichkeiten, wie Betriebsverpachtung oder Testamentsvollstreckung7, genützt werden, beispielsweise weil der potentielle Nachfolger ein bestimmtes Alter und/oder eine bestimmte Qualifikation noch nicht erreicht hat. Sind geeignete Nachfolger nicht vorhanden, muss zudem an eine Veräußerung des Unternehmens gedacht werden. Überdies kann bereits zu Lebzeiten die Struktur des Unternehmens so geändert werden, dass sich der Übergang der Eigentümer- und Leitungsstruktur beim Tode des Unternehmers möglichst reibungslos vollzieht8. Die Einbindung des Nachfolgers ins operative Geschäft sollte möglichst frühzeitig erfolgen. Schließlich wollen – und können – Unternehmer selten bis zum Tode ihre Arbeitskraft vollumfänglich dem Unternehmen widmen. Ein Vermögens1 BGH v. 11.10.1967 – Ib ZR 144/65, NJW 1968, 393. 2 Im vorliegenden Rahmen können nur solche Tatbestände der Unternehmensnachfolge berücksichtigt werden, die sich von Todes wegen vollziehen. Auf die Fragen, die sich stellen, wenn das Unternehmen zu Lebzeiten auf den Nachfolger übertragen wird, also solche der Unternehmensnachfolge in einem allumfassenden Sinn, wird hier nur eingegangen, wo der Sinnzusammenhang dies erfordert. 3 Kipp/Coing, § 91 IV 8 b. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass nach § 2 EGHGB das Handelsrecht im Konfliktfall Vorrang vor dem Erbrecht habe, vgl. Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 110. Oftmals werden sich jedoch die entscheidenden Aspekte eher um die Frage drehen, ob denn überhaupt ein solcher Konfliktfall gegeben ist. 4 Reimann, ZEV 1994, 7. 5 Vgl. auch Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 110 und Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1009 m.w.N. 6 Zu Fragen der Unternehmensbewertung siehe noch unten Rz. 15.70 ff., 15.217 ff. und 15.289 ff. 7 Siehe unten Rz. 15.53 ff., 15.193 ff., 15.282 ff. 8 Vgl. unten Rz. 15.74 ff., 15.221 ff. und 15.293 ff.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.4 § 15

transfer muss damit ja noch nicht verbunden sein. Besondere Aufmerksamkeit muss auch den – gerade in Unternehmerkreisen häufig vorkommenden – Fällen mit Auslandsbezug gewidmet werden1. Hier können sich sehr spezielle und umfangreiche Fragestellungen ergeben. Beispielsweise kann fraglich sein, nach welcher Rechtsordnung sich der Übergang von im Ausland belegenem Eigentum richtet. Auch wenn in einem Fall mit Auslandsbezug deutsches Recht maßgeblich ist, können sich Probleme ergeben, beispielsweise weil in manchen Rechtsordnungen Pflichtteilsverzichte nach deutschem Recht gegen den ordre public verstoßen und dort unwirksam sind. Daneben stellen die steuerlichen Auswirkungen einen zentralen Aspekt der Gestaltung der Unternehmensvererbung dar. Insoweit geht es beim Mandat vor dem Erbfall vor allem darum, die Verschonungsregelungen (die in § 37 – Mandat vor dem Erbfall: Steuerprophylaxe dargestellt werden) bei der Unternehmensnachfolgeplanung zu berücksichtigen.

II. Einzelunternehmen 1. Grundsätzliches Das Unternehmen ist eine wirtschaftliche Organisationseinheit, also ein Bestandteil des Vermögens einer Person, der abgrenzbar ist. Damit ist das Unternehmen als solches Vermögensbestandteil und gemäß § 1922 Abs. 1 BGB vererblich2, also einschließlich der bewertbaren tatsächlichen Beziehungen und des geschäftlichen Rufes3. Das Schicksal eines Unternehmens bestimmt sich demnach im Todesfall des Unternehmers zunächst nach dem erbrechtlichen Grundsatz der Universalsukzession. Der oder die Erben treten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die rechtliche Stellung des Erblassers ein (§ 1922 Abs. 1 BGB). Ist nur ein Erbe vorhanden, ergeben sich keine Besonderheiten. Dieser führt das Unternehmen fort. Sind mehrere Erben vorhanden, wird das Unternehmen fortan durch eine Miterbengemeinschaft geführt (dazu ausführlich Rz. 15.27 ff.).

15.3

Beratungssituation: Ein kinderloses Ehepaar hat sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Der Ehemann betreibt ein Tischlerhandwerk als Einzelunternehmen. Der Betrieb hat einen wirtschaftlichen Umfang, der einem vollkaufmännischen Geschäftsbetrieb entspricht. Die Anmeldung zum Handelsregister ist unterblieben. Der Ehemann verstirbt vor seiner Ehefrau. Seine Eltern sind bereits vorverstorben. Die Ehefrau hat im Betrieb die Buchhaltung erledigt, verfügt jedoch nicht über die Befähigung zur Eintragung in die Handwerkerrolle.

Die erbrechtliche Lage ist hier zwar einfach und übersichtlich. Die Erbin muss jedoch relativ schnell Entscheidungen über die Fortführung des Betriebs fällen, um unerwünschte handelsrechtliche und steuerliche Folgen zu vermeiden. Die Vererbung des Unternehmens als solchem ist dann ausgeschlossen, wenn die berufliche Tätigkeit mit der Person des Inhabers so eng verknüpft ist, dass eine Fortsetzung unter Wahrung der wirtschaftlichen Identität nicht möglich erscheint4. Dann gehen zwar die einzelnen Rechtsbeziehungen auf den Erben über, das Unternehmen als solches erlischt aber mit dem Tode des Inhabers. Dies ist häufig bei künstlerischen oder sonstigen freien Berufen der Fall. Auch bei diesen ist jedoch die Vererblichkeit anzunehmen, wenn das Unternehmen als solches veräußerbar oder durch einen Erben fortführbar ist5. 1 Vgl. zum Erbfall mit Auslandsberührung Kindler/Kränzle, unten Rz. 42.1. Auch die Behandlung von ausländischen Gesellschaftsformen im Rahmen des Erbfalls (die hier nicht näher zu thematisieren ist) wird angesichts der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit immer relevanter. Vgl. zur Behandlung von Anteilen an einer englischen Limited im Nachlassvermögen eines deutschen Erblassers von Oertzen/ Cornelius, ZEV 2006, 106. 2 Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, A 36. 3 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 41. 4 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 42. 5 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 42.

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15.4

§ 15 Rz. 15.5

Unternehmensnachfolge

15.5 Unterschiedliche Rechtsfolgen, vor allem in haftungs-, register- und firmenrechtlicher Hinsicht ergeben sich danach, ob ein nichtkaufmännisches oder kaufmännisches Einzelunternehmen vererbt wird. Die Kaufmannseigenschaft als solche ist nicht vererblich, sondern entsteht ggf. in der Person des Erben neu1. In aller Regel wird letzteres aber der Fall sein, da sich durch die Gesamtrechtsnachfolge an sich nichts an dem Erfordernis eines „in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebes“ im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB ändern wird.

15.6 Bezüglich der Fortführung der Firma eines kaufmännischen Einzelunternehmens gilt § 22 HGB2. Die Firma ist nach § 17 Abs. 1 HGB der Name, unter dem der Kaufmann seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt. § 22 HGB ist Ausdruck des Grundsatzes der Firmenbeständigkeit3. Nach dieser Vorschrift darf der Erwerber von Todes wegen die Firma fortführen, wenn der bisherige Geschäftsinhaber oder dessen Erben in die Fortführung ausdrücklich einwilligen. Umstritten ist allerdings, ob die Erben selbst einer Einwilligung des Geschäftsinhabers bedürfen4. Die Ansicht, die dies befürwortet, hat den klaren Wortlaut des Gesetzes für sich5. Nach dem Gesetzestext ergibt sich aber auch, dass eine ausdrückliche Einwilligung erforderlich ist. Deshalb ist der Meinung, die davon ausgeht, der mutmaßliche Wille des Erblassers gehe dahin, die Firmenfortführung zu gestatten, und dieser mutmaßliche Wille sei ausreichend6, nicht zuzustimmen. Abhilfe kann insoweit nur der Gesetzgeber schaffen. Die Firma darf bei Vorliegen einer Einwilligung mit oder ohne Zusatz eines Nachfolgevermerks („XY Erben“) geführt werden. Umstritten ist auch die Rechtslage bei der Zuwendung des Handelsgeschäfts durch Vermächtnis. Fraglich ist diesbezüglich, ob neben der Einwilligung des Erblassers auch die der Erben notwendig ist, bzw. ob auch die Einwilligung nur durch die Erben ausreichend sein kann7. Auch insofern erscheint es angebracht, sich eng am Wortlaut der Vorschrift zu orientieren, und danach die ausdrückliche Einwilligung des Erblassers zu fordern. Die Einwilligung der Erben ist dagegen nicht erforderlich, weil diese bei Fehlen einer Einwilligung schon keine Dispositionsbefugnis über die Firma erhalten. Andererseits kommt es bei Vorliegen einer Einwilligung des Erblassers nicht mehr auf ihre Einwilligung an („oder“, vgl. § 22 Abs. 1 HGB). Der Erbe muss die Firma freilich nicht fortführen. Für die Entscheidung sind vor allem Haftungsfragen von Belang (siehe hierzu Rz. 15.12 ff.).

15.7 Die gewerberechtlichen Erlaubnisse sind zum großen Teil personenbezogen, so dass auch diese mit dem Tode des Unternehmers grundsätzlich erlöschen. Allerdings existieren hier teilweise Fortführungsprivilegien für nahe Angehörige und Nachlassverwalter, vgl. etwa § 46 GewO8. 2. Entscheidungsmöglichkeiten des Erben nach dem Erbfall

15.8 Der Sachverhalt „Unternehmensnachfolge“ ist mit dem Todesfall des Erblassers nicht abgeschlossen. Vor allem wenn der Erblasser bestimmte Umstrukturierungen zu Lebzeiten noch nicht vorgenom-

1 2 3 4

5 6 7 8

MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 41. Zur Vererbbarkeit der Firma Kuchinke, ZIP 1987, 681. Baumbach/Hopt, § 22 HGB Rz. 1. Zustimmend Kuchinke, ZIP 1987, 681 (683); MünchKomm/Heidinger, § 22 HGB Rz. 36; Ebenroth/Boujong/Joost/Reuschle, § 22 HGB Rz. 32. Ablehnend Canaris, § 10 Rz. 24; K. Schmidt, Handelsrecht, 2014, § 12 I 3 b; Baumbach/Hopt, § 22 HGB Rz. 8. Darüber hinaus wird teils angenommen, der Geschäftsinhaber könne die Fortführung der Firma nur dann verhindern, wenn der Name des Erblassers zur Bildung der Firma verwendet wurde, vgl. Canaris, § 10 Rz. 25. Diese Ansicht ist freilich aus erbrechtlicher Sicht problematisch. Vgl. zu diesem Argument näher MünchKomm/Heidinger, § 22 HGB Rz. 36. MünchKomm/Heidinger, § 22 HGB Rz. 46; Kuchinke, ZIP 1987, 681 (686); Ebenroth/Boujong/Joost/Reuschle, § 22 HGB Rz. 32. Zum Problem vgl. Kuchinke, ZIP 1987, 681 (684); Baumbach/Hopt, § 22 HGB Rz. 2. Zu den gewerberechtlichen Folgen des Erbfalls im Einzelnen vgl. MünchKomm/Leipold, Einl. Bd. 9 Rz. 158. Speziell zu Einschränkungen bei der Übertragung von Arzt- und Zahnarztpraxen und apothekenrechtlichen Vorgaben Limmer in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 192 f.

600

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.12 § 15

men hat, sei es aus Unachtsamkeit, sei es aus sonstigen, etwa steuerlichen Gründen, muss sich der Nachfolger Gedanken um die künftige Struktur des Unternehmens machen. Insbesondere kommt eine Umwandlung eines Einzelunternehmens in eine Kapitalgesellschaft in 15.9 Betracht, wenn sich der Erbe die Vorteile der hier zur Verfügung stehenden Rechtsformen zunutze machen will (zur Haftungsbeschränkung § 13 Abs. 2 GmbHG, § 1 Abs. 1 S. 2 AktG)1. Auch die Einbringung in eine Personengesellschaft kommt in Betracht, insbesondere eine GmbH & Co. KG. Eine solche Umwandlung kann vom fürsorglichen Erblasser, der beabsichtigt, dass den Erben Haftungsbeschränkungen zugutekommen, durch eine Gründungsklausel erreicht werden2. Auch ein Testamentsvollstrecker kann damit beauftragt werden, das Unternehmen umzuwandeln. Der Nachfolger-Erbe muss die letztwilligen Anordnungen des Erblassers beachten, beispielsweise kei- 15.10 ne Veräußerung eines Betriebsteils vornehmen, wenn der Erblasser dies testamentarisch untersagt hatte3. Liegt eine Miterbengemeinschaft vor, kann – und sollte – der Betrieb als Gesellschaft fortgeführt 15.11 werden, beispielsweise als OHG4. Möchte der Erbe den Betrieb nicht fortführen, kommt eine Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe in Betracht. Oftmals will der Erbe allerdings die nachteiligen steuerlichen Folgen der Betriebsaufgabe oder Betriebsveräußerung vermeiden5. Ferner ist der Erbe im Todeszeitpunkt des Erblassers evtl. noch nicht willens oder in der Lage, den Betrieb fortzuführen. So kann es dem Nachfolger noch an den erforderlichen Qualifikationen fehlen oder er noch anders eingebunden sein. In diesen Fallkonstellationen kommt eine Betriebsunterbrechung oder einstweilige Betriebsverpachtung in Frage6.

M 129 Betriebsverpachtung

15.12 Pachtvertrag

Der Pächter ist verpflichtet, das (oben näher) bezeichnete Unternehmen im derzeit bestehenden Umfang fortzuführen und zu erhalten. Abweichungen und Erweiterungen bedürfen der Zustimmung des Verpächters. Der wirtschaftliche Charakter des Unternehmens darf nicht geändert werden. … Der Pächter hat die wesentlichen Betriebsgrundlagen zu erhalten und einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechend nach den Maßstäben der ertragsteuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten zu ersetzen. Die ersatzweise angeschafften Gegenstände werden Eigentum des Verpächters. … Die betrieblichen Anlagen umfassen: … 1 Vgl. Sudhoff/Hübner, 2005, § 74 Rz. 8. Möglich ist die Einbringung des Einzelunternehmens als Sacheinlage oder ein Vorgehen nach dem UmwG (im Wege der Ausgliederung), vgl. Crezelius, 2009, Rz. 224. Zur Umwandlung durch den Erblasser als die Erbfolge vorbereitende Maßnahme siehe unten Rz. 15.76 ff. 2 Siehe Sudhoff/Scherer, 2005, § 11 Rz. 7. 3 Vgl. unten Rz. 15.51, insbesondere zu den Rechtsfolgen. 4 Zur Problematik der Miterbengemeinschaft vgl. unten Rz. 15.27 ff. 5 Betriebsveräußerung bzw. -aufgabe nehmen dem Erben das steuerliche Fortführungsprivileg, der Aufgabe- bzw. Veräußerungsgewinn ist allerdings steuerprivilegiert. 6 Die Betriebsunterbrechung und unter Umständen auch die Betriebsverpachtung werden nicht als Aufgabe bewertet. Bei der Betriebsverpachtung von vermietetem Grundbesitz als Vermietung an Dritte beim Erwerb ist nur noch dann begünstigt, wenn das davon betroffene Vermögen nicht mehr als 50 % des Betriebsvermögens beträgt und darüber hinaus mindestens zwei Jahre Vorbehaltszeit erfüllt sind, vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, § 13a Rz. 228.

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§ 15 Rz. 15.13

Unternehmensnachfolge

Der Verpächter ist berechtigt/verpflichtet, Neuanschaffungen, die nicht als Ersatzbeschaffungen anzusehen sind, am Ende der Pachtzeit zum Schätzwert zu übernehmen. … Die Parteien sind sich darin einig, dass die mit dem Verpächter bestehenden Arbeitsverhältnisse samt den daraus resultierenden Rechten und Pflichten gem. § 613a BGB am Stichtag auf den Pächter übergehen – einschließlich der Verpflichtungen aus der Zusage betrieblicher Altersversorgung. Rechtzeitig vor dem Übergang der Arbeitsverhältnisse hat der Verpächter alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse gem. § 613a BGB auf den Pächter übergehen, in Übereinstimmung mit § 613a Abs. 5 BGB schriftlich über (1.) den Betriebsübergang, (2.) den geplanten Zeitpunkt des Betriebsübergangs, (3.) den Grund für den Betriebsübergang, (4.) die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs für die Arbeitnehmer und (5.) die in Aussicht genommenen Maßnahmen zu unterrichten. Zugleich hat der Verpächter diesen Arbeitnehmern eine Frist von einem Monat zu setzen, innerhalb derer sie den Verpächter oder den Pächter schriftlich unterrichten müssen, ob sie dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen. Die Parteien haben sich gegenseitig über die eingegangenen Widersprüche zu unterrichten. [weitere Regelungen zur Abwicklung, insbesondere bei Widersprüchen]

3. Haftungsordnung

15.13 Die mit dem Erbfall zusammenhängenden Haftungsfragen sind insbesondere im Falle der Unternehmensvererbung von erheblicher Bedeutung. Bei hoher Verschuldung des Unternehmens ist es unerlässlich, die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass in Betracht zu ziehen1. a) Nichtkaufmännisches Einzelunternehmen

15.14 Der Nachlass, der dem Erben gemäß § 1922 Abs. 1 BGB gegenständlich zugeordnet wird, umfasst neben Forderungen und sonstigen Vermögensrechten auch die Verbindlichkeiten des Erblassers. Nach § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe zudem persönlich für die Nachlassverbindlichkeiten, d.h. die Haftung für Verbindlichkeiten ist nicht auf den Nachlass beschränkt und umfasst die Erbfallschulden (vgl. Abs. 2). Miterben haften nach Maßgabe der §§ 2058 ff. BGB (zu Einzelheiten siehe Rz. 24.283 ff.). Erbrechtlich muss der Erbe also ggf. für Verbindlichkeiten des Unternehmens, die noch zur Zeit der Inhaberschaft des Erblassers begründet wurden, mit seinem persönlichen Vermögen voll einstehen. Der Erbe haftet lediglich dann nur auf das Nachlassvermögen beschränkt, wenn Nachlassverwaltung angeordnet oder das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet ist, vgl. § 1975 BGB. Bei minderjährigen Erben führt § 1629a BGB zu einer Haftungsbeschränkung2.

15.15 Die vorgenannten Grundsätze kommen jedoch nur bei nichtkaufmännischen Einzelunternehmen unverändert zum Tragen, also dann, wenn der Unternehmer kein Handelsgewerbe betreibt. Ein Handelsgewerbe betreibt nach der gesetzlichen Vermutung jeder Gewerbetreibende, es sei denn, dass das Gewerbe3 nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert4, vgl. § 1 Abs. 2 HGB. Selbst in diesem Fall entsteht ein Handelsgewerbe jedoch kraft Eintra1 2 3 4

Zu den Möglichkeiten der Nachlassverwaltung und des Nachlassinsolvenzverfahrens vgl. Rz. 25.12 ff. Zu § 1629a BGB vgl. Habersack, FamRZ 1999, 1. Zur Definition des Gewerbebegriffs siehe Ebenroth/Boujong/Joost/Kindler, § 1 HGB Rz. 9 f. m.w.N. Die Frage, wann ein in kaufmännisch eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist, ist vom Einzelfall abhängig. Zu den Kriterien vgl. Ebenroth/Boujong/Joost/Kindler, § 1 HGB Rz. 45 f.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.17 § 15

gung ins Handelsregister, § 2 HGB. Meist ist in solchen Fällen das Vermögen des Erblassers, das im Unternehmen gebunden ist, weder besonders komplex zusammengesetzt noch insgesamt besonders umfangreich. Solche Unternehmen stehen deswegen – zumindest was Haftungsfragen angeht – weder im Mittelpunkt der einschlägigen Literatur zum Thema noch bilden sie einen Schwerpunkt der Beratungspraxis. b) Kaufmännisches Einzelunternehmen Wenn der Einzelunternehmer Kaufmann im Sinne der §§ 1 ff. HGB ist, wird die erbrechtliche Haftung um die handelsrechtlichen Bestimmungen zur Haftung des Erben bei Geschäftsfortführung gemäß §§ 27, 25 HGB ergänzt1. Nach § 25 Abs. 1 S. 1 haftet der Nachfolger mit seinem eigenen Vermögen für Altverbindlichkeiten, wenn er die bisherige Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt. Der Normzweck der genannten Vorschriften ist sehr umstritten2. Voraussetzung für die Anwendung des § 27 Abs. 1 HGB ist zunächst die Fortführung des Handelsgeschäfts3. Fraglich ist, ob daneben erforderlich ist, dass die Firma fortgeführt wird4. Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, ob man § 27 Abs. 1 HGB als Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung auf § 25 HGB versteht. Letztere Ansicht begegnet Bedenken. § 27 HGB stellt, weil eine daraus entstehende Haftung nicht auf den Nachlass beschränkbar ist, eine erhebliche Haftungsverschärfung gegenüber dem erbrechtlichen Regime dar. Diese Haftungsverschärfung erscheint nur dann gerechtfertigt, wenn sowohl die Tatbestände der Unternehmenskontinuität als auch der Firmenfortführung kumulativ vorliegen5. Es ist nicht einzusehen, warum der Einzelkaufmann auch dann, wenn er die Firma nicht fortführt, schärfer haften soll als der Erbe anderer Vermögenswerte. Dieser Ansicht scheint auch der BGH zuzuneigen6.

15.16

Bei der erbrechtlichen – und damit hinsichtlich der Altverbindlichkeiten beschränkbaren – Haftung 15.17 verbleibt es nach dem Gesagten, wenn der Erbe eine andere Firma als die bisherige führt. Ferner verbleibt es im Ergebnis bei der beschränkbaren Haftung, wenn der Erbe die Fortführung des Geschäfts innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis vom Anfall der Erbschaft einstellt, vgl. § 27 Abs. 2 S. 1 HGB7. In diesem Zusammenhang sind die Regelungen der Sätze 2 und 3 der Vorschrift (Hemmung des Fristbeginns bei nicht voll geschäftsfähigen Erben bzw. des Fristendes nicht vor Ablauf der Frist für die Ausschlagung der Erbschaft) zu beachten. Die Geschäftseinstellung hat bezüglich der Haftung Rückwirkung. Allerdings haftet der Erbe für die von ihm während der vorübergehenden Fortführung neu eingegangenen Verbindlichkeiten8. Dies gilt nicht bei abweichender rechtsgeschäftlicher Vereinbarung9. Eine solche kann auch konkludent geschlossen werden, und zwar insbesondere dann, wenn 1 Die teilweise vertretene Ansicht, § 27 HGB finde auch auf Nichtkaufleute Anwendung, so R. Schmitt, Die Rechtsstellung der Kleingewerbetreibenden nach dem Handelsrechtsreformgesetz, 2001, S. 241 ff. und K. Schmidt, Handelsrecht, 2014, § 8 IV 2a, entspricht weder dem eindeutigen Wortlaut noch der systematischen Stellung der Vorschrift. Dagegen die ganz h.M., vgl. statt aller Canaris, § 7 Rz. 113. 2 Nachweise bei Baumbach/Hopt, § 25 HGB Rz. 1; § 27 HGB Rz. 1. 3 Zur Haftung der Miterben bei Fortführung des Unternehmens in Erbengemeinschaft vgl. Rz. 15.29. 4 Bejahend etwa Canaris, § 7 Rz. 109; Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 3 m.w.N. Verneinend beispielsweise K. Schmidt, Handelsrecht, 2014, § 8 IV 2 b. 5 So formuliert etwa der BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, MDR 1992, 564, der Grund für die Haftung liege in der Unternehmenskontinuität, die durch Fortführung der Firma nach außen in Erscheinung tritt. 6 Vgl. BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, MDR 1992, 564. 7 Bei Betriebsveräußerung oder -aufgabe entfällt das erbschaftsteuerliche Fortführungsprivileg des § 13a ErbStG. Dies muss der Erbe bei seiner Entscheidung über das weitere Vorgehen unbedingt beachten. Nicht als Betriebsaufgabe gilt eine bloße Betriebsunterbrechung. Zu beachten ist allerdings bei der Betriebsunterbrechung, dass die steuerliche Privilegierung entfällt, wenn die Lohnsumme innerhalb von sieben Jahren insgesamt den Wert von 650 % der Ausgangslohnsumme unterschreitet, ausführlich dazu Langenmayr, DStR 2009, 1387 (1388 f.). 8 Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 4, 5. 9 Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 5.

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§ 15 Rz. 15.18

Unternehmensnachfolge

dem Geschäftspartner die Absicht bekannt oder erkennbar war, nur mit Wirkung für den Nachlass zu handeln1. Dies soll nach einem BGH-Urteil aus dem Jahr 1968 sogar dann gelten, wenn der Vertragsschluss unter der vom eigenen Namen verschiedenen Firma des Erblassers erfolgte2. In dieser Allgemeinheit ist das Urteil freilich zu weit gehend und wider die Intention des Gesetzgebers. Es dürfte sich um einen nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall gehandelt haben.

15.18 Dagegen haftet der Erbe mit seinem eigenen Vermögen für Altverbindlichkeiten, wenn er die bisherige Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt, vgl. § 25 Abs. 1 S. 1 HGB. Dies bedeutet insofern eine Verschärfung zu der Haftung nach §§ 1967 ff. BGB, als die Haftung nicht auf den Nachlass beschränkbar ist, selbst wenn die Erben beispielsweise im Geschäftsverkehr als „XY Erben“ auftreten. Darüber hinaus erfordert die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass in Bezug auf Altverbindlichkeiten, dass die neue Firma im Verkehr nicht mit der alten identifiziert wird3, was nur der Fall ist, wenn der neue Firmenname einen deutlichen Abstand zum alten wahrt4 bzw. sich „deutlich“ unterscheidet. Da dies kein trennscharfes Abgrenzungskriterium darstellt, sollte jedenfalls dann ein völlig neuer Name gewählt werden, wenn die Auswirkungen einer unbeschränkbaren Haftung die potentiellen wirtschaftlichen Vorteile einer Identifizierbarkeit mit der alten Firma übersteigen. Die Aufgabe der alten Firma hat unverzüglich zu erfolgen, der Erbe muss die erforderlichen Schritte sofort unternehmen. Möglich bleibt eine individualvertragliche Haftungsbeschränkung. Beratungshinweis: Es muss beachtet werden, dass in Abhängigkeit von den gefällten Entscheidungen auch handelsrechtlich hinsichtlich der persönlichen Haftung für Altverbindlichkeiten des Erblassers bei Firmenfortführung die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet werden. Ist z.B. die Betriebsaufgabe nicht ausgeschlossen, sollte während der handelsrechtlichen dreimonatigen Bedenkzeit bei notwendigen Rechtsgeschäften darauf geachtet werden, dass diese bei Verwendung der bisherigen Firma jeweils nur für den Nachlass und nicht mit persönlicher Verpflichtung abgeschlossen werden.

15.19 Die Fortführung des Handelsgeschäfts im wesentlichen Kern stellt eine Fortführung des Geschäftsbetriebs dar5, und auch die Fortführung eines wesentlichen Unternehmensteils kann ausreichen6. Sie muss nicht persönlich erfolgen, weswegen die Fortführung durch einen vom Erben Bevollmächtigten, wie einen Prokuristen oder einen Testamentsvollstrecker bei der Vollmachtslösung (siehe hierzu Rz. 15.57), zur handelsrechtlichen Haftung führt7. Erfolgte die Bevollmächtigung noch durch den Erblasser, wie bei trans- und postmortaler Vollmacht, muss der Erbe die Fortführung gebilligt haben. Dagegen stellt die Herausgabe an den Nachlassinsolvenzverwalter, den Nachlassverwalter, den Testamentsvollstrecker im Falle der echten Testamentsvollstreckung oder der Treuhandlösung (siehe hierzu Rz. 15.56), an den Unternehmenskäufer auf Grund eines vor dem Tode abgeschlossenen Vertrages oder den Vermächtnisnehmer8 keine Fortführung dar, denn in all diesen Fällen gibt der Erbe das Unternehmen aufgrund einer Verpflichtung heraus, die ihm die Wahl über Einstellung oder Fortführung von vornherein nimmt9. Umstritten sind dagegen die Fälle der Veräußerung, Verpachtung oder Einbringung in eine Gesellschaft durch den Erben. Nach herrschender Ansicht soll darin keine Einstellung zu sehen sein, wenn das Handelsgeschäft mit Firma veräußert wird10. Dies lässt sich mit der Erwägung begründen, dass sowohl der Gesichtspunkt der Unternehmens- als auch der Firmenkon1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

RG v. 21.12.1917 – Rep. III. 336/17, RGZ 146, 341 (343). BGH v. 31.5.1968 – V ZR 29/65, MDR 1968, 744. BGH v. 20.1.1992 – II ZR 115/91, MDR 1993, 34. MünchKomm/Siegmann, § 1967 BGB Rz. 44. BGH v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, MDR 1982, 308; Baumbach/Hopt, § 25 HGB Rz. 6. OLG Saarbrücken v. 17.12.1963 – 2 U 180/62, BB 1964, 1196. Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 3. Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 3. So zutreffend MünchKomm/Siegmann, § 1967 BGB Rz. 40. RG v. 2.12.1903 – I 293/03, RGZ 56, 196 (199); a.A. Canaris, § 7 Rz. 108; K. Schmidt, Handelsrecht, 2014, § 8 IV 3 b.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.22 § 15

tinuität in einem derartigen Fall gegeben sind. Infolgedessen kommt dem Erben dann aber auch die Ausschlussfrist des § 26 HGB zugute. Konsequenterweise ist in der Übertragung ohne Firma eine Einstellung des Handelsgeschäfts zu sehen1. Die handelsrechtliche Haftung trifft nach richtiger Auffassung weder den so genannten „vorläufigen Erben“, der aufgrund einer Ausschlagung der Erbschaft nicht Erbe geworden ist, vgl. § 1953 Abs. 1 BGB, noch den Scheinerben, der nur vermeintlich Erbe geworden ist2. Eine Anwendung des handelsrechtlichen Haftungsregimes auf diese Fälle ergibt sich weder aus dem Wortlaut der entsprechenden Vorschriften, noch ist sie rechtspolitisch zwingend veranlasst.

15.20

Umstritten ist, ob eine Haftungsbeschränkung auch bei nachträglicher Änderung der Firma herbei- 15.21 geführt werden kann. Hier wird der Geschäftsbetrieb nicht eingestellt, jedoch wird innerhalb der DreiMonats-Frist die Firma geändert, was zur Unanwendbarkeit der verschärften Haftung gemäß §§ 27 Abs. 1, 25 Abs. 1 HGB geführt hätte, wenn sie von Anfang an erfolgt wäre. Der Wortlaut des § 27 Abs. 1 HGB dürfte insoweit jedoch eindeutig sein, weswegen eine bloß nachträgliche Änderung der Firma nicht zur Haftungsbeschränkungsmöglichkeit führt3. Zuletzt kann der Erbe eine beschränkte Haftung auch durch Eintragung einer abweichenden Ver- 15.22 einbarung ins Handelsregister erreichen, § 27 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 HGB. Auch dies ist nicht unumstritten4. Nach zutreffender Ansicht stellt jedoch § 27 Abs. 1 HGB eine Gesamtverweisung auf § 25 HGB, also auch dessen Abs. 2 dar, so dass der Erbe durch einseitige Erklärung gegenüber dem Handelsregister mit anschließender Eintragung und Bekanntmachung dieser Erklärung seine Haftung beschränken kann5. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Erbe die Erklärung gegenüber dem Registergericht unverzüglich abgeben muss6. Sechs bis zehn Wochen nach der Übernahme gelten nach der Rechtsprechung nicht mehr als unverzüglich7. Allerdings bezogen sich entsprechende Entscheidungen nicht auf Erbfälle, sondern auf die direkte Anwendung des § 25 HGB, und starre Fristen werden für unangebracht gehalten8, so dass im Einzelfall auch anders entschieden werden könnte. Es verbleibt die Problematik, dass der Erbe unter Umständen noch keinen Überblick über die Vermögenssituation des Unternehmens gewonnen hat. Da gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 HGB der Nachweis der Rechtsnachfolge durch öffentliche Urkunden nachgewiesen werden muss, kann die Anmeldung zudem daran scheitern, dass die entsprechenden Urkunden, also Erbschein oder Urkunde über letztwillige Verfügung mit Eröffnungsprotokoll, fehlen. Weder wird die Vorlage der Urkunden in diesem Fall als nicht „tunlich“ im Sinne des § 12 Abs. 2 S. 2 HGB angesehen, noch kommt es auf ein Verschulden des Erben an. Dennoch sollte die Haftungsbeschränkung durch Eintragung und Bekanntmachung erfolgen. Für die Kautelarpraxis gilt freilich, dass dies angesichts der divergierenden Literaturstimmen nicht mit Sicherheit zum Ziel führt9. Ein Antrag nach §§ 25 Abs. 2, 27 Abs. 1 HGB könnte wie folgt lauten:

1 Ebenso Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 5. 2 MünchKomm/Siegmann, § 1967 BGB Rz. 40; a.A. Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 27 HGB Rz. 4; Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 2. 3 So auch Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 5. 4 H.M., dafür Baumbach/Hopt, § 27 HGB Rz. 8; Canaris, § 7 Rz. 111; MünchKomm/Thiessen, § 27 HGB Rz. 46 ff.; MünchKomm/Siegmann, § 1967 BGB Rz. 42. Dagegen K. Schmidt, NJW 1985, 2785 (2790) und Handelsrecht, 2014, § 8 IV 3 a. 5 MünchKomm/Siegmann, § 1967 BGB Rz. 42. 6 A.A. MünchKomm/Siegmann, § 1967 BGB Rz. 42: Da dem Erben im Rahmen des § 27 HGB für eine Entscheidung über die Fortführung drei Monate zustünden, solle ihm für die Abgabe der Erklärung kein kürzerer Zeitraum zur Verfügung stehen. 7 RG v. 4.1.1911 – Rep. I. 461/09, RGZ 75, 139 (140); Baumbach/Hopt, § 25 HGB Rz. 15. 8 Vgl. Baumbach/Hopt, § 25 HGB Rz. 15. 9 Vgl. Sudhoff/Hübner, § 74 Rz. 7.

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§ 15 Rz. 15.22a

Unternehmensnachfolge

15.22a M 130 Eintragung eines haftungsbeschränkenden Vermerks in das Handelsregister An das Amtsgericht … – Handelsregister – Betreff: Übergang eines Handelsgeschäfts durch Erbgang HRA: … Firma: … e.K. … wird beantragt, in das Handelsregister einzutragen, dass der Übergang der im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten bei dem Erwerb des Geschäfts kraft Erbfolge durch … ausgeschlossen ist.

15.23 Die Beschränkung der Minderjährigenhaftung bei Erwerb eines Handelsgeschäfts gemäß § 1629a BGB findet auch im Rahmen der handelsrechtlichen Haftung Anwendung. 4. Registerrecht

15.24 Bei Fortführung des Geschäftsbetriebs unter Veränderung der Firma besteht gemäß § 31 HGB die Verpflichtung für den oder die Erben, den Wechsel des Inhabers und der Firma unter Erfüllung der Voraussetzungen des § 29 HGB zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden1. Setzt der Erbe den Geschäftsbetrieb unter Beibehaltung der Firma fort, ist nur der Inhaberwechsel anzumelden. Gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 HGB sind die entsprechenden Nachweise durch „öffentliche Urkunden“ zu erbringen. Bei Vor- und Nacherbschaft ist der Vorerbe ohne Nacherbenvermerk ins Handelsregister einzutragen, wenn er Kaufmann ist2. Auch die Löschung der Firma bei Einstellung und der haftungsbeschränkende Vermerk nach § 25 Abs. 2 HGB sind durch den Erben anzumelden.

15.24a M 131 Inhaberwechsel – registerrechtliche Anmeldung An das Amtsgericht … – Handelsregister – Betreff: Übergang eines Handelsgeschäfts durch Erbgang HRA: … Firma: … e.K. … wird beantragt, in das Handelsregister einzutragen, dass ich mit Sitz in … einen Handel mit … unter Firma … betreibe. Der bisherige Firmeninhaber verstarb am … und wurde von mir allein beerbt. Ausfertigung des Erbscheins … lege ich mit der Bitte um Rückgabe bei. Ich führe die Firma unverändert fort.

15.25 Wird ein Handelsgeschäft von der Erbengemeinschaft fortgeführt (ausführlich Rz. 15.27 ff.), muss diese die Anmeldung und Eintragung ins Handelsregister betreiben3. In analoger Anwendung des

1 Zu einem Fall der vorübergehenden Fortführung der Firma und darauf folgenden Änderung BayObLG v. 14.7.1978 – 5 U 2595/77, DB 1978, 2407. 2 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1627. 3 Baumbach/Hopt, § 1 HGB Rz. 37.

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Kindler/Gubitz

Unternehmensnachfolge

Rz. 15.27 § 15

§ 19 Abs. 1 HGB bedarf es innerhalb der Firma eines Hinweises darauf, dass das Unternehmen von einer Erbengemeinschaft geführt wird1. Ein Inhaberwechsel liegt darüber hinaus auch dann vor, wenn es im Zuge des Erbfalls zu echter Testamentsvollstreckung kommt bzw. im Rahmen der Testamentsvollstreckung mit Treuhandlösung zu einer Übertragung auf den Treuhänder, nicht jedoch bei Testamentsvollstreckung mit Vollmachtslösung, Nachlassverwaltung und Nachlasspflegschaft2. Erfolgt bereits zu Lebzeiten eine Übertragung des Unternehmens im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge, liegt ebenfalls ein einzutragender Inhaberwechsel vor. Gleiches gilt, wenn dem Nachfolger zu Lebzeiten ein Vollrechtsnießbrauch am Unternehmen eingeräumt wird3.

15.26

5. Miterbengemeinschaft als Unternehmensträger Beratungssituation: Herr E hat ein Elektrofachunternehmen geführt. Er verstirbt, ohne ein Testament errichtet zu haben, und hinterlässt seine Ehefrau sowie einen Sohn im Alter von 20 Jahren, der Elektrotechnik studiert, und eine Tochter von zwölf Jahren. Die Eheleute lebten im gesetzlichen Güterstand. Frau E. verfügt über keine einschlägige berufliche Qualifikation.

Sind mehrere Erben vorhanden, so erben diese – wie in der obigen Beratungssituation – das Unternehmen zur gesamten Hand4. Es entsteht jedoch nicht automatisch eine Personengesellschaft, etwa GbR oder OHG5. Vielmehr verbleibt es beim Einzelunternehmen, das jedoch durch die Erben – zeitlich potentiell unbeschränkt – in Erbengemeinschaft fortgesetzt wird6. In der Fortsetzung des Unternehmens wird – jedenfalls für den Regelfall – auch nicht der konkludente Abschluss eines Gesellschaftsvertrags gesehen7. Für das Innenverhältnis gilt nach §§ 2038 Abs. 2, 745 BGB, dass für Maßnahmen der ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung, also derjenigen, die dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entspricht, einfache Stimmenmehrheit erforderlich ist (Mehrheitsverwaltung)8. Maßnahmen, die zur Erhaltung notwendig sind, können gemäß § 2038 Abs. 1 S. 2 2. Hs. BGB durch den einzelnen Miterben allein getroffen werden, so genannte Notgeschäftsführung (Einzelverwaltung)9. Was darüber hinausgeht, also Maßnahmen der so bezeichneten außerordentlichen oder nichtordnungsgemäßen Verwaltung, bedürfen eines einstimmigen Beschlusses10. Es bleibt also nur für diesen Fall bei der Regelung des § 2038 Abs. 1 BGB. Unter anderem stellt die Frage, ob ein Handelsgeschäft durch die Erbengemeinschaft fortgeführt werden soll, eine Maßnahme außerordentlicher Verwaltung dar11. Im

1 Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 19 HGB Rz. 3 b; Baumbach/Hopt, § 19 HGB Rz. 2. 2 Baumbach/Hopt, § 31 HGB Rz. 3. Zur Testamentsvollstreckung an Einzelunternehmen, insbesondere der echten und unechten Testamentsvollstreckung, noch ausführlich unten Rz. 15.53 ff. 3 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1749. 4 Ausführlich K. Schmidt, NJW 1985, 2785; Fischer, ZHR 144 (1980), 1 ff. Zur steuerlichen Behandlung einer Miterbengemeinschaft bei Vererbung eines Einzelunternehmens Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 79 ff. 5 Steuerlich liegt eine Mitunternehmerschaft vor, BFH, BStBl. II 1990, 837. Vgl. im Einzelnen Crezelius, 2009, Rz. 175. 6 Ständige Rechtsprechung, vgl. RG v. 26.3.1931 – II B 5/31, RGZ 132, 138 (142) = JW 1931, 3073; BGH v. 8.10.1984 – II ZR 223/83, MDR 1985, 208; BGH v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, MDR 1960, 483; BGH v. 4.5.1988 – VIII ZR 196/87, MDR 1988, 955. Vgl. dazu Lange/Kuchinke, § 5 IV 2. Kritisch Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 1998, S. 464 ff. 7 K. Schmidt, NJW 1985, 2787 (2788) mit weiteren Nachweisen auch zu teilweise abweichender Rechtsprechung. Grundsätzlich a.A. Fischer, ZHR 144 (1980), 1 ff. 8 Gemäß § 745 Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt sich die Stimmenmehrheit nach der Größe des Erbteils, nicht nach Köpfen, MünchKomm/Gergen, § 2038 BGB Rz. 35 m.w.N. 9 Palandt/Edenhofer, § 2038 BGB Rz. 14. 10 Sudhoff/Scherer, § 14 Rz. 7. 11 MünchKomm/Gergen, § 2038 BGB Rz. 33.

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15.27

§ 15 Rz. 15.28

Unternehmensnachfolge

Innenverhältnis sollen bei der Fortführung eines Handelsgeschäfts OHG-Regeln zur Anwendung kommen können1.

15.28 Im Außenverhältnis ist zu unterscheiden, ob ein Verpflichtungs- oder ein Verfügungsgeschäft vorliegt. Im ersteren Falle verbleibt es bei der dargestellten Abgrenzung; für den Regelfall ordnungsgemäßer Verwaltung gilt damit das Mehrheitsprinzip2. Durch einen wirksamen Beschluss im Innenverhältnis erhalten also die Mehrheit oder der einzelne Beauftragte Vertretungsmacht im Außenverhältnis. Anders ist dies im Falle des § 2040 Abs. 1 BGB, wenn also eine Verfügung vorliegt. Dann gilt das Prinzip der Einstimmigkeit und Gesamtgeschäftsführung3. Allerdings ist für Maßnahmen der Notgeschäftsführung anzunehmen, dass § 2038 Abs. 1, S. 2, 2. Hs. BGB lex specialis zu § 2040 Abs. 1 BGB ist, somit Alleinvertretungsmacht besteht4. Dies rührt daher, dass der Normzweck des § 2038 Abs. 1, S. 2, 2. Hs. BGB andernfalls nicht erfüllt würde. Im Außenverhältnis können die Regelungen über die OHG nicht zur Anwendung kommen, es sei denn, es ist ausnahmsweise der konkludente Abschluss eines Gesellschaftsvertrages anzunehmen.

15.29 Für vor dem Tode des Erblassers begründete Verbindlichkeiten haften die einzelnen Erben gemäß §§ 2058 ff. BGB, also insbesondere nach § 2059 BGB auf ihren Erbteil beschränkbar, für neue Geschäftsschulden, die Nachlasserbenschulden, haften sowohl der Nachlass als auch die Erben nach §§ 427, 431 BGB persönlich unbeschränkt als Gesamtschuldner5.

15.30 Nach § 2042 Abs. 1 BGB kann jeder Miterbe jederzeit die Auseinandersetzung verlangen. Die Konsequenz kann eine Zerschlagung des Unternehmens sein6. Motiv eines Auseinandersetzungsverlangens ist meist, dass einer der Erben Mehrheitsbeschlüsse nicht hinnehmen will, oder seinen Anteil, ohne seinen Teil am Nachlass als solchen veräußern zu wollen, versilbern möchte. Eine Einschränkung dahingehend, dass die Auseinandersetzung nicht zur Unzeit verlangt werden kann, so wie sie in § 723 Abs. 2 für die GbR vorgesehen ist, gibt es nicht. Lediglich die – wohl höhere – Schranke des Rechtsmissbrauchs kann einem Auseinandersetzungsverlangen entgegengesetzt werden7. Ist – wie in der Beratungssituation zu Rz. 15.27 – ein Minderjähriger Mitglied der Erbengemeinschaft, kann die Fortführung des Handelsgeschäfts ohne Genehmigung des Familiengerichts erfolgen8. An dieser Lage hat sich auch durch das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz9 nichts geändert10, jedoch ist durch dieses Gesetz die Möglichkeit einer speziellen Haftungsbeschränkung für den Minderjährigen eingeführt worden11. Gem. § 1629a BGB ist die Haftung für Verbindlichkeiten aus Geschäften, die während der Minderjährigkeit durch die Eltern als gesetzliche Vertreter oder durch andere vertretungsberechtigte Personen für den Minderjährigen abgeschlossen werden oder aufgrund eines Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, auf das bei Eintritt der Volljährigkeit noch vorhandene Vermögen beschränkt.

1 BGH v. 16.6.1955 – II ZR 300/53, MDR 1955, 601, wobei fraglich ist, ob es sich um einen verallgemeinerungsfähigen Fall handelt weil immerhin eine Fortführung über 17 Jahre vorlag. 2 Im Einzelnen allerdings umstritten, vgl. MünchKomm/Gergen, § 2038 BGB Rz. 51 m.w.N. 3 Sudhoff/Hübner, § 72 Rz. 1. 4 Einzelheiten sind umstritten, so beispielsweise, ob ein „enger“ oder „weiter“ Verfügungsbegriff vorzugswürdig ist. Vgl. hierzu MünchKomm/Gergen, § 2040 BGB Rz. 5 ff. 5 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Kindler, § 1 HGB Rz. 77; Baumbach/Hopt, § 1 HGB Rz. 37. Allgemein zum handelsrechtlichen Haftungsregime bei der Vererbung eines Einzelunternehmens Rz. 15.12 ff. 6 Sudhoff/Hübner, § 74 Rz. 5. 7 Stracke in Sudhoff, Familienunternehmen, 2005, § 33 Rz. 108. 8 BGH v. 8.10.1984 – II ZR 223/83, NJW 1985, 136; Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 33. 9 BGBl. 1998 I, 2487. 10 Zu den Einzelheiten des Gesetzes vgl. Behnke, NJW 1998, 3078. 11 Das Gesetz geht auf eine Entscheidung des BVerfG von 1986 zurück BVerfG v. 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, NJW 1986, 1859; Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 39.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.32 § 15

Nach dem Gesagten liegt auf der Hand, dass sich eine Miterbengemeinschaft nicht gut als Organisa- 15.31 tionsform für die Fortführung eines Unternehmens eignet1. Die Miterbengemeinschaft ist grundsätzlich auf Auseinandersetzung angelegt2, nicht auf Dauerhaftigkeit. Sie stellt eine schwerfällige und komplizierte Organisationsform dar. Die nur fragmentarische gesetzliche Ausgestaltung der Befugnisse im Innen- und Außenverhältnis führt zudem zu Unsicherheiten dahingehend, wie sich Entscheidungsfindungsprozesse praktisch zu vollziehen haben. Als Beispiel sei genannt, dass fraglich ist, wie über eine Einstellung des Geschäftsbetriebs nach § 27 Abs. 2 S. 1 HGB zu entscheiden ist. Ferner wird die Möglichkeit, einem der Miterben Prokura zu erteilen, von der Rechtsprechung verneint3. Bereits ein Miterbe kann die Verwaltung und Abwicklung nachhaltig blockieren4, oder aber Auseinandersetzung verlangen und damit eine Zerstörung der Substanz des Unternehmens verursachen. Zu Recht heißt es, die Erbengemeinschaft sei eine Zwangsgemeinschaft, die den Keim des Streites in sich trage5. Schon bei der Nachfolgeplanung sollte daher versucht werden, die dargestellten Folgen zu verhindern6. Denn zwar können die Erben durch einvernehmliches Handeln sinnvolle Fortführungsmaßnahmen treffen, sie sind nicht dauerhaft in das Korsett der Erbengemeinschaft gezwängt. Mögliche Optionen sind beispielsweise die Überführung auf eine Gesellschaft, die Veräußerung oder Verpachtung (auch an einzelne Miterben), und die Teilung des Unternehmens7. Indes ist höchst ungewiss, ob es dazu je kommt. Auch Instrumente wie Auflagen, Bedingungen oder Strafklauseln helfen nur bedingt. Den Wünschen des Erblassers wird es eher entsprechen, den Erben Vorgaben zu machen und unnötigen Streit zu vermeiden. Hierfür kommt einerseits die Anwendung des erbrechtlichen Gestaltungsinstrumentariums in Betracht (siehe ausführlich Rz. 15.32 ff.), andererseits kann der Erblasser das Unternehmen zu seinen Lebzeiten schon so umgestalten, dass sich der Übergang im Todesfall reibungslos vollzieht (siehe Rz. 15.74 ff.). Beratungshinweis: In der Beratung sollte darauf hingewirkt werden, dass bei Fortführung des Handelsgeschäfts durch einen einzelnen Miterben ohne Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ein Zweifel über die Stellung der zurücktretenden Miterben nicht auftritt. Zu diesem Zweck könnte ein Pachtvertrag zwischen Erbengemeinschaft einerseits und fortführungswilligem Miterben abgeschlossen werden, womit dieser Inhaber und damit alleiniger Kaufmann wird (vgl. dazu Rz. 15.11 ff.). Die Eintragung im Handelsregister muss unverzüglich dieser Lage angepasst werden. Im Sachverhalt des Ausgangsbeispiels bietet sich als Zwischenlösung die Verpachtung des Unternehmens an die Mutter an, bis der studierende Sohn in der Lage ist, in das Geschäft einzutreten oder dieses zu übernehmen. Gehören Minderjährige zur Erbengemeinschaft, wird für diese die Haftungsbeschränkung gem. § 1629a BGB wirksam, und zwar unabhängig davon, ob fortgeführt wird oder nicht. Bei Abschluss eines solchen Pachtvertrags wäre allerdings die Bestellung eines Ergänzungspflegers für die minderjährige Tochter erforderlich, so dass gem. § 1822 Nr. 4 BGB auch die familiengerichtliche Genehmigung eingeholt werden muss.

6. Erbrechtliche Gestaltungsoptionen Das deutsche Erbrecht bietet dem Erblasser zahlreiche gesetzlich geregelte Gestaltungsoptionen, derer 15.32 er sich in seiner letztwilligen Verfügung bedienen kann. Die Anordnungen des Erblassers werden in anderen Teilen dieses Handbuchs ausführlich behandelt, weswegen an dieser Stelle lediglich eine spezifische Betrachtung im Hinblick auf das Vorhandensein eines Einzelunternehmens im Nachlass erfolgt.

1 So auch Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 121; unten Rz. 24.270 ff. 2 Crezelius, 2009, Rz. 222. 3 BGH v. 24.9.1959 – II ZR 46/59, MDR 1959, 990 (1995). Zu Recht kritisch K. Schmidt, NJW 1985, 2785 (2789). 4 Sudhoff/Scherer, § 14 Rz. 13. 5 Stracke in Sudhoff, Familienunternehmen, 2005, § 33 Rz. 113. 6 Vgl. statt aller K. Schmidt, Handelsrecht, 2014, § 5 I 3 b. 7 Vgl. zu Entscheidungsmöglichkeiten der Erben Rz. 15.8 ff.

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§ 15 Rz. 15.33

Unternehmensnachfolge

a) Teilungsanordnung

15.33 Durch die Teilungsanordnung trifft der Erblasser Vorkehrungen für die gegenständliche Verteilung des Nachlasses, vgl. § 2048 S. 1 BGB (vgl. näher Rz. 24.196 ff.). Zwar fällt der Nachlass den Erben ungeteilt zu und es entsteht zunächst eine Miterbengemeinschaft. Der Erblasser vermag nicht einzelne Gegenstände mit dinglicher Wirkung vom übrigen Nachlass getrennt zu verteilen; ein so genanntes Vindikationslegat ist dem deutschen Erbrecht grundsätzlich fremd1. Der einzelne Erbe hat jedoch einen schuldrechtlichen, klagbaren Anspruch auf Durchführung der Anordnung. Im Unterschied zum Vermächtnis findet bei der Teilungsanordnung eine Anrechnung auf die Erbquote statt2. Nachteilig im Vergleich zum Vermächtnis ist deshalb, dass eine Bewertung des Unternehmens zur Berechnung des Betrages, der auf die Erbquote anzurechnen ist, stattfinden muss3. Dies führt zu einer Kostenbelastung und kann Meinungsverschiedenheiten verursachen4.

15.34 Die Teilungsanordnung ist daher zwar ein prinzipiell geeignetes Mittel, um die mit zahlreichen Problemen verbundene dauerhafte Fortführung des Unternehmens durch eine Erbengemeinschaft (vgl. Rz. 15.27 ff.) zu verhindern. Allerdings muss das Vermögen des Erblassers im Todeszeitpunkt entweder derart strukturiert sein, dass neben dem Unternehmen gleichwertige oder höhere Vermögenswerte vorhanden sind, oder aber es müssen im Todeszeitpunkt genügend liquide Mittel im Unternehmen vorhanden sein, um eventuell entstehende Ausgleichsansprüche der Miterben befriedigen zu können. Beides ist bei der Errichtung der Verfügung von Todes wegen häufig noch unklar5. Der Unternehmenserbe müsste deswegen das Unternehmen zur Befriedigung der Ausgleichsansprüche der Miterben ggf. zerschlagen, oder es kann zumindest zu einer Anspannung der Liquiditätslage kommen. Eine Teilungsanordnung des Inhalts, dass das Unternehmen an einen der Miterben gehen soll, würde daher zu ständiger Überprüfung und ggf. Neuerrichtung bzw. Änderung der letztwilligen Verfügung nötigen. Dies stellt einen kaum gangbaren und auch riskanten Weg dar.

15.35 In diesem Zusammenhang muss im Auge behalten werden, dass der Erblasser häufig die Versorgung ihm nahe stehender Personen durch den Abschluss von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall sicherzustellen sucht6. Praktisch wichtigster Fall sind Lebensversicherungen7, aber auch Bankkonten und Wertpapierdepots kommen häufig vor8. Diese Vermögenswerte fallen nicht in den Nachlass9, und werden deswegen auch nicht zur Berechnung der Erbquote im Rahmen einer Teilungsanordnung herangezogen. Teils werden auf diese Art erhebliche Vermögenswerte transferiert. Hat der Erblasser derartige Verträge abgeschlossen, kommt es damit unter Umständen zu einer signifikant höheren Belastung des Unternehmenserben im Falle der Teilungsanordnung, als wenn der Erblasser die ausgesprochenen Vermögenswerte nicht „am Nachlass vorbei“ verteilt hätte.

1 Im Gesellschaftsrecht und bei der Hofübergabe kommt es zu Sondererbfolgen, vgl. zum Gesellschaftsrecht Rz. 15.83 ff. und zur Hofübergabe § 17 – Landwirtschaftliches Sondererbrecht. 2 Ob ein Vermächtnis oder eine Teilungsanordnung vorliegt, ist ggf. durch Auslegung zu bestimmen. Diese gestaltet sich oftmals schwierig, so dass bei der Nachfolgeplanung auf genaue Bezeichnungen geachtet werden sollte. Eine Auslegungshilfe bietet § 2087 BGB. Bei völligem Schweigen ist von einer Teilungsanordnung auszugehen, vgl. Lange/Kuchinke, § 29 V 1 d und hier Rz. 24.196 ff. 3 Zur Bewertung des Unternehmens im Erbfall für Pflichtteilsansprüche vgl. Rz. 15.70 ff. 4 Vgl. Sudhoff/Hübner, § 80 Rz. 6. Auch in steuerlicher Hinsicht ergeben sich weitreichende Unterschiede. Vgl. Crezelius, 2009, Rz. 61 ff., 238. Die Teilungsanordnung ist hier häufig günstiger. Grundsätzlich findet bei der Teilungsanordnung keine erbschaftsteuerliche Aufteilung des Nachlasses statt, vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 5. 5 Vgl. Crezelius, 2009, Rz. 57. 6 Vgl. ausführlich oben Rz. 6.401 ff. und Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 33 ff. 7 Vgl. Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 111 f. 8 Dazu Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 80 ff. 9 RG v. 3.6.1902 – Rep. VII. 127/02, RGZ 51, 403 (405); BGH v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, MDR 1976, 475 (479 f.).

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.39 § 15

Die Teilungsanordnung zur Vermeidung einer Fortführung des Unternehmens in Erbengemeinschaft 15.36 kommt jedoch dann in Betracht, wenn das Versterben des Erblassers bei Errichtung der letztwilligen Verfügung bereits absehbar ist, weil sich dann an der Struktur des Vermögens nicht mehr viel ändern wird. Im Idealfall ist die Nachfolgesituation aber bereits vor einem derartigen Zeitpunkt geklärt. Auch in einer weiteren Situation kann die Teilungsanordnung sinnvoll sein, nämlich dann, wenn der Unternehmer über mehrere Unternehmen verfügt. Anstatt beispielsweise zwei Unternehmen durch eine ungeteilte Erbengemeinschaft fortführen zu lassen, ist es unter Umständen sinnvoller, je einem Erben ein Unternehmen zu vermachen und dem Erben des werthaltigeren Unternehmens die Zahlung von Ausgleichsansprüchen zuzumuten. In Betracht kommt dies etwa, wenn die Wertdiskrepanzen nicht zu hoch sind, die Liquiditätssituation im Unternehmen gut ist und/oder die potentiellen Erben über ausreichendes Privatvermögen verfügen, um eventuelle Ausgleichsansprüche zu befriedigen. Stets sollte aber auch hier eine gelegentliche Überprüfung der letztwilligen Verfügung erfolgen, insbesondere wenn sich die Lage in den betreffenden Unternehmen grundlegend ändert. In diesem Zusammenhang ist auf die Möglichkeit der Betriebsaufspaltung hinzuweisen1. Traut der Erblasser den Erben nicht zu, nach seinem Tode einvernehmlich zum Wohle des Unternehmens zusammenzuwirken, kann er sein Unternehmen zu Lebzeiten aufspalten und die entstehenden Unternehmen vermittels einer Teilungsanordnung an die verschiedenen Erben verteilen2. Aber auch die testamentarische Verfügung des Erblassers, im Rahmen der Auseinandersetzung eines Unternehmens einen bestimmten Gesellschaftsvertrag zu schließen, stellt eine (mit einer Auflage gemäß § 1940 BGB) verbundene Teilungsanordnung dar („Gesellschaftsgründungsklausel“)3.

15.37

b) Vermächtnis Der Erblasser kann dem gewünschten Nachfolger das Unternehmen auch durch ein Vermächtnis zu- 15.38 kommen lassen, vgl. §§ 1939, 2147 ff. BGB (Rz. 10.1 ff.). Wie bei einer Teilungsanordnung erhält der Nachfolger einen Anspruch gegen den Nachlass. Vermächtnisnehmer kann jedoch, anders als bei der Teilungsanordnung, auch ein Nichterbe sein. Ist der Vermächtnisnehmer zugleich Erbe, handelt es sich um ein Vorausvermächtnis nach § 2150 BGB. Zur Zahlung eines Ausgleichsbetrages ist der Vermächtnisnehmer, anders als Miterben bei einer Teilungsanordnung, keinesfalls verpflichtet; denn auch wenn er Erbe ist, braucht er sich den Wert des vermachten Gegenstandes nicht auf seinen Erbteil anrechnen zu lassen4. Beratungssituation: Der Erblasser hinterlässt seinem Sohn im Wege des Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) den zum Nachlass gehörenden Betrieb und beschwert ihn mit einem Nießbrauch am Betriebsgrundstück zugunsten der Ehefrau des Erblassers (Untervermächtnis, § 2186 BGB).

Die Anordnung eines Vermächtnisses kommt für den Unternehmer demnach in Betracht, wenn er sein Vermögen nicht unbedingt gleichmäßig unter den Erben verteilen will. Die Versorgung weiterer Personen, die aufgrund des Vermächtnisses nicht unmittelbar am Erfolg des Unternehmens nach dem

1 Umgekehrt ist freilich auch denkbar, dass das Unternehmen an den Erben geht und die Versorgung weiterer Personen durch Vermächtnisse, etwa (Betriebs-)Rentenvermächtnisse oder Ertragsnießbrauchsvermächtnisse, sichergestellt wird. 2 Vgl. oben Rz. 15.81 und ausführlich Crezelius, 2009, Rz. 410 ff. In steuerlicher Hinsicht kann die Betriebsaufspaltung gefährlich sein, weil sie zur Aufdeckung stiller Reserven führen kann, vgl. Sudhoff/Hübner, § 75 Rz. 28. 3 Vgl. BGH v. 19.3.2007 – II ZR 300/05, MDR 2007, 846. 4 Zu den Unterschieden zwischen Vermächtnis und Teilungsanordnung bei der Unternehmensvererbung Crezelius, 2009, Rz. 61 ff., auch in steuerlicher Hinsicht. Das Vermächtnis kann vor allem dann steuerlich problematisch sein, wenn Sonderbetriebsvermögen vorhanden ist, vgl. Sudhoff/Hübner, § 74 Rz. 13.

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15.39

§ 15 Rz. 15.40

Unternehmensnachfolge

Erbfall partizipieren, kann anderweitig sichergestellt werden1. Ein Vorausvermächtnis hat gegenüber der Teilungsanordnung zudem den Vorteil, dass der Miterbe nicht auf die Auseinandersetzung warten muss, sondern den Vermächtnisanspruch vorab geltend machen kann (vgl. Rz. 10.11 ff.).

15.40 Vorteil einer Weitergabe eines Einzelunternehmens von Todes wegen durch ein Vermächtnis ist, dass das Unternehmen nicht in ungeteilter Erbengemeinschaft fortgeführt wird. Durch Herausgabevermächtnisse und Vor- und Nachvermächtnisse kann ferner erreicht werden, dass Erbeserben nicht später durch Pflichtteilsansprüche am Unternehmenserfolg partizipieren, weil der vermachte Gegenstand (hier: das Unternehmen) beim Tode des Erben aufgrund des Nach- oder Herausgabevermächtnisses an eine bestimmte Person herauszugeben ist und somit nicht zum pflichtteilsrelevanten Vermögen des Erben gehört (Beratungssituation Rz. 15.38)2.

15.41 Beratungssituation: Ein Unternehmer hat eine Tochter, die er zur Alleinerbin einsetzen will. Diese Tochter hat zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Während der Unternehmer seinen Enkel für einen fähigen Unternehmer hält, möchte er seine Enkelin, zu der persönliche Differenzen bestehen, von einer Beteiligung am Erfolg des Unternehmens fernhalten. In dieser Situation bietet sich an, ein Herausgabevermächtnis hinsichtlich des Unternehmens zugunsten des Enkels auszusetzen, das auf den Tod der Tochter befristet ist. Nach § 2177 BGB muss das Vermächtnis nicht zwingend im Erbfall anfallen. Beim Tod der Tochter gehört das Unternehmen damit nicht zu ihrem pflichtteilsrelevanten Nachlass. Die Enkelin kann es daher weder im Erbgang erwerben noch über Pflichtteilsansprüche partizipieren.

15.42 Die Möglichkeit, den Anfall des Vermächtnisses unter eine Bedingung oder Befristung zu stellen, bietet sich auch an, wenn der Erblasser sicherstellen möchte, dass der anvisierte Nachfolger erst ein bestimmtes Alter erreicht oder eine bestimmte Prüfung besteht, bevor er das Unternehmen übernimmt. Dies kann kombiniert werden mit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung bis zum Eintritt der Bedingung oder des Termins.

15.43 Ein weiterer Anwendungsfall für die Anordnung eines Vermächtnisses kann sich im Hinblick auf § 2065 Abs. 2 BGB ergeben3. Nach dem dort niedergelegten Prinzip der Höchstpersönlichkeit kann der Erblasser die Bestimmung des Bedachten nicht einem Dritten überlassen4. Dagegen kann der Erblasser nach § 2151 Abs. 1 BGB mehrere Personen mit einem Vermächtnis bedenken und einem Dritten die Auswahl dessen, der es erhalten soll, übertragen. Im Bereich der Unternehmensnachfolge ist die Qualifikation und Qualität des Nachfolgers von besonders hoher Bedeutung. Es mag jedoch sein, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen noch keine Gewissheit darüber gewonnen hat, welcher von mehreren in Betracht kommenden Nachfolgern, etwa seiner Kinder, für die Führung des Unternehmens am besten geeignet ist.

15.44 Beratungssituation: In der vorherigen Beratungssituation Rz. 15.41 möchte der Unternehmer, dass das Unternehmen beim Tode seiner Tochter entweder an den Enkel oder die Enkelin geht. Der Enkel arbeitet in einem anderen Unternehmen, die Enkelin ist noch in der Ausbildung. Zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen kann der Unternehmer die Eignung der beiden zur Führung des Unternehmens noch nicht beurteilen. Er kann in diesem Fall ein Herausgabevermächtnis aussetzen, die Bestimmung des Begünstigten aber seiner Tochter nach deren Ermessen überlassen. Dies ist im Rahmen eines Vermächtnisses wegen § 2151 Abs. 1 BGB möglich. Im Rahmen des § 2065 BGB wäre dagegen nur möglich, dass der Erblasser der Tochter bestimmte starre Kriterien an die Hand gibt, anhand derer sie den Begünstigten zu bestimmen hat, beispielsweise die Beendigung eines Studiums. Ist sich der Erblasser aber im vor-

1 Beispielsweise (in Form des Untervermächtnisses) Nießbrauchs-, Renten- und Wohnrechtsvermächtnisse. Ferner kommt Einräumung einer passiven Beteiligung an einer Gesellschaft in Betracht, Sudhoff/Hübner, § 74 Rz. 15 (Stille KG, Unterbeteiligung). 2 Sudhoff/Scherer, § 8 Rz. 3; Rz. 10.130. 3 So auch Crezelius, 2009, Rz. 58. 4 Zu Einzelheiten Lange/Kuchinke, § 27 I und für den Bereich der Unternehmensnachfolge Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 123.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.48 § 15

liegenden Beispielsfall nicht sicher, ob die Qualifikation der Enkelin trotz Beendigung ihrer Ausbildung einmal zur Fortführung des Unternehmens ausreicht, sollte er nach § 2151 Abs. 1 BGB vorgehen.

c) Vor- und Nacherbfolgeanordnung Im Bereich der Unternehmensnachfolge kann die Vor- und Nacherbeneinsetzung genauso sinnvoll 15.45 sein wie hinsichtlich der Weitergabe anderer Vermögenswerte (vgl. im Einzelnen Rz. 8.3). Sie bietet sich etwa zur Überbrückung einer Zeitspanne an, in der der anvisierte Nachfolger noch nicht über die erforderlichen Qualifikationen oder ein hinreichendes Alter verfügt, und kann während dieser Zeit auch die Versorgung des Erstbedachten sicherstellen. Ferner kann die Anordnung dazu dienen, den Erblasserwillen nach dem Tode über einen möglichst langen Zeitraum durchzusetzen, und damit zu einer gewissen Perpetuierung des Unternehmens führen1. Dies bedeutet gleichzeitig auch, dass bestimmte Personen auf Dauer vom Zugriff auf den Nachlass ausgeschlossen werden können, unter Umständen auch von der Zugriffsmöglichkeit über Pflichtteilsansprüche, weil zum Vermögen des Vorerben bei dessen Tode nicht das Unternehmen gehört, sondern es an den Nacherben geht, weswegen die Erben des Vorerben keinen Zugriff haben2. Ein wesentlicher Vorteil der Vor- und Nacherbfolgeanordnung ist außerdem, dass der Erblasser die Rechtsstellung des Vorerben detaillierter als bei bloßer Erbeinsetzung festlegen kann. Eine grundsätzliche Entscheidung besteht darin, ob der Vorerbe von den in § 2136 BGB genannten Verfügungsbeschränkungen befreit werden soll. Der Erblasser ist aber nicht hierauf beschränkt. Er kann weitergehende Befreiungen anordnen3, oder aber den Vorerben nur von bestimmten Beschränkungen befreien4. Kommt eine Vor- und Nacherbfolgeanordnung für einen Unternehmer daher grundsätzlich in Betracht, sollte im Rahmen der Nachfolgeplanung bedacht werden, inwieweit der Erblasser über den Tod hinaus durch die Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des Vorerben Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen möchte. Insofern verbietet sich jegliche Pauschalbetrachtung. In vielen Fällen wird allerdings eine Befreiung von dem Verbot der Verfügung über Grundstücke und Grundstücksrechte gemäß § 2113 Abs. 1 BGB sinnvoll sein. Denn oftmals könnte das Unternehmen gar nicht sinnvoll fortgeführt werden, wenn der Vorerbe nicht im Rahmen der Geschäftstätigkeit Grundstücke veräußern oder belasten könnte5. Selbst wenn der Erblasser den Vorerben also grundsätzlich einem strengen Regiment unterwerfen möchte, muss doch stets eingehend geprüft werden, von welchen Beschränkungen der Vorerbe unbedingt befreit werden sollte. Nach der gesetzlichen Lage ist der Vorerbe berechtigt, das Unternehmen zu veräußern oder in eine Gesellschaft einzubringen, sofern dies nicht unentgeltlich erfolgt (dann wäre relative Unwirksamkeit nach § 2113 Abs. 2 BGB die Folge)6.

15.46

Einen besonderen Fall der Vor- und Nacherbfolgeanordnung können Verwirkungs- und Strafklauseln, insbesondere Wiederverheiratungsklauseln darstellen7. Diesen kommt auch im Bereich der Unternehmensnachfolge erhöhte Relevanz zu.

15.47

Die Vor- und Nacherbfolge kann durch Herausgabe- und Nießbrauchsvermächtnisse ersetzt werden. 15.48 Beim Herausgabevermächtnis wird der Erbe mit dem Vermächtnis beschwert, den Nachlass an einen Dritten herauszugeben, allerdings erst bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses, beispielsweise dem 1 Grenzen ergeben sich freilich durch § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB. Hierzu und auch zu den Möglichkeiten, die zeitliche Grenze von 30 Jahren zu überschreiten, vgl. Edenfeld, B IV Rz. 19 ff. 2 Vgl. hierzu die Beispiele bei Sudhoff/Scherer, § 8 Rz. 3. Zum Pflichtteilsrecht bei Vor- und Nacherbfolgeanordnung vgl. Rz. 8.91 f., 26.224 ff. 3 Von dem Verbot unentgeltlicher Verfügungen gemäß § 2113 Abs. 2 BGB kann der Vorerbe nicht befreit werden. 4 Vgl. Rz. 8.84 ff. und J. Mayer, ZEV 2000, 1 ff. 5 Oftmals wird der Unternehmer allerdings umgekehrt auch gerade zu verhindern suchen, dass etwa der langjährige Sitz des Geschäftsbetriebs veräußert wird. 6 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1634. 7 Vgl. Sudhoff/Scherer, § 3 Rz. 28 ff., § 6 Rz. 15 ff.

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§ 15 Rz. 15.49

Unternehmensnachfolge

Tode des Erben. Der Erbe erhält damit sozusagen die Stellung des Vorerben, der Vermächtnisnehmer die des Nacherben. Beim Nießbrauchsvermächtnis wird derjenigen Person, die die Stellung des Vorerben erhalten soll, ein Nießbrauch vermacht. Dieser endet mit dem Tode des Nießbrauchers, vgl. § 1061 S. 1 BGB. Dadurch erhält der Nießbraucher die Stellung eines Vorerben, der Erbe die eines Nacherben1. Herausgabe- und Nießbrauchsvermächtnisse werden oft aus steuerlichen Gründen an Stelle der Vor- und Nacherbfolgeanordnung verwendet, weil steuerlich nur ein Erbfall gegeben ist, während im Vor- und im Nacherbfall jeweils ein Erbfall vorliegt2. Ferner wird vorgeschlagen, anstatt eines Vorerben einen Testamentsvollstrecker einzusetzen3. Ist der Umfang des Erblasservermögens gering und können Freibeträge ausgenutzt werden, können die steuerlichen Nachteile oftmals vermieden werden (vgl. auch Rz. 37.307 ff.). d) Bedingungen, Straf- und Verwirkungsklauseln, Auflagen

15.49 War der Regelungszweck der bisher behandelten Gestaltungsoptionen vorwiegend, die Person des oder der Nachfolger zu bestimmen, geht es hier um die Möglichkeiten, die der Erblasser hat, auf die Führung des Unternehmens über den Tod hinaus Einfluss zu nehmen4. Nicht immer entspringt der Wille des Unternehmers hierzu einer böswilligen Herrschsucht oder misstrauischer Gesinnung. Die entsprechenden Regelungen können vielmehr dem Unternehmenswohl und dem berechtigten Interesse des Unternehmers, sein Lebenswerk zu erhalten, dienen. Bei einer bedingten Erbeinsetzung wird der Erbe entweder erst bei Eintritt eines bestimmten (ungewissen) Ereignisses Erbe (aufschiebend bedingte Erbeinsetzung) oder hört bei Eintritt eines Ereignisses auf, Erbe zu sein (auflösend bedingte Erbeinsetzung)5.

15.50 Beratungssituation: Eine verheiratete Unternehmerin hat einen Sohn, den sie möglicherweise zum Alleinerben einsetzen möchte. Wegen der technischen Ausrichtung des Betriebes hält sie ein entsprechendes Studium für erforderlich. Sie kann den Sohn unter der aufschiebenden Bedingung zum Erben einsetzen, dass dieser bis zum 28. Lebensjahr ein Maschinenbaustudium abschließt. Erfüllt der Sohn diese Bedingung nicht, soll der Ehegatte Alleinerbe sein.

15.51 Bedingte Erbeinsetzungen stellen auch Straf- und Verwirkungsklauseln dar. Hierdurch werden dem Erben bestimmte Verhaltensregeln auferlegt6. Kommt der Erbe den Anweisungen nicht nach, erhält er die Erbschaft nicht oder verliert sie, und eine andere Person bleibt oder wird Erbe. Die eine Person ist demnach jeweils aufschiebend, die andere auflösend bedingt eingesetzt. Eine derartig bedingte Erbeneinsetzung führt im Ergebnis zu einer Vor- und Nacherbschaft7. Weitgehend üblich sind in diesem Zusammenhang Wiederverheiratungsklauseln, nach denen die Erbenstellung endet, wenn der Erbe wieder heiratet, und besondere Verwirkungsklauseln, nach denen der Erbe nichts oder nur den Pflichtteil erhält, wenn er die Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung geltend macht (vgl. auch Rz. 9.3 ff.). Diesbezüglich ergeben sich keine Besonderheiten im Rahmen der Unternehmensvererbung. Der Erblasser kann jedoch auch konkrete Vorgaben im Hinblick auf die Unternehmensfortführung machen, 1 Vgl. zur Ähnlichkeit der Vorerben- und der Nießbraucherstellung Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 226 ff. 2 Vgl. im Einzelnen § 6 ErbStG. Dies ist beispielsweise im Hinblick auf die Ausnutzung von Freibeträgen von Belang, vgl. speziell bezogen auf Vor- und Nacherbfolgeanordnung bei Unternehmensvererbung Crezelius, 2009, Rz. 54 f. und Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 56a. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1637 halten die Nießbrauchslösung wegen der steuerlichen Nachteile der Vor- und Nacherbfolgeanordnung grundsätzlich für vorzugswürdig. 3 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1637. 4 Vgl. den Begriff der „Herrschaft aus dem Grabe“, dazu MünchKomm/Leipold, § 2075 BGB Rz. 14 Fn. 22. 5 Hinsichtlich der Abgrenzung ist die Zweifelsregel des § 2075 BGB zu beachten. 6 In manchen Fällen werden Bedingungen, die auf das künftige Verhalten des Bedachten abheben, für sittenwidrig erachtet. Einzelheiten sind umstritten, vgl. MünchKomm/Leipold, § 2074 BGB Rz. 18 ff. 7 MünchKomm/Leipold, § 2074 BGB Rz. 13.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.53 § 15

beispielsweise die Veräußerung des Betriebes oder von Betriebsteilen oder eine Betriebsaufspaltung untersagen. Er kann ferner Anweisungen hinsichtlich der Gewinnverwendung für bestimmte Investitionen treffen, oder befehlen, die Installierung eines Beirats vorzunehmen (vgl. auch Rz. 15.82). oder nicht rückgängig zu machen. Hingewiesen wird auch auf sog. „Gründungsklauseln“, die dem Erben vorgeben, eine bestimmte Gesellschaft zu gründen1 (etwa eine GmbH). Auch die Testamentsvollstreckung am Unternehmen kann von Straf- und Verwirkungsklauseln flankiert werden. Im Zusammenhang mit Straf- und Verwirkungsklauseln besteht häufig das Problem, dass sie nicht eindeutig gefasst sind und es zu Auslegungsstreitigkeiten kommt2. Sofern dies überhaupt möglich ist, was oft nicht der Fall sein wird, sind die Bedingungen demnach eindeutig zu formulieren. Zu beachten ist, dass der Erblasser vermittels der Bedingungen kein bestimmtes Verhalten erzwin- 15.52 gen kann. Niemand hat einen klagbaren Anspruch auf Durchführung oder Unterlassung der Handlungen. Dies kann nur durch Auflagen im Sinne der §§ 2192 ff. BGB erreicht werden3. Allerdings wird durch Bedingungen in der Regel ein höherer Druck erzeugt, weil der Erbe im Falle einer Auflage auch bei Nichtvollziehung jedenfalls Erbe bleibt. Welche Gestaltung gewählt werden sollte, hängt vom Einzelfall ab. Bezüglich der Auflage wird zwar generell deren Ähnlichkeit mit dem Vermächtnis betont, weil der Beschwerte hier wie dort inhaltlich zu einer Leistung verpflichtet wird4. Jedenfalls im Bereich der Unternehmensnachfolge ist aber vom Regelungszweck her eher eine Ähnlichkeit mit Straf- und Verwirkungsklauseln und sonstigen Bedingungen gegeben. Der Vorzug gegenüber derartigen Gestaltungen liegt aber darin, dass ein durchsetzbarer Anspruch besteht, dessen Erfüllung sich der Erbe nur durch Ausschlagung der Erbschaft entziehen kann5. Ist diese nach dem Todesfall nicht erfolgt, ist der Erbe, anders als bei bedingter Erbeinsetzung, zur Erfüllung der Auflage verpflichtet (allerdings nicht gegenüber dem Begünstigten, vgl. vielmehr § 2194 BGB)6. e) Testamentsvollstreckung Eine wichtige Gestaltungsmöglichkeit stellt die Anordnung der Testamentsvollstreckung dar (ausführ- 15.53 lich Rz. 29.1 ff.). Auf diese Weise entzieht der Erblasser dem Erben die Verfügungsbefugnis über den Nachlass7. Dies kann im Bereich der Unternehmensnachfolge angeraten sein, wenn etwa der Nachfolger noch nicht über die erforderlichen Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügt, um das Unternehmen zu führen, oder sich erst eine Weile lang unter der Aufsicht einer erfahrenen Person bewähren soll. Daneben kann eine eher beaufsichtigende Stellung des Testamentsvollstreckers festgelegt werden. Insofern steht, wie in anderen Bereichen des Erbrechts, die Privatautonomie des Erblassers grundsätzlich im Vordergrund)8. Im Zusammenhang mit der Testamentsvollstreckung an Unternehmen ist einerseits zu differenzieren, ob es sich bei dem Unternehmen, das Nachlassgegenstand ist, um ein kaufmännisches oder nichtkaufmännisches Einzelunternehmen handelt, und andererseits, ob es sich um eine bloße Abwicklungsvollstreckung (siehe Rz. 29.41 f.) oder eine Verwaltungsvollstreckung (siehe Rz. 29.43 ff.) handelt9. 1 Sudhoff/Scherer, § 11 Rz. 7. 2 Sudhoff/Scherer, § 6 Rz. 16. 3 Vgl. Rz. 15.1 ff. Zum denkbaren Anwendungsbereich von Auflagen im Bereich der Unternehmensvererbung vgl. Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 151 ff. 4 Sudhoff/Scherer, § 10 Rz. 1. 5 Zu einer Gesellschaftsgründungsklausel (mit Auflage verbundene Teilungsanordnung vgl. BGH v. 19.3.2007 – II ZR 300/05, MDR 2007, 846. 6 Es ist sinnvoll, einen Testamentsvollstrecker zum Vollzugsberechtigten zu bestimmen, vgl. Sudhoff/Scherer, § 10 Rz. 6. 7 Zur wichtigen Frage der Vergütung des Testamentsvollstreckers siehe die ausführliche Kommentierung von Staudinger/Reimann zu § 2221 BGB (insbesondere Rz. 50 ff.) mit weiteren Literaturnachweisen. 8 Zu den Gründen für die Anordnung der Testamentsvollstreckung Staudinger/Reimann, Vorbem. zu §§ 2197–2228 BGB Rz. 8 f. 9 Zur Zuweisung von Sonderaufgaben im Unternehmensbereich an den Testamentsvollstrecker vgl. Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 173 ff.

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§ 15 Rz. 15.54

Unternehmensnachfolge

15.54 Die Verwaltungsvollstreckung an nichtkaufmännischen Einzelunternehmen ist zulässig. Es entstehen insbesondere keine Schwierigkeiten daraus, dass den Gläubigern für Rechtsgeschäfte des Testamentsvollstreckers nur der Nachlass haftet. Denn für das Haftungsregime maßgeblich sind allein erbrechtliche Regelungen. Hier ist es aber gerade kennzeichnend, dass die Haftung grundsätzlich auf den Nachlass beschränkbar ist. Deswegen werden Gläubigerinteressen nicht systemwidrig beeinträchtigt. Der Erbe ist geschützt, weil der Testamentsvollstrecker den Erben nicht mit dessen persönlichen Vermögen verpflichten kann.

15.55 Die Problematik der Verwaltungsvollstreckung an kaufmännischen Einzelunternehmen (wie auch an Personengesellschaftsanteilen [siehe hierzu Rz. 15.193 ff.]) wird seit Langem im rechtswissenschaftlichen Schrifttum – und immer noch sehr kontrovers – diskutiert1. Überwiegend wird die Verwaltungsvollstreckung für unzulässig erachtet2. Dies liegt daran, dass sich die persönliche Haftung des Kaufmanns mit seinem gesamten Vermögen und die beschränkte vermögensrechtliche Stellung des Testamentsvollstreckers, der nur den Nachlass verwaltet und verpflichtet (vgl. §§ 2205 ff. BGB), in einem Spannungsverhältnis befinden. Der Rechtsverkehr geht normalerweise davon aus, dass ein Einzelunternehmer mit seinem gesamten Vermögen haftet, was bei einer Beschränkung der Haftung auf den Nachlass nicht der Fall wäre. Weil die herrschende Ansicht meint, diese Konfliktsituation sei nicht lösbar, werden Ersatzkonstruktionen vorgeschlagen, die entweder die beschränkte Haftung auf den Nachlass oder die Verdrängung des Unternehmers aus seiner Herrschaftsposition vermeiden. Ersteres wird mit der so genannten „Treuhandlösung“ erreicht, zweiteres mit der „Vollmachtlösung“.

15.56 Bei der Treuhandlösung führt der Treuhänder das Unternehmen nach außen in eigenem Namen3. Dementsprechend trifft ihn die persönliche Haftung4. Im Innenverhältnis hat er jedoch einen Anspruch auf Befreiung von den vom Erblasser herrührenden und den neu von ihm begründeten Verbindlichkeiten, §§ 675, 670 BGB5. Die Erben können ihre Haftung gegenüber dem Testamentsvollstrecker im Innenverhältnis auf den Nachlass beschränken6. Der Treuhänder ist ohne Testamentsvollstreckervermerk als Inhaber ins Handelsregister einzutragen7. Das Treuhandverhältnis wird nach dem Erbfall durch den Erben begründet. Da der Treuhänder also unter Lebenden erwirbt, ist hinsichtlich der vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten die Haftung gemäß § 25 Abs. 2 HGB beschränkbar8. In praktischer Hinsicht besteht das Problem, dass der Treuhänder einer unbeschränkten Haftung im Außenverhältnis unterliegt9. Dies macht die Treuhandlösung zu einem für den Treuhänder riskanten Geschäft. Man stelle sich vor, die Testamentsvollstreckung sollte gerade den Zweck verfolgen, einen geschäftsunerfahrenen oder unzuverlässigen Erben von der Leitung des Unternehmens fern zu halten. Dann erscheint es nicht als fernliegend, dass der Treuhänder seinen Freistellungs- oder Regressanspruch im Innenverhältnis in vielen Fällen nicht wird realisieren können, weil der Erbe die übrigen Nachlasswerte, so sie nicht ihrerseits einer Testamentsvollstreckung unterliegen, „durchgebracht“ hat. In manchen Fällen wird es auch um die Bonität des Unternehmens

1 Siehe Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 92 ff. vgl. auch Rz. 29.292 ff. 2 Statt vieler Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 124 m.w.N. und Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 91. Möglich ist neben den Alternativkonstruktionen auch, den Testamentsvollstrecker anzuweisen, das Unternehmen in eine geeignete Rechtsform umzugründen. Vgl. hierzu Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1657 ff. 3 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 95; unten Rz. 29.296 ff. Zu unterscheiden ist die Vollrechtstreuhand, bei der der Treuhänder Eigentümer bzw. Inhaber der das Handelsgeschäft konstituierenden Einzelgegenstände wird, und die Verwaltungstreuhand, bei der der Testamentsvollstrecker lediglich die Verfügungsmacht über die Gegenstände übertragen bekommt, Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 94. 4 MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 27 m.w.N. auch zur Rechtsprechung. 5 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 95. 6 Str., siehe Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 95 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 7 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 93, 96. 8 Palandt/Edenhofer, § 2205 BGB Rz. 8; Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 95 m.w.N. 9 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 93.

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Rz. 15.59 § 15

schlecht bestellt sein. Deswegen erscheint zweifelhaft, ob sich immer eine qualifizierte Person bereit finden wird, die Treuhänderstellung zu übernehmen. Bei der Vollmachtlösung führt der „Testamentsvollstrecker“ das Unternehmen in Vollmacht für den 15.57 oder die Erben in deren Namen fort1. Damit bleibt das Unternehmen auch formal in der Hand der Erben, diese sind ins Handelsregister einzutragen2. Die persönliche Haftung trifft hier nur die Erben, nicht den Testamentsvollstrecker selbst. Der Erblasser muss durch geeignete Maßnahmen wie Auflagen oder Bedingungen sicherstellen, dass der oder die Erben dem Testamentsvollstrecker die entsprechenden Vollmachten erteilen3. Folge ist, dass der Bevollmächtigte sowohl den Nachlass als auch die Erben persönlich verpflichten kann4. Auch die Vollmachtlösung hat jedoch wesentliche Nachteile5. Denn eine verdrängende Vollmacht gibt es nicht. Im Außenverhältnis bleiben also jedenfalls die Erben weiterhin berechtigt, Rechtsgeschäfte in Bezug auf das Unternehmen vorzunehmen6. Daran ändern Strafklauseln oder vergleichbare Druckmittel nichts. Auch wird die Zulässigkeit einer unwiderruflichen postmortalen Vollmacht zu Recht in Zweifel gezogen7. Deswegen kann der Erblasser nicht sicherstellen, dass die Vollmacht nicht widerrufen wird. Zunehmend wird allerdings das Postulat der h.M., eine Testamentsvollstreckung an einem kaufmännischen Einzelunternehmen sei nicht möglich, in Zweifel gezogen, und für eine „echte Testamentsvollstreckerlösung“ plädiert. Die vorgestellten, nachteilsbehafteten Ersatzkonstruktionen wären dann obsolet. Es gibt diesbezüglich zwei unterschiedliche Ansatzpunkte. Nach einer Ansicht soll der Testamentsvollstrecker ausnahmsweise die Befugnis haben, nicht nur den Nachlass, sondern den Erben persönlich zu verpflichten8. Einer solchen Lösung steht letztlich entgegen, dass sie aus dem Gesetz gar nicht mehr zu begründen ist. Der Testamentsvollstrecker hat eben nur Befugnisse in Bezug auf den Nachlass. Nach dem erbrechtlichen Haftungsinstrumentarium kann ein unbeschränkter Haftungstatbestand stets nur durch den Erben selbst geschaffen werden. Es erweist sich damit auch, dass die vorgeschlagene Lösung für den Erben viel zu gefährlich wäre.

15.58

Andere wollen zulassen, dass den Gläubigern nur der Nachlass, nicht aber der Einzelunternehmer 15.59 persönlich haftet9. Diese Ansicht ist insofern bedenkenswert, als keine handelsrechtliche Norm des Inhalts existiert, dass ein Einzelunternehmer stets mit seinem persönlichen Vermögen voll haften müsse. Zwar scheinen die §§ 25, 27 HGB in die Richtung einer unbeschränkbaren Haftung zu weisen. Dabei ist aber zu bedenken, dass diese Normen – bezüglich § 27 HGB bei zutreffender Auslegung (siehe Rz. 15.16) – nicht lediglich an die Fortführung des Unternehmens, sondern auch an die kumulativ vorliegende Fortführung der Firma anknüpfen, also einen Spezialfall regeln, und nicht die unbeschränkte persönliche Haftung bei Fortführung eines Unternehmens generell statuieren.

1 2 3 4 5 6 7 8

9

Zur Vollmachtslösung vgl. Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 97; unten Rz. 29.293 ff. Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 99. Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 97. MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 27 meint, die persönliche, über den Nachlass reichende Haftung könne hierdurch nicht erzwungen werden, weil der Erblasser die Erben nicht über den Nachlass hinaus verpflichten könne. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 138 empfiehlt – aus steuerlichen Gründen – die Vollmachtslösung, weil bei der Treuhandlösung die Einnahmen des Testamentsvollstreckers aus der Testamentsvollstreckervergütung als gewerbliche Einkünfte qualifiziert werden könnten. Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 98. Vgl. Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 98 m.w.N. Dies wird allerdings lediglich bezüglich der Testamentsvollstreckung an Anteilen an Personenhandelsgesellschaften diskutiert, siehe Einmahl, AcP 160 (1961), 29 (36); Marotzke, JZ 1986, 457 (461); Faust, DB 2002, 189 (193). Die Autoren verhalten sich nicht dazu, ob sie ihre Ausführungen auf die Testamentsvollstreckung an einzelkaufmännischen Unternehmen für übertragbar halten. Baur in FS Dölle, 1963, I 249; Muscheler, 1994, S. 397 ff.

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§ 15 Rz. 15.60

Unternehmensnachfolge

15.60 Im Ergebnis ist aber festzuhalten, dass mit der Testamentsvollstreckung am kaufmännischen Einzelunternehmen dogmatische und praktische Schwierigkeiten verbunden sind. Bei einer Miterbengemeinschaft kommt die Problematik hinzu, dass ein einzelner Miterbe seinen Anteil am Nachlass veräußern kann, vgl. § 2033 Abs. 1 S. 1 BGB. Dieser Anteil unterliegt zwar weiterhin der Testamentsvollstreckung, nicht jedoch der erzielte Erlös1 – ein eleganter Weg, einer unerwünschten Testamentsvollstreckung zu entgehen und sich die wirtschaftlichen Vorteile zu sichern. Demnach ist stets zu prüfen, ob eine Testamentsvollstreckung nicht selbst dann vermieden werden kann, wenn der oder die Nachfolger (noch) nicht die Eignung für die Fortführung des Unternehmens haben. Eine Möglichkeit kann darin bestehen, den Erben zu veranlassen, den Betrieb für eine bestimmte Dauer zu verpachten. Der Erbe kann wirtschaftlich abgesichert werden und der Betrieb einstweilen durch kompetente Personen weitergeführt werden2. Wenn der Nachfolger bereits über bestimmte Fähigkeiten verfügt, könnte der Unternehmensinhaber erwägen, den Betrieb in eine Rechtsform mit beschränkter Haftung umzuwandeln. Gerade die Nachfolgeplanung kann gegenüber Dritten, die sonst einer Haftungsbeschränkung skeptisch gegenüber stünden, ein überzeugendes Argument darstellen. Das wirtschaftliche Risiko für den Nachfolger wird verringert (vgl. Rz. 15.79). In diesem Zusammenhang ist auch an die Einrichtung eines Beirats zu denken (vgl. Rz. 15.82). Dies kommt sowohl bei einem Einzelunternehmen als auch bei bereits erfolgter Umwandlung in eine Rechtsform mit beschränkter Haftung in Frage, wenn der Nachfolger bereits so weit ist, dass keine vollständige Verdrängung aus der Unternehmerposition, sondern eine mehr oder weniger ausgeprägte Beaufsichtigung durch Dritte angemessen ist3. Somit kann den Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Verwaltungsvollstreckung an kaufmännischen Einzelunternehmen oftmals aus dem Weg gegangen werden.

15.61 Die vorgestellten Probleme tauchen dann nicht auf, wenn es sich lediglich um eine Abwicklungsvollstreckung handelt (dazu Rz. 29.41 f.). Zwar existiert auch hier im Grundsätzlichen ein Konflikt zwischen der unbeschränkten Unternehmerhaftung und dem Wesen der Testamentsvollstreckung. Weil die Abwicklungsvollstreckung aber im Regelfall nur von kurzer Dauer ist, wird die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit hingenommen4. Dass dies im Rechtsverkehr zu irgendwelchen unüberwindlichen Schwierigkeiten geführt hätte, ist nicht bekannt. Das Unternehmen ist entweder dem Erben herauszugeben oder zu liquidieren und der Erlös an den Erben herauszugeben5. 7. Pflichtteilsrecht a) Strategien zur Pflichtteilsvermeidung

15.62 Das Pflichtteilsrecht steht bei der Nachfolgeplanung häufig im Brennpunkt6. Da das Unternehmen in vielen Fällen einen erheblichen Teil des Erblasservermögens ausmacht, kann oftmals nicht vermieden werden, dass für die Erfüllung der Pflichtteilsansprüche Unternehmenswerte flüssig gemacht werden müssen7. Im günstigsten Falle droht eine Liquiditätsbelastung, im schlimmsten eine Zerschlagung des Unternehmens. Seit jeher wird nach Wegen gesucht, die zu einer Vermeidung dieser Problematik führen. Dies erfordert aber jedenfalls eine frühzeitige Beschäftigung mit der Nachfolgeplanung. 1 Vgl. Sudhoff/Scherer, § 14 Rz. 4. 2 Die Betriebsverpachtung stellt aus Sicht des Verpächters eine Betriebsunterbrechung, keine Betriebsveräußerung oder -aufgabe dar, so dass das Fortführungsprivileg des § 13a ErbStG gewahrt bleibt; jedoch kann der Verpächter auch noch nach der Verpachtung den Betrieb steuerbegünstigt veräußern oder aufgeben, das Wahlrecht bleibt ihm erhalten. Vgl. im Einzelnen Rz. 37.171 ff., 37.181 ff. 3 Die Installierung eines mit umfänglichen Kompetenzen ausgestatteten Beirats kann auch dann sinnvoll sein, wenn die Leitungsmacht im Unternehmen schon zu Lebzeiten teilweise übertragen werden soll. Der Erblasser kann dann eine Position in einem Beirat einnehmen und der Nachfolger bereits die Führung operativer Geschäfte besorgen. 4 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 91. 5 Sudhoff/Scherer, § 9 Rz. 44. 6 Vgl. zum Pflichtteilsrecht allgemein Rz. 26.1 ff. 7 Vgl. auch Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 113 f.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.66 § 15

Pflichtteilsverzichte gemäß § 2346 Abs. 2 BGB stellen den „goldenen Weg“ zur Vermeidung von 15.63 Pflichtteilsansprüchen dar. Sie sind vorteilhaft gegenüber Erbverzichten, weil sich die Pflichtteilsquote anderer Pflichtteilsberechtigter nicht erhöht1. Nach zutreffender h.M. ist ein gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht möglich2, d.h. es kann vereinbart werden, dass das Unternehmen nicht zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs herangezogen wird. Beratungssituation: Ein Unternehmer (mit vorverstorbener Ehegattin) hat zwei Söhne, von denen nur der Ältere an der Fortführung des Unternehmens Interesse zeigt. Zweckmäßige Gestaltung des Testaments?

Durch letztwillige Verfügung setzt der Unternehmer den älteren Sohn zum Erben ein. Mit dem jüngeren wird ein Erbverzicht vereinbart. Danach bekommt der Unternehmer ein nichteheliches drittes Kind, eine Tochter. Wenn er stirbt, beträgt die Pflichtteilsquote der Tochter 1/4. Denn der gesetzliche Erbteil beträgt unter Berücksichtigung des Erbverzichts 1/2, so als wäre der jüngere Sohn nicht vorhanden, vgl. § 2310 S. 2 BGB. Hätte der Unternehmer mit dem jüngeren Sohn einen Pflichtteilsverzicht vereinbart, hätte sich die Quote der Tochter nicht erhöht und damit bei 1/6, der Hälfte des nicht erhöhten Erbteils von 1/3, gelegen3 – ein in manchen Fällen für das Überleben des Unternehmens entscheidender Unterschied. Pflichtteilsverzichte sind auch vorteilhaft gegenüber Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfol- 15.64 ge. Denn zur Vermeidung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach § 2325 BGB muss weder ein Zeitraum von zehn Jahren bis zum Erbfall eingehalten werden, noch taucht die in manchen Fällen schwierige Frage auf, ob eine Schenkung vorliegt. Das offensichtliche Problem von Pflichtteilsverzichten ist, dass sie der Mitwirkung der Betroffenen bedürfen. Ist ein Pflichtteilsberechtigter nicht bereit, ohne Weiteres einen Verzicht zu erklären, sollte gleichwohl daran gedacht werden, den Verzicht entgeltlich zu „erkaufen“, ggf. auch zu einem Preis, der bis zur Höhe dessen geht, was der Berechtigte gegenwärtig bei Versterben des Erblassers als Pflichtteil geltend machen könnte. Denn meist wird nicht absehbar sein, wie es beim Versterben um die Liquidität des Unternehmens bestellt sein wird. Die Belastung mit Pflichtteilsansprüchen kann das Unternehmen dann möglicherweise wesentlich härter treffen als Ausgleichszahlungen, die zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Verzichts geleistet werden. Weiterhin ist oftmals eine Expansion des Unternehmens geplant. Steigt der Wert des Unternehmens nach der entgeltlichen Vereinbarung des Pflichtteilsverzichts erheblich4, hat man durch den erkauften Pflichtteilsverzicht viel Geld gespart. Das Argument der Liquiditätsbelastung des Unternehmens wird in vielen Fällen die Pflichtteilsberechtigten überzeugen, einem Pflichtteilsverzicht zuzustimmen, zumindest gegen Ausgleichszahlung. Ist dies jedoch nicht der Fall, sollten folgende Wege zu einer Verminderung der Belastungen mit Pflichtteilsansprüchen bedacht werden: Zunächst sollte bei verheirateten Unternehmern der Güterstand angepasst werden. Im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft ist die Erbquote des Ehegatten häufig höher als bei Gütertrennung. Dann verringern sich die Erb- und somit auch die Pflichtteilsquoten der Abkömmlinge5.

15.65

Beratungssituation: Eine Unternehmerin hat einen Sohn und eine Tochter. Sie hat mit ihrem Ehegatten Gütertrennung vereinbart. Sie verfügt über ein Unternehmen im Wert von 1.000.000 Euro und ein Privatgrundstück im Wert von 500.000 Euro. Die Tochter wird enterbt, der Sohn soll das Unternehmen weiterführen. Das Grundstück soll dem Ehemann als Alterswohnsitz erhalten bleiben; dies wird vom Sohn akzeptiert. Sonstiges Vermögen ist weder bei Ehemann noch Sohn in größerem Umfang vorhanden. Die enterbte

15.66

1 2 3 4

Vgl. Winkler, ZEV 2005, 89 (91). So schon Fette, NJW 1970, 743 f.; Palandt/Edenhofer, § 2346 BGB Rz. 6. Vgl. Palandt/Edenhofer, § 2310 BGB Rz. 2. Zur Unternehmensbewertung für Zwecke der Berechnung der Pflichtteilsansprüche siehe sogleich Rz. 15.70 ff. 5 Problematisch ist, dass die Rückwirkung der Aufhebung einer Gütertrennung erbschaftsteuerlich gemäß § 5 Abs. 1 S. 4 ErbStG nicht anerkannt wird, vgl. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1685.

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§ 15 Rz. 15.67

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Tochter kann bei Versterben der Mutter die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils, der bei Gütertrennung nach § 1931 Abs. 4 BGB 1/3 beträgt, verlangen, also 1/6 von 1.500.000 Euro. Es kommt zu einer Belastung des Unternehmens mit einem Zahlungsanspruch in Höhe von Euro 250.000. Hätte eine Zugewinngemeinschaft bestanden, hätte der gesetzliche Erbteil der Tochter nur 1/4 betragen, da der Erbteil des Ehemanns nach §§ 1931 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB 1/2 betragen hätte. Der Pflichtteilsanspruch der Tochter hätte lediglich 187.500 Euro betragen.

15.67 Die Zugewinngemeinschaft wird häufig abgewählt, weil der Ehegatte im Falle der Scheidung Ausgleich nach §§ 1372 ff. BGB geltend machen kann. Dem kann jedoch durch Vereinbarung einer modifizierten Zugewinngemeinschaft begegnet werden. Mit diesem Begriff wird eine Zugewinngemeinschaft bezeichnet, bei der der Ausgleich des Zugewinns für andere Fälle als den Tod eines Ehegatten, also insbesondere den Fall der Scheidung, ausgeschlossen wird, oder vereinbart wird, dass bestimmte Vermögenswerte, etwa ein Unternehmen, nicht für die Berechnung des Zugewinnausgleichs herangezogen werden1. Eine Modifizierung der Zugewinngemeinschaft kann auch insofern erfolgen, als die nach den §§ 1365 ff. BGB bestehenden Verfügungsbeschränkungen abbedungen werden2. Zu beachten ist allerdings, dass je nach den Besonderheiten des Einzelfalls auch die Vereinbarung der Gütertrennung oder der Gütergemeinschaft gegenüber der modifizierten Zugewinngemeinschaft vorteilhaft sein kann. Gütertrennung kommt in Betracht, wenn Vermögen auf den Ehegatten übertragen werden soll, damit sich die Pflichtteilsansprüche eines Abkömmlings des übertragenden Ehegatten aus einer anderen Verbindung verringern3. Die Gütergemeinschaft kann vorteilhaft sein, weil der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut gemäß § 1483 Abs. 1 S. 3 BGB nicht zum Nachlass gehört und damit nicht in die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs eingestellt wird4. In beiden Fällen kann allerdings eine Schenkung an den Ehegatten vorliegen, die ggf. zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach § 2325 BGB führen kann. Wird Gütertrennung vereinbart und daraufhin Vermögenswerte an den Ehegatten transferiert, so kann hierin eine Schenkung liegen. Wird Gütergemeinschaft vereinbart, so kann in der Vereinbarung der Gütergemeinschaft nur ausnahmsweise eine Schenkung an den Ehegatten gesehen werden5.

15.68 Neben der Anpassung des Güterstandes ist stets zu prüfen, ob durch Schenkungen unter Lebenden im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge Pflichtteilsansprüche vermieden oder zumindest verringert werden können. Vermögenswerte, die zu Lebzeiten weitergegeben werden, gehören nicht zum Nachlass und werden deswegen nicht zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs herangezogen. Erfolgte die Weitergabe aber durch Schenkung innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Tode des Erblassers, entstehen die bereits erwähnten Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 Abs. 1 BGB6. Deren Umfang wird allerdings durch das am 2.7.2009 verabschiedete Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts (insbesondere des Pflichtteilsrechts) gemindert (gleitende Ausschlussfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch: Herabsetzung des ergänzungspflichtigen Schenkungswerts um je 10 % für jedes Jahr, das seit der Schenkung verstrichen ist, § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB n.F.; Voraussetzung ist aber, dass eine „Leistung“ im Sinne des § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. vorliegt und es sich nicht um eine Ehegattenschenkung im Sinne von § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB n.F. handelt). Fraglich kann in diesem Zusam-

1 Das Ehegattenerbrecht in Folge einer Zugewinngemeinschaft ist zudem gemäß § 5 ErbStG steuerlich privilegiert. 2 Vgl. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1690. 3 Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 52. 4 Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 52. 5 BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 266/90, BGHZ 116, 178 (180) = MDR 1992, 263; dazu MünchKomm/Koch, § 516 BGB Rz. 57. 6 Erfolgte eine Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt zugunsten des Erblassers, wird allerdings nach der h.M. in Rechtsprechung und Literatur der Nießbrauch mit seinem Kapitalwert vom Wert der Schenkung abgezogen, BGH v. 30.5.1990 – IV ZR 254/88, NJW-RR 1990, 1158; BGH v. 8.4.1992 – IV ZR 2/91, MDR 1992, 681; BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, MDR 1994, 1015. Vgl. ausführlich MünchKomm/ Lange, § 2325 BGB Rz. 23 f. mit umfangreichen Nachweisen auch zur Gegenansicht.

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Rz. 15.71 § 15

menhang sein, wann und inwieweit eine Schenkung in Bezug auf ein Unternehmen vorliegt, insbesondere wenn sich der Erwerber verpflichtet, seine Arbeitskraft in das Unternehmen einzubringen1. Zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen kann sich weiterhin die Gründung einer Personengesellschaft mit dem anvisierten Nachfolger anbieten2. Denn aufgrund der Rechtsprechung des BGH können hierdurch Pflichtteilsergänzungsansprüche häufig vermieden werden (siehe Rz. 15.210 ff.). Weiterhin können Vor- und Nacherbschaft, Vor- und Nachvermächtnis sowie befristetes Herausgabevermächtnis zu einer Ausschaltung von Pflichtteilsberechtigten führen (siehe bereits Rz. 15.40 f.). Hingewiesen wird auch auf die Möglichkeit, Vermögen ins Ausland zu verlagern3. Kommt es nach IPR zur Nachlassspaltung (Art. 34 Abs. 2 EuErbVO) und kennt das ausländische Recht kein Pflichtteilsrecht, werden die entsprechenden Vermögenswerte nicht zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs herangezogen. Unter Umständen soll ein solches Vorgehen allerdings einen Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellen können4. In bestimmten Konstellationen kann es sich zudem anbieten, einen Erben mittels einer Verwirkungsklausel von der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen abzuhalten (vgl. Rz. 15.51).

15.69

b) Unternehmensbewertung Die Bewertung des Nachlasswertes ist im Pflichtteilsrecht – insbesondere im Vergleich zum steuer- 15.70 lichen Bewertungsrecht – nur rudimentär geregelt5. Im Hinblick auf die Bewertung des Unternehmens für Pflichtteilszwecke ist grundsätzlich der „wirkliche Wert“ maßgeblich, der unter Berücksichtigung der stillen Reserven und der Aktivierung des Firmenwerts6 berechnet wird7. Eine einhellig gebilligte Bewertungsmethode gibt es nicht8. Demnach kann stets den Besonderheiten des konkreten Falles Rechnung getragen werden. Der Substanzwert ist die Summe der selbständig veräußerungsfähigen Vermögensgegenstände des Unternehmens zu Wiederbeschaffungspreisen9. Der Ertragswert ist der Barwert der auf den Stichtag abgezinsten Zukunftserträge, wobei Zukunftserträge diejenigen Ausschüttungen sind, die möglich sind, ohne die Ertragskraft des Unternehmens nachhaltig zu schwächen10. Der Liquidationswert ist der Barwert der Nettoerlöse, der sich aus der Veräußerung aller Vermögenswerte abzüglich der Schulden und Kosten ergibt11. Ein Abstellen auf den Liquidationserlös wäre bei Fortführung des Unternehmens in der Regel nicht sachgerecht, da sonst eine Berechnung anhand einer Aufspaltung der Wirtschaftseinheit „Unternehmen“ erfolgte, zu der es bei einer Fortführung des Unternehmens eben nicht kommt. Der Liquidati-

1 So Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 69. 2 Teilweise deswegen als „Flucht ins Gesellschaftsrecht“ bezeichnet, so unten Rz. 26.523 ff.; siehe zu Einzelheiten noch unten Rz. 15.76 ff. und Rz. 15.210 ff. 3 Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 59. 4 Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 59. 5 J. Mayer, ZEV 1994, 331. 6 Zu den immateriellen Ertragsfaktoren gehören beispielsweise das Ansehen der Firma, Geschäftsverbindungen und Kundenstamm, BGH v. 30.9.1981 – IVa ZR 127/80, MDR 1982, 300. Ausführliche Darstellung beispielsweise bei Ellrott/Schmidt-Wendt in Beck’scher Bilanzkommentar, 2006, § 247 HGB Rz. 400 ff. 7 BGH v. 30.9.1981 – IVa ZR 127/80, MDR 1982, 300; BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, MDR 1973, 391. 8 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, MDR 1973, 391; BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441 (betreffend den Zugewinnausgleich). 9 MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 25. 10 Vgl. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 71. Es bedarf damit einer Prognose der zukünftig erzielbaren Erträge, die anhand der Erträge der letzten Jahre vor dem Tode erstellt werden kann. Dabei sind atypische Ereignisse wie die Auflösung stiller Reserven außer Betracht zu lassen. 11 MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 25.

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15.71

§ 15 Rz. 15.72

Unternehmensnachfolge

onswert bildet aber eine Wertuntergrenze1. Er ist ferner maßgeblich, wenn das Unternehmen tatsächlich zu liquidieren ist2. Wird das Unternehmen trotzdem fortgeführt, kommt es jedenfalls dann auf den Liquidationswert an, wenn ein ertragloses Unternehmen zum Stichtag auch unter Berücksichtigung der Zukunftsaussichten keinen positiven Ertragswert hat3. Ist dies nicht der Fall, ist die Lösung umstritten. In einer früheren Entscheidung hatte der BGH ein Abstellen auf den Liquidationswert abgelehnt4. Ob dies angesichts der Maßgeblichkeit des Liquidationswertes jedenfalls dann, wenn das Unternehmen ertraglos ist, noch gilt, ist zweifelhaft. Es wird geltend gemacht, dass die Höhe des Pflichtteilsanspruches nicht von der Entscheidung des Erben abhängig gemacht werden könne5. Das überzeugt auch vor dem Hintergrund, dass die zukünftige Ertragssituation in einem derartigen Fall in erheblichem Maße von dem unternehmerischen Geschick des Erben abhängig sein wird6. Von dem Grundsatz, dass der Liquidationswert die Wertuntergrenze bilde, ist daher generell nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Erbe zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet ist7.

15.72 Bei Unternehmen, die fortgeführt werden, kommt es nach der Rechtsprechung auf den Ertragswert an, wenn dieser unter dem Substanzwert liegt8. Dies wird damit begründet, dass sich ein potentieller Käufer bei der Preisbildung an der zu erwartenden Verzinsung seines eingesetzten Kapitals orientieren wird. Diese Vorgehensweise bei der Bewertung ist sachgerecht, weil somit eine Annäherung an den Preis, der auf einem Markt erzielt werden könnte (und einen derartigen Markt gibt es bei Unternehmen oftmals nicht) erreicht wird. Dieser Verkehrs- oder Normalverkaufswert ist bei der Bewertung anderer Wirtschaftsgüter für Pflichtteilszwecke maßgeblich9, so dass hier eine Gleichbehandlung von Unternehmen und anderen Vermögensgegenständen möglichst weitgehend durchgeführt werden kann. Zwar wird die Ertragsmethode wegen ihrer Prognoseorientierung kritisiert10, doch liegt diese bei Unternehmen in der Natur der Sache und stellt deswegen auch keinen Verstoß gegen das Stichtagsprinzip dar. Wird das Unternehmen tatsächlich zeitnah zum Erbfall verkauft, kann nach der Rechtsprechung dieser Wert herangezogen werden11. Denn der Preis, den ein Dritter für das Unternehmen zu zahlen bereit ist, dürfte den Wert des Unternehmens noch besser abbilden als abstrakte Berechnungsmethoden; es wird ein noch weitgehender Gleichlauf mit dem Verkehrs- oder Nominalverkaufswert erzielt12.

15.73 Ob es auf den Ertragswert alleine auch dann ankommt, wenn der Ertragswert über dem Substanzwert liegt, ist nicht klar. In der Rechtsprechung ist wohl generell eine Hinwendung zur Ertragswertmethode zu beobachten13, nachdem früher sowohl Substanz- und Ertragswert herangezogen wurden, und je nach den Besonderheiten des Einzelfalls dem einen oder anderen Faktor mehr Gewicht beige1 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, MDR 1973, 391 (392); BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2497 (2498). 2 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, MDR 1973, 391 (392); BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2497 (2498). 3 BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2497 (2498). 4 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, MDR 1973, 391. 5 Vgl. MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 25 m.w.N.; J. Mayer, ZEV 1994, 331 (335). 6 Kritisch aber Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 72. 7 MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 25 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 8 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, MDR 1978, 908; BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441; zur Ermittlung von Substanz- und Ertragswert vgl. BGH v. 30.9.1981 – IVa ZR 127/80, MDR 1982, 300. 9 MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 19. 10 Bamberger/Roth/J. Mayer, § 2311 BGB Rz. 28. 11 BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81, MDR 1982, 828 (829) (obwohl seit dem Erbfall ein Jahr vergangen war). 12 Für Landgüter trifft § 2312 BGB eine Sonderregelung. Die Vorschrift stellt allerdings eine „agrarpolitische Schutzvorschrift“ dar, vgl. Haas in Tiedtke/Kanzleiter, Unternehmensnachfolge im Mittelstand, 2012, S. 79. 13 So Winkler, ZEV 2005, 89 (90); MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 25.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.76 § 15

messen wurde1. Eine Ausnahme sollte jedenfalls dann gemacht werden, wenn der Ertrag besonders von der Person des bisherigen Unternehmers abhängt, also insbesondere bei kleinen oder mittleren Unternehmen oder Freiberuflerpraxen2. Hier taugt die Ertragswertmethode nicht, so dass der Substanzwert herangezogen werden sollte3. 8. Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen Der Unternehmer sollte bereits zu seinen Lebzeiten die rechtliche Lage so gestalten, dass sich die Nach- 15.74 folge schließlich wunschgemäß zu vollziehen vermag. Zum einen kommen insofern Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge in Betracht4. Darunter versteht man Nachfolgeregelungen, die eine lebzeitige „Übertragung des Vermögens oder eines wesentlichen Teils davon durch den künftigen Erblasser auf einen oder mehrere als künftige Erben in Aussicht genommene Empfänger“5 bewirken. Beispiele sind die Schenkung einer Unternehmensbeteiligung, etwa eines Kommanditanteils6, oder die Einräumung eines Nießbrauchs am Unternehmen (in der Form des Ertrags- oder des Vollrechtsnießbrauchs). Oftmals zeitigen Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge Vorteile gegenüber erbrechtlichen Modi der Weitergabe von Unternehmenswerten7. So kann beispielsweise die operative Mitarbeit von potentiellen Nachfolgern bereits in der rechtlichen Ausgestaltung des Unternehmens einen Widerhall finden; der anvisierte Nachfolger kann schrittweise auf seine Aufgaben vorbereitet werden8. Weiterhin können oft Belastungen durch Steuern und Pflichtteilsansprüche vermieden oder verringert werden9. Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge sind allerdings keine die Nachfolge vorbereitenden, sondern die Nachfolge bereits bewirkende Gestaltungen. Auch wenn Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge im Einzelfall nicht in Betracht kommen, sollte der Unternehmer zu Lebzeiten Vorkehrungen treffen, um einen reibungslosen Übergang des Unternehmens im Todesfall zu gewährleisten. Der Kreis der in Betracht kommenden Maßnahmen ist groß. Typischerweise sollte jedoch den folgenden Möglichkeiten besondere Beachtung geschenkt werden:

15.75

Eine Möglichkeit besteht in der Ausnutzung des gesellschaftsrechtlichen Anwachsungsprinzips10 zum Vermögensübergang „am Nachlass vorbei“11. Der Unternehmer kann mit dem oder den Nachfol-

15.76

1 BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, MDR 1972, 683; BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, MDR 1973, 391; BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441. 2 Zur Bewertung von Anwaltskanzleien siehe Janssen, NJW 2003, 3387. 3 So auch Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 72. 4 Vgl. ausführlich zur vorweggenommenen Erbfolge im Rahmen der Unternehmensnachfolge Sudhoff/ Stenger, Teil B; Riemenschneider, Unternehmensnachfolge, in Hauschild/Kallrath/Wachter (Hrsg.), Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 29 Rz. 87 ff. 5 BGH v. 1.2.1995 – IV ZR 36/94, MDR 1995, 500 (509); BGH v. 30.1.1991 – IV ZR 299/89, MDR 1991, 511 (512). 6 Bezüglich der Haftung des Beschenkten bei Fortführung des Unternehmens gelten die §§ 25 HGB, 613a BGB, 75 AO, vgl. Sudhoff/Stenger, § 28 Rz. 2 ff. 7 Vgl. beispielsweise Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1010, 1020: Die Gefahr, dass Erben die Erbschaft ausschlagen und den Pflichtteil verlangen, wird vermieden. 8 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1730. 9 Zu den steuerlichen Folgen von Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge vgl. Sudhoff/von Sothen, § 55 und Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch II Rz. 778 ff. 10 Der Grundsatz der Anwachsung bei Personengesellschaften ergibt sich für alle Rechtsformen aus § 738 Abs. 1 S. 1 BGB (für Personenhandelsgesellschaften über die §§ 105 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB). Liegt eine GbR vor, muss der Gesellschaftsvertrag die Fortsetzung der Gesellschaft bei Tod eines Gesellschafters vorsehen, weil nach § 727 BGB der Tod eines Gesellschafters zur Auflösung der Gesellschaft führen würde; die Vorschrift ist nicht zwingend und wird in der Praxis häufig abbedungen. 11 Vgl. Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 160 ff.

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§ 15 Rz. 15.77

Unternehmensnachfolge

gern eine Personengesellschaft gründen, in die er das Unternehmen einbringt1. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Fortsetzungsklausel, geht der Anteil unmittelbar und ohne in den Nachlass zu fallen gemäß § 738 BGB auf die übrigen Gesellschafter über, wächst diesen also an2. Es handelt sich hierbei um eine unentgeltliche Weitergabe von Vermögenswerten auf den Todesfall, nicht um eine Maßnahme der vorweggenommenen Erbfolge, bei der es bereits zu Lebzeiten zu einem Vermögensübergang kommt, weil das Unternehmen erst im Todesfall vom Nachfolger erworben wird3. Dies gilt zumindest dann, wenn dem Nachfolger nicht neben der Einräumung der Gesellschafterstellung ein Kapitalanteil an der Gesellschaft geschenkt wird. Diese Vorgehensweise bietet sich an, wenn eine Auseinandersetzung zwischen Miterben vermieden werden soll. Der Nachfolger kann auch auf seine zukünftigen Aufgaben vorbereitet werden, indem er Geschäftsführungsbefugnis eingeräumt bekommt und diese ausübt. Auch steuerliche Gründe, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Verringerung der Progressionsstufe bei der Einkommensteuer, kommen in Betracht4. Da das Unternehmen nicht in den Nachlass fällt, ist keine Erbauseinandersetzung vorzunehmen5. Abfindungsansprüche weichender Erben können ausgeschlossen werden (siehe im Einzelnen Rz. 15.94 f.). Deswegen kann die Anwachsung nach der Rechtsprechung auch zu einer Verminderung von Pflichtteilsansprüchen führen6.

15.77 Gesellschaftsvertraglich muss das Problem gelöst werden, wie sich der Unternehmer seine Dispositions- und Widerrufsfreiheit zu Lebzeiten erhalten kann. Denn bei der Weitergabe von Vermögenswerten im regulären Erbgang ist der Erblasser zu Lebzeiten nicht daran gehindert, anderweitig über die entsprechenden Vermögenswerte zu disponieren bzw. seine Begünstigung zu widerrufen. Diese Freiheiten wird sich der Unternehmer auch bei Ausnützung des Anwachsungsprinzips oftmals erhalten wollen. Der Gesellschaftsvertrag sollte deswegen vorsehen, dass der Unternehmer, wenn er zu Lebzeiten selbst aus der Gesellschaft ausscheidet, die eingebrachten Vermögenswerte zurückerhält7. Die Kündigung des anderen Gesellschafters hat keine schwerwiegenden Folgen, denn bei der Auseinandersetzung ist auf die Vermögenswerte, die jeweils eingebracht wurden, Rücksicht zu nehmen. Der ausscheidende Gesellschafter erhält nur seine Einlage und einen Abfindungsanspruch in Höhe der einbehaltenen Gewinne, partizipiert also nicht an der Substanz des durch den anderen Gesellschafter eingebrachten Unternehmens. Anders ist dies lediglich, wenn dem ausscheidenden Gesellschafter ein Kapitalanteil geschenkt wurde, wovon aus den genannten Gründen abzuraten ist. Die beherrschende Position des Erblassers in der Gesellschaft zu Lebzeiten kann ferner durch weitere gesellschaftsvertragliche Maßnahmen sichergestellt werden, wie beispielsweise ungleiche Stimmgewichtsverteilung, disparitätische Ausschüttungen und Geschäftsführungsbefugnisse. Allerdings kann ein Gesellschafter nicht einfach durch freie Hinauskündigungsklauseln aus der Gesellschaft entfernt werden, wenn der Unternehmer seine Meinung ändert. Denn die Rechtsprechung fordert für die Ausschließung von Gesellschaftern einen sachlichen Grund8.

15.78 Die dargestellten Wirkungen der Anwachsung können auch bei der Gründung einer Kapitalgesellschaft erzielt werden. Die Satzung muss hier die Einziehung des Anteils beim Tode eines Gesellschafters vorsehen, vgl. § 237 Abs. 1 S. 2 AktG, § 34 Abs. 1 GmbHG (siehe Rz. 15.239 ff.). Diese Einziehung bedarf nach dem Tode gemäß § 237 Abs. 2 S. 1, § 222 Abs. 1 AktG, § 46 Nr. 4 GmbHG eines Gesell1 Häufiger Anwendungsfall dieser Konstruktion ist auch die Familien-Grundbesitzgesellschaft oder Ehegatten-Eigenheimgesellschaft, vgl. hierzu Sudhoff/Hübner, § 72. 2 § 738 BGB findet entsprechende Anwendung, wenn bei einer Zwei-Personen-Gesellschaft ein Gesellschafter verstirbt, d.h. die Gesellschaft erlischt und der Überlebende Gesamtrechtsnachfolger wird, vgl. MünchKomm/Schäfer, § 738 BGB Rz. 11 m.w.N. 3 Erforderlich ist allerdings eine Einbringung der Vermögenswerte zu Eigentum, nicht lediglich zur Nutzung, weil sie sonst im Todesfall an die Erben herauszugeben wären. 4 Vgl. Sudhoff/Stenger, § 20 Rz. 4. 5 Zu den steuerlichen Folgen von Anwachsungsmodellen ausführlich Sudhoff/Berenbrok, § 65 Rz. 4 ff. 6 Diese Rechtsprechung sieht sich allerdings vermehrt erheblicher Kritik ausgesetzt, vgl. Rz. 15.211. 7 § 733 Abs. 2 S. 2 BGB sieht zwar lediglich Wertersatz vor, die Vorschrift ist aber nicht zwingend, vgl. MünchKomm/Schäfer, § 732 BGB Rz. 7. 8 BGH v. 5.6.1989 – II ZR 227/88, MDR 1989, 886 (887).

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Rz. 15.81 § 15

schafterbeschlusses. Im Ergebnis wird hier das gleiche Resultat wie bei den Personengesellschaften erzielt. Die Gründung einer Kapitalgesellschaft zu Lebzeiten bietet sich jedoch auch in anderer Form (insbesondere ohne Beteiligung des Nachfolgers) und aus anderen Motiven an1. Wenn der Unternehmer zu seinen Lebzeiten eine Ein-Mann-Kapitalgesellschaft gründet, dann kommen die Vorteile der Kapitalgesellschaft dem Nachfolger zugute, also der Ausschluss der persönlichen Haftung, die Möglichkeit der Fremdorganschaft (beispielsweise im Hinblick darauf, dass längerfristig Fremdmanagement erforderlich werden könnte) und kapitalistische Gesellschaftsstruktur (auch den Zugang zum Kapitalmarkt)2. Demnach bietet sich die Gründung einer Kapitalgesellschaft insbesondere an, wenn der Unternehmer für seinen Nachfolger eine Haftungsbegrenzung wünscht3. Gerade die Vorbereitung der Erbfolge ist gegenüber Dritten ein gutes Argument, um die Haftungsbegrenzung zu rechtfertigen4. Die weiteren rechtlichen Folgen im Erbgang richten sich sodann nach der Vererbung von Kapitalgesellschaftsanteilen (siehe Rz. 15.228–15.299).

15.79

In Betracht kommt ferner die Gründung einer GmbH & Co. KG5. Hierdurch können unter mehreren Erben einige nur kapitalmäßig, andere dagegen auch im Hinblick auf Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse beteiligt werden, so beispielsweise, wenn der Unternehmer die Versorgung seiner Ehefrau bezweckt, ein Kind aber das Unternehmen weiterführen soll. Auch die stille Gesellschaft bietet sich hier an.

15.80

Zu denken ist weiterhin an eine Betriebsaufspaltung6. In diesem Rahmen können haftungsintensive 15.81 Aktivitäten auf die Ebene einer zu gründenden Kapitalgesellschaft verlagert werden (Betriebs-GmbH), während eine andere Gesellschaft die Betriebsmittel zur Verfügung stellt7. Die Gesellschaften können dann an verschiedene Personen vererbt werden, etwa die Besitzgesellschaft, die nur Verwaltungsaktivitäten erfordert, an ein zu versorgendes Familienmitglied oder den Ehepartner8, und die Betriebsgesellschaft an einen familienfremden, geschäftserfahrenen Nachfolger. Eine andere Möglichkeit ist, eine der Gesellschaften schon zu Lebzeiten mittels vorweggenommener Erbfolge weiterzugeben, die andere dagegen zu behalten, etwa wenn dem Unternehmer noch Gewinne zukommen sollen, er die Führung des operativen Geschäfts aber bereits einem anderen überlassen möchte. Auch wenn mehrere Erben vorhanden sind, die unternehmerisch tätig sind oder zukünftig sein wollen, kann eine Aufspaltung sinnvoll sein, um jedem Erben einen eigenen Verantwortungsbereich zuzuweisen, sofern mehrere trennbare Betriebsteile vorhanden sind. Weiterhin kommt die Aufspaltung in Betracht, wenn nach dem Erbfall Unternehmensteile veräußert werden sollen9.

1 Vgl. dazu auch Sudhoff/Hübner, § 74 Rz. 20 ff. 2 Dieses Vorgehen hat im Regelfall keine negativen steuerlichen Auswirkungen, da eine Fortführung der Buchwerte möglich ist. Vgl. zu den steuerlichen Fragen Sudhoff/Berenbrok, § 56 Rz. 26; § 59 Rz. 9 ff.; § 63 Rz. 2 ff. 3 Auch ein Vorgehen nach dem UmwG im Wege der Ausgliederung ist gemäß §§ 123 Abs. 3, 152 UmwG möglich, wobei in diesem Fall ggf. zur Ersparnis von Grunderwerbsteuer empfohlen wird, zunächst eine KG zu gründen, vgl. im Einzelnen Sudhoff/Berenbrok, § 59 Rz. 10 f. 4 Sudhoff/Berenbrok, § 56 Rz. 3, § 59 Rz. 2. 5 Vgl. Sudhoff/Hübner, § 74 Rz. 29 ff. Auch eine Ein-Mann-GmbH & Co. KG ist möglich, vgl. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1699 f. 6 Vgl. Crezelius, 2009, Rz. 410 ff., insbesondere Rz. 416 ff. zur ertragsteuerlichen Behandlung. 7 Vgl. im Einzelnen Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1701 ff. Die Aufspaltung birgt auch Gefahren, die durch das „Wiesbadener Modell“ zu vermeiden gesucht werden, vgl. hierzu Sudhoff/Hübner § 73 und Crezelius, 2009, Rz. 411. 8 Auch steuerliche Vorteile können hierfür maßgeblich sein, weil der Erbe, der nicht als Unternehmer tätig werden will, seine Beteiligung später steuervergünstigt veräußern kann, vgl. Sudhoff/Berenbrok, § 60 Rz. 3. 9 Dazu ausführlich Sudhoff/Berenbrok, § 61 Rz. 14 ff.

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§ 15 Rz. 15.82

Unternehmensnachfolge

15.82 Möchte der Unternehmer den Unternehmensgegenstand in bestimmtem Maße perpetuieren, bietet sich ferner die Ausreichung eines Stiftungsvermögens an (hierzu siehe ausführlich Rz. 16.1 ff.). Dringend sollte bei verheirateten Unternehmern überprüft werden, ob der Güterstand sachgerecht gewählt ist. Einerseits ist dies für Pflichtteilsansprüche bedeutsam (siehe hierzu schon Rz. 15.65 ff.); andererseits lässt sich die Höhe des Erbteils durch eine Änderung des Güterstands erheblich beeinflussen1. Auch die Vereinbarung von Pflichtteilsverzichten sollte erwogen werden (vgl. Rz. 15.63 f.). Zuletzt sei auf die Möglichkeit hingewiesen, einen Beirat zu installieren2. So wenig der Beirat ein gesetzlich definiertes Gebilde ist, so sinnvoll kann es sein, ein beaufsichtigendes, sachverständiges Kollegialorgan zu schaffen, das auf wichtige unternehmerische Entscheidungen Einfluss nehmen kann. Hier besteht eine sehr weitgehende Gestaltungsfreiheit. Der Beirat kann mit Dritten besetzt werden, die dem Unternehmensnachfolger bei der operativen Tätigkeit zur Seite stehen. Umgekehrt kann der Beirat mit Erben besetzt werden, die nach dem Tode des Unternehmers das Fremdmanagement beaufsichtigen, was in Frage kommt, wenn sich die Erben selbst nicht operativ betätigen wollen; eine Konstellation, die beispielsweise bei einer Vererbung des Unternehmens an die eigene Familie in Betracht kommt.

III. Nachfolge in Anteile an Personengesellschaften 1. Grundsätzliches

15.83 Hinsichtlich der gesetzlichen Folgen beim Tod eines Gesellschafters einer Personengesellschaft ist zunächst zwischen den einzelnen Gesellschaftsformen zu differenzieren. Bestehen keine abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelungen, wird eine GbR gemäß § 727 Abs. 1 BGB durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst. Bei der OHG scheidet der Verstorbene aus, und die Gesellschaft wird mit den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt, vgl. § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB3. Über die Verweisungsnorm des § 161 Abs. 2 HGB ergibt sich in der KG die gleiche Rechtslage beim Tod eines Komplementärs. Beim Tod des letzten persönlich haftenden Gesellschafters wird die Personengesellschaft allerdings aufgelöst4. Der Kommanditanteil ist dagegen gemäß § 177 HGB vererblich. Die Beteiligung an einer Partnerschaftsgesellschaft ist nach § 9 Abs. 4 S. 1 PartGG unvererblich, es gilt gemäß § 9 Abs. 1 PartGG OHG-Recht. Eine stille Gesellschaft wird beim Tode des Geschäftsinhabers nach § 727 Abs. 1 BGB aufgelöst. Beim Tode des stillen Gesellschafters wird sie gemäß § 234 Abs. 2 HGB nicht aufgelöst. Die KGaA wird beim Tode des letzten Komplementärs aufgelöst, wenn mehrere Komplementäre vorhanden sind, beim Tode eines Komplementärs gemäß § 131 HGB unter den verbliebenen Gesellschaftern fortgesetzt5, die Aktien sind dagegen vererblich6. Bei der EWIV führt der Tod eines Gesellschafters zum Ausscheiden aus der Gesellschaft7.

15.84 Es liegt auf der Hand, dass diese gesetzlichen Folgen nicht in allen Fällen dem Willen und/oder den Interessen der Beteiligten entsprechen. Dann müssen der Gesellschaftsvertrag wie auch die letztwilligen Verfügungen entsprechende Regelungen vorsehen. Es besteht insofern eine sehr weitgehende Vertragsfreiheit. Sowohl die Auflösung, die Fortsetzung unter den verbleibenden Gesellschaftern als auch die Vererbung des Anteils sind bei allen Gesellschaftsformen möglich.

1 Eingehend Bengel in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 1 ff. 2 Ausführlich zum Beirat im Familienunternehmen P. May in Hennerkes/Kirchdörfer, Familienunternehmen, § 15. 3 Anders noch die Rechtslage vor dem Handelsrechtsreformgesetz von 1998 (wie GbR). 4 MünchHdbGesR/Klein, Bd. 2, § 40 Rz. 11. Dagegen wird die KG zur OHG, wenn nur noch Komplementäre übrig bleiben, K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 53 V 1 a, was allerdings nur denkbar ist, wenn der Kommanditanteil entgegen der gesetzlichen Lage unvererblich gestellt wird. 5 MünchHdbGesR/Herfs, Bd. 4, § 75 Rz. 35. 6 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 43, 78. 7 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 73.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.87 § 15

Beratungshinweis: Für den Verfügenden kommt es darauf an, das Testament auf die gesellschaftsrechtliche Regelung abzustimmen. Im Grundsatz gilt, dass in die Gesellschaft nur nachfolgen kann, wenn dies durch die gesellschaftsrechtliche Regelung gestattet ist. Der Erblasser muss diesen nachfolgeberechtigten Personen auch den Gesellschaftsanteil zuwenden, ansonsten geht die Nachfolgeberechtigung ins Leere. Das kann insbesondere bei der qualifizierten Nachfolgeklausel dramatische Folgen haben. Im Grundsatz lässt sich feststellen, dass das Gesellschaftsrecht hinsichtlich der Nachfolge im Zweifel immer Vorrang vor dem Erbrecht hat.

2. Gesellschaftsvertragliche Regelungsmöglichkeiten a) Auflösung Sieht der Gesellschaftsvertrag die Auflösung der Gesellschaft beim Tode eines Gesellschafters vor1, oder 15.85 ist bei der GbR keine anderweitige Regelung getroffen, besteht die Gesellschaft zunächst als Liquidationsgesellschaft fort2. Der Erbe wird Mitglied der Liquidationsgesellschaft3. Die Auseinandersetzung richtet sich nach den §§ 730 ff. BGB. Der Anspruch des Erben auf das Auseinandersetzungsguthaben fällt in den Nachlass. Die Auflösung der Gesellschaft beim Tode eines Gesellschafters kommt als Gestaltungsmittel vor allem dann in Betracht, wenn die Gesellschaft personalistisch geprägt ist. Die Mitgliedschaft einer Miterbengemeinschaft an der Liquidationsgesellschaft wird von der 15.86 Rechtsprechung nicht als problematisch erachtet, weil eine derartige Gesellschaft ihrem Wesen nach – wie die Miterbengemeinschaft selbst – auf Auseinandersetzung angelegt ist und deswegen Probleme der Teilnahme einer Miterbengemeinschaft am Handelsverkehr (vgl. bereits Rz. 15.27 ff.) bzw. an einer werbenden Personengesellschaft (vgl. dazu Rz. 15.98) nicht zu besorgen sind. Der Anteil steht den Miterben deswegen zur gesamten Hand zu4. Nach § 146 Abs. 1 S. 2 HGB hat die Miterbengemeinschaft im Falle einer Personenhandelsgesellschaft einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen, der Liquidator wird; im Übrigen gilt für alle Personengesellschaften die Vorschrift des § 727 BGB5. Bei einer zweigliedrigen Gesellschaft ist die Gesellschaft mit dem Tode beendigt, da es auch in der Form der Liquidationsgesellschaft keine „Ein-Mann-Personengesellschaft“ gibt. Das Gesellschaftsvermögen geht auf den verbleibenden Gesellschafter über6. Dieser kann bei den Personenhandelsgesellschaften die Haftung durch Einstellung des Geschäftsbetriebs unter den Voraussetzungen des § 27 HGB auf das Gesellschaftsvermögen beschränken7. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken der §§ 27, 139 HGB. Eine Ausnahme von der Beendigung der Gesellschaft ist zu machen, wenn das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet wird, soweit das Nachlassinsolvenzverfahren dies erfordert8.

1 Formulierungsvorschlag bei Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 10. 2 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 50. Anders ist dies nur bei der reinen Innengesellschaft; dieses Schuldverhältnis erlischt mit der Auflösung und es findet keine Liquidation im eigentlichen Sinne, sondern lediglich eine Abrechnung aller Forderungen und Verbindlichkeiten statt, K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 45 V 2 b. 3 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 50. Zu den steuerlichen Folgen Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 100 m.w.N. 4 BGH v. 20.5.1981 – V ZB 25/79, MDR 1982, 308; BGH v. 13.7.2017 – V ZB 136/16, MDR 2017, 1433 Rz. 16; ausführliche weitere Nachweise bei Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1124. 5 Vgl. MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 3. 6 MünchKomm/Schäfer, § 730 BGB Rz. 11. 7 BGH v. 10.12.1990 – II ZR 256/89, MDR 1991, 507; Marotzke, ZHR 156 (1992), 17. 8 Umstritten, dafür MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 51; K. Schmidt, § 105 HGB Rz. 78; dagegen MünchKomm/Schäfer § 705 BGB Rz. 65; MünchKomm/Siegmann § 1976 BGB Rz. 7; Marotzke, ZHR 156 (1992), 17 (32 ff.). Vgl. noch zur Parallelproblematik bei Vor- und Nacherbschaft und Testamentsvollstreckung oben Rz. 15.179 und Rz. 15.206. Vgl. auch Baumann, BB 1998, 230.

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627

15.87

§ 15 Rz. 15.88

Unternehmensnachfolge

15.88 Die Mitglieder einer Liquidationsgesellschaft können einen Fortsetzungsbeschluss fassen1. Dieser bedarf der Zustimmung aller bisherigen Gesellschafter und der Erben2. Denn unter den Gesellschaftern handelt es sich um ein Grundlagengeschäft, das einer einstimmigen Beschlussfassung bedarf, und innerhalb der Erbengemeinschaft ist ebenfalls Einstimmigkeit erforderlich, da es sich nicht mehr um eine Maßnahme ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung handelt3. In der Folge wird jeder Erbe Gesellschafter, wenn nicht die Fortsetzung ohne die Erben beschlossen wird; der Anteil bestimmt sich in jenem Fall nach der Erbquote. Ist ein Gesellschafter nicht zur Fortsetzung bereit, kann ihm die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gebieten, auszuscheiden, wenn er von der Haftung von Gesellschaftsverbindlichkeiten befreit wird und ihm als Abfindung der volle Wert des Anteils angeboten wird4. Auch wenn die Liquidation bereits durchgeführt wurde und die Gesellschaft damit vollbeendigt ist, ist eine Fortsetzung möglich. Die Gesellschafter müssen hier eine Gesellschaft neu gründen. Der Wille hierzu kann aber einem Fortsetzungsbeschluss entnommen werden5. b) Fortsetzung

15.89 Bestimmt der GbR-Gesellschaftsvertrag die Fortsetzung der Gesellschaft mit den verbliebenen Gesellschaftern (§§ 727 Abs. 1, 736 BGB), enthält also eine „Fortsetzungklausel“ (Formulierungsvorschlag sogleich Rz. 15.90a), oder wurde bei OHG bzw. KG (bezüglich der Komplementäre) keine anderweitige Regelung getroffen, wird die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt, während der verstorbene Gesellschafter mit dem Tode aus der Gesellschaft ausscheidet6. Sein Anteil wächst den Mitgesellschaftern gemäß § 738 Abs. 1 S. 1 BGB an7. Eine Fortsetzungsklausel kann dem Gesellschaftsvertrag durch ergänzende Vertragsauslegung entnommen werden8. Im Ergebnis führt das Anwachsungsprinzip dazu, dass die Mitgesellschafter den Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters zwar auf den Todesfall, aber am Nachlass vorbei erwerben9. Lediglich die Forderungen des Gesellschafters gegen die Gesellschaft aus Privatkonten, Darlehenskonten usw. – sowie ggf. der Abfindungsanspruch, soweit er nicht ausgeschlossen ist (hierzu siehe Rz. 15.94 f.) – fallen in den Nachlass10. So beziehen sich dann etwa eine Nachlassverwaltung, ein Nachlassinsolvenzverfahren oder eine Testamentsvollstreckung nicht auf den Anteil, der den anderen Gesellschaftern angewachsen ist11.

15.90 Die Fortsetzungsklausel hat ihren Anwendungsbereich zunächst dort, wo die Beteiligung an der Gesellschaft Ausdruck persönlicher Verbundenheit zwischen den Gesellschaftern ist. Die Mitgliedschaft unerwünschter Nachfolger wird verhindert. Insbesondere kann es auch nicht zum Eintritt einer Vielzahl von Nachfolgern in die Gesellschaft kommen. Es ist keine Auseinandersetzung zwischen Miterben erforderlich (siehe auch bereits Rz. 15.76 ff.). Sind diese Folgen erwünscht, erweist sich die Fortsetzungsklausel als sachgerecht. Häufiger Fall ist zudem die Familien-Grundbesitzgesellschaft, bei der die Gesellschaft eigens zu dem Zweck gegründet wird, Liegenschaften auf den Todesfall am Nachlass vorbei

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Crezelius, 2009, Rz. 251. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 11 V 5. Crezelius, 2009, Rz. 251. BGH v. 21.10.1985 – II ZR 57/85, MDR 1986, 474 (475). Crezelius, 2009, Rz. 251. Deswegen schlägt K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 45 V 1 c eine Bezeichnung als „Ausschließungsklausel“ vor. Zu den steuerlichen Folgen der Fortsetzungsklausel vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 101 ff. und Kirnberger/Werz, ErbStB 2004, 10. BGH v. 23.11.1978 – II ZR 20/78, MDR 1979, 557. Crezelius, 2009, Rz. 256 und Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 160 ff. Crezelius, 2009, Rz. 256. Crezelius, 2009, Rz. 256. Zur Verfügungsbefugnis über im Grundbuch eingetragene Rechte einer GbR bei Tod eines Gesellschafters, Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens und vereinbarter Nachfolgeklausel siehe BGH v. 13.7.2017 – V ZB 136/16, MDR 2017, 1433.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.93 § 15

zu vererben1. Ferner kommt die Fortsetzungsklausel in Betracht, um Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche zu verhindern (hierzu im Einzelnen Rz. 15.210 ff.). Soll eine GbR beim Tode eines Gesellschafters abweichend von § 727 Abs. 1 BGB fortgesetzt werden, ist eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag erforderlich (vgl. § 736 BGB):

M 132 Fortsetzung einer GbR nach Tod eines Gesellschafters („Fortsetzungsklausel“)

15.90a

Verstirbt ein Gesellschafter, scheidet dieser aus der Gesellschaft aus. Die Gesellschaft wird ausschließlich zwischen den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt. Der Anteil des verstorbenen Gesellschafters wächst den übrigen Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung an der Gesellschaft an.

Die Fortsetzungsklausel kann auch in modifizierter Form vereinbart werden, etwa dergestalt, dass die Gesellschaft bei Versterben einzelner Gesellschafter aufgelöst, bei Versterben anderer mit den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird, oder dass nur einzelnen Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben erlaubt wird und im Übrigen eine Fortsetzung unter den überlebenden Gesellschaftern bestimmt wird. Es besteht auch die Möglichkeit, die Fortsetzung von einem Fortsetzungsbeschluss der verbleibenden Gesellschafter abhängig zu machen2.

15.91

Eine alternative Gestaltungsform ist die Vereinbarung eines Übernahmerechts. Hier haben die ver- 15.92 bleibenden Gesellschafter das Recht, die Übernahme des Gesellschaftsanteils durch einseitige Übernahmeerklärung herbeizuführen3. Der Gesellschaftsanteil fällt hier zwar in den Nachlass4, ist jedoch zunächst wegen der Belastung mit der gesellschaftsrechtlichen Funktion nicht nachlassaktiv5. Es kommt hier zur Liquidation der Gesellschaft, wenn die Übernahme nicht innerhalb von der im Gesellschaftsvertrag bestimmten Frist ausgeübt wird6. Bei einer zweigliedrigen Gesellschaft findet beim Tode eines der Gesellschafter nach zutreffender Ansicht eine direkte Anwachsung an den anderen Gesellschafter statt; wenn demnach ein Gesellschafter verstirbt, erlischt die Gesellschaft und der Überlebende wird Gesamtrechtsnachfolger7. Für die zur Zwei-Personen-Gesellschaft herabgesunkene GbR ist dagegen h.M., dass eine Fortsetzungsklausel bei Versterben eines der Gesellschafter als Übernahmerecht bezüglich des Gesellschaftsvermögens auszulegen sei8. Würde in diesem Fall keine Übernahmeerklärung erfolgen (an die Erklärung werden allerdings keine hohen Anforderungen gestellt; die Fortführung des Geschäftsbetriebs reicht aus9), müsste eine Liquidation mit den Erben stattfinden. Folge der Ausübung eines derartigen Übernahmerechts ist allerdings ebenfalls die Anwachsung des Gesellschaftsvermögens auf den Mitgesellschafter10. 1 Hierzu siehe BGH v. 23.12.1981 – IVb ZR 639/80, MDR 1982, 471; Sudhoff/Hübner, § 72; K. Schmidt, AcP 182 (1982), 481 ff. 2 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 52 m.w.N. 3 Vgl. BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338. Zu steuerlichen Folgen Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 104 ff. 4 RG v. 23.10.1934 – II 129/34, RGZ 145, 289 (295). 5 Von BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338 wurde offen gelassen, ob es sich um ein „gesellschaftsrechtlich gebundenes Zweckvermögen“ (so noch RG v. 23.10.1934 – II 129/34, RGZ 145, 289 (295)) handele oder ob der Anteil zwar in den Nachlass falle, aber nicht „nachlassaktiv“ sei. Aus heutiger Sicht ist aber letztgenannte Formulierung vorzugswürdig. 6 Sudhoff/Froning, § 39 Rz. 69. 7 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 45 V 3 c. 8 MünchKomm/Schäfer, § 730 BGB Rz. 69; Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1122; a.A. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 45 V 3 c. 9 BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338. 10 Sudhoff/Froning, § 39 Rz. 69.

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15.93

§ 15 Rz. 15.94

Unternehmensnachfolge

15.94 Ohne anderweitige gesellschaftsvertragliche Vereinbarung kommt den Erben bei einer Fortsetzungsklausel ein Abfindungsanspruch zu1. Die Abfindung erfolgt unter Fortführungsgesichtspunkten, nicht nach Liquidationswerten, so dass der volle Wert anzusetzen ist, der den Firmenwert und stille Reserven umfasst2. Insofern ergeben sich zwischen der Bewertung für erbrechtliche und der für gesellschaftsrechtliche Zwecke keine Unterschiede3. Der Abfindungsanspruch der Erben kann allerdings in der vorliegenden Konstellation, wie auch ansonsten beim Tode eines Gesellschafters4, bis zur kaum relevanten Grenze des § 138 BGB ausgeschlossen werden5. Die Gründe, die in sonstigen Fällen zur Unzulässigkeit von Abfindungsbeschränkungen führen können6, sind für den Abfindungsausschluss im Todesfall nicht relevant. Ein vereinbarter Abfindungsausschluss kann auch nicht daran scheitern, dass wegen § 2301 Abs. 1 BGB erbrechtliche Formvorschriften einzuhalten gewesen wären. Zwar ist fraglich, ob in der Vereinbarung eines Abfindungsausschlusses eine Schenkung auf den Todesfall unter den Gesellschaftern liegen kann7. Jedenfalls wäre eine solche Schenkung aber im Sinne des § 2301 Abs. 2 BGB vollzogen, weil die anderen Gesellschafter den Anteil automatisch mit dem Todesfall ohne Belastung mit Abfindungsansprüchen, also ohne dass weitere Vollzugsakte erforderlich wären, erwerben8. Gerade dieser Vonselbsterwerb ist nach der Rechtsprechung das maßgebliche Kriterium für die Bejahung eines lebzeitigen Vollzugs9.

15.95 Wenn der Abfindungsanspruch nicht vollständig ausgeschlossen wird, ist es zumindest zweckmäßig, die Höhe und die Modalitäten der Geltendmachung des Anspruchs gesellschaftsvertraglich exakt festzulegen. Um Streit über die angemessene Bewertungsmethode zu vermeiden, kommen beispielsweise Buchwertklauseln in Betracht10. Zweckmäßig ist es zudem, eine Regelung bezüglich der schwebenden Geschäfte zu treffen. Nach § 740 BGB ist der ausscheidende Gesellschafter an diesen zu beteiligen. Dies ist eine Quelle für Streitigkeiten. Es empfiehlt sich deswegen, gesellschaftsvertraglich die Beteiligung an schwebenden Geschäften auszuschließen. Weiterhin kommen Regelungen über die Fälligkeit des Abfindungsanspruchs, ggf. Ratenzahlungsvereinbarungen und eine Abbedingung des § 738 Abs. 1 S. 3 BGB, wonach dem ausscheidenden Gesellschafter Sicherheit für noch nicht fällige Gesellschaftsverbindlichkeiten zu leisten ist, wenn der ausscheidende Gesellschafter nicht von diesen befreit wird, in Betracht. Unabhängig von der Frage der Abfindungsansprüche sind den Erben des verstorbenen Gesellschafters zur Nutzung in die Gesellschaft eingebrachte Gegenstände zurück zu überlassen, sofern nicht im Einzelnen Überlassungsverträge mit dem verstorbenen Gesellschafter geschlossen wurden, die einer Rückübertragungspflicht entgegenstehen. Beratungssituation: E hat drei Kinder (A, B, C). Er hat sein Einzelunternehmen in eine OHG eingebracht, in die die Kinder A und B eingetreten sind. Im Gesellschaftsvertrag ist vereinbart, dass den Mitgesellschaftern der Geschäftsanteil des E im Falle seines Todes entschädigungslos anfallen soll.

Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine unentgeltliche Zuwendung. Der Gesellschaftsanteil geht bei Versterben des E am Nachlass vorbei unmittelbar auf A und B über. Das ist steuerlich und unternehmensorganisatorisch eine angemessene Lösung. Allerdings wird es darauf ankommen, ob E in seinem Testament für einen angemessenen Ausgleich zugunsten des Kindes C gesorgt und was er bei Zu-

1 2 3 4 5 6 7

MünchKomm/Schäfer, § 730 BGB Rz. 83. Reimann, ZEV 1994, 7 (8); Crezelius, 2009, Rz. 254; MünchKomm/Schäfer, § 738 BGB Rz. 24. Reimann, ZEV 1994, 7 (8). Vgl. Rz. 15.112 und 15.118. Reimann, DNotZ 1992, 472 (488 f.); Reimann, ZEV 1994, 7 (11). Siehe hierzu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 50 IV 2 c mit umfangreichen Literaturnachweisen. Zu diesem Problem siehe noch unten Rz. 15.210 ff. Steuerrechtlich wird die Fortsetzung unter Vereinbarung von Abfindungssausschlüssen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 ErbStG als Schenkung auf den Todesfall behandelt, vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 8. 8 So auch zutreffend BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338 (1339). 9 BGH v. 19.6.1970 – V ZR 144/67, WM 1970, 638; BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338. 10 Zu Buchwertklauseln allgemein Müller, ZIP 1995, 1561.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.98 § 15

wendung seines Geschäftsanteils an A und B hinsichtlich der Anrechnung auf Erb- und Pflichtteil und eventueller Ausgleichspflichten angeordnet hat. Beratungshinweis: Klauseln wie die vorstehende sollten aus steuerlichen und unternehmerischen Überlegungen verwendet werden, nicht um den Versuch zu machen, Erb- oder Pflichtteilsansprüche anderer Kinder zu umgehen, da das erstens sehr unsicher ist und zweitens zu unnötigen Streitereien führt, die die Unternehmensnachfolge eher behindern als fördern.

c) Erbrechtliche Nachfolge aa) Allgemeines Bei den Nachfolgeklauseln wird festgelegt, dass die Gesellschaft mit den Erben des Gesellschafters als solchen (einfache Nachfolgeklausel1) oder einzelnen unter ihnen (qualifizierte Nachfolgeklausel2) fortzusetzen ist. Die Zulässigkeit von Nachfolgeklauseln wird für Personenhandelsgesellschaften in den §§ 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 139 HGB vorausgesetzt3. Ihre uneingeschränkte Zulässigkeit ist aber auch für die GbR unbestritten4. Bei der PartG muss der Nachfolger als Partner gemäß § 9 Abs. 4 S. 2 PartGG in Betracht kommen5.

15.96

Lange war umstritten, ob der Erwerb des Gesellschaftsanteils auf gesellschaftsrechtlichem oder erb- 15.97 rechtlichem Wege erfolgt6. Die Rechtsprechung hat sich bei Nachfolgeklauseln zu Recht7 für letzteren Weg entschieden8. Der Gesellschaftsanteil wird also durch eine Nachfolgeklausel vererblich gestellt9. Eine solche Nachfolgeklausel ist demnach im Ergebnis eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung, die der Festlegung dient, dass der Gesellschaftsanteil in den Nachlass fällt. Eine solche Disposition des Gesellschaftsvertrags über das Vermögen der einzelnen Gesellschafter ist möglich, wie man an den Folgen einer Fortsetzungsklausel (siehe Rz. 15.89 ff.) sehen kann. Weiterer Vollzugsakte bedarf es aufgrund des erbrechtlichen Vonselbsterwerbs nicht. Aus der Nachlasszugehörigkeit folgt unter anderem, dass ein Vermächtnis, das sich auf den Gesellschaftsanteil bezieht, kein Verschaffungsvermächtnis ist10. Die Rechtsprechung nimmt weiterhin an, es finde eine Sonderrechtsnachfolge in den Gesellschaftsanteil statt, d.h. die Erben rückten bei einer einfachen Nachfolgeklausel entsprechend ihrer Erbquo1 Formulierungsbeispiel: „Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern mit den Erben fortgesetzt.“ Die einfache Nachfolgeklausel entspricht der gesetzlichen Lage bei der Vererbung von Kommanditanteilen. Zu den steuerlichen Folgen Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 105 f. 2 Formulierungsbeispiel: „Beim Tod eines Gesellschafters wird die Gesellschaft nur mit dem ältesten leiblichen Abkömmling des Verstorbenen fortgesetzt.“ Zu den steuerlichen Folgen Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 107 f. Problematisch kann die qualifizierte Nachfolgeklausel in steuerlicher Hinsicht immer dann sein, wenn Sonderbetriebsvermögen vorhanden ist, weswegen von der qualifizierten Nachfolgeklausel teilweise abgeraten wird, vgl. Menges/Stähle, BB 1994, 2122. 3 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1193. 4 Vgl. MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 4 f. 5 Reimann in Reimann/Bengel/J. Mayer, E 139. 6 Vgl. die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I, Rz. 1198. 7 Die gesellschaftsrechtliche Lösung würde sowohl zu einem Verstoß gegen den Grundsatz, dass Verträge zu Lasten Dritter unzulässig sind, verstoßen, als auch eine von der h.M. nicht anerkannte Verfügung zugunsten Dritter darstellen, vgl. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, MDR 1977, 731. 8 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (191); BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (229); BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 229/81, NJW 1983, 2376 (2377); BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829 (830). 9 So die wörtliche Formulierung in BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (230), wobei fraglich ist, ob die teils gewählte Formulierung, die Nachfolgeklausel mache aus der Mitgliedschaft ein vererbliches Recht, richtig ist, vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 45 V 4. 10 BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 229/81, MDR 1983, 1003 (1004).

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15.98

§ 15 Rz. 15.99

Unternehmensnachfolge

ten in die Gesellschaft ein, aber nicht als Miterbengemeinschaft1. Bei der qualifizierten Nachfolgeklausel findet von vornherein eine Sonderrechtsnachfolge lediglich der qualifizierten Erben (d.h. derer, die die Voraussetzungen der Nachfolgeklausel erfüllen) statt. Entspricht also nur einer der Erben den Voraussetzungen der Nachfolgeklausel, rückt dieser in den gesamten Gesellschaftsanteil nach2. Es kommt damit zu einer erbrechtlichen Lage, die sich wie das Ergebnis einer dinglich wirkenden Teilungsanordnung darstellt3, also eines Vindikationslegats, das es im deutschen Erbrecht eigentlich nicht gibt4. Eine Erbauseinandersetzung zwischen den Miterben findet nicht statt5. Die Einordnung als Sonderrechtsnachfolge ist dogmatisch problematisch, weil eine Sonderrechtsnachfolge in einzelne Vermögenspositionen dem deutschen Erbrecht – mit Ausnahme einzelner Fälle im Landwirtschaftserbrecht (vgl. hierzu Rz. 17.11 ff.) – grundsätzlich fremd ist (siehe oben Rz. 15.33). Es wäre jedoch mit Schwierigkeiten verbunden, wenn eine Miterbengemeinschaft Gesellschafter einer werbenden Personengesellschaft wäre. Anders als bei der Vererbung von Einzelunternehmen hat sich der BGH gegen Fortführung eines Unternehmens unter Beteiligung einer Miterbengemeinschaft entschieden, weil zu dem Problem der mangelnden Handlungsfähigkeit der Erbengemeinschaft (vgl. Rz. 15.31) weitere Schwierigkeiten hinzukommen, die ohne die Annahme einer Sonderrechtsnachfolge nicht lösbar wären. Dies gilt einerseits für das Haftungsregime6, andererseits für die Vorschrift des § 139 HGB, deren Umwandlungsrecht nicht sinnvoll durch eine Miterbengemeinschaft ausgeübt werden kann7. Die Sonderrechtsnachfolge gilt auch für die Kommanditbeteiligung8.

15.99 Der BGH schließt aus der Sonderrechtsnachfolge auch, dass ein Nachlassinsolvenzverfahren des Erben den Gesellschaftsanteil nicht ergreift und daher eine OHG nicht auflöst9. Der Nachlassverwalter darf Mitgliedschaftsrechte der Erben-Gesellschafter nicht ausüben10. Der Gesellschafter ist erbrechtlich nicht gehindert, über seinen Anteil zu verfügen, während ansonsten die Nachlassgegenstände in die gesamthänderische Verbundenheit fallen, vgl. § 2033 Abs. 2 BGB11. Besonders problematisch ist die Frage, ob eine angeordnete Testamentsvollstreckung den Gesellschaftsanteil erfasst (siehe ausführlich Rz. 15.124 ff.). Nach dem Gesellschaftsrechtssenat werden die übertragbaren Vermögensrechte, insbesondere der Anspruch auf das künftige Auseinandersetzungsguthaben, von der Sondererbfolge

1 BGH v. 13.7.2017 – V ZB 136/16, MDR 2017, 1433 Rz. 19; zuvor schon BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (192); BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (237); BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829 (830); BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 (1085). Die Sonderrechtsnachfolge gilt nicht beim Tode des Geschäftsinhabers oder des Stillen bei der stillen Gesellschaft, vgl. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 76 f. m.w.N. 2 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (236 ff.); anders noch BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (194 f.). Möglich ist ggf. auch eine Auslegung, nach der der Miterbe, der einrückt, nur einen seiner Erbquote entsprechenden Teil des Gesellschaftsanteils erhält, der restliche Teil den Mitgesellschaftern anwächst und insoweit Abfindungsansprüche der weichenden Miterben zur gesamten Hand auslöst, vgl. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 61 m.w.N. 3 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 45 V 5 b. Allerdings handelt es sich bei der qualifizierten Nachfolgeklausel nicht um eine Teilungsanordnung im technischen Sinne: Eine Teilungsanordnung ist eine erbrechtliche Anordnung, die qualifizierte Nachfolgeklausel ein gesellschaftsrechtlicher Sachverhalt, wenn auch von der erbrechtlichen Lösung gesprochen wird. 4 Teilweise wird deswegen formuliert, dem Gesellschaftsrecht werde hier Vorrang vor dem Erbrecht gegeben, vgl. beispielsweise Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 20. Kritisch hierzu zu Recht Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1208 ff. 5 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1202. 6 Vgl. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 60. 7 Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 19. 8 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 72. Zu Besonderheiten bei der Weitergabe von Kommanditanteilen siehe Rz. 15.124 ff. 9 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 59. 10 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 66. 11 Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 19.

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Kindler/Gubitz

Unternehmensnachfolge

Rz. 15.102 § 15

nicht umfasst1; ob diese Rechtsprechung Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Bei negativem Kapitalkonto auf Grund einer Überentnahme des Erblassers kommt die Verpflichtung zur Zahlung des Rückzahlungsanspruchs der Gesellschaft trotz der Sondererbfolge allen Erben, nicht nur den zur Nachfolge berufenen, zu, weil es sich insoweit um Nachlassverbindlichkeiten handelt2. Nach h.M. führt die Sondererbfolge nicht dazu, dass den Erben die Einrede des § 2059 Abs. 1 BGB verloren geht3. Die Erben können weiterhin Nachlassverwaltung beantragen4. Die Nachlassgläubiger haben hinsichtlich des Gesellschaftsanteils Vorrang vor den Eigengläubigern des Nachfolgers5. Ob die Nachfolgeklausel auch die Stellung eines Gesellschafters vererblich macht, der ohne Kapitalanteil Gesellschafter war, ist durch Auslegung zu ermitteln6. Ebenso ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Erbe Geschäftsführungsund Vertretungsbefugnisse ebenso erhält wie der Erblasser7. Um die Nachfolge zu vermeiden, müssen die Erben die Erbschaft ausschlagen. Eine gesonderte Ausschlagung bzw. Annahme des Gesellschaftsanteils ist nicht möglich8. Wenn es den Erben lediglich um den Schutz vor persönlicher Haftung mit dem vollen Vermögen geht, gibt § 139 HGB den Erben eines OHG-Anteils bzw. einer Komplementärbeteiligung die Möglichkeit, die Einräumung einer Kommanditistenstellung zu verlangen9. Nach zutreffender Auffassung gilt dies auch für die Erben eines Gesellschafters einer GbR10.

15.100

Da durch Nachfolgeklauseln, insbesondere durch die einfache Nachfolgeklausel, der Gesellschafter- 15.101 kreis sehr umfangreich werden kann, kann es sich empfehlen, gesellschaftsvertraglich eine Vertreterklausel zu vereinbaren, nach der die Erben bezüglich der Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte zur Bestellung eines Vertreters verpflichtet sind11. In Bezug auf Kommanditanteile sind Vertreterklauseln von der Rechtsprechung anerkannt12. Erbrechtliche Nachfolgeklauseln können in modifizierter Form vereinbart werden. Ein Beispiel sind Teilnachfolgeklauseln, durch die bestimmte Erben nur mit einem ihrer Erbquote entsprechenden Teil in die Gesellschaft einrücken. Der übrige Bruchteil des Gesellschaftsanteils wächst den Mitgesellschaftern an, die insoweit Abfindungsansprüchen der Erben gegen die Gesellschaft ausgesetzt sind, wenn solche nicht ausgeschlossen wurden13. Üblich sind weiterhin automatisch wirkende Umwandlungsklauseln. Dabei erhalten Erben eines OHG-Anteils beim Tode nur eine Kommanditbeteiligung, die Umwandlung in eine KG vollzieht sich beim Tode automatisch14. Solche Umwandlungsklauseln bieten sich an, wenn der Erblasser für seine Erben jedenfalls eine Haftungsbeschränkung wünscht,

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

13 14

BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (192). BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (239). Ausführlich zum Streitstand MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 35 ff. BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829. MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 40. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 55. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 59. Ist das entsprechende Recht höchstpersönlicher Natur, soll es nicht vererblich sein. Ob dies der Fall ist, kann aber selten eindeutig bestimmt werden. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1198. Zu den Einzelfragen vgl. Rz. 15.129 ff. Zu Haftungsfragen im Zusammenhang mit § 139 HGB im Einzelnen Rz. 15.158. BGH v. 17.12.2013 – II ZR 121/12, ZIP 2014, 1221 Rz. 7 ff.; Kindler, Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht, 8. Aufl. 2016, § 12 Rz. 33; MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 46 ff. Zu Vertreterklauseln vgl. Schörnig, ZEV 2002, 343. BGH v. 12.12.1966 – II ZR 41/65, MDR 1967, 286 (288 f.). In der Literatur werden Vertreterklauseln auch in Bezug auf Anteile persönlich haftender Gesellschafter von GbR, OHG und KG für zulässig erachtet, soweit sie nicht unentziehbare Gesellschafterrechte umfassen, vgl. Schörnig, ZEV 2002, 343 (346 ff.). Zur steuerlichen Behandlung von Teilnachfolgeklauseln vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 109. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 71.

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633

15.102

§ 15 Rz. 15.103

Unternehmensnachfolge

ohne dass dies von deren Ausübung des Wahlrechts nach § 139 HGB abhängig wäre. Auch eine Kombination von Umwandlungs- und Nachfolgeklausel kann sinnvoll sein. Beratungssituation: A ist Gesellschafter der ABC OHG. Die Gesellschafter wollen die Gesellschaft nach dem Tode eines Gesellschafters lediglich mit jeweils einem Nachfolger als persönlich haftendem Gesellschafter fortführen, um die Zusammenarbeit im operativen Geschäft übersichtlich zu halten. A hat drei Kinder im Jugendalter, die er an seinem Vermögen nach dem Tode gleichmäßig beteiligen will, weiß aber noch nicht, welches für die Mitarbeit in der OHG am Besten geeignet ist. Zweckmäßige Gestaltung?

Hier kommt grundsätzlich eine kombinierte Nachfolge- und Umwandlungsklausel in Betracht, so dass zwei Kinder eine Kommanditbeteiligung erhalten, während eines als persönlich haftender Gesellschafter einrücken kann. Die Umwandlungsklausel kann so gestaltet werden, dass die Bestimmung dessen, der als persönlich haftender Gesellschafter einrücken soll, den Mitgesellschaftern überlassen wird. Dies verstößt nicht gegen das Drittbestimmungsverbot des § 2065 Abs. 2 BGB, weil das Bestimmungsrecht nicht die Erbenstellung als solche betrifft, sondern nur die inhaltliche Ausgestaltung des vererbten Rechts1.

15.103 Besondere Sorgfalt ist auf Nachfolgeklauseln mit Bestimmungsrecht zu verwenden. Beratungssituation: E ist mit zwei weiteren Gesellschaftern an der OHG X. beteiligt. Er hat drei Kinder A, B und C. Mit den beiden übrigen Gesellschaftern hat er sich geeinigt, dass im Erbfalle nur eines der Kinder in seine Stellung als persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter eintritt. Den übrigen soll eine Kommanditbeteiligung eingeräumt werden. Das Bestimmungsrecht soll Herrn E zustehen.

Um die vereinbarte Nachfolgeregelung abzusichern, vereinbaren die Gesellschafter folgende Klausel:

15.103a M 133 Nachfolgeklausel: Rechtsstellung der Erben Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft mit den Erben des verstorbenen Gesellschafters fortgesetzt. Jeweils ein Erbe soll persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter werden, die übrigen Erben erhalten eine Kommanditbeteiligung. Das Auswahl- und Bestimmungsrecht steht dem jeweiligen Gesellschafter zu. Hat dieser eine Bestimmung unterlassen, kann diese durch die Erben getroffen werden (oder … soll diese durch die übrigen Gesellschafter getroffen werden).

15.103b Unterlässt der Erblasser die Benennung, kann diese zwar durch die Erben vorgenommen werden2, die beabsichtigte Gestaltung ist jedoch dann zu versagen, wenn kein Erbe bereit ist, persönlich haftender Gesellschafter zu werden. Das Gleiche gilt für das im vorstehenden Formulierungsvorschlag als Alternative vorgesehene Benennungsrecht der übrigen Gesellschafter. Es verstößt zwar nicht gegen § 2065 Abs. 2 BGB3, ist jedoch wegen § 139 Abs. 5 HGB wirkungslos, wenn der Erblasser in der letztwilligen Verfügung nicht für die Durchsetzung gesorgt hat4. Der Erblasser könnte den als persönlich haftenden Gesellschafter vorgesehenen Nachfolger mit der Auflage beschweren, von seinem Recht zur Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung keinen Gebrauch zu machen. bb) Besonderheiten bei der qualifizierten Nachfolgeklausel

15.104 Ist gesellschaftsvertraglich eine qualifizierte Nachfolgeklausel vereinbart, muss der Erblasser dringend darauf achten, dass er seine Verfügung von Todes wegen mit der Nachfolgeklausel in Einklang

1 Vgl. Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 45. 2 Zur Ausübung des Bestimmungsrechts der Erben, selbst wenn diese nicht gesondert im Gesellschaftsvertrag oder Testament geregelt ist, vgl. BFH v. 23.6.1966 – II ZR 180/64, WM 1966, 1035. 3 Palandt/Weidlich, § 2066 Rz. 5. 4 Vgl. dazu BGH v. 20.12.1962 – IV ZR 209/60, BB 1963, 323.

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Rz. 15.107 § 15

bringt, denn ist dies nicht der Fall, kann seine Verfügung von Todes wegen ins Leere gehen, weil seine Erben gesellschaftsvertraglich nicht in die Gesellschaft einrücken können1. Beispiel2: Die Gesellschafter einer OHG bestimmen, dass nur Abkömmlinge von Gesellschaftern in die Gesellschaft einrücken können. Ein Gesellschafter hat seine Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt und hinterlässt bei seinem Tode neben dieser zwei Kinder. Die Ehefrau kann nicht in die Gesellschaft einrücken, da ihre Nachfolge gesellschaftsvertraglich nicht vorgesehen ist, ihre Nachfolge ist also gesellschaftsrechtlich blockiert. Die Kinder können nicht einrücken, da der Anteil in den Nachlass fällt, an dem die Kinder nicht beteiligt sind, ihre Nachfolge ist also erbrechtlich blockiert3. Die Nachfolgeklausel läuft damit ins Leere, und es kommt zur gesetzlichen Folge des § 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 HGB: Der Gesellschafter scheidet aus der Gesellschaft aus. Dann aber kommt es, wenn diese nicht wirksam ausgeschlossen sind, zu Abfindungsansprüchen der weichenden Erben, hier der Ehefrau, und damit unter Umständen zu einer erheblichen Liquiditätsbelastung der OHG4. Die Rechtsprechung behilft sich in solchen Fällen damit, die qualifizierte Nachfolgeklausel in eine rechtsgeschäftliche Eintrittsklausel umzudeuten5. Am besten sollte die gesellschaftsvertragliche Regelung bereits entsprechende Vorkehrungen enthalten6.

15.105

Die Rechtsprechung ist generell von dem Bemühen gekennzeichnet, dem Willen der Gesellschafter möglichst weitgehend zum Durchbruch zu verhelfen. Deswegen nimmt sie in den Fällen, in denen die gewählte Konstruktion fehlschlägt, eine Umdeutung oder ergänzende Vertragsauslegung vor. In einer Fallkonstellation, in der gesellschaftsvertraglich mehrere Nachfolger in Betracht kommen, jedoch nur einer Erbe wird, soll die Nachfolgeklausel im Zweifel so auszulegen sein, dass dieser Erbe im Wege der Sonderrechtsnachfolge den gesamten Gesellschaftsanteil erhalten soll7. Wie im Beispielsfall erwähnt, ist eine Umdeutung einer gescheiterten qualifizierten Nachfolgeklausel in eine rechtsgeschäftliche Eintrittsklausel8 möglich9. Eine gescheiterte rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel10 kann ebenfalls in ein Eintrittsrecht umgedeutet werden11. Auch die Umdeutung einer gescheiterten rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel12 in eine qualifizierte Nachfolgeklausel sollte möglich sein. Je nach Auslegung kommt es zu einer erbrechtlichen oder rechtsgeschäftlichen Qualifizierung des Übertragungstatbestandes13. Gleichwohl bergen qualifizierte Nachfolgeklauseln Risiken, insbesondere auch für die beteiligten Rechtsberater14.

15.106

In Folge einer qualifizierten Nachfolgeklausel haben Erben eines Gesellschafters, die nicht zur Nachfolge zugelassen sind, keine Abfindungsansprüche gegen die Gesellschaft15. Denn diese Folge ergibt sich nur bei Fortsetzung der Gesellschaft ohne Erben, was bei einer Nachfolgeklausel, die nicht vollständig ins Leere geht, eben nicht der Fall ist. Von der Frage des Verhältnisses zwischen der Gesellschaft und den Erben ist die nach dem Ausgleich der Erben untereinander zu trennen. Die Tatsache, dass ein Personengesellschaftsanteil in den Nachlass fällt, der von einer qualifizierten Nachfolgeklausel umfasst ist, führt nicht dazu, dass sich die Erbquoten der einzelnen Miterben ändern würden. Vielmehr

15.107

1 Reimann, ZEV 2002, 487 (488 f.). 2 Vgl. BGH v. 25.5.1987 – II ZR 195/86, MDR 87, 1001. 3 Ist die Ehefrau hierzu willens, kann sie die Erbschaft ausschlagen und so den Weg für die gesetzliche Erbfolge und ein Einrücken der Kinder freimachen, vgl. Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 21. 4 Dies kann auch unerwünschte steuerliche Folgen haben, vgl. Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 23. 5 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, MDR 1978, 119 f. 6 Siehe das Beispiel Rz. 15.121. 7 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (236). 8 Zur Eintrittsklausel siehe Rz. 15.113 ff. 9 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, MDR 1978, 119 f. 10 Zur rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel siehe Rz. 15.109 ff. 11 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225. 12 Zur rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel siehe Rz. 15.109 ff. 13 Kritisch MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 54. 14 Vgl. BGH v. 13.6.1995 – IX ZR 121/94, MDR 1995, 1069; BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 72/99, ZEV 2002, 322. 15 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1200.

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§ 15 Rz. 15.108

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ist für diese Frage allein die letztwillige Verfügung bzw. das maßgeblich, was sich aufgrund gesetzlicher Erbfolge ergibt. Denn der Gesellschaftsvertrag kann nur regeln, wer das Recht haben kann, in die Gesellschaft nachzufolgen, nicht aber Erbquoten bestimmen. Daraus folgt, dass bei der Ermittlung des Ausgleichs der Wert des Gesellschaftsanteils einzustellen ist. Übersteigt der Wert des Gesellschaftsanteils das, was dem Nachfolger nach seiner Erbquote zugekommen wäre, ist dieser in Höhe der Differenz zum Ausgleich verpflichtet1. Will der Erblasser die Entstehung solcher Ausgleichsansprüche vermeiden, muss er dem qualifizierten Nachfolger den Wert des Gesellschaftsanteils als Vorausvermächtnis zuwenden2. Nicht möglich ist es dagegen, gesellschaftsvertraglich festzulegen, dass der Wertausgleich nicht auf der Basis des Vollwertes der Beteiligung, sondern lediglich eines Teilwertes stattfinde3. Umstritten ist die rechtliche Grundlage des Ausgleichsanspruchs4. Während K. Schmidt einen Ausgleichsanspruch auch ohne die Anwendung irgendwelcher Vorschriften bejaht5, werden im Übrigen § 242 BGB6, § 812 BGB7, § 1978 BGB analog8 und §§ 2050 ff. BGB analog9 genannt, wobei letzteres angesichts der Rechtsähnlichkeit von Teilungsanordnung und qualifizierter Nachfolgeklausel und angesichts der Tatsache, dass immerhin eine Miterbengemeinschaft vorliegt, vorzugswürdig erscheint. d) Rechtsgeschäftliche Nachfolge aa) Allgemeines

15.108 Ist die Nachfolge nach dem Gesellschaftsvertrag unabhängig von der Erbenstellung, kann sich der Erwerb des Anteils durch den oder die benannten Nachfolger nur auf rechtsgeschäftlichem, nicht auf erbrechtlichem Wege vollziehen. Der BGH spricht deswegen von der „rechtsgeschäftlichen Lösung“10. Diese kommt im Wesentlichen in zwei Varianten vor, der rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel, bei der der Eintritt des Nachfolgers direkt mit dem Todesfall erfolgen soll, und die Eintrittsklausel, bei der der Nachfolger ein Recht zum Eintritt in die Gesellschaft nach dem Tode des Vorgängers erhält. Der Vorteil der rechtsgeschäftlichen Nachfolge liegt zunächst darin, dass sie unabhängig von der erbrechtlichen Situation ist. Es schadet grundsätzlich nicht, wenn letztwillige Verfügung und gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelung nicht aufeinander abgestimmt sind. Ein Bedürfnis für rechtsgeschäftliche Lösungen kann sich auch insofern ergeben, dass der Nachfolger hier kein Recht zur Umwandlung des Anteils in einen Kommanditanteil gemäß § 139 HGB hat; auch gilt bei rechtsgeschäftlichem Erwerb das Drittbestimmungsverbot des § 2065 Abs. 2 BGB nicht11. bb) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel

15.109 Beratungssituation: Herr E ist Gesellschafter einer OHG und möchte sicherstellen, dass sein Enkel D bei seinem Tode in die Gesellschaft nachfolgt. D arbeitet bereits in der Gesellschaft mit. Die übrigen Gesellschafter sind mit einer Nachfolge des D einverstanden. D ist im Testament nur als Ersatzerbe nach seinem Vater eingesetzt. Um die Erbfolge für den übrigen Nachlass nicht zu belasten, möchte er im Einverständnis mit den übrigen Gesellschaftern eine Regelung treffen, die dem D außerhalb des Erbrechts die Nachfolge in die Gesellschaft sichert. 1 Vgl. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (238); MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 45. Zur Frage der Bewertung des Anteils im Hinblick auf Pflichtteilsansprüche vgl. unten Rz. 217 ff. 2 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 45 V 5 c; Ebenroth, Rz. 870. Unzutreffend insoweit Crezelius, 2009, Rz. 261. 3 So aber Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 35. Dies würde die Erbquote verändern, was aber nur durch eine erbrechtliche Anordnung möglich ist. 4 Zum Streitstand siehe MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 45. 5 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 45 V 5 c. 6 So wohl BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (197). 7 Heckelmann in FS v. Lübtow, S. 619, 632 f. 8 Ulmer, ZGR 1972, 324 (326 ff.). 9 Tiedau, NJW 1980, 2446. 10 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225. 11 Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 59.

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Rz. 15.111a § 15

Um einem Dritten, der nicht Erbe ist, die Nachfolge zu ermöglichen, kann dies in der obigen Beratungssituation durch eine rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel bewirkt werden, mit der die Gesellschafter vereinbaren, dass bei Versterben des Gesellschafters der Dritte unmittelbar mit dinglicher Wirkung in die Gesellschafterstellung des E einrückt. Diese Lösung könnte auch in der obigen Beratungssituation zum Ziel führen. Die bezeichneten Nachfolger können im Falle einer rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel nur dann 15.110 direkt in die Gesellschaft einrücken, wenn sie an den entsprechenden Regelungen beteiligt wurden. Denn ein direkter Erwerb des Anteils ohne Mitwirkung des Nachfolgers würde einerseits eine Verfügung zugunsten eines Dritten darstellen, die von der Rechtsprechung nicht anerkannt wird1, andererseits würde es sich auch um einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter handeln2. Soll der Erwerb des Anteils direkt erfolgen, muss der vorgesehene Nachfolger somit seine Einwilligung hierzu zu Lebzeiten des Gesellschafters erklären. Diese Erklärung kann Teil der Nachfolgeklausel sein oder gesondert abgegeben werden, wobei Letzteres nicht zweckmäßig ist, weil ohnehin alle Gesellschafter beteiligt werden müssen und Beweisschwierigkeiten drohen. Alternativ dazu kann der Nachfolger bereits zu Lebzeiten des Vorgängers in die Gesellschaft einrücken. Dies sollte nur dann erwogen werden, wenn die Nachfolgesituation relativ klar ist3, weil der so eingerückte Nachfolger nicht ohne weiteres wieder aus der Gesellschaft hinausgekündigt werden kann4. Der Gesellschaftsanteil fällt bei der rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel nicht in den Nachlass5, da es sich nicht um einen Erwerb von Todes wegen handelt. Der Erwerb der Beteiligung kann bei der rechtsgeschäftlichen Klausel nicht an der Vorschrift des § 2301 Abs. 1 BGB scheitern, denn selbst wenn in Bezug auf den Gesellschaftsanteil eine Schenkung im Sinne des § 2301 Abs. 1 BGB an den Nachfolger vorläge, wäre eine solche Schenkung jedenfalls vollzogen im Sinne von § 2301 Abs. 2 BGB, da die Parteien mit Abschluss der entsprechenden Verträge alles getan haben, was erforderlich ist, damit sich der Erwerb der Beteiligung im Todesfall automatisch vollzieht6. Ob eine rein rechtsgeschäftliche oder eine erbrechtliche Nachfolge gewollt ist, ist eine Auslegungsfrage. Scheitert die rechtsgeschäftliche Nachfolge daran, dass der Nachfolger zu Lebzeiten des Vorgängers keine Einwilligung erteilt hat, kann jedoch eine Umdeutung der rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel in eine erbrechtliche Nachfolgeklausel vorgenommen werden, wenn der Nachfolger Erbe geworden ist7. Die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel könnte wie folgt formuliert werden:

15.111

M 134 Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel

15.111a

(Beim Tod eines Gesellschafters wird die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt.)8 Beim Tod des Gesellschafters A geht dessen Beteiligung einschließlich des damit verbundenen Kapitalanteils sowie aller Forderungen und Verbindlichkeiten auf seinen Sohn B über, der diesen Vertrag als künftiger Gesellschafter neben den anderen Gesellschaftern zwecks Begründung der Anwartschaft auf unmittelbaren und automatischen Übergang der Beteiligung auf ihn beim Tode seines Vaters kraft Rechtsgeschäft unter Lebenden mitunterzeichnet. Den Erben des A stehen keine Abfindungsansprüche gegen die Gesellschaft zu.

1 2 3 4 5 6

BGH v. 29.1.1964 – V ZR 209/61, BGHZ 41, 95 f. (str.). Vgl. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (232). In diesem Sinne auch Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 52. Ausführlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 50 III 3. BayObLG v. 21.6.2000 – 3 Z BR 108/00, ZEV 2001, 74. Die Argumentation ist insoweit identisch mit jener Frage, ob in der Vereinbarung einer Fortsetzungsklausel ein Fall des § 2301 Abs. 1 S. 1 BGB liegen kann, vgl. oben Rz. 15.94. 7 Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 50 m.w.N. 8 Text in der Klammer ist nur bei BGB-Gesellschaft erforderlich, nicht bei OHG oder KG.

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§ 15 Rz. 15.112

Unternehmensnachfolge

15.112 Ohne weitere gesellschaftsvertragliche Regelung kommt den Erben ein Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft zu. Wenn dies – zumindest auf Basis des Vollwerts der Beteiligung – unerwünscht ist, muss der Anspruch durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden, was bis zur kaum relevanten Grenze des § 138 BGB möglich ist (siehe Rz. 15.94). Es wird angenommen, dass dem Gesellschaftsvertrag mangels entgegenstehender Abreden ein Abfindungsausschluss zu entnehmen sei1. Dies ist zwar eine lebensnahe Auslegung, zur Vermeidung jeglicher Unsicherheit sollte der Gesellschaftsvertrag aber immer eine eindeutige Festlegung enthalten. cc) Eintrittsklausel

15.113 Ohne Mitwirkung des vorgesehenen neuen Gesellschafters kann eine rechtsgeschäftliche Nachfolge durch Vereinbarung einer „Eintrittsklausel“2 bewirkt werden, vermittels derer der Nachfolger das Recht zum Eintritt in die Gesellschaft durch rechtsgeschäftliche Erklärung erhält3. Bei der Vereinbarung des Eintrittsrechts handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall im Sinne der §§ 328, 331 BGB4. Der Begünstigte erwirbt hier zwar mit dem Tode nicht den Gesellschaftsanteil, aber das Eintrittsrecht5.

15.114 Die Eintrittsklausel scheitert nicht an § 2301 Abs. 1 BGB6. Im Deckungsverhältnis des Vertrages zugunsten Dritter auf den Todesfall, also bezüglich der Vereinbarung des Eintrittsrechts zwischen den Gesellschaftern, liegt schon keine Schenkung vor. Im Valutaverhältnis zwischen ausscheidendem und nachfolgendem Gesellschafter wäre eine etwaige Schenkung jedenfalls zu Lebzeiten vollzogen im Sinne des § 2301 Abs. 2 BGB, da der Nachfolger das Recht zum Eintritt automatisch mit dem Todesfall des ausscheidenden Gesellschafters erhält7.

15.115 Rechtstechnisch kann die Aufnahme des Gesellschafters entweder durch eine einseitige Gestaltungserklärung oder durch Abschluss eines Aufnahmevertrags erfolgen. Zweckmäßig wird oft die Variante des Gestaltungsrechts sein, da der Gesellschafter meist ein Interesse daran haben wird, dass der Nachfolger die Aufnahme ohne Mitwirkung der anderen Gesellschafter bewirken kann. Soll der Eintretende Kommanditist werden, sollte der Eintritt auf die Eintragung ins Handelsregister aufschiebend bedingt erfolgen, da so eine Haftung nach § 176 Abs. 2 HGB vermieden wird. Dieses Recht wird man dem Nachfolger ohne weiteres zugestehen müssen. Gleichwohl sollte dies im Gesellschaftsvertrag bereits festgelegt werden. Übt der Eintrittsberechtigte sein Recht nicht aus, kommt es mangels anderweitiger ausdrücklicher Festlegungen zur Fortsetzung der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern. Insoweit enthält eine Eintrittsklausel auch implizit eine Fortsetzungsklausel8. Die Eintrittsklausel sollte eine Frist enthalten, innerhalb derer das Eintrittsrecht auszuüben ist9. Fehlt es an einer solchen Fristbestimmung, dürfte von einer angemessenen Frist auszugehen sein.

1 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 69. 2 Formulierungsbeispiel bei Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 62. 3 Zu den steuerlichen Folgen der Eintrittsklausel vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 5 h, 110 f., der empfiehlt, Eintrittsklauseln aus erbschaftsteuerlichen Gründen zu vermeiden. 4 MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 57. 5 MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 57. 6 Vgl. dazu auch oben Rz. 15.94, 15.110. 7 Und dieses Recht zum Eintritt, nicht der Gesellschaftsanteil selbst, ist nach zutreffender Ansicht Gegenstand der Schenkung. 8 MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 53. 9 Es ist darauf hinzuweisen, dass die regelmäßig vorzugswürdige steuerliche Gleichstellung mit Nachfolgeklauseln nach der Praxis der Finanzverwaltung nur erreicht werden kann, wenn der Eintrittsberechtigte innerhalb von sechs Monaten ab dem Todeszeitpunkt von seinem Eintrittsrecht Gebrauch macht, weswegen längere Fristen in der Regel nicht zu empfehlen sind.

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Rz. 15.120 § 15

Ist der Eintrittsberechtigte minderjährig, bedarf die Ausübung des Eintrittsrechts der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, vgl. §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 3 Alt. 2 BGB. Wenn ein Elternteil Mitgesellschafter ist, ist ein Ergänzungspfleger zu bestellen, §§ 1795 Abs. 1 Nr. 1, 1909 Abs. 1 S. 1 BGB.

15.116

Aus dem Gesellschaftsvertrag sollte sich ergeben, wer Begünstigter hinsichtlich des Eintrittsrechts ist. Dies kann durch namentliche Bezeichnung oder eine andere Bestimmung geschehen, aus der sich zum Todeszeitpunkt hinreichend klar ergibt, wer die Nachfolge antreten kann1. Da es sich nicht um einen erbrechtlichen Erwerb handelt, gilt das Drittbestimmungsverbot des § 2065 Abs. 2 BGB (vgl. dazu auch Rz. 15.43 f.) nicht, weswegen die Bestimmung des Eintrittsberechtigten dritten Personen überlassen werden kann. Auch die Bestimmung des Nachfolgers durch letztwillige Verfügung ist möglich.

15.117

Abfindungsansprüche weichender Erben können ebenso wirksam ausgeschlossen werden wie in 15.118 den anderen Fällen, in denen es nicht zu einer erbrechtlichen Nachfolge kommt2. Wie bei der rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel (siehe Rz. 15.112). wird man dem Gesellschaftsvertrag regelmäßig sinngemäß entnehmen können, dass Abfindungsansprüche weichender Erben ausgeschlossen sein sollen3. Durch das Eintrittsrecht kommt es dazu, dass der Nachfolger das Recht erhält, in die Gesellschaft ein- 15.119 zutreten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er auch den Kapitalanteil des Verstorbenen automatisch erhielte. Was das Schicksal des Kapitalanteils angeht, ist zu unterscheiden: Sind Abfindungsansprüche weichender Erben ausgeschlossen oder lässt sich ein solcher Ausschluss, wie meist (siehe Rz. 15.112), dem Gesellschaftsvertrag durch teleologische Auslegung entnehmen, soll der Eintrittsberechtigte unzweifelhaft auch den Kapitalanteil erhalten4. Zunächst wächst der Kapitalanteil aufgrund der in der Eintrittsklausel enthaltenen Fortsetzungsklausel den Mitgesellschaftern an. Der Eintrittsklausel ist hier zu entnehmen, dass die Mitgesellschafter den Anteil treuhänderisch für den Eintrittsberechtigten halten, solange dieser zum Eintritt berechtigt ist5. Die nähere Ausgestaltung des Treuhandverhältnisses ist zweckmäßig6. Sind Abfindungsansprüche nicht ausgeschlossen und ist auch keine dementsprechende Auslegung des Gesellschaftsvertrages angezeigt, erhalten die Erben den Kapitalanteil in Form des Abfindungsanspruchs. Ist der Eintrittsberechtigte Alleinerbe, entstehen insoweit keine weiteren Schwierigkeiten, weil sich der Abfindungsanspruch bei Eintritt in einen Kapitalanteil wandelt; der Eintrittsberechtigte muss demnach keine eigene Einlage leisten. Das Gleiche ergibt sich, wenn dem Eintrittsberechtigten der Kapitalanteil auf erbrechtlichem Wege zugewendet wurde, beispielsweise durch Vermächtnis7 oder als Ergebnis einer Teilungsanordnung. Allerdings würde der Eintrittsberechtigte den Kapitalanteil auch erhalten, wenn er von seinem Eintrittsrecht keinen Gebrauch macht, weswegen der Kapitalanteil ggf. auf die Nichtausübung des Eintrittsrechts auflösend bedingt zugewendet werden sollte8. Ist dem Eintrittsberechtigten der Kapitalanteil nicht erbrechtlich zugewendet worden, muss er sich deswegen ggf. mit den Erben auseinandersetzen, um den Abfindungsanspruch zu erwerben und ihn in einen Kapitalanteil zu verwandeln, oder eine Einlage in entsprechender Höhe leisten. Um dem Willen der Gesellschafter zum Durchbruch zu verhelfen, wenn die in einer qualifizierten Nachfolgeklausel vorgesehenen Nachfolger nicht Erben werden, nimmt der BGH an, eine rechtsge-

1 2 3 4 5

Vgl. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 67. Siehe oben Rz. 15.94 und 15.112. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 69. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 70. BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, MDR 1978, 119 (120) wo eine derartige Auslegung allerdings aufgrund der Besonderheiten des Falls gerade ausgeschlossen war. 6 Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 17. 7 Hier ist steuerlich auf die Aufdeckung stiller Reserven zu achten, vgl. Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 23. 8 Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 17.

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15.120

§ 15 Rz. 15.121

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schäftliche Nachfolgeklausel sei in eine Eintrittsklausel umzudeuten1. Gleichwohl sollten die Klauseln unmissverständlich und umfassend formuliert werden.

15.121 Beratungssituation: Die Gesellschafter einer OHG wollen die Nachfolge in der Weise regeln, dass nur Abkömmlinge mit abgeschlossenem Studium in die Gesellschaft einrücken dürfen, den Anteil aber direkt im Todesfall erhalten sollen.

Hier sollte eine qualifizierte Nachfolgeklausel gewählt werden, und die Verfügungen von Todes wegen der Gesellschafter entsprechend abgestimmt werden. Um sicherzugehen, dass die anvisierten Nachfolger auch dann in die Gesellschaft eintreten können, wenn sie nicht Erbe des Gesellschafters werden, sollte ihnen zudem ein Eintrittsrecht gewährt werden. Für die Ausübung des Eintrittsrechts sollte zweckmäßigerweise eine Frist gesetzt werden. Weiter ist zu regeln, was gelten soll, wenn das Eintrittsrecht nicht ausgeübt wird, etwa die Fortsetzung unter den verbliebenen Gesellschaftern. Die Abfindungsansprüche weichender Erben sollten für alle Fälle ausgeschlossen werden2.

15.122 In Frage kommt auch eine Kombination von rechtsgeschäftlicher Nachfolge- und Eintrittsklausel3, wenn der Nachfolger an der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung nicht beteiligt ist und es unsicher ist, ob er zu Lebzeiten des Vorgängers noch entsprechende Erklärungen abgeben wird. Dann kann ihm für den Fall, dass dies nicht geschieht, ein Eintrittsrecht eingeräumt werden. Dies belässt dem Nachfolger weitgehende Entscheidungsfreiheiten.

15.123 Eintrittsklauseln haben den Nachteil, dass der Eintritt nicht erzwungen werden kann. Der Testator kann zwar versuchen, die Ausübung des Eintrittsrechts auf erbrechtlichem Wege zu erzwingen, indem er dem Eintrittsberechtigten eine Auflage macht oder die Erbeinsetzung unter eine entsprechende Bedingung stellt4. Freilich stößt der Vorteil der Eintrittsklausel, dass sich die Nachfolge unabhängig von der Ausgestaltung der letztwilligen Verfügung vollziehen kann, insoweit an eine systembedingte Grenze. Die Gesellschafter wissen bis zum Ablauf der Frist zum Eintritt nicht, ob der Nachfolger in die Gesellschaft eintreten wird. Tritt der Erbe nicht in die Gesellschaft ein, kann es zu Liquiditätsbelastungen der Gesellschaft durch Abfindungsansprüche weichender Erben kommen. Etwaigen Anordnungen des Erblassers, mittels derer er die Ausübung des Eintrittsrechts erzwingen möchte, kann sich der Eintrittsberechtigte durch Ausschlagung der Erbschaft entziehen. Diese Probleme verdeutlichen, dass die entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung alle Eventualitäten behandeln sollte. Beratungssituation: E ist Gesellschafter der X-OHG. Im Gesellschaftsvertrag ist vorgesehen, dass dem vom Gesellschafter für den Fall seines Todes bestimmten Nachfolger ein Eintrittsrecht zustehen soll. Der Gesellschaftsvertrag enthält keine besonderen Bestimmungen über die Abfindung. E möchte das Eintrittsrecht nebst Kapitalanteil seinem Neffen K zuwenden.

Bei Errichtung des Testaments könnte der E folgende Verfügung treffen:

15.123a M 135 Vermächtnis: Eintrittsrecht Mein Neffe K ist bei meinem Tode berechtigt, als mein Nachfolger gemäß den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags in die X-OHG einzutreten. Für den Fall, dass er von seinem Eintrittsrecht Gebrauch macht, wende ich ihm meinen Kapitalanteil mit allen Ansprüchen, Forderungen und Verbindlichkeiten als Vermächtnis zu.

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BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (233). Beispiel für eine solche Klausel Rz. 15.96. Formulierungsbeispiel bei Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 51. Crezelius, 2009, Rz. 263.

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Rz. 15.125 § 15

Die Eintrittsklausel könnte wie folgt lauten:

15.123b

M 136 Eintrittsklausel

15.123c

Jeder Gesellschafter kann für seinen Todesfall eine Person bestimmen, die berechtigt ist, als Nachfolger in die Gesellschaft einzutreten. Der Berechtigte kann innerhalb von drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt des Todes des Gesellschafters, eine Erklärung über seinen Eintritt abgeben. Wird eine derartige Erklärung abgegeben, ist der Berechtigte vom Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung bei allen Gesellschaftern Gesellschafter und tritt in die Rechte und Pflichten des verstorbenen Gesellschafters mit Ausnahme höchstpersönlicher Rechte ein. Hat der verstorbene Gesellschafter keine Bestimmung eines Nachfolgers vorgenommen, kann dies durch die Erben erfolgen. Der Berechtigte muss in diesem Falle bei Abgabe seiner Erklärung die Bestimmung durch die Erben schriftlich nachweisen. Im Übrigen verbleibt es bei der vorgenannten Erklärungsfrist. Ein Abfindungsanspruch der Erben ist ausgeschlossen. Macht der Begünstigte von seinem Eintrittsrecht Gebrauch, sind die Gesellschafter verpflichtet, ihm den Kapitalanteil des verstorbenen Gesellschafters mit den Forderungen und Verbindlichkeiten unentgeltlich zu übertragen. Wird eine Erklärung durch den Berechtigten nicht innerhalb der vorgegebenen Frist abgegeben, setzen die übrigen Gesellschafter die Gesellschaft fort. Forderungen des Gesellschafters gegen die Gesellschaft, die diesem als Drittgläubiger zustanden, stehen den Erben zu.

Nach dieser Eintrittsklausel führt der Nichteintritt des Berechtigten für die übrigen Gesellschafter zu einer Lage, die der Fortsetzungsklausel mit Erwerb der Vermögenswerte, die mit dem Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters verbunden sind, entspricht. Soll das vermieden werden, ist eine Regelung aufzunehmen, wonach die verbleibenden Gesellschafter den Erben eine Abfindung schulden. Allerdings hängt die Gesellschaft in Bezug auf die Belastung mit Abfindungsansprüchen dann vollständig von der Entscheidung des Berechtigten ab. Insofern sollten die Gesellschafter eine derartige Regelung sehr wohl abwägen.

15.123d

e) Besonderheiten bei der KG Bei der KG erfolgt die Vererbung des Anteils des unbeschränkt haftenden Gesellschafters wie bei der OHG1. Bei der GmbH & Co. KG werden die GmbH-Anteile nach allgemeinen Grundsätzen vererbt (vgl. Rz. 15.228). Hinsichtlich der Kommanditanteile ergibt sich gesetzlich nach § 177 HGB die Folge einer einfachen Nachfolgeklausel2. Die Anteile gehören zum Nachlass und gehen im Wege der Sondererbfolge über3. Auch die Auflösung, Fortsetzung, qualifizierte Nachfolge oder rechtsgeschäftliche Nachfolge können insoweit bestimmt werden4.

15.124

Ist der Erbe eines Kommanditanteils bereits Komplementär, verbleibt es im Außenverhältnis bei der Stellung als unbeschränkt haftender Gesellschafter5. Die im Handelsregister eingetragene Haftsumme des Kommanditanteils ist insoweit herabzusetzen6. Fraglich ist, ob der Kommanditanteil daneben gesondert bestehen bleiben kann, was relevant werden kann, wenn der Anteil dinglich belastet ist oder Vor- und Nacherbschaft angeordnet ist, und nur der Vorerbe, nicht aber der Nacherbe persönlich haftender Gesellschafter ist. Zutreffend erscheint es, den Kommanditanteil jedenfalls in derartigen Fällen

15.125

1 Ausführlich zu den Rechtsfolgen beim Tod eines KG-Gesellschafters Kindler in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, § 177 HGB Rz. 1 ff.; ferner Ivo, ZEV 2006, 302. 2 Crezelius, 2009, Rz. 303. 3 BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 229/81, MDR 1983, 1003; BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080. 4 Crezelius, 2009, Rz. 303. 5 BGH v. 10.6.1963 – II ZR 88/61, BB 1963, 1076 f. 6 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1273.

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§ 15 Rz. 15.126

Unternehmensnachfolge

entgegen dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Mitgliedschaft fortbestehen zu lassen1. Im Innenverhältnis kann der Kapitalanteil jedenfalls bestehen bleiben2. Hierzu kommt es, wenn für den Kommanditanteil besondere gesellschaftsvertragliche Regelungen bestehen, wie hinsichtlich der Gewinn- und Verlustbeteiligung und der Verzinsung3. Die gleiche Problematik kann sich in weiteren Fällen ergeben, in denen der Erbe bereits Gesellschafter ist4. Ist der Erbe des Komplementärs bereits Kommanditist, vereinigen sich demnach die Anteile zu einer einheitlichen Beteiligung als unbeschränkt haftender Gesellschafter; bezüglich dieses Anteils hat aber der Erbe das Wahlrecht nach § 139 Abs. 1 HGB5.

15.126 Verstirbt der letzte Kommanditist einer KG und ist im Gesellschaftsvertrag die Vererbung des Kommanditanteils nach § 177 HGB ausgeschlossen und Fortsetzung unter den verbleibenden Gesellschaftern bestimmt, wird die KG zur OHG oder, wenn nur ein Komplementär vorhanden war, zum Einzelunternehmen6. Verstirbt der letzte Komplementär und ist gesellschaftsvertraglich die Vererbung des Komplementäranteils ausgeschlossen, wird die KG aufgelöst7. Die Kommanditisten können in diesem Fall einen Fortsetzungsbeschluss fassen und in ein werbendes Stadium zurückführen. Dazu können sie entweder die Gesellschaft als OHG weiterführen oder einen Komplementär aufnehmen. Wird die Gesellschaft als werbende Gesellschaft fortgeführt, ohne dass ein Fortsetzungsbeschluss gefasst wurde, kommt es aufgrund des gesellschaftsrechtlichen Typenzwangs zur Entstehung einer OHG8.

15.127 Demjenigen, der aufgrund einer Eintrittsklausel Kommanditist werden soll, droht eine Haftung nach § 176 Abs. 2 HGB. Der Eintritt sollte deswegen aufschiebend bedingt auf die Handelsregistereintragung erklärt werden (vgl. auch Rz. 15.146). 3. Entscheidungsmöglichkeiten des Erben nach dem Erbfall

15.128 Die Handlungsmöglichkeiten des Erben werden im Bereich der Vererbung von Personengesellschaftsanteilen naturgemäß durch die bestehenden gesellschaftsvertraglichen Regelungen und die internen Machtverhältnisse begrenzt. Bevorzugt etwa der Erbe die Umwandlung der Gesellschaft in eine Kapitalgesellschaft (§§ 214 ff. UmwG), ist er auf die Zustimmung der Mitgesellschafter angewiesen, es sei denn, er verfügt über die erforderliche Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung. Auch die Frage, ob der Betrieb des Unternehmens fortzuführen oder einzustellen ist, obliegt nicht ihm allein. Da der vererbte Vermögenswert somit ggf. in einer Weise vorgeprägt ist, die dem Erben nicht behagt, wird er oftmals nicht Mitglied der Gesellschaft werden wollen. Besteht nur ein Eintrittsrecht, braucht er dieses einfach nicht auszuüben. Erfolgt der Erwerb erbrechtlich, muss der Erbe die Erbschaft ggf. ausschlagen. Eine gesonderte Ausschlagung des Gesellschaftsanteils ist trotz der Sondererbfolge nicht möglich (siehe Rz. 15.100).

15.129 Eine besonders wichtige Entscheidung muss der Erbe eines OHG-Anteils oder eines KomplementärAnteils dahingehend treffen, ob er die Umwandlung des Anteils in einen Kommanditanteil gemäß § 139 HGB verlangt. Der Grund für das Recht, die Umwandlung zu verlangen und ggf. aus der Ge1 Str., vgl. MünchKomm/K. Schmidt, § 105 HGB Rz. 24 f. Eingehend zur Problematik – nicht auf die KG beschränkt – Baumann, BB 1998, 225; Fett/Brand, NZG 1999, 45. Von der Rechtsprechung wurden in letzter Zeit diesbezüglich die Fälle der geplanten Bestellung eines Eigennießbrauches an einem GbR-Anteil (kein Fortbestand der Gesellschaft, vgl. OLG Schleswig v. 2.12.2005 – 2 W 141/05, ZEV 2007, 40) und der Bestellung eines Vorbehaltsnießbrauches an einem GbR-Anteil (Fortbestand der Gesellschaft, vgl. LG Hamburg v. 13.6.2005 – 321 T 30/04, NZG 2005, 926 gegen OLG Düsseldorf v. 14.9.1998 – 3 Wx 209/98, NZG 1999, 26) entschieden. Vgl. auch Rz. 15.179 und 15.206. 2 MünchHdbGesR/Klein, Band 2, § 40 Rz. 52 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 3 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1273 m.w.N. 4 Zu dieser Problematik siehe MünchHdbGesR/Klein, Bd. 2, § 40 Rz. 52 m.w.N. 5 BayObLG v. 29.1.2003 – 3Z BR 5/03, DNotZ 2003, 456. 6 Crezelius, 2009, Rz. 303. 7 Crezelius, 2009, Rz. 301. 8 BGH v. 23.11.1978 – II ZR 20/78, MDR 1979, 557.

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Rz. 15.131 § 15

sellschaft auszuscheiden, liegt in § 130 Abs. 1 HGB. Danach haftet derjenige, der als persönlich haftender Gesellschafter in eine Personenhandelsgesellschaft eintritt, auch für Altschulden der Gesellschaft persönlich. Der erbrechtliche Erwerb ist jedoch im Grundsatz nicht freiwillig, weswegen normalerweise eine Beschränkung der Haftung auf den Nachlass nach den §§ 1967 ff. BGB erfolgen kann. Dies ist bei den Personenhandelsgesellschaften aber nicht der Fall, weil § 130 Abs. 1 HGB nicht zwischen erbrechtlichem und rechtsgeschäftlichem Erwerb unterscheidet und deswegen für beide gilt. Als Ausgleich gibt § 139 HGB dem erbrechtlichem Erwerber das – konsequenterweise gemäß § 139 Abs. 5 HGB nicht gesellschaftsvertraglich abdingbare – Recht, seine Haftung auf anderem Wege zu beschränken, nämlich indem er aus der Gesellschaft ausscheidet oder Kommanditist wird1. Der Begünstigte einer Eintrittsklausel oder derjenige, der aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Nachfol- 15.130 geklausel erwirbt, hat deswegen gemäß § 139 Abs. 1 HGB kein Wahlrecht, weil er eben auf rechtsgeschäftlichem Wege und damit freiwillig Gesellschafter wird. Nachfolger, die bereits vor dem Tode des Gesellschafters persönlich haftende Gesellschafter waren, haben kein Wahlrecht2, da sie ohnehin unbeschränkt haften. Auch Nachfolger, die einen Gesellschaftsanteil im Wege eines Vermächtnisses erhalten, haben kein Wahlrecht3, denn die Problematik der nicht auf den Nachlass beschränkbaren Haftung besteht hier von vornherein nicht. § 139 HGB gilt grundsätzlich auch für den Erben eines GbR-Anteils4. Dies hat Auswirkungen auf die Frage, ob dem GbR-Nachfolger in Anwendung des § 130 HGB eine nicht auf den Nachlass beschränkbare Haftung für Altschulden der Gesellschaft zugemutet werden sollte5. Nach h.M. gilt § 139 HGB nicht für die in Auflösung befindliche Gesellschaft6. Wird die Gesellschaft innerhalb von drei Monaten nach dem Tode des Erblassers aufgelöst, haftet der Erbe ohnehin nach § 139 Abs. 4 HGB auf den Nachlass beschränkbar7. Bei Anordnung einer Testamentsvollstreckung oder Nachlass- oder Insolvenzverwaltung hat lediglich der Erbe das Wahlrecht des § 139 HGB8. Bei Vor- und Nacherbfolgeanordnung ist der Nacherbe an die Entscheidung des Vorerben gebunden, wenn dieser aus der Gesellschaft ausgetreten ist oder seine Beteiligung in eine Kommanditbeteiligung umgewandelt hat9, vgl. § 2130 BGB; ist dies nicht der Fall, hat auch der Nacherbe das Wahlrecht10. Wenn ein Kommanditist den Anteil des letzten Komplementärs erbt, ist § 139 Abs. 1 HGB nicht anwendbar, weil die Gesellschaft ohne Komplementär nicht fortbestehen kann. Der BGH11 hält in dieser Situation eine analoge Anwendung von § 27 HGB für sachgerecht, d.h. es kommt auf die Fortführung des Geschäftsbetriebes12 an. Aus § 139 Abs. 2 HGB ergibt sich, dass das Einrücken in die Kommanditistenstellung durch Abschluss eines Vertrages mit den Mitgesellschaftern erfolgt. Der Erbe muss gemäß § 139 Abs. 3 S. 1 HGB innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis vom Anfall der Erbschaft bzw. gemäß S. 3 mindestens bis zum Ablauf der Frist zur Ausschlagung der Erbschaft ein entsprechendes Vertragsangebot erklären. Nehmen die übrigen Gesellschafter das Angebot nicht an, kann der Erbe nach § 139 Abs. 2 HGB ohne Kündigungsfrist sein Ausscheiden aus der Gesellschaft erklären oder als vollhaftender Gesellschafter in der Gesellschaft verbleiben.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Zu weiteren Aspekten vgl. MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 5. Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 98. MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 62. Schäfer, NJW 2005, 3665. Vgl. zu dieser Problematik oben Rz. 15.142 f. BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, MDR 1982, 208. Kritisch aber MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 61. BGH v. 30.3.1967 – II ZR 102/65, BGHZ 47, 293 (296). BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47 (52). MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 68 m.w.N. BGH v. 10.12.1990 – II ZR 256/89, BGHZ 113, 132 (134 ff.). Nach zutreffender Ansicht auch auf eine Fortführung der Firma, vgl. oben Rz. 15.16.

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15.131

§ 15 Rz. 15.132

Unternehmensnachfolge

15.132 Scheidet der Erbe aus, stehen ihm Abfindungsansprüche zu; diese können für den Fall des Todes eines Gesellschafters allerdings regelmäßig vollumfänglich ausgeschlossen werden1. Für den Fall des Ausscheidens im Rahmen des § 139 HGB kann dies nicht gelten, da es sich nicht um ein Ausscheiden von Todes wegen handelt. Vielmehr gelten dann die wesentlich strengeren Grundsätze zu Abfindungsausschlüssen und -beschränkungen für lebzeitiges Ausscheiden2.

15.133 Der Erblasser kann mit den Mitgesellschaftern vereinbaren, dass dem Erben das Recht zustehen soll, die Umwandlung durch einseitige Erklärung herbeizuführen. Die Mitgesellschafter erklären ihre Zustimmung zur Umwandlung also in diesem Falle im Vorhinein.

15.134 Fraglich kann sein, welche Haftsumme einzutragen ist (vgl. §§ 171 ff. HGB). Zwei Anknüpfungspunkte kommen in Betracht, die ursprünglich vom Verstorbenen zu leistende Einlage („bedungene Einlage“) einerseits und der Stand des Kapitalanteils im Todeszeitpunkt andererseits3. Dogmatisch richtig scheint es, auf die ursprünglich vereinbarte Einlage abzustellen4. Denn mit dem „Teil der Einlage“ im Sinne des § 139 Abs. 1 HGB ist nichts anderes gemeint als die gesellschaftsvertraglich bedungene Einlage5. Bei aktuell negativem Kapitalanteil ist problematisch, welche Haftsumme ins Register einzutragen ist; die Eintragung einer Haftsumme von 1 Euro wird überwiegend als zulässig erachtet6. Das Abstellen auf die ursprünglich vereinbarte Einlage ist praktisch problematisch, weil oftmals eine solche Einlage überhaupt nicht ausdrücklich festgelegt wurde und daher schwer zu bestimmen sein kann7. Wegen der bestehenden Unklarheiten empfiehlt sich dringend eine ausdrückliche gesellschaftsvertragliche Festlegung.

15.135 Das Wahlrecht ist gemäß § 139 Abs. 5 HGB nicht gesellschaftsvertraglich abdingbar. § 139 Abs. 5 HGB betrifft allerdings nicht letztwillige Verfügungen. Der Erblasser kann deshalb versuchen, den Nachfolger auf erbrechtlichem Wege dazu anzuhalten, das Wahlrecht nicht auszuüben. In Betracht kommen vor allem die Auflage und die bedingte Erbeinsetzung (vgl. Rz. 15.190 ff.). Diese Möglichkeiten sind jedoch insofern nachteilig, als für den Erblasser das Verbleiben des Nachfolgers so keineswegs sichergestellt wird, weil sich der Nachfolger den Anordnungen des Erblassers immerhin durch Ausschlagung der Erbschaft entziehen kann, und andererseits die Alternative zwischen unbeschränkter Haftung und Ausscheiden aus der Gesellschaft für den Nachfolger eine Wahl zwischen zwei Übeln sein kann und deswegen eine oftmals auch vom Erblasser nicht gewollte Härte darstellen wird. 4. Haftungsordnung a) Grundsätze

15.136 Hinsichtlich der Haftung der Nachfolger müssen die erbrechtliche und die gesellschaftsrechtliche Haftung auseinander gehalten werden. Kennzeichen der erbrechtlichen Haftung ist die Möglichkeit, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken. Außerdem haftet der Erbe als solcher nicht für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die nach dem Tode des Erblassers begründet werden. Kennzeichen der gesellschaftsrechtlichen Haftung ist, dass es zu einer unbeschränkten persönlichen Haftung für vor dem Tode des Gesellschafters wie auch für danach begründete Verbindlichkeiten kommen kann. Terminolo1 2 3 4

Vgl. oben Rz. 15.94, 15.112 und 15.118. Siehe dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 50 IV 2 m.w.N. Zum Streitstand vgl. Staub/Schäfer, § 139 HGB Rz. 99 ff. Davon zu unterscheiden ist die der Gesellschaft geschuldete Einlage. Selbst wenn man hier auf die bedungene Einlage abstellt, so darf hier der Neugesellschafter keine Auszahlung des Überschusses verlangen, wenn der Stand des Kapitalanteils die bedungene Einlage übersteigt, vgl. MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 75. 5 So MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 79 m.w.N., in Rz. 78 auch zur Gegenmeinung. 6 H.M., vgl. Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 139 HGB Rz. 9; Baumbach/Hopt, § 139 HGB Rz. 42; Ebenroth/Boujong/Joost/Lorz, § 139 HGB Rz. 107 m.w.N. 7 Vgl. Ebenroth/Boujong/Joost/Lorz, § 139 HGB Rz. 105.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.140 § 15

gisch ist weiterhin zwischen Altschulden (die vor dem Tode begründet wurden) und Neuschulden (die nach dem Tode begründet wurden) zu unterscheiden. Da § 139 HGB dem Nachfolger in die OHG ein Wahlrecht eröffnet, das Verbleiben in der Gesellschaft davon abhängig zu machen, dass sein Anteil in eine Kommanditbeteiligung umgewandelt wird, gibt es hier eine weitere Kategorie, die sog. Zwischenneuschulden. Das sind diejenigen Verbindlichkeiten, die in der Zeit ab dem Tode bis zur Einräumung der Kommanditistenstellung begründet wurden. Eine Begrenzung der Haftung erfolgt – auch bei der GbR, vgl. § 736 Abs. 2 BGB – durch § 160 HGB, 15.137 der 1994 durch das Nachhaftungsbegrenzungsgesetz Eingang in das HGB gefunden hat. Danach tritt keine Haftung ein für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die zwar zu Lebzeiten des Erblassers begründet wurden, aber nicht vor Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden des Gesellschafters fällig werden. Von diesen Grundsätzen ausgehend ergibt sich bei den einzelnen gängigen Fallkonstellationen Folgendes: b) Auflösung Wird die Gesellschaft beim Tode des Gesellschafters aufgelöst, wird die Gesellschaft zur Liquidationsgesellschaft. Grundsätzlich kommt es hier nur zur erbrechtlichen Haftung mit der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass, auch hinsichtlich der Sozialansprüche. Die Erben haften für Verbindlichkeiten, die in der Liquidationszeit begründet werden, nicht gesellschaftsrechtlich nach § 128 HGB1. Denn die Erben haben keine Alternative zur Liquidation, weswegen ihnen die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung gegeben werden muss. Demnach sind diese Schulden als Nachlassverwaltungsschulden und damit als rein erbrechtlicher Sachverhalt zu bewerten. Anderes muss freilich gelten, wenn die Liquidation tatsächlich nicht betrieben wird, sondern die Gesellschaft als werbende Gesellschaft weitergeführt wird2. Eine etwaige Rechtsscheinhaftung nach § 15 Abs. 1 HGB ist auf den Nachlass beschränkbar3.

15.138

c) Fortsetzung Wird die Gesellschaft beim Tode eines Gesellschafters unter den verbliebenen Gesellschaftern fort- 15.139 gesetzt, fällt der Anteil des Verstorbenen nicht in den Nachlass (siehe oben Rz. 15.89). Dies hat einerseits die Konsequenz, dass die verbleibenden Gesellschafter nicht erbrechtlich haften (wohl aber ohnehin aufgrund ihrer Gesellschafterstellung für die Altschulden), andererseits die, dass die Erben nicht gesellschaftsrechtlich, also insbesondere für Neuschulden, haften. Damit verbleibt es bei der erbrechtlichen Haftung der weichenden Erben für Altschulden mit der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass, und ferner unter Berücksichtigung der zeitlichen Grenze des § 160 HGB. Wenn das Ausscheiden des Gesellschafters nicht eingetragen und bekannt gemacht wurde, kann es bei Personenhandelsgesellschaften zur Rechtsscheinhaftung für Neuschulden nach § 15 HGB kommen, allerdings ist auch diese Haftung auf den Nachlass beschränkbar4. Beratungshinweis: Da die fünfjährige Ausschlussfrist erst mit Eintragung des Ausscheidens des ErblasserGesellschafters beginnt und die Gefahr einer nach dem Tode des Erblassers entstehenden Anscheinshaftung der Erben besteht, sollten sich die Erben so schnell wie möglich um die Handelsregistereintragung bemühen.

Für Sozialansprüche haften die Erben der Gesellschaft erbrechtlich, das heißt insbesondere auf den Nachlass beschränkbar. Werden die weichenden Erben von Dritten aufgrund der erbrechtlichen Haf-

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BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, MDR 1982, 208. Vgl. Crezelius, 2009, Rz. 252. Vgl. BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98 (102). Vgl. BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98, 102 f.; a.A. offenbar MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 99 i.V.m. Rz. 129.

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15.140

§ 15 Rz. 15.141

Unternehmensnachfolge

tung in Anspruch genommen, haben sie einen Schuldbefreiungsanspruch gegen die Gesellschaft gemäß § 738 Abs. 1 S. 2 BGB1. d) Erbrechtliche Nachfolge aa) GbR

15.141 Bei der GbR haften die Nachfolger gesellschaftsrechtlich für Neuschulden. Die weichenden Erben bei einer qualifizierten Nachfolgeklausel haften für Altschulden und Sozialansprüche erbrechtlich beschränkbar. Im Innenverhältnis trifft die Haftung für Altschulden nur die in die Gesellschaft einrückenden Erben2.

15.142 Bezüglich der Haftung der in die Gesellschaft einrückenden Erben für Altschulden ist die Rechtslage gegenwärtig unklar3. Das GbR-Recht schweigt hierzu. § 130 HGB bestimmt für die Personenhandelsgesellschaften, dass der eintretende Nachfolger persönlich und unbeschränkbar für Altschulden haftet. Für die GbR geht der BGH mittlerweile von einer akzessorischen Haftung eines rechtsgeschäftlich eintretenden Gesellschafters für Altschulden wie bei den §§ 128 ff. HGB aus4. Daraus wird teilweise gefolgert, dass Nachfolger in die GbR aufgrund einer erbrechtlichen Nachfolgeklausel ebenfalls für Altschulden nach § 130 HGB haften müssten, also insbesondere nicht auf den Nachlass beschränkbar5.

15.143 Die Anwendung des § 130 HGB ist jedoch abzulehnen6. Der erbrechtliche Erwerb von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten ist, anders als der rechtsgeschäftliche, kein freiwilliger Erwerb. Aus diesem Grunde hat der Erbe die Möglichkeit, die Haftung nach §§ 1967 ff. BGB auf den Nachlass zu beschränken. Der Erbe wird also gerade nicht gezwungen, zur Vermeidung von Haftungsrisiken die Erbschaft auszuschlagen. Bei Personenhandelsgesellschaften wäre jedoch eine Beschränkung der Haftung des Erben für Gesellschaftsschulden auf den Nachlass nicht sachgerecht, so dass ein Spannungsverhältnis zwischen Erbrecht und Gesellschaftsrecht entsteht. Dieses Spannungsverhältnis hat der Gesetzgeber derart gelöst, dass dem Nachfolger dafür, dass er einer unbeschränkten gesetzlichen Haftung für Altschulden gemäß § 130 HGB unterworfen wird, die Möglichkeit der Umwandlung seines Anteils in eine Kommanditbeteiligung gegeben wird. Es kommt demnach zu einer Haftungserleichterung auf anderem Wege. Oft kann zwar die GbR nach § 161 Abs. 2, § 105 Abs. 2 HGB in die Rechtsform der KG wechseln, im Grundsatz aber gibt es keine Kommanditbeteiligung an einer GbR, und es sind auch nicht immer die Voraussetzungen für einen Formwechsel gegeben7. Wird dem Neugesellschafter dagegen lediglich analog § 139 HGB ein Recht zum Austritt aus der Gesellschaft zugebilligt8, so benachteiligt auch dies ihn gegenüber dem Nachfolger eines Anteils an einer Personenhandelsgesellschaft, davon abgesehen, dass es mangels Regelungslücke schon an den Voraussetzungen für eine Analogie fehlen dürfte. Der GbR-Gesellschafter wäre also gegenüber dem Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft erheblich benachteiligt, obwohl doch der Gesetzgeber durch die Ausgestal1 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1129. 2 MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 109. 3 Insbesondere ergibt sich auch aus dem Urteil des BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, MDR 2003, 756 nicht schon zwingend eine Haftung für im Erbgang eintretende Gesellschafter nach § 130 HGB, vgl. eingehend Hoppe, ZEV 2004, 226 (227 ff.). 4 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, MDR 2003, 756; vgl. auch schon BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 (1061). 5 MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 47 f.; Lange/Kuchinke, § 47 VI 3; MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 60, die allerdings alle dem Nachfolger durch eine analoge Anwendung von § 139 HGB helfen wollen; vgl. hierzu Rz. 15.143. 6 So auch MünchKomm/Siegmann, § 1967 BGB Rz. 46; Hoppe, ZEV 2004, 226. 7 Vgl. dazu MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 48. 8 So MünchKomm/Schäfer, § 727 BGB Rz. 48; MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 60; Lange/Kuchinke, § 47 VI 3.

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Rz. 15.146 § 15

tung des Haftungsregimes bei der OHG gerade zu erkennen gegeben hat, dass er eine unbeschränkbare Haftung bzw. eine Ausschließung aus einer Gesellschaft, die sich aus einem erbrechtlichen Erwerb ergibt, für nicht sachgerecht hält. Bei der GbR bestand insofern kein Regelungsbedarf, weil der eintretende Gesellschafter ohnehin nicht voll für Altschulden haftete, bis die erwähnte BGH-Rechtsprechung1 erging. Solange der Gesetzgeber in diesem Bereich keine alternativen Möglichkeiten zur Haftungsbeschränkung bestimmt hat, kann deswegen nicht von einer unbeschränkten Haftung nach OHGGrundsätzen, jedoch ohne die dortigen Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten durch Umwandlung des Anteils in einen Kommanditanteil, ausgegangen werden. Während die Haftung rechtsgeschäftlich in eine GbR eintretender Gesellschafter für Altschulden ein praktisches und dogmatisches Problem darstellte, das am Besten durch die Festlegung einer akzessorischen Haftung gelöst werden konnte, gilt dies für den erbrechtlichen Erwerb nicht. Denn der rechtsgeschäftlich eintretende Gesellschafter haftete nach alter Rechtsprechung grundsätzlich erst einmal überhaupt nicht für Altschulden, wenn man nicht die konstruiert wirkenden Lösungsansätze der Rechtsprechung und Lehre anwendete. Es ging also in erster Linie darum, überhaupt einmal zu einem sinnvollen Haftungsregime zu gelangen. Der erbrechtlich eintretende Nachfolger haftet dagegen seit jeher für Altschulden, eben nur auf den Nachlass beschränkbar. Hier bestand also schon vorher ein sinnvolles Haftungsregime, nämlich dasjenige, das das Erbrecht zur Verfügung stellt und das für Gesellschaftsgläubiger in der Vergangenheit auch kaum zu ungerechtfertigten Härten geführt hätte. Anders als bei dem rechtsgeschäftlichen Eintritt geht es also nicht um die Frage, ob der Eintretende überhaupt für Altschulden haftet, sondern nur darum, mit welcher Vermögensmasse er dies tut. Welcher Ansicht der BGH folgen wird, kann jedoch nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Die weitere Entwicklung bleibt hier abzuwarten. Es empfiehlt sich deswegen, bereits vor dem Tode die geeigneten Maßnahmen vorzunehmen, um eine unbeschränkbare Haftung des Erben eines GbR-Anteils zu verhindern, etwa eine Umwandlung in eine GmbH oder GmbH & Co. KG vorzunehmen (vgl. auch Rz. 15.223).

15.144

bb) Kommanditist Hinsichtlich der Vererbung von Kommanditanteilen ist von entscheidender Bedeutung, ob die bedungene Hafteinlage vom Erblasser geleistet wurde oder nicht. Hatte der Erblasser die Einlage geleistet (und liegt auch kein Fall des § 174 Abs. 2 HGB vor), haften weder Nachfolger noch die weichenden Erben (bei qualifizierter Nachfolgeklausel)2. Denn es handelt sich nicht um einen neuen, sondern den gleichen Kommanditanteil.

15.145

Nach zutreffender h.M. kann auch keine Haftung des Erben nach § 176 Abs. 2 HGB eintreten, wenn 15.146 der Erblasser bereits im Handelsregister eingetragen war3. Früher wandte die Rechtsprechung die Vorschrift auch auf den erbrechtlichen Erwerb an4. Der Erwerb des Anteils beruht bei einem erbrechtlichem Erwerb allerdings nicht auf einer bewussten Entscheidung des Erben, so dass es insofern bei dem Grundsatz verbleiben muss, dass der Erbe nicht durch die bloße Tatsache des Erbfalls einer unbeschränkbaren Haftung ausgesetzt werden darf. Hinzu kommt, dass der rechtsgeschäftlich eintretende Kommanditist seinen Eintritt aufschiebend auf die Handelsregistereintragung bedingt erklären und so die Haftung nach § 176 Abs. 2 HGB vermeiden kann. Diese Möglichkeit hat der erbrechtlich eintretende Kommanditist naturgemäß nicht. § 176 Abs. 2 HGB ist demnach als Rechtsgrundverweisung auf § 176 Abs. 1 HGB zu verstehen. Dieser Ansicht neigt inzwischen auch der BGH zu5. Ist bereits der Erblasser nicht als Kommanditist eingetragen worden, kann es allerdings zu einer – nach h.M. nicht auf 1 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, MDR 2003, 756. 2 Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 70. 3 Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 176 HGB Rz. 9; Baumbach/Hopt, § 176 HGB Rz. 12; Glanegger/ Stuhlfelner, § 176 HGB Rz. 9; MünchKomm/K. Schmidt, § 176 HGB Rz. 22 m.w.N. 4 So noch BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, MDR 1976, 559; BGH v. 19.5.1983 – II ZR 50/82, MDR 1983, 731. 5 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152 (3155).

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§ 15 Rz. 15.147

Unternehmensnachfolge

den Nachlass beschränkbaren (vgl. Rz. 15.148) – Haftung nach § 176 Abs. 2 HGB kommen1. Eine Rechtsscheinhaftung nach § 15 Abs. 1 HGB gibt es daneben nicht2.

15.147 War die Einlage vom Erblasser nicht geleistet oder liegt ein Fall des § 174 Abs. 2 HGB vor, so haften weichende Erben bis zur Höhe der Haftsumme. Diese Haftung ist allerdings auf den Nachlass beschränkbar, da es sich um einen erbrechtlichen Haftungstatbestand handelt3. Für Neuschulden haften weichende Erben dagegen gar nicht, da die Haftung für Neuschulden gesellschaftsrechtlich begründet ist. Der als Kommanditist nachfolgende Erbe haftet für Neuschulden gesellschaftsrechtlich nach den §§ 171, 172 HGB4. Miterben haften pro rata entsprechend ihrer Erbquote5. Erbt der Erbe die Kommanditbeteiligung zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gesellschaft bereits aufgelöst (aber noch nicht vollbeendigt) ist, haftet er für die Einlage auf den Nachlass beschränkbar6.

15.148 Für Altschulden haften die Kommanditisten gemäß § 173 HGB i.V.m. §§ 171, 172 HGB. Nach h.M. ist diese Haftung nicht auf den Nachlass beschränkbar7. Die h.M. sieht in der Vorschrift also einen rein gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbestand. An der Richtigkeit dieses Ergebnisses lässt sich zweifeln8, denn eine unbeschränkbare Haftung für Verbindlichkeiten des Erblassers tritt normalerweise bei einem Vermögensanfall von Todes wegen gerade nicht ein. Deswegen wäre es durchaus denkbar, entweder § 173 HGB auf einen durch Erbgang erfolgenden Eintritt von vornherein nicht anzuwenden (was durch eine entsprechende Auslegung des Begriffs „Eintritt“ geschehen kann), oder auch bezüglich der Haftung nach § 173 HGB eine Beschränkung auf den Nachlass zuzulassen (die Vorschrift also insoweit als erbrechtlichen Haftungstatbestand auszulegen). Immerhin sind die Haftungsrisiken für den Kommanditisten-Erben, auch wenn man der h.M. folgt, durch die Begrenzung der Haftung auf die bedungene Einlagensumme gemindert9. In die Gesellschaft nachfolgende Erben haften auch hier nur entsprechend ihrem Erbteil10.

15.149 Die dargestellten Grundsätze gelten auch bei einer automatisch wirkenden Umwandlungsklausel (siehe auch Rz. 15.223), bei der die Gesellschaft nach dem Tode als KG weitergeführt wird und die Erben direkt eine Kommanditistenstellung erhalten. Schlägt die automatisch wirkende Umwandlungsklausel fehl, gilt § 139 HGB und das damit verbundene Haftungsregime (siehe Rz. 15.158). cc) OHG-Gesellschafter und Komplementär

15.150 Weichende Erben, also solche, die in Folge einer qualifizierten Nachfolgeklausel nicht in die Gesellschaft einrücken, haften für Altschulden im Außenverhältnis erbrechtlich beschränkbar (§§ 1975 ff. BGB). Diese Haftung im Außenverhältnis trifft allerdings im Innenverhältnis nur den Nachfolger, so dass die weichenden Erben insoweit Ausgleichs- bzw. Schuldbefreiungsansprüche gegen die nachfolgenden Erben haben11. Für Sozialansprüche haften die weichenden Erben der Gesellschaft ebenfalls

1 MünchKomm/K. Schmidt, § 176 HGB Rz. 23. 2 § 176 Abs. 2 HGB wird insoweit als abschließende Vorschrift bewertet, vgl. MünchKomm/K. Schmidt, § 176 HGB Rz. 45 m.w.N. 3 Vgl. MünchKomm/K. Schmidt, § 173 HGB Rz. 47 m.w.N. 4 Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 70. 5 Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 70. 6 BGH v. 21.9.1995 – II ZR 273/93, MDR 1996, 55. 7 OLG Hamburg v. 5.11.1993 – 11 U 39/93, NJW-RR 1994, 809; Lange/Kuchinke, § 47 VI 2 a; Crezelius, 2009, Rz. 305; MünchKomm/K. Schmidt, § 173 HGB Rz. 44; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 173 HGB Rz. 2. 8 Ablehnend auch Staudinger/Marotzke, § 1967 BGB Rz. 69 m.w.N. 9 Staudinger/Marotzke, § 1967 BGB Rz. 68 weist aber zutreffend darauf hin, dass es Fälle gibt, in denen die nicht geleistete Hafteinlage sehr hoch ist. 10 Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 70. 11 MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 109.

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Kindler/Gubitz

Unternehmensnachfolge

Rz. 15.157 § 15

erbrechtlich beschränkbar. Auch insoweit haben sie allerdings einen Freistellungsanspruch gegen den in die Gesellschaft nachfolgenden Erben1. Für Zwischenneuschulden und Neuschulden haften die weichenden Erben dagegen grundsätzlich nicht. U.U. kommt eine Rechtsscheinhaftung nach § 15 HGB für nach dem Tode des Erblassers begründete Verbindlichkeiten dann in Betracht, wenn das Ausscheiden des Erblassers nicht eingetragen und bekannt gemacht wird. Auch diese Rechtsscheinhaftung ist allerdings erbrechtlich beschränkbar. Zudem haben die weichenden Erben insoweit einen Ausgleichsanspruch gegen den oder die Nachfolger.

15.151

Beratungshinweis: Die den weichenden Erben drohende Anscheinshaftung gem. § 15 Abs. 1 HGB gibt dringende Veranlassung, die Eintragung des Nachfolgers und die dementsprechende Löschung des Erblassers so schnell als möglich zu bewirken.

Erbrechtlich nachfolgende OHG-Gesellschafter und Komplementäre haben nach § 139 HGB die Möglichkeit, ihr Verbleiben in der Gesellschaft davon abhängig zu machen, dass ihnen eine Kommanditistenstellung eingeräumt wird2. Je nach Entscheidung des Erben ergeben sich unterschiedliche Haftungsfolgen:

15.152

Verbleibt der Nachfolger als persönlich haftender Gesellschafter, haftet er gemäß § 130 HGB persönlich und unbeschränkt nach Maßgabe der §§ 128, 129 HGB für Altschulden. Für Neuschulden haftet der Nachfolger ohnehin unbeschränkt und persönlich aufgrund seiner Gesellschafterstellung nach §§ 128, 129 HGB; die Kategorie der Zwischenneuschulden hat insoweit keine eigene Bedeutung.

15.153

Scheidet der Nachfolger innerhalb der Schwebezeit aus, so haftet er für Altschulden und Zwischenneuschulden, die bis zu seinem Ausscheiden entstanden sind, nur erbrechtlich, also auf den Nachlass beschränkbar3.

15.154

Beispiel: Der Gesellschaftsvertrag der XYZ-OHG enthält eine einfache Nachfolgeklausel. E ist Alleinerbe des verstorbenen Gesellschafters Z. Zwei Monate nach dem Erbfall beantragt E bei X und Y die Umwandlung seiner Beteiligung in einen Kommanditanteil und setzt eine Zwei-Wochen-Frist. X und Y reagieren innerhalb des nächsten Monats nicht. Hier ist eine missliche Lage für den E entstanden. Denn die beschränkbare Erbenhaftung tritt nur ein, wenn entweder sein Antrag angenommen wurde, was nicht der Fall war, oder er aus der Gesellschaft ausscheidet. Auch dies geschieht aber nicht automatisch, E hätte seinen Austritt erklären müssen. Sind X und Y in den ersten drei Monaten nach dem Tode des Z erhebliche Verbindlichkeiten eingegangen, haftet E für diese persönlich mit seinem gesamten Vermögen. Je nach Lage der Dinge könnte es E gelingen, Schadensersatzansprüche gegen X und Y durchzusetzen, die auf Schuldbefreiung gehen, aber ein wesentlich besserer Weg wäre es gewesen, den Antrag auf Umwandlung des Anteils in eine Kommanditistenstellung mit der Erklärung zu verbinden, dass er aus der Gesellschaft ausscheide, wenn der Antrag nicht innerhalb der Frist angenommen wird.

15.155

Erfolgt die Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung, gelten für Neuschulden, die nach der Einräumung der Kommanditbeteiligung begründet wurden, die allgemeinen Grundsätze zur Haftung eines Kommanditisten nach §§ 171, 172 HGB.

15.156

Für Altschulden haftet der Nachfolger nach § 171 Abs. 1 HGB, also bis zur Höhe der Einlage, es sei denn, diese war geleistet. Wie bei der Vererbung eines Kommanditanteils ist umstritten, ob diese Haftung auf den Nachlass beschränkbar ist4. Auch insoweit ist eine unbeschränkbare Haftung auf Leistung der Einlage insbesondere bei hoher Einlageschuld aus erbrechtlicher Sicht problematisch.

15.157

1 MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 109. 2 Siehe hierzu ausführlich Rz. 15.129 ff. 3 Dies ist unstreitig. Über den Regelungsgehalt des § 139 Abs. 4 HGB besteht allerdings im Grundsatz Uneinigkeit, vgl. MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 101. 4 Ablehnend auch insoweit Staudinger/Marotzke, § 1967 BGB Rz. 64 m.w.N. auch zur Gegenansicht.

Kindler/Gubitz

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§ 15 Rz. 15.158

Unternehmensnachfolge

15.158 Hinsichtlich der Zwischenneuschulden tritt eine Haftung ein, die der eines voll haftenden Gesellschafters entspricht. Dies folgt aus der Stellung im Gesellschaftsverhältnis in der Schwebezeit. Nach § 139 Abs. 4 HGB ist diese Haftung aber auf den Nachlass beschränkbar. Während der Schwebezeit kann der Erbe die Leistung aus seinem Privatvermögen vorläufig verweigern1. Eine Haftung nach § 15 Abs. 1 HGB kann nicht entstehen, weil während des Schwebezustandes noch keine Eintragungspflicht besteht2. Die Anwendung des § 176 Abs. 2 HGB ist auch hier streitig3. Dafür spricht, dass anders als bei der Vererbung einer Kommanditbeteiligung ein neuer Kommanditanteil geschaffen wird4. U.E. sollte die Vorschrift trotzdem nicht angewendet werden. Denn das maßgebliche Argument gegen eine Anwendung des § 176 Abs. 2 HGB, dass der erbrechtliche Erwerb einer Beteiligung nicht freiwillig erfolgt (siehe Rz. 15.146), muss auch hier gelten und wiegt schwerer als die rein formale Unterscheidung danach, ob es sich um einen neu geschaffenen oder bestehenden Kommanditanteil handelt5. Beratungshinweis: Das Haftungsprivileg des Nachfolgers gem. § 139 Abs. 4 HGB gilt nur, wenn er innerhalb der Schwebezeit ausscheidet. Insofern ist es für ihn zweckmäßig, den Antrag auf Umwandlung mit der Erklärung zu verbinden, dass er im Falle der Ablehnung des Antrages aus der Gesellschaft ausscheidet. Erteilen die übrigen Gesellschafter innerhalb der Frist keine Antwort, gilt der Antrag als abgelehnt.

e) Rechtsgeschäftliche Nachfolge

15.159 Erfolgt die Nachfolge in die Gesellschaft auf rein rechtsgeschäftlichem Wege (durch eine rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel oder aufgrund einer Eintrittsklausel), so gelten die normalen Grundsätze der Haftung bei Eintritt in eine bestehende Gesellschaft. Für GbR- und OHG-Nachfolger sowie Komplementäre ergibt sich damit eine persönliche unbeschränkbare gesellschaftsrechtliche Haftung gemäß §§ 161 Abs. 2, 130, 128 HGB6, für eintretende Kommanditisten nach §§ 173, 172, 171 HGB.

15.160 Rechtsgeschäftliche Nachfolger in eine voll haftende Beteiligung haben das Wahlrecht zwischen Ausscheiden und der Einräumung einer Kommanditistenstellung nicht, weil § 139 HGB nur bei einem erbrechtlichen Erwerb des Anteils anwendbar ist. Der Gesellschaftsvertrag kann aber selbstverständlich vorsehen, dass der Eintrittsberechtigte als Kommanditist eintreten darf. Besteht kein solches Recht, kann der Eintrittsberechtigte seinen Eintritt freilich von der Einräumung einer Kommanditbeteiligung abhängig machen.

15.161 Dem eintretenden Kommanditisten droht die unbeschränkte Haftung nach § 176 Abs. 2 HGB, weswegen bei einer Eintrittsklausel der Eintritt aufschiebend bedingt auf die Eintragung ins Handelsregister erfolgen sollte7. Bei einer rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel scheidet dies aus.

15.162 Die Erben – auch ein eventuell zum Eintritt berechtigter Erbe – haften erbrechtlich beschränkbar für Altschulden, unter Beachtung der Ausschlussfrist nach § 160 Abs. 1 HGB. Gemäß §§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 2 HGB, 738 Abs. 1 BGB haben die Erben insoweit einen Schuldbefreiungsanspruch gegen die Gesellschaft8. Sie haften ferner erbrechtlich beschränkbar für Sozialansprüche. Ist ein Erbe eintrittsberechtigt, trifft die Haftung im Innenverhältnis nach § 426 BGB nur den eintrittsberechtigten Miterben9. Für Neuschulden kommt lediglich eine Haftung unter Rechtsscheingesichtspunkten gemäß

1 2 3 4 5 6 7 8 9

MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 104 m.w.N. MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 105. Zum Streitstand vgl. MünchKomm/K. Schmidt, § 176 HGB Rz. 24 m.w.N. Sudhoff/Scherer, § 12 Rz. 17. Zur automatisch wirkenden Umwandlungsklausel, bei der eine automatische Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung erfolgt, siehe Rz. 15.149 und 15.223. Für die GbR anerkannt in BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, MDR 2003, 756. Vgl. oben Rz. 15.146 und 15.158. Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 66. Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 66.

650

Kindler/Gubitz

Unternehmensnachfolge

Rz. 15.167 § 15

§ 15 Abs. 1 HGB in Betracht, weshalb die entsprechenden Eintragungen so schnell wie möglich erfolgen sollten. 5. Registerrecht Ist im Gesellschaftsvertrag einer Personenhandelsgesellschaft bestimmt, dass die Gesellschaft entgegen § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB mit dem Tode eines Gesellschafters aufgelöst wird, so ist die Auflösung nach § 143 Abs. 1 S. 1 HGB von den Gesellschaftern und – wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 143 Abs. 3 HGB ergibt – von den Erben zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, wenn der Mitwirkung der Erben keine besonderen Hindernisse entgegenstehen1. Solche Hindernisse können beispielsweise eine ungeklärte Erbfolge oder Unerreichbarkeit der Erben darstellen. Die Liquidatoren und deren Vertretungsmacht sind nach § 148 Abs. 1 S. 1 HGB wiederum von den Gesellschaftern und den Erben anzumelden, sofern der Mitwirkung der Erben keine Hindernisse entgegenstehen, vgl. § 148 Abs. 1 S. 3 HGB. Das Erlöschen der Gesellschaft nach Liquidation ist nach § 157 Abs. 1 HGB von den Liquidatoren anzumelden. Fassen die Gesellschafter der Liquidationsgesellschaft einen Fortsetzungsbeschluss (siehe Rz. 15.88), muss die Fortsetzung analog §§ 144 Abs. 2, 107 HGB von den Gesellschaftern und Erben angemeldet werden.

15.163

Wird die Gesellschaft – entsprechend dem gesetzlichen Regelfall – ohne die Erben von den verbliebenen Gesellschaftern fortgesetzt, ist das Ausscheiden des Gesellschafters von Gesellschaftern und Erben nach Maßgabe des § 143 Abs. 2 HGB anzumelden.

15.164

Bei der erbrechtlichen und rechtsgeschäftlichen Nachfolge ist das Ausscheiden des Verstorbenen nach 15.165 Maßgabe des § 143 Abs. 2 HGB und der Eintritt des oder der neuen Gesellschafter gemäß § 107 HGB anzumelden. Anmeldepflichtig sind alle Gesellschafter und alle Erben2, außer bezüglich des Eintritts bei rechtsgeschäftlicher Nachfolge. Der Testamentsvollstrecker muss die Anmeldung ebenfalls unterzeichnen, wenn Testamentsvollstreckung angeordnet ist3. Strittig ist die Rechtslage bezüglich der Eintragung eines Testamentsvollstreckervermerks (vgl. bereits Rz. 15.59). Derjenige, der ein Eintrittsrecht als Kommanditist hat, sollte zur Vermeidung der Haftung aus § 176 Abs. 2 HGB den Eintritt aufschiebend bedingt auf die Handelsregistereintragung erklären4. Das bei der erbrechtlichen Nachfolge bestehende Wahlrecht des § 139 HGB ist als solches nicht einzutragen, doch wenn die Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung erfolgt, sind die Kommanditistenstellung und die Hafteinlage des Nachfolgers einzutragen5. Ist die Gesellschaft in letzterem Fall noch keine KG, ist Umwandlung in eine KG und die Erweiterung der Firma um den Rechtsformzusatz anzumelden, da andernfalls eine Rechtsscheinhaftung droht. Entsprechendes gilt für automatisch wirkende Umwandlungsklauseln. Ist der Nachfolger in eine Kommanditbeteiligung bereits Komplementär, bleibt er unbeschränkt haftender Gesellschafter. Die im Handelsregister eingetragene Haftsumme des Kommanditkapitals ist herabzusetzen6.

15.166

Die Erbfolge in den KG-Anteil ist von allen Gesellschaftern (und allen Erben) zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§§ 161, 143 Abs. 2, 107, 108, 12 HGB). Dabei ist der Übergang des KG-Anteils auf die Erben im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) anzumelden. Dies gilt auch dann, wenn der KG-Anteil (später) aufgrund eines (Voraus-)Vermächtnisses (§§ 2147 ff. BGB) oder einer Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) rechtsgeschäftlich auf einen anderen Nachfolger

15.167

1 BayObLG v. 22.12.1992 – 3Z BR 170/92, DStR 1993, 442. 2 BayObLG v. 12.10.1978 – BReg. 1 Z 102/78, DB 1979, 86; OLG Stuttgart v. 17.12.1992 – 13 U 275/91, DB 1993, 474. 3 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1275; BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 (1081). 4 Vgl. dazu auch oben Rz. 15.146 und 15.161. 5 Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 111. 6 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1273.

Kindler/Gubitz

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§ 15 Rz. 15.168

Unternehmensnachfolge

übertragen wird1. Ein Verzicht auf die Zwischeneintragung der Erben ist (anders als im Grundbuch, § 40 GBO) ausgeschlossen. Dabei ist die Erbfolge dem Handelsregister regelmäßig durch öffentliche Urkunden nachzuweisen (§ 12 Abs. 1 S. 4 HGB). Laut OLG Düsseldorf soll aus Gründen der Rechtssicherheit die für das Grundbuch geltende Vorschrift des § 35 GBO für das Handelsregister faktisch entsprechend gelten. Danach ist der Nachweis regelmäßig durch Erbschein, Europäisches Nachlasszeugnis oder ein öffentliches Testament zu führen; ein privatschriftliches Testament wäre demnach kein ausreichender Nachweis der Erbfolge. Diese Maßstäbe erscheinen indes überzogen. Die Rechtsnachfolge kann auch durch Vorlage eines eröffneten eigenhändigen Testaments belegt werden, wenn dieses die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist2.

15.168 Handlungsempfehlungen: (1) Es empfiehlt sich, die entsprechenden Erklärungen möglichst unverzüglich vorzunehmen, da eine Rechtsscheinhaftung nach § 15 bzw. § 176 Abs. 2 HGB droht (vgl. Rz. 15.165). (2) Die Kommanditisten sollten zu ihren Lebzeiten einer Person ihres Vertrauens möglichst eine entsprechende Handelsregistervollmacht erteilen (§ 12 HGB). Die Anmeldung der Erbfolge kann dann durch den Bevollmächtigten erfolgen. Ein Erbschein3 ist in diesem Fall entbehrlich4. 6. Erbrechtliche Gestaltungsoptionen a) Teilungsanordnung

15.169 Die Teilungsanordnung ist als Gestaltungsmittel in Bezug auf Personengesellschaftsanteile weniger relevant, da es bereits durch eine qualifizierte Nachfolgeklausel zu einer gegenständlichen Verteilung des Nachlasses kommt (vgl. Rz. 15.98). Ist gleichwohl ein Gesellschaftsanteil Gegenstand einer Teilungsanordnung, geht der Anteil zunächst im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf alle Erben, die nach dem Gesellschaftsvertrag einrücken können, über. Die Erben, die nach der Teilungsanordnung den Gesellschaftsanteil erhalten sollen, haben sodann einen Anspruch gegen die anderen Erben auf Übertragung von deren Teilanteilen (§ 2048 BGB). Übersteigt der Wert des Gesellschaftsanteils die Erbquote der durch die Teilungsanordnung mit dem Anteil bedachten Erben, so haben die weichenden Erben Ausgleichsansprüche gegen die nachrückenden Erben. Gegen die Gesellschaft haben die weichenden Erben dagegen keinerlei Ausgleichsansprüche. Der Erblasser muss hier genau beobachten, wie sich die Struktur seines Vermögens entwickelt. Beabsichtigt er etwa, einem Erben das Betriebs-, dem anderen das Privatvermögen zuzuwenden, und übersteigt das Betriebs- das Privatvermögen, so könnte der Ausgleichsanspruch so hoch werden, dass der bedachte Erbe aus der Gesellschaft ausscheiden muss, um entsprechende Werte flüssig zu machen5. Werden zur Befriedigung von Ausgleichsansprüchen Vermögenswerte vom Betriebs- ins Privatvermögen überführt, drohen negative steuerliche Konsequenzen, weil es zur Aufdeckung stiller Reserven kommen kann6. b) Vermächtnis

15.170 Ist im Gesellschaftsvertrag eine qualifizierte Nachfolge vorgesehen, kann dem qualifizierten Nachfolger der Gesellschaftsanteil (oder dessen Wert) in Form eines Vorausvermächtnisses zugewendet werden, um zu verhindern, dass Ausgleichsansprüche der Miterben gegen den qualifizierten Nachfolger entstehen (siehe Rz. 15.107)7. Wenn der Gesellschaftsvertrag für die Übertragung des Gesellschafts1 Wachter, EWiR 2018, 171 (172) zu OLG Düsseldorf v. 9.6.2017 – I-3 Wx 90/16, NZG 2017, 1355. 2 Vgl. BGH v. 5.4.2016 – XI ZR 440/15, MDR 2016, 716 zum Nachweis der Erbenstellung gegenüber Kreditinstituten. 3 Zur – nicht stets gegebenen – Erforderlichkeit eines Erbscheins s. OLG Düsseldorf v. 9.6.2017 – I-3 Wx 90/16, NZG 2017, 1355 Rz. 18. 4 Wachter, EWiR 2018, 171 (172) zu OLG Düsseldorf v. 9.6.2017 – I-3 Wx 90/16, NZG 2017, 1355. 5 Vgl. zu den diesbezüglichen Risiken der Teilungsanordnung bereits Rz. 15.34. 6 Vgl. Sudhoff/Hübner, § 80 Rz. 36. 7 Vgl. zum Vermächtnis in Bezug auf Kommanditanteile und den damit zusammenhängenden Spezialfragen Reymann, ZEV 2006, 307.

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Kindler/Gubitz

Unternehmensnachfolge

Rz. 15.174 § 15

anteils die Zustimmung der Mitgesellschafter verlangt, sollte bestimmt werden, dass die Nachfolge im Wege des Vermächtnisses auch ohne eine solche Zustimmung zulässig ist, da zur Erfüllung des Vermächtnisses der Anteil übertragen werden muss1. Die Anordnung eines Vermächtnisses kommt auch aus anders gelagerten Motiven und in weiteren Fäl- 15.171 len in Betracht. Durch Herausgabe- sowie Vor- und Nachvermächtnisse können Pflichtteilsansprüche vermieden werden (wobei die §§ 2306 Abs. 1, 2318 BGB zu beachten sind)2. Der Erblasser kann durch die Anordnung eines Vermächtnisses auch das Drittbestimmungsverbot gemäß § 2065 Abs. 2 BGB umgehen (vgl. Rz. 15.43 f.). Vermächtnisse können unter Bedingungen und Befristungen gestellt werden, wenn die Nachfolge nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen soll (siehe bereits Rz. 15.42); hier müssen stets detaillierte gesellschaftsvertragliche und erbrechtliche Regelungen zur Gestaltung der Übergangszeit getroffen werden, etwa dass die Mitgesellschafter den Anteil einstweilen treuhänderisch verwalten sollen, und wie dieses Treuhandverhältnis im Einzelnen auszusehen hat. Derjenige, der in Folge eines Vermächtnisses in die Gesellschaft einrückt, hat kein Wahlrecht nach 15.172 § 139 HGB3. Denn er erwirbt den Anteil nicht unmittelbar mit dem Erbfall. Es besteht daher auch kein Bedürfnis für das Wahlrecht, da sich der Vermächtnisnehmer einer unbeschränkbaren Haftung für Altschulden dadurch entziehen kann, dass er das Vermächtnis ausschlägt. Das Vermächtnis hat insoweit die gleichen Wirkungen wie ein Eintrittsrecht. Das Vermächtnis hat im Rahmen der Unternehmensvererbung auch insoweit einen Anwendungsbereich, als die Versorgung von Personen, die nicht in die Gesellschaft nachfolgen, durch Vermächtnisse sichergestellt werden kann, etwa durch Nießbrauchs-, Renten- und Wohnrechtsvermächtnisse, oder indem eine passive Gesellschaftsbeteiligung wie die stille Beteiligung oder eine Unterbeteiligung vermacht wird. Auch hier ist auf die Abstimmung mit den gesellschaftsvertraglichen Regelungen zu achten4.

15.173

c) Vor- und Nacherbfolgeanordnung Eine Vor- und Nacherbfolgeanordnung kann sich auch auf einen Personengesellschaftsanteil beziehen5. Es ist nicht erforderlich, dass sie gesellschaftsvertraglich zugelassen ist6 (wohl aber kann der Gesellschaftsvertrag vorsehen, dass Nacherben nicht in die Gesellschaft einrücken dürfen). Die Motive einer solchen Anordnung werden im Wesentlichen die gleichen sein wie bei einer Vor- und Nacherbfolgeanordnung, wenn ein Einzelunternehmen Gegenstand des Nachlasses ist (vgl. Rz. 15.45). Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist die Vor- und Nacherbfolgeanordnung bei Personengesellschaftsanteilen mit einigen Problemen verbunden, die den Erblasser zu der Überlegung veranlassen sollten, ob sich die Motive der Anordnung nicht auch auf anderem Wege verfolgen lassen können. In Betracht kommen Nießbrauchs- oder Rentenvermächtnisse zugunsten des Vorerben oder die Einräumung einer kapitalistischen Beteiligung für den Vorerben, so dass dieser entsprechend den Intentionen des Erblassers finanziell abgesichert wird7.

1 In BGH v. 20.11.1975 – III ZR 112/73, WM 1976, 251 enthielt der Gesellschaftsvertrag keine derartige Regelung. Der BGH entschied zutreffend, dass der Erbe zumindest die übertragbaren Vermögensrechte an den Vermächtnisnehmer zu übertragen habe. 2 Sudhoff/Scherer, § 8 Rz. 3 oben. 3 MünchKomm/K. Schmidt, § 139 HGB Rz. 62. 4 Beispielsweise ist umstritten, ob die Zustimmung der Gesellschafter zur Übertragung des Anteils auch die Zustimmung zur Nießbrauchsbestellung am Anteil umfasst, vgl. Nienaber, B VI Rz. 121 m.w.N. 5 Bei Auflösung und Fortsetzung unter den verbleibenden Gesellschaftern fallen dem Vorerben zunächst die Auseinandersetzungs- respektive Abfindungsansprüche an; es ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber den sonstigen Fällen der Vor- und Nacherbfolgeanordnung. 6 BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47 (49 f.). 7 Zur Besteuerung vgl. § 6 ErbStG.

Kindler/Gubitz

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15.174

§ 15 Rz. 15.175

Unternehmensnachfolge

15.175 Im Vorerbfall wird bei der erbrechtlichen Nachfolge der Vorerbe Gesellschafter; im Nacherbfall erwirbt der Nacherbe den Anteil. Erben im Sinne des Gesellschaftsvertrags sind also Vor- wie Nacherben1. Im Falle einer qualifizierten Nachfolgeklausel müssen sowohl Vor- als auch Nacherbe die Voraussetzungen der Klausel erfüllen2.

15.176 Zu einer Vor- und Nacherbfolge bezüglich eines Gesellschaftsanteils kann es auch dadurch kommen, dass sich der Vorerbe mit Mitteln der Erbschaft an einer Gesellschaft beteiligt. Denn der Gesellschaftsanteil ist dann Surrogat gemäß § 2111 Abs. 1 S. 1 BGB, so dass der Anteil im Nacherbfall an den Nacherben fällt. Die Rechtsprechung hat dies bislang nur für Kommanditanteile entschieden3. Für persönlich haftende Anteile kann aber nichts anderes gelten4. Eine Differenzierung zwischen personalistisch und kapitalistisch geprägten Gesellschaften ist nicht veranlasst. Denn auch in einer personalistisch geprägten Gesellschaft müssten die Gesellschafter eine Vor- und Nacherbfolge hinnehmen, wenn sie von vornherein vom Erblasser angeordnet wurde5, so dass sie auch in der vorliegenden Konstellation nicht unangemessen benachteiligt würden. Außerdem könnte der Vorerbe andernfalls das Surrogationsprinzip umgehen, indem er sich mit dem durch die Vor- und Nacherbfolgeanordnung gebundenen Vermögen an Personengesellschaften beteiligt6.

15.177 Verhindert der Gesellschaftsvertrag den Eintritt eines Nacherben, stehen dem Nacherben lediglich der zukünftige Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben und Gewinnansprüche für die Zeit nach dem Nacherbfall zu7.

15.178 Bei einer Eintrittsklausel fällt der Anteil nicht in den Nachlass, weswegen sich eine Vor- und Nacherbfolgeanordnung nicht direkt auf den Anteil bezieht. Allerdings ist im Hinblick auf das soeben Dargelegte Folgendes zu beachten: Ist der Kapitalanteil dem Nachfolger erbrechtlich zugewendet worden (vgl. Rz. 15.119), leistet der Nachfolger für den Eintritt ein Entgelt, nämlich die Leistung der Einlage des Kapitalanteils, das er erbrechtlich erworben hat. Deswegen greift bezüglich des Kapitalanteils das Surrogationsprinzip des § 2111 BGB, so dass dieser an den Nacherben fällt8. Ist der Kapitalanteil dagegen rechtsgeschäftlich zugewendet worden, etwa weil der Eintrittsberechtigte nicht Erbe ist und Abfindungsansprüche weichender Erben ausgeschlossen sind, geht die Vor- und Nacherbfolgeanordnung ebenso ins Leere wie bei einer rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel.

15.179 Es kommt vor, dass in einer Zwei-Personen-Gesellschaft der Vorerbe der einzige Mitgesellschafter des Erblassers ist. Nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen wäre die Gesellschaft aufgelöst, und der Nacherbe könnte lediglich in analoger Anwendung des § 2143 BGB im Nacherbfall Abfindungsansprüche geltend machen9. Dies ist allerdings kein sachgerechtes Ergebnis. Deswegen wird vorgeschlagen, die Gesellschaft im Nacherbfall wieder aufleben zu lassen10, oder aber die Gesellschaft von vornherein fortbestehen zu lassen11. Letzteres ist vorzugswürdig, weil die Rechtsstellung des Vorerben klarer ist und keine Neugründung der Gesellschaft erforderlich ist12.

1 BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47 (49). 2 BGH v. 25.5.1987 – II ZR 195/86, MDR 1987, 1001. Zur fehlgeschlagenen Vor- und Nacherbfolgeanordnung vgl. unten Rz. 15.187 ff. 3 BGH v. 21.11.1989 – IVa ZR 220/88, MDR 1990, 318 (319). 4 So auch MünchKomm/Grunsky, § 2111 BGB Rz. 16 m.w.N. 5 Vgl. BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47 (49 f.). 6 MünchKomm/Grunsky, § 2111 BGB Rz. 16. 7 BGH v. 21.11.1989 – IVa ZR 220/88, MDR 1990, 318 (319). 8 Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 17. 9 Vgl. Baur/Grunsky, ZHR 133 (1969), 208 (220 ff.). 10 Stimpel, FS Rohwedder (1994), S. 477, 480 f.; Flume, Allg. Teil I 1 § 7 III 4. 11 MünchKomm/K. Schmidt, § 105 HGB Rz. 25; § 139 Rz. 34; Baur/Grunsky, ZHR 133 (1969), 209 (219 ff.); Marotzke, AcP 187 (1987), 223 (243). Vgl. auch Baumann, BB 1998, 225. 12 Vgl. zur Problematik auch oben Rz. 15.125 m.w.N.

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Rz. 15.184 § 15

Vor- und Nacherbe haben das Wahlrecht des § 139 HGB; wurde der Vorerbe aber nach dieser Vorschrift Kommanditist oder ist der Vorerbe aus der Gesellschaft ausgetreten, ist der Nacherbe hieran gebunden (siehe Rz. 15.130).

15.180

Das Verhältnis zum Nacherben richtet sich nach den §§ 2100 ff. BGB. Insbesondere ist der Vorerbe dem Nacherben für nicht ordnungsgemäße Verwaltung nach § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB ersatzpflichtig.

15.181

Bezüglich der Gewinnverteilung zwischen Vor- und Nacherbe gelten die folgenden Grundsätze: Dem Vorerben stehen die Nutzungen zu, während er die Substanz an den Nacherben herauszugeben hat1. Daraus ergibt sich, dass der Vorerbe Anspruch auf die entnahmefähigen Gewinne hat, z. B. nach § 122 HGB, aber auch darüber hinausgehend, soweit gesellschaftsvertraglich bestimmt. Die stillen Reserven und Rücklagen verbleiben im Nacherbfall in der Gesellschaft2. Hinsichtlich entnahmefähiger Gewinne, die der Vorerbe stehen lässt, ist zu unterscheiden: Werden diese aufgrund gesellschaftsvertraglicher Entnahmebeschränkungen oder Kapitalthesaurierungspflichten stehen gelassen oder auf Darlehens-, Sonder- oder Rücklagekonten verbucht, muss der Vorerbe diese Beschränkungen gegen sich gelten lassen, weil er den Nachlass und damit den Gesellschaftsanteil in der Gestalt erhält, die der Erblasser diesem durch die entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Abreden gegeben hat, so dass der Vorerbe insoweit keine Ansprüche gegen den Nacherben hat3. Anders ist dies, wenn der Vorerbe Gewinne freiwillig stehen lässt4. Insoweit hat der Vorerbe Ansprüche gegen den Nacherben nach §§ 2124, 2125 BGB5. Verluste muss der Vorerbe mit Gewinnen aus späteren Jahren verrechnen, soweit für die Verlustdeckung keine Rücklagen gebildet wurden6. Er muss aber Verluste nicht durch Rückzahlung früherer Entnahmen decken7.

15.182

Der Vorerbe unterliegt den Verfügungsbeschränkungen des § 2113 BGB. Nach zutreffender h.M. liegt bei einer Verfügung über einen Gesellschaftsanteil auch dann keine Verfügung über ein Grundstück oder Rechte an einem Grundstück im Sinne des § 2113 Abs. 1 BGB vor, wenn zum Gesellschaftsvermögen ausschließlich oder im Wesentlichen Grundstücke gehören8. Denn der Verfügungsbegriff ist rechtlich, nicht wirtschaftlich zu verstehen9. Da eine Verfügung über den Anteil, nicht über das Grundstück vorliegt, käme lediglich eine analoge Anwendung von § 2113 Abs. 1 BGB in Betracht. Die grundsätzliche Verfügungsfreiheit des Vorerben und die enumerative Aufzählung der Beschränkungen sprechen aber für einen Gegenschluss, nicht für eine Analogie. Außerdem würden sich Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, weil sich oft nicht klar bestimmen lassen wird, ob zum Gesellschaftsvermögen im Wesentlichen Grundstücke gehören. Es können damit Wertersatzansprüche entstehen, wenn die Veräußerung nicht einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht. Dann werden allerdings häufig zugleich die Voraussetzungen des § 2113 Abs. 2 BGB vorliegen (hierzu sofort), so dass die Verfügung in derartigen Fällen doch wieder unwirksam wäre10.

15.183

Nach § 2113 Abs. 2 BGB ist eine unentgeltliche Verfügung des Vorerben über den Erbschaftsgegenstand unwirksam. Hiervon wird eine unentgeltliche Verfügung über den Anteil als solchen unproblematisch erfasst. Nach dem BGH soll eine Verfügung über den Anteil auch dann unentgeltlich sein,

15.184

1 Vgl. MünchKomm/Grunsky, § 2111 BGB Rz. 20. 2 BGH v. 21.11.1989 – IVa ZR 220/88, MDR 1990, 318. 3 Vgl. BGH v. 31.10.1980 – V ZR 95/79, MDR 1981, 304; BGH v. 9.3.1981 – II ZR 173/80, MDR 1981, 823. 4 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1637. 5 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1637. 6 Staudinger/Avenarius, § 2111 BGB Rz. 40. 7 Staudinger/Avenarius, § 2111 BGB Rz. 40. 8 Vgl. dazu MünchKomm/Grunsky, § 2113 BGB Rz. 5. 9 MünchKomm/Grunsky, § 2113 BGB Rz. 5. 10 Vgl. Hefermehl, FS Westermann, S. 223, 231.

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§ 15 Rz. 15.185

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wenn der Vorerbe den Gesellschaftsanteil gegen ein Leibrentenversprechen veräußert1. Schwierig zu beurteilen ist dagegen, in welchen Fällen Änderungen im Verhältnis der Gesellschafter untereinander als unentgeltlich zu bewerten sind2. Dies kann zunächst zumindest dann nicht davon abhängen, ob die entsprechende Regelung für alle Gesellschafter oder nur den Vorerben gilt, wenn sich die Regelung faktisch lediglich zu Lasten des Vorerben auswirkt3. Die Veränderung des Gesellschaftsvertrages ist aber umgekehrt auch dann nicht unentgeltlich, wenn sie Mitgliedschaftsrechte und -pflichten zum Nachteil des Vorerben beschneidet, wenn sie im Gesellschaftsinteresse geboten ist oder der Erhaltung und Stärkung des Unternehmens dient und damit wirtschaftlich letztendlich auch dem Vorerben zugute kommt, etwa weil der Vorerbe Belastungen erleidet, die ein Kompensat dafür darstellen, dass die Mitgesellschafter Leistungen erbringen, die dem Unternehmen zugute kommen4. Eine einseitige Wertminderung des Anteils zu Lasten des Vorerben dürfte jedenfalls unentgeltlich sein5. Eine Kündigung der Beteiligung durch den Vorerben ist nicht unentgeltlich, wenn die Abfindungsansprüche dem Wert der Beteiligung entsprechen6.

15.185 Beispiel (nach BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177): Der Vorerbe eines OHG-Anteils kann Investitionen, die dem Unternehmenswohl dienen würden und den Fortbestand des Betriebes dauerhaft sichern würden, aus finanziellen Gründen nicht aufbringen. Die Gesellschafter treffen deswegen folgende Regelung: Die übrigen Gesellschafter erbringen zusätzliche Leistungen aus dem Privatvermögen. Dafür wird der Anteil des Vorerben in einen Kommanditanteil umgewandelt. Dieser Kommanditanteil wird entgegen dem gesetzlichen Regelfall des § 177 HGB unvererblich gestellt; der Nacherbfall ist der Tod des Vorerben. Zwar wirkt sich die getroffene Regelung bezüglich der Umwandlung einseitig zu Lasten des Vorerben aus. Die Mitgesellschafter erbringen hier jedoch andere Leistungen, die dem Unternehmen zugute kommen. Problematisch ist allerdings die Nichtvererblichkeit des Anteils. Beim Nacherbfall kommt dem Nacherben aber ein Abfindungsanspruch nach § 738 Abs. 1 S. 1 BGB zu. Wenn dieser nicht beschränkt oder ausgeschlossen ist, dürfte wohl keine Unentgeltlichkeit vorliegen. Im vorliegenden Fall war die Abfindung auf den Buchwert beschränkt; in einer derartigen Situation ist die Frage der Unentgeltlichkeit weniger eindeutig, weshalb auch der BGH an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat.

15.186 Die Unentgeltlichkeit einer Verfügung kann im Vorhinein mithin nicht eindeutig beurteilt werden und bildet damit eine Quelle für Streitigkeiten. Zudem ist der Vorerbe durch die Verfügungsbeschränkungen in seinen Handlungsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft beschränkt, so dass sich Belastungen für das Verhältnis der Gesellschafter untereinander ergeben können. Daher sollte bereits der Gesellschaftsvertrag entsprechende Regelungen vorsehen, die verhindern, dass der Anteil von einer angeordneten Vor- und Nacherbfolge umfasst wird.

15.187 Nicht immer eindeutig ist, wie eine fehlgeschlagene Vor- und Nacherbfolgeanordnung zu behandeln ist. Diese Problematik tritt auf, wenn eine qualifizierte Nachfolgeklausel vorliegt, Vor- oder Nacherbe aber nicht die Voraussetzungen der Klausel erfüllen. Eine Nachfolgeklausel, aufgrund derer die Nachfolge des Vorerben scheitert, kann möglicherweise nach der Rechtsprechung in eine Eintrittsklausel des Nacherben umgedeutet werden7. Diese Lösung begegnet jedoch in manchen Fällen Bedenken. Denn wenn der Erblasser die Vor- und Nacherbfolge angeordnet hat, weil er eine Beteiligung des Nach-

1 BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47 (51). Alternativ wäre eine Lösung über § 2130 BGB in Betracht gekommen. Allerdings konnte das Versprechen im zu entscheidenden Fall dem Nacherben aufgrund dessen Rechtsnatur keinesfalls zugute kommen, so dass es gerechtfertigt erschien, dem Nacherben mit dem weitergehenden § 2113 Abs. 2 BGB zu helfen. 2 Dazu ausführlich Paschke, ZIP 1985, 129 ff. 3 So mit Recht BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, MDR 1981, 206. 4 BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, MDR 1981, 206. 5 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, MDR 1984, 293. 6 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, MDR 1984, 293. 7 Vgl. BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, MDR 1978, 119 in Bezug auf ein aufschiebend bedingtes Vermächtnis.

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Rz. 15.191 § 15

erben an der Gesellschaft noch für verfrüht hält, entspricht ein sofortiger Eintritt nicht seinem Willen1. Es erscheint dann eher eine Umdeutung der Klausel in ein auf den Nacherbfall aufschiebend bedingtes Eintrittsrecht des Nacherben angemessen. Die mit der Beteiligung verbundenen Vermögensrechte könnten bei einer derartigen Lösung vor Eintritt des Nacherbfalls durch die anderen Gesellschafter treuhänderisch für den Vorerben gehalten werden2. Enthält der Gesellschaftsvertrag einen Abfindungsausschluss für weichende Erben oder ist dieser – wie wohl regelmäßig – dem Gesellschaftsvertrag mittels konkludenter Auslegung zu entnehmen (vgl. Rz. 15.112, Rz. 15.118), so kommt dem Vorerben der Kapitalanteil nicht zu und folglich kein Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben3. Freilich sollte der Gesellschaftsvertrag, wenn er die Entstehung der Vor- und Nacherbfolge an einem Anteil vereitelt, auch die Folgen einer fehlgeschlagenen Vor- und Nacherbfolgeanordnung regeln. Beratungssituation: Die Gesellschafter der ABC-OHG sind sich einig, dass die Anteile bei Versterben eines Gesellschafters an die Erben gehen sollen, möchten jedoch eine Vor- und Nacherbfolge an einem Anteil vermeiden. A hat eine Ehegattin und einen Sohn und würde an sich gerne eine Vor- und Nacherbfolge anordnen, um sicherzustellen, dass die Ehefrau zu ihren Lebzeiten am Erfolg des Unternehmens partizipieren kann, weil er ihre Versorgung andernfalls gefährdet sieht. Zweckmäßige Gestaltung?

15.188

Hier sollte der Gesellschaftsvertrag vorsehen, dass Vorerben nicht in die Gesellschaft einrücken dürfen. Insoweit ist die Nachfolgeklausel eine qualifizierte. Auch befristete oder bedingte Herausgabevermächtnisse oder Vollrechtsnießbräuche sollten vermieden werden, denn diese haben eine der Vorund Nacherbfolge vergleichbare Wirkung. Dem Nacherben sollte ein Eintrittsrecht direkt beim Tode des Gesellschafters eingeräumt werden und Abfindungsansprüche weichender Erben für diesen Fall ausgeschlossen werden. Die Gesellschafter werden hierdurch dazu angehalten, keine Vor- und Nacherbfolge anzuordnen. A kann die Versorgung der Ehefrau sicherstellen, indem er den Sohn auf erbrechtlichem Wege, etwa durch ein Vermächtnis oder eine Auflage, dazu bewegt, der Ehefrau eine Unterbeteiligung am Gesellschaftsanteil einzuräumen. Für den Fall, dass der Sohn die Erbschaft aufgrund dieser Belastung ausschlägt, kann die Ehefrau zur Ersatzerbin bestellt werden. Scheitert die Nachfolge des Nacherben, so erhält dieser nur den künftigen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben und die Gewinnansprüche ab dem Nacherbfall4.

15.189

d) Bedingungen, Straf- und Verwirkungsklauseln, Auflagen Wie bei der Vererbung von Einzelunternehmen kommen auch bei der Weitergabe von Personengesellschaftsanteilen denjenigen Maßnahmen, die dem Begünstigten bestimmte Verhaltensregeln auferlegen zu suchen, große Bedeutung zu5. Die wichtigsten in der Rechtswirklichkeit vorkommenden Fälle dürften u.a. die Folgenden sein:

15.190

Der Erblasser kann den Begünstigten einer Eintrittsklausel auf erbrechtlichem Wege, etwa durch Be- 15.191 dingung oder Auflage, dazu anhalten, das Eintrittsrecht auszuüben, ggf. innerhalb einer bestimmten Frist. Freilich muss der Eintrittsberechtigte dann auch als Erbe oder Vermächtnisnehmer eingesetzt werden. Als Alternative kommt allerdings eine von vornherein dinglich wirkende erbrechtliche Nach1 So auch in BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, MDR 1978, 119, wo der Vermächtnisnehmer den Anteil eigentlich erst bei Vollendung des 40. Lebensjahres erhalten sollte, ihn nach der Auslegung des BGH aber sofort mit dem Tode des Erblassers erhalten hatte. 2 So auch zutreffend das Berufungsgericht im entschiedenen Fall, vgl. BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, MDR 1978, 119 (120). 3 Anders auch insoweit aber BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, MDR 1978, 119 (121). Würde man einen Fortbestand des Anteils in den Händen der Mitgesellschafter aber mit der neueren Lehre anerkennen, vgl. MünchKomm/K. Schmidt, § 105 HGB Rz. 25, könnte dies über die Bedenken des BGH hinweghelfen. 4 Vgl. BGH v. 21.11.1989 – IVa ZR 220/88, NJW 1990, 514 (515). 5 Zu einer Gesellschaftsgründungsklausel vgl. BGH v. 19.3.2007 – II ZR 300/05, MDR 2007, 846 (847).

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§ 15 Rz. 15.192

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folgeklausel in Betracht. Gleichermaßen kann sich der Erbe dieser Mittel bedienen, um eine gewünschte Testamentsvollstreckung am Anteil durchzusetzen (siehe Rz. 15.51). Auch die Versorgung von Angehörigen oder anderen gesellschaftsfremden Personen, die nicht als Gesellschafter einrücken, kann auf diese Weise sichergestellt werden. Die Erbschaft kann etwa davon abhängig gemacht werden, dass einer bestimmten Person, etwa dem Ehegatten, eine Unterbeteiligung an dem Gesellschaftsanteil eingeräumt wird1.

15.192 Zudem kann der Erblasser versuchen, auf das Verhalten des Nachfolgers innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses Einfluss zu nehmen. So kann der Erblasser bestimmen, der Nachfolger dürfe den Gesellschaftsanteil über einen gewissen Zeitraum nicht veräußern oder die Gesellschaft kündigen, oder er müsse in bestimmten Fragen, die für das Unternehmen besonders wichtig sind, etwa Umwandlungen oder die Veräußerung von Grundstücken, in einer vom Erblasser festgelegten Art und Weise abstimmen. Vor derartigen Anordnungen sollte allerdings kein ausufernder Gebrauch gemacht werden, da es zu erheblichen Störungen im Verhältnis der Gesellschafter untereinander kommen kann (u.U. droht sogar eine Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht) und zudem dem Erben die Möglichkeit nimmt, angemessen flexibel auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren. e) Testamentsvollstreckung

15.193 Im Wesentlichen besteht hinsichtlich der Testamentsvollstreckung an vererbten Personengesellschaftsanteilen das gleiche Spannungsverhältnis wie bei Einzelunternehmen. Während die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft grundsätzlich mit ihrem gesamten persönlichen Vermögen haften, hat der Testamentsvollstrecker nach § 2206 Abs. 1 S. 1 BGB lediglich die Befugnis, in Bezug auf den Nachlass als Sondervermögen Verbindlichkeiten einzugehen (vgl. Rz. 15.55). Bei Gesellschaften kommt hinzu, dass die Beteiligung an einer Gesellschaft personenrechtliche Elemente beinhaltet. Der Testamentsvollstrecker ist insoweit ein Fremdkörper im Gesellschafterverband2. Aus diesem Spannungsverhältnis resultieren Zweifelsfragen. Allerdings gibt es auch Aspekte, die als gesicherte Erkenntnis gelten dürfen:

15.194 Die Abwicklungsvollstreckung an einem Anteil ist jedenfalls zulässig, da hier das Einrücken des Testamentsvollstreckers und seine Verpflichtungsbefugnis naturgemäß nur vorübergehender Natur sind3. Allerdings ist die Abwicklungsvollstreckung bei Vererbung des Anteils einer werbenden Gesellschaft bis auf die Befugnisse des § 2203 BGB4 gegenstandslos, weil durch die Sondererbfolge die Auseinandersetzung ipso iure erfolgt5.

15.195 Bei Auflösung der Gesellschaft bzw. Fortsetzung unter den verbliebenen Gesellschaftern beziehen sich die Befugnisse des Testamentsvollstreckers auf das Auseinandersetzungsguthaben bzw. die Abfindungsansprüche6, sofern diese nicht ohnehin ausgeschlossen sind. In der Abwicklungsgesellschaft übt der Testamentsvollstrecker die Befugnisse des Abwicklers aus7.

15.196 Möglich sind die bereits dargestellten (siehe Rz. 15.56 f.) Ersatzlösungen, die Treuhandlösung und die Vollmachtslösung. Sie bedürfen gesellschaftsrechtlich der Zustimmung aller Mitgesellschafter8. Bei der

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. zum Problemkreis allgemein auch Rz. 15.49 ff. Vgl. dazu Faust, DB 2002, 189 (190 f.). D. Mayer in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 5 Rz. 116. Vgl. D. Mayer in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 5 Rz. 117. MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 32. BGH v. 24.11.1980 – II ZR 194/79, WM 1981, 140 (141 f.). Vgl. BGH v. 24.11.1980 – II ZR 194/79, WM 1981, 140 (141 f.). BGH v. 25.2.1985 – II ZR 130/84, MDR 1985, 648 (649). Umfangreiche Nachweise bei Faust, DB 2002, 189 (190), Fn. 12.

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Rz. 15.199 § 15

Treuhandlösung wird der Treuhänder, bei der Vollmachtlösung werden die Erben Gesellschafter1. Es ergeben sich bei den Ersatzlösungen jedoch wesentliche Nachteile gegenüber dem Grundmodell der Testamentsvollstreckung (siehe Rz. 15.56 f.). Die echte Testamentsvollstreckung scheitert bei erbrechtlicher Nachfolge jedenfalls nicht daran, dass der Anteil im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf die Erben übergeht2. Denn der Anteil gehört gleichwohl zum Nachlass3. Bei rechtsgeschäftlicher Nachfolge, wie der Eintrittsklausel, erfolgt eine Weitergabe des Gesellschaftsanteils am Nachlass vorbei (vgl. Rz. 15.108), weswegen sich eine angeordnete Testamentsvollstreckung nicht auf den Anteil, den der Eintretende erhält, bezieht4. Anders ist dies lediglich, wenn den Erben auch der Kapitalanteil erbrechtlich zugewendet wurde. Dann bezieht sich die Testamentsvollstreckung auch auf den Anteil5.

15.197

Die Verwaltungsvollstreckung an einem ererbten Kommanditanteil ist – wenn die Mitgesellschafter 15.198 dem zugestimmt haben – zulässig6. Denn hier haftet der Erbe ohnehin nur beschränkt bis zur Höhe der Einlage, weswegen die Haftungsbegrenzung auf den Nachlass hingenommen werden kann7. Die Kommanditbeteiligung ist auch eher kapitalistisch geprägt, weswegen die personenrechtlichen Elemente, die einer Testamentsvollstreckung an voll haftenden Anteilen nach wohl h. M. entgegenstehen, in den Hintergrund treten. Die Testamentsvollstreckung ist nicht lediglich dann zulässig, wenn die Einlage voll geleistet ist; inwieweit die Haftung insoweit auf den Nachlass beschränkbar ist (vgl. dazu Rz. 15.147 f.), hat mit der Zulässigkeit einer Testamentsvollstreckung nichts zu tun8. Fraglich ist, ob eine Erhöhung der Einlage des Kommanditisten, dessen Anteil unter Testamentsvollstreckung steht, von der Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers gedeckt ist. Im Grundsatz dürfte dies zu verneinen sein, weil der Testamentsvollstrecker eben nicht den Erben persönlich, sondern lediglich den Nachlass verpflichten darf9. Eine Einzelfallbetrachtung erscheint hier angemessen10, die etwa berücksichtigt, inwieweit es hierdurch tatsächlich zu Haftungsrisiken kommt. Solche Risiken bestehen nicht, wenn der Testamentsvollstrecker die Einlageleistung sofort erbringt11. Jedenfalls ändert auch diese Problematik nichts an der generellen Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung12. Die Verwaltungsvollstreckung ist hinsichtlich der „Außenseite“ der Beteiligung zulässig13. Hierunter versteht man diejenigen Elemente der Beteiligung an einer Personengesellschaft, die nicht personenrechtlich geprägt sind, d.h. die selbständig abtretbaren Ansprüche aus § 717 S. 2 BGB auf den Gewinn und das Auseinandersetzungsguthaben. Auch kann der Erbe nicht alleine über seinen Gesellschafts-

1 Zur Frage der bei der Treuhandlösung ggf. erforderlichen getrennten Behandlung der Anteile vgl. Rz. 15.206. 2 Reimann, DNotZ 1990, 190. 3 Vgl. BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186; 68, 225; BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829; BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080. 4 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 120. 5 Sudhoff/Scherer, § 1 Rz. 17. 6 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 = DNotZ 1990, 183 m. Anm. Reimann. 7 Vgl. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 (1082). 8 So zutreffend BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 (1083). 9 So im Grundsatz auch BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 (1083). 10 Vgl. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 und LG Berlin v. 21.7.2003 – 14 O 77/03, ZEV 2004, 29 (30), das eine maßvolle Erhöhung in Folge der erforderlichen Umstellung auf Euro zugelassen hat. 11 Vgl. Sudhoff/Scherer, § 9 Rz. 54. Vgl. auch LG Berlin v. 21.7.2003 – 14 O 77/03, ZEV 2004, 29 (30): Erfüllung der Verpflichtung durch Umbuchung auf das Kapitalkonto vom Gesellschafterkonto, das jedoch nach dem LG „letztendlich Nachlassvermögen“ darstellte. 12 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 (1083). 13 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829 (831).

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15.199

§ 15 Rz. 15.200

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anteil verfügen1. Die Testamentsvollstreckung an der Außenseite ist unabhängig von der Zustimmung der Mitgesellschafter zur Testamentsvollstreckung2.

15.200 Umstritten ist, ob und ggf. inwieweit die Verwaltungsvollstreckung auch die Innenseite der Beteiligung als persönlich haftender Gesellschafter umfasst, also etwa Stimmrecht, Teilnahme an Gesellschafterversammlungen, Informations- und Kontrollrechte (dazu Rz. 29.308 f.). Der BGH hat sich wiederholt dagegen ausgesprochen, die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers auf Befugnisse, die unmittelbar Mitgliedschaftsrechte der Erben berühren, auszuweiten3. So hat er etwa die Prozessführungsbefugnis des Testamentsvollstreckers für einen Streit über den Kreis der Gesellschafter verneint4, nachdem er in einer früheren Entscheidung die nähere Bestimmung der Rechte des Testamentsvollstreckers offen gelassen hatte5.

15.201 Gleichwohl wird vermehrt für echte Testamentsvollstreckerlösungen plädiert (siehe bereits Rz. 15.58 f.). Dabei geht es um die mit der Testamentsvollstreckung verbundenen Haftungsfragen. Für Einzelunternehmen wurde bereits herausgestellt, dass eine auf den Nachlass begrenzte Haftung nicht gänzlich systemwidrig wäre (vgl. Rz. 15.59). Während aber bei kaufmännischen Einzelunternehmen kein Rechtssatz des Inhalts existiert, dass stets eine persönliche Haftung erfolgt, ordnen für die Gesellschafter der OHG und den Komplementär der KG die §§ 105 Abs. 1, 128 S. 1 HGB eine solche persönliche Haftung gerade an. Auch für die GbR-Gesellschafter gilt nach der Rechtsprechung des BGH (zumindest hinsichtlich der Neuschulden, um die es hier geht) dieses Haftungsregime6. Die Lösung kann nicht sein, dem Testamentsvollstrecker zu erlauben, die Erben auch mit dem persönlichen Vermögen zu verpflichten7. Naheliegend ist allerdings eine Auslegung, nach der die handelsrechtlichen Haftungsvorschriften zwar eine unbeschränkte Haftung anordnen, jedoch nichts darüber aussagen, ob sich diese Haftung lediglich auf ein Sondervermögen – den Nachlass – beziehen kann. Denn schließlich kommt es zu einer auf den Nachlass beschränkten Haftung auch in anderen Fällen, wie der Fortführung eines nichtkaufmännischen Einzelunternehmens unter Verwaltungstestamentsvollstreckung (siehe Rz. 15.54), oder bei Fortführung eines Unternehmens durch Nachlasspfleger, Nachlassinsolvenzverwalter oder Nachlassverwalter8. Den Bedenken im Hinblick auf den Gläubigerschutz kann zumindest teilweise Rechnung getragen werden, indem ein Testamentsvollstreckervermerk im Handelsregister eingetragen wird9 bzw. bei der GbR der Testamentsvollstrecker auf seine Stellung hinweisen muss, wenn er seine persönliche Haftung im Außenverhältnis vermeiden möchte10.

1 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829 (831). 2 Sudhoff/Scherer, § 9 Rz. 53. 3 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080, 1082; BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829 (831); BGH v. 24.11.1980 – II ZR 194/79, MDR 1981, 292 (294); BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, MDR 1977, 731. 4 BGH v. 7.5.1998 – III ZR 18/97, MDR 1998, 895. 5 BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, MDR 1996, 385 (386). Für die Zulässigkeit der Veräußerung eines GbR-Anteils durch den Testamentsvollstrecker vgl. LG Hamburg v. 15.9.2008 – 321 T 55/08, ZEV 2009, 96. 6 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, MDR 2003, 756. 7 So aber Einmahl, AcP 160 (1961), 29 (36); Marotzke, JZ 1986, 457 (461); Faust, DB 2002, 189 (193). Vgl. bereits oben Rz. 15.58. 8 Muscheler, 1994, S. 397 ff. 9 Allerdings ist umstritten, ob dies möglich ist. Zustimmend MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 23, 37; Muscheler, 1994, S. 397 ff.; D. Mayer in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 5 Rz. 215a; Staudinger/Reimann, Vorbem zu §§ 2197–2228 BGB Rz. 102; Reimann, DNotZ 1990, 190 (194); ablehnend die Rechtsprechung, KG v. 4.7.1995 – 1 W 5374/92, WM 1995, 1890; LG Berlin v. 22.7.1992 – 98 T 24/92, ZIP 1992, 1557 (jeweils für Kommanditanteile). 10 MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 48 m.w.N.

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Rz. 15.205 § 15

Damit werden zwar die Bedenken, die hinsichtlich der personenrechtlichen Elemente einer Gesell- 15.202 schaftsbeteiligung bestehen, nicht ausgeräumt. Gerade diesen personenrechtlichen Elementen misst der BGH nämlich einiges Gewicht zu1. Freilich treten diese personenrechtlichen Elemente in den Hintergrund, wenn sich die Gesellschafter ausdrücklich damit einverstanden erklären, dass ein Testamentsvollstrecker den Anteil eines Mitgesellschafters verwaltet2. Daraus folgt, dass es für die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung nicht ausreicht, wenn der Gesellschaftsvertrag lediglich vorsieht, dass die Gesellschaft mit den Erben fortgesetzt werden kann3. Denn daraus, dass die Gesellschafter die Gesellschaft auch mit anderen Personen als dem ursprünglichen Gesellschafter fortsetzen wollen, folgt nicht generell, dass sie auch mit einer Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses mit einer gesellschaftsfremden Person, die – anders als sie selbst – nicht persönlich haftet, einverstanden sind4. Die Zustimmung aller Mitgesellschafter, die für die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung jedenfalls erforderlich ist5, muss sich also explizit auf die Testamentsvollstreckung, nicht nur allgemein auf die Nachfolge der Erben beziehen6. Eine Abweichung von diesem Grundsatz ist für die KG sachgerecht, weil die Beteiligung hier eher kapitalistisch geprägt ist und die Person des Kommanditisten oftmals nicht im gleichen Maße wie bei persönlich haftenden Gesellschaftern im Mittelpunkt steht. Hier ist eine Einzelfallbetrachtung angebracht7.

15.203

Bezüglich des Nachfolgers, dessen Anteil der Testamentsvollstreckung unterliegt, ist der Verlust der 15.204 Möglichkeit, seine persönlichen Gesellschafterrechte selbst auszuüben, jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn man ihn keiner persönlichen unbeschränkbaren Haftung unterwirft. Immerhin bestehen gegen den Testamentsvollstrecker bei nicht sachgerechter Ausübung des Amtes Ansprüche nach §§ 2216, 2219 Abs. 1 BGB8. Das gesellschaftsrechtliche Abspaltungsverbot und der Grundsatz der Selbstorganschaft stehen der echten Testamentsvollstreckung nach h.M. nicht entgegen. Das Abspaltungsverbot betrifft nur die Abspaltung von Einzelrechten von der Mitgliedschaft, nicht aber die Ausübung sämtlicher Mitgliedschaftsrechte durch einen Dritten wie den Testamentsvollstrecker9. Der Grundsatz der Selbstorganschaft ist nicht berührt, weil der Testamentsvollstrecker kraft Amtes den anderen Gesellschaftern gleichsteht und deswegen nicht wie ein völlig außerhalb der Gesellschaft stehender Dritter behandelt werden kann10. Schließlich steht die Kernbereichslehre wohl nicht entgegen, weil diese den von der Testamentsvollstreckung betroffenen Gesellschafter nur vor Beeinträchtigungen durch andere Gesellschafter schützt11. Kautelarjuristisch erscheint es allerdings bezüglich der Anteile eines persönlich haftenden Gesellschaf- 15.205 ters aufgrund der bisherigen Linie der Rechtsprechung angezeigt, die Treuhand- oder Vollmacht1 Vgl. beispielsweise BGH v. 24.11.1980 – II ZR 194/79, MDR 1981, 292 (293). Gegen jegliche Pauschalbetrachtung BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 (1082). 2 So auch Faust, DB 2002, 187 (190 f.). 3 So im Ansatz MünchKomm/Schäfer, § 705 BGB Rz. 115 m.w.N. 4 MünchKomm/Zimmermann, § 1922 BGB Rz. 34; Faust, DB 2002, 187 (194); OLG Stuttgart v. 12.10.1988 – 8 W 449/88, ZIP 1988, 1335 (1337). 5 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, MDR 1977, 731; BGH v. 25.2.1985 – II ZR 130/84, MDR 1985, 648 (650). 6 Vgl. auch OLG Hamm v. 17.1.1991 – 15 W 428/90, FamRZ 1992, 113 (116) m. krit. Anm. Reimann, der zutreffend darauf hinweist (S. 117), dass die Testamentsvollstreckung bei fehlender Zustimmung nicht als solche unwirksam werde, sondern sich dann lediglich auf die „Außenseite“ der Beteiligung erstrecke. 7 Ebenso MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 44, der sich gegen eine entsprechende Grundsatzbildung ausspricht. 8 So auch LG Hamburg v. 15.9.2008 – 321 T 55/08, ZEV 2009, 96. 9 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152 (3155). Zustimmend Ulmer, NJW 1990, 73 (78). 10 MünchKomm/Schäfer, § 705 BGB Rz. 118. 11 LG Mannheim v. 10.11.1998 – 2 O 193/98, ZEV 1999, 443 (445); LG Berlin v. 1.10.2002 – 102 T 85/02, ZEV 2004, 29 (30); Muscheler, 1994, S. 505; MünchKomm/Schäfer, § 705 BGB Rz. 118; Faust, DB 2002, 187 (193) m.w.N. auch zur Gegenansicht.

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§ 15 Rz. 15.206

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lösung zu wählen, sofern deren Nachteile im konkreten Fall hinnehmbar erscheinen. Andernfalls kann eine „Weisungsgeberlösung“ gewählt werden, bei der der Erbe auf der Innenseite der Beteiligung alle Mitgliedschaftsrechte ausübt, im Verhältnis zum Testamentsvollstrecker aber dessen Weisungen unterliegt1. Alternativ bietet sich beispielsweise an, andere Kontrollinstrumente zu verwenden, etwa – mit Zustimmung der Mitgesellschafter – einen Beirat einzurichten, der geschäftsunerfahrenen Nachfolgern zur Seite steht (vgl. bereits Rz. 15.82).

15.206 Nicht endgültig geklärt ist die Frage, ob sich die echte Testamentsvollstreckung auf einen vererbten Anteil bezieht, wenn der Nachfolger in den Anteil zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits Gesellschafter war. Normalerweise kommt es dann zur Vereinigung der Anteile. Somit könnte sich die Testamentsvollstreckung entweder nur auf den gesamten Anteil beziehen oder aber der Anteil fiele insgesamt nicht unter die Testamentsvollstreckung2. Da weder das Eine noch das Andere eine sachgerechte Lösung darstellt, sollten die Anteile hier getrennt bleiben3. Das gleiche Problem stellt sich bei der Treuhandlösung, wenn der Treuhänder Mitgesellschafter ist.

15.207 In den Fällen, in denen eine Testamentsvollstreckung zulässig ist, bzw. wenn eine Ersatzlösung gewählt wurde, hat der Testamentsvollstrecker sodann weitreichende Befugnisse bezüglich der Gesellschafterrechte. Eine andere Frage ist freilich die, ob die Maßnahmen im Verhältnis zum Erben eine schuldhafte Pflichtverletzung darstellen und damit den Testamentsvollstrecker nach §§ 2216, 2219 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig machen können. Vor allem wirkt der Testamentsvollstrecker bei der Beschlussfassung mit, auch wenn Nachteile für die Erben damit verbunden sind. Er kann die Gesellschaft kündigen, die Beteiligung veräußern oder Auflösungsklage erheben. Auch die Mitwirkung an einer Umwandlung der Gesellschaft in eine andere Rechtsform ist nach der h.M. von der Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers gedeckt4. Die Testamentsvollstreckung endet nicht durch eine Umwandlung, sondern besteht am neuen Anteil weiter5. Die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers umfasst auch den künftigen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben; dieser ist also Nachlassgegenstand6. Die nach dem Erbfall entstehenden Gewinnansprüche sind zu einem angemessenen Teil dem Privatvermögen des Nachfolgers zuzuordnen7. Die Befugnis des Testamentsvollstreckers umfasst dagegen nicht die Ausübung des Wahlrechts nach § 139 HGB8. Denn dieses ist ein höchstpersönliches Recht des Nachfolgers und daher vom Nachlass losgelöst zu betrachten. Auch ein Eintrittsrecht, das einem Erben zusteht, wird von der Testamentsvollstreckung nicht umfasst9. Denn das Eintrittsrecht wird rechtsgeschäftlich erworben, und zwar auch dann, wenn der Kapitalanteil dem Eintrittsberechtigten auf erbrechtlichem Wege zugewendet wird. Im Verhältnis zwischen Erbe und Testamentsvollstrecker besteht eine dinglich wirkende Begrenzung der Befugnisse des Letzteren insoweit, als dieser nach § 2205 S. 3 BGB nicht unentgeltlich über Gegenstände des Nachlasses verfügen darf. Dies wirft die schwierige Frage auf, unter welchen Voraussetzungen eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung oder ein Beschluss unentgeltlich im Sinne der Vorschrift ist. Dies ist generell dann der Fall, wenn der Nachlass einen Rechtsverlust erleidet, der nicht durch einen gleichwertigen 1 Vgl. Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 111. 2 A.A. MünchKomm/Schäfer, § 705 BGB Rz. 121 und Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 131 jeweils m.w.N.: Die Anteile vereinigten sich, aber nur der ererbte Teil unterliege der Testamentsvollstreckung. 3 MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 44. Vgl. zu diesem Problem auch BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, ZIP 1996, 327 (329) und für die Fälle der Vor- und Nacherbschaft oben Rz. 15.179. 4 Vgl. LG Mannheim v. 10.11.1998 – 2 O 193/98, ZEV 1999, 443 (445). 5 D. Mayer in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, § 5 Rz. 270 ff. Zur Frage der Auswirkung einer Umwandlung, wenn eine Gesellschaft selbst Testamentsvollstrecker ist, vgl. Reimann, ZEV 2000, 381. 6 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829 (831). 7 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, MDR 1986, 829 (831), wobei nach der Begründung des BGH fraglich sein dürfte, ob dies auch gelten kann, wenn der Testamentsvollstrecker im Rahmen einer „echten Testamentsvollstreckerlösung“ Rechte auch an der Innenseite der Beteiligung ausübt. 8 RG v. 4.3.1943 – II 113/42, RGZ 170, 392 (395). 9 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (192).

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Rz. 15.210 § 15

Ausgleich kompensiert wird1. Dies kann freilich schwierig zu beurteilen sein2. Ansonsten stehen dem Erben nur bei schuldhafter Pflichtverletzung Ansprüche nach §§ 2216, 2219 Abs. 1 BGB zu. 7. Pflichtteilsrecht a) Strategien zur Pflichtteilsvermeidung Die Strategien zur Pflichtteilsvermeidung, die bei der Darstellung der Vererbung von Einzelunternehmen genannt wurden (siehe Rz. 15.62 ff.), sind auch bei der Vererbung von Personengesellschaftsanteilen relevant: Eine Anpassung des Güterstandes, Pflichtteilsverzichte, Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge, Vor- und Nacherbfolgeanordnung bzw. Vor- und Nachvermächtnisse können Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche verringern bzw. ihre Entstehung verhindern. Auch Verwirkungsklauseln können in Bezug auf pflichtteilsberechtigte Erben ein wirkungsvolles Instrument darstellen (vgl. Rz. 15.49 ff.).

15.208

Eine weitere Möglichkeit bietet die Aufnahme des Nachfolgers in eine bestehende bzw. die Gründung einer neuen Gesellschaft mit dem Nachfolger, insbesondere im Hinblick auf Pflichtteilsergänzungsansprüche (siehe Rz. 15.210 f.).

15.209

b) Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche Wird die Gesellschaft beim Tode des Gesellschafters aufgelöst, gehört das Auseinandersetzungsguthaben zum Nachlass und ist somit in die Berechnung der Pflichtteilsansprüche einzustellen3. Wird die Gesellschaft beim Tode des Gesellschafters mit den verbliebenen Gesellschaftern fortgesetzt, entstehen mangels anderweitiger gesellschaftsvertraglicher Regelung Abfindungsansprüche der weichenden Erben nach § 738 Abs. 1 S. 2 BGB, die sich am wirklichen Wert des Gesellschaftsanteils – einschließlich offener und stiller Reserven – orientieren4. Diese Abfindungsansprüche fallen in den Nachlass des verstorbenen Gesellschafters und sind damit maßgeblich für die Berechnung der Pflichtteilsansprüche. Oftmals sind Abfindungsansprüche bei der Fortsetzung unter den verbliebenen Gesellschaftern allerdings gesellschaftsvertraglich beschränkt oder, bezogen auf den Todesfall besonders häufig, vollumfänglich ausgeschlossen. Da in diesem Fall kein Abfindungsanspruch in den Nachlass fällt, können den Pflichtteilsberechtigten lediglich Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 Abs. 1 BGB zustehen. Ob in der Vereinbarung einer Fortsetzungsklausel mit dem Verzicht auf Abfindungsansprüche eine Schenkung im Sinne des § 2325 Abs. 1 BGB liegen kann5, ist allerdings umstritten. Bejaht wird dies allgemein für den Fall, in dem nur ein Gesellschafter zugunsten der anderen auf die Abfindungsansprüche im Todesfall verzichtet6. Liegt hingegen ein allseitiger Abfindungsverzicht vor, soll nach der Rechtsprechung7 und der wohl h.M8. keine Schenkung vorliegen. Denn wenn alle Gesellschafter auf eine Abfindung verzichteten, liege ein gegenseitiges Geschäft mit Wagnischarakter (ein „aleatorisches Geschäft“) und damit ein entgeltlicher Vertrag vor9. Jeder Gesellschafter habe infolge einer solchen Vereinbarung die Chance, am Anteil eines verstorbenen Mitgesellschafters beteiligt zu 1 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 128. 2 Bei der Vor- und Nacherbschaft besteht die gleiche Problematik, vgl. oben Rz. 15.184 ff. Auch Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 128 hält diesbezüglich die gleichen Grundsätze für maßgeblich. 3 Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 62. 4 MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 29. 5 Erbschaftsteuerrechtlich wird eine Schenkung angenommen, vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 8. 6 MünchKomm/Lange, § 2325 BGB Rz. 19; Deckert, NZG 1998, 43 (45). 7 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (194); BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338 (1340 f.). 8 Staudinger/Olshausen, § 2325 BGB Rz. 31; Brox, Rz. 781; Lange/Kuchinke, § 37 X 2 i; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten, 1965, S. 188 f.; MünchKomm/Lange, § 2325 BGB Rz. 20. 9 Brox, Rz. 781; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten, 1965, S. 189.

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15.210

§ 15 Rz. 15.211

Unternehmensnachfolge

werden, dafür bestünde aber auch das Risiko, vorzuversterben und Abfindungsansprüche zu verlieren. Eine Schenkung soll aber dann in Betracht kommen, wenn ein allseitiger Abfindungsverzicht aller Wahrscheinlichkeit nach nur einen Gesellschafter treffen wird, etwa wenn sich die Lebenserwartung der Gesellschafter stark unterscheidet1.

15.211 Die dargestellte h.M. behandelt die Problematik nicht sachgerecht2. Denn die Pflichtteilsberechtigten könnten durch gesellschaftsvertragliche Regelungen wider den – rechtspolitisch durchaus zweifelhaften – Gesetzeszweck zurückgesetzt werden. Ein Erblasser, der sein gesamtes Vermögen in eine oder mehrere Gesellschaften einbringt, könnte durch eine entsprechende Gestaltung der Gesellschaftsverträge zu Lebzeiten relativ ungestört über seine Vermögenswerte disponieren und diese im Todesfall auf die gewünschten Nachfolger per Anwachsung übergehen lassen, ohne dass Pflichtteilsberechtigte eine Möglichkeit hätten, daran zu partizipieren. Eine derart einfache Möglichkeit, das Pflichtteilsrecht durch eine „Flucht ins Gesellschaftsrecht“3 zu umgehen, sollte dem Erblasser nicht zur Verfügung gestellt werden. So macht die Rechtsprechung denn auch – von ihrem Standpunkt aus inkonsequent – Ausnahmen in Extremfällen4, nämlich bei stark unterschiedlicher Lebenserwartung der Beteiligten, weil hier die Intention, Pflichtteilsberechtigte zurückzusetzen, klarer in Erscheinung tritt5. Denn Chance und Risiko stehen hier nicht in einem ebenbürtigen Verhältnis, so dass der erwähnte Wagnischarakter nicht mehr bejaht werden kann. Auch in anderen Konstellationen stehen aber Risiko und Chance nicht in einem ebenbürtigen Verhältnis, so dass der Wagnischarakter ebenfalls verneint werden müsste, etwa bei großer Gesellschafterzahl oder wenn Gesellschafter minderen Rechts vorhanden sind, die weder Vermögenswerte noch ihre Arbeitskraft in die Gesellschaft eingebracht haben. Der Verweis auf den Wagnischarakter ist damit zweifelhaft6. Auch dem Argument, die Gesellschafter bezweckten den Bestand des Unternehmens, kann nicht gefolgt werden, denn im Rahmen des § 2325 Abs. 1 BGB kommt es gerade nicht auf die Motive des Schenkers an7. Die Sicherung des Bestandes des Unternehmens ist als solche nicht gesetzlich geschützt, die Rechte der Pflichtteilsberechtigten durch die §§ 2303 ff. BGB dagegen schon. Allerdings bestehen durchaus Schwierigkeiten, einen Verzicht auf Abfindungsansprüche unter den Schenkungsbegriff des § 2325 Abs. 1 BGB zu fassen8. Eine sachgerechte Lösung besteht damit in einer analogen Anwendung der Vorschrift, da zumindest der unentgeltliche Charakter der entsprechenden Regelung bejaht werden kann9.

15.212 Bejaht man die Anwendbarkeit des § 2325 Abs. 1 BGB, so stellt sich die Frage, wann die Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB zu laufen beginnt. Dabei muss beachtet werden, dass Gegenstand des unentgeltlichen Geschäftes nicht der Gesellschaftsanteil, sondern der Verzicht auf Abfindungsansprüche ist10. Denn die Anwachsung als solche erfolgt weder entgeltlich noch unentgeltlich. Die Beurteilung, ob ein unentgeltliches Geschäft vorliegt, vermag vielmehr erst nach Betrachtung der Regelung über die Abfin1 BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, MDR 1981, 826 (827). 2 Dagegen auch MünchKomm/Frank, 3. Aufl., § 2325 BGB Rz. 16; Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, S. 466; Finger, DB 1974, 27 (28); Kohl, MDR 1995, 865 (871); Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1982, S. 65; Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 178 ff. 3 Siehe zum Begriff unten Rz. 26.523 ff. 4 BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, MDR 1981, 826 (827). 5 U. Mayer, ZEV 2003, 355 (357 f.) will deswegen auf den Einzelfall abstellen und als Kriterien das Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Gesellschaftern, das Vorhandensein von Pflichtteilsberechtigten bei Begründung der Gesellschafterposition und die Frage, ob ein am Markt tätiges Unternehmen oder eine Gesellschaft zur Vermögensverwaltung vorliegt, heranziehen. 6 Vgl. Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 181 f. 7 Vgl. MünchKomm/Lange, § 2325 BGB Rz. 13. 8 Vgl. Rittner, FamRZ 1961, 505 (510). 9 So auch Kohl, MDR 1995, 865 (871); Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, S. 65 ff.; Gubitz, Vererben am Nachlass vorbei, 2005, S. 184 ff.; a.A. Bratke, Auswirkungen gesellschaftsvertraglicher Abfindungsklauseln auf Pflichtteils- und erbrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 174 ff.; Büchel, Beteiligung von Minderjährigen an Familiengesellschaften, S. 256 f. 10 Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1982, S. 64 ff.; Rittner, FamRZ 1961, 505 (509).

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Rz. 15.216 § 15

dungsansprüche zu erfolgen. Der Verzicht auf Abfindungsansprüche wirkt sich aber erst im Todesfall aus, so dass entsprechend der gefestigten Rechtsprechung, nach der die Frist erst beginnt, wenn eine wirtschaftliche Ausgliederung aus dem Vermögen erfolgt1, die Frist erst im Todesfall zu laufen beginnt2 und damit einer Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruches in der vorliegenden Konstellation niemals entgegensteht. Die Entstehung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen kann nach der hier vorgenom- 15.213 menen Auslegung nur dadurch verhindert werden, dass Pflichtteilsverzichte vereinbart werden. Dies wird kautelarjuristisch im Hinblick darauf, dass die Linie der Rechtsprechung fortgesetzter Kritik ausgesetzt ist, empfohlen3. Bei erbrechtlicher Nachfolge fällt der Anteil trotz Sondererbfolge in den Nachlass und kann damit für die Berechnung der Pflichtteilsansprüche herangezogen werden4. Die Bewertung des Anteils kann freilich Probleme bereiten, insbesondere im Hinblick auf Beschränkungen von Abfindungsansprüchen im Kündigungsfall (vgl. Rz. 15.218 ff.).

15.214

Bei rechtsgeschäftlicher Nachfolge wird der Gesellschaftsanteil am Nachlass vorbeigelenkt (siehe Rz. 15.108). Bei Eintrittsklauseln muss im Hinblick auf die Pflichtteilsansprüche danach unterschieden werden, ob und wie der Nachfolger den Kapitalanteil erhalten hat. Ist ihm der Anteil erbrechtlich zugewendet worden, so ist der Kapitalanteil Bestandteil des Nachlasses und kann damit in die Berechnung der Pflichtteilsansprüche eingestellt werden. Ist der Kapitalanteil dem Nachfolger nicht erbrechtlich zugewendet worden, und können die Abfindungsansprüche weichender Erben auch nicht als ausgeschlossen gelten (vgl. Rz. 15.119), fallen die Abfindungsansprüche in den Nachlass und der Pflichtteilsberechtigte hat Zugriff auf die Vermögenswerte. Meist werden allerdings Abfindungsansprüche weichender Erben im Fall von Eintrittsklauseln entweder explizit ausgeschlossen, oder ein Ausschluss lässt sich dem Gesellschaftsvertrag im Wege konkludenter Auslegung entnehmen, weil der Eintrittsberechtigte eben gerade keine Kapitaleinlage erbringen müssen soll (vgl. Rz. 15.119). Dann fällt der Kapitalanteil zunächst – insoweit wie bei einer Fortsetzungsklausel – an die Mitgesellschafter, bevor ihn der Eintrittsberechtigte nach Ausübung des Eintrittsrechts erhält. Hierin liegt wohl grundsätzlich eine unentgeltliche Leistung an den Eintrittsberechtigten, die in dem Recht, ohne Einlageleistung in die Gesellschaft einzutreten, besteht5, so dass Pflichtteilsergänzungsansprüche entstehen können6. Bei rechtsgeschäftlicher Nachfolgeklausel erhält der Nachfolger sowohl den Gesellschaftsanteil als auch den Vermögenswert auf rechtsgeschäftlichem Wege. Auch hier kommt lediglich eine Pflichtteilsergänzung in Betracht, wenn eine Schenkung des Erblassers an den Nachfolger bezüglich des Kapitalanteils vorliegt.

15.215

Im Rahmen des Pflichtteilsrechts, namentlich bezüglich der Pflichtteilsergänzung, kann schließlich fraglich sein, ob in der Aufnahme eines Gesellschafters in eine Personengesellschaft oder in der Gründung einer Personengesellschaft eine Schenkung liegen kann7. Richtigerweise verbietet sich hier jede pauschale Antwort8. Gesichtspunkte, die beachtet werden sollten, sind etwa, ob und in welchem Maße

15.216

1 BGH v. 17.9.1986 – IVa ZR 13/85, BGHZ 98, 226 (233); MünchKomm/Lange, § 2325 BGB Rz. 21. Anders noch BGH v. 31.10.1969 – V ZR 138/66, MDR 1970, 128. 2 A.A. nur Dänzer-Vanotti, JZ 1981, 432 (434 f.). 3 Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 25. Skeptisch bezüglich der Pflichtteilsfestigkeit von Fortsetzungsklauseln mit Abfindungsausschlüssen auch Winkler, ZEV 2005, 89 (93). 4 Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 66. 5 Vgl. auch MünchKomm/Lange, § 2325 BGB Rz. 19 a.E. 6 Vgl. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 65. 7 Vom in Rz. 15.210 f. diskutierten Fall der Vereinbarung einer Fortsetzungsklausel unter Ausschluss der Abfindungsansprüche für den Todesfall unterscheidet sich die Problematik insoweit, als es hier um einen sofortigen endgültigen Vermögenstransfer geht. 8 In diesem Sinne auch BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, MDR 1981, 826 (827); Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 69; Soergel/Dieckmann, § 2325 BGB Rz. 24. Anders (regelmäßig keine Schenkung bei Aufnahme als

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§ 15 Rz. 15.217

Unternehmensnachfolge

sich der aufgenommene Gesellschafter verpflichtet, seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, Versorgungsleistungen für Dritte zu übernehmen, oder selbst Vermögenswerte einzubringen, und welchen tatsächlichen Haftungsgefahren er ausgesetzt ist1. Damit dürfte in der Aufnahme als Kommanditist eher eine Schenkung zu sehen sein können als in der Aufnahme als persönlich haftender Gesellschafter2. Gleiches gilt für die Aufnahme als stiller Gesellschafter3. Allerdings ist richtig, dass alleine die persönliche Haftung nicht zwingend gegen eine Schenkung spricht, denn die Haftung ist eine Folge der Aufnahme als Gesellschafter und keine Gegenleistung dafür4. Deswegen wird man oft bei der Aufnahme in eine rein vermögensverwaltende Gesellschaft von einer Schenkung ausgehen müssen5. Es kommen auch gemischte Schenkungen in Betracht, etwa wenn dem Aufgenommenen einerseits eine Vermögenseinlage übertragen wird, dieser aber andererseits auch Verpflichtungen, etwa zur Arbeitsleistung und zur Übernahme von Geschäftsführungsaufgaben, übernimmt6. c) Bewertung des Gesellschaftsanteils

15.217 Grundsätzlich gelten für die Bewertung des Gesellschaftsanteils für Pflichtteilszwecke – was bei einer Nachfolge in die Gesellschaft durch eine oder mehrere Erben relevant wird – dieselben Maßstäbe wie bei Einzelunternehmen. Es ist der wirkliche Wert unter Berücksichtigung der offenen und stillen Reserven zum Stichtag anzusetzen und der Anteil entsprechend seiner Quote in die Berechnung einzustellen7. Dies erfolgt vorwiegend anhand der Ertragswertmethode8. Allerdings ist es zu berücksichtigen, wenn mit dem Gesellschaftsanteil besondere Rechte oder Pflichten verbunden sind, wie beispielsweise Mehrstimmrechte. Hier ist ein entsprechender Zu- oder Abschlag vorzunehmen9. Auch eine eingeschränkte Veräußerungsmöglichkeit soll zu einem entsprechenden Abschlag vom Ertragswert führen können10.

15.218 Besonders umstritten ist die Frage, ob und inwieweit Abfindungsbeschränkungen für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters11 einen Abschlag von der Bewertung rechtfertigen. Denn grundsätzlich sind Personengesellschaftsanteile gemäß § 717 BGB unveräußerlich. Der Gesellschafter kann sich demnach im Regelfall lediglich durch eine Kündigung von der Beteiligung lösen. Dann aber erhält er im vorliegenden Fall nur den eingeschränkten Betrag. Häufig sind vor allem Buchwertklauseln. Zu unbefriedigenden Ergebnissen führen diese dann, wenn der Erbe die Gesellschaftsbeteiligung kündigen muss, um die Pflichtteilsansprüche zu erfüllen. Er erhält dann nur den Klauselwert, trotzdem würde der Pflichtteil anhand des Vollwertes berechnet. Auch eine Berechnung anhand des Klauselwertes ist allerdings nicht sachgerecht, da hierdurch effektiv vorhandene Nachlasswerte den Pflichtteilsberechtigen entzogen würden12.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

persönlich haftender Gesellschafter, außer in Missbrauchsfällen) Lange/Kuchinke, § 37 X 2 i m.w.N. zum Streitstand. Vgl. zu den Aspekten der Übernahme persönlicher Haftung und Verpflichtung zum Arbeitseinsatz BGH v. 11.5.1959 – II ZR 2/58, MDR 1959, 638. So auch BGH v. 2.7.1990 – II ZR 243/89, MDR 1991, 127 (128); MünchKomm/Lange, § 2325 BGB Rz. 18; Lange/Kuchinke, § 37 X 2 i. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 69. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 69. U. Mayer, ZEV 2003, 355 (356). Vgl. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1734. MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 29 m.w.N. Vgl. MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 30; eingehend Reimann, ZEV 1994, 7 (8). Zur Frage der Berücksichtigung hypothetischer Veräußerungskosten und latenter Steuerbelastungen vgl. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 76. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 73. MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 30. Zur Wirksamkeit von Abfindungsklauseln vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 50 IV 2 mit umfangreichen Literaturnachweisen. Vgl. MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 33.

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Rz. 15.222 § 15

Zur Lösung wird vorgeschlagen, die Vereinbarung einer Abfindungsbeschränkung für den Fall der 15.219 Kündigung als Schenkung an die Mitgesellschafter zu bewerten1. Eine solche Zuwendung sei gemäß §§ 134 InsO, 4 AnfG anfechtbar, so dass die Mitgesellschafter dem Pflichtteilsberechtigten die Differenz zwischen Buch- und Verkehrswert auszahlen müssten2. Zwar ist es sachgerecht, in einem Abfindungsausschluss für den Todesfall eine Schenkung an die Mitgesellschafter zu sehen (vgl. Rz. 15.211). Abfindungsbeschränkungen für den Fall der Kündigung sind jedoch anders zu beurteilen. Denn Zweck der Abfindungsbeschränkungen ist es oft gerade, die Mitgesellschafter dazu anzuhalten, ihre Beteiligung nicht zu kündigen (und daneben, einen Liquiditätsabfluss für den doch erfolgenden Fall der Kündigung zu vermeiden). Die Kündigung ist demnach – im Gegensatz zum Tode eines Gesellschafters – ein ungewisses Ereignis, das umso unwahrscheinlicher wird, je stärker der Abfindungsanspruch beschränkt wird. Die Abfindungsregelung für den Fall einer Kündigung sagt demnach gerade nichts darüber aus, wem der Vermögenswert der Beteiligung schlussendlich zukommen soll. Diese Frage wird vielmehr von der Regelung, die die Gesellschafter für den Todesfall eines Gesellschafters treffen, beantwortet. Daher ist die Behandlung einer Abfindungsbeschränkung für den Kündigungsfall als Schenkung für Pflichtteilszwecke nicht angezeigt. Die Rechtsprechung war mit der Frage bisher lediglich im Rahmen des § 1376 BGB befasst3. Dort wurde die Problematik dadurch gelöst, dass der Beteiligungswert insoweit herabgesetzt wurde, als sich die eingeschränkte Verwertbarkeit des Anteils nach der Verkehrsanschauung auf den Wert auswirkt4. Zwar ermöglicht diese Formel keine trennscharfen Abgrenzungen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Vorgehensweise des BGH der Einzelfallgerechtigkeit dient und andere praktisch gut zu handhabende Lösungen nicht in Sicht sind5, so dass sie auch im Rahmen des Pflichtteilsrechts sinngemäß angewandt werden sollte6.

15.220

8. Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen Maßnahmen zur Vorbereitung der Nachfolge müssen in der letztwilligen Verfügung und im Gesellschaftsvertrag erfolgen. Denn am Gesellschaftsvertrag können die letztwilligen Verfügungen des Erblassers in Bezug auf seinen Gesellschaftsanteil scheitern. Neben Art (erbrechtlich oder rechtsgeschäftlich, einfach oder qualifiziert) und Modalitäten (etwa Recht zum Eintritt als einseitige Gestaltungserklärung oder als Vertrag, Vertreterklausel bei erbrechtlicher Nachfolge, Recht, Eintritt aufschiebend bedingt zu erklären) der Nachfolge sollte der Gesellschaftsvertrag vor allem bestimmen, was mit den einzelnen Rechten eines Gesellschafters nach dessen Tode geschehen soll. So sollte der Gesellschaftsvertrag etwa eine Regelung darüber enthalten, ob Nachfolger die gleichen Geschäftsführungsbefugnisse wie der Vorgänger erhalten (vgl. bereits Rz. 15.99). Auch die Stimmrechte evtl. einrückender Gesellschafter können unterschiedlich bzw. abweichend von denen des Vorgängers verteilt werden7. Auf der anderen Seite muss der Erblasser darauf achten, seine letztwilligen Verfügungen in Einklang mit dem Gesellschaftsvertrag zu bringen.

15.221

Wie bei der Vererbung von Einzelunternehmen (siehe Rz. 15.74). wird der Gesellschafter einer Per- 15.222 sonengesellschaft oftmals erwägen, dem Nachfolger im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zu Lebzeiten den Anteil oder Teile davon zu übertragen. Der Nachfolger kann auf diesem Wege auf die Führung der Geschäfte nach dem Tode vorbereitet werden. Auch steuerliche Erwägungen werden, 1 2 3 4

Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, S. 216. Vgl. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 74. BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195 = NJW 1980, 229 = MDR 1980, 211. BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195 = NJW 1980, 229 = MDR 1980, 211; zustimmend Reimann, ZEV 1994, 7 (10). Vgl. auch Eiselt, NJW 1981, 2447 (2449 f.). 5 Eine ausführliche Darstellung der vertretenen Ansichten findet sich bei Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 74. 6 So auch Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 75 und Reimann, ZEV 1994, 7 (10); a.A. zuletzt Winkler, ZEV 2005, 89 (93). 7 Vgl. Sudhoff/Froning, § 44 Rz. 55.

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§ 15 Rz. 15.223

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besonders bei Familiengesellschaften, oft maßgeblich sein1. Erscheint eine persönliche unbeschränkte Haftung des Nachfolgers noch nicht angemessen, kann ihm eine lediglich kapitalistische Beteiligung eingeräumt werden. Zur vermögensmäßigen Absicherung des Vorgängers können dem Nachfolger Verpflichtungen gegenüber dem Vorgänger oder gegenüber Dritten auferlegt werden2, etwa in Form von Versorgungsleistungen, Leibrenten, Wohnrechten und Nießbrauchsvorbehalten3. Nießbrauchsrechte kommen in verschiedenen, den Bedürfnissen des Einzelfalls angepassten Formen vor. Als Grundtypen können hier der Ertrags- und der Vollrechtsnießbrauch unterschieden werden, wobei ersterer der pekuniären Versorgung dient, während beim Vollrechtsnießbrauch der Begünstigte die meisten Gesellschafterrechte nach wie vor ausüben darf. Bei beiden Formen sind Einzelheiten sehr umstritten und nicht abschließend geklärt, so dass eine möglichst umfassende Regelung der Rechte und Pflichten von Gesellschafter und Nießbraucher erfolgen sollte4. Bei allen vorgenannten Maßnahmen ist darauf zu achten, dass diese im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sind, insbesondere beim Vollrechtsnießbrauch, der nicht ohne die Zustimmung der Mitgesellschafter eingeräumt werden kann5.

15.223 Eine wichtige Maßnahme zur Vorbereitung der Nachfolge kann eine Umwandlung der Rechtsform der Gesellschaft sein6, etwa die Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft (§§ 214 ff. UmwG)7 zur Herbeiführung einer Haftungsbeschränkung oder zur Vorbereitung eines Börsengangs oder der Übernahme anderer Unternehmen8. Die Nachfolgeregelung ist oftmals ein gutes Argument, Gläubigern eine Umwandlung in eine Rechtsform mit beschränkter Haftung plausibel zu machen (vgl. Rz. 15.79). Im Rahmen eines bestehenden Gesellschaftsverhältnisses ist sie freilich von der Durchsetzbarkeit gegenüber den Mitgesellschaftern abhängig. Stehen diese dem Vorhaben, eine Kapitalgesellschaft zu gründen, ablehnend gegenüber, möchte der Erblasser den Nachfolgern aber keine unbeschränkte Haftung zumuten, so kann dieses Ziel durch eine automatisch wirkende Umwandlungsklausel erreicht werden. Auch durch das Wahlrecht des § 139 HGB ist der Nachfolger in eine OHG oder Komplementärbeteiligung geschützt.

15.224 Anstelle der OHG oder einer klassischen KG mit natürlichen Personen als Komplementären kommt zur Vorbereitung der Nachfolge die Variante der GmbH & Co. KG in Betracht9. Ist bei einer KG nur noch ein Komplementär vorhanden oder mehrere, deren Ableben aber innerhalb eines kurzen Zeitraums zu befürchten ist, kann eine „Vorrats-GmbH“ gegründet und an der KG beteiligt werden, damit die Gesellschaft nicht mit dem Tod des letzten Gesellschafters beendigt wird10. Ist in der Gesellschaft Sonderbetriebsvermögen vorhanden, kann dies im Erbfall negative steuerliche Konsequenzen haben11. Zur Vermeidung bietet sich an, dieses Vermögen steuerneutral als Betriebsvermögen in eine GmbH & Co. KG einzubringen, so dass keine Aufdeckung stiller Reserven droht12. Auch wenn nach dem Verster-

1 Zur steuerlichen Anerkennung von Familiengesellschaften vgl. Sudhoff/Hübner, § 71 Rz. 40 f. 2 Vgl. dazu Sudhoff/Stenger, § 24 Rz. 3 ff. 3 Dazu ausführlich Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1751 ff. Zur steuerlichen Behandlung des Nießbrauchs an Personengesellschaftsanteilen vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 127 ff. 4 Vgl. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1767. 5 Vgl. Sudhoff/Stenger, § 34 Rz. 19. 6 Ausführlich Sudhoff/Berenbrok, § 56. Vgl. auch D. Mayer, ZEV 2005, 325 (328 f.). 7 Zu den steuerlichen Problemen bei der Umwandlung einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft im Rahmen der Nachfolgeplanung vgl. Sudhoff/Berenbrok, § 63 Rz. 2 ff. 8 Vgl. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1664. Häufig ist allerdings umgekehrt auch die Umwandlung einer Kapital- in eine Personengesellschaft zur Ersparnis von Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer, vgl. Sudhoff/Berenbrok, § 63 Rz. 10 ff. und Rz. 15.298. 9 Möglich ist auch eine GmbH & Co. OHG oder die Aufnahme der GmbH als Kommanditistin, was sich anbieten kann, wenn die Gesellschafter Wert darauf legen, vorerst weiter persönlich unbeschränkt zu haften, vgl. Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1290. 10 Vgl. Crezelius, 2009, Rz. 301. 11 Vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 108. 12 Vgl. Schulze zur Wiesche, DB 1998, 695 (697 f.).

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Rz. 15.228 § 15

ben eines Gesellschafters Fremdmanagement nötig werden könnte, bietet sich die GmbH & Co. KG an, weil der Grundsatz der Selbstorganschaft für die Komplementär-GmbH nicht gilt1. Zur Vorbereitung der Nachfolge kann es auch einmal in Betracht kommen, die Gesellschaft aufzulösen und Vermögenswerte getrennt weiterzugeben.

15.225

Beratungssituation: A und B sind die betagten Gesellschafter der AB-OHG. Diese betreibt einige Restaurants, daneben hält und verwaltet sie Grundbesitz in nicht unerheblichem Umfang. Der Grundbesitz ist 50.000 Euro mehr wert als die Restaurants. Die Zusammenarbeit von A und B ist durch einen langjährigen vertrauensvollen und freundschaftlichen Umgang geprägt. A hat eine Tochter, die C, B einen Neffen, den D. Beide möchten die in der Gesellschaft vorhandenen Vermögenswerte an diese weitergeben. Sie sind sich jedoch nicht sicher, ob die Nachfolger in geschäftlichen Dingen so gut zusammenarbeiten werden wie sie selbst. D hat im Gegensatz zu C keine Kenntnisse des Gastronomiegewerbes. Zweckmäßige Gestaltung?

15.226

A und B können hier die richtigen Weichen bereits zu Lebzeiten stellen, indem sie die OHG auflösen und A die Restaurants, B den Grundbesitz zuwenden. Diese Aufteilung kann ohne negative steuerliche Konsequenzen2 als Realteilung vorgenommen werden. Hierfür leistet B dem A eine Ausgleichszahlung in Höhe von 25.000 Euro (Realteilung mit Spitzenausgleich im Gegensatz zur Realteilung ohne Spitzenausgleich), die er allerdings in Raten zahlen kann, so dass er die Ausgleichszahlung aus den laufenden Einnahmen aus der Vermietung des Grundbesitzes leisten kann3. Daneben kommen zur Vorbereitung der Nachfolge die bereits bei den Einzelunternehmen genannten Maßnahmen in Betracht (vgl. Rz. 15.74 ff.). Insbesondere sollte der Güterstand überprüft und ggf. angepasst werden, und an die Vereinbarung von Pflichtteilsverzichten gedacht werden.

15.227

IV. Nachfolge in Anteile an Kapitalgesellschaften 1. Grundsätzliches Anteile an Kapitalgesellschaften sind vererblich4. Die Vererblichkeit kann nicht durch die Satzung oder in sonstiger Weise ausgeschlossen werden5. Der Anteil fällt in den Nachlass6. Mit der Beteiligung verbundene Nebenrechte gehen ebenfalls auf die Erben über, wenn sie nicht höchstpersönli-

1 Vgl. dazu Sudhoff/Berenbrok, § 62, insbesondere zur Umwandlung einer KG in eine GmbH & Co. KG. 2 Vgl. Sudhoff/Berenbrok, § 65 Rz. 27 f. Wegen § 16 Abs. 3 S. 3 EStG dürfen die Grundstücke allerdings nicht innerhalb der Drei-Jahres-Frist veräußert werden, wenn eine rückwirkende Gewinnrealisierung vermieden werden soll. 3 Diese Ausgleichszahlung führt für A allerdings zu einem nicht tarifbegünstigten Gewinn, vgl. Sudhoff/Berenbrok, § 65 Rz. 33. 4 Statt aller MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 43. Vgl. für die GmbH § 15 Abs. 1 GmbHG. Dies gilt auch für die Vererbung der GmbH-Anteile in einer GmbH & Co. KG und die Kommanditaktien einer KGaA, während sich Komplementärbeteiligungen nach Personengesellschaftsrecht vererben. Für die UG (haftungsbeschränkt) als spezielle Unterform der GmbH gilt in Bezug auf die Unternehmensnachfolge vollumfänglich GmbH-Recht. Für die SE bestehen insofern keine besonderen Vorschriften in der SE-VO vom 8.10.2004, so dass die Anteile ebenfalls vererblich sind (vgl. Art. 9 SE-VO). Zur SE im Erbfall vgl. Waclawik, ZEV 2008, 429 (434). Auf die eingetragene Genossenschaft wird hier nicht näher eingegangen. Gemäß § 77 Abs. 1 GenG geht die Mitgliedschaft im Todesfall auf den Erben über, endet aber mit dem Schluss des Geschäftsjahres, in dem der Erbfall eingetreten ist. Die Satzung der eingetragenen Genossenschaft kann gemäß § 77 Abs. 2 GenG bestimmen, dass die Mitgliedschaft durch die Erben des verstorbenen Mitglieds fortgesetzt wird, und die Fortsetzung von persönlichen Voraussetzungen des Rechtsnachfolgers abhängig machen. Gemäß § 77 Abs. 2 S. 3 GenG kann bestimmt werden, dass die Mitgliedschaft in einem solchen Fall endet, wenn sie nicht innerhalb einer in der Satzung bestimmten Frist einem von mehreren Miterben allein überlassen worden ist. Vgl. auch Sudhoff/Froning, § 38 Rz. 31. 5 Zu den Gründen vgl. Scholz/Seibt, § 15 GmbHG Rz. 21. 6 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 43.

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15.228

§ 15 Rz. 15.229

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cher Natur sind1. Aktienbezugsrechte sind demnach grundsätzlich ebenfalls vererblich2. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn das Bezugsrecht ausdrücklich auf die Person des durch die Satzung festgelegten Bezugsberechtigten beschränkt ist3. So kann es bei Stock Options für Mitarbeiter eines Unternehmens liegen4. Eine Vinkulierungsklausel umfasst nicht den Fall der Vererbung5, da andernfalls der Grundsatz, dass die Vererblichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, umgangen würde.

15.229 Bezüglich der Vererbung von Aktien und GmbH-Anteilen ergeben sich beträchtliche Unterschiede dadurch, dass bei Aktiengesellschaften nach § 23 Abs. 5 AktG das Prinzip der Satzungsstrenge gilt, das der individuellen Gestaltung der Nachfolge Grenzen setzt6. Bei der GmbH bestehen diesbezüglich weitergehende Möglichkeiten, so dass eine Annäherung an die Nachfolgegestaltungen bei Personengesellschaften (vgl. oben Rz. 15.85–15.127) erzielt werden kann. Hierfür kann angesichts einer drohenden Zersplitterung oder Überfremdung gerade in personalistisch geprägten Kapitalgesellschaften ein Bedürfnis bestehen7.

15.230 Die Probleme des Anteilserwerbs von Todes wegen, die sich bei den Personengesellschaften wegen der personenrechtlichen Elemente der Beteiligung ergeben, bestehen bei Kapitalgesellschaften nicht im gleichen Maße. Wegen ihrer kapitalistischen Prägung und dem Ausschluss der persönlichen Haftung bestehen hier keine durchgreifenden Bedenken gegen die Nachfolge einer Miterbengemeinschaft zur gesamten Hand. Deswegen kommt es bei Kapitalgesellschaften nicht zu einer Sondererbfolge in den Anteil8. Weder bei der AG noch der GmbH ist die Anordnung einer Sondererbfolge durch die Satzung möglich9, denn die Satzung kann nicht zwingende gesetzliche Folgen der Nachlasszugehörigkeit modifizieren. 2. Gesetzlicher Regelfall: Alle Erben in Miterbengemeinschaft a) Allgemeines

15.231 Die Erben erhalten den Anteil im Erbfall zur gesamten Hand10. Somit wird bis auf die Sondererbfolge das Ergebnis einer einfachen Nachfolgeklausel im Personengesellschaftsrecht erzielt11.

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10 11

Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1459. RG v. 13.12.1906 – Rep. VI. 130/06, RGZ 65, 21 (22). RG v. 13.12.1906 – Rep. VI. 130/06, RGZ 65, 21 (22). So auch Kolmann, ZEV 2002, 216 (217 f.), der im Übrigen hinsichtlich der Vererblichkeit noch dahingehend differenziert, ob die Ausübungsvoraussetzungen für die Geltendmachung des Bezugsrechts noch zu Lebzeiten des Erblassers eingetreten waren. Kindler, FS Stilz (2014), S. 345, 353 m.w.N. Auch bei der SE gilt das Prinzip der Satzungsstrenge, und zwar in doppelter Hinsicht: Nach Art. 9 Abs. 1b SE-VO kann die Satzung besondere Bestimmungen nur vorsehen, soweit die SE-VO dies zulässt; wenn dies der Fall ist, greift kumulativ § 23 Abs. 5 AktG. Zu den vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten bei der AG in rechtsvergleichender Hinsicht vgl. ausführlich Rothärmel, Gestaltungsfreiheit der Familiengesellschafter im deutschen und U.S.-amerikanischen Aktienrecht, S. 51 ff. und, ZEV 2006, 435. Zur Nachfolgeplanung bei der AG siehe auch Wälzholz, DStR 2004, 779. Vgl. insbesondere für die Familiengesellschaft Rothärmel, Gestaltungsfreiheit der Familiengesellschafter im deutschen und U.S.-amerikanischen Aktienrecht, S. 4 ff. m.w.N. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 43. Lutter/Bayer, § 15 GmbHG Rz. 8; a.A. für die GmbH Finger, GmbHR 1975, 97 (103). Zu den steuerlichen Folgen vgl. Crezelius, 2009, Rz. 333 ff. Bei der GmbH kann auch die Auflösung der Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters satzungsmäßig bestimmt werden, vgl. § 60 Abs. 2 GmbHG. Bei der AG ist das fraglich, weil umstritten ist, ob sich § 262 Abs. 2 AktG nur auf andere gesetzliche Auflösungsgründe bezieht, vgl. Hüffer/Koch, § 262 AktG Rz. 24. Praktisch hat die Auflösung der Gesellschaft beim Todesfall eines Gesellschafters allerdings keine Bedeutung.

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Rz. 15.235 § 15

Die Erwerber von Namensaktien haben keine Rechtspflicht zur Mitteilung ihres Erwerbs an die AG1, nach § 67 Abs. 2 AktG gelten sie gegenüber der AG allerdings nicht als Aktionäre, wenn sie nicht als solche im Aktienregister eingetragen sind2. Auch eine Miterbengemeinschaft3 kann ins Aktienregister eingetragen werden. Die AG kann Erbin ihrer eigenen Aktien sein, wie sich aus § 71 Abs. 1 Nr. 5 AktG ergibt4.

15.232

Bei der GmbH gilt gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG nur als Inhaber eines Geschäftsanteils, wer als In- 15.233 haber in die Gesellschafterliste eingetragen ist. Es handelt sich nach zutreffender Ansicht um eine unwiderlegliche Vermutung5. Zuständig für die Einreichung ist gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG im Falle des Erwerbs durch Erbfall der Geschäftsführer, da an einer Veränderung des Gesellschafterbestandes gemäß § 1922 BGB nicht der Notar mitgewirkt hat, so wie dies § 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG voraussetzt6. Im Zweifel wird dem Geschäftsführer als Nachweis im Sinne des § 40 Abs. 1 S: 2 GmbHG der Erbschein vorgelegt werden müssen7. Auch hinreichend sind die notarielle Verfügung von Todes wegen mit Eröffnungsniederschrift, nicht dagegen ein privatschriftliches Testament und auch nicht ohne Weiteres ein ausländisches Erbzeugnis8. Der Geschäftsführer sollte hierauf auch bestehen, insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen Haftung gemäß § 40 Abs. 3 GmbHG9. Es ist ferner zu erwägen, die Vorlage des Erbscheins und/oder Europäischen Nachlasszeugnisses zur satzungsmäßigen Voraussetzung der Aufnahme in die Gesellschafterliste zu machen10. Es ist möglich, die GmbH selbst zur Erbin eines Anteils einzusetzen11. Sie hält dann einen eigenen Anteil12. Sie kann allerdings nicht sämtliche Anteile an sich selbst halten13.

15.233a

b) Besonderheiten im Hinblick auf die Nachfolge einer Miterbengemeinschaft Miterben können die Rechte aus der Aktie gemäß § 69 Abs. 1 AktG nur durch einen gemeinsamen Vertreter ausüben14. Bis zur Bestellung des Vertreters ruhen die Mitverwaltungsrechte15. Erklärungen der AG können bis zur Bestellung des Vertreters nach § 69 Abs. 3 S. 1 AktG gegenüber einem Miterben abgegeben werden, jedoch müssen Erklärungen innerhalb des ersten Monats nach Anfall der Erbschaft gemäß § 69 Abs. 3 S. 2 AktG gegenüber allen Miterben abgegeben werden, wenn die Miterbengemeinschaft nicht bereits vorher einen gemeinsamen Vertreter bestellt hat16.

15.234

Bei der GmbH ist die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters ebenfalls zweckmäßig, weil die Rechte aus dem Anteil nach § 18 Abs. 3 S. 1 GmbHG nur gemeinschaftlich ausgeübt werden können. Er-

15.235

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Hüffer/Koch, § 67 AktG Rz. 17. Str., vgl. MünchKomm/Bayer, § 67 AktG Rz. 61 ff. Zu Einzelheiten bezüglich der Nachfolge einer Miterbengemeinschaft vgl. oben Rz. 15.234 ff. Vgl. Hüffer/Koch, § 71 AktG Rz. 18. Für das Vermächtnis gilt grundsätzlich die Nr. 4, die aber nicht anwendbar ist, wenn durch eine Auflage eine Gegenleistungspflicht begründet wird, vgl. MünchKomm/ Oechsler, § 71 AktG Rz. 148. Lutter/Bayer, § 16 GmbHG Rz. 27 m.w.N. auch zur Gegenmeinung. Zum späteren Wegfall der Erbenstellung vgl. im Einzelnen Lutter/Bayer, § 16 GmbHG Rz. 35. Der Erbschein ist allerdings der Gesellschafterliste nicht beizufügen, vgl. Lutter/Bayer, § 40 GmbHG Rz. 8. Vgl. zum Ganzen Lutter/Bayer, § 40 GmbHG Rz. 21. Vgl. auch Lutter/Bayer, § 40 GmbHG Rz. 21. Lutter/Bayer, § 16 GmbHG Rz. 1. BFH v. 24.3.1993 – I R 131/90, BStBl. II 1993, 799. Vgl. Crezelius, 2009, Rz. 332. Crezelius, 2009, Rz. 332. Crezelius, 2009, Rz. 332. Umstritten ist, ob die Eintragung des gemeinsamen Vertreters ins Aktienregister zulässig ist, vgl. MünchKomm/Bayer, § 69 AktG Rz. 18 m.w.N. MünchKomm/Bayer, § 69 AktG Rz. 19. Vgl. MünchKomm/Bayer, § 69 AktG Rz. 38.

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§ 15 Rz. 15.236

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folgt keine Vertreterbestellung, können Rechtshandlungen nach § 18 Abs. 3 S. 1 GmbHG durch die Gesellschaft gegenüber einem einzigen Miterben wirksam vorgenommen werden. Die Satzung kann – und sollte – vorsehen, dass ein gemeinsamer Vertreter zu bestellen ist1. Ein Ruhen der Mitverwaltungsrechte bis zur Vertreterbestellung sieht das Gesetz nicht vor. Auch dies sollte deswegen satzungsmäßig festgelegt werden2. Wenn bereits ein Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter bestellt wurde, vertritt dieser die Miterbengemeinschaft3. Innerhalb der Miterbengemeinschaft ist bei Verfügungen über den Geschäftsanteil Einstimmigkeit gemäß § 2040 BGB erforderlich, während Beschlüsse über Verwaltungsmaßnahmen nach den §§ 2038 Abs. 2, 745 Abs. 1 BGB mit Stimmenmehrheit, bemessen nach Erbquoten gefasst werden4.

15.236 Aufgrund der Übertragung von Anteilen im Wege der Erbauseinandersetzung kommt es zu einem rechtsgeschäftlichen Erwerb des Anteilsempfängers. Die Abtretung eines GmbH-Anteils an einzelne Miterben bedarf daher nach § 15 Abs. 3 GmbHG notarieller Beurkundung5. Der Erwerber gilt gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG gegenüber der Gesellschaft nur als Inhaber des Geschäftsanteils, wenn er in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist. Für die Einreichung der Gesellschafterliste nach einer Abtretung ist aufgrund des Beurkundungserfordernisses nach § 40 Abs. 2 GmbHG der beurkundende Notar zuständig. Aufgrund der Streichung des § 17 GmbHG a.F. muss eine etwaige Teilung von Geschäftsanteilen von der Gesellschaft nicht genehmigt werden (außer die Satzung legt dies so fest). Bei Aktien ist eine Teilung nach § 8 Abs. 5 AktG ausgeschlossen.

15.237 Nicht einheitlich beurteilt wird, ob sich Vinkulierungsklauseln nach den §§ 15 Abs. 5 GmbHG, 68 Abs. 2 S. 1 AktG auch auf die Übertragung von GmbH-Anteilen und Namensaktien im Wege der Erbauseinandersetzung beziehen. Im GmbH-Recht ist h.M., dass die Auseinandersetzung unter Miterben aufgrund einer Teilungsanordnung von einer Vinkulierung nicht erfasst wird6. Dagegen soll sich ein Zustimmungsvorbehalt nicht auf die Durchführung einer Teilungsanordnung in Bezug auf Aktien7 sowie, sowohl bei GmbH und AG, die Erfüllung von Vermächtnissen8 beziehen. Diese Auslegung von Vinkulierungsklauseln ist, obwohl nicht zwingend veranlasst, im Ergebnis sachgerecht. Denn bei der GmbH geben die Gesellschafter dadurch, dass sie die Erben in die Gesellschaft einrücken lassen, obwohl ein solches Ergebnis durch die Satzung vermieden werden kann, zu erkennen, dass sie die Erbeinsetzungen des Mitgesellschafters respektieren. Dann ist aber regelmäßig kein Interesse auf ihrer Seite zu erkennen, die Verteilung der Anteile zwischen den Miterben, die sich in der Folge einer solchen Erbeinsetzung aufgrund der Anordnungen des Erblassers vollzieht, zu verhindern. Allerdings ist insofern eine Differenzierung danach angebracht, ob die Auseinandersetzung aufgrund einer eigenen Entscheidung der Erben erfolgt oder zur Durchführung einer vom Erblasser angeordneten Teilungsanordnung. Nur letzterer Fall wird wohl regelmäßig von einer Vinkulierungsklausel nicht erfasst sein. Für die AG kann wegen ihrer kapitalistischen Prägung anders entschieden

1 Vgl. Lutter/Bayer, § 18 GmbHG Rz. 3. 2 Crezelius, 2009, Rz. 322. 3 Wobei sich darüber streiten lässt, ob dieser dann kraft Amtes gemeinsamer Vertreter ist, so Hüffer/Koch, § 69 AktG Rz. 3 für die AG, oder die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters überflüssig ist, weil den Miterben die Verfügungsmacht über den Nachlass fehlt, so Lutter/Bayer, § 18 GmbHG Rz. 7 für die GmbH. 4 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 1459. 5 Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 4. 6 Zuerst vertreten von Petzoldt, GmbHR 1977, 25 ff. Vgl. Ulmer/Habersack/Winter/Löbbe, § 15 GmbHG Rz. 38 m.w.N. zum Streitstand. Unterschiedlich insoweit die Rechtsprechung verschiedener Senate des OLG Düsseldorf, vgl. GmbHR 1990, 504 (507 f.) (nicht von Vinkulierungsklausel erfasst) einerseits und, GmbHR 1987, 475 f. (von Vinkulierungsklausel erfasst) andererseits (dort auch umfangreiche Nachweise zum älteren Schrifttum). 7 MünchKommAG/Bayer, § 68 AktG Rz. 53 m.w.N. 8 Für die AG MünchKomm/Bayer, § 68 AktG Rz. 53 m.w.N. Für die GmbH Ulmer/Habersack/Winter/Löbbe, § 15 GmbHG Rz. 21 m.w.N.

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Rz. 15.239 § 15

werden, weil es hier in vielen Fällen aus der Sicht der AG in Folge der Durchführung einer Teilungsanordnung weniger klar sein kann, wer nun zum Gesellschafterkreis gehört, und zudem die Frage, wer als Gesellschafter nach einem Erbfall in der Gesellschaft verbleibt, durch die Satzung nicht so frei geregelt werden kann wie bei der GmbH. Die Stellung als Vermächtnisnehmer schließlich ist von der Stellung als Erbe unabhängig. Nur die freie Vererblichkeit wird aber durch das GmbHG und das AktG angeordnet; die Verteilung von Anteilen vermittels eines Vermächtnisses wird hiervon nicht erfasst, so dass davon auszugehen ist, dass die Vinkulierungsklauseln solche Fälle einschließen1. Letztendlich entscheidet aber die Auslegung der Vinkulierungsklausel über all diese Fälle2, doch werden diese selten eine Aussage zur Erbauseinandersetzung enthalten, so dass auf die vorgenannten Grundsätze zurückgegriffen werden muss. Eine Vinkulierung kann allerdings nach der Rechtsprechung des BGH dann, wenn die ererbten Anteile einen wesentlichen Anteil des Erblasservermögens ausgemacht haben, dadurch umgangen werden, dass der Erbe nach § 2033 Abs. 1 S. 1 BGB über seinen Erbteil verfügt, weil dieser Fall von Genehmigungserfordernissen nicht umfasst werde3. Verfügungsbeschränkungen bestünden nur im Rahmen des § 2033 Abs. 2 BGB, der hier jedoch nicht einschlägig sei4. Diese Rechtsprechung wird kritisiert, weil es zu einer Umgehung der Vinkulierungsklausel kommen könne5. Allerdings orientiert sich der BGH eng am Gesetz, was schon deswegen nicht zu beanstanden sein dürfte, weil die Gesellschafter, wenn sie dieses Risiko fürchten, eben nicht nur die Vinkulierung, sondern weitere Maßnahmen zur Steuerung der Nachfolge (sogleich Rz. 15.239 ff.) anordnen können. Dies hatten sie im zu entscheidenden Fall unterlassen. Die Rechtsprechung führt also auch nicht zu einem Vorrang des Erbrechts gegenüber dem Gesellschaftsrecht6, weil gesellschaftsrechtlich eben keine Regelung getroffen würde, die mit dem Erbrecht kollidieren könnte.

15.238

3. Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten a) Einziehung Durch die freie Vererblichkeit der Anteile kann es zu einer von den Gesellschaftern nicht gewünschten 15.239 Überfremdung der Gesellschaft oder Zersplitterung der Beteiligung kommen. Um dies zu vermeiden, kommt eine Einziehung des Anteils nach (und nicht: automatisch mit, vgl. Rz. 15.245) dem Todesfall gemäß §§ 237 ff. AktG, 34 GmbHG in Betracht7. Durch eine Einziehungsklausel8 kommt es im Ergebnis dazu, dass die Gesellschaft mit den verbliebenen Gesellschaftern fortgesetzt wird9. Sie stellt damit das Äquivalent zu einer Fortsetzungsklausel im Personengesellschaftsrecht dar10.

1 Vgl. aber BGH v. 28.1.1960 – II ZR 236/57, MDR 1960, 380 (384), freilich auf die Teilung, nicht auf die Vinkulierung bezogen und im Übrigen insofern besonders, als der Vermächtnisnehmer bereits Gesellschafter war. 2 So auch Ulmer/Habersack/Winter/Löbbe, § 15 GmbHG Rz. 38. 3 BGH v. 5.11.1984 – II ZR 147/83, BGHZ 92, 386 (393 f.) = MDR 1985, 209 (215 f.). 4 BGH v. 5.11.1984 – II ZR 147/83, BGHZ 92, 386 (393 f.) = MDR 1985, 209 (215 f.). 5 Crezelius, 2009, Rz. 331; tendenziell auch Lessmann, GmbHR 1986, 409 (411) für den hier besonders interessierenden Fall, in dem der Anteil der einzige Gegenstand ist, der (noch) im Nachlass vorhanden ist. 6 So aber Crezelius, 2009, Rz. 331. 7 Vgl. zur Einziehung als Mittel zur Abschließung des Gesellschafterkreises bei der AG Rothärmel, Gestaltungsfreiheit der Familiengesellschafter im deutschen und U.S.-amerikanischen Aktienrecht, S. 71 ff. 8 Formulierungsvorschlag bei Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 16. 9 Zu den steuerlichen Folgen einer Einziehungsklausel siehe Crezelius, 2009, Rz. 337 ff., 344 f. (für die GmbH) und 386, 388 (für die AG) und für die GmbH ferner Ivo, ZEV 2006, 252 (255). 10 Allerdings ist bei der GmbH auch eine Teileinziehungsklausel möglich, vgl. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 11.

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§ 15 Rz. 15.240

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15.240 M 137 Einziehungsklausel Verstirbt ein Gesellschafter, sind die Erben verpflichtet, den Geschäftsanteil des verstorbenen Gesellschafters an einen von der Gesellschaft benannten Dritten, einen näher bezeichneten Gesellschafter oder an die Gesellschaft abzutreten, wenn den Erben die schriftliche Aufforderung innerhalb von zwei Monaten nach Eintritt des Erbfalls zugeht. Die Frist ist gewahrt, wenn einem einzelnen Miterben diese Aufforderung zugegangen ist. Erfüllen die Erben die vorstehende Verpflichtung nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Aufforderung, ist die Gesellschaft nach eigener Wahl berechtigt, den Geschäftsanteil einzuziehen oder die Abtretung selbst vorzunehmen. Die Verwaltungsrechte in Bezug auf den Geschäftsanteil ruhen bis zur dinglichen Wirksamkeit der Abtretung bzw. – wenn die Gesellschaft die Erben nicht innerhalb der vorgesehenen Frist zur Abtretung aufgefordert hat – bis zum Ablauf der dafür vorgesehenen Frist. Das gilt auch für die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung über die Einziehung bzw. Abtretung.

15.240a Die Einziehung muss bei der GmbH nach § 34 Abs. 1 GmbHG in der Satzung zugelassen sein. Eine Einziehung ohne Zustimmung des betroffenen Gesellschafters1 (allein diese ist für Fragen der Nachfolgeregelung praxisrelevant) kann nach § 34 Abs. 2 GmbHG lediglich erfolgen, wenn deren Voraussetzungen mit hinreichender Bestimmtheit vor dem Beitritt des betroffenen Gesellschafters oder von dessen Rechtsvorgänger in der Satzung festgelegt waren2. Unter dem Begriff der „Voraussetzungen“ im Sinne des § 34 Abs. 2 GmbHG sind die Gründe der Einziehung zu verstehen3. Das freie Belieben der anderen Gesellschafter ist kein solcher Grund4. Allerdings ist insofern ausreichend, dass die Satzung ein festes Merkmal, wie den Tod des Gesellschafters, mit der Befugnis zur Einziehung verbindet5. Möglich ist auch eine Regelung, nach der eine Einziehung nur erfolgen kann, wenn bestimmte Personen, etwa Familienfremde bei einer Familiengesellschaft, den Anteil im Erbgang erwerben6.

15.241 Für die AG gelten im Rahmen des § 237 Abs. 1 AktG dieselben Grundsätze: Die Einziehung muss vor Übernahme oder Zeichnung der Aktien satzungsmäßig zugelassen gewesen sein und darf nicht ins freie Belieben der Gesellschaft (Hauptversammlung) gestellt sein7. Es ist damit aber ausreichend, wenn die Satzung die Einziehung durch Hauptversammlungsbeschluss für den Fall des Versterbens eines Gesellschafters festlegt8. Die Satzung kann eine Einziehung zulassen und dem Hauptversammlungsbeschluss die Regelung der Einzelheiten vorbehalten (gestattete Zwangseinziehung)9, oder aber die Voraussetzungen für die Einziehung und die Einzelheiten ihrer Durchführung regeln (angeordnete Zwangseinziehung)10.

15.242 Eine Einziehungsklausel kann auch nachträglich in die Satzung eingefügt werden. Bei der GmbH ist erforderlich, dass alle betroffenen Gesellschafter der Regelung zustimmen11. Bei der AG reicht 1 Bei der GmbH ist diesbezüglich der Begriff der Zwangseinziehung gebräuchlich, der im Rahmen des § 237 Abs. 1 AktG allerdings eine andere Bedeutung hat. 2 Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 16. 3 Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 17. 4 Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 20. 5 Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 20. 6 Vgl. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 35. 7 Hüffer/Koch, § 237 AktG Rz. 18. 8 Es sollte auch eine Regelung über die Abfindung ausscheidender Gesellschafter erfolgen. Vgl. dazu Rz. 15.248. 9 Vgl. Hüffer/Koch, § 237 AktG Rz. 15 f. 10 Vgl. Hüffer/Koch, § 237 AktG Rz. 10 ff. 11 Scholz/H. P. Westermann, § 34 GmbHG Rz. 19. Umstritten ist, ob ein Beschluss, der an der fehlenden Zustimmung aller Gesellschafter scheitert, zumindest in Bezug auf Befürworter der Einziehung oder

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Rz. 15.246 § 15

nach h. M. die Zustimmung des Aktionärs zu einem entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss1. Nach dem Tode des Erblassers bedarf es nach §§ 237 Abs. 2 S. 1, 222 Abs. 1 AktG, 46 Nr. 4 GmbHG eines Gesellschafterbeschlusses bzw. bei der AG je nach Ausgestaltung eines Vorstands- oder Hauptversammlungsbeschlusses. Bei der AG sind nach § 237 Abs. 2 S. 1 AktG die Voraussetzungen der Kapitalherabsetzung zu beachten, wenn nicht ein Fall des § 237 Abs. 3 AktG (Einziehung zu Lasten des Bilanzgewinns oder anderer Gewinnrücklagen) gegeben ist. Bei der GmbH sind die Vorschriften der §§ 19 Abs. 2, 30 ff. GmbHG über die Kapitalaufbringung und -erhaltung zu beachten2. Die Einziehung ist also nur zulässig, wenn die Stammeinlage auf den Anteil voll eingezahlt ist, und die Einziehung bzw. die Zahlung der zu leistenden Abfindung (vgl. hierzu Rz. 15.248 f.) darf nicht dazu führen, dass das Stammkapital angegriffen wird. Zeitlich ist diesbezüglich auf die Auszahlung des Abfindungsanspruchs abzustellen3. Ist eine Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften bereits bei der Beschlussfassung absehbar, wird eine Nichtigkeit des Beschlusses angenommen4. Umstritten ist, ob die Erben bei der Beschlussfassung stimmberechtigt sind. Ohne eine dem entgegenstehende Satzungsregelung dürfte dies wohl der Fall sein, weil § 47 Abs. 4 S. 1 GmbHG nicht, auch nicht analog, anwendbar ist5, so dass sich ggf. ein satzungsmäßiger Ausschluss des Stimmrechts empfiehlt. Es ist möglich, die Entscheidung auf einen Ausschuss oder ein Kontrollorgan wie einen Beirat zu übertragen6.

15.243

Die Folge einer derart vollzogenen Einziehung ist der Wegfall des Geschäftsanteils7. Die Einziehung führt nicht dazu, dass der Grundsatz der Vererblichkeit des Anteils umgangen würde. Denn der Anteil fällt zunächst in den Nachlass. Der Anteil ist allerdings insoweit nicht nachlassaktiv, er ist mit der drohenden Einziehung belastet. Dies muss bei der Bewertung des Nachlasses berücksichtigt werden. Veräußert der Erbe den Anteil vor dem Einziehungsbeschluss, so erwirbt der Dritte den Anteil mit der Möglichkeit der Einziehung belastet; ein gutgläubiger Erwerb ohne diese Belastung ist ausgeschlossen8, und zwar auch nach der Einführung des gutgläubigen Erwerbs von GmbH-Anteilen nach § 16 Abs. 3 GmbHG, weil von dieser Vorschrift nach zutreffender Auffassung der gutgläubige Wegerwerb von Belastungen des Geschäftsanteils nicht umfasst ist9.

15.244

Vereinzelt wird für die GmbH diskutiert, ob eine entsprechende Regelung in der Satzung auch eine automatisch wirkende Einziehung mit dem Todesfall bewirken könne10. Dies ist abzulehnen, weil der Anteil damit dem Nachlass entzogen würde, was aber wegen der Vererblichkeit von Anteilen an Kapitalgesellschaften (siehe Rz. 15.228) nicht möglich ist.

15.245

Das Stammkapital der GmbH ändert sich durch die Einziehung nicht11. Es ist fraglich, ob sich die Nennbeträge der übrigen Gesellschafter automatisch erhöhen oder eine Anpassung durch eine Sat-

15.246

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

spätere Anteilserwerber Wirksamkeit entfalten kann, vgl. Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 16 m.w.N. Siehe dazu MünchKomm/Oechsler, § 237 AktG Rz. 24. Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 11 ff. BGH v. 14.2.1953 – VI ZR 136/52, BGHZ 9, 157 (169) = NJW 1953, 780; Roth/Altmeppen, § 34 GmbHG Rz. 20. Roth/Altmeppen, § 34 GmbHG Rz. 19. Baumbach/Hueck/Fastrich, § 34 GmbHG Rz. 12, § 47 GmbHG Rz. 56. Vgl. aber BGH v. 20.12.1976 – II ZR 115/75, GmbHR 1977, 81 (82) für den hier häufig relevanten Fall einer Familiengesellschaft, wo eine Auslegung der Satzung zu einem Stimmrechtsausschluss führen sollte. Baumbach/Hueck/Fastrich, § 34 GmbHG Rz. 12. Hüffer/Koch, § 237 AktG Rz. 4. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 15. Vgl. Lutter/Bayer, § 16 GmbHG Rz. 60 ff. m.w.N. Vgl. MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 44 mit Nachweisen zu beiden Ansichten. Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 2.

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§ 15 Rz. 15.247

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zungsänderung erfolgen muss1. Die Gesellschafter können auch einen eigenen Anteil der Gesellschaft bilden2. Die Beteiligungsrechte und Pflichten ändern sich bei einer Erhöhung der Nennbeträge entsprechend dem Verhältnis der bisherigen Beteiligung zum Stammkapital3. Wenn die Beteiligung eines Gesellschafters dadurch Schwellenwerte überschreitet, kann es zu unerwünschten Vetorechten eines Gesellschafters kommen4 oder eine unbeabsichtigte Steuerverstrickung des Anteils bewirkt werden5. Um solche Ergebnisse zu vermeiden, bietet sich an, eine Einziehungs- mit einer Abtretungsklausel dergestalt zu kombinieren, dass keine Einziehung, sondern eine Abtretung an gesellschaftsfremde Personen, beispielsweise Familienangehörige eines Gesellschafters, zu erfolgen hat, wenn es durch die Einziehung dazu käme, dass der Anteil eines Gesellschafters 25 % überschreiten würde6.

15.247 Die Satzung sollte eine entsprechende Frist zur Ausübung des Einziehungsrechts setzen. Ist keine Frist bestimmt, muss den Erben das Recht zugestanden werden, der Gesellschaft eine Frist zur Ausübung des Einziehungsrechts zu setzen. Läuft die Frist ab, ist von einem Verzicht auf das Recht oder einer Verwirkung des Rechts (den Anteil einzuziehen) auszugehen7. Beratungshinweis: Es empfiehlt sich, in der Satzung festzulegen, dass die Verwaltungsrechte der Erben, die zunächst in die Gesellschaft einrücken, bis zur Vornahme der Einziehung durch den entsprechenden Beschluss bzw. der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen der Einziehung ruhen.

15.248 In Folge der Einziehung entsteht ohne abweichende satzungsmäßige Regelung ein Anspruch gegen die Gesellschaft auf ein Einziehungsentgelt8. Dieses entspricht dem Verkehrswert, d.h. regelmäßig dem Ertragswert9. Die Satzung kann – und sollte – eine Bewertungsmethode vorsehen, um Streitigkeiten zu vermeiden. Da ein vollumfänglicher Ausschluss des Entgelts für eine nach dem Tode eines Gesellschafters erfolgte Einziehung ebenfalls für zulässig erachtet wird10, – und ggf. auch satzungsmäßig bestimmt werden sollte – steht es den Gesellschaftern selbstverständlich auch frei, die Bemessung des Entgelts nach ihren Vorstellungen zu gestalten11. Damit kommt es auf die von der Rechtsprechung entwickelten Wertungsprinzipien, anhand derer eine Beschränkung von Abfindungsansprüchen beurteilt wird, nicht an. Denn wenn schon ein vollumfänglicher Ausschluss von Abfindungsansprüchen für eine nach dem Tod eines Gesellschafters erfolgende Einziehung in der Regel nicht an der Grenze des § 138 BGB scheitern kann, so muss dies für die Beschränkung solcher Ansprüche ja erst recht gelten. Ob es zu einem Missverhältnis zwischen dem Wert des Geschäftsanteils und der Höhe der Abfin1 Vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich, § 34 GmbHG Rz. 17. 2 BayObLG v. 25.10.1991 – BReg. 3 Z 125/91, BayObLGZ 1991, 365 = DNotZ 1992, 182 = NJW-RR 1992, 736 = DB 1991, 2537. 3 Baumbach/Hueck/Fastrich, § 34 GmbHG Rz. 18. 4 Vgl. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 14. 5 Crezelius, 2009, Rz. 328. 6 Vgl. Crezelius, 2009, Rz. 328. 7 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, NJW 2000, 2819. 8 Baumbach/Hueck/Fastrich, § 34 GmbHG Rz. 19 ff.; Hüffer/Koch, § 237 AktG Rz. 17 f. Zu beachten ist allerdings, dass in dem im vorliegenden Kontext häufigen Fall der angeordneten Einziehung die Regelung des Abfindungsentgeltes im Einziehungs- und Amortisationsplan enthalten sein muss, Hüffer/ Koch, § 237 AktG Rz. 17. 9 Baumbach/Hueck/Fastrich, § 34 GmbHG Rz. 20; Hüffer/Koch, § 237 AktG Rz. 18. Einzelheiten können hier nicht weiter vertieft werden. 10 Vgl. für die GmbH im Falle einer Familiengesellschaft BGH v. 20.12.1976 – II ZR 115/75, GmbHR 1977, 81 (83); Baumbach/Hueck/Fastrich, § 34 GmbHG Rz. 29. Bei der AG gelten im Hinblick auf die Beschränkung von Einziehungsentgelten nach wohl h.M. die für die GmbH entwickelten Grundsätze, vgl. MünchHdbGesR/Krieger, Bd. 4, § 62 Rz. 12, nach einer früheren Meinung waren hier sogar weitergehende Beschränkungen und Ausschlüsse möglich, vgl. Hüffer/Koch, § 237 AktG Rz. 17 m.w.N. zu beiden Ansichten. 11 Vgl. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 22. Zur Frage, ob der Betroffene seine Mitgliedschaft erst verliert, wenn er die ihm satzungsmäßig zustehende Abfindung vollumfänglich erhalten hat (was insbesondere im Fall von Ratenzahlungen relevant wird), vgl. Ivo, ZEV 2006, 252 (254).

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Rz. 15.253 § 15

dung kommt, ist für die hier vorliegende Fallkonstellation damit unerheblich. Allerdings ist es unerlässlich, die verschiedenen Gründe für eine Einziehung und das jeweilige Entgelt gesondert in der Satzung zu regeln, da eine aus anderen Erwägungen unwirksame Klausel nicht für den Fall des Todes eines Gesellschafters aufrecht erhalten werden kann. Die satzungsmäßige Festlegung eines Einziehungsrechts unter Ausschluss eines Entgeltes fällt genau- 15.249 so wenig wie eine Fortsetzungsklausel im Personengesellschaftsrecht (vgl. Rz. 15.94) unter § 2301 BGB, da eine Schenkung an die Mitgesellschafter jedenfalls vollzogen im Sinne des § 2301 Abs. 2 BGB wäre1. Die Gesellschafter erhalten das Recht zur unentgeltlichen Einziehung – Gegenstand einer etwaigen Schenkung – automatisch mit dem Todesfall2. Ist ein Einziehungsentgelt ausgeschlossen, muss die Einziehung von Seiten der Gesellschaft zeitnah erfolgen. Andernfalls ist das Einziehungsentgelt trotz der Ausschlussklausel zu zahlen3. Denn hier greift der Tatbestand der Verwirkung des Rechts oder des Verzichts auf das Recht (den Anteil unentgeltlich einziehen zu dürfen)4. Die Satzung sollte deswegen unbedingt eine Frist enthalten (siehe bereits Rz. 15.247).

15.250

b) Abtretung Die Satzung der GmbH kann die Verpflichtung enthalten, dass die Erben den auf sie übergegangenen Anteil nach dem Tode des Erblassers an Dritte, einzelne Miterben, andere Gesellschafter oder die GmbH selbst5 abtreten müssen6. Eine solche Abtretungsklausel stellt eine bei der GmbH zulässige Nebenleistungspflicht nach § 3 Abs. 2 GmbHG dar7. Bei der AG ist es dagegen nach § 54 Abs. 1 AktG unzulässig, dem einzelnen Aktionär Nebenleistungspflichten aufzuerlegen, die nicht von § 55 AktG erfasst werden8. Deswegen können Abtretungsklauseln hier nicht zur Steuerung der Nachfolge eingesetzt werden9. Die folgenden Ausführungen beziehen sich demnach nur auf die GmbH10.

15.251

Abtretungsklauseln schließen die Vererblichkeit des Anteils nicht aus. Der Anteil fällt zunächst in den Nachlass, sodann besteht eine Verpflichtung des Erben zur rechtsgeschäftlichen Übertragung11. Es ist wegen der Vererblichkeit des Anteils nicht möglich, durch die Satzung einen automatischen Übergang des Anteils auf einen Dritten oder die GmbH anzuordnen12.

15.252

Die Abtretungsklausel kann entweder so ausgestaltet werden, dass der Dritte ein eigenes Forderungsrecht erwirbt, oder dergestalt, dass nur der GmbH ein Anspruch gegen die Erben auf Abtretung des Anteils zusteht. Im ersten Fall liegt ein echter, im zweiten ein unechter Vertrag zugunsten

15.253

1 Vgl. für die GmbH Habersack, ZIP 1990, 625. 2 Somit muss der Frage, ob in einer derartigen Satzungsbestimmung eine Schenkung liegen kann, letztendlich für die vorliegende Fallkonstellation nicht weiter nachgegangen werden. Vgl. fürs Pflichtteilsrecht Rz. 15.292. Aus erbschaftsteuerlicher Sicht liegt eine Schenkung vor, vgl. Sudhoff/von Sothen, § 54 Rz. 8. 3 MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 46. 4 Vorrangig sollte man von einer Verwirkung und bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte hierfür von einem konkludenten Verzicht ausgehen. 5 Erwirbt die Gesellschaft selbst den Anteil, ruhen die Mitgliedschaftsrechte bezüglich dieses Anteils, vgl. Roth/Altmeppen, § 33 GmbHG Rz. 30 mit Verweis auf BGH v. 30.1.1995 – II ZR 45/94, NJW 1995, 1027 (1028). 6 RG v. 15.6.1928 – II 502/27, RGZ 121, 294 (299); MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 44. 7 RG v. 15.6.1928 – II 502/27, RGZ 121, 294 (299); Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 17 m.w.N. 8 Hüffer/Koch, § 54 AktG Rz. 6. 9 Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 33. 10 Zu den steuerlichen Folgen einer Abtretungsklausel vgl. Crezelius, 2009, Rz. 340 f., 349 ff.; Ivo, ZEV 2006, 252 (255). 11 BGH v. 5.11.1984 – II ZR 147/83, NJW 1985, 2592 (2593) = MDR 1985, 209 (210). 12 BFH v. 1.7.1992 – II R 20/90, GmbHR 1993, 309 (310).

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§ 15 Rz. 15.254

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Dritter auf den Todesfall vor1. Jedenfalls ist der Begünstigte, wenn er sich nicht anderweitig dazu verpflichtet hat, nicht gezwungen, die Abtretungserklärung der GmbH oder der Erben anzunehmen. Gegenüber der Einziehung besteht der Vorteil, dass die Abtretung von der Erfüllung der Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG unabhängig ist2. Ist allerdings die Abtretung an die GmbH selbst bestimmt, müssen die Voraussetzungen des § 33 GmbHG beachtet werden, da die Abtretung sonst nichtig ist3.

15.254 Es wird empfohlen, die Gesellschaft zu ermächtigen, die Abtretung an den Dritten oder an sich selbst (im letzteren Fall unter Befreiung von § 181 BGB, die nicht in der allgemeinen Ermächtigung enthalten ist) vorzunehmen4. Allerdings muss beachtet werden, dass selbst bei Vorliegen einer solchen Ermächtigung die Vollmacht von den Erben widerrufen werden kann, da die GmbH hierbei die Erben vertritt. Der Erblasser kann die Erben zwar auf erbrechtlichem Wege dazu anhalten, die Vollmacht nicht zu widerrufen, aber dem können sich die Erben durch Ausschlagung der Erbschaft entziehen, was häufig vorkommen wird, wenn der restliche Nachlass überschuldet ist. Es kann also dazu kommen, dass die GmbH die Abtretung klageweise durchsetzen muss. Gleichwohl werden sich Rechtsstreitigkeiten durch die Vollmachtserteilung an die Gesellschaft in vielen Fällen vermeiden lassen.

15.254a M 138 Verpflichtung der Erben zur Geschäftsanteilsübertragung Erben, die danach nicht zur Nachfolge berechtigt sind, sind verpflichtet, den Geschäftsanteil auf den nachfolgeberechtigten Gesellschafter zu übertragen. Der Berechtigte kann den Anspruch unmittelbar gegen die nichtberechtigten Erben geltend machen. oder Die Erben sind verpflichtet, den Geschäftsanteil auf den oder die von der Gesellschaft benannten Personen zu übertragen.

15.255 Die Abtretung bedarf notarieller Beurkundung nach § 15 Abs. 3 GmbHG5. Der beurkundende Notar hat eine aktualisierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen, vgl. § 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG. Der Erwerber gilt der Gesellschaft gegenüber nicht als Inhaber des erworbenen Geschäftsanteils, wenn er nicht in die im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist, vgl. § 16 Abs. 1 GmbHG Eine Vinkulierung dürfte sich regelmäßig nicht auf eine Übertragung, die aufgrund einer Abtretungsklausel vorgenommen wird, beziehen6.

15.256 Abtretungsklauseln bieten sich an, wenn sich die Gesellschafter nicht darauf verlassen können oder wollen, dass der Erblasser seinen Anteil im Erbgang an die von den Gesellschaftern als Nachfolger gewünschten Personen überträgt. Der Gesellschaftsanteil bleibt jedenfalls erhalten7. In Betracht kommt auch die Kombination mit einer Einziehungsklausel8, wenn die Einziehung zu unerwünschten Ergebnissen führen kann9. Die Einziehung kann auch für den Fall bestimmt werden, dass die Erben die Abtretung an den Dritten nicht vornehmen10. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Crezelius, 2009, Rz. 328. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 20. Vgl. BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, NJW 1983, 2880. BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, NJW 1983, 2880 (2881) = MDR 1984, 123 (124). Lutter/Bayer, § 15 GmbHG Rz. 15. Vgl. Lutter/Bayer, § 15 GmbHG Rz. 9; MünchHdbGesR/Jasper, Bd. 3 § 25 Rz. 31. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 20. Formulierungsvorschlag bei Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 21. Siehe Rz. 15.246. Langner/Heydel bezeichnen die Kombination von Abtretungs- und Einziehungsklausel als „Königsweg“ für die Nachfolgesteuerung, vgl. GmbHR 2005, 377 (379). In diesem Sinne auch Ivo, ZEV 2006, 252 (255). 10 Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 20.

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Kindler/Gubitz

Unternehmensnachfolge

Rz. 15.261 § 15

Abtretungsklauseln sind ferner zweckmäßig, wenn bei einer GmbH ähnliche Wirkungen wie bei ei- 15.257 ner qualifizierten Nachfolgeklausel im Personengesellschaftsrecht erzielt werden sollen. Die Abtretungsklausel kann so gefasst werden, dass eine Abtretung an diejenigen Erben zu erfolgen hat, die bestimmte, in der Satzung näher festgelegte Kriterien erfüllen. Dann sollte die Satzung freilich auch eine Regelung für den Fall, dass kein Erbe die Kriterien erfüllt, enthalten1. Schweigt die Satzung hierzu, wird die Abtretungsklausel im Regelfall nicht so ausgelegt werden können, dass eine Abtretung an eine oder mehrere Personen, die die Kriterien erfüllt, erfolgen müsse, selbst wenn diese nicht Erbe geworden sind. Denn bestimmt eine Abtretungsklausel beispielsweise, der ererbte Anteil sei an Erben, die Abkömmlinge des verstorbenen Gesellschafters sind, abzutreten, so wird man diese Bestimmung kaum so auslegen können, dass eine Abtretung auch an solche Abkömmlinge erfolgen solle, die der Erblasser enterbt hat. Andererseits wird man auch nicht ohne weiteres ein Recht der Gesellschaft zur Einziehung des Anteils annehmen können, so dass die satzungsmäßige Festlegung der Folgen, wenn kein Erbe die Kriterien erfüllt, umso wichtiger ist. Ist die Nachfolge in die Gesellschaft nicht von der Erbenstellung abhängig, ist es zwar nicht sehr 15.258 wahrscheinlich, dass niemand aus dem – dann erweiterten – Kreis der möglichen Nachfolger die aufgestellten Kriterien erfüllt. Gleichwohl sollte die Satzung eine Regelung enthalten. Insofern bietet sich insbesondere an, den übrigen Gesellschaftern ein Erwerbsrecht einzuräumen. Ist durch die Satzung bestimmt, dass nur Abkömmlinge von Gesellschaftern zur Nachfolge berufen sind, so ist dies als Abtretungsklausel auszulegen, nach der die Miterben zur Übertragung an die Abkömmlinge zu gleichen Teilen verpflichtet sind2. Möglich und ggf. zweckmäßig kann eine Abtretungsklausel sein, die die Kriterien für die Nachfolge nicht oder nicht zu detailliert festlegt und die Auswahl des Nachfolgers der Gesellschaft oder einem Dritten überlässt. Ein Verstoß gegen das Drittbestimmungsverbot des § 2065 Abs. 2 BGB ist dies nicht, weil es sich um einen rechtsgeschäftlichen, nicht um einen erbrechtlichen Erwerb der Beteiligung handelt3. In Folge einer Abtretung entsteht für die weichenden Erben grundsätzlich ein Abfindungsanspruch4, der sich nach dem vollen Verkehrswert bemisst5. Schuldner des Anspruchs ist mangels anderweitiger Bestimmungen der Abtretungsbegünstigte6, nicht, wie bei der Einziehung (siehe Rz. 15.248), die GmbH. Diese Abfindung kann jedoch ebenso wie in anderen Fällen, in denen Nachfolgeregelungen in Rede stehen, ausgeschlossen oder zumindest beschränkt werden7. Denn es obliegt der Privatautonomie des Erblassers, in welcher Gestalt die Erben den Nachlass erhalten. Daher kann auch eine Verpflichtung zur Abtretung ohne Abfindungsanspruch bestimmt werden.

15.259

Wie bei der Einziehung muss die Entscheidung, die Abtretung zu verlangen, zeitnah getroffen werden, 15.260 da der Abfindungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Verzichts oder der Verwirkung sonst doch entsteht8. Die Satzung sollte damit jedenfalls eine Frist enthalten, innerhalb derer die Abtretung verlangt werden muss. Es empfiehlt sich, die Mitverwaltungsrechte der eintretenden Erben bis zur Abtretung ruhen zu lassen9. Abtretungsklauseln unter Ausschluss einer Abfindungszahlung fallen nicht unter § 2301 BGB; wie in den anderen Fallkonstellationen10 liegt jedenfalls ein Vollzug zu Lebzeiten hinsichtlich des Schenkungsgegenstandes (hier: des Rechts, die Abtretung zu verlangen) vor, so dass der Frage, ob eine Schen1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 45. OLG Koblenz v. 19.1.1995 – 6 U 829/93, GmbHR 1995, 586 (587). A.A. offenbar Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 28. Crezelius, 2009, Rz. 329; Lutter/Bayer, § 15 GmbHG Rz. 9. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 19. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 22; Lutter/Bayer, § 15 GmbHG Rz. 9. BGH v. 20.12.1976 – II ZR 115/75, GmbHR 1977, 81 (83). Siehe bereits Rz. 15.250; MünchKomm/Leipold, § 1922 BGB Rz. 46 (Verwirkung oder Verzicht). Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 19. Vgl. Rz. 15.94, 15.110, 15.114, 15.249.

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15.261

§ 15 Rz. 15.262

Unternehmensnachfolge

kung zugunsten des Begünstigten vorliegt, in diesem Zusammenhang (vgl. aber Rz. 15.292) nicht nachgegangen werden muss. c) Kaduzierung

15.262 Die Kaduzierung nach §§ 21 ff. GmbHG ist normalerweise ein Instrument zur Ausschließung von Gesellschaftern, die ihrer Verpflichtung zur Einlageleistung nicht nachkommen1. Es ist jedoch für die GmbH anerkannt, dass die Kaduzierung satzungsmäßig auch für andere Fälle bestimmt werden kann, sofern ein sachlicher Grund hierfür besteht2. Die Nachfolgeregelung stellt nach ganz h.M. einen solchen Grund dar3. Der Vorteil der Kaduzierung gegenüber der Einziehung besteht insbesondere darin, dass der Anteil nicht untergeht4, so dass er einem vorgesehenen Nachfolger zur Verfügung gestellt werden kann5. Sie kann insbesondere hilfsweise für den Fall, dass die Erben ihre Verpflichtung zur Abtretung an einen Dritten oder die Gesellschaft nicht erfüllen, bestimmt werden. Das Verfahren der Kaduzierung richtet sich nach den §§ 21 ff. GmbHG; diese Vorschriften sind bei einer Kaduzierung nach dem Tode eines Gesellschafters entsprechend anzuwenden6. Wenn die Kaduzierung die Regelung der Nachfolge im Todesfall eines Gesellschafters betrifft, ist § 2301 BGB ebenso wenig wie bei den anderen Gestaltungsmöglichkeiten anwendbar7.

15.263 Bei der AG findet eine Kaduzierung im Todesfall nicht statt. § 64 AktG, der die Kaduzierung bei der AG regelt, kann nicht auf andere Sachverhalte ausgedehnt werden8; insoweit verhindert das Prinzip der Satzungsstrenge gemäß § 23 Abs. 5 AktG eine entsprechende satzungsmäßige Regelung.

15.263a M 139 Kaduzierungsklausel (GmbH) Kommen die Erben der Aufforderung der Gesellschaft zur Abtretung des Geschäftsanteils innerhalb der bestimmten Frist nicht nach, ist diese berechtigt, den Geschäftsanteil zu kaduzieren. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung des Kaduzierungsverfahrens gem. § 21 GmbHG finden keine Anwendung. Die Gesellschaft ist berechtigt, den kaduzierten Geschäftsanteil unter Berücksichtigung der Abfindungsansprüche der Erben gem. § … frei zu verwerten. Der Erlös steht den Erben als Abfindung zu.

d) Schuldrechtliche Nebenabreden

15.264 Abtretungsklauseln und die Möglichkeit der Kaduzierung stehen den Aktionären einer AG nicht zur Verfügung; die Einziehung des Anteils ist meist mit größerem Aufwand verbunden als bei der GmbH. Bei der AG kann aber ebenfalls ein Bedürfnis für eine Feinsteuerung der Nachfolge gegeben sein. Hierfür bieten sich Aktionärsvereinbarungen an, die etwa in Form von Poolverträgen oder Konsortialverträgen vorkommen9. Bei schuldrechtlichen Nebenabreden besteht eine weitgehende Gestaltungsfrei1 2 3 4 5

6 7 8 9

Lutter/Bayer, § 21 GmbHG Rz. 1. Baumbach/Hueck/Fastrich, § 21 GmbHG Rz. 2. MünchHdbGesR/Jasper, § 25 Bd. 3 Rz. 42. Baumbach/Hueck/Fastrich, § 21 GmbHG Rz. 12. Das rechtliche Schicksal des Anteils nach der Kaduzierung (subjektloses Recht – so die Rechtsprechung, vgl. RG v. 3.6.1916 – Rep. V. 70/16, RGZ 98, 278; BGH v. 13.7.1964 – II ZR 110/62, BGHZ 42, 92 = MDR 1964, 828, oder Inhaberschaft der GmbH – so die ganz h.M., vgl. die Nachweise bei Baumbach/ Hueck/Fastrich, § 21 GmbHG Rz. 12) ist noch nicht abschließend geklärt. MünchHdbGesR/Jasper, Bd. 3, § 25 Rz. 44. Vgl. oben Rz. 15.94, 15.110, 15.114, 15.249, 15.261. MünchKomm/Bayer, § 64 GmbHG Rz. 6. Wälzholz, DStR 2004, 819; Rothärmel, Gestaltungsfreiheit der Familiengesellschafter im deutschen und U.S.-amerikanischen Aktienrecht, S. 89 ff. und, ZEV 2006, 435 (437).

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Rz. 15.268 § 15

heit, aktienrechtliche Beschränkungen wie das Verbot von Nebenleistungspflichten oder das Prinzip der Satzungsstrenge kommen nicht zur Anwendung. Die sonstigen zur Verfügung stehenden Nachfolgeregelungen können in diesem Rahmen weitgehend verwirklicht werden. Steht z.B. eine AG im Mehrheitsbesitz einer Familie, so kommen Vorkaufs- und Ankaufsrechte für 15.265 bestimmte Aktionäre oder Stimmrechtsvereinbarungen in Betracht1. Ferner können die Aktien verschiedener Aktionäre in eine Personengesellschaft (die in aller Regel GbR sein wird) eingebracht werden2. Denn dann kann sich die Nachfolge im Ergebnis nach den Grundsätzen über die Vererbung von Personengesellschaftsanteilen (siehe Rz. 15.85–15.127) vollziehen, so dass mehr Flexibilität hinsichtlich der Nachfolgeregelung besteht3. Die GbR ist in diesem Falle Inhaberin der Aktien und wird bei Namensaktien auch als solche ins Aktienregister eingetragen4. Trotz der Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der GbR5 wird vertreten, die GbR könne ihre Rechte aus der Aktie analog § 69 Abs. 1 AktG nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausüben; auch § 69 Abs. 3 AktG sei analog anzuwenden6. 4. Haftungsordnung Haftungsfragen können auch bei Kapitalgesellschaften entstehen, weil eine persönliche Haftung der Gesellschafter für offene Einlageverpflichtungen, etwa in Folge einer Kapitalerhöhung, und bei der GmbH auch für Nachschusspflichten und Rückzahlungsverpflichtungen nach den §§ 30 ff. GmbHG bestehen kann.

15.266

Nachfolger, die den Anteil rechtsgeschäftlich erwerben, etwa in Folge einer Abtretungsklausel oder der Auseinandersetzung einer Miterbengemeinschaft, haften für derartige Verbindlichkeiten jedenfalls unbeschränkbar mit dem gesamten persönlichen Vermögen.

15.267

Die Erben haften für diese Altschulden gemäß §§ 1975 ff. BGB auf den Nachlass beschränkbar7. 15.268 Diese Haftung entfällt im Verhältnis zur Gesellschaft nicht dadurch, dass die satzungsmäßig angeordneten Nachfolgeregelungen vollzogen werden, etwa eine Abtretung an einen Dritten oder Miterben vorgenommen wird8. Allerdings ist fraglich, ob die Beschränkungsmöglichkeit für Altschulden dann entfällt, wenn die Erbengemeinschaft den Anteil gesamthänderisch auf Dauer hält, ohne dass eine Auseinandersetzung erfolgt. Hier wird teilweise angenommen, es trete dann eine unbeschränkbare Haftung für Altschulden ein, wenn die Nachfolge der Miterbengemeinschaft „endgültig geworden“ ist9 bzw. wenn die Erben den Anteil von der Nachlassteilung ausnehmen10. Dagegen spricht aber, dass eine derartige Veränderung der Haftungslage anders als bei Personenhandelsgesellschaften (§ 130 HGB) nicht gesetzlich bestimmt ist und somit einer Rechtsgrundlage entbehrt. Man wird auch nicht annehmen können, dass die Erben durch den endgültigen Verbleib in der Gesellschaft konkludent eine persönliche Verpflichtung hinsichtlich der Altschulden übernehmen. Denn das Behalten des Anteils muss nicht immer der freien Entscheidung der Erben entspringen. Vielmehr gibt 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 38. Rothaermel, ZEV 2006, 435 (437). Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 38. MünchKomm/Bayer, § 67 AktG Rz. 27, der allerdings aus Gründen der Registerpublizität auch die Eintragung von Adressen und Geburtsdaten der einzelnen Gesellschafter fordert; vgl. § 162 Abs. 1 HGB. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 = MDR 2001, 459. MünchKomm/Bayer, § 69 AktG Rz. 9; a.A. Hüffer/Koch, § 69 AktG Rz. 3. Vgl. Lutter/Bayer, § 18 GmbHG Rz. 5; Baumbach/Hueck/Fastrich, § 18 GmbHG Rz. 8; Scholz/Seibt, § 18 GmbHG Rz. 27. Im Verhältnis zu demjenigen, der den Anteil aufgrund der satzungsmäßigen Nachfolgeregelung erhält, bestehen aber insoweit Schuldbefreiungs- bzw. Regressansprüche, vgl. oben Rz. 15.140 f., 15.150, 15.162. Trotz in Groll, 2. Aufl. 2005, B XI Rz. 325. Scholz/Seibt, § 18 GmbHG Rz. 28.

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§ 15 Rz. 15.269

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es Fälle, in denen es keinen Markt für den Anteil gibt und dieser nicht veräußert werden kann. Es wäre dann nicht sachgerecht, wenn sich die Erben der unbeschränkbaren Haftung lediglich durch Ausschlagung der Erbschaft entziehen könnten, denn dies ist sonst auch nicht der Fall und kann insbesondere dann für die Erben belastend sein, wenn neben dem Anteil noch andere Gegenstände im Erblasservermögen vorhanden sind, die den Erben wichtig sind. Schließlich wäre ein Miterbe gegenüber einem Alleinerben benachteiligt, denn woraus sollte sich eine Beendigung der beschränkbaren Haftung beim Alleinerben ergeben, selbst wenn dieser den Anteil auf Dauer behält? Ein Miterbe würde also mit dem gesamten persönlichen Vermögen haften, der Alleinerbe beschränkbar – ein keinesfalls sachgerechtes Ergebnis.

15.269 Hinsichtlich der Neuschulden wird angenommen, die Haftung sei auf den Nachlass beschränkbar, wenn die Verbindlichkeiten vor Auseinandersetzung bzw. Abtretung an die zur Nachfolge berufene Person eingegangen werden1. Für Verbindlichkeiten, die nach diesem Zeitpunkt begründet werden, besteht jedenfalls keine Haftung der Erben mehr. Diese Abgrenzung stößt jedoch wiederum auf Probleme, wenn die Miterbengemeinschaft auf Dauer in der Gesellschaft verbleibt oder nur ein Erbe vorhanden ist. Hier wird vorgeschlagen, die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit ab dem Zeitpunkt zu versagen, ab dem die Nachfolge im Sinne des Gesellschaftsvertrags „endgültig“ geworden ist2. Allerdings wird sich dieser Zeitpunkt häufig nicht genau bestimmen lassen. Deswegen erscheint es vorzugswürdig, danach zu unterscheiden, ob die Satzung die oder den Erben zur Abtretung des Anteils verpflichtet oder eine Einziehungs- bzw. Ausschließungsklausel enthält. Ist dies nicht der Fall, ist der Erwerb des Anteils durch die Erben bzw. die Miterbengemeinschaft in gesamthänderischer Verbundenheit von vornherein „endgültig“, da die Frage, welche Stellung die Erben innerhalb der Gesellschaft einnehmen, nicht von etwaigen freiwilligen Veräußerungen des Anteils oder Auseinandersetzungen der Erbengemeinschaft zu einem späteren Zeitpunkt abhängen kann. In diesem Fall sollte den Erben keinerlei Haftungsbeschränkungsmöglichkeit für Neuschulden gewährt werden, denn es handelt sich bei der Begründung von Neuverbindlichkeiten aus Sicht der Erben von Anfang an nicht um Nachlassverwaltungsschulden, sondern solche, die aus der Stellung als vollwertiger Gesellschafter erwachsen. Sind die Erben dagegen zur Abtretung verpflichtet oder kann die Gesellschaft den Anteil einziehen oder die Erben ausschließen, sollte die Haftung für Neuschulden bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Abtretung, Einziehung oder Kaduzierung erfolgt, beschränkbar sein.

15.270 Für die AG gelten die vorstehenden Grundsätze entsprechend. Allerdings wird auf die „selbständige Haftungsfolge“ des § 67 Abs. 2 AktG hingewiesen3. Hätten sich die Erben gegenüber der AG als Erwerber angemeldet, könnten sie keine Haftungsbeschränkung mehr auf den Nachlass geltend machen4. Es ist aber nicht einsichtig, warum die Erben einer Haftungsbeschränkungsmöglichkeit für Altschulden nur durch die Anmeldung gegenüber der AG verlustig gehen sollten5. Denn es ist allgemein anerkannt, dass die Eintragung ins Aktienregister für die materielle Rechtslage ohne Bedeutung ist6. Der Normzweck des § 67 Abs. 2 AktG gebietet eine derartige Haftungsverschärfung ebenfalls nicht. Der Gesellschaft und deren Gläubigern steht nach der Eintragung die gleiche Haftungsmasse wie vorher – der Nachlass des Erblassers – zur Verfügung7.

1 2 3 4 5

Trotz in Groll, 2. Aufl. 2005, B XI Rz. 325. Trotz in Groll, 2. Aufl. 2005, B XI Rz. 325. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 41. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 41; Hüffer/Koch, § 67 AktG Rz. 15. So auch MünchKomm/Bayer, § 67 AktG Rz. 65 m.w.N.: Die gegenteilige Ansicht entbehre jeglicher Rechtsgrundlage. 6 Vgl. MünchKomm/Bayer, § 67 AktG Rz. 36 m.w.N. 7 MünchKomm/Bayer, § 67 AktG Rz. 65.

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Rz. 15.276 § 15

5. Erbrechtliche Gestaltungsoptionen a) Teilungsanordnung Die Teilungsanordnung verhindert, dass entweder die schwerfällige Miterbengemeinschaft auf 15.271 Dauer Gesellschafterin bleibt oder nach Auseinandersetzung eine Vielzahl von Gesellschaftern vorhanden ist1. Die Teilungsanordnung kann eine in der Satzung bestimmte Nachfolge flankieren, wenn nur ein bestimmter Nachfolger zugelassen ist; diesem kann der Anteil mittels der Teilungsanordnung zugewendet werden. Der Nachfolger muss allerdings einen Wertausgleich leisten, wenn der Wert des Anteils den der Erbquote übersteigt. Dieser Wertausgleich kann in der Form geleistet werden, dass den weichenden Erben eine Unterbeteiligung eingeräumt wird. Bei der AG sollten keine Teilgesellschaftsanteile durch eine Teilungsanordnung verteilt werden, denn die Teilung von Aktien ist nach § 8 Abs. 3 AktG nicht möglich. Bei der GmbH bedarf die Teilung eines Anteils nach Streichung des § 17 GmbHG nicht mehr der Genehmigung der Gesellschaft. Wenn die Teilung des Geschäftsanteils durch die Satzung ausdrücklich ausgeschlossen ist, bestimmt die Teilungsanordnung zumindest den Anteil der einzelnen Erben an der Gesamthandsgemeinschaft am Geschäftsanteil. Die Teilungsanordnung ist also in einem solchen Fall nicht unwirksam, sondern lediglich im Verhältnis zur Gesellschaft undurchführbar2.

15.272

Die Frage, ob sich Vinkulierungsklauseln auch auf eine Übertragung zur Durchführung einer Teilungsanordnung beziehen, wird für die GmbH negativ, für die AG positiv beantwortet (vgl. Rz. 15.236). Die Übertragung des GmbH-Anteils bedarf der notariellen Beurkundung nach § 15 Abs. 3 GmbHG (vgl. Rz. 15.236).

15.273

b) Vermächtnis Ein Vermächtnis bezüglich des Gesellschaftsanteils bietet sich insbesondere bei der GmbH in der Form 15.274 des Vorausvermächtnisses an, wenn die Satzung vorsieht, dass nur bestimmte Erben in die Gesellschaft nachrücken dürfen (vgl. Rz. 15.257), weil der Vermächtnisnehmer, der die Voraussetzungen der Nachfolgeklausel erfüllt – anders als der Begünstigte einer Teilungsanordnung – den Miterben nicht zum Ausgleich verpflichtet ist3. Dies wird vom Erblasser oftmals gewollt sein. Anteile werden aber auch in vielen anderen Fällen Gegenstand von Vermächtnissen sein. Hierdurch wird immerhin das aus Sicht der Gesellschaft vorteilhafte Ergebnis erzielt, dass die Miterbengemeinschaft nicht auf Dauer Mitglied der Gesellschaft ist. Im Zuge der Erfüllung des Vermächtnisses wird der Anteil an den Vermächtnisnehmer übertragen. Der Vermächtnisnehmer muss nach Erwerb eines GmbH-Anteils nach § 16 Abs. 1 GmbHG in die Gesellschafterliste eingetragen werden, denn andernfalls gilt der Erbe gegenüber der Gesellschaft weiterhin als Gesellschafter. Unterschiedlich wird zumindest für die GmbH beurteilt, ob sich eine Vinkulierung auch auf eine Übertragung im Wege des Vermächtnisses bezieht; bei der AG entspricht dies der ganz h.M. (siehe hierzu Rz. 15.236).

15.275

Der Testator muss darauf achten, dass der Bedachte auch nach den Bestimmungen der Satzung zur 15.276 Nachfolge berechtigt ist. Ist dies nicht der Fall, ist den Erben die Erfüllung des Vermächtnisses objektiv unmöglich im Sinne des § 2171 Abs. 1 BGB. Ist die Erfüllung aufgrund einer Vinkulierung des Anteils von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig, ist fraglich, ob ein Fall von § 2171 Abs. 1 BGB4 oder –

1 Zu steuerlichen Fragen vgl. Ivo, ZEV 2006, 252 (256). 2 Vgl. bereits Rz. 15.236, auch zur Frage der Genehmigungsfreiheit, wenn ein Anteil an einen Miterben veräußert wird und die Satzung Veräußerungen an Mitgesellschafter von dem Genehmigungserfordernis ausnimmt. 3 Zu steuerlichen Fragen vgl. Ivo, ZEV 2006, 252 (256). 4 So Hachenburg/Zutt, Anh. § 15 GmbHG Rz. 112.

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§ 15 Rz. 15.277

Unternehmensnachfolge

bei nachträglicher Verweigerung der Genehmigung – von § 275 Abs. 1 BGB1 gegeben ist. Für die erstgenannte Ansicht spricht immerhin, dass die schwebende Unwirksamkeit, die in Folge einer Veräußerung ohne Zustimmung eintreten würde, ein Spezialfall der Nichtigkeit ist. Sie lässt jedoch außer Acht, dass eine Zustimmung der Gesellschaft ja erteilt werden kann und in vielen Fällen auch werden wird. Die Veräußerung ist damit zur Zeit des Erbfalls nicht objektiv unmöglich. Vorzugswürdig erscheint es deshalb, die Problematik über § 275 BGB zu lösen. Das Vermächtnis ist daher wirksam und die Erben würden lediglich von ihrer Pflicht zur Leistung frei, wenn die Gesellschaft die Zustimmung verweigert. In einem derartigen Fall wird es häufig dem Erblasserwillen entsprechen, dass die Erben dem Vermächtnisnehmer entsprechenden Wertersatz schulden oder verpflichtet sind, ihm die vermögensrechtlichen Ansprüche aus der Beteiligung abzutreten2. Auch eine Abtretung des Anspruchs des Vermächtnisnehmers an Dritte, die etwaige satzungsmäßige Anforderungen erfüllen oder denen gegenüber die Genehmigung erteilt wurde, dürfte vom Erblasserwillen häufig umfasst und damit zulässig sein3. c) Vor- und Nacherbfolgeanordnung

15.277 Bei einer Vor- und Nacherbfolgeanordnung wird der Vorerbe zunächst Inhaber des Anteils mit allen Rechten und Pflichten, inklusive der Nebenleistungspflichten4. Im Nacherbfall rückt der Nacherbe in diese Stellung ein5.

15.278 Problematisch ist der Fall, in dem nach der Satzung die Nachfolge an bestimmte Kriterien gebunden ist (siehe Rz. 15.251 ff.) und der Vorerbe diese Kriterien nicht erfüllt. Für die Personengesellschaft hat die Rechtsprechung entschieden, dass eine entsprechende gesellschaftsvertragliche Klausel in ein Eintrittsrecht für den Nacherben umgedeutet werden könne und dem Vorerben zumindest die mit der Beteiligung verbundenen Vermögensrechte zustehen6. Es wird vorgeschlagen, diese Lösung auch auf Kapitalgesellschaften zu übertragen7. Sie begegnet allerdings in vielen Fällen Bedenken (vgl. Rz. 15.187). Hat der Erblasser den Nacherbfall für einen bestimmten Zeitpunkt angeordnet, weil der Nacherbe noch nicht weit genug für eine Beteiligung an der Gesellschaft ist, so entspricht die sofortige Einräumung der Gesellschafterstellung nicht dem Willen des Erblassers. Dann ist eine Umdeutung der entsprechenden Satzungsbestimmung, nach der der Anteil einzuziehen und der Nacherbe im Nacherbfall an der Gesellschaft zu beteiligen ist, sachgerecht. Das entspricht der vorgeschlagenen Lösung bei den Personengesellschaften, nach der ein Eintrittsrecht des Nacherben im Nacherbfall anzunehmen ist (siehe Rz. 15.187). Die Vermögensrechte können auch hier von den Gesellschaftern für den Vorerben treuhänderisch gehalten werden.

15.279 Wie im Personengesellschaftsrecht (siehe Rz. 15.184 f.) kann fraglich sein, inwiefern in der Ausübung der Verwaltungsrechte durch den Vorerben eine unentgeltliche Verfügung im Sinne des § 2113 Abs. 2 BGB liegen kann. Erfolgen Satzungsänderungen einseitig zu Lasten des Anteils des Erblassers, ohne dass ein entsprechender Ausgleich erfolgt, so sind diese unwirksam (siehe Rz. 15.184). Das Risiko, dass eine Verfügung des Vorerben unwirksam sein könnte, ist den Mitgesellschaftern oft unerwünscht. Der Eintritt eines Vorerben in die Gesellschaft kann jedoch satzungsmäßig ausgeschlossen werden8.

15.280 Hinsichtlich der Frage, inwieweit Gewinne dem Vorerben oder dem Nacherben zustehen, gelten ebenfalls dieselben Grundsätze wie im Personengesellschaftsrecht (siehe Rz. 15.182). Bezugsrechte auf junge Aktien und die sich aufgrund einer Kapitalerhöhung ergebenden Rechte gehören zum Nachlass und 1 2 3 4 5 6

Ulmer/Habersack/Winter/Löbbe, § 15 GmbHG Rz. 22 m.w.N. Ulmer/Habersack/Winter/Löbbe, § 15 GmbHG Rz. 22 m.w.N. Vgl. BGH v. 28.1.1960 – II ZR 236/57, BGHZ 32, 35 (41 f.). = MDR 1960, 380 (386 f.). Vgl. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 8. Zur steuerlichen Behandlung vgl. § 6 ErbStG. BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, NJW 1978, 264 = MDR 1978, 119 (für ein aufschiebend bedingtes Vermächtnis). 7 Trotz in Groll, 2. Aufl. 2005, B XI Rz. 321. 8 Vgl. zu den einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten oben Rz. 15.239–15.270.

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Rz. 15.284 § 15

fallen mit dem Nacherbfall an den Nacherben1. Eine Veräußerung der Anteile ist dem Vorerben möglich, und zwar auch dann, wenn er über alle Anteile verfügt2. Die Gegenleistung unterfällt aber dem Surrogationsprinzip. § 2113 BGB ist nicht anwendbar, selbst wenn zum Gesellschaftsvermögen vorwiegend Grundstücke gehören3. d) Bedingungen, Straf- und Verwirkungsklauseln, Auflagen Zurückhalten sollte sich der Testator mit dem Versuch, die Erben durch erbrechtliche Gestaltungs- 15.281 optionen zu einem bestimmten Verhalten bezüglich des Anteils zu zwingen. Ordnet er an, dass der Erbe über den Anteil nicht verfügen soll, so kann es dazu kommen, dass sich der Erbe aufgrund einer Änderung des Gesellschafterkreises Personen gegenübersieht, die der Erblasser bei seiner letztwilligen Verfügung nicht vor Augen hatte. Das kann für den Erben sehr belastend sein. Gleiches gilt für erbrechtliche Anordnungen, die sich auf eine den Wünschen des Erblassers genehme Stimmrechtsausübung beziehen (vgl. hierzu bereits Rz. 15.192). Hier kann es sogar zu Widersprüchlichkeiten zur gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht des nachgerückten Gesellschafters kommen. Zumindest sollte der Erblasser darauf achten, dass seine letztwilligen Anordnungen mit der Satzung korrelieren. Ordnet der Erblasser erbrechtlich eine Veräußerung des Anteils unter gewissen Umständen an, kann eine solche Anordnung an einer Vinkulierung des Anteils scheitern und den Erben so in ungewollte Schwierigkeiten bringen. Einer Anordnung, der Erbe habe bestimmte Handlungen des Testamentsvollstreckers zu dulden, kann das satzungsmäßige Verbot der Ausübung der Gesellschafterrechte durch einen Testamentsvollstrecker entgegenstehen. Aus den vorgenannten Gründen sollte der Erblasser von Bedingungen, Straf- und Verwirkungsklauseln und Auflagen bezüglich des Kapitalgesellschaftsanteils eher sparsamen Gebrauch machen. e) Testamentsvollstreckung Der Anteil an einer Kapitalgesellschaft unterliegt einer angeordneten Verwaltungsvollstreckung4. Es ist keine Zustimmung der Mitgesellschafter erforderlich, und zwar nach einhelliger Meinung selbst dann nicht, wenn die Satzung eine Vinkulierungsklausel enthält5. Auch in personalistisch strukturierten Kapitalgesellschaften ist keine Zustimmung der Mitgesellschafter erforderlich6.

15.282

Der Testamentsvollstrecker nimmt die ihm nach §§ 2203 ff. BGB eingeräumten Befugnisse grundsätzlich in vollem Umfang wahr7, übt also alle Gesellschafterrechte aus, was u. a. auch die entgeltliche Anteilsveräußerung und die Kündigung der Beteiligung umfasst8. Bei der AG beschränkt sich die Tätigkeit des Testamentsvollstreckers im Wesentlichen auf die Ausübung der Rechte in Bezug auf die Hauptversammlung9. Die Erben können neben dem Testamentsvollstrecker keinen gemeinschaftlichen Vertreter nach § 69 Abs. 1 AktG bestellen (vgl. Rz. 15.235).

15.283

Grenzen für die Befugnisse des Testamentsvollstreckers ergeben sich daraus, dass er lediglich den Nachlass verwaltet und Verbindlichkeiten nur für den Nachlass eingehen darf, vgl. §§ 2205, 2206 BGB. Der Testamentsvollstrecker kann deswegen ohne Zustimmung der Erben keine persönlichen

15.284

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Sudhoff/Scherer, § 8 Rz. 31. MünchKomm/Grunsky, § 2112 BGB Rz. 4. Siehe Rz. 15.183 und MünchKomm/Grunsky, § 2113 BGB Rz. 6. Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 140. Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 7; MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 51; J. Mayer, ZEV 2002, 209 (210). MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 51; Ulmer/Habersack/Winter/Löbbe, § 15 GmbHG Rz. 29. Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 140. MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 52; Werkmüller, ZEV 2006, 491. Zur Frage, wie sich die Testamentsvollstreckung auf schuldrechtliche Nebenabreden zwischen Aktionären (vgl. zu diesen Rz. 15.264 f.) auswirkt, vgl. Frank, ZEV 2002, 389 (391).

Kindler/Gubitz

685

§ 15 Rz. 15.285

Unternehmensnachfolge

Nebenleistungspflichten begründen. Dieser Aspekt ist vor allem relevant bei Kapitalerhöhungen gegen Einlageleistungen und Umwandlungen1. Die entsprechenden Maßnahmen, wie etwa die Ausübung eines Bezugsrechts2, sind zwar im Grundsatz vom Herrschaftsbereich des Testamentsvollstreckers gedeckt. Allerdings wird hier zu Recht die Zustimmung der Erben gefordert, wenn eine persönliche Haftung der Erben droht3. So muss bei einer Kapitalerhöhung der Erwerb der Anteile aus sonstigen Nachlassmitteln sichergestellt sein. Auch die Mittel für eine etwaige Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG müssen aus dem Nachlass bereitgestellt werden können, wenn nicht ohnehin die Einlagen sofort erbracht werden. Gleiches gilt für die Neugründung von Gesellschaften4.

15.285 Nach § 2205 S. 3 BGB sind unentgeltliche Verfügungen nur wirksam, soweit sie einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen. Hier kann sich, wie bei Vor- und Nacherbschaft, die schwierig zu beurteilende Frage ergeben, unter welchen Voraussetzungen die Mitwirkung des Testamentsvollstreckers bei der Stimmabgabe eine unentgeltliche Verfügung im Sinne der Vorschrift darstellt (siehe Rz. 15.207).

15.286 Ferner können sich Einschränkungen der Befugnisse des Testamentsvollstreckers aus der Satzung der Gesellschaft ergeben. Diese kann die Ausübung von Gesellschafterrechten durch einen Testamentsvollstrecker ausschließen oder beschränken5. Ein derartiger Ausschluss erfasst allerdings nicht die rein vermögensrechtlichen Ansprüche, also die „Außenseite“ der Beteiligung6. Bei seiner Wahl zum Geschäftsführer oder seiner Entlastung als Geschäftsführer darf der Testamentsvollstrecker nur mitwirken, wenn er von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist7. Fraglich ist, ob auch die Kernbereichslehre den Befugnissen des Testamentsvollstreckers Grenzen setzt. Dies dürfte zu verneinen sein, weil die Kernbereichslehre das Verhältnis der Gesellschafter untereinander, nicht aber dasjenige eines Gesellschafters zu Dritten, wie hier dem Testamentsvollstrecker, betrifft8. Dagegen ist der Testamentsvollstrecker nicht zur Ausübung höchstpersönlicher Rechte befugt9. Darunter können beispielsweise bei der GmbH Geschäftsführungsbefugnisse fallen, doch ist hier zu differenzieren10: Sind diese auf die Person des Gesellschafter-Erben zugeschnitten, dürften sie höchstpersönlicher Natur sein und von der Testamentsvollstreckung nicht erfasst werden. Stellt die Geschäftsführungsbefugnis dagegen ein Sonderrecht dar, das mit dem Geschäftsanteil als solchem verbunden ist, dürften sie vom Testamentsvollstrecker auszuüben sein.

15.287 Insgesamt hat der Testamentsvollstrecker nach dem Gesagten weitgehende Befugnisse. Möchte der Erblasser etwa vermeiden, dass der Testamentsvollstrecker den Anteil veräußert, sollte er dies letztwillig verfügen, so wie es überhaupt angezeigt ist, dass der Erblasser die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers im Einzelnen möglichst genau festlegt.

1 Zu den Folgen einer Umwandlung für die Stellung des Testamentsvollstreckers eingehend Staudinger/ Reimann, § 2205 BGB Rz. 147. 2 Vgl. Frank, ZEV 2002, 389 (393). 3 Sudhoff/Scherer, § 9 Rz. 57; MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 52; Frank, ZEV 2002, 389 (393); Ulmer/Habersack/Winter/Löbbe, § 15 GmbHG Rz. 32; Scholz/Seibt, § 15 GmbHG Rz. 208a. 4 Staudinger/Reimann, § 2205 GmbHG Rz. 146. 5 So entschieden von OLG Frankfurt/M. v. 16.9.2008 – 5 U 187/07, ZEV 2008, 606 m.w.N. Allerdings nicht unstrittig, vgl. J. Mayer, ZEV 2002, 209 (210 m.w.N.). 6 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 142 m.w.N.; MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 52. 7 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 140; MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 82. 8 MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 52 a.E.; Sudhoff/Scherer, § 9 Rz. 57; Muscheler, Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, 1994, S. 506 ff.; a.A. Priester, FS Stimpel (1985), S. 463, 481; Reimann, DNotZ 1990, 190; Weidlich, ZEV 1994, 206 (208). 9 Staudinger/Reimann, § 2205 BGB Rz. 141. 10 So J. Mayer, ZEV 2002, 209 (210) mit Nachweisen auch zu abweichenden Meinungen.

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Kindler/Gubitz

Unternehmensnachfolge

Rz. 15.292 § 15

6. Pflichtteilsrecht Die Ausführungen zur Pflichtteilsvermeidung bei Einzelunternehmen und Personengesellschaftsanteilen können für Kapitalgesellschaftsanteile entsprechend herangezogen werden1.

15.288

Anteile an Kapitalgesellschaften sind für Pflichtteilszwecke ebenso wie Personengesellschaftsanteile mit dem vollen Wert anzusetzen, also dem Verkehrswert2. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften ist grundsätzlich der Börsenkurs maßgeblich3. Von diesem kann abgewichen werden, wenn besondere Bewertungsumstände vorliegen, etwa Paketbeteiligungen besonderen mitgliedschaftsrechtlichen Einfluss vermitteln4, nach h.M. auch dann, wenn er ungewöhnlich hoch oder niedrig lag5.

15.289

Wie bei den Personengesellschaften (vgl. Rz. 15.218 ff.) stellt sich jedoch die Frage, inwieweit ein Abschlag vorzunehmen ist, wenn die Satzung besondere Regelungen enthält. Insoweit ist es sachgerecht, einen Bewertungsabschlag vorzunehmen, wenn eine Vinkulierung die Veräußerung des Anteils ausschließt, weil der Erbe den Anteil nicht zur Befriedigung von Pflichtteilsansprüchen verwerten kann. Insoweit ist eine Unterscheidung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften nicht veranlasst6.

15.290

Auch Klauseln, die eine Einziehung oder Abtretung des Anteils nach dem Tode eines Gesellschaf- 15.291 ters an Mitgesellschafter oder Dritte vorsehen, sollten so wie entsprechende personengesellschaftsvertragliche Regelungen behandelt werden7, wobei zu berücksichtigen ist, dass eine Einziehung oder Abtretung nicht automatisch erfolgt, ein Verlust des Anteilswertes also nicht zwangsläufig ist. Deswegen kann nicht ohne weiteres auf die Höhe des zu zahlenden Abfindungsentgeltes abgestellt werden. Auch eine Differenzierung danach, ob letztlich eine Einziehung oder Abtretung erfolgt und demnach die Berechnung entweder anhand des Anteilswerts oder des Abfindungsentgelts vorzunehmen ist, ist nicht möglich8, da der Nachlasswert zum Stichtag berechnet werden muss. Entspricht der Abfindungsanspruch dem Anteilswert, kann dieser herangezogen werden. Ist das zu leistende Abfindungsentgelt dagegen geringer oder der Anspruch gar, wie häufig, vollumfänglich ausgeschlossen, so ist ein Abschlag vom Anteilswert vorzunehmen, der berücksichtigt, dass der Anteil mit der Gefahr der Einziehung bzw. Abtretung belastet ist9. Kommt der Abfindungsanspruch wertmäßig nahe an den Anteilswert heran, ist die Gefahr, dass die Erben den Anteil verlieren, regelmäßig geringer, und der Nachlasswert ist höher einzuschätzen. Ist der Abfindungsanspruch ausgeschlossen, ist diese Gefahr erheblich. Erscheint danach ein Verlust des Anteils als fast sicher, ist der Anteilswert gering bis unerheblich. Auch hier entsteht danach – wie bei Personengesellschaften – das Problem, dass die Pflichtteilsberechtigten durch die Vereinbarungen von Abfindungsausschlüssen benachteiligt werden könnten. Deswegen sollte in entsprechenden Satzungsregelungen eine unentgeltliche Leistung an die Mitgesellschafter oder den begünstigten Dritten gesehen werden, die Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen kann (vgl. Rz. 15.210 f.). Der Erblasser könnte damit nur durch die Vereinbarung von Pflichtteilsverzichten eine Teilhabe von Pflichtteilsberechtigten am Wert des Anteils verhindern10. 1 Vgl. oben Rz. 15.62 ff. und 15.208 f. 2 Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 77; MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 27 m.w.N. für die GmbH. Zur Abzugsfähigkeit hypothetischer Veräußerungskosten und latenter Steuerbelastungen vgl. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 79, 76. Zur Rechtslage bezüglich der Bewertung von Kapitalgesellschaftsanteilen für steuerliche Zwecke nach der Reform des Erbschafts- und Schenkungssteuerrechts siehe Riedel, ZEV 2009, 743. 3 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 152. 4 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Buch I Rz. 152. 5 MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 23 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 6 Ebenso Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 78 m.w.N. auch zur Gegenansicht. Gegen eine Differenzierung bei der Pflichtteilsberechnung zwischen Personengesellschaften und der GmbH auch Reimann, DNotZ 1990, 472 (485). 7 Vgl. Reimann, DNotZ 1990, 472 (488). 8 So aber MünchKomm/Lange, § 2311 BGB Rz. 27. 9 Vgl. Sudhoff/Scherer, § 17 Rz. 78. 10 Vgl. Rz. 15.213 und Sudhoff/Froning, § 48 Rz. 25.

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15.292

§ 15 Rz. 15.293

Unternehmensnachfolge

7. Die Nachfolge vorbereitende Maßnahmen

15.293 Wie auch bei den Personengesellschaften ist die wichtigste Maßnahme zur Vorbereitung der Nachfolge die sachgerechte Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages, soweit die Verhältnisse zwischen den Gesellschaftern dies zulassen. Neben den einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten der Nachfolge (vgl. Rz. 15.239–15.270), die bei einem gewünschten Ausscheiden einzelner Erben aus dem Gesellschafterkreis stets auch Regelungen über Art und Höhe der zu leistenden Abfindung enthalten sollte, können unzählige weitere flankierende Maßnahmen getroffen werden.

15.294 So sollte die Satzung eine Regelung über eine gescheiterte Nachfolge enthalten, wenn in der Satzung die Nachfolge durch bestimmte Erben vorgesehen ist (vgl. Rz. 15.251 ff.). Bei der GmbH bietet sich die Festlegung an, dass Stimmrechte bei einer Mehrheit von Erben durch einen Vertreter ausgeübt werden müssen. Ferner sollte die Satzung anordnen, dass bis zu einer Regelung zur Auseinandersetzung des Nachlasses die Mitverwaltungsrechte ruhen, wenn kein Vertreter durch die Erben bestellt wird (vgl. Rz. 15.235).

15.295 Der Testator sollte ferner darauf achten, dass er seine letztwillige Verfügung mit den Regelungen der Satzung in Einklang bringt, da die Satzung eine vom Erblasser angeordnete Nachfolge scheitern lassen kann, etwa wenn Erben, die bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllen, ihren Anteil an Dritte oder Mitgesellschafter abtreten müssen (vgl. Rz. 15.251 ff.). Außerhalb von Satzung und letztwilliger Verfügungen bietet sich insbesondere bei Aktiengesellschaften der Abschluss schuldrechtlicher Verträge wie Konsortialverträge, oder die Einbringung der Anteile in eine Personengesellschaft, an (vgl. Rz. 15.264 f.). Der Verfügende sollte ferner seine persönlichen Verhältnisse durch eine Anpassung des Güterstandes (vgl. Rz. 15.65 ff.) und ggf. die Vereinbarung von Pflichtteilsverzichten (vgl. Rz. 15.63 f.) regeln.

15.296 In der Praxis außerordentlich relevant sind ferner Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge1. So kann dem oder den anvisierten Nachfolgern bereits zu Lebzeiten des Erblassers eine Beteiligung eingeräumt werden2. Soll der Nachfolger allerdings im Gesellschafterkreis noch nicht zu großen Einfluss bekommen, muss die Satzung die Ausübung der Mitverwaltungsrechte des Nachfolgers entsprechend begrenzen. Ggf. kann sich anbieten, für den Vorgänger einen (Vollrechts- oder Ertrags-)Nießbrauch zu bestellen. Als weitere Möglichkeit kommt bei entsprechender Konstellation, insbesondere bei Familiengesellschaften in Betracht, dem Nachfolger zu Lebzeiten des Erblassers einen Nießbrauch zu bestellen. Dies kann dazu dienen, den Nachfolger auf zukünftige Aufgaben vorzubereiten, aber auch reine Versorgungszwecke haben. Je nachdem kann der Nießbrauch flexibel ausgestaltet werden. Allerdings ist zu beachten, dass eine angeordnete Vinkulierung auch die Bestellung eines Nießbrauchs umfasst3.

15.297 Wie bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften kann sich im Zuge der Nachfolgeregelung eine Änderung der Rechtsform des Unternehmens anbieten4. Der Formwechsel einer GmbH (oder GmbH & Co. KG) in eine AG kann erforderlich werden, wenn eine Vielzahl potentieller Erben vorhanden ist, oder aber ein Unternehmer-Nachfolger nicht zur Verfügung steht. Denn in derartigen Situationen kommt einer Stärkung des Fremdmanagements größere Bedeutung zu. Während die Geschäftsführer der GmbH stets den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegen, wird die AG nach § 76 Abs. 1 AktG vom Vorstand in eigener Verantwortung geleitet. Hierdurch können ggf. eine Blockade durch eine Zersplitterung des Gesellschafterkreises oder Zwistigkeiten zwischen den Gesellschaften bis zu einem gewissen Grade verhindert werden. Auch können bei einer AG die Antei1 Vgl. Rz. 15.68 und 15.208 sowie allg. Rz. 3.1 ff.; Riemenschneider, Unternehmensnachfolge, in Hauschild/ Kallrath/Wachter (Hrsg.), Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 29 Rz. 155 ff. 2 Dazu ausführlich Sudhoff/Stenger, § 32. 3 Sudhoff/Stenger, § 34 Rz. 24. 4 D. Mayer, ZEV 2005, 325 (330 ff.).

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Unternehmensnachfolge

Rz. 15.299 § 15

le leichter als bei der GmbH in kleinen Raten zu Lebzeiten des Erblassers auf den Nachfolger übertragen werden, was etwa aus steuerlichen Gründen sinnvoll sein kann. Als Gründe für die Umwandlung einer GmbH in eine AG werden ferner das höhere Sozialprestige der AG und die Stärkung des Verantwortungswillens auf Seiten des Managements (keine Weisungsabhängigkeit) genannt1. Die Umwandlung in eine AG kann ferner zur Vorbereitung eines Börsengangs sinnvoll sein. Die Rechtsform der AG kommt seit der Einführung der „kleinen AG“ auch zunehmend für den Mittelstand in Betracht2, wobei zu beachten ist, dass das Prinzip der Satzungsstrenge auch bei der kleinen AG gilt, so dass bei Gesellschaften mit personalistischer Struktur zumindest in Bezug auf die Nachfolgesteuerung (Möglichkeiten in Bezug auf Abtretungs- und Einziehungsklauseln) die GmbH oftmals vorzugswürdig ist3. Bisweilen kann sich aus diesem Grund sogar die Umwandlung einer AG in eine GmbH (§§ 238 ff. UmwG) anbieten. Meist zweckmäßiger ist allerdings die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft, insbesondere der 15.298 GmbH, in eine Personengesellschaft. Denn zunächst bestehen bei Personengesellschaften die größten gestalterischen Freiheiten in Bezug auf die Nachfolgesteuerung (vgl. Rz. 15.85–15.127). Durch Sondererbfolge in die Gesellschaftsanteile wird etwa vermieden, dass – wie bei der GmbH – bei Abtretungsoder Einziehungsklauseln ggf. eine klageweise Durchsetzung erfolgen muss. Überdies muss bei der Sondererbfolge keine Auseinandersetzung zwischen den Miterben – die wegen der erforderlichen Zustimmung der Gesellschafterversammlung für wichtige Entscheidungen durchaus Blockadepotential hat – erfolgen. Vor der Erbschaftsteuerreform war die Personengesellschaft durch die Bewertung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren steuerlich begünstigt4. Mittlerweile ist sowohl für Personengesellschaften als auch für Kapitalgesellschaften der gemeine Wert als Bemessungsgrundlage heranzuziehen, sodass ein Formwechsel keine erbschaft- und schenkungsteuerlichen Vorteile mehr mit sich bringt5. Zudem findet bei Personengesellschaften die Besteuerung auf Gesellschafterebene statt, was bei der Entstehung von Verlusten auf Gesellschaftsebene günstig ist6. Ist zu befürchten, dass Meinungsverschiedenheiten im zukünftigen Gesellschafterkreis eine effektive 15.299 Unternehmensleitung behindern können, kommt als Maßnahme zur Vorbereitung der Nachfolge weiterhin die Spaltung einer Kapitalgesellschaft in mehrere Gesellschaften in Betracht. Selbiges bietet sich an, wenn die Nachfolger verschiedene unternehmerische Interessen und Neigungen haben, oder wenn eine Veräußerung von Teilen des Unternehmens an Außenstehende erfolgen soll.

1 2 3 4 5 6

Sudhoff/Berenbrok, § 62 Rz. 11 f. Vgl. hierzu Kindler, NJW 1994, 3041. Zur kleinen AG in der Nachlassplanung vgl. Frank, ZEV 2003, 192. Dazu vgl. Sudhoff/Berenbrok, § 63 Rz. 11 ff. Vgl. Hübner, Teil 3 C. II.; Langenmayr, DStR 2009, 1387 (1389). Sudhoff/Berenbrok, § 63 Rz. 15.

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§ 16 Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Motive für die Errichtung einer Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmerische Motive . . . . . . . . b) Gemeinnützige Motive . . . . . . . . . . c) Persönliche Motive . . . . . . . . . . . . . d) Steuerliche Motive . . . . . . . . . . . . . . e) Asset Protection . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arten der Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die privatrechtliche Stiftung . . . . . . . . a) Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stiftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . aa) Stiftungszweck . . . . . . . . . . . . . bb) Stiftungsvermögen . . . . . . . . . . cc) Stiftungsorganisation . . . . . . . . c) Stiftungsgründung . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Stiftungsgeschäft durch Verfügung von Todes wegen . . . cc) Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . d) Stiftungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechnungslegungs- und Prüfungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsstellung der Begünstigten . . . g) Änderung der Stiftungssatzung . . . . h) Einfluss von Pflichtteilsrechten . . . . II. Typologie der häufigsten Stiftungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinnützige Stiftung . . . . . . . . . . . . 2. Inländische Familienstiftung . . . . . . . . 3. Gemeinnützige Familienstiftung . . . . . 4. Doppelstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verbrauchsstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unternehmensträgerstiftung . . . . . . . . a) Stiftungsunternehmen und Beteiligungsträgerstiftung . . . . . . . . b) Zweckmäßige Satzungsregelungen . III. Steuerrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . 1. Besteuerung der Stiftungserrichtung . . a) Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . b) Erbschaft- und Schenkungsteuer . . . c) Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . d) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die laufende Besteuerung . . . . . . . . . . . a) Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . .

16.1 16.2 16.2a 16.3 16.4 16.5 16.6 16.8 16.13 16.13 16.14 16.15 16.17 16.20 16.23 16.27 16.29 16.33 16.34 16.36 16.37 16.39 16.40 16.43 16.43 16.44 16.47 16.51 16.56 16.57 16.58 16.63 16.66 16.67 16.67 16.71 16.78 16.79 16.81 16.81

b) Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.85 c) Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . 16.86 d) Gemeinnützige Stiftungen . . . . . . . . 16.87 aa) Anforderungen . . . . . . . . . . . . . 16.87 bb) Steuerbegünstigungen . . . . . . . 16.90 cc) Spenden an die gemeinnützige Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.99 e) Familienstiftung . . . . . . . . . . . . . . . 16.104 f) Doppelstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . 16.108 3. Besteuerung der Stiftungsaufhebung . . 16.109 IV. Ausländische Stiftungen und verwandte Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . 1. Deutsches Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . a) Anteile an Kapitalgesellschaften . . . b) Betriebsvermögen/Mitunternehmeranteile . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zurechnung von Einkünften . . . . . . 2. Erbschaft- und Schenkungsteuer . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Trust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilrechtliche Grenzen des Einsatzes von Trusts . . . . . . . . . . . . aa) Errichtung eines Nachlasstrusts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Trust unter Lebenden . . . . . . . . cc) Wirksamkeit der Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anwendungsbereich des Trusts aus zivilrechtlicher Sicht . . . . . . c) Ertragsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschränkte Steuerpflicht nach § 2 Nr. 1 KStG . . . . . . . . . bb) Zurechnung von Einkünften . . cc) Anwendungsbereich des Trusts aus ertragsteuerlicher Sicht . . . d) Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtslage bis zum 4.3.1999 . . . bb) Rechtslage nach dem 4.3.1999: Neuregelung durch das StEntlG 1999/2000/2002 . . . . . .

16.113 16.114 16.115 16.116 16.117 16.120 16.122 16.123 16.124 16.126 16.127 16.131 16.132 16.135 16.136 16.136 16.137 16.139 16.140 16.140 16.141

V. Alternative Rechtsformen zur Erreichung von Stiftungszielen . . . . . . . . . 16.155 1. Die Stiftungs-GmbH . . . . . . . . . . . . . . 16.156 2. Die unselbständige Stiftung . . . . . . . . . 16.161

Schrifftum: Autenrieth, Werdende Stiftung vor staatlicher Anerkennung ist steuerlich wie unselbständige Stiftung zu behandeln, GmbHR 2016, 745; Blusz, Stiftungsgestaltungen im Lichte des neuen Erbschaftsteuerrechts, DStR 2017, 1016; Daragan, Die Stiftung und die Familienstiftung des Erbschaftsteuergesetzes, ZErb 2017, 1; Halaczinsky, Erwerbe durch und von Stiftungen; Tendenzen in der erbschaftsteuerlichen

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Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

§ 16

Rechtsprechung, ZErb 2015, 193; Hakert, Eine Chance für Stifter – die Hybridstiftung, NWB 2018, 877; Kraft, Grundprobleme der steuerlichen Behandlung unbeschränkt steuerpflichtiger privatnütziger Familienstiftungen, DStR 2016, 2825; Kußmaul/Meyering/Richter, Rechnungslegung der Stiftung – Darstellung und Analyse der jüngsten Entwicklungen, DStR 2015, 1328; Lüdicke/Oppel, Stiftungen in der Nachfolgegestaltung: Neue Einsatzmöglichkeiten aufgrund der Neuregelung des Unternehmenserbschaftsteuerrechts, BB 2017, 2646; Meilicke, Inkonkruente Doppelbesteuerung von Stiftungen, DStR 2017, 227; Muscheler, Die Unselbständige Stiftung von Todes wegen, ZEV 2014, 573; Muscheler, Der Übergang von der unselbständigen Stiftung in die rechtsfähige Stiftung, ZEV 2018, 187; Niemann, Erbersatzsteuer bei unselbständigen Familienstiftungen, DStR 2016, 2888; Oppel, Unterliegen unselbständige Stiftungen der Erbersatzsteuer?, ZEV 2017, 22; Paukstadt, Anlagerichtlinien für gemeinnützige Stiftungen – Entwicklung und Dokumentation einer wirtschaftlichen Vermögensanlage, BB 2017, 2666; Sassen/Führer/Behrmann, Aktuelle nationale und internationale Entwicklungen zur Rechnungslegung von Stiftungen, BB 2014, 619; Schauer, Zulegung und Zusammenlegung von rechtsfähigen Stiftungen nach geltendem Recht, ZEV 2017, 613; Schiffer, Unternehmensnachfolge mit Stiftungen, ZErb 2014, 337; Schiffer/Schürmann, Transparenzregister und Stiftungen – Normadressaten der Melde- und Eintragungspflichten, BB 2017, 2626; Schimpfky, Der steueroptimierte Einsatz gemeinnütziger Stiftungen im Rahmen der privaten Vermögensnachfolge, ZEV 2015, 456; Söffing/ Henrich, Die gemeinnützige Stiftung als Unternehmensnachfolger, BB 2016, 1943; Stallmann, Beschlussfehler in Stiftungsorganen: Fallstricke und Gestaltungsaufgaben, ZEV 2017, 607; Stolte, Reform des Stiftungszivilrechts, BB 2015, 2694; Stürner, Die Haftung des Stiftungsvorstands bei der Vermögensverwaltung, DStR 2015, 1628; Theuffel-Werhahn, Unterliegen unselbständige Familienstiftungen der Erbersatzsteuerpflicht? – Zugleich eine Betrachtung des Begriffs „Stiftung“ im Steuerrecht, ZEV 2014, 14; Theuffel-Werhahn, Familienstiftungen als Königsinstrument für die Nachfolgeplanung aufgrund der Erbschaftsteuerreform, ZEV 2017, 17; Tielmann, Die Familienverbrauchsstiftung, NJW 2013, 2934; von Oertzen/Friz, Steuerliche Fragen der neuen (Familien-)Verbrauchsstiftung nach dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes, BB 2014, 87; von Oertzen/Reich, Sicherstellung der DNA als Familienunternehmen bei von Familienstiftungen gehaltenen Unternehmen, DStR 2017, 1118; von Oertzen/Schienke-Ohletz, Verbrauchsstiftungen als begünstigte Empfänger i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, ZEV 2015, 609; von Oertzen/Reich, Postmortale Verschonungsoptimierung durch die Familienstiftung von Todes wegen, BB 2018, 1367; Werder/Wystrcil, Familienstiftungen in der Unternehmensnachfolge, BB 2016, 1558; Wachter, Stiftung von Todes wegen – Praxisempfehlungen für eine wirksame Gründung, BB 2017, 2631; Wachter, Erbersatzsteuer bei nichtrechtsfähigen Familienstiftungen – zugleich Anmerkung zu FG Köln, Urteil vom 25.5.2016, ZErb 2016, 323; Wachter, Stiftungen im neuen Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, FR 2017, 69, 130; Werkmüller, Die „Familienstiftung & Co. KG“ als Instrument der „kontrollierten“ Vermögensnachfolge, ZEV 2015, 522; Werner, Die Familienstiftung als Instrument der Asset Protection, ZEV 2014, 66; Wagner, Die „StiftungsGmbH“ und § 18 Abs. 2 HGB, GmbHR 2016, 858; Zimmermann/Raddatz, Die Entwicklung des Stiftungsrechts 2017, NJW 2018, 516. Ausländische Stiftungen: Birnbaum, Doppelbesteuerung von Ausschüttungen liechtensteinischer Stiftungen? ZEV 2014, 482; Boving, Die Stiftung als Instrument der Nachlassgestaltung in Österreich und Deutschland – Ein vergleichender Überblick, ZErb 2017, 131; Boving, Die Stiftung als Instrument der Nachfolgegestaltung in Österreich und Deutschland – Ein vergleichender Überblick (Teil 2), ZErb 2017, 153; Brigulla-Weber/Scherer, Liechtensteinische Familienstiftungen im Lichte des deutschen Pflichtteilsrechts, NJW 2016, 382; Gierhake, Doppelbesteuerung von Leistungen liechtensteinischer oder österreichischer Stiftungen an deutsche Begünstigte mit Schenkung und Einkommensteuer, ZErb 2015, 366; Gierhake, Zur Anwendbarkeit des Erbschaftsteuerklassenprivilegs des § 15 Abs. 2 ErbStG an liechtensteinischer Familienstiftungen, ZErb 2016, 163; Jülicher, Die ausländische Familienstiftung des ErbStG im Umbruch, ZErb 2015, 357; Haag/Faltenbacher, Vorschläge zur sachgerechten Anwendung der mehrstufigen Zurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 9 AStG, IStR 2017, 89; Halaczinsky, StÄndG 2015: Neuregelung der Zuwendungen an ausländische „steuerbegünstigter“ Körperschaften und weitere Änderungen des ErbStG, ErbStB 2016, 58; Kirchhain, Auskunftsaustausch mit Liechtenstein im Kontext des § 15 AStG, IStR 2015, 246; Körner/ Schwarz, Wem gehört das Vermögen steuerlich transparenter Liechtensteinischer Stiftungen?, DStR 2015, 2501; Kraft, Grundstrukturen, Zweifelsfragen und offene Problembereiche des Besteuerungsverfahrens und der Einkünfteermittlung bei ausländischen Familienstiftungen, Ubg 2016, 613; Linn/Schmitz, Offene Fragen bei der steuerlichen Behandlung Liechtensteinischer Familienstiftungen, DStR 2014, 2541; Rohde/Enders, Ausländische Familienstiftungen: § 15 AStG und Änderungen – Steuerstrafrechtliche Aspekte (Treuhandstiftungen) – Zuwendungen an ausländische Einrichtungen, BB 2014, 1495; Ronge, Die Behandlung von US Foundations mit steuerlichem Inlandsbezug, BB 2018, 1371; Schulze-Borges, Ausländische Famili-

Stein 691

§ 16 Rz. 16.1

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

enstiftungen und Trusts: Verletzung von Anzeige- bzw. Erklärungspflichten und ihre Auswirkungen auf die Schenkung- und Erbschaftsteuer, ZEV 2017, 190; Seeliger/Meyer, Gleichzeitige Erhebung von Ertragsteuern und Schenkungsteuer bei Stiftungen – ein Irrweg der Finanzverwaltung?, ZErb 2018, 109; Siemers, Seminar H: Die internationale Unternehmerfamilie – Herausforderungen aus steuerlicher Sicht, IStR 2015, 598; von Oertzen/Kühn, Praktische Fragen der Einkünfteermittlung von ausländischen Stiftungen und Trusts iRd § 15 AStG, IStR 2016, 930; Werner, Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten und des Erben über von liechtensteinischen Stiftungen gehaltenes Nachlassvermögen, ZErb 2016, 92; Werner, Schenkungsteuerbarkeit der Zuwendungen ausländischer Familienstiftungen an ihre inländischen Destinatäre, ZEV 2016, 133; Werner, Anknüpfung des Stiftungsstatuts unter Anwendung des internationalen Gesellschaftsrechts, ZEV 2017, 181; Winkels, Zur steuerlichen Behandlung von gemeinnützigen Stiftungen und Familienstiftungen des Schweizerischen Rechts, BB 2015, 2589; Wunderlich, Doppelbesteuerung aufgrund neuer Auslegung des § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG durch die Finanzverwaltung, DStR 2018, 905. Stiftungen im Internet (Auswahl, alle mit – teilweise sehr umfangreichen – Link-Sammlungen): Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V. (www.stiftungen.org); Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (www.stifterverband.de); Maecenata Institut für Dritter-Sektor Forschung (www.maecenata.de und www. maecenata-management.de); Bertelsmann Stiftung (www.bertelsmann-stiftung.de oder www.ratgeberstiften.de); Stiftungszentrum Stifter für Stifter (www.stiftungszentrum.org).

I. Grundlagen 16.1 Beratungssituation: U, ein 65-jähriger Unternehmer, will sein Lebenswerk bewahren und sicherstellen, dass das Unternehmen, ein GmbH & Co. KG- Konzern unter dem Dach einer Holding-GmbH & Co. KG, weiter betrieben wird. Zudem verfügt er über erhebliches Privatvermögen. Er hat der Presse entnommen, dass Stiftungen steuerlich gefördert werden und möchte wissen, ob die Errichtung einer Stiftung ein geeignetes Instrument für seine Nachlassplanung darstellt.

Pro Stiftung – Perpetuierung des Stifterwillens (Möglichkeit ewiger „Testamentsvollstreckung“) – Eingeschränkte Mitbestimmung und Publizität – Nahezu beliebige Zwecksetzung – Instrument für Unternehmenskontinuität, insbesondere wenn ein Nachfolger aus der Familie fehlt – Absicherung der Familie auf Dauer möglich – Asset Protection möglich

692

Stein

Kontra Stiftung – Kontrolle und Motivation der Organe schwer zu gewährleisten – Kosten der Stiftungserrichtung und -verwaltung – Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche weichender Erben (§§ 2303 ff. BfB) – Unübersichtliche und uneinheitliche Rechtslage wegen unterschiedlicher Landesstiftungsgesetze und Verwaltungspraxis – Vergleichsweise geringe Flexibilität nach dem Tod des Stifters – Stiftungsvermögen muss relativ groß sein – Aufsicht durch Behörden – ErbSt bei Stiftungserrichtung und -auflösung (§ 3 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG) – Ertragsteuerliche Belastung bei Übertragung von Vermögensgegenständen auf Stiftung möglich – Grunderwerbsteuerliche Belastung bei mittelbarer und unmittelbarer Übertragung von Immobilien möglich

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.2a § 16

1. Motive für die Errichtung einer Stiftung Das Interesse an Stiftungen ist unvermindert hoch. Deutschland erlebt seit Mitte der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts einen Stiftungsboom. In den letzten Jahren wurden im Schnitt zwischen 700 und 1.000 rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts neu gegründet1. Im März 2017 existierten in Deutschland ca. 21.800 rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts2.

16.2

Den „typischen“ Stifter gibt es nicht. Es gibt eine Vielzahl von Motiven, die das Interesse potenzieller Stifter auf diese Rechtsform lenkt. So vielfältig wie die möglichen Gründe für eine Stiftungsgründung sind die Einsatzgebiete der Stiftung. Um die Komplexität zu bewältigen, bietet es sich an, verbreitete Interessenlagen als Ausgangspunkt der Beratungsüberlegungen zu wählen. Die Gründe für die Errichtung einer Stiftung sind vielschichtig. Der folgende Katalog ist daher nur beispielhaft. – Unternehmerische Motive: – Unternehmenskontinuität, insbesondere wenn – geeignete – Nachfolger in der Familie fehlen – Wunsch, die Fortentwicklung des Unternehmens auch nach dem eigenen Tode selbst bestimmen zu wollen – keine Mitbestimmung nach dem MitbestG und DrittelbG – Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen – keine Publizität – Verbesserung der Eigenkapitalquote – Gemeinnützige Motive – Persönliche Motive: – Zusammenhalt und finanzielle Absicherung der Familie – Sicherung des Lebenswerks – Denkmal für den Stifter und dessen Familie – Schaffung eines Wunscherben – Katastrophenauffangstiftung – Steuerliche Optimierung – Schutz des Vermögens vor dem Zugriff von Gläubigern (Asset Protection) a) Unternehmerische Motive Häufig werden Stiftungen als Alternative erwogen, wenn die Unternehmensnachfolge geregelt werden soll. Eines der Gestaltungsmodelle, durch das die Unternehmenskontinuität gewährleistet werden kann, ist die Stiftung. Es gibt eine Vielzahl von Gründen, Unternehmen schon zu Lebzeiten des Eigners oder mit dessen Tode auf eine Stiftung zu übertragen. Im Mittelpunkt steht häufig die Sorge um die Fortführung eines Unternehmens. Vielfach ist keiner der Abkömmlinge bereit, die Nachfolge anzutreten, oder der Unternehmensinhaber möchte verhindern, dass aus seiner Sicht zur Unternehmensführung ungeeignete Abkömmlinge langfristig die Existenz des Unternehmens gefährden. Sind keine nahen Verwandten vorhanden, wird es häufig das Bestreben sein, einen Übergang auf entfern-

1 Stolte, BB 2015, 2694 mit Verweis auf: Bundesverband Deutscher Stiftungen, www.stiftungen.org. 2 Schauer, ZEV 2017, 613 mit Verweis auf: Datenbank Deutscher Stiftungen, Stand März 2017, Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V.

Stein 693

16.2a

§ 16 Rz. 16.2b

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

tere Blutsverwandte, die bisher in keiner Beziehung zum Unternehmen gestanden haben, zu verhindern. Wird die Gefahr gesehen, dass Pflichtteilsberechtigte aus der Unternehmenssubstanz abgefunden werden müssen, kann im Zusammenwirken mit den Pflichtteilsberechtigten eine Gestaltung gewählt werden, die deren Alimentierung durch die Stiftung beinhaltet. Eine Rolle mag auch der Wunsch des Unternehmers spielen, die Fortentwicklung des Unternehmens auch nach dem eigenen Tode selbst bestimmen zu wollen. Durch die Formulierung des Stiftungszweckes und die Einsetzung von Vertrauenspersonen als Organe der Stiftung lassen sich die Vorstellungen des Stifters mittelfristig perpetuieren. Der Stifter kann zudem langfristig bestimmen, wie die Erträge des Unternehmens verwendet werden sollen. Der Übergang der unternehmerischen Verantwortung und der unternehmerischen Initiative von Generation zu Generation wird durch die Gründung einer Stiftung vermieden.

16.2b Der Stiftungsgedanke mit seinem Verzicht auf eine verbandsrechtliche Verfassung steht darüber hinaus der Idee vom Unternehmen an sich nahe. Anstoß für unternehmensverbundene oder unternehmenstragende Stiftungen geben ferner Überlegungen zur Vermeidung der Mitbestimmung und der Publizität. b) Gemeinnützige Motive

16.3 Seit der Jahrtausendwende erhält die Stiftungsidee starke Impulse aus der gesetzlichen Förderung des dritten Sektors. Die Gesellschaft bedarf des Engagements nicht staatlicher Stellen, insbesondere von Privatpersonen für soziale, humanitäre, kulturelle und sonstige gemeinnützige Aufgaben. Stifter möchten gesellschaftliche Verantwortung übernehmen oder Ideen umsetzen. Der Staat fördert die Verfolgung gemeinwohlorientierter Zwecke unter bestimmten Voraussetzungen durch steuerliche Begünstigungen, insbesondere den Spendenabzug und die Steuerbefreiung gemeinnütziger Körperschaften. In diesem Zusammenhang ist auch die Beseitigung nicht mehr finanzierbarer Erbschaft- und Schenkungsteuer nach einem Erbfall oder einer Schenkung durch Übertragung des erworbenen Vermögens auf eine gemeinnützige Stiftung zu sehen (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). c) Persönliche Motive

16.4 Das Stiftungsmodell kann dem Zusammenhalt und der finanziellen Absicherung der Familie dienen. Teilweise soll das Lebenswerk gesichert und dem Stifter ein Denkmal gesetzt und dessen Namen verewigt werden. Entspricht kein Angehöriger den Vorstellungen des Erblassers, kann die Schaffung eines Wunscherben im Vordergrund stehen. Ferner ist an eine Katastrophenauffangstiftung zu denken, etwa wenn alle Familienmitglieder in derselben Gefahr umkommen (z.B. bei einem Flugzeugabsturz) oder versterben, ohne dass Abkömmlinge in der gewünschten Linie vorhanden sind. d) Steuerliche Motive

16.5 Mit der Übertragung auf eine Stiftung sollen die Belastung mit Einmalsteuern (Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie vergleichbare ausländische Steuern) beim Vermögenstransfer auf die folgenden Generationen gesenkt oder vermieden und/oder ertragsteuerliche Vorteile bei der Übertragung von Vermögen auf die Stiftung erzielt werden. Ein wesentliches Argument für die Gründung einer Stiftung wird vielfach bei gemeinnützigen Stiftungen auch die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerfreiheit des Überganges sein, die im Unternehmen zu einer Liquiditätsschonung führt. Allerdings erkauft sich der Stifter diese steuerliche Begünstigung durch eine Einschränkung des Stiftungszweckes auf die steuerlich zulässigen Zwecke. Denkbar ist auch, die Gemeinnützigkeit der Stiftung mit einer finanziellen Unterstützung der Angehörigen des Stifters zu verbinden. e) Asset Protection

16.6 Personen mit einem erhöhten Haftungsrisiko (z.B. persönlich haftende Gesellschafter von Personen(handels)gesellschaften, Mitglieder von Organen, Freiberufler, etc.) können die Übertragung von 694

Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.9 § 16

Vermögen auf eine Stiftung erwägen, um Gläubigern den Zugriff auf das Vermögen für den Haftungsfall zu verwehren1. Gleichzeitig soll der Familie trotzdem eine Nutzungsmöglichkeit erhalten werden. Voraussetzung ist in allen Fällen eine rechtzeitige Übertragung des Vermögens vor Eintritt der Krise bzw. des Haftungsfalls, damit weder strafrechtliche Sanktionen2 noch eine Anfechtung der Vermögensübertragung (§§ 3, 4 AnfG, 133, 134 InsO) drohen. Vorsatz Norm

§ 3 I AnfG

§ 133 I InsO

Tatbestand

Rechtshandlung mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung

Entgeltliche Geschäfte § 3 IV AnfG

Schenkung

§ 133 IV InsO § 4 AnfG

entgeltlicher Vertrag mit einer nahestehenden Person

§ 134 InsO

unentgeltliche Leistung

Gläubigerbenachteiligung, wenn der andere Teil zur kein gebräuchliches GeleZeit der Handlung den Vor- wenn Vorsatz der Gläubiger- genheitsgeschenk geringen satz des Schuldners kannte benachteiligung nicht beWerts kannt Frist

10 Jahre

2 Jahre

4 Jahre

vor der Anfechtung bzw. Antrag auf Insolvenzeröffnung Rechtsfolge

schuldrechtlicher Rückgewähranspruch bzw. Duldung der Zwangsvollstreckung

In den wenigsten Fällen wird nur ein einziges Motiv festzustellen sein, sondern in der Regel eine Kom- 16.7 bination verschiedener Gestaltungsziele. Die Vor- und Nachteile von Stiftungsmodellen können nur an der Eignung zur Umsetzung dieser Zielvorstellungen gemessen werden, wobei einige Ziele im Konflikt miteinander stehen können. Je nach der Gewichtung der einzelnen Beweggründe ist die Stiftung als Instrument der Nachfolgeplanung unterschiedlich geeignet. In der Ausgangsberatungssituation wäre U also zu befragen, welche Ziele er verfolgen will, welchen seiner Zielvorstellungen er besonderes Gewicht beimisst und wie die näheren Umstände des Einzelfalls sind. 2. Arten der Stiftungen Eine Legaldefinition der Stiftung existiert nicht. Stiftungen können in vielerlei Hinsicht unterschieden werden. Hinzuweisen ist zunächst auf die Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichen, kirchlichen und privatrechtlichen Stiftungen. Unter den Letzteren ist wiederum zwischen unselbständigen und selbständigen Stiftungen zu unterscheiden. Das Vermögen einer unselbständigen Stiftung ist zivilrechtlich dem Stiftungsträger zugeordnet, da die unselbständige Stiftung nicht rechtsfähig ist. Bei der selbständigen Stiftung handelt es sich demgegenüber um eine juristische Person des Privatrechts.

16.8

Die privatrechtliche Stiftung nach §§ 80 ff. BGB ist ein selbständiger Rechtsträger, der zur Verwirklichung bestimmter Sonderzwecke geschaffen ist und nicht aus einem Personenverband besteht3. Die Stiftung hat keine außenstehenden Eigentümer oder Mitglieder, sondern lediglich eine auf Dauer zweckgewidmete Vermögensmasse, Stiftungsorgane und Destinatäre; konstituierende Merkmale ei-

16.9

1 Zur Asset Protection vgl. v. Oertzen, Asset Protection im deutschen Recht, 2. Aufl. 2012, S. 65 ff.; Bisle, DStR 2012, 525; Werner, ZEV 2014, 66 ff. zur sog. Familienheimstiftung als Instrument der Asset Protection. 2 Insbesondere wg. Bankrotts, Gläubiger- und Schuldnerbegünstigung (§§ 283 Nr. 1, 283c, und 283d StGB). 3 Vgl. MüKo.BGB/Weitemeyer, § 80 Rz. 1 ff.

Stein 695

§ 16 Rz. 16.10

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

ner privatrechtlichen Stiftung sind folglich der Stiftungszweck, das Stiftungsvermögen und die Stiftungsorganisation1.

16.10 In Anlehnung an § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG spricht man von einer Familienstiftung, wenn die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist.2

16.11 Als gemeinnützige Stiftung wird eine Stiftung bezeichnet, deren Zweck den Gemeinnützigkeitsanforderungen der §§ 51 ff. AO genügt.

16.12 Die Stiftung kann in verschiedener Weise Bezug zu einem Unternehmen haben. Oberbegriff für unternehmensverbundene Stiftungen ist die Bezeichnung als Unternehmensträgerstiftung3. Entweder wird das Unternehmen von der Stiftung selbst geführt oder aber an der das Unternehmen tragenden Gesellschaft ist eine Stiftung mittelbar oder unmittelbar beteiligt. In dem ersten, in der Praxis weniger vorkommenden Fall, spricht man von einem Stiftungsunternehmen4, im zweiten Fall von Beteiligungsträgerstiftungen5. 3. Die privatrechtliche Stiftung a) Rechtsquellen

16.13 Die privatrechtliche Stiftung entsteht nach § 80 BGB durch das Stiftungsgeschäft als Akt der Privatautonomie und die Anerkennung durch die zuständigen Behörden der Bundesländer. Für privatrechtliche Stiftungen gelten materiell-rechtlich die §§ 80–88 BGB, während die Landesgesetze6 bislang überwiegend verfahrensrechtliche, aber auch ergänzende materielle Regelungen enthalten7. Die materiellen Regelungen in den Ländergesetzen werden insoweit verdrängt, wie die §§ 80 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 1 BGB eine abschließende Regelung der Voraussetzungen enthalten8. b) Stiftungsverfassung

16.14 Die drei konstitutiven Elemente der Stiftung sind – wie bereits erwähnt – der Stiftungszweck, das Stiftungsvermögen und die Stiftungsorganisation. Diesen Elementen ist bei der Satzungsgestaltung größte Sorgfalt zu widmen. § 81 Abs. 1 BGB verlangt eine Satzung mit Regelungen über – den Namen der Stiftung, – den Sitz der Stiftung, – den Zweck der Stiftung, – das Vermögen der Stiftung und – die Bildung des Vorstandes der Stiftung.

1 Vgl. Staudinger/Hüttemann/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 4. 2 Entscheidend sind in erster Linie die Bezugsberechtigungen der Familienmitglieder (vgl. BFH v. 18.11.2009 – II R 46/07, BFH/NV 2010, 898). 3 Im Anschluss an den Bericht der Studienkommission des Deutschen Juristentages, DJT-Stiftungsrecht, S. 42 f.; O. Schmidt, Die Errichtung von Unternehmensträgerstiftungen durch Verfügung von Todes wegen, 1997, S. 1; Staudinger/Hüttemann/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 132. 4 Berndt/Götz, Stiftung und Unternehmen, 8. Aufl. 2009, Rz. 6. 5 So auch Staudinger/Hüttemann/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 132. 6 Download der Gesetzestexte auch über www.stiftungsgesetze.de möglich. 7 Öffentlich-rechtliche Stiftungen spielen als Instrument der Nachfolgeplanung nur eine untergeordnete Rolle und werden daher an dieser Stelle nicht behandelt. 8 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 81 BGB, BT-Drucks. 14/8765, S. 9.

696

Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.17 § 16

Im Übrigen ist der Stifter in der Gestaltung der Satzung frei. Es empfehlen sich auf jeden Fall Regelungen zu folgenden Punkten:

16.14a

– weitere Stiftungsorgane neben dem Vorstand, – Verwendung der Erträge/Stellung der Destinatäre, – Satzungsänderung/Aufhebung/Zulegung/Zusammenlegung1 – insbesondere mit anderen Stiftungen, – Vermögensanfall bei Aufhebung und – Vermögenserhalt und -verzehr/Vermögensumschichtung. Beratungshinweis: Geringe gesetzliche Regelungsdichte und individuelle Zielvorstellungen der Stifter, die auf Dauer festgeschrieben werden sollen, verlangen eine auf die Erfordernisse des Einzelfalls maßgeschneiderte Stiftungssatzung. Von der ungeprüften Übernahme sog. „Mustersatzungen“2 kann nur abgeraten werden. Sie bieten aber zusammen mit Checklisten wertvolle Arbeitsgrundlagen.

aa) Stiftungszweck Der Stiftungszweck ist die Seele der Stiftung3. Grundsätzlich ist der Stifter nach § 80 Abs. 2 BGB frei, 16.15 den Zweck der Stiftung zu gestalten, solange der Stiftungszweck das Gemeinwohl nicht gefährdet (sog. Prinzip der gemeinwohlkonformen Allzweckstiftung). Der Stiftungszweck ist die Leitlinie der Stiftungstätigkeit. An ihm haben sich die Organe der Stiftung auch auf lange Sicht auszurichten. Der Stiftungszweck bedarf daher einer sorgfältigen Formulierung, die auch die spätere Tätigkeit in einem möglicherweise wirtschaftlich und gesellschaftlich veränderten Umfeld ermöglicht. Fehlt diese Flexibilität, droht eine Erstarrung, weil eine Änderung des Stiftungszwecks durch die Stiftungsbehörde als „Notanker“ nach § 87 S. 1 BGB nur zulässig ist, wenn die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist4. Zweckmäßigkeitserwägungen bleiben bis zu dieser Grenze ausgeschlossen.5 Nach dem im Stiftungszweck festgelegten Personenkreis, der durch die Stiftung begünstigt ist, wird 16.16 zwischen privatnützigen und öffentlichen Stiftungen unterschieden. Stiftungen, deren Zweck nur einem durch konkrete Merkmale begrenzten Personenkreis zugute kommen (z.B. Angehörige einer bestimmten Familie, Arbeitnehmer eines bestimmten Unternehmens), fallen unter die erste Kategorie. Im Gegensatz dazu wird durch die öffentliche Stiftung unmittelbar stets die Allgemeinheit begünstigt. Der Begriff der gemeinnützigen Stiftung i.S.d. §§ 51 ff. AO ist enger als der der öffentlichen Stiftung. Gemeinnützige Stiftungen sind immer auch öffentliche Stiftungen. Nicht jede öffentliche Stiftung erfüllt aber die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung. bb) Stiftungsvermögen Die Stiftung kann ausschließlich mit ihrem Vermögen arbeiten, denn sie hat keine Gesellschafter. Das Stiftungsvermögen ist das Stiftungskapital oder Grundstockvermögen. Dies kann in Form von so genannten Zustiftungen ergänzt werden. Bei unternehmensverbundenen Stiftungen gehört insbesondere das Unternehmen mittel- oder unmittelbar zum Stiftungsvermögen.

1 Siehe hierzu im Einzelnen: Schauer, ZEV 2017, 613. 2 Z.B. auf der homepage des Bundesverbandes deutscher Stiftungen (http://www.stiftungen.org/de/newswissen/stiftungsgruendung/formulare-muster-checklisten.html). 3 Liermann in Deutsches Stiftungswesen 1948–1966, 154. 4 Vgl. nur Palandt/Ellenberger, § 87 Rz. 1. 5 Vgl. MüKo.BGB/Weitemeyer, § 87 Rz. 4.

Stein 697

16.17

§ 16 Rz. 16.18

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

16.18 Alle Stiftungsgesetze gehen davon aus, dass das Grundstockvermögen in seiner Substanz auf Dauer erhalten werden muss (Grundsatz der Vermögenserhaltung). Es darf also nicht verschenkt, verbraucht, beträchtlich unter Wert veräußert oder in anderer Weise verringert werden. Abweichungen von diesem Grundsatz werden nur gestattet, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht.1 Auch außerhalb der Verbrauchsstiftung2 kann sich dies auch mit Blick auf evtl. ratsame Vermögensumschichtungen empfehlen, oder wenn sich der Stifterwille nicht anders verwirklichen lässt.

16.19 Ein Mindestvermögen ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich vorgeschrieben, allerdings werden Stiftungen regelmäßig erst bei einem Vermögen ab 50.000 bis 100.000 Euro anerkannt, weil sich die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszweckes i.S.d. § 80 Abs. 2 BGB andernfalls nur darlegen lässt, wenn ein Konzept zur Einwerbung von Zustiftungen und/oder Spenden plausibel gemacht werden kann3. Auf jeden Fall sollte das Stiftungsvermögen in einem angemessenen Verhältnis zu den Stiftungszwecken stehen, deren Verfolgung aus den Früchten des Stiftungsvermögens finanziert werden muss. cc) Stiftungsorganisation

16.20 Die Organisation der Stiftung bestimmt sich in erster Linie nach der durch den Stifter zumindest in ihrem Rahmen abgesteckten Satzung, der Stiftungsverfassung. In zweiter Linie ergibt sich die Stiftungsorganisation aus dem BGB sowie in geringem Umfang aus den Landestiftungsgesetzen. Gesetzliche Mindestanforderung ist, dass die Stiftung einen Vorstand haben muss (§§ 86 i.V.m. 26 Abs. 1 BGB). In der Praxis sind daneben noch Kontrollorgane wie Kuratorien und Beiräte üblich. Es besteht ein breiter Gestaltungsspielraum.

16.21 Spätestens nach dem Tod des Stifters ist es regelmäßig sinnvoll, wenn das Kontrollorgan den Vorstand bestimmt und die Anstellungsverträge mit den Vorstandsmitgliedern abschließt. Für das Kontrollorgan selber findet sich häufig ein Kooptationsverfahren, d.h. die Selbstergänzung durch einstimmigen oder mehrheitlichen Beschluss. In Ermangelung eines Kontrollorgans ist die Kooptation auch für den Vorstand zweckmäßig. Denkbar ist auch, dass es wegen bestimmter Sachzusammenhänge geborene Mitglieder gibt (z.B. Vorsitzender der Geschäftsführung eines bestimmten Unternehmens, Präsident einer Universität etc.). Im Übrigen könnte die Satzung bestimmte Soll-Eigenschaften der Mitglieder definieren, die allerdings keine allzu starre Regel enthalten sollten.

16.22 Die Amtszeit aller Organmitglieder sollte beschränkt werden, etwa in Anlehnung an die aktienrechtlichen Regelungen. Sinnvoll ist eine Höchstaltersbegrenzung. c) Stiftungsgründung

16.23 Die Errichtung einer Stiftung ist ein zweistufiger Vorgang. Gem. § 80 S. 1 BGB entsteht eine Stiftung durch das privatrechtliche Stiftungsgeschäft und die staatliche Anerkennung seitens der zuständigen Landesbehörde. Der Ablauf der Stiftungsgründung stellt sich wie folgt dar:

16.24 Der Stifter erklärt seinen Willen, Vermögen zu stiften, entweder zu Lebzeiten schriftlich oder in Form einer letztwilligen Verfügung. Trotz aller Kritik gilt bis heute im Stiftungsrecht noch ein Konzessionssystem. Der zuständigen Landesbehörde werden das Stiftungsgeschäft und die Stiftungssatzung entweder durch den Stifter selbst oder im Falle der Errichtung von Todes (§ 83 S. 1 BGB) wegen durch die Erben, den Testamentsvollstrecker oder das Nachlassgericht zugeleitet. Die Stiftung wird von ihr bei Vorliegen der Voraussetzungen anerkannt. Die Anerkennung ist ein gebundener Verwaltungsakt und keine Ermessensentscheidung; der Stifter hat einen Rechtsanspruch auf Anerkennung.4 1 2 3 4

Vgl. etwa Hof in Seifart/v. Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 9 Rz. 60. Neu eingeführt durch das „Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes“ vom 21./28.3.2013. Vgl. Gesetzesbegründung zu § 80 BGB; BT-Drucks. 14/8765, S. 8. Vgl. etwa Palandt/Ellenberger, § 80 Rz. 4.

698

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.30 § 16

Beratungshinweis: Trotz des Rechts auf Anerkennung einer Stiftung kann es zweckmäßig sein, die Stiftungssatzung im Vorfeld einer abschließenden Festlegung mit der zuständigen Behörde abzustimmen, um etwaige Beanstandungen im Vorfeld auszuräumen und von der Erfahrung der Mitarbeiter profitieren zu können.

Bei Gründung gemeinnütziger Stiftungen wird die Stiftungsbehörde gegebenenfalls eine steuerliche Beurteilung des zuständigen Finanzamts einholen1. Es empfiehlt sich, die Abklärung mit dem Finanzamt aus zeitlichen Gründen und zur Vermeidung von Unstimmigkeiten zwischen Stifter, Finanzamt und Stiftungsbehörde parallel zum Anerkennungsverfahren selbst durchzuführen.

16.25

Sobald die Anerkennung vorliegt, ist der lebende Stifter verpflichtet, das Vermögen auf die Stiftung zu übertragen (§ 82 S. 1 BGB). Bei einer Stiftung von Todes wegen geht das Vermögen entweder im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die noch zu errichtende Stiftung über oder wird von den Erben aufgrund eines Vermächtnisses oder einer Auflage auf die Stiftung übertragen.

16.26

aa) Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden Das Stiftungsgeschäft ist ein einseitiges Rechtsgeschäft in Form einer einseitigen nicht empfangsbedürftigen schriftlichen Willenserklärung (§ 81 Abs. 1 S. 1 BGB). Es muss nach § 81 Abs. 1 S. 2 BGB die verbindliche Erklärung des Stifters enthalten, ein Vermögen zur Erfüllung eines von ihm vorgegebenen Zweckes zu widmen, und eine Satzung mit den Regelungen gem. § 81 Abs. 1 S. 2 BGB.

16.27

Genügt das Stiftungsgeschäft den Erfordernissen des § 81 Abs. 1 S. 3 BGB nicht und ist der Stifter verstorben, verweist § 81 Abs. 1 S. 4 BGB auf § 83 S. 2 bis 4 BGB, so dass eine Heilung möglich ist.

16.28

bb) Das Stiftungsgeschäft durch Verfügung von Todes wegen Grundsätzlich stehen für die letztwillige Errichtung einer Stiftung von Todes wegen nach § 83 BGB 16.29 alle erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Das Stiftungsgeschäft von Todes wegen i.S.d. § 83 BGB kann sowohl durch testamentarische Verfügung als auch in Form eines Erbvertrages vorgenommen werden. Die Anerkennung wird entweder durch die Erben, einen Testamentsvollstrecker oder – hilfsweise – durch das Nachlassgericht eingeholt (§ 83 S. 1 BGB). Die beste Gewähr für die unverfälschte Umsetzung des Stifterwillens bietet die Beifügung der Satzung zur erbrechtlichen Regelung2, wobei für diese Satzung vorsorglich die Formvorschriften für die Errichtung von letztwilligen Verfügungen beachtet werden sollten3. Das ist aber nicht zwingend. Während das Stiftungsgeschäft unter Lebenden eine präzise Stiftungssatzung mit den Mindestinhalten des § 81 Abs. 1 S. 3 BGB verlangt, kann der Erblasser sich bei der Errichtung von Todes wegen auf die Angabe der Eckdaten beschränken, wenn er sicherstellt, dass seine Wünsche nach seinem Tod in geeigneter Form umgesetzt werden. Die wunschgemäße Umsetzung der letztwilligen Verfügungen liegt mangels besonderer Regelungen in den Händen der Stiftungsbehörde, die nach § 83 S. 2 BGB eine unvollständige Satzung ergänzt oder eine Satzung erstmals gibt. Obwohl die Stiftungsbehörde nach § 83 S. 2 Hs. 2 BGB den Willen des Stifters berücksichtigen soll, 16.30 erscheint es insbesondere bei nicht ausformulierten Satzungen ratsam, die Umsetzung des Erblasserwillens durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung abzusichern4. Der Erblasser muss dabei die Person des Testamentsvollstreckers nicht unbedingt selbst bestimmen, sondern kann dies einem Dritten (§ 2198 BGB) oder dem Nachlassgericht (§ 2200 BGB) überlassen. Empfehlenswert ist

1 Vgl. auch FG Hessen v. 8.3.2004 – 4 K 1260/01, EFG 2004, 1251. 2 Um die Stiftung nicht mit einer schon im Todeszeitpunkt unzeitgemäßen Satzung zu belasten, sollte das Testament auch insoweit regelmäßig geprüft werden (mindestens alle drei bis fünf Jahre). 3 Wachter, BB 2017, 2631; OLG München v. 4.7.2017 – 31 Wx 211/15, FamRZ 2017, 1967; OLG Stuttgart v. 10.6.2009 – 8 W 501/08. 4 Vgl. Bengel/Reimann/Maier, Handbuch der Testamentsvollstreckung, 6. Aufl., Kap. V, Rz. 297.

Stein 699

§ 16 Rz. 16.31

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es allerdings, mit dieser Aufgabe eine Person zu beauftragen, die sowohl über die erforderlichen geschäftlichen Erfahrungen als auch über ein hinreichendes Maß an Sachverständnis für das Stiftungsrecht verfügt – und natürlich das Vertrauen des Stifters genießt. Regelmäßig dürfte es genügen, die Aufgabe des Testamentsvollstreckers auf die Herbeiführung einer Anerkennung der Stiftung und die anschließende Vermögensübertragung zu beschränken1. Dann handelt es sich um einen Fall der Abwicklungsvollstreckung. Beratungshinweis: Wegen möglicher Probleme bei der Anerkennung der Stiftungssatzung empfiehlt es sich, dem Testamentsvollstrecker die Befugnis einzuräumen, die Stiftungssatzung soweit zu ändern und zu ergänzen, dass die Anerkennung erteilt werden kann. Bedenkenswert ist auch eine Befugnis zur Anpassung an geänderte Umstände, wenn zwischen Errichtung der letztwilligen Verfügung und Todeszeitpunkt die rechtlichen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich gravierend verändert haben. Dazu sollten die übergeordneten Ziele klar formuliert werden, die eine Anpassung entsprechend dem Erblasserwillen erlauben. Im Zweifel steht der ausgewählte Testamentsvollstrecker dem Stifter näher als eine Behörde, was eine angemessene Umsetzung des Stifterwillens durch den Testamentsvollstrecker erwarten lässt. Ob eine darüber hinausgehende Dauertestamentsvollstreckung in Angelegenheiten der Stiftung zweckmäßig ist, erscheint angesichts möglicher Interessenkonflikte zwischen Stiftungsvorstand als Vertreter einer von Todes wegen begünstigten Person und dem Testamentsvollstrecker in seiner Eigenschaft als Nachlassverwalter zweifelhaft2. Zu vermeiden ist aber eine Klausel, wonach das Inkrafttreten der Satzung bei gemeinnützigen Stiftungen von einer behördlichen Anerkennung abhängt, weil nach der Rechtsprechung bis zur Anerkennung keine wirksame Satzung i.S.d. § 60 Abs. 1 AO vorliege, woran auch die bindende Beauftragung eines Testamentsvollstreckers nichts ändere3.

16.31 Die Behandlung des Stiftungsvermögens im Zeitraum zwischen dem Todestag des Stifters und der Anerkennung der Stiftung ist bislang nicht abschließend geklärt. § 84 BGB fingiert lediglich für die Zuwendung des Stifters eine Rückwirkung auf den Todeszeitpunkt. Zu befriedigenden Ergebnissen gelangt man mit der Rechtsfigur einer nicht rechtsfähigen Vorstiftung, die allerdings stiftungsrechtlich nach wie vor umstritten ist4.

16.32 Einstweilen frei. cc) Anerkennung

16.33 Neben dem Stiftungsgeschäft ist gem. § 80 Abs. 1 BGB die Anerkennung der Stiftung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll.5 Nach § 80 Abs. 2 BGB ist die Anerkennung zu erteilen, wenn das Stiftungsgeschäft den Anforderungen des § 81 Abs. 1 BGB genügt, die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint und der Stiftungszweck das Gemeinwohl nicht gefährdet. d) Stiftungsaufsicht

16.34 Da es keine bundesrechtlichen Regelungen über die Stiftungsaufsicht gibt, haben die Länder insoweit von ihrem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht. Dabei werden den Aufsichtsbehörden nach bestehendem Landesrecht (meist in Anlehnung an die Kommunalaufsichtsregelungen) insbesondere Unterrichtungs- und Prüfungsrechte eingeräumt. Oft ist die Aufsichtsbehörde auch zu Ersatzvornahmen von gesetzlich oder satzungsmäßig gebotenen Maßnahmen ermächtigt. Auch die Abberufung von evi-

1 2 3 4 5

Vgl. Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 83 Rz. 18. Vgl. O. Schmidt, ZEV 2000, 438 ff. Vgl. FG Hessen v. 8.3.2004 – 4 K 1260/01, EFG 2004, 1251; Schiffer, DStR 2005, 508 (513). Vgl. Hof in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 6 Rz. 271 ff. m.w.N. Übersicht über die zuständigen Behörden samt Adressen auf der Homepage des Bundesverbandes deutscher Stiftungen (www.stiftungen.org).

700

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.38 § 16

dent ungeeigneten Organmitgliedern sowie die Bestellung von fehlenden Organmitgliedern in dringenden Fällen ist ihr in der Regel landesrechtlich gestattet. Aus Verfassungsgründen muss sich die staatliche Aufsicht für Privatstiftungen grundsätzlich auf eine reine Rechtsaufsicht beschränken1. In Bezug auf Privatstiftungen und insbesondere Familienstiftungen ist teils die Aufsicht ausdrücklich eingeschränkt worden2. Beratungshinweis: Die Stiftungssatzung sollte vorausschauend Regelungen enthalten, die ein Eingreifen der Stiftungsaufsicht in der Regel überflüssig machen. Hierdurch wird verhindert, dass eine regelmäßig mit wirtschaftlichen Sachverhalten nicht vertraute Verwaltungsbehörde richtungsweisende Entscheidungen in der Stiftung trifft. Es liegt im eigenen Interesse der Stiftung, Kontrollorgane vorzusehen und ein effektives Risikomanagementsystem einzurichten.

16.35

Einstweilen frei. e) Rechnungslegungs- und Prüfungspflichten In fast allen Bundesländern bestehen gesetzliche Vorlagepflichten, die die Prüfung der Wirtschaftsführung ermöglichen sollen3. Hierzu hat die Stiftung der Aufsichtsbehörde eine Jahresabrechnung mit einer Vermögensübersicht und einen Bericht über die Erfüllung des Stiftungszwecks vorzulegen. In einigen Bundesländern soll schon vor Beginn des Rechnungsjahrs ein Haushaltsplan bzw. Voranschlag erstellt werden4. Auch kann mitunter die Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer verlangt werden5.

16.36

f) Rechtsstellung der Begünstigten Die Rechtsstellung der Destinatäre bestimmt im Wesentlichen der Stiftungszweck. Nur in dessen Rahmen sind Zuwendungen aus Mitteln der Stiftung zulässig. Mangels abweichender Satzungsregelung haben die Destinatäre grundsätzlich keinerlei Mitgliedschaftsrechte und dementsprechend weder (Mit-)Verwaltungs- noch Kontrollbefugnisse6. Der Stifter sollte prüfen, ob es nicht im Einzelfall sinnvoll ist, den Destinatären solche Rechte in der Satzung einzuräumen. Entsprechende Regelungen sollten allerdings hinsichtlich Umfang und Modalitäten der Rechtsausübung sorgfältig gestaltet sein und ggf. eine Ermächtigung zugunsten der satzungsändernden Organe zur Aufhebung oder Änderung dieser Regelungen vorsehen.

16.37

Leistungsansprüche der Destinatäre entstehen grundsätzlich nur, wenn die Satzung im Hinblick auf bestimmte Destinatäre Leistungspflichten konkretisiert, Stiftungsorgane diese (satzungskonform) zuerkennen oder diese durch Vertrag begründet werden.7 Qualifikation und Umfang der Ansprüche sind umstritten8. Es dürfte sich in der Regel empfehlen, Ansprüche der Destinatäre auszuschließen

16.38

1 Vgl. etwa § 10 Abs. 1 NdsStiftG; BVerwG v. 22.9.1972 – VII C 27.71, BVerwGE 40, 347 ff. 2 Vgl. z.B. § 10 Abs. 2 NdsStiftG. 3 Vgl. zur Prüfungs- und Publizitätspflicht etwa Staudinger/Hüttemann/Rawert, Vorbem. §§ 80 ff. Rz. 104 ff., 169 ff.; §§ 6, 14 11 PublG. Zur Rechnungslegung von Stiftungen s. insbesondere IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung von Stiftungen (IDW RS HFA 5 v. 6.12.2013, zu ERS HFA 5 s. auch Doll/Koss, WPg 2013, 805; Hüttemann, DB 2013, 1561; Kußmaul/Meyering/Richter, DStR 2015, 1328. 4 Vgl. Art. 16 Abs. 1 S. 3 BayStiftG. 5 Vgl. Art. 16 Abs. 4 S. 1 BayStiftG. Zur Prüfung s. insbesondere IDW Prüfungsstandard: Prüfung von Stiftungen (IDW PS 740), FN-IDW 2000, 142. 6 Vgl. Hof in Seifart/v. Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 6 Rz. 156 ff. 7 Vgl. BGH v. 7.10.2009 – Xa ZR 8/08, MDR 2010, 70 = BB 2010, 170: keine Schenkung sondern Rechtsgrund der Zuwendung ist die Satzung (mit der Folge, dass keine Beurkundung nach § 518 BGB erforderlich ist). 8 Vgl. Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 85 Rz. 34 ff.

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§ 16 Rz. 16.39

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oder eindeutig klarzustellen, in welchem Umfang ihnen klagbare Ansprüche zustehen und in welchem Verfahren diese geltend zu machen sind1. g) Änderung der Stiftungssatzung

16.39 Satzungsänderungen sind nur zulässig, wenn sie in der Satzung selbst ausdrücklich vorgesehen oder vom Gesetz gestattet werden. Letzteres setzt in der Regel eine wesentliche Veränderung der vom Stifter zugrunde gelegten Verhältnisse voraus, die eine Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich erscheinen lässt (§ 87 Abs. 1 BGB)2. Um die Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen zu erleichtern, empfiehlt es sich daher, autonome Satzungsänderungen durch den Vorstand oder ein Kontrollorgan zuzulassen. Unter welchen Voraussetzungen eine Satzungsänderung möglich sein soll, ist konkret zu regeln. Es ist ein Mittelweg zu finden zwischen zu detaillierten Regelungen, die eine Anpassung tendenziell erschweren, und Generalklauseln, die die Umgehung des Stifterwillens befürchten lassen. In der Praxis empfiehlt es sich, die geplante Änderung der Satzung im Vorfeld mit der zuständigen Stiftungsbehörde und bei gemeinnützigen Stiftungen zusätzlich mit dem Finanzamt abzustimmen. h) Einfluss von Pflichtteilsrechten

16.40 In erbrechtlicher Hinsicht ist bei der Stiftungserrichtung von Todes wegen und unter Lebenden immer an pflichtteilsberechtigte Personen, insbesondere Abkömmlinge und den Ehegatten des Stifters zu denken. Da diese Ansprüche auf Ausgleich in Geld gerichtet sind und sich nach dem Verkehrswert des Nachlasses richten3, drohen erhebliche Probleme bei der Aufbringung der erforderlichen liquiden Mittel. Bei der Stiftung unter Lebenden sind Pflichtteilsergänzungsansprüche entsprechend §§ 2325 ff. BGB gegeben4. Um die Belastung des Stiftungsvermögens mit Pflichtteilsansprüchen zu vermeiden, gibt es verschiedene Wege: – Zunächst können Pflichtteilsansprüche schon zu Lebzeiten vertraglich ausgeschlossen werden, indem sich der Stifter mit den Berechtigten über den Verzicht auf Pflichtteilsansprüche in notarieller Form einigt (§§ 2346 Abs. 2, 2348 BGB). Das ist sicherlich die beste Lösung, weil sämtliche Unwägbarkeiten auf diese Weise ausgeschlossen werden. – Alternativ erfolgt die Übertragung des Vermögens auf die Stiftung so frühzeitig, dass die Ausgleichsansprüche der Pflichtteilsberechtigten durch Zeitablauf jedes Jahr zu 1/10 abschmelzen und nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren vollkommen ausgeschlossen sind (§ 2325 Abs. 3 BGB). Das setzt allerdings voraus, dass der Stifter schon frühzeitig bereit ist, sich von seinem Vermögen zu trennen5.

1 Hinzuweisen ist auf das Urteil des FG Bremen v. 16.6.2010 – I K 18/10, ZEV 2010, 1801 (rkr.), wonach das Stiftungsgeschäft ein Vertrag i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG sein könne, wenn die Destinatäre Rechtsansprüche gegenüber der Stiftung erwerben (krit. dazu etwa Piltz, ZEV 2011, 236 [238 ff.]). 2 Vgl. Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 87 Rz. 5, 6. 3 Vgl. etwa Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl., S. 81. 4 Vgl. BGH v. 10.12.2003 – IV ZR 249/02, MDR 2004, 755 = FamRZ 2004, 453 = FamRB 2004, 363 = ZEV 2004, 115; Rawert/Katschinski, ZEV 1996, 161 ff. m.w.N.; Medicus, FS Heinrichs, 1998, 381 ff.; LG Baden-Baden v. 31.7.1998 – 2 O 70/98, FamRZ 1999, 1465 = ZEV 1999, 152. 5 Ein Nießbrauchsvorbehalt ist in dieser Hinsicht schädlich. Die 10-Jahres-Frist für Pflichtteilsergänzungsanprüche beginnt nicht zu laufen. Die Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt ist keine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB (BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, MDR 1994, 1015 = FamRZ 1994, 885 = NJW 1994, 1791 f.), weil der Erblasser sich nicht endgültig von seinem Vermögen getrennt hat, solange er die Früchte ziehen kann. Im Übrigen beginnt die 10-Jahres-Frist mit der Anerkennung der Stiftung zu laufen (vgl. etwa Damrau, ZEV 2010, 12).

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Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.43 § 16

– Schließlich kann der Stifter Teile seines Vermögens zugunsten der Pflichtteilsberechtigten zurückbehalten, mit denen die Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche befriedigt werden können. Alternativ können Pflichtteilsberechtigte zu Destinatären der Stiftung eingesetzt werden, wenn sie auf Pflichtteilsansprüche verzichten. Dadurch wird ein Anreiz für einen solchen Verzicht gesetzt. – Bei Errichtung einer Stiftung unter Lebenden könnte der Liquiditätsbedarf auch durch Lebensversicherungen auf das Leben des Stifters abgesichert werden, wobei die Versicherungssumme so bemessen wird, dass die Stiftung alle Pflichtteilsberechtigten ausbezahlen kann. Der Erwerb der Stiftung ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steuerpflichtig, wenn der Stifter Versicherungsnehmer und die Stiftung Berechtigte ist. Stimmen Versicherungssumme und Aufwand für Pflichtteilsansprüche überein, ergibt sich wegen der Behandlung des Pflichtteils als abzugsfähige Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG kein steuerpflichtiger Erwerb1. Spenden an gemeinnützige Stiftungen sind anders als Zuwendungen in den Vermögensstock wegen des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung im Zeitpunkt des Erbfalls im Normalfall nicht mehr vorhanden, so dass die Stiftung selber entreichert i.S.d. § 2329 BGB ist. Die Herausgabepflicht des Dritten scheitert regelmäßig daran, dass dieser nicht festgestellt werden kann und/oder selber bereits entreichert ist2.

16.41

Durch das zur Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie am 26.6.2017 in Kraft getretene geänderte Geldwäschegesetz (GwG) ist ein elektronisches Transparenzregister mit entsprechenden Meldepflichten eingerichtet worden. Das Register soll der Erfassung und Zugänglichmachung von Angaben über den „wirtschaftlich Berechtigten“ dienen (§ 18 Abs. 1 GwG). Danach sind grundsätzlich alle juristischen Personen des Privatrechts und eingetragene Personengesellschaften verpflichtet, Angaben zu ihren „wirtschaftlich Berechtigten“ einzuholen, aufzubewahren, auf dem aktuellen Stand zu halten und der registerführenden Stelle unverzüglich zur Eintragung in das Transparenzregister mitzuteilen (§ 20 Abs. 1 GwG). Auch wenn insbesondere in Bezug auf Stiftungen viele Einzelfragen noch ungeklärt sind, unterliegen alle rechtsfähigen Stiftungen des Privatrechts (§§ 80 ff. BGB) nach §§ 19, 20 Abs. 1 GwG der Verpflichtung, ihre wirtschaftlich Berechtigten zur Eintragung in das Transparenzregister mitzuteilen3. Für öffentlich-rechtliche Stiftungen gilt die Meldepflicht hingegen nicht.

16.42

Die sog. „Meldefiktion“ nach § 20 Abs. 2 GwG, wonach die Mitteilungspflichten an das Transparenzregister dann als erfüllt gelten, wenn die nach dem GwG erforderlichen Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten bereits aus einem anderen Register elektronisch abrufbar sind, greift für Stiftungen hingegen nicht ein, da bislang kein – z.B. dem Handelsregister vergleichbares – öffentliches Stiftungsregister existiert. Die mitunter von den landesrechtlichen Stiftungsaufsichtsbehörden geführten Stiftungsverzeichnisse erfüllen die Anforderungen als Register i.S.d. GwG nicht.

16.42a

Auch eine etwaige Steuerbegünstigung einer Stiftung nach den §§ 51 ff. AO („Gemeinnützigkeit“) 16.42b begründet keine Ausnahme von der Meldepflicht zum Transparenzregister.

II. Typologie der häufigsten Stiftungsarten 1. Gemeinnützige Stiftung Beratungssituation: U, ein 65-jähriger Unternehmer, will sein Lebenswerk bewahren und sicherstellen, dass das Unternehmen, ein GmbH & Co. KG – Konzern unter dem Dach einer Holding GmbH & Co. KG, weiter betrieben wird; gleichzeitig fördert er verschiedene Einrichtungen im gemeinnützigen Bereich und

1 Wegen der Probleme im Zusammenhang mit Pflichtteilsabfindung und Erbschaftsteuer sei hingewiesen auf Crezelius, BB 2000, 2333 ff. 2 Vgl. Kollhosser, ZEV 2004, 117 (118). 3 Vgl. zu dieser Thematik im Einzelnen: Schiffer/Schürmann, BB 2017, 2626.

Stein 703

16.43

§ 16 Rz. 16.44

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will sein Vermögen nach seinem Tode deren Zwecken widmen. Die Familie ist hinreichend durch Privatvermögen versorgt und unterstützt sein Anliegen.

Pro Gemeinnützige Stiftung – Weitgehende steuerliche Begünstigungen bei der Errichtung und in der laufenden Besteuerung: – Spendenabzug (§ 10b EStG) – Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 13 Nr. 16 lit. b) ErbStG) – Buchwertfortführung bei Entnahmen aus einem Betriebsvermögen zur Einbringung in eine gemeinnützige Stiftung (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG) möglich – umfassende Befreiung von der Kapitalertragsteuer (§§ 44a Abs. 4 EStG) – Befreiung von der Körperschaftsteuer (§ 5 Nr. 9 KStG) – Befreiung von der Gewerbesteuer (§ 3 Nr. 6 GewStG) – postmortale Übertragung: rückwirkendes Erlöschen der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG)

Kontra Gemeinnützige Stiftung – Beschränkung auf bestimmte steuerbegünstigte Zwecke (§§ 52–54 AO) – Beachtung der Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts für Satzung und tatsächliche Geschäftsführung erforderlich und Aufsicht durch die Finanzverwaltung (§§ 55–63 AO) – Zuwendungen an den Stifter und seine Angehörigen sind nur in beschränktem Umfang möglich (§ 58 Nr. 6 AO) und führen bei den Empfängern zu steuerpflichtigen Einkünften – Bei Aufhebung der Stiftung können nur das Grundstockvermögen und Zustiftungen an den Stifter zurück übertragen werden, nicht aber Vermögenszuwächse (Vermögensbindung, § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) und das Rückforderungsrecht schließt den Spendenabzug aus – Einschränkung und Gefährdung der Gemeinnützigkeit bei wirtschaftlicher Betätigung (wirtschaftliche Geschäftsbetriebe) oder Verlustausgleich

Unternehmenskontinuität ist ein Ziel, das vielen Unternehmern am Herzen liegt. Die Stiftung verspricht eine „ewige Testamentsvollstreckung“ und scheint daher diesem Anliegen optimal Rechnung zu tragen. Denn die Stiftung ist an die Vorgaben des Stifters gebunden wie der Testamentsvollstrecker an die des Erblassers, unterliegt aber nicht der zeitlichen Beschränkung der Testamentsvollstreckung auf dreißig Jahre nach § 2210 BGB. Gleichzeitig ist die Übertragung von Vermögen auf eine gemeinnützige Stiftung in vielerlei Hinsicht steuerlich privilegiert. Die wesentlichen steuerlichen Gesichtspunkte werden in Rz. 16.87 ff. skizziert. 2. Inländische Familienstiftung

16.44 Beratungssituation: Abwandlung: U ist der Ansicht, dass seine Familienangehörigen weder zur Führung des Unternehmens geeignet sind noch mit Geld umgehen können. Er möchte aber ihre Versorgung sicherstellen und erwägt deswegen die Errichtung einer Familienstiftung, um eine dauerhafte Vermögensverwaltung zugunsten der Familie einzuführen.

Pro Familienstiftung – Versorgung des Stifters und seiner Familie uneingeschränkt möglich – Verzicht auf Pflichtteilsrechte wahrscheinlich leichter zu erreichen, wenn die Pflichtteilsberechtigten Destinatäre sind (ggf. Anspruch auf Leistungen in der Satzung verankern) – und/oder in Organen der Stiftung mitwirken

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Kontra Familienstiftung – Erbersatzsteuer alle 30 Jahre (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) – Grundsätzlich unwiderrufliche Entscheidung – Zusammenhalt der Familie kann bei weitgehender Entmündigung leiden

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Pro Familienstiftung – Laufender Erwerb von Destinatären unterliegt nicht der ErbSt aber der ESt-Steuerklassenprivileg des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG: StKl. abhängig vom Verwandtschaftsgrad zum entferntest Berechtigten – Erbersatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) ist kalkulierbarer – Begünstigungen der §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG stehen zur Verfügung, insbesondere die Möglichkeit zur Wahl eines Erwerbers ohne verfügbares Vermögen i.S.d. § 28a ErbStG für Großerwerbe – Gestaltungsinstrument zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung1

Rz. 16.46 § 16

Kontra Familienstiftung

Die Familienstiftung ist der Prototyp der privaten Stiftung. Eine Legaldefinition findet sich im BGB nicht. Gleichwohl wird ihrer typologischen Sonderstellung durch einige Landesrechte und das Steuerrecht Rechnung getragen. Unter einer Familienstiftung versteht man insbesondere

16.45

– Stiftungen, die wesentlich im Interesse einer oder mehrerer Familien errichtet worden sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG), – Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind (§ 15 Abs. 2 AStG), Unter den Begriff der Familie fallen regelmäßig alle Personen, die von § 15 AO erfasst werden. Die erforderliche Intensität des Familienbezugs wird durchgängig quantitativ aufgefasst. Vor dem Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts wurde von Reuter und Rawert vertreten, dass reine Unterhaltsstiftungen (Familienstiftungen) wegen der Umgehung der erbrechtlichen Vorschriften über die zeitliche Beschränkung von Nachlassbindungen unzulässig sind1. Die h.M. sah bereits jedoch nach altem Recht keine Zulässigkeitsbeschränkung in dieser Hinsicht2. Nach neuem Recht bestehen an der Zulässigkeit der Familienstiftung keine grundlegenden Zweifel, da der Gesetzgeber offensichtlich der Bund-Länder-Arbeitsgruppe gefolgt ist, die für eine Einschränkung oder ein Verbot der Familienstiftung keine Gründe gesehen hat.3

16.45a

Jedoch sollten bei der Errichtung einer Stiftung im dynastischen Interesse zum Zwecke einer ewigen Testamentsvollstreckung eine Vielzahl praktischer Probleme berücksichtigt werden:

16.46

– Die Entscheidung zur Einbringung von Vermögen in eine Familienstiftung ist grundsätzlich endgültig. Es kann geradezu als Beratungsfehler gelten, auf die Gefahr des Vermögensverlustes nicht hinzuweisen. Regelmäßig wird es sich empfehlen, dem Stifter ein Aufhebungsrecht einzuräumen und den Heimfall des Vermögens an ihn für diesen Fall vorzusehen.

1 Vgl. etwa Zensus/Schmitz, NJW 2012, 1323 (1328 ff.). 1 Vgl. Staudinger/Rawert, Vorbem. §§ 80 ff. Rz. 185 ff.; MüKo.BGB/Reuter, Vor § 80 Rz. 17 ff. 2 Vgl. Pöllath in Seifart/v. Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 14 Rz. 29 m.w.N.; Staudinger/Hüttemann/Rawert, Vorbem. §§ 80 ff. Rz. 186 ff. 3 Vgl. Palandt/Ellenberger, § 80 Rz. 8; Pöllath/Richter in Seifart/v. Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 13 Rz. 29 mwN; Hüttemann, ZHR 167 (2002) 35 (63) will die Klärung dieser Frage nach wie vor der Wissenschaft und Praxis überlassen wissen, und regt an zu prüfen, inwieweit das Verbot der Fideikommisse und erbrechtliche Wertungen zu einem Eingreifen des Gemeinwohlvorbehalts führen.

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§ 16 Rz. 16.47

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– Als grundsätzlicher Nachteil von privaten Stiftungen kann sich das Fehlen von Gesellschaftern erweisen. Die Entscheidung unabhängiger Teilnehmer am Markt birgt noch immer die beste Richtigkeitsgewähr. Diese Kontrolle von außen fehlt der Stiftung. Das kann der flexiblen und schnellen Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen insbesondere bei unternehmensverbundenen Stiftungen im Wege stehen. – Die Möglichkeiten der Kontrolle über die Organe kann sich als Achillesferse erweisen. Soweit die Organe der Stiftung (regelmäßig Vorstand und Kuratorium) der Familie keine Rechenschaft über ihre Tätigkeit geben müssen, besteht immer die Gefahr, dass die Stiftung zu deren Selbstbedienungsladen wird. Da Familienstiftungen i.d.R. nicht gemeinnützig sind, müssen die Organe nicht mit der Überprüfung der Geschäftsführung durch die Finanzverwaltung rechnen. Unter diesem Gesichtspunkt ist besonders zu berücksichtigen, dass die Stiftungsaufsicht über Familienstiftungen in einigen Bundesländern eingeschränkt ist. Eine Möglichkeit, dieser Missbrauchsgefahr entgegenzuwirken, ist die Vertretung der Familie im Kontrollorgan und die Gewährung klagbarer Ansprüche der Destinatäre. – Der dauerhafte Ausschluss der Familienmitglieder von Entscheidungen über das Familienvermögen kann den Zusammenhalt zwischen Familienstiftung und den begünstigten Familienmitgliedern, aber auch innerhalb der Familie nachhaltig belasten. Auch unter diesem Gesichtspunkt empfiehlt sich die institutionelle Einbindung der Familie. – Die Stiftung soll in vielen Fällen das unternehmerische Vakuum füllen, indem eine für Familienfremde attraktive Struktur geschaffen und die Grundlage für ein erfolgreiches Fremdmanagement gelegt wird. Diese Annahme mag richtig sein, soweit der Einfluss nicht sachgerechter Befindlichkeiten aus der Familiensphäre auf die Tagesgeschäfte ausgeschaltet wird. Allerdings stellt sich die Frage, welche Anreize für eine „shareholder value“-bezogene Unternehmensführung bestehen, wenn die wirtschaftlichen Nutznießer (die Destinatäre) von maßgeblicher Einflussnahme ausgeschlossen werden. Beratungshinweis: Trotz aller grundsätzlichen Probleme zeigen erfolgreiche Beispiele von Familienstiftungen, dass die Gestaltungsziele Unternehmenskontinuität und dauerhafte Versorgung der Familie durchaus verwirklicht werden können. Zwei Faktoren dürften wesentlich sein: eine maßgeschneiderte Satzung und eine sorgsame Besetzung der Ämter.

3. Gemeinnützige Familienstiftung

16.47 Beratungssituation: Abwandlung: Ihr Mandant U möchte sowohl die Familie versorgt wissen als auch sein Vermögen nach dem Tod gemeinnützige Zwecken widmen.

16.47a Wenn die Versorgung der Familie nicht hinreichend abgesichert ist, ist zu prüfen, wie die Zielsetzungen, die Allgemeinheit zu unterstützen und den Unterhalt der Familie abzusichern, miteinander versöhnt werden können. Von besonderem Interesse im Hinblick auf die Versorgung von Angehörigen ist die Regelung des § 58 Nr. 6 AO. Danach darf die Stiftung bis zu einem Drittel ihres Einkommens dazu verwenden, den Stifter und seine nächsten Angehörigen zu unterhalten, ihre Gräber zu pflegen und ihr Andenken zu ehren (sog. gemeinnützige Familienstiftung). Trotz der auf den ersten Blick geringen Quote ist diese Gestaltung wegen der steuerlichen Vorteile der Gemeinnützigkeit nicht unattraktiv. Die Finanzverwaltung interpretiert diese Vorschrift allerdings sehr restriktiv. Aus dem Begriff der nächsten Angehörigen wird geschlossen, dass die Versorgung weiterer Generationen über die Enkel hinaus ausgeschlossen sei1. Der Begriff umfasse nur Ehegatten, Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel (auch falls durch Adoption verbunden), Geschwister, Pflegeeltern, Pflegekinder. Maßstab für die Angemessenheit der Unterhaltsleistungen an den Stifter und dessen nächste Angehörige sei der Lebensstandard des Zuwendungsempfängers – nicht des Stifters2. Sei deren Unterhalt anderweitig in 1 AEAO zu § 58 Nr. 6 Rz. 6. 2 AEAO zu § 58 Nr. 6 Rz. 7.

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.51 § 16

angemessener Höhe gewährleistet, liege keine unschädliche Zuwendung vor1. Die Satzung dürfte danach nicht generell Ausschüttungen in Höhe eines Drittels des Einkommens der Stiftung ohne Bezug auf die Angemessenheit erlauben. Beratungshinweis: Bei der Formulierung der Stiftungssatzung sollte man sich bei den möglichen Ausschüttungen eng am Gesetzeswortlaut orientieren. Dokumentieren Sie die Angemessenheit des Unterhalts. Die Einholung einer verbindlichen Auskunft ist sicherlich überlegenswert, wobei wegen der Umstände des Einzelfalls nicht absehbar ist, ob im Einzelfall eine solche Absicherung erhältlich sein wird.

Der Versorgungszweck wird vereitelt, wenn die Stiftung nicht über genügende Erträge verfügt. Es ist daher vielfach nicht möglich, auf der Grundlage einer auf einen Mindestbetrag festgesetzten Zuwendung die Versorgung der Angehörigen sicherzustellen, ohne möglicherweise in späteren Zeiträumen die Gemeinnützigkeit zu gefährden. Denn die Vermögenssubstanz darf außerhalb der Auflösung nicht an die Familie ausgekehrt werden (§§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 4, 61 AO).

16.48

Nach der Rechtsprechung des BFH2 kann eine fixierte Zahlung ohne Verstoß gegen das Gemeinnützigkeitsrecht dadurch gewährleistet werden, dass die Zahlungsverpflichtung der Stiftung bei Übergang des Vermögens auferlegt wird. Der BFH vertritt die Auffassung, dass die entsprechenden Mittel der Stiftung in diesem Fall von Anfang an das Stiftungsvermögen belasten. Allerdings hält die Finanzverwaltung an ihrem Nichtanwendungserlass3 unverändert fest4. Nach Auffassung des BMF sind Zahlungen aufgrund von Auflagen in die Drittelgrenze des § 58 Nr. 6 AO einzubeziehen. Darüber hinausgehende Verpflichtungen müssten aus dem Vermögensstamm erbracht werden. Dies wird aber u.U. gegen den Grundsatz der Vermögensbindung und die Stiftungssatzung verstoßen und erfordert im Übrigen bei Geldleistungsverpflichtungen auch entsprechende Liquidität.

16.49

Eine Alternative besteht darin, dass sich der Stifter vor der Übertragung der Vermögensgegenstände einen Teil der Erträge vorbehält, insbesondere durch Bestellung eines Nießbrauchs. Das ist für die Gemeinnützigkeit unschädlich, weil das Vermögen bereits im Zeitpunkt des Übergangs gemindert ist.5

16.50

4. Doppelstiftung Beratungssituation: Abwandlung: Ihr Mandant U hat der Tagespresse entnommen, dass größere Familienunternehmen in zwei Stiftungen überführt worden seien, bei denen eine Stiftung der Familie diene und die andere gemeinnützig sei. Er möchte wissen, wie diese Gestaltung funktioniert und ob sie für ihn empfehlenswert ist.

Pro Doppelstiftung – Steuerliche Optimierung möglich – „Umgehung“ der gemeinnützigkeitsrechtlichen Restriktionen möglich

Kontra Doppelstiftung – relativ aufwendige und komplizierte Gestaltung – Gefahr des Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO, vor allem bei extrem gegenläufigen Vermögens- bzw. Gewinnbeteiligungen) – einige ungeklärte Rechtsfragen6

1 OFD Magdeburg, Vfg. v. 18.5.2004 – S 1900-22-St 217, S 0171-155-St 217, KStK § 5 KStG Karte 8.70 Blatt 1. 2 BFH v. 21.1.1988 – II R 16/95, BStBl. 1998 II, 758 f. 3 BMF v. 6.11.1998, BStBl. 1998 I, 1446. 4 BMF v. 9.4.2013, Nr. 50, BStBl. 2013 I, 522. 5 OFD Magdeburg, Vfg. v. 18.5.2004 – S 1900-22-St 217, S 0171-155-St 217, KStK § 5 KStG Karte 8.70 Blatt 1. 6 Vgl etwa Werner, ZEV 2012, 244 (246).

Stein 707

16.51

§ 16 Rz. 16.52

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

16.52 Das Konzept der Doppelstiftung kann als rechtlicher und steuerrechtlicher Ansatz für ein optimiertes Kombinationsmodell aus zwei selbständigen Stiftungen bezeichnet werden, das im Rahmen der Unternehmensnachfolge eingesetzt wird. Eine gemeinnützige Stiftung soll neben einer Familienstiftung den Anliegen Rechnung tragen, sowohl die Allgemeinheit zu unterstützen als auch die Versorgung der Familie auch über die Drittel-Grenze des § 58 Nr. 6 AO hinaus sicherzustellen und deren Einfluss auf das Unternehmen zu bewahren. Gleichzeitig soll die Steuerbelastung aus Anlass des Generationenwechsels minimiert werden.

16.52a Modell: Das Unternehmen wird von einer Kapitalgesellschaft getragen. In der Praxis ist dies fast immer eine GmbH. Andere Gesellschaftsformen wie die Personengesellschaft (wegen der steuerlichen Nachteile, die daraus resultieren, dass die Beteiligung als Mitunternehmer immer einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb darstellt1) oder die AG (insbesondere wegen des Prinzips der formellen Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 AktG und weil Vorzugaktien nach § 139 Abs. 2 AktG nur bis 50 % des Grundkapitals gewährt werden dürfen) sind hierfür wenig tauglich2. Die beiden Stiftungen sind Gesellschafter der (Holding-)Kapitalgesellschaft.

16.53 Denkbar ist folgende Vorgehensweise: Zunächst ist der Unterhaltsbedarf der Familie zu ermitteln. Alle Geschäftsanteile, die für den Unterhalt der Familie nicht benötigt werden, werden auf eine gemeinnützige Stiftung übertragen. Die restlichen Geschäftsanteile werden ganz oder teilweise auf eine Familienstiftung übertragen, die entscheidenden Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens erhält, indem die Stimmrechte der von der gemeinnützigen Stiftung gehaltenen Anteile beschnitten oder ausgeschlossen werden.

16.54 Familienstiftung und gemeinnützige Stiftung müssen in gemeinschaftlicher Verantwortung für die erfolgreiche Zukunft des Unternehmens eng zusammenarbeiten. Das gemeinsame Interesse soll die notwendige Kooperation im Kreise der Gesellschafter gewährleisten.

16.55 Das Modell der Doppelstiftung hat den Nachteil, dass es verhältnismäßig kompliziert ist. Der Regelungsbedarf, um den Ausgleich unterschiedlicher Interessen von vielen Beteiligten (Leitung der gemeinnützigen Stiftung, Leitung und Berechtigte der Familienstiftung und Unternehmensführung) konfliktarm und stabil durchzuführen, darf nicht unterschätzt werden. Ob die Gestaltung steuerlich günstiger ist als eine gemeinnützige Familienstiftung, ist im Einzelfall zu prüfen. Neben der Umgehung gemeinnützigkeitsrechtlicher Restriktionen können auch erbschaftsteuerliche Gesichtspunkte ausschlaggebend sein. Durch inkongruente Verteilung von Kapital, Stimmrechten und Gewinnbezugsrechten lässt sich zwar die Steuerbelastung weiter optimieren, es wächst aber auch die Gefahr, dass die Gestaltung als missbräuchlich i.S.d. § 42 AO angesehen wird. 5. Verbrauchsstiftung

16.56 Kleine und mittlere Stiftungen können mit der Ausschüttung ihrer jährlichen Erträge für ihren guten Zweck nur wenig Kapital erbringen. Für Stifter, die noch zu ihren Lebzeiten mit ihrem Vermögen möglichst viel bewirken wollen, ist die Form der Verbrauchsstiftung eine Alternative zu der „traditionellen“ Stiftung, da diese auch ihre Vermögensausstattung ganz bzw. teilweise zur Erfüllung ihrer Stiftungszwecke verwenden kann. Unter welchen Voraussetzungen Verbrauchsstiftungen anerkennungsfähig sind, war in der Vergangenheit nicht geregelt, so dass die Praxis uneinheitlich war. § 80 Abs. 2 S. 2 BGB in der Fassung des Ehrenamtsstärkungsgesetzes bestimmt nun, dass „bei einer Stiftung, die für eine bestimmte Zeit errichtet und deren Vermögen für die Zweckverfolgung verbraucht werden soll (Verbrauchsstiftung), die dauernde Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint, wenn die Stiftung für einen im Stiftungsgeschäft festgelegten Zeitraum bestehen soll, der mindestens 1 BFH v. 27.7.1988 – I R 113/84, BStBl. 1989 II, 134 f., siehe hierzu aber BFH v. 25.5.2011 – I R 60/10, GmbHR 2011, 942 zur Beteiligung einer gemeinnützigen Stiftung an einer gewerblich geprägten GmbH & Co. KG. 2 Vgl. Schnitger, ZEV 2001, 104 (105).

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.59 § 16

zehn Jahre umfasst“1.Denkbar ist auch die Kombination der Verbrauchsstiftung mit der „Ewigkeitsstiftung“.2 Pro Verbrauchsstiftung – geringes Stiftungsvermögen ist ausreichend – die Verbrauchsstiftung darf ihr gesamtes Stiftungskapital mit einsetzen bis zur Erreichung des gesetzten Ziels – der Stifter hat die Möglichkeit, die Geschicke der Stiftung von Anfang an zu steuern (Mitwirkungsrecht im Stiftungsvorstand) – die Verbrauchsstiftung kann sowohl selbständig rechtsfähig als auch nicht rechtsfähig unselbständig errichtet werden – nahezu beliebige Zwecksetzung – zeitlich begrenzt – Möglichkeit einer Kombination von Ewigkeitsstiftung mit der Verbrauchsstiftung zur Erlangung von Zusatzbegünstigungen

Kontra Verbrauchsstiftung – Mindestlebensdauer der Stiftung darf 10 Jahre nicht unterschreiten – keine zusätzlichen Begünstigungen von Spenden in den Vermögensstock von Verbrauchsstiftungen3

6. Unternehmensträgerstiftung Die Zulässigkeit unternehmensverbundener Stiftungen steht nach dem Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts grundsätzlich nicht mehr in Frage4. Umstritten ist, ob trotzdem Grenzen der Zweckgestaltung bestehen. Unzulässig bleibt wohl die Unternehmensselbstzweckstiftung5. Darunter versteht man eine Stiftung, deren einziger Zweck darin besteht, ein Unternehmen zu betreiben. Insoweit ist auch bei Gründung einer Stiftung & Co. zu beachten, dass es unzulässig ist, eine Stiftung ausschließlich zu dem Zweck zu gründen, Komplementärin der Kommanditgesellschaft zu sein6. In der Praxis ist allerdings eine Stiftung genehmigungs- bzw. anerkennungsfähig, die im Interesse des Stiftungszwecks als Komplementärin Unternehmensaktivitäten ausübt.7

16.57

a) Stiftungsunternehmen und Beteiligungsträgerstiftung Es ist zweckmäßig, zwischen dem Stiftungsunternehmen und der Beteiligungsträgerstiftung zu unterscheiden.

16.58

Beim Stiftungsunternehmen wird das Unternehmen von der Stiftung selbst betrieben. Die Stiftung wird dann nicht nur Träger des Vermögens des Unternehmens, sondern zugleich der Unternehmer selbst. War der Unternehmer wegen des Betreibens des Unternehmens Kaufmann i.S.d. Handelsrechts, so ist es jetzt auch die Stiftung.

16.59

1 Zur Verbrauchsstiftung von Oertzen/Friz, BB 2014, 87. 2 Vgl. Hakert, NWB 2018, 877. 3 OFD Frankfurt/M., Vfg. v. 13.6.2008, DB 2008, 2002 (2168) und § 10b Abs. 1a S. 2 EStG i.d.F. des Ehrenamtsstärkungsgesetzes, s. auch BMF-Schreiben v. 15.9.2014, BStBl. I 2014, 1278. 4 Das war nach altem Recht umstritten: für Unzulässigkeit etwa: MüKo.BGB/Weitemeyer, § 80 Rz. 148; Staudinger/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 132; h.M. zulässig, vgl. etwa: Soergel/Neuhoff, Vor § 80 Rz. 65 ff.; K. Schmidt, DB 1987, 261 (262). 5 Hüttemann, ZHR 167 (2003), 35 (60 f.); K. Schmidt, DB 1987, 261; ganz h.M., vgl. Staudinger/Hüttemann/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 139, 150 ff. 6 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1667. 7 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1667.

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§ 16 Rz. 16.60

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

16.60 Bei einer Beteiligungsträgerstiftung ist die Stiftung an der das Unternehmen betreibenden Gesellschaft lediglich beteiligt. Die Stiftung kann entweder an einer Kapitalgesellschaft oder an einer Personengesellschaft beteiligt sein. Es kommt auch vor, dass sie an einer Holding beteiligt ist, die Muttergesellschaft weiterer Unternehmen ist.

16.61 Bei der personengesellschaftlichen Gestaltung kann die Stiftung Gesellschafterin einer oHG oder KG werden. Bei der Beteiligung an einer oHG oder als Komplementärin an einer KG (Stiftung & Co.) ist jedoch zu beachten, dass die Stiftung dann auch unbeschränkt haftet. Während die Stiftung als Gesellschafterin einer oHG hier zu Lande äußerst selten ist, wird die Stiftung & Co. wegen ihrer haftungs-, bilanz-, und mitbestimmungsrechtlichen Vorteile häufiger empfohlen1. Die Vorteile2 einer Stiftung & Co.-Konstruktion sind im Wesentlichen die folgenden Punkte: – Bei der Stiftung & Co. ist die beschränkte Haftung natürlicher Personen noch umfassender, denn eine Durchgriffshaftung für die hinter einer Komplementär-Kapitalgesellschaft stehenden Gesellschafter ist bei der Komplementär-Stiftung als rechtsfähigem Sondervermögen denkgesetzlich ausgeschlossen. – Während die Kapitalgesellschaft & Co. als gewerblich geprägte Personengesellschaft gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG stets und in vollem Umfang und unabhängig von ihrer Tätigkeit als Gewerbebetrieb gilt, ist die Tätigkeit einer Stiftung & Co. nur dann als Gewerbebetrieb anzusehen, wenn sie tatsächlich die allgemeinen Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 EStG erfüllt. – Eine Stiftung ist, gerade in der Rolle des Komplementärs, in der Lage, nach dem Tod die Ausführung des Stifterwillens zu garantieren, ohne dass etwa eine zeitliche Beschränkung vorliegen würde. – Die Regeln über die Unternehmensmitbestimmung finden auf die unternehmensverbundenen Stiftungen in keinem Fall Anwendung, da die Stiftung nicht zu den enumerativ aufgezählten Rechtsformen der Mitbestimmungsgesetze gehört3. – Die Publizität lässt sich allerdings durch die Konstruktion der Stiftung & Co. nicht vermeiden (§ 264a HGB).

16.62 Des Weiteren kann die Stiftung auch an einer Kapitalgesellschaft wie z.B. einer GmbH oder AG beteiligt werden. Diese Gesellschaften können ihrerseits Muttergesellschaften weiterer Beteiligungsgesellschaften (Personen- oder Kapitalgesellschaften) sein. Durch die Rechtsform der Stiftung sind dem Konzernaufbau (§§ 18, 19 AktG analog) grundsätzlich keine Grenzen gesetzt4. Vorteilhaft an der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist die bestehende Haftungsbeschränkung für die Stiftung selbst. b) Zweckmäßige Satzungsregelungen

16.63 Ein Unternehmer als natürliche Person kann flexibel auf Marktveränderungen oder vorher nicht bedachte Konstellationen reagieren. Eine Stiftung ist auf ihren Stiftungszweck festgelegt. Dies kann bei Unternehmen, die in der Rechtsform einer Stiftung betrieben werden, zu Problemen führen. Versuche, durch die Satzung Gremien einzurichten, die den Willen der Stiftung autonom, d.h. losgelöst vom Stiftungszweck, bilden, sind nicht zulässig5. Für die Reaktion auf veränderte Verhältnisse bleibt lediglich eine Zweck- und Satzungsmodifikation, die aber immer die festgeschriebene Absicht des Stifters zu beachten hat und zudem der Zustimmung der Aufsichtsbehörde bedarf. Die gebotene Fle1 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1669; Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1940. 2 Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1940, 1942. 3 Vgl. §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 MitBestG 1976; § 1 DrittelbG; § 1 Abs. 1 u. 2 MontanMitBestG; § 1 Abs. 1 MitBestErgG; allerdings findet in einem Betrieb eines Unternehmens rechtsformunabhängig die betriebliche Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz statt (§ 1 BetrVG 1972). 4 Berndt/Götz, Stiftung und Unternehmen, 8. Aufl. 2009, Rz. 1858. 5 Vgl. MüKo.BGB/Weitemeyer, § 85 Rz. 2; Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 85 Rz. 12.

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.67 § 16

xibilität kann nur durch Regelungen in der Satzung erreicht werden, die den Organen einen angemessenen Spielraum einräumen. Auf verständliche Wünsche des Unternehmenseigners, in der Stiftungssatzung den Erhalt und die Führung des Unternehmens unabänderlich festzulegen, sollte in der Beratungspraxis mit Skepsis reagiert werden. Es ist zu bedenken, dass die Satzung und der Stiftungszweck im Kern für die Ewigkeit bestehen bleiben und niemand Veränderungen des Marktes genau voraussehen kann. Einfacher stellt sich die Lage bei Beteiligungsträgerstiftungen dar. Auch hier sollte aber darauf geachtet 16.64 werden, dass eine Umstrukturierung der das Unternehmen tragenden Gesellschaft oder deren Veräußerung durch die Stiftungssatzung nicht behindert wird. Ein marktgerechtes Handeln des Stiftungsvorstandes kann auch dazu zwingen, Handlungen vorzunehmen, zu denen sich der Stifter zu Lebzeiten nicht hätte entschließen wollen. Zu diesen Maßnahmen muss gegebenenfalls auch die Trennung von dem Unternehmen oder Unternehmensteilen gehören. Insbesondere bei gemeinnützigen Stiftungen muss der denkbare Interessengegensatz zwischen Stiftungsvorstand und Unternehmensmanagement gesehen werden. Der Stiftungsvorstand wird bestrebt sein, einen möglichst hohen Ertrag für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu haben. Das Unternehmensmanagement wiederum hat die Aufgabe, das Unternehmen auf einer gesicherten Kapitalbasis in die Zukunft zu führen. Dieser Zielkonflikt kann insbesondere hinsichtlich des Ausschüttungsverhaltens zu Friktionen führen und muss einer allen Interessen zuträglichen Lösung zugeführt werden. In der Regel empfiehlt es sich trotzdem, die Unternehmensführung von dem Stiftungsvorstand auch personell zu trennen. Dies gilt umso mehr, als die Verwaltung einer gemeinnützigen Stiftung vielfach andere Persönlichkeiten erfordern wird, als dies bei der täglichen Führung eines Unternehmens der Fall ist.

16.65

III. Steuerrechtliche Fragen Beratungssituation: Ihr Mandant ist sich sicher, dass er sein Vermögen auf eine Stiftung übertragen möchte. Er will von Ihnen wissen, ob die Übertragung zu Lebzeiten steuerlich günstiger ist. Ferner möchte er wissen, wie die Erträge der Stiftung steuerlich belastet werden. Er ist gewillt, die steuerlich günstigste Gestaltung zu wählen.

16.66

Eine umfassende Darstellung der Besteuerung von Stiftungen ist im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich. Daher sollen ohne Anspruch auf Vollständigkeit nur einige wesentliche steuerliche Aspekte im Lebenszyklus einer Stiftung von der Errichtung bis zur Auflösung oder Aufhebung beschrieben werden. 1. Besteuerung der Stiftungserrichtung a) Einkommensteuer Die einkommensteuerlichen Folgen der Stiftungserrichtung – und späterer Zustiftungen – richten sich danach, welche Vermögensgegenstände auf die Stiftung übertragen werden. Die Stiftungserrichtung ist für den Stifter ertragsteuerfrei, sofern die Stiftung mit Mitteln aus dem Privatvermögen ausgestattet wird. Auch bei der unentgeltlichen Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S.d. § 17 EStG erfolgt keine Besteuerung. Da weder ein Kaufpreis gezahlt noch eine Gegenleistung in Form von Gesellschaftsrechten gewährt wird, fehlt es an einer Veräußerung der wesentlichen Beteiligung. Der Tatbestand des § 17 Abs. 1 S. 2 EStG greift nur bei verdeckten Einlagen in Kapitalgesellschaften. Somit wird kein Gewinnrealisierungstatbestand erfüllt. Das gilt auch für einbringungsgeborene Anteile i.S.d. § 21 UmwStG a.F.1. Auch nach dem SEStEG greifen keine Ersatzrealisationstatbestände i.S.d. § 22 Abs. 1 UmwStG. § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 1 UmwStG betrifft nur die verdeckte Einlage in ein Kapitalgesell1 Vgl. auch Götz, Inf 1997, 141, 144.

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16.67

§ 16 Rz. 16.68

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

schaft oder Genossenschaft.1 § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 6 UmwStG knüpft nur an die Person des Einbringenden oder der übernehmenden Gesellschaft an. Soweit man bei unentgeltlicher Rechtsnachfolge verlangt, dass der Rechtsnachfolger die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG erfüllt,2 sollte jedenfalls bei einer inländischen Stiftung keine Ersatzrealisation erfolgen, weil das Recht zur Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile unberührt bleibt. Eine Veräußerung innerhalb der Sperrfrist durch die Stiftung wäre dann wohl aber als Ersatzrealisation anzusehen.

16.68 Werden allerdings Einzelgegenstände aus dem Betriebsvermögen unentgeltlich übertragen, so führt dies u.U. zu einem steuerpflichtigen Entnahmegewinn. Nur in den Fällen der Übertragung des Wirtschaftsgutes auf eine steuerbefreite Stiftung kann gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG der Buchwert des entnommenen Wirtschaftsguts fortgeführt und so die Realisierung stiller Reserven vermieden werden3. Durch den Verzicht auf die Besteuerung der in den zugewendeten Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven soll die Bereitschaft zu Sachspenden für gemeinnützige Stiftungen gefördert werden. Die Steuerentlastung durch die Nichtversteuerung der stillen Reserven kann die sich durch den Sonderausgabenabzug ergebende Entlastung bei Ansatz des Teilwerts übersteigen. Das ist im Einzelfall zu prüfen. Das Buchwertprivileg gilt über die Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG auch für Kapitalgesellschaften4. Wenn der Stifter oder nahe Angehörige aber zugleich Gesellschafter der GmbH sind, droht die Einstufung der Spende als verdeckte Gewinnausschüttung5.

16.69 Werden hingegen ein ganzer Betrieb bzw. Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil unentgeltlich auf eine Stiftung übertragen, so kommt es gem. § 6 Abs. 3 S. 1 EStG zu keiner Aufdeckung stiller Reserven6. Die Unentgeltlichkeit wird nicht dadurch aufgehoben, dass im Falle der Stiftungserrichtung von Todes wegen Erbfallschulden, wie Pflichtteilsauszahlungen oder Vermächtnisse, erfüllt werden müssen7. Soweit ein Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil übertragen wird, ist die Stiftung als Rechtsnachfolgerin gem. § 6 Abs. 3 S. 3 EStG an die Buchwerte gebunden.

16.69a Bei Übertragung von Teilmitunternehmeranteilen und der unentgeltlichen Aufnahme in ein Einzelunternehmen nach § 6 Abs. 3 S. 1 2. HS und S. 2 EStG soll die Übertragung nur auf natürliche Personen zulässig sein8. Im Falle des § 6 Abs. 3 S. 1 2. HS EStG ergibt sich die Beschränkung in der Person des Aufnehmenden unmittelbar aus dem Gesetz. Die Beschränkung lässt sich damit rechtfertigen, dass der Gesetzgeber nur die sukzessive Übertragung von Betriebsvermögen im Rahmen der vorweggenommen Erbfolge innerhalb des Leitbildes des Familienunternehmens begünstigen wollte9. Nach Auffassung des BMF ergibt sich aus der Entscheidung des BFH vom 24.8.200010, dass das funktional wesentli1 Patt in D/P/M, UmwStG, § 22 Rz. 40. 2 Vgl. Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl. 2013, § 22 Rz. 130; Patt in D/P/M, UmwStG, § 22 Rz. 50. 3 Für den Spendenabzug rechnet die Finanzverwaltung (FinMin Sachsen v. 28.8.1992, DStZ 1992, 639) die anfallende USt dem Entnahmewert hinzu. 4 Vgl. nur R 32 I Nr. 1 KStR. 5 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 83/06, BFH/NV 2008, 988; BFH v. 10.6.2008 – I B 19/08, BFH/NV 2008, 1704; Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl. 2010, § 7 Rz. 24. 6 Das BMF-Schreiben v. 3.3.2005 – IV B 2-S 2241-14/06 (BStBl. 2005 I, 458) ist in diesem Punkt unglücklich formuliert. Nach Rz. 1 können „Übertragender und Aufnehmender natürliche Personen, Mitunternehmerschaften und Kapitalgesellschaften sein. Beispiel 1 in Rz. 2 unterstellt auch die „unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils auf eine steuerbefreite Körperschaft (z.B. Stiftung), zu der keine gesellschaftsrechtlichen Verbindungen bestehen“. Auf die Steuerbefreiung kann es im Rahmen des § 6 Abs. 3 S. 1 EStG nicht ankommen. § 6 Abs. 3 S. 1 EStG. Rz. 1 meint also offensichtlich alle Körperschaften, nicht nur Kapitalgesellschaften (Schmidt/Kulosa, EStG, § 6 Rz. 653). 7 BFH v. 17.10.1991 – IV R 97/89, FamRZ 1992, 1286 = BStBl. 1992 II, 392 (396). 8 Vgl. Rz. 1 a.E. BMF-Schreiben v. 3.3.2005 – IV B 2 - S 2241 – 14/06, BStBl. 2005 I, 458; Schmidt/Kulosa, EStG, § 6 Rz. 653; HHR/Gratz, EStG, § 6 Rz. 1365 m.w.N. 9 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 14/7084 zu Art. 1 Nr. 3 Buchst. a UntStFG, S. 2. 10 Vgl. BFH v. 24.8.2000 – IV R 51/98, DStR 2000, 1768.

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.75 § 16

che Sonderbetriebsvermögen quotal mitübertragen werden müsse. Daher muss Rz. 1 des BMF-Schreibens vom 3.3.2005 wohl so verstanden werden, dass der Verweis in Abs. 1 eine gesetzliche Ausnahmeregelung für den Fall der unterquotalen Übertragung enthält, die aber erst recht nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EStG eingreift. Damit ist eine steuerneutrale Übertragung von Teilmitunternehmeranteilen auf eine gemeinnützige Stiftung nicht möglich, weil die Buchwertverknüpfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG nur für einzelne Wirtschaftsgüter gilt. Eine Ausweichgestaltung wäre z.B. einen Teilmitunternehmeranteil nach § 20 UmwStG steuerneutral in eine Kapitalgesellschaft einzulegen und die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft zu stiften, oder den Teilmitunternehmeranteil nach § 24 UmwStG in eine GmbH & Co. KG einzubringen und den so erhaltenen ganzen Mitunternehmeranteil auf die Stiftung zu übertragen. Die Problematik der sog. Gesamtplanrechtsprechung ist allerdings derzeit noch nicht völlig geklärt und daher zu beachten.1 Auf Ebene der Stiftung selbst löst die Übertragung des Grundstockvermögens keine Körperschaftoder Gewerbesteuer aus, da die Stiftungserrichtung in die Vermögenssphäre der Stiftung fällt2.

16.70

Die Rückwirkungsfiktion nach § 84 BGB gilt auch für das Steuerrecht. Die subjektive Körperschaftsteuerpflicht der Stiftung beginnt bei von Todes wegen errichteten Stiftungen ab dem Zeitpunkt des Vermögensanfalls3.

16.70a

b) Erbschaft- und Schenkungsteuer Die unentgeltliche Übertragung von Vermögenswerten auf eine Stiftung unterliegt grundsätzlich der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG4). Allerdings bestimmt § 13 Nr. 16 lit. b) ErbStG, dass Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen steuerfrei sind.

16.71

Steuerschuldner ist bei einer Stiftung von Todes wegen die Stiftung allein, bei einer Stiftung unter Lebenden auch der Stifter (§ 20 Abs. 1 ErbStG).

16.72

Grundsätzlich ist die höchste Steuerklasse III anzuwenden. Jedoch richtet sich bei inländischen Familienstiftungen gem. § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG die Steuerklasse nach dem Verwandtschaftsgrad des nach der Stiftungsurkunde entferntesten Berechtigten im Verhältnis zum Erblasser oder Schenker. Auf die Berechtigung im Zeitpunkt der Errichtung kommt es nicht an. Es genügt, wenn diese später im Laufe der Generationenfolge eintritt.5 Sie müssen auch nicht über klagbare Ansprüche verfügen, sondern lediglich nach der Satzung Vermögensvorteile aus der Stiftung erlangen können6.

16.73

Der persönliche Freibetrag nach § 16 ErbStG richtet sich ebenfalls nach den für § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG geltenden Grundsätzen7.

16.74

Beratungshinweis: Die Bezugsberechtigung sollte nach Möglichkeit auf Angehörige der Steuerklasse I beschränkt werden. Das sind der Ehegatte, die Kinder und Stiefkinder und deren Abkömmlinge sowie die Eltern und Voreltern bei Erwerben von Todes wegen.

Das Steuerklassenprivileg des § 19a ErbStG beim Erwerb von Betriebsvermögen steht nur natürlichen Personen, nicht aber Stiftungen zu.

1 2 3 4 5

Vgl. etwa Schmidt/Kulosa, EStG, § 6 Rz. 650 f.; Nöcker, DStR 2013, 1530; Kanzler, NWB 2014, 902. Vgl. Berndt/Götz, Stiftung und Unternehmen, 8. Aufl. 2009, Rz. 781 m.w.N. BFH v. 17.9.2003 – I R 85/02, DB 2004, 288 (289). Bei Zustiftungen § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. FG Münster v. 18.5.2017 – 3 K 3247/15 Erb, EFG 2017, 1208 = ZEV 2017, 669 m. Anm. Gräfe/Pascher, nrkr. Rev. II R 32/17. 6 Vgl. R E 15.2 Abs. 1 ErbStR. 7 Vgl. R E 15.2 Abs. 2 ErbStR und H E 15.2 „Freibetrag bei Errichtung einer Familienstiftung“ ErbStH 2011.

Stein 713

16.75

§ 16 Rz. 16.76

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

16.76 Die Steuerbegünstigungen der §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG stehen auch der Stiftung zur Verfügung. Je nachdem, wie hoch der Anteil von Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b Abs. 4 ErbStG ist, kann der Erwerber keine, eine 85-prozentige (§ 13a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 13b Abs. 2 ErbStG) oder eine 100%ige Verschonung (§ 13a Abs. 10 ErbStG) von der Versteuerung auf das sog. begünstigte Vermögen erhalten, wenn innerhalb der maßgebenden Behaltensfrist von fünf bzw. sieben Jahren weder die Lohnsumme unter die kritische Größen (vgl. § 13a Abs. 3 und Abs. 10 ErbStG) sinkt noch ein schädliches Ereignis i.S.d. § 13a Abs. 6 ErbStG eintritt.1 Sofern der Erwerb begünstigten Vermögen die Schwelle von 26 Mio. Euro übersteigt, gelten weitere Besonderheiten (abschmelzender Verschonungsabschlag nach § 13c ErbStG, Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG).

16.77 Die Erbschaftsteuer entsteht bei von Todes wegen errichteten Stiftungen mit der staatlichen Anerkennung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 lit. c Alt. 1 ErbStG). Die Rückwirkungsfiktion des § 84 ErbStG gilt nicht. Wertsteigerungen zwischen dem Eintritt des Erbfalls und der Anerkennung unterliegen somit der ErbSt2. Dies gilt auch dann, wenn diese Wertsteigerungen auf Erträgen beruhen, die der Körperschaftsteuer unterlagen3. Im Ergebnis droht eine ungemilderte Doppelbelastung mit ErbSt und KSt. Beratungshinweis: Grundsätzlich ist bereits deswegen zu empfehlen, die Stiftung unter Lebenden zu errichten. Dabei kann die Stiftung entweder mit vergleichsweise geringem Vermögen ausgestattet werden und das Stiftungsvermögen von Todes wegen aufgestockt werden oder bereits die Spendenabzugshöchstbeträge ausgenutzt werden (Zweitakt-Modell). So lässt sich die Besteuerung des Vermögenszuwachses zwischen Todeszeitpunkt und Anerkennung vermeiden4. Zudem kann der Stifter als Organmitglied das Leben der Stiftung mit gestalten und bezüglich des lebzeitig übertragenen Vermögens durch Zeitablauf Pflichtteilsergänzungsansprüche vermeiden oder verringern.

c) Grunderwerbsteuer

16.78 Der unentgeltliche Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden i.S.d. ErbStG sind nach § 3 Nr. 2 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit.5 Da die Befreiung nur voraussetzt, dass die Übertragung nach dem ErbStG steuerbar ist, kommt es nicht darauf an, ob im Ergebnis eine Belastung mit ErbSt entsteht6. Das ist insbesondere bei gemeinnützigen Stiftungen und wegen Gestaltung der Bemessungsgrundlage steuerfreien Übertragungen von Bedeutung. d) Umsatzsteuer

16.79 Sachspenden eines Unternehmers können Eigenverbrauch sein, müssen es aber nicht. Maßgebend ist, ob die Spende vorwiegend durch das Unternehmen oder die unternehmerischen Interessen des Unternehmens veranlasst ist oder nicht. Steht das persönliche Interesse des Spenders im Vordergrund, liegt eine umsatzsteuerpflichtige Wertabgabe aus dem Unternehmen vor7. Zu beachten ist ferner die Umsatzsteuerbarkeit nach § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG.8 1 Die passive Formulierung hat einen bedauerlichen Hintergrund: In vielen Fällen hat der Erwerber selber keinen oder nur einen sehr bedingten Einfluss, ob schädliche Vorgänge sich ereignen oder nicht – etwa weil er nur Minderheitsgesellschafter und/oder ohne Einfluss auf die Geschäftsführung ist. 2 BFH v. 25.10.1995 – II R 20/92, BStBl. 1996 II, 99 (101 f.). 3 BFH v. 25.10.1995 – II R 20/92, BStBl. 1996 II, 99 (101 f.); H 24 ErbStH 2003. 4 Vgl. Ebeling, ZEV 1998, 93. 5 Übersicht bei Wachter, DStR 2012, 1900 ff.; zur Anwendung auf §§ 1 Abs. 2a und 3 GrEStG vgl. BFH v. 23.5.2012 – II R 21/10, BStBl. II 2012, 793; s. aber BFH v. 25.11.2015 – II R 35/14 zur Erbauseinandersetzung. 6 Vgl. auch Koordinierter Ländererlass, Finanzbehörde Hamburg v. 28.12.2004 – 53 – S-4505-003/03, lexinform 578938. 7 Vgl. Bunjes/Geist/Zeuner, UStG, 7. Aufl., § 1 Anm. 41. 8 Vgl. Jachmann/Thiesen, DStZ 2002, 355.

714

Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.87 § 16

Die unentgeltliche Übertragung eines Unternehmens auf eine Stiftung stellt regelmäßig eine nicht 16.80 steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S.d. § 1 Abs. 1a S. 2 UStG dar. Die Übertragung von Anteilen ist steuerfrei nach § 4 Nr. 8f UStG. 2. Die laufende Besteuerung a) Körperschaftsteuer Stiftungen mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht nach dem sog. Welteinkommensprinzip. Grundsätzlich können Stiftungen nach § 8 Abs. 2 KStG Einkünfte aus allen sieben Einkunftsarten erzielen – allerdings wegen der fehlenden persönlichen Voraussetzungen mit Ausnahme von Einkünften aus selbständiger Arbeit und nicht selbständiger Tätigkeit.

16.81

Satzungsgemäße Zuwendungen der Stiftung an begünstigte Personen sind mit dem Körperschaftsteuersatz (derzeit 15 %) vorbelastet. Die Körperschaftsteuer ist gem. § 10 Nr. 1 KStG nicht als Betriebsausgabe abziehbar. Hinzu kommt die Vorbelastung mit dem Solidaritätszuschlag von derzeit 5,5 %.

16.82

§ 8b KStG gilt auch für Stiftungen, weil keine Beschränkung auf bestimmte Körperschaften besteht. Dividenden (wenn eine Mindestbeteiligung von 10 % i.S.d. § 8b Abs. 4 KStG nF („Schachtelprivileg“) vorliegt) und Veräußerungsgewinne aus der Beteiligung an Kapitalgesellschaften bleiben daher steuerfrei. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass 5 % der Dividenden und Veräußerungsgewinne etc. nach § 8b Abs. 3 und 5 KStG als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben gelten. Die KESt wird bei der Veranlagung angerechnet (§ 36 Abs. 2 EStG i.V.m. § 31 KStG).

16.83

Umstritten ist, ob Zustiftungen körperschaftsteuerpflichtige Einkünfte i.S.d. § 8 Abs. 2 KStG darstellen oder ob es sich um Einlagen handelt, die sich auf der Vermögensebene abspielen1.

16.84

b) Gewerbesteuer Die Stiftung ist nur dann gewerbesteuerpflichtig, wenn sie auch einen Gewerbebetrieb unterhält, da sie nicht in den Kreis der Gewerbebetriebe kraft Rechtsform des § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG fällt2.

16.85

c) Schenkungsteuer Satzungsmäßige Zuwendungen an Begünstigte (Destinatäre) unterliegen nicht der Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, weil sie aufgrund einer Rechtspflicht und damit nicht freigebig erfolgen. Zuwendungen aufgrund einer Auflage des Stifters sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG steuerpflichtig. Im Folgenden wird auf einige Besonderheiten der einzelnen Stiftungsarten hingewiesen.

16.86

d) Gemeinnützige Stiftungen aa) Anforderungen Wie erwähnt, müssen gemeinnützige Stiftungen den Anforderungen der §§ 51 ff. AO genügen. Dazu 16.87 müssen Stiftungen ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen. In den Vorschriften der §§ 52–54 AO wird eine Reihe von anerkennungsfähigen steuerbegünstigten Zwecken genannt, die nur beispielhaft und nicht abschließend zu verstehen sind. Die steuerbefreite Stiftung hat nach Satzung und tatsächlicher Handhabung eine Reihe besonderer Be-

1 Vgl. Berndt/Götz, Stiftung und Unternehmen, 8. Aufl., Rz. 960. 2 Vgl. Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1940 ff.

Stein 715

§ 16 Rz. 16.88

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

schränkungen zu beachten. Auf einige Gesichtspunkte von besonderem praktischem Interesse sei kurz hingewiesen.

16.88 Insbesondere gilt das Gebot, die Erträge zeitnah steuerbegünstigt zu verwenden. Die Thesaurierung von Erträgen ist in begrenztem Umfang gem. § 58 Nr. 3 AO möglich. So darf ein Drittel der Überschüsse aus Vermögensverwaltung in eine freie Rücklage eingestellt werden. Gleiches gilt für weitere 15 % ihrer sonstigen nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO zeitnah zu verwendenden Mittel. Trotz der durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz1 erweiterten Erleichterungen kann das Stiftungsvermögen durch Bildung von Rücklagen nur eingeschränkt aufgestockt werden. Die Finanzierungsverantwortung des Stifters ist entsprechend groß. Die Verwendung zeitnah zu verwendender Mittel für Tochtergesellschaften, die nicht steuerbegünstigt sind, ist schädlich2. Ebenso kritisch ist die Verwendung von Erträgen, um Verluste am Vermögensstamm wieder auszugleichen.

16.89 Das Stiftungsvermögen darf gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO auch bei Auflösung oder Aufhebung der Stiftung nur für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden. Wird von dem Gebot der Vermögensbindung in der Satzung oder tatsächlich abgewichen oder verstößt die Stiftung gegen die sonstigen Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts, so verliert die Stiftung rückwirkend alle Steuerbegünstigungen der letzten zehn Jahre (§§ 61, 63 AO). Die Vfg. der OFD Magdeburg v. 18.5.2004 stellt klar, dass es zulässig ist, das Stiftungskapital und Zustiftungen bei der Hingabe von der gemeinnützigkeitsrechtlichen Vermögensbindung auszunehmen – allerdings ist dann bei der Hingabe kein Spendenabzug möglich3. bb) Steuerbegünstigungen

16.90 Folgende wichtige Steuerbegünstigungen werden einer gemeinnützigen Stiftung gewährt: – Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 13 Nr. 16 lit. b) ErbStG), – Buchwertfortführung bei Entnahmen aus einem Betriebsvermögen zur Einbringung in eine gemeinnützige Stiftung (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG), – umfassende Befreiung von der Kapitalertragsteuer (§§ 44a Abs. 4 i.V.m. § 44c Abs. 1 EStG), – Befreiung von der Körperschaftsteuer (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG)4, – Befreiung von der Gewerbesteuer (§ 3 Nr. 6 GewStG), – Befreiung von der Grundsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 3b) GrStG).

16.91 Die Steuerbefreiung nach § 13 Nr. 16 lit. b ErbStG soll laut Erlass des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen v. 12.11.20035 nicht zur Anwendung kommen, wenn die gemeinnützige Stiftung nur als Vorerbin eingesetzt wird, Nacherben die Abkömmlinge des Erblassers oder Dritte sind und

1 BGBl. 2013 I, 556. 2 Vgl. zur ordnungsmäßigen Mittelverwendung etwa OFD Frankfurt, Vfg. v. 9.9.2003 – S 0174 A-16 St II 1.03, DStR 2003, 2071, wobei nach Auffassung der Finanzverwaltung keine zeitnah zu verwendenden Mittel eingesetzt werden dürfen (OFD Rheinland v. 20.9.2012, DStR 2013, 44), vgl. auch Volland, ZEV 2013, 320. 3 OFD Magdeburg, Vfg. v. 18.5.2004 – S 1900-22-St 217, S 0171-155-St 217, KStK § 5 KStG Karte 8.70 Blatt 1. 4 Die rückwirkende Steuerbefreiung für eine Stiftung von Todes wegen ist fraglich (dagegen BFH v. 17.9.2003 – I R 85/02, BStBl. II 2005, 149 und auch FG Münster v. 13.10.2017 – 13 K 641/14 K, EFG 2018, 92, wogegen aber Revision beim V. Senat des BFH anhängig ist unter Az. V R 30/16; „Parallelverfahren“ anhängig unter V R 30/16 als Revision zu FG Hessen v. 16.4.2015 – 4 K 1685/14, BeckRS 95053). 5 DStZ 2004, 133.

716

Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.95 § 16

der Nacherbfall durch Umstände in Person des Nacherben herbeigeführt wird. Es fehle an der dauerhaften Bindung des Vermögens i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO1.

16.92

Aus steuerrechtlicher Sicht hat eine gemeinnützige Stiftung vier Sphären: – ideeller Bereich, – Vermögensverwaltung, – Zweckbetrieb und – wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb. Im ideellen Bereich verwirklicht die Stiftung ihre Satzungszwecke, ohne Leistungen gegen Entgelt zu erbringen. Dieser Bereich rechtfertigt die Steuerbegünstigung der Einnahmen aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Zuschüssen. Solange die Stiftung lediglich ihr Vermögen verwaltet und die Früchte aus dem Vermögen zieht (§ 14 S. 3 AO), ist dies ertragsteuerlich ebenfalls nicht relevant2. Einer steuerbefreiten Stiftung ist es aber auch nicht verwehrt, neben der Vermögensverwaltung wirtschaftlich tätig zu werden, also einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu unterhalten. Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb führt lediglich zur partiellen Steuerpflicht (§ 3 Nr. 6 S. 2 GewStG, § 5 Nr. 9 S. 2 KStG), soweit kein sog. Zweckbetrieb vorliegt (§§ 65–68 AO).3 Lediglich Einnahmen aus vermögensverwaltender Tätigkeit und aus Zweckbetrieben bleiben im Ergebnis steuerfrei.

16.93

Die Beteiligung der Stiftung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft als Mitunternehmer 16.94 stellt in jedem Fall einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb dar4. Lediglich bei bei der Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft gilt dies nicht5. Sollen also Beteiligungen an Mitunternehmerschaften auf eine gemeinnützige Stiftung übertragen werden, empfiehlt es sich, die Personengesellschaften zunächst in Kapitalgesellschaften umzuwandeln oder eine Kapitalgesellschaft zwischenzuschalten. Das ist ohne Aufdeckung stiller Reserven im Rahmen der §§ 20, 25 UmwStG möglich. Zwar ist die Steuerbelastung aufgrund der Definitivbesteuerung auf Ebene einer Tochterkapitalgesellschaft oder im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs identisch, es besteht aber die Gefahr, dass der Umfang des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs die Gemeinnützigkeit insgesamt gefährdet, weil die wirtschaftliche Tätigkeit bei einer Gesamtbetrachtung nicht der Stiftung das Gepräge geben darf6. Die Praxis der Finanzverwaltung ist teilweise sehr restriktiv. Die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft überschreitet grundsätzlich nicht den Rahmen der Vermögensverwaltung7. Letzteres gilt nicht, wenn die Stiftung tatsächlich entscheidenden Einfluss auf die laufende Geschäftsführung ausübt, was insbesondere bei einer Personalunion der Geschäftsführung von Stiftung und Gesellschaft anzunehmen ist8. Die Stiftung sollte daher nicht zu starken (über gewöhnliche Gesellschafterrechte hinausgehenden) Einfluss auf die laufende Geschäftsführung neh1 In diese Richtung scheint auch das BFH v. 16.1.2002 – II R 82/99, BStBl. 2002 II, 303 zu weisen, das zumindest eine dauerhafte Möglichkeit der Fruchtziehung verlangt. Kritisch aber Söffing/Thoma, BB 2004, 855. 2 Für die Zwecke der USt ist zu prüfen, ob eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt und die Fruchtziehung ggf. steuerbefreit ist, wie etwa im Falle der Grundstücksvermietung nach § 4 Nr. 12 UStG. Bei Zinseinnahmen dürfte regelmäßig keine nachhaltige gewerbliche oder berufliche Tätigkeit vorliegen (vgl. etwa BFH v. 15.1.1987 – V R 3/77, BStBl. 1987 II, 512). 3 Gestaltungstipps zur Vermeidung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs bei Söffing/Thoma, ErbStB 2005, 315. 4 BFH v. 27.7.1988 – I R 113/84, BStBl. 1989 II, 134 f. 5 BFH v. 25.5.2011 – I R 60/10, BStBl. II 2011, 858, dazu etwa Weisheit, DB 2012, 142. 6 Vgl. etwa Troll/Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger Vereine und Stiftungen, E 2; OFD Kiel Vfg. v. 25.8.2003 – S 0174 A-St 262, n.v.; krit. Walkenhorst, DStR 2009, 717 (721). 7 Vgl. etwa Lex, DB 1997, 349 ff. 8 Vgl. BFH v. 30.6.1971 – I R 57/70, BStBl. 1971 II, 753.

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16.95

§ 16 Rz. 16.96

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

men können. Für die kautelarjuristische Praxis empfahl es sich bisher, laufende Entscheidungen nicht auf die Ebene der Gesellschafterversammlung zu verlagern. Nach Inkrafttreten des StSenkG dürfte im Ergebnis keine unterschiedliche Steuerbelastung entstehen, weil Dividenden und Veräußerungsgewinne bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 8b KStG steuerbefreit sind, so dass eine KSt-Schuld aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb „Beteiligung“ wegen Anrechnung der KapESt nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG oder Erstattung der KapESt nach §§ 44b, 44a EStG kaum entsteht. Es bleibt aber auch hier die Problematik, ob nicht die Gemeinnützigkeit insgesamt durch den Umfang des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gefährdet ist. Die Qualifikation als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb findet nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht statt, wenn die Kapitalgesellschaft ihrerseits ausschließlich Vermögensverwaltung betreibt1.

16.96 Die Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen an eine Tochterkapitalgesellschaft führt nach den Grundsätzen der Betriebsaufspaltung zu einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, es sei denn, das Betriebsunternehmen ist selbst vermögensverwaltend oder gemeinnützig tätig. Nach h.M. bleibt die Gemeinnützigkeit im Übrigen unberührt2.

16.97 Sofern die Stiftung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält, unterliegt dieser einer Belastung in Höhe von 15 % Körperschaftsteuer nebst 5,5 % Solidaritätszuschlag. Wenn sich die Stiftung an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, sind die Gewinnausschüttungen ebenfalls mit 15 % Körperschaftsteuer nebst 5,5 % Solidaritätszuschlag vorbelastet. Die Kapitalertragsteuer wird der steuerbefreiten Körperschaft nach § 44c Absatz 2 EStG erstattet. Weiterhin ist unabhängig davon die Belastung mit Gewerbesteuer zu berücksichtigen, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs vorliegen.

16.98 Das Gebot der satzungsmäßigen Mittelverwendung nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO bezieht sich auf sämtliche aus Mitteln der Körperschaft aufzubringende Vergütungen, so dass auch unangemessene Vergütungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gezahlt werden, zur Versagung der Gemeinnützigkeit führen können3. cc) Spenden an die gemeinnützige Stiftung

16.99 Zuwendungen an eine gemeinnützige Stiftung können im Rahmen des § 10b Abs. 1 EStG grundsätzlich als Spende in Form von abzugsfähigen Sonderausgaben einkommensteuerrechtlich berücksichtigt werden bis zu einer Höhe von insgesamt – 20 % des Gesamtbetrags der Einkünfte bzw. – 4 ‰ – der Summe der gesamten Umsätze und der im Kalenderjahr aufgewendeten Löhne und Gehälter.

16.100 Der Spendenabzug setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass die Verwendung zu gemeinnützigen Zwecken auf Dauer sichergestellt ist und kein Rückfluss an den Stifter in der Satzung vorgesehen ist4.

16.101 Spenden in den Vermögensstock einer gemeinnützigen Stiftung können auf Antrag des Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum der Zuwendung und in den folgenden neun Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag von 1 Mio. Euro abgezogen werden.5 Diese Abzugsmöglichkeit ist zusätzlich zu dem oben genannten Spendenabzug möglich. Es kommt nicht darauf an, ob die Spende bei der Gründung oder später (sog. Zustiftung) erfolgt. Im Rahmen der Zusammenveranlagung von Ehegat1 2 3 4 5

AEAO zu § 64 Abs. 1 Nr. 3 S. 2. Lex, DB 1997, 349 (351 f.); Schick, DB 1999, 1187, 1190; Götz, INF 2004, 628 (632). BFH v. 28.10.2004 – I B 95/04, BFH/NV 2005, 160. BFH v. 5.2.1992 – I R 63/91, BStBl. 1992 II, 748. § 10b Abs. 1a S. 1 EStG.

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.105 § 16

ten verdoppelt sich der Gesamtbetrag pauschal auf 2 Mio. Euro. Der Betrag kann nur alle zehn Jahre einmal ausgeschöpft werden. Das gilt entsprechend für die Gewerbesteuer (§ 9 Nr. 5 GewStG), nicht aber für die Körperschaftsteuer (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG enthält keine entsprechende Regelung). Ob ein sachlicher Grund besteht, diese Privilegierung anderen steuerbefreiten Körperschaften als Spendenempfängern vorzuenthalten, ist umstritten1. Durch wiederholte Zuwendungen des Stifters kann dieser, ggf. im Wege des Spendenvor- oder -rücktrags, den Spendenabzugsrahmen in jedem Jahr ausschöpfen und dadurch eine erhebliche Senkung der Steuerbelastung herbeiführen. Bei einem Übergang des Vermögens von Todes wegen ist dagegen kein Spendenabzug möglich2.

16.102

Übersicht: Spendenabzug bei Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen des Privatrechts

16.103

Norm

„Anlass“

Zeitrahmen

Besondere Voraussetzung

Höhe a) 20 % des GdE oder b) 0,4 ‰ (Umsätze + Löhne + Gehälter)

1.

§ 10b Abs. 1 allg. SpenS. 1 EStG, denabzug § 9 Nr. 5 S. 1 GewStG § 9 Nr. 5 S. 1 GewStG

jährlich

keine

2.

§ 10b Abs. 1a EStG, § 9 Nr. 5 S. 3 GewStG

alle 10 Jahre

Zuwendung in 1.000.000 Euro den Vermögensstock

Stiftung

Anmerkung

Zusätzlich, Verdoppelung bei Ehegatten bei Zusammenveranlagung

e) Familienstiftung § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG begünstigt nur die Zuwendungen, die einer Stiftung unmittelbar bei ihrer Errichtung gemacht werden3. Für spätere Zuwendungen, also die sog. Zustiftungen, greift stets die Steuerklasse III, auch wenn sie vom Stifter selbst stammen4. Nach h.M. soll § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG auch eingreifen, wenn der Stifter sich im Stiftungsgeschäft bereits zu feststehenden späteren Zuwendungen verpflichtet5.

16.104

Beratungshinweis: In der Stiftungssatzung sollten ggf. bereits bei Errichtung der Stiftung weitere Zustiftungen durch den Stifter verbindlich festgelegt werden, um auch insoweit in den Genuss der günstigeren Steuerklasse des § 15 Abs. 1 ErbStG zu gelangen.

Bei Familienstiftungen sind die Zuwendungen an die Destinatäre nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu versteuern, jedenfalls wenn die Leistungsempfänger unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können6. 1 Verfassungsmäßigkeit bejahend Crezelius/Rawert, ZEV 2000, 421 (424), krit. Thiel, DB 2000, 392 (395). 2 BFH v. 23.10.1996 – X R 75/94, BStBl. 1997 II, 239 f. 3 Zur Familienstiftung: Korezkij, ZEV 1999, 132 ff. 4 BFH v. 9.12.2009 – II R 22/08, BStBl. II 2010, 363 = FamRZ 2010, 644; RE 15.2 Abs. 3 ErbStR 2011 Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 15 Anm. 21. 5 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 15 Rz. 112. 6 Vgl. BFH v. 3.11.2010 – I R 98/09, BStBl. II 2011, 417; BMF-Schreiben v. 27.6.2006, BStBl. I 2006, 417, siehe aber auch BFH v. 28.2.2018 – VIII R 30/15, NWB 2018, 1874: das gilt nicht ausnahmslos, so z.B. nicht für die Besteuerung von Liquidationszahlungen nach Auflösung einer Stiftung.

Stein 719

16.105

§ 16 Rz. 16.106

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

16.106 Alle 30 Jahre seit dem Zeitpunkt der Stiftungserrichtung wird durch § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ein Erbfall fingiert. Die Familienstiftung wird im Rahmen der Erbersatzsteuer so besteuert, als ob eine natürliche Erbfolge auf zwei Kinder (über 27 Jahren) erfolgt wäre. Die Steuerpflicht erstreckt sich auf das gesamte zum Stichtag vorhandene Vermögen. Die Steuer wird unabhängig vom Kreis der Berechtigten nach dem Steuersatz der Klasse I, der für die Hälfte des steuerpflichtigen Vermögens gelten würde, berechnet (§ 15 Abs. 2 S. 3 ErbStG). Die Steuerschuld kann entweder gem. § 24 ErbStG auf 30 Jahre in Raten verteilt oder, soweit es sich um Betriebsvermögen handelt, gem. § 28 Abs. 2 ErbStG bis zu zehn Jahre gestundet werden1. Auch für die Erbersatzsteuer gelten die Verschonungen für begünstigtes unternehmerisches Vermögen.

16.107 Die Erbersatzsteuer ist auf den ersten Blick ein gravierender Nachteil der Familienstiftung. Sie ist allerdings im Einzelfall günstiger als die Besteuerung des Vermögensüberganges von Todes wegen, z.B. wenn weniger als zwei Kinder als Erben in Betracht kommen, oder die Altersstruktur eine schnellere Erbfolge als den gesetzlichen Turnus von dreißig Jahren wahrscheinlich macht. Nicht zuletzt hat sie den Vorteil, dass die Steuerbelastung planbar ist2. f) Doppelstiftung

16.108 Jede der Stiftungen unterliegt ihren eigenen steuerlichen Regelungen für gemeinnützige Stiftungen bzw. Familienstiftungen. Die gemeinnützige Stiftung ist körperschaftsteuerfrei (§ 5 Nr. 9 KStG), die Familienstiftung ist steuerpflichtig, bezieht aber regelmäßig nur steuerfreie Dividenden (unter den Voraussetzungen des § 8b KStG). Hingegen unterliegen die Zuwendungen aus der Familienstiftung bei den Destinatären dem Teileinkünfteverfahren und sind nach aktueller Rechtslage zu 60 % steuerpflichtig, während sie bei Zahlung durch eine gemeinnützige Familienstiftung voll steuerpflichtig wären (§ 22 Nr. 1 S. 2 lit. a) i.V.m. § 3 Nr. 40 lit. i EStG). 3. Besteuerung der Stiftungsaufhebung

16.109 Bei der Aufhebung der gemeinnützigen Stiftung muss das Vermögen grundsätzlich für gemeinnützige Zwecke verwendet werden, um nicht die Folgen des § 61 Abs. 3 AO herbeizuführen. Dieser Grundsatz der Vermögensbindung gilt allerdings nur für das Vermögen, das das Dotationskapital einschließlich der geleisteten Sacheinlagen übersteigt (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 AO). Es ist also auch bei gemeinnützigen Stiftungen eine Bestimmung möglich, nach der die Einlagen an den Stifter bzw. dessen Erben zurückzugeben sind. Allerdings scheidet bei einer solchen Satzungsbestimmung die Geltendmachung der Einlage als Spende i.S.d. § 10b EStG aus3.

16.110 Da § 11 Abs. 1 KStG nur für Kapitalgesellschaften gilt, sind für die Stiftung über die Generalverweisung des § 8 KStG die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes einschlägig. Die Folge ist, dass bei steuerpflichtigen Stiftungen mit Betriebsvermögen die stillen Reserven zu versteuern sind. Allerdings ist ein Aufgabegewinn gewerbesteuerfrei4.

16.111 Erwerbe anlässlich der Aufhebung einer Stiftung gelten gem. § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG als Schenkung unter Lebenden. Für die Bestimmung der Steuerklasse und des persönlichen Freibetrages gilt – unabhängig vom Sitzort, also auch bei ausländischen Stiftungen – als Schenker der Stifter (§ 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG). Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll die Änderung des Stiftungszwecks einer Famili-

1 Vgl. hierzu Korezkij, ZEV 1999, 132, 135; zur Anzeigepflicht des Vorstandes vgl. Ebeling, DStR 1999, 665 f. 2 Dem Risiko unvorhergesehener Liquiditätsabflüsse durch ErbSt kann außerhalb von Stiftungsmodellen natürlich auch durch Versicherungsgestaltungen oder den Aufbau von Liquiditätsreserven vorgebeugt werden. 3 AEAO Rz. 14 zu § 55. 4 Vgl. H 7.1 Abs. 2 „Veräußerungs- und Aufgabegewinn“ GewStR.

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.112 § 16

enstiftung (die Richtlinie1 spricht etwas schwammig von Stiftungscharakter) eine Aufhebung der bestehenden Stiftung und Errichtung einer neuen Stiftung anzusehen sein. Das ist aber mangels Vermögenstransfers nicht aufrechtzuerhalten2. Übersicht: Unterschiede in der steuerlichen Behandlung von steuerbegünstigter Stiftung und Familienstiftung Steuerbegünstigte Stiftung

Familienstiftung

Errichtung

erbschaft- und schenkungsteuerbefreit

Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer (Steuerklasse abhängig vom Verwandschaftsverhältnis des zum Stifter entferntest Begünstigten)

Spendenabzug für das Stiftungskapital

Im Rahmen des § 10b EStG (s.o.), nein soweit satzungsgemäß keine Rückgewähr an den Stifter möglich ist

Laufende KSt- und GewStBelastung der Stiftung

– Steuerfreiheit mit Ausnahme der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe, die keine Zweckbetriebe sind – Freibetrag nach § 24 KStG und § 11 Abs. 1 Nr. 2 GewStG: 5.000 Euro

– Einkunftsarten wie bei natürlichen Personen – GewSt bei gewerblichen Einkünften – Zahlungen an Destinatäre nicht abzugsfähig

Zahlungen an Destinatäre

Drittelgrenze des § 58 Nr. 6 AO beachten

aus den Erträgen uneingeschränkt möglich

Erbersatzsteuer

Nein

Ja, alle 30 Jahre wird Vermögensübergang auf 2 Kinder fingiert (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 15 Abs. 2 S. 3 ErbStG)

Beteiligung an Kapitalgesellschaften

– Im Bereich der Vermögensverwaltung steuerfrei (Erstattung der KESt) – Im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb steuerfrei im Rahmen des § 8b KStG, Anrechnung der KESt

steuerfrei im Rahmen des § 8b KStG, Anrechnung der KESt

Beteiligungen an Mitunternehmerschaften

– Steuerpflichtig (begründen Steuerpflichtig wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb), Ausnahme gewerblich geprägte Personengesellschaften – Problem: Infizierung des ideellen Bereichs

1 RE 2 Abs. 4 ErbStR 2011. 2 Vgl. auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG § 7 Rz. 338; Kapp/Ebeling, ErbStG, § 7 Rz. 155; Schuck in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, ErbStG, 3. Aufl., § 7 Rz. 156; hingegen sieht Königer, ZEV 2013, 433 (435 ff.) diese Satzungsänderung als Gestaltungsinstrument für die Anwendung der §§ 13a, 13 ErbStG bei bestehenden Familienstiftungen.

Stein 721

16.112

§ 16 Rz. 16.113

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

IV. Ausländische Stiftungen und verwandte Rechtsinstitute 16.113 Beratungssituation: Ihr Mandant betritt verunsichert Ihre Kanzlei. Er berichtet von einem Golffreund, der seit Jahren keine Steuern mehr in Deutschland zahle. Er habe das Vermögen auf Stiftungen und Trusts in verschiedenen Steueroasen übertragen. Wie das steuerlich funktioniere, könne er allerdings nicht erklären. Darum würden sich seine Berater kümmern. Ihr Mandant fragt, ob und wie eine solche Gestaltung auch für ihn möglich sei.

Pro Ausländische Stiftung – Diskrete Vermögensverwaltung möglich – Teilweise sehr flexibles Stiftungsrecht – Keine Erbersatzsteuer – Begünstigungen der §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG stehen grundsätzlich zur Verfügung

Kontra Ausländische Stiftung – Steuerersparnis nur in wenigen Fällen erzielbar – mögliche steuerliche Nachteile bei Übertragung von Betriebsvermögen und wesentlichen Beteiligungen (Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung)1 – Kosten der Stiftungserrichtung und -verwaltung – Effektive Kontrolle fremder Vermögensverwalter nach dem Recht des Sitzstaates teilweise schwierig – Rückführung des Vermögens zum Stifter oder seinen Angehörigen nach dem Recht des Sitzstaates teilweise schwierig – Ungünstige erbschaftsteuerliche Behandlung: a) Errichtung und spätere Übertragung von Vermögen steuerpflichtig in StKl. III (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 1 ErbStG; Steuerklassenprivileg des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG gilt nur für inländische Stiftungen!) b) Aufhebung steuerpflichtig, wobei die StKl. vom Verwandtschaftsgrad zum Errichter abhängt (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 1 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG)

Deutschland wird von wohlhabenden Personen regelmäßig als Hochsteuerland empfunden. Das wirft die Frage auf, ob und in welchem Umfang durch Gewinn- und Vermögensverlagerungen in Niedrigsteuerländer die deutsche Steuerlast gemindert werden kann2. Ein komplette Abhandlung dieses Themas ist aus Platzgründen nicht möglich. 1. Deutsches Ertragsteuerrecht

16.114 Ausländische Privatstiftungen üben als Instrument der Vermögensnachfolge einen außerordentlichen Reiz aus. In der Beratungspraxis kommt die Errichtung einer ausländischen Privatstiftung trotz zivilrechtlicher Vorteile in dieser Gestaltung nur dann in Betracht, wenn eine Vermögensübertragung durch einen deutschen Stifter ohne steuerliche Nachteile möglich ist. 1 Insoweit besteht ggf. Gestaltungsbedarf und -potential, z.B. durch doppeltansässige Stiftungen. 2 Angemerkt sei, dass die Errichtung einer ausländischen Stiftung nur zum Zwecke der Steuerhinterziehung nach Auffassung des OLG Düsseldorf v. 30.4.2010 – I-22 U 126/06, ZEV 2010, 528 dem Ordre Public widerspricht; dazu etwa Lennert/Blum, IStR 2011, 492.

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.118 § 16

a) Anteile an Kapitalgesellschaften Bei – wesentlichen – Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG führt die Einbringung in eine ausländische Privatstiftung als einer nicht in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Person zur Entstrickungsversteuerung nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG1. Die Steuerstundung nach § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 AStG setzt nach dem Wortlaut voraus, dass der Rechtsnachfolger der Einkommensteuer unterliegt. Die Übertragung auf eine Körperschaft ist nicht erfasst. Diese Gesetzeslücke sollte im Wege der Analogie geschlossen werden2. Das gilt jedoch nicht bei ausländischen Privatstiftungen, die ihren Verwaltungssitz nach der Errichtung in das Inland verlegen.

16.115

b) Betriebsvermögen/Mitunternehmeranteile Bei einer Einbringung in eine ausländische Stiftung ist eine Gewährung von Gesellschaftsrechten aus 16.116 zivilrechtlichen Gründen nicht denkbar. §§ 20 ff. UmwStG sind daher grundsätzlich nicht anwendbar. Nach dem BFH-Urteil v. 17.7.20083 sollte auch bei der Übertragung auf eine ausländische Stiftung § 6 Abs. 3 EStG anwendbar sein. Soweit es nicht zu einer Steuerentstrickung nach § 4 Abs. 1 S. 3 EStG kommt, würden stille Reserven also in den Grenzen des § 6 Abs. 3 EStG nicht aufgedeckt. c) Zurechnung von Einkünften Ausländische Stiftungen verhindern die Zurechnung von Einkünften zum Errichter nicht in allen Fällen. Nach § 15 Abs. 1 AStG werden dem Stifter, wenn er unbeschränkt steuerpflichtig ist, sonst den unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, die bezugs- oder anfallsberechtigt sind, Vermögen und Einkünfte einer Familienstiftung entsprechend ihrem Anteil zugerechnet4. Familienstiftungen sind nach der Legaldefinition des § 15 Abs. 2 AStG Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind. In diesen Fällen werden die auf die Stiftung verlagerten Erträge doch auf deutschem Steuerniveau versteuert, wobei die ausländischen Steuern nach § 12 AStG anrechenbar sind. Zu prüfen ist aber auch, ob die Einkünfte nicht bereits aufgrund allgemeiner Regelungen nicht der Stiftung, sondern anderen Personen zuzurechnen sind (insbesondere § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO – sog. „Treuhandstiftung“).5 Dann könnte das in eine solchen Stiftung angelegte Vermögen zum Nachlass gehören und deswegen der deutschen Erbschaftsteuer unterliegen.6

16.117

Der Gesetzgeber hat mit dem JStG 2009 auf die europarechtlichen Bedenken gegen § 15 AStG7 reagiert und mit § 15 Abs. 6 AStG eine Rückausnahme vorgesehen, wenn eine Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem EWR-Staat hat und nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der Stifter bzw. Begünstigten rechtlich und tatsächlich entzogen ist und zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat, in dem die Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz hat, auf Grund Amtshilferichtlinie oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um

16.118

1 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStG, § 6 Rz. 62 ff. 2 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStG, § 6 Rz. 221; a.A. wohl Ludwig/Jorde, IStR 2009, 19 (23), die eine Nachversteuerung annehmen. 3 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BFH/NV 2008, 1941. 4 Eine Zurechnung nach § 15 AStG scheidet allerdings aus, wenn die Einkünfte dem Stifter unmittelbar zuzurechnen sind, vgl. BFH v. 22.10.2010 – I R 86/09, BStBl. 2014 II, 361. 5 BFH v. 8.2.2017 – I R 55/14, BFH/NV 2017, 1588 zur Stiftung liechtensteinischen Rechts. 6 FG Münster v. 11.12.2012 – 3 K 764/12 Erb, EFG 2015, 736, n. rkr. Az. BFH II R 9/15. 7 Vgl. Mitteilung der Kommission, IStR Länderbericht v. 5.8.2004, Heft 15/2004, 1; Kellersmann/Schnitger, IStR 2005, 253 (259 ff.). Rundshagen in Strunk/Kaminski/Köhler, § 15 AStG Rz. 30; Wassermeyer/Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStG, § 15 Rz. 19.2 ff.

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§ 16 Rz. 16.119

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

die Besteuerung durchzuführen1. Auch die Neuregelung begegnet europarechtlichen Bedenken2, soweit eine effektive Amtshilfe gewährleistet ist3.

16.119 Wird aus der ausländischen Stiftung ausgeschüttet, unterliegt die Ausschüttung bei den Destinatären der Besteuerung, soweit nicht bereits die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 1 AStG gegriffen hat (§ 15 Abs. 11 AStG). Auf diese Einkünfte sollte das Teileinkünfteverfahren anwendbar sein4. 2. Erbschaft- und Schenkungsteuer

16.120 Ausländische Sachverhalte werden im Ergebnis unter die wirtschaftlich vergleichbaren Tatbestände des ErbStG subsumiert. Von der Rechtsprechung wird ein zweistufiger Typenvergleich vorgenommen. Zunächst sind die Privatrechtsinstitutionen zu vergleichen. Entspricht die ausländische Regelung der deutschen strukturell, sind unmittelbar die entsprechenden Tatbestände des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts anwendbar. Entsprechen die ausländischen Rechtsgebilde nicht den deutschen, ist eine Anpassung der Rechtsposition des potenziell Steuerpflichtigen an das deutsche Recht erforderlich5. Die Errichtung einer ausländischen Stiftung durch Stifter mit Wohnsitz im Inland oder nach einem Wegzug innerhalb der ersten fünf Jahre unterliegt daher der Erbschaft- und Schenkungsteuer nach § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG6. Die Finanzverwaltung beabsichtigt wohl bundeseinheitlich, Zuwendungen ausländischer Familienstiftungen an deutsche Begünstigte zusätzlich zur deutschen Einkommensteuer auch der deutschen Schenkungsteuer durch (u.E. unzulässige) extensive Auslegung des § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 ErbStG zu unterwerfen.7

16.121 Auf den Erwerb der Stiftung ist stets Steuerklasse III anzuwenden, weil die Privilegierung des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG lediglich auf Stiftungen mit Sitz im Inland anwendbar ist8. Als Kehrseite des Auslandssitzes entfällt nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG die Erbersatzsteuer des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, wenn sich nicht die Geschäftsleitung der Stiftung im Inland befindet. 3. Fazit

16.122 Die Errichtung einer ausländischen Familienstiftung ist regelmäßig nur sinnvoll, wenn ein Inlandsbezug vermieden werden kann. Hierzu ist regelmäßig eine langfristige Planung erforderlich (Wohnsitzverlegung, Ablauf der erweitert unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 S. 2 lit. b ErbStG und der erweitert beschränkten Steuerpflicht nach § 4 AStG, Verzicht auf die Einbringung von steuerverhaftetem Inlandsvermögen). Im Einzelfall mag bei bestehendem Inlandsbezug bereits die Vermeidung der Erbersatzsteuer ausreichen, um eine ausländische Stiftung attraktiv werden zu lassen.

1 2 3 4 5

Dazu Schulz/Werz, ErbStB 2008, 177, 180. Vgl. Hey, IStR 2009, 181, 182 ff. Vgl. BFH v. 22.10.2010 – I R 84/09, BStBl. I 2014, 361. Schulz/Werz, ErbStB 2008, 177, 180. BFH v. 12.5.1970 – II 52/64, BStBl. 1972 II, 462, 463; 1986, 615, 617; Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 2 Rz. 4. 6 Vgl. Wachter, DStR 2000, 1037, 1042. Die Ausnahme einer fehlenden Verfügungsbefugnis der Stiftung (BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, FamRZ 2007, 1980 = BStBl. II 2007, 669) dürfte in der Regel nicht vorliegen. 7 Vgl. Seeliger/Meyer, ZErb 2018, 109; Wunderlich, DStR 2018, 905. Über diese Frage wird vermutlich in der Revision des Urteils des FG Baden-Württemberg v. 22.4.2015 – 7 K 2471/12, EFG 2015, 1461 (Az. BFH II R 6/16) entschieden. 8 Thömmes/Stockmann, IStR 1999, 261 ff. gelangen mit gewichtigen Argumenten zu dem Ergebnis, dass § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG gegen die Diskriminierungsverbote des EGV verstößt; zustimmend Kellersmann/ Schnitger, IStR 2005, 253, 255.

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.124 § 16

4. Der Trust Schrifttum: Eiling/Lüdicke, Nutzung von US-Trusts in der Nachfolgeplanung, IStR 2017, 841; Schienke-Ohletz/Kühn, Die steuerlichen Folgen beim Ausscheiden aus Truststrukturen, ZEV 2015, 150; Schulze-Borges, Ausländische Familienstiftungen und Trusts: Verletzung von Anzeige- bzw. Erklärungspflichten und ihre Auswirkungen auf die Schenkung- und Erbschaftsteuer, ZEV 2017, 190; von Oertzen/Kühn, Praktische Fragen der Einkünfteermittlung von ausländischen Stiftungen und Trusts iRd § 15 AStG, IStR 2016, 930; von Oertzen/Lemmer, Der US-Estate im deutschen Steuerrecht, IStR 2015, 952; Zondler/Zöller, Vermögensübertragungen auf einen US-Trust unter Berücksichtigung des DBA-USA Erb, IStR 2015, 960.

Kontra Trust – Kosten der Errichtung und Verwaltung – Errichtung nur im Common Law Rechtskreis oder in nachahmenden Jurisdiktionen möglich – Inlandsvermögen kann nicht mit dinglicher Wirkung auf einen Trust übertragen werden (Sekundärstruktur erforderlich) – Erhebliche einkommensteuerliche Nachteile bei Übertragung von Betriebsvermögen und wesentlichen Beteiligungen möglich (Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung) – Zurechnung der laufenden Einkünfte des Trusts nach § 15 AStG zum Errichter oder den Begünstigten (keine Abschirmwirkung!) – Ungünstige erbschaftsteuerliche Behandlung: a) Errichtung und spätere Übertragung von Vermögen steuerpflichtig in StKl. III1 b) Auflösung, wobei die StKl. vom Verwandtschaftsgrad zum Errichter abhängt2 c) sowie von Zwischenerwerben, wobei die StKl. vom Verwandtschaftsgrad zum Errichter abhängt3 – Bei Ausschüttungen droht ungemilderte Doppelbelastung mit ESt und ErbSt

16.123

Der Trust ist ein Rechtsinstitut, das für den angloamerikanischen Rechtskreis typisch ist. Er ist dem kontinentaleuropäischen, insbesondere dem deutschen Recht, weitgehend unbekannt. Die Grundstruktur eines Trusts basiert auf der Unterscheidung zwischen common law und equity. Es besteht ein rechtliches Dreiecksverhältnis zwischen einem Vermögensgeber (grantor oder settlor genannt), einem Vermögensverwalter (trustee) und den Begünstigten (beneficiary). Der Vermögensgeber überträgt den so genannten legal title nach common law auf den trustee. Den Begünstigten steht das laufende Einkommen oder die Vermögenssubstanz in equity zu. Die Grundstruktur kann wie folgt dargestellt werden4:

16.124

Pro Trust – Bewährtes Instrument zur Vermeidung der Nachlassverwaltung im angelsächsischen Rechtskreis (probate) – Instrument zur Abschirmung des Vermögens vor Haftungsrisiken im angelsächsischen Rechtskreis (asset protection trust)

a) Einleitung

1 2 3 4

§ 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 1 ErbStG. § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG. § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG. Vgl. Watrin, Erbschaftsteuerplanung internationaler Familienunternehmen, 1997, S. 165.

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§ 16 Rz. 16.125

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

    

    

  



                   

16.125 Trusts können in einer Vielzahl von Erscheinungsformen auftreten, die eine einheitliche Behandlung unmöglich machen1. Als Instrument zur generationsübergreifenden Regelung der Unternehmensnachfolge haben sich im angelsächsischen Rechtskreis sog. dynastische Trusts bewährt. Unter dem Gesichtspunkt der Haftungsabschirmung sind die sog. asset protection trusts weit verbreitet. Fraglich ist, ob dies auch eine Gestaltungsalternative aus deutscher Perspektive ist. b) Zivilrechtliche Grenzen des Einsatzes von Trusts

16.126 Das deutsche internationale Privatrecht zieht dem Einsatz von Trusts als Instrument eines Vermögenstransfers enge Grenzen. aa) Errichtung eines Nachlasstrusts

16.127 Errichtung und Durchführung eines Nachlasstrusts unterliegen dem Erbstatut2. Das internationale Erbrecht wird für Erbfälle ab dem 17.8.2015 vorrangig durch die EuErbVO geregelt. Nach Art. 21 EuErbVO wird das Erbstatut nunmehr vorrangig durch den gewöhnlichen Aufenthalt, nicht mehr nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers bestimmt, wobei dieser eine Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts treffen kann.

16.128 Enthält die letztwillige Verfügung bei Anwendbarkeit deutschen Erbstatuts die Anordnung zur Errichtung eines Nachlasstrusts, ist die Rechtsfolge die Unwirksamkeit dieser Anordnung3. Um dem Erblasserwillen gleichwohl Geltung zu verschaffen, ist die Trust-Anordnung mangels ausdrücklicher Kollisionsnorm in ein entsprechendes deutsches Rechtsinstitut umzudeuten4.

1 Vgl. den Überblick über die Trusttypen bei Schindhelm/Stein, StuW 1999, 31 ff. 2 Siemers/Müller, ZEV 1998, 206 (207); Wittuhn, Das internationale Privatrecht des Trust, 1987, S. 95. 3 § 2084 BGB bewirkt, dass die Unwirksamkeit der Trust-Anordnung regelmäßig nicht auf die übrigen Verfügungen durchschlägt. 4 Vgl. LG Freiburg v. 3.4.2013 – E NG 246/2010, lexinform 4016581: Umdeutung in Vor- und Nacherbschaft, sowie bei deutschem Trustee in Testamentsvollstreckung; Sieker, IStR 1995, 344 (345); noch zweifelnd in: Der US-Trust, S. 91; ebenso Graue, FS Ferid, S. 151 (178 f.).

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.135 § 16

Nach der EuErbVO sind die Errichtung, Funktionsweise und Auflösung eines Trusts nach Art. 1 Abs. 2 16.129 Buchst. j EUErbVO vom Anwendungsbereich ausgenommen. Nach Abs. 13 der Erwägungen sollen „Fragen im Zusammenhang mit der Errichtung, Funktionsweise oder Auflösung von Trusts … auch vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Dies sollte nicht als genereller Ausschluss von Trusts verstanden werden. Wird ein Trust testamentarisch oder aber kraft Gesetzes im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge errichtet, so sollte im Hinblick auf den Übergang der Vermögenswerte und die Bestimmung der Berechtigten das nach dieser Verordnung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht gelten.“ Damit verbleibt es für das anwendbare Erbrecht bei der Grundregel des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO, wo- 16.130 nach das Rechts des Staates anwendbar ist, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Unter Umständen kann auch nach Art. 21 Abs. 2 das Recht des Staates anwendbar sein, zu dem engere Verbindung bestand. Die Staatsangehörigkeit ist nicht mehr maßgeblich. Art. 22 lässt eine umfassende Rechtswahl für den gesamten Nachlass zu. Eine Nachlassspaltung gibt es demnach nicht mehr. bb) Trust unter Lebenden Die Anknüpfung des IPR im Falle von inter vivos Trusts ist mangels Regelung umstritten1. Für Gestaltungsüberlegungen entscheidend ist die Möglichkeit der freien Rechtswahl (Art. 27 EGBGB), die zumindest bei schuldrechtlich ausgestalteten Trusts Spielraum schafft.

16.131

cc) Wirksamkeit der Vermögensübertragung Selbständig anzuknüpfen ist nach deutschem IPR die Frage, ob eine Vermögensverfügung wirksam 16.132 ist2. Nach Ansicht des BGH3 können Forderungen, die nach deutschem Recht begründet sind, aus dogmatischen Gründen nicht auf einen Trust übertragen werden, weil dem deutschen Recht die Aufteilung der Rechtsstellung zwischen common law und equity unbekannt sei. Aus deutscher Perspektive sei die Übertragung auf den Trust unwirksam und das entstehende Rechtsverhältnis umzudeuten, z.B. in eine Treuhandvereinbarung. Im deutschen internationalen Sachenrecht gilt das Recht des Lageortes für alle Übereignungstatbestände; eine Rechtswahl ist nicht möglich4. Entsprechend der Behandlung von Forderungen kann folglich aus deutscher Perspektive kein Inlandsvermögen wirksam auf einen Trust transferiert werden5.

16.133

Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. h und k EuErbVO werden weder Fragen des Gesellschaftsrechts noch der 16.134 dinglichen Art der Rechte von der Verordnung erfasst. Demnach ändert sich an der Rechtslage insoweit nichts. dd) Anwendungsbereich des Trusts aus zivilrechtlicher Sicht Aus Sicht des deutschen IPR verbleiben bei deutschem „Inlandsbezug“ für den Einsatz eines Trusts zwei sinnvolle Anwendungsfelder: – Nachlasstrust über Auslandsvermögen im Common-Law-Rechtskreis, auf das das Belegenheitsrecht anwendbar ist,

1 Übersicht über die verschiedenen Auffassungen bei Schindhelm/Stein, StuW 1999, 31 (37 f.). 2 Vgl. von Oertzen, IStR 1995, 149 (151); Real, RIW 1996, 54 (56); Staudinger/Stoll, Internationales Sachenrecht, Rz. 295. 3 BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, MDR 1985, 212 = IPRax 1985, 221 (223 f.). 4 Ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. zuletzt Urt. v. 25.9.1996 – VIII ZR 76/95, IStR 1997, 159 f. mit umfassenden Nw. auch der h.L. 5 Vgl. auch Soergel/Lüderitz, EGBGB, Art. 38 Anh. II Rz. 58; Siemers/Müller, ZEV 1998, 206 (208); differenzierend nach Trust-Typen Daragan, ZEV 2007, 204 (207).

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16.135

§ 16 Rz. 16.136

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

– Inter-Vivos-Trust über Auslandsvermögen1, wobei durch Einbringung von Inlandsvermögen in ausländische Gesellschaften Auslandsvermögen geschaffen werden kann (soweit die Einbringung keine nachteiligen anderen, insbesondere steuerlichen Folgen hat)2. c) Ertragsteuern aa) Beschränkte Steuerpflicht nach § 2 Nr. 1 KStG

16.136 Der Trust bildet eine selbständige Vermögensmasse i.S.d. § 2 Nr. 1 KStG3. Er unterliegt daher mit den inländischen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht. Praktisch dürfte sich das wegen der fehlenden zivilrechtlichen Übertragbarkeit von Inlandsvermögen auf einen Trust kaum auswirken. bb) Zurechnung von Einkünften

16.137 Die Zurechnung von Einkünften hängt von der Stellung des Trust-Errichters ab. Hat er eine derartig starke Rechtsposition, dass der Trust bei wirtschaftlicher Betrachtung einem Treuhandverhältnis entspricht4, sind die Einkünfte ihm zuzurechnen.

16.138 Andernfalls wird der Trust seit der Entscheidung des BFH v. 5.11.19925 regelmäßig als Zweckvermögen i.S.d. § 15 Abs. 4 AStG qualifiziert. Das Einkommen des Trusts wird daher zunächst dem unbeschränkt steuerpflichtigen Errichter nach § 15 Abs. 1, 2 AStG zugerechnet. Falls die Zurechnung zum Errichter ausscheidet, wird das Einkommen den Begünstigten zugerechnet, wenn sie unbeschränkt steuerpflichtig sind. Unklar ist aber das Verhältnis zwischen mehreren Begünstigten, von denen einige bezugs-, andere anfallberechtigt sind6. cc) Anwendungsbereich des Trusts aus ertragsteuerlicher Sicht

16.139 Aus ertragsteuerlicher Sicht lässt sich durch die Errichtung eines Trusts kein steuerlicher Vorteil erzielen. In vielen Konstellationen droht eine Doppelbesteuerung. Insbesondere die Zurechnung zu inländischen Begünstigten kann zu erheblichen Problemen führen, wenn diese keinen Anspruch auf Zahlung der auf die Bezugsberechtigung entfallenden Steuern haben. d) Erbschaftsteuer aa) Rechtslage bis zum 4.3.1999

16.140 Bei einer Reihe von Trusttypen war in der Vergangenheit die Übertragung von Vermögen auf einen Trust nicht steuerpflichtig, weil die Übertragung als aufschiebend bedingt angesehen worden ist. Weder der Trustee noch die Begünstigten waren im Zeitpunkt der Übertragung bereichert. Erst im Augenblick der Ausschüttung aus dem Trust an die Begünstigten entstand die Erbschaft- oder Schenkungsteuer, es sei denn, es bestünde ein gesicherter Anspruch des Begünstigten auf die Auszahlung von Erträgen7. 1 Ggf. ist das Inlandsvermögen durch Einbringung in eine ausländische Kapitalgesellschaft im CommonLaw-Rechtskreis in Auslandsvermögen umzuwandeln. Das ist aus steuerlichen Gründen nur eingeschränkt empfehlenswert. Insbesondere droht die Aufdeckung stiller Reserven im Betriebsvermögen und bei wesentlichen Beteiligungen i.S.d. § 6 AStG. 2 Vgl. auch von Oertzen/Stein/Reich, ZEV 2013, 109 (112) zur Qualifikation von Grundstücksgesellschaften im IPR als bewegliche Sachen. 3 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. 1993 II, 388. 4 Das dürfte in Betracht kommen bei einem grantor trust oder einem revocable trust. 5 Az.: I R 39/92, BStBl. 1993 II, 388 (389); ebenso BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. 1994 II, 727. 6 Vgl. Flick/Wassermeyer, AStG, § 15 Rz. 42; Krabbe in Lademann/Söffing/Brackhoff, § 15 AStG Rz. 18. 7 Vgl. BFH v. 7.5.1986 – II R 137/79, BStBl. II 1986, 615; BFH v. 21.4.1982 – II R 148/79, BStBl. II 1982, 597; BFH v. 12.5.1970 – II 52/64, BStBl. II 1972, 462; BFH v. 7.6.1989 – II B 4/89, BFH/NV 1990, 235, jeweils m.w.N.; s. ferner Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 2 Rz. 120 m.w.N.

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Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.144 § 16

bb) Rechtslage nach dem 4.3.1999: Neuregelung durch das StEntlG 1999/2000/2002 Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 hat sich die Lage für solche Erwerbe erheblich verschlechtert, für die die Steuer nach dem 4.3.1999 entstanden ist oder entsteht: Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG ist „die vom Erblasser angeordnete Bildung oder Ausstattung einer Vermögensmasse ausländischen Rechts, deren Zweck auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist“ steuerpflichtig. Eine entsprechende Regelung findet sich für Übertragungen unter Lebenden in § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG. § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG unterwirft den Vermögensanfall aus einem Trust der Schenkungsteuer. Ergänzende Regelungen finden sich in § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. c ErbStG (Zeitpunkt der Steuerentstehung), § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG (Person des Schenkers bei Auflösung) und § 20 Abs. 1 ErbStG (Steuerschuldner). Seitdem gelten Trusts eher als Steuerrisiko.

16.141

Der Tatbestand ist beklagenswert vage. Die Finanzverwaltung hat sich einer Stellungnahme bislang 16.142 enthalten. Relativ aktuelle Entscheidungen der Finanzgerichtsbarkeit geben Anlass sich dem Thema erneut zuzuwenden: Zwei Entscheidungen des BFH, die Stiftungen betreffen, und eine Serie von drei Entscheidung des FG Baden-Württemberg die sich mit einem US-Erbfall unter Einsatz von US-Trusts beschäftigen. Nach dem BFH-Urteil v. 28.6.20071 unterliegt die Übertragung von Vermögen auf eine liechtenstei- 16.143 nische Stiftung nicht der Schenkungsteuer, wenn die Stiftung nach den getroffenen Vereinbarungen und Regelungen im Verhältnis zum Stifter nicht tatsächlich und rechtlich frei verfügen kann (LS). Maßgeblich sei das Innenverhältnis des Empfängers zum Leistenden. Im Entscheidungsfall standen dem Stifter sämtliche Rechte am Vermögen und die Erträge der Stiftung allein zu, er konnte dem Stiftungsrat Änderungen des Stiftungsreglements auftragen, über die Anlage des Vermögens entscheiden und jederzeit die Rückübertragung des Vermögens herbeiführen. Bei einem solchen Strohmanngeschäft fehle es an der Vermögensentäußerung. Das sei im Falle des freien Widerrufsvorbehaltes anders, weil der Beschenkte bis zum Widerruf frei über das geschenkte Vermögen verfügen könne. Die Grundgedanken dieser Entscheidung können auf Trust-Gestaltungen übertragen werden.2 So dürfte die Übertragung von Vermögen auf einen Grantor’s Trust3 bei hinreichenden Herrschaftsrechten des Grantors keine Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 ErbStG auslösen. Hingegen steht der Revocable Trust der Schenkung unter Widerrufsvorbehalt nahe, so dass im Regelfall dieser Tatbestand erfüllt werden dürfte. Wie umfassend die Herrschaftsrechte ausgestaltet sein müssen, ist weiterhin nicht abschließend geklärt. Habammer4 hatte in Anlehnung an die Erfordernisse von Treuhandverhältnissen gefolgert, das wirtschaftliche Eigentum liege unter Berücksichtigung der Rechtsprechung5 nur dann beim Errichter, wenn folgende Voraussetzungen gegeben seien: – der Verwalter müsse das Trustverhältnis jederzeit widerrufen können, – der Verwalter müsse an die Weisungen des Errichters strikt gebunden sein, – das Trustverhältnis müsse jederzeit und ohne Bedingungen kündbar sein, – der Errichter müsse einen wesentlichen Einfluss auf die Anlageentscheidungen des Verwalters haben.

1 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, FamRZ 2007, 1980 = BStBl. 2007 II, 669 (671). 2 Vgl. etwa Jülicher, ZErb 2007, 361 (363). 3 Grantor trusts zeichnen sich dadurch aus, dass der Errichter (Grantor) sich bestimmte Rechte vorbehält, typischerweise die Rechte, den Trust zu widerrufen oder aufzulösen und zu ändern, und sich die Kontrolle über das Trustvermögen vorbehält. 4 Habammer, DStR 2002, 425 (427, 430). 5 Vgl. BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. 1984 II, 751; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. 1993 II, 388.

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16.144

§ 16 Rz. 16.145

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Auch wenn die Argumentation über das wirtschaftliche Eigentum nicht der aktuellen Argumentationsstruktur des BFH entspricht, stimmen die Kriterien mit der Begründungslinie des BFH weitgehend überein.

16.145 Etwas großzügiger ist die Rechtsprechung des FG Baden-Württemberg1. Die insgesamt drei Entscheidungen betreffen unter anderen einen Erbfall. Der Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die 1986 verstorbene Erblasserin (B) war US-Staatsangehörige und lebte in den USA. Ihr Sohn S ist ebenfalls US-Staatsangehöriger, jedoch mit Wohnsitz in Deutschland. B errichte testamentarisch einen Trust zugunsten ihres Sohnes und einen zugunsten ihrer Enkeltochter (G), die „Alt-Trusts“. S und G hatten Anspruch auf Auskehrung des Trusteinkommens, nicht aber des Trustvermögens vor dessen Beendigung (fixed interest trust). Am 1.7.1997 errichtete G einen sog. Grantor’s Trust in den USA, deren alleinige Begünstigte G ist. Auf diesen Trust übertrug sie sämtliche Rechte aus dem zu ihren Gunsten errichten Trusts der B. Das Vermögen des Grantor’s Trusts ist entweder mit dem Tod, spätestens nach Vollendigung des 37. Lebensjahres an G auszukehren. Die Erträge werden begrenzt und altersabhängig gestaffelt an G ausgezahlt. Das FA wollte die Ausschüttungen aus dem Alt-Trust unter Zwischenschaltung des Grantor’s Trust einer dreifachen Besteuerung unterwerfen, nämlich – Ausschüttungen aus dem Alt-Trust sowohl als Erwerbe der G und zugleich als Zuwendungen der G an den Grantor’s Trust und – die Ausschüttungen aus dem Grantor’s Trust.

16.146 Das FG Baden-Württemberg stellt darauf ab, dass der Grantor’s Trust ausschließlich im Interesse der Errichterin gegründet wurde, der sowohl das Vermögen als auch die akkumulierten Erträge zustanden, wohingegen temporäre Ausschüttungsbeschränkungen als unschädlich gesehen und die fehlende Möglichkeit, Anlageentscheidungen zu beeinflussen oder jederzeit den trust zu widerrufen, nicht thematisiert wurden. Es zeigt, sich dass die Grenzbestimmung bei Typusbegriffen besonders schwer fällt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Trust keine rechtliche Verselbständigung wie bei einer juristischen Person erfährt, scheint es sachgerecht zu sein, die Anforderungen entsprechend zurückhaltender zu setzen, auch um den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen derartig vage Rechtsbegriffe2 Rechnung zu tragen. Dieser Auffassung hat sich augenscheinlich die Finanzverwaltung angeschlossen, da gegen dieses Urteil keine Revision eingelegt wurde.

16.147 Insbesondere bei einem geplanten Wegzug in den angelsächsischen Rechtskreis könnte die Errichtung eines Grantor’s Trust eine interessante Alternative sein, wenn im Zuzugsstaat der Trust die Steuerbelastung vermeidet oder reduziert.

16.148 Enden allerdings die Sonderrechte des Grantors, z.B. mit dessen Tod, ohne dass der Trust aufgelöst wird, droht jetzt allerdings die erstmalige Ausstattung des Trusts i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG3.

16.149 Welche zeitliche Komponente ein Trust erfüllen muss, damit ein Trust auf Vermögensbindung gerichtet ist, bleibt allerdings weiter unklar. Mit Blick auf die Regelung des § 21 Abs. 1 S. 4 ErbStG sollte eine Mindestbindungsdauer von fünf Jahren gegeben sein.4

16.150 Der Erwerb durch einen Trust unterliegt immer der ungünstigsten Steuerklasse III. Das Steuerklassenprivileg für Familienstiftungen nach § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG scheitert wie in der Vergangenheit am fehlenden Sitz in Inland5. 1 FG BW v. 15.7.2010 – 7 K 38/07, EFG 2011, 164. 2 Vgl. zur Kritik insoweit etwa Schindhelm/Stein, FR 1999, 880 (881 ff.); Söffing/Kirsten, DB 1999, 1626 (1628); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 2 Rz. 127a. 3 Vgl. Jülicher, ZErb 2007, 361 (365). 4 Vgl. Schindhelm/Stein, FR 1999, 883 (885); Jülicher fordert eine gewisse Mindestbindungsdauer, Troll/Gebel/Jülicher, § 2 Rz. 125. 5 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 2 Rz. 127.

730

Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.156 § 16

Bei der Auflösung des Trusts wird der Vermögensanfall bei den Anfallsberechtigten wieder steuerlich erfasst (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2, 1. Alt. ErbStG). Die Steuerklasse bestimmt sich allerdings nach dem persönlichen Verhältnis zwischen dem Trusterrichter und dem einzelnen Begünstigten (§ 15 Abs. 2 S. 2, 2. Alt. ErbStG).

16.151

Aus dem Urteil des BFH zur Anwendung des § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG bei der Auflösung von Familien- 16.152 stiftungen1, wonach sich der Regelungsinhalt darauf beschränkt, die anwendbare Steuerklasse zu bestimmen, kann man schlussfolgern, dass bei Verwendung mehrerer Trusts, die unter den Begriff der selbständigen Vermögensmasse fallen und deren Vermögen nicht dem Errichter zugerechnet werden kann, von einer Multiplikation der Freibeträge nach § 16 ErbStG auszugehen ist und keine Zusammenrechnung der verschiedenen Erwerbe aus den unterschiedlichen Trusts nach § 14 ErbStG erfolgt.2 Das eröffnet Gestaltungsoptionen für die vorweggenommene Erbfolge, wenn der Errichter und der Trust (sowie das Trustvermögen, was sich bereits zivilrechtlich mit Ausnahme vermögensverwaltender transparenter Auslandsgesellschaften bereits aus dem IPR ergibt, s.o.) nicht im Inland steuerlich ansässig sind. Andernfalls macht die prohibitive Besteuerung der Übertragung von Vermögen auf einen Trust in Steuerklasse III die Effekte im 2. Schritt der Gestaltung zu Nichte. Steuerpflichtig sind darüber hinaus (anders als bei Ausschüttungen an Destinatäre einer Stiftung) auch 16.153 die Erwerbe sog. Zwischenberechtigter während der Laufzeit des Trusts (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2, 2. Alt. ErbStG). Mangels gesetzlicher Definition ist unklar, ob als Zwischenberechtigte nur die Anfallberechtigten oder nur die Zwischennutzungsberechtigten anzusehen sind oder jeder Erwerber, der vor der Auflösung Zuwendungen aus dem Trustvermögen bezieht. Das Nebeneinander der Besteuerung nach alter und neuer Rechtslage bei Alt-Trusts wird man wohl nur durch eine Billigkeitsregelung lösen können, soweit es zu einer doppelten Besteuerung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG kommt.3 Der BFH sieht jeglichen Erwerb während des Bestehens eines Trusts als Zwischenerwerb, weil andernfalls Vermögenssubstanz und -erträge steuerfrei ausgezahlt werden könnten4. In den meisten Fällen hat der Trust als Steuergestaltungsinstrument der Unternehmensnachfolge in 16.154 Deutschland ausgedient. Der Trust erweist sich häufig als Steuerfalle, wenn einer der Beteiligten (Errichter oder Bezugsberechtigte) im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Bei engen Bezügen zu Deutschland mag er in Einzelfällen noch aus außersteuerlichen Gründen sinnvoll sein (z.B. Vermeidung des Nachlassverfahrens im angelsächsischen Rechtskreis), wobei er wegen der steuerlichen Fallstricke äußerst behutsam zu gestalten ist.

V. Alternative Rechtsformen zur Erreichung von Stiftungszielen Beratungssituation: Nachdem Sie Ihrem Mandanten die Vor- und Nachteile der Stiftung ausführlich geschildert haben, fragt er, ob es eine Alternative gibt, mit der er seine Ziele der langfristigen Förderung gemeinnütziger Ziele erreichen kann.

16.155

1. Die Stiftungs-GmbH Die Errichtung einer Stiftung ist wegen verschiedener Nachteile, insbesondere ihrer verminderten Flexibilität, dem Grundsatz der Vermögensbindung und der Aufsicht der Stiftungsbehörden, nicht

1 BFH v. 30.11.2009 – II R 6/07, BStBl. 2010 II, 237. 2 von Oertzen/Stein, ZEV 2010, 500 (502 f.), wohl auch Watrin, ZEV 2011, 105 (110). Die ggf. resultierende Doppelbelastung durch Einkommen- und Erbschafsteuer wird auch durch § 15 Abs. 11 AStG nicht vermieden (vgl. Götz, DStR 2014, 1047 [1049]). 3 FG BWv. 15.7.2010 – 7 K 37/07, EFG 2011, 162. 4 BFH v. 27.9.2012 – II R 45/10, BStBl. II 2013, 84; a.A. zur ausländischen Stiftung aber FG Hessen v. 10.2.2014 – 1 V 2602/13, EFG 2014, 1014 und BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14.

Stein 731

16.156

§ 16 Rz. 16.156a

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

für alle Konstellationen die optimale Gestaltung. Eine Rechtsform, auf die potenzielle Stifter ausweichen könnten, ist die Stiftungs-GmbH. Darunter versteht man eine GmbH, die durch entsprechende Gestaltung des Gesellschaftsvertrags zur Erfüllung von Stiftungszwecken geeignet ist. Die beim Gründer verbleibende Dispositionsfreiheit erlaubt die Aufhebung der Stiftungs-GmbH oder die Änderung ihres Zweckes1. Schließlich unterliegt die Stiftungs-GmbH keiner staatlichen Aufsicht.

16.156a Der wesentliche Vorteil einer Stiftungs-GmbH, nämlich die Verbandsautonomie, also die Fähigkeit der Gesellschafter, die Rechtsverhältnisse frei zu bestimmen, ist zugleich die Achillesferse. Durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag kann gewährleistet werden, dass der Gesellschaftszweck und die übrigen Bestandteile des Gesellschaftsvertrags nur unter erhöhten Voraussetzungen geändert werden können. Es lässt sich aber nicht verhindern, dass die künftigen Gesellschafter sich einvernehmlich über den ursprünglichen Willen des Stifters/Gründers hinwegsetzen. Kautelarjuristisch kann versucht werden, die Hürden durch qualifizierte Mehrheitserfordernisse und Sonderrechte zugunsten geeigneter Gesellschafter und Stimmbindungsvereinbarungen oder Treuhandverhältnisse in praxi unüberwindbar hoch zu setzen.

16.157 Die AG eignet sich wegen des Grundsatzes der formellen Satzungsstrenge nicht als Ersatzrechtsform. Nach § 23 Abs. 5 AktG darf die Satzung von den Vorschriften des AktG nur abweichen, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist. Auch ergänzende Bestimmungen sind nur zulässig, wenn das AktG keine abschließende Regelung enthält2. Die Perpetuierungsvorstellungen eines potenziellen Stifters lassen sich deswegen kaum umsetzen.

16.158 Die Gefahr ungewollter Strukturentscheidungen wird bei einer GmbH, die gemeinnützige Zwecke verfolgt („gGmbH“), durch die Restriktionen des Gemeinnützigkeitsrechts weiter reduziert. Denn hier übt die Finanzverwaltung eine weitgehende Kontrolle aus. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist weitgehend rechtsformneutral. Die Versorgung des „Stifters“ und seiner Angehörigen im Rahmen der Drittel-Lösung des § 58 Nr. 6 AO ist allerdings nicht möglich, weil die Vorschrift auf Stiftungen beschränkt ist. Zudem gilt die Erbschaftsteuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. b ErbStG nur für den Übergang von Vermögen auf eine gemeinnützige GmbH, nicht aber für die Vererbung der Anteile an einer gemeinnützigen GmbH.

16.159 Der erweiterte Spendenabzug des § 10b Abs. 1a EStG steht nur Stiftungen, nicht aber anderen gemeinnützigen Körperschaften zu.

16.160 Die Finanzverwaltung lässt den Abzug einer auflösend bedingten Last i.S.d. § 7 ErbStG zu, um die gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen zu berücksichtigen.3 2. Die unselbständige Stiftung

16.161 Die Errichtung einer unselbständigen Stiftung4 stellt insbesondere dann eine Alternative zur selbständigen Stiftung dar, wenn das zur Verfügung stehende Vermögen für die angestrebten Zwecke zu gering ist, gleichwohl ein gewisser Einfluss auf die Umsetzung der Stiftungszwecke sichergestellt werden soll oder eine stiftungsartige Außendarstellung gewünscht wird.

1 Das ist bei der Stiftung nach Anerkennung gem. § 81 Abs. 2 S. 1 BGB nicht mehr möglich. Allerdings ist § 81 Abs. 2 S. 1 BGB im Ergebnis dispositiv, in dem die Befugnis zur Auflösung durch den Stifter vorbehalten wird, so dass sich dieser Nachteil durch Gestaltung der Satzung vermeiden lässt. 2 Vgl. MüKo.AktG/Pentz, § 23 Rz. 157. 3 Gleichlautender Ländererlass v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1362, dazu etwa Mannek, NWB 2013, 3449. 4 Vgl. Wochner, ZEV 1999, 125 ff.

732

Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

Rz. 16.166 § 16

Von unselbständigen Stiftungen spricht man, wenn ein Stifter ein bestimmtes Vermögen bestimmten Zwecken auf Dauer widmet, ohne dass diese Vermögensmasse eine juristische Person ist. Das Stiftungsgeschäft kleidet sich bei Errichtung unter Lebenden regelmäßig in die Form einer Schenkung unter Auflage oder eines Treuhandgeschäfts mit Elementen eines Auftragsverhältnisses oder eines Dienstvertrags1.

16.162

Bei der Errichtung einer unselbständigen Stiftung von Todes wegen sind die erbrechtlichen Gestaltungsformen zu beachten, wobei Einigkeit besteht, dass es sich um eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis unter Auflage handelt2. Die von Todes wegen errichtete Stiftung entsteht mit dem Erbfall3.

16.163

Kürzlich durch den BFH geklärt wurde die zuvor kontrovers diskutierte Frage, ob eine nichtrechtsfähige Stiftung Familienstiftung i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nr. 4 und 15 Abs. 2 ErbStG sein kann4. Der für das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht zuständige II. Senat kommt in dem Urteil zu dem Ergebnis, dass eine nicht rechtsfähige Stiftung keine Familienstiftung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG sei und demgemäß nicht der Erbersatzsteuer unterliegen könne. Eine nicht rechtsfähige Stiftung besitze kein eigenes Vermögen, welches der Erbersatzsteuer unterliegen könne.

16.164

Stiftungsträger kann jede natürliche oder juristische Person sein, insbesondere auch eine rechtsfähi- 16.165 ge Stiftung5. Der Auswahl des Trägers kommt in diesen Gestaltungen überragende Bedeutung zu, insbesondere muss sich die Organisation der unselbständigen Stiftung an der unvermeidlichen Bindung an den Träger orientieren. Zweckmäßigerweise wählt man eine Einrichtung, die bereits die vom Stifter angestrebten Zwecke verfolgt. Eine effektive Kontrolle des Trägers lässt sich nur durch ein mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattetes Kontrollorgan erreichen. Zudem ist dessen dauerhafte Besetzung mit geeigneten Personen entscheidend. Mangels staatlicher Aufsicht und rechtlicher Verselbständigung ist die präzise Ausgestaltung der „Stiftungssatzung“ von überragender Bedeutung. Die nicht rechtsfähige Stiftung kann als anderes Zweckvermögen eigenständiges Körperschaftsteu- 16.166 ersubjekt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG sein, wenn sie wirtschaftlich selbständig ist6. Liegt diese Voraussetzung vor, entspricht die steuerliche Behandlung im Wesentlichen der von rechtsfähigen Stiftungen, insbesondere kann die unselbständige Stiftung steuerbegünstigt tätig sein7. Dem Stifter steht nach h.M. der erhöhte Sonderausgabenabzug für Spenden an privatrechtliche Stiftungen zu8. Gleichfalls führen Zuwendungen an unselbständige gemeinnützige Stiftungen zum rückwirkenden Erlöschen der ErbSt nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG9.

1 Nach h.M. kommen beide Rechtsformen alternativ in Betracht, wohingegen einige Autoren nur einen der Vertragstypen für einschlägig halten (vgl. zum Meinungsstreit etwa Hof in Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 3. Aufl., § 36 Rz. 28 ff.; Staudinger/Hüttemann/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 241.). 2 Hof in Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 3. Aufl., § 36 Rz. 102 ff.; Staudinger/ Hüttemann/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 252. 3 BFH v. 16.11.2011 – I R 31/10, BFH/NV 2012, 786. 4 BFH v. 25.1.2017 – II R 26/16, BStBl. II 2018, 199, anders noch die Vorinstanz FG Köln v. 25.5.2016 – 7 K 291/16, EFG 2016, 1447. 5 Hüttemann/Herzog, DB 2004, 1001 (1002); Hof in Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 3. Aufl., § 36 Rz. 59; einschränkend OFD München, Vfg. v. 7.3.2003, ZEV 2003, 239 (240). 6 BFH v. 24.3.1993 – I R 27/92, BStBl. 1993 II, 637. 7 OFD Frankfurt, Vfg. v. 30.8.2011, DB 2012, 204; umfassend Hüttemann/Herzog, DB 2004, 1001, 1002 ff. m.w.N. 8 Hüttemann/Herzog, DB 2004, 1001 (1006) m.w.N. 9 OFD München, Vfg. v. 7.3.2003, ZEV 2003, 239; Hüttemann/Herzog, DB 2004, 1001 (1006) m.w.N.; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 29 Rz. 95.

Stein 733

§ 16 Rz. 16.167

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung

16.167 Übersicht: Stiftung, unselbständige Stiftung und GmbH im Vergleich Merkmale

Rechtsfähige Stiftung

Unselbständige Stiftung

GmbH

I. Gesellschaftsrecht 1. Maßgebliche Vorschriften

§§ 80–88 BGB und Lan- Allgemeines Vertragsdesstiftungsgesetze recht (meist Treuhand, teils Auflagenschenkung)

GmbHG

2. Zweck der Gesellschaft

Beliebige Zwecke mit Ausnahme der Unternehmensselbstzweckstiftung

Beliebige Zwecke

Beliebige Zwecke

3. Rechtsfähigkeit

Ja

Nein

Ja

4. Kaufmannseigenschaft

Nein

Nein

Ja (§ 6 HGB)

5. Registereintragung

Nein, es sei denn Landesstiftungsregister

Nein

Ja, GmbH entsteht erst mit der Eintragung

6. Mindestkapital

Nicht vorgeschrieben, aber i.d.R. 50.000 Euro (§ 80 Abs. 2 BGB)

Nicht vorgeschrieben

25.000 Euro

7. Geschäftsführung

Durch Vorstand

Durch Organe des Stif- Geschäftsführung durch tungsträgers, wenn nicht die Geschäftsführer geabweichend geregelt meinschaftlich, soweit nichts anderes geregelt ist (§ 35 Abs. 1 und 2 GmbHG)

8. Vertretung

Gesamtvertretung durch Durch Organe des Stifalle Vorstände, sofern in tungsträger, wenn nicht der Satzung nichts ande- abweichend geregelt res geregelt ist (§ 85 i.V.m. § 26 BGB); Nachweis der Vertretungsmacht nur durch Bestätigung der Stiftungsaufsichtsbehörde

Vertretung durch die Geschäftsführer. Der Vertretungsnachweis kann mittels Handelsregisterauszug ohne weiteres erbracht werden.

9. Haftung

Haftung ist auf das Stiftungsvermögen begrenzt, mangels Gesellschafter keine Durchgriffshaftung möglich

Je nach Vertragsgestaltung

Haftung ist auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt, soweit keine Regeln über die Kapitalerhaltung verletzt werden (§§ 30 ff. GmbHG) oder Durchgriffshaftung

Nein, weil kein Gesellschafter

Nein, aber Übertragung des Vertragsverhältnisses nach allgemeinen Regeln des Grundverhältnisses möglich

Ja, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist (§ 15 GmbHG).

10. Freie Anteilsübertragbarkeit

734

Stein

Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung Unselbständige Stiftung

Rz. 16.167 § 16

Merkmale

Rechtsfähige Stiftung

GmbH

11. Vererblichkeit

Nicht möglich, weil kein Nachfolge in GrundGesellschafter verhältnis möglich

möglich

12. Rechtsfolge des Todes eines Gesellschafters/Stifters

grundsätzlich keine

Regelungsbedürftig

Übergang der Geschäftsanteile auf die Erben, soweit nichts anderes geregelt (Vinkulierung)

13. Testamentsvollstreckung

Für Errichtung der Stiftung von Todes wegen möglich

Für Errichtung der Stiftung von Todes wegen möglich

Für Errichtung der GmbH von Todes wegen möglich

14. zivilrechtliche Beendigung

Aufhebung der Stiftung, Nach Regelung im wenn Erfüllung des Stif- Grundverhältnis tungszwecks unmöglich geworden ist

Anmeldung der Liquidation beim Handelsregister und Beachtung des Sperrjahres (§§ 60 ff. GmbHG)

Nein, aber Rechnungslegung nach Maßgabe der Landesstiftungsgesetze

Nein

Ja, §§ 238 ff., 264 ff. HGB

2. Pflicht zur ErweiteEntfällt rung des Jahresabschlusses um einen Anhang und zur Aufstellung eines Lageberichts

Entfällt

Ja, § 264 Abs. 1 HGB, Lagebericht nicht bei kleinen GmbHs i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB (§ 264 Abs. 1 S. 3 HGB)

3. Pflicht zur Prüfung Nach Maßgabe der Landes Jahresabschlusses desstiftungsgesetze durch einen Wirtschaftsprüfer

Nein

Ja, §§ 316 ff., wenn nicht kleine GmbH i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB

4. Pflicht zur Veröffent- entfällt lichung im Bundesanzeiger

Nein

Ja

II. Rechnungslegung 1. Buchführungs- und Bilanzierungspflicht nach den §§ 238 ff. HGB

Stein 735

§ 17 Landwirtschaftliches Sondererbrecht I. Zielsetzungen des Landwirtschaftserbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis der Anerbengesetze zum BGB-Landguterbrecht . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . 2. Wann gilt ein Anerbengesetz? . . . . . . . . 3. Überblick über die regionalen anerbenrechtlichen Sondervorschriften . .

17.1 17.7 17.7a 17.11 17.12

III. BGB-Landguterbrecht i.V.m. §§ 13 ff. GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.18 1. Gemeinsame Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 17.20 a) Begriff des Landguts i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.21 b) Begünstigter Personenkreis i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB . . . . . . . . . . . . . 17.35 c) Ertragswert eines Landguts i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB . . . . . . . . . . . . . 17.36 aa) Bewertungsregeln der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.48 (1) 18 als Multiplikator . . . . . . . . . 17.48 (2) 25 als Multiplikator . . . . . . . . . 17.49 (3) 17 als Multiplikator . . . . . . . . . 17.50 bb) Ermittlung des jährlichen Reinertrags . . . . . . . . . . . . . . . . 17.51 2. Weitere Voraussetzungen des § 2049 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 17.55 a) Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . 17.56 b) Anordnung des Übernahmerechts durch den Erblasser . . . . . . . . . . . . . 17.57 c) Übernehmer gehört zum begünstigten Personenkreis des § 2303 BGB . 17.60 d) Hof geht als wirtschaftliche Einheit über . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.62 e) Übernahmepreis in Ablebensverfügung geht vor . . . . . . . . . . . . . 17.63 f) Ausübung des Übernahmerechts . . . 17.64 g) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.65 h) Ertragswertermittlung . . . . . . . . . . . 17.66 3. Weitere Voraussetzungen des § 2312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.67 a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 17.67a b) Landgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.69 c) Übernehmer gehört zum Personenkreis des § 2303 BGB . . . . . . . . . . . . 17.70 d) Anordnung des Erblassers oder Fall des § 2049 BGB . . . . . . . . . . . . . 17.71 e) Ertragswertansatz ist gerechtfertigt . 17.72 f) Geltendmachung des Übernahmerechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.76 g) Kein Nachabfindungsanspruch . . . . 17.77 h) § 2312 BGB und vorweggenommene Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.78

736

Ruby

4. Vererbung des Landguts bei fortgesetzter Gütergemeinschaft gem. § 1515 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen des § 1515 BGB . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahren auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs aus der Erbengemeinschaft nach §§ 13 ff. GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erbengemeinschaft kraft gesetzlicher Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Landwirtschaftlicher Betrieb . . . . . . c) Hofstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ertragshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antragsteller ist Miterbe . . . . . . . . . f) Landwirtschaftsgericht . . . . . . . . . . g) Zuweisungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . h) Zuweisungsempfänger . . . . . . . . . . . i) Zuweisungsverfahren . . . . . . . . . . . . j) Zuweisungsbeschluss . . . . . . . . . . . . k) Nachabfindungsansprüche . . . . . . . IV. Anerbengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . a) Höfeordnung für Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . b) Badisches Gesetz die geschlossenen Hofgüter betreffend . . . . . . . . . . . . . c) Württembergisches Gesetz über das Anerbenrecht . . . . . . . . . . . . . . d) Hessische Landgüterordnung . . . . . e) Rheinland-pfälzisches Landesgesetz über die Höfeordnung . . . . . . . . . . . f) Bremisches Höfegesetz . . . . . . . . . . 2. Vergleichende Darstellung der Anerbenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Land-/forstwirtschaftliche Besitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mit einer zu ihrer Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle . . . . . . . . . . . . c) Betriebsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsträger des Hofs . . . . . . . . . . . e) Eintragung der Anerbenhöfe in öffentliche Register . . . . . . . . . . . . . f) Bestimmung des Hoferben durch Verfügung von Todes wegen . . . . . . g) Bestimmung des Hoferben kraft Anerbengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anerbenordnungen . . . . . . . . . bb) Konkurrenz innerhalb der ersten Anerbenordnung . . . . .

17.81 17.82 17.87

17.89 17.90 17.91 17.92 17.93 17.95 17.96 17.97 17.101 17.102 17.103 17.107 17.110 17.112 17.112 17.113 17.114 17.115 17.116 17.117 17.118 17.119 17.120 17.121 17.122 17.123 17.126 17.128 17.128 17.130

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

h) i) j) k) l) m) n) o) p) q)

cc) Der Ehegatte als Anerbe im Verhältnis zu den nachfolgenden Anerbenordnungen . . . . . Vererbung von Ehegattenhöfen . . . Rechtswirkungen des Hoferbfalls . . Abfindung der weichenden Erben zu Erbquoten nach dem Hofwert . . Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten bei der Abfindung . Nachlassverbindlichkeiten im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . Nachlassverbindlichkeiten im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . Voraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderansprüche der weichenden Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderansprüche des überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachabfindungsansprüche der weichenden Erben bei Veräußerung des Anerbenhofs . . . . . . . . . .

§ 17

r) Hofausschlagung . . . . . . . . . . . . . . 17.170 s) Hoffolgezeugnis . . . . . . . . . . . . . . . 17.171 17.132 17.133 17.136 17.137 17.144 17.149 17.150 17.153 17.156 17.158

V. Hofübergabe zu Lebzeiten . . . . . . . . . 1. Inhalt des Hofübergabevertrags, insbesondere Altenteil . . . . . . . . . . . . . a) Wohnrecht für Übergeber . . . . . . . . b) Versorgungsleistungen des Übernehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rückforderungsklauseln . . . . . . . . . d) Gleichstellungs- und Abfindungszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . . . . . . . f) Nachabfindungsklausel . . . . . . . . . . g) § 1365 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Genehmigung nach GrdstVG . . . . . 2. Rechtsnatur des Hofübergabevertrags und Pflichtteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formlos wirksames Hofübergabeversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17.173 17.175 17.182 17.183 17.184 17.185 17.186 17.187 17.188 17.189 17.190 17.202

17.160

Schrifttum: Ein umfangreiches Verzeichnis älterer Literatur ist in der 3. Auflage abgedruckt. Adlerstein/ Desch, Das Erbrecht in den neuen Bundesländern, DtZ 1991, 193; Bahrs, Die Agrarreform 2005: Ein neues Kapitel im landwirtschaftlichen Steuerrecht, INF 2005, 176 ff. und 224 ff.; Bell/Jennissen, Betriebsbewertung unter Berücksichtigung von Altenteilsverpflichtungen, 2007; Bendel, Landwirtschaftliches Sondererbrecht in den fünf neuen Bundesländern, Agrarrecht 1991, 1; Bendel, Verlust der Hofeigenschaft durch Erbfall, Agrarrecht 2003, 325; BMF; Bewertung von mit land- und forstwirtschaftlichem Grund und Boden im Zusammenhang stehenden Milchlieferrechten, BStBl. 2003 I 78; BMF, Ertragsteuerliche Behandlung von Biogasanlagen BStBl., 2006 I 248; Böck, Ertragswert und Schuldenabzug, MittBayNot 1984, 243; Deutsche Gesellschaft für Agrarrecht, Leitfaden für die Ermittlung des Ertragswerts landwirtschaftlicher Betriebe, Agrarrecht 1994, 5; Dressler, Vor- und Nacherbschaft im Höferecht, Agrarrecht 2001, 265; Evangelisches Bauernwerk in Württemberg e.V., Materialien zur Hofübergabe, 25. Aufl. 2006; Fassbender, Überlegungen zum landwirtschaftlichen Erbrecht, Agrarrecht 1998, 188; Fassbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo, Höfeordnung, Höfeverfahrensordnung und Überleitungsvorschriften, 3. Aufl. 1994; Frey, Zur Praxis des Hofübergangs in Rheinland-Pfalz, Agrarrecht 1989, 322; Gerold, Vererbung landwirtschaftlicher Betriebe in Hessen, 1989; Glas, Strukturveränderungen in der Landwirtschaft – Höfe-, gesellschafts- und steuerrechtliche Konsequenzen, Beilage zu Agrarrecht 7/2002; Härtel, Handbuch des Fachanwalts Agrarrecht, 2012; Hartmann, Landesgesetz über die Einführung einer Höfordnung in Rheinland-Pfalz mit Landwirtschaftsrecht von Rheinland-Pfalz, 1954; Hartwig, Die Berücksichtigung der Nachlassverbindlichkeiten bei der Abfindung und Ergänzungsabfindung weichender Erben (§§ 12, 13 HöfeO), 1997; Haselhoff, Neugestaltung der Hoferbfolgebestimmungen in der Bundesrepublik, RdL 1993, 225; Hausmann, Die Vererbung von Landgütern nach dem BGB – de lege lata et ferenda, 2000; Hausmann, Landwirtschaftliches Erbrecht, in: Hausmann/ Hohloch (Hg.), Handbuch des Erbrechts, 2008, 1711; Hiller, Beratungsempfehlungen zur Vereinbarung von Altenteilsleistungen, INF 2005, 108; Hoffmann-Fölkersamb, Hofübergabe, 6. Aufl. 1994; Horn, Gegenleistungen und Vorbehalte bei Übergabeverträgen, NWB Fach 19, 3841, Stand Dez. 2007; Hornstein, Stand und Entwicklung der Hofnachfolge in Baden-Württemberg, 1986; Hutmacher, Umsatzsteuerliche Aspekte der eisernen Verpachtung eines luf Betriebs, INF 2007, 214; Ivo, Der Verzicht auf Abfindungs- und Nachabfindungsansprüche gem. §§ 12, 13 HöfeO, ZEV 2004, 316; Jacobs, Das bremische Höfegesetz, 1992; Janke, Zur Geltung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR, NJ 2001, 117; Kannewurf, Die Höfeordnung vom 24.4.1947, Entstehungsgeschichte und Einordnung in die Entwicklung des Anerbenrechts, 2004; Köhne, Der leistungsfähige Betrieb, Agrarrecht 1991, 29; Köhne, Das landwirtschaftliche Sondererbrecht im Lichte des agrarstrukturellen Wandels, Agrarrecht 1995, 321 ff.; Köhne, Perspektiven der Unternehmensbewertung in der Landwirtschaft, Agrarrecht 1998, 155; Köhne, Landwirtschaftliche Taxationslehre, 4. Aufl. 2007; Kreuzer, Grundlinien des landwirtschaftlichen Sondererbrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Beilage II zu Agrarrecht 5/1990; Kronthaler, Landgut, Ertragswert und Bewertung im Bürgerlichen Recht, 1991;

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§ 17 Rz. 17.1

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Lange, Auswirkungen der Hofaufhebung auf die Bindung des Hofeigentümers durch Erb- oder Übergabevertrag, 1997; Lange/Wulff, Hessisches Landwirtschaftserbrecht, 1950; Lange/Wulff/Lüdtke-Handjery, Höfeordnung, 10. Aufl. 2001; Liesenborghs, Das Höferecht in Baden-Württemberg, Agrarrecht 1974, 310; Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, Einkommensteuer – Umsatzsteuer – Erbschaftsteuer, Loseblattsammlung; Märkle, Brennpunkte der Abgrenzung zwischen luf und gewerblicher Tätigkeit, DStR 1998, 1369; J. Mayer, Die Rückforderung der vorweggenommenen Erbfolge, DNotZ 1996, 604; J. Mayer, Pflichtteil und Ertragswertprivilegierung, MittBayNot 2004, 334; J. Mayer, Der Übergabevertrag in der anwaltlichen und notariellen Praxis, 2. Aufl. 2001; J. Mayer in Staudinger, BGB, Art. 64 EGBGB; Meyer zu Berstenhorst, Die Hofübergabe in heutiger Zeit, BWNotZ 1997, 114; Müller-Feldhammer, Das Ertragswertverfahren bei der Hofübergabe, ZEV, 1995, 161; Netz, Das landwirtschaftliche Erbrecht in Deutschland, RdL 2004, 1; Netz, Grundstücksverkehrsgesetz, 6. Aufl. 2013; OFD München/Nürnberg, Verf. v. 4.4.2005: Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistung – Ermittlung der Erträge bei Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen gem. § 13a EStG, ZEV 2005, 300; Pagenstecher, Rheinland-Pfälzische Höfeordnung novelliert, RdL 1967, 148; Piltz, Recht und Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe. Abdingung und Nachabfindung bei Erbfall, Schenkung, Scheidung, 2. Aufl. 2015; Paus, Zurechnung des Gewinns in Fällen einer „Nachabfindungsklausel“ in der Landwirtschaft, DStZ 2006, 75; Pritsch, Höferecht in Rheinland-Pfalz, DNotZ 1953, 618; Ritzrow, Mitunternehmerschaft bei Ehegatten in der LuF, StBP 2007, 17; Ruby, Das Landwirtschaftserbrecht: Ein Überblick, ZEV 2006, 351; Ruby, Landwirtschaftserbrecht: Das Landgut im BGB, ZEV 2007, 263; Ruby in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2011, zu Nr. 12 (GrdstVG); Ruby in BeckOGK Art 64, 137 EGBGB; Saure, Das Landwirtschaftsrecht in Hessen, 1950; von Schömberg, Die ertragsteuerlichen Folgen bei der Veräußerung und Entnahme von Grund und Boden und immateriellen Wirtschaftsgütern in der LuF, DStZ 2001, 145; Schnekenburger, Einkommensteuerliche und umsatzsteuerliche Rahmenbedingungen bei der Gestaltung der Betriebsnachfolge unter veränderten Rahmenbedingungen, HLBS Schriftenreihe Heft 178, 43; Schrader, Vermietung und Verpachtung im landwirtschaftlichen Bereich, NWB Fach 7, 6551, Dez. 2005; Söbbecke, Landwirtschaftserbrecht: Die Nordwestdeutsche Höfeordnung, ZEV 2006, 395; Söbbecke, Landwirtschaftserbrecht: Die Hofübergabe zu Lebzeiten, ZEV 2006, 493; Spellenberg, Der Anwendungsbereich der §§ 2049, 2312 BGB, in FS Münkner (2000), 371; Spiegelberger, Die steuerlichen Folgen bei der Umschichtung von Vermögenseinheiten durch den Begünstigten im Rahmen eines Versorgungsvertrags, HLBS-Schriftenreihe Heft 168, 23; Spiegelberger, Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2009; Stark, Die hessische Landgüterordnung, 1995; Steffen, Höfeordnung mit Höfeverfahrensordnung, 1977; Nachtrag 1987; Steffen, Landwirtschaftliches Erbrecht in der früheren DDR, RdL 1991, 141; Stöcker, Pflichtteilsvereitelung durch das Landwirtschaftserberbrecht: Ein Lösungsvorschlag de lege ferenda, FamRZ 1993, 1261; Tiedtke, Geschäftswert der Beurkundung von Hofübergabeverträgen, ZNotP 2001, 326; Tykwer, Hofnachfolge in Westfalen/ Lippe, 1997; Weber, Gedanken zum Ertragswertprinzip des § 2312 BGB, BWNotZ 1992, 14; Wehner/Johannson, Hofübergabe, 7. Aufl. 2000; Weidlich, Ertragswertanordnung und Ehegattenbeteiligung an einem Landgut, ZEV 1996, 380 ff.; Wiegand, Die Besteuerung der LuF aus der Sicht der BFH-Rechtsprechung des Jahres 2006, INF 2007, 141 ff. und 180 ff.; Wöhrmann, Höfeordnung für Rheinland-Pfalz, RdL 1953, 8; Wöhrmann, Das Landwirtschaftserbrecht, Kommentar zur Höfeordnung, zum BGB-Landguterbrecht und zum GrdstVG-Zuweisungsrecht, 10. Aufl. 2011; Zechiel, Die „Ertragswertklausel“ in der bayerischen Notariatspraxis und ihr Bedeutungswandel bei verfassungsmäßiger Anwendung des § 2312 BGB, 1993.

I. Zielsetzungen des Landwirtschaftserbrechts 17.1 Das BVerfG stellte in seinem grundlegenden Beschluss vom 20.3.1963, in dem der Erbvorrang des männlichen Geschlechts in der damaligen Fassung der nordwestdeutschen HöfeO wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärt wurde, klar, dass die höferechtliche Sondernachfolge nicht privaten Interessen des Hoferben dient, sondern dem öffentlichen Interesse. Beratungshinweis: Im Erbengespräch zur Vorbereitung der Hofübergabe ist auf die besondere Interessenlage im Landwirtschaftserbrecht hinzuweisen, um bei den weichenden Erben Verständnis für deren „Benachteiligung“ zu wecken. Dieses Verständnis wird insbesondere durch die Aufnahme von sog. „Spekulations- bzw. Nachabfindungsklauseln“ zugunsten der weichenden Geschwister in Hofübergabeverträge gefördert. Solche Klauseln gewähren den weichenden Erben eine Abfindung bis hin zur Gleichstellung mit dem Hofübernehmer, wenn Teile des Hofs oder der Hof insgesamt aus dem land- und forstwirtschaftlichen Vermögen herausgenommen werden.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.3a § 17

Doch nicht nur über der Sondernachfolge der HöfeO, sondern über dem gesamten Landwirtschafts- 17.1a erbrecht steht das „öffentliche Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Höfe in bäuerlichen Familien, um die Volksernährung sicherzustellen“. Es „wirkt deshalb der Zerschlagung bäuerlicher Betriebe, der Zersplitterung des Bodens und der bei der Abfindung der weichenden Erben drohenden Gefahr der Überschuldung entgegen.“1 Dieser Hinweis des BVerfG gilt für die Höfeordnung, für die rudimentären Regelungen des BGB-Landguterbrechts und die landesrechtlichen Anerbengesetze gleichermaßen. Ziel des gesamten Landwirtschaftserbrechts ist es, den leistungsfähigen Hof vor einer Zerschlagung im Erbgang zu bewahren, indem es ihn als wirtschaftliche Einheit einem zur Familie gehörigen Hoferben zuweist und den übrigen Miterben Abfindungsansprüche gewährt, die sich nicht am Verkehrswert, sondern am landwirtschaftlichen Hofwert orientieren. Bereits diese vom BVerfG aufgezeigte Zweckbestimmung des Landwirtschaftserbrechts weist darauf 17.2 hin, dass es nicht – wie es zuweilen scheinen mag – Aufgabe der Rechtsprechung ist, möglichst viele Höfe zu den Vorzugsbedingungen des Landwirtschaftserbrechts „zu vererben“. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft2 zeigt, dass es keinesfalls sinnvoll ist, Höfe, die wegen ihrer zu geringen Betriebsgröße letztlich nicht überlebensfähig sind, unter Vorzugsbedingungen als wirtschaftliche Einheit auf Nebenerwerbslandwirte übergehen zu lassen. Mancher mag es bedauern, aber im öffentlichen Interesse liegt die Entwicklung wirtschaftlich attraktiver und international wettbewerbsfähiger, d.h. größerer landwirtschaftlicher Betriebsstrukturen. Dieser Wandel darf durch eine strukturkonservierende Auslegung des Landwirt-schaftserbrechts nicht blockiert werden3. Die Erhaltung unwirtschaftlicher Betriebe über erbrechtliche Vorzugsbedingungen bindet landwirtschaftliche Einheiten, die von leistungsfähigen Betrieben zur Stärkung ihrer Leistungsfähigkeit hinzugepachtet oder erworben werden könnten. Das Landwirtschaftserbrecht darf die im öffentlichen Interesse liegende Entwicklung zur effizienten landwirtschaftlichen Betriebsstruktur nicht verhindern. Beratungshinweis: Die weichenden Erben sind darüber aufzuklären, dass der Hof im Geltungsbereich der regionalen Anerbengesetze aufgrund der besonderen Interessenlage des Landwirtschaftserbrechts erbrechtlich verselbständigt ist und nach den Anerbengesetzen im Wege der Sondererbfolge übergeht (Ausnahmen: BadHofGG und HessLandgüterO). Außerhalb der Anerbengebiete wird die besondere Zielsetzung des Landwirtschaftserbrechts über das Zuweisungsverfahren nach den §§ 13 ff. GrdstVG erreicht.

Um leistungsfähige Höfe in bäuerlichen Familien zu erhalten, durchbrechen – mit Ausnahme Badens und Hessens – die Anerbengesetze sogar den das BGB-Erbrecht beherrschenden Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 Abs. 1 BGB) und lassen eine Sondererbfolge unmittelbar in den Hof zu. Findet also Anerbenrecht Anwendung, geht der Hof nebst Zubehör nicht mit dem Vermögen als Ganzes in die Gesamthand der Erben über. Der Hof geht erbrechtlich eigene Wege. Er wird aus dem Gesamtnachlass herausgebrochen und als rechtlich selbständige Vermögensmasse gesondert vererbt. Es liegt dann eine der Nachlassspaltung vergleichbare Situation vor, bei der im Grundsatz das Hofvermögen nach Anerbenrecht und das hoffreie Vermögen nach den Vorschriften des BGB vererbt wird4.

17.3

Die landwirtschaftsfreundliche Sonderhoferbfolge der Anerbengesetze steht demnach im Gegensatz zur Gesamtrechtsnachfolge des BGB. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass die meisten landwirtschaftlichen Betriebe nicht über die speziellen Anerbengesetze vererbt werden. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Höfe in der Bundesrepublik geht bereits zu Lebzeiten durch Hofübergabeverträge über oder wird im Weg der gewillkürten Erbfolge vererbt. Nur wo solche individuellen Regelungen fehlen, erfolgt die Vererbung nach dem Gesetz, wobei hier wiederum die Höfe ganz überwiegend im Wege des BGB-Landguterbrechts übergehen und nur eine kleine Minderzahl im Wege der regional geltenden

17.3a

1 BVerfG v. 20.3.1963 – 1 BvR 505/59, NJW 1963, 947. 2 Im Zeitraum 1971 bis 1991 nahm in der Bundesrepublik die Gesamtzahl der Betriebe um 44,3 % ab und ihre durchschnittliche Größe von 12,4 auf 20,25 ha LF zu, vgl. Schmitt, Agrarrecht 1996, 15 ff. 3 Vgl. Köhne, Agrarrecht 1995, 321. 4 Da der Hof bzw. Hoferbe aber im Außenverhältnis auch für nichtbetriebliche Nachlassverbindlichkeiten haftet, liegt keine echte Nachlassspaltung vor, vgl. Rz. 17.149. Zur Haftung Innenverhältnis s. Rz. 17.150.

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§ 17 Rz. 17.4

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Anerbengesetze. Nur bei den Anerbenrechten kommt es zur „Nachlassspaltung“ (Ausnahme: BadHofGG und HessLandGO), beim BGB-Landguterbrecht hingegen nicht. Nach dem BGB-Landguterbrecht geht der Hof als einer von mehreren Nachlassgegenständen an den Alleinerben oder die Gesamthand der Miterben über. Die Sondererbfolge bleibt also auf die Anerbengesetze beschränkt.

17.4 Um den Hof als leistungsfähige wirtschaftliche Einheit in der Hand des Hoferben zu erhalten, wird dieser privilegiert, und zwar sowohl im BGB-Landguterbrecht (§§ 2049, 2312 BGB) als auch in den Anerbengesetzen der Länder. Der Hoferbe hat die sog. „weichenden Miterben“ zwar mit einem Geldbetrag abzufinden; doch liegt dieser weit unter dem Verkehrswert des Hofs. Durch diese Abfindungsprivilegierung soll verhindert werden, dass der Hof mit Schulden übermäßig belastet und damit in seiner Überlebensfähigkeit beeinträchtigt wird. Nach der Rechtsprechung verfolgen solche Abfindungsprivilegien, „den Zweck, den Hof auch nach dem Erbfall in seinem Bestand zu erhalten und einem der Erben die Weiterführung zu ermöglichen“1, oder, wie es der BGH in einem Urteil aus den Sechzigerjahren ausdrückte, „dem Übernehmer des Landguts dessen weitere Bewirtschaftung in der bisherigen Weise zu ermöglichen … und so das Landgut im Besitze der Familie zu erhalten“2.

17.5 Wie bereits erwähnt, ist dabei zu beachten, dass nicht jeder Klein- oder Kümmerbetrieb schutzwürdig ist. Das öffentliche Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Betriebe, das die Benachteiligung der weichenden Erben rechtfertigt, besteht nicht bei unwirtschaftlichen kleinen Betriebseinheiten. Hier ist es umgekehrt gerade sinnvoll, dass solche Betriebe aufgelöst werden und die damit frei werdenden landwirtschaftlichen Flächen von leistungsfähigen Betrieben zur Stärkung ihrer Ertragskraft genutzt werden können. Auf diesen Punkt sollten traditionellem Denken verhaftete Hofübergeber genauso nachdrücklich hingewiesen werden wie unkritische Richter3. Unwirtschaftliche Betriebseinheiten verdienen den Schutz des Landwirtschaftserbrechts nicht.

17.6 Für Höfe, die dem BGB-Landguterbrecht unterliegen, werden die Zielsetzungen des Landwirtschaftserbrechts über die §§ 2049, 2312 BGB und insbesondere das Zuweisungsverfahren nach §§ 13 ff. GrdstVG erreicht. Die in verschiedenen Bundesländern geltenden Anerbengesetze enthalten besondere Abfindungsregelungen.

17.6a Die Zielsetzungen nationaler Sondererbrechte für die Landwirtschaft werden von Art. 30 EuErbVO respektiert. Danach finden nationale Sonderregeln, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen in der Landwirtschaft betreffen weiterhin Anwendung, und zwar unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen generell anzuwendende Erbrecht. Das Landwirtschaftserbrecht des Bundes und der Länder gelangt also ohne Rücksicht auf das jeweilige Erbstatut des Hofinhabers zur Anwendung, wenn sich der Hof in Deutschland befindet.

II. Verhältnis der Anerbengesetze zum BGB-Landguterbrecht 17.7 Die besondere Rechtslage im Landwirtschaftserbrecht, die durch räumliche Zersplitterung gekennzeichnet ist, ist ohne einen kurzen Blick in die Rechtsgeschichte nicht zu verstehen. 1. Historische Entwicklung

17.7a Das Erbrecht der Landwirtschaft in Deutschland präsentiert sich aus historischen Gründen uneinheitlich. Neben bzw. vor das Erbrecht des BGB können – je nach Bundesland – landesrechtliche Anerbengesetze bzw. die Höfeordnung als partielles – auf die vier norddeutschen Höfeordnungsländer begrenztes – bundesrechtliches Anerbenrecht treten. 1 BGH v. 21.3.1973 – IV ZR 157, 71, NJW 1973, 995. 2 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. 3 Vgl. aber auch BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951 und s. Rz. 17.35a.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.10a § 17

Von 1933 bis 1947 galt im gesamten Reichsgebiet das Reichserbhofgesetz als einheitliches Anerbenrecht. Das Reichserbhofgesetz hatte im Dritten Reich für die „Erbhöfe“ die Testierfreiheit des Erblassers weitgehend beseitigt und die Rechte der weichenden Erben zugunsten des Hoferben stark eingeschränkt. Das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 45 vom 20.2.1947 hat die gesamte Reichserbhofgesetzgebung aufgehoben und die zum 1.1.1933 geltenden Landes-Anerbengesetze wieder in Kraft gesetzt. Die norddeutsche Höfeordnung und die rheinland-pfälzische Höfeordnung allerdings sind neue, nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Gesetze. Wie war die Rechtslage in der Zeit vor dem Reichserbhofgesetz? Infolge der Aufklärung und der fran- 17.8 zösischen Revolution wurden die bäuerlichen Sondererbrechte seit Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aufgehoben. In den Ländern des Reiches sollten auch die Bauernhöfe nach allgemeinem Recht vererbt werden. Dennoch hielten sich in vielen Gegenden die seit alters her bewährten Anerbensitten, die insbesondere die Hofübergabeverträge beeinflussten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzte dann die Gegenbewegung ein, die mittlerweile abbröckelnden Anerbensitten durch Anerbengesetze zu stützen. Eine erste 1855 von Bayern ausgehende Welle der Anerbengesetzgebung versuchte, den Gedanken des Fideikommiss ins bäuerliche Erbrecht zu tragen und die Höfe unter Abschaffung der Testierfreiheit nach bestimmten Regeln innerhalb der Familie zu vererben1. Aus einer zweiten Welle gingen die „modernen“Anerbengesetze in Baden, Württemberg, Hessen und Bremen hervor. Diese landesrechtlichen Anerbengesetze aus der Zeit vor dem BGB gelten trotz des Inkrafttretens des BGB über den 1.1.1900 hinaus fort. Gem. Art. 55 EGBGB traten die privatrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze zum 1.1.1900 nämlich nur insoweit außer Kraft, als nicht im BGB selbst oder im EGBGB etwas anderes bestimmt ist. Nach Art. 64 EGBGB aber bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über das Anerbenrecht in Ansehung landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Grundstücke nebst deren Zubehör durch das Inkrafttreten des BGB unberührt. Dieser landesgesetzgeberische Vorbehalt gilt nicht nur für ältere, bereits vor dem BGB geltende Anerbengesetze, sondern wirkt bis heute. So wurde z.B. die rheinland-pfälzische Höfeordnung erst 1953 verabschiedet.

17.9

Die (Weiter-)Geltung der regionalen Anerbenrechte sollte allerdings nicht zu einer Beschneidung 17.10 der Testierfreiheit führen. Deshalb wurde in Art. 64 II EGBGB bestimmt, dass die Freiheit des Erblassers, von Todes wegen frei über die dem Anerbenrecht unterliegenden Grundstücke verfügen zu können, nicht durch Landesgesetze beschränkt werden kann. Mit anderen Worten: Die Testierfreiheit des Erblassers nach dem BGB geht den regionalen Anerbenrechten vor. Auch in einem Anerbenrechts-Gebiet kann der Erblasser jede ihm beliebige Person zum Hoferben bestimmen und ist nicht an die Vorgaben der landesrechtlichen Anerbenordnung gebunden. Aufgrund der Testierfreiheit steht ihm auch das Recht zu, den Hof, der nach der regionalen Anerbenordnung ungeteilt auf den Anerben übergehen soll, letztwillig auf mehrere Erben aufzuteilen. Beratungshinweis: Dem Hofübergeber bzw. Erblasser ist anzuraten, die Hofübergabe bereits lebzeitig durch Übergabevertrag (s. Rz. 17.173 ff. mit Formulierungsbeispiel) oder zumindest durch letztwillige Verfügung zu regeln. Auf die teilweise antiquiert wirkenden Anerbenrechte sollte er sich nicht verlassen. So ist bspw. die undifferenziert pauschale Berufung des ältesten Kindes zum Anerben wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig.

M 140 Testament mit Drittbestimmung der Teilungsanordnung nach § 2049 BGB Ich setze meine Kinder A, B und C zu gleichen Teilen, also zu je 1/3 Erbanteil, zu meinen Erben ein. Im Wege der Teilungsanordnung soll eines meiner Kinder das Recht erhalten, meinen gesamten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zum Ertragswert nach § 2049 BGB zu übernehmen, nämlich meine Grundstücke … (Beschrieb der zur Land- und Forstwirtschaft gehörenden Grundstücke nach dem Grundbuch) … samt mei-

1 Vgl. Art. 64 Abs. 2 EGBGB, der eine Einschränkung der Testierfreiheit durch Landesgesetze im Hinblick auf dem Anerbenrecht unterliegende Grundstücke nicht mehr zulässt.

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17.10a

§ 17 Rz. 17.10b

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

nem gesamten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb mit allen Aktiven und Passiven, dem toten und lebenden Inventar, den Vorräten und Geräten, soweit diese in meinem Eigentum stehen, den betrieblichen Beteiligungen, Geschäftsanteilen und Geschäftsguthaben (… Einzelaufstellung sinnvoll …). Die Zuteilung kann der Testamentsvollstrecker nach seinem billigen Ermessen verbindlich vornehmen. Er hat dabei dasjenige meiner Kinder auszuwählen, das für die betriebliche Nachfolge am geeignetsten erscheint. Diesem Kind kommt auch der besondere Abzugsbetrag für Betriebe der Land- und Fortswirtschaft nach § 13a Abs. 2 ErbStG in voller Höhe zu.1

17.10b Beratungshinweis: Diese Gestaltung kann nur gewählt werden, wenn zuvor die einkommensteuerlichen und erbschaftsteuerlichen Auswirkungen ermittelt und mit der Mandantschaft besprochen sind. Einkommensteuerlich droht die Aufdeckung stiller Reserven mit entsprechender ertragsteuerlicher Belastung. Erbschaftsteuerlich ist zu beachten, dass für die Besteuerung die Teilungsanordnung grundsätzlich unbeachtlich ist. Es erfolgt eine Besteuerung nach Erbquoten. Allerdings geht das Erbschaftsteuerrecht in § 13a Abs. 3 ErbStG über das frühere Recht insoweit hinaus, als die steuerlichen Verschonungsregeln (Verschonungsabschlag und Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG) jetzt auch dem durch Teilungsanordnung Begünstigten zugute kommen. Die Gestaltung mit Drittbestimmung der Teilungsanordnung sollte aber dennoch nur erwogen werden, wenn der Hofübernehmer aufgrund der Minderjährigkeit der infrage kommenden Abkömmlinge noch nicht feststeht. Der sicherste Weg bei einem bereits feststehenden Hofübernehmer erfolgt über die Alleinerbeneinsetzung desselben mit Ertragswertanordnung nach § 2312 Abs. 2 BGB und möglicherweise Vermächtnisbeschwerung zugunsten der weichenden Geschwister.

2. Wann gilt ein Anerbengesetz?

17.11 Bei dem dargestellten Nebeneinander von BGB-Landguterbrecht und Anerbenrecht ist im konkreten Fall zunächst zu fragen, welches Recht Anwendung findet. Hierbei ist folgende Prüfungsreihenfolge zu beachten: (1) Ist die Betriebsnachfolge durch Verfügung von Todes geregelt, so dass die gewillkürte Nachfolge als Berufungsgrund BGB-Landguterbrecht und Anerbenrechten vorgeht? (2) Oder liegt kein Testament/Erbvertrag vor? (3) Liegt der Hof in einem Anerbenrechtsgebiet? (4) Untersteht der Hof dem Anerbengesetz (z.B. weil er in die Höferolle eingetragen ist)? Nur wenn die letzten drei Fragen mit „Ja“ beantwortet werden können, findet Anerbenrecht Anwendung. Ansonsten bleibt es beim Erbrecht des BGB, das durch die §§ 13 ff. GrdstVG ergänzt wird (§§ 13 ff. GrdstVG regeln das Verfahren für die Zuweisung eines Hofs an einen einzelnen Erben, wenn ein Hof einer Erbengemeinschaft aufgrund gesetzlicher Erbfolge gehört). 3. Überblick über die regionalen anerbenrechtlichen Sondervorschriften

17.12 Das allgemeine BGB-Landguterbrecht (ergänzt durch das Zuweisungsverfahren nach §§ 13 ff. GrdstVG) gilt (jedenfalls subsidiär) für die gesamte deutsche Landwirtschaft. Das BGB-Landguterbrecht tritt aber immer dann zurück, wenn anerbenrechtliche Sondervorschriften eingreifen. Ein reines BGB-(GrdstVG-)Erbrecht finden wir in Bayern, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen2.

1 § 13a Abs. 3 S. 2 ErbStG. 2 Sämtliche Landesanerbengesetze sowie die Höfeordnung sind abgedruckt in Wöhrmann, Das Landwirtschaftserbrecht, 10. Aufl. 2011. Diesem Kommentar zur Höfeordnung, zum BGB-Landguterbrecht und zum GrdstVG-Zuweisungsrecht sind auch die nachstehenden Angaben zur Anzahl der eingetragenen bzw. festgestellten Höfe entnommen.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.18 § 17

Für rund 4.400 gesetzlich festgestellte Höfe im Hochschwarzwald gilt zwingend das Badische Gesetz die geschlossenen Hofgüter betreffend.

17.13

Entgegen verbreiteter Auffassung gilt das württembergische Anerbenrecht für den Fall, dass der Erb- 17.13a lasser vor dem 1.1.1930 geboren ist, immer noch fort. Ansonsten ist es mit Ablauf des 31.12.2000 außer Kraft getreten. Das württembergische Gesetz über das Anerbenrecht von 1930 galt/gilt für das frühere Württemberg-Baden (entspricht den heutigen Regierungsbezirken Stuttgart und Karlsruhe) für (rechtstatsächlich allerdings nur ganz vereinzelt) in die Höferolle eingetragene Betriebe. Im nördlichen Teil Baden-Württembergs war das fakultative Höferecht schon immer „so gut wie totes Recht“1. Sonst galt/gilt BGB-(GrdstVG-)Erbrecht. Mit Ablauf des 31.12.2000 ist das württembergische Anerbengesetz außer Kraft getreten (Ausnahme: Fortgeltung, wenn Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren wurde und keine die Hofnachfolge regelnde Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat). Für das frühere Land Württemberg-Hohenzollern, das dem heutigen Regierungsbezirk Tübingen entspricht, besteht die gleiche Rechtslage, nachdem 1985 das Gesetz über das Anerbenrecht der im ehemaligen Württemberg-Baden geltenden Fassung identisch angeglichen wurde. Die weitaus meisten der rund 7.000 dem württembergischen Anerbenrecht unterfallenden Höfe liegen im Regierungsbezirk Tübingen. Es ist ebenfalls am 31.12.2000 aufgrund des 3. Rechtsbereinigungsgesetz außer Kraft getreten (GVBl. 1996, 29). Seit dem 1.1.2000 gilt in Baden-Württemberg demnach grundsätzlich – bis auf die badischen Hofgüter des Hochschwarzwalds – BGB-(GrdstVG-)Erbrecht, es sei denn, der Erblasser ist vor dem 1.1.1930 geboren. Gem. Art. 28 des 3. Rechtsbereinigungsgesetzes bleiben nämlich die aufgehobenen Rechtsvorschriften für Erbfälle nach dem 31.12.2000 dann noch anwendbar, wenn der Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren war.

17.13b

In Rheinland Pfalz sind von den rund 47.000 landwirtschaftlichen Betrieben ca. 6.600 in die Höferolle eingetragen. Für die eingetragenen Betriebe gilt das rheinland-pfälzische Landgesetz über die Höfeordnung, für die Mehrzahl der Betriebe das BGB-(GrdstVG-)Erbrecht.

17.14

Bei rund 45.000 Betrieben in Hessen gilt die Hessische Landesgüterordnung nur für die 155 Höfe, die in die Landesgüterrolle bei den Landwirtschaftsgerichten eingetragen sind, ansonsten gilt BGB(GrdstVG-)Erbrecht.

17.15

Von den rund 500 landwirtschaftlichen Betrieben Bremens gilt für 159 Betriebe das Bremischen Höfegesetz, falls der Hof in die Höferolle beim Grundbuchamt eingetragen ist, (§ 1 BremHöfeG).2 Dieses Gesetz ist mit Ablauf des 31.12.2014 außer Kraft getreten (§ 32 BremHöfeG). Ursprünglich sollte es nach § 32 BremHöfeG a.F. bereits mit Ablauf des 31.12.2009 außer Kraft treten. Dieser Termin wurde aber durch das genannte Änderungsgesetz 2009 auf den Ablauf des 31.12.2014 verschoben

17.16

In den vier Höfeordnungsländern Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und SchleswigHolstein gilt die Höfeordnung. S. hierzu unter Rz. 17.112.

17.17

III. BGB-Landguterbrecht i.V.m. §§ 13 ff. GrdstVG Das Landguterbrecht des BGB i.V.m. dem in §§ 13 ff. GrdstVG geregelten Zuweisungsverfahren3 gilt 17.18 für die Vererbung von Höfen, die entweder nicht in ein Höferegister4 oder mit einem entsprechen-

1 Kreuzer, Agrarrecht 1977, Beilage I S. 15. 2 Bremisches Höfegesetz v. 18.7.1899 in der Neufassung v. 19.7.1948, zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 23 des Gesetzes v. 24.11.2009; Höferolle, VO v. 19.7.1948, zuletzt geändert durch Gesetz v. 4.11.2009. 3 Vgl. OLG Brandenburg v. 7.5.2015 – 5 W (Lw) 7/14, ZErb 2016, 81 mit ausführlicher Pürfung der Voraussetzungen des Zuweisungsverfahrens. 4 Bzw. aufgrund negativer Hoferklärung gelöscht wurden.

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§ 17 Rz. 17.19

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

den Vermerk im Grundbuch eingetragen sind, oder solche, die in einem Bundesland liegen, in dem es kein Anerbenrecht gibt, wie in den neuen Bundesländern1, Bayern, Berlin oder dem Saarland. Beratungshinweis: Falls der Erblasser sich nicht entschließen kann, den Hof zu Lebzeiten zu übergeben2, sollte er den Hoferben auf jeden Fall im Testament oder Erbvertrag bestimmen, wenn kein Anerbenrecht gilt. Hinterlässt der Erblasser keine letztwillige Verfügung und fällt der Hof im Erbgang an eine Erbengemeinschaft, muss sich derjenige Miterbe, der den Hof weiterführen will, im Rahmen der Erbauseinandersetzung mit den anderen Miterben über die Zuteilung des Hofs einigen. Kommt eine solche Einigung über die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nicht zustande, kann dem Miterben, der den Hof weiterführen will, auf seinen Antrag hin gem. §§ 13 ff. GrdstVG das Alleineigentum an dem Hof durch das Landwirtschaftsgericht zugewiesen werden. Der Hof kann also im Geltungsbereich des BGB-Landguterbrechts niemals im Wege der gesetzlichen Erbfolge von selbst auf den Hoferben übergehen, wie dies im Anerbenrecht3 der Fall ist. Die in der Rechtspraxis oftmals extrem lange Wartezeit4 bis zur gerichtlichen Zuweisung des Hofs an einen Miterben und die mit ihr einhergehende Ungewissheit kann zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen, wenn nicht zum Ruin des Hofs führen. Im Geltungsbereich des BGB-Landguterbrechts sollte folglich der künftige Erblasser, der zu Lebzeiten noch nicht übergeben will, aber bereits weiß, wer den Hof fortführen kann und dazu auch bereit ist, dem auserkorenen Hofnachfolger den Hof entweder durch Einsetzung als Alleinerbe oder im Wege des Vermächtnisses zuwenden.

17.19 M 141 Antrag auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs An das Amtsgericht … – Landwirtschaftsgericht – Antrag auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebes nach §§ 13 ff. Grundstücksverkehrsgesetz Beteiligte des Zuweisungsverfahrens: 1. Herr … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwälte … 2. … 3…. 4…. – Antragsgegner – Vorläufiger Gegenstandswert: … Namens und mit Vollmacht des Antragstellers beantrage ich gem. § 15 LwVG eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, in der ich folgende Anträge stellen werde: 1. Der landwirtschaftliche Betrieb des am 9.6.2014 verstorbenen Landwirts Franz Bauer, zuletzt wohnhaft Paradiesgasse 1, 78048 Villingen-Schwenningen, wird dem Antragsteller ungeteilt zugewiesen.

1 Die Verfassung der früheren DDR vom 7.10.1949 betrachtete die Anerbengesetze auf ihrem Gebiet als gegenstandslos, vgl. Palandt/Weidlich, Art. 64 EGBGB Rz. 3. 2 In rund 90 % der Fälle erfolgt die Übergabe lebzeitig. 3 Bis auf das BadHofGG und die HessLandgüterO. 4 Vermutlich bedingen die geringe Rechtspraxis einzelner Landwirtschaftsgerichte und der Geschäftsverteilungsplan einzelner Amtsgerichte eine längere Einarbeitungszeit.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.19 § 17

2. Die nachfolgend genannten Grundstücke, aus denen der Betrieb besteht, werden dem Antragsteller zu Alleineigentum zugewiesen: Flst. Nr. 241 … … Erbbaurecht an Flst. 1617/1 … Grundbuch von Unterkirnach Bl. 1276 Flst. Nr. 7168 …

Wirtschaftsart und Lage … (Gewann)…, Landwirtschaftsfläche

Größe …

… Str. Gebäude und Freifläche



Gründland-…



3. Die vorhandenen Eigentümergrundschulden auf den unter Antragsziffer 2 genannten Grundstücken werden auf den Antragsteller übertragen. 4. Da gesamte vorhandene Inventar des landwirtschaftlichen Betriebs des verstorbenen Franz Bauer wird auf den Antragsteller übertragen. 5. Der Antragsteller hat an die Beteiligten zu 2 bis 4 als Miterben jeweils eine Abfindung zu leisten, die nach deren Anteilen an der Erbengemeinschaft nach Franz Bauer auf Ertragswertgrundlage zu bestimmen ist. 6. Die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegner. Begründung: Der Antragsteller begehrt die Zuweisung des landwirtschaftlichen Betriebs seines am 9.6.2014 in VillingenSchwenningen verstorbenen Vaters Franz Bauer (Erblassers). Sämtliche Voraussetzungen für eine Zuweisung nach §§ 13 ff. GrdstVG liegen vor, was sich aus dem Nachstehenden ergibt: 1. Der vorbezeichnete landwirtschaftliche Betrieb stand im Eigentum des Erblassers. Dieser ist noch im Grundbuch als Eigentümer eingetragen, wie sich aus den als Anlage K 1 beigefügten Grundbuchauszügen ergibt. Der Erblasser hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Nach ihm ist mithin gesetzliche Erbfolge eingetreten. Gesetzliche Erben sind die Beteiligten, nämlich …, wie sich aus dem als Anlage K 2 beigefügten Erbschein des Nachlassgerichtes Villingen, Az … vom … ergibt. 2. Der landwirtschaftliche Betrieb ist mit einer zur Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle versehen, die sich in der Paradiesgasse 1 in Villingen-Schwenningen befindet. Die Erträge reichen zum Unterhalt einer bäuerlichen Familie aus. So wurde für das Wirtschaftsjahr 2012/2013 aus den konkreten Buchhaltungswerten des Betriebs ein Reinertrag in Höhe von 69. 589 Euro ermittelt, wie sich aus den als Anlage K 3 beigefügten Betriebsergebnisberechnungen des Steuerberaters … ergibt. 4. Ausschlussgründe für die Zuweisung nach § 14 GrdstVG liegen nicht vor, insbesondere konnten sich die Beteiligten über eine Auseinandersetzung nicht einigen, ein Ausschluss der Auseinandersetzung liegt nicht vor und es ist auch kein Testamentsvollstrecker zur Bewirkung der Auseinandersetzung vorhanden. 5. Von den gesetzlichen Erben ist nur der Antragsteller zur Fortführung des landwirtschaftlichen Betriebs geeignet, weil … (z.B.).

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§ 17 Rz. 17.20

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

– die Geschwister des Antragstellers landwirtschaftsfremde Berufe ausüben – die Mutter des Antragstellers aus Alters- und Gesundheitsgründen zur betrieblichen Arbeit nicht in der Lage ist. Der Antragsteller ist bereit und in der Lage den väterlichen Betrieb fortzuführen. Er ist im väterlichen Betrieb aufgewachsen. Seine landwirtschaftliche Ausbildung hat er als … abgeschlossen, wie sich aus dem als Anlage K 4 beigefügten Zeugnis über die Qualifikation als Landwirt vom … ergibt. Er hat im väterlichen Betrieb seit … als … mitgearbeitet und den Betrieb seit dem Tod des Vaters alleine fortgeführt. Ein der Zuweisung entgegenstehender Erblasserwille ist nicht ersichtlich, was für die Zuweisung im vorliegenden Falle ausreicht … 6. Die Geschwister als Antragsgegner sind mit den nach § 16 GrdstVG festzusetzenden Leistungen abzufinden. 7. Um eine gütliche Einigung nicht unversucht zu lassen, unterbreitet der Antragsteller (nochmals) folgenden Vergleichsvorschlag … 8. Ein Gerichtskostenvorschuss wurde nicht entrichtet. 9. Soweit weitere Angaben und Unterlagen erforderlich sind, wird höflich um einen entsprechenden richterlichen Hinweis gebeten.

1. Gemeinsame Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB

17.20 Das BGB enthält kein geschlossenes Sondererbrecht für Höfe. Die BGB-Vorschriften, die den vom BGB verwendeten Begriff des „Landguts“ kennen, lassen sich an einer Hand abzählen: §§ 2049, 2312, 1515, 330 und 98 BGB. Diese Regelungen sind derart lückenhaft, dass man eigentlich gar nicht von einem „BGB-Landguterbrecht“ sprechen sollte. Die beiden wichtigsten Vorschriften, §§ 2049 und 2312 BGB, greifen zudem nur bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen. Liegt also keine Ablebensverfügung vor, kommt „BGB-Landguterbrecht“ nicht zur Anwendung. Das Fehlen einer gesetzlichen Sonderhoferbfolge im BGB-Landguterbrecht musste folglich durch das Zuweisungsverfahren nach §§ 13 ff. GrdstVG abgefedert werden. a) Begriff des Landguts i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB

17.21 Mangels einer Legaldefinition ist für die Bestimmung des Begriffs „Landgut“ auf die Rechtsprechung zurückzugreifen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist unter einem „Landgut“ i.S.v. §§ 2312, 2049 BGB eine Besitzung zu verstehen, die eine zum selbständigen und dauernden Betrieb der Landwirtschaft einschließlich der Viehzucht oder der Forstwirtschaft geeignete und bestimmte Wirtschaftseinheit darstellt und mit den nötigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen ist. Sie muss eine gewisse Größe erreichen und für den Inhaber eine selbständige Nahrungsquelle darstellen, ohne dass eine Ackernahrung i.S.v. § 14 Abs. 1 GrdstVG vorliegen muss. Das Bestimmungsrecht obliegt insoweit dem Eigentümer im Rahmen der Verkehrsauffassung. Der Betrieb kann auch nebenberuflich geführt werden, wenn er nur zu einem erheblichen Teil zum Lebensunterhalt seines Inhabers beiträgt1.

17.22 aa) Das Landgut muss als „Besitzung“ im Eigentum des Erblassers stehen2.

1 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 2 Wöhrmann, S. 408 ff.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.25 § 17

bb) Bei einem Landgut kann es sich selbstredend nur um einen Betrieb handeln, welcher der Land- 17.23 wirtschaft zuzurechnen ist. Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe der Urproduktion, in dem durch Bodennutzung pflanzliche und tierische Rohstoffe erzeugt werden, was neben Viehzucht und Ackerbau auch Forstwirtschaft, Gärtnerei, gewerbsmäßigen Gartenbau und landwirtschaftliche Nebengewerbe einschließt1. Da die Bodennutzung ein entscheidendes Tatbestandsmerkmal ist, sind Agrarfabriken, die Massentierhaltung auf der Grundlage zugekauften Futters betreiben, keine BGB-Landgüter, sondern Gewerbebetriebe, die nach den allgemeinen Vorschriften vererbt werden2. Auch eine Pferdepension ist nicht als Landgut i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB anzusehen, da sie in ihrem Gesamtbild nicht vom Betrieb einer Landwirtschaft im Sinne einer Urproduktion geprägt ist. Das gilt nach dem OLG München3 auch dann, wenn die Pferdepension auf einem landwirtschaftlichen Anwesen mit insgesamt ca. 14,8 ha, bestehend aus Wohnhaus, Wirtschaftsgebäuden, Grünland und Forstland betrieben wird, um sich hierdurch auf die veränderten Markt- und Lebensbedingungen einzustellen. 1996 war die auf dem Hof bis dahin betriebende Milchwirtschaft aufgegeben und auf eine Pferdepension umgestellt worden. Zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin 1999 waren dort fünf Pensionspferde untergestellt. Das auf den Grünflächen geerntete Raufutter wurde zum Teil an die eingestellten Pferde verfüttert, im Übrigen an Dritte verkauft. Das erwirtschaftete Holz wurde zum Teil vom Bekl. selbst verbraucht, zum Teil an Dritte verkauft. Es wurde ein Jahresgewinn von 16.364 DM aus folgenden Umsätzen erwirtschaftet: Grünlandbewirtschaftung mit 12.022 DM, Pensionspferdehaltung mit 14.000 DM, Forstwirtschaft mit 3.087 DM und Milchquotenverpachtung mit 3.862 DM. Die Erträge aus Grünland- und Forstbewirtschaftung waren nach Auffassung des OLG derart gering, dass allein hierauf ein erhaltungswürdiger Betrieb nicht gestützt werden kann. Der für die Pflichtteilsberechnung maßgebende Verkehrswert des Anwesens betrug zum Zeitpunkt des Erbfalls 2,099 Mio. DM (Ertragswert 147.000 DM). cc) Die „gewisse Größe“ hat keinen eigenständigen Aussagegehalt: Vom Kleinbauern bis zum Ritter- 17.24 gutsbesitzer soll das Gut in der Familie bleiben4. Die „gewisse Größe“ ist immer dann erreicht, wenn die Besitzung so groß ist, dass sie im zu entscheidenden Fall für den Inhaber eine selbständige Nahrungsquelle darstellt. Dass dies schon bei 1,6 ha Eigenbesitz und 2 ha Zupachtfläche der Fall sein soll, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 3 GG) abzulehnen: Den Miterben kann kein Sonderopfer abverlangt werden, um nicht erhaltenswerte Betriebseinheiten und letztlich deren Eigentümer zu privilegieren5. Die „gewisse Größe“ des Landguts braucht aber nicht die einer „Ackernahrung“ zu haben. Das Landgut muss also nicht diejenige Menge Landes umfassen, die notwendig ist, um eine Familie unabhängig vom Markt und der allgemeinen Wirtschaftslage zu ernähren und zu bekleiden und den Wirtschaftsablauf des Hofs zu erhalten6. dd) Selbständige Nahrungsquelle, die zu einem erheblichen Teil zum Lebensunterhalt des Inhabers beiträgt: Die Frage, ob nur Vollerwerbshöfe oder auch Nebenerwerbsbetriebe zu den Vorzugsbedingungen für Landgüter vererbt werden können, hat der BGH zugunsten der Nebenerwerbsbetriebe entschieden7. Ein Landgut könne auch vorliegen, wenn der Inhaber neben der Landwirtschaft einen anderen Beruf ausübe und aus dessen Erträgnissen den Familienunterhalt mitbestreite8. Begründet wird diese Auffassung damit, dass die Einkünfte aus den Nebenerwerbsbetrieben für Familien im länd-

1 OLG Oldenburg v. 17.12.1991 – 5 U 82/91, FamRZ 1992, 726 = NJW-RR 1992, 463; vgl. auch die Legaldefinitionen für Landwirtschaft in § 585 Abs. 1 S. 2 BGB und § 1 Abs. 2 GrdstVG. 2 Wöhrmann, S. 411. 3 OLG München v. 14.1.2003 – 23 U 1830/02, NJW-RR 2003, 1518. 4 Kegel, Cohn-Festschrift, S. 102. 5 OLG Oldenburg Rdl, 1957, 220. 6 So die Definition in § 2 Abs. 2 des früheren Reichserbhofgesetzes. 7 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. 8 Unveröffentlichtes Urteil des BGH v. 8.4.1964 – III ZR 49/66; vgl. auch Johannsen, WPM 1970, 328; Haegele, BWNotZ 1975, 35; MüKo.BGB/Frank, § 2312 Rz. 3 Fn. 17.

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17.25

§ 17 Rz. 17.26

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

lichen Raum existenzsichernd seien. Beachtung mag hier finden, dass mittlerweile mehr Nebenerwerbs- als Vollerwerbslandwirte gezählt werden1.

17.26 Nach der Landgutdefinition des BGH kann jedoch nicht jeder Nebenerwerbsbetrieb ein Landgut sein. Da der Hof eine „selbständige Nahrungsquelle“ darstellen muss, ist hierfür Voraussetzung, dass der Hof in erheblichem Umfang zum Gesamteinkommen des Inhabers und seiner Familie beiträgt. Für Wöhrmann liegt dieser erhebliche Einkommensanteil bei mindestens 15–20 % des Gesamteinkommens2.

17.26a Die Vorgaben der Höfeordnung oder anderer Anerbenrechte für die Hofeigenschaft sind für den Landgutbegriff des BGB jedenfalls nicht heranzuziehen. So hat der BGH entschieden, dass die nach der HöfeO vorausgesetzte Mindestertragskraft bei einem Landgut nicht gegeben zu sein brauche, wenn nur die Voraussetzungen der BGH-Landgutdefinition vorliegen3.

17.26b Ein Nebenerwerbsbetrieb kann zwar auch dann als Landgut gelten, wenn sein Ertrag nicht für den vollen Unterhalt des Inhabers ausreicht. Der Ertrag muss dann aber wenigstens einen erheblichen Teil seines Einkommens bilden. Diese Voraussetzung muss beim Erbfall vorliegen oder vom Erben oder seinen Abkömmlingen bei realistischer Betrachtung in Zukunft wieder verwirklicht werden können. Diese Voraussetzungen waren in einem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall4 bei einem Zuschussbetrieb nicht gegeben. Das OLG Stuttgart stellte zunächst fest, dass landwirtschaftliche Grundstücke ein Landgut bilden, wenn sie zum selbständigen Betrieb einer Landwirtschaft geeignet und bestimmt sind. Eine bestimmte Betriebsgröße sei nicht erforderlich. Insbesondere sei nicht erforderlich, dass eine Ackernahrung vorhanden sei, dass also die Besitzung eine Familie unabhängig vom Markt und der allgemeinen Wirtschaftslage tragen können muss. Ein Landgut könne auch vorliegen, wenn der Inhaber noch einen anderen Beruf ausübe und aus dessen Erträgnissen seinen und seiner Familie Unterhalt mitbestreite. Doch müsse der Besitz eine gewisse Größe erreichen und deshalb für den Inhaber eine selbständige Nahrungsquelle darstellen. Das setze voraus, dass der Besitz zum selbständigen Betrieb der Landwirtschaft geeignet sei. Das sei aber nur der Fall, wenn der Besitz einen erheblichen Teil des Einkommens des Inhabers abwerfe, also kein Zuschussbetrieb ist.

17.27 Nach dem DAG-Leitfaden für die Ertragswertermittlung5 sind nur solche Betriebe als leistungsfähig einzustufen, bei denen die drei Erfolgskriterien Gewinn, Eigenkapitalbildung im Betrieb und die „Entlohnung“ der eingesetzten Produktionsfaktoren6 ein angemessenes Niveau für eine längerfristige (d.h. etwa für eine Generation) wirtschaftliche Existenz erreichen. Das Gewinnniveau muss zeigen, dass eine ernst zu nehmende Erwerbstätigkeit und nicht etwa ein Hobby vorliegt. Die erzielbare Eigenkapitalbildung muss im Lichte der Fremdkapitalbelastung und der weiteren Betriebsentwicklung gewürdigt werden. Die „Entlohnung“ der eigenen Produktionsfaktoren „Arbeit“, „Kapital“ und „Boden“ aus dem Gewinn muss in etwa vergleichbaren marktüblichen Löhnen, Zinsen und Pachten entsprechen. Ferner werden gefordert das „Vorliegen einer Buchführung“, welche die Ernsthaftigkeit der wirtschaftlichen Betätigung belege, und die Selbstbewirtschaftung, was eine dauerhafte, nicht nur vorübergehende Verpachtung ausschließt.

17.28 ee) Eignung zum dauernden Betrieb der Landwirtschaft: Für die Anwendung der §§ 2049, 2312 BGB kommt es auf die Verhältnisse zur Zeit des Erbfalls an. Die mangelnde Eignung und Widmung des Hofs zum dauernden Betrieb der Landwirtschaft kann folglich nicht daraus abgeleitet werden,

1 Während 1971 der Anteil der Nebenerwerbslandwirte noch bei 43,6 % lag, betrug er 1992 bereits 55,8 %, vgl. Schmitt, Agrarrecht 1996, 15 ff. 2 Wöhrmann, S. 414. 3 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 4 OLG Stuttgart v. 30.12.1985 – 2 U 42/85, NJW-RR 1986, 822. 5 Agrarrecht 1994, 5 (6). 6 Nämlich Arbeit, Kapital und Boden.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.31 § 17

dass die Grundstücke seit dem Erbfall ziemlich heruntergekommen sind1. Die Eignung der Wirtschaftseinheit zum dauernden Betrieb der Landwirtschaft geht durch vorübergehende Stilllegungen oder vorübergehende Verpachtungen nicht verloren. Stilllegungen oder Verpachtungen sind in diesem Sinne lediglich „vorübergehend“, wenn eine Besitzung vorhanden ist, die den landwirtschaftlichen Betrieb auch in Zukunft ermöglicht, und wenn zudem die begründete Erwartung besteht, dass der stillgelegte Betrieb durch den Eigentümer oder einen Abkömmling künftig wieder aufgenommen wird2. Für diese Wertung kommt es auf die Verhältnisse zur Zeit des Erbfalls an3. Unschädlich ist es, wenn der Hof im Zeitpunkt des Erbfalls (vorübergehend) nicht mehr bewirtschaftet wird. Nach der BGH-Rechtsprechung stehen eine verhältnismäßig kleine landwirtschaftlich nutzbare Flä- 17.29 che von 5,6 ha Acker und Grünland sowie 2,0 ha Wald, die Verpachtung eines Teils des Grundbesitzes und das hohe Alter der noch funktionsfähigen Maschinen der Einordnung eines Betriebs als Landgut i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB in Gestalt einer Nebenerwerbsstelle grundsätzlich nicht entgegen4. Obwohl der Hof im Zeitpunkt des Erbfalls nicht als geschlossene Einheit und die nicht verpachteten Teile unwirtschaftlich geführt wurden, wurde die Landguteigenschaft bejaht. Entscheidend für die Bejahung der Landguteigenschaft sei nämlich eine aus der objektivierenden Sicht eines unvoreingenommenen Beobachters abgegebene Prognose nach den Verhältnissen beim Erbfall, wobei neben der Beschaffenheit, der Lage und der sonstigen objektiven Verhältnisse des Betriebs selbstverständlich auch die Absichten, Vorstellungen und die Ausbildung der Beteiligten von Bedeutung seien. Demzufolge seien in erster Linie nicht die subjektiven Absichten des Erben oder seines Abkömmlings als seines möglichen Nachfolgers entscheidend. Auch müsse die Möglichkeit einer (erneuten) Betriebsausweitung in Betracht gezogen werden. So entfällt die Landguteigenschaft eines Hofs nicht einmal dann, wenn seine Bewirtschaftung bereits seit Jahren vollständig aufgegeben ist, das lebende und tote Inventar verkauft, die Ländereien an verschiedene Pächter verpachtet sind und der übernehmende Erbe den Betrieb weder wieder aufnehmen kann noch will5, sofern der Hof bei „realistischer Betrachtungsweise“ nach dem Tode des Erben von einem Abkömmling des Erblassers fortgeführt werden wird.

17.29a

Die Feststellung, ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind oder nicht, ist Aufgabe des Tatrichters. Die künftige Fortführung der Bewirtschaftung darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, obliegt dem Erben, der auf den Pflichtteil in Anspruch genommen wird6.

17.29b

Die langfristige Verpachtung steht dabei der kurzfristigen Verpachtung als vorübergehende Verpachtung gleich. Nach OLG Oldenburg7 verliert ein als Wirtschaftseinheit verpachteter Hof seine Landguteigenschaft nicht, wenn er nach dem Erbfall durch den Pächter fortgeführt wird. Dies steht der weiteren Beurteilung des Besitzes als Landgut jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Fortführung des bisherigen landwirtschaftlichen Betriebs durch einen pflichtteilsberechtigten Angehörigen möglich und beabsichtigt ist. Dem Fehlen von Inventar kommt insoweit keine maßgebliche Bedeutung zu8. Etwas anderes gilt, wenn der Hof auf Dauer an Familienfremde verpachtet ist und keine Fortführung des Hofs durch einen pflichtteilsberechtigten Abkömmling möglich oder beabsichtigt ist. In diesem Falle verliert der Hof die Landguteigenschaft.

17.30

ff) Weitere Bestimmung zum landwirtschaftlichen Betrieb im Rahmen der Verkehrsanschauung: Nach § 13 Abs. 1 S. 2 GrdstVG sollen solche Grundstücke eines Hofs von der Betriebszuweisung aus-

17.31

1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. BGH v. 14.12.1994 – IV ZR 113/94, MDR 1995, 288 = FamRZ 1995, 352 = NJW 1995, 1352. BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. BGH v. 27.9.1989 – IVb ZR 75/88, MDR 1990, 227 = FamRZ 1989, 1276 = NJW-RR 1990, 68. OLG Oldenburg v. 17.12.1991 – 5 U 82/91, FamRZ 1992, 726 = NJW-RR 1992, 463. BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414.

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§ 17 Rz. 17.31a

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

genommen werden, von denen nach ihrer Lage und Beschaffenheit anzunehmen ist, dass sie in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werden. Diese Regelung hat vor allem landwirtschaftlich genutzte Grundstücke, die Bauland oder Bauerwartungsland geworden sind, im Auge. Die weitere landwirtschaftliche Nutzung solcher Grundstücke wäre angesichts ihrer Wertsteigerung ökonomisch unsinnig. Beratungshinweis: Bauland, Bauerwartungsland und auskiesungsreife Grundstücke sind bei Auseinandersetzung und Pflichtteilsberechnung mit dem Verkehrswert anzusetzen.

17.31a Stellt man auf die BGH-Landgutdefinition ab, läge die Bestimmung des Eigentümers, einen Hof, dessen Grundstücke Bauland geworden sind, weiterhin landwirtschaftlich zu nutzen, außerhalb des von der Verkehrsanschauung vernünftigerweise gezogenen Rahmens. Infolgedessen verliert ein Hof, dessen bislang landwirtschaftlich genutzten Grundstücke im Zeitpunkt des Erbfalls Bauland- oder Bauerwartungsland geworden sind, die Landgutseigenschaft, sofern unter Berücksichtung aller Umstände nicht erwartet werden kann, dass sie weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden. Dies dürfte regelmäßig der Fall sein.

17.31b So hat das OLG Stuttgart in einem Urteil zum Pflichtteilsrecht1 entschieden, dass landwirtschaftliches Gelände in Großstadtnähe, dessen Verkehrswert das „reichlich Dreifache“ bis Sechsfache des landwirtschaftlichen Ertragswerts beträgt, kein „Landgut“ i.S.d. BGB darstellt. Beruhe die allgemeine Wertschätzung eines Grundstücks nicht mehr in erster Linie auf der landwirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeit, sondern mindestens gleichermaßen oder sogar überwiegend auf Erwägungen, die dem allgemein wirtschaftlichen Bereich angehörten, liege kein „Landgut“ i.S.d. BGB mehr vor. Von einem „Landgut“ könne dann nicht mehr gesprochen werden, wenn ein gewinnträchtiges Grundstück in Stadtrandlage zwar noch landwirtschaftlich genutzt werde, es sich aber um eine „in der hier gegebenen Stadtrandlage teilweise zufällig gewordene derzeitige Nutzungsart“ handele. Hier müsse der gemeine Wert in der Nähe des Verkehrswerts gesucht werden, zumal der Verkehrswert dieses Geländes weniger als den zehnten Teil des Gesamtbetriebs ausmache und somit eine an den Verkehrswerten orientierte Abfindung den Betrieb keinesfalls in seiner Existenz gefährde.

17.32 Wie gesehen verliert ein Hof, dessen Grundstücke Bau- oder Bauerwartungsland sind, die Landguteigenschaft. Sind nur Teile des Hofs Bauland oder Bauerwartungsland geworden, verliert der Hof die Landguteigenschaft zwar nicht. Aber es sind diejenigen Hofteile, die als Bauland oder Bauerwartungsland eine enorme Wertsteigerung erfahren haben, im Rahmen des § 2049 BGB mit dem Verkehrswert anzusetzen. Gleiches gilt für auskiesungsreife Grundstücke.

17.33 gg) Nach der vom BGH gegebenen Definition müssen Wohn- und Wirtschaftsgebäude in einem Umfang vorhanden sein, die eine ordnungsmäßige Bewirtschaftung ermöglichen.

17.34 hh) Wegen der subsidiären Natur des BGB-Landguterbrechts gelten die Bestimmungen der §§ 2049, 2312 BGB nicht, wenn Anerbengesetze der Länder oder die Höfeordnung Anwendung finden. Diese enthalten Sonderregelungen2. b) Begünstigter Personenkreis i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB

17.35 §§ 2049, 2312 BGB begünstigen den Landgutübernehmer zulasten der Miterben und Pflichtteilsberechtigten. Beratungshinweis: Soll die Ertragswertbegünstigung bei der Abfindung der weichenden Erben oder im Pflichtteilsrecht greifen, muss der Hof auf einen pflichtteilsberechtigten Abkömmling oder einen sonst nach § 2303 BGB Pflichtteilsberechtigten übergehen. 1 OLG Stuttgart v. 18.1.1967 – 13/6 U 194/63, NJW 1967, 2410. 2 Vgl. z.B. § 10 BadHofGG, wonach für die Pflichtteilsberechnung der Ertragswert maßgebend ist.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.36 § 17

Vom Gesetz ist aber von vornherein nur ein bestimmter Personenkreis in diesem Sinne begünstigt. Der Erbe, der das Landgut erhält, muss selbst zum Kreis der in § 2303 BGB bezeichneten pflichtteilsberechtigten Personen gehören (§ 2312 Abs. 3 BGB). Die auch im öffentlichen Interesse der Erhaltung eines leistungsfähigen Hofs liegende Begünstigung des übernehmenden Erben ist also von vornherein zugleich stark personenbezogen. Hierzu hat der BGH1 richtungsweisend ausgeführt, dass bei dem tief greifenden Strukturwandel in der Landwirtschaft die Auflösung eines Betriebs nicht von vornherein als eine für die Agrarstruktur nachteilige Maßnahme anzusehen sei. Allerdings wiesen trotz dieses Strukturwandels die landwirtschaftlichen Betriebe und auch die Wirtschaftsauffassung der Landwirte noch zahlreiche typische Eigenheiten auf, die sie von der gewerblichen Wirtschaft unterschieden. Es bestehe bei der Mehrheit der Landwirte weiterhin eine starke innere Bindung an Grund und Boden. Dieser sei in der Landwirtschaft im Unterschied zur gewerblichen Wirtschaft nicht nur Standort, sondern maßgebender Produktionsfaktor. Die besonderen Produktionsbedingungen setzten dem landwirtschaftlichen Betrieb von der Natur her Schranken und führten zu einem Betriebsrisiko eigener Art. Insoweit sei die Landwirtschaft gegenüber den gewerblichen Betrieben in natürlicher und wirtschaftlicher Hinsicht benachteiligt. Deshalb verstoße es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass der ein Landgut übernehmende Erbe besser behandelt werde als die weichenden Erben oder Pflichtteilsberechtigten. Das könne indessen nur so lange gelten, wie im Einzelfall davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer der vom Gesetz begünstigten Personen, erreicht werden wird.

17.35a

c) Ertragswert eines Landguts i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB Das Schlagwort „Erbrecht ist Bewertungsrecht“ bewahrheitet sich nirgends so sehr wie bei der Be- 17.36 wertung von landwirtschaftlichen Betrieben. Hier prallen Verkehrswert und Ertragswert als Größen aufeinander, zwischen denen Welten liegen können. So beträgt der Ertragswert oft nur ein Sechstel oder gar nur ein Vierzehntel des Verkehrswertes. Im gleichen Maße wie bei einer Ertragswertanordnung die Abfindungs- und Pflichtteilshoffnungen der weichenden oder enterbten Kinder schrumpfen, steigt in der Regel die Härte der Auseinandersetzung vor und außerhalb des Gerichts. Hier gilt es, für den Interessenvertreter des Hoferben beim „Kampf um den Ertragswert“ dem Gericht klarzumachen, dass „Bauern reiche Leute mit sehr geringem Einkommen sind“. Wie im außerlandwirtschaftlichen Bereich ist der Verkehrswert eines Landguts zu definieren als der durch Schätzung zu ermittelnde hypothetische Erlös, der für das Landgut im Verkaufsfalle erzielbar wäre. Der Verkehrswert des Landguts ist für die Erbauseinandersetzung bzw. Pflichtteilsberechnung dann maßgebend, wenn weder die Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB noch die der §§ 13 ff. GrdstVG erfüllt sind und auch keine anerbenrechtlichen Sonderregelungen vorliegen. Das BGB-Landguterbrecht weist dem so genannten Ertragswert in den §§ 2049 BGB und 2312 BGB eine besondere Bedeutung zu. Nach der Auslegungsregel des § 2049 BGB ist als Übernahmewert im Zweifel nicht der Verkehrswert, sondern der Ertragswert anzusetzen, wenn nach dem letzten Willen des Erblassers ein Landgut durch einen Miterben übernommen werden soll. Die Berechnung der Pflichtteilszahlungen erfolgt in diesen Fällen gem. § 2312 BGB ebenfalls nach dem Ertragswert. Beratungshinweis: Der Ertragswert wird aus einer – regional unterschiedlichen – Vervielfältigung des jährlichen Reinertrags ermittelt.

Gem. § 2049 Abs. 2 BGB wird der Ertragswert auf der Grundlage des „Reinertrags, den das Landgut nach seiner bisherigen wirtschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung nachhaltig gewähren kann“, ermittelt.

1 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951.

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§ 17 Rz. 17.37

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

17.37 Von dieser Definition ausgehend hat die Deutsche Gesellschaft für Agrarrecht u.a. folgende Bewertungskriterien aufgestellt1: – Maßgebend ist die bisherige wirtschaftliche Bestimmung als Landgut, und zwar selbst dann, wenn eine andere wirtschaftliche Bestimmung zweckmäßiger wäre. – Abzustellen ist auf eine objektiv ordnungsmäßige Bewirtschaftung, selbst wenn sie gar nicht stattgefunden hat. – Das Landgut muss den Reinertrag nachhaltig, d.h. dauerhaft und möglichst in gleich bleibender Höhe gewähren können. – Dient eine gewerbliche Einkunftsquelle (z.B. Brennerei, die selbst erzeugte Rohstoffe verarbeitet) dem landwirtschaftlichen Hauptbetrieb, liegt ein Nebenbetrieb vor, der bei der Reinertragsermittlung des Hofs einbezogen wird. – Sind landwirtschaftliche und gewerbliche Betätigung so miteinander verflochten, dass sie nicht ohne schwer wiegende Nachteile für den einen oder anderen Teil voneinander getrennt werden können, liegt ein gemischter Betrieb vor, der im Ganzen nach seinem wirtschaftlichen Schwerpunkt entweder landwirtschaftlich oder gewerblich einzustufen ist. – Bei Doppelbetrieben können landwirtschaftlicher und gewerblicher Teil ohne wesentliche wirtschaftliche Nachteile voneinander getrennt werden, so dass der landwirtschaftliche Betrieb mit seinem Ertragswert anzusetzen ist. – Hofesfreies Vermögen ist bei der Ermittlung des Reinertrags abzugrenzen. – Bei der Ermittlung des Reinertrags sind vom „Betriebseinkommen“ ein Entgelt für die Betriebsleitung (sog. Unternehmerlohn), die Fremdlöhne, ein Lohnanspruch für die noch nicht entlohnten Familienarbeitskräfte und Pachtzinsen abzuziehen2. Demzufolge ist der Reinertrag eine Restgröße für die Entlohnung des eigenen Bodens und des gesamten Betriebskapitals. Der Faktor Arbeit wurde bereits durch den Abzug der realen Löhne wie der fiktiven Löhne nicht entlohnter Familienarbeitskräfte berücksichtigt.

17.38 Wie der Reinertrag beurteilt und wie auf seiner Grundlage der Ertragswert errechnet werden soll, bestimmt die „Teildefinition“ in § 2049 Abs. 2 BGB nicht. Das BVerfG hat hierzu festgestellt, dass der Ertragswert nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ein bestimmtes Vielfaches des Reinertrags ist, wobei der Reinertrag nicht nach dem Bewertungsgesetz ermittelt wird, sondern wegen der Besonderheit jedes Einzelfalles nach betriebswirtschaftlichen Jahresabschlüssen3.

17.38a Dafür überlässt es Art. 137 EGBGB den Landesgesetzgebern, Grundsätze über die Feststellung des Ertragswerts von Landgütern zu normieren. Dieser Vorbehalt ist jedoch nicht unbegrenzt. Länder, die von ihm Gebrauch machen, haben die Bewertungsregelung des § 2049 Abs. 2 BGB zu beachten. So wurde vom BVerfG4 die Berechnung des Ertragswerts auf der Grundlage des steuerlichen Einheitswerts für nichtig erklärt. Die unterschiedlichen Zwecke und Ziele, welche die Festsetzung des in § 2049 BGB definierten Ertragswerts und des steuerlichen Einheitswerts bestimmen, haben zur Folge, dass die Werte nach unterschiedlichen Grundsätzen und in abweichenden Verfahren ermittelt werden. So sei die Legalumschreibung des Ertragswerts in § 2049 Abs. 2 BGB Bestandteil einer erbrechtlichen Bewertungsregelung, die aus Gründen einer gerechten Nachlassbeteiligung von Erben oder übergangenen Erben eine konkrete, individuelle und aktuelle Ermittlung möglichst wahrer Werte von Nachlassgegenständen vorschreibe. Die steuerliche Einheitswertfestsetzung hingegen habe

1 2 3 4

DGA-Leitfaden, Agrarrecht 1994, 5. BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, NJW-RR 2016, 1217. OLG Düsseldorf v. 27.9.1985 – 7 UF 12/85, FamRZ 1986, 168. BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.42 § 17

eine der erbrechtlichen Nachlassbewertung nicht vergleichbare Zielsetzung und erfolge in einem der Massenbewertung Rechnung tragenden Verfahren. § 2049 stellt sich als gesetzliche Umschreibung der einen Ertragswert bildenden Kriterien dar (vgl. die auf sie verweisenden §§ 2312 Abs. 1, 1934b, 1515 Abs. 2 S. 3 BGB, § 16 Abs. 1 GrdstVG)1.

17.38b

Die Bundesländer haben allerdings keine abschließenden Regelungen getroffen, wie der Ertragswert 17.39 im Einzelnen genau zu ermitteln ist. Sie haben sich auf die Festlegung von Kapitalisierungsfaktoren beschränkt. Nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ist der Ertragwert nämlich ein bestimmtes Vielfaches des Reinertrags. Je nach Bundesland wird der Ertragswert als das 17 – bis 25-fache des jährlichen Reinertrags definiert. Mathematisch abgeleitet werden die Kapitalisierungsfaktoren aus der Ertragswertermittlung durch Abdiskontierung der zukünftig zu erwartenden Reinerträge2. Ohne eine solche gesetzliche Regelung ist nach dem BVerfG bei jeder einzelnen Wertfestsetzung der 17.40 nach den örtlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in Betracht kommende Kapitalisierungsfaktor zu ermitteln3. Die für die Bewertungspraxis bei Untätigkeit des Landesgesetzgebers entstehenden Probleme habe der Gesetzgeber im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit in Kauf genommen. Dies ist rechtsgeschichtlich begründet: Als sich bei den Beratungen des ersten Entwurfs des BGB abzeichnete, dass die Bestrebungen, das ge- 17.41 samte Anerbenrecht als reichsrechtliche Regelung in das BGB aufzunehmen, scheitern würden, wurde im Interesse der Erhaltung eines gesunden Grundbesitzerstandes das Ziel verfolgt, es einem der engsten Familienangehörigen im Erbfall zu ermöglichen, ein Landgut zum Ertragswert zu übernehmen. Dazu sah ein Entwurf eine dem § 2049 Abs. 2 BGB inhaltlich vergleichbare Umschreibung der Kriterien des Ertragswerts vor. Das Einführungsgesetz sollte es den Einzelstaaten überlassen, für die Feststellung des Übernahmewerts Ausführungsvorschriften zu schaffen. Es wurde ein darüber hinausgehender Antrag gestellt, in das BGB aufzunehmen, als Ertragswert des Landguts sei das 25-fache oder ein anderes Vielfaches des festgestellten jährlichen Reinertrags anzusetzen. Dieser Antrag fand keine Zustimmung. Die Zweite Kommission vertrat die Ansicht, bei der Größe und Vielgestaltigkeit des deutschen Wirtschaftsgebiets sei eine allgemeine Vorschrift misslich, wonach überall ein bestimmtes Vielfaches des Reinertrags als Kapitalwert anzunehmen sei. Die Berechnung werde nach den örtlichen Verhältnissen und der Art der Kulturen variieren. Am richtigsten sei es, in diesem Punkt der Ländergesetzgebung einen weit gehenden Spielraum zu lassen. Selbst wenn aber ein Land die Vorschriften über die Ertragswertfestsetzung nicht ergänze, sei es mithilfe eines Bewertungssachverständigen möglich, schon aufgrund der im BGB getroffenen Regelung zu einer bestimmten Ertragswertfestsetzung zu kommen4. Vor diesem Hintergrund stellte das BVerfG5 fest, dass das BGB bei der Berechnung erbrechtlicher Ausgleichsansprüche die Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit anstrebe. Dazu nehme es in Kauf, dass der individuelle Ertragswert nicht problemlos bestimmt werden könne, die realitätsgerechten Ertragsbedingungen in der Regel durch Gutachten eines Bewertungssachverständigen festgestellt werden müssten und auch die Art und Weise der betriebswirtschaftlichen Feststellung des Reinertrags anhand der von § 2049 Abs. 2 BGB vorgegebenen Kriterien nicht unumstritten seien.

1 So BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. 2 Ertragswert = jährlicher Reinertrag × 100/Kalkulationszinsfuß; vgl. die ausführliche Darstellung bei Wöhrmann/Stöcker, 7. Aufl., S. 543, die ab der 8. Aufl. leider fehlt. 3 So BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. 4 Vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich I, S. 186 ff. 5 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723.

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17.42

§ 17 Rz. 17.43

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

17.43 Der Familiensenat des Bundesgerichtshofs hat in seiner Entscheidung vom 13.4.20161 aufgezeigt, wie er sich die Ermittlung des Ertragswertes vorstellt. Damit verfügt die Praxis über einen Leitfaden. Die Entscheidung erging zwar im Rahmen einer Scheidung, gilt aber auch für die Ertragswertermittlung in Erbfällen.

17.44 Bei der Ertragswertmethode werden die betrieblichen Ergebnisse der Vergangenheit in die Zukunft fortgeschrieben. Es wird ein Zukunftsprognose abgegeben. Basis für die Ermittlung des jährlichen Prognose-Reinertrags ist der Durchschnittsertrag der letzten drei bis fünf Jahre. Waren darunter ungewöhnlich gute oder schlechte Jahre werden diese Jahre bei der Wertermittlung gestrichen. Der prognostizierte jährliche Reinertrag zum Bewertungsstichtag (Tod oder Scheidung) wird dann mit einer bestimmten Zahl, dem sogenannten „Faktor“, multipliziert.

17.45 Was die Betriebsschulden betrifft, rechnete die bislang ganz h.M., bei der Ermittlung des Reinertrags die Schuldzinsen hinzu und zog vom so ermittelten Ertragswert die Verbindlichkeiten ab2. Im Ergebnis wurden dadurch die an die Bank laufend zu entrichtenden Darlehenszinsen nicht berücksichtigt. Grundannahme war nämlich, dass der Ertragswert den Wert eines schuldenfreien Betriebes abbilden müsse. Demzufolge wurde aus dem Ertrag ohne Abzug der Fremdkapitalzinsen der Ertragswert ermittelt. Erst von dem so ermittelten Ertragswert wurden dann die Bankschulden abgezogen.

17.46 Der BGH hat klargestellt, dass schon bei der Ermittlung des Gewinns, aus dem der Ertragswert abgeleitet wird, die Schuldzinsen abzuziehen sind. Der Gewinn wird somit durch die Schuldzinsen geschmälert. Im Gegenzug werden dann die noch bestehenden Schulden nicht vom Ertragswert abgezogen.

17.47 Das ist methodisch und systematisch richtig3. Der Betrieb kann aufgrund der gegebenen Schuldensituation auch nur den durch die Zinsen geschmälerten Gewinn erwirtschaften. Andererseits führen aber auch gerade die durch das Darlehen ermöglichten Investitionen regelmäßig zu einem höheren Ertrag. Investition und Schuldzinsen müssen folgerichtig beide in den Ertrag und damit in den Ertragswert einfließen. Die Entscheidung des BGH vermeidet auch die Schwierigkeiten, die beim Abzug der Darlehensschuld vom Ertragswert entstehen. So war es mehr als fragwürdig, dass einerseits für den Betrieb oft nur 10 % des Verkehrswertes als Ertragswert angesetzt wurden, andererseits aber die gesamte Darlehensschuld von diesem Wert abgezogen wurden. Bei der Ertragswertermittlung nach dem BGH sind die Verbindlichkeiten nicht mehr vom Ertragswert abzuziehen, da sie sich bereits im Ertragswert niedergeschlagen haben. aa) Bewertungsregeln der Bundesländer (1) 18 als Multiplikator

17.48 Bspw. bestimmt § 48 BaWü AGBGB, dass bei der Berechnung des Ertragswerts zunächst der jährliche Reinertrag des Landguts „durch Schätzung“ zu ermitteln ist. Als Ertragswert gilt dann das 18-fache des jährlichen Reinertrags. Art. 68 BayAGBGB gibt für Bayern ebenfalls das 18-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert an. In Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fehlt es an der Festsetzung eines Vervielfältigers durch die Landesgesetzgeber. Der DAG-Leitfaden für die Ermittlung des Ertragswerts landwirtschaftlicher Betriebe4 empfiehlt „aus der vom BVerfG gefor-

1 BGH v. 13.4.2016 – XII ZB 578/14, NJW-RR 2016, 1217. 2 OLG Celle v. 10.10.2007 – 7 U 62/06, ZEV 2009, 141; Piltz, Recht u. Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe, 2. Aufl., 188, 206; Köhne, Landwirtschaftliche Taxationslehre, 3. Aufl., 785 ff. 3 A.A. Graß, ZEV 2017, 376. 4 Agrarrecht 1994, 5.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.53 § 17

derten betriebswirtschaftlichen Sicht“1 den Multiplikator „18“, soweit die Bundesländer einen Multiplikator nicht bestimmt haben. Dem Multiplikator „18“ liege zugrunde, dass Abfindungen und Ausgleichszahlungen regelmäßig durch eine Mischfinanzierung aus Eigen- und Fremdkapital erfolgten, wobei ein langfristig maßgeblicher Zinssatz von 5,5 % unterstellt werde. Die vom BVerfG für erforderlich gehaltene regionale Differenzierung des Kapitalisators sei nicht sachgerecht, da sich regionale Unterschiede in der Betriebswertigkeit im Reinertrag, nicht aber im Multiplikator niederschlügen. In Schleswig-Holstein wäre nach dieser Empfehlung ebenfalls der Multiplikator 18 anzuwenden, nachdem § 23 AGBGB, das den doppelten Einheitswert als Ertragswert bestimmt hatte, vom BVerfG2 für nichtig erklärt wurde. (2) 25 als Multiplikator In Berlin hingegen errechnet sich der Ertragswert aus dem 25-fachen jährlichen Reinertrag, Art. 83 PreußAGBGB.

17.49

Gleiches gilt für Bremen gem. § 14 des Bremischen Höfegesetzes, der für Landgüter analog anzuwenden sein dürfte. In Hessen gilt das 25-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert, und zwar sowohl für die ehemals preußischen Gebietsteile (Hessen-Kassel) als auch für die ehemals zu Hessen-Darmstadt zählenden Gebietsteile, Art. 83 PreußAGBGB (Hess. GVBl. II 230 – 2), Art. 106, 130 AGBGB (Hess. GVBl. II 230 – 1). In Nordrhein-Westfalen ist 25 Kapitalisierungsfaktor gem. Art. 83 PreußAGBGB (SGV NW 40), wobei sich dies für das Gebiet des alten Landes Lippe (heutiger Regierungsbezirk Detmold) aus § 46 AGBGB ergibt (GS Fürstentum Lippe S. 489). In Rheinland-Pfalz gilt das 25-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert, § 24 RhPfAGBGB. Im Saarland ist ebenfalls der 25-fache jährliche Reinertrag maßgebend, Art. I § 32 des Gesetzes zur Vereinheitlichung und Bereinigung landesrechtlicher Vorschriften (5. RBG). (3) 17 als Multiplikator In Niedersachsen gilt das 17-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert, § 28 AGBGB i.V.m. § 3 Abs. 2 und 4 des Reallastengesetzes.

17.50

bb) Ermittlung des jährlichen Reinertrags Reinertrag ist derjenige Betrag – um es mit Müller-Feldhammer3 plastisch zu formulieren –, der „am 17.51 Monatsende bzw. Jahresende dem Landwirt übrig bleibt“. Unter Reinertrag ist also der Betrag zu verstehen, den der Hof nach Abzug sämtlicher Kosten und nach angemessener Entlohnung der Arbeitskräfte erbringen kann. Kurz gesagt ist Reinertrag der Überschuss des Rohertrags (Summe aller landwirtschaftlichen Betriebseinnahmen) über den Aufwand (Summe aller landwirtschaftlichen Betriebsausgaben)4. Der Rohertrag umfasst dabei alle landwirtschaftlichen Betriebseinnahmen, den Wert von Naturalentnahmen, den Mietwert der Wohnung, den Wert der Bestandsveränderungen an Vieh und den Wert der selbst erzeugten Vorräte.

17.52

Vom Rohertrag sind als Aufwand abzuziehen die landwirtschaftlichen Betriebsausgaben, Löhne, Betriebssteuern, Abschreibungen, der Wert der Bestandsveränderungen an zugekauften Vorräten, der

17.53

1 2 3 4

Vgl. BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. ZEV 1995, 163. Palandt/Weidlich, § 2049 Rz. 2.

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§ 17 Rz. 17.54

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

fiktive Lohnanspruch des Betriebsinhabers einschließlich der mitarbeitenden Familienmitglieder. Der Abzug eines fiktiven Unternehmerlohns führt häufig zu keinem oder einem negativen Reinertrag, was in der Konsequenz bedeutet, dass die weichenden Erben kein Abfindung erhalten dürften. Der landesrechtliche Multiplikator spielt hier keine Rolle mehr, denn „18 mal null ergibt eben nur null“. In solchen Fällen werden dann positive Reinerträge erzielt, indem von den Bewertungssachverständigen prozentuale Abschläge vom fiktiven Unternehmerlohn vorgenommen werden. Ob solche nach ihrem freien Ermessen von den Sachverständigen vorgenommenen Abschläge das geeignete Mittel sind, „um einen Ertragswert zu retten“, erscheint sehr fragwürdig.

17.54 Keinen Aufwand stellen hingegen die Ausgaben für Neubauten und Neuanschaffungen, soweit sie zu aktivieren sind, Zinsen, Mieten, Renten, persönliche Steuern und Versicherungen dar. Zugepachtete Flächen sind in Erbfällen mit dem Wert des nach der Laufzeit zu berechnenden Nutzungsrechts anzusetzen, da nur dieses auf den Erben übergeht. Subjektive Faktoren, die auf die Person des Wirtschafters abstellen, können bei der Ermittlung des Reinertrags keine Berücksichtigung finden, da nach § 2049 Abs. 2 BGB von dem Reinertrag bei „ordnungsmäßiger Bewirtschaftung“ als objektivem Kriterium auszugehen ist. 2. Weitere Voraussetzungen des § 2049 Abs. 1 BGB

17.55 Beratungssituation: Der Erblasser will ein Testament errichten, in dem er einem pflichtteilsberechtigten Abkömmling oder seinem Ehegatten den Hof zum Ertragswert zukommen lassen will1.

a) Erbengemeinschaft

17.56 Mit dem Erbfall entsteht eine Erbengemeinschaft. b) Anordnung des Übernahmerechts durch den Erblasser

17.57 Der Erblasser hat durch Testament2 oder Erbvertrag3 angeordnet, dass einer der Miterben ein Übernahmerecht bezüglich eines zum Nachlass gehörenden Landguts haben soll. In dieser „Anordnung“ eines Übernahmerechts liegt eine bedingte Teilungsanordnung. Der Erblasser überlässt dem bedachten Miterben die freie Entscheidung darüber, ob er das Landgut übernehmen will oder nicht. Der Anspruch auf Zuweisung des Landguts an den Miterben steht also unter einer Wollensbedingung. Erst die Geltendmachung des Übernahmerechts durch den betreffenden Miterben bringt den Anspruch auf Übertragung des Landguts bei der Auseinandersetzung zum Entstehen.

17.58 Die Einordnung des Übernahmerechts als Teilungsanordnung setzt voraus, dass der Landgutübernehmer durch die Einräumung des Übernahmerechts wertmäßig nicht bevorzugt werden soll. Da der Hof auf den ersten Blick zu Vorzugsbedingungen auf den Übernahmeberechtigten übergeht, fällt es zunächst schwer, das Übernahmerecht als Teilungsanordnung zu akzeptieren. Da § 2049 BGB die Übernahme zum „niedrigeren Ertragswert“ statt zum „höheren Verkehrswert“ anordnet, könnte auch ein Vorausvermächtnis vorliegen Das RG4 jedenfalls sieht in § 2049 BGB eine Teilungsanordnung. Es hatte 1942 einen Fall zu entscheiden, in dem in einem Ehegattentestament aus dem Jahre 1909 unter anderem folgende Anordnung getroffen war: „Bei der Teilung des Nachlasses des Längstlebenden von uns soll unser Sohn Robert das Recht haben, unser Gut W. mit allen dazugehörigen Ländereien zum Preise von 120.000 Mark zu übernehmen.“ Hierzu führte das RG aus, eine sich äußerlich als Teilungsanordnung darstellende, in Anrechnung auf den Erbteil vorzunehmende Zuweisung bestimmter Nachlassgegen1 Zu den gemeinsamen Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB s. Rz. 17.20 ff. 2 Eine formnichtige Übernahmeanordnung kann für das Zuweisungsverfahren nach dem GrdstVG bedeutend sein, § 15 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. 3 Vgl. § 2299 Abs. 1 BGB. 4 RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (169 ff.).

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.60a § 17

stände könne eine Begünstigung des Miterben, dem die Gegenstände zugewiesen sind, zulasten der übrigen Miterben und demnach ein Vermächtnis darstellen, soweit der Übernahmepreis unter dem Werte der zugeteilten Gegenstände angesetzt sei. Es sei Sache der Auslegung, zu ermitteln, ob sich im Einzelfall mit einer derartigen Anordnung die Absicht einer über die Teilungsregelung hinausgreifenden vermächtnismäßigen Begünstigung verbinde. Die Meinung des OLG Düsseldorf, es liege eine solche Begünstigungsabsicht vor, weil das betreffende Gut W. im Jahre 1939 auf 380.000 Reichsmark zu schätzen gewesen sei, wies das RG zurück. Entscheidend sei die Vorstellung der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Erheblich sei daher die klägerische Behauptung, im Jahr der Testamentserrichtung 1909 habe der Preis von 120.000 Mark, zu dem der Beklagte das Gut erhalten sollte, seinem damaligen landwirtschaftlichen Wert, dem Ertragswert, entsprochen. Unter der Voraussetzung, im Jahre 1909 habe der Ertragswert des Guts 120.000 Mark betragen, liegt für das nachfolgend wörtlich zitierte RG „…, die Annahme nahe, dass die Eheleute z.K. [die Erblasser] den Übernahmepreis dem den Verhältnissen, insbesondere der Fortsetzung der landwirtschaftlichen Nutzung des Guts, angemessenen Wert anpassen und damit, wie im Falle des § 2049 BGB, eine reine Teilungsanordnung treffen wollten.“ Damit ist durch das RG jedenfalls für den Fall des § 2049 BGB klargestellt, dass dieser eine reine Teilungsanordnung regelt. Der Grund, in § 2049 BGB eine reine Teilungsanordnung zu sehen, liegt darin, dass der „landwirtschaftliche Wert“ als Übernahmepreis den Gutsübernehmer nicht bevorzugt. In Anbetracht des Schutzzwecks des § 2049 BGB, die Existenz des Hofs gegen Überschuldung zu sichern, ist nämlich der „wirkliche Wert“ eines Landguts nach der Wertung des Gesetzgebers im Ertragswert („landwirtschaftlicher Wert“) und nicht im Verkehrswert zu finden. Gerade in Anbetracht der derzeitigen schlechten Ertragslage in der Landwirtschaft wird dies niemand ernsthaft in Abrede stellen können. Bessert sich die Ertragssituation in der Landwirtschaft, geht damit automatisch eine Steigerung des landwirtschaftlichen Gutwerts, des Ertragswerts eben, einher. Wird der Hof vom Hoferben weiterbetrieben, versteht sich von selbst, dass der „wirkliche Wert“ des Hofs nur im Ertragswert zu finden ist. In gleicher Weise erklärte sich der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vor dem BVerfG dahin gehend, dass bei landwirtschaftlicher Nutzung „der Betrieb für den Eigentümer keinen höheren materiellen Wert als den Ertragswert“ habe1. Bei einer Aufgabe des Hofs hingegen lässt sich ein durch Schätzgutachten ermittelter Verkehrswert in der Mehrzahl der Fälle nicht realisieren, da landwirtschaftliche Grundstücke von den überlebensfähigen Großbetrieben zumeist nicht zugekauft, sondern zu günstigsten Konditionen zugepachtet werden2.

17.59

In der Landgutzuweisung kann eine Alleinerbeneinsetzung liegen, wenn das Landgut den ganz überwiegenden Teil des Erblasservermögens darstellt.

17.59a

c) Übernehmer gehört zum begünstigten Personenkreis des § 2303 BGB Der Landgutübernehmer muss zum Personenkreis des § 2303 BGB gehören, so dass ihm zumindest theoretisch ein Pflichtteilsanspruch zustehen könnte, also auch dann, wenn er bspw. durch einen näher stehenden Abkömmling vom Pflichtteilsrecht ausgeschlossen wird. Beim Landgutübernehmer muss es sich also um einen Abkömmling, den Ehegatten oder einen Elternteil des Erblassers handeln. Dies folgt aus der ratio legis des § 2312 BGB, die auch für § 2049 BGB gilt: Erhaltung leistungsfähiger Betriebe in bäuerlichen Familien.

17.60

Weitere besondere persönliche Voraussetzungen des Übernehmers sind nicht zu fordern. So ist die teilweise geforderte „Bedürftigkeit des Übernehmers“3, die es verhindert, dass er Abfindungs- und Pflichtteilsansprüche nach dem Verkehrswert erfüllen kann, kein Kriterium für die Anwendung des § 2049

17.60a

1 BVerfG v. 14.12.1994 – 1 BvR 720/90, MDR 1995, 288 = FamRZ 1995, 405 – (15/95), Agrarrecht 1995, 52. 2 Beispielhaft erklärte ein ehemaliger Landwirt nach Aufgabe seines Hofs gegenüber dem Verfasser: „Die Großen brauchen meine Äcker nicht zu kaufen, die bekommen sie so oder so!“ – wobei dies natürlich regional unterschiedlich sein kann. 3 MüKo.BGB/Frank, 4. Aufl. 2004, § 2049 Rz. 6.

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§ 17 Rz. 17.61

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

BGB. Das öffentliche Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Betriebe besteht unabhängig von den privaten Vermögensverhältnissen des Übernehmers.

17.61 Auch kann die in der Höfeordnung und anderen Anerbengesetzen vorausgesetzte „Wirtschaftsfähigkeit des Übernehmers“ nicht für BGB-Landgüter über Art. 64 EGBGB als besondere persönliche Voraussetzung des Landgutübernehmers nach § 2049 BGB eingeführt werden1. Art. 64 Abs. 1 EGBGB spricht lediglich aus, dass die landesrechtlichen Anerbengesetze vom BGB-Landguterbrecht unberührt bleiben, nicht jedoch dass landesrechtliche Anerbengesetze für die Auslegung des BGB-Landguterbrechts heranzuziehen sind. Wäre Letzteres der Fall, müsste bspw. nach dem Wegfall der Württembergischen Anerbengesetze seit dem 1.1.2001 das Wirtschaftsfähigkeit voraussetzende BadHofGG2 für Baden und Württemberg Anwendung finden3. Während nach den Württembergischen Anerbengesetzen die Wirtschaftsfähigkeit in Württemberg bislang keine Rolle spielte, würde seit 2001 Badisches Anerbenrecht in Württemberg die Anwendung des § 2049 BGB bestimmen. Auch eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs des BadHofGG auf den badischen Landesteil würde hier nicht weiterhelfen. Das BadHofGG gilt nur für einen Teil Südbadens. Insbesondere in Nordbaden galt bis zum 31.12.2000 Württembergisches Anerbenrecht. Wäre die Auffassung richtig, wonach die in einem Landesanerbengesetz vorausgesetzte „Wirtschaftsfähigkeit“ im entsprechenden Land auch für die Auslegung des § 2049 BGB heranzuziehen wäre, würde im Jahre 2001 über das bereits 1898 für den südbadischen Hochschwarzwald verkündete BadHofGG für den nordbadischen Landesteil erstmals seit 102 Jahren die „Wirtschaftsfähigkeit“ zum Tatbestandsmerkmal des § 2049 BGB. Das kann nicht richtig sein. d) Hof geht als wirtschaftliche Einheit über

17.62 Das Übernahmerecht bezieht sich auf ein Landgut4 als wirtschaftliche Einheit. Wird der Hof nicht als Einheit übertragen, sondern sollen einzelne Miterben jeweils nur Bruchteile des Hofs erhalten, ist § 2049 BGB nicht anwendbar5. e) Übernahmepreis in Ablebensverfügung geht vor

17.63 Im Testament oder Erbvertrag darf der Erblasser keinen Übernahmepreis bestimmt haben. § 2049 Abs. 1 BGB ordnet als Auslegungsregel an, dass nur im Zweifel anzunehmen ist, dass das Landgut zum Ertragswert angesetzt werden soll. Hatte der Erblasser einen anderen Willen, gilt dieser. f) Ausübung des Übernahmerechts

17.64 Eine Frist für die Ausübung des Übernahmerechts ist nicht vorgeschrieben. Allerdings kann das Übernahmerecht nach den allgemeinen Grundsätzen verwirkt werden. g) Rechtsfolgen

17.65 Die Miterben sind verpflichtet, dem vom Erblasser als Landgutübernehmer bestimmten Miterben das Alleineigentum am Landgut einzuräumen. 1 So aber Wöhrmann, S. 423, der für die Höfeordnungsländer Rheinland-Pfalz, Hessen und Teile BadenWürttembergs die in den jeweiligen Anerbenrechten vorausgesetzte Wirtschaftsfähigkeit des Hoferben auf den Landgutübernehmer des § 2049 BGB ausdehnen will. 2 Nach § 8 BadHofGG kann nicht Anerbe werden, wem zur Zeit des Erbfalls zur Besorgung all seiner Angelegenheiten ein Betreuer bestellt ist. Das württembergische Anerbenrecht hingegen fordert keine Wirtschaftsfähigkeit des Übernehmers. 3 Eine – nebenbei bemerkt – für einen gestandenen schwäbischen Landwirt wohl unzumutbare Vorstellung. 4 Zum Begriff des Landguts s. Rz. 17.21 ff. 5 BGH v. 21.3.1973 – IV ZR 157/71, NJW 1973, 995.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.69 § 17

h) Ertragswertermittlung Nunmehr ist der Ertragswert gem. § 2049 Abs. 2 BGB auf der Grundlage des jährlichen Reinertrags zu ermitteln (s. Rz. 17.36 ff.). Die wertmäßige Anrechnung des Landguts auf den Erbanteil des Miterben zum Ertragswert soll an folgendem Beispiel1 verdeutlicht werden.

17.66

Beispiel: Der Erblasser setzt seine drei Kinder zu Erben ein. Dem Sohn S wendet er das Recht zu, das zum Nachlass gehörende Landgut, das einen Verkehrswert von 500.000 Euro hat, zum Ertragswert zu übernehmen. Der Ertragswert soll 250.000 Euro betragen. Der sonstige Nachlass hat einen Wert von 500.000 Euro. Nachlassverbindlichkeiten sollen keine vorhanden sein. Der Nachlasswert setzt sich aus dem Ertragswert des Landguts von 250.000 Euro und dem sonstigen Nachlasswert von 500.000 Euro zusammen. Da jedem der Kinder ein Drittel Erbteil zukommt, erhalten sie gem. § 2047 BGB jeweils 250.000 Euro bzw. der Landgutübernehmer das Landgut mit dem entsprechenden Ertragswert. Läge kein Ansatz zum Ertragswert vor, hätte jeder Miterbe ein Drittel aus dem Verkehrswertnachlass von 1 Million Euro, also 333.333,33 Euro zu erhalten. Die Differenz von 166.666,66 Euro zu den 500.000 Euro Verkehrswert des Hofs wären als Ausgleichszahlung je zur Hälfte vom Landgutübernehmer an seine Geschwister auszukehren. Im Beispielsfall bewirkt die Ertragswertansetzung nach § 2049 BGB eine Einsparung von 166.666,66 Euro für den Landgutübernehmer.

Wie ist ein angeordneter Übernahmepreis bei der Auseinandersetzung anzusetzen? Denkbar ist auch, dass der Erblasser einen Übernahmepreis von 400.000 Euro für das Landgut anordnet, das einen Ertragswert von 250.000 Euro hat. Jetzt setzt sich der Nachlasswert aus dem Übernahmepreis von 400.000 Euro zuzüglich des sonstigen Nachlasswerts von 500.000 Euro zusammen. Von den 900.000 Euro stehen jedem Miterben ein Drittel Anteil, also 300.000 Euro zu. Der Landgutübernehmer muss an jeden Miterben eine Abfindung von 50.000 Euro zahlen. Gegenüber einer reinen Verkehrswertabrechnung hat er immerhin noch 100.000 Euro eingespart. 3. Weitere Voraussetzungen des § 2312 BGB § 2312 BGB als die dem § 20492 BGB entsprechende Bewertungsregel im Pflichtteilsrecht setzt vo- 17.67 raus: a) Anwendbarkeit § 2312 findet beim Eingreifen anerbenrechtlicher Bestimmungen i.S.d. Art. 64 EGBGB keine Anwendung, da diese die Höfebewertung für die Pflichtteilsberechnung selbst regeln (§ 12 Abs. 10 HöfeO, § 10 Abs. 2 BadHofGG, Art. 15 WürttAnerbenG, § 24 BremHöfeG, § 26 HessLandgüterO, § 20 RhPfHöfeO).

17.67a

§ 2312 BGB gilt nach seinem Normzweck entsprechend, wenn das Landgut bereits zu Lebzeiten des Erblassers durch Hofübergabevertrag vom Erblasser auf den Übernehmer übergegangen ist und gegen den Übernehmer Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend gemacht werden (s. Rz. 17.78)3.

17.68

b) Landgut Zum Nachlass bzw. fiktiven Nachlass gehört ein Landgut (s. Rz. 17.21 ff.) als wirtschaftliche Einheit. Eine Pferdepension ist nicht als Landgut i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB anzusehen, da sie in ihrem Gesamtbild nicht vom Betrieb einer Landwirtschaft im Sinne einer Urproduktion geprägt ist (s. Rz. 17.21 ff.)

1 Nach Wöhrmann, S. 453. 2 Zu den gemeinsamen Voraussetzungen von §§ 2049, 2312 s. Rz. 17.20 ff. 3 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414.

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17.69

§ 17 Rz. 17.70

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

c) Übernehmer gehört zum Personenkreis des § 2303 BGB

17.70 Der Alleinerbe (§ 2312 Abs. 2 BGB) oder mit dem Recht der Landgutübernahme ausgestattete Miterbe (§ 2312 Abs. 1 BGB) muss zu den in § 2303 BGB bezeichneten abstrakt pflichtteilsberechtigten Personen zählen, § 2312 Abs. 3 BGB. Das Bewertungsprivileg des § 2312 BGB findet also nur Anwendung, wenn der das Landgut übernehmende Mit- oder Alleinerbe zum Kreis der generell Pflichtteilsberechtigten gehört, d.h. Ehegatte, Abkömmling oder Elternteil ist. Belanglos ist, ob der Übernehmer im Einzelfall tatsächlich einen Pflichtteilsanspruch hat (§ 2317 BGB) oder durch Näherstehende ausgeschlossen wird (§ 2309 BGB). Mit dem Normzweck des § 2312 BGB, das Landgut im Besitze der Familie als leistungsfähige Einheit zu erhalten, wäre es schwerlich zu vereinbaren, wenn das Ertragswertprivileg nur dem einzigen Sohn des Erblassers zukäme, während es dem Enkelkind des Erbassers versagt bliebe, selbst wenn es als einziges Familienmitglied geeignet und gewillt wäre, den Hof zu übernehmen.

17.70a Fällt das Landgut an eine Erbengemeinschaft, ohne dass einem der Miterben ein Übernahmerecht zusteht, kommt eine Anwendung von § 2312 BGB nicht in Betracht.

17.70b Ist das Übernahmerecht oder das Landgut selbst letztwillig als Vermächtnis zugewiesen, ist fraglich, ob der Vermächtnisnehmer zum begünstigten Personenkreis zu rechnen ist. Bei einem ÜbernahmeVorausvermächtnis zugunsten eines Miterben ist dieses gegenüber einer Teilungsanordnung als Privilegierung anzusehen, so dass hier §§ 2312, 2049 BGB erst recht zur Anwendung wird kommen müssen. Wird das Landgut selbst dem Erwerber letztwillig durch bloßes Vermächtnis zugewandt, müsste nach dem Normzweck das Bewertungsprivileg entgegen dem Wortlaut der Norm wie beim Miterben, der das Landgut per Teilungsanordnung erhält, ebenfalls greifen. Für das den Miterben bedenkende Vorausvermächtnis wird dies zu Recht bejaht, da es sich gegenüber einer Teilungsanordnung als Besserstellung darstellt1. Bei einem bloßen Vermächtnisnehmer lehnt die h.M. ein solches Bewertungsprivileg ab2. Legt man aber die Argumentation des BGH3 zur Anwendbarkeit des § 2312 BGB im Falle der lebzeitigen Hofübergabe zugrunde, wird man auch bei einer vermächtnisweisen Zuwendung des Landgutes dem Vermächtnisnehmer das Ertragswertprivileg einräumen müssen. Der BGH ist der Auffassung, dass es bei der Pflichtteilsberechnung keinen Unterschied machen kann, ob der Übernehmer bereits zu Lebzeiten oder erst nach dem Tode des Erblassers das Landgut übernommen hat, sofern nur in beiden Fällen eine Ertragswertanordnung des Erblassers vorlag. Eine solche Anordnung ist nach den Ausführungen des BGH grundsätzlich zu unterstellen, wenn die Zuwendung des Landgutes unentgeltlich erfolgte. Da der BGH den lebzeitigen und den durch Erbfall bewirkten „Gutsantritt“ pflichtteilsrechtlich gleich behandelt sehen will, kann es keinen Unterschied machen, ob das Gut lebzeitig unentgeltlich übertragen oder durch Vermächtnis letztwillig zugewendet wird. In beiden Fällen muss § 2312 BGB – jedenfalls nach der Argumentation des BGH – zur Anwendung kommen. d) Anordnung des Erblassers oder Fall des § 2049 BGB

17.71 Der Erblasser muss eine Anordnung getroffen haben, dass die Bewertung des Landguts nach dem Ertragswert zu erfolgen hat, oder zu einem anderen Übernahmewert, der zwischen Ertragswert und Verkehrswert liegt. Einer solchen Anordnung kommt es gleich, wenn die Auslegungsregel des § 2049 BGB greift. Nach ihr beinhaltet die Teilungsanordnung des Erblassers, die eine Übernahme des Landguts durch einen Miterben vorsieht, im Zweifel zugleich das Recht, das Landgut zum Ertragswert zu übernehmen. Auch einer ergänzenden Testamentsauslegung kann eine solche Anordnung des Erblassers entnommen werden, wenn sich ein entsprechender Anhalt im Testament findet (Andeutungstheo-

1 Bamberger/Roth/Mayer, § 2312 Rz. 5 Fn. 14. 2 Staudinger/Haas, § 2312 Rz. 5; Bamberger/Roth/Mayer, § 2312 Rz. 5; Zechiel, Die „Ertragswertklausel“ in der bayerischen Notariatspraxis und ihr Bedeutungswandel bei verfassungsgemäßer Auslegung des § 2312, Diss. Würzburg 1993, S. 15. 3 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414 (1415 ff.), dazu ausf. Rz. 17.78.

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Rz. 17.74 § 17

rie)1. Hat der Erblasser seine Ehefrau im Testament zur alleinigen Erbin bestimmt und zudem ausdrücklich angeordnet, dass sie „zunächst“ den Hof erhalten soll, geht der IVa-Zivilsenat des BGH, wie er in einem Urteil vom 22.10.1986 andeutet, offenbar davon aus, dass das Testament dahin ausgelegt werden kann, dass für die Berechnung des Pflichtteils des einzigen Sohnes, der nur zwei Tage nach der Testamentserrichtung adoptiert wurde, der Ertragswert des Landguts zugrunde zu legen ist2. Ist in einem Berliner Testament vorgesehen, dass einer der Schlusserben das zum Nachlass gehörende Landgut übernehmen soll, ist bereits bei der Pflichtteilsberechnung nach dem erstversterbenden Ehegatten der Ertragswert des Landguts zugrunde zu legen, wenn ein für den Schlusserbfall berufener Miterbe den Pflichtteil aus dem Nachlass des Erstverstorbenen fordert3. Ist das Landgut bereits im Wege vorweggenommener Erbfolge übergegangen, gilt § 2312 BGB entsprechend, wenn im Übergabevertrag oder im Testament eine entsprechende Anordnung enthalten ist4. Ist derjenige, der das Landgut bereits zu Lebzeiten des Erblassers durch Übergabevertrag erhielt, später nicht Erbe geworden, werden der Erbe und der beschenkte Übernehmer richtigerweise für die Pflichtteilsergänzung (§§ 2325, 2329 BGB) nicht mit dem Verkehrswert, sondern nur mit dem Ertragswert haften. Dies wird jedenfalls dann gelten, wenn es bei der leb-zeitigen Landgutübernahme nur um eine vorweggenommene Erbfolge ohne Besonderheiten geht5. Eine unwirksame Pflichtteilsentziehung kann aber nicht ohne weiteres in eine solche Anordnung umgedeutet werden6. e) Ertragswertansatz ist gerechtfertigt Wie mehrfach dargelegt, ist Grund der Begünstigung des Landgutübernehmers das öffentliche Inte- 17.72 resse an der Erhaltung eines leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer vom Gesetz begünstigten Person. Deren verminderte Belastung im Pflichtteilsrecht dient allein dem Zweck der Erhaltung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit des Landguts, nicht aber in jedem Fall dem Erhalt der bisherigen Größe des Hofs als solche. Können nämlich einzelne besonders wertvolle Grundstücke des Landguts, die praktisch baureif sind, aus dem Hof herausgelöst werden, ohne dass die dauernde Lebensfähigkeit des Hofs dadurch gefährdet wird, ist für diese Grundstücke der Verkehrswert anzusetzen. Der Ertragswertansatz ist hier nicht mehr gerechtfertigt, zumal es nach dem Gesetz und nach allgemeiner Auffassung keine Nachabfindungen gibt7. Mit dem Verkehrswert anzusetzen sind auch auskiesungsreife und für die Auskiesung benötigte Äcker, die unmittelbar an ein Kieswerk angrenzen und für die eine Genehmigung zum Abbau bereits erteilt ist. Gleiches gilt für landwirtschaftlich genutztes Gelände in Großstadtnähe8 als Bau- oder Bauerwartungsland. Unerheblich ist, ob der Erbe solche wertvollen Grundstücke verkaufen will oder nicht oder damit noch zuwartet, da ihr dauernder Verbleib beim Hof schon wegen der Wirtschaftlichkeit ihrer Veräußerung nicht gewährleistet erscheint. Zwar kann der Eigentümer festlegen, dass auch Bauland zum Landgut gehört, doch muss sich eine solche „Widmung“ im Rahmen der Verkehrsauffassung halten.

17.73

Die Ertragswertberechnung ist nur gerechtfertigt, wenn das Landgut als geschlossene Einheit fortgeführt wird und lebensfähig ist. Subjektiv ist eine Absicht zur Betriebsfortführung oder wenigstens Absicht der Wiederaufnahme des Betriebs durch den Erben oder Hofübernehmer selbst oder

17.74

1 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 = MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 2 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 (376) = MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987. 951. 3 OLG Kiel, SchlHA 1934, 169, zit. nach Soergel/Dieckmann, § 2312 Rz. 5. 4 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. 5 Soergel/Dieckmann, § 2312 Rz. 6. 6 OLG Stuttgart v. 18.1.1967 – 13/6 U 194/63, NJW 1967, 2410. 7 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, BGHZ 98, 382 = MDR 1987, 389. 8 OLG Stuttgart v. 18.1.1967 – 13/6 U 194/63, NJW 1967, 2410, und Müller-Feldhammer, ZEV 1996, 161.

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§ 17 Rz. 17.75

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

seine zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählenden Abkömmlinge in absehbarer Zeit erforderlich. Dies setzt eine Prognose aus objektivierender Sicht voraus1. Objektiv müssen also zusätzlich Anhaltspunkte für die Fortführungsabsicht vorliegen. Eine Verpachtung des Betriebs steht der Landguteigenschaft daher nicht ohne weiteres entgegen, wenn die Fortführungsabsicht durch objektive Anhaltspunkte belegt wird2. Eine dauerhafte Verpachtung an familienfremde Personen kann zum Fortfall der Landguteigenschaft führen, wenn noch weitere Umstände hinzukommen3. Der Ertragswertansatz ist nicht gerechtfertigt, wenn das Landgut auf mehrere Miterben zu Bruchteilen übergeht.

17.75 Gehörte dem Erblasser nur der Bruchteil eines Landguts, kann dieser bei Übernahme durch Miterben im Zweifel nicht zum Ertragswert angesetzt werden4. Das Ertragswertprinzip gilt nach seinem Zweck also nur, wenn das Landgut im Alleineigentum einer natürlichen Person steht. Für den gütergemeinschaftlichen Anteil des Erblassers an einem Landgut hingegen soll § 2312 BGB analog gelten, wenn das Landgut als wirtschaftliche Einheit für einen Pflichtteilsberechtigten erhalten bleiben soll5. f) Geltendmachung des Übernahmerechts

17.76 Das Übernahmerecht muss geltend gemacht worden sein, § 2312 Abs. 1 S. 1 BGB. g) Kein Nachabfindungsanspruch

17.77 Ein Nachabfindungsanspruch für den Fall der Veräußerung des Landguts durch den Übernehmer innerhalb einer bestimmten Frist wie bei § 13 HöfeO (20 Jahre), § 23 BadHofGG (10 Jahre), Art. 14 WürttAnerbenG (15 Jahre), § 29 BremHöfeG (10 Jahre), § 18 HessLandgüterO (15 Jahre), § 26 RhPfHöfeO (15 Jahre) besteht nach dem BGB-Landguterbrecht nicht6. h) § 2312 BGB und vorweggenommene Erbfolge

17.78 Wird das Landgut bereits zu Lebzeiten des Erblassers im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übergeben, ist bei der Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen (§§ 2325 ff., 2329 BGB) gegen den Übernehmer § 2312 BGB analog anzuwenden. Hofübergabeverträge enthalten regelmäßig ein starkes erbrechtliches Moment, da sie die Erbfolge vorwegnehmen. Nach der BGH-Rechtsprechung7 kann es für die Bewertung zur Pflichtteilsberechnung keinen Unterschied machen, ob der Hof im Wege der vorweggenommenen oder eigentlichen Erbfolge auf den Übernehmer übergeht, sofern nur der Erblasser im Übergabevertrag oder in der letztwilligen Verfügung bestimmt hat, dass der Pflichtteil nach dem Ertragswert (oder einem höheren Übernahmepreis, der zwischen Ertragswert und Verkehrswert liegt) berechnet werden soll. Im Falle der lebzeitigen Übernahme des Grundbesitzes durch einen von mehreren Miterben „könne der Ertragswert gem. § 2312 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes maßgebend sein“; hinterlasse der Erblasser aber nur einen Erben, bedürfe es gem. § 2312 Abs. 2 BGB 1 2 3 4 5 6

BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW 1992, 770. BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414 (1416). Vgl. OLG Oldenburg v. 17.12.1991 – 5 U 82/91, FamRZ 1992, 726 (727). BGH v. 21.3.1973 – IV ZR 157/71, NJW 1973, 995. Soergel/Dieckmann, § 2312 Rz. 8. BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, BGHZ 98, 382 = MDR 1987, 389 = NJW 1987, 1260; a.A. Wöhrmann, § 2312 Rz. 2 ff., der aus der Entstehungsgeschichte der §§ 2049, 2312 BGB nachweist, dass der im BGB-Landguterbrecht fehlende Nachabfindungsanspruch Resultat einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Regelungslücke ist und diese Lücke durch analoge Anwendung der Landesanerbengesetze schließen will. Der Gedanke, dass sich die Rechtsprechung genötigt sehen könnte, einen Nachabfindungsanspruch im Wege der Rechtsfortbildung zu begründen, findet sich in BGH v. 9.10.1991 – IV ZR 259/90, MDR 1992, 56 = FamRZ 1992, 172. 7 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 159/63, NJW 1964, 1414.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.78d § 17

einer Anordnung des Erblassers, um den Ertragswert zur Grundlage der Pflichtteilsberechnung zu machen. Sei die Zuwendung des Hofs unentgeltlich erfolgt, sei nach der Lebenserfahrung zu schließen, dass der Zuwendende den Beschenkten möglichst günstig habe stellen wollen. Daher sei das Bestehen einer solchen Ertragswertanordnung zu unterstellen, solange offen sei, ob der Erblasser die Anrechnung des Ertragswertes angeordnet habe. Damit ist mit dem BGH bei unentgeltlichen Zuwendungen im Zweifel sowohl im Falle einer Erbengemeinschaft wie einer Alleinerbschaft von einer Ertragswertanordnung des Erblassers auszugehen, wobei diese aber im notariell beurkundeten Übergabevertrag oder der Verfügung von Todes wegen zumindest angedeutet sein muss. Entsprechend dem Stichtagsprinzip müssen allerdings die Voraussetzungen des § 2312 BGB im 17.78a Zeitpunkt des Erbfalls noch gegeben sein, mögen sie auch vom Übernehmer erst nach der Übergabe herbeigeführt worden sein1. Beratungshinweis: Wird der im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragene Hof zwischen Übergabe und Erbfall verkauft, aufgegeben oder verliert er seine Landguteigenschaft (z.B. Umstellung auf Pferdepension), errechnet sich die Pflichtteilsergänzung nicht nach dem Ertragswert, sondern nach dem oftmals sechs- bis einfach höheren Verkehrswert.

Es reicht also nicht aus, wenn die Voraussetzungen des § 2312 BGB zwar im Zeitpunkt der Übergabe 17.78b vorgelegen haben, aber nicht mehr im Zeitpunkt des Erbfalls. Die Belastung mit einem nach dem Verkehrswert ermittelten Pflichtteilsanspruch, vor der § 2312 BGB den landwirtschaftlichen Betrieb im öffentlichen Interesse schützen soll, tritt erst im Zeitpunkt des Erbfalls auf. Zuvor können keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden. Deshalb muss die geschützte Interessenlage auch noch im Zeitpunkt des Erbfalls vorliegen, um das Ertragswertprivileg zu erhalten. Hat der Beklagte das Landgut des Erblassers bereits zu dessen Lebzeiten im Wege vorweggenommener Erbfolge übernommen, den landwirtschaftlichen Betrieb jedoch schon vor dem Erbfall aufgegeben und den größten Teil der Ländereien verkauft, kann das Bewertungsprivileg des § 2312 BGB keine Anwendung finden. Der Berechnung des Pflichtteils ist in diesem Fall der Verkehrswert des Landguts zugrunde zu legen. J. Mayer2 spricht hier von einem „erbrechtlichen Quantensprung“. Will der Übergeber dem Übernehmer solche Sprünge ersparen, muss er die weichenden Erben zu einem beschränkten Pflichtteilsverzicht bewegen.

M 142 Ertragswertvereinbarung mit beschränktem Pflichtteilsverzicht

17.78c

Hinsichtlich des landwirtschaftlichen Anwesens „Mönchweiler Hof“ mit allen Aktiven und Passiven wird vereinbart, dass für die Berechnung von Pflichtteilsrechten und -ansprüchen allein der Ertragswert nach § 2312 BGB zugrunde gelegt werden soll, wenn dieser niedriger als der Verkehrswert ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ertragswertbewertung vorliegen. Soweit dadurch in das gesetzliche Pflichtteilsrecht von Horst Kurz eingegriffen wird, verzichtet dieser für sich und seine Abkömmlinge insoweit auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht am einstigen Nachlass seiner Eltern …, die diesen beschränkten Pflichtteilsverzicht annehmen3.

§ 2312 BGB ist nicht anwendbar, wenn mehreren Pflichtteilsberechtigten das Landgut lebzeitig zu Bruchteilseigentum übertragen wird. Sowohl der Wortlaut wie der Normzweck stehen einer Anwendung des § 2312 BGB entgegen, da durch das Bruchteilseigentum die Gefahr einer Teilungsversteigerung hervorgerufen wird, was den Normzweck Erhaltung des Landgutes als Wirtschaftseinheit kon-

1 BGH v. 14.12.1994 – IV ZR 113/94, MDR 1995, 288 = FamRZ 1995, 352 = NJW 1995, 1352 = ZEV 1995, 74: Soweit BGH, NJW 1964, 1414 (1416) unter 4. entnommen werden konnte, dass es für § 2312 BGB bei vorweggenommener Erbfolge auf den Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr ankomme, wurde diese Rechtsprechung aufgegeben. 2 J. Mayer, ZEV 2000, 263 (267). 3 Nach J. Mayer, ZEV 2000, 263 (267).

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17.78d

§ 17 Rz. 17.79

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

terkariert1. Gleiches gilt, wenn ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling mit seinem Ehegatten zu Bruchteilseigentum erwirbt2 oder nur ein Miteigentumsanteil des Landgutgrundstückes zugewandt wurde. § 2312 BGB dürfte allerdings zur Anwendung kommen, wenn bei einer Übergabe an ein Kind, das in Gütergemeinschaft verheiratet ist, dessen Ehegatte nach § 1416 Abs. 1 S. 2 kraft Gesetzes Miteigentum erwirbt3.

17.79 Wird der Betrieb eines vor der Übergabe bereits aufgegebenen Hofs zwischen Übergabe und Erbfall wieder aufgenommen oder wurden die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme geschaffen, kann der Ertragswert angesetzt werden. § 2312 BGB kann sogar anzuwenden sein, wenn der Übernehmer des zu Lebzeiten des Erblassers übergebenen Grundbesitzes die Voraussetzungen für eine dauerhafte Bewirtschaftung als Landgut erst zum Zeitpunkt des Erbfalls herstellt, etwa wenn die Bewirtschaftung im Zeitpunkt der Übergabe völlig aufgegeben war, der Übernehmer den Betrieb aber künftig selbst oder von einem Abkömmling dauerhaft wieder aufnehmen will4. Auch hier muss im Zeitpunkt des Erbfalls die – realisierbar erscheinende – Absicht des Übernehmers bestehen, den landwirtschaftlichen Betrieb auf Dauer fortzuführen. Es ist eine Prognose aus der objektivierenden Sicht eines unvoreingenommenen Betrachters anzustellen5.

17.80 Auf § 2312 BGB kommt es nicht mehr an, wenn das Landgut schon mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall übergeben worden ist (§ 2325 Abs. 3 BGB6) oder die aus dem Pflichtteilsrecht folgenden Ansprüche verjährt sind (§ 2332 BGB) 4. Vererbung des Landguts bei fortgesetzter Gütergemeinschaft gem. § 1515 BGB

17.81 Haben Ehegatten die heute „vom Aussterben bedrohte“ Gütergemeinschaft7 (§§ 1415 ff. BGB) als ehelichen Güterstand gewählt, können sie des Weiteren vereinbaren, dass die Gütergemeinschaft nach dem Tode eines der beiden Ehegatten zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt werden soll (§§ 1483 ff. BGB). Man hat diese fortgesetzte Gütergemeinschaft als „witwer- oder witwenherrschaftliche Familiengutsverfassung alten Stils“ bezeichnet8. Diese fortgesetzte Gütergemeinschaft ermöglicht es nämlich dem überlebenden Ehegatten, das Gesamtgut bis zum eigenen Tod weiter nutzen zu können, ohne dass er den gemeinsamen Abkömmlingen, die anstelle des erstverstorbenen Ehegatten in die Gesamthandsgemeinschaft eintreten, ihre Anteile an der Vermögenshälfte des verstorbenen Ehepartners sofort herausgeben muss. Die Gütergemeinschaft wird hierzu zwischen dem überlebenden Ehegatten, dem ein Alleinverwaltungsrecht (§ 1487 Abs. 1 BGB) zukommt, und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen, welche in die rechtliche Stellung des verstorbenen Ehepartners eintreten, fortgesetzt. Der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut (§ 1416 BGB) gehört also nicht zum Nachlass, so dass das Erbrecht hierauf keine Anwendung findet, sondern nur für das sonstige Vermögen des Erblassers (Sondergut nach § 1417 und Vorbehaltsgut nach § 1418 BGB) gilt (§ 1483 Abs. 1 S. 3 BGB). Natürlich ersetzt wirtschaftlich gesehen der halbe Anteil der gemeinschaftlichen Abkömmlinge am Gesamtgut ihr bezüglich des Gesamtgutes nicht existierendes Erbrecht. 1 BGH v. 15.12.1976 – IV ZR 27/75, FamRZ 1977, 195. 2 Bamberger/Roth/Mayer, § 2312 Rz. 5 m.w.N.; Staudinger/Haas, § 2312 Rz. 15; Weidlich, ZEV 1996, 380 (381 ff.). 3 Weidlich, ZEV 1996, 380 (382). 4 BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. 5 BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. 6 Anders allerdings bei der Übergabe an die Ehefrau oder unter Nießbrauchsvorbehalt. 7 Die Gütergemeinschaft – auch die fortgesetzte Gütergemeinschaft – ist in Baden-Württemberg im ländlichen Bereich noch häufig anzutreffen. Sie wurde bis Mitte der 60er-Jahre vereinbart (Standardaussagen: „vom Notar damals empfohlen“ oder „wir wollten es so wie die Eltern“). Die Mandanten wissen in der Regel schon, dass für sie die Gütergemeinschaft gilt. Über die Rechtsfolgen der fortgesetzten Gütergemeinschaft sind sie aber keinesfalls im Bilde. 8 Boehmer, Zur Entwicklung und Reform des deutschen Familien- und Erbrechts, S. 105.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.81d § 17

Will der überlebende Ehegatte die Gütergemeinschaft mit den gemeinsamen Abkömmlingen nicht 17.81a fortsetzen, kann er innerhalb von sechs Wochen seit dem Zeitpunkt, in dem er von dem Tode des anderen Ehegatten und der Fortsetzung der Gütergemeinschaft Kenntnis erlangt, durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ablehnen (§§ 1484, 1943 ff. BGB). In diesem Fall wird die Gütergemeinschaft aufgelöst und der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut fällt in den Nachlass. Auch nach Ablauf der Ablehnungsfrist kann der überlebende Ehegatte nach § 1492 BGB jederzeit durch einseitige Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht oder durch Vertrag mit den gemeinsamen Abkömmlingen die Gütergemeinschaft aufheben. Sodann ist die Gütergemeinschaft nach den allgemeinen Bestimmungen auseinander zu setzen (§ 1498 BGB). Wird die Gütergemeinschaft jedoch zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt, so besteht das Gesamtgut nicht nur aus den Gegenständen, die bereits zum ehelichen Gesamtgut gehört haben; vielmehr fällt auch alles, was der überlebende Ehegatte aus dem Nachlass des verstorbenen Ehegatten oder nach Eintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft in sonstiger Weise erwirbt, in das Gesamtgut, soweit es sich nicht um Vorbehaltsgut oder Sondergut handelt (§ 1485 BGB). Der überlebende Ehegatte kann somit, will er nicht die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ablehnen oder die fortgesetzte Gütergemeinschaft aufheben, was für ihn jeweils mit den Nachteilen einer Gesamtgutsauseinandersetzung verbunden ist, grundsätzlich nichts mehr erwerben, ohne dass die gemeinsamen Abkömmlinge daran Anteil hätten.

17.81b

Dem überlebenden Ehegatten ist auch eine Regelung der Vermögensnachfolge nach seinem Tod weitgehend verwehrt. Zwar kann er durch letztwillige Verfügung in beliebiger Weise über seinen Nachlass (Sonder- und Vorbehaltsgut sowie halber Anteil am Gesamtgut) verfügen. Seine Erben haben sich jedoch sodann mit den Abkömmlingen über das Gesamtgut auseinander zu setzen. Zum einen ist die beendete Gütergemeinschaft zu liquidieren und zum anderen die Erbengemeinschaft auseinander zu setzen. Bei der Auseinandersetzung steht der Erbengemeinschaft nach dem längerlebenden Ehegatten die eine Hälfte des Auseinandersetzungsguthabens zu, den gemeinsamen Abkömmlingen die andere Hälfte. Die den Abkömmlingen zustehende Hälfte steht diesen wiederum gem. § 1503 BGB im Verhältnis ihrer fiktiven Erbteile nach dem zuerst verstorbenen Ehegatten zu. An alledem kann der längerlebende Ehegatte nichts ändern, und zwar auch dann nicht, wenn er wesentliche Teile des Gesamtgutes erst nach dem Tode des zuerst verstorbenen Ehegatten erworben hat.

17.81c

M 143 Auseinandersetzung bei fortgesetzter Gütergemeinschaft

17.81d

Formulierungsvorschlag für den immer noch in der Praxis anzutreffenden Fall, dass die Ehegatten fortgesetzte Gütergemeinschaft vereinbart hatten und der überlebende Ehepartner keine letztwillige Verfügung getroffen hat. Beim Vorhandensein von zwei gemeinschaftlichen Abkömmlingen könnten die Erbengemeinschaft nach dem überlebenden Elternteil und die Gesamthand durch folgende Vereinbarung abgewickelt werden: „Beurkundet zu … vor … sind anwesend … 1. T – nachfolgend Übergeberin genannt – 2. S – nachfolgend Übernehmer genannt – Die Anwesenden erklären zur öffentlichen Urkunde Vertrag zur Erbauseinandersetzung und Gesamtgutauseinandersetzung § 1 Vorbemerkung Am 10.2.2013 verstarb die Mutter der Vertragsparteien, Frau M, die nachfolgend als „Erblasserin“ bezeichnet wird. Die Erblasserin war in einziger Ehe verheiratet mit dem am 25.3.1992 vorverstorbenen Vater der Parteien V. Die Erblasserin und ihr Ehemann V, die beide zuletzt in Königsfeld wohnhaft waren, waren im Güterstand der Gütergemeinschaft miteinander verheiratet und hatten die Fortsetzung der Gütergemeinschaft nach §§ 1483 ff. BGB mit den gemeinschaftlichen Abkömmlingen vereinbart (Ehe- und Erbvertrag

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§ 17 Rz. 17.81d

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

des Notariats II Villingen vom 21.5.1974, Aktenzeichen …). Nach dem Tode von V waren die Vertragsparteien und die Erblasserin Gesamthänder der fortgesetzten Gütergemeinschaft, die auf Ableben des am 25.3.1992 verstorbenen M entstanden ist (vgl. Fortsetzungszeugnis des Notariates IV Villingen vom 2.7.1992, Az …). V hinterließ weder Vorbehalts- noch Sondergut. An der fortgesetzten Gütergemeinschaft waren die Übergeberin und der Übernehmer neben der Erblasserin entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen1 berechtigt. Die Erblasserin wurde zu gleichen Teilen von der Übergeberin und dem Übernehmer beerbt (vgl. gemeinschaftlicher Erbschein des Notariates IV Villingen vom 3.6.2013, Az.:…). § 2 Auseinandersetzung des Gesamtgutes und des Vorbehaltsgutes der Erblasserin (1) Zum bisherigen Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft gehörte folgender Grundbesitz, eingetragen im Grundbuch von Königsfeld:… (2) Zum bisherigen Vorbehaltsgut der Erblasserin gehörte folgender Grundbesitz,… (3) Die Erblasserin hinterließ kein Sondergut. (4) Auseinandersetzung Über den zum bisherigen Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft gehörenden Grundbesitz nebst beweglichen Gegenständen sowie das gesamte Vorbehaltsgut der Erblasserin setzen sich die Übergeberin und der Übernehmer dergestalt auseinander, dass der Übernehmer den gesamten Grundbesitz und alle beweglichen Gegenstände zu alleinigem Eigentum erhält und übernimmt. Die Übertragung und Übernahme durch den jeweiligen Eigentümer erfolgen mit allen Rechten und Pflichten, den Bestandteilen und etwaigem gesetzlichen Zubehör. § 3 Auflassung Einig über den bezeichneten Eigentumsübergang bewilligen und beantragen die Beteiligten den Vollzug im Grundbuch § 4 Besitzübergang, Gewährleistung Der Besitzübergang mit dem Übergang von Nutzen, Lasten und Gefahr erfolgt vorbehaltlich etwaiger im Folgenden vereinbarter Rechte des Übergebers sofort. Jegliche Gewährleistung für Sach- und Rechtsmängel aller Art ist ausgeschlossen. Die Grundschuld IIII/1 im Grundbuch von Königsfeld sichert Verbindlichkeiten, die allein vom Übernehmer zu bedienen sind. Pachtverhältnisse mit Dritten bestehen nicht. § 5 Kosten, Steuern Die Kosten dieses Vertrags und seines Vollzuges tragen die Beteiligten zu gleichen Teilen § 6 Ausgleichszahlung Der Übernehmer zahlt an die Übergeberin einen Gleichstellungsbetrag in Höhe von 60.500 Euro. Der Betrag ist binnen vier Wochen ab heute zur Zahlung fällig und bis dahin unverzinslich. Auf Sicherheiten, insbeson-

1 Beachte: § 1503 BGB. Im Beispiel sind die Kinder zu gleichen Teilen an der Gesamtgut-Hälfte des verstorbenen Ehemannes berechtigt („beerbte Ehe“), nicht etwa zu je 3/16, wie ab und an zu lesen. Die Kinder treten anstelle des Ehemanns in die fortgesetzte Gütergemeinschaft – fGG – in dessen Hälfte ein. Dies zeigt sich auch bei der Halbteilung des Überschusses, falls die fGG auseinandergesetzt wird. Der nach der Berichtigung der Gesamtgutsverbindlichkeiten der fGG verbleibende Überschuss gebührt zu einer Hälfte dem überlebenden Ehegatten (oder seinen Erben – im Beispiel: seinen gesetzlichen Erben), zur anderen Hälfte den anteilsberechtigten Abkömmlingen (§§ 1498, 1476 I BGB). Die Verteilung der den Abkömmlingen zufallenden Hälfte bemisst sich nach § 1503 BGB.

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Rz. 17.81f § 17

dere Zahlung erst nach Erteilung der Bodenverkehrsgenehmigung und Weitergabe der Auflassung erst nach Zahlung, wird verzichtet. Der Gleichstellungsbetrag wurde wie folgt errechnet: Der gesamte übertragene Grundbesitz wurde bewertet mit rund 237.000 Euro. Hiervon sind Leistungen und Verwendungen, die der Übernehmer aus eigenen Mitteln zu Lebzeiten der Eltern auf den übertragenen Grundbesitz erbracht hat, abzuziehen in Höhe von – 116.000 Euro = 121.000 Euro hiervon 1/2 60.500 Euro. § 7 Verkaufsoption bei Baulandausweisung Sobald die im Auszug aus dem Liegenschaftskaster vom 23.8.2014 mit roter Farbe markierte Teilfläche des Flst. Nr. 335 der Gemarkung Königsfeld oder ein Anteil daran Bauland wird, ist die Übergeberin berechtigt, vom Übernehmer den Verkauf der Baulandfläche an Dritte zu marktüblichen Preisen zu verlangen. Veräußert der Übernehmer auf Verlangen der Übergeberin das vorstehend beschriebene Bauland, so hat er die Hälfte des Erlöses abzüglich der aus dem Erlös etwa zu entrichtenden Steuer und abzüglich eines Betrages von 2 Euro pro qm1 des verkauften Baulandes an die Übergeberin herauszugeben. Die Berechtigung, die Veräußerung des vorbeschriebenen Baulandes zu verlangen, erlischt mit Ableben der Übergeberin. Die Veräußerung des Baulandes kann von der Übergeberin nur höchstpersönlich verlangt werden. Die Ausübung dieser Berechtigung durch einen Bevollmächtigten, Betreuer, Pfleger oder eine sonstige Drittperson ist nicht möglich. Dingliche Sicherung wird nicht gewünscht. § 8 Grundstückserhaltungsklausel (1) Sofern die Übergeberin die in § 7 beschriebene Verkaufsoption ausübt, kann der Übernehmer verlangen, dass ihm die hälftige Teilfläche des zu veräußernden Baulandes als Eigentümer verbleibt, so dass diese Teilfläche von der Veräußerungspflicht nicht erfasst wird. Bei Ausübung dieses Gegenrechts ist der Übernehmer verpflichtet, der Übergeberin die andere hälftige Teilfläche, die vom ursprünglichen Grundstück abzuschreiben ist, zu alleinigem Eigentum zu übertragen. Zu übertragen ist die Grundstückshälfte des Baulandes, die sich ergibt, wenn man die nordöstliche Grundstücksgrenze des Flst. Nr. 335 zu Flst. Nr. 334 parallel in Richtung Südwesten verschiebt. (2) Sollte aufgrund des Verlangens der Übergeberin Grundvermögen aus dem land- und forstwirtschaftlichen Vermögen des Übernehmers entnommen werden müssen und fällt deshalb ein einkommensteuerpflichtiger Entnahmegewinn an, so ist die durch diesen Gewinn verursachte Einkommensteuer von der Übergeberin zu ersetzen. …

Bei allen geradezu gebetsmühlenhaft angeführten – für den landwirtschaftlichen Bereich oftmals nur vermeintlichen2 – Nachteilen der Gütergemeinschaft muss gesehen werden, dass es der einzige Güterstand ist, der auf den ersten Todesfall „pflichtteilsimmun“ ist, da der überlebende Ehegatte bei bloßem Gesamtgut keinen Pflichtteilsansprüchen ausgesetzt ist. Die Haftungsproblematik wird regelmäßig übertrieben, da eine Gesamtgutshaftung grundsätzlich nur für solche während der Ehe getätigten Rechtsgeschäfte, die mit Zustimmung des Ehegatten vorgenommen wurden, und bei gesetzlichen Ansprüchen besteht (Ansprüche aus unerlaubter Handlung, Gefährdungshaftung oder Unterhaltsverpflichtungen).

17.81e

Für den Fall der Auseinandersetzung der fortgesetzten Gütergemeinschaft kann nach § 1515 BGB jeder Ehegatte unter Zustimmung des anderen anordnen, dass ein Abkömmling ein Übernahmerecht am Gesamtgut insgesamt oder an einzelnen hierzu gehörenden Gegenständen gegen Wertersatz hat.

17.81f

1 Ausgleich für die dann bereits geleistete Ausgleichszahlung nach § 6 des Vertrags. 2 Vgl. Behmer, FamRZ 1988, 339 ff.

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§ 17 Rz. 17.82

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Gehört zum Nachlass ein Landgut, kann im Interesse der ungeteilten Erhaltung des Landguts ein solches Übernahmerecht hinsichtlich des Landguts mit der Maßgabe angeordnet werden, dass das Landgut mit dem Ertragswert anzusetzen ist. a) Voraussetzungen des § 1515 BGB

17.82 aa) Die Ehegatten leben im Güterstand der Gütergemeinschaft, § 1415 BGB. 17.83 bb) Die Ehegatten haben gem. § 1483 BGB durch Ehevertrag vereinbart, dass die Gütergemeinschaft nach dem Tode eines Ehegatten zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt wird. Der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut fällt dann nicht in den Nachlass, so dass die Abkömmlinge keine Erbabfindung verlangen können. Vielmehr rücken die Abkömmlinge in den Anteil des verstorbenen Ehegatten ein („beerbte Ehe“). Ihnen steht jetzt neben dem überlebenden Ehegatten der hälftige Anteil am Gesamtgut zu (vgl. § 1503 BGB).

17.84 cc) Die Anordnung, dass ein anteilsberechtigter Abkömmling das Recht haben soll, „bei der Teilung“ ein zum Nachlass gehörendes Landgut mit dem Ertragswert zu übernehmen, muss vom Erblasser letztwillig verfügt werden. Wird die Übernahmeanordnung in einem eigenhändigen oder notariellen Testament getroffen, so bedarf sie der notariell beurkundeten Zustimmungserklärung des anderen Ehegatten, da dessen Rechte am Landgut durch die Übernahmeanordnung betroffen sind, §§ 1515 Abs. 1 I, 1516 BGB. Diese Zustimmung ist unwiderruflich, § 1516 Abs. 2 BGB.

17.84a Die Zustimmung ist entbehrlich, wenn die Ehegatten die Übernahmeanordnung in einem gemeinschaftlichen Testament (§ 1516 Abs. 3 BGB) oder einem Erbvertrag getroffen haben, da hier die Mitwirkung beider Ehegatten ohnehin gegeben ist. Die Anordnung könnte in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament lauten:

17.84b M 144 Übernahmerecht für Landgut zum Ertragswert Wir ordnen gem. § 1515 BGB an, dass unser Sohn Volker, geboren am 3.2.1969, bei der Teilung das Recht haben soll, den zum Gesamtgut gehörenden Ziegelhof nebst Zubehör – … (grundbuchrechtliche Beschreibung) … – zu übernehmen. In diesem Falle ist der Hof nebst Zubehör mit dem Ertragswert anzusetzen.

17.85 dd) § 1515 Abs. 1 BGB spricht davon, dass dem anteilsberechtigten Abkömmling das Recht eingeräumt werden kann, bei der Teilung das Gesamtgut oder einzelne dazugehörende Gegenstände zu übernehmen. Zu einer Auseinandersetzung des Gesamtguts kommt es in folgenden Teilungsfällen: – bei Ablehnung der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch den überlebenden Ehegatten (§ 1484 BGB) innerhalb der Sechswochenfrist des § 1484 Abs. 1 BGB. Auf diese Weise kann sich der überlebende Ehegatte eine Erbquote am Gesamtgutanteil des vertorbenen Ehegatten sichern, der ansonsten bei Fortsetzung der Gütermeinschaft allein den anteilsberechtigten Abkömmlingen zusteht. Der Preis besteht in der Erb- und wohl auch Gesamtgutauseinandersetzung. – bei einer für den überlebenden Ehegatten jederzeit möglichen Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht, §§ 1492, 1497 BGB – bei notariell zu beurkundendem Vertrag über die Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und den anteilsberechtigten Abkömmlingen, § 1492 Abs. 2 BGB – bei Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten, § 1493 Abs. 1 BGB – beim Tod des überlebenden Ehegatten, § 1494 Abs. 1 BGB

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Rz. 17.90 § 17

– bei Rechtskraft des Urteils, das der Klage eines anteilsberechtigten Abkömmlings auf Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft stattgibt, §§ 1496, 1495 BGB. Eine Aufhebungsklage kommt vor allem in Betracht, wenn der überlebende Ehegatte entweder zur Verwaltung des Gesamtguts unfähig ist oder sein Alleinverwaltungsrecht missbraucht und dadurch die Rechte des Abkömmlings für die Zukunft erheblich gefährdet. Gleiches gilt, wenn der überlebende Ehegatte betreut wird und die Verwaltung des Gesamtguts in den Aufgabenkreis des Betreuers fällt. Wird die fortgesetzte Gütergemeinschaft aufgrund einer Aufhebungsklage aufgehoben, so soll allerdings ein zugunsten des überlebenden Ehegatten gem. § 1515 Abs. 3 angeordnetes Landgut-Übernahmerecht nach h.M.1 entfallen. ee) Das Übernahmerecht kann von dem Berechtigten form- und fristenfrei ausgeübt werden.

17.86

b) Rechtsfolgen Die anderen Anteilsberechtigten sind verpflichtet, die Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem Übernahmeberechtigten das Alleineigentum am Landgut zu verschaffen.

17.87

Gem. § 1515 Abs. 2 S. 2 BGB finden die Vorschriften des § 2049 BGB Anwendung (s. Rz. 17.21 ff.), 17.88 wenn nach der Beendigung der Gütergemeinschaft das Gesamtgut auseinander gesetzt wird, §§ 1497 ff., 1475 ff. BGB. Hierbei wird das Landgut mit dem Ertragswert oder mit einem Preis, der den Ertragswert mindestens erreicht, sowohl bei der Ermittlung wie bei der Teilung des Überschusses angesetzt. 5. Verfahren auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs aus der Erbengemeinschaft nach §§ 13 ff. GrdstVG Bei dem Verfahren auf Zuweisung des landwirtschaftlichen Betriebs nach §§ 13 ff. GrdstVG handelt es sich um nichts anderes als um eine besondere Form der (Teil-)Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft. Als „Verfahren der Erbauseinandersetzung im Bereich des Landwirtschaftserbrechts“ hätte es seinen Platz im BGB finden müssen und bildet im Grundstücksverkehrsgesetz einen „Fremdkörper“2.

17.89

Beratungssituation: Ein Miterbe möchte den landwirtschaftlichen Betrieb, der einer durch gesetzliche Erbfolge entstandenen Erbengemeinschaft gehört, in seiner Gesamtheit übernehmen.

Voraussetzung für diese besondere Form der (Teil-)Erbauseinandersetzung ist, dass ein Hof, für den kein Anerbengesetz gilt, im Wege der gesetzlichen Erbfolge auf eine Erbengemeinschaft übergegangen ist. Der Hof gehört dann als Teil des Gesamtnachlasses der Erbengemeinschaft. Bekanntlich kann jeder Miterbe jederzeit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen. Die Gefahr einer damit einhergehenden Zerschlagung des Hofs liegt auf der Hand. Der Bundesgesetzgeber hat für die Erhaltung der nach BGB-Recht vererbten Höfe keine Sondererbfolge wie die Anerbenrechte vorgesehen. Die Erhaltung eines leistungsfähigen Hofs wird über den Umweg der Betriebszuweisung nach dem GrdstVG erreicht. Mit diesem Zuweisungsverfahren nach §§ 13 ff. GrdstVG wird der Hofnachfolger ähnlich bevorzugt, wie dies die Anerbenrechte tun, und die Miterben werden ähnlich benachteiligt.

17.89a

Die Voraussetzungen des Hofzuweisungsverfahrens im Einzelnen:

17.89b

a) Erbengemeinschaft kraft gesetzlicher Erbfolge Der Hof muss einer durch gesetzliche Erbfolge entstandenen Erbengemeinschaft gehören, § 13 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. Ist die Erbengemeinschaft hingegen aufgrund einer Verfügung von Todes wegen 1 Palandt/Brudermüller, § 1515 Rz. 2. 2 Wöhrmann, S. 473.

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17.90

§ 17 Rz. 17.90a

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

entstanden, so findet das Zuweisungsverfahren nicht statt, und zwar selbst dann nicht, wenn die kraft letztwilliger Verfügung entstandene Erbengemeinschaft mit derjenigen identisch ist, die bei gesetzlicher Erbfolge entstünde1. Nur dann, wenn im Testament ausdrücklich erklärt wurde, es solle bei der gesetzlichen Erbfolge bleiben, kann davon ausgegangen werden, dass keine testamentarische Erbeinsetzung vorliegt; anders verhält es sich aber schon dann, wenn im Testament ausdrücklich eine Erbeinsetzung vorgenommen wurde.

17.90a Eine durch gesetzliche Erbfolge entstandene Erbengemeinschaft liegt auch dann noch vor, wenn Mitglieder aus einer vorhergehenden älteren Erbengemeinschaft verstorben sind und kraft Gesetzes oder aufgrund einer letztwilligen Verfügung beerbt wurden. Dies gilt selbst bei mehreren Erbfällen hintereinander2. Mittelbar folgt aus dem Erfordernis des Entstehens einer Erbengemeinschaft durch gesetzliche Erbfolge auch, dass der Hof keinem Anerbenrecht unterliegen darf, das für den Hof eine Sondererbfolge vorsieht. Fällt der Hof unter ein Anerbengesetz, kommt eine Zuweisung nach dem GrdstVG dann in Betracht, wenn kein Anerbe vorhanden ist (vgl. § 10 HöfeO, § 7 Abs. 2 BadHofGG, § 11 Abs. 3 BremHöfeG) und daher nach BGB-Recht vererbt wird. b) Landwirtschaftlicher Betrieb

17.91 Es muss sich um einen landwirtschaftlichen (s. Rz. 17.23) Betrieb handeln. Bei einem rein forstwirtschaftlichen Betrieb gilt das Zuweisungsverfahren nach dem GrdstVG nicht3. Im häufigen Fall des gemischt land- und forstwirtschaftlichen Betriebs kommt es auf die Gewichtung an. Auch bei gewerblicher und industrieller Produktion scheidet eine Zuweisung nach dem GrdstVG aus. Dies liegt darin begründet, dass im Hinblick auf die besonderen Abfindungsregeln für weichende Erben die Sondervorschriften der §§ 13 ff. GrdstVG nicht auf andere Fälle als den des landwirtschaftlichen Betriebs ausgedehnt werden können. c) Hofstelle

17.92 Es muss eine „organisatorische Betriebseinheit“, bestehend aus landwirtschaftlichen Grundstücken und einer zur Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle, vorliegen, § 14 Abs. 1 S. 1 GrdstVG, die, falls sie im Zeitpunkt des Zuweisungsverfahrens vorübergehend ruht, die Möglichkeit bietet, den Betrieb alsbald wieder aufzunehmen. Bei einem durch den Erblasser endgültig aufgegebenen Betrieb haben die Erben keinen landwirtschaftlichen Betrieb, sondern nur einen „ehemaligen landwirtschaftlichen Betrieb“ geerbt, so dass das Zuweisungsverfahren ausscheidet. Gleiches gilt, wenn die Hofstelle nicht nur vorübergehend fehlt. d) Ertragshöhe

17.93 Die Erträge des Betriebs müssen im Wesentlichen zum Unterhalt einer bäuerlichen Familie ausreichen, § 14 Abs. 1 GrdstVG. Dabei ist auf den Lebensbedarf einer bäuerlichen Durchschnittsfamilie bestehend aus den Ehegatten und zwei minderjährigen Kindern abzustellen4. Der aus dem Hof als möglich zu erzielende Ertrag – erhöht um den Wohnwert des Anwesen für die Familie – muss im Wesentlichen, also wohl zu mindestens 80 %5, den statistischen Lebensbedarf eines Vier-Personen-Haushalts in der Landwirtschaft decken.

17.93a Erträge sind die nachhaltig erzielbaren Überschüsse der Roherträge (Bareinnahmen aus der Landwirtschaft) über die Bewirtschaftungskosten einschließlich der Grundsteuer. Private Belastungen 1 2 3 4 5

OLG Karlsruhe v. 19.12.1994 – 13 WLw 124/94 – (16/95), Agrarrecht 1995, 217. Wöhrmann, S. 478. Lange, GrdstVG, § 17 Anm. 3, 2. Aufl. 1964. OLG Naumburg, RdL 2004, 264. So Wöhrmann, S. 487.

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Rz. 17.97 § 17

sind bei der Ertragsberechnung nicht abzuziehen. Erträge aus zugepachteten Grundstücken sind als Betriebserträge anzusehen, wenn gesichert erscheint, dass das Pachtland dem Erwerber zur Bewirtschaftung zustehen wird, § 14 Abs. 1 S. 2 GrdstVG. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang ein Beschluss des OLG München vom 5.7.19941, wonach ein landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb, dessen Erträge erheblich unter den Regelsätzen nach dem früheren BSHG (jetzt SGB XII) liegen, nicht nach § 14 Abs. 1 GrdstVG zuweisungsfähig ist. Die Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz bieten eine praktikable und sichere Grundlage für die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs einer Familie bei bescheidener Lebensführung. Der so ermittelte Unterhaltsbedarf der bäuerlichen Durchschnittsfamilie muss im Wesentlichen durch den Betriebsertrag abgedeckt werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Hof nicht zuweisungsfähig. Die Begründung, die dem Kriterium Nebenerwerbsbetrieb kein besonderes Gewicht gibt und allein auf den Betriebsertrag abstellt, lässt vermuten, dass das OLG München diese Rechtsprechung nicht nur für Nebenerwerbsbetriebe, sondern auch für Höfe anwenden wird. Dem OLG München ist vorbehaltlos zuzustimmen, wenn es darauf hinweist, dass es sich bei einem „Hof“, dessen Ertrag erheblich unter den Sozialhilfesätzen liegt, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht mehr vertreten lasse, die weichenden Erben gem. § 16 GrdstVG nach dem geringen Ertragswert abzufinden, während andererseits der bedeutend höhere Sachwert durch Zuweisung dem Erwerber zuwächst.

17.94

In dem vom OLG München zu entscheidenden Fall war aufgrund des Gutachtens eines Bewertungs- 17.94a sachverständigen ein jährlicher Gewinn des Betriebs von 11.326 DM ermittelt worden, so dass von einem monatlichen Ertrag des landwirtschaftlichen Betriebs von 944 DM auszugehen war. Dieser Betrag lag erheblich unter den Mindestbeträgen der in Bayern geltenden Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz und bot deshalb nach der Überzeugung des Senats keine für den Unterhalt einer bäuerlichen Familie im Wesentlichen ausreichende Existenzgrundlage. Auch wenn der Sachverständige bei seinen Berechnungen den Wohnwert des Anwesens und die Möglichkeiten von Eigenentnahmen nicht berücksichtigt hat, reichen auch unter Zugrundelegung bescheidener Lebensverhältnisse 944 DM für den wesentlichen Unterhält einer vierköpfigen bäuerlichen Familie nicht aus. Die im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz betrugen in Bayern für Ehegatten insgesamt mindestens 904 DM und lagen für die beiden minderjährigen Kinder altersgruppenabhängig insgesamt zwischen mindestens 502 DM und mindestens 704 DM, wobei die laufenden Leistungen für Unterkunft und Heizung von der Gewährung nach Regelsätzen ausgenommen sind und in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zusätzlich gewährt werden. e) Antragsteller ist Miterbe Antragsteller im Zuweisungsverfahren kann nur ein Miterbe sein, § 13 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. Der Antrag kann bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft gestellt werden. Der Antragsteller kann Zuweisung an sich selbst beantragen, aber auch an den Miterben, der nach § 15 GrdstVG als Erwerber in Betracht kommt. Der Antrag soll die Gegenstände bezeichnen, deren Zuweisung beantragt wird, § 32a LwVfG.

17.95

f) Landwirtschaftsgericht Zuständig ist gem. § 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1, § 10 LwVfG das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Betrieb liegt, als Landwirtschaftsgericht.

17.96

g) Zuweisungsobjekt Zuweisungsobjekt ist die Gesamtheit der Betriebsgrundstücke, so dass der Betrieb ungeteilt zugewiesen werden muss, § 13 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. Ist eine Aufteilung des Betriebs in mehrere Einzelbetrie1 OLG München v. 5.7.1994 – Lw W 1235/94-(216/94), Agrarrecht 1995, 56.

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17.97

§ 17 Rz. 17.98

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be unter der Voraussetzung möglich, dass jeder Einzelbetrieb ausreichende Erträge sichert, so kann der Betrieb geteilt und die Einzelbetriebe können verschiedenen Miterben zugewiesen werden, § 13 Abs. 1 S. 1 GrdstVG.

17.98 Von der Zuweisung sollen solche Grundstücke ausgenommen werden, für die nach ihrer Lage und Beschaffenheit anzunehmen ist, dass sie in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werden, wie z.B. Bauland, unter Umständen schon Bauerwartungsland, gewerbliche Grundstücke, Sand- und Steinbrüche. Da diese Grundstücke alsbald veräußert zu werden pflegen, ist den weichenden Erben eine Abfindung zu Ertragswerten nicht zumutbar.

17.98a Nach einem Zuweisungsbeschluss des OLG Karlsruhe1 gilt dies auch für eine Gärtnerei, die mitten in einem Wohngebiet lag und von der Stadt nur deshalb im Bebauungsplan als Gärtnerei und nicht als Bauland ausgewiesen worden war, weil der Erblasser dies so gewollt hatte. Das OLG erwog bei seiner Entscheidung, dass die nach § 16 GrdstVG vorgesehene Abfindung des weichenden Miterben auf der Basis des Ertragswerts zu dem Verkehrswert des Grundstückes, der mit vier bis fünf Millionen DM angegeben wurde, in einem groben Missverhältnis stehe. Das Nachforderungsrecht des Miterben nach § 17 GrdstVG könne dieses Missverhältnis nicht hinreichend ausgleichen. Denn zum einen bestehe ein solches Nachforderungsrecht nur bei Verkauf innerhalb von 15 Jahren. Zum anderen sei die Nachforderung nach dem Wert zur Zeit der Zuweisung zu berechnen, so dass der weichende Miterbe an einer zwischenzeitlichen Wertsteigerung nicht teilnehme. Der Grundgedanke des § 13 Abs. 1 S. 2 BGB sei auch im zu entscheidenden Fall heranzuziehen. Selbst wenn der Antragsteller ernsthaft beabsichtige, die Gärtnerei über viele Jahre weiterzuführen, erscheine fraglich, ob er dies auch tatsächlich tun werde, wenn er als Alleineigentümer des Betriebs die Möglichkeit habe, durch den Verkauf mehrere Millionen DM zu erzielen. Langfristig sei auf jeden Fall abzusehen, dass die Gärtnerei am jetzigen Standort nicht bleiben werde, so dass es über kurz oder lang zu einer Realisierung des Verkehrswerts komme. Dann sei es aber grob ungerecht, wenn nicht gar verfassungswidrig, die weichenden Erben an diesem Verkehrswert nicht in voller Höhe teilhaben zu lassen.

17.98b Werden solche Grundstücke ausnahmsweise dennoch zugewiesen, ist eine Nachabfindung nach § 17 GrdstVG zu zahlen, sofern die Veräußerung innerhalb der 15-Jahres-Frist erfolgt.

17.99 Von der Zuweisung mit umfasst werden das Zubehör nach §§ 97, 98 BGB, dingliche Nutzungsrechte sowie Miteigentums-, Kapital- und Geschäftsanteile, wenn diese zur ordnungsmäßigen Bewirtschaftung des Betriebs notwendig sind, § 13 Abs. 1 S. 3 GrdstVG.

17.100 Nach § 13 Abs. 3 GrdstVG ist eine Betriebszuweisung nur möglich, soweit die Sachen und Rechte gemeinschaftliches Vermögen der Erben sind. Der gesamte Hof muss sich also in der Hand der Erbengemeinschaft befinden, was regelmäßig nur nach einem Alleineigentümer als Erblasser der Fall ist. Bei hinterlassenen Anteilen an einer landwirtschaftlichen Personengesellschaft oder bei einer beendeten fortgesetzten Gütergemeinschaft ist dies genauso wenig der Fall, wie bei zwei Erbengemeinschaften nach einem verstorbenen Gütergemeinschafts- oder einem Bruchteilsgemeinschafts-Ehepaar. Hier ist der „Hof“ bzw. die entsprechende Gesamthand von vornherein „geteilt“ und damit auch von vornherein mit der Gefahr der Liquidation oder Teilungsversteigerung belastet, was seine besondere Schutzwürdigkeit erst gar nicht entstehen lässt, so dass die Ausnahme des schwerwiegenden Eingriffs in Art. 14 GG zum Nachteil der Miterben auch nicht mehr zu rechtfertigen ist.

17.100a Bei einem Ehegattenhof fällt also die Miteigentumshälfte des längerlebenden Ehegatten nicht in den Nachlass nach dem Erstverstorbenen, wird nicht gemeinschaftliches Vermögen der Erbengemeinschaft und ist folglich nicht zuweisungsfähig. Der umgekehrte Weg, wonach die Miteigentumshälfte des Erblassers dem längerlebenden Ehegatten als Mitglied einer gesetzlichen Erbengemeinschaft nach dem Erstverstorbenen zugewiesen werden kann, wodurch dieser Alleineigentum am Hof erhält, wur-

1 OLG Karlsruhe v. 19.12.1994 – 13 WLw 124/94-(16/95), Agrarrecht 1995, 217.

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Rz. 17.102a § 17

de von den Oberlandesgerichten Oldenburg und Stuttgart in den Jahren 1966 und 1976 ausnahmsweise als zulässig anerkannt1. h) Zuweisungsempfänger Die Voraussetzungen, die der Erwerber mitbringen muss, werden in § 15 GrdstVG beschrieben. Erwerber ist derjenige Miterbe, dem der Betrieb nach dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Erblassers zugedacht war. Mangels einer letztwilligen Verfügung wird der wirkliche Erblasserwille in der Regel nur schwer feststellbar sein. Bei der Ermittlung des wirklichen wie des mutmaßlichen Willens können insbesondere die bisherige Mitarbeit im Betrieb oder Willensbekundungen, die erforderlichenfalls durch Zeugenaussagen festzustellen sind, herangezogen werden. Letztlich ist nach dem mutmaßlichen Willen davon auszugehen, dass der zur Bewirtschaftung des Betriebs am besten geeignete Miterbe den Hof erhalten soll. Kriterien für die Ermittlung des für die Fortführung des Betriebs am besten geeigneten Miterben können sein:

17.101

– Qualität der landwirtschaftlichen Ausbildung – Qualität des Ausbildungsabschlusses – Maß der Erfahrung in der Landwirtschaft, vor allem auch durch Mitarbeit in dem zuzuweisenden Betrieb – geordnete oder zerrüttete Lebensverhältnisse des Zuweisungsprätendenten – Gesundheit und Alter der Bewerber Wenn allerdings der Wille des Erblassers, dass ein ganz bestimmter Miterbe nicht Hoferwerber sein soll, deutlich sichtbaren Ausdruck gefunden hat, dann kann diesem der Hof nicht zugewiesen werden, auch wenn er ansonsten der ideale Zuweisungsempfänger wäre. Der Zuwendungsempfänger muss schließlich entweder ein Abkömmling oder der Ehegatte des Erblassers sein. Handelt es sich um eine andere Person, so muss diese bereits bisher mit dem Betrieb durch Mitbewirtschaften und zugleich Bewohnen eng verbunden sein. Der Miterbe muss schließlich zur Übernahme und Fortführung der Bewirtschaftung des Betriebs bereit und geeignet sein. Die geforderte Eignung dürfte bei Minderjährigen kaum gegeben sein.

17.101a

i) Zuweisungsverfahren Das Verfahren selbst ist im LwVfG geregelt. Darüber hinaus ist zu beachten, dass § 14 Abs. 2 GrdstVG 17.102 voraussetzt, dass sich die Erben nicht einigen können; insoweit ist ein Vermittlungsverfahren nach § 366 ff. FamFG vorrangig, nicht jedoch eine Klage auf Auseinandersetzung. Solange die Auseinandersetzung nach §§ 2043 ff. BGB ausgeschlossen ist oder ein Testamentsvollstrecker die Auseinandersetzung zu betreiben hat, darf eine Zuweisung ebenfalls nicht erfolgen, § 14 Abs. 3 GrdstVG. Ein gleichzeitig laufendes Teilungsversteigerungsverfahren kann für die Dauer des Zuweisungsverfahrens eingestellt werden, § 185 Abs. 1 ZVG. Endet das Verfahren mit der Zuweisung des Betriebs, bestimmt sich der Geschäftswert nach § 48 Abs. 3 GNotKG, und es wird i.d.R. das Vierfache des letzten Einheitswerts des Betriebs als Geschäftswert angesetzt. Wird der Betrieb nicht zugewiesen, bestimmt sich der Geschäftswert nach § 46 GNotKG nach dem Verkehrswert. Die Gerichtskosten trägt in der Regel der im Zuweisungsverfahren unterliegende Teil, da dies billigem Ermessen entspricht (§ 44 LwVfG). Über die Erstattung außergerichtlicher Kosten, also insbesondere Anwaltskosten, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen. Da dem Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom Grundsatz her die Erstattung außergerichtlicher Kosten durch einen anderen wesenfremd ist, müssen besondere Gründe vorliegen, damit das Gericht durch besondere Anordnung, die außergerichtlichen Kosten ganz oder teilweise einem unterliegenden 1 OLG Oldenburg, RdL 1966, 21; OLG Stuttgart, RdL 1976, 78.

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17.102a

§ 17 Rz. 17.103

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Beteiligten auferlegen kann (§ 45 Abs 1 S. 1 LwVfG). Dies hat dann aber zwingend zu geschehen, wenn der Beteiligte die Kosten durch ein unbegründetes Rechtsmittel oder durch grobes Verschulden verursacht hat (§ 45 Abs. 1 S. 2 LwVfG). j) Zuweisungsbeschluss

17.103 Über den Zuweisungsantrag entscheidet das Landwirtschaftsgericht durch Beschluss, in dem der Erwerber und die zugewiesenen Gegenstände bezeichnet werden, §§ 21 Abs. 1, 32a S. 2 LwVfG. Mit Rechtskraft des Zuweisungsbeschlusses gehen das Eigentum an den zugewiesenen Sachen und die zugewiesenen Rechte auf den Erwerber über, § 13 Abs. 2 GrdstVG. Der Eigentumswechsel tritt also außerhalb des Grundbuchs ein. Ist in der Entscheidung ein späterer Zeitpunkt bestimmt, ist dieser maßgebend.

17.104 Die weichenden Miterben erhalten anstelle ihres Erbteils einen Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrags, der dem Wert ihres Anteils an dem zugewiesenen Betrieb entspricht, § 16 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. Für die Errechnung der Abfindung der weichenden Erben wird der Betrieb mit seinem Ertragswert nach § 2049 Abs. 2 BGB angesetzt, § 16 Abs. 2 S. 2 BGB. Bei der Berechnung der Abfindung ist die Ausgleichung der Vorempfänge des Hofübernehmers zu berücksichtigen. Der Abfindungsanspruch der Erben sowie eine auf ihn bezogene Stundungs-, Verzinsungs- oder Sicherheitsanordnung sind vom Landwirtschaftsgericht ebenfalls im Zuweisungsbeschluss festzusetzen, § 16 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 GrdstVG.

17.105 Für Nachlassverbindlichkeiten haftet zunächst das hoffreie Vermögen, so dass die weichenden Erben erneut benachteiligt werden. Dabei ist die Sondervorschrift des § 16 Abs. 2 GrdstVG für die Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten zu beachten, die zur Zeit des Erwerbs der zugewiesenen Gegenstände noch bestehen. Hier werden die weichenden Miterben erneut benachteiligt, weil zunächst der hoffreie Nachlass haftet. Nachlassverbindlichkeiten sind gem. § 16 Abs. 2 S. 1 GrdstVG nämlich „aus dem außer dem Betriebe vorhandenen Vermögen zu berichtigen, soweit es ausreicht“. Reicht das hoffreie Vermögen zur Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten nicht aus, haften trotz Zuweisung des Betriebs an den Erwerber alle Mitglieder der Erbengemeinschaft in gleicher Weise als Gesamtschuldner für die Nachlassverbindlichkeiten.

17.105a Nachlassverbindlichkeiten, die an einem zum Betrieb gehörenden Grundstück dinglich gesichert sind, kann das Landwirtschaftsgericht zwar auf Antrag aus dem Haftungsverband der Erbengemeinschaft herausnehmen und die alleinige Haftung des Erwerbers bestimmen. Dies setzt allerdings die wohl kaum zu erhaltende Zustimmung des betreffenden Gläubigers voraus, § 16 Abs. 2 S. 2 BGB.

17.106 Rechtsmittel gegen den Zuweisungsbeschluss sind die sofortige Beschwerde an das OLG und die Rechtsbeschwerden an den BGH, §§ 22, 24 LwVfG. k) Nachabfindungsansprüche

17.107 Wird der Hof oder werden Teile davon binnen 15 Jahren nach der Zuweisung veräußert, entstehen eventuell Nachabfindungsansprüche für die weichenden Erben, die sich aber nur nach dem Verkehrswert im Zeitpunkt der Zuweisung richten, so dass zwischenzeitliche Wertsteigerungen beim Zuweisungsempfänger verbleiben.

17.107a Die gravierenden Nachteile, welche die weichenden Erben bei der Abfindung und der Erbenhaftung hinnehmen müssen, sind nur gerechtfertigt, wenn der Betrieb auch wirklich weitergeführt wird. Ist dies nicht der Fall, sondern zieht der Erwerber aus dem Betrieb binnen 15 Jahren nach dem Erwerb erhebliche Gewinne durch Veräußerung oder auf andere Weise, so hat der Erwerber die Miterben auf Verlangen so zu stellen, „wie wenn der in Betracht kommende Gegenstand im Zeitpunkt des Erwerbs verkauft und der Kaufpreis unter den Miterben entsprechend ihren Erbteilen verteilt worden wäre“, § 17 GrdstVG. Die Nachabfindung ist aber nur dann zu leisten, wenn die Veräußerung mit den Zwecken der Zuweisung im Widerspruch steht, was nicht per se der Fall sein muss. Werden die Veräuße774

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.110 § 17

rungsgewinne reinvestiert, um den Betrieb zu erhalten, so ist dieser Zweck vom Zuweisungsrecht gedeckt. Hier fällt auf, dass sich die Höhe der Nachabfindungsansprüche der weichenden Miterben nicht nach dem später tatsächlich erzielten Kaufpreis richtet, sondern nach dem Wert zur Zeit der Zuweisung zu berechnen ist. Letztlich hat dies zur Folge, dass der weichende Miterbe an einer zwischenzeitlichen Wertsteigerung nicht teilnimmt1. Beispiel: Ein Betriebsgrundstück hatte im Zeitpunkt der Zuweisung einen Ertragswert von 10.000 Euro und einen Verkehrswert von 25.000 Euro. Bei zwei Miterben, von denen einer Zuweisungsempfänger ist, werden dem weichenden Miterben entsprechend seinem halben Erbteil 50 % des Ertragswerts, also 5.000 Euro, vom Landwirtschaftsgericht als Abfindung nach § 16 GrdstVG zugesprochen. Wird zehn Jahre später das Betriebsgrundstück für eine Million Euro verkauft, nachdem es zwischenzeitlich Bauland geworden ist, errechnet sich die Nachabfindung nach dem Verkehrswert im Zuweisungszeitpunkt. Die Hälfte des Verkehrswerts betrug damals 12.500 Euro. Da der weichende Erbe bereits 5.000 Euro erhalten hat, stehen ihm als Nachlassabfindung nur noch 7.500 Euro, die lediglich um den Kaufkraftschwund der letzten zehn Jahre zu bereinigen sind. Bei einer Kaufkraftänderung von bspw. 1,18 im Zehnjahreszeitraum kann der Zuweisungsempfänger also 991.150 Euro behalten.

Werden Gewinne auf andere Weise als durch Veräußerung erzielt und ist diese Gewinnerzielung den 17.108 Zwecken des Zuweisungsrechts fremd, ist ebenfalls eine Nachabfindung zu leisten. Betroffen sind hier die Fälle einer landwirtschaftsfremden Unternehmertätigkeit, wie etwa das Betreiben eines Gewerbebetriebs, die Verpachtung eines Betriebsgrundstücks z.B. zum Betrieb einer Reitschule, Verträge, die die bergbauliche Nutzung von Betriebsgrundstücken gestatten, wenn Erbbaurechte bestellt oder wenn Enteignungsentschädigungen nicht für die Ersatzbeschaffung von neuen Betriebsgrundstücken verwendet werden. Die Frage, ob einem Pflichtteilsberechtigten in analoger Anwendung des § 17 GrdstVG ebenfalls eine Nachabfindungsanspruch zustehen kann2, stellt sich nicht. Wenn der Erblasser einen Abkömmling, seinen Ehegatten oder die pflichtteilsberechtigten Eltern enterbt, liegt eine letztwillige Verfügung vor, die den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge verhindert. Ein Zuweisungsverfahren kommt nicht mehr in Betracht.

17.108a

Die Nachabfindungsansprüche verjähren in zwei Jahren nach Kenntnis des weichenden Erben vom 17.109 Nachabfindungstatbestand, ohne diese Kenntnis in fünf Jahren nach dem Schluss des Jahres, in dem die Voraussetzungen des Nachabfindungsanspruchs erfüllt waren.

IV. Anerbengesetze Das bedeutendste Anerbenrecht ist die nordwestdeutsche Höfeordnung in den vier Ländern der ehe- 17.110 maligen Britischen Zone, nämlich in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und NordrheinWestfalen. Bei der Höfeordnung handelt es sich um partikulares Bundesrecht (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG), das ursprünglich als Besatzungsrecht am 24.4.1947 in Kraft trat. Das Kontrollratsgesetz Nr. 45 schaffte 1947 nicht nur das Reichserbhofgesetz ab, um die alten Landes-Anerbengesetze wieder aufleben zu lassen. Gleichzeitig wurde den Zonenbefehlshabern die Ermächtigung erteilt, Abänderungsund Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Von dieser Ermächtigung wurde nur in der damaligen britischen Zone Gebrauch gemacht, indem dort die Höfeordnung eingeführt wurde. Bei der Höfeordnung handelt es sich um fakultatives Anerbenrecht. Zwar unterliegen nach § 1 HöfeO von Gesetzes wegen alle Höfe, die einen Wirtschaftswert von 10.000 Euro aufwärts haben, der Höfeordnung. Es steht jedoch im freien Belieben des Eigentümers, ob sein Hof weiterhin der Höfeordnung unterstehen soll. Durch seine „negative Hoferklärung“, die auch für alle seine Rechtsnachfolger wirkt3, und Löschung des Hofvermerks im Grundbuch (§ 1 Abs. 4 bis 7 HöfeO), geht die Hofeigenschaft verloren. Eine Hof1 OLG Karlsruhe v. 19.12.1994 – 13 WLw 124/94-(16/95), Agrarrecht 1995, 217. 2 So Wöhrmann, S. 506. 3 BGH v. 5.6.1992 – BLw 10/91, BGHZ 118, 356 = MDR 1992, 972 = FamRZ 1992, 1068.

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§ 17 Rz. 17.111

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

stelle mit einem Wirtschaftswert zwischen 5.000 und 10.000 Euro wiederum kann dem Anerbenrecht unterstellt werden, wenn der Eigentümer erklärt, dass sie Hof sein soll und der Hoferbenvermerk im Grundbuch eingetragen wird (§ 1 Abs. 1, 3, 6 und 7 HöfeO, §§ 2 ff. HöfeVfO).

17.111 Auf jeweils ein Bundesland beschränken sich die besonderen Landes-Anerbengesetze. Wie bei der HöfeO hat es der jeweilige Eigentümer auch hier in der Hand, ob sein Hof dem Anerbengesetz seines Landes oder dem BGB-Landguterbrecht unterstehen soll. Nach der hessischen Landgüterordnung, der rheinland-pfälzischen Höfeordnung, dem württembergischen Anerbengesetz und dem bremischen Höfegesetz steht es im freien Belieben des Landwirts, ob er seinen Hof in die Höferolle einträgt und damit dem Anerbenrecht unterstellt oder nicht. Nur das badische Hofgütergesetz hat rund 4400 Höfe im Schwarzwald durch Gesetz zwingend dem Anerbenrecht unterstellt. 1. Historische Entwicklung a) Höfeordnung für Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein

17.112 Wichtigstes Anerbengesetz ist die nordwestdeutsche Höfeordnung für die ehemals britische Besatzungszone. Dort wurde gleichzeitig mit der Aufhebung des Reichserbhofgesetzes durch das Kontrollratsgesetz Nr. 45 mit Wirkung vom 24.4.1947 die Militärregierungsverordnung Nr. 84 als Ausführungsverordnung erlassen, die als Anlage B die Höfeordnung für die britische Zone in Kraft setzte. Sie gilt seit dem 1.7.1976 auf der Grundlage des 2. Gesetzes zur Änderung der Höfeordnung (BGBl. 1976 I, S. 881) in den Ländern Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen als partielles Bundesrecht (Art. 125, 72 Abs. 2, 74 Nr. 1 GG). Nach den Übergangsvorschriften (Art. 3 §§ 1–5) gilt diese Neufassung in allen Erbfällen ab dem 1.7.1976, auch wenn Vereinbarungen oder letztwillige Verfügungen davor erfolgt sind. b) Badisches Gesetz die geschlossenen Hofgüter betreffend

17.113 Auf eine sehr bewegte und die älteste Geschichte unter den noch geltenden Anerbengesetzen blickt das „Badische Gesetz die geschlossenen Hofgüter betreffend“ (BadHofGG) zurück. Es gilt für Teile des ehemaligen Landes Baden in der Fassung vom 12.7.1949 (GVBl. S. 288), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 30.6.1970 (GVBl. S. 289). Eine Besonderheit des BadHofGG im Vergleich zu anderen Anerbengesetzen ist, dass das BadHofGG kein fakultatives Höferecht ist. Die rund 4.400 Höfe im Schwarzwald, für die das BadHofGG heute noch Anwendung beansprucht, wurden durch Gesetz vom 23.5.1888 festgestellt. Diese gesetzliche Feststellung war aus folgenden Gründen notwendig geworden: In dem bodenqualitätsmäßig benachteiligten Gebiet des Schwarzwaldes reicht die Anerbensitte geschlossener Hofvererbung bis ins 15./16. Jahrhundert zurück. Nachdem durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 dieses bislang durch verschiedene Herrschaften zersplitterte Gebiet Baden zugeschlagen wurde, wurde im Edikt vom 23.3.1808 eine einheitliche Regelung getroffen, wonach „geschlossene Hofgüter“ grundsätzlich unter Miterben unteilbar sind. Geschlossene Hofgüter waren Höfe, die bislang aufgrund Gesetzes oder „rechtsgenüglichen Herkommens“ „stets unzertrennt von einem Inhaber auf den anderen übergegangen“ waren. Diese Feststellung bereitete aber in der Praxis Schwierigkeiten, so dass aufgrund eines von Amts wegen durchgeführten Feststellungsverfahrens 4943 Hofgüter durch Gesetz vom 23.5.1888 dem Anerbenrecht unterstellt wurden. Auf diese gesetzliche Feststellung greift das bei mehrfachen Änderungen heute noch gültige BadHofGG vom 20.8.1898 zurück. Einzige Unterbrechung stellt die Zeit vom 1.10.1933 bis 24.4.1947 dar, in der das Reichserbhofgesetz galt. c) Württembergisches Gesetz über das Anerbenrecht

17.114 Der in Baden-Württemberg bislang bestehende Zustand der Rechtsvielfalt wird bald der Vergangenheit angehören. Das württembergische Gesetz über das Anerbenrecht vom 14.2.1930, das in der Fassung vom 30.7.1948 (RegBl. Württemberg-Baden S. 165) seit dem 24.4.1947 in Nordwürttemberg

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.119 § 17

und seit dem 1.8.1948 in Nordbaden galt und in Südwürttemberg in der Fassung vom 8.8.1950 (RegBl Württemberg-Hohenzollern S. 279) anzuwenden war, ist am 31.12.2000 aufgrund des 3. Rechtsbereinigungsgesetzes von 1995 nahezu vollständig außer Kraft getreten1. Gem. Art. 28 des Rechtsbereinigungsgesetzes bleiben die aufgehobenen Rechtsvorschriften für spätere Erbfälle allerdings dann noch anwendbar, wenn der Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren wurde. Dies und die verzögerte Inkraftsetzung wurden laut amtlicher Begründung deshalb vorgesehen, um den von der Aufhebung der Gesetze betroffenen Hofinhabern eine angemessene Zeit einzuräumen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen2. Damit gilt nunmehr auch in Baden-Württemberg BGB-Landguterbrecht, sofern nicht das badische Recht der geschlossenen Hofgüter zu beachten ist oder das WürttAnerbenG noch ausnahmsweise Anwendung findet, weil der Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren wurde. Solche Fälle kamen beim Verfasser in der Tat noch 2014 vor. d) Hessische Landgüterordnung In Hessen wurden das durch das KRG Nr. 45 wieder eingeführte Anerbenrecht mit Wirkung vom 24.4.1947 aufgehoben und gleichzeitig die ehemalige Landgüterordnung für den Regierungsbezirk Kassel vom 1.7.1887 für das ganze Land Hessen als HessLandgüterO vom 1.12.1947 in Kraft gesetzt. Die HessLandgüterO hat sich mit einer Zuweisung des Landguts in der Erbauseinandersetzung begnügt, sich also nicht für eine Sondernachfolge entschieden.

17.115

e) Rheinland-pfälzisches Landesgesetz über die Höfeordnung Auf Anregung der Bauernschaft wurde am 7.10.1953 in Rheinland-Pfalz die RhPfHöfeO verabschiedet. Für Rheinland- Pfalz als klassischem Freiteilungs-land ohne anerbenrechtliche Tradition war dies ein bemerkenswerter Vorgang. Hält man sich vor Augen, dass 40 Jahre später von den 1993 in RheinlandPfalz bestehenden 47.893 landwirtschaftlichen Betrieben 6.681 Betriebe, also fast 14 %, in die Höferolle eingetragen waren, ist das Experiment des Jahres 1953 als geglückt zu bezeichnen.

17.116

f) Bremisches Höfegesetz Das alte bremische Höfegesetz vom 18.7.1899 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg i.d.F. vom 19.7.1948 neu verkündet und seither mehrfach geändert. Es folgt dem Anerbensystem einer Sondernachfolge in den Hof. Es ist am 31.12.2014 außer Kraft getreten, so dass seit dem 1.1.2015 an das allgemeine (BGB-/ GrdstVG)Landwirtschaftserbrecht für alle landwirtschaftlichen Betriebe in Bremen gilt3.

17.117

2. Vergleichende Darstellung der Anerbenrechte Die Anerbenrechte werden nachfolgend in ihren wesentlichen Voraussetzungen dargestellt. Dabei wird jeweils unter einem Überbegriff (z.B. land-/forstwirtschaftliche Besitzung) die dazugehörende Gesetzespassage aus den unterschiedlichen Anerbengesetzen zitiert und anschließend eine kurze Erläuterung dazu gegeben:

17.118

a) Land-/forstwirtschaftliche Besitzung § 1 Abs. 1 HöfeO (land- oder forstwirtschaftliche Besitzung)/§ 1 Abs. 1 Gesetz vom 12.7.1949 zur Wiedereinführung des BadHofGG4 (land- und forstwirtschaftliche Grundstücke)/Art. 1 Abs. 2 WürttAnerbenG (zum Betrieb der Land- oder Forstwirtschaft geeignete Besitzung)/§ 1 Abs. 2 BremHöfeG

1 2 3 4

Drittes Rechtsbereinigungsgesetz v. 18.12.1995, Anl. 2 zu Art. 1, Gesetzblatt BW 1996, S. 29 ff. Vgl. Faßbender, Agrarrecht 1998, 188. § 32 BremHöfeG. Bad. GVBl. 1949, 288.

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17.119

§ 17 Rz. 17.119a

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

(landwirtschaftliche Besitzung)/§ 1 Abs. 2 HessLandgüterO (zum Betriebe der Land- oder Forstwirtschaft bestimmte Besitzung)/§ 2 Abs. 1 RhPfHöfeO: land- und forstwirtschaftlicher Betrieb.

17.119a Während nach den anderen Anerbenrechten auch rein forstwirtschaftliche Betriebe dem Anerbenrecht unterstehen, gilt dies nach § 1 Abs. 2 BremHöfeG nicht. b) Mit einer zu ihrer Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle

17.120 § 1 Abs. 1 HöfeO (zur Bewirtschaftung geeignete Hofstelle)/§ 3 Abs. 1 S. 2 BadHofGG (mit den erforderlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen)/Art. 1 Abs. 2 WürttAnerbenG (verlangt stattdessen „Besitzung, die einheitlich bewirtschaftet werden kann)/§ 1 Abs. 2 BremHöfeG (zur Bewirtschaftung geeignete Hofstelle)/§ 1 Abs. 2 HessLandgüterO (mit einem Wohnhaus versehene Besitzung)/§ 2 Abs. 1 RhPfHöfeO (Betrieb, der von der dazugehörigen Hofstelle aus bewirtschaftet werden kann).

17.120a Eine Hofstelle ist eine mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden bebaute Fläche, von der aus die zur Besitzung gehörenden Grundstücke (in räumlicher Hinsicht noch technisch und wirtschaftlich sinnvoll bewirtschaftet werden können. Geeignet ist eine Hofstelle, wenn sie Wohn- und Wirtschaftsgebäude in einem Umfang enthält, der eine ordnungsmäßige Bewirtschaftung der zum Hof gehörenden Ländereien ermöglicht. Bei der Beurteilung der Geeignetheit sind großzügige Maßstäbe anzulegen, so dass auch eine unzulänglich Hofstelle geeignet ist, wenn sie bisher zur Bewirtschaftung ausreichte oder die Beseitigung der Unzulänglichkeit zu erwarten ist. Nach dem Sitz der Hofstelle richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichs (§ 10 LwVG). c) Betriebsgröße

17.121 § 1 Abs. 1 HöfeO (sofern sie einen Wirtschaftswert von mindestens 10.000 Euro hat)/§ 3 Abs. 1 S. 2 BadHofGG (zur Ernährung einer Familie völlig ausreichendes Besitztum)/Art. 1 Abs. 2 WürttAnerbenG (zur selbständigen Nahrungsstelle geeignete Besitzung)/§ 1 Abs. 2 BremHöfeG (Besitzung von mindestens 2,5 Hektar)/§ 1 Abs. 2 bis 5 HessLandgüterO (Besitzung, die mindestens die Größe einer Ackernahrung hat. Als Ackernahrung gilt eine genutzte Landfläche, die notwendig ist, um eine Familie, unabhängig vom Markt und von der allgemeinen Wirtschaftslage, zu ernähren und zu bekleiden sowie den Betrieb aus sich selbst zu erhalten. Beim Weinbau ist als Ackernahrung eine genutzte Ländfläche anzusehen, deren eigene Erzeugung an Trauben zum Unterhalt einer Familie ausreicht. Beim Gemüseoder Obstbau ist als Ackernahrung eine genutzte Landfläche anzusehen, die auch bei Umstellung auf die Betriebsarten der Abs. 3 und 4 die dort bestimmten Voraussetzungen erfüllt)/§ 2 Abs. 2 RhPfHöfeO (Der Hof soll bei einer den Ertragsbedingungen entsprechenden Wirtschaftsweise ausreichen, um aus seinem land- und forstwirtschaftlichen Ertrag über den notwendigen Betriebsbedarf hinaus eine bäuerliche Familie angemessen zu versorgen sowie Altenteils- und Abfindungsverpflichtungen zu erfüllen [Ackernahrung]).

17.121a Bezüglich der Anforderungen unterscheiden sich die süddeutschen Anerbenrechte klar von den norddeutschen. Die HöfeO und das BremHöfeG stellen mit einem Wirtschaftswert von 10.000 Euro aufwärts und der Größe von mindestens 2,5 Hektar eindeutige Bestimmungen auf. Der Wirtschaftswert der HöfeO ist nach § 46 BewG zu bestimmen. Danach beträgt der Wirtschaftswert das 18-fache des durchschnittlichen, nachhaltigen jährlichen Betriebsreinertrags ohne Wohngebäude.

17.121b Die süddeutschen Anerbengesetze stellen auf die Ackernahrung ab, also darauf, ob das landwirtschaftliche Unternehmen völlig zum selbständigen Unterhalt einer Familie ausreicht. Dass dieses Abgrenzungskriterium zu Auslegungsproblemen führen muss, liegt auf der Hand. Eine praktikable Lösung ist es auch hier, auf die Sozialhilfe, die einer durchschnittlichen bäuerlichen Familie mit den erwachsenen Eltern und zwei minderjährigen Kindern zusteht, abzustellen. Der Hofertrag muss folglich mindestens

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.124 § 17

den Betriebsbedarf und die Sozialhilfebezüge, die einer bäuerlichen Durchschnittsfamilie zustehen, abdecken. d) Rechtsträger des Hofs § 1 Abs. 1 HöfeO (Besitzung, die im Alleineigentum einer natürlichen Person oder im gemeinschaft- 17.122 lichen Eigentum von Ehegatten [Ehegattenhof] steht oder zum Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft gehört)/§§ 19 ff. BadHofGG (Gehört ein geschlossenes Hofgut zu dem Gesamtgut einer Gütergemeinschaft)/Art. 6 Abs. 3, 17 Abs. 1 bis 3, 18, 19 Abs. 2 WürttAnerbenG (Gehört das Anerbengut zum Gesamtgut einer ehelichen Gütergemeinschaft)/§ 1 Abs. 2 S. 2 BremHöfeG (Besitzung muss im Alleineigentum einer natürlichen Person oder kraft ehelichen Güterrechts im Eigentum von Ehegatten stehen oder zum Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft gehören)/§§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 1 HessLandgüter (Wenn das Landgut sich im Miteigentum der Ehegatten befindet)/§ 2 Abs. 1 RhPfHöfeO (Betrieb, der im Alleineigentum einer natürlichen Person oder im Eigentum von Ehegatten [Ehegattenhof] steht). Allen Anerbengesetzen ist gemein, dass juristische Personen nicht als Rechtsträger eines Anerbenhofs in Frage kommen. Hofinhaber kann zunächst eine Einzelperson sein, in deren Alleineigentum der Hof steht. Gemeinschaftliches Eigentum an Ehegattenhöfen (Bruchteilseigentum oder Gesamthandseigentum) kennen bis auf die HessLandgüterO alle Anerbengesetze. Die fortgesetzte Gütergemeinschaft ist wohl nur in § 1 Abs. 1 HöfeO, Art. 17 WürttAnerbenG und in § 1 Abs. 2 BremHöfeG als Rechtsträger eines Anerbenhofs vorgesehen.

17.122a

e) Eintragung der Anerbenhöfe in öffentliche Register Bei der Eintragung der Höfe in die unterschiedlichen Register ist folgendes Regelungssystem1 zu unterscheiden:

17.123

Bei den „geborenen Höfen“ gilt das Anerbenrecht kraft Gesetzes

17.123a

– mit eingeschränkter Aufhebungsmöglichkeit der Hofeigenschaft: Anerbenrechtsgeltung kraft zwingenden Gesetzes, § 3 BadHofGG. Die badischen Hofgüter sind allesamt einzeln gesetzlich festgelegt worden, so dass dieser Numerus clausus nur ausnahmsweise erweitert werden kann, wenn ein Hofgut in mehrere kleinere Hofgüter zerlegt wird. Der Eintrag als Hofgut erfolgt in Abt. II des Grundbuchs. Nach § 3 BadHofGG bedarf die Auf-hebung der Geschlossenheit eines Hofguts der Genehmigung des Landeswirtschaftsamtes. – mit freier Aufhebungsmöglichkeit der Hofeigenschaft: Anerbenrechtsgeltung kraft dispositiven Gesetzes, § 1 Abs. 4 HöfeO für geborene Höfe. Höfe mit einem Wirtschaftswert von 10.000 Euro und mehr unterliegen ohne weiteres kraft Gesetzes dem Höferecht. Es bedarf keines Antrags und keines Registereintrags. Es handelt sich um geborene Höfe, so dass eine Eintragung ins Grundbuch lediglich deklaratorisch wirkt. Die HöfeO ist jedoch dispositives Recht, so dass der Hofinhaber gegenüber dem Landwirtschaftsgericht erklären kann, dass seine Besitzung kein Hof i.S.d. HöfeO mehr sein solle („negative Hoferklärung“), worauf die Löschung des Hofvermerks im Grundbuch erfolgt. Bei den Antragshöfen gilt das Anerbenrecht erst aufgrund (fakultativer, konstitutiver) Registereintragung – mit eingeschränkter Aufhebungsmöglichkeit: Anerbenrechtsgeltung kraft eingeschränkt „widerruflicher“ Eintragung, § 6 RhPfHöfeO. Nach der RhPfHöfeO kann der Hof zwar fakultativ der HöfeO unterstellt werden, doch kann das Amtsgericht – nach Anhörung des Höfeausschusses – dem Antrag auf Löschung eines Hofs in der Höferolle nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes stattgeben, 1 Nach Kreuzer, Agrarrecht 1977, Beilage I S. 17.

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17.124

§ 17 Rz. 17.125

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

– mit freier Aufhebungsmöglichkeit: Anerbenrechtsgeltung kraft frei widerruflicher Eintragung, § 1 Abs. 2, 4 bis 7 HöfeO, Art. 2 I WürttAnerbenG, §§ 1 Abs. 2, 3 BremHöfeG, §§ 3, 8 HessLandgüterO. Nach der HöfeO wird eine Besitzung von weniger als 10.000 Euro, mindestens jedoch 5.000 Euro Wirtschaftswert Hof, wenn der Eigentümer gegenüber dem Landwirtschaftsgericht eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgibt, dass sie Hof sein soll und der Hoferbenvermerk im Grundbuch eingetragen wird.

17.125 Ausschluss der Anerbenrechtsgeltung durch letztwillige Verfügung? Unterliegt ein Hof dem Anerbenrecht kraft Gesetzes oder kraft Eintragung, kann dennoch die Geltung des Anerbenrechts durch letztwillige Verfügung nach allen landesrechtlichen Anerbengesetzen, jedoch nicht nach der bundesrechtlichen HöfeO, ausgeschlossen werden, § 16 Abs. 1 HöfeO, § 6 BadHofGG, Art. 6 Abs. 1 WürttAnerbenG, § 14 RhPfHöfeO.

17.125a Nach § 16 Abs. 1 HöfeO ist eine Verfügung von Todes wegen, welche die Erbfolge nach § 4 HöfeO ausschließt, nichtig. Will der Hofeigentümer diese „Erbfolge kraft Höferechts“ ausschließen1, muss er einen anderen Weg wählen. Die Hofeigenschaft geht durch „negative“ Hoferklärung und Löschung des Hofvermerks im Grundbuch verloren (§ 1 Abs. 4–7 HöfeO). Der damit bewirkte Verlust der Hofeigenschaft führt zum Ausschluss der Sondererbfolge, auch wenn zuvor der Eigentümer den Hoferben bindend bestimmt hatte2. f) Bestimmung des Hoferben durch Verfügung von Todes wegen

17.126 § 7 Abs. 1 HöfeO (Der Eigentümer kann den Hoferben durch Verfügung von Todes wegen frei bestimmen)/§ 7 Abs. 1 BadHofGG, Art 8 Abs. 1 WürttAnerbenG (Trifft der Erblasser keine andere Bestimmung, so sind in folgender Rangordnung als Anerben berufen …)/§ 8 BremHöfeG (Das Recht des Eigentümers, über den Hof von Todes wegen zu verfügen, wird durch dieses Gesetz nicht berührt)/§ 25 Abs. 1 HessLandgüterO (Der Guteigentümer ist befugt, in einem Testament oder in einer notariell oder vom Ortsgericht beglaubigten Urkunde die Zuweisungsregeln nach §§ 11 bis 23 der HessLandgüterO auszuschließen und unter den Miterben die Person zu bestimmen, die zur Übernahme des Landguts berechtigt sein soll)/§ 15 Abs. 1 RhPfHöfeO (Der Eigentümer kann den Hoferben durch Verfügung von Todes wegen frei bestimmen).

17.127 Nach allen Anerbenrechten ist es zulässig, dass der Eigentümer den Hoferben aufgrund letztwilliger Verfügung frei bestimmt. Einschränkungen kennen nur § 7 Abs. 2 HöfeO, welcher grundsätzlich die Wirtschaftsfähigkeit des Hoferben fordert, und § 15 Abs. 4 RhPfHöfeO, wonach der Hoferbe zur ordnungsmäßigen Bewirtschaftung des Hofs geeignet sein „soll“. Wirtschaftsfähig ist nach § 6 Abs. 7 HöfeO derjenige, der nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, nach seinen Kenntnissen und nach seiner Persönlichkeit in der Lage ist, den Hof selbständig zu bewirtschaften. Das baden-württembergische Anerbenrecht kennt die Wirtschaftsfähigkeit als Voraussetzung sowohl für den gesetzlichen als für den testamentarischen Hoferben nicht. Nach § 8 BadHofGG ist vom Anerbenrecht ausgeschlossen, wer in allen Angelegenheiten unter Betreuung steht oder wem ein solcher Betreuer aufgrund eines binnen sechs Wochen nach dem Erbfall gestellten Antrags bestellt wird. g) Bestimmung des Hoferben kraft Anerbengesetzes aa) Anerbenordnungen

17.128 § 5 HöfeO: Wenn der Erblasser keine andere Bestimmung trifft, sind als Hoferben kraft Gesetzes in folgender Ordnung berufen: (1) die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, (2) der Ehegatte 1 Die Erbfolge kraft Höferechts sieht vor, dass der Hof auf nur einen Hoferben (§ 4 HöfeO) als Betriebsund Wirtschaftseinheit (§ 1 HöfeO) mit Bestandteilen (§ 2 HöfeO) und Zubehör (§ 3 HöfeO) vererbt wird und sich die Abfindung der weichenden Erben nach §§ 12–14 HöfeO bestimmt. 2 BGH v. 14.5.1987 – BLw 2/87, MDR 1987, 932 = FamRZ 1987, 937 = NJW 1988, 710.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.130 § 17

des Erblassers, (3) die Eltern des Erblassers, wenn der Hof von ihnen oder aus ihren Familien stammt oder mit ihren Mitteln erworben worden ist, (4) die Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge/§ 7 BadHofGG, Art. 8 Abs. 1 WürttAnerbenG (Trifft der Erblasser keine andere Bestimmung, so sind in folgender Rangordnung als Anerben berufen: 1. die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, 2. der Ehegatte des Erblassers, 3. die Eltern des Erblassers, wenn der Hof von ihnen oder aus ihren Familien stammt, 4. die Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge. Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge sind nur dann als Anerben berufen, wenn sie nach den Vorschriften des allgemeinen Rechts gesetzliche Erben sind)/§ 9 Abs. 2 BremHöfeG (Das Anerbenrecht gilt nur für die Abkömmlinge des Erblassers, es besteht auch dem überlebenden Ehegatten des Erblassers gegenüber – Ausnahme ist das Anerbenrecht des überlebenden Ehegatten an einem von ihm in die Gütergemeinschaft eingebrachten Hof nach § 20 Abs. 1 BremHöfeG)/§ 11 HessLandgüterO (Wird der Eigentümer eines Landguts von mehreren Nachkommen beerbt, so ist in Ermangelung einer entgegenstehenden letztwilligen Verfügung einer von diesen berechtigt, bei der Erbteilung das Landgut nach Maßgabe der §§ 12 bis 23 HessLandgüterO zu übernehmen)/§ 16 RhPfHöfeO (Trifft der Erblasser keine andere Bestimmung, sind als Hoferben kraft Gesetzes in folgender Ordnung berufen: 1. die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, 2. der Ehegatte des Erblassers, 3. die Eltern des Erblassers, 4. die Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge). Bis auf die HessLandgüterO, welche die Bestimmung des Gutserben dem Landwirtschaftsgericht über- 17.129 lässt, und dem BremHöfeG, die beide als Anerben grundsätzlich nur die Abkömmlinge des Erblassers zulassen, unterscheiden die Anerbengesetze verschiedene Anerbenordnungen, von denen die vorhergehende die nachfolgenden ausschließt. Gesetzliche Hoferben der ersten Anerbenordnung sind die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, § 5 Nr. 1 HöfeO, und zwar seit dem 1.4.1998 auch die nicht ehelichen Kinder und deren Abkömmlinge, soweit sie nach dem 1.7.1949 geboren sind, weil diese den ehelichen Kindern erbrechtlich jetzt gleichstehen. Während die zweite Anerbenordnung regelmäßig die Ehegatten der Erblasser berücksichtigt, sind in die dritte Ordnung die Eltern des Erblassers eingereiht, wobei die Herkunft des Hofs hier eine besondere Rolle spielt. In die vierte und letzte Anerbenordnung gehören jeweils die Geschwister und Geschwisterkinder. bb) Konkurrenz innerhalb der ersten Anerbenordnung § 6 Abs. 1 HöfeO (In der ersten Hoferbenordnung ist als Hoferbe berufen: 1. in erster Linie der Mit- 17.130 erbe, dem vom Erblasser die Bewirtschaftung des Hofs im Zeitpunkt des Erbfalls auf Dauer übertragen ist, es sei denn, dass sich der Erblasser dabei ihm gegenüber die Bestimmung des Hoferben ausdrücklich vorbehalten hat; 2. in zweiter Linie der Miterbe, hinsichtlich dessen der Erblasser durch die Ausbildung oder durch Art und Umfang der Beschäftigung auf dem Hof hat erkennen lassen, dass er den Hof übernehmen soll; 3. in dritter Linie der älteste der Miterben oder, wenn in der Gegend Jüngstenrecht der Brauch ist, der jüngste von ihnen)/§ 7a Abs. 1 und 2 BadHofGG, Art. 8a Abs. 1 und 2 WürttAnerbenG (In der Anerbenordnung 1 ist der älteste der Erben zum Anerben berufen. Hat der Erblasser durch die Ausbildung oder durch Art und Umfang der Beschäftigung eines Kindes auf dem Hof erkennen lassen, dass dieses Kind den Hof übernehmen soll, so geht es allen anderen Kindern vor. Hat der Erblasser mehrere Kinder in gleicher Weise ausgebildet oder in gleichem Umfang auf dem Hof beschäftigt, ohne erkennen zu lassen, welches von ihnen den Hof übernehmen soll, so gehen diese Kinder allen übrigen Kindern vor; in ihrem Verhältnis zueinander gilt Ältestenrecht)/§ 11 BremHöfeG (Die Reihenfolge, in welcher die Abkömmlinge des Hofeigentümers zu Hoferben berufen sind, richtet sich prinzipiell nach dem Ältestenrecht: Die Abkömmlinge und an ihrer Stelle ihre Abkömmlinge sind in der Reihenfolge des Alters zu Anerben berufen. Ist der an erster Stelle berufene Abkömmling kein Landwirt, so tritt der nächstberufene jüngere Abkömmling, welcher Landwirt ist, an seine Stelle. Ist danach keiner der Abkömmlinge des Hofeigentümers als Anerbe berufen, erlöschen die Wirkungen der Eintragung in die Höferolle. Die Besitzung ist von Amts wegen in der Höferolle zu löschen)/§ 15 HessLandgüterO (Erachtet das Landwirtschaftsgericht mehrere der Erben als zur Übernahme des Guts geeignet, so ist demjenigen der Vorzug zu geben, der nach pflichtgemäßem Ermessen als am besten geeignet erscheint)/§ 17 RhPfHöfeO (Innerhalb der gleichen Ordnung entscheidet Ältestenrecht. Hat der

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§ 17 Rz. 17.131

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Erblasser durch Art und Umfang der Beschäftigung eines Kindes auf dem Hof erkennen lassen, dass dieses Kind den Hof übernehmen soll, so geht es allen anderen Kindern vor. Hat der Erblasser mehrere Kinder in gleichem Umfang auf dem Hof beschäftigt, so gehen diese Kinder allen übrigen Kindern vor; unter ihnen gilt Ältestenrecht).

17.131 Kommt es zur Konkurrenz von Anerben der ersten Ordnung, ist in den heutigen Anerbengesetzen der mutmaßliche Erblasserwille für die Bestimmung des Hoferben primär entscheidend und nicht mehr das früher geltende Ältesten- oder Jüngstenrecht, das nur noch subsidiär zur Anerbenbestimmung heranzuziehen ist. So wird nach § 6 Abs. 1 HöfeO ein Abkömmling, dem die Bewirtschaftung des Hofs im Zeitpunkt des Erbfalls auf Dauer übertragen war, Hoferbe, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich einen anders lautenden Vorbehalt erklärt hat. Diese Vertrauenserwartung des Übernahmeprätendenten wird durch § 7 Abs. 2 S. 1 HöfeO abgesichert, indem diese Vorschrift dem Erblasser die Möglichkeit nimmt, eine andere Person letztwillig zum Hoferben zu bestimmen, solange der Abkömmling den Hof bewirtschaftet.

17.131a Eine Ausnahme bildet die HessLandgüterO, die keine Sondernachfolge kennt, sondern nur ein Übernahmerecht, das in einem gerichtlichen Zuweisungsverfahren geltend zu machen ist. In diesem Zuweisungsverfahren bestimmt das Landwirtschaftsgericht den unter den Nachkommen am besten geeigneten zum Gutübernehmer. Zu beachten ist, dass die baden-württembergischen Anerbengesetze bei der Ermittlung des mutmaßlichen Erblasserwillens auf Ausbildung und Beschäftigung auf dem Hof abstellen, während der fast wortgleiche § 17 Abs. 3 RhPfHöfeO nur den Gedanken der Beschäftigung auf dem Hof berücksichtigt.

17.131b Bremen regelt das Anerbenrecht nur für Abkömmlinge, soweit nicht bei einem Ehegattenhof der überlebende Ehegatte den Hof in die Gütergemeinschaft eingebracht hat. In diesem Fall tritt nach § 20 Abs. 1 BremHöfeG der überlebende Ehegatte als Anerbe ein. Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge, so geht die Hofeigenschaft verloren und die Löschung aus der Höferolle erfolgt von Amts wegen. Der Erbgang folgt dann gem. § 11 Abs. 3 BremHöfeG dem allgemeinen Erbrecht. cc) Der Ehegatte als Anerbe im Verhältnis zu den nachfolgenden Anerbenordnungen

17.132 § 6 Abs. 2 HöfeO (In der zweiten Hoferbenordnung scheidet der Ehegatte als Hoferbe aus, 1. wenn Verwandte der dritten und vierten Hoferbenordnung leben und ihr Ausschluss von der Hoferbfolge, insbesondere wegen der von ihnen für den Hof erbrachten Leistungen grob unbillig wäre; oder 2. wenn sein Erbrecht nach § 1933 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgeschlossen ist)/§ 7a Abs. 3 BadHofGG, Art. 8a Abs. 3 WürttAnerbenG (Der Ehegatte des Erblassers erhält, solange Verwandte der Anerbenordnung 3 und 4 leben, den Hof nur als Vorerbe. Die Vorschriften der §§ 2100 bis 2146 BGB finden entsprechende Anwendung. Nach dem Tode des Ehegatten wird derjenige Anerbe, der als Anerbe des Erblassers berufen wäre, wenn dieser erst in diesem Zeitpunkt gestorben wäre)/§ 16 Abs. 2 RhPfHöfeO (Der Ehegatte des Erblassers erhält, solange Verwandte der Hoferbenordnung 3 und 4 leben, den Hof nur vorläufig als Hofvorerbe. Die Vorschriften der §§ 2100 bis 2146 BGB finden entsprechende Anwendung; jedoch ist eine Befreiung von der Beschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB nicht zulässig. Mit dem Tode des Ehegatten oder dessen Wiederverheiratung wird derjenige Hoferbe, der als Hoferbe des Erblassers berufen wäre, wenn dieser erst in diesem Zeitpunkt gestorben wäre).

17.132a In der zweiten Anerbenordnung kommt nur der überlebende Ehegatte als Hoferbe in Betracht, so dass hier keine Rangfolgen abzuklären sind. Doch ist das Verhältnis des überlebenden Ehegatten zu den Mitgliedern der nachfolgenden Anerbenordnungen abzuklären.

17.132b Während die süddeutschen Anerbengesetze dem überlebenden Ehegatten nur eine Vorerbenstellung gewähren, wird dieser nach dem nordwestdeutschen Höfeordnungsrecht unbeschränkter Vollerbe, es sei denn, der Ausschluss von Verwandten der beiden nachfolgenden Hoferbenordnungen wäre wegen deren Leistungen für den Hof grob unbillig oder der Erblasser hat die Scheidung der Ehe begründeterweise beantragt. 782

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Rz. 17.135 § 17

h) Vererbung von Ehegattenhöfen § 8 Abs. 1 HöfeO (Bei einem Ehegattenhof fällt der Anteil des Erblassers dem überlebenden Ehegatten als Hoferben zu)/§ 18 RhPfHöfeO (Der Ehegattenhof fällt beim Tode des einen Ehegatten dem anderen als Hoferben und, wenn der Hof nicht von ihm stammt, als Hofvorerben zu. Nach ihm wird derjenige Hoferbe, der als Hoferbe des Ehegatten, von dem der Hof stammt, berufen wäre, wenn dieser erst in diesem Zeitpunkt gestorben wäre. Sind solche Personen beim Tode des erstverstorbenen Ehegatten nicht vorhanden oder fallen sie später sämtlich weg, so erhält der überlebende Ehegatte die Stellung als endgültiger Hoferbe).

17.133

Ein Ehegattenhof i.S.d. HöfeO setzt gemeinschaftliches Eigentum der Ehegatten am Hof voraus, und 17.133a zwar entweder in der Form des Gesamthandseigentums einer Gütergemeinschaft, BGB-Gesellschaft bzw. Erbengemeinschaft oder in der Form von Miteigentum nach Bruchteilen. Ein Ehegattenerbhof unterliegt nicht der Anerbfolge, sondern der Erbfolge nach § 8 HöfeO, wonach der überlebende Ehegatte Alleineigentümer des Gesamthofs wird, und zwar auch dann, wenn gemeinschaftliche Kinder als Angehörige der ersten Hoferbenordnung vorhanden sind. Der Erwerb des Alleineigentums am Ehegattenhof durch den überlebenden Ehegatten gilt – im Unterschied zum süddeutschen Anerbenrecht – ohne Rücksicht darauf, von welchem Ehegatten der Hof stammt. Die Erbfolge beim Tode des erstversterbenden Ehegatten ist im Verhältnis der Ehegatten zueinander zwingend geregelt, so dass sich die Ehegatten durch letztwillige Verfügung nur zu Vollerben einsetzen können. Die Ehegatten können einen Dritten gem. § 8 Abs. 2 HöfeO nur gemeinschaftlich als Hoferben bestimmen und eine solche Bestimmung auch nur gemeinschaftlich wieder aufheben. Haben die Ehegatten keinen Hoferben gemeinschaftlich bestimmt, kann der überlebende Ehegatte den Hoferben alleine bestimmen. Für einen Ehegattenhof gilt ausschließlich § 8 HöfeO, und zwar auch dann, wenn ein Hof erst nachträglich Ehegattenhof geworden ist und zuvor die Voraussetzungen einer formlosen Hoferbenbestimmung nach §§ 6, 7 HöfeO vorlagen1. Den baden-württembergischen Anerbengesetzen ist der Begriff des Ehegattenhofs nicht bekannt. 17.134 Sie kennen nur Regelungen bezüglich der allgemeinen und der fortgesetzten Gütergemeinschaft. Bei der allgemeinen Gütergemeinschaft kann der überlebende Ehegatte verlangen, dass ihm bei der Auseinandersetzung das Anerbengut nebst Zubehör gegen Ersatz des Ertragswerts überlassen wird. Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass der verstorbene Ehegatte das Hofgut nicht in die Gütergemeinschaft eingebracht oder während der Gütergemeinschaft im Erbgang oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht erworben hat. Hatte hingegen der verstorbene Erblasser das Hofgut in die Gütergemeinschaft eingebracht oder während der Ehe durch vorweggenommene oder eigentliche Erbfolge erworben, steht dem überlebenden Ehegatten kein Übernahmerecht zu. Jetzt fällt das Hofgut nebst Zubehör insgesamt in den Nachlass und ist gegen Ersatz des Ertragswerts dem Anteil des Verstorbenen an der Gütergemeinschaft zuzuschreiben, wenn derselbe einen Abkömmling hinterlassen hat, welcher das Hofgut als Alleinerbe erhält oder als Anerbe übernimmt (so § 19 BadHofGG und Art. 17 WürttAnerbenG)2. Wird eine fortgesetzte Gütergemeinschaft, zu der ein Hofgut gehört, zu Lebzeiten des überlebenden Ehegatten beendigt, gilt das Gesagte entsprechend. Allerdings steht dem überlebenden Ehegatten kein Übernahmerecht zu, wenn die fortgesetzte Gütergemeinschaft durch Aufhebungsurteil nach §§ 1495, 1496 BGB beendigt wird. Bei einer Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch den Tod des überlebenden Ehegatten sind die anteilsberechtigten Abkömmlinge zur Hofgutübernahme nach Anerbenrecht berechtigt (§§ 20, 21 BadHofGG). § 18 der RhPfHöfeO bestimmt den überlebenden Ehegatten für den Fall zum Hoferben, dass der Hof von ihm stammt. Stammt der Ehegattenhof hingegen vom Erblasser, fällt dem überlebenden Ehegatten der Hof nur als Vorerbe zu, sofern Verwandte des Erblassers der dritten und vierten Hoferbenordnung zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers leben. 1 Vgl. Lange/Kuchinke, § 53 IV 1 m.w.N. 2 Das WürttAnerbenG gewährt in diesem Falle dem überlebenden Ehegatten Rechte auf Nießbrauch und Altenteil gem. Art. 13 WürttAnerbenG.

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17.135

§ 17 Rz. 17.136

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

i) Rechtswirkungen des Hoferbfalls

17.136 § 4 HöfeO (Der Hof fällt als Teil der Erbschaft kraft Gesetzes nur einem der Erben [dem Hoferben] zu)/§ 10 Abs. 1 BadHofGG (Der Anerbe ist berechtigt, das Hofgut nebst Zubehör zu dem Ertragswert zu übernehmen)/Art. 3 und 9 WürttAnerbenG (Hinterlässt der Eigentümer eines Anerbenguts mehrere Erben, so fällt das Anerbengut nebst Zubehör als Teil der Erbschaft einem der Erben [dem Anerben] zu)/§ 9 BremHöfeG (Gehört ein Hof zu einem Nachlass, und wird der Erblasser von mehreren Personen beerbt, so fällte der Hof nebst Zubehör als Teil der Erbschaft nur einem Erben [dem Anerben] zu)/§ 11 Abs. 1 HessLandgüterO (Wird der Eigentümer eines Landguts von mehreren Nachkommen beerbt, so ist in Ermangelung einer entgegenstehenden letztwilligen Verfügung einer von diesen berechtigt, bei der Erbteilung das Landgut nebst Zubehör nach Maßgabe der §§ 12 bis 23 zu übernehmen)/§ 14 RhPfHöfeO (Der Hof fällt, sofern der Eigentümer durch Verfügung von Todes wegen nichts anderes bestimmt hat, als Teil der Erbschaft kraft Gesetzes nur einem Erben zu).

17.136a Die Anerbengesetze sehen abweichend von der in § 1922 BGB angeordneten Gesamtrechtsnachfolge grundsätzlich eine Sondernachfolge in den Anerbenhof vor. Der Hof geht mit dem Erbfall kraft Gesetzes auf einen einzigen Erben, den Hoferben, über. Der Rechtsübergang kraft Sondererbfolge erstreckt sich gem. §§ 2, 3 HöfeO auf das gesamte Zubehör, auf die Grundstücke, die vom Hof aus bewirtschaftet werden, und auf die dem Hof dienenden Rechte.

17.136b Nur das BadHofGG und die HessLandgüterO haben sich diesem System der „dinglichen Hoferbfolge“ nicht angeschlossen. § 10 Abs. 1 BadHofGG gibt dem Anerben lediglich einen Anspruch gegen die restlichen Mitglieder der Erbengemeinschaft, das Hofgut geschlossen zum Ertragswert1 zu übernehmen. Die gleiche Berechtigung spricht § 11 HessLandgüterO dem vom Landwirtschaftsgericht bestimmten Gutübernehmer zu.

17.136c M 145 Klageantrag zur Übernahme eines geschlossenen badischen Hofguts gegen

Ertragswertabfindung 1. Die Beklagten werden verurteilt, der Auflassung des geschlossenen Hofgutes „Vogtsbauernhof“, Flst. Nr. 849/1 und Flst. Nr. 849 im Grundbuch von Schenkenzell, an die Klägerin zuzustimmen und deren Eintragung im Grundbuch als Alleineigentümerin zu bewilligen Zug um Zug gegen Zahlung von 68.000 Euro an die Klägerin und die Beklagten zu 1) und zu 2) in ihrer gesamthänderischen Gebundenheit als Erbengemeinschaft nach Elisabeth Edinger geborene Bauer, fällig in fünf gleichen zu 4 % verzinslichen Jahresraten. 2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

j) Abfindung der weichenden Erben zu Erbquoten nach dem Hofwert

17.137 Statt einer dinglichen Berechtigung am Hof erhalten die weichenden Erben einen Abfindungsanspruch gegen den Hoferben. Abfindungsansprüche sind übertragbar, vererblich, pfänd- und verpfändbar2. Der Abfindungsanspruch entspricht den gesetzlichen Erbteilen bezogen auf den Hofswert. Zu beachten ist, dass der Hoferbe – sofern er zu den Miterben des Erblassers gehört – bei der Berechnung der Erbquote zu berücksichtigen ist (vgl. z.B. § 12 Abs. 3 HöfeO). Der Hofswert ist Bemessungsgrundlage des Abfindungsanspruchs und wird in den verschiedenen Anerbengesetzen unterschiedlich ermittelt.

1 Wobei der Anerbe nach § 11 Abs. 1 BadHofGG verlangen kann, den Ertragswert in fünf gleichen Jahresraten verzinslich mit 4 % zu entrichten. 2 Lange/Kuchinke, § 53 VI 1.

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Rz. 17.146 § 17

Nach § 12 Abs. 1 und 2 HöfeO bemisst sich der Abfindungsanspruch der weichenden Erben nach dem Hofswert im Zeitpunkt des Erbfalls. Als Hofswert gilt das Eineinhalbfache des zuletzt festgestellten steuerlichen Einheitswerts (Wirtschaftswert + Wohnwert) i.S.d. § 48 BewG. Kommen besondere Umstände des Einzelfalls, die für den Wert des Hofs von erheblicher Bedeutung sind, in dem Hofswert nicht oder ungenügend zum Ausdruck, so können auf Verlangen Zuschläge oder Abschläge nach billigem Ermessen gemacht werden, z.B. bei Bauerwartungsland1.

17.138

§ 10 Abs. 1 BadHofGG bestimmt, dass der Anerbe berechtigt ist, das Hofgut nebst Zubehör zu dem Ertragswert zu übernehmen.

17.139

Art. 4 WürttAnerbenG stellt auf den „Gutwert“ als 20-fachen jährlichen Reinertrag ab. Bei der Fest- 17.140 stellung des Gutwerts wird zunächst der jährliche Reinertrag geschätzt, den das Gut nebst Zubehör nach seiner wirtschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger und gemeinüblicher Bewirtschaftung mit entlohnten fremden Arbeitskräften unter gewöhnlichen Verhältnissen im Durchschnitt nachhaltig gewähren kann. Die der Land- und Forstwirtschaft dienenden Gebäude und Betriebsmittel werden nicht besonders bewertet, sondern bei der Ermittlung des Ertragswerts einbegriffen. Von dem ermittelten jährlichen Ertrag sind alle dauernd auf dem Gute nebst Zubehör ruhenden Lasten mit Ausnahme der Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden abzuziehen. Der ermittelte Jahresertrag wird dann mit 20 multipliziert und so der Gutwert ermittelt. Das WürttAnerbenG weist gegenüber den anderen Anerbengesetzen die Besonderheit auf, dass bei Streitigkeiten über den Gutwert ein Schiedsgericht entscheidet, dem je ein Schiedsrichter des Anerben und der Miterben sowie – falls ein entsprechender Antrag gestellt wird – ein vom Landwirtschaftsministerium ernannter Vorsitzender angehören. § 14 BremHöfeG ermittelt den Hofwert bei der Erbteilteilung als den 25-fachen Jahresertrag (Reinertrag abzüglich Lasten). Grundlage ist auch hier der jährliche Reinertrag, der bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung des Hofs nebst Zubehör unter gewöhnlichen Verhältnissen mit entlohnten fremden Arbeitskräften im Durchschnitt nachhaltig erzielt wird. Von dem so ermittelten jährlichen Ertrag sind alle dauernd auf dem Hofe nebst Zubehör ruhenden Lasten und Abgaben abzuziehen.

17.141

§ 16 HessLandgüterO bestimmt als Gutwert den Ertragswert nach § 2049 BGB. Als Ertragswert gilt das 25-fache des jährlichen Reinertrags.

17.142

§ 21 Abs. 2 RhPfHöfeO legt als Ertragswert ebenfalls den 25-fachen jährlichen Reinertrag zurunde.

17.143

k) Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten bei der Abfindung Bis auf das BadHofGG sehen alle Anerbengesetze den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten vom 17.144 Hofswert vor, soweit sie im Verhältnis der Erben zueinander den Hof betreffen. So werden nach § 12 Abs. 3 HöfeO vom Hofswert die Nachlassverbindlichkeiten abgezogen, die den Hof betreffen und die der Hoferbe deshalb allein zu tragen hat. Abzuziehen sind folglich Altenteile oder lebenslange Nutzungsrechte, nicht jedoch Vermächtnisse oder Pflichtteilsansprüche. Die weichenden Erben erhalten entsprechend ihrer Erbquote einen Anteil von dem verbleibenden Betrag. Der für die Abfindung der weichenden Erben aufzuwendende Betrag muss dabei mindestens 1/3 des Hofwerts, d.h. in den Regel den halben Einheitswert, ausmachen. Bei der Feststellung des Gutwerts durch Vervielfältigung des jährlichen Ertrags sind nach Art. 4 Abs. 2 WürttAnerbenG alle dauernd auf dem Gut nebst Zubehör ruhenden Lasten mit Ausnahme der Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden abzuziehen.

17.145

In gleicher Weise bestimmt § 14 Abs. 3 BremHöfeG bei der Ermittlung des Hofswerts den Abzug aller dauernd auf dem Hofe nebst Zubehör ruhenden Lasten und Abgaben vom Jahresertrag.

17.146

1 Dressel, NJW 1976, 1244 (1246).

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§ 17 Rz. 17.147

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17.147 Nach § 16 Abs. 1 S. 3 HessLandgüterO wird der für die Abfindung der Miterben maßgebliche Wert des Landguts ermittelt, indem vom Ertragswert die Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden, die im Verhältnis der Erben zueinander der Gutsübernehmer allein zu tragen hat (nicht abzusetzen sind die Einsitz- und Unterhaltspflichten des Übernehmers gegenüber minderjährigen oder kranken Miterben gem. § 19 HessLandgüterO).

17.148 § 21 Abs. 2 RhPfHöfeO sieht ebenfalls den Abzug der Nachlassverbindlichkeiten vom Ertragswert vor, um den für die Abfindung maßgeblichen Hofwert zu ermitteln. l) Nachlassverbindlichkeiten im Außenverhältnis

17.149 Eine von der Bemessung der Abfindungsgrundlage unabhängige Frage ist die der Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten. Im Außenverhältnis zu den Nachlassgläubigern bildet das Anerbengut einen Bestandteil des Gesamtnachlasses. Bei den badischen und hessischen Anerbengesetzen, die nur ein Übernahmerecht bezüglich des Hofguts kennen, versteht sich dies von selbst. Aber auch bei den sonstigen Anerbengesetzen, die eine Sondererbfolge in das Anerbengut vorsehen, wird die Nachlassspaltung in Anerbengut und hofsfreien Nachlass nicht aufrechterhalten, sondern entsprechend dem allgemeinen Recht des BGB davon ausgegangen, dass der gesamte Nachlass haftungsrechtlich eine Einheit bildet. Folglich haften alle Miterben, also auch der Anerbe, im Außenverhältnis als Gesamtschuldner gem. § 2058 BGB für die gesamten Nachlassverbindlichkeiten, worauf § 15 Abs. 4 S. 1 BremHöfeG ausdrücklich hinweist. Dabei ist es ohne Belang, ob die Nachlassverbindlichkeiten den Hof oder das hofsfreie Vermögen betreffen.

17.149a Nach §§ 15 Abs. HöfeO, 25 Abs. 1 RhPfHöfeO haftet der Anerbe ausdrücklich selbst dann für die Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldner, wenn er an dem übrigen Nachlass nicht als Miterbe beteiligt ist. Eine etwaige Haftungsbeschränkung im Außenverhältnis richtet sich nach den §§ 1975 ff. BGB. m) Nachlassverbindlichkeiten im Innenverhältnis

17.150 Für das Innenverhältnis zwischen dem Anerben und den Miterben sehen die Anerbengesetze teilweise Sonderregelungen vor, um das Hofgut lebensfähig zu halten. Im Innenverhältnis haftet – in Entsprechung zum GrdstVG – nach § 15 Abs. 2 HöfeO, Art. 5 Abs. 1 S. 1 WürttAnerbenG, § 17 Abs. 1 HessLandgüterO und § 25 Abs. 2 RhPfHöfeO zunächst der hoffreie Nachlass und erst danach der Hof1. Soweit hiernach eine Nachlassverbindlichkeit zunächst aus dem hofsfreien Nachlass zu berichtigen ist, kann der Anerbe von den Miterben im Innenverhältnis also zunächst verlangen, dass diese die Nachlassschulden alleine tragen. Erst wenn der hoffreie Nachlass zur Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten nicht ausreicht, haftet der Anerbe mit dem Hof.

17.151 Einen anderen Weg geht § 15 Abs. 2 BremHöfeG. Hiernach ist vorgesehen, dass die für die Abfindungsberechnung nach § 14 Abs. 3 BremHöfeG vom Hofswert abzusetzenden Schulden vom Anerben selbst dann allein zu übernehmen sind, wenn die Schulden den Hofswert übersteigen. Dem Anerben kann hier allenfalls ein Viertel des Hofwerts als Voraus verbleiben.

17.152 Eine Ausnahme bildet auch das BadHofGG, nach dem keine verschiedenen Erbmassen gebildet werden und bei dem infolgedessen für die Abwicklung der Nachlassschulden keine Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Erbrecht auftreten.

1 Vgl. Lange/Kuchinke, § 53 VII.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.158 § 17

n) Voraus Der Voraus des Hoferben1 wurde aus der HöfeO gestrichen, weil der Hoferbe durch diese pauschale Abgeltung für seine unterstellte Mitarbeit auf dem Hof einseitig begünstigt wurde. Dafür gewährt die HöfeO wieder die Anwendung des § 2057a BGB auf den Hoferben, die nach § 12 Abs. 3 S. 5 HöfeO a.F. ausgeschlossen war. Auch das hessische und rheinland-pfälzische Anerbenrecht kennen keinen Voraus, so dass hier ebenfalls § 2057a BGB anwendbar ist.

17.153

Einen echten Voraus kennen heute nur noch Art. 9 Abs. 2 WürttAnerbenG und § 15 Abs. 2 S. 2 BremHöfeG, die dem Anerben 1/4 des Hofwerts als Voraus zusprechen.

17.154

Nach § 10 Abs. 3 BadHofGG muss dem Anerben mindestens 1/5 des Ertragswerts des Hofguts lastenfrei zukommen, wozu bei den weichenden Erben gegebenenfalls die Erbteile auf die Hälfte bzw. Pflichtteile auf ein Viertel reduziert werden.

17.155

o) Sonderansprüche der weichenden Erben Mit Ausnahme des BadHofGG kennen alle Anerbengesetze neben dem allgemeinen Abfindungs- 17.156 anspruch noch Sonderansprüche für die weichenden Erben. Minderjährige Miterben können gegen den Anerben Ansprüche auf Einsitz, Unterhalt, Ausbildung oder Aussteuer haben. Zum einen werden Unterhaltsansprüche gewährt. So hat gem. § 12 Abs. 6 S. 2 und 3 HöfeO der Hoferbe einem minderjährigen Miterben die Kosten des angemessenen Lebensbedarfs und einer angemessenen Berufsausbildung zu zahlen oder bei Eingehung einer Ehe eine angemessene Ausstattung zu gewähren. Diese Leistungen sind auf die bis zur Volljährigkeit gestundete allgemeine Abfindung anzurechnen. Art. 12 WürttAnerbenG gibt dem minderjährigen Miterben gegen den Anerben einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Vorbildung zu einem Beruf sowie einer minderjährigen Miterbin auf eine angemessene Aussteuer im Falle ihrer Verheiratung. § 24 Abs. 1 S. 1 RhPfHöfeO gibt unverheirateten Abkömmlingen des Erblassers bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres Anspruch auf Unterhalt und Einsitz auf dem Hofe, soweit dies zumutbar ist. Soweit die Mittel des Hofs dies gestatten, steht den Miterben ferner ein Anspruch auf Berufsausbildung und angemessene Aussteuer zu. Diese Leistungen sind auf den Abfindungsanspruch nach § 21 RhPfHöfeO anzurechnen.

17.157

p) Sonderansprüche des überlebenden Ehegatten § 14 Abs. 1 und 2 HöfeO, ähnlich § 23 RhPfHöfeO: Dem überlebenden Ehegatten des Erblassers 17.158 steht, wenn der Hoferbe ein Abkömmling des Erblassers ist, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Hoferben die Verwaltung und Nutznießung am Hof zu. Dieses Recht kann a) der Eigentümer durch Ehevertrag oder Verfügung von Todes wegen, b) das Gericht auf Antrag eines Beteiligten aus wichtigem Grunde verlängern, beschränken oder aufheben. Steht dem überlebenden Ehegatten die Verwaltung oder Nutznießung nicht zu, so kann er, wenn er Miterbe oder pflichtteilsberechtigt ist und auf die ihm nach § 12 zustehenden [allgemeinen Abfindungsansprüche] sowie auf alle Ansprüche aus der Verwendung eigenen Vermögens für den Hof verzichtet, vom Hoferben auf Lebenszeit den in solchen Fällen üblichen Altenteil verlangen/Art. 13 WürttAnerbenG (Ist der Ehegatte des Erblassers neben Abkömmlingen des Letzteren als Miterbe berufen, so erwirbt er mit der Beendigung der elterlichen Nutznießung oder, falls ihm diese nicht zusteht, sofort den Nießbrauch an dem Anerbengut nebst Zubehör bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs des Anerben und für die spätere Zeit den Anspruch gegen den Anerben auf lebenslänglichen, in derartigen Verhältnissen üblichen Unterhalt auf dem Gute [Altenteilsrecht]).

1 In Höhe von 3/10 am um die Nachlassverbindlichkeiten bereinigten Hofswert.

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§ 17 Rz. 17.159

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17.159 Dem überlebenden Ehegatten stehen mit Ausnahme des badischen Rechts nach allen Anerbengesetzen Sonderansprüche zu. Insbesondere geht es um das Recht der Verwaltung und Nutznießung am Hof oder des Nießbrauchs am Hof bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Hoferben, der Abkömmling des Erblassers ist. Danach hat der überlebende Ehegatte das Altenteilsrecht, das allerdings im Falle der Wiederverheiratung durch eine Kapitalabfindung (§ 14 HöfeO) oder Geldrente (Art. 13 WürttAnerbenG) ersetzt wird. Die RhPfHöfeO hingegen gewährt den Anspruch auf angemessene Versorgung auf dem Hofe auch dem neuen Ehegatten, wenn dieser auf dem Hofe mitgearbeitet hat und die Teilhabe am Altenteil infolgedessen der Billigkeit entspricht. q) Nachabfindungsansprüche der weichenden Erben bei Veräußerung des Anerbenhofs

17.160 Auch wenn man den der Abfindung der weichenden Erben zurunde zu legenden „landwirtschaftlichen Wert“ des Grundstücks als „wirklichen Wert“ eines Hofs ansieht, gilt dies nur so lange, wie der Hof weiter betrieben wird. Bei der Veräußerung des Hofs werden regelmäßig Veräußerungsgewinne realisiert, die über dem „landwirtschaftlichen Wert“ liegen. Um hier eine einseitige Bevorzugung des Hoferben auszugleichen, gewähren alle Anerbengesetze eine Ergänzung der allgemeinen Abfindung durch eine Nachabfindung. Die Nachabfindung wird gewährt, wenn der Hof innerhalb bestimmter Fristen nach dem Erbfall verkauft wird. Diese Nachabfindungsfristen schwanken zwischen zehn Jahren (§ 23 Abs. 1 BadHofGG, § 29 Abs. 1 S. 1 BremHöfeG), 15 Jahren (Art. 14 WürttAnerbenG, § 18 Abs. 1 S. 2 HessLandgüterO, § 26 RhPfHöfeO) und 20 Jahren (§ 13 HöfeO). Dabei sind die Tatbestände, welche die Nachabfindungsansprüche auslösen, in den einzelnen Anerbengesetzen sehr unterschiedlich.

17.161 § 13 HöfeO löst zum einen Nachabfindungsansprüche aus, wenn der Hoferbe innerhalb von 20 Jahren seit dem Erbfall den Hof oder Hofgrundstücke im Werte von 1/10 des Hofwerts veräußert; zum anderen, wenn der Hoferbe außerhalb einer ordnungsmäßigen Bewirtschaftung wesentliche Teile des Hofzubehörs veräußert oder verwertet, und schließlich, wenn er den Hof oder Teile davon in anderer Weise als land- bzw. forstwirtschaftlich nutzt und auf diese Weise erhebliche Gewinne erzielt.

17.162 § 10 BadHofGG sieht eine „Berichtigung der Auseinandersetzung“ dann vor, wenn das Hofgut binnen zehn Jahren nach dem Erbfall zu einem den Ertragswert übersteigenden Preis an einen Nichtabkömmling verkauft wird. Nicht nur die Miterben, sondern auch die beteiligten Pflichtteilsberechtigten können eine Nachzahlung vom Verkäufer verlangen. Diese Regelungen gelten entsprechend bei Tausch oder Zwangsversteigerung des Hofguts. Nach dem Gesetzeswortlaut ist einerseits eine Nachabfindung beim Verkauf von Teilen des Hofguts nicht zu gewähren, andererseits auch dann, wenn mit dem Erlös aus der Veräußerung des gesamten Hofguts ein Ersatzhofgut erworben wird.

17.163 Nach Art. 14 WürttAnerbenG werden Nachabfindungsansprüche bei einer Veräußerung des Anerbenguts oder von Teilgrundstücken ausgelöst, soweit Letztere innerhalb der 15-Jahres-Frist 1/4 des Gutwerts überschreiten. Dies gilt allerdings nicht, wenn binnen eines Jahres nach dem Verkauf Ersatzgrundstücke erworben werden.

17.164 § 29 Abs. 3 S. 1 BremHöfeG gewährt den Nachabfindungsanspruch bereits dann, wenn Hofteile gegen ein Entgelt veräußert werden, das im Ganzen höher als 1/10des Hofwerts ist.

17.165 § 18 Abs. 1 S. 1 HessLandgüterO setzt für die Nachabfindung voraus, dass durch Veräußerung oder auf andere, den Übernahmezwecken fremde Weise erhebliche Gewinne aus dem Gut oder Teilen desselben erzielt werden.

17.166 Nach § 26 RhPfHöfeO ist bei einer Veräußerung oder Löschung des Hofs innerhalb der 15-JahresFrist der Nachabfindungsanspruch gegeben.

17.167 Sind die vorstehend beschriebenen Nachabfindungstatbestände erfüllt, sollen die Miterben nach den Anerbengesetzen grundsätzlich so gestellt werden, als sei überhaupt keine Anerbenfolge eingetreten. Da der Anerbenzweck weggefallen ist, sind die Miterben im Grundsatz so zu stellen, wie sie stünden, 788

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Rz. 17.171 § 17

wenn die normale Erbfolge eingetreten wäre und der Anerbe die ihm gewährten Vergünstigungen nicht erhalten hätte. Konsequent führen § 23 BadHofGG und Art. 14 WürttAnerbenG diese Berichtigungsauseinander- 17.167a setzung durch. Als Ausgleichsgrundlage dient der erzielte Kaufpreis abzüglich des Aufwandes, der seit der Übernahme zur Verbesserung des Hofguts aufgebracht wurde. Selbstverständlich sind die allgemeinen Abfindungen, welche die Nachabfindungsberechtigten bereits als allgemeine Abfindung erhalten haben, auf ihren Anteil am Kaufpreis anzurechnen. Im Übrigen kommen sämtliche Begünstigungen, welche dem Verkäufer wegen seiner Eigenschaft als Anerbe zugekommen sind, in Wegfall. § 13 HöfeO hat sich dieser Berechnungsmethode angeschlossen und sie zusätzlich um eine degressive 17.168 Nachabfindung verfeinert: Erfolgt die Veräußerung später als 15 Jahre nach dem Erbfall, ist nur die Hälfte des Erlöses Abfindungsgrundlage, nach 10 bis 15 Jahren sind es noch 3/4. Zusätzlich zur Berücksichtigung der Eigenleistungen als Abzugsposten wird zusätzlich diese Degression bei der Nachabfindung dem Hoferben als pauschaler Ausgleich dafür gewährt, dass er den Hof längere Zeit besessen hat Die Berechnung nach § 26 RhPfHöfeO stellt für die Auseinandersetzung auf den Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalls und nicht auf den tatsächlich erzielten Verkaufserlös ab. Auf die rechtspolitische Unzulänglichkeit dieser Variante der Nachabfindung wurde schon beim regelungsgleichen § 17 GrdstVG hingewiesen (s. Rz. 17.107).

17.169

r) Hofausschlagung § 11 HöfeO, § 19 S. 1 RhPfHöfeO: Der Hoferbe kann den Anfall des Hofs durch Erklärung gegenüber dem (Nachlass-)Gericht ausschlagen, ohne die Erbschaft in das übrige Vermögen auszuschlagen. Auf diese Ausschlagung finden die Vorschriften des BGB über die Ausschlagung der Erbschaft entsprechende Anwendung/§ 13 BadHofGG, Art 9 Abs. 3 WürttAnerbenG (Der Anerbe kann auf das Anerbenrecht verzichten, ohne die Erbschaft auszuschlagen. In diesem Fall geht das Anerbenrecht auf den nächsten Berechtigten über)/§ 9 Abs. 4 BremHöfeG (Es steht ihm aber frei, ohne die Erbschaft auszuschlagen, auf das Anerbenrecht zu verzichten).

17.170

Während der Erbe nach allgemeinem Recht die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft nicht auf einen Teil der Erbschaft beschränken kann (vgl. § 1950 BGB), kann der Anerbe die Erbschaft bezüglich des Anerbenhofs ausschlagen, ohne dass er dabei die Erbenstellung bezüglich des hoffreien Vermögens verliert. Schlägt der Anerbe aus, fällt der Anerbenhof dem nächstberufenen Anerben an.

17.170a

s) Hoffolgezeugnis § 18 Abs. 2 HöfeO (Diese [Landwirtschafts-]Gerichte sind auch zuständig für die Entscheidung der 17.171 Frage, wer kraft Gesetzes oder kraft Verfügung von Todes wegen Hoferbe eines Hofs geworden ist, und für die Ausstellung eines Erbscheins. In dem Erbschein ist der Hoferbe als solcher aufzuführen. Auf Antrag eines Beteiligten ist in dem Erbschein lediglich die Hoferbfolge zu bescheinigen.)/Art. 10 WürttAnerbenG (Dem Anerben ist vom Nachlassgericht auf Antrag ein Nachfolgezeugnis auszustellen. Auf das Nachfolgezeugnis finden die Bestimmungen des BGB über den Erbschein entsprechende Anwendung. In dem Nachfolgezeugnis sind die Grundstücke anzugeben, die das Anerbengut bilden.)/§ 31 BremHöfeG (Das Nachlassgericht hat dem Anerben auf Antrag einen Erbschein über sein Erbrecht an dem Hof nebst Zubehör zu erteilen. Die Vorschriften der §§ 2353 bis 2370 BGB finden entsprechende Anwendung. Der Erbschein über das Erbrecht in das Hofsvermögen und der Erbschein über das Erbrecht an dem sonstigen Nachlass können auf Antrag in einer Urkunde vereinigt werden.)/§ 30 RhPfHöfeO (Gehört zu einem Nachlass ein Hof, so ist in dem Erbschein der Hoferbe als solcher aufzuführen. Ihm ist auf seinen Antrag ein auf die Hoferbfolge beschränkter Erbschein zu erteilen. Streitigkeiten über die Hoferbfolge kraft Gesetzes entscheidet das Landwirtschaftsgericht nach Anhörung des Höfeausschusses.).

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§ 17 Rz. 17.172

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17.172 Ein Hoffolgezeugnis oder Hoferbschein ist ein auf die Hoferbfolge beschränkter Erbschein für einen Hof im Geltungsbereich einzelner Anerbengesetze. Er wird in den Bundesländern verschieden vom Landwirtschaftsgericht (§§ 14 ff. LwVfG) oder vom Nachlassgericht erteilt. Daneben ist auch ein Erbschein über den gesamten Nachlass oder ein auf das hoffreie Vermögen beschränkter möglich, den gleichfalls das Landwirtschaftsgericht zu erteilen hat. Für den Geltungsbereich des BadHofGG und der HessLandGO ist aufgrund des Anspruchscharakters der dort geltenden Übernahme- bzw. Zuweisungsberechtigung kein Hoffolgeerbschein vorgesehen, da systemwidrig1.

V. Hofübergabe zu Lebzeiten 17.173 In der Rechtspraxis geht die ganz überwiegende Mehrzahl der Höfe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge von einer Generation auf die andere über. Die Hofübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge ist in der gesamtdeutschen Landwirtschaft die übliche „Vererbungsform“. Der notariell zu beurkundende Hofübergabevertrag mit seiner seit jeher immensen praktischen Bedeutung ist der Nährboden, aus dem sich der Vertragstyp der vorweggenommenen Erbfolge für andere gesellschaftliche Bereiche entwickelte. Man darf die Hofübergabe ohne Übertreibung als „Mutter“ des Vertragstyps der vorweggenommenen Erbfolge im außerlandwirtschaftlichen Bereich bezeichnen.

17.174 Trotz der immensen Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge in der Landwirtschaft wird die Hofübergabe auf diesem Wege im BGB nur in den §§ 330 und 593a BGB angesprochen. § 593a BGB regelt, dass der Hofübernehmer bei einer Hofübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge anstelle des Übergebers und bisherigen Pächters in den Pachtvertrag über ein hinzugepachtetes landwirtschaftliches Grundstück eintritt. § 330 BGB hingegen gewährt Dritten, insbesondere Geschwistern des Übernehmers, das Recht, unmittelbar vom Übernehmer Abfindungszahlungen zu fordern, sofern der Übernehmer dem Übergeber die Zahlung solcher Abfindungen an Dritte versprochen hat. 1. Inhalt des Hofübergabevertrags, insbesondere Altenteil

17.175 Beratungssituation: Die Eltern bzw. ein Elternteil wollen ihren Hof dem Nachfolger bereits zu Lebzeiten übergeben. Worauf ist zu achten?

Ein Hofübergabevertrag ist seinem idealtypischen Inhalt nach ein Vertrag, durch den die Eltern bei Lebzeiten ihr landwirtschaftliches Betriebsvermögen, insbesondere ihren Grundbesitz, mit Rücksicht auf die künftige Erbfolge an einen ihrer Abkömmlinge übergeben und dabei für sich einen ausreichenden Lebensunterhalt – je nach Region sog. Leibzucht, Leibgeding, Altenteil, Auszug, Ausgeding – und für die außer dem Übernehmer noch vorhandenen weiteren Abkömmlinge eine Abfindung ausbedingen. Gerade diese Auseinandersetzung zwischen dem Übergebenden und dem Übernehmer und zugunsten der übrigen Abkömmlinge bildet den typischen Inhalt solcher Verträge2. Die Gegenleistung des Übernehmers muss natürlich nicht immer ein Altenteil für die Eltern sein, hier gibt es zahlreiche Gestaltungsvarianten wie z.B. die Zahlung einer Geldsumme alleine oder verbunden mit einem Wohnrecht, bei dem zumeist noch eine Pflegeverpflichtung hinzutritt. Die Abfindung der Geschwister, die kein zwingendes Merkmal des Übergabevertrags darstellt, kann ebenfalls in vielfältiger Form erbracht werden.

17.176 Regelt der Übergabevertrag – wie gewöhnlich – die Altersversorgung des Übergebers und seines Ehegatten durch Leibgeding oder Altenteil, finden über Art. 96 EGBGB folgende Landesrechte über Altenteilsverträge Anwendung:

1 Dass es solche in der Rechtswirklichkeit in gedankenloser Übernahme von Musterformularen aus der Zeit des Reichserbhofgesetzes gibt, ist dem Verf. bekannt. 2 Definition nach RG v. 9.7.1927 – V B 20/27, RGZ 118, 17 (20).

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Rz. 17.180 § 17

– für Baden-Württemberg die §§ 6–17 des BadWürttAGBGB vom 26.11.1974 – für Bayern die Art. 7–23 des BayAGBGB vom 20.9.1982 – für West-Berlin der Art. 15 PreußAGBGB vom 20.9.1899 – für Bremen § 27 AGBGB vom 18.7.1899 – für Hessen die §§ 4–18 HessAGBGB vom 18.12.1984 – für Niedersachsen die §§ 5–17 des NdsAGBGB vom 4.3.1971 – für Nordrhein-Westfalen gelten in den ehemaligen preußischen Landesteilen die Bestimmungen des Art. 15 PreußAGBGB vom 20.9.1899 und im ehemaligen Land Lippe-Detmold das Lippische Gesetz zur Regelung des Leibzuchtrechts vom 12.8.1933 – für Rheinland-Pfalz die §§ 2–18 RhPfAGBGB vom 18.11.1976 – für das Saarland gilt in den ehemals preußischen Gebieten Art. 15 PreußAGBGB vom 20.9.1899, in den ehemals bayerischen Gebieten (Saar-Pfalz-Kreis) Art. 32–48 des BayAGBGB vom 9.6.1899 – für Schleswig-Holstein die §§ 1–12 des SchlHAGBGB vom 27.9.1974 Der Altenteilsvertrag nach Art. 96 EGBGB i.V.m. den entsprechenden landesrechtlichen Vorschrif- 17.177 ten ist ein sozial motivierter Versorgungsvertrag, dessen Wesen darin liegt, dass die Übernehmergeneration in eine die Existenz wenigstens teilweise begründende Wirtschaftseinheit nachrückt, wobei ihre Interessen mit denen der Übergebergeneration, die auf dem von ihr übergebenen Grundstück ihren Ruhesitz erhält, gegeneinander abgewogen werden1. Diese landesrechtlichen Sonderbestimmungen über Altenteilsverträge regeln vor allem Fragen der 17.178 Leistungserbringung und der Leistungsstörung. Unter Abwägung der Interessen des Übergebers und des typischerweise aus der nächsten Generation nachrückenden Übernehmers erschweren sie im Vergleich zum BGB die Rückabwicklung des Vertrags. Hinter dieser erschwerten Rückabwicklung steht die Überlegung, dass die Übernehmergeneration, die ihre Existenz auf die Hofübernahme gründet, Rechtssicherheit braucht2. Verletzt der Übernehmer seine Verpflichtungen aus dem Altenteilsvertrag, so ist der Übergeber nicht berechtigt, wegen Nichterfüllung, Verzugs oder positiver Vertragsverletzung vom Vertrag zurückzutreten. Insbesondere der Ausschluss des Herausgaberechts nach § 527 BGB wegen Nichtvollziehung der Auflage durch die Landesrechte ist von großer Bedeutung, vgl. z.B. § 13 BaWüAGBGB, Art. 17 BayAGBGB, § 16 HessAGBGB, § 13 RhPfAGBGB, § 7 PreußAGBGB, § 9 NdsAGBGB, § 5 SchlHAGBGB. Wegen der nach § 93 SGB XII möglichen Überleitung von Geldzahlungspflichten auf den Sozialhil- 17.179 feträger verdienen die landesrechtlichen Vorschriften besondere Beachtung, nach denen der Übergeber dem Übernehmer eine monatliche Rente zahlen muss, wenn der Übergeber die Wohnung durch besondere Umstände, die er nicht verschuldet hat, dauernd aufgeben muss, z.B. weil er als Pflegefall ins Heim muss. Die Geldrente ist ein Ersatz für die Befreiung von der Pflicht zur Wohnungsüberlassung, Dienstleistungen und ersparte Aufwendungen, vgl. § 14 BaWüAGBGB, Art. 18 BayAGBGB, § 14 HessAGBGB, § 14 RhPfAGBGB, § 16 NdsAGBGB, § 9 Abs. 3 PreußAGBGB, § 10 SchlHAGBGB. Da diese landesrechtlichen Sonderbestimmungen dispositiv sind, finden sie nur Anwendung, sofern 17.180 die Beteiligten nichts Anderes vereinbart haben. Die landesrechtlichen Sonderregeln können also ausgeschlossen werden, vgl. z.B. § 6 BaWüAGBGB, Art. 7 BayAGBGB, § 4 HessAGBGB, § 2 RhPfAGBGB, Art. 15 PreußAGBGB, § 5 NdsAGBGB, § 1 SchlHAGBGB.

1 BGH v. 3.2.1994 – V ZB 31/93, BGHZ 125, 69 = MDR 1994, 478 = FamRZ 1994, 626 = NJW 1994, 1158 = ZEV 1994, 166 (167) = DNotZ 1994, 881. 2 Sudhoff/Stenger, Unternehmensnachfolge, 4. Aufl., S. 412.

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§ 17 Rz. 17.181

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Beratungshinweis: Wegen der möglichen Pfändung bzw. Überleitung nach dem SGB XII ist es empfehlenswert, die landesrechtlichen Vorschriften, die eine Geldrente als Ersatz für das Altenteil vorsehen, insgesamt abzubedingen1.

17.181 Das Altenteil, das nach § 7 BaWüAGBGB, Art. 16 BayAGBGB, § 17 HessAGBGB, § 18 RhPfAGBGB, § 6 NdsAGBGB, § 2 SchlHAGBGB durch Eintragung im Grundbuch dinglich abgesichert werden kann, umfasst typischerweise: a) Wohnrecht für Übergeber

17.182 Die Verpflichtung des Übernehmers zur Wohnungsgewährung ist für das Altenteil charakteristisch und für den Übernehmer von existenzieller Bedeutung. Um dem Übergeber ein durchsetzbares Nutzungsrecht und eine Sicherung für den Fall der Gebäudezerstörung zu geben, wird empfohlen2, ein dinglich gesichertes Wohnungsrecht nach § 1093 BGB mit einer Wohnungsgewährungsreallast nach § 1105 BGB zu kombinieren. Vertraglich zu klären ist auch, wer die Instandhaltungs- und Versorgungskosten (Wasser, Strom, Heizung, Müll) trägt, und ob der Übergeber Dritten, insbesondere einem neuen Lebenspartner, die Ausübung des Wohnrechts überlassen und ob er Hofraum, Keller etc. mitbenutzen darf. b) Versorgungsleistungen des Übernehmers

17.183 welche neben dem Wohnrecht für das Altenteil bestimmend sind. Sie sind durch Reallast dinglich abzusichern3. Typisch sind hier folgende Verpflichtungen des Übernehmers: – „Verköstigung des Übergebers“ durch Teilnahme an den täglichen Mahlzeiten oder Lieferung bestimmter Nahrungsmittel – „Pflege und Wart bei Alter und Krankheit“. In den meisten Fällen wird die Vermögensübertragung mit einer Verpflichtung zur Alters- oder Krankheitspflege kombiniert, wobei hier dem Übernehmer nur Pflegeleistungen bis zur Pflegestufe I auferlegt werden sollten. Zu klären ist, ob das Pflegegeld beim Übergeber verbleibt. Alters- und Krankheitspflege sind entgeltliche Gegenleistungen für die Hofübergabe4. – Versorgung mit Naturalien, Strom, Wasser, Heizung – Rentenverpflichtungen – Tragung der Beerdigungskosten und Grabpflegekosten. Wird in einem Übergabe- und Altenteilsvertrag freie und standesgemäße Beerdigung versprochen, gehört dazu grundsätzlich auch das Setzen eines Grabmals, das den wirtschaftlichen Verhältnissen des Hofs entspricht. – Typisch für den Hofübergabevertrag sind neben dem Altenteil die nachfolgend beschriebenen Regelungen: c) Rückforderungsklauseln

17.184 Durch eine Vormerkung im Grundbuch abgesicherte Rückforderungsklauseln sind sinnvolle Regelungen für typische Störfälle5, die es auch dem landwirtschaftlichen Übergeber erleichtern, sich von seinem Eigentum zu trennen, weil der Hof beispielweise wieder an den Übergeber zurückfällt, wenn der Übernehmer vor dem Übergeber stirbt. Ein zwischen Eltern als Übergebern und Abkömmlingen als 1 2 3 4 5

Langenfeld/Günther, Rz. 548. Langenfeld/Günther, Rz. 554. Langenfeld/Günther, Rz. 555. BGH v. 27.6.1990 – XII ZR 95/89, NJW-RR 1990, 1283 (1284). Vgl. Langenfeld/Günther, Rz. 231 ff., 235 ff.

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Rz. 17.188 § 17

Übernehmern vereinbarter Rückfall des verschenkten Gegenstandes bei Vorversterben des Übernehmers ist gem. § 29 ErbStG zudem bis auf den Nießbrauchswert des Nutzungszeitraums steuerfrei. Rückforderungsklauseln werden außerdem für den Fall vereinbart, dass der Übernehmer den Hof ohne Zustimmung des Übergebers veräußert oder belastet, dass in den Hof wegen Vermögensverfall des Übernehmers vollstreckt wird, oder für den Fall, dass der Hofübernehmer oder dessen Ehefrau die Scheidung beantragen. Da das BayObLG1 die Anwendung des § 530 BGB auf Hofübergabeverträge nur dann bejaht, wenn bei einem Vergleich des Hofwerts mit den als Altenteil vereinbarten Gegenleistungen ein überwiegend unentgeltliches Geschäft vorliegt, ist zu empfehlen, ein Rückforderungsrecht bei grobem Undank des Übernehmers vertraglich zu vereinbaren. d) Gleichstellungs- und Abfindungszahlungen Idealtypisch sind Gleichstellungs- und Abfindungszahlungen an die Geschwister des Erwerbers, auf die sich Übergeber, Übernehmer und weichende Erben bei einem „Erbengespräch“ geeinigt haben. Wurde der Hofübernehmer „zu gut bedacht“, wird ihm im Übergabevertrag ein „Gleichstellungsgeld“ auferlegt, wenn die Übergeber zu einer lebzeitigen Abfindungszahlung nicht in der Lage oder willens sind. Führen die oftmals mühevollen „Erbengespräche“ zur Vereinbarung von Gleichstellungs- oder Abfindungszahlungen, die von den Beteiligten als „fair“ akzeptiert werden, hat sich der Aufwand gelohnt, da in der Folge Streit in der Familie regelmäßig insoweit nicht mehr zu erwarten ist.

17.185

e) Pflichtteilsverzicht Ein Pflichtteilsverzicht weichender Erben, der durch eine Abfindungszahlung erkauft zu werden pflegt, 17.186 ist nach der neueren BGH-Rechtsprechung2 noch dringender anzuraten als früher. Wie der BGH klargestellt hat, läuft die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht an, wenn der „Genuss“ am verschenkten Gegenstand vom Übergeber nicht aufgegeben wurde. Keinen „Genussverzicht“ übt der Übergeber aus, wenn er den Gegenstand trotz Eigentumswechsels im Wesentlichen weiterhin nutzen kann, wie dies beim uneingeschränkten Nießbrauchsvorbehalt der Fall ist. Ein umfassender Nießbrauch am Übergabehof ist dem Hofübergabevertrag zwar wesensfremd, bezüglich einzelner Grundstücke aber vorstellbar. Die im Rahmen der Hofübergabe mehr interessierende Frage, ob eine Grundstückszuwendung unter dem Vorbehalt eines Wohnungsrechts nach dieser Rechtsprechung eine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB darstellt und somit die Zehnjahresfrist in Gang setzt, wird uneinheitlich beantwortet3. f) Nachabfindungsklausel Eine Nachabfindungsklausel bzw. „Spekulationsklausel“ für den Fall, dass der Übernehmer erhebli- 17.187 che Gewinne erzielt, indem er Hofgrundstücke binnen einer auf 10, 15 oder 20 Jahre festzusetzenden Frist einer nicht landwirtschaftlichen Nutzung zuführt oder zu landwirtschaftsfremden Zwecken, bspw. als Bauland, veräußert, ist unbedingt zu empfehlen. g) § 1365 BGB Regelmäßig übergeben die Eltern einen Ehegattenhof gemeinsam. Gehört der Hof aber nur einem Ehe- 17.188 gatten und bedarf der Vertrag als Geschäft über das Gesamtvermögen der Genehmigung des anderen Ehegatten (§ 1365 BGB), führt deren Verweigerung zur endgültigen Unwirksamkeit des Vertrags.

1 BayObLG v. 12.2.1996 – 1Z RR 15/94 – (87/96), Agrarrecht 1996, 402. 2 BGH v. 24.4.1994 – IV ZR 132/93, ZEV 1994, 233. 3 Eine Leistung i.S.v. § 2352 Abs. 3 wird bejaht von Meyer, ZEV 1994, 204, verneint von Kerscher, Pflichtteilsrecht, S. 162 f.; vgl. auch OLG Bremen v. 25.2.2005 – 4 U 61/04, FamRZ 2005, 1781 = NJW 2005, 1726.

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§ 17 Rz. 17.189

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h) Genehmigung nach GrdstVG

17.189 Der Übergabevertrag bedarf gem. § 2 Abs. 1 S. 1 GrdstVG der Genehmigung, die bei der nach Landesrecht zuständigen Genehmigungsbehörde (z.B. Landwirtschaftsamt) zu beantragen ist. Der Antrag kann von den Vertragsparteien oder dem Übernehmer gestellt werden. Der Notar, der den Übergabevertrag beurkundet hat, gilt nach § 3 Abs. 2 GrdstVG als ermächtigt, die Genehmigung zu beantragen. Die Genehmigung ist nach § 8 Nr. 2 GrdstVG zwingend zu erteilen, wenn ein landwirtschaftlicher oder forstwirtschaftlicher Betrieb geschlossen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen wird und der Erwerber entweder der Ehegatte des Eigentümers ist oder der mit dem Eigentümer in gerader Linie oder bis zum dritten Grad in der Seitenlinie verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist. Das Genehmigungsprivileg nach § 8 Nr. 2 GrdstVG geht verloren, wenn der Übergeber einzelne Grundstücke für sich zurückbehält, weil der Hof dann nicht „geschlossen“ übertragen wird. In diesem Fall muss überprüft werden, ob einer der Versagungsgründe nach § 9 GrdstVG vorliegt, also insbesondere, ob der Zurückbehalt eine „ungesunde Verteilung des Grund und Bodens bedeutet“.

17.189a M 146 Hofübergabevertrag Verhandelt am … in … vor dem Notar … Es sind erschienen, persönlich bekannt: 1. Eheleute A – Übergeber – 2. deren Sohn, Herr A. jun. – Übernehmer – und erklären zur öffentlichen Urkunde Hofübergabe1 § 1 Vertragsobjekt (1) Die Eheleute A sind zu je einhalb Miteigentum im Grundbuch von … Blatt … als Eigentümer des folgenden Vertragsobjekts eingetragen: (Beschrieb der übergebenen Grundstücke nach dem Grundbuch). (2) Das Vertragsobjekt ist nach dem Grundbuch lastenfrei. § 2 Übergabe Die Übergeber übergeben dem dies annehmenden Übernehmer das bezeichnete Vertragsobjekt im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. § 3 Auflassung Einig über den bezeichneten Eigentumsübergang bewilligen und beantragen die Beteiligten den Vollzug im Grundbuch. § 4 Betriebsübergabe (1) Mitübergeben ist der gesamte landwirtschaftliche Betrieb mit allen Aktiven und Passiven, dem toten und lebenden Inventar, den Vorräten und Geräten, soweit diese im Eigentum der Übergeber stehen, den betrieblichen Beteiligungen, Geschäftsanteilen und Geschäftsguthaben. Trotz Belehrung wird auf eine Einzelaufstellung in dieser Urkunde verzichtet. (2) Mitübergeben sind auch alle nicht in dieser Urkunde aufgeführten, zum Hof gehörenden weiteren Grundstücke und Miteigentumsanteile, soweit sie nicht ausdrücklich vorbehalten sind. Der Erwerber ist von dem Übereigner unter Befreiung von § 181 BGB bevollmächtigt, alle Erklärungen abzugeben, die zur Eigentumsumschreibung solcher Grundstücke oder Miteigentumsanteile noch erforderlich sein sollten. Die Vollmacht erlischt nicht mit dem Tod des Übereigners. Sie gilt nach dem Tod des Erwerbers für seinen Hofnachfolger. 1 Nach Langenfeld/Günther, S. 225 ff., Rz. 536 ff.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 17.189a § 17

(3) Der Erwerber tritt ab dem Übergabetag in alle betrieblichen Rechte und Pflichten ein, vorbehaltlich der etwa erforderlichen Zustimmung Dritter. Er ist verpflichtet, die Buchwerte weiterzuführen. (4) Klarstellend wird vermerkt, dass der Hausrat, die Kleidung und alle die Gegenstände nicht mit übergehen, die zum persönlichen Gebrauch der Übergeber bestimmt sind. § 5 Grundstücksvorbehalt (1) Die Übergeber behalten sich das Eigentum an dem Grundstück (Beschrieb) vor. Der Notar hat auf mögliche Nachteile steuerlicher oder sozialrechtlicher Art hingewiesen, die mit diesem Vorbehalt verbunden sein können. (2) Sollte dieses Grundstück beim Tod des Letztversterbenden der Übergeber noch in dessen Eigentum stehen, so kann es der Übernehmer unentgeltlich übernehmen. Zur Abgabe der hierzu erforderlichen Erklärungen, insbesondere zur Auflassung, erhält der Übernehmer hiermit auf den Tod des Letztversterbenden der Übergeber unwiderruflich Vollmacht unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB. § 6 Besitzübergang, Gewährleistung (1) Der Besitzübergang mit Nutzen, Lasten und Gefahr erfolgt vorbehaltlich etwaiger im Folgenden vereinbarter Rechte der Übergeber sofort. (2) Jegliche Gewährleistung für Sach- und Rechtsmängel aller Art ist ausgeschlossen. § 7 Kosten, Steuern Die Kosten dieses Vertrags und seines Vollzugs und etwaige Schenkungsteuer trägt der Erwerber. § 8 Genehmigung Der Vertrag bedarf der Genehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz. Der Notar wird mit der Einholung der Genehmigung beauftragt. Sie gilt mit Eingang beim Notar allen Beteiligten als zugegangen. § 9 Altenteil (1) Der Übernehmer gewährt den Übergebern als Gesamtberechtigten gem. § 428 BGB, dem Überlebenden ungeschmälert, die folgenden Versorgungsleistungen, die im Grundbuch als Altenteil einzutragen sind, was hiermit bewilligt und beantragt wird: a) Wohnungsrecht zur ausschließlichen Benutzung der Einliegerwohnung des Hauses auf Flst. Nr. (Beschrieb) und zur Mitbenutzung des Kellers und des Hausgartens. Die Kosten der Heizung und Beleuchtung, für Wasser und Gas dieser Räume hat der Berechtigte zu tragen. Der Berechtigte darf weitere Personen, auch den Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, in die Wohnung aufnehmen. Er darf die Ausübung des Rechts Dritten nicht überlassen. b) Beim Ausfall des Wohnungsrechts aufschiebend bedingt durch das Erlöschen des Wohnungsrechts eine Reallast auf Wohnungsgewährung im Umfang des Wohnungsrechts. c) Reallast auf Pflege und Verpflegung in gesunden und kranken Tagen, auch bei dauernder Pflegebedürftigkeit, aber nur in den Räumen des beim Wohnungs-recht bezeichneten Hauses und soweit die häusliche Pflege nach Entscheidung des Hausarztes der Übergeber dem Übernehmer zugemutet werden kann, einschließlich Reinigung der Wohnräume, Waschen und Ausbessern von Kleidern und Wäsche. Dabei sind die hierfür erforderlichen persönlichen Dienstleistungen des Übernehmers und seiner Familienmitglieder kostenlos. Für die Kosten der Nahrungs- und Verbrauchsmittel, der Gegenstände des persönlichen Gebrauchs und die Arzt- und Arzneikosten hat jedoch der Übergeber zunächst seine eigenen Einkünfte zu verwenden. Der Übernehmer hat für sie nur aufzukommen, soweit die eigenen Einkünfte des Übergebers nicht ausreichen und nicht ein sonstiger Kostenträger für sie aufkommt. d) Beerdigungskosten, Grabstein und Grabpflege im ortsüblichen Umfang als weiteren Inhalt der Reallast auf Pflege und Verpflegung.

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§ 17 Rz. 17.189b

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(2) Im Übrigen gelten die Bestimmungen der §§ 7 bis 17 des Baden-Württembergischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, auf deren Inhalt der Notar hingewiesen hat, und zwar unabhängig davon, ob ein Vertrag gemäß Artikel 96 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vorliegt. § 10 Ausgleichszahlungen (1) Der Übernehmer hat an weichende Erben die folgenden Ausgleichszahlungen zu leisten: (Bezeichnung der Berechtigten und Beträge). (2) Auf Sicherungshypotheken und sonstige Sicherheiten wird verzichtet. § 11 Spekulationsklausel Veräußert der Erwerber oder sein Rechtsnachfolger den heute übergebenen Grundbesitz innerhalb von 15 Jahren ab heute ganz oder in Teilen, so hat er die Hälfte des Erlöses abzüglich der aus dem Erlös etwa zu entrichtenden Steuer an den Veräußerer, nach dessen Tod an seine Geschwister oder deren Abkömmlinge, nach Maßgabe der gesetzlichen Erbfolge herauszugeben. Die Herausgabepflicht besteht nicht, wenn der Erwerber den Veräußerungsgewinn wieder in den Betrieb investiert, wenn er den Betrieb wegen Berufsunfähigkeit aufgibt oder wenn er an Verwandte und Verschwägerte in gerader Linie veräußert. Als Veräußerung gilt auch die Veräußerung im Wege der Zwangsvollstreckung, Enteignung oder Umlegung. Dingliche Sicherung wird nicht gewünscht. § 12 Unterhaltsfreistellung Der Übernehmer ist verpflichtet, seine Geschwister (Namen) und deren Abkömmlinge von der gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber den Übergebern freizustellen. (Schlussvermerke)

17.189b Beratungshinweis: Bei Klagen, die Ansprüche aus einem mit der Überlassung eines Grundstücks in Verbindung stehenden Leibgedings-, Leibzuchts-, Altenteils- oder Auszugsvertrag zum Gegenstand haben, ist ohne Rücksicht auf den Streitwert das Amtsgericht zuständig, § 23 Nr. 2 lit. g GVG.

2. Rechtsnatur des Hofübergabevertrags und Pflichtteil

17.190 Beratungssituation: Nach dem Tode des Hofübergebers wollen dessen Kinder, für die es als Miterben nicht mehr viel zu erben gab, Ansprüche gegen das hofübernehmende Geschwisterkind (ebenfalls Miterbe) geltend machen

17.190a Als Schenkung kommt ein solcher Vertrag zustande, wenn die Parteien sich über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig sind (§ 516 BGB). Wegen der Gegenleistungen, die der Hofübernehmer zu erbringen hat, ist der Übergabevertrag jedenfalls keine reine Schenkung. Wegen der als Gegenleistung für die Übergabe vereinbarten Versorgungsleistungen, kann beim Hofübergabevertrag entweder eine Schenkung unter Auflage i.S.v. § 525 BGB oder eine gemischte Schenkung vorliegen. Die gemischte Schenkung setzt sich aus zwei entgeltlichen Teilen und einem unentgeltlichen Teil zusammen. Die Parteien wissen dabei, dass der Wert der einen Parteileistung über dem Wert der anderen Parteileistung liegt, und wollen, dass der überschießende Wertteil unentgeltlich gegeben wird1. Anders bei der Schenkung unter Auflage, bei der die Zuwendung insgesamt eine echte Schenkung bleibt. Hier wird der Zuwendung eine Bestimmung beigefügt, wonach der Empfänger zu einer Leistung verpflichtet ist, die er aus dem Zuwendungsgegenstand erbringen soll. Bei der gemischten Schenkung ist also nur der überschießende Wertteil, bei der Schenkung unter Auflage der ganze Gegenstand geschenkt.

17.190b Die Einordnung des Übergabevertrags als gemischte Schenkung oder Schenkung unter Auflage hat im Pflichtteilsrecht weit reichende Bedeutung. Will man einen Übergabevertrag mit nicht gleichwer1 BGH v. 6.3.1996 – IV ZR 374/94, NJW-RR 1996, 754.

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Rz. 17.190e § 17

tigen Versorgungsleistungen grundsätzlich entweder als entgeltliches Rechtsgeschäft oder aber als gemischte Schenkung ansehen, können sich für einen Pflichtteilsberechtigten erhebliche praktische Probleme bei der Durchsetzung seines Wertermittlungsanspruchs nach §§ 2314, 2325 BGB ergeben. Damit der Wertermittlungsanspruch hinsichtlich fiktiver Nachlassgegenstände besteht, muss eine (gemischte) Schenkung vorliegen; denn nur dann gehört der Schenkungsgegenstand zum fiktiven Nachlass. Dies stellt den darlegungs- und beweisbelasteten Pflichtteilsgläubiger vor erhebliche Probleme1. Läge hingegen eine Schenkung unter Auflage vor, gäbe es hinsichtlich des Wertermittlungsanspruchs keinerlei Probleme. Schon deshalb bedarf es sorgfältigster Prüfung, ob eine gemischte Schenkung oder eine Schenkung unter Auflage vorliegt. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Auflagenschenkung und (teil-)entgeltlichem Vertrag ist 17.190c der Parteiwille2. Eine Auflagenschenkung liegt dann vor, wenn nach dem Vertragswillen der Parteien die Leistung des Beschenkten nicht „für die Zuwendung“, sondern „aus der Zuwendung“ erfolgen soll, nämlich auf der Grundlage und aus dem Wert der Zuwendung3. Ein (teil-)entgeltlicher Vertrag liegt hingegen vor, wenn nach dem Parteiwillen die „Auflage“ vom Zuwendungsempfänger übernommen wird, „um im wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis Leistung gegen Gegenleistung wirtschaftlich auszutauschen“4. Nach dem Parteiwillen müsste sich also der Übergeber mit der Hofhingabe eine wirtschaftliche (Gegen-)Leistung erkaufen wollen, damit Teilentgeltlichkeit und ggf. eine gemischte Schenkung bejaht werden könnte. Die Annahme eines solchen Parteiwillens wird jedoch der Interessenlage bei der Hofübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge im Allgemeinen nicht gerecht. Der Übergeber erstrebt zwar durchaus einen Vorteil (z.B. Leibgeding), will aber darüber hinaus auch seine Nachfolge im Wege vorweggenommener Erbfolge regeln. Die Übergabe der wirtschaftlichen Lebensgrundlage mit dem Einrücken des Übernehmers in die wirtschaftliche Stellung des Übergebers stellt das zentrale Motiv des Hofübergabevertrags dar, die Absicherung des Übergebers ist aus Sicht der Parteien regelmäßig ein selbstverständlicher und wichtiger, naturgemäß zeitlich begrenzter Annex. Die Parteien dürften sich in der Regel auch darüber einig sein, dass der Übernehmer die Altenteilspflichten nicht aus eigener Wirtschaftskraft erbringt (und regelmäßig auch nicht erbringen kann), sondern auf der Grundlage seiner neuen wirtschaftlichen Stellung als Hofübernehmer. Nicht für die Leistung der Hofübergabe, sondern wirtschaftlich gesehen, aus dem erhaltenen Wert, soll das Altenteil erbracht werden. Entscheidend ist, ob nach dem Parteiwillen die „Auflagen“ aus dem Wert bzw. Ertrag des Zuwendungsobjektes erbracht werden sollen oder unabhängig davon aus seinem sonstigen Vermögen. Im letzteren Fall ist das sonstige, unabhängig von der Zuwendung vorhandene Vermögen einzusetzen, um im Austausch dazu erst in den Besitz der Zuwendung zu gelangen. Es kann wohl kaum angenommen werden, dass dem Übergeber der Sinn dahin steht, selbst dann auf sein „Altenteil“ als Gegenleistung zu pochen, wenn trotz ordnungsmäßiger Bewirtschaftung durch den Übernehmer der hierfür erforderliche Ertrag aus dem Übergabeobjekt nicht mehr erwirtschaftet werden kann.

17.190d

Der Strukturwandel, in dem sich die Landwirtschaft befindet, ist Übergebern und Übernehmern leidvoll bekannt. Die Übergeber wissen, auf welches wirtschaftliche Risiko sich ihr Hofübernehmer einlässt. Sie verstehen das Altenteil daher nicht als Gegenleistung, sondern als Schenkungsauflage. Von einer Auflagenschenkung wird jedenfalls immer dann auszugehen sein, wenn aus Parteiensicht bei Vertragsschluss der Ertrag des Hofs die Altenteilsleistungen und den Familienunterhalt des Übernehmers abdeckt, so dass der Stamm des Betriebs nicht angegriffen zu werden braucht5.

17.190e

1 Vgl. Soergel/Dieckmann, § 2314 Rz. 32; BGH v. 9.11.1983 – IVa ZR 151/82, MDR 1984, 297 = FamRZ 1984, 166 m. Anm. Dieckmann FamRZ 1984, 880 = NJW 1984, 487. 2 Palandt/Weidenkaff, § 525 Rz. 7. 3 BGH v. 2.10.1981 – V ZR 134/80, MDR 1982, 394 = NJW 1982, 818 (819). 4 RG v. 10.12.1925 – IV 374/25, RGZ 112, 210 (211). 5 Vgl. auch RG v. 10.12.1925, RGZ 112, 210, 212; a.A. J. Mayer, Übergabevertrag, S. 25 ff., der zu sehr auf den Wortlaut abstellt, wenn er kritisiert, dass weitreichende Pflegeverpflichtungen nicht „aus dem Schenkungsobjekt“ erbracht werden könnten.

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§ 17 Rz. 17.191

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17.191 Als Schenkung unter Auflage wurden von der Rechtsprechung angesehen: – Hofübergabevertrag mit vereinbarten Leistungen des Übernehmers zur Versorgung des scheidenden Übergebers (lebenslanges unentgeltliches Altenteil bestehend aus ausschließlichem Wohnungsrecht, Verpflegung, monatlicher Rente, Zahlung von Beiträgen zur landwirtschaftlichen Alterskasse) bei gleichzeitigem Einrücken des Übernehmers in die Existenzgrundlage des Übergebers1. Auch stellt die Übernahme dinglicher Belastungen bei Schenkung eines Grundstücks in der Regel keine Gegenleistung des Beschenkten dar, sondern mindert lediglich den Wert des Geschenks. – Übergabevertrag, bei dem sich der Übergeber den Nießbrauch bestellen und nach seinem Tod zu zahlende Abfindungen an die Geschwister des Übernehmers versprechen lässt, ist im Zweifel nicht als gemischte Schenkung, sondern als Schenkung unter Auflage anzusehen2. – Grundstücksübereignung unter Vorbehalt des Nießbrauchs3: „Die Abgrenzung zwischen Schenkung unter Auflage einerseits und Kaufvertrag oder gemischter Schenkung andererseits richtet sich danach, ob nach dem Parteiwillen Leistung und Gegenleistung in einem solchen Verhältnis stehen sollen, dass die Auflage die Leistung nur einschränkt, oder ob Leistung und Gegenleistung im Sinne eines Ausgleichs einander gleichgestellt werden. Ein typisches Beispiel für eine Schenkung mit Auflage ist die Übereignung eines Grundstücks unter Vorbehalt des Nießbrauchs“. – Überträgt der Übergeber das mit einem Wohnrecht (zugunsten des Übernehmers) verbundene Hauseigentum unter dem Vorbehalt seiner lebenslänglichen ausschließlichen Nutzung (Nießbrauch zugunsten Übergeber), so liegt darin eine reine Schenkung auch dann, wenn der Übernehmer sich außerdem verpflichtet, den Übergeber nach dessen Wahl entweder lebenslänglich zu verköstigen oder ihm eine monatliche Miete für das Wohnrecht (des Übernehmers) zu zahlen. Ob die weitere von dem Übernehmer einge-gange Verpflichtung, den Übergeber im Krankheitsfalle zu pflegen, die Unentgeltlichkeit der Eigentumsübertragung berührt oder nur als eine der Schenkung hinzugefügte Auflage zu betrachten ist, ist Tatfrage4. Ist nach dem zum Ausdruck gelangten Willen der Vertragschließenden die Pflegeauflage (im Sinne einer Nebensache) nur als eine Einschränkung der unentgeltlichen Zuwendung (als Hauptsache), nicht aber als eine auszutauschende Gegenleistung gewollt, liegt eine der Schenkung hinzugefügte Auflage vor.

17.192 Selbstverständlich unterliegt der Übergabevertrag nicht dem Erbrecht5, sondern den Normen für Rechtsgeschäfte unter Lebenden.

17.193 Die Zuwendung des Hofs kann aber nach dem Erbfall erbrechtliche Wirkung haben. So kann sie aufgrund der gesetzlichen Vermutung des § 2050 BGB als Vorausleistung auf den künftigen Erbteil ausgleichungspflichtig sein, z.B. wenn der Hof als Ausstattung übergeben wurde oder der Erblasser für den Schenkungsanteil die Ausgleichung bei der Zuwendung angeordnet hat. Erbrechtliche Wirkungen kann die lebzeitige Hofübergabe auch nach § 2287 BGB bei Vorliegen einer gemischten Schenkung haben, wenn der Erblasser hinsichtlich des Hofs erbvertraglich oder durch gemeinschaftliches Ehegattentestament bereits gebunden war6.

17.194 Am bedeutsamsten ist die Anwendung der §§ 2325, 2329 BGB. Das benachteiligte Kind ist regelmäßig auf Pflichtteilsergänzungsansprüche nach §§ 2325 ff. BGB verwiesen7. Da diese Vorschriften eine „Schenkung“ voraussetzen, kommt der genauen Qualifikation des Übergabevertrags entscheidende Bedeutung zu. 1 2 3 4 5 6

BGH v. 7.4.1989 – V ZR 252/87, MDR 1989, 803 = NJW 1989, 2122 f. OGH Köln v. 18.11.1948 – II ZS 16/48, NJW 1949, 260. OLG Köln v. 10.11.1993 – 27 U 220/92, FamRZ 1994, 1242. OLG Bamberg v. 3.11.1948 – 1 U 113/48, NJW 1949, 788. BGH v. 30.1.1991 – IV ZR 299/89, BGHZ 113, 310 = MDR 1991, 511 = FamRZ 1991, 689. BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 281 = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56 = FamRZ 1981, 1173. 7 Vgl. Reiff, Vorweggenommene Erbfolge und Pflichtteilsergänzung, NJW 1992, 2857.

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Rz. 17.199 § 17

Beispiel: Bei einer reinen Schenkung wird der Hof nebst Zubehör z.B. auf den einzigen Sohn übertragen, während die Tochter nichts erhält. Kurze Zeit nach der Übergabe stirbt der verwitwete Übergeber und wird vom Sohn allein beerbt. Der Nachlass soll 100.000 Euro betragen. Zur Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche der Tochter aus § 2325 BGB ist der Wert des verschenkten Grundstücks dem Nachlass hinzuzurechnen. Der Hof soll einen Verkehrswert von 500.000 Euro und einen Ertragswert von 250.000 Euro haben. Nach der Rechtsprechung ist auch bei der Berechnung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen gem. § 2312 BGB vom Ertragswert auszugehen1. Wegen des „stark ausgeprägten erbrechtlichen Momentes“ in den Übergabeverträgen unterliegt es keinen Bedenken, wenn der Bestimmung des Übernahmepreises in einem Gutüberlassungsvertrag in Ansehung der Berechnung des Pflichtteils die gleiche Bedeutung beigemessen wird wie einer entsprechenden Anordnung in einer letztwilligen Anordnung2. Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist der Wert übergebener Landgüter also unter entsprechender Anwendung der §§ 2049, 2312 BGB zu veranschlagen. Der hypothetische Nachlass beträgt im Beispiel also 350.000 Euro. Die Tochter kann von ihrem Bruder einen Pflichtteil in Höhe von 25.000 Euro und als Ergänzungspflichtteil weitere 62.500 Euro verlangen.

17.195

Enthält der Übergabevertrag eine Auflage zugunsten des Schenkers, bspw. eine Verpflichtung zur 17.196 Pflege des Schenkers, ist bei der Berechnung der ergänzungspflichtigen Zuwendung der Wert der Auflage vom Ertragswert des übergebenen Hofs abzuziehen. Während die Hofübergabe durch Schenkung einerseits den Nachlass verringert, kommt der Vollzug der Auflage dem Nachlass des Übergebers indirekt als ersparte Aufwendungen zugute. Wäre der Hof ohne Übergabe im Nachlass verblieben, hätten für die Pflege Zahlungen aufgewendet werden müssen, um die der Nachlass verringert wäre. Die Auflage stellt also einen Abzugsposten dar. Verpflichtet sich der Übernehmer im Übergabevertrag, seinen Vater zeit seines Lebens zu pflegen und zu versorgen (Wert: 20.000 Euro), so ist diese Pflegeverpflichtung eine Auflage zugunsten des Schenkers. Der Wert der Auflage ist daher vom Wert des übereigneten Grundstücks abzuziehen. Ergänzungspflichtig ist mithin nur die Differenz aus 250.000 Euro und 20.000 Euro, also 230.000 Euro. Die Schwester kann hier als Ergänzung ihres Pflichtteils 57.500 Euro verlangen. Sind die übergabevertraglichen Pflichten des Übernehmers nicht als Auflagen zu qualifizieren, kommt 17.197 eine sog. gemischte Schenkung in Betracht. Da es die Privatautonomie den Parteien gestattet, den Wert ihrer Leistungen selbst zu bestimmen, können sie von einem voll entgeltlichen Vertrag ausgehen, selbst wenn sich Leistung und Gegenleistung wertmäßig nicht entsprechen. Zum Schutze des nicht am Vertragsschluss beteiligten Pflichtteilsberechtigten stellt die Rechtsprechung eine tatsächliche Vermutung auf, wonach bei einem auffallend groben Missverhältnis zwischen dem Wert der Leistung des Übergebers und dem der Leistung des Übernehmers zugunsten des Pflichtteilsberechtigten davon auszugehen ist, dass sich die Parteien über die unentgeltliche Zuwendung der Wertdifferenz einig waren. Wird diese Vermutung nicht widerlegt, so steht fest, dass eine gemischte Schenkung vorliegt. Übergibt 17.198 der Vater in unserem Beispiel den Hof gegen Zahlung einer Kapitalsumme von 100.000 Euro, so wird in einem Prozess der Tochter gegen den Sohn vermutet, dass sich Vater und Sohn darüber einig waren, dass die Differenz zwischen dem Ertragswert von 250.000 Euro und des „Kaufpreises“ von 100.000 Euro unentgeltlich zugewendet wurde. Wird die Vermutung nicht widerlegt, so ist dem Nachlass des Vaters der Differenzwert von 150.000 Euro hinzuzurechnen. Die Tochter kann dann von ihrem Bruder eine Ergänzung ihres Pflichtteils im Wert von 37.500 Euro verlangen. Bei einer Übergabe unter Vorbehalt des Nießbrauchs (oder eines sonstigen Nutzungsrechts, wie eines Wohnrechts) ist bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches der kapitalisierte Wert des Nutzungsrechts vom Ertragswert des Hofs abzuziehen3. Zuvor muss jedoch wegen des Niederstwertprinzips des § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB ermittelt werden, ob das übergebene Landgut zum Zeitpunkt der Schenkung oder zum Zeitpunkt des Erbfalls den niedrigeren Ertragswert hatte. Bei dieser Feststel1 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. 2 RG Warn 1909, 390. 3 Mayer, ZEV 1994, 325 m.w.N.

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17.199

§ 17 Rz. 17.200

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lung ist auf die Ertragswerte ohne Abzug des kapitalisierten Nießbrauchswerts abzustellen. War danach der Ertragswert zum Zeitpunkt der Schenkung niedriger, ist von dem Ertragswert im Zeitpunkt der Schenkung der Nießbrauchswert abzuziehen. Nur die sich hieraus ergebende Wertdifferenz ist fiktiv dem Nachlass zur Ermittlung des Ergänzungsnachlasses hinzuzurechnen.

17.200 War allerdings der Ertragswert zum Zeitpunkt des Erbfalls niedriger als der Ertragswert zum Zeitpunkt der Schenkung, ist der Ertragswert zum Zeitpunkt des Erbfalls anzusetzen, ohne dass von ihm noch ein Nießbrauchswert abgezogen werden könnte.

17.201 Hätte also der Übergeber das Landgut im Jahre 2009 mit einem inflationsbereinigten Ertragswert von 250.000 Euro übertragen und hat der Hof beim Tod des Erblassers im Jahre 2014 einen Ertragswert von 300.000 Euro, so ist nach dem Niederstwertprinzip der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung maßgebend. Hiervon ist der aufgrund der abstrakten Lebenserwartung zu ermittelnde kapitalisierte Nießbrauchswert abzuziehen, der im Beispielsfall 100.000 Euro betragen soll. Folglich sind 150.000 Euro fiktiv dem Nachlass hinzuzurechnen. Die Tochter hat einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 37.500 Euro gegen den Bruder als Alleinerben. 3. Formlos wirksames Hofübergabeversprechen

17.202 Das ohne notarielle Beurkundung bindende Hofübergabeversprechen beruht auf den Grundsätzen von Treu und Glauben. Es ist in der Rechtsprechung1 seit langem anerkannt und an enge Voraussetzungen gebunden. Der Hofeigentümer muss einem Abkömmling die spätere Hofübergabe versprochen und der Abkömmling im Vertrauen darauf viele Jahre unentgeltlich auf dem Hof gearbeitet haben. Rechtsfolge für den Versprechensempfänger ist der Anspruch auf Abschluss eines notariellen Hofübergabevertrages oder gar auf Übereignung des Hofes. Es handelt sich um Einzelfall- und Billigkeitsentscheidungen, so dass sich allgemeine Grundsätze nicht herausarbeiten lassen.

1 OLG Karlsruhe v. 23.10.2014 – 9 U 9/11, BeckRS 2014, 22687; BGH v. 16.2.1954 – V BLw 60/53, BGHZ 12, 286; BGH v. 14.5.1987 – BLw 2/87, NJW 1988, 710; BGH v. 16.10.1992 – V ZR 125/91, NJW 1993, 267.

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§ 18 Erbverzicht I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1 1. Begriff, Rechtsnatur und praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1 2. Allgemeines zu den drei Arten des Erbverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6 3. Beschränkungsmöglichkeiten beim Erbverzicht i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . 18.10 a) Gegenständliche Begrenzungen . . 18.11 b) Beschränkungen und Beschwerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.12 c) Befristungen und Bedingungen, insbesondere der Verzicht zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . 18.13 4. Allgemeine Vorteile des Erbverzichts i.w.S. für den Erblasser . . . . . . . . . . . . 18.15 5. Anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . 18.18 6. Erbverzicht und EU-Erbrechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.18a II. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB) . . . . . 18.19 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.19 a) Vertragspartner des Erblassers . . . 18.19 b) Gegenstand des Erbverzichts i.e.S. 18.20 c) Der Verzicht zugunsten eines anderen, insbesondere beim Verzicht eines Abkömmlings . . . . 18.21 2. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.24 a) Allgemeine Wirkungen . . . . . . . . . 18.24 aa) Wegfall des Verzichtenden . . . 18.24 bb) Erstreckung des Verzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden . . . . . . . . . . . . 18.27 cc) Auswirkungen auf das gesetzliche Erbrecht Dritter . . . . . . . 18.28 dd) Auswirkungen auf das Pflichtteilsrecht Dritter . . . . . 18.30 (1) Einschränkung der Pflichtteilsberechtigung Dritter gem. § 2309 BGB . . . . . . . . . . 18.32 (2) Einschränkung des Pflichtteilsrechts Dritter gegenüber dem Verzichtenden bei gewährter Abfindung . . . . . . . 18.38 ee) Wegfall des Dreißigsten . . . . . 18.41 ff) Bedeutung und Folgen für den Erblasser . . . . . . . . . . . . . 18.42 b) Besonderheiten beim Erbverzicht des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . 18.44a aa) Allgemeine Wirkung . . . . . . . 18.45 bb) Güterrechtliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.46

cc) Auswirkungen auf den nachehelichen Unterhaltsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Verzicht eines Nicht-Pflichtteilsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . b) Der Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.50 18.53 18.53 18.58

III. Der isolierte Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.62 18.62 18.65 18.71

IV. Der Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.78 18.78 18.90 18.92

V. 1. 2. 3.

Kosten- und Gebührenfragen . . . . . 18.96 Notarkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.96 Gerichtsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . 18.102 Kostenübersicht über die neben dem Erbverzicht bestehenden Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht . . . . . . . . . . . . . . . . 18.103

VI. Steuerliche Behandlung des Erbverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Kausalgeschäft zum Erbverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit und Inhalt eines Verpflichtungsgeschäfts (i.d.R. Abfindungsvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirksamkeit des Kausalgeschäfts . . . a) Beschränkungen in der Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) . . . . . . . . . . . c) Sittenwidrigkeit und Wucher (§ 138 Abs. 1 und 2 BGB) . . . . . . . d) Formverstoß (§ 125 BGB) . . . . . . e) Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) . . f) Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen eines unwirksamen oder fehlenden Kausalgeschäfts . . . . . . . . . 4. Rücktritt vom Kausalgeschäft . . . . . . 5. Leistungsstörungen beim Kausalgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.104 18.105 18.111 18.115 18.116 18.116 18.122 18.123 18.125 18.126 18.127 18.129 18.131 18.132 18.137 18.139

Muscheler 801

§ 18

Erbverzicht

VIII. Verknüpfung des Kausalgeschäfts mit dem Erbverzicht i.w.S. . . . . . . . . 18.141 IX. Der Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme bei Anbahnung und Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Familien- bzw. betreuungsgerichtliche Genehmigung . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Zustimmungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags im Zusammenhang mit anderen Verträgen (v.a. Übergabeverträgen) . .

18.144 18.144 18.147 18.148 18.150 18.153 18.155 18.159

4. Formerfordernisse, insbesondere stillschweigender Erbverzicht . . . . . . a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . b) Stillschweigender Erbverzicht . . . . c) Interessenkonflikt der Urkundsperson . . . . . . . . . . . . . . .

18.162 18.162 18.164 18.167

X. Vorbereitung und Gestaltung von Erbverzichtsverträgen (Checkliste und Formulierungsvorschläge) . . . . 18.168 XI. Beseitigung der Wirkungen des Erbverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufhebungsvertrag (§ 2351 BGB) . . . 2. Rücktritt und Widerruf . . . . . . . . . . . 3. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Störung der Geschäftsgrundlage . . . . 5. Sittenwidrigkeit des Erbverzichts . . . .

18.176 18.177 18.183 18.184 18.191 18.192

Schrifttum: Albrecht, Anm. zu BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, DNotZ 1997, 425 f.; Baumgärtel, Die Wirkung des Erbverzichts auf Abkömmlinge, DNotZ 1959, 63 ff.; Bengel, Die gerichtliche Kontrolle von Pflichtteilsverzichten, ZEV 2006, 192 ff.; Bestelmeyer, Das Pflichtteilsrecht der entfernteren Abkömmmlinge und Eltern des Erblassers im Anwendungsbereich des § 2309 BGB, FamRZ 1997, 1124 ff.; Blomeyer, Die vorweggenommene Auseinandersetzung der in gemeinschaftlichem Testament bedachten Kinder nach dem Tod des einen Elternteils, FamRZ 1974, 421 ff.; Bock, Die Änderung erbrechtlicher Vorschriften durch das 1. EheRG und ihre Auswirkungen auf die Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten, MittRhNotK 1977, 205 ff.; Bonefeld/Lange/Tanck, Die geplante Reform des Pflichtteilsrechts, ZErb 2007, 292 ff.; Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl. 2011; Coing, Grundlagenirrtum bei vorweggenommener Erbfolge, NJW 1967, 1777 ff.; Coing, Zur Lehre vom teilweisen Erbverzicht, JZ 1960, 209 ff.; Cremer, Zur Zulässigkeit des gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichtsvertrages, MittRhNotK 1978, 169 ff.; Cypionka, Die Auswirkungen des Betreuungsrechts auf die Praxis des Notars, DNotZ 1991, 571 ff.; Deutsches Notarinstitut, Aus der Gutachtenpraxis des DNotI, DNotI-Report 2004, 197; Damrau, Die Bedeutung des Nichtehelichen-Erbrechts für den Unternehmer, BB 1970, 467 ff.; Damrau, Der Erbverzicht als Mittel zweckmäßiger Vorsorge für den Todesfall, 1966 (Nachdruck 1995); Damrau, Nochmals: Bedarf der dem Erbverzicht zugrunde liegende Verpflichtungsvertrag notarieller Beurkundung?, NJW 1984, 1163 ff.; Daragan, Anm. zu BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, DB 2001, 848; Dieckmann, Pflichtteilsverzicht und nachehelicher Unterhalt, FamRZ 1992, 633 ff.; Ebenroth/Fuhrmann, Konkurrenzen zwischen Vermächtnis- und Pflichtteilsansprüchen bei erbvertraglicher Unternehmensnachfolge, BB 1989, 2049 ff.; Edenfeld, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, ZEV 1997, 70 ff.; Edenfeld, Die Stellung weichender Erben beim Erbverzicht, ZEV 1997, 134 ff.; Fette, Die Zulässigkeit eines gegenständlich begrenzten Pflichtteilsverzichts, NJW 1970, 743 ff.; Geck, Anm. zu BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, ZEV 2000, 123 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, 4. Aufl. 1994; Grziwotz, Gleichstellung der Lebenspartnerschaft nach dem Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts – Beratungs- und Gestaltungsprobleme, DNotZ 2005, 13 ff.; Görtz, Anm. zu OLG Karlsruhe v. 8.4.2015 – 13 U 68/12, ErbR 11 (2016), 646 f.; Grziwotz, Pflichtteilsverzicht und nachehelicher Unterhalt, FamRZ 1991, 1258 ff.; Habermann, Stillschweigender Erb- und Pflichtteilsverzicht im notariellen gemeinschaftlichen Testament, JuS 1979, 169 ff.; Haegele, Rechtsfragen zum Erbverzicht, BWNotZ 1971, 36 ff.; Hahn, Die Auswirkungen des Betreuungsrechts auf das Erbrecht, FamRZ 1991, 27 ff.; Harrer, Zur Lehre vom Erbverzicht, ZBlFG 15 (1915), 1 ff.; Hohloch, Anm. zu LG Bonn v. 3.9.1998 – 2 O 229/98, JuS 2000, 88; Holthaus, Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbverzicht, Diss. Münster 1992; Horn, Angriffsstrategien gegen erklärte Erb- und Pflichtteilsverzichte – und Vorkehrungen dagegen, ZEV 2010, 295 ff.; Hülsmeier, Die Abwertung der Rechtsstellung des Vertragserben, NJW 1981, 2043 ff.; Jackschath, Der Zuwendungsverzichtsvertrag, MittRhNotK 1977, 117 ff.; Kanzleiter, „Umverteilung“ des Nachlasses mit Zustimmung des Vertragserben und Eintritt der Ersatzerbfolge, ZEV 1997, 261 ff.; Kapfer, Gerichtliche Inhaltskontrolle von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen? – zugleich Anmerkung zum Urteil des OLG München vom 25.1.2006 – 15 U 4751/04, MittBayNot 2006, 385 ff.; Keim, Der stillschweigende Erbverzicht: sachgerechte Auslegung oder unzulässige Unterstellung?, ZEV 2001, 1 ff.; Keim, Die Reform des Erb- und Verjährungsrechts und ihre Auswirkungen auf die Gestaltungspraxis, ZEV 2008, 161 ff.; Keim, Anm. zu LG Nürnberg-Fürth v. 23.3.2018

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Erbverzicht

§ 18

– 6 O 6494/17, ZEV 2018, 599; Keller, Die Form des Erbverzichts, ZEV 2005, 229 ff.; Klinck, Der Zuwendungsverzicht zulasten Dritter: Fortschritt durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts, ZEV 2009, 533 ff.; Korintenberg u.a., Kostenordnung, 15. Aufl. 2002; Kuchinke, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, JZ 1998, 143 f.; Kuchinke, Bedarf der dem Erbverzicht zugrunde liegende Verpflichtungsvertrag notarieller Beurkundung?, NJW 1983, 2358 ff.; Kuchinke, Der Erbverzicht zugunsten eines Dritten, Festschrift für Winfried Kralik zum 65. Geburtstag: Verfahrensrecht – Privatrecht, Hrsg.: Rechberger/Welser, 1986, 451 ff.; Kuchinke, Zur Aufhebung eines Erbverzichts mit Drittwirkung, ZEV 2000, 169 ff.; Kuchinke, Unterhalt und Erb- oder Pflichtteilsverzicht, FPR 2006, 125 ff.; Lange, Der entgeltliche Erbverzicht, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hermann Nottarp, Hrsg.: Mikat, 1961, 119 ff.; Lange, Der Pflichtteilsverzicht zwischen privatautonomer Gestaltung und gerichtlicher Inhaltskontrolle, Teil 3: Inhaltskontrolle der Verzichtsvereinbarung, ErbR 7 (2017), 397 ff.; Lange, Der Pflichtteilsanspruch entfernter Berechtigter bei Pflichtteilsverzicht näher Berechtigter, ZEV 2015, 69 ff.; Larenz, Der Erbverzicht als abstraktes Rechtsgeschäft, JherJB 81 (1931), 1 ff.; Litzenburger, Anm. zu LSG Bayern v. 30.7.2015 – L 8 SO 146/15 B ER, ZEV 2016, 43 ff.; Litzenburger, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 31.8.2016 – I-3 Wx 192/15, FD-ErbR 2016, 382720; Lohr, Gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht – Eine Möglichkeit zur Sicherung der Unternehmensnachfolge, GmbH-StB 2016, 341 f.; v. Lübtow, Anm. zu BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, JR 1957, 340 ff.; Martin, Rechnerische Formeln aus dem Pflichtteilsrecht, ZBlFG 1914, 789 ff.; Mayer, Anm. zu OLG Celle v. 15.1.1998 – 22 W 115/97, ZEV 1998, 433 f.; Mayer, Der beschränkte Pflichtteilsverzicht, ZEV 2000, 263 ff.; Mayer, Nachträgliche Änderung von Anrechnungs- und Ausgleichungsbestimmungen, ZEV 1996, 441 ff.; Mayer, Zweckloser Zuwendungsverzicht?, ZEV 1996, 127 ff.; Mayer, Brennpunkte der vorweggenommenen Erbfolge: Unkalkulierbarer Elternunterhalt – Gefahren, Grenzen, Gestaltungsspielräume, ZEV 2007, 145 ff.; Mayer, Unliebsame Folgen des Pflichtteilsverzichts, ZEV 2007, 556 ff.; Metzler, Die Erstreckung der Wirkung des Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden nach § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB, Hereditare – Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht 1 (2011), 53 ff.; Münch, Infiziert der Ehevertrag erbrechtliche Verzichte oder Verfügungen?, ZEV 2008, 571 ff.; Muscheler, Anm. zu BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, JZ 1997, 853 ff.; Muscheler, Aufhebung des Erbverzichts nach dem Tod des Verzichtenden, ZEV 1999, 49 ff.; Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb, 2002; Muscheler, Die geplanten Änderungen im Erbrecht, Verjährungsrecht und Nachlassverfahrensrecht, ZEV 2008, 105 ff.; Muscheler, Inhaltskontrolle bei Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträgen, Festschrift für Sebastian Spiegelberger zum 70. Geburtstag, Hrsg.: Wachter, 2009, 1079 ff.; Muscheler, Erbrecht, 2010; Pentz, Auswirkungen des „entgeltlichen“ Erbverzichts eines Ankömmlings auf Pflichtteilsansprüche anderer, NJW 1999, 1835 ff.; Planck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, 4. Aufl. 1930; von Proff, Erhöht der Pflichtteilsverzicht die Quote anderer Pflichtteilsberechtigter?, ZEV 2016, 173 ff.; Reimann, Zur Kongruenz von ehevertraglicher Regelung und erbrechtlicher Gestaltung, Festschrift für Helmut Schippel zum 65. Geburtstag, Hrsg.: Bundesnotarkammer, 1996, 301 ff.; Reul, Erbverzicht, Pflichtteilsverzicht, Zuwendungsverzicht, MittRhNotK 1997, 373 ff.; Rheinbay, Anm. zu OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, ZEV 2000, 278 f.; Rheinbay, Erbverzicht – Abfindung – Pflichtteilsergänzung, 1983; Schindler, Pflichtteilsverzicht und Pflichtteilsverzichtsaufhebungsvertrag – oder: die enttäuschten Schlusserben, DNotZ 2004, 824 ff.; Schopp, Der „gegenständliche“ Pflichtteilsverzicht, RPfleger 1984, 175 ff.; Schotten, Anm. zu OLG Frankfurt a.M. v. 6.3.1997 – 20 W 574/95, Rpfleger 1998, 113 ff.; Schotten, Die Erstreckung der Wirkung eines Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, ZEV 1997, 1 ff.; Schotten, Wirkungen eines Erb- oder Pflichtteilsverzichts auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht des Verzichtenden einerseits und dritter Personen andererseits, RNotZ 2015, 412 ff.; Schramm, Möglichkeiten zur Einwirkung auf das Pflichtteilsrecht, BWNotZ 1959, 227 ff.; Skibbe, Anm. zu BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, ZEV 1999, 106; Speckmann, Der Erbverzicht als „Gegenleistung“ in Abfindungsverträgen, NJW 1970, 117 ff.; Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 1994; Strohal, Das deutsche Erbrecht, 3. Aufl. 1903; Stürzebecher, Zur Anwendbarkeit der §§ 320 ff. BGB auf den entgeltlichen Erbvertrag, NJW 1988, 2717 ff.; Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 4. Aufl. 2000; Tanck, Umfasst der Verzicht auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auch die Einrede nach § 2328 BGB?, ZErb 2001, 194 ff.; Theiss/Boger, Möglichkeiten der Vorbeugung gegen Ansprüche aus §§ 2325, 2329 BGB wegen Abfindungen für Erbbzw. Pflichtteilsverzichte, ZEV 2006, 143 ff.; Thode, Anm. zu BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, ZEV 1995, 143 f.; Wachter, Inhaltskontrolle von Pflichtteilsverzichtsverträgen?, ZErb 2004, 238 ff., 306 ff.; Weber, Erbund Pflichtteilsverzichtsverträge im Spiegel der EuErbVO, ZEV 2015, 503 ff.; Weidlich, Gestaltungsalternativen zum zwecklosen Zuwendungsverzicht, ZEV 2007, 463 ff.; Weidlich, Das Verhältnis von vertraglichen Rückforderungsrechten und Pflichtteilsrecht, MittBayNot 2015, 193 ff.; Weirich, Der gegenständlich begrenzte Pflichtteilsverzicht, DNotZ 1986, 5 ff.; Wendt, Unverzichtbares bei erbrechtlichen Verzichten, ZNotP 2006, 2 ff.; Westermann, Störungen bei vorweggenommener Erbfolge, Festschrift für Alfred Kellermann zum 70. Geburtstag, 1991, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Sonderheft 10, 505 ff.; Wohl-

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§ 18 Rz. 18.1

Erbverzicht

schlegel, Anm. zu BFH v. 26.6.1996 – VIII R 67/95, ZEV 1997, 86 f.; Zellmann, Dogmatik und Systematik des Erbverzichts und seiner Aufhebung im Rahmen der Lehre von den Verfügungen von Todes wegen, Diss. Bochum 1990.

I. Überblick 1. Begriff, Rechtsnatur und praktische Bedeutung

18.1 Das Rechtsinstitut des Erbverzichts regelt das BGB unter dem Titel „Erbverzicht“ im siebenten Abschnitt seines fünften Buches. Verwendet wird die Titelbezeichnung als Oberbegriff für verschiedene Formen des Verzichts, nämlich den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (Erbverzicht i.e.S., § 2346 Abs. 1 BGB), den (isolierten) Verzicht auf das Pflichtteilsrecht (Pflichtteilsverzicht, § 2346 Abs. 2 BGB) sowie den Verzicht auf testamentarische und erbvertragliche Zuwendungen (Zuwendungsverzicht, § 2352 BGB).1

18.2 Im so verstandenen (weiteren) Sinne ist der Erbverzicht ein Vertrag zwischen dem Erblasser und einem künftigen gesetzlichen oder durch Verfügung von Todes wegen berufenen Erben, einem Pflichtteilsberechtigten oder Vermächtnisnehmer, durch den der Anfall des Erbrechts, die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs oder des Vermächtnisanspruchs ganz oder teilweise ausgeschlossen wird2. Dieser Ausschluss wird unmittelbar („dinglich“) durch den Erbverzichtsvertrag bewirkt, da dieser die – bis zum Erbfall regelmäßig unsichere – Aussicht des Verzichtenden, Erbe, Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer des Erblassers zu werden, sofort beseitigt und damit verhindert, dass die Aussicht im Erbfall zu einem subjektiven Recht erstarken kann3. Hierin zeigt sich zugleich der verfügende Charakter4 des Erbverzichtsvertrags, der – anders als ein Vertrag bloß schuldrechtlicher Natur wie etwa derjenige des § 311b Abs. 5 BGB – zur Herbeiführung der gewünschten Ausschlusswirkung nach dem Erbfall keine weiteren Vollzugsmaßnahmen erfordert.

18.3 Der Erbverzicht ist die einzige vom Gesetz zugelassene zeitlich vor dem Erbfall liegende Verfügung des Erbanwärters über seine Rechtsposition5. Indem der Verzichtende – im Einvernehmen mit dem Erblasser – auf seine erbrechtliche Aussicht verzichtet, trifft er – und nicht der Erblasser – eine Verfügung, wenngleich nur in einem negativen Sinne6. Der Erbverzicht ist, weil nicht der Erblasser verfügt, keine Verfügung von Todes wegen, insbesondere kein Erbvertrag, sondern erbrechtliches Verfügungsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall7.

18.4 Der Erbverzicht zählt zu den abstrakten Rechtsgeschäften8, deren Wirkungen unabhängig von der Wirksamkeit des zugrunde liegenden Kausalgeschäfts eintreten. Aus diesem Grund kann eine etwaige Verpflichtung des Erblassers zur Zahlung einer Abfindung niemals mit dem Erbverzicht selbst in ei1 Frau RA Dr. Anke Schewe, LL.M., Frau Assessorin Dr. Eva-Maria Beckmann sowie Herrn Richter Dr. Martin Metzler gebührt mein herzlicher Dank für ihre wertvolle Mitarbeit an diesem Kapitel. 2 MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 2; Muscheler, Erbrecht, Rz. 2329. 3 Larenz, JherJB 81 (1931), 1 (5). 4 Lange/Kuchinke, § 7 I 5a (S. 169). 5 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (325). 6 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (325). 7 Ganz h.M., z.B. BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, ZEV 2012, 145 (146); BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 (154) = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 (154) = ZEV 1997, 69; BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327); OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – I-7 U 170/12, MDR 2014, 166 = ZEV 2014, 102 (103); BayObLG v. 10.2.1981 – BReg. 1Z 125/80, MDR 1981, 673 = FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30 (33 f.); Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 1. Folgen der erbrechtlichen Qualifizierung für das IPR Reimann, ZEV 2009, 586 (591); für das Steuerrecht BFH v. 17.3.2010 – X R 38/06, FamRZ 2010, 1440 = ZEV 2010, 427 und BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, ZEV 2000, 121; Muscheler, Erbrecht, Rz. 2335. 8 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327).

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Erbverzicht

Rz. 18.8 § 18

nem synallagmatischen Verhältnis stehen, sondern lediglich mit der Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichts in der Form eines gegenseitigen Vertrags i.S.d. §§ 320 ff. BGB verbunden werden1 (zu den Verknüpfungsmöglichkeiten s. Rz. 18.141 ff.). Die praktische Bedeutung des Erbverzichts ist groß und in stetigem Wachstum begriffen. Er begegnet heute namentlich in folgenden Konstellationen2:

18.5

– Vorweggenommene Erbfolge zu Lebzeiten des Erblassers (Übertragung des wichtigsten Vermögensgegenstandes – Hof, Unternehmen etc. – an einen Nachfolger, verbunden mit Pflichtteilsverzicht der weichenden Erben gegen Abfindung) – Absicherung eines letztwillig verfügten Übergangs von Unternehmen oder Gesellschaftsanteilen an einen oder mehrere Nachfolger – Eingehung einer neuen Ehe („Abschichtung“ der erstehelichen Kinder mittels Abfindung und Verzicht oder umgekehrt Schutz der erstehelichen Kinder durch Verzicht des neuen Ehegatten) – Schutz des überlebenden Ehegatten vor (den Nachlass des Erstverstorbenen betreffenden) Pflichtteilsansprüchen der Schlusserben beim Berliner Testament. 2. Allgemeines zu den drei Arten des Erbverzichts Wie bereits ausgeführt, verwendet das Gesetz den Begriff des Erbverzichts als Oberbegriff für drei Formen des Verzichts, bei denen der Gegenstand des Verzichts jeweils ein anderer ist.

18.6

Nach dem gesetzlichen Regelfall ist Gegenstand des Erbverzichts i.e.S. (§ 2346 Abs. 1 S. 1 BGB) das ge- 18.7 setzliche Erbrecht und das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB). Entgegen dem Wortlaut ist es jedoch möglich, allein auf das gesetzliche Erbrecht unter Vorbehalt des Pflichtteils zu verzichten3. Dies mag überraschen, erscheint ein Pflichtteilsrecht ohne zugrunde liegendes gesetzliches Erbrecht doch begrifflich ausgeschlossen4. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass ein auf das gesetzliche Erbrecht beschränkter Verzicht seinem Gegenstand nach genau den Teil betrifft, der dem potenziellen Erben von Seiten des Erblassers einseitig (durch Enterbung) genommen werden könnte. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb insoweit ein Verzicht des Erbanwärters nicht in Betracht kommen sollte. In beiden Fällen bleibt das gesetzliche Erbrecht als „Quelle des Pflichtteilsanspruchs“5 bestehen. Was Gegenstand des (isolierten) Verzichts auf das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 2 BGB) ist, lässt sich 18.8 unmittelbar dem Begriff entnehmen. Der (isolierte) Pflichtteilsverzicht verhindert das Entstehen aller aus dem Pflichtteilsrecht möglicherweise resultierenden Ansprüche, lässt jedoch das gesetzliche Erbrecht unberührt. Es liegt auf der Hand, dass dies gegenüber dem gesetzlichen Regelfall des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht, der neben der Entstehung des Pflichtteilsanspruchs zugleich den (auf gesetzlicher Erbfolge beruhenden) Anfall der Erbschaft verhindert, ein Weniger ist. Dies darf allerdings nicht zu einer falschen Vorstellung über die praktische Relevanz des (isolierten) Pflichtteilsverzichts verleiten. Um allen Missverständnissen vorzubeugen, sei schon hier festgestellt: Der (isolierte) Pflichtteilsverzicht hat von allen Formen des Erbverzichts die größte praktische Bedeutung! Anders als beim (uneingeschränkten) Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht wird bei ihm nämlich nach bislang nahezu einhelliger Meinung insbesondere vermieden, dass sich die Pflichtteilsquoten anderer pflichtteilsberechtigter Personen gem. § 2310 S. 2 BGB erhöhen6 (Näheres hierzu Rz. 18.15, 18.30 ff.).

1 2 3 4 5 6

Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 20. Vgl. etwa Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 3. Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 34 m.w.N. So in der Tat Harrer, ZBlFG 15 (1915), 1 (11). Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 35. A.A. neuerdings nur Staudinger/Otte, § 2310 Rz. 20 f.; krit. hierzu Schotten, RNotZ 2015, 412 u. von Proff, ZEV 2016, 173.

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§ 18 Rz. 18.9

Erbverzicht

18.9 Durch den Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) wird die für den Begünstigten in einem Testament oder Erbvertrag vorgesehene Zuwendung (Erbrecht oder Vermächtnis) wirkungslos. Technisch geschieht dies nicht so, dass der Zuwendungsverzicht die Verfügung von Todes wegen aufhebt, sondern so, dass er den Anfall der Zuwendung an den Verzichtenden verhindert (Näheres hierzu Rz. 18.90). 3. Beschränkungsmöglichkeiten beim Erbverzicht i.w.S.

18.10 Über die bereits erwähnten Beschränkungsmöglichkeiten des (isolierten) Verzichts auf das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 2 BGB) und des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht unter Vorbehalt des Pflichtteils hinaus kann der Erbverzicht i.w.S. rechtsgeschäftlich auch auf andere Weise beschränkt werden. Diese Beschränkungsmöglichkeiten muss schon ein Überblick über das Thema anführen, da sie in der beratenden Praxis von großer Wichtigkeit sind. a) Gegenständliche Begrenzungen

18.11 Anders als Annahme und Ausschlagung der Erbschaft – die gem. § 1950 BGB nur im Hinblick auf das Ganze erfolgen und nicht auf einen Teil der Erbschaft beschränkt werden können – sind gegenständliche Begrenzungen des Verzichts bei allen Formen des Erbverzichts möglich und wirksam, weil in den §§ 2346 ff. BGB keine dem § 1950 BGB entsprechende Regelung enthalten ist1. Zu beachten ist jedoch, dass ein Teilverzicht in Ansehung des (gesetzlichen oder gewillkürten) Erbrechts nicht auf bestimmte Nachlassgegenstände bezogen werden darf2, da dies mit dem Grundsatz der Universalsukzession3 nicht in Einklang zu bringen wäre4. Ein Teilverzicht kann sich nur auf einen Bruchteil des Erbrechts richten5. U.U. kann jedoch ein gleichwohl erklärter Verzicht auf bestimmte Nachlassgegenstände in einen Bruchteilsverzicht umgedeutet werden6. Weitergehende Beschränkungsmöglichkeiten bestehen, wenn vom Verzicht lediglich Geldansprüche – wie der Pflichtteil oder ein Geldvermächtnis – betroffen sind. Diese Geldansprüche unterfallen nicht dem Typenzwang des Erbrechts7, und entsprechende Beschränkungen können daher nicht mit dem Grundsatz der Universalsukzession in Konflikt geraten. b) Beschränkungen und Beschwerungen

18.12 In einem die Erbenstellung betreffenden Verzichtsvertrag kann auch die Übernahme von Beschränkungen und Beschwerungen geregelt werden8. So kann dem Erblasser z.B. das Recht eingeräumt wer1 MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 13. 2 Ausnahme: Hoferbrecht nach HöfeO; vgl. OLG Oldenburg v. 14.10.1997 – 5 U 62/97, FamRZ 1998, 645 (646). 3 Eingehend hierzu Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb. 4 MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 14. 5 Coing, JZ 1960, 209 (211). 6 KG v. 18.2.1937 – 1 Wx 18/37, JFG 15 (1937), 98 (100). 7 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 10; Keim, ZEV 2010, 475 f. 8 Vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erbund Verjährungsrechts bot sich die Übernahme von Beschränkungen und Beschwerungen in einem Verzichtsvertrag insbesondere dann an, wenn es sich bei dem Verzichtenden um einen Pflichtteilsberechtigten handelte. § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB, der bei Zuwendung einer Erbquote von nicht mehr als der Hälfte des gesetzlichen Erbteils bestimmte, dass zulasten eines Pflichtteilsberechtigten angeordnete Beschränkungen und Beschwerungen als nicht angeordnet galten, erfasste nämlich nicht die aufgrund eines Verzichts verfügten Belastungen (vgl. MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 16). Mit der Neuregelung des § 2306 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu Bonefeld/Lange/Tanck, ZErb 2007, 292 [293]; Keim, ZEV 2008, 161 [162]; Muscheler, ZEV 2008, 105 [107]) wurde die Unterscheidung nach der Erbquote in § 2306 Abs. 1 S. 1 und 2 a.F. BGB aufgegeben. Gem. § 2306 Abs. 1 BGB muss der pflichtteilsberechtigte Erbe stets ausschlagen, um den Pflichtteil verlangen zu können. Der automatische Wegfall der Beschränkungen und Beschwerungen nach § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB und damit ein wesentliches Motiv, dem Erblasser in einem Erbverzichtsvertrag das Recht einzuräumen, diese anzuordnen, sind entfallen.

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Muscheler

Rz. 18.13 § 18

Erbverzicht

den, den Erben mit Vermächtnissen und Auflagen zu belasten1, für eine lebzeitige Zuwendung nachträglich eine Ausgleichungspflicht anzuordnen2 (z.B. bei § 2315 BGB) bzw. nicht anzuordnen (z.B. bei § 2050 BGB), einen Testamentsvollstrecker zu ernennen3 (auch nur in Bezug auf den Erbteil des Verzichtenden4), eine Vollerbeinsetzung in eine Vor- oder Nacherbeinsetzung umzuwandeln usw. Zu beachten ist jedoch, dass die Vereinbarung eines solchen teilweisen Erbverzichts nicht zugleich die Anordnung der betreffenden Beschränkungen und Beschwerungen bewirkt. Als abstrakter Verfügungsvertrag rein negativen Inhalts vermag der Teilerbverzicht lediglich die erbrechtliche Stellung des Verzichtenden zu beschränken, nicht aber auch die Beschränkungen und Beschwerungen selber positiv anzuordnen, weil dies dem Typenzwang des Erbrechts widerspräche5. Der Erblasser muss solche Anordnungen vielmehr zusätzlich in einer entsprechenden Verfügung von Todes wegen treffen. c) Befristungen und Bedingungen, insbesondere der Verzicht zugunsten Dritter Der Erbverzicht lässt sich auch bedingt6 oder befristet7 vereinbaren. Die Bedingung kann sich sowohl aus den Auslegungsregeln des § 2350 Abs. 1 und 2 BGB8 als auch aus der Vereinbarung der Vertragsparteien9 ergeben. Die Wirksamkeit des Verzichts kann bspw. davon abhängig gemacht werden, dass der Verzichtende eine versprochene Abfindung erhält oder die Erbschaft bzw. ein Vermächtnis beim Erbfall einer ganz bestimmten Person zufällt. Durch die Befristung lässt sich der Erbverzicht zeitlich begrenzen, so dass der Verzichtende erst von einem bestimmten Zeitpunkt an Erbe wird oder seine Erbenstellung verliert. Termin bzw. Bedingung können noch nach dem Erbfall eintreten, weil – anders als bei schwebender Unwirksamkeit eines Erbverzichtsvertrags wegen im Zeitpunkt des Erbfalls noch fehlender familien- bzw. betreuungsgerichtlicher Genehmigung10 – keine unklaren erbrechtlichen Verhältnisse entstehen. Bei Termin und Bedingung gelangt man nämlich über §§ 2104, 2105 BGB zur Vor- und Nacherbfolge11: Ist im Zeitpunkt des Erbfalls eine aufschiebende Bedingung oder ein Anfangstermin noch nicht eingetreten, ist der Verzichtende Vorerbe, die durch seinen Wegfall Begünstigten sind Nacherben. Bei einem im Erbfall noch nicht eingetretenen Endtermin oder einer auflösenden Bedingung verhält es sich umgekehrt: Die Begünstigten sind Vorerben und der Verzichtende ist Nacherbe. Tritt die Bedingung nicht ein – etwa weil eine andere Person Erbe oder Vermächtnisnehmer wird als diejenige, zu deren Gunsten der Verzicht erklärt worden ist –, ist der Erbverzichtsvertrag unwirksam12. Bei Anhaltspunkten für einen entsprechenden Willen der Vertragsparteien eröffnet sich jedoch die Möglichkeit, einen unwirksamen Erbverzicht i.S.d. § 2346 Abs. 1 BGB in einen isolierten Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB umzudeuten13. Die Unwirksamkeit eines zugunsten eines Pflichtteilsberechtigten abgeschlossenen Erbverzichtsvertrags bei Ausfall der Bedingung hat für diesen den unangenehmen Nebeneffekt, dass er nun doch nicht von der Pflichtteilsquotenerhöhung des

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. RG v. 6.5.1909 – Rep. IV. 475/08, RGZ 71, 133 (136). BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. Coing, JZ 1960, 209 (211). Jackschath, MittRhNotK 1977, 117 (121). BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146); OLG Frankfurt v. 26.10.1951 – 6 W 1/51, DNotZ 1952, 488 (489); BayObLG v. 4.10.1957 – BReg. 1Z 147/57, BayObLGZ 1957, 292 (294). BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327); OLG München v. 14.5.2014 – 7 U 2983/13, BeckRS 2014, 10206. Die gesetzlichen Auslegungsregeln gelten nicht für alle Formen des Verzichts gleichermaßen. Für eine stillschweigend vereinbarte auflösende Bedingung des Erbverzichts, wenn im Übergabevertrag ein Rücktrittsrecht vereinbart war, der übergebene Gegenstand aber durch Erbfall an den Übergeber zurückgelangt ist, s. OLG München v. 14.5.2014 – 7 U 2983/1 m. Anm. Keim, notar 2015, 17 f. BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. Nieder, Rz. 1143. S. statt vieler Staudinger/Schotten, § 2350 Rz. 16 m.w.N. BGH v. 17.10.2007 – IV ZR 266/06, MDR 2008, 87 = FamRZ 2008, 48 = NJW 2008, 298 (299).

Muscheler 807

18.13

§ 18 Rz. 18.14

Erbverzicht

§ 2310 S. 2 BGB profitiert1. Es ist also nicht möglich, die begünstigende Wirkung des Erbverzichts zumindest für die Pflichtteilsquote des Dritten gem. § 2310 S. 2 BGB aufrechtzuerhalten2. (Zu den mit Bedingungen u.U. verknüpften Gefahren s. Rz. 18.155 ff.) Beratungssituation: Der verzichtswillige Mandant möchte wissen, ob er durch einen Verzicht zugunsten eines Dritten bewirken kann, dass sein Erbteil ohne weiteres Zutun des Erblassers automatisch dem Dritten zufällt.

18.14 Unterfall eines bedingten Erbverzichts i.w.S. ist der Verzicht zugunsten eines Dritten (s. Rz. 18.21 ff., 18.67, 18.85). Unabhängig davon, ob die Bedingung vertraglich vereinbart oder gesetzlich vermutet wird, bewirkt der bedingte Erbverzicht nicht, dass die dem Verzichtenden verloren gegangene Rechtsstellung automatisch auf den Dritten übergeht3. Als erbrechtlicher Verfügungsvertrag rein negativen Inhalts löst er vielmehr lediglich die negative Wirkung aus, dass der Anfall der Erbschaft verhindert wird, und regelt damit ausschließlich das Verhältnis zwischen Erblasser und Verzichtendem.

18.14a Die gegenteilige Ansicht4, nach der dem Begünstigten der Erbteil des Verzichtenden unverkürzt zufallen soll, überzeugt nicht. Dem relativen, also auf eine bestimmte Person bezogenen Erbverzicht – über den Fall der Anwachsung hinaus (s. hierzu Rz. 18.23) – eine übertragende Wirkung zuzuschreiben, widerspricht nicht nur dem Regelungsgehalt der grundsätzlichen Vorschrift des § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB, sondern auch der Gesetzessystematik5. Würde dem Begünstigten der volle Erbteil des Verzichtenden anwachsen, wäre er Zuwendungsempfänger aufgrund des Erbverzichtsvertrags, obwohl das Gesetz diesen gerade nicht als Verfügung von Todes wegen ausgestaltet hat. Bei bestehender Testierunfähigkeit könnte der Erblasser durch Abschluss eines Erbverzichtsvertrags – anders als bei Verfügungen von Todes wegen ist hierbei Vertretung möglich (vgl. Rz. 18.16) – eine Rechtsfolge (Begünstigung des Dritten) bewirken, die ihm nach den speziellen Regelungen des Testamentsrechts verwehrt bleibt. Es geht also nicht an, dem Erbverzicht eine positive Übertragungswirkung zuzuschreiben, zumal Verfügungsgeschäfte zugunsten eines Dritten unzulässig sind6. Mag eine unmittelbare Übertragungswirkung auch der Interessenlage und dem mutmaßlichen Willen der Beteiligten entsprechen, so muss die Entscheidung über die Herbeiführung des Bedingungseintritts letztlich doch dem Erblasser obliegen. Wegen § 2302 BGB kann er nicht gezwungen sein, denjenigen zu begünstigen, zu dessen Gunsten verzichtet wird. Die Begründung einer solchen Bindung ist nur durch erbvertragliche Regelung möglich. Freilich kann im Erbverzichtsvertrag im Einzelfall gleichzeitig eine Erbeinsetzung des Begünstigten enthalten sein. Hierfür bedarf es allerdings nicht nur konkreter Anhaltspunkte im Vertrag selbst7, sondern zusätzlich der Beachtung der für Testament und Erbvertrag geltenden Vorschriften8.

1 OLG Düsseldorf v. 25.7.2008 – 7 U 22/06, ZEV 2008, 523 (524). 2 Im konkreten Fall des OLG Düsseldorf (v. 25.7.2008 – 7 U 22/06, ZEV 2008, 523) hat deswegen der zugunsten seines Bruders Verzichtende seinen aus der Unwirksamkeit des Erbverzichts resultierenden Pflichtteilsanspruch gegen den Alleinerben an den Bruder abgetreten. 3 Streitig; wie hier: KG v. 28.5.1925 – 1. ZS X 328/25, OLGE 46, 240; OLG München v. 9.6.1937 – Wx 175/37, JFG 15 (1937), 364 (365); OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2350 Rz. 9; Staudinger/Schotten, § 2350 Rz. 14; Soergel/Damrau, § 2350 Rz. 3; Nieder, Rz. 1147; Damrau, S. 38 f.; Kuchinke, FS Kralik, S. 451 (464); Lange/Kuchinke, § 7 III 1c (S. 179 f.); Muscheler, Erbrecht, Rz. 2380. 4 KG v. 12.2.1941 – 1 Wx 441/41, DNotZ 1942, 148 (149); AK/Teubner, § 2350 Rz. 9; RGRK/Johannsen, § 2350 Rz. 6; Erman/Simon, § 2350 Rz. 2. 5 Damrau, S. 38. 6 So Rspr. und h.L., vgl. nur Palandt/Grüneberg, Einf v § 328 Rz. 8 f. m.N. 7 Vgl. Soergel/Damrau, § 2350 Rz. 4. 8 OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203.

808

Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.17 § 18

4. Allgemeine Vorteile des Erbverzichts i.w.S. für den Erblasser Von allen Formen des Erbverzichts kommt dem (isolierten) Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) 18.15 aus zwei Gründen die größte Bedeutung zu: – Für den Erblasser stellt der (isolierte) Pflichtteilsverzicht ein echtes Instrument der Nachfolgeplanung dar, durch den er uneingeschränkte Testierfreiheit erlangen kann. Anders als beim gesetzlichen Erbrecht, das durch Verfügung von Todes wegen ausgeschlossen werden kann, vermag der Erblasser einem Pflichtteilsberechtigten den Anspruch auf den Pflichtteil als Mindestteilhabe am Nachlass nicht einseitig zu entziehen. Erst durch einen (isolierten) Pflichtteilsverzicht gewinnt der Erblasser freie Hand für die von ihm gewünschten Vermögensdispositionen. Dieser Verzicht verschafft ihm die Freiheit, sein Vermögen (durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder durch Verfügung von Todes wegen) uneingeschränkt dem von ihm Auserwählten zukommen zu lassen. Er kann dafür Sorge tragen, dass – über die Möglichkeiten der HöfeO hinaus – landwirtschaftlicher Besitz oder ein Unternehmen in einer Hand bleibt, und dadurch die Gefahr einer etwaigen Vermögenszersplitterung – als Folge einer Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen – vermeiden. Ferner erhält der Erblasser die Gewissheit, dass derjenige, den er enterbt1 und der außerdem auf das Pflichtteilsrecht verzichtet hat, komplett und endgültig aus der Erbfolge ausscheidet. – Sind weitere Pflichtteilsberechtigte vorhanden, verringert sich durch den (isolierten) Pflichtteilsverzicht die Pflichtteilslast des/der Erben2. Dies ergibt sich daraus, dass es beim (isolierten) Pflichtteilsverzicht – anders als bei einem Ausschluss vom Pflichtteilsrecht infolge des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht gem. § 2346 Abs. 1 BGB – nicht zu einer Erhöhung der Pflichtteilsquoten gem. § 2310 S. 2 BGB kommt, die der Erblasser meist ebenso wenig wie eine gleich bleibende Pflichtteilslast wünscht (Näheres hierzu Rz. 18.30 f.). Die eigentliche Bedeutung des Erbverzichts i.e.S. liegt darin, dass dieses Institut auch demjenigen Erblasser eine Erbfolgeregelung ermöglicht, der nicht oder nicht mehr in der Lage ist, eine Enterbung oder den Widerruf einer letztwilligen Zuwendung auszusprechen. Zu einer Enterbung ist der Erblasser nicht in der Lage, wenn er testierunfähig, d.h. testiergeschäftsunfähig (§ 2229 Abs. 4 BGB) oder noch nicht 16 Jahre alt (§ 2229 Abs. 1 BGB) ist. Jede Form der Vertretung ist ausgeschlossen, weil das Testament gem. § 2064 BGB nur höchstpersönlich errichtet werden kann. Beim Abschluss eines Erbverzichtsvertrags kann der testierunfähige Erblasser demgegenüber durch seinen gesetzlichen Vertreter vertreten werden (§ 2347 Abs. 2 S. 2 BGB), was seine Möglichkeiten, auf die Erbfolgeregelung Einfluss zu nehmen, erweitert (zur etwaigen Notwendigkeit einer familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung Rz. 18.150 f.).

18.16

Hauptanwendungsbereiche des Verzichts auf eine Zuwendung sind einmal die nach Errichtung der 18.17 begünstigenden Verfügung eingetretene Testierunfähigkeit des Erblassers, zum anderen die Gebundenheit des Erblassers an in einem Erbvertrag oder einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen. Darüber hinaus ist der Zuwendungsverzicht zu Lebzeiten des Erbvertragspartners in den Fällen von Bedeutung, in denen dieser zur Aufhebung des Erbvertrags nicht bereit ist und kein Grund zum einseitigen Rücktritt vom Vertrag gem. §§ 2294 f. BGB vorliegt oder der Erblasser nicht riskieren will, dass der Vertragspartner seine eigene Verfügung nicht aufrechterhält (Näheres hierzu Rz. 18.90 ff.).

1 Die zusätzliche Enterbung ist notwendig, weil der (isolierte) Pflichtteilsverzicht keinen Einfluss auf das gesetzliche Erbrecht hat. 2 Erfolgt der Verzicht von Seiten eines Abkömmlings oder Seitenverwandten des Erblassers, gilt dies freilich nur, wenn die Wirkung des § 2349 BGB (Erstreckung des Verzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden) nicht abbedungen wird.

Muscheler 809

§ 18 Rz. 18.18

Erbverzicht

5. Anwendbare Vorschriften

18.18 Auf den Erbverzicht als verfügenden Vertrag unter Lebenden sind die Vorschriften des Allgemeinen Teils über Rechtsgeschäfte, Willenserklärungen und Verträge anwendbar, soweit sich nicht aus der erbrechtlichen Natur des Erbverzichts und den zwingenden Vorschriften der §§ 2346 bis 2352 BGB etwas anderes ergibt1. So richtet sich etwa die Auslegung des Verzichtsvertrags nach den §§ 133, 157, 242 BGB, doch sind besondere Auslegungsregeln in § 2350 BGB zu beachten. Willensmängel beurteilen sich nach §§ 116 ff. BGB, so dass ein Motivirrtum i.S.d. §§ 2078 Abs. 2, 2281 BGB unbeachtlich ist. Die Frage einer teilweisen Nichtigkeit richtet sich nach § 139 BGB (nicht nach § 2085 BGB). 6. Erbverzicht und EU-Erbrechtsverordnung

18.18a Für Erbfälle seit dem 17.8.2015 ist bei grenzüberschreitendendem Bezug grundsätzlich der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers maßgebend (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO) und nicht mehr die Staatsangehörigkeit. Während das Erb- und Pflichtteilsrecht selbst zum Erbstatut gehören (Art. 23 Abs. 2 Buchst. h EuErbVO), unterfallen Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge als Erbverträge i.S.d. EuErbVO der speziellen Kollisionsnorm für Erbverträge in Art. 25 EuErbVO2, der im Hinblick auf Zulässigkeit, materielle Wirksamkeit und Bindungswirkung gesondert an das Erbstatut anknüpft. Im Einzelnen sind noch viele damit in Zusammenhang stehende Fragen nicht abschließend geklärt:

18.18b Von besonderer Bedeutung ist die Frage, wie sich ein Statutenwechsel auf einen nach dem Errichtungsstatut wirksamen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag unter der EuErbVO auswirkt, konkret: ob er auch dann noch Wirkung entfaltet, wenn das anwendbare Erbstatut einen Verzicht nicht kennt oder ihn für unzulässig erachtet3. Selbst durch die Möglichkeiten der Vertragsgestaltung (Rechtswahl) lässt sich kaum ein Mehr an Sicherheit erlangen, da die Rechtswahlmöglichkeiten des Erbstatuts auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers beschränkt sind (Art. 22 EuErbVO) und die Wahl des Heimatstaatsrechts keinen Vorteil bringt, wenn es keinen Erb- und Pflichtteilsverzicht vorsieht. Ist ein Verzicht trotz Statutenwechsel – und hierfür sprechen die besseren Argumente – (weiterhin) wirksam4, so richteten sich jedenfalls die Wirkungen des Vertrags im Übrigen nach dem Erbstatut. Ob dies aber auch für die Erstreckungswirkung des Verzichtsvertrags auf Abkömmlinge (§ 2349 BGB) gilt oder sich dieser nach dem Erbvertragsstatut5 richtet, ist derzeit noch ungeklärt. Für die Inhaltskontrolle ist das Errichtungsstatut maßgeblich; eine ordre public-Kontrolle scheidet grundsätzlich aus6.

18.18c Beachte: Der Notar sollte die Beteiligten auf die entsprechenden Risiken in der Urkunde hinweisen, solange die Behandlung von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen nicht hinreichend gesichert ist. Sofern das Recht der Staatsangehörigkeit des Erblassers den Abschluss eines Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrags vorsieht, kommt auch eine (ggf. vertraglich bindende) Rechtswahl in Betracht. Im deutschen Recht ist dies inzwischen möglich, vgl. §§ 1941 Abs. 1, 2278 Abs. 2 BGB.

1 Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 21. 2 Lagarde in Bergquist u.a., EU-ErbVO (2015), Art. 35 Rz. 1. 3 Überzeugend bejahend und mit umfassender Darstellung des Streitstandes: Weber, ZEV 2015, 503 (505 ff.). 4 Für vor dem 17.8.2015 abgeschlossene Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge enthält die EUErbVO in Art. 83 Abs. 2-4 Überleitungsregelungen. Vgl. hierzu Eule, Die neue Europäische Erbrechtsverordnung, S. 99 (113 f.). 5 Dafür: Weber, ZEV 2015, 503 (507). 6 Weber, ZEV 2015, 503 (508).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.23 § 18

II. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB) 1. Allgemeines a) Vertragspartner des Erblassers Den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht können Verwandte und der Ehegatte des Erblassers leisten (§ 2346 Abs. 1 S. 1 BGB). Ob der Verwandte im Erbfall tatsächlich der Nächstberufene zur gesetzlichen Erbfolge wäre, ist unerheblich. Daher können z.B. auch Abkömmlinge von Abkömmlingen des Erblassers zu Lebzeiten ihrer Eltern einen Verzichtsvertrag mit dem Erblasser schließen, obwohl sie im Erbfall gem. § 1924 Abs. 2 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen wären. Dies ergibt sich daraus, dass selbst dem Verlobten der Verzicht gestattet ist (vgl. § 2347 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB), obgleich vor der Eheschließung noch nicht einmal eine Aussicht auf ein gesetzliches Erbrecht besteht. Entsprechend ist schon vor der Adoption der Erbverzicht sowohl des Adoptierenden als auch des Angenommenen möglich1.

18.19

b) Gegenstand des Erbverzichts i.e.S. Wenn nichts anderes vereinbart ist, umfasst der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht automatisch auch das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB). Er kann aber auch unter Vorbehalt des Pflichtteils vereinbart werden. Sinnvoll ist letzteres jedoch nur dann, wenn der Erblasser eine zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehörende Person ausschließlich von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen und ihr den Pflichtteil belassen will und er nicht in der Lage ist, diesem Ziel entsprechend zu verfügen, oder wenn er auf diese Weise sein Einvernehmen mit dem von der gesetzlichen Erbfolge Auszuschließenden dokumentieren möchte (vgl. Rz. 18.57).

18.20

c) Der Verzicht zugunsten eines anderen, insbesondere beim Verzicht eines Abkömmlings Beim Verzicht eines Abkömmlings auf sein gesetzliches Erbrecht besteht – sofern der Verzichtsvertrag 18.21 keine anders lautende Bestimmung enthält – eine gesetzliche Vermutung dafür, dass der Verzicht nur zugunsten der anderen Abkömmlinge und des Ehegatten des Erblassers erfolgt (§ 2350 Abs. 2 BGB). Zweck dieser Regelung ist es, die unbeabsichtigte Begünstigung entfernterer Verwandter des Erblassers zu verhindern2. Ein Erbverzichtsvertrag, bei dem die gesetzliche Vermutung des § 2350 Abs. 2 BGB eingreift, steht unter der auflösenden Bedingung, dass zumindest einer der Abkömmlinge des Erblassers oder dessen Ehegatte Erbe wird. Tritt diese Bedingung nicht ein, ist der Erbverzicht unwirksam, sofern nicht ein entgegenstehender Wille der Vertragschließenden anzunehmen ist. Vorstehendes gilt allgemein, wenn der Verzicht „zugunsten eines anderen“ erfolgt (§ 2350 Abs. 1 BGB). Auch hier steht der Verzicht unter der auflösenden Bedingung, dass der andere tatsächlich Erbe wird.

18.22

Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, was geschieht, wenn derjenige, zu dessen Gunsten der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht erfolgt ist, nur teilweise von seinem Verzicht profitiert.

Tritt die Bedingung nur teilweise ein, so soll der Erbverzicht – sofern man ihm wie nach der hier vertretenen Auffassung keine unmittelbare Übertragungswirkung zuschreibt (s. Rz. 18.14) – teils wirksam und teils unwirksam sein3. In einer Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahre 1925 ist § 2350 Abs. 1 BGB, nach dem im Zweifel anzunehmen ist, der Verzicht solle „nur für den Fall“ gelten, dass der Begünstigte Erbe wird, dahin ausgelegt worden, dass er dem Verzicht nur „insoweit“ die Wirkung entziehen wolle, als er – bei Anwendung des § 2346 BGB – nicht zum Vorteil desjenigen gereiche, dem er 1 OLG Hamm v. 17.9.1951 – 7 W 325/51, RPfleger 1952, 89; Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 6. 2 Jackschath, MittRhNotK 1977, 117 (118 f.). Aus der Rspr. etwa OLG Hamm v. 2.12.2011 – I-15 W 630/10, MittBayNot 2013, 65 (67) m. Anm. Kornexl. 3 KG v. 28.5.1925 – 1. ZS X 328/25, OLGE 46, 240 (241); OLG München v. 9.6.1937 – Wx. 175/37, JFG 15 (1937), 364 (366).

Muscheler 811

18.23

§ 18 Rz. 18.24

Erbverzicht

nutzen soll1. Das hat zur Folge, dass der zu begünstigende Dritte den Anteil des Verzichtenden zur Quote erhält, auch wenn der Verzicht unter der Bedingung erklärt ist, dass der Anteil des Verzichtenden dem zu begünstigenden Dritten in vollem Umfang zugutekommt. Insoweit bleibt der Erbverzicht also wirksam, obgleich die Bedingung nicht voll eingetreten ist. Der übrige Anteil verbleibt dem Verzichtenden. Beispiel 1: (Beispiel aus OLG München v. 9.6.1937 – Wx 175/37, JFG 15 [1937], 364 f.) Die Eheleute M und F schließen mit ihren Kindern einen Vertrag, in dem diese auf jedes Erbrecht am Nachlass des zuerst versterbenden Elternteils verzichten. Eine Verfügung von Todes wegen errichten M und F nicht. Nach dem Tod der F, die noch Geschwister hat, beantragt M beim Nachlassgericht einen Erbschein über sein alleiniges Erbrecht. Der Verzicht der Kinder schließt gem. § 2349 BGB zwar (grundsätzlich) auch deren Abkömmlinge ein, wirkt aber nicht zulasten der Erbberechtigten einer höheren Ordnung. Bei gesetzlicher Erbfolge und der Annahme eines Vollverzichts der Kinder wären daher die Geschwister der F neben M getreten. Nach Ansicht des OLG München ergab sich jedoch – selbst ohne Zuhilfenahme der Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB – unter anderem aus dem Zweck des Vertrags, dass der Verzicht nur dem überlebenden Ehegatten, nicht aber den gesetzlichen Erben zweiter Ordnung zugutekommen sollte. Demnach hat das Gericht ausgeführt, der Verzicht der Kinder sei gem. § 2350 Abs. 1 BGB insoweit unwirksam, als er den Anfall der Erbschaft an die Geschwister der F zur Folge hätte. Insoweit blieben also die Kinder neben M erbberechtigt. Beispiel 2: (Beispiel von Soergel/Damrau, § 2350 Rz. 3.) Der Erblasser E hat drei Kinder (K1, K2, K3). E und K1 schließen einen Erbverzichtsvertrag i.e.S. zugunsten des K2. E verstirbt, ohne eine Verfügung von Todes wegen errichtet zu haben, durch die der begünstigte K2 zu 2/3 Anteil zum Erben berufen wird. Bei gesetzlicher Erbfolge und Nichtvorhandensein eines Erbverzichts wäre jedes der Kinder zu 1/3 zur Erbschaft berufen. Da dem relativen Erbverzicht nach zutreffender Auffassung keine unmittelbar übertragende Wirkung zukommt (s. Rz. 18.14 f.), hätte die gesetzliche Erbfolge ohne Berücksichtigung des verzichtenden K1 zu einer Erbquote von je 1/2 für K2 und K3 geführt. Die im Verzicht des K1 enthaltene Bedingung, dass K2 den Anteil des K1 erhält, wäre damit nur zur Hälfte eingetreten. Aus diesem Grund ist der Erbverzicht des K1 lediglich zur Hälfte wirksam, zur anderen Hälfte aber unwirksam. Der Anteil, auf den K1 verzichtet hat, fällt K2 daher nur zur Hälfte zu, die andere Hälfte bleibt K1 erhalten. Folglich ist K1 zu 1/6, K2 zu 1/2 und K3 zu 1/3 als Erbe berufen. Wer dem Erbverzicht dagegen eine Übertragungswirkung zubilligt, kommt zu dem Ergebnis, dass die Erbschaft zu 2/3 K2 und zu 1/3 K3 zufällt.

2. Wirkungen a) Allgemeine Wirkungen aa) Wegfall des Verzichtenden

18.24 Gem. § 2346 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB ist der auf das gesetzliche Erbrecht Verzichtende von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr gelebt hätte. Für die Beurteilung der gesetzlichen Erbfolge gilt der Verzichtende also als vor dem Erbfall verstorben, was zu einer unmittelbaren Änderung der Erbfolge führt. Im Hinblick auf die gesetzliche Erbfolge wirkt sich der Verzicht damit genauso aus wie eine Enterbung (§ 1938 BGB), eine Ausschlagung (§ 1953 BGB) oder eine Erbunwürdigkeitserklärung (§ 2344 BGB). Der Anspruch auf den Pflichtteil bleibt bei der Enterbung jedoch unberührt, wohingegen der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht regelmäßig den Verzicht auf den Pflichtteil beinhaltet (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB).

18.25 Zu beachten ist, dass sich der Wegfall des Verzichtenden immer nur auf den Erbfall derjenigen Person bezieht, mit der der Verzichtende den Verzichtsvertrag abgeschlossen hat. Ein allgemeiner Verzichtsvertrag, der den Verzichtenden in allen Erbfällen, die einen Bezug zu dem Vertragspartner aufweisen (etwa § 1925 Abs. 1 und 3 oder § 1926 Abs. 1, 3 und 4 BGB), ausschließt, ist nicht möglich. Beispiel: (Beispiel nach OLG Frankfurt v. 27.7.1995 – 20 W 319/95, FamRZ 1995, 1450; ähnlich: BayObLG v. 17.2.2005 – 1Z BR 115/04, ZErb 2005, 188 [189] = FamRZ 2005, 1781 [1782].) V schließt mit seinen 1 KG v. 28.5.1925 – 1. ZS X 328/25, OLGE 46, 240 (241).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.28a § 18

Kindern aus erster Ehe einen Erbverzichtsvertrag und wird nach seinem Tod von seiner zweiten Ehefrau und seinem Sohn S aus zweiter Ehe beerbt. Kurz darauf verstirbt S. Der zwischen V und seinen Kindern aus erster Ehe geschlossene Erbverzichtsvertrag vermag nicht zu verhindern, dass ein Teil des väterlichen Vermögens den Kindern aus erster Ehe – im Erbgang nach S gem. § 1925 Abs. 1 BGB – zufällt. Beachte: Da der uneingeschränkte Erbverzicht sowohl die Erbenstellung wie auch die Pflichtteilsberechtigung beseitigt, schließt er auch Abfindungs- und Nachabfindungsansprüche nach §§ 12, 13 HöfeO aus1.

18.26

bb) Erstreckung des Verzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden Leistet ein Abkömmling oder Seitenverwandter des Erblassers einen Erbverzicht, erstreckt sich dieser – 18.27 sofern der Verzichtsvertrag keine anders lautende Regelung enthält – von Gesetzes wegen auf die Abkömmlinge des Verzichtenden (§ 2349 BGB). Dies rechtfertigt sich dadurch, dass der Erbverzicht häufig mit einer Abfindung verbunden ist, die letztlich dem Stamm des Verzichtenden zugutekommt2. Freilich tritt die Erstreckungswirkung auch ein, wenn im Einzelfall keine Abfindung gezahlt wurde3. cc) Auswirkungen auf das gesetzliche Erbrecht Dritter Der Wegfall der Verzichtenden wirkt sich regelmäßig auf das gesetzliche Erbrecht Dritter aus. Durch 18.28 den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (einschließlich des Pflichtteilsrechts)4 können sich entweder die Erbquoten derjenigen erhöhen, die neben dem Verzichtenden zu gesetzlichen (Mit-)Erben berufen gewesen wären5, oder es kann ein gesetzliches Erbrecht erst begründet werden. Die erste Möglichkeit tritt regelmäßig ein, wenn der Verzicht durch einen Abkömmling oder Seitenverwandten des Erblassers erfolgt und der Verzichtende selbst Abkömmlinge hat (die gem. § 2349 BGB ebenfalls erfasst sind). Beispiel 1: Erblasser E lebt mit Ehefrau G im Güterstand der Gütertrennung. Aus der Ehe stammen zwei Kinder (K1 und K2). K1 hat selbst zwei Kinder (A1 und A2). Im Erbfall wären G, K1 und K2 zu je 1/3 zur gesetzlichen Erbfolge berufen (§ 1931 Abs. 4, 1. Hs. BGB). Hat K1 jedoch auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet, ohne die Wirkung des § 2349 BGB abzubedingen, erhöhen sich die Erbquoten von G und K2 um jeweils 1/6. Beispiel 2: (wie Beispiel 1, jedoch:) E lebt mit G im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Im Erbfall wären G zu 1/2 (§§ 1931 Abs. 1 S. 1, 1371 Abs. 1 BGB) sowie K1 und K2 zu je 1/4 zur Erbfolge berufen. Durch den Verzicht des K1 erhöht sich ausschließlich die Erbquote von K2 um das 1/4 des K1. Für G bleibt es bei der Quote von 1/2.

Wenn der Verzichtende zugunsten seiner Abkömmlinge die Wirkung des § 2349 BGB vertraglich abbedungen hat, wird das gesetzliche Erbrecht durch den Verzicht erst begründet. Die Abkömmlinge des Verzichtenden treten dann an die Stelle des Verzichtenden und werden die Nächstberufenen zur gesetzlichen Erbfolge. Die Erbquote derjenigen, die ohnehin gesetzliche Erben des Erblassers geworden wären, bleibt gleich. Beispiel 3: K1 hat in den Beispielsfällen 1 und 2 – entgegen der Vermutung des § 2349 BGB – ohne Wirkung für seine Abkömmlinge verzichtet. Aufgrund des Verzichts treten A1 und A2 – die ohne den Verzicht

1 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = FamRZ 1997, 287; zust. Edenfeld, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 = ZEV 1997, 70 (71). 2 Vgl. nur OLG Stuttgart v. 9.12.1957 – 8 W 329/57, NJW 1958, 347 (348); Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 3. 3 Ganz h.M., vgl. nur Baumgärtel, DNotZ 1959, 63 (64). 4 Nachstehendes gilt nicht, wenn der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht unter Vorbehalt des Pflichtteils erfolgt ist. § 2310 S. 2 BGB findet keine Anwendung, da die Pflichtteilsquote des Verzichtenden sonst nicht berechenbar wäre. Vgl. Staudinger/Otte, § 2310 Rz. 17. 5 Eine Ausnahme besteht für den Ehegatten, bei dem eine Erhöhung vom Güterstand abhängig ist, s. nachfolgende Beispiele.

Muscheler 813

18.28a

§ 18 Rz. 18.29

Erbverzicht

gem. § 1924 Abs. 2 BGB nicht zur Erbfolge berufen gewesen wären – an die Stelle ihres Vaters K1. Im Beispiel 1 erhalten sie jeweils 1/6, im Beispiel 2 jeweils 1/8.

18.29 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB. Der Verzicht eines Abkömmlings des Erblassers soll im Zweifel nur zugunsten der anderen Abkömmlinge und des Ehegatten des Erblassers gelten. Wird durch den Erbverzicht eines Abkömmlings also ein gesetzliches Erbrecht der gesetzlichen Erben zweiter (oder einer noch entfernteren) Ordnung (§§ 1925, 1926, 1928, 1929 BGB) begründet, ist der Erbverzicht bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge im Zweifel unwirksam (vgl. Rz. 18.21). Dem Verzichtenden bleibt damit das gesetzliche Erbrecht erhalten1. dd) Auswirkungen auf das Pflichtteilsrecht Dritter

18.30 Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht wirkt sich auch aus, wenn es im Erbfall – aufgrund einer anderweitigen Verfügung des Erblassers – nicht zur gesetzlichen Erbfolge kommt. Ist im Erbfall überhaupt noch irgendeine Person pflichtteilsberechtigt, bewirkt ein Erbverzicht i.e.S. die Erhöhung ihrer Pflichtteilsquote. Dies liegt daran, dass derjenige, der durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist, bei der Feststellung des für die Berechnung des Pflichtteils maßgebenden Erbteils nicht mitgezählt wird (§ 2310 S. 2 BGB). Die Erhöhung der Pflichtteilsquoten soll einen Ausgleich für die bei einem Erbverzicht regelmäßig gezahlte Abfindung bieten, die ja ihrerseits zu einer Schmälerung des Erblasservermögens geführt hat2. Dem Gesetzgeber war – vor allem zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten3 – daran gelegen, Streitigkeiten über die Höhe etwaiger Abfindungen zu verhindern4, so dass die Zählregel der Einfachheit halber selbst dann anzuwenden ist, wenn der Verzichtende keine Abfindung erhalten hat5. Vor allem in dem Fall, dass keine Abfindung gezahlt wird, verschafft § 2310 S. 2 BGB einem Pflichtteilsberechtigten also „unverdiente“ Vorteile. Im Ergebnis erhält er nämlich aus dem ungekürzten Nachlass einen Pflichtteil, der um die Quote des Weggefallenen erhöht ist.

18.31 Für den Erben, der gem. § 1967 BGB für Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten haftet, spielt daher ein etwaiger Erbverzicht i.e.S. keine Rolle. Die Höhe seiner Pflichtteilslast bleibt – unabhängig davon, wie viele Personen einen Erbverzicht i.e.S. erklärt haben – immer gleich, solange noch mindestens ein Pflichtteilsanspruch zu erfüllen ist6. Beispiel 4: (wie Beispiel 2 [Rz. 18.28], jedoch:) E hat A1 testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt. Auf den Pflichtteil der G hat der Erbverzicht des K1 keinen Einfluss. Ihr Pflichtteil beträgt – unabhängig vom Verzicht des K1 – 1/8 (beachte § 1371 Abs. 2 BGB). Auf die Pflichtteilsquote von K2 wirkt sich ein Erbverzicht des K1 dagegen aus. Wäre dieser neben K2 pflichtteilsberechtigt, betrüge die Quote der Brüder jeweils 3/16. (Der gesetzliche Erbteil beträgt 3/8, da 3/4 × 1/2, davon die Hälfte.) Durch den Verzicht des K1 erhöht sich die Quote des K2 auf 6/16. Die Pflichtteilslast des Erben A1 ist folglich in beiden Fällen gleich hoch.

(1) Einschränkung der Pflichtteilsberechtigung Dritter gem. § 2309 BGB

18.32 In Ansehung des Pflichtteilsrechts Dritter ist vor allem § 2309 BGB zu beachten, der das Rangverhältnis mehrerer pflichtteilsberechtigter Personen regelt. Nach dieser Vorschrift sind entferntere Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers insoweit nicht pflichtteilsberechtigt, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Da derjenige den Pflichtteil nicht mehr verlangen kann, der uneingeschränkt auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet hat, vermag ein naher Pflichtteilsberechtigter, der einen Erbverzicht

1 Staudinger/Schotten, § 2350 Rz. 27; Muscheler, Erbrecht, Rz. 2396. 2 OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 (3644) m.w.N. = ZEV 2000, 277 m. Anm. Rheinbay. 3 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2057). 4 Mot. V, S. 404. 5 Prot. V, S. 611 ff. 6 Rheinbay, S. 120.

814

Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.35 § 18

i.e.S. geleistet hat, einen entfernter Berechtigten nicht mehr zu verdrängen. Erstreckt sich die Wirkung seines Erbverzichts auch auf seine Abkömmlinge, weil die Wirkung des § 2349 BGB nicht abbedungen wurde, besteht damit nach nahezu einhelliger Auffassung in der Literatur (z.B.) die Möglichkeit, dass die abstrakt zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählenden Eltern des Erblassers – als nunmehr Nächstberufene zur gesetzlichen Erbfolge – aktuell pflichtteilsberechtigt werden1 (§ 2303 BGB). Dabei darf allerdings die Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB (s. Rz. 18.29) nicht eingreifen, denn anderenfalls versperrt der Verzichtende – da ihm infolge der Unwirksamkeit des Verzichts sein gesetzliches Erbrecht erhalten bleibt – das Pflichtteilsrecht der entfernteren Verwandten nach §§ 1924, 1930 BGB2. Zu beachten ist, dass die Pflichtteilsberechtigung der nachgerückten entfernteren Verwandten nach 18.33 dem Wortlaut des § 2309 BGB „insoweit“ nicht besteht, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde3, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Im Fall des uneingeschränkten Erbverzichts kann die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter damit nur eingeschränkt sein, wenn der Verzichtende „das ihm Hinterlassene“ annimmt. Es stellt sich in einem solchen Fall die Frage, was im Rahmen eines Verzichts „hinterlassen“ ist. Die für den Erbverzicht lebzeitig geleistete Abfindung ist – nach zwar strittiger, aber richtiger Auffas- 18.34 sung – „hinterlassen“ i.S.d. § 2309 BGB4. Unabhängig davon, ob der Erbverzicht ohne oder mit Abfindung erklärt wurde, ist einem Abkömmling ferner jedenfalls dasjenige „hinterlassen“, was ihm – vor Abschluss des Erbverzichtsvertrags – unter Anordnung einer Anrechnungs- oder Ausgleichungspflicht zugewendet worden ist. Sowohl ein nachrückender Abkömmling als auch die Eltern des Erblassers haben sich solche lebzeitigen Zuwendungen auf ihre Pflichtteilsberechtigung anrechnen zu lassen5, weil zwischen derartigen Vorausgewährungen und dem späteren Erbfall ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Vorausgewährungen dem Pflichtteil gleichzustellen sind. Zuwendungen, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Erbverzicht stehen, können die Pflichtteilsberechtigung der nachgerückten Verwandten dagegen grundsätzlich nicht beeinflussen, und zwar unabhängig davon, ob die Zuwendung aus einer Verfügung von Todes wegen herrührt oder als Schenkung unter Lebenden gewährt wird. 1 MüKo.BGB/Lange, § 2309 Rz. 8; Lange/Kuchinke, § 37 IV 2a (S. 874); RGRK/Johannsen, § 2309 Rz. 11; Bestelmeyer, FamRZ 1997, 1124 (1128); a.A. Soergel/Dieckmann, § 2309 Rz. 23, der nachstehend Berechtigte schon deshalb nicht für pflichtteilsberechtigt hält, weil der nähere Abkömmling wegen des im uneingeschränkten Erbverzicht enthaltenen Pflichtteilsverzichts einem Pflichtteilsberechtigten gleichstehe, der einen Pflichtteilsanspruch habe, ihn aber nicht geltend mache. 2 Staudinger/Otte, § 2309 Rz. 1 u. 3. 3 Die Fiktion des § 2346 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB steht dem Vorrang des näheren Abkömmlings im Rahmen der von § 2309 BGB geforderten fiktiven gesetzlichen Erbfolge nicht entgegen. Die Rangfolge der hypothetischen gesetzlichen Erben bestimmt sich nicht nach den konkreten Umständen im jeweiligen Erbfall, sondern abstrakt nach den §§ 1924 ff. BGB; RG v. 6.6.1918 – Rep. IV 114/18, RGZ 93, 193 (194 f.); BGH v. 13.4.2011 – IV ZR 204/09, BGHZ 189, 171 Rz. 36; BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (475). Ist die Erstreckung des Erbverzichts eines Abkömmlings auf dessen Abkömmlinge abbedungen (§ 2349 Hs. 2 BGB), kann § 2309 2. Alt. BGB also grundsätzlich eingreifen. Zu prüfen ist dann nur noch, ob der nähere Abkömmling ein ihm „Hinterlassenes“ annimmt. 4 A.A. etwa Strohal, I § 50 III 1 (S. 429 f.), mit der Begründung, ein Abkömmling, der nicht bloß auf das Pflichtteilsrecht, sondern auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet habe, komme als ein Abkömmling, der entferntere Verwandte „im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde“, nicht mehr in Betracht. Anders auch für den Sonderfall, dass der nähere (durch Erbverzicht ausgeschlossene) und der entferntere Abkömmling demselben, und zwar dem einzigen Stamm gesetzlicher Erben angehören, BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (476). 5 Staudinger/Otte, § 2309 Rz. 22; RGRK/Johannsen, § 2315 Rz. 17, 21, 23. Auch hier wieder anders für den Sonderfall, dass näherer (verzichtender) und entfernterer Abkömmling dem einzigen Stamm angehören, BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (476).

Muscheler 815

18.35

§ 18 Rz. 18.35a

Erbverzicht

Beratungssituation: Der verheiratete Erblasser hat mit seinem einzigen Kind einen Erbverzichtsvertrag i.e.S. geschlossen. Die Wirkung des § 2349 BGB ist nicht abbedungen worden. Dem Vertrag lässt sich entnehmen, dass der Verzicht – entgegen der Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB – in jedem Fall wirksam sein soll. Der Erblasser möchte wissen, ob die durch den Verzicht seines Abkömmlings ausgelöste Pflichtteilsberechtigung seiner Eltern erhalten bleibt, wenn er seinen Abkömmling – trotz Erbverzichts – zum testamentarischen Erben bestimmt.

18.35a Was der Verzichtende aus einer Verfügung von Todes wegen erhält, schränkt die Pflichtteilsberechtigung nachgerückter Personen nur ein, wenn das Zugewendete – nach dem zugrunde liegenden Kausalgeschäft (s. Rz. 18.116 ff.) – Gegenleistung für den Erbverzicht ist1. Ein als Abfindung ausgesetztes Vermächtnis zugunsten des Verzichtenden führt daher ohne weiteres zu einer eingeschränkten Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter.

18.36 Zuwendungen von Todes wegen schränken die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter dagegen nicht ein, wenn sie nicht Abfindung für den Erbverzicht sind. Dies ergibt sich daraus, dass der Abkömmling, der – ohne entsprechende Gegenleistung – auf das Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet hat, entferntere Verwandte, die er im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hätte, infolge des Verzichts nicht ausschließt2. Soweit in der Kommentarliteratur Kipp/Coing und Dieckmann als Vertreter einer Ansicht3 zitiert werden, nach der sich der entferntere Verwandte alles anrechnen lassen muss, was dem verzichtenden Abkömmling von Todes wegen zugewendet wurde, werden die Ausführungen der Autoren unvollständig wiedergegeben. Kipp/Coing bejahen – im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung – eine Anrechnungspflicht zu Recht nur für den Fall, dass die Zuwendung von Todes wegen eine Abfindungsleistung darstellt4. Dieckmann tendiert ebenfalls hierzu, lässt die Frage aber offen5. Nach der hier vertretenen Auffassung hat der Erblasser damit nicht die Möglichkeit, die durch Erbverzicht begründete Anwartschaft der entfernteren pflichtteilsberechtigten Verwandten auf den Pflichtteil (ganz oder teilweise) wieder zu entziehen6. Für den obigen Beratungsfall bedeutet dies: Die Bestimmung des Verzichtenden zum testamentarischen Erben vermag die Pflichtteilsberechtigung der entfernteren Verwandten weder auszuschließen noch einzuschränken. Die ein anderes Ergebnis rechtfertigende Annahme, die testamentarische Erbeinsetzung sei Abfindung für den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht, wäre rein theoretisch.

18.37 Im Ergebnis stimmt mit den vorstehenden Ausführungen überein eine – in der Literatur heftig kritisierte7 – Entscheidung des OLG Celle8 zu den Auswirkungen eines entgeltlichen Erbverzichts, erklärt durch den bzw. die Erben erster Ordnung, auf den Pflichtteilsanspruch von Erben zweiter Ordnung. Das OLG hat die den pflichtteilsberechtigten Abkömmlingen für einen Erbverzicht gemachten lebzeitigen Zuwendungen eines Erblassers als das „Hinterlassene“ i.S.d. § 2309 BGB angesehen und sie auf den Pflichtteilsanspruch desjenigen angerechnet, dem der Erbverzicht pflichtteilsrechtlich zugutekommt.

1 Kipp/Coing, § 9 I 1d (S. 58); Soergel/Dieckmann, § 2309 Rz. 24; zur gebotenen Einschränkung bei nur einem Stamm BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (476). 2 MüKo.BGB/Frank (3. Aufl.), § 2309 Rz. 14. 3 Auch Staudinger/Ferid/Cieslar (12. Aufl.), § 2309 Rz. 51 mit nicht nachvollziehbarem Argument. 4 Kipp/Coing, § 9 I 1d (S. 58). 5 Soergel/Dieckmann, § 2309 Rz. 24. 6 So auch Planck/Greiff, § 2309 Anm. II 1 und jedenfalls für den Sonderfall, dass nur ein Stamm existiert, (sonst offen) BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (476). 7 Mayer, Anm. zu OLG Celle v. 15.1.1998 – 22 W 115/97, FamRZ 1998, 774 = ZEV 1998, 433 f.; Pentz, NJW 1999, 1835 ff. 8 OLG Celle v. 15.1.1998 – 22 W 115/97, FamRZ 1998, 774 = NJW 1999, 1874 f.; wohl auch Soergel/Dieckmann, § 2309 Rz. 24.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.37b § 18

Beispiel 5: (Sachverhalt nach OLG Celle v. 15.1.1998 – 22 W 115/97, FamRZ 1998, 774 = NJW 1999, 1874.) Erblasser E lebt mit Ehefrau F, die er testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzt hat, im Güterstand der Gütertrennung. Die einzigen Abkömmlinge des E, zwei Töchter aus erster Ehe, haben uneingeschränkt auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtet und sich hierfür je 50.000 DM auszahlen sowie je einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück und an Wohnungseigentum übertragen lassen. Nach dem Tod des E verlangt dessen noch lebende Mutter M von F den Pflichtteil.

Bei gesetzlicher Erbfolge wären M und F gem. §§ 1931 Abs. 1 S. 1, 1925 Abs. 3, 1930 BGB zu je 1/2 als 18.37a Erben berufen gewesen, da die Abkömmlinge des E infolge ihres Erbverzichts i.e.S. von der Erbfolge ausgeschlossen waren (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB). Weil E die F testamentarisch zu seiner Alleinerbin eingesetzt und damit zugleich die M durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen hat, wäre diese nach § 2303 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich pflichtteilsberechtigt. § 2309 BGB bestimmt jedoch, dass entferntere Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers insoweit nicht pflichtteilsberechtigt sind, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Das OLG Celle hat die lebzeitige Zuwendung des E an seine Abkömmlinge als „hinterlassen“ i.S.d. § 2309 BGB betrachtet und einen Pflichtteilsanspruch der M verneint. Der Zweck des § 2309 BGB liege darin, die Vervielfältigung der Pflichtteilslast zu verhindern und allen Pflichtteilsberechtigten zusammen höchstens die Hälfte dessen zukommen zu lassen, was ihnen bei gesetzlicher Erbfolge zufiele. Müsse sich der nachrückende Pflichtteilsberechtigte die – an ihm im Rang vorgehende Berechtigte – erfolgten Zuwendungen nicht anrechnen lassen und könne er deshalb seinerseits den vollen Pflichtteil verlangen, wäre aus dem Erblasservermögen zur Abtragung der Pflichtteilslast im Ergebnis mehr aufgebracht als nur die Hälfte dessen, was bei gesetzlicher Erbfolge auf die Pflichtteilsberechtigten zusammen entfiele. Dies sei nicht hinnehmbar, weil es dem Erblasser schließlich auch möglich sei, Pflichtteilsansprüche seiner Eltern dadurch abzuwehren, dass er seinen Abkömmlingen zu Lebzeiten unter Anordnung einer Anrechnungspflicht (§ 2315 Abs. 1 BGB) Zuwendungen macht, die den Wert ihrer Pflichtteilsansprüche erreichen, oder ihnen – falls sie die Zuwendung ablehnen – von Todes wegen nicht mehr als den Pflichtteil überlässt. Es sei nicht einzusehen, weshalb diese Möglichkeit nicht bestehen solle, wenn die lebzeitige Zuwendung statt mit einer Anrechnungsbestimmung mit einem Erbverzicht i.e.S. verknüpft werde. In der Praxis bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung auf die gegen die Entscheidung vorgebrachten entstehungsgeschichtlichen, grammatischen und teleologischen Argumente reagieren wird. Zuwendungen des Erblassers an den Verzichtenden

Reduzierung des Pflichtteils nach § 2309 BGB

Zuwendung durch Verfügung von Todes wegen, die als Gegenleistung für den Erbverzicht zu verstehen ist

ja

Zuwendung durch Verfügung von Todes wegen ohne sachlichen Zusammenhang zum Erbverzicht

nein (s. Beispiel Beratungssituation Rz. 18.35)

Zuwendung unter Lebenden, als Abfindung für den Erbverzicht

ja (ebenso OLG Celle)

Zuwendung unter Lebenden vor dem Erbverzicht, unter Anordnung einer Anrechnungspflicht für den Pflichtteil

ja

Zuwendung unter Lebenden, die weder Entgelt für den Erbverzicht nein noch mit einer Anrechnungsanordnung nach § 2315 BGB verbunden ist Beachte: Mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung sollte man nicht darauf vertrauen, dass lebzeitige Zuwendungen, die der Erblasser dem Abkömmling für dessen Erbverzicht macht, als „hinterlassen“ i.S.d. § 2309 BGB angesehen werden und die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter insoweit eingeschränkt wird.

Muscheler 817

18.37b

§ 18 Rz. 18.38

Erbverzicht

(2) Einschränkung des Pflichtteilsrechts Dritter gegenüber dem Verzichtenden bei gewährter Abfindung

18.38 Wie unter Rz. 18.30 ausgeführt, hat der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht – im Gegensatz zum isolierten Pflichtteilsverzicht – gem. § 2310 S. 2 BGB die Erhöhung der Pflichtteilsquote noch vorhandener Pflichtteilsberechtigter zur Folge. In den Fällen, in denen der Nachlass zur Befriedigung der (erhöhten) Pflichtteilsansprüche nicht ausreicht, stellt sich die Frage, ob gegen den weichenden Erben, dem für einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht eine Abfindung gewährt worden ist, nach §§ 2325, 2329 BGB Pflichtteilsergänzungsansprüche nach der gem. § 2310 S. 2 BGB erhöhten Pflichtteilsquote in Betracht kommen. Beispiel 6: (Beispiel nach OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 f. = ZEV 2000, 277 f. m. Anm. Rheinbay [unter Übernahme der Darstellung von Rheinbay leicht abgewandelt und vereinfacht].) Der Erblasser E hat zwei Söhne, A und B. Zur Vorwegnahme der Erbfolge überträgt er ein Hausgrundstück im Wert von 310.000 DM an B, der im Gegenzug auf alle ihm gesetzlich zustehenden Erb- und Pflichtteilsansprüche verzichtet. E wird allein von A beerbt. Im Nachlass befinden sich noch 45.000 DM. Außerdem hat A von E lebzeitige Zuwendungen in Höhe von 45.000 DM erhalten. Kann A von B Ergänzung seines Pflichtteils gem. § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB verlangen?

18.38a Maßgeblich hierfür ist zunächst, ob die Abfindung für einen Erbverzicht überhaupt als „Schenkung“ i.S.d. §§ 2325, 2329 BGB qualifiziert werden kann. Entgegen gewichtigen Stimmen in der Literatur wird die Frage von der Rechtsprechung bejaht (s. hierzu Rz. 18.119 f.), die damit eine ungerechtfertigte Verkürzung der Ansprüche Pflichtteilsberechtigter – im Sinne der Ratio des § 2325 BGB und entsprechend dem Zweck der Abfindung als Vorwegnahme der Erbfolge – vermeiden will. Am deutlichsten lässt sich diese Verkürzungsgefahr am isolierten Pflichtteilsverzicht aufzeigen. Kämen Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen die für einen isolierten Pflichtteilsverzicht Abgefundenen mangels Schenkungscharakters der Abfindung nicht in Betracht, wäre es ein Leichtes, einen Pflichtteilsberechtigten zu übervorteilen, der nach dem Willen des Erblassers enterbt werden soll. Der Nachlass könnte durch entgeltliche Pflichtteilsverzichte anderer Pflichtteilsberechtigter geschmälert werden, die den Erblasser (kraft Gesetzes oder Verfügung von Todes wegen) beerben sollen. Dem Pflichtteilsberechtigten wäre nicht nur der Genuss der pauschalen Erhöhung seiner Pflichtteilsquote gem. § 2310 S. 2 BGB verwehrt, sondern er würde vollkommen leer ausgehen, wenn der Nachlass durch die lebzeitig gezahlten Abfindungen ausgehöhlt wäre. Nur wenn man die Abfindung als Schenkung qualifiziert – oder zumindest hinsichtlich des Abfindungsbetrages, der den Wert des Verzichts übersteigt, von einer (gemischten) Schenkung ausgeht1 –, lassen sich derart unbillige Ergebnisse vermeiden.

18.39 Wie aufgezeigt ist es geboten, die Abfindung für einen (isolierten) Pflichtteilsverzicht als Schenkung i.S.d. §§ 2325, 2329 BGB zu qualifizieren. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass der Erblasser gerade in diesem Fall, der lediglich den Verzicht auf den an sich unentziehbaren Pflichtteil betrifft, die Erweiterung seiner Testierfreiheit „erkauft“2. Denn nach dem Willen der Parteien ist die Abfindung dazu bestimmt, den Pflichtteil abzugelten, was bei wirtschaftlicher Betrachtung auch durch Zuwendungen unter Anordnung einer Anrechnungspflicht zu erreichen wäre3. Die rechtliche Qualifizierung der Abfindung als Schenkung kann nun aber beim Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht nicht anders ausfallen. Bei diesem besteht jedoch die Gefahr, dass § 2310 S. 2 BGB – der die Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten verhindern will (s. Rz. 18.30) – kombiniert mit der Pflichtteilsergänzung zu einer Bevorzugung des Pflichtteilsberechtigten führt. Es käme nicht nur zur Erhöhung der Pflichtteilsquote (§ 2310 S. 2 BGB), sondern auch zu einer Hinzurechnung des Wertes des verschenkten Gegenstandes (Abfindung) zum Nachlass (§ 2325 Abs. 1 BGB). Damit stünde das widersinnige Ergebnis im Raum, dass dieselbe Abfindung zweimal in Ansatz zu bringen wäre4. 1 2 3 4

Rheinbay, S. 73 ff., 183. So aber Theiss/Boger, ZEV 2006, 143 (144). MüKo.BGB/Lange, § 2325 Rz. 14, der für eine Einzelfallbetrachtung eintritt. MüKo.BGB/Frank (3. Aufl.), § 2325 Rz. 14; zustimmend Palandt/Weidlich, § 2325 Rz. 16.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.40b § 18

Das OLG Hamm hat – in dem unter Rz. 18.38 geschilderten Beispiel 6 – „jedenfalls im Zweipersonenverhältnis“ eine Verdoppelung der Mindestbeteiligung am Nachlass abgelehnt und dementsprechend nur die Hälfte des Grundstückswertes als ausgleichspflichtige Schenkung angesetzt1: Die vom Gesetzgeber in § 2310 S. 2 BGB vorgesehene Erhöhung der Quote schließe einen Ergänzungsanspruch insoweit aus, als dadurch die Verringerung des Nachlasswerts durch eine Abfindung bereits ausreichend berücksichtigt sei2. Im Beispielsfall erhielt der Pflichtteilsberechtigte A im Wege der Pflichtteilsergänzung von dem Wert des Grundstücks damit nicht mehr als das, was er hiervon ohne den Erbverzicht des B als Pflichtteil erhalten hätte, also 1/4. In Ansehung der Abfindung hat das OLG Hamm damit im Ergebnis die rechtspolitisch verfehlte Vorschrift des § 2310 S. 2 BGB im Zweipersonenverhältnis korrigierend außer Acht gelassen und ihre unterschiedliche Behandlung für einen isolierten Pflichtteilsverzicht einerseits – bei dem der Pflichtteilsberechtigte von der Abfindung niemals mehr als seinen Pflichtteil beanspruchen könnte – und für einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht andererseits – bei dem es nach dem Wortlaut des § 2310 S. 2 BGB stets zu einer Erhöhung der Pflichtteilsquote kommt – beseitigt. Im Hinblick auf den Nachlass und die an A geleistete lebzeitige Zuwendung (zusammen 90.000 DM) verbleibt es dagegen (und muss es verbleiben) bei der durch den Erbverzicht des B bedingten Quotenerhöhung3. Gem. §§ 2326, 2327 BGB hat sich A von den 90.000 DM das anrechnen zu lassen, was seinen erhöhten Pflichtteil von 1/2 übersteigt, mithin 45.000 DM. Der Anspruch des A beläuft sich damit auf 32.500 DM (77.500 DM – 45.000 DM).

18.40

Auch der BGH4 hat im Hinblick auf die Erhöhung der Pflichtteilsquote nach § 2310 S. 2 BGB einen 18.40a Pflichtteilsergänzungsanspruch hinsichtlich der für den Verzicht eines Abkömmlings auf das gesetzliche Erbrecht geleisteten Abfindung grundsätzlich abgelehnt. Der zu entscheidende Fall bot jedoch keinen Anlass, zu klären, ob mangels Schenkungscharakters der Abfindung § 2325 BGB schon tatbestandlich nicht eingreift oder aber der Kompensationskonstruktion über § 2310 S. 2 BGB zu folgen ist. Wenngleich der BGH ausdrücklich erwähnt, diese Streitfrage nicht entscheiden zu müssen, hat er doch in der Aufnahme eines Hinweises auf § 2310 S. 2 BGB in den ersten amtlichen Leitsatz des Beschlusses5 seine Präferenz für die Kompensationslösung zum Ausdruck gebracht. Dieser Ansatz ist auch angesichts des Umstandes, dass der BGH in früheren Entscheidungen die Abfindung als unentgeltlich qualifiziert hat6, naheliegend. Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. § 2325 Abs. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 2329 Abs. 1 BGB) kommt jedoch in Betracht, soweit die Höhe der Abfindung gleichsam als gemischte Schenkung den sei es entgeltlichen, sei es durch § 2310 S. 2 BGB kompensierten Teil der ergänzungsanspruchsfreien angemessenen Abfindung übersteigt. Die maßgebliche Grenze, ab der die Abfindung unangemessen ist und Pflichtteilsergänzungsansprüche auslöst, bildet dabei die Erberwartung des Verzichtenden, mithin der Wert des Erbteils, auf den verzichtet wird7. Die Abkehr von der früheren Rechtsprechung, die den Wert

1 OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 (3644). 2 OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 (3644). 3 Dies verkennt Rheinbay, Anm. zu OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = ZEV 2000, 278. 4 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1144 f.) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (77 f.) m. Anm. Schindler, 80 f. = ErbR 2009, 124 (124 f.). 5 Der erste amtliche Leitsatz des Beschlusses des BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 = FamRZ 2009, 418 = ZEV 2009, 77 = ErbR 2009, 124 lautet: „Wegen der Abfindung, die der Erblasser für den Verzicht eines Abkömmlings auf das gesetzliche Erbrecht leistet, steht einem weiteren Abkömmling ein Pflichtteilsergänzungsanspruch im Hinblick auf die Erhöhung seiner Pflichtteilsquote nach § 2310 Satz 2 BGB grundsätzlich nicht zu“. 6 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 150/84, MDR 1986, 581 = FamRZ 1986, 258 = NJW 1986, 127 (129); BGH v. 28.2.1991 – IX ZR 74/90, BGHZ 113, 393 = MDR 1991, 645 = FamRZ 1991, 695 (397 f.) = NJW 1991, 1610 (1611). 7 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1145) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (78) = ErbR 2009, 124 (125).

Muscheler 819

18.40b

§ 18 Rz. 18.41

Erbverzicht

eines vom Verzichtenden zu beanspruchenden Pflichtteils als Bezugsgröße wählte1, ist konsequent. Schließlich verzichtet der Vertragspartner beim Erbverzicht primär auf sein gesetzliches Erbrecht. Dass er damit gleichzeitig auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB), ist eine sekundäre Folge des Erbverzichts. Die frühere Rechtsprechung hat den Unterschied zwischen Erb- und isoliertem Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) in dieser Frage nivelliert. Auch der Umstand, dass der potentielle Erbe angesichts der Möglichkeit, jederzeit vom Erblasser enterbt zu werden (§ 1938 BGB), berechtigterweise nur auf seinen Pflichtteilsanspruch vertrauen darf, zwingt nicht zu einer anderen Betrachtung. Denn in dem Zeitpunkt, in dem der Erbverzichtsvertrag geschlossen wird, steht eine endgültige Enterbung des Vertragspartners nicht zwangsläufig fest. Sobald zwischen der Abfindung und der Erberwartung des Verzichtenden ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht, ist zu vermuten, dass die vom Erblasser gewährte Leistung über ein Entgelt oder eine an der Kompensation durch § 2310 S. 2 BGB orientierte angemessene Abfindung hinausgeht2. ee) Wegfall des Dreißigsten

18.41 Beim Verzicht eines zur gesetzlichen Erbfolge berufenen Hausangehörigen entfällt der Anspruch auf den Dreißigsten aus § 1969 BGB. ff) Bedeutung und Folgen für den Erblasser

18.42 Mit dem Erbverzicht i.e.S. kann der endgültige Ausschluss einzelner Personen von der gesetzlichen Erbfolge herbeigeführt und damit gleichzeitig ein etwaiges Pflichtteilsrecht beseitigt werden. Während letzteres regelmäßig nur durch Verzichtsvertrag möglich ist, kann der Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge auch durch Enterbung erfolgen, wenn der Erblasser testierfähig ist (zu den Kosten Rz. 18.103). Der Vorteil eines Erbverzichtsvertrags gegenüber einer Enterbung liegt darin, dass der Erbverzicht – da er das Einverständnis des Verzichtenden erfordert – etwaige Streitigkeiten über die Wirksamkeit des Ausschlusses von der Erbfolge weitgehend vermeiden hilft. Noch zu seinen Lebzeiten erlangt der Erblasser damit ein hohes Maß an Gewissheit, dass es nach seinem Tod beim Ausschluss des Verzichtenden und – sofern die Wirkung des § 2349 BGB nicht abbedungen wird – seines Stammes bleibt.

18.43 Der Erbverzicht i.e.S. führt zur uneingeschränkten Testierfreiheit des Erblassers, wenn nach dem Verzichtenden keine pflichtteilsberechtigten Personen zur gesetzlichen Erbfolge berufen wären. Nur in diesem Falle kann er die Erbschaft ungeschmälert dem in Aussicht genommenen Erben zukommen lassen. Ist beim Erbfall dagegen auch nur ein einziger Pflichtteilsberechtigter vorhanden, hat der Erbverzicht keinen Einfluss auf die Höhe der vom Erben zu entrichtenden Pflichtteilslast3 (s. Rz. 18.31).

18.44 Der Erblasser wird durch den Erbverzicht nicht daran gehindert, den Verzichtenden (doch noch) durch Verfügung von Todes wegen zu bedenken4. Einer Aufhebung des Erbverzichts bedarf es hierzu nicht5. Es ist jedoch zu beachten, dass die infolge des Wegfalls des Verzichtenden begründete Anwartschaft eines entfernteren Verwandten auf den Pflichtteil nicht vereitelt werden kann (s. Rz. 18.32 ff.). Soll die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter wieder entfallen, muss zusätzlich die rechtliche Wirkung des Erbverzichts beseitigt, dieser also gem. § 2351 BGB aufgehoben werden.

1 So noch BGH v. 8.7.1985 – II ZR 150/84, MDR 1986, 581 = FamRZ 1986, 258 = NJW 1986, 127 (129). 2 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1145) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (79) = ErbR 2009, 124 (125). 3 Rheinbay, S. 120. 4 BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (267); BGH v. 13.4.2011 – IV ZR 204/09, BGHZ 189, 171 = FamRZ 2011, 971 m. Anm. Walker/Findeisen FamRZ 2011, 1051 = MDR 2011, 732 = ZEV 2011, 366 m. Anm. Haas/Hoßfeld = NJW 2011, 1878 Rz. 13–15; BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474. 5 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 71.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.47 § 18

b) Besonderheiten beim Erbverzicht des Ehegatten Beratungssituation: Die Ehefrau des Erblassers, mit der dieser einen Verzichtsvertrag abschließen will, möchte wissen, ob und inwieweit der Verzicht über das Erbrecht hinausgehende Wirkungen für sie haben kann.

18.44a

aa) Allgemeine Wirkung Der Erbverzicht eines Ehegatten erfasst auch den Voraus gem. § 1932 BGB, also den Anspruch auf 18.45 die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände – soweit nicht Zubehör eines Grundstücks – und die Hochzeitsgeschenke. bb) Güterrechtliche Auswirkungen Leben die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, ist der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht auch dann nicht (automatisch) mit einem Verzicht auf den Zugewinn verbunden1, wenn die für Eheverträge vorgeschriebene Form des § 1410 BGB (notarielle Beurkundung bei gleichzeitiger Anwesenheit der Ehegatten) eingehalten ist. Allerdings hat der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht mittelbar Auswirkungen auf die Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten bei der durch Tod erforderlich werdenden Abwicklung des Güterstandes, die gem. § 1371 Abs. 2 BGB – gegebenenfalls erst nach Ausschlagung einer auf Verfügung von Todes wegen beruhenden Erbschaft oder eines Vermächtnisses – nur nach den Vorschriften der §§ 1373 bis 1383, 1390 BGB vorgenommen werden kann.

18.46

Maßgeblich für die Konsequenzen des Ehegattenverzichts im Erbfall ist, ob der Erbverzicht auf das gesetzliche Erbrecht unter Vorbehalt des Pflichtteilsrechts erfolgt ist oder nicht.

18.47

Regelung im Verzichtsvertrag Ehegatte hat auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet

Konsequenzen im Erbfall – Wird der Ehegatte weder Erbe (durch Verfügung von Todes wegen) noch mit einem Vermächtnis bedacht, besteht nur ein Anspruch auf Zugewinn (§ 1371 Abs. 2 BGB). – Wird der Ehegatte kraft Verfügung von Todes wegen Erbe oder Vermächtnisnehmer und schlägt er nicht aus, bleibt es bei der erbrechtlichen Lösung (stets ohne die sonst mögliche Aufstockung auf den Ergänzungspflichtteil nach §§ 2305, 2307 BGB). Eine Erhöhung des Erbteils nach § 1371 Abs. 1 BGB erfolgt nicht, weil ein gesetzlicher Erbteil aufgrund des Erbverzichts nicht vorhanden ist. Ein Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 2 BGB findet nicht statt. – Wird der Ehegatte durch Verfügung von Todes wegen bedacht und schlägt er die Erbschaft oder das Vermächtnis (jedenfalls das gesamte durch die Verfügung Zugewendete) aus, besteht „nur“ ein Anspruch auf den Zugewinn, nicht jedoch auf den Pflichtteil (§ 1371 Abs. 3, 2. Hs. BGB).

Ehegatte hat unter Vorbehalt – Wird der Ehegatte weder Erbe (durch Verfügung von Todes wegen) des Pflichtteilsrechts auf noch mit einem Vermächtnis bedacht, hat er Anspruch auf Zugewinn das gesetzliche Erbrecht und den kleinen Pflichtteil2. – Wird der Ehegatte durch Verfügung von Todes wegen mit einer den verzichtet kleinen Pflichtteil nicht erreichenden Quote zum Erben eingesetzt, besteht ein Anspruch auf den Zusatzpflichtteil bis zur Höhe des kleinen Pflichtteils (§ 2305 BGB). Schlägt der Ehegatte aus, kann er Zugewinnausgleich sowie den kleinen Pflichtteil verlangen.

1 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 16; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 69; Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 12. 2 Vgl. BGH v. 21.3.1962 – IV ZR 251/61, BGHZ 37, 58 (67).

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§ 18 Rz. 18.48

Erbverzicht

Regelung im Verzichtsvertrag

Konsequenzen im Erbfall – Wird dem Ehegatten ein Vermächtnis hinterlassen, dessen Wert den kleinen Pflichtteil nicht erreicht, kann er das Vermächtnis entweder in der hinterlassenen Höhe annehmen und Aufstockung auf den kleinen Pflichtteil verlangen oder das Vermächtnis ausschlagen und Zugewinnausgleich sowie den kleinen Pflichtteil verlangen (§ 2307 BGB).

18.48 Zu den Folgen eines (isolierten) Pflichtteilsverzichts des Ehegatten s. Rz. 18.70. 18.49 In den anderen Güterständen hat der Erbverzicht i.e.S. keine güterrechtlichen Auswirkungen. Der Anteil am Gesamtgut vererbt sich bei der Gütergemeinschaft nach allgemeinen Regeln (§ 1482 BGB); bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft fällt er nicht in den Nachlass, sondern bleibt in der Gütergemeinschaft erhalten (§ 1483 Abs. 1 S. 3 BGB). Bezüglich des Sonder- und Vorbehaltsguts gelten die allgemeinen Bestimmungen (§ 1483 Abs. 1 S. 3, 2. Hs. BGB). cc) Auswirkungen auf den nachehelichen Unterhaltsanspruch

18.50 Unterhaltsansprüche erlöschen grundsätzlich mit dem Tod des Unterhaltsverpflichteten (§§ 1615 Abs. 1, 1360a Abs. 3 BGB). Eine wichtige Ausnahme findet sich jedoch in § 1586b BGB, der den nachehelichen Unterhaltsanspruch beim Tod des Unterhaltsverpflichteten als Nachlassverbindlichkeit auf den Erben übergehen lässt. Diese Regelung wird unter den Voraussetzungen des § 1933 S. 3 BGB zugunsten des unterhaltsberechtigten Ehegatten für den Fall erweitert, dass der Erblasser während der Rechtshängigkeit eines von ihm gebilligten oder eingeleiteten Verfahrens auf Auflösung der Ehe verstirbt.

18.51 Streitig ist, ob der nacheheliche Unterhaltsanspruch nach dem Tod des Verpflichteten durch den Erbverzicht des Unterhaltsgläubigers entfällt. Die h.M. in der Literatur1 bejaht dies vor allem mit dem Hinweis auf den Wortlaut des § 1586b Abs. 1 S. 3 BGB, nach dem der Erbe nur bis zur Höhe eines fiktiven Pflichtteilsanspruchs haftet. Soweit der Pflichtteilsanspruch durch den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht – wie regelmäßig – mitausgeschlossen sei, komme eine Haftung des Erben daher nicht in Betracht. Ein weiteres Argument entnimmt diese Ansicht den Gesetzesmaterialien, nach denen der Anspruch „gleichsam als Ersatz“ für die mit oder anlässlich der Ehescheidung eingebüßte Nachlassteilhabe bzw. zum Ausgleich für den Verlust des Erbrechts gewährt wurde2.

18.51a Gegen die genannte Lösung spricht, dass § 1586b BGB nicht etwa einen erbrechtlichen Anspruch begründet, sondern einen originär familienrechtlichen Unterhaltsanspruch – trotz Tod des Unterhaltsverpflichteten – aufrechterhält3. Der fiktive Pflichtteilsanspruch ist nicht Grundlage für den Unterhaltsanspruch, sondern lediglich Bemessungskriterium für die Haftungsgrenze4. Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich gegen diese Auffassung nichts herleiten. Die zitierte Aussage wird durch das Wort „gleichsam“ relativiert und macht sogar deutlich, dass überhaupt kein Recht existiert, das durch den Unterhaltsanspruch ausgewechselt werden soll5. Zudem steht die Lösung der h.M. im Widerspruch zu den regelmäßig vorhandenen Vorstellungen der Parteien des Verzichtsvertrags6. Dies gilt sowohl dann, wenn der Verzicht im Zusammenhang mit der Scheidung, wie auch dann, wenn er lange vor der Schei1 Dieckmann, FamRZ 1992, 633 (633); Gernhuber/Coester-Waltjen, § 30 XIII 2 (S. 461 Fn. 5); RGRK/Cuny, § 1586b Rz. 8; MüKo.BGB/Maurer, § 1586b Rz. 2; Soergel/Häberle, § 1586b Rz. 1. 2 BT-Drucks. 7/650, S. 151. 3 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 66. 4 Grziwotz, FamRZ 1991, 1258; Reul, MittRhNotK 1997, 373 (376); Mayer, ZEV 2007, 556 (557); Muscheler, FS Spiegelberger, 1079 (1091); Palandt/Brudermüller, § 1586b Rz. 7. 5 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 66. 6 Palandt/Brudermüller, § 1586b Rz. 8; Münch, ZEV 2008, 571 (575).

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Muscheler

Rz. 18.53 § 18

Erbverzicht

dung vereinbart wurde. Nach alledem dürfte ein Unterhaltsanspruch des verzichtenden Ehegatten gem. § 1586b BGB fortbestehen. Die vorstehenden Argumente lassen sich freilich nur teilweise für den aus § 1933 S. 3 BGB hergeleiteten Unterhaltsanspruch anführen, der nach dem Willen des Gesetzgebers, und diesmal im eigentlichen Sinne, den Ausgleich des Erbrechtsverlusts bewirken soll1. Obgleich dieser Verlust unmittelbar auf dem Verzichtsvertrag – und nicht auf dem Tod des Ehegatten während eines anhängigen Scheidungsverfahrens – beruhen würde, sollte (auch) der in § 1933 S. 3 BGB nur mittelbar auf § 1586b BGB gestützte Unterhaltsanspruch bei einem Erbverzicht des Ehegatten nicht entfallen, sondern genauso behandelt werden wie der unmittelbare Unterhaltsanspruch aus § 1586b BGB2, weil die Verweisung auf § 1586b BGB den Zweck verfolgt, den überlebenden Ehegatten genauso zu stellen wie er stehen würde, wenn es – den Tod des Erblassers als späteres Ereignis gedacht – zu einer rechtskräftigen Scheidung gekommen wäre3.

18.52

Beachte: Soll der Unterhaltsanspruch vom Erbverzicht des Ehegatten unberührt bleiben, ist – mangels höchstrichterlicher Entscheidungen zu diesem Fragenkomplex4 – dringend anzuraten, beim Abschluss des Verzichtsvertrags ausdrücklich zu vereinbaren, dass die Vorschrift des § 1586b BGB so gelten soll, als ob ein Verzicht nicht erklärt worden wäre.

M 147 Verzicht beim Ableben des Erstversterbenden und Bestehen der angeordneten Vermächtnisse

18.52a

Unter der Bedingung, dass beim Ableben des Erstversterbenden die vorstehend angeordneten Vermächtnisse bestehen, verzichtet jeder von uns auf die Geltendmachung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach dem Tod des Erstversterbenden. Wir nehmen diesen Verzicht gegenseitig an5.

3. Zweckmäßigkeit a) Der Verzicht eines Nicht-Pflichtteilsberechtigten Grundsätzlich ist der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht dann nicht zweckmäßig, wenn der Verzicht 18.53 von Seiten eines Nicht-Pflichtteilsberechtigten erfolgt6. Der durch einen solchen Verzicht allein bewirkte Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge lässt sich meist auf einfachere und kostengünstigere Weise herbeiführen (s. Übersicht zu den Kosten, Rz. 18.103). Das bequemste und günstigste Mittel ist die Enterbung (durch positive Einsetzung eines anderen oder rein negatives Testament nach § 1938 BGB), die freilich – anders als der Erbverzichtsvertrag (s. Rz. 18.16, 18.148 ff.) – Testierfähigkeit des Erblassers voraussetzt. Weniger günstig ist demgegenüber eine – ebenfalls denkbare – vertragliche Verpflichtung zur Ausschlagung der Erbschaft. Vor dem Erbfall ist ein solcher Vertrag genauso formbedürftig wie der Erbverzichtsvertrag7, so dass sich beide Möglichkeiten kostenmäßig gleichstehen (s. Rz. 18.103). Der Nachteil des Ausschlagungsverpflichtungsvertrags liegt aber darin, dass sein Umfang niemals so weit reichen kann wie der Erbverzicht (Ausschluss der Abkömmlinge gem. § 2349 BGB), 1 BT-Drucks. 7/4361, S. 52. 2 Muscheler, FS Spiegelberger, 1079 (1091); Reimann, FS Schippel, 301 (307); Reul, MittRhNotK 1997, 373 (376); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 66. 3 Bock, MittRhNotK 1977, 205 (209); Muscheler, FS Spiegelberger, 1079 (1091). 4 LG Ravensburg v. 31.1.2008 – 2 O 338/07, ZEV 2008, 598 (599) ist der Auffassung, dass ein Erb- und Pflichtteilsverzicht auch den Unterhaltsanspruch aus § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB ausschließt. Dazu krit. Münch, ZEV 2008, 571 (574 f.). 5 Formulierungsvorschlag von Grziwotz, DNotZ 2005, 13 (28). 6 Ausnahme: Der Erblasser ist zu einer Verfügung von Todes wegen nicht in der Lage, s. Rz. 18.16. 7 Für eine analoge Anwendung des § 312 Abs. 2 Satz 2 BGB: Soergel/Stein, § 1945 Rz. 15; für eine Analogie zu § 2348 BGB: Damrau, S. 28.

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§ 18 Rz. 18.54

Erbverzicht

weil die Begründung einer Ausschlagungsverpflichtung der Abkömmlinge ohne deren Mitwirkung (als Vertrag zulasten Dritter) unzulässig wäre. Zudem wirkt der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag nur schuldrechtlich und birgt deshalb – wie jedes Verpflichtungsgeschäft – ein Prozessrisiko in sich. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Kapitel zur Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, Rz. 22.130 ff. verwiesen. Beratungssituation: Der testierunfähige Erblasser (vertreten durch einen gesetzlichen Vertreter, s. Rz. 18.148) und einer seiner potenziellen (nicht pflichtteilsberechtigten) gesetzlichen Erben wollen durch den Abschluss eines Erbverzichtsvertrags bewirken, dass der zukünftige Nachlassanteil des weichenden Erben einem/mehreren anderen gesetzlichen Erben zufällt. Sie möchten wissen, ob Alternativen in Betracht kommen und wann sich ein Erbverzicht empfiehlt.

18.54 Es gilt (für Rz. 18.54–18.56a) zunächst das zu Rz. 18.53 Gesagte: Nur wenn der Erblasser nicht in der Lage ist, von Todes wegen zu verfügen, kommt der Erbverzicht überhaupt als zweckmäßiges Mittel zur Gestaltung der Erbfolge in Betracht. Alternativ ist dann auch an einen Vertrag zwischen gesetzlichen Erben gem. § 311b Abs. 5 BGB zu denken, in dem sich der weichende Erbe entweder zur Ausschlagung der Erbschaft oder zur Übertragung seines Nachlassanteils verpflichtet. Der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag mit anderen gesetzlichen Erben kann in seinen Rechtsfolgen niemals so weit reichen wie der Erbverzicht und ist auch sonst gegenüber diesem nachteilig, obwohl sich beide Möglichkeiten kostenmäßig gleichstehen (s. Rz. 18.103). Aus diesem Grund lässt er sich kaum als echte Alternative zum Erbverzicht bezeichnen. Anders verhält es sich dagegen mit dem Nachlassübertragungsverpflichtungsvertrag des § 311b Abs. 5 BGB. Je nachdem, wem der Nachlassanteil des weichenden Erben zufallen soll, treten Konstellationen auf, in denen entweder die Vor- und Nachteile eines solchen Vertrags im Einzelfall mit denen des Erbverzichts abzuwägen sind oder sich das gewünschte Ergebnis sogar nur durch den Nachlassübertragungsverpflichtungsvertrag erreichen lässt.

18.55 Beide Möglichkeiten sind im Einzelfall gegeneinander abzuwägen, wenn: (1) der Erblasser und einer der zukünftigen gesetzlichen Miterben wünschen, dass dessen Nachlassanteil dem einzigen anderen bzw. allen anderen Miterben zukommt, (2) der Erblasser und einer der zukünftigen gesetzlichen Miterben wünschen, dass der Nachlassanteil des Verzichtswilligen an dessen Abkömmling(e) fällt1 oder (3) der Erblasser und sein zukünftiger gesetzlicher Alleinerbe wünschen, dass die Erbschaft den/ dem nächsten gesetzlichen Erben zufällt.

18.55a In die Abwägung sollten folgende Gesichtspunkte einbezogen werden: – Der Verzicht hat – anders als ein Vertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB – unmittelbare erbrechtliche Wirkung. Den/dem Miterben fällt die Erbschaft direkt an, so dass sich ein weiterer Vollzug nach dem Erbfall erübrigt. Damit sind die Gefahren eines späteren Prozesses zur Durchsetzung der vertraglichen Verpflichtung von vornherein ausgeschaltet. Vermieden werden auch die für die Übertragung des Nachlassanteils gem. § 2033 Abs. 1 S. 2 BGB entstehenden Kosten, z.B. Beurkundungskosten. Außerdem ist gewährleistet, dass der Begünstigte den Nachlassanteil des Verzichtswilligen auch dann erhält, wenn dieser vor dem Erbfall verstirbt. Dies ist bei einem Vertrag nach § 311b Abs. 5 BGB nicht der Fall. Beispiel: Gesetzliche Erben des Erblassers E sind seine drei Kinder A, B und C. A hat sich verpflichtet, seinen Nachlassanteil auf B und C zu übertragen. A stirbt vor E und hinterlässt selbst Abkömmlinge.

Die Verpflichtung des A hat für B und C keinen Wert, und zwar unabhängig davon, ob die Abkömmlinge des A dessen Erben werden oder nicht. Sind die Abkömmlinge des A von diesem enterbt worden, kann sie dessen Verpflichtung, da nicht gem. § 1922 Abs. 1 BGB auf sie übergegan1 Sollen bei einem Erbverzicht die Abkömmlinge des Verzichtenden begünstigt werden, ist die Wirkung des § 2349 BGB auszuschließen.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.56 § 18

gen, nicht treffen. Sie beerben E – neben B und C – kraft eigenen Rechts aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehung zu E (§ 1924 Abs. 3 BGB). Dieser Situation kann im Vertrag A-BC auch nicht dadurch vorgebeugt werden, dass die Verpflichtung des A von vornherein auf dessen Abkömmlinge ausgedehnt wird, weil es sich hierbei um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter handeln würde. Werden die Abkömmlinge des A dessen Erben, erlischt die Verpflichtung des A, den durch den Tod des E erworbenen Nachlassanteil aus seinem Vermögen auf B und C zu übertragen. Die Leistung ist nachträglich subjektiv unmöglich geworden (§ 275 Abs. 1 BGB), weil der von A erwartete Nachlassanteil nie in sein Vermögen gelangt ist. – Unter Kostengesichtspunkten kann der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags in einem speziellen Fall ungünstiger sein als ein Vertrag unter künftigen gesetzlichen Erben nach § 311b Abs. 5 BGB. Dieser Fall ist stets gegeben, wenn Erblasser ein unter elterlicher Sorge stehender geschäftsunfähiger Minderjähriger ist, dessen Vermögen mehr als 25.000 Euro beträgt. Denn dann verursacht die nach § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB erforderliche familiengerichtliche Genehmigung stets eine halbe Gebühr. (§§ 28, 36 Abs. 1 S. 1 FamGKG i.V.m. Nr. 1310 KV FamGKG i.V.m. Vorbemerkung 1.3.1. Abs. 2 KV FamGKG. Bei bestehender Vormundschaft oder Pflegschaft ist die Erteilung der Genehmigung gem. §§ 28, 36 Abs. 1 S. 1 FamGKG i.V.m. Nr. 1310 Abs. 1 KV FamGKG dagegen gebührenfrei. Für die Betreuung ergibt sich die Gebührenfreiheit aus GNotKG, Anl. 1, Hauptabschnitt 1.) Der Kostenvorteil des Vertrags nach § 311b Abs. 5 BGB liegt auf der Hand, wenn dieser seinerseits keiner (kostenpflichtigen) Genehmigung bedarf. Bedarf er aber einer Genehmigung nach §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 1 BGB, weil sich ein unter elterlicher Sorge stehender Minderjähriger zur Übertragung seines gesetzlichen Erbteils oder seines Pflichtteils verpflichtet, käme es darauf nicht an, da auch sein Verzicht im Rahmen eines Erbverzichtsvertrags einer Genehmigung bedürfte (§ 2347 Abs. 1 S. 1 BGB) und die Genehmigungen hinsichtlich der Kosten gleichstehen. – In die Abwägung einzubeziehen war früher auch ein Aspekt betreffend die steuerliche Behandlung einer Abfindung: Während die für einen Erbverzicht gewährte Abfindung der Schenkungsteuer unterliegt (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG), verhält sich das ErbStG nicht ausdrücklich zu der Frage, ob auch die Abfindung für einen Erbschaftsvertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB steuerbar ist. Die steuerrechtliche Relevanz hängt daher davon ab, ob man eine solche Abfindung für einen Erbschaftsvertrag nach § 311b Abs. 5 BGB als „freigebige Zuwendung“ i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG oder als entgeltliches Geschäft ansieht (zur zivilrechtlichen Qualifikation s. Rz. 18.117 ff.). Das FG München neigte zu Letzterem und verneinte daher die Schenkungsteuerpflichtigkeit für eine Abfindung, die der begünstigte Vertragspartner dem anderen als Gegenleistung für einen von diesem erbschaftsvertraglich erklärten „Verzicht“ auf sämtliche etwaige ihm am Nachlass von X zustehenden Pflichtteilsansprüche einschließlich Pflichtteilsergänzungsansprüche gewährte, wenn und soweit die gezahlte Summe dem Wert der („verzichteten“) Ansprüche entspricht1. Dieser Auffassung ist der BFH entgegengetreten2, so dass steuerliche Gründe als Abwägungskriterium zwischen einem Vertrag nach § 311b Abs. 5 BGB und einem Erbverzicht – anders als früher3 – nicht mehr in Betracht kommen. Dem Willen der Beteiligten nur teilweise zum Erfolg zu verhelfen vermag der Erbverzicht in den Fällen, in denen (1) der Nachlassanteil eines Miterben nur einem von mehreren Miterben, (2) der Nachlassanteil eines Miterben nur einem seiner Abkömmlinge oder (3) die Erbschaft des Alleinerben nur einem von mehreren nach ihm berufenen gesetzlichen Erben zufallen soll.

1 FG München v. 7.7.1997 – 4 K 2747/93, ZEV 1998, 237 f. 2 BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, ZEV 2001, 163 ff.; abl. Daragan, Anm. zu BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, DB 2001, 848. 3 Vgl. noch Damrau, S. 34.

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18.56

§ 18 Rz. 18.56a

Erbverzicht

18.56a In den angeführten Konstellationen erfolgt der Erbverzicht unter der Bedingung, dass der Erbteil, der dem Verzichtenden bei gesetzlicher Erbfolge zufallen würde, dem Begünstigten zugutekommt. Allein durch den Erbverzicht ist das angestrebte Ziel jedoch nicht zu erreichen, vielmehr wäre zusätzlich eine Verfügung von Todes wegen erforderlich. § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB stellt den Verzichtenden so, als sei er vor dem Erbfall verstorben, und verhindert damit lediglich den Anfall der Erbschaft an ihn. Eine unmittelbar übertragende, das Erbrecht des begünstigten Dritten begründende Wirkung kommt dem Verzicht dagegen nicht zu (s. Rz. 18.14). Ohne eine erbeinsetzende Verfügung kann der Begünstigte den Erbteil des Verzichtenden damit nur zur Quote erlangen. Da die Bedingung in einem solchen Fall nur teilweise eintritt, ist der Verzicht nur zum Teil wirksam und zum anderen Teil unwirksam (s. Rz. 18.23). Das gewünschte Ergebnis lässt sich in den genannten Fällen nur durch einen Nachlassübertragungsverpflichtungsvertrag herbeiführen. Beratungssituation: Der testierfähige Erblasser möchte einen gesetzlichen Erben von der Erbfolge ausschließen. Um üble Nachreden zu vermeiden, möchte er den Ausschluss jedoch nur im Einverständnis mit dem gesetzlichen Erben vornehmen. Was ist ihm zu raten?

18.57 In einem solchen Fall wird dem Erblasser daran gelegen sein, alles zu vermeiden, was den Anschein von Heimlichkeit erwecken könnte. Durch den Erbverzichtsvertrag wird das Einverständnis des von der gesetzlichen Erbfolge Ausgeschlossenen auf zuverlässige Weise dokumentiert. Hierin liegt auch der Vorteil gegenüber einem im privaten Bereich formlos eingeholten – für eine Enterbung freilich nicht notwendigen – „Einverständnis“, dessen „Einvernehmlichkeits“-Eindruck hinter dem des Erbverzichts zurückbleibt. Nach dem Erbfall könnte der Enterbte eher behaupten, das Einverständnis sei unter Druck zustande gekommen, und versuchen, die letztwillige Verfügung des Erblassers anzugreifen. b) Der Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten

18.58 Der Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten auf das gesetzliche Erbrecht beseitigt regelmäßig dessen Erb- und Pflichtteilsaussicht (§ 2346 Abs. 1 S. 2 BGB). Gerade die zuletzt genannte – von Gesetzes wegen automatisch eintretende – Folge des Erbverzichts macht aber die eigentliche Bedeutung aus, die der Erbverzicht eines Pflichtteilsberechtigten für den Erblasser hat. Beratungssituation: Der Erblasser hat gehört, dass die Pflichtteilsaussicht eines Pflichtteilsberechtigten sowohl durch (uneingeschränkten) Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht als auch durch (isolierten) Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB beseitigt werden kann. Er möchte wissen, was zweckmäßiger ist.

18.59 Der (uneingeschränkte) Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten auf die gesetzliche Erbfolge beseitigt neben der Pflichtteilsaussicht zugleich die Erbaussicht. Letzteres kann – wie bei einem Nicht-Pflichtteilsberechtigten – regelmäßig auf einfachere und kostengünstigere Weise herbeigeführt werden (s. Rz. 18.53). Nur in dem Maße, in dem der Erbverzicht i.e.S. für einen Nicht-Pflichtteilsberechtigten als zweckmäßiges Mittel zur Beseitigung einer Erbaussicht in Betracht kommt, bietet er sich überhaupt auch für einen Pflichtteilsberechtigten an.

18.60 Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem (uneingeschränkten) Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht und einem (isolierten) Pflichtteilsverzicht besteht in den Auswirkungen auf das Pflichtteilsrecht Dritter. Der (uneingeschränkte) Verzicht des Pflichtteilsberechtigten auf das gesetzliche Erbrecht beseitigt zwar seine Pflichtteilsaussicht, hat aber keinen Einfluss auf die Gesamthöhe der Pflichtteilslast, wenn im Erbfall auch nur eine pflichtteilsberechtigte Person vorhanden ist (s. Rz. 18.30 ff.). Bei der Feststellung des für die Berechnung des Pflichtteils maßgebenden Erbteils wird gem. § 2310 S. 2 BGB nämlich nicht mitgezählt, wer durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist. Mit anderen Worten: Die Pflichtteilsquoten Dritter erhöhen sich um den Anteil des durch Erbverzicht Ausgeschlossenen. Anders verhält es sich bei dem (isolierten) Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB,

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Erbverzicht

Rz. 18.62 § 18

weil § 2310 S. 2 BGB bei diesem nicht anwendbar ist1. An der Nichtanwendbarkeit von § 2310 S. 2 BGB wird dem Erblasser gelegen sein, wenn er den Nachlass möglichst ungeschmälert einer bestimmten Person zukommen lassen und die Erhöhung der Pflichtteilsquoten weiterer pflichtteilsberechtigter Personen verhindern will. Die durch § 2310 S. 2 BGB bewirkte Erhöhung der Pflichtteilsquote kann zur Folge haben, dass der (neben dem Verzichtenden vorhandene) Pflichtteilsberechtigte, der übersehen wurde, der nicht verzichten wollte oder dessen Verzicht unwirksam war, von dem Erben einen Geldbetrag verlangen kann, der weit über dem Wert dessen liegt, was er bei gesetzlicher Erbfolge erhalten hätte. Ob diese weitreichende Konsequenz des § 2310 S. 2 BGB in allen Fällen gerechtfertigt ist, erscheint zweifelhaft (zum Zweck des § 2310 S. 2 BGB s. Rz. 18.30). Die Belastung der Erben hatte der Gesetzgeber nicht vor Augen2. Doch ist das kein hinreichender Grund, an der eindeutigen Gesetzeslage zu deuteln. Die (meist ungewollte) Erhöhung der Pflichtteilsquoten ließe sich verhindern, indem der Erbverzicht i.e.S. unter der aufschiebenden Bedingung erklärt wird, dass jeder Pflichtteilsberechtigte einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht leistet, und zugleich unter der auflösenden Bedingung, dass der Verzicht nur so lange gelten soll, wie alle Einzelverträge wirksam sind3. Letztlich dient eine solche Konstruktion jedoch wiederum nicht dem Schutz des/der Erben, sondern ausschließlich dem Verzichtenden, der pflichtteilsberechtigt ist.

18.61

Beachte: Bei Testierfähigkeit des Erblassers ist ein Erbverzicht i.e.S. von Seiten eines Pflichtteilsberechtigten – wegen § 2310 S. 2 BGB – nur zweckmäßig, wenn alle vorhandenen Pflichtteilsberechtigten (wirksame) Erbverzichte abgeben oder keine weiteren Pflichtteilsberechtigten vorhanden sind. Ein diesbezüglicher Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 17 Abs. 1 S. 2 BeurkG) kann einen Schadensersatzanspruch zur Folge haben. Auf Grundlage der nahezu einhelligen Ansicht, dass § 2310 S. 2 BGB beim isolierten Pflichtteilsverzicht nicht gilt, ist derzeit lieber zum Pflichtteilsverzicht mit ergänzender Verfügung von Todes wegen zu raten4.

III. Der isolierte Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) 1. Allgemeines Abgesehen von den seltenen Fällen einer Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 ff. BGB) ist der Pflichtteils- 18.62 verzicht das einzige zweckmäßige Mittel zur Beseitigung einer Pflichtteilsaussicht. Ein Erlassvertrag zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem zugunsten der Erben ist nicht möglich, da § 328 BGB auf Verfügungsgeschäfte keine Anwendung findet und ein Pflichtteilsanspruch als ein bloß zukünftiges Forderungsrecht nicht Gegenstand eines Erlassvertrags sein kann5. Aus diesen Gründen kommt auch keine zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem vereinbarte Abtretung des zukünftigen Pflichtteilsanspruchs zugunsten der Erben in Betracht6. Denkbar wäre zwar, dass sich der Pflichtteilsberechtigte gegenüber dem Erblasser zugunsten der Erben vertraglich verpflichtet, seinen Pflichtteilsanspruch nicht geltend zu machen, ihn nach dem Erbfall den Erben zu erlassen oder an diese abzutreten, doch wäre eine solche Verpflichtung im Vergleich zum Pflichtteilsverzicht nachteilig. Obgleich dieselben Kosten entstünden, weil ein entsprechender schuldrechtlicher Vertrag zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten – wie der Pflichtteilsverzicht – notarieller Beurkundung bedarf (§ 2348 analog)7, wäre nicht in gleichem Maße sicher, dass sich das gewünschte Ergebnis nach dem Erbfall tatsächlich realisiert. Abgesehen von dem Risiko, dass die Verpflichtung gerichtlich durchgesetzt werden muss, 1 Vgl. nur BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81, NJW 1982, 2497; Lange/Kuchinke, § 37 VII 2a (S. 897 Fn. 201). Neuerdings a.A. Staudinger/Otte, § 2310 Rz. 21; krit. hierzu Schotten, RNotZ 2015, 412 sowie von Proff, ZEV 2016, 173. 2 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2057). 3 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2057). 4 Rheinbay, S. 124; Schramm, BWNotZ 1959, 227 (230). 5 Damrau, S. 47. 6 Damrau, S. 48. 7 KG v. 26.2.1973 – 12 U 2463/72, OLGZ 1974, 263 (265).

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§ 18 Rz. 18.63

Erbverzicht

ist zusätzlich im Falle eines Vorversterbens des Verpflichteten nicht in jedem Fall sichergestellt, dass die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegen die Erben unterbleibt. Ist der Verpflichtete nämlich Abkömmling des Erblassers und hinterlässt er seinerseits Abkömmlinge, haben diese beim Tod des Erblassers – sofern sie ihn nicht selbst beerben – einen originären Pflichtteilsanspruch gegen die Erben (vgl. Beispiel Rz. 18.55a).

18.63 Der Pflichtteilsverzicht kann uneingeschränkt erfolgen oder inhaltlich begrenzt werden1. Allgemein anerkannt ist heute, dass die Beschränkung auf einen Bruchteil des Pflichtteils zulässig ist2. Eine solche Beschränkung ist vereinbar mit der Rechtsstellung, auf die verzichtet wird, und gefährdet nicht den Grundsatz der Universalsukzession. Im Erbfall entsteht ohne Besonderheiten eine Erbengemeinschaft am gesamten Nachlass. Ob der Verzicht auch auf bestimmte Nachlassgegenstände bezogen sein kann, wird nicht einheitlich beantwortet. Im Hinblick auf den obligatorischen Charakter des Pflichtteilsanspruchs als eines bloßen Geldanspruchs im Gegensatz zum dinglich wirkenden Erbrecht erachtet die h.M. eine Beschränkung des Pflichtteilsverzichts auf bestimmte Nachlassgegenstände für zulässig (s. Rz. 18.11), mit der Folge, dass die betreffenden Gegenstände bei der Berechnung des Pflichtteils unberücksichtigt bleiben3. Ein Verstoß gegen das für die Pflichtteilsberechnung geltende Verbot von Wertbestimmungen durch den Erblasser (§ 2311 Abs. 2 S. 2 BGB) ist darin nicht zu erblicken4, weil bei Vorliegen einer vertraglichen Vereinbarung darüber, dass zukünftige nachlasszugehörige Gegenstände bei der Berechnung ausgenommen sein sollen, keine einseitige Bestimmung durch den Erblasser getroffen ist5.

18.64 Neben den in Rz. 18.12 und 18.63 genannten rechtsgeschäftlichen Verzichtsbeschränkungen kann der Pflichtteil auch auf eine bestimmte Summe festgelegt (dann ist an Wertsicherung zu denken!6) oder eine Vereinbarung zur Berechnungsweise des Pflichtteils7 getroffen werden8. Auf diese Weise lassen sich spätere Streitigkeiten über die Höhe oder Berechnung des Pflichtteils vermeiden. Darüber hinaus macht eine solche Vereinbarung für den späteren Erben die Pflichtteilslast kalkulierbar. Man kann den Pflichtteilsverzicht auch auf Pflichtteilsergänzungs- oder Pflichtteilsrestansprüche (§§ 2325 ff., 2305, 2307 BGB) oder auf den Bruchteil beschränken, der den Wert eines erbvertraglich dem Verzichtenden vermachten Gegenstandes übersteigt. Durch die zuletzt genannte Gestaltung werden die Nachteile vermieden, die dem Verzichtenden im Erbfall aus den §§ 2310 S. 2, 2318 Abs. 1 und 2 BGB entstehen können, wenn Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind9. Ferner sind Vereinbarungen über die Stundung oder Ratenzahlung eines späteren Pflichtteilsanspruchs möglich10 (s. auch Rz. 18.76). 2. Wirkungen

18.65 Der uneingeschränkte isolierte Pflichtteilsverzicht beseitigt das Pflichtteilsrecht (jedenfalls) des Verzichtenden insgesamt und verhindert die Entstehung sämtlicher Ansprüche, die mit dem Pflichtteil zusammenhängen. Ausgeschlossen sind daher auch der Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB), der Pflichtteilsanspruch bei Zuwendung eines Vermächtnisses (§ 2307 BGB) und der Pflichtteilsergänzungsanspruch (§§ 2325 ff. BGB)11. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Näher Mayer, ZEV 2000, 263. A.A. war noch Harrer, ZBIFG 15 (1915), 1 (11). Mayer, ZEV 2000, 263 m.w.N. A.A. Schopp, RPfleger 1984, 175 (176). H.M., Mayer, ZEV 2000, 263 m.w.N.; Cremer, MittRhNotK 1978, 169 (170). Mayer, ZEV 2000, 263 (267). Zu den damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. Mayer, ZEV 2000, 263 (267) m.w.N. Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 10; RGRK/Johannsen, § 2346 Rz. 24; Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 15. Nieder, Rz. 1145. Damrau, BB 1970, 467 (469); Weirich, DNotZ 1986, 5 (11). Vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erbund Verjährungsrechts (vgl. hierzu Keim, ZEV 2008, 161 [162]; Muscheler, ZEV 2008, 105 [107] bewirkte der uneingeschränkte Pflichtteilsverzicht ferner den Ausschluss des von § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.66 § 18

Bis zur Entscheidung des BGH vom 13.4.20111 war es gängige Beratungspraxis, dem Erblasser einen 18.65a isolierten Pflichtteilsverzicht zu empfehlen und ihn zur Beseitigung des gesetzlichen Erbrechts auf die Möglichkeit der Enterbung zu verweisen. Im Gegensatz zum vollumfänglichen Erbverzicht versprach diese Vorgehensweise nämlich eine Reduzierung der Pflichtteilslast, weil beim isolierten Pflichtteilsverzicht – nach nahezu einhelliger Meinung2 – § 2310 S. 2 BGB keine Anwendung findet. Da für den isolierten Pflichtteilsverzicht auch nicht die Vorversterbensfiktion des § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB angeordnet ist, schrieb man dem isolierten Pflichtteilsverzicht wegen § 1930 BGB bzw. des Repräsentationsprinzips (§ 1924 Abs. 2 BGB) eine vollumfängliche Beseitigung der Pflichtteilslast auch bezogen auf die entfernter Berechtigten zu. In seinem Urteil vom 13.4.2011 hat der BGH für den Fall der Enterbung eines näheren Abkömmlings im Ergebnis dieselben Rechtsfolgen angenommen wie für die Ausschlagung (§ 1953 Abs. 2 BGB), die Erbunwürdigkeit (§ 2344 Abs. 2 BGB) und bei einem auf den Berechtigten beschränkten Erbverzicht (§ 2346 Abs. 1 S. 2 BGB), nämlich die Begründung eines gesetzlichen Erbrechts für entferntere Berechtigte, die – wenn sie durch letztwillige Verfügung von der Erbschaft ausgeschlossen sind und zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehören – grundsätzlich auch mit einem Pflichtteilsanspruch nachrücken können. Verhindern vermag dies allenfalls die Sperre des § 2309 BGB, die eine konkrete Pflichtteilsberechtigung von Abkömmlingen und Eltern des Erblasser jedoch nur insoweit ausschließt, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, entweder den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Die Reichweite des § 2309 BGB auf Grundlage der aktuellen BGH-Judikatur ist noch nicht abschließend geklärt. Es gibt keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der in der Literatur umstrittenen Frage, ob die Vorschrift auch im Fall des (entgeltlichen) Pflichtteilsverzichts des näher Berechtigten, der lediglich auf den eigenen Pflichtteil des Verzichtenden beschränkt ist, einen etwaigen Anspruch entfernter Pflichtteilsberechtigter sperrt, wenn noch seine Enterbung kraft letztwilliger Verfügung hinzutritt. In Ansehung der ersten Variante des § 2309 BGB wird bereits diskutiert, ob das Tatbestandsmerkmal „Pflichtteil verlangen kann“ allein auf den Zeitpunkt des Erbfalls beschränkt ist oder die Formulierung nicht vielmehr verdeutlichen will, dass ein gesetzlicher Hinderungsgrund für den Wegfall des Pflichtteilsrechts (Ausschlagung oder Erbverzicht mit Vorversterbensfiktion, Unwürdigkeit oder Pflichtteilsentzug) bestehen muss, das Ergebnis der Ausübung von Dispositionsbefugnis (wie etwas das Nichtgeltendmachen bzw. Verjährenlassen des Anspruchs oder auch der isolierte Pflichtteilsverzicht) aber unberücksichtigt zu bleiben hat, da es lediglich den Erben – und gerade nicht entfernter Berechtigten zugute kommen soll. In Ansehung der zweiten Variante des § 2309 „das ihm Hinterlassene annimmt“ wird auf die in Rz. 18.33 ff. dargelegte Problematik verwiesen. Von entscheidender Bedeutung wird letztlich die Ratio des § 2309 BGB sein, eine Vervielfältigung der Pflichtteilslast – so auch eine doppelte Berücksichtigung desselben Stammes – zu vermeiden.

18.65b

Beachte: Da die Reichweite von § 2309 BGB beim (entgeltlichen) isolierten Pflichtteilsverzicht mit Enterbung kraft Verfügung von Todes wegen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, sollte man nicht darauf vertrauen, dass keine entfernter Berechtigten (Enkel, Urenkel oder Eltern) nachrücken. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Pflichtteil verlangen kann“ in der ersten Variante erscheint dabei noch unsicherer als die Alternative „das ihm Hinterlassene annimmt“, sodass in der Beratung wenigstens das berücksichtigt werden sollte, was für die Abfindung bei einem Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht nach derzeitigen Erkenntnissen als gesichert angesehen werden darf (vgl. Rz. 18.34).

In Ansehung beschränkter Pflichtteilsverzichtsverträge besteht lediglich bei der Beschränkung auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch (§§ 2325 ff. BGB) die Besonderheit, dass der aufgrund lebzeiti-

angeordneten Wegfalls der Beschränkungen und Beschwerungen, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht überstieg. 1 BGH v. 13.4.2011 – IV ZR 204/09, BGHZ 189, 171. 2 Neuerdings a.A. Staudinger/Otte, § 2310 Rz. 21; krit. hierzu Schotten, RNotZ 2015, 412 sowie von Proff, ZEV 2016, 173.

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18.66

§ 18 Rz. 18.67

Erbverzicht

ger Zuwendungen möglicherweise entstehende Anspruch auf den Ausgleichspflichtteil (§ 2316 BGB) hiervon unberührt bleibt1.

18.67 Zu beachten ist, dass die Auslegungsregeln des § 2350 Abs. 1 und 2 BGB bei einem isolierten Verzicht auf das Pflichtteilsrecht nicht gelten, weil dieser das gesetzliche Erbrecht des Verzichtenden unberührt lässt2. Demzufolge hat ein solcher Verzicht auch keinen Einfluss auf den Umfang der Erb- und Pflichtteilsrechte Dritter. Geht der Wille der Beteiligten dahin, dass der Pflichtteilsberechtigte auf seinen Pflichtteil nur verzichten will, wenn eine bestimmte Person Erbe und damit Pflichtteilsschuldner wird, ist daher eine entsprechende Bedingung zu vereinbaren3.

18.68 Wird der Verzichtende (gesetzlicher oder testamentarischer) Erbe und hat er als solcher Ansprüche aus Vermächtnissen und Pflichtteilsrechten zu erfüllen, kann er die Erfüllung der Ansprüche nicht nach §§ 2318 Abs. 2, 2319 und 2328 BGB in dem Umfang verweigern, dass ihm der eigene Pflichtteil verbleiben würde4. Denn der Betroffene hat nun einmal auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet.

18.69 Ein gegenständlicher Verzicht auf bestimmte Nachlassgegenstände führt dazu, dass diese bei der Berechnung des Pflichtteils nicht zu berücksichtigen sind5. Für die anderen Fälle des gegenständlichen Verzichts gelten keine Besonderheiten. Ihre Wirkung entspricht dem, was rechtsgeschäftlich vereinbart worden ist.

18.70 Beschränkt ein in Zugewinngemeinschaft lebender Ehegatte seinen Verzicht auf das Pflichtteilsrecht, so bleibt es bei der erbrechtlichen Lösung. Bei gesetzlicher Erbfolge erhält er den gem. §§ 1371 Abs. 1, 1931 BGB um 1/4 erhöhten Erbteil6. 3. Zweckmäßigkeit

18.71 Zweckmäßig ist der (isolierte) Pflichtteilsverzicht in allen Fällen, in denen der Erblasser sein Vermögen einem bestimmten Nachfolger als Ganzes erhalten und vermeiden möchte, dass es infolge der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zu einer Zersplitterung des Vermögens kommt. Hauptanwendungsfälle sind insoweit die Übertragung eines Familienwohnheims, eines Handelsgeschäfts bzw. einer Beteiligung an einer Gesellschaft entweder durch Verfügung von Todes wegen oder durch Übertragungsverträge im Wege vorweggenommener Erbfolge.

18.72 Im Zusammenhang mit Übergabeverträgen (etwa der Übertragung eines Grundstücks auf einen Abkömmling gegen Erbverzicht) kann (zusätzlich) ein gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht (eines Dritten) zweckmäßig sein um zu verhindern, dass sich der Übernehmer im Erbfall in Ansehung des Übergabegegenstandes mit Pflichtteilsergänzungsansprüchen konfrontiert sieht. Häufig wird übersehen, dass solche Ergänzungsansprüche etwa dem Ehegatten des Übergebers auch dann zustehen können, wenn er im Zeitpunkt der Zuwendung mit dieser ausdrücklich einverstanden war7. Insbesondere bei Stiefeltern/Stiefkindern sollte der Abschluss eines gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichts hinsichtlich des Vertragsgegenstandes in Erwägung gezogen werden8, um den Übernehmer vor künftigen unliebsamen Überraschungen zu schützen.

1 2 3 4 5 6 7 8

Mayer, ZEV 2000, 263. Staudinger/Schotten, § 2350 Rz. 5, 23. Zu deren Zulässigkeit Spanke, ZEV 2012, 345. A.A. wohl Mayer, ZEV 2007, 556 (558). Tanck, ZErb 2001, 194 (196) spricht sich für einen Vorbehalt der Einreden im Rahmen eines Pflichtteilsverzichts aus. Dagegen spricht die Tatsache, dass die Vertragsparteien nicht über die Dritten gegenüber wirkenden Einreden disponieren können. Fette, NJW 1970, 743 (744). Nieder, Rz. 1144. Mayer, ZEV 2000, 263 (265). Mayer, ZEV 2000, 263 (265).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.76 § 18

Soll der Pflichtteilsverzicht die einverständliche Enterbung des Verzichtenden zwecks Übertragung seines zukünftigen Nachlassanteils oder des gesamten Nachlasses auf einen Dritten im Wege der Erbfolge sicherstellen, kommt auch ein Vertrag unter zukünftigen gesetzlichen Erben gem. § 311b Abs. 5 BGB in Betracht.

18.73

Beispiel: Die in einem Berliner Testament als zukünftige Schlusserben eingesetzten Abkömmlinge wollen sich nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils vorweg über den Nachlass des überlebenden Elternteils auseinandersetzen.

Die Vor- und Nachteile eines dinglichen Verzichts gegenüber einem schuldrechtlichen Vertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB sind in Rz. 18.55–18.56a. aufgeführt, auf die an dieser Stelle verwiesen wird.

18.73a

Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag kann sich auch zwischen dem Erblasser und der pflichtteilsberechtigten 18.74 Person anbieten, die der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen zum Erben bestimmen will. Soll dem Erben ein Erbteil hinterlassen werden, der zwar größer ist als der Pflichtteil oder gar dem gesetzlichen Erbteil entspricht, jedoch mit Beschränkungen oder Beschwerungen i.S.d. § 2306 BGB belastet ist, lässt sich durch den Pflichtteilsverzicht das Risiko vermeiden, dass der Erbe die Erbschaft ausschlägt und den Pflichtteil verlangt1. Das ermöglicht dem Erblasser sicherzustellen, dass bspw. ein – vermutlich in den Nachlass fallendes – Unternehmen nach seinen Wünschen weitergeführt wird. Durch den Pflichtteilsverzicht lässt sich bewerkstelligen, dass der in einem Berliner Testament (§ 2269 BGB) eingesetzte (pflichtteilsberechtigte) Schlusserbe beim Tod des erstversterbenden Ehegatten die Erbeinsetzung des Längstlebenden durch Geltendmachung des Pflichtteils nicht beeinträchtigen kann2. Mit Pflichtteilsstrafklauseln ist dieses Ergebnis de iure nicht und de facto nicht sicher zu erreichen. Diese bewirken nämlich nur, dass derjenige Schlusserbe, der beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil fordert, beim Tod des zuletzt Versterbenden ebenfalls nur den Pflichtteil erhält, verhindern aber eben nicht, dass der überlebende Ehegatte durch Pflichtteilsansprüche in Bedrängnis gebracht wird. Da ungewiss ist, welcher Ehegatte vorverstirbt, muss mit jedem Ehegatten ein Verzicht auf den Pflichtteil (aber streng bezogen auf das Vorversterben des jeweiligen Ehegatten) vereinbart werden. Im Hinblick auf die Gefahr einer späteren einvernehmlichen Beseitigung des Ehegattentestamentes, insbesondere soweit es um die darin enthaltene Einsetzung der Schlusserben geht, sollten die Verzichte – zum Schutz des als Schlusserben eingesetzten Pflichtteilsberechtigten – unter der auflösenden Bedingung erklärt werden, dass der Verzichtende tatsächlich Schlusserbe wird. Da sich nicht ausschließen lässt, dass der Verzichtende – nach dem Tod des Erstversterbenden – von einem bereits erfolgten lebzeitigen Widerruf des ihn begünstigenden Testamentes erst zu einem Zeitpunkt erfährt, in dem der Pflichtteilsanspruch bereits verjährt ist (§ 2332 Abs. 1 BGB), sollte zudem in den Kausalvertrag zum Erbverzicht rein vorsorglich eine Klausel aufgenommen werden, die den jeweiligen Ehegatten im Falle seines Überlebens zur sofortigen Mitteilung gegenüber dem Verzichtenden verpflichtet. Bei Missachtung dieser Pflicht bestünden dann zumindest Schadensersatzansprüche gegen den überlebenden Ehegatten (oder seine Erben) in Höhe des verjährten Pflichtteilsanspruchs.

18.75

Beachte: Zum Schutz des in einem Berliner Testament als Schlusserben eingesetzten Pflichtteilsberechtigten sollte der Verzicht auf den Pflichtteil (nach dem Tod des Erstversterbenden) unter der auflösenden Bedingung erklärt werden, dass der Verzichtende Schlusserbe wird. Außerdem sollte der Kausalvertrag zum Erbverzicht den überlebenden Ehegatten verpflichten, dem Verzichtenden eine Testamentsänderung mitzuteilen.

Als weitere Möglichkeit bietet sich beim gemeinschaftlichen Testament auch eine Stundungsvereinbarung mit den Abkömmlingen an, die die Fälligkeit des Pflichtteilsanspruchs gegen den überlebenden Ehegatten hinausschiebt. Der Sache nach handelt es sich bei einer solchen Vereinbarung um einen zeitlich beschränkten Pflichtteilsverzicht, der die kurze Verjährung des Pflichtteilsanspruchs 1 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, S. 233 Rz. 869. 2 Damrau, S. 53; Mayer, ZEV 2000, 263 (265).

Muscheler 831

18.76

§ 18 Rz. 18.77

Erbverzicht

(§ 2332 BGB) unterbricht und zudem einen erbschaftsteuerlichen Vorteil bietet1. Dieser Vorteil liegt darin, dass mit der (genauer: „erst mit der“ und daher für die vorteilhafte Gestaltung unbedingt erforderlichen) Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs ein steuerbarer Erwerb von Todes wegen beim Pflichtteilsberechtigten eintritt (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG). Die Abkömmlinge können damit die Erbschaftsteuerfreibeträge nach dem Tod des Erstversterbenden in Anspruch nehmen, wohingegen der überlebende Ehegatte umgekehrt den Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit bei der Bemessung seiner Erbschaftsteuer in Abzug bringen darf (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG). Dies mindert die Steuerprogression im zweiten Erbfall und ermöglicht die Inanspruchnahme der Freibeträge gegenüber beiden Elternteilen. Gleichwohl birgt eine solche Stundungsvereinbarung auch Gefahren in sich. Ohne Wertsicherung und Sicherstellung der Zahlung besteht das Risiko, dass sich der Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Letztversterbenden nicht mehr realisieren lässt. Insoweit ist dringend zu empfehlen, dass sorgfältige Belehrungsvermerke in die Urkunde aufgenommen werden2. Zudem kann der erbschaftsteuerliche Vorteil von einer erhöhten Progressionsbelastung des Pflichtteilsberechtigten aufgezehrt werden3. Das resultiert daraus, dass eine für einen Zeitraum von über einem Jahr gestundete Forderung nach der Rechtsprechung des BFH gem. § 12 Abs. 3 BewG in einen Kapital- und einen Zinsanteil zu zerlegen und der Zinsanteil als Einnahme aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu versteuern ist4, sobald dem Pflichtteilsberechtigten die Geldsumme zufließt. Die zinslose Stundung eines Pflichtteilsanspruchs ist also steuerrechtlich verzinslich5!

18.77 Sofern der Erblasser einer pflichtteilsberechtigten Person eine Zuwendung gemacht hat, ohne eine Anrechnungs- oder Ausgleichungsbestimmung zu treffen (§§ 2315 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB), kann eine solche noch nachträglich im Wege eines gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichts vereinbart werden.

IV. Der Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) 1. Allgemeines

18.78 Grundsätzlich kann jede (natürliche oder juristische) Person durch Vertrag mit dem Erblasser auf eine bereits erfolgte (s. Rz. 18.81) Zuwendung von Todes wegen in Form einer Erbeinsetzung oder eines Vermächtnisses verzichten. Je nachdem, ob die Zuwendung in einem (einseitigen oder gemeinschaftlichen) Testament oder einem Erbvertrag enthalten ist, stellt das Gesetz unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen solchen Zuwendungsverzicht auf.

18.79 Ist die Zuwendung in einem Testament enthalten, gilt § 2352 S. 1 BGB, der an die Person des Verzichtenden keine besonderen Anforderungen stellt. Bei einer in einem Erbvertrag enthaltenen Zuwendung ist danach zu differenzieren, ob die begünstigende Verfügung vertragsmäßig (§ 2278 Abs. 1 BGB) oder einseitig (§ 2299 Abs. 1 BGB) getroffen wurde. Der Grund für die Notwendigkeit dieser Differenzierung liegt darin, dass auf eine vertragsmäßig getroffene Verfügung gem. § 2352 S. 2 BGB nur ein „Dritter“ – also nicht der Vertragspartner des Erbvertrags6 – verzichten kann. Diese Einschränkung gilt für einen Verzicht auf eine einseitige Verfügung jedoch nicht7, weil auf eine solche gem. § 2299 Abs. 2 S. 1 BGB die Vorschriften über testamentarische Verfügungen – mithin im Verzichtsfall S. 1 des § 2352 BGB – anzuwenden sind. 1 2 3 4 5 6

Mayer, ZEV 2000, 263 (266). Mayer, ZEV 2000, 263 (265). Mayer, ZEV 2000, 263 (265). BFH v. 26.6.1996 – VIII R 67/95, ZEV 1997, 84 (85). Krit. hierzu Wohlschlegel, Anm. zu BFH v. 26.6.1996 – VIII R 67/95, ZEV 1997, 86 f. In seinem Fall hat die Aufhebung des Erbvertrags gem. § 2290 BGB Vorrang, weil sonst die für die Aufhebung des Erbvertrags geltenden strengeren Formvorschriften der §§ 2276 Abs. 1 S. 1, 2290 Abs. 4 BGB umgangen werden könnten, vgl. OLG Stuttgart v. 9.11.1978 – 8 W 564/78, OLGZ 1979, 129 (130). 7 Vgl. nur Jackschath, MittRhNotK 1977, 117 (119).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.84 § 18

Dritter i.S.d. § 2352 S. 2 BGB ist, wer weder als Erblasser noch als dessen Vertragspartner am Ab- 18.80 schluss des Erbvertrags beteiligt war1. Ein Zuwendungsverzicht kommt daher von vornherein nicht in Betracht, wenn eine vertragsmäßige Verfügung lediglich im Zweipersonenverhältnis und zugunsten des (einzigen) Vertragspartners erfolgt ist2, weil es dann zwangsläufig keinen Dritten geben kann. Ist die vertragsmäßige Verfügung demgegenüber in einem Erbvertrag, an dessen Abschluss mehr als zwei Personen beteiligt waren, an eine dieser Personen erfolgt, so muss geprüft werden, ob der (nunmehr verzichtswillige) Beteiligte materiellrechtlich als Vertragspartner anzusehen ist oder ob er den Vertrag nur formell (d.h. zur Kenntnisnahme) mitunterzeichnet hat. Bei einer lediglich formellen Beteiligung ist das Merkmal „Dritter“ erfüllt und ein Zuwendungsverzicht daher möglich, bei einer materiellrechtlichen Beteiligung dagegen nicht3. Gegenstand eines Zuwendungsverzichtsvertrags vermag nur eine Zuwendung in einer (bereits) be- 18.81 stehenden, noch wirksamen Verfügung von Todes wegen zu sein. Der Verzicht auf eine künftige Zuwendung ist nicht möglich4, denn verzichten kann gem. § 2352 S. 1 BGB nur, wer im Zeitpunkt des Verzichts (bereits) „bedacht“ ist. Aus diesem Grund kann sich auch der Verzicht nicht zusätzlich auf Zuwendungen erstrecken, die erst nach Abschluss des Zuwendungsverzichtsvertrags erfolgen. Auf ein Vermächtnis kann (ebenso wie auf die Erbenstellung) ganz oder teilweise verzichtet werden. Einem Verzicht nicht offen stehen die gesetzlichen Vermächtnisse des Voraus (§ 1932 BGB) und des Dreißigsten (§ 1969 BGB)5.

18.82

Der Verzicht auf eine Zuwendung enthält nicht notwendig einen Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht6. Im Wege der Auslegung kann sich aber ein derart ausgedehnter Umfang ergeben7. Die Auslegung ist indes restriktiv zu handhaben8. Zur Vermeidung von Streitigkeiten empfiehlt sich, beim Abschluss des Zuwendungsverzichtsvertrags in jedem Fall genau festzuhalten, worauf sich der Verzicht erstrecken soll.

18.83

Selbstverständlich kann auch der Zuwendungsverzicht beschränkt werden (arg. e contrario § 1950 BGB). Deshalb hat der (bereits gebundene) Erblasser bspw. die Möglichkeit, mit den in einem gemeinschaftlichen Testament als Schlusserben Eingesetzten notariell zu vereinbaren, dass ihm gestattet sein soll, ihnen durch letztwillige Verfügungen Beschränkungen in Form von Vermächtnissen9, der Ernennung eines Testamentsvollstreckers etc. aufzuerlegen. Soweit eine derartige Vereinbarung formlos getroffen wird, kann sie jedoch – außer in steuerlicher Hinsicht10 – keine Wirkungen entfalten11.

18.84

1 Palandt/Weidlich, § 2352 Rz. 3. 2 OLG Hamm v. 14.2.1977 – 15 W 159/75, DNotZ 1977, 751 (754); OLG Celle v. 8.7.1959 – 4 Wx 7/59, NJW 1959, 1923. 3 BayObLG v. 11.5.1965 – BReg. 1a Z 3/65, BayObLGZ 1965, 188 (192 f.); OLG Stuttgart v. 9.11.1978 – 8 W 564/78, OLGZ 1979, 129 (130). Noch großzügiger – jeder am mehr als zweiseitigen Erbvertrag Beteiligte kann verzichten – OLG Hamm v. 2.12.2011 – I-15 W 603/10, FamRZ 2012, 1171 = MittBayNot 2013, 65 (66), ZEV 2012, 266 (267) und die h.L., z.B. Kornexl, MittBayNot 2013, 67 (68). Zur Problematik auch unten Rz. 18.95 f. 4 BayObLG v. 4.12.1986 – BReg.1Z 30/86, Rpfleger 1987, 374. 5 Palandt/Weidlich, § 2352 Rz. 2. 6 Für den umgekehrten Fall: RG v. 14.11.1918 – IV 261/18, LZ 1919, Sp. 594. 7 Für den umgekehrten Fall: BGH v. 19.1.1972 – IV ZR 1208/68, DNotZ 1972, 500; OLG Celle v. 21.2.2011 – 6 W 32/11, FamRZ 2011, 1535. 8 Lange/Kuchinke, § 7 III 3 (S. 182). 9 OLG Köln v. 23.7.1982 – 6 U 199/81, FamRZ 1983, 837; Weidlich, ZEV 2007, 463 (467). 10 FG München v. 15.9.1993 – 4 K 1274/89, UVR 1994, 58 f. (Anwendung des § 41 AO trotz nur mündlichen Erbverzichts); vgl. auch BFH v. 5.11.1998 – IV R 32/98, BFHE 187, 469 (473 f.). 11 A.A. LG Düsseldorf v. 26.2.1988 – 20a S 124/87, MDR 1989, 360 = FamRZ 1988, 661 f., das dem in einem gemeinschaftlichen Testament Bedachten, der sich mit einer ihn belastenden letztwilligen Verfügung des überlebenden Ehegatten formlos einverstanden erklärt, die Berufung auf die Unwirksamkeit dieser Verfügung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben verweigert.

Muscheler 833

§ 18 Rz. 18.85

Erbverzicht

18.85 Der Zuwendungsverzicht kann auch zugunsten bestimmter Personen erklärt werden. § 2350 Abs. 2 BGB findet allerdings nach einhelliger Meinung beim Zuwendungsverzicht keine Anwendung. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm sowie der Tatsache, dass sie in § 2352 BGB nicht genannt ist. Auch der Reformgesetzgeber hat sich bei der Neufassung des § 2352 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts nur für eine Aufnahme des § 2349 BGB und nicht auch des § 2350 BGB in die Verweisung des § 2352 S. 3 BGB entschieden. Daher wird beim Zuwendungsverzicht eines Abkömmlings im Zweifel nicht vermutet, dass der Verzicht nur zugunsten anderer Abkömmlinge und des Ehegatten gelten soll. Unverständlicherweise streitig – unverständlich, weil hier dieselben Argumente gelten wie bei § 2350 Abs. 2 BGB – ist dagegen die Anwendung des § 2350 Abs. 1 BGB, mithin die Frage, ob der Verzicht zugunsten eines anderen (gem. § 2350 Abs. 1 BGB ipso iure) im Zweifel nur für den Fall gelten soll, dass der andere die Zuwendung erhält1. Die Streitfrage hat keine große praktische Bedeutung, weil die Wirkungen der Norm nach allgemeiner Meinung durch eine entsprechende vertragliche Vereinbarung herbeigeführt werden können2. Sofern die Parteien einen Zuwendungsverzicht zugunsten bestimmter Personen wünschen, sollte dies ausdrücklich zum Vertragsinhalt gemacht und zudem vereinbart werden, dass der Zuwendungsverzicht nur dann gilt (Bedingung), wenn der zu Begünstigende anstelle des Verzichtenden Erbe oder Vermächtnisnehmer wird3. Ein derartiger Verzicht ist dann auflösend bedingt und wird unwirksam, wenn die Bedingung nicht eintritt. Beratungssituation: Der Erblasser möchte wissen, ob er sich durch Abschluss eines Zuwendungsverzichtsvertrags mit dem in einem gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Schlusserben von der Bindung an seine wechselbezügliche Verfügung (§ 2271 Abs. 2 BGB) befreien kann.

18.86 Es entspricht ganz herrschender Meinung, dass sich ein Erblasser durch Abschluss eines Zuwendungsverzichtsvertrags mit dem im gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Schlusserben von der Bindung an seine wechselbezügliche Verfügung befreien kann4. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die wechselbezügliche letztwillige Zuwendung, für die Bindung des Erblassers besteht, infolge des Verzichts gegenstandslos wird5. Gegenstandslos wird eine Zuwendung im gemeinschaftlichen Testament dann nicht, wenn dieses für den Fall, dass der Schlusserbe wegfällt, eine ausdrückliche oder stillschweigende Ersatzregelung enthält. Eine ausdrückliche Ersatzregelung (Bestimmung eines Ersatzerben oder Ersatzvermächtnisnehmers gem. §§ 2094, 2096, 2190 BGB) kann einem gemeinschaftlichen Testament nur entnommen werden, wenn der Wortlaut des Testamentes insoweit zumindest einen – sei es auch nur versteckten – Anhaltspunkt bietet. Ist das nicht der Fall, kann die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB eingreifen, nach der die Abkömmlinge des Verzichtenden an dessen Stelle treten. Diesbezüglich gilt es jedoch Folgendes zu beachten: Mit der Neufassung des § 2352 S. 3 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts6 erstreckt sich die Wirkung des Zuwendungsverzichts eines Abkömmlings gem. § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB auf dessen Abkömmlinge, falls die Vertragsparteien nichts anderes bestimmt haben (s. Rz. 18.91)7. Hat also ein in einem gemeinschaftlichen Testament als Schlusserbe eingesetzter Abkömmling mit dem Erblasser einen Zuwendungsverzichtsvertrag geschlossen, verdrängt dieser eine ausdrückliche oder auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruhende Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Verzichtenden. Die wechselbezügliche Verfügung des Erblassers zugunsten des Verzichtenden wird mangels Berufung eines Ersatzerben gegenstandslos, der Erblasser kann wieder neu testieren.

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Nieder, Rz. 1165. OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2352 Rz. 5. S. z.B. OLG Köln v. 23.7.1982 – 6 U 199/81, FamRZ 1983, 837. OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. Vgl. hierzu Muscheler, ZEV 2008, 105 (109). Zu den problematischen Folgen des Fehlens einer gesetzlichen Übergangsregelung für vor dem Stichtag beurkundete Zuwendungsverzichtsverträge vgl. nur Litzenburger, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 31.8.2016 – I-3 Wx 192/15, FD-ErbR 2016, 382720.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.88 § 18

Beispiel: (Sachverhalt nach OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203.) Die Ehegatten M und F haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und T, Tochter der F und Stieftochter des M, zur Schlusserbin bestimmt. Nach dem Tod der F kommen M und T überein, dass T auf das ihr durch das gemeinschaftliche Testament Zugewendete zugunsten eines ihrer fünf Kinder, ihrer Tochter A, verzichtet, und lassen die Vereinbarung notariell beurkunden. Danach verstirbt M. Ist A dessen Alleinerbin geworden?

Der zwischen M und T geschlossene Zuwendungsverzichtsvertrag beseitigt lediglich die erbrechtliche Position der T, hat aber keine unmittelbare Übertragungswirkung (s. Rz. 18.14 f.). A könnte deshalb allenfalls unter der Voraussetzung Alleinerbin des M geworden sein, dass M eine entsprechende Verfügung von Todes wegen getroffen hat. Einer solchen steht grundsätzlich die durch den Tod der F eingetretene Bindungswirkung an die wechselbezügliche Zuwendung zugunsten der T entgegen (§ 2271 Abs. 2 BGB). Allgemein anerkannt ist jedoch, dass sich ein Erblasser durch Abschluss eines Erbverzichtsvertrags mit dem im gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Schlusserben von der Bindung an seine wechselbezügliche Verfügung befreien kann. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass durch Abschluss des Zuwendungsverzichtsvertrags zwischen M und T die Bindung des M an seine Verfügung entfallen ist1. Ein solcher Schluss wäre indes voreilig. Die Bindungswirkung kann nur entfallen, wenn der Verzicht die Gegenstandslosigkeit der (gesamten) wechselbezüglichen letztwilligen Verfügung bewirkt. Diese wird nur gegenstandslos, wenn sie keine Ersatzregelung für den Fall enthält, dass der Bedachte (hier die T) wegfällt. Eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung ist dem gemeinschaftlichen Testament des Beispielsfalles nicht zu entnehmen. Es greift jedoch die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB ein. Obgleich T – als Stieftochter des M – nicht dessen „Abkömmling“ ist, wird sie einem solchen gleichgestellt. Mit Rücksicht darauf, dass die Testierenden bei einem Ehegattentestament den beiderseitigen Nachlass in der Regel als Einheit betrachten2, behandelt die h.M. als Abkömmling auch denjenigen, der lediglich Abkömmling des vorverstorbenen Ehegatten und gleichwohl als gemeinschaftlicher Erbe eingesetzt ist3. Hätte T (uneingeschränkt) auf ihre Schlusserbenstellung verzichtet, wären ihre fünf Kinder daher gem. § 2069 BGB zu gleichen Teilen an ihre Stelle getreten und mit dem Tode des M ersatzweise (Mit-)Erben geworden. Diese gesetzlich vermutete Ersatzerbenregelung greift jedoch nur dann ein, wenn sie nicht von dem zwischen M und T geschlossenen Zuwendungsverzichtsvertrag verdrängt wird. Gem. § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB erstreckt sich die Wirkung eines zwischen Abkömmling und Erblasser vereinbarten Zuwendungsverzichts auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, sofern nicht ein anderes bestimmt ist. M und T haben sich darüber geeinigt, dass T zugunsten ihrer Tochter A verzichtet, und so die Erstreckung der Verzichtswirkung auf A abbedungen. Als Ersatzerbin kommt allein A in Betracht, die restlichen vier Kinder sind von der Ersatzerbfolge ausgeschlossen (§ 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB). Daraus ergibt sich: Aufgrund der Berufung der A als Ersatzerbin (§§ 2069, 2096 BGB) ist die wechselbezügliche letztwillige Verfügung des M mit Abschluss des Zuwendungsverzichtsvertrags mit T nicht gegenstandslos geworden. M konnte sich nicht von der Bindungswirkung an seine Verfügung befreien. Letzteres ist gleichwohl unschädlich: A wird zwar nicht durch eine neue Verfügung von Todes wegen des M als dessen Alleinerbin eingesetzt. Vermittelt durch die auf § 2069 BGB beruhende Ersatzerbenfolge können M und T aber dasselbe Ergebnis schon mit der wechselbezüglichen Verfügung des M im gemeinschaftlichen Testament erreichen. Vorstehendes gilt auch für erbvertragliche Verfügungen nach Eintritt der Bindungswirkung.

18.87

Der Ausschluss der Anwendung des § 2069 BGB durch § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB entspricht dem mutmaßlichen Willen der Eheleute insbesondere dann, wenn der Verzichtende vollständig abgefunden worden ist. Von einer vollständigen Abfindung kann ausgegangen werden, wenn der wirkliche Wert des Erbteils im Zeitpunkt des Verzichtsvertrags die Gegenleistung um nicht mehr als 10 %

18.88

1 Weidlich, ZEV 2007, 463 (467) spricht von einem „starken Gesichtspunkt gegen eine Bindungswirkung“. 2 KG v. 21.3.1974 – 12 U 2102/73, OLGZ 1974, 257 (259 ff.). 3 MüKo.BGB/Leipold, § 2069 Rz. 5.

Muscheler 835

§ 18 Rz. 18.89

Erbverzicht

übersteigt1. Unter dieser Voraussetzung soll grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung2 dafür sprechen, dass die Abkömmlinge des Verzichtenden nicht zu dessen Ersatzerben berufen sind3; man müsse davon ausgehen, dass der Erblasser nicht denselben Stamm doppelt habe bedenken wollen4. Durch die vollständige Abfindung sei dem Willen des vorverstorbenen Ehegatten und damit dem Bindungszweck des § 2271 Abs. 2 BGB Genüge getan5, denn der Verzichtende bekomme der „Substanz“ nach das, was der Erblasser ihm und seinem Stamm habe zuwenden wollen6. Die tatsächliche Vermutung soll nicht nur dann gelten, wenn in der Verfügung von Todes wegen nicht ausdrücklich bestimmt ist, dass bei einem Erbverzicht gegen volle Abfindung die Ersatzberufung nicht gelten solle7, sondern im Gegenteil selbst dann, wenn in der Verfügung von Todes wegen eine ausdrückliche Ersatzerbenregelung im Sinne des § 2069 BGB getroffen ist8. Die Ersatzerbenregelung wäre in Fällen geleisteter Abfindungen also schon ohne die Regelung des § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB ausgeschlossen. Beispiel: (Sachverhalt nach BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430 = NJW-RR 1997, 1027.) Die Ehegatten M und F haben sich in einem Erbvertrag (jeweils vertragsmäßig) zu Alleinerben und die drei Kinder der F aus erster Ehe (K1-K3) zu Erben des Längstlebenden eingesetzt. Der jeweils Längstlebende von ihnen hat die Abkömmlinge seiner Erben zu Ersatzerben bestimmt. Sofern solche nicht vorhanden seien, trete, so heißt es im Erbvertrag weiter, Anwachsung unter den übrigen Erben ein. Eine Abänderung zugunsten anderer Personen solle jedenfalls nicht möglich sein. Nach dem Tod der F schlossen M und K1 einen „Übergabevertrag“, durch den K1 ein Hotel (Übergabegut) als „Erbteil“ nach dem M und der vorverstorbenen F erhielt und dafür auf die Ansprüche aus dem Erbvertrag ausdrücklich verzichtete. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte K1 zu notariell beglaubigter Urkunde, dass sie und ihr Stamm im Hinblick auf den Nachlass der F und des Erblassers M abgefunden seien. Durch notarielles Testament setzte M sodann den Extraneus A als Alleinerben ein.

Der Verzicht der K1 macht die vertragsmäßige Verfügung des M nicht gegenstandslos. Die ausdrückliche Ersatzerbenanordnung des Erbvertrags kam hier zwar für den durch Verzicht ausgelösten Wegfall des K1 nicht zum Zuge; das ergibt wegen der Abfindung zugunsten des K1 schon eine ergänzende Auslegung des Erbvertrags und schließlich § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB. Gleichwohl konnte M selbst über den Anteil, auf den K1 verzichtet hatte, nicht neu verfügen, weil für diesen gem. § 2094 Abs. 1 S. 1 BGB Anwachsung an K2 und K3 vorgesehen war.

18.89 Trotz vollständiger Abfindung soll die tatsächliche Vermutung für den Ausschluss des ganzen Stammes nicht bestehen, wenn die Gefahr ausgeschlossen ist, dass ohne Erstreckung des Erbverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden einer von mehreren Stämmen doppelt bedacht wird9. Beispiel: Die Ehegatten M und F haben sich in einem Erbvertrag vertragsmäßig jeweils zu Alleinerben und ihre beiden Kinder K1 und K2 zu Erben des Längerlebenden eingesetzt. Nach dem Tode des M verstirbt K1 kinderlos. F schließt mit K2, der mehrere Kinder hat, einen Zuwendungsverzichtsvertrag und zahlt hierfür eine vollständige Abfindung. F und K2 bedingen ausdrücklich die Erstreckung der Verzichtswirkung auf die Kinder des K2 (§ 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB) ab.

1 OLG Köln v. 25.8.1989 – 2 Wx 21/89, FamRZ 1990, 99 (101). 2 Krit. hierzu Mayer, ZEV 1996, 127 (131), der aber durch ergänzende Auslegung i.d.R. zu demselben Ergebnis kommen will. 3 BGH v. 24.10.1973 – IV ZR 3/72, NJW 1974, 43 (44). 4 OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. 5 Baumgärtel, DNotZ 1959, 63 (68). 6 Blomeyer, FamRZ 1974, 421 (427). 7 In diesem Fall OLG Köln v. 25.8.1989 – 2 Wx 21/89, FamRZ 1990, 99 (101); anders noch OLG Stuttgart v. 9.12.1957 – 8 W 329/57, NJW 1958, 347 (348); OLG Düsseldorf v. 20.10.1972 – 7 U 51/72, DNotZ 1974, 367 (370). 8 BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430 = NJW-RR 1997, 1027 (1030); a.A. OLG Stuttgart v. 30.4.1997 – 19 U 13/97, OLGReport 1998, 111 f. 9 OLG Frankfurt v. 6.3.1997 – 20 W 574/95, FamRZ 1998, 57 (59).

836

Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.91 § 18

Da in diesem Fall nur noch ein Stamm vorhanden ist und deshalb nicht die Gefahr besteht, dass dieser doppelt bedacht wird, verbleibt es hier bei der Ersatzerbenregelung des § 2069 BGB. Der mutmaßliche Wille der Ehegatten im Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags spricht nämlich dafür, dass das beim Tod des Zuletztversterbenden vorhandene Vermögen den Enkelkindern zukommen soll, wenn der einzige noch lebende Sohn Schlusserbe weder sein konnte noch wollte1. 2. Wirkungen Anders als beim Widerruf eines Testamentes (§§ 2253, 2254, 2258 BGB) und der Aufhebung eines Erb- 18.90 vertrags (§§ 2290 ff. BGB), durch welche die betreffende Verfügung von Todes wegen aufgehoben wird, verhindert der Zuwendungsverzicht lediglich den Anfall der Zuwendung an den Verzichtenden. Nur seine erbrechtliche Position wird beseitigt, nicht aber wird die Verfügung von Todes wegen aufgehoben. Weitere in der Verfügung von Todes wegen getroffene Bestimmungen bleiben bestehen2, insbesondere weitere in einem Erbvertrag oder einem gemeinschaftlichen Testament getroffene wechselbezügliche Verfügungen. Nach früher absolut h.M. war § 2349 BGB beim Zuwendungsverzicht nicht anwendbar3. Das ergab 18.91 sich daraus, dass § 2349 BGB in § 2352 a.F. BGB nicht genannt war4 und eine – ohne gesetzliche Grundlage erfolgende – Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden den im Gesetz verankerten Grundsatz der Selbständigkeit aller einzelnen Erbrechte durchbrochen hätte5. Die Neufassung des § 2352 S. 3 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts6 sieht gerade zu dieser Streitfrage eine erhebliche Kehrtwende vor: Nunmehr erklärt § 2352 S. 3 BGB die Regelung des § 2349 BGB für anwendbar7. Die Aufnahme des § 2349 BGB in die Verweisung des § 2352 BGB ist eine nicht nur im Sinne der Rechtsklarheit wünschenswerte Neuerung, sondern befriedigt auch ein unabweisbares Bedürfnis. Der Zuwendungsverzicht ist gerade dann zweckmäßig, wenn eine anderweitige Beseitigung der Zuwendung wegen der Bindung an wechselbezügliche oder vertragsmäßige Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten bzw. Erbverträgen unmöglich ist (§§ 2270, 2271 Abs. 2 S. 1, 2278, 2289 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Befreiung von der Bindung scheitert jedoch dann, wenn an die Stelle des Verzichtenden dessen Abkömmlinge als

1 OLG Frankfurt v. 6.3.1997 – 20 W 574/95, FamRZ 1998, 57 (59). 2 LG Lübeck v. 20.2.1959 – 7 T 923/58, SchlHA 1959, 211. 3 KG v. 28.2.1907 – 1. ZS., OLGE 14, 311 (313); KG v. 22.10.1920 – ZS 1a, OLGE 41, 67 (69 f.); OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203; OLG Hamm v. 16.6.2009 – 15 Wx 312/08, ZEV 2009, 566; BayObLG v. 28.11.1983 – BReg. 1Z 38/83, FamRZ 1984, 422 = Rpfleger 1984, 65; BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430 = ZEV 1997, 377; OLG München v. 20.7.2005 – 31 Wx 18/05, DNotZ 2006, 68; OLG Stuttgart v. 9.12.1957 – 8 W 329/57, NJW 1958, 347 (348); a.A.: Staudinger/Schotten, § 2352 Rz. 42 ff.; Schotten, Anm. zu OLG Frankfurt v. 6.3.1997 – 20 W 574/95, FamRZ 1998, 57 = Rpfleger 1998, 113 (114); Schotten, ZEV 1997, 1 (4 f.). Weidlich, ZEV 2007, 463 (464) kritisiert die h.M. als „formal“. – Auch die Rspr. kam oft im Wege ergänzender Auslegung zur Annahme, dass der Erblasser die Ersatzerbenstellung der Abkömmlinge eines Verzichtenden nicht gewollt habe, vgl. zuletzt etwa OLG Hamm v. 16.6.2009 – 15 Wx 312/08, ZEV 2009, 566 (567); OLG Celle v. 21.2.2011 – 6 W 32/11, FamRZ 2011, 1535. 4 Kanzleiter, ZEV 1997, 261 (262); Reul, MittRhNotK 1997, 373 (386). 5 OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. 6 Gesetz v. 24.9.2009, BGBl. I, S. 3142. 7 Muscheler, ZEV 2008, 105 (109); Klinck, ZEV 2009, 533 ff.; J. Mayer, ZEV 2010, 2 (5 f.); Lehmann/Schulz, ZEV 2010, 361; Keim, RNotZ 2009, 574; Kanzleiter, DNotZ 2009, 805; Everts, ZEV 2010, 392; Langenfeld, NJW 2009, 3121 (3123); am ausführlichsten und intensivsten Metzler, Hereditare – Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht 1 (2011), 53 ff. Zu den problematischen Folgen des Fehlens einer gesetzlichen Übergangsregelung für vor dem Stichtag beurkundete Zuwendungsverzichtsverträge vgl. nur Litzenburger, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 31.8.2016 – I-3 Wx 192/15, FD-ErbR 2016, 382720.

Muscheler 837

§ 18 Rz. 18.92

Erbverzicht

Ersatzerben (§ 2096 BGB)1 oder Ersatzvermächtnisnehmer (§ 2190 BGB) treten (s. Rz. 18.86 f.). Die Erstreckung der Verzichtswirkung auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden (§ 2349 BGB) ermöglicht dem Erblasser wieder, frei zu testieren, und verschafft dem Zuwendungsverzicht die ihm zukommende Geltung als Instrument zur Befreiung von der Bindung an wechselbezügliche oder vertragsmäßige Verfügungen. Anders ist dies weiterhin, wenn (1.) eine Anwachsung der Erbteile an die anderen Schluss- bzw. Vertragserben erfolgt, § 2094 BGB, (2.) andere als Abkömmlinge als Ersatzerben an die Stelle des Verzichtenden treten, (3.) der Verzichtende nicht Abkömmling oder Seitenverwandter des Erblassers ist oder (4.) im Verzichtsvertrag ausdrücklich die Erstreckung ausgeschlossen ist2. 3. Zweckmäßigkeit

18.92 Die Beseitigung einer auf einem (einseitigen) Testament beruhenden Zuwendung kann regelmäßig auf einfachere und kostengünstigere Weise als durch Erbverzicht, nämlich mittels Enterbungs- oder Widerrufstestament, erfolgen. Wird diese Möglichkeit aber durch eine nach Errichtung des begünstigenden Testamentes eingetretene Testierunfähigkeit des Erblassers ausgeschlossen, ist der Zuwendungsverzichtsvertrag das einzige Mittel, den Anfall einer Erbschaft bzw. die Entstehung eines Vermächtnisanspruchs zu verhindern (vgl. §§ 2352 S. 3, 2347 Abs. 2 S. 2 BGB).

18.93 Beruht die Zuwendung auf einer in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen wechselbezüglichen Verfügung, vermag sich der Erblasser nach dem Tode seines vorverstorbenen Ehegatten von der Bindung an die von ihm getroffene Verfügung außer in den Fällen von § 2271 Abs. 2 BGB nur durch den Abschluss eines Zuwendungsverzichtsvertrags mit dem Bedachten zu befreien. Selbst wenn ein Anfechtungsgrund gegeben ist, kann dennoch ein Verzicht vorzugswürdig sein, denn dieser macht die Verfügung des Erblassers nur gegenstandslos, während die Anfechtung zu ihrer Vernichtung führt und damit gem. § 2270 Abs. 1 BGB zugleich die korrespektive Verfügung des anderen Ehegatten beseitigt.

18.94 Zu Lebzeiten beider Ehegatten, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem bei einem gemeinschaftlichen Testament ein Widerruf der Verfügung (noch) möglich wäre, kann der Zuwendungsverzicht zweckmäßig sein, wenn dem Erblasser daran gelegen ist, die weiter gehenden Auswirkungen des Widerrufs eines gemeinschaftlichen Testamentes (Unwirksamkeit des Testamentes im Ganzen) zu vermeiden. Der Zuwendungsverzicht beseitigt ausschließlich die Zuwendung, hält die Wirkungen der gemeinsam errichteten Verfügung von Todes wegen im Übrigen aber aufrecht. Da der andere Ehegatte am Zuwendungsverzichtsvertrag nicht beteiligt sein muss, braucht er von diesem keine Kenntnis zu erlangen.

18.95 Beruht die Zuwendung auf einem Erbvertrag, besteht dieselbe Rechtslage: Mit dem Tod eines der Vertragschließenden tritt gem. § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB Bindungswirkung in dem Sinne ein, dass der Erbvertrag nicht mehr aufgehoben werden kann. Mithilfe des Zuwendungsverzichtsvertrags kann sich der Erblasser von dieser (über die normale Vertragsgebundenheit hinausgehenden) Bindungswirkung befreien. Zu Lebzeiten des Vertragspartners kann der Erbvertrag regelmäßig aufgehoben werden. Soll die Verfügung des Vertragspartners jedoch nicht gefährdet werden, ist der Zuwendungsverzicht durchaus zweckmäßig. Beachte: Die Verfügungsfreiheit des erbvertraglich oder durch wechselbezügliche Verfügungen gebundenen Erblassers tritt durch den Zuwendungsverzicht des Erstberufenen nicht ein, wenn Ersatzerbfolge oder ein Ersatzvermächtnis angeordnet ist (§§ 2096, 2190 BGB) oder Anwachsung erfolgt (§§ 2094, 2158 BGB)! Hat ein Abkömmling des Erblassers mit diesem einen Zuwendungsverzichtsvertrag geschlossen, so erstreckt sich dessen Wirkung gem. § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB bei fehlender anderweitiger Bestimmung auch auf 1 Nach BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, BGHZ 149, 363 = MDR 2002, 456 = FamRZ 2002, 747 = ZEV 2002, 150 (151) = NJW 2002, 1126 (1127) kann die Wechselbezüglichkeit einer Verfügung nicht auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB gestützt werden, wenn sich die Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge nicht aus einer vorrangigen individuellen Auslegung, sondern lediglich aus der Auslegungsregel des § 2069 BGB ergibt. § 2270 Abs. 2 BGB könne nicht mit § 2069 BGB kumuliert werden. 2 S. zu den Ausnahmen Muscheler, ZEV 2008, 105 (109).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.97 § 18

die Abkömmlinge des Verzichtenden und schließt insoweit eine ausdrückliche oder auf § 2069 BGB beruhende Ersatzerbfolge aus.

Ein mehrseitiger Erbvertrag kann nicht durch Vertrag des Erblassers mit einem der letztwillig Be- 18.95a dachten aufgehoben werden. Es kann jedoch eine Umdeutung der Vereinbarung mit dem einen Bedachten in Frage kommen. Fraglich ist dabei, ob die Umdeutung in einen Zuwendungsverzicht am Wortlaut von § 2352 S. 2 BGB scheitert1; dieser verlangt erbvertragliche Zuwendung an einen „Dritten“.

V. Kosten- und Gebührenfragen 1. Notarkosten Die Beurkundungsgebühr für Erbverzichtsverträge beträgt gem. KV GNotKG, Nr. 21100 das Dop- 18.96 pelte der vollen Gebühr nach § 34 GNotKG; Nr. 21200 und Nr. 21201 KV (früher § 46 KostO) gelten nicht2, da der Erbverzicht keine Verfügung von Todes wegen, sondern ein Rechtsgeschäft unter Lebenden ist. Eine doppelte Gebühr entsteht auch bei isolierter Beurkundung des Kausalgeschäfts (Nr. 21100 KV, früher § 36 Abs. 2 KostO analog3). Die gleichzeitige Beurkundung von Kausal-(Abfindungs-) und Erbverzichtsvertrag stellt bei Vorliegen eines Austauschverhältnisses i.S.v. § 97 Abs. 3 GNotKG (früher § 39 Abs. 2 KostO) einen einheitlich zu bewertenden Vertrag dar4 (und zwar zwischen Eltern und Kind auch dann, wenn letzteres die Abfindung direkt von dem durch die Eltern lebzeitig begünstigten anderen Kind erhalten soll5), so dass der Wert der Leistung des einen Vertragspartners mit dem Wert des Erbverzichts zu vergleichen und für die Kostenberechnung von dem höheren Wert auszugehen ist6. Maßgeblich für die Frage, ob ein Austauschverhältnis vorliegt, ist der Vertrag, wobei dem mit ihm verfolgten wirtschaftlichen Zweck besondere Bedeutung zukommt7. Erfolgt die Beurkundung des Erbverzichts später als die des Kausalgeschäfts, verursacht jener zusätzlich – nach Nr. 21101 Nr. 2 KV GNotKG (früher: in entsprechender Anwendung des § 38 Abs. 2 Nr. 6 KostO) – (lediglich) die Hälfte der vollen Gebühr8. Bei einem gegenseitigen Erbverzicht – z.B. durch Ehegatten – liegt ein Austauschvertrag i.S.d. § 97 Abs. 3 GNotKG (früher § 39 Abs. 2 KostO) vor, so dass nur der wertmäßig höhere Verzicht maßgeblich ist9. Wird der Erbverzicht mit einem Ehevertrag (vgl. § 100 GNotKG, früher § 39 Abs. 3 KostO) verbunden, fand schon nach früherem Recht die Privilegierung des § 46 Abs. 3 KostO – der Erbverzicht ist kein Erbvertrag – keine Anwendung. In diesem Fall ist heute wie früher der Wert jedes Vertrags ge-

1 Verneinend OLG Hamm v. 2.12.2011 – 15 W 603/10, ZEV 2012, 266 (267); BayObLG v. 11.5.1965 – BReg. 1aZ 3/65, BayObLGZ 1965, 188 = NJW 1965, 1552; noch offen OLG Hamm v. 14.2.1977 – 15 W 159/75, DNotZ 1977, 751 = Rpfleger 1977, 208. Tendenziell bejahend und damit für Scheitern Gockel, ZEV 2012, 268 (269). Wie die Rspr. und damit gegen Scheitern Kornexl, MittBayNot 2013, 67 (68). Vgl. auch oben Rz. 18.80. 2 Reimann in Korintenberg u.a., KostO, § 46 Rz. 9. 3 So noch Staudinger/Schotten (1996), Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 76; a.A. Staudinger/Schotten (2010), Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 76, der annimmt, dass sowohl für das Kausalgeschäft als auch für den Erbverzicht jeweils die doppelte Gebühr nach § 36 Abs. 2 KostO zu erheben ist. § 38 Abs. 2 Nr. 6 KostO gelte nur für die konkret aufgeführten Verfügungsgeschäfte und daher nicht für den abstrakten Erbverzicht. 4 OLG Hamm v. 6.11.1970 – 15 W 49/70, DNotZ 1971, 611 (612) (für die Kombination von Übergabevertrag und Erbverzicht). Beachte: Der Begriff des Austauschverhältnisses i.S.v. § 97 Abs. 3 GNotKG (früher § 39 Abs. 2 KostO) ist nicht identisch mit dem Begriff des gegenseitigen Vertrags i.S.d. §§ 320 ff. BGB. 5 BGH v. 18.4.2013 – V ZB 77/12, FamRZ 2013, 1125 = MDR 2013, 879 = ZEV 2013, 458. 6 Bengel/Tiedtke in Korintenberg u.a., KostO, § 39 Rz. 30b. 7 OLG Hamm v. 6.11.1970 – 15 W 49/70, DNotZ 1971, 611 (612). 8 So noch Staudinger/Schotten (1996), Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 76. 9 Bengel/Tiedtke in Korintenberg u.a., KostO, § 39 Rz. 30b.

Muscheler 839

18.97

§ 18 Rz. 18.98

Erbverzicht

sondert festzustellen und aus der Summe das Doppelte der vollen Gebühr zu berechnen (§ 111 Nr. 2 GNotKG, früher § 44 Abs. 2 Buchst. a KostO)1.

18.98 Der Geschäftswert für die Beurkundung des Erbverzichts bestimmte sich nach altem Recht aus § 39 Abs. 1 S. 1 KostO. Daher kam es auf den Wert des Rechtsverhältnisses an, auf das sich die beurkundete Erklärung bezog. Bezugsgegenstand ist beim Erbverzicht die künftige erbrechtliche Position des Verzichtenden, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wertmäßig nicht genau bezifferbar ist. Daher unterlag die Wertbestimmung nach § 30 Abs. 1 KostO freiem Ermessen2, wobei das Ermessen gem. § 30 Abs. 2 KostO an vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkten auszurichten war. Solche sind einerseits die Erbquote des Verzichtenden sowie das Reinvermögen des Erblassers. Teilweise wurde vertreten, es dürfe bei der Schätzung auch eine Prognose über die künftige Entwicklung des Erblasservermögens und das Erbrecht sowie die Erbquote des Verzichtenden gemacht werden. So wollte das OLG Stuttgart3 den Grad der Wahrscheinlichkeit berücksichtigt wissen, dass das Recht, auf das verzichtet wird, später auch tatsächlich geltend gemacht wird, und daher bei Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen zwischen in Scheidung lebenden Ehegatten wegen § 1933 BGB einen Wertabschlag vornehmen4. Die Berücksichtigung derartiger Prognosen führte im Ergebnis jedoch zu willkürlichen Entscheidungen und war deshalb schon nach altem Recht in der Sache abzulehnen5. Dies galt insbesondere deshalb, weil niemals sicher vorhergesagt werden kann, ob nicht unmittelbar nach Abschluss des Verzichtsvertrags der Erbfall eintritt6.

18.99 Nach neuem Recht verhält sich die Sache wie folgt: Nach § 102 Abs. 4 S. 1, Abs. 1 S. 1 und 2 GNotKG ist Geschäftswert bei der Beurkundung eines Erbverzichts i.w.S., „wenn über den ganzen Nachlass oder einen Bruchteil verfügt wird, der Wert des Vermögens oder der Wert des entsprechenden Bruchteils des Vermögens“. Es gelten dieselben Grundsätze wie für die Errechnung des Geschäftswerts bei Verfügungen von Todes wegen. Der Gesetzgeber hat damit die Berechnungsperspektive geändert, indem er nicht mehr auf den Zeitpunkt des Erbfalls abstellt, sondern für den Wert die Verhältnisse im Verzichtszeitpunkt für maßgeblich erklärt. Wahrscheinlichkeitserwägungen sollen keine Rolle mehr spielen. Somit kommt es auf die Wahrscheinlichkeit, dass der Verzichtende den Erblasser überlebt, dass das Vermögen des Erblassers bis zu seinem Tod sich ändert, dass es zu einer Scheidung kommt, nicht mehr an. Ein Pflichtteilsverzicht ist gebührenrechtlich wie eine quotale Erbeinsetzung in Höhe der Pflichtteilsquote zu bewerten (§ 102 Abs. 4 S. 2 GNotKG). Bei einem gegenständlich beschränkten Verzicht dürfte § 102 Abs. 3 GNotKG entsprechend anzuwenden sein, obwohl auf letztere Bestimmung in § 102 Abs. 4 S. 1, 1. Hs. GNotKG, anders als im 2. Hs., nicht ausdrücklich verwiesen wird7. Hat der Erblasser dem auf seinen Pflichtteil (oder Erbteil) Verzichtenden in der Vergangenheit Vermögenswerte unter Anrechnung auf den Pflichtteil zugewendet (§ 2315 BGB), besteht das Pflichtteilsrecht im Umfang der Anrechnung nicht mehr. Für den gebührenrechtlichen Geschäftswert sind die genannten Vermögenswerte in Höhe der Anrechnung wie schon nach altem Recht8 abzuziehen; dass dies wegen der neuen gesetzlichen Regelung nicht mehr in Betracht komme9, trifft nicht zu; auch die technischen Schwierigkeiten bei Ermittlung und Berechnung können das gegenteilige Ergebnis nicht begründen. Bei der Ermittlung des Geschäftswerts werden Verbindlichkeiten des Erblassers abgezogen, aber – auch das

1 2 3 4 5 6 7 8 9

OLG Stuttgart v. 20.8.1975 – 8 W 433/74, Rpfleger 1975, 409. OLG Stuttgart v. 20.5.1992 – 8 W 101/92, JurBüro 1992, 550. OLG Stuttgart v. 20.5.1992 – 8 W 101/92, JurBüro 1992, 550 (551). OLG Stuttgart v. 20.5.1992 – 8 W 101/92, JurBüro 1992, 550 (551). Reimann in Korintenberg u.a., KostO, § 30 Rz. 33; Bengel/Tiedtke in Korintenberg u.a., KostO, § 39 Rz. 30b. OLG München v. 29.3.1939 – 8 Wx 107/39, DNotZ 1939, 682 (683). Wie hier Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 2014, § 102 Rz. 36. OLG Stuttgart v. 20.5.1992 – 8 W 101/92, JurBüro 1992, 550; OLG München v. 3.11.2005 – 32 Wx 111/05, MittBayNot 2006, 354 m. abl. Anm. Schwarz; krit. Bengel/Tiedtke in Korintenberg u.a., KostO, § 46 Rz. 30b. So Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 2014, § 102 Rz. 36.

840

Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.103 § 18

ist eine neue Regelung – nur bis zur Hälfte des Werts des Vermögens (§ 102 Abs. 4 S. 1, 1. Hs., Abs. 1 S. 2 GNotKG). Wird der Erbverzicht in einer Verhandlung zusammen mit weiteren – einen anderen Gegenstand betreffenden – Erklärungen beurkundet, galt nach altem Recht § 44 Abs. 2 KostO, wenn es sich bei den Erklärungen um rechtsgeschäftliche Erklärungen unter Lebenden handelte1. Es war somit, wenn alle Erklärungen demselben Gebührensatz unterlagen, dieser nur einmal nach den zusammengerechneten Werten zu berechnen. Wenn verschiedene Gebührensätze anzuwenden waren, war jede Gebühr für sich zu berechnen. Dasselbe gilt nach neuem Recht. Bei zusätzlicher Beurkundung einer Verfügung von Todes wegen (z.B. bei der Beurkundung des Erbverzichts als Rechtsgeschäft unter Lebenden mit gleichzeitiger Beurkundung eines Erbvertrags als Verfügung von Todes wegen) sind die Gebühren so zu erheben, als wären getrennte Urkunden aufgenommen worden (§ 111 Nr. 1 GNotKG)2.

18.100

Das zur Kostenberechnung beim Erbverzichtsvertrag und dessen Kausalgeschäft Ausgeführte gilt entsprechend für die Aufhebung des Erbverzichts und des diesem zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts. Einschlägig ist § 97 GNotKG, wobei regelmäßig der Wert des Aufgehobenen, also des Verzichts, maßgebend ist. Es gilt der ermäßigte Gebührensatz nach Nr. 21102 Nr. 2 KV (1,0 Gebühr).

18.101

2. Gerichtsgebühren Bedarf der Abschluss des Erbverzichtsvertrags bzw. dessen Aufhebung familiengerichtlicher Genehmigung, fällt hierfür eine halbe Gebühr an (§§ 28, 36 Abs. 1 S. 1 FamGKG i.V.m. Nr. 1310 KV FamGKG). Für die Ermittlung des Geschäftswerts gilt das zu den Notarkosten Ausgeführte entsprechend3. Die im Rahmen einer Vormundschaft oder Pflegschaft erteilte familiengerichtliche Genehmigung ist gem. §§ 28, 36 Abs. 1 S. 1 FamGKG i.V.m. Nr. 1310 Abs. 1 KV FamGKG kostenlos. Dasselbe gilt für die betreuungsgerichtliche Genehmigung gem. KV GNotKG, Hauptabschnitt 1 Nr. 11100 (früher § 91 S. 1, 2. Hs. KostO).

18.102

3. Kostenübersicht über die neben dem Erbverzicht bestehenden Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht Die nachfolgende Übersicht fasst unter Kostengesichtspunkten noch einmal die Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht (nicht Pflichtteilsaussicht!) zusammen (s. auch Rz. 18.53 f.). Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht

Kosten (jeweils im Vergleich mit dem Erbverzicht)

aus jedem Berufungs– Der Vertrag ist formbedürftig (§ 2348 BGB analog oder § 311b Abs. 5 S. 2 grund durch BGB analog); wie für den Erbverzicht fallen daher Beurkundungsgebühren Ausschlagungsverpflichan (= doppelte Gebühr; KV GNotKG, Nr. 21100). tungsvertrag – Zusätzlich entstehen Kosten für die Ausschlagung (§ 1945 BGB), die der Beglaubigung bedarf (= 0,2 Gebühr, höchstens jedoch 70 Euro, KV GNotKG, Hauptabschnitt 5, Nr. 25100. – Der Erbverzicht verursacht eine doppelte Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21100).

1 BGH v. 18.4.2013 – V ZB 77/12, FamRZ 2013, 1125 = MDR 2013, 879 = ZEV 2013, 458 (459). 2 OLG Frankfurt v. 5.11.1964 – 6 W 386/64, JurBüro 1965, 74 (76). 3 Lappe in Korintenberg u.a., KostO, § 95 Rz. 48 f.

Muscheler 841

18.103

§ 18 Rz. 18.104

Erbverzicht

Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht

Kosten (jeweils im Vergleich mit dem Erbverzicht)

aufgrund Gesetzes durch Enterbung

– Das Privattestament verursacht keine Kosten. – Das öffentliche Testament verursacht eine einfache Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21200). – Der Erbverzicht verursacht eine doppelte Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21100).

aufgrund Testamentes durch Widerruf (§ 2254 BGB)

– Der Widerruf kraft Privattestaments ist kostenfrei. Sofern das Widerrufstestament in amtliche Verwahrung gegeben werden soll, entsteht eine einmalige Pauschalgebühr von 75 Euro (statt wie früher, § 101 KostO, eine 1/4-Gebühr). – Die Gebühr für den Widerruf durch ein öffentliches Testament beträgt 1/2 (KV GNotKG, Nr. 21201). Erfolgt zugleich eine neue Verfügung über den Erbteil, entsteht (mindestens) eine volle Gebühr (§ 109 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2 GNotKG). – Der Erbverzicht verursacht eine doppelte Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21100).

aufgrund Erbvertrags durch Aufhebungsvertrag (§ 2290 BGB)

– Die Aufhebung der vertragsmäßigen Verfügung kostet eine volle Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21102 Ziffer 2; früher nur 0,5 Gebühr, § 46 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. KostO a.F.), während der Verzicht eine doppelte Gebühr auslöst (KV GNotKG, Nr. 21100). – Eine neue Verfügung über den entsprechenden Erbteil kann durch Privattestament kostenfrei erfolgen. Wird sie erbvertraglich vorgenommen, ist es für das neue Rechtsgeschäft gebührenmäßig gleich (doppelte Gebühr, mindestens jedoch 120 Euro), ob die Erbaussicht zuvor durch Aufhebungsvertrag oder Verzicht beseitigt worden ist (vgl. §§ 44 Abs. 1, 46, 36 Abs. 2 KostO a.F.; §§ 102, 109, 110, 111, KV GNotKG, Nr. 21100), so dass hier beide Möglichkeiten unter Kostengesichtspunkten gleich gut geeignet sind. Empfehlenswerter als ein Aufhebungsvertrag ist der Erbverzicht allein dann, wenn ein im alten Erbvertrag begünstigter Dritter Vertragspartner des neuen Erbvertrags werden soll, weil dann nur zwei (statt drei) Personen beteiligt sind1. Beispiel: Erblasser E hat mit X einen Erbvertrag geschlossen, durch den D begünstigt wird. Um die Voraussetzungen für einen neuen Erbvertrag mit D zu schaffen, kann der Erblasser entweder den alten Erbvertrag durch Vertrag mit X aufheben oder mit D einen Verzichtsvertrag schließen, durch den dem alten Erbvertrag die Grundlage entzogen wird. – Sollen Erbverzicht und neuer Erbvertrag oder Aufhebungsvertrag und neuer Erbvertrag im selben Akt geschlossen werden, wäre die zweite Alternative kostenrechtlich günstiger (vgl. § 109 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 111 Nr. 1 GNotKG).

VI. Steuerliche Behandlung des Erbverzichts 18.104 Bei allen Steuerarten ist für das Bestehen einer Steuerpflicht nicht der abstrakte Erbverzicht i.w.S. selbst, sondern ausschließlich das dem Erbverzicht zugrunde liegende Kausalgeschäft maßgeblich2. Nur wenn der Erbverzicht hiernach gegen eine Abfindung erfolgt, kann ein Steuertatbestand erfüllt sein. Ein ohne Gegenleistung erklärter Erbverzicht ist sowohl einkommensteuer-3 als auch schenkung-

1 Damrau, S. 30. 2 Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 96. 3 Spiegelberger, Rz. 360.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.108 § 18

steuerrechtlich1irrelevant, denn er bewirkt weder eine vermögensrechtliche Bereicherung des Erblassers oder des Begünstigten noch eine unmittelbare Vermögensminderung des Verzichtenden, da dieser sich lediglich einer Erbaussicht begibt. 1. Schenkungsteuer Zivilrechtlich ist umstritten, ob die für einen Erbverzicht geleistete Abfindung als entgeltliche oder 18.105 unentgeltliche Zuwendung einzuordnen ist (s. Rz. 18.118 ff.). Im Steuerrecht jedenfalls gilt sie gem. § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG als Schenkung unter Lebenden2. Hierdurch soll die Möglichkeit beseitigt werden, durch vertragliche Gestaltung die Steuer auf den Anfall von Vermögenswerten durch Erbgang oder Schenkung zu umgehen3. Daraus ergibt sich, dass der Wert des Erbverzichts vom Wert der Abfindung nicht abgezogen werden kann4. Gem. § 14 Abs. 1 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende 18.106 Zuwendungen zusammengerechnet und nach dem sich hieraus ergebenden Betrag besteuert. Freibeträge – insbesondere die des § 16 Abs. 1 ErbStG – kann der Beschenkte daher für innerhalb dieser Frist liegende Zuwendungen nur einmal geltend machen. Auch bringt die Addition der Zuwendungen meist einen höheren Steuersatz mit sich (§ 19 Abs. 1 ErbStG). Wegen dieser Nachteile ist zu erwägen, ob die Abfindung für einen Erbverzicht wenigstens in zwei Teilen erbracht werden kann, um in den Genuss eines niedrigeren Tarifs zu kommen und die Freibeträge mehrmals ausnutzen zu können. So könnte der Erblasser die von der Erbfolge auszuschließenden Personen zu einem Teil sofort abfinden und ihnen zum anderen Teil Vermächtnisse aussetzen5. Da zwischen Abfindung und Erbfall jedoch gem. § 14 Abs. 1 ErbStG wenigstens zehn Jahre liegen müssen, um ein steuerrechtlich vorteilhaftes Ergebnis zu erreichen, sollte eine entsprechende Vertragsgestaltung zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Erblasser noch einigermaßen sicher von einer ausreichend langen Lebensdauer ausgehen kann6. Wendet der Erblasser seinem Ehegatten als Abfindung für einen Erbverzicht ein aufschiebend bedingtes Leibrentenstammrecht zu (Zahlung einer Geldrente auf den Todesfall), unterliegt der Erwerb auch dann der Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG, wenn die Rente ausschließlich der Altersversorgung dient7. Allerdings steht dem überlebenden Ehegatten in einem solchen Fall der besondere Versorgungsfreibetrag des § 17 Abs. 1 ErbStG zu8.

18.107

Gewährt nicht der Erblasser selbst, sondern ein Dritter die Abfindung, wird sie gleichwohl als Schen- 18.108 kung des Erblassers angesehen, so dass sich die für die Besteuerung des Erwerbs maßgebliche Steuerklasse allein nach dem Verhältnis zwischen dem Verzichtenden und dem Erblasser bestimmt9. Dies eröffnet interessante Gestaltungsmöglichkeiten, etwa für Zuwendungen unter Geschwistern, wenn diese als Abfindung für einen gegenüber den Eltern ausgesprochenen Erbverzicht gewährt werden (günstige Steuerklasse I; Eltern können gleichwohl den Verzichtenden durch Verfügung von Todes wegen bedenken). Der Dritte kann den Abfindungsbetrag gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG als Nachlassverbindlichkeit 1 Brox, Rz. 284. 2 Zur steuerlichen Behandlung einer aufgrund eines Erbschaftsvertrags gem. § 312 Abs. 2 BGB geleisteten Abfindung s. BFH v. 25.1.2001 – II ZR 22/98, ZEV 2001, 163. Zu den (privilegierten) Zuwendungen unter Lebenden i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG gehören auch Abfindungen für einen Erbverzicht, BFH v. 27.10.2010 – II R 37/09, ZEV 2011, 49 (50). 3 BFH v. 25.5.1977 – II R 136/73, BFHE 122, 543. 4 BFH v. 16.1.1953 – III 192/52 U, BFHE 57, 150. 5 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2052). 6 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2052). 7 FG Nürnberg v. 12.9.1989 – VI 408/84, EFG 1990, 65 (66). 8 FG Nürnberg v. 12.9.1989 – VI 408/84, EFG 1990, 65 (67). 9 BFH v. 25.5.1977 – II R 136/73, BFHE 122, 543, unter Aufgabe seiner früheren Rspr. BFH v. 16.1.1953 – III 192/52 U, BFHE 57, 150. Vgl. auch BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, ZEV 2001, 163 (für eine aufgrund eines Erbschaftsvertrags gem. § 312 Abs. 2 BGB geleistete Abfindung).

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§ 18 Rz. 18.109

Erbverzicht

von einem späteren Erwerb abziehen, wenn dieser durch den Verzicht veranlasst oder vergrößert worden ist1.

18.109 Werden mit der Abfindung neben dem Erbverzicht weitere Gegenleistungen des Verzichtenden abgegolten, ist der Gesamtbetrag der Abfindung aufzuteilen2. Der Teil, den der Empfänger der Abfindung unabhängig von der Abfindungsvereinbarung bereits aus einem anderen Rechtsgrund zu beanspruchen hat, wird nicht allein deshalb steuerpflichtig, weil er als Abfindung geleistet worden ist3.

18.110 Zuwendungen in Erfüllung eines Nachabfindungsanspruchs aus der Übergabe eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, die im Zusammenhang mit der freiwilligen – d.h. nicht im sachlichen Zusammenhang mit der Hofübergabe stehenden – Veräußerung einzelner Hofgrundstücke entstehen, sind nicht nach § 14a Abs. 4 EStG begünstigt4. 2. Einkommensteuer

18.111 Beratungssituation: Der Erblasser beabsichtigt, den Abfindungsbetrag nicht in einer Summe, sondern in jährlichen Beträgen zu zahlen. Sein zum Verzicht bereiter Sohn möchte wissen, wie sich dies einkommensteuerrechtlich auswirkt.

Allein die Tatsache, dass eine Leistung nicht in einem Betrag, sondern in Form wiederkehrender Zahlungen zu erbringen ist, vermag nach der Rechtsprechung5 des BFH deren Einkommensteuerbarkeit nicht zu begründen. Entscheidend ist allein, ob die Leistung als Einmalzahlung einkommensteuerbar wäre.

18.112 Unabhängig davon, ob der Erbverzicht zivilrechtlich als entgeltliches oder als unentgeltliches Rechtsgeschäft beurteilt wird, beruht die für ihn gezahlte Abfindung grundsätzlich nicht auf einem einkommensteuerrechtlich relevanten Vermögenszuwachs. § 22 Nr. 3 EStG, der bei zivilrechtlicher Einordnung des Verzichts als entgeltliches Rechtsgeschäft als alleinige Rechtsgrundlage für die Besteuerung in Betracht käme, erfasst lediglich erwirtschaftetes Einkommen, dagegen grundsätzlich nicht die Umschichtung privaten Vermögens6. Ausnahmen von dem Satz, dass die Umschichtung privaten Vermögens nicht der Einkommensteuer unterliegt, gelten lediglich für Vermögensänderungen aufgrund von Spekulationsgeschäften (§§ 22 Nr. 2, 23 EStG) sowie für die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung (§ 17 EStG). Der Verzicht auf das Erbrecht ist ein veräußerungsähnlicher Vorgang der privaten Vermögensebene und damit, weil nicht durch eine besondere Ausnahmenorm erfasst, nicht einkommensteuerbar7. Sieht man die Abfindung dagegen als unentgeltliche Zuwendung an, ist sie nicht „erzielt“ i.S.v. § 2 Abs. 1 EStG und damit ebenfalls nicht einkommensteuerbar. Sie unterliegt vielmehr der Schenkungsteuer (und dies unabhängig von der zivilrechtlichen Einordnung).

18.113 Ein Erbverzicht gegen Zusage wiederkehrender Leistungen kann bei wertender Betrachtung auch nicht als „Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen“ beurteilt werden8, was die Bezüge einerseits für den Abgefundenen gem. § 22 Nr. 1 EStG steuerbar und andererseits für den Leistenden 1 2 3 4 5 6 7 8

Meincke, ErbStG, § 7 Rz. 108. Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 100. Meincke, ErbStG, § 7 Rz. 109. BFH v. 5.11.1998 – IV R 32/98, BFHE 187, 469 (473); s. auch BFH v. 22.9.1994 – IV R 82/93, BFHE 176, 27 ff. BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (Abweichung von BFH v. 7.4.1992 – VIII R 59/89, BFHE 167, 515). Vgl. BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655 = MDR 1995, 1000 = FamRZ 1995, 1264 (661). BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (122). Vgl. v. a. BFH v. 17.3.2010 – X R 38/06, FamRZ 2010, 1440 = ZEV 2010, 427. BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (122).

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Erbverzicht

Rz. 18.115 § 18

nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG als Sonderausgaben absetzbar machen würde. Idealtypus eines solchen Versorgungsvertrags ist die Hof- und Betriebsübergabe, bei der sich der Übergeber – ähnlich dem Nießbrauch – einen Teil der Erträge des übergebenen Vermögens in Form von Versorgungsleistungen zurückbehält1, die nunmehr vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden müssen2. Die Interessenlage bei einem solchen Vertrag ist eine völlig andere als bei einem Erbverzicht gegen Zusage wiederkehrender Leistungen3. Der Verzicht als „Übergabe“ erfolgt hier (meist) von Seiten der jüngeren Generation4, und das zu einem Zeitpunkt, in dem ein erbrechtlicher Anspruch noch nicht entstanden ist. Gerade weil im Zeitpunkt des Verzichts ein Anspruch noch nicht entstanden ist, kann auch die Abfindung für den Verzicht nicht als zurückbehaltener Ertrag aus dem aufgegebenen Recht angesehen werden5. Allenfalls ein in den wiederkehrenden Leistungen enthaltener Zinsanteil kommt als einkommensteuerrechtlich relevanter Zuwachs von Leistungsfähigkeit gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Betracht6. Die einem Erben vermächtnisweise auferlegten Unterhaltsleistungen sind nur dann gem. § 10 Abs. 1 18.114 Nr. 1a EStG als dauernde Last abziehbar, wenn der Empfänger der Unterhaltsleistungen zum Zeitpunkt des Erbfalls gesetzlich erbberechtigt war7. Daraus ergibt sich, dass die in einer solchen Form gewährte Abfindung für einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht einkommensteuerrechtlich nicht absetzbar ist (zu weiteren Problemen dieser Art der Abfindungsgewährung s. Rz. 18.120 f.). 3. Grunderwerbsteuer Besteht die Abfindung für einen Erbverzicht in einer Grundstücksübertragung, gilt § 3 GrEStG. § 3 18.115 Nr. 2 GrEStG befreit von der Grunderwerbsteuer bei einem Grundstückserwerb von Todes wegen und bei Grundstücksschenkungen unter Lebenden im Sinne des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes8. Die Vorschrift erfasst somit alle Vorgänge, die unter § 7 ErbStG fallen, und damit auch die Grundstücksabfindung für den Erbverzicht9. Eine Schenkung unter einer Auflage unterliegt gem. § 3 Nr. 2 S. 2 GrEStG jedoch der Besteuerung hinsichtlich des Werts solcher Auflagen, die bei der Schenkungsteuer abziehbar sind. Diese Einschränkung gilt jedoch nicht für die zum begünstigten Personenkreis des § 3 Nr. 6 GrEStG gehörenden Erwerber10, für die der Grundstückserwerb steuerfrei ist. Zu diesen zählen der Ehegatte (§ 3 Nr. 4 GrEStG) sowie Personen, die mit dem Übergeber in gerader Linie verwandt sind (§ 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG). Gem. § 3 Nr. 6 S. 2 und 3 GrEStG stehen den Abkömmlingen die Stiefkinder, den Verwandten in gerader Linie sowie den Stiefkindern auch deren Ehegatten gleich. Für Geschwister und Pflegekinder gilt die Privilegierung jedoch nicht11.

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10 11

BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (122). BFH v. 15.7.1991 – GrS 1/90, BStBl. II 1992, 78 (84). BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (122). Geck, Anm. zu BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, ZEV 2000, 123. Geck, Anm. zu BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, ZEV 2000, 123 (125). BFH v. 25.10.1994 – VIII R 79/91, BStBl. II 1995, 121; zur Berechnung vgl. den Erlass des BFM v. 23.12.1996 – IV B 3-S. 2257-54/96 in ZEV 1997, 16 (20). Selbst § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG für den Verzicht nach § 2346 BGB jetzt definitiv ablehnend BFH v. 17.3.2010 – X R 38/06, FamRZ 2010, 1440 = ZEV 2010, 427 (428); die Norm komme allenfalls in Betracht, wenn der Erbfall bereits eingetreten ist und ein Pflichtteilsberechtigter vom Erben unter Anrechnung auf seinen Pflichtteil wiederkehrende Leistungen erhält; in einem solchen Fall sei das Merkmal der Überlassung von Kapital zur Nutzung im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG jedenfalls dann erfüllt, wenn der Bedachte rechtlich befugt ist, den niedrigeren Barwert im Rahmen seines Pflichtteilsanspruchs geltend zu machen. FG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 7 K 2787/95 E, EFG 2000, 117. Dies gilt nicht für einen Grundstückserwerb zur Abgeltung eines auf Geld gerichteten Abfindungsanspruchs, vgl. BFH v. 29.9.2015 – II R 23/14, DStRE 2016, 35. Meßbacher-Hönsch in Boruttau, GrEStG, § 3 Rz. 269. von Sothen in Sudhoff, § 55 Rz. 127. von Sothen in Sudhoff, § 55 Rz. 127.

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§ 18 Rz. 18.116

Erbverzicht

VII. Das Kausalgeschäft zum Erbverzicht 1. Notwendigkeit und Inhalt eines Verpflichtungsgeschäfts (i.d.R. Abfindungsvertrag)

18.116 Während man früher annahm, dass der Erbverzicht als Verfügungsgeschäft seine Rechtfertigung in sich selbst trage und daher keines Rechtsgrundes (causa) bedürfe1, ist es heute einhellige Meinung, dass der Erbverzicht – wie jedes sonstige Verfügungsgeschäft – ein Verpflichtungsgeschäft zur Grundlage haben muss, um kondiktionsfest zu sein2. Von der anderen Seite her betrachtet lässt sich die Sache so formulieren: Es kann durch einen Kausalvertrag eine wirksame Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichts begründet werden. Wesensnotwendiger Inhalt des Kausalgeschäfts ist ausschließlich die Verpflichtung zur Abgabe der für einen Erbverzicht erforderlichen Willenserklärungen. Die Vereinbarung einer etwaigen Gegenleistung (genauer: einer Pflicht zu ihrer Erbringung) ist nicht erforderlich, aber selbstverständlich möglich.

18.117 Erfolgt die Verpflichtung zum Erbverzicht i.w.S. ohne Vereinbarung einer Gegenleistung (sog. unentgeltlicher Erbverzicht), ist das Kausalgeschäft nach allgemeiner Meinung3keine Schenkung (§ 516 BGB) des Verzichtenden an den Erblasser oder an den durch den Verzicht Begünstigten, weil nur eine Chance, nicht aber ein subjektives Recht aufgegeben wird (arg. § 517 BGB).

18.118 Beinhaltet das Kausalgeschäft neben der Verpflichtung des Verzichtswilligen auch eine Verpflichtung des Erblassers zu einer Leistung, meist einer Abfindung, handelt es sich um einen sog. entgeltlichen Erbverzicht. Ein solcher ist gegenseitiger Schuldvertrag, für den die §§ 320 ff. BGB gelten. Der Zahlungsanspruch des Verzichtenden aus dem Kausalgeschäft ist rein schuldrechtlicher, nicht erbrechtlicher Natur4 (Ausnahme: Die Abfindung wird durch Vermächtnis zugewandt, s. Rz. 18.121). Er verjährt damit in der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB) mit einer Verjährungsfrist von zehn (§ 199 Abs. 4 BGB) statt – wie bei erbrechtlichen Ansprüchen – von 30 Jahren (§ 199 Abs. 3a BGB). Ob das Kausalgeschäft eines entgeltlichen Erbverzichts zivilrechtlich eine Schenkung (des Erblassers an den Verzichtenden) darstellt (zur steuerrechtlichen Qualifikation s. Rz. 18.105), wurde lange Zeit sehr kontrovers diskutiert5. Von der Beantwortung der Frage hängt ab, ob die Abfindung Pflichtteilsergänzungsansprüche (§§ 2325, 2329 BGB) auslösen kann, ob der Erblasser die Möglichkeit hat, die Schenkung wegen groben Undanks nach § 530 BGB zu widerrufen oder wegen Notbedarfs nach § 528 BGB zurückzufordern, ob die Abfindung eine den Vertragserben beeinträchtigende Schenkung i.S.d. § 2287 BGB sein kann und Gläubiger die Abfindung als „unentgeltliche Leistung“ des Erblassers nach § 4 AnfG bzw. § 134 InsO wegen Gläubigerbenachteiligung anzufechten vermögen.

18.119 Der BGH hatte sich mit der Qualifikation von Abfindungen zunächst lediglich unter dem Aspekt der Anfechtbarkeit nach dem Anfechtungsgesetz (AnfG) und im Hinblick auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB befasst und dabei für die Beurteilung der Frage, ob die Abfindung eine unentgeltliche oder eine entgeltliche Leistung darstellt, auf die jeweiligen Schutzzwecke abgestellt. Für das Recht der Gläubigeranfechtung sei entscheidend, ob der Schuldner bei objektiver Betrachtung einen Gegenwert für seine Zuwendung erhalten habe. In seiner Entscheidung vom 28.2.1991 führte der BGH insoweit aus, dass die als Abfindung gewährte Zuwendung – gewährt für einen (isolierten)

1 Lange in FS Nottarp, S. 119 (123) m.w.N. 2 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 (157) m.w.N. = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258; BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146); Lange/Kuchinke, § 7 I 5a (S. 169) m.w.N. 3 S. statt vieler Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 121. 4 OLG Celle v. 26.7.2007 – 6 U 12/07, ZEV 2008, 485 (485). 5 Zum Meinungsstand s. z.B. Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 124 m.w.N.; Haegele, BWNotZ 1971, 36 (37 ff.) m.w.N.; Theiss/Boger, ZEV 2006, 143 (143 ff.).

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Erbverzicht

Rz. 18.119c § 18

Pflichtteilsverzicht1, der dem Erblasser allein den Vorteil der Testierfreiheit bringen konnte – keine Gegenleistung sei, welche Unentgeltlichkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 a.F. AnfG ausschließe2. Erst wenn objektiv ein Gegenwert in das Vermögen des Schuldners geflossen sei, bestehe Anlass für die Prüfung, ob die Gegenleistung nach Auffassung der Beteiligten Entgelt sein sollte oder mit der Verfügung des Schuldners Freigebigkeit bezweckt gewesen sei. Dementsprechend ist im Pflichtteilsrecht wichtig, Auswirkungen lebzeitiger Verfügungen des Erblassers auf die Höhe des Pflichtteilsanspruchs im Blick zu behalten. Die Pflichtteilsergänzung soll verhindern, dass das Pflichtteilsrecht durch unentgeltliche Zuwendung zu Lebzeiten des Erblassers ausgehöhlt wird, indem das Nachlassvermögen auf ein Minimum reduziert wird. Vor dem Hintergrund der Frage, ob eine für einen Erbverzicht geleistete Abfindung der Pflichtteilsergänzung unterliegt, hatte der BGH zunächst nicht eindeutig Stellung bezogen3. In Abkehr zu seinem Urteil v. 8.7.1985 stellte er im Beschluss v. 3.12.20084 für den Maßstab einer über den entgeltlichen Teil der Abfindung hinausgehenden unentgeltlichen Zuwendung5 bzw. einer eine angemessene Abfindung übersteigenden Leistung6 nicht mehr auf den Wert des dem Verzichtenden zustehenden Pflichtteils ab, sondern auf den Wert des Erbteils, auf den verzichtet wird (s. Rz. 18.40). Der Pflichtteilsberechtigte könne sich auf die in der Rechtsprechung bei gemischten Schenkungen anerkannte Beweiserleichterung berufen, nach der eine Schenkung zu vermuten sei, soweit zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis bestehe. Pflichtteilsergänzung kommt daher nur hinsichtlich eines Betrages in Betracht, der über eine „angemessene Abfindung“ hinausgeht.

18.119a

Zu berücksichtigen ist bei der Bewertung allerdings § 2310 S. 2 BGB, wie der BGH in seinem Urteil vom 7.7.20157 ausführt. Denn durch den Erbverzicht erhöht sich der Pflichtteilsanspruch der Berechtigten. Um diese nicht doppelt zu begünstigen, reicht es für die Annahme der Parteiwillen nicht aus, dass die Zuwendung in etwa dem Gegenwert entspricht. Anders verhält es sich dagegen beim Pflichtteilsverzicht i.e.S. Mangels gesetzlicher Pflichtteilserhöhung ist eine Korrektur mit Rücksicht auf die Interessen der Pflichtteilsberechtigten nicht angezeigt.

18.119b

Für die Beurteilung einer Zuwendung im Zusammenhang mit schenkungsrechtlichen Widerrufsrechten hat der BGH in seinem Urteil vom 7.7.20158 ausgeführt, dass es für die Frage, ob eine Zuwendung Schenkung ist, darauf ankomme, ob sich die Vertragsparteien darüber einig seien, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolge. Für die schenkungsrechtliche Qualifikation seien in erster Linie schenkungsrechtliche Wertungen maßgeblich. Die Rückforderungsmöglichkeiten nach § 528 Abs. 1 BGB und § 530 Abs. 1 BGB trügen der Unentgeltlichkeit der Schenkung Rechnung. Diese Rechte habe auch der Schenker, der bestimme, dass die Schenkung an einen Abkömmling bei der Erbauseinandersetzung zur Ausgleichung zu bringen sei (§ 2050 Abs. 3 BGB) oder auf den Pflichtteil angerechnet werden solle (§ 2315 Abs. 1 BGB). Nichts anderes könne gelten, wenn der Schenkungsvertrag die Abrede enthält,

18.119c

1 Dieser erfolgte von Seiten des in einem notariellen gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Erben. 2 BGH v. 28.2.1991 – IX ZR 74/90, BGHZ 113, 393 = MDR 1991, 645 = FamRZ 1991, 695 (398); FG Nürnberg v. 25.7.2018 – BeckRS 2018, 24693 Rz. 53 ff.; noch nicht allgemein BGH v. 8.7.1985 – II ZR 150/84, MDR 1986, 581 = FamRZ 1986, 258 = NJW 1986, 127 (129). 3 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1145) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (78) = ErbR 2009, 124 (125). 4 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1145) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (78) = ErbR 2009, 124 (125). 5 So man die Abfindung als entgeltliches Geschäft ansieht. 6 So man zwar die Abfindung als unentgeltlich einstuft, § 2325 BGB aber dahingehend einschränkend auslegt, dass eine angemessene Abfindung durch die gleichzeitig mit dem Erbverzicht zugunsten der anderen Pflichtteilsberechtigten eintretende Erhöhung der Pflichtteilsquote gem. § 2310 S. 2 BGB kompensiert wird. § 2325 BGB löst bezüglich des die angemessene Höhe übersteigenden Teils der Abfindung Ergänzungsansprüche aus. 7 BGH v. 7.7.2015 – X ZR 59/13, MDR 2016, 74 = FamRZ 2016, 214 = NJW 2016, 117. 8 BGH v. 7.7.2015 – X ZR 59/13, MDR 2016, 74 = FamRZ 2016, 214 = NJW 2016, 117.

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§ 18 Rz. 18.119d

Erbverzicht

dass der beschenkte Abkömmling als Ausgleich auf sein Erb- und Pflichtteilsrecht verzichte. Der Verzicht auf das Erb- oder Pflichtteilsrecht nehme der Zuwendung jedenfalls insoweit nicht den Charakter der Unentgeltlichkeit, als er – nach dem Willen der Vertragsparteien – der Ausgleichung der lebzeitigen Zuwendung bei der Erbfolge dienen solle. Ein solcher Wille sei regelmäßig anzunehmen, wenn die Höhe der Zuwendung in etwa der Erberwartung entspreche oder diese gar übersteige. Demgegenüber könne es gegen eine Schenkung sprechen, wenn die Zuwendung wertmäßig deutlich hinter der Erberwartung zurückbleibe. Maßgeblich für die Beurteilung seien der Wortlaut des Vertrags über die Zuwendung und den Erbverzicht, insbesondere auch die Umstände seines Zustandekommens und seiner Ausgestaltung im Einzelnen.

18.119d Die Abfindung für einen Erbverzicht ist damit regelmäßig unentgeltliche Zuwendung. Dieses Ergebnis entspricht dem mutmaßlichen subjektiven Willen der Parteien, die zumeist darüber einig sein dürften, dass durch den Vertrag eine künftige Erbfolgeregelung zeitlich vorweggenommen wird und die Abfindung praktisch nur ein Surrogat für den späteren (unentgeltlichen!) Erwerb von Todes wegen darstellt. Der Erblasser hat zudem ein berechtigtes Interesse, die Abfindung unter den Voraussetzungen der §§ 528, 530 BGB zurückfordern zu können1. Der Verzichtende ist in einem solchen Fall hinreichend geschützt. Er haftet lediglich nach Bereicherungsgrundsätzen und ist zur Herausgabe der Abfindung nur gegen gleichzeitige Aufhebung des Erbverzichts verpflichtet2. Für die Auffassung des BGH spricht auch die Einheit der Rechtsordnung3: § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG behandelt die Abfindung für einen Erbverzicht als Schenkung unter Lebenden und unterwirft sie der Schenkungsteuer. Selbst die für einen Erbschaftsvertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB (Verzicht auf die Geltendmachung des künftigen Pflichtteils) geleistete Abfindung stellt nach Ansicht des BFH eine freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar und ist damit ebenfalls steuerbar4. Beachte: Der Erb- und Pflichtteilsverzicht im Rahmen eines Übergabevertrags schließt im Normalfall einen möglichen Schenkungswiderruf wegen Verarmung des Schenkers oder groben Undanks nicht aus. Kommt es dem Erblasser in erster Linie darauf an, den Abkömmling durch Gewährung einer Abfindung zu einem Erbverzicht zu bewegen, sollte der entgeltliche Charakter ausdrücklich in der Urkunde benannt werden.

18.120 Als Abfindung kann die Zahlung eines Geldbetrages, die Übereignung eines Grundstücks, die Übertragung eines Rechtes u.Ä. geschuldet sein. Zu beachten ist jedoch, dass der Erblasser sich wegen § 2302 BGB nicht wirksam verpflichten kann, solche Leistungen mittels Verfügung von Todes wegen zuzuwenden. Allenfalls unter der Voraussetzung, dass die Verpflichtung sogleich erfüllt wird (mit dem Erbverzichtsvertrag also gleichzeitig eine Verfügung von Todes wegen verbunden wird), wäre auch die Verpflichtung wirksam5. Für diesen Fall ist § 2302 BGB teleologisch reduziert auszulegen6, denn die Vorschrift will lediglich die Testierfreiheit vor schuldvertraglicher Bindung schützen7. Eines Schutzes bedarf aber nicht, wer gleichzeitig testiert, sondern nur, wer sich verpflichtet, dies in Zukunft zu tun8. Beachte: Soll die Abfindung durch eine zukünftig zu errichtende Verfügung von Todes wegen geleistet werden, so ist zu beachten, dass der Erblasser sich hierzu wegen § 2302 BGB nicht wirksam zu verpflichten

1 2 3 4 5 6 7 8

Coing, NJW 1967, 1777 (1779 f.) löst das Problem über eine Anwendung der §§ 2294, 2333 BGB. Speckmann, NJW 1970, 117 (121). Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 139. BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, ZEV 2001, 163; ablehnend: Daragan, Anm. zu BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, DB 2001, 848. Nach BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 = MDR 1989, 523 = FamRZ 1989, 496 (361) spricht die Verbindung von Erbverzicht und Vermächtnis in einer Urkunde für ein vertragsmäßiges Vermächtnis. Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 142. BGH v. 9.2.1977 – IV ZR 201/75, NJW 1977, 950. Stürzebecher, NJW 1988, 2717 (2719).

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Erbverzicht

Rz. 18.121a § 18

vermag. Zum Schutz des Verzichtswilligen1 kann (und sollte!) in einem solchen Fall die Wirksamkeit des abstrakten Erbverzichts ausdrücklich davon abhängig gemacht werden, dass der Erblasser in einer bestimmten Art und Weise von Todes wegen verfügt bzw. Verfügungen von Todes wegen aufrechterhält. Ein solchermaßen bedingter Verzicht hat keinen Einfluss auf die Testierfreiheit des Erblassers2 und ist daher zulässig.

In Fällen, in denen die Abfindung für einen Erbverzicht i.e.S. oder für einen (isolierten) Pflichtteils- 18.121 verzicht durch Vermächtnis zugewendet werden soll, muss zum Schutz eines pflichtteilsberechtigten Verzichtswilligen über den empfohlenen Bedingungszusammenhang hinaus die Vorschrift des § 2318 BGB beachtet werden. Nach § 2318 Abs. 1 BGB ist es dem Erben zur Bedienung eines Pflichtteils gestattet, den Anspruch des Vermächtnisnehmers einredeweise zu kürzen. § 2318 Abs. 2 BGB lässt dies gegenüber einem pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer jedoch nur insoweit zu, dass diesem der eigene Pflichtteil verbleibt. Zugunsten eines pflichtteilsberechtigten Erben wird das Kürzungsrecht durch § 2318 Abs. 3 BGB nochmals erweitert. Ist die Kürzungsmöglichkeit des § 2318 Abs. 1 BGB an sich schon ein gravierender Nachteil, so vergrößert sich die Gefahr noch durch folgenden Umstand: Erklärt der Pflichtteilsberechtigte einen Erbverzicht i.e.S. oder einen (isolierten) Pflichtteilsverzicht, entfällt für ihn der Schutz des § 2318 Abs. 2 BGB, wenn sich die Wertrelation zwischen Vermächtnisgegenstand und restlicher Erbschaft nach Abschluss des Verzichtsvertrags bis zum Eintritt des Erbfalls verschiebt. Beispiel: (Beispiel von Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 [2056] [abgewandelt].) Der verwitwete Erblasser E, dessen Vermögen vor allem aus einem Unternehmen im Wert von 10 Mio. Euro besteht, möchte einen seiner drei Söhne, den S1, zum Alleinerben einsetzen. Mit S2 kommt im Jahre 1995 ein Erbverzicht i.e.S. zustande, und zwar unter der auflösenden Bedingung, dass E ein zugunsten des S2 testamentarisch ausgesetztes Vermächtnis aufrechterhält. Vermächtnisgegenstand ist ein Hausgrundstück, das im Zeitpunkt des Verzichts einen Wert von 2 Mio. Euro hat. Mit S3 kommt ein vertraglicher Erbverzicht nicht zustande, oder ein solcher stellt sich später als nichtig heraus. Im Zeitpunkt des Erbfalls beträgt der Wert des Hausgrundstücks rund 1,5 Mio. Euro, während der Wert des Unternehmens immer noch 10 Mio. Euro beträgt; weiteres nennenswertes Vermögen enthält der Nachlass nicht. S3 verlangt von S1 den Pflichtteil, S2 die Übereignung des Hausgrundstücks.

Der Pflichtteil des S3 beträgt die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils (§§ 2303 Abs. 1, 2310 S. 2 BGB), mithin 1/4 der sich auf einen Wert von insgesamt 11,5 Mio. Euro belaufenden Erbschaft, also 2,875 Mio. Euro. Diese Summe muss S1 als Erbe aufbringen, kann jedoch das zugunsten des S2 ausgesetzte Vermächtnis nach § 2318 Abs. 1 S. 1 BGB anteilig kürzen. Zur Berechnung der Kürzung bietet sich die (anerkannte) Formel von Martin3 an: Kürzungsbetrag

Der Kürzungsbetrag beläuft sich im Beispielsfall folglich auf rund 375.000 Euro [(1,5 Mio. Euro × 2,875 Mio. Euro): 11,5 Mio. Euro]. S1 kann die Erfüllung des Vermächtnisses verweigern, so lange S2 nicht diesen Betrag an ihn zahlt. Verweigert S2 die Zahlung, kann S1 statt des Vermächtnisgegenstandes dessen Schätzwert unter Abzug des Kürzungsbetrages leisten4. S2 erhält im Beispielsfall wegen des Kürzungsbetrages weniger als das, was ihm als Pflichtteil zugestanden hätte (1/6 von 11,5 Mio. Euro = rund 1,92 Mio. Euro). Wäre der Wert des Hauses im Erbfall noch ebenso hoch wie im Zeitpunkt des Verzichts, so hätte S3 einen Pflichtteilsanspruch von 3 Mio. Euro, der Kürzungsbetrag zulasten des Vermächtnisses (§ 2318 Abs. 1 BGB) betrüge 500.000 Euro, dem S2 verblieben wertmäßig 1,5 Mio. Euro, sein fiktiver Pflichtteil beliefe sich auf 1/6 von 12 Mio. Euro, also auf 2 Mio. Euro. Damit zeigt sich, dass der Einbruch in den Schutzbereich des § 2318 Abs. 2 BGB, den schon der Kürzungsmechanismus des 1 Als mahnendes Beispiel s. BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (33). 2 Vgl. nur etwa Nieder, Rz. 1154. 3 Martin, ZBlFG 1914, 789 (790). 4 Vgl. Kipp/Coing, § 12 II 2a (S. 85).

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18.121a

§ 18 Rz. 18.122

Erbverzicht

§ 2318 Abs. 1 BGB als solcher bewirkt, noch verstärkt wird durch nach dem Verzicht eintretende Wertverschiebungen zulasten des Vermächtnisnehmers1. Beachte: Will eine pflichtteilsberechtigte Person auf ihr gesetzliches Erbrecht oder (isoliert) auf das Pflichtteilsrecht gegen Aussetzung eines Vermächtnisses verzichten, sollte die Abbedingung des § 2318 Abs. 1 BGB2 in Erwägung gezogen werden3.

2. Wirksamkeit des Kausalgeschäfts

18.122 Wie jeder andere schuldrechtliche Vertrag kann auch das Kausalgeschäft zum Erbverzicht aus mannigfachen Gründen nichtig sein. Keiner näheren Erörterung bedürfen die Fälle, in denen Geschäftsunfähigkeit eines Vertragspartners vorliegt (§ 105 BGB) oder das Geschäft nur zum Schein abgeschlossen wird (§ 117 BGB). a) Beschränkungen in der Geschäftsfähigkeit

18.123 Die Wirksamkeit eines Kausalgeschäfts, an dem ein beschränkt Geschäftsfähiger beteiligt ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Regelungen der §§ 107 ff. BGB. Nach § 107 BGB bedarf der Minderjährige zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Ein ohne die erforderliche Einwilligung geschlossener Vertrag ist gem. § 108 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam und kann nur wirksam werden, wenn der Vertrag nachträglich genehmigt wird.

18.124 Bei der Frage nach dem Erfordernis einer Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ist zunächst danach zu differenzieren, ob der beschränkt Geschäftsfähige sich als Verzichtswilliger oder als Erblasser am Abschluss des Kausalgeschäfts beteiligt. Im zuerst genannten Fall ist die Einwilligung stets erforderlich, da der Minderjährige eine Verpflichtung begründet4, mit dem Erblasser einen Erbverzichtsvertrag abzuschließen, was niemals lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Schließt der Minderjährige den Kausalvertrag in der Rolle des Erblassers, gilt das Vorstehende entsprechend, soweit er im Kausalvertrag eine Gegenleistung für den abstrakten Erbverzicht verspricht. Nach Damrau soll die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters sogar dann erforderlich sein, wenn der Kausalvertrag eine Verpflichtung des minderjährigen Erblassers zur Zahlung einer Abfindung nicht enthält5. Begründet wird dies mit dem Hinweis darauf, dass sich der minderjährige Erblasser in diesem Fall zumindest zum Abschluss eines Erbverzichtsvertrags verpflichtet6. Dem kann nicht gefolgt werden, denn ein Vertrag, in dem der Vertragspartner des minderjährigen Erblassers die Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichtsvertrags eingeht, ist materiell bloß einseitig verpflichtend7 und seinem Inhalt nach mit einem Schenkungsversprechen (§ 518 BGB) vergleichbar (wenn auch nicht mit ihm gleichzusetzen [s. Rz. 18.117]). Auch für dieses ist allgemein anerkannt, dass der Minderjährige zum Abschluss eines ihn lediglich begünstigenden Schenkungsvertrags nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf8, wobei die Frage, ob die Schenkung lediglich rechtlich vorteilhaft ist, nach Auffassung des BGH grundsätzlich im Wege

1 Bleiben die Wertverhältnisse gleich, erhält S2 im Beispielsfall immerhin 75 % seines fiktiven Pflichtteils, bei reduziertem Hauswert von 1,5 Mio. Euro erhält er nur rund 59 % des fiktiven Pflichtteils. 2 Gem. § 2324 BGB ist die Vorschrift dispositiv. 3 Ebenso Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2056). 4 Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 2. 5 Damrau, S. 130. 6 Damrau, S. 130. 7 Einseitig verpflichtende Verträge kann der Minderjährige ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters schließen, wenn sie nicht zugleich eine Leistungspflicht kraft Gesetzes mit sich bringen. Zur Problematik MüKo.BGB/Spickhoff, § 107 Rz. 46. 8 BGH v. 10.11.1954 – II ZR 165/53, BGHZ 15, 168 (170).

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Erbverzicht

Rz. 18.127 § 18

einer Gesamtbetrachtung des schuldrechtlichen und des dinglichen Geschäftes vorzunehmen ist1. Überträgt man diese Grundsätze auf das (wenn auch nicht formell, so doch materiell) lediglich den Vertragspartner des Minderjährigen verpflichtende Kausalgeschäft, dann ist nicht erkennbar, welcher rechtliche Nachteil dem Minderjährigen aus dem Geschäft erwachsen sollte. Im Gegenteil hat die Erlangung eines Anspruchs auf Abschluss des abstrakten Erbverzichtsvertrags ausschließlich eine Verbesserung seiner Rechtsstellung zur Folge, da es allein vom Willen des Minderjährigen abhängt, ob er seinen Anspruch realisiert und hierdurch seine Testierfreiheit erweitert. b) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) § 2302 BGB, nach dem ein Vertrag nichtig ist, durch den sich jemand verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben, steht der Wirksamkeit eines Verpflichtungsgeschäfts zum Erbverzicht nicht entgegen, weil der Erbverzichtsvertrag erbrechtliches Verfügungsgeschäft unter Lebenden – und nicht Verfügung von Todes wegen – ist. An § 311b Abs. 4 BGB, nach dem ein Vertrag über den Nachlass eines noch lebenden Dritten, über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten nichtig ist, scheitert die Wirksamkeit des Kausalgeschäfts deshalb nicht, weil der Erblasser nicht Dritter i.S. dieser Vorschrift ist2.

18.125

c) Sittenwidrigkeit und Wucher (§ 138 Abs. 1 und 2 BGB) Soweit ersichtlich ist in der Rechtsprechung bislang noch kein Fall entschieden worden, in dem das Verpflichtungsgeschäft zum Erbverzicht gegen die guten Sitten verstoßen hätte. Im Hinblick auf die auch hier geltende Vertragsfreiheit der Parteien, die autonom vereinbaren dürfen, unter welchen Voraussetzungen der Verzichtende auf sein zukünftiges Erbrecht verzichten will3, wird ein Sittenverstoß nur in ganz krassen Fällen in Betracht kommen. Auch die Voraussetzungen des Wuchertatbestandes werden nur unter ganz besonderen Umständen bejaht werden können.

18.126

d) Formverstoß (§ 125 BGB) Analog § 2348 BGB bedarf das Kausalgeschäft zum Erbverzicht der notariellen Beurkundung, da sonst der Zweck des § 2348 BGB, den Verzichtswilligen vor unbedachten Folgen seines Handelns zu bewahren, nicht erreicht werden könnte4. Ein Formmangel wird allerdings durch einen formgerecht erklärten (abstrakten) Erbverzicht analog §§ 311b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S. 2, 2301 Abs. 2 BGB und § 15 Abs. 4 GmbHG geheilt5. 1 BGH v. 9.7.1980 – V ZB 16/79, BGHZ 78, 28 (35) = MDR 1981, 37 = FamRZ 1981, 761. Die Gesamtbetrachtung stößt dann an ihre Grenzen, wenn die Schenkung bereits bei isolierter Betrachtung zustimmungsbedürftig ist, BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415. 2 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (328). 3 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 173. 4 H.M., KG v. 26.2.1973 – 12 U 2463/72, OLGZ 1974, 263 (265); OLG Köln v. 30.6.2010 – 2 U 154/09, ZEV 2011, 385 (Form nicht nur im Interesse des Verzichtswilligen, sondern auch des Erblassers); LG Bonn v. 3.9.1998 – 2 O 229/98, ZEV 1999, 356; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2348 Rz. 2; a.A. Lange, in: FS Nottarp, S. 119 (127). Offen BGH v. 14.12.1995 – IX ZR 242/94, FamRZ 1996, 412 = MDR 1996, 855 = ZEV 1996, 228; BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327); BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146). Vertretung des Erblassers ist beim Kausalgeschäft möglich, da § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB nicht gilt (s.u. Rz. 18.147); für die entsprechende Vollmacht ist im Regelfall gem. § 167 Abs. 2 BGB die Form des § 2348 BGB nicht erforderlich, Weidlich, ZEV 2011, 530 (531). 5 LG Bonn v. 3.9.1998 – 2 O 229/98, ZEV 1999, 356 (357); Hohloch, Anm. zu LG Bonn v. 3.9.1998 – 2 O 229/98, JuS 2000, 88; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2348 Rz. 5; Keller, ZEV 2005, 229 (233); Keim, ZEV 2012, 148 (149). Offen BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146).

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18.127

§ 18 Rz. 18.128

Erbverzicht

18.128 Enthält das formlos geschlossene Kausalgeschäft neben der Verpflichtung zum Erbverzicht noch eine weitere Verpflichtung, die den Vertrag aufgrund anderer Bestimmungen formbedürftig macht, vermag der Vollzug nur des Erbverzichts (oder nur des anderen Erfüllungsgeschäfts) nicht die Wirksamkeit des gesamten Kausalgeschäfts herbeizuführen1. Beispiel: Die Parteien verpflichten sich formlos zur Leistung eines Erbverzichts und (als Gegenleistung) zur Übereignung eines Grundstücks.

Schon wegen § 311b Abs. 1 S. 1 BGB bedarf ein solcher Vertrag zu seiner Wirksamkeit der notariellen Beurkundung, und zwar seinem gesamten Inhalt nach. So wenig wie Auflassung und Eintragung im Grundbuch auf die formunwirksame Verpflichtung zum Erbverzicht Einfluss haben2, so wenig vermag der formwirksam geschlossene Erbverzicht das gesamte Kausalgeschäft zu heilen3. Eine bestimmte Heilungsvorschrift dient immer nur der Behebung von Mängeln, die auf der Nichteinhaltung einer ganz bestimmten Formvorschrift beruhen4. Formmängel aus anderen Gründen bleiben dagegen weiterhin bestehen, mit der Folge, dass das gesamte Rechtsgeschäft unter den Voraussetzungen des § 139 BGB nichtig ist5. e) Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB)

18.129 Die Anfechtung des Kausalgeschäfts zum Erbverzicht ist nach herrschender Meinung wegen der besonderen erbrechtlichen Natur des Verzichts nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich6. Anfechtungsgründe (für die keine Besonderheiten gelten) sind § 119 Abs. 1 BGB (Inhalts- und Erklärungsirrtum) sowie § 123 Abs. 1 BGB (arglistige Täuschung/widerrechtliche Drohung).

18.130 Verpflichtet sich der Erblasser zur Zahlung einer Abfindung, ist die Anfechtung des Kausalgeschäfts nach § 119 Abs. 2 BGB nicht möglich, wenn sich die Parteien lediglich vom Wert des Erblasservermögens falsche Vorstellungen gemacht haben. Der Wert bildet keine Sacheigenschaft des Vermögens, und folglich muss ein Irrtum über ihn unbeachtlich bleiben7. Möglich ist die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB dagegen, wenn Fehlvorstellungen über wertbildende Merkmale und/oder den Bestand des Erblasservermögens zu einem groben Bewertungsfehler bei der Berechnung der Abfindungshöhe geführt haben8. Die jeweilige Fehlvorstellung muss sich allerdings auf das gegenwärtige (beim Abschluss des Vertrags vorhandene) Vermögen des Erblassers beziehen. Ein Irrtum über die künftige Vermögensentwicklung ist im Hinblick auf den Risikocharakter des Erbverzichts ohne Belang9. f) Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)

18.131 Fraglich ist, inwieweit Fehlvorstellungen des weichenden (weil verzichtenden) Erben über den gegenwärtigen oder künftigen Nachlass zu einer Anpassung des Kausalvertrags nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage führen können, die nun in § 313 BGB normiert sind. Nach der Rechtsprechung scheidet die Anpassung des Kausalgeschäfts zum Erbverzicht (i.d.R. also des Abfindungsvertrags) regelmäßig aus, soweit es um das Risiko der künftigen Wertentwicklung des Nachlasses

1 2 3 4 5 6 7 8

Staudinger/Schotten, § 2348 Rz. 18; a.A. Damrau, NJW 1984, 1163 (1164). A.A. BGH v. 17.3.1978 – V ZR 217/75, NJW 1978, 1577; Kuchinke, NJW 1983, 2358 (2360). A.A. Damrau, NJW 1984, 1163 (1164). Staudinger/Schotten, § 2348 Rz. 18; Keller, ZEV 2005, 229 (234). Keller, ZEV 2005, 229 (234). Vgl. nur Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 179. Damrau, S. 136. RG v. 6.3.1913 – IV 539/12, Recht 1913, Nr. 2885; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 24; a.A. Holthaus, S. 20 ff.; einschränkend Lange in FS Nottarp, S. 119 (130 f.), der nur dem Erblasser ein Anfechtungsrecht zubilligen will. 9 BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (34).

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Erbverzicht

Rz. 18.133 § 18

für den Verzichtenden geht1. Dieses Risiko ist dem abstrakten Erbverzicht immanent und gehört deshalb – sofern die Parteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbaren – zur Geschäftsgrundlage eines jeden Erbverzichts2. Anders verhält es sich dagegen in den Fällen, in denen von Anfang an ein Irrtum über die Geschäftsgrundlage vorlag, etwa ein offensichtlicher Rechen- oder ein grober Bewertungsfehler3, oder sich nach Abschluss des Verzichtsvertrags herausstellt, dass der von den Parteien angestrebte (wenn auch nicht zum Vertragsinhalt gemachte) Zweck nicht erreicht werden kann4 (s. aber Rz. 18.130). Sofern dem Verzichtenden in solchen Fällen das Festhalten an der ursprünglichen Abfindung nach Maßgabe einer umfassenden Interessenabwägung nicht zumutbar ist5, sind die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anzuwenden6. Aufgrund nachträglich (nach Abschluss des Erbverzichtsvertrags) eingetretener Umstände kommt eine Vertragsanpassung wegen des Risikocharakters des Erbverzichts dagegen nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht7. 3. Folgen eines unwirksamen oder fehlenden Kausalgeschäfts Beratungssituation: Nach Abschluss des abstrakten Erbverzichtsvertrags stellt sich die Nichtigkeit des Kausalgeschäfts heraus. Der Erblasser bzw. der Verzichtende möchte wissen, was zu tun ist.

18.132

Im Hinblick auf das Abstraktionsprinzip ist zunächst zu klären, ob die zur Nichtigkeit des Kausalgeschäfts führenden Gründe auch beim Abschluss des abstrakten Erbverzichtsvertrags vorlagen und damit auch dessen Nichtigkeit – gegebenenfalls nach Anfechtung – begründen können (Fehleridentität). Wichtig ist dies, weil die Wirkungen eines zwar rechtsgrundlosen, aber wirksamen Verzichts nicht automatisch wegfallen. Der Verzicht muss dann vielmehr gem. § 2351 BGB (s. Rz. 18.177 ff.) aufgehoben werden.

18.133

Im Einzelnen gilt: Kausalgeschäft nichtig, abstrakter Erbverzicht wirksam Nach allgemeiner Meinung kann der Verzichtende die Wirkungen des Erbverzichts beseitigen.

– Streitig – aber in der Praxis irrelevant – ist, ob sich aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB ein Anspruch auf Aufhebung des Erbverzichts nach § 2351 BGB ergibt8. – Dies bejaht, wer die vom Erblasser erlangte vorteilhafte Rechtsstellung als „etwas“ i.S.d. Norm ausreichen lässt (wohl zutreffend). Wer dies verneint, billigt dem Verzichtenden ein Anfechtungsrecht (analog §§ 2078, 2281 BGB) oder ein Rücktrittsrecht (analog § 2295 BGB) in Bezug auf den Erbverzicht zu oder wendet die Grundsätze über den Wegfall/die Störung der Geschäftsgrundlage an oder lässt den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung durchgreifen. – Der Anspruch aus § 812 BGB (so er denn besteht) ist gerichtlich durchsetzbar und nach § 894 ZPO vollstreckbar.

1 BGH v. 30.1.1991 – IV ZR 299/89, BGHZ 113, 310 (314) = MDR 1991, 511 = FamRZ 1991, 689; BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (34). 2 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 190 m.w.N. 3 BGH v. 30.1.1991 – IV ZR 299/89, BGHZ 113, 310 (315) = MDR 1991, 511 = FamRZ 1991, 689 bzgl. einer vorweggenommenen Erbfolgeregelung ohne Erbverzichtsvertrag. 4 BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 62 (64). 5 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 (157 f.). 6 A.A. Lange, in: FS Nottarp, S. 119 (130); Coing, NJW 1967, 1777 (1780); AK/Teubner, Vor § 2346 Rz. 31. 7 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 191 m.w.N.; Edenfeld, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 = ZEV 1997, 70 (71). 8 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 183 m.w.N.

Muscheler 853

§ 18 Rz. 18.134

Erbverzicht Kausalgeschäft nichtig, abstrakter Erbverzicht wirksam

Nach dem Tode des Erblassers ist die Aufhebung des Erbverzichts ausgeschlossen1 (s. Rz. 18.178). Der Anspruch des Verzichtenden richtet sich dann auf Wertersatz (§ 818 Abs. 2 BGB).

– Maßgeblich für die Wertbestimmung nach § 818 Abs. 2 BGB ist der objektive Verkehrswert der Leistung2. – Die entscheidende Frage lautet: Welchen Wert hatte der Erbverzicht zur Zeit des Erbfalles?

Ob der Anspruch auf Aufhebung des Erbver- – Nach hier vertretener Auffassung können die Erben des Verzichtenden vom Erblasser den Abschluss des zichts bei Vorversterben des Verzichtenden Aufhebungsvertrags mit den Abkömmlingen des gem. § 1922 Abs. 1 BGB auf dessen Erben Verzichtenden verlangen. übergeht, wenn der Verzicht noch Rechtswirkungen entfalten kann – etwa weil sich der Verzicht gem. § 2349 BGB auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt –, ist nach der Rechtsprechung des BGH (s. Rz. 18.178) fraglich3. Der Erblasser hat gegen den Verzichtenden einen Anspruch auf Herausgabe einer gegebenenfalls geleisteten Abfindung aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB.

18.134

– Der Anspruch geht beim Tode des Erblassers auf dessen Erben über. – Beim Tode des Verzichtenden ist der Anspruch von den Erben des Verzichtenden zu erfüllen.

Sowohl Kausalgeschäft als auch abstrakter Erbverzicht nichtig Der Erblasser hat gegen den Verzichtenden einen Anspruch auf Herausgabe einer gegebenenfalls geleisteten Abfindung aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB.

18.135 Möglich ist, dass das Kausalgeschäft zum Erbverzicht von vornherein fehlt. So kann es etwa in dem Fall liegen, dass der Erbverzicht in der dem Erblasser bekannten Erwartung einer später folgenden Abfindung erklärt wird, diese sich aber später nicht realisiert4. Haben die Parteien im Erbverzichtsvertrag nicht zumindest andeutungsweise zum Ausdruck gebracht, dass die Wirkung des Verzichts von der Leistung der Abfindung abhängig sein soll (Bedingung), besteht regelmäßig ein Bereicherungsanspruch des Verzichtenden auf Aufhebung des abstrakten Erbverzichtsvertrags aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB (vgl. das zu Rz. 18.133 Ausgeführte), gegebenenfalls aus § 812 Abs. 1 S. 2 2. Alt. BGB, wenn sich dem Erbverzichtsvertrag entnehmen lässt, dass die Parteien für den abstrakten Erbverzicht eine Zweckvereinbarung getroffen haben.

18.136 Die Entgegennahme einer Abfindung, die ein Dritter im Vertrauen auf die Gültigkeit eines (formunwirksam beurkundeten) Erbverzichtsvertrags erbracht hat, beinhaltet als solche keine Verpflichtung zum Abschluss eines (nunmehr formgültigen) Erbverzichtsvertrags5. 4. Rücktritt vom Kausalgeschäft

18.137 Die Parteien können nur für das dem Erbverzicht zugrunde liegende Kausalgeschäft, nicht aber für den abstrakten Erbverzicht selbst ein vertragliches Rücktrittsrecht vereinbaren. In der Ausgestaltung des Rücktrittsrechts sind die Parteien frei. Sie können die Ausübung von bestimmten Voraus1 OLG Koblenz v. 4.3.1993 – 6 W 99/93, MDR 1993, 656 = FamRZ 1993, 1498 = NJW-RR 1993, 708 (709). 2 BGH v. 24.11.1981 – X ZR 7/80, BGHZ 82, 299 = MDR 1982, 489 (307). 3 Dafür Muscheler, ZEV 1999, 49 (50); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 185. 4 Beispiel von Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 187. 5 BGH v. 14.12.1995 – IX ZR 242/94, FamRZ 1996, 412 = MDR 1996, 855 = NJW 1996, 1062 (1064).

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Erbverzicht

Rz. 18.140 § 18

setzungen abhängig machen oder bestimmen, dass der Rücktritt ohne Angaben von Gründen zulässig sein soll. Der Rücktritt gestaltet das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um, mit der Folge, dass die Parteien verpflichtet sind, einander die empfangenen Leistungen zurückzugewähren (§ 346 BGB). Ansprüche nach Rücktritt

18.138

Einzelheiten

Der Erblasser kann eine bereits geleistete Abfindung grundsätzlich zurückverlangen.

– Mit dem Erbfall geht der Anspruch auf die Erben des Erblassers über. – Nach dem Tod des Verzichtsschuldners ist die Verpflichtung zur Rückgewähr von dessen Erben zu erfüllen, wenn der Verzichtsschuldner die Abfindung bereits erhalten, aber seinerseits den Erbverzicht nicht erklärt hat1. War der Verzicht bereits erklärt, geht der Rücktritt ins Leere, mit der Folge, dass dem Erblasser ein Anspruch auf Rückgabe der Abfindung nicht zusteht2.

Der Verzichtende hat Anspruch auf Aufhebung eines bereits geschlossenen Erbverzichtsvertrags.

– Der Anspruch ist gerichtlich durchsetzbar und wird nach § 894 ZPO vollstreckt.

Beachte: Ist der Aufhebungsvertrag nicht bis zum Tod des Erblassers geschlossen (s. Rz. 18.178), wird dessen Erbe (und wird formal, da die Aufhebung ein Vertrag ist, auch der Verzichtende) gem. § 275 Abs. 1 BGB von der Verpflichtung zur Leistung frei3. Dadurch entfällt die Geschäftsgrundlage für den Rücktritt4, mit der Folge, dass der Verzichtende die Abfindung vom Erben verlangen oder eine bereits erhaltene Abfindung behalten kann. Entsprechendes gilt, wenn der Aufhebungsvertrag beim Tod des Verzichtenden noch nicht geschlossen ist. Hier wird der Erblasser selbst von seiner Aufhebungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB frei, und auch hier entfällt die Geschäftsgrundlage für den Rücktritt.

5. Leistungsstörungen beim Kausalgeschäft Bei einem Kausalgeschäft, in dem sich auch der Erblasser zu einer Leistung an den Verzichtenden ver- 18.139 pflichtet, beurteilen sich Leistungsstörungen nach den §§ 320 ff. BGB. Besonderheiten bestehen nicht5. Neben dem Erfüllungsanspruch steht dem Erblasser wie auch dem Verzichtenden ein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 320 Abs. 1 BGB zu. Bei nicht vertragsgemäßer Erfüllung der Verpflichtung kann der Anspruchsberechtigte unter den Voraussetzungen der §§ 323, 326 Abs. 5 BGB vom Vertrag zurücktreten und nach § 346 Abs. 1 BGB Rückgewähr seiner Leistung fordern6 (zu den Wirkungen des Rücktritts s. Rz. 18.138). Zu beachten ist, dass der Erbverzichtsvertrag i.w.S. nur zu Lebzeiten des Erblassers abgeschlossen werden kann. Stirbt der Erblasser vorher, ist die Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichtsvertrags nach richtiger, aber bestrittener Ansicht in eine Verpflichtung zur Ausschlagung bzw. zum Erlass des Pflichtteilsanspruchs umzudeuten7, sofern das zum selben Ergebnis führen würde wie der

1 2 3 4 5 6 7

Edenfeld, ZEV 1997, 134 (140). Reul, MittRhNotK 1997, 373 (381). BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (329). Reul, MittRhNotK 1997, 373 (381). Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 8; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 162. Erman/Simon, Vor § 2346 Rz. 3. Dies ist streitig. Wie hier: Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 3; verneinend: Edenfeld, ZEV 1997, 134 (140); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 169.

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18.140

§ 18 Rz. 18.141

Erbverzicht

Erbverzicht1. Anderenfalls wird der Verzichtsschuldner nach allgemeiner Meinung gem. § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht frei und verliert gem. § 326 Abs. 1 BGB zugleich den Anspruch auf die Gegenleistung; eine bereits geleistete Abfindung kann der Erbe des Erblassers vom Verzichtenden gem. §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB zurückfordern. Stirbt der Verzichtswillige vor Abschluss des Erbverzichts i.w.S. und sollte sich der Verzicht nach dem Kausalvertrag auf die Abkömmlinge des § 2349 BGB erstrecken, so darf der Kausalvertrag nicht etwa dahin ausgelegt werden, dass nunmehr die Abkömmlinge des Verstorbenen zur Erklärung eines Erbverzichts verpflichtet wären; selbst wenn das von den Parteien des Kausalvertrags so gewollt gewesen sein sollte, kann diesem Willen nicht zur Rechtsgeltung verholfen werden (unzulässiger Vertrag zulasten Dritter). Vielmehr greifen hier von vornherein die §§ 275, 326 BGB ein.

VIII. Verknüpfung des Kausalgeschäfts mit dem Erbverzicht i.w.S. 18.141 Beratungssituation: Der Mandant möchte einen entgeltlichen Erbverzicht erklären, aber sicherstellen, dass sein Verzicht nur wirksam bleibt, wenn er die versprochene Abfindung erhält.

Nach allgemeiner Meinung können abstrakter Erbverzicht und Kausalgeschäft durch eine dem Erbverzicht beigefügte aufschiebende oder auflösende Bedingung miteinander verknüpft werden2. Die Wirksamkeit des Verzichts kann sowohl von der Bedingung der (fristgerechten) Leistung der Abfindung als auch von der Erfüllung eines vom Erblasser zugunsten des Verzichtenden mit erbvertraglich bindender Wirkung ausgesetzten Vermächtnisses abhängig gemacht werden. Auch vermag der Eintritt von Rechtsbedingungen zur Wirksamkeitsvoraussetzung erhoben zu werden. So lässt sich etwa die Wirksamkeit eines früher oder gleichzeitig geschlossenen Abfindungsvertrags (als bloß subjektive Ungewissheit) in einen „Bedingungszusammenhang“ mit dem Erbverzicht bringen, mit der Folge, dass die Vorschriften der §§ 158 ff. BGB analog anzuwenden sind3.

18.142 Die Bedingung für den Verzicht auf die Erbenstellung kann auch noch nach dem Erbfall eintreten, was den gesetzlichen Bestimmungen zur sog. konstruktiven Nacherbfolge (§§ 2104, 2105 BGB) zu entnehmen ist4. Zu den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen vgl. Rz. 18.13, zu den mit Bedingungen verknüpften Gefahren vgl. Rz. 18.155 ff. Beachte: Aus Gründen der Rechtsklarheit5 und zum Schutz des Verzichtenden empfiehlt es sich stets, den Erbverzicht und die Abfindungsleistung durch Vereinbarung eines gegenseitigen Bedingungsverhältnisses rechtsgeschäftlich miteinander zu verbinden6. Zur Vermeidung von Auslegungsstreitigkeiten sollte die Bedingung ausdrücklich vereinbart werden, weil das Vorliegen eines Bedingungsverhältnisses nicht bereits dann angenommen wird, wenn Erbverzicht und (entgeltliches) Kausalgeschäft in einer Urkunde erklärt wer-

1 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 3. 2 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327); BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146 f.); BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (35); MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 25; Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 10; Soergel/ Damrau, § 2346 Rz. 5; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 153; Lange, in: FS Nottarp, S. 119 (124); a.A. nur Harrer, ZBlFG 15 (1915), 1 (9 ff.). 3 MüKo.BGB/Westermann, § 158 Rz. 52. 4 BayObLG v. 4.10.1957 – BReg. 1Z 147/57, BayObLGZ 1957, 292 (300). 5 Zu den umstrittenen Rechtsfolgen eines wirksamen Erbverzichts bei fehlendem Rechtsgrund s. Rz. 18.133, 18.135. 6 Haegele, BWNotZ 1971, 36 (37). Dass auch die dingliche Wirksamkeit der Gegenleistung von Zustandekommen und Wirksamkeit des Erbverzichts qua Bedingung abhängig gemacht werden kann, ist immer dann unbestreitbar, wenn es sich nicht um Auflassung handelt (vgl. § 925 Abs. 2 BGB), BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (148).

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Erbverzicht

Rz. 18.147 § 18

den1. Ein entsprechender Parteiwille muss wenigstens einen – wenn auch unvollkommenen – Ausdruck in der Urkunde finden.

Die wohl h.M.2 erachtet es darüber hinaus für zulässig, den abstrakten Erbverzicht und das Kausalgeschäft in der Weise miteinander zu verbinden, dass sie eine vertragliche Einheit bilden. Dies hat zur Folge, dass eine teilweise Unwirksamkeit im Zweifel das ganze Rechtsgeschäft nach § 139 BGB nichtig macht3. Sofern sich Erbverzicht und Abfindungsvereinbarung in einer Urkunde befinden, soll sogar eine tatsächliche Vermutung für die Einheitlichkeit beider Geschäfte sprechen4. Die Anwendung des § 139 BGB auf das Verhältnis zwischen abstraktem Verfügungsgeschäft einerseits und Kausalgeschäft andererseits ist jedoch nicht unbestritten. Sie wird teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass sie sich im Ergebnis über das Abstraktionsprinzip hinwegsetze5. Eine unwirksame Vereinbarung könne jedoch, so heißt es von dieser Seite, bei ausdrücklicher Verknüpfung regelmäßig nach § 140 BGB in einen zulässigen Bedingungszusammenhang umgedeutet werden6.

18.143

IX. Der Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. 1. Beteiligte Den Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB) bzw. den isolierten Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) können der Ehegatte und jeder Verwandte des Erblassers leisten. Darüber hinaus ist auch dem Verlobten des Erblassers und einem von diesem Anzunehmenden vor Ausspruch der Adoption ein Verzicht möglich, weil Gegenstand des Verzichts auch ein zukünftiges, noch entstehendes Erbrecht sein kann (s. Rz. 18.19). Der Fiskus vermag auf sein gesetzliches Erbrecht gem. § 1936 BGB nicht zu verzichten, da ihm das Gesetz auch das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft versagt (§ 1942 Abs. 2 BGB).

18.144

Den Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) kann jedermann leisten, der durch Verfügung von Todes wegen als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht ist (s. Rz. 18.78).

18.145

Vertragsgegner des Verzichtenden kann nur der Erblasser selbst sein (§§ 2346 Abs. 1 S. 1, 2352 S. 1 BGB).

18.146

2. Probleme bei Anbahnung und Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. Für alle Erbverzichtsformen (für den Zuwendungsverzicht über § 2352 S. 3 BGB) ergibt sich aus 18.147 § 2347 BGB, inwieweit bei Abschluss eines Erbverzichtsvertrags eine Vertretung zulässig ist, welche Anforderungen an die Geschäftsfähigkeit der Vertragsbeteiligten zu stellen sind und wann ein Erbverzicht

1 BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (33); MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 26; Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 4; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 154; a.A. Holthaus, S. 68 ff. Sehr weitgehend OLG München v. 14.5.2014 – 7 U 2938/13, FamRZ 2015, 961, das einen automatischen Verzichtsentfall bei Ausübung eines Rückforderungsrechts annimmt; krit. Weidlich, MittBayNotK 2015, 196. 2 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 5; RGRK/Johannsen, § 2346 Rz. 5; AK/Teubner, Vor § 2346 Rz. 34; Lange, in: FS Nottarp, S. 119 (123 ff.); Weirich, DNotZ 1986, 5 (12); Westermann in FS Kellermann, S. 505 (521); a.A. Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 10 unter Aufgabe der noch in Palandt/Edenhofer, 64. Aufl. 2005, Überbl. v. § 2346 Rz. 13 vertretenen gegenteiligen Auffassung. Die Anerkennung einer vertraglichen Einheit durch Parteiwillen führe zur Aufgabe des dem deutschen Recht wesentlichen Abstraktionsprinzips. 3 MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 27; Damrau, S. 99. 4 OLG Bamberg v. 30.1.1998 – 4 W 5/98, OLGReport 1998, 169 f.; RGRK/Johannsen, § 2346 Rz. 5. 5 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2053); Larenz, JherJb 81 (1931), 1 (14); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 151. 6 Holthaus, S. 83.

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§ 18 Rz. 18.148

Erbverzicht

familien- oder betreuungsgerichtlicher Genehmigung bedarf1. § 2347 BGB bezieht sich lediglich auf den abstrakten Erbverzicht, nicht aber auf das dem Erbverzicht zugrunde liegende Kausalgeschäft2. a) Vertretung

18.148 Der Erblasser kann den Erbverzichtsvertrag gem. § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich nur (höchst-)persönlich schließen. Wie bei der Testamentserrichtung (§ 2064 BGB) und beim Abschluss eines Erbvertrags (§ 2274 BGB) ist damit Vertretung des Erblassers im Willen und in der Erklärung ausgeschlossen3. Anders als bei sonstigen Rechtsgeschäften können die gesetzlichen Vertreter des beschränkt geschäftsfähigen Erblassers nicht für diesen handeln. Der beschränkt geschäftsfähige Erblasser muss den Erbverzichtsvertrag vielmehr selbst abschließen und bedarf hierzu nicht einmal der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, weil der abstrakte Erbverzicht für den Erblasser stets lediglich rechtlich vorteilhaft ist4. Das Prinzip des persönlichen Handelns durchbricht das Gesetz ausschließlich bei Geschäftsunfähigkeit des Erblassers (§ 2347 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB). In diesem Fall ist der Erbverzichtsvertrag vom gesetzlichen Vertreter des Erblassers – also den Eltern bzw. dem Vormund des minderjährigen Kindes oder dem Betreuer des geschäftsunfähigen Volljährigen, wenn dies in seinen Aufgabenkreis fällt (§§ 1902, 1896 Abs. 2 S. 1 BGB) – zu schließen. Gegen die Erklärung eines Erb- und Pflichtteilsverzichts des Betreuers für den geschäftsunfähigen Betreuten könnte gem. §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB das Verbot des In-Sich-Geschäfts sprechen. Die h.M. nimmt jedoch eine teleologische Reduktion des § 181 BGB vor, wenn das Geschäft für den Vertretenen nach § 107 BGB lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Wenn ein beschränkt geschäftsfähiger Erblasser einen Erbverzichtsvertrag ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters selber abschließen kann, weil es sich bei dem Erbverzicht um ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft handelt, muss dies auch für den Abschluss mit einem geschäftsunfähigen Erblasser gelten5. Beachte: Die Rechtswirksamkeit eines von einem Betreuer des Erblassers abgeschlossenen Erbverzichtsvertrags steht und fällt mit der Geschäftsunfähigkeit des Betreuten, und zwar auch dann, wenn ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist (§ 1903 Abs. 2 3. Var. BGB). Bei Zweifeln über die Geschäftsfähigkeit sollten sowohl der Betreuer als auch der Betreute den Erbverzichtsvertrag schließen6.

18.149 Anders als der Erblasser muss der Verzichtende den Erbverzichtsvertrag nicht persönlich abschließen7. Es gelten daher die allgemeinen Vertretungsregeln. Für den geschäftsunfähigen Verzichtenden (§ 104 BGB) handelt sein gesetzlicher Vertreter, für den in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten oder den unter Einwilligungsvorbehalt des Betreuers stehenden geschäftsfähigen Betreuten, der insoweit wie ein beschränkt Geschäftsfähiger behandelt wird, entweder der nur eingeschränkt Geschäftsfähige selbst (mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters) oder nur der gesetzliche Vertreter8. Auch rechtsgeschäftliche Vertretung ist zulässig. Die Erteilung der Vollmacht bedarf keiner Form (§ 167 Abs. 2 BGB), es sei denn, sie erfolgt unwiderruflich. 1 Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 1. 2 H.M., BGH v. 4.4.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 36, 319 (328); Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 4; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2347 Rz. 2; Weidlich, ZEV 2011, 531; Keim, ZEV 2012, 148 (149). 3 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (321). Ein von einem bevollmächtigten Vertreter des Erblassers abgeschlossener und daher nichtiger Erbverzicht enthält regelmäßig auch den dem Erbverzicht zugrunde liegenden Kausalvertrag; dieser bleibt, da bei ihm Vertretung erlaubt ist, wirksam (BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319, [329]; OLG Düsseldorf v. 20.12.2013 – I-7 U 153/12, BeckRS 2014, 04905); Folge: Der Erblasser hat einen schuldrechtlichen (nicht erbrechtlichen, vgl. § 197 Abs. 1 Nr. 2 a.F. BGB) Anspruch auf erneuten und dann wirksamen Erbverzicht; dies übersehend OLG Düsseldorf v. 21.6.2011 – 3 Wx 56/11, ZEV 2011, 529 m. abl. Anm. Weidlich. 4 Hahn, FamRZ 1991, 27 (29). 5 DNotI-Report 2004, 197 (198). 6 Cypionka, DNotZ 1991, 571 (586); Nieder, Rz. 1149. 7 Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 6 m.w.N. 8 Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 10–14.

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Erbverzicht

Rz. 18.153 § 18

b) Familien- bzw. betreuungsgerichtliche Genehmigung Ein Erbverzichtsvertrag, der für einen geschäftsunfähigen Erblasser von dessen gesetzlichem Vertre- 18.150 ter (Eltern, Vormund, Betreuer) geschlossen wird, bedarf grundsätzlich der familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung (§ 2347 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB). Die familiengerichtliche Genehmigung ist nach § 2347 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. und Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB für den unter elterlicher Sorge stehenden Erblasser ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Verzichtsvertrag unter Ehegatten oder Verlobten geschlossen wird1. Von vornherein keiner familien- oder betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf dagegen der von einem in der Geschäftsfähigkeit beschränkten minderjährigen Erblasser und der von einem unter Betreuung stehenden geschäftsfähigen Erblasser selbst geschlossene Erbverzichtsvertrag2. Beachte: In Ansehung des unter Betreuung stehenden Erblassers sollte die betreuungsgerichtliche Genehmigung vorsorglich eingeholt werden, wenn der Vertrag – wegen bestehender Zweifel an der Geschäftsfähigkeit – sowohl vom Betreuer als auch vom Betreuten geschlossen wurde, weil die Genehmigung jedenfalls bei Geschäftsunfähigkeit des Erblassers erforderlich ist3.

Der für den Verzichtenden durch seinen gesetzlichen Vertreter ausgesprochene oder genehmigte Erbverzicht bedarf ebenfalls grundsätzlich der familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung, und zwar unabhängig davon, ob der Verzichtende geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig ist und ob er unter elterlicher Sorge (Ausnahme: Der Vertrag wird zwischen Ehegatten oder unter Verlobten geschlossen, § 2347 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB) oder Vormundschaft steht4. Darüber hinaus bedarf auch der von einem Betreuten, für den das Betreuungsgericht einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet hat (§ 1903 Abs. 1 S. 1 BGB), selbst abgeschlossene Vertrag der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, auch wenn der Betreuer dem Abschluss des Vertrags zugestimmt hat. In diesem Fall leistet der Betreuer zwar nicht selbst den Verzicht, so dass § 2347 Abs. 1 S. 2 BGB seinem Wortlaut nach nicht direkt anwendbar ist, doch erfordert der Zweck der Vorschrift deren analoge Anwendung5. § 2347 Abs. 1 BGB gilt auch, wenn der geschäftsunfähige Vertragserbe einer an sich unter § 2287 BGB fallenden Schenkung zustimmt, ohne einen förmlichen Erbverzicht zu vereinbaren6.

18.151

Die familien- bzw. betreuungsgerichtliche Genehmigung wird einheitlich vom Rechtspfleger erteilt (§ 3 Nr. 2a RPflG); die frühere Sonderzuständigkeit für Notare in Baden-Württemberg ist durch Gesetz v. 29.7.2010 mit Wirkung zum 1.1.2018 aufgehoben. Sie kann nur dem gesetzlichen Vertreter gegenüber erklärt werden (§§ 1643 Abs. 3, 1828, 1908i Abs. 1 BGB) und muss dem Vertreter vor dem Tod des Erblassers und vor dem Tod des Verzichtenden zugehen (Rz. 18.155 ff.). Wird die familienbzw. betreuungsgerichtliche Genehmigung erst nach Abschluss des zu genehmigenden Vertrags erteilt, ist darüber hinaus zu beachten, dass der Vertrag Wirksamkeit erst erlangt, wenn die Genehmigung der Gegenseite durch den gesetzlichen Vertreter mitgeteilt wird (§ 1829 Abs. 1 S. 2 BGB; vgl. Rz. 18.157).

18.152

c) Sonstige Zustimmungserfordernisse Der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags durch einen Ehegatten bedarf – unabhängig vom Güterstand – nicht der Zustimmung des anderen Ehegatten. Die für die Zugewinngemeinschaft geltende Vorschrift des § 1365 BGB greift nicht ein, da sie nur Verfügungen über gegenwärtiges7, nicht aber solche über künftiges Vermögen – wie den Erbverzicht – betrifft. Für die Gütergemeinschaft ergibt sich die fehlende Notwendigkeit der Zustimmung aus dem Gedanken der §§ 1432 Abs. 1 S. 2, 1455 Nr. 2 BGB. Bei Gütertrennung bestehen von vornherein keine Zustimmungspflichten. 1 2 3 4 5 6 7

Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 32 m.w.N. Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 33 f. Soergel/Damrau, § 2347 Rz. 7. Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 15. Soergel/Damrau, § 2347 Rz. 7. BGH v. 27.1.1982 – IVa ZR 240/80, BGHZ 83, 44 = FamRZ 1982, 370 (50). MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 8.

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18.153

§ 18 Rz. 18.154

Erbverzicht

18.154 Der Erbverzicht i.e.S., der Pflichtteilsverzicht sowie der Zuwendungsverzicht eines Elternteils erstrecken sich gem. § 2349 BGB (ggf. i.V.m. § 2352 S. 3 BGB) ohne weiteres auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, selbst wenn diese im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht geboren sind1. Gleichwohl bedarf der Erbverzichtsvertrag keiner familiengerichtlichen Genehmigung2, weil Verzichtende – anders als nach § 2347 Abs. 1 BGB vorausgesetzt – nicht die Abkömmlinge selbst sind. d) Gefahren

18.155 Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre kann ein Erbverzicht i.e.S.3 sowie ein Zuwendungsverzicht4nur vor dem Eintritt des Erbfalls wirksam vereinbart werden5. Zur Begründung dieses Satzes verweist man insbesondere darauf, dass nur zu Lebzeiten des Erblassers in seiner eigenen Person ein sinnvolles und schutzwürdiges Interesse an einer Änderung der Erbfolgeregelung bestehe6. Die Sicherheit des Rechtsverkehrs erfordere, dass die mit dem Tod des Erblassers eingetretene Erbfolgeregelung auf einer festen Grundlage stehe und nicht durch nachträgliche Erklärungen umgestoßen werden könne7.

18.156 Fehlende Genehmigungen (etwa des Verzichtenden bei Vertretung ohne Vertretungsmacht, des gesetzlichen Vertreters, des Familien- oder Betreuungsgerichts) müssen aus dem genannten Grund bis zum Tode des Erblassers oder des Verzichtenden wirksam geworden8, d.h. gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugegangen sein. Die von § 184 Abs. 1 BGB angeordnete uneingeschränkte Rückwirkung der Genehmigung gibt es für den Erbverzicht nicht.

18.157 Gleiches gilt für eine Mitteilung des gesetzlichen Vertreters gem. §§ 2347, 1829 Abs. 1 S. 2 BGB, die dem Erblasser nicht mehr zu seinen eigenen Lebzeiten oder zu Lebzeiten des Verzichtenden zugegangen ist9.

18.158 Obgleich ein (isolierter) Pflichtteilsverzichtsvertrag die gesetzliche Erbfolge unberührt lässt und daher die in Rz. 18.155 genannten Argumente nicht zum Tragen kommen, soll nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch er nur zu Lebzeiten des Erblassers geschlossen werden können10. Diese Rechtsprechung ist zwar verfehlt11, aber von der Praxis zu beachten. In Konsequenz der Rechtsprechung kann ein Angebot auf Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrags nach dem Tod des Erblassers nicht mehr angenommen werden, da der Vertragsschluss zu Lebzeiten beider Beteiligten erfolgen muss. Daher müssen auch die Wirksamkeit erst perfektionierende Genehmigungen bereits vor dem Tod eines der beiden Beteiligten vorliegen. Ist der Verzichtsvertrag unter einer Bedingung oder Befristung geschlossen, müsste er richtigerweise zur Wirksamkeit gelangen können, da im Zeitpunkt des Erbfalls 1 2 3 4 5

6 7 8 9 10 11

Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 17. KG v. 22.10.1920 – ZS. 1a., OLGE 41, 67 (69). BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (329). Staudinger/Schotten, § 2352 Rz. 7. Eine nach dem Tod des Erblassers formlos abgegebene Verzichtserklärung, die auch als Erbschaftsausschlagung keine Wirkungen entfalten kann, begründet eine schuldrechtliche Verpflichtung zugunsten des Begünstigten, diesen so zu stellen, dass er den Anteil des Verpflichteten an einem Nachlass aus diesem erhält, vgl. OLG Köln v. 22.10.1974 – 15 U 21/74, VersR 1975, 221 (222). BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (329). BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159; OLG Koblenz v. 4.3.1993 – 6 W 99/93, MDR 1993, 656 = FamRZ 1993, 1498 = NJW-RR 1993, 708 (709); OLG München v. 14.4.1997 – 31 U 3732/96, ZEV 1997, 299 (300) m.w.N. BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 19. BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, BGHZ 134, 60 (64 f.) = FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260. Muscheler, Anm. zu BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260, JZ 1997, 853 (854 f.); Reul, MittRhNotK 1997, 373 (382 f.) m.w.N.; wohl auch Albrecht, Anm. zu BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = DNotZ 1997, 425.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.159 § 18

von Seiten der Beteiligten alle erforderlichen Willenserklärungen abgegeben sind und es nicht mehr vom Willen der Beteiligten abhängt, ob endgültige Wirksamkeit eintritt. Ob der BGH dieser Einschätzung folgen wird, ist noch ungewiss, da er davon ausgeht, dass sich der Gegenstand des Verzichts, nämlich das Pflichtteilsrecht, mit Eintritt des Erbfalls in einen Pflichtteilsanspruch verwandelt, auf den sich Vereinbarungen in Bezug auf das Pflichtteilsrecht nicht mehr auswirken können. Beachte: Nach dem Erbfall erteilte bzw. zugegangene Vertragserklärungen und Genehmigungen sind nach h.M. wirkungslos! Im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung sollte darauf hingewirkt werden, dass Erbverzichte i.e.S., Zuwendungsverzichte und (isolierte) Pflichtteilsverzichte möglichst schnell wirksam werden1. Die Aufnahme aufschiebender Bedingungen sollte bei Pflichtteilsverzichtsverträgen tunlichst vermieden werden; kommt man ohne Aufschub des Wirksamwerdens nicht aus, so empfiehlt sich, rein vorsorglich bei allen nicht sofort wirksam werdenden Pflichtteilsverzichtsverträgen zugleich auf alle künftigen – erst mit dem Tod des Erblassers entstehenden – Pflichtteilsansprüche zu verzichten2, auch wenn diese Möglichkeit umstritten ist3 (beachte auch Rz. 18.174 ff.).

3. Der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags im Zusammenhang mit anderen Verträgen (v.a. Übergabeverträgen) Bei Übergabeverträgen, durch den etwa Eltern ein Grundstück oder ihr landwirtschaftliches Anwesen 18.159 einem Kind übertragen, das sich wegen eines künftigen Erbrechts für abgefunden erklärt, haben die Beteiligten im Allgemeinen keinen Erbverzicht im Auge. Die Abfindungserklärung bringt ihrem Zweck nach regelmäßig nur zum Ausdruck, dass vom Stande des gegenwärtigen Übergebervermögens her betrachtet die durch die Übergabe dem Abkömmling zugewendeten Vorteile dessen künftig zu erwartendem Erbteil entsprechen und der Abkömmling deshalb zugunsten der künftigen Miterben hinsichtlich dieses gegenwärtigen Vermögens als abgefunden zu gelten hat4. Im Zweifel wird eine nicht eindeutige Erklärung nach den §§ 133, 157, 242 BGB ausgelegt. Der Berater sollte deshalb bei Abschluss des Übergabevertrags bemüht sein, jegliche Zweifel über den Parteiwillen von vornherein auszuschließen. Beispiel: (BayObLG v. 10.2.1981 – BReg. 1Z 125/80, FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30.) Der Übergabevertrag, durch den Eltern einem Abkömmling ihr landwirtschaftliches Anwesen unter Vereinbarung eines Leibgedinges übergeben, enthält folgende Bestimmung: „Der Übernehmer erkennt an, dass er durch die Übergabe mit allen seinen Ansprüchen gegen den Hof aus Mitarbeit und mit allen seinen Ansprüchen gegen den künftigen Nachlass seiner Eltern abgefunden ist, so dass ihm keine Ansprüche mehr zustehen. Er verzichtet hiermit mit Rücksicht auf diese Übergabe auf seine gesetzlichen Pflichtteilsansprüche gegenüber dem künftigen Nachlass seiner Eltern.“

Diesen Vertrag hat das BayObLG nach §§ 133, 157, 242 BGB dahin ausgelegt, dass lediglich ein Verzicht auf das Pflichtteilsrecht, nicht aber ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht erklärt worden sei. Der Aufnahme des Satzes „Er verzichtet … auf seine gesetzlichen Pflichtteilsansprüche …“ hätte es nicht bedurft, wenn bereits mit dem vorangehenden Satz ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht habe ausgesprochen werden sollen, da sich ein solcher zugleich auf das Pflichtteilsrecht erstreckt hätte5. Zudem sei es den Erblassern ersichtlich nur darauf angekommen, ihre eigene Versorgung bis zum Lebensende sicherzustellen, was sich zweifelsfrei aus der Vereinbarung über das Leibgeding ergebe. Es bestehe kein zwingender Grund zur Annahme, es sei den Eltern auch noch an einem Erbverzicht – etwa als zusätzliche Gegenleistung – gelegen gewesen. Ein Vertrag, durch den Eltern ihr landwirtschaftliches Anwesen unter Vereinbarung eines Leibgedinges einem Abkömmling übergeben, wohingegen dieser sich

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Reul, MittRhNotK 1997, 373 (382). Reul, MittRhNotK 1997, 373 (382 f.) m.N. S. hierzu Mayer, ZEV 1996, 441 (445 ff.). RG v. 26.10.1931 – IV 83/31, LZ 1932, 102 f.; BayObLG v. 10.2.1981 – BReg.1Z 125/80, FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30 (36); OLG Hamm v. 4.4.1995 – 10 U 90/94, FamRZ 1996, 1176 = NJW-RR 1996, 906. 5 BayObLG v. 10.2.1981 – BReg.1Z 125/80, FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30 (35).

Muscheler 861

§ 18 Rz. 18.160

Erbverzicht

mit allen Ansprüchen gegen den künftigen Nachlass seiner Eltern für abgefunden erklärt, ausdrücklich aber nur auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet, enthält daher nicht notwendig einen Erbverzicht.

18.160 Besondere Vorsicht ist geboten, wenn der Verzicht nicht vom Übernehmer eines Hofes (oder eines sonstigen Vermögensgegenstandes), sondern von (anderen) Abkömmlingen des Übergebers in einem weiteren notariellen Vertrag mit dem Erblasser erklärt wird. Bekunden die Abkömmlinge in einem solchen Vertrag ihr Einverständnis mit der Übertragung und erklären sie gleichzeitig, „abgefunden“ zu sein und „keine Erb- oder Pflichtteilsansprüche gegen Erblasser und … (als Hofesübernehmer)“ zu stellen, liegt ein umfassender Erbverzicht vor, wenn eine Beschränkung – auf die eigenständig vererbbare Vermögensmasse „Hof“ oder auf den sonstigen an einen Dritten übertragenen Gegenstand – weder ausdrücklich erklärt noch der notariellen Urkunde im Wege der Auslegung zu entnehmen ist1. Aus der gegenüber dem Erblasser abgegebenen Erklärung, keine Erb- oder Pflichtteilsansprüche gegen den Hofübernehmer (oder den Übernehmer des sonstigen Vermögensgegenstandes) zu stellen, lässt sich eine solche gegenständliche Beschränkung nicht herleiten, weil der Verzichtsvertrag nicht mit dem Hofübernehmer, sondern dem Erblasser abgeschlossen worden ist2.

18.161 Bei Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen, die im Zusammenhang mit Erbverträgen geschlossen werden sollen, hat der Berater zu klären, ob der verzichtende Erbe den Verzicht nur in der Erwartung einer Abfindung erklären möchte3. Wird der Verzicht nämlich im Hinblick darauf erklärt, dass die im Erbvertrag als Vertragserbe eingesetzte Person nach dem Erbfall die Abfindung für den Verzicht leistet, bestehen Gefahren. Eine derartige Auszahlungsabrede zwischen dem Verzichtenden und dem erbvertraglich Begünstigten stellt, auch wenn sie gleichzeitig mit einem Erbvertrag und einem Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag getroffen wird, einen sog. Erbschaftsvertrag dar4, für den die Vorschrift des § 311b Abs. 4 und 5 BGB zu beachten ist. Daraus folgt zunächst, dass ein solches Auszahlungsversprechen gem. § 311b Abs. 5 S. 2 BGB notarieller Beurkundung bedarf5. Das Formerfordernis gilt auch dann, wenn der Erblasser einem zwischen gesetzlichen Erben geschlossenen Erbschaftsvertrag zugestimmt hat. Da der Abschluss eines Erbschaftsvertrags der Zustimmung des Erblassers nicht bedarf6, ist nämlich nicht einzusehen, weshalb Erbvertrag und Erbverzichtsvertrag nur vor dem Notar geschlossen werden können, der dazugehörige Erbschaftsvertrag allein wegen der Mitwirkung des Erblassers dagegen ohne Notar7. Ein weiteres Risiko, auf das der Berater hinzuweisen hat, besteht darin, dass bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob den Erbschaftsvertrag auch Personen zu schließen vermögen, die nicht zu den Nächstberufenen in der gesetzlichen Erbfolge gehören8. 4. Formerfordernisse, insbesondere stillschweigender Erbverzicht a) Ausgangspunkt

18.162 Der Erbverzichtsvertrag bedarf der notariellen Beurkundung (§ 2348 BGB). Heilung eines Formverstoßes analog § 311b Abs. 1 S. 2 BGB kommt nicht in Betracht. § 311b Abs. 1 S. 2 BGB greift hinsichtlich des Erbverzichts selbst dann nicht ein, wenn dieser mit einem Vertrag i.S.d. § 311b Abs. 1

1 OLG Oldenburg v. 14.10.1997 – 5 U 62/97, FamRZ 1998, 645 (646); OLG Hamm v. 22.7.2014 – 15 Wx 92/14, FamRZ 2015, 959. 2 OLG Oldenburg v. 14.10.1997 – 5 U 62/97, FamRZ 1998, 645 (646). 3 Thode, Anm. zu BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, MDR 1995, 609 = FamRZ 1995, 226 = ZEV 1995, 143 f. 4 OGH (Brit. Zone) v. 19.5.1949 – I ZS 241/48, OGHZ 2, 175 (178 ff.). 5 BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, MDR 1995, 609 = FamRZ 1995, 226 = ZEV 1995, 142. 6 BGH v. 11.5.1988 – IVa ZR 325/86, BGHZ 104, 279 (284) FamRZ 1988, 1041. 7 BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, MDR 1995, 609 = FamRZ 1995, 226 = ZEV 1995, 142 (143). 8 Thode, Anm. zu BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, MDR 1995, 609 = FamRZ 1995, 226 = ZEV 1995, 143 (144).

862

Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.164 § 18

S. 1 BGB verbunden und hinsichtlich der Grundstücksübertragungspflicht Heilung eingetreten ist1. Gleichzeitige Anwesenheit der Vertragsbeteiligten verlangt das Gesetz beim Erbverzicht – anders als beim Erbvertrag – nicht, so dass auch die getrennte Beurkundung von Antrag und Annahme möglich ist2. Das Beurkundungserfordernis gilt auch für das dem abstrakten Erbverzicht zugrunde liegende Kausalgeschäft (s. Rz. 18.127). Eine entsprechende Anwendung des § 2348 BGB auf dingliche Vollzugsgeschäfte, die mit einem Erbverzicht im Zusammenhang stehen, kommt nicht in Betracht3. Der Notar muss den Erbverzicht i.e.S. und den Zuwendungsverzicht dem Zentralen Testamentsregister bei der Bundesnotarkammer melden (§ 78b Abs. 2 S. 1 BNotO), nicht aber den Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB4. Durch Prozessvergleich wird die notarielle Beurkundung ersetzt (§ 127a BGB). Im Hinblick auf die 18.163 gem. § 2347 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB angeordnete Höchstpersönlichkeit ist im Anwaltsprozess zu beachten, dass ein Erbverzicht nur bei persönlicher Anwesenheit des Erblassers wirksam vereinbart werden kann5. Wirksamwerden der Erblassererklärung nach § 127a BGB setzt voraus, dass der Verzicht sowohl vom Erblasser als auch vom Rechtsanwalt erklärt wird6. b) Stillschweigender Erbverzicht Besondere Aufmerksamkeit ist darauf zu richten, dass Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge nach der Rechtsprechung trotz § 2348 BGB auch stillschweigend geschlossen werden können7. Der BGH hat einen stillschweigenden Pflichtteilsverzicht erstmals 1956 in einem Fall angenommen, in dem sich Ehegatten in einem Erbvertrag gegenseitig zu Alleinerben und das am Vertragsschluss beteiligte Kind zur alleinigen Schlusserbin eingesetzt sowie ihren anderen Kindern Vermächtnisse nach dem Tod des längstlebenden Ehegatten ausgesetzt hatten8. Hier liege, so der BGH, ein auf den Tod des erstversterbenden Ehegatten bezogener Pflichtteilsverzicht der Schlusserbin vor: Mangels eines ausdrücklichen Verzichts seien die im Erbvertrag enthaltenen Erklärungen auszulegen. Dabei komme es zunächst darauf an, welches Ziel die Vertragschließenden durch den Abschluss des Erbvertrags hätten erreichen wollen. Insbesondere bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden, in der der gemeinsame Wille der Ehegatten nicht in einem gemeinschaftlichen Testament, sondern im Wege eines Erbvertrags mit dem als Schlusserben eingesetzten Abkömmling niedergelegt sei, könne – jedenfalls grundsätzlich9 – davon ausgegangen werden, dass die Absicht bestanden habe, Pflichtteilsansprüche des Schlusserben nach dem Tode des zuerst versterbenden Ehegatten auszuschließen10. Die Verzichtserklärung der Schlusserbin liege darin, dass sie die im Erbvertrag getroffenen Anordnungen angenommen habe. Die Annahme 1 BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146); OLG Düsseldorf v. 6.7.2001 – 7 U 205/00, FamRZ 2002, 1147 = NJW-RR 2002, 584. 2 Nieder, Rz. 1148; Keller, ZEV 2005, 229 (230). 3 BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146 ff.); Vorinstanz OLG Stuttgart v. 28.12.2010 – 1 U 113/10, BeckRS 2012, 02919. 4 Dazu Bormann, ZEV 2011, 628 (629). 5 BayObLG v. 18.3.1965 – BReg. 1b Z 4/65, BayObLGZ 1965, 86 (89). 6 BayObLG v. 18.3.1965 – BReg. 1b Z 4/65, BayObLGZ 1965, 86 (89); OLG Stuttgart v. 24.7.1989 – 8 W 458/88, MDR 1989, 995 = FamRZ 1989, 1253. 7 S. dazu auch Keim, ZEV 2001, 1. 8 BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, BGHZ 22, 364 ff. = LM § 2348 BGB Nr. 1 m. Anm. Johannsen = JR 1957, 339 m. abl. Anm. v. Lübtow. 9 Eine andere Auslegung sei möglich, wenn der Schlusserbe sich im Zusammenhang mit seiner Erbeinsetzung auch seinerseits zu Leistungen an die Erblasser verpflichtet habe, die wirtschaftlich als Gegenleistung für die eingegangene Bindung angesehen werden könnten, oder wenn sich die Erblasser den Rücktritt vom Vertrag vorbehalten hätten. Ob die Annahme eines Pflichtteilsverzichts des zum Schlusserben Eingesetzten auch ohne ausdrückliche Erklärung gerechtfertigt ist, wenn die Geltendmachung des Pflichtteils den anderen Abkömmlingen, zu deren Gunsten lediglich Vermächtnisse ausgesetzt waren, erlaubt sein soll, hat der BGH offengelassen. Vgl. BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, BGHZ 22, 364 (369). 10 BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, BGHZ 22, 364 (368); zustimmend: Keller, ZEV 2008, 229 (230).

Muscheler 863

18.164

§ 18 Rz. 18.164a

Erbverzicht

des Verzichts durch die Erblasser sei in der Einsetzung des verzichtenden Abkömmlings als Schlusserbin zu sehen.

18.164a In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der BGH 1977 in einem notariellen gemeinschaftlichen Testament, in dem Ehegatten ihre Kinder aus jeweils früherer Ehe als Erben eingesetzt und sich untereinander den Hausrat vermacht hatten, einen stillschweigend geschlossenen Erb- und Pflichtteilsverzicht der Ehegatten gesehen1. Die notwendigen Erklärungen müssten nicht ausdrücklich und für sich allein, sondern könnten auch im Zusammenhang mit anderen notariell beurkundeten Erklärungen abgegeben werden. Der Verzicht sei daher auch dann wirksam erklärt, wenn sich der Wille, auf den Pflichtteil verzichten zu wollen, stillschweigend aus diesen (anderen) beurkundeten Erklärungen ergebe2.

18.164b In der Literatur sind die genannten Entscheidungen zu Recht kritisiert worden3. So hat man insbesondere darauf hingewiesen, dass der BGH die Rechtsprechung des RG – ohne diese überhaupt zu erwähnen – in ihr Gegenteil verkehrt habe4. Das Reichsgericht hatte noch ausgeführt, dass der Verzicht auf ein Recht nicht zu vermuten, sondern nur dann anzunehmen sei, wenn besondere Umstände auf einen Verzichtswillen schließen lassen5. Die Anerkennung eines stillschweigenden Verzichts birgt die Gefahr in sich, dass der Beweis- und Warnfunktion des § 2348 BGB nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Auch ist nicht ersichtlich, wie sich aus einem gemeinschaftlichen Testament, das selbst bei Vorliegen wechselbezüglicher Verfügungen keinen Vertrag darstellt und daher nicht als Vertrag beurkundet werden kann, im Wege der Auslegung ein beurkundeter Erbverzichtsvertrag ergeben soll. Nähme man einen solchen an, ergäbe sich das weitere Problem der Auswirkungen eines Testamentswiderrufs. Zumindest bei nicht wechselbezüglichen Verfügungen, bei denen der Widerruf durch eigenhändiges Testament erfolgen kann, müsste man, da der Pflichtteilsverzicht nach Auffassung des BGH am Zweck des gemeinschaftlichen Testamentes ausgerichtet ist, konsequenterweise über § 139 BGB zur Unwirksamkeit des Verzichts gelangen, was mit § 2351 BGB nicht in Einklang zu bringen wäre6.

18.165 Eine gewisse Annäherung an die kritischen Teile der Literatur lässt sich einer Entscheidung des OLG Koblenz von 2010 entnehmen7. Allerdings handelt es sich um ein obiter dictum, das für die Entscheidung des konkreten Falles nicht wirklich erforderlich war. Nach Zitierung der Rechtsprechung des BGH und der Kritik in der Literatur wird eine „vermittelnde Ansicht“ von J. Mayer8 dargestellt, wonach unter Berücksichtigung der Andeutungstheorie und der ergänzenden Auslegung zu prüfen sei, ob von einem stillschweigenden Erb- und Pflichtteilsverzicht auszugehen sei; OLG Hamm9 und BayObLG10 verlangten hierfür deutliche Anhaltspunkte, und das ist wohl auch die Ansicht des OLG Koblenz. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH sich irgendwann der ablehnenden Literatur oder wenigstens der vermittelnden Ansicht anschließen wird.

18.166 Zu beachten bleibt, dass auch ein formunwirksamer Erbverzicht steuerrechtlich beachtlich sein kann11. 1 BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 114/75, NJW 1977, 1728 f.; s. auch OLG Düsseldorf v. 23.7.1999 – 7 U 236/98, FamRZ 2000, 856 = NJW-FER 1999, 328 f. 2 BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 114/75, NJW 1977, 1728. 3 Vgl. etwa MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2348 Rz. 8; Lange/Kuchinke, § 7 I 5d (S. 171 f.) jew. m.w.N. 4 Vgl. etwa Habermann, JuS 1979, 169 (171). 5 RG v. 7.5.1927 – I 22/27, RGZ 116, 313 (316). 6 Habermann, JuS 1979, 169 (174). 7 OLG Koblenz v. 14.6.2010 – 2 U 831/09, MDR 2010, 1331 = FamRZ 2011, 146 = ZEV 2010, 473 (474 f.) m. Anm. Keim. 8 Bamberger/Roth/J. Mayer, BGB, 3. Aufl. 2008, § 2346 Rz. 8. 9 OLG Hamm v. 4.4.1995 – 10 U 90/94, FamRZ 1996, 1176 = NJW-RR 1996, 906. 10 BayObLG v. 10.2.1981 – BReg. 1Z 125/80, FamRZ 1981, 711 = MDR 1981, 673. 11 FG München v. 15.9.1993 – 4 K 1274/89, UVR 1994, 58 f. (Anwendung des § 41 AO trotz mündlichen Erbverzichts); vgl. auch BFH v. 5.11.1998 – IV R 32/98, BFHE 187, 469 (473 f.).

864

Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.167 § 18

c) Interessenkonflikt der Urkundsperson Beispiel: (Sachverhalt nach OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – I-7 U 170/12, MDR 2014, 166 = ZEV 2014, 102.) Die Klägerin (Kl.) begehrt die Feststellung ihrer Miterbenstellung und macht gegen den Beklagten (Bekl.) daraus folgende Ansprüche im Wege der Stufenklage geltend, hilfsweise Ansprüche als Pflichtteilsberechtigte. Sie ist die Halbschwester des Bekl. Beide sind Kinder des 1999 verstorbenen Erblassers E. Die Kl. stammt aus der ersten Ehe des E mit der vorverstorbenen H, der Bekl. aus der zweiten Ehe des E mit der vorverstorbenen F. 1980 errichteten E und F ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich wechselseitig zu alleinigen Erben einsetzten und den Bekl. zum „Nacherben des Längstlebenden“. Der Kl. wurde ein Vermächtnis ausgesetzt. Beurkundet wurde das Testament vom Notar S 1, dem Schwiegervater des Bekl. F verstarb 1984 und wurde von E beerbt. 1988 schlossen E und die Kl. vor dem Notar S 2, dem Schwager des Bekl., einen Erbverzichtsvertrag. Darin verpflichtete sich E zur Zahlung von 190.000 DM zum Ausgleich aller denkbaren Ansprüche der Kl. an seinem dermaleinstigen Nachlass. Mit Erfüllung der Schenkung erklärte sich die Kl. wegen ihrer möglichen künftigen Erbteils- und Pflichtteilsansprüche nach E für abgefunden und verzichtete ausdrücklich und unwiderruflich gegenüber E auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht für sich und ihre Abkömmlinge. Zugleich erklärte sie ihren unwiderruflichen Verzicht auf jegliche Zuwendungen, die E in einer letzwilligen Verfügung zu ihren Gunsten getroffen hat, insbesondere auf das Vermächtnis aus dem gemeinschaftlichen Testament von 1980. Die Kl. hat behauptet, ihr sei nicht erläutert worden, wie sich die errechnete Ausgleichssumme zusammensetze, und es sei ihr auch kein Hinweis auf das tatsächliche Vermögen des E zum damaligen Zeitpunkt erteilt worden. Hätte eine solche Belehrung stattgefunden, wäre deutlich geworden, auf welche Ansprüche sie letztlich verzichtete und in welchem Missverhältnis die vorgesehene Abfindungssumme zum Gesamtvermögen stand. Dieses habe schon zum damaligen Zeitpunkt geschätzt 2 Mio. Euro betragen. Sie ist der Ansicht, dass sowohl das Testament von 1980 als auch der Erbverzichtsvertrag von 1988 unwirksam seien, weil sowohl der Schwiegervater als auch der Schwager des Bekl. als Notar an der Beurkundung nicht hätten mitwirken dürfen. Höchst vorsorglich fechte sie ihre Willenserklärung aus dem Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag wegen Irrtums und arglistiger Täuschung an.

Der Beispielsfall ist wie folgt zu lösen: (1) Unwirksamkeit des Verzichts nach § 27 BeurkG kommt nicht in Frage. Die Norm bezieht sich auf Personen, die „in einer Verfügung von Todes wegen bedacht“ sind. Der Erbverzicht i.w.S. ist keine Verfügung von Todes wegen (s. Rz. 18.3). Außerdem wurde der Bekl. im Verzicht nicht „bedacht“. (2) Auch Unwirksamkeit des Verzichts auf Erbenstellung und Pflichtteil nach § 7 Nr. 3 BeurkG ist nicht gegeben. Zwar ist der Schwager mit dem Bekl. im zweiten Grad der Seitenlinie verschwägert (§ 1590 BGB) und gehört damit zu dem in § 7 Nr. 3 BeurkG angesprochenen Personenkreis. Es fehlt aber an der Verschaffung eines rechtlichen Vorteils. Der für den Bekl. günstige Wegfall eines eventuellen Miterben und Pflichtteilsberechtigten ist nur eine von weiteren Voraussetzungen abhängige Folge des Verzichts. Er zeitigt erstens nur einen möglichen, zweitens nur einen zukünftigen und drittens nur einen mittelbaren Vorteil. (3) Auch der Zuwendungsverzicht ist nicht unwirksam: (a) Das Vermächtnis beschwerte nur den Vater der Parteien (so die Auslegung des OLG Düsseldorf). (b) Selbst wenn man annähme, der Bekl. sei Beschwerter des Vermächtnisses, hätte der Zuwendungsverzicht diesem keinen rechtlichen Vorteil gebracht. Das Vermächtnis war nämlich nach §§ 7, 27 BeurkG, 125 BGB nichtig. Der Bekl. war in einer von seinem Schwiegervater beurkundeten Verfügung von Todes wegen bedacht worden. Dies führte nach § 139 BGB auch zur Unwirksamkeit der Vermächtnisanordnung; § 2085 BGB ist nicht anzuwenden, da beide Testierenden für den Fall der Nichtigkeit der Erbeinsetzung kein Interesse an einer Vermächtnisanordnung zugunsten der Halbschwester des Bekl. hatten. (c) Selbst wenn davon auszugehen wäre, der Zuwendungsverzicht wäre nichtig, so bliebe doch der Erb- und Pflichtteilsverzicht (§ 2346 BGB) wirksam, da anzunehmen wäre, dass E und die Kl. den Verzicht auf Erbe und Pflichtteil auch ohne den Zuwendungsverzicht geschlossen hätten. (4) Unwirksamkeit nach §§ 119, 123, 142 BGB ist ausgeschlossen. Eine Pflicht des E zur Aufklärung der Kl. über die Angemessenheit der ihr angebotenen Abfindung bestand nicht, arglistige Täuschung scheidet daher von vornherein aus. Wenn überhaupt ein Irrtum der Kl. vorlag, dann handelte es sich um einen irrelevanten Motivirrtum. (5) Auch Schadensersatzansprüche wegen Fehlverhaltens des E (und Vererbung der Ersatzpflicht auf den Bekl.) scheiden aus. E hat keine Pflicht im Rahmen eines zwischen ihm und der Kl. bestehenden Sonderverhältnisses verletzt. § 1618a BGB kommt nicht in Betracht. Muscheler 865

18.167

§ 18 Rz. 18.168

Erbverzicht

X. Vorbereitung und Gestaltung von Erbverzichtsverträgen (Checkliste und Formulierungsvorschläge) 18.168 1. Allgemeines l Vor allem in Ansehung des Erblassers ist zu beachten, dass dieser den Erbverzichtsvertrag grundsätzlich höchstpersönlich schließen muss (s. Rz. 18.148). Wird ein insoweit nicht dem Gesetz entsprechender (unwirksamer) Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag beurkundet, stellt dies eine Amtspflichtverletzung auch gegenüber demjenigen dar, dem der Ausschluss des Verzichtenden als gesetzlicher Erbe und Pflichtteilsberechtigter zugutegekommen wäre1. l Der Erbverzicht sollte ausdrücklich erklärt werden (s. Rz. 18.164 ff.). Erklärt sich der Verzichtswillige „für völlig abgefunden“, reicht das nicht2. Bei Verträgen, in denen auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet wird, ist klar auszusprechen, ob etwaige Zuwendungen in bereits bestehenden Verfügungen miterfasst werden sollen oder nicht, weil nach der Rechtsprechung ein konkludenter Zuwendungsverzicht möglich ist3. l Der Erbverzichtsvertrag lässt – anders als der ihm zugrunde liegende Kausalvertrag – keinen Rücktrittsvorbehalt zu, kann aber an den Eintritt einer Bedingung geknüpft werden (s. Rz. 18.13, 18.141). l Sofern als Abfindung für einen Erbverzicht ein Vermächtnis ausgesetzt werden soll, ist zunächst § 2302 BGB zu beachten (s. Rz. 18.120 f.). Zudem besteht die Gefahr, dass es zwischen Vertragsschluss und Erbfall zu erheblichen Wertverschiebungen im Vermögen des Erblassers kommt. Es empfiehlt sich daher, schon im Kausalvertrag zum Erbverzicht ein Rücktrittsrecht vorzusehen, das wie folgt formuliert werden könnte:

18.169 M 148 Rücktrittsrecht bei Schmälerung der Abfindung (= Vermächtnisgegenstand) Falls die Leistung des Vermächtnisgegenstandes unmöglich wird oder der Vermächtnisgegenstand nicht nur unwesentlich an Wert verliert, hat der Verzichtende das Recht, vom Vertrag zurückzutreten und den Pflichtteil (bzw. den Gegenwert des Vermächtnisgegenstandes sofort) zu verlangen. Dasselbe gilt, falls in der Sphäre des Erblassers sonstige Umstände einzutreten drohen, die den ungeschmälerten Erhalt des Vermächtnisgegenstandes infrage stellen4.

18.169a l Um eine Kürzung eines Vermächtnisses zu vermeiden, das als Abfindung für den Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten auf das gesetzliche Erbrecht oder das Pflichtteilsrecht gedacht war, kann der Erblasser in seiner Verfügung von Todes wegen § 2318 Abs. 1 BGB abbedingen, was § 2324 BGB ausdrücklich zulässt. Insoweit empfiehlt sich folgende Formulierung:

18.170 M 149 Vermächtnis als Abfindung – Kürzung vermeiden Eine anteilsmäßige Kürzung des Vermächtnisses wegen Pflichtteilsansprüchen ist nicht statthaft, sofern der Wert des Vermächtnisses im Zeitpunkt des Erbfalls den Wert des fiktiven Pflichtteils des verzichtenden Vermächtnisnehmers nicht übersteigt. § 2318 Abs. 2 BGB findet Anwendung5.

1 2 3 4 5

BGH v. 14.12.1995 – IX ZR 242/94, FamRZ 1996, 412 = MDR 1996, 855 = NJW 1996, 1062 (1064). RG v. 26.10.1931 – IV 83/31, LZ 1932, 102. OLG Frankfurt v. 30.6.1993 – 20 W 201/93, MDR 1993, 986 = FamRZ 1994, 197. Formulierungsvorschlag von Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2060). Formulierungsvorschlag von Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2060).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.170a § 18

l Bei Erbverzichtsverträgen im Zusammenhang mit Übergabeverträgen ist besonders darauf zu ach- 18.170a ten, dass der Vertrag zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und dem Erblasser – nicht dem Übernehmer – geschlossen wird1. 2. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht l Beim Verzicht eines Abkömmlings des Erblassers sind die §§ 2349, 2350 Abs. 1, 2350 Abs. 2 BGB zu beachten. Die Wirkung des § 2349 BGB sollte – wenn keine anderweitige Regelung gewünscht ist – im Vertrag erwähnt werden, damit nicht später der Einwand erhoben werden kann, der Berater habe nicht auf diese Rechtsfolge hingewiesen2. l Sofern nichts anderes gewünscht ist, sollte beim Erbverzicht eines Ehegatten im Hinblick auf die Bestimmung des § 1586b BGB vorsorglich festgehalten werden, ob und wie der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt durch den erklärten Erbverzicht beeinträchtigt werden soll. l Beinhaltet das Erblasservermögen einen Hof, ist allgemein zu berücksichtigen, dass ein Erbverzicht auch Nachabfindungsansprüche nach § 13 HöfeO ausschließt. Wegen dieser weitreichenden Folgen muss eingehend erörtert werden, was der von der erbrechtlichen Beteiligung Auszuschließende überhaupt bewirken will, wenn er gegen Erhalt einer Abfindung zugunsten des Hoferben „verzichtet“: (1) Soll lediglich eine isolierte Abfindungserklärung3 aus Anlass einer Zuwendung abgegeben werden? In einer solchen erklärt sich der Empfänger mit „allen Ansprüchen gegen den künftigen Nachlass der Eltern für abgefunden“. Eine derartige Erklärung wird nicht notwendig als Erbund Pflichtteilsverzicht gesehen4, sondern dahingehend verstanden, dass im Erbfall bei der erbrechtlichen Beteiligung des sich für abgefunden Erklärenden (Erb- oder Pflichtteil) das im Zeitpunkt der Übergabe vorhandene Vermögen des Übergebers rechnerisch berücksichtigt und wegen der erhaltenen Abfindung abgesetzt werden soll5. (2) Sofern im Zusammenhang mit einem Übergabevertrag oder einer Erbregelung wirklich ein Erb- und Pflichtteilsverzicht gewollt ist, hat sich die Beratung eingehend mit dem von den Parteien angestrebten Zweck auseinander zu setzen. Regelmäßig bezweckt der Verzicht des weichenden Erben die Erhaltung des elterlichen Hofes in einer Hand. Soweit dem Verzichtenden gerade hieran gelegen ist, besteht die Gefahr, dass seine Erwartung enttäuscht wird, wenn es alsbald nach dem Erbfall zu einer Veräußerung des Hofes kommt. Bereits im Vorfeld sollte den Interessen des Verzichtenden – im Hinblick auf die Schwierigkeiten einer Anpassung des Abfindungsvertrags nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage – dadurch Rechnung getragen werden, dass man entweder in den schuldrechtlichen Abfindungsvertrag eine Klausel aufnimmt, nach der die Veräußerung des Hofes binnen einer bestimmten Frist zur Erhöhung der vertraglich vereinbarten Abfindung führt, oder den abstrakten Erbverzicht unter die auflösende Bedingung stellt, dass der Hof innerhalb eines gewissen Zeitraums veräußert wird6. 3. Der isolierte Pflichtteilsverzicht l Beim Verzicht eines Abkömmlings des Erblassers ist § 2349 BGB zu beachten (s. Rz. 18.91). Soll keine anderweitige Regelung getroffen werden, empfiehlt es sich, die Wirkung des § 2349 BGB 1 Cremer, MittRhNotK 1978, 169 (170). 2 Haegele, BWNotZ 1971, 36 (41). 3 Begriff von Kuchinke, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 = JZ 1998, 143 f. 4 BayObLG v. 10.2.1981 – BReg.1Z 125/80, MDR 1981, 673 = FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30 (35); BayObLG v. 17.1.1984 – BReg.1Z 65/83, FamRZ 1984, 1274 = MDR 1984, 403; BayObLG v. 29.3.1982 – BReg. 1Z 90/82, AgrarR 1983, 220 (221). 5 Kuchinke, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287, JZ 1998, 143 f. 6 Edenfeld, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287, ZEV 1997, 70 (71).

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§ 18 Rz. 18.171

Erbverzicht

im Vertrag zu erwähnen, damit nicht später der Einwand erhoben werden kann, der Berater habe auf diese Rechtsfolge nicht hingewiesen1. l Es muss beachtet werden, dass die Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB beim isolierten Pflichtteilsverzicht nicht gilt. Bei in Richtung des § 2350 Abs. 2 BGB gehendem Willen des verzichtenden Abkömmlings ist daher eine entsprechende Bedingung aufzunehmen. Die Auslegungsregel des § 2350 Abs. 1 BGB gilt ebenfalls nicht; auch seine Rechtsfolge kann jedoch durch eine Bedingung erreicht werden. l Den Parteien ist das Nichteingreifen des § 2310 S. 2 BGB zu erklären. Diese Wirkung sollte, wenn sie im konkreten Fall relevant ist oder relevant werden kann, im Vertrag erwähnt werden. l Die Parteien sind darauf hinzuweisen, dass die gesetzliche Erbfolge unberührt bleibt. Dies könnte wie folgt festgehalten werden:

18.171 M 150 Isolierter Pflichtteilsverzicht berührt nicht gesetzliche Erbfolge Der Notar hat den Beteiligten die Bestimmungen des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts erläutert. Er hat darauf hingewiesen, dass das gesetzliche Erbrecht des Verzichtenden bestehen bleibt und der Pflichtteilsverzicht bezüglich des Erbrechts keine Wirkung entfaltet, wenn der Erblasser nicht zusätzlich eine enterbende letztwillige Verfügung trifft2.

18.172 l Soll der Pflichtteilsverzicht anlässlich einer Zuwendung an einen Dritten gegenständlich begrenzt werden, bietet sich folgende Standardformulierung an:

18.172a M 151 Gegenständliche Begrenzung des Pflichtteilsverzichts anlässlich einer

Zuwendung an einen Dritten Verzichtender verzichtet hiermit für sich und seine Abkömmlinge auf sein Pflichtteilsrecht am Nachlass des Übergebers in der Weise, dass der Vertragsgegenstand gemäß gegenwärtiger Urkunde bei der Berechnung seines Pflichtteils als nicht zum Nachlass des Übergebers gehörend angesehen und aus der Berechnungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch, Ausgleichspflichtteil und Pflichtteilsergänzungsanspruch ausgeschieden wird. Der Übergeber nimmt diesen gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzicht entgegen und an. Die Vertragschließenden wurden darauf hingewiesen, dass der gegenständlich beschränkte Pflichtteilsverzicht die gesetzliche Erbfolge und den Pflichtteil am Restvermögen des Übergebers unberührt lässt3.

18.173 Diese Vereinbarung schützt den Übernehmer freilich nicht davor, dass der zwischen dem Übergeber und dem Pflichtteilsberechtigten abgeschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag nach § 2351 BGB wieder aufgehoben wird. Von einer solchen Aufhebung braucht der Übernehmer auch dann nichts zu erfahren, wenn er für den Verzicht Abfindungsleistungen erbracht hat. In solchen Konstellationen wird lediglich in seltenen Fällen ein nur von allen Beteiligten aufhebbarer dreiseitiger Vertrag anzunehmen sein (s. auch Rz. 18.183). Auch ist fraglich, ob man – wie Lange/Kuchinke dies tun4 – für den Regelfall eine (konkludent übernommene) Verpflichtung des Erblassers annehmen kann, die Aufhebung des Erbverzichts zu unterlassen. Da nach der Rechtsprechung die Umdeutung eines Verzichts auf das

1 Haegele, BWNotZ 1971, 36 (41). 2 DAI-Skript, Intensivkurs Erbrecht, Stand 9/1997, S. 146, zit. nach Reul, MittRhNotK 1997, 373 (378) (im Text leicht geändert). 3 Formulierungsvorschlag von Mayer, ZEV 2000, 263 (264). 4 Lange/Kuchinke, § 25 V 5b (3) (S. 487).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.175 § 18

Pflichtteilsrecht in einen Verzicht auf Pflichtteilsansprüche nicht in Betracht kommt und zudem umstritten ist, ob vor Eintritt des Erbfalls auf (künftige) Pflichtteilsansprüche verzichtet werden kann (s. die Nachweise zu Rz. 18.158), sollte im Anschluss an einen Pflichtteilsverzicht eine – zumindest schuldrechtlich wirkende – Vereinbarung nach § 311b Abs. 4 und 5 BGB getroffen werden1:

M 152 Schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Verzichtendem und Übernehmer

18.174

Verzichtender verpflichtet sich weiter im Wege eines Vertrags nach § 311b Abs. 5 BGB gegenüber dem Übernehmer, nach Eintritt des Erbfalls keine Pflichtteilsergänzungsansprüche wegen des dem Übernehmer zugesprochenen Gegenstandes geltend zu machen und auf solche dann unverzüglich zu verzichten2.

18.175

4. Der Zuwendungsverzicht l Beachte stets: Es gibt keinen Verzicht auf künftige Zuwendungen durch Verfügung von Todes wegen! l Wichtige Vorfrage: Ist der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen (notariellen Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament) gebunden (Änderungsvorbehalte, Freistellungsklauseln prüfen) oder kann er seine Verfügung noch (eventuell kostengünstiger) widerrufen/aufheben? l Bestehen ausdrückliche oder nach § 2069 BGB zu vermutende Ersatzberufungen? An dieser Stelle sei auf die bei fehlender anderweitiger Bestimmung eintretende Erstreckung der Zuwendungsverzichtswirkung auf Abkömmlinge hingewiesen: § 2352 S. 3 BGB verweist auf § 2349 BGB, s. Rz. 18.91. Tritt Anwachsung nach § 2094 BGB ein? (Achtung: Haftungsgefahr wegen unterlassener Belehrung über Ersatzerbenklausel im Testament3). Ist die Ausschaltung der Ersatzerbenberufungen möglich (Verzichtsbereitschaft auch auf Seiten der Ersatzerben)? l Soll sich der Verzicht auch auf gesetzliche Erb- und Pflichtteilsansprüche erstrecken oder solche unberührt lassen? (Auslegungsschwierigkeiten vermeiden) l Liegen noch weitere Verfügungen von Todes wegen vor, die im Verzichtsfall wirksam werden können? (ggf. vorsorglicher Mitverzicht) l Beim Verzicht eines Abkömmlings findet § 2349 BGB über die Verweisung in § 2352 S. 3 BGB Anwendung (s. Rz. 18.91). Da die Erstreckung der Verzichtswirkung auf die Abkömmlinge des Verzichtenden vertraglich abbedungen werden kann und dies selbst bei vollständiger Abfindung (Rz. 18.88 f.) möglicherweise der Fall ist, sollte der Wille des Erblassers im Zuwendungsverzichtsvertrag klar zum Ausdruck gebracht werden4. Auch § 2350 Abs. 2 BGB gilt beim Zuwendungsverzicht nicht, jedoch kann seine Rechtsfolge ausdrücklich als Bedingung vereinbart werden. l Soweit der Zuwendungsverzicht zugunsten eines Dritten erklärt werden soll, ist dies ausdrücklich in den Verzichtsvertrag aufzunehmen5, da § 2350 Abs. 1 BGB nach herrschender Auffassung nicht gilt.

1 Mayer, ZEV 2000, 263 (264). 2 Formulierungsvorschlag von Bengel in Dittmann/Reimann/Bengel, Formularteil, B, Rz. 81 (im Text leicht geändert). 3 BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 62 (64). 4 Jackschath, MittRhNotK 1977, 117 (122). 5 Mayer, ZEV 1996, 127 (131).

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§ 18 Rz. 18.176

Erbverzicht

XI. Beseitigung der Wirkungen des Erbverzichts 18.176 Bereits vor dem Erbfall ist der Erbverzicht als Vertrag bindend und damit unwiderruflich1. Daraus ergibt sich, dass er sich einseitig, insbesondere durch letztwillige Verfügung, nicht beseitigen lässt2. 1. Aufhebungsvertrag (§ 2351 BGB)

18.177 Durch Aufhebungsvertrag als actus contrarius können die Wirkungen eines Erbverzichts einvernehmlich rückgängig gemacht werden (§ 2351 BGB). Trotz nicht eindeutigen Wortlauts und trotz ihrer systematischen Stellung ist die Norm des § 2351 BGB nach herrschender und zutreffender Ansicht auch auf den Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB)3 und damit auf alle Formen des Erbverzichts i.w.S. anwendbar4. Zwar könnte man meinen, dass eine Aufhebung des Zuwendungsverzichts analog § 2351 BGB aufgrund der Möglichkeit des Erblassers, die ohne den Zuwendungsverzicht bestehende Erbfolge durch eine neue Verfügung von Todes wegen wiederherzustellen, entbehrlich sei. Eine solche Sichtweise übersieht jedoch, dass dieser Weg dem Erblasser im Falle erbvertraglicher Bindung (§ 2289 Abs. 1 S. 2 BGB) oder wegen der Verknüpfung eines Verzichts mit einem Erbschaftsvertrag in notarieller Form gem. § 311b BGB5 oder wegen einer wechselbezüglichen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament (§§ 2270, 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) verschlossen sein kann6. In solchen Konstellationen führt nur die Aufhebung des Zuwendungsverzichts zu dem vor dem Zuwendungsverzicht bestehenden Rechtszustand.7 Wie beim Erbverzicht selbst handelt es sich auch beim Aufhebungsvertrag um ein abstraktes Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall8, dem – genauso wie beim Erbverzicht – ein Kausalgeschäft zugrunde liegen muss.

18.178 Nach h.M. kann der Aufhebungsvertrag nur zwischen den Vertragspartnern des Erbverzichts geschlossen werden9. Dies soll auch dann gelten, wenn sich die Wirkung des Verzichts gem. § 2349 BGB auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, so dass diese nicht in der Lage sind, die sie benach1 MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 30. 2 BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (267). Zu Angriffsstrategien gegen Erbverzichte Horn, ZEV 2010, 295 ff. Zu Angriffen gegen sie wegen der Verschweigung von Schwarzgeld Schaub, ZEV 2011, 501 (504). Zur Frage, ob die Aufhebung des Pflichtteilsverzichts dem gebundenen Erblasser ein Anfechtungsrecht nach §§ 2281, 2079 BGB vermittelt, Keim, NotBZ 1999, 1 (4 f.); Schindler, DNotZ 2004, 824 (831 f.); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 100; Bamberger/Roth/J. Mayer, § 2351 Rz. 8; Hausmann/Hohloch/Weidlich, Handbuch des Erbrechts, Kap. 15 Rz. 57; für die ähnliche Frage, ob der Verzichtende, der später, nach dem Testament des Erblassers, den Pflichtteilsverzicht wirksam anficht, nach dem Tod des Erblassers dessen Testament nach § 2079 BGB anfechten kann, (bejahend) Otte, ZEV 2011, 233 ff. 3 BGH v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = ZEV 2008, 237 (238) = ZErb 2008, 162 (163) m. Anm. Kornexl, NJW-RR 2008, 747 und G. Müller, MittBayNot 2008, 484; LG Kempten v. 7.12.1977 – 4 T 147/77, MittRhNotK 1978, 140 f. 4 Staudinger/Schotten, § 2351 Rz. 3 m.w.N. 5 OLG Karlsruhe v. 8.4.2015 – 13 U 68/12, ErbR 2016, 643 m. Anm. Görtz, 647. 6 BGH v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = ZEV 2008, 237 (238) = ZErb 2008, 162 (163). 7 Beachte: Nach OLG Karlsruhe v. 8.4.2015 – 13 U 68/12, ErbR 2016, 643 kann ein von einem Beschenkten früher im Hinblick auf die vertraglich geregelte Vermögensnachfolge nach dem Erblasser erklärter Erbund Pflichtteilsverzicht durch eine spätere Vereinbarung mit dem Erblasser nicht wieder aufgehoben und damit ein Anspruch des Vertragserben nach § 2287 BGB wegen der (neuerlichen) Pflichtteilsberechtigung ausgeschlossen werden. 8 A.A. Hülsmeier, NJW 1981, 2043; Zellmann, S. 179; Schindler, DNotZ 2004, 824, die den Aufhebungsvertrag als Verfügung von Todes wegen qualifizieren. Folge der im Text dargestellten h.M. ist u.a., dass bei bindender Erbeinsetzung in einem Erbvertrag die spätere Aufhebung eines Erbverzichts nicht unter § 2289 BGB, sondern unter § 2286 BGB fällt. Dazu Schindler, DNotZ 2004, 824; J. Mayer, ZEV 2005, 176 (177) mit Replik Schindler, ZEV 2005, 299; Kanzleiter, DNotZ 2009, 86. 9 MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2351 Rz. 2; Erman/Simon, § 2351 Rz. 1; AK/Teubner, § 2351 Rz. 3; Palandt/ Weidlich, § 2351 Rz. 1; a.A. Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 97 ff.; Muscheler, ZEV 1999, 49 (50).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.180 § 18

teiligenden Wirkungen im Einvernehmen mit dem Erblasser aufzuheben1. Der Zeitpunkt des Abschlusses ist gleichgültig2, jedoch muss der Aufhebungsvertrag spätestens bis zum Tod eines der Vertragspartner wirksam geworden sein3. In Ansehung des Erblassers ist dies allgemeine Meinung4, denn der Erblasser kann den Aufhebungsvertrag – wie den Erbverzicht – gem. §§ 2351, 2347 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB nur (höchst-)persönlich schließen. Ist der Erblasser hingegen geschäftsunfähig, kann und muss sein gesetzlicher Vertreter gem. § 2347 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 2351 BGB für ihn handeln. Bestehen Zweifel, ob der Erblasser geschäftsunfähig oder geschäftsfähig ist, ist es empfehlenswert, dass sowohl der Betreuer als auch der betreute Erblasser den Erbverzichtsaufhebungsvertrag schließen5. Die Aufhebung eines Zuwendungsverzichts (§ 2352 BGB) analog § 2351 BGB durch den gesetzlichen Vertreter eines geschäftsunfähigen Erblassers gem. § 2347 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 2351 BGB dürfte unzulässig sein. Schließlich führt die Aufhebung des Zuwendungsverzichts zum Wiederaufleben der testamentarischen bzw. erbvertraglichen Zuwendungsanordnung. Es wäre mit den Rechtsgedanken der §§ 2064, 2065 BGB bzw. §§ 2274, 2275 Abs. 1 BGB unvereinbar, wenn der Aufhebungsvertrag auch durch den gesetzlichen Vertreter des Erblassers geschlossen werden könnte6. Ob die durch § 2349 BGB begründeten Drittwirkungen eines Erbverzichtsvertrags noch nach dem Tod des Verzichtenden beseitigt werden können, ist streitig7, aber nach der Rechtsprechung des BGH ausgeschlossen8. Der Erbverzicht kann insgesamt aufgehoben werden. Ein solcher Aufhebungsvertrag beseitigt dann al- 18.179 le unmittelbar auf dem Verzicht beruhenden Wirkungen. Möglich ist jedoch auch eine Teilaufhebung, bei der allerdings darauf geachtet werden muss, dass keine Rechtslage geschaffen wird, die den sich aus dem Prinzip des Typenzwangs ergebenden zwingenden erbrechtlichen Vorschriften widerspricht (z.B. Erbschaft an Einzelgegenständen). Folge des Aufhebungsvertrags ist die Wiederherstellung des früheren Zustandes9, d.h., der Verzichtende erlangt durch ihn die Rechtsstellung, die er ohne den Erbverzicht hatte. Hat der Erblasser in der Zwischenzeit eine (neue) Verfügung von Todes wegen getroffen, wird diese durch den Aufhebungsvertrag freilich nicht berührt. Besteht eine letztwillige Verfügung, führt die Aufhebung des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht nicht dazu, dass gesetzliche Erbfolge eintritt und der Verzichtende gesetzlicher Erbe wird. Er bleibt durch die letztwillige Verfügung von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen10. Die Aufhebung eines Pflichtteilsverzichts, der wegen eines bereits 14 Jahre zuvor erklärten Pflichtteilsverzichts ins Leere gegangen war, soll nach den Grundsätzen der falsa demonstratio in die (formwirksame) Aufhebung des wirksamen (älteren) Pflichtteilsverzichts umgedeutet werden können11. Ein Pflichtteilsberechtigter, der einen – nunmehr durch Aufhebungsvertrag beseitigten – Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht oder (isoliert) das Pflichtteilsrecht geleistet hat, kann im Fall seiner Enterbung ohne weiteres den Pflichtteil verlangen12. 1 BGH v. 3.6.1998 – VIII ZR 317/97, NJW 1998, 3117; OLG Koblenz v. 6.6.2011 – 10 U 150/11, BeckRS 2012, 09031; krit. Muscheler, ZEV 1999, 49 (50). 2 BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995 (269). 3 BGH v. 24.6.1998 – IV ZR 159/97, BGHZ 139, 116 = MDR 1998, 1481 m. Anm. Steiner = FamRZ 1998, 1293 = MDR 1998, 1229 (120); OLG München v. 14.5.2014 – 7 U 2983/1 m. Anm. Keim, notar 2015, 17 f. 4 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 96 m.w.N. 5 BayObLG v. 13.11.2000 – 1Z BR 134/99, FamRZ 2001, 941 (942). 6 Der BGH erhebt in seinem Urteil v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = ZEV 2008, 237 (238) = ZErb 2008, 167 (168) ähnliche Bedenken, musste die Frage aber nicht entscheiden. 7 Bejahend Muscheler, ZEV 1999, 49 (51); verneinend Kuchinke, ZEV 2000, 169 (171 f.). 8 BGH v. 24.6.1998 – IV ZR 159/97, BGHZ 139, 116 (120) = MDR 1998, 1481 m. Anm. Steiner = FamRZ 1998, 1293 = MDR 1998, 1229. 9 BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (269) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995. 10 BayObLG v. 13.11.2000 – 1Z BR 134/99, FamRZ 2001, 941 (943) m.w.N. 11 OLG Köln v. 31.3.1992 – 9 U 159/91, OLGReport 1992, 321 ff. 12 BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (270) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995; LG Aachen v. 10.11.1994 – 8 O 285/94, FamRZ 1996, 61 (62).

Muscheler 871

18.180

§ 18 Rz. 18.181

Erbverzicht

18.181 Der Erblasser wird auch durch den zwischenzeitlichen Abschluss eines Erbvertrags nicht gehindert, einen Verzichtsvertrag aufzuheben; die Vertragserben müssen dies selbst dann hinnehmen, wenn der ursprüngliche Verzicht ohne Abfindung erklärt worden war1. Der Schutz, den § 2287 BGB einem Vertragserben gewährt, erfährt gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten damit eine erhebliche Einschränkung2. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Schutz des Vertragserben aus § 2287 BGB gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten, der einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht oder Pflichtteilsrecht geleistet hat, selbst dann eingeschränkt ist, wenn der Erbverzicht nicht ausdrücklich aufgehoben wird3. Nachträgliche Zuwendungen des Erblassers an den Verzichtenden, die unterhalb seines fiktiven Pflichtteils liegen, kann der Vertragserbe grundsätzlich nicht herausverlangen, weil die Wirkungen des Erbverzichtsvertrags insoweit durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags hätten beseitigt werden können4.

18.182 Eine Mitwirkung Dritter ist beim Aufhebungsvertrag grundsätzlich nicht erforderlich. Ausnahmen von diesem Satz gibt es nur in seltenen Fällen, so etwa, wenn der als Vertragserbe begünstigte Dritte zustimmt, weil dieser im Gegenzug mit dem Erblasser einen Pflichtteilsverzicht vereinbart hat5. 2. Rücktritt und Widerruf

18.183 Mangels gesetzlicher Regelung richtet sich die Zulässigkeit eines Rücktritts vom abstrakten Erbverzicht nach den allgemeinen Bestimmungen. Da die §§ 346 ff. BGB nur bei schuldrechtlichen Verträgen, nicht aber bei dinglichen Verfügungen6 anzuwenden sind, lässt sich aus diesen Vorschriften die Zulässigkeit eines Rücktritts nicht herleiten. Ebenso wenig sind die §§ 2293 ff. BGB anwendbar, denn der Erbverzicht ist erbrechtliches Verfügungsgeschäft unter Lebenden und nicht Verfügung von Todes wegen. Mangels sonstiger gesetzlicher Bestimmungen, die einen Rücktritt vom abstrakten Erbverzicht begründen könnten, hält die h. M7 den Rücktritt für ausgeschlossen8. Gleichwohl soll die (unwirksame) Vereinbarung eines Widerrufs- oder Rücktrittsrechts nach einer Entscheidung des BayObLG9 unter Umständen gem. § 140 BGB in eine auflösende Bedingung des Inhalts umgedeutet werden können, dass ein Rücktritt vom Kausalgeschäft erfolgt10. Ferner lasse sich ein einseitiger Widerruf oder Rücktritt des Erblassers von einem Erbverzichtsvertrag in eine letztwillige Verfügung des Inhalts umdeuten, dass dem Verzichtenden das zugewendet werde, worauf er verzichtet hat (sofern die Erklärung des Erblassers den Erfordernissen einer letztwilligen Verfügung entspricht)11. 3. Anfechtung

18.184 Für Erbverzichtsverträge gelten, da sie keine Verfügungen von Todes wegen, sondern erbrechtliche Verfügungsgeschäfte unter Lebenden sind, grundsätzlich die §§ 119–124, 142 f. BGB, nicht die

1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (270) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995. Krit. hierzu Hülsmeier, NJW 1981, 2043 f.; Schindler, DNotZ 2004, 824. LG Aachen v. 10.11.1994 – 8 O 285/94, FamRZ 1996, 61 (62). BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (270) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995. OLG Karlsruhe v. 18.3.1999 – 17 U 19/97, ZEV 2000, 108 (111). Vgl. nur Palandt/Grüneberg, Einf v § 346 Rz. 4. S. Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 111 m.w.N. A.A. nur Larenz, JherJb 81 (1931), 1 (13 ff.), der dem Erblasser bei fehlender causa ein Rücktrittsrecht analog § 2295 BGB zubilligt. 9 BayObLG v. 4.10.1957 – BReg. 1Z 147/57, BayObLGZ 1957, 292 (294). 10 So schlägt auch Mayer, ZEV 2007, 145 (151) eine Kopplung des Kausalgeschäfts mit dem Verzicht dergestalt vor, dass mit Ausübung des Rücktrittsrechts bzgl. des Grundgeschäfts die (vereinbarte) auflösende Bedingung für den Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht eintritt. Eine solche Lösung vermeidet den Automatismus einer auflösenden Bedingung für den Verzicht, die nicht an den Rücktritt, sondern direkt an das das vereinbarte Rücktrittsrecht auslösende Ereignis anknüpft. 11 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 112 m.w.N.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.188 § 18

§§ 2281–2283 BGB oder die §§ 2078–2082 BGB. Ein bloßer Motivirrtum – z.B. über den Wert des Nachlasses oder die künftige Entwicklung des Wertes – ist daher, anders als im Rahmen der nicht anwendbaren §§ 2078 ff. BGB, unbeachtlich1. Die Anfechtung des Erbverzichts ist nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich2. Die Anfechtungserklärung muss demjenigen, dem gegenüber sie abzugeben ist, spätestens bis zum Tod des Erblassers zugegangen sein. § 130 Abs. 2, 1. Alt. BGB gilt nicht. Wie beim Aufhebungsvertrag wird hierfür der Gedanke angeführt, dass die Erbfolge mit dem Tod des Erblassers auf einer festen Grundlage stehen müsse und grundsätzlich nicht nach beliebig langer Zeit wieder umgestoßen werden dürfe.

18.185

Anfechtungsberechtigt ist zweifellos der Verzichtende. Streitig ist, ob auch der Erblasser den Erbver- 18.186 zicht unter den Voraussetzungen der §§ 119, 123 BGB anfechten kann. Dies wird teilweise mit der Begründung verneint, der Erblasser könne dem Verzichtenden auf einfachere Weise, nämlich durch Verfügung von Todes wegen, das zuwenden, worauf jener verzichtet habe3. Deshalb fehle es dem Erblasser an einem Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung des Erbverzichts. Jedoch besteht in Wahrheit, entgegen dieser Auffassung, durchaus ein Bedürfnis für die Anfechtung. So unterscheiden sich Anfechtung des Verzichts und begünstigende Verfügung nicht nur im Hinblick auf die durch einen Erbverzicht verursachte Erhöhung der Erb- und Pflichtteilsquote der anderen gesetzlichen Erben, sondern auch im Hinblick auf eine bereits gewährte Abfindung. Darüber hinaus kann der Erblasser im Ausnahmefall an der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen gehindert sein, etwa bei Testierunfähigkeit oder aufgrund der Bindung an einen Erbvertrag bzw. ein gemeinschaftliches Testament. Da es somit an einer Rechtfertigung für eine Einschränkung der Anfechtungsberechtigung fehlt, ist dem Erblasser die Anfechtungsmöglichkeit zuzubilligen4. Im Hinblick auf den Anfechtungsgrund des § 119 Abs. 1 BGB bestehen keine Besonderheiten. So ist ein irrtumsfrei erklärtes und gewolltes Geschäft nicht deshalb nach § 119 BGB anfechtbar, weil es außer der erstrebten Wirkung noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Nebenfolgen zeitigt (z.B.: Ausschluss von Nachabfindungsansprüchen durch Erbverzicht5).

18.187

Eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil die in dieser Norm genannten Eigenschaften nicht Inhalt des (abstrakten) Verzichtsvertrags sind6. Insbesondere berechtigt ein Irrtum über den realen Wert des Nachlasses7 oder die künftige Entwicklung des Erblasservermögens bis zum Erbfall nicht zur Anfechtung8, weil dieses Risiko dem Erbverzicht immanent ist.

18.188

1 Damrau, S. 136. 2 H.M., OLG Koblenz v. 4.3.1993 – 6 W 99/93, MDR 1993, 656 = FamRZ 1993, 1498 = NJW-RR 1993, 708 (709); OLG Schleswig v. 27.5.1997 – 3 U 148/95, ZEV 1998, 28 (30) m. abl. Anm. Mankowski; BayObLG v. 4.1.2006 – 1Z BR 97/03, BayObLG v. 4.1.2006 – 1Z BR 97/03, MDR 2006, 638 = FamRZ 2006, 1631 (1634) = NJW-RR 2006, 372 (373 f.) = ZEV 2006, 209 (210) m. abl. Anm. Leipold; vgl. auch BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159 (betr. die Heilung eines schwebend unwirksamen Erbverzichtsvertrags durch vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nach dem Tod des Erblassers). 3 Kipp/Coing, § 82 IV (S. 460) (einschränkend für die Verbindung des Erbverzichts mit anderen Abreden); einschränkend Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 20. 4 Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 18; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 107; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 4. 5 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 (156). 6 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 104. 7 OLG Düsseldorf v. 3.11.1997 – 3 Wx 105/97, FamRZ 1998, 704 = NJW 1998, 2607 f. (Wiedererlangung von in der früheren DDR belegenem Vermögen). 8 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 (156); BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (34).

Muscheler 873

§ 18 Rz. 18.189

Erbverzicht

Bezieht sich der Irrtum dagegen auf unmittelbar wertbildende Faktoren, etwa die Zugehörigkeit von Gegenständen zum Nachlass, kann ggf. nach § 119 Abs. 2 BGB angefochten werden1.

18.189 Demgegenüber erfasst die Anfechtung des Kausalgeschäfts nach § 123 BGB regelmäßig auch den abstrakten Erbverzicht (Fehleridentität)2.

18.190 Bei wirksamer Anfechtung ist der Erbverzicht gem. § 142 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen. Der Verzichtende erlangt also diejenige Rechtsstellung wieder, die er vor Abschluss des Erbverzichtsvertrags hatte. (Zu den Folgen der Anfechtung des Kausalgeschäfts s. Rz. 18.132 ff.). 4. Störung der Geschäftsgrundlage

18.191 Nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, die nun in § 313 BGB gesetzlich geregelt sind, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Vertrag entweder der (veränderten) Wirklichkeit gem. § 313 Abs. 1 BGB angepasst oder, wenn dies nicht möglich ist, gem. § 313 Abs. 3 BGB ganz durch Rücktritt oder bei Dauerschuldverhältnissen durch Kündigung aufgehoben werden. Es stellt sich die Frage, ob diese Grundsätze auch auf den (abstrakten) Erbverzicht Anwendung finden. Beispiel: (Sachverhalt nach BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = ZEV 1999, 62 ff. = FamRZ 1999, 375. Vgl. auch LG Coburg v. 3.9.2008 – 21 O 295/08, FamRZ 2009, 461.) S war in einem Berliner Testament seiner Eltern als Alleinerbe des längstlebenden Ehegatten eingesetzt. Das Testament enthielt für den Schlusserbfall eine Erbersatzregelung zugunsten der Abkömmlinge des S. Nach dem Tod des Vaters verzichtete S unentgeltlich auf die testamentarische Zuwendung, in der Annahme, seine Mutter M könne hierdurch ihre Testierfreiheit wiedererlangen. Dies geschah in Kenntnis eines neu errichteten Testamentes, in dem M den S (zu 1/2) und die fünf Kinder seiner vorverstorbenen Schwester zu Erben eingesetzt und sich jede beliebige Änderung des Testamentes vorbehalten hatte. Aufgrund der genannten Ersatzerbenregelung zugunsten der Kinder des S bewirkte der Verzicht des S jedoch nicht die Gegenstandslosigkeit der ursprünglich im gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügung. Vielmehr waren nunmehr die Kinder des S zu Erben der M berufen.

18.191a Nach Ansicht des BGH muss sich S an dem Zuwendungsverzicht festhalten lassen3. Der Verzicht sei – wegen des Änderungsvorbehalts für M – nicht zugunsten der Kinder seiner Schwester oder unter einer Bedingung erklärt worden. Die Wiedererlangung der Testierfreiheit der M sei aus Sicht der Urkundsbeteiligten lediglich die (direkte) Rechtsfolge des Verzichts gewesen, nicht aber ein ungewisses zukünftiges Ereignis i.S.v. §§ 158 ff. BGB. Zu entscheiden war, ob sich S, der ebenso wie M angenommen hatte, durch seinen Verzicht könne die Testierfreiheit der M wiederhergestellt werden, auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen konnte. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass die Rückabwicklung eines Verzichtsvertrags auf der Grundlage von § 242 BGB jedenfalls nach dem Tod des Erblassers ebenso wenig möglich sei wie der Abschluss eines Aufhebungsvertrags nach § 2351 BGB. Er begründet dies im Wesentlichen mit dem Gebot der Rechtssicherheit. Mit dem Tod des Erblassers müsse die Erbfolge auf einer festen Grundlage stehen und dürfe nicht wieder umgestoßen werden können4. Nur soweit es nicht um die Erbfolge selbst, sondern um den etwa als Rechtsgrund eines Erb- oder Zuwendungsverzichts abgeschlossenen Abfindungsvertrag gehe (an ihm fehlte es im entschiedenen Fall), komme die Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Folge einer Vertragsanpassung in Betracht5 (s. Rz. 18.131). Grund für die Ausnahme ist, dass die Rückabwicklung des Ver1 RG v. 6.3.1913 – IV 539/12, Recht 1913, Nr. 2885; Coing, NJW 1967, 1777 (1780); AK/Teubner, § 2346 Rz. 8; Leipold, ZEV 2006, 212 (214) lehnt wohl die Annahme eines Eigenschaftsirrtums bei Fehlvorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses mit dem Argument ab, der Erbverzicht sei keine Verfügung über den Nachlass, sondern über das Erb- oder Pflichtteilsrecht. 2 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 20; AK/Teubner, § 2346 Rz. 8. 3 BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 62 ff. 4 Zustimmend Skibbe, Anm. zu BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 106; Bengel, ZEV 2008, 192 (193, 195). 5 BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 62 (64).

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Erbverzicht

Rz. 18.193a § 18

zichts in diesem Fall nur zu einem Anspruch gegen den Nachlass führt. Genauso entsteht bei der Rückabwicklung eines Pflichtteilsverzichts ein bloß schuldrechtlicher Anspruch, und die Erbfolge bleibt unberührt1. 5. Sittenwidrigkeit des Erbverzichts Wie jeder Vertrag muss sich auch der Erbverzicht den Anforderungen des § 138 Abs. 1 BGB stellen. Ist der Erbverzicht sittenwidrig, weil er gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, ist er nichtig. Als maßgebliches Entscheidungskriterium dient eine Gesamtwürdigung des Vertrags, namentlich der aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmende Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts2.

18.192

Die Sittenwidrigkeit eines Erbverzichtsvertrags kann sich sowohl aus einer Verknüpfung von Erbverzicht und Abfindungsvereinbarung nach dem Parteiwillen als einheitliches Rechtsgeschäft im Sinne des § 139 BGB3 als auch aus den Begleitumständen des Vertragsabschlusses ergeben. Ein Ungleichgewicht der Verhandlungspositionen, die einen Vertragspartner in besonderem Maße über- oder unterlegen macht, ist ein starkes Indiz für eine Umstandssittenwidrigkeit. Diesen Zusammenhang illustriert das folgende

18.193

Beispiel: (Beispiel nach OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, ZEV 2006, 313 = FamRZ 2007, 418. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 21.2.2013 – I-3 Wx 193/12, ZEV 2013, 498 [499]: Keine Sittenwidrigkeit, wenn ein Mann seiner künftigen Frau beim Erbverzicht ein Auslandsguthaben von 300.000 Euro verschweigt und beide Partner schon älter sind.) Der verheiratete V hat zwei nichteheliche Kinder K1 und K2 aus einer früheren Beziehung. Im Jahre 1980 schließt er mit ihnen einen Erbverzichts- und Abfindungsvertrag in Ansehung des damals noch gültigen Erbersatzanspruchs der Kinder aus § 1934a a.F. BGB. Diese Lösung wurde dem Weg über den vorzeitigen Erbausgleich gem. § 1934d a.F. BGB explizit vorgezogen4. Bei der Bemessung der Abfindung legte V die Unterhaltspauschalierung gem. § 1934d a.F. BGB und nicht den an seinen Vermögensverhältnissen ausgerichteten Erbersatzanspruch aus § 1934a a.F. BGB zugrunde. Bei den Vertragsverhandlungen mit dem von V eingeschalteten Rechtsanwalt R wurde dieser Austausch der Vermögensorientierung gem. § 1934a a.F. BGB mit der Unterhaltspauschalierung nach § 1934d a.F. BGB jedoch verschwiegen. Vielmehr wurde K1 und K2 mit der Aussage des R (der die wahren Vermögensverhältnisse des V gar nicht kannte), sie hätten für den Fall des Versterbens des V etwa 8.000 DM zu erwarten (das ist der nach § 1934d a.F. BGB pauschalierte Unterhaltsbetrag für den vorzeitigen Erbausgleich), vorgegeben, der vorgeschlagene Abfindungsbetrag sei das Ergebnis des am Vermögen orientierten Erbersatzanspruchs (§ 1934a a.F. BGB).

Die Schilderung dieser unrichtigen Ausgangstatsache begründet nach dem OLG München den Vorwurf der Umstandssittenwidrigkeit des Erbverzichts- und Abfindungsvertrags. Explizit stellt das Gericht klar, dass der vorgenommene Austausch der Bemessungsgrundlage für die Abfindung inhaltlich nicht zu beanstanden ist5. Da das Gesetz in §§ 2346, 1934a a.F. BGB keinerlei inhaltliche Vorgaben für

1 OLG Nürnberg v. 12.11.2002 – 3 U 1192/02, FamRZ 2003, 634 (636); krit. Grziwotz, Anm. zu OLG Nürnberg v. 12.11.2002 – 3 U 1192/02, FamRZ 2003, 637. 2 BGH v. 8.12.1982 – IVb ZR 333/81, BGHZ 86, 82 = MDR 1983, 296 = FamRZ 1983, 137 (88); BGH v. 28.2.1989 – IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92 = MDR 1989, 630 (97); BGH v. 19.1.2001 – V ZR 437/99, MDR 2001, 683 = NJW 2001, 1127 (1127); Wendt, ZNotP 2006, 2 (3). 3 OLG Hamm v. 8.11.2016 – 10 U 36/15, FamRZ 2017, 1167 = ZEV 2017, 163 m.w.N. 4 Im konkreten Fall bot sich für V der vorzeitige Erbausgleich nach § 1934d a.F. BGB schon deshalb nicht an, weil zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Zwillingsgeschwister K1 und K2 erst 19 Jahre alt waren, ein Anspruch aus § 1934d a.F. BGB aber erst ab dem 21. Lebensjahr bestand. Aus diesem Grunde wäre es V nicht gelungen, über die Rechtsfolge des § 1934e a.F. BGB künftige Erb- und Pflichtteilsansprüche von K1 und K2 auszuschließen. 5 OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, ZEV 2006, 313 (314) = FamRZ 2007, 418 (419).

Muscheler 875

18.193a

§ 18 Rz. 18.193b

Erbverzicht

eine Abfindung, ja noch nicht einmal die Abfindung als solche vorsehe, stehe das Ob und die Höhe einer Abfindung im freien Gestaltungsspielraum der Parteien. Um zu vermeiden, dass eine Vertragspartei einen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag unter unfreien, da unaufgeklärten Umständen abschließt, ist aber die wahre Bemessungsgrundlage der Abfindung offenzulegen. Ein Ungleichgewicht der Verhandlungspositionen erblickt das OLG München auch in der altersbedingten Unerfahrenheit der damals erst 19-jährigen K1 und K2. Mag der Hinweis auf das Alter pauschal anmuten, resultierte im zu entscheidenden Fall die Unterlegenheit der Kinder doch aus der Tatsache, dass der aus ihrer Sicht neutral auftretende Rechtsanwalt R einseitig die Interessen des V durchzusetzen suchte1.

18.193b Ist dem OLG München im Ergebnis zuzustimmen, so vermag die konkrete Begründung mit der Umstandssittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB nicht zu überzeugen. Das Vorspiegeln der unwahren Tatsache, die Abfindung bemesse sich nach dem Erbersatzanspruch aus § 1934a a.F. BGB und nicht an der Unterhaltspauschalierung des § 1934d a.F. BGB, begründet den Anfechtungstatbestand der arglistigen Täuschung nach § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB. Die (richtige) Lösung über die gegenüber § 138 Abs. 1 BGB vorrangige Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB) hat jedoch den Nachteil, dass die h.M. eine Anfechtung des Erbverzichts nach Eintritt des Erbfalls nicht mehr zulässt (s. Rz. 18.185).

18.194 Die Sittenwidrigkeit eines Erb- und Pflichtteilsverzichts kann – und wird im Regelfall – sich auch aus dem Inhalt des Vertrags ergeben2. Bislang hat die Rechtsprechung noch keine klaren Prüfungskriterien für eine Inhaltskontrolle aufgestellt. Es drängt sich daher die Frage auf, ob das vom BGH zu Eheverträgen3 entwickelte System einer auf erster Stufe stehenden Wirksamkeitskontrolle (§ 138 Abs. 1 BGB) und sich auf zweiter Stufe daran anschließenden Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) auf Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge übertragbar ist4. Möglicherweise lässt sich der Erb- und Pflichtteilsverzicht, so er im Zusammenhang mit einem Ehevertrag geschlossen wird, als weiterer Prüfungspunkt in die Inhaltskontrolle von Eheverträgen, insbesondere in die Kernbereichslehre des BGH, einfügen.

18.194a Hierbei müssen die folgenden Gedanken Beachtung finden. Zunächst sind die verschiedenen Erscheinungsformen des Erbverzichts getrennt zu betrachten. Die Tatsache, dass dem Erbberechtigten zu Lebzeiten des Erblassers weder ein Voll- noch ein Anwartschaftsrecht zustehen, mindert generell seine Schutzbedürftigkeit. Aufgrund der Möglichkeit der Enterbung (§ 1938 BGB) und des Widerrufs eines Testamentes (§§ 2253–2258 BGB) besteht eine gesetzlich angelegte, aus der Testierfreiheit des Erblassers resultierende strukturelle Unterlegenheit des verzichtenden Erbberechtigten5. Diese kann also beim bloßen Erbverzicht unter Vorbehalt des Pflichtteils (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB ist abdingbar, s. Rz. 18.7) und beim Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) nicht herangezogen werden, um im Rahmen einer Inhaltskontrolle zur Sittenwidrigkeit des Verzichts zu gelangen.

18.194b Der (herkömmliche) Erbverzicht und der isolierte Pflichtteilsverzicht entziehen den Pflichtteil und berühren ein zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigten bereits bestehendes Rechtsverhältnis. Darin unterscheiden sie sich vom Erbverzicht unter Vorbehalt des Pflichtteils und vom Zuwendungsverzicht. Der Pflichtteilsanspruch ist grundsätzlich (Ausnahme: §§ 2333 ff. BGB) nicht durch Testament ent-

1 OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, ZEV 2006, 313 (314) = FamRZ 2007, 418 (420). 2 Eingehend zur Inhaltskontrolle von Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträgen: Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 ff. 3 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = FamRZ 2004, 601 = NJW 2004, 930 ff. Das Urteil des BGH setzt die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG an die Inhaltskontrolle von Eheverträgen (BVerfG v. 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, MDR 2001, 392 = FamRZ 2001, 343 ff. = NJW 2001, 957 ff.; BVerfG v. 29.3.2001 – 1 BvR 1766/92, FamRZ 2001, 985 = NJW 2001, 2248 ff.) um. 4 Gegen eine uneingeschränkte Übertragung LG Nürnberg-Fürth v. 23.3.2018 – 6 O 6494/17 – ZEV 2018, 593 (594) m. zust. Anm. Keim, 599. 5 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1082).

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Erbverzicht

Rz. 18.195a § 18

ziehbar. Dennoch können die Kriterien der Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle (§ 138 Abs. 1 BGB) von Eheverträgen, insbesondere die die Scheidungsfolgen in eine Rangfolge abstufende Kernbereichslehre, nicht schematisch Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge aufnehmen. Scheidungsfolgenrecht und Erbrecht liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Das Erbrecht als Todesfolgenrecht ist kein Schutzrecht wie das Scheidungsfolgenrecht1. Der die familienrechtlichen Folgen einer Scheidung regelnde Ehevertrag und der die gesetzliche Erb- und Pflichtteilsberechtigung ausschließende Erb- und Pflichtteilsverzicht sind streng zu differenzieren und bilden nicht automatisch eine rechtliche Einheit2. Aus diesem Grunde erstreckt sich eine eventuelle Nichtigkeit des Ehevertrags nicht per se auch auf den Verzichtsvertrag. Selbst wenn tatsächlich einmal (unter besonderen Umständen) eine rechtliche Einheit anzunehmen sein sollte, hat dies – zumindest wenn der Erb- und Pflichtteilsverzicht unabhängig von einer Ehekrise geschlossen wurde – aufgrund der verschiedenen Funktionen von Scheidungsfolgenvereinbarung und Verzichtsvertrag keine Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB zur Folge. Der Erbund Pflichtteilsverzicht zielt auf einen Ausschluss unabhängig von einer Ehekrise ab. Das System der Rangabstufung von Scheidungsfolgen lässt sich also nicht um eine weitere dem Erbbzw. Pflichtteilsverzicht zukommende Position erweitern. Der Erbverzicht tangiert den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts nicht, er lässt sich den Scheidungsfolgenvereinbarungen schon begrifflich nicht zuordnen3. Im Falle der Scheidung und des § 1933 BGB sieht das Gesetz und nicht der sich auf den Erbfall beziehende Erbverzicht den Verlust der Erb- und Pflichtteilsberechtigung vor. Es handelt sich um eine gesetzliche, nicht um eine vertragliche Scheidungsfolge.

18.194c

Das LG Ravensburg4 hat die Wirkungen eines Erbverzichts unmittelbar den Scheidungsfolgen zugeordnet. Es begründete die Sittenwidrigkeit des Erb- und Pflichtteilsverzichts mit dem Ausschluss des Unterhaltsanspruchs nach § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB und maß dem Erbverzicht damit unmittelbar unterhaltsrechtliche Folgen für den Fall zu, dass der Ehegatte nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags verstirbt. Die Unterhaltsverzichtsvereinbarungen im Ehevertrag erfassen schließlich nur den nachehelichen Unterhalt nach der Scheidung, die in der Situation des § 1933 BGB gerade unterbleibt. Die Sichtweise des LG Ravensburg steht unter der Prämisse, dass der Erbverzicht tatsächlich auch den Unterhaltsanspruch aus § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB oder allgemeiner den nachehelichen Unterhaltsanspruch nach dem Tode des Verpflichteten aus § 1586b BGB ausschließt. Wie in Rz. 18.51 f. dargestellt, sprechen die besseren Argumente dagegen. Daher kann auch nicht über § 1933 S. 3 BGB oder § 1586b BGB ein Eingriff des Erbverzichts in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts5 konstruiert werden.

18.195

Folgt man allerdings der Prämisse des LG Ravensburg, wird man tatsächlich nicht umhin kommen, den Erbverzicht für sittenwidrig zu erklären, wenn auch ein Unterhaltsverzicht in einem Ehevertrag sittenwidrig wäre6. Dies hätte zur Konsequenz, dass bei jedem Erbverzicht zugleich auch eine Wirk-

18.195a

1 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1084). 2 Wachter, ZErb 2004, 238 (244) will offenbar eine rechtliche Einheit als Regelfall annehmen. 3 Bengel, ZEV 2006, 192 (193, 196); Kapfer, MittBayNot 2006, 385 (387 f.); Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1085); a.A. wohl Kuchinke, FPR 2006, 125 (127), der den Unterhaltscharakter des Pflichtteils betont und eine Prüfung von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen an den zu Eheverträgen gegebenen Richtlinien andeutet. 4 LG Ravensburg v. 31.1.2008 – 2 O 338/07, ZEV 2008, 598 (599 f.) = ZErb 2008, 322 (323 f.). 5 Streng genommen ist auch der Unterhaltsanspruch gem. § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB keine Scheidungsfolge, sondern eine den Scheidungsfall fingierende Todesfolge. 6 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1092). Eine Aufspaltung des Erbverzichts in einen unterhaltsrechtlichen und einen erbrechtlichen Teil mit der Folge, dass nur die unterhaltsausschließenden bzw. -begrenzenden Wirkungen des Erbverzichts sittenwidrig und damit nichtig sind (Münch, ZEV 2008, 571 [575, 577]), ist mit dieser Auffassung unvereinbar. Sie sieht in dem Ausschluss des nachehelichen Unterhaltsanspruchs aus § 1586b BGB nach dem Tode des Verpflichteten bzw. des Unterhaltsanspruchs gem. § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB eine untrennbar mit dem Erbverzicht verbundene Folge.

Muscheler 877

§ 18 Rz. 18.196

Erbverzicht

samkeitskontrolle eines fingierten Unterhaltsverzichts vorzunehmen wäre, selbst wenn die Parteien neben dem Erbverzicht keinen Ehevertrag geschlossen haben. Entscheidend dürfte dann die Frage sein, ob und ggf. in welcher Höhe eine Abfindung auch für eine zeitliche Befristung eines eventuellen Scheidungsunterhalts auf den Tod des Unterhaltsschuldners (§ 1586b BGB ist nach dieser Ansicht abbedungen) und den Ausschluss des Anspruchs aus § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB vereinbart wurde1.

18.196 Auch der Gedanke der mit dem Pflichtteil verbundenen Versorgung naher Angehöriger rückt den Pflichtteil nicht in einen abfindungslos unentziehbaren Kernbereich des Erbrechts2. Denn dem Pflichtteil kommt keine Unterhalts- und Versorgungsfunktion zu3. Die Existenzsicherung übernehmen die familienrechtlichen Unterhaltstatbestände. Im Gegensatz zu diesen stellt der Pflichtteilsanspruch eine bedarfs- und bedürftigkeitsunabhängige, allein an der Pflichtteilsquote und dem Nachlasswert orientierte Vermögensbeteiligung dar, und zwar – im Gegensatz zum Zugewinnausgleichsanspruch, der am ehesten der ehevertraglichen Disposition zugänglich ist – auch noch unabhängig von einem Beitrag des Berechtigten an der Vermögensbildung4. Die Teilhabe an einer Vermögenssubstanz ist weitestgehend disponibel.

18.197 Nach alledem lässt sich feststellen, dass die Wirksamkeitskontrolle von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB losgelöst von den für Eheverträge hierzu aufgestellten Kriterien vorzunehmen ist. Die Vornahme der Abschluss- und Inhaltskontrolle anhand der allgemeinen Vorschriften des BGB wird regelmäßig ausreichen5. Nur in engen Ausnahmefällen wird eine Inhaltskontrolle zur Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit des Erb- oder Pflichtteilsverzichts führen. Diese Aussage findet ihre Rechtfertigung in der geminderten Schutzwürdigkeit des Erb- und Pflichtteilsberechtigten (im Gegensatz etwa zu einem auf Unterhalt angewiesenen kinderbetreuenden Ehegatten) sowie in der Möglichkeit, eine Abfindung für den Verzicht zu vereinbaren.

18.198 Die von der Rechtsprechung bei Eheverträgen auf einer zweiten Stufe anhand des § 242 BGB vorgenommene Ausübungskontrolle ist auf den abstrakten Erbverzicht als Verfügungsgeschäft mit dinglicher Wirkung aus Gründen der Rechtssicherheit nach dem Erbfall nicht möglich6. Die Erbfolge muss mit dem Tode des Erblassers endgültig feststehen, eine nachträgliche Anpassung entfällt. Dogmatisch denkbar ist eine Anpassung des Pflichtteilsverzichts7, des diesem zugrunde liegenden schuldrechtlichen Kausalgeschäfts, des Grundgeschäfts des abstrakten Erbverzichts sowie – jedoch nur vor dem Erbfall – des Erbverzichts selbst8. Allerdings stößt die Übernahme der für Eheverträge entwickelten Ausübungskontrolle am Maßstab des § 242 BGB für Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge auf Bedenken: Der BGH stellt bei Eheverträgen im Rahmen der Ausübungskontrolle im Gegensatz zur Wirksamkeitskontrolle auf den Zeitpunkt des Scheiterns der ehelichen Lebensgemeinschaft ab und vergleicht die reale Lastenverteilung zwischen den Ehegatten mit der bei Vertragsschluss geplanten Ehegestaltung9. Beim Erbverzicht wäre der Erbfall das maßgebliche Ereignis10. Eine zeitlich vorgelagerte Prü-

1 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1092). 2 A.A. wohl Wachter, ZErb 2004, 238 (243 f.). 3 Kapfer, MittBayNot 2006, 385 (388); Münch, ZEV 2008, 571 (573); Muscheler, ZEV 2005, 119 (120); Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1086 f.); a.A. Kuchinke, FPR 2006, 125 (125 f.); Wachter, ZErb 2004, 238 (239, 244); Wendt, ZNotP 2006, 2 (7 f.). 4 Münch, ZEV 2008, 571 (577). 5 Lange, ErbR 7 (2007), 397 (402). 6 Bengel, ZEV 2006, 192 (193, 195); Münch, ZEV 2008, 571 (577); Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1088). 7 Wendt, ZNotP 2006, 2 (7). 8 In praxi würde wohl wie bei der Störung der Geschäftsgrundlage (s. Rz. 18.191) eine Korrektur über die Anpassung des Kausalgeschäfts unter Aufrechterhaltung des Verfügungsgeschäfts vorgenommen. 9 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = FamRZ 2004, 601 = NJW 2004, 930 (935). 10 Wendt, ZNotP 2006, 2 (3).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 18.201 § 18

fung könnte die Lastenverteilung aber noch nicht abschließend beurteilen, da vor dem Erbfall der Umfang des Nachlasses unklar ist1. Da somit praktisch nur eine Kontrolle nach dem Erbfall möglich sein wird, ist der abstrakte Erbverzicht als Verfügungsgeschäft einer Anpassung generell entzogen. Ferner darf der Charakter des Erb- und Pflichtteilsverzichts als Risikogeschäft, so genanntes aleatorisches Geschäft, nicht außer Acht gelassen werden2. Wer bewusst und in eigenverantwortlicher Weise das Wagnis des Verzichts (mit der Gefahr, einer Teilhabe an einem später umfangreichen Vermögen verlustig zu gehen, aber auch mit der Chance, eine höhere Abfindung als den eventuellen Erb- oder Pflichtteil zu erhalten) eingeht, darf nicht berechtigterweise auf eine Abmilderung oder gar Eliminierung dieses Risikos durch eine gerichtliche Ausübungskontrolle vertrauen. Andernfalls führte man den aleatorischen Charakter des Verzichts ad absurdum. Als mögliche nicht gerichtlich angeordnete, sondern von den Parteien vereinbarte Lösung bieten sich Klauseln im Abfindungsvertrag an, die die Abfindungssumme bei wertmäßig gestiegenem Nachlass entsprechend aufstocken3. Schließlich streitet auch das berechtigte, mit dem Erb- und Pflichtteilsverzicht verbundene Interesse des Erblassers an Planungssicherheit gegen eine Adaption der ehevertraglichen Ausübungskontrolle gem. § 242 BGB auf den Erbverzicht. Zumindest sollte eine Ausübungskontrolle wie auch die Wirksamkeitskontrolle besonders restriktiv gehandhabt werden.

18.199

Der Pflichtteilsverzicht eines Empfängers von ALG II (SGB II) ist auch dann nicht sittenwidrig, wenn der Verzicht in zeitlicher Nähe zum Tod des Erblassers erklärt wurde4. Es handelt sich dabei auch nicht um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter, denn dem Sozialversicherungsträger werden durch den Verzicht keinerlei vertragliche Pflichten auferlegt.

18.200

Nicht sittenwidrig ist aber nicht nur der Pflichtteilsverzicht des Bedürftigen (der ALG II bezieht), 18.201 sondern auch der des (durch Behindertentestament bedachten) Behinderten, der Sozialhilfe nach SGB XII bezieht5. Der BGH begründet das Ergebnis wie folgt: Ein Vertrag zulasten Dritter liege nicht vor, da durch den Verzicht dem Sozialhilfeträger keine Verpflichtungen auferlegt werden. Das sozialrechtliche Subsidiaritätsprinzip sei schon vom Gesetz selber, und gerade bei Behinderten, vielfach durchbrochen, könne also keine das Erbrecht modifizierende Prägekraft entfalten. Ferner sei aus der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG (auch) eine „negative Erbfreiheit“ abzuleiten. Gerade wenn es um den Verzicht auf den Pflichtteil des erstversterbenden Elternteils gehe (der auch von den nicht behinderten Kindern erklärt werde, wie im Fall des BGH geschehen), sei der Verzicht sittlich anzuerkennen. Zudem führe das Handeln des bedürftigen Kindes nur eine Situation herbei, die in vergleichbarer Weise durch eine testamentarische Gestaltung der Eltern hätte erreicht werden können: Hätten diese sich nicht gegenseitig als Alleinerben eingesetzt, sondern dem behinderten Kind bereits beim Tod des Erstversterbenden eine Miterbenstellung eingeräumt, hätte der Sozialhilfeträger nur bei einer Ausschlagung auf den Pflichtteilsanspruch zugreifen können; der Sozialhilfeträger könne aber das Ausschlagungsrecht nicht auf sich überleiten (um dann nach § 2306 Abs. 1 BGB den Pflichtteils-

1 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1089). 2 Bengel, ZEV 2006, 192 (194 f.); Kapfer, MittBayNot 2006, 385 (387, 389 f.); Münch, ZEV 2008, 571 (577); Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1089 f.). 3 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1089); Bengel, ZEV 2006, 192 (196) spricht von „Nachbesserungsklauseln“. 4 SG Stuttgart v. 8.3.2012 – S 15 AS 925/12 ER, ZEV 2013, 99 (LS), NotBZ 2012, 398. 5 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 m. abl. Anm. Zimmer, 262 f. und krit. Anm. Leipold, 528 f. Ebenso wie der BGH schon OLG Köln v. 9.12.2009 – 2 U 46/09, ZEV 2010, 85 (87) m. Anm. Armbrüster (88) und Bengel/Spall (195) u. Replik dazu von Armbrüster (535). Vgl. ferner Dreher/Görner, NJW 2011, 1761; Röthel, LMK 2011, 317533; Kleensaug, ZErb 2011, 121; Ivo, DNotZ 2011, 387. Für Sittenwidrigkeit Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449 (459); Schuhmacher, Rechtsgeschäfte zu Lasten der Sozialhilfe im Familien- und Erbrecht, 2000, 142; Lambrecht, Der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den erbrechtlichen Erwerb, 2001, 172; Dutta, AcP 209 (2009), 793; Dutta, FamRZ 2010, 841 ff.; Klühs, ZEV 2011, 15 (17 f.).

Muscheler 879

§ 18 Rz. 18.202

Erbverzicht

anspruch auszulösen)1. Eine Parallele zu den Unterhaltverzichten zulasten des Sozialhilfeträgers, die auch er für sittenwidrig hält, sieht der BGH nicht (was angesichts der Tatsache, dass bei § 2346 BGB auf eine unsichere zukünftige Expektanz verzichtet wird, einleuchtet).

18.202 Nimmt man die Rede des BGH von der „negativen Erbfreiheit“ ernst, dürfte der BGH auch den Pflichtteilsverzicht des Bedürftigen billigen2.

18.203 Ist der Behinderte geschäftsunfähig, so kann er beim Abschluss des Pflichtteilsverzichts vertreten werden, denn § 2347 Abs. 2 BGB schreibt nur für den Erblasser persönliches Handeln vor. Freilich bedarf der an Stelle des Geschäftsunfähigen handelnde Betreuer der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Ob das Betreuungsgericht den Pflichtteilsverzicht genehmigen darf, ist problematisch. Der BGH verlangt in einer Entscheidung von 19943 sorgfältige Ermittlungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Vaters bzw. der Mutter und (wohl) auch eine einigermaßen vollwertige Abfindung. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten4.

1 Dagegen LSG Bayern v. 30.7.2015 – L 8 SO 146/15 B ER, ZEV 2016, 43 mit krit. Anm. Litzenburger. 2 Für Übertragbarkeit der BGH-Rspr. auf den nicht behinderten Bedürftigen Ivo, DNotZ 2011, 387 (389); Dreher/Gönner, NJW 2011, 1761 (1766); Kleensaug, ZErb 2011, 121 (124); Leipold, ZEV 2011, 528 (529). Zimmer, ZEV 2011, 262 (263) hält die Frage für offen. 3 BGH v. 6.10.1994 – III ZR 134/93, MDR 1995, 823 = FamRZ 1995, 151 = ZEV 1995, 27 m. Anm. Langefeld. Ebenso Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 20. 4 Nach Ivo, DNotZ 2011, 387 ff. reichen spürbare Vorteile gegenüber dem Sozialhilfeniveau für die Genehmigungsfähigkeit aus.

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Muscheler

§ 19 Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht I. Einleitung: „Patientenverfügungen“ und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19.1

II. Der rechtstatsächliche Hintergrund: Medizinische Extremsituationen und juristische Folgefragen . . . . . . . 1. Die Intensivbehandlung . . . . . . . . . . . 2. Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tod und Todeszeit . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Organtransplantation . . . . . . . . . . . .

19.5 19.6 19.9 19.15 19.18 19.21

III. Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . 1. Der einwilligungsfähige Patient . . . . . 2. Die Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der nicht einwilligungsfähige Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Genehmigung des Betreuungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die sog. Patientenverfügung . . . . . .

19.22 19.23 19.25 19.28

1. Definition, Rechtsnatur, Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorsorgeregister . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbindlichkeit: Grundsatz und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht von Betreuer und Bevollmächtigtem . 5. Fehlen eines Betreuers oder Bevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Druckausübung bei der Errichtung von Patientenverfügungen . . . . . . . . . 7. Widerruf einer Patientenverfügung . . VI. Die Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . . . 1. Gesundheitsangelegenheiten . . . . . . . 2. Sonstige persönliche Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertretung im Vermögensbereich . . .

19.34 19.39 19.40 19.44 19.47 19.48 19.50 19.53 19.53 19.58 19.59

19.30

VII. Die Betreuungsverfügung . . . . . . . .

19.60

19.33

VIII. Musterformulierungen . . . . . . . . . . .

19.62

Schrifttum (älteres Schrifttum s. 4. Aufl.): Berghäuser, Der „Laien-Suizid“ gemäß § 217 StGB – Eine kritische Betrachtung des Verbots einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, ZSTW 2016, 741; Boemke, Die Ermittlung des in der Patientenverfügung niedergelegten Patientenwillens, NJW 2017, 1706; Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Assistierter Suizid: Stand der Wissenschaft, Heidelberg 2017; Brade/Tänzer, „Der Tod auf Rezept?“, NVwZ 2017, 1435; Bonefeld/Wachter (Hrsg.), Der Fachanwalt für Erbrecht, 3. Aufl. 2014 (§§ 21, 22); Burchardi, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bei Krankenhausaufnahme?, FS Schreiber, 2003, 615; Decker, Der Abbruch intensivmedizinischer Maßnahmen in den Ländern Österreich und Deutschland, 2012; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. 2014; Diederichsen, Bemerkungen zu Tod und rechtlicher Betreuung, FS Schreiber, 2003, 635; Duttge, Einseitige („objektive“) Begrenzung ärztlicher Lebenserhaltung?, NStZ 2006, 479; Duttge (Hrsg.), Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008; Duttge, Therapiebegrenzende Entscheidungen in „Wachkoma“-Fällen aus rechtlicher Sicht, FortschrNeurolPsychiat 2011, 582; Engelmann, (Rechts-)Grundlagen und Grundfragen der palliativmedizinischen Versorgung, GesR 2010, 577; Gaidzik, Patientenverfügungen – Rechtssicherheit und Selbstbestimmung?, 2011; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013; Geckle, Patientenverfügung und Testament, 2004; Götz, Betreuer aufgepasst!, FamRZ 2017, 413; Grünewald, Zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, JZ 2016, 938; Hahne, Zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung, FamRZ 2003, 1619; Hager (Hrsg.), Die Patientenverfügung, 2006; Heun, The Right to Die, JZ 2006, 425; Höfling, Das neue Patientenverfügungsgesetz, NJW 2009, 2849; Janssens/Burchardi/Duttge et al., Therapiezieländerung und Therapiebegrenzung in der Intensivmedizin, MedR 2012, 647; Kettler/Simon/Anselm/Lipp/Duttge (Hrsg.), Selbstbestimmung am Lebensende, 2006; Kreß, Ärztlich assistierter Suizid, 2012; Kutzer, Ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung unter besonderer Berücksichtigung des neuen Patientenverfügungsgesetzes, MedR 2010, 531; Lanzrath, Patientenverfügung und Demenz – Der abgestufte Schutz von Willensäußerungen des erkrankten Patienten, MedR 2017, 102; Lindner/Huber, Widerruf der Patientenverfügung durch den einwilligungsunfähigen Patienten? Das Problem des „natürlichen Willens“, NJW 2017, 6; Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, 2000; Lipp, „Sterbehilfe“ und Patientenverfügung, FamRZ 2004, 317; Lipp, Patientenautonomie und Lebensschutz, 2005; Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, 2009; Ludyga, Entschädigung in Geld für Leben nach einem nicht erfolgten Behandlungsabbruch gegen den Willen eines Patienten am Lebensende, NZFam 2017, 595; D. Magnus, Sterbehilfe und Demenz, NZSt 2013, 1; Memmer, Das Patientenverfügungs-Gesetz 2006, (österr.) RdM 2006, 163; Müller, Der Freitod, der Arzt und das Recht, 2012; Penner/Bohmeier, Off-Label-Use in der ambulanten Palliativmedizin: Keine Wür-

Spickhoff/Mesch

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§ 19 Rz. 19.1

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

de auf Rezept?, GesR 2011, 526; Richter, Therapiebegrenzung, Therapieverzicht und Therapieabbruch, EthikMed 2010, 301; Rohrer, Menschenwürde am Lebensanfang und am Lebensende und strafrechtlicher Lebensschutz, 2012; Roxin, Die geschäftsmäßige Förderung einer Selbsttötung als Straftatbestand und der Vorschlag einer Alternative, NStZ 2016, 185; Rosenau, Aktive Sterbehilfe, FS Roxin, Band 1, 2011, 577; Ruhs, Der Behandlungsabbruch beim Apalliker, 2006; Schmidt-Recla, Karlsruhe „On Liberty“: Über die Freiheitsrechte einwilligungsunfähiger Personen, MedR 2017, 92; Schrader, Sterbehilfe: Geschichte und Recht in Europa am Beispiel von Deutschland und Frankreich, 2012; Schreiber H.-L., Patientenverfügung als Lösung des Problems der Sterbehilfe?, FS Deutsch, 2009, 493; Schumann, Dignitas – Voluntas – Vita, 2006; Schütz/ Sitte, Sterben-Dürfen an der Grenze der Verhältnismäßigkeit, NJW 2017, 2155; Seibl, Die Bestimmtheit von Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen, NJW 2016, 3277; Spickhoff, Patientenverfügungen und Patientenautonomie zwischen Rechtsdogmatik, Rechtspolitik und Rechtswirklichkeit in: Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs (Hrsg. Kingreen, Laux), 2008, 103; Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014; Spickhoff, Vorsorgeverfügungen im Internationalen Privatrecht, FS Coester-Waltjen, 2015, 825; Strätling, Gesundheitsökonomische Aspekte bei Entscheidungen am Lebensende, MedR 2012, 428; Taupitz/Weber-Hassemer, Zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen, FS Laufs, 2006, 1107; Uhlenbruck, Die endlose Geschichte der Patientenverfügung, FS Deutsch, 2009, 663; Ulsenheimer, Der Arzt im Konflikt zwischen Heilauftrag und Selbstbestimmungsrecht des Patienten – in dubio pro vita?, FS Eser, 2005, 1225; Wegner, Rechtsfragen des Wachkomas, 2006; Weidemann, Bemerkungen zur Sterbehilfe-Entscheidung des BGH vom 25.6.2010, GesR 2010, 15; Widmann, Testamentserklärungen und Bestattungsanordnungen in Bestattungsvorsorgeverträgen, FamRZ 2001, 74; Zimmermann, Die Formulierung der Vorsorgevollmacht, NJW 2014, 1573.

I. Einleitung: „Patientenverfügungen“ und Erbrecht 19.1 Beratungssituation: Der Mandant bittet – u.U. im Kontext mit einer erbrechtlichen Beratung – um Aufklärung über seine Möglichkeiten, bei schweren Erkrankungen im Vorfeld des Todes eigenverantwortlich und verbindlich die Durchführung oder Unterlassung ärztlicher Maßnahmen zu bestimmen.

19.2 Unter den sog. Patientenverfügungen verstand man bis 2009 mehrheitlich1 und zum Teil auch noch in der aktuellen Diskussion zumeist das Patiententestament, die Betreuungsverfügung und die Vorsorgevollmacht. Allerdings wurden im Schrifttum seit längerem Patiententestamente auch als Patientenverfügungen oder Patientenbriefe bezeichnet. Die Vorsorgevollmacht für den Fall des Eintritts einer altersbedingten Einwilligungsunfähigkeit wird teilweise auch als „Altersvorsorgevollmacht“ bezeichnet2; Taupitz spricht von „Gesundheitsfürsorgevollmacht“3. Mittlerweile verkürzt das Gesetz die relativ umfassende Bedeutung des Begriffs der Patientenverfügung. Ausdrücklich spricht § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB anstelle von einem Patiententestament von einer Patientenverfügung. Die entsprechenden Festlegungen betreffen allesamt nicht originär erbrechtliche Gegenstände. Zum einen handelt es sich nicht um Verfügungen im rechtstechnischen Sinne, insbesondere nicht um Verfügungen von Todes wegen. Und zum anderen sind die entsprechenden Regelungen nicht auf die Zeit nach dem Tod, sondern – von Sektion und Transplantation einmal abgesehen – allesamt gerade auf die Zeit vor dem Tode, typischerweise auf das Vorfeld des Todes bezogen. Insbesondere handelt es sich auch nicht um ein (oft im Krankenhaus zu erstellendes) Nottestament nach § 2250 BGB. Der Begriff „Patientenverfügung“ ist auch insoweit irreführend, als die darin enthaltene Willensbekundung noch nicht zu einer Zeit abgegeben worden sein muss, zu der der oder die Betroffene als Patient(in) in ärztlicher Behandlung stand. Die Patientenverfügung (besser: Patientenbrief) ist also darauf gerichtet, vor einer Erkrankung und dem Sterbeprozess den Willen des Patienten in der Weise verbindlich zum Ausdruck zu bringen, dass die entsprechenden Weisungen auch dann befolgt werden, wenn es später zu einer Ausschaltung des Bewusstseins oder zu einer durchgreifenden Bewusstseinsstörung kommt, die einer entsprechenden (wirksamen) Artikulation entgegensteht.

1 Statt aller Uhlenbruck, ZAP 1999, 233. 2 BT-Drucks. 11/4528, S. 122. 3 63. DJT (2000) A 97.

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Spickhoff/Mesch

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Rz. 19.4 § 19

Damit ist allen sog. Patientenverfügungen gemein, (1.) dass sie zeitlich mehr oder weniger lange vor 19.3 der aktuellen (Krankheits-)Situation abgegeben werden – § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB spricht von „noch nicht unmittelbar bevorstehenden“ Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen –, (2.) dass sie insoweit bedingt sind, als sie für den Fall des Eintritts einer mehr oder weniger konkret bezeichneten Krankheitssituation abgegeben werden, deren Eintritt noch unsicher ist, (3.) dass sie unter der weiteren Bedingung stehen, dass der Erklärende in der dann aktuellen (Krankheits-)Situation entscheidungsunfähig ist, und (4.) dass sie schließlich mehr oder weniger konkret formulierte, „bestimmte“ Vorgaben für die Behandlung bzw. deren Unterlassung enthalten1. Im Falle einer sog. Patientenverfügung (früher: Patiententestament) legt die betreffende Person ihren Willen schon zuvor für den Fall des Eintritts einer bestimmten Situation nieder. Bei der Betreuungsverfügung wird zunächst einmal nur die Person des Betreuers vorgeschlagen. Bei der Vorsorgevollmacht wird eine andere Person ermächtigt, das Selbstbestimmungsrecht für die erkrankte Person im Falle der eigenen Entscheidungsunfähigkeit auszuüben. Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bzw. Betreuungsverfügung können in der gleichen Erklä- 19.4 rung kombiniert werden. Dabei ist von folgendem Verhältnis auszugehen: Die Bestellung eines Betreuers ist insoweit nicht erforderlich, als der (einwilligungsfähige!) Patient hinreichend deutlich und konkret eine eigene Entscheidung getroffen hat.2 Nichtsdestotrotz wird in solchen Situationen eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen sein, für die die Patientenverfügung gerade keine verbindliche Festlegung enthält. Dies betrifft nicht zuletzt auch den ggf. noch erforderlichen Abschluss eines Behandlungsvertrages, für den Geschäftsfähigkeit erforderlich ist. Eine Betreuerbestellung wird daher grundsätzlich in solchen Situationen dennoch erfolgen müssen.3 Liegt für eine konkrete Behandlungsentscheidung eine – insbesondere in einer Patientenverfügung getroffene – bindende Willensäußerung des Patienten vor, darf diese weder durch einen Betreuer korrigiert noch von einem Gericht kontrolliert werden4. Zu beachten ist jedoch, dass bei einem Dissens zwischen behandelndem Arzt und Betreuer hinsichtlich der Anwendbarkeit der Patientenverfügung auf die konkrete Behandlungssituation das Gericht gem. § 1904 Abs. 4 BGB entscheidet. Liegt eine Patientenverfügung vor, statuiert § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB, dass der Betreuer (nur) „prüft“, ob die Festlegungen in einer Patientenverfügung die aktuelle Situation erfassen. Mag hierbei noch ein gewisser Beurteilungsspielraum bestehen, „hat“ er ihr gegebenenfalls – dann ohne Ermessensspielraum – Geltung zu verschaffen“ (§ 1901a Abs. 1 S. 2 BGB). Erst wenn die konkrete Situation von einer Patientenverfügung nicht mehr zureichend erfasst ist, kommt es auf eine eigene Entscheidung des Betreuers (und erst in diesem Rahmen auf die gewünschte Person des Betreuers) an5. Eine entsprechend konkrete und bindende Patientenverfügung geht zunächst einmal auch einer Vorsorgevollmacht vor. Diese wiederum verdrängt das insoweit subsidiäre Institut der Betreuung. Die Wirksamkeit der Vollmacht setzt freilich voraus, dass sie schriftlich erteilt ist und die betreffenden medizinischen Maßnahmen von ihr „ausdrücklich“ umfasst sind (§ 1904 Abs. 5 S. 2 BGB). Insbesondere muss klar sein, dass auch Entscheidungen umfasst sind, die die begründete Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens nach sich ziehen können.6 Nach § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB ist eine Betreuung nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen ebenso gut durch einen Bevollmächtigten, der nicht zu den in § 1897 Abs. 3 BGB genannten Personen gehört, besorgt werden kann. Diese Subsidiarität gilt allerdings nur, wenn die Tätigkeit des Bevollmächtigten keine größeren Gefahren für den Betroffenen auslöst, als dies bei Bestellung eines Betreuers der Fall wäre. Deshalb bedarf auch der Bevollmächtigte ebenso wie der Betreuer zur Einwilligung in bestimmte risikoreiche medizinische Maßnahmen grundsätzlich der Genehmigung des Betreuungsgerichts, nämlich wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder ei1 2 3 4 5 6

§ 1901a Abs. 1 S. 1; Taupitz, 63. DJT (2000) A 106. Str. vgl. MüKo.BGB/Schwab, 7. Aufl., BGB § 1901a Rz. 35 m.w.N. MüKo.BGB/Schwab, 7. Aufl., BGB § 1901a Rz. 35. Wolter/Riedel/Taupitz/Lipp, S. 75, 90 f. Taupitz, 63. DJT (2000), A 120. BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, BGHZ 211, 67 Rz. 17.

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§ 19 Rz. 19.5

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nen schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet (§ 1904 Abs. 5 BGB). Nur im Ausnahmefall einer übereinstimmenden Entscheidung zwischen Behandlungsseite (Arzt) und Betreuer/Bevollmächtigtem ist eine solche Genehmigung entbehrlich, § 1904 Abs. 4 BGB. Damit wird in der Sache dem Selbstbestimmungsrecht des Vollmachtgebers eine Grenze gesetzt. Der Grund liegt nicht zuletzt in der Gefahr des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Zudem kann ein Betreuer, wenn sein Aufgabenkreis den Widerruf einer solchen Vollmacht erfasst (so dass er auch insoweit zur Vertretung der Betroffenen berechtigt ist, § 1902 BGB), die Vollmacht wirksam widerrufen1.

II. Der rechtstatsächliche Hintergrund: Medizinische Extremsituationen und juristische Folgefragen 19.5 Das zunehmend in der Bevölkerung entstandene Bedürfnis, Patientenverfügungen zu errichten, findet seinen rechtstatsächlichen Hintergrund in medizinischen Extremsituationen, insbesondere im Bereich der Intensivbehandlung, der Sterbehilfe, der Feststellung von Tod und Todeszeit, aber auch einer späteren Sektion oder Organtransplantation. 1. Die Intensivbehandlung

19.6 Beratungssituation: Der Mandant bittet um Aufklärung in Bezug auf die rechtlichen Implikationen von Intensivbehandlung, Sterbehilfe und (juristischem) Todesbegriff.

19.7 Die Intensivbehandlung auf entsprechenden Stationen, die rund um die Uhr erfolgt, führt dazu, dass der Kranke gelegentlich maschinell am Leben erhalten wird. Diese Art der intensiven Diagnostik und Behandlung bedarf wie jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Integrität der Einwilligung, wobei im Falle bewusstloser Kranker die mutmaßliche Einwilligung ausreicht. Man wird davon ausgehen können, dass die Einwilligung hier eine generelle ist. Zu einzelnen Maßnahmen bedarf es nur noch dann einer besonderen Einwilligung, wenn sie in diesem Bereich ungewöhnlich sind. Im Allgemeinen wird im Falle eines bei Bewusstsein befindlichen Kranken nach entsprechendem Hinweis als Einwilligung ausreichen, dass er der Verlegung auf die Intensivstation nicht widerspricht2. Selbstverständlich hat der Patient aber auch die Möglichkeit, die Einwilligung in die Intensivbehandlung zu verweigern. Er kann dies in dem Moment tun, in welchem mit der Behandlung begonnen werden soll. Auch der jederzeitige Widerruf einer einmal erteilten Einwilligung in die Intensivbehandlung ist möglich. Aufgrund der unter Umständen zwischenzeitlich weggefallenen Einwilligungsfähigkeit besteht insbesondere aber auch die Möglichkeit, die Intensivbehandlung in früherer Zeit abzulehnen oder jetzt durch einen Vertreter ablehnen zu lassen. Damit ist der Bereich der Patientenverfügung bzw. der Vorsorgevollmacht betreten. Insbesondere kann erklärt werden, dass lebensverlängernde Maßnahmen, vor allem eine Intensivbehandlung in hoffnungslosem Stadium, nicht stattfinden sollen. Kliniker kürzen diese Entscheidung z.B. mit KLM (keine lebensverlängernden Maßnahmen) ab.

19.8 Aktuelle wie frühere Entscheidungen sind bindend, jedoch stellt sich eine Reihe von Folgeproblemen: Besteht zur Zeit der aktuellen Entscheidung Einwilligungsfähigkeit? Erfasst die Patientenverfügung die Situation hinreichend konkret? Unterliegt der Bevollmächtigte Schranken, insbesondere einer gerichtlichen Überprüfung? In diesen Kontext ist auch das berühmt gewordene Erlanger Baby zu stellen, bei dem es um die Schwangerschaft einer Patientin ging, die wegen eingetretenen Hirntodes oder aus anderen Gründen nicht mehr zu retten war3. Freilich sind hier eindeutige juristische Ratschläge mangels wirklich einschlägiger Judikatur kaum möglich. Vermutlich sind die Maßnahmen an der Verstorbenen zur Verlängerung der Schwangerschaft unter dem Aspekt des postmortalen Persönlichkeitsrechts nur gerechtfertigt, wenn die Frau bei Lebzeiten ihre Zustimmung, etwa in einer Patientenverfügung, erteilt 1 KG v. 3.2.2009 – 1 W 530/07, 1 W 531/07, FamRZ 2009, 908 = NJW 2009, 1425. 2 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 968. 3 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 972.

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Rz. 19.10 § 19

hat, oder sich die Schwangerschaft im letzten Stadium befand, so dass das Lebensrecht des Kindes deutlich überwiegt. Aus diesem Fall wird auch deutlich, dass in einer Patientenverfügung nicht – was meistens in den Vordergrund gestellt wird – nur der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen verfügt werden, sondern auch um die möglichst weitgehende Durchführung solcher Maßnahmen gebeten werden kann (näher dazu Rz. 19.21 f.). 2. Sterbehilfe Insbesondere der Bereich der Sterbehilfe bildet einen zentralen Regelungsbereich der sog. Patienten- 19.9 verfügungen. Nicht zuletzt die Intensivbehandlung eröffnet vielfältige Möglichkeiten inhumanen Sterbens. Bei der Sterbehilfe ist lange Zeit differenziert worden1: Aktive Sterbehilfe als ärztliches Eingreifen zur Verkürzung des Lebens ist grundsätzlich unzulässig. Passive Sterbehilfe meint den Behandlungsverzicht beim Sterbenden oder die Beendigung von Maßnahmen, die das menschliche Sterben verlängern. Mittelbare Sterbehilfe umfasst Fälle der unbeabsichtigten Nebenwirkung einer therapeutischen Maßnahme, die den Eintritt des Todes beschleunigt, etwa der Schmerzlinderung. Sterbenachhilfe bezeichnet die Beihilfe zur Selbsttötung von Menschen, die mit schweren Beeinträchtigungen leben, aber nicht unbedingt vor dem Tod stehen. Sterbebeistand nennt man die Hilfe in der letzten Lebensphase. Der BGH2 hat die bisherige Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe freilich relativiert. Ein Behandlungsabbruch soll sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob das Verhalten von medizinischem Personal (Ärzten) oder anderen Personen (wie im konkreten Falle den betreuenden Kindern) zu beurteilen ist. Im Übrigen sei Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspreche und dazu diene, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Lediglich gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen, seien einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich (§ 216 StGB). Im Zusammenhang mit der passiven Sterbehilfe hat die Patientenverfügung eine wesentliche Funktion. Die Behandlung, auch die Intensivbehandlung zur Aufrechterhaltung des Lebens, bedarf einer Einwilligung seitens des Patienten. Mithin kann der Patient durch eine negative Äußerung diese Therapie verhindern. Genau genommen ist nicht einmal eine aktive Verweigerung der Zustimmung erforderlich, soweit nicht § 1904 Abs. 2 BGB in Bezug auf Betreuer und Bevollmächtigten (§ 1904 Abs. 5 BGB) Abweichendes anzeigt. Bei Bewusstlosen wird man in der ärztlichen Praxis freilich mit einer mutmaßlichen Einwilligung weiterbehandeln. Über eine Patientenverfügung kann also eine Intensivbehandlung, die zu einem vom Patienten als menschenunwürdig empfundenen Tod führt, unterbunden werden3. Zur Frage der Bindungswirkung s. unten V (Rz. 19.34 ff.). Bei der mittelbaren Sterbehilfe und dem Sterbebeistand können die Grenzen zur aktiven Sterbehilfe verwischt werden. Das ist etwa der Fall, wenn eine Schmerzlinderung so hohe Dosen Morphium erfordert, dass eine Lebensverkürzung eintritt – eine Konsequenz, deren Notwendigkeit von Palliativmedizinern indes zunehmend bestritten wird. Die Lebensqualität (Schmerzlinderung) wird jedenfalls über die Lebensquantität (schmerzhaftes Weiterleben) gestellt. In jedem Falle darf die Lebensverkürzung nur Nebenfolge sein; anderenfalls greifen die (auch strafrechtlichen) Sanktionen in voller Schärfe4. Auch kann man an Schmerzensgeldansprüche gegen die Ärzte denken, wenn gegen den Willen des Patienten eine schmerzhafte Intensivbehandlung fortgesetzt worden ist5. Sterbenachhilfe als Beihilfe zur Selbsttötung löste nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit seit längerem nicht ohne Weiteres eine Un1 2 3 4

Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 973. BGH v. 25.6.2010 – 2 StR 454/09, FamRZ 2010, 1551 = NJW 2010, 2963. Bereits LG Ravensburg v. 3.12.1986 – 3 KLs 31/86, MDR 1987, 692 = MedR 1987, 196. S. BGH v. 15.11.1996 – 3 StR 79/96, BGHSt 42, 301 (Mord bei hoher Dosis eines Opiates; der Arzt hatte das Testament der 88-jährigen Patientin zu seinen Gunsten verfälscht). 5 Näher Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, 2010; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 986.

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§ 19 Rz. 19.11

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tersagungsverfügung nach Grundsätzen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts aus1 und ist jedenfalls nicht per se strafbar2, nach Inkrafttreten von § 217 StGB kann dies freilich nur insoweit gelten, als die Beteiligten nicht gegen diese Norm verstoßen. Werden entsprechende Wünsche der Patienten auf Sterbenachhilfe schriftlich klar fixiert, führt dies auf der Seite des unterstützenden Arztes jedenfalls zu beweisrechtlichen Vorteilen in einem eventuellen Strafverfahren.

19.11 Weitergehend hat das BVerwG in einer umstrittenen Entscheidung gemeint, dass das BfArM verpflichtet sein könne, eine Erlaubnis gem. § 3 Abs. 1 BtMG zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels zu erteilen, wenn der Patient schwer und unheilbar erkrankt ist und sich wegen seiner Erkrankung in einer extremen Notlage befindet.3 In diesem Fall sei der Ausschlusstatbestand gem. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auszulegen, dass das Recht eines schwer und unheilbar erkrankten Menschen umfasse, zu entscheiden, wann und wie sein Leben enden solle.4 Eine extreme Notlage liege vor, wenn (1) die schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden sei, die bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können, (2) der Betroffene entscheidungsfähig sei und sich frei und ernsthaft entschieden habe, sein Leben beenden zu wollen und ihm (3) eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung stehe.5 Die letzte Voraussetzung beinhaltet insbesondere einen Vorrang der Palliativmedizin, die in vielen Fällen eine zumutbare alternative Verwirklichung des Sterbewunsches bereithalten dürfte.6

19.12 Durch den neu eingefügten § 217 StGB ist die begleitete Suizidbeihilfe, die bisher im Ausgangspunkt straflos war, im Fall einer geschäftsmäßigen Förderung nun strafbar.7 Die neue Regelung ist rechtspolitisch und auch verfassungsrechtlich hoch umstritten. In der Tat sollte das Strafrecht nicht das geeignete Regelungsgebiet für das sensible Gebiet der Suizidbeihilfe sein.8 Rechtspolitisch sollte nicht pauschal, aber unter bestimmten Bedingungen eine seriös organisierte, straflose Beihilfe zum Suizid in Deutschland möglich sein, insbesondere dann, wenn sich einwilligungsfähige Patienten einen voraussehbaren, quälend langen Leidensweg oder gar die Gefahr des Erstickungstodes ersparen wollen (wie im Fall des BVerwG). In solchen Fällen ist es mit der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung auch nicht angebracht, die Suizidbeihilfe durch entsprechende Organisationen oder durch Ärzte, also durch fachlich kompetente Personen, als berufsrechtlich unerlaubt anzusehen und über das Ordnungsrecht zu untersagen, wie dies behördlicherseits (unter Billigung der Verwaltungsgerichtsbarkeit) indes früher geschehen ist.9 Die bloße Straflosigkeit der sog. mittelbaren Sterbehilfe, gegen die auch ordnungsrechtlich bislang noch nie eingeschritten worden ist, fängt nur einige der besonders drängenden Fälle auf (s. Rz. 19.9) und steht im Strafrecht ohnedies dogmatisch nicht außerhalb jeden Zweifels.

19.13 Insbesondere in der Schweiz und in den Niederlanden ist assistierter Suizid bzw. Tötung auf Verlangen straflos möglich.10 Vor dem Hintergrund der Rechtslage in Deutschland stellt sich nun verstärkt die Frage, ob der Patient im Voraus bindend anordnen kann, dass er in bestimmten Behandlungs1 VG Berlin v. 30.3.2012 – VG 9 K 63.09, MedR 2013, 58 m. Anm. Hübner; anders noch VG Gera v. 7.10.2008 – 3 K 538/08 Ge, ZfL 2009, 29; VG Karlsruhe v. 11.12.1987 – 8 K 205/87, NJW 1988, 1536. 2 OLG München v. 31.7.1987 – 1 Ws 23/87, NJW 1987, 2940. 3 BVerwG v. 2.3.2017 – 3 C 19/15, NJW 2017, 2215 (2218 f.) Rz. 28 f.; vgl. Makoski, jurisPR-MedizinR 11/2017 Anm. 4; Ambrosy, jurisPR-StrafR 21/2017 Anm. 3. 4 BVerwG v. 2.3.2017 – 3 C 19/15, NJW 2017, 2215 (2217 f.) Rz. 23 f. 5 BVerwG v. 2.3.2017 – 3 C 19/15, NJW 2017, 2215 (2219) Rz. 31. 6 Schütz/Sitte, NJW 2017, 2155 (2157); a.A. Brade/Tänzer, NVwZ 2017, 1435 (1438). 7 Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3.12.2015, BGBl. I S. 2177. 8 Berghäuser, ZStW 2016, 741 (757 ff.); Grünewald, JZ 2016, 938 (941 ff.); Roxin, NStZ 2016, 185. 9 S. VG Gera v. 7.10.2008 – 3 K 538/08 Ge, ZfL 2009, 29; überzeugender dagegen VG Berlin v. 30.3.2012 – VG 9 K 63/09, MedR 2013, 58 m. Anm. Hübner. 10 Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Assistierter Suizid: Stand der Wissenschaft, Heidelberg 2017, S. 2.

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Rz. 19.15 § 19

situationen in diese Länder verbracht wird, um die dortigen Möglichkeiten zu nutzen. Vom Wortlaut des § 1901a BGB ist eine solche Anordnung nicht erfasst, aber auch nicht prinzipiell ausgeschlossen. Eine bloße Betreuungsverfügung ist zum einen nicht bindend; nicht zweifelsfrei (aber wohl zu verneinen) ist ferner, ob eine derartige Anordnung mit dem öffentlich-rechtlichen Charakter einer Betreuung1 im Widerspruch steht. Indes könnte eine bindende Verpflichtung zur Herbeiführung der Sterbebegleitung im Ausland im Rahmen des einer Vorsorgevollmacht zugrundeliegenden Auftrags erfolgen. Problematisch ist dabei insbesondere im Zusammenhang mit sog. Sterbehilfevereinen, ob dadurch der Straftatbestand des § 217 StGB erfüllt werden kann. Der Sterbewillige ist gewiss nicht strafbar. Der Bevollmächtigte könnte – handelt er entsprechend der Anordnung – indes als Teilnehmer gem. § 9 Abs. 2 S. 2 StGB nach deutschem Recht strafbar sein, sofern nicht die Voraussetzungen des § 217 Abs. 2 StGB vorliegen. Die zivilrechtliche Verpflichtung wäre insoweit gemäß § 134 BGB unwirksam. Dies gilt auch, wenn die Vorsorgevollmacht und der zugrundeliegende Auftrag – soweit möglich – durch Rechtswahl ausländischem Recht2 unterworfen werden. Dies ist für die Vollmacht im Anwendungsbereich des Haager Übereinkommen zum internationalen Schutz Erwachsener (ESÜ) gem. Art. 15 Abs. 2 ESÜ nur begrenzt möglich. Im Übrigen gilt das Vollmachtstatut gem. Art. 8 EGBGB3. Hinsichtlich des zugrundeliegenden Auftrages kann das anzuwendende Recht gemäß der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) gewählt werden. Im Zweifel beinhalten die entsprechenden deutschen Verbotsvorschriften, namentlich des Berufs- bzw. Standesrechts, Eingriffsnormen (Art. 9 Rom I-VO). Auch können die Schranken des ordre public greifen. Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung4, die in der ärztlichen 19.14 Praxis bislang eine wesentliche Rolle spielten, obwohl es sich dabei lediglich um Richtlinien oder Empfehlungen handelt, sind vor dem Hintergrund der Neuregelung der Problematik im Betreuungsrecht in §§ 1901a, 1901b, 1904 BGB und §§ 287 Abs. 3, 298 FamFG im Jahre 2009 mittlerweile angepasst worden. Ebenso wenig wie die §§ 1901a ff. BGB selbst haben diese Anpassungen, die sich eher auf Klarstellungen i.S.d. neuen Normen im BGB beschränken, in der medizinischen Praxis zu substanziellen Umakzentuierungen geführt5. 3. Tod und Todeszeit Die Diskussionen um Sterbehilfe und Transplantation haben nicht nur die juristische Diskussion um den Todesbegriff belebt, sondern auch in der Bevölkerung ihren Widerhall gefunden. Ja sogar Befürchtungen sind geweckt worden, ermöglicht doch eine möglichst frühe Feststellung des Todes besonders effiziente Transplantationen. Sowohl in Bezug auf den Problemkreis der Sterbehilfe als auch in Bezug auf Transplantation (die durch den sog. Göttinger Transplantationsskandal6 verstärkt ins öffentliche Interesse gerückt ist) und Sektion wird der Mandant daher im Einzelfall Auskunft über den juristisch relevanten Todesbegriff erbitten. Bekanntlich ist die Rechtsentwicklung vom früheren Kriterium des Herztodes zum Hirntod geschritten7. Der Grund liegt im Wesentlichen darin, dass das Hirn das Zentrum einer jeden menschlichen Persönlichkeit ist. Abgesehen davon ist die moderne Apparatemedizin seit längerem in der Lage, den Ausfall der Herzfunktionen für eine gewisse Zeit zu ersetzen. Auch kann ein fremdes Herz implantiert werden. Zum Teil wird der Begriff des Hirntodes auch – in Anlehnung an die ältere Definition des irreversiblen Herz- und Kreislaufversagens – durch das irreversible Hirnver-

1 MüKo.BGB/Schwab, 7. Aufl., BGB § 1896 Rz. 2. 2 Vgl. dazu Spickhoff, FS Coester-Waltjen, 825, 826 f.; Lipp, Handbuch der Vorsorgevollmacht, 2009, S. 460 ff. 3 Zur Abgrenzung Spickhoff, RabelsZ 80 (2016), 481 (488 ff.). 4 DÄBl. 2011, A-346. 5 Daselbst sub VI.2. 6 Dazu BGH v. 28.6.2017 – 5 StR 20/16, NJW 2017, 3249. 7 Statt aller: H.-L. Schreiber, JZ 1983, 593 ff.

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19.15

§ 19 Rz. 19.16

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

sagen konkretisiert1. Der Todesbegriff führt insbesondere zu der Frage, ob und wann der Arzt zum Entzug maschineller Unterstützung berechtigt ist. Jedenfalls nach festgestelltem Todeseintritt kann man hiervon ausgehen.

19.16 Indes ist der Tod, zumal der Hirntod, jedenfalls medizinisch nicht zeitlich exakt zu fixieren, sondern ein Prozess. Der Hirntod kann zwar als eingetreten festgestellt, aber nicht seinem Beginn nach genau festgelegt werden. Gerade bei Fragen des Versicherungsschutzes, der Rechtsnachfolge und der Auflösung familiärer Bande ist indes die Festlegung eines solchen Zeitpunktes notwendig. Bisher hat die Rechtsprechung gleichwohl auf den Hirntod abstellen können2. Vor besondere Probleme stellt die Verwendung des Hirntodkriteriums nicht nur, wenn lebende Hirnzellen, insbesondere fetale, verpflanzt werden sollen, sondern auch beim Anencephalus, also dem Neugeborenen, bei dem neben dem Schädeldach wesentliche Teile des Gehirns fehlen oder degeneriert und bei dem die Organe (zunächst) funktionsfähig sind. Man hat solche Neugeborenen zum Teil maschinell länger in ihren organischen Funktionen fort„leben“ lassen, insbesondere zum Zwecke von Transplantationen. Indes ist man in der Lehre dazu übergegangen, auch die schlichte Funktion der Hirnrinde zur Annahme von juristischem Leben, das durch Tötung zum Erlöschen gebracht werden kann3, genügen zu lassen. Freilich hat man sich mit einer solchen Definition wieder von der eigentlichen Wurzel des Hirntodkriteriums entfernt, da die bloße Hirnrinde kaum die Persönlichkeit eines Menschen ausmacht. Viel spricht für einen differenzierenden Todesbegriff, so dass teilweise – insbesondere im Zusammenhang mit Versorgungsfragen, Versicherung, Familie und Erbschaft – wieder auf den Herz-Kreislauf-Tod abgestellt werden kann4.

19.17 In Bezug auf die Transplantation geht das Transplantationsgesetz vom 5.11.1997 (BGBl I, S. 2631) ohnedies eigene Wege. Nach dessen § 3 ist die Entnahme von Organen nur zulässig, wenn der Tod des Organspenders nach den Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Und unzulässig ist die Entnahme von Organen obendrein, wenn nicht vor der Entnahme bei dem Organspender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Zur Organtransplantation kommt es also mindestens auf den Hirntod (unter Einbeziehung des Anencephalus) an, wobei das Gesetz offen gelassen hat, ob darüber hinaus zusätzlich auch noch – wieder nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft – auf den Herz-Kreislauf-Tod oder auf andere Kriterien abzustellen ist. 4. Sektion

19.18 Beratungssituation: Der Mandant möchte über seine Möglichkeiten, nach dem Tode positiv oder negativ auf die Sektion (bzw. Obduktion, Autopsie oder Nekropsie) seines Körpers sowie auf Transplantationen von seinem Körper Einfluss zu nehmen, informiert werden.

19.19 Die Sektion (Obduktion, Autopsie, Nekropsie) ist die Leichenöffnung zur Erkennung von Krankheiten und Todesursachen, die sog. innere Leichenschau. Daneben kennt man noch die Anatomiesektion zur Ausbildung von Medizinstudenten sowie zur Forschung als Sonderform. Aufgrund dieser Zwecke ist die Sektion außerordentlich wichtig. Gleichwohl stehen ihr ernst zu nehmende Interessen gegenüber, zu denen nicht nur das Pietätsgefühl gehört. Es geht um das Dispositionsrecht über den Rückstand des Menschen und damit über das postmortale Persönlichkeitsrecht am Leichnam. Jede Sektion 1 S. § 29 AusführungsVO zum PStG idF. v. 24.3.1994, BGBl. I S. 621; zu den maßgeblichen klinischen Symptomen DÄBl. 1998, A-1861. 2 OLG Köln v. 24.2.1992 – 2 Wx 41/91, FamRZ 1992, 860 = NJW-RR 1992, 1480; OLG Frankfurt v. 11.7.1997 – 20 W 254/95, FamRZ 1998, 190 = NJW 1997, 3099. 3 Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, Vorb. § 211 Rz. 14; Isemer/Lilie, MedR 1988, 66 (68 f.). 4 S. auch Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 1 BGB Rz. 7–12; MüKo.BGB/Spickhoff, 8. Aufl. 2019, § 1 Rz. 20-24, je m.w.N.

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Rz. 19.21 § 19

stellt insoweit einen Eingriff dar, der der besonderen Rechtfertigung bedarf. Autopsien sind daher – unvermeidbar – zulässig, wenn sie kraft gesetzlicher Ermächtigung öffentlich-rechtlich angeordnet sind, wie etwa im Falle des § 87 StPO (Leichenöffnung bei Verdacht eines unnatürlichen Todes). Auch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) ermöglicht Sektionen. Nach § 25 Abs. 4 IfSG ist Ärzten von Gesundheitsämtern und deren ärztlichen Beauftragten die Untersuchung der Verstorbenen zu gestatten, wenn diese krank, krankheitsverdächtig oder sog. Ausscheider waren. Die zuständige Behörde kann dann auch die innere Leichenschau anordnen, wenn dies vom Gesundheitsamt für erforderlich gehalten wird. Zweifelhaft ist eine Entscheidung des BGH1, wonach Klinikaufnahmebedingungen einer Universitätsklinik, die eine „Sektionseinwilligung“ des Inhalts enthalten, dass bei Nicht-Widerspruch wegen wissenschaftlichen Interesses oder zur Feststellung der Todesursache die Sektion zulässig ist, nicht gegen das AGB-Recht verstoßen2. Das OLG Karlsruhe hat dieser Entscheidung offen die Gefolgschaft versagt3. In Patientenverfügungen kann diese Möglichkeit der Sektion eindeutig ausgeschlossen werden. Allerdings ist Sorge dafür zu tragen, dass das Krankenhaus hiervon rechtzeitig Kenntnis erhält. Abgesehen davon kann die Einwilligung zur Sektion vom Patienten zu Lebzeiten erklärt werden. Nach dem Tode des Patienten geht das Recht auf Zustimmung zur Obduktion auf die nahen Angehörigen über. Diese sind über das Ausmaß des Eingriffs (z.B. die spätere Nicht-Beigabe von wesentlichen der zuvor entnommenen Organe wie dem Gehirn) zureichend (wenngleich rücksichtsvoll) aufzuklären; fehlt es daran, kommen Ansprüche auf immateriellen Schadensersatz der Angehörigen (aus eigenem Recht) wegen Verletzung des Totenfürsorgerechts aus § 823 Abs. 1 BGB (Verletzung eines sonstigen Rechts) in Betracht4. Ist die Betreuung angeordnet worden, so kann der Betreuer im Rahmen seiner Kompetenz gleichfalls der Obduktion zustimmen. Endgültige Anordnungen des Verstorbenen in einer Patientenverfügung gehen dem Willen der nächsten Angehörigen sowie einer Entscheidung des Betreuers allerdings vor5. Anders als bei der Transplantation ist die Frage nach der Zulässigkeit und auch den Grenzen einer Ob- 19.20 duktion oder Sektion gesetzlich bisher nicht geregelt. Dienstanweisungen haben die vom Gesetzgeber vernachlässigte Aufgabe mehr schlecht als recht übernommen. Es ist deshalb besonders wichtig, den Mandanten insoweit vorsorglich zu beraten; entsprechende Verfügungen, die freilich erst die Zeit nach dem Tode betreffen, entfalten eine besondere praktische Relevanz. Das gilt übrigens auch, wenn es um die Rechtfertigung einer Obduktion kraft positiver Güterabwägung geht. Diese kann im überwiegenden Interesse der Wissenschaft und der Klinik liegen, etwa bei Verdacht einer opportunistischen Infektion, einer Überbehandlung, toxischer Schädigungen oder Unklarheiten bei der Behandlungsfolge bzw. beim Todeseintritt. Nur im Einzelfall kann die Notwendigkeit der inneren Leichenschau als so groß erscheinen, dass sie sogar den ausdrücklichen Widerspruch des Patienten bzw. seiner Angehörigen beiseiteschiebt. Abgesehen davon verstärkt aber – jedenfalls in der Praxis – der Widerspruch gegen die Sektion die (an sich ausreichende) Nichteinwilligung6. 5. Organtransplantation Die Organtransplantation ist im Transplantationsgesetz (TPG) geregelt7. Es gilt nur zum Zwecke der 19.21 Organtransplantation auf andere Menschen (§ 1 Abs. 2 TPG). Abgesehen von Blut und Knochenmark sowie embryonalen und fetalen Organen und Gewebe ist das TPG auf alle Arten von mensch1 2 3 4

BGH v. 31.5.1990 – IX ZR 257/89, MDR 1990, 999 = NJW 1990, 2313. Ob die Klausel überraschend war, hatte der BGH im Rahmen der Verbandsklage nicht zu prüfen. OLG Karlsruhe v. 26.7.2001 – 9 U 11/01, FamRZ 2002, 61 = NJW 2001, 2808. OLG Karlsruhe v. 26.7.2001 – 9 U 11/01, FamRZ 2002, 61 = NJW 2001, 2808 (in casu – ausnahmsweise – wegen entschuldigten Rechtsirrtums Anspruch abgelehnt). 5 Näher zur Obduktion Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, 2011, 169 ff.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 1039–1046. 6 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 1043. 7 Das TPG in der Neufassung v. 4.9.2007 (BGBl. I, S. 2206), zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.7.2013 (BGBl. I, S. 2423).

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lichen Organen, Organteilen oder Geweben anwendbar. Auch die Entnahme von nicht durchbluteten Körperteilen, etwa der Hornhaut, bedarf der Zustimmung des Spenders bzw. seiner Angehörigen. Ein Veto des Organspenders schließt die Organtransplantation aus (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 TPG). Eine Entnahme kraft vermuteter Zustimmung ist nicht zulässig. Auch dürfte eine in Klinikaufnahmebedingungen unterstellte Zustimmung nicht genügen. Beim Fehlen einer schriftlichen Einwilligung oder des schriftlichen Widerspruchs sind nächste Angehörige zu befragen, und zwar (der Reihe nach) der Ehegatte, volljährige Kinder, Eltern bzw. der Inhaber des Sorgerechts, volljährige Geschwister sowie schließlich Großeltern (§ 4 Abs. 2 TPG). Zweifelhaft ist, ob eine Organtransplantation durch Notstand auch bei fehlender Zustimmung des Spenders bzw. seiner Angehörigen gerechtfertigt werden kann1. Wenn überhaupt, dann besteht eine Pflicht zur Spende nach Notstandsgrundsätzen jedenfalls nur beim Toten. Da die Abwägung im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) eine Transplantation an sich außerordentlich häufig legitimieren würde, wird man im Prinzip eine Rechtfertigung durch Notstand nicht akzeptieren können. Das TPG beinhaltet weitgehend vorrangige Spezialregelungen und verdrängt – freilich nicht ausdrücklich – im Allgemeinen § 34 StGB. Allerdings ist das Regelungskonzept des Transplantationsrechts juristisch insgesamt in vielerlei Beziehungen angreifbar2. Wesentlich ist ungeachtet dessen der Vorrang der Entscheidung des Spenders. Die Entscheidung über die Organspende kann in den üblichen Formularen dokumentiert werden, sie kann aber auch in eine Patientenverfügung aufgenommen werden. Dabei ist es übrigens möglich, anstelle der in § 4 Abs. 2 TPG aufgeführten Personen auch eine andere Person (z.B. eine befreundete Person oder einen Lebensgefährten) zu benennen, die dann an die Stelle des nächsten Angehörigen tritt (§ 4 Abs. 3 TPG). Daraus ergibt sich, dass der Spender auch von der in § 4 Abs. 2 TPG vorgesehenen Rangfolge abweichen kann, wenn er andere Personen über eine Organentnahme entscheiden lassen will.

III. Einwilligungsfähigkeit 19.22 Beratungssituation: Der Mandant fragt, wie lange er selbst noch rechtlich verbindliche Entscheidungen über ärztliche Maßnahmen festlegen kann.

Von wesentlichem Interesse für den Mandanten wird zunächst einmal die Frage sein, ab wann eine sog. Patientenverfügung überhaupt relevant wird, oder umgekehrt, wie lange ein Patient noch rechtlich verbindlich und aktuell autonome Entscheidungen über ärztliche Maßnahmen treffen kann. 1. Der einwilligungsfähige Patient

19.23 Wenn und solange ein Patient einwilligungsfähig ist, trägt nach bereits bisher allgemeiner Ansicht die durch zureichende Aufklärung unterlegte Einwilligung medizinische Maßnahmen, welche die körperliche Integrität berühren. Davon geht auch § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB aus. Umgekehrt löst eine verweigerte Einwilligung des einwilligungsfähigen Patienten prinzipiell die Rechtswidrigkeit von ärztlichen Maßnahmen aus. Genau genommen kommt es allerdings nicht einmal auf eine Verweigerung der Einwilligung an. Vielmehr betritt der Arzt mit jeder nicht durch eine Einwilligung getragenen Maßnahme den Bereich rechtswidrigen Verhaltens. Das wird gerade auf Intensivstationen häufig missachtet; man denke etwa an das Einbringen eines Katheters ohne (wenigstens konkludente) Einwilligung eines Patienten. Wichtig ist auch, dass der Patient, solange er einwilligungsfähig ist, eine vorher gegebene Zustimmung jederzeit widerrufen und den Abbruch einer einmal eingeleiteten Behandlung verlangen kann (§ 630d Abs. 3 BGB). Hilfreich (oder gegebenenfalls auch gefährlich) ist es in der Praxis, wenn bereits vor der Maßnahme entsprechende schriftliche Erklärungen des Patienten vorliegen. Denn oft wird der Zustand der Einwilligungsfähigkeit (die vermutet wird3) von Ärzten angezweifelt. Das Per-

1 Dafür Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 1275 m.w.N., auch zur (wohl herrschenden) Gegenmeinung. 2 Vgl. BGH v. 28.6.2017 – 5 StR 20/16, NJW 2017, 3249. 3 BeckOK-BGB/Katzenmeier (Stand: 1.11.2017), § 630d Rz. 30.

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sonal wird sich dann eher an schriftliche Vorgaben als an mündliche Wünsche des Patienten halten, mögen sie nun dessen aktuellem Willen entsprechen oder gar widersprechen. Einen Anspruch auf bestimmte Behandlungen hat der Patient grundsätzlich nicht mehr, wenn es um besonders kostenintensive, nach ärztlichem Ermessen indes sinnlos erscheinende (Intensiv-)Behandlungsmaßnahmen geht. Denn zur Annahme eines Anspruchs auf Behandlung ist (von Sonderfällen wie kosmetische Maßnahmen abgesehen) eine entsprechende medizinische Indikation erforderlich1. Auch wirtschaftliche Überlegungen können in diesem Zusammenhang zur Entscheidungsfindung beitragen. Darauf, dass die Behandlungskosten durch die Krankenversicherung nicht oder nicht vollständig übernommen werden, ist der Patient hinzuweisen, wenn die Behandlungsseite dies weiß oder dafür konkret hinreichende Anhaltspunkte bestehen (§ 630c Abs. 3 BGB). Es geht nicht an, knappe finanzielle Mittel zuvörderst bei den Intensivstationen zu konzentrieren, um sie jedem vom Sterben Bedrohten und vorrangig vor allen nicht lebensbedrohlich Erkrankten zukommen zu lassen, selbst wenn die Lebensverlängerung nur von kurzer Dauer ist oder gar völlig unsicher erscheint. Immerhin wird man eine gewisse Basisversorgung (Ernährung, Reinigung, Schmerzstillung u.Ä.) als prinzipiell geschuldet anzusehen haben, so dass die Variante eines totalen Behandlungsabbruchs ausscheidet, es sei denn, der Patient wünscht dies2. Vor einem totalen Behandlungsabbruch braucht sich ein Patient also nicht zu fürchten3. Der wohlhabende Patient, der die Übernahme entsprechender Kosten privat zugesagt hat, kann dagegen auch dann in den Genuss von Behandlungsmaßnahmen kommen, wenn Krankenkassen eine entsprechende Behandlung nicht mehr übernehmen. Voraussetzung ist allerdings, dass entsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Wunsch nach möglichst weitgehender Behandlung sollte, wenn er besteht, in einer Patientenverfügung also deutlich zum Ausdruck gebracht werden.

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2. Die Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit Auch wenn ein Patient (noch) äußerungsfähig ist, können gleichwohl an seiner Einwilligungsfähigkeit 19.25 Zweifel bestehen, und zwar entweder in Bezug auf fehlende Volljährigkeit oder in Bezug auf sonstige Umstände, die der Einwilligungsfähigkeit des Erwachsenen entgegenstehen. Die eigene Grenzsituation, in der sich ein Patient befindet, führt ihn oft geradezu auch in den Grenzbereich der Einwilligungsfähigkeit. Bei Minderjährigen ist die Einwilligungsfähigkeit durch den Gesetzgeber bislang nicht geregelt. Es besteht Streit darüber, ob die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund für einen Eingriff durch Ärzte in die körperliche Integrität allein vom einwilligungsfähigen Minderjährigen4 oder zusammen mit den Sorgeberechtigten (Eltern) abzugeben ist5; zum Teil wird für ein Vetorecht des Minderjährigen bei bestimmten Eingriffen plädiert6. Sodann sind die Kriterien zur Ermittlung der Einsichtsfähigkeit nicht fixiert7. Die konkreten Umstände des Einzelfalles sind maßgeblich. Denn die Einwilligungsfähigkeit ist

1 Spickhoff, Die Eingriffsindikation im Wandel der Zeit, in Lifestyle-Medizin – von der medizinischen Indikation zum modischen Trend (Hrsg. AG Anwälte im MedR), 2012, 10. 2 Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2298). Einen Anspruch auf Anschluss an eine Beatmungsmaschine (ohne Aussicht auf Besserung) verneint LG Karlsruhe v. 30.8.1991 – 10 O 291/91, NJW 1992, 756. 3 Schmoller, ÖJZ 2000, 361 (375). Umfassend Kühl, Wirtschaftlichkeitsgebot und Vertragsarztrecht im Strafrecht, 2014. 4 Dafür z.B. OLG Karlsruhe v. 31.3.1983 – 4 U 179/81, FamRZ 1983, 742 (743); Deutsch, AcP 192 (1992), 161 (175). 5 Dafür Kohte, AcP 185 (1985), 105 (143 ff.). 6 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rz. 110. Näher und umfassend zum Ganzen Gleixner-Eberle, Die Einwilligung in die medizinische Behandlung Minderjähriger, 2014, 215 ff. 7 Hierzu etwa MüKo.BGB/Schwab, 5. Aufl. 2008, § 1904 Rz. 8.

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zeitlich und gegenständlich relativ zu bestimmen1. Der BGH2 hat im Falle eines nur relativ indizierten Eingriffs mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für die künftige Lebensgestaltung ein Vetorecht des Minderjährigen gegen die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter angenommen, wenn ausreichende Urteilsfähigkeit vorliegt. Konkret hatte die Operation zu einer Querschnittslähmung des Patienten geführt, der an Verwachsungen und Falschgelenkbildungen litt und zur Zeit der Maßnahme vierzehn Jahre alt war. Im Übrigen ist der BGH nicht näher und jedenfalls nicht grundsätzlich auf die Diskussion über die Frage eingegangen, ob es zwischen eindeutiger Einwilligungsunfähigkeit und Geschäftsfähigkeit einen Graubereich gibt, in dem gegebenenfalls die Zustimmung von Patienten und gesetzlichen Vertretern erforderlich ist. Übrigens soll der Arzt im Allgemeinen darauf vertrauen können, dass die Aufklärung und Einwilligung der Eltern genügt. Dahinter steht offenbar die Prämisse, dass die (aufgeklärten) Eltern ihre (an sich selbst urteilsfähigen) Kinder über das Aufklärungsgespräch zureichend informieren. Das dahinter stehende „Stille-Post-Prinzip“ erscheint zweifelhaft. Jedenfalls wird man die Entscheidung nicht dahin missverstehen dürfen, dass die Einwilligungsfähigkeit überhaupt erst mit dem Eintritt der Volljährigkeit einsetzen kann. M.E. kommt es im Falle feststehender Einwilligungsfähigkeit auf eine zusätzliche Zustimmung der Sorgeberechtigten nicht an, was aber nicht dazu führen sollte, dass die Eltern aus dem Entscheidungsprozess des Minderjährigen möglichst weitgehend ausgeschaltet werden3. § 630d Abs. 2 BGB erklärt die Aufklärung, genauer: „Erläuterung“ des Eingriffs gegenüber einem verständigen Einwilligungsunfähigen gem. § 630e Abs. 5 BGB zwar nicht zur Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung. Ob indes der einwilligungsfähige Minderjährige allein entscheiden kann oder ob (und gegebenenfalls wann) er nur ein „Vetorecht“ hat, bleibt (leider) nach wie vor unbeantwortet. Das Problem der Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen kann im Übrigen über Patientenverfügungen nicht privatautonom beeinflusst werden und bedarf deshalb an dieser Stelle keiner weiteren Vertiefung. Denn für eine gem. § 1901a Abs. 1 BGB verbindliche Patientenverfügung ist die Volljährigkeit des Patienten zur Zeit der Errichtung der Erklärung erforderlich.

19.27 Im Bereich der Volljährigen ist im Ausgangspunkt anerkannt, dass ein einwilligungsfähiger Betreuter allein einwilligen kann4. Streitig (aber richtigerweise im Zweifel zu bejahen) ist, ob die Einwilligung des Betreuten ausreicht, wenn seine Einwilligungsfähigkeit nicht feststeht5. Ebenso zweifelhaft (und wiederum zu bejahen) ist, ob die Einwilligung des konkret einwilligungsfähigen Betreuten genügt, wenn die Betreuung gerade für den gesundheitlichen Bereich (im Ganzen oder für eine einzelne Behandlungsmaßnahme) angeordnet wurde6. Für die Maßgeblichkeit der Einwilligung des Betreuten spricht der Wortlaut des § 630d Abs. 1 S. 2 BGB. Eine Willenserklärung des Betreuers ist – jedenfalls beim Geschäftsunfähigen – jedoch notwendig, um den Behandlungsvertrag abzuschließen. Schließlich ist die Möglichkeit der gerichtlichen Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zugunsten des Betreuers entsprechend § 1903 BGB umstritten, welcher (nicht konsequent) zur Folge hätte, dass kumulativ die Zustimmung von konkret einwilligungsfähigem Betreutem und Betreuer erforderlich wäre7. Aufgrund der tendenziell geringeren persönlichen Nähebeziehung des Betreuers zum Betreuten im Vergleich zur Eltern-Kind-Beziehung sollte es bei feststehender Einwilligungsfähigkeit in jedem Fall allein auf die verweigerte oder gegebene Einwilligung des Patienten ankommen. Anderenfalls würde die abgeschaffte Entmündigung durch die Hintertüre partiell wieder eingeführt. Die Einwilligungsfähigkeit

1 Prinz von Sachsen Gessaphe, S. 333 ff., insbesondere 343 ff. (umfassend, auch zum Diskussionsstand). 2 BGH v. 10.10.2006 – VI 74/05, VersR 2007, 66 = MDR 2007, 401 = FamRZ 2007, 130. S. auch Golbs, Das Vetorecht eines einwilligungsunfähigen Patienten, 2006. 3 Näher Spickhoff, FamRZ 2018, 412 (418 ff.); für eine regelmäßige Beteiligung des gesetzlichen Vertreters bis zur Mündigkeit des Betroffenen Pawlowski, FS Hagen, S. 5 (13 ff., 19); Lipp, S. 33 f. 4 BT-Drucks. 11/4520, S. 141; LG Kassel v. 5.1.1996 – 3 T 859/95, 3 T 860/95, FamRZ 1996, 1501. 5 Dazu Staudinger/Bienwald, Neubearb. 2017, § 1904 Rz. 21. 6 Für Vorrang der Betreuerentscheidung Staudinger/Bienwald, Neubearb. 2017, § 1904 Rz. 22; für ausschließliche Relevanz der Entscheidung des einwilligungsfähigen Betreuten MüKo.BGB/Schwab, 7. Aufl., § 1904 Rz. 10, 21 m.w.N. 7 Dafür Kuhlmann, Einwilligung in die Heilbehandlung alter Menschen, 1996, 188; dagegen MüKo.BGB/ Schwab, 7. Aufl., § 1904 Rz. 21.

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ist wie stets auf die konkrete Situation bezogen festzustellen. Gerade bei Schwerkranken am Ende des Lebens gilt es, besonders darauf zu achten, ihr Selbstbestimmungsrecht nicht zu beschneiden. Daher sollte auch § 1903 BGB in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung nicht analog angewandt werden1. 3. Der nicht einwilligungsfähige Patient Ist der Betreute nicht (mehr) einwilligungs-, aber noch äußerungsfähig, so sind die Wünsche bzw. 19.28 der mutmaßliche Wille des Betroffenen maßgeblich. Dem dient die (nicht zur Wirksamkeit der Einwilligung erforderliche, § 630d Abs. 2 BGB) Information solcher Einwilligungsunfähiger gem. § 630e Abs. 5 BGB. Den Wünschen des Betreuten hat man prinzipiell zu entsprechen (§ 1901 Abs. 2 BGB), wenn diese nicht ohnehin verbindlich sind (§ 1901a Abs. 1 BGB). Sowohl bei der Auswahl des Betreuers als auch bei der Ermittlung der Wünsche des Betreuten sind Äußerungen in einer (unwirksamen bzw. nicht die konkrete Behandlungssituation betreffenden) Patientenverfügung von wesentlicher Bedeutung. Ist der Betreute nicht mehr äußerungsfähig, ist objektiv abzuwägen, wiederum gegebenenfalls unter Rückgriff auf die in früherem Zustand geäußerten Wünsche. Äußert der Betreute aktuelle Wünsche, die seinem „objektiven“ Wohl und der Einschätzung des Betreuers zuwiderlaufen, so ist die Versagung der Einwilligung des Betreuten gleichwohl maßgeblich. Das sollte – außerhalb der Fälle von Zwangsbehandlungen gem. § 1906a BGB – in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB allerdings nur gelten, wenn und soweit nicht die Gefahr besteht, dass der Betreute ohne die medizinische Maßnahme stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet2. Etwas anderes ließe sich mit den grundrechtlichen Schutzpflichten, die den Staat treffen, nur schwer vereinbaren. Geht es nicht um die Versagung der Einwilligung in eine medizinische Behandlung, sondern wünscht der (nicht einwilligungsfähige) Betreute eine medizinisch gebotene (Weiter-)Behandlung, so überwindet dieser Wunsch – der zumindest typischerweise nicht auf eine Selbstschädigung gerichtet ist – eine entsprechende Ablehnung des Betreuers3. Grenzen einer ärztlichen Behandlung ergeben sich hier lediglich aus der medizinischen Indikation. Insbesondere kommt es auf keinen Fall darauf an, ob durch medizinische Maßnahmen, die dem Wunsch des Betreuten entsprechen, dessen Vermögen geschmälert wird. Mögliche Interessen späterer Erben treten allemal hinter die Autonomie des Betreuten zurück4. Davon zu trennen ist die Frage nach der Verteilung knapper medizinischer Ressourcen. Besteht für den Betreuten Todesgefahr oder die Gefahr für erhebliche gesundheitliche Schäden und widerspricht er gleichwohl den erforderlichen ärztlichen Maßnahmen, so muss die objektive Interessenabwägung für die Lebensverlängerung sprechen. Im Falle von „Patt-Situationen“ bei der Abwägung setzt sich der Wille des Patienten durch. Problematisch ist, wie im Falle von Zwangsbehandlungen zu verfahren ist. Dabei ist unter den Begriff der Zwangsbehandlung, im BGB mittlerweile in § 1906a BGB geregelt5, jede medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen des Patienten zu verstehen6. Was im Einzelnen den „natürlichen Willen“ kennzeichnet, ist leider alles andere als endgültig geklärt7. Fraglich ist zudem, ob die mit natürlichem Willen erklärte Ablehnung einer Maßnahme eine Patientenverfügung oder Behandlungsvereinbarung außer Kraft setzen kann. Das widerspräche dem Sinn solcher autonomen Festlegungen der Patienten. Allerdings ist es der Patient selbst, der von seinen früheren Festlegungen abweichen will.

1 2 3 4 5 6 7

Taupitz, 63. DJT (2000) A 63. Lipp, S. 166; Lipp, DRiZ 2000, 231 (236). Lipp, S. 167. Lipp, S. 167. Dazu näher Spickhoff, FamRZ 2017, 1633. Im Anschluss an BVerfG v. 3.2.2011 – 2 BvR 882/09, BVerfGE 129, 282 = FamRZ 2011, 1128. Mit Grund krit. Beckmann, JZ 2013, 604; Koller, FPPK 2014, DOI 10.1007/s11757-014-0273-4 (online).

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§ 19 Rz. 19.30

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Mit dem BGH ist daher von einer grundsätzlichen Beachtlichkeit des natürlichen Willens auszugehen1. Ungeachtet dessen ist es aber gewiss empfehlenswert, in eine Patientenverfügung (bzw. Behandlungsvereinbarung) ausdrücklich den Fall aufzunehmen, dass die Behandlung selbst dann stattfinden soll, wenn der medizinisch gebotenen Behandlung später womöglich ein natürlicher Wille des dann Einwilligungsunfähigen entgegensteht2. Im Rahmen von § 1906a BGB ist selbst dann – verfassungsrechtlich angreifbar3 – die Bitte um ambulante Zwangsbehandlung nicht umsetzbar; die Norm ermöglicht in denkbar engster Umsetzung einer Entscheidung des BVerfG4 allein stationäre Zwangsbehandlungen, die durch Patientenverfügungen oder sonstige Willensbekundungen gemäß § 1901a BGB er- oder verbeten werden können (§ 1906a Abs. 1 Nr. 7 BGB).

IV. Genehmigung des Betreuungsgerichts 19.30 Der Gesetzgeber ist in § 1904 BGB im Prinzip der seit 2003 eingeschlagenen Linie des Familiensenats des BGH5 gefolgt. Nach § 1904 Abs. 2 BGB bedarf auch die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Heileingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Grundsatz ist also im Falle des Abbruchs lebensverlängernder Maßnahmen die Genehmigung des Betreuungsgerichts. Dieser Grundsatz und die gebotene Vorsicht bei solcherart irreversiblen Entscheidungen werden dadurch verfahrensrechtlich noch einmal unterstrichen, dass nach § 287 Abs. 3 FamFG ein entsprechender Beschluss erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam wird.

19.31 Nach § 1904 Abs. 4 BGB ist in Anlehnung an die bereits erwähnte Linie des Familiensenats des BGH nun normiert, dass (ausnahmsweise) eine Genehmigung durch das Betreuungsgericht nicht erforderlich ist, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht. Damit entfällt das Erfordernis der Genehmigung durch das Betreuungsgericht nicht nur im Falle des Abbruchs lebensverlängernder Maßnahmen, sondern auch – über die bisherige Rechtsprechung des BGH hinausgehend – im Falle positiver, lebensverlängernder medizinischer Maßnahmen. Das erscheint als konsequente Verlängerung der bisherigen Linie. Voraussetzung für den Wegfall der Genehmigungspflicht ist, dass der Wille des Patienten nach § 1901a BGB festgestellt worden ist. Diese Feststellung kann auch ein Bevollmächtigter treffen (§ 1901a Abs. 5 BGB). Festzustellen ist in jedem Falle, ob Festlegungen in einer Patientenverfügung auf die aktuelle Lebensund Behandlungssituation „zutreffen“. Fehlt es an einer entsprechenden Patientenverfügung, sind ggf. aktuelle Behandlungswünsche bzw. ist der mutmaßliche Wille des Betroffenen festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Als prozedurale Voraussetzung für die Feststellung des Patientenwillens (mit oder ohne Patientenverfügung) sind obendrein die nach § 1901b BGB notwendigen Gespräche zur Feststellung des Patientenwillens zu führen bzw. die entsprechenden Gelegenheiten zur Äußerung durch nahe Angehörige oder sonstige Vertrauenspersonen sicherzustellen. Trotz eines Einvernehmens gem. § 1904 Abs. 4 BGB kann das Betreuungsgericht angerufen werden. Es erteilt dann ei-

1 BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 3297 (3300) Rz. 35; Lindner/Huber, NJW 2017, 6 (8). S.u. Rz. 19.41. 2 Koller, FPPK 2014, 279; Schmidt-Recla, MedR 2017, 92 (95); für eine gesetzlich verpflichtende Regelung diesbzgl. Lindner/Huber, NJW 2017, 6 (10). 3 Spickhoff, FamRZ 2017, 1633. 4 BVerfG v. 26.7.2016 – 1 BvL 8/15, NJW 2017, 53. 5 BGH v. 17.3.2003 – XII ZB 2/03, MDR 2003, 691 = FamRZ 2003, 748 = JZ 2003, 732 m. krit. Anm. Spickhoff; ebenso BGH v. 8.6.2005 – XII ZR 177/03, MDR 2005, 1413 = FamRZ 2005, 1474.

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nen sog. Negativattest, dass die Genehmigung des Betreuungsgerichts nicht erforderlich ist.1 Dies gilt auch, wenn eine verbindliche Patientenverfügung vorliegt.2 Als durchaus problematisch kann sich der vom Gesetzgeber offensichtlich unreflektiert verwendete 19.32 Singular „der“ behandelnde Arzt (vgl. § 1901b Abs. 1, ähnlich § 1904 Abs. 4 BGB) erweisen. Auch im Bereich der Medizin wird längst arbeitsteilig zusammengewirkt. An der Behandlung eines Patienten sind oft, in vielen Bereichen geradezu typischer- bzw. notwendigerweise, Ärzte verschiedener Disziplinen, jeder zuständig für seinen Aufgabenbereich, beteiligt (sog. horizontale Arbeitsteilung).3 Innerhalb einer Fächerdisziplin lässt sich zwar im Allgemeinen die Entscheidungszuständigkeit vom Facharzt über den Oberarzt bis hin zum Chefarzt recht einfach verfolgen. Wenn unterschiedliche Disziplinen beteiligt sind, ist offensichtlich, dass keineswegs nur „ein“ Arzt „behandelt“. Es kann dann nicht darauf ankommen, welcher Arzt in welcher Stunde für welchen Patienten gerade „zuständig“ ist. Deutlich geworden ist die Problematik einer Anbindung an die Entscheidung „des“ behandelnden („zuständigen“) Arztes in einer Reihe von Entscheidungen, in denen es um den Abbruch lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen bei einem vier Jahre alten Kind ging, das nach einem missglückten diagnostischen Eingriff im apallischen Syndrom an schweren Spastiken litt. Zur Behandlung der Spastiken wurde die operative Einführung einer sog. Spastik-Pumpe vorgeschlagen. Die Eltern und die behandelnden Kinderchirurgen wollten nicht nur den Eingriff unterlassen, sondern die lebenserhaltende Ernährung beenden. Die zuständigen Ärzte auf der Rehabilitations-Abteilung des Krankenhauses sprachen sich für eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung aus. Das Jugendamt, offensichtlich alarmiert durch Ärzte der Rehabilitationsklinik, setzte beim Amtsgericht durch, dass den Eltern einstweilen das Sorgerecht im Hinblick auf die betreffenden medizinischen Maßnahmen bzw. deren Unterlassung entzogen wurde. Das OLG Hamm schlug sich auf die Seite der Eltern. Angesichts des Streits der Ärzte untereinander bestand das BVerfG zunächst auf der Weiterernährung; die Entscheidung wurde allerdings durch den Tod des Kindes überholt.4 Insgesamt wird man in Fällen der Arbeitsteilung in der Medizin von einer mehrfachen Zuständigkeit der verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen auszugehen haben. Es gibt unter Umständen eben mehrere behandelnde Ärzte. Das Einvernehmen nach § 1904 Abs. 4 BGB ist dann zwischen allen behandelnden Ärzten und dem Betreuer herzustellen. Anderenfalls ist der (ohnedies eng auszulegende) Ausnahmetatbestand des § 1904 Abs. 4 BGB mit der Rechtsfolge der Entbehrlichkeit einer Genehmigung durch das Betreuungsgericht nicht erfüllt.5 Nicht nur auf Seiten der Behandlungsseite, sondern auch auf der Betreuerseite können mehrere Personen involviert sein. Eine Genehmigung gem. § 1904 Abs. 4 BGB kann nur entfallen, wenn zwischen allen Betreuern6 und allen behandelnden Ärzten Einvernehmen hinsichtlich des festgestellten Willens des Patienten besteht.7

V. Die sog. Patientenverfügung Beratungssituation: Der Mandant bittet um Information und Hilfe bei der – soweit wie möglich rechtsverbindlichen – Festlegung und Durchsetzung seines Willens in Bezug auf medizinische Maßnahmen.

1 BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 3297 (3301) Rz. 38; BGH v. 17.9.2014 – XII ZB 202/13, NJW 2014, 3572 (3575) Rz. 20. 2 BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 604/15, NJW 2017, 1737 (1739) Rz. 26. 3 Näher dazu etwa Soergel/Spickhoff, 12. Aufl. 2005, § 823 Anh. I, Rz. 73–76 m.w.N. 4 BVerfG v. 6.6.2007 – 1 BvQ 18/07, FamRZ 2007, 2046 mit Anm. Spickhoff; zuvor OLG Hamm v. 24.5.2007 – 1 UF 78/07, MDR 2008, 31 = NJW 2007, 2704 = FamRZ 2007, 2098; zum tragischen Sachverhalt s. auch den Bericht in Spiegel 2007, Heft 42, 44 ff. 5 Ebenso MüKo.BGB/Schwab, § 1904 Rz. 64. 6 BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 604/15, NJW 2017, 1737 (1739) Rz. 30; Spickhoff, MedR 2017, 802 (807). 7 Vgl. auch Boemke, NJW 2017, 1706 (1708).

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19.33

§ 19 Rz. 19.34

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

1. Definition, Rechtsnatur, Voraussetzungen

19.34 § 1901a Abs. 1 BGB definiert eine Patientenverfügung, welche die daran gebundenen Rechtsfolgen auslöst, folgendermaßen: Ein einwilligungsfähiger Volljähriger muss für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt haben, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Rz. 19.1 ff.). Betreuer sollen die von ihnen Betreuten „in geeigneten Fällen“ (wozu Kommunikationsfähigkeit zu verlangen ist) auf die Möglichkeiten der Errichtung von Patientenverfügungen hinweisen und sie ggf. dabei unterstützen, etwa durch Formulierungshilfe oder Einschaltung juristisch und/oder medizinisch versierten Rates (§ 1901a Abs. 4 BGB). Von der Rechtsnatur her wird man sog. Patientenverfügungen nicht als Willenserklärungen im rechtstechnischen Sinne verstehen dürfen. Es handelt sich genau genommen um eine Sonderform der Einwilligung; diese teilt deshalb (mit den gesetzlich hinzu gekommenen Besonderheiten) deren Rechtsnatur.1 Das zeigt sich schon daran, dass das Gesetz nicht auf die Geschäftsfähigkeit, sondern auf die Einwilligungsfähigkeit abstellt, wobei freilich zusätzlich die Volljährigkeit verlangt wird. Aus Gründen der Rechtssicherheit geht es weiterhin ebenso wie im Bereich der Einwilligung im Medizinrecht gewiss nicht an, mit rückwirkender Kraft (§ 142 Abs. 1 BGB) wegen Inhalts-, Erklärungs- oder Eigenschaftsirrtums anzufechten, etwa im Nachhinein durch einen Erben. Auch ist die Erklärung höchstpersönlich abzugeben; eine Vertretung gem. §§ 164 ff. BGB bei der Erstellung einer sog. Patientenverfügung ist aufgrund deren höchstpersönlichen Charakters2 nicht zulässig.

19.35 Die Einwilligungsfähigkeit lässt mit Grund sodann die konkrete Einsichtsfähigkeit in die betreffende Maßnahme genügen3, während nach herrschender Ansicht das Gegenstück im Bereich der Geschäftsfähigkeit in Form der sog. relativen Geschäftsfähigkeit nicht anzuerkennen sein soll.4 Abweichend von sonstigen Einwilligungen scheint es so, dass der Patientenverfügung – rechtspolitisch nicht unzweifelhaft – keine ärztliche Aufklärung als Wirksamkeitsvoraussetzung vorauszugehen hat (vgl. § 630d Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB), soweit invasive Maßnahmen abgelehnt werden. Nichtsdestotrotz ist eine ärztliche Beratung und Aufklärung vor dem Verfassen einer Patientenverfügung, auch wenn medizinisch indizierte Maßnahmen („nur“) abgelehnt werden, anzuraten.5 Eine Patientenverfügung, die eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme enthält, soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers indes nur mit vorangegangener ärztlicher Aufklärung oder bei erklärtem Aufklärungsverzicht wirksam sein; anderenfalls sei die Patientenverfügung nur als Indiz für den mutmaßlichen Willen zu verstehen (§ 630d Abs. 1 S. 4 BGB i.V.m. § 1901a Abs. 2 BGB)6. Demgemäß ist zwischen der Vornahme eines Eingriffs in die körperliche Integrität und der bloßen Unterlassung aufgrund einer Ablehnung solcher Maßnahmen zu unterscheiden; (nur) letztere kann unabhängig von einer ärztlichen Aufklärung in Patientenverfügungen wirksam angeordnet werden7.

1 S. bereits Deutsch/Spickhoff Medizinrecht, Rz. 1008–1011; Lipp Handbuch der Vorsorgeverfügungen § 17 Rz. 123; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rz. 108; vgl. auch Taupitz, 63. DJT 2000, I A 107; anders Diederichsen, FS f. Schreiber, 2003, 635, 646 ff., der die Patientenverfügung als Willenserklärung ansieht; in diese Richtung tendiert anscheinend auch der Familiensenat des BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 604/15, BGHZ 214, 62-78 = FamRZ 2017, 748 Rz. 18; BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 107/18 Rz. 20, 33, offengelassen allerdings in Rz. 27. 2 Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, 339 mit Fn. 129. 3 BGH v. 5.12.1958 – VI ZR 266/57, BGHZ 29, 33, 36; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rz. 109a. 4 BGH v. 13.5.1959 – V ZR 151/58, BGHZ 30, 112; BGH v. 14.7.1953 – V ZR 97/52, NJW 1953, 1342; BGH v. 19.6.1970 – IV ZR 83/69, NJW 1970, 1680; Czeguhn, Geschäftsfähigkeit, beschränkte Geschäftsfähigkeit, Geschäftsunfähigkeit, 2003, Rz. 28 a.E.; Staudinger/Knothe, Bearbeitung 2004, § 104 Rz. 15; krit. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345 (380 ff.) m.w.N. 5 Mesch, LMK 2016, 381606. 6 BT-Drucks. 17/10488, S. 23. 7 Spickhoff, VersR 2013, 276 (275); Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, § 630d BGB Rz. 10.

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Spickhoff/Mesch

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Rz. 19.38 § 19

Da das Gesetz für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung ausweislich seines Wortlauts neben 19.36 der Einwilligungsfähigkeit auch Volljährigkeit voraussetzt, stellt sich die Frage, was im Falle von Patientenverfügungen einwilligungsfähiger Minderjähriger gilt: Die Einwilligung als Ausübung der Patientenautonomie hat bekanntlich unmittelbaren Verfassungsbezug (Art. 1, 2 Abs. 1 GG)1. Ist ein Minderjähriger entsprechend grundrechtsmündig, ist es daher verfassungsrechtlich durchaus nicht unbedenklich, wenn § 1901a Abs. 1 BGB den Eindruck erweckt, einem einwilligungsfähigen Minderjährigen, der Chancen und Risiken des konkreten potentiellen Eingriffs intellektuell erfassen und voluntativ bewerten kann, stünde eine Selbstbestimmung durch Patientenverfügung nicht zu. Allerdings hat auch der Haftungssenat des BGH2 minderjährigen Einwilligungsfähigen gegenüber medizinischen Maßnahmen nur ein Vetorecht zugesprochen; positive medizinische Maßnahmen stehen also zusätzlich unter dem Vorbehalt der Einwilligung durch die Sorgeberechtigten. Diese Haltung ist zweifelhaft. Im nicht behebbaren Konfliktfall der Entscheidung von Sorgeberechtigten einerseits und einwilligungsfähigen Minderjährigen andererseits – man denke an 16 – oder 17-Jährige – sollte sich die Entscheidung des Patienten durchsetzen.3 Im Bereich der Versagung einer Einwilligung, also der Ausübung eines Vetorechts, auch in Form einer sog. Patientenverfügung, liegt es schon nach der Rechtsprechung des Haftungssenats des BGH nicht anders. Trifft die Festlegung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, gibt also die Entscheidung des Minderjährigen den Ausschlag, wobei dieses Ergebnis im Rahmen von § 1901a Abs. 2 BGB erzielt werden kann, weil keine (wirksame) Patientenverfügung i.S.v. § 1901a Abs. 1 BGB vorliegt. § 630d Abs. 2 BGB verlangt eine „Erläuterung“ des Eingriffs gegenüber einem verständigen Einwilligungsunfähigen, doch ist diese nach § 630e Abs. 5 BGB keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung. Ob der einwilligungsfähige Minderjährige allein entscheiden kann oder ob (und gegebenenfalls wann) er nur ein „Vetorecht“ hat, ist nach wie vor nicht vom Gesetzgeber entschieden. Einer Patientenverfügung ist kein „Verfallsdatum“ eigen, wenn auch eine Aktualisierung gewiss sinn- 19.37 voll wäre.4 Ebenso wenig ist – von § 630d Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB abgesehen – eine vorherige ärztliche Aufklärung erforderlich. Ist die Schriftform nicht eingehalten, geht das Gesetz offensichtlich davon aus, dass die – dann immer noch vorliegende – einfache Einwilligung in medizinische Maßnahmen nicht als Patientenverfügung i.S.v. § 1901a Abs. 1 BGB anzusehen ist. Es hat dann mit den tradierten Grundsätzen der Einwilligung und Aufklärung im Arztrecht sein Bewenden. Patientenverfügungen sollen eben nur solche Situationen erfassen, in denen bestimmte Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe noch nicht „unmittelbar bevorstehen“. Was dies bedeutet, lässt sich wiederum kaum mit der erwünschten Rechtssicherheit definieren. Einer Regelung durch Patientenverfügungen zugänglich sind sicherlich schwerwiegende Erkrankungen (z.B. Demenzerkrankungen), die einen voraussehbaren Verlauf nehmen, welcher den Zustand der Einwilligungsunfähigkeit einschließt. Erfasst sind gewiss auch solche Schriftstücke, in welchen mehr oder weniger pauschal mehr oder weniger bestimmte Behandlungen abgelehnt oder akzeptiert werden, ebenso entsprechende Festlegungen durch Zeugen Jehovas, soweit diese nicht unmittelbar vor dem Eingriff erfolgen. Stets ist jedoch zusätzlich zu prüfen, ob die Festlegungen wirklich auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zugeschnitten sind. Zur hinreichenden Bestimmtheit des Inhalts siehe Rz. 19.40. Nach dem Zweck der Regelung wird man Einwilligungen in medizinische Maßnahmen, die anlässlich konkreter Eingriffe erteilt worden sind, ärztlicherseits wie bisher in jedem Falle als ausreichend und verbindlich ansehen können, selbst wenn die Einwilligung einige Zeit oder kurz vor dem Eintritt der Bewusstlosigkeit durch Betäubung erteilt wurde. Sollte ein Patient wider Erwarten aus einer Vollnarkose nicht wach werden, sondern etwa ins apallische Syndrom verfallen, wäre für diese Situation demgegenüber der Anwendungsbereich einer Patientenverfügung eröffnet. Zur Befolgung ganz konkreter Einwilligungen, die gerade im Bereich von Eingriffen mit Vollnarkose stets auch eine Phase 1 2 3 4

Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 407. BGH v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05, MDR 2007, 401 = FamRZ 2007, 130 = VersR 2007, 66. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345 (389 f.). BT-Drucks. 16/13314, S. 20.

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19.38

§ 19 Rz. 19.39

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

der vorübergehenden Einwilligungsunfähigkeit umfassen, bedarf es also keiner Einschaltung eines Betreuers bzw. eines Vorsorgebevollmächtigten.1 2. Vorsorgeregister

19.39 Bei der Bundesnotarkammer besteht ein sog. zentrales Vorsorgeregister. Es ist hervorzuheben, dass dadurch nicht nur – was meist in den Vordergrund gestellt wird – eine Vollmacht, auch zur Erledigung von Angelegenheiten der Gesundheitssorge, datenmäßig erfasst und eingetragen werden kann (§ 1 Abs. 1 Nr. 5b VRegV), sondern dass die Urkunde gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 VRegV auch „besondere Anordnungen oder Wünsche … c) hinsichtlich Art und Umfang medizinischer Versorgung“ enthalten kann. Damit kann (auch) der Bereich der Patientenverfügung i.S.d. § 1901a BGB betreten werden. Das Register soll die einfache Feststellbarkeit von Patientenverfügungen per Internet ermöglichen2. Die Gebührenordnung, deren Rechtsgrundlage3 der eigentlichen Vorsorgeregisterverordnung bezeichnenderweise drei Wochen vorauseilte, sieht für die Eintragung zwar relativ geringfügige Beträge (von unter 20 Euro) vor. Doch können Notarkosten hinzukommen, deren Höhe schon Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen war4 und die bei der im Vordergrund stehenden Beurkundung einer Vorsorgevollmacht vom Gegenstandswert abhängen, wenn es (wie meist) auch um die Bevollmächtigung in Vermögensangelegenheiten geht. Zwar ist es möglich, etwa eine abändernde handschriftliche Patientenverfügung zu erstellen. Doch bleibt insoweit die Gefahr des fehlenden Auffindens bei Bedarf, so dass doch auf die registrierte (wenngleich ggf. unerkannt überholte) Verfügung zurückgegriffen wird. Unter dem Aspekt der Versteinerungsgefahr drängt sich daher besonders die Frage nach der Möglichkeit einer späteren Änderung bzw. Löschung auf. Sie kann (unter Angabe der bei der Eintragung mitgeteilten Registernummer und der Buchungsnummer) auf postalischem Weg oder über den institutionellen Nutzer erfolgen, der die Eintragung veranlasst hat (z.B. über den Notar). Die Bundesnotarkammer kann die Zahlung eines zur Deckung der Gebühren hinreichenden Vorschusses verlangen (§ 3 der VRegV), und sie kann die Vornahme der Eintragung von der Zahlung oder Sicherstellung des Vorschusses abhängig machen (§ 3 Abs. 1 S. 2 VRegV). Das alles gilt auch, wenn es um Änderungen, Ergänzungen oder Löschungen von Eintragungen geht (§ 5 Abs. 1 S. 2 VRegV). Auf den – gerade für älter werdende Personen – erheblichen formalen Aufwand und die dann erneut anfallenden Gebühren im Falle einer Bitte um Änderung oder Löschung von Eintragungen aus früherer Zeit sollte deutlich hingewiesen werden. 3. Verbindlichkeit: Grundsatz und Grenzen

19.40 Liegt eine verbindliche Patientenverfügung für die konkrete Behandlungssituation vor, ist strittig, ob eine Betreuerbestellung dennoch erforderlich ist oder die Patientenverfügung unmittelbar gilt.5 Wenn eine Betreuung gegeben ist, ordnet § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB in dem Sinne die Verbindlichkeit der Patientenverfügung an, dass der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen hat. Die erste Rechtsfolge von § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB besteht folglich zunächst einmal darin, dass 1 Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, § 1901a BGB Rz. 8. 2 Vorsorgeregister-Verordnung vom 21.2.2005 (BGBl. I S. 318), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 17.7.2017 (BGBl. I S. 2426) geändert worden ist; dazu auch Bittler in Bonefeld/Wachter, Erbrecht, § 22 Rz. 12. 3 Vorsorgeregister-Gebührensatzung v. 2.2.2005, DNotZ 2005, 81, geändert durch Satzung v. 2.12.2005, DNotZ 2006, 2. 4 Etwa OLG Zweibrücken v. 27.10.2008 – 3 W 162/08, FamRZ 2009, 1432 = MDR 2009, 775 (Vorsorgevollmacht); OLG Zweibrücken v. 28.4.2008 – 3 W 250/07, FamRZ 2008, 1877 (Vorsorgevollmacht mit Betreuungsverfügung; Geschäftswert ist das volle Aktivvermögen des Vollmachtgebers); OLG Hamm v. 8.11.2005 – 15 W 148/05, MDR 2006, 1197 = FamRZ 2006, 722: Geschäftswert: 3.000 Euro; vom Notar war der Geschäftswert mit 20.000 Euro angegeben worden. Wie OLG Hamm auch als Vorinstanz LG Arnsberg v. 23.3.2005 – 2 T 32/04, FamRZ 2006, 438 (Patientenverfügung ohne vermögensrechtlichen Bezug). 5 MüKo.BGB/Schwab, 7. Aufl. 2017, BGB § 1901a Rz. 31, 35 m.w.N.

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Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Rz. 19.43 § 19

eine Prüfungspflicht des Betreuers bzw. des Bevollmächtigten (§ 1901a Abs. 5 BGB) ausgelöst wird. Diese Prüfungspflicht bezieht sich indes lediglich auf die Frage, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Sie erfasst nicht die Frage der Einwilligungsfähigkeit, sie enthält keine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit des Bevorstehens der medizinischen Maßnahme, und sie bezieht sich auch nicht darauf, ob die Patientenverfügung ausdrücklich oder konkludent widerrufen worden ist. Irgendein Ermessen wird dem Betreuer bzw. dem Vorsorgebevollmächtigten zumindest auf der Rechtsfolgenseite nicht eingeräumt, wenn die Patientenverfügung den Sachverhalt erfasst. Wichtig ist, dass Patientenverfügungen i.S.d. Norm keineswegs nur auf Situationen am Ende des Lebens zugeschnitten sein müssen. Vielmehr gelten sie nach § 1901a Abs. 3 BGB „unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten“. Hat ein einwilligungsunfähiger, aber äußerungsfähiger Volljähriger das Schriftstück verfasst, fehlt es an der Schriftform oder stand die medizinische Maßnahme schon unmittelbar bevor, hat der Betreuer bzw. der Vorsorgebevollmächtigte die Wünsche des Betroffenen dennoch zu berücksichtigen (§ 1901a Abs. 2 BGB).

19.41

Eine wesentliche Relativierung der Verbindlichkeit entsprechender Erklärungen besteht darin, dass 19.42 der Betreuer zu prüfen hat, ob die Festlegungen „auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen“. Zudem verlangt das Gesetz eine hinreichende Konkretheit (Bestimmtheit) von Patientenverfügungen. Ganz allgemein gehaltene Patientenverfügungen („würdevolles Sterben“, „keine lebensverlängernden Maßnahmen“, „keine intensivmedizinischen Maßnahmen“) sind also zunächst einmal als nicht bindend zu beachten.1 In Kombination mit einer präzisen Beschreibung der Behandlungssituation (z. B. aller Wahrscheinlichkeit nach „keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins“) entfalten diese Formulierungen jedoch Bindungswirkung.2 Empfehlenswert ist jedoch, klarzustellen, dass eine Linderung von Schmerzen, Angst und Unruhe erfolgen soll. Da die Formulierung „Aktive Sterbehilfe lehne ich ab.“ hinsichtlich des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen widersprüchlich verstanden werden kann,3 sollte stattdessen besser eine präzise Festlegung des sachlichen Geltungsbereichs der Patientenverfügung und der diesbzgl. gewünschten oder nicht gewünschten ärztlichen Maßnahmen erfolgen. Auch eine undifferenzierte pauschale Ablehnung jedweder psychiatrischer Behandlung ist wohl nicht bindend4. Im Bereich der Psychiatrie sind sog. Behandlungsvereinbarungen verbreitet. Betrifft eine solche „Vereinbarung“ eine konkret in Rede stehende Behandlung, handelt es sich gegebenenfalls um eine Einwilligung, der eine zureichende Aufklärung vorausgegangen sein muss, um wirksam zu sein (§§ 630d Abs. 1 S. 2 und Abs. 2, 630e, 1901a Abs. 1 S. 1 BGB). Handelt es sich dagegen um generelle Festlegungen über die Vergabe von Medikamenten oder bestimmte Behandlungsmaßnahmen (z.B. zur Elektrokrampftherapie), auch zu Zwangsmaßnahmen (in den engen Grenzen des § 1906a BGB)5, liegt die Annahme einer Patientenverfügung i.S.v. § 1901a Abs. 1 BGB nahe, zumal längerfristige Patienten der Psychiatrie über nicht unbeträchtliche Erfahrungen zu ihrer Krankheit und deren Verlauf verfügen, so dass eine solche Erklärung hinreichend bestimmt und auf die konkrete Situation zugeschnitten erscheinen kann; anderenfalls ist sie als Hinweis zur Ermittlung der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens des Patienten heranzuziehen (§ 1901a Abs. 2 BGB). Bei alledem besteht ein erheblicher Beurteilungsspielraum. So wird man etwa im Falle einer augenscheinlich gern im Pflegeheim befindlichen, unter altersbedingter Demenz leidenden Patientin, die sich früher in einer Patientenverfügung die Vergabe von Antibiotika verbeten hat, aufgrund des Ein1 BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 604/15, NJW 2017, 1737 (1738) Rz. 19; BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, Rz. 46 f. 2 BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 107/18 Rz. 20; BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 604/15, NJW 2017, 1737 (1738) Rz. 24; Spickhoff, MedR 2017, 802 (807). 3 Vgl. BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 107/18 Rz. 34 f. 4 Für deren grundsätzliche Beachtlichkeit aber NK-BGB/Heitmann, 2. Aufl. 2010, § 1901a Rz. 48; nicht eindeutig (nur zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen) OLG Celle v. 10.8.2005 – 17 W 37/05, MDR 2006, 334 = FamRZ 2006, 443. 5 S. dazu NK-BGB/Heitmann, § 1901a Rz. 46; s. auch bereits Rz. 19.29.

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19.43

§ 19 Rz. 19.44

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

drucks der Patientin, der sich auch als Wunsch deuten lassen kann, von der Patientenverfügung abzuweichen haben. Die (verbindliche) Patientenverfügung trifft grundsätzlich bei einem entgegenstehenden natürlichen Willen des einwilligungsunfähigen Patienten nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu.1 Zum Widerruf der Patientenverfügung siehe Rz. 19.50 ff. Erst recht gilt dies im Falle einer jungen Mutter, die nach einem Unfall schlechte Heilungschancen hat, und die sich vor ihrer Schwangerschaft jede Form intensivmedizinischer Maßnahmen verbat. In solchen Konstellationen entzündet sich manche Diskussion. Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Abwägung zwischen der Verbindlichkeit einer (möglicherweise sehr allgemein gehaltenen) Patientenverfügung auf der einen Seite und um den Grundsatz „in dubio pro vita“ auf der anderen Seite. Im Falle von sehr allgemein gehaltenen Anweisungen wird man die Schwelle, ab der eine entsprechende Festlegung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zugeschnitten ist, nicht zu hoch ansetzen dürfen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, ob lebenserhaltende Maßnahmen unter Nichtbeachtung einer verbindlichen Patientenverfügung zu einem Schmerzensgeldanspruch führen können. Das LG München hat einen solchen bei einer medizinisch nicht indizierten Lebenserhaltung nur aus Beweisgründen im konkreten Fall abgelehnt, das OLG München hat ihn bejaht.2 4. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht von Betreuer und Bevollmächtigtem

19.44 Das Recht und die Pflicht der Prüfung, ob Festlegungen in einer Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, liegen beim Betreuer (§ 1901a Abs. 1 BGB) bzw. dem Vorsorgebevollmächtigten (§ 1901a Abs. 6 BGB). Die Verantwortung für die Auslegung und die Einschätzung, also die Ausfüllung des Beurteilungsspielraums (i.S.v. „Tatbestandsermessen“), welcher damit verbunden ist, liegt, jedenfalls wenn ein Betreuer bestellt ist,3 nicht beim Arzt bzw. bei der Behandlungsseite. Diese Zuweisung der Verantwortung ist freilich nur eine scheinbare, jedenfalls dann, wenn es um den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen geht. Denn nach § 1904 Abs. 4 BGB ist eine Genehmigung des Betreuungsgerichts (nur!) dann nicht erforderlich, wenn zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen dem Willen des Betreuten entspricht. Zumindest die Nichteinschaltung des Betreuungsgerichts fällt also (auch) in den Verantwortungsbereich der behandelnden Mediziner. Ihr fehlendes Einverständnis lässt die Einschaltung des Gerichts notwendig werden. Aber auch wenn das nach § 1904 Abs. 4 BGB geforderte Einvernehmen vorliegt, kann das Betreuungsgericht angerufen werden. Es erteilt dann ein sog. Negativattest, dass die Genehmigung des Betreuungsgerichts nicht erforderlich ist.4

19.45 § 1901b Abs. 2 BGB statuiert, dass zur Ermittlung des Willens des Patienten „nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden“ soll, „sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist“. Als Angehörige nennt die Gesetzesbegründung Ehegatten, Lebenspartner, Eltern, Geschwister und Kinder. Als sonstige Vertrauenspersonen kommen auch nicht mit dem Betreuten verwandte Personen in Betracht. Das können z.B. Pflegekräfte oder im Haushalt lebende gute Bekannte sein. Obwohl § 1901b BGB in seiner Überschrift auf ein „Gespräch“ Bezug nimmt, ist in seinem zweiten Absatz nur von der „Gelegenheit zur Äußerung“ die Rede. Das Gespräch ist also der idealtypische Fall, die einseitige informatorische Äußerung (die auch in Schriftform mög1 BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 3297 (3300) Rz. 35; vgl. Lindner/Huber, NJW 2017, 6 (8); Lanzrath, MedR 2017, 102 (105) (Veto-Wirkung des natürlichen Willens); Götz, FamRZ 2017, 413 (414 f.). 2 OLG München v. 21.12.2017 – 1 U 454/17; LG München I v. 18.1.2017 – 9 O 5246/14, BeckRS 2017, 112362; grundsätzlich gegen einen solchen Anspruch Ludyga, NZFam 2017, 595 (597 f.). 3 Die Notwendigkeit der Bestellung bei einer wirksamen Patientenverfügung ist umstritten, siehe oben Rz. 19.38 und unten Rz. 19.45. 4 BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 3297 (3301) Rz. 38; BGH v. 17.9.2014 – XII ZB 202/13, NJW 2014, 3572 (3575) Rz. 20.

900

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Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Rz. 19.47 § 19

lich ist) genügt aber. Fraglich ist, wie es mit dem Soll-Charakter der Vorschrift steht. In der Begründung wird der im Gesetz ohnedies genannte Eilfall als Ausnahme angegeben.1 Insgesamt ist eine Abwägung zwischen Aufwand und zu erwartendem Nutzen vorzunehmen. Zwar ist zu berücksichtigen, dass nur im Ausnahmefall von der Einbeziehung solcher Personen, denen Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist, abgesehen werden darf. Doch muss sich das Ausmaß von Ermittlungen, wer z.B. „Vertrauensperson“ sein könnte, in Grenzen halten dürfen. Angezeigt ist die Suche nach solchen Personen besonders dann, wenn z.B. die Verwandten nach eigenen Bekundungen wenig Kontakt mit dem Patienten hatten, oder wenn solche Verwandte nicht auffindbar oder existent sind. Potenziellen Fehldeutungen einer Patientenverfügung ist folgendermaßen entgegenzuwirken: Eine missbräuchliche Interpretation einer solchen Verfügung ist nach allgemeinen Grundsätzen insbesondere im Falle der Evidenz keineswegs ohne Weiteres zu befolgen. Wichtig ist vielmehr, dass dann nicht nur ärztlicherseits, sondern auch von anderen Betroffenen eingeschritten werden kann. Jedermann kann jederzeit beim Betreuungsgericht eine Überprüfung anregen.2 Hinzu kommt, dass der Arzt ohnedies eine Entscheidung des Betreuungsgerichts herbeiführen kann, indem er dissentiert, ja mehr noch: Zur eigenen juristischen Absicherung wird man Betreuern, Bevollmächtigten und Ärzten zwar nicht mehr den Rat geben müssen, im Zweifel einen „künstlichen Dissens“ herbeizuführen.3 Indes sollte ein Negativtestat eingeholt werden (Rz. 19.44). Ohnedies kann ein Betreuer dann, wenn er (nach der Aufklärung durch den Arzt gem. § 630d Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB) über die Erforderlichkeit einer Genehmigung im Zweifel ist, gem. § 1908i Abs. 1 BGB i.V.m. § 1837 Abs. 1 S. 1 BGB das Betreuungsgericht um Beratung nachsuchen4. Jedenfalls wird die gerichtliche Genehmigung eines Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen dann den beteiligten Entscheidungsträgern eine gewisse Rechtssicherheit in haftungs- und strafrechtlicher Hinsicht vermitteln können, wenn nicht nur das betreffende Schriftstück der Patientenverfügung, sondern auch die weiteren Umstände bei dessen Abfassung, die aktuelle Lebens- und Gesundheitssituation des Patienten und die weiteren Kriterien zur Ermittlung des Willens des Patienten offengelegt und vom Gericht gebilligt worden sind.

19.46

5. Fehlen eines Betreuers oder Bevollmächtigten Nicht geregelt ist, wie es steht, wenn ein Betreuer (noch) gar nicht bestellt wurde, wenn der Patient 19.47 keine Vorsorgevollmacht erteilt hat bzw. wenn ein bestellter Betreuer oder ein Bevollmächtigter aktuell ganz einfach nicht erreichbar ist. Aufgrund des Charakters einer vorweggenommenen Einwilligung (oder auch Begrenzung der Einwilligung) sind Patientenverfügungen in derartigen Situationen keinesfalls unbeachtlich. Gleichwohl ist in solchen Konstellationen bei der Befolgung von Patientenverfügungen in dem Sinne, dass medizinisch indizierte, lebensnotwendige medizinische Maßnahmen unterbleiben, besondere Vorsicht angebracht. Zu beachten haben wird ein Arzt eine entsprechende Patientenverfügung insbesondere dann, wenn deren Inhalt mit ihm selbst im Einzelnen besprochen worden ist, oder wenn sich der behandelnde Arzt davon überzeugt hat, dass eine entsprechende Patientenverfügung im Vorfeld der Behandlung durch einen informierten Patienten abgegeben worden ist.5 Dabei ist an solche Patientenverfügungen zu denken, die etwa nach der Diagnose einer schwerwiegenden Erkrankung mit voraussehbarem Verlauf errichtet worden sind. Anders liegt es demgegenüber bei pauschal formulierten Erklärungen („keine lebensverlängernden Maßnahmen“; „keine intensivmedizinische Behandlung“ u. ä.). Hier sollte der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnellig1 BT-Drucks. 16/13314, S. 20 f. 2 BT-Drucks. 16/13314, S. 4. 3 S. noch Spickhoff in Schreiber/Lilie/Rosenau/Tadaki/Pak (Hrsg.), Globalisierung der Biopolitik, des Biorechts und der Bioethik?, 2007, 185 (193). 4 Erman/A. Roth, § 1904 Rz. 26. 5 Dazu, dass sich ein (Chef-)Arzt Versäumnisse der Aufklärung durch andere prinzipiell zurechnen lassen muss, BGH v. 17.10.2006 – VI ZR 249/05, JZ 2007, 641 m. Anm. Katzenmeier = VersR 2007, 209 m. krit. Anm. Deutsch. Er hat insbesondere darzulegen, welche organisatorischen Maßnahmen er ergriffen hat, um eine ordnungsgemäße Aufklärung sicherzustellen und zu kontrollieren.

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§ 19 Rz. 19.48

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

keit“ gelten. Dafür spricht auch § 287 Abs. 3 FamFG, wonach ein Beschluss des Betreuungsgerichts, der den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen betrifft, erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder an den Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam wird. Ist sowohl der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen als auch die Weiterbehandlung medizinisch vertretbar, so sollte im Falle von pauschalen Patientenverfügungen ohne Hinzuziehung des Betreuers bzw. eines Bevollmächtigten und ohne Durchführung des Gesprächs nach § 1901b BGB selbst im Eilfall nicht der Tod des Patienten durch die Versagung lebensverlängernder Maßnahmen herbeigeführt werden. 6. Druckausübung bei der Errichtung von Patientenverfügungen

19.48 Nach § 1901a Abs. 5 BGB „kann“ niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Ferner darf die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses (z.B. bei Heim- oder Versicherungsverträgen1) gemacht werden. Das Wort „kann“ ist als „darf“ zu lesen; offenbar ist der Gesetzgeber – ebenso in der Begründung, wo es heißt, „dass es keinen wie auch immer gearteten Zwang zur Abfassung einer Patientenverfügung gibt“2 – dem klassischen Trugschluss verfallen, wonach es nichts geben kann, „was nicht sein darf“. Das Verbot, einen Vertrag unter die Bedingung der Errichtung einer bestimmten Patientenverfügung zu stellen (§ 1901a Abs. 5 S. 2 BGB), führt zur Unwirksamkeit der entsprechenden Bedingung, sollte aber nicht zur Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrags führen. Im Allgemeinen wird es sich um eine verbotswidrige, in der Nähe der Sittenwidrigkeit stehende auflösende Bedingung handeln, wenn z.B. ein Krankenversicherungsvertrag an die auflösende Bedingung der Existenz einer entsprechenden Patientenverfügung zur Zeit des Versicherungsfalls geknüpft wird. Zumindest bei auflösenden Bedingungen entspricht es der h.M., dass die Unzulässigkeit der Bedingung (nur) zu deren Nichtigkeit, nicht aber zur Nichtigkeit des Vertrags im Übrigen führt.3 Es sollte im Rahmen von § 139 BGB nach dem Schutzzweck der Norm generell die Wirksamkeit eines entsprechenden Vertrags angenommen werden.4 Entsprechende Verträge sind dann ohne die entsprechende Bedingung wirksam. Das gilt auch in Bezug auf das Verbot, sich zur Errichtung einer Patientenverfügung zu verpflichten. Entsprechende Klauseln in Verträgen sind gem. § 134 BGB unwirksam. Auch hier wird sich die Nichtigkeitsfolge indes im Zweifel nicht auf den Vertrag im Ganzen, sondern nach dem Zweck der Verbotsnorm des § 1901a Abs. 5 S. 1 BGB aus präventiven Überlegungen lediglich auf die betreffende Nebenklausel beziehen (§ 139 BGB)5. Vollständige Nichtigkeit könnte allenfalls in dem eher theoretisch denkbaren Fall angenommen werden, dass die Errichtung einer Patientenverfügung privatautonom zum Gegenstand einer Hauptleistungspflicht gemacht wird.

19.49 Nicht von den Verboten des § 1901a Abs. 5 BGB erfasst werden demgegenüber die Patientenverfügungen von Zeugen Jehovas, in welchen insbesondere die Vergabe von Frischblut ausgeschlossen wird. Solange die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in der entsprechenden Glaubensgemeinschaft nicht angezweifelt werden kann, wird man von einer Bedingung der Abgabe einer entsprechenden Patientenverfügung bzw. von einer entsprechenden Verpflichtung nicht sprechen können. Das gebietet schon die Ausstrahlungswirkung der Glaubens- und Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), auch wenn durch die Mitgliedschaft in einer entsprechenden Glaubensgemeinschaft fraglos individueller oder sozialer Druck zur Errichtung einer entsprechenden Patientenverfügung ausgeübt werden mag. Es ist zu bedenken, dass der Eintritt oder der Verbleib in einer entsprechenden Glaubensgemeinschaft freigestellt und die Blutvergabeproblematik bei Zeugen Jehovas allgemein bekannt ist. Damit ist freilich noch nicht entschieden, ob eine entsprechende Patientenverfügung in Ansehung der aktuellen Lebens- und

1 BT-Drucks. 16/13314, S. 20; zum (Kranken-)Versicherungsvertrag s. bereits Spickhoff, JZ 2003, 739 (741). 2 BT-Drucks. 16/13314, S. 20. 3 Staudinger/Bork, Bearbeitung 2010, Vorbem zu §§ 158–163 Rz. 12; Bamberger/Roth/Rövekamp, § 158 Rz. 36. 4 Auf den Zweck der Verbotsnorm stellt zu Recht auch MüKo.BGB/H. P. Westermann, § 158 Rz. 46, ab. 5 Staudinger/H. Roth, Bearbeitung 2010, § 139 Rz. 17.

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Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Rz. 19.52 § 19

Behandlungssituation tatsächlich der Vergabe entsprechender Bluttransfusionen entgegensteht.1 Ohnedies regelt § 1901a Abs. 5 BGB nur das Schicksal der Verpflichtung zur Erstellung einer Patientenverfügung, also des entsprechenden Verpflichtungsgeschäfts, bzw. einer entsprechenden Bedingung in einem Vertrag. Das Schicksal der Patientenverfügung selbst ist durch § 1901a Abs. 5 BGB nicht angesprochen. Steht indes fest, dass entsprechender Druck bei der Abfassung einer Patientenverfügung ausgeübt worden ist, so wird die Situation bei der Errichtung der betreffenden Patientenverfügung mit der späteren konkreten Lebens- und Behandlungssituation nicht korrespondieren. 7. Widerruf einer Patientenverfügung Nach § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB kann eine Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen werden. 19.50 Zur Problematik des Vorsorgeregisters insoweit s. Rz. 19.39. Der actus contrarius ist mithin von den juristischen Anforderungen her im Verhältnis zur Errichtung wesentlich erleichtert. Zunächst ist keine Schriftform erforderlich. Der Widerruf ist sodann in ausdrücklicher, ebenso aber auch in konkludenter Form möglich. Es genügt jede Willensbekundung, die erkennen lässt, dass die frühere (schriftliche) Erklärung nicht weitergelten soll. Voraussetzung ist also lediglich die Willens- und Äußerungsfähigkeit des Patienten. Insbesondere wenn es um den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen geht, dürfen an eine solche Willensbekundung keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügen deutliche Anzeichen. Für den Widerruf reicht im Übrigen jede Form der Kommunikation. Der Widerruf muss also nicht mündlich, sondern kann auch schriftlich erfolgen, etwa wenn der Patient zu verbalen Äußerungen nicht in der Lage ist. Ebenso genügt die Einschaltung von sonstigen, z.B. elektronischen Hilfen. Ist zweifelhaft, ob eine Patientenverfügung widerrufen worden ist, die lebenswichtige medizinische Maßnahmen ausschloss, so sollte es genügen, wenn der Widerruf nur wahrscheinlich erfolgt ist. Lediglich eine vollständig spekulative Interpretation bestimmter Verhaltensweisen genügt zur Annahme eines Widerrufs nicht. Anderenfalls bestünde die Gefahr, die Patientenverfügung ohne zureichenden Anlass zu relativieren oder zu entwerten. Da eine Patientenverfügung für ihre Wirksamkeit der Einwilligungsfähigkeit bedarf, wird man Ent- 19.51 sprechendes auch für einen voll wirksamen Widerruf zu verlangen haben2. Werden insbesondere in der Patientenverfügung medizinische Maßnahmen untersagt, die nach dem Willen des Betroffenen hernach doch durchgeführt werden sollen, so folgt dies zwanglos daraus, dass es sich im Zweifel um einen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten handelt, der der rechtfertigenden Einwilligung bedarf. Bestehen Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit, ist fachärztliche (psychiatrische) Hilfe hinzuzuziehen. Da die Einwilligungsunfähigkeit die Ausnahme und die Einwilligungsfähigkeit im Falle von Volljährigen die Regel ist, ist im Zweifel von der Einwilligungsfähigkeit auszugehen3. Steht fest, dass der Patient zur Zeit des Widerrufs nicht einwilligungsfähig ist, so steht die Entscheidung ggf. einem Betreuer oder – vorrangig – einem Vorsorgebevollmächtigten zu. Deren Entscheidungen haben sich freilich auch an den Wünschen (und nicht nur am „objektiven“ Wohl) des Patienten auszurichten. Ist der Patient also äußerungs- und willensfähig und äußert aktuelle Wünsche (i.S. eines Widerrufs der früheren Patientenverfügung), so wird eine Versagung der Einwilligung des Betreuten in die gebotenen medizinischen Maßnahmen im Gegensatz zu einer früheren Patientenverfügung nur maßgeblich sein, wenn und soweit nicht die Gefahr besteht, dass der Betreute ohne die medizinische Maßnahme stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet (arg. § 1904 Abs. 2 BGB).4

1 S. dazu (Verbindlichkeit in casu abgelehnt) OLG München v. 31.1.2002 – 1 U 4705/98, NJW-RR 2002, 811 und zuvor BVerfG v. 2.8.2001 – 1 BvR 618/93, FamRZ 2002, 312 = NJW 2002, 206; eine Vorsorgebevollmächtigung eines anderen Zeugen Jehovas tolerierte AG Dülmen v. 13.8.1998 – St XVII 30, FamRZ 1999, 1300. 2 Ebenso Coeppicus, NJW 2011, 2085; Steenbreker, NJW 2012, 3207; Bittler in Bonefeld/Wachter, Erbrecht, § 22 Rz. 13. 3 BeckOK-BGB/Katzenmeier (Stand: 1.11.2017), § 630d Rz. 30. 4 S. auch Lipp, Freiheit und Fürsorge: Mensch als Rechtsperson, 2000, 166; Lipp, DRiZ 2000, 231 (236).

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19.52

§ 19 Rz. 19.53

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Geht es nicht um die Versagung der Einwilligung in eine medizinische Maßnahme, sondern wünscht der (nicht einwilligungsfähige) Patient eine medizinisch indizierte (Weiter-)Behandlung, die im Gegensatz zu einer früheren Patientenverfügung steht, so ist dieser Wunsch – der zumindest typischerweise nicht auf eine Selbstschädigung gerichtet ist – vom Betreuer umzusetzen.1 Grenzen einer ärztlichen Behandlung ergeben sich hier lediglich aus der medizinischen Indikation. Überhaupt setzt sich im Falle von „Patt-Situationen“, also dann, wenn mehrere Alternativen medizinisch vertretbar sind, der Wille auch des einwilligungsunfähigen Patienten durch, soweit seine Realisierung keine Lebensgefahr oder die Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Schädigung auslöst. Einem einwilligungsfähigen Patienten, der unter Betreuung steht oder eine andere Person bevollmächtigt hat, steht ohnedies die alleinige Entscheidungskompetenz im Hinblick auf medizinische Maßnahmen zu.

VI. Die Vorsorgevollmacht 1. Gesundheitsangelegenheiten

19.53 Die Bestellung eines Vertreters in Gesundheitsangelegenheiten ist möglich. Das folgt in Bezug auf Einwilligungen in ärztliche Eingriffe aus § 1904 Abs. 5 BGB. Stellvertretung ist insoweit zulässig, da es sich bei der Einwilligung jedenfalls um geschäftsähnliches Verhalten handelt2. Im Übrigen ist von einer Generalstaatsanwaltschaft entschieden worden, dass eine „Vorsorgevollmacht“ bindet, jedenfalls wenn darin bestimmt ist, ob, wie lange und in welcher Weise der Betroffene behandelt werden will; insofern handelt es sich freilich eher um eine Patientenverfügung im engeren Sinn3. Letztlich wird dadurch jedenfalls die zunächst freie Entscheidung des Bevollmächtigten bzw. eines Betreuers doch angebunden.

19.54 Gegenüber der staatlichen Bestellung eines Betreuers (zur Betreuungsverfügung Rz. 19.55 ff.) ist die Vorsorgevollmacht vorrangig und die Bestellung des Betreuers subsidiär (§ 1896 Abs. 2 BGB)4. Sie kann in den Grenzen des § 1904 Abs. 2, 4 und 5 BGB die Einwilligungsverweigerung bzw. eine Behandlungsabbruchentscheidung erfassen.

19.55 Das Schriftformerfordernis des § 1904 Abs. 5 BGB bezieht sich – was im Wortlaut der Norm („Maßnahmen“) nicht zum Ausdruck kommt5 – auch auf die konkreten Gefahren, die mit den betreffenden Maßnahmen verbunden sind und um derentwillen die schriftliche Vollmacht erteilt worden ist.6 Der Wortlaut der § 1904 Abs. 1 und Abs. 2 BGB muss in der Vollmacht zwar nicht wiedergegeben werden, nicht ausreichend ist jedoch ein bloßes Normzitat.7 Anderenfalls würden die Übereilungsfunktion und die Warnfunktion des Schriftformerfordernisses verfehlt bzw. dieses auf die bloße Beweisfunktion reduziert. Ohne Benennung der Gefahren muss ggf. ein Betreuer für den einwilligungsunfähigen Patienten bestellt werden8. Das Schriftformerfordernis gilt nach dem Wortlaut des § 1904 Abs. 5 BGB jedoch nicht hinsichtlich der Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen.9

1 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 167. 2 Zur insoweit (ggf. analogen) Anwendung der §§ 164 ff. BGB Eisenbart, MedR 1997, 305 (306 ff.); Spalckhaver in Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, 2009, § 8 Rz. 5 ff. 3 GeneralStA Nürnberg, FamRZ 2008, 1029. 4 Eingehend zur Subsidiarität der Betreuung Prinz von Sachsen Gessaphe, S. 248 ff.; vgl. weiter Veit, FamRZ 1996, 1309 (1310); Uhlenbruck, FS Deutsch, 849 (860). Praktisch (über die weitgehende Annahme des Erfordernisses der Bestellung eines Überwachungsbetreuers) einschränkend aber Walter, S. 224 ff. 5 Spalckhaver in Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 8 Rz. 38; näher Spickhoff, Medizinrecht, § 1904 BGB Rz. 17. 6 BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 2397 (2398) Rz. 17 ff. 7 BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 2397 (2398) Rz. 17. 8 Staudinger/Bienwald, Bearbeitung 2013, § 1904 Rz. 117. 9 BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 2397 (2398) Rz. 15.

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Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Rz. 19.58 § 19

(Auch) Die Vorsorgevollmacht kann jederzeit widerrufen werden1. Problematisch ist aber, ob zur Erteilung der Vorsorgevollmacht bzw. zu ihrem Widerruf Einwilligungsfähigkeit genügt oder ob Geschäftsfähigkeit vorliegen muss. Der Widerruf ist zunächst formlos möglich2; überdies genügt in Bezug auf medizinische Maßnahmen bloße Einwilligungsfähigkeit3. Schwieriger liegt es in Bezug auf die Erteilung der Vorsorgevollmacht. Hier ist wohl grundsätzlich Geschäftsfähigkeit erforderlich4. Zwar gelten die Vorschriften über die Vollmacht nur analog. Indes eröffnet die Vollmacht faktisch eine Fremdbestimmungsmöglichkeit. Daher wird man den noch nicht voll Geschäftsfähigen auf die Möglichkeit, Wünsche in Bezug auf die Bestellung eines Betreuers äußern zu können, verweisen müssen. In diesem Zusammenhang sind dann Wünsche des noch nicht Geschäftsfähigen zu berücksichtigen (§ 1897 Abs. 4 BGB)5.

19.56

Fraglich ist in Bezug auf die (wirksame) Vorsorgevollmacht das Verhältnis von Wunschbefolgungspflicht und Wohl des Betroffenen. Gegen eine Begrenzung der Wunschbefolgungspflicht durch das Wohl des Betroffenen spricht zwar, dass nach dem Willen des Betroffenen ausschließlich die Entscheidungen des Bevollmächtigten ausschlaggebend sein sollten6. Solange nicht der Betroffene objektiv interessenwidrige Entscheidungen gegenüber dem Bevollmächtigten hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat7, sollte davon ausgegangen werden, dass der Patient so behandelt werden will, wie es seinem objektiv verstandenen Interesse und damit seinem Wohl entspricht8. Dabei muss freilich der Verkehrskreis des Betroffenen berücksichtigt werden, so dass sich bestimmte ärztliche Maßnahmen, z.B. im Falle eines Zeugen Jehovas9, anders darstellen als bei Personen, die dieser oder einer vergleichbaren religiösen Gruppierung nicht zugehören.

19.57

2. Sonstige persönliche Angelegenheiten Auch über Gesundheitsangelegenheiten hinaus kann eine Vollmacht in persönlichen Angelegenhei- 19.58 ten erteilt werden. Während früher eine Vollmacht jedenfalls in höchstpersönlichen Angelegenheiten insgesamt für unzulässig gehalten worden ist, kann nun aus § 1904 Abs. 5 BGB im Wege des ErstRecht-Schlusses gefolgert werden, dass auch insoweit Bevollmächtigungen möglich sind. Denn höchstpersönlichere als Gesundheitsangelegenheiten sind kaum vorstellbar. Daher ist gewillkürte Vertretung aufgrund einer Vorsorgevollmacht auch bei der Einwilligung in freiheitsentziehende Maßnahmen ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für zulässig erachtet worden10. Der Gefahr des Missbrauchs der Vollmacht wird durch die Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB begegnet. Voraussetzung für eine Kontrollbetreuung ist, dass ein durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte verfestigter Verdacht besteht, dass der Bevollmächtigte die Interessen des Vollmachtgebers nicht ausreichend wahrt.11 Dies ist insbesondere der Fall, wenn Anzeichen gegeben sind, dass der Bevollmächtigte mit der Aufgabe überfordert ist oder gegen die Redlichkeit des Bevollmächtigten Bedenken bestehen.12 Die Bevollmächtigung einer gem. § 1897 Abs. 3 BGB von der Betreuung ausgeschlossenen Person ist nach dem Schutzzweck dieser Norm nicht möglich, da bei der Vollmacht das Schutzbedürfnis des Betroffe1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Lipp, S. 208 m.w.N. Uhlenbruck, S. 337 f. Walter, FamRZ 1999, 685 (693). OLG Stuttgart v. 23.2.1994 – 8 W 534/93, FamRZ 1994, 1417; in Bezug auf medizinische Maßnahmen für Einwilligungsfähigkeit Staudinger/Bienwald, Bearbeitung 2013, § 1904 Rz. 113. Spickhoff, Medizinrecht, § 1897 BGB Rz. 4. S. Walter, FamRZ 1999, 685 (689); Uhlenbruck, FS Deutsch, 849 (857). Uhlenbruck, FS Deutsch, 849 (857). Für Österreich auch Schmoller, ÖJZ 2000, 361 (374). Vgl. auch AG Dülmen v. 13.8.1998 – St XVII 30/98, FamRZ 1999, 1300 (einschlägiges, gegen Bluttransfusionen u.Ä. gerichtetes Patiententestament einer Zeugin Jehovas lässt Bedenken gegen die Bestellung einer Betreuerin der gleichen Religionsgemeinschaft entfallen). OLG Stuttgart v. 23.2.1994 – 8 W 534/93, FamRZ 1994, 1417; hiergegen krit. Walter, S. 257 ff. BGH v. 23.9.2015 – XII ZB 624/14, NJW 2015, 3657 Rz. 16. BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 2397 (3300) Rz. 31.

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§ 19 Rz. 19.59

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

nen kein geringeres ist als im Falle der Betreuung1. Abgesehen davon ist aber die Bevollmächtigung auch von Heimpersonal zulässig (arg. e § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB). Es handelt sich hier um eine bedingte, nämlich für den Fall des Verlustes der Geschäftsfähigkeit geltende Vollmacht (§ 158 BGB), was nicht ausdrücklich erwähnt sein muss (wenngleich ein entsprechender Hinweis empfehlenswert ist). Dass auch in Bezug auf Freiheitsentziehungen oder -beschränkungen eine Bevollmächtigung möglich ist, folgt auch aus § 1906 Abs. 5 BGB, in dem von einer „Unterbringung durch einen Bevollmächtigten“ gesprochen wird. Abgesehen von dem dort enthaltenen Schriftformgebot genügt eine formlose Vollmacht auch dann nicht, wenn die Vertretung in einem gerichtlichen Verfahren erforderlich ist2. Die Vollmacht hat allerdings die Übertragung gerade der fraglichen Befugnisse auf den Bevollmächtigten zweifelsfrei zu umfassen. Zudem ist Geschäftsfähigkeit des Bevollmächtigenden erforderlich. Eine Generalvollmacht ist zwar prinzipiell möglich3; sie sollte jedoch zur Klarstellung möglichst die in Betracht kommenden Gegenstände, wenigstens beispielhaft, enthalten. Im Rahmen der Einwilligung von Bevollmächtigten in ärztliche Zwangsmaßnahmen ist notwendig, dass diese Maßnahmen von der schriftlich erteilten Vollmacht ausdrücklich umfasst sind (§ 1906a Abs. 5 S. 1 BGB). Hinzuweisen ist ggf. auch auf eine Pflicht des Vollmachtgebers auf Aufwendungsersatz und Vergütung des Bevollmächtigten, was sich nach allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen (in erster Linie §§ 662 ff. BGB) richtet4. 3. Vertretung im Vermögensbereich

19.59 Die Vorsorgevollmacht kann – umfassend erteilt – weit über den Bereich der Sicherung der Patientenautonomie hinausgehen. Insbesondere kann sie auch im vermögensrechtlichen Bereich eingesetzt werden. Zu beachten ist, dass die Vorsorgegeneralvollmacht von sich aus kein Schenkungsverbot beinhaltet5. Es kann eben der gesamte Vermögensbereich durch die Vorsorgevollmacht abgedeckt sein. Auch hier ist zur Verdeutlichung des Umfanges der Vollmacht für den Vollmachtgeber eine beispielhafte Aufzählung der wichtigsten Angelegenheiten (Grundvermögen, Geldvermögen, Bankvollmacht6, die Vertretung in Renten- oder Versicherungsangelegenheiten, Vertretung bei Behörden und Prozessvertretung7) zweckmäßig. Soll es sich um eine Generalvollmacht handeln, ist bei der Formulierung darauf zu achten, dass kein abschließender Zuständigkeitskatalog formuliert wird. Werden von der (ggf. General-)Vollmacht Verfügungen über Grundstücke erfasst, ist nach § 29 GBO die entsprechende notarielle Beglaubigung erforderlich. Unstreitig gilt die Vollmacht nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit weiter fort. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Vollmachtgeber durch die Aushändigung oder Nichtaushändigung einer Vollmachtsurkunde unter Umständen den Rechtsschein einer entsprechenden Bevollmächtigung steuern kann (vgl. §§ 171–173 BGB). Übrigens ist auch an die Befugnis zur Erteilung einer Untervollmacht zu denken. Insgesamt kann die Vollmacht neben der Funktion der Vermeidung der Betreuung und den Möglichkeiten der Vertretung im persönlichen Bereich noch zusätzlich die Verwendbarkeit als Generalvollmacht im traditionellen Sinne erhalten. Zur VorsorgeregisterVO s. oben Rz. 19.39.

1 Anders aber Palandt/Götz, Einf. v. § 1896 Rz. 5; Walter, FamRZ 1999, 688. Zu den Risiken von Vorsorgeregelungen Ramstetter in Bonefeld/Wachter, Erbrecht, § 21 Rz. 6–11. 2 BayObLG v. 7.5.1997 – 3Z BR 123/97, FamRZ 1998, 920. 3 Vgl. BayObLG v. 10.10.1995 – 3Z BR 217/95, FamRZ 1996, 371; OLG Düsseldorf v. 6.12.1996 – 25 Wx 60/96, FamRZ 1997, 904; Palandt/Götz, Einf. v. § 1896 Rz. 5. 4 Schwab, FamRZ 1990, 683. 5 Walter, S. 108 f. m.w.N. 6 Zur Abgrenzung der Vorsorgegeneralvollmacht zu einer einzelnen Kontovollmacht OLG Köln v. 19.3.1999 – 16 Wx 30/99, FamRZ 2000, 188. S. weiter Tersteegen, NJW 2007, 1717. 7 Zu Bestattungsvorsorgeverträgen Widmann, FamRZ 2001, 74 ff. m.w.N.

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Rz. 19.62 § 19

VII. Die Betreuungsverfügung In den §§ 1897 Abs. 4 S. 3, 1901 Abs. 2 S. 2, 1901c BGB ist erkennbar, dass es möglich ist, schon vor 19.60 der Bestellung eines Betreuers Vorschläge zur Person des Betreuers sowie Vorschläge zur Wahrnehmung von dessen Aufgaben kundzutun. An eine bestimmte Form ist eine solche Betreuungsverfügung nicht gebunden. § 1901c BGB beinhaltet nur für den Fall, dass ein Betreuungswunsch schriftlich geäußert worden ist, die Pflicht dessen unverzüglicher Ablieferung an das Betreuungsgericht. Relevant wird die Betreuungsverfügung nur und erst in der Situation konkreter Einwilligungsunfähigkeit. Hinzukommen muss überdies, dass keine eigene bindende Entscheidung für die konkrete Situation im Vorfeld getroffen worden ist1. Der Patient kann in der Betreuungsverfügung unstreitig auch Wünsche hinsichtlich der Wahrneh- 19.61 mung der Betreuung äußern2. Zweifelhaft ist aber, ob die Wunschbefolgungspflicht des Betreuers durch das „Wohl“ des Betreuten begrenzt ist. Hat der Betreute die Wünsche im einwilligungsunfähigen Zustand geäußert, fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für die Annahme einer Wunschbefolgungspflicht. Anders könnte es nur liegen, wenn der Betreute die Wünsche im einwilligungsfähigen Zustand zum Ausdruck gebracht hat3. Gegen eine entsprechende Differenzierung sprechen jedoch durchgreifende Einwände. Da es nicht um einen Wunsch für eine hinreichend konkrete Situation geht, wird im Prinzip die Entscheidung in die Hände einer anderen Person gelegt. Gerade weil der Betroffene einen potenziellen Betreuer einzuschalten wünscht, möchte er die Schutzmechanismen, die zu seinen Gunsten wirken könnten, jedenfalls auch berücksichtigt wissen. Anderenfalls hätte er eine entsprechende Patientenverfügung im einwilligungsfähigen Zustand verfassen können. Richtigerweise sollte daher die Wunschbefolgungspflicht des Betreuers durch das Wohl des Betreuten auch dann begrenzt werden können, wenn der Betreute die Wünsche im einwilligungsfähigen Zustand geäußert hat. In § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB kommt das hinreichend deutlich zum Ausdruck4.

VIII. Musterformulierungen M 153 Patientenverfügung

19.62

Das folgende Muster orientiert sich an den Empfehlungen des Bundesjustizministeriums5 sowie des Bayerischen Justizministeriums6. a) Persönlicher Geltungsbereich der Patientenverfügung Für den Fall, dass ich, Vor- und Zuname: … Geburtsdatum: … Straße/Hausnummer: … PLZ/Wohnort: …, mich in den unter b) aufgezählten Behandlungssituationen befinde, sollen die in c) aufgeführten Anweisungen umgesetzt werden.

1 2 3 4 5

Vgl. auch Prinz von Sachsen Gessaphe, S. 175. Taupitz, JuS 1992, 9; Langenfeld, S. 156. Dafür Langenfeld, S. 166 ff. S. auch Prinz von Sachsen Gessaphe, S. 211 f., 255 f. Broschüre „Patientenverfügung, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Patientenverfue gung.html. Datum des Abrufs: 22.1.2018. 6 Broschüre „Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter“, 18. Aufl. 2017.

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§ 19 Rz. 19.62

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

b) Sachlicher Geltungsbereich der Patientenverfügung Diese Patientenverfügung gilt, wenn ich meinen Willen nicht mehr bilden oder verständlich äußern kann und – medizinisch festgestellt ist, dass ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befinde. – ich mich im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist. – infolge einer Gehirnschädigung meine Fähigkeit, Einsichten zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, nach Einschätzung zweier erfahrener Ärztinnen oder Ärzte [können namentlich benannt werden] aller Wahrscheinlichkeit nach unwiederbringlich erloschen ist, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist. Es ist mir bewusst, dass in solchen Situationen die Fähigkeit zu Empfindungen erhalten sein kann und dass ein Aufwachen aus diesem Zustand nicht ganz sicher auszuschließen, aber unwahrscheinlich ist. – ich infolge eines sehr weit fortgeschrittenen Hirnabbauprozesses (z. B. bei Demenzerkrankung) auch mit ausdauernder Hilfestellung nicht mehr in der Lage bin, Nahrung und Flüssigkeit auf natürliche Weise zu mir zu nehmen. – [sonstige Behandlungssituation].1 c) Anweisungen zu ärztlichen/pflegerischen Maßnahmen In den unter b) aufgezählten Behandlungssituationen soll – alles medizinisch Mögliche und Indizierte getan werden, um mich am Leben zu erhalten. oder keine lebensverlängernde Maßnahme, insbesondere kein Apparat zur Aufrechterhaltung oder Unterstützung einer Organfunktion, eingesetzt werden. Hunger und Durst sollen auf natürliche Weise gestillt werden, gegebenenfalls mit menschlicher Hilfe bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Außer bei palliativmedizinischer Indikation zur Beschwerdelinderung soll eine künstliche Ernährung unabhängig von der Form der künstlichen Zuführung der Nahrung (z. B. Magensonde durch Mund, Nase oder Bauchdecke, venöse Zugänge) ebenso wenig erfolgen wie eine künstliche Flüssigkeitszufuhr. und [Festlegungen zu einzelnen Maßnahmen wie z. B. künstliche Ernährung, künstliche Beatmung, Dialyse, Antibiotika, Blut/Blutbestandteile]2 – eine fachgerechte Schmerz- und Symptombehandlung, aber ohne bewusstseinsdämpfende Wirkungen. oder wenn alle sonstigen medizinischen Möglichkeiten zur Schmerz- und Symptomkontrolle versagen, auch Mittel mit bewusstseinsdämpfenden Wirkungen zur Beschwerdelinderung. Die unwahrscheinliche Möglichkeit einer ungewollten Verkürzung meiner Lebenszeit durch schmerzund symptomlindernde Maßnahmen nehme ich in Kauf. – eine fachgerechte Pflege von Mund und Schleimhäuten sowie menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung und Körperpflege erfolgen. 1 Der genauen Beschreibung der Behandlungssituation, für die die Patientenverfügung gelten soll, kommt erhebliche Bedeutung für die Wirksamkeit der Patientenverfügung zu, BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 604/15, NJW 2017, 1737 (1738 Rz. 17); BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 107/18 Rz. 20. 2 Die allgemeine Formulierung „keine lebensverlängernde Maßnahme“ ist nur dann ausreichend, wenn die konkrete Behandlungssituation von der Patientenverfügung wirksam erfasst ist (siehe Rz. 37 sowie lit. b)), BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 604/15, NJW 2017, 1737 (1738 f. Rz. 19); BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 107/18. Es ist daher zu empfehlen, für konkrete Maßnahmen gesonderte Regelungen zu treffen.

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Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Rz. 19.62 § 19

– eine im Rahmen einer geplanten medizinischen Behandlung kurzfristig erforderlich werdende Wiederbelebung versucht werden.1 oder der Versuch einer im Rahmen einer geplanten medizinischen Behandlung kurzfristig erforderlich werdenden Wiederbelebung unterlassen werden. d) Ort der Behandlung/Beistand Ich möchte – zum Sterben ins Krankenhaus verlegt werden. oder – wenn möglich zu Hause bzw. in vertrauter Umgebung sterben. oder – wenn möglich in einem Hospiz sterben. Ich möchte Beistand durch folgende Personen und/oder Vertreter folgender Kirche/Weltanschauungsgemeinschaft: … e) Organspende – Ich stimme einer Entnahme meiner Organe nach meinem Tod zu Transplantationszwecken zu [ggf.: Ich habe einen Organspendeausweis ausgefüllt]. Komme ich nach ärztlicher Beurteilung bei einem sich abzeichnenden Hirntod als Organspender in Betracht und müssen dafür ärztliche Maßnahmen durchgeführt werden, die ich in meiner Patientenverfügung ausgeschlossen habe, dann – geht die von mir erklärte Bereitschaft zur Organspende vor. oder – gehen die Bestimmungen in meiner Patientenverfügung vor. oder – Ich lehne eine Entnahme meiner Organe nach meinem Tod zu Transplantationszwecken ab. f) Ärztliche Aufklärung Herr/Frau [Vorname, Name] wurde von mir am … bezüglich der möglichen Folgen dieser Patientenverfügung aufgeklärt. Datum, Unterschrift, Stempel der Ärztin/des Arztes Soweit ich bestimmte Behandlungen wünsche oder ablehne, verzichte ich ausdrücklich auf eine weitere ärztliche Aufklärung.2 g) Einwilligungsfähigkeit Herr/Frau [Vorname, Name] war zum Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs gem. f) in vollem Umfang einwilligungsfähig. Datum, Unterschrift, Stempel der Ärztin/des Arztes und/oder zum Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung in vollem Umfang einwilligungsfähig. 1 Diese Regelung betrifft vor allem kurzfristig erforderliche Wiederbelebungen im Rahmen von geplanten Operationen. 2 Soweit bestimmte ärztliche Maßnahmen gewünscht sind, ist wegen § 630d BGB (analog) ein Verzicht auf eine weitere Aufklärung zu empfehlen.

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§ 19 Rz. 19.63

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Datum, Unterschrift, Stempel des Notars/der Notarin h) Erläuterungen zur Patientenverfügung Als Interpretationshilfe zu meiner Patientenverfügung habe ich beigelegt: – Darstellung meiner allgemeinen Wertvorstellungen. – Sonstige Unterlagen, die ich für wichtig erachte: … i) Schlussbemerkungen Mir ist die Möglichkeit der Änderung und des Widerrufs einer Patientenverfügung bekannt. Ich habe die Patientenverfügung in eigener Verantwortung und ohne äußeren Druck erstellt. j) Aktualisierung meines Willens Diese Patientenverfügung wird von mir erneut bestätigt: … Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: … Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: … Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: …

19.63 M 154 Vorsorgevollmacht Personalien (wie 1.) Für den Fall, dass ich die Geschäftsfähigkeit oder meine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verloren habe, so dass ich nicht mehr imstande bin, mein Selbstbestimmungsrecht in Gesundheits- und Vermögensangelegenheiten wirksam auszuüben1, und für den Fall, dass verbindliche Anordnungen in meiner Patientenverfügung vom … nicht getroffen worden sind, bevollmächtige ich Frau/Herrn: [Vorname, Name] geb. am: …, wohnhaft: …, Tel.: …, mich in allen meinen Angelegenheiten (insbesondere in den im Einzelnen benannten Aufgaben) zu vertreten und Entscheidungen für mich zu treffen. Die Vollmacht soll der Anordnung einer Betreuung vorgehen. Soweit gleichwohl ein Betreuer bestellt wird, bleibt die Vollmacht im Übrigen bestehen. Die bevollmächtigte Person darf auch Krankenunterlagen einsehen und in deren Herausgabe an Dritte einwilligen. Zu diesem Zweck entbinde ich die mich behandelnden Ärzte gegenüber der bevollmächtigten Person von der Schweigepflicht. Die bevollmächtigte Person ist berechtigt und verpflichtet, von den mich behandelnden Ärzten eine Aufklärung über die Art meiner Erkrankung, meinen Zustand und die Prognose sowie Möglichkeiten der Behandlung zu verlangen.

1 Diese bereits die Wirksamkeit der Vollmacht betreffende Einschränkung („Für den Fall …“) kann sich in Vermögensangelegenheiten als problematisch erweisen, weil ein Vertragspartner oft nicht feststellen kann, ob die Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers eingetreten ist. Wenn deshalb der Vollmachtgeber das Bedenken gegen einen möglichen Rechtsmissbrauch der Vollmacht wegen vorzeitiger Verwendung zugunsten der Rechtsklarheit gegenüber Vertragspartnern (z.B. Geldinstituten) zurückstellt (worüber er zu belehren ist), ist zu empfehlen, die Vollmacht sogleich uneingeschränkt zu erteilen (in diesem Sinne Ramstetter in Bonefeld/Wachter, Erbrecht, § 21 Rz. 13). Der Bevollmächtigte sollte dann freilich im Innenverhältnis angewiesen werden, von ihr nur im Bedarfsfall Gebrauch zu machen. Dabei ist auf eine klar erkennbare Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis, die sonst ihrerseits zu Unklarheiten führen kann, im Text – ggf. in getrennten Urkunden – zu achten. Allerdings kann eine dem Vertragspartner bekannte oder grob fahrlässig unbekannte Überschreitung des Innenverhältnisses zum Missbrauch der Vertretungsmacht führen, das den Vertretenen nicht bindet. Zu dieser und weiteren Fragen bei der Formulierung s. auch Zimmermann, NJW 2014, 1573 ff.

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Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

Rz. 19.63 § 19

Die Vollmacht hinsichtlich meiner persönlichen Angelegenheiten ist nicht übertragbar. Auch eine Untervollmacht darf insoweit nicht erteilt werden. In Vermögensangelegenheiten kann der Bevollmächtigte Untervollmacht erteilen. Insoweit ist er von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Die Vollmacht bleibt über den Tod hinaus wirksam. Vermögensangelegenheiten: Die Vollmacht umfasst (insbesondere) folgende Maßnahmen: – Verfügung über mir gehörende Gegenstände, – die Befugnis, über meine laufenden Konten bei Geldinstituten zu verfügen, ggf. um die Kosten für einen Krankenhausaufenthalt oder den Aufenthalt in einem Heim einschließlich der Transport- und Arztkosten zu begleichen. Ich weise meine Geldinstitute an, nicht auf einer beglaubigten Vollmacht zu bestehen1. – die Befugnis, Vereinbarungen mit Kliniken, Alten- oder Pflegeheimen abzuschließen, – die Befugnis, Zahlungen für mich entgegenzunehmen, zu quittieren oder Zahlungen vorzunehmen, insbesondere die Begleichung aller Verpflichtungen des täglichen Lebens, einschließlich der Haushaltsführung und etwaiger Unterhaltsverpflichtungen, – die Befugnis, mich gegenüber Behörden, Gerichten, privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen sowie sonstigen öffentlichen Einrichtungen (Beihilfe) und gegenüber Privatpersonen außergerichtlich und gerichtlich zu vertreten sowie alle Prozesshandlungen für mich vorzunehmen, – die Befugnis, im Falle einer dauerhaften Unterbringung meine Wohnung aufzulösen, den Mietvertrag zu kündigen, die Wohnungseinrichtung zu verkaufen (oder zu verschenken, soweit nicht testamentarisch entgegenstehende Anordnungen getroffen worden sind), – die Befugnis, im Falle einer dauerhaften Unterbringung auch grundlegende Vermögensverfügungen (Hausverkauf2, Kauf und Verkauf von Wertpapieren) vorzunehmen. Persönliche Angelegenheiten: Die Vollmacht umfasst weiterhin (insbesondere) folgende Aufgaben: – Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, auch bei der Entscheidung über die Unterbringung in einem Pflegeheim oder in einer geschlossenen Anstalt, – Entscheidung über freiheitsentziehende oder unterbringungsähnliche Maßnahmen (etwa das Anbringen von Bettgittern, Gurten oder anderen mechanischen Vorrichtungen sowie die Verabreichung von Medikamenten, betäubende wie sonstige, auch wenn sie erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen haben können),

1 Dem Vernehmen nach wird eine Vollmacht, die nicht auf bankeigenen Formularen erteilt und nicht notariell beurkundet ist, von Geldinstituten in der Regel nicht akzeptiert. 2 Nach § 167 Abs. 2 BGB bedarf eine Vollmacht an sich nicht der Form, die für das Rechtgeschäft gilt, auf die sich die Vollmacht bezieht. Das gilt prinzipiell auch im Falle des Verkaufs von (Haus-)Grundstücken. Nur wenn der Weg einer unwiderruflich erteilten Vollmacht gewählt worden wäre (wofür indes wenig spricht), ist nach str. Rspr. zum Zwecke der Vermeidung einer Umgehung von § 311b Abs. 1 BGB die notarielle Beurkundung der Vollmacht erforderlich (z.B. OLG Karlsruhe v. 28.10.1985 – 4 W 75/85, NJW-RR 1986, 100; OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, NJW-RR 1989, 663; Palandt/Ellenberger, § 167 Rz. 2; näher MüKo.BGB/Kanzleiter, § 311b Rz. 45; für eine noch weiter gehende teleologische Reduktion von § 167 Abs. 2 BGB etwa NK-BGB/Ackermann, § 167 Rz. 34, 38 m.w.N.), Gegenüber dem Grundbuchamt ist ggf. zudem ein formgebundener Nachweis der Vollmacht gem. § 29 GBO (namentlich öffentliche Beglaubigung) erforderlich (OLG München v. 16.12.2009 – 34 Wx 97/09, 34 Wx 097/09, FamRZ 2010, 1271 = NJW-RR 2010, 747). Generell wird eine notariell beurkundete Vollmacht, gerade auch in Bezug auf den Verkauf von (Haus-)Grundstücken, in der Praxis (auch der Grundbuchämter) problemloser auf Akzeptanz stoßen, mag sie auch rechtsdogmatisch nicht zwingend geboten sein.

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§ 19 Rz. 19.64

Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht

– Zustimmung oder Ablehnung von ärztlichen Maßnahmen einschließlich von Maßnahmen der Intensivtherapie, lebensgefährlichen Maßnahmen und Maßnahmen, deren Vornahme oder Unterlassen zu einem schweren oder längerdauernden gesundheitlichen Schaden führen kann1, – Entscheidungen über die Einleitung oder den Abbruch einer künstlichen Ernährung, die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch bzw. die Einstellung lebenserhaltender oder lebensverlängernder Maßnahmen wie Sauerstoffzufuhr, künstliche Beatmung, Medikation, Bluttransfusion und Dialyse, vorausgesetzt, die Krankheit mit infauster Prognose hat einen nach ärztlichem Ermessen mit hoher Wahrscheinlichkeit irreversiblen und in wenigen Tagen/Wochen zum Tode führenden Verlauf genommen (ggf.: und verbindliche Entscheidungen in meiner Patientenverfügung vom … sind nicht getroffen worden). – Entscheidungen über die Sterbebegleitung und die Leidhilfe, auch soweit Ärzte und Pflegepersonal dadurch gehalten werden, Schmerz, Atemnot, unstillbaren Brechreiz, Erstickungsangst oder vergleichbaren schweren Angstzuständen entgegenzuwirken, selbst wenn mit diesen Maßnahmen das Risiko einer Lebensverkürzung nicht ausgeschlossen werden kann (ggf.: sofern hierzu nichts in meiner Patientenverfügung vom … niedergelegt worden ist). – die Entscheidung darüber, ob und inwieweit nach meinem Tod zu Transplantationszwecken Organe entnommen werden dürfen oder ob und inwieweit mein Körper zu wissenschaftlichen Zwecken einer Sektion zugeführt werden kann (ggf.: soweit nicht in meiner Patientenverfügung vom … oder an anderer Stelle von mir hierzu nichts selbst bestimmt worden ist). Unterschrift: … Ort: … Datum: … Diese Erklärung wird von mir erneut bestätigt: Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: … Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: …

19.64 M 155 Betreuungsverfügung Personalien (wie 1.) Als Betreuer wünsche ich Herrn/Frau: [Vorname, Name] geb. am: …, wohnhaft: … (Ggf.: Mein Betreuer soll insbesondere die Durchsetzung meiner in meiner Patientenverfügung vom … niedergelegten Anordnungen sicherstellen und im Sinne dieser Anordnungen liegende Einzelmaßnahmen insoweit veranlassen, als sie von mir in meiner Patientenverfügung nicht selbst verbindlich festgelegt worden sind und meine Vorsorgevollmacht vom … aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht wirksam ausgeübt werden kann.) Name des Patienten, Ort, Datum: …

1 BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, NJW 2016, 2397 (2398) Rz. 17. Siehe auch oben Rz. 19.55.

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§ 20 Digitaler Nachlass I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Grundsätze zum digitalen Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge . 2. Allgemeine Grenzen der Vererblichkeit a) Gemeinsame Disposition der Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . b) Geheimhaltungspflichten . . . . . . . . c) Wille und Interessen des Erblassers . aa) Auswirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . bb) Auswirkungen des postmortalen Persönlichkeitsrechts . . . . cc) Spezifische Auswirkungen des Datenschutzrechts . . . . . . . . . . d) Wille und Interessen des Erben . . . . e) Wille und Interessen der Diensteanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Persönlichkeitsrechte . . b) Datenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . c) Fernmeldegeheimnis . . . . . . . . . . . .

20.1 20.6 20.7 20.11 20.14 20.17 20.19 20.20 20.24 20.36 20.41 20.44 20.50 20.50 20.59 20.70

III. Rechtspositionen mit digitalem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.91 1. Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.93 2. Speichermedien und Hardware . . . . . . 20.96 3. Accountverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.97 4. Online-Bezahlsysteme . . . . . . . . . . . . . 20.107 5. Virtuelle Gegenstände und Währungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.109 6. Webseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.110

7. E-Books, Musik- und Videosammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.115 8. Online-Bestellungen und Internetauktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.116 IV. 1. 2. 3. 4. 5.

Gestaltung durch AGB . . . . . . . . . . . . Befristungs- und Bedingungsklauseln . Kündigungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . Legitimationsklauseln . . . . . . . . . . . . . . Kontosicherheitsklauseln . . . . . . . . . . . Abwicklungsklauseln . . . . . . . . . . . . . .

20.119 20.124 20.132 20.133 20.137 20.139

V. Auslandsbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erbstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deliktsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . .

20.141 20.142 20.142 20.144 20.148 20.149

VI. Konsequenzen für die Beratungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Perspektiven und Interessen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Diensteanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . e) Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gestaltung der Rechtslage . . . . . . . . . . a) Nutzung der Gestaltungsspielräume der Diensteanbieter . . . . . . . b) Transmortale Vorsorgevollmacht . . c) Letztwillige Verfügung . . . . . . . . . . . 3. Faktische Gewährleistung des Zugriffs .

20.154 20.159 20.160 20.163 20.164 20.165 20.166 20.167 20.168 20.172 20.181 20.188

Schrifttum: Alexander, Digitaler Nachlass als Rechtsproblem?, K&R 2016, 301; Apel, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, ZD 2018, 486; Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder, Bericht vom 15.5.2017, abrufbar unter https://www.jus tiz.nrw.de/JM/schwerpunkte/digitaler_neustart/index.php (letzter Abruf: 22.9.2018); Biermann, Der digitale Nachlass im Spannungsfeld zwischen Erbrecht und Datenschutz, ZErb, 2017, 210; Biermann, Editorial: Der digitale Nachlass: Vorrang des Erbrechts, ErbR 2018, 1; Biermann, Anmerkung zur Entscheidung des BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, ErbR 2018, 577; Bleich, Ableben 2.0: Wie mit den Internet-Hinterlassenschaften Verstorbener umzugehen ist, c’t 2013, 62; Bock, Juristische Implikationen des digitalen Nachlasses, AcP 217 (2017), 370; Brinkert/Stolze/Heidrich, Der Tod und das soziale Netzwerk – Digitaler Nachlass in Theorie und Praxis, ZD 2013, 153; Brisch/Müller-ter Jung, Digitaler Nachlass – Das Schicksal von E-Mailund De-Mail-Accounts sowie Mediencenter-Inhalten, CR 2013, 446; Budzikiewicz, Digitaler Nachlass, AcP 218 (2018), 558; Conraths, Anmerkung zu KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, CR 2017, 454; Dietzel, Untergang statt Fortbestand – Zur Abgrenzung der unvererblichen Rechtsbeziehungen im Schuldrecht, Diss., Pfaffenweiler 1991; Deusch, Digitales Sterben: Das Erbe im Web 2.0, ZEV 2014, 2; Deusch, Digitaler Nachlass – Vererbbarkeit von Nutzerkonten in sozialen Netzwerken, Anmerkung zu LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 194; Deusch, Anmerkung zu KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 399; Deusch, Der digitale Nachlass vor dem BGH und die Praxisfolgen, ZEV 2018, 687; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Nr. 34/2013, Berlin, Juni 2013; Gloser, Anmerkung zu LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, DNotZ 2016, 545; Gloser, „Digitale Erblasser“ – und „digitale Vorsorgefälle“: He-

Bock

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§ 20

Digitaler Nachlass

rausforderungen der Online-Welt in der notariellen Praxis, Teil I: MittBayNot 2016, 12, Teil II: MittBayNot 2016, 101; Gloser, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, DNotZ 2018, 859; Gomille, Information als Nachlassgegenstand, ZUM 2018, 660; Goratsch, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, NZFam 2018, 810; Große-Wilde, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, MDR 2018, R5-R6; Grziwotz, Digitaler Nachlass eines Kindes, Anmerkung zu KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, FamRB 2017, 311; Herzog, Der digitale Nachlass – ein bisher kaum gesehenes und häufig missverstandenes Problem, NJW 2013, 3745; Herzog, Der digitale Nachlass ist in der Rechtswirklichkeit angekommen, ErbR 2016, 173; Herzog, Editorial: Der digitale Nachlass – zweite Runde!, ErbR 2017, 453; Herzog, Facebook und der digitale Nachlass: Anmerkung zu KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZErb 2017, 205; Herzog, Editorial: Der digitale Nachlass wird nach allgemeinen Regeln vererbt!, ErbR 2018, 549; Herzog/Pruns, Der digitale Nachlass in der Vorsorge- und Erbrechtspraxis, 2018; Hoeren, Der Tod und das Internet – Rechtliche Fragen zur Verwendung von E-Mail- und WWW-Accounts nach dem Tode des Inhabers, NJW 2005, 2113; Hoeren, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, MMR, 2018, 749; Hohenstein, Die Vererblichkeit des digitalen Nachlasses: Spannungsfeld zwischen postmortalem Persönlichkeitsrecht und dem Recht der Erben, K&R 2018, 5; Hoor, „Digitaler Nachlass“: Rechtliche und praktische Probleme und Gestaltungsempfehlungen für die anwaltliche Praxis, ZAP Fach 12, 319; Klas/Möhrke-Sobolewski, Digitaler Nachlass – Erbenschutz trotz Datenschutz, NJW 2015, 3473; Knoke, KG: Nach mir die Eltern? – Zugang zu Daten in sozialen Netzwerken nach dem Tod einer 15-jährigen Nutzerin; ZD-Aktuell 2017, 05683; Knoke, BGH: Facebook – Erbrecht vor Fernmeldegeheimnis und TKG, ZD-Aktuell 2018, 06269; Knoop, Digitaler Nachlass – Vererbbarkeit von Konten (minderjähriger) Nutzer in Sozialen Netzwerken, NZFam 2016, 966; Kuntz, Digitaler Nachlass: Zugang der Erben zum Facebook-Nutzerkonto, LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, jM 2016, 190; Kutscher, Der digitale Nachlass, Diss., Kiel 2015; Lange/Holtwiesche, Digitaler Nachlass – eine Herausforderung für Wissenschaft und Praxis, Teil 1: ZErB 2016, 125, Teil 2: ZErB 2016, 157; Lieder/Berneith, Anmerkung zur Entscheidung des LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15 – Zur Vererbbarkeit eines FacebookAccounts: Zugangsberechtigung der erbberechtigten Eltern einer verstorbenen 15-jährigen Nutzerin, FamRZ 2016, 743; Leeb, Bekannt verstorben – Rechtsfragen des Umgangs mit Social Media Daten Verstorbener, K&R 2014, 693; Litzenburger, Anmerkung zu LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, FD-ErbR 2016, 375286; Litzenburger, Anmerkung zu KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, FD-ErbR 2017, 392155; Litzenburger, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FD-ErbR 2018, 407688; Ludyga, „Digitales Update“ für das Erbrecht im BGB?, ZEV 2018, 1; Ludyga, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, ZEV 2018, 592; Mackenrodt, Der „digitale Nachlass“ und die Verweigerung des Zugangs zu einem Internetaccount gegenüber Erben – Anmerkung zu KG ZUM-RD 2017, 524, ZUM-RD 2017, 540; Mackenrodt, Digital Inheritance in Germany, EuCML 2018, 41; Martini, Der digitale Nachlass und die Herausforderung postmortalen Persönlichkeitsschutzes im Internet, JZ 2012, 1145; Preuß, Digitaler Nachlass – Vererbbarkeit eines Kontos bei einem sozialen Netzwerk, NJW 2018, 3146; Pruns, Keine Angst vor dem digitalen Nachlass! Erbrechtliche Grundlagen – Alte Probleme in einem neuen Gewand?, NWB 2013, 3161; Pruns, Keine Angst vor dem digitalen Nachlass! Erbrecht vs. Fernmeldegeheimnis?, NWB 2014, 2175; Pruns, Digitaler Nachlass – Irrungen und Wirrungen um § 88 Abs. 3 TKG, ZErb 2017, 217; Pruns, Der digitale Nachlass in der Beratungspraxis nach dem Facebook-Urteil des BGH, Teil I: ErbR 2018, 550, Teil II: ErbR 2018, 614; Raude, Der digitale Nachlass in der erbrechtlichen Praxis, RNotZ 2017, 17; Raude, Rechtsprobleme des digitalen Nachlasses: Der Anspruch der Erben auf Zugang zum Account des Erblassers in sozialen Netzwerken, ZEV 2017, 433; Rohlfing, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRB 2018, 364; Rössel, Anmerkung zu BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, ITRB 2018, 224; Rott/Rott, Wem gehört die E-Mail? Rechtsund Praxisprobleme beim digitalen Nachlass, NWB-EV 2013, 160; Salomon, „Digitaler Nachlass“ – Möglichkeiten der notariellen Vorsorge, NotBZ 2016, 324; Seidler, Digitaler Nachlass: Das postmortale Schicksal elektronischer Kommunikation, Diss., Hamburg 2016; Singer, Je digitaler die Gesellschaft, desto digitaler ihr Nachlass, NWB 2018, 2495; Solmecke/Köbrich/Schmitt, Der digitale Nachlass – Haben Erben einen Auskunftsanspruch? Überblick über den rechtssicheren Umgang mit den Daten von Verstorbenen; Solmecke/ Schmitt, Anmerkung zu LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZD 2016, 186; Sorge, Digitaler Nachlass als Knäuel von Rechtsverhältnissen, MMR 2018, 372; Steiner/Holzer, Praktische Empfehlungen zum digitalen Nachlass, ZEV 2015, 262; Streck, Die BGH-Facebook-Entscheidung: sympathisch unaufgeregt und plausibel, ErbR 2018, 565; Telle, Kommentar: Zugangsanspruch der Erben zum Facebook-Account und das Fernmeldegeheimnis, K&R 2017, 510; Thiesen, Daten in der Erbmasse: Der digitale Nachlass zwischen Erbgang und Rechtsdurchsetzung, Diss., Münster 2017; Uhrenbacher, Digitales Testament und digitaler Nachlass, Diss. Bochum 2016; Uhrenbacher, Rechtsprobleme des digitalen Nachlasses im Hinblick auf Pflichtteilsansprüche und Testamentsvollstreckung, ZEV 2018, 248; Willems, Erben 2.0 – zur Beschränkbarkeit der Rechtsnachfolge in das digitale Vermögen, ZfPW 2016, 494; Wunderlin/Bielajew, Digitaler Nachlass – was

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Digitaler Nachlass

Rz. 20.3 § 20

geschieht mit unseren „IT-Daten“ nach dem Tod?, IPRB 2014, 223; Wüsthof, Anmerkung zu Anmerkung zu KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ErbR 2017, 508; Wüsthof, Anmerkung zur Entscheidung des BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, ErbR 2018, 579.

I. Einleitung Für die meisten Menschen beschränkt sich das Leben heutzutage nicht mehr auf die „reale Welt“ offline, sondern die „online Welt“ ist ein selbstverständlicher Teil unseres Lebens geworden. Alltäglich hinterlassen wir kleinere und größere Spuren beim online-Shopping, in sozialen und geschäftlichen Netzwerken und bei der Nutzung sonstiger digitaler Angebote. Dadurch entsteht im Laufe der Zeit ein digitaler Schattenriss unserer Persönlichkeit und unseres Lebens1. Diese Schatten erlöschen jedoch nicht mit dem Lebenslicht der Menschen, sondern sind unabhängig davon und grundsätzlich auf unbestimmte Zeit in riesigen privaten und kommerziellen Datenspeichern eingebrannt – sie bilden den digitalen Nachlass eines jeden Menschen.

20.1

Der Begriff des digitalen Nachlasses dient als Schlagwort, das „die Gesamtheit der Rechtsverhältnisse des Erblassers betreffend informationstechnische Systeme einschließlich des gesamten elektronischen Datenbestandes des Erblassers“2 umschreibt3. Hinter diesem Schlagwort verbergen sich vielschichtige und komplexe juristische Fragen, die neben dem Erbrecht vor allem Fragen des Persönlichkeitsschutzes, das Datenschutz- und Telekommunikationsrecht betreffen.

20.2

Mit seinem Urteil vom 12.7.2018 hat der Bundesgerichtshof einen großen Schritt hin zu einem rechtssicheren Umgang mit dem digitalen Nachlass getan4. Er stellte das erstinstanzliche Urteil des LG Berlin5, das den Eltern den Zugang zum facebook-Profil ihrer verstorbenen minderjährigen Tochter gewährt hatte, wieder her und hob das Berufungsurteil des KG Berlin6 auf, welches die Frage der Vererblichkeit des facebook-Profils noch offen gelassen hatte, da es das Fernmeldegeheimnis als Durchsetzungssperre eines etwaigen Zugangsanspruchs der Eltern ansah. Der Bundesgerichtshof ging in seinem Urteil umfassend auf Kernfragen des digitalen Nachlasses ein und formulierte in seinem Leitsatz prägnant: „Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB auf dessen Erben über. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehal-

20.3

1 Bock, AcP 217 (2017), 370 (371); Martini, JZ 2012, 1145 (1146). 2 Deusch, ZEV 2014, 2 (2 f.). 3 Bock, AcP 217 (2017), 370 (372); Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 1; hingegen enger, da lediglich auf das Internet bezogen: Bräutigam in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 93; Pruns, NWB 2013, 3161 (3161). 4 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456; begrüßend: Apel, ZD 2018, 486; Biermann, ErbR 2018, 577; Deusch, ZEV 2018, 687; Gloser, DNotZ 2018, 859 (865); Gomille, ZUM 2018, 660; Goratsch, NZFam 2018, 810; Große-Wilde, MDR 2018, R5-R6; Herzog, ErbR 2018, 549; Litzenburger, FD-ErbR 2018, 407688; Ludyga, ZEV 2018, 592; MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 26, Aktualisierung vom 6.8.2018; Preuß, NJW 2018, 3146; Pruns, ErbR 2018, 550; Rohlfing, FamRB 2018, 364; Singer, NWB 2018, 2495; Streck, ErbR 2018, 565; Wüsthof, ErbR 2018, 579; teils kritisch Hoeren, MMR 2018, 749; Knoke, ZD-Aktuell 2018, 06269. 5 LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189; insgesamt begrüßend: Gloser, DNotZ 2016, 545; Lieder/Berneith, FamRZ 2016, 743; Litzenburger, FD-Erb 2016, 375286; Podszun, GWR 2016, 37; Solmecke/Schmitt, ZD 2016, 186; Wüsthof, ErbR 2016, 229, 230; teils kritisch: Deusch, ZEV 2016, 194; Kuhls, jurisPR-ITR 6/2016 Anm. 2, C.; Kuntz, jM 2016, 190. 6 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (390); zustimmend: Conraths, CR 2017, 462; Deusch, ZEV 2017, 399 (399); Knoke, ZD-Aktuell 2017, 5683; Staudinger/Kunz, § 1922 BGB, Rz. 596.5, 596.28 ff.; ablehnend: Biermann, ZErb 2017, 210; Biermann, ErbR 2018, 1; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408 ff.); Grziwotz, FamRB 2017, 311; Herzog, ErbR 2017, 453; Herzog, ZErb 2017, 205; Litzenburger, FD-ErbR 2017, 392155; Ludyga, ZEV 2018, 1 (6); Mackenrodt, EuCML 2018, 41, 46 f.; Mackenrodt, ZUM-RD 2017, 540 (541); Palandt/Weidlich, § 1922 BGB, Rz. 34; Pruns, ZErb 2017, 217; Wüsthof, ErbR 2017, 509; kritisch: Hohenstein, K&R 2018, 5 (10); Telle, K&R 2017, 510 (512).

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§ 20 Rz. 20.4

Digitaler Nachlass

tenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen.“

20.4 Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ermöglicht Beratung und Vorsorge im Hinblick auf den rechtlichen und tatsächlichen Umgang mit dem digitalen Nachlass auf einem rechtssicheren Fundament, macht diese aber keinesfalls entbehrlich1. Insbesondere bleibt abzuwarten, wie die Anbieter digitaler Dienste die höchstrichterliche Entscheidung in die Praxis umsetzen werden. Ihnen stehen zwei Ansatzpunkte zum weiteren Umgang mit den Konten verstorbener Nutzer zu: zum einen können sie über Individualvereinbarungen oder Allgemeine Geschäftsbedingungen versuchen, die Vererblichkeit des Nutzkontos doch auszuschließen, zum anderen werden sie Anforderungen an den Nachweis der Erbfolge stellen2.

20.5 Neben der weiteren Handhabung durch die Gerichte ist auch die politische Entwicklung zum digitalen Nachlass zu beobachten. Der Deutsche Anwaltverein hat bereits im Jahr 2013 ausdrücklich gefordert, dass der Gesetzgeber tätig werden solle3. Mittlerweile hat sich eine Arbeitsgruppe zur Justizministerkonferenz im Rahmen der Aufarbeitung der Folgen der Digitalisierung für das Zivilrecht ausführlich mit dem digitalen Nachlass beschäftigt. Aus dem Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017 an die Justizministerkonferenz geht ausdrücklich hervor, dass ein grundlegender zwingender Regelungsbedarf im Hinblick auf den digitalen Nachlass derzeit nicht gesehen wird4. Lediglich im Hinblick auf das TKG wird eine klarstellende gesetzliche Regelung befürwortet5. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofes gesetzliche Maßnahmen zu einem einheitlichen, schnellen und kostengünstigen Zugriff der Erben auf den digitalen Nachlass ergreifen wird6. Auf eine Kleine Anfrage7 hin, hat die Bundesregierung klargestellt, dass sie derzeit keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht8. Sie hat darin allerdings darauf hingewiesen, dass sie im Kontakt mit den Anbietern digitaler Dienstleistungen steht, um sich ein Bild über die von den Anbietern aus der Entscheidung zu ziehenden Konsequenzen zu machen und daraus eventuell folgenden Handlungsbedarf für die Regierung zu ermitteln.

II. Rechtliche Grundsätze zum digitalen Nachlass 20.6 Beratungssituation: Der Erblasser hat in seinem Testament eine gemeinnützige Stiftung zur Alleinerbin eingesetzt und seine beiden erwachsenen Kinder aus geschiedener Ehe enterbt. Er fragt seinen Berater, ob damit automatisch auch seine privaten digitalen Daten, insbesondere private E-Mails und die Inhalte seines facebook-Accounts, der Erbin zustehen oder ob seine Kinder nach dem Erbfall darauf Zugriff haben.

1. Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge

20.7 Die Vererbbarkeit des digitalen Nachlasses richtet sich nach dem Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 1922 BGB. Demnach geht mit dem Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf den oder die Erben über.

1 Biermann, ErbR 2018, 577 (579); Deusch, ZEV 2018, 687 (689); Wüsthof, ErbR 2018, 579 (582). 2 Litzenburger, FD-ErbR 2018, 407688. 3 DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass; gegenüber einem gesetzgeberischen Einschreiten hingegen kritisch: Rott/Rott, NWB-EV 2013, 160, 160 f. 4 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 406; dazu teilweise kritisch: Sorge, MMR 2018, 372. 5 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 349 (406). 6 Befürwortend bereits Biermann, ZErb 2017, 210 (217). 7 BT-Drucks. 19/3954 v. 23.8.2018, Kleine Anfrage, Digitaler Nachlass. 8 BT-Drucks. 19/4207 v. 10.9.2018, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP – Drucksache 19/3954 – Digitaler Nachlass.

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Digitaler Nachlass

Rz. 20.11 § 20

Welche Rechtspositionen aus dem digitalen Nachlass in die Erbschaft fallen, richtet sich nach dem erbrechtlichen Vermögensbegriff. Dieser umfasst die Rechtspositionen, die vererblich sind, also im Wege der Erbfolge auf einen Rechtsnachfolger übergehen können, nicht hingegen diejenigen, die unvererblich sind1. Ist eine Rechtsposition unvererblich, bedeutet dies nicht zwangsläufig ihren Untergang. Vielmehr kann sie außerhalb des Erbrechts von Todes wegen auf einen Rechtsnachfolger übergehen, vgl. § 563 f. BGB2.

20.8

Trotz der scheinbar anders lautenden Terminologie ist der Vermögenswert einer Rechtsposition nicht das entscheidende Kriterium für deren Vererblichkeit – insofern deckt sich der erbrechtliche Vermögensbegriff nicht mit dem allgemeinen Vermögensbegriff des BGB, der lediglich die geldwerten Güter einer Person umfasst3. Der Vermögenswert spielt allerdings im Hinblick auf das sich aus § 1922 Abs. 1 S. 1 BGB ergebende Regel-Ausnahme-Verhältnis der (Un-)Vererblichkeit eine entscheidende Rolle4: alle Rechtspositionen, die im weitesten Sinne einen Bezug zu den Vermögenswerten des Erblassers haben, sind grundsätzlich vererblich, die Unvererblichkeit stellt bei ihnen die Ausnahme dar. Nichtvermögenswerte Rechtspositionen sind hingegen grundsätzlich unvererblich und nur ausnahmsweise vererblich.

20.9

Die – unter Rz. 20.91 ff. näher beleuchteten – Rechtspositionen, die sich typischerweise im digitalen 20.10 Nachlass befinden, haben grundsätzlich einen Vermögensbezug5. Sie gewähren insbesondere den Zugriff auf gespeicherte Daten und Informationen, deren Vermögenswert als Handels- und Wirtschaftsgut heute in Zeiten der massiven Datenerhebung, -analyse und -verwertung unbestritten ist und der auf den Vermögenswert der jeweiligen Rechtsposition daran durchschlägt6. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 1922 BGB spricht damit zunächst für ihre Vererblichkeit. 2. Allgemeine Grenzen der Vererblichkeit Teilweise ordnet das Gesetz ausdrücklich an, dass eine Rechtsposition mit dem Tod erlischt ist, vgl. §§ 38, 759 Abs. 1, 1061 S. 1, 1586 Abs. 1, 1615 Abs. 1 BGB. Liegt eine solche ausdrückliche Regelung nicht vor, sind die Rechtsnormen zu beachten, die die betreffende Rechtsposition ausgestalten7. Die Unvererblichkeit von Rechtspositionen wird vor allem im Falle ihrer Höchstpersönlichkeit angenommen. Diese ist in Anlehnung an den allgemeinen Rechtsgedanken aus § 399 Alt. 1 BGB sowie § 38 BGB gegeben, „wenn diese so eng mit dem berechtigten oder verpflichteten Rechtssubjekt verbunden ist, dass sie nicht von diesem Rechtssubjekt gelöst werden kann, ein Wechsel des Rechtssubjekts damit aus-

1 Bock, AcP 217 (2017), 370 (374); MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 19; Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 16. 2 MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 19 ff.; Seidler, S. 52 ff. 3 Bock, AcP 217 (2017), 370 (374); Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (565); MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 19; Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 66 ff.; Seidler, S. 26 ff.; unsauber hingegen KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388). 4 Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 30; MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 19. 5 Bock, AcP 217 (2017), 370 (382); a.A. Burandt/Rojahn/Bräutigam, nach § 1922 BGB Rz. 5, bezüglich E-Mail-Accountverträgen. 6 Bock, AcP 217 (2017), 370 (382); Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (154); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 157 (161), vgl. auch den Vorschlag zu einer neuen EU-Richtlinie zur Datenzahlung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte vom 9.12.2015, COM(2015) 634 final, 2015/0287 (COD). Der herangezogene Vergleich zu Giroverhältnis und Guthaben spricht richtigerweise für diese Auffassung, da das Giroverhältnis, obwohl ihm selbst kein eigenständiger Vermögenswert zukommt, ebenfalls zunächst auf die Erben übergeht und erst im Nachhinein eine neue, eigene Rechtsbeziehung zwischen Erbe und Bank entsteht, BGH v. 10.10.1995 – XI ZR 263/94, NJW 1996, 190 (191); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (14). 7 Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (567); Uhrenbacher, S. 161 f.

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20.11

§ 20 Rz. 20.12

Digitaler Nachlass

geschlossen ist und der Tod des Rechtssubjekts zum Untergang der Rechtsbeziehung führt“1. Um dies zu ermitteln, kommt es maßgeblich auf den Willen und die schützenswerten Interessen aller beteiligten Rechtssubjekte an2. Dies sind Erblasser und Erbe, sowie bei schuldrechtlichen Beziehungen die weiteren beteiligten Personen. Zudem können schutzwürdige Interessen derjenigen Personen bestehen, die bei Einblicken in Inhalte mittelbar betroffen sind, insbesondere Kommunikationspartner des Erblassers3.

20.12 Die Vererblichkeit von Rechtspositionen mit digitalem Bezug wird vor dem Hintergrund der vielfach privaten und sehr persönlichen Inhalte und Nachrichten, an deren Geheimhaltung sowohl der Erblasser als auch Dritte ein Interesse haben könnten, angezweifelt4. Es geht um die Frage, ob Gegenstände, Inhalte und Informationen, deren Zugriff und Kenntnisnahme eine (herkömmliche) Rechtsposition vermittelt, sich so auf diese auswirken können, dass die Vererblichkeit der Rechtsposition ausgeschlossen ist5.

20.13 Der Blick auf §§ 2373 S. 2, 2047 Abs. 2 BGB zum Umgang mit Familienpapieren und -bildern und persönlichen Schriftstücken des Erblassers zeigt zwar, dass persönliche Inhalte die Vererbbarkeit nicht unbedingt ausschließen6. Eine unkritische Übernahme der Wertungen dieser Normen in die heutige Zeit eines beträchtlich ausgeweiteten Persönlichkeitsschutzes greift aber zu kurz7. Vielmehr lässt sich auch aus §§ 2373 S. 2, 2047 Abs. 2 BGB lediglich das Regel-Ausnahme-Verhältnis ableiten, dass der Inhalt grundsätzlich nicht auf die Rechtsposition durchschlägt8. Dies gilt sowohl für den digitalen als auch den analogen Bereich, da es auf das bloße Speicher- bzw. Trägermedium nicht ankommt9. a) Gemeinsame Disposition der Vertragsparteien

20.14 Die Parteien eines Vertrages können den Übergang der vertraglichen Rechte und Pflichten aufgrund der schuldrechtlichen Dispositionsfreiheit ausschließen, wenn dem nicht zwingende gesetzliche Sonderregeln entgegenstehen10. Dazu können sie insbesondere eine auflösende Befristung i.S.d. § 163 BGB vereinbaren. Um einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall gemäß §§ 328, 331 BGB handelt es sich, wenn sie bestimmen, dass ein Anspruch mit dem Tod von selbst auf einen Dritten übergehen soll. In diesen Fällen fällt das Schuldverhältnis gar nicht in den Nachlass, sondern erlischt oder geht daran vorbei auf einen Rechtsnachfolger über11. Ob derartige Vereinbarungen vorliegen, ist durch Auslegung

1 Dietzel, S. 12; ähnlich BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 34; Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (565); Herzog, NJW 2013, 3745 (3747 f.). 2 Bock, AcP 217 (2017), 370 (383); Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 75; Seidler, S. 38, möchte im Einzelfall unter Berücksichtigung von Inhalt, Wirkung und Zweck der Rechtsposition entscheiden. 3 Bock, AcP 217 (2017), 370 (383). 4 Hoeren, NJW 2005, 2113 (2114); Martini, JZ 2012, 1145 (1147 ff.). 5 Bock, AcP 217 (2017), 370 (383); Burandt/Rojahn/Bräutigam, nach § 1922 BGB Rz. 10; ähnlich Alexander, K&R 2016, 301 (305); im Kern meint dies wohl auch KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (389). 6 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 49; LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191); wohl auch KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (389); sehr ausführlich: Herzog, ZErb 2017, 205, (206 f.); Gloser, DNotZ 2016, 545 (546); Kutscher, S. 92; Pruns, NWB 2013, 3161 (3166 f.). 7 Bock, AcP 217 (2017), 370 (384); zustimmend: Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (575 f.). 8 Bock, AcP 217 (2017), 370 (384). 9 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 50. 10 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 24; Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (448); Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (566); Dietzel, S. 30 f.; MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 21; Raude, ZEV 2017, 433 (437). 11 MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 115.

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Digitaler Nachlass

Rz. 20.18 § 20

gem. §§ 157, 133 BGB zu ermitteln, wobei derjenige, der sich auf eine vom Grundsatz der Vererblichkeit abweichende Vereinbarung beruft, die Darlegungs- und Beweislast trägt1. Auf die Disposition über die Vererblichkeit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird unter Rz. 20.119 ff. ausführlich eingegangen.

20.15

Trifft der Erblasser hingegen einseitig letztwillige Verfügungen, berührt dies nicht die Vererblichkeit der Rechtsposition, sondern regelt, wie mit ihr im Anschluss an den Erbgang zu verfahren ist2.

20.16

b) Geheimhaltungspflichten Geheimhaltungsinteressen des Erblassers, seiner Vertragspartner oder sogar Dritter können zur Un- 20.17 vererblichkeit des Schuldverhältnisses und der daraus resultierenden Auskunftsansprüche führen, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern besteht und die Sicherung der andauernden Geheimhaltung als Leistungszweck nur gegenüber dem Verstorbenen als Gläubiger erfüllt werden kann3. Es ist durch Auslegung der vertraglichen Rechte und Pflichten genau zu untersuchen, ob die Verschwiegenheitspflicht postmortal gerade gegenüber den Erben einzuhalten ist4. So wirkt das Bankgeheimnis nicht gegenüber den Erben, da sich dieses auf die vermögensrechtlichen Belange einer Person bezieht, in die der Erbe eintreten soll5. Im Rahmen des digitalen Nachlasses wird diskutiert, ob die Diensteanbieter bei den Nutzern beson- 20.18 deres persönliches Vertrauen in Anspruch nehmen, das die Geheimhaltung gegenüber Erben gebietet. Dies ist im Regelfall abzulehnen6. Das Vertrauen der Nutzer richtet sich vor allem darauf, dass die Diensteanbieter die Daten der Nutzer nicht der Öffentlichkeit zugänglich machen, sie kommerzialisieren oder sonst wie für ihre eigenen Zwecke missbrauchen7. Das Vertrauensverhältnis zwischen Nutzer und Diensteanbieter steht wertungsmäßig nicht mit den anerkannten Geheimhaltungspflichten auf einer Stufe8. So sind die Schweigepflicht des Arztes und die Einsicht in Krankenakten und das anwaltliche und notarielle Beratungsgeheimnis gem. § 42a Abs. 2 S. 1 BRAO, § 18 Abs. 1, 2 2. Halbsatz BNotO, sowie das Archivgeheimnis gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 BArchG besonders gesetzlich angeordnet und gemäß § 203 Abs. 4 StGB strafbewehrt9. Selbst bei diesen Geheimhaltungspflichten sind Ausnahmen möglich, wenn eine mutmaßliche Einwilligung des Verstorbenen vorliegt10.

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10

Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 41. Bock, AcP 217 (2017), 370 (385); Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 54. Bock, AcP 217 (2017), 370 (385 f.); Dietzel, S. 133. Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 45. KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (389); Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 549. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 39; LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191); KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388 f.); Burandt/Rojahn/ Bräutigam, nach § 1922 BGB Rz. 9; Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 53 f.; Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473 (3477); a.A. Martini, JZ 2012, 1145 (1152 f.). Burandt/Rojahn/Bräutigam, nach § 1922 BGB Rz. 9; Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 42; Martini, JZ 2012, 1145 (1149), sieht diese Gefahr ebenfalls. LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191); Pruns, ZErb 2017, 217 (221); Seidler, S. 109 f. LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191); Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 54; Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473 (3477). BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, Krankenunterlagen, NJW 1983, 2627 (2628 f.); Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 46 ff.

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§ 20 Rz. 20.19

Digitaler Nachlass

c) Wille und Interessen des Erblassers

20.19 Die Debatte um die Vererblichkeit von Rechtspositionen mit Bezug zu privaten, persönlichen und höchstpersönlichen Inhalten wird vor allem mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte des Erblassers geführt. aa) Auswirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

20.20 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht beruht auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Es erlischt mit dem Tod des Menschen, da der Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG eine potenziell oder zukünftig handlungsfähige Person voraussetzt1. Dennoch erlöschen zivilrechtlich nicht alle persönlichkeitsbezogenen Rechtspositionen mit dem Tod.

20.21 Hier wird differenziert: die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts, sowie die aus deren Verletzung lebzeitig entstandenen Ansprüche sind nicht vererblich und erlöschen mit dem Tod. Die kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts hingegen, die dem spezifischen Vermögensbezug der Persönlichkeit und ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit Rechnung tragen, gehen insoweit auf die Erben über, als dass sie zu Lebzeiten der Person einen Vermögenswert gewonnen haben2. Dem Erben stehen sowohl die Nutzung dieser kommerziellen Persönlichkeitsbestandteile, als auch Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche gegen lebzeitige sowie gegen postmortale Verletzungen zu3. Der Erbe muss sich bei der Ausübung der Nutzungs- und Abwehrbefugnisse jedoch an den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Erblassers halten, da diese im Persönlichkeitsrecht des Erblassers wurzeln4.

20.22 Auf den ersten Blick könnte man Rechtspositionen an Profilen in sozialen Netzwerken zu den ideellen Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts zählen. Viele Menschen pflegen ihre Profile akribisch, teilen darüber Freude, Leid, Interessen und alles, was sie und ihren Alltag bewegt5. Das Profil trägt so wesentlich dazu bei, wie sich Menschen selbst wahrnehmen und wie andere sie wahrnehmen (sollen)6. Es stellt nicht nur ein detailliertes Abbild der Persönlichkeit dar, sondern steht mit ihr in wechselseitigem Einfluss und bildet dadurch einen Teil von ihr7.

20.23 Diese Sichtweise ließe aber unberücksichtigt, dass in den in den Profilen verfügbaren Daten und Inhalten ein kommerzieller Wert steckt, der selbst nach dem Tod von den datenverarbeitenden und -analysierenden Unternehmen ausgenutzt werden kann. Selbst Accountverträge mit erheblichem Persönlichkeitsbezug, wie bei sozialen Netzwerken oder Datingportalen, und erst recht solche mit gemischt geschäftliche-privatem Bezug lassen sich daher den kommerziellen, vererbbaren Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts zuordnen8.

1 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, Mephisto, BVerfGE 30, 173 (194); BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, Wilhelm Kaisen, NJW 2001, 2957 (2959); anders noch BGH v. 26.11.1954 – I ZR 266/52, Cosima Wagner, BGHZ 15, 249 (259); BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, Mephisto, BGHZ 50, 133 (143). 2 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, Marlene Dietrich, BGHZ 143, 214 (220 ff.); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 157 (160); MüKo/Leipold, § 1922 BGB, Rz. 131 ff. 3 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, Marlene Dietrich, BGHZ 143, 214 (220 ff.); Götting, NJW 2001, 585 (585 ff.); MüKo/Leipold, § 1922 BGB, Rz. 133. 4 BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, Marlene Dietrich, BGHZ 143, 214 (226); BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, kinski-klaus.de, BGHZ 169, 193 (199); Lange, Erbrecht, § 9 Rz. 41. 5 Bock, AcP 217 (2017), 370 (387). 6 Bock, AcP 217 (2017), 370 (387). 7 Bock, AcP 217 (2017), 370 (387). 8 Bock, AcP 217 (2017), 370 (388).

920

Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.28 § 20

bb) Auswirkungen des postmortalen Persönlichkeitsrechts Aus der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde folgt ein postmortaler Schutz der Persön- 20.24 lichkeit1. Diesem Schutz unterfällt zum einen der objektiv-rechtliche allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt und der Herabwürdigungen oder Erniedrigungen untersagt, und zum anderen der subjektive sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre Lebensleistung erworben hat2. Führt man sich den strengen Prüfungsmaßstab vor Augen, der für eine Verletzung der Menschenwürde 20.25 des Verstorbenen einen massiven Eingriff in dessen Identität, Individualität und Integrität fordert, wird deutlich, dass die bloße Kenntnisnahme oder sogar nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme privater und selbst intimer Inhalte durch den Erben grundsätzlich noch nicht zu einem solchen Verstoß führt3. Im Grundsatz besteht kein postmortaler Geheimnisschutz gegenüber den Erben4. Dieser Grundsatz gilt neben dem analogen gleichfalls für den digitalen Nachlass, sodass der bloße Zu- 20.26 griff und die Kenntnisnahme (potenziell) persönlicher oder intimer Informationen nicht die Menschenwürde verletzen und zu einer Unvererblichkeit oder eingeschränkten Handhabung digitaler Rechtspositionen durch die Erben führen5. Eine unterschiedliche Behandlung von Rechtspositionen mit Bezug zu höchstpersönlichen, privaten und geschäftlichen Inhalten erfolgt nicht6. Anderes gilt hingegen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten Anordnungen zum postmortalen Umgang 20.27 mit Rechtspositionen und Inhalten getroffen hat, die von den Erben missachtet werden7. Hat er keine Anordnungen getroffen, ist sein mutmaßlicher Wille unter Berücksichtigung seiner wohlverstandenen, schützenswerten Interessen zu ermitteln8. Gibt der Verstorbene zu Lebzeiten seine Zugangsdaten und Passwörter an eine andere Person weiter, indiziert dies, dass er insoweit auf seinen postmortalen Geheimnisschutz verzichtet. Der bloße Passwortschutz lässt hingegen nicht den Rückschluss zu, dass der Wille des Verstorbenen der Vererbung bzw. dem Zugriff durch die Erben entgegensteht, da sich dieser vielmehr gegen den Zugriff unberechtigter Dritter zu Lebzeiten richtet9. Mit Blick auf Rechtspositionen und Inhalte im digitalen Nachlass ist zudem Folgendes zu beachten: Profile in sozialen Netzwerken oder auch auf Datingportalen können zwar ein umfassendes Abbild

1 BVerfG v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94, Wilhelm Kaisen, NJW 2001, 2957 (2959); BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, Mephisto, BVerfGE 30, 173 (194); BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 53. 2 BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, Mephisto, BVerfGE 30, 173 (194); BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 53; Spilker, DÖV 2014, 637 (639). 3 Ausführlich Bock, AcP 217 (2017), 370 (391 ff.). 4 BGH v. 26.11.1954 – I ZR 266/52, Cosima Wagner, BGHZ 15, 249 (257 f.); Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 44 f.; Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.7, 633. 5 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 47 f., 52; Bock, AcP 217 (2017), 370 (395); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (16); Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 50; Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473 (3477); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (126); Palandt/Weidlich, § 1922 BGB Rz. 34; Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 (291); Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (263); Wunderlin/Bielajew, IPRB 2014, 223 (225); hinsichtlich Erwachsener offenlassend LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (192); zweifelnd hingegen KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (390); a.A. Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (155); Hoeren, NJW 2005, 2113 (2114); Martini, JZ 2012, 1145 (1150 ff.). 6 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 47 f. 7 BGH v. 26.11.1954 – I ZR 266/52, Cosima Wagner, BGHZ 15, 249 (257 f.); Spilker, DÖV 2015, 54 (54 f.); ähnlich Martini, JZ 2012, 1145 (1150 f.); Thiesen, S. 223 ff. 8 Bock, AcP 217 (2017), 370 (391, 393 f.). 9 Alexander, K&R 2016, 301 (305); Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (449).

Bock

921

20.28

§ 20 Rz. 20.29

Digitaler Nachlass

der Persönlichkeit des Erblassers abgeben, dieser hat sie aber selbst einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, sodass er sich seiner Schutzwürdigkeit (teilweise) begeben hat1.

20.29 Danach kann lediglich an unveröffentlichten Inhalten und Nachrichten ein Geheimhaltungsinteresse des Erblassers bestehen. Bis auf den Verstorbenen kennt aber niemand die genauen Inhalte und wie sie im Hinblick auf ihre Privatheit einzustufen sind, sodass die Abwägung, ob die Menschenwürde des Verstorbenen durch ihre Kenntnisnahme nicht nur berührt, sondern verletzt ist, nicht im Hinblick auf feststehend, sondern lediglich auf potenziell vorliegende Inhalte stattfindet2. Nähme man eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts bereits durch die Möglichkeit der Kenntnisnahme privater oder höchstpersönlicher Inhalte an, führte dies zu einer sehr weitreichenden „Infektion“3 mit der Unvererblichkeit aus diesem Grund, da in nahezu jedem digitalen oder analogen vermögenswerten Gegenstand des Erblassers private Inhalte versteckt sein können4.

20.30 Demnach könnten eine Rechtsnachfolge und Nachlassabwicklung ohne Vorsortierung der Inhalte nicht erfolgen und wären blockiert. Eine Sortierung der Inhalte ist aber abzulehnen5. Sie würde zunächst eine rechtlich sehr schwierige Abgrenzung zwischen schwerpunktmäßig (höchst)persönlichen und geschäftlichen Internetaccounts oder sonstigen Datenträgern, sowie innerhalb derer oder sogar einer einzelnen Nachricht zwischen höchstpersönlichen und nicht-höchstpersönlichen Inhalten erfordern. Die Schwierigkeit einer Abgrenzung liegt aber gerade darin, dass auch höchstpersönliche Inhalte im Erbgang eine vermögensrechtliche Relevanz haben können6.

20.31 Zudem könnte die Sortierung nicht ohne die Kenntnisnahme irgendeiner Person erfolgen, die sich ohne die Bestimmung durch den Erblasser nicht ohne weiteres ergibt7. Den Nachlassgerichten fehlt schon die notwendige Befugnis und darüber hinaus wären sie damit heillos überlastet8. Die Diensteanbieter in Anspruch zu nehmen, scheidet aus, weil nicht ersichtlich ist, warum ihnen ein besonderes Vertrauen entgegengebracht werden sollte, vgl. §§ 91 ff. TKG, §§ 11 ff. TMG, und dies mit erheblichen Kosten einherginge9. Auch die Angehörigen sind nicht für diese Aufgabe geeignet. Ihnen steht schon keine Rechtsgrundlage für die Kenntnisnahme oder den Zugriff auf Inhalte zu und zudem hätte dies eine überschießende Kenntnisnahme von Inhalten, die nur den Erben zustehen, zur Folge10. Letztlich wären die Erben grundsätzlich die einzig geeigneten Personen für eine Differenzierung und Sortierung der Inhalte – ihnen stehen ohnehin die vermögenswerten Rechtspositionen und deren Inhalte zu und ihnen pauschal ein Ausforschen intimer Details oder eine Profilbildung zu unterstellen ist fernliegend, 1 Bock, AcP 217 (2017), 370 (391); Kutscher, S. 110; Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 157 (160); Martini, JZ 2012, 1145 (1152). 2 Bock, AcP 217 (2017), 370 (392). 3 Bräutigam in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 24 f.; Kutscher, S. 105 f.; Martini, JZ 2012, 1145 (1152). 4 Bock, AcP 217 (2017), 370 (392). 5 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 51; LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191); Bock, AcP 217 (2017), 370 (394); Burandt/Rojahn/Bräutigam, nach § 1922 BGB Rz. 10; Gloser, MittBayNot 2016, 12 (16); Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 52; Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473 (3474); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (127); Solmecke/ Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 (291); Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (263); Wunderlin/Bielajew, IPRB 2014, 223 (225); a.A. Hoeren, NJW 2005, 2113 (2114); Martini, JZ 2012, 1145 (1152 f.). 6 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 51. 7 LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191); Alexander, K&R 2016, 301 (304); Burandt/ Rojahn/Bräutigam, nach § 1922 BGB Rz. 10; Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 52; Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 157 (161); Martini, JZ 2012, 1145 (1152), schlägt eine Abgrenzung anhand von § 100a Abs. 4 S. 2 StPO vor. 8 Kutscher, S. 113. 9 Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (449); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (16); Herzog in Kroiß/Horn/ Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 45; Seidler, S. 111 f.; a.A. Martini, JZ 2012, 1145 (1152). 10 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (390); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (17); Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 53; a.A. Seidler, S. 102 f.

922

Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.35 § 20

da es sich sowohl bei den gewillkürten als auch den gesetzlichen Erben grundsätzlich um dem Erblasser sowohl im Hinblick auf vermögensrechtliche als auch persönliche Interessen nahestehende und vertrauenswürdige Personen handelt1. Überschritten sein kann die Grenze zur Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrecht freilich bei 20.32 Handlungen der Erben, die über die eigene, bloße Kenntnisnahme hinausgehen. Etwa wenn sie private, geheime Inhalte veröffentlichen oder sich die Persönlichkeit des Erblassers „anmaßen“, etwa indem sie seine Profile in sozialen Netzwerken durch weitere „Likes“ und „Posts“ weiterführen, ohne den Tod des Verstorbenen kenntlich zu machen2. Insofern gehen sowohl das LG Berlin als auch das KG Berlin davon aus, dass der Accountvertrag mit dem Anbieter eines sozialen Netzwerkes überhaupt nur insoweit vererblich sein kann, als er Zugangs- und Auskunftsansprüche gewährt (sog. passives Leserecht), nicht hingegen bezüglich der darüber hinausgehenden Nutzung des Accounts3. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage offengelassen, aber darauf hingewiesen, dass eine aktive Weiternutzung eines Accounts in einem sozialen Netzwerk in der Praxis ohnehin regelmäßig nicht beabsichtigt sein wird4. Zivilrechtlich wird der postmortale Persönlichkeitsschutz gewährleistet, indem nach dem Tod der Schutz der ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts den dazu Wahrnehmungsberechtigten obliegt, die gegen Verletzungen mithilfe von Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen gemäß § 1004 BGB analog vorgehen können5.

20.33

Es handelt sich lediglich um Abwehransprüche, eine positive Zuweisung von Positionen, in denen die ideellen Bestandteile der Persönlichkeit zum Ausdruck kommen, oder die Kenntnisnahme von persönlichen Inhalten gewährleisten sie nicht6. Anders beurteilt dies das LG Berlin im Hinblick auf die Kenntnisnahme bei Minderjährigen „an der Grenze zur Einsichtsfähigkeit“, da deren Eltern als Erziehungsberechtigten ohnehin zu Lebzeiten die Wahrnehmung der ideellen Persönlichkeitsrechte zugeordnet sei7.

20.34

Die Wahrnehmungsberechtigten kann der Verstorbene zu Lebzeiten formlos bestimmen8. In Ermangelung einer Bestimmung sind in Analogie zu § 77 Abs. 2 StGB, § 22 KUG, § 60 Abs. 2 UrhG die nächsten Angehörigen, die nicht mit den Erben übereinstimmen müssen, zur Wahrnehmung berechtigt9.

20.35

1 Bock, AcP 217 (2017), 370 (393). 2 BGH v. 26.11.1954 – I ZR 266/52, Cosima Wagner, BGHZ 15, 249 (257 f.); BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, Mephisto, BGHZ 50, 133 (144 ff.); Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 340; Bock, AcP 217 (2017), 370 (395); MüKo/Leipold, § 1922 BGB, Rz. 26; Lieder/Berneith, FamRZ 2016, 743 (744). 3 LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191); KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (387). 4 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 36. 5 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, Mephisto, BGHZ 50, 133 (137 f.); BGH v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73, Fiete Schulze, GRUR 1974, 797 (798 f.); BGH v. 17.5.1984 – I ZR 73/82, Frischzellenkosmetik, GRUR 1984, 907 (908); BGH v. 14.11.1995 – VI ZR 410/94, Willy Brandt, NJW 1996, 593 (594 f.); BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 53; MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 123, 125. 6 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 53; KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (389); Bock, AcP 217 (2017), 370 (393); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (17); a.A. Seidler, S. 102 f. 7 LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (192); zustimmend Gloser, DNotZ 2016, 545 (546 f.). 8 BGH v. 26.11.1954 – I ZR 266/52, Cosima Wagner, BGHZ 15, 249 (259); MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 123. 9 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, Mephisto, BGHZ 50, 133 (140); BGH v. 17.5.1984 – I ZR 73/82, Frischzellenkosmetik, GRUR 1984, 907 (908).

Bock

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§ 20 Rz. 20.36

Digitaler Nachlass

cc) Spezifische Auswirkungen des Datenschutzrechts

20.36 Die Vererblichkeit des digitalen Nachlasses bzw. der Zugriff darauf wird auch unter dem Aspekt der spezifischen Regelungen des Datenschutzrechts diskutiert. Im Folgenden wird auf die datenschutzrechtlichen Aspekte aus Sicht des Verstorbenen eingegangen, in den Rz. 20.50 ff. erfolgt die Betrachtung im Hinblick auf Dritte, insbesondere Kommunikationspartner des Verstorbenen.

20.37 Die europäische Datenschutzgrundverordnung ist laut ihrer Erwägungsgründe Nr. 27, 158 ausdrücklich nicht auf Daten Verstorbener anwendbar1. Der Gesetzgeber hat es bei der Anpassung des deutschen Datenschutzrechts an die DSGVO verpasst, Fragen des digitalen Nachlasses einer Klärung zuzuführen. Insbesondere gibt das in Art. 17 DSGVO normierte „Recht auf Vergessen“ Anlass, den postmortalen Datenschutz zu überdenken2. Teilweise wird aus dem Recht auf Datenportabilität aus Art. 20 DSGVO hergeleitet, dass die Daten des Verstorbenen gerade nicht den Diensteanbietern zugeordnet sein sollen3. Die Entwicklungen in Politik, Gesetzgebung und Rechtswissenschaft sind hier weiter zu beobachten.

20.38 Die wohl h.M. ist der Ansicht, dass das Datenschutzrecht weder der Vererblichkeit von Rechtspositionen noch dem Zugriff der Erben darauf entgegensteht4. Das Bundesdatenschutzgesetz ist nach h.M. schon gar nicht auf die Daten Verstorbener anwendbar5. Es stellt eine einfachgesetzliche Konkretisierung, vgl. § 1 Abs. 1 BDSG, des Rechts aus informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar, welches mit dem Tod erlischt6. Ein ausreichender postmortaler Datenschutz wird über das allgemeine Zivilrecht gesichert, sodass keine Schutzlücke entsteht7. Wollte man das BDSG doch auf die Daten Verstorbener anwenden, wären beim Zugriff durch die Erben jedenfalls die Ausschlussgründe der §§ 1 Abs. 2, Nr. 3 letzter Halbsatz, 27 Abs. 1 S. 2 BDSG erfüllt, da selbst die Herausgabe der Daten durch einen geschäftlichen Diensteanbieter im Schwerpunkt die Wahrnehmung persönlicher oder familiärer Tätigkeiten bezweckt8.

20.39 Uneinigkeit besteht hingegen darüber, ob jedenfalls die Betroffenenrechte der §§ 33-35 BDSG auf die Erben übergehen, was die Nachlassabwicklung erleichtern könnte9.

20.40 Für den Datenschutz nach dem Telemediengesetz gilt Entsprechendes, vgl. §§ 12 Abs. 3, 13 Abs. 8 TMG10. d) Wille und Interessen des Erben

20.41 Da die Erben zu Lebzeiten des Erblassers lediglich eine nicht schutzwürdige Erberwartung haben, sind ihre Interessen von der Unvererblichkeit einer Rechtsposition grundsätzlich nicht betroffen11. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 67. Alexander, K&R 2016, 301 (307). Mackenrodt, ZUM-RD 2017, 540 (542); Mackenrodt, EuCML 2018, 41 (47). Ausführlich Bock, AcP 217 (2017), 370 (398 ff.); Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (577 ff.); Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473 (3475 f.); Uhrenbacher, S. 192 f. A.A. Martini, JZ 2012, 1145 (1148 f.). Zuck/Mayen in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 90 f. Däubler/Wedde/Weichert/Klebe/Weichert, § 3 BDSG, Rz. 4; Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473 (3476); Kuntz, jM 2016, 190, 192; Gola/Schomerus/Gola/Schomerus, § 3 BDSG, S. 12. Bock, AcP 217 (2017), 370 (400); Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (155); Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (450); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (18); Hoeren, NJW 2005, 2113 (2115). Bejahend: LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (194); Bock, AcP 217 (2017), 370 (400 f.); Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 (293); ablehnend KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (398 f.); Raude, ZEV 2017, 433 (437); Thiesen, S. 138 ff. Bock, AcP 217 (2017), 370 (401 f.); Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (580 ff.); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 157, 157 f.; ausführlich Uhrenbacher, S. 182 ff. Bock, AcP 217 (2017), 370 (396); MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 163.

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Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.46 § 20

Eine Höchstpersönlichkeit aufgrund der Unzumutbarkeit der Leistungserbringung für den Erben, vgl. § 613 S. 1, (§ 675 i.V.m.) § 673 S. 1 BGB, scheidet grundsätzlich ebenfalls aus, da bei online-Verträgen der (verstorbene) Nutzer in der Regel nur die Gegenleistung in Geld oder Daten erbringt1. Besteht das Entgelt in der Zurverfügungstellung von Daten, hängt dieses vom konkreten Nutzerverhalten ab, sodass der Erbe die Preisgabe seiner Daten selbst in der Hand hat.

20.42

Es würde allerdings zu einer Kollision mit den berechtigten Interessen des Erben kommen, wenn 20.43 der persönliche Inhalt, auf den eine Rechtsposition den Zugriff gewährt, zur Unvererblichkeit oder der Einschränkung des Zugriffs des Erben führt2. Dies wäre jedenfalls bei gemischt geschäftlich-privaten Inhalten der Fall, bspw. in einem E-Mail Account. Ohne Kenntnisnahme kann sich der Erbe hier schon keinen Überblick über den gesamten Nachlass verschaffen, was zur Entscheidung über Annahme und Ausschlagung der Erbschaft notwendig ist, geschweige denn seine Rechte und Pflichten umfassend wahrnehmen, wenn er die Erbschaft angenommen hat3. Gerade der uneingeschränkte Zugriff auf den E-Mail Account des Erblassers ist für den Erben von höchstem Interesse, da hier die digitalen Korrespondenzen mit den Geschäftspartnern des Erblassers zusammenlaufen, wodurch insbesondere Rückschlüsse auf weitere Accountverträge und weitere Rechte und Pflichten des Erblassers möglich sind4. e) Wille und Interessen der Diensteanbieter Die Unvererblichkeit einer Rechtsposition kann daraus folgen, dass der Gläubiger an der Person des Schuldners ein besonderes Interesse hat. Dies ist gegeben, wenn die Leistungserbringung durch eine andere Person unmöglich ist, da sie von den besonderen persönlichen Fähigkeiten, Kenntnissen und Eigenschaften des Erblassers abhängt, vgl. §§ 673, 613 S. 1 BGB5. Zudem kann dem Schuldner ein Gläubigerwechsel unzumutbar sein6. Die Leistung kann also ohne Änderung ihres Inhalts nicht an eine andere Person als den Erblasser erbracht werden7.

20.44

Das Verhältnis von Diensteanbieter und Nutzer kann je nach online-Dienst stark variieren. Der Umgang mit Nutzerkonten und Daten nach dem Tod des Nutzers ist geprägt von Pragmatismus und Kosteneffizienz8. Oftmals steht der Anbieter der Person des Nutzers indifferent gegenüber.

20.45

Der verstorbene Nutzer erbringt bei den typischerweise zum digitalen Nachlass gehörenden Schuldverhältnissen in der Regel nicht die vertragscharakteristische Leistung, sondern nur die Gegenleistung als Entgelt in Geld oder Daten9. Diese Gegenleistung kann grundsätzlich ebenso der Erbe erbringen. Dafür spricht, dass Diensteanbieter Accountverträge regelmäßig ohne nähere Prüfung der Identität oder Solvenz des Nutzers abschließen und im Laufe des Vertragsverhältnisses nur in Ausnahmefällen kontrollieren10. Zudem bleiben im Erbfall die an den Diensteanbieter zu Lebzeiten übertragenen Rechte an vorhandenen Inhalten bestehen11. Dem wird teilweise entgegengehalten, dass die Diensteanbieter anhand der persönlichen Daten der einzelnen Nutzer und ihrem Nutzerverhalten Persönlichkeitsprofile erstellen, die etwa für individualisierte Werbung genutzt werden. Bei einer Nut-

20.46

1 Bock, AcP 217 (2017), 370 (396). 2 Dies ist allerdings schon mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen des Erblassers abzulehnen, s.o. Rz. 20.19 ff. 3 Bock, AcP 217 (2017), 370 (396 ff.); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (14); Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473 (3474). 4 Bock, AcP 217 (2017), 370 (397). 5 Ähnlich Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (565). 6 Bock, AcP 217 (2017), 370 (395); Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (155); Dietzel, S. 88 f. 7 Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (565). 8 Thiesen, S. 9. 9 Bock, AcP 217 (2017), 370 (395). 10 Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (155); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (126); Leeb, K&R 2014, 693 (694). 11 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 38.

Bock

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§ 20 Rz. 20.47

Digitaler Nachlass

zung von Accounts durch den Erben würde es zu einer Vermischung mit dem Nutzerverhalten des Erblassers kommen und die Identifikation werberelevanter Präferenzen werde erschwert1. Dieser Einwand wiegt aber nicht besonders schwer, denn es ist durchaus davon auszugehen, dass die Programme und Algorithmen, die die werberelevanten Daten herausfiltern, in der Lage sind, kurzfristige Änderungen des Nutzerverhaltens zu analysieren und die Werbung an das geänderte Verhalten anzupassen.

20.47 Auch die Leistung der Diensteanbieter ist nicht in besonderem Maße auf den spezifischen Nutzer als Gläubiger zugeschnitten2. Sie müssen Plattformen und Accounts den Nutzern gleichermaßen zur Verfügung stellen und Kommunikationsinhalte übermitteln3. Es handelt sich um rein technische Leistungen der Diensteanbieter, die – anders als bei einem Behandlungsvertrag mit einem Arzt – unverändert gegenüber den Erben erbracht werden können4. Die Personifizierung und Zuweisung der Accounts zu den einzelnen Nutzern dient lediglich als Ordnungsrahmen5. Anders wird dies teilweise für Partnerschaftsbörsen gesehen, da die Vermittlungsleistung hier auf den Erblasser zugeschnitten sei6. Dem lässt sich entgegenhalten, dass die Partnervorschläge mithilfe von Algorithmen generiert werden. Die notwendigen Such- und Vermittlungskriterien können in der Regel jederzeit ohne Weiteres vom Nutzer angepasst und geändert werden, woraufhin der zugrunde liegende Algorithmus dem Nutzer neue Vermittlungsvorschläge unterbreitet.

20.48 Ansonsten haben Diensteanbieter, wie jegliche Geschäftspartner, ein Interesse an der zügigen und reibungslosen Abwicklung der geschäftlichen Beziehungen7. Allerdings kann es auch sein, dass Diensteanbieter die vom Erblasser zu Lebzeiten zur Verfügung gestellten Daten und Informationen auch nach dessen Tod weiter wirtschaftlich ausbeuten möchten. So kann etwa das Profil eines Verstorbenen als virtuelle Gedenkstätte Nutzer anlocken und damit „traffic“ generieren8. Auch für statistische Zwecke können die bestehenden Daten weiter aussagekräftig sein. Andererseits können Diensteanbieter daran interessiert sein, ihre Dienste von Karteileichen freizuhalten und Speicherkapazitäten zurückzugewinnen9.

20.49 Jedenfalls wollen Diensteanbieter vermeiden, durch die Herausgabe von Informationen oder Zugangsgewährung gegen Gesetze und Rechte Dritter zu verstoßen, insbesondere wollen sie sich nicht strafbar machen. Bis auf diesen letzten Aspekt sprechen schützenswerte Interessen der Diensteanbieter grundsätzlich nicht gegen die Vererblichkeit der Nutzungsverträge. 3. Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte Dritter a) Allgemeine Persönlichkeitsrechte

20.50 Schutzwürdige Interessen in Bezug auf Inhalte, die sich bisher im analogen oder digitalen Herrschaftsbereich des Verstorbenen befunden haben und auf die nach dessen Tod die Erben zugreifen könnten, können auch von Seiten Dritter bestehen. In seinem Urteil setzte sich der Bundesgerichtshof mit die-

1 Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (571). 2 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 35; Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 338 f.; Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (569). 3 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 35 ff.; KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388); Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 339; Raude, ZEV 2017, 433 (436). 4 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 35. 5 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388); ähnlich Seidler, S. 94. 6 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 340; Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (570). 7 Salomon, NotBZ 2016, 324 (325). 8 Mackenrodt, EuCML 2018, 41, 44 (47). 9 Bock, AcP 217 (2017), 370 (413); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (129).

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Digitaler Nachlass

Rz. 20.55 § 20

sem Aspekt, der bis auf das spezielle Fernmeldegeheimnis bis dahin wenig Beachtung fand1, ausführlich auseinander2. Die allgemeinen und speziellen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG finden im Wege der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte bei der Bestimmung der Vererblichkeit und bei der Ausübung und Durchsetzbarkeit der übergegangenen Rechtspositionen durch die Erben Berücksichtigung.

20.51

Allerdings ist davon auszugehen, dass die Vererbbarkeit von Rechtspositionen und der Zugriff der Erben auf Inhalte mit Bezug zu Dritten weder einen Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung noch des Rechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme darstellen3. Selbst wenn man einen Eingriff in den Schutzbereich annimmt, wenn Diensteanbieter den Erben den Zugang zu Daten bezüglich Dritter gewähren, ist dieser mit Blick auf Art. 12 GG hinsichtlich der Diensteanbieter und Art. 14 GG hinsichtlich Erblasser und Erben verfassungsrechtlich gerechtfertigt4.

20.52

Die bloße Kenntnisnahme von Inhalten durch die Erben kann aber einen Verstoß gegen den Schutz 20.53 der Privat-, Intim- und Geheimsphäre begründen5. Allerdings ist dies nur der Fall, wenn es sich um vertrauliche Kommunikation und Inhalte handelt, die von einem nach außen erkennbaren, konsequenten Geheimhaltungswillen getragen sind6. Um einen solchen Geheimhaltungswillen anzunehmen, der sich gerade auf die Geheimhaltung für den Todesfall bezieht, bedarf es konkreter Anhaltspunkte im Einzelfall7. Der Schutz kann ebenfalls mit Blick auf Art. 12 GG hinsichtlich der Diensteanbieter und Art. 14 GG zugunsten des Erblassers und des Erben hingegen nicht ohne Weiteres so weit gehen, die Vererblichkeit oder den Zugriff allein aufgrund der abstrakten Vermutung geheimer Inhalte auszuschließen8. Einen solchen Geheimhaltungswillen hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zum sozialen Netz- 20.54 werk facebook verneint. Der Nutzungsvertrag dort setzt nicht stillschweigend und immanent der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner des Verstorbenen voraus9. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein Nutzungsvertrag zu einem sozialen Netzwerk in der Erwartung abgeschlossen wird, dass Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerkes und nicht öffentlich geteilte Inhalte jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und durch den Diensteanbieter Dritten gegenüber nicht offengelegt werden, so besteht doch kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend, dass diese Diskretion über den Tod hinaus auch gegenüber den Erben gewährleistet ist10. Der Bundesgerichtshof betont dazu, dass die vertraglichen Pflichten des Diensteanbieters und dementsprechend die Rechte der Nutzer auf Speicherung, Bereitstellung und Übermittlung von Nachrichten und Inhalten von vornherein rein kontobezogen sind11. Den Diensteanbieter trifft nicht die Pflicht, Nachrichten und sonstige Inhalte an eine bestimmte Person zu übermitteln bzw. dieser zugänglich zu machen, sondern lediglich, dies an ein bestimmtes angegebenes Benutzerkonto zu tun12. Einem sozia1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Ausführlich bereits Bock, AcP 217 (2017), 370 (402 ff.); Herzog/Pruns, S. 52 ff.; Thiesen, S. 226 ff. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 39 ff. Bock, AcP 217 (2017), 370 (403 f.). So Thiesen, S. 232 ff. Bock, AcP 217 (2017), 370 (404). Wanckel in Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, Rz. 35. Bock, AcP 217 (2017), 370 (404). Bock, AcP 217 (2017), 370 (404). BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 39. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 39; Uhrenbacher, S. 220 ff. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 40 ff. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 41; ebenso bereits Herzog, ZErb 2017, 205 (208).

Bock

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20.55

§ 20 Rz. 20.56

Digitaler Nachlass

len Netzwerk, das die hinter dem Nutzerkonto stehende Person nicht verifiziert, wohnt eine systemimmanente, dem verständigen Nutzer bewusste und von ihm nicht kontrollierbare Anonymität inne1. Weder für den Diensteanbieter noch für den Versender einer Nachricht oder eines Inhalts ist prüfbar, ob die sich mit den Benutzerdaten anmeldende Person mit der als Empfänger benannten Person identisch ist und ob die als Empfänger genannte Person tatsächlich Inhaber des Benutzerkontos ist. Allein das Benutzerkonto dient als Identifikationsmerkmal des Adressaten2.

20.56 Aus diesem Grund erhält derjenige bestimmungsgemäßen Zugang zu Nachrichten und geteilten Inhalten, der sich mit den zutreffenden Kontozugangsdaten bei dem jeweiligen Benutzerkonto anmeldet3. Allein diesbezüglich ist die Kommunikation geschützt. Der Kommunikationspartner trägt zum einen das Risiko, dass das Benutzerkonto unter falschem Namen geführt wird und zum anderen die Gefahr, dass ein Dritter die Nachrichten und sonstigen Inhalte lesen kann, weil er durch Weitergabe der Zugangsdaten seitens des Kontoinhabers Zugriff auf den Inhalt des Benutzerkontos hat oder weil der Kontoberechtigte die Inhalte an Dritte weiterleitet oder diesen zeigt4. Mit dem Absenden der Nachrichten und Inhalte begibt sich der Absender seiner Verfügungsbefugnis darüber5. Er kann daher vom Diensteanbieter grundsätzlich nicht fordern, dass eine einmal übermittelte Nachricht vom Empfängerkonto gelöscht wird6. Dies gilt in der digitalen Welt ebenso wie bei Briefen7.

20.57 Trägt der Kommunikationspartner des Kontoinhabers dementsprechend bereits zu Lebzeiten das Risiko, dass Dritte Kenntnis von im Nutzerkonto gespeicherten Inhalten erlangen, gilt dies erst recht für den Zugriff der Erben nach dem Tod des Nutzers8. Der Auftrag zur Übermittlung einer Nachricht an das vom Absender benannte Benutzerkonto wirkt zeitlich unbegrenzt über den Todesfall hinaus und umfasst die Möglichkeit, die auf dem Server gespeicherten Nachrichten durch den Nutzer des Empfängerkontos abzurufen, solange dieses besteht9. Anderes gilt ausnahmsweise nur, wenn der Versender einen vorherigen Zeitpunkt festgelegt hat, an dem die Nachricht ausgeblendet werden soll10. Grund dafür ist, dass jeder damit rechnen muss, dass sein Kommunikationspartner versterben könnte und Dritte als Erben in das Vertragsverhältnis eintreten und als neue Kontoberechtigte Zugang auf die Kontoinhalte haben11. Bei lediglich geteilten Inhalten kann es der Kommunikationspartner sogar selbst in der Hand haben, die Berechtigung zur Einsicht in den geteilten Inhalt zu ändern und damit den Erben für die Zukunft den Zugriff zu verschließen12.

20.58 Befürchtet der Dritte Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeitsrechte durch die Kenntnisnahme der Erben oder sogar eine weitere Veröffentlichung von Inhalten, ist er nicht schutzlos gestellt, sondern kann sich – neben einer lebzeitigen, präventiven Vorsorge gemeinsam mit dem Verstorbenen – nach dessen Tod mit den zivilrechtlichen Ansprüchen zum Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach §§ 823 Abs. 1, 1004 analog BGB hinreichend wehren13.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 41; Uhrenbacher, S. 221. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 41. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 41. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 41; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408); Pruns, NWB 2014, 2175 (2182 f.). BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 41; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408). BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 43. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 41; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408). BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 42, 44. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 43. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 43. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 44. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 45. Bock, AcP 217 (2017), 370 (405); für Letzteres KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (390); ähnlich Herzog, ZErb 2017, 205 (208); Pruns, ZErb 2017, 217 (223); Pruns, ZErb 2018, 550 (555 f.).

928

Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.62 § 20

b) Datenschutzrecht Der einfachgesetzliche Schutz personenbezogener Daten Dritter richtet sich nach der europäischen Datenschutzgrundverordnung, die seit dem 25.5.2018 gemäß Art. 99 Abs. 2 DSGVO in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar anwendbar ist1.

20.59

Der Bundesgerichtshof hat offengelassen, ob gemäß Art. 2 DSGVO der Anwendungsbereich der 20.60 DSGVO überhaupt dadurch eröffnet ist, dass der Diensteanbieter Nachrichten zum Abruf auf dem auf den Erben übergegangenen Empfängerkonto bereitstellt, den Zugriff auf geteilte Inhalte ermöglicht und die Plattform zur Verfügung stellt2. Für einen umfassenden Anwendungsausschluss spricht, dass die Verordnung wie aus den Erwägungsgründen Nr. 27, 158 ersichtlich die Gesamtrechtsnachfolge von Todes wegen nicht regeln soll, was unterlaufen würde, wenn die Daten Verstorbener unter dem Gesichtspunkt etwaiger Rechte des Absenders von Kommunikationsdaten doch dem Anwendungsbereich der DSGVO zugeordnet werden3. Sowohl Nachrichten als auch geteilte und veröffentlichte Inhalte eines Benutzerkontos können personenbezogene Daten (vgl. Art. 4 Nr. 1 DSGVO) darstellen oder solche beinhalten4. Bei der Zugangsgewährung für den Erben verarbeitet (vgl. Art. 4 Nr. 2 DSGVO) der Diensteanbieter notwendigerweise die in den Inhalten enthaltenen sowie für die Bereitstellung erforderlichen Daten des jeweils kommunizierenden oder veröffentlichenden Nutzers5. Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Kommunikationspartner des Verstorbenen durch die Übermittlung und dauerhafte Bereitstellung der jeweiligen Inhalte für die Erben ist jedenfalls grundsätzlich gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b) Var. 1 DSGVO sowie gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO zulässig6. Gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b) Var. 1 DSGVO ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur recht- 20.61 mäßig, wenn die Verarbeitung für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, erforderlich ist. Umfasst ist sowohl die Erfüllung der vertraglichen Leistungs- und Nebenpflichten, als auch der diesbezüglichen gesetzlichen Verpflichtungen7. Erforderlich ist eine Datenverarbeitung nur, wenn die Aufgabe sonst nicht, insbesondere auch nicht ohne Datenverarbeitung erfüllt werden kann8. Ob die Verarbeitung erforderlich und nicht nur zweckdienlich ist, hängt von dem Vertragsinhalt und der vertragscharakteristischen Leistung des jeweiligen Schuldverhältnisses ab9. Nicht erforderlich ist eine Verarbeitung für vertragsfremde Zwecke10. Die Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und geteilten Inhalten stellt im Rahmen von 20.62 Accountverträgen mit Kommunikationsfunktionen eine vertragliche Hauptleistungspflicht des Diensteanbieters sowohl gegenüber dem Absender als auch gegenüber dem Berechtigten des Empfängerkon-

1 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 66. 2 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 70. 3 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 348v f., der zudem darauf hinweist, dass abzuwarten bleibt, dass eine Änderung der Richtlinie 2002/58/EG vom 12.7.2002 („Datenschutzrichtlinie für die elektronische Kommunikation“) das Verhältnis zur DSGVO klarstellen könnte. 4 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 69. 5 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 69. 6 Ausführlich BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 64 ff.; Thiesen, S. 226 ff. 7 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 71; Gola/Schulz, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 28; Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DSGVO BDSG, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 33. 8 Paal/Pauly/Frenzel, Datenschutz-Grundverordnung, 2017, Art. 6 DSGVO Rz. 9. 9 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 71; Gola/Schulz, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 27, 37; Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DSGVO BDSG, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 42. 10 Gola/Schulz, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 38; Sydow/Reimer, Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 20.

Bock

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§ 20 Rz. 20.63

Digitaler Nachlass

tos dar (siehe Rz. 20.103)1. Die damit notwendigerweise einhergehende Datenverarbeitung ist daher erforderlich i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. b) Var. 1 DSGVO2. An dieser Beurteilung ändert sich mit dem Erbfall eines der Kommunikationspartner nichts, da – aufgrund der kontobezogenen Betrachtungsweise – der Auftrag der Kommunikationspartner zur Übermittlung und Bereitstellung der Nachrichten und Inhalte zeitlich unbegrenzt wirkt3.

20.63 Gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist von den konkreten Umständen des betroffenen Einzelfalles abhängig4.

20.64 Die berechtigten Interessen sind weit zu verstehen, wie die Erwägungsgründe 47–50 belegen5. Zu ihnen zählen sowohl rechtliche, als auch wirtschaftliche oder selbst ideelle Interessen, nicht hingegen bloße Allgemeininteressen6. Insbesondere die Geltendmachung, Ausübung und Verteidigung eigener Rechte gehört zu den berechtigten Interessen7. Ein gewichtiges berechtigtes rechtliches Interesse der Erben am Zugriff auf ererbte Nutzerkonten des Erblassers ergibt sich aus der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG8. Diese würde ausgehöhlt, wenn die Erben die Rechte nicht ausüben und Pflichten nicht erfüllen könnten, indem ihnen der faktische Zugang verweigert würde9. Dies gilt besonders im Hinblick darauf, dass erst der Inhalt von Nutzerkonten Aufschluss darüber geben kann, welche weiteren Rechte und Pflichten gegenüber Dritten bestehen10. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofes war zudem das Interesse der Erben zu berücksichtigen, vermögensrechtliche Ansprüche abzuwehren, die sich aus dem Unfallhergang, der zum Tod der Nutzerin führte, gegen diese und deren Erben, sowie deren sorgeberechtigte Eltern ergaben11. Weiterhin kann ein ideelles Interesse der Erben daran bestehen, Näheres über die Todesumstände zu erfahren, insbesondere wenn ein Suizid im Raum steht12.

20.65 Die Datenverarbeitung ist erforderlich, wenn keine geeigneteren und milderen Mittel möglich sind, um die berechtigten Interessen der Erben zu erfüllen, was beim Zugang zum Nutzerkonto grundsätzlich der Fall ist13.

20.66 Auf Seiten der Kommunikationspartner des Erblassers sind deren Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 EUGRCh auf Schutz der personenbezogenen Daten und das Grundrecht auf Achtung des Privatund Familienlebens und der Kommunikation aus Art. 7 EUGRCh zu berücksichtigen, aus denen sich die Schutzwürdigkeit des Persönlichkeitsrechts im Allgemeinen und der informationellen Selbst1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 72. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 72. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 73. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 75. Paal/Pauly/Frenzel, Datenschutz-Grundverordnung, 2017, Art. 6 DSGVO Rz. 28. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 76; Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DSGVO BDSG, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 146 f.; Sydow/Reimer, Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 54 f. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 80; Sydow/Reimer, Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 55. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 78. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 78 f. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 79. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 80; ähnlich bereits Pruns, ZErb 2017, 217 (218). BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 81. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 82.

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Digitaler Nachlass

Rz. 20.69 § 20

bestimmung im Speziellen ergeben1. Die Schutzbedürftigkeit ist umso höher, je persönlicher die betroffenen Daten sind2. Dies kann gerade bei sozialen Netzwerken oder Dating-Plattformen der Fall sein. Zudem hebt Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO hervor, dass insbesondere die Belange betroffener Kinder zu berücksichtigen sind. Die Schutzbedürftigkeit ist vom Alter des Kindes abhängig und ihr kommt im Vergleich zu Erwachsenen ein höheres Gewicht zu3. In der Abwägung sind nach dem sich aus Art. 1, 5 DSGVO ergebenden Maßstab unter anderem die 20.67 relevanten Grundrechtsbezüge, die Eingriffsintensität, die Art der verarbeiteten Daten, die Art der Betroffenen, mögliche Aufgaben oder Pflichten und die Zwecke der Datenverarbeitung zu berücksichtigen4. Im Kern geht es um einen Ausgleich zwischen den Privatinteressen des Betroffenen einerseits und den Verwendungsinteressen der Verantwortlichen beziehungsweise Dritten andererseits im konkreten Einzelfall5. Es sind Art, Inhalt und Aussagekraft der betroffenen Daten an dem mit der Datenverarbeitung verfolgten Zweck zu messen und gegenüberzustellen6. Zudem sind, wie sich als Präzisierung dieses Maßstabes aus Erwägungsgrund 47 Satz 1, 3 der DSGVO ergibt, die Erwartungen zu berücksichtigen, die ein vernünftiger Dritter in der Person des Betroffenen hätte7. Beim Zugang zu ererbten Nutzerkonten ist nach diesem Maßstab zu berücksichtigen, dass die Kom- 20.68 munikationspartner die relevanten Daten freiwillig und bewusst übermittelt haben, um sie einem bestimmten Nutzerkonto zur Verfügung zu stellen8. Dem Absender ist insbesondere bewusst, dass er nach dem Versenden der Nachricht nicht mehr kontrollieren kann, wer nach deren Übermittlung und Bereitstellung an das empfangende Benutzerkonto von deren Inhalt Kenntnis nimmt und er sich daher mit dem Versenden der Nachricht der Verfügungsmacht über diese begibt9. Zudem muss der Absender stets damit rechnen, dass der Inhaber des empfangenden Nutzerkontos verstirbt und anschließend dessen Erben als neue Kontoberechtigte darauf zugreifen10. Diese Erwartungshaltung trifft grundsätzlich nicht nur auf Erwachsene sondern ebenso auf Minderjährige zu11. Weiterhin ist der Zweck der Datenverarbeitung beim Zugang der Erben auf ein Nutzerkonto eng 20.69 begrenzt12. Zum einen greift lediglich der Erbe bzw. greifen die Erben als neue Inhaber des vom Absender adressierten Nutzerkontos auf die Daten zu, nicht hingegen ein größerer, unüberschaubarer Personenkreis oder völlig unbeteiligte Dritte13. Zum anderen werden die Daten und Inhalte grundsätzlich von diesen nur zur Kenntnis genommen, eine Verarbeitung zu weitergehenden Zwecken, wie Werbung oder der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, erfolgt hingegen nicht14.

1 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 84. 2 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 84. 3 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 85; Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DSGVO BDSG, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 155. 4 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 86. 5 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 86; Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DSGVO BDSG, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 149. 6 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 86; Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DSGVO BDSG, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 149. 7 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 87; Ehmann/Selmayr/Heberlein, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl., Art. 6 DSGVO Rz. 28. 8 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 90. 9 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 90; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408); Herzog/ Pruns, § 4 Rz. 84. 10 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 91; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408). 11 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 90. 12 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 92. 13 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 92. 14 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 92.

Bock

931

§ 20 Rz. 20.70

Digitaler Nachlass

c) Fernmeldegeheimnis

20.70 Sehr kontrovers geführt wird die Debatte darüber, ob die Vererblichkeit von Rechtsbeziehungen zwischen Erblasser und Diensteanbietern oder jedenfalls die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen der Erben gegen die Diensteanbieter auf Zugang zu Nutzerkonten, Auskunft, Abrufbarkeit und Herausgabe von Daten am Fernmeldegeheimnis scheitert1. Ansprüche gegen Diensteanbieter könnten mit Blick auf § 134 BGB nichtig sein oder wegen rechtlicher Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB untergehen2. Der Bundesgerichtshof ist richtigerweise der Auffassung, dass das Fernmeldegeheimnis weder der Vererblichkeit noch der Ausübung der ererbten Rechtspositionen durch die Erben entgegensteht3.

20.71 Art. 10 GG enthält die verfassungsrechtliche Garantie des Fernmeldegeheimnisses und § 88 Abs. 3 TKG seine einfachgesetzliche Konkretisierung. Als spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann es nur im Hinblick auf noch lebende Dritte, nicht aber den Verstorbenen verletzt sein4.

20.72 Das Fernmeldegeheimnis schützt die Vertraulichkeit der unkörperlichen Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs durch jedwedes technisch verfügbare Mittel5. Sein Schutzbereich erstreckt sich durch eine dreifache, kumulierte Ausweitung auf einen Großteil der Kommunikationsinhalte und -umstände zwischen dem Verstorbenen und seinen Kommunikationspartnern6:

20.73 Zum einen gilt es nicht nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat, sondern verpflichtet aufgrund der weitgehenden Privatisierung der öffentlichen Kommunikation ebenfalls private Diensteanbieter und zwar in einer dem Staat nahe oder sogar gleichkommenden Weise7.

20.74 Hinzu kommt, dass es nicht nur Telekommunikationsanbieter verpflichtet, die selbst die technische Signalübertragung durchführen und diese verantworten, sondern ebenfalls sog. over-the-top Dienste, die zwar Telekommunikationsdienste wie Internettelefonie, E-Mail-Services oder SMS-Chats anbieten, aber zur Datenübermittlung allein fremde Signalübertragungsleistungen der Telekommunikationsunternehmen nutzen, vgl. § 88 Abs. 2 S. 1, § 3 Nr. 6 TKG8.

20.75 Des Weiteren erstreckt sich der Schutzbereich zeitlich auf die gesamte Dauer des Telekommunikationsvorgangs und endet erst, wenn sich die Nachricht im ausschließlichen Herrschaftsbereich des Empfängers befindet – unabhängig von dessen Kenntnisnahme9. Gerade E-Mails oder andere Nach-

1 In diesem Punkt weichen insbesondere die Auffassungen des LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (192 f.) und des KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (390 ff.) voneinander ab. 2 Bock, AcP 217 (2017), 370 (405). 3 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 54 ff. 4 Maunz/Dürig/Durner, Art. 10 GG, Rz. 209, 56. 5 BVerfG v. 25.3.1992 – 1 BvR 1430/88, Fangschaltungen, BVerfGE 85, 386 (396); BVerfG v. 2.3.2006 – 2 BvR 2099/04, Telekommunikationsüberwachung, BVerfGE 115, 166 (182); KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (390). 6 Mackenrodt, ZUM-RD 2017, 540 (541); Mackenrodt, EuCML 2018, 41 (45). 7 BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, Fraport, BVerfGE 128, 226 (249 f.); KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (390). 8 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (390 f.), im Anschluss an VG Köln v. 11.11.2015 – 21 K 450/15, MMR 2016, 141; ausführlich zur Adressatenstellung der Diensteanbieter: Thiesen, S. 185 ff. 9 BVerfG v. 2.3.2006 – 2 BvR 2099/04, Telekommunikationsüberwachung, BVerfGE 115, 166 (184); BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 59; KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (392).

932

Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.79 § 20

richten in Nutzerkonten sind damit solange geschützt, wie sie auf dem Server des Providers und nicht lokal beim Nutzer gespeichert sind bzw. bleiben1. Uneinigkeit besteht nun darüber, ob es einen nicht gerechtfertigten Eingriff in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses und einen Verstoß gegen § 88 Abs. 3 S. 1 TKG darstellt, wenn der Diensteanbieter dem Erben Zugang zum Nutzerkonto und dessen Inhalten gewährt:

20.76

Teilweise wird gegen einen Verstoß vorgebracht, dass es sich bei dem Erben schon gar nicht um einen 20.77 „anderen“ i.S.d. § 88 Abs. 3 S. 1 TKG handelt2. Dagegen könnte man einwenden, dass sich der Schutz des Fernmeldegeheimnisses auf die faktisch am Kommunikationsvorgang Beteiligten unabhängig von ihrer Rechtstellung am Kommunikationsmittel erstreckt3. Beim Erben könnte es sich demnach, selbst wenn er in die Rechtsbeziehung des Erblassers mit dem Diensteanbieter nachfolgt, nur um einen „anderen“ handeln4. Der Bundesgerichtshof kommt aufgrund der kontobezogenen Betrachtung (siehe bereits oben 20.78 Rz. 20.55 ff.)5 dazu, dass es sich bei den Erben eines Kommunikationspartners nicht um „andere“ im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG handelt6. „Andere“ i.S.v. § 88 Abs. 3 TKG sind Personen oder Institutionen, die nicht an dem geschützten Kommunikationsvorgang beteiligt sind7. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses bezieht sich gerade darauf, die Beteiligten eines Kommunikationsvorgangs davor zu bewahren, dass der Inhalt und die näheren Umstände der Telekommunikation Dritten, die an dem Vorgang nicht beteiligt sind, zugänglich werden8. Der Diensteanbieter muss unabhängig vom und trotz des Erbfalls entsprechend seiner vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Absender bzw. Teilenden und dem Berechtigten des Empfängerkontos die Inhalte zugänglich machen9. Mit dem Tod des ursprünglichen Kontoberechtigten wird der Erbe als neuer Vertragspartner Kontoberechtigter und damit Teilnehmer der aufgrund der Speicherung und Bereitstellung der Inhalte für das Benutzerkonto fortlaufenden Kommunikationsvorgänge10. Das Fernmeldegeheimnis schützt daher ab dem Tod des ursprünglichen Kontoinhabers nicht vor dem Zugriff von dessen Erben, sondern vielmehr wird der Erbe zum geschützten Kommunikationsteilnehmer11. Bei online-Diensten, in denen die Inhaber eines Benutzerkontos verifiziert werden, sodass keine systemimmanente Anonymität vorliegt, könnte man die Erben hingegen als „andere“ ansehen. Ein Verstoß gegen § 88 Abs. 3 S. 1 TKG würde dennoch ausscheiden, wenn die Zugangsgewährung oder Wei-

1 BVerfG v. 2.3.2006 – 2 BvR 2099/04, Telekommunikationsüberwachung, BVerfGE 115, 166 (186 f.); LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (192); KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (392); Biermann, ZErb 2017, 210 (214); Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (450); Mayen in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 73; a.A. Hoeren, NJW 2005, 2113 (2115); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (17 f.). 2 Ausführlich BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 56 ff.; Biermann, ZErb 2017, 210, 215; Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 65 f.; Herzog, ZErb 2017, 205 (208); Litzenburger, FD-ErbR 2017, 392155; MüKo/Leipold, § 1922 BGB Rz. 27; Seidler, S. 115; Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (264). 3 In diesem Punkt ebenso BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 57; KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (394 f.); Bock, AcP 217 (2017), 370 (406 f.); dagegen ausdrücklich Biermann, ZErb 2017, 210 (215). 4 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (394 f.); Bock, AcP 217 (2017), 370 (406 f.); wohl auch Knoke, ZD-Aktuell 2018, 06269. 5 Ähnlich auch Herzog, ZErb 2017, 205 (208). 6 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 56 ff. 7 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 57. 8 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 57. 9 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 60. 10 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 60; kritisch Knoke, ZD-Aktuell 2018, 06269. 11 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 58; kritisch Knoke, ZD-Aktuell 2018, 06269.

Bock

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20.79

§ 20 Rz. 20.80

Digitaler Nachlass

tergabe von Inhalten an Erben das für die „geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste … erforderliche Maß“ nicht überschreitet.

20.80 Teilweise wird dieses Merkmal eng ausgelegt. Erforderlich sei nur, was der technischen Ermöglichung und Aufrechterhaltung des angebotenen Dienstes dient1. Dies könne nur im Einzelfall anhand einer konkreten Betrachtung des jeweiligen Zuschnitts des Leitungsangebotes eines Kommunikationsdienstes beurteilt werden2. Handele es sich um einen personenbezogenen Dienst, der lediglich Telekommunikationsdienste für den persönlichen Accountinhaber zu dessen Lebzeiten anbieten wolle, sei die Kenntnisnahme von Inhalten durch dessen Erben nicht i.S.v. § 88 Abs. 3 S. 1 TKG erforderlich3. Bejaht man damit einen Eingriff in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses, lässt sich dieser nur durch eine Einwilligung oder eine gesetzliche Erlaubnis gemäß § 88 Abs. 3 S. 3 TKG rechtfertigen.

20.81 Tatsächliche oder zumindest mutmaßliche Einwilligungen müssen von allen am Kommunikationsvorgang Beteiligten vorliegen, um den Tatbestand eines Verstoßes gegen das Fernmeldegeheimnis auszuschließen4. Die lebzeitige oder postmortale Weitergabe der Zugangsdaten durch den Verstorbenen an seine Erben reicht dazu nicht aus, da sie die Einwilligung des Kommunikationspartners nicht ersetzt5. Insbesondere kann eine solche Weitergabe selbst bei Minderjährigen nicht als selbstverständlich angesehen werden, sodass eine konkludente Einwilligung ausscheidet6. Ob eine mutmaßliche Einwilligung vorliegt, richtet sich nach dem mutmaßlichen Willen und objektiven, schutzwürdigen Interesse des Kommunikationspartners des Erblassers7. Es gilt dabei das Prinzip des überwiegenden Interesses, wonach die Interessen des Rechtsgutträgers mit denjenigen des „Eingreifenden“ gegeneinander abzuwägen sind8.

20.82 Bei geschäftlicher Korrespondenz kann man eine solche in der Regel annehmen, da der Erbe in die Geschäftsbeziehungen eintritt und der Geschäftspartner ein Interesse an der Fortsetzung oder Abwicklung der Geschäftsbeziehung hat9.

20.83 Bei privaten Korrespondenzen kann man hingegen nicht ohne weiteres grundsätzlich annehmen, dass eine mutmaßliche Einwilligung in die Kenntnisnahme durch die Erben vorliegt10. Die pauschale Annahme, dass Geheimhaltungsinteressen hinsichtlich intimer, höchstpersönlicher Details eher sel1 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (393). 2 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (393); Spindler/Schuster/Eckhardt, § 88 TKG Rz. 33. 3 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (393). 4 BVerfG v. 25.3.1992 – 1 BvR 1430/88, Fangschaltungen, BVerfGE 85, 386 (399); KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (396 f.); Pruns, NWB 2014, 2175 (2178); ausführlich Pruns, ZErb 2017, 217 (220 ff.). 5 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (396). 6 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (396 f.). 7 Ausführlich zur Auslegung bei internetbasierter Kommunikation Herzog/Pruns, § 4 Rz. 73 ff.; Pruns, NWB 2014, 2175 (2184). 8 Ausführlich Pruns, ZErb 2017, 217, 220 ff. 9 Bock, AcP 217 (2017), 370 (407); Kutscher, S. 145; Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 (292); Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (264); a.A. KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (397), das vor allem eine mutmaßliche Einwilligung bei abgeschlossenen und für die Geschäftspartner nachteiligen Geschäftsvorgängen in Frage stellt. Es verkennt jedoch, dass diese Interessen der Geschäftspartner nicht schutzwürdig sind – vielmehr ist das Interesse von Erblasser und Erbe schutzwürdig, dass sich der Erbe über alle Geschäftsvorgänge informieren kann und der Geschäftspartner nicht wegen des zufälligen Erbfalls bessergestellt wird – insbesondere solange Verjährungsfristen hinsichtlich etwaiger ausstehender Ansprüche nicht abgelaufen sind. 10 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (397); Bock, AcP 217 (2017), 370 (407); Mayen in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 77; a.A. Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 68a; Pruns, NWB 2014, 2175 (2184 f.); wohl auch Raude, ZEV 2017, 433 (438).

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Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.87 § 20

ten bestehen und Freunde und Bekannte über den Tod des Erblassers informiert werden möchten, trägt kaum1. Vielmehr ist zu bedenken, dass Art. 10 Abs. 1 GG die Kommunikation ohne Rücksicht auf ihren Inhalt schützt und Kommunikationspartner sich selten bewusst sind, dass der andere sterben könnte und dessen Erben Einblicke in die Kommunikation erhalten könnten2. Selbst die Erwägung, dass sich der Absender seiner Verfügungsmacht über die Nachricht mit dem Zugang beim Empfänger endgültig entäußert und nunmehr der Schutz über das allgemeine Persönlichkeitsrecht statt das spezielle Fernmeldegeheimnis erfolgt3, spricht nicht für eine mutmaßliche Einwilligung, da – bei einer nicht rein kontobezogenen Sichtweise – gerade kein Zugang beim richtigen, anvisierten Empfänger vorliegt, dessen Integrität der Absender hinsichtlich der Weitergabe der Kommunikationsinhalte an Dritte einschätzen konnte4. Die §§ 91 ff. TKG enthalten gesetzliche, rechtfertigende Erlaubnisse für Eingriffe in das Fernmel- 20.84 degeheimnis, sie sind bei Fragen der Vererblichkeit und Zugangsgewährung des digitalen Nachlasses allerdings nicht erfüllt5. Letztlich kann nur § 1922 BGB als Erlaubnisnorm herangezogen werden, die aber mangels ausdrücklicher Bezugnahme auf Telekommunikationsvorgänge nicht dem sog. kleinen Zitiergebot des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG genügt6. Mangels Einwilligung und hinreichendem Erlaubnistatbestand geht damit eine Ansicht de lege lata davon aus, dass bei der Kenntnisverschaffung der bei Diensteanbietern gespeicherten Kommunikationsinhalte durch Erben ein nicht gerechtfertigter Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis vorliegt – diesem Verstoß könnte nur durch ein Einschreiten des Gesetzgebers abgeholfen werden7.

20.85

Vorzugswürdig ist demgegenüber hingegen die Ansicht, wonach das Fernmeldegeheimnis der Vererblichkeit und dem Zugriff der Erben nach bestehender Rechtslage nicht entgegensteht und einer Gesetzesänderung lediglich eine wünschenswerte klarstellende Wirkung zukäme8.

20.86

Auf der grundrechtlichen Ebene sind das Fernmeldegeheimnis der Kommunikationspartner und die 20.87 Erbrechtsgarantie durch praktische Konkordanz in Ausgleich zu bringen. Anders als der bloße Blick auf die enge einfachgesetzliche Regelung des § 88 TKG offenbart der weiterführende Blick auf die dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Schutzerwägungen, dass sich beim Tod eines der Kommunikationspartner schon gar nicht das spezifische Gefährdungspotenzial verwirklicht, vor dem Art. 10

1 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (397); Leeb, K&R 2014, 693 (697); Mayen in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 77; a.A. Kutscher, S. 146. 2 Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 (292); a.A. Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 68a. 3 Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 68a; Kutscher, S. 142 f.; Pruns, NWB 2014, 2175 (2182 f.). 4 Bock, AcP 217 (2017), 370 (408). 5 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (394); Mayen in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 81 f. 6 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (393); Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.30 ff.; Mayen in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 81 f. 7 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (395); DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 6, mit eigenem Gesetzesvorschlag; Deusch, ZEV 2014, 2 (5); Kuntz, jM 2016, 190 (191 f.); Staudinger/ Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.5; Leeb, K&R 2014, 693 (699); Raude, ZEV 2017, 433 (438). 8 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 54 ff.; LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (193); Bock, AcP 217 (2017), 370 (411); Arndt/Fetzer/Scherer/Graulich/Graulich, § 88 TKG Rz. 74; Kutscher, S. 167 f.; Mackenrodt, EuCML 2018, 41 (47); Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (264); Thiesen, S. 197. Für eine solche klarstellende Regelung hat sich insbesondere der Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 349 ausgesprochen. Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 68b, meint, dass sich eine gesetzliche Klarstellung angesichts der Entscheidung des BGH erübrigt habe.

Bock

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§ 20 Rz. 20.88

Digitaler Nachlass

Abs. 1 GG schützt1. Es verwirklicht sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko, dass der Kommunikationspartner oder eine sonstige Person, der man Inhalte anvertraut hat, stirbt, sodass die Rechtspositionen, die die Herrschaft über diese Inhalte vermitteln, auf die Rechtsnachfolger übergehen2. Der telekommunikative Übertragungsakt wird hingegen nicht gestört und es verwirklichen sich keine der Gefahren, die bestehen, wenn sich Nachrichten nicht im ausschließlichen Herrschaftsbereich der Kommunikationspartner befinden3. Die Vertraulichkeit der Handhabung der Nachricht durch den und beim Empfänger wird vom Fernmeldegeheimnis aber nicht geschützt4. Eine andere Beurteilung würde hingegen ohne nachvollziehbaren Grund zu einer Durchbrechung des erbrechtlichen Grundsatzes der Universalsukzession führen, was seinerseits keinerlei Anknüpfung im Telekommunikationsgesetz und in Art. 10 GG findet5.

20.88 Die Schutzbedürftigkeit im Erbfall ist damit keine andere als im analogen Bereich oder im digitalen Bereich außerhalb von Kommunikationsvorgängen6. Hierzu wurde bereits oben Rz. 20.50 ff. ausführlich erläutert, dass Geheimhaltungs- und Datenschutzinteressen Dritter dem Übergang und der Inbesitznahme und Sichtung des Nachlasses durch die Erben grundsätzlich nicht entgegenstehen. Zudem besteht ein funktionaler Gleichlauf zwischen § 39 PostG und § 88 TKG, der es verbietet, Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen eine „Wächterrolle“ über das Fernmeldegeheimnis aufzuerlegen, die es im Brief- und Postwesen nicht gibt7. Dort ist vielmehr die Zustellung an Erben gewohnheitsrechtlich anerkannt8. Den Interessen Dritter ist hinreichend durch die aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog bestehenden Ansprüche bei Verstößen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht hinreichend Rechnung getragen9.

20.89 Die Kenntnisnahme von Kommunikationsinhalten durch die Erben nach dem Tod des Erblassers unterfällt damit nicht dem Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses und vor allem die oben genannte Ausweitung des Schutzbereiches des Fernmeldegeheimnisses auf die gesamte Zeit der Speicherung von Kommunikationsdaten bei einem Diensteanbieter lässt sich jedenfalls für den Erbfall und den Zugriff durch die Erben nicht aufrecht erhalten.

20.90 Einfachgesetzlich ist diesem Ergebnis durch eine verfassungskonforme Auslegung des TKG Rechnung zu tragen10. Neben dem Begriff des „anderen“ erfasst richtigerweise die „geschäftsmäßige Erbringung“ der Dienste gemäß § 88 Abs. 3 S. 1 TKG damit auch die Zugriffsgewährung an die Erben

1 Arndt/Fetzer/Scherer/Graulich/Graulich, § 88 TKG Rz. 74; Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 345 f.; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408); Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (585); Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 63 ff.; Klas/Möhrke-Sobolewski, NJW 2015, 3473 (3477); a.A. Kuntz, jM 2016, 190 (191). 2 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 44, 62; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408); a.A. KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (392). 3 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 63; Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 345 f.; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408). 4 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 61, 41 ff.; Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (585); Mackenrodt, ZUM-RD 2017, 540 (541); Pruns, ZErb 2017, 217 (221); Salomon, NotBZ 2016, 324 (327). 5 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 63. 6 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 62 f.; Bock, AcP 217 (2017), 370 (408); ähnlich Thiesen, S. 202. 7 Arndt/Fetzer/Scherer/Graulich/Graulich, § 88 TKG Rz. 74; Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (450 f.); Herzog, ZErb 2017, 205 (209); a.A. KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (394 f.). 8 Kutscher, S. 140; Herzog/Pruns, § 4 Rz. 63 ff. 9 So auch Herzog/Pruns, § 4 Rz. 92. 10 Bock, AcP 217 (2017), 370 (410); Ludyga, ZEV 2018, 1 (6).

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Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.93 § 20

und die §§ 91 ff. TKG stellen im Erbfall keine Obergrenze des Zulässigen dar1. Aufgrund dieser verfassungskonformen Auslegung bereits hinsichtlich des Schutzbereiches des Fernmeldegeheimnisses liegt auch kein Verstoß gegen das kleine Zitiergebot des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG vor, das eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage nur für die Kenntnisnahme und Verwendung von Kommunikationsdaten zu anderen als den in § 88 Abs. 3 S. 1 TKG genannten Zwecken verlangt2. Dem steht auch nicht entgegen, dass der qualifizierte Gesetzesvorbehalt in § 88 Abs. 3 S. 1 TKG eine Abwägung des Fernmeldegeheimnisses gegen kollidierende Grundrechte und Verfassungsgüter allein durch den Gesetzgeber oder im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung verlangt3. Im Hinblick auf die Kenntnisnahme von Erben ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diesen Fall unbewusst nicht in seine Erwägungen einbezogen hat und § 88 Abs. 3 TKG insoweit sowohl hinsichtlich des Verstoßtatbestandes als auch des Zitiergebotes planwidrig zu weit geraten ist4.

III. Rechtspositionen mit digitalem Bezug Der Erbe tritt gemäß § 1922 BGB in die Rechte- und Pflichtenstellung des Verstorbenen ein. Objekte der Rechtsnachfolge sind also die Rechtspositionen, die an Gegenständen bestehen, und andere Rechtsbeziehungen, nicht hingegen die Gegenstände selbst oder die Inhalte oder Informationen, die sie verkörpern bzw. deren Zugriff die Rechtsbeziehung vermittelt.

20.91

Rechtspositionen mit digitalem Bezug lassen sich grob in drei Gruppen einteilen5:

20.92

Rechte an Daten, die auf Datenträgern gespeichert sind, die offline und ohne Dritte, wie etwa einen Internetdiensteanbieter, zugänglich sind. Vertragsverhältnisse, die zwischen dem Erblasser und einem Internetdiensteanbieter bestehen, insbesondere benutzerkontengestützte Nutzungsverhältnisse, und die insbesondere Rechte an Daten, die auf fremden Servern gespeichert sind, begründen. Rechtsverhältnisse, die zwar über das Internet und im Rahmen eines Nutzerkontoverhältnisses begründet wurden, aber nicht primär auf die Nutzung eines IT-Systems gerichtet sind. 1. Daten Der digitale Nachlass besteht zu einem großen Teil aus Daten, die Informationen in sich tragen. Wie 20.93 Daten zivilrechtlich einzuordnen sind und ob sie einen eigenen Rechtsgegenstand bilden, an dem ausschließliche, absolute Herrschaftsrechte gleichsam dem Eigentum bestehen und wem diese zuzuordnen sind, wird derzeit heiß diskutiert6. Dabei hat sich mittlerweile herauskristallisiert, dass es hinsichtlich Schutz und Zuweisung nicht auf die körperliche Fixierung auf einem Datenträger, sondern vielmehr auf die immateriellen Informationen ankommt, die die Daten verkörpern – ähnlich wie im

1 Bock, AcP 217 (2017), 370 (410); i.E. ebenso LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (193); a.A. KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (393); Kuntz, jM 2016, 190 (191); Leeb, K&R 2014, 693 (698); Mayen in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 81 f. 2 Bock, AcP 217 (2017), 370 (410); Ludyga, ZEV 2018, 1 (6); i.E. ebenso Biermann, ZErb 2017, 210 (216). 3 So aber KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (395) und ausführlich Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.33. 4 Ebenso Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.33. 5 Vgl. Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 601 ff. 6 Ausführlich Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 29 ff.; Bock, AcP 217 (2017), 370 (379 ff.); Boehm, ZEuP 2016, 358 (379 ff.); Pruns, ErbR 2018, 550 (551 f.); Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 606 ff.; Thiesen, S. 145 ff.; vgl. auch DAV, Stellungnahme zur Frage des „Eigentums“ an Daten und Informationen, Nr. 75/2016, Berlin, November 2016.

Bock

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§ 20 Rz. 20.94

Digitaler Nachlass

Bereich des geistigen Eigentums1. Einem eigenständigen „Dateneigentumsrecht“ wird allerdings auch viel Kritik entgegengebracht und bislang wird ein solches überwiegend verneint2.

20.94 Die Rechtsposition an Daten, die im Erbfall auf den Erben übergehen, richten sich daher bislang nach herkömmlichen Kriterien: so folgen insbesondere dingliche Rechte wie Eigentum und Besitz aus der Verkörperung gespeicherter Daten auf einem Datenträger, Zugriffsrechte ergeben sich zudem aus den schuldrechtlichen Beziehungen bei Accountverträgen und schließlich können an dem durch die Daten getragenen Informationsgehalt Immaterialgüterrechte bestehen3.

20.95 Die erbrechtliche Beurteilung darf hier nicht vorschnell erfolgen, sondern muss den sich gegebenenfalls überlappenden Rechtspositionen an Gegenständen und ihrem Informationsgehalt differenzierend Rechnung tragen4. 2. Speichermedien und Hardware

20.96 An Speichermedien und Hardware als Sachen i.S.v. § 90 BGB bestehen dingliche Rechte, insbesondere Eigentum und Besitz. Sie gehen mit dem Tod auf den Erben über, wenn sie nicht ausnahmsweise mit dem Tod des Erblassers untergehen, vgl. §§ 1061, 1090 Abs. 2, 1098 Abs. 1 i.V.m. 473 BGB. 3. Accountverträge

20.97 Viele Internetdienste sind nur mithilfe eines sog. Nutzerkontos oder Accounts zugänglich5. Vermittels eines Computerprogramms können die Nutzer über die visuelle Oberfläche des Nutzerkontos auf die Funktionen des Dienstes und den Server des Anbieters zugreifen6. Dazu gehört in der Regel, dass der Nutzer auf bestimmte persönliche oder persönlich angelegte Daten zugreifen kann7. Jedes Nutzerkonto ist einem bestimmten Nutzer zugewiesen und wird durch die Abfrage von Nutzernamen und Zugangspasswort vor dem Zugriff durch Dritte geschützt8. Das Nutzerkonto bildet damit den Rahmen für Zugang und Nutzung eines zugangsbeschränkten IT-Systems und enthält eine Mehrzahl von auf den Servern der Dienstebetreiber abgelegten und zusammenhängenden Daten9. Das jeweilige IT-System bzw. der angebotene Dienst kann unterschiedlich ausgestaltet sein, etwa als Kommunikationssystem, Postfach, soziales oder geschäftliches Netzwerk, Spieleplattform, Einkaufs- oder Bezahlsystem oder bloße cloud-Speicherkapazität10.

20.98 Um ein Nutzerkonto einzurichten, muss sich der Nutzer beim jeweiligen Diensteanbieter registrieren, wobei er unterschiedliche Angaben machen muss, bspw. eine E-Mail Adresse, seinen Namen oder ein Pseudonym11. In der Registrierung liegt zugleich der Vertragsschluss mit dem Diensteanbieter12.

1 Alexander, K&R 2016, 301 (305); Bock, AcP 217 (2017), 370 (379); Gomille, ZUM 2018, 660 (661 f.); Herzog/Pruns, § 1 Rz. 27, 30 ff.; Härting, CR 2016, 646 (647); Pruns, ErbR 2018, 550 (552); Zech, Information als Schutzgegenstand, Tübingen 2012, S. 37 ff.; ähnlich auch BGH v. 10.7.2015 – V ZR 206/14, NJW 2016, 317 (319). 2 Wohl h.M.: Boehm, ZEuP 2016, 358 (385 f.); Heun/Assion, CR 2015, 812 (818); Heymann, CR 2016, 650 (652); Thiesen, S. 177. 3 Bock, AcP 217 (2017), 370 (380 f.). 4 Ebenso Gomille, ZUM 2018, 660 (661); Herzog/Pruns, § 1 Rz. 27. 5 Thiesen, S. 19. 6 Thiesen, S. 19; Kutscher, S. 21. 7 Thiesen, S. 19. 8 Thiesen, S. 19. 9 Bock, AcP 217 (2017), 370 (376); Thiesen, S. 19 f. 10 Bock, AcP 217 (2017), 370 (377); Kutscher, S. 21. 11 Thiesen, S. 20. 12 Thiesen, S. 20.

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Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.103 § 20

Am Nutzerkonto selbst bestehen keine eigenständigen absoluten Rechte1. Mangels Verkörperung ist es keine Sache i.S.v. § 90 BGB, an der dingliche Rechte bestehen könnten, und für Immaterialgüterrechte fehlt es an der notwendigen Schöpfungshöhe i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG2. Lediglich an im Nutzerkonto gespeicherten Inhalten können Immaterialgüterrechte bestehen.

20.99

Die Rechtspositionen am Nutzerkonto richten sich damit nach dem Accountvertrag mit dem Diens- 20.100 teanbieter und sind rein schuldrechtlicher, relativer Natur3. Aufgrund der ganz unterschiedlichen angebotenen Dienste und Nutzungsweisen eines Accounts können Accountverträge vielfältige Vertragstypen darstellen, wobei häufig eine Typenmischung vorliegt4. Auf Seiten der Leistungspflicht des Nutzers besteht die Besonderheit, dass dieser vielfach keine Geldzahlung erbringen muss, sodass viele Dienste im Internet vermeintlich kostenlos zur Verfügung stehen. Dies übersieht aber, dass der Nutzer dem Anbieter seine Daten zur Verfügung stellt, etwa zu Analyseoder Werbezwecken. Dies begründet die Entgeltlichkeit der Verträge, sodass Rechte und Pflichten der Nutzer und Anbieter in einem Synallagma zueinander stehen5.

20.101

Die Vertragstypologie von Accountverträgen richtet sich damit im Wesentlichen nach den Leistungspflichten der Diensteanbieter. Einige Pflichten sind den verschiedenen Accountverträgen gemeinsam: so bestehen die Hauptleistungspflichten des Anbieters darin, dem Nutzer den Zugang zu seinem Nutzerkonto und dessen Inhalten, sowie die Verfügungsbefugnis hierüber zu gewähren; als Nebenpflichten bestehen Auskunftsansprüche zu den Zugangs- und Vertragsdaten, insbesondere den Passwörtern – sofern der Anbieter selbst Zugriff darauf hat6. Bei Beendigung des Vertragsverhältnisses muss der Diensteanbieter dem Nutzer die gespeicherten Daten herausgeben und sie auf dessen Verlangen hin löschen.

20.102

Darüber hinaus besteht bei Accountverträgen vielfach ein ganzes Bündel von Hauptleistungspflichten, je nachdem wie breit das Angebot des Dienstes gefächert ist und worauf der Schwerpunkt liegt. Die Übermittlung von Nachrichten, bspw. E-Mails, stellt einen Dienstvertrag i.S.v. § 611 BGB oder Werkvertrag i.S.v. § 631 BGB dar7. Werden Speicherkapazitäten auf einem Server zur Verfügung gestellt, handelt es sich um einen Mietvertrag gemäß § 535 BGB8. Gerade E-Mail-Dienste und soziale oder geschäftliche Netzwerke weisen eine Mischung dieser verschiedenen Vertragstypen auf9. Bei Spieleplattformen kommen Kauf- oder Nutzungsverträge über die notwendige Software hinzu. Einkaufs-, Handels-, und Buchungsplattformen erbringen Vermittlungsdienste, die als Maklerdienste mit Dauerschuldcharakter anzusehen sind10.

20.103

1 Bock, AcP 217 (2017), 370 (377). 2 Bock, AcP 217 (2017), 370 (377); ausführlich: Kutscher, S. 22 ff.; Seidler, S. 69 ff. 3 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 19; KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388); Bock, AcP 217 (2017), 370 (377); Kutscher, S. 44 f.; Seidler, S. 72 ff. 4 Bock, AcP 217 (2017), 370 (377); Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (569); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (127). 5 Bock, AcP 217 (2017), 370 (377); Bräutigam, MMR 2012, 635 (639 f.); Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (154); Faust, Gutachten A zum 71. Deutschen Juristentag, A 16 ff.; Kutscher, S. 35, 45 f.; nicht ganz deutlich: LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190); KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388). 6 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 21, 31; KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (387 f.); LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190); Bock, AcP 217 (2017), 370 (378); Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 52 f.; Pruns, NWB 2013, 3161 (3163). 7 BGH v. 23.3.2005 – III ZR 338/04, NJW 2005, 2076 (2076); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (126). 8 BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, NJW 2007, 2394 (2395); Kutscher, S. 49; Boehm, ZEuP 2016, 358 (363 ff.). 9 LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190); Bräutigam, MMR 2012, 635 (636). 10 Kutscher, S. 61.

Bock

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§ 20 Rz. 20.104

Digitaler Nachlass

20.104 Bei online-Diensten und Kommunikationsplattformen, auf denen die Identität der einzelnen Nutzer vom Diensteanbieter oder vom Kommunikationspartner nicht verifiziert wird, sodass statt Klarheit eine nicht kontrollierbare Anonymität darüber besteht, wer tatsächlich Inhaber eines Benutzerkontos ist und sich darin einloggt, sind die Pflichten des Diensteanbieters zur Speicherung, Bereitstellung und Übermittlung von Inhalten und Nachrichten rein konto-, nicht hingegen personenbezogen1.

20.105 Entsprechend der oben unter II. dargelegten Grundsätze ist es ausnahmsweise möglich, dass das Vertragsverhältnis mit dem Diensteanbieter mit dem Tod des Nutzers endet und der Erbe dieses nicht aktiv fortführen kann. Daraus folgt aber grundsätzlich nicht die vollständige Unvererblichkeit des Rechtsverhältnisses. Das Vertragsverhältnis erlischt nicht vollständig und ersatzlos mit dem Tod des Nutzers, sondern wandelt sich in ein Abwicklungsverhältnis2. Denn bei Accountverträgen sind vielfach Daten des Nutzers beim Diensteanbieter gespeichert, deren Verbleib nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einer Regelung und geordneten Abwicklung bedarf3. Der Erbe muss grundsätzlich jedenfalls die Gelegenheit erhalten, die Daten aus dem Dienst zu exportieren und so zu sichern4.

20.106 Auf Plattformen, auf denen Waren zum Verkauf angeboten werden, bspw. e-bay, besteht vielfach die Möglichkeit, Bewertungen zu Verkäufern und Käufern abzugeben. Den Bewertungen kann durchaus ein Vermögenswert zukommen, da sie sich absatzfördernd oder -hemmend auswirken können5. Unabhängig davon, welche konkrete Rechtsposition an diesen Bewertungen besteht, stellt sich die Frage, ob sie bei einer Fortführung des Accounts auf den Erben übergehen und dieser sie sich zu Eigen machen kann. Die Bewertungen beziehen sich auf den hinter dem Account stehenden Inhaber und dessen persönliches Verhalten, insbesondere Lauterkeit und Zuverlässigkeit6. Sie dienen der Sicherheit im Geschäftsverkehr auf diesen Plattformen und allen daran Teilnehmenden7. Im Geschäftsverkehr ist es gerade üblich, mit dem guten Ruf und der Tradition eines Unternehmens oder einer Familie zu werben. Lediglich eine Irreführung und Täuschung über die Person, auf die sich die Bewertung bezieht, und deren Wechsel, würde den Sinn und Zweck der Bewertungen unterlaufen8. Solange der Erbe darauf hinweist und kenntlich macht, dass er nunmehr der Accountinhaber ist, spricht daher nichts dagegen, dass er positive Bewertungen zum Erblasser aufrecht erhält9. 4. Online-Bezahlsysteme

20.107 Beim online-Banking handelt es sich um eine zusätzliche Dienstleistung der Bank, die sie im Rahmen des Girovertrages i.S.v. §§ 675c ff. BGB erfüllt10. Daneben gibt es mittlerweile viele andere Internet-Bezahlsysteme, bspw. Paypal. Hier tritt neben den Zahlungsgläubiger und den Zahlungsschuldner der Anbieter des Bezahlsystems, der im Rahmen der Leistungserbringung als Leistungsmittler eingesetzt wird11. Dadurch entsteht ein Dreiecksverhältnis mit dem Valutaverhältnis als Schuldbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner, dem Zuwendungsverhältnis, in welchem der Leistungsmittler dem Gläubiger das Geschuldete zuwendet und dem Deckungsverhältnis, zwischen Schuldner und Leis1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 41 f. Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (572). Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (572). Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (572). Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 361; Sorge, MMR 2018, 372 (376). Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 361. Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 361. Daher braucht, wenn es sich bei der Bezugsperson um ein Unternehmen oder eine juristische Person handelt, grundsätzlich nicht auf Wechsel von natürlichen Personen hingewiesen werden, Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 362. 9 Der Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 361 f., berücksichtigt diesen Aspekt hingegen nicht hinreichend und spricht sich gegen den Übergang von Bewertungen auf die Erben bei natürlichen Personen aus. 10 Kutscher, S. 61. 11 Kutscher, S. 63.

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Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.112 § 20

tungsmittler, welches letzteren verpflichtet, für den Schuldner die Zahlung an den Gläubiger vorzunehmen. Je nach Ausgestaltung des Bezahlsystem liegen dem Deckungsverhältnis unterschiedliche Vertragstypen zugrunde1. Handelt es sich um ein Prepaid-Konto, auf das der Schuldner im Voraus Guthaben einzahlt, ist dieses als Girovertrag i.S.v. § 676c BGB anzusehen. Erfolgt die Zahlung erst nach Abwicklung des Geschäfts per Überweisung, Lastschrift oder Kreditkarte liegt hingegen ein Geschäftsbesorgungsvertrag gem. § 675 BGB vor.

20.108

5. Virtuelle Gegenstände und Währungen Sog. virtuelle Gegenstände und Währungen, können entweder gegen reales Geld auf einem freien 20.109 Markt angeboten werden oder dienen als virtuelle Währung in Onlinespielen oder sogar in anderen online-Rechtsgeschäften, bspw. Kaufverträgen2. An ihnen bestehen dennoch lediglich schuldrechtliche, nicht hingegen absolute Rechtspositionen, denn der Berechtigte ist zur Ausübung seiner Rechtsmacht auf die Mithilfe des Diensteanbieters angewiesen3. Für Transaktionen mit virtuellen Währungen sind unterschiedliche Passwörter zum Zugriff auf das Nutzerkonto und den Vollzug der Transaktion erforderlich4. Hier ist besondere Vorsorge geboten, da weitgehende Anonymität herrscht und mangels zentraler Kontrollinstanz verlorene Passwörter nicht ersetzt werden können5. 6. Webseiten Viele Menschen betreiben private oder geschäftliche Webseiten. In den Nachlass fällt auch hier ein ganzes Bündel von Rechtspositionen.

20.110

Zunächst ist die Inhaberschaft an der Domain vererbbar6. Dabei handelt es sich um ein relativ wirken- 20.111 des, vertragliches Nutzungsrecht, das aus dem schuldrechtlichen Rechtsverhältnis mit der DENIC folgt7. Es ist dem Domain-Inhaber ausschließlich zugewiesen und stellt für diesen einen Vermögenswert dar8. Möchte der Erbe die Webseite weiterbetreiben, muss er die neuen Angaben über die Domain-Inhaberschaft an die Domain-Registrierungsstelle melden und sicherstellen, dass die Gebührenzahlungen an die DENIC weiterlaufen, um eine Kündigung des Vertrages und den Verlust von Domain und Daten zu verhindern9. Zudem ist jedenfalls bei nicht rein privat genutzten Webseiten das Impressum gemäß § 5 TMG zu ändern. Dabei wird den Hinterbliebenen entsprechend der Ausschlagungsfrist ein Zeit-

1 Ausführlich Kutscher, S. 63 f. 2 Kutscher, S. 39; zu virtuellen Währungen, wie bspw. bitcoins: Beck, NJW 2015, 580; Kütük-Markendorf, Rechtliche Einordnung von Internetwährungen im deutschen Rechtssystem am Beispiel von Bitcoin, Frankfurt a.M. 2016; Spindler/Bille, WM 2014, 1357; Willems, CB 2016, 325. 3 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 401 f.; Bock, AcP 217 (2017), 370 (379); Kutscher, S. 41; laut EuGH v. 22.10.2015 – C-264/14, Skatteverket/Hedqvist, MMR 2016, 201 (203) Rz. 54, sind bitcoins jedenfalls nicht als Wertpapiere, die Eigentumsrecht an juristischen Personen begründen, oder vergleichbare Wertpapiere anzusehen; ausführlich zu virtuellen Währungen: Kütük-Markendorf, Rechtliche Einordnung von Internetwährungen im deutschen Rechtssystem am Beispiel von Bitcoin, Frankfurt a.M. 2016, S. 77 ff.; Spindler/Bille, WM 2014, 1357 (1359 f.). 4 Willems, CB 2016, 325, 325 f. 5 Große-Wilde, MDR 2018, R6. 6 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 386; Hoeren, NJW 2005, 2113 (2116). 7 Herzog, NJW 2013, 3745 (3750); Hoeren, NJW 2005, 2113 (2116). 8 Hoeren, NJW 2005, 2113 (2116). 9 Hoeren, NJW 2005, 2113 (2116); Rott/Rott, NWB-EV 2013, 160 (166).

Bock

941

20.112

§ 20 Rz. 20.113

Digitaler Nachlass

raum von sechs Wochen zugebilligt1. Möchte der Erbe die Webseite nicht weiterbetreiben, kann er den Vertrag mit der DENIC fristlos gemäß § 7 Abs. 1 der DENIC-Domainbedingungen kündigen.

20.113 An den Inhalten der Webseite können vererbbare Immaterialgüterrechte bestehen: bei Texten wie Blogeinträgen kann es sich um Sprachwerke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG handeln, bei Fotos um Lichtbildwerke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG oder Lichtbilder gemäß § 72 UrhG, bei Videos um Filmwerke, § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG, oder jedenfalls Laufbilder, § 95 UrhG, und Amateurfilmer verfügen über ein Leistungsschutzrecht nach §§ 94, 95 UrhG als Filmproduzenten2.

20.114 Verstoßen Inhalte auf Webseiten gegen Rechte Dritter, sind die Erben Anspruchsgegner, entweder aus übergegangener Pflicht des Erblassers oder aus eigener Pflicht als Webseitenverantwortliche3. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Erblassers aufgrund der Inhalte der Webseite endet zwar mit seinem Tod. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Erben kann aber durch Unterlassen gemäß § 13 StGB entstehen, wenn er innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach dem Erbfall nicht tätig wird und die strafrechtlich relevanten Inhalte entfernt4. 7. E-Books, Musik- und Videosammlungen

20.115 An E-Books, Musik, Fotos oder Videos bestehen Immaterialgüterrechte. Sie sind wie das Eigentum als absolute Rechte ausgestaltet, die auf Dritte übertragbar und lizensierbar sind. Sie sind gemäß § 28 Abs. 1 UrhG, § 15 Abs. 1 S. 1 PatG, § 29 Abs. 1 DesignG, § 27 Abs. 1 MarkenG grundsätzlich vererblich. Hat der Erblasser die Immaterialgüter nicht originär erworben, sondern stehen ihm lediglich Nutzungsrechte zu, sind diese vielfach gem. § 31 Abs. 1 S. 2 UrhG beschränkt, sodass die Vererbbarkeit ausgeschlossen sein kann5. 8. Online-Bestellungen und Internetauktionen

20.116 Der Erbe haftet gemäß § 1967 BGB für alle Nachlassverbindlichkeiten. Dies gilt selbstverständlich auch für Verbindlichkeiten aus Verträgen, die der Erblasser im Internet abgeschlossen hat. Dazu gehören bspw. Warenbestellungen oder Käufe aus „Internetauktionen“. Einen Überblick über die bestehenden und offenen Verbindlichkeiten erhält der Erbe meist nur, wenn er sich in die auf den jeweiligen Handelsplattformen bestehenden Nutzerkonten oder das E-Mail-Konto einloggt.

20.117 Wie bei allen Rechtsgeschäften ist zu beachten, dass es gemäß § 130 Abs. 2 BGB für die Wirksamkeit einer Willenserklärung irrelevant ist, wenn der Erblasser sie lediglich abgegeben hat, der Zugang aber erst nach seinem Tod erfolgt. Der Empfänger der Willenserklärung kann diese weiterhin annehmen, da gemäß § 153 BGB der Tod des Erklärenden einem wirksamen Vertragsschluss nicht entgegensteht.

20.118 Der Erbe kann, wenn er sich von Verträgen des Erblassers lösen will, dessen gesetzliche Widerrufsrechte ausüben. Diese gehen als Gestaltungsrechte ebenfalls im Wege der Universalsukzession gemäß § 1922 BGB auf ihn über6. Relevant ist insbesondere das Widerrufsrecht bei zwischen dem Erblasser als Verbraucher und einem Unternehmer abgeschlossenen Fernabsatzvertrag, vgl. §§ 355, 312c, 312g BGB. Der Erbe muss allerdings die Widerrufsfrist beachten, die in der Regel 14 Tage beträgt und mit dem vollständigen Empfang der Ware beim Verbraucher, frühestens jedoch mit der ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung durch den Unternehmer beginnt, vgl. §§ 355 Abs. 2, 356 Abs. 3 BGB. Der Tod des Erblassers hat auf den Beginn der Widerrufsfrist keinen Einfluss. Sog. Internetauktionen, bspw. auf eBay, stellen keine Versteigerungen i.S.d. § 156 BGB dar, bei denen der Vertragsschluss per Zuschlag er1 2 3 4 5 6

Hoeren, NJW 2005, 2113 (2117); Rott/Rott, NWB-EV 2013, 160 (166). Rott/Rott, NWB-EV 2013, 160 (166). Hoeren, NJW 2005, 2113 (2117). Hoeren, NJW 2005, 2113 (2117). Zur AGB-Kontrolle vgl. Rz. 20.119 ff. Lange, § 9 Rz. 32.

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Rz. 20.123 § 20

folgt1. Sie sind vielmehr gewöhnliche Kaufverträge. Der Ausschlussgrund des Widerrufsrechts gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 10 BGB greift nicht ein2. Allerdings besteht bei Käufen von Privaten mangels Unternehmereigenschaft schon gar kein gesetzliches Widerrufsrecht.

IV. Gestaltung durch AGB Die vertragliche Gestaltung durch individuelle Vereinbarungen und AGB bietet für Diensteanbieter 20.119 und Nutzer eine sinnvolle Lösung, um Fragen des digitalen Nachlasses zu gestalten3. Technisch ist es ohne weiteres möglich, dass der Diensteanbieter dem Nutzer die Möglichkeit gewährt, frei zu entscheiden, ob und wer nach seinem Ableben Zugriff auf welche Inhalte bekommt und wozu er diesen Zugriff nutzen kann4. Wünschenswert wäre es, wenn der Diensteanbieter den Nutzer in regelmäßigen Abständen auf die Neuregelung oder Aktualisierung hinweist, um bei ihm das Bewusstsein für die Problematik zu schärfen5. Technisch sollte dies keine Probleme bereiten. Die verschiedenen Diensteanbieter gestalten ihre AGB in sehr unterschiedlicher Art und Weise und passen sie laufend an aktuelle (Rechts-)Entwicklungen an6. Statt die AGBs einzelner Anbieter zu prüfen, erfolgt die Untersuchung daher vorliegend anhand von abstrakten Klauseltypen7.

20.120

Keine AGBs, sondern eine individuelle Vertragsgestaltung liegt vor, wenn die Nutzungsbedingungen nicht i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB einseitig gestellt sind oder die Parteien die Vertragsbedingungen gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB im Einzelnen aushandeln8. Dies ist nicht der Fall, wenn der Nutzer lediglich zwischen verschiedenen Regelungsalternativen für den Fall seines Versterbens wählen kann9. Anders ist es, wenn der Nutzer (zusätzlich) eigene Regelungen vorschlagen kann, beispielsweise in einem Freitextfeld.

20.121

Ob AGB überhaupt Vertragsbestandteil werden, richtet sich nach § 305 Abs. 2 BGB. Die wirksame Einbeziehung der AGB in den Vertrag ist abzulehnen, wenn sich Bestimmungen und Gestaltungsmöglichkeiten zur mangelnden Benutzung des Kontos oder zum Versterben des Nutzers nicht in den eigentlichen AGBs finden, sondern lediglich in Privatsphäreeinstellungen oder im Hilfebereich10.

20.122

Da die Vorschriften zur AGB-Kontrolle zum deutschen ordre public gehören, ist die AGB-Kontrolle 20.123 neben den Vertragsbeziehungen zu inländischen auch zu ausländischen Diensteanbietern eröffnet11. 1 2 3 4 5 6 7

8 9 10 11

BGH v. 24.8.2016 – VIII ZR 100/15, NJW 2017, 468 (468); Palandt/Ellenberger, § 156 BGB Rz. 3. BGH v. 3.11.2004 – VIII ZR 375/03, NJW 2005, 53. Bock, AcP 217 (2017), 370 (411); Kutscher, S. 159 ff.; Podszun, GWR 2016, 37 (37). Litzenburger, FD-ErbR 2016, 375286. Martini, JZ 2012, 1145 (1154 f.), fordert sogar eine gesetzliche Regelung, die Diensteanbieter verpflichtet, Nutzern Gestaltungsmöglichkeiten für den Todesfall anzubieten; ausdrücklich gegen eine solche Pflicht: Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 368. Bock, AcP 217 (2017), 370 (412); Deusch, ZEV 2016, 194 (195); Deusch, ZEV 2018, 687 (689 f.); Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 90; Kuntz, jM 2016, 190 (190); Litzenburger, FD-ErbR 2018, 407688. Sehr ausführlich: Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 351 ff.; zu speziellen Regelungen einzelner Diensteanbieter, vgl. Deusch, ZEV 2014, 2 (3 f., 6); Deusch, ZEV 2018, 687 (689 f.); Holzer in der Vorauflage Rz. 41 ff., 52 ff.; Kutscher, S. 116 ff.; Raude, RNotZ 2017, 17 (22 f.); Uhrenbacher, S. 31 ff.; Willems, ZfPW 2016, 494, 496 ff.; Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (447 f.); Wunderlin/Bielajew, IPRB 2014, 223 (225). Palandt/Grüneberg, § 305 BGB, Rz. 10, 20; ausführlich Schwab, AGB-Recht, 2. Aufl., S. 127 ff. Kutscher, S. 152; Palandt/Grüneberg, § 305 BGB Rz. 11. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 27; Kutscher, S. 122; Willems, ZfPW 2016, 494 (505). LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (192); vgl. Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom-I-VO für Verbraucherverträge, Kutscher, S. 83.

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§ 20 Rz. 20.124

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1. Befristungs- und Bedingungsklauseln

20.124 Accountverträge können durch auflösende Befristung oder Bedingung gemäß §§ 158 Abs. 2 i.V.m. 163 BGB automatisch mit dem Tod oder einer gewissen Zeit der Inaktivität enden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das „Konto mit dem Tod erlischt“, „das Konto nicht übertragbar ist“1 oder wie bei der facebook-Gedenkzustandsrichtlinie ein Einloggen und Ändern des Profils nach einer Todesmeldung nicht mehr möglich ist2.

20.125 Das Urteil des Bundesgerichtshofes bezieht sich lediglich auf die Regelungen zum sog. facebook-Gedenkstatus3. Er sieht diese Regelungen, ungeachtet dessen, dass er bereits deren Einbeziehung nach § 305 Abs. 2 BGB in den Accountvertrag verneint, wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB richtigerweise als unwirksam an4.

20.126 Demgegenüber hatte das KG Berlin, in dem sog. Gedenkstatus eine bloße Leistungsbeschreibung i.S.v. § 307 Abs. 3 BGB gesehen, die der AGB-Kontrolle entzogen sei5. Das KG Berlin schloss dies daraus, dass der Diensteanbieter seine Leistung grundsätzlich personenbezogen und auf die Lebzeiten der Vertragspartner begrenzt erbringen möchte6. Allerdings stehe diese Leistungsbeschreibung lediglich einer aktiven Fortführung des Accounts durch die Erben entgegen, nicht hingegen dem Recht, auf die Inhalte des Accounts i.S. eines „passiven Leserechts“ zuzugreifen7.

20.127 Dem ist mit dem Bundesgerichtshof entgegenzutreten8. Bei Leistungsbeschreibungen handelt es sich um einbezogene Abreden, die sich auf den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistungspflichten beziehen9. Dies sind nur solche Regelungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhaltes ein wirksamer Vertrag nicht angenommen werden kann10. Leistungen, die die Leistungspflicht des Verwenders einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, unterfallen hingegen der Inhaltskontrolle11. Letzteres ist beim Gedenkstatus der Fall. Er gehört nicht zum Kernbereich der Abrede über den unmittelbaren Leistungsgegenstand, sondern stellt eine nachträgliche Veränderung der Leistungspflichten des Diensteanbieters dar12. Nach Mitteilung des Todes des Nutzers wird der Account im Gedenkstatus nicht gelöscht, wohl aber zu Lasten der Erben in eine virtuelle Trauerstätte umfunktioniert, da der Diensteanbieter das Profil des Benutzerkontos weiterhin als Kommunikationsplattform zur Verfügung stellen muss13. Das Nutzerkonto ist für den eigentlichen Nutzer bzw. dessen Rechtsnachfolger nicht mehr zugänglich, sondern es bleibt lediglich dessen äußeres Erscheinungsbild für andere Nutzer des Dienstes sichtbar. Die spezifische Rechtsstellung eines Nutzers, der insbesondere als einziger auf die nach außen hin im Konto verborgenen Inhalte zugreifen und diese ändern kann, wird damit verändert und geht durchaus unter14. 1 A.A. Kutscher, S. 123, die dies als Kündigungsklauseln ansieht. 2 LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (192); Bock, AcP 217 (2017), 370 (412); Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.19. 3 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 26 ff. 4 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 28; die Beurteilung nach § 308 Nr. 4 BGB hat der BGH hingegen offen gelassen BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 32. 5 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388). 6 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388). 7 KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (388). 8 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 29; Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.18. 9 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 29; Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.19; MüKo/Wurmnest, § 307 BGB Rz. 13. 10 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 29. 11 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 29. 12 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 28 f. 13 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 28; Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.19. 14 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 29.

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Rz. 20.129 § 20

In den Regelungen des Gedenkstatus sieht der Bundesgerichtshof zum einen eine unangemessene 20.128 Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1, 2 BGB1. Diese verhinderten die Vererbung des Nutzungsverhältnisses zwar nicht, höhlten dieses aber aus, da die Erben durch eine bloße Todesmitteilung eines beliebigen Dritten das Recht auf Zugang zum Nutzerkonto als Hauptanspruch verlören2. Dies widerspreche i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB den wesentlichen Grundgedanken des § 1922 BGB. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Universalsukzession auch der eindeutigen Zuordnung des Vermögens und damit der Rechtssicherheit aller Beteiligten dient. Dies wäre nicht gewährleistet, wenn durch den Gedenkzustand ein Datenfriedhof geschaffen würde, auf den bis auf die Diensteanbieter niemand Zugriff hätte3. Zum anderen bejaht der Bundesgerichtshof einen Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Gedenkzustand führe dazu, dass die Rechte auf Zugang zum Benutzerkonto, Zugriff auf die dort gespeicherten Inhalte sowie die Verfügungsbefugnis hierüber, die wesentlichen Rechte aus dem Vertragsverhältnis darstellen, entfallen, sodass der Vertragszweck nicht mehr erreicht werden könne4. Wie reine Beendigungsklauseln, die die Vererbbarkeit eines Accountvertrages insgesamt ausschlie- 20.129 ßen, nach den §§ 307 ff. BGB zu beurteilen sind, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen5. Die speziellen Verbote der §§ 308, 309 BGB sind bei Beendigungsklauseln nicht einschlägig, da sie keine Klauseln erfassen, die die Übertragbarkeit auf Dritte oder die Vererbbarkeit betreffen, sodass sich die Inhaltskontrolle auf § 307 BGB beschränkt6. Die Regelungen könnten nach § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB unwirksam sein7. Ein Untergang des Accountvertrages unabhängig vom Willen des Erblassers oder des Erben könnte gegen den Grundsatz der Vererbbarkeit aus § 1922 BGB verstoßen8. Allerdings folgt aus § 1922 BGB lediglich das Regel-Ausnahme-Verhältnis von vermögenswerten und nichtvermögenswerten Rechtspositionen, wovon es zahlreiche Ausnahmen gibt und das gerade im Schuldrecht grundsätzlich zur freien Disposition der Vertragsparteien steht9. Maßgeblich ist daher nicht die Vereitelung der Rechtsnachfolge durch den Erben10, sondern ob der Erblasser unangemessen in der durch Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten Gestaltungs- und Verfügungsbefugnis beschränkt wird, über seine Rechte lebzeitig und von Todes wegen zu disponieren11. Dabei ist ebenfalls Kontinuitätsund Zuordnungsfunktion des Grundsatzes der Universalsukzession zu beachten. Allerdings sind auch die berechtigten Interessen des Klauselverwenders an einer Beendigungsklausel zu berücksichtigen12. Ein solches kann darin bestehen, dass der Diensteanbieter seinen Dienst im wahrsten Sinne des Wortes von „Karteileichen“ freihalten und Massen von Verträgen auf rationale und Transaktionskosten sparende Weise verwalten möchte13. Ein pauschaler Hinweis auf § 1922 BGB reicht daher nicht aus, um eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB anzunehmen14. Gleiches gilt für § 307 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB. Mit Blick auf die Interessen des Diensteanbieters ist eine Deaktivierung des

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 30. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 30. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 30. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 31. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 25. Kutscher, S. 122; Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (128). Offenlassend BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 25. So: LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (192); Alexander, K&R 2016, 301 (306); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (19); Kutscher, S. 126 f., 158; Pruns, NWB 2014, 2175 (2185); Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 62; Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.21. Bock, AcP 217 (2017), 370 (412); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (128). Kutscher, S. 158 f. Bock, AcP 217 (2017), 370 (412); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (129); Raude, ZEV 2017, 433 (437). Bock, AcP 217 (2017), 370 (413); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (129); Staudinger/Kunz, § 1922 BGB Rz. 596.27. Bock, AcP 217 (2017), 370 (413); Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (129). Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (129); wohl auch Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (589).

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§ 20 Rz. 20.130

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Accounts nach einer gewissen Zeit der Inaktivität jedenfalls bei einer angemessenen Frist und vorangehender Information des Nutzers zulässig1.

20.130 Ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, weil das Äquivalenzverhältnis oder das sonstige Gefüge des Vertrages in unangemessener Weise zulasten des Nutzers verschoben ist, liegt nicht vor, zumal es sich in der Regel um Verträge handelt, in denen der Nutzer mit seinen laufend zur Verfügung gestellten Daten „gezahlt“ hat2.

20.131 Vielfach werden online-Nutzungsrechte an Immaterialgütern, wie beispielsweise Software, Musik und e-Books ausschließlich einem bestimmten Nutzer für eine bestimmte Zeit eingeräumt. Dies ist zwar gemäß § 31 Abs. 1 S. 2 UrhG möglich, jedoch ist zwischen der Übertragbarkeit zu Lebzeiten und von Todes wegen zu differenzieren3. Die Gefahr eines unkontrollierten Sekundärmarktes, die das zentrale Argument gegen den urheberrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz bildet, besteht bei der Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht4. Ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 BGB ist im Hinblick auf die ausdrückliche Regelung des § 31 Abs. 1 S. 2 UrhG dennoch zweifelhaft5. 2. Kündigungsklauseln

20.132 Im Rahmen von Kündigungsklauseln für den Todesfall wirkt sich im Einzelfall die (gemischte) Vertragstypologie von online-Nutzungsverträgen auf die AGB-Kontrolle aus6. Wegen der weitgehenden Dispositionsfreiheit im Schuldrecht verstoßen diese Klauseln grundsätzlich nicht gegen § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB, wenn sie dem Diensteanbieter und dem Erben zustehen7. Sonderkündigungsrechte sind für den Erben bei Verträgen mit langen Vertragslaufzeiten sinnvoll, deren Bedarf er typischerweise durch eigene Verträge abgedeckt hat, z.B. Festnetz- und Mobilfunkverträge8. 3. Legitimationsklauseln

20.133 Diensteanbieter werden und dürfen den Zugang zu passwortgeschützten Inhalten nur gewähren, wenn sich der Erbe als Rechtsnachfolger legitimiert hat. Gleiches gilt für die Beendigung von Vertragsbeziehungen und Löschung von Daten, da dadurch gegebenenfalls Rechtspositionen, die auf die Erben übergegangen sind, untergehen9. Teilweise eröffnen die Diensteanbieter den Nutzern die Möglichkeit, einen sog. Nachlasskontakt anzugeben, was die Legitimation in Bezug auf diese Person erheblich erleichtert – benennt der Nutzer einen solchen, handelt es sich um eine Außenvollmacht.

1 Bock, AcP 217 (2017), 370 (413); Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 97; Kutscher, S. 127 f. 2 Lange/Holtwiesche, ZErB 2016, 125 (130). 3 Kutscher, S. 127. 4 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 393; Gloser, MittBayNot 2016, 12 (13); Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (265). 5 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 392 ff., spricht sich gegen einen Verstoß gegen § 307 BGB aus. Er bespricht ausführlich verschiedene Regelungsmöglichkeiten, kommt aber letztlich dazu, dass derzeit kein zwingender gesetzlicher Regelungsbedarf besteht. 6 Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 59 f. 7 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 354 f.; Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 60. 8 Aus dem Grund, dass eher die Personen, mit denen der Verstorbene in einem Haushalt lebt, auf diese Verträge aus praktischen Gründen angewiesen sind, möchte der Deutsche Anwaltverein ein Eintrittsrecht dieser Personen ähnlich der §§ 563 ff. BGB im TKG implementieren, DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 6, 9; dies ablehnend: Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 405. 9 Gloser, MittBayNot 2016, 12 (19); Kutscher, S. 125.

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Rz. 20.137 § 20

Fordert der Diensteanbieter ausnahmslos oder willkürlich den Nachweis durch einen Erbschein i.S.v. § 2353 BGB oder noch höhere Anforderungen, verstößt dies gegen § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB1. Gleiches gilt für das Testamentsvollstreckerzeugnis, da da § 2368 BGB auf die Regelungen zum Erbschein verweist2. Das Verbot höherer Anforderungen ergibt sich aus § 2365 BGB3. Nach dem gesetzlichen Leitbild ist ein Erbschein die Ausnahme in speziell geregelten Ausnahmefällen, vgl. § 35 Abs. 1 S. 1 GBO, § 41 Abs. 1 S. 1 SchRegO, § 86 LuftFzG4. Trotz eines legitimen Absicherungsinteresses des Verwenders darf er ohne konkrete Zweifel an der Erbenstellung im Einzelfall keinen Erbschein fordern, da dieser mit erheblichen Kosten und einer Zeitverzögerung einhergeht5. Die Grundsätze zur Legitimation gegenüber Banken sind übertragbar, da es sich zwar in der Regel nicht um erhebliche Vermögensinteressen, wohl aber um sehr sensible, gegebenenfalls höchstpersönliche Daten handelt6. Grundsätzlich ist daher die Legitimation durch ein beglaubigtes Testament und die Eröffnungsniederschrift ausreichend7. Eine bloße Sterbeurkunde oder Traueranzeige reicht hingegen nicht aus8.

20.134

Sollen andere Personen als Erben Zugriff zu erhalten, weil der Erblasser diese als Wahrnehmungs- 20.135 berechtigte eingesetzt hat, oder soll der Erbe bereits vor Testamentseröffnung Zugriff erhalten, reicht eine schriftliche Vollmacht als Legitimationsnachweis9. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn der Erbe zunächst die Nachlasszugehörigkeit nachwei- 20.136 sen muss, insbesondere bei Freemail-Accounts und Pseudonymen, da der Diensteanbieter selbst nicht weiß, ob der Erblasser Kontoinhaber war10. §§ 857, 1006 BGB versagen in der Onlinewelt11. Der Diensteanbieter darf keine überzogenen Anforderungen an die Nachlasszugehörigkeit stellen. Er sollte grundsätzlich eine handschriftliche oder beglaubigte Liste mit Accounts und Klarnamen akzeptieren, die der Verstorbene lebzeitig erstellt hat12. 4. Kontosicherheitsklauseln Klauseln zur Kontosicherheit, die verbieten, die Zugangsdaten an Dritte weiterzugeben, sind nach der allgemeinen Verkehrsauffassung gemäß §§ 157, 133 BGB dahingehend auszulegen, dass sie die Gefährdung der Sicherheit des einzelnen Nutzerkontos und des Netzwerkes insgesamt verhindern wollen13. Sie verbieten nicht, das Nutzungsverhältnis zu Lebzeiten oder von Todes wegen zu übertragen14.

1 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 356 ff.; Kutscher, S. 125; Litzenburger, FD-ErbR 2018, 407688. 2 BGH v. 8.10.2013 – XI ZR 401/12, BGHZ 198, 250 (264). 3 Kutscher, S. 125. 4 BGH v. 7.6.2005 – XI ZR 311/04, NJW 2005, 2779 (2780); BGH v. 8.10.2013 – XI ZR 401/12, BGHZ 198, 250 (261 f.). 5 BGH v. 7.6.2005 – XI ZR 311/04, NJW 2005, 2779 (2780); BGH v. 8.10.2013 – XI ZR 401/12, BGHZ 198, 250 (263); Kutscher, S. 124; Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 (294). 6 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 358; Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 74; Kutscher, S. 125; Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 63. 7 BGH v. 7.6.2005 – XI ZR 311/04, NJW 2005, 2779 (2780); Litzenburger, FD-ErbR 2018, 407688; Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 62 f. 8 Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 94; Kutscher, S. 125, lediglich bzgl. der Löschung. 9 Solmecke/Köbrich/Schmitt, MMR 2015, 291 (294). 10 Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (451). 11 Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 75, weist darauf hin, dass sie wohl nur bei Daten auf einem lokalen Speichermedium beim Erblasser gelten. 12 Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 77. 13 LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191 f.). 14 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 25; LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (191 f.).

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20.137

§ 20 Rz. 20.138

Digitaler Nachlass

20.138 Sieht man dies anders, verstößt ein pauschales Verbot der Weitergabe von Zugangsdaten an Dritte, das zu einer haftungsrelevanten Vertragsverletzung führt, wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion gegen § 307 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB1. Der Vertragszweck wird vereitelt bzw. sein Erreichen unverhältnismäßig erschwert, wenn der Rechtsnachfolger faktisch keinen Zugang erlangen kann. Der Kontosicherheit nach dem Tod des Nutzers kann hinreichend durch die Legitimation seiner Rechtsnachfolger Rechnung getragen werden. 5. Abwicklungsklauseln

20.139 Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sind dem Nutzer die vorhandenen Daten herauszugeben und im Anschluss zu löschen2. Liegt eine wirksame Vereinbarung mit dem Diensteanbieter vor, dass dieser sie weiterhin verwenden darf, muss der Nutzer jedenfalls eine Kopie der Daten erhalten3. Eine vorzeitige Löschung verstößt gegen §§ 667, 675 BGB und zieht eine Schadensersatzpflicht des Diensteanbieters nach sich4. Ein Ausschluss dieses Rechts verstößt gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB5.

20.140 Allerdings kann der Diensteanbieter in AGB die technische Modifikation der Herausgabe regeln, solange es dem Nutzer möglich ist, die Daten mithilfe standardmäßiger Soft- und Hardware weiterzuverarbeiten6. Ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn der Diensteanbieter das Herausgaberecht des Nutzers in unangemessener Weise einschränkt, etwa weil er ihn vor der Löschung nicht gesondert benachrichtigt oder keine angemessene Frist vor der Löschung abwartet. Differenzieren Klauseln nicht oder nicht hinreichend zwischen der Beendigung des Vertragsverhältnisses und der anschließenden Abwicklung, sind sie gemäß §§ 305c Abs. 2, 307 Abs. 1 S. 2 BGB im Zweifel unwirksam7.

V. Auslandsbezüge 20.141 Aufgrund der weltweiten Verstrickung der Rechtsbeziehungen und des Datenaustausches durch das Internet betrifft der digitale Nachlass fast immer Fragen der internationalen Gerichtszuständigkeit sowie kollisionsrechtliche Fragen8. Eine Empfehlung, für Internetaktivitäten bewusst deutsche Anbieter zu wählen9, wird hingegen aufgrund der marktbeherrschenden Stellung und der attraktiven Angebote der großen internationalen Internetanbieter meist ins Leere laufen10. 1. Kollisionsrecht a) Erbstatut

20.142 Das Erbstatut bestimmt, auf wen vermögenswerte Rechte im Erbfall übergehen11. Gemäß Art. 21 EuErbVO unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der 1 Alexander, K&R 2016, 301 (306); offenlassend BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456, Rz. 25. 2 Kutscher, S. 126; Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 64. 3 A.A. Kutscher, S. 126; Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 64. 4 Kutscher, S. 126; Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 64. 5 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 359 f.; Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 558 (589 f.); Gloser, MittBayNot 2016, 12 (19); Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 95; Kutscher, S. 126; Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 64. 6 Redeker in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 64. 7 Kutscher, S. 124, differenziert nicht hinreichend. 8 Ausführlich Teil 7 „Der Erbfall mit Auslandsberührung“. Einen Blick auf die materielle Rechtslage in den USA werfen Uhrenbacher, S. 65 ff.; Willems, ZfPW 2016, 494 (498 ff.). 9 Deusch, ZEV 2018, 687 (690); Rott/Rott, NWB-EV 2013, 160 (167). 10 Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (266). 11 Schack, JZ 2000, 1060 (1061).

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Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.148 § 20

Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Abweichend davon hat der Erblasser die Möglichkeit, das Recht seiner Staatsangehörigkeit zu wählen, Art. 22 EuErbVO. Die vorgeschaltete Frage der Vererblichkeit einer Rechtsposition richtet sich hingegen nach dem Sachstatut, da es sich um eine Eigenschaft des Rechts handelt1. Dies ergibt sich auch aus der Regelung des Art. 23 Abs. 2 lit. e) EuErbVO, dessen Wortlaut die zum Nachlass gehörenden Gegenstände für den Übergang auf die Erben voraussetzt.

20.143

b) Vertragsstatut Die Vertragsparteien können gemäß Art. 3 Abs. 1 Rom-I-VO das auf den Vertrag anzuwendende Recht frei wählen. Fehlt eine Rechtswahl, so bestimmt Art. 4 Rom-I-VO das anwendbare Recht für bestimmte Vertragstypen, etwa bei Dienstverträgen das Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom-I-VO. Liegt kein Vertragstyp nach Art. 4 Abs. 1 Rom-I-VO vor oder liegt eine Typenmischung vor, unterliegt der Vertrag grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem die Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, Art. 4 Abs. 2 Rom-I-VO.

20.144

Die Anbieter von Internetdiensten sind häufig ausländische Rechtssubjekte, die ihre Hauptniederlassung im Sinne von Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom-I-VO im Ausland haben2. Da der Diensteanbieter die für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt, führt dies regelmäßig zur Anwendbarkeit ausländischen Rechts3.

20.145

Anders ist dies bei Verbraucherverträgen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom-I-VO, die dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, unterliegen, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesem Staat ausübt oder seine Tätigkeit jedenfalls auf diesen Staat ausrichtet. Nur weil der Verbraucher rein internetbezogene Geschäfte mit ausländischen Anbietern abschließt, bedeutet das nicht, dass er sich auf einen fremden Markt und sich daher des Schutzes seiner Rechtsordnung begibt4. Dies würde zu einer Aushebelung des Verbraucherschutzes bei rein internetbezogenen Geschäften führen5. Gerade Nutzungsverträge über den Zugang zu sozialen Netzwerken können als Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO angesehen werden6.

20.146

Selbst eine Rechtswahl kann nicht dazu führen, dass dem Verbraucher die zu seinem Schutz zwingenden Bestimmungen des Staates seines gewöhnlichen Aufenthaltes entzogen werden, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO. Dies führt dazu, dass insbesondere die Regeln zur AGB-Kontrolle anwendbar bleiben, wonach über § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB letztlich das gesamte deutsche Recht als Prüfungsmaßstab gelten kann7.

20.147

c) Deliktsstatut Für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie des postmortalen Persönlichkeitsrechts gilt über Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II-VO weiterhin das Deliktsstatut des Art. 40 EGBGB8. Für die Verletzung von Immaterialgüterrechten gilt gemäß Art. 3 Nr. 1a EGBGB i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO das Schutzlandprinzip. 1 2 3 4 5 6

Schack, JZ 2000, 1060 (1061); Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 85. Hoor, ZAP Fach 12, 319 (323). Hoor, ZAP Fach 12, 319 (323). Kutscher, S. 79. Kutscher, S. 80. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 20; LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190); Hoor, ZAP Fach 12, 319 (323); begrüßend Gloser, MittBayNot 2016, 101 (102). 7 Kutscher, S. 83. 8 Kutscher, S. 70, 73 f.

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20.148

§ 20 Rz. 20.149

Digitaler Nachlass

2. Internationale Zuständigkeit

20.149 Die internationale Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten in erbrechtlichen Angelegenheiten richtet sich nach Art. 4 ff. EuErbVO. Allerdings geht es in Rechtsstreitigkeiten um den digitalen Nachlass, insbesondere wenn der Erbe gegen Anbieter elektronischer Dienste vorgeht, gerade nicht um originär erbrechtliche Ansprüche, sondern vielmehr um aufgrund eines Erbfalls übergegangene Ansprüche, die nicht unter den Anwendungsbereich der EuErbVO fallen1. Diese Handhabung gewährleistet den Gleichlauf von Zuständigkeitsregelungen und Kollisionsrecht. Anwendbar ist damit für grenzüberschreitende zivilrechtliche Streitigkeiten innerhalb der EU die EuGVVO trotz ihres auf den ersten Blick anders lautenden Art. 1 Abs. 2 lit. f)2.

20.150 Hat der Erblasser als Verbraucher gehandelt, richtet sich die Zuständigkeit nach Art. 17 ff. EuGVVO. In Rechtsstreitigkeiten gegen Anbieter elektronischer Dienste handelt es sich grundsätzlich um Verbrauchersachen i.S.d. Art. 17 Abs. 1 lit. c), Abs. 2 EuGVVO, da Diensteanbieter ihre Tätigkeit auf einen EU-Mitgliedstaat ausgerichtet haben oder eine Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat betreiben3. Nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO kann der Verbraucher die Klage gegen den Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder an seinem eigenen Wohnsitz erheben. Maßgeblich ist allerdings nicht der Wohnsitz der Erben sondern des Erblassers4. Die internationale Zuständigkeit für Klagen gegen den Erben ist nach Art. 18 Abs. 2 EuGVVO stets im Wohnsitzland des Erblassers gegeben. Abweichende Parteivereinbarungen unterliegen den engen Grenzen des Art. 19 EuGVVO, insbesondere Gerichtsstandsklauseln in den AGB der Diensteanbieter werden danach zumeist unwirksam sein5.

20.151 Hat der Erblasser nicht als Verbraucher gehandelt, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 4 i.V.m. 63 Abs. 1 EuGVVO, sodass sie an ihrem Sitz verklagt werden, wenn sich der satzungmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung in einem EU-Mitgliedstaat befindet. Sonderzuständigkeiten können sich aus den Abschnitten 2 bis 7 EuGVVO ergeben. Gemäß Art. 25 EuGVVO sind Vereinbarungen über den Gerichtsstand in einem Mitgliedstaat grundsätzlich zulässig.

20.152 Vorsicht ist in Fällen der gemischten privaten und unternehmerischen Nutzung geboten: anders als bei § 13 BGB schließt in der EuGVVO eine auch nur teilweise unternehmerische Nutzung die Verbrauchereigenschaft in der Regel aus, allein eine völlig untergeordnete Nutzung zu unternehmerischen Zwecken ist unschädlich6. Eine Trennung unternehmerischer oder beruflicher und privater Nutzung von online-Diensten ist daher dringend zu empfehlen, dies lässt sich durch die Nutzung verschiedener Dienste oder jedenfalls verschiedener Nutzerkonten verwirklichen7.

20.153 Die EuGVVO findet allerdings keine Anwendung, wenn Diensteanbieter nicht nach Art. 63 EuGVVO ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem EU-Mitgliedstaat haben. Die Zuständigkeit richtet sich dann nach den allgemeinen Regeln der ZPO. In vielen praxisrelevanten Fällen des digitalen Nachlasses wird sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte danach regelmäßig nicht begründen lassen8.

1 Herzog/Pruns, § 7 Rz. 3; Dutta/Weber/Lein, Vorb. Art. 4 ff. EUErbVO Rz. 30 f.; Bergquist/Damascelli/ Frimston/Lagarde/Odersky/Reinhartz/Odersky, Art. 4 EuErbVO Rz. 8. 2 Herzog/Pruns, § 7 Rz. 3. 3 BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, FamRZ 2018, 1456 Rz. 16; ebenso: KG Berlin v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386 (387); LG Berlin v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190); Herzog/Pruns, § 7 Rz. 4. 4 Herzog/Pruns, § 7 Rz. 4. 5 Herzog/Pruns, § 7 Rz. 4. 6 MüKo-ZPO/Gottwald, Art. 17 EuGVVO Rz. 2; Musielak/Voit/Stadler, Art. 17 EuGVVO Rz. 1; Herzog/ Pruns, § 7 Rz. 8. 7 Herzog/Pruns, § 7 Rz. 9. 8 Herzog/Pruns, § 7 Rz. 7.

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Digitaler Nachlass

Rz. 20.158 § 20

VI. Konsequenzen für die Beratungspraxis Beratungssituation: Im Rahmen der Testamentsgestaltung spricht die Beraterin die unklare Rechtslage zum digitalen Nachlass an. Der Mandant fragt daraufhin nach geeigneten Vorsorgemaßnahmen. Er erledigt einen Großteil seines Schriftverkehrs via E-Mail, ist in diversen sozialen Netzwerken aktiv und kauft gerne bei Online-Händlern ein. Außerdem betreibt er einen Blog, in dem er über private Hobbys schreibt. Besonders begeistert ist der Mandant davon, dass er seinen Laptop und sein Smartphone per Fingerabdruck verschlüsseln kann. Alleinerbin soll seine Ehefrau werden, die sich mit Computern und Internet aber überhaupt nicht auskenne und sozialen Online-Aktivitäten sehr kritisch gegenüberstehe. Es gebe außerdem einen Account bei einem Datingportal, von dem die Gattin auf keinen Fall zufällig erfahren solle, wenn er z.B. einen Unfall habe, dement werde oder sterbe. Seine Eltern seien ebenfalls sehr internetkritisch. Der Mandant hat aber ein enges Vertrauensverhältnis zu seinem jüngeren Bruder, der internetaffin und diskret sei und sich um digitale Angelegenheiten im Notfall gerne kümmern würde. Miterbe soll er jedoch nicht werden. Zur Sprache kommen außerdem die 15-jährige Tochter und der 19-jährige Sohn des Mandanten, die ihren Eltern computertechnisch weit voraus sind. Der Mandant weiß, dass beide sowohl ein Profil bei facebook als auch bei instagram haben, alle weiteren Internetaktivitäten entziehen sich aber seiner Kenntnis.

20.154

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass bindende Anordnungen zum Umgang mit dem digitalen Nachlass möglich sind, Schwierigkeiten und Rechtsunsicherheit herrschen hingegen, wenn der Wille des Erblassers und seiner Vertragspartner nicht klar zu Tage treten1. Gestaltungen im Bereich des digitalen Nachlasses sind aber nicht nur in Bezug auf die komplexe und teilweise ungeklärte Rechtslage erforderlich, sondern vor allem in Bezug auf die tatsächlichen, technischen Widrigkeiten. Zu Regelungen in Vorsorgevollmachten und letztwilligen Verfügungen, die beiden Gesichtspunkten Rechnung tragen, ist dringend zu raten.

20.155

Die dazu vielfach verwendeten Begriffe wie „digitale Vorsorgevollmacht“, „digitales Testament“ oder der „digitaler Testamentsvollstrecker“ sind nicht im (streng) juristischen Sinne gemeint, sondern wollen lediglich den inhaltlichen Bezug zum digitalen Bereich ausdrücken. Dennoch sollten sie vermieden werden, um den Anschein rechtlicher Sonderregeln zu vermeiden2. Gestaltungen im Bereich des digitalen Nachlasses richten sich allein nach den allgemeinen Vorschriften, insbesondere den erbrechtlichen Form- und Errichtungsvorschriften.

20.156

Bei allen Gestaltungen darf der „analoge“ Nachlass nicht aus den Augen verloren werden. Sensible Inhalte können insbesondere in Tagebüchern, Fotoalben oder privaten Briefwechseln enthalten sein. Die Interessenlage und das Schutzbedürfnis des Erblassers sind bei diesen digitalen und analogen sensiblen Daten regelmäßig gleichgerichtet, sodass die Parallele in der Gestaltung gewahrt werden sollte.

20.157

Neben der Schärfung des Bewusstseins des Mandanten für seine eigenen digitalen Angelegenheiten, 20.158 sollte die gesamte Familie in den Blick genommen werden. Zwar hält die gesetzliche Erbfolge für heranwachsende Menschen und vor allem Minderjährige wegen des ansonsten meist nur geringen Vermögensbestandes und in der Regel der Eltern als gesetzlichen Erben die wesentlichen, sachgerechten Regelungen bereit. Kinder und Jugendliche sind allerdings schon in sehr frühem Alter in ganz erheblichem Umfang online unterwegs. In der Familie sollte die Nutzung von online-Dienstleistungen, v.a. sozialen Netzwerken, sowohl vor dem Hintergrund der gem. § 107 BGB notwendigen Einwilligung der Eltern zur Einrichtung eines Nutzerkontos3 als auch wegen der Problematik des digitalen Nachlasses daher offen mit den Kindern angesprochen und jedenfalls rudimentär rechtlich und tatsächlich geregelt werden.

1 Deusch, ZEV 2018, 687 (691); Herzog/Pruns, § 10 Rz. 1 f., schon Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 57. 2 Deusch, ZEV 2014, 2 (7); Gloser, MittBayNot 2016, 101 (104); Herzog/Pruns, § 10 Rz. 23. 3 Ausführlich Knoop, NZFam 2016, 966 (967).

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§ 20 Rz. 20.159

Digitaler Nachlass

1. Perspektiven und Interessen der Beteiligten

20.159 Auf die Perspektiven und Interessen der Beteiligten wurde oben bereits im Rahmen der Vererblichkeit von Rechtspositionen eingegangen. Dort wurden allerdings lediglich die notwendigen Grundsätze und Typisierungen der rechtlichen Beurteilung aufgezeigt, die vielfach Raum für eine abweichende Disposition und eigene Gestaltungen lassen. Der spezifische Wille und die Interessen sind in der Beratung im Einzelfall herauszukristallisieren, sodass eine sach- und interessengerechte Lösung für den einzelnen Mandanten gefunden werden kann. a) Erblasser

20.160 Viele Personen machen sich sehr ungern und nur wenige Gedanken über ihr Ableben und die Abwicklung ihres Nachlasses. Dies gilt erst recht für den digitalen Nachlass. Der künftige Erblasser sollte daher zunächst auf dieses Thema angesprochen und für die rechtlichen und tatsächlichen Probleme sensibilisiert werden.

20.161 Der Erblasser muss sich darüber bewusst werden, ob und inwiefern er seine online und offline hinterlassenen digitalen Spuren nach seinem Tod kontrollieren will und kann1. Dazu gehört insbesondere, dass er sich klarmachen sollte, welches Bild er von seiner Person über seinen Tod hinaus vermitteln und aufrecht erhalten möchte – ob und inwiefern die Kenntnisnahme bestimmter Inhalte durch Erben das lebzeitig geschaffene Bild beeinflussen könnten und welche Andenken er seinen Hinterbliebenen belassen möchte. Insofern kann über den Tod hinaus ein gewisses Mitteilungs- oder auch Geheimhaltungsinteresse bestehen, das ganz individuell vom jeweiligen Erblasser abhängt.

20.162 Jedenfalls hinsichtlich eher geschäftlicher Kontakte wird der Erblasser meist eine schnelle Abwicklung durch die Erben wünschen, so bspw. die schnelle, pietätvolle Information von Geschäftspartnern, die Stornierung oder Rückabwicklung von online-Einkäufen durch Widerrufsrechte oder die Beendigung von Vertragsbeziehungen wie Abonnements2. Demgegenüber stehen (höchst-)persönliche Betätigungsfelder und Daten, deren Kenntnisnahme der Erblasser wohlmöglich gar keinen oder nur bestimmten (Vertrauens-)Personen gewähren möchte, bspw. Accounts bei sozialen Netzwerken, Datingportalen oder private digitale Foto- und Videosammlungen3. b) Erben

20.163 Die Erben sind maßgeblich daran interessiert, sich nach dem Erbfall möglichst zügig einen umfassenden Überblick über die Aktiva und Passiva des gesamten Nachlasses zu verschaffen, um zum einen fristgerecht über die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft entscheiden zu können, § 1943 f. BGB4. Dabei kann es gerade im Hinblick auf die Legitimation gegenüber Diensteanbietern problematisch sein, sich hinreichende Informationen und Auskünfte hinsichtlich des (digitalen) Nachlasses zu verschaffen, ohne konkludent die Annahme der Erbschaft zu erklären und Haftungsrisiken einzugehen5. Die Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ sieht diesbezüglich zwar keinen akuten gesetzgeberischen Handlungsbedarf, mahnt aber recht eindringlich dazu, die weitere Entwicklung zu beobachten und nötigenfalls seitens des Gesetzgebers tätig zu werden6. Zum anderen müssen die Erben nach erfolgter Annahme den Nachlass abwickeln, insbesondere Nachlassverbindlichkeiten i.S.v. § 1967 BGB begleichen. Beides ist ohne den unmittelbaren Zugriff auf den digitalen Nachlass vielfach nicht möglich, sodass es den Interessen der Erben grundsätzlich 1 2 3 4 5 6

So schon in der Vorauflage Holzer, Rz. 83; Deusch, ZEV 2018, 687 (690); Thiesen, S. 2 f. Salomon, NotBZ 2016, 324 (325). Salomon, NotBZ 2016, 324 (325). Raude, RNotZ 2017, 17 (24); Salomon, NotBZ 2016, 324 (325); Thiesen, S. 6. Ausführlich Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 368 ff. Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 381.

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Digitaler Nachlass

Rz. 20.169 § 20

zuwiderläuft, wenn sie dazu zunächst die Testamentseröffnung oder die Erteilung des Erbscheins abwarten müssen1. Verzögerungen können zudem dazu führen, dass der digitale Nachlass in seinem Bestand beeinträchtigt wird, wenn bspw. Diensteanbieter Nutzerkonten sperren oder Inhalte löschen2. c) Angehörige Nahen und entfernteren Angehörigen und Hinterbliebenen (die nicht mit den Erben personengleich sein müssen) liegt zumeist der Schutz des Gedenkens an den Verstorbenen und ein pietätvoller Umgang mit seinem Tod am Herzen3. Gedenken und Trauerbewältigung können sich allerdings ganz unterschiedlich kanalisieren: einigen Menschen genügen die eigenen Erinnerungen, andere benötigen eine Grabstätte als Zufluchtsort, wieder andere nutzen etwa Profile in sozialen Netzwerken, um sich mit anderen zusammen über den Toten auszutauschen4. Auch hier können Vorbereitungen und Anweisungen des Erblassers helfen, Konflikte über den „richtigen“ pietätvollen Umgang seinem Tod und Gedenken zwischen den Angehörigen und Erben zu vermeiden und ihnen die Trauerbewältigung zu erleichtern.

20.164

d) Diensteanbieter Die konkreten Interessen der einzelnen Diensteanbieter spielen für die Beratung eine wichtige Rolle 20.165 und sind durch eine Betrachtung der Ausgestaltung des jeweiligen Dienstes, insbesondere der AGB, im Einzelnen zu ermitteln. Nur so können bestehende Gestaltungsspielräume ausgenutzt oder adäquate Maßnahmen gegen unliebsame Regelungen getroffen werden. e) Dritte Neben dem Erblasser selbst können auch Dritte gewisse Geheimhaltungsinteressen an Daten und Informationen haben, die durch Kommunikation oder sonstige Überlassung von Informationen an den Erblasser gelangt sind und die nach seinem Tod dem Zugriff der Erben ausgesetzt sind. Auch diese Drittinteressen kann der Erblasser bei seiner Nachlassplanung reflektieren und gegebenenfalls in der Gestaltung berücksichtigen.

20.166

2. Gestaltung der Rechtslage Der Erblasser sollte ausdrücklich bestimmen, welche Rechtspositionen mit digitalem Bezug nach seinem Tod auf welche Personen übergehen sollen und wie diese Personen damit zu verfahren haben. Bei der Gestaltung der Rechtslage mit Hilfe unterschiedlicher Regelungsinstrumente ist besonders darauf zu achten, dass sich die Regelungen gegenseitig ergänzen und keinesfalls widersprechen5.

20.167

a) Nutzung der Gestaltungsspielräume der Diensteanbieter Im Rahmen der Beratung sollten die Vor- und Nachteile des Gebrauchs der Gestaltungsmöglichkeiten durch die Diensteanbieter mit dem Erblasser besprochen werden. Dazu sollte sich der Berater selbst zunächst einen Überblick über die aktuell bestehenden AGB-Regelungen der Diensteanbieter verschaffen.

20.168

Der Erblasser sollte (formularmäßige) Gestaltungsmöglichkeiten schuldrechtlicher Beziehungen nutzen, die die Diensteanbieter zur Verfügung stellen, sofern keine Sicherheitsbedenken entgegenste-

20.169

1 2 3 4 5

So schon in der Vorauflage Holzer, Rz. 84. Deusch, ZEV 2018, 687 (691); Salomon, NotBZ 2016, 324 (325). Raude, RNotZ 2017, 17 (24); Thiesen, S. 5. Hohenstein, K&R 2018, 5 (6). Salomon, NotBZ 2016, 324 (331); Rott/Rott, NWB-EV 2013, 160 (168).

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§ 20 Rz. 20.170

Digitaler Nachlass

hen1. Dies führt zu einer spezifischen Ausgestaltung der schuldrechtlichen Beziehung, die sich nicht nach den erbrechtlichen Vorschriften, sondern nach den Vorschriften über lebzeitige Rechtsgeschäfte richtet. Dies gewährleistet, dass der Wille des Erblassers nach dem Todesfall unkompliziert und schnell umgesetzt wird2.

20.170 Allerdings erfordert es einen gewissen Verwaltungsaufwand, vor allem, wenn die AGB unterschiedlicher Anbieter verschiedene Regelungen und Gestaltungsmöglichkeiten vorsehen und/oder Anbieter ihre Nutzungsbedingungen und Gestaltungsangebote ändern3. Um Regelungslücken zu vermeiden, sollte der Erblasser die Nutzungsbedingungen in regelmäßigen Abständen prüfen und Anpassungen oder Änderungen vornehmen.

20.171 Wegen der (ggf. unbemerkten) Änderungen der AGBs durch die Diensteanbieter und der teilweise streitigen Rechtslage hinsichtlich der Wirksamkeit der AGBs nach §§ 305 ff. BGB sollte sich der Erblasser nicht auf diese Gestaltung beschränken, sondern zusätzlich einseitige Maßnahmen im Rahmen einer transmortalen Vollmacht und einer letztwilligen Verfügung treffen4. b) Transmortale Vorsorgevollmacht

20.172 Der Erblasser sollte eine transmortale Vollmacht ausstellen, die den ersten Zugriff nach dem Tod ermöglicht und konkrete Handlungsanweisungen im Innenverhältnis enthält5. Im Außenverhältnis sollte sie hingegen unbeschränkt sein6. Problematisch ist der Gebrauch transmortaler Vollmachten allerdings gegenüber ausländischen Diensteanbietern, da diese in anderen Rechtsordnungen teilweise nicht anerkannt sind7. Hier empfiehlt es sich, den Zugriff (zusätzlich) jedenfalls tatsächlich sicherzustellen (s.u. Rz. 20.188 ff.)8.

20.173 Die Bevollmächtigung kann als sog. Vorsorgevollmacht bereits ab dem Zeitpunkt der Handlungsoder Geschäftsunfähigkeit gelten, um die Wahrnehmung der Interessen des Erblassers noch zu dessen Lebzeiten zu gewährleisten9. Die Vollmacht bedarf keiner spezifischen Form, aus Beweiszwecken empfiehlt sich jedenfalls die Schriftform. Darüber hinaus kann eine notarielle Beurkundung oder Beglaubigung die Akzeptanz im Rechtsverkehr erhöhen10.

20.174 Wird eine Generalvollmacht erteilt, umfasst diese das digitale Vermögen. Wegen des bislang geringen Bewusstseins im Rechtsverkehr zu dem Thema empfiehlt sich aber eine ausdrückliche und klarstellende Aufnahme des Punktes digitaler Nachlass mit in die allgemeine Vorsorgevollmacht11. So wird eine gleichlaufende Behandlung von analogen und digitalen Angelegenheiten, die vielfach fließend ineinander übergehen, gewährleistet. Wegen letzterem Punkt ist die Klarstellung in der Generalvollmacht einer separaten Spezialvollmacht vorzuziehen.

20.175 Die bevollmächtigte Person sollte das besondere Vertrauen des Erblassers bezüglich seiner persönlichen Daten und Internetaktivitäten genießen. Eine Bevollmächtigung unterschiedlicher Personen für 1 Deusch, ZEV 2014, 2 (7); Herzog/Pruns, § 10 Rz. 15 ff.; Herzog in Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl., Kap. 9 Rz. 81. 2 Bock, AcP 217 (2017), 370 (412); Gloser, MittBayNot 2016, 101 (105). 3 Deusch, ZEV 2014, 2 (7). 4 Gloser, MittBayNot 2016, 101 (105). 5 Gloser, MittBayNot 2016, 101 (103); Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 58; Salomon, NotBZ 2016, 324 (330); ausführlich Raude, RNotZ 2017, 17 (24 ff.); Herzog/Pruns, § 10 Rz. 19 ff. 6 Raude, RNotZ 2017, 17 (24). 7 Raude, RNotZ 2017, 17 (26). 8 Raude, RNotZ 2017, 17 (26). 9 MAH ErbR/Biermann, § 50 Rz. 84; Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (265). 10 Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (265); Salomon, NotBZ 2016, 324 (331). 11 Salomon, NotBZ 2016, 324 (330).

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Digitaler Nachlass

Rz. 20.178 § 20

„private“ und „geschäftliche“ Angelegenheiten sollte aufgrund der praktisch schwierigen Trennung „privater“ und „geschäftlicher“ Inhalte und dem erheblichen Konfliktpotenzial nicht vorschnell vorgenommen werden. Erfolgt sie dennoch nach sorgfältiger Erwägung, müssen zum einen die Vollmachten sorgfältig und konkret abgefasst sein und zum anderen sollte der Erblasser die Trennung zu Lebzeiten durch die Nutzung unterschiedlicher Accounts und Speicherorte vorbereiten und vereinfachen. Die notwendigen Computer- und Internetkenntnisse des Bevollmächtigten sind zwar heutzutage in der überwiegenden Anzahl der Fälle gegeben, sollten aber kurz abgeklärt werden. Die Vollmacht sollte zwar einerseits möglichst konkrete Handlungsanweisungen enthalten, vor allem, um Konflikte innerhalb der Familie zu vermeiden1. Andererseits bedarf es einer abstrakten Auffangklausel, da die exemplarische Aufzählung von Handlungsanweisungen nicht als Beschränkung im Außenverhältnis aufgefasst werden soll und Angebot und Nutzung von online-Diensten einem starken Wandel unterliegen2.

20.176

In der Vollmachtsurkunde sollten auf keinen Fall Zugangsdaten und Passwörter zu Nutzerkonten, Hardware etc. aufgenommen werden, da Ausfertigungen der Vorsorgevollmacht in der Regel den jeweiligen Geschäftspartnern als Legitimationsnachweis vorgelegt werden3. Diese bzw. ein Masterpasswort sollten vielmehr in die Anlagen eigenständiger Vorsorge-Urkunden als „Schlüssel-Urkunden“ aufgenommen werden (siehe unten Rz. 20.189 ff.)4.

20.177

M 156 Vorsorgevollmacht für digitale Angelegenheiten – Ergänzung zur Generalvollmacht vom …

20.178

Ich, Vor- und Zuname: … Geburtsdatum: … Adresse: … Tel.: … E-Mail: … bevollmächtige hiermit Frau/Herrn: … Geburtsdatum: … Adresse: … Tel.: … E-Mail: … mich in meinen digitalen Angelegenheiten, das heißt im gesamten Bereich der Rechtsverhältnisse betreffend informationstechnischer Systeme einschließlich meines gesamten elektronischen Datenbestands, zu vertreten und Entscheidungen für mich zu treffen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Angelegenheiten und die sie betreffenden Inhalte geschäftlicher, vermögensrechtlicher, privater, höchstpersönlicher oder sonstiger Natur sind.

1 2 3 4

So bereits in der Vorauflage Holzer, Rz. 88. MAH ErbR/Biermann, § 50 Rz. 86. MAH ErbR/Biermann, § 50 Rz. 87; Raude, RNotZ 2017, 17 (25); Salomon, NotBZ 2016, 324 (329). Raude, RNotZ 2017, 17 (25); Salomon, NotBZ 2016, 324 (329).

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§ 20 Rz. 20.179

Digitaler Nachlass

Zu meinen digitalen Angelegenheiten zählen insbesondere: – meine Hard- und Software – alle meine lokal oder im Internet gespeicherten Daten, hierzu gehören auch meine Rechte an Websites, Blogs und jeglichen sonstigen Inhalten (Textbeiträge, Fotos, Videos), die ich im Internet veröffentlicht habe; außerdem sämtliche Rechte an Cloud-Diensten, bei denen ich Daten gespeichert habe, insbesondere bei Dropbox – sämtliche E-Mail-Accounts, insbesondere meine Accounts bei Google Mail und Web. de – sämtliche Accounts bei sozialen und beruflichen Netzwerken, insbesondere bei Facebook, Xing, Instagram und Twitter – alle meine Vertragsabschlüsse und -abwicklungen im Internet, z.B. Bestellungen bei Amazon oder Online-Auktionen bei eBay – sämtliche Online-Depots, Online-Zahlungsdienste, insbesondere PayPal, und sonstige Online-Zahlungsmittel, insbesondere Bitcoins und Onlinebanking – sämtliche Onlineguthaben und Nutzungsrechte, insbesondere bei Kindle und iTunes – sämtliche sonstigen Vertragsbeziehungen im Internet. Diese Vollmacht berechtigt insbesondere – zur Nutzung von vorhandenen Passwörtern, – zur Geltendmachung von Auskunftsansprüchen gegenüber den Anbietern digitaler Nutzungen betreffend Passwörter und sonstiger Zugangsdaten sowie das Recht, diese zurückzusetzen und zu erneuern, sowie zur Entgegennahme der neuen Passwörter und Zugangsdaten, – zur Geltendmachung sämtlicher weiterer Haupt- und Nebenrechte, die mir aus vertraglichen Beziehungen zustehen, insbesondere auf Zugang und Herausgabe der Inhalte, die Entscheidung darüber, ob und welche Inhalte gelöscht werden und welche bestehen bleiben bzw. hinzugefügt werden, die Nutzung von Konten und Diensten sowie die Kündigung inklusive der Abwicklung der Vertragsbeziehungen, – sowie generell zur Abgabe und Entgegennahme aller hiermit zusammenhängender Willenserklärungen inklusive dem Abschluss neuer Verträge und sonstiger Handlungen und Informationen. Ich befreie alle Anbieter und sonstige Personen gegenüber dem hier Bevollmächtigten weitest möglich vom Post- und Fernmeldegeheimnis, insbesondere auch nach dem TKG, und sonstiger möglicher gesetzlicher und vertraglicher Geheimhaltungspflichten, etwa nach dem TMG, Datenschutzrecht oder als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Diese Vollmacht ist nicht übertragbar. Es darf auch keine Untervollmacht erteilt werden. Der Bevollmächtigte ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Diese Vollmacht bleibt in Kraft, wenn ich handlungs- oder geschäftsunfähig geworden sein sollte oder wenn ich nicht mehr lebe. Ort, Datum Unterschrift Vollmachtgeber

Ort, Datum Unterschrift Bevollmächtigter

20.179 Um eine Einschränkung der Vollmacht im Außenverhältnis zu vermeiden, sollten die Anweisungen zum konkreten Umgang mit einzelnen Positionen im digitalen Nachlass im Innenverhältnis in einem gesonderten Dokument festgehalten werden1. Dies verhindert zudem, dass bei Vorlage der Vollmacht im Rechtsverkehr Geschäftspartner und andere Personen Kenntnisse über konkrete digitale Positionen erhalten.

1 Herzog/Pruns, § 10 Rz. 22.

956

Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.182 § 20

M 157 Anweisungen im Innenverhältnis (Anlage zur Vorsorgevollmacht in digitalen Angelegenheiten)

20.180

Ohne dass hierdurch die Vollmacht nach außen eingeschränkt ist, wird der Bevollmächtigte im Innenverhältnis angewiesen, von der Vollmacht nur Gebrauch zu machen, wenn ich dies ausdrücklich anweise oder wenn durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen ist, dass ich aufgrund einer physischen oder psychischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht mehr oder auch nur vorübergehend für eine gewisse Zeit in der Lage bin, meine Angelegenheiten zu besorgen. Im Innenverhältnis weise ich den Bevollmächtigten an, hinsichtlich meiner digitalen Angelegenheiten wie folgt vorzugehen: 1. Meine E-Mails sind regelmäßig abzurufen und, falls notwendig, zu beantworten, wobei der jeweilige Kontakt in diskreter und angemessener Form von meinem Gesundheitszustand benachrichtigt werden soll. E-Mails bzw. E-Mail-Accounts dürfen frühestens sechs Monate nach meinem Tod gelöscht werden. 2. Von mir im Internet abgeschlossene Kaufverträge (z.B. Bestellungen bei Amazon oder Zalando) sind, soweit dies noch möglich ist, unverzüglich zu widerrufen. 3. Mein Profil bei dem Online-Flirtportal … ist unverzüglich und ungesehen von dem Bevollmächtigten zu löschen. Mein Account bei dem Netzwerk Xing ist ebenfalls zu löschen. Sollte ich länger als ein halbes Jahr handlungsunfähig sein, soll außerdem mein Facebook-Profil gelöscht werden. Im Falle meines Todes bestimmt das Schicksal meines Facebook-Accounts mein Erbe gemäß meiner Verfügungen im Testament. 4. Meine bei dem Cloud-Dienst Dropbox gespeicherten Daten sind unverzüglich abzurufen und lokal zu speichern. 5. Auf meinen Computer findet sich unter „Dokumente“ ein Ordner „privat“, der von dem Bevollmächtigten ungesehen und unverzüglich zu löschen ist. 6. Hardware, Software und sämtliche Daten sowie die Übersicht über meine Online-Aktivitäten, Zugangsdaten und Passwörter – unter Berücksichtigung der Punkte 3. und 5. – hat der Bevollmächtigte nach meinem Tode unverzüglich an meinen Erben herauszugeben. Ort, Datum Unterschrift Vollmachtgeber

Ort, Datum Unterschrift Bevollmächtigter

c) Letztwillige Verfügung Schließlich sollte der Erblasser Regelungen zum digitalen Nachlass in seine letztwillige Verfügung aufnehmen. Dabei ist zu beachten, dass alle erbrechtlichen Gestaltungen dem erbrechtlichen Formzwang unterliegen1.

20.181

Auch wenn, wie oben dargelegt, der digitale Nachlass im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben übergeht und dies dem Willen des Erblassers entspricht, sollte die letztwillige Verfügung einige klarstellende Worte enthalten, wobei allerdings auch zum Ausdruck kommen muss, dass es sich um rein deklaratorische Regelungen zur besseren Durchsetzbarkeit für den Erben handelt2.

20.182

1 Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 58. 2 Herzog/Pruns, § 10 Rz. 26 f.; Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (266).

Bock

957

§ 20 Rz. 20.183

Digitaler Nachlass

20.183 Möchte der Erblasser hingegen, dass bestimmte Gegenstände des digitalen Nachlasses bestimmten Personen zugewiesen werden, kann er dies mithilfe des allgemeinen erbrechtlichen Instrumentariums erreichen1: Er kann per Teilungsanordnung anordnen, wie die Erbauseinandersetzung zwischen mehreren Erben bezüglich des digitalen Nachlasses erfolgen soll, § 2048 BGB. Er kann die Abwicklung digitaler Rechtspositionen per Auflage gemäß § 1940 BGB oder sogar als Bedingung bestimmen2. Zudem kann er digitale Rechtspositionen in Form eines Vermächtnisses nach §§ 2147, 2150 BGB bestimmten Personen unabhängig von ihrer Erbenstellung zuweisen3.

20.184 Schließlich kann der Erblasser einen Testamentsvollstrecker für die Verwaltung seines digitalen Vermögens einsetzen4. Empfehlenswert ist eine Testamentsvollstreckung, wenn der digitale Nachlass nicht auf die Erben, sondern einen Vermächtnisnehmer übergehen soll, da der Testamentsvollstrecker den Zugriff der Erben vor Vermächtsniserfüllung verhindern kann5.

20.185 Unabhängig von der Erbfolge sollte der Erblasser die Personen ausdrücklich bestimmen, die seine höchstpersönlichen Rechte, insbesondere ideelle Persönlichkeitsrechte, postmortal wahrnehmen6. Um Auslegungsschwierigkeiten des Testaments zu vermeiden, sollte dies selbst dann erfolgen, wenn sie mit den Erben personenidentisch sind. Die Bestimmung der Wahrnehmungsberechtigten ist formlos möglich.

20.186 Eine Liste mit allen Accounts und Zugangsdaten ist nicht ins Testament aufzunehmen, da dieses durch die Eröffnung einer großen Anzahl von Personen, beispielsweise Pflichtteilsberechtigten, zugänglich wird, vgl. § 348 Abs. 2, 3 FamFG7. Zudem bedürfte es einer laufenden Änderung und Aktualisierung des Testaments, die je nach Testamentsform mit einigem Aufwand und Kosten verbunden wäre.

20.187 M 158 Testamentarische Regelung des digitalen Nachlasses Zu meinem digitalen Nachlass verfüge ich Folgendes: 1. Vorsorglich stelle ich hiermit ausdrücklich klar, dass mein Erbe als mein Gesamtrechtsnachfolger gem. § 1922 BGB in alle meine Online-Rechtsbeziehungen (z.B. mit E-Mail-Anbietern und Anbietern sozialer Netzwerke) eintritt. Er hat deshalb gegenüber den jeweiligen Anbietern (insbesondere E-Mail-Anbietern und Anbietern sozialer Netzwerke) auch Anspruch auf Herausgabe der bei ihnen im Internet gespeicherten Daten, seien sie geschäftlicher oder (höchst)persönlicher Natur. 2. Ich erteile meinem Erben folgende Auflagen: – Meine E-Mail-Konten sind ein halbes Jahr nach meinem Tode zu löschen, nachdem sämtliche Kommunikationspartner mittels einer angemessenen und pietätvoll formulierten Abwesenheitsbenachrichtigung von meinem Tode benachrichtigt und informiert worden sind, wie im Bedarfsfall mein Erbe erreicht werden kann.

1 Bericht der Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ vom 15.5.2017, S. 364 ff.; Herzog/Pruns, § 10 Rz. 28 ff. mit Formulierungsbeispielen. 2 Gloser, MittBayNot 2016, 101 (107). 3 Gloser, MittBayNot 2016, 101 (107); Hoor, ZAP Fach 12, 319 (325); Raude, RNotZ 2017, 17 (27). 4 Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 58; Gloser, MittBayNot 2016, 101 (107); MAH ErbR/Biermann, § 50 Rz. 77 f.; ausführlich Uhrenbacher, ZEV 2018, 248 (250); Schwierigkeiten ergeben sich ggf. bei Auslandsbezügen, Schleifenbaum, ErbR 2015, 230 (236); Raude, RNotZ 2017, 17 (26). 5 Raude, RNotZ 2017, 17 (27). 6 Bock, AcP 217 (2017), 370 (413). 7 MAH ErbR/Biermann, § 50 Rz. 73; Gloser, MittBayNot 2016, 101 (104); Hoor, ZAP Fach 12, 319 (325); Salomon, NotBZ 2016, 324 (328).

958

Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.189 § 20

– Mein Facebook-Profil ist für drei Monate nach meinem Tode in den Gedenkzustand zu versetzen. Im Anschluss soll es gelöscht werden. – Meine Accounts bei Instagram und Youtube sind zu löschen, nachdem mein Erbe die dort veröffentlichten Inhalte lokal gespeichert hat. Meine Freunde A und B sollen auf Wunsch Kopien der Fotos und Videos erhalten, die uns bei gemeinsamen Urlauben zeigen. Ein Anspruch auf bestimmte Fotos oder Videos besteht nicht. – Auf meiner privaten Website „…“ soll mein Erbe binnen sechs Wochen nach meinem Tode eine Mitteilung veröffentlichen, die die Besucher der Seite über meinen Tod informiert. Sämtliche Kommentarfunktionen sind zu sperren. Sechs Monate nach meinem Tode ist der Vertrag mit der DENIC zu kündigen und die Website zu löschen. Es steht meinem Erben frei, die Inhalte der Website vorher lokal für sich zu speichern. 3. Ich beschwere meinen Erben zudem mit folgenden Vermächtnissen: – Meinem Bruder C vermache ich meinen Tablet-Computer. Vor Erfüllung des Vermächtnisses hat mein Erbe sämtliche darauf enthaltenen Daten zu löschen, nachdem er sie ggf. für sich auf einem anderen Datenträger gespeichert hat. Der Anspruch auf diese Daten ist ausdrücklich nicht mitvermacht. – Meinem Vater vermache ich Kopien unseres langjährigen E-Mail-Schriftverkehrs, der in dem Ordner „Vater“ in meinem E-Mail-Account bei dem Anbieter Y gespeichert ist. Der Vermächtnisnehmer kann nicht von meinem Erben verlangen, die E-Mails nach Erfüllung des Vermächtnisses bei sich zu löschen.

3. Faktische Gewährleistung des Zugriffs Die Verwirklichung des Erblasserwillens und der Rechtspositionen der Erben und anderen Berechtigten kann bei Positionen des digitalen Nachlasses durch tatsächliche Hindernisse vereitelt werden. Vielfach sind den Erben gar nicht alle Rechtspositionen bekannt und/oder ihnen fehlen die notwendigen Passwörter, um darauf zuzugreifen. Dies ist wegen des Zeitdrucks der Ausschlagungsfrist gemäß § 1944 Abs. 1 BGB oder auch der Pflicht zur Änderung des Impressums gemäß § 6 TMG besonders misslich1. Zudem kann es sein, dass Diensteanbieter nach dem Tod eines Nutzers nachteilige Maßnahmen ergreifen, wie etwa Daten und ganze Konten zu löschen oder den Zugriff zu beschränken, die nicht oder nur in langwierigen Auseinandersetzungen wieder rückgängig gemacht werden können.2

20.188

Der (potentielle) Erblasser sollte stets eine aktuelle und vollständige Auflistung aller digitalen Rechtspositionen inklusive Passwörtern führen3. Dies gilt trotz entgegenstehender AGB von Diensteanbietern, da diese insofern ungültig sind (s.o. Rz. 20.137 f.)4. Aufgrund der regelmäßigen Änderung der Passwörter zu Lebzeiten muss die Liste laufend aktualisiert werden5. Um dies möglichst einfach zu gestalten, bieten sich Programme zur zentralen Verschlüsselung durch ein Masterpasswort an, wobei nur dieses an einem sicheren Ort hinterlegt wird, sodass der Erblasser die anderen Zugangsdaten und Passwörter in seiner Obhut regelmäßig ändern kann6.

20.189

1 2 3 4

Herzog in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 53 f.; Hoeren, NJW 2005, 2113 (2116). Deusch, ZEV 2018, 687 (691). Bock, AcP 217 (2017), 370 (413); Deusch, ZEV 2014, 2 (7). Gloser, MittBayNot 2016, 101 (107); Raude, RNotZ 2017, 17 (26); a.A. Salomon, NotBZ 2016, 324 (328). 5 Alexander, K&R 2016, 301 (307); Bräutigam in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 28; Gloser, MittBayNot 2016, 101 (106). 6 MAH ErbR/Biermann, § 50 Rz. 95; Bleich, c’t 2013, 62; Gloser, MittBayNot 2016, 101 (106); Leeb, K&R 2014, 693 (698); Raude, RNotZ 2017, 17 (26); Salomon, NotBZ 2016, 324 (329); Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (266).

Bock

959

§ 20 Rz. 20.190

Digitaler Nachlass

20.190 Zunehmende Schwierigkeiten liegen darin begründet, dass als Passwörter biometrische Daten, wie etwa Fingerabdrücke, verwendet werden1. Um für den tatsächlichen Zugriff nicht auf die Mithilfe der Diensteanbieter angewiesen zu sein, ist zu empfehlen, biometrische Daten nicht als alleinige Schlüssel zu verwenden, sondern den Zugang alternativ durch von der Person des Nutzers unabhängige Zweitpasswörter zu gewährleisten.

20.191 Eine wahrhafte Schlüsselfunktion kommt dem Passwort für den E-Mail Account zu. In diesem Account laufen regelmäßig alle oder doch die meisten online-Aktivitäten zusammen. Insbesondere schicken viele Diensteanbieter Links zur Passwortänderung an hinterlegte E-Mail Adressen, wenn der Nutzer das Passwort zum speziellen Dienst vergessen hat. Nicht vergessen werden dürfen zudem die Passwörter für die Hardware des Erblassers selbst, bspw. Computer, Smartphones oder externe Festplatten.

20.192 Besonders wichtig ist die Vorsorge für Accounts, bei denen sich der Erblasser nur mit einem Pseudonym angemeldet hat2. Gleiches gilt für sog. Zero Knowledge, bei dem der Diensteanbieter selbst keinen Zugriff auf den Account und dessen Inhalte vermitteln kann. Hier liegt die Vorsorge allein in der Hand des Nutzers3. Faktisch bietet es die Möglichkeit, Geheimnisse bewusst mit ins Grab zu nehmen4.

20.193 Das Masterpasswort sollte an einem Ort verwahrt werden, wo es vor unberechtigtem Zugriff und dem Verlust oder der Vernichtung geschützt ist und der im Todesfall schnell für einen Berechtigten zugänglich ist5. Dies kann eine Vertrauensperson, ein Notar oder ein Bankschließfach sein6. Bei der Verwahrung in einem Bankschließfach muss der Zugang gesichert sein, bspw. durch eine transmortale Vollmacht7.

20.194 Der Vorteil der Hinterlegung des Masterpassworts beim Notar liegt darin, dass er im Todesfall nach einer formalen Prüfung der Berechtigung der Person an diese lediglich Abschriften der Urkunde gemäß § 51 BeurkG aushändigt8. Bei ihm sind Datensicherheit, Beständigkeit, Individualität und Einfachheit am besten gewährleistet9. Zusätzlicher Schutz vor Hacker-Angriffen ist geboten, wenn das Masterpasswort nicht in der Notarurkunde selbst, sondern in einer Anlage zur Urkunde enthalten ist, die nicht in der (mit dem Internet verbundenen) EDV des Notars gespeichert ist10. Die bloße Herausgabe des Masterpassworts durch den Notar ermöglicht lediglich den faktischen Zugriff auf Zugangsdaten und Passwörter, sodass es sich nicht um eine Vollmacht nach § 166 Abs. 2 S. 1 BGB und damit um keine Willenserklärung handelt, sondern die materielle Berechtigung – etwa durch Vollmacht – gerade voraussetzt11. Hierfür ist damit eine Niederschrift gem. §§ 36 ff. BeurkG ausreichend12.

20.195 Es gibt Firmen, die sich auf die Passworthinterlegung und deren Weitergabe an benannte Vertrauenspersonen im Todesfall spezialisiert haben13. Von ihrer Beauftragung ist dringend abzuraten, da

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Hohenstein, K&R 2018, 5 (10); Raude, RNotZ 2017, 17 (27). Salomon, NotBZ 2016, 324 (328). Gloser, MittBayNot 2016, 12 (19). Gloser, MittBayNot 2016, 101 (108); Raude, RNotZ 2017, 17 (27); Salomon, NotBZ 2016, 324 (331). Deusch, ZEV 2014, 2 (7); Rott/Rott, NWB-EV 2013, 160, 167 f.; Salomon, NotBZ 2016, 324 (328); a.A. Alexander, K&R 2016, 301 (307), wegen des Haftungsrisikos bei einem Missbrauch zu Lebzeiten. Gloser, MittBayNot 2016, 101 (106); Bock, AcP 217 (2017), 370 (414). Deusch, ZEV 2014, 2 (7); Skeptisch auch Gloser, MittBayNot 2016, 101 (105). Gloser, MittBayNot 2016, 101 (106); Raude, RNotZ 2017, 17 (25); Salomon, NotBZ 2016, 324 (329). Gloser, MittBayNot 2016, 101 (108). Salomon, NotBZ 2016, 324 (329). Salomon, NotBZ 2016, 324 (330). Salomon, NotBZ 2016, 324 (330). Ausführlich Uhrenbacher, S. 53 ff.

960

Bock

Digitaler Nachlass

Rz. 20.197 § 20

sie anfällig sind für Hackerangriffe und das Insolvenzrisiko oder eine mögliche Geschäftsaufgabe schwer einzuschätzen sind, sodass die langfristige Fortsetzung des Schutzes nicht gesichert ist1. Langfristig wäre eine zentrale und sichere Verwaltung von Passwörtern durch eine vertrauenswürdige und unabhängige Stelle, bspw. eine von der BNotK betriebene Datenbank, wünschenswert2.

20.196

Wünscht der Erblasser eine differenzierte Behandlung seines digitalen Nachlasses, muss dem nicht 20.197 nur bei der rechtlichen Gestaltung, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht Rechnung getragen werden, insbesondere sind mehrere Datenträger mit den jeweiligen Zugangsdaten und Passwörtern und eigenständige Masterpasswörter zu generieren3. Um die Sichtung und Abwicklung des digitalen Nachlasses allgemein zu erleichtern, kann man dem Erblasser empfehlen, private und geschäftliche Inhalte zu trennen, bspw. indem er verschiedene E-Mail Accounts und Speicherorte nutzt4.

1 MAH ErbR/Biermann, § 50 Rz. 97; Bleich, c’t 2013, 62; Bräutigam in DAV, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, S. 28 f.; Gloser, MittBayNot 2016, 101 (105); Martini, JZ 2012, 1145 (1154); Rott/Rott, NWBEV 2013, 160 (168); Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (266); eher befürwortend Singer, NWB 2018, 2495 (2500). 2 Salomon, NotBZ 2016, 324 (331). 3 Raude, RNotZ 2017, 17 (25); Salomon, NotBZ 2016, 324 (329). 4 Steiner/Holzer, ZEV 2015, 262 (266).

Bock

961

Teil 4 Folgen des Erbfalls § 21 Gesetzliche Erbfolge I. Wann tritt die gesetzliche Erbfolge ein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21.1

II. Überraschungen und Tücken der gesetzlichen Erbfolge . . . . . . . . . . . .

21.3

III. Das gesetzliche Erbrecht als Verwandtenerbfolge . . . . . . . . . . . . . 1. Die gesetzliche Erbfolge als Quelle von Beratungsfehlern . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des „Verwandten“ . . . . . . 3. Die Grundsäulen der Verwandtenerbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Verständnis unseres Systems b) Zeichenerklärung . . . . . . . . . . . . . c) Die Erbfolge nach Ordnungen . . . d) Das Repräsentationsprinzip (Ausschluss nachfolgender Generationen) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Eintrittsrecht von Abkömmlingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Erbfolge nach gleichwertigen Stämmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Besonderheiten ab der 2. Ordnung (Linienprinzip) . . . . . h) Das Gradualsystem ab der 4. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Mehrere Erbteile bei mehrfacher Verwandtschaft (§ 1927 BGB) . . . j) Folgen der Erbteilserhöhung (§ 1935 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das gesetzliche Erbrecht des nichtehelichen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Erbrecht nach der Mutter . . . . . . 2. Das Erbrecht nach dem Vater . . . . . . a) Erbfälle vor dem 1.7.1970 . . . . . . . b) Erbfälle ab dem 1.7.1970 bis zum 31.3.1998 . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erbfälle ab dem 1.4.1998 bis zum 28.5.2009 . . . . . . . . . . . . . . . .

21.8 21.8 21.9 21.10 21.10 21.11 21.12 21.13 21.14 21.15 21.16 21.20 21.21 21.22 21.23 21.24 21.25 21.26 21.27 21.29

d) Anwendung der aktuellen gesetzlichen Regelungen für Erbfälle vor dem 29.5.2009 – teleologische Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.29a e) Erbfälle ab dem 29.5.2009 . . . . . . . 21.30 f) Das gesetzliche Erbrecht nichtehelicher Kinder – Übersicht . . . . 21.33 V. Das gesetzliche Erbrecht der als Kind Angenommenen . . . . . . . . . . . 1. Der minderjährig Angenommene . . . 2. Der volljährig Angenommene . . . . . . 3. Gestaltungsempfehlungen . . . . . . . . . VI. Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundvoraussetzungen des Ehegattenerbrechts . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ehe bestand nicht oder nicht mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Ehegattenerbrecht trotz bestehender Ehe . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Ehegattenerbrecht bei Gütertrennung und Gütergemeinschaft . . . 3. Besonderheiten bei der Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Ehegattenerbrecht bei Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Ehegattenerbrecht bei der Wahl-Zugewinngemeinschaft . . . . . . 6. Tabellarische Übersicht zum gesetzlichen Ehegattenerbrecht . . . . . . . . . . 7. Neue Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . 8. Der Ehegattenvoraus (§ 1932 BGB) . . VII. Das gesetzliche Erbrecht des eingetragenen Lebenspartners . . . . . . .

21.34 21.35 21.43 21.46 21.49 21.49 21.50 21.51 21.56 21.60 21.61 21.66 21.67 21.68 21.69 21.71

VIII. Der Dreißigste (§ 1969 BGB) . . . . . .

21.72

IX. Das Erbrecht des Staates . . . . . . . . . 1. Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21.77 21.78 21.80

Grötsch 963

§ 21

Gesetzliche Erbfolge

Schrifttum: Bäßler, Die erbrechtliche Stellung vor dem 1.7.1949 geborener nichtehelicher Kinder im Hinblick auf den Vater: Endlich völlige Gleichbehandlung mit den ehelichen Halbgeschwistern?, ZErb 2011, 92; Becker, Die Erwachsenenadoption als Instrument der Nachlassplanung, ZEV 2009, 25; Bestelmeyer, Lücken und Tücken des alten und neuen Nichtehelichenerbrechts, Rpfleger 2012, 361; Berneith/Lieder, Zum Erbrecht vor dem 1.7.1949 geborener nichtehelicher Kinder: Teleologische Erweiterung von Art 5 S. 2 ZwErbGleichG, FamRZ 2017, 1623; Coester-Waltjen, Ausländische Leihmütter – Deutsche Wunscheltern, FF 2015, 186; Dittmann, Adoption und Erbrecht, Rpfleger 1987, 277; Dörner, Besser zu spät als nie – Zur güterrechtlichen Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB im deutschen und europäischen IPR, IPRax 2017, 81; Eberhardt, Ehrnsberger, Das 30-Tage-Wohnrecht des überlebenden Ehegatten gemäß § 1969 BGB, ZEV 2013, 653; Förster, Die gesetzliche Erbfolge, ZAP Fach 12, 307; Henrich, Leihmütterkinder: Wessen Kinder? IPRax 2015, 229; Funke, Leihmutterschaftsfamilien, NZFam 2016, 207; Grziwotz, Recht auf Stiefkindadoption in faktischen Lebensgemeinschaften?, NJW 2017, 1646; Heiderhoff, Das Erbrecht des adoptierten Kindes nach der Neuregelung des internationalen Adoptionsrechts, FamRZ 2002, 1682; Hölscher, Die erbschaftsteuerlich motivierte Volljährigenadoption, ZErb 2012, 253; Holl, Das Erbrecht des Staates, Rpfleger 2008, 285; Jünemann, Der neue Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft: Familienrechtliche Grundlagen und erbrechtliche Wirkungen, ZEV 2013, 353; Kroppenberg, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, NJW 2010, 2609; Krug, Die gesetzliche Neuregelung des Erbrechts der vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder, ZEV 2011, 397; Die Umsetzung des EGMR-Urteils zum Nichtehelichenerbrecht in die forensische und rechtsgestalterische Praxis, ZEV 2010, 505; Lange, Bedarf es einer Reform des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten und des eingetragenen Lebenspartners?, DNotZ 2010, 749; Leipold, Die neue Lebenspartnerschaft aus erbrechtlicher Sicht, insbesondere bei zusätzlicher Eheschließung, ZEV 2001, 218; EGMR contra BVerfG: Die erbrechtliche Diskriminierung der „alten“ nichtehelichen Kinder ist nicht länger hinnehmbar, ZEV 2009, 488; Auswirkungen der EGMR-Entscheidung Fabris gegen Frankreich auf das deutsche Nichtehelichen-Erbrecht, ZEV 2014, 449; Neue Erbchancen für „alte“ nichteheliche Kinder: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der BGH beseitigen die Diskriminierung, ZEV 2017, 489; Mayer, Verfahrensrechtliche Anerkennung einer ausländischen Abstammungsentscheidung zugunsten eingetragener Lebenspartner im Falle der Leihmutterschaft, StAZ 2015, 33; Magnus, Die Entscheidung Mitzinger des EGMR und die rückwirkende Gleichstellung nichtehelicher Kinder – Aufgaben und Grenzen für Gesetzgeber und Gerichte, FamRZ 2017, 586; Lorenz, Ehegattenerbrecht bei gemischt-nationalen Ehen – Der Einfluss des Ehegüterrechts auf die Erbquote, NJW 2015, 2157; Mayer, Fiskuserbrecht und Erbenermittlung, ZEV 2010, 445; Meyer-Mittelstädt, Das Lebenspartnerschaftsgesetz, 2001; Muscheler, Das Recht der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, 2. Auflage 2004; Olzen, Die gesetzliche Erbfolge, Jura 1998, 135; Plettenberg, Gesetzliches Erbrecht auch ohne Vaterschaftsfeststellung?, NZFam 2017, 889; Rauscher, Die erbrechtliche Stellung nicht in einer Ehe geborener Kinder nach Erbrechtsgleichstellungsgesetz und Kindschaftsrechtsreformgesetz, ZEV 1998, 41 ff.; Rebhan, Die Gleichstellung nichtehelicher Kinder, MittBayNot 2011, 285; Reimann, Auch künftig keine Gleichstellung nichtehelicher Kinder bei Alterbfällen?, FamRZ 2012, 604; Rohlfing, Zum Erbrecht vor dem 1.7.1949 geborener nichtehelicher Kinder, FamRB 2017, 427; Sarres, Nur der korrekte Scheidungsantrag kann Ehegattenerbrecht ausschließen, Erbrecht effektiv 2010, 15; Sarres, Gesetzliche Erbfolge ist auch unberechenbar, Erbrecht effektiv 2010, 30; Schneider, Die gesetzliche Erbfolge – Was geschieht nach dem Tod mit dem Vermögen des Erblassers, wenn dieser nichts geregelt hat? KKZ 2016, 193; Siebert, Wegfall des gesetzlichen Ehegattenerbrechts, Erbrecht effektiv 2008, 207; Siebert, Wegfall des Ehegattenerbrechts bei Scheidung, Erbrecht effektiv 2013, 87; Tegelkamp/Oestmann, Das Erbrecht der halben Geburt, ZErb 2009, 283; van Venrooy, Zum Umgang mit dem Dreißigsten, MDR 2010, 1030; Wälzholz, Adoptionen aus steuerrechtlichem Anlass und zivilrechtlicher Sicht, NWB 2009, 1591; Weber, Interdependenzen zwischen Euopäischer Erbrechtsverordnung und Ehegüterrecht – de lege lata und de lege ferenda, DNotZ 2016, 424; Wellenhofer-Klein, Die eingetragene Lebenspartnerschaft, 2003; Woitge, Der Status von Kindern ausländischer Leihmütter in Deutschland – zugleich Anmerkung zu BGH v. 10.12.2014 – XII ZB 463/13, Jura 2015, 496; Zecher, Volljährigenadoption rechtssicher gestalten, Erbrecht effektiv 2009, 188; Zimmermann, Die Auslandsadoption, NZFam 2016, 249; Zschiebsch, Welche Auswirkungen hat das Gesetz „Ehe für alle“ auf das Adoptionsrecht?, notar 2017, 363; Zschiebsch, Volljährigenadoption: Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses bei intakter Beziehung zwischen Anzunehmendem und dessen leiblichen Eltern, jurisPR-FamR 9/2015 Anm. 7.

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.5 § 21

I. Wann tritt die gesetzliche Erbfolge ein? 21.1

Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, – wenn keine letztwillige Verfügung getroffen wurde, – bei Unwirksamkeit der Verfügung wegen Testierunfähigkeit, Formverstoßes, Sittenwidrigkeit, unauflösbarer Widersprüchlichkeit, Unmöglichkeit der getroffenen Regelung oder Widerruf, – wenn die Verfügung keine Erbeinsetzung, sondern nur Vermächtnisse oder Auflagen enthält oder nur einen Teil des Nachlasses erfasst, § 2088 BGB, – bei Ausschlagung der per letztwilliger Verfügung berufenen Erben, §§ 1942 ff. BGB oder deren Vorversterben, – bei Anfechtung der per letztwilliger Verfügung erfolgten Erbeinsetzung, §§ 2078 ff. BGB und – bei Erbunwürdigerklärung der per letztwilliger Verfügung berufenen Erben, §§ 2339 ff. BGB. Auch in zahlreichen weiteren Normen wird bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf die Geltung der gesetzlichen Erbfolge verwiesen, so z.B. in § 2066 BGB (Einsetzung der „gesetzlichen Erben“), § 2067 BGB (Einsetzung von „Verwandten“), § 2068 BGB (Einsetzung von „Kindern“), § 2069 BGB (Wegfall eines eingesetzten Abkömmlings), § 2094 BGB (Anwachsung), § 2104 BGB (gesetzliche Erben als Nacherben), § 2105 BGB (gesetzliche Erben als Vorerben) oder § 2149 BGB (Vermächtnis an den gesetzlichen Erben). Schließlich bildet sie die entscheidende Grundlage für die Höhe der Pflichtteilsansprüche.

21.2

II. Überraschungen und Tücken der gesetzlichen Erbfolge Beratungssituation: Der Mandant meint, keine letztwillige Verfügung treffen zu müssen, weil die gesetzliche Erbfolge automatisch zu einer vernünftigen Vermögensverteilung führe.

21.3

Ein verbreiteter Irrtum, dokumentiert durch die Tatsache, dass nicht einmal jeder dritte erwachsene Deutsche eine letztwillige Verfügung trifft1. Hier aufzuklären, zählt zu den wichtigsten Aufgaben des Beraters. Es ist kaum ein Fall denkbar, in dem nicht die durchdachte letztwillige Verfügung der bloßen gesetzlichen Erbfolge überlegen wäre, schon wegen der Möglichkeit, auf Instrumente wie Vorund Nacherbschaft, Vermächtnis, Teilungsanordnung, gewillkürte Ersatzerbschaft oder Testamentsvollstreckung zurückgreifen zu können.

21.4

Hier einige klassische Fehleinschätzungen von Laien:

21.5

– Entgegen der Meinung vieler führt die gesetzliche Erbfolge in der Regel zu einer Erbengemeinschaft. Deren Tücken sind vielen unbekannt: Verfügungsbeschränkendes Gesamthandseigentum (§ 2033 Abs. 2 BGB), wechselseitiges Blockieren durch den Zwang zur gemeinschaftlichen Verwaltung (§ 2038 BGB), Recht jedes Einzelnen, den Nachlass ganz oder teilweise auch gegen den Willen der Miterben zu sprengen, § 2042 BGB. (Beispiel: Der neben der Mutter den Vater beerbende Sohn betreibt die Teilungsversteigerung des Familienwohnsitzes, welcher der Mutter schon seit 30 Jahren als Lebensmittelpunkt gedient hat.) Eine vernünftige letztwillige Verfügung hilft, alle diese Misslichkeiten zu vermeiden.

1 Laut EMNID-Umfrage von 2007, in Auftrag gegeben vom Deutschen Forum für Erbrecht e.V., München, waren es seinerzeit nur rund 25 %.

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§ 21 Rz. 21.8

Gesetzliche Erbfolge

– Kinderlose Ehepaare meinen häufig, sich von Gesetzes wegen allein zu beerben, was im Hinblick auf § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB falsch ist. So geschieht es immer wieder, dass sich der überlebende Ehepartner plötzlich einem ungeliebten Geschwister des Erblassers in Erbengemeinschaft gegenübersieht. Sogar Ehepaare mit Kindern glauben nicht selten, sie beerbten sich allein. – Häufiger Fall: Ein kinderloser Lediger, dessen Vater nicht mehr lebt, glaubt, seine Mutter beerbe ihn allein. Ist jedoch der Vater vorverstorben, erben neben der Mutter die Geschwister des Erblassers, § 1925 Abs. 3 BGB, ja sogar auch dessen Halbgeschwister, wenn der Vater Kinder aus der Beziehung mit einer anderen Frau hinterlassen hat. – Verbreitet ist auch die Unkenntnis über den Zusammenhang zwischen Güterstand und Ehegattenerbrecht, also z.B. darüber, dass der Gang in die Gütertrennung den Überlebenden ein Viertel Erbteil kosten kann, §§ 1931, 1371 Abs. 1 BGB, und dass dies auch auf seinen Pflichtteil durchschlägt, § 2303 BGB. – Weithin unbekannt sind schließlich die gesetzlichen Ersatzerbenregelungen, z.B. die Auslegungsregel über das Vorversterben eines vom Erblasser eingesetzten Abkömmlings, § 2069 BGB. Oft wird der Erblasser nicht gewollt haben, dass anstelle des Abkömmlings dessen eigene Abkömmlinge erben. Vielleicht hätte der Erblasser statt ihrer lieber ein anderes seiner Kinder als Erbe gesehen. Setzt der Erblasser keine Abkömmlinge, sondern andere ihm nahestehende Personen zu Erben ein, gilt § 2069 BGB nicht, auch nicht analog. Doch kommt die Rspr. in diesen Fällen durch die ohnehin vorrangige Auslegung der letztwilligen Verfügung oft zu einem entsprechenden Ergebnis1. Auch die Regelung, dass der Nacherbe im Zweifel als Ersatzerbe eingesetzt ist, § 2102 BGB, kann dem Interesse des Erblassers widersprechen, etwa wenn ihm der Nacherbe noch zu jung erscheint, um jetzt schon das Erbe anzutreten. Diese wenigen Beispiele sollen illustrieren, dass die gesetzliche Erbfolge nicht selten den Vorstellungen des Mandanten widerspricht. Bei richtiger Aufklärung dagegen könnte er sein Vermögen in die gewünschte Richtung lenken.

21.6–21.7

Einstweilen frei.

III. Das gesetzliche Erbrecht als Verwandtenerbfolge 1. Die gesetzliche Erbfolge als Quelle von Beratungsfehlern

21.8 Der Text der gesetzlichen Erbfolge des BGB ist sehr abstrakt und zudem nicht durchgängig systematisch gegliedert. Fehlbeurteilungen liegen also nahe, damit auch Haftungsfälle, in denen man dem Geschädigten wenig entgegenzuhalten hat. Die folgende Darstellung soll daher der Klarheit und Anschaulichkeit dienen. Wichtiger Beratungshinweis vorab: Keine Beratung ohne exakte Skizze des Stammbaums!

2. Der Begriff des „Verwandten“

21.9 Es gilt Verwandtenerbfolge, „Verwandtschaft“ ist jedoch ein Rechtsbegriff, der z.T. vom allgemeinen Verständnis abweicht. Kernpunkte sind: – Verwandtschaft ist Blutsverwandtschaft in gerader Linie und Seitenlinie, § 1589 BGB, wobei es erbrechtlich allein auf die Verwandtschaft im Rechtssinn ankommt, s.u. Rz. 21.9 a.E.

1 Palandt/Weidlich, § 2069 Rz. 10 m.w.N.

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Rz. 21.9a § 21

– Verschwägerte, also die Verwandten des anderen Ehegatten, sind nicht gesetzliche Erben. – Auch die Adoption begründet ein Verwandtschaftsverhältnis, welches ein gesetzliches Erbrecht auslöst, s. Rz. 21.34 ff. – Nichteheliche Kinder sind ehelichen im Grundsatz gleichgestellt, Unterschiede bestehen nur noch in Altfällen, s. Rz. 21.24 ff. – Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat, § 1591 BGB, auch im Falle einer Ei- oder Embryonenspende1; die genetische Mutter kann im Fall der Ersatzmutterschaft nur durch Adoption2 oder über eine ausländische Entscheidung über die Verwandtschaft, die unter Umständen im Einzelfall anerkannt werden kann, auch rechtliche Mutter werden3. – Über die Vaterschaft entscheidet an sich die blutsmäßige Abstammung. Familienrechtliche Spezialnormen binden jedoch auch das Erbrecht4. Letztlich zählt also nur die Vaterschaft im Rechtssinn5. So gilt als Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB gerichtlich festgestellt wurde, § 1592 BGB. Zudem kann ein vor dem 1.7.1970 errichteter vollstreckbarer Schuldtitel zur Zahlung von Unterhalt gem. § 1708 a.F. BGB als Nachweis der Vaterschaft für ein nichteheliches Kind ausreichen6. In den Fällen der Geburt eines Kindes nach Auflösung der Ehe durch Tod oder der Geburt eines Kindes von einer Frau, die eine weitere Ehe geschlossen hat, gilt § 1593 BGB. Liegt keine Vaterschaft im Rechtssinne des leiblichen Vaters vor, muss das Kind ein entsprechendes 21.9a Vaterschaftsfeststellungsverfahren betreiben, § 1600d BGB, §§ 169 ff. FamFG. Dieses ist grundsätzlich nicht fristgebunden und auch noch nach dem Tod des leiblichen Vaters möglich. Um aber Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, sollte die Vaterschaftsfeststellung möglichst zeitnah nach Kenntniserlangung von der leiblichen Vaterschaft durchgeführt werden. Zwingend notwendig ist dies, wenn eine Vaterschaft im Rechtssinne eines anderen Mannes besteht. Denn diese ist durch das Kind gem. § 1600b Abs. 1 BGB nur innerhalb von zwei Jahren nach Kenntnis des volljährigen Kindes von den gegen die Vaterschaft des Scheinvaters sprechenden Umständen anfechtbar. Nach Ablauf dieser Frist kann die Vaterschaft nicht mehr angefochten werden. Da dies aber eine Vaterschaftsfeststellung ausschließt, § 1600d Abs. 1 BGB, ist die Feststellung der Vaterschaft des leiblichen Vaters nicht mehr möglich. Selbst wenn in diesem Fall die Vaterschaft des leiblichen Vaters durch Abstammungsgutachten biologisch nachgewiesen ist, besteht trotzdem keine rechtliche Verwandtschaft und damit auch kein gegenseitiges gesetzliches Erbrecht. Ist der Vater bereits verstorben und beerdigt, ist zur Vaterschaftsfeststellung auch eine Exhumierung möglich. Denn das postmortale Persönlichkeitsrecht tritt im Falle einer für die Feststellung der Vaterschaft erforderlichen Untersuchung und damit einhergehenden Exhumierung des Verstorbenen regelmäßig hinter das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurück7. Auch können

1 Palandt/Brudermüller, § 1591 Rz. 1, 2. 2 Palandt/Brudermüller, vor § 1591 Rz. 22. 3 BGH v. 10.12.2014 – XII ZB 463/13, NJW 2015, 479; OLG Celle v. 22.5.2017 – 17 W 8/16, FamRZ 2017, 1496. 4 OLG Düsseldorf v. 27.10.2016 – I-3 Wx 294/15, ZEV 2017, 91. 5 Überlegungen, das Erbrecht vom Statusrecht zu entkoppeln, sind abzulehnen, vgl. hierzu Plettenberg, NZFam 2017, 889. 6 OLG München v. 12.1.2011 – 31 Wx 270/10, FamRZ 2011, 1337. 7 BGH v. 29.10.2014 – XII ZB 20/14, ZEV 2015, 228; OLG Celle v. 13.3.2000 – 15 UFH 1/00, FamRZ 2000, 1510; OLG München v. 19.1.2000 – 26 UF 1453/99, FamRZ 2001, 126.

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§ 21 Rz. 21.9b

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weitere Abkömmlinge des verstorbenen leiblichen Vaters verpflichtet sein, einen Gentest machen zu lassen, mit dessen Hilfe die Abstammung vom gleichen Vater nachgewiesen werden kann1. Beratungshinweis: Besteht ein Interesse der leiblichen Verwandten, die Vaterschaftsfeststellung zu verhindern und ist eine Vaterschaftsanfechtung nötig, sollte mit dem Anfechtungsantrag der Feststellungsantrag trotz der gem. § 179 FamFG bestehenden Möglichkeit nicht verbunden werden.2 Denn damit wird vermieden, dass die Beteiligten des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens, insbesondere der leibliche Vater, § 172 FamFG, unter Umständen in der Lage sind, das Anfechtungsverfahren negativ zu beeinflussen, etwa durch entsprechenden Vortrag zur Verfristung des Anfechtungsantrags.

21.9b Sofern das Kind und der Vater schon verstorben sind und die Vaterschaft im Rechtssinne nicht bestand, ist fraglich, wie und ob die weiteren Verwandten die Vaterschaft im Rechtssinne nachträglich feststellen lassen können. Denn dies ist nötig, um ein gegenseitiges Erbrecht zwischen den jeweils weiteren Verwandten des Vaters und des Kindes zu begründen. Doch sind diese nicht unmittelbar beteiligt im Rahmen des Vaterschaftsfeststellungsverfahren, §§ 169 ff. FamFG, so dass sie kein Antragsrecht haben (§§ 7, 172 FamFG). Die erbrechtliche Gleichstellung führt also noch nicht zur völligen Gleichstellung3. Die Rechtsprechung gewährt den Betroffenen trotzdem kein „außerordentliches“ Antragsrecht, um eine vollumfängliche Gleichstellung zu gewährleisten. Denn bei den auf den Status als Vater bezogenen Gestaltungsrechten des Mannes wie dem der Anerkennung und der Anfechtung der Vaterschaft handelt es sich ebenso wie bei den hierzu geschaffenen Verfahrensrechten um höchstpersönliche Rechtspositionen, die nicht auf die Erben übergehen und auch nicht von nächsten Verwandten geltend gemacht werden können4. Zwar sind dadurch die nächsten Verwandten gegebenenfalls in ihrer erbrechtlichen Stellung betroffen. Dabei handelt es sich aber jeweils um eine unvermeidliche Reflexwirkung der verwandtschaftlichen Beziehung zum Verstorbenen und lediglich um eine Betroffenheit in wirtschaftlichen Interessen. Weder das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit vermitteln jedoch einen Schutz vor den wirtschaftlichen Folgen der Verwandtschaft, die auf verfassungsgemäßen Normen beruhen und nicht zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen5. 3. Die Grundsäulen der Verwandtenerbfolge a) Zum Verständnis unseres Systems

21.10 Das System des Verwandtenerbrechts verkörpert einen Kompromiss zwischen verschiedenen vernünftigen Zielen. Es sollen primär die dem Erblasser verwandtschaftlich am nächsten stehenden Personen erben. Dem dienen (mit eingeschränkter Tauglichkeit) die Erbfolge nach Ordnungen und das Repräsentationsprinzip, eingeschränkt deshalb, weil es sein kann, dass beim Tod des Erblassers dessen Ur-Urenkel erbt, der eigene Vater jedoch nicht. Fällt der gesetzlich eigentlich Berufene durch Vorversterben weg, soll seine Position dadurch gewahrt bleiben, dass seine Abkömmlinge an diese Stelle treten. Das nennt man das Eintrittsprinzip. Ferner: Jeder Abkömmling bildet mit seinen eigenen Abkömmlingen einen Stamm. Das Gesetz will die Gleichbehandlung aller Stämme, weist also jedem

1 OLG Oldenburg v. 15.8.2017 – 4 UF 106/17, GesR 2018, 436-437. 2 OLG München v. 19.4.2012 – 16 UF 231/12, FamRZ 2012, 1825, hält die Verbindung ohnehin trotz entgegenstehenden Wortlauts für verfahrensfehlerhaft, sodass eine Trennung vorzunehmen sei. Nach Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 179 FamFG Rz. 3 ist das Vaterschaftsfeststellungsverfahren auszusetzen. Für eine Verbindungsmöglichkeit: OLG Karlsruhe v. 8.3.2017 – 2 UF 180/16, NZFam 2017, 414; MüKo.FamFG/Coester-Waltjen/Hilbig-Lugani, § 179 Rz. 4. 3 Bestelmeyer, Rpfleger 2012, 361; BGH v. 28.7.2015 – XII ZB 671/14, FamRZ 2015, 1787. 4 BGH v. 28.7.2015 – XII ZB 670/14, FamRZ 2015, 1787; BGH v. 28.7.2015 – XII ZB 671/14, NJW 2015, 2888; OLG Karlsruhe v. 8.3.2017 – 2 UF 180/16, NZFam 2017, 414. 5 OLG Karlsruhe v. 8.3.2017 – 2 UF 180/16, NZFam 2017, 414.

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Rz. 21.12 § 21

Stamm die gleiche Quote zu, wie viele Mitglieder ihm auch immer angehören. Das ist die Erbfolge nach Stämmen. Kommen mangels Abkömmlingen die elterlichen Linien zum Zuge, dann sollen väterliche und mütterliche Linie gleich viel erhalten, Linienprinzip genannt. Das Gesetz zielt aber nicht nur auf Gerechtigkeit, sondern auch auf Zweckmäßigkeit. Um eine zu starke Zersplitterung des Nachlasses zu vermeiden, gilt ab der 4. Ordnung (Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge) nicht mehr das Stamm-, sondern das Gradualsystem. Es erben nur noch die mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten verwandten Personen. Im Folgenden werden diese Grundsäulen der gesetzlichen Verwandtenerbfolge näher erläutert, auch durch Beispiele, die in der Beratungspraxis besonders häufig vorkommen. b) Zeichenerklärung

21.11

c) Die Erbfolge nach Ordnungen Beratungssituation: Mandant E fragt nach der gesetzlichen Erbfolge im Falle seines Todes: Er ist verwitwet und hat die Söhne K 1 und K 2. Seine Eltern V und M leben noch. Er hat zwei Schwestern S 1 und S 2.

Die Lösung des Falles lässt sich anhand des Erbfolgesystems des BGB wie folgt entwickeln: Das Gesetz wählt aus, es erben nicht alle Verwandten. Sie werden Ordnungen zugeteilt, jeder Verwandte ist also Mitglied einer bestimmten Ordnung. Die folgende Skizze mag das näher veranschaulichen (s. nächste Seite).

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21.12

§ 21 Rz. 21.12

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Das Schaubild gleicht den russischen Holzpuppen oder Spielzeugkästchen, die ineinander gesteckt werden können. Jeder Kasten steht für eine Ordnung. Es beginnt mit dem kleinsten Kasten, der 1. Ordnung, es folgt der nächstgrößere, 2. Ordnung usw., ohne Begrenzung. Das Gesetz definiert in den §§ 1924 bis 1929 BGB, wer zu welcher Ordnung gehört. Danach sind Erben 1. Ordnung die Abkömmlinge des Erblassers (also Kinder, Enkel, Urenkel usw.), § 1924 BGB, Erben 2. Ordnung die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (z.B. Geschwister, Neffen, Nichten), § 1925 BGB, Erben 3. Ordnung die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (z.B. Onkel, Tante, Cousine), § 1926 BGB. Erben der 4. Ordnung sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (z.B. Großonkel), § 1928 BGB. Zur Verdeutlichung wird noch einmal ein Blick auf obiges Schaubild empfohlen. Die ferneren Ordnungen erwähnt § 1929 BGB, wonach das dargestellte Prinzip auch dort fortgeführt wird. Mit der Zugehörigkeit zu einer Ordnung ist aber über die gesetzliche Erbfolge noch nicht entschieden. Diese ergibt sich erst aus der Rangfolge zwischen den Ordnungen. § 1930 BGB bestimmt, dass ein Verwandter nicht erbt, solange ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist. Verwandte der niedrigeren Stufe schließen also solche der höheren Stufe aus, sog. „Parentelsystem“ (Parentel = Gesamtheit der von einem gemeinsamen Vorfahren abstammenden Personen). Zählt man nicht zum tatsächlich vorhandenen Personenkreis des kleinsten Kästchens, sprich der niedrigsten Ordnung, erhält man nichts. Mit Blick auf das Schaubild bedeutet dies z.B.: Ist der einzige lebende Abkömmling des verwitweten Erblassers dessen Ur-Urenkel, so wird dieser Alleinerbe, unter Ausschluss aller anderen Verwandten in allen höheren Ordnungen. So würden in diesem Fall auch die Eltern oder Geschwister des Erblassers leer ausgehen, da sie erst zur 2. Ordnung gehören. 970

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Rz. 21.13 § 21

Lösung im Ausgangsfall daher: K 1 und K 2 erben als Mitglieder der 1. Ordnung je zur Hälfte, die übrigen Verwandten, Eltern und Schwestern des Erblassers, sind von der Erbfolge ausgeschlossen. d) Das Repräsentationsprinzip (Ausschluss nachfolgender Generationen) Beratungssituation: Sie entspricht der vorigen, nur hat Sohn K 1 bereits selbst zwei Söhne A und B. Erbfolge?

Gemäß der Erbfolge nach Ordnungen steht bisher fest, dass nur Abkömmlinge des E erben. Aber welche? Der nächste Baustein des Systems ist das Repräsentationsprinzip. Das bedeutet: Hat ein Abkömmling des Erblassers selber Abkömmlinge, schließt er diese als Erben aus, er allein repräsentiert seinen Stamm. Auf diese Weise erbt innerhalb eines Stamms der mit dem Erblasser am nächsten Verwandte. Dieses Prinzip gilt für sämtliche Ordnungen, vgl. §§ 1924 Abs. 2, 1925 Abs. 2, 3 S. 1, 1926 Abs. 2, 5, 1928 Abs. 2, 1929 Abs. 2 BGB, wobei ab der 4. Ordnung gem. § 1928 Abs. 3 BGB noch Besonderheiten gelten, s. Rz. 21.20. Lösung des Falles: K 1 und K 2 erben je zur Hälfte, die Enkel A und B erhalten nichts, da sie von ihrem Vater K 1 ausgeschlossen werden. Wer also, etwa aus steuerlichen Gründen, auch schon seinen Enkeln etwas zukommen lassen möchte, muss seine letztwillige Verfügung entsprechend gestalten.

Grötsch 971

21.13

§ 21 Rz. 21.14

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e) Das Eintrittsrecht von Abkömmlingen

21.14 Beratungssituation: Sie entspricht der vorigen, nur ist Sohn K 1 bereits vorverstorben. Erbfolge?

Es erbt nicht etwa Sohn K 2 allein, weil er dem E am nächsten verwandt ist, sondern A und B treten an die Stelle ihres vorverstorbenen Vaters K 1 und erhalten zusammen den Anteil, den K 1 im Erlebensfall geerbt hätte. Der diesem sog. Eintrittsrecht entsprechende Grundsatz lautet: An die Stelle eines vorher weggefallenen (gesetzlichen) Erben treten seine Abkömmlinge, § 1924 Abs. 3 BGB, es sei denn, dass diese durch seinen Erbverzicht mit ausgeschlossen sind, § 2349 BGB. Lösung des Falles: Auf K 2 entfällt die Hälfte, auf A und B je ein Viertel des Nachlasses. Dieser zuletzt erörterte Fall gehört zu den klassischen Konstellationen in der Beratungspraxis. Manche Erblasser werden sich (auch im Rahmen der Gestaltung der Ersatzerbfolge) nur schwer schlüssig, ob bei Vorversterben eines eigenen Kindes die anderen eigenen Kinder nun alles erben oder (der gesetzlichen Erbfolge entsprechend) auch die Abkömmlinge des vorverstorbenen Kindes miterben sollen. Das lässt sich nur individuell beantworten. Im ersten Fall bedürfte es einer letztwilligen Verfügung, wobei den Abkömmlingen des vorverstorbenen Kindes jedoch der Pflichtteil zustünde. f) Die Erbfolge nach gleichwertigen Stämmen

21.15 Das letzte Fallbeispiel verweist zugleich auf die nächsten Prinzipien der gesetzlichen Erbfolge: – Erbfolge nach Stämmen. – Gleichwertigkeit der Stämme. Bezogen auf die 1. Ordnung bedeutet das, dass jedes Kind des Erblassers (so auch K 1 und K 2) mit seinen sämtlichen Abkömmlingen (also auch Enkel, Urenkel usw.) einen eigenen Stamm bildet. Im folgenden Schaubild wären sogar drei Stämme, A, B und C, zu unterscheiden, wobei es für die Existenz eines Stammes keine Rolle spielt, ob seine Mitglieder zum Teil schon vorverstorben sind, wenn nur irgendjemand von diesem Stamm noch lebt:

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.16 § 21

Gleichwertigkeit der Stämme heißt, dass auf alle Stämme gleich viel entfällt, unabhängig von der Zahl der Mitglieder eines Stammes. Deshalb erhalten im letzten Beratungsfall die Enkel A und B zusammen genauso viel wie K 2, und nicht etwa deshalb mehr, weil sie zu zweit sind. Auch die in obiges Schaubild eingesetzten Quoten dokumentieren dieses Prinzip, denn letztlich entfällt auf jeden Stamm ein Drittel. g) Besonderheiten ab der 2. Ordnung (Linienprinzip) Die 2. Ordnung kann nur dann zum Zuge kommen, wenn keine Abkömmlinge des Erblassers vorhanden sind oder wenn sie wegfallen, z.B. wegen Erbverzichts, Erbunwürdigkeit oder Ausschlagung. Gem. § 1925 Abs. 2 BGB erben dann die Eltern allein und zu gleichen Teilen. Sind beide Eltern vorverstorben, geht der Nachlass an die Geschwister bzw. die Neffen und Nichten usw. des Erblassers, wobei auch in dieser Ordnung (wie auch in der Dritten) die Erbfolge nach Stämmen gilt. Will der Erblasser nicht, dass er von seinen Geschwistern oder deren Abkömmlingen beerbt wird (ein verbreiteter Wunsch!), dann muss er anderweitig letztwillig verfügen. Wie ist die Erbfolge, wenn nur noch ein Elternteil lebt? Beratungssituation: Erblasser E (ledig, keine Abkömmlinge) ist gestorben. Er hinterlässt seinen Vater V und die Schwestern T 1 und T 2.

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21.16

§ 21 Rz. 21.17

Gesetzliche Erbfolge

Hätten beide Eltern des E gelebt, wäre ihnen das Erbe je hälftig zugefallen. Lebt nur der Vater (ohne weitere Abkömmlinge der Eltern), erbt er allein, § 1925 Abs. 3 S. 2 BGB. Erlebt nur ein Elternteil den Erbfall, sind aber weitere Abkömmlinge vorhanden, greift das sog. Linienprinzip, welches die Gleichberechtigung der väterlichen und mütterlichen Linie verkörpert. Gem. § 1925 Abs. 3 BGB treten an die Stelle des vorverstorbenen Elternteils dessen Abkömmlinge nach den für die Beerbung in der 1. Ordnung geltenden Vorschriften. Im Ausgangsfall erben der Vater also zu 1/2 und die Schwestern T 1 und T 2 zu je 1/4.

21.17 Besondere Bedeutung erlangt das Linienprinzip, wenn noch Abkömmlinge des vorverstorbenen Elternteils aus einer anderen Beziehung leben. Beratungssituation: Sie entspricht dem vorigen Fall, nur hat die vorverstorbene Mutter M noch zwei Söhne aus ihrer ersten Ehe mit G, S 1 und S 2.

21.18 Das Linienprinzip klärt auch die Frage des Verhältnisses der erbrechtlichen Quoten zwischen Vollund Halbgeschwistern. Halbgeschwister erben im Gegensatz zu Vollgeschwistern nur, wenn ihr Elternteil gestorben ist. E wird also wie folgt beerbt: Vom Vater zu 1/2, die an sich der Mutter zustehende andere Hälfte fällt wegen ihres Vorversterbens zu gleichen Teilen an alle ihre Kinder, und zwar zu gleichen Teilen (unabhängig davon, aus welcher Ehe sie stammen), so dass S 1, S 2, T 1 und T 2 je 1/8 erben.

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.19 § 21

Wären (bei gleicher Nachkommenschaft) Vater und Mutter von E vorverstorben, so ergäbe sich folgendes Bild:

In diesem Fall ginge die Hälfte des Vaters an seine Kinder T 1 und T 2 zu gleichen Teilen, so dass sie je 1/4 erhielten, die Hälfte der Mutter zu gleichen Teilen an ihre Kinder T 1, T 2, S 1 und S 2 (also je 1/8). T 1 und T 2 erben gerechterweise mehr als ihre Halbgeschwister, weil sie über Vater und Mutter des Erblassers E zum Zuge kommen. Beratungshinweis: Da aber Halbgeschwister oft gar nichts bekommen sollen, besteht seitens des E Handlungsbedarf per letztwilliger Verfügung.

Im Vergleich zwischen der 2. und 3. Ordnung ergeben sich prinzipiell keine Unterschiede, zur Illustration sei jedoch noch ein Beispiel vorgeführt, in dem die 3. Ordnung berührt ist. Beratungssituation: E, einziges Kind seiner Eltern, ist ledig und hat keine Abkömmlinge. Seine Eltern V und M leben nicht mehr, ebenso wenig seine Großeltern GV 1, GM 1, GV 2 und GM 2. E hat noch eine Tante T, die Schwester seines Vaters. Die Brüder der Mutter von E, die Onkel O und P sind ebenfalls verstorben, P ohne Abkömmlinge. O hat die Kinder K 1 und K 2 hinterlassen. E stirbt. Erbfolge?

Grötsch 975

21.19

§ 21 Rz. 21.20

Gesetzliche Erbfolge

Lösung: Da E keine Abkömmlinge hat, ledig und zudem das einzige Kind seiner vorverstorbenen Eltern ist, kommt weder die 1. noch die 2., sondern nur die 3. Ordnung zum Zuge, also die Großeltern des E und ihre Abkömmlinge, hier wiederum nur Letztere, weil auch die Großeltern bereits vorverstorben sind. Gemäß dem Linienprinzip fällt auf die väterliche und mütterliche Linie je 1/2, das heißt auf jeden Großelternteil 1/4. In der väterlichen Linie erhält also Tante T die beiden Viertel ihrer Eltern GV 1 und GM 1, insgesamt 1/2. (Dies wäre auch so, stammte die T aus einer früheren Beziehung des GV 1, also nicht auch von GM 1, § 1926 Abs. 3 S. 1, 2 BGB1.) Die beiden Viertel der Großeltern der mütterlichen Linie landen nur im Stamm O, da P keine Abkömmlinge hat. Der Stamm O wird durch K 1 und K 2 gebildet, die zu je 1/4 erben. h) Das Gradualsystem ab der 4. Ordnung

21.20 Leben zur Zeit des Erbfalls Urgroßeltern, so erben sie allein, mehrere zu gleichen Teilen, unabhängig davon, ob sie derselben oder verschiedenen Linien angehören, § 1928 Abs. 2 BGB. Ab der 4. Ordnung bewegen wir uns bereits in einiger Entfernung vom Erblasser, wie folgende Beratungssituation dokumentiert: Beratungssituation: E verfügt nur noch über sehr entfernte Verwandte. Weder er selbst noch seine verstorbenen Eltern und Großeltern haben weitere Abkömmlinge. Aus der väterlichen Linie leben nur noch ein Enkel (K) von E’s Urgroßeltern U 1 und U 2 und aus der mütterlichen zwei Urenkelinnen (L 1 und L 2) von E’s Urgroßeltern U 7 und U 8. E fragt nach der gesetzlichen Erbfolge im Falle seines Todes.

1 OLG Düsseldorf v. 12.11.2010 – 3 Wx 222/10, ZEV 2011, 77.

976

Grötsch

Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.21 § 21

Die Skizze verdeutlicht: Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sind tot. Weder von den Eltern noch den Großeltern leben Abkömmlinge, also ist der Schritt in die 4. Ordnung nötig: Urgroßeltern und deren Abkömmlinge. Die sich dort offenbarende Verzweigung will das Gesetz jedoch nicht, der Nachlass soll nicht übermäßig zersplittert werden. Daher gilt ab der 4. Ordnung nicht mehr das Stammsystem, sondern das (verfassungsgemäße1) Gradualsystem, §§ 1928 Abs. 3, 1929 Abs. 2 BGB. Das heißt: Erben sind nur noch die mit dem Erblasser am nächsten Verwandten. Gem. § 1589 Abs. 3 BGB richtet sich der Grad der Verwandtschaft nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten. Lösung: Die Beziehung von K zu E wird durch fünf Geburten vermittelt (K – N – U 1/U 2 – GV 1/GM 1 – V – E), die von L 1 und L 2 zu E durch sechs (L 1/L 2 – D – C – U 7/U 8 – GV 2/GM 2 – M – E), auch gut erkennbar durch die im Schaubild quer verlaufenden Linien. Da K mit E also einen Grad näher verwandt ist, fällt ihm die Erbschaft allein zu. L 1 und L 2, nach dem Stammprinzip an sich berufen, erhalten nichts, eine Konsequenz, die aus der Sicht des E unter Umständen eine letztwillige Verfügung nötig macht. i) Mehrere Erbteile bei mehrfacher Verwandtschaft (§ 1927 BGB) Es ist denkbar, dass ein und dieselbe Person bei einem Erbfall auf mehrere Weisen erbt, nämlich als Mitglied verschiedener Stämme, § 1927 BGB. Beispiel: Verwandte (z.B. Geschwisterkinder) heiraten, und aus der Ehe gehen Kinder hervor. Oder: Jemand wird von einem Verwandten adoptiert, und die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse bleiben bestehen (so bei der Volljährigenadoption, § 1770 Abs. 2 BGB, oder der Adoption eines Verwandten 2. oder 3. Grades, § 1756 Abs. 1 BGB). Die über die verschiedenen Stämme zufallenden Anteile gelten gem. § 1927 S. 2 BGB jeweils als besondere Erbteile.

1 OLG Frankfurt v. 21.7.2016 – 21 W 82/16, FamRZ 2017, 481; a.A. AG Starnberg v. 21.3.2003 – VI 547/02, Rpfleger 2003, 439 = FamRZ 2003, 1131.

Grötsch 977

21.21

§ 21 Rz. 21.22

Gesetzliche Erbfolge

Die wichtigsten Folgen für die Praxis sind: – Die Erbteile können gesondert ausgeschlagen werden, § 1951 Abs. 1 BGB. – Auch die Verfügung über den Erbteil gem. § 2033 Abs. 1 BGB kann gesondert erfolgen. – Gem. § 2007 BGB bestimmt sich die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten in Ansehung eines jeden Erbteils so, wie wenn die Erbteile verschiedenen Erben gehörten1. j) Folgen der Erbteilserhöhung (§ 1935 BGB)

21.22 Beratungssituation: Erblasser E, Inhaber eines Vermögens von 200.000 Euro, hatte zwei Söhne S 1 und S 2, die ihn je hälftig beerbt hätten, wäre S 2 nicht vorverstorben, und zwar ohne Abkömmlinge. Nun erbt S 1 allein. Er fragt, was er tun soll, nachdem er festgestellt hat, dass der Anteil seines Bruders mit Vermächtnissen in Höhe von 120.000 Euro beschwert ist.

Wie in der Beratungssituation kann es sein, dass der Erblasser nur eine bestimmte Person mit einem Vermächtnis (oder einer Auflage) belasten wollte, diese Person aber vor oder nach dem Erbfall wegfällt und der betreffende Erbteil an eine andere Person geht. Diesen Fall regelt § 1935 BGB. Zum Schutze des Eintretenden, hier des S 1, fingiert § 1935 BGB das Bestehen zweier Erbteile, mit der Folge, dass in Ansehung der Vermächtnisse und Auflagen, aber auch der Ausgleichs- und Anrechnungspflichten gem. §§ 2050 ff., 2315 BGB, nur der belastete Erbteil haftet, obwohl es sich in Wahrheit um einen einheitlichen Erbteil handelt, der auch nur insgesamt ausgeschlagen (kein Fall des § 1951 BGB) und nicht gesondert veräußert werden kann. Ohne § 1935 BGB sähe es für S 1 schlecht aus. Denn der Wegfall des Beschwerten, hier S 2, lässt das Vermächtnis unberührt, § 2161 BGB. Wegen des 120.000-Euro-Vermächtnisses verblieben ihm nur 80.000 Euro. So sind es jedoch 100.000 Euro, weil K 1 nicht mehr leisten muss als es K 2, dessen Pflicht auf 100.000 Euro beschränkt gewesen wäre, hätte tun müssen. Der Weg über § 1992 BGB ist nicht nötig2. Zur Erbenhaftung s. im Übrigen § 2007 S. 2 BGB.

21.22a Der Wegfall im Sinne des § 1935 BGB ist möglich vor dem Erbfall, z.B. durch Vorversterben, Erbverzicht, Enterbung, Auflösung der Ehe oder vorzeitigen Erbausgleich (Abschluss vor dem 1.4.1998), nach dem Erbfall durch Ausschlagung, Erbunwürdigerklärung oder Totgeburt des Erzeugten.

21.22b Für die gewillkürte Erbfolge (§ 1935 BGB spricht nur vom gesetzlichen Erbe) kommt § 2095 BGB zum gleichen Ergebnis, § 1935 BGB ist jedoch analog anzuwenden, wenn der Erblasser nur zum Teil über den Nachlass verfügt hat und Anwachsung ausgeschlossen ist, § 2094 Abs. 2 und 3 BGB3.

IV. Das gesetzliche Erbrecht des nichtehelichen Kindes 21.23 Beratungssituation: Der jetzt betagte E führte ein buntes Leben und zeugte mit verschiedenen Frauen drei Kinder, wobei er die Vaterschaft jeweils anerkannte. Zu einer Ehe vermochte er sich jedoch nie zu entschließen. K 1 wurde am 5.5.1949 geboren, K 2 am 15.6.1974, K 3 am 3.4.1998. Mit K 2 hat E im Mai 1996 einen wirksamen Vertrag über den vorzeitigen Erbausgleich geschlossen. E, der am 2.10.1990 in Kiel wohnte, fragt nach der gesetzlichen Erbfolge für den Fall seines Todes.

1. Das Erbrecht nach der Mutter

21.24 Gegenüber der Mutter hatte das nichteheliche Kind immer ein gesetzliches Erbrecht und zwar seit der ursprünglichen Fassung des BGB. Mutter und Kind sind und waren nach dem Gesetz immer miteinander verwandt, mit allen Konsequenzen auch für das Erbrecht der beiderseitigen Verwandten.

1 Zu weiteren Konsequenzen vgl. Palandt/Weidlich, § 1927 Rz. 3. 2 Palandt/Weidlich, § 1935 Rz. 3. 3 Palandt/Weidlich, § 1935 Rz. 4.

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.28 § 21

2. Das Erbrecht nach dem Vater Ob ein gesetzliches Erbrecht zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater bzw. zwischen den beiderseitigen Verwandten besteht, hängt von vielen Faktoren ab. Zunächst ist es in allen Fällen nötig, dass die Vaterschaft im Rechtssinne besteht, vgl. Rz. 21.9 ff. Zudem sind aufgrund mehrfacher Gesetzesänderungen folgende Fragen entscheidend:

21.25

– Wann ist der Erblasser verstorben? – Geburtsdatum des nichtehelichen Kindes? – Gewöhnlicher Aufenthalt des Vaters vor dem 3.10.1990? – Haben Vater und Kind vor dem 1.4.1998 einen vorzeitigen Erbausgleich vereinbart? – Ist das anzuwendende Recht teleologisch zu erweitern aufgrund der Rechtsprechung des EGMR? a) Erbfälle vor dem 1.7.1970 Bei Erbfällen vor dem 1.7.1970 bestand zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater bzw. zwischen den beidseitigen Verwandten kein gesetzliches Erbrecht, unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt des Kindes. Eine Ausnahme bestand nur, wenn das Kind durch Eheschließung seiner Eltern oder auf Antrag des Vaters als ehelich legitimiert wurde, §§ 1719 a.F. ff.

21.26

b) Erbfälle ab dem 1.7.1970 bis zum 31.3.1998 Am 1.7.1970 trat das Gesetz über die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder (NEhelG) in Kraft. Die- 21.27 ses galt für sämtliche Erbfälle ab dem 1.7.1970 bis zum 31.3.1998. Das nichteheliche Kind und dessen Abkömmlinge auf der einen Seite und der Vater und dessen Abkömmlinge auf der anderen Seite hatten wechselseitig je nach Familiensituation des jeweiligen Erblassers entweder nur einen in den §§ 1934a und b a.F. BGB geregelten Erbersatzanspruch oder waren voll erbberechtigt (bei Wegfall der privilegierten Erben). Alternativ konnte das Kind im Alter von 21 bis 26 Jahren, wenn es den Tod des Vaters nicht abwarten wollte, den Anspruch auf vorzeitigen Erbausgleich gem. § 1934d und e a.F. BGB geltend machen. War das nichteheliche Kind aber vor dem 1.7.1949 geboren, galten diese Regelungen nicht, in diesem Fall bestand grundsätzlich kein gegenseitiges Erb(ersatz)recht zwischen dem Kind und dem Vater bzw. den jeweiligen Verwandten. Ein uneingeschränktes gesetzliches Erbrecht, also nicht nur ein Erbersatzrecht, bestand jedoch – auch 21.28 bei Geburt des Kindes vor dem 1.7.1949 –, wenn entweder der Erblasser1 am 2.10.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hatte (auf den Aufenthaltsort des potentiellen Erben kam es nicht an), Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB, wobei es unerheblich ist, ob der potentielle Erbe nach dem ZGB Erbe geworden wäre2, oder das Kind als ehelich legitimiert wurde, vgl. Rz. 21.26, auch wenn die Ehe erst nach Wegfall des § 1719 a.F. BGB zum 1.7.1998 geschlossen wurde3. Zudem besteht bei Erbfällen bis zum 28.5.2009 aufgrund der Neuregelung des Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder vom 12.4.20114 für das vor dem 1.7.1949 geborene nichteheliche Kind (nur für dieses, nicht auch für einen bei Vorversterben des Kindes vor dem 29.5.2009 eintretenden Abkömmling) ein vererblicher Ersatzanspruch in Höhe des Wertes der entgangenen erbrechtlichen Ansprüche gegen den Bund oder das Land, wenn diese den Vater oder 1 Beim Erbfall des Vaters ist auf dessen Aufenthaltsort abzustellen; beim Erbfall eines Verwandten des vorverstorbenen Vaters oder beim Erbfall des Kindes ist dies umstritten. Vgl. hierzu und zu weiteren Problemen aufgrund der verschiedenen Rechtsordnungen bis zur Wiedervereinigung Bestelmeyer, Rpfleger 2012, 361. 2 KG v. 5.7.2016 – 6 W 59/16, ZEV 2017, 571. 3 BVerfG v. 8.1.2009 – 1 BvR 755/08, ZEV 2009, 134. 4 BGBl. I, S. 615.

Grötsch 979

§ 21 Rz. 21.29

Gesetzliche Erbfolge

dessen Verwandten aufgrund des Ausschlusses des nichtehelichen Kindes wegen dessen Geburt vor dem 1.7.1949 gem. § 1936 BGB beerbten. Noch heute hat die bis zum 31.3.1998 bestehende Rechtslage auf zweifache Weise Bedeutung: (1) Sind Erbfälle aus der Zeit vom 1.7.1970 bis 31.3.1998 noch nicht abgewickelt, kann der Erbersatzberechtigte seinen Erbersatzanspruch weiterverfolgen (Art. 227 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), soweit dieser noch nicht verjährt ist. § 1934b Abs. 3 a.F. BGB, Art. 227 Abs. 1 Nr. 1, 229 § 23 EGBGB. (2) Haben Vater und Kind bis zum 31.3.1998 eine wirksame Vereinbarung über den vorzeitigen Erbausgleich getroffen oder erging hierüber ein zusprechendes rechtskräftiges Urteil, bedeutet dies zugleich die endgültige Aufgabe des gesetzlichen Erbrechts und damit auch des Pflichtteilsrechts. Umgekehrt besitzen auch der Vater und seine Verwandten beim Tod des Kindes keinerlei Ansprüche mehr, § 1934e a.F. BGB, Art. 227 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB. Im Ausgangsfall wäre K 2 daher auch nicht gesetzlicher Erbe des E. c) Erbfälle ab dem 1.4.1998 bis zum 28.5.2009

21.29 Am 1.4.1998 trat das Erbrechtsgleichstellungsgesetz in Kraft1. Ist der Vater ab dem 1.4.1998, aber vor dem 29.5.2009 verstorben, besaß das nichteheliche Kind grundsätzlich das gleiche gesetzliche Erbrecht wie das eheliche, mit allen Konsequenzen: Das nichteheliche Kind wird Rechtsnachfolger des Erblassers, ist gegebenenfalls Mitglied der Erbengemeinschaft und hat ein Pflichtteilsrecht. Der Erbersatzanspruch ist ausgeschlossen, ebenso der vorzeitige Erbausgleich. Auch die jeweiligen weiteren Verwandten des Vaters und des Kindes hatten ein gegenseitiges Erbrecht bei Erbfällen ab dem 1.4.1998. Für vor dem 1.7.1949 geborene nichteheliche Kinder galt aber die frühere Regelung weiter, es bestand also grundsätzlich kein gesetzliches gegenseitiges Erbrecht. Bezüglich der Ausnahmen sei auf Rz. 21.28 verwiesen. Zusätzlich zu den dort genannten Ausnahmen konnte ab dem 1.7.1998 gemäß dem ab diesem Zeitpunkt geltenden Art. 12 § 10a NEhelG, aufgehoben durch das Zweite Gesetz zur Gleichstellung nichtehelicher Kinder, das gesetzliche Erbrecht durch notarielle Vereinbarung zwischen dem Kind und dem Vater eingeräumt werden2. d) Anwendung der aktuellen gesetzlichen Regelungen für Erbfälle vor dem 29.5.2009 – teleologische Erweiterung

21.29a Mit dem Zweiten Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung von nichtehelichen Kindern vom 12.4.20113, verkündet am 15.4.2011, wurde das NEhelG erneut abgeändert. Die Unterscheidung zwischen ehelichen und unehelichen vor dem 1.7.1949 geborenen Kindern wurde aufgehoben. Dies beruhte auf der Entscheidung des EGMR vom 28.5.20094, in der die Unterscheidung zwischen vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen und ehelichen Kindern als Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK verletzend angesehen wurde. Für Erbfälle vor dem 29.5.2009 wurde allerdings an den vorherigen Regelungen festgehalten. Diese Stichtagsregelung wurde vom BVerfG als verfassungsgemäß bestätigt5, wobei das BVerfG jedoch offenließ, ob eine teleologische Erweiterung in Betracht kommt.

21.29b Nach den Entscheidungen des EGMR vom 9.2. und 23.3.20176, in dem dieser den Schutz der nichtehelichen Kinder noch weiter ausgedehnt hat, hat der BGH7 (für einen Erbfall aus dem Jahr 1993) diese teleologische Erweiterung angewendet und dadurch die strikte Stichtagsregelung im Ergebnis aufgeho1 2 3 4 5

ErbGleichG, BGBl. I 1997, S. 2968. Herrler, ZEV 2009, 135. BGBl. I, S. 615. EGMR v. 28.5.2009 – 3545/04, ZEV 2009, 510. BVerfG v. 18.3.2013 – 1 BvR 2436/11, FamRZ 2013, 847 m. Anm. Reimann; v. 18.3.2013 – 1 BvR 3155/11, ZEV 2013, 326 = NJW 2013, 2103; ebenso BGH v. 26.10.2011 – IV ZR 150/10, FamRZ 2012, 119 = MDR 2012, 101 = ZEV 2012, 32. 6 EGMR v. 9.2.2017 – 29762/10, FamRZ 2017, 656; EGMR v. 23.3.2017 – 59752/13 u. 66277/13, ZEV 2017, 507. 7 BGH v. 12.7.2017 – IV ZB 6/15, ZEV 2017, 510.

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.29b § 21

ben. Die Entscheidungen des EGMR und BGH lassen folgende Bedingungen für die Anwendung der für Erbfälle nach dem 28.5.2009 geltenden Regeln auch für frühere Erbfälle erkennen1: aa) Es liegt keine vor dem 29.5.2009 ergangene rechtskräftige nationale Entscheidung über das Erbrecht vor. Eine Entscheidung im Erbscheinsverfahren ist mangels Rechtskraftwirkung irrelevant. bb) Das nichteheliche Kind hat keine angemessene Entschädigung für die Versagung der erbrechtlichen Ansprüche erhalten. In den Fällen des Staatserbrechts, in denen dem nichtehelichen Kind ein Ersatzanspruch gem. Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG n.F. zusteht2, scheidet eine Verletzung der EMRK somit aus. cc) Die weiteren Beteiligten, also der Erblasser und seine sonstigen Erbberechtigten, hatten Kenntnis von der Existenz des nichtehelichen Kindes. dd) Am 28.5.2009 war grundsätzlich noch eine erfolgreiche Geltendmachung erbrechtlicher Rechte denkbar, unabhängig von den Verjährungsfristen der Ansprüche des nichtehelichen Kindes im konkreten Fall. Da die Verjährung des Erbschaftsanspruchs, § 2018 BGB, 30 Jahre nach der Erlangung von Erbschaftsgegenständen aufgrund eines dem Erwerber nicht zustehenden Erbrechts eintritt, § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB i.V.m. § 200 S. 1 BGB, ist mindestens bei allen Erbfällen ab dem 28.5.1979 dieses Kriterium immer erfüllt. ee) Das nichteheliche Kind verfolgte kurzfristig nach der Entscheidung des EGMR vom 20.5.2009 seine Rechte. Andernfalls könnte das Vertrauen der weiteren Beteiligten auf ihre ungeschmälerten Erbrechte zusätzliches Gewicht erlangen und eine Verletzung der EMRK ausschließen. Hatte das nichteheliche Kind kein familiäres Verhältnis zum Erblasser, sollte es ausreichend sein, wenn das nichteheliche Kind erst kurzfristig nach den Entscheidungen des EGMR vom 9.2.2017 bzw. 23.3.2017 seine Rechte verfolgte bzw. verfolgt. Denn erst in diesen Entscheidungen stellte der EGMR abweichend von der Entscheidung vom 28.5.2009 klar, dass es für die Rechtsverletzung nicht auf ein familiäres Verhältnis ankommt. Somit musste und durfte das nichteheliche Kind bis zu den Entscheidungen vom 9.2.2017 bzw. 23.3.2017 davon ausgehen, dass eine Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg haben würde. Erst wenn es nun nach diesen Entscheidungen seine Rechte nicht verfolgt, schafft es also einen ggfls. zu berücksichtigenden Vertrauenstatbestand bei den weiteren Beteiligten. Die unter cc) bis ee) genannten Kriterien sind jedoch im Einzelfall zu gewichten, auch ein Entfallen eines Kriteriums schließt die Verletzung der EMRK nicht zwingend aus3. Beratungshinweis: Hatte ein nichteheliches Kind ein familiäres Verhältnis zum vor dem 28.5.2009 verstorbenen Erblasser und hat es bisher seine Ansprüche noch nicht verfolgt, ist es darauf hinzuweisen, dass ein großes Risiko besteht, dass eine jetzt angedachte Rechtsverfolgung mangels kurzfristiger Verfolgung nach dem 28.5.2009 erfolglos sein wird. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass dieses Kriterium auch als nicht entscheidend betrachtet wird. Hatte das Kind dagegen kein familiäres Verhältnis zum Erblasser, stehen die Chancen besser. Jedenfalls ist Eile geboten, denn es ist nicht geklärt, innerhalb welchen Zeitraums die Rechtsverfolgung eingeleitet werden muss. Es sollte deshalb möglichst kurzfristig Feststellungsklage erhoben oder ein Erbscheinsantrag gestellt werden.

1 Detaillierte Zusammenfassung Leipold, ZEV 2017, 489. 2 Der Wertersatzanspruch des nichtehelichen Kindes gegen den Staat gemäß Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG umfasst keinen Nutzungsersatz in Form erwirtschafteter oder ersparter Zinsen, BGH v. 18.10.2017 – IV ZR 97/15, ZEV 2017, ZEV 2017, 705. 3 So fehlte es bei der Entscheidung des EGMR v. 23.3.2017 – 66277/13, ZEV 2017, 507, möglicherweise an der Kenntnis eines der sonstigen Beteiligten von der Existenz des nichtehelichen Kindes.

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§ 21 Rz. 21.30

Gesetzliche Erbfolge

e) Erbfälle ab dem 29.5.2009

21.30 Aufgrund der Änderung des NEhelG durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung von nichtehelichen Kindern vom 12.4.20111 gilt für alle Erbfälle ab dem 29.5.2009 die völlige erbrechtliche Gleichstellung von nichtehelichen und ehelichen Kindern, auch für vor dem 1.7.1949 geborene Kinder.

21.31 Für Erbfälle ab dem 29.5.2009, über die vor dem 15.4.2011, also vor Verkündung des Zweiten Gesetzes zur Gleichstellung nichtehelicher Kinder, entschieden wurde, gilt gem. Art. 12 § 24 NEhelG Folgendes: Ein erteilter Erbschein, der wegen der durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder bewirkten Änderungen der erbrechtlichen Verhältnisse unrichtig geworden ist, wird nur auf Antrag eingezogen oder für kraftlos erklärt. Gerichtskosten fallen hierfür nicht an, ebenso wenig für die Neuerteilung. Beruht eine rechtskräftige Entscheidung auf Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG a.F., kann in einem neuen Rechtsstreit über das Erbrecht des nichtehelichen Kindes nicht eingewandt werden, dass hierüber bereits rechtskräftig entschieden wurde.

21.32 Für die meisten der vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder kommt die Neuregelung zu spät, da der Vater in vielen Fällen schon vor dem 28.5.2009 verstorben ist. Allerdings ist zu beachten, dass durch die Neuregelung nicht nur die Erbfolge nach dem Vater neu gestaltet wurde, sondern auch die gesetzliche Erbfolge des nichtehelichen Kindes selbst, ebenso von dessen Abkömmlingen und denen des Vaters2. Ist etwa der Vater schon vor dem 28.5.2009 verstorben und verstirbt nun das nichteheliche Kind, wird es, sofern es keine eigenen Abkömmlinge und keine anderslautende letztwillige Verfügung errichtet hat, u.U. zumindest auch von den weiteren Verwandten seines Vaters beerbt, obwohl es selbst diesen nicht beerbt hat. Entsprechendes gilt für die Beerbung der weiteren Verwandten des Vaters durch das nichteheliche Kind bzw. dessen Verwandte. Im Ausgangsfall wird E also von seinen beiden Kindern K1 und K3 zu je einhalb gesetzlich beerbt. f) Das gesetzliche Erbrecht nichtehelicher Kinder – Übersicht

21.33

Erbfall3

Recht der ehemaligen DDR

vor 1.4.1966 bzw. 1.7.1970

Kein gegenseitiges Erbrecht, sofern das Kind nicht durch Eheschließung seiner Eltern oder auf Antrag des Vaters als ehelich legitimiert wurde, §§ 1719 BGB a.F. ff.;

ab 1.4.1966

Gleichstellung minderjähriger, u.U. auch volljähriger nichtehelicher Kinder durch § 9 EGFGB

ab 1.7.1970

ab 1.1.1976

Vollständige Gleichstellung durch das ZGB

Recht der BRD

Gegenseitiger Erbersatzanspruch, u.U. je nach Familiensituation uneingeschränktes gegenseitiges Erbrecht; alternativ Anspruch des Kindes im Alter von 21 bis 26 Jahren auf vorzeitigen Erbausgleich. Bei Geburt des Kindes vor dem 1.7.1949 bestehen diese Rechte nicht. Diese Kinder haben aber gegen den den Vater oder dessen Verwandtschaft beerbenden Fiskus einen Ersatzanspruch in Höhe des Wertes der entgangenen erbrechtlichen Ansprüche. Jedoch uneingeschränktes gegenseitiges gesetzliches Erbrecht (unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt des Kindes), sofern das Kind durch Eheschließung seiner Eltern oder auf Antrag des Vaters als ehelich legitimiert wurde, §§ 1719 BGB a.F. ff.

1 BGBl. I, S. 615. 2 OLG München v. 21.1.2013 – 31 Wx 485/12, MDR 2013, 345 = FamRZ 2013, 1333. 3 In Anlehnung an Rebhan, MittBayNot 2011, 285, unter zusätzlicher Berücksichtigung von Erbfällen vor der Wiedervereinigung auf dem Gebiet der früheren DDR.

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.36 § 21

Erbfall

Recht der ehemaligen DDR

Recht der BRD

ab 3.10.1990

Wie bei den Erbfällen ab 1.7.1970, jedoch mit folgender Ausnahme: Uneingeschränktes gegenseitiges gesetzliches Erbrecht, wenn der Vater bzw. der Erblasser (strittig, vgl. hierzu Rz. 21.28) am 2.10.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hatte, auch wenn das Kind vor dem 1.7.1949 geboren war.

ab 1.4.1998

Uneingeschränktes gegenseitiges gesetzliches Erbrecht; dieses gilt aber nicht, sofern das nichteheliche Kind vor dem 1.7.1949 geboren ist. Dann bestehen keine erbrechtlichen Ansprüche, es sei denn, eine der bei den Erbfällen ab 1.7.1970/3.10.1990 beschriebenen Konstellationen liegt vor oder es wurde eine ab dem 1.7.1998 mögliche notarielle Gleichstellungsvereinbarung geschlossen.

ab 29.5.2009

Uneingeschränktes gegenseitiges gesetzliches Erbrecht (auch bei Geburt des nichtehelichen Kindes vor dem 1.7.1949), sofern nicht vor dem 1.4.1998 wirksam ein Erbausgleich vereinbart oder rechtskräftig zuerkannt worden ist.

Für Erbfälle vor dem 29.5.2009 ist ggfls. die teleologische Erweiterung, s. Rz. 21.29a, 21.29b zu beachten.

V. Das gesetzliche Erbrecht der als Kind Angenommenen Beratungssituation: Obwohl beide Eltern der 30-jährigen A leben, wohnt sie fast seit ihrer Geburt bei ihrer Tante T, von der sie stets wie eine Tochter versorgt wurde. T möchte ihr Vermögen eines Tages der A vererben und fragt, ob sie A nicht aus Gründen niedrigerer Erbschaftsteuer adoptieren könnte.

21.34

Die Motive für eine Adoption sind nicht immer nur persönlicher Natur, sondern oft geht es auch um den Fortbestand eines Namens oder Unternehmens oder auch um Steuerersparnis. Damit ergibt sich erheblicher Beratungsbedarf, zum einen zur Frage, wann eine Adoption möglich ist, zum anderen zu deren Folgen, hier speziell den erbrechtlichen Folgen1. 1. Der minderjährig Angenommene Voraussetzungen und Verfahren sind in den §§ 1741–1766 BGB geregelt. Es handelt sich um eine Volladoption. Gem. § 1754 BGB erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden, insbesondere auch erbrechtlich die Position eines leiblichen Kindes, also das volle gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht. Die vor der Adoptionsrechtsreform (1.1.1977) bestehende Möglichkeit, das gesetzliche Erbrecht auszuschließen, ist nicht mehr gegeben.

21.35

Das Kind beerbt ganz normal die Annehmenden und auch deren Verwandte, umgekehrt beerben alle 21.36 diese das Kind, allerdings nur dieses, nicht auch dessen leibliche Verwandten, denn mit der Adoption ist das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Kind und seinen bisherigen Verwandten erloschen, § 1755 BGB. Nur in zwei Ausnahmen bleibt die Verwandtschaft bestehen: (1) Nimmt ein Ehegatte das Kind des anderen Ehegatten2 an, bleibt das Kind mit Letzterem und dessen Verwandtschaft verwandt, das Verwandtschaftsverhältnis erlischt nur gegenüber dem anderen leiblichen Elternteil und dessen Verwandten, § 1755 Abs. 2 BGB. Das Verwandtschaftsverhältnis zu den Verwandten des anderen leiblichen Elternteils erlischt aber wiederum nicht, wenn dieser leibliche Elternteil verstorben ist und die (alleinige oder mit dem überlebenden Elternteil gemeinsame) elterliche Sorge hatte, § 1756 Abs. 2 BGB.

1 Zu den erbrechtlichen Auswirkungen einer Adoption nach ausländischem Recht vgl. Heiderhoff, FamRZ 2002, 1682 und Zimmermann, NZFam 2016, 249. 2 Dies gilt nicht für Lebensgefährten, BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 586/15, DNotZ 2017, 375; Grziwotz, NJW 2017, 1646.

Grötsch 983

§ 21 Rz. 21.37

Gesetzliche Erbfolge

§ 1756 Abs. 2 BGB gilt entsprechend, wenn der überlebende Ehegatte das Kind seines verstorbenen Ehegatten annimmt1. (2) Wird ein Kind adoptiert, mit dem die Annehmenden im zweiten oder dritten Grad verwandt oder verschwägert sind, so erlischt nur das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den leiblichen Eltern, § 1756 Abs. 1 BGB, nicht jedoch zu seinen weiteren leiblichen Verwandten wie etwa den leiblichen Geschwistern.

21.37 Die aufgrund des § 1756 BGB weiter bestehende Verwandtschaft führt jedoch nicht automatisch auch zu einem weiter bestehenden Erbrecht. Denn in den Fällen des § 1756 BGB gilt ergänzend § 1925 Abs. 4 BGB. Demnach wird das angenommene Kind nicht von seinen leiblichen Geschwistern oder deren Abkömmlingen als gesetzliche Erben zweiter Ordnung beerbt bzw. beerbt diese auch nicht als gesetzlicher Erbe zweiter Ordnung, obwohl die Verwandtschaft zu diesen gem. § 1756 BGB nicht erloschen ist. Dies beruht darauf, dass die Verwandtschaft des angenommenen Kindes zu seinen leiblichen Eltern erloschen ist und die leiblichen Geschwister gem. § 1925 Abs. 3 BGB an die Stelle der leiblichen Eltern treten, erbrechtlich also so wie die Eltern behandelt werden, die aber aufgrund der erloschenen Verwandtschaft gerade kein gesetzliches Erbrecht mehr haben.

21.38 Zur Klarstellung: Das gegenseitige gesetzliche Erbrecht zwischen leiblichen Geschwistern (und jeweils deren Abkömmlingen) besteht aber, wenn es auf dem Eintrittsrecht in der dritten Ordnung basiert, also vorgehende Erben (Abkömmlinge, Adoptivgeschwister) nicht vorhanden sind, die leiblichen Eltern und die Adoptiveltern bereits vorverstorben sind und die leiblichen Geschwister für die leiblichen Großeltern aufgrund auch deren Vorversterbens eintreten. In diesem Fall sind die leiblichen Geschwister und das adoptierte Kind gegenseitig Erben dritter Ordnung, was § 1925 Abs. 4 BGB ja gerade nicht ausschließt.

21.39 Wenn das Kind von den gemeinsamen Großeltern angenommen wurde, können die leiblichen Geschwister des angenommenen Kindes, nach h.M.2 sogar auch der von den Großeltern abstammende leibliche Elternteil, aufgrund § 1925 Abs. 3 BGB Erben zweiter Ordnung werden bzw. vom angenommenen Kind als Erbe zweiter Ordnung beerbt werden. Denn in diesem Fall beruht die Erbenstellung in zweiter Ordnung nicht darauf, dass die leiblichen Geschwister an die Stelle der leiblichen Eltern treten, sondern an die Stelle der leiblichen Großeltern bzw. Adoptiveltern.

21.40 Für den Fall des § 1756 Abs. 2 BGB gilt der Ausschluss des § 1925 Abs. 4 BGB zudem nach h.M.3 nur im Verhältnis zu halbbürtigen Kindern und deren Abkömmlingen des vorverstorbenen leiblichen Elternteils. Zwischen angenommenem Kind und seinen vollbürtigen leiblichen Geschwistern bzw. deren Abkömmlingen bleibt das gesetzliche Erbrecht also bestehen.

21.41 Für Adoptionen, die bereits vor dem 1.1.1977 erfolgten, gilt Folgendes: War der Adoptierte am 1.1.1977 minderjährig, gelten seit 1.1.1978 die neuen Regelungen, insbesondere auch das volle gesetzliche gegenseitige Erbrecht, sofern nicht bis spätestens 31.12.1977 ein Annehmender, das Kind oder ein leiblicher Elternteil eines ehelichen Kindes oder die Mutter eines nichtehelichen Kindes gem. Art. 12 § 2 Abs. 2, 3, § 3 Abs. 1 AdoptG einen Widerspruch erklärt hatte. Erfolgte der Widerspruch nicht, wurde auch der gem. § 1767 a.F. BGB mögliche Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts für alle Erbfälle ab dem 1.1.1978 unwirksam4.

21.42 War der Adoptierte am 1.1.1977 dagegen schon volljährig (unabhängig davon, ob der Adoptierte bereits zum Zeitpunkt der Adoption volljährig war oder es zwischenzeitlich wurde) oder wurde bei einem zu diesem Zeitpunkt minderjährigen Adoptierten der Widerspruch gem. Art. 12 § 2 Abs. 2 AdoptG er-

1 2 3 4

LG Koblenz v. 29.8.2000 – 2 T 470/00, Rpfleger 2001, 34. Staudinger/Werner, § 1925 Rz. 7. Staudinger/Frank, § 1756 Rz. 29, MüKo.BGB/Leipold, § 1925 Rz. 15. Die Regelung ist verfassungsgemäß, BVerfG v. 12.3.2003 – 1 BvR 1504/02, FamRZ 2003, 999 = ZEV 2003, 244.

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.43 § 21

hoben, gelten die neuen Regelungen für die Adoption Volljähriger1, Art. 12 § 1 Abs. 1 AdoptG, bei einem am 1.1.1977 minderjährigen Adoptierten allerdings erst ab dem 1.1.1978, Art. 12 § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 1 AdoptG. Der Angenommene ist mit den Verwandten des Annehmenden, z.B. dessen Eltern und leiblichen Kindern, nicht verwandt, beerbt diese gesetzlich also nicht. Zudem: Es bleibt bei dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Angenommenen (sowie seinen Abkömmlingen) und seiner leiblichen Verwandtschaft mit allen erbrechtlichen Folgen2. Es gelten jedoch jeweils die in Art. 12 § 1 Abs. 2–5 AdoptG geregelten Ausnahmen, Art. 12 § 1 Abs. 1 bzw. § 3 Abs. 2 S. 1 AdoptG: So bleibt ein vereinbarter Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts wirksam, wodurch auch den Adoptiveltern kein gesetzliches Erbrecht nach dem Adoptierten zusteht; auf einen Abkömmling des Kindes, auf den sich die Wirkung der Annahme nach § 1762 BGB nicht erstreckt hatte (dies war der Fall, wenn der Adoptionsvertrag nicht auch mit dem zum Zeitpunkt der Adoption bereits vorhandenen Abkömmling des Kindes geschlossen worden war, § 1762 a.F. BGB), werden die Wirkungen auch durch die Reform nicht erstreckt. Hatten sich die Wirkungen der Annahme auf die Abkömmlinge erstreckt (sofern also der Adoptionsvertrag auch mit den Abkömmlingen des Adoptierten geschlossen wurde oder diese erst nach der Adoption geboren wurden), ist das Alter der Abkömmlinge zum 1.1.1977 unerheblich, für diese gilt, wenn für den Adoptierten das Recht zur Annahme Volljähriger gilt, ebenfalls dieses3. 2. Der volljährig Angenommene Auch ein Volljähriger kann als Kind angenommen werden, §§ 1767–1772 BGB. Die Annahme muss 21.43 sittlich gerechtfertigt sein, wovon insbesondere bei Bestehen (oder zu erwartendem Entstehen4) eines Eltern-Kind-Verhältnisses auszugehen ist, § 1767 Abs. 1 BGB. Ein solches Verhältnis kann auch mit einer langjährigen Hausangestellten entstehen, zu der ein vertrauensvolles Verhältnis besteht, das über eine Freundschaft hinausgeht und das von gegenseitiger Unterstützung geprägt ist5. Auf die Qualität der Beziehung des Anzunehmenden zu seinen leiblichen Eltern kommt es nicht an6. Bilden erbschaftsteuerliche Motive einen Nebenzweck, so ist dies unschädlich, allerdings muss das familienbezogene Motiv das Steuersparmotiv deutlich überwiegen7. Stehen steuerliche Motive im Vordergrund, ist der Adoptionsantrag abzulehnen8. Bezüglich der gesetzlichen Erbfolge gilt, dass Annehmende und Angenommener miteinander verwandt sind, es besteht also wechselseitig volles Erb- und Pflichtteilsrecht. Im Vergleich zur Minderjährigenadoption ist die verwandtschaftliche Wirkung jedoch zweifach eingeschränkt: Der Angenommene ist mit den Verwandten des Annehmenden, z.B. dessen Eltern und leiblichen Kindern, nicht verwandt, beerbt diese gesetzlich also nicht. Zudem: Es bleibt bei dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Angenommenen (sowie seinen Abkömmlingen) und seiner leiblichen Verwandtschaft mit allen erbrechtlichen Folgen. Verstirbt der Angenommene kinderlos vor den Adoptiveltern, ist die Erbfolge gesetzlich nicht geregelt. Adoptiveltern und leibliche Eltern sind jeweils Erben zweiter Ordnung. Nach wohl überwiegender Meinung ist § 1926 BGB analog anzuwenden, so dass diese jeweils eine Linie bilden, die jeweils eine Hälfte erbt, solange auch nur ein relevanter Verwandter jeder Linie vorhanden ist. Solange also sowohl die leiblichen als auch die Adoptiveltern noch leben, erben diese jeweils eine Hälfte. Die leiblichen Eltern werden bei Vorversterben von ihren Ab1 OLG Köln v. 13.8.2014 – 2 Wx 220/14, NJW 2014, 3381. 2 OLG Düsseldorf v. 27.10.2016 – I-3 Wx 294/15, ZEV 2017, 91; KG v. 30.6.2017 – 6 W 25/17, ErbR 2017, 659. 3 OLG Hamm v. 1.6.2011 – 15 Wx 61/11, ZEV 2012, 318. 4 OLG Braunschweig v. 15.3.2017 – 1 UF 139/16, FamRZ 2017, 1240. 5 OLG Braunschweig v. 21.3.2017 – 1 UF 139/16, ZEV 2017, 343. 6 OLG Nürnberg v. 12.6.2015 – 10 UF 272/15, NJW-RR 2015, 1414; OLG München v. 10.2.2017 – 33 UF 1304/16, DNotZ 2017, 703; MüKo.BGB/Maurer, § 1767 Rz. 35; a.A. OLG Stuttgart v. 3.7.2014 – 11 UF 316/13, DNotZ 2015, 855; OLG Bremen v. 9.11.2016 – 4 UF 108/16, FamRZ 2017, 722. 7 OLG Nürnberg v. 8.6.2011 – 9 UF 388/11, FamRZ 2012, 137 = MDR 2011, 1296. 8 OLG München v. 19.12.2008 – 31 Wx 49/08, FamRZ 2009, 1335 = MDR 2009, 333 = ZEV 2009, 83; a.A. Hölscher, ZErb 2012, 253; OLG Schleswig v. 3.6.2009 – 2 W 26/09, FamRZ 2010, 46 = FGPrax 2009, 269.

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§ 21 Rz. 21.44

Gesetzliche Erbfolge

kömmlingen ersetzt, wegen der Regelung des § 1770 Abs. 1 S. 1 BGB aber nicht die Adoptiveltern. Ist ein Adoptivelternteil vorverstorben, erbt der andere Adoptivelternteil also die eine Hälfte allein, sind beide Adoptiveltern verstorben, werden sie von den leiblichen Eltern bzw. deren Abkömmlingen ersetzt. Sind beide leiblichen Eltern verstorben, ohne Abkömmlinge zu hinterlassen, erben die Adoptiveltern allein1.

21.44 Liegen die Voraussetzungen des § 1772 Abs. 1 BGB vor, können allerdings auch bei einer Volljährigenadoption auf Antrag die (erb)rechtlichen Wirkungen der Minderjährigenadoption herbeigeführt werden. Im Fall des § 1756 Abs. 2 BGB ist dabei entscheidend, ob der verstorbene Elternteil bei Eintritt der Volljährigkeit des Kindes oder, wenn er vorher verstorben ist, im Zeitpunkt seines Todes die elterliche Sorge hatte2.

21.45 Zu Adoptionen Volljähriger vor dem 1.1.1977 (§ 1745c a.F. BGB) s. Rz. 21.42. 3. Gestaltungsempfehlungen

21.46 Im Ausgangsfall wäre T wegen der günstigeren Steuerklasse und des höheren Freibetrags zu raten, A zu adoptieren, was auch gelingen müsste, weil eine Mutter-Kind-Beziehung besteht, mag auch das Steuersparmotiv aktueller Anlass für den Adoptionswunsch sein. Beratungshinweis: Neben der steuerlichen Komponente sollten jedoch bei jeder Situation die sonstigen Folgen bedacht werden. So ist u.a. zu beachten, dass sich zwingend der Geburtsname des Angenommenen ändert gem. § 1757 Abs. 1 S. 1 BGB, der auch bei der Volljährigenadoption gilt, § 1767 Abs. 2 S. 1 BGB. Nur wenn dies aus schwerwiegenden Gründen zum Wohl des Angenommenen nötig ist, kann der bisherige Familienname vorangestellt oder angefügt werden, § 1757 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB. Ist der bisherige Geburtsname des Angenommenen zugleich dessen Ehename, erstreckt sich die Namensänderung nur dann auf den Ehenamen, wenn der Ehegatte der Namensänderung zustimmt, § 1757 Abs. 3 BGB. Zudem gelten die gegenseitigen Unterhaltspflichten, der Annehmende ist dem volljährig Angenommenen sogar vor dessen leiblichen Verwandten unterhaltspflichtig, § 1770 Abs. 3 BGB.

21.47 In manchen Fällen kann die Adoption aber auch ungewollte erbrechtliche Folgen zeitigen. Dann besteht Handlungsbedarf. So ist es denkbar, dass der Annehmende nur an seinen leiblichen Abkömmling, nicht aber an den minderjährigen Angenommenen (oder mittelbar dessen Erben) vererben will. Hier müsste der Annehmende den Angenommenen durch letztwillige Verfügung enterben. Will er ihm nicht einmal den Pflichtteil lassen, so bedürfte es (nach Volljährigkeit des Angenommenen) eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags gem. § 2346 BGB. Der Angenommene könnte sich (wiederum nach Volljährigkeit) gegenüber dem Annehmenden erbvertraglich auch binden, dasjenige, was er vom Annehmenden erbt, seinerseits nur den leiblichen Abkömmlingen des Annehmenden zu vererben.

21.48 Bei der Volljährigenadoption kann unerwünschte Folge sein, dass der Angenommene das vom Annehmenden Ererbte an die leiblichen Verwandten des Angenommenen gewillkürt oder sogar gesetzlich weitervererbt, da diese Bande durch die Adoption im Regelfall nicht zerschnitten ist. So kann auch hier durch Erbeserbfall Vermögen des Annehmenden ungewollt auf die leiblichen Verwandten des Angenommenen übergehen. Diese Wirkungen ließen sich durch einen Erbvertrag, der schon mit dem notariellen Adoptionsantrag verbunden werden könnte, vermeiden. Inhalt: Der Angenommene schließt seine leiblichen Verwandten von der Erbfolge erbvertraglich bindend aus (der Pflichtteil bliebe ihnen allerdings), etwa durch Erbeinsetzung des Annehmenden oder dessen Verwandten. Alternativ könnten die Annehmenden den Angenommenen auch zum (evtl. befreiten) Vorerben einsetzen, Nacherben

1 MüKo.BGB/Leipold, § 1925 Rz. 9; Staudinger/Werner, § 1925 Rz. 18; a.A. Dittmann, Rpfleger 1978, 282. 2 BGH v. 11.11.2009 – XII ZR 210/08, NJW 2010, 678.

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.51 § 21

werden z.B. die Abkömmlinge des Angenommenen, ersatzweise bestimmte Mitglieder der Familie des Annehmenden. Das böte zugleich den Vorteil, dass der der Vorerbschaft unterliegende Nachlass auch im Zusammenhang mit Pflichtteilsansprüchen der leiblichen Verwandtschaft des Angenommenen unbelastet bliebe. Wer die mit der Vorerbschaft verbundenen Nachteile nicht will, könnte den Angenommenen zum Vollerben einsetzen, das Erbe jedoch mit einem aufschiebend bedingten, beim Tod des Angenommenen fälligen Sachvermächtnis zugunsten von Mitgliedern der Familie des Annehmenden beschweren. Bedingung wäre, dass der Angenommene ohne Abkömmlinge verstirbt.

VI. Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten 1. Grundvoraussetzungen des Ehegattenerbrechts Erbt ein Ehegatte, beziehen sich die in den Abschnitten III. bis V. dieses Kapitels genannten Erbquoten der Verwandten nur auf den nach Abzug des Ehegattenanteils verbleibenden Rest des Nachlasses. Es ist daher zunächst immer die Erbquote des Ehegatten festzustellen. Noch vorrangiger ist jedoch die Frage, ob dem Ehegatten überhaupt ein Erbrecht zusteht. Irrelevant ist, ob die Ehe zwischen verschiedenoder gleichgeschlechtlichen Partnern bestand, da für die gleichgeschlechtliche Ehe seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts1 vom 20.7.2017 am 1.10.2017 die gleichen Regelungen wie für die verschiedengeschlechtliche Ehe gelten.

21.49

Beratungssituation: M hat der E vor der Ehe vorgespiegelt, er sei Familienrichter, in Wahrheit ist er kaufmännischer Angestellter. Als E dies erfährt, beantragt sie die Eheaufhebung, der Antrag wird dem M auch zugestellt. Während des Verfahrens stirbt E ohne Hinterlassung eines Testaments. Aus der Ehe ist der Sohn S hervorgegangen. M fragt seinen Berater nach der gesetzlichen Erbfolge.

Bei der Frage, ob ein Ehegattenerbrecht besteht, sind folgende Fälle zu unterscheiden: a) Die Ehe bestand nicht oder nicht mehr Stirbt einer der Ehegatten, erbt der andere nur dann, wenn die Ehe zum Zeitpunkt des Todes noch bestand. Das ist nicht der Fall bei der Nichtehe, weil die Eheleute überhaupt nicht verheiratet waren.

21.50

Beispiel: Die Trauung wurde nur kirchlich, nicht auch standesamtlich durchgeführt, § 1310 Abs. 1 BGB.

Auch nach rechtskräftigem Aufhebungsbeschluss (§ 1313 BGB) besteht kein Erbrecht mehr, ebenso nicht bei rechtskräftiger Scheidung, § 1564 BGB. Wurde ein Ehegatte für tot erklärt und stirbt der andere, erbt der zu Unrecht für tot Erklärte, es sei denn, dessen Ehegatte hat wieder geheiratet, womit die frühere Ehe aufgelöst würde, § 1319 Abs. 2 BGB, selbst bei späterer Aufhebung der Todeserklärung. Der frühere Ehegatte besäße kein Erbrecht mehr. Wussten die Partner der neuen Ehe, dass der für tot Erklärte lebt, ist die neue Ehe eine Doppelehe, § 1319 Abs. 1 BGB. Diese Doppelehe ist aber nur aufhebbar, nicht dagegen handelt es sich um eine Nichtehe. Konsequenz: Liegt für die zweite Ehe noch kein rechtskräftiger Aufhebungsbeschluss vor, wird der Erblasser von zwei Ehegatten beerbt, wenn der zweite Ehegatte bei Eheschließung von der noch bestehenden Ehe nichts wusste, § 1318 Abs. V BGB. Sie erhalten dann den Ehegattenerbteil gemeinsam, aber nicht doppelt2. b) Kein Ehegattenerbrecht trotz bestehender Ehe Stirbt ein Ehegatte während eines Scheidungsverfahrens, verliert der Überlebende sein Ehegattenerbrecht, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes einen begründeten Scheidungsantrag gestellt oder

1 BGBl. I 2017, 52. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1931 Rz. 11, auch zu den Folgeproblemen bei verschiedenen Güterständen der beiden erbenden Ehegatten.

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21.51

§ 21 Rz. 21.52

Gesetzliche Erbfolge

im Falle des Scheidungsantrags seitens des anderen Ehegatten der Erblasser diesem Antrag zugestimmt hatte, § 1933 BGB. Für die Zustimmung ist eine privatschriftliche Erklärung gegenüber dem Familiengericht ausreichend, auf die Erfordernisse des § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG kommt es nicht an1. Entsprechendes gilt für das Eheaufhebungsverfahren, § 1933 S. 2 BGB. Das Ehegattenerbrecht geht also nicht verloren, wenn nur der Überlebende den Scheidungsantrag gestellt und der Erblasser nicht zugestimmt hatte. Nach h.M. muss der Scheidungsantrag im Zeitpunkt des Todes zugestellt sein, § 167 ZPO gilt nicht2. Begründet wird dies damit, dass es nicht um eine Fristwahrung im Sinne des § 167 ZPO zur Erhaltung eines Rechts oder Hemmung der Verjährung geht3. Das widerspricht jedoch dem Gesetzestext, der nur auf einen Antrag abstellt. Zudem kann der Antragsteller die Zustellung nicht beeinflussen. Bliebe der Antrag krankheitsbedingt bei Gericht einige Zeit liegen, wäre die Rechtsfolge Produkt der Willkür, was der Intention des § 1933 BGB widerspräche. § 167 ZPO sollte daher analog angewendet werden.

21.52 Ob der Scheidungsantrag begründet war, richtet sich nach den §§ 1565 bis 1568 BGB. Wird das Scheidungsverfahren über 21 Jahre nicht betrieben, kann § 1933 BGB unanwendbar sein wegen anzunehmender endgültiger Aufgabe des Scheidungswillens4.

21.53 Auch ohne Aufhebungsverfahren ist das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten gem. § 1318 Abs. 5 BGB ausgeschlossen, wenn der überlebende Ehegatte die Aufhebbarkeit der Ehe zum Zeitpunkt der Eheschließung wegen Geschäftsunfähigkeit eines Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung, Doppelehe, Inzestehe, Formmangels nach § 1311 BGB oder wegen Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit zum Zeitpunkt der Eheschließung kannte.

21.54 Die vorstehenden Ausführungen gelten auch für das Eheaufhebungsverfahren. Das bedeutet für den Ausgangsfall: Kann Sohn S den wahren Sachverhalt beweisen, hätte der Aufhebungsantrag der E gem. § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB zum Erfolg geführt. Ehemann M beerbt sie also nicht, S ist Alleinerbe.

21.55 Zur Klarstellung: In diesem Abschnitt geht es nur um das gesetzliche Ehegattenerbrecht. Das Schicksal einer letztwilligen Verfügung zugunsten des anderen Ehegatten im Falle der Scheidung oder Auflösung der Ehe bzw. im Falle darauf gerichteten Antrags oder einer entsprechenden Klage regelt § 2077 BGB. 2. Das Ehegattenerbrecht bei Gütertrennung und Gütergemeinschaft

21.56 Der Ehegatte erbt allein oder neben Verwandten. Die rein erbrechtliche Quote, um die es hier zunächst ausschließlich geht, bestimmt sich nach § 1931 BGB. Sie gilt für alle Güterstände, regelt aber die gesetzliche Ehegattenerbfolge bei Gütertrennung und Gütergemeinschaft abschließend. Für die Zugewinngemeinschaft sind außerdem die Ausführungen im nächsten Abschnitt von Bedeutung.

21.57 Gem. § 1931 BGB erbt der Ehegatte neben Verwandten der ersten Ordnung 1/4, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern 1/2, § 1931 Abs. 1 BGB. Sind weder Verwandte der ersten oder der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, erbt der Ehegatte allein. § 1931 Abs. 2 BGB schließt also auch Abkömmlinge der Großeltern aus.

1 OLG Stuttgart v. 4.10.2011 – IV ZR 250/12, ZEV 2012, 208; OLG Köln v. 11.3.2013 – 2 Wx 64/13, ZEV 2014, 31. 2 Vgl. BGH v. 6.6.1990 – IV ZR 88/89, BGHZ 111, 329 = MDR 1990, 907 = FamRZ 1990, 1109; BayObLG v. 31.1.1990 – 1a Z BReg. 24/89, BayObLGZ 90, 20. 3 Palandt/Weidlich, § 1933 Rz. 2; MüKo.BGB/Leipold, § 1933 Rz. 5 m.w.N. 4 OLG Saarbrücken v. 24.8.2010 – 5 W 185/10-70, MDR 2011, 50 = FamRZ 2011, 760.

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.62 § 21

Kompliziert und rechtspolitisch fragwürdig wird es wegen § 1931 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn einzelne 21.58 Großeltern vorverstorben sind. Hier ist zu unterscheiden: Träten anstelle des vorverstorbenen Großelternteils an sich dessen Abkömmlinge (§ 1926 Abs. 3 und 4 BGB), fällt dieser Anteil dem Ehegatten zu, da er Abkömmlinge der Großeltern verdrängt, § 1931 Abs. 1 S. 2 BGB. Sind dagegen bei Vorversterben eines Großelternteils andere Großeltern berufen, weil Abkömmlinge des vorversterbenden Großelternteils fehlen, geht dieser Anteil an die anderen Großeltern. Grund: Der Ehegatte schließt nur die Abkömmlinge aus. Wer seinem Ehegatten also etwas Gutes tun will, trifft hier eine letztwillige Verfügung, zudem mit der günstigen Nebenfolge, dass die Ausgeschlossenen auch nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählen. Bei Gütertrennung ist außerdem die immer wieder übersehene, für alle Erbfälle ab dem 1.7.1970 geltende Vorschrift des § 1931 Abs. 4 BGB zu beachten, wenn neben dem Ehegatten ein oder zwei Kinder als gesetzliche Erben berufen sind. Die Beteiligten erben dann zu gleichen Teilen.

21.59

3. Besonderheiten bei der Gütergemeinschaft Leben die Ehegatten in Gütergemeinschaft, hat der überlebende Ehegatte im Erbfall den güterrechtlichen Auseinandersetzungsanspruch gem. § 1471 Abs. 1 BGB, außerdem erbt er gem. § 1931 BGB (ggf. zusammen mit Miterben) den Gesamthandsanteil des Erblassers am Gesamtgut (§ 1482 Abs. 1 BGB) und, soweit vorhanden, auch dessen Anteil am Vorbehaltsgut und Sondergut (falls vererblich). Sollten überwiegende Gründe gegen eine Auflösung der Gütergemeinschaft durch den Tod sprechen, müssten die Eheleute zu Lebzeiten (notariell und ausdrücklich) die sog. fortgesetzte Gütergemeinschaft vereinbaren. Inhalt: Beiderseitige Verpflichtung, die Gütergemeinschaft nach dem Tod des einen mit den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortzusetzen, § 1483 Abs. 1 BGB. Weitere Folge der Vereinbarung: Vererbt wird nur das Vorbehalts- und das Sondergut, nicht das Gesamthandsgut, denn es gehört nicht zum Nachlass. Allerdings kann der überlebende Ehegatte die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ablehnen, § 1484 Abs. 1 BGB.

21.60

4. Das Ehegattenerbrecht bei Zugewinngemeinschaft Beratungssituation: Der mit Frau F in Zugewinngemeinschaft lebende Mandant M fragt seinen Berater nach dem beiderseitigen Erbrecht im Falle des Todes eines der beiden Ehegatten. Insbesondere möchte er wissen, ob der jeweilige überlebende Ehepartner noch Gestaltungsmöglichkeiten besitzt, um die Ansprüche der Kinder auf ein Mindestmaß zu beschränken.

21.61

Lebten die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, erhöht sich die aus § 1931 BGB folgende Quote, wie hoch sie auch immer sei, um ein (nicht gesondert ausschlagbares) Viertel, § 1371 Abs. 1 BGB. Das gilt für sämtliche auf Zugewinngemeinschaft gründenden Ehen. Ausnahme: Ein Ehegatte hat den Eintritt in diesen Güterstand bis zum 31.12.1961 gegenüber dem Amtsgericht abgelehnt1. Grund für die Erhöhung des Erbteils um ein Viertel: Wird eine Ehe durch Scheidung beendet, kann Zugewinnausgleich verlangt werden. Es wäre sachgerecht, dies auch bei Beendigung der Ehe durch Tod zuzubilligen. Das birgt jedoch Beweisprobleme und Streitpotenzial, womit die Angehörigen nicht zusätzlich belastet werden sollen. Daher wird der Zugewinnausgleich pauschal mit einer weiteren Erbquote von einem Viertel abgegolten, unabhängig davon, ob überhaupt ein Zugewinn erzielt wurde. Es kann also sein, dass sogar der Erblasser ausgleichsverpflichtet gewesen wäre. Vorstehendes gilt jedoch dann nicht, wenn der überlebende Ehegatte per letztwilliger Verfügung enterbt und ihm auch kein Vermächtnis zugewandt wurde, § 1371 Abs. 2 BGB. In diesem Fall steht dem Überlebenden der tatsächliche Zugewinnausgleichsanspruch (berechnet wie bei der Scheidung) und

1 Vgl. Art. 8 des Gleichberechtigungsgesetzes v. 18.6.1957.

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21.62

§ 21 Rz. 21.63

Gesetzliche Erbfolge

zusätzlich der sog. kleine, d.h. der nicht auf dem erhöhten gesetzlichen Erbteil basierende, Pflichtteil zu.

21.63 Hier eröffnet sich im Einzelfall unter Umständen ein Gestaltungsspielraum, den der Berater durchleuchten muss. Liegt der Fall etwa so, dass der Zugewinn des Erblassers dessen gesamtem Vermögen entspricht und der andere Ehegatte keinen Zugewinn erzielt hat, wäre daran zu denken, dass der überlebende Ehegatte die Erbschaft bzw. das Vermächtnis ausschlägt. Auf diese Weise erhielte er per Zugewinnausgleich 50 % vom Nachlass und per Pflichtteil (neben erbenden Kindern) zudem 1/8 vom Rest, insgesamt also 56,25 %. Träte er dagegen das (gesetzliche) Erbe an, erhielte er nur 50 %. Doch auch wenn der Zugewinn des Erblassers nicht dessen gesamtes Vermögen ausmacht, kann sich durch Ausschlagung rechnerisch noch eine bessere Lösung ergeben als durch Annahme. Dies ist im Einzelfall zu berechnen.

21.64 Eine Wahlmöglichkeit zwischen Zugewinnausgleich plus kleinem Pflichtteil und großem Pflichtteil (Basis: der nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhte Erbteil), besteht nicht1.

21.65 Eine Gestaltungsempfehlung am Rande: Die Frage der Vermögensnachfolge geht oft einher mit Überlegungen zum optimalen Güterstand. Besonders in ländlichen Gegenden wird häufig nach wie vor die Gütergemeinschaft gewählt. Da es sich bei ihr jedoch um ein kompliziertes Gebilde handelt, außerdem der gesetzliche Erbteil des Ehegatten niedriger sein kann als bei der Zugewinngemeinschaft, sollten in der Regel andere Gestaltungen gewählt werden. Eine Absicherung des schutzbedürftigen Ehegatten ist auch möglich z.B. durch lebzeitige Vermögensübertragung oder Erbvertrag.

21.65a Bei Erbfällen mit Auslandsbezug ist Folgendes zu beachten: § 1371 Abs. 1 BGB ist entgegen der bisherigen h.M.2 erbrechtlich zu qualifizieren3. Gilt deutsches Erbrecht, entsteht somit kein Problem. In Fällen, in denen deutsches Ehegüterrecht, aber ausländisches Erbrecht gilt, erhöht sich aber der gesetzliche Erbteil nicht gemäß § 1371 Abs. 1 BGB. Nach dem Gesetzeswortlaut entsteht jedoch auch kein Ausgleichsanspruch über § 1371 Abs. 2 BGB. Solange der Gesetzgeber diese Regelungslücke nicht schließt, sollte § 1371 Abs. 2 BGB in diesen Fällen analog angewendet werden4. 5. Das Ehegattenerbrecht bei der Wahl-Zugewinngemeinschaft

21.66 Seit 1.5.2013 kann gem. § 1519 BGB von deutschen, französischen und deutsch-französischen Ehepaaren mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, Frankreich oder einem Drittstaat, dessen IPR für das Güterrecht an die Staatsangehörigkeit anknüpft, und von Ehepaaren anderer Staatsbürgerschaft mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland oder Frankreich der Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft gewählt werden. Dieser kennt keinen pauschalierten Zugewinnausgleichsanspruch entsprechend § 1371 Abs. 1 BGB, so dass der rechnerische Zugewinnausgleichsanspruch auch bei Erbschaftsannahme seitens des Ehegatten als echte Nachlassverbindlichkeit geltend gemacht werden kann. Die Erbquote richtet sich weiter nach § 1931 Abs. 1 BGB. Beratungshinweis: Besteht das Vermögen eines der Ehegatten hauptsächlich aus Zugewinn und hat der andere Ehegatten nur geringen Zugewinn erwirtschaftet, kann der Pflichtteil von enterbten Kindern durch Option zur Wahl-Zugewinngemeinschaft unter Umständen erheblich reduziert werden5.

1 2 3 4 5

BGH v. 25.6.1964 – III ZR 90/63, BGHZ 42, 182; Palandt/Brudermüller, § 1371 Rz. 15. BGH v. 13.5.2015 – IV ZB 30/14, ZEV 2015, 409. EuGH v. 1.3.2018 – C-558/16, NJW 2018, 1377. Litzenburger, FD-ErbR 2018, 405926. Vgl hierzu mit Berechnungsbeispielen: Jünemann, ZEV 2013, 353.

990

Grötsch

Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.70 § 21

6. Tabellarische Übersicht zum gesetzlichen Ehegattenerbrecht Verwandtschaft

Neben Eltern und/oder (Halb-)Geschwistern des Erblassers

neben 1 Kind (oder dessen Abkömmlingen) des Erblassers

neben 2 Kindern (oder deren Abkömmlingen) des Erblassers

neben 3 oder mehr Kindern (oder deren Abkömmlingen) des Erblassers

Zugewinngemeinschaft

3/4

1/2

1/2

1/2

Gütertrennung

1/2

1/2

1/3

1/4

Gütergemeinschaft

1/2

1/4

1/4

1/4

Wahl-Zugewinngemeinschaft

1/2

1/4 + rechnerischer Zugewinnausgleichsanspruch

1/4 + rechnerischer Zugewinnausgleichsanspruch

1/4 + rechnerischer Zugewinnausgleichsanspruch

Güterstand

21.67

7. Neue Bundesländer Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland sind durch den Einigungsvertrag die zivilrechtlichen Verhältnisse des BGB und damit dessen erbrechtliche Regelungen im Beitrittsgebiet eingeführt worden. Für alle Erbfälle ab dem 3.10.1990 gilt somit das BGB, wobei die Übergangsvorschriften des Art. 235 ff. EGBGB zu beachten sind. Hierzu und zur Rechtslage vor dem Beitritt s. Kap. E. der 3. Auflage.

21.68

8. Der Ehegattenvoraus (§ 1932 BGB) Der Ehegattenvoraus wird in der Beratungspraxis vielfach vernachlässigt, dabei umranken ihn beim Erbfall Emotionen wie kaum ein anderes Thema. Vorzubeugen und rechtzeitig Klarheit zu schaffen ist daher vonnöten.

21.69

§ 1932 BGB gewährt dem überlebenden Ehegatten zusätzlich zu seinem Erbteil und unabhängig vom Güterstand einen schuldrechtlichen Anspruch auf die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände (soweit nicht Grundstückszubehör) und die Hochzeitsgeschenke. Voraussetzungen hierfür sind:

21.70

– Der überlebende Ehegatte ist (endgültig) gesetzlicher Erbe, was er nicht erfüllt, wenn er durch Verfügung von Todes wegen zum Erben eingesetzt (auch bei Einsetzung in Höhe des gesetzlichen Erbteils), von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen oder als erbunwürdig erklärt wurde, einen Erbverzicht geleistet oder die Erbschaft ausgeschlagen hat1. Ausschlagung des testamentarischen Erbteils und Annahme des gesetzlichen, § 1948 Abs. 1 BGB, führen nicht zum Ausschluss des Voraus, sofern mit der Erbeinsetzung nicht auch gleichzeitig der Entzug des Voraus angeordnet wurde. Wird der Ehegatte über § 2066 BGB Erbe, weil der Erblasser seine „gesetzlichen Erben“ eingesetzt hat, so genügt das § 1932 BGB nicht2. – Der überlebende Ehegatte muss, wenn er den Haushalt komplett begehrt, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern gesetzlicher Erbe geworden sein. Erbt er neben Verwandten der ersten Ordnung, stehen ihm nur die Gegenstände zu, die er zur Führung eines angemesse-

1 A.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1932 Rz. 4. 2 So Palandt/Weidlich, § 1932 Rz. 2. Der in der Sache an sich nachvollziehbaren Gegenmeinung (MüKo.BGB/Leipold, § 1932 Rz. 5) kann nicht gefolgt werden, denn sie widerspricht dem Gesetzeswortlaut. Der letztwillig eingesetzte Ehegatte ist nun einmal nicht gesetzlicher Erbe, wenn er nicht ausschlägt.

Grötsch 991

§ 21 Rz. 21.71

Gesetzliche Erbfolge

nen Haushalts benötigt. Was er selber hat oder sich aus eigenen Mitteln zumutbarerweise zu beschaffen vermag, kann er nicht verlangen1. – Die Eheleute müssen einen gemeinsamen Haushalt geführt haben. Zum Haushalt zählen, ohne dass es auf ihren Wert ankäme: Einrichtungsgegenstände, Möbel, Lampen, Teppiche, Bilder, Bücher, elektrische Geräte, der privat und gemeinschaftlich genutzte Familien-Pkw2, Tonträger, aber auch Ersatzansprüche in Bezug auf alles das. Nicht dazu gehören das Haus und die Wohnung (s. aber die Sonderrechtsnachfolge gem. §§ 563 BGB), die dem persönlichen Gebrauch des Erblassers dienenden Gegenstände (Schmuck, Kleidung), ebenso wenig seine beruflichen Utensilien. Zum Haushalt zählen z.B. auch nicht eine Münz- oder Briefmarkensammlung. Empfehlungen für die Praxis: – Rechtzeitig ein Vermögensverzeichnis erstellen, um spätere eigentumsrechtliche Zuordnungsprobleme zu vermeiden (dient auch als Prophylaxe für den Scheidungsfall). – Auskunftsanspruch über § 2027 BGB geltend machen. – Ggf. Klage zum Prozessgericht. – Letztlich erweist sich aber auch hier wieder eine klare letztwillige Verfügung als der beste Weg, wobei sich (auch für den Nacherbfall bei Wiederverheiratung) ein Vorausvermächtnis zugunsten des überlebenden Ehegatten empfiehlt.

VII. Das gesetzliche Erbrecht des eingetragenen Lebenspartners 21.71 § 10 Abs. 1 – 3 LPartG enthält für die eingetragene Lebenspartnerschaft die den §§ 1931 – 1934 BGB entsprechenden Regelungen (mit Ausnahme des § 1931 Abs. 3 BGB), so dass diesbezüglich auf die obigen Ausführungen verwiesen wird. Bestand zum Todestag eines der Lebenspartner der Güterstand der Zugewinngemeinschaft, was gem. § 6 S. 1 LPartG der Fall ist, sofern die Lebenspartner nicht durch Lebenspartnerschaftsvertrag etwas anderes vereinbart haben, gilt gem. § 6 S. 2 LPartG auch § 1371 BGB, so dass sich die Erbquote des überlebenden Lebenspartners entsprechend um 1/4 erhöht. Das Fehlen einer § 1931 Abs. 3 BGB entsprechenden Regelung in § 10 LPartG widerspricht diesem Ergebnis nicht3, da insbesondere nach der Neufassung des § 6 LPartG in diesem wie bisher der uneingeschränkte Verweis auf § 1371 BGB enthalten ist, so dass nicht von einem Redaktionsversehen auszugehen ist. Nach einer Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe gemäß § 20a LPartG gilt das Erbrecht des Ehegatten ohne den Umweg über das LPartG.

VIII. Der Dreißigste (§ 1969 BGB) 21.72 Gem. § 1969 Abs. 1 BGB ist der Erbe verpflichtet, in den ersten dreißig Tagen nach dem Tod des Erblassers Unterhalt zu gewähren. Anspruchsberechtigt sind die Familienangehörigen des Erblassers, das sind der Ehegatte bzw. eingetragene Lebenspartner sowie die Verwandten und Verschwägerten im Rechtssinne. In Literatur und Rspr. wird der Kreis weit darüber hinaus auf Personen ausgedehnt, die der Erblasser als zur Familiengemeinschaft gehörig betrachtet und behandelt hat, z.B. nichteheliche Lebenspartner, Pflegekinder, zum Teil sogar auf Freunde4.

1 2 3 4

Palandt/Weidlich, § 1932 Rz. 6. AG Erfurt v. 30.11.2001 – 28 C 765/00, FamRZ 2002, 849. Leipold, ZEV 2001, 218; Palandt/Brudermüller, § 10 LPartG Rz. 1. MüKo.BGB/Küpper, § 1969 Rz. 2.

992

Grötsch

Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21.80 § 21

Weitere Voraussetzung ist, dass der Anspruchsteller beim Tod des Erblassers zu dessen Hausstand gehört hat, und zwar nicht nur kurze Zeit. Hierzu zählen nicht ein Besucher, auch nicht der getrennt lebende Ehegatte.

21.73

Zudem muss der Erblasser dem Betreffenden lebzeitig Unterhalt gewährt haben, auch wenn dazu kei- 21.74 ne vertragliche Pflicht bestand1. Hauspersonal bezieht Lohn, nicht Unterhalt, kann den „Dreißigsten“ also nicht verlangen2. Der Berechtigte hat Anspruch auf Gewährung des Unterhalts in Umfang und Art, wie ihn der Erblasser geleistet hat. Nur wenn der Haushalt vor Ablauf von dreißig Tagen aufgelöst wird, entsteht ein Geldanspruch3.

21.75

Für die Gestaltung ist vor allem von Bedeutung, dass der Erblasser den „Dreißigsten“ in jeder Hin- 21.76 sicht durch letztwillige Verfügung modifizieren, also auch erhöhen (dann echtes Vermächtnis) und sogar streichen kann, § 1969 Abs. 1 S. 2 BGB.

IX. Das Erbrecht des Staates Beratungssituation: Der Mandant besitzt eine Geldforderung gegen E. E stirbt ohne Testament. Die Aktiva übersteigen die Passiva deutlich. Nachbarn des E teilen mit, dass E von irgendwelchen entfernten Verwandten in Argentinien gesprochen habe. Der Mandant fragt, wie er seine Forderung durchsetzen kann.

21.77

1. Erbfolge Es gibt keinen Erbfall ohne Erben. Selbst wenn der Ehegatte und sämtliche Verwandten durch letztwil- 21.78 lige Verfügung enterbt wurden oder nicht mehr leben oder Erbverzicht erklärt oder die Erbschaft (z.B. wegen Überschuldung) ausgeschlagen wurde oder auch, wenn der Fall der Erbunwürdigkeit vorliegt: Sind alle infrage kommenden gesetzlichen Erben tatsächlich oder rechtlich weggefallen oder nicht zu ermitteln, erbt der Staat, und zwar das Bundesland, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz oder, bei Fehlen eines solchen, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, § 1936 S. 1 BGB. Hatte der Erblasser mehrere Wohnsitze (§ 7 Abs. 2 BGB) in verschiedenen Bundesländern, sind diese zu gleichen Teilen Erben, sie bilden eine Erbengemeinschaft4. Im Übrigen, so z.B. bei Auslandsdeutschen, erbt der Bund, § 1936 S. 2 BGB. Der Staat kann als letzter gesetzlicher Erbe weder im Voraus verzichten noch im Erbfall ausschlagen, § 1942 Abs. 2 BGB5, muss also abwickeln. Der Fiskus kann die beschränkte Erbenhaftung herbeiführen, wobei die allgemeinen Regeln gelten, §§ 1975, 1990, 2014, 2015, 1973, 1974 BGB. Privilegierungen: Für den Fiskus gilt nicht die Pflicht, sich die beschränkte Haftung im Prozess vorzubehalten, § 780 Abs. 2 ZPO. Ebenso wenig trifft ihn eine Inventarpflicht, § 2011 S. 1 BGB, eine unbeschränkte Haftung wegen Inventarversäumung tritt also nicht ein. Den Nachlassgläubigern ist er jedoch zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses verpflichtet, § 2011 S. 2 BGB.

21.79

2. Verfahren Das Nachlassgericht muss gem. § 1964 BGB eine Erbenermittlung durchführen, wenn das Erbrecht des Staates in Betracht kommt. Methode, Dauer und Umfang der Ermittlungen, die sich auch auf

1 2 3 4 5

Palandt/Weidlich, § 1969 Rz. 1. Palandt/Weidlich, § 1969 Rz. 1; MüKo.BGB/Küpper, § 1969 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 1969 Rz. 2. MüKo.BGB/Leipold, § 1936 BGB Rz. 15. Als gewillkürter Erbe kann er es.

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21.80

§ 21 Rz. 21.81

Gesetzliche Erbfolge

den letzten Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zu beziehen haben1, unterliegen seinem pflichtgemäßen Ermessen. Unter Umständen empfiehlt sich die Einsetzung eines Nachlasspflegers.

21.81 Bleibt die Suche nach Erben erfolglos, fordert das Nachlassgericht öffentlich zur Anmeldung der Erbrechte unter Bestimmung einer Frist auf, § 1965 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 433 ff. FamFG. Werden innerhalb der gesetzten Frist keine Erbrechte angemeldet, kann das Nachlassgericht gem. § 1964 BGB durch Beschluss feststellen, dass keine anderen Erben als der Staat vorhanden sind. Werden dagegen Erbrechte angezeigt, beginnt nach Ablauf der Anzeigefrist eine weitere dreimonatige Frist, innerhalb der die angemeldeten Rechte dem Nachlassgericht nachgewiesen werden müssen. Der Beschluss gem. § 1964 BGB führt dazu, dass der Staat Rechte aus der Erbschaft geltend machen bzw. dass gegen den Staat als gesetzlichen Erben ein Recht geltend gemacht werden kann, § 1966 BGB. Dagegen verhindert der Feststellungsbeschluss nicht die Feststellung eines anderweitigen Erbrechts durch Feststellungsklage oder die Einleitung eines Erbscheinsverfahrens durch einen erbberechtigten Verwandten oder letztwillig zum Erben bestimmten. Werden innerhalb der Frist keine Erbrechte angemeldet, kann der Mandant im Ausgangsfall seinen Anspruch gegenüber dem Staat geltend machen, dessen Haftung ggf. aber auf den Nachlass beschränkt ist.

1 Vgl. dazu MüKo.BGB/Leipold, § 1964 Rz. 2-4.

994

Grötsch

§ 22 Annahme und Ausschlagung der Erbschaft I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.1

II. Motive für eine Ausschlagung . . . . . 1. Persönliche Motive . . . . . . . . . . . . . . 2. Finanzielle Motive . . . . . . . . . . . . . . . a) Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerliche Aspekte . . . . . . . . . . . . c) Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . . d) Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag: Rückgewinnung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . e) Ausschlagung gegen Abfindung . . f) Benachteiligung der Eigengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Erlangung des Pflichtteils . . . . . . .

22.8 22.8 22.11 22.11 22.14 22.19

III. Ausschlagungsberechtigung . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vererblichkeit des Ausschlagungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers . . . . . . . . . . . . . a) Aufschiebende Bedingung . . . . . . b) Auflösende Bedingung . . . . . . . . . c) Inhaltliche Anerkennung . . . . . . . 4. Gesetzliche Ausschlagungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 1942 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . b) Stiftungsvorstand . . . . . . . . . . . . . 5. Einflussmöglichkeiten Dritter . . . . . . a) Gläubiger des Erben . . . . . . . . . . . b) Sozialhilfeträger . . . . . . . . . . . . . . c) Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . d) Zustimmungserfordernis des Dienstherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verlust des Ausschlagungsrechts durch Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausdrückliche Annahme . . . . . . . c) Annahme durch schlüssiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Annahme durch Fristablauf . . . . . e) Wirkungen der Annahme . . . . . . .

22.31 22.31

22.25 22.26 22.28 22.29

22.32 22.34 22.36 22.37 22.38 22.39 22.39 22.40 22.42 22.43 22.44 22.46 22.47 22.48 22.48 22.50 22.51 22.57 22.58

IV. Form der Ausschlagung . . . . . . . . . .

22.59

V. Ausschlagungsfrist . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kenntnis vom Anfall . . . . . . . . . . . b) Kenntnis vom Berufungsgrund . . . c) § 2306 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . d) Fristberechnung . . . . . . . . . . . . . .

22.64 22.65 22.67 22.67 22.69 22.72 22.73

VI. Inhalt der Ausschlagungserklärung . 1. Die Ausschlagungserklärung . . . . . . .

22.75 22.75

2. Bedingte Ausschlagung . . . . . . . . . . . 3. Teilausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umfang der Ausschlagung . . . . . . . . .

22.77 22.80 22.82

VII. Gesetzliche Stellvertretung . . . . . . . 1. Der minderjährige Erbe . . . . . . . . . . . 2. Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.83 22.83 22.85

VIII. 1. 2. 3. 4.

Wirkung der Ausschlagung . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wegfall des Zunächstberufenen . . . . . Anfall an den Nächstberufenen . . . . . Ermittlung des Nächstberufenen durch das Nachlassgericht . . . . . . . . .

22.86 22.86 22.87 22.89 22.93

IX. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.94 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.94 a) Anfechtungsfrist . . . . . . . . . . . . . . 22.95 b) Form der Anfechtung . . . . . . . . . . 22.97 c) Wirkung der Anfechtung . . . . . . . 22.98 2. Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . . . . . 22.101 X. Besonderheiten bei Annahme und Ausschlagung eines Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formelle Anforderungen . . . . . . . . . . 3. Wirkungen von Annahme und Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pflichtteilsberechtigter als Erbe und Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . 5. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Haftung und Ansprüche des Zwischenerben . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche des endgültigen Erben gegen den Zwischenerben . . . . . . . . . a) Anspruch auf Herausgabe . . . . . . b) Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Delikt . . . . . . . c) Anspruch auf Auskunft . . . . . . . . 3. Ansprüche des Zwischenerben gegen den endgültigen Erben . . . . . . . . . . . . 4. Zurechnung von Handlungen des Zwischenerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 1959 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . c) Erfüllung durch Dritte . . . . . . . . . d) Verpflichtungsgeschäfte . . . . . . . . e) Fortführung eines Handelsgeschäfts unter der bisherigen Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Der Zwischenerbe in einer Personenhandelsgesellschaft . . . . . . .

22.108 22.108 22.109 22.110 22.112 22.113 22.114 22.114 22.117 22.117 22.118 22.119 22.120 22.121 22.121 22.123 22.124 22.125 22.126 22.127

Muscheler 995

§ 22

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft g) Der Zwischenerbe als Gesellschafter einer GmbH . . . . . . . . . . 22.128 h) Der Zwischenerbe als Arbeitgeber 22.129

XII. Der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.130

1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.130 2. Abschluss des Vertrags nach dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.131 3. Abschluss des Vertrags vor dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.132

Schrifttum: Ballon, Der Minderjährige und die Fiktion des § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB, ErbR 2018, 560 ff.; Behrendt, Anm. zu BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, ZEV 1998, 67 f.; Bengel, Gestaltung letztwilliger Verfügungen bei Vorhandensein behinderter Abkömmlinge, ZEV 1994, 29 ff.; Bertzel, Der Notgeschäftsführer als Repräsentant des Geschäftsherrn, AcP 158 (1959/60), 107 ff.; Bonefeld/Lange/Tanck, Die geplante Reform des Pflichtteilsrechts, ZErb 2007, 292 ff.; Bredemeyer, Die Anfechtung bei Anfall der Erbschaft, ZErb 2016, 318; Buchholz, Insichgeschäft und Erbschaftsausschlagung – Überlegungen zu einem Problem des § 1643 II BGB, NJW 1993, 1161 ff.; Damrau, Die Verpflichtung zur Ausschlagung der Erbschaft, ZEV 1995, 425 ff.; Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, 2002; Daragan, Erlass der Erbschaftsteuer wegen Kursverfalls vermachter Aktien, Anm. zu FG München v. 24.7.2002 – 4 K 558/02, ZErb 2003, 28; Ebenroth/Koos, Anm. zu BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27.94, ZEV 1996, 344; Ebersbach, Handbuch des deutschen Stiftungsrechts, 1972; Eichel, Die Grenzen der Ersetzung inländischer Ausschlagungserklärungen durch ihre Abgabe im Ausland gem. Art. 13 EuErbVO, ZEV 2017, 545; Eickelberg, Die Ausschlagung zugunsten Dritter als taktisches Gestaltungsmittel, ZEV 2018, 489 ff.; Engler, Zur Auslegung des § 1643 Abs. II BGB, FamRZ 1972, 7 ff.; Eue, Die „Doppelausschlagung“ auch für minderjährige Kinder bei werthaltigem Nachlass, ZEV 2018, 624 ff.; Fischer, Anm. zu BGH v. 5.3.1964 – II ZR 208/61, LM § 105 HGB Nr. 19; Fischer, Die Stellung des vermeintlichen Erben in der OHG, FS Heymanns Verlag, 1965, S. 271 ff.; Friedrich, Die Haftung des endgültigen Erben und des „Zwischenerben“ bei Fortführung eines einzelkaufmännischen Unternehmens, 1990; Frohn, Die Erbausschlagung unter dem Vorbehalt des Pflichtteils, Rpfleger 1982, 56; Gantenbrink, Die Neuregelung der §§ 2305, 2306 BGB, Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht 1 (2011); Gothe, Erbschaftsausschlagung und Anfechtung der Erbschaftsannahme, MittRhNotK 1998, 193 ff.; Gottwald, Fristen im Erbrecht: Allgemeine Fristen, ZEV 2006, 293 ff.; Gottwald, Fristen im Erbrecht: Anfechtungsfristen, ZEV 2006, 489 ff.; Hannes, Gestaltungsalternative: Ausschlagung der Erbschaft gegen Nießbrauchsabfindung oder Erbschaftsannahme mit nachfolgender Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt?, ZEV 1996, 10 ff.; Hartmann, Die Anwendung der §§ 1956, 1957 BGB in den Fällen der doppelten Berufung zur Erbfolge, RNotZ 2015, 486; Heinemann, Erbschaftsausschlagung: neue Zuständigkeiten durch das FamFG, ZErb 2008, 293 ff.; Heinemann, Die Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch das FamFG und ihre Auswirkungen auf die notarielle Praxis, DNotZ 2009, 6 ff.; Herrler, Vermögenssicherung bei erbrechtlichem Erwerb während des Insolvenzverfahrens und in der Wohlverhaltensperiode, NJW 2011, 2258; Hillebrand, Die Nachlassverwaltung – unter besonderer Berücksichtigung der Verwaltungs- und Verfügungsrechte des Nachlassverwalters, 1998; Ivo, Die Erbschaftsausschlagung eines Sozialhilfeempfängers, FamRZ 2003, 6 ff.; Horn, Genehmigungsverfahren bei Ausschlagung für Betreute und Minderjährige, ZEV 2016, 20; Horn, Ausschlagung durch den pflichtteilsberechtigten Erben, NJW 2017, 1083; Ivo, Erbschaftsausschlagung wegen vermeintlicher Überschuldung und ihre Anfechtung bei Nachlassspaltung, NJW 2003, 185 ff.; Jänicke/ Braun, Vertretungsausschluss bei rechtlich nachteiligen Verfügungen zu Gunsten Minderjähriger, NJW 2013, 2474; Johannsen, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf dem Gebiet des Erbrechts – 9. Teil: Erbfolge – Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, Fürsorge durch das Nachlassgericht – Die Erbenhaftung – Der Erbschaftsanspruch – Allgemeine Testamentsvorschriften und Erbeinsetzung, WM 1972, 914 ff.; Jünemann, Der neue Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft: Familienrechtliche Grundlagen und erbrechtliche Wirkungen, ZEV 2013, 353 ff.; Kapp, Die Erbausschlagung in zivilrechtlicher und erbschaftsteuerrechtlicher Sicht, BB 1980, 117 ff.; Keim, Die vergessene Ausschlagung beim durch Vermächtnis entwerteten Erbteil, ZEV 2003, 358 ff.; Keim, Die Reform des Erb- und Verjährungsrechts und ihre Auswirkungen auf die Gestaltungspraxis, ZEV 2008, 161 ff.; Keim, Die Erbschaftsausschlagung durch Bevollmächtigte und § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. HS BGB, ZErb 2008, 260 ff.; Konzen, Der vermeintliche Erbe in der OHG, ZHR 145 (1981), 29 ff.; Kraiß, Die Anfechtung der Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, BWNotZ 1992, 31 ff.; Krampe, Testamentsgestaltung zugunsten eines Sozialhilfeempfängers, AcP 191 (1991), 526 ff.; Kremer/Laux, Die Rechtsstellung des vermeintlichen Erben in der GmbH, BB 1992, 159 ff.; Kuchinke, Anm. zu LG Konstanz v. 24.4.1991 – 5 O 423/90, FamRZ 1992, 362 ff.; Lehmann/Schulz, ZEV-Report Zivilrecht, ZEV 2011, 23; Leipold, Das Europäische Erbrecht (EuErbVO) und das deutsche gemeinschaftliche Testament, ZEV 2014, 139 ff.; de Leve, Die Ausschlagung nach § 2306 BGB – Was hat sich geändert und was ist zu beachten?, ZEV 2010, 184; Linde, Zur Ausschlagung einer Erbschaft – Nasciturus, Sozialhilfe, BWNotZ 1988, 54 ff.; Lindner,

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.1 § 22

Die geplante Reform der §§ 2305 f. BGB – Meilenstein oder zu kurz gesprungen?, ErbR 2008, 374 ff.; van de Loo, Die letztwillige Verfügung von Eltern behinderter Kinder, NJW 1990, 2852 ff.; van de Loo, Möglichkeiten und Grenzen eines Übergangs des Rechts zur Erbausschlagung durch Abtretung bzw. Überleitung, ZEV 2006, 473 ff.; Malitz, Erbschaftsausschlagung und Rechtsirrtum, ZEV 1998, 415 ff.; Margonski, Kollisionsrechtliche Probleme einer durch einen ausländischen Notar beurkundeten Erbausschlagungserklärung, insbesondere im deutsch-polnischen Rechtsverkehr, ZEV 2015, 141; Mayer, Anm. zu OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, ZEV 2002, 369 f.; Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht in der dogmatischen Analyse, 2012; Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb, 2002; Muscheler, Die geplanten Änderungen im Erbrecht, Verjährungsrecht und Nachlassverfahrensrecht, ZEV 2008, 105 ff.; Muscheler, Erbrecht, 2010; v. Olshausen, Zugewinnausgleich und Pflichtteil bei Erbschaftsausschlagung durch einen von mehreren Erbeserben des überlebenden Ehegatten?, FamRZ 1976, 678 ff.; Perlwitz/Weber, Gewährung rechtlichen Gehörs Minderjähriger im Verfahren nach dem FamFG in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, FamRZ 2011, 1350; Pieroth, Grundgesetzliche Testierfreiheit, sozialhilferechtliches Nachrangprinzip und das so genannte Behindertentestament, NJW 1993, 173 ff.; Piltz, Rückwirkende Zugewinngemeinschaft kann erbschaftsteuerlich immer noch sinnvoll sein, ZEV 1995, 330 ff.; v. Proff, Erbschaftsverträge in der Praxis, ZEV 2013, 183; Röhl, Annahme und Erfüllung von Vermächtnissen zugunsten Minderjähriger – zugleich Anmerkung zum Beschluss des OLG München vom 22.8.2012, 34 Wx 200/12, MittBayNot 2013, 189; Sagmeister, Die Erbausschlagung bei minderjährigen Nach- und Ersatzerben, ZEV 2012, 121 ff.; Sarres, Die Auskunftspflichten des vorläufigen Erben gegenüber dem endgültigen Erben, ZEV 1999, 216 ff.; Schaub, Schwarzgeld im Nachlass: Zivilrechtliche Gestaltungsüberlegungen des Erblassers, ZEV 2011, 501; Schaub, Schwarzgeld im Nachlass: Ratschläge für Erben, ZEV 2011, 624; Schewe, Die Errichtung der rechtsfähigen Stiftung von Todes wegen, 2004; Schindler, Die Anwendung des § 2306 BGB nach altem und neuem Recht unter besonderer Berücksichtigung der Werttheorie, ZEV 2008, 125 ff., 187 f.; O. Schmidt, Die Errichtung von Unternehmensträgerstiftungen durch Verfügung von Todes wegen, 1997; O. Schmidt, Das Ausschlagungsrecht von Unternehmensträgerstiftungen bei letztwilliger Zuwendung – Beseitigung der Geschäftsgrundlage der stiftungsrechtlichen Genehmigung, ZEV 1999, 141 ff.; Schothöfer, Die lebzeitige Vorbereitung der postmortalen Nachfolgegestaltung, DStR 2016, 2295; Schreiner, Die Mitwirkung erbscheinberechtigter Scheinerben bei Gesellschafterbeschlüssen und Anteilsübertragungen, NJW 1978, 921 ff.; Specks, Zur Zulässigkeit der Erbschaftsausschlagung unter einer Gegenwartsbedingung, ZEV 2007, 356 ff.; Specks, Gefahren bei der Ausschlagung werthaltiger Erbschaften, ZErb 2007, 238 ff.; Stumpf, Der vermeintliche Erbe des Arbeitgebers, FS Brackmann, 1977, 299 ff.; Tiedtke, Zur Bindung des überlebenden Ehegatten an das gemeinschaftliche Testament bei Ausschlagung der Erbschaft als eingesetzter, aber Annahme als gesetzlicher Erbe, FamRZ 1991, 1259 ff.; Troll, Ausschlagung der Erbschaft aus steuerlichen Gründen, BB 1988, 2153 ff.; Walter, Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft, ZEV 2008, 319 ff.; Weithase, Zurückweisung einer geringfügigen Erbschaft, Rpfleger 1988, 434 ff.; Wiedemann, Abfindungs- und Wertfestsetzungsvereinbarungen unter zukünftigen Erben, NJW 1968, 769 ff.; Wöhrmann/Graß, Das Landwirtschaftserbrecht, 11. Aufl. 2018.

I. Einleitung Beratungssituation: Der Mandant ist in einem Testament als alleiniger Erbe genannt. Er möchte wissen, ob er die Erbschaft irgendwie annehmen muss, um letztendlich wirklich Erbe zu werden1.

Im fünften Buch des BGB ist der erste Titel des zweiten Abschnitts überschrieben mit den Worten „Annahme und Ausschlagung der Erbschaft“. Entgegen dem ersten Eindruck, den diese Überschrift erweckt, sind Annahme und Ausschlagung der Erbschaft in der erbrechtlichen Praxis durchaus nicht von gleich großer Bedeutung. Es ist vielmehr die Ausschlagung, die bei der anwaltlichen und notariellen Beratung ganz im Vordergrund steht, und dies aus dem einfachen Grunde, dass nur ihr gestalterische Wirkung im eigentlichen Sinne zukommt und die Annahme gewissermaßen nur einen Unterpunkt in der Prüfung der Ausschlagung darstellt, obgleich die Annahme insoweit gestalterisch wirkt, als mit ihr auf die Ausschlagung verzichtet wird.

1 Herrn Rechtsanwalt und Notar Dr. Markus Schewe, Herrn Vorsitzender Richter am LG Michael Janßen, Herrn Richter am LG Dr. Martin Metzler, Herrn Rechtsreferendar Kenan Yildiz und Herrn Nils Althoff gebührt mein herzlicher Dank für ihre wertvolle Mitarbeit an diesem Kapitel.

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22.1

§ 22 Rz. 22.2

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

22.2 Dies hat zu tun mit einem wichtigen Prinzip des deutschen Erbrechts: dem Prinzip des Vonselbsterwerbs1. Dieses (zwingende, also nicht dispositive) Prinzip spricht schon die grundlegende Erbrechtsnorm des § 1922 Abs. 1 BGB aus, indem sie anordnet, dass die Erbschaft auf den oder die Erben „mit dem Tode“ des Erblassers übergeht. Damit ist ein Zweifaches ausgesagt. Zum einen, dass es für den Erbanfall (also den Erbschaftserwerb durch den oder die Erben) keiner irgendwie gearteten Mitwirkung des oder der Erben (sei es in Form eines Erbschaftsantritts – wie ihn bei den sog. extranei das römische Recht verlangte –, sei es auch nur in Form eines den Erwerb bejahenden oder zumindest nicht ablehnenden Willens, sei es – sozusagen die geringstmögliche „Mitwirkungs“-Anforderung – in Form der bloßen Kenntnis vom Erbanfall) bedarf, keiner gerichtlichen oder behördlichen „Einweisung“ in den Nachlass (wie etwa in Österreich), keiner obligatorischen Zwischenschaltung eines von Gericht oder Erblasser ernannten Verwalters (wie im angelsächsischen Rechtskreis)2. Denn der Erbanfall erfolgt „mit“ dem Erbfall (also dem Tod des Erblassers) und damit von Gesetzes wegen, ipso iure. Zum anderen ergibt sich aus § 1922 Abs. 1 BGB, dass es zwischen Erbfall und Erbanfall keinen zeitlichen Zwischenraum, nicht einmal den einer „juristischen Sekunde“ gibt, dass es mithin zu keinem Zeitpunkt zu einem herrenlosen Nachlass, zu einer „ruhenden“ Erbschaft, einer „hereditas iacens“, kommt. Denn der Erbanfall erfolgt mit „dem Tode“ des Erblassers. Man darf die beiden Aussagen nicht gleichsetzen: Dass der Erbanfall ipso iure erfolgt, impliziert nicht zwingend, dass er ipso morte erfolgt. Es ließe sich ohne weiteres denken, dass der Erbanfall sich zwar ipso iure, aber z.B. erst nach Ablauf einer gesetzlichen Übergangsfrist vollzöge.

22.3 Die rechtspolitische Legitimation des in § 1922 Abs. 1 BGB aufgestellten Prinzips des Vonselbsterwerbs ergibt sich aus den vorteilhaften Wirkungen, die es zeitigt. Es schützt vor allen Dingen in sehr weitgehender Weise den Erben vor Eingriffen Dritter, denn der Erbe wird mit dem Erbfall dinglich Berechtigter (§§ 985 ff. BGB) und, ohne eigenen Erwerbsakt, Besitzer aller Nachlassgegenstände (§ 857 BGB). Es schützt den Rechtsverkehr, denn die dingliche Zuordnung des Nachlasses zu einer bestimmten Person ist zu jeder Zeit gewährleistet. Es entlastet den Staat und befreit zugleich Erblasser und Erben von kostspieliger und vielleicht nicht ganz neutraler staatlicher Zwangsfürsorge, denn eine automatische staatliche Pflegschaft oder eine sonstige automatische staatliche Einweisungs- und Schutztätigkeit entfällt. Es dient den Nachlassgläubigern und Nachlassschuldnern, denn diese wissen alsbald (wenn auch noch nicht endgültig), mit wem sie es in Zukunft zu tun haben und sehen sich des Nachweises der Annahme enthoben. Entscheidend für das Gesetz spricht schließlich, dass es eine zwanglos-einfache Regelung des faktischen Normalfalles bereithält: In den meisten Fällen ist der Erwerb einer Erbschaft eine dem Erben günstige und damit willkommene Gelegenheit, sodass seine Bereitschaft zur endgültigen Übernahme der Erbschaft ohne weiteres vorhanden ist3. Es wird daher folgerichtig vom Erben keine aktive Handlung erwartet, um diese Stellung zu erlangen.

22.3a Bisweilen gerät die Legitimation des Vonselbsterwerbs freilich an ihre Grenzen. Dies gilt namentlich im Bereich des Erbschaftsteuerrechts. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht die Steuer bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tod des Erblassers und nach § 11 ErbStG ist für die Wertermittlung grundsätzlich der Zeitpunkt der Steuerentstehung maßgebend. Der Steuergesetzgeber hat damit den zivilrechtlichen Grundsatz des Vonselbsterwerbs sich ausdrücklich zu eigen gemacht. Enthält der Nachlass Vermögensgegenstände, etwa börsennotierte Wertpapiere, die nach dem Erbfall rapide an Wert verlieren, so ist für die Wertermittlung nicht auf die Kenntniserlangung vom Erbfall, geschweige denn auf die Annahme der Erbschaft durch den Erben abzustellen, sondern einzig und allein auf den Zeitpunkt des Erbfalls – ein rigides Stichtagsdenken, das auf die faktische Verfügungsmöglichkeit des Erben we1 Dazu (v.a. auch über das Verhältnis des Prinzips zu den anderen erbrechtlichen Prinzipien) ausführlich Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb, S. 141 ff.; Muscheler, Erbrecht Band I, Rz. 1027 ff. Die Annahme wird durch den im § 1922 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden Grundsatz des Vonselbsterwerbs konsumiert; a.A. wohl Palandt/Weidlich, § 1942, Rz. 1; danach ergibt sich der Vonselbsterwerb erst durch die Zusammenschau der §§ 1922 Abs. 1 und 1942 Abs. 1 BGB. 2 Ausf. Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 2 f. 3 Mot. V, S. 486 f.

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.4b § 22

nig, auf Arbeitsersparnis bei den Finanzbehörden dagegen umso mehr Rücksicht nimmt, de lege lata mit der Billigkeitsregelung des § 163 Abs. 1 S. 1, 2 AO nur in Ausnahmefällen zu mildern ist und de lege ferenda kaum voll zu überzeugen vermag. § 1942 Abs. 1 BGB bestätigt noch einmal das bereits in § 1922 Abs. 1 BGB verankerte Prinzip des Von- 22.4 selbsterwerbs und zieht, die Anfallsregelung weiterführend, aus einem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz die erbrechtliche Folgerung: Niemandem soll ein Recht aufgedrängt werden, und daher geht die Erbschaft auf den berufenen Erben „unbeschadet des Rechtes über, sie auszuschlagen“. Endgültiger Erbe bleibt man also nur, wenn man nicht ausschlägt oder die Ausschlagung anficht, § 1957 Abs. 1 Hs. 2 BGB. Dass der Gesetzgeber in der Ausschlagung die faktische Ausnahme sieht, kommt auch in ihrer rechtlichen Ausgestaltung zum Ausdruck: Das Vertrauen des Rechtsverkehrs darauf, dass der Erbe normalerweise die Erbschaft behält, wird durch besondere (und besonders strenge) Frist- und Formerfordernisse für die Ausschlagung geschützt. Nach § 1953 Abs. 1 BGB wirkt die Ausschlagung nicht nur ex nunc, also vom Zeitpunkt der Ausschla- 22.4a gung an, sondern ex tunc, d.h. vom Zeitpunkt des Erbfalls an: Der Anfall an den Ausschlagenden gilt „als nicht erfolgt“. Damit wird das Prinzip, dass niemandem ein Recht aufgedrängt werden darf, in seiner schärfsten Konsequenz verwirklicht: Niemandem darf ein Recht selbst für eine noch so kurze Zwischenzeit aufgedrängt werden. Die konsequente Verwirklichung des einen Prinzips geht scheinbar auf Kosten des anderen Prinzips, nämlich des Prinzips des Vonselbsterwerbs. Der Vonselbsterwerb wird, so sieht es auf den ersten Blick aus, auf das Niveau eines bloßen Erwerbsmodus herabgedrückt, während er bei ex-nunc-Wirkung der Ausschlagung zugleich (rechtfertigende) causa einer (wenn auch nur transitorischen) materiellen Rechtslage wäre. Doch man bedenke, warum das Gesetz ex-tunc-Wirkung der Ausschlagung anordnet: Es geschieht, um das Prinzip des Vonselbsterwerbs beim endgültigen Erben in reiner Form durchführen zu können. Nach § 1953 Abs. 2 BGB fällt die Erbschaft demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte; der Anfall an ihn gilt „als mit dem Erbfall erfolgt“. Man sagt herkömmlicherweise, die Entscheidung des BGB gegen (vor allem) den Antrittserwerb und 22.4b für den Vonselbsterwerb sei eben wegen der Möglichkeit der Ausschlagung und wegen der zurückwirkenden Rechtsfolgen der Ausschlagung überwiegend konstruktiv-formaler Natur1, und unterstützt dies meist mit einem Hinweis darauf, dass das Gesetz die Ausschlagung einer Erbschaft zum Vorteil eines anderen nicht als Schenkung behandelt wissen wolle (§ 517 Var. 3 BGB) und die Ausschlagung generell nicht der Anfechtung nach InsO und AnfG unterwerfe, also selber nicht so recht Ernst mache mit seinem Ausgangspunkt. Die Rede von der konstruktiv-formalen Natur des Prinzips mag angehen, so lange man nicht die oben dargestellten durchaus auch materialen Vorzüge desselben verkennt. Gewiss muss auch das System des Vonselbsterwerbs wegen der Möglichkeit der Ausschlagung mit einem Schwebezustand leben. Es garantiert aber doch infolge der vom BGB gewählten Kürze der Ausschlagungsfrist eine rasche Entscheidung über die personale Zuordnung der Erbschaft, während in einem System des Antrittserwerbs der Schwebezustand grundsätzlich unbegrenzt dauern kann – eine weitere Bekräftigung der durchaus auch materialen Vorzüge des BGB-Modells. Hinzu kommt übrigens, dass der Gesetzgeber die Rückwirkung der Ausschlagung ihrerseits nicht kompromisslos durchgeführt hat, was sich etwa daran zeigt, dass er das Verhältnis zwischen vorläufigem und endgültigem Erben nicht primär bereicherungs- oder deliktsrechtlich oder nach den Regeln des Erbschaftsbesitzes, sondern nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag ausgestaltet hat und den vom vorläufigen Erben vorgenommenen Rechtsgeschäften in gewissem Umfang ihre Wirksamkeit belässt (§ 1959 BGB), mithin das Faktum, dass der vorläufige Erbe eben bis zur Ausschlagung Rechtsträger des Nachlasses war, in der Art eines Rechtsfolgenkompromisses durchaus in Betracht zieht.

1 So schon Mot. V, S. 485, 487; Prot. V, S. 633 f., 662. Ebenso Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 11; MüKo.BGB/ Leipold, § 1942 Rz. 3.

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§ 22 Rz. 22.4c

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

22.4c Man wird fragen, wo in einem so geordneten System die in der Titelüberschrift angekündigte „Annahme“ der Erbschaft bleibt. Auch nach dem BGB kann der Erbe die Erbschaft (ausdrücklich, konkludent oder durch das Verstreichenlassen der für die Ausschlagung vorgeschriebenen Frist, § 1943 BGB a.E., jedenfalls formlos) annehmen. Aber diese Annahme macht ihn, wie gezeigt, nicht erst zum Erben, sie beseitigt lediglich die Möglichkeit der Ausschlagung (§ 1943 BGB), hat also keine eigenständigen Rechtsfolgen, sondern wirkt nur auf das Ausschlagungsrecht ein. Sie ist mithin nur ein Teilproblem im Rahmen der Ausschlagung1.

22.5 Die Ausschlagung ist eines der wenigen erbrechtlichen Gestaltungsmittel. Sie unterscheidet sich in Voraussetzungen und Wirkungen erheblich von einem anderen erbrechtlichen Gestaltungsmittel, der Anfechtung (§§ 2078, 2079 BGB). Anders als diese steht sie dem Erben (in Bezug auf seine Erbenstellung) zu; ist sie nicht nur bei Verfügungen von Todes wegen, sondern auch bei gesetzlicher Erbfolge möglich; führt sie bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen und einer Mehrheit von Erben nur zu einer relativen, auf die Person des Ausschlagenden beschränkten Wirkung, während die Anfechtung auch nur eines Miterben die (fehlerhafte) Verfügung insgesamt beseitigt2; greift sie auch ein bei vollkommen irrtumsfreier Verfügung von Todes wegen. Der Erbe kann zudem mittels der Ausschlagung nicht nur die Erbfolge nach dem Erblasser beeinflussen, sondern die Ausschlagung auch im Hinblick auf seine eigene Erbfolge gezielt einsetzen (vgl. Rz. 22.8).

22.6 Auch in der Beratung des Erblassers bezüglich der Gestaltung seiner Verfügung von Todes wegen ist die Möglichkeit, dass das vom Erblasser gewünschte Ergebnis von seinen Erben mittels der Ausschlagung vereitelt oder jedenfalls beeinflusst werden kann, von vornherein zu berücksichtigen. Die Auswirkungen einer eventuellen Ausschlagung sollten daher genau durchdacht werden, um gegebenenfalls durch bestimmte Anordnungen in der Verfügung von Todes wegen Vorsorge für eine spätere Ausschlagung treffen zu können. Zu denken ist dabei namentlich an eine ausdrückliche Ersatzerbenbenennung oder an Strafklauseln für den Fall der Ausschlagung3.

22.6a Bei der Beratung von Erblassern und Erben in Bezug auf die Ausschlagung kann es leicht zu haftungsbegründenden Beratungsfehlern kommen. Das liegt zum einen an der Kompliziertheit der Materie als solcher, zum anderen (und vielleicht noch mehr) an dem Umstand, dass eine umfassende und korrekte Beratung nicht selten das Eingehen auf Themen verlangt, die der erbrechtlich nicht Versierte mit allem anderen, nur nicht mit Annahme und Ausschlagung der Erbschaft in Verbindung bringt. Das Letztere wiederum hängt damit zusammen, dass man an die Ausschlagung nur bei Überschuldung oder Wertlosigkeit des Nachlasses zu denken pflegt. Beispiel: (LG Köln v. 14.3.1980 – 17 O 129/79, NJW 1981, 351.) Die Kläger (eine Rechtsanwaltssozietät) machen gegen den Beklagten 61.000 Euro Honorar aus Beratung in einer Erbschaftsangelegenheit geltend. Der Beklagte – im Zeitpunkt der Beratung schon vorgerückten Alters, so dass rein statistisch innerhalb weniger Jahre mit seinem Ableben gerechnet werden konnte – war Miterbe zu 1/2 geworden. Der Nachlass belief sich auf 20 Millionen Euro. Der Beklagte ist der Ansicht, die Kläger hätten ihn über die Möglichkeit der Erbschaftsausschlagung zugunsten seiner Kinder beraten müssen. Durch eine Ausschlagung habe das nochmalige Anfallen von Erbschaftsteuer vermieden werden können. Der Schaden betrage mehr als 500.000 Euro. Mit einem entsprechenden Ersatzanspruch (sei es einem eigenen, sei es einem ihm von den Kindern abgetretenen) rechne er auf.

1 Ähnlich Mot. V, S. 495. 2 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, MDR 1985, 827 = FamRZ 1985, 806 (808) = NJW 1985, 2025 (2026); a.A. MüKo.BGB/Leipold, § 2080 Rz. 11 ff. 3 Muscheler, Erbrecht Band I, Rz. 1098 ff., Erbrecht Band II, Rz. 3011 ff.; zur postmortalen Nachfolgegestaltung unter besonderer Berücksichtigung steuerrechtlicher Fragen Schothöfer, DStR 2016, 2295; zum nicht immer in Frage kommenden Ausschlagungsverpflichtungsvertrag s. Rz. 22.130 ff.

1000

Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.7 § 22

Das LG Köln hat in diesem Fall zu Recht Verletzung einer Beratungspflicht angenommen. Die Kläger habe eine umfassende Beratungspflicht auch in Bezug auf die Ausschlagungsmöglichkeit getroffen. Sie könnten sich auch nicht damit verteidigen, dass sie keine Steuerberater seien und deshalb über steuerrechtliche Fragen nicht zu beraten bräuchten. Das gelte im vorliegenden Fall insbesondere deshalb, weil der Fall steuerlich einfach gelagert gewesen sei. Letztendlich lehnte das LG Köln allerdings einen Schadensersatzanspruch mit der Begründung ab, dass der Schaden nicht beim Erben (dem Mandanten), sondern erst bei dessen Erben eingetreten sei, und diese hätten – da es an einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter fehle – keine Ansprüche gegen die Anwälte1. Die Ablehnung eines Ersatzanspruchs erscheint mehr als zweifelhaft. Sie würde heute kaum vor dem BGH Bestand haben2. Auch der Notar darf an die Ausschlagung nicht nur bei Überschuldung oder Wertlosigkeit des Nachlasses denken. Beurkundet er etwa eine Erbteilsübertragung, obwohl zur Erreichung der angestrebten Rechtsfolge auch eine Ausschlagung in Frage kommt, bei der auf Seiten des Ausschlagenden keine Erbschaftsteuer anfällt, so verletzt er seine Amtspflicht zur Belehrung über die Tragweite des Geschäfts und macht sich schadensersatzpflichtig3 (vgl. dazu auch Rz. 22.10).

22.6b

Ordnungsgemäße Belehrung des Erben bedeutet nicht nur Aufklärung über die Möglichkeit einer Ausschlagung als solcher, deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen, sondern auch Darlegung der Rechtslage, die bis zur Entscheidung über Annahme und Ausschlagung besteht. Da der Nachlass zwar „mit dem Erbfall“ auf die Erben übergeht, dieser Vermögensübergang aber wegen der Möglichkeit einer (rückwirkenden) Ausschlagung einer „Einschränkung“4 unterliegt, handelt es sich bis zur Ausschlagung noch nicht um einen endgültigen, sondern nur um einen vorläufigen Erwerb5. Der lediglich unvollkommene Erwerb der Erbschaft äußert sich in den Wirkungen, die das noch ausübbare Ausschlagungsrecht erzeugt.

22.6c

Wirkungen des noch nicht ausgeübten, aber noch ausübbaren Ausschlagungsrechts:

22.7

– Die Nachlassgläubiger können gegen den Erben nicht gerichtlich vorgehen (§ 1958 BGB). Die Schutzwirkung des § 1958 BGB erstreckt sich (nur) auf Passivprozesse, gleichgültig, ob es sich um Klagen oder vorläufige Anordnungen handelt6. Die Wirkung des § 1958 BGB kommt nur dem Erben, nicht aber auch einem Nachlasspfleger oder Testamentsvollstrecker zugute (§§ 1960 Abs. 3, 2213 Abs. 2 BGB). Eine Aufrechnung seitens des Nachlassgläubigers wird durch § 1958 BGB nicht verhindert, auch wenn sie im Rahmen eines vom vorläufigen Erben geführten Aktivprozesses erklärt wird7. – Bis zur Annahme kann der Erbe nicht in Schuldnerverzug geraten (§ 1958 BGB analog)8. Ein schon vor dem Erbfall eingetretener Verzug bleibt aber weiter bestehen.

1 LG Köln v. 14.3.1980 – 17 O 129/79, NJW 1981, 351f; über die erbrechtliche Beratungspraxis und die Ausschlagung als Gestaltungsmittel Muscheler, Erbrecht Band I, Rz. 1098 ff. 2 Vgl. BGH v. 13.7.1994 – IV ZR 294/93, FamRZ 1995, 1339 = NJW 1995, 51. 3 LG Neuruppin v. 29.11.1999 – 1a O 501/99, NotBZ 2000, 67. 4 RG v. 17.4.1903 – VII. 16/03, RGZ 54, 289 (291). 5 RG v. 17.4.1903 – VII. 16/03, RGZ 54, 289 (292); Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 10; RGRK/Johannsen, Vor § 1942 Rz. 2. 6 RG v. 24.2.1905 – VII. 628/04, RGZ 60, 179 (181). Aufgrund der kurzen Ausschlagungsfrist spielt § 1958 BGB weniger in Hauptsacheverfahren, sondern eher in vorläufigen Verfahren eine Rolle, Soergel/Stein, § 1958 Rz. 2. 7 MüKo.BGB/Leipold, § 1958 Rz. 6; Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb, S. 35. In der Führung eines Aktivprozesses kann aber u.U. schon eine Annahme der Erbschaft liegen, so auch Palandt/ Weidlich, § 1943 Rz. 2. 8 RG v. 3.4.1912 – III. 259/11, RGZ 79, 201 (203); die Begründung des RG – der Erbe sei während der Ausschlagungsfrist nicht Schuldner – trifft nicht zu; MüKo.BGB/Leipold, § 1958 Rz. 18.

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§ 22 Rz. 22.8

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

– Den Nachlassgläubigern ist die Vollstreckung in das Eigenvermögen des Erben gem. § 778 Abs. 1 ZPO, den Eigengläubigern des Erben die Vollstreckung in den Nachlass gem. § 778 Abs. 2 ZPO verwehrt. Die Vollstreckung der Nachlassgläubiger in den Nachlass bleibt davon unberührt1. – Gem. § 239 Abs. 5 ZPO braucht der vorläufige Erbe schon begonnene Prozesse nicht fortzusetzen. – Gem. § 211 BGB kommt es zu einer Ablaufhemmung der Verjährung einer Forderung oder einer Verbindlichkeit bis zu sechs Monaten nach Annahme der Erbschaft2. – Gem. § 1995 Abs. 2 BGB beginnt die Inventarfrist erst mit der Annahme der Erbschaft.

II. Motive für eine Ausschlagung 1. Persönliche Motive

22.8 Die Palette der persönlichen Motive, die einen Erben zur Ausschlagung veranlassen können, ist breit gefächert. Hier lässt sich an Abneigung gegen den Erblasser ebenso denken wie an Zuneigung einer dritten Person gegenüber. Der Erbe kann die Ausschlagung als Gestaltungsmittel einsetzen, um einem Dritten seine Stellung zukommen zu lassen. Ein solches Vorhaben wird aber nur gelingen, wenn der Erbe bzw. sein Rechtsberater die sich bei Ausschlagung gem. § 1953 Abs. 1, 2 BGB ergebende Erbfolge zuvor genau überprüft hat, da eine Ausschlagung zugunsten einer anderen Person, abweichend von der vorgegebenen Erbfolge, nicht möglich ist3 (dazu Rz. 22.77 ff.).

22.9 Zwar wäre es möglich, den Nachlass nach Annahme als Ganzes im Wege der Schenkung auf eine andere Person zu übertragen, doch ist dies wertungsmäßig nicht mit dem „Erbesein“ vergleichbar und darüber hinaus auch aus steuerlichen Gründen unvorteilhaft, da es so zu zwei steuerpflichtigen Vorgängen käme (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 ErbStG). In einer Ausschlagung zugunsten einer Person, die nicht zum Kreis der sich gem. § 1953 Abs. 2 BGB ergebenden Anfallberechtigten gehört, kann gegebenenfalls eine Annahme unter einem gleichzeitigen Angebot zum Abschluss eines Vertrags an die begünstigte Person gesehen werden4, der die Veräußerung der Erbschaft zum Gegenstand hat (§§ 2371, 2033, 2385 BGB).

22.10 Eine Annahme mit nachfolgender Schenkung kommt insbesondere in solchen Fällen in Betracht, in denen die Weiterleitung der Erbschaft mittels Ausschlagung wegen Unwirksamkeit der Ausschlagung nicht erreicht werden konnte. Wird auf diese Weise vom Erben nur das Ergebnis herbeigeführt, das die unwirksame Ausschlagung erzeugen sollte, so ist steuerrechtlich von einer Ausschlagung und einem dadurch verursachten Anfall der Erbschaft bei der beschenkten Person auszugehen5. Die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ist gem. § 41 Abs. 1 S. 1 AO für dessen steuerliche Beurteilung nicht von Belang, so dass die steuerliche von der erbrechtlichen Betrachtung abweichen kann6. Entscheidend für die steuerrechtliche Betrachtung ist allein, ob die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts eintreten und bestehen lassen, § 41 Abs. 1 S. 1 a.E. AO. Dabei gilt § 41 Abs. 1 AO auch, wenn sich die steuerrechtliche Beurteilung zum Vorteil der Beteiligten auswirkt7. Zum Zeitpunkt der Abgabe der unwirksamen Ausschlagungserklärung muss dem Ausschlagenden aber das Ausschlagungs1 Vgl. dazu Zöller/Geimer, § 778 ZPO Rz. 5 f. 2 Im Falle mehrerer Erben und einer vom Gläubiger erhobenen Gesamtschuldklage (§ 2058 BGB) ist auf die Annahme der Erbschaft durch den jeweils in Anspruch genommenen Miterben abzustellen, mit der die Ablaufhemmung des § 211 S. 1 Alt. 1 BGB beginnt, BGH v. 4.7.2014 – IV ZR 348/13. 3 Troll, BB 1988, 2153 (2154); Palandt/Weidlich, § 1947 Rz. 2; Ivo, ZNotP 2004, 396; zur Anfechtung der Ausschlagungserklärung in dieser Konstellation Rz. 22.101 f. 4 KG v. 12.12.1907 – 1. Z. 1438/07, KGJ 35, A 63 (A 64); Palandt/Weidlich, § 1947 Rz. 2; Staudinger/Otte [2000], § 1947 Rz. 8; nach Staudinger/Otte [2008], § 1947 Rz. 8 setzt dies eine klar erkennbare, vertragliche und notariell beurkundete Verpflichtung voraus. 5 Troll, BB 1988, 2153 (2154); Kapp, BB 1980, 117 (119). 6 Troll, BB 1988, 2153 (2154); Klein/Ratschow, § 41 AO Rz. 6 ff. 7 Troll, BB 1988, 2153 (2154).

1002

Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.13 § 22

recht noch zugestanden haben; andernfalls ist das Vermögen kraft zwingenden Rechts dem Erben angefallen und unterliegt der Erbschaftsteuer1. Außerdem findet § 41 Abs. 1 AO keine Anwendung, wenn ein wirksames, aber unerwünschtes Geschäft vorliegt: Haben die Parteien in Unkenntnis der Ausschlagungsmöglichkeit z.B. eine Erbteilsübertragung vorgenommen, so fehlt es für die Anwendung des § 41 AO an einem unwirksamen Geschäft. Es liegt lediglich – gegebenenfalls – ein Fall der Notarhaftung vor2. Als weiteres persönliches Motiv ist denkbar, dass ein Erbe es vorzieht, die Stellung eines gesetzlichen Erben zu erlangen, anstatt testamentarisch berufen zu sein3.

22.10a

2. Finanzielle Motive a) Überschuldung Der praktisch bedeutsamste Grund, eine Erbschaft auszuschlagen, dürfte in der Überschuldung des 22.11 Nachlasses und der sich daraus ergebenden Angst des Erben liegen, mit seinem Eigenvermögen haften zu müssen. Bei dieser Fallgestaltung sollte ein beratender Anwalt jedoch nicht vorschnell und leichtfertig auf die Ausschlagung als einzig taugliches Mittel dafür verweisen, das Eigenvermögen des Erben vor dem Zugriff der Nachlassgläubiger zu schützen. Gerade wenn eine Bewertung des Nachlasses Probleme bereitet und eine Überschuldung des Nachlasses nur als möglich, aber noch nicht als sicher erscheint, muss auch die Möglichkeit der Nachlassverwaltung (§§ 1975 ff. BGB) in Betracht gezogen werden4. Die Überschuldung des Nachlasses kann sich auch nach sorgfältiger, im Ergebnis zunächst negativer 22.12 Prüfung der Vermögensverhältnisse unerwartet ergeben. Zu dieser Situation kommt es insbesondere dann nicht selten, wenn die Banken die Vermögensverhältnisse des Erblassers aufdecken und gem. ihrer sich aus § 33 Abs. 1 S. 1 ErbStG ergebenden Verpflichtung die Finanzbehörden informieren und diese nun noch auf die Lebenszeit des Erblassers bezogene Steuernachzahlungen fordern. Ist hier nicht endgültig absehbar, ob die Passiven die Aktiven übersteigen, besteht also auch nur entfernt die Möglichkeit, dass nach Bereinigung der Passiven noch Vermögen vorhanden sein könnte, so würde der Rat des Anwalts, die Erbschaft auszuschlagen, zu dessen Haftung führen, soweit dem Erben durch die Ausschlagung tatsächlich Vermögen entgangen ist. Auch muss die Frage bedacht werden, ob die Nachlassgläubiger ihre Ansprüche tatsächlich durchsetzen werden. Dies gilt namentlich für kurz vor der Verjährung stehende Nachlassverbindlichkeiten. Beispiel: Tritt nach Ausschlagung der Erbschaft Verjährung einer Nachlassverbindlichkeit ein, so kommt eine Anfechtung der Ausschlagung nicht in Betracht. Nahm der Erbe an, dass der Gläubiger die Forderung vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend machen würde, so ist darin nur ein unbeachtlicher Motivirrtum über das künftige Verhalten des Gläubigers zu sehen.5

1 Kapp, BB 1980, 117 (119). 2 LG Neuruppin v. 29.11.1999 – 1a O 501/99, NotBZ 2000, 67. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1948 Rz. 2, der aber richtig darauf hinweist, dass dieses Interesse des Bedachten hinter den (auch hypothetischen) Willen des Erblassers zurücktritt. 4 Hillebrand, S. 14. 5 Beispiel nach LG Berlin v. 6.5.1975 – 83 T 181/75, NJW 1975, 2104. Auch eine Fehlbewertung bekannter Aktiven oder Passiven berechtigt nicht zur Anfechtung, Palandt/Weidlich, § 1954 Rz. 6; ein unbeachtlicher Motivirrtum liegt auch dann vor, wenn die Ausschlagung erklärt worden ist wegen drohender Überschuldung aufgrund von Informationen, die in der Zukunft liegen bzw. relevant werden könnten und damit ungenau sind, OLG Düsseldorf v. 20.7.2004 – I-3 Wx 193/04, ZEV 2005, 255; OLG Düsseldorf v. 31.1.2011 – 3 Wx 21/11, FamRZ 2011, 1171.

Muscheler 1003

22.13

§ 22 Rz. 22.14

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

b) Steuerliche Aspekte

22.14 Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob es sich aus steuerlichen Gesichtspunkten lohnt, eine Erbschaft nach seiner Mutter zugunsten seiner Kinder auszuschlagen, da diese ohnehin seine Erben seien.1

Die Wirksamkeit einer Ausschlagung hängt nicht von den ethischen Qualitäten der ihr zugrunde liegenden Motive ab. Erfolgt die Ausschlagung z.B. nur, um Steuern zu sparen, ist die Ausschlagung in keiner Weise ein Scheingeschäft oder ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, sondern – auch aus steuerrechtlicher Sicht – voll wirksam2. Die Ausschlagung erfüllt ihrerseits keinen Tatbestand des ErbStG, insbesondere liegt in ihr keine Schenkung des Erstberufenen an den Nächstberufenen (§ 517 BGB). Besteuert wird nur der Anfall der Erbschaft beim Nächstberufenen, da nur dieser das Vermögen unmittelbar vom Erblasser erhält (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

22.15 Bei der Überprüfung der Möglichkeiten, die eine Ausschlagung eröffnet, sind verschiedene Aspekte in Betracht zu ziehen. Eine vorteilhafte steuerliche Gestaltung kann durch Ausschlagung dann erreicht werden, wenn der Nächstberufene einer günstigeren Besteuerung unterliegt als der Ausschlagende. Dies mag seine Ursache in einem höheren Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 ErbStG, einer günstigeren Steuerklasse gem. § 15 Abs. 1 ErbStG oder in einer niedrigeren Steuerprogression gem. § 19 Abs. 1 ErbStG (das Vermögen wird durch Ausschlagung etwa auf mehrere Personen aufgeteilt) haben. Zudem kann es bei Aufteilung auf mehrere Ersatzerben zu einer Senkung der Steuerbelastung durch die dann mögliche mehrfache Ausnutzung der Freibeträge des § 16 ErbStG kommen. Durch Ausschlagung wird eine Generation „übersprungen“; auf diese Weise fällt ein erbschaftsteuerrelevanter Vermögensübergang vollständig weg. Durch Ausschlagung gegen Abfindung kann auch der für die Steuerberechnung entscheidende Stichtag des § 11 ErbStG verändert werden; die Steuer auf die Abfindung entsteht erst zum Zeitpunkt der Vereinbarung derselben3.

22.16 Stand dem Erblasser seinerseits ein noch ausschlagbares Erbe zu und sind seine Erben gleichzeitig die Ersatzerben nach dem Erstverstorbenen, so kann mittels Ausschlagung der Erbschaft, die der Nachverstorbene nach dem Vorverstorbenen erlangt hat (§ 1952 BGB), eine steuerlich vorteilhafte Lage herbeigeführt werden. Beispiel: (Beispiel nach FG Düsseldorf v. 16.10.1964 – III 8/63 Erb, EFG 1965, 183.) Die Eltern verstarben innerhalb von zwei Tagen nacheinander. Sie hatten sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder als Schlusserben eingesetzt. Die Kinder schlugen als Erben des Nachverstorbenen die Erbschaft nach dem Erstverstorbenen gem. § 1952 BGB aus. Nach der Ausschlagung waren sie nicht mehr nur an einem Erbfall, sondern an zwei getrennt zu bewertenden Erbfällen beteiligt, da sie nicht Schlusserben des gesamten Nachlasses, sondern Erben nach jedem Elternteil wurden. Dies bewirkte, dass jedes Kind hinsichtlich jedes Erbfalls den Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (heute je 400.000 Euro) in Anspruch nehmen konnte. Da es infolge der Ausschlagung nicht zur Bildung eines Gesamtnachlasses kam, war auch der maßgebliche Steuersatz (§ 19 Abs. 1 ErbStG) hinsichtlich des die Freibeträge übersteigenden Vermögens – je nach Höhe des Elternvermögens – günstiger.

22.17 Die tatsächlichen Möglichkeiten, die eine Ausschlagung bietet, um gezielt auf die erbschaftsteuerliche Belastung einzuwirken, zeigen sich sehr deutlich an den folgenden einfachen Beispielen. Andererseits demonstriert gerade Beispiel 2, dass man sich vor der Illusion hüten muss, durch eine Ausschlagung in jedem Fall Steuern sparen zu können.

1 Zum Umgang mit Nachlassbestandteilen, die der Erblasser an der Steuer vorbei in das Ausland transferiert hat, Schaub, ZEV 2011, 501 und ZEV 2011, 624. 2 FG Düsseldorf v. 16.10.1964 – III 8/63 Erb, EFG 1965, 183. 3 Zu Gestaltungsmöglichkeiten vgl. Daragan, ZErb 2003, 28.

1004

Muscheler

Rz. 22.18b § 22

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Beispiel 1: Der Erblasser hinterlässt seinem einzigen Sohn, der seinerseits zwei Kinder (Enkel) hat, Vermögen im Steuerwert von 2,5 Mio. Euro. Die beiden Enkel sind gegenwärtig die einzigen gesetzlichen Erben nach ihrem Vater. Der Sohn hat kein sonstiges Vermögen.

22.18

Nimmt der Sohn die Erbschaft an, gestaltet sich die Situation wie folgt: Sohn (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 2,5 Mio. Euro R Steuerlast 19 % von 2.100.000 Euro = 399.000 Euro R Verbleib pro Enkel nach Tod ihres Vaters oder lebzeitiger Schenkung durch den Vater (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 1.050.500 Euro R Steuerlast 19 % von 650.500 Euro = 123.595 Euro R Verbleib Ergebnis für beide Enkel zusammen: Endvermögen Gesamtsteuerbelastung

=

2.101.000 Euro

=

926.905 Euro

= =

1.853.810 Euro 646.190 Euro

Schlägt der Sohn die Erbschaft nach dem Erblasser aus, gestaltet sich die Situation wie folgt: pro Enkel (Stkl. I, 200.000 Euro Freibetrag): 1,25 Mio. Euro R Steuerlast 19 % von 1.050.000 Euro = 199.500 Euro R Verbleib Ergebnis für beide Enkel zusammen: Endvermögen Steuerbelastung Endergebnis: Steuerersparnis infolge der Ausschlagung

=

1.050.500 Euro

= =

2.101.000 Euro 399.000 Euro

=

247.190 Euro

22.18a

Beispiel 2: Wie Beispiel 1, jedoch beträgt der Wert des Nachlasses nur 450.000 Euro. Nimmt der Sohn die Erbschaft an, gestaltet sich die Situation wie folgt: Sohn (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 450.000 Euro R Steuerlast 7 % von 50.000 Euro = 3.500 Euro R Verbleib pro Enkel nach Tod ihres Vaters oder bei lebzeitiger Schenkung durch den Vater (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 223.250 Euro R Verbleib Ergebnis für beide Enkel zusammen: Endvermögen Steuerbelastung

=

446.500 Euro

=

223.250 Euro

= =

446.500 Euro 3.500 Euro

Schlägt der Sohn die Erbschaft nach dem Erblasser aus, gestaltet sich die Situation wie folgt: pro Enkel (Stkl. I, 200.000 Euro Freibetrag): 225.000 Euro R Steuerlast 7 % von 25.000 Euro = 1.750 Euro R Verbleib Ergebnis für beide Enkel zusammen: Endvermögen Steuerbelastung Endergebnis: Steuerersparnis infolge der Ausschlagung

=

223.250 Euro

= =

446.500 Euro 3.500 Euro

=

0 Euro

Beispiel 3: Der verwitwete Erblasser hat seinen einzigen Sohn und dessen Ehefrau je zur Hälfte als Erben eingesetzt. Der Wert des Nachlasses beträgt 1,25 Mio. Euro. Bei Realisierung der testamentarischen Anordnung gestaltet sich die Situation wie folgt: Sohn (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 625.000 Euro R Steuerlast 11 % von 225.000 Euro = 24.750 Euro R Verbleib Schwiegertochter (Stkl. II, 20.000 Euro Freibetrag): 625.000 Euro R Steuerlast 30 % von 605.000 Euro = 181.500 Euro, wegen § 19 III ErbStG nur 152.500 Euro R Verbleib Endvermögen Steuerbelastung

=

600.250 Euro

=

472.500 Euro

= =

1.072.750 Euro 176.750 Euro

Muscheler 1005

22.18b

§ 22 Rz. 22.19

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Schlägt die Schwiegertochter aus, gestaltet sich die Situation wie folgt: Sohn (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 1,25 Mio. Euro R Steuerlast 19 % von 850.000 Euro = 161.500 Euro R Verbleib Endvermögen Steuerbelastung Endergebnis: Steuerersparnis infolge der Ausschlagung

= = =

1.088.500 Euro 1.088.500 Euro 161.500 Euro

=

15.250 Euro

c) Zugewinngemeinschaft

22.19 Im Rahmen der Erbfolge bei im Güterstand der Zugewinngemeinschaft1 lebenden Ehegatten kann der überlebende Ehegatte die Ausschlagung einsetzen, um die Abwicklungsmethode zu bestimmen. Ist der überlebende Ehegatte gesetzlicher Erbe, so erhält er neben seinem Erbteil gem. § 1931 BGB ein weiteres Viertel als Ausgleich des Zugewinns gem. § 1371 Abs. 1 BGB, unabhängig davon, ob ein Zugewinn erzielt wurde. Zu dieser erbrechtlichen Lösung kommt es aber nur, wenn der überlebende Ehegatte Erbe wird. Schlägt er die Erbschaft aus, wird er also nicht Erbe (und ist ihm auch kein Vermächtnis zugewandt), so bestimmt sich die Abwicklung nach § 1371 Abs. 2, 3 BGB (güterrechtliche Lösung). Danach kann der überlebende Ehegatte den sog. kleinen Pflichtteil2, der die Hälfte des sich nach § 1931 BGB ergebenden Erbteils ausmacht3, und den Zugewinnausgleich verlangen. Der sog. große Pflichtteil steht ihm dagegen weder im Falle der Enterbung noch der Ausschlagung zu4 (zum Fall des Zusammentreffens von Erbeinsetzung und Vermächtnis vgl. Rz. 22.112).

22.20 Es stellt sich für den überlebenden Ehegatten die Frage, welche der beiden Lösungen für ihn günstiger ist. Allerdings ergeben sich Entscheidungsschwierigkeiten von vornherein nur dann, wenn Abkömmlinge gem. § 1924 BGB vorhanden sind. Existieren nämlich nur Erben zweiter Ordnung gem. § 1925 BGB oder Großeltern, so würde nach der erbrechtlichen Lösung die gesetzliche Erbportion des Ehegatten 1/2 gem. § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB zuzüglich 1/4 gem. § 1371 Abs. 1 BGB, mithin also 3/4 betragen5. Im Fall der güterrechtlichen Lösung erhielte der Ehegatte selbst im günstigsten Fall, in dem der überschießende Zugewinn den gesamten Nachlass ausmacht, weniger6. Sind nun aber Abkömmlinge vorhanden, so gilt es in der Beratungssituation das Wertverhältnis der beiden Möglichkeiten herauszufinden. Die güterrechtliche Lösung wird dann interessant, wenn die Höhe des Zugewinnausgleichsanspruchs 3/7 des Nachlasswertes übersteigt7. Die besondere Schwierigkeit in den genannten zweifelhaften Fällen liegt darin, dass nicht nur eine genaue Bewertung des Nachlasses, sondern auch die Bestimmung der Höhe des Zugewinnausgleichsanspruchs vorgenommen werden muss, und zwar innerhalb der Ausschlagungsfrist. Bei diesen Berechnungen ist zudem § 5 Abs. 1 ErbStG zu beachten. Ferner gilt es zu bedenken, dass der überlebende Ehegatte im Rahmen der güterrechtlichen Lösung von

1 Seit dem 1.5.2013 ist das deutsch-französische Abkommen über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft in Kraft, das zunächst für 10 Jahre gilt – zu den erbrechtlichen Auswirkungen des neuen Güterstandes, auch vor dem Hintergrund der EuErbVO Jünemann, ZEV 2013, 353 (358 ff.) – zur notariellen Praxis Hoischen, RNotZ 2015, 317. 2 § 1371 Abs. 3 BGB stellt eine Ausnahmeregel dar, da eine Ausschlagung regelmäßig zum Verlust des Pflichtteilsanspruchs führt, MüKo.BGB/Koch, § 1371 Rz. 50. 3 Palandt/Brudermüller, § 1371 Rz. 16. 4 BGH v. 25.6.1964 – III ZR 90/63, BGHZ 42, 182; Leipold, Rz. 171, 175. 5 Palandt/Weidlich, § 1931 Rz. 5. 6 In diesem Fall bekäme der Ehegatte maximal 1/2 als Zugewinnausgleich und daneben 1/4 vom verbleibenden Nachlass, insgesamt also 1/4 des Nachlasses. Im Vergleich der beiden Lösungen erhält der Ehegatte nach der erbrechtlichen Lösung mithin 5/8 mehr. 7 Leipold, Rz. 176. Der Anteil des überschießenden Zugewinns muss demnach mehr als 6/7 bzw. 85,71 % des Nachlasses des Erstverstorbenen ausmachen.

1006

Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.22a § 22

möglichen Ansprüchen gem. § 1371 Abs. 4 BGB befreit wird, aber auch den Anspruch auf den Voraus gem. § 1932 BGB verliert. Bei der erbrechtlichen Lösung gem. § 1371 Abs. 1 BGB steht dem Ehegatten neben dem Freibetrag von 500.000 Euro gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ein zusätzlicher Freibetrag gem. § 5 Abs. 1 S. 1 ErbStG zu1. Danach bleibt der Betrag außer Acht, also steuerfrei, den der überlebende Ehegatte bei der güterrechtlichen Abwicklung gem. § 1371 Abs. 2 BGB als Zugewinnausgleich beanspruchen könnte. Gem. § 5 Abs. 1 S. 5 ErbStG ist der Steuerwert des Endvermögens, nicht aber sein Verkehrswert maßgeblich2. Zur Berechnung des steuerlich abzugsfähigen Teils des (fiktiven) Ausgleichsanspruchs kann man folgende Formel verwenden3: Z1B&1aZ =  d=1hBHH d[=E1B*@[ H[OZd*@ 

22.21

H-g1ZFK=1H[[a1d1Zh1Za / H-g1ZFK=1H[g1ZD1@Z[h1Za /

Bei der güterrechtlichen Lösung gem. § 1371 Abs. 2 BGB entfällt eine Steuerpflicht hinsichtlich der Ausgleichsforderung, da diese weder Erwerb von Todes wegen noch Schenkung ist (§ 5 Abs. 2 ErbStG). Aufgrund der Steuerfreiheit (Beachte: Die für den Freibetrag nach § 5 Abs. 1 S. 2 ErbStG geltenden Einschränkungen greifen hier nicht ein, so dass etwa auch ehevertragliche Regelungen die Höhe des Ausgleichsanspruchs beeinflussen können!) ist bei einem großen Zugewinn stets an eine Ausschlagung zu denken, um mit ihrer Hilfe die güterrechtliche Lösung herbeizuführen4. Macht der Ehegatte daneben auch den (kleinen) Pflichtteil geltend, so stellt dies einen gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb dar, bei dem jedoch der Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG abzuziehen ist.

22.22

Beispiel 1: Der Ehemann hinterlässt ein Vermögen mit einem Verkehrswert von 3 Mio. Euro. Darin sind Grundstücke mit einem Steuerwert von 650.000 Euro und einem Verkehrswert von 1 Mio. Euro enthalten. Während der Ehe hat der Mann einen Zugewinn in Höhe von 1,6 Mio. Euro erwirtschaftet. Seine Ehefrau hat keinen Zugewinn erlangt. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Es gilt gesetzliche Erbfolge.

22.22a

Bei der erbrechtlichen Lösung gestaltet sich die Situation wie folgt: Ehefrau (Stkl. I, Freibetrag nach Berechnung): .lll dZK Z1B&1aZ =+ ;ll.lll dZK T 4ll. lll dZK G cb.._;l lll.lll dZK

=

1.206.667 Euro

Steuerwert Erwerb: 1.325.000 Euro R Steuerlast 11 % von 118.300 Euro (Abrundung nach § 10 Abs. 1 S. 6 ErbStG) = 13.013 Euro R Verbleib Verkehrswert Steuerlast: Ergebnis (Verkehrswert):

= = =

1.486.987 Euro 13.013 Euro 1.486.987 Euro

=

800.000 Euro

= = =

275.000 Euro 0 Euro 1.075.000 Euro

Bei der güterrechtlichen Lösung gestaltet sich die Situation wie folgt: Zugewinn: 1/2 × 1,6 Mio. Euro (steuerfrei) R Verbleib Pflichtteil (1/8 der Erbschaft nach Abzug der Verbindlichkeiten, Stkl. I, 500.000 Euro Freibetrag): 275.000 Euro R Verbleib Steuerlast: Ergebnis:

1 Troll, BB 1988, 2153 (2156); Kapp/Ebeling/Geck, § 5 ErbStG Rz. 46 ff. 2 ErbSt-Erlass 1976, BStBl. I 1976, 145; Kapp/Ebeling/Geck, § 5 ErbStG Rz. 47 ff. 3 Auch der BFH v. 10.3.1993 – II R 87/91, BStBl. II 1993, 510 = FamRZ 1993, 1433, wendet diese Berechnungsmethode an, krit. aber zu Recht Kapp/Ebeling/Geck, § 5 ErbStG Rz. 48 sowie Meincke/Hannes/ Holtz, § 5 ErbStG Rz. 33 ff. m.w.N. Vgl. auch Erbschaftsteuerrichtlinien 2011, E 5.1 Abs. 5 S. 1. 4 Lange/Kuchinke, § 52 II 6 (S. 1316).

Muscheler 1007

§ 22 Rz. 22.22b

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

22.22b Beispiel 2: Wie Beispiel 1, jedoch beträgt der Zugewinn des Erblassers 2,75 Mio. Euro. Bei der erbrechtlichen Lösung gestaltet sich die Situation wie folgt: Ehefrau (Stkl. I, Freibetrag nach Berechnung): .lll dZK Z1B&1aZ =+ ;ll.lll dZK T 4ll.lll dZK G cb.._;l lll.lll dZK

=

1.714.583 Euro

Steuerwert Erwerb: 1.325.000 Euro R Verbleib Verkehrswert Steuerlast: Ergebnis (Verkehrswert):

= = =

1.500.000 Euro 0 Euro 1.500.000 Euro

=

1.375.000 Euro

= = =

203.125 Euro 0 Euro 1.578.125 Euro

Bei der güterrechtlichen Lösung gestaltet sich die Situation wie folgt: Zugewinn: 1/2 × 2,75 Mio. Euro (steuerfrei) R Verbleib Pflichtteil (1/8 der Erbschaft nach Abzug der Verbindlichkeiten, Stkl. I, 500.000 Euro Freibetrag): 203.125 Euro R Verbleib Steuerlast: Ergebnis:

22.23 Bei der güterrechtlichen Abwicklung muss unbedingt beachtet werden, dass in einem unentgeltlichen Verzicht des überlebenden Ehegatten auf die Geltendmachung der Ausgleichsforderung gegen die Kinder eine steuerpflichtige Schenkung liegt1. Verzichtet der Ehegatte jedoch gegen Zahlung einer Abfindung, so ist diese als Surrogat für den Zugewinnausgleichsanspruch steuerfrei2.

22.23a Zu beachten ist ferner, dass der überlebende Ehegatte, der in Zugewinngemeinschaft gelebt und zugunsten des gemeinsamen Kindes ausgeschlagen hat, einen Pflichtteilsanspruch (§ 1371 Abs. 3 BGB) erhält. Auch wenn der Anspruch nicht geltend gemacht wird, ist er im Vermögen vorhanden, was steuerrechtlich vorerst unerheblich ist3. Verstirbt nun auch der zunächst überlebende Ehegatte und wird alleine von dem gemeinsamen Kind beerbt, so erlischt zivilrechtlich der Pflichtteilsanspruch durch Konfusion; schließlich ist das Kind als Erbe des erstversterbenden Elternteils Gläubiger und als Erbe des Letztversterbenden Pflichtteilsschuldner. Trotzdem kommt es gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu einer Besteuerung des nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs4. § 3 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. ErbStG, wonach nur ein geltend gemachter Pflichtteilsanspruch der Besteuerung unterliegt, gilt nicht bei derivativem Erwerb des Pflichtteilsanspruchs. Die Ratio der Vorschrift liegt im Schutz der Entschließungsfreiheit des Erben, der einen Pflichtteil nicht ausschlagen kann5 und folgt damit dem Grundsatz, dass sich niemand etwas aufdrängen lassen muss. Diese Gefahr besteht bei abgeleitetem Erwerb nicht.

22.24 Soweit die Ehegatten den Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch Ehevertrag erst im Verlauf der Ehe unter Aufhebung eines anderen, zuvor gewählten Güterstandes vereinbaren, ist § 5 Abs. 1 S. 4 ErbStG zu beachten6. In Abweichung von einer zivilrechtlich möglichen Rückwirkung dieser Vereinbarung auf den Zeitpunkt der Eheschließung7 gilt danach der neue Güterstand für die steuerliche Be1 Troll, BB 1988, 2153 (2156); vgl. früher die Ländererlasse v. 20.12.1974 und 10.3.1976, BStBl. I 1976, 145; BB 1976, 403; vgl. jetzt Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 E 5.2 Abs. 1 S. 2. 2 Meincke/Hannes/Holtz, § 5 ErbStG Rz. 48, unter Hinweis darauf, dass in einem die Ausgleichsforderung deutlich übersteigenden Betrag eine gemischte freigebige Zuwendung liegen könnte. 3 Vgl. Wachter, ZEV 2017, 285. 4 BFH v. 7.12.2016 – II R 21/14, BFHE 256, 381 (385 f.) = ZEV 2017, 283 (284 f.) m. Anm. Wachter = NZG 2017, 552 (553 f.) m. abl. Anm. Wälzholz. 5 BFH v. 7.12.2016 – II R 21/14, BFHE 256, 381 (385 f.) = ZEV 2017, 283 (284 f.) m. Anm. Wachter = NZG 2017, 552 (553 f.) m. abl. Anm. Wälzholz; Meincke/Hannes/Holtz, § 3 Rz. 59. 6 Die Vorschrift erfasst – obwohl sie erst seit dem 1.1.1994 gilt – auch solche Fälle, in denen die Änderung des Güterstandes schon vor diesem Zeitpunkt vereinbart wurde, da sie nicht auf den Vertragsschluss, sondern auf den Vermögenserwerb (bei Beendigung des Güterstandes) abstellt, vgl. Piltz, ZEV 1995, 330. 7 MüKo.BGB/Kanzleiter, § 1408 Rz. 15.

1008

Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.25b § 22

wertung erst ab dem Tag des Vertragsschlusses als eingetreten1. Nur der nach diesem Zeitpunkt erwirtschaftete Zugewinn kommt somit in den Genuss der erbschaftsteuerlichen Freistellung gem. § 5 Abs. 1 ErbStG. Allerdings lässt sich gem. § 5 Abs. 2 ErbStG auch im Fall einer erst später vereinbarten Zugewinngemeinschaft eine vollständige rückwirkende Steuerbefreiung erreichen, wenn die güterrechtliche Lösung gem. § 1371 Abs. 2 BGB gewählt wird. Dadurch kann die besonders für große Nachlässe interessante Steuerfreiheit für die auf die gesamte Ehezeit bezogene Zugewinnausgleichsforderung doch noch erreicht werden2. d) Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag: Rückgewinnung der Testierfreiheit Haben sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt, so kann der überlebende Ehegatte gem. § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten seine Testierfreiheit wiedererlangen. Ausschlagung ist also ein Mittel, um die Bindungswirkung zu überwinden. Im Gegensatz zum Erbvertrag kann bei einem gemeinschaftlichen Testament die Berechtigung zur Ausschlagung nicht ausgeschlossen werden3. Die Ausschlagung der testamentarischen Zuwendung ist aber dann nicht erfolgreich, wenn nur diese isoliert ausgeschlagen wird (vgl. dazu Rz. 22.76) und der gesetzliche Erbteil nicht erheblich hinter dem Zugewendeten zurückbleibt4. Soll die Ausschlagung zur Wiedererlangung der Testierfreiheit führen, muss auch aus dem Berufungsgrund der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlagen werden. Der drohende Vermögensverlust infolge der Ausschlagung soll den überlebenden Ehegatten anhalten, die gemeinsam getroffene Verfügung zu respektieren. Nur wenn allein schon die Ausschlagung des testamentarischen Erbteils dem Überlebenden einen erheblichen Nachteil zufügt, kann man davon ausgehen, dass der Vorverstorbene diese Möglichkeit in Betracht gezogen und akzeptiert hat5. Auf diese Weise wird dem Vertrauen des vorverstorbenen Ehegatten auf den Fortbestand der Bindungswirkung Rechnung getragen6 und eine Umgehung der Bindungswirkung durch den überlebenden Ehegatten ausgeschlossen.

22.25

Die Ausschlagung führt im Ergebnis nur dazu, dass der Erblasser die Testierfreiheit über sein eigenes 22.25a (nicht vom Vorverstorbenen stammendes) Vermögen zurückerhält. Dagegen kann er durch einen Erbverzicht gem. §§ 2346 ff. BGB mit dem Schlusserben erreichen, dass er die Verfügungsmöglichkeit über den Gesamtnachlass erlangt (vgl. dazu genauer Rz. 18.15). Ob die Schlusserben den Erstversterbenden nach der Ausschlagung als Ersatzerben beerben oder gesetzliche Erbfolge eintritt, ist im Einzelfall im Wege der Testamentsauslegung zu bestimmen7. Im Rahmen eines gegenseitigen Erbvertrags gem. § 2298 Abs. 1 BGB kann der Überlebende seine Testierfreiheit gem. § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB nach dem Tod des Vertragspartners wiedererlangen, wenn er das durch den Vertrag Zugewendete ausschlägt, vorausgesetzt, dass ein Rücktrittsvorbehalt gem. § 2293 vereinbart wurde8. Ob darüber hinaus auch das durch einseitige Verfügung Zugewendete ausgeschlagen werden muss, ist streitig. Die h.M. sieht dafür keine Notwendigkeit und argumentiert mit 1 Fischer/Pahlke/Wachter/Götz, § 5 ErbStG Rz. 46. 2 Fischer/Pahlke/Wachter/Götz, § 5 ErbStG Rz. 60; Meincke/Hannes/Holtz, § 5 ErbStG Rz. 31; Piltz, ZEV 1995, 330 (331). 3 J. Mayer in Reimann/Bengel/J. Mayer, B. § 2271 Rz. 47. Zum gemeinschaftlichen Testament im Lichte der EuErbVO Leipold, ZEV 2014, 139 ff. 4 KG v. 24.7.1990 – 1. ZS 1 W 949/89, MDR 1991, 155 = OLGZ 1991, 6 f.; a.A. Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1265). Aber auch von den Kritikern wird letztlich dasselbe Ergebnis auf anderem Wege erreicht. So wird z.T. der gesetzliche Erbteil auch als zugewandt – weil nicht durch Enterbung vorenthalten – eingestuft; andere nehmen eine bedingte Enterbung für den Fall der Ausschlagung der testamentarischen Zuwendung an; vgl. die umfassende Darstellung bei J. Mayer in Reimann/Bengel/J. Mayer, B. § 2271 Rz. 50 ff. 5 KG v. 24.7.1990 – 1. ZS 1 W 949/89, MDR 1991, 155 = OLGZ 1991, 6 (10); a.A. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 18. 6 KG v. 24.7.1990 – 1. ZS 1 W 949/89, MDR 1991, 155 = OLGZ 1991, 6 (10). 7 OLG Hamm v. 14.3.2014 – I-15 W 136/13, FamRZ 2014, 1664 = MDR 2014, 1033. 8 J. Mayer in Reimann/Bengel/J. Mayer, C. § 2298 Rz. 26; Erman/Kappler/Kappler, § 2298 Rz. 4.

Muscheler 1009

22.25b

§ 22 Rz. 22.26

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Normwortlaut und Systematik: Die Stellung der konkreten Regelung in § 2298 BGB zeige, dass mit der Formulierung durch den Vertrag nur vertragsmäßige Zuwendungen gemeint seien. Einseitige Zuwendungen seien eben nicht durch den Vertrag erfolgt und müssten daher nicht ausgeschlagen werden1. Dagegen wird überzeugend vorgebracht, dass die Zulässigkeit einer derart begrenzten Ausschlagung schon im Hinblick auf die §§ 1950, 1951 BGB bedenklich ist2. Soweit nämlich vertragsmäßige und einseitige Zuwendungen in einem Vertrag gemacht werden, liegt ein einheitlicher Berufungsgrund vor3. Darüber hinaus ist auch das Wortlautargument der h.M. zweifelhaft. In anderen Vorschriften hat der Gesetzgeber nämlich die Abgrenzung zu einseitigen Zuwendungen durch die Verwendung der Formulierung vertragsmäßige Zuwendung – vgl. hierzu nur die §§ 2291 Abs. 1, 2295, 2297 BGB – vorgenommen. Im Ergebnis müssen im Fall des § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB somit richtigerweise alle Zuwendungen ausgeschlagen werden4. e) Ausschlagung gegen Abfindung

22.26 Will der Erbe zugunsten einer anderen Person ausschlagen, wird er das oft nur oder gerade dann tun, wenn er von dem Anfallberechtigten einen finanziellen Ausgleich für den Verlust der Erbschaft erhält (zum zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft Rz. 22.130 ff.). Dabei ist aber zu beachten, dass gem. der Fiktion des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG die Abfindung als Erwerb vom Erblasser gilt und somit der Erbschaftsteuer unterfällt5. Wer die Abfindung zahlt, ist für die steuerliche Betrachtung unerheblich; die Steuerpflicht richtet sich immer nach dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Abgefundenen6. Zahlt allerdings derjenige, dem die Ausschlagung zugutekommt, so kann er seinerseits die Abfindung als Nachlassverbindlichkeit abziehen (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG)7. Ist die Abfindung höher als der Verkehrswert des Nachlasses, so ist die Abfindung bis zum Verkehrswert des Nachlasses nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG, also als Erwerb von Todes wegen, zu versteuern; für die Berechnung der Steuer ist jedoch der Steuerwert des Nachlasses maßgeblich. Der restliche Teil der Abfindung gilt als Schenkung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.

22.26a Ist der Nächstberufene zur Barabfindung nicht in der Lage oder müsste er erst den Nachlassgegenstand veräußern, um die notwendige Liquidität zu erlangen, kommt auch eine Abfindung durch Einräumung eines Nießbrauchs in Betracht. Namentlich dann, wenn es um Grundstücke, Unternehmen oder Unternehmensanteile geht, ist diese Gestaltung in Betracht zu ziehen, da durch sie eine Zerschlagung der Wirtschaftseinheit vermieden wird – was oftmals zentrales Anliegen der Beteiligten ist; weiterhin wird dadurch langfristig die Versorgung des Ausschlagenden gesichert, was für die Beteiligten meist nicht minder wichtig ist8. Der die Abfindung Zahlende kann den Wert des Nießbrauchs als Nachlass1 MüKo.BGB/Musielak, § 2298 Rz. 6; Staudinger/Kanzleiter, § 2298 Rz. 17; Erman/Kappler/Kappler, § 2298 Rz. 4; J. Mayer in Reimann/Bengel/J. Mayer, C. § 2298 Rz. 26. 2 Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (214). 3 Staudinger/Otte, § 1951 Rz. 8. 4 Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (214); Palandt/Weidlich, § 2298 Rz. 5. 5 Dies gilt nicht für die Abfindung für den Verzicht auf den Zugewinnausgleichsanspruch im Rahmen der güterrechtlichen Lösung gem. § 1371 Abs. 2 BGB, da die Abfindung hier kein Surrogat für einen Erwerb von Todes wegen ist. 6 Harnischfeger in Christoffel/Geckle/Pahlke [1998], § 3 ErbStG Rz. 29; Meincke/Hannes/Holtz, § 3 ErbStG Rz. 113; Troll, BB 1988, 2153 (2155). 7 Fischer/Pahlke/Wachter/Fischer, § 3 ErbStG Rz. 545; Troll, BB 1988, 2153 (2155); Meincke/Hannes/Holtz, § 10 ErbStG Rz. 61. Der RFH v. 9.7.1931 – Ie A 886/28, RStBl. 1931, 971, sieht in der Abfindung durch einen Dritten eine Schenkung an den, dem die Ausschlagung zugutekommt. Danach soll dieser den Nachlass und den Abfindungsbetrag versteuern. Er soll aber den Abfindungsbetrag als Erwerbskosten vom Nachlass abziehen können. Der Abgefundene hat die Abfindung weiterhin gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG zu versteuern. A.A. Meincke/Hannes/Holtz, § 3 ErbStG Rz. 114, der sich dafür ausspricht, die Abfindung nur beim Abgefundenen steuerlich zu erfassen und sie bei dem, dem die Ausschlagung zugutekommt, weder als Erwerb noch als Abzugsposten zu berücksichtigen. 8 Hannes, ZEV 1996, 10 f.

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.28a § 22

verbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG vom Erwerb abziehen. Früher bildete auch die Abfindung in Sachwerten eine interessante Möglichkeit, da sich in diesem Fall die Steuer für den Ausschlagenden am Steuerwert der Sache und nicht an ihrem Verkehrswert orientierte und auf diese Weise die Steuerlast des Abfindungsempfängers gesenkt werden konnte1. Zumindest für den praktisch relevanten Fall der Grundstücksabfindung ist es inzwischen zu einer Angleichung des Steuerwerts an den Verkehrswert gekommen2. Da die Abfindung als Erwerb vom Erblasser gilt, bei dem auch die gesetzlichen Freibeträge genutzt werden können, und der Anfallberechtigte die Abfindungszahlung vom Nachlass abzuziehen vermag, eröffnet sich eine unter Umständen interessante Möglichkeit, die Steuerlast zu reduzieren.

22.27

Beispiel: Der verwitwete Erblasser hat eines seiner beiden Kinder zum Alleinerben eingesetzt, ohne das andere Kind ausdrücklich zu enterben. Sein Vermögen beträgt 1,68 Mio. Euro. Bei testamentarischer Erbfolge gestaltet sich die Situation wie folgt: Enterbtes Kind (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): Pflichtteil = 1/4 von 1,68 Mio. Euro 420.000 Euro R Steuerlast 7 % von 20.000 Euro = 1.400 Euro R Verbleib Alleinerbe (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): Nachlasswert nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten 1.260.000 Euro R Steuerlast 19 % von 860.000 Euro = 163.400 Euro R Verbleib Steuerlast für Alleinerben zunächst Steuerlast insgesamt (für beide Kinder)

= =

420.000 Euro 418.600 Euro

= = = =

1.260.000 Euro 696.600 Euro 163.400 Euro 164.800 Euro

Schlägt der Alleinerbe die Erbschaft aus dem Berufungsgrund Testament aus, so gestaltet sich die Situation wie folgt: Erbteil pro Kind: 1/2 von 1,68 Mio. Euro (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 840.000 Euro R Steuerlast 15 % von 440.000 Euro = 66.000 Euro R Verbleib Steuerlast insgesamt

= =

774.000 Euro 132.000 Euro

Schlägt der Alleinerbe die Erbschaft aus allen Berufungsgründen gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 700.000 Euro aus, gestaltet sich die Situation wie folgt: Ausschlagendes Kind (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 700.000 Euro R Steuerlast 11 % von 300.000 Euro = 33.000 Euro R Verbleib Anderes Kind (Stkl. I, 400.000 Euro Freibetrag): 1,68 Mio. Euro abzüglich 700.000 Euro (Erwerbskosten) 980.000 Euro R Steuerlast 15 % von 580.000 Euro = 87.000 Euro R Verbleib Steuerlast insgesamt

=

667.000 Euro

= = =

980.000 Euro 893.000 Euro 120.000 Euro

f) Benachteiligung der Eigengläubiger Als weiteres Motiv für eine Ausschlagung kommt in Betracht, dass der Erbe den Nachlass dem Zugriff seiner Eigengläubiger vorenthalten will. Schlägt er die Erbschaft aus, wird die Erbschaft in keiner Weise und zu keiner Zeit Bestandteil seines Vermögens. Eine solche Ausschlagung berechtigt trotz eindeutiger Benachteiligungsabsicht nicht zur Gläubigeranfechtung (dazu Rz. 22.42).

22.28

Unter der Geltung der KO fiel der Erwerb einer Erbschaft nach Eröffnung des Konkursverfahrens als 22.28a Neuerwerb nicht in die Masse, sondern blieb freies Vermögen. Mit der Einführung der InsO hat sich dies geändert. § 35 Abs. 1 InsO ordnet an, dass das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit 1 Harnischfeger in Christoffel/Geckle/Pahlke [1998], § 3 ErbStG Rz. 29. 2 Fischer/Pahlke/Wachter/Fischer, § 3 ErbStG Rz. 545; Eisele, ZEV 2009, 451. Nach § 177 BewG ist für die Grundstücksbewertung der gemeine Wert zu Grunde zu legen, der sich gem. § 9 Abs. 2 BewG grds. nach dem Verkehrswert bemisst. Gleiches gilt nach § 11 Abs. 2 S. 1 BewG für Anteile an Kapitalgesellschaften.

Muscheler 1011

§ 22 Rz. 22.29

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, in die Insolvenzmasse fällt. Ein Neuerwerb ist demnach nicht mehr freies Vermögen1. Auch eine dem Schuldner anfallende Erbschaft fällt in die Masse2. Es bleibt aber auch unter der Herrschaft der InsO dabei, dass wie vor so auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur der Schuldner ausschlagen kann (§ 83 Abs. 1 S. 1 InsO) (vgl. dazu Rz. 22.31). g) Erlangung des Pflichtteils

22.29 Grundsätzlich ist es nicht möglich, die Erbschaft auszuschlagen und anschließend den Pflichtteil zu verlangen. Gem. § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB entsteht der Pflichtteilsanspruch nämlich nur dann, wenn der Erbe „durch Verfügung von Todes wegen“ von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Gibt dieser aber selbst und freiwillig die Erbschaft aus der Hand, so ist er nicht durch Verfügung von Todes wegen, sondern durch eigene Entscheidung von der Erbfolge ausgeschlossen, und daher steht ihm kein Pflichtteil zu. Selbst wenn der zugewiesene Erbteil kleiner ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (Pflichtteil), kann durch Ausschlagung nicht der volle Pflichtteil erlangt werden; der Pflichtteilsberechtigte hat aber in diesem Fall Anspruch auf den Zusatzpflichtteil gem. § 2305 S. 1 BGB. Um diesen zu erlangen, ist eine Ausschlagung freilich nicht notwendig. Gleichwohl kann der Erbe diesen Anspruch trotz (unvorsichtiger und daher schädlicher) Ausschlagung geltend machen3.

22.29a Von der Grundregel, dass Ausschlagung den Pflichtteil beseitigt, gibt es zwei Ausnahmen: Zum einen ordnet § 1371 Abs. 3 BGB an, dass im Rahmen der durch Ausschlagung eröffneten „güterrechtlichen Lösung“ der überlebende Ehegatte neben dem Anspruch auf Zugewinnausgleich den (kleinen) Pflichtteilsanspruch geltend zu machen vermag (Rz. 22.19). Zum anderen kann ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter trotz Ausschlagung den Pflichtteil gem. § 2306 Abs. 1 BGB verlangen, wenn der hinterlassene Erbteil durch die in Abs. 1 und 2 genannten Anordnungen beschränkt oder beschwert ist. § 2306 Abs. 1 BGB wurde mit Wirkung vom 1.1.2010 durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts4 geändert. Die alte Rechtslage unterschied nach der Höhe des hinterlassenen Erbteils. Nach § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB galten die Beschränkungen oder Beschwerungen des Erbteils als nicht angeordnet, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht überstieg. Der Erbe erhielt keinen Pflichtteilsanspruch, sondern sein Erbteil wurde, weiter gehend, ipso iure zum unbeschränkten bzw. unbeschwerten. Überstieg der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, entfielen die Belastungen nicht. Stattdessen konnte der als Erbe berufene Pflichtteilsberechtigte gem. § 2306 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. a.F. BGB den Erbteil ausschlagen und den Pflichtteil verlangen. Nur im Falle des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB war Raum für einen Restpflichtteil gem. § 2305 BGB. Neben § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB kam ein solcher nicht in Betracht5. Ob ein Fall des § 2306 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 a.F. BGB vorlag, entschied sich allein nach der Quote, zu der der Bedachte eingesetzt war. Belastungen des Erbteils blieben unbeachtet: Nur die Quote allein war maßgeblich, nicht jedoch der reale Wert des Erbteils6.

22.29b Die heutige Fassung des § 2306 Abs. 1 BGB verzichtet auf die Differenzierung des § 2306 Abs. 1 S. 1 und 2 a.F. BGB nach der Höhe des hinterlassenen Erbteils und verlangt in allen Fällen eine Ausschlagung des Pflichtteilsberechtigten, um den Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können7. Die Hö1 2 3 4 5 6

Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 35 Rz. 40 ff.; MüKo/Peters, § 35 InsO, Rz. 43. Bornemann in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 35 Rz. 25; MüKo/Peters, § 35 InsO, Rz. 48–50. MüKo.BGB/Lange, § 2305 Rz. 8; Palandt/Weidlich, § 2305 Rz. 5. V. 24.9.2009, BGBl I, S. 3142. OLG Celle v. 10.10.2002 – 22 U 79/01, ZEV 2003, 365 f.; dazu auch Keim, ZEV 2003, 358 ff. RG v. 25.4.1918 – IV 76/18, RGZ 93, 3 (8); RG v. 18.2.1926 – IV 336/25, RGZ 113, 45 (48); BGH v. 19.2.1968 – III ZR 196/65, WM 1968, 542 (543); BGH v. 9.3.1983 – IVa ZR 211/81, MDR 1983, 828 = FamRZ 1983, 1015 = NJW 1983, 2378 (2378); OLG Köln v. 28.10.1996 – 16 W 60/96, ZEV 1997, 298 mit abl. Anm. Klingelhöffer; vgl. dazu auch MüKo.BGB/Lange, § 2306 Rz. 5. 7 Bonefeld/Lange/Tanck, ZErb 2007, 292 (293); Keim, ZEV 2008, 161 (162); Lindner, ErbR 2008, 374; Muscheler, ZEV 2008, 105 (107); Schindler, ZEV 2008, 125 (128).

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.31 § 22

he des Erbteils behält aber weiterhin Bedeutung für einen etwaigen Pflichtteilsrestanspruch aus § 2305 S. 1 BGB. Auf diesen Anspruch kommt es nur noch an, wenn der hinterlassene Erbteil (unter Außerachtlassung der Beschränkungen oder Beschwerungen, § 2305 S. 2 BGB) geringer ist als der Pflichtteil und der Erbe (wie früher, aber unter Beibehaltung der Belastungen) nicht ausschlägt. Dem pflichtteilsberechtigten Erben i.S.d. § 2306 BGB bieten sich also folgende Möglichkeiten: Entweder er schlägt nicht aus und behält (auf jeden Fall, § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB wurde gestrichen!) den Erbteil mit den angeordneten Beschränkungen und Beschwerungen (ggf. erhält er zusätzlich einen Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2305 S. 1 BGB) oder er schlägt aus und macht den Pflichtteil geltend. Die neue Regelung eröffnet dem Erben, dessen Erbteil geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, erstmalig die Chance, über die Ausschlagung zum Pflichtteilsanspruch zu gelangen. Gleichzeitig legt sie einem solchen Erben die Ausschlagung und damit die Zurückweisung seiner Erbenstellung nahe, da der Erbteil nur noch unter Aufrechterhaltung der Beschränkungen oder Beschwerungen zu haben ist1. Mit der Neuregelung wird der Grundgedanke des § 2306 BGB, dem pflichtteilsberechtigten Erben die durch den Pflichtteil garantierte Mindestbeteiligung zu erhalten, nun einheitlich und dogmatisch überzeugender umgesetzt: Hierfür ist eine unbeschränkte bzw. unbeschwerte Beteiligung als Erbe (wie es ehemals § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB vorsah) nicht nötig; die Möglichkeit, den unbelasteten Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können, genügt2. Die Ausschlagungsmöglichkeit des § 2306 Abs. 1 BGB sollte insbesondere dann in Betracht gezogen 22.29c werden, wenn der Nachlass mit hohen Vermächtnissen oder Auflagen belastet ist. Der Erbteil wird durch Vermächtnisse oder sonstige Belastungen zwar nicht in seiner formalen Quote beeinträchtigt, wohl aber in Bezug auf seinen Wert. Bei der Berechnung des Pflichtteils gem. § 2311 Abs. 1 BGB werden Vermächtnisse, Auflagen und die Erbschaftsteuerschuld zuvor nicht abgezogen, da nur Erblasserschulden den Nachlasswert mindern3. Dadurch kann die Höhe des Pflichtteilsanspruchs den Wert des Erbteils übersteigen (zum Zusammentreffen von Erbschaft und Vermächtnis vgl. Rz. 22.112 ff.). Eine weitere Besonderheit ergibt sich im Fall des § 1952 Abs. 3 BGB. Es geht hier nicht um die Situation, dass ein Mitglied einer Erbengemeinschaft, sondern darum, dass ein Erbeserbe hinsichtlich des Erstnachlasses die Ausschlagung erklärt (vgl. dazu Rz. 22.91).

22.30

III. Ausschlagungsberechtigung 1. Allgemeines Das Recht zur Ausschlagung steht jedem Erben unabhängig vom Berufungsgrund zu4. Das Ausschla- 22.31 gungsrecht ist durch seine Verbindung mit der Erbenstellung und dem damit einhergehenden Anfall des Nachlasses vermögensrechtlicher Natur, es hat aber zugleich einen überwiegenden personalen Charakter5, der eine Trennung von Erbenstellung und Ausschlagungsrecht verhindert6. Eine rechtsgeschäftliche Übertragung des Ausschlagungsrechts ist, unabhängig davon, ob auch der Nachlass oder ein Erbteil übertragen wird, ausgeschlossen7. Zu beachten ist, dass auch nach einer rechtsgeschäftlichen Übertragung von Nachlass oder Erbteil der ursprüngliche Erbe „Erbe“ bleibt und somit das Ausschla-

1 Lindner, ErbR 2008, 374 (376 f.) befürchtet daher, dass es zu Kettenausschlagungen kommen könnte. 2 Muscheler, ZEV 2008, 105 (107). 3 BGH v. 16.9.1987 – IVa ZR 97/86, MDR 1988, 128 = FamRZ 1987, 1243 (KG), NJW 1988, 136 (137); MüKo.BGB/Lange, § 2311 Rz. 15. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 12. 5 RG v. 17.4.1903 – VII. 16/03, RGZ 54, 289 (296). Kayser in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 83 Rz. 2, stuft das Ausschlagungsrecht sogar als höchstpersönlich ein, so auch MüKo/Schumann, § 83 InsO Rz. 1. Dem steht § 1945 Abs. 3 BGB entgegen. 6 Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 14; Palandt/Weidlich, § 1952 Rz. 1. 7 MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 1; Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 1.

Muscheler 1013

§ 22 Rz. 22.31a

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

gungsrecht nach wie vor ihm zusteht1. Aus der rechtsgeschäftlichen Unübertragbarkeit des Ausschlagungsrechts folgt seine Unpfändbarkeit (§§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO); auch eine Ausübung des Rechts gem. § 857 Abs. 3 ZPO kommt nicht in Betracht. Damit ist es einem Gläubiger nicht möglich, seinerseits die Ausschlagung zu erklären oder den Erben an einer Ausschlagung zu hindern. Dieser Grundsatz ist in § 83 Abs. 1 S. 1 InsO ausdrücklich niedergelegt. Nach dieser Norm steht das Ausschlagungsrecht im Insolvenzverfahren immer dem Schuldner zu, unabhängig davon, ob der Anfall der Erbschaft vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Solange die Ausschlagung nämlich möglich ist, gehört der Nachlass (noch) nicht zur Haftungsgrundlage.

22.31a Aus der Unübertragbarkeit des Ausschlagungsrechts durch Rechtsgeschäft folgt indessen kein Stellvertretungsverbot. Dies ergibt sich für die gesetzliche Vertretung aus §§ 1643 Abs. 2 S. 1, 1822 Nr. 2, 1908i Abs. 1 S. 1, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB und für die gewillkürte Vertretung aus § 1945 Abs. 3 BGB. Diese Differenzierung zwischen der rechtsgeschäftlichen Übertragung des Ausschlagungsrechts und der Vertretung bei der Erklärung der Ausschlagung übersieht das OLG Zweibrücken2, wenn es – entgegen § 1945 Abs. 3 BGB – meint, das Ausschlagungsrecht könne wegen der Bindung dieses Gestaltungsrechts an die Erbenstellung nicht auf der Grundlage einer privatrechtlich erteilten Vollmacht für den Vollmachtgeber ausgeübt werden3. Um die Beeinflussung der Erbfolge durch Dritte (ggf. auch noch nach dem Tode des Ausschlagungsberechtigten in der Konstellation trans- oder postmortaler Vollmachten) zu verhindern, sollte die Vollmacht inhaltlich eingeschränkt werden4.

22.31b Juristische Personen sind für die Ausschlagung auf ihre Vertreter angewiesen. Dabei ist zu beachten, dass die Ausschlagung bei Gesamtvertretung zur Wirksamkeit zwingend der gemeinschaftlichen Erklärung bedarf. Mangels schutzwürdigen Vertrauens des beurkundenden Nachlassgerichts ist für die Anwendung der Regeln der Anscheins- und Duldungsvollmacht kein Raum5. 2. Vererblichkeit des Ausschlagungsrechts

22.32 Während eine rechtsgeschäftliche Übertragung des Ausschlagungsrechts nicht in Betracht kommt, ordnet § 1952 BGB seine Vererblichkeit an. Aber auch hier ist das Ausschlagungsrecht nicht allein Gegenstand der Vererbung. Das noch bestehende, weil ausübbare Ausschlagungsrecht kann als unselbständiger Annex der Erbschaft nur mit dieser gemeinsam vererbt werden6. In einer solchen Situation stehen dem Erben zwei Ausschlagungsrechte zu, nämlich das geerbte Ausschlagungsrecht und sein eigenes. Ihm steht es frei, welches Ausschlagungsrecht er ausübt.

22.32a Alternativen im Falle eines ererbten Ausschlagungsrechts: – Annahme beider Erbschaften – Ausschlagung beider Erbschaften – Annahme der Zweiterbschaft unter isolierter Ausschlagung der Ersterbschaft 1 Klar ist, dass der ursprüngliche Erbe sich mit der Ausübung des Ausschlagungsrechts schadensersatzpflichtig machen kann, ist er qua Rechtsgeschäft doch verpflichtet, den Vertragszweck – Veräußerung des Nachlasses oder eines Erbteils auf den Erwerber – nicht zu gefährden. 2 OLG Zweibrücken v. 13.11.2007 – 3 W 198/07, FamRZ 2008, 646 = ZErb 2008, 88 (89) = ZEV 2008, 194 m. abl. Anm. Zimmer. 3 Zu Recht diesen Beschluss ablehnend: Keim, ZErb 2008, 260 f.; Zimmer, ZEV 2008, 194 (195). Im konkreten Fall handelte es sich um eine transmortale Vorsorgevollmacht. 4 So auch Zimmer, ZEV 2008, 194 (195 f.). Keim, ZErb 2008, 260 (261) hält einen Ausschluss der Erbschaftsausschlagung aus dem Inhalt der Vorsorgevollmacht weder für notwendig noch für sinnvoll. Selbstverständlich kommt es auf den jeweiligen Einzelfall und die konkreten Interessen des Erblassers an. 5 OLG Bremen v. 12.5.2015 – 5 W 9/15, NJW-RR 2015, 1096 f. Zur Frage, ob ein Prokurist für eine gGmbH wirksam ausschlagen kann, siehe Klein, ZErb 2016, 89. 6 BGH v. 31.5.1965 – III ZR 233/62, BGHZ 44, 152 (154); Palandt/Weidlich, § 1952 Rz. 1.

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.35 § 22

Eine isolierte Ausschlagung der Zweiterbschaft unter Annahme der Ersterbschaft scheidet dagegen aus, da das Ausschlagungsrecht hinsichtlich der Ersterbschaft integraler Bestandteil der ausgeschlagenen Erbschaft ist1.

22.32b

Ein Problem kann sich ergeben, wenn der Erbe zunächst nur den Erstnachlass und erst später auch den Zweitnachlass ausschlägt. Hier wird überwiegend angenommen, dass in einer Ausübung des Ausschlagungsrechts bezüglich des Erstnachlasses regelmäßig eine Annahme des Zweitnachlasses liegt, so dass das Ausschlagungsrecht bezüglich des Zweitnachlasses erloschen ist2. Dies kommt aber dann nicht in Betracht, wenn der Erbe ausdrücklich erklärt, dass er sich eine Entscheidung über den Zweitnachlass vorbehalte. Schlägt er nun den Zweitnachlass aus, so ist die Ausschlagung – ebenso eine Annahme – des Erstnachlasses unwirksam, es sei denn, dass diese Maßnahme ein Geschäft der notwendigen Verwaltung gem. § 1959 Abs. 2 BGB war, was eher selten der Fall sein dürfte3.

22.32c

Die Erben eines Vorerben können die Ausschlagung der Vorerbschaft erklären, auch wenn durch 22.33 den Tod des Vorerben der Nacherbfall eintritt und sie infolgedessen den Nachlass nicht einmal vorübergehend erhalten4. Zwar wirkt eine solche Ausschlagung ausschließlich auf die Position des Nacherben ein, jedoch wird rechtlich nicht der Anfall der Erbschaft an diesen, sondern schon der Anfall an den Vorerben beseitigt. Dadurch ist zugleich die Grundlage für den Nacherbfall vernichtet5. Gleichwohl wird es trotz einer solchen Ausschlagung regelmäßig dabei bleiben, dass die Nacherben den Nachlass erhalten. In der Nacherbeneinsetzung liegt nämlich oft zugleich eine Ersatzerbeneinsetzung, so dass der Nachlass den Nacherben gem. 1953 Abs. 2 BGB zufallen würde6. 3. Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob er die Erbschaft ausschlagen kann. Der Erblasser hat testamentarisch verfügt, dass die Ausschlagung ausgeschlossen sei.

22.34

Die Regelungen der §§ 1942 ff. BGB entziehen sich der Dispositionsbefugnis des Erblassers; es handelt sich um zwingendes Recht7. Wie oben (Rz. 22.2) erwähnt, ist die Ausschlagung notwendige Konsequenz des Vonselbsterwerbs und des Prinzips, dass niemandem eine Zuwendung aufgedrängt werden darf (vgl. §§ 333, 397, 516 ff. BGB). Ein Erblasser kann demnach die Ausschlagung nicht pauschal ausschließen. Ebenso wenig vermag er die Vorschriften über Form und Frist der Ausschlagung zu verschärfen oder zu erleichtern. Eine solche Anordnung wäre unwirksam, mit der Folge, dass an ihre Stelle die gesetzliche Regelung träte8. Macht der Erblasser den Anfall der Erbschaft jedoch von einer Annahme des Erben abhängig, ist zu unterscheiden, ob darin nur eine Wiederholung der gesetzlichen Regelung oder aber eine wirkliche Bedingung zu sehen ist. Im ersten Fall handelt es sich um eine ebenso unschädliche wie wirkungslose Formulierung, die nicht mehr darstellt als eine Wiedergabe des Regelungsgehalts von § 1942 BGB9. Im zweiten Fall läge ein Verstoß gegen das Prinzip des Vonselbsterwerbs vor, das gerade auch verhindern soll, dass es zu ruhenden (subjektlosen) Nachlässen kommt10. Den Anfall der Erbschaft über den Zeitpunkt des Erbfalls hinaus zu verzögern, ist nicht möglich. Gleichwohl muss gefragt werden, ob dem 1 Soergel/Stein, § 1952 Rz. 2. 2 Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 2; RGRK/Johannsen, § 1952 Rz. 5; a.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 6; Soergel/Stein, § 1952 Rz. 2. 3 Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 2; RGRK/Johannsen, § 1952 Rz. 5; MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 7. 4 BGH v. 31.5.1965 – III ZR 233/62, BGHZ 44, 152. 5 BGH v. 31.5.1965 – III ZR 233/62, BGHZ 44, 152 (154). 6 MüKo.BGB/Leipold, § 1953 Rz. 13. 7 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 7. 8 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 7. 9 Palandt/Weidlich, § 1942 Rz. 1; MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 7. 10 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 7.

Muscheler 1015

22.35

§ 22 Rz. 22.36

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Willen des Erblassers nicht in anderer Weise zur möglichst weitgehenden Realisierung verholfen werden kann1. a) Aufschiebende Bedingung

22.36 Wollte der Erblasser seiner Anordnung eine über die Wiederholung der gesetzlichen Regelung hinausgehende Bedeutung beilegen, so kann dies als aufschiebende Bedingung aufgefasst werden2. Da jedoch ruhende Nachlässe, wie gesagt, nicht möglich sind, kann man in der genannten Bestimmung die Anordnung einer sich aus § 2105 Abs. 1 BGB ergebenden Vorerbschaft sehen3: Die gesetzlichen Erben werden Vorerben. Der Nacherbfall soll mit der Erklärung des Erben über die Annahme der Erbschaft eintreten. Bei dieser Konstruktion ist aber immer zu fragen, ob das Ergebnis wirklich dem Willen des Erblassers entspricht. Nach ihr könnte der Erbe nämlich nur Nacherbe werden4. b) Auflösende Bedingung

22.37 Die letztwillige Anordnung kann gegebenenfalls auch als auflösende Bedingung verstanden werden, mit der der Erblasser bestimmt, dass die Erbschaft wieder wegfällt, wenn der Erbe sie nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt angenommen hat. Die Zulässigkeit einer solchen Anordnung ist unklar. Teilweise sieht man darin eine gem. § 2065 Abs. 1 BGB unzulässige Potestativbedingung5. Jedoch wird allgemein eine Bedingung zu Recht dann für zulässig erachtet, wenn der Erblasser nicht die Entscheidung einem Dritten überlässt, sondern für den Fall des Bedingungseintritts selbst einen bestimmten Willen gehabt hat6. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn der Erblasser an dem Verhalten des Erben interessiert ist und er mit der Setzung der Bedingung ein bestimmtes Verhalten des Erben erreichen will7. Eine solche Situation ist im Falle der auflösenden Bedingung der Nichtannahme gegeben8. Daher ist eine auflösende Bedingung der Nichtannahme zulässig; bei Eintritt der Bedingung ist § 2104 BGB zu beachten. c) Inhaltliche Anerkennung

22.38 Schließlich kann in einer entsprechenden Anordnung die an den Erben gerichtete Forderung nach inhaltlicher Anerkennung der Verfügung gesehen werden, um auf diese Weise eine friedliche Auseinandersetzung des Nachlasses zu erreichen9. Eine unmittelbare rechtliche Wirkung käme der Anordnung dann nicht zu. Lediglich ein nachträglicher gerichtlicher Streit würde verhindert, soweit der Erbe die Anordnung anerkannt hat. 4. Gesetzliche Ausschlagungsbeschränkungen a) § 1942 Abs. 2 BGB

22.39 Ein ausdrückliches Ausschlagungsverbot findet sich in § 1942 Abs. 2 BGB. Danach kann der Staat (vorrangig das Bundesland des letzten Wohnsitzes des Erblassers) als gesetzlicher Erbe gem. § 1936

1 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 8, lehnt eine derartige Auslegung grundsätzlich ab, hält sie für unwirksam. 2 Soergel/Stein, § 1942 Rz. 5. 3 Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 5a; zweifelnd Soergel/Stein, § 1942 Rz. 5; a.A. Palandt/Weidlich, § 1942 Rz. 1. 4 Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 5a; zweifelnd Soergel/Stein, § 1942 Rz. 5. 5 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 8. 6 BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, BGHZ 15, 199 (201 f.); Soergel/Loritz, § 2065 Rz. 11 ff. 7 RGRK/Johannsen, § 2065 Rz. 9. 8 Palandt/Weidlich, § 2065 Rz. 5. 9 OLG Stuttgart v. 22.6.1973 – 8 W 512/72, OLGZ 1974, 67; MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 8.

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.43 § 22

S. 1 BGB eine Erbschaft nicht ausschlagen, er ist Zwangserbe1. Auf diese Weise wird erreicht, dass letztlich immer ein Erbe vorhanden ist. Herrenlose Nachlässe werden vermieden und eine geregelte Nachlassabwicklung im Interesse der Gläubiger gewährleistet2. Ist der Fiskus dagegen gewillkürter Erbe, steht ihm das Ausschlagungsrecht zu. b) Stiftungsvorstand Nach ganz herrschender Ansicht kann der Vorstand einer Stiftung gem. §§ 80 ff. BGB das der Stiftung zugewandte konstituierende Erbe nicht ausschlagen3. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass sich die Stiftung sonst ihre eigene Lebensgrundlage entziehen würde4. Gegen die h.M. wendet sich O. Schmidt5, mit dem Argument, dass die nachteiligen Folgen einer Ausschlagung für die Stiftung es allein nicht rechtfertigen würden, die Ausschlagung gänzlich zu versagen. Darüber hinaus sieht er auch ein Bedürfnis für eine Ausschlagung. Neben der Anerkennungsbehörde solle auch der Vorstand der Stiftung die Vermögensausstattung im Hinblick auf die Möglichkeit der Zweckverwirklichung prüfen dürfen. Eine solche Prüfungskompetenz verlange konsequenterweise nach einem Instrument, um die Stiftungserrichtung zu verhindern6.

22.40

Diese Argumentation übersieht, dass es dem Vorstand nicht zukommt, eine Stiftung aufzulösen. Zur 22.41 endgültigen Auflösung bedarf es, als actus contrarius zur Anerkennung, eines die Rechtsfähigkeit entziehenden Verwaltungsaktes7. Schon damit ist es unvereinbar, dass der Vorstand nach Erteilung der Stiftungsanerkennung durch die Ausschlagung die Stiftung alleine ihrer Existenzgrundlage berauben und sie damit de facto beseitigen könnte. Darüber hinaus ist ein Ausschlagungsrecht nicht mit der Funktion des Vorstandes zu vereinbaren. Seine Aufgabe ist es, den vom Stifter vorgegebenen Zweck zu realisieren, nicht dagegen, die Zweckverwirklichung von vornherein zu vereiteln. Eine Ausschlagung kommt mit der h.M. nicht in Betracht. 5. Einflussmöglichkeiten Dritter Beratungssituation: Der Mandant möchte die Erbschaft ausschlagen, um das Vermögen seinem Gläubiger vorzuenthalten. Dieser hat angekündigt, er werde die Ausschlagung verhindern.

22.42

a) Gläubiger des Erben Das Ausschlagungsrecht ist gem. §§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO als unübertragbares Recht der Pfändung durch einen Gläubiger entzogen (oben Rz. 22.31). Auch die besonderen Anfechtungsrechte der InsO oder des AnfG helfen dem Gläubiger nicht weiter. Die Anfechtung im Insolvenzverfahren gem. § 129 Abs. 1 InsO kommt nicht in Betracht. Andernfalls liefe die gem. § 83 Abs. 1 S. 1 InsO ausdrücklich dem Schuldner verbleibende Entscheidungsbefugnis über die Ausschlagung ins Leere8. Selbst eine

1 MüKo.BGB/Leipold, § 1936 Rz. 11. 2 Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 26; MüKo.BGB/Leipold, § 1936 Rz. 1. 3 Schewe, S. 275 ff.; MüKo.BGB/Weitemeyer, § 83 Rz. 14; Soergel/Stein, § 1942 Rz. 7; Hof in v. Campenhausen/Richter, § 6 Rz. 105; Palandt/Ellenberger, § 83 Rz. 1; Palandt/Weidlich, § 1942 Rz. 2; Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 83 Rz. 17; Ebersbach, S. 54. 4 Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 83 Rz. 17. 5 O. Schmidt, S. 52 ff.; O. Schmidt, ZEV 1999, 141. 6 O. Schmidt, S. 54 f. 7 Hof in v. Campenhausen/Richter, § 11 Rz. 2. 8 Thole in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 24. Obwohl der Insolvenzverwalter keine Einflussmöglichkeit auf die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft hat, wird die Erbschaftsteuer gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Hs. InsO als vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit eingestuft (BFH v. 5.4.2017 – II R 30/15, BFHE 257, 510 = ZEV 2017, 666 m. Anm. Selker/Selker).

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22.43

§ 22 Rz. 22.43a

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

bewusste Gläubigerbenachteiligung ändert daran nichts1. Auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist eine Anfechtung (nach dem AnfG) ausgeschlossen – obwohl es keine ausdrückliche Regelung gibt –, da in der Ausschlagung keine Weggabe eines schuldnereigenen Vermögensgegenstandes gesehen werden kann2; schließlich ist infolge der Rückwirkung der Ausschlagung der Nachlass niemals Bestandteil des Schuldnervermögens geworden.

22.43a Ist der Erbe Schuldner in einem Verfahren der Restschuldbefreiung gem. §§ 286 ff. InsO, wird seine Position nicht durch § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift muss der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung Vermögen, das er von Todes wegen erwirbt, zur Hälfte an den Treuhänder herausgeben. Verstößt er gegen diese Obliegenheit, kann es gem. § 296 InsO zu einer Versagung der Restschuldbefreiung kommen. Aufgrund des persönlichen Charakters des Ausschlagungsrechts, der in § 83 Abs. 1 S. 1 InsO zum Ausdruck kommt, liegt in der Ausschlagung keine solche Obliegenheitsverletzung3. Die Herausgabebeschränkung auf die Hälfte wurde gerade im Hinblick auf die alternativ mögliche vollständige Ausschlagung als Anreiz zur Annahme der Erbschaft eingeführt4. b) Sozialhilfeträger

22.44 Angesichts der Regelung des § 93 Abs. 1 SGB XII könnte die Frage aufkommen, ob nicht der Träger der Sozialhilfe auf das Ausschlagungsrecht zugreifen kann. Dies wäre für die Behörde immer dann interessant, wenn der hinterlassene Erbteil beschwert oder beschränkt ist, so dass dem Erben nach einer Ausschlagung der Pflichtteil gem. § 2306 Abs. 1 BGB zustehen würde. Diesen Pflichtteilsanspruch könnte der Träger der Sozialhilfe gem. § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII auf sich überleiten. Gem. § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII ist eine Überleitung von Ansprüchen auf den Sozialhilfeträger trotz Unübertragbarkeit des Anspruchs möglich. Jedoch bezieht sich diese Regelung ausweislich des Wortlautes von Satz 1 nur auf Ansprüche, nicht aber auf Gestaltungsrechte5. Eine Überleitung des Ausschlagungsrechts kommt also auch hier nicht in Betracht6. Auch die Überleitung des Pflichtteilsanspruchs selbst aus § 2306 Abs. 1 BGB gem. § 93 Abs. 1 S. 1 und 4 SGB XII i.V.m. § 852 Abs. 1 ZPO7 hat keinen Übergang des Ausschlagungsrechts analog §§ 412, 401 BGB zur Folge. Denn das Ausschlagungsrecht ist kein Nebenrecht des Pflichtteilsanspruchs, sondern erst die Grundlage für den Pflichtteilsanspruch8. Es wurzelt in der Erbenstellung, nicht in der Pflichtteilsberechtigung. Der Erbteil bzw. das Erbe sind aber keine überleitungsfähigen Ansprüche i.S.d. § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII. 1 BGH v. 6.5.1997 – IX ZR 147/96, FamRZ 1997, 1001 = MDR 1997, 880 = NJW 1997, 2384, für die Nichtgeltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs und eine Anfechtung nach AnfG. Ebenso Thole in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 24. 2 RG v. 17.4.1903 – VII. 16/03, RGZ 54, 289 (297); Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 11. 3 Waltenberger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 295 Rz. 15. 4 Ahrens in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 295 Rz. 87. 5 Krampe, AcP 191 (1991), 526 (531); Bengel, ZEV 1994, 29 (30). 6 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 m. krit. Anm. Zimmer = DNotZ 2011, 381 m. zust. Anm. Ivo; Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 16; MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 14; Kuchinke, FamRZ 1992, 362 (363); Krampe, AcP 191 (1991), 527 (531); Muscheler, ZEV 2005, 119; Bengel, ZEV 1994, 29 (30); Pieroth, NJW 1993, 173 (178); van de Loo, ZEV 2006, 473 (477) unter Aufgabe seiner früheren Auffassung in NJW 1990, 2852 (2856). Im Übrigen gibt es auch keine sozialhilferechtliche oder ALG II-rechtliche Obliegenheit des Leistungsbeziehers zur Ausschlagung; das gilt auch beim sog. „Bedürftigentestament“ (Einsetzung des Leistungsbeziehers als Vorerbe und seine Beschränkung durch Testamentsvollstreckung); das Bedürftigentestament ist auch nicht sittenwidrig und damit per se unwirksam, so aber zu Unrecht SG Dortmund v. 25.9.2009 – S 29 AS 309/09 ER, ZEV 2010, 54 (vgl. jetzt aber auch SG Stuttgart v. 8.3.2012 – S 15 AS 925/12 ER, ZEV 2013, 99 (LS), NotBZ 2012, 398: Pflichtteilsverzicht eines Empfängers von ALG II ist nicht sittenwidrig). 7 Eine solche Überleitungsmöglichkeit steht unter der Prämisse, dass der Pflichtteilsanspruch aus § 2306 Abs. 1 BGB an sich bereits mit dem Erbfall entsteht, aber erst nach Ausschlagung geltend gemacht werden kann. Hierfür sprechen die §§ 2317 Abs. 1, 2332 Abs. 2 BGB. Die Frage ist aber umstritten. 8 van de Loo, ZEV 2006, 473 (477).

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.45 § 22

Umstritten ist, ob die Ausschlagung zulasten des Sozialhilfeträgers sittenwidrig und damit nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB) ist. Dies nahmen das OLG Stuttgart1 und das OLG Hamm2 jeweils in einem Fall an, in dem ein Betreuer gegen die Verweigerung der vormundschaftsgerichtlichen3 Genehmigung einer Ausschlagung für die in einer beschützenden Einrichtung lebende Betreute zu Felde zog. Die Ausschlagung sei mit dem sozialhilferechtlichen Nachrangprinzip aus §§ 2, 90 SGB XII unvereinbar4, die Gleichstellung der Ausschlagung mit Rechtsgeschäften, durch die der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf „das ihm gebührende Vermögen“ (!) vereitelt wird, sei „zwanglos möglich“5. Beide Entscheidungen sind abzulehnen6. Insbesondere der Vergleich mit den oben Rz. 22.42 beschriebenen sonstigen Gläubigern des Bedachten macht deutlich, dass die Entschließungsfreiheit des Bedachten besonders geschützt ist7. Die Ausschlagung selbst kann auch bei sittenwidrigem Motiv nicht sittenwidrig sein8. Dieser Ansicht war schon das LG Aachen gefolgt9. Danach hat „auch ein Sozialhilfeempfänger […] das Recht, das Erbe auszuschlagen“10. Zu Recht verweist das LG Aachen einerseits auf den Rechtsgedanken des § 83 Abs. 1 S. 1 InsO und andererseits auf die Instrumentarien des Sozialhilferechts, Missbräuchen bei der Sozialhilfebedürftigkeit vorzubeugen. Diese Frage darf nicht durch das Erbrecht beantwortet werden. Ferner zeigen die ex-tunc-Wirkung der Ausschlagung (§ 1953 Abs. 1 BGB) und die Regelung des § 517 BGB, dass lediglich ein möglicher Vermögenserwerb unterlassen und nicht das (ohne die Erbschaft) bestehende Vermögen gemindert wird. Dogmatisch ändert sich die Vermögenslage des Sozialhilfeempfängers durch die Ausschlagung im Vergleich zum Zeitraum vor dem Erbfall nicht. Es kann also nicht angenommen werden, die Ausschlagung verschlechtere die Position des Sozialhilfeempfängers, sie führt bloß nicht zu einer Verbesserung derselben. Der BGH11 schließt sich dem LG Aachen an und sucht die Lösung in Art. 14 Abs. 1 GG, aus der sich die negative Erbfreiheit entnehmen lasse: Die Ablehnungsmöglichkeit sei ein notwendiger Widerpart zum Vonselbsterwerb, vermöge dessen der Vermögensübergang ohne Zutun des Berechtigten wirksam werde12. Da die Ausführung des BGH jedoch nur im Rahmen eines obiter dictums erfolgte, wird es in Zukunft weiterhin zu uneinheitlicher Rechtsprechung kommen. Das LSG Bayern13 hat sich bereits gegen einen ausnahmslosen Ausschluss der Sittenwidrigkeit der Ausschlagung gestellt.

1 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484 ff. = ZEV 2002, 367 ff. m. abl. Anm. Mayer. 2 OLG Hamm v. 16.7.2009 – 15 Wx 85/09, ZEV 2009, 471 f. m. zust. Anm. Leipold. 3 Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) am 1.9.2009 ist nunmehr das Betreuungsgericht zuständig (§§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 23c Abs. 1 GVG, 271 Nr. 3 FamFG). 4 OLG Hamm v. 16.7.2009 – 15 Wx 85/09, ZEV 2009, 471 (472). 5 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484 (3485). 6 So jetzt auch der BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 (261, obiter dictum) m. krit. Anm. Zimmer, hingegen zust. Anm. Ivo (BGH DNotZ 2011, 381) und Kleensang (BGH BWNotZ 2011, 158); zuvor schon krit. zur Entscheidung des OLG Stuttgart (Rz. 45, Fn. 3) etwa Ivo, FamRZ 2003, 6 ff.; Muscheler, ZEV 2005, 120 (121); zweifelnd auch MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 3. Ablehnend schon Linde, BWNotZ 1988, 54 (58). 7 So auch Ivo, FamRZ 2003, 6 (8). 8 Mayer, ZEV 2002, 369 (370). 9 LG Aachen v. 4.11.2004 – 7 T 99/04, FamRZ 2005, 1506 = ZErb 2005, 1 = ZEV 2005, 120 (121) = NJWRR 2005, 307 (308). 10 LG Aachen v. 4.11.2004 – 7 T 99/04, FamRZ 2005, 1506 = ZErb 2005, 1 = ZEV 2005, 120 (121) = NJWRR 2005, 307 (308). 11 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 (261); a.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 3 m.N. 12 A.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 3 m.N. 13 LSG Bayern v. 30.7.2015 – L 8 SO 146/15 B ER, ZEV 2016, 43 (44) m. abl. Anm. Litzenburger; zustimmend SG Karlsruhe v. 30.10.2015 – S 1 SO 1842/15, FamRZ 2016, 1108 (1110).

Muscheler 1019

22.45

§ 22 Rz. 22.46

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

c) Gütergemeinschaft

22.46 Fällt in einer Gütergemeinschaft dem von der Verwaltung ausgeschlossenen Ehegatten eine Erbschaft an, so kann nur er, unabhängig davon, ob die Erbschaft in sein Vorbehaltsgut fällt oder nicht1, gem. § 1432 Abs. 1 BGB die Ausschlagung oder die Annahme erklären. Auch die Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung steht nur ihm zu2. In keinem Fall bedarf er der Zustimmung des anderen Ehegatten. Es handelt sich somit bei Annahme, Ausschlagung und Anfechtung von Annahme und Ausschlagung nicht um Aufgaben, die dem verwaltenden Ehegatten übertragen sind. Gleichwohl muss dieser außer mit dem Gesamtgut auch mit seinem persönlichen Vermögen für Nachlassverbindlichkeiten haften, soweit die Erbschaft ins Gesamtgut fällt, §§ 1437 I und II, 1438 I BGB3. Auch in diesen Regelungen macht sich der (höchst-)persönliche Charakter des Ausschlagungsrechts bemerkbar. Eine rechtsgeschäftliche Vertretung durch den verwaltenden Ehegatten ist übrigens möglich4. Auch wenn die Eheleute das Gesamtgut gemeinschaftlich verwalten, verbleibt die Ausschlagung einer Erbschaft gem. § 1455 Nr. 1 BGB im alleinigen Zuständigkeitsbereich desjenigen Ehegatten, dem die Erbschaft anfällt. d) Zustimmungserfordernis des Dienstherrn

22.47 Die Annahme von Geschenken und Belohnungen, die ein Beamter in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit erhält, bedarf, um schon den Anschein der Beeinflussbarkeit zu vermeiden, einer Genehmigung des Dienstherrn (§ 71 Abs. 1 BBG). Gleiches gilt für Angestellte im öffentlichen Dienst, gem. § 19 Abs. 1 SG für Soldaten, gem. § 78 Abs. 2 ZDG i.V.m. § 19 SG für Zivildienstleistende und gem. § 14 HeimG für Bedienstete in Altenpflegeeinrichtungen5. Zuwendungen aufgrund letztwilliger Verfügung sind Belohnungen bzw. Geschenke i. S. dieser Normen, da es sich dabei um wirtschaftliche Vorteile handelt, die dem Begünstigten unmittelbar oder mittelbar gewährt werden6. Auch die Annahme einer Erbschaft ist daher von der Genehmigungspflicht umfasst. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Genehmigungspflicht ist aber nicht etwa eine Pflicht zur Nichtannahme der Erbschaft, also zur Ausschlagung7. Zum einen bedarf es aufgrund des Vonselbsterwerbs keiner ausdrücklichen Annahme, zum anderen würde ein Ablauf der Ausschlagungsfrist den Zweck der Normen vereiteln. Daher ist Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot die Rechtsfolge8. Streng genommen fallen daher die oben erwähnten Normen nicht in den Komplex „Annahme und Ausschlagung der Erbschaft“, da ein Verstoß gegen die Genehmigungspflicht schon die Wirksamkeit eines Testaments entfallen lässt, soweit sich das Testament in der begünstigenden Verfügung erschöpft. Andererseits kann eine Genehmigung des Dienstherrn die Nichtigkeit überwinden und eine Annahme der Erbschaft, in welcher Form auch immer, ermöglichen.

22.47a Die oben genannten Vorschriften greifen tatbestandsmäßig nur ein, wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen Diensthandlung und Vorteilsgewährung besteht, ohne dass freilich die Vorteilsgewäh-

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MüKo.BGB/Kanzleiter, § 1432 Rz. 2. MüKo.BGB/Kanzleiter, § 1432 Rz. 2; Palandt/Brudermüller, § 1432 Rz. 1. MüKo.BGB/Kanzleiter, § 1432 Rz. 2. Palandt/Brudermüller, § 1432 Rz. 1. Die Rechtsfolge des § 14 HeimG tritt nur dann ein, wenn der Heimträger bzw. der Heimbedienstete zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis von der Verfügung von Todes wegen erhält; nur dann kommt eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde überhaupt in Betracht, BayObLG v. 28.6.1991 – BReg 1a Z 3/90, FamRZ 1991, 1354 = NJW 1992, 55 (57). 6 BAG v. 17.4.1984 – 3 AZR 97/82, MDR 1985, 169 = NVwZ 1985, 142 (143); BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27/94, FamRZ 1996, 1470 = ZEV 1996, 343. 7 So scheinbar aber BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27/94, FamRZ 1996, 1470 = ZEV 1996, 343. 8 MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 12; zu § 10 BAT a.F.: BayObLG v. 12.9.1995 – 1Z BR 59/95, FamRZ 1996, 443 = NJW 1995, 3260. Nach BGH v. 14.12.1999 – X ZR 34/98, MDR 2000, 872 = ZEV 2000, 202, führte ein Verstoß gegen § 10 Abs. 1 BAT a.F. nicht zur Nichtigkeit, da es sich dabei nicht um eine gesetzliche, sondern lediglich um eine tarifvertragliche Regelung handelte.

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.49 § 22

rung eine bestimmte Handlung veranlasst haben muss1. Dieser Zusammenhang wird immer dann angenommen, wenn der Dienstverpflichtete eine Zuwendung während seiner Tätigkeit im Bereich des Zuwendenden erhält2. Soweit die Erbeinsetzung erst nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit erfolgt, ist es eine Frage des Einzelfalls, ob der zeitliche Abstand den Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Erbeinsetzung entfallen lässt. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn nach Ende der Diensttätigkeit noch weiterhin private Kontakte bestehen3. In diesem Fall kann die Mitursächlichkeit der dienstlichen Tätigkeit vernachlässigt werden, zumal auch der grundgesetzlich geschützten Testierfreiheit Beachtung geschenkt werden muss4. 6. Verlust des Ausschlagungsrechts durch Annahme a) Allgemeines Gem. § 1943 BGB verliert der Erbe sein Ausschlagungsrecht durch die Annahme der Erbschaft und 22.48 ebenso dadurch, dass die Ausschlagungsfrist abläuft, da die Erbschaft mit Ablauf der Frist als angenommen gilt. Die Erklärung über die Annahme ist sowohl in ausdrücklicher als auch in konkludenter Form eine Willenserklärung5, so dass die allgemeinen Vorschriften über Willenserklärungen Anwendung finden. Annahme bedeutet nicht die Erklärung, die Erbschaft positiv annehmen zu wollen, da der Erbanfall schon infolge des Vonselbsterwerbs eingetreten ist, sondern vielmehr, auf das Ausschlagungsrecht endgültig verzichten zu wollen6. Gem. § 1946 BGB kann die Annahme erst erklärt werden, wenn der Erbfall eingetreten ist. Eine vorher abgegebene Erklärung bleibt wirkungslos7. Der ersatzweise Berufene kann dagegen schon vor der Ausschlagung des Primärerben die Erbschaft annehmen, da § 1946 BGB nur den tatsächlichen Erbfall zum Anknüpfungspunkt macht, nicht aber den Anfall an eine bestimmte Person8. Ebenso vermag ein Nacherbe auch schon vor Eintritt des Nacherbfalls anzunehmen und, wie ausdrücklich in § 2142 Abs. 1 BGB geregelt, auszuschlagen9. Die Annahme setzt Geschäftsfähigkeit voraus10; Stellvertretung ist zulässig. Die Annahme ist aufgrund des Verlusts des Ausschlagungsrechts nicht nur rechtlich vorteilhaft, so dass ein beschränkt Geschäftsfähiger der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedarf11. Im Falle eines geschäftsunfähigen Erben kann die Annahme nur durch den gesetzlichen Vertreter erfolgen12. Eine erklärte Annahme ist gem. § 1949 Abs. 1 BGB nichtig, wenn sich der Erbe in einem Irrtum über 22.49 den Berufungsgrund befunden hat. Ein solcher Irrtum führt nicht zur Anfechtbarkeit, sondern direkt zur Nichtigkeit der Annahme13. Die Kenntnis vom Berufungsgrund spielt bei der Annahme durch Fristablauf insofern die gleiche Rolle wie bei erklärter Annahme, als die Frist gem. § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB erst mit der Kenntnis vom Berufungsgrund zu laufen beginnt (zur Kenntnis vom Berufungsgrund unten Rz. 22.69 ff.).

1 BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27/94, FamRZ 1996, 1470 = ZEV 1996, 343 (344); LAG Rheinland-Pfalz v. 7.10.2010 – 2 Sa 306/10, ZEV 2011, 601 (603). 2 Ebenroth/Koos, ZEV 1996, 344. 3 BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27/94, FamRZ 1996, 1470 = ZEV 1996, 343 (344). 4 Ebenroth/Koos, ZEV 1996, 344. 5 Mot. V, S. 497; Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 2; Soergel/Stein, § 1943 Rz. 2. 6 OLG Köln v. 20.2.1980 – 2 W 7/80, MDR 1980, 852 = OLGZ 1980, 235. 7 Staudinger/Otte, § 1946 Rz. 2. 8 Soergel/Stein, § 1946 Rz. 2; MüKo.BGB/Leipold, § 1946 Rz. 2. 9 BayObLG v. 10.8.1962 – BReg. 1Z 43/61, BayObLGZ 1962, 239 (241); OLG Frankfurt v. 8.1.2018 – 20 W 215/17, NJW-RR 2018, 902 (903); Staudinger/Otte, § 1946 Rz. 8. 10 Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 1; Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (196). 11 MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 7. 12 MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 7; Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (196). 13 Zur Systemwidrigkeit dieser Regelung MüKo.BGB/Leipold, § 1949 Rz. 1.

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§ 22 Rz. 22.49a

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

22.49a Ein Irrtum über den Berufungsgrund ist unbeachtlich, wenn er nicht kausal für die erklärte Annahme gewesen ist. Ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn es dem Erben gleichgültig ist, aus welchem Grunde er berufen ist1. b) Ausdrückliche Annahme

22.50 Die ausdrückliche Annahme ist – anders als die Ausschlagung – an keine besondere Form gebunden; sie kann schriftlich, aber auch mündlich erfolgen2. Nach h.M. ist sie noch nicht einmal empfangsbedürftig, d.h. einer bestimmten Person gegenüber abzugeben3. Gleichwohl wird man eine Erklärung, die einer unbeteiligten Person gegenüber abgegeben wird, nur ausnahmsweise als Annahme verstehen dürfen, da der Erbe dieser Person gegenüber kaum je zum Ausdruck bringen möchte, die Erbschaft endgültig behalten zu wollen4. Insofern muss die Annahme regelmäßig einem Nachlassbeteiligten gegenüber erklärt werden. Die Annahme ist, wenn sie einem anderen gegenüber erklärt wird, nicht vor Zugang wirksam. § 130 BGB ist zwar aufgrund der fehlenden Empfangsbedürftigkeit der Erklärung nicht unmittelbar anwendbar. Die Vorschrift wird aber von der h.M. zu Recht entsprechend angewendet, so dass auch ein rechtzeitiger Widerruf gem. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB als zulässig zu gelten hat5. c) Annahme durch schlüssiges Verhalten

22.51 Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob er die Erbschaft noch ausschlagen kann, obwohl er schon einen Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung gestellt hat.

Die Annahme der Erbschaft kann auch durch schlüssiges Verhalten (pro herede gestio) erfolgen. Maßgeblich ist eine nach außen erkennbare Handlung des Erben, die darauf schließen lässt, dass er die Erbschaft endgültig behalten will6. Da das schlüssige Verhalten als Willenserklärung den allgemeinen Regeln über Willenserklärungen unterliegt, ist bei der Beurteilung des Erklärungswertes einer Handlung auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen. Ein entgegenstehender innerer Wille ist in der Regel zunächst unbeachtlich, kann den Erben jedoch zur Anfechtung berechtigen.

22.52 Bei der Prüfung, ob eine konkludente Annahme vorliegt, sollte schon in Anbetracht der Sechswochenfrist des § 1944 Abs. 1 BGB Zurückhaltung gewahrt werden. Darüber hinaus würde eine zu strenge Betrachtungsweise dazu führen, dass ein vorläufiger Erbe kaum noch bereit wäre, notwendige Erhaltungsund Verwaltungsmaßnahmen durchzuführen, da darin schon eine Annahme gesehen werden könnte7. Der Handlung muss ein Erklärungswert beigemessen werden können, der dem einer ausdrücklichen Annahme nahe kommt. Dies darf nur dann angenommen werden, wenn sich der Erbe so verhält, wie es ein Erbe täte, der die Erbschaft endgültig behalten will. Maßnahmen zur Nachlasserhaltung und -verwaltung scheiden demnach von vornherein als schlüssige Verhaltensformen aus8. Eine Auskunftsklage gegen den Testamentsvollstrecker (§ 2215 BGB) dient erst der Vorbereitung der Entscheidung über die Annahme der Erbschaft und bedeutet daher noch keine Annahme durch schlüssiges Verhalten9. Da-

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OLG Karlsruhe v. 3.5.2007 – 19 U 58/05, ZEV 2007, 380 (381). MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 3. Soergel/Stein, § 1943 Rz. 3; RGRK/Johannsen, § 1943 Rz. 4. Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 6; RGRK/Johannsen, § 1943 Rz. 4. RGRK/Johannsen, § 1943 Rz. 5; Soergel/Stein, § 1943 Rz. 3. Mot. V, 497; RG, DJZ 1912, 1186; MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 4; Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 5. OLG Köln v. 20.2.1980 – 2 W 7/80, MDR 1980, 852 = OLGZ 1980, 235; zu weit gehend OLG Königsberg v. 21.2.1908 – 2 U. 232/07, SeuffArch 64 Nr. 153; so dem Grunde nach auch Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 2: Die Ausführung von Fürsorgemaßnahmen lasse nicht den Schluss auf eine Annahme durch schlüssiges Verhalten zu. 8 OLG Celle v. 7.5.1965 – 7 W 14/65, OLGZ 1965, 30; MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 5. 9 BayObLG v. 8.9.2004 – 1Z BR 59/04, FamRZ 2005, 553 (554) = NJW-RR 2005, 232 (233) = Rpfleger 2005, 86 (87). Zustimmend: Walter, ZEV 2008, 319 (320).

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.55 § 22

gegen kommt der Beantragung eines Erbscheins Annahmequalität zu1. In der bloßen Übernahme der Beerdigungskosten bzw. in der Beantragung einer entsprechenden Kostenübernahme durch das Sozialamt ist in der Regel keine Annahme durch einen Angehörigen zu erblicken. Eine Verpflichtung zur Übernahme der Kosten ergibt sich für Angehörige nämlich oftmals unabhängig von der Erbenstellung durch landesrechtliche öffentlich-rechtliche Vorschriften, z.B. § 8 Abs. 1 S. 1 BestG NW2. In der Beantragung der Nachlassverwaltung könnte man vordergründig eine schlüssige Annahme 22.53 der Erbschaft sehen, da der Erbe mit der Nachlassverwaltung (zumindest auch) eine dauerhafte Trennung von Nachlass- und Eigenvermögen erreichen will. Diese Trennung soll das Eigen- aber auch das Nachlassvermögen sichern3. Dass solche Sicherungsmaßnahmen aber gerade nicht zur Annahme führen, zeigt § 455 Abs. 3 FamFG (§ 991 Abs. 3 a.F. ZPO). Danach ist eine Annahme erforderlich, bevor der Antrag auf das Nachlassgläubigeraufgebot gestellt werden kann. In dem Antrag selber verbirgt sich somit keine Annahme, da die Vorschrift sonst überflüssig wäre4. Dieser Gedanke lässt sich verallgemeinern und auf den Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung übertragen; in diesem Antrag kann noch keine Annahme gesehen werden5. Übt der Erbe Rechte aus, die üblicherweise dem dinglich Berechtigten zustehen, verfügt er also etwa über Nachlassgegenstände, so ist darin noch nicht zwangsläufig eine Annahme zu sehen. § 1959 Abs. 2 BGB geht nämlich davon aus, dass Verfügungen des Zwischenerben möglich und wirksam sind, ohne dass dies zum Verlust des Ausschlagungsrechts führt. Gleichwohl kann in der Verfügung über auch nur einen Nachlassgegenstand eine Annahme liegen6; § 1959 Abs. 2 BGB schließt dies nicht etwa zwingend aus. Die Differenzierung ist in solchen Fällen nicht anhand der rechtlichen Qualität, sondern anhand des Zwecks des Rechtsgeschäfts vorzunehmen. Diente die Verfügung Sicherungs- oder Verwaltungszwecken, so liegt darin noch keine Annahme.

22.54

Auch frühere Gerichtsurteile können nicht pauschal auf einen konkret zu beurteilenden Sachverhalt übertragen werden. In jedem Fall ist eine Einzelfallentscheidung vorzunehmen, die alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigen muss7. Die dazu notwendige Sachverhaltsermittlung ist vom Nachlassgericht gem. § 26 FamFG von Amts wegen durchzuführen.

22.54a

Im Rahmen verschiedener FamFG- (ehemals FGG-)Verfahren8 ist als Vorfrage zu ermitteln, ob eine 22.55 Annahme durch schlüssiges Verhalten vorliegt. In diesem Zusammenhang wird der Erbe regelmäßig über Umfang und Verbleib des Nachlasses befragt. Verheimlicht er dabei Gegenstände oder hat er sie gar beiseite geschafft, wird darin von Teilen der Literatur9 noch keine Annahme gesehen. Durch die Trennung einzelner Gegenstände bringe der Erbe gerade zum Ausdruck, die Erbschaft nicht als Ganzes behalten zu wollen. Gleichwohl soll dieses Verhalten zum Verlust des Ausschlagungsrechts führen, also die gleichen Wirkungen erzeugen wie eine Annahme. Weithase etwa sieht in ihm eine Verwirkung des Ausschlagungsrechts herbeiführenden Tatbestand. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass sich ein entsprechendes Verhalten vom objektiven Empfängerhorizont aus als konkludent erklärte Annahme darstellt, da sich der Erbe auf diese Weise als dauerhafter Eigentümer geriert. Entgegenstehende Äußerungen des Erben sind als protestatio facto contraria unbeachtlich. Außerdem ist der der Verwirkung immanente Sanktionsgedanke mit der Regelung des BGB nicht vereinbar, die die Endgültigkeit des 1 KG v. 3.4.1919, OLGE 38, 263; BGH v. 20.2.1968 – V BLw 34/37, RdL 1968, 97 (99). 2 Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen v. 17.6.2003, GV NRW S. 313; so auch OVG Schleswig v. 27.4.2015 – 2 LB 27/14, FamRZ 2016, 815 zu § 13 Abs. 2 BestG SH. 3 Hillebrand, S. 28. 4 Hillebrand, S. 28. 5 So auch KG v. 9.7.1909 – 1a. X 501/09, KGJ 38, A 50 (A 51); Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 2. 6 BayObLG v. 9.10.1987 – BReg. 1Z 55/87, FamRZ 1988, 213. 7 BayObLG v. 9.10.1987 – BReg. 1Z 55/87, FamRZ 1988, 213 (214). 8 Z.B. Erbscheinsverfahren, Bestimmung der Inventarfrist (§ 1994 Abs. 1 BGB), Feststellung gem. § 1964 Abs. 1 BGB. 9 Weithase, Rpfleger 1988, 434 (440); Lange/Kuchinke, § 8 II 3 (S. 196).

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§ 22 Rz. 22.56

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Erbschaftsanfalls, genauer: den Verlust des Ausschlagungsrechts, keineswegs als Strafe verstanden wissen will1. Eine Verwirkung des Ausschlagungsrechts kommt somit nicht in Betracht. Das entsprechende Verhalten ist vielmehr als konkludente Annahme zu werten.

22.56 Überblick Annahme – Fortführung eines Handelsgeschäfts unter neuer Firma2 – Antrag auf Erteilung eines Erbscheins3 – Antrag auf Grundstücksumschreibung auf den Erben4 – Verpfändung des Erbteils5 – Veräußerung und Belastung von Nachlassgegenständen6 – Abgabe von Verkaufsangeboten und das Anbieten eines Nachlassgrundstückes über einen Makler7 – Verwendung von Nachlassgegenständen für eigene Zwecke8 – Prozessführung oder Einlassung (vgl. § 1958 BGB) in der Rolle des Erben9 – Geltendmachung von Nachlassansprüchen und Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten10

Keine Annahme – Fortführung eines Handelsgeschäfts unter alter Firma, selbst bei Eintragung in das Handelsregister zwecks Haftungsbegrenzung gem. §§ 27 Abs. 1, 25 Abs. 2 HGB11 – Antrag auf Testamentseröffnung12 – Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung13 – Einreichung eines Nachlassverzeichnisses14 – Antrag auf Bestellung eines Testamentsvollstreckers15 – Auskunftsklage gegen den Testamentsvollstrecker16 – Angaben zum Nachlass auf Anforderung des Nachlassgerichts17 – Veräußerung des gesamten Nachlasses zur Bezahlung der Bestattungskosten18

1 Mot. V, S. 495. Das BGB weist (mittlerweile) keine pönalen Ausformungen mehr auf. 2 Friedrich, S. 192 (widerlegbares Indiz für den Annahmewillen). 3 KG v. 3.4.1919, OLGE 38, 263; BGH v. 20.2.1968 – V BLw 34/37, RdL 1968, 97 (99). Selbst die Rücknahme des Erbscheinsantrags beseitigt nicht die Annahme, OLG Hamm v. 10.5.2010 – I-15 W 200/10. 4 KG v. 3.4.1919, OLGE 38, 263; Lange/Kuchinke, § 8 II 3 (S. 197). 5 RG v. 9.11.1912 – IV. 187/12, RGZ 80, 377 (385). 6 RG v. 6.7.1909 – VII. 290/09, DJZ 1909, 1329; RG v. 6.6.1912 – IV. 593/11, DJZ 1912, 1185; anders aber, wenn die Verfügung im Rahmen ordnungsmäßiger Wirtschaft erfolgt. 7 OLG Oldenburg v. 20.9.1994 – 5 U 72/94, FamRZ 1995, 574. 8 RG v. 6.6.1912 – IV. 593/11, DJZ 1912, 1186. 9 BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 (363) = MDR 1989, 523 = FamRZ 1989, 496. Es ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, MüKo.BGB/Leipold, § 1958 Rz. 8. Einschränkend zur Aufnahme eines anhängigen Prozesses Lange/Kuchinke, § 8 II 3. 10 BayObLG v. 24.6.1983 – BReg. 1Z 124/82, BayObLGZ 1983, 153 ff. 11 Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 2; Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 9; Friedrich, S. 192; für eine Einzelfallentscheidung Hüffer in Großkommentar HGB [1995], § 27 Rz. 25. 12 OLG Celle v. 7.5.1965 – 7 W 14/65, OLGZ 1965, 30. 13 KG v. 9.7.1909 – 1a. X 501/09, KGJ 38, A 50 (A 51); Hillebrand, S. 28 f. 14 BGH v. 12.11.1964 – III ZR 123/63 (unveröffentlicht), zit. nach Johannsen, WM 1972, 914 (918). 15 OLG Celle v. 7.5.1965 – 7 W 14/65, OLGZ 1965, 30. 16 BayObLG v. 8.9.2004 – 1Z BR 59/04, FamRZ 2005, 553 (554) = NJW-RR 2005, 232 (233) = Rpfleger 2005, 86 (87). Zust. Walter, ZEV 2008, 319 (320). 17 OLG Köln v. 20.2.1980 – 2 W 7/80, MDR 1980, 852 = OLGZ 1980, 235. 18 Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 9; Lange/Kuchinke, § 8 II 3 (S. 196), jeweils unter Hinweis auf ein unveröffentlichtes Urteil des RG v. 28.11.1921 – VI 437/21. Folgerichtig, da die öffentlich-rechtlich ausgestaltete Bestattungspflicht nicht an die Erbenstellung anknüpft.

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft Annahme

Rz. 22.58 § 22

Keine Annahme GbR1

– Verkauf eines Anteils an einer – Mitwirkung und Stimmabgabe in Gesellschafter– Abschluss einer schriftlichen Erbauseinandersetversammlung3 zungsvereinbarung2

d) Annahme durch Fristablauf Mit dem Ablauf der für die Ausschlagung vorgeschriebenen Frist gilt die Erbschaft als angenommen (§ 1943 BGB). Beim Versäumnis der Frist handelt es sich nicht um eine Willenserklärung. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das Gesetz hier mit einer Fiktion arbeitet, und zum anderen aus § 1956 BGB. Danach ist die Anfechtung des Versäumens der Ausschlagungsfrist möglich. Diese ausdrückliche Regelung wäre überflüssig, wenn eine Willenserklärung vorliegen würde. Daraus folgt, dass es für die Rechtsfolge der Fristversäumung auf einen entsprechenden Willen des Erben nicht ankommt4. Auch ein Geschäftsunfähiger oder beschränkt Geschäftsfähiger kann durch Fristablauf das Ausschlagungsrecht verlieren. Einen gewissen Schutz erfährt er aber dadurch, dass für den Beginn der Frist die Kenntnis von Anfall und Berufungsgrund erforderlich ist. Diese Kenntnis muss beim gesetzlichen Vertreter vorhanden sein5 (dazu Rz. 22.69 ff.).

22.57

e) Wirkungen der Annahme Neben dem bereits erwähnten Verlust des Ausschlagungsrechts kommen der Annahme weitere Wirkungen zu: – Die Annahme nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens führt zur Nachtragsverteilung, § 203 I Nr. 1 InsO. – Der Anfall während der Wohlverhaltensphase führt zur hälftigen Herausgabeobliegenheit, § 295 I Nr. 2 InsO6. – Die Vollstreckungsbeschränkungen des § 778 Abs. 1, 2 ZPO fallen weg. – Nachlassvermögen und Eigenvermögen sind auch sonst nicht länger getrennte Vermögensmassen. – Die Frist der Dreimonatseinrede gem. § 2014 BGB beginnt zu laufen. – Der Erbe kann von den Nachlassgläubigern verklagt werden (§ 1958 BGB). – Die Rechtsstreitunterbrechung gem. § 239 Abs. 5 ZPO entfällt. – Der Erbe kann gem. § 455 Abs. 3 FamFG Antrag auf Durchführung des Aufgebotsverfahrens zur Ausschließung von Nachlassgläubigern stellen. – Die Nachlasssicherungspflicht des Nachlassgerichts endet (§ 1960 Abs. 1 BGB). – Die Ablaufhemmung des § 211 S. 1 Alt. 1 BGB beginnt im Falle mehrerer Erben und einer vom Gläubiger erhobenen Gesamtschuldklage (§ 2058 BGB) mit der Annahme des jeweils in Anspruch genommenen Miterben7.

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BayObLG v. 9.10.1987 – BReg. 1Z 55/87, FamRZ 1988, 213 (214). OLG Köln v. 19.8.2014 – 2 Wx 213/14, BWNotZ 2014, 180. DNotI-Report 2004, 101 ff. MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 6. BayObLG v. 14.5.1984 – 1. ZS, 1Z 25/84, Rpfleger 1984, 403. Herrler, NJW 2011, 2258. BGH v. 4.6.2014 – IV ZR 348/13, FamRZ 2014, 1450 = MDR 2014, 903 = ZEV 2014, 543 m. Anm. Holtmeyer.

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22.58

§ 22 Rz. 22.59

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

IV. Form der Ausschlagung 22.59 Anders als die Erklärung der Annahme unterliegt die Ausschlagung besonderen Formanforderungen. Der Gesetzgeber hat in der Ausschlagung die faktische Ausnahme gesehen (Rz. 22.4). Wählt ein Erbe diesen Weg, so soll der entsprechende Vorgang aus Gründen der Rechts- und Verkehrssicherheit besonders dokumentiert werden1.

22.59a Gem. § 1945 Abs. 1 BGB muss die Ausschlagung dem Nachlassgericht gegenüber erklärt werden. Dabei stehen dem Ausschlagenden nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Er kann die Ausschlagungserklärung zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form, also notariell beglaubigt, abgeben. Auch die Ausschlagung durch Anfechtung der Annahme gem. § 1957 Abs. 1 BGB hat gem. § 1955 S. 2 BGB in diesen Formen zu erfolgen. Das Nachlassgericht prüft bei der Entgegennahme der Ausschlagungserklärung neben der leicht zu kontrollierenden Form nur die örtliche Zuständigkeit und erteilt – auf Antrag – eine Bestätigung über Zugang und Inhalt der Erklärung2. Über den Erfolg der Ausschlagung wird in anderen Verfahren, meist im Erbscheinsverfahren, entschieden. Daraus folgt, dass das Nachlassgericht nicht befugt ist, die Erklärung aus anderen Gründen (als denen fehlender Form und fehlender Zuständigkeit) zurückzuweisen, aber auch nicht verpflichtet, auf eventuelle sonstige Mängel hinzuweisen3. Die Kosten der notariellen Beglaubigung belaufen sich gem. § 121 GNotKG, KV Nr. 25100 auf ein Fünftel (0,2) der vollen Gebühr, höchstens aber auf 70 Euro (mindestens 20 Euro). Wird die Ausschlagung zur Niederschrift des Nachlassgerichts abgegeben, so erhebt das Nachlassgericht gem. Vorb. 1 Abs. 2 der Anlage 1 zum GNotKG, KV Nr. 21201 eine halbe Gebühr (mindestens 30 Euro). Wird mit der Niederschrift über die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Antrag an das Nachlassgericht beurkundet, wird mit der Gebühr 23300 (1,0) insoweit auch das Beurkundungsverfahren abgegolten (Vorb. 2.3.3. Abs. 2 der Anlage 1 zum GNotKG). Bei Überschuldung des Nachlasses wird die Mindestgebühr von fünfzehn Euro gem. § 34 Abs. 5 GNotKG erhoben.

22.60 Die sachliche Zuständigkeit für die Ausschlagung der Erbschaft ergibt sich aus § 23a Abs. 2 Nr. 2 GVG. Danach ist das Amtsgericht Nachlassgericht. In Baden-Württemberg wurde diese Aufgabe bis zum 1.1.2018 durch die Notariate wahrgenommen (Art. 147 EGBGB, §§ 1, 36, 38 BWLFGG [inzwischen aufgehoben]). Eine Besonderheit enthält das landwirtschaftliche Erbrecht. Soweit die HöfeO Anwendung findet4, ist eine isolierte Ausschlagung des Hofanfalls gem. § 11 S. 1 HöfeO dem Landwirtschaftsgericht gegenüber zu erklären5. Wird jedoch nicht nur der Hof allein, sondern die gesamte Erbschaft ausgeschlagen, muss die Ausschlagungserklärung dem Nachlassgericht gegenüber erfolgen6.

22.61 Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 343 FamFG und aus § 344 Abs. 7 S. 1 FamFG. Danach bestimmt sich die Zuständigkeit nicht mehr wie bisher zunächst nach dem Wohnsitz (§ 343 Abs. 1 FamFG a.F.), sondern – in Anlehnung an Art. 4 EuErbVO – nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers zum Todeszeitpunkt (§ 343 Abs. 1 FamFG n.F.). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist weniger fassbar als der des Wohnsitzes. Dieser lässt sich als Daseinsmittelpunkt, also dem Schwerpunkt der familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen einer Person7, definieren. War es bei der Anknüpfung an den Wohnsitz noch möglich, dass aufgrund mehrerer Wohnsitze (§ 7 Abs. 2

1 2 3 4

MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 1. Firsching/Graf, Rz. 4.128. Weithase, Rpfleger 1988, 434 (435). Bei Höfen i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 HöfeO in Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein. 5 MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 16. 6 BGH v. 28.1.1972 – V ZB 29/71, BGHZ 58, 105 (106); MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 16; krit. Wöhrmann/Graß, § 11 Rz. 2. 7 Keidel/Zimmermann, FamFG, § 343 Rz. 62; Palandt/Thorn, Art. 21 EuErbVO Rz. 6; Dörner, ZEV 2012, 505 (510).

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.61 § 22

BGB) zunächst die Zuständigkeit mehrerer Nachlassgerichte begründet wurde1, kann es nunmehr nur noch einen gewöhnlichen Aufenthalt geben. Dieser kann im Einzelfall vom Wohnsitz abweichen2. § 344 Abs. 7 S. 1 FamFG bestimmt eine im Vergleich zur Regelung des § 73 FGG neue besondere Zuständigkeit für die Entgegennahme der Ausschlagungserklärung. Demnach kann der Ausschlagende seine Erklärung auch vor dem Nachlassgericht abgeben, in dessen Bezirk er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat3. Die Zuständigkeit des Aufenthaltsnachlassgerichts bedeutet eine nicht unerhebliche Erleichterung für den ausschlagenden Erben, dem die mitunter komplizierte Ermittlung des nach § 343 FamFG zuständigen Gerichts erspart bleibt. Die Ratio der Zuständigkeitsbestimmung des § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG offenbart zugleich das Verhältnis zwischen der besonderen Zuständigkeit des Aufenthaltsnachlassgerichts zu der allgemeinen örtlichen Zuständigkeit nach § 343 FamFG. In Abweichung zu § 2 Abs. 1 FamFG bestimmt § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG, dass das Nachlassgericht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Ausschlagenden die Niederschrift über die Ausschlagungserklärung an das nach § 343 FamFG zuständige Gericht zu übersenden hat4. Diese Regelung erhellt, dass es sich bei der besonderen Zuständigkeit nach § 344 Abs. 7 FamFG um eine Art Hilfszuständigkeit handelt. Ferner ergibt sich aus § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG, dass mit der Entgegennahme einer Erklärung in Satz 1 der Vorschrift nicht nur die körperliche Empfangnahme einer öffentlich beglaubigten Ausschlagungserklärung (§ 1944 Abs. 1, 2. Hs. 2. Alt. BGB), sondern auch die Errichtung einer Niederschrift des Nachlassgerichts (§ 1944 Abs. 1, 2. Hs. 1. Alt. und Abs. 2 BGB) gemeint ist5. Über den Wortlaut des § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG hinaus hat das Nachlassgericht neben den gerichtlich protokollierten auch notariell beglaubigte Ausschlagungserklärungen weiterzuleiten6. Es ist im Anschluss an § 2 Abs. 3 FamFG anzunehmen, dass eine Ausschlagung vor jedem Nachlassgericht Frist wahrend möglich ist7. Das unzuständige Gericht darf die Erklärung nicht zurückweisen. § 3 Abs. 1 S. 1 FamFG ordnet nun ausdrücklich an, dass das angerufene, aber unzuständige Gericht sich durch Beschluss für unzuständig zu erklären und die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen hat. Die neue Rechtslage statuiert damit eine Weiterleitungspflicht des unzuständigen Nachlassgerichts8. Dabei kommt es für diese Art der Zuständigkeitsbegründung nicht darauf an, ob das Gericht die Erklärung auch tatsächlich an das zuständige Gericht weiterleitet9. § 25 Abs. 3 S. 2 FamFG steht dem nicht entgegen. Denn § 25 FamFG ist auf Erklärungen, für die besondere gesetzliche Formerfordernisse gelten, nicht anwendbar10. Die Ausschlagungserklärung unterliegt den Formanforderungen des § 1944 Abs. 1, 2. Hs. und Abs. 2 BGB, kann also nicht nach § 25 Abs. 1 FamFG nur schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgegeben werden. Für den Fall, dass der Ausschlagende zum

1 BayObLG v. 9.10.1987 – BReg. 1Z 55/87, FamRZ 1988, 213. 2 So bei OLG Köln v. 23.8.2017 – 2 Wx 193/17, ErbR 2017, 734 = MDR 2017, 1369 nach Einreichung eines Scheidungsantrags. 3 OLG Rostock v. 15.6.2012 – 3 UH 1/12, FamRZ 2013, 245 = ZEV 2012, 550. 4 Heinemann, ZErb 2008, 293 (295 f.). Das Nachlassgericht am Wohnsitz (jetzt: gewöhnlichen Aufenthaltsort) des Ausschlagenden nimmt die Erklärung in originärer Zuständigkeit entgegen und leitet die Niederschrift über die Erklärung im Original (OLG Hamm v. 7.12.2010 – 15 Sdb 12/10, FamRZ 2012, 487) an das nach § 343 FamFG zuständige Gericht; so auch Palandt/Weidlich, § 1945 Rz. 7. 5 Heinemann, ZErb 2008, 293 (295); Heinemann, DNotZ 2009, 6 (25). 6 Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, § 344 Rz. 16. 7 RG v. 15.7.1909 – Rep. IV. 558/08, RGZ 71, 380 (382); nach BayObLG v. 13.10.1993 – 1Z BR 54/93, FamRZ 1994, 589 (590), soll dies auch bei einer Anfechtungserklärung möglich sein; so auch Palandt/ Weidlich, § 1955 Rz. 1. 8 Bisweilen wurde auch schon vor Inkrafttreten des § 3 Abs. 1 S. 1 FamFG eine Weiterleitungspflicht des unzuständigen Nachlassgerichts angenommen, so etwa von MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 8. Bauer, FG I, § 7 IV 2a (S. 87); Keidel/Zimmermann, FGG, § 7 Rz. 4 nahmen eine Weiterleitungspflicht des Gerichts nur dann an, wenn andernfalls der Fristablauf drohte. 9 Palandt/Weidlich, § 1945 Rz. 7; Soergel/Stein, § 1945 Rz. 10. 10 Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, § 25 Rz. 2 f.

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§ 22 Rz. 22.62

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Zwecke der Fristwahrung die Erklärung bewusst bei einem unzuständigen Gericht abgibt, wird zu Recht angenommen, dass die Ausschlagung missbräuchlich und somit unwirksam ist1.

22.62 Hat der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, ist gem. § 343 Abs. 2. FamFG das Gericht zuständig, in dessen Bezirk er zum Zeitpunkt des Erbfalls seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Für den Fall, dass der Erblasser Deutscher ist oder sich Nachlassgegenstände in Deutschland befinden, aber sich weder ein jetziger noch ein früherer gewöhnlicher Aufenthalt im Inland feststellen lässt, erklärt § 343 Abs. 3 S. 1 BGB das Amtsgericht Berlin-Schöneberg für zuständig. Die Ausschlagungsfrist beträgt in Auslandsfällen gem. § 1944 Abs. 3 BGB sechs Monate statt sechs Wochen.

22.63 Die internationale Zuständigkeit richtet sich für Erbfälle ab 17.8.2015 nicht mehr nach § 105 FamFG, nach dem das örtlich zuständige Nachlassgericht auch die internationale Zuständigkeit besitzt, sondern nach der EuErbVO (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO). Danach kann die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft sowohl vor dem Gericht erklärt werden, in dessen Bezirk der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 4 EuErbVO), als auch dort, wo der Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 31 IntErbRVG i.V.m. Art. 13 EuErbVO).

22.63a Hielt sich der Ausschlagende im Ausland auf, so genügte er gem. Art. 11 Abs. 1 EGBGB den Formerfordernissen, wenn die Ausschlagung in der Form erfolgte, die das Recht des Aufenthaltslandes verlangt. Die derart erklärte Ausschlagung musste zu ihrer Wirksamkeit dem nach deutschem Recht zuständigen Nachlassgericht aber in deutscher Sprache (§ 184 S. 1 GVG)2 zugehen3. Für die Erbfälle ab dem 17.8.2015 geht Art. 28 lit. b EuErbVO dem Art. 11 Abs. 1 EGBGB für die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft als lex specialis vor4. Danach kann die Erklärung auch in der Form des Rechts des Staates abgegeben werden, in dem der Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. In der Kombination mit Art. 13 EuErbVO führt dies zu einer wesentlichen Vereinfachung der Ausschlagung für den Erklärenden. Dieser soll das in der Sache zuständige Gericht aber selbst darüber in Kenntnis setzten, dass eine entsprechende Erklärung abgegeben wurde (EG 32 S. 3 EuErbVO)5. Ob er bereits mit Abgabe der Erklärung vor dem Gericht seines gewöhnlichen Aufenthalts6 oder mit der Information des sachlich zuständigen Gerichts7 die – nach § 1944 Abs. 3 BGB verlängerte – Frist wahrt, wird unterschiedlich beurteilt8. Um sicherzugehen, ist daher zu raten, die Erklärung über die Ausschlagung in der Zielsprache9 innerhalb der Frist weiterzuleiten (vgl. zum Erbfall mit Auslandsberührung auch Teil 7). Beratungshinweis: Ist die örtliche Zuständigkeit unklar, sollte die Ausschlagung allen in Betracht kommenden Gerichten gegenüber erklärt werden, um ein Fristversäumung zu vermeiden.

1 Lange/Kuchinke, § 8 III 3 (S. 201 f.), wollen die Unwirksamkeit schon bei einfach schuldhaftem Verhalten eintreten lassen. 2 OLG Köln v. 12.2.2014 – 2 Wx 25/15, FamRZ 2014, 1576 (1578) = NJW-RR 2014, 1037 (1038); OLG Schleswig v. 11.2.2015 – 3 Wx 90/14, ZEV 2015, 583 (585); a.A. Beller/Wahl, BWNotZ 2014, 161 (163). 3 LG Magdeburg v. 22.3.2016 – 11 O 1415/15, BeckRS 2016, 10656; Staudinger/Otte [2008], § 1945 Rz. 25. 4 Dutta/Weber/J. P. Schmidt, Art. 28 EuErbVO Rz. 3. 5 Dutta/Weber/Lein, Art. 13 EuErbVO Rz. 15. 6 MüKo.BGB/Dutta, Art. 13 EuErbVO Rz. 10, 12 f., der mit Blick auf die bezweckte Erleichterung für den Erklärenden eine Pflicht zur Weiterleitung ablehnt; ebenso Leipold, ZEV 2015, 553 (555 f.). 7 Lange/Holtwiesche, Zerb 2016, 29 (33); Eichel, ZEV 2017, 545 (552), der das Interesse der weiteren Beteiligten an der Kenntnis über die Abgabe der Erklärung betont und den Erklärenden auf diese Weise zur Weitergabe der Information „motivieren“ möchte. 8 Eingehend dazu Eichel, ZEV 2017, 545. 9 Zur Frage, ob die Ausschlagungserklärung vor der Weiterleitung an das mit der Erbsache befasste Gericht übersetzt werden muss, siehe Lange/Holtwiesche, ZErb 2016, 29 (32 f.).

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.66 § 22

V. Ausschlagungsfrist Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob die Ausschlagungsfrist für ihn schon mit der Testamentseröffnung zu laufen begonnen hat. Er war zwar zur Eröffnung geladen, jedoch nicht erschienen und hat erst später von seiner Berufung erfahren.

22.64

1. Allgemeines Das Recht zur Ausschlagung steht dem Erben nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu. Den 22.65 Anfangszeitpunkt markiert der Erbfall (§ 1946 BGB). Mit Ablauf der Ausschlagungsfrist gem. § 1944 BGB endet die Möglichkeit der Ausschlagung, mit der Folge, dass der Erbe sich hinsichtlich der Ausschlagung präkludiert sieht1. Das Ende des Zeitfensters ist jedoch nicht völlig starr, da nicht der Erbfall den Fristlauf in Gang setzt, sondern erst die Kenntnis des Erben von Anfall und Berufungsgrund. Im Falle gewillkürter Erbfolge wird der Zeitpunkt des Fristbeginns noch weiter hinausgeschoben. Die Frist beginnt dann gem. § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB nicht vor der Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen zu laufen. Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Wochen, bei Fällen mit Auslandsberührung verlängert sie sich gem. § 1944 Abs. 3 BGB auf sechs Monate (siehe zu letzterem Rz. 22.63). Im Falle gesetzlicher Vertretung ist der Aufenthaltsort des Vertreters entscheidend2. Der Erbe muss den Fristanlauf nicht abwarten. Er kann schon nach dem Erbfall (§ 1946 BGB), aber noch vor genügender Kenntnis der Tatsachen die Erbschaft ausschlagen3. Daraus folgt unter anderem, dass ein Nachberufener, also etwa der nächstfolgende gesetzliche Erbe, schon vor der Ausschlagung des Vorberufenen ausschlagen oder annehmen kann4. Für den Nacherben ist in § 2142 Abs. 1 BGB ausdrücklich bestimmt, dass er schon vor Eintritt des Nacherbfalls die Erbschaft auszuschlagen vermag; die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB beginnt aber erst mit dem Eintritt des Nacherbfalles zu laufen5. Auch ein Ersatzerbe kann schon mit Eintritt des Erbfalls überhaupt und nicht erst bei Anfall der Erbschaft an ihn die Ausschlagung erklären6. Ein durch Berliner Testament berufener Schlusserbe hingegen erlangt die Ausschlagungsmöglichkeit erst mit dem Tod des Letztversterbenden. Die drei zuletzt genannten Fälle unterscheiden sich dadurch, dass im Fall der Nach- und Ersatzerbschaft nur ein Erbfall gegeben ist, während bei der Schlusserbschaft zwei Erbfälle vorliegen (und der Schlusserbe nur und erst beim zweiten Erbfall Erbe wird)7.

22.65a

Kenntnis bedeutet, dass der Erbe ein bestimmtes und sicheres Wissen von den den Anfall begrün- 22.66 denden Tatsachen hat8. Schuldhaftes Nichtwissen steht der Kenntnis nicht gleich9. Daraus folgt z.B., dass der Zugang eines Schreibens, das die Kenntnis begründende Informationen enthält, nicht ausreicht; der Fristlauf wird erst durch die tatsächliche Kenntnisnahme des Inhalts in Gang gesetzt10. Es besteht auch keine Verpflichtung des Erben aus Treu und Glauben, sich Kenntnis zu verschaffen. Unterlässt es z.B. ein Erbe, der trotz Ladung der Testamentseröffnung fern bleibt, sich nachträglich über den Inhalt des Testaments zu informieren, so führt dies dazu, dass die Frist nicht mit der Testamentseröffnung, sondern erst mit tatsächlicher Kenntnis vom Inhalt des Testaments zu laufen be-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 2. MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 29. RG v. 9.11.1912 – Rep. IV 187/12, RGZ 80, 377 (385); Staudinger/Otte, § 1946 Rz. 3. Staudinger/Otte, § 1946 Rz. 4. Erman/M. Schmidt, § 2142 Rz. 3; MüKo.BGB/Grunsky, § 2142 Rz. 1. BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, FamRZ 1998, 103 = MDR 1998, 108 = ZEV 1998, 22; RG v. 9.11.1912 – IV 187/12, RGZ 80, 377 (382). BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, FamRZ 1998, 103 = MDR 1998, 108 = ZEV 1998, 22; Behrendt, ZEV 1998, 67. Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 2 f.; Gottwald, ZEV 2006, 293 (294). BayObLG v. 22.3.1968 – BReg. 1b Z 11/68, BayObLGZ 1968, 68 (74). BayObLG v. 22.3.1968 – BReg. 1b Z 11/68, BayObLGZ 1968, 68 (75).

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§ 22 Rz. 22.67

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ginnt1. Durch diese enge Auslegung eröffnen sich bedenkliche Möglichkeiten zur Manipulation; außerdem entsteht die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheit. Erlangt der Nacherbe Kenntnis vom Inhalt des Testaments im Erbscheinsverfahren des Vorerben, setzt das nicht die Ausschlagungsfrist in Lauf; die Bekanntgabe an einen anderen Erben ist nicht ausreichend, selbst wenn der Ausschlagungsberechtigte dessen gesetzlicher Vertreter ist; der Beginn der Ausschlagungsfrist setzt eine Kundgabe an den Erben als Beteiligten voraus (im Anschluss an BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52)2. 2. Fristbeginn a) Kenntnis vom Anfall

22.67 Frühestmöglicher Zeitpunkt zur Ausschlagung ist gem. § 1946 BGB der Zeitpunkt des Erbfalls. Eine zuvor erklärte Ausschlagung bleibt unwirksam. Dies ergibt sich schon daraus, dass die gem. § 1944 Abs. 2 BGB geforderte Kenntnis auch die Kenntnis vom Anfall der Erbschaft umfasst3. Kenntnis vom Anfall hat der Erbe dann, wenn er vom Tod des Erblassers erfährt und ihm die den Anfall herbeiführenden Umstände bekannt sind. Bei gesetzlicher Erbfolge ist dies dann der Fall, wenn er über die verwandtschaftlichen oder sonstigen familiären Beziehungen (positive Kenntnis), das Fehlen einer die gesetzliche Erbfolge ausschließenden Verfügung von Todes wegen und das Nichtvorhandensein vorgehender Erben informiert ist4. Ergibt sich das Nichtvorhandensein vorgehender Erben erst aus deren Ausschlagung, muss die Kenntnis auch diese Ausschlagung umfassen5. Hinsichtlich des Fehlens einer letztwilligen Verfügung liegt Kenntnis vor, wenn dem Erben eine Verfügung von Todes wegen nicht bekannt ist und er auch keine begründete Vermutung hat, dass eine solche existiert6.

22.68 Im Falle gewillkürter Erbfolge bestimmt § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB, dass die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen zu laufen beginnt. Die Eröffnung und Bekanntgabe als solche führen aber (selbst wenn in ihrem Zeitpunkt der Erbe über Anfall und Berufungsgrund Bescheid weiß) noch nicht den Fristanlauf herbei. Es ist vielmehr erforderlich, dass der Erbe von der Eröffnung und Bekanntgabe des Testaments Kenntnis erlangt7. Werden bei der Eröffnung eines gemeinschaftlichen Testaments nach dem Tod des Erstverstorbenen die Verfügungen des Überlebenden mit bekanntgegeben, weil diese untrennbar mit den übrigen Verfügungen verbunden sind, so ist damit i.S.d. § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB noch keine Bekanntgabe hinsichtlich der Verfügungen des Letztversterbenden erfolgt, da der Mitbekanntgabe im ersten Eröffnungstermin keine rechtliche, sondern nur eine tatsächliche Bedeutung zukommt8.

1 OLG München v. 10.9.1936 – Wx 208/36, DNotZ 1936, 64 (65). Diese Kenntnis würde z.B. durch eine Mitteilung gem. § 2262 BGB, § 348 Abs. 2, 3 FamFG vermittelt. 2 OLG München v. 2.12.2010 – 31 Wx 67/10, FamRZ 2011, 678. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 1. 4 Hier darf keine begründete Vermutung bestehen, OLG Rostock v. 14.9.2011 – 3 W 118/10, NJW-RR 2012, 1356; OLG Hamm v. 14.3.1969 – 15 W 419/68, OLGZ 1969, 288. Eine solche begründete Vermutung besteht bei abgerissenen Familienbanden, bei denen es aus Sicht des Erben nicht unwahrscheinlich erscheint, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung ausgeschlossen hat (OLG Schleswig v. 20.6.2016 – 3 Wx 96/15, FamRZ 2017, 324 [325] = ZEV 2016, 698 f.). 5 Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 7. 6 BayObLG v. 17.3.1953 – BReg. 2Z 180/52, NJW 1953, 1431 (1432); OLG Zweibrücken v. 23.2.2006 – 3 W 6/06, FamRZ 2006, 892 (893) = NJW-RR 2006, 1594 (1595) = Rpfleger 2006, 407. 7 BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52; OLG Karlsruhe v. 13.12.1988 – 11 W 67/88, FamRZ 1989, 547 = MittRhNotK 1989, 118; MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 18; a.A. Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 19a, der eine Übertragung der bisherigen Rechtsprechung auf die Neuregelung ablehnt. 8 RG v. 14.7.1932 – IV B 12/32, RGZ 137, 222 (229 f.); Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 20. So jetzt auch in § 349 Abs. 1 FamFG (Abs. 4 für Erbverträge).

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.70a § 22

b) Kenntnis vom Berufungsgrund Neben der Kenntnis vom Anfall der Erbschaft verlangt § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB auch Kenntnis vom 22.69 Berufungsgrund1. Dabei kommt es auf die Person des Erben an; nur wenn der Erbe geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, hat man auf die Person des gesetzlichen Vertreters abzustellen (vgl. dazu Rz. 22.83 ff.)2. Dass auch die alleinige Kenntnis eines rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigten ausreicht, wird teilweise abgelehnt3. Es leuchtet aber nicht ein, warum z.B. die Kenntnis eines Bevollmächtigten, der gerade auch zur Besorgung erbschaftlicher Geschäfte – insbesondere für Annahme und Ausschlagung – bestellt worden ist, nicht genügen sollte4. Die Kenntnis vom Berufungsgrund ist deshalb erforderlich, weil dem Erben nicht nur klar sein soll, dass er etwas erbt, sondern auch, aufgrund welcher rechtlichen Umstände er etwas erbt5. Er muss wissen, ob er aufgrund gesetzlicher Erbfolge oder aufgrund einer Verfügung von Todes wegen Erbe ist, weil dies unterschiedliche rechtliche Auswirkungen haben kann6. Hingegen ist umstritten, ob sich die Kenntnis des Erben auf eine bestimmte Verfügung beziehen 22.70 muss, wenn es mehrere – z.T. auch unwirksame – Verfügungen gibt. Ansatzpunkt für diesen Streit ist der Begriff des Berufungsgrundes in § 1944 BGB. Teilweise wird angenommen, dass der Begriff ebenso zu verstehen sei wie in den anderen Vorschriften dieses Abschnitts, mit der Folge, dass Kenntnis über die konkrete Verfügung gefordert wird7. Aber auch diese Ansicht geht nicht soweit, dass der Erbe den genauen Inhalt der konkreten Verfügung kennen muss8. Glaubt der Erbe, er sei durch ein bestimmtes Testament berufen, ist diese Verfügung in Wirklichkeit aber unwirksam (und er durch eine andere, ihm unbekannte Verfügung berufen), so fehlt ihm auch in diesem Fall die erforderliche Kenntnis9. Unterliegt der Erbe demnach einem Tatsachen- oder Rechtsirrtum, schließt das seine Kenntnis aus10. Andere wollen den Begriff des Berufungsgrundes in § 1944 BGB weiter verstehen als z.B. in den 22.70a §§ 1949, 1951 BGB. Sie lassen es genügen, wenn der Erbe überhaupt weiß, dass er gekorener Erbe ist11. Diese Ansicht schränkt die Entscheidungsbefugnis des Erben freilich zu sehr ein. Aufgrund des überwiegend personalen Charakters des Ausschlagungsrechts kann ein Verlust dieses Rechts (hier durch Fristablauf) nur dann in Betracht kommen, wenn dem Erben alle entscheidenden Umstände als Grundlage der Entscheidungsfindung bekannt sind. Es kann für ihn durchaus von Bedeutung sein, aufgrund welcher Verfügung er berufen ist. Er muss somit richtigerweise Kenntnis von der konkreten Verfügung haben, auf der seine Erbenstellung beruht.

1 Dazu BGH v. 5.7.2000 – IV ZR 180/99, MDR 2000, 1193 = FamRZ 2000, 1504 = ZEV 2000, 401. 2 Auf die Kenntnis beider Eltern stellt ab OLG Frankfurt v. 3.7.2012 – 21 W 22/12, FamRZ 2013, 196; a.A. bisher MüKo.BGB/Leipold [2013], § 1944 Rz. 14, der analog § 1629 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB die Kenntnis eines der Vertreter genügen ließ, sich nun in MüKo.BGB, § 1944 Rz. 15 aber der vorgenannten Ansicht anschließt. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 16; Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 15; Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 6, der für die Unanwendbarkeit des § 166 BGB plädiert. Für eine analoge Anwendung des § 166 BGB OLG Celle v. 15.9.2009 – 6 W 117/09, FamRZ 2010, 836. 4 BayObLG v. 17.3.1953 – BReg. 2Z 180/52, NJW 1953, 1432; RGRK/Johannsen, § 1944 Rz. 12; Erman/ J. Schmidt, § 1944 Rz. 9; OLG Rostock v. 10.11.2009 – 3 W 53/08, FamRZ 2010, 1597 = RNotZ 2010, 474 (475); OLG Schleswig v. 19.9.2008 – 3 Wx 98/03, ZEV 2009, 296. 5 Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 9; MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 4. 6 BGH v. 5.7.2000 – IV ZR 180/99, MDR 2000, 1193 = FamRZ 2000, 1504 = ZEV 2000, 401. 7 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 5; Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 8, § 1949 Rz. 2; Walter, ZEV 2008, 319 (321). 8 Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 4. 9 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 5; Lange/Kuchinke, § 8 III 1b (S. 198). 10 BGH v. 5.7.2000 – IV ZR 180/99, MDR 2000, 1193 = FamRZ 2000, 1504 = ZEV 2000, 401. 11 Soergel/Stein, § 1944 Rz. 10; RGRK/Johannsen, § 1944 Rz. 4.

Muscheler 1031

§ 22 Rz. 22.71

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

22.71 Wird ein Rechtsstreit über die Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung geführt, so liegt die erforderliche Kenntnis mit der Rechtskraft der Entscheidung vor1; die gütliche Einigung der Beteiligten über die Wirksamkeit genügt aber ebenfalls. In einem solchen Fall ist es eindeutig, wann genau die notwendige Kenntnis vorliegt. In anderen Fällen bereitet die Bestimmung des Zeitpunktes Schwierigkeiten. Daher darf auch der Prüfungsmaßstab nicht ganz so rigide sein. Absolute Gewissheit ist nicht zu fordern, unbegründete Zweifel an der Erbenstellung genügen nicht, um die Kenntnis vom Berufungsgrund auszuschließen2. Bei der – wenngleich unzutreffenden – nicht per se abzuweisenden, mit vertretbaren Gründen versehenen Auffassung, nicht testamentarischer, sondern gesetzlicher Erbe zu sein, liegt keine zuverlässige Kenntnis des Berufungsgrundes i.S.d. § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB vor3. Den Fristablauf und somit den Wegfall des Ausschlagungsrechts hat derjenige zu beweisen, der sich auf die Verspätung der Ausschlagung beruft4. Je nach Fallgestaltung kann das der ausschlagende Erbe oder der Prozessgegner sein. Es kommt hinsichtlich der Beweislast darauf an, für wen der Wegfall des Ausschlagungsrechts im konkreten Fall günstig ist. Beruft sich der Gegner auf den Wegfall des Ausschlagungsrechts aufgrund Fristablaufs – behauptet er mithin die Annahme –, so ist er für die die Frist in Gang setzende Kenntnis vom Berufungsgrund beweispflichtig. Der Ausschlagende muss in diesem Fall lediglich die Existenz der Ausschlagungserklärung, deren Zeitpunkt sowie die Einhaltung der Form beweisen, nicht jedoch die Rechtzeitigkeit5. c) § 2306 Abs. 1 BGB

22.72 Im Fall des § 2306 Abs. 1 BGB hängt der Beginn der Ausschlagungsfrist nicht nur von den Voraussetzungen des § 1944 BGB ab. Der pflichtteilsberechtigte Erbe muss hier zusätzlich Kenntnis davon haben, dass der hinterlassene Erbteil den in der Norm genannten Beschränkungen oder Beschwerungen unterworfen ist6, da nur dann eine (pflichtteilserhaltende) Ausschlagung überhaupt in Betracht kommt7. Hat im Rahmen einer Zugewinngemeinschaft der überlebende Ehegatte die „Wahl“ zwischen erb- und güterrechtlicher Lösung, so stehen die Pflichtteilsbruchteile der Abkömmlinge oder Eltern erst fest, wenn der überlebende Ehegatte sein Wahlrecht ausgeübt hat oder die für ihn laufende Ausschlagungsfrist abgelaufen ist8. Erst danach beginnen die Ausschlagungsfristen der Pflichtteilsberechtigten zu laufen.

1 KG v. 28.1.1908 – III. ZS, OLGE 16, 251 (252). 2 BayObLG v. 17.3.1953 – BReg. 2Z 180/52, NJW 1953, 1431; OLG Hamm v. 14.3.1969 – 15 W 419/68, OLGZ 1969, 288 (290); OLG Rostock v. 14.9.2011 – 3 W 118/10, NJW-RR 2012, 1356. 3 OLG München v. 28.8.2006 – 31 Wx 45/06, ZEV 2006, 554 (555) = ZErb 2006, 385 (386) = Rpfleger 2007, 28 (29). Ein gemeinschaftliches Testament enthielt im konkreten Fall nur eine durch Auslegung zu ermittelnde Schlusserbeneinsetzung nach Versterben des länger lebenden Ehegatten. Der so eingesetzte Miterbe hielt sich jedoch für den gesetzlichen Alleinerben des letztverstorbenen Ehegatten. 4 Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 8. 5 BGH v. 5.7.2000 – IV ZR 180/99, MDR 2000, 1193 = FamRZ 2000, 1504 = ZEV 2000, 401 (402); Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 30. 6 Vor der Änderung des § 2306 Abs. 1 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts v. 24.9.2009 (BGBl I, S. 3142) kam die Ausschlagung gem. § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB nur in Betracht, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils überstieg (s. Rz. 22.29 ff.). Dementsprechend hing der Beginn der Ausschlagungsfrist zusätzlich von der Kenntnis der Beteiligungshöhe am Nachlass ab. Nunmehr ist nicht mehr erforderlich die Kenntnis des konkreten Nachlasswertes (OLG Stuttgart v. 29.1.2009 – 19 U 150/08, FamRZ 2009, 1182) oder des Erbteilswertes (Palandt/Weidlich, § 2306 Rz. 6; krit. MüKo.BGB/Lange, § 2306 Rz. 24). 7 Palandt/Weidlich, § 2306 Rz. 6; MüKo.BGB/Lange, § 2306 Rz. 19 ff.; Gottwald, ZEV 2006, 293 (294). Die Verjährungsfrist des Pflichtteilsanspruchs läuft unabhängig von der Ausschlagung, § 2332 Abs. 2 BGB; s. de Leve, ZEV 2010, 184. 8 Nieder/Kössinger, § 2 Rz. 30.

1032

Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.75 § 22

d) Fristberechnung Die Frist berechnet sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 186 ff. BGB. Gem. § 1944 Abs. 2 S. 3 BGB finden die §§ 206, 210 BGB entsprechende Anwendung. Der Tod des Erben ist kein Fall höherer Gewalt i.S.d. § 206 BGB, der zur Hemmung der Frist führen würde. Hier greift vielmehr die Sonderregelung des § 1952 Abs. 2 BGB ein. Diese Norm verlängert die Ausschlagungsfrist hinsichtlich des ersten Erbfalls derart, dass diese mindestens so lange dauert wie diejenige für den Zweitnachlass1. Jedoch müssen die Voraussetzungen des § 1944 BGB, also Kenntnis von Anfall und Berufungsgrund, nicht auch beim Enderben gegeben sein; auch ohne dessen Kenntnis läuft die Ausschlagungsfrist hinsichtlich des Erstnachlasses weiter ab.

22.73

Ein Fall höherer Gewalt liegt vor, wenn die gem. §§ 1643 Abs. 2, 1822 Nr. 2 (ggf. i.V.m. § 1908i 22.74 Abs. 1 S. 1) BGB erforderliche Genehmigung durch das Familien- bzw. Betreuungsgericht (vgl. Rz. 22.83 ff.) nicht innerhalb der Ausschlagungsfrist erteilt wird2. Der gesetzliche Vertreter muss jedoch den Antrag noch innerhalb der Ausschlagungsfrist stellen, wobei er sich freilich nicht so zu beeilen braucht, dass die Genehmigung noch rechtzeitig erteilt werden kann3. Eine solche Forderung würde die ohnehin schon knappe Bedenkzeit weiter verkürzen. Der Ablauf der Ausschlagungsfrist wird bis zur Erteilung der Genehmigung gehemmt. Dabei kommt es nicht mehr – wie noch in § 16 FGG vorgesehen – allein auf die Bekanntgabe des Genehmigungsbeschlusses an, sondern gem. § 40 Abs. 2 S. 1 FamFG zudem auf dessen Rechtskraft4. Nach der Erteilung der Genehmigung bzw. der Zustellung des rechtskräftigen Genehmigungsbeschlusses läuft die Frist weiter. Hierbei ist zu beachten, dass die Frist nicht etwa um die Zeit verlängert wird, die notwendig ist, um die Genehmigung dem Nachlassgericht zu übermitteln5 und ein Unterlassen der rechtzeitigen Übermittlung i.d.R. mangels Willenserklärung nicht angefochten werden kann6. Zudem endet die Hemmung mit Übergang der Genehmigungsbefugnis bei Eintritt der Volljährigkeit gem. §§ 1643 Abs. 3, 1829 Abs. 3 BGB7.

VI. Inhalt der Ausschlagungserklärung 1. Die Ausschlagungserklärung Die Ausschlagungserklärung ist nicht an den Gebrauch bestimmter Worte oder Begriffe gebunden. 22.75 Es muss sich aus der Erklärung nur unzweideutig ergeben, dass der Erbe die Erbschaft nicht annehmen will8. Ob in einer dem Nachlassgericht gegenüber abgegebenen Erklärung eine Ausschlagung gesehen werden kann, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln9. So kann z.B. in der Anerkennung des Erbrechts einer anderen Person regelmäßig nicht eine Ausschlagungserklärung gesehen werden. Darin kommt

1 MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 8. 2 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 153/65, OLGZ 1966, 337; BayObLG v. 13.1.1983 – BReg.1 Z 27/82, FamRZ 1983, 834 = BayObLGZ 1983, 9 (13); OLG Saarbrücken v. 17.2.2011 – 5 W 245/10, Rpfleger 2011, 607; Gottwald, ZEV 2006, 293 (294); Horn, ZEV 2016, 20 (22); a.A. Gernhuber/Coester-Waltjen, § 60 Rz. 49. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 25; a.A. RGRK/Johannsen, § 1944 Rz. 20. 4 OLG Brandenburg v. 22.4.2014 – 3 W 13/14, ZEV 2014, 540 (541); KG v. 4.9.2015 – 6 W 92/15, ErbR 2016, 210; MüKo.FamFG/Ulrici, § 40 Rz. 8 f.; Horn, ZEV 2016, 20 (22). 5 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 153/65, OLGZ 1966, 337. 6 KG v. 4.9.2015 – 6 W 92/15, ErbR 2016, 210. 7 OLG Hamm v. 7.7.2015 – I-15 W 329/14, RNotZ 2016, 179 (183). 8 BayObLG v. 31.1.1967 – BReg. 1a Z 79/66, BayObLGZ 1967, 33 (37). 9 Über die Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung darf das Nachlassgericht nur im Erbscheinsverfahren entscheiden; die von einer wirksamen Ausschlagung Profitierenden sind durch das Nachlassgericht zu informieren, auch wenn es die Ausschlagungserklärung für unwirksam, insbesondere verfristet hält, OLG München v. 25.2.2010 – 31 Wx 20/10, FamRZ 2010, 1112 = FGPrax 2010, 138 – gegen diese Entscheidung drängt sich ein Hinweis auf § 26 FamFG auf, so auch Lehmann/Schulz, ZEV 2011, 23.

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§ 22 Rz. 22.76

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

vielmehr die Unkenntnis des Erben über die Tatsache zum Ausdruck, dass er Erbe ist1. Wenn ein Ausschlagungswilliger das Wort „anfechten“ gebraucht, reicht dies für die Ausschlagung aus, da er dem Gericht gegenüber hinreichend klar erklärt, nicht Erbe sein zu wollen2. Im Hinblick auf die Tragweite einer solchen Erklärung sollte jedoch bei unklarer Wortwahl Zurückhaltung gewahrt werden bei der Annahme einer Ausschlagungserklärung. Angesichts der einzuhaltenden Form und der damit einhergehenden Beratung kann man nämlich regelmäßig davon ausgehen, dass eine Ausschlagung in eindeutiger Weise erklärt wird3. Die Frage, ob dem Erben seine Erbenstellung wenigstens als Möglichkeit bekannt sein muss4, ist wohl eher theoretischer Natur. Ohne eine solche Kenntnis hätte er kaum Anlass, die Ausschlagung zu erklären.

22.76 Neben der Prüfung, ob überhaupt eine Ausschlagung erklärt wurde, stellt sich die Frage nach der Reichweite einer solchen Erklärung. Hier gibt § 1949 Abs. 2 BGB eine Auslegungsregel. Danach erstreckt sich die Ausschlagung im Zweifel auf alle bekannten Berufungsgründe. Schlägt der Erbe (ausdrücklich oder konkludent) nur aus einem bestimmten Berufungsgrund aus, bleibt die Annahme aus einem anderen Grund möglich (vgl. zu den Besonderheiten bei gemeinschaftlichen Testamenten Rz. 22.25 f.). Ist ein Berufungsgrund vollständig unbekannt, liegt kein Fall des § 1949 Abs. 2 BGB vor5. Soweit dem Erben der Berufungsgrund gleichgültig war, ist die Ausschlagung wirksam, auch wenn er einen Berufungsgrund nicht kannte6. Ob eine solche, durch Gleichgültigkeit des Berufungsgrundes geprägte Ausschlagung sich auch auf künftig eintretende Berufungsgründe erstreckt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln7. Die Vorschrift erfasst nach freilich bestrittener Auffassung nicht nur parallel vorliegende Berufungsgründe, sondern gerade auch sukzessive Berufungsgründe, die sich z.B. infolge der eigenen Ausschlagung ergeben8. Jedoch muss dieser sukzessive Berufungsgrund im Zeitpunkt der Ausschlagung sicher gegeben sein. Ist die weitere Berufung dagegen von zukünftigen unsicheren Ereignissen – namentlich von Entscheidungen Dritter – abhängig, greift § 1949 Abs. 2 BGB nicht ein. Allerdings kann der Erbe vorsorglich auch für solche Fälle die Ausschlagung aus jedem möglichen Berufungsgrund erklären. 2. Bedingte Ausschlagung

22.77 Gem. § 1947 BGB können Ausschlagung und Annahme nicht unter einer Bedingung oder Befristung erfolgen. Die Beifügung einer Bedingung oder Befristung macht die Erklärung (Ausschlagung oder Annahme) unwirksam; ein argumentum e contrario aus § 1950 S. 2 BGB wäre fehl am Platz. Der Verkehr verlangt gerade im Erbrecht nach möglichst klarer und definitiver Rechtslage. Jedoch sind von § 1947 BGB nur solche Erklärungszusätze erfasst, die die Wirkung der Erklärung von einem ungewissen künftigen Ereignis abhängig machen. Im Gegensatz zu solchen rechtsgeschäftlichen Bedingungen im echten Sinne sind Rechtsbedingungen unbedenklich9. Wird die Ausschlagung also von der – zum Zeitpunkt der Ausschlagung schon sicheren, aber noch nicht endgültig bekannten – Rechtslage abhängig gemacht, liegt kein Fall des § 1947 BGB vor. Jedoch muss das Vorliegen der mit der Wirksamkeit 1 BayObLG v. 31.1.1967 – BReg. 1a Z 79/66, BayObLGZ 1967, 33 (37); MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 4. 2 OLG Dresden v. 19.10.1916 – 4. ZS, OLGE 35, 178. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 6. 4 Vgl. dazu Staudinger/Otte, § 1945 Rz. 2. 5 Staudinger/Otte, § 1949 Rz. 10. 6 OLG Hamm v. 17.2.2011 – I-15 W 167/10, FamRZ 2011, 1426 = FGPrax 2011, 184. 7 BVerwG v. 14.4.2010 – 8 B 88/09, FamRZ 2010, 1250. 8 MüKo.BGB/Leipold, § 1949 Rz. 9; RGRK/Johannsen, § 1949 Rz. 13; a.A. Staudinger/Otte, § 1949 Rz. 12; Soergel/Stein, § 1949 Rz. 8. 9 Staudinger/Otte, § 1947 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 1947 Rz. 1; a.A. Specks, ZEV 2007, 356 (359 f.), der § 1947 BGB generell auf Gegenwarts- und Vergangenheitsbedingungen analog anwenden will: Andernfalls sei das mit der Bedingungsfeindlichkeit verbundene Ziel, schnell Rechtssicherheit zu erreichen, gefährdet, da auch Gegenwarts- und Vergangenheitsbedingungen im Einzelfall erheblichen Klärungsaufwand erfordern könnten.

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.77c § 22

der Ausschlagung verbundenen Rechtslage sicher sein und darf nicht seinerseits von ungewissen Umständen – z.B. der Ausschlagung eines anderen – abhängen. Die Wirkung einer der Ausschlagung beigefügten Rechtsbedingung ist streitig. Teilweise wird jeglicher Einfluss einer Rechtsbedingung auf die Wirksamkeit der Ausschlagung verneint1. Richtigerweise muss jedoch eine Wirksamkeitsabhängigkeit der Ausschlagung von einer bestimmten Rechtslage möglich sein, da § 1947 BGB nur echte Bedingungen für unzulässig erklärt2.

22.77a

Beispiel: (LG München I v. 12.7.1999 – 16 T 9048/99, FamRZ 2000, 1328 = NJWE-FER 2000, 184.) Der Erblasser hatte seine Frau als Vorerbin und seinen kinderlosen Sohn als Nacherben eingesetzt. Bei Versterben des Sohnes vor Eintritt des Nacherbfalles sollten verschiedene Organisationen Ersatznacherben werden. Der Sohn schlug zu Lebzeiten der Mutter die Nacherbschaft aus, damit die Erbschaft seiner Mutter als Vollerbin zufalle.

In diesem Fall nahm das LG München3 Wirksamkeit der Ausschlagung an, da keine Bedingung i.S.d. 22.77b § 1947 BGB gegeben sei. Nur die Verknüpfung der Erklärung mit einem künftigen, ungewissen Umstand stelle eine durch § 1947 BGB verbotene Bedingung dar. Die erbrechtliche Situation sei nicht ungewiss, sondern im Zeitpunkt der Ausschlagung sei schon klar gewesen, dass die Mutter infolge der Ausschlagung nicht Vollerbin werde, sondern weiterhin Vorerbin bleibe, da die Ersatznacherben an die Stelle des Sohnes rückten. Daher liege nur eine subjektive Ungewissheit vor, die aber nicht mit der Erklärung derart verbunden werden könne, dass bei einem Irrtum die Ausschlagung unwirksam sei. Das Gericht verkennt hier jedoch die Reichweite des § 1947 BGB, der nur die Abhängigkeit der Ausschlagung von ungewissen zukünftigen Ereignissen verhindern will. Dass die Ausschlagung nicht zur Vollerbenstellung der Mutter führen konnte, war nicht ungewiss, sondern sicher. Daher lag eine an sich wirksame Erklärung vor, die aber wegen Nichtvorliegens der Rechtsbedingung keine Ausschlagungswirkung entfaltete. Zumindest aber musste man im konkreten Fall das Vorliegen einer (stillschweigenden) echten Bedingung i.S.d. § 1947 BGB prüfen, durch die die Ausschlagung des Sohnes in Abhängigkeit von möglichen Ausschlagungen der ersatzweise berufenen Organisationen gebracht wurde. Darüber hinaus hätte das Gericht untersuchen müssen, ob in der Erklärung nicht gegebenenfalls eine Übertragung des dem Nacherben zustehenden Anwartschaftsrechts auf die Mutter gesehen werden konnte. Im Übrigen käme auch die Ansicht, die § 1947 BGB analog auf Rechtsbedingungen anwenden will4, im konkreten Fall zur Unwirksamkeit der Ausschlagung, also zu einem der Entscheidung des LG München diametral entgegengesetzten Ergebnis. Unabhängig vom konkreten Beispielsfall ist Folgendes zu sagen: Es kommt in der Praxis sehr oft vor, dass die Ausschlagung zugunsten einer bestimmten Person erklärt wird. Solche Zusätze will der Ausschlagende oftmals gar nicht im Sinne einer Bedingung verstanden wissen. Bei der Auslegung seiner Erklärung sollte daher Zurückhaltung geübt werden. Es ist zu unterscheiden, ob der Dritte Nächstberufener gem. § 1953 Abs. 2 BGB ist oder nicht. Erfolgt die Ausschlagung zugunsten desjenigen, der auch nach dem Gesetz als Nächster berufen ist, so hat man in der vermeintlichen Bedingung regelmäßig einen bedeutungslosen und unschädlichen Zusatz zur Ausschlagungserklärung zu sehen5. Die Möglichkeit, dass der Ausschlagungsbegünstigte die Erbschaft ausschlagen könnte, soll in solchen Fällen wohl kaum zur Bedingung erhoben werden. Soll die Ausschlagung dazu führen, dass nur eine bestimmte Person (alleine) begünstigt wird, obwohl tatsächlich eine Mehrheit von Erben berufen ist, so

1 2 3 4 5

LG München I v. 12.7.1999 – 16 T 9048/99, FamRZ 2000, 1328 = NJWE-FER 2000, 184 (185). MüKo.BGB/Leipold, § 1947 Rz. 3. LG München I v. 12.7.1999 – 16 T 9048/99, FamRZ 2000, 1328 = NJWE-FER 2000, 184 (185). Specks, ZEV 2007, 356 (359 f.). OLG Bamberg v. 15.11.1902 – I. ZS., OLGE 6, 171; KG v. 12.12.1907 – 1. X 1438/07, KGJ 35 A 63 (A 64). Es liegt eine Gegenwartsbedingung vor, so auch Muscheler, Erbrecht Band II, Rz. 2974; Muscheler, FS Bengel/Reimann, S. 249 m.w.N.; Frohn, Rpfleger 1982, 56 (57).

Muscheler 1035

22.77c

§ 22 Rz. 22.78

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

ist der Erklärungszusatz nicht bedeutungslos1. Eine solche Ausschlagung ist gem. § 1947 BGB unwirksam. Der Eintritt des Erklärungszusatzes hängt hier nämlich davon ab, ob mögliche Miterben die Erbschaft ihrerseits ausschlagen oder nicht, und das ist nun einmal ein zukünftiges ungewisses Ereignis. Gehört der Begünstigte nicht zum Kreis der Nächstberufenen, so ist die Ausschlagung zwar nicht nach § 1947 BGB ungültig, wohl aber wegen nicht erfüllter (zulässiger) Rechtsbedingung wirkungslos2; man kann in der Erklärung aber je nach den Umständen auch die Annahme der Erbschaft mit einem gleichzeitigen Angebot, sie dem Dritten zu veräußern (§§ 2371, 2033, 2385 BGB), erblicken3. Beratungshinweis: Die Abgrenzung von unzulässiger Bedingung und zulässiger Rechtsbedingung sowie die Beurteilung der Wirkung einer Rechtsbedingung ist in Rechtsprechung und Literatur unsicher. Soweit eine echte Bedingung vorliegt, führt die Ausschlagung selbst bei Bedingungseintritt nicht zum Erfolg, da die Ausschlagung grundsätzlich unwirksam ist. Der Einsatz von Rechtsbedingungen ist ebenfalls nicht uneingeschränkt empfehlenswert, da keine klare Linie hinsichtlich der Behandlung und Zulässigkeit einer solchen Bedingung erkennbar ist; sie sollte nur nach sorgfältiger Überlegung in Betracht gezogen und das mit ihr Bezweckte sollte ausdrücklich festgehalten werden.

22.78 Wird die Ausschlagung von einem bestimmten Berufungsgrund abhängig gemacht, liegt darin keine gem. § 1947 BGB unzulässige Bedingung4. Auch hierbei handelt es sich um eine sog. Gegenwartsbedingung, da das Vorliegen des zur Bedingung erhobenen Umstandes nur subjektiv zweifelhaft, objektiv aber gewiss ist5. Beispiele: Echte Bedingung

Reine Rechtsbedingung

– Ausschlagung unter der Bedingung, dass die Erbschaftsteuer nicht erlassen wird – Ausschlagung für den Fall der künftigen Überschuldung des Nachlasses – Ausschlagung zugunsten einer Person, die nicht alleiniger Nächstberufener ist – Ausschlagung eines Elternteils für sich und die Kinder in der Erwartung, der andere Elternteil werde sich der Ausschlagung für die Kinder anschließen6

– Tod des Erblassers – Ausschlagung für den Fall des Anfalls der Erbschaft an den Ausschlagenden – Ausschlagung zugunsten einer Person, die Nächstberufener nach § 1953 Abs. 2 BGB ist – Ausschlagung nur im Falle eines bestimmten Berufungsgrundes

22.79 Probleme bereitet auch die Behandlung der Ausschlagung unter Vorbehalt des Pflichtteils. Unter Hinweis darauf, dass die Erklärung auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet sei – der Pflichtteilsanspruch setzt gem. § 2303 BGB voraus, dass der Berechtigte durch „Verfügung von Todes wegen“ von der Erbfolge ausgeschlossen ist –, wird z.T. die Unwirksamkeit der Ausschlagung angenommen7. Die 1 OLG Bamberg v. 15.11.1902 – I. ZS., OLGE 6, 171; Staudinger/Otte, § 1947 Rz. 7; a.A. anscheinend LG München I v. 12.7.1999 – 16 T 9048/99, FamRZ 2000, 1328 = NJWE-FER 2000, 184 (185). 2 Vgl. KG v. 11.1.1909 – I. ZS., OLGE 24, 99 (100). 3 KG v. 12.12.1907 – 1. X 1438/07, KGJ 35 A 63 (A 64); MüKo.BGB/Leipold, § 1947 Rz. 8. 4 Palandt/Weidlich, § 1947 Rz. 1; Staudinger/Otte, § 1947 Rz. 3. 5 Erman/J. Schmidt, § 1947 Rz. 3; MüKo.BGB/Leipold, § 1947 Rz. 4. 6 BayObLG v. 14.6.1977 – BReg. 1Z 17/77, BayObLGZ 1977, 163. 7 Staudinger/Otte, § 1950 Rz. 6; RGRK/Johannsen, § 1950 Rz. 1; a.A. Specks, ZEV 2007, 356 (360), der den Pflichtteilsvorbehalt bei § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB als eine analog § 1947 BGB unzulässige Gegenwartsbedingung qualifiziert. Die Diskussion hat mit der Änderung des § 2306 BGB (s. Rz. 22.29 ff.) an Bedeutung verloren, da der Erbe im Falle einer beschränkten oder belasteten Erbschaft nunmehr unabhängig von seiner Erbquote stets ausschlagen muss, um den Pflichtteil verlangen zu können, und nach erfolgter Ausschlagung anders als bei § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB in jedem Fall den Pflichtteil erhält. So auch Keim, ZEV 2008, 161 (163).

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22.81 § 22

Gegenansicht hält eine Ausschlagung, die in der Hoffnung auf Pflichtteilsansprüche erklärt wird, für wirksam, wenn der Erhalt des Pflichtteils nicht mehr als ein unbedeutendes Motiv darstellte; für (wegen Nichteintritts einer an sich zulässigen Rechtsbedingung) wirkungslos, wenn der Wille erkennbar war, die Wirksamkeit der Ausschlagung vom Entstehen eines Pflichtteilsanspruchs abhängig zu machen1. Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu2. In der Rechtsprechung wird ein Motivirrtum als zulässiger Anfechtungsgrund betrachtet3. 3. Teilausschlagung Die Vorschrift des § 1950 S. 2 BGB erklärt Annahme und Ausschlagung eines Teils der Erbschaft für unwirksam. Der Erbe kann durch die Ausschlagung weder Einfluss nehmen auf die Quote seiner Beteiligung noch auf den Erhalt einzelner Gegenstände4. Es gilt zu beachten, dass der gesetzliche Erbteil des Ehegatten aus § 1931 Abs. 1 BGB und der Erhöhungserbteil gem. § 1371 BGB einen einheitlichen Erbteil darstellen5.

22.80

Nur soweit der Erbe zu mehreren, auf verschiedenen Berufungsgründen beruhenden Erbteilen beru- 22.80a fen ist, kann er gem. § 1951 Abs. 1 BGB für jeden Erbteil gesondert die Ausschlagung erklären. Abgesehen davon wäre die einzige Möglichkeit, eine Teilausschlagung jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht zu erreichen, die Ausschlagung gegen Abfindung6. Eine Sonderregelung hält § 1951 Abs. 2 S. 2 BGB bereit, indem er klarstellt, wann mehrere Berufungsgründe vorliegen, wenn es mehrere Verfügungen von Todes wegen gibt. Mehrere Berufungsgründe liegen vor, wenn ein Erbteil aus Testament und der andere aus Erbvertrag stammt oder wenn die Erbteile auf mehreren Erbverträgen mit verschiedenen Personen beruhen. Ein einheitlicher Berufungsgrund liegt dagegen vor, wenn die Erbteile entweder aus mehreren Testamenten stammen oder aus Erbverträgen mit jeweils derselben Person; diese gesetzliche Festlegung kann der Erblasser jedoch gem. § 1951 Abs. 3 BGB durch Gestattung der isolierten Ausschlagung eines jeden Erbteils außer Kraft setzen. Zu einer Berufung zu mehreren Erbteilen (aus verschiedenen Berufungsgründen) kann es ferner kommen, wenn ein Teil durch Verfügung von Todes wegen, ein weiterer Teil aufgrund gesetzlicher Erbfolge anfällt oder wenn ein Berufener mehrfacher gesetzlicher Erbe wird, sei es aufgrund mehrfacher Verwandtschaft oder wegen des Zusammentreffens v