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German Pages 136 Year 2000
Peter Hartwich ♦ Steffen Haas ♦ Konrad Maurer Burkhard Pflug ♦ Sabine Schlegel (Hrsg.)
Posttraumatische Erkrankungen Konvergenz psychischer und somatischerVeränderungen
Mit Beiträgen von:
H. Bauer, J. Fritze, U. Frommberger, M. Grube, St. Haas, P. Hartwich, K. Maurer, B. Pflug, S. Schlegel, R. Steil, E. Weinei
Verlag Wissenschaft & Praxis
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Posttraumatische Erkrankungen : Konvergenz psychischer und somatischer Veränderungen / Peter Hartwich ... (Hrsg.). Mit Beitr. von H. Bauer... - Sternenfels: Verl. Wiss, und Praxis, 2000 ISBN 3-89673-085-1
ISBN 3-89673-085-1 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2000 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094
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Inhalt Autoren............................................................................................................7 Peter Hartwich
Einführung....................................................................................................... 9 Ulrich Frommberger
Posttraumatische Belastungsstörungen...................................................... 11 Jürgen Fritze
Neurobiologie der posttraumatischen Belastungsstörung........................ 29 Sabine Schlegel
Stellenwert bildgebender Verfahren bei posttraumatischen Erkrankungen.................................................................................................37 Steffen Haas
Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es für posttraumatische Erkrankungen ?.......................................................... 49 Regina Steil
Kognitiv-behaviorale Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung - ein kurzer Überblick.................................................. 71 Elke Weinel
Psychoanalytische Aspekte zum Trauma und PTSD.................................. 85 Peter Hartwich
1. Erfahrungen aus analytischen Therapien bei posttraumatischen Erkrankungen......................................................... 95 2. Einzelfalldarstellung einer posttraumatischen Erkrankung in analytischer Therapie (Peter Hartwich, Markus Steffens)
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Inhalt
Michael Grube
Zur Verarbeitung des Psychotraumas bei HIV-lnfektionen..................... 103 Konrad Maurer
Posttraumatische Belastungsstörungen im Alter...................................... 113 Hans Bauer ♦ Burkhard Pflug
Psychotraumatische Spätschäden und Begutachtung bei Überlebenden des Holocaust...............................................................121
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Autoren Bauer, Hans, Dr. med., Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psycho
therapie II, Klinikum der Universität Frankfurt a. M., HeinrichHoffmann-Str. 10, 60528 Frankfurt a. M. Fritze, Jürgen, Prof. Dr. med., Zentrum der Psychiatrie, Klinik für Psychia
trie und Psychotherapie I, Universität Frankfurt a. M. und Verband der Privaten Krankenversicherungen Köln, Asternweg 65, 50259 Pulheim Frommberger, Ulrich, Dr. med., Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psy
chotherapie, Bertha-von-Suttner-Str. 1, 77654 Offenburg Grube, Michael, Dr. med., Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psycho
therapie der Städt. Kliniken Frankfurt a. M.-Höchst, Gotenstr. 6-8, 65907 Frankfurt a. M. Haas, Steffen, Dr. med., Ärztlicher Direktor des Psychiatrischen Kranken
hauses Eichberg, Klosterstr. 4, 65346 Eltville a. Rh. Hartwich, Peter, Prof. Dr. med., Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie, Städt. Kliniken, Gotenstr. 6-8, 65907 Frankfurt a. M. Maurer, Konrad, Prof. Dr. med., Direktor der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie I, Klinikum der Universität Frankfurt a. M., HeinrichHoffmann-Str. 10, 60528 Frankfurt a. M. Pflug, Burkhard, Prof. Dr. med., Leiterder Klinik für Psychiatrie und Psy
chotherapie II, Klinikum der Universität Frankfurt a. M., HeinrichHoffmann-Str. 10, 60528 Frankfurt a. M. Schlegel, Sabine, Priv.-Doz. Dr. med., Chefärztin der Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie, Markus-Krankenhaus, Wilhelm-Epstein-Str. 2, 60432 Frankfurt a. M. Steil, Regina, Dr., Institut für Psychologie der FSU Jena, Steiger 3,
07743 Jena Steffens, Markus, Dr. med., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Städt. Kliniken, Gotenstr. 6-8, 65907 Frankfurt a. M. Weinel, Elke, Dr. med., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Klini
kum der Universität Frankfurt a. M., Heinrich-Hoffmann-Str. 10, 60528 Frankfurt a. M.
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Einführung Das vorliegende Buch faßt die wesentlichen Beiträge und Diskussionen zum 5. Frankfurter Psychiatrie-Symposion zusammen, die für die Publikati on eingehend überarbeitet wurden. Mit dem Thema der Posttraumatischen Erkrankungen: Konvergenz psychischer und somatischer Veränderungen haben wir die posttraumatischen Belastungsstörungen etwas erweitert. Die Definitionen in ICD 10 und DSM IV (posttraumatic stress disorder, PTSD) sind in den Kernpunkten in F 43.1 (ICD 10) aufgeführt. Dabei geht es um Reaktionen des Menschen auf belastende Erlebnisse, die eine außerge wöhnliche Bedrohung darstellen. Hierzu gehören Katastrophen, schwere Unfälle, Folter, Vergewaltigung, Zeuge gewaltsamen Todes zu sein und vergleichbare Ereignisse. Die Reaktionen auf solche Erlebnisse bestehen in: sich aufdrängenden Nachhallerinnerungen, Alpträumen, emotionaler Stumpfheit, Vermeidungsverhalten, Übererregbarkeit, Schlaflosigkeit und anderen Symptomen, wie sie bei Angst- und Depressionserkrankungen auch vorkommen. Über die ICD-Definition hinaus werden in dem vorlie genden Buch auch solche Störungen miteinbezogen, bei denen die Dia gnose AIDS oder Karzinom ebenfalls eine schwere existentielle Bedrohung darstellen und zu vergleichbaren Reaktionen führen können. Die historische Herleitung belegt, daß es sich bei posttraumatischen Er krankungen keineswegs um eine Entdeckung der Neuzeit handelt, sie ist heute jedoch auf internationalem Niveau übereinstimmend klarer definiert. Dadurch werden differentialdiagnostische Abgrenzungen gegenüber orga nischen Erkrankungen, Intoxikationen und Hirnverletzungen verbessert, was epidemiologische Erhebungen erleichtert.
Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache von somatisch faßbaren Reak tionen auf psychische Traumatisierungen hin. Die neurobiologische For schung greift die psycho-somatische Wechselwirkung auf und legt sowohl hormonelle Dysregulationen (Cortisol, Dopamin) als auch morphologische Veränderungen (an Hippocampus und Amygdala als Resultate der bildge benden Verfahren) nahe. Infolgedessen scheint es folgerichtig, eine Reihe von pharmakotherapeutischen Behandlungsansätzen durchzuführen, die mit psychotherapeutischen Verfahren verbunden werden. Letztere sind entweder lerntheoretisch oder tiefenpsychologisch fundiert. Über kognitivbehaviorale Behandlungen, systematische Konfrontationen, Angstmanage ment und Rekonstruktionen liegen sowohl für das Erwachsenen- als auch für das Kinder- und Jugendalter eine Reihe zufallskritisch bewerteter Studi en vor. Bemerkenswert sind dabei die hohen Therapieabbruchraten, insbe sondere bei der Konfrontationsbehandlung. 9
Einführung
Die tiefenpsychologischen Zugangswege, zu denen auch speziellere analy tische Behandlungsformen zählen, haben eine lange Tradition, werden vielfach in der Praxis durchgeführt und haben sich über Jahrzehnte be währt. Eine den verhaltenstherapeutischen Ansätzen entsprechende syste matische Bearbeitung einer zufallskritischen Effizienzprüfung steht noch aus, bleibt aber aus methodischen Gesichtspunkten begrenzt. Infolgedes sen gilt es in diesem Bereich besonders, Therapiebeispiele vorzulegen, die die wichtigsten Vorgehensweisen anschaulich vermitteln können. Einige Besonderheiten in Epidemiologie, Diagnostik und Therapie kommen bei posttraumatischen Belastungsstörungen im Alter zur Darstellung. Zum Schluß werden Fragen der Entschädigungsgutachterpraxis diskutiert und an einem Fallbeispiel näher erläutert.
Das vorliegende Buch bemüht sich darum, die Konvergenz von psychi schen und somatischen Veränderungen, deren differenzierte Diagnostik sowie deren unterschiedlich zusammengesetzte pharmako- und psychothe rapeutische Behandlung auf modernem Niveau darzustellen.
Peter Hartwich
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Ulrich Frommberger
Posttraumatische Belastungsstörungen Geschichte, Symptomatik, Diagnostik und Epidemiologie Geschichte und erste Modellvorstellungen zur Pathogenese Die Beschreibung psychischer Reaktionen nach extremen Belastungen ist nicht erst in diesem Jahrhundert entstanden. Sie fand bereits im Altertum statt. Ärzte, Geschichtsschreiber und Schriftsteller der griechischen Antike stellten z.B. eine psychogene Blindheit bei einem Soldaten dar, der den Tod seines benachbarten Kameraden mitansehen mußte. Achill und Aga memnon sollen unter den klassischen Symptomen der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) in der Ilias des Homer gelitten haben. Im 17. Jahrhundert schilderte Samuel Pepys posttraumatische Reaktionen nach einem Großfeuer in London. Da Costa beschrieb 1871 als Folge einer er heblichen seelischen Traumatisierung bei einem Soldaten des amerikani schen Bürgerkriegs ein Syndrom bei dem die vegetative Symptomatik im Vordergrund stand. Unter den Begriffen „Da Costa-Syndrom", „Irritable heart", „Effort-Syndrom" oder „Neurocirculatory asthenia" findet es sich sowohl in internistischen wie auch psychiatrischen Lehrbüchern wieder als Beschreibung von Streßreaktionen. Das Syndrom gilt auch als historischer Vorläufer der „Angstneurose" oder „Panikstörung". Am Ende des 19. Jahr hunderts befaßte sich Jean-Marie Charcot in Paris mit der Hysterie. In der Vorgeschichte seiner Patienten fand er häufig Hinweise auf kindliche sexu elle Traumatisierungen. 1888 gebrauchte der deutsche Nervenarzt Oppen heim den Begriff „traumatische Neurose". Er war der Auffassung, „daß das Trauma gleichzeitig ein organisches Nervenleiden und eine Neurose im Gefolge haben kann, so daß sich die Symptome dieser beiden differenten Krankheitsformen miteinander vereinigen". Er war der Auffassung, daß die traumatischen Neurosen eine „Folge der psychischen und physischen Er schütterung" seien. Als Pathogenese nahm er an, daß „beide wirken vor nehmlich auf das Großhirn und rufen molekulare Veränderungen hervor". Seine Beschreibungen von Verkehrs- und Arbeitsunfallverletzten und seine Auffassungen zur Pathogenese waren Gegenstand jahrzehntelanger Diskus sionen um die Frage einer primär organischen oder psychogenen Grund lage posttraumatischer Syndrome. Der deutsche Nervenarzt Strümpell (1895) prägte angesichts der wachsenden Zahl von Rentenbegehren nach 11
Frommberger
Unfällen seit Einführung der Sozialversicherung unter Bismarck den Begriff der „Begehrensvorstellung". Er nahm an, daß psychische Auffälligkeiten, die nach einem Trauma auftraten, vom Patienten im Sinne einer Zweck reaktion ausgestaltet wurden und ein Renten begehren die psychischen Symptome motivierten. Damit wurde die Frage nach der Verantwortlichkeit für die psychischen Symptome aufgeworfen, ein Problem, das bis heute letztlich nicht gelöst werden konnte. Die traumatische Neurose als Para digma einer durch körperliches Geschehen ausgelösten Neurose, diente Freud ursprünglich als ein Modell für sein Konzept der Neurose. Freud war der Auffassung, daß bei der traumatischen Neurose nicht die geringfügige körperliche Verletzung die wirksame Krankheitsursache sei, sondern „der Schreckaffekt, das psychische Trauma". Fischer-Hornberger beschreibt den Werdegang der Ideen mit „je mehr er seine Informationen aus der freien Assoziation der Patienten bezog, desto ununterscheidbarer mußten ihm Geschehnis und Erlebnis werden, bis er endlich die Idee, durch den Patien ten etwas sicher Objektives erfahren zu können, ganz aufgeben mußte". Daher wurde ihm der Begriff des Traumas immer fragwürdiger. Da Freud der Auffassung war, daß diese Art der Aktual-Neurosen durch „direkte tox ische Schädigung" entstanden, wollte er die Aufklärung dieser Prozesse der „biologisch-medizinischen Forschung" überlassen. Daß die Psycho-Neu rosen aber ausschließlich auf der Phantasietätigkeit beruhten, war ange sichts der Vielzahl und Intensität von Kriegsneurosen im Ersten Weltkrieg nicht aufrechtzuerhalten. Freud ging dann davon aus, daß eine trauma tische Situation zu einer Neurose führen könne, wenn die von außen ein stürmenden Erregungen den „Reizschutz des Ichs" durchbrechen würden. Das Ich werde von Außenreizen überschwemmt und aus dem Gleichge wicht gebracht. Die Bewältigung der überschießenden Reize werde mit einer zwanghaften Wiederholung der traumatischen Situation versucht.
Weitere traumatische Reaktionen zeigten sich im Ersten Weltkrieg als „Schütteltremor". Die „Kriegszitterer" gehörten in jenen Jahren zum Straßenbild, ihre Häufigkeit nahm epidemische Züge an und wurde als traumatisch bedingte Neurose infolge eines „shell-schock" (Granaten schock) aufgefaßt. Manche Autoren hielten die Kriegsneurose für eine Wil lensschwäche. Adolf Hitler, der als Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg an einer Blindheit erkrankt war, beschreibt, daß er ihrer mit seinem Willen „endlich restlos Herr geworden" sei. Nach der plötzlichen Heilung wurde seine Blindheit als traumatisch-hysterisch gedeutet (Fischer-Hornberger 1975). Posttraumatische Syndrome sollen während des Ersten Weltkrieges bei mindestens 10 % der amerikanischen Soldaten für ihre Kampfunfähig keit verantwortlich gewesen sein. Eine Kriegsneurose oder ein „shell schock" habe bei ca. 40 % der britischen Verletzten vorgelegen (nach Mat-
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Posttraumatische Belastungsstörungen
sakis 1994). Bei Soldaten des Ersten Weltkrieges sah Kardiner ausgeprägte psychovegetative Symptome als Reaktionen auf ein Trauma. Zur Kenn zeichnung dieses engen Zusammenhanges zwischen psychischer und phy sischer Reaktion faßte er beide Reaktionsweisen zu dem Begriff „physioneurosis" zusammen.
Politische Gegner, Minderheiten oder Andersgläubige wurden und werden immer noch in vielen Kulturen verfolgt, gefoltert oder ermordet. Beispiellos in Art und Ausmaß der Verfolgung und Vernichtung sind die National sozialisten im Dritten Reich vorgegangen. Staatlicher Terror, politische Ver folgung und rassistische Ideologie führten unter anderem zu den Vernich tungsstätten der Konzentrationslager. Die Opfer waren vielen extremen Be lastungen ausgesetzt. Zu den körperlichen Belastungen zählte eine extreme Unterernährung, die bis zu cerebralen Schäden oder dem Tod führte. Schwere Arbeit und Infektionskrankheiten ohne ausreichende Pflege und Betreuung bewirkten körperliche Schwäche und Minderung der Abwehr kraft. Die grundlegende Veränderung der sozialen Beziehungen, die Er schütterung jeglicher Werte und des Vertrauens in Grundannahmen men schlichen Verhaltens wie auch die Reduzierung der Individualität auf eine Nummer veränderten die sozialen Kontakte grundlegend. Der unbegrenzte psychische und körperliche Terror, wie auch Entwürdigung und beständige Lebensgefahr, Hoffnungslosigkeit und Rechtlosigkeit führten zu psych ischen Folgen, die als „KZ-Syndrom" oder „Survivor-Syndrome" gekenn zeichnet wurden. Zum Überlebendensyndrom gehörten z.B. rasche psy chophysische Erschöpfbarkeit, depressive, asthenische, ängstliche Syn drome, die bei Nachuntersuchungen auch heute noch nachgewiesen wer den können. Die psychopathologischen Folgen korrelierten dabei mit der Schwere und Dauer der Traumata. War die Traumatisierung infolge der Verfolgung weniger stark ausgeprägt, wurden eher Persönlichkeitsstörun gen und Charakterneurosen als Folgen beschrieben. Bei einem Teil dieser Opfer wurden bereits vor der Verfolgung psychosoziale Auffälligkeiten fest gestellt, die damit einen möglichen Vulnerabilitätsfaktor bedeuteten. Mehr als 45 Jahre nach Ende der Verfolgung erfüllten in einer Untersuchung 46 % der Überlebenden des Holocaust die Kriterien für eine Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) nach DSM-Ill-R. Unter ehemaligen Konzentration slager-Häftlingen lag die Zahl mit 51 % bzw. 65 % bei den mit Identi fizierungs-Nummern tätowierten Auschwitz-Überlebenden noch höher. Die Dauer der erhöhten physiologischen Erregung und die Intensität der Eindrücke auch noch Jahrzehnte nach Ende der Traumatisierung wird ge kennzeichnet durch die Angabe von Schlafstörungen bei 96 % aller unter suchten Personen und wiederkehrenden Alpträumen bei 83 % der Fälle. Daß diese Traumata auch die familiären Strukturen der Überlebenden
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Frommberger
veränderten und nachhaltig beeinflußten, zeigen neuere Untersuchungen, die Auswirkungen bis in die dritte und vierte Generation feststellten.
Einige Jahre nach dem 2. Weltkrieg wurde im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders I (1952) der American Psychiatrie Association unter der Kategorie „transient situational personality disturbance" eine „gross stress reaction" kategorisiert, die noch unter dem Einfluß von Sig mund Freuds Auffassung über die traumatische Neurose stand. In der Weiterentwicklung DSM-II (1968) wurden psychische Reaktionen nach Traumata unter „adjustment reaction of adult life" kategorisiert. Erst seit der völligen Neustrukturierung diagnostischer Kategorien im Sinne operationa lisierter Kriterien im DSM-Ill (1980) wurde der Begriff der „Posttraumatic Stress Disorder" (PTSD) geprägt. Diese Begriffsbildung wurde über DSM-Ill-R (1987) und DSM-IV (1994) beibehalten. Eingeordnet wird die Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) unter die Angsterkrankungen. Die ICD-10 der WHO (1993) folgt dem DSM-Ill in der Operationalisierung psychiatrischer Stö rungen und kategorisiert die Reaktionen auf ein belastendes Ereignis als „Posttraumatische Belastungsstörung" (ICD-10: F 43.1). In Abweichung vom amerikanischen DSM-IV wird die Posttraumatische Belastungsstörung nicht unter die Angststörungen, sondern unter die akuten Belastungsreak tionen und diese wiederum unter die Kategorie F 4 „neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen" eingeordnet. Auch die Angststörungen sind hierunter eingeordnet. Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff der Posttraumatischen Belastungsstörung noch nicht einheitlich als PTB oder PTBS abgekürzt. Im folgenden wird die Abkürzung PTBS benutzt.
Symptomatik Die Symptome der PTBS werden im DSM in 3 Bereiche eingeteilt:
- wiederkehrende, eindringliche und belastende Erinnerungen an das Er eignis
- ständiges Vermeiden von Stimuli, die in irgendeiner Weise mit dem Trauma Zusammenhängen; Einengung der Reagibilität und Abstumpfung - gesteigerte psychophysiologische Aktivität. Am Beispiel von typischen Symptomen von Verkehrsunfallverletzten mit PTBS sollen die posttraumatischen Beschwerden dargestellt werden (aus Nyberg et al. 1997):
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Posttraumatische Belastungsstöruncen
Tabelle I: Posttraumatische Symptome bei Verkehrsunfallverletzten mit PTBS
•
Wiederkehrende Erinnerungen an den Unfall (bei Konfrontation mit an den Unfall erinnernde Reize), z.B.
-
Fahren derselben oder einer ähnlichen Fahrstrecke wie die Un fa II strecke
-
Fahren bei ähnlichen Wetterbedingungen wie zum Unfallzeit punkt
- Autofahren zur selben Jahreszeit, als der Unfall passierte - Sehen eines ähnlichen Autos wie das vom Unfallgegner - Medienberichte über Unfälle
- Jahrestag des Unfalls
• •
Alpträume (über Verkehrsunfälle) gestörte Wahrnehmung im Straßenverkehr, z.B.
- falsche Einschätzung von Entfernungen und Größen (Befürchtung, daß der Abstand zu anderen Fahrzeugen näher sei, als er tatsäch lich ist) - Gefühl von Beinahe-Unfällen mit anderen Verkehrsteilnehmern
•
• • • • •
Straßenverkehr wird insgesamt als bedrohlicher eingeschätzt als vor dem Unfall, z.B.
-
Patienten sind ängstlich und angespannt beim Autofahren
-
Patienten vermeiden vollständig das Autofahren oder überlassen das Fahren anderen Personen
Schuldgefühle, zum Unfallzeitpunkt nicht aufgepaßt zu haben
erhöhte Wachsamkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern weniger Zutrauen zu den eigenen fahrerischen Fähigkeiten stärkere Irritabilität und verminderte Frustrationstoleranz im Verkehr ausgeprägte Schreckhaftigkeit bei unerwarteten Vorkommnissen im Straßenverkehr
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Frommberger
Die Patienten erleben den Straßenverkehr als wesentlich bedrohlicher als vor dem Unfall. Wenn sich das Autofahren nicht vermeiden läßt, wird das Autofahren ängstlich und angespannt ertragen. Diese ängstlich-angespannte Verhaltensweise, beständiges Warnen des Fahrers vor möglichen Gefahren quellen oder gar Aufschreie bei Vermutung einer Gefahr kann für alle Be teiligten belastend sein. Manche gewinnen die Kontrolle beim Autofahren wieder, indem sie sich selbst an das Steuer setzen, während ihnen die Posi tion als Beifahrer fast unerträglich ist.
Die Symptome können spontan und plötzlich den Patienten überraschen. Auslösereize, z.B. Martinshorn, können die Symptome auslösen und ein Vermeidungsverhalten verstärken.
Diagnostische Kategorien und weitere Typisierungen DSM und ICD-10
Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine der wenigen diagnosti schen Kategorien des DSM-IV, die einen ätiologischen Faktor, in diesem Falle das Trauma oder den Stressor, als Eingangskriterium und Conditio sine qua non verlangt. Da die diagnostische Kategorie der Posttrauma tischen Belastungsstörung erst vor kurzem (1980) in die psychiatrische Dia gnostik eingeführt wurde, unterliegt sie Wandlungen, die durch neuere Forschungsergebnisse notwendig werden. Während das DSM-Ill (1980) das Stressorkriterium A noch definierte als ein „erkennbarer Stressor, der bei beinahe jeder Person erhebliche Symptome hervorrufen würde", zeigte sich in der Revision DSM-Ill-R (1987) eine genauere und engere Definition des Stressors. Im DSM-Ill-R wurde verlangt, daß die Person ein Ereignis er lebt hatte, das „außerhalb des Bereiches der normalen menschlichen Er fahrung liegt, und das bei nahezu jedem erhebliche Symptome hervorrufen würde, z.B. schwere Bedrohung des eigenen Lebens oder der physischen Integrität, schwere Bedrohung oder Verletzung der eigenen Kinder, des Ehepartners oder anderer enger Freunde und Verwandter, plötzliche Zer störung des eigenen Hauses oder Gemeinschaft, oder Mitansehen, wie eine andere Person schwer verletzt oder getötet wurde infolge eines Unfalles oder einer Gewalttat". Zudem wurde verlangt, daß mit einem ängstlichen Syndrom auf das Ereignis reagiert wurde (intensive Angst, massive Furcht, Hilflosigkeit). Neben objektiven Kriterien der Traumatisierung wurden da her auch subjektive Faktoren mit eingeführt. Angesichts der Forschungser gebnisse, daß Traumata häufig sind und nicht außerhalb des normalen menschlichen Erlebens liegen, und auch Traumata, die im Alltag auftreten,
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Posttraumatische Belastungsstörungen
ausreichend sein können, eine Posttraumatische Belastungsstörung auszu lösen, wurde das Stressorkriterium im DSM-IV erweitert. Danach wird ver langt, daß „die Person ein oder mehrere Ereignisse erlebt, davon Zeuge wird oder konfrontiert wird, mit einem lebensbedrohlichen Ereignis oder schwerer Verletzung oder einer Bedrohung der physischen Integrität der eigenen Person oder anderer". Wie im DSM-Ill-R wird verlangt, daß die Person als Reaktion auf das Trauma intensive Angst zeigt, Hilflosigkeit oder massive Angst. Neu ist die Betrachtung psychosozialer Funktionen, indem verlangt wird, daß „die Störung unbedingt erhebliche Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen ...". Die ICD-10 (1993) verlangt als Stressorkriterium ein „belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenarti gen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde". Sie beschreibt es spezifischer als das DSM-IV, indem sie Beispiele angibt „hierzu gehören eine durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophe, eine Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen zu sein".
Bei der Entscheidung, ob ein Ereignis als traumatisch gewertet wird, sind daher verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: Die Bedeutung, die die Betroffenen dem Ereignis beimessen, die Intensität und Dauer des Ereignis ses und ob eine physische Verletzung, Verlust von eigenen Körperteilen oder Körperfunktionen sowie Verlust anderer Personen, Tod von Personen oder Exponierung zu grotesken Situationen stattfanden, stellen entscheiden de Komponenten bei der Bewertung des Traumas dar. Auch die kognitive und affektive Reaktion auf das Ereignis hat eine hohe Bedeutung, z.B. ob das Ereignis als lebensbedrohlich gewertet wurde, ob eine physische Ver letzung befürchtet wurde, Gefühl von Angst oder Hilflosigkeit auftauchten. Der Verlust von Kontrolle über eine Situation scheint bei der Entwicklung einer PTBS von größerer Bedeutung zu sein. Neben objektiven Charakteri stika erhält damit die subjektive Wahrnehmung des Ereignisses einen wich tigen Stellenwert in der Bewertung eines Ereignisses als ein Trauma.
Die posttraumatische Belastungsstörung wird in der US-amerikanischen Klassifikation des DSM-IV unter die Angsterkrankungen eingeordnet. Studi energebnisse konnten diese Einordnung nur teilweise unterstützen und führende Experten auf diesem Gebiet, u.a. die Expertenkommission zur Er stellung des DSM-IV, schlugen vor, eine eigene Kategorie von Störungen zu schaffen, die als Reaktion auf Streß anzusehen sind. Die ICD-10 hat in der Kategorie F 43 - Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungs störungen - dem bereits Rechnung getragen.
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Frommberger
Tabelle 2: DSM-IV - Diagnostische Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung
A.
Die Person hat ein Ereignis erlebt, das die folgenden beiden Komponenten enthält: 1. die Person erlebte, war Zeuge oder wurde mit einem oder mehreren Ereignis(sen) konfron tiert, die lebensbedrohlich war(en) oder schwere Verletzung oder Bedrohung der physischen Integrität der eigenen Person oder anderer beinhaltete(n) 2. die Reaktion der Person zeichnet sich durch Angst, Hilflosigkeit und Schrecken aus
B.
Das traumatische Ereignis wird ständig auf mindestens eine der folgenden Arten wiedererlebt: 1. wiederholte und sich aufdrängende Erinnerungen an das Ereignis (auch Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen) 2. wiederholte, stark belastende Träume 3. plötzliches Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiedergekehrt wäre (dazu gehören das Gefühl, das Ereignis wieder zu durchleben, Vorstellungen, Halluzinationen und dissoziative Episoden [Flashbacks], auch im Wachzustand oder bei Intoxikationen) 4. intensives psychisches Leid bei der Konfrontation mit Situationen, die das traumatische Ereig nis symbolisieren oder ihm in irgendeiner Weise ähnlich sind 5. physiologische Reaktivität bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Reizen, die das traumatische Ereignis symbolisieren oder ihm in irgendeiner Weise ähnlich sind
C.
Anhaltende Vermeidung von Stimuli, die mit dem Trauma in Verbindung stehen, oder eine Ein schränkung der allgemeinen Reagibilität (war vor dem Trauma nicht vorhanden), was sich in mindestens drei der folgenden Merkmale ausdrückt: 1. Versuche, Gedanken, Gefühle oder Gespräche, die mit dem Trauma in Verbindung stehen, zu vermeiden 2. Versuche, Aktivitäten, Situationen oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachru fen, zu vermeiden 3. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Bestandteil des Traumas zu erinnern 4. auffallend vermindertes Interesse an bedeutenden Aktivitäten 5. Gefühl der Isolierung bzw. Entfremdung von anderen 6. eingeschränkter Affekt, z.B. keine zärtlichen Gefühle mehr zu empfinden 7. Gefühl, keine Zukunft zu haben, z.B. nicht zu erwarten, Karriere zu machen, zu heiraten, Kinder zu haben oder eine normale Lebenserwartung zu haben
D.
Anhaltende Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus (waren vor dem Trauma nicht vorhan den), durch mindestens zwei der folgenden Merkmale gekennzeichnet: 1. Ein-und Durchschlafstörungen 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche 3. Konzentrationsschwierigkeiten 4. Hypervigilanz 5. übertriebene Schreckreaktion
E.
Die Dauer der Störung (Symptome aus B, C und D) beträgt mindestens einen Monat
F.
Die Störung führt zu einer klinisch bedeutsamen Belastung oder Beeinträchtigung der Funktions fähigkeit im sozialen, beruflichen odereinem anderen Bereich
akut: chronisch:
Dauer der Symptomatik kürzer als drei Monate Dauer der Symptomatik drei Monate oder länger
verzögerter Beginn:
Beginn der Symptomatik mindestens sechs Monate nach dem Trauma
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Posttraumatische Belastungsstörungen
Die Reaktionen auf traumatische Ereignisse sind vielfältig. Die Typisierung als Posttraumatische Belastungsstörung kann nur einen Ausschnitt der mög lichen Reaktionen auf ein Trauma abbilden und einordnen. Daher werden im folgenden weitere Typisierungen dargestellt.
Kategorisierung traumatischer Ereignisse in Typ I und Typ II
Entsprechend der Erkenntnis, daß die Traumata sehr unterschiedlicher Natur sind, ist vorgeschlagen worden, zwischen Typ I-Trauma (kurz dau ernd, unerwartetes Ereignis) und Typ Il-Trauma (anhaltend und wiederholt) zu unterscheiden.
Akute Belastungsstörung (Acute Stress Disorder, ASD) ist eine neue Kate gorie im DSM-IV. Im Unterschied zur PTBS wird in den Kriterien der ASD das Zeitkriterium anders gefaßt. Zur Erstellung der Diagnose ASD wird eine Mindestdauer der Symptomatik von zwei Tagen verlangt. Das Symptom muster der ASD sollte innerhalb von vier Wochen nach dem traumatischen Ereignis auftreten und innerhalb einer weiteren Vier-Wochen-Periode wie der verschwinden. Differenzierter als bei der PTBS werden dissoziative Phänomene betrachtet. Mindestens drei dissoziative Symptome (z.B. De realisation, Depersonalisation, dissoziative Amnesie) werden zur Erfüllung der ASD-Kriterien verlangt.
Partielles oder subsyndromales PTBS Neben der Erfüllung des Stressorkriteriums und der Mindestdauer von einem Monat werden nur fünf oder weniger Symptome aus den Bereichen Wiedererinnern, Vermeidung und Hyperarousal verlangt. Bei Erreichen von sechs Symptomen werden die Kriterien für eine PTBS erfüllt. Hier existieren noch keine einheitlichen Auffassungen. Während einige Autoren ein partielles PTBS bereits bei Bestehen eines Symptomclusters (z.B. Wiedererinnern) als erfüllt sehen, verlangen andere zusätzlich das Bestehen eines weiteren Symptomclusters (z.B. Vermeidungsverhalten oder Übererregbarkeit).
Komplexe PTSD und Störungen extremen Stresses
Herman (1993) beschreibt hierin die Symptommuster von Opfern längerdauernder oder wiederholter Exposition traumatischer Ereignisse, u.a.
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Frommberger
Geiseln, Kriegsgefangene, Überlebende von Konzentrationslagern oder Überlebende von Traumatisierungen innerhalb religiöser Kulte. Hierzu ge hören aber auch Menschen, die in sexuellen oder familiären Beziehungen völlige Unterdrückung erlebten, beispielsweise von Familienangehörigen geschlagen, als Kinder physisch mißhandelt oder sexuell mißbraucht oder von organisierten Banden sexuell ausgebeutet wurden.
Herman schließt als Symptome in dieser Kategorie auch Störungen der Af fektregulation, z.B. anhaltende Dysphorie, chronische Suizidgedanken, Selbstverstümmelung, aufbrausende oder extrem unterdrückte Wut oder zwanghafte oder extrem gehemmte Sexualität mit ein. Als weiterer Bestandteil dieser Störung werden Bewußtseinsveränderungen angesehen. Diese können bestehen aus einer Amnesie oder Hypermnesie für die traumatischen Ereignisse, zeitweilig dissoziativen Phasen oder Depersonalisation/Derealisation wie auch häufiger Wiederholung des trauma tischen Geschehens, z.B. als Intrusionen oder Grübeln. Die Selbstwahr nehmung ist gestört durch Ohnmachtsgefühle, Schuldgefühle, Gefühl der Beschmutzung oder Stigmatisierung. In dieser Kategorisierung wird auch eine gestörte Wahrnehmung des Täters miteinbezogen, z.B. ständiges Nachdenken über die Beziehung zum Täter, eine unrealistische Ein schätzung des für allmächtig gehaltenen Täters wie auch Idealisierung oder paradoxe Dankbarkeit. Es resultieren aus den traumatischen Erlebnissen Probleme in den aktuellen Beziehungen und auch eine Veränderung des Wertesystems. Van der Kolk et al. (1993) haben diese Kategorisierung erweitert, indem sie der Somatisierung eine größere Bedeutung einräumten.
Die ICD-10 schuf eine neue Kategorie mit der „andauernden Persön lichkeitsänderung nach Extrembelastung" (ICD-10 F 62.0), die als chroni sche, irreversible Folge der Belastungen angesehen wird. Diese andauernde Persönlichkeitsänderung kann sich auch ohne vorangegangene Posttrauma tische Belastungsstörung entwickeln. Die Persönlichkeitsänderung muß über mindestens zwei Jahre bestehen und nicht auf eine vorher bestehende Persönlichkeitsstörung oder auf eine andere psychische Störung außer einer Posttraumatischen Belastungsstörung zurückzuführen sein. Nicht kurzfri stige Traumata, wie z.B. ein Autounfall, sondern Extrembelastungen, wie Erlebnisse in einem Konzentrationslager, Folter, Katastrophen oder andau ernde lebensbedrohliche Situationen, werden hier als Kriterium gefordert.
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Posttraumatische Belastungsstörungen
Tabelle 3: Diagnostische Kriterien der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung
1. Der Patient war über einen längeren Zeitraum (Monate bis Jahre) totalitärer Herr schaft unterworfen, wie zum Beispiel Geiseln, Kriegsgefangene, Überlebende von Konzentrationslagern oder Aussteiger aus religiösen Sekten, aber auch Menschen, die in sexuellen oder familiären Beziehungen totale Unterdrückung erlebten, beispiels weise von Familienangehörigen geschlagen, als Kinder physisch mißhandelt oder se xuell mißbraucht wurden oder von organisierten Banden sexuell ausgebeutet wur den. 2. Störungen der Affektregulation, darunter - anhaltende Dysphorie - chronische Suizidgedanken - Selbstverstümmelung - aufbrausende oder extrem unterdrückte Wut (eventuell alternierend) - zwanghafte oder extrem gehemmte Sexualität (eventuell alternierend) 3. Bewußtseinsveränderungen, darunter - Amnesie oder Hypermnesie, was die traumatischen Ereignisse anbelangt - zeitweilige dissoziative Phasen - Depersonalisation/Derealisation - Wiederholungen des traumatischen Geschehens, entweder als intrusive Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung oder als ständige grüblerische Beschäfti gung 4. Gestörte Selbstwahrnehmung, darunter - Ohnmachtsgefühle, Lähmung jeglicher Initiative - Scham- und Schuldgefühle Selbstbezichtigung - Gefühl der Beschmutzung und Stigmatisierung - Gefühl, sich von anderen grundlegend zu unterscheiden (der Patient ist etwa über zeugt, etwas ganz Besonderes zu sein, fühlt sich mutterseelenallein, glaubt, nie mand könne ihn verstehen oder nimmt eine nichtmenschliche Identität an) 5. Gestörte Wahrnehmung des Täters, darunter - ständiges Nachdenken über die Beziehung zum Täter (auch Rachegedanken) - unrealistische Einschätzung des Täters, der für allmächtig gehalten wird (Vorsicht: Das Opfer schätzt die Machtverhältnisse eventuell realistischer ein als der Arzt) - Idealisierung oder paradoxe Dankbarkeit - Gefühl einer besonderen oder übernatürlichen Beziehung - Übernahme des Überzeugungssystems oder der Rationalisierungen des Täters 6. Beziehungsprobleme, darunter - Isolation und Rückzug - gestörte Intimbeziehungen - wiederholte Suche nach einem Retter (eventuell alternierend mit Isolation und Rückzug) - anhaltendes Mißtrauen - wiederholt erfahrene Unfähigkeit zum Selbstschutz 7. Veränderung des Wertesystems, darunter - Verlust fester Glaubensinhalte - Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung
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Frommberger
Differentialdiagnose
Gerade bei der Posttraumatischen Belastungsstörung kommt dem differen tialdiagnostischen Prozeß eine wichtige Funktion zu, da die Posttrauma tische Belastungsstörung häufig mit anderen psychiatrischen Störungen verknüpft ist. Dies führt auch dazu, daß Patienten mit einer PTBS oft wegen anderer, infolge des Traumas aufgetretener, psychiatrischer Symptomatik Hilfe aufsuchen und gegen diese Beschwerden behandelt werden. Da hier in der Regel weder das Trauma adäquat bearbeitet, noch Handlungsstrate gien für den Umgang mit den Reaktionen auf das Trauma erarbeitet werden können, führen die Therapieansätze zu unbefriedigenden Resultaten. Bei den nachfolgend aufgeführten psychiatrischen Störungen ist daher die Nachfrage nach traumatischen Erlebnissen und die zeitliche Zuordnung der Symptomatik zu einem Trauma von entscheidender Bedeutung. Wenn der Patient während des traumatischen Ereignisses eine Kopfver letzung erlitten hat, so muß das Ausmaß der Hirnverletzung festgestellt werden (z.B. klinisch-neurologische Untersuchung, EEG, CCT, MRI). Die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung können auch durch andere organische Einflüsse, z.B. Epilepsie, Alkoholintoxikation oder Entzug sowie Intoxikation oder Entzug von Drogen hervorgerufen oder ver stärkt werden. Gleichzeitig ist bei einer Posttraumatischen Belastungs störung ein Alkohol- oder Drogenabusus eine häufig komorbid auftretende Störung. Bei Schmerzsyndromen kann die Unterscheidung zwischen „so matischem" und „psychogenem" Anteil des Schmerz sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich sein, da ohnehin eine intensive Wechselbeziehung vorliegt. Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung, die sich mit den organischen Psychosyndromen überschneiden können, sind Gedächt nis- und Konzentrationsstörungen, Übererregbarkeit, Reizbarkeit oder am nestische Symptome. Bei Überlebenden von Konzentrationslagerhaft oder Kriegsgefangenen spielte auch die Frage nach ernährungsbedingten or ganischen Schäden eine wichtige Rolle. Es gibt Hinweise, daß Patientinnen mit chronischem Unterbauchschmerz ohne faßbare organische Ursache häufig sexuellen Mißbrauch im Kindesalter erlebten. Auch Patientinnen mit Somatisierungsstörung sollen während der Kindheit in einem erheblichen Ausmaß sexuell oder physisch mißbraucht worden sein. Bei der Abgrenzung gegenüber anderen psychiatrischen Störungen ist die unterschiedliche Genese der Krankheitsbilder zu beachten. Während die Posttraumatische Belastungsstörung ätiologisch auf ein Trauma zurückge führt werden kann, ist dies bei Angsterkrankungen nicht der Fall. Zur Klas sifikation der Angsterkrankungen reicht die phänomenologische Beschrei bung und Erfüllung von definierten Kriterien aus. Gemeinsam mit der
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Posttraumatische Belastungsstörungen
Panikstörung und der generalisierten Angststörung zeigt die Posttrauma tische Belastungsstörung eine ausgeprägte Überaktivität des autonomen Nervensystems. Tritt diese Übererregbarkeit nach einem Trauma auf, ist eher an die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung als an eine Generalisierte Angststörung oder Panikstörung zu denken. Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung zeigen häufig Zwangssymptome. Gemeinsam treten bei beiden Erkrankungen wiederkehrende, belastende Erinnerungen auf, i.S. spontaner, ungewollter Gedanken oder Bilder, gegen die sich der Patient häufig kaum wehren kann. Bei der Differenzierung zwischen beiden Störungen ist wiederum nach einem Trauma zu fragen und ob die Intrusionen thematisch mit einem Ereignis, dem Trauma, Zusammenhängen. In einer großen Studie fanden sich bei Patienten mit Angststörungen in 35 % der Fälle eine Geschichte erheblicher Traumata und 10 % der Patien ten erfüllten die Kriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörung nach DSM-Ill-R.
Studien zur Posttraumatischen Belastungsstörung zeigten, daß Angstsymp tome mit der Zeit allmählich abnahmen, während depressive Beschwerden zunahmen. Gemeinsam bei depressiven Störungen wie auch der Posttrauma tischen Belastungsstörung treten Symptome auf von reduziertem Interesse, sich fremd und entfernt fühlen von anderen, sich leer und abgestumpft fühlen, eine Minderung der Konzentration und Schlafstörungen. Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung können auch über Grübeln berich ten, jedoch ist der Inhalt auf das Trauma und seine Folgen bezogen.
Flashbacks, emotionale Abgestumpftheit und Amnesien können auch dis soziative Störungen andeuten. In Abgrenzung dazu sind jedoch Intrusio nen, Vermeidungsverhalten und Übererregbarkeit bei dissoziativen Störun gen weniger als bei Posttraumatischen Belastungsstörungen vorhanden.
Die Abgrenzung einer Posttraumatischen Belastungsstörung von der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist häufig schwer, da Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung in einem sehr hohen Prozentsatz von frühen Traumatisierungen berichten. Jedoch erfüllt nur ein Teil der BorderlinePatienten die Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung.
Die meisten als belastend empfundenen Ereignisse erfüllen nicht den Schweregrad eines Traumas i.S. des DSM oder der ICD-10. Auch die Symp tomatik nach einem belastenden Ereignis ist oftmals nicht so stark ausge prägt, daß sie die Kriterien für eine PTBS erfüllt. Für diese Fälle kann eine Anpassungsstörung diagnostiziert werden.
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Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung weisen eine achtfach erhöhte Rate an Suizidversuchen gegenüber der Allgemeinbevölkerung auf. Daher ist in der Anamnese von Suizidversuchen auch die Frage nach Traumatisierungen zu berücksichtigen.
Die o.g. Diagnosen stellen häufige Formen komorbider Störungen dar. Die alleinige PTBS ist eher die Ausnahme, insbesondere bei langfristig beste hender PTBS. Während initial auch depressive Syndrome häufig sind, ver stärkt sich das Vermeidungsverhalten im Laufe derZeit. Zur Bewältigung der Übererregbarkeit kann sich ein Drogen- oder Alkoholabusus entwickeln. Im klinischen Alltag ist die PTBS abzugrenzen gegenüber der häufigeren Anpassungsstörung. Hier ist zu beachten, daß - im Gegensatz zur PTBS der Schweregrad des Belastungsfaktors relativ gering sein kann und die Symptomatik aus vielfältigen, unspezifischen Beschwerden bestehen kann. Bei der Anpassungsstörung werden die spezifischen Syndromkriterien, z.B. für PTBS, Panikstörung oder Major Depression nicht erfüllt.
Skalen zur Selbst- und Fremdbeurteilung
Der diagnostische Prozeß kann mit Hilfe von Fremd- und Selbstbeurtei lungsskalen und diagnostischen Instrumenten zusätzlich verbessert werden. In strukturierten, klinischen Inventaren zur Diagnostik mittels Fremdbeur teilung (z.B. SCID, DIPS oder CI DI) gibt es Module zur Posttraumatischen Belastungsstörung. Seit wenigen Jahren gibt es ein spezifisches Inventar für Posttraumatische Belastungsstörungen, das sich an der amerikanischen Klassifikation des DSM anlehnt und zusätzliche Symptome abfragt, die zwar häufig bei der PTBS auftreten, jedoch nicht in den Klassifikationen enthalten sind. Dieses Clinician Administered PTSD Scale (CAPS) wird in klinischen Untersuchungen zunehmend verwandt und ermöglicht neben der Diagnosestellung auch die Feststellung eines Schweregrades im Fremd beurteilungsverfahren. Als Selbstbeurteilungsskalen für die Posttraumatische Belastungsstörung stehen die Impact of Event Scale (IES) und die eng an das DSM angelehnte Posttraumatic Stress Disorder Scale (PDS) zur Verfügung. Diese beiden Ska len sind eng an das Konstrukt der Posttraumatischen Belastungsstörung an gelehnt. Bei der Differentialdiagnose bzw. Erhebung komorbider Störungen können Skalen der Depressionsforschung (z.B. Beck Depressions Inventar, BDI), der Angstforschung (State-Trait Anxiety Inventory STAI, Beck Angst Inven
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Posttraumatische Belastungsstörungen
tar, BDI) oder der allgemeinen Psychopathologie (Symptom Check List 90-R, SCL-90-R) verwendet werden.
Epidemiologie und Verlauf Die Studien zur Prävalenz der posttraumatischen Belastungsstörungen kön nen aufgeteilt werden in Studien in der Allgemeinbevölkerung und in Studien bei Populationen, die ein hohes Risiko hatten, ein Trauma zu erle ben. Bei Berücksichtigung von Untersuchungen an Patienten, die um Hilfe nachsuchten, ist zu beachten, daß nach einer Studie nur eine Person von 20 identifizierten PTSD-Patienten um Hilfe nachsuchte, d.h. daß Patienten in einem Behandlungssetting eine extrem selektierte Stichprobe darstellen. Dies erklärt auch die unterschiedlichen Prävalenzraten an PTSD in ver schiedenen Populationen. In zwei großen epidemiologischen Studien an Personen aus der Allgemeinbevölkerung zeigten sich Lebenszeitprävalenz raten von 1 bzw. 1,3 %. In einer anderen Studie an jungen Erwachsenen einer Gesundheitsorganisation zeigten sich Lebenszeitprävalenzen von 9,2 %. Innerhalb dieser Stichprobe entwickelten 24 % derjenigen, die ein traumatisches Ereignis erlebt hatten, eine Posttraumatische Belastungs störung. In dieser Studie betrug die Lebenszeitprävalenz, ein traumatisches Eregnis zu erleben, 39 %. Dies zeigt an, daß traumatische Ereignisse nicht außerhalb der normalen menschlichen Erfahrung liegen, wie dies in früheren Klassifikationen ange nommen wurde, sondern daß sie häufig sind, und daß auch die psychi schen Reaktionen im Sinne der Posttraumatischen Belastungsstörung oft auftreten.
Betrachtet man Risikogruppen, die eine große Gefahr haben, ein trauma tisches Ereignis zu erleben, wie z.B. Kriegsveteranen, Opfer von Natur katastrophen, Unfällen oder kriminellen Handlungen, so steigen die Präva lenzraten für Posttraumatische Belastungsstörungen erheblich. Nach dem Vulkanausbruch des Mount St. Helens zeigten bis zu 6,3 % der Betroffenen eine Posttraumatische Belastungsstörung. Nach einem australischen Busch feuer litten noch Monate danach ein Drittel der Feuerwehrleute an einer Posttraumatische Belastungsstörung. Je nach Studie schwanken die Lebens zeitprävalenzraten der Posttraumatischen Belastungsstörung bei Krimi nalitätsopfern von 19 bis 71 %. Eine sehr große Studie an Vietnam-Vete ranen (National Vietnam Readjustment Study) fand Lebenszeitprävalenz raten an Posttraumatischen Belastungsstörungen von 30 % für männliche Vietnamsoldaten, die in Kampfhandlungen verwickelt waren und 26 % für weibliche Vietnamsoldaten. Weitere 22 % der Veteranen zeigten partielle 25
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oder subklinische Formen der Posttraumatischen Belastungsstörung. Die Prävalenzraten zeigten sich abhängig von der Intensität, mit der die Solda ten in Kampfhandlungen verwickelt waren. Insgesamt wurde geschätzt, daß noch 1988, d.h. viele Jahre nach Ende des Vietnamkrieges, 480.000 der 3,2 Mio. Veteranen des Vietnamkriegs an einer Posttraumatischen Belas tungsstörung litten. Häufige, alltäglich auftretende Traumata sind z.B. Unfälle im Verkehr, bei der Arbeit, im Haushalt, beim Sport. In Deutschland ereignen sich jährlich über 8 Millionen solcher Unfälle. Bei mehr als 2 Millionen Verkehrsunfäl len im Jahr werden mehr als 500.000 Unfallopfer verletzt. Nach den bisherigen Untersuchungen zu den psychischen Folgen von Verkehrunfäl len ist wahrscheinlich mit psychischen Beinträchtigungen wie Posttrauma tischen Belastungsstörungen, Depressionen und phobischem Vermei dungsverhalten in einer Häufigkeit von 10-30 % der Verletzten zu rechnen. Insgesamt zeigen die Daten, daß der größte Teil Traumatisierter die Er lebnisse kontrolliert und ohne gravierende Probleme bewältigt. Die Unter suchungen belegen, daß es den meisten Betroffenen gelingt, innerhalb von Tagen bis Wochen die traumatischen Erlebnisse und ihre Folgeerscheinun gen zu überwinden. Eine bedeutende Minderheit von ca. einem Viertel bis einem Drittel der Opfer eines Traumas entwickeln erhebliche psychische Probleme bis hin zu diagnostizierbaren psychiatrischen Erkrankungen. Dauern die Symptome drei Monate nach dem Trauma immer noch an, besteht die hohe Gefahr einer Chronifizierung. In den Jahren nach dem traumatischen Ereignis nimmt die Zahl derer, die dann noch an einer Post traumatischen Belastungsstörung leiden, langsam ab. So nahm nach einer Flutkatastrophe die Zahl der PTBS-Prävalenzraten von 44 % zwei Jahre nach Trauma ab bis auf 28 % 14 Jahre nach dem Trauma. In vier Studien an Veteranen des Zweiten Weltkrieges zeigten sich PTBS-Prävalenzraten 40 Jahre nach Ende des Krieges von 29 bis 55,7 %. Zwei Studien an Verge waltigungsopfern fanden nach 15 Jahren noch PTBS-Prävalenzraten von 12,5 bzw. 16,5 %. Vergewaltigung nimmt innerhalb der Kriminalitätsopfer eine besondere Stellung ein, da die Betroffenen mit einer besonders hohen Rate an PTBS unmittelbar nach dem Trauma reagieren und die Sympto matik oft noch lange Zeit persistiert. Verlaufsuntersuchungen zeigten, daß die PTBS keine homogene Reaktions form ist, sondern unterschiedliche Verlaufsformen im Sinne von akuter, verzögerter, chronischer und intermittierender Form zeigt.
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Jürgen Fritze
Neurobiologie der posttraumatischen Belastungsstörung Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) entsteht per Definitionem nach einem unerwarteten, unkontrollierbaren und überwältigenden Ereig nis der Bedrohung. Als typische Traumen werden Vergewaltigung, Ver kehrskatastrophen, Kriegshandlungen, Erdbeben angesehen (9, 16). Ent sprechend der Operationalisierung der Diagnose ist dieses Bedrohungs ereignis eine Conditio sine qua non, was suggeriert, der Stressor sei die Ätiologie der Störung. Dann aber müßte bei adäquatem Trauma jedes Op fer die Störung entwickeln. Dem ist nicht so: Bei vergleichbaren Traumen entwickeln „nur" ca. 20% der Opfer eine anhaltende Belastungsstörung (Abb. 1). Allerdings nimmt mit abnehmendem zeitlichen Abstand zum Trauma die Prävalenz zu, d.h. die überwiegende Mehrzahl der Traumaop fer erfüllt vorübergehend die diagnostischen Kriterien, bei der Mehrzahl bilden sich aber die Symptome spontan innerhalb einiger Monate zurück (Abb. 1). Allerdings steigt das Risiko, an einer PTSD zu erkranken, mit der Schwere des Traumas (16). Das heißt, es stellt sich der neurobiologischen Forschung nicht nur die Frage, welche bleibenden neurobiologischen Ver änderungen das Trauma im Falle der Belastungsstörung hinterläßt, sondern auch, worin sich Traumaopfer mit der Störung von solchen ohne die Stö rung unterscheiden und worin sie sich vor dem Trauma neurobiologisch unterschieden haben mögen, was sie also zur Entwicklung der Störung dis ponieren mag oder umgekehrt, welche Schutzmechanismen die nicht er krankten Traumaopfer vor der Störung bewahren mögen. Dabei sind als beschützende und prädisponierende Faktoren nicht nur biologische Fakto ren zu bedenken. Vielmehr gilt es, in beiderlei Hinsicht psychosoziale und biographische konfundierende Variablen zu berücksichtigen. Zu den Schutzfaktoren gehören soziale Unterstützung, kommunikative Kompetenz und ein kohärentes Weltbild, zu den Risikofaktoren das Alter, frühere traumatische Erlebnisse, frühere psychische Störungen und ein geringer so zialer Erfolg. Es genügt also nicht, Patienten mit posttraumatischer Bela stungsstörung allein mit nicht-traumatisierten, gesunden Kontrollen zu ver gleichen.
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Fritze
Abbildung 1: Häufigkeit der posttraumati schen Belastungsstörung in Abhängigkeit Abbildung 2: Die Furcht-potenzierte von der seit dem Trauma vergangenen Schreckreaktion im Tiermodell Zeit (17).
Unter neurobiologischer Sicht sind unter den Symptomen der Belastungs störung der anhaltende Alarmierungszustand (Hyperarousal), die einschie ßenden Erinnerungen im Wachzustand und im Traum, und die Lerndefizite von besonderer Bedeutung (9, 16). Die neurobiologische Forschung muß die bei posttraumatischer Belastungsstörung häufigen Co-Morbiditäten, vor allem an einer Depression, berücksichtigen. Ein Tiermodell für das Hyperarousal ist die Furcht-potenzierte Schreckreak tion (Abb. 2): Auf einen Lärmreiz wird mit Schreck reagiert; wird dieser Lärmreiz mit einem z.B. optischen Reiz kombiniert, der in der Vergangen heit mit einem aversiven Erlebnis (z.B. Schmerz) assoziiert war, so ist (durch die resultierende Furcht) das Ausmaß der Schreckreaktion potenziert. Pati enten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung scheinen im Vergleich zu Gesunden eine übersteigerte Schreckreaktion - gemessen als Orbikula ris oculi Reflex oder Herzfrequenzanstieg - aufzuweisen (Abb. 3). An der Potenzierung der Schreckreaktion durch konditionierte Stimuli sind perirhinaler Cortex, Amygdala und der Bett-Nucleus der Stria terminalis beteiligt (Abb. 4).
Die Furchtpotenzierung läßt sich durch einen weniger als 300 ms oder mehr als 1400 ms dem konditionierten Stimulus vorausgehenden, neutra len Reiz vermindern, was Prepulse Inhibition (PPI) genannt wird. In der Re gulation der PPI nehmen Striatum und Nucleus accumbens eine zentrale Position ein. Hieran sind zumindest dopaminerge, GABAerge, glutamaterge und cholinerge Neuronen beteiligt (Abb. 4). Eine erhöhte dopaminerge Neurotransmission (z.B. unter der Wirkung von Psychostimulanzien) ver mindert die PPL Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung schei nen eine verminderte PPI aufzuweisen (15). Die mesolimbisch-mesocortikalen dopaminergen Bahnen reagieren auf Stress besonders empfindlich mit einer anhaltenden Aktivierung, was möglicherweise mit dem Fehlen 30
Neurobiologie
der posttraumatischen
Belastungsstörungen
terminaler Autorezeptoren zusammenhängt (6). Es wäre also denkbar, daß die fehlende, spontane Remission der Symptome bei PTSD-Kranken mit einer Trauma-induzierten dopaminergen Überaktivität, infolgedessen ver minderten PPI und dadurch verminderten Extinktion der Traumaerinnerung und daraus resultierend persistierender Furcht-Potenzierung der Schreckre aktion durch eigentlich belanglose, jedoch durch das Trauma konditionier te, kontextuelle Reize zusammenhängt. Akustische Schreckreaktion bei Frauen mit PTSD nach Vergewaltigungstrauma im Vergleich zu gesunden Kontrollen (Morgan et al. 1997)
Abbildung 3: Veränderungen der Furcht potenzierten Schreckreaktion, gemessen als Blinkreflex, bei Frauen mit posttrauma tischer Belastungsstörung nach Vergewal tigung im Vergleich zu gesunden Kontrol len (13) Abbildung 4: Schema der anatomischen und neurochemischen Regulation der Furcht-potenzierten Schreckreaktion und der Prepulse Inhibition (15).
Die Schreckreaktion ist physiologisch und für das Überleben unverzicht bar, indem sie angesichts einer Bedrohung die Ressourcen für Kampf oder Flucht bereitstellt, nämlich Aufmerksamkeit und Mobilisierung der Energie reserven. Entsprechend werden der Sympathikus mit Adrenalin- und Nor adrenalin-Sekretion (Streß-Reaktion nach Cannon) und die HypophysenNebennierenrinden-Achse mit Cortisol-Sekretion (Streß-Reaktion nach Selye) aktiviert. Der Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks korreliert mit der Schwere des Traumas (16). Entsprechend einiger Studien sollen PTSD-Kranke persistierend eine erhöhte Herzfrequenz aufweisen. Bedeut samer aber ist, daß die Höhe der initialen Herzfrequenz ein Prädiktor für das spätere Entwickeln einer PTSD, d.h. des Ausbleibens der Spontanre mission, ist, daß also bei vergleichbarem Trauma die Traumaopfer mit spä terer PTSD initial höhere Herzfrequenz aufweisen als die Opfer ohne PTSD (Abb. 5). PTSD-Kranke scheinen im Vergleich zu psychiatrischen Kontrol len vermehrt Adrenalin und Noradrenalin im Harn auszuscheiden (Abb. 6).
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Herzfrequenz nach schwerer Belastung mit und ohne Folge einer PTSD (Shalev et al. 1998)
Abbildung 5: Prädiktion einer späteren posttraumatischen Belastungsstörung durch höhere Herzfrequenz unmittelbar nach dem Trauma (17)
Abbildung 6: Catecholamin-Ausscheidung im Harn bei posttraumatischer Belastungs störung im Vergleich zu psychiatrischen Kontrollen (10)
PTSD-Kranke weisen im Vergleich zu nicht-erkrankten, aber ähnlich Expo nierten und im Vergleich zu Gesunden bei imaginativer oder realistischer Reexposition (z.B. Kampflärm, Videoszenen) eine stärkere Sympathikusak tivierung, vor allem erkennbar an der Herzfrequenz, mit einem stärkeren Anstieg von Noradrenalin im Plasma auf (16). Der Sympathikusaktivierung liegt cerebral eine Steigerung der Aktivität der noradrenergen Neuronen des Locus coeruleus zugrunde. Möglicherweise reagieren PTSD-Kranke überempfindlich auf Yohimbin (3, 18). Yohimbin ist i.w. ein Antagonist an noradrenergen Autorezeptoren und erhöht dadurch die Feuerrate der Locus coeruleus Neuronen. Wenn sich dies bestätigen sollte, würde dies für eine Enthemmung der noradrenergen LC-Neuronen bei PTSD-Kranken sprechen. Zur physiologischen Alarmreaktion gehört auch die Sekretion von Cortisol. Erstaunlicherweise und inzwischen vielfach repliziert (16) weisen PTSDKranke im Vergleich zu Gesunden oder zu psychiatrischen Kontrollen (Abb. 7), aber auch im Vergleich zu nicht erkrankten, ähnlich Exponierten eine verminderte Cortisolausscheidung im Harn oder Speichel auf, auch wenn comorbid eine Depression besteht. Dabei scheint die Cortisolsekreti on invers mit dem Ausmaß der Traumatisierung zusammenzuhängen: Nach dem Erdbeben in Armenien war die Cortisolsekretion fünfeinhalb Jahre nach dem Beben bei im Epizentrum exponierten Jugendlichen geringer als bei entfernter Exponierten (Abb. 8). Ein geringer Cortisol-Anstieg anläßlich des Traumas scheint ein Prädiktor für die spätere Erkrankung an PTSD dar zustellen. Parallel wurde bei PTSD-Kranken mehrfach eine Supersuppressi on der Cortisolsekretion im Dexamethason-Suppressionstest repliziert (16). Gleichzeitig scheint aber die CRF-Konzentration im Liquor von PTSDKranken (Vietnam-Veteranen) erhöht zu sein (Abb. 9). 32
Neurobiologie der posttraumatischen Belastungsstörungen
Cortisol-Ausscheidung Im Harn Mason et al. 1986
Erdbeben in Armenien 1988: Cortisol im Speichel vor Dexamethason Goenjian et al 1996
Abbildung 7: Cortisol-Asscheidung im Harn bei posttraumatischer Belastungsstö Abbildung 8: Basales Cortisol im Speichel rung (PTSD) im Vergleich zu psychiatri bei jugendlichen Opfern des Erdbebens in schen Kontrollen (11) Armenien (5)
Es ist seit langem bekannt, daß Streß die Sekretion von CRF stimuliert. CRF stimuliert die noradrenergen Neuronen des Locus coeruleus und bewirkt experimentell „ängstliches" Verhalten mit entsprechenden autonomen Be gleitsymptomen (7). Andererseits stimulieren die noradrenergen LC-Neuronen die Bildung und Freisetzung von CRF im paraventrikulären Nucleus des Hypothalamus. CRF, Cortisol und Noradrenalin fördern assoziatives Lernen, möglicherweise speziell die Verbindung zwischen kognitiven und emotionalen Inhalten. Wiederholter Streß sensitiviert die LC-Neuronen für CRF. CRF potenziert die Schreckreaktion, vermutlich im Bett-Nucleus der Stria terminalis. Cortisol hemmt u.a. Synthese, Freisetzung und Umsatz von Catecholaminen, so daß der relative Hypocortisolismus bei PTSD zur sym pathischen Überaktivität bei PTSD beitragen könnte. Cortisol wirkt auf hippocampale CA3 Pyramidenzellen neurotoxisch, so daß das Trauma zu einem Neuronenuntergang im Hippocampus geführt haben könnte, erst recht wenn es sich um wiederholte Traumen handelte. Tierexperimentell ist ein solcher Streß-induzierter Neuronenuntergang be legt. Bei - allerdings wenigen Fällen - PTSD-Kranken wurde das Hippo campusvolumen kernspintomographisch (2) vermindert gefunden (Viet nam-Veteranen, Vergewaltigungsopfer, Opfer sexuellen Mißbrauchs in der Kindheit). Dies könnte die Lerndefizite bei PTSD-Kranken erklären. Der re lative Hypocortisolismus könnte homöostatisch-protektive Gründe bei pri mär erhöhter CRF-Sekretion haben. Warum diese aber im Sinne einer Sensitivierung nach dem Trauma persistiert, ist bisher nicht erklärbar.
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Kindling-Mod«ll dar Poattnumatiacban Balaatungsatörung (PTSO) Poet at al 1W7
Abbildung 9: Konzentration des Corti cotropin Releasing Hormons (CRF) und Somatostatin im Liquor (CSF) bei post Abbildung 10: Das Kindling-Modell der traumatischer Belastungsstörung im Ver posttraumatischen Belastungsstörung (14) gleich zu gesunden Kontrollen (1)
Die Habituation der akustisch evozierten Schreckreaktion wird genetisch determiniert. Auch für die PTSD ist ein genetischer Faktor etabliert. Bei monozygoten Zwillingen erreichte die Konkordanzrate 17 %, wenn beide Zwillinge vergleichbar exponiert waren (Vietnam-Veteranen), aber nur 5 %, wenn sie nicht vergleichbar exponiert waren (14). Demnach stellt die post traumatische Belastungsstörung ein paradigmatisches Beispiel für die Inter aktion zwischen Genetik und Umwelt („nature and nurture") dar. In einer Studie wurde bei Vietnam-Veteranen eine Assoziation der PTSD mit der D-2A1-Isoform des Dopamin-D2-Rezeptors bei ca. 60 % gefunden; diese Isoform fand sich nur bei 0-12.5 % der nicht erkrankten Exponierten (4), was aber nicht repliziert wurde (6). Das Kindling-Modell der PTSD von Post et al. (14) postuliert einen sich verselbständigenden, auch ohne weite re externe Traumatisierungen fortschreitenden Sensitivierungsprozeß (Abb. 10). An diesem Prozeß könnte spekulativ eine genetische Variante von Dopamin-Rezeptoren beteiligt sein, die zu einer verminderten Prepulse In hibition der Furcht-potenzierten Schreckreaktion führt.
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Neurobiologie
der posttraumatischen
Belastungsstörungen
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Fritze
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Sabine Schlegel
Stellenwert bildgebender Verfahren bei posttraumatischen Erkrankungen Einleitung und Hypothesen In der vorliegenden Übersichtsarbeit sollen Hypothesen, eine Auswahl von wichtigen Untersuchungsergebnissen, aber auch sich daraus ergebende Widersprüche und offene Fragen im Zusammenhang mit bildgebenden Studien vorgestellt werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Das besondere Interesse an der Erforschung der posttraumatischen Bela stungsstörung oder im englischen „post traumatic stress disorder" (PTSD) ist im Wesentlichen amerikanischen Arbeitsgruppen zu verdanken, die sich insbesondere mit den diagnostischen, therapeutischen, aber auch biologi schen Erforschungen der PTSD bei Vietnamveteranen auseinandersetzten. Mittlerweile hat sich die biologische Forschung nicht nur Kriegsveteranen, sondern u.a. auch Opfern von Unfällen, Naturkatastrophen, Vertreibung, Vergewaltigung, Terror und Gewaltverbrechen gewidmet.
Um eine Übersicht der wichtigsten bildgebenden Untersuchungen darzu stellen, soll um der z.T. sehr komplexen Materie gerecht zu werden ein hypothesengesteuerter Ansatz verfolgt werden, der zugegebenermaßen ne ben theoretischen Überlegungen auch schon Studienergebnisse einbezieht. Dafür ist es nötig, sich noch einmal in grober Vereinfachung die Funktion einiger neuroanatomischer Strukturen zu vergegenwärtigen, die bei der Entstehung und/oder Aufrechterhaltung der PTSD eine Rolle spielen könn ten. Zentrale Bedeutung kommen den Amygdala zu, die für das sog. emo tionale Lernen und die Angstauslösung - auch ohne Kortexbeteiligung verantwortlich gemacht werden. Erst die nächst höhere Stufe unter Mitbe teiligung des Hippocampus ermöglicht die sogenannte Kontextkonditionie rung, d.h. die Einordnung angstauslösender Stimuli in den Erfahrungsbe reich eines Individuums; z.B. kann die Wahrnehmung eines Bären in der freien Landschaft eine Angstreaktion erzeugen, während dieselbe Wahr nehmung in einem Zoo eher heitere Belustigung verursacht (Ploog 1998). Ob diese Vorgänge „bewußt" vorgehen, ist letztendlich nicht geklärt. Of fensichtlich ist jedoch der Neokortex für die Angstentstehung nicht erfor derlich, aber für die kognitive Wahrnehmung derselben. Auch die Lö schung setzt die Funktion höherer kortikaler Regionen voraus, die ihrerseits 37
Schlegel
an eine intakte Vermittlung über Mittelhirn und Thalamus geknüpft ist. Ein weiteres neuroanatomisches System, das im Zusammenhang mit der PTSD Bedeutung haben könnte, ist das paralimbische System, das aus dem Cin gulum, dem posterioren medialen und orbitofrontalen Kortex, dem insula ren, anterioren temporalen Kortex und dem parahippocampalen Kortex be steht. Das paralimbische System soll bei der Prioritätensetzung des Informa tionsflusses beteiligt sein bei gleichzeitiger Codierung der Informationen hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Organismus (Rauch et. al. 1998). Schließlich wird bei der PTSD eine Beteiligung des sogenannnten höheren kortikalen Systems diskutiert, das möglicherweise in seinen inhibitorischen Funktionen gestört ist (z.B. Broca-Areal), resultierend in einer gestörten Feed-Back-Schleife. Tabelle 1 faßt noch einmal die neurofunktionellen Hy pothesen zusammen.
Tabelle 1: PTSD: Neurofunktiontionelle HYPOTHESEN* 1.
Überschiessende Reaktionen der Amygdala für potentielle Bedrohung
2.
Inadäquate Inhibition der Amygdala durch den Hippocampus z.B. fehlerhafte Kontextinformationen bezüglich Sicherheit
3.
Inadäquate Top-Down Inhibition der Amygdala durch das anteriore Cingulum und den medianen praefrontalen Kortex
4.
Fehlende Inhibition durch höherer kortikale Zentren (z.B. Broca-Areal) bzw. gestörte Feed-Back-Schleife: Kortikal-Limbisch-Kortikal ♦modifiziert nach Rauch et al. (1998) und Silove (1998)
Im folgenden sollen daher die Studienergebnisse bildgebender Verfahren unter besonderer Berücksichtigung der oben genannten Systeme (Amygda la, Hippocampus, paralimbisches System und kortikalen Areale) beschrie ben werden. Ferner wird den Methoden Rechnung getragen, die in mor phometrische und neurochemische sowie funktionelle Methoden aufgeteilt in den einzelnen Kapiteln dargestellt werden.
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Stellenwert
bildgebender
Verfahren
bei posttraumatischen
Erkrankungen
Morphologische und neurochemische Untersuchungen In Tab.2 und Tab.3 sind die wesentlichen morphologischen Untersuchun gen zusammengefaßt, durchgeführt mit der Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT).
Zunächst stand die Beschreibung unspezifischer Veränderungen bei PTDSPatienten im Vordergrund (Tab.2) wie z.B. fokale Läsionen in der weissen Substanz (Canive et al. 1997) oder das Vorhandensein einer CavumPellucidum-Zyste bei 50 % der PTSD-Klientel im Vergleich zu 14% bei Kontrollen (Myslobodsky et al. 1995).
Tabelle 2: PTSD und MORPHOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN
Unspezifische Veränderungen (MRT) Autor
Patienten
Ergebnisse
Canive et al.
42 PTSD
2 Pat.: Kortikale Atrophie
(1997)
VS.
8 Pat.: fokale Laesionen in der weissen
20 Kontrollen
Substanz
Kontrollen: keine Auffälligkeiten
Myslobodsky et al.
10 PTSD
Nur bei PTSD:
(1995)
(Kriegsveteranen)
50 % Cavum pellucidum Zyste
vs. 21 Kontrollen
14 % Cavum pellucidum Zyste
(10 mit Militär
erfahrung)
Wesentlich interessanter unter den oben genannten theoretischen Aspekten sind die in Tab.3 aufgelisteten Messungen der Hippocampivolumen, die ein 8%iges kleineres Volumen rechtsseitig bei PTSD zeigten (Bremner et al. 1995), das entsprechend negativ mit Defiziten für das verbale Kurzzeitge dächtnis korrelierte, aber keinen Zusammenhang mit den sogenannten „combat expsosures", frei übersetzt Kriegserlebnissen, ergab. Im Gegensatz dazu fanden Gurvitz et al. (1996) eine negative Korrelation zwischen dem „combat exposure" und den Hippocampivolumen bei Kriegsveteranen mit und ohne PTSD, obwohl nur jene mit PTSD ein geringeres Hippocampus-
39
Schlegel
volumen aufwiesen im Vergleich zu Veteranen ohne PTSD oder Kontrol len. Die beschriebenen Korrelationen blieben aber nicht mehr signifikant nach Adjustierung des PTSD-Schweregrads.
Tabelle 3: PTSD und MORPHOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN
Spezifische Veränderungen (MRT) Autor
Patienten
Ergebnisse
Bremner et al.
26 PTSD
Bei PTSD:
(1995)
(Vietnam-Veteranen)
Rechter Hippocampus 8 % kleiner;
VS.
Defizite für Kurzzeitgedächtnis (verbal)
22 Kontrollen
korrelieren mit rechtem Hippocampus.
Keine Korrelation mit „combat exposure"
Gurvits et al. (1996)
A) 7 PTSD
(Vietnam-V.) B) 7 0 PTSD
(Vietnam-V.) C) 8 Kontrollen
A) Re. + li. Hippocampus kleiner als bei B und C.
Bei A + B Hippocampus bds. negativ
korreliert mit „combat exposure".
Bei A + B subarachnoidale CFS größer Kein Unterschied in VBR, Hirnvo lumen, Amygdala.
Neben morphometrischen Messungen konnten erste Studien mit der Proto nen-Magnetresonanzspektroskopie (P-MRS) bei PTSD- Patienten im rechten Hippocampus bzw. rechten Temporalpol auch eine Verminderung des N-Azetyl-Aspartats (NAA), das als Indikator für die neuronale Dichte ange sehen wird, nachweisen (s.Tab.4).
40
Stellenwert bildgebender Verfahren
bei posttraumatischen
Erkrankungen
Tabelle 4: NEUROCHEMISCHE METHODEN
Protonen Magnetresonanzspektroskopie (P-MRS)
=> Messung von N-Azetyl-Aspartat (NAA) als Indikator für neuronale Dichte Autor
Patienten
Methode Ergebnisse
Schuff et al.
7 PTSD Veteranen
MRT
(1997)
7 0 PTSD Veteranen
MRS
re. Hippocampus: 6 % kleiner; re. Hippocampus: 18 % Reduk tion von NAA
Freemann et al.
21 PTSD Veteranen
(1998)
8 0 PTSD Veteranen
MRS
re. medialer Temporalpol:
NAA signifikant vermindert
Zweifelsohne wären an dieser Stelle für den in der Bildgebung Erfahrenen kritische Anmerkungen bezüglich der Auswertung, der geringen Patienten zahl und der Statistik etc. anzubringen. Es soll aber hier darauf verzichtet werden zugunsten der sich anhand dieser Arbeiten abgeleiteten interessan ten Grundsatzdiskussionen. Gehen wir davon aus, daß oben beschriebene minimale Veränderungen im Hippocampus tatsächlich vorliegen, so ergibt sich die Frage, ob diese Ursachen oder Folgen der PTSD sind (s. auch Silove 1998). Für Folgen sprechen: die dargestellten negativen Korrelatio nen zwischen Hippocampusvolumen und „Combat exposure" bei PTSD und non-PTSD (Gurvits et al. 1996), obwohl der Hippocampus nur kleiner bei PTSD war. Dieser Befund würde bedeuten, daß die Einwirkung eines psychischen Traumas zu einer morphologischen Veränderung im Hippo campus führt, würde aber nicht erklären, warum nicht alle Betroffenen eine PTSD entwickeln. In diesem Zusammenhang muß auch marginal auf endokrinologische Hypothesen eingegangen werden, die an anderer Stelle in diesem Buch ausführlich abgehandelt werden. Es lag zunächst nahe, die in den letzten Jahrzehnten entwickelten Zusammenhänge zwischen Stress und Regulationsmechanismen der HPAA (hypothalamic-pituitary-adrenalaxis) auch bei der PTSD in Betracht zu ziehen. Seit den Pionierarbeiten von Selye aus dem Jahre 1956 (s. Yehuda 1998) wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen, daß Stress „dosisabhängig" zu einem Anstieg von Cortisol führt. Inzwischen weiß man auch, daß dieser Cortisolanstieg schon die „Antistress"-Reaktion auf die primäre CRH (Corticotropin-releasing-hor41
Schlegel
mone)-Aktivierung darstellt. Die Untersuchung der HPAA war insbesonde re bei Depressionen Gegenstand vieler Untersuchungen und ergab z.B. in eigenen Studien eine Korrelation zwischen erhöhten Cortisolprofilwerten und Ventrikelweite (Schlegel et al. 1989). Zunehmend wurden auch direkte oder indirekte corticoidvermittelte „neurotoxische" Effekte bei der Alzheimerschen Erkrankung diskutiert, die u.A. mit einer Hippocampusatrophie einhergeht. Was lag also näher, als die Hypothese zu entwickeln, daß Pati enten mit PTSD als Folge eines besonderen schweren Traumas eine Stö rung der HPAA erleiden, die über eine erhöhte Cortisolausschüttung zu einer Hippocampusatrophie führt? Um so überraschender waren verschie dene Studienergebnisse, die bei PTSD eher niedrigere Cortisolwerte nach wiesen (Yehuda 1998). Damit scheidet eine Stress-induzierte Hippocam pusatrophie infolge erhöhter Cortisolwerte aus. Die zur Zeit diskutierten neuroendokrinologischen Störungen bei PTSD - auch im Vergleich zu de pressiven Erkrankungen - zeigt Tabelle 5 (Yehuda 1998).
Tabelle 5: Unterschiede in der HPAA zwischen PTSD und chronischem Stress/ Depression (modifiziert nach Yehuda 1998)
PTSD
Chronischer Stress / Depression
Cortisolspiegel vermindert
Cortisolspiegel erhöht
Erhöhte Glucocorticoid-Rezeptor-
Verminderte GIucocorticoid-Rezeptor-
Sensitivität
Sensitivität
Verstärkte negative „Feedback Inhibition"
Störung des negativen „Feedback"
Das HPA-System wird zunehmend
Das HPA-System wird zunehmend
sensitiver
unsensitiver
Da also erhöhte Cortisolwerte keine Erklärung für eine Hippocampusatro phie als Folge eines Traumas bieten, wurde eine verstärkte Sensitivität der Glucocorticoid-Rezeptoren als prädisponierender Faktor bei der Entstehung der PTSD in Erwägung gezogen. Damit findet sich ein Übergang zu den Hypothesen, die eine Hippocampusatrophie als Ursache für eine erhöhte Vulnerabilität bei der Entwicklung einer PTSD ansehen. Diese Überlegun gen gehen soweit zu postulieren, daß eine Hippocampusverkleinerung mit einer neuronalen Entwicklungsstörung und entsprechenden Lernstörungen einhergehen könnte, die wiederum nur zur Erlangung niedrigerer Dienst
42
Stellenwert bildcebender Verfahren bei posttraumatischen Erkrankungen
grade führen, welche wiederum das Risiko eines verstärkten „Combat ex posures" zur Folge hätten. Wesentlich realitätsnäher und auch für das klinische Verständnis der PTSD relevanter erscheinen jedoch jene Hypothesen, die die Entwicklung einer PTSD an sich als entscheidenden Faktor bei der Entwicklung neuropatho logischer Veränderungen im Hippocampus ansehen, möglicherweise auf dem Hintergrund einer wie auch immer gearteten biologischen Vulnerabili tät (z.B. genetisch, endokrinologisch, minimal brain damage etc.).
Funktionelle bildgebende Verfahren Zum Zeitpunkt der vorliegenden Übersicht konnten nur publizierte Daten aus nuklearmedizinischen Studien mit der Photonen-Emissions-Tomo graphie (PET) berücksichtigt werden, die die Hirndurchblutung (HDB) unter z.T. hochkomplexen Versuchsanordungen untersuchten. Der hier zur An wendung gekommene Positronen emittierenden Atomkern war Sauerstoff15 (15O), das aufgrund seiner extrem kurzen Halbwertzeit von ca. 2 Minu ten rasch aufeinanderfolgende Wiederholungsuntersuchungen unter ver schiedenen Stimuli ermöglicht. Diese kurze Halbwertszeit macht aber auch die direkte Produktion von 15O an einem Teilchenbeschleuniger in unmit telbarer räumlicher Nähe des PET-Scanners erforderlich. Diese technischen Voraussetzungen sind nur an wenigen PET-Zentren weltweit gegeben und dürften die nur geringe Anzahl vorliegender Studien miterklären. Das weit häufiger - inzwischen auch in der klinischen Routine zum Einsatz kom mende - 18Fluor-Deoxy-Glucose-PET (FDG-PET), das für die Darstellung und Messung des Glucosemetabolismus verwendet wird, wäre für die vor liegenden Fragestellungen aus folgenden Gründen nicht geeignet: 18FluorFDG ist aufgrund der längeren Halbwertzeit des 18Fluor von ca. 110 Minu ten zwar meist aus einem externen Zyklotron beziehbar und erfordert da mit nicht die unmittelbare Standortnähe des PET-Scanners zu einem Teil chenbeschleuniger. Diese längere Halbwertzeit verhindert aber gleichzeitig kurz aufeinanderfolgende Messungen unter verschiedenen Stimulationen, wie sie bei der Untersuchung angstauslösender versus neutraler Stimuli bei PTSD erforderlich sind. Es bleibt daher abzuwarten, ob in Zukunft derartige Versuchsanordnungen nicht besser mit der funktionellen MRT durchgeführt werden, die bei fehlender Strahlenbelastung beliebig wiederholbare Unter suchungen ermöglichen könnte. Betrachtet man die hier aufgeführten Stu dien unter diesen methodischen Gesichtspunkten, so lassen sie sich nur als Pilotuntersuchungen definieren, da die Ergebnisse bei der Anzahl der Mes sungen und ausgewerteten Hirnregionen bei entsprechend kleiner N-Zahl
43
Schlegel
unter statistischen Gesichtspunkten kaum aussagekräftig sein dürften. Aus den drei in Tabelle 6 aufgeführten Untersuchungen sind hier vor allem die Ergebnisse zusammengefaßt, die an die eingangs aufgeführten Hypothesen anknüpfen: bei allen drei Studien zeigten die untersuchten Personen unter erneuter Konfrontation mit dem Trauma eine erhöhte, vor allem rechtsseiti ge HDB-Aktivierung und eine relative HDB-Abnahme im Broca-Areal, wäh rend die rechtsseitige Amygdala-Aktivierung nur bei PTDS gefunden wur de. Interessanterweise wurde in keiner der Studien eine Veränderung im Hippocampus beschrieben bzw. gefunden.
Tabelle 6 :PTSD UND FUNKTIONELLE BILDGEBUNG Autor
Patienten
Methode
Ergebnisse
Fisher et al. (1996)
6 Bankangestellte nach Überfall oh ne PTSD
PET-rCBF
Ansehen von Video Banküberfall vs. neutrales Video
Zunahme: - orbitofrontaler Kortex - posteriorer Cingulus
- visueller Kortex Abnahme:- Broca-Areal
Rauch et al. (1996)
Shin et al. (1997)
44
8 PTSD
PET
Untertraumatischen Vorstellungen
(verschiedene Traumata)
15O-CO2 (Inhalation) Intraindividuelle Vergleiche; Vor spielen eigener traumatischer Erinnerungen
Zunahme rechts: - medialer orbitofrontaler Kortex - insularer Kortex - visueller Kortex - Amygdala
7 PTSD veterans PET 7 0 PTSD vete 15O-CO2 rans (Inhalation) Intraindividuelle Vergleiche
Zunahme beidseits: - sensomotorischer Kortex Abnahme links: - linker temporaler Kortex - Broca-Areal Keine Veränderung im Hippo campus
Vorstellung von Kriegsszenen mit Worten versus neutrale Stimuli: Zunahme vorderer Gyrus cingulus und rechte Amygdala Ansehen von Kriegsszenen + Worte: Abnahme: - vorderer Gyrus cingulus - Broca-Areal
Stellenwert
bildgebender
Verfahren
bei posttraumatischen
Erkrankungen
Zusammenfassung Aufgrund der vorliegenden funktionellen Untersuchungen ergeben sich Hinweise , daß es bei der PTSD zu einer überschiessenden Reaktion der Amygdala bei Trauma-relevanten Reizen kommt, die mit einer erhöhten Aktivierung des paralimbischen Systems einhergehen bei reduzierter korti kaler Inhibierung, insbesondere durch das Broca-Areal. Gerade letzterer Befund könnte die Schwierigkeit Betroffener erklären, Erlebtes zu verbalisieren und damit auch die therapeutischen Strategien theoretisch unter mauern, durch Verbalisation und Aktivierung höherer kortikaler Systeme die Kontrolle z.B. über die überschiessende Amygdalaaktivierung zu ge winnen. Während aufgrund morphometrischer und neurochemischer Un tersuchungen von einer diskreten Verkleinerung - vor allem des rechtenHippocampusvolumens ausgegangen wird, finden sich für funktionelle Stö rungen in diesem Gebiet keine relevanten Hinweise. Auf die breite Theo riediskussion über die Rolle des Hippocampus bei der PTSD wurde oben ausführlich eingegangen. Bei allen spekulativen und zum Teil kontroversen Thesen, erscheint aber für den Kliniker jene Hypothese von besonderem Interesse, die in der Entwicklung einer PTSD das neuropathogene Agens sieht und nicht in dem Trauma an sich, auch wenn letztendlich der Einfluß einer eventuell vorbestehenden Vulnerabilität weiterhin diskutiert wird. Trifft diese Hypothese zu, wäre eine frühzeitige Therapie für die Betroffe nen auch unter neurobiologischen Gesichtspunkten von entscheidender Relevanz, um Langzeitschäden zu verhindern. Zu wissen, daß das unabän derliche Trauma nicht auch noch irreversible neuropathologische Schäden hervorgerufen hat, könnte außerdem den Patienten, aber auch den Thera peuten ermutigen. Wenn tatsächlich die PTSD der pathogenene Faktor ist, müßten noch ausstehende Studien auch eine Rückbildung der funktionel len Veränderungen nach erfolgreicher Therapie zeigen. Geht man noch einen Schritt weiter, sollte eine frühzeitige Behandlung auch die Entste hung oder Progredienz morphologischer Veränderungen abwenden. Daß sich noch eine Fülle von kritischen Anmerkungen zu den vorliegenden Studien ergibt und zahlreiche noch zu untersuchende Fragen offen sind, zeigt auch die abschließende Tabelle 7.
45
Schlegel
Tabelle 7: PTSD und BILDGEBUNG. Offene Fragen: A) Art des Traumas von Bedeutung?
B) Häufigkeit des Traumas von Bedeutung? (long term potentation?) C) Erwartetes PTSD? In welchem biologisch-psychosozialem Kontext erfolgte das
Trauma ?
D) Welche Symptome der PTSD gehen mit Veränderungen einher? E) Prämorbidität und Comorbidität nicht ausreichend berücksichtigt
F) Medikation und Abusus nicht ausreichend berücksichtigt
G) Dauer der PTSD von Bedeutung? H) Einfluß von Therapieverfahren?
I)
Einfluß familiärer Belastungen?
J)
Rückbildungsfähigkeit nach Therapie?
K) Fehlen von Rezeptorstudien
46
Stellenwert bildgebender Verfahren
bei posttraumatischen
Erkrankungen
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47
Schlegel
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48
Steffen Haas
Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es für posttraumatische Erkrankungen ? Einleitung Bekanntlich kann durch den Einsatz der modernen Psychopharmaka selek tiv in zugrunde liegende gestörte Neurotransmittersysteme eingegriffen und psychische Symptome und Syndrome gezielt behandelt werden. Dadurch sind zum heutigen Zeitpunkt auch Verhaltens-, Befindlichkeits-, Belastungssowie Anpassungsstörungen psychopharmakologisch therapeutisch beein flußbar. Diese Störungen wurden früher als ausschließlich bzw. überwie gend nur psychotherapeutisch angehbar betrachtet. Diese Tatsache hat u.a. auch zur Folge, daß neue Diagnose- und Klassifikationssysteme entwickelt werden konnten, in denen z.B. auf die Unterteilung in neurotisch gleich erworbene, versus endogen gleich biologische Störungen verzichtet wurde. Folgerichtig wurden erstmals im DSM III, später im DSM IV, die posttrau matic stress disorder (PTSD) und im ICD 10 die posttraumatische Bela stungsstörung herausgearbeitet. Nach den Erkenntnissen der letzten Jahre wissen wir, daß sehr wohl extreme Belastungen bzw. Traumen zu akuten und chronischen Veränderungen im Neurotransmittersystem sowie in spe ziellen Hirnstrukturen führen können bzw. eine erhöhte Vulnerabilität die ser Systeme möglicherweise Voraussetzung für die Entwicklung einer post traumatischen Belastungsstörung ist. Diese Funktions- bzw. Strukturverän derungen sind für die typischen psychopathologischen Erscheinungsbilder im unterschiedlichen Maße verantwortlich und nun ihrerseits wieder psy chopharmakologisch beeinflußbar.
Eine spezifische Psychopharmakotherapie bei der Belastungsstörung kann entweder auf die zugrunde liegende psychopharmakologische Störung ge richtet sein, wie z.B. durch eine selektive Beeinflussung des Serotoninsy stemes durch die Gabe von Serotoninwiederaufnahmehemmern oder auf die entsprechende Psychopathologie, in dem durch die Gabe von Anxiolytika Ängstlichkeit oder durch Antidepressiva depressive Störungen positiv beeinflußt werden können. Weltweit liegen im Vergleich zu den anderen psychischen Störungen noch relativ wenig Arbeiten über die Psychophar makotherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen vor. In meinem 49
Haas
Beitrag beziehe ich mich im wesentlichen auf zwei Übersichtsarbeiten, die Modelle der Genese, Ätiologie und unterschiedlicher Therapiemaßnahmen herausgearbeitet haben. Es handelt sich aus dem deutschen Sprachraum um das Buch „Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen", her ausgegeben von A. MAERCKER (1997) und aus den USA um das Buch „Psychological Trauma" von R. YEHUDA (1998).
1. Psychopharmakologische Grundlagen der post traumatischen Belastungsstörungen bzw. posttraumatischen Erkrankungen Wie schon in den Beiträgen von S. Schlegel und J. Fritze in diesem Band hervorgehoben wurde, sind mit akuten und chronischen biologisch/ biochemischen, morphologischen und pathophysiologischen Veränderun gen bei entsprechenden Traumen zu rechnen.
a) Biologisch/biochemische Veränderungen Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse moduliert als das entscheidende biologische System die akuten und chronischen Antwor ten des Körpers auf Streßeinflüsse. Streß bewirkt die Aktivierung ver schiedener Neuropeptide im Gehirn, die wiederum die Freisetzung des Corticotropin Releasing-Hormons aus dem Hypothalamus stimulieren mit der Folge der Freisetzung des adrenocorticotropen Hormones (ACTH) aus der Hypophyse. ACTH veranlaßt die Freisetzung von Cortisol aus der Ne bennierenrinde. Ausgeprägte Streßeinwirkungen, z.B. durch Traumen, be wirken eine Unterfunktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse mit der Folge des Auftretens eines Hypocortisolismus. Dieser verursacht, u.a. auch über katecholaminerge Systeme eine zunehmende Streßsensitivität im Sinne eines Hyperarousals mit einer gesteigerten norad renergen Aktivität. Ein intaktes Serotoninsystem ist für eine adäquate Reak tion von streßinduzierten corticoid-steroid-Antworten notwendig. Ein Man gel an Serotonin verursacht eine zusätzliche Hypersensitivität gegenüber Umwelteinflüssen. Offensichtlich ist das serotonerge System u.a. für die Entstehung der Kernsymptome der posttraumatischen Belastungsstörungen verantwortlich.
Neben den benannten Mechanismen verursachen Streßeinflüsse eine Dysregulation im endogenen Opiatsystem. Hierdurch kommt es u.a. zu:
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Welche
psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
- streßinduzierter Analgesie - emotionaler Taubheit (eingeschränkter Affektspielraum, Entfremdungsgefühl, Amnesien) - dissoziativen Symptomen - suchtähnlichem Verhalten zu traumatischen Stimuli - Auftreten von Flash-Backs
b) Physiologische Veränderungen Durch ein erhöhtes allgemeines autonomes Arousal, welches sympathikoton moduliert wird, kommt es zum Auftreten abnormer Streßreaktionen wie
- Aktivierung von Angst - Überempfindlichkeit gegenüber mit Traumen assoziierten Reizen, wie z.B. visuelle Erinnerungen an das Geschehen
- Ein- und Durchschlafstörungen - Hypervigilanz - erhöhte Schreckhaftigkeit sowie - Veränderungen der Herzfrequenz, des Kreislaufes und des Blutdruckes Von großer Bedeutung ist die Tatsache, daß nicht nur die direkten Trauma auswirkungen zu biologischen Veränderungen führen können, sondern auch die traumatische Erinnerung - die sogenannte Intrusion - führt zur Ausschüttung von Streßhormonen, welche die erneute Einprägung der traumatischen Erinnerung in das Gedächtnis verstärken kann. Es kommt somit zu einem Teufelskreis von Intrusion und Streßhormonausschüttung, worauf PITMANN (zitiert nach Maerker 1997) hinwies. Ferner entwickelt sich offensichtlich ein sogenanntes „Kindling-Phänomen" welches zur Fol ge hat, daß die wiederholte niedrigschwellige Stimulation zu einer Sen kung der Erregungsschwelle und auch zu einer Sensibilisierung limbischer Strukturen führen kann (Maercker 1997).
51
Haas
2. Allgemeine Überlegungen zur psychopharma kologischen Therapie Ausgeprägte Traumen können sowohl unspezifische als auch spezifische Streßreaktionen verursachen. Im Allgemeinen kommt es im Sinne einer un spezifischen Reaktion zu einer Akzentuierung einer latenten Vulnerabilität, die zur Folge haben kann, daß praeexistierende Erkrankungen, z.B. Impuls störung oder Suchterkrankung exazerbieren können. Andererseits kann das Trauma bei zuvor psychisch unauffälligen Personen eine ursächliche Rolle für die Herausbildung von psychopathologischen Störungen besitzen. Inso fern ist für das Verständnis der posttraumatischen Belastungsstörung eine umfassende Diagnostik von Bedeutung. Für den Stellenwert therapeuti scher Verfahren zur Linderung oder Heilung posttraumatischer Belastungs störungen ist grundsätzlich festzuhalten, daß es unrealistisch ist, zu hoffen, daß durch eine Psychopharmakotherapie oder durch eine Psychotherapie in irgendeiner Art und Weise das traumatische Ereignis aus dem Leben und aus der Erinnerung des Betroffenen beseitigt werden kann. Es geht vielmehr immer darum, daß die Betreffenden in die Lage versetzt werden, adäquat mit den belastenden Erlebnissen umzugehen und sich entsprechend ihres Lebensentwurfes auch darauf einzustellen.
Allgemein muß davon ausgegangen werden, daß eine chronische post traumatische Belastungsstörung sich als eine Krankheit bzw. Störung in Form einer chronischen psychischen Beeinträchtigung mit pathophysiologischen Abnormitäten äußert. Aus diesem Grunde müssen sowohl psycho logische als auch physiologische Modelle in die Ätiologie und Therapie integriert werden. Nach Ergebnissen der Forschung ist davon auszugehen, daß die Psychopharmakotherapie dabei helfen kann, den normalen Wie derherstellungsprozeß im Sinne eines besseren Verlaufes (sogenanntem Outcome) zu unterstützen, z.B. bei der Wiederherstellung von normalen Copingmechanismen durch Syndromsuppressionen, was die Ausbildung einer chronischen Entwicklung vermeiden hilft. Allgemein stellte eine schwere Akutsymptomatik auf ein Trauma einen Praediktor für ein schlechteres Outcome dar, insbesondere beim Vorhan densein weiterer Risikofaktoren. Hier ist naturgemäß eine Akutintervention unabdingbar, z.B. durch die Gabe von Benzodiazepinen zur Minderung des Stresses, einer Minimierung von Schlafstörungen, generalisierter Angst und Vermeidungsverhalten. Durch eine zusätzliche noradrenerge Blockade mit Clonidin oder Propanolol sind die Symptome eines autonomen Hy perarousals zu reduzieren bzw. zu beseitigen.
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Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
Zweifelsohne kann eine Psychopharmakotherapie nicht eine Psychothera pie ersetzen, aber die ausgeprägte Überlappung psychologischer und bio logischer Modelle psychischer Erkrankungen macht es unmöglich, klare Grenzen zwischen psychologischen und biologischen Symptomen und Zu ständen zu ziehen. Insbesondere ist eine anfängliche Psychopharmakothe rapie notwendig, um eine Reduzierung der Symptomschwere zu bewirken und damit eine Akzeptanz der Psychotherapie zu erzielen. Andererseits besteht auch die Gefahr, daß es durch eine psychotherapeutische Expositi onstherapie in der Akutphase zu einer Verschlechterung der psychischen Symptome kommen kann, z.B. mit einer Zunahme von Schuld und Scham und ferner auch zu einem Rückfall in einen Substanzmißbrauch oder zu einer Verstärkung von Panikstörungen (Yehuda 1997). Auf diesem Hinter grund ist bei der Erstellung von Therapierichtlinien unabdingbar, den Pati enten über die Möglichkeiten weiterer Verfahren aufzuklären bzw. auch über die potentiellen Risiken sowie den möglichen Nutzen für den Einzel nen. Selbstverständlich hat eine Psychopharmakotherapie, wenn diese im Rahmen einer Kombinationsbehandlung erfolgt, in enger Absprache und mit entsprechender Rückmeldung mit dem beteiligten Psychotherapeuten zu erfolgen et vice versa. Die Psychopharmakotherapie sowie die Psycho edukation stellen ein rationales Netzwerk für die Wiederherstellung der psychischen Funktionsfähigkeit dar, u.a. mit der Möglichkeit, gegen die Demoralisation der Betreffenden anzugehen.
Ferner ist es innerhalb dieses Rahmens für den Verlauf von posttraumati schen Belastungsstörungen von besonderer Bedeutung, darauf hinzuwei sen, daß ein gewisser Anteil des pathologischen oder gestörten Streßverhal tens im Sinne eines Dysstress als eine normale Reaktion nach einem Trau ma angesehen werden muß. Bei einem Großteil der Betroffenen kommt es innerhalb relativ kurzer Zeit zu einer Symptomremission.
3. Multimodale Therapieansätze bei der Behandlung von posttraumatischen Erkrankungen bzw. Belastungsstörungen Ein therapeutisches Konzept wird durch die Tatsache bestimmt, daß Trau men sowohl biologische, psychische als auch soziale Veränderungen im jeweils unterschiedlichen Grade auslösen können. Das von MAERCKER (1997) vorgestellte Rahmenmodell der Ätiologie von Traumafolgen kann als Grundlage für den Einsatz verschiedener Therapieverfahren gelten.
53
Haas
Erkennbar wird, daß die Psychopharmakotherpie nach diesem Rahmenmo dell sowohl in die posttraumatischen psychischen Prozesse eingreifen kann und gleichzeitig in deren Folgen, in die sogenannten Störungsbilder der posttraumatischen Belastungsstörungen. Nach diesem Autor läßt sich die Ausgangslage eines multimodalen thera peutischen Ansatzes mit dem Bild eines in ein Wasser geworfenen Steines versinnbildlichen.
Abbildung 1: Ein Rahmenmodell der Ätiologie von Trauma folgen
54
Welche
psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
Abbildung 2: Modellvorstellung eines multimodalen therapeutischen Vorgehens Quelle: A. Maercker et al (1997)
Nach MAERCKER weisen die konzentrischen Kreise darauf hin, daß sich die unterschiedlichen Therapieformen ergänzen bzw. aufbauen. In der Mit te der konzentrischen Kreise steht der biologische Prozeß. Ansatzpunkt ist hier naturgemäß die Psychopharmakotherapie, insbesondere in der ersten Zeit nach dem Trauma. Hier kann eine Psychopharmakotherapie zu einer Beruhigung der psychischen Verfassung und der Überbrückung eines an dauernden Dissoziationszustandes führen mit der Folge, daß es nicht in jedem Fall zur Ausbildung einer vollsymptomatischen posttraumatischen Belastungsstörung kommt. Im weiteren Verlauf kann eine anfänglich erfolg reiche Psychopharmakotherapie durch eine längerdauernde Psychotherapie ersetzt werden, da sonst die Gefahr besteht, daß die Therapieerfolge primär auf die Medikation attribuiert werden und der Patient nicht den Eindruck bekommt, daß er selbst durch seine eigene Aktivität die Symptomatik überwinden kann.
55
Haas
Nach MAERCKER (1997) kann die verhaltenstherapeutische Konfrontati onstherapie einen effektiven Weg darstellen, um Ängste und phobisches Vermeidungsverhalten zu beeinflussen. Mit kognitiven Therapieverfahren sind nach diesem Autor am besten die nachhaltigen Veränderungen der Einstellung gegenüber anderen Menschen, zur Welt und zum eigenen Selbst, zu bearbeiten. Ziel einer solchen Therapie muß es auch sein, das Trauma als einen persönlichen Reifungsprozeß herauszuarbeiten, dem Le ben eine neue Sinnbedeutung und Richtung zu geben und dem Patienten seine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten bewußt zu machen. Psychothe rapeutische Verfahren können den Prozeß aktiv unterstützen, diese Realität nicht nur zu akzeptieren, sondern auch bewußt zu gestalten. Für viele Traumaopfer ist es wichtig, eine sogenannte „Finding a mission" zu ent wickeln, in dem sie sich z.B. im caritativen oder sozialen Vereinen enga gieren. So kann diese „Zeugenschaft" für andere zu einem eigenen Ziel bzw. zu einer eigenen Technik der Traumatherapie werden. In den Grup pentherapien können existenzielle Fragen aufgenommen werden, in dem z.B. auch das existenzielle Entfremdungsgefühl anderen Personen gegen über reduziert wird, u.a. auch mit dem Ziel, daß sie ihr Trauma als etwas begreifen können, das sie nicht nur beschädigt hat, sondern das ihren un verwechselbaren individuellen Wert und ihren Erfahrungsschatz geprägt hat. (Yalom 1985, zitiert nach Maercker 1997)
4. Indikationen und praktische Leitlinien zurPsychopharmakotherapie bei posttraumatischen Erkrankungen bzw. Belastungsstörungen Wie eingangs erwähnt wurde, hat durch die Erweiterung unseres Wissens über die zugrunde liegenden primären Prozesse der posttraumatischen Stö rungen die Rolle der Psychopharmakotherapie an Bedeutung zugenom men. An den Einsatz einer Psychopharmakotherapie sollte und muß gedacht werden:
- In der Akutphase zur Minimierung psychischer und physiologischer Symptome als Ausdruck auf das Trauma, insbesondere bei ausgeprägter klinischer Symptomatik
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Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
- Vorbereitung für eine sich möglicherweise anschließende oder in Kom bination durchgeführte Psychotherapie mit dem Ziel, einen psychothera peutischen Zugang für den Patienten zu ermöglichen und zu erleichtern - Bei bisher erfolglos gebliebenen Psychotherapien oder einer Abwehr der Betroffenen gegenüber eines solchen Verfahrens
YEHUDA (1998) fordert fünf Voraussetzungen für die Einleitung einer Pharmakotherapie:
- Herstellung einer diagnostischen Festlegung - Herstellung eines Behandlungsbündnisses - Information über die Ziele einer Psychopharmakotherapie - Entwicklung eines Therapieplanes, insbesondere wenn mehrere Thera pieverfahren notwendig sind
- Herstellung von Zielsymptomen für Behandlungsstrategien
Im wesentlichen stellen vier Störungsfelder die Indikationsgebiete für eine Psychopharmakotherapie dar: a) Die Intrusion, d.h. das ungewollte Wiederkehren oder Wiedererleben belastender Erinnerungen oder Erinnerungsbruchstücke, meist spontan auf tretend im Wach- oder Schlafzustand (Alpträume) b) Vermeidung/Betäubung:
- Versuch, die überflutenden Gedanken abzuschalten z.B. durch Vermei dung der Gedanken an das Erlebte - Vermeidung von Situationen, die an das Trauma erinnern - Emotionale Betäubungsgefühle - Entfremdungsgefühie - Allgemeiner sozialer Rückzug
c) Hyperarousal: - Als Ausdruck der Senkung der Erregungsschwelle des autonomen Nervensystemes wirken Belastungsfaktoren nachhaltiger, z.B. in Form von: - Ein- und Durchschlafstörungen
57
Haas
- Hypervigilanz am Tage mit erhöhter Schreckreaktion
- Erhöhter Reizbarkeit - Konzentrationsstörungen d) Komorbidität:
mit psychischen Erkrankungen wie - Depressiven Syndromen
- Angststörungen - Suchterkrankungen und - Somatisierungsstörungen Nach M. BAUER und S. PRIEBE (1997) haben sich für das Wirksamkeits spektrum der Psychopharmakotherapie bei posttraumatischen Belastungs störungen folgende Symptom- oder Syndromkonstellation herauskristalli siert:
- Wiederkehrende und belastende sich aufdrängende Erinnerungen an das Erlebnis im Sinne einer Intrusion - Affektive und depressive Verstimmungszustände - Angstzustände und Panikattacken - Vermeidungsverhalten - Psychotisches Erleben mit Wahnwahrnehmungsstörungen und Halluzi nationen - Vegetative Symptome des Hyperarousals, u.a. mit Schlafstörungen, mit oder ohne Alpträume - Flash Back-Episoden
Grundsätzlich hat die Psychopharmakotherapie das Ziel, die Patienten zu befähigen, Copingmechanismen zu entwickeln, um die traumaverursachte Verletzlichkeit zu reduzieren oder aufzuheben.
58
Welche
psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
Tabelle 1: Zielsymptome einer Psychopharmakotherapie bei posttraumatischen Erkrankungen bzw. Belastungsstörungen
-
Depressive Störungen mit oder ohne Suizidalität
-
eingeengte affektive Schwingungsfähigkeit (affective numbing) bis hin zu sozialem Rückzug
-
Angst- und Panikstörungen
-
Intrusion: unwillkürliche und belastende Erinnerung an das Trauma
-
Vermeidungsverhalten
-
psychotisches Erleben
-
illusionäre Verkennungen bis zu Flash-backs
-
dissoziative Symptome
-
Störungen der Impulskontrolle
-
eigen- und fremdaggressives Verhalten
-
Komorbidität mit psychischen Störungen wie Depression, Suchterkran kung, Angststörung, Somatisierungsstörung
-
Entwicklung einer posttraumatischen Persönlichkeitsveränderung
-
physiologische Übererregtheit im Sinne eines Hyperarousals mit zum Teil heftigen psychophysiologischen Reaktionen wie
-
vermehrte Schreckhaftigkeit
-
Beschleunigung von Atmung und Herzfrequenz
-
Schweißausbrüchen
-
Schlafstörungen mit oder ohne Alpträume
4 .1 Praktische Durchführung einer pharmakologischen Behandlung BAUER und PRIEBE (1997) empfehlen bei Patienten, die keine spezielle psychiatrische Komorbidität (z.B. psychotische Erkrankung) aufweisen, zu nächst einen Therapieversuch mit einem Antidepressivum zu beginnen, und zwar auch bei solchen Patienten, bei denen keine depressive Sympto matik bestehen würde. Grundsätzlich bieten sich in erster Linie die Antide pressiva der neuen Generation an, wie z.B. die selektiven Serotonin 59
Haas
Wiederaufnahmehemmer. Ein Therapieversuch mit Antidepressiva sollte wie auch der Einsatz anderer Psychopharmaka - mindestens 6-8 Wochen durchgeführt werden, bevor ein Behandlungserfolg beurteilt werden kann. Bei unzureichendem Ansprechen auf ein Antidepressivum sind nach klini scher Erfahrung innerhalb der ersten vier Wochen höhere Dosen einzuset zen, z.B. 40-50 mg Paroxetin oder 300 mg Imipramin. Bei einer erfolgreichen Therapie ist die Medikation - ein Grundprinzip der antidepressiven Pharmakotherapie - über mehrere Monate fortzusetzen. So stellen sich deutliche Therapieerfolge z.T. erst nach 8 bis 10 Wochen einer konsequenten Psychopharmakotherapie ein (E. Lyberg, U. Frommberger, M. Berger 1998). Wird eine höher dosierte Therapie mit Antidepressiva nicht toleriert oder akzeptiert, können auch mit einer niedrigeren Dosie rung, zumindest die Symptome einer Übererregbarkeit und die Schlafstö rungen, gebessert werden, wie z.B. durch 10-20 mg Trimipramin. Benzo diazepine sind wegen der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung äußerst zurückhaltend und auch nur kurzfristig einzusetzen. Neuroleptika sollten nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Patienten über starke Schlaf störungen klagen oder fremd- oder autoaggressiv sind und psychotische Erlebnisse entwickeln.
Selbstverständlich hat vor einer Therapie, unabhängig welcher Art, wie all gemein in der Medizin, eine diagnostische Abklärung zu erfolgen, insbe sondere ist der Frage einer Komorbidität mit anderen psychiatrischen Er krankungen nachzugehen. Das Vorliegen einer solchen Störung muß bei der Psychopharmakotherapie berücksichtigt werden. Von Bedeutung ist hierbei die Erhebung einer Medikamentenanamnese bei dem Patienten, insbesondere mit der Frage, inwieweit er sich im Sinne einer Selbstmedika tion schon vorbehandelt hat. Eine Psychopharmakotherapie sollte in Form einer Monotherapie erfolgen und erst bei Therapieproblemen ist auf eine Kombinationsbehandlung zurückzugreifen.
5. Empfehlungen und Behandlungsrichtlinien zum Einsatz von Psychopharmaka bei posttraumatischen Erkrankungen bzw. Belastungsstörungen Wie eingangs schon erwähnt wurde, liegen zur Zeit relativ wenig Untersu chungen über die Effektivität der Psychopharmakotherapie bei posttrauma tischen Belastungsstörungen, insbesondere solche, die wissenschaftlichen Überprüfungen standhalten, vor. Zum Teil werden die therapeutischen Er
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Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
gebnisse auch dadurch mit eingeschränkt, daß die Studien überwiegend an bestimmten Patientenpopulationen stattfanden, wie z.B. an amerikanischen Kriegsveteranen aus dem zweiten Weltkrieg, aus dem Korea- und Vietnam krieg, ferner an israelischen Soldaten und im zivilen Bereich an Opfern von Folter, Terror und Vergewaltigung, Attentaten, Katastrophen, zum Teil auch von Verkehrsunfällen sowie von Patienten aus sogenannten Traumaklini ken. Es liegen zum jetzigen Zeitpunkt auch nur wenige Erfahrungen über die Ergebnisse des langfristigen Verlaufes unter einer Psychopharmakothe rapie vor mit der Fragestellung der Dauer einer psychopharmakologische Langzeitbehandlung, ferner über mögliche Rückfälle nach Therapiebeendi gung sowie deren Anlässe.
Ferner fehlen Untersuchungen zum Zeitverlauf des Therapieerfolges, insbe sondere bei der Rückbildung von Hauptsymptomen, z.B. bei einer Reduk tion des Vermeidungsverhaltens durch die Gabe von SSRI's. Von besonde rer Bedeutung bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Psychopharmako therapie ist die Frage der Comorbidität. Nach der Literatur ist davon auszu gehen, daß bei 75 bis 90 % der Patienten mit posttraumatischen Bela stungsstörungen eine Comorbidität mit weiteren Erkrankungen besteht, insbesonders häufig mit:
- Dysthymien - Manisch-depressive Erkrankungen
- Panikerkrankungen - Borderiine-Störungen - Sexuellen Dysfunktionen - Suchtverhalten
Selbstverständlich ist gerade bei diesen comorbiden Störungen eine Psy chopharmakotherapie indiziert.
5. 1. Einsatz von Psychopharmaka 5.1.1 Antidepressiva
Die Antidepressiva stellen die bestuntersuchte Substanzgruppe dar.
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62
tive Stö-
+
aggression
Symptome
+) (
Hyperarousal
hafte
Psychoti-
sche/wahn
Eigen-
oder Fremd-
Schlaf-
+
Störungen
Tagesdose n/mg Therapiedauer
2.
1.
(SSRI)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Fluoxetin
Paroxetin
Nefazodon
Setralin
Fluvoxamin
Citaprolam
sowie Analoga
hemmer
nahme-
+
+
+
+
+
+
+
mg
mg
20-50
mg
mg
mg
mg 100-200
50-100
200-500
20-40
20-60
6-8 Wochen
mg
Wiederauf-
100-250
mindestens
+
Serotonin-
Amitryptilin
AD
Trizyklische
6-8 Wochen
+
halten
Vermei- Impulsive dungsver- Störungen
Zielsymptome / Symptome Intrusion
mindestens
+
Panikattacken
(AD)
+
AngstStörungen
Antidepressiva
rungen
ve-affek-
gruppen/
Depressi-
Medikamente
Substanz-
Tabelle 2: Empfehlung zum Einsatz von Psychopharmaka bei posttraumatischen Erkrankungen bzw. Belastungsstörungen (Auswahl)
Haas
Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
Trizyklische Antidepressiva wie z.B. Desimipramin, Amitryptilin und Imi pramin haben sich in mittleren Tagesdosen von 150 mg und einer Thera piedauer von wenigstens 6 bis 8 Wochen bewährt, ggf. mit einer Höher dosierung nach 4-6 Wochen von 300 mg bei fehlendem Therapieerfolg. Wesentliche Indikationsgebiete sind affektive bzw. depressive Störungen und Angststörungen sowie Beeinflussung des Vermeidungsverhaltens.
Der Einsatz von Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) hat in der letz ten Zeit an Bedeutung zugenommen. Wegen ihrer klinisch relativ geringen Nebenwirkungen sind sie als Medikamente der ersten Wahl anzusehen. Ihr Erfolg ist bei depressiven sowie Zwangs- und Angststörungen erwiesen. Ebenfalls ist ihr Einsatz bei Comorbidität, z.B. von Depressionen, Angst oder Zwang indiziert. In der Literatur liegen unterschiedliche Hinweise auf Präparate wie z.B. Fluoxetin, Paroxetin, Nefazodon, Sertralin, Fluvoxamin und Citaprolam vor. Es ist wahrscheinlich davon auszugehen, daß alle SSRI und die mit ihnen verwandten weiteren modernen Antidepressiva einen gleichen therapeutischen Erfolg bei den sogenannten Kernsymptomen der posttraumatischen Belastungsstörungen besitzen dürften. Eine gute Beein flußbarkeit von comorbiden Depressionen, Angst und impulsiven Verhal ten, des von Symptomen erhöhten Erregungsniveaus und des eingeschränk ten Affektspielraums, werden in der Literatur angegeben. In der Tabelle 2 sind die Durchschnittstagesdosen sowie die Behandlungsdauer aufgelistet.
5.1.2 Monaminoxydasehemmer
a) Irreversible Monaminoxydasehemmer
Im psychiatrischen Alltag besitzt diese Substanzgruppe eine breite thera peutische Wirksamkeit bei psychischen Erkrankungen wie z.B. Angststö rungen, der sogenannten Major Depression, atypischen Depressionen, so zialen Phobien und Zwangsstörungen. Im Rahmen von posttraumatischen Belastungsstörungen vermögen sie Angst, affektive Störungen, Intrusion und Vermeidungsverhalten positiv zu beeinflussen. In Deutschland steht nur das Tranylcypromin zur Verfügung.
b) Reversible Monaminoxydasehemmer
Sie führen zu einer Verbesserung von Symptomen der Intrusion, des Ver meidungsverhaltens, depressiver Verstimmung, affektiver Einschränkungen sowie von Hyperarousal. In Deutschland kann auf das Moclobemid zu rückgegriffen werden.
63
64
J
Hemmer
MAO-
Neuroleptika (NL)
NL
NL
z.B. Risperdal
atypische
mittelpotente NL z.B. Perazin
z.B. Haloperidol
hochpotente
NL
konventionelle
4.
Moclobemid
MAOH
Tranylcy-
reversible
■„ promin
nr
MAOH
irreversible
3.
ve-affek-
Medikamente
+
(
)
+)
(
+
+
rungen
tive Stö-
Depressi-
Substanzgruppen/
+)
(
+
+
AngstStörungen
+
+
Panikattacken
+
+
Intrusion
+
+
+
halten
+) (
+
+
Vermei- Impulsive dungsver- Störungen
+) (
+
+
+
gression
oder Fremdag-
Eigen-
Zielsymptome / Symptome
+
+
+
Symptome
hafte
sche/wahn
Psychoti-
+) (
100-500
rousal
Hypera-
mg
+
Störungen
Schlaf-
m g°
1-5
mg
50-100
mg
mg
Wochen
2-10
6-8
mindestens
10-40
6-8 Wochen
mindestens
Tagesdosen/mg Therapiedauer
Tabelle 3: Empfehlung zum Einsatz von Psychopharmaka bei posttraumatischen Erkrankungen bzw. Belastungsstörungen (Auswahl)
Haas
5.1.3. Neuroleptika
Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
a) Konventionelle Neuroleptika U.a. wegen ihren typischen Nebenwirkungen besitzen sie keine besondere Bedeutung bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörun gen, es sei denn, ihr Einsatz erfolgt bei Comorbidität von psychotischen Äquivalenten verschiedener Wahnerkrankungen oder Halluzinationen. Ebenfalls kann durch ihren Einsatz eine Linderung von aggressivem Verhal ten und von Schlafstörungen erzielt werden. In Untersuchungen wird das mittelpotente Neuroleptikum Perazin in Dosen von 100-500 mg/die oder das hochpotente Neuroleptikum Haloperidol in Dosen von 2-10 mg/die empfohlen.
b) Atypische Neuroleptika In der Literatur fehlen bisher noch größere Studien. Wegen ihrer selektiven D2 und 5 HT 2A-Blockade bei weitgehend fehlenden extrapyramidal motori schen Nebenwirkungen sollte theoretisch ihr Einsatz möglich und zu emp fehlen sein, vergleichbar dem Einsatz im Rahmen von Persönlichkeitsstö rungen. Erste Untersuchungen liegen zum Clozapin vor, welches positiv Vermeidungsverhalten, Halluzinationen und Denkstörungen zu beeinflus sen vermag.
5.1.4. Benzodiazepine
Sie wirken über eine Verstärkung der Hemmfunktionen des gabaergen Sy stems mit spezifischer Beeinflussung von generalisierten Angstsymptomen, Spannungsgefühlen und Symptomen des Hyperarousals sowie von Schlaf störungen. Insgesamt besitzen sie einen eher unspezifischen Einfluß auf die Kernsymptome der posttraumatischen Belastungsstörungen. Nach einer Un tersuchung von MELLMANN, BYERS und AUGENSTEIN (1998) kann die Gabe von Benzodiazepinen in der Akutphase durch eine Verbesserung des Schlafes zu einer Reduzierung der Symptomatik bzw. Schwere der post traumatischen Belastungsstörung führen und gleichzeitig zu der Vermei dung einer chronischen Entwicklung. Wegen Problemen der Abhängigkeit und Absetzerscheinungen sollten die Benzodiazepine nicht länger als 4-8 Wochen und dann auch ausschleichend eingesetzt werden.
65
66
6.
5.
(
)
+
+
+
+
Carbamazepin
Valproinsäure
(
+
Lithium
zen
de Substan-
stabilisieren-
)
+
+
Lorazepam
Stimmungs-
+
Panikattacken
+
rungen
AngstStörungen
Alprazolam
Benzodiazepine
ve-affek-
Medikamente
tive Stö-
Depressi-
Substanzgruppen/
+
+
Intrusion
+
halten
+
+
+
VermeiImpulsive dungsver- Störungen Psychoti-
+
+
+
+
gression
Symptome
oder sche/wahn Fremdaghafte
Eigen-
Zielsymptome / Symptome
+
+
+
+
+
arousal
Hyper-
+
+
+
Störungen
Schlaf-
mg
50-100 mg/l
50-120mg/l
0,4-0,8 mmol/dl
über längere Zeit (Monate) Serumspiegel
0,5-4
mg
Wochen 0,5-4
4-6
max.
Tagesdosen/mg Therapiedauer
Tabelle 4: Empfehlung zum Einsatz von Psychopharmaka bei posttraumatischen Erkrankungen bzw. Belastungsstörungen (Auswahl)
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5.1.5. Stimmungsstabilisierende Substanzen
Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
5.1.5.1. Lithium
Bekanntlich bewirkt Lithium einen therapeutischen Einfluß auf die Sym ptome wie Stimmungsinstabilität und emotionale Irritabilität. Es führt zu einer Reduktion des Hyperarousals, zu einer Zunahme der Selbstbeherr schung insbesondere gegenüber explosiven Ausbrüchen, gewalttätigen Gedanken oder Impulsen und zu einer Reduktion des selbstdestruktiven Verhaltens. Die mittleren Tagesdosen liegen bei 1200-1800 mg entspre chend eines Blutspiegels von 0,4 bis 0,8 mg/L.
5.1.5.2. Carbamazepin Carbamazepin führt zu der Reduktion einer erhöhten Empfindlichkeit ge genüber Stressoren entsprechend des Kindling-Modells. Durch die Stabili sierung neuronaler Irritabilität und Überempfindlichkeit eignet sich Carba mazepin zur Rezidivprophylaxe zum Teil in Kombination mit Antidepressi va. Die mittleren Tagesdosen sollten bei 600-800 mg liegen bei einem Se rumspiegel von 5-12 pg/L
5.1.5.3. Valproinsäure
Valproinsäure bewirkt eine Minderung des Hyperarousals, der Irritabilität, des Vermeidungsverhaltens, des interpersonellen Rückzugverhaltens und ebenfalls eine Verbesserung der Regulierung aggressiver Impulse, ferner eine Reduzierung von Angst, Ärger und Impulsivität. Tagesdosen von 1000 mg, ggf. auch in Kombination mit Antidepressiva sind empfehlens wert bei Blutspiegelwerten von 50-100 mg/L.
5.1.6. Medikamente, die die noradrenerge Aktivität unterdrücken Propanolol als Betaantagonist und
Clonidin als Alpha-2-Antagonist
verursachen eine Minderung oder Reduktion der Symptome des autono men Arousals wie Angst, Unruhe, Schlafstörungen, Hypervigilanz sowie von Intrusionssymptomen. Die therapeutischen Indikationen sind aggressi ves und impulsives Verhalten, Stimmungslabilität, Hyperarousal, generali sierte Angst, Hypervigilanz, Schlafstörungen mit Alpträumen und dissozia tive Episoden.
67
68
9.
8.
7.
+
+
Impulsive Störungen Psychoti-
Hyper-
+
arousal
Schlaf-
+
Störungen
Tagesdosen/mg Therapiedauer
+
+
+
mg mg
50
mg
nach klinischem Bedarf
0,2-0,4
120-160
Buspiron
+
+
+
20-60
6-8
mg
Wochen
+
+
+
mindestens
+
+
6-8
Serotonin-
+)
(
+
+
Symptome
hafte
sche/wahn
Agonisten
Naltrexon
+
+
+
Opiatantagonisten
+
+
Propanolol
Clonidin
kene
+
gression
oder Fremdag-
Eigen-
Wochen
halten
Vermeidungsver-
Zielsymptome / Symptome Intrusion
mindestens
Störungen
Panikattacken
die die noradrenerge Aktivi tät unterdrük-
rungen
tive Stö-
ve-affek-
Depressi- Angst-
Medikamente,
Medikamente
Substanzgruppen/
Tabelle 5: Empfehlung zum Einsatz von Psychopharmaka bei posttraumatischen Erkrankungen bzw. Belastungsstörungen (Auswahl)
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Welche psychopharmakologischen Behandlungsansätze gibt es FÜR POSTTRAUMATISCHE ERKRANKUNGEN ?
5.1.7. Opiatantagonisten Das Opiatsystem wird durch Stressoren aktiviert, u.a. mit der Folge des Auf tretens von Analgesien, Zunahme von Angst und Furchtreaktionen und von dissoziativem Verhalten. Naltrexon kann nach den Literaturangaben eine positive Beeinflussung im Rahmen einer affektiven Abstumpfung, ferner eine Rückbildung von schweren Flash-Backzuständen, von Selbstverlet zung und eine Rückbildung von dysphorischen Zuständen bewirken. Die Initial- und Erhaltungsdosis beträgt 50 mg täglich.
5.1.8. Serotoninagonisten Zur Zeit verfügen wir mit dem Buspiron über einen partiellen Serotonin(5 HT 1A) Agonisten. Diese Substanz kann eine Verbesserung der Sympto me von Ängstlichkeit, Intrusion sowie des Hyperarousals bewirken und gleichzeitig eine sekundäre Verbesserung depressiver Symptome.
6. Zusammenfassung Zweifelsohne besitzt die Psychopharmakotherapie einen bedeutenden Stel lenwert in der Akutbehandlung, aber auch in der Langzeittherapie zur Symptomlinderung oder -beseitigung von posttraumatischen Belastungsstö rungen. Die wesentlichen therapeutischen Indikationsgebiete sind die Symptome der Intrusion, der Vermeidung und Betäubung, des Hyperarou sals und bei einem Großteil der Patienten auch eine vorliegende Komorbi dität. Da die Psychopharmakatherapie sich erst seit einigen Jahren bei dem „neuen" Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung - auch unter wissenschaftlichen Bedingungen - etabliert hat, ergeben sich noch eine Reihe offener Fragen bzw. in der Zukunft zu klärende Fragestellungen, u.a. über die Dauer der durchzuführenden Therapie oder über deren Form, entweder als Monotherapie oder in Kombination mit weiteren - überwie gend psychotherapeutischen - Verfahren. Abzuklären sind auch die Differenzierung von normalen und pathologischen Antworten auf die Traumen sowie die Definition des klinischen Ausganges bzw. Verlaufes, wobei sicherlich bei einem Großteil der Patienten eine vollständige Reduktion derSymptome unwahrscheinlich sein dürfte. Grund sätzlich hat die Psychopharmakotherapie das Ziel, den normalen Wieder herstellungsprozeß im Sinne eines besseren Verlaufes bzw. Outcomes zu unterstützen, z.B. durch die Wiederherstellung von adäquaten Copingme69
Haas
chanismen durch Symptomsuppressionen, um die traumaverursachte Ver letzlichkeit zu reduzieren bzw. aufzuheben und gleichzeitig die Ausbil dung einer chronischen Entwicklung zu vermeiden.
Literatur 1. Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen von A. Maerker (Hrsg), SpringerVerlag Berlin Heidelberg 1997
2. Psychological Trauma ed. R. Yehuda, American Psychiatrie Press Washington DC 1998 3. „Die posttraumatische Belastungsstörung" Grundlagen, Klinik und Therapie von E. Lyberg, l). Frommberger, M. Berger Extracta psychiatrica Jg 12, Heft 10, 21-24, 1998
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Regina Steil
Kognitiv-behaviorale Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung ein kurzer Überblick In der Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTB) haben kognitiv-behaviorale Interventionen die größte Bedeutung. Wirksamkeits studien zu psychotherapeutischen Interventionen bei PTB zeigen, daß Be handlungsformen, welche Konfrontation mit den traumatischen Erinnerun gen wie auch die kognitive Restrukturierung ungünstiger Bewertungen und Einstellungen zum Trauma und seinen Folgen beinhalten, die größte Wirk samkeit bei der Reduktion der Symptomatik zeigen (vgl. Sherman 1998). Die wichtigsten dieser Behandlungsformen sowie bisherige Evaluationser gebnisse sollen dargestellt werden.
Die Konfrontationsbehandlung der PTB Grundlagen der Konfrontationsbehandlung der PTB Grundlage der Konfrontationsbehandlung sind lerntheroretische Modelle der Entstehung und Aufrechterhaltung der PTB (vgl. Foa & Kozak 1986; Ke ane, Zimering & Caddell 1985). Hierbei findet die Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer (1947) Anwendung. Die PTB wird als klassisch konditionierte emotionale Reaktion angesehen. Während der Traumatisierung, so die Au toren, werden Merkmale der traumatischen Situation verknüpft mit den emotionalen und körperlichen Reaktionen, welche durch die Erlebnisse ausgelöst werden. Stimuli, die den Bedingungen während der Traumatisie rung ähneln, lösen in der Folge emotionale und physiologische Reaktionen wie bei der Traumatisierung aus. Eine Löschung wird durch die Vermei dung traumarelevanter Reize verhindert. Letztere und die emotionale Taubheit nach einem Trauma werden, so die Annahme, operant über den Mechanismus der negativen Verstärkung aufrechterhalten. Möglicherweise können auch aggressives Verhalten und Alkoholmißbrauch über diesen Mechanismus aufrechterhalten werden, da sie den mit der Erinnerung an das Trauma verbundenen Zustand beenden (Ehlers & Steil 1995; Steil, Eh lers & Clark 1997). Vermeidung verhindert generell die emotionale Verar
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beitung der traumatischen Erlebnisse und neue, korrigierende Erfahrungen bezüglich traumarelevanter Lebensbereiche.
Strategien der Konfrontationsbehandlung der PTB Aus diesen Überlegungen werden die folgenden therapeutischen Strategien abgeleitet: - Die für die PTB-Symptomatik typische Vermeidung traumarelevanter Stimuli muß abgebaut werden. - Eine Konfrontation mit Stimuli, die an das Trauma erinnern oder den Bedingungen während der Traumatisierung ähneln, sollte gezielt her beigeführt werden, um eine Habituation an die traumatischen Erinne rungen und emotionale Verarbeitung des Erlebten zu erreichen.
- Dabei sollte eine möglichst große Deckung zwischen dem subjektiven Erleben während der traumatischen Situation oder Situationen und dem therapeutischen Wiedererleben herbeigeführt werden. Erste Beschreibungen der Anwendung konfrontativer Verfahren in der Be handlung der PTB finden sich in Falldarstellungen schon Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre (Fairbank, De Good & Jenkins 1982; Fairbank & Ke ane 1983; Keane & Kaloupek 1982; Schindler 1980; Wolff 1977). Von be sonderer Bedeutung und großem internationalen Einfluß waren die Studien der Arbeitsgruppe um Foa zur konfrontativen Behandlung der Folgen von Vergewaltigungen bei erwachsenen Frauen (Foa, Rothbaum, Riggs & Mur dock 1991).
Vorgehensweise der Konfrontationsbehandlung der PTB Zunächst erfolgt die Psychoedukation des Patienten über das Störungsbild, das Rational der Behandlung wird erarbeitet. Es folgt eine spezifische Dia gnostik der Vermeidung traumarelevanter Erinnerungen, Situationen und Dinge, die - bei graduiertem Vorgehen - hierarchisch nach ihrem Schwie rigkeitsgrad geordnet werden können.
Die Konfrontation selbst kann auf unterschiedliche Weise durchgeführt werden: Konfrontation in sensu erfolgt, indem der Patient Teile der traumatischen Ereignisse visualisiert, so als würden sie gerade stattfinden. Üblicherweise wird er instruiert, dabei - in der Ichform und im Präsens - von seinem Er leben zu berichten. Der Therapeut erhält auf diese Weise wichtige Informa 72
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tionen über den Ablauf der Konfrontation (z.B. über Grad und Art der reak tivierten Emotionen, Inhalte der Erinnerungen etc.). Die Konfrontationszeit umfaßt dabei üblicherweise 15-45 Minuten (vgl. Foa, Rothbaum, Riggs & Murdock 1991), wobei vorher vereinbart wurde, daß der Therapeut dem Patienten beim Auftreten von Angst hilft, die Vorstellung nicht zu verlas sen. Ziel ist, möglichst authentische Emotionen, Kognitionen und körperli che Sensationen als Reaktion auf die Erinnerungen zu aktivieren. Dieses Vorgehen wird häufig verbunden mit der Hausaufgabe, zwischen den the rapeutischen Sitzungen mehrfach einen Mitschnitt des eigenen Berichtes anzuhören, um die Konfrontationszeit zu erhöhen. Falls diese Form der Konfrontation in sensu vom Patienten als zu belastend erlebt wird, so ist eine „stille" Konfrontation in sensu möglich (der Patient berichtet dabei nicht von seinem Erleben) oder eine Konfrontation mit Hilfe des Schreibens über die traumatischen Ereignisse (vgl. Resick & Schnieke 1992).
Zur Konfrontation mit den traumatischen Erinnerungen, welche die größte Bedeutung bei der behavioralen Behandlung der PTB einnimmt, kommt die Konfrontation in vivo mit Dingen und Situationen, die an das Trauma erin nern, hinzu. Dabei ist zu bedenken, daß - im Gegensatz zu anderen Angstpatienten - PTB-Patienten eine tatsächliche schwere Bedrohung er lebt haben und die Traumatisierung meist dazu führt, daß sie damit assozi ierte Situationen als unangemessen gefährlich bewerten. Auf keinen Fall natürlich dürfen die Patienten einer erneuten Gefährdung ausgesetzt wer den. Vor der Anwendung extremer Formen der in-vivo-Konfrontation ist dringlich zu warnen. Akute Suizidalität und psychotische Symptomatik gel ten generell als Kontraindikationen für den Einsatz von Konfrontation zur Behandlung der PTB.
Wirksamkeit der Konfrontationabehandlung der PTB Als wirksam erwiesen hat sich in kontrollierten Studien sowohl ein graduel les Vorgehen im Sinne der systematischen Desensibilisierung (z.B. Brom, Kleber & Defares 1989), als auch ein massiertes Vorgehen (Keane, Fair bank, Caddell & Zimering 1989; Foa et al. 1991; Marks, Lovell, Noshirvani, Livanou & Thrasher 1998). Auch zur differentiellen Wirksamkeit liegen bereits Befunde vor: So fanden Foa und Kolleginnen (Foa, Riggs, Massier & Yarczower 1995) bei Patientinnen, die nach einer Vergewaltigung an einer PTB litten, daß diejenigen am besten von der Konfrontationsbehandlung profitierten, welche a) eine schwere Symptomatik zu Beginn der Behand lung zeigten, und welche zu Beginn der Konfrontation b) eine große sub jektive Belastung angaben und c) einen starken mimischen Furchtausdruck
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zeigten (eingeschätzt von unabhängigen Ratern anhand eines Videobandes der Konfrontation). Zeigte sich im mimischen Ausdruck zu Beginn der Kon frontation starke Wut und Ärger, so profitierten die Patientinnen nur wenig von der Konfrontationsbehandlung. Die Befunde implizieren, daß die Aktivation der ursprünglich beim Trauma vorhandenen, primären Emotionen (im Gegensatz zur Aktivation eher sekundär sich einstellender Emotionen wie Wut) von zentraler Bedeutung für den Erfolg der Konfrontationsbe handlung ist. Das Empfinden von Wut und Ärger bei Konfrontation mit den traumatischen Erinnerungen, so vermuten einige Autoren, könnte eine Form der Vermeidung noch belastenderen emotionalen Erlebens sein und zur Kontrolle oder Beendigung belastender Intrusionen dienen (vgl. Steil, Clark & Ehlers 1997).
Angstmanagement in der Behandlung der PTB Grundlagen des Angstmanagements zur Behandlung der PTB Grundlage des Einsatzes von Angstmanagement (oder auch der Streßinokkulation) zur Behandlung der PTB ist die Annahme, daß pathologische Angst die Folge von Defiziten im Umgang mit angstauslösenden Situatio nen ist (Meichenbaum 1985).
Strategien des Angstmanagements zur Behandlung der PTB Die üblicherweise in dieser Therapieform zum Einsatz kommenden Inter ventionen wurden zur Behandlung der PTB adaptiert:
- Die Patienten erlernen Entspannung, um sie zur Bewältigung von Angst einsetzen zu können. - Soziales Kompetenztraining soll die Patienten in die Lage versetzen, kri tische Situationen, welche sich infolge der Traumatisierung ergeben können, besser bewältigen zu können. - Die Patienten erlernen die Technik der positiven Selbstinstruktion zur Bewältigung angstauslösender Situationen.
- Die Patienten erlernen die Technik des Gedankenstops, um intrusives Wiedererleben zu beenden.
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Vorgehensweise beim Angstmanagement zur Behandlung der PTB Nach einer Phase der Psychoedukation erlernen die Patienten Schritt für Schritt die oben erwähnten Techniken. Zu bemerken ist, daß eine gezielte Exposition nicht beinhaltet ist. Der Einsatz der Technik des Gedankenstops steht geradezu im Gegensatz zu den Prinzipien der Konfrontation und der kognitiven Intervention.
Wirksamkeit des Angstmanagements zur Behandlung der PTB Die Wirksamkeit des Angstmanagements zur Behandlung der PTB wurde bisher nur für sexuell traumatisierte Frauen überprüft und in kontrollierten Studien derselben Arbeitsgruppe belegt (Foa et al. 1991). Im Vergleich zur Exposition zeigte sich kurzfristig eine ähnliche Wirksamkeit, langfristig je doch war die Konfrontationsbehandlung dem Angstmanagement überle gen. Aufgrund der im Vergleich zur Konfrontation geringeren Effektivität trat das Angstmanagement bei der Behandlung der PTB in den Hintergrund und kam in neueren Evaluationsstudien nicht mehr zum Einsatz.
Die kognitive Therapie der PTB Grundlagen der kognitiven Therapie der PTB Grundlage der kognitiven Interventionen sind Modelle gestörter Informati onsverarbeitung bei der PTB. In sogenannten Netzwerkmodellen wird die PTB auf die Ausbildung eines traumaspezifischen Gedächtnisnetzwerkes zurückgeführt, welches Wahrnehmung und Verarbeitung in selektiver Wei se lenkt (Chemtob, Roitblat, Hamada, Carlson & Twentyman 1988; Foa, Steketee & Rothbaum 1989). Hierbei wird das Modell pathologischer Furchtstrukturen von Lang (1979) auf die Ätiologie der PTB angewandt. Die Gedächtnisrepräsentation traumatischer Geschehnisse, so die Annahme, ist umfassend und leicht aktivierbar, die Aktivierung zeigt sich in intrusivem Wiedererleben, Angst und Erregung, sowie in der chronischen Erwartung erneuter Bedrohung und der aktiven Suche nach Gefahrensignalen. In Mo dellen kognitiver Schemata wird postuliert, daß eine Traumatisierung grundlegende Überzeugungen (von persönlicher Sicherheit, von der Welt als bedeutungsvoll und sinnhaft und von sich selbst als kompetent und zur Kontrolle fähig) erschüttert und dysfunktional verändert bzw. schon prä traumatisch latent vorhandene dysfunktionale Überzeugungen (z.B. von
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sich selbst als wertloser Person) konsolidiert (Beck, Rush, Shaw & Emery 1986; Brewin, Dagleish & Joseph 1996; Foa & Riggs 1993; Horowitz 1976, 1986; Janoff-Bulman 1992). Schon während der Traumatisierung wird die Informationsverarbeitung durch präexistierende Schemata gelenkt (z.B.: Wer sich selbst für wertlos hält, beschuldigt sich danach in unangemesse ner Weise selbst). Die traumatische Information bleibt so lange in einem aktiven Teil des Gedächtnisses, bis das Geschehen in das persönliche Weltbild integriert ist.
Neuere kognitive Modelle betonen die Rolle der persönlichen Bedeutung des Traumas: Sie determiniert den Grad der Belastung durch Intrusionen und vermittelt Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus sowie den Ein satz von Strategien zur Kontrolle der Intrusionen wie z.B. Gedankenunter drückung. Auch Grübeln (z.B. über die Frage „Warum ist es ausgerechnet mir passiert, wie hätte ich es verhindern können?"), so zeigen Studien, wird als Strategie zur Beendigung des intrusiven Wiedererlebens eingesetzt und ist bei der Aufrechterhaltung posttraumatischer Symptomatik von großer Bedeutung (Ehlers, Mayou & Bryant 1998). Diese Strategien wiederum un terbinden die Auseinandersetzung mit dem Trauma (vgl. Ehlers & Steil 1995; Steil & Ehlers, im Druck) und die Möglichkeit, ungünstige Bewertun gen in der Interaktion mit anderen Menschen zu revidieren. Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß PTB-Patienten wie andere Angstpatienten zu einer katastrophisierenden Interpretation ihrer Symptome neigen (z.B. im Sinne von „Daß ich so stark auf die Erinnerung reagiere, bedeutet, daß ich ver rückt werde").
Strategien der kognitiven Therapie der PTB Strategien der kognitiven Therapie, wie sie zur Behandlung z.B. der De pression oder anderer Störungsbilder bekannt sind, wurden entsprechend der theoretischen Modelle für die Behandlung der PTB adaptiert:
- Dysfunktionale Kognitionen zum Trauma und seinen Folgen werden identifiziert und verändert. - Von Bedeutung ist dabei häufig die Reattribution von übergroßer subjek tiver Schuld und Verantwortung. - Ziel ist die Restrukturierung des negativ veränderten Bildes der eigenen Person. Erste Darstellungen der Anwendung kognitiver Intervention bei der PTB fin den sich Mitte der 80er Jahre (McCormack 1986). Besonders bedeutend sind die Leistungen der Arbeitsgruppe um Resick zur Behandlung der Folgen 76
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von sexueller Traumatisierung bei erwachsenen Frauen (Resick & Schnieke 1992).
Vorgehensweise der kognitiven Therapie der PTB Wie bei der Konfrontation steht am Beginn der Behandlung die Psycho edukation und die Erarbeitung des Behandlungsrationals. Grundlage der Intervention ist der Gebrauch des sokratischen Dialoges. Zunächst erfolgt die Identifikation dysfunktionaler Kognitionen zum Trauma und seiner Fol gen. Hierzu ist natürlich die Exposition mit den Erinnerungen vonnöten, jedoch wird sie bei der kognitiven Intervention nicht unbedingt per se als wirksames Agens angesehen. Zum Einsatz kommen auch Tagebücher zu Intrusionen und damit verbundenen Bewertungen (vgl. Steil, Ehlers & Clark 1997). Im Zentrum der Behandlung steht der Einsatz klassischer kognitiver Techniken (wie das Erkennen fehlerhafter Denkmuster, die logische Analy se von Einstellungen und Überzeugungen, das Betrachten von Überzeu gungen als Hypothesen, die man testen kann) zur Restrukturierung ungün stiger Einstellungen und zur Integration des traumatischen Erlebens.
Neueren kognitiven Modellen zufolge wird der Abbau ungünstiger kogniti ver Strategien zur Beendigung oder Kontrolle der Intrusionen (wie Gedan kenunterdrückung) als weiteres wichtiges Therapieziel definiert. Eingesetzt werden z.B. Verhaltensexperimente zur Demonstration der paradoxen Wir kung der Gedankenunterdrückung („Versuchen Sie bitte, 3 Minuten lang nicht an weiße Bären zu denken..."). Ein persönliches, auf den Patienten zugeschnittenes Modell der Entstehung und Aufrechterhaltung seiner post traumatischen Symptomatik wird als Grundlage der Intervention erarbeitet (vgl. Steil, Ehlers & Clark 1997).
Wirksamkeit der kognitiven Therapie der PTB Die Wirksamkeit der kognitiven Intervention wurde in Kombination mit Exposition in kontrollierten Studien an Frauen nach sexueller Traumatisie rung sowie an Männern und Frauen nach unterschiedlichen Formen der Traumatisierung nachgewiesen (Fecteau & Nicki 1999; Marks et al. 1998; Resick & Schnieke 1992). Konfrontation und kognitive Intervention schei nen nach heutigem Kenntnisstand gleich wirksam zu sein (Marks et al. 1998; Sherman 1998). Eine Kombination kognitiver Intervention mit der Konfrontationsbehandlung war gegenüber der Anwendung einer der bei den Komponenten alleine in einer ersten Vergleichsstudie nicht erfolgrei cher (Marks et al 1998).
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Kognitiv-behaviorale Behandlung der PTB im Kindes- und Jugendalter Zur Behandlung der PTB im Kindes- und Jugendalter liegen nur sehr weni ge Publikationen vor, manualisierte Behandlungsstrategien sind nicht ver fügbar. In Fallstudien wurde die Behandlung von fünf 10- bis 14-jährigen Kriegsopfern aus dem Libanon mit Exposition in vivo und in sensu be schrieben (Saigh 1987a bis c; Saigh 1992; Saigh, Yule & Inamdar 1996). In allen Fällen zeigte sich eine deutliche Reduktion der posttraumatischen Symptomatik. March und Kollegen (March, Amaya-Jackson, Murray & Schulte 1998) behandelten Kinder zwischen 10 und 15 Jahren, die nach unterschiedlichen Formen singulärer Traumatisierung (wie z.B. Verkehrsun fällen) seit mindestens einem Jahr an einer PTB litten, mit einem kognitivbehavioralen Gruppenprogramm. Kernelemente der Behandlung waren (im Einzelsetting durchgeführte) Konfrontation und kognitive Restrukturierung, hinzu kamen das Erlernen eines positiven inneren Dialoges zur Bewälti gung angstauslösender Situationen und Entspannungstraining. In einem Multiple-Baseline-Design führte diese Behandlung zu einer Besserung der Posttraumatischen Symptomatik, die auch ein halbes Jahr nach Thera pieende weiter bestand (Zu diesem Zeitpunkt hatten 12 der 14 Kinder nicht mehr die Diagnose PTB). Jedoch waren hier Kinder, die nach multipler Traumatisierung eine sehr schwere PTB entwickelt hatten, ausgeschlossen. Bei vier 8-10-jährigen Kindern, die nach sexuellem Mißbrauch unter PTB litten, war ein kognitiv-behaviorales Vorgehen ebenfalls wirksam (Farrell, Hains & Davies 1998).
Leider tragen die den kognitiv-behavioralen Interventionen zugrunde lie genden Modelle bislang kaum den Besonderheiten einer Traumatisierung im Kindes- und Jugendalter Rechnung. In dieser Lebensspanne kann Trau matisierung sich in vielfältiger und tiefgreifender Weise auf die Entwick lung unterschiedlichster Fähigkeiten und Kompetenzen und die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben auswirken. Spezifische entwicklungspsycholo gische Besonderheiten durch Traumatisierung im Kindes- oder Jugendalter, wie sie z.B. Pynoos und Kollegen (Pynoos, Steinberg & Wraith 1995; Pynoos, Steinberg & Goenjian 1996) beschreiben, werden bislang nicht in die Behandlung mit einbezogen. So betonen verschiedene Autoren (Pynoos et al. 1995), daß Kindern im Rahmen der Behandlung einer PTB Gelegenheit gegeben werden muß, angemessene Schemata von persönli cher Sicherheit, von Kontrolle und u.U. von moralischem Verhalten erst zu entwickeln. Nach Traumatisierung durch interpersonelle Gewalt erscheint es notwendig, dem Kind klare Strukturen zur Beurteilung von angemesse nem (z.B. Wut empfinden und zeigen) bzw. unangemessenem sozialem
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Verhalten (z.B. Gewaltanwendung) zu bieten. Bisher fehlen randomisierte und kontrollierte Studien zur (auch differentiellen) Wirksamkeit verschie dener Formen der Behandlung der PTB bei Kindern und Jugendlichen. Un klar bleibt vor allem, wie die Behandlung jüngerer Kinder, bei denen ko gnitive Methoden nicht zum Einsatz kommen können, gestaltet werden kann.
Prävention der PTB mit Hilfe kognitiv-behavioraler Verfahren Das Störungsbild der PTB bietet dem Behandler die seltene und wertvolle Möglichkeit, schon kurz nach der Traumatisierung Strategien zur sekundä ren Prävention einzusetzen. Zur Auswahl der Betroffenen, welchen diese Intervention in besonderem Maße zugute kommen sollte, dienen eine gan ze Fülle von Befunden zu Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTB nach einer Traumatisierung. So z.B. ist hinreichend bekannt, daß die Traumatisierung durch sexueller Gewalt mit einer Prävalenz von ca. 80 % sehr viel häufiger zur Ausbildung einer PTB führt als die Traumatisierung durch z.B. Verkehrsunfälle (vgl. Kessler, Sonnega, Bromet, Hughes & Nel son 1995). Als Faktoren, die das Risiko einer Erkrankung nach einer Trau matisierung erhöhen können, wurden weiterhin weibliches Geschlecht, jugendliches Alter und prätraumatisch aufgetretene psychische Erkrankun gen identifiziert (vgl. Kessler et al. 1995).
Bislang galt das sogenannte Critical Incident Stress Debriefing (vgl. Mitchell & Everly 1994) oder auch Psychological Debriefing (vgl. Dyregrov 1997) als Methode der Wahl zur sekundären Prävention posttraumatischer Symtomatik. Diese Methode wurde ursprünglich für den Bereich der Einsatz nachbereitung im Rettungsdienst entwickelt. Sie beginnt wenige Stunden nach der Beendigung der Traumatisierung als Gruppenprogramm für alle Betroffenen und beinhaltet - knapp skizziert - die Psychoedukation über die üblichen Folgen von Traumatisierung und die genaue Rekonstruktion des subjektiven Erlebens der traumatischen Ereignisse. Von den Betroffenen wird dieses Vorgehen meist als sehr hilfreich empfunden - gemessen an der Symptombelastung zu einem späteren Zeitpunkt zeigten jedoch Evalua tionsstudien bisher eine eher enttäuschende Effektivität (vgl. Rose & Bisson 1998). In zwei Studien zeigten gar die Betroffenen, welche ein Debriefing erhalten hatten, in der Katamnese eine stärkere Symptomatik als eine un behandelte Vergleichsgruppe (Bisson, Jenkins, Alexander & Bannister 1997; Hobbs, Mayou, Harrison & Worlock 1996).
Eine bedeutend bessere Wirksamkeit zeigte in einer ersten Studie die Adap tation kognitiv-behavioraler Therapie (KBT) für den Einsatz in der sekundä
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ren Prävention. Bryant und Kollegen (Bryant, Harvey, Dang, Sackville & Basten 1998) verglichen bei Personen, die einen schweren Verkehrs- oder Arbeitsunfall erlitten und in der Folge eine akute Belastungsstörung ausge bildet hatten, den Einsatz eines Interventionspaketes aus Psychoedukation, Entspannungstraining, imaginaler Exposition sowie in-vivo-Konfrontation und kognitiver Intervention mit einer unterstützenden Beratung als unspezi fischer Intervention, welche keine Exposition beinhaltete und eher aktuelle Probleme und allgemeine Problemlösefertigkeiten zum Inhalt hatte (beide Gruppen erhielten 5 Sitzungen, einmal pro Woche). Nach Ende der Be handlung erfüllten 83 % der Vergleichsgruppe die Kriterien einer PTB nach DSM-IV, in der Gruppe, welche KBT erhalten hatte, nur 8 %. Ein ähnlich bemerkenswerter Unterschied fand sich auch in der Katamnese 6 Monate nach Ende der Intervention (67% vs. 17%). Diese Ergebnisse sprechen sehr für den Einsatz kognitiv-behavioraler Intervention auch in der sekundären Prävention der PTB, die Replikation dieser Befunde steht jedoch noch aus.
Schlußfolgerungen zur Wirksamkeit behavioraler und kognitiver Interventionen bei der PTB Die Wirksamkeit der Konfrontationsbehandlung und der kognitiven Inter vention zur Behandlung der PTB kann als nachgewiesen und als ähnlich gut gelten, Metaanalysen zeigen eine deutliche Minderung posttraumati scher Symptomatik durch diese Verfahren (Sherman 1998), wobei die Ef fektstärken im mittleren Bereich liegen: ohne Intervention kam es bei ca. 38 % der Patienten zu einer Besserung, Psychotherapie mit Hilfe der bei den Verfahren erhöhte die Besserungsrate auf ca. 62 %. Auffallend waren jedoch relativ hohe Therapieabbruchraten bei der Konfrontationsbehand lung (z.B. 28 % bei Foa et al. 1991) im Vergleich zur kognitiven Therapie (z.B. 10-12 % bei Resick & Schnieke 1992). Möglicherweise erleben die Patienten die Konfrontationsbehandlung insgesamt als aversiver als die ko gnitive Behandlung. Gesicherte Befunde hierzu stehen jedoch noch aus. Bei der Bewertung künftiger Wirksamkeitsstudien sollte der Rate der The rapieabbrüche besonderes Augenmerk geschenkt werden. Forschungsbedarf besteht in Bezug auf viele Fragen: Welche Elemente der Behandlung sind wirksam und damit unumgänglich, welche vielleicht gar überflüssig? Welche differentiellen Effekte zeigen die einzelnen Strategien (z.B. nach unterschiedlichen Formen der Traumatisierung)? Erhöht die Kom bination mit einer psychopharmakologischen Behandlung die Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Strategien? Welche Wirksamkeit zeigen die Behand lungsmethoden der PTB bei unterschiedlichen Mustern der Komorbidität
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(z.B. mit Substanzabusus oder Depression)? Wie kann die Behandlung jun ger Kinder gestaltet werden? Als sehr bedeutsam muß die Frage gewertet werden, ob sich ein kognitiv-behaviorales Vorgehen in der Prävention der PTB nach verschiedenen Formen der Traumatisierung als wirksam erweist.
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Elke Weinel
Psychoanalytische Aspekte zum Trauma und PTSD Neue Forschungsergebnisse belegen, daß die Streß- und wesentliche Berei che der Gehirnphysiologie wie das Gedächtnis und die Affektregulation vorübergehend oder auch dauerhaft durch eine schwere seelische Trauma tisierung verändert werden können (u.a. Paige 1990, Riedessser et al 1998, van der Kolk 1996, 1998). Die Verknüpfung eines realen äußeren Ereignis ses mit dem Entstehen von psychischen Symptomen und neurophysiologi schen Veränderungen weckt seit einiger Zeit in Form der posttraumatischen Belastungsstörungen psychiatrisches Interesse (Übersicht bei Andreasen 1988). Während sich die psychiatrische Forschung schwerpunktmäßig auf Symptomatologie und neurobiologische Korrelate konzentriert, widmen sich psychoanalytische Konzepte der Differenzierung intrapsychischer Re aktionen auf Traumata und ihre seelischen Auswirkungen.
Im folgenden werden Entwicklung und Verwendung des psychoanalyti schen Traumabegriffes skizziert, dann die Dynamik der traumatischen Si tuation und ihre intrapsychischen Auswirkungen, wie sie sich auch in den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung finden, dargestellt.
Historische Entwicklung Traumatische Ereignisse als ursächlich für die Entstehung von psychischen Symptomen anzusehen, ist für die psychoanalytische Denkweise zentral, jedoch verschob sich im Laufe der Theoriebildung die Aufmerksamkeit weg von der Rolle pathogener äußerer Ereignisse hin zu den inneren Kon flikten des Patienten. Die Kontroverse zwischen Trauma- und Konflikttheo rie war aber nicht nur durch die Veränderungen theoretischer Konzepte bestimmt, sondern auch durch den Formenwandel psychischer Störungs bilder und die Auswirkungen der Katastrophen dieses Jahrhunderts auf das Individuum.
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Weinel
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, wird in Tab. 1 eine sche matische Übersicht über die Entwicklung des Konzepts „psychisches Trau ma" gegeben (modifiziert nach Sellschopp 1999).
Tabelle 1: Zur Entwicklung des Traumabegriffs (modifiziert nach Sellschopp 1999) Charcot 1880
„Traumatische Hysterie" (mechanisches Trauma)
Oppenheim 1888
„Traumatische Neurose"
Freud 1893
Psychisches Trauma als Ursache jeder Hysterie
Kraepelin 1899
„Schreckneurose"
Abraham 1912
„Trauma und Demenz"
Rank 1924
Geburtstrauma
Freud 1918, 1926-27
Verführung, Krieg, Entwicklung als Ursache „traumati scher Neurosen"
Fereczi 1930
Traumatische Wirkung der Lieblosigkeit („Sprachverwirrung")
Anna Freud 1934
Repetitives Trauma
Spitz 1945
Deprivationstrauma
Hoffer 1949
„Stilles Trauma"
Winnicott 1954
„Holdingverlust"
Kris 1956
„Shock- und straintrauma"
Khan 1963
Kumulatives Trauma
Lorenzer, Thomä 1965 Zweiphasige Verlaufsform
Sandler 1967
Belastungstrauma
Bowlby 1968
Trennungstrauma
Keilson 1979
Sequentielles Trauma
Grubrich-Simitis 1979
Extremtrauma
Krystal 1985
„catastrophic trauma"
Ab 1990 zunehmend
Beschreibung von Traumen durch Folter und sexuellen Mißbrauch
Nach psychoanalytischem Verständnis ist ein Trauma ein Ereignis, welches durch seine Intensität und Plötzlichkeit die psychischen Abwehrmechanis men, auch die üblichen neurotischen, überfordert. „Das Trauma selbst aber ist nicht das Ereignis, sondern das von diesem Ereignis angestoßene Erleb nis" (Küchenhoff 1990).
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Psychoanalytische Aspekte zum Trauma und PTSD
Auch nachdem Freud die sogenannte Verführungstheorie (Freud 1895) auf gegeben hatte, d.h. seine Erkenntnis von den realtraumatisierenden Ereig nissen als die Ursache hysterischer Erkrankungen modifiziert hatte, defi nierte er den Begriff des Traumas noch präzise: „Wir nennen so ein Erleb nis, welches dem Seelenleben innerhalb kurzer Zeit einen so starken Reiz zuwachs bringt, daß die Erledigung oder Aufarbeitung desselben in normal gewohnter Weise mißglückt, woraus dauernde Störungen im Energiebe trieb resultieren" (Freud 1916). Der äußere Reizschutz wird durchbrochen und übergroße Erregungsmengen treten an den seelischen Apparat heran. Dieses klassische „ökonomisch-energetische Modell" war vor allem bei den Vorstellungen zu den sogenannten traumatischen Neurosen wie den Kriegsneurosen nach dem ersten Weltkrieg von großer Relevanz. Der Be griff „traumatische Neurose" wurde in Fällen verwendet, bei denen ein we sentlicher Teil der Pathologie als direkte Folge des traumatischen Ereignis ses anzusehen ist und einen Versuch seiner Verarbeitung und Bewältigung darstellt.
Der Traumabegriff spielt aber nicht nur für die traumatischen Neurosen ei ne zentrale Rolle, sondern er hat auch in der Ätiologie der Psychoneurosen Bedeutung. Allerdings wird dabei der Traumabegriff inhaltlich verändert, denn im Gegensatz zur traumatischen Neurose, bei der das Ich überwältigt wird, ist den Psychoneurosen die Antizipation der Gefahrensituation mit dem Auftreten von Signalangst immanent. So werden Abwehrmechanis men aktiviert, und es kommt gerade nicht zu einem traumatischen Zustand; in der Regel um den Preis des neurotischen Symptoms.
Aber auch nach dem Aufgeben der „Verführungstheorie" hat Freud weiter hin die Bedeutung realer Traumatisierungen gesehen. Indem er schrieb: „Ich bin über diese Theorie hinausgegangen, ohne sie aufzugeben, das heißt, ich halte sie heute nicht für unrichtig, sondern unvollständig" (Freud 1905), weist er darauf hin, daß reale Traumata wie sexueller Mißbrauch nicht unbedingt tatsächlich wie in der erinnerten Form stattgefunden haben müssen. Vielmehr hob er die Bedeutung der Organisation eigener Erfah rungen hervor (Freud 1915) und machte darauf aufmerksam, daß die menschliche Psyche nicht nur Erlebnisse empfängt und reproduziert, son dern daß sie aktiv und auch imaginierend tätig ist. Die Erinnerung an ein Ereignis ist mit der Phantasie über dieses Ereignis verschmolzen. Dies macht verständlich, warum die Unterscheidung zwischen unbewußten Phantasien und verdrängten Erinnerungen häufig kaum zu treffen ist. Erin nerungen werden kontinuierlich überarbeitet, teilweise in Abhängigkeit vom Kontext, in welchem sie ins Bewußtsein treten.
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Weinel
Nach Freuds Tod veränderte sich das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Trauma und intrapsychischem Konflikt erneut zugunsten des Traumas. Un ter dem Einfluß Ich-psychologischer und objektbeziehungstheoretischer Ansätze wurden die Konzepte zum psychischen Trauma weiterentwickelt. So unterschied Kris (1956) zwischen einem „Shock"- und einem „Strain" (Belastungs)-trauma, wobei er unter letzterem die Auswirkungen der Häu fung frustrierender Spannungen verstand. Khan prägte 1963 den Begriff „kumulatives Trauma" und verstand darunter, daß eine Mutter in ihrer Funktion als „Reizschutz" gegen die Überflutung durch innere und äußere Reize in der präverbalen Zeit der Mutter-Kind-Beziehung versagt. Die für das Kind daraus resultierende psychophysische Überanstrengung und Überforderung führt zu einer überstarken Anpassung an die mütterlichen Erwartungen, was spezifische Störungen der Ich-Funktionen im späteren Leben zur Folge haben kann. Anna Freud versuchte dann 1967, den schon in den 50er und 60er Jahren unklar gewordenen und zum Teil unpräzise verwendeten Begriff des Trau mas wieder eindeutig zu definieren. Sie ging nach wie vor davon aus, daß die traumatische Situation aus einer Erfahrung der Hilflosigkeit gegenüber einem Erregungszuwachs aus inneren und äußeren Quellen besteht. Innere und äußere Faktoren können jedoch auch interferieren. Ein traumatisches Ereignis ist vor allem durch sein plötzliches und unerwartetes Eintreten ge kennzeichnet, das die Abwehrmaßnahmen (zu denen auch Flucht gehören kann) außer Kraft setzt. Nicht jedes belastende Ereignis ist entsprechend dieser Auffassung ein Trauma. Ein wesentliches Kriterium ist das völlige Darniederliegen der Handlungsfähigkeit: kein einziger Ich-Mechanismus ist für die Bewältigung mehr verfügbar. Ein Trauma im eigentlichen Sinn des Wortes meint „eine innere Katastrophe, einen Zusammenbruch der Persön lichkeit aufgrund einer Reizüberschwemmung, die die Ich-Funktionen und die Vermittlertätigkeit des Ichs außer Kraft gesetzt hat" (A. Freud 1967).
Diese Konzeptualisierungen des psychischen Traumas beziehen sich im mer auch auf die ursprüngliche Freud'sche Version, daß es sich beim Trauma um einen energetischen bzw. ökonomischen Vorgang handelt. Erst in den siebziger Jahren formulierte Horowitz (1979) das Konzept vom Energie- zum „Informationstrauma" um. Dies bedeutet, daß die traumati sche Situation den Organismus mit „unverträglicher" Information konfron tiert, die seine Kapazität zur Informationsverarbeitung nachhaltig über steigt. Ohne hier näher auf dieses Konzept eingehen zu können, ist dabei besonders auf das Überraschungsmoment hinzuweisen, welches dem Indi viduum keine Zeit läßt, sich auf die Lage einzustellen, die Information zu kategorisieren und wichtige Handlungspläne zu entwerfen, sowie auf das Unerwartete dieser Erfahrung. 88
Psychoanalytische Aspekte zum Trauma und PTSD
Verschiedene Bedeutungen des Traumabegriffes Bei der zum Teil vieldeutigen Verwendung des Traumabegriffes ist es kli nisch hilfreich, zwischen späten und frühen Traumen zu unterscheiden.
1. Späte Traumen („Katastrophen")
Extreme Lebenssituationen und -erfahrungen, die den Erwachsenen aus dem Gleichgewicht eines durchschnittlich zu erwartenden Lebensvollzuges reißen und sein Leben vollständig verändern, wie z.B. Konzentrationslager, Folter, aber auch Vergewaltigungen, Kriege, Verschüttungen, Naturkata strophen, können vereinfachend als „späte Traumen" zusammengefaßt werden. Diese außergewöhnlichen und katastrophischen Erfahrungen ent sprechen in ihren Auswirkungen am ehesten der Kategorie PTSD. Gerade die großen „Man-made disaster" dieses Jahrhunderts, der erste und zweite Weltkrieg, für die Amerikaner neben dem Korea- auch der Viet namkrieg initiierten in der Psychiatrie eine intensive Beschäftigung mit den psychischen Auswirkungen extremer Erfahrungen und führten schließlich zur Einführung der diagnostischen Kategorie des Posttraumatischen Streß syndroms in das DSM III. Psychoanalytiker beschäftigten sich nach dem zweiten Weltkrieg vor allem mit den Auswirkungen des Holocaust, beson ders mit den langanhaltenden psychischen Schäden nach Verfolgungs- und Beziehungstraumen bei Konzentrationslagerhaft sowohl in der ersten als auch in den Folgegenerationen. So konnte gezeigt werden, daß diese Ex tremtraumatisierungen spezifische Ich- und Über-Ich Deformationen (Berg mann 1982) bewirken können. Dies kann unter anderem die Unterschei dung zwischen Phantasie und Realität beeinträchtigen, den Verlust der Symbolisierungsfähigkeit und Metaphernbildung im Sinne einer Konkreti sierung (Grubrich-Simitis 1984) und die Identifizierung mit dem Aggressor (Bergmann und Jucovy 1982) bedeuten. Keilson (1979) beschrieb die se quentielle Traumatisierung bei Kindern, d.h. eine massive, lang anhaltende, kumulative traumatische Einwirkung als sequentielle Traumatisierung, die die Persönlichkeitsstruktur auf viel fundamentalere Weise zerstören kann, weil eine Erholung nach einem Trauma nicht möglich ist und weil in der dritten Sequenz die soziale Umwelt zur Retraumatisierung beiträgt bzw. die Traumatisierung aufrecht erhält.1
Ein weiterer Aspekt ist die transgenerationeile oder transgenerative Traumatisierung der 2. Generation. Kogan beschreibt vier Mechanismen, wie das Trauma an die nächste Generation weitergegeben wer den kann und wirksam ist: Traumatisierung der Ich-Entwicklung durch Ausbeutung des Kindes als Ve hikel für die Wiederholung der elterlichen Traumatisierung; Traumatisierung durch emotionale Uner-
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Weinel
2. Frühe Traumen (Kindheitstraumata) Gewalt- und Mißbrauchserfahrungen greifen als sogenannte „frühe Trau men" folgenreich in die weitere psychische Entwicklung ein. Dabei kann es sich sowohl um ein einmaliges „Shocktrauma" (Kris 1956), welches dem Typl-Trauma (Terr 1991) entspricht, oder um multiple traumatisierende Er fahrungen handeln. Dieses „Straintrauma" (Kris 1956) ähnelt dem TypllTrauma (Terr 1991). Auch das schon erwähnte kumulative Trauma (Khan 1963), bei dem es zu einer psychophysischen Überlastung des Kindes durch Überflutung mit inneren und äußeren Reizen kommt, ist hier zu nennen. Eine der nachhaltigsten Auswirkungen dieser Traumata auf die Psyche liegt unter anderem im Verlust der Fähigkeit zur Affekt- und Selbst-Regulation (van der Kolk et al. 1996): Die betroffenen Kinder sind unfähig, ihre Erre gungszustände zu regulieren, Gefühle in Worte zu fassen und Reize ange messen wahrzunehmen. Dadurch wiederum wird die Fähigkeit, sich über die genaue Natur des jeweiligen Reizes klar zu werden und optimal darauf zu reagieren, gestört. Wenn sich ein traumatisiertes Kind in einem Alarm zustand befindet, etwa weil es an das Trauma denkt, wird es sich weniger gut konzentrieren können, es wird ängstlicher sein und es wird ihm schwerfallen, zwischen seinem inneren Erleben und der realen äußeren Situation zu unterscheiden. Häufig befinden sich Kinder mit traumatischen Lebenserfahrungen grundsätzlich in einem Zustand „milder" Angst und reagieren schon auf geringe äußere Stimuli mit Übererregung (Perry 1998). Es kommt zu verminderter Impulskontrolle, so daß im Erregungszustand Handlungen nicht gebremst werden können und mit Affekten wie unbe herrschbarer Angst, Traurigkeit, Wut oder Aggressivität reagiert wird. Bela stende Situationen der Gegenwart lösen Gefühle von einer Intensität aus, die aus Situationen der Vergangenheit stammen, und deshalb neigen trau matisierte und vernachlässigte Menschen dazu, angesichts einer Gefahr ihr Heil nicht im Nachdenken, sondern im raschen Handeln zu suchen. Der Verlust der Fähigkeit zur Selbstregulation kann sich im späteren Leben auf verschiedene Weise bemerkbar machen: als Aufmerksamkeitsproblem (d.h. als Verlust der Fähigkeit, sich auf bestimmte Reize zu konzentrieren) oder als Unfähigkeit, im Erregungszustand Handlungen zu bremsen (Verlust der Impulskontrolle), was zur Folge hat, auch auf geringere Stimuli mit unbe herrschbarer Angst, Wut oder Traurigkeit zu reagieren. Solange sie den traumatischen Ursprung solcher Gefühle nicht kennen, werden traumatireichbarkeit der Eltern; Traumatisierungen durch Phantasien; Traumatisierung der Ich-Entwicklung durch Selbstverlust.
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Psychoanalytische Aspekte zum Trauma und PTSD
sierte Personen ihre eigenen Gefühlsausbrüche ebenso wie die emotiona len Reaktionen anderer immer wieder als Retraumatisierung erleben. Somit werden die Gefühle, die mit dem ursprünglichen Trauma verbunden sind, fortlaufend auf einer interpersonalen Ebene wiedererlebt. Gerade im Zu sammenhang mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist dieser Aspekt bedeutsam.
Dynamik der traumatischen Situation Die traumatische Situation ist gekennzeichnet durch eine plötzliche und unerwartete Überwältigung des Ichs verbunden mit einem Gefühl totaler Hilflosigkeit und dem Versagen von Abwehr- und Bewältigungsmechanis men. Das Ich des Traumatisierten wird jedoch nicht in einer Art Dauerläh mung ausgeschaltet, sondern es versucht so schnell als möglich, sogar in der traumatischen Situation selbst (Ehlert et al. 1988) neue Verarbeitungs wege zu finden. So sind Reaktionen auf ein Trauma, wie sie teilweise auch in den Symptomen des PTSD beschrieben worden sind, nicht als primär krankhaft, sondern als zunächst sinnvolle Bewältigungsversuche anzusehen. Intrusive Symptome haben zunächst den Sinn, den Organismus in Alarm bereitschaft zu versetzen und ihn hellwach und handlungsbereit für eine Fight-Flight-Reaktion zu halten; im Rahmen des anschließenden traumati schen Prozesses sind sie auch als Versuch zu sehen, den überwältigenden Fremdkörper an den bisherigen Erfahrungshintergrund zu akkomodieren (Riedesser 1998).
Auch das „Numbing", die Unterdrückung von Gedanken und Gefühlen, hat einen physiologischen Sinn und schützt vor der befürchteten erneuten Überwältigung durch innere und äußere Reize.
Dissoziation kann sehr effektiv sein, um in der traumatischen Situation selbst weiterzufunktionieren. Das dissoziierte Material wird von den ande ren psychischen Inhalten getrennt. Dieser Mechanismus wurde sehr früh von Janet erfaßt. Das Trauma bleibt isoliert, mehr oder weniger vollständig von allen Gedanken abgetrennt; es kann alles andere verhüllen oder unter drücken (van der Kolk 1987). Die Dissoziation zielt darauf ab, den Betrof fenen vor den überwältigenden Erinnerungen traumatischer Ereignisse zu schützen und vor den regressiven Phantasien, die diese Erinnerungen aus lösen. Aber auch regressive Phänomene können einen adaptativen Aspekt bein halten, nämlich als Bemühen, in den sicheren Hafen früherer, prätraumati scher Entwicklungsphasen zurückzukehren. 91
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Auch das Acting-out beziehungsweise das Re-enactment, etwa im aggressi ven oder sexuellen Handlungsbereich, kann als (unbewußter) Versuch ge sehen werden, aus einer traumatisch erlebten Ohnmacht herauszufinden und im Sinne der Identifizierung mit dem Aggressor wieder eine aktive Rol le zu gewinnen. Der weitere Verlauf eines traumatischen Prozeßes wird jedoch nicht nur durch die Dynamik der aktuellen traumatischen Situation, sondern auch durch Art (Beziehungs- oder andere Traumen) und Intensität des Stressors sowie individuelle- Persönlichkeits- und soziale Faktoren bestimmt. So wird verständlich, daß u.a. der Grad an „Ich-Stärke", kognitive Fähigkeiten und Begabungen, aber auch das Alter, in dem ein Mensch traumatisiert wird, die Häufigkeit und Dauer des Traumas, die Bedingungen, unter denen die Traumatisierung statt findet, vor allem aber auch die „peri- und posttrauma tischen Reaktionen" der sozialen Umwelt auf die Traumatisierung große Bedeutung haben. Gerade hier besteht durch Empathieverweigerung die Gefahr der Retraumatisierung. Je jünger jemand zum Zeitpunkt der Trau matisierung ist und je länger das Trauma dauert, desto größer ist die Wahr scheinlichkeit, daß das Trauma zur Identitätsbildung verwandt wird, sozu sagen psychische Struktur wird. Handelt es sich um einen erwachsenen Menschen, dann trifft das Trauma auf eine bereits differenzierte psychische Struktur mit ausgearbeiteten individuellen Abwehr- und Bewältigungsstra tegien, die eine Verarbeitung erleichtern. Aber auch bei „späten Traumen" mag es sein, daß das Ich Wege der Bewältigung - aus welchen Gründen auch immer - nicht finden oder daß ein aktuelles psychisches Trauma an frühere (Kindheits-) Traumata anknüpfen und so die Verarbeitung erschwe ren kann. Dies wird gestützt durch die Tatsache, daß unter anderem frühe re Traumata als prädisponierender Faktor für die Entwicklung eines PTSD angesehen werden. In der langen Geschichte um die Anerkennung der seelischen Auswirkun gen von Traumen ist dies heute für bestimmte Entitäten, z.B. die Posttrau matischen Belastungsstörungen, unbestritten. Dies läßt sich auf Grund des katatstrophischen Ausmaßes des Stressors auch jederzeit nachvollziehen. Weit weniger Aufmerksamkeit wurde dagegen der Frage zuteil, wann bela stende Einzelsituationen, die -jede für sich genommen- zwar keine „Kata strophe" bedeuten, in ihrer Summation eine traumatische Qualität erhalten und entsprechende psychische Folgen induzieren.
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Psychoanalytische Aspekte
zum
Trauma
und
PTSD
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Peter Hartwich
1. Erfahrungen aus analytischen Therapien bei posttraumatischen Erkrankungen Die posttraumatischen Erkrankungen, speziell die posttraumatischen Bela stungsstörungen im Sinne der ICD 10 einschließlich der chronifizierten Folgen sowie die in der Darstellung des DSM IV, sind durch die individuel len Reaktionen auf Erlebnisse einer existentiellen Bedrohung hin charakte risiert. Die Erfahrung des psychisch und/oder physisch Ausgelöschtwerdenkönnens ist in der Regel mit großer Hilflosigkeit verknüpft. Versucht man aus derFüllederSymptome drei Hauptmerkmale herauszugreifen, so sind es:
- Intrusionen: Gedanken und Bilder tauchen immer wieder auf - Hyperarousal, mit erhöhter Reizbarkeit einhergehend - Emotionale Taubheit mit Vermeidungsverhalten. Letzteres wird in der ICD 10 als „emotionale Stumpfheit" und im DSM IV als „eingeschränkte Bandbreite des Affekts" definiert. Dieses in der intensi ven Begegnung mit dem Betroffenen in einer tiefenpsychologisch fundier ten sowie einer analytischen Therapie so wichtige Phänomen tritt uns als emotionale Erstarrung oder Gerinnung entgegen. In unserem therapeutischen Handeln geht es lange Zeit darum, das Geronnene wieder zu verflüssigen.
Einige Beispiele zu dem beschriebenen Kernphänomen: Ein Angestellter einer großen Firma wurde vor einigen Jahren im Vorderen Orient als Geisel in Einzelhaft genommen, in Abständen wurde ihm die Hin richtung angekündigt. Eindrucksvoll und fast befremdlich war sein Nichtfühlenkönnen dieser Erlebnisse. Eine andere Patientin zeigte nach schwerem Verkehrsunfall, bei dem ihr Kind ums Leben gekommen war, noch Monate danach kaum eine gefühlsmäßige Modulation, wenn es um das Ereignis ging. Eine Patientin, die jahrelang als Jugendliche vom Stiefvater mißbraucht worden war, lernte als junge Erwachsene einen Mann kennen, in den sie sich verliebte. Sie wurde schwanger und er verunglückte auf der Autobahn tödlich. Daraufhin geriet sie in einen Zustand derartiger Erstarrung, daß sie eine drohende Fehlge burt nicht realitätsgerecht wahrnehmen konnte und unfähig war, adäquat zu handeln. Noch Jahre danach sind ihr die zugehörigen Emotionen nicht faßbar.
Allen drei Beispielen ist das Geronnensein ihrer bisherigen Gefühlslebendig keit gemeinsam. DieErstarrung istvermutlich dasjenige, das mit psychischen und somatischen Veränderungen einhergeht. Eine Folgeerscheinung der
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Hartwich
unlebendigen und unbeweglichen Emotionalität ist die gleichzeitig auftre tende hohe Irritierbarkeit, die in rascher Übererregung bis hin zur Explosi vität zum Ausdruck kommt und die der Betreffende nicht kontrollieren kann. Das Ausblenden und das unkontrollierte Einblenden der mit der Emotionalität „synaptisch verknüpften" kognitiven Anteilen gehört dazu. Konzentrieren wir uns auf den Hauptvorgang: Die Erstarrung, die Gerin nung der Gefühle. Nach der Literatur der posttraumatischen Belastungsstö rungen könnte man beinahe den Eindruck bekommen, daß diese Phäno mene neu entdeckt seien. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich hier um Reaktionsweisen unserer Psyche, die häufig und in abgestufter Intensität bei unseren psychischen Erkrankungen vorkommen können. Blättern wir in der Geschichte ganz weit zurück, so finden wir gerade diese Phänomene schon in der Bibel und auch bei den alten Griechen beschrieben. Im Buch Mose ist folgendes nachzulesen: Als die Stadt Sodom vom Brand zerstört wird, fliehen Lot und seine Frau aus der Heimat. Lot, der vermutlich die Empfindsamkeit seiner Frau kennt, sagt zu ihr: „Dreh Dich nicht um". Sie wendet den Blick trotzdem zurück und sieht plötzlich das Grauenvolle in seinem ganzen Ausmaß. Sie erstarrt „zur Salzsäule". Die Bildersprache meint, daß ihre Emotionalität starr wird. Ähnliches beschreibt die griechi sche Mythologie: Die schreckliche Medusa ist das Symbol für das zutiefst Grauenvolle, das der Mensch nicht aushalten kann. Wer die Medusa direkt ansehen muß, erstarrt zu Stein, d.h. seine Gefühle, sein emotionales Fas sungsvermögen werden so überlastet, daß eine plötzliche Gerinnung der Gefühlslebendigkeit erfolgt. Wenn wir in der tiefenpsychologisch fundierten und der analytischen Psy chotherapie posttraumatischer Erkrankungen eine Verflüssigung, eine Wie derbeweglichkeit und ein Lebendigwerden anstreben, dann sollten wir uns vor Augen halten, daß die emotionale Gerinnung auch eine sinnvolle Schutzfunktion unserer Psyche und des somatischen Teils unseres Hirnes, im Sinne einer „neuroprotektiven Gegenregulation", sein kann. Wir Thera peuten sind nur dann erfolgreich, wenn wir diese Schutzfunktion respektie ren und eine langsame, der Aushaltbarkeit für den Patienten angemessene Gangart wählen. Das gilt für lerntheoretisch orientierte Verfahren genauso wie für tiefenpsychologischfundierte Vorgehensweisen. Beiden ist gemein sam, daß ein beständiges Erinnern und gut dosiertes Teilbeleben der Emo tionen über eine lang gedehnte Zeitstrecke die Aushaltbarkeit übt und da durch der Schutz der Gerinnung, der sich in chronifizierten Fällen oft ver selbständigt und verhärtet hat, langsam aufgegeben werden kann und ein Fließen der Emotionen wieder möglich wird, wodurch auch ein Rückgang der Übererregbarkeit und eine Integration der sich sonst zur Unzeit ein blendenden Erinnerungsbilder möglich wird.
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2. Einzelfalldarstellung einer posttrauma tischen Erkrankung in analytischer Therapie Peter Hartwich ♦ Markus Steffens Der ca. 50-jährige Patient Herr Z. kam nach telefonischer Voranfrage durch ei ne Angehörige, worin diese eine absolute Dringlichkeit schilderte, zur stationä ren Aufnahme in den psychotherapeutischen Bereich unserer Klinik für Psych iatrie und Psychotherapie. Er selbst gab an, er sei derzeit in einem „tiefen Loch", nervlich am Ende, habe immer wieder Weinanfälle. Erdenke, auslösend sei die aktuelle Arbeitssituation, dort sei es sehr stressig, es falle sehr viel Arbeit an. Es finde Mobbing statt, weniger gegen ihn selbst, sondern eher gegen sei nen direkten Arbeitskollegen. Er selbst bekleide eine leitende Position in einem pharmazeutischen Unternehmen. Seit einigen Tagen könne er aber nicht mehr zur Arbeit gehen. Es würden auch Intrigen gegen ihn laufen, jetzt würde auch noch die Chefsekretärin behaupten, er würde Stimmung gegen Arbeitskollegen machen. Das Ganze sei schon an den Betriebsrat herangetragen worden. Es gehe vor allem von einem bestimmten Kollegen aus. Auch externe Mitarbeiter seien darin verwickelt. Das Ganze habe dazu geführt, daß er vermehrt Alkohol trinke, zuletzt etwa 5-6 Flaschen Bier und 4-8 kleine Schnäpse pro Tag. Außerdem leide er an Ein- und Durchschlafstörungen. Sein Appetit sei geringer, er ziehe sich sehr zurück, sei sich zeitweise völlig fremd und habe das Gefühl von Bedrohung und Angst.
Er sei in einer Familie mit einem „gewissen Standesbewußtsein" aufgewachsen. Sowohl Vater als auch Großvater seien Chefs mittelständiger chemischer Un ternehmen gewesen. Zu seinem Großvater habe eine enge Vertrauensbezie hung bestanden. Er habe diesen als warmherzig erlebt im Gegensatz zu seinem Vater, der extrem autoritär gewesen sei. Der Vater habe in der chemischen In dustrie mit eisernem Willen Karriere gemacht, unserem Patienten habe er jegli ches sportliche, schulische und handwerkliche Geschick abgesprochen. Seine Mutter habe im Schatten des Vaters gestanden, er habe sie als „graue Person" in Erinnerung. Er habe wenig Wärme von seiner Mutter spüren können. Als seine fünf Jahre jüngere Schwester geboren wurde, habe er sich in der Familie sehr zurückgesetzt gefühlt.
Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte Herr Z. eine kaufmännische Lehre. Danach meldete er sich trotz schwacher Konstitution zum Bundesgrenzsschutz. In dieser Zeit hätten Autoritäten ihm gehörig Angst eingejagt. Auch sei er stolz darauf gewesen, endlich einmal Uniform und Waffen tragen zu können. Danach habe er eine Stelle in einem Geldtransportunternehmen angetreten und eine Dienstwaffe geführt. Mit 22 Jahren verliebte er sich erst mals in eine Frau, welche in Trennung lebte und mit ihrem Ex-Partner ein Kind hatte. Sie sprach immer wieder von dem getrenntlebenden Mann, er würde al les in Bewegung setzen, sie zurückzubekommen, er würde sie geradezu belä
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Hartwich ♦ Steffens
stigen. Deshalb habe er zunehmend das Gefühl gehabt, dieser Mann stehe sei nem Glück im Wege. Sein Tun und Denken sei mehr und mehr auf Haß gegen diesen Mann eingeengt gewesen. Davon habe jener erfahren und das Ge spräch mit unserem Patienten gesucht. Er habe versucht, Herrn Z. klarzu machen, daß ihm seine Ex-Frau nichts mehr bedeute. Anschließend sei man gemeinsam in die Wohnung des Mannes gefahren, habe gemeinsam Alkohol getrunken, bis HerrZ. nach Hause fahren wollte. Der Mann habe ihn noch zur Tür begleitet. An der Wohnungstür habe er plötzlich in seine Manteltasche ge griffen, seine Dienstwaffe gezogen und mehrfach auf den Ex-Partner seiner großen Liebe geschossen. Der Mann sei lebensgefährlich verletzt worden, habe aber gerettet werden können. Herr Z. wurde zu fünf Jahren Gefängnis wegen versuchten Mordes verurteilt.
Gefängniszeit
Er berichtete von Suiziden Mitgefangener. Er selbst sei als jüngster, schmächtiger Insasse von körperlicher Gewalt und sexuellen Übergriffen bedroht gewesen. Gelegentlich habe er mitbekommen, daß Mitgefangene sich gegenseitig körperliche Verletzungen, auch durch Waffengebrauch wie z.B. Messer, zugefügt hätten. Er habe sich dabei auch bedroht gefühlt und mit der ständigen Angst gelebt, ob er aus dem Gefängnis überhaupt noch einmal lebend herauskommen könne. Heute beklagt er, daß die Gefängniszeit seine damals noch unreife Struktur nachhaltig negativ geprägt hätte. Er sei als Junge ins Gefängnis gegangen und als mißtrauischer Eigenbrötler entlassen worden.
Auch jetzt noch, nach mehr als 20 Jahren, gäbe es Bilder, Gefühle und Szenen, die immer wieder auftauchten; hinter jedem und allem lauere Ge fahr. Andererseits geschehe es ihm immer wieder, daß er auf andere Men schen hereinfalle und von diesen benutzt werde. Häufig ziehe er sich stun den-, manchmal tagelang ganz zurück und fühle sich völlig unfähig, ir gendeinen Kontakt aufzunehmen. Manchmal werde er dabei von starken Gefühlen unterschiedlicher Qualität geplagt wie Angst, Selbstvorwürfen und Haß. Über lange Strecken verspüre er jedoch innere Leere und Fremd heit, er sei wie abgestumpft. Gelegentlich komme es jedoch zu heftigen und plötzlichen Gefühlsdurchbrüchen, gepaart mit verbaler Aggressivität gegenüber ihm nahestehenden Personen; im nachhinein seien diese unbe gründet oder hätten nur banale Anlässe.
Zu Beginn der stationären analytischen psychotherapeutischen Behand lung, die in 5-6 Sitzungen pro Woche sowie zusätzlichen Therapieverfah ren erfolgte, war Herr Z. noch verschlossen, abspaltende Tendenzen und gehemmt-aggressive Anteile wurden deutlich. Beim Lesen von Dostojews
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Einzelfalldarstellung einer posttraumatischen Erkrankung in analytischer Therapie
kis „Schuld und Sühne" begann er, sich mit dem Protagonisten der Hand lung zu identifizieren. Wir stellen kurzgefaßt einige wesentliche Therapieabschnitte dar und be ginnen mit einem seiner ersten Träume: Er befindet sich auf der Flucht, ge langt in einen Raum und wird über Videokameras auf Schritt und Tritt be obachtet. Er selbst assoziiert hierzu zunächst Erfahrungen aus der Gefäng niszeit und dann auch zwiespältige Empfindungen und Erwartungen hin sichtlich der Therapie. Die Angst blitzte in ihm auf, welch gefährliche Po tentiale man in ihm entdecken könnte, um danach überangepaßt zu sagen, „selbstverständlich will ich alles mitmachen". In mehreren Schritten wurden die traumatischen Erlebnisse aus der Zeit der Inhaftierung teilweise mehrfach wiederbelebt und bearbeitet. In diesem Zusammenhang entwickelte Herr Z. die Idee, seine alte Gerichtsakte zur Einsicht anzufordern. Als er sie erhielt, gab er das Couvert, ohne es zu öff nen, seinen Behandlern ab mit dem Hinweis, er wisse nicht, was ihm pas sieren könne, falls er es alleine öffnen und durchlesen würde; möglicher weise könne ihn dies zu fremd- oder eigenaggressiven Handlungen treiben. Es wurde vereinbart, das Schriftstück mit ihm gemeinsam in Abschnitten durchzugehen. Bei der Konfrontation mit den zentralen Ereignissen wurde ihm offenbar, daß eine Reihe seiner Erinnerungen an damalige Einzelheiten eher Deckerinnerungen waren und nicht den dokumentierten Tatsachen entsprachen. So war die Tatwaffe nicht, wie er zuvor meinte, seine Dienst waffe, sondern eine andere Pistole, mit der er sogar wenige Tage zuvor Schießübungen durchgeführt hatte. Genauso wenig erinnerte er, daß er dem späteren Opfer wenige Tage zuvor schriftlich mit der Tat gedroht hat te. Für den therapeutischen Prozeß war es bedeutsam, die Tatsachen, die ihm in Folge von Verdrängung und Deckerinnerungen nicht mehr bewußt waren, langsam über mehrere Sitzungen fraktioniert und der emotionalen Aushaltbarkeit angepaßt, vorsichtig anzubieten, insbesondere den Tötungs versuch, mit dem er zunächst keinerlei Emotionen verbinden konnte. In dieser zentralen Therapiephase begann sich die emotionale Stumpfheit zu beleben, was mit Bestürzung und Trauer einherging. Ein erwartetes Schuld erleben war für längere Zeit noch nicht spürbar, statt dessen mobilisierte sich Widerstand. Dieser bebilderte sich in einem Traum: Er befindet sich auf einem Flughafen mit dem Wunsch, alleine wegzufliegen. Er läuft mit seinem Gepäck von Schalter zu Schalter, überall wird er abgewiesen. Ein unbestimmtes Gefühl beschleicht ihn, von jemandem, der ihm nicht genau bekannt ist, verfolgt zu werden. Schließlich kommt er an einen Schalter mit dem Reiseziel Lissabon. Er assoziiert, daß Lissabon während des zwei ten Weltkrieges Fluchtpunkt für verfolgte Juden und Agenten gewesen sei, gleichzeitig das Tor zur freien Welt. Die Parallele zu seinem eigenen Aus 99
Hartwich ♦ Steffens
weichen in dieser schwierigen Phase der Behandlung wurde ihm zugäng lich. In der Folge setzte er sich weiter intensiv mit den Ereignissen aus der Zeit des Gefängnisaufenthaltes auseinander. Es tauchten Gefühle auf, die für ihn sehr bedrohlich waren. So befürchtete er, daß seine Behandlung abge brochen werden müßte; man könne ihn möglicherweise als so gefährlich einschätzen, daß er in eine geschlossene Abteilung verlegt oder ein erneu tes forensisch-psychiatrisches Verfahren eingeleitet werden müsse. In diesem sensitiven Erleben wurde uns deutlich, wie nahe er seinen eigenen aggres siv-destruktiven Impulsen gekommen war; um sich davor zu schützen, be nötigte er diese projektive Abwehr, die gelegentlich bis ins Paranoide ging.
Im Umgang mit seiner derzeitigen emotionalen Situation, insbesondere seinen aggressiv-zerstörerischen Gefühlen, nutzte Herr Z. die ihm angebo tene Computermalerei, die seinem Hobby, mit Computern umzugehen und im Internet zu surfen, entgegenkam. Bei der Maltherapie mit Hilfe eines Computerprogramms profitierte er von der klaren Strukturierung und dem Regelwerk dieses technischen Mediums. Er konnte seine Gefühle durch Farben zum Ausdruck bringen und ihre Intensität durch die Formstruktur regulieren, was seiner Neigung zum Intellektualisieren nachkam. Das Durchleben dieser Phase ermutigte ihn schließlich, zum freien Malen mit Pinsel und Papier überzugehen und seine Traumszenen in verschiedenen Versionen darzustellen. So auch den folgenden Traum: Er geht auf einer Straße mit zunehmend schnellem Tempo entlang. Plötzlich versperrt ihm ein Rollstuhl den Weg. Darauf liegt ein kreuzweise verschnürtes Paket. Zu der Umgebung aus diesem Traum assoziierte Herr Z. einen Weg zu frühe ren Bekannten aus der Heimatstadt. Diese seien Schuhmacher gewesen und hätten häufiger Reparaturen von Schuhen aus seiner Familie über nommen, die er jeweils dorthingebracht habe. Er sei sehr gerne hingegan gen, sei dann in eine familiäre Atmosphäre eingetaucht, die seiner eigenen ganz entgegengesetzt gewesen sei. Man sei direkt, offen und herzlich mit einander umgegangen. Er habe die Möglichkeit gehabt, dem Schuhmacher bei seiner Arbeit zuzuschauen, was ihn fasziniert habe. Er verbinde mit der Wohnung und diesen Menschen das Gefühl einer warmherzigen, kon fliktlosen Welt. Zu den anderen Szenen in diesem Traum hatte er zunächst noch keinen Zugang. In späteren Sitzungen rätselte er, was es mit dem Pa ket wohl auf sich habe und was darin so fest verschnürt sein könnte. Die dann auftauchende Assoziation einer Mumie verknüpfte er zunächst mit dem Tod seines geliebten Großvaters. Am Abend des Todestages sei er durch die Straßen der Stadt geirrt, getrieben von dem immer wiederkeh renden Bild des erstarrten Körpers. Im weiteren Verlauf konnte er sich auf eine subjektstufige Betrachtung einlassen, dabei wurde die Mumie zuneh mend zum Symbol für das Geronnensein seiner Gefühle. Er äußerte den 100
Einzelfalldarstellung einer posttraumatischen Erkrankung in analytischer Therapie
Wunsch, daß das Paket nur behutsam aufgeschnürt werde. Er holte von zu Hause Photos, um weit zurückliegende Erinnerung neu aufleben zu lassen und einige Aspekte zu vertiefen. Für den weiteren Verlauf der Therapie sei der folgende Traum dargestellt: Er befindet sich in einem ihm unbekannten Badezimmer und entkleidet sich, um in die Badewanne zu steigen. Plötzlich merkt er, daß sich ein bunter Vogel, möglicherweise ein Papagei, an seiner linken Schulter fest gekrallt hat. Die Krallen sind inzwischen tief ins Fleich eingedrungen, er verspürt allerdings keinen Schmerz, schaut hin, denkt auch, dies müsse ei gentlich schmerzen und wundert sich, daß dem nicht so ist. In diesem Moment geht die Badezimmertür auf und seine Mutter schaut herein. Er versucht, mit einer wegschlagenden Bewegung den Vogel zu verscheu chen, dies gelingt ihm auch, der Vogel fliegt zur Ecke des Raumes, er schaut ihm noch hinterher. Dann dreht sich der Vogel um und verwandelt sich in eine lachende Person mit einem puppenartigen Gesicht. Herr Z. arbeitete heraus, daß dies ein Symbol dafür sei, daß sich Schmerzvolles bei ihm nach einiger Zeit als nicht mehr spürbar herausstelle (emotionale Stumpfheit, Geronnensein). Er stellte auch mythologische Bezüge zur grie chischen Sage des Prometheus her, den ein Vogel quält und die Leber her auspickt. Auch den Aspekt der Wandlung in ein menschliches, puppenähn liches Gesicht bearbeitete Herr Z. zunächst objektstufig und dann subjekt stufig. Mittlerweile gelang es ihm, bei den einzelnen Traumszenen länger zu verweilen und seinen Gefühlen nachzuspüren. Ein weiteres Kernstück in seinem Behandlungsverlauf entspann sich aus einer zufälligen Situation auf der Straße. Ein Junge hatte sich eine Plastikpi stole besorgt, damit herumgespielt und sie schließlich auf Herrn Z. gerich tet. Dies brachte Herrn Z. in eine akute Dekompensation. Er fühlte sich ge lähmt, konnte nicht reagieren, sich nicht bewegen, nichts sprechen und verlor den Halt. In den folgenden Therapiesitzungen gelang es ihm, über die Wiederholungssituation und Parallelen zu seiner eigenen Tat nachzu denken. Im Zusammenhang damit stiegen Ärger- und Haßgefühle auf, die er zunächst auf den Jungen richtete. Später wurden ihm diese Gefühle als seine eigenen stärker bewußt.
Im weiteren Verlauf der Therapie bearbeitete er die Beziehung zu einer Reihe von Personen, die in seinem Leben wichtig waren. Er beleuchtete die Beziehungsmuster in Hinblick auf Wiederholungsvorgänge. Im Zusam menhang mit der anstehenden Entlassung aus der stationären Behandlung und der Wiederaufnahme seiner Arbeitstätigkeit beschäftigte er sich mit dem Thema Abschiednehmen. Er resümierte auch, daß er inzwischen das Empfinden habe, mehr innere Räume entwickelt und entdeckt zu haben, 101
Hartwich ♦ Steffens
welche ihm mehr Handlungsmöglichkeiten zulassen würden. Inzwischen verspüre er nicht mehr in dem gleichen Maße seine generelle mißtrauische Haltung anderen gegenüber. Er habe auch nicht mehr die starken Tenden zen zu sozialem Rückzug, die Empfindungen von Bedrohtsein und Ent fremdung seien seltener geworden. Zwischenzeitlich hatte sich Herr Z. zu einer weiteren ambulanten Behandlung entschlossen. Aus dem stationären Rahmen heraus nahm er Kontakt zu seiner Firma auf und bereitete somit seinen baldigen Wiedereinstieg vor, welcher ihm kurze Zeit nach der Ent lassung glückte.
Literatur American Psychiatrie Association: Diagnostic and statistical manual of mental disor ders, DSM IV. American Psychiatrie Press, Washington DC 1994
Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M. H. (Hrsg.): Internationale Klassifikation psychi scher Störungen. ICD 10 Kapitel V (F). Huber: Bern-Göttingen-Toronto 1991 Hartwich, P.: Brückenschlag mit Wegweisern zur heutigen Traumforschung. In: W. v. Siebenthai: Die Wissenschaft vom Traum. Springer: Berlin-Heidelberg-New York 1984 (repr.)
Siebenthai v., W.: Die Wissenschaft vom Traum, Ergebnisse und Probleme. Springer: Heidelberg-New York 1953
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Michael Grube
Zur Verarbeitung des Psychotraumas bei HIV-lnfektionen „Die Mischung aus Angst und Hilflosigkeit, die von der Ereigniskette HIV = AIDS = Tod vermittelt wird, macht die Begriffe Streß und Trauma zu den in der Literatur am häufigsten verwendeten Beschreibungen der Bela stungssituation eines HIV-infizierten. Auch wenn das Faktum der Infektion an sich in der Latenzphase erlebnismäßig so unfaßbar ist, wie die latente Gegenwart von Herpes simplex-Viren im Körper, besitzt bereits das bloße Wissen um die HIV-lnfektion den Charakter einer im umfassenden Sinne realen und gegenwärtigen existentiellen Bedrohung." Diese Aussage von KRUSE et al. 1992 (6) hat heute - trotz der Weiterentwicklung der Behand lungsmöglichkeiten - nach wie vor Gültigkeit. Im DSM IV (1) zählt unter der Kategorie A1 die „Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit" mit zu den konstituierenden Merkmalen einer posttraumatischen Belastungs störung. Insofern kann die Aufklärung über die Tatsache einer HIV-lnfek tion zu einer posttraumatischen Belastungsstörung auch im Sinne des DSM IV führen. Die Verarbeitung des Wissens um die HIV-lnfektion weist aller dings gegenüber der Verarbeitung zeitlich begrenzter traumatischer Situa tionen (5) einige Besonderheiten auf, die es im folgenden darzustellen gilt.
Was sind die Besonderheiten des Traumas: HIV-lnfektion? Das verursachende Agens befindet sich im eigenen Körper. Durch den wei teren Verlauf der anfänglich symptomlosen Infektion sowie der notwendi gen medizinischen Untersuchungen kommt es zu fraktionierten und kumu lativen Traumatisierungen. Im Wieder-Erinnert-Werden aktualisieren sich die mit dem Wissen um die Infektion verbundenen schmerzlichen Emotio nen. Der behandelnde Arzt wird zum „Traumatisierer", da er z.B. virus loadBestimmungen oder medikamentöse Therapieansätze vorschlägt. Trotz symptomatischer Therapie bleibt die Konfrontation mit dem Faktum der verkürzten Lebensspanne bestehen (8). In der Hoffnung auf eine kausale Behandlung erleben die Betroffenen Wechselbäder zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Im Gegensatz zu Karzinompatienten besteht häufig eine soziale Stigmatisierung des „Selbstverschuldet- und „Aggressor"-Vorwurfs.
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Grube
Insbesondere die Möglichkeit, die Infektion aktiv „weitergeben" zu kön nen, wird vielfach schuldhaft, manchmal aber auch im Sinne aggressiver Rachephantasien erlebt. Hierin werden eigene Kränkungen und Ohn machtsgefühle durch aggressive Phantasien abgewehrt. Der Betreffende kann die passive Opferrolle zugunsten einer aktiven Täterposition verlas sen. In depressiven Zuständen werden antirhetrovirale Medikamente oft nur unzuverlässig oder gar nicht eingenommen. Die höhere Wahrschein lichkeit, früher zu versterben, wird in Kauf genommen. Durch Unterlassen können autoaggressive Impulse somit zu einer Art fraktionierten Suizids führen (s. Tab. 1). Tabelle 1: Besonderheiten des Traumas: HIV-lnfektion
•
Verursachendes Agens im eigenen Körper
•
„Fraktionierte" und „kumulative" Traumatisierung
•
Arzt traumatisiert: z.B. Virus-load Bestimmung, Medikation
•
Verkürzte Lebensspanne trotz symptomatischer Therapie
•
Kausale Therapie: Wechselbad von Hoffnungen/Enttäuschungen
•
Gegenüber Ca.-Pat.: soziale Stigmatisierung
•
„Selbstverschuldet, „Aggressor"
Wie wird das Wissen um die HIV-lnfektion verarbeitet? (3, 4) Um über die intrapsychische Verarbeitung der HIV-lnfektion Näheres und Systematisches zu erfahren, was über die vielen bisherigen Beschreibun gen, Einzelbeurteilungen und Erfahrungsberichte von Betroffenen hinaus geht, haben wir folgendes Design entworfen:
Grundlage ist die Untersuchung an 96 HIV-positiven Männern: 43 Polytoxikomane, 35 Bi- bzw. Homosexuelle und 18 präterminal AIDS-Erkrankte. Wenige Einzelfälle, die sowohl homo- oder bisexuell als auch polytoxikoman waren, wurden nicht in die Untersuchung einbezogen. Hierzu kam ein semistandardisiertes Interview mit 23 Items zur Anwendung, basierend auf den KÜBLER-ROSS-Stadien der Verarbeitung lebensverkürzender Er krankungen (7). Die Interviews wurden zu etwa 63 % auf Video oder Ton band aufgezeichnet und später hinsichtlich der „frühen Reaktion" bzw. der 104
Zur Verarbeitung des Psychotraumas
bei
HIV-Infektionen
„Hauptverarbeitungsformen" ausgewertet. Die Reliabilitätsuntersuchungen ergaben eine befriedigende Interrater- und eine gute Retestreliabilität (2): So lagen bei 10 Ratern die als Konvergenzmaß berechneten 45 KappaWerte bezogen auf 12 Videointerviews im Bereich von 0,52-0,91; 39 Kap pa-Werte waren größer als 0,60. Die Kappa-Werte bei Prüfung der Retestre liabilität lagen bei 0,73 und 0,75. Zufallskritische Prüfungen erfolgten mit nonparametrischen Verfahren wie CHI-Quadrat und U-Test. Die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst auf Untergruppenvergleiche zwi schen den bi- bzw. homosexuellen einerseits und polytoxikomanen Patien ten andererseits. Danach folgt die Darstellung der Verarbeitungsweisen der 18 präterminal AIDS-Kranken (s. Tab. 2).
Tabelle 2:
Untersuchte Gruppen HIV-positive Männer, N = 96
•
Bi-/Homosexuelle N = 35
•
Polytoxikomanie N = 43
•
Präterminalstadium N = 18
Semistandardisiertes Interview
•
Befriedigende Interrater-ReliabiIität
•
Gute Retest-ReliabiIität
Zufallskritische Verfahren (nonparametrisch)
•
Z2-Test
•
U-Test
1. Untergruppenvergleiche Hinsichtlich der Dauer der HIV-Aufklärung - im Mittel etwa zwei Jahre und neun Monate - unterschieden sich die Untergruppen nicht. Auch wa ren sie hinsichtlich der HIV-Krankheitsstadien zum Untersuchungszeit punkt gemäß der CDC-Klassifikation ähnlich: Etwa 3/4 im Stadium CDC II,
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Grube
knapp 1/4 im Stadium CDC III und ein geringerer Rest im Stadium CDC IV (s. Tab. 3). Die Gruppe der Bi- bzw. Homosexuellen war signifikant im Mit tel um etwa drei Jahre älter als die Gruppe der Polytoxikomanen. Zur Ein schätzung der psychosozialen Probleme sowie zur Erfassung des globalen Funktionsniveaus erhoben wir Achse IV und V des DSM IV. Hierbei er reichten die Polytoxikomanen in beiden Skalen einen signifikant schlechte ren Wert: Mit durchschnittlich sieben gegenüber vier Problembereichen im psychosozialen Umfeld und einem GAF-Score von 41 gegenüber 62 bei den Bi- bzw. Homosexuellen (s. Tab. 3). Auch hinsichtlich der Persönlich keitsakzentuierung in Anlehnung an die ICD-Klassifikation unterscheiden sich die Grup-pen: Bei den polytoxikomanen Männern prävalierten emo tional-instabile und dissoziale Züge, bei den Bi- bzw. Homosexuellen ängstlich vermeidende und histrionische Anteile (s. Abb. 1).
Abbildung 1: Persönlichkeitsakzentuierung, ICD 10, HIV-Positive, Bi-/Homosexuelle vs. Polytoxikomanie N = 78, p < 0,001 ***
106
Zur Verarbeitung des Psychotraumas
bei
HIV-Infektionen
Tabelle 3: Basisdaten, HIV-lnfektion (N=78)
Variable
Bi-/Homosex.
Polytox.
Sign.
Aufklärungsdauer (AM) HIV-Stadium: CDC II CDC III CDC IV Alter (AM) GAF-Score (0-100) DSM IV, Achse IV (0-9)
2,6 J 70 % 24 % 6 % 43,7 J 62,1 3,8
2,8 J 74 % 21 % 5 % 30,9 J 41,2 7,2
n.s. n.s.
** ** ***
GAF-Score: Globale Erfassung des Funktionsniveaus DSMI IV, Achse V, DSM IV, Achse IV: Psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme
1.1 Wie haben die Betroffenen unmittelbar auf die Aufklärung be züglich der eigenen HIV-lnfektion reagiert? Bei unserer retrospektiven Erhebung waren Mehrfachnennungen möglich. Nahezu alle Patienten gaben an, „geschockt" und emotional überwältigt zu sein. In geringerem Umfang kam es zum „Crying out" oder zur Tendenz des „Ausblendens". Unter letzterem wurden auch Intoxikationen, die eine Reaktion auf die Aufklärung darstellten, subsumiert (s. Abb. 2).
■ Bi-/Homosex. □ Polytox,
Abbildung 2: Frühe Reaktion (Retrosp.), HIV-Positive, N = 78 Bi-/Homosexuelle vs. Polytoxikomanie n.s.
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Grube
1.2 Welche späteren Verarbeitungsformen ließen sich eruieren?
Unsere Zuordnung bezieht sich auf die von KÜBLER-ROSS formulierten fünfverarbeitungsformen (7): Verleugnung und Nicht-Wahrhaben-Wollen, Wut und Aggression, Verhandeln („Bargaining"), Trauer und Akzeptanz. Obwohl der erfahrene Therapeut häufig Fluktuationen der genannten Sta dien erlebt, haben wir uns bemüht, die Hauptverarbeitungsformen, die in den semistandardisierten Interviews jeweils dominant waren herauszuar beiten (s. Tab. 4). Tabelle 4: Verarbeitungsformen bei HIV-lnfektion (nach Kübler-Ross)
1.
Nicht wahr haben wollen, Verleugnen
2.
Wut, Aggression
3.
Verhandeln („bargaining")
4.
Trauer
5.
Akzeptanz, Annahme
Im Durchschnitt etwa zwei Jahre und neun Monate nach der Aufklärung zeigten 2/3 der Polytoxikomanen überwiegend verleugnende Züge, wäh rend bei 2/5 der Bi- bzw. Homosexuellen Trauer prävalierte. Der Grup penunterschied war signifikant (s. Abb. 3).
Abbildung 3: Verarbeitung K.R., HIV-Positive, N-78 Bi-/Homosexuelle vs. Polytoxikomanie p < 0.001 ***
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Zur Verarbeitung
des
Psychotraumas
bei
HIV-Infektionen
1.3 Welche Variablen beeinflußten die Hauptverarbeitungsformen? Bei den polytoxikomanen HIV-Kranken war festzu stellen, daß sie um so weniger verleugneten, je mehr Krankheitssymptome erlebbar waren. In vorangegangenen Untersuchungen (3, 4) konnten wir zeigen, daß HIVpositive Polytoxikomane mit höherer Wahrscheinlichkeit bereit waren, nach Therapie ein drogenfreies Leben zu führen, wenn sie u.a. nicht ver leugneten, Eltern waren, also eigene Kinder hatten, und bereits Therapieer fahrung mitbrachten. Bei den Bi- bzw. Homosexuellen waren trendmäßig ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstrukturen mit trauernder Verarbei tung assoziiert. Alter, Aufenthaltszahl, Länge der HIV-Aufklärung und GAFScore waren zufallskritisch gesehen in beiden Gruppen ohne Bedeutung für die Hauptverarbeitungsformen (s. Tab. 5). Tabelle 5: Einflüsse auf die Verarbeitungsform bei HIV-lnfektion (N = 78)
Bi-/Homosexuelle
Polytoxikomanie
Alter
n.s.
n.s.
Aufenthaltszahl
n.s.
n.s.
Länge HIV Aufkl.
n.s.
n.s.
GAF Score
n.s.
n.s.
CDC-Klassifikation
n.s.
p< 0.001
p