Postnukleare Handlungstheorie: Ein soziologisches Akteurmodell für Cyborgs [1. Aufl.] 9783839428450

Against the background of a critical reconstruction of sociological theory formation, Diego Compagna develops and actor

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German Pages 410 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Eine Leseanleitung als Vorwort
1. Einleitung
2. Problemaufriss
2.1 Zur Grundfiguration von Subjekt, Akteur und Soziales
2.2 Zum Verhältnis von Technisierung und Artifizialität des Akteurs
3. Beobachtungskonstruktionen
3.1 Die Beobachtung und Kybernetik zweiter Ordnung
3.2 Die Praxis der Sprachspiele
3.2.1 Zweifel und Gewissheit beim späten Wittgenstein
3.2.2 Descartes’ ‚methodischer‘ Zweifel
3.2.3 Humes ‚pragmatische‘ Gewissheit
3.2.4 Zusammenfassung: Die Praxis der Sprachspiele
3.3 Der Nullwert als nicht hintergehbare Einheit der Differenz
3.4 Zwischenbetrachtung: Beobachtungskonstruktionen
4. Theorietechniken
4.1 Klassische Ansätze
4.1.1 Karl Marx
4.1.2 Émile Durkheim
4.1.3 Max Weber
4.1.4 George Herbert Mead
4.1.5 Zusammenfassung: Klassische Ansätze
4.2 Mittlere Ansätze
4.3 Neuere Ansätze
4.4 Zwischenbetrachtung: Theorietechniken
5. Techniktheorien
5.1 Radikale Ansätze der Technik- und Wissenschaftsforschung
5.2 Ein Akteurmodell für Cyborgs
5.3 Die Rekonfiguration von Subjektivität in Digitalen Spielen
5.4 Zwischenbetrachtung: Techniktheorien
6. Schluss
Literatur
Abbildungen
Inhaltsverzeichnis mit indexikalischer Ebene
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Postnukleare Handlungstheorie: Ein soziologisches Akteurmodell für Cyborgs [1. Aufl.]
 9783839428450

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Diego Compagna Postnukleare Handlungstheorie

Sozialtheorie

2014-11-24 08-34-58 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 022e383221782626|(S.

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4) TIT2845.p 383221782634

Diego Compagna (Dr. phil.), Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Universität Duisburg-Essen sowie am Institut für Philosophie der Universität Klagenfurt, ist als Berater im Bereich Demografischer Wandel und Zukunftsforschung der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH in Berlin tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Science and Technology Studies.

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Diego Compagna

Postnukleare Handlungstheorie Ein soziologisches Akteurmodell für Cyborgs

2014-11-24 08-34-58 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 022e383221782626|(S.

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Diese Arbeit wurde von der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen als Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. phil.) genehmigt. Namen der Gutachter: 1. Prof. Karen A. Shire (Ph.D.) 2. Prof. Dr. Ingo Schulz-Schaeffer Tag der Disputation: 29.08.2012

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2845-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2845-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2014-11-24 08-34-58 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 022e383221782626|(S.

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4) TIT2845.p 383221782634

Inhalt

Eine Leseanleitung als Vorwort | 7 1.

Einleitung | 19

2. Problemaufriss | 31 2.1 Zur Grundfiguration von Subjekt, Akteur und Soziales | 32 2.2 Zum Verhältnis von Technisierung und Artifizialität des Akteurs | 57 3. Beobachtungskonstruktionen | 65 3.1 Die Beobachtung und Kybernetik zweiter Ordnung | 69 3.2 Die Praxis der Sprachspiele | 86 3.2.1 Zweifel und Gewissheit beim späten Wittgenstein | 87 3.2.2 Descartes’ ‚methodischer‘ Zweifel | 96 3.2.3 Humes ‚pragmatische‘ Gewissheit | 103 3.2.4 Zusammenfassung: Die Praxis der Sprachspiele | 111 3.3 Der Nullwert als nicht hintergehbare Einheit der Differenz | 116 3.4 Zwischenbetrachtung: Beobachtungskonstruktionen | 124 4. Theorietechniken | 131 4.1 Klassische Ansätze | 133 4.1.1 Karl Marx | 134 4.1.2 Émile Durkheim | 143 4.1.3 Max Weber | 153 4.1.4 George Herbert Mead | 209 4.1.5 Zusammenfassung: Klassische Ansätze | 222 4.2 Mittlere Ansätze | 223 4.3 Neuere Ansätze | 243 4.4 Zwischenbetrachtung: Theorietechniken | 257

5.1 5.2 5.3 5.4

Techniktheorien | 265 Radikale Ansätze der Technik- und Wissenschaftsforschung | 266 Ein Akteurmodell für Cyborgs | 285 Die Rekonfiguration von Subjektivität in Digitalen Spielen | 316 Zwischenbetrachtung: Techniktheorien | 343

6.

Schluss | 349

5.

Literatur | 361 Abbildungen | 399 Inhaltsverzeichnis mit indexikalischer Ebene | 403

Eine Leseanleitung als Vorwort „Die arabischen Gelehrten scheinen, wenn sie vom Text sprechen, den wunderbaren Ausdruck der gewisse Körper zu gebrauchen. Welcher Körper? […] Die Lust am Text wäre nicht reduzierbar auf sein grammatisches (phäno-textuelles) Funktionieren, so wie die Lust des Körpers nicht reduzierbar ist auf das physiologische Bedürfnis. Die Lust am Text, das ist jener Moment, wo mein Körper seinen eigenen Ideen folgt – denn mein Körper hat nicht dieselben Ideen wie ich.“ BARTHES 1996: 25F

In Dirk Baeckers Aufsatzsammlung, die unter dem Titel „Studien zur nächsten Gesellschaft“ im Jahr 2007 erschienen ist, findet sich der kurze Aufsatz „Das Relativitätsprinzip“, in dem einige Formulierungen enthalten sind, die gleichsam als Motto der vorliegenden Abhandlung gelesen werden können. Einerseits betont Baecker, in Rekurs auf Giorgio Agamben, die künftig zunehmende Relevanz des „bloßen Lebens“ (Baecker 2007a: 227), andererseits stellt er – von einer imaginierten gesellschaftlichen Wirklichkeit einer ‚nahen‘ Zukunft aus betrachtet – die Inverhältnissetzung sozialer Akteure „mit Robotern, Avataren, Cyborgs und Hybriden“ (Baecker 2007a: 228) heraus. Die Konfrontation mit diesen Entitäten, ebenso „mit jenen robusteren Organismen, die nach der atomaren Katastrophe die Erde beleben“ (Baecker 2007a: 228), soll maßgeblich für die Selbstvergewisserung jener Entitäten, die sich gegenwärtig als soziale Akteure verstehen, nämlich Menschen, sein. Baecker möchte den Zeitpunkt dieser tiefgreifenden Verunsicherung nicht angeben und doch tut er genau das, indem er darüber schreibt. Seine Zeilen sind im besten Sinn performativ, da sie von einer Zukunft sprechen, von der aus die Gegenwart hinsichtlich ihrer so-

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zialen Verfasstheit neu ausgehandelt wird bzw. werden muss, die genau dann zu wirken beginnt, wenn darüber – als eine, wenn nicht gar die, relevante Zukunft – gesprochen wird: „Erst in der Wiedereintrittsformel der nächsten Gesellschaft, in der Reflexion darauf, was nicht relativ ist, auch wenn in der Welt alles relativ ist, kommt das zum Ausdruck, was in dieser Welt den Menschen beschäftigt, die er jetzt erst recht nicht mehr die seine nennen kann. Nicht relativ ist für den Menschen – in der nächsten Gesellschaft – wie in jeder vorherigen, aber das erkennt er erst jetzt – sein eigenes Leben. Orientiert an der scharfen Formel des ‚bloßen Lebens‘, auf das er sich in den Extremsituationen schon nicht mehr der modernen, sondern bereits der nächsten Gesellschaft laut Giorgio Agamben zurückgeworfen sieht (und bewusst lassen wir die Frage offen, wann denn nun die nächste Gesellschaft ‚begonnen‘ hat), […] entdeckt der Mensch sein wahres Leben, das darin besteht, dass sich an ihm bios und physis, psyche und sozius zwar nicht einzigartig, aber doch exemplarisch unterscheiden lassen. Von diesem Exempel, darauf setzen wir einstweilen, will auch die nächste Gesellschaft nicht lassen. Oder besser gesagt, dieses Exempel beschreibt den Einsatz, mit dem sich die Menschen am Spiel der nächsten Gesellschaft zu beteiligen gewillt sind. Schon dass eine solche Formulierung überhaupt möglich ist, markiert den Unterschied zu einer modernen Gesellschaft, für die und in der der Mensch keinen Moment zur Debatte stand, sondern mithilfe der Schaffung von und der Berufung auf Menschenrechte aus jeder Debatte herausgenommen werden sollte. Jetzt aber bekommen wir es mit Robotern, Avataren, Cyborgs und Hybriden oder auch mit jenen robusteren Organismen, die nach der atomaren Katastrophe die Erde beleben, zu tun, die uns schon jetzt aus einer Zukunft zuwinken, aus der wir zurückschauen können auf eine Vergangenheit, in der es noch Menschen gab.“ (Baecker 2007a: 227f)

Die vorliegende Abhandlung – und nicht zuletzt auch die programmatische Titelwahl – kann vor dem Hintergrund dieser Zeilen Baeckers gelesen werden: Als eine Rückund Vorschau auf die soziologische Theoriebildung, die theorieimmanenten Gründe einer ausschließlichen Prävalenz von ‚Menschen‘ als soziale Akteure, die darauf zurückführbaren ‚Verzerrungen‘ hinsichtlich der Beobachtung sozialer Wirklichkeit, die impliziten, ungleichheitsfördernden Effekte dieser ‚Eingrenzung‘ bzw. ‚-schränkung‘ und die zu erwartenden positiven Konsequenzen einer Öffnung dieses Konzeptes. Das vorgeschlagene Akteurmodell entfaltet seine größtmögliche Resonanz im Rahmen techniksoziologischer Theorien und kann auch zweifelsohne vor allem aus diesbezüglichen Debatten besonders einsichtig abgeleitet werden. Es verweist im Ergebnis allerdings auf sehr allgemeine soziologische Anliegen, sowohl in theoretischer als auch in empirischer Hinsicht. Die in diesem Zusammenhang wesentliche Unterscheidung von Subjekt und Akteur bringt unter anderem zum Vorschein, dass die Tatsache, dass das Subjekt eine besondere Form des sozialen Akteurs ist, in techniksoziologischen Perspektiven ‚vergessen‘ worden ist. Um dies angemessen nachzeichnen zu können, wird zunächst die Rolle des Subjektes in den soziologischen

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Theorien und deren disziplinspezifischer Genealogie thematisiert, indem das Verhältnis zwischen Subjekt und Akteur systematisch, mit Hilfe des strukturalistischen Theorems des „Nullwertes“ (Lévi-Strauss 1978: 39ff), reflektiert wird. Zur Gliederungssystematik und zum Textaufbau

Wenngleich keine programmatische Absicht einer ‚rhizomatischen‘ Ausarbeitung und vor allem Darstellungsweise bei der Verfassung dieses Textes vorlag, ist der Aufbau innerhalb der einzelnen (insbesondere dem sich den Theorietechniken widmenden, dritten) Kapitel nicht in einem ‚strengen Sinn‘ systematisch. So hangelt sich im dritten Kapitel die Darstellung der Theorien zwar entlang einer chronologischen Wiedergabe von den Klassikern hin zu neueren Theorien, diese wird jedoch immer wieder durch längere Einschübe und ausführlich dargelegte Verweise aufgebrochen. Dort, wo eine direkte Gegenüberstellung (bspw. von Weber und Luhmann) bzw. die Vorwegnahme einer techniksoziologischen Verarbeitung einer Theorie (bspw. die von Luhmann durch Halfmann und Esposito inmitten des Weber Kapitels) sich der Heuristik willen angeboten oder gar aufgedrängt hat, ist einem gegebenenfalls vorhandenen Bedürfnis nach einer konsequenten Einhaltung einer (in diesem Fall chronologischen) Darstellungssystematik nicht entsprochen worden. Auch innerhalb der in Unterkapiteln sortierten Darstellung der Klassiker finden sich breit angelegte Vergleiche jenseits der angezeigten ‚Ordnung‘ (bspw. zwischen Weber und Mead oder Marx und Durkheim). Dies hat wiederum zur Folge, dass einige Theorien über weite Teile des Textkörpers hinweg verteilt ‚besprochen‘ werden (bspw. Luhmann oder Goffman) und unter Umständen innerhalb des ‚eigentlich‘ für sie vorgesehenen Kapitels keine Erwähnung mehr finden (bspw. Luhmann, Goffman, Habermas oder Foucault). Die Formgebung entspricht damit – allerdings nur in Ansätzen – einer im Folgenden vertretenen Grundannahme, die in Deleuze’ und Guattaris Rhizom Metaphorik anklingt: „Wie bei allen anderen Dingen gibt es auch in einem Buch gliedernde oder segmentierende Linien, Schichten und Territorien; aber auch Fluchtlinien, Bewegungen, die die Territorialisierung und Schichtung auflösen. Die auf diesen Linien zunehmenden Fließgeschwindigkeiten führen zu Phänomenen einer relativen Verlangsamung, zu einer Zähigkeit oder aber auch zu Phänomenen der Überstürzung oder Unterbrechung. Das alles, die Linien und die meßbaren Geschwindigkeiten, bildet ein Gefüge […]. Ein Buch ist ein solches Gefüge und kann daher nicht zugeordnet werden. Es ist eine Mannigfaltigkeit – aber man weiß noch nicht, wohin dieses Mannigfaltige führt, wenn es kein Attribut mehr ist, das heißt, wenn es in den Status eines Substantivs erhoben wird.“ (Deleuze/Guattari 2002: 12)

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Die Konstatierung eines heterogen-fragmentierten, unabgeschlossenen Verweisgeflechts, das einen Text auszeichnen soll, und die – damit zumindest zur Disposition stehende – Entkoppelung dieses Geflechts von einem identifizierbaren Referenten, auf den diese ‚Mannigfaltigkeit‘ zurückgeführt – also ‚reduziert‘ – werden kann, und der dieser somit zugleich enthoben wäre, weist eine gewisse Entsprechung zur Akteur-Netzwerk-Theorie auf und deren Vorstellung von epistemischen Gebilden als heterogen zusammengesetzte (vgl. Rammert 2007a: 17; Haraway 1997: 125ff). Ein epistemisches Ding oder Objekt zeichnet sich also einerseits durch eine eigentümliche, ko-konstitutive Vernetzung oder Verknüpfung zwischen Akteuren und ‚Materialien‘ (Knorr-Cetina 1998: 98ff) bzw. Aktanten (Latour 1997) sowie andererseits durch ‚Unabgeschlossenheit‘ (Rheinberger 1997: 274) und ‚Deutungsoffenheit‘ aus: „Epistemische Dinge sind Dinge, denen die Anstrengungen des Wissens gilt – nicht unbedingt Objekte im engeren Sinn, es können auch Strukturen, Reaktionen, Funktionen sein. Als epistemisch präsentieren sich diese Dinge in einer für sie charakteristischen, irreduziblen Verschwommenheit und Vagheit.“ (Rheinberger 2006: 27)

Die Darstellung des ‚Textes‘ als ein zusammengesetztes Gefüge, das nicht zwingend auf eine Referentin rekurriert, die in der Regel als Subjekt figuriert und unter anderem dadurch hergestellt wird, erinnert zugleich an Beschreibungen des ‚Hypertextes‘. Eine Faszination des Hypertextes rührt gerade aus einer doppelseitigen Auflösungstendenz: Der nicht mehr eindeutigen Zuschreibbarkeit des Textes auf eine Referentin und dem ermöglichten ‚Sich-treiben-lassen‘ des Rezipienten (vgl. Barthes 1996: 29). Beide Seiten heben sich gegenseitig auf bzw. geben die fingierte Eindeutigkeit einer Subjekt-Objekt Beziehung auf. „Computer software for organizing networks of conceptual links, hypertext both represents and forges webs of relationships. Hypertext actively produces consciousness of the objects it constitutes. Practice makes perfect, in consciousness, as in agency. As any good technology does, hypertext ‚realizes‘ its subjects and objects. In short, hypertext is an ordinary bit of the materialdiscursive apparatus for the production of techno scientific culture. At its most literal and modest, hypertext is a computer-mediated indexing apparatus that allows one to craft and follow many bushes of connections among the variables internal to a category. Hypertext is easy to use and easy to construct, and it can change common sense about what is related to what. Helping users hold things in material-symbolic-psychic connection, hypertext is an instrument for reconstructing common sense about relatedness. Perhaps most important, hypertext delineates possible paths of action in a world for which it serves simultaneously as a tool and metaphor. Making connections is the essence of hypertext. Hypertext can inflect our ways of writing fiction, conducting scholarship, and building consequential networks in the world of humans and nonhumans.“ (Haraway 1997: 125f, vgl. 128f)

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Dieser Formgebung und der Tatsache, dass es sich hier nicht um einen Hypertext handelt, ist es geschuldet, dass der Textkörper neben drei hierarchisch angeordneten Ebenen auch von einer ‚indexikalischen‘ (vierten) Ebene gegliedert wird. Da diese letztgenannte Ebene dazu dient die weiter oben angesprochenen ‚Einschübe‘ zu kennzeichnen – die also quer zur Gliederungssystematik liegen – befinden sich diese ‚Überschriften‘ außerhalb der hierarchischen Benummerung und werden in einem gesonderten Inhaltsverzeichnis am Ende dieses Bandes nur mit Aufzählungszeichen abgesetzt. Wie bei einem ‚Index‘ üblich, ist die Kenntnis des inhaltlichen Zusammenhangs wesentlich für eine ‚angemessene‘ Verwendung. Diese vierte Gliederungsebene eignet sich also vornehmlich für das Auffinden bestimmter Textstellen nach der Lektüre. Der Verfasser hofft darauf, dass die Schlüssigkeit der Argumentation und die aufgrund einer ‚rhizomatisch inspirierten‘ Formgebung erhöhte Verweisdichte und (dadurch) weiter reichende Darstellungstiefe für die unter Umständen mit einer nicht konventionellen Systematik einhergehenden Mühen der Lektüre des Textes entschädigen. Kurzdarstellung der Argumentationsebenen

Den sozialen Akteur als Cyborg zu konzipieren, ist bei genauer Betrachtung eine sehr delikate Angelegenheit; zumindest wenn die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin diese Neudeutung überleben soll. Der Vorschlag einer Neuausrichtung – bzw. zumindest ‚Öffnung‘ für Alternativen – wird im Folgenden von verschiedenen, teilweise weit ausholenden, Seiten und Flanken aus angegangen. Dieser Abschnitt ist der Darstellung der im folgenden Text durchexerzierten Schritte und Argumentationsebenen für die Plausibilisierung und Konzipierung eines Akteurmodells für Cyborgs und der darauf aufbauenden Theoriebildung gewidmet. Damit ist die Hoffnung verknüpft, dass sich der gesamte Aufbau der Abhandlung schlaglichtartig verdichten lässt und auf diese Weise als hilfreiche Anleitung dienen könnte, um einen der möglichen Wege durch den Textkörper zu finden, der dem vom Verfasser beabsichtigten möglichst nahe liegt. Die insgesamt – grob sortiert – fünf voneinander unterscheidbaren Ebenen liegen innerhalb des Aufbaus und der Argumentationslinie der Arbeit nicht voneinander deutlich bzw. erst recht nicht systematisch voneinander getrennt vor: • • • • •

Sozialtheoretische Ebene (Gedächtnisgeschichte) Geistesgeschichtliche Ebene (‚Vorgeschichte‘ bzw. ‚äußerer Rahmen‘ der durchgeführten Gedächtnisgeschichte) Techniksoziologische Ebene (Abgrenzungsfolie und Problemgenese für die durchgeführte Theoriebildung) Sozialhistorische Ebene (Ereignisgeschichte) Konstruktive Ebene (Theoriebildung)

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Diese fünf Ebenen ergänzen einander derart, dass beispielsweise die geistesgeschichtliche Rekonstruktion der Genese des ‚Erkenntnissubjektes‘ herangezogen wird, um die sozialtheoretische Bezugnahme auf das Subjekt ideengeschichtlich zu verankern und zu plausibilisieren; die sozialhistorische Ebene liefert (größtenteils vorgezogene) Hinweise für die Stichhaltigkeit einer gegenstandsbezogenen Relevanz des vorgelegten Akteurmodells; und schließlich fließen wesentliche Hauptaussagen aller Ebenen in die konstruktiven Bemühungen einer eigenen Theoriebildung. Die Theoriebildung, also die Grundlegung eines soziologischen Akteurmodells für Cyborgs, geht in der Hauptsache auf die Thematisierung einer Unterscheidung zurück, die sich gleichsam als Ariadnefaden durch den gesamten Text zieht, nämlich die zwischen (selbstredend: modernem) Subjekt und sozialem Akteur. Die kurze Skizzierung der fünf Ebenen stellt einerseits den jeweiligen Zweck der Ebene heraus, indem sie auf die Frage, was mit dem Einschlagen gerade dieser Argumentationslinie beabsichtigt wird, antwortet; andererseits werden Kernthesen und zentrale Befunde erläutert. Die Darstellung erfolgt hierbei im Perfekt, da eine abgeschlossene Argumentationslinie in der Rückschau zusammengefasst wird. Sozialtheoretische Ebene

Der Vergleich soziologischer Theorien wird in Anlehnung an die Geschichtswissenschaften als Gedächtnisgeschichte bezeichnet. Sie weist zwar einige Parallelen zur Diskursanalyse auf, der Verfasser hat es jedoch vorgezogen eine disziplinfremde Vorgehensweise als groben Leitfaden anzuführen und zu verwenden, zumal die konkrete Methode des Vergleichs in Form einer ‚Aneignung‘ des Nullwerttheorems eigens für den hier angestrebten Theorievergleich entwickelt worden ist (vgl. zu den Parallelen Jäger 1993: 152ff; Landwehr 2004: 75ff; im Rahmen einer Anwendung prägnant dargestellt bei Voß 2010: 26ff). Das Hauptmotiv liegt hier in einer Gegenüberstellung zwischen den Klassikern und den darauf folgenden Ansätzen, wobei das Ziel verfolgt wird, die den Klassikern vielfach zugeschriebene bessere Integration von Technik im Rahmen ihrer Sozialtheorien zu erklären. Schließlich sollte es möglich sein, aus den gewonnenen Erkenntnissen Hinweise ableiten zu können, worauf es bei aktuellen Ansätzen ankommt, wenn es gilt, der Technik und technisierten Zusammenhängen besser gerecht werden zu können. Auf dieser Ebene bewegt sich die Argumentation allein in der Rekonstruktion von Theorien und deren Verweiszusammenhängen: Wie werden Theorien weiterverarbeitet, wie werden sie demzufolge ‚erinnert‘ und welche Problemlagen oder mögliche alternative Lesarten geraten dabei in Vergessenheit? Jedes Erinnern ist hierbei konstitutiv mit dem Nicht-Erinnerten verbunden, genauso wie jedes ‚neue Wissen‘ – im Sinne eines Wissenszuwachses – ein nicht einmal relativer, sondern inhaltsleerer Begriff ist, da nie angegeben werden könnte, welches ‚andere‘ Wissen ‚abhanden‘ gekommen ist bzw. schlicht ‚nunmehr fehlt‘ (vgl. Gadamer 1990: 21). Die Rekonstruktion hat dabei vor allem einen Aspekt

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fokussiert, der als Nullwert der gegenstandsbezogenen, beobachtungsleitenden Unterscheidung der Theorien gilt – wie haben Theorien ‚im Ansatz‘ den Gegenstand (das ‚Soziale‘) konstruiert? Das zur Anwendung gekommene strukturalistische Nullwertmodell dient allein diesem Zweck. Geistesgeschichtliche Ebene

Die nur in Ansätzen dargestellten Zusammenhänge hinsichtlich zentraler Merkmale der Neuzeit dienen hauptsächlich als grober Rahmen für die Thematisierung des Subjektes in den soziologischen Theorien. Zugleich stellen sie aber auch rückblickend Alternativen in Aussicht, die die sozialtheoretische Perspektive – insbesondere bezüglich der Aufnahme und Positionierung des Subjektes – als spezifische relativiert. Auf diese Weise sollen die Eigentümlichkeiten der soziologischen Perspektive klarer zum Vorschein kommen können. Techniksoziologische Ebene

Die techniksoziologischen Ansätze dienen hauptsächlich als Abgrenzungsfolie und einer spezifischen, subdisziplinaren Problemprofilierung für die Schärfung des eigenen Arguments bzw. des eigenen Standpunktes. Sie werden aus diesem Grund vorrangig – allerdings auch hier oftmals nur kursorisch – in den einleitenden Kapiteln angeführt. Ausführlicher werden lediglich die Ansätze besprochen, die sich der Überwindung der ‚Unartifizialität‘ des Akteurs bzw. seiner bevorzugten Position widmen. Diese Ansätze gelten der hier entwickelten Perspektive, bezüglich der Thematisierung von Technik in soziologischen Zusammenhängen, als unmittelbare Konkurrenz und Vorlage. Sozialhistorische Ebene

Im Unterschied zu der als Gedächtnisgeschichte charakterisierten ‚sozialtheoretischen Ebene‘, stellen die Anmerkungen hinsichtlich der historischen Rahmenbedingungen der Entstehung des Subjektes und des modernen Akteurs sowie zeitdiagnostischer Annahmen, soziologische Diagnosen bezüglich der ‚Ereignisgeschichte‘ dar. Hierbei geht es in der Regel allerdings nicht darum, nach einer Übereinstimmung der besprochenen Theorien mit den tatsächlichen Begebenheiten zu fragen, sondern vielmehr um die Einbettung der eigenen Theoriebildung in den Gegenstand, auf den diese gerichtet ist. Hier spielen insbesondere die Zusammenhänge zwischen dem Körper und dem modernen Akteur eine hervorgehobene Rolle: sowohl ontogenetisch auf der Ebene des Akteurs als auch phylogenetisch hinsichtlich einer Entsprechung auf der Ebene einer spezifisch modernen Form von Sozialität. Vor allem die theoretische Fundierung der Funktion des Dritten im Rahmen sozialer Wirklichkeitskonstitution

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in Verbindung mit der Cyborg-Metapher und der damit einhergehenden Kritik an körperbezogenen Praxen der Identitätsbildung, schlagen eine Brücke vom entwickelten Akteurmodell zu Gegenwartsdiagnosen. Das Modell vermag die Bedeutung des Körpers zu erklären, sofern diesem eine anwachsende Relevanz bei der Konstitution sozialer Wirklichkeit zukommt, die darauf angewiesen ist eine erfolgreiche und unkomplizierte Festlegung und -stellung der Entitäten bereitzustellen, die als legitime soziale Akteure in Betracht kommen. Diese sind bis auf weiteres ‚Menschen‘. Die historisch kontingente Herstellung dieser Entitäten als ausgezeichnete Elemente des Sozialen, die hier mit dem Begriff des ‚Subjektes‘ tentativ umschrieben worden ist, spielt in allen Ebenen eine tragende Rolle. Im Rahmen dieser Ebene sollte es darum gehen, konkrete Hinweise zu geben, wie der Akteur zum ‚Subjekt‘ geworden ist. Und insofern, inwieweit das vorgeschlagene neue Akteurmodell soziale Wirklichkeit derart zu erfassen und beschreiben in der Lage ist, um gerade diese Differenz in alltäglichen oder aber auch spezialisierten Praktiken zum Vorschein kommen zu lassen: Wie sich Akteure zu spezifisch ‚modernen‘ Akteur-Entitäten fortwährend herstellen und aufgrund eigentümlicher Mechanismen sozialer Wirklichkeitskonstitution hergestellt werden, sowie auf welche Weise diese Aspekte mit dem Körper und daran verknüpften Strukturkategorien wirken. Konstruktive Ebene

Die Theoriebildung fokussiert die Entwicklung eines Akteurmodells, das alle anderen Ebenen reflektiert: Ausgehend von den Ergebnissen der sozialtheoretischen Rekonstruktionen wird dem Element, das die Position (und damit Funktion) des Nullwertes einnimmt, eine erhebliche Bedeutung beigemessen. Hier stellte sich das Element des ‚Subjektes‘ in zweifacher Hinsicht als problematisch heraus: Zunächst musste dieses die Funktion eines vollwertigen Nullwertes im Zuge einer reflexiven Weiterentwicklung soziologischer Theorien einbüßen, weshalb neuere Ansätze ohne klare Nullwertposition auskommen und den Akteur als konstitutive Differenz zum Gegenstand konzipieren müssen. Dies führt dazu, dass der Akteur dem Sozialen derart gegenübergestellt wird, dass er zugleich ein- und ausgeschlossen ist. Eingeschlossen, da er als Produkt des Sozialen und somit ein Element des Gegenstandes darstellt. Ausgeschlossen, weil er zugleich die Beobachtung des Gegenstandes (des Sozialen) als dessen Differenzsetzung erlaubt. Dies führt unter anderem dazu, dass die Artifizialität des Akteurs nur unzureichend verarbeitet werden kann. Der zweite problematische Aspekt bewegt sich bereits im Bereich einer geistesgeschichtlichen und vor allem gegenstandsbezogenen, sozialhistorischen Ebene. Insofern das ‚Subjekt‘ als historisch kontingente, spezifisch neuzeitliche Form des Akteurs gelten kann, ist die Nullwertposition dieses Elementes im Prinzip ‚unglücklich gewählt‘ – sie erlaubte es zwar den Klassikern, den Akteur als artifizielle, technisierte

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Entität wahrzunehmen, verschloss ihnen aber zugleich die Sicht für die gegenstandseitig wirkenden Kräfte und Mechanismen, die den Akteur als Subjekt herstellen bzw. zu diesem werden lassen. Dies ist zwar neueren Theorien eher möglich, da das Subjekt nun ebenfalls dem Gegenstand (dem Sozialen) zugeschlagen und als dessen Produkt wahrgenommen wird, aber auch diese vermögen – aufgrund eines fehlenden ‚neutralen‘ Nullwertes – unter Umständen sehr grundsätzliche, diesbezügliche Zusammenhänge nicht zu erfassen. Die der techniksoziologischen Ebene entnommenen Hinweise hinsichtlich einer erkenntnistheoretisch reflektierten Überwindung der Geist-Materie-Differenz sowie der hierin zum Ausdruck kommenden (zuweilen als Strategien gedeuteten) Reifikationen zur Absicherung bestehender sozialer Ordnung, konnten in Verbindung mit der Emergenzfunktion des Dritten eine kongeniale Synthese hinsichtlich einer prospektiven Anwendung des vorgeschlagenen Akteurmodells eingehen. Der weitreichenden Bedeutung, die dem Nullwert beigemessen wird, ist versucht worden zu entsprechen, indem das ‚nackte Leben‘ als neuer Nullwert vorgeschlagen worden ist. Die bloße Tatsache des Lebens, die Zoë, kann aus verschiedenen Gründen als elementarste Gegenüberstellung zum Sozialen gelten. Wenn es ein ‚absolutes‘ Außen des Sozialen gibt, dann kann in der Zoë ein plausibler Kandidat für diese Position gesehen werden. Genauso grundlegend erscheint ‚innerhalb‘ des Gegenstandes die Funktion des Dritten für die Konstitution sozialer Wirklichkeit zu sein. Diese zwei Elemente sind prospektiv folgendermaßen miteinander verbunden worden: Zunächst vermag ein Akteurmodell, das im ‚Leben‘ seinen Nullwert findet, den Akteur völlig unvoreingenommen gegenstandseitig zu erfassen. Der Akteur kann als Mensch-Maschine gelten und umso schärfer aber auch als Nicht-Mensch-Maschine sondern als ‚verkörpertes‘ Subjekt erfasst werden. Das, was dem Akteur gegebenenfalls als Subjekt und natürlich-essenzialistischer Zuschreibung widerfährt, tritt bei der Anwendung eines Modells, das den Gegenstand in Opposition zum ‚bloßen Leben‘ erfasst, in vollem Ausmaß zum Vorschein. Diese formalen Annahmen hinsichtlich eines Akteurmodells, das im ‚Leben‘ seinen Nullwert findet, in Verbindung mit der Funktion des Dritten hinsichtlich der Konstitutionsdynamik des Gegenstandes führen zu der Annahme – und damit zum offensichtlichen Desiderat der vorliegenden Ausführungen –, dass es ‚gute Gründe‘ gibt, weshalb der Akteur nicht als Artefakt, sondern als Mensch ‚gilt‘, bzw. sowohl im Gegenstand als verkörpertes Subjekt beständig hergestellt wird als auch in den Sozialtheorien – auf die eine oder andere Art – auf den ‚Menschen‘ verweist. Diese ‚Gründe‘ zu explizieren und den gegebenenfalls daran gekoppelten, wirklichkeitskonstituierenden Auswirkungen im Gegenstand nachzugehen, sollte die Aufgabe künftiger Forschung auf der Grundlage des hier entwickelten Modells sein.

16 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Zum Gendering: Der Akteur, die Akteurin und das Cyborg

Das Geschlecht wird in loser Folge gewechselt; dort, wo dieses relevant sein sollte, wird es explizit kenntlich gemacht. Dies zeigt an, dass auch in dieser Hinsicht Form und Inhalt der Arbeit auseinanderklaffen: Genauso wie der Aufbau weit von einer konsequenten, rhizomatischen Darstellungsweise entfernt ist, wird – nach wie vor – von zwei distinkten Geschlechtern, die über den damit verknüpften Umweg einer biologischen Naturausstattung auf den ‚Menschen‘ verweisen, anstatt von Cyborgs die Rede sein (vgl. Hirschauer 1994: 681f). Schließlich soll es hier aber darum gehen, ein Modell vorzubereiten und vorzuschlagen, das zunächst zur Diskussion gestellt werden soll. Insofern erscheint es allein schon um der Anschlussfähigkeit willen nicht angebracht, das Vorzuschlagende im Vollzug des Vorschlagens bereits umzusetzen. Welche Figuren zum Kanon der Klassiker und Begründer der Disziplin ‚Soziologie‘ gehören, lässt sich schwer ausmachen. Konsens scheint es jedoch zu geben hinsichtlich der Personen Marx, Durkheim, Weber, Mead und Simmel. Insofern wird diesbezüglich nur von den Klassikern, und nicht von den Klassikerinnen die Rede sein. Neben dem Akteur kann es auch die Akteurin geben. Im Folgenden wird allerdings nur von dem Akteur die Rede sein, da der ‚Akteur‘ ein feststehender Begriff ist – oder vielmehr: Der Akteur ist ein epistemisches Objekt und kein ‚Gegenstand‘ in der Welt, von dem unter Umständen angenommen werden kann, dass es ihn ‚gibt‘. Genauso wie also ‚der Akteur‘ ein Konstrukt ist, ist es ‚das Cyborg‘. Mit dem Unterschied, dass das epistemische Konstrukt ‚Cyborg‘ (unter anderem) der Annahme einer Konstruiertheit des Unterschiedes zwischen dem Akteur und der Akteurin geschuldet ist (vgl. Hammer/Stieß 1995: 30). Allein schon deshalb erscheint es angebracht den Akteur als feststehenden Begriff zu führen. Danksagung

Danken möchte ich Lydia Wiedemann für die kritische Durchsicht des Textes sowie Nina Ogrowsky, Sophia Kleyboldt und Judith Engelke für die redaktionelle Unterstützung, meinen (inzwischen Ex-)Kollegen und Freunden Stefan Derpmann, Holger Herkle und Sam Zeini für die vielen Gespräche und über die Jahre zusammengekommenen wertvollen Hinweise, Anregungen und Anmerkungen, die in der einen oder anderen Weise in die Argumentation eingegangen sind. Den kritischen Nachfragen und der konstruktiven Skepsis des Zweitgutachters meiner Dissertation, Prof. Dr. Ingo Schulz-Schaeffer, habe ich die Schärfung einiger Argumentationslinien zu verdanken.

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ALS

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Eigenen Erkenntnisinteressen – die gleichwohl dem wissenschaftlichen Diskurs abgerungen sind und mit diesem selbstredend anschlussfähig bleiben sollten – nachzugehen, ist im Wissenschaftssystem ein hohes Gut, das zweifelsohne sehr selten und äußerst kostbar ist. Dass ich über viele Jahre eben dies tun konnte und hierbei zudem mit Nachdruck ermuntert worden bin, den unvermeidlichen Widerständen zum Trotz nicht von selbstgesteckten Zielen abzuweichen, habe ich meiner langjährigen Mentorin und Doktormutter Prof. Karen A. Shire (Ph.D.) zu verdanken. Ihr gebührt mein größter Dank.

1. Einleitung „Fächer entwickeln ihre eigenen Fragestellungen und wirken dadurch geradezu als eine Mnemotechnik des Vergessens in Bezug auf tiefere und allgemeinere Anliegen.“ ASSMANN 2007: 23

Das Verhältnis zwischen Soziologie und Technik ist vielfach als problematisch dargestellt worden. Von einer technikvergessenen (Rammert 1998a: 10; Schäfers 1997: 185f) oder gar technophoben (Degele 2002: 7) Soziologie ist die Rede, die die ‚Sachen‘ schlicht exkommuniziert habe (Linde 1972: 13). Die Darstellung – und in deren Folge Wahrnehmung – eines einseitigen und vereinfachenden Verständnisses von Technik in der Soziologie, geht mitunter auf die sich in den 80er Jahren etablierende, sozialkonstruktivistische Techniksoziologie zurück, die zur Schärfung des eigenen Profils die soziologische Sicht auf Artefakte als technikdeterministisch charakterisiert hat (Schulz-Schaeffer 2000: 26ff; vgl. Bijker et al. 1999: 3; MacKenzie/Wajcman 2010: xiv). Diese Einschätzung ist plausibel, wenn der hohe Stellenwert der Technik bei den Klassikern der Disziplin in Augenschein genommen wird (Rammert 1998a: 11ff), relativiert sich jedoch in Anbetracht der tatsächlich technikdeterministischen Prämisse der Technokratiedebatte (Marcuse 1968: 173; Stammer 1965: 161218) oder des Ausschlusses der Sachtechnik im Strukturfunktionalismus (Parsons 1991: 1-44), der die soziologische Theorielandschaft über Jahrzehnte dominiert hat (Berger 2002: 255; Habermas 2006a: 297) sowie allen folgenden, in dieser Tradition stehenden funktionalistischen Ansätze (Fuchs 2003: 95; Halfmann 1996: 116; Japp 1998: 226f; Luhmann 1996: 296ff). Von den Klassikern über die mittlere, vom Strukturfunktionalismus geprägte, Phase des „orthodoxen Konsensus“ (Giddens 1997: 25ff) hin zu neueren Ansätzen, die sich anschicken eine „Sozialtheorie der Technik“ (Schulz-Schaeffer 2000) zu formulieren, schält sich grob das Muster eines zunächst unproblematischen, sodann abwesenden und schließlich problematischen Verhältnisses der soziologischen Theorie

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zur Technik heraus (Dollhausen 1997; Rammert 1998a: 9f). Eine – vor allem industriesoziologische (Deutschmann 2002: 39ff; Mikl-Horke 2000: 159ff) – Beschäftigung mit Technik hat es freilich auch zu Zeiten des orthodoxen Konsensus gegeben, wie beispielsweise die arbeits- und organisationssoziologischen Studien des Tavistock Institutes oder Ogburns kulturwissenschaftlich inspirierte Studien zum Zusammenhang von Innovationen und kultureller (seiner These nach verspäteten) Einbettung Ende der 50er Jahre eindrücklich belegen (Emery/Trist 1972; Ogburn 1969). Auch auf der Gegenstandsseite muss eine Präzisierung erfolgen: Problematisiert wird von neueren theoretisch ambitionierten, techniksoziologischen Ansätzen das Verhältnis zur Sachtechnik bzw. der Gegenstandsbereich wird – bis auf wenige Ausnahmen (bspw. Heintz 1993: 234ff; Rammert 1993: 11) – auf Artefakte beschränkt und „Technik als Handlungsform“ (Degele 2002: 19f; Hennen 1992: 7f) ausgeschlossen. Ein triftiger Grund liegt ohne Zweifel in dem nicht nur erkenntnispolitischen (Marcuse 1968: 18, 172f; Winner 1986), sondern inhaltlich begründeten Bedürfnisses nach Trennschärfe zur Mutterdisziplin: „Es fällt auf, dass […] techniksoziologische […] Theorieperspektiven die Betrachtung technischer Gegenstände in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen rücken. Das ist kein Zufall. Immateriell verfasste Techniken, also Techniken in Gestalt spezifischer Handlungskompetenzen oder aufeinander abgestimmter Handlungsabläufe, lassen sich mit dem Begriffsapparat etablierter soziologischer Theoriebildung erfassen und sind dort bereits in vielfacher Hinsicht erfasst worden: als zweckrationales oder instrumentelles Handeln, als Form der Reduktion von Komplexität usw. […] Erst in der Auseinandersetzung mit Sachtechnik konnte die Techniksoziologie als spezielle Soziologie eigenständiges Profil gewinnen.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 11)

Die Fokussierung auf Sachtechnik kann zu großen Teilen als Erbe der sozialkonstruktivistischen Technikforschung angesehen werden. Diese verschaffte der Techniksoziologie eine Steilvorlage gegenüber konkurrierenden Subdisziplinen, gerade weil sie – in den Fußstapfen konstruktivistischer Wissenschaftsforschung tretend (vgl. Latour/Woolgar 1986; Knorr-Cetina 2002; Pickering 1981) – Sachtechnik als Produkt des Sozialen betont hat (Joerges 1995: 32). Damit handelte sich die noch junge bzw. im Entstehen begriffene Subdisziplin nicht nur eine zu starke Betonung des Sozialen ein, die den berechtigten Vorwurf nach sich gezogen hat, eine technikmit einer sozialdeterministischen Perspektive ausgetauscht zu haben (Hennen 1992: 41f), sondern schwerwiegender – und damit zusammenhängend – den Dualismus zwischen Handeln bzw. Kommunikation (Akteur bzw. Sozialsystem) auf der einen und Technik (Artefakt) auf der anderen Seite. Schließlich galt es den Nachweis zu erbringen, dass sich Technik (als das Andere des Sozialen) weder dem Sozialen aufdrängt noch unabhängig von diesem entwickelt, sondern vielmehr, ebenso wie soziale Institutionen, ein gesellschaftliches Produkt ist (vgl. Pinch/Bijker 1999; MacKen-

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zie 1999). Und als Produkt des Sozialen bleibt Technik in ‚orthodoxen‘, sozialkonstruktivistischen Studien nach wie vor dem Sozialen gegenübergestellt, gerade weil sie in der Sphäre des ‚Sozialen‘ ausgehandelt und geformt wird. Auf diese Weise führte gerade das Hineinholen der Technik in den Gegenstandsbereich der Soziologie zu einer – hier zunächst nur vorläufig dargestellten – beobachtungsleitenden Unterscheidung, die weniger in der zwischen Technik- vs. Sozialdeterminismus als vielmehr zwischen Akteur vs. Sachtechnik bzw. Sozialsystem vs. Technik besteht (Schulz-Schaeffer 2000: 48f). An den daraus resultierenden Unschärfen arbeitet sich der Großteil techniksoziologischer Ansätze ab, ohne jedoch die grundlegende Perspektive zu wechseln. Gerade weil dieser Blickwinkel nicht infrage gestellt wird, verdankt sich eine Vielzahl von Arbeiten der radikalen oder gemäßigten Überwindung dieses Gegensatzes (bspw. Belliger/Krieger 2006a; Halfmann et al. 1995; Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a). Diese Gegenüberstellung findet in neueren techniksoziologischen Theorien ihren Niederschlag, unabhängig davon, ob diese von einer schwachen oder starken Emergenz des Sozialen ausgehen. Genauso unterstreichen gerade jene Ansätze, die den Unterschied zwischen Technik und Sozialem gänzlich nivellieren möchten, diese Gegenüberstellung oder operieren ausschließlich auf der Grundlage dieser Differenz. Selbst der provozierende Versuch von Donna Haraway, durch den Ausruf „Cyborgs sind unsere Ontologie“ (Haraway 1995a: 34) jegliche den Akteur charakterisierende und damit fixierende Differenz kollabieren zu lassen, ist im techniksoziologischen Diskurs reifiziert worden (Orland 2005a: 11). Der exoterische Duktus von Haraways Ausruf erinnert an Friedrich Nietzsches Wort „Gott ist tot!“ (Nietzsche 1993: 138): Es ist ein Narr dem Nietzsche diese Worte in den Mund legt und es ist ein Manifest das Haraway proklamiert. Dass Gott nicht sterben kann und wir keine Cyborgs sind, ist offensichtlich. In beiden Fällen geht es vielmehr entweder um die Dekonstruktion einer bestehenden Wirklichkeitsauffassung bzw. Episteme oder um das Anzeigen, dass diese ins Wanken geraten ist (Abel 1994: 22; Deleuze 2001: 184ff). Stattdessen liegt es gerade in der epistemologisch radikalen Andersartigkeit solcher Positionen begründet, dass jeder Versuch, diese auf ihre Ausgangslage ins Verhältnis zu setzen, zu einer Reintegration in das bestehende Weltbild bzw. Selbstverständnis und damit Reifikation und Aushöhlung jener führt. Gott ist tot und wir sind Cyborgs kann nur gelten, insofern zugleich davon ausgegangen wird, dass wir weder in einer ‚Gottlosen Welt‘ leben noch ‚Personen‘ oder gar ‚Subjekte‘ als Cyborgs identifiziert werden können, denn das „cyborg ist ein verdichtetes Bild, das sowohl imaginäre als auch materielle Realitäten umfaßt.“ Es „taucht dann auf, wenn Grenzziehungen problematisch geworden sind: wenn die Eindeutigkeit des Menschlichen anderen Organismen gegenüber ins Wanken gerät.“ (Angerer 1999: 178)

22 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Die Aufladung des Akteurs (Heintz’ Studie als Beispiel)

Die umfangreiche und aufschlussreiche Studie von Bettina Heintz „Die Herrschaft der Regel – Zur Grundlagengeschichte des Computers“ (Heintz 1993) bietet sich an, um die Untiefen des Schismas zwischen Technik und Akteur bzw. Sozialsystem auszuloten. Heintz’ weit gefasster Technikbegriff, der Technik als Handlungsform mit einschließt, basiert auf einer wissenssoziologisch inspirierten, historischen Rekonstruktion der modernen Gesellschaft und der Entwicklungsgeschichte des Computers. Ihr beeindruckendes Fazit besteht in der Fundierung moderner Gesellschaftsformen und des Computers – als „defining technology“ (Heintz 1993: 206f) der jüngsten Vergangenheit – in der allgemeinen Orientierung an formaler Rationalität und der daraus folgenden „Algorithmisierung“ des Sozialen (Heintz 1993: 234ff). Obschon Heintz damit Soziales und Technisches parallelisiert, werden diese jedoch nicht synchronisiert. Es ist vielmehr das Soziale, das die Bedingungen für die Entwicklung und Diffusion des Computers als ‚defining technology‘ darstellt. Die Wandlung sozialer Kontexte macht zunächst die Entwicklung und sodann die Diffusion des Computers möglich, der seinerseits diese Entwicklung katalysiert (Heintz 1993: 154ff). Dass die für neuere Ansätze der Techniksoziologie maßgebliche Gegenüberstellung weder in einem angenommenen Determinismus der sozialen oder technischen Sphäre noch in einem Antagonismus zwischen dem materiell Gemachten und den in Aushandlungen über dessen Entwicklungs- und Anwendungsweisen verstrickten Akteuren, als vielmehr zwischen der Technik (auch als Handlungsform) und den Akteuren bzw. Sozialsystemen liegt, wird hier besonders deutlich: Das Soziale algorithmisiert bzw. technisiert sich zunächst ‚selbst‘ und begünstigt damit die exponentielle Verbreitung einer bestimmten dazu analogen Technik (Heintz 1993: 298f). Heintz’ Argumentation setzt die fundamentale Trennung von Technik als effektsteigernden, regelgeleiteten und gesicherten Ereigniszusammenhang auf der einen Seite und einem ergebnisoffenen und von Kontingenz charakterisierten Bereich des Sozialen auf der anderen Seite voraus: „Eine ‚Soziologie des Computers‘ hat, anders formuliert, an der Maschinenhaftigkeit des menschlichen Verhaltens anzusetzen – bzw. an den sozialen Bedingungen, die dazu führen – und nicht, wie einige Soziologen heute (und etwas allzu leichtgläubig) meinen, an der Menschenähnlichkeit des Computers.“ (Heintz 1995: 53f)

Damit entwirft sie ein zwar raffiniertes, aber letztlich rationalisierungsdeterministisches Panorama des Verhältnisses zwischen Sozialem und Technischem, das die grundsätzliche Spaltung zwischen Akteuren und Technik potenziert, insofern die zur ‚Technik gewordenen‘ Akteure in ihrer ‚eigentlichen Andersartigkeit‘ noch schärfer hervorgehoben werden. In ihrer Argumentation hält sie an einer essenzialistischen Subjekt-Kategorie fest, wonach menschliche Akteure sich durch Intentionalität und

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eine nur ihnen zukommende Kompetenz der Kontingenzreduktion mittels selektiver Erwartungs-Erwartungen auszeichnen. Dies lässt sie von der konsequenten Durchführung einer angestrebten funktionalistischen Beschreibung abrücken, wobei eine auf den ersten Blick vorhandene Synchronisation der zwei Bereiche zugunsten des vorausgesetzten Akteurkonzeptes unterwandert wird. Auf der einen Seite wird im „Idealfall […] das Verhalten des Arbeiters (oder des Soldaten) so weit rationalisiert und diszipliniert, daß es von außen betrachtet keinen Unterschied macht, ob nun ein Mensch die Arbeit ausführt oder eine Maschine.“ (Heintz 1995: 53) Auf der anderen Seite muss die Beobachterperspektive berücksichtigt werden, denn: „Es genügt, daß ich der Meinung bin, mein Gegenüber sei zu sinnhaftem Handeln fähig, ob dies auch tatsächlich der Fall ist, spielt keine Rolle. Dies mag zwar aus der Teilnehmerperspektive des Benutzers richtig sein, stellt sich aber aus der Beobachterperspektive der Soziologie anders dar. Auf dieser Ebene spielt es sehr wohl eine Rolle, ob man beiden Interaktionspartnern Intentionalität zuschreiben kann. Denn nur unter dieser Bedingung kann strenggenommen von ‚sozialem Handeln‘ gesprochen werden. Während beim Menschen gute Gründe für die Intentionalitäts-Vermutung sprechen, ist das gleiche beim Computer nicht der Fall: Computer weisen nicht die Eigenschaften auf, die sie aus der Perspektive der Interaktionstheorie zu sozialem Handeln befähigen würden – die Fähigkeit zu denken oder auch die Kompetenz, das eigene Verhalten aufgrund des erwarteten Verhaltens von alter auszuwählen […].“ (Heintz 1995: 54f)

Bezeichnend an dieser Darstellung ist einerseits die Bevorzugung einer funktionalistischen Perspektive (Heintz 1993: 255ff), mit der Heintz ihre Hauptthese stützt und entfaltet, sowie andererseits ein – in letzter Konsequenz – deutliches Abrücken davon. Wenngleich alle Elemente ihrer Argumentation sehr plausibel und anschaulich ausgeführt werden, wird die eine schlichte ‚Selbstverständlichkeit‘, dass es Akteure gibt und dass sie ‚menschlich‘ sind, als vorausgesetzt angenommen und nicht weiter begründet. Dabei fungiert die Beschreibung, dass diese aus der Beobachterperspektive der Soziologie als Wissenschaft intentional handeln, Kontingenz verarbeiten können und – dies muss unterstellt werden – dessen fähig sind, weil sie sich selbst durch Kontingenz auszeichnen als Konstituens für das Beschriebene. Die Argumentation ist hinsichtlich der Herstellung von Subjektivität als ausschließlich dem Menschen zukommende Akteureigenschaft in höchstem Maße performativ: Die notwendigen, semantischen Bedingungen, vor deren Hintergrund die Aussagen mit Sinn aufgeladen werden können, werden durch den Aussageninhalt hergestellt (Luhmann 1997: 23). Für die Annahme dieser drei Akteur-Eigenschaften gibt es mit Sicherheit viele (normative und nicht funktionalistische) ‚gute Gründe‘. Worauf es hier jedoch ankommt, ist das Nachzeichnen einer tiefen Spaltung zwischen Akteur und Technik, deren zunehmende Synchronisierbarkeit und Unentscheidbarkeit beispielsweise von Heintz bezüglich ihrer Aufrechterhaltung kunstvoll begründet und damit verteidigt wird.

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Das Wissen um die ‚Intentionalität‘ des Akteurs ist gerade aus einer soziologischen Perspektive irrelevant, sofern – Heintz’ Argumentation folgend – im Zuge funktionaler Ausdifferenzierung und eines fortschreitenden Rationalisierungsprozesses immer mehr soziale Kontexte derart formalisiert werden, dass die Handlungsabfolge als algorithmisch (also einem festen Ablauf-Schema folgend) beschrieben werden kann. Das Einzige, was hier zählt, ist: Wird das Verhalten von Alter als sozial anschlussfähig wahrgenommen oder nicht? Heintz’ Studie möchte doch gerade den sozialhistorischen Nachweis erbringen, dass dies verstärkt der Fall ist. Welche Sozialrelevanz hat dann noch das Wissen um die prinzipiellen Fähigkeiten des menschlichen Geistes? Und welches Interesse könnten Soziologinnen haben, Aussagen über die kognitiven Fähigkeiten menschlicher Entitäten zu treffen? Damit übernimmt Heintz in einem soziologischen Erkenntniszusammenhang und innerhalb einer vermeintlich funktionalistischen Argumentation einen subjekttheoretischen Standpunkt ein, der auf die ‚kopernikanische Wende‘ Immanuel Kants (Kant 1993: 20) verweist und damit geistesgeschichtlich dem neuzeitlichen Subjektbegriff zuzuordnen ist (Sturma 2003: 39f; vgl. Kant 1991: 19), wonach: „Ein Kennzeichen eigentlicher Autonomie besteht darin, prinzipiell nicht vorhersagbar zu sein. […] Hat eine Person mit spezifischen Dispositionen und Eigenschaften unter bestimmten Bedingungen verschiedene begründbare Handlungsoptionen zur Verfügung, dann ist prinzipiell – d. h. jenseits von bloßer Plausibilität – niemals vorhersagbar, für welche Option sie sich entscheiden wird. Wenn eine handelnde und eine zunächst nur beobachtende Person über dasselbe Wissen verfügen […], dann ist völlig unklar, wie die handelnde Person das Wissen vom Wissen des Anderen praktisch umsetzen wird. Handlungssituationen von eigentlicher Autonomie weisen dementsprechend hohe Komplexität auf. In ihnen spielen begründete Unstimmigkeiten […] zwischen Personen oder innerhalb von Reflexionsprozessen einer Person genauso eine entscheidende Rolle wie Erwartungen an andere Personen und die Übernahme ihrer Perspektiven.“ (Sturma 2003: 51)

Ähnlich argumentiert Barbara Becker, indem sie zwar einerseits feststellt, dass „die ambigue Schwellensituation des leiblich situierten Menschen […] die klassischen Dichotomien zwischen Subjekt und Objekt, Aktivität und Passivität, Fremdem und Eigenem“ (Becker 2003: 64) auflöst. Andererseits stellt auch sie die Dichotomie wieder her und plädiert für eine strikte Trennung zwischen dem ‚menschlichen Individuum‘ und künstlicher Intelligenz und/oder Robotik, denn jenes sieht sich zwar verstrickt in ein von Heteronomität geprägtes Gefüge, kann dieses jedoch „als antwortendes Ich“ reflektieren, darauf reagieren und Verschiebungen vornehmen (Becker 2003: 65, 67). Diese – sehr prägnanten – Beispiele demonstrieren den argumentativen Rückzug auf das ‚(Erkenntnis-)Subjekt‘ zur Aufrechterhaltung einer problematischen Unterscheidbarkeit zwischen Akteuren und Technik.

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Neuere, techniksoziologische Ansätze lassen sich zu großen Teilen entweder explizit als Versuche charakterisieren, diesen Dualismus zu überwinden – wobei die Vorschläge von radikal im Sinne einer gänzlichen Nivellierung bis hin zu gemäßigt durch abgestufte Handlungsmodelle verteilter Agency reichen (bspw. Belliger/Krieger 2006b; Rammert/Schulz-Schaeffer 2002b) – oder implizit bezüglich dessen positionieren (bspw. Dolata/Werle 2007). Technik- vs. Sozialdeterminismus: Die Widerspenstigkeit einer Inversionsstrategie (Passoths Studie als Beispiel)

Jan-Hendrik Passoth rekonstruiert hingegen auf der Grundlage einer anderen – als klassisch zu bezeichnenden – Folie in seiner Monografie „Technik und Gesellschaft“ die sozialtheoretische Auseinandersetzung mit Technik. Die von ihm gewählte Unterscheidung wiederholt die von den sozialkonstruktivistischen Studien der 80er Jahre inszenierte Gegenüberstellung von Technik vs. Gesellschaft. Er geht folglich zunächst von einer angeblich ausmachbaren schlichten Entwicklung von technik- zu sozialdeterministischen Sichtweisen aus (Passoth 2008: 14) und legt anschließend dar, dass sich bei genauerer Betrachtung das Verhältnis zwischen soziologischer Theorie und Technik in einer „Dichotomie zwischen aufeinanderfolgenden Varianten zweier unterschiedlicher Erklärungsmuster“ (Passoth 2008: 31, vgl. 239f) auflösen lässt. Mit dem Muster ‚Technizismus vs. Kulturalismus‘ wiederholt er auf einer wissenschaftshistorischen Ebene diese Gegenüberstellung und in dem Versuch „Technik sowohl als gesellschaftliches als auch als außergesellschaftliches Phänomen zu verstehen“ (Passoth 2008: 218) sieht er den zentralen Problembezug aktueller techniksoziologischer Bemühungen gespiegelt. Inwieweit mit ‚nur‘ einer Dichotomie 150 Jahre sozialtheoretische Thematisierung von Technik adäquat zu erfassen sind, kann freilich angezweifelt werden. Zumal es plausible Gründe gibt anzunehmen, dass gerade die Gegenüberstellung von technik- und sozialdeterministischen Sichtweisen zu großen Teilen auf das Profilierungsbedürfnis der im Entstehen begriffenen Subdisziplin in einer – der sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung entlehnten – sozialkonstruktivistischen Herangehensweise begründet liegt (Schulz-Schaeffer 2000: 26ff). Interessanter ist allerdings die durch die Wahl dieser Folie als Problembezug reproduzierte Differenz von Technik vs. Sozialem, die die Sicht für Alternativen versperrt und mit der neuere Entwicklungen nicht adäquat erfasst werden kann. Die von Passoth besprochenen Ansätze (Akteur-Netzwerk-Theorie, pragmatistisch- interaktionistische Technikforschung, Systemtheorie (Passoth 2008: 219-239)) gehen selbstredend allesamt davon aus, dass Technik ein soziales Phänomen darstellt. Deren Problembezug stellt vielmehr die Teilhabe der Technik am Sozialen dar; es geht also um Fragen der Handlungsträgerschaft von Technik. Passoths Monografie ist ein gu-

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tes Beispiel für einen widerspenstigen Anachronismus, der angesichts seiner offensichtlichen Antiquiertheit eine an sich schlichte Frage virulent werden lässt: Was ist so besonders am ‚Sozialen‘, dass es so schwierig erscheint, nicht-menschliche Entitäten daran teilhaben zu lassen? Die These hier lautet, dass nicht die Figur des ‚Sozialen‘, sondern die des ‚Akteurs‘ die Quelle für ein ‚problematisches‘ Verhältnis zwischen Sozialtheorien und technischer Teilhabe am Sozialen ist. Passoths eigenwillige (weil anachronistische) Rekonstruktion sozialtheoretischer Perspektiven auf Technik eröffnet den Raum für eine wissenschaftshistorische Betrachtung des Übergangs von der Unterscheidung Technik- vs. Sozialdeterminismus zu dem gegenwärtigen Problembezug Sachtechnik vs. Akteur. Diese Entwicklung kann als Folge einer normativen Inversion rekonstruiert werden. „Normative Inversion hält ein Bild des Anderen lebendig, weil es für die eigene kontradistinktive Selbstdefinition gebraucht wird.“ (Assmann 2007: 279) Die eigene Position erfährt eine Rechtfertigung bzw. eine ‚stabile‘ Kulisse performativer Wirklichkeitsentfaltung, „wenn man weiß, gegen wen man sich abgrenzt und was man hinter sich gelassen hat. Diese Form der Erinnerung ist aber vielmehr eine Mnemotechnik des Vergessens.“ (Assmann 2007: 279) In Vergessenheit geraten ist hier die Funktion der ersten Unterscheidung und das durch diese noch in Erinnerung Aufbewahrte. Sich an der Frage orientieren, ob Technik einen ex- bzw. endogenen Prozess des Sozialen darstellt, bedeutet zugleich die Erinnerung an die Perspektive der Klassiker aufrechtzuerhalten, wonach das Soziale (auch) als Technik gedacht worden ist. Technik tritt hier weder als außer- noch innersozialer Prozess in Erscheinung, stattdessen wird das Soziale (auch) als eine ‚Technik‘ konzipiert, nämlich als (institutionalisierte) Handlungstechnik (Durkheim), als Orientierungsfolie für sinnhaftes Handeln (Weber) oder gar als Interaktions-Entität im Rahmen eines symbolisch vermittelten, sozialen Sinnaufbau (Mead). Die Klassiker konnten folglich auf der Handlungsebene der Technik eine Teilhabe am Sozialen einräumen. Das Soziale als Technik zu begreifen gelingt hier – nicht nur, aber auch – im Rahmen einer ‚Technisierung‘ des Akteurs. Nachdem die erste Orientierungsfrage einer expliziten Thematisierung von Technik durch die sozialkonstruktivistische ‚Grundlegung‘ der Subdisziplin – mehr als ein halbes Jahrhundert später –, zugunsten des ‚Endogenen‘ entschieden worden ist und nunmehr herunterskaliert auf der Ebene der Handlungsträgerschaft neu in Erscheinung tritt, nimmt der Abstand zu der ursprünglichen Abgrenzungsfolie zu und ist gegebenenfalls gar in Vergessenheit geraten.

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Akteur vs. Technik als ‚neuer‘ Problembezug (vorläufige Inverhältnissetzung der Klassiker zu neueren Ansätzen und daraus abgeleitete Leitthese der Arbeit)

Die Gegenüberstellung von technik- und sozialdeterministischen Perspektiven, die mit der Unterscheidung zwischen (Sach-)Technik und sozialen Akteuren ausgetauscht worden ist, ist – im Gegensatz zu Passoths Annahmen – der Problembezug, an dem sich neuere Ansätze hauptsächlich orientieren. Das Festhalten an dieser Unterscheidung als Problembezug wird begünstigt von der technischen Entwicklung selbst, die nicht nur zunehmend ubiquitär, sondern auch immer kleiner, interaktiver und ‚anschmiegsamer‘ geworden ist (vgl. Rammert 2008a: 222ff; 2007b: 85ff; Krohn 1989: 37). So war es für die Klassiker der Soziologie noch einfach zwischen Akteur und Sachtechnik zu unterscheiden, wohingegen gegenwärtig diese Unterscheidung immer schwerer fällt und erhebliche Verunsicherungen zeitigt (Christen 2005: 213f). Gerade die durch eine faktisch zunehmende Durchmischung bewirkte Unentscheidbarkeit lässt das Bedürfnis nach Eindeutigkeit nicht nur dringlicher, sondern zu einem forschungspraktisch essenziellen Problem werden. Die politisch motivierte Argumentation von Jutta Weber, dass Geschlecht umso forcierter durch Wissenschaft und Alltagsdiskurse konstruiert würde, je beliebiger dieses aufgrund medizinisch-technischer Möglichkeiten und veränderter Lebensbedingungen geworden ist (Weber 2003a: 203f; vgl. Davis 2008: 47 Fn9), lässt sich auf die als notwendig erscheinende Unterscheidbarkeit von Akteuren und Technik – durchaus auch mit erkenntnispolitischen Konnotationen – übertragen. Dass Technik auf der Handlungsebene fokussiert behandelt und problematisiert wird, hängt also nur zum Teil damit zusammen, dass sie aufgrund ihrer Weiterentwicklung als Mithandelnde wahrgenommen und entsprechend beschrieben werden sollte (BraunThürmann 2003; Rammert 2008a), sondern mindestens ebenso mit einer fundamentalen Destabilisierung herkömmlicher soziologischer Akteurkonzepte (Haraway 1995a: 51ff). Neben der von techniksoziologischer Seite aus zu Recht diagnostizierten Verortung von Technik auf der Handlungsebene und der damit zusammenhängenden problematisch gewordenen Konzeption sozialer Akteure, gilt es zwei weitere Faktoren zu beachten, die die hier ins Zentrum gerückte Gegenüberstellung von Technik und Akteuren als ausgezeichneten Problembezug ausmachen und diese Darstellung rechtfertigen. Dabei spielt die bereits angesprochene, sozialkonstruktivistische Weichenstellung hinsichtlich der Subdisziplin ohne Zweifel eine nicht zu unterschätzende Rolle, und schließlich gilt es auch die Entwicklung der soziologischen Theorie als solche und ihren Einfluss auf diese Gegenüberstellung zu beachten. So hatte die Gründergeneration der Soziologie keine Schwierigkeiten, Sachtechnik und soziale Akteure in ihren Theorieentwürfen hinsichtlich ihrer Emergenz als auch Sozialrelevanz auf

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eine Ebene zu stellen. Die Rekonstruktion einiger Wegbereiter und Klassiker der Soziologie (Marx, Durkheim, Weber, Mead) hinsichtlich der Konzeption von Technik und Akteur soll zeigen, dass es insbesondere dem Verständnis von sozialen Akteuren als soziale Emergenz und deren Verhältnis zum Subjektbegriff geschuldet ist, dass diese der Technik eine den Akteuren ebenbürtigen Platz zuweisen konnten. Die Auffassung von sozialen Akteuren als ‚reine‘ Emergenz ist in der späteren Forschung – zumindest hinsichtlich einer techniksoziologischen Lesart soziologischer Theorien – verloren gegangen. Die Akteure haben sich – im Vergleich zur Technik – ihres sozialen Ursprungs bezüglich ihrer Position innerhalb der Theoriearchitektur emanzipiert, insofern sich ihr Verhältnis (als Effekt einer Differenzsetzung) zur Technik und zum Sozialen zum (Erkenntnis-)Subjekt hin verschoben hat. Diese Aussage erscheint angesichts radikalkonstruktivistischer Ansätze grob falsch. Auch diese können jedoch als Radikalisierung eines vom (voluntaristischen Handlungs-)Subjekt (Habermas 2006a: 304-351) ausgehenden Verständnisses des Sozialen aufgefasst werden. Das ‚Subjekt‘ wird zwar auf der einen Seite bezüglich des Gegenstandsbereiches exkommuniziert, auf der anderen Seite allerdings nicht nur als materielles Substrat, sondern ebenso als notwendige Differenz des Sozialen – und damit als konstitutives Element – stets mitgeführt. Dass infolge dessen gerade funktional-strukturelle, systemtheoretische Ansätze ein vergleichsweise emphatisches Verständnis vom Subjekt haben, wird nirgends so gut sichtbar wie bei der Relationierung dieser auf Mensch-Technik-Interaktion, insofern sich der In- respektive Exklusions-Status von Technik über die Teilhabe an der Ausdifferenzierung von sozialem aus psychischem Verstehen bzw. Sinn entscheidet (Japp 1998: 226ff; Luhmann 2008a: 45ff). Neuere Ansätze techniksoziologischer Theoriebildung sehen sich folglich mit einem Bündel an Problemlagen konfrontiert, die jedoch zu großen Teilen auf die grundlegende und erkenntnisstiftende Unterscheidung zwischen Akteuren und Sozialem zurückzuführen sind. Diese Einschätzung trifft – zumindest bezogen auf das daraus resultierende Verhältnis zur Technik – auch auf radikalkonstruktivistische Ansätze zu, die beispielsweise die sozialtheoretische Leitdifferenz ‚Teile-Ganzes‘ in eine ‚System-Umwelt‘ Differenz überführt haben (Luhmann 1996: 22). Diese Darstellung der Entwicklung soziologischer Systemtheorie trifft zwar freilich zu, verschleiert jedoch einen wesentlichen Unterschied: Da, wo die ‚Teile‘ in den Anfängen soziologischer Theoriebildung Sozialakteure bzw. ihrerseits ganz und gar Produkte ihres Gegenübers, des Sozialen, darstellten, werden diese angesichts einer zunehmenden Technisierung des Sozialakteurs entweder explizit zu ‚Subjekten‘ (Nieden 2003: 57) oder in Form von Bewusstseinssystemen implizit zu Marksteinen der SozialsystemUmwelt Differenz (Luhmann 1996: 18, 148ff). Die Lokalisierung der Technik und der Sozialakteure auf der Emergenz-Seite konnte den Klassikern gelingen, weil die Residualkategorie (Erkenntnis-)Subjekt, zwar zu einem Rest verkümmert, aber dennoch als unproblematisch gelten konnte.

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Die maßgeblich der Handlungsträgerschaft von Technik und allgemein der Frage des Verhältnisses von Handlung und Technik sich widmende Techniksoziologie (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a) weist auf die entstandene problematische Lücke hin: Der Akteur ist – in je sehr unterschiedlichen Weisen – mit Aspekten des (Erkenntnis-)Subjektes aufgeladen worden, die es sehr schwierig werden lassen, Technik in sozialtheoretischen Entwürfen ähnlich denen der Klassiker einzufangen. Die Frage nach der Handlungsträgerschaft würde demnach zum Symptom einer sozialtheoretischen Entwicklung mutieren, die entlang eines zunehmenden Kollabierens der Subjekt-Akteur Differenz nachgezeichnet werden kann. Die Hauptthese (und daraus abgeleitete Zielsetzung) der folgenden Ausführungen lautet demnach, dass es eines neuen Akteurmodells bedarf, das die Grundlage für einen neuen Handlungsbegriff abgibt. Für einen solchen Handlungsbegriff muss gelten, dass er zur Konstituierung seiner relativen Bedeutung vom Anker des (Erkenntnis- bzw. Handlungs-) Subjektes zu dem des (bloßen) ‚Lebens‘ umstellt (Baecker 2007a: 226ff). Diese Umstellung nimmt die Ein- und Zuordnung des Akteurs zur Technik der ersten Soziologen wieder auf, indem das Verhältnis zwischen dem Akteur und dem Sozialen neu justiert wird. Die Diagnosefolie, vor deren Hintergrund dies geschieht, wird von der Annahme getragen, dass in den Anfängen soziologischer Theoriebildung die Technik hinsichtlich ihres Emergenzstatus’ und ihrer Sozialrelevanz dem Akteur gleichgesetzt werden konnte. Zunehmend ‚veralltäglichte‘, ‚inkorporierte‘ und im Handlungsprozess eingelassene Technik, die zu Recht techniksoziologisch auf der Handlungsebene verortet und verhandelt wird, führt zu einer eigentümlichen Gegenüberstellung des Akteurs zum Sozialen, da soziologische Theorien ohne eine (wie auch immer geartete) Residualkategorie des (Erkenntnis-)Subjektes nicht operieren können. Der Versuch ein neues Akteurmodells zu entwickeln, verdankt sich unter anderem der Vermutung, dass die Bestrebungen, über Revisionen des Handlungsbegriffs dieser Sachlage gerecht zu werden, zwar punktuell Abhilfe schaffen können, dabei jedoch selbst Symptome eines problematisch gewordenen Akteurbegriffes sind.

2. Problemaufriss „Bei Hobbes ist der Staat das erste Artefakt, das nicht die Lebenssphäre in Richtung auf eine Kulturwelt anreichert, sondern ihren tödlichen Antagonismus beseitigt. Philosophisch ist an dieser Theorie nicht primär, daß sie das Auftreten einer Institution wie des Staates – und noch dazu des absolutistischen – erklärt, sondern daß sie die vermeintliche WesensBestimmung des Menschen als des ‚zoon politicon‘ in eine funktionale Darstellung überführt. Ich sehe keinen anderen wissenschaftlichen Weg für eine Anthropologie, als das vermeintlich ‚Natürliche‘ auf analoge Weise zu destruieren und seiner ‚Künstlichkeit‘ im Funktionssystem der menschlichen Elementarleistung ‚Leben‘ zu überführen.“ BLUMENBERG 1981A: 114F

Eine techniksoziologische Betrachtung der soziologischen Klassiker bringt, wie vielfach Erwähnung gefunden hat, ein verblüffend ‚unproblematisches‘ Einbinden von Technik in sozialtheoretische Entwürfe zutage (Degele 2002: 11; Linde 1972: 13ff; Rammert 1998a: 11ff). Eine differenztheoretische Auseinandersetzung bezüglich des Verhältnisses von soziologischer Theorie zur Technik zeigt sich als besonders fruchtbar, um diese – wie sich zeigen wird sehr plausible – Feststellung gerade im Vergleich zu neueren Theorien auszuleuchten. In diesem Lichte soll die im Folgenden durchgeführte Darstellung der sozialtheoretischen Entwürfe der Gründergeneration der Soziologie weniger als theoriegeschichtlicher Beitrag verstanden werden, sondern vielmehr als ein erster klärender Schritt für ein besseres Verständnis der gegenwärtigen sozialtheoretischen Situation. Wenn nämlich die Gründergeneration Technik und Soziales ‚selbstverständlich‘ gleichermaßen und sogar gleichgewichtig in ihren Theorieentwürfen verarbeiten konnte, so kann eine Antwort auf die Frage, worin

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dies gründet, durchaus erhellend sein für das als ‚problematisch‘ wahrgenommene Verhältnis gegenwärtiger Theorieentwürfe zur Technik (Dollhausen 1997: 96ff; Halfmann 1996: 14ff; Schulz-Schaeffer 2000: 9f). Eine differenztheoretische Perspektive vermag gerade in dieser Hinsicht eine plausible Argumentation zu entwickeln. Die Wahl einer differenztheoretischen Perspektive ist demzufolge allein einer heuristischen Zielsetzung geschuldet und muss folglich im Lichte der durch diese Wahl ermöglichten Erkenntnisse bewertet werden. Die dargestellten Zusammenhänge werden also weder erschöpfend noch ihrem ‚Wesen‘ nach entsprechend dargestellt, vielmehr wird lediglich angenommen, dass sie sich auf diese Weise gewinnbringend beschreiben lassen. Diese Einschränkung trifft auf alle differenztheoretischen Ansätze zu, die nicht von zeitinvarianten Strukturen ausgehen, wie beispielsweise der klassische soziologische Strukturalismus von Claude Lévi-Strauss (Derrida 2003: 434ff; Dosse 1999: 44ff). Mit dem Attribut ‚postontologisch‘ versehene differenztheoretische Ansätze wissen um die arbiträre Setzung einer ersten Unterscheidung und insofern um die relative Wahrheit, die sich in deren Folge entfalten lässt (Clam 2002: 25ff; Kimmerle 2000: 18ff). Diese knappe Skizzierung der hier eingenommenen Perspektive reflektiert einen Eckpfeiler der zu entwickelnden Argumentation, nämlich die Thematisierung des jeweiligen Standpunktes, von dem aus eine Theorie entfaltet wird.

2.1 Z UR G RUNDFIGURATION VON S UBJEKT , AKTEUR UND S OZIALES Die hier vertretene und im Folgenden zu erläuternde These sieht maßgeblich in dem explizit oder implizit dargestellten oder angenommenen Verhältnis zwischen Akteur und Sozialem den Schlüssel zur mehr oder weniger möglichen Einbeziehung von Technik in sozialtheoretischen Entwürfen. Insofern wird es weniger darum gehen, darzustellen, was die jeweiligen Sozialtheorien unter Technik verstehen, als vielmehr wie sie den zu untersuchenden Gegenstand insgesamt beobachten (Luhmann 1994: 68ff). Unter Einnahme einer solchen Perspektive schält sich, chronologisch betrachtet, zunächst eine den Theorien implizite Leitdifferenz der beobachtungsleitenden Unterscheidung heraus, deren Verschiebung und anschließendes Kollabieren im Fokus der vorliegenden Arbeit steht. Der Wirklichkeitswissenschaft ‚Soziologie‘ liegt die Unterscheidung Akteur vs. Soziales zugrunde. Diese Unterscheidung wird möglich aufgrund der unterstellten Unterscheidbarkeit von Subjekt vs. Akteur. Die vornehmlich von radikalkonstruktivistischen Ansätzen vorgenommene Verschiebung zur System-Umwelt Differenz (Luhmann 1996: 22) wird hinsichtlich der Themati-

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sierung von Technik insofern im Folgenden dekonstruiert, als die Sozialsystem-Umwelt Differenz einer Subjekt-Sozialsystem Differenz bedarf, von der jene getragen wird. Die zentralen Begriffe dieser zwei Gegensatzpaare sind facettenreich und nehmen unterschiedliche Färbungen an. Insbesondere die in erster Näherung dem Sozialakteur implizit zugrunde liegende Differenz ‚Subjekt vs. Akteur‘ ließe sich hinsichtlich der in sozialtheoretischen Entwürfen (in der Regel) nicht aktualisierten Seite der Differenz mannigfaltig umschreiben: Erkenntnis-, Handlungs-Subjekt, Gattungswesen ‚Mensch‘, Individuum, etc. Der Versuch einer expliziten Charakterisierung ist hinsichtlich der Klassiker weder notwendig noch im Sinne einer exakten definitorischen Beschreibung möglich, da das als ‚Subjekt‘ bezeichnete bei genauer Betrachtung vielmehr den Status eines Nullwertes einnimmt, also eines sinnstiftenden Zentrums der von diesen entwickelten Argumentation, welches als ‚leerer‘ Signifikant – ohne einer Differenz innerhalb der Signifikantenstruktur – sinnleer bleibt (Deleuze 1992: 45). Die im Anschluss an die nächsten Absätze präsentierten Beispiele einer schematischen Darstellung von Differenz- und Nullwert-Matrizen wird als Instrument der Visualisierung die gesamte Arbeit begleiten. Hierbei handelt es sich freilich um in höchstem Maße abstrahierende Veranschaulichungen, in denen, wenn sie sich auf bestimmte Theorien beziehen, das Subjekt (entweder als reines Nullwert- oder Differenz-Element) und der Akteur (als eine Seite der gegenstandsbezogenen Differenz) mit jeweils einem Attribut (bspw. Bedürfnissubjekt, Kreatives Subjekt, Voluntaristisches Akteurmodell, Interpretatives Akteurmodell etc.) versehen werden. Diese erheben nicht den Anspruch einer definitorischen Setzung, sondern dienen schlicht einer schlagwortartigen, sehr groben Umschreibung der jeweiligen Ansätze. Die zunächst als Leitdifferenz ‚Subjekt vs. Akteur‘ identifizierte Fundierung klassischer Entwürfe soll in der folgenden Argumentation strukturalistisch, und nicht kybernetisch oder systemtheoretisch als Nullwert der gegenstandsbezogenen Leitdifferenz aufgefasst werden. Der Unterschied zwischen diesen zwei möglichen Lesarten soll durch eine schematische Darstellung veranschaulicht werden. Es folgt zunächst die differenzsystemtheoretische Variante: Abbildung 1: Beispiel-Matrize: Beobachtung zweiter Ordnung und das Verhältnis zwischen Subjekt, Akteur und Soziales Akteur

Subjekt

Soziales

Akteur

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Die im Zuge einer Beobachtung zweiter Ordnung als Leitdifferenz des ‚Akteurs‘ beobachtbare Unterscheidung ‚Subjekt vs. Akteur‘, wird hier und im Folgenden jedoch als Nullwert beschrieben: Abbildung 2: Beispiel-Matrize: Das Subjekt als Nullwert für die gegenstandsbezogene Differenz von Akteur und Soziales

Akteur

Soziales

Subjekt

Das Subjekt als ‚Einheit der Handlung‘ und als paradigmatische Figur der Moderne wahrzunehmen bzw. darzustellen, hat eine lange Tradition, die in der Regel im Zusammenhang mit der Umstellung von einem theistischen zu einem neuzeitlichen Weltbild gesehen wird. Hierbei fungiert das Subjekt als Erkenntnissubjekt, das die verloren gegangene, transzendente Fundierung und Garantie von wahrer Erkenntnis ‚auf sich nehmen‘ und damit ‚gewährleisten‘ muss. „In dem Gedanken, daß das Bewußtsein eine Einheit sei und daß seine Elemente kohärent seien, ist eine Problemstellung enthalten, die ganz besonders in Deutschland in grandioser Konsequenz zu Ende gedacht wurde. Hier tritt an Stelle einer außer uns seienden, immer mehr unübersichtlich werdenden, in unendliche Mannigfaltigkeit zerfallenden Welt ein Welterleben, dessen Kohärenz garantiert ist durch die Einheit des Subjektes, das die Prinzipien zumindest der Weltformung nicht einfach hinnimmt, sondern […] weitgehend aus sich erzeugt. Nachdem die objektiv ontologische Einheit des Weltbildes zerfallen war, versucht man sie zunächst vom Subjekt her zu retten. An die Stelle der mittelalterlich-christlichen objektiven Welteinheit tritt die verabsolutierte Subjekteinheit der Aufklärung: das ‚Bewußtsein überhaupt‘.“ (Mannheim 1995: 61, vgl. 13, 29)

Eine herausragende Bedeutung für diese Umstellung nimmt im Rahmen abendländischer Ideengeschichte Descartes’ (noch ganz und gar einem theistischen Begründungszusammenhang verhafteter) Grundlegung einer ‚Erkenntnisgarantie‘ des ‚menschlichen Geistes‘ ein, die unter anderem mit einer mindestens genauso grundlegenden Auftrennung der geistigen von der materiellen Sphäre einhergeht, auf die weiter unten näher eingegangen wird (Descartes 1992; vgl. Ihde 2002: 73f). Descartes’ Weichenstellung für das Erkenntnissubjekt auf der Grundlage des Schismas von Geist und Materie, die ‚unnatürliche‘ Natur des Menschen in Hobbes’ Staatstheorie

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sowie Blumenbergs Weiterführung dieser Argumentationsfigur durch die Aufhebung einer ‚natürlichen‘ Anthropologie und dem Vorschlag eines Gegenentwurfs in Form einer die Artifizialität des Menschen in Rechnung stellenden ‚Anthropologie‘, werden die gesamte Arbeit als drei miteinander verflochtene Fäden begleiten. Die Darstellung und Einschätzung dieser Umstellung und die damit verbundenen Implikationen können im Einzelnen weit auseinandergehen. Für das hier anstehende Vorhaben reicht es allerdings aus, zunächst nur zwei Stränge voneinander zu unterscheiden, wenngleich im Fortgang des Textes weitere Schattierungen und Nuancierungen diese zwei ‚groben‘ Varianten weiter anreichern werden. Eine Variante hebt die erkenntnistheoretischen Implikationen hervor und somit die auf das Subjekt übergehende Herstellung von Weltdeutung und damit einhergehenden Problemen der Selbstreferentialität und Kontingenz von Erkenntnis und letztlich von Wirklichkeit, auf die unter anderem im Unterkapitel zur Beobachtung und Kybernetik zweiter Ordnung näher eingegangen wird (vgl. aus einer philosophischen Perspektive bspw. Borsche 1997). Die andere Variante setzt den Schwerpunkt auf die Herstellungspraxen des Subjektes, die es maßgeblich auszeichnen sollen. Die mit Subjektivierung und Subjektivation umschriebene Perspektive fasst folglich das Subjekt vielmehr als Substantivierung eines Merkmals bestimmter Praxen, die erst zur Ausbildung eines als Subjekt sich herstellenden Individuums führen (vgl. bspw. Butler 2010: 35ff; Habermas 2008). Hier wird unter Subjektivierung einerseits „Subjektwerdung, wodurch in bestimmten sozialen Rollen Subjektstatus beansprucht werden kann“ verstanden, sowie andererseits der „Vorgang der Unterwerfung unter die normativen diskursiven Regeln, die diesen Status konstituieren“ (Villa 2010: 203 Fn*; vgl. Butler 2010: 8; Wetzel 2004: 252). Aus dieser letztgenannten Perspektive sind Individuum und Subjekt nicht identisch: „In ihren Schriften unterscheidet Butler klar zwischen Subjekten und Individuen, wobei die ersteren eine Art adretter und ordnungsgemäß intelligibler diskursiver Positionen darstellen, letztere hingegen gewissermaßen unordentliche Komplexitäten. Subjektpositionen werden in sozial anerkannten und gültigen sozialen Titeln wie Frau, ManagerIn, Vater, Schwuler/ Lesbe, SoziologIn usw. zum Ausdruck gebracht, die in hohem Maße von Normen konstituiert werden. Folgen wir Butler […], so verkörpern Personen Normen nicht unmittelbar. Normen regulieren vielmehr die Bedingungen, unter denen konkrete Handlungen von konkreten Personen intelligibel, d. h. anerkennbar sind […].“ (Villa 2010: 204; vgl. Butler 2010: 15f)

Weiter unten wird in dem Unterkapitel, das sich den vorbereitenden Schritten für die Formulierung eines Akteurmodells für Cyborgs widmet, näher auf die Schwierigkeit dieser im Zitat anklingenden Unterscheidungen eingegangen. Hier soll zunächst und lediglich vorläufig festgehalten werden, dass soziologisch betrachtet, der Blick auf das, was hinter dem Subjekt liegt, in eine dunkle und unwegsame Gasse weist, aus der kein argumentativ verhandelbarer Weg führt. Eine Entität im sozialen Raum zu

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erkennen, bedeutet sie in irgendeiner sozialrelevanten Hinsicht markieren zu können. Entscheidend ist hier also nicht, ob etwas vor dem Subjekt oder gegebenenfalls ‚immer noch‘ unter oder hinter ihm lauert. Wenngleich es an dieser Stelle einer Setzung gleichkommt: Auch die Klassiker hatten nicht das Individuum in seiner ungehobelten, irgendwie natürlichen ‚Reinform‘ im Rahmen ihrer Ansätze in der NullpunktPosition verankert, sondern das ‚Subjekt‘ als typisch und spezifisch moderne Form des Akteurs. Selbst Mead, bei dem im Rahmen seines Akteurmodells das Element ‚I‘ als Nullwert identifiziert werden wird – darauf wird ausführlich einzugehen sein – hat kein essenzialistisches, den ‚Menschen‘ in seinem ‚vorsozialen‘ Zustand charakterisierendes Element gemeint. Die Parallelisierung mit Freuds Element ‚Es‘, das im Rahmen eines psychoanalytischen Modells das Unbewusste ‚repräsentiert‘, ist vor allem deshalb irreführend und falsch, weil Freud von einem essenzialistischen Kern des ‚Menschen‘ ausgegangen ist, wohingegen in Meads Theorie die Identität der Person sich nur im Wechselspiel mit sozialer Wirklichkeit herausbilden kann. Das heißt, die Erfahrung des ‚I‘ setzt die Gegenüberstellung zum ‚Me‘ voraus (und umgekehrt). Wenngleich auch Freud das ‚Ausdividieren‘ der Elemente der Person in Ich, ÜberIch und Es als ‚Ergebnis‘ einer kulturellen Leistung – und zugleich einer nicht unerheblichen ‚Anstrengung‘ (vgl. 2000a) – darstellt, geht sein Modell von einer statischen, essenzialistisch-anthropologischen Setzung – der ‚Libido‘ (vgl. bspw. 1994: 44ff) – aus, um die herum sein Persönlichkeitsmodell – durchaus an gesellschaftlichkulturelle Faktoren gekoppelt (vgl. 2000b) – gestrickt ist. Anders argumentieren Mead und erst recht die anderen soziologischen Klassiker (mit einer Ausnahme, Marx, dem insofern der Rang eines soziologischen Klassikers nicht unbedingt gebührt – dazu später mehr): In deren Theorien lässt sich zwar eine Differenz zwischen dem Subjekt und dem Akteur konstatieren, das Subjekt ist aber nicht anders als der Akteur ein Effekt (oder Produkt) des Sozialen. Damit soll nicht behauptet werden, dass anthropologische Texte soziologischen Theorien nicht zugrunde liegen würden (vgl. Honneth/Joas 1980), sondern dass sich im Rahmen einer Auseinandersetzung mit soziologischen Theorien herausstellt, dass diese ‚Fundierungen‘ einem Zweck dienen und keine explizite Bestandteile der Theorien darstellen (in einem engeren Sinn verhaltenstheoretisch-reduktionistische Ansätze freilich ausgenommen; vgl. bspw. Homans 1972a). Lindemann weist darauf hin, dass anthropologische Annahmen entweder (explizit wie implizit) dem Zweck dienen, den ‚Menschen‘ als sozialrelative Entität zu bestimmen, um damit zugleich eine soziologische Perspektive zu ‚legitimieren‘, oder die in der Regel nicht thematisierte ‚Begrenzung‘ des Feldes des Sozialen auf den bzw. vielmehr die ‚Menschen‘ unausgesprochen vorauszusetzen: „Die zwei Hinsichten, in denen Soziologie auf anthropologische Annahmen rekurriert, lassen sich als Antworten auf zwei Fragen verstehen: ‚Was ist der Mensch?‘ und ‚Wer ist ein Mensch?‘ Die Frage nach dem Was betrifft die oft implizit gehaltenen Wesensbestimmungen, die das

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Umweltverhältnis als spezifisch menschlich charakterisieren. Die Frage nach dem Wer betrifft die unausgesprochene Voraussetzung, daß Soziologie sich mit menschlichen Gesellschaften befaßt und nicht etwa mit der Vergesellschaftung von Tieren oder von Göttern. Das Verhältnis von Soziologie und Anthropologie ist, je nachdem um welche der beiden Fragen es geht, unterschiedlich. Die Frage danach, was der Mensch ist, wird in der philosophisch orientierten anthropologischen Diskussion thematisiert. […] Dabei erweist sich der Mensch in doppelter Weise als ein geschichtliches Wesen, denn in die historischen Veränderungen des Umweltverhältnisses von Menschen ist auch die Veränderlichkeit ihrer Selbstdeutung eingeschlossen. […] Innerhalb der Soziologie findet eine explizite Thematisierung der Frage nach dem Was nicht statt […]. Entweder implizit oder explizit schließt soziologische Forschung bzw. Theoriebildung an die Annahme an, das Wesen des Menschen sei nicht festgelegt, sondern müsse erst durch die historisch-gesellschaftliche Praxis hervorgebracht werden.“ (Lindemann 1999: 165f)

Das ‚Subjekt‘ als Nullwert in Opposition zum Akteur zu thematisieren, heißt also nicht ein Element aus dem ‚soziologischen Nirwana‘ zu beschwören – wie beispielsweise das Individuum in Opposition zum Subjekt oder die Person in Opposition zum Akteur (Gegenüberstellungen, die in Villas Wiedergabe der Charakterisierung des ‚Subjektbegriffes‘ von Butler enthalten sind). Genauso geht der Vorschlag ein Akteurmodell vorzustellen, das in vielerlei Hinsicht dem konventionellen Akteurbegriff entspricht, auf die ‚konservative‘ Überzeugung zurück, dass das Soziale ein Raum geregelter, rekursiver Praxen darstellt, dass folglich Webers Begriff der Sozialen Beziehung und Luhmanns (negativ gewendetes Korrelat dessen) Begriff der Doppelten Kontingenz nach wie vor den Gegenstand der Disziplin hinreichend klar charakterisieren (vgl. Lindemann 1999: 177). Daran zu rütteln, ist sozialtheoretisch unvernünftig und widersprüchlich – auch hierauf wird weiter unten im Zuge der Darstellung eines Akteurmodells für Cyborgs detaillierter einzugehen sein. Von zwar sozial hergestellten (also: wesentlich artifiziellen), aber nichtsdestotrotz zweifelsfrei identifizierbaren (sowie situierten) Entitäten auszugehen, die als fokale Elemente im sozialen Raum wirken, weicht das vorzuschlagende Modell nicht im Mindesten ab. Das Subjekt als historisch kontingente Sonderform des Akteurs: Der Körper des Menschen und die ‚Natur‘ des Akteurs

Anders ausgedrückt: Das ‚Subjekt‘ ist genauso ein Konstrukt, wie es der Akteur ist, nur dass das Subjekt – anders als der Akteur – auf den ‚Menschen‘ als ein biologischmateriales, in spezifischer Weise verkörpertes Gebilde verweist. Das ist der – einerseits analytisch gesetzte – Hauptunterschied dieser zwei Begriffe, der jedoch hinsichtlich der historischen Rekonstruktionen der Herausbildung des modernen Akteurs (als Subjekt) und der konstatierbaren Zunahme körperbezogener Praxen eine

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gegenstandsbezogene Entsprechung erfährt – darauf wird im Verlauf der Arbeit immer wieder einzugehen sein. Unabhängig von den reichhaltigen Hinweisen bezüglich einer gegenstandsbezogenen Entsprechung, die diese Unterscheidung rechtfertigen, lässt sich in den Theorien dieser Bezug herausarbeiten. Hier geht es weniger um die Frage, ob die Theorien richtig liegen, sondern im Rahmen einer theoriegeschichtlichen Rekonstruktion lediglich darum, auf welche Weise Sozialtheorien diesen von den Klassikern ‚angelegten‘ Unterschied weiter verarbeitet haben. Auf diesen zwei Ebenen operiert die folgende Argumentation: In dem Kapitel zu den Theorietechniken wird zumeist auf der Ebene einer reinen ‚Gedächtnisgeschichte‘, also der Art und Weise, wie Sozialtheorien weiterverarbeitet und folglich ‚erinnert‘ werden, argumentiert. So auch im darauf folgenden Kapitel, das sich den Techniktheorien widmet, besonders im Hinblick auf eine Entsprechung dieser zentralen Begriffe zum thematisierten Gegenstand ‚gesellschaftliche Wirklichkeit‘ (zusätzliche Reflexionsschleifen hinsichtlich möglicher Effekte einer „doppelten Hermeneutik“ (Giddens 1997: 46f) werden in der Regel nicht unternommen und bleiben somit unberücksichtigt). Worum es hier geht, ist also auf die materiale Basis des (historischen) Konstruktes ‚Subjekt‘ hinzuweisen: Diese musste von den Klassikern in dem Gegenstandsbereich partiell nicht mitgeführt werden, wohingegen neuere Ansätze der Postgründergenerationen immer stärker zwischen Akteur und Subjekt nicht unterscheiden (können) und dabei die materiale Basis, den Verweis auf den ‚menschlichen Träger‘, nicht abgelegt haben. Ein Akteurmodell, das das Leben als Nullwert hat, verbindet immer noch den Akteur mit einem organischen Substrat, um diesen von rein technischen Agenten unterscheiden zu können, bildet diesen aber gegenstandseitig als hybride Entität ab bzw. vermag diesen als Cyborg zu beobachten. Einerseits ist das organische Substrat noch vorhanden, das an den ‚menschlichen Träger‘ erinnert, andererseits sind aber auch die auf den menschlichen, verkörperten Träger gekoppelten Merkmale, auf die der Begriff des ‚Subjektes‘ verweist, fluider und im Prinzip verhandelbarer. Zumindest im Prinzip lässt sich der Akteur nicht mehr auf den Menschen als organisches Wesen reduzieren (was er zudem ja auch nie gewesen ist). Vor allem der Körper des Akteurs bricht auf und gilt nicht mehr als Demarkationslinie des Akteurs. Insofern möchte das hier entwickelte Akteurmodell zwar ohne das Subjekt (als verkörperten menschlichen Akteur) auskommen, der Akteur als Cyborg behält aber weitestgehend die grundlegenden Konstitutionsmerkmale des Subjektes als ausgezeichnetes Element des Sozialen bei. Eine frühe implizite Thematisierung der Differenz von Subjekt und Akteur findet sich in Mannheims Grundlegung der ‚Wissenssoziologie‘. Der infolgedessen zumindest im Ansatz beide hier beschriebenen Seiten des Begriffs ausleuchten konnte. Neben der weiter oben zitierten Passage, die für eine Thematisierung des Subjektes als Erkenntnissubjekt fungiert, hat Mannheim auch die Entstehungsbedingungen des modernen Akteurs fokussiert und in diesem Zusammenhang das Subjekt als Produkt

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einer bestimmten sozialen Wirklichkeit dargestellt, wenngleich der Schwerpunkt eindeutig auf der erkenntnistheoretischen (aber nach Mannheim gesellschaftlich notwendig gewordenen) Transformation liegt: „Der Protestantismus setzte zu Beginn der Neuzeit an die Stelle des offenbarten Heils, das durch die objektive Institution der Kirche garantiert war, den Begriff der subjektiven Heilsgewißheit. Diese Lehre nahm an, daß jede Person sich nach eigenem subjektiven Gewissen entscheiden könne, ob ihr Verhalten Gott wohlgefällig sei und zum Heile führe. Der Protestantismus subjektivierte so ein bisher objektives Kriterium; dem entsprach, daß die moderne Erkenntnistheorie sich von einer objektiv garantierten Seinsordnung aufs individuelle Subjekt zurückzog. Es war kein großer Schritt von der Lehre von der subjektiven Heilsgewißheit zu einer Psychologie, in der allmählich die sich zu echter Wißbegier entwickelnde Beobachtung seelischer Prozesse wichtiger wurde als das Horchen auf die Heilskriterien, die die Menschen früher in ihrer eigenen Seele zu entdecken suchten.“ (Mannheim 1995: 31; vgl. die im Rahmen von Subjektivierung auf dieser Grundlage weitergeführte Argumentation bspw. bei Hahn 1982; Foucault 2004a: 39f)

Es wird ersichtlich, dass Akteur und Subjekt aufeinander verweisen und dennoch voneinander unterschieden werden können. Im Rahmen einer rein analytischen Setzung kann das Verhältnis (missverständlich, aber instruktiv) so beschrieben werden, dass soweit es vor der Moderne und Neuzeit bereits soziale Gebilde gegeben hat, die als Gemeinschaften oder Gesellschaften beschrieben werden können, der Akteur dem Subjekt vorangeht. Diese ‚Setzung‘ ist falsch, insofern der ‚Akteur‘ (hierfür gibt insbesondere Mannheim eine erste, sehr frühe eindringliche Folie ab) der historischen, gesellschaftlichen, erkenntnistheoretischen usw. Entwicklungen bedarf, die zur Bildung der Entität führen, die als Subjekt bezeichnet wird, um als solcher identifiziert und klassifiziert zu werden. Dieser zirkuläre Bedingungszusammenhang (und damit Argumentationsfigur) soll im Folgenden aufgebrochen werden, weil davon ausgegangen wird, dass er aufbrechbar ist, dass also innerhalb soziologischer Theoriearchitekturen beide Elemente als voneinander unterscheidbar vorkommen. In den Ansätzen der Klassiker lässt sich diese Differenz explizit herausarbeiten, wohingegen in den Ansätzen der Postgründergenerationen die Differenz ins Schwanken gerät und problematisch wird. Nichtsdestotrotz können beide Varianten sowohl bei den Klassikern als in den darauf folgenden Ansätzen identifiziert werden. So kann Webers Akteur als Ergebnis einer Subjektivierungsleistung dargestellt werden, von dem das Subjekt unterschieden werden kann. Wohingegen Foucaults Akteur mit dem Subjekt – ebenfalls als Ergebnis von Subjektivierungspraxen – zusammenfällt, weshalb sich eine direkte Gegenüberstellung dieser beiden Ansätze (im Weber-Unterkapitel) anbietet. Die Argumentation der folgenden Kapitel wird also plausibilisieren müssen, dass es vernünftig ist, bei der Darstellung soziologischer Theorien von dieser Differenz auszugehen bzw. diese auch im Zuge der Rekonstruktion neuerer Ansätze

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aufrechtzuerhalten, unabhängig davon, ob das Subjekt als neuer Träger und Garant von Erkenntnis oder als Ergebnis von Individualisierungspraxen wahrgenommen wird und unabhängig davon, ob die Differenz offen zutage tritt (Klassiker) oder, von diesen Darstellungen abgeleitet, in den neueren Ansätzen herausgearbeitet wird. Die Hauptthese der Arbeit steht und fällt mit der Identifizierbarkeit dieser Differenz (ganz gleich, ob das Subjekt als Nullwert beschrieben werden kann, oder erst recht dann, wenn es ‚nur noch‘ als Quasi-Nullwert charakterisiert werden wird). Das Subjekt als Nullwert: Matrizen als Instrument einer schematischen Visualisierung

Die Entscheidung, die durch eine Beobachtung zweiter Ordnung ermöglichte ‚Beobachtung‘ der Einheit der Differenz der beobachteten Beobachtung (erster Ordnung), in einen Nullwert münden zu lassen, ist von erheblicher Bedeutung: Durch die Verschiebung des Nullwertes ‚Subjekt‘ hin zur Differenz des ‚Akteurs‘ in den Entwürfen der Postgründergenerationen, wird jener mit Sinn aufgeladen und somit Teil der sozialtheoretischen Argumentation. Es ist dieser grundlegende Wechsel der Position innerhalb der Struktur, der es schwierig werden lässt, Technik ebenso ‚unproblematisch‘ einzubinden, wie es den Klassikern noch möglich war. Diese Veränderung im Differenz-Gefüge baut bildlich gesprochen ‚von unten‘ her einen Sinn auf, der bis ins Soziale hineinragt, das nunmehr keinen Differenzbegriff zu einem Akteur, der als Emergenz des Sozialen aufgefasst werden kann, darstellt, sondern vielmehr einen Differenzbegriff (auch) zum ‚Subjekt‘. Das Subjekt weist als gegenstandsbezogenen Differenzbegriff zum Akteur eine neue Wertigkeit auf, die mittelbar eine Thematisierung von Technik problematisch werden lässt. Mittelbar deshalb, weil mit einer gegenstandsbezogenen Subjekt-Akteur Differenz der Akteur nicht mehr allein dem Sozialen, sondern ebenso dem Subjekt gegenüber in ein relationales Verhältnis gesetzt wird – womit sich also (folgenschwerer) die Wertigkeit des Akteurs ebenfalls ändert. Wie gezeigt werden soll, führt die Implosion des Subjektes als Nullwert in den Ansätzen der Postgründergenerationen entweder zu einer ‚Verschmelzung‘ (bzw. einer zweiten, im Gegensatz zur ersten dieses Mal ‚gegenstandsbezogenen‘, Implosion) der Subjekt-Akteur Differenz, denen der Akteur als Subjekt gilt oder zu einer ‚Beibehaltung‘ der Differenz – jedoch entweder als einer im Gegenstand sich ‚konstituierenden‘ (besonders prägnant bei Goffman) oder einer innerhalb der Theoriearchitektur explizit (und konstitutiv) verhandelten (paradigmatisch hierfür ist Luhmanns funktional-strukturelle Systemtheorie). Die Matrizen zeigen diese Unterschiede rudimentär an. Da diese, wie bereits erwähnt, die gesamte Argumentation als Hilfsinstrument begleiten werden, sollen hier die wichtigsten Elemente und deren grafische Kodifizierung erläutert werden:

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Starke Umrandung = Element befindet sich auf der Gegenstandsebene und/oder wird explizit thematisiert und spielt innerhalb der Theoriearchitektur eine konstitutive Rolle. Schwache Umrandung = Element befindet sich innerhalb der Struktur ‚unterhalb‘ (außerhalb) der Gegenstandsebene bzw. des von der Theorie explizit Thematisierten. Grauer Hintergrund = Element hat eine Nullwertfunktion – diese kann sich entweder außerhalb der Gegenstandsebene befinden (schwache Umrandung, Klassiker) oder sich innerhalb der Gegenstandsebene bzw. des explizit Thematisierten befinden (starke Umrandung, Ansätze der Postgründergenerationen). Grauer Hintergrund und starke Umrandung = Element weist in der Regel eine Quasi-Nullwertfunktion auf – hier fallen insbesondere drei Varianten auf, von denen nur zwei in den Matrizen visualisiert werden: 1. Die Subjekt-Akteur Differenz wird innerhalb der Theoriearchitektur explizit behandelt und erweist sich als konstitutiv für die Thematisierung bzw. Beobachtung des Gegenstandes (bspw. Luhmann, Foucault). 2. Die Subjekt-Akteur Differenz implodiert gegenstandseitig, insofern der Akteur als Subjekt thematisiert wird (bspw. Parsons, Habermas, Blumer). 3. Oder es handelt sich um eine im Gegenstand identifizierte Differenz (bspw. Goffman, Foucault); in diesem Fall handelt es sich um einen im Gegenstand als empirisches Datum rekonstruierten Nullwert, das mit dem Konzept des frei flottierenden Signifikanten umschrieben werden kann.

Zwischen den Varianten 1. und 2. wird in den Matrizen unterschieden, indem bei 1.) die Elemente in zwei verschiedenen Kästen ‚getrennt‘ bleiben, wohingegen bei 2.) sich diese innerhalb eines Kastens befinden. Bei diesen zwei Varianten handelt es sich um Elemente, die eine Nullwertfunktion haben, obwohl sie keine Nullwerte sind; sie entsprechen weitestgehend der bereits angesprochenen Qualität eines Quasi– Nullwertes. Bei der 3. Variante (die in den Matrizendarstellungen unberücksichtigt bleibt) handelt es sich zwar um ein Element, das ‚strukturalistisch‘ als Nullwert beschrieben werden kann, für den hier behandelten Sachverhalt sich dennoch nicht wesentlich von den anderen zwei Varianten unterscheidet. Es handelt sich hierbei um Unterschiede innerhalb verschiedener Nullwert-Auffassungen, die weiter unten – sofern für diese Arbeit relevant – besprochen werden. Gerade hinsichtlich dieser drei verschiedenen (Quasi-)Nullwert Varianten, die das ‚Subjekt‘ als Differenz zum Akteur einnehmen kann, sind die Grenzen fließend, und nicht immer ausreichend eindeutig. Wenngleich die Matrizen nicht alle drei Varianten abbilden, gibt auch die Darstellung der 1. oder 2. Variante oft lediglich eine Tendenz wieder. Sie ist allerdings ausreichend ‚stark‘, um verschiedene Arten der Darstellung in den Matrizen zu recht-

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fertigen. Insbesondere die Trennlinie zwischen der 1. und 3. Variante löst sich hingegen je nach eingenommener Perspektive sogar gänzlich auf, weshalb Foucault beiden ‚Varianten‘ zugeordnet werden kann und diese (3.) Variante im Gegensatz zu den anderen zwei (1. und 2.) in den Darstellungen unberücksichtigt bleibt. Um die zuweilen ohnehin kontraintuitive Argumentation nicht zusätzlich zu überfrachten, ist in besonders uneindeutigen Fällen nur auf eine Zuordnung hin diese ‚zugespitzt‘ worden (bspw. Foucault: 1. Variante, Goffman: 3. Variante). An dieser Stelle soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass trotz dieser Unterschiede (Varianten 1. bis 3.), die Auswirkungen auf die Berücksichtigung von Technik im Rahmen des hier thematisierten Zusammenhangs ähnlich problematisch ausfallen. Das Subjekt als Nullwert: Implosion und Verschiebung innerhalb der Struktur

Die Klassiker haben ähnlich wie zeitgenössische Sozialtheorien das Bedingungsverhältnis bezüglich des Gegenstandes einhellig aufgefasst und dargestellt, wonach der Akteur als Produkt des Sozialen aufzufassen sei (vgl. Heintz 2004). Bis auf wenige reduktionistische Ansätze wie die Verhaltenstheorie Homans und in dieser Tradition stehende Ansätze (Homans 1972b: 50ff; Vanberg 1975: 239ff), müssen auch Rational Choice Ansätze, insofern sie sich ernsthaft auf den methodologischen Individualismus berufen (bspw. Esser 2000: 134f), in letzter Konsequenz dieser Grundannahme subsumiert werden (vgl. Bourdieu 2008: 87ff; Schützeichel 2008: 370). Der Unterschied zwischen den klassischen Entwürfen und den daran anschließenden liegt in einer subtilen, aber – zumindest für die Thematisierung von Technik – folgenschweren Verschiebung des Nullwertes, der der Beobacht- und Darstellbarkeit des Bedingungsverhältnisses ‚Akteur vs. Soziales‘ zugrunde lag, hin zu der explizit in Erscheinung tretenden Leitdifferenz ‚Subjekt vs. Akteur‘. In konsequenter – und teilweise sicherlich auch verkürzten – Fortführung der sozialtheoretischen Arbeiten der Gründergeneration ist deren Nullwert, das ‚Subjekt‘, nunmehr als Differenz zum ‚Akteur‘ mit Sinn aufgeladen und unter die gegenstandsbezogene Leitdifferenz geschoben worden. Die Soziologie als Wissenschaft ist einerseits reflexiv geworden, denn sie hat die gewonnenen Erkenntnisse konsequent und damit zwangsläufig (auch) auf sich selbst angewendet. Andererseits spielt sich die Reflexivität zu großen Teilen innerhalb einer bestimmten Lesart der Klassiker ab, die zum Bild einer zunehmend selbstbezüglichen Sozialtheorie führt, insofern diese als Verarbeitung einer idiosynkratischen Problemgenese rekonstruiert werden kann. Reflexivität und die Erzeugung einer gewissen ‚Pfadabhängigkeit‘ hinsichtlich einer bestimmten sozialtheoretischen ‚Reaktion‘ auf das Reflexivwerden sowie die damit verknüpften, neu entstehenden Problemfelder katalysieren die hier dargestellte Implosion des Nullwer-

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tes. Im Rahmen der weiter unten behandelten Theorien kommt die Verknüpfung dieser zwei Faktoren in den Übergängen von Weber über Parsons zu Habermas und Münch besonders deutlich zum Tragen. Die (neue) Leitdifferenz ‚Subjekt vs. Akteur‘ bildet zugleich, sofern die Konsistenz sozialtheoretischer Argumentation bewahrt sein soll, den Abschluss der Argumentationskette und nimmt somit eine unmögliche Position ein, nämlich die eines Quasi-Nullwertes, der abermals implodiert. An dieser Stelle sollen zunächst vorläufig die Eckpunkte der Argumentation angerissen werden: Ein ahistorisches Subjekt außerhalb des untersuchten Gegenstandes, also jenseits des ‚Sozialen‘ kann es nicht geben. Wenn es ein Subjekt der Geschichte geben soll, so muss dieses dem Akteur zugerechnet werden; die Leitdifferenz ‚Subjekt vs. Akteur‘ als Ebene unterhalb dessen verflüchtigt sich und muss fortwährend durch die Theorien wieder hergestellt werden. Abbildung 3: Beispiel-Matrize: Das Subjekt als Nullwert und die Thematisierung von Technik (Klassiker) Akteur

Soziales

Technik

Technik

Subjekt

Das in den Theorien der Gründergeneration als Nullwert fungierende Element ‚Subjekt‘ wird aufgrund einer reflexiv gewordenen sozialwissenschaftlichen Theorieentwicklung als Differenz zum Akteur verstanden: Abbildung 4: Beispiel-Matrize: Auflösung des Subjektes als Nullwert und dessen ‚Verschiebung‘ hinsichtlich der Thematisierung von Technik (Übergang Klassiker zu Post-Gründergenerationen) Akteur

Soziales Technik

Subjekt

Akteur

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Damit ist der Akteur – je nach Theorie – entweder nur mittelbar (starke Emergenz) oder unmittelbar (schwache Emergenz) mit dem, wovon es different gesetzt wird, (Subjekt) gekoppelt. Das ‚Subjekt‘ wird folglich positiv oder (in der Regel) negativ als konstitutives Merkmal in der Argumentation mitgeführt. Als Einheit der Differenz, die zur Thematisierung des Sozialakteurs befähigt, stellt dies zunächst keinen nennenswerten Unterschied zur Struktur der Klassiker dar, in der das Element ‚Subjekt‘ die Position eines Nullwertes eingenommen hatte. Ein Unterschied stellt sich erst ein, wenn es gilt Technik zu thematisieren, da Technik nicht dem Subjekt gegenübergestellt werden kann, da diese Argumentationsfigur das Subjekt auf die ‚gegenüberliegende‘ Seite des Sozialen katapultieren würde, insofern der Akteur mit Technik vollständig synchronisiert werden könnte und womöglich sogar müsste. Die Thematisierung von Technik würde zur ‚Verlegenheit‘ einer positiven Markierung des Subjektes als Differenz zum Akteur (und des Sozialen gleichermaßen) innerhalb der (auf diese Weise hoch problematisch werdenden) Argumentation führen. Vergleich zwischen Heintz und Weber über das Verhältnis des Akteurs zur Technik als Beispiel für die Leitthese der Arbeit

Die weiter oben dargestellte Argumentation von Heintz’ Studie zu den Entstehungsbedingungen des Computers gibt ein gutes Beispiel für diese ‚schwierige‘ argumentative Gratwanderung ab: Die Soziologie beschäftigt sich freilich mit Akteuren, und nicht mit Bewusstseinssystemen oder Erkenntnissubjekten oder dergleichen; falls Akteure und Technik auf derselben Ebene soziologisch untersucht werden sollen, und sich zugleich die Bedeutung dessen, was als Akteur gilt, im Gefüge der theoriekonstitutiven Signifikantenstruktur sich aufgrund einer Differenzsetzung zum Subjekt herstellt (das nunmehr als Effekt einer Differenz zum Akteur sich seinerseits konstituiert, seine ‚Nullwert-Qualität‘ also verloren hat), so würde die andere Seite der Form, jenes, wovon sich Akteure und Technik unterscheiden – das Subjekt – Teil dieser Argumentationsfigur werden und das Feld des Sozialen ‚kontaminieren‘. Der Akteur als Akteur wird folglich unter der Hand mit Merkmalen ausgestattet, die eigentlich dem Subjekt zukommen. Heintz entscheidet sich hierbei offensiv für eine Rettung durch Separierung hinsichtlich des Merkmals der Kontingenzerzeugung und -verarbeitung, das letztlich auf eine essenzialistische bewusstseinsphilosophische Kategorie verweist. Sie verlässt damit die von ihr selbst gewählte und sonst konsequent verfolgte funktionalistische Perspektive, die gerade die Vorteile einer soziologischen Perspektive gegenüber einer philosophischen markieren soll – so beispielsweise ihre überzeugende Darstellung der Besonderheiten des Turing-Tests als eine vielmehr soziologische denn bewusstseinsphilosophische oder psychologische Versuchsanordnung (Heintz 1993: 234ff). An dieser Stelle kann ein kurzer (und vorläufiger) Vergleich zu Webers Darstellung des Akteur-Technik Verhältnisses als prägnantes Beispiel für die Hauptthese

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dieser Arbeit herangezogene werden. Im krassen Gegensatz zu Heintz stellt Weber Akteure als durch und durch ‚technisierte‘ dar. Er behauptet gar, „ihr Verhalten sei zuverlässiger voraussagbar als das einer Maschine“ (Weber 1988a: 64f). Eine Einschätzung, die Weber äußern konnte, weil in seinem Entwurf – im Gegensatz zu Heintz – das ‚Subjekt‘ weder als Differenz zum Akteur in ‚Erscheinung‘ tritt und so erst gar nicht mit diesem in eins fiel. So ‚gebeutelt‘ Webers modernes ‚Subjekt‘ auch sein mochte, es befand sich als Element einerseits außerhalb der soziologischen Argumentation und hatte trotzdem als Nullwert einen weitreichenden Einfluss auf diese. In Heintz’ Argumentation müssen dem Akteur (als Akteur) Merkmale zugeschrieben werden, die ihn zugleich als Subjekt kennzeichnen. Dies hängt damit zusammen, dass das Subjekt als Element der Argumentation abwesend und anwesend zugleich ist: Abwesend, weil es aus einer funktionalistischen Perspektive nicht um Eigenschaften, die dem Subjekt zukommen gehen kann; anwesend, weil der Akteur als Element verschwinden würde, wenn es der Technik ‚gleichgemacht‘ würde. Die gegenstandsbezogene Leitdifferenz ‚Akteur vs. Soziales‘ bedarf einer weiteren ihr untergelegten Differenz. Solange das Subjekt seine Qualität als Nullwert-Element in der Signifikantenstruktur aufweist, bringt eine Synchronisation von Akteuren und Technik die Leitdifferenz nicht in Gefahr (weshalb Weber Akteure als die zuverlässigere Technik beschreiben konnte). Wenn das Subjekt die Nullwertposition verlässt, verändert sich der Wert (und die Position) des Akteurs innerhalb der Struktur, die dazu führt, dass Technik und Akteur in irgendeiner Weise getrennt bleiben müssen. Sozialtheoretische Entwürfe, die dem Stellenwert der Technik für den Gegenstand des Sozialen nachgehen wollen, sehen sich also mit der Schwierigkeit konfrontiert, entweder den Gegenstand oder die Argumentation retten zu müssen: Entweder indem die ‚Technik‘ auf irgendeine Weise vom Akteur getrennt wird oder indem der Akteur (zumindest anteilig) als ‚naturale Basis‘ bzw. ‚materiellen Unterbau‘ aus dem Gegenstandsbereich entfernt wird. So oder so, es gilt eine Affizierung von Akteur und Technik zu vermeiden, da diese zu einer Dissemination der sozialtheoretischen Sinnproduktion führen würde, solange entweder ein neuer Nullwert die Argumentationsfigur (die Semantik der basalen Signifikanten) abschließt oder – was unmöglich anmutet – das Subjekt erneut zum Nullwert mutiert. Da in der Regel weder die eine noch die andere Perspektive in Erwähnung gezogen wird, nimmt das Subjekt in sozialtheoretischen Argumentationen eine konstitutive und damit hinsichtlich der Thematisierung von Technik sehr eigentümliche Position ein. Nur für diesen speziellen Fall soll die folgende Darstellung Gültigkeit reklamieren, insofern Technik auf der Grundlage dieser Figuration dem Akteur – bis auf wenige Ausnahmen – entgegengestellt werden muss:

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Abbildung 5: Beispiel-Matrize: Die Verschiebung des Subjektes als Nullwert in den Gegenstandsbereich und die Folgen für die Thematisierung von Technik (Postgründergenerationen) Akteur

Soziales

Subjekt

Technik

Das Nullwerttheorem als heuristisches Instrument in Relation zur Fragestellung der Arbeit

So schlicht und zugleich kontraintuitiv diese Argumentation auch sein mag, die Rekonstruktion soziologischer Theorien mit dem Nullwerttheorem ist einzig einer heuristischen Zielsetzung geschuldet. Dabei geht es weder um eine strukturalistische Deund Rekonstruktion soziologischer Theorien um ihrer selbst willen, noch um eine nostalgische Rehabilitation der Klassiker gegenüber neueren Ansätzen. Die Entscheidung mit dieser Argumentationsfigur zu ‚arbeiten‘ geht auf die Suche nach einer (theoretischen) Operationalisierbarkeit der dieser Arbeit zugrunde liegenden sehr allgemeinen Fragestellung zurück: Aus welchen Gründen war es den Klassikern möglich Technik in ihren Sozialtheorien ‚unproblematisch‘ einzubinden? Welche Schlussfolgerungen können daraus für neuere techniksensible Sozialtheorien geschlossen werden? Hier geht es also hauptsächlich darum zu zeigen, dass erstens das Nullwerttheorem sich eignet, um jenseits einer (ihrerseits naiven) ‚Naivitätsvermutung‘ einen plausiblen Begründungszusammenhang anzugeben, der erklärt, wieso es den Klassikern gelingen konnte, Akteure, Technik und Soziales gemeinsam und gleichwertig zu ‚verarbeiten‘; zweitens, dass dieser Begründungszusammenhang zugleich erklären kann, wieso neuere Ansätze, die sich dem Akteur-Technik Verhältnis widmen, explizite Anstrengungen auf sich nehmen müssen, um es, sozialtheoretisch anschlussfähig, zu bearbeiten; und schließlich drittens, dass die aus diesem Vergleich (Klassiker vs. Ansätze der Postgründergenerationen auf der Grundlage einer Nullwertanalyse) gewonnenen Erkenntnisse Hinweise geben können, wie sich eine mögliche Antwort auf das problematisch gewordene Verhältnis darstellen könnte. Auch die teilweise immer noch vorhandene Tendenz zur Entwicklung (oder auch ‚nur‘ Wahrnehmung und damit diskursiven Erzeugung) entweder technikdeterministischer oder sozialdeterministischer Argumentationen kann als dieser Figuration geschuldet wahrgenommen werden: Technik wird in jedem Fall dem ‚Sozialen‘ zugeschlagen und entweder als wesentlich bestimmende Größe dessen oder als Ergebnis von Aushandlungen, ähnlich sozialer Institutionen, verarbeitet. Genauso können die

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Bestrebungen eines gestuften Handlungsbegriffes dieser Figuration entnommen werden. Die Argumentation von Heintz kann auch hier den Bezugsrahmen abgeben: Technik wird ebenfalls dem Sozialen zugeschlagen, und es gilt den Grad von Algorithmisierung (eine soziale Größe) einer Handlung sozialtheoretisch zu konzeptualisieren, um es sodann als durch Technik durchführbar zu markieren. Ein Vorhaben, das mit Giddens Stratifikationsmodell des Handelns plausibel umgesetzt werden kann, wie Rammert und Schulz-Schaeffer demonstrieren (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002b: 43ff). Lediglich pragmatistische Sozialtheorien vermögen es der Engführung dieser Figuration – im Prinzip – zu entkommen. In pragmatistischen Entwürfen gilt das, was als ‚Subjekt‘ umschrieben werden kann, als Produkt des ‚Akteurs‘ bzw. genauer: die Ontogenese eines Akteurs, der zu einer Erfahrung von ‚Identität‘ und Entwicklung von ‚Geist‘ fähig ist, wird als Derivat einer Phylogenese des Sozialen, die jener im Prinzip vorausgeht, aufgefasst. Dass jedoch auch diese hinsichtlich techniksoziologischer Fragstellungen das ‚pragmatistische Potenzial‘ verspielen, soll anhand der „Mangle of Practice“ von Pickering (1995), der die ‚dominante Figur‘ dieses Ansatzes im Rahmen techniksoziologischer Untersuchungen ist, im Kapitel ‚Techniktheorien‘ erläutert werden. Das beschriebene Reflexivwerden – verknüpft mit einer selbstbezüglich idiosynkratischen Problemgenese und -prozessierung – der Sozialtheorie stellt weder ein ungewöhnliches Phänomen dar, noch wird sozialtheoretisches Operieren dadurch beeinträchtigt. So sind das Selbstanwendungsproblem und Strategien zur Entparadoxierung einer jeden ‚modernen‘ Theorie, die ohne einen archimedischen, die Erkenntnis absichernden Standpunkt auskommen muss, insofern jede ‚Erkenntnis‘ beobachterabhängig ist, gemein (Borsche 1997: 257ff; Heidegger 1980a: 212ff). Dieser Sachverhalt wird in (post-)strukturalistischen und differenztheoretischen Ansätzen explizit und damit virulent, da hier Sinn, Bedeutung und schließlich Sozialrelevanz ein Effekt der Differenzierung von Signifikanten darstellt (Münker/Roesler 2000: 43; Culler 1999: 123). Die diesem Begründungszusammenhang inhärente Problematik eines infiniten Regress’ (bzw. einer Signifikantenstruktur ohne einen abschließenden ‚leeren‘, ‚differenzlosen‘ Signifikanten) trifft auf differenztheoretische und postontologische Ansätze in besonderem Maße zu (Münker/Roesler 2000: 33). Die von diesen Ansätzen entwickelten Strategien, um mit dieser ‚Schwierigkeit‘ umzugehen, können instruktiv sein, da bei der Entfaltung dieser unweigerlich verschiedene Versuche lanciert werden mussten, um dieser Problematik zu begegnen: Der klassische Strukturalismus hat den Nullwert (Lévi-Strauss 1978: 39ff) eingeführt, der Dekonstruktivismus die Iteration (Derrida 1999) und die funktional-strukturelle Systemtheorie das Theorem der zeitlich bedingten Entparadoxierung der Einheit der Differenz sowie des – unter anderem dadurch ermöglichten – Re-entry (Luhmann 2005a; Luhmann 1994: 74, 83). Die Akteur-Netzwerk-Theorie Latourscher Prägung begegnet

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dem unter Zuhilfenahme einer Argumentationsfigur von Gilles Deleuze, der „zirkulierenden Referenz“ (Deleuze 1992: 41ff; Latour 2002a: 36ff). Allein die Konstatierung dieser ‚Verschiebung‘ ist also weder überraschend noch sagt sie unmittelbar etwas über das Verhältnis von Sozialtheorien zur Technik aus. Mittelbar zeigt sich jedoch auf der Grundlage einer entsprechend dieser Perspektive durchgeführten Rekonstruktion klassischer und neuerer Sozialtheorien, dass hierin ein plausibel darzulegender Grund für das sich gewandelte Verhältnis der Soziologie zur Technik herausarbeiten lässt: Der Akteur wird in Sozialtheorien der Postgründergenerationen in der einen oder anderen Hinsicht an ein Subjektkonzept gekoppelt, das unweigerlich dazu führt, diesen der Technik antagonistisch und unvereinbar gegenüberzustellen. Dieser Umstand erfolgt weder aus erkenntnistheoretischer Unterkomplexität noch aufgrund mangelnder Bereitschaft, humanistische Ansichten hinter sich zu lassen, und genauso wenig aufgrund mangelnder Alternativen. Vielmehr könnte ein Grund auch in einer unmöglich anmutenden Inverhältnissetzung des Beobachters zu seiner Beobachtung liegen. Diese kann noch so paradox und relativ sein, die Qualität des Beobachters würde jedoch auf dem Spiel stehen, sollte dieser nicht auf ein Akteurmodell bezogen werden können, das zugleich Momente eines Surrogats des (Erkenntnis-)Subjektes (Situiertheit der Beobachtung und Reflexivität) beinhaltet. Ein weiterer Grund mag in einer den Theorien inhärenten Trägheit bzw. Pfadabhängigkeit bei der Auflösung selbst erzeugter Unschärfen liegen (Göbel 2000). In keiner Theorie und Argumentationsweise lässt sich die idiosynkratische Wirkmächtigkeit einer für Sozialtheorien basalen Subjektkategorie besser herausarbeiten als in der radikalkonstruktivistischen Systemtheorie, gerade weil sie in dieser Hinsicht den höchsten Grad an Reflexion beinhaltet. Das Verhältnis der neueren Systemtheorie zur Technik kann als Kristallisationspunkt gelten für den hier thematisierten Zusammenhang zwischen der Verschiebung und zugleich Aufhebung des Nullwertes ‚Subjekt‘ und den damit einhergehenden Konsequenzen für eine Thematisierung von Technik in Bezug auf die Aufrechterhaltung der gegenstandsbezogenen, beobachtungsleitenden Unterscheidung ‚Akteur vs. Soziales‘. Der Nullwert als Strukturelement und Kontingenzformel

Der Vorschlag, das ‚Subjekt‘ als Nullwert der ersten sozialtheoretischen Entwürfe zu thematisieren und hierin den Grund für die ‚problemlose‘ Einbindung von Technik aufzufassen, bedeutet, diesen zugleich als deren Kontingenzformel zu verstehen. Damit ist nicht gleichzeitig behauptet, dass dies für die Gegenstandsseite ebenso zutrifft. Ein Signifikant, der innerhalb einer Theoriearchitektur als Nullwert und Kontingenzformel identifiziert werden kann, ist nicht zwangsläufig zugleich die Kontingenzformel des Sozialen, zumal der Nullwert einer Theorie die Funktion einer Kontingenzformel für diese erfüllt, aber nicht dem Konzept der Kontingenzformel insgesamt

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entspricht. Dennoch lässt sich eine frappierende Kongruenz der zwei Konzepte ausmachen. Bezeichnend ist, dass diese (zunächst) als ‚Stützkonstruktion‘ bzw. ‚-element‘ in der Gegenstandsseite verortet werden und innerhalb differenztheoretischer Entwürfe die Eigentümlichkeit besitzen, eingliedrig zu sein. So hat ein als Nullwert identifizierter Signifikant nichts, wovon er unterschieden werden könnte. Sein ihn auszeichnendes Merkmal ist die Abwesenheit von Sinn, seine Funktion ist es, der Einheit der Differenz Sinn zu verleihen. Als ‚leerer Signifikant‘ stellt er stets den Abschluss und Garanten der als Effekt von Differenz hergestellten Bedeutung dar (Deleuze 1992: 45). Wenngleich Lévi-Strauss um die prinzipielle Unentscheidbarkeit zwischen theoretischem System und von diesem thematisierten Gegenstand weiß, identifiziert er den Nullwert auf der Gegenstandsseite (Lévi-Strauss 1978: 21f, 39f). So stellt er das Konzept des Nullwertes im Zuge einer kritischen Würdigung von Mauss’ ethnologischen Studien als ein von diesem nicht hinreichend beachtetes empirisches Datum vor. Lévi-Strauss ‚entdeckt‘ folglich die ‚Existenz‘ des Nullwertes als ‚Mana‘ in der von Mauss erhobenen und ausgewerteten Empirie: „Wir glauben, daß die Begriffe vom Typus mana, so verschieden sie sein können, in ihrer allgemeinsten Funktion betrachtet (die, wie wir gesehen haben, auch in unserer Mentalität und in unserer Gesellschaftsform nicht verschwindet), eben diesen flottierenden Signifikanten repräsentieren, der die Last alles endlichen Denkens (aber auch die Bedingung aller Kunst, aller Poesie, aller mythischen und ästhetischen Erfindung) ist und den die wissenschaftliche Erkenntnis zwar nicht stillzustellen, wohl aber partiell zu disziplinieren vermag. […] Mit anderen Worten, indem wir uns an den Satz von Mauss halten, daß alle sozialen Phänomene der Sprache assimiliert werden können, sehen wir im mana, wakan und orenda und in anderen Begriffen desselben Typus den bewußten Ausdruck einer semantischen Funktion, deren Rolle darin besteht, die Tätigkeit des symbolischen Denkens trotz des ihm eigentümlichen Widerspruchs zu ermöglichen. So erklären sich die mit diesem Begriff verbundenen, anscheinend unlösbaren Antinomien, die die Ethnographen in Staunen versetzt hatten und die Mauss ins rechte Licht rückte: Kraft und Tätigkeit; Qualität und Zustand; Substantiv, Adjektiv und Verb in einem; abstrakt und konkret; allgegenwärtig und lokalisiert. Tatsächlich ist das mana all dies zugleich – doch ist es das nicht gerade deswegen, weil es nichts von all dem ist: bloße Form oder genauer Symbol im Reinzustand und deswegen in der Lage, einen wie immer gearteten symbolischen Inhalt aufzunehmen? In diesem für jede Kosmologie konstitutiven System von Symbolen wäre es einfach ein symbolischer Nullwert, das heißt ein Zeichen, das die Notwendigkeit eines supplementären symbolischen Inhalts markiert, der zu dem bereits auf dem Signifikant liegenden Inhalt hinzutritt und der ein beliebiger Wert sein kann, vorausgesetzt, daß er noch zu dem verfügbaren Vorrat gehört und nicht schon, wie die Phonologen sagen, ein Gruppenterm ist.“ (Lévi-Strauss 1978: 39f)

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Sowohl ‚Nullwert‘ als auch ‚Kontingenzformel‘ lassen sich empirisch beobachten und theoretisch erfassen, und zwar sowohl auf der Gegenstandsseite als auch hinsichtlich des Operierens einer Theorie. Deleuze’ Bemerkung „Kein Strukturalismus ohne diesen Nullpunkt.“ (Deleuze 1992: 45) kann sowohl auf die Theoriearchitektur als auf das durch eine Theorie Beobachtete bezogen werden, richtet sich jedoch auf die strukturalistische Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit, also auf die durch die Theorie ermöglichten Aussagen über ihren Gegenstand. In den folgenden Kapiteln (insbesondere dem, das sich den Theorietechniken widmet) wird der Nullwert von Theorien unabhängig von einer vorhandenen oder nicht vorhandenen Entsprechung auf der Gegenstandsseite thematisiert. Obwohl – auch jenseits der Effekte einer doppelten Hermeneutik (Giddens 1997: 46f) – davon ausgegangen werden kann, dass es eine Korrelation zwischen dem eine Theorie auszeichnenden Nullwert und dem von ihr untersuchten Gegenstand gibt, wird davon ausgegangen, dass der sich als problematisch herausgestellte Nullwert ‚Subjekt‘ einem theorieinternen Mangel bezüglich der durch die Selbstanwendung gewonnener Erkenntnisse notwendig gewordenen Entparadoxierung geschuldet ist. Zugleich lassen sich auf der Gegenstandsseite Phänomene einer krisenhaften Rehabilitierung des ‚Subjektes‘ konstatieren, die das Feld umkämpfter Bedeutungen markieren (Weber 2003b: 156ff). Es soll kein direkter Zusammenhang zwischen der (von einigen Sozialwissenschaftlerinnen thematisierten) vehementen Herstellung von Subjektivität auf der Gegenstandsseite (vgl. bspw. Bröckling 2007; Beck/Beck-Gernsheim 2008a; Martin et al. 1993; Villa 2008) und dem sozialtheoretischen Aufladen des ‚ehemaligen‘ Nullwertes durch die Differenzsetzung zum sozialen Akteur (dies wiederum – so die hier vertretene These – führt dazu, dass, im Gegensatz zu den Klassikern, der Technik kein adäquater Platz zugewiesen werden kann) vermutet werden, jedoch begünstigende, sich wechselseitig verstärkende Effekte nicht von vornherein ausgeschlossen werden – diesen wird insbesondere im Kapitel zu den Techniktheorien nachgegangen werden. Ein angenommenes, sich wechselseitig verstärkendes Verhältnis zwischen Theoriearchitektur und Gegenstand lässt sich vornehmlich hinsichtlich der Charakterisierung des Nullwertes als Kontingenzformel entwerfen. Der Nullwert erfüllt die Funktion einer Kontingenzformel, insofern es das System bzw. den Diskurs stabilisiert, da es Kontingenz bzw. einen infiniten Regress der Signifikanten-Struktur verhindert. Als Kontingenzformel wird systemtheoretisch der Verweis auf ein Element verstanden, das das Kommunikationssystem stabilisiert, da es einen (je relativ zum System) Kontingenz reduzierenden Effekt zeitigt: „Unser Ausgangsproblem bei der Behandlung der Funktion von Religion war gewesen: wie man sich im Medium Sinn zurechtfindet. Und noch schärfer: wie Kommunikation überhaupt mit einigen Erfolgsaussichten (sei es auf Konsens, sei es auf Dissens) möglich ist, wenn alles, was im Medium Sinn bestimmt wird, endlose Verweisungsüberschüsse appräsentiert. Kein anderes Medium steht zur Verfügung. Man braucht also Sinn, um Sinn ausschließen und Sinn

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anschließen zu können. Das verdirbt, wird man sagen, den Begriff ‚Sinn‘, aber es bezeichnet, kann man antworten, sehr genau das Problem, auf das Kontingenzformeln angesetzt werden. Das Paradox: Anschluß ist Ausschluß und kann nur so vollzogen werden, läßt sich in vielerlei Gestalten überführen. Wir hatten auch gefragt, wie es möglich sei, Unbestimmbarkeit in Bestimmbarkeit, also unendliche Informationslasten in endliche Informationslasten zu überführen. Diese (bereits funktionale) Problemstellung läßt sich zuspitzen, indem man das ‚wie‘ für ein ‚wer oder was‘ ausgibt. Wir wollen diese Zuspitzung, die eine engere Fassung des Problems für seine Lösung hält, eine Kontingenzformel nennen. In funktionaler Perspektive und bei externer Beschreibung kann man die Einheit einer solchen Formel wiederauflösen. Wir hatten dafür bereits die paradoxe Formulierung gewählt: das Problem trete als seine Lösung auf, das Differente sei Dasselbe. Das bringt die Unterscheidung, mit der wir den Funktionsbegriff definiert hatten, zum Verschwinden. Im Innenbereich des Systems, das durch Codierung auf Kontingenz und Reflexivität umgestellt ist, ersetzt die Kontingenzformel den Funktionsbezug. Daran finden dann auch die Selbstbeschreibungen des Systems einen Anhaltspunkt. Obwohl das System eine Differenz und, als Operation gesehen, die Reproduktion dieser Differenz ist, kann es für sich selbst als Einheit zugänglich werden. Es kann ein Verhältnis zu seiner eigenen Hypostasierung herstellen – allerdings nur in der Weise, daß die Paradoxien des re-entry und der Codierung durch eine Identität ersetzt werden, an die man sich im weiteren dann hält.“ (Luhmann 2000: 147f)

Das Konzept der ‚Kontingenzformel‘ oder Aspekte der ‚Paradoxieentfaltung‘ werden von Luhmann hauptsächlich im Zusammenhang mit Religion thematisiert (Kött 2003: 188). Dies hängt damit zusammen, dass die Kontingenzformel „Gott […] in die Fülle des mit ihr Möglichen gebracht, auch noch die Einsicht verkraftet, daß gerade dies ihr Sinn und ihre Funktion ist; denn eben das bezeichnet die Funktion der Religion.“ (Luhmann 1994: 397) Im Zusammenhang eines vom Verfasser nicht ausreichend nachvollziehbaren Versuches, die Geschlechtsrollenidentität als Kontingenzformel des Bewusstseinssystems darzustellen, deutet Weinbach darauf hin, dass die von Stäheli vorgenommene Parallelisierung des ‚leeren Signifikanten‘ Laclaus – ein weiteres Beispiel für die vielen Variationen strukturalistischer ‚Nullpunkte‘ – mit Luhmanns Annahme einer je systemspezifischen binären Kodierung zur Sinnproduktion ‚ins Leere führe‘ und vielmehr mit dem Kontingenzformel-Konzept verglichen werden sollte (Weinbach 2004: 39 Fn31). Obwohl Weinbach eine sehr eigenwillige Darstellung von Kontingenzformel präsentiert, insofern sie diese als „die bezeichnete Seite einer Unterscheidung“ (Weinbach 2004: 39) auffasst, um diese sodann in einem hoffnungslosen – und zudem recht esoterischen – Versuch, auf das Bewusstseinssystem anzuwenden, deutet sie einen nicht unwichtigen Aspekt hinsichtlich der Parallelisierbarkeit der zwei Konzepte an. So kann die Kontingenzformel eines Sozialsystems durch einen Beobachter zweiter Ordnung als solche problemlos identifiziert werden:

52 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Ein externer Beobachter kann sehen, wie das geht und daß es nicht anders geht. Er kann, weil ohne Verantwortung für das Operieren des Systems, auch noch nach der Funktion solcher Kontingenzformeln fragen. Er kann sich damit eine Vergleichsperspektive erschließen, die in den verglichenen Systemen nicht verwendbar wäre. Er kann die größeren Freiheiten eines Beobachters zweiter Ordnung nutzen, allerdings sachgemäß nur, wenn er die Perspektivendifferenz in Rechnung stellt und berücksichtigt, daß die systemeigenen Beobachtungen der systemeigenen Kontingenzformel ausgeliefert sind wie einem blinden Fleck, ohne den Beobachtungen und Selbstbeobachtungen im (beobachteten) System nicht möglich wären. Würde der Beobachter zweiter Ordnung hier einen korrigierbaren Irrtum, einen Bewußtseinsdefekt, eine Ideologie vermuten, würde er selbst einen Fehler begehen. Er würde selbst eine Unterscheidung (etwa Wahrheit/Ideologie) verwenden, die ihm einen sachangemessenen Zugang zum Objekt verstellte.“ (Luhmann 2000: 148)

Dies jedoch ist nicht die Funktion, die der Begriff der Kontingenzformel in Luhmanns Theoriearchitektur beansprucht, und es geht aus der Passage eindeutig hervor, dass eine Kontingenzformel nur als eingliedriges Element ‚funktioniert‘ und nur so operativ in Erscheinung treten kann. Das Konzept der Kontingenzformel wird von Luhmann als ‚pragmatisch‘ gekennzeichnet, als ‚Verfahren‘, das stets nur systemrelativ sinnvoll zur Anwendung kommen kann. Gerade hier, in der Beschreibung der Funktion, die eine Kontingenzformel jeweils für ein System, das Sinn auf der Grundlage einer je spezifischen Binärkodierung produziert, innehat, kommen die Parallelen zum strukturalistischen Nullwert besonders klar zum Vorschein: „Kontingenzformeln grenzen ein System gegen das gänzlich Unbestimmbare ab. Sie bewähren und stabilisieren sich dadurch, daß sie in einem rekursiven Verhältnis in den Strukturen und Operationen des Systems verwendet und wiederverwendet werden, so daß plausibel ist (und nicht begründet werden muß), daß sie nötig sind, weil sonst nichts mehr liefe. Sie sind deshalb für das System selbst nur zirkulär (oder, wenn man so will: ‚pragmatisch‘) begründbar. Auf diese Weise kann der Eindruck, kann das Zugeständnis einer dogmatischen Setzung vermieden werden. Kontingenzformeln invisibilisieren dadurch zugleich ihre Funktion so wie die Tatsache, daß sie dazu dienen, eine Paradoxie aufzulösen oder eine Tautologie (Wissenschaft ist, was die Wissenschaft tut) zu entfalten. Sie verdecken den Durchblick.“ (Luhmann 1994: 397)

Die Parallelen zum Nullwert sind frappierend. Schließlich gilt auch dieser dem Strukturalismus als eingliedrige ‚Leerstelle‘, die die Sinnerzeugung durch Differenz gegen einen infiniten Regress absichert und als Element erst dadurch ‚sinnvoll‘ wird; ohne je selbst unmittelbar für die Sinnerzeugung genutzt werden zu können. Luhmann fasst diesen Sachverhalt kybernetisch, indem er darauf hinweist, sie seien für das System selbst nur zirkulär begründbar. In einer Umschreibung Deleuze’ zum Nullwert-Konzept von Lévi-Strauss heißt es ganz ähnlich:

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„Lévi-Strauss […] erkannte im ‚Mana‘ oder seinen Äquivalenten die Existenz eines ‚flottierenden Signifikanten‘ an, eines symbolischen Nullwertes, der in der Struktur zirkuliert. […] Er schloß sich damit dem Nullphonem von Jakobson an, das von sich aus keinerlei differentiellen Charakter noch phonetischen Wert hat, doch im Verhältnis zu dem alle Phoneme sich in ihren eigenen differentiellen Verhältnissen platzieren.“ (Deleuze 1992: 46)

Luhmann nennt neben ‚Gott‘ für das Funktionssystem ‚Religion‘ als Beispiele für Kontingenzformeln in der Regel „Knappheit für das Wirtschaftssystem, Legitimität für das politische System, Gerechtigkeit für das Rechtssystem, Limitationalität […] für das Wissenschaftssystem.“ (Luhmann 2006: 470) Dass dabei gerade die Kontingenzformel für das Wissenschaftssystem auf Unverständnis gestoßen ist, wird von einer erläuternden Fußnote in seinem Spätwerk „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ angezeigt: „Dieser weniger gebräuchliche Ausdruck soll besagen, daß von begrenzten Möglichkeiten ausgegangen werden muß, wenn man behaupten will, daß die Feststellung von Wahrheiten bzw. von Unwahrheiten den Bereich der noch zu prüfenden Fragen verkleinert und nicht (worauf ja manches hindeutet) vergrößert. Nur unter dieser Prämisse hat es zum Beispiel Sinn, die ‚Falsifizierbarkeit‘ von Hypothesen zu fordern.“ (Luhmann 2006: 470 Fn113)

Auf der Grundlage dieser plausiblen Einschätzung soll hier gewissermaßen noch unterhalb – aber freilich nicht jenseits der Kontingenzformel ‚Limitationalität‘ – der Nullwert soziologischer Theoriebildung betrachtet werden. Folglich stellt das Konzept des Nullwertes eine Operationalisierung des Kontingenzformel-Konzeptes dar, um dieses auf ‚einzelne‘ Theorien anwenden zu können. Der Nullwert ist also die je spezifische Weise, Limitationalität zu erzeugen. Der Vorschlag, die Verschiebung des Nullwertes soziologischer Theorien am Begriff des ‚Subjektes‘ festzumachen, hängt mit der Vermutung zusammen, dass von der Konstitution (der Position innerhalb des Verweiszusammenhangs) dessen abhängig ist, inwieweit Technik und Akteur auf einer Ebene in deren Beschreibung und Wertigkeit verortet werden können. Es lässt sich weder eine klare Sollbruchstelle noch eine gleichmäßig graduelle Verschiebung in der Entwicklung sozialtheoretischer Argumentation nachweisen, dennoch kann eine Transformation des Akteurbegriffs nachgezeichnet werden. Diese schält sich besonders konturiert gerade im Vergleich zwischen den Klassikern und neueren Ansätzen heraus, weshalb der Schwerpunkt in eben dieser Kontrastierung liegen wird. So konnten die Klassiker Akteure und Technik in ähnlicher Weise zum Sozialen in Beziehung setzen, gerade weil der Akteur in Emergenz aufgehen konnte und somit die Technik diesem in nichts nachstand. Zugleich konnte der Akteur mit ‚Leerstellen‘ versehen werden, die das Soziale (mit)gestalten und weder diesem entgegengesetzt noch von diesem restlos assimiliert werden. Diese als Chiffren eingesetzten Merkmale verdanken sich der (noch) möglichen Verankerung in einem dem

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Akteur zugrunde liegenden Nullwert. Luhmann verwendet im Zusammenhang mit der ‚paradigmatischen‘ Kontingenzformel ‚Gott‘ in seinem Frühwerk ebenfalls den sehr gut passenden Begriff der „Chiffre“ (Kött 2003: 188). Ohne eine außerhalb des beobachteten Gegenstandes verortbare Verankerung (Nullwert) würde eine Synchronisierung von Akteur und Technik (so wie sie in den klassischen Entwürfen durchaus nachzuweisen ist) die beobachtungsleitende Unterscheidung implodieren lassen. Versuche, die durch eine Neujustierung des Handlungsbegriffs (Schulz-Schaeffer 2007a: 433ff) oder auch durch eine vermeintliche Annullierung der Differenz (Latour 2002b), dem beikommen möchten, bleiben der Differenz Akteur vs. Soziales und damit Akteur vs. Technik in positiver oder negativer Hinsicht verhaftet. Vor dem Hintergrund der hier vertretenen Argumentation – und vorerst nicht darüber hinaus – weisen vor allem Ansätze, die für eine Rekonfiguration des Akteurs (bspw. Haraway) und/oder des Subjektes (bspw. Ihde, Verbeek) plädieren und – allerdings nur ansatzweise – pragmatistisch (bspw. Pickering, Rammert) orientierte Theorien einen vielversprechenden Weg für eine adäquate Erfassung und Darstellung des Akteur-Technik Verhältnisses auf. Erstere entstammen hauptsächlich radikalkonstruktivistischer, feministischer Theorien und werden zu Recht als wertvollste und konsequenteste, weil kritische, Fortführung der AkteurNetzwerk-Theorie wahrgenommen (Suchman 2007: 261 Fn2; vgl. Haraway 1997; 2006a). Diese lassen sich durch postphänomenologische Ansätze der Technikphilosophie und -soziologie soweit ‚entschärfen‘, dass sie anschlussfähiger werden für eine Bearbeitung und Verwendung innerhalb genuin soziologischer Perspektiven (vgl. Ihde 2002; Verbeek 2005). Ähnliche Argumentationsfiguren lassen sich – wenngleich weniger pointiert – ebenso in der pragmatistischen Wissenschafts- und Technikforschung finden (Pickering 1995; Rammert 2007b). Das ‚Leben‘ als Nullwert

Die Anschlussfähigkeit dieser Ansätze an sozialtheoretische Entwürfe wäre entlang der hier entworfenen Folie gewährleistet, sofern der diesen zugrunde liegenden Nullwert herausgearbeitet und nachjustiert würde. Auf der Grundlage dieser Ansätze ist es möglich ein Akteurmodell zu entwerfen, dessen Nullwert und Kontingenzformel das ‚Leben‘ darstellt. In der Darstellung von Kontingenz und Kreativität als Effekt und damit Produkt des Sozialen (Joas 2002a: 187ff) und der Rolle, die dabei ‚Gegenstände‘ spielen (Joas 2000: 143ff) sowie der medialen Beliebigkeit der ‚Form‘ Technik (Pickering 1995: 17, 21ff; Rammert 1998b: 302ff) in pragmatistischen Ansätzen und der grundsätzlichen (kritischen) Thematisierung der Akteur-Technik Differenz als eine (erkenntnispolitisch) strategisch hergestellte, im Rahmen radikalkonstruktivistisch-feministischer Ansätze, (Haraway 1996; Star 1991; Weber 1998), kommt eine Wahlverwandtschaft zu den Klassikern zum Vorschein, wonach soziologisch

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betrachtet der moderne Akteur und die neuzeitliche Technik im Prinzip zusammengedacht werden müssen. Der Unterschied liegt freilich in der für die Klassiker möglichen Verankerung dieses Verhältnisses in dem ‚Subjekt‘ als Nullwert und somit der Möglichkeit einer Trennung von der Ontogenese der Elemente Akteur und Technik (als funktionale Äquivalente) von der Phylogenese des Sozialen, wohingegen dies für aktuelle Ansätze unmöglich geworden ist. Abbildung 6: Beispiel-Matrize Klassiker: Das Subjekt als Nullwert und die Artifizialität des Akteurs

Akteur

Soziales

Technik

Technik

Subjekt

Abbildung 7: Beispiel-Matrize Postgründergenerationen: Die Auflösung des Subjektes als Nullwert und dessen Verschiebung in den Gegenstandsbereich und die Folgen für die Thematisierung von Technik

Akteur

Soziales

Subjekt

Technik

Das Zusammenfallen von Akteur und Subjekt auf der Gegenstandsseite bei der Umstellung des Nullwertes auf das ‚Leben‘ soll lediglich andeuten, dass, sofern auf ein Subjekt-Konzept rekurriert wird, dieses ein – ebenso wie der ‚moderne‘ Sozialakteur – historisch Gewachsenes und sozial Hergestelltes darstellt und somit im Sinne einer ‚reflexiven‘ Sozialtheorie sich nicht grundsätzlich vom Akteur unterscheiden lässt – bzw. unterschieden werden braucht, wenn die Nullwertposition neu besetzt wird.

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Abbildung 8: Beispiel-Matrize Cyborg: Das Leben als Nullwert und die Artifizialität des Akteurs

Akteur/Subjekt

Soziales

Technik

Technik

Leben

Dass damit nicht (erneut) Technik als Differenzbegriff zum ‚Leben‘ vorgeschlagen (Rammert 1998b: 299f) und ebenso wenig ‚Leben‘ zur Kontingenzformel der „nächsten Gesellschaft“ auserkoren werden soll (Baecker 2007a: 227), liegt auf der Hand: ‚Leben‘ als Nullwert aufzufassen, bedeutet, dieses als sozialtheoretische Leerstelle zu konzipieren, die vielmehr dazu führt, die Vermischung und Relationierung von Organischem mit/zu Technischem, von Kreativität mit/zu Algorithmischen in den Blick zu nehmen und folglich – wenn überhaupt – auch nur die Funktion einer Kontingenzformel für die theoretischen Ansätze darstellt. Die Operationen der Ansätze setzen sich nicht mit dem Nullwert in ein explizierbares Verhältnis, aber die in jenen entwickelten Relationen werden erst durch diesen mit Sinn aufgeladen; insofern auch und gerade eine Kritik an der definitorischen Setzung von Technik als einer starren „und vollständig regulierten Rhythmik von toten Mechanismen“ in Differenz zum Lebendigen als das rege „und spontane Selbstbewegen lebendiger Organismen“ besteht (Rammert 1998b: 299). Die Bestimmung von Technik als Differenz zur Natur gilt als historisch frühe Variante einer ontologischen, ‚substanziellen‘ Definition von Technik (Halfmann 1996: 21ff; Rammert 1998b: 298f; Schulz-Schaeffer 2000: 35ff). Halfmann, der mit seinem Buch „Die gesellschaftliche ‚Natur‘ der Technik“ zugleich eine „Einführung in die soziologische Theorie der Technik“ geben möchte, schlägt vor, die Geschichte der Technikbeschreibung „als Entwicklung von zentralen Differenzbildungen […], und zwar als Verlagerung des Gegenbegriffs zu Technik von ‚Natur‘ auf ‚Gesellschaft‘“ (Halfmann 1996: 16) aufzufassen. Rammert und Schulz-Schaeffer fügen diesen zwei zentralen Differenzsetzungen noch eine dritte hinzu, nämlich die zwischen „Technik und Leben“ (Rammert 1998b: 299) bzw. „Lebenswelt“ (Schulz-Schaeffer 2000: 37). Damit verweisen sie bereits auf disziplinspezifische Ausdifferenzierungen des Begriffs, wobei beide eine – in Anlehnung an Blumenbergs Weiterentwicklung von Husserls Technisierungsbegriffes – nicht substanzialistische Definition anstreben.

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Schulz-Schaeffer entwickelt auf der Grundlage eines dynamischen Technikbegriffes, der „Technisierung als Antinomie von Leistung und Einsicht“ (SchulzSchaeffer 2000: 44ff) auffasst, einen – in Anlehnung an Giddens – handlungstheoretischen Beitrag, der als sozialtheoretisch anspruchsvolle Fortführung des einige Jahre zuvor durch Hennen vorgelegten Beitrag gelesen werden kann (Hennen 1992: 223ff). Rammert hingegen distanziert sich etwas stärker als Schulz-Schaeffer auch von diesem Begriff oder vielmehr betont er den Aspekt des Dynamischen stärker als sein Kollege, insofern er einen pragmatistischen Beitrag leisten möchte (Rammert 1998b: 303f).

2.2 Z UM V ERHÄLTNIS VON T ECHNISIERUNG UND ARTIFIZIALITÄT DES AKTEURS Trotz dieser Unterschiede setzen beide Techniksoziologen auf Blumenbergs Technikbegriff, da es ihnen darum geht, die Grenze zwischen Technischem und Sozialem als fluide darzustellen und Phänomene verteilter Handlungsträgerschaft abbilden zu können. So fließend die Grenze (die vielmehr in Graden der Technisierung je situativ zu ermitteln ist) konzipiert wird, halten dennoch beide – Schulz-Schaeffer stärker als Rammert – an der grundsätzlichen Unterscheidbarkeit der technischen respektive sozialen Sphäre fest. Dies kommt (stellvertretend für beide Positionen) in den gemeinsamen Aufsatz „Technik und Handeln – Wenn soziales Handeln sich auf menschliches Verhalten und technische Abläufe verteilt“ besonders deutlich zum Vorschein (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002b). Dieser Umstand kündigt sich bereits in der von ihnen durchgeführten Rekonstruktion von Blumenbergs ‚Technisierungsbegriff‘ an. Sowohl Rammert als auch Schulz-Schaeffer heben die Einsicht Blumenbergs hervor – im Gegensatz zu dem zutiefst pessimistisch-kritischen Tenor von Husserls Vorlage –, dass die Antinomie eine notwendige Bedingung von Entlastung darstellt, die insofern hinzunehmen sei: „Nach Husserl steigert die Technisierung die Wirksamkeit zum Preis der ‚Sinnentleerung‘. In seiner Kritik an Husserl erinnert Hans Blumenberg an die unvermeidliche Ambivalenz der Technisierung: Es kann keine Erschaffung neuer Welten ohne das Risiko der Entfremdung von der Lebenswelt geben. Husserl verstrickt sich in das Paradox, daß die phänomenologische Methode selbst ein Teil der Technisierung ist, die sie kritisiert; denn wie die modernen Naturwissenschaften schärft auch sie das Bewußtsein für die Kontingenz der Welt […].“ (Rammert 1998b: 303)

Nun hat Blumenberg durch seine Kritik an Husserl, dessen sind sich Schulz-Schaeffer und Rammert durchaus bewusst, dessen Position im Grunde radikalisiert und erst

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dadurch anschlussfähig gemacht für eine „Theoriefigur […] des ‚Wesens‘ des Technischen […], welche die auf den Unterscheidungen natürlich/künstlich oder instrumentell/lebensweltlich aufbauenden dichotomischen Beschreibungen überwindet, indem sie die Gegenbegriffe mit Blick auf das Phänomen des Technischen neu relationiert.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 47) In dieser Hinsicht kommt Blumenbergs Technikbegriff in sozialtheoretischen Entwürfen zum Tragen (vgl. Luhmann 1994: 711ff; Luhmann 2003: 70ff). Eine Weiterführung von Blumenbergs Radikalisierung von Husserls Darstellung jenseits der unmittelbar anschlussfähigen Aspekte kann jedoch auch soziologisch lohnenswert sein; wenngleich die Anschlussfähigkeit auf dem ersten Blick ins Hintertreffen gerät. Husserl zeichnet in seiner Krisis-Schrift ein zutiefst pessimistisches Bild der abendländischen Kultur, da er diese als vorrangig an eine ganz bestimmte Art des Fortschritts ausgerichtet sieht, die sich kaum von Adornos Fortschrittsbegriff unterscheidet; wonach: „Innerweltlicher Fortschritt hat sein mythisches Moment daran, daß er, wie Hegel und Marx erkannten, über die Köpfe der Subjekte hinweg sich zuträgt und diese nach seinem Ebenbild formt […]. Um aufzuhalten, was Schopenhauer das sich selbst entrollende Rad nennt, bedürfte es freilich jenes menschlichen Potentials, das von der Notwendigkeit der geschichtlichen Bewegung nicht ganz absorbiert wird. Daß die Idee hinausführenden Fortschritts heute blockiert ist, rührt daher, daß die subjektiven Momente der Spontaneität im geschichtlichen Prozeß zu verkümmern beginnen. Der gesellschaftlichen Allmacht desperat einen isolierten, vorgeblich ontologischen Begriff des subjektiv Spontanen entgegenzustellen, wie die französischen Existentialisten, ist, noch als Ausdruck von Verzweiflung, zu optimistisch; die wendende Spontaneität kann nicht außerhalb der gesellschaftlichen Verflechtung vorgestellt werden.“ (Adorno 1997a: 631f)

Die von Adorno konstatierte Loslösung der Leistungsorientierung von der Einsicht in das sie Ermöglichende wird von Husserl – Weber hatte dies einige Jahre zuvor ganz ähnlich dargestellt und bewertet (Weber 1994: 9) – ebenfalls als tiefe kulturelle Sinnkrise gedeutet, insofern die fehlende Einsicht in das für die Leistungssteigerung notwendige Wissen auch deren Rückführbarkeit auf einen der Lebenswelt abgeleiteten Zweck gefährdet, wenn nicht gar unwiederbringlich verloren geht (Husserl 1992a: 45f, 56f). Adorno betont jedoch – gerade im Unterschied zu Weber – die fahrlässige Ineinssetzung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen und kritisiert folglich Weber, da dieser die Merkmale formaler Rationalität als schicksalhaft darstellt (bzw. darstellen musste), insofern diese eo ipso die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihren Bann schlagen und dominieren würden (Adorno/Gehlen 1974: 229). In der prinzipiellen Unterscheidbarkeit zwischen einer ‚Entsprachlichung‘ der Systemebene, die zu einer Zunahme an ‚Versprachlichung‘ der Lebenswelt führen kann, wird Habermas später diesen Grundgedanken im Rahmen seiner Theorie des

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kommunikativen Handelns wieder aufgreifen und deutlich ausweiten (vgl. Berger 2002: 271). Husserl bezieht sich bekanntlich in der Hauptsache auf den Zustand der ‚Wissenschaften‘ und der spezifischen Form der ‚wissenschaftlichen‘ Wissensproduktion, die krisenhaften Momente schälen sich jedoch gerade im Verhältnis zwischen ‚Wissenschaft‘ und ‚Lebenswelt‘ heraus: „In der geometrischen und naturwissenschaftlichen Mathematisierung messen wir so der Lebenswelt – der in unserem konkreten Weltleben uns ständig als wirklich gegebenen Welt – in der offenen Unendlichkeit möglicher Erfahrungen ein wohlpassendes Ideenkleid an, das der sogenannten objektivwissenschaftlichen Wahrheiten, d. i. wir konstruieren in einer (wie wir hoffen) wirklich und bis ins Einzelne durchzuführenden und sich ständig bewährenden Methode zunächst bestimmte Zahlen-Induzierungen für die wirklichen und möglichen sinnlichen Füllen der konkret-anschaulichen Gestalten der Lebenswelt, und eben damit gewinnen wir Möglichkeiten einer Voraussicht der konkreten, noch nicht oder nicht mehr als wirklich gegebenen, und zwar der lebensweltlich-anschaulichen Weltgeschehnisse; einer Voraussicht, welche die Leistungen der alltäglichen Voraussicht unendlich übersteigt.“ (Husserl 1992a: 51)

Blumenbergs Grundlegung einer ‚Anthropologie‘ für Cyborgs

Blumenbergs Replik an dieser Stelle als Zeugnis einer stoischen Haltung misszuverstehen, ihn folglich als ‚Realisten‘ zu lesen, der Husserls unverbesserlichen Idealismus gerade rückt, hieße nicht nur Blumenberg nicht gerecht werden, sondern einen entscheidenden Beitrag für das, was auch techniksoziologisch zur Debatte steht, zu übersehen. In Blumenbergs Feststellung, er sähe „keinen anderen wissenschaftlichen Weg für eine Anthropologie, als das vermeintlich ‚Natürliche‘ […] seiner ‚Künstlichkeit‘ im Funktionssystem der menschlichen Elementarleistung ‚Leben‘ zu überführen“ (Blumenberg 1981a: 115) mutet die Verwendung des Adjektivs ‚wissenschaftlich‘ merkwürdig an und stellt rein formal eine Tautologie dar; selbstverständlich geht es Blumenberg als Philosoph um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gattungswesen ‚Mensch‘. Blumenberg unterstreicht damit die Tragweite seiner Einschätzung bezüglich des ‚Wesens‘ des ‚Menschen‘, indem er zwischen einem lebensweltlichen und einem philosophisch-anthropologischen Verständnis unterscheidet und dabei eine bemerkenswerte historische und soziologische Bestimmung vornimmt: „Aber sofern Philosophie Abbau von Selbstverständlichkeiten ist, hat eine ‚philosophische‘ Anthropologie zum Thema zu machen, ob nicht die physische Existenz gerade erst das Resultat derjenigen Leistungen ist, die dem Menschen als ‚wesentlich‘ zugesprochen werden. Die erste Aussage einer Anthropologie wäre dann: es ist nicht selbstverständlich, daß der Mensch existieren kann. Der Typus einer solchen Überlegung ist in der neuzeitlichen Staatsvertragstheorie vorgebildet, die die Notwendigkeit der Begründung des bürgerlichen Zustandes des Menschen

60 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE daraus deduziert, daß sie im ‚natürlichen‘ Zustand einen Widerspruch gegen die Bedingungen der Möglichkeit physischer Existenz findet.“ (Blumenberg 1981a: 114)

In Übereinstimmung mit seiner Weiterentwicklung von Husserls Technisierungsbegriff – also eines prozessorientierten Technikbegriffes – kennzeichnet er den Menschen ‚wesensmäßig‘ als Ausdruck eben dieses Prozesses. Blumenbergs Position bezüglich anthropologischer Annahmen stellt nichts weiter dar als die konsequente Fortführung seines Technisierungsbegriffes; die Trennung von Leistung und Einsicht unterminiert eine Konzeption vom ‚Menschen‘ als das ‚Andere‘ der Technik, insofern die Anwendbarkeit von Technik in einem modernen Sinn immer einhergeht mit dem Verzicht auf Einsicht. ‚Wissenschaftlich‘ bedeutet hier also auch in einem der ‚Moderne‘ adäquaten Maß. Dass es keine ahistorische Anthropologie geben kann, insofern das, was den ‚Menschen‘ auszeichnet, bedingt wird von dem immer nur je spezifischen Sinnhorizont, innerhalb dessen ‚er‘ sich jeweils befindet, dafür legt Blumenberg in seinem dreibändigen Werk „Genesis der kopernikanischen Welt“ ein beeindruckendes Zeugnis ab. Im sechsten und letzten Teil der drei Bände – zur kopernikanischen Optik – paraphrasiert Blumenberg einen der Wegbereiter der französischen Aufklärung, Bernard le Bovier de Fontenelle: „Der Fortschritt belastet das Individuum mit dem Bewußtsein seiner faktischen Beschränkung auf den beliebigen Standort seiner endlichen Existenz in einer Geschichte, die den Bedürfnissen der Vernunft immer Neues zutragen zu können scheint. Das neue, das gewinnende Subjekt kann nur eine die Individuen und Generationen übergreifende, dem immer nur individuellen Glück gegenüber indifferente Instanz sein.“ (Blumenberg 2007: 727)

Diese Darstellung erinnert an Baudrillards Gleichnis zur künstlichen Intelligenz, insofern dieser in den Optionen, die das Unternehmen ‚künstliche Intelligenz‘ anbietet, einen Befreiungsschlag aus dem von de Fontenelle als problematisch konstatierten Zustand menschlicher Existenz vermutet: „Ob der unglaubliche Erfolg der Videokultur und der künstlichen Intelligenz nicht von dieser exorzistischen Funktion herrührt, von der Tatsache, dass sich endlich das ewige Problem der Freiheit nicht einmal mehr stellt? Bin ich Objekt, bin ich Subjekt? Bin ich frei, bin ich entfremdet? Kein Problem mehr mit den virtuellen Maschinen! Weder seid ihr Subjekte, noch Objekte, weder frei, noch entfremdet. [...] Intelligenz Maschinen anzuvertrauen, befreit uns in gewisser Weise von jeglichem Anspruch auf ein totales Wissen, gleichwie die Macht Politikern anzuvertrauen uns erlaubt, über die Anmaßung, Menschen zu regieren, lachen zu können. [...] Wie Brillen oder Kontaktlinsen eines Tages zu integrierten Prothesen einer Gattung werden, die den Blick verloren hat, so wird einst – kann man befürchten – die künstliche Intelligenz samt technischem Zubehör die Prothese einer Gattung werden, der das Denken abhanden gekommen ist.“ (Baudrillard 1989: 126f)

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Blumenbergs Begriff der Technisierung geht weit über Husserls Kritik hinaus, insofern er im Zuge seiner ‚Krisis-Kritik‘ – anthropologisch gewendet und an Kant anschließend – feststellt, dass nachdem der „Substantialismus der Identität“ zerstört sei, die „Anthropologie […] nur noch eine ‚menschliche Natur‘ zum Thema [hat], die niemals ‚Natur‘ gewesen ist und nie sein wird.“ (Blumenberg 1981a: 134) Auf analoge Weise dekonstruiert Blumenberg den neuzeitlichen (Erkenntnis-)Subjektbegriff, da dieser stets nicht nur hinter dem Horizont des potenziell Wissbaren, sondern ebenso hinter dem des (im Prinzip) aktuell Gewussten fällt. Die Exteriorisierung von Wissen als Voraussetzung moderner Wissenschaften und die systematisch-methodische Sammlung von Fakten bzw. Erkenntnissen stellt zugleich die Entstehungsbedingung und Annullierung des neuzeitlichen Subjektes dar, insofern dieses nur aufgrund eines individuellen Verlustes des Weltverständnisses im Modus der Weltermächtigung zur Selbstermächtigung fähig wird. Blumenberg geht sogar so weit, dass moderne Wissenschaft nur auf dem Grund einer zunächst fehlenden Einsicht in die unweigerlich paradox-ambivalenten Folgen, die diese zeitigen würde, entstehen konnte: „Der Satz: Wir wissen heute mehr über die Welt als irgend eine Zeit vorher, aber ‚wir‘ heißt nicht ‚ich‘, impliziert eine essentielle Enttäuschung. Deren Vorwegnahme hätte die Erwartung, die sie enttäuscht, unmöglich gemacht.“ (Blumenberg 2005: 159; vgl. Weber 1994: 9; Horkheimer/ Adorno 1997: 19-60) Diese Einschätzungen lassen sich auf der einen Seite soziologisch deuten bzw. weisen eine hohe Affinität zu einem soziologischen Verständnis des Akteurs als Produkt des Sozialen auf. Auf der anderen Seite werden alle darüber hinaus verweisende Elemente grundsätzlich ausgeschlossen. Der ‚Mensch‘ lässt sich in der Neuzeit – und erst recht in der Moderne – nur als Akteur begreifen, der als solcher – in Kontrast zu seiner unmöglichen ‚Unkünstlichkeit‘, die nicht mehr als eine Chiffre sein kann – von Artifizialität gekennzeichnet ist. In Anlehnung an Blumenberg beschreibt Fohler die Unmöglichkeit einer Grenze oder eines archimedischen Punktes, „an dem sich der Mensch von einem vormals Natürlichen entfernt hat und die Grenze zur Künstlichkeit überschritten hat“ (2004: 313), und stellt fest, dass es „kein vortechnisch-natürliches Wesen des Menschen [gibt]. Immer schon haben technische Artefakte den Menschen kompensatorisch ergänzt und ihm neue Möglichkeiten eröffnet, und immer schon prägte eine natürliche Künstlichkeit die Stellung des Menschen in der Welt. Eine mögliche Rückkehr zu einem quasi authentischen Leben gibt es deshalb nicht. […] Halten wir fest, dass technisches Handeln den Menschen immer schon ergänzt hat, dass der Mensch, den wir heute kennen, das Produkt einer technischen Entwicklung, der Verflechtung von sozialen und technischen Prozessen ist, dass er natürlicherweise künstlich ist.“ (Fohler 2004: 313, 310)

62 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Technisierung, Artifizialität des Akteurs und Techniktheorien

Sowohl Schulz-Schaeffer als auch Rammert übernehmen teilweise Blumenbergs Diagnose; so betont jener nachdrücklich die spezifischen Unterschiede zwischen Herstellungs- und Verwendungskontexten (Schulz-Schaeffer 2000: 202ff), wohingegen dieser auf die Unmöglichkeit substanzieller Unterschiedsmerkmale zwischen Akteur und Technik hinweist (Rammert 1998b: 302). Beide halten jedoch letztlich an einer fundamentalen, prinzipiellen Unterscheidbarkeit von Akteur und Technik fest. Schulz-Schaeffers handlungstheoretischer Beitrag geht ohnehin von zwar (im Modus sinnhafter Selektivität) aufeinander verweisenden, aber stets eindeutig identifizierbaren Größen des Sozialen (‚Akteur‘ und ‚Sachtechnik‘) aus. Seine beeindruckende Leistung besteht in der handlungstheoretischen Grundlegung einer sozialen ‚Beziehungsfähigkeit‘ zwischen Akteuren und Sachtechnik: Auf der Grundlage einer geschickten Verknüpfung phänomenologischer Handlungstheorie (Schütz) mit Colemans Akteurmodell und der daraus abgeleiteten Unterscheidung zwischen sinnhafter Selektivität und intentionalem Sinn wird der Sachtechnik eine Teilhabe am Sozialen zugewiesen bzw. sozialtheoretisch zurechenbar: „Wechselseitig sinnhaft aufeinander bezogenes Verhalten, das zeigen die vorangegangenen Überlegungen, gibt es aber auch in der Interaktion zwischen intentional sinnhaftem und verkörpert sinnhaftem Verhalten. Für Interaktionsbeziehungen dieser Art, die in Delegationsbeziehungen zwischen menschlichen Akteuren ebenso vorkommen wie in Delegationsbeziehungen zwischen Mensch und Technik, bildet ‚sinnhafte Selektivität‘ und nicht ‚intentionaler Sinn‘ das übergreifende Grundelement. Auf der Ebene der handlungstheoretischen Betrachtung ist ‚sinnhafte Selektivität‘ mithin das erweiterte Sozialitätskriterium (und zugleich das Differenzkriterium zur Abgrenzung des Bereichs des Sozialen gegenüber nicht-sinnhaften und damit nicht-sozialen Phänomenen), das es erlaubt, die Handlungsbeiträge der gegenständlichen Technik in die soziologische Analyse einzubeziehen. Auf der Grundlage dieses erweiterten Sozialitätskriteriums lässt sich mithin auch hier von einer sozialen Beziehung sprechen.“ (SchulzSchaeffer 2008a: 715; vgl. Schulz-Schaeffer 2007a: 485ff).

Rammert hingegen verwischt zwar die Grenze deutlicher, allerdings auch nur bis zu einem letzten ‚irreduziblen‘ Rest aufseiten des Akteurs. Dies wird in den gestuften Agency-Modellen jüngerer Arbeiten sichtbar (Rammert 2008a: 220, 224, 229), die sich zurückverfolgen lassen auf den 2002 gemeinsam mit Schulz-Schaeffer verfassten Eröffnungsbeitrags des Sammelbandes „Können Maschinen handeln“ (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002b). In dem stärker an dem Pragmatismus orientierten und sozialtheoretisch ambitionierten Aufsatz von 1998 „Die Form der Technik und die Differenz der Medien – Auf dem Weg zu einer pragmatistischen Techniktheorie“ (Rammert 1998b) zeigen sich stärkere Parallelen zur radikaleren Position Pickerings.

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Die ebenfalls pragmatistische Positio Pickerings lässt sich als ‚verspielte‘ Variante von Rammerts Entwurf lesen. Pickering beschäftigt sich schwerpunktmäßig stärker mit Fragen nach der Handlungsträgerschaft, die er – bis auf den Aspekt der Intentionalität, den er zwar für die menschliche Agency reserviert, jedoch stark an die materielle Agency zurückbindet – als relativ bzw. bezüglich Sozialrelevanz – zumindest punktuell – gänzlich symmetrisch darstellt (Pickering 1995: 19f). Er grenzt sich dennoch explizit von dem Postulat einer totalen Symmetrie der Akteur-Netzwerk-Theorie ab, indem er dies hauptsächlich mit einer der empirischen Forschung geschuldeten Heuristik begründet (Pickering 1995: 18f). Nichtsdestotrotz möchte Pickering einen strikt an der Praxis – und das bedeutet für ihn an der konkreten Emergenz von Agency – orientierten Ansatz entwickeln, der ihn zu der Skizzierung eines ‚posthumanistischen sozialen Raumes‘ verleitet, in dem menschliche und materielle Agency ‚faktisch‘ ständig aufeinander verweisen und die Grenzen zwischen Akteuren und Artefakten aufweicht, bzw. bezogen auf die Handlungspraxis und das sie Konstituierende, (eigentlich) zum Verschwinden bringt: „Rather, in their somewhat different ways, the mangle and the actor-network insist on the constitutive intertwining and reciprocal interdefinition of human and material agency. The performative idiom that I seek to develop thus subverts the black-and-white distinctions of humanism/antihumanism and moves into a posthumanist space, a space in which the human actors are still there but now inextricably entangled with the nonhuman, no longer at the center of the action and calling the shots. The world makes us in one and the same process as we make the world. This posthumanism is the second aspect of the mangle that thought tends to bounce off and even recoil from. Again, I make no apologies for it. It seems to me to be how things are in practice, an interesting but difficult observation that needs explicitly to be made, and the mangle helps to keep it in view. […] To speak for myself, I am not sure whether the temporal emergence of the mangle or its posthumanism is the harder to take. Perhaps it is the entanglement of the two, since my way of understanding the interconnection of human and material agency is essentially temporal.“ (Pickering 1995: 25f)

Die Betonung einer konsequenten ‚Verzeitlichung‘ des Gegenstandes, die typisch für pragmatistische Ansätze ist, deutet auf den grundsätzlichen Verzicht essenzialistischer Merkmale der involvierten Entitäten. Der von Pickering beobachtete ‚Tanz der Handlungsträgerschaft‘ tritt erst durch eine strikte Temporalisierung des Beobachteten in Erscheinung (Pickering 1995: 21f). Die Unterschiede zwischen Rammerts und Pickerings Entwürfe lassen sich einerseits auf den jeweiligen Problembezug zurückführen: Wo es Rammert darum geht, die Gegenüberstellung ‚Technik vs. Soziales‘ zu destruieren (Rammert 2008a: 229), legt Pickering den Schwerpunkt auf die Frage nach der Handlungsträgerschaft und damit auf das Aufbrechen des ‚Akteur vs. Technik‘ Antagonismus (Pickering 1995: 26 Fn40). Natürlich behandeln beide auch die

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jeweils andere Gegenüberstellung, dennoch führt der zentrale Problembezug zu geringfügig unterschiedlichen Ausarbeitungen und Konsequenzen für ein sozialwissenschaftliches Verständnis von Technik. Andererseits lässt sich von der Argumentationsweise ausgehend auch feststellen, dass Pickering einer dem Pragmatismus entlehnten Perspektive folgend sich der Frage nach der Handlungsträgerschaft widmet, wohingegen Rammert sich des Pragmatismus‘ bedient (was einen nicht unerheblichen Unterschied ausmachen kann). Neben der besonders radikalen sowie in einigen Hinsichten problematischen, weil widersprüchlichen, Perspektive der Akteur-Netzwerk-Theorie, die eine vollständige Symmetrierung der Akteur-Technik Differenz fordert, lassen sich zwei weitere Ansätze ausmachen, die Ähnlichkeiten mit Pickerings gemäßigter Symmetrierung aufweisen. Die postphänomenologische Rekonfiguration des Subjektbegriffes, die mit besonderem Nachdruck von Ihde (2002) vertreten wird, und die dieser Position sehr nahestehende Rekonfiguration des Akteurs (das Subjekt wird hier von vornherein als Akteurfiktion angenommen) in Haraways (1988) Ansatz. Bis auf die AkteurNetzwerk-Theorie berücksichtigen alle anderen Ansätze die Situiertheit einer jeden Beobachtung und Wirklichkeitskonstruktion (der Wissenschaftlerin genauso wie des Akteurs), die zu mehr oder weniger starken Symmetrierungsannahmen führt. Wie sich im Kapitel zu den ‚Techniktheorien‘ zeigen wird, schneidet Pickerings Ansatz gerade in dieser Hinsicht ‚schlecht‘ ab; sein ‚Tanz der Handlungsträgerschaft‘ bleibt ein sehr asymmetrisches Unterfangen. Dahingegen können Ihdes und Haraways Ansätze hinsichtlich der Fundierung eines Akteurmodells eine kongeniale Verbindung eingehen, da die Artifizialität des Akteurs von vornherein als dessen wesentliches definitorisches Merkmal in Rechnung gestellt wird. Im Folgenden wird es vorrangig um die Bereitstellung einer sozialtheoretischen Perspektive gehen, die es erlaubt zwischen sozialen Agenten (als Cyborgs), technischen Installationen und Sozialem zu unterscheiden, ohne zwischen Akteuren und Technik unterscheiden zu müssen.

3. Beobachtungskonstruktionen „Die Methode, zu ‚postulieren‘, was man braucht, hat viele Vorteile. Es sind dieselben, wie die Vorteile des Diebstahls gegenüber der ehrlichen Arbeit.“ RUSSELL 2002: 83

Das folgende Kapitel soll dazu dienen, den eigenen Standpunkt zu reflektieren und hinsichtlich der Zielsetzung, die sich aus dem dargestellten problematischen Verhältnis soziologischer Theorie zur Technik ableitet, zu rechtfertigen. Es hat sich im ‚Problemaufriss‘ gezeigt, dass die Argumentation hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der Funktionsweise soziologischer Theorien zwischen dem Theorem einer Beobachtung zweiter Ordnung und dem des Nullwertes changiert. Eine Reflexion des eigenen Standortes drängt sich allerdings auch unabhängig der dort zum Vorschein kommenden Verlegenheit ob der Wahl eines der zwei Theoreme auf. Dies hängt mit der zunächst erkenntnistheoretischen und sodann auch sozialtheoretischen „Entdeckung des Beobachters“ (Baecker 1996: 17) zusammen, die für jegliche Theoriebildung im 20. Jahrhundert von maßgeblicher Bedeutung gewesen ist und bis in die Gegenwart fortdauert. Im Rahmen einer – im weitesten Sinne – wissenssoziologischen Rekonstruktion sozialtheoretischer Positionen kann freilich auch die Einnahme eines absoluten Standpunktes legitim sein. So lässt sich Lefèvres historisch-materialistische Deutung von Max Webers Grundlegung einer ‚bürgerlichen Soziologie‘ als ein Beispiel für ein solches Vorgehen anführen (Lefèvre 1971). Der Standpunkt der historisch-materialistischen Theorie ist per se absolut und rein formal weder selbstreflexiv noch erkenntnistheoretisch einholbar, und es bedarf keines „[…] sie ‚fundierenden‘ erkenntnistheoretischen Standpunkts: ihr ‚Standpunkt‘ ist ihr eigener Vollzug.“ (Schmidt 1969: 7; vgl. Gripp-Hagelstange 1986: 111ff) Es sei dahin gestellt, inwieweit die Einnahme einer historisch-materialistischen Perspektive als sinnvoll und/ oder zeitgemäß erscheint. Die Aufdringlichkeit oder gar Notwendigkeit einer Selbstreflexion

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verhält sich relativ zur eingenommenen Perspektive, respektive der dieser zugrunde liegenden erkenntnistheoretischen (Vor-)Annahmen. Selbst die Wissenssoziologie konnte in ihrer Geburtsstunde noch von einem zwar relativen, aber qualitativ höherwertigen Standpunkt der eigenen Beobachtung ausgehen (Mannheim 1995: 7; 257ff; vgl. Luhmann 2009a: 6). Im erkenntnistheoretischen Feld hat insbesondere die Sprachphilosophie, im wissenschaftstheoretischen die Kybernetik und im sozialtheoretischen die neuere Systemtheorie sowie der Poststrukturalismus die Mannheimsche Position erschüttert, insofern die „gleitende Denkbasis“ (Mannheim 1995: 262) im Prinzip immer auch bezogen auf die – ins Gleiten gekommene – Beobachtung jener in Rechnung gestellt werden muss (vgl. Stäheli 2000a: 18; Baecker 1996: 17; Luhmann 2009a: 6 Fn1). Die Konsequenzen dieser Entwicklungen (sofern diese für die eigene Argumentation in Anschlag gebracht werden) werden in Theorievergleichen virulent. So hat Stäheli zu Recht darauf hingewiesen, dass Kneer in der sich dem Vergleich der Theorieentwürfe von Habermas, Foucault und Luhmann widmenden Monografie (Kneer 1996), sich letztlich an Luhmanns Theorie sozialer Systeme orientiert bzw. von diesem Standpunkt aus die Theorien de- und rekonstruiert (Stäheli 2000a: 18 Fn15). Stäheli möchte in seiner Monografie diesem vorauszusehenden Scheitern eines Vergleichs von Luhmanns Systemtheorie mit dem Dekonstruktivismus mithilfe der Argumentationsfigur des ‚Parasiten‘ von Serres entgehen. Auf diese Weise soll die „Systemtheorie auf selektive Weise aus der Perspektive einer dekonstruktiven Diskurstheorie gelesen [werden], indem ihre Responsivität auf ihr immanente Störungen in den Vordergrund gerückt wird.“ (Stäheli 2000a: 19) Bemerkenswert daran ist, dass Stäheli die neuere Systemtheorie schließlich doch von einem ihr exogenen – nämlich strukturalistischen – Standpunkt aus dekonstruiert, obwohl er gerade das zu vermeiden trachtet. Anmerkungen zum eigenen Standpunkt: Strategien der Explizierung ‚erster Referenzen‘

Hier soll die Arbitrarität der Setzung, mit dem Nullwerttheorem die Funktionsweise soziologischer Theorien zu untersuchen, weder kunstvoll verschleiert noch in einem strengen Sinne gemäß formal logischer Kriterien argumentativ entfaltet werden (was einem unmöglichen Unterfangen bzw. performativen Widerspruch gleichkäme). Vielmehr soll durch die Gegenüberstellung von Wittgensteins Sprachspielbegriff und der Kategorie der Beobachtung eine Folie vorbereitet werden, vor deren Hintergrund die Verwendung des Nullwertes – und zwar als ein Mittel für einen bestimmten Zweck – sinnvoll erscheint. Insofern handelt es sich, Wittgenstein paraphrasierend, um die Herstellung eines günstigen Rahmens, der es ermöglicht, die Leserin zu ‚überreden‘ im Nullwerttheorem ein geeignetes Analysemittel zu erkennen, das sich in

3. B EOBACHTUNGSKONSTRUKTIONEN | 67

einem besonderen Maße für die Herausarbeitung eines relevanten Aspektes hinsichtlich des Verhältnisses soziologischer Theorien zur Technik eignet (vgl. Wittgenstein 1992: 138f). Dieses Kapitel beinhaltet einige weitere Aspekte, die einer Ankündigung bedürfen: Zunächst soll darauf hingewiesen werden, dass die Vorstellung der Kategorie der Beobachtung und der Kybernetik zweiter Ordnung, jenseits der Kontrastierung mit Wittgensteins später Sprachphilosophie, die konstruktivistisch-differenztheoretische Grundlage der hier eingenommenen Position darstellt, die in ihren Grundzügen sowohl auf das Nullwerttheorem als auch auf zentrale Aspekte der für das zu entwickelnde Akteurmodell herangezogenen Techniktheorien übertragen werden kann. Wenngleich es in diesem Kapitel darum gehen soll, verschiedene Argumente ins Feld zu führen, die als Ensemble dazu führen sollen, im Nullwerttheorem ein geeignetes Analyseinstrument für eine komparatistisch angelegte Untersuchung soziologischer Theorien wahrzunehmen, behält die Relativität dieser ‚Wahrheit‘ vor dem Hintergrund einer beobachterinabhängigen Erkenntnis ihre Gültigkeit. Demzufolge kann es hier nur darum gehen, die arbiträre Setzung einerseits offen zu legen, andererseits die Beweggründe für diese möglichst nachvollziehbar aufbereitet zu explizieren. Darüber hinaus beinhaltet dieses Kapitel zwei ineinander verschachtelte Vergleiche: Der ‚außen liegende‘ Vergleich zwischen der Kategorie der Beobachtung und den Begriffen des Zweifels und der Gewissheit wird bestimmt von dem ‚innenliegenden‘ Vergleich zwischen Wittgenstein, Descartes und Hume. Letzterer soll unter anderem Hinweise für die Methode des Theorievergleichs als solche liefern. Über die aufgrund des Vergleichs für das Thema im Allgemeinen und einigen zentralen Theorien im Speziellen (siehe dazu die nächsten Absätze) gewonnenen Erkenntnisse hinausgehend, soll dieser ‚innenliegende‘ Vergleich also auch instruktiv sein bezüglich einer komparatistisch angelegten Rekonstruktion soziologischer Theorien. Descartes’ und Humes Ontologien und das Spannungsverhältnis zwischen Situiertheit des Wissens, Akteurkonstruktion und Symmetrieprämisse

Schließlich bereitet dieses Kapitel auch den Boden für die Auseinandersetzung mit Techniktheorien, die sich der Überwindung des Akteur-Technik Dualismus widmen. Neben der Gegenüberstellung der Kategorie der Beobachtung zweiter Ordnung und der Sprachspiel Metapher, die zu einer Klärung für die Wahl des Nullwerttheorems beitragen soll, wird Wittgensteins Position mit Descartes’ und Humes verglichen. Dieser Vergleich (im Vergleich) dient einerseits dazu, die Sprachspiel Metapher zu erhellen, sowie andererseits die erkenntnistheoretische ‚Vorgeschichte‘ der im Rahmen der Entwicklung eines Akteurmodells für Cyborgs herangezogenen Techniktheorien, insbesondere der von Ihde und Haraway, darzustellen. Vor diesem Hintergrund

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entfaltet sich eine deutlich weiter reichende Deutung ihrer Ansätze, die es einsichtiger werden lässt, dass im Spannungsfeld zwischen einer (relativen) Standortgebundenheit einer Erkenntnis und der Artifizialität des Akteurs die Debatte um das Ausmaß des ‚anzunehmenden‘ Grades an Symmetrie keine scholastische Übung darstellt. Vielmehr schält sich heraus, dass die Herausforderung gerade in der Bewältigung dieser Spannung besteht: Die Angewiesenheit einer jeden relativen Erkenntnis auf Iteration und Reflexivität führt zu einer Akteurkonstruktion, die auf das (vormoderne Erkenntnis) Subjekt rekurriert und die somit eine Symmetrierung unterwandert. Die ‚Unterwanderung‘ dieser ‚Invisibilisierungsstrategie‘ (der relativen Wahrheit und damit Wirklichkeit einer jeden Erkenntnis und/oder Feststellung) vor dem Hintergrund der Forderung einer ‚totalen Symmetrieprämisse‘ schüttet das Kind (Situiertheit des Wissens) mit dem Badewasser (problematisches Akteur-Technik Verhältnis) aus und versteckt die Badewanne (Aufhebung der Standortgebundenheit und Relativität von Erkenntnis sowie damit Rückfall in ein cartesianisches Erkenntnismodell, obgleich gerade das diesem zugrunde liegende Weltbild – Dualismus von Geist und Materie – überwunden werden soll). Haraways Kritik an Latour und Ihdes Kritik an beiden erhellt sich in voller Schärfe vor dem Hintergrund dieser erkenntnistheoretischen (und wie sich zeigen wird auch sozialtheoretischen) Prämissen. Dieses Spannungsverhältnis ist von erheblicher Bedeutung für die hier entwickelte Argumentation, die unter anderem für die Entwicklung eines Akteurmodells plädiert, das zwar einerseits die Artifizialität des Akteurs ‚anerkennt‘, sowie andererseits die Artifizialität nicht mit Symmetrierung verwechselt. Den Akteur als Cyborg zu konzipieren bedeutet nichts weiter, als den Akteur von essenzialistischen Merkmalen zu befreien, die in irgendeiner Weise auf ‚besondere Fähigkeiten‘ verweisen, die ihm und nur ihm als einer bestimmten ‚verkörperten‘ Entität zukommen (wie bspw. das der Kontingenzbewältigung). Diese ‚Verweise‘ bauen eine (widerspenstig stabile) essenzialistische Chimäre auf, die die Künstlichkeit des Akteurs ‚naturalisiert‘. Die Frage ‚wer oder was, welche Entität bewältigt Kontingenz?‘ wird ohne Ansehung der Hybridität der Entität, die erst Kraft dieser Eigenschaften in den Stand gesetzt wird Kontingenz zu bewältigen, beantwortet. Im vorletzten Kapitel des vorliegenden Textes, das sich bestehenden Techniktheorien und Theorien zu deren Weiterentwicklung widmet – insbesondere in den Abschnitten, die sich mit einer exemplarischen Anwendung des hier vorgeschlagenen Akteurmodells beschäftigen – werden einige Aspekte angesprochen, die für die ‚Widerspenstigkeit‘ dieser Naturalisierung verantwortlich gemacht werden könnten. Neben kritischen werden dort auch methodologische und epistemologische (nicht nur die soziologischen Theorien betreffende) Gründe angerissen. In dem nächsten Kapitel (Theorietechniken) hingegen werden hauptsächlich disziplinspezifische, soziologische Theorien betreffende Gründe angegeben – auf diesen beruht zugleich in der Hauptsache die Argumentation der Arbeit insgesamt.

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3.1 D IE B EOBACHTUNG UND K YBERNETIK ZWEITER O RDNUNG Beobachtung wird allgemein in der Systemtheorie als ‚Bezeichnung anhand einer Unterscheidung‘ verstanden, d. h. anhand einer Unterscheidung ‚Mann – Frau‘ wird eines bezeichnet: ‚Frau‘; aber auch ‚diese Vase oder alles andere in der Welt‘: ‚diese Vase‘ (Fuchs 1993: 31). Die grundlegend erkenntnistheoretische Prämisse ist dabei, dass etwas nur dann bezeichnet (bzw. beobachtet) werden kann, wenn es von etwas anderem unterschieden wird. Der Beobachtungsbegriff ist so allgemein gewählt, dass er allen Systemarten gerecht wird, und sich in das Postulat der operativen Geschlossenheit von Systemen einreiht: Das System Kommunikation z. B. kann über seine Umwelt kommunizieren, indem es Unterscheidungen konstruiert, ohne mit der Umwelt kommunizieren zu müssen (Fuchs 1993: 39f). Entscheidend ist hierbei, dass die Selbstreferentialität des Systems nie unmittelbar Thema wird, sondern höchstens in Form von ‚Selbstbeobachtung‘ Unterscheidungen hinsichtlich der Systemeigenschaften abermals konstruiert, sodass kein System jemals zu sich selbst kommen kann. Dieser Umstand liegt auch darin begründet, dass in der Selbstbeobachtung die Beobachtungen des Systems wiederum nur mittels Unterscheidungen (anhand von anderen Beobachtungsoperationen) beobachtet werden können (Kneer/Nassehi 1994: 99f). Jede Beobachtung ist von der gewählten Unterscheidung ‚abhängig‘, d. h. die Beobachtung kann nur das sehen (beobachten), was aufgrund des Unterscheidungsmodus’ wählbar ist (Recht/Unrecht – Mann/Frau – intelligent/dumm – eloquent/still – etc.). Es gibt immer mehr als nur eine Unterscheidungsmöglichkeit, je nach Beobachtungsperspektive. Jede Kommunikation ist dabei von der Unterscheidung abhängig, die die Beobachtungsoperation anwendet (Fuchs 1993: 38f; Luhmann 1994: 173). Jede Beobachtung kreiert eine Referenz, indem sie eine der zwei Seiten bezeichnet. Die Referenz wird jedoch erst dann zur Beobachtung, wenn das durch sie Bezeichnete „in den Dienst weiterer Informationsverarbeitung gestellt wird.“ (Fuchs 1993: 32) Keine Beobachtung kann im Moment der Beobachtung sich selbst beobachten. Der Hauptgrund für diesen Umstand liegt in der Notwendigkeit zur Unterscheidung einer jeden Beobachtung: Wenn die Beobachtung beobachtet wird, dann tut sie dies abermals unter Verwendung einer Unterscheidung; die Beobachtung wird mit der ihr zugrunde liegenden Unterscheidungsoperation beobachtet, indem eine zweite Unterscheidungsoperation – die nämlich die erste beobachtet, indem sie diese von anderen unterscheidet – zur Anwendung kommt (Fuchs 1993: 35).

70 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Jede Beobachtung setzt eine Unterscheidung voraus, die sie selbst nicht mehr mit der gleichen Unterscheidung noch einmal beobachten kann. Um die Unterscheidung, die benutzt wurde, beobachten zu können, muß sie bezeichnet werden, und eben das setzt eine andere Unterscheidung voraus, in deren Rahmen die erste Unterscheidung von anderen Unterscheidungen unterschieden wird.“ (Fuchs 1993: 37f)

Eine Beobachtung der Beobachtung heißt demzufolge eine ‚Beobachtung zweiter Ordnung‘. Eine Beobachtung zweiter Ordnung liegt auch dann vor, wenn es sich um keine ‚Selbstbeobachtung‘ der eigenen Beobachtung handelt; also auch dann, wenn ein System die Beobachtung eines anderen Systems beobachtet (Kneer/Nassehi 1994: 100). Jede Beobachtung zweiter Ordnung ist an dieselben Voraussetzungen der von ihr beobachteten Beobachtung gebunden; es besteht also kein hierarchisches Verhältnis zwischen ihnen, denn die Beobachtung zweiter Ordnung kann ebenso nur das sehen, was sie aufgrund der gewählten Unterscheidungsoperation unterscheiden, bezeichnen und somit beobachten kann. Die Beobachtung zweiter Ordnung kann genauso wenig wie die Beobachtung, die sie beobachtet, ihre eigene beobachtungsleitende Unterscheidung einsehen. Die kritische Beobachtung der Beobachtung erlaubt eine reflexive, aber keinesfalls prinzipielle Kritik der von ihr beobachteten Beobachtung: Denn sie kann zwar sehen, „was der Beobachter sieht und wie er sieht, was er sieht“ und sie sieht sogar „was der beobachtete Beobachter nicht sieht, und sieht, daß er nicht sieht, was er nicht sieht“ (Fuchs 1993: 50) – aber sie kann genauso wenig sehen, was sie selbst nicht sieht. Damit kann die Beobachtung zweiter Ordnung die ‚latenten Strukturen‘ der Beobachtung, die sie beobachtet, aufdecken; dieses Aufdecken ist jedoch selbst an Strukturen gebunden, um die es nicht besser steht als um die, die sie aufzudecken bestrebt ist. (Kneer/Nassehi 1994: 101). „Jede Beobachtungsoperation ist an eine Unterscheidung gebunden, die sie mit der Bezeichnung aktualisiert. Jede Beobachtungsoperation ist immer auch eine der ersten Ordnung. Es gibt keine Beobachtung, und sei sie der hundertsten Ordnung, die nicht zugleich eine der ersten wäre. Damit wird jede Hierarchisierung aufgehoben, jedes ‚besser‘ und ‚schlechter‘ ausgeschaltet. Man kann und darf nicht von inferioren oder superioren Beobachtungsoperationen sprechen.“ (Fuchs 1993: 49)

Auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung liegt eine monokontexturale Welt vor. Kontextur bezeichnet den Bereich, der „mit einer Unterscheidung aufgespannt wird. Die Kontextur ist also das, was mit der zugrundeliegenden Unterscheidung beobachtet werden kann.“ (Kneer/Nassehi 1994: 102) Eine monokontexturale Welt ist stets zweiwertig (Luhmann 1994: 88 u. 98). Die Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung führt zu einer polykontexturalen Welt. Dies bedeutet, dass es stets eine Vielzahl von Unterscheidungen und damit von Kontexturen geben kann; gleichzeitig aber

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führt dies zum Verlust eines bevorzugten Punktes, von dem aus die verschiedenen Kontexturen einander gegenübergestellt und bewertet werden könnten. Jede Beobachtung wird damit zu einer kontingenten Konstruktion, die von einer anders gewählten Unterscheidung auch anders hätte ausfallen können (Kneer/Nassehi 1994: 103): „In dem Moment, wo die Gesellschaft bemerkt, daß sie unentwegt Beobachter beobachtet und es viele Beobachter und Beobachtungen gibt, in denen unterschiedliche Unterscheidungen aktualisiert werden, die sich nicht mehr auf eine Generalunterscheidung bringen lassen, in dem Moment“ werden „alle Beobachtungsergebnisse kontingent [...].“ (Fuchs 1993: 59)

Jede Beobachtung ist paradox konstituiert: Einerseits operiert sie stets auf der Grundlage einer Unterscheidung, andererseits beruht diese auf einer selbstreferenzielle Struktur. Tautologien gelten hier auch als Paradoxien und werden genauso behandelt, insofern eine Tautologie eine Unterscheidung markiert, die sie nicht leistet (Kneer/Nassehi 1994: 106; Luhmann 1994: 491). Die Paradoxie liegt in der Kombination von Selbstbezüglichkeit und Unterscheidung, die einer jeden Beobachtung konstitutiv zugrunde liegt. Konkret zeigt sich die Paradoxie, wenn die beobachtungsleitende Unterscheidung auf die Beobachtung angewendet wird. Wenn z. B. mit der beobachtungsleitenden Unterscheidung von Lüge/keine Lüge beobachtet wird und danach gefragt wird, ob denn die Unterscheidung selbst gelogen oder wahr ist. „Paradoxwerden heißt: Verlust der Bestimmbarkeit, also der Anschlußfähigkeit für weitere Operationen.“ (Luhmann 1996: 59) Das beobachtende System schaltet die Paradoxie seiner Beobachtungen aus, damit ein fortschreitendes Operieren möglich ist: es entparadoxiert seine Beobachtungen (Kneer/Nassehi 1994: 106f). Die Theorie sozialer Systeme arbeitet grundsätzlich mit der Differenz von System und Umwelt; diese Differenz ist ihre grundlegende beobachtungsleitende Unterscheidung. Hier wie auch in anderen Fragen charakterisiert sich die Theorie als ein differenztheoretischer Ansatz (Kneer/Nassehi 1994: 108f). Dabei weist die Theorie des Beobachtens sozialer Systeme autologische Implikationen auf. Was sie über das Beobachten aussagt, sagt sie selbst aufgrund von Beobachtungen aus: Alles, was über das Beobachten gesagt wird, trifft auf die Theorie selbst zu. Somit muss die Theorie des Beobachtens auch für eine Entparadoxierung sorgen, weil sie sich ansonsten am weiteren Operieren (Entwickeln und Anwenden der Theorie) hindern würde. Andererseits ist dies einer der Aspekte der Theorie sozialer Systeme, in dem die Selbstreferentialität der Theorie besonders virulent wird und klar zum Vorschein kommt: Was sie über ihren Gegenstandsbereich aussagt, trifft auf sie selbst zu – dies geht freilich mit dem Universalitätsanspruch der Theorie konform. Auch die Theorie sozialer Systeme nimmt keinen bevorzugten Standpunkt ein. Das Problematische an dieser Eigentümlichkeit stellt einen zentralen Sachverhalt dar, der im Folgenden zunehmend zum Vorschein kommen und kritisch diskutiert werden soll.

72 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Kybernetik erster und zweiter Ordnung

Zunächst soll jedoch in die Kybernetik zweiter Ordnung bzw. allgemein in Begriffe zweiter Ordnung bei Foerster eingeführt werden. Dieser kurze Exkurs erscheint sinnvoll im Hinblick auf eine umfassende Darstellung der Kategorie der Beobachtung, nicht nur weil Foerster und das von ihm gegründete und über 20 Jahre geleitete „Biological Computer Laboratory“ als Vorreiter für Luhmanns Modell gelten, sondern auch aus dem Umstand heraus, dass die Kategorie der Kybernetik zweiter Ordnung eine identische Struktur aufweist wie die der Beobachtung zweiter Ordnung in Luhmanns Entwurf, wobei zugleich dezidierter erkenntnistheoretische mit -politischen Implikationen herausgearbeitet werden, die es erlauben die Grundlagen konstruktivistisch-differenztheoretischer Ansätze mit weiter unten diskutierten – für das zu entwickelnde Akteurmodell zentralen – Techniktheorien zu verknüpfen. Unter Kybernetik wird gemeinhin die „Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine“ (Foerster 1996a: 72) bzw. genauer: „die Erforschung ‚kreis-kausal geschlossener und rückgekoppelter Mechanismen in biologischen und sozialen Systemen‘“ (Foerster 1993a: 163) verstanden. Als ein erstes Konzept und gleichsam als einen zentralen Aspekt der Kybernetik nennt Foerster das der Zirkularität (Foerster 1993b: 63). Es geht folglich um organisatorisch geschlossene Systeme bzw. rekursive, sich selbst organisierende Systeme (Foerster 1996a: 73). Die Kybernetik verwendet autopoietische Modelle, mit denen die zirkuläre und operationell geschlossene Vorgehensweise von Lebewesen und Systemen erklärt werden soll. Autopoiesis „ist die Organisation, die ihr eigener Eigenzustand ist: das Ergebnis der produktiven Interaktionen der Komponenten des Systems sind eben diese Komponenten.“ (Foerster 1996a: 75f) Interessant wird es nun, wenn man zur Kybernetik der Kybernetik übergeht, also zur Kybernetik zweiter Ordnung. Zunächst soll jedoch der Schritt von einer Kybernetik erster zu einer der zweiten Ordnung anhand der Objektivitätskritik von Foerster erläutert werden. Das Hauptkriterium der Objektivität stellt die Forderung dar, dass die Eigenschaften des Beobachters nicht in die Beschreibung seiner Beobachtung eingehen dürfen (Foerster 1993c: 88). Foerster hält dem lapidar entgegen: „Aber wie wäre es möglich, überhaupt eine Beschreibung anzufertigen, wenn der Beobachter nicht die Eigenschaften besäße, die die Anfertigung einer Beschreibung erfordert?“ (Foerster 1993c: 88) Den daraus resultierenden Hang zum Solipsismus kritisiert Foerster, indem er sich implizit auf die in anderen Wissenschaften bereits gezeigte, eigentümliche Struktur des Subjekt-Objekt Paradigmas beruft. Wittgenstein gilt als einer der bedeutendsten Kronzeugen für die Dekonstruktion des Subjekt-Objekt Paradigmas: Sowohl in frühen Arbeiten (Logisch-philosophische Abhandlung), in Form eines in eins Fallens von Idealismus und Realismus (Wittgenstein 1990a: 67f), als auch vor allem in späten (Philosophische Untersuchungen), in denen die Subjekt-

3. B EOBACHTUNGSKONSTRUKTIONEN | 73

Objekt Kategorie auf Sprachspiel-Variationen zurückgeführt wird – die allein in intersubjektiv geteilten Konventionen begründet liegen –, wird das neuzeitliche Erkenntnisprinzip einer Subjekt-Objekt Beziehung radikal kritisiert (Wittgenstein 1990b: 571). Foerster hierzu: „Der Unsinn dieser Behauptungen [des oben zitierten Objektivitätskriteriums] – ob man ihnen nun positiv oder negativ gegenübersteht – kann jedoch nicht in dem Begriffssystem, in dem diese Behauptungen aufgestellt wurden, wahrgenommen werden.“ (Foerster 1993c: 88) Man muss das Paradigma verlassen, um es konstruktiv kritisieren und ein neues Modell vorstellen zu können. Dies tut Foerster, indem er eine neue Frage stellt: „Welches sind die Eigenschaften eines Beobachters?“ (Foerster 1993c: 88) In dieser Frage liegt bereits die Notwendigkeit einer Terminologie der zweiten Ordnung begründet: Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es Beobachter, die das Beobachten beobachten. Entsprechend definiert Foerster die Kybernetik zweiter Ordnung, als „die Kybernetik von beobachtenden Systemen.“ (Foerster 1993c: 89) In Luhmanns Worten: „[...] was wir mit Hilfe der Kybernetik zweiter Ordnung anstreben: eine Abstraktion des Beobachtungsbegriffs und eine Theorie rekursiver Beobachtungsverhältnisse, also eine Theorie (Beobachtung) der Beobachtung des Beobachtens.“ (Luhmann 1994: 96) Es sollen zwei Implikationen einer Kybernetik der zweiten Ordnung angerissen werden: Es wird sofort ersichtlich, dass eine Wissenschaft der Beobachtung, die ihre eigenen Beobachtungen beobachtet („Welches sind die Eigenschaften eines Beobachters?“) sich in reiner Selbstreferenz bewegt und damit paradoxe Züge aufweist. Sodann gilt es, dem blinden Fleck einer jeden Beobachtung Beachtung zu schenken. Es soll, was Letzteres betrifft, ein von Foerster oft angewendetes sinnlich-anschauliches Beispiel herangezogen werden, um dann auf die Eigenart der Paradoxie zurückzukommen. Bitte schließen sie Ihr linkes Auge und fixieren Sie mit dem rechten Auge das Quadrat. Bewegen sie anschließend das Blatt entlang der Sehachse vor und zurück, bis in ca. 30-35 cm Abstand der Kreis aus dem Gesichtsfeld verschwindet (angelehnt an Foerster 1996b: 237): Abbildung 9: Experimentanordnung (Selbstversuch): Der ‚Blinde Fleck‘ im Gesichtsfeld hervorgerufen durch die ‚papilla nervi optici‘

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Das Phänomen ist auch in der Medizin als blinder Fleck bekannt und lässt sich relativ einfach erklären: Der Kreis wird im Fall seines Verschwindens genau auf die Stelle der Netzhaut projiziert, an der sämtliche Nervenfasern zum Sehnerv sich bündeln. An dieser Stelle gibt es auf der Netzhaut keine Rezeptorzellen (Foerster 1996b: 236). Dieser organisch bedingten Blindheit kann jedoch mehr entnommen werden als die medizinische Erklärung des Phänomens. Erstaunlich ist nämlich, dass der blinde Fleck nicht als Blindheit wahrgenommen wird: „Daraus ergibt sich, daß das Problem hier nicht darin besteht, daß wir nicht sehen, sondern darin, daß wir nicht sehen, daß wir nicht sehen.“ (Foerster 1996b: 237) Die ‚fehlende‘ Wahrnehmung wird nicht als ein Fehlen wahrgenommen, sondern durch sensomotorische Interaktion als Wahrnehmung wieder aufgebaut. Foerster benutzt dieses Beispiel, um zu veranschaulichen, dass die Blindheit darin besteht, nicht zu sehen, dass man blind ist – wohingegen Sehen bedeuten würde zu sehen, dass man blind ist bzw. in der Lage ist, die Blindheit wahrzunehmen (Foerster 1996c: 27f). Foerster bedient sich dieses Beispiels, um auf einer epistemologischen Ebene verdeutlichen zu können, dass die Eigenschaften der Beobachterin immer derart in die Beobachtung einfließen, dass sie nicht sieht, was sie nicht sieht. Um nun erneut auf die Frage nach dem paradoxen Gehalt eines Standpunktes der zweiten Ebene einzugehen, kann zunächst festgehalten werden, dass die Beobachterin einer Beobachtung sich dessen bewusst sein muss, dass sie womöglich sieht, dass diese Eigenschaften auf die von ihr beobachtete Beobachtung zutreffen, zugleich aber weiß, dass sie genauso an einen blinden Fleck gebunden ist (Luhmann 1991: 150). Diese Befindlichkeit lässt sich auf folgende bekannte, paradoxe Aussage, die formal-logisch zur Kategorie ‚Indexikalischer Zirkularität‘ gehört (vgl. Sainsbury 2001: 186ff), übertragen: ‚Ich bin ein Kreter, und ich sage, dass alle Kreter lügen‘. Dementsprechend sieht Foerster in dem Entstehen von Paradoxien einen der Hauptgründe, warum sich die Wissenschaften gesträubt haben (bzw. sich vielfach immer noch sträuben) „in das Universum ihrer Beobachtungen einzutreten.“ (Foerster 1993b: 64; vgl. Foerster 1993d: 146) Luhmann konstatiert 1991 dazu: „Erst in jüngster Zeit findet man eine methodologische Kritik dieses Ausgangspunktes, eine Kritik der Prämisse eines beobachtungsunabhängig gegebenen Objekts Gesellschaft.“ (Luhmann 1991: 147, vgl. 151; Luhmann 1994: 90f) Die Bereitschaft, sich im wissenschaftlichen Diskurs auf Paradoxien einzulassen, birgt eine Fülle von bereichernden Einsichten – davon abgesehen, dass einige wissenschaftliche Teilbereiche ohne diese Bereitschaft gar nicht erschlossen werden könnten bzw. in ihrer Entwicklung stark gehemmt wären, so z. B. die Neurophysiologie und Neuropsychiatrie (Foerster 1993b: 64f). Wichtig ist für die vorliegende Argumentation, Einsicht in die Notwendigkeit zu erlangen, dass, wann immer die Zirkularität bzw. die operationelle Geschlossenheit als zentrales Erklärungsprinzip fungiert, mit Paradoxien zu rechnen ist (Foerster 1993b: 64).

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Der Begriff der Autologie nimmt hinsichtlich solcher auf Zirkularität und Autopoiesis basierender Erklärungsprinzipien einen prominenten Platz ein und gehört ebenso zum Standardinventar der Kybernetiker, da sie die Logik darstellt, die sich mit Begriffen zweiter Ordnung auseinandersetzt (Foerster 1993e: 94). Autologisch sind all jene Theorien, die sich selbst erklären bzw. auf sich selbst angewendet werden können, um sich zu erklären, oder sogar allein selbst in der Lage sind, Aussagen über sich zu machen, „d. h. Begriffe, die auf sich selbst angewandt werden können und die in gewissen Fällen ihrer selbst bedürfen, um überhaupt existieren zu können.“ (Foerster 1996b: 235) Entscheidend ist hier sowohl der Befund, dass es Theorien gibt, die nur mit Hilfe ihrer selbst erklärt werden können, wie auch die Tatsache, dass diese Theorien die Qualität zweiter Ordnung aufweisen. Zuletzt aber auch, dass eine Theorie, die einen Anspruch auf Universalität erhebt, notwendigerweise autologisch sein muss. Die Sprache als das Medium für Erkenntnis schlechthin kann als paradigmatisches Beispiel angeführt werden. Wenn nämlich danach gefragt wird, was sie ist, darstellt oder wie sie funktioniert, muss dies wiederum mit Sprache untersucht und erklärt werden (Foerster 1993b: 79f; Foerster 1996b: 239; Foerster 1996d: 354). Die Kybernetik der Kybernetik, ebenso alle Begriffe und Modelle der zweiten Ordnung, implizieren also eine Geschlossenheit, die ihrerseits Selbstreferenz und Paradoxien impliziert. Der Beobachter zweiter Ordnung wird ja erst zu einem der zweiten Ordnung, indem er als mit eingeschlossen in das System, das er beobachtet, gedacht und verstanden wird. Daraus folgt, dass bei einer Beobachtung der zweiten Ordnung von einer stets mitlaufenden Selbstreferenz ausgegangen werden muss. Diese mitlaufende Selbstreferenz schließlich führt unweigerlich zu Paradoxien, da die Beobachterin der zweiten Ordnung sich, also ihre Beobachtungen, in das, was sie beobachtet, immer mit einbeziehen muss. Salopp ausgedrückt, wird sie zur Kreterin – ihre Beobachtung –, die über alle Kreter – was sie beobachtet – Aussagen fällt (Foerster 1996e: 146f). Grundsätzlich führt die Bereitschaft, sich auf geschlossene, selbstreferenziell arbeitende Systeme und auf paradoxe Argumentationsfiguren sowie Erklärungsmuster einzulassen, nicht nur zu der Einsicht, dass diejenige ‚sehend‘ ist, die sich zumindest ihrer Blindheit bewusst ist, sondern auch dazu, dass dieses Paradigma die Bedingungen für einen radikalen Begriff von Freiheit und Verantwortung darstellt. Foersters immer wieder vorgebrachtes Theorem lautet: „Wir können nur jene Fragen entscheiden, die prinzipiell unentscheidbar sind.“ (Foerster 1996d: 351; vgl. Foerster 1993b: 73) Auch Foersters Begriff der Metaphysik leitet sich von diesem Theorem ab: „Ich sage, wir werden zu Metaphysikern, ob wir uns so nennen oder nicht, wenn wir Fragen entscheiden, die prinzipiell unentscheidbar sind.“ (Foerster 1993b: 70) Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass alle entscheidbare Fragen, im Grunde, bereits entschieden worden sind, da es einen theoretischen Rahmen gibt, innerhalb dessen diese Fragen gestellt werden. Die Antwort auf eine entscheidbare Frage wird infolgedessen

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nicht von uns, sondern von der entsprechenden Theorie beantwortet: Die „[...] entscheidbaren Fragen [werden] schon entschieden [...] durch die Wahl des Rahmens, in dem sie gestellt werden, und durch die Wahl von Regeln, wie das, was wir ‚die Frage‘ nennen, mit dem, was wir als ‚Antwort‘ zulassen, verbunden wird.“ (Foerster 1993b: 73) Erst wenn es darum geht, prinzipiell unentscheidbare Fragen zu beantworten, ist der Mensch in seiner Entscheidung frei und muss infolgedessen die Verantwortung für seine Entscheidung tragen (Foerster 1996d: 352ff). Dementsprechend stellt Foerster fest, dass der Komplementärbegriff zu Notwendigkeit nicht Zufall, sondern Freiheit darstellt (Foerster 1993b: 73; vgl. Watzlawick 1991a: 314). Das Theorem einer Beobachtung zweiter Ordnung stellt also nichts weiter dar, als die erkenntnistheoretische Konsequenz eines endgültigen Verlustes eines transzendenten, die Erkenntnis absichernden Standpunktes, das in Nietzsches Wort, ‚Gott sei tot‘, eines seiner frühesten und schärfsten Ausdrücke findet: „Wenn es wahr sein sollte, daß wir diesen Gott getötet haben, wenn jene Kluft zwischen irdischem und ewigem Leben (bzw. Sein) sich wirklich als fingiert erweisen sollte, dann verlöre damit das menschliche Leben seinen Anspruch auf einen absoluten Wert, denn es verlöre die theologische Begründung seiner besonderen Würde. Es blieben ihm nur, aber immerhin, der Wert und die Würde, die wir ihm zu geben fähig, bereit und willens sind.“ (Borsche 1997: 266)

Erkenntnistheoretische Implikationen einer Kybernetik zweiter Ordnung

Es leuchtet ein, dass mit dem Objektivitätsanspruch eine Trennung zwischen Subjekt und Objekt einhergeht, und sich diese Trennung derart auswirkt, dass das Subjekt unabhängig und, gleichsam vom Objekt losgelöst, darüber Urteile zu fällen in der Lage sein soll. In dieser Loskopplung liegt bereits nach Foerster das die Ethik gefährdende Element, denn das in dieser Haltung harrende Subjekt vermag es, Urteile von allgemeiner Gültigkeit zu fällen, die die Form des „du sollst“ aufweisen. Diese Position ist die Wurzel von Autorität und Verantwortungslosigkeit, denn derjenige, der sie gefällt hat, hat sie unabhängig von sich und seiner Beobachtungsfähigkeit etc. gefällt – er hat sie aufgrund einer Logik oder Theorie gefällt, und nicht nur er selbst, sondern auch alle anderen können sich darauf berufen. Niemand trägt also die Verantwortung und derjenige, der die Urteile fällt, ist im Besitz der Wahrheit, ist die Autorität (Foerster 1996d: 353). Der Forscher hingegen, der sich als Teil dessen, was er beobachtet, versteht (und er sollte es allein schon deshalb, weil es seine Beobachtungen sind, womit der Objektivitätsanspruch ohnehin hinfällig wird) übernimmt gleichsam Verantwortung für das von ihm bezüglich des Beobachteten Ausgesagte: „Diese grundlegende epistemologische Wendung läßt sich dadurch verdeutlichen, daß man sich einerseits als unabhängigen Beobachter sieht, der die an ihm vorüberziehende Welt betrachtet;

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oder daß man sich andererseits als einen beteiligten Akteur betrachtet, der selber eine Rolle in dem Drama zwischenmenschlicher Beziehungen, dem Drama des Gebens und Nehmens, in der Zirkularität menschlicher Beziehungen spielt.“ (Foerster 1993b: 65f)

Bei Luhmann heißt es ganz ähnlich, nämlich dass „das Beobachten die Welt, in der beobachtet wird, verändert. Es gibt, anders gesagt, keine zwar beobachtbare, aber beobachtungsinvariante Welt.“ (Luhmann 1994: 75) Foerster lehnt, wie gezeigt worden ist, den Objektivitätsanspruch vor allem aufgrund der bereits dargestellten, eigentümlichen Struktur einer jeden Beobachtung ab. Zudem aber lehnt er den Glauben ab, es ließe sich alles mit Hilfe von Theorien erklären, und zwar auf der Basis von Einsichten in die Kybernetik und des ihr eigentümlichen Prinzips der Zirkularität und Unvorhersagbarkeit von zukünftigen Zuständen. Theorien, die mit linear-kausalen Modellen arbeiten, setzen in Foersters Worten eine triviale Welt voraus. „‚Kausalität bestimmt den Fluß der Ereignisse im Universum‘ ist einer der zentralen Glaubenssätze in unserer westlichen Kultur“ (Foerster 1993d: 134). Diesen Glaube setzt Foerster mit der Annahme gleich, man habe es mit einer trivialen Welt zu tun. Um zu veranschaulichen, was er darunter versteht, führt er oft die unterschiedlichen Funktionsweisen einer trivialen und einer nicht-trivialen Maschine an. Unter „Maschine“ versteht er in diesem Zusammenhang „eine Anordnung von Regeln und Gesetzen, durch die gewisse Tatbestände in andere transformiert werden.“ (Foerster 1993d: 135) Eine triviale Maschine hat in der Regel nur eine Transformationsregel, die bestimmte Tatbestände in andere linear überführt; eine nicht-triviale Maschine hingegen arbeitet mit Regeln, die die Transformationsregeln ändern: „eine Maschine in einer Maschine, sozusagen eine ‚Maschine zweiter Ordnung‘.“ (Foerster 1993d: 136) Eine triviale Maschine ist damit synthetisch determiniert, geschichtsunabhängig, analytisch determinierbar und vorhersagbar. Eine nichttriviale Maschine ist hingegen zwar auch synthetisch determiniert, aber geschichtsabhängig, analytisch nicht determinierbar und unvorhersagbar (Foerster 1996d: 357ff). Nicht-triviale Maschinen können aufgrund einer endlichen Anzahl von Ergebnissen nicht erklärt werden (Foerster 1996b: 251): „Ihre Input-Output-Beziehung ist nicht invariant, sondern durch die vorausgegangenen Operationen der Maschine determiniert. Mit anderen Worten, die in der Vergangenheit durchlaufenen Schritte bestimmen das gegenwärtige Verhalten der Maschine.“ (Foerster 1996d: 358) Dabei stellt eine nicht-triviale Maschine nichts anderes dar als eine schematische Darstellung eines rekursiv gekoppelten Systems. Der Beobachter zweiter Ordnung befindet sich in einem genauso gearteten System. Da eine nicht-triviale Maschine lediglich synthetisch determiniert ist, kann es unter Umständen selbst mit einem sehr schnellen Rechner nie zur Errechnung der internen Zustände kommen. Eine nicht-triviale Maschine mit nur zwei internen Zuständen (I und 0) und 4 Inputs und entsprechend 4 Outputs könnte erst dann identifiziert werden, wenn alle möglichen nicht-trivialen Maschinen mit 4 In- und Outputs ermittelt

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worden wären. Ein Rechner, der in einer Nanosekunde einen In-/Output Durchlauf errechnet, bräuchte 10136 Jahre, d. h. ca. 10 Trillionen hoch 10-mal das Alter unseres Universums, um diese Berechnung durchzuführen (Foerster 1996d: 359). In solchen Fällen ist von ‚transcomputationalen‘ Aufgaben die Rede, also solche, die jenseits der Errechenbarkeit liegen (Foerster 1993d: 143; Foerster 1996a: 74). Foerster räumt ein, dass es durchaus verständlich ist, dass unsere Kultur eine ‚trivialisierende‘ ist, denn eine nicht-triviale Maschine lässt sich nicht errechnen bzw. vorhersagen – Input und Output sind nicht analytisch determiniert (Foerster 1993d: 144; Foerster 1996b: 251f). „Wenn wir den Zündschlüssel des Autos drehen, dann muß das Auto starten, wenn wir eine Telefonnummer wählen, dann erwarten wir die richtige Verbindung, u.s.w.: Wir wollen triviale Maschinen. [...] Wenn sie trotzdem nicht-triviale Tendenzen zeigt, ein Auto also zum Beispiel nicht starten will u.s.w., dann rufen wir einen Trivialisierungsspezialisten, um die Situation zu bereinigen.“ (Foerster 1996b: 252)

Wenn es gilt, nicht-trivialen Systemen nachzukommen, nimmt der Zweckbegriff eine zentrale Stellung ein. Der Zweckbegriff kann „effektiv werden, wenn man sich mit lebenden Organismen befaßt, deren Ziele bekannt, deren Verhaltenswege aber unbestimmbar sind.“ (Foerster 1996a: 74) Dennoch gibt es über eine zweckzentrierte Auseinandersetzung mit Systemen auch die Möglichkeit, diese zweckfrei zu analysieren, indem „man [die] Aufmerksamkeit auf die rekursive Natur der beteiligten Prozesse richtet.“ (Foerster 1996a: 75) Wesentlich ist es hier, das Augenmerk auf solche Prozesse zu richten, in denen das System diese in eben diesen Zuständen transformiert. In theoretischen Arbeiten spricht man in solchen Fällen von ‚Fixpunkten‘. Diese dynamischen Zustände können als Stabilitätsoperationen des Systems verstanden werden bzw. als systemkonstituierende Zustände. Letztlich sind aber auch solche Fixpunkte nur in Rekurs auf ihre teleologische Gerichtetheit erklärbar (Foerster 1996a: 75). Die Kategorie der Beobachtung in der neueren Systemtheorie

Die nächsten Abschnitte sollen sich den Eigenheiten des Beobachtungsbegriffs bei Luhmann widmen. Hierbei wird insbesondere dem Phänomen der Entparadoxierung Beachtung geschenkt, da in ihm das Eigentümliche des Begriffes zur vollen Entfaltung kommt. „Was immer Wissenschaft sonst noch ist und wie immer sie sich vor anderen Aktivitäten auszeichnet: ihre Operationen sind auf alle Fälle ein Beobachten und, wenn Texte angefertigt werden, ein Beschreiben. Wissen kommt, im allgemeinen Vollzug von Gesellschaft und ebenso auch in der Wissenschaft, nur als Resultat von Beobachtungen zustande.“ (Luhmann 1994: 75f)

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In dieser lapidaren und einleuchtenden Feststellung wird bereits auf das dem Begriff Eigentümliche hingewiesen. Zunächst zeigt sich die Zentralität des Begriffes auf der Gegenstandsseite der Theorie. Da die Systemtheorie sich selbst als Wissenschaft verstehen muss, wird der Begriff auch theorieintern zentral. Eine Klärung des Begriffes ist also sowohl für die Heuristik der Theorie vonnöten als auch für ihr eigenes Selbstverständnis. Interessant erweist sich dabei die Unmöglichkeit, beides gleichzeitig leisten zu können. D. h., entweder wird erst das Beobachten als zentrales Phänomen der Gegenstandsseite untersucht, und dann die dabei erzielten Ergebnisse und Erwägungen auf das Beobachten der Theorie übertragen oder umgekehrt. Es stellt dabei keine reine Willkür dar, dass Luhmann erst das Phänomen auf der Gegenstandsseite analysiert, um dann das Beobachten der Theorie zu thematisieren. Nur so nämlich vermag die Theorie, das eigene Operieren in Beobachtungen zu thematisieren, ohne sich aufgrund von Paradoxien am eigenen weiteren Operieren zu hindern. Dies lässt sich nur gewährleisten, wenn die Terminologie hinsichtlich der Kategorie der Beobachtung ausreichend ausgearbeitet worden ist und somit ein Re-entry möglich wird. Luhmann selbst kennzeichnet den von ihm verwendeten Begriff der Beobachtung als „extrem formalen Begriff [...] definiert als Operation des Unterscheidens und Bezeichnens.“ (Luhmann 1994: 73) Dabei wird zwischen Operation und Beobachtung terminologisch, also analytisch, unterschieden. „Die Referenz (das, was eine Beobachtung bezeichnet), muß zwar von der Operation, die referiert, unterschieden werden. Aber diese Unterscheidung ist rein funktional [...] sie [...] charakterisiert nur die jeweilige Beobachtungsoperation.“ (Luhmann 1994: 76) Die Unterscheidung bezieht sich nicht auf ontisch voneinander unterscheidbare Welten (Sein bzw. Denken), sodass es auch keine beobachtungsunabhängige Grundlage der empirischen Erkenntnis gibt – an der Stelle dieser Grundlage steht vielmehr die Aussage: „beobachte den Beobachter.“ (Luhmann 1994: 76) Diese Unterscheidung erlaubt es ferner, zwischen Realität und Objektivität einer Beobachtung zu unterscheiden. Der Vollzug einer Operation ist real gegeben, ohne dass man sagen müsste, er sei deshalb real, weil die Beobachtung auf eine beobachtungsunabhängige, ‚objektive‘ Welt gerichtet ist. Das Begriffspaar subjektiv/objektiv wird durch Selbstreferenz/Fremdreferenz ersetzt, sodass wenn sich eine Beobachterin täuscht, sie sich real täuscht, denn zu sagen, dass sie sich täuscht, setzt eine Beobachtung dieser Beobachtung voraus: Der Realvollzug einer Beobachtung hat also nichts damit zu tun, ob sich die Beobachterin täuscht oder nicht (Luhmann 1994: 78): „Die Realitätsgarantie“ liegt „im faktischen Stattfinden des Beobachtens.“ (Luhmann 1991: 149) Auf die System-Umwelt Differenz übertragen, bedeutet dies: „Die Differenz ist keine ontologische, und darin liegt die Schwierigkeit des Verständnisses. Sie zerschneidet nicht die Gesamtrealität in zwei Teile: hier System und dort Umwelt. Ihr Entweder/Oder ist kein absolutes, es gilt vielmehr nur systemrelativ, aber gleichwohl objektiv. Es ist

80 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Korrelat der Operation Beobachtung, die diese Distinktion (wie auch andere) in die Realität einführt.“ (Luhmann 1996: 244)

Fremdreferenz und Selbstreferenz sind zwei Strukturmomente einer jeden Beobachtung: Die Selbstreferenz stellt dabei die beobachtungsleitende Unterscheidung, die Fremdreferenz die durch die Beobachtung hergestellte Referenz dar (Luhmann 1994: 78). Solange es darum geht, lediglich die Beobachtung einer Operation, also die Referenz einer Beobachtung, zu beobachten, genügt es, auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung bloß zu beobachten, was geschieht, und somit die Referenz wahrzunehmen. Wenn es jedoch darum gehen soll, die Operation als Beobachtung zu beobachten, also die Operation, die referierend eine Referenz herstellt, muss eine Beobachtung der zweiten Ordnung bemüht werden (Luhmann 1994: 77). Sowohl die Beobachtung erster wie auch die zweiter Ordnung aktualisieren Fremdreferenz; die der zweiten vermag es jedoch, auf die Selbstreferenz der von ihr beobachteten Beobachtung zu referieren. Die Entparadoxierung des an sich Paradoxen, weil zirkulären Bodens, auf dem eine Beobachtung steht, entspricht dem Fortschreiten von einer Beobachtung erster zu einer der zweiten Ordnung: Es erfordert nämlich Zeit, von der Beobachtung erster zu der zweiter Ordnung zu wechseln bzw. von Fremdreferenz zur Selbstreferenz. Mit ‚Boden‘ ist die Unterscheidung von Operation und Struktur einer Beobachtung gemeint. Die Struktur bzw. das Wissen leitet eine Operation bzw. das Erkennen ein: „Zur Auflösung des Zirkels dient dann nicht ein metaphysisch vorausgesetzter Wesensunterschied, sondern das Nacheinander in der Zeit.“ (Luhmann 1994: 79) „Alles Beobachten ist Benutzen einer Unterscheidung zur Bezeichnung der einen (und nicht der anderen) Seite.“ (Luhmann 1994: 91) Wollte man also eine Beobachtung beobachten, müsste man zwischen der Unterscheidung und der Bezeichnung unterscheiden (und würde somit automatisch die beobachtungsleitende Unterscheidung aufdecken). Die Unterscheidung selbst bleibt auf der Ebene der ersten Ordnung jedoch unbeobachtet, da ansonsten das Beobachten bzw. Bezeichnen unmöglich wäre: Die Beobachtung der Beobachtung müsste ad infinitum fortgesetzt werden, was nichts anderes darstellt als die Aktualisierung von reiner Selbstreferenz. Faktisch ist eine Beobachtung jedoch immer paradox, da die Operation der Beobachtung eine Zweiheit (die Unterscheidung von Unterscheiden und Bezeichnen) als Einheit (die Operation von Unterscheiden und Bezeichnen) gleichzeitig aktualisiert. Oder anders gesagt: Die Operation der Beobachtung beruht auf der Unterscheidung von Unterscheiden und Bezeichnen, die Bezeichnung (das Ergebnis von Beobachtung) aktualisiert dabei die Unterscheidung von Unterscheiden und Bezeichnen und lässt somit die Unterscheidung in das durch sie Unterschiedene latent wieder eintreten (Luhmann 1994: 94f). Die Unterscheidung von Unterscheiden und Bezeichnen stellt die beobachtungsleitende Unterscheidung, also den blinden Fleck oder die Latenz, einer Beobachtung

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dar. Wie bereits gezeigt worden ist, wird auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung die Latenz zum Vorteil der Anschlussfähigkeit und damit des weiteren Operierens eines Systems ausgeblendet (Luhmann 1996: 59): „Beobachten ist natürlich trotzdem möglich. Daran besteht kein Zweifel. Ein Beobachter konzentriert sich auf das, was er beobachtet. Er vernachlässigt dabei zumeist das, wovon er das Beobachtete unterscheidet oder setzt dies gänzlich unbestimmt als ‚alles andere‘ voraus.“ (Luhmann 1994: 95)

Die Paradoxie besteht also in einfachen Worten darin, dass jede Beobachtung prinzipiell einer Unterscheidung bedarf, die zwischen der Unterscheidung und dem, was vom Unterschiedenen bezeichnet wird, unterscheidet, die selbst nicht in die Beobachtung mit einfließen kann. Jedes Beobachten markiert gleichzeitig eine Grenze: Die Unterscheidung ist selbst die Grenze, die es erst erlaubt, die eine der zwei durch die Grenze entstandenen Seiten zu bezeichnen. Auch diese Überschreitung bzw. das Hinübergehen von der einen zur anderen Seite erfordert Zeit und entparadoxiert die Beobachtung – es wird in gewisser Weise die Grenze selbst ausgeblendet, die für das ‚Bezeichnen-können‘ konstitutiv ist und gleichzeitig auf reine Selbstreferenz verweist. In Anlehnung an George Spencer-Brown bezeichnet Luhmann (jedoch nicht immer) diesen Vorgang des Überschreitens als „Crossing“ (Luhmann 1994: 80). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, das Schema bzw. die Form der Beobachtung infrage zu stellen. Also auf der Ebene einer Beobachtung der zweiten Ordnung, die der Beobachtung zugrunde liegenden Unterscheidung zu unterscheiden. Diese ‚Bewegung‘ allein zeigt schon, dass die Wahl einer neuen Unterscheidung, wodurch die alte beobachtet wird, nicht nur Zeit erfordert, sondern erst sie es erlaubt, die alte Beobachtung zu rationalisieren und damit als paradox konstituiert zu sehen. Rationalisierung ist damit immer Postrationalisierung (Luhmann 1994: 79f): „Was nicht beobachtet werden kann, kann beobachtet werden – wenngleich nur mit Hilfe eines Schemawechsels, also mit Hilfe von Zeit.“ (Luhmann 1994: 91) Systemerzeugend und -festigend wirkt sich die so verstandene Beobachtung auf vielfältige Weise aus. Die Notwendigkeit, eine Unterscheidung aktualisieren zu müssen, postuliert als solche bereits einen Überschuss an Möglichkeiten von dem, was dann bezeichnet wird. Die Unterscheidung stellt damit eine Selektion des Überschusses an Möglichkeiten dar und somit eine Ausdifferenzierung des Systems aus seiner Umwelt. Es liegt allein im System begründet, welche Unterscheidungen es trifft, und nicht in den diesem entsprechenden Umweltkorrelaten. Die Unterscheidung ist gleichsam nicht willkürlich, sondern systembedingt. Wobei nach Luhmann in der Phase einer anfänglichen Systementstehung die Beobachtungen zwar kontingent sind, sich jedoch auch dann implizit an der System-Umwelt Differenz orientieren (Luhmann 1996: 150). Die Unterscheidungen bauen rekursiv aufeinander auf und

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stellen ein weiteres systembildendes bzw. -festigendes Element dar (Luhmann 1994: 81). Die rekursive Vernetzung vieler Beobachtungen hat, vereinfachend gesagt, die Herausbildung eines Systems zur Folge. Erst dann, wenn ein System aufgrund einer solchen Vernetzung sich konstituiert hat, kann es zu einer bestimmten Art von Selbstbeobachtung gelangen, die es ihm ermöglicht, dass es sich als von der Umwelt Unterschiedenes erfährt – dies aufgrund der Möglichkeit von Beobachtungen, die mit der Differenz (mit der Unterscheidung) von System und Umwelt arbeiten: „Diese Differenz tritt dann als Unterscheidung, an der sich das System orientiert [...] in das System ein.“ (Luhmann 1994: 83) Auch hier kommt ein Begriff von Spencer-Brown für die Bezeichnung des Wiedereintritts zur Anwendung: ‚Re-entry‘ (Luhmann 1994: 74, 83). Die Selbstbeobachtung eines Systems, die darauf abzielt, die rekursive Vernetzung des Systems als den Abschließungsmodus des Systems gegen die Umwelt zu thematisieren, wird von Luhmann als Reflexion bezeichnet. Hier wird die Differenz zwischen System und Umwelt in den Mittelpunkt gestellt. Diese Form der Selbstbeobachtung ist zu unterscheiden von denen, die eine Beobachtung einer Beobachtung desselben Systems darstellen (Luhmann 1994: 481f). Es soll an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen werden, dass eine Beobachtung der zweiten Ordnung, wenngleich sie die Latenz, also die Unterscheidungsabhängigkeit einer Beobachtung, sehen kann, dabei selbst an ihren eigenen blinden Fleck gebunden ist, nämlich an ihre eigene Unterscheidungsabhängigkeit, die sie wiederum nur sehen könnte, wenn diese aufgrund einer weiteren Beobachtung von anderen unterschieden werden würde, und so weiter ad infinitum: „Das Beobachten zweiter Ordnung ist immer auch ein Beobachten erster Ordnung, aber es konzentriert sich dabei auf ein Beobachten von Beobachtern, was als Selbstbeobachtung oder Fremdbeobachtung durchgeführt werden kann.“ (Luhmann 1991: 149) Aufgrund der Unmöglichkeit einer Hierarchisierung von Beobachtungen, kann es systemtheoretisch nur die Unterscheidung von zwei Arten von Beobachtungen geben, eben die der ersten und der zweiten Ordnung (Luhmann 1994: 91). Wenn von der beobachtbaren Unbeobachtbarkeit ausgegangen wird, von der Beobachtung der Beobachtung also, die sehen kann, was die der ersten Ordnung nicht sieht und zudem sehen kann, dass sie nicht sieht, was sie nicht sieht, stößt die klassische Erkenntnistheorie, die ihrerseits mit der Unterscheidung von Erkenntnis und Gegenstand arbeitet, schnell an ihre Grenzen. Die funktional-strukturelle Systemtheorie geht also davon aus, dass jede Beobachtung real beobachtet, und zwar in einer Realität, die von der Beobachtung selbst produziert wird, eben indem sie unterscheidet (Luhmann 1994: 92). Was ist aber damit eigentlich gemeint? Wenn eine Theorie mit einer grundsätzlichen Unterscheidung (Leitdifferenz) arbeitet, wie z. B. die Systemtheorie mit der Differenz von System und Umwelt, dann vermag sie es real ein System zu bezeichnen und genauso real dessen Umwelt. Sie würde sich täuschen,

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wenn sie fälschlicherweise ein System bezeichnen würde, wo gemäß der Unterscheidung kein System, sondern seine Umwelt wäre. Die Beobachtung täuscht sich, aber sie täuscht sich gemäß der beobachtungsleitenden Unterscheidung eben real. Der Clou eines solchen Ansatzes besteht darin, dass beispielsweise die Unterscheidung real vs. Realität (bzw. Objektivität) auch eine Unterscheidung darstellt: Es kann folglich auf der Ebene der zweiten Ordnung danach gefragt werden, ob nicht auch anders hätte unterschieden werden können (bspw.: funktional vs. dysfunktional), womit der zunächst ontologisierende Ansatz dieser Unterscheidung ad absurdum geführt wird. Offensichtlich ist diese Argumentation zirkulär, also paradox, aber auch sie kann entparadoxiert werden. Und damit ist das Kernproblem eines jeden differenztheoretischen Ansatzes angesprochen: seine eigene Entparadoxierung. Um zur Entparadoxierung der Systemtheorie zu gelangen, bedarf es noch einiger weiterer Vorüberlegungen: „Es muß vorausgesetzt werden, daß die Welt (was immer das ist) das Unterscheiden toleriert [...].“ (Luhmann 1994: 93) Davon ausgehend, dass die Welt das Unterscheiden toleriert und sie selbst als „Hinweis auf eine nur rekursiv mögliche Erschließung“ (Luhmann 1994: 93) verstanden werden kann, wird sie für den Beobachter zu „ein[em] temporalisierbare[n] Paradox.“ (Luhmann 1994: 93): „Entsprechend ist die Welt nicht mehr eine Dinggesamtheit [...], sondern ein Korrelat des Beobachtens von Beobachtungen.“ (Luhmann 1991: 149) Die Temporalisierung ist gleichzeitig die Möglichkeit zur Entparadoxierung, die eine die Gegenstände fixierende Logik zum Gegensatz hat. Was oben im Hinblick auf ein System ‚Reflexion‘ genannt worden ist, kann in einem Kalkül, das in einer Operation das Unterscheiden und Bezeichnen zusammenfasst, erst dann geschehen, wenn das Kalkül komplex genug geworden ist – was nichts anderes darstellt als ein System, das bereits über ein relativ weites und dichtes Netz von rekursiv aufeinander verweisenden Beobachtungen verfügt. In einem solchen Kalkül, wie es das von George SpencerBrown darstellt (Kauffman 2005: 181ff), stellt das Äquivalent zur Reflexion eines Systems der „Wiedereintritt der Unterscheidung in das durch sie Unterschiedene“ (Luhmann 1994: 94, vgl. 73ff; Foerster 1996b: 235; Watzlawick 1991b: 231f) dar. Eine Theorie, die ihre eigene Entparadoxierung thematisieren will, muss über die Möglichkeit verfügen den Wiedereintritt durch ein möglichst hohes Maß an Eigenkomplexität und -differenzierung kompensieren zu können. Erst durch einen hinreichend terminologisch ausdifferenzierten Begriff der Beobachtung, kann sie über ihre eigene Entparadoxierung sprechen und angeben, wie sie sich selbst an ihrem eigenen, weiteren Operieren nicht hindert, ohne dabei tatsächlich ins Stocken zu geraten. Die Systemtheorie entparadoxiert sich selbst, indem sie eine Temporalisierung von Problem und Problemlösung in Augenschein nimmt. „Die Transformation von Wie-Fragen [...] in Was-Fragen ist der wichtigste Mechanismus der Entparadoxierung des Beobachtens.“ (Luhmann 1994: 98) Wobei ‚Wie-Fragen‘ ohnehin nur auf der Ebene einer Beobachtung der zweiten Ordnung gestellt werden können: Der eine

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Beobachtung beobachtende Beobachter kann danach fragen, wie der Beobachter erster Ordnung beobachtet, dieser hingegen „sieht von vornherein nur, was er sieht (und nicht: wie er sieht).“ (Luhmann 1994: 98) Der Beobachter der ersten Ordnung stellt einen ‚Was-Beobachter‘ dar, der dementsprechend erst gar nicht in die Schwierigkeit gerät, die Paradoxie seiner Beobachtung invisibilisieren bzw. entparadoxieren zu müssen. Der Beobachter zweiter Ordnung hingegen kann nicht nur sehen, dass die Beobachtungen der ersten Ordnung an eine Latenz, an einen blinden Fleck, gebunden sind, er kann auch sehen, wie der Beobachter erster Ordnung seine Paradoxie entparadoxiert. Die Art und Weise, wie jemand beobachtet, lässt sich vornehmlich daran festmachen, wie er die Paradoxie seiner Beobachtungen entparadoxiert. Das häufigste und einfachste Verfahren besteht, wie bereits gesagt, darin, die Wie-Frage in zwei Was-Fragen zu transformieren. In dem speziellen Fall von Beobachtungen, die Beobachtungen der ersten und der zweiten Ordnung beobachten (wie es in den der Beobachtung gewidmeten Passagen der Systemtheorie der Fall ist), der nichts anderes darstellt als abermals eine Beobachtung der zweiten Ordnung, werden diese entparadoxiert, indem die Wie-Frage in ein Nacheinander von zwei Was-Fragen, nämlich Problem (Paradoxie) und Problemlösung (Entparadoxierung), temporalisiert werden (Luhmann 1994: 98; Luhmann 1992: 11f). Wenn von dem hier vorgestellten Begriff der Beobachtung ausgegangen und damit ein differenztheoretischer Ansatz vertreten wird, der mit der Grundunterscheidung System/Umwelt arbeitet, stellt die Aussage, es gebe Systeme, keine ontologische Setzung dar, sondern eine empirisch real gemachte Aussage auf der Grundlage rekursiv aufeinander verweisender Beobachtungen, die real sind kraft ihrer vernetzten, real getroffenen Unterscheidungen. „Die Soziologie ist in der Gesellschaft für Beobachtungsfunktionen freigestellt, und gerade ihre Autonomie ist die Form, mit der sie in das rekursive Netzwerk des Beobachtens von Beobachtungen eingespannt ist, das heißt: gesellschaftlich existiert.“ (Luhmann 1991: 151) Zusammenfassung: Beobachtung und Kybernetik zweiter Ordnung

Beobachtung wird als eine Operation definiert, die anhand einer Unterscheidung bezeichnet. Die Beobachtung zweiter Ordnung wird definiert als eine Beobachtung, die eine andere Beobachtung beobachtet. Die Beobachtung erster Ordnung bewegt sich auf der Ebene von Was-Fragen, indem sie sich lediglich auf das, worauf sie referiert, also auf die bezeichnete der beiden unterschiedenen Seiten konzentriert. Die Beobachtung der zweiten Ordnung hingegen eröffnet das Feld von Wie-Fragen, da sie danach fragt, wie der Beobachter erster Ordnung beobachtet, bzw. welche Unterscheidung der Bezeichnung zugrunde liegt. Damit unterscheidet die Beobachtung zweiter Ordnung zwischen der Unterscheidung und der Bezeichnung einer Beobachtung. Auf der Ebene von Was-Fragen wird in einer Beobachtung zunächst nur Fremdreferenz aktualisiert, auf der Ebene von Wie-Fragen kann mitunter prinzipiell auch

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Selbstreferenz aktualisiert werden – dies ist vornehmlich dann der Fall, wenn sich ein System selbst beobachtet. In diesem Fall wird eine Beobachtung ex post als Beobachtung beobachtet. Die Beobachtung zweiter Ordnung sieht die Latenz der Beobachtung, die sie beobachtet, d. h. sie sieht, dass die Beobachtung, die sie beobachtet, um beobachten zu können, dem, was sie durch die Beobachtung bezeichnet, eine Unterscheidung zugrunde legt, die sie nicht thematisiert bzw. wiederum selbst nicht in die Beobachtung mit einfließen lässt. Indem die Beobachtung zweiter Ordnung dies beobachtet, weiß sie, dass sie selbst so verfährt, dass auch ihre Beobachtung an einen blinden Fleck gebunden ist, den sie in die Beobachtung nicht mit einfließen lassen könnte, ohne mit dem Beobachten aufhören zu müssen. In anderen Worten: Die Beobachtung zweiter Ordnung hat die Möglichkeit, die Selbstreferenz einer Beobachtung zu beobachten, und wird damit auf die in ihrer Beobachtung selbst gegebene Selbstreferenz aufmerksam gemacht: „Der Beobachter zweiter Ordnung kann sich, wie gewohnt, zum Beobachter erster Ordnung ‚kritisch‘ einstellen, er kann sich ihm gegenüber ablehnend oder belehrend verhalten, [...] aber er muß sich in seinem eigenen Beobachten beobachten bzw. beobachten lassen. Er muß seine Instrumente offenlegen, muß sich Wie-Fragen stellen.“ (Luhmann 1991: 149f)

Die Leitdifferenz eines jeden Systems ist zugleich die zentrale Paradoxie eines Systems. Soziale Systeme konstituieren sich durch die Auflösung einer realen (nämlich ihrer eigenen) Paradoxie, die sie durch ihre Entstehung und durch ihr Bestehen lösen (Luhmann 1996: 155ff; Schulte 1993: 106f). Das heißt nichts anderes, als dass das System sein Bestehen der beobachtungsleitenden Unterscheidung System/Umwelt verdankt, die sie jedoch zu dem Zweck der Systementstehung und -konsolidierung zunächst latent halten muss, bis es ein hinreichend hohes Maß an interner Komplexität und Binnendifferenzierung erreicht hat, um sie in seine Beobachtungen wieder eintreten zu lassen (Luhmann 1994: 482f). Eine von diesen Annahmen ausgehende Theorie verliert die von ihren eigenen Operationen unabhängige Gewissheit eines absoluten und damit bevorzugten Standpunktes (Luhmann 1996: 656). Foerster verknüpft die grundsätzlichen Überlegungen einer Kybernetik zweiter Ordnung mit einer ethischen und erkenntnispolitischen Dimension. Sein Konzept der ‚Fixpunkte‘ entspricht dem der ‚Rekursivität‘ bei Luhmann – in beiden wird die Notwendigkeit eines (sozialen oder kybernetischen) Systems betont, das durch Iteration und Regelhaftigkeit die eigene Paradoxie invisibilisiert und damit die kontingente ‚Wirklichkeit‘ von ihrer Kontingenz befreit. Diese (erkenntnistheoretischen und -politischen) Grundlagen sind für die folgende Argumentation vor allem hinsichtlich dieser Aspekte relevant: Zunächst erhält damit die Dekonstruktion von Subjektkategorien eine grundlagentheoretische Basis, die insbesondere aufgrund der von Foerster hinzugefügten ethischen Komponenten auf die einer jeden stabilen Wirklichkeitsauslegung anhaftenden politischen Dimension hinweist. Außerdem relevant sind die

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Ausführungen hinsichtlich der Frage nach der Verwendbarkeit eines solchen Ansatzes für die Analyse soziologischer Theorien. Die Ausführungen in den kommenden Abschnitten sollen dazu dienen, dass womöglich den Fixpunkten kybernetischer und der Rekursivitätslogik sozialer Systeme hinsichtlich der Rekonstruktion soziologischer Theorien mehr Gewicht zukommt, und dass dieser Aspekt mit dem Nullwerttheorem besser ausgedrückt werden kann. Wenngleich die Grundannahmen der Beobachtung und Kybernetik zweiter Ordnung auch auf die Anwendung dieses Theorems übertragen werden können, ohne ihre ‚Gültigkeit‘ (zumindest im Rahmen einer differenztheoretischen Perspektive) einzubüßen.

3.2 D IE P RAXIS

DER

S PRACHSPIELE

Die folgenden Abschnitte versuchen, sich Wittgensteins Verständnis vom ‚Zweifel‘ und von der ‚Gewissheit‘ anzunähern. Die unter dem Titel „Über Gewißheit“ (1992) zusammengefassten letzten Niederschriften Wittgensteins, die in den letzten zwei Jahren vor seinem Tod verfasst worden sind (1949-51), stellen die Grundlage für das Vorhaben dar. Die relativ ausführliche Darlegung dieser ‚Begriffe‘, die über den Umweg einer Rekonstruktion von David Humes ‚Gewissheit‘ und René Descartes’ ‚Zweifel‘ erfolgt, möchte die hier vertretene differenztheoretische Ausgangslage rechtfertigen, indem eine vom Nullwerttheorem ausgehende Betrachtung soziologischer Theorien plausibilisiert wird. So stellt Stähelis Versuch einer Dekonstruktion der funktional-strukturellen Systemtheorie über den Sinnbegriff (Stäheli 2000a: 77ff) ein Beleg für die Missachtung einer dem Verständnis von Sprachspielen zu entnehmenden Inkommensurabilität von Theoriegebäuden dar, obgleich dieser Gedanke von Stäheli grundsätzlich geteilt wird (Stäheli 2000a: 18 Fn15). Sozialtheorien in einen Nullwert, und nicht in einer zirkulären Kodierung münden zu lassen, bedeutet diese mit einem Abschluss der möglichen Verweise auszustatten, der es erlaubt, die Inkompatibilität bezüglich alternativer Konstruktionen zu berücksichtigen. Stähelis Ansinnen soll durch diese Überlegungen keinesfalls widerlegt, sondern um eine weitere Lesart bereichert werden, wonach die funktional-strukturelle Systemtheorie eine sich als „Supertheorie“ präsentierende Sozialtheorie darstellt, die sich zwar über den Sinnbegriff dekonstruieren lässt, aber gerade insofern, als dieser im Subjekt seinen Nullwert hat. Wie bereits angedeutet, wird dieser Umstand virulent und für die auszuarbeitende These zentral, wenn der Stellenwert von Technik fokussiert betrachtet wird, und Sozialtheorien bezüglich dieses Aspektes zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Sollte die Argumentation überzeugen, so wäre diese folglich implizit auch ein Plädoyer für einen aspektzentrierten (oder ‚thematischen‘) Theorievergleich im Gegensatz zu ‚allgemeinen‘ Vergleichen, von denen Stäheli aus guten Gründen wenig hält, da

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sie letztlich immer von einer (Theorie-)Perspektive ausgehen müssen (Stäheli 2000a: 17ff). Die in „Über Gewißheit“ geäußerten Gedanken bedürfen ihrerseits einer Grundlage von der sie, wenn auch nicht explizit, ausgehen und sich abgrenzen wollen. Die Begriffe ‚Zweifel‘ und ‚Gewissheit‘ verstehen zu wollen, heißt also gleichzeitig: Verstehen zu versuchen, auf welche Fragen Wittgenstein eine Antwort geben will, welchen Zweck er verfolgt. Freilich handelt es sich dabei nicht um selbst auferlegte Fragen: Die von Wittgenstein verwendeten Begriffe werden also relational erschlossen werden müssen. Descartes’ ‚methodischer Zweifel‘ und Humes ‚skeptische Argumente‘ eignen sich, um Wittgensteins Erläuterungen eine Grundlage zu geben. Die Fragen, auf die Wittgenstein eine Antwort geben will, können als ‚Folgen‘ des von Descartes und Hume Geäußerten und implizit Angenommenen aufgefasst werden. Es wird also versucht, werkimmanent beide Begriffe herauszuarbeiten, sowohl bei Wittgenstein als auch bei Descartes und Hume. Die werkimmanent erschlossenen, jeweils spezifischen Verständnisse der Begriffe können in einem zweiten Schritt einander gegenübergestellt werden. In der Gegenüberstellung des jeweiligen Verständnisses soll das Anliegen Wittgensteins und der Gehalt seiner Ausführungen zu dem, was ein ‚Zweifel‘ darstellt und wie sich ‚Gewissheit‘ einstellt, sichtbar werden. Eine werkimmanente Vorgehensweise heißt aber auch, den Versuch zu unternehmen, die jeweiligen Voraus-Setzungen, ohne die das Gesagte grund-los bliebe, des Verständnisses von „Zweifel“ bzw „Gewissheit“ herauszuarbeiten. Die Kon- bzw. Divergenz der jeweiligen Voraussetzungen entscheidet darüber, ob eine relationale Begriffsbestimmung, d. h. eine Gegenüberstellung der jeweiligen spezifischen Verwendungsweisen der Begriffe, sinnvoll ist oder nicht. Wenn die Voraussetzungen entschieden voneinander abweichen, kann durch die Gegenüberstellung der Begriffsverwendungen das Anliegen Wittgensteins nicht unmittelbar ermittelt werden. Wenn die Voraussetzungen der drei Philosophen weit auseinanderliegen, so wird sich in der Gegenüberstellung eher eine ‚Ausgrenzung‘ als eine ‚Abgrenzung‘ abzeichnen.

3.2.1 Zweifel und Gewissheit beim späten Wittgenstein Es wird im Folgenden nach dem ‚Zweifel‘ in Wittgensteins „Über Gewißheit“ (1992) gefragt. In der Frage nach dem Verständnis des ‚Zweifels‘ ist die Frage nach dem der ‚Gewissheit‘ unweigerlich mit enthalten. Wenn also der Frage nach dem ‚Zweifel‘ hinreichend nachgekommen wird, muss sich Wittgensteins Begriff der ‚Gewissheit‘ ebenso deutlich abzeichnen. Wittgensteins erstaunliche Feststellung: „Man macht sich ein falsches Bild vom Zweifel.“ (Wittgenstein 1992: § 249) soll als Ausgangslage dienen. Zunächst soll erläutert werden, was Wittgenstein unter der richtigen Verwendung von ‚Zweifel‘ und

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‚Zweifeln‘ versteht. Wittgensteins Kernthese besteht darin, dass erstens der Zweifel Gewissheit braucht, und dass zweitens Sätze aus dem Bündel der Sätze, die ‚gewiss‘ sind, nicht sinnvoll angezweifelt werden können. Damit an etwas gezweifelt werden kann, muss etwas anderes gewiss sein. Jeder Zweifel braucht einen Boden von Sätzen, die gewiss sind, worauf er stehen kann. Wenn eine in der Vergangenheit liegende Begebenheit bezweifelt wird, so kann z. B. nicht gleichzeitig die Existenz der Welt zu diesem Zeitpunkt bezweifelt werden (Wittgenstein 1992: §316). Das ‚Zweifeln‘ muss ein Ende finden, damit es ‚sinnvoll‘ sein kann: „Wer an allem zweifeln wollte, der würde auch nicht bis zum Zweifel kommen. Das Spiel des Zweifelns selbst setzt schon die Gewißheit voraus.“ (Wittgenstein 1992: § 115) Das ‚Spiel des Zweifelns‘ ist sinnvoll, da es Sätze gibt, die vom Zweifel ausgenommen sind: „(Meine) Zweifel bilden ein System.“ (Wittgenstein 1992: §126, vgl. § 341) Das System zeigt sich darin, dass gewisse Sätze nicht bezweifelt werden; sie befinden sich außerhalb des ‚Spiel des Zweifelns‘, da sie die Grundlage darstellen, auf der das ‚Zweifeln‘ sinnvoll wird: „[...] die Fragen, die wir stellen, und unsre Zweifel beruhen darauf, daß gewisse Sätze vom Zweifel ausgenommen sind, gleichsam die Angeln, in welchen jene sich bewegen.“ (Wittgenstein 1992: § 341) Das ‚Weltbild‘ und die ‚Flussbett‘ Metapher

Die vom Zweifel ausgenommenen Sätze stellen das ‚Weltbild‘ dar, den „überkommenen Hintergrund“, „auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide.“ (Wittgenstein 1992: § 94) Die zu dem Hintergrund gehörenden Sätze können innerhalb des Systems nicht sinnvoll angezweifelt werden (Wittgenstein 1992: § 247). Wittgenstein macht auf diesen Umstand immer wieder aufmerksam, so heißt es z. B.: „Manches scheint uns festzustehen, und es scheidet aus dem Verkehr aus. Es wird sozusagen auf ein totes Geleise verschoben.“ (Wittgenstein 1992: § 210) Es kann jedoch keine scharfe Grenze ausgemacht werden, sodass festgestellt werden könnte, welche Sätze sich gerade auf dem ‚toten Gleis‘ befinden und das Weltbild konstituieren: „Die Sätze, die dies Weltbild beschreiben, könnten zu einer Art Mythologie gehören. Und ihre Rolle ist ähnlich der von Spielregeln, [...]. Man kann sich vorstellen, daß gewisse Sätze der Form der Erfahrungssätze erstarrt wären und als Leitung für die nicht erstarrten, flüssigen Erfahrungssätze funktionierten; und daß sich dies Verhältnis mit der Zeit änderte, indem flüssige Sätze erstarrten und feste flüssig würden. Die Mythologie kann wieder in Fluß geraten, das Flußbett der Gedanken sich verschieben. Aber ich unterscheide zwischen der Bewegung des Wassers im Flußbett und der Verschiebung dieses; obwohl es eine scharfe Trennung der beiden nicht gibt.“ (Wittgenstein 1992: § 95-97)

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Die Sätze des ‚Flussbettes‘ scheinen eher willkürlich zu Sätzen des ‚Flussbettes‘ geworden zu sein (Wittgenstein 1992: §166), und es entzieht sich jedem argumentativen Erklärungsversuch, einen Grund hierfür ausfindig zu machen, da jeder Versuch selbst von den Sätzen ausgehen müsste, die er zu rechtfertigen versucht. Knapp zusammengefasst, würde dieser Versuch eine solche Form aufweisen: „Milch ist weiß, weil sie weiß ist“ (vgl. Wittgenstein 1992: §250). Die das Weltbild beschreibenden Sätze können sich mit der Zeit ändern, und nicht exakt benannt werden. Die Sätze des Weltbildes stellen die Gewissheit dar, und es erscheint sinnlos, von diesen Sätzen zu behaupten, man wisse sie. Der Zweifel hat in diesen Fällen keine Greiffläche: „Daß ich zwei Hände habe, ist unter normalen Umständen so sicher wie irgend etwas, was ich als Evidenz dafür anführen könnte. Ich bin darum außerstande, den Anblick meiner Hand als Evidenz dafür aufzufassen.“ (Wittgenstein 1992: §250) Es kann nicht von ‚Wissen‘ die Rede sein, da die Negation von Sätzen bzw. Überzeugungen der Form: ‚Dass ich zwei Hände habe‘ sich mit ‚unserem‘ (Referenz-)System nicht vereinbaren lässt: „Könnte ich nicht glauben, daß ich einmal, ohne es zu wissen, etwa im bewußtlosen Zustand, weit von der Erde entfernt war, ja, daß Andre dies wissen, es mir aber nicht sagen? Aber dies würde gar nicht zu meinen übrigen Überzeugungen passen. Nicht, als ob ich das System dieser Überzeugungen beschreiben könnte. Aber meine Überzeugungen bilden ein System, ein Gebäude.“ (Wittgenstein 1992: §102)

Das ‚Gebäude unserer Überzeugungen‘ kann auch deshalb nicht beschrieben werden, weil sich das Flussbett verschiebt, und das Gebäude sich sozusagen mit der Zeit immer wieder umbaut; an einer anderen Stelle heißt es: „Andererseits ändert sich das Sprachspiel mit der Zeit.“ (Wittgenstein 1992: §256) Die Grenzen können also nicht klar abgesteckt werden; dieser Umstand liegt in Wittgensteins Auffassung verankert, er stellt sozusagen ein Hauptcharakteristikum von Wittgensteins später Sprachphilosophie und gleichsam eine wesentliche Hauptaussage dar. Es kann an dieser Stelle zunächst festgehalten werden, dass sich die richtige Verwendung von Zweifel dadurch auszeichnet, dass Sätze nicht angezweifelt werden dürfen bzw. faktisch nicht angezweifelt werden, die gewiss sind, da sie das Weltbild konstituieren. Es sollen nun die Gründe angeführt werden, die nach Wittgenstein zu einem ‚falschen Bild des Zweifels‘ führen. Die Hauptquelle liegt in dem sprachwidrigen Gebrauch von ‚Wissen‘ und ‚Gewissheit‘. Es wird hierbei nach Wittgenstein fälschlicherweise davon ausgegangen, dass etwas ‚Gewisses‘ die Steigerung des Gewissheitsgrades von etwas bloß ‚Gewusstem‘ darstellt. Ein vermeintliches ‚Wissen‘ kann sich durch einen wohlbegründeten Zweifel als ein falsches ‚Wissen‘ herausstellen. So müsste etwas ‚Gewisses‘ nichts anderes darstellen als ein ‚ausgezeichnetes Wissen‘, als ein ‚Wissen‘, das jeglicher Zweifel nicht erschüttern kann. Der Unterschied

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zwischen ‚Wissen‘ und ‚Gewissheit‘ liegt sozusagen in der unterschiedlichen Stärke der Evidenz von Wissen, der erkenntnisstiftende Vorgang wäre also der gleiche. Diese Auffassung ist nach Wittgenstein unzulässig und irreführend. Wittgensteins Gedankengang hierzu stellt sich folgendermaßen dar: „Zweifelndes und nichtzweifelndes Benehmen. Es gibt das erste nur, wenn es das zweite gibt.“ (Wittgenstein 1992: §354) Damit der Zweifel überhaupt sinnvoll angewendet werden kann und unser übriges Wissen heuristisch weiterführt, müssen einige Sätze und Überzeugungen bereits feststehen: „Und ist es nicht dasselbe, wie wenn der Schüler den Geschichtsunterricht aufhielte durch den Zweifel darüber, ob die Erde wirklich...? Dieser Zweifel gehört nicht zu den Zweifeln unsers Spiels. (Nicht aber, als ob wir uns dieses Spiel aussuchten!)“ (Wittgenstein 1992: § 316-317)

Es gibt demnach Überzeugungen, die einfach feststehen (die von Wittgenstein hierfür verwendeten Umschreibungen sind vielfältig: Flussbett, Gebäude, Weltbild, Spiel(regeln), System), und diese zu bezweifeln bleibt dem Narren überlassen: „Der vernünftige Mensch hat gewisse Zweifel nicht.“ (Wittgenstein 1992: §220) Was gewiss ist, kann nicht sinnvoll angezweifelt werden – es verhält sich ja gerade so, dass Gewissheit sich dadurch auszeichnet, dass sie sich dem Zweifel entzieht, da sie ihm als Grundlage dient. Wer sich diese Einsicht nicht zu eigen macht, wird zuweilen als verrückt angesehen: „[...] Wenn einer sagte, er zweifle an der Existenz seiner Hände, sie immer wieder von allen Seiten betrachtete, sich zu überzeugen suchte, daß keine Spiegelung oder dergl. vorläge, so wären wir nicht sicher, ob wir das ein Zweifeln nennen sollten. Wir könnten seine Handlungsweise als eine der zweifelnden ähnliche beschreiben, aber sein Spiel wäre nicht das unsre.“ (Wittgenstein 1992: § 255; vgl. dazu auch die frappierenden Parallelen einer sozialkonstruktivistisch und/oder wissenssoziologischen Variante dieser und der vorangegangenen Feststellungen in Berger/Luckmann 2003: 70f; Mannheim 1995: 70)

Die ‚Handlungsweise‘ ist der gewöhnlich ‚Zweifelnden‘ ähnlich, und hierin besteht ein Grund für das Aufkommen des ‚falschen Bildes des Zweifelns‘. Diese Argumentation kann auch von der Seite des ‚Wissens‘ her aufgerollt werden. ‚Ein falsches Bild vom Zweifel‘ entsteht auch durch den sprachwidrigen Gebrauch von ‚Ich weiß‘-Sätzen: „[...] ‚Ich weiß, daß hier ein Kranker liegt‘, in der unpassenden Situation gebraucht, erscheint nur darum nicht als Unsinn, vielmehr als Selbstverständlichkeit, weil man sich verhältnismäßig leicht eine für ihn passende Situation vorstellen kann und weil man meint, die Worte ‚Ich weiß, daß...‘ seien überall am Platz, wo es keinen Zweifel gibt (also auch dort, wo der Ausdruck des Zweifels unverständlich wäre).“ (Wittgenstein 1992: § 10)

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Das Problem liegt wesentlich darin, dass Sätze der Form ‚Ich weiß...‘ gebildet werden können, die Überzeugungen bzw. Sätze ausdrücken, die gewiss sind. Wenn Sprache ‚so verwendet‘ wird, entsteht die Neigung, solche ‚Ich weiß...‘-Sätze als Urteile aufzufassen, die einer Prüfung mittels des Zweifels unterzogen werden könnten. Dabei wäre jedoch in solchen Fällen ‚der Ausdruck des Zweifels unverständlich‘. Es handelt sich in solchen Fällen um Urteile, die keine im gewöhnlichen Sinne sind: „Ich will sagen: Wir verwenden Urteile als Prinzip(ien) des Urteilens.“ (Wittgenstein 1992: §124) Diese Urteile sind aus dem Verkehr ausgeschieden und stehen auf einem toten Gleis; sie konstituieren das Weltbild. Mit den Worten: ‚Ich weiß, dass hier ein Kranker liegt‘ wird keine Äußerung gemacht, die einer Überprüfung mithilfe des Zweifels unterzogen werden könnte, da die Aussage des Kranken: ‚Ich habe Schmerzen‘ nicht sinnvoll angezweifelt werden kann. Ein Dritter vertraut vielmehr dem Kranken, ‚dass er Schmerzen hat‘. Wissen und Gewissheit

Wittgenstein unterscheidet entschieden zwischen ‚Wissen‘ und ‚Gewissheit‘: „‚Wissen‘ und ‚Sicherheit‘ gehören zu verschiedenen Kategorien.“ (Wittgenstein 1992: §308); oder: „Nicht alle Korrekturen unsrer Ansichten stehen auf der gleichen Stufe.“ (Wittgenstein 1992: §300) Der erkenntnisstiftende Vorgang ist in diesen Fällen nicht der gleiche. Im Gegenteil, die Sätze, von denen behauptet werden kann, man wisse sie mit Gewissheit, stehen einfach fest, und es liegt in der „Methode unseres Zweifelns und Untersuchens“ (Wittgenstein 1992: §151), dass man sie nicht ‚wissen‘ kann. Sie stellen die Grundlage dar, auf der Zweifeln überhaupt sinnvoll wird. Die Sätze, von denen gesagt werden kann, man wisse sie, zeichnen sich dadurch aus, dass sie sinnvoll bezweifelt werden können, dass sie sich auch als falsch erweisen können. Die Sätze des ‚Wissens‘ müssen dementsprechend ‚begründet‘ werden können: „‚Ich weiß es‘, sage ich dem Andern; und hier gibt es eine Rechtfertigung. Aber für meinen Glauben gibt es keine.“ (Wittgenstein 1992: §175, vgl. §483-484) So steht das Wort ‚Glauben‘ in dieser Passage für ‚Weltbild‘: „Das Kind lernt, indem es dem Erwachsenen glaubt. Der Zweifel kommt nach dem Glauben.“ (Wittgenstein 1992: §160) Dieser Paragraf kann analog zu: „[...] Das Spiel des Zweifelns selbst setzt schon die Gewißheit voraus.“ (Wittgenstein 1992: §115) gelesen werden, sodass es gerechtfertigt ist, ‚Glauben‘ und ‚Gewissheit‘ gleichzusetzen und somit auch ‚Glauben‘ und ‚Weltbild‘. Sätze, die als ‚gewiss‘ gelten, können schlicht nicht sinnvoll angezweifelt werden: „Angenommen, es sei nicht wahr, daß die Erde schon lange vor meiner Geburt existiert hat, wie hat man sich die Entdeckung dieses Fehlers vorzustellen?“ (Wittgenstein 1992: § 301) Demnach ‚macht man sich ein falsches Bild vom Zweifel‘, wenn davon ausgegangen wird, dass der Zweifel, auch wenn es um Sätze geht, die ‚gewiss‘ sind, angebracht und sinnvoll ist.

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Der Zweifel nimmt in Wittgensteins erkenntnistheoretischem Konzept eine eigentümliche Stellung ein. Er steht, bildlich gesprochen, auf der ‚Gewissheit‘ und vermag aufgrund dessen in das ‚Wissen‘ einzugreifen. Es soll im Folgenden die richtige Verwendung des Zweifels in Wittgensteins später Sprachphilosophie eingehender untersucht werden. Einen radikalen, auf alles gerichteten Zweifel kann es nicht geben, da in einem solchen Fall dem Zweifeln selbst die Grundlage genommen würde, auf der er sinnvoll fußen kann: „Wenn ich also zweifle, oder unsicher bin darüber, daß das meine Hand ist (in welchem Sinn immer), warum dann nicht auch über die Bedeutung dieser Worte?“ (Wittgenstein 1992: §456) Gegen Ende von „Über Gewißheit“ heißt es lapidar: „[...] Ein Zweifel ohne Ende ist nicht einmal ein Zweifel.“ (Wittgenstein 1992: §625) Die richtige Verwendung des Zweifels befindet sich innerhalb der mannigfaltigen Sprachspiele, denen jeweils etwas ‚Gewisses‘ zugrunde liegt (Wittgenstein 1992: §2, §449). Wo die richtige Verwendung des Zweifels anfängt und wo sie aufhört, kann nicht genau bestimmt werden. Es können verschiedene ‚Grade‘ der richtigen Verwendung ausgemacht werden: „Ich weiß nicht, wie der Satz ‚Ich habe einen Körper‘ zu gebrauchen ist. Das gilt nicht unbedingt von dem Satz, daß ich immer auf oder nahe der Erde war.“ (Wittgenstein 1992: §258) Aufgrund dieser Abstufungen entsteht das Bestreben, eine ‚Regel‘ ausfindig machen zu wollen, die den richtigen Gebrauch des Zweifels regelt. Ein weiterer Grund für das Heraufbeschwören einer Regel liegt in der Eigenart des Sprachspiels selbst begründet: Der Zweifel ist nur innerhalb eines Sprachspiels sinnvoll (Wittgenstein 1992: §24) und die Sprachspiele werden von einer Sprachgemeinschaft geregelt (Wittgenstein 1992: §15, §18). „Es wäre nicht vernünftig, zu zweifeln, ob das ein wirklicher Baum oder ... sei. Daß es mir (als) zweifellos erscheint, darauf kommt’s nicht an. [...] Es müßte also eine Regel geben, die den Zweifel hier für unvernünftig erklärt. Die aber gibt es auch nicht.“ (Wittgenstein 1992: §452) Eine solche Regel kann es aus verschiedenen Gründen nicht geben: „Da aber ein Sprachspiel etwas ist, was in wiederholten Spielhandlungen in der Zeit besteht, so scheint es, man könne in keinem einzelnen Falle sagen, das und das müsse außer Zweifel stehen, wenn es ein Sprachspiel geben solle, wohl aber, daß, in der Regel, irgendwelche Erfahrungsurteile außer Zweifel stehen müssen.“ (Wittgenstein 1992: § 519)

Die Wendung ‚in der Regel‘ soll hier heißen: ‚im Normalfall‘. Eine allgemeine Regel kann in erster Linie nicht ausfindig gemacht werden, da sich ‚das Flussbett verschiebt‘, und die Grenze zwischen Sätzen der ‚Gewissheit‘ und Sätzen des ‚Forschens‘ sehr ungenau bzw. fließend ist: „‚In dieser Entfernung von der Sonne existiert ein Planet‘ und ‚Hier ist eine Hand‘ (nämlich die meine). Man kann den zweiten keine Hypothese nennen. Aber es gibt keine scharfe Grenze zwischen ihnen.“ (Witt-

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genstein 1992: §52) Die beiden ‚Behauptungen‘ sind sich ihrer Form nach sehr ähnlich (es handelt sich bei beiden mittelbar um ‚Erfahrungsurteile‘), und es erscheint unmöglich, eine Regel ausfindig machen zu wollen, die es vermag, eine solche Trennung vornehmen zu können. „Wollte man aber dafür etwas Regelartiges angeben, so würde darin der Ausdruck ‚unter normalen Umständen‘ vorkommen. Und die normalen Umstände erkennt man, aber man kann sie nicht genau beschreiben.“ (Wittgenstein 1992: § 27) Der ‚Pragmatismus‘ in Wittgensteins später Sprachphilosophie

Die ‚normalen Umstände‘ zeigen sich in der gewöhnlichen Verwendung und Anwendung bzw. Ausübung der Sprachspiele. Es kann jedoch unmöglich über die Sprachspiele geredet werden: Indem dies versucht wird, befindet man sich wieder in einem Sprachspiel. In den „Philosophischen Untersuchungen“ schreibt Wittgenstein sehr klar: „[...] Das Wort ‚Sprachspiel‘ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“ (Wittgenstein 1990b: §23) Es handelt sich um reine Äußerlichkeit: Die Sprachspiele können ähnlich einer ‚Tätigkeit‘ beschrieben werden, ihrem ‚Wesen‘ nach jedoch nicht erklärt werden, da man bei einem solchen Versuch sich wiederum innerhalb der ‚Tätigkeit‘ befindet. Dieser Umstand macht verständlich, warum Wittgensteins Spätphilosophie oft nur mit ‚Bildern‘ arbeitet: „[...] Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.“ (Wittgenstein 1990b: §109) Die richtige Verwendung des ‚Zweifels‘ hängt mit den ‚normalen Umständen‘ zusammen, und diese zeigen sich in der gewöhnlichen Verwendung der ‚Sprachspiele‘. Es drängen sich hier zwei weitere Annahmen auf, die imstande sein sollen den Zweifel zu ‚regeln‘, indem sie ihn erklären. Die Erste will die ‚Gewissheit‘ klar umreißen, um den Zweifel ausgehend von dieser in seiner korrekten Anwendbarkeit zu determinieren: „Will ich also sagen, daß die Sicherheit im Wesen des Sprachspiels liegt?“ (Wittgenstein 1992: §457) Wittgenstein lehnt diese Annahme ab, da sie sich mit seiner Gesamtkonzeption unmöglich verträgt: Es kann, wie gezeigt worden ist, kein ‚Wesen des Sprachspiels‘ ausgemacht werden. Die zweite Annahme will einen Erklärungsansatz darstellen und zielt direkt auf die Bedingungen ab, die Wittgensteins Sprachspielargumenten zugrunde liegen sollen: „Ich will also etwas sagen, was wie Pragmatismus klingt. Mir kommt hier eine Art Weltanschauung in die Quere.“ (Wittgenstein 1992: §422) In diesem Fall soll (doch wieder) dem ‚Wesen‘ des Sprachspiels ein pragmatisch (nicht pragmatistisch!) bedingter Beweggrund zukommen. Auch darum kann es Wittgenstein jedoch nicht gehen, denn das Weltbild bzw. der Glaube, worauf die Sprachspiele stehen bzw. wovon sie ‚selbstverständlich‘ ausgehen (Wittgenstein 1992: §167), ist ‚un-begründet‘ (Wittgenstein 1992: §166), und nichts deutet darauf hin, dass sich dieses Weltbild aus ‚praktisch‘ sinnvollen Gründen bewährt hat und deshalb ein solches geworden ist:

94 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Wenn ich sage ‚Wir nehmen an, daß die Erde schon viele Jahre existiert habe‘ (oder dergl.), so klingt es freilich sonderbar, daß wir so etwas annehmen sollten. Aber im ganzen System unsrer Sprachspiele gehört es zum Fundament. Die Annahme, kann man sagen, bildet die Grundlage des Handelns und also natürlich auch des Denkens.“ (Wittgenstein 1992: §411)

Aus diesem Paragrafen wird ersichtlich, dass das ‚Fundament‘ eine ‚Grundlage des Handelns‘ darstellt und sich nicht umgekehrt vom ‚Handeln‘ ableiten lässt. An einer anderen Stelle heißt es jedoch: „Stellen wir uns die Tatsachen anders vor als sie sind, so verlieren gewisse Sprachspiele an Wichtigkeit, andere werden wichtig. Und so ändert sich, und zwar allmählich, der Gebrauch des Vokabulars der Sprache.“ (Wittgenstein 1992: §63) Der Bedingungszusammenhang ist also ein wechselseitiger und es erscheint unmöglich, eine klare Abgrenzung vornehmen zu können, da Sprachspieldenken und Sprachspielpraxis so stark ineinander verwoben sind, dass eine Trennung der beiden unweigerlich zu falschen Folgerungen führen würde. Habermas’ akribische Zueinanderführung von Wittgensteins später Sprachphilosophie und Meads symbolisch-vermittelter Interaktion als Grundlage für Identität und Sozialität (und zugleich eines soziologischen Pragmatismus) kann als ein Beleg dafür angeführt werden, dass Wittgensteins Aussagen dem Pragmatismus sehr nahe stehen. Vermutlich ist sogar die Verwendung des Begriffes ‚Pragmatismus‘ in der oben zitierten Passage der Substantivierung des Adjektivs ‚pragmatisch‘ geschuldet (vgl. Habermas 2006a: 11ff, zu Wittgensteins ‚Regelbegriff‘ v. a.: 30ff). Zusammenfassung: Wittgensteins Zweifel und Gewissheit

Die bisher zusammengetragenen Einsichten in Wittgensteins Verständnis vom ‚Zweifel‘ und der ‚Gewissheit‘ sollen nun in ihren Grundzügen rekonstruiert werden. Es kann zunächst festgehalten werden, dass der Zweifel sinnlos wird, wenn er auf Sätze, die gewiss sind, gerichtet wird. Diese stellen das Fundament dar, in denen der Zweifel verankert ist. Wenn der Zweifel gegen sie gewendet wird, so wird er gleichermaßen gegen sich selbst gewendet und verliert jegliche Aussagekraft; er hebt sich sozusagen selbst auf (Wittgenstein 1992: § 456). Im äußersten Fall muss der Zweifel die Sprache selbst, durch die er ja erst möglich wird, anzweifeln und nimmt sich somit ‚endgültig‘ die Möglichkeit, sinnvoll zu sein. Der Bereich dessen, was als die ‚Gewissheit‘ angesehen werden kann, ist „der überkommene Hintergrund“ (Wittgenstein 1992: §94), der sich allerdings mit der Zeit ändert (Wittgenstein 1992: §63, §9597, §256). Diese Veränderungen bzw. ‚Verschiebungen des Flussbettes‘ befinden sich jenseits von argumentativen Erklärungsversuchen, da sie sich den Erkenntnismöglichkeiten mittels des Zweifels und somit einer ‚wahr vs. Falsch‘ Bewertung entziehen. Wittgenstein unterscheidet sehr deutlich zwischen ‚Wissen‘ und ‚Gewissheit‘: „Es ist nämlich nicht wahr, daß der Irrtum vom Planeten zu meiner eigenen Hand nur

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immer unwahrscheinlicher werde. Sondern er ist an einer Stelle auch nicht mehr denkbar.“ (Wittgenstein 1992: §54) Es ist also unmöglich, den ‚Grund‘ (das, was einem Sprachspiel ‚zugrunde liegt‘) für das gesamte Konzept des ‚Wissens‘ argumentativ zu durchleuchten. „Die Schwierigkeit ist, die Grundlosigkeit unseres Glaubens einzusehen.“ (Wittgenstein 1992: §166) Auch hier kann ‚Glauben‘ als ‚Gewissheit‘ oder ‚Weltbild‘ verstanden werden, also als das, was den Sprachspielen zugrunde liegt. Das ‚Weltbild‘ zeigt sich in der Anwendung der Sprachspiele und kann somit höchstens ‚umschrieben‘ werden. Wittgenstein spricht einige Male diesen Umstand direkt aus, indem er es jedoch selbst auch nur zu ‚umschreiben‘ vermag: „Alle Prüfung, alles Bekräften und Entkräften einer Annahme geschieht schon innerhalb eines Systems. Und zwar ist dies System nicht ein mehr oder weniger willkürlicher und zweifelhafter Anfangspunkt aller unsrer Argumente, sondern es gehört zum Wesen dessen, was wir ein Argument nennen. Das System ist nicht so sehr der Ausgangspunkt, als das Lebenselement der Argumente.“ (Wittgenstein 1992: § 105, vgl. § 141-142, § 410)

Die ‚Gewissheit‘ kann folglich gleichgesetzt werden mit dem, was dem System, also der Sprache, nicht nur zugrunde liegt, sondern auch mit all dem, was ‚sinnvolles Sprechen‘ überhaupt möglich macht. Der ‚Zweifel‘ nimmt in Wittgensteins erkenntnistheoretisch anschlussfähigen Überlegungen von „Über Gewißheit“ dementsprechend die Funktion eines Regulativs ein. Der ‚Zweifel‘ beschreibt das System, indem er es durchläuft, und es vermag dank seiner Eigenart mal mehr oder weniger sinnvoll bzw. gar vollkommen sinnlos in seiner jeweiligen Anwendung zu sein, die ‚wissenschaftlich‘ relevanten Bereiche des Systems voneinander grob abzugrenzen, in denen ‚Zweifel‘ bzw. ‚Fragen‘ sinnvoll aufgeworfen bzw. gestellt werden können. Dieses Abgrenzen vollzieht sich systemimmanent, indem es vom Zweifel durchwandert wird. Der Zweifel kann nur systemimmanent seine Anwendung finden, da er selbst seine Grenzen innerhalb des Systems erfährt; besonders augenfällig wird dies darin, dass der Zweifel nicht gegen die Sprache gerichtet werden kann, da er auf diese Weise zum Verschwinden gebracht wird. Die eigentümliche Bestimmung des ‚Zweifels‘ in Wittgensteins Spätwerk soll durch eine Rekonstruktion von Descartes’ ‚methodischem Zweifel‘ an Schärfe gewinnen. Zugleich soll jedoch hier auch die Vergleichbarkeit als solche auf dem Spiel stehen. Schließlich soll die Rekonstruktion der Beiträge nicht nur auf der Grundlage von Wittgensteins Ausführungen plausibilisiert werden, sondern die Methode des Theorievergleichs dahin gehend ausgeleuchtet werden, dass es gerechtfertigt erscheint strukturalistisch, und nicht radikalkonstruktivistisch vorzugehen. Dieser Exkurs beinhaltet demzufolge zwei ineinander verschachtelte Vergleiche: Der Ausgang

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des Äußeren zwischen der funktional-strukturellen Systemtheorie und der Sprachphilosophie wird beeinflusst vom Ergebnis des Inneren zwischen Wittgensteins Ausführungen zum Zweifel und der Gewissheit und denen Descartes’ und Humes.

3.2.2 Descartes’ ‚methodischer‘ Zweifel Descartes erhebt den Zweifel zur grundlegenden Methode einer ‚ersten Philosophie‘. Eine philosophische Besinnung auf letzte, unerschütterliche Gewissheiten muss zunächst mit einem allgemeinen ‚Zweifel‘ beginnen: „Schon vor einer Reihe von Jahren habe ich bemerkt, wieviel Falsches ich in meiner Jugend habe gelten lassen und wie zweifelhaft alles ist, was ich hernach darauf aufgebaut, daß ich daher einmal im Leben alles von Grund aus umstoßen und von den ersten Grundlagen an neu beginnen müsse, wenn ich jemals für etwas Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften festen Halt schaffen wollte.“ (Descartes 1992: 31)

Mit diesen Worten eröffnet Descartes die erste ‚Meditation‘. Descartes’ Ausgangslage kann recht einfach nachgezeichnet werden. Um eine unerschütterliche Gewissheit aufzuspüren, muss alles, was dem Zweifel nicht standhält, zunächst als falsch angesehen werden. Auf diese Weise wird nach und nach all das ‚aussortiert‘, was nicht hinreichend gewiss ist. Es wird, anders ausgedrückt, der Weg zu der Gewissheit oder den wenigen unumstößlichen Gewissheiten freigelegt. Descartes beginnt seine Meditationen mit einem klaren, konkreten Ziel: Das Auffinden einer absoluten Gewissheit, die als Grundlage der ‚Wissenschaften‘ dienen soll: „[...], daß ich daher einmal im Leben alles von Grund aus umstoßen [...] müsse, wenn ich jemals für etwas Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften festen Halt schaffen wollte.“ (Descartes 1992: 31) Es soll nun in Kürze Descartes’ Gedankengang wiedergegeben werden, wobei die folgenden Ausführungen nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben wollen, sondern nur darum bemüht sind, die für das Verständnis des Zweifels relevanten Aspekte aus Descartes’ Argumentation aufzuzeigen. Descartes muss zunächst die mittels sinnlicher Wahrnehmung erkannte Außenwelt als nicht ausreichend ‚gewiss‘ beiseitelegen, da es sich lediglich um einen ‚Traum‘ handeln könnte. Descartes fragt nun, ob es aber nicht eine Analogie geben könne zwischen den im Traum ‚erkannten‘ Dingen und der Wirklichkeit. Sein wichtigster Anhaltspunkt ist dabei folgender: Einige Merkmale müssen unbedingt vorhanden sein, damit sich das (wenn auch nur im Traum) ‚Erfahrene‘ ihm zeigen kann. Diese sind in erster Linie die Ausdehnung der Gegenstände und die Zeit, durch die

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sie sich ‚entwickeln‘ und ausschließlich in dieser Bewegung ‚erfahren‘ werden können. Es sind aber genauso auch Sätze der Arithmetik und der Geometrie: „Denn ich mag wachen oder schlafen, so sind doch stets 2+3 = 5, das Quadrat hat nie mehr als vier Seiten, und es scheint unmöglich, daß so augenscheinliche Wahrheiten in den Verdacht der Falschheit geraten können.“ (Descartes 1992: 37) Descartes zweifelt jedoch auch an diesen „augenscheinlichen Wahrheiten“, indem er einen eigentümlichen Schritt in der Argumentation geht, der seinem eigentlichen ‚methodischen‘ Vorhaben zu widersprechen scheint. Descartes bedient sich einer „alte[n] Überzeugung“ (Descartes 1992: 37), nämlich der Gottes, um auch Ausdehnung, Zeit, Arithmetik und Geometrie als zweifelhaft und zu ‚ungewiss‘ abzutun. Descartes schreibt unmittelbar nach dem weiter oben zitierten Satz über die ‚augenscheinlichen Wahrheiten‘: „Es ist indessen in meinem Denken eine alte Überzeugung verwurzelt, daß es einen Gott gebe, der alles vermag, und von dem ich so, wie ich bin, geschaffen wurde.“ (Descartes 1992: 37) Da „es einen Gott gibt, der alles vermag“ liegt es im Ermessen dieses Gottes, den Menschen in allem zu täuschen, sodass es zumindest angenommen werden kann, „[...] daß es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt und daß dennoch dies alles genau so, wie es mir jetzt vorkommt, bloß da zu sein scheint; [...].“ (Descartes 1992: 37) Dieser ‚Sprung‘ in Descartes’ ‚methodischer‘ Denkbewegung zeigt, dass Descartes bereits zu Beginn seiner Ausführungen eine ‚Gewissheit‘ vorschwebte bzw. dass er eine Gewissheit implizit stets gelten ließ. Diese Annahme wird weiter bestätigt durch die ‚Umbenennung‘ Gottes zu einem bösen Geist: „So will ich denn annehmen, nicht der allgütige Gott, die Quelle der Wahrheit, sondern irgendein böser Geist, der zugleich allmächtig und verschlagen ist, habe all seinen Fleiß daran gewandt, mich zu täuschen; [...].“ (Descartes 1992: 39) Das Erstaunliche an dieser Feststellung besteht darin, dass sich Gott erst später als ‚gut‘ erweisen wird; wieso also soll es ein ‚böser Geist‘ sein, der Descartes täuscht, und nicht Gott selbst? Descartes legt die Vorstellung des traditionellen Gottesbegriffs nicht ab. Er lässt sie entgegen seinem methodischen Vorhaben, „alles von Grund aus um[zu]stoßen und von den ersten Grundlagen an neu [zu] beginnen“ (Descartes 1992: 31), gelten. Descartes’ erste (vorläufige) Gewissheit: Der denkende Geist

Descartes nächster Schritt führt zur ersten Gewissheit. Selbst wenn es einen ‚allmächtigen und verschlagenen Betrüger‘ gibt, der den Menschen in allem, was er zu erkennen und als wahr zu denken glaubt, täuscht, so kann nicht angezweifelt werden, dass der Denkakt: „[...] daß ich etwas sei“ unweigerlich von einem Individuum gedacht werden muss. „Er [der ‚allmächtige Betrüger‘] täusche mich, soviel er kann, niemals wird er doch fertigbringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß ich etwas sei.“ (Descartes 1992: 43)

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Descartes fragt sich nun, ob mit dieser einen Gewissheit auch die üblicherweise für gewiss angenommenen Dinge, wie Körper, Gliedmaßen, Empfindungen und dergleichen jetzt wieder ‚gewiss‘ sind. Diese Frage muss er allerdings verneinen, da immer noch die Möglichkeit besteht, „daß irgendein allmächtiger und, wenn man so sagen darf, boshafter Betrüger sich bemüht hat, mich in allem, soweit er es vermochte, zu täuschen“ (Descartes 1992: 47). Es bleibt ihm also lediglich die Gewissheit seiner selbst bzw. seines ‚denkenden Geistes‘ erhalten. Descartes zieht allerdings auch die Möglichkeit in Betracht, dass er rein gar nichts sei. Sein Gedankengang ist folgender: Wenn angenommen wird, dass alle Vorstellungen, die sich das ‚denkende Subjekt‘ von der Welt macht, falsch sein können und das ‚denkende Subjekt‘ selbst der Urheber dieser Vorstellungen ist: „Gibt es etwa einen Gott, oder wie ich den sonst nennen mag, der mir diese Vorstellungen einflößt? – Weshalb aber sollte ich das annehmen, da ich doch am Ende selbst ihr Urheber sein könnte?“ (Descartes 1992: 43) So hätte das Subjekt selbst keinerlei Legitimation mehr zu ‚sein‘: „Also wäre doch wenigstens ich irgend etwas? [...] Indessen, ich habe mir eingeredet, daß es schlechterdings nichts in der Welt gibt: keinen Himmel, keine Erde, keine denkenden Wesen, keine Körper, also doch auch wohl mich selbst nicht?“ (Descartes 1992: 43) Diese Passage ist argumentativ korrekt aufgebaut, und folglich müsste das Subjekt selbst auch ‚nichts‘ sein. Frege widerlegt mit eben derselben Argumentation den erkenntnistheoretischen Idealismus auf vortreffliche Weise in seiner Schrift „Der Gedanke“ (Frege 1986). Descartes folgt diesem Gedanken allerdings nicht konsequent weiter und bedient sich wiederum der ‚alten Überzeugung‘, dass es ein ‚allmächtiges Wesen‘ gibt und demnach er (Descartes) existieren muss, da er ja getäuscht wird. „Aber es gibt einen, ich weiß nicht welchen, allmächtigen und höchst verschlagenen Betrüger, der mich geflissentlich stets täuscht. – Nun, wenn er mich täuscht, so ist es also unzweifelhaft, daß ich bin.“ (Descartes 1992: 43) Descartes hält an einem ‚allmächtigen Wesen‘ fest, um die Existenz seiner selbst fundieren zu können. An dieser Stelle schließt sich die erste ‚Schleife‘ in Descartes’ Argumentationsgang: Er zweifelt an der Gültigkeit der (wenn auch nur im Traum) ‚erkannten‘ Dinge mithilfe eines ‚allmächtigen bösen Geistes‘, sodass davon ausgegangen werden muss, dass jede selbst nur im Bewusstsein als wahr angenommene Tatsache falsch sei. Von dieser Warte aus bestreitet er nun die Existenz dieses ‚bösen Geistes‘ und muss sich die Frage stellen, ob er denn überhaupt etwas sei. Dieser letzte Schritt hat insofern einen zirkulären Charakter, als dass von einer bestimmten Position aus etwas angezweifelt wird, die jedoch nur kraft dessen eingenommen werden konnte, was nun angezweifelt wird. Descartes kehrt also zu der einen Gewissheit, die er hat ausfindig machen können, zurück, nämlich zu der Gewissheit des ‚denkenden Geistes‘, da einzig von ihr ausgehend weitere ‚wahre‘ Erkenntnis gefunden werden kann. Er stellt weiterhin fest, dass,

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so sehr er sich auch bemühen mag, er nichts deutlicher erkennen würde, da ja alles, was sich seinem ‚Erkennen‘ darbietet, ein ‚trügerischer Traum‘ ist: „Habe ich das aber einmal bemerkt, so scheint es ebenso töricht zu sagen: ‚ich will meine Einbildungskraft anstrengen, um deutlicher zu erkennen, wer ich bin‘, wie wenn ich sagte: ‚zwar bin ich bereits aufgewacht und sehe schon etwas Wahres [nämlich das alles ein trügerischer Traum ist], doch da ich es noch nicht deutlich genug sehe, so will ich mir Mühe geben, wieder einzuschlafen, damit es mir meine Träume wahrer und einleuchtender darstellen‘.“ (Descartes 1992: 49)

Der Gottesbeweis oder Descartes’ ‚god trick‘

Descartes’ nächster wesentlicher Schritt ist sein so genannter ‚Gottesbeweis‘. Descartes hält nur noch die Dinge für gewiss, die seinem Bewusstsein eigen sind. „Was nun die Vorstellungen anbetrifft, so können sie, wenn man sie nur an sich betrachtet und sie nicht auf irgend etwas anderes bezieht, nicht eigentlich falsch sein; denn ob mir meine Einbildung nun eine Ziege oder eine Chimäre vorstellt – so ist es doch ebenso wahr, daß ich mir die eine, wie daß ich mir die andere bildlich vorstelle.“ (Descartes 1992: 65)

Worauf Descartes jedoch eigentlich hinaus will, ist eine ‚Übereinstimmung‘ zwischen den Vorstellungen und der Wirklichkeit, „[...]; denn in der Tat, würde ich nur die Vorstellungen selbst gewissermaßen als Bewußtseinsbestimmungen betrachten und sie nicht auf irgend etwas anderes beziehen, so könnten sie mir kaum Stoff zum Irrtum geben.“ (Descartes 1992: 67) Descartes will aber aus seinem Traum aufwachen, und dazu benötigt er einen außerhalb seiner selbst, aber von ihm notwendig gewiss erkennbaren ‚Garanten‘ für eben diese ‚Übereinstimmung‘. Die reinste und sicherste aller Vorstellungen ist die Gottes, „denn es liegt im Wesen des Unendlichen, daß es von mir als Endlichem nicht begriffen wird, und es genügt, daß ich ebendies einsehe und urteile, alles das, was ich klar begreife und wovon ich einsehe, daß es eine gewisse Vollkommenheit einschließt, und auch vielleicht noch unzähliges Andere, was ich nicht weiß, sei in Gott in der gleichen oder in vollkommenerer Form enthalten, damit die Vorstellung, die ich von ihm habe, die wahrste, klarste und deutlichste aller meiner Gedanken ist.“ (Descartes 1992: 85)

Descartes führt insbesondere ein Argument gegen die Existenz Gottes an. Er zweifelt an der Existenz Gottes, indem er der Frage nachgeht, ob die Vorstellung Gottes aus ihm selbst hervorgeht. „Doch vielleicht bin ich etwas mehr, als ich selbst weiß, und sind alle die Vollkommenheiten, die ich Gott zuschreibe, als Möglichkeiten irgendwie in mir angelegt, [...]“ (Descartes 1992: 85). Dieser Zweifel nimmt in Descartes’

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erkenntnistheoretischem System eine besondere Stellung ein. Sollte Gott nämlich eine vom denkenden Subjekt selbst erstellte Vorstellung sein, so wäre nicht gewährleistet, dass es einen Gott gibt, und somit, dass er ‚gut‘ ist und demzufolge den Menschen nicht ‚betrügt‘. Dass Gott sich als ein außerhalb des ‚denkenden Subjektes‘ existierendes Wesen herausstellt, ist gleichzeitig die ‚Garantie‘ dafür, dass es eine Welt außerhalb des Subjektes gibt. Erst an dieser Stelle, also in der dritten von insgesamt sechs Meditationen, wird die Existenz Gottes bezweifelt. Descartes will untersuchen: „[...], ob es einen Gott gibt, und wenn, ob er ein Betrüger sein kann. Denn solange das unbekannt ist, glaube ich nicht, daß ich über irgend etwas anderes jemals völlig gewiß sein kann.“ (Descartes 1992: 65) Descartes stellt sich diese Frage, da er zwar herausgefunden hat, dass er ‚ist‘ und die Vorstellungen und Bewusstseinszustände und -vorgänge wesentlich gewisser sind als die Dinge der Außenwelt, die mittels sinnlicher Wahrnehmung wahrgenommen werden, aber immer noch die Möglichkeit besteht, dass ein ‚allmächtiger Betrüger ihn täuscht, wo er nur kann‘. Entscheidend ist hier, dass Descartes diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zieht, nachdem er, um bis hierhin gelangen zu können, stets von einem Gott (sei er gut oder trügerisch) ausgegangen ist. Der Grund hierfür liegt in dem bereits erläuterten ‚Garantiecharakter‘, den ein außerhalb des Subjektes existierender und ‚guter‘ Gott aufweist. Der ‚Gottesbeweis‘, der die gesamte dritte Meditation für sich in Anspruch nimmt, weist einen ähnlich zirkulären Argumentationsgang auf wie die in den ersten zwei Meditationen bewiesene Gewissheit des ‚denkenden Subjektes‘. Es wird hier von der Gewissheit des ‚Subjektes‘ auf die Gewissheit Gottes geschlossen, die zugleich für die Gewissheit des Subjektes verantwortlich zeichnet: „[...] man muß durchaus zu dem Schlusse kommen, daß allein die Tatsache, daß ich existiere und daß mir eine Vorstellung eines vollkommensten Wesens, d.i. Gottes, einwohnt, aufs deutlichste beweist, daß Gott auch existiert.“ (Descartes 1992: 93) Descartes’ Beweisführung, dass es Gott unweigerlich geben muss, kann knapp folgendermaßen nachgezeichnet werden: Die Vorstellung Gottes ist angeboren, da sie die Wirklichkeit und die menschliche ‚endliche‘ Natur übersteigt. Die Vorstellung, etwas den Menschen Übergeordnetes, weil Unendliches und Allmächtiges, kann vom Menschen selbst nicht gedacht bzw. vorgestellt werden, sie muss angeboren sein, da der Mensch ansonsten nichts von der Unendlichkeit bzw. Allmächtigkeit wissen könnte. Hinzukommt, dass es einen dieser Vorstellung entsprechenden Gott geben muss, da nur er selbst dem Menschen eine Vorstellung von etwas „eingepflanzt“ (Descartes 1992: 95) haben kann, wovon sich der Mensch sonst niemals eine Vorstellung machen könnte. „[...], wenn der Bedeutungsgehalt irgendeiner meiner Vorstellungen so groß ist, daß ich dessen gewiß bin, daß eben dieser Gehalt weder in der gleichen noch in einer vollkommeneren Form in mir enthalten ist, daß folglich auch ich selbst nicht Ursache dieser Vorstellung sein kann, so

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folgt daraus notwendig, daß ich nicht allein in der Welt bin, sondern daß noch irgendeine andere Sache, welche die Ursache dieser Vorstellung ist, existiert.“ (Descartes 1992: 77)

Also existiert Gott. Es wird sich herausstellen, dass Gott gut sein muss, da er allmächtig ist, und das Schlechte ein Mangel ist und mit der Allmächtigkeit unmöglich zu vereinbaren ist und „[...], daß er [dementsprechend] kein Betrüger sein kann, denn daß aller Trug und alle Täuschung auf irgendeiner Schwäche beruht, das macht das natürliche Licht augenscheinlich.“ (Descartes 1992: 95) Hiermit wäre also sichergestellt, dass es eine ‚Übereinstimmung‘ zwischen den Vorstellungen des Subjektes und der Wirklichkeit gibt. In diesem Sinne hat sich Descartes’ methodischer Zweifel als erfolgreich erwiesen, indem er ‚Gewissheiten‘ zutage befördert hat, die imstande sind, der ‚Wissenschaft einen festen Halt zu verschaffen‘. Zusammenfassung: Descartes’ Zweifel

In Descartes’ ‚Meditationen‘ sind zwei Zweifel enthalten. Einmal der Zweifel, der das ‚Ich‘ anzweifelt, es aber aufgrund der Gewissheit Gottes für gewiss erklärt, und zweitens der Zweifel, der an die Existenz Gottes herangetragen wird, der aber insofern schon fragwürdig erscheint, als dass er von einer Gewissheit aus angezweifelt wird, die jedoch erst durch das jetzt Anzuzweifelnde sich als Gewissheit herausstellen konnte. Descartes’ so genannter ‚Gottesbeweis‘ beweist in erster Linie die faktische Möglichkeit, gewisse Erkenntnis erlangen zu können. Descartes hat die Existenz Gottes nie ernsthaft angezweifelt. Der ‚Gottesbeweis‘ ist nicht ein Beweis für die Existenz Gottes, sondern der Beweis von alledem, was durch einen Gott anzweifelnden Gedankengang erst bewiesen und als gewiss befunden werden kann. Es stimmt nicht, dass Descartes die „Bewusstseinszustände und -vorgänge“ nicht angezweifelt hat (Kenny 2006: 237). Er hat sie sehr wohl angezweifelt, mittelbar zumindest, indem er einen ihn ‚täuschenden allmächtigen Geist‘ annimmt. Er konnte ja nicht schlechterdings annehmen, er sei rein gar nichts. Es liegt für Descartes außerhalb jeder Möglichkeit, dergleichen auch nur anzunehmen; eine solche Feststellung fällt unter die ‚apodiktischen Gewissheiten‘, die für Descartes anzuzweifeln unmöglich war: Die Existenz Gottes ist die Gewissheit, die Descartes’ Zweifel trägt. Dass Descartes niemals die Ebene eines den Zweifel anzweifelnden Zweifels erreichen konnte, wird auch in folgendem Zitat aus der zweiten Meditation ersichtlich: „Und ich will so lange weiter vordringen, bis ich irgend etwas Gewisses, oder, wenn nichts anderes, so doch wenigstens das für gewiß erkenne, daß es nichts Gewisses gibt.“ (Descartes 1992: 43) Der äußerste Zweifel Descartes’ erreicht nie die Ebene eines das System des Zweifelns anzweifelnden Zweifels. Die Reihenfolge, auf die sich Descartes’ Zweifel richtet, zeigt, dass er die Gewissheit Gottes (oder einer ‚allmächtigen Entität‘) nie abgelegt hat. Descartes hat die Bewusstseinszustände und -vorgänge lediglich insofern nicht radikal angezweifelt,

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als dass er in dem Moment, wo er zur Selbstaufhebung bzw. -widerlegung des erkenntnistheoretischen Idealismus gelangt, mithilfe des ‚allmächtigen Betrügers‘ die Existenz des Subjektes als Träger seiner Vorstellungen (re)konstituiert. Descartes’ Beweisführungen weisen einen zirkulären Charakter auf, da sie angeben, von einem radikalen Zweifel auszugehen und stattdessen eine Gewissheit (die der Existenz Gottes) implizit stets gelten lassen. Descartes führt selbst diesen Umstand vor, indem er schreibt: „Die ganze Kraft dieses Beweises liegt in der Erkenntnis, daß ich selbst mit der Natur, die mir eigentümlich ist, – nämlich im Besitze einer Vorstellung Gottes – unmöglich existieren könnte, wenn nicht auch Gott wirklich existierte, derselbe Gott, sage ich, dessen Vorstellung in mir ist, d. h. der alle die Vollkommenheiten besitzt, die ich zwar nicht begreifen, aber doch gewissermaßen mit den Gedanken berühren kann, und der durchaus für Schwächen unempfänglich ist.“ (Descartes 1992: 95)

Descartes führt in diesem Satz also selbst die Zirkularität seines Beweises vor. Die Erkenntnis, die er als Subjekt macht, vermag es erst, ihn als ein gewisse Erkenntnis machendes Subjekt zu garantieren. Descartes’ methodischer Zweifel erfüllt die Funktion eines Korrektivs (Röd 1995: 48ff): Der Zweifel korrigiert die erkenntnistheoretische Grundlage, indem er die Gewissheiten ausfindig macht, die der bereits bestehenden erkenntnistheoretischen Haltung zugrunde liegen. Ihde bringt die erkenntnistheoretische Zirkularität auf den Punkt, indem er sich Haraways ‚god trick‘ Rhetorik bedient: „What l left out of the camera-modeled epistemological frame was the problem it created for its inventors. If all we can know (directly) is the image or representation of the external (res extensa) world outside, how can we know that there is an accurate correspondence between image and thing? And we all know Descartes’s answer: it is the epistemological god who guarantees this correspondence. Here, then, is the early modern invention of the god-trick, the nonperspectival perspective of the ideal observer who rides above the world. God sees, but because of being god, his view is presumed nonperspectival. I will not bore you with the centuries of debate about this, but I will pull a simple existential phenomenological trick to deconstruct this picture of knowledge: where is Descartes when he makes the claims about knowledge that he makes? The answer is outside the camera, viewing it from both the outside and the inside. Descartes himself is the ‚secret‘ of the god-trick since in his nonspoken, privileged position he can ‚see‘ if there is correspondence or not. Descartes is using what today in computer games is called a cheat code. He already knows the answers from his privileged position or perspective.“ (Ihde 2002: 73f; vgl. Haraway 1988: 581ff)

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3.2.3 Humes ‚pragmatische‘ Gewissheit Humes Vorgehen unterscheidet sich wesentlich von Descartes’ und darf in einer gewissen Hinsicht als ‚pragmatisch‘ (nicht pragmatistisch!) gelten (Compagna 1995), insofern sich Humes Skepsis nicht auf die Möglichkeit von ‚Gewissheit‘ überhaupt richtet, sondern auf eine spezifische Form von Erkenntnis, die nicht den Grad der Gewissheit erreichen kann: „Alle Gegenstände menschlichen Denkens und Forschens lassen sich naturgemäß in zwei Arten gliedern, nämlich in Vorstellungsbeziehungen [...] und in Tatsachen [...]. Von der ersten Art sind die Lehren der Geometrie, Algebra und Arithmetik, kurz, jede Behauptung von entweder intuitiver oder demonstrativer Gewißheit. [...] Sätze dieser Art lassen sich durch bloße Denktätigkeit entdecken, unabhängig davon, ob irgendwo im Weltall etwas existiert. Wenn es auch niemals einen Kreis oder ein Dreieck in der Natur gegeben hätte, würden doch die von Euklid demonstrierten Wahrheiten für immer ihre Gewißheit und Evidenz behalten.“ (Hume 1994: 41)

Die ‚Vorstellungsbeziehungen‘ werden von Hume als durchaus ‚gewiss‘ dargestellt. Seine Skepsis richtet sich auf die zweite ‚Art von Gegenständen menschlichen Denkens und Forschens‘, nämlich die ‚Tatsachen‘: „Tatsachen, die zweiten Objekte menschlichen Denkens, sind nicht auf die gleiche Weise verbürgt; auch ist unsere Evidenz von ihrer Wahrheit – wie groß sie auch immer sei – nicht der vorhergehenden [derjenigen der Vorstellungsbeziehungen] vergleichbar.“ (Hume 1994: 41)

Im Folgenden sollen in erster Linie Humes ‚skeptische Zweifel‘ hinsichtlich der Gewissheit von ‚Tatsachen‘ anhand der Ausführungen in der „Enquiry“ werkimmanent dargestellt werden. Humes Skepsis und das dabei unweigerlich zutage kommende Verständnis von ‚Gewissheit‘ hinsichtlich der Kenntnis von ‚Tatsachen‘ bietet sich – neben Descartes’ ‚Zweifel‘ – in besonderem Maße an, den Versuch zu unternehmen, Wittgensteins Verständnis vom ‚Zweifel‘ und von der ‚Gewissheit‘ relational zu bestimmen. Zunächst soll Humes Ausgangslage geschildert werden. Hume unterteilt „alle Perzeptionen des Geistes in zwei Klassen oder Arten“ (Hume 1994: 32), nämlich in ‚Gedanken‘ (thoughts) oder ‚Vorstellungen‘ (ideas) und ‚Eindrücke‘ (impressions). Nun müssen alle hier genannten Begriffe entgegen des gewöhnlichen Sprachgebrauchs präzisiert werden bzw. aus Humes Explikationen neu erschlossen werden. Vorläufig kann schon aus dem Geschilderten gesagt werden, dass Hume unter ‚Perzeptionen‘ jegliche ‚Bewusstseinsinhalte‘ versteht (Kulenkampff 1989: 28f). Die ‚Perzeption‘ ist der Oberbegriff, der sich in ‚zwei Klassen‘ unterteilen lässt, „die durch ihre verschiedenen Grade der Stärke und Lebendigkeit unterschieden sind.“

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(Hume 1994: 32) Die erste Klasse wird künftig als die der ‚Vorstellungen‘ bezeichnet werden. Als Beispiel möge Folgendes ausreichen: „Sagt man mir, jemand sei verliebt, verstehe ich leicht, was damit gemeint ist, und kann mir eine zutreffende Vorstellung von seinem Zustand machen. Aber niemals kann ich diese Vorstellung mit den wirklichen Verwirrungen und Gemütsbewegungen dieser Leidenschaft verwechseln.“ (Hume 1994: 31f)

Die aktuell wahrgenommene Empfindung, die der Liebe in diesem Fall, fällt unter die Klasse der ‚Eindrücke‘; die lediglich ins Gedächtnis gerufene Erinnerung an diesen ‚Eindruck‘ fällt unter die Klasse der ‚Vorstellungen‘. In diesem Zitat wird zugleich deutlich, dass der Inhalt der mit dem Begriff ‚Eindruck‘ betitelten zweiten Klasse, wie Hume selbst feststellt, schwerer zu fassen ist als der der ersten: „Für die andere Art fehlt in unserer Sprache wie in den meisten anderen ein besonderer Name, vermutlich, weil es außer für philosophische Zwecke nicht erforderlich war, sie unter einen allgemeinen Ausdruck oder Namen zu fassen. [...] Unter der Bezeichnung Eindruck verstehe ich also alle unsere lebhafteren Perzeptionen, wenn wir hören, sehen, fühlen, lieben, hassen, begehren oder wollen.“ (Hume 1994: 32)

Hume unterscheidet nicht kategorial zwischen ‚innerer‘ und ‚äußerer‘ Sinnesempfindung, obwohl er freilich diese Unterscheidung der Anschaulichkeit wegen vornimmt: „Kurz gesagt, der ganze Stoff des Denkens ist entweder aus der äußeren oder der inneren Sinnesempfindung [...] abgeleitet“ (Hume 1994: 33). Beide, innere und äußere Sinnesempfindung, werden gleichermaßen als ‚Eindrücke‘ aufgefasst, wobei jeder einfachen ‚Vorstellung‘ ein einfacher ‚Eindruck‘ entspricht: „Alle unsere Vorstellungen oder schwächeren Perzeptionen sind Abbilder unserer Eindrücke oder lebhafter Perzeptionen. [...] Wenn wir unsere Gedanken oder Vorstellungen – seien sie auch noch so kompliziert und erhaben – analysieren, stellen wir stets fest, daß sie sich zu solchen einfachen Vorstellungen auflösen, die einem vorherigen Gefühl oder einer Empfindung nachgebildet sind.“ (Hume 1994: 34)

Hiermit wären zwei ganz wesentliche Aspekte von Humes erkenntnistheoretischem Entwurf angesprochen: Erstens unterscheidet er zwischen ‚einfachen‘ und ‚zusammengesetzten‘ Perzeptionen, wobei sich diese Unterscheidung über das gesamte Spektrum der Perzeptionen erstreckt, von den ‚lebhaftesten‘ (Eindrücke) bis hin zu den ‚schwächsten‘ (Vorstellungen). Entscheidend ist hier die Analysierbarkeit der Perzeptionen: Jede komplexe Perzeption kann zu einfachen Eindrücken vollständig analysiert (zerlegt) werden. Der zweite Aspekt betrifft den ‚Ursprung der Vorstellungen‘ bzw. die Erkenntniskonstituierung schlechthin. Letzteres wird von Hume durch

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zwei Argumente gestützt, von denen er ‚hofft‘ (Hume 1994: 34), dass sie ausreichen. Eines der beiden ist bereits im letzten Zitat angerissen worden. Jeder Gedanke, jede Vorstellung, kann so weit analysiert werden, dass ihre Einzelteile jeweils einem einfachen Eindruck entsprechen: „[...] immer werden wir finden, daß jede Vorstellung, die wir prüfen, einem entsprechenden Eindruck nachgebildet ist.“ (Hume 1994: 34) Das zweite Argument bedient sich des Beispiels physiologischer Mängel des ‚Erkenntnisapparates‘: „Ein Blinder kann sich keinen Begriff von Farben, ein Tauber keinen von Tönen machen.“ (Hume 1994: 34f) Damit soll plausibel gemacht werden, dass ohne den sinnlichen ‚Eindruck‘ der Farbe auch kein Begriff, keine Vorstellung, von Farbe möglich wäre. Hume erwähnt in der „Enquiry“ auch ein Gegenargument. Er konstruiert folgenden Fall: Jemand hat eine bestimmte Blauschattierung noch nie gesehen, und es werden ihm nun alle Blauschattierungen sortiert von hell nach dunkel vorgelegt, mit Ausnahme der noch nie gesehenen. Hume ist der Meinung, dass der ‚Proband‘ das Fehlen dieser bestimmten, von ihm noch nie zuvor wahrgenommenen Blauschattierung bemerken wird: „[so] wird er offenbar dort eine Lücke bemerken, wo diese Farbstufe fehlt, und empfinden, daß an jener Stelle ein größerer Unterschied zwischen den benachbarten Farben ist als an irgendeiner anderen Stelle.“ (Hume 1994: 36) Er wird aber auch diese fehlende Blauschattierung „mittels seiner eigenen Einbildungskraft“ sich vorstellen können: „[Und] das kann als Beweis dafür dienen, daß die einfachen Vorstellungen nicht immer in jedem Falle von den entsprechenden Eindrücken abgeleitet werden. Dieser Fall ist jedoch so vereinzelt, daß er kaum unserer Beachtung wert ist und es nicht verdient, daß wir allein seinetwegen unseren allgemeinen Grundsatz ändern.“ (Hume 1994: 36)

Die zwei ersten Argumente scheinen keine im strengen Sinn ‚beweisenden‘ zu sein, sondern lediglich durch Plausibilität überzeugen zu wollen. Genauso überrascht Humes ‚Gegenargument‘, da es nicht minder überzeugt als die anderen angeführten Argumente und lediglich wegen seines Charakters einer Ausnahme ‚beiseite‘ gelegt wird. Diese Form des ‚Argumentierens‘ und ‚Beweisens‘ erlaubt bereits Einblicke in Humes Verständnis der ‚Gewissheit‘. Es soll an dieser Stelle jedoch zunächst das bisher Zusammengetragene gerafft wiedergegeben werden, um anschließend zu dem Kern von Humes Skepsis vorzustoßen, wo Verständnis und Voraussetzungen des Begriffs der ‚Gewissheit‘ deutlicher ausgespielt werden und dementsprechend gründlicher ausgewiesen werden können. Humes ‚Grundsatz‘ und gleichsam seine grundlegende Ausgangslage kann in Anlehnung an Ernst Cassirer als die des „psychologischen Empirismus“ (Cassirer 1998: 131) angesehen werden. Der Grundsatz: „Nihil est in intellectu quod non antea fuerit in sensu“ (Cassirer 1998: 131), wird von Hume im zweiten Abschnitt der „Enquiry“ selbstsicher und lapidar aufgestellt: „Kurz gesagt, der ganze Stoff des Denkens

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ist entweder aus der äußeren oder der inneren Sinnesempfindung [...] abgeleitet.“ (Hume 1994: 33) Die Inhalte des Bewusstseins werden unterteilt in Eindrücke (lebhafte Perzeptionen), wozu auch starke, aktuell wahrgenommene Empfindungen wie hassen oder lieben zählen, und in Vorstellungen (schwache Perzeptionen), die, vollständig analysiert, fast ausnahmslos zu Abbildungen der Eindrücke reduziert werden können. Im dritten Abschnitt erläutert Hume, wie Vorstellungen verknüpft werden, wie der ‚Vorgang des Denkens‘ vor sich geht: „Für mich ergeben sich nur drei Prinzipien der Vorstellungsverknüpfung, nämlich Ähnlichkeit [...], raum-zeitliche Berührung [...] und Ursache oder Wirkung [...].“ (Hume 1994: 39) Hume erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gibt jedoch zu verstehen, dass seiner Meinung nach diese drei Prinzipien der Vorstellungsverknüpfung zumindest die wichtigsten sind. Gerade was die ‚Tatsachen‘ als „Objekte menschlichen Denkens“ (Hume 1994: 41) angeht, erlangt das zuletzt genannte Prinzip der ‚Ursache oder Wirkung‘ eine herausragende Stellung: „Alle Tatsachen betreffenden Vernunfterwägungen scheinen auf der Beziehung von Ursache und Wirkung zu beruhen. Einzig mittels dieser Beziehung können wir über die Evidenz unseres Gedächtnisses und unserer Sinne hinausgehen.“ (Hume 1994: 42)

Zuvor hatte Hume das Problematische an der Kenntnis von ‚Tatsachen‘ anschaulich geschildert: „Daß die Sonne morgen nicht aufgehen wird, ist ein nicht minder einsichtiger Satz und enthält keinen größeren Widerspruch als die Behauptung, daß sie aufgehen wird.“ (Hume 1994: 42) Hume fragt also nach dem „Wesen jener Evidenz, die uns jedes wirklich Existierende und jeder Tatsache versichert, die über das gegenwärtige Zeugnis der Sinne oder die Angaben unseres Gedächtnisses hinausgehen.“ (Hume 1994: 42) Wie bereits erwähnt, nimmt das Ursache-Wirkung-Prinzip eine herausragende Stellung bei der Ergründung der Tatsachenproblematik ein. Hume begründet anschaulich das Primat dieses Prinzips durch Beispiele: „Würde man jemanden fragen weshalb er an eine nicht gegenwärtige Tatsache glaube, z. B., daß sein Freund auf dem Lande oder in Frankreich sei, so würde er einen Grund angeben, und dieser Grund würde eine andere Tatsache sein, etwa ein Brief, den er von ihm erhalten hat, oder das Wissen um seine früheren Entschlüsse und Versprechungen. [...] Alle unsere Gedankengänge über Tatsachen sind von gleicher Art. Dabei wird immer vorausgesetzt, daß eine Verknüpfung zwischen der gegenwärtigen Tatsache und der aus ihr gefolgerten besteht.“ (Hume 1994: 42f)

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Das erkenntnistheoretische Problem des Kausalnexus

Unweigerlich richtet sich also Humes Augenmerk auf die Kenntnis des Prinzips von Ursache und Wirkung. Wenn einmal geklärt ist, worauf die Kenntnis des UrsacheWirkung-Prinzips gründet, wird gleichermaßen geklärt sein, wie sicher es um die Kenntnis von ‚Tatsachen‘ steht. Hume stellt als nächstes dezidiert fest, „daß die Kenntnis dieser Beziehung in keinem Falle durch Denkakte a priori gewonnen wird, sondern ausschließlich aus der Erfahrung stammt [...].“ (Hume 1994: 43) So dezidiert er diesen Sachverhalt ausspricht, so genau und ausführlich begründet er ihn. Von den vielfältigen Argumenten, die von plausiblen Beispielen bis hin zu einer allgemeinen Kritik der scholastischen ‚Deduktionen‘ des Begriffes reichen (Lüthe 1991: 36f), sei hier das vielleicht auf Anhieb überzeugendste genannt: „Kein Gegenstand enthüllt jemals durch seine sinnfälligen Eigenschaften die Ursachen, die ihn hervorgebracht haben, oder die Wirkungen, die aus ihm entstehen werden; auch kann unser Denken ohne Unterstützung durch die Erfahrung nie auf das wirkliche Dasein und auf Tatsachen schließen.“ (Hume 1994: 44)

Hume kommt also zu dem Schluss, dass die Kenntnis des Kausalitätsprinzips ausschließlich ‚a posteriori‘, durch ‚Beobachtung und Erfahrung‘ gewonnen werden kann: „Wir würden deshalb vergeblich danach streben, ein einzelnes Ereignis zu bestimmen oder irgendeine Ursache oder Wirkung zu erschließen, ohne die Hilfe von Beobachtung und Erfahrung.“ (Hume 1994: 47) Nun besteht Humes ‚skeptischer Ertrag‘ in der Darlegung, dass sich die Kenntnis des Kausalitätsprinzips durch Erfahrung auch nicht hinreichend begründen lässt. Humes Kritik ist einleuchtend und soll nun in Kürze wiedergegeben werden. Die Beobachtung einer regelmäßigen Aufeinanderfolge zwei ähnlicher Ereignisse kann nur mittels des Induktionsschlusses zu einer notwendigen Aufeinanderfolge der Ereignisse erklärt werden. Der Induktionsschluss befähigt aber nur dann auf eine notwendige Verknüpfung zu schließen, wenn man „von der Voraussetzung“ ausgeht, „daß die Zukunft der Vergangenheit entsprechen werde.“ (Hume 1994: 54) Diese letzte Annahme könnte ihrerseits auch nur mithilfe des Induktionsschlusses begründet werden. Wer das versucht, „muß sich offenbar im Kreise drehen und das für erwiesen halten, was ja gerade in Frage steht.“ (Hume 1994: 54) Es ist offensichtlich, dass man sich einer ‚Petitio principii‘ schuldig macht, sollte mittels des Induktionsschlusses versucht werden, die Gleichförmigkeit des Naturablaufs zu beweisen, da der Induktionsschluss die Gleichförmigkeit des Naturablaufs voraussetzt, um Gültigkeit beanspruchen zu dürfen (Spencer-Brown 1996: 60ff). Damit hat Hume sowohl die Gültigkeit des Kausalitätsprinzips wie auch die Schlussform der Induktion stark infrage gestellt (Hume 1994:56). Dieser kurze Abriss von Humes Werk soll mit seinem vor-

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läufigen Fazit abgeschlossen werden: „Von ähnlichen erscheinenden Ursachen erwarten wir ähnliche Wirkungen. Das ist die Summe aller unserer Erfahrungsschlüsse.“ (Hume 1994: 54) Eigentlich scheinen beide, Prinzip und Schlussform, durch Humes Kritik der Untauglichkeit bzw. Erdichtung überführt worden zu sein. Hume folgert aus seiner Kritik jedoch, anders als erwartet werden könnte; bei näherem Hinsehen sind seine Schlussfolgerungen aber völlig konform mit seinem Verständnis von ‚Gewissheit‘, denn er kann unmöglich über die Tatsache hinwegsehen, dass ‚ähnliche Wirkungen faktisch erwartet werden‘. Er hat in seinen Darstellungen der ‚Faktizität‘ eines Sachverhalts immer den Vorrang gegeben. Das zeigt sich in seiner Art zu argumentieren, die überwiegend durch Plausibilität zu überzeugen versucht, und sie wird explizit, wo einem ebenso einleuchtenden Gegenargument hinsichtlich des ‚Grundsatzes‘ lediglich wegen seines Ausnahmecharakters nicht weiter Beachtung geschenkt wird. Auch das Verhältnis der Argumenten für und gegen den ‚Grundsatz‘ macht deutlich, dass Hume einer bestimmten Form von Evidenz vertraut, die eng mit seinem Verständnis von ‚Gewissheit‘ zusammenhängt. Die Einführung des ‚natürlichen Glaubens‘, von Hume als Pseudonym für den ‚Instinkt‘ verwendet, der den Menschen dazu verleitet, aus ‚Gewohnheit‘ von ähnlichen Wirkungen auf ähnliche Ursachen zu schließen bzw. von ähnlichen Ursachen ähnliche Wirkungen zu erwarten (Hume 1994: 191), muss nicht als „der sensualistisch maskierte Gott der Cartesianischen Ontologie“ (Wellmer 1967: 33) ausgewiesen werden. Humes Begriff der ‚Gewissheit‘ erhebt schon vom Ansatz her erst gar nicht den Anspruch auf absolute Gültigkeit. Je bescheidener die Gültigkeit von Gewissheit ausfällt, umso undramatischer die Folgen des Aufweises der aus Vernunftgründen unhaltbaren Gültigkeit einer verallgemeinernden Verknüpfung von Ereignissen. Hume steckt der Erkenntnismöglichkeit des Menschen klare Grenzen. Im zwölften Abschnitt heißt es, nachdem einige „abgedroschene Beispiele [...], welche Skeptiker zu allen Zeiten gegen die Evidenz der Sinne vorgebracht haben“ (Hume 1994: 190), genannt worden sind: „Diese skeptischen Beispiele genügen tatsächlich nur zu dem Beweis, daß man sich auf die Sinne allein nicht unbedingt verlassen darf, daß wir vielmehr ihre Evidenz durch Denken und Überlegungen verbessern müssen, die sich aus der Natur des Mediums, der Entfernung des Gegenstandes, der Verfassung des Organs ergeben, um die Sinne innerhalb ihres Bereiches zu geeigneten Kriterien von Wahrheit und Falschheit zu machen.“ (Hume 1994: 190)

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Humes Grundlegung einer relativen Gewissheit als ‚kopernikanische Wende‘

Hume hat sich der Aufgabe gewidmet, ‚durch Denken und Überlegungen die Sinne innerhalb ihres Bereiches zu geeigneten Kriterien von Wahrheit und Falschheit zu machen‘. Entscheidend sind die Konsequenzen, die Hume aus den skeptischen Erwägungen zieht. Aus ihnen wird abermals ersichtlich, dass sein Begriff der Gewissheit keinen Absolutheitsanspruch erhebt. Die Einführung des „natürlichen Glaubens“, die mitunter als „Hilfskonstruktion“ (Wellmer 1967: 32f) oder gar als „metaphysische Konstruktion“ (Stäudner 1995) verstanden wird, kann vielmehr als das ‚Wahrzeichen‘ eines veränderten epistemologischen Anspruchs angesehen werden. Hume verlagert den Garantieaufweis von ‚Gewissheit‘ von einem göttlichen (d. h. absolut gültigen) zu einem jenseitigen (d. h. wahrscheinlichen): „Es scheint offenkundig, daß die Menschen durch einen natürlichen Instinkt oder eine Voreingenommenheit zum Vertrauen in ihre Sinne gebracht werden und daß wir ohne irgendwelche Beweisführung, ja selbst fast vor dem Gebrauch der Vernunft, immer eine Außenwelt annehmen, die nicht von unserer Perzeption abhängt, sondern auch existieren würde, wenn wir und jedes andere vernünftige Geschöpf nicht vorhanden oder vernichtet wären. Selbst die Tiere lassen sich durch die gleiche Annahme leiten und bewahren diesen Glauben an äußere Dinge in allen ihren Gedanken, Absichten und Handlungen.“ (Hume 1994: 191)

Streminger spricht angesichts solcher Überlegungen zu Recht von einer „der seltenen ‚kopernikanischen‘ Wenden in der Philosophie.“ (Streminger 1994: 319) Gewissheit wird bei Hume von einem ‚natürlichen Glauben‘ gestützt. Die Möglichkeit, ‚gewisse‘ Aussagen machen zu können, muss mit den Beschränkungen des ‚menschlichen‘ Geistes vereinbar sein. Hierbei gibt die Faktizität eines Sachverhalts den Grundton an. Der ‚natürliche Glaube‘ geht aus dieser Grundannahme hervor: „Es steht fest, daß die unwissendsten und dümmsten Bauern – ja selbst Kinder und sogar unvernünftige Tiere – sich durch Erfahrung vervollkommnen und die Eigenschaften der Dinge der Natur kennenlernen, indem sie die aus ihnen entstehenden Wirkungen beobachten. [...] Man kann nicht sagen, der Beweis sei schwer verständlich und entziehe sich möglicherweise der Untersuchung, da man zugibt, daß er für das Aufnahmevermögen eines Kindes offensichtlich geeignet ist.“ (Hume 1994: 57f)

Der ‚natürliche Glaube‘ muss demnach offenkundig angenommen werden, der Faktizität wird der Vorrang gegeben. Nun scheint jedoch der ‚natürliche Glaube‘ als dieser bestimmte ‚natürliche Glaube‘ absolut gesetzt worden zu sein, und wenn man einen Schritt zurückgeht, könnte gesagt werden, dass vielmehr die ‚Natur des Menschen‘ absolut gesetzt wird. Darunter zu verstehen, ist die Art und Weise, wie der

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Mensch die Welt erfährt, denn sie scheint für jeden Menschen gleich und in der Zeit unveränderbar zu sein. Als Beleg mag folgende Beobachtung Humes herangezogen werden: „Wir finden in verschiedenen Sprachen, selbst da, wo wir nicht die geringste Verknüpfung oder Verbindung vermuten können, daß die Wörter, die höchst komplizierte Vorstellungen ausdrücken, nahezu übereinstimmen: Das ist ein sicherer Beweis dafür, daß die – in den zusammengesetzten enthaltenen – einfachen Vorstellungen durch ein gewisses universelles Prinzip verbunden sind, das für die ganze Menschheit gleichermaßen gilt.“ (Hume 1994: 39)

Das Zitat ist freilich aus dem Kontext gerissen, doch zeigt es die von Hume unproblematisierte Annahme, dass ein ‚universelles Prinzip‘ der Vorstellungsverknüpfungen besteht. Wenngleich Humes thematisierter Begriff der Gewissheit mit der faktischen Evidenz eines Sachverhalts gleichgesetzt werden kann, zeichnet sich in seinen Ausführungen eine ‚andere‘ unthematisierte Form von Gewissheit ab, die universelle Gültigkeit für sich beansprucht. Ernst Cassirer schildert diesen Umstand mit den Worten: „Hier ergibt sich somit das überraschende und systematisch-paradoxe Resultat, daß gerade der psychologische Empirismus, um seine These durchführen zu können, sich genötigt sieht, an die Spitze seiner Lehre ein psychologisches Axiom zu stellen. Der Grundsatz: ‚nihil est in intellectu quod non antea fuerit in sensu‘ tritt keineswegs mit dem bloßen Anspruch einer Tatsachenwahrheit auf, die durch eine vielfältige Induktion erprobt ist. Ihm wird nicht nur empirische Wahrscheinlichkeit, sondern ihm wird volle und unbezweifelbare Gewißheit, ja eine Art von Notwendigkeit zugeschrieben.“ (Cassirer 1998: 131)

Zusammenfassung: Humes Gewissheit

Der paradoxe Ertrag dieses kurzen Einblicks in Humes „Enquiry“ läuft also – in Anlehnung an Cassirers Fazit – auf folgende Feststellung hinaus: Die von Hume thematisierte Gewissheit begnügt sich mit der Darlegung von faktischen Ergebnissen, während eine unthematisierte erkenntnistheoretische Prämisse Humes Ausführungen eine Ausgangslage zu verschaffen weiß, die als ‚absolut gewiss‘ vorausgesetzt wird. Hume geht von der grundlegenden Prämisse aus, dass jegliche Bewusstseinsinhalte von der Sinnesempfindung ausgehen. Das Verfahren, durch das Menschen sich Kenntnis über die ‚Tatsachen‘ zu verschaffen versuchen, das über die gegenwärtige Erfahrung und das Erinnerungsvermögen derselben hinausgeht, wird als das Ursache-Wirkung-Prinzip verstanden. Dieses Prinzip kann ausschließlich durch Beobachtung in Erfahrung gebracht werden. Hierbei zeigt Hume die Unmöglichkeit auf, das Prinzip durch Beobachtung hinreichend zu begründen. Es ist unmöglich, durch Beobachtung auf die Notwendigkeit von gleichbleibenden, kausalen Verknüpfungen zu

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schließen. Die grundlegende Prämisse müsste jedoch ebenfalls mittels der Induktion ‚bewiesen‘ werden. Das tut Hume freilich nicht, weil unmöglich, stattdessen appelliert er an den gesunden Menschenverstand und untermauert den Grundsatz mit plausiblen, einleuchtenden Argumenten. Der Grundsatz selbst unterliegt nicht der Logik von Humes Skeptizismus und Kritik des Kausalitätsprinzips. Dieser Umstand wiederum erlaubt es, mit einem stark geschmälerten ‚Gewissheitsanspruch‘ an den Folgen der weitreichenden Kritik des entscheidenden Prinzips der Kausalität nicht irrezuwerden (Cassirer 1998: 131). In Humes „Enquiry“ sind zwei Formen von ‚Gewissheit‘ enthalten. Einmal die Gewissheit, die durch den ‚Grundsatz‘ gestiftet wird, und von der aus Hume kühn und selbstsicher das gewissheitsfördernde Prinzip der Kausalität destruieren kann. Zweitens die Gewissheit, die durch die Anwendung der von dem Grundsatz sich ergebenden Verfahren und zu ‚gewissen‘ Aussagen befähigenden Prinzipien hergestellt werden soll. Die systemtragende Gewissheit, der Grundsatz, bleibt unthematisiert: Was das eigentliche Unternehmen des Systems selbst angeht, bleibt sie eigentlich systemtranszendent. Damit ist aber eine systemimmanente Darlegung von absoluter Gültigkeit beanspruchender Gewissheit nicht mehr notwendig, wie es bei Descartes der Fall war. Erst durch den systemrelativ ausgelagerten Ort von der das System tragenden Gewissheit wird allerdings die ‚kopernikanische Wende‘ möglich. Humes „Enquiry“ (die nicht ohne Grund Kant um seinen ‚dogmatischen Schlummer‘ gebracht hat (Kant 1989: 11)) läutet die Standortverbundenheit neuzeitlicher Erkenntnis(-theorie) ein und spielt – zumindest der Form nach – in ihrer Argumentation die Unterscheidung zwischen Referenz und Operation des Referierens durch, allerdings ohne diese zu thematisieren.

3.2.4 Zusammenfassung: Die Praxis der Sprachspiele Wittgenstein geht in „Über Gewißheit“ von der Abwesenheit jeglicher zeitlich unabhängiger und objektiver, also von zwischenmenschlicher Praxis unabhängiger, Wahrheit aus und gelangt zu einem philosophischen Entwurf, in dem die Sprache die letzte, erkenntnistragende (und -garantierende) Instanz darstellt. Die Sprache wird als soziales bzw. intersubjektives erkenntnisstiftendes Gerüst verstanden, das sich mit der Zeit ändert, in dem Sinne, als dass sich z. B. auch eine Gesellschaftsform und die damit verknüpften Wissensbestände mit der Zeit ändern können (Berger/Luckmann 2003: 70f). Das Individuum wird jeglicher privater oder subjektiver Gewissheit entledigt. Die Gewissheit wird von der Sprache ‚getragen‘, da es sonst keine weitere Gewissheit gibt, auf die die Sprache deskriptiv verweisen könnte. Da die Gewissheit sich in der Sprache selbst ereignet, kann die Sprache mit ihren ihr eigentümlichen Mitteln des Zweifelns und Urteilens diese nicht sinnvoll untersuchen, höchstens im

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Gebrauch zutage kommen lassen. Wittgensteins Zweifel kann demzufolge niemals radikal werden, da der Zweifel selbst ein Element des Systems ist, in dem Gewissheit überhaupt nur zustande kommen kann, und er sich unweigerlich gegen sich selbst wenden muss, wenn Gewissheit angezweifelt wird. Anders ausgedrückt: Die Gewissheit, die der Zweifel braucht, um sich als sinnvoll zu erweisen, besteht aus dem gleichen Stoff, aus dem der Zweifel selbst besteht, nämlich der Sprache. Anders verhält es sich bei Descartes. Descartes’ „Meditationen“ sind gut 300 Jahre vor Wittgensteins „Über Gewißheit“ verfasst worden. Dies ist der erste zu beachtende Unterschied. Wie versucht worden ist zu zeigen, hält Descartes an einer objektiven ‚Wahrheit‘ fest, nämlich der Gottes. Die grundlegende Gewissheit befindet sich, bildlich gesprochen, außerhalb des Systems der Sprache. Die Sprache ist der erkenntnisstiftende Vorgang des Menschen, mit deren Hilfe er sich über eine objektive, vom Menschen und der Sprache unabhängige Gewissheit Klarheit zu verschaffen versucht, indem er sie z. B. mithilfe eines radikalen Zweifels zu beweisen trachtet. Ob es legitim ist, eine geradezu ‚metaphysische‘ Gewissheit gelten zu lassen, ist eine andere Frage. Fest steht, dass Descartes eine solche gelten lässt und, indem er das tut, auch einen radikalen Zweifel sinnvoll äußern kann, da er sich nie faktisch gegen diese ‚außen liegende‘ Gewissheit wenden kann. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Sprache nie an die Gewissheit heranreicht, sondern stets im Bereich eines Diesseits der Gewissheit verbleibt. Dieser Umstand kommt im zirkulären Charakter von Descartes’ Beweisführung zutage. Dabei handelt es sich nicht darum, dass der radikale Zweifel auch für Descartes nicht haltbar ist, sondern dass er sich in seinem Weltbild so zeigt und nur so zeigen kann. Der radikale Zweifel des René Descartes bleibt im Bereich des Diesseits, dem eine Gewissheit übergeordnet ist. Diese Annahmen über Descartes’ Weltbild sehen sich oft in Ansichten bestätigt, die Descartes in Briefen an Freunden und Gelehrten äußerte: „Wenn Sie sagen, ich hätte die Unsterblichkeit der Seele mit keinem Wort erwähnt, so darf Sie das nicht verwundern. Denn ich wäre gar nicht imstande zu beweisen, daß Gott sie nicht vernichten könne, sondern nur, daß sie eine ganz andere Natur hat als der Körper und daher nicht das natürliche Schicksal hat, mit ihm zu sterben. Als Stütze für die Religion ist auch nicht mehr erforderlich, und mehr als das wollte ich auch nicht beweisen.“ (Descartes 1914: 219)

Dieser einem Brief an Mersenne entnommene Auszug lässt zwei entscheidende Aspekte gleichermaßen zum Vorschein kommen: Erstens, die Entität ‚Gott‘ bleibt dem Menschen und der menschlichen Vernunft unzugänglich – eine unerreichbare und gerade deshalb ‚feststehende‘ also apodiktische Gewissheit; zweitens, die Absicht Descartes’ etwas Vorbestimmtes beweisen zu wollen, sodass sich der Verdacht, er habe im Nachhinein eine dem zu Beweisendem entsprechende Methode entwickelt, geradezu aufdrängt. Der ‚radikale Zweifel‘ ist innerhalb einer ganz bestimmten Methode bzw. logischen Systems ‚radikal‘.

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Humes Position soll durch eine Abgrenzung zu der Descartes’ näher bestimmt werden. Descartes gibt vor, durch die Anwendung eines radikalen Zweifels eine unerschütterliche Gewissheit ausfindig machen zu wollen. Die aufgefundene Gewissheit trägt sein ganzes Unternehmen, sein Vorgehen und seine Methode. Seine Beweisführung muss zirkulär sein, da sie vorgibt, keine Gewissheit unthematisiert außen vor zu lassen, tut es aber doch. Hume hingegen lässt die seine Untersuchung und Kritik tragende Gewissheit außen vor. Er überprüft nicht die Gültigkeit der systemtragenden Gewissheit mit den Mitteln des Systems. Hume geht es um einen schlichten Grundsatz, von dem er erwarten kann, dass er plausibel erscheint und als Ausgangslage geeignet ist. Unmittelbar nach der ‚Begründung‘ des Grundsatzes schreibt er: „Hier haben wir also einen Satz, der nicht nur für sich selbst einfach und verständlich scheint, sondern – bei rechter Anwendung – jede Streitfrage gleichermaßen verständlich machen und jenes ganze Kauderwelsch verbannen könnte, das so lange Zeit die metaphysischen Gedankengänge beherrscht und ihnen Schande gemacht hat.“ (Hume 1994: 36f)

Hume hebt gerade die Einfachheit und Verständlichkeit des Grundsatzes hervor, da diese Eigenschaften eine gute Grundlage bieten, um davon ausgehend Probleme der Erkenntnis zu klären (Hume 1994: 84f). Die von Humes Grundsatz gestiftete Gewissheit hat Grundlagencharakter. Die ‚grundlegende Gewissheit‘ wird zwar klar beim Namen genannt, durch überwiegend plausible Argumente gestützt, aber nicht mit den durch sie bereitgestellten Mitteln der Skepsis und des Zweifelns ‚überprüft‘. Gleichfalls behält Humes Grundsatz den Zug einer transzendenten Gewissheit bei. Die ‚Gewissheit‘ erscheint im Entwurf David Humes zwar als eine ‚menschliche‘ und bestmögliche, wird jedoch systemtranszendent sozusagen ‚gesetzt‘. Die Inkommensurabilität der Sprachspiele

Der Zweifel muss im Werk Descartes’ anders verstanden werden als in dem des späten Wittgensteins. Es erscheint demnach problematisch, eine unmittelbare Gegenüberstellung des Begriffes zu versuchen. Eine Gegenüberstellung gelingt insofern, als die unterschiedlichen Ausgangslagen berücksichtigt werden. Damit werden jedoch nicht die Begriffe gegeneinander abgegrenzt, sondern es wird lediglich die Unmöglichkeit einer Abgrenzung, und damit das Vorhandensein einer Ausgrenzung der philosophischen Entwürfe untereinander aufgezeigt. Erstaunlich fällt die Antwort auf die Frage aus, von welchem Standpunkt aus ein solches Vorgehen möglich wird. Das Aufzeigen der Unmöglichkeit einer relationalen Begriffsbestimmung aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen, die zu jeweils unterschiedlichen Verwendungen der Begriffe führen, heißt gleichzeitig das Geltenlassen beider Entwürfe. Descartes

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kann für die Voraussetzungen, die er vorfindet, nicht zur Rechenschaft gezogen werden; sie sind ‚zeitlich‘ vor ihm da. Von Wittgensteins Warte aus kann so argumentiert werden: „Die Sätze, die dies Weltbild beschreiben, könnten zu einer Art Mythologie gehören.“ (Wittgenstein 1992: §95) Das Weltbild kann genauso wenig ausgesucht werden, wie der Mythos beliebig erzählt werden könnte. Descartes und Hume hingegen reflektieren die Voraussetzungs-Determiniertheit eines jeden philosophischen Entwurfs nicht; in Humes Entwurf ist dieser Schritt zumindest vorläufig angelegt. Wittgensteins grundlegende Voraussetzung und gleichsam Bedingung der Möglichkeit einer Reflexion der eigenen Voraussetzungen ist die Abwesenheit einer absolutgültigen Wahrheit (und vice versa). Eines ‚Wahrheitsmodells‘ also, dem Descartes und auch Hume vertrauen, das ihnen die Möglichkeit gibt von den eigenen Bedingungen der Wahrheitssuche, -darstellung und -herstellung abzusehen, weil sie von einer systemtranszendenten Gewissheit ausgehen können. Dieses ‚Missverhältnis‘ zwischen dem modernen und den zwei ‚älteren‘ Philosophen erklärt auch, warum mit Wittgensteins Ausführungen in „Über Gewißheit“ Descartes’ Vorgehensweise erklärt werden kann, aber nicht umgekehrt. Mit Hilfe von Descartes’ Verständnis des Zweifels kann Wittgensteins Verständnis eingehender verstanden, aber nicht erklärt werden. Statt dessen können Descartes’ Ausführungen auf Wittgensteins Begriffe gebracht werden: Descartes’ Weltbild weist eine nicht sprachimmanente, objektiv gültige Gewissheit auf, die Gottes, die es erlaubt, einen radikalen Zweifel sinnvoll zu äußern, gerade weil die Gewissheit es vermag, diesen zu tragen, ohne selbst tatsächlich demselben Zweifel ausgesetzt zu sein. Wittgensteins Erläuterungen über Zweifel und Gewissheit können andererseits nicht auf Descartes’ Begriffe gebracht werden. Wittgensteins Ausführungen sind also zumindest strukturell denen Descartes’ überlegen, da sie die Descartes’ vollständig ausdrücken können. Humes Verständnis der ‚Gewissheit‘ liegt dem Wittgensteins näher. Der grundlegende Unterschied ist jedoch, dass Wittgenstein die Unmöglichkeit eines die Gewissheit anzweifelnden Gedankens ausspricht, während Hume selbstverständlich davon ausgeht, dass sein ‚Grundsatz‘ hinreichend begründet worden wäre, und seine Kritik auf festem Boden stünde. Interessant sind die von Hume gelegentlich in seine Argumentationen einfließenden Sprachbeispiele (Hume 1994: 32, 39). Die Gewissheit befindet sich bei Hume im Bereich des ‚Diesseitigen‘, in gewisser Weise ‚kognitiv Erreichbaren‘, sodass auch hier immer wieder die ‚menschliche Praxis‘ als Prüfstein herangezogen wird. Humes Skepsis erfüllt jedoch bei näherem Hinsehen – genauso wie der ‚radikale Zweifel‘ Descartes’ – die Funktion eines Korrektivs. Auch in Humes philosophischem Entwurf wird durch die skeptischen Argumente die Möglichkeit von Erkenntnis auf einer bereits bestehenden, erkenntnistheoretischen Ausgangslage korrigiert. Der Hauptunterschied zu Descartes, was die formalen Unterschiede des Verständnisses der Gewissheit betrifft, liegt im Gesamtsystem des Argumentierens. Hume nimmt

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sozusagen eine Setzung vor, die zwar systemtranszendent bleibt, aber explizit vorgenommen wird (die Operation des Referierens und die Erzeugung einer bestimmten Referenz kann als solche ‚im Vollzug‘ beobachtet werden) während Descartes keine einzige, die Gewissheit betreffende Setzung vornimmt, geschweige denn zu begründen versucht. Umso offensichtlicher kann deshalb die tragende Gewissheit von Descartes’ Entwurf ausgewiesen werden. Der Versuch einer relationalen Begriffsbestimmung ist gescheitert, da ein direkter Vergleich zwischen dem jeweiligen Verständnis der Begriffe ‚Zweifel‘ und ‚Gewissheit‘ illegitim ist: Das Verständnis und die Verwendung der Begriffe weichen aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen voneinander ab, und nicht aufgrund ‚korrigierter‘ Defizite der jeweiligen Argumentationsweise der drei Philosophen. Das Ergebnis dieser Ausführungen besteht vielmehr darin, dass durch die Gegenüberstellung von sich widersprechenden, philosophischen Ansichten bezüglich des (radikalen) Zweifels und der (apodiktischen) Gewissheit die jeweiligen philosophischen Positionen genauer untersucht und besser erklärt werden können. So ist z. B. deutlich geworden, dass Descartes einen radikalen Zweifel nur äußern kann, weil er an mindestens einer Gewissheit stets festhält. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass weniger Wittgensteins Verständnis vom Zweifel stark von Descartes’ abweicht, sondern eher die sprachsystemimmanent gewordene Gewissheit einen radikalen Zweifel nicht zulässt. Womit auch der Satz: „Man macht sich ein falsches Bild vom Zweifel.“ (Wittgenstein 1992: §249) neu verstanden werden muss. Es hat sich ebenfalls gezeigt, dass Humes Einführung des ‚natürlichen Glaubens‘ nicht als ein die Folgen des ‚skeptischen Zweifels‘ überwindender Kunstgriff verstanden werden muss, da Humes Skepsis sich nie unmittelbar gegen den Gewissheit stiftenden Grundsatz richtet und deshalb mit einem geschmälerten ‚Gewissheitsbegriff‘ innerhalb seines ‚Argumentationssystems‘ auskommt. Die von Wittgenstein in „Über Gewißheit“ angestellten Überlegungen hinsichtlich des Zweifels und der Gewissheit können verwendet werden, um Descartes’ und Humes Entwürfe zu kritisieren bzw. ihre Widersprüchlichkeit aufzuzeigen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Durch Wittgensteins Ausführungen haben wir Werkzeug an die Hand bekommen, durch das die Texte der Älteren hervorragend dekonstruiert werden können (Fischer 1989). Die Voraussetzungen (sprachsystemimmanente Gewissheit – göttlich-transzendente Gewissheit – menschlich-transzendente Gewissheit) weichen jedoch offensichtlich voneinander ab, sodass die Frage angemessen erscheint, ob eine diese unterschiedlichen Ausgangslagen vernachlässigende, unmittelbare Gegenüberstellung als sinnvoll angesehen werden kann. Es ist versucht worden zu zeigen, dass die Begriffe in den jeweiligen philosophischen Entwürfen eine jeweils andere Funktion erfüllen. Die jeweils eigentümliche Funktion der Begriffe erklärt sich aus der jeweils eigentümlichen Problem- und Fragestellung. Die Problem- und Fragestellung definiert sich über die Differenz zwischen dem Vorausgesetzten, also ‚Unproblematischen‘ und dem, was problematisch

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geworden ist. Wenn also gefragt wird, auf welche Frage eine Antwort gegeben wird, muss auf beides geschaut werden: Sowohl auf das, was feststeht, wie auf das, was fragwürdig geworden ist. Das Fragwürdige erfährt seinen Sinn durch das, was nicht infrage steht. Gerade das, was nicht infrage steht, hat sich bei den drei Philosophen jeweils anders gezeigt. Das heißt: Jeder redet von einer anderen Gewissheit, und dementsprechend von einem anderen Zweifel. Angesichts der Unmöglichkeit, das ursprüngliche Vorhaben einer relationalen Begriffsbestimmung einlösen zu können, schweigen Wittgensteins Begriffe, weil sie offenbar auf eine andere Frage eine Antwort geben, als sie dies auf den ersten Blick zu tun scheinen. Der erste Blick fällt nämlich auf die philosophische ‚Tradition‘ – Wittgensteins ‚Grundlage‘ wird jedoch, den Erörterungen der vorhergehenden Abschnitte zufolge, nicht unmittelbar von der ‚Tradition‘ gestellt. Die Kluft zwischen Wittgenstein und Descartes bzw. Hume hat sich als tiefer erwiesen als zwischen Descartes und Hume. Es stellt sich damit die Frage: Von welchem Zweifel, welcher Gewissheit redet Wittgenstein? Auf welche Fragen möchte er eine Antwort zu geben?

3.3 D ER N ULLWERT DER D IFFERENZ

ALS NICHT HINTERGEHBARE

E INHEIT

Urs Stäheli beschreibt die funktional-strukturelle Systemtheorie als „Supertheorie“, die auf der Grundlage ihres Sinnbegriffes dekonstruiert werden kann (Stäheli 2000a: 13, 20ff). Stäheli setzt in seiner Monografie an verschiedenen Stellen an, um das ‚Scheitern‘ der Systemtheorie mit dem ‚Scheitern‘ von Sinn darzustellen. Es soll hier lediglich eine alternative Lesart auf der Grundlage der Positionen, die in den letzten Abschnitten vorgestellt worden sind, ohne auf die einzelnen (sehr reichhaltigen) Aspekte und Argumente von Stäheli einzugehen. Wenn in der Kategorie der Beobachtung die grundlegende differenztheoretische Prämisse der funktional-strukturellen Theorie wahrgenommen wird, und danach gefragt wird, welche ‚Zweifel‘ davon ausgehend vernünftig geäußert werden können, so liegen diese im Bereich der Adressierbarkeit von Kommunikation und der unter anderem dadurch ermöglichten Anschlüsse bzw. wie die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation entschärft und Kommunikation vielmehr wahrscheinlich und als solche gehalten wird (vgl. Stäheli 2000a: 115; Baecker 2011: 20). Stäheli konstatiert hierzu, dass „Luhmann […] dieses Problem nur kurz [diskutiert], interessiert sich dann aber vor allem dafür, mit welchen Techniken man die Chance von Adressierbarkeit erhöhen kann. Nicht die unvollendete Kommunikation interessiert hier, sondern Mittel, die sicherstellen, dass eine ‚angefangene‘ Kommunikation ihren räumlich-zeitlichen Kontext überdauert.“ (Stäheli 2000a: 115)

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Dies wird durch Verbreitungsmedien sichergestellt, die zugleich – aufgrund ihres zentralen Stellenwertes nicht ohne Grund – bestimmend sein sollen für die jeweilige Gesellschaftsform (Luhmann 1989; vgl. Baecker 2007b). Kommunikation im Vollzug wird als Einheit (Verstehen) der Differenz von Information und Mitteilung beschrieben (Luhmann 1996: 193ff). Sofern dem Selbstverständnis der funktional-strukturellen Systemtheorie als Sozialtheorie Rechnung getragen wird, muss das Augenmerk auf die Konstitution sozialen Sinns, also der Spezifika sozialen Verstehens gelegt werden, als dessen andere, komplementäre Seite das psychische Verstehen in Erscheinung tritt, wenn danach gefragt wird, wie die Soziologie Sozialsysteme beobachtet. Stäheli kritisiert den Sinnbegriff ohne Ansehung dieser (hier als grundlegend wahrgenommenen) Differenz als hegemonial, insofern der Sinnbegriff ‚eigentlich‘ eine unbegrenzte Ökonomie von Sinn voraussetzt bzw. vielmehr impliziert (Stäheli 2000a: 71ff). Insbesondere der Verweis auf Batailles Ausführungen bezüglich einer „Aufhebung der Ökonomie“, die als Dekonstruktion einer in Aufklärung und bürgerlicher Ideologie gründenden Annahme eines unbegrenzten Fortschritts gelesen wird, die die Prinzipien der hegelianischen Dialektik handlungspraktisch in eine Tauschgesellschaft überführt und in der Akkumulation von Gütern bzw. Kapital verharrt (Bataille 2001: 148ff; Derrida 2003: 409ff), spannt einen nachvollziehbaren Bogen von der Totalität gesellschaftlicher Wirklichkeit zum Sinnbegriff in Luhmanns Theorie. Genauso wie in der Synthese von Hegels Dialektik These und Antithese dreifach ‚aufgehoben‘ sind (1. auf eine höhere Stufe emporgehoben, die im Sinne eines teleologischen Fortschritts aufzufassen ist, 2. darin aufbewahrt und zugleich 3. ihrer Wirklichkeitskonstituierenden Wirksamkeit enthoben), vermag der Sinnbegriff Nicht-Sinn stets in Sinn zu transformieren und geht folglich – nach Bataille und Derrida – von einer „beschränkten Ökonomie“ (das heißt: determinierbaren und somit auf ein Ziel hin projizierbaren ‚Sinnökonomie‘) aus: „Luhmanns Versuch, jegliches ‚Außen‘ von Sinn auszuschließen und allfällige Phänomene des Nicht-Sinns als sekundäre Epiphänomene zu kategorisieren, etabliert einen Horizont, in dem weder Verlust noch Exzeß auftreten. Man könnte hier mit Derrida und Bataille von einer ‚beschränkten Ökonomie‘ sprechen, da jeglicher Exzeß vom Sinnsystem immer absorbiert werden kann. Für Bataille ist Hegels Dialektik eines der besten Beispiele für eine derartige Ökonomie, die durch den Mechanismus der Aufhebung jede Negation in die dialektische Maschinerie integriert und so auch dem Negierten Sinn verleiht. Es geht hier keineswegs darum, Hegel und Luhmann miteinander zu vergleichen, sondern vielmehr um die Besonderheit ‚beschränkter Ökonomien‘, das Negierte in den eigenen Funktionszusammenhang wieder einzuschreiben.“ (Stäheli 2000a: 71)

118 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Beschränkte Ökonomie und Strategien der Autoimmunisierung des Sinnbegriffs in der neueren Systemtheorie

Batailles Konzept einer beschränkten Ökonomie liegt die These zugrunde, dass ‚Kultur‘ sich wesentlich durch die Organisation der ‚Verschwendung‘ von Überschüssen bestimmen lässt (Bataille 2001: 44f). Aus dieser Perspektive erscheint die bürgerliche, kapitalistische Gesellschaftsform als denkbar ‚unglückliche‘ Variante, da sie vielmehr den Überschuss zu verwalten trachtet, als diesen ‚auszuschwitzen‘ (Bataille 2001: 49). Der strukturalistisch gewendete ‚systemtheoretische Überschuss von Sinn‘ wird im System einer beschränkten Ökonomie somit zu einer uneinholbaren ‚Souveränität‘, die zugleich abwesend (weil systemrelativ unerreichbar) und anwesend (weil sie den konstituierenden Nährboden des Systems darstellt) ist. Stäheli setzt hier an und beeilt sich klarzustellen, keine Parallelisierung einer hegelianischen Dialektik mit Luhmanns Sinnbegriff vornehmen zu wollen, sondern vielmehr die ‚Funktionsweise‘ von Systemen, die in einer selbstreferenziellen Schließung hinsichtlich der Zirkularität von Sinn gründet, als ‚problematische‘ Version einer beschränkten Ökonomie zu identifizieren (Stäheli 2000a: 71, 125; vgl. im Ergebnis ähnlich Habermas 1996: 426ff). Die ‚fehlende‘ Außenseite von ‚Sinn‘ (Luhmann 1996: 96), wird folglich in dem Nachweis einer ‚beschränkten Ökonomie‘ durch Stäheli dingfest gemacht (Stäheli 2000a: 69, 75). Er vermutet eine schlichte Exkommunikation von Nicht-Sinn aus dem Argumentationsbereich der funktional-strukturellen Systemtheorie, die hauptsächlich dadurch erzeugt wird, dass Nicht-Sinn als im Prinzip verwertbarer ‚Noch-nichtSinn(-rest)‘ nichts anderes darstellt als lediglich (noch) nicht aktualisierter ‚Sinn‘, und dadurch, dass der Unterschied zwischen Operation des Beobachtens (Differenzerzeugung) und der aktualisierten Referenz des durch die Operation der Beobachtung different Gesetzten (Distinktion) als ein revidierbares Oszillieren aufgefasst wird (Stäheli 2000a: 124): „Die Betonung der Unterschiede zu Derridas Begriff der Dissemination ist nicht einfach philologischem Buchhaltertum geschuldet (die Verschiebung der Bedeutung von Dissemination unterliegt freilich selbst der Dissemination ...), sondern macht damit verbunden sehr unterschiedliche Theoriestrategien sichtbar. Versteht man Dissemination als Revidierbarkeit, dann können disseminatorische Effekte besser kontrolliert werden. Das zu Revidierende bleibt eine vollständig präsente Positivität, die zwar das Auswechseln einzelner Positivitäten erlaubt, nicht aber die Positivität selbst angreift. Die systemtheoretische Version der Dissemination schreibt sich wiederum in eine ‚beschränkte Ökonomie‘ des Sinns ein: Revidierbarkeit stellt sicher, daß Überschuß und Exzeß vermieden werden und daß statt dessen, ohne Verlust, alles auch anders sein könnte. Dennoch konnten wir mit Fuchs feststellen, daß Kommunikation von einer konstitutiven Heterogenität heimgesucht wird, wenn auch diese Einsicht sogleich mit einer neuen

3. B EOBACHTUNGSKONSTRUKTIONEN | 119

Separierungsstrategie beantwortet wird: Operativität und Sinn verweisen oszillierend aufeinander, ohne sich zu affizieren. Systemtheorie und Dekonstruktion unterscheiden sich gerade darin voneinander, wie sie die Beziehung sinnvoller Unterscheidungen auf ihre Operativität herstellen […]: sei es über ein Oszillieren zwischen Beobachtung und Operation oder eine Dissemination des Sinns.“ (Stäheli 2000a: 125)

Die Negation von Sinn theoretisch adäquat darzustellen, ist für Stäheli die ‚conditio sine qua non‘ der Einnahme einer genuin politischen Position. Im Zentrum seiner Bemühungen steht eine Öffnung oder vielmehr das Aufbrechen der funktional-strukturellen Systemtheorie für die Erfass- und Bearbeitbarkeit dieser notwendigen Bedingung mithilfe einer – genau betrachtet – poststrukturalistischen Exegese: „Nur das momenthafte Aufbrechen eines etablierten Sinnhorizontes ermöglicht eine politische Entscheidung, die auf einer radikalen Unentscheidbarkeit basiert, welche den Horizont selbst sprengt […].“ (Stäheli 2000a: 76) Er verweist hierbei auf die Rolle des leeren Signifikanten bzw. eines „Nullwertes des Sinns“, wollte „man des Verschwindens des Sinns im Sinn habhaft werden“ (Stäheli 2000a: 76). Diese „Autoimmunisierungsstrategie“ des Sinnbegriffes, die Stäheli einerseits an dem Oszillieren zwischen Operativität und Referenz (beides: der Beobachtung) festmacht (Stäheli 2000a: 124) sowie andererseits darin begründet sieht, dass der „potentialisierte Nicht-Sinn als Ausgeschlossenes oder Negiertes […] immer zugänglich und stets verfügbar für künftige Einsätze [bleibt] und so […] die Logik der Universalität des Sinns unberührt“ (Stäheli 2000a: 76) bleibt, wird jedoch bezüglich des Gegenstandes der Theorie sehr schlicht und geradezu ‚pragmatisch‘ durch das Konzept der Kontingenzformel beschrieben, erklärt und vor allem begründet (Luhmann 1994: 397). Insofern könnte vielmehr danach gefragt werden, inwiefern es um unterschiedliche Nullwert-Konzeptionen geht, und ob im Falle der funktional-strukturellen Systemtheorie ein klassischer ‚positiver‘ Nullwert vorliegt, vergleichbar mit der Charakterisierung dieses Strukturelements durch Lévi-Strauss im Zuge seiner Kommentierung von Mauss’ Werk als ‚symbolischen Nullwert‘ im Unterschied zum ‚frei flottierenden Signifikanten‘ im Spätwerk Barthes’, der (zusammen mit Derrida und Foucault) den Poststrukturalismus einläutet (vgl. Brune 2003: 213). Letztlich möchte die funktional-strukturelle Systemtheorie eine Antwort auf die Bedingung der Möglichkeit faktisch vorgefundener, relativ stabiler sozialer Muster geben. Auch die Separierung von Operativität und Sinn stellt keinen theoretischen Kunstgriff dar, sondern ist einem empirischen Datum geschuldet, nämlich der Zeit, die vergehen muss, um von einer Beobachtung der ersten zu einer der zweiten Ordnung zu wechseln (Luhmann 1994: 76; Luhmann 2006: 52ff). Stäheli konzentriert sich darauf die Einheit des Systems dem Code ‚anzuheften‘ (Stäheli 1996: 278). Die Tatsache, dass gerade diese in der Praxis durch die Kontingenzformel (wieder-)hergestellt wird bzw.

120 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE

werden muss, verweist jedoch auf die Brüchigkeit der vom Code auf der semantischen Ebene bereitgestellten Leitdifferenz. Die Inkommensurabilität der Sprachspiele: Unhintergehbarkeit der Struktur vs. Unhintergehbarkeit der Kontingenz

Im letzten Absatz zeigen sich schließlich besonders deutlich die diametral entgegengesetzten Perspektiven: Wo es der Systemtheorie um die Erklärung des Unwahrscheinlichen (soziale Ordnung) geht und dabei in der Dynamik des Nacheinander die Stabilität (aufgrund der hierin liegenden Entparadoxierungsmöglichkeit) sucht, nimmt Stäheli eine (post-)strukturalistische Position ein, von der aus dieser Prozess bereits abgeschlossen zur Analyse bereitliegt. Hierbei kommt erstens zum Vorschein, dass Stäheli nicht parasitär, sondern (post)strukturalistisch Luhmanns Systemtheorie dekonstruiert und zweitens, dass die Perspektiven sich inkommensurabel gegenüberstehen. Wo der klassische Strukturalismus von einer ahistorischen (kosmischen) Ordnung ausgeht, und der Poststrukturalismus den Fokus auf die Ordnungsstrategien verlagert und sich dabei beständig auf der Suche nach Brüchen und Aufwerfungen befindet, die die diskursiv hergestellte Ordnung als kontingent und von Machtbegehrlichkeiten versetzt ausweisen, geht die Systemtheorie von Kontingenz und Unordnung aus und sucht die vorgefundene (geradezu beeindruckende) Ordnung zu verstehen: „Über diese Feststellung, die zunächst wie eine bloße Behauptung klingt (es gibt keinen Sinn außerhalb der Systeme, die Sinn als Medium benutzen und reproduzieren), gelangt man hinaus, wenn man sich eine Konsequenz operativer Schließung für die Beziehungen des Systems zu seiner operativ unerreichbaren Umwelt vor Augen führt. Lebende Systeme schaffen für ihre Zellen eine Sonderumwelt, die sie schützt und ihre Spezialisierung erlaubt, nämlich Organismen. Sie schützen sich durch materielle Grenzen im Raum. Psychische und soziale Systeme bilden ihre Operationen als beobachtende Operationen aus, die es ermöglichen, das System selbst von seiner Umwelt zu unterscheiden – und dies obwohl (und wir müssen hinzufügen: weil) die Operation nur im System stattfinden kann. Sie unterscheiden, anders gesagt, Selbstreferenz und Fremdreferenz. Für sie sind Grenzen daher keine materiellen Artefakte, sondern Formen mit zwei Seiten. Abstrakt gesehen handelt es sich dabei um ein ‚re-entry‘ einer Unterscheidung in das durch sie selbst Unterschiedene. Die Differenz System/Umwelt kommt zweimal vor: als durch das System produzierter Unterschied und als im System beobachteter Unterschied. […] Akzeptiert man diese Theoriedisposition, kann man nicht von einer vorhandenen Welt ausgehen, die aus Dingen, Substanzen, Ideen besteht, und auch nicht mit dem Weltbegriff deren Gesamtheit (universitas rerum) bezeichnen. Für Sinnsysteme ist die Welt kein Riesenmechanismus, der Zustände aus Zuständen produziert und dadurch die Systeme selbst determiniert. Sondern die Welt ist ein unermeßliches Potential für Überraschungen, ist virtuelle Information,

3. B EOBACHTUNGSKONSTRUKTIONEN | 121

die aber Systeme benötigt, um Information zu erzeugen, oder genauer: um ausgewählten Irritationen den Sinn von Information zu geben.“ (Luhmann 2006: 45f)

Eine plausible Kritik der Systemtheorie, die an deren Absolutsetzen der Kontingenz ansetzt – und dies als Strategie einer Autoimmunisierung der Theorie gegenüber kritischen Einwänden dechiffriert – hat Osietzki (2003) vorgelegt. Stähelis Argumentation hingegen kreist um eine Dekonstruktion des Sinnbegriffs, die von einem poststrukturalistischen Standpunkt aus plausibel ist und – von dort aus betrachtet – auf eine architektonische ‚Schwachstelle‘ im Theoriegebäude verweist. Die Verankerung und Stabilisation der zirkulären (paradoxen) Grundfigur der Theorie gründet jedoch vielmehr im Verhältnis zwischen dem psychischen und dem sozialen System. Die Sicherstellung von Adressierbarkeit, die erst die Emergenz von sozialem Sinn ermöglicht und vice versa, verweist auf die Bedeutsamkeit der strukturellen Kopplung des psychischen mit dem sozialen System (Luhmann 2006: 21, 117f). Der durch Beobachtung erschlossene Gegenstand des Sozialen konstituiert sich auf der Differenz dieser zwei Systemarten. Hier kann eine Sollbruchstelle der Theorie vermutet werden, insofern der Sinnbegriff des Sozialen in der Ausdifferenzierung aus dem Psychischen wurzelt oder vielmehr darin gründet. Luhmanns Aufsatz „Inklusion und Exklusion“ legt diesen problematischen Bedingungszusammenhang in besonderer Weise nahe (Luhmann 2008b). Das beobachtbare Phänomen, dass es ‚Personen‘ gibt, die in kein Funktionssystem in irgendeiner Form als Rollenträger teilinkludiert sind, lässt keine andere Möglichkeit zu, als diese über ihren Körper und ihrer bloßen physischen Präsenz zu ‚kennzeichnen‘ (Luhmann 2008b: 245). Diese ‚Personen‘ mutieren zu monströsen Sozial-Hybriden; sie sind zwar ‚Personen‘, stellen jedoch ihre Teilhabe am Sozialen (ex negativo, nämlich in ihrer ‚schwindelerregenden‘ Eigenschaft vollexkludiert zu sein) als bloße physiologische Organismen sicher: Auch sie schaffen als lebende Systeme „für ihre Zellen eine Sonderumwelt, die sie schützt und ihre Spezialisierung erlaubt […]. Sie schützen sich durch materielle Grenzen im Raum.“ (Luhmann 2006: 45) In diesem Aufsatz scheint die Gefährdung von sozialem Sinn durch, indem die ‚Adresse‘ von Person auf Körper umgestellt wird bzw. werden muss, genauso wie das Aufkommen ‚virtueller Welten‘ als Anlass dient, eine absurd anmutende DoppelDekonstruktion der ‚natürlichen Realität‘ anzuregen, da „auch bei Dekonstruktion der anthropologischen Wahrnehmungsschemata immer noch Ordnung entsteht, sobald Wahrnehmung veranlasst wird, an Wahrnehmung anzuschließen.“ (Luhmann 2007: 244) Ebenso unbefriedigend ist es, das Konzept der strukturellen Kopplung als Unbestimmtheitsstelle darzustellen, wenn es gilt, die mögliche Teilhabe von ‚Computern‘ an Sozialsystemen zumindest in Aussicht zu stellen, die von Luhmann mit dem Hinweis versehen wird, dass die Folgen für das Gesellschaftssystem – gemäß der funktional-strukturellen Systemtheorie – derzeit nicht abschätzbar wären:

122 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Man wird […] fragen müssen, welche Konsequenzen es haben wird, wenn Computer eine ganz eigenständige strukturelle Kopplung zwischen einer für sie konstruierbaren Realität und Bewußtseins- bzw. Kommunikationssystemen herstellen können. So sehr diese Frage weitere Aufmerksamkeit verdient, so wenig lassen sich die Konsequenzen in der weiteren Evolution des GeseIlschaftssystems gegenwärtig überblicken. Immerhin sollte jede Gesellschaftstheorie eine Unbestimmtheitsstelle dafür reservieren, und eine solche Möglichkeit bietet der Begriff der strukturellen Kopplung. Wir gehen im Folgenden zwar davon aus, daß Kommunikationssysteme über Sprache an Bewußtseinssysteme gekoppelt sind und nur deshalb sich Indifferenz gegenüber allem anderen leisten können. Aber zugleich kann man es für wahrscheinlich halten, daß der Computer andere Formen struktureller Kopplung ermöglichen wird.“ (Luhmann 2006: 117f)

Der Abschluss bzw. das zur-Ruhe-Kommen einer Beobachtung zweiter Ordnung, die sich auf die funktional-strukturelle Systemtheorie richtet, findet faktisch in der Transformation von psychischem zu sozialem Verstehen und damit in der Konstitutionslogik des Gegenstandes der Theorie statt. So stellt das Theorem doppelter Kontingenz (Luhmann 1996: 148ff) nichts weiter dar, als die negativ gewendete Charakterisierung der sozialen Beziehung als stabiles Geflecht von Erwartungserwartungen zwischen Personen. (Weber 1990: 13; vgl. Tyrell 1994: 403 Fn38). So umfassend und reflektiert die Theorie auch sein mag, thematisch setzt sie sich mit einem Gegenstand auseinander, dem des ‚Sozialen‘. Dies tut sie mit einem unmissverständlichen Problembezug, dem der Kontingenzbewältigung. Sie steht hinsichtlich ihres obersten Problembezugs ganz und gar in der Tradition funktionalistischer Ansätze, deren Genealogie in der Erklärung und dem Verstehen von Ordnung und Stabilität wurzelt. Insofern scheint es verfehlt oder zumindest irreführend sie mit den Vorzeichen einer „Supertheorie“ zu lesen (und anschließend zu dekonstruieren). Die Exteriorität von Sozialsystemen sind Bewusstseinssysteme, die beständig jene irritieren und an die Lacansche Kategorie des ‚Realen‘ erinnern: ‚Person‘ als Medium der Gesellschaft zu thematisieren, bedeutet zugleich das Rauschen des Mediums und den Einbruch des ‚Monströsen‘ in Rechnung zu stellen (vgl. Fuchs 1994: 28f; Rautzenberg 2004: 130ff). Die von Stäheli dargestellte Unverwüstlichkeit der Sinnproduktion von Sozialsystemen mag einer (wie auch immer zu begründenden) Ehrfurcht vor der Unbändigkeit des kontingenten Substrats des Sozialen geschuldet sein, die damit umso stärker mit Bedeutung aufgeladen wird und an Piagets Bonmot gemahnt: „Das Kind stellt die Verzeihung über die Rache, nicht aus Schwäche, sondern weil man mit der Rache ‚nie fertig werden würde‘.“ (Piaget 1976: 366f) Wenn der Übergang von psychischem zu sozialem Verstehen einmal ‚steht‘, und damit die Konstituierung des Sozialen, lässt sich die Stabilisierung von sozialem Sinn durch Anschauung ‚fest-stellen‘ und als Kontingenzformel beschreiben. Insofern würde tatsächlich die Parallelisierung – ausgenommen vielleicht des leeren Signifi-

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kanten Laclaus – des symbolischen Nullwertes von Lévi-Strauss mit Luhmanns Konzept der Kontingenzformel zu gänzlich anderen Schlussfolgerung führen (Weinbach 2004: 39 Fn31; vgl. Stäheli 2000a: 53ff). Dann würde hinsichtlich einer Beschäftigung mit einer beschränkten Ökonomie von Sinn die Fokussierung von dem Code auf die sozialsystem-praktische Stabilisierung der als zirkulär (und paradox) gedachten Sinnerzeugung verschoben werden. Andererseits ist dies nicht die Ebene, auf der Stäheli argumentiert, wenngleich er auf dieser Ebene zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt: „In der Systemtheorie wird aber das Ausmaß [der] Dekonstruktion begrenzt durch eine Fundierung von Bedeutung jenseits der Zeichenverwendung, wodurch die Identität des Codes abgestützt wird. Nur wenn von einer derartigen Codeidentität ausgegangen wird, läßt der Code sich von der Programmebene isolieren.“ (Stäheli 1996: 279)

124 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE

3.4 Z WISCHENBETRACHTUNG : B EOBACHTUNGSKONSTRUKTIONEN „Könnte eine Maschine denken? – Könnte sie Schmerzen haben? […] Aber eine Maschine kann doch nicht denken! – Ist das ein Erfahrungssatz? Nein. Wir sagen nur vom Menschen, und was ihm ähnlich ist, es denke. Wir sagen es auch von Puppen und wohl auch von Geistern. Sieh das Wort ‚denken‘ als Instrument an!“ „‘Ich glaube, daß er leidet.‘ – Glaube ich auch, daß er kein Automat ist? […] (Oder ist es so: ich glaube, daß er leidet; ich bin sicher, daß er kein Automat ist? Unsinn!) Denke, ich sage von einem Freunde: ‚Er ist kein Automat.‘ – Was wird hier mitgeteilt, und für wen wäre es eine Mitteilung? Für einen Menschen, der den Andern unter gewöhnlichen Umständen trifft? Was könnte es ihm mitteilen! (Doch höchstens, daß dieser sich immer wie ein Mensch, nicht manchmal wie eine Maschine benimmt.)“ WITTGENSTEIN 1990B: 394, 495

Der Vergleich zwischen Wittgenstein, Descartes und Hume förderte zutage, dass eine unmittelbare Gegenüberstellung zentraler Begriffe zu irreführenden Aussagen führt, wenn nicht die ‚feststehenden‘ Voraussetzungen der jeweiligen Ansätze berücksichtigt werden. Erst vor ihrem Hintergrund erfahren die jeweiligen Aussagen und Feststellungen eine Rechtfertigung, nämlich als Antworten auf Fragen, die nicht gestellt werden könnten, wenn es keine ‚feststehenden‘ Gewissheiten gäbe, die ihnen zugrunde liegen. Die Skizzierung von Stähelis ‚Kritik‘ an Luhmanns Systemtheorie sollte unter anderem dazu dienen, diese Überlegungen im Rahmen zweier Ansätze zur Anwendung kommen zu lassen, die von ähnlichen erkenntnistheoretischen Prämissen ausgehen (im Gegensatz zu denen von Descartes’ und Humes auf der einen sowie Wittgensteins auf der anderen Seite). Inwieweit kann es auch in solchen Fällen angebracht erscheinen, von einem Nullwert auszugehen und im Zusammenhang eines Theorievergleiches das Nullwerttheorem als Instrument einer komparatistischen Methode anzuwenden? Auf der einen Seite lässt sich in der Kontingenzformel der von der Systemtheorie bezüglich ihres Gegenstandes beschriebene Nullwert (in Analogie zu Lévi-Strauss’ Mana als ‚symbolischem Nullwert‘) identifizieren, andererseits kann davon der Null-

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wert der Theorie unterschieden werden (der Verweiszusammenhang zwischen psychischem und sozialem Sinn). Die Inkommensurabilität der zwei Ansätze kann wiederum in den unterschiedlichen Problembezügen gesehen werden. Stähelis Position ist von der „Unhintergehbarkeit der Struktur“ (Frank 1997: 12) gekennzeichnet, wohingegen Luhmann genau vom Gegenteil, nämlich von der Unhintergehbarkeit von Kontingenz ausgeht, wobei er damit der Genealogie funktionalistischer Ansätze treu bleibt. Er versucht somit die Stabilität sozialer Ordnung gerade vor dem Hintergrund einer von Paradoxie gekennzeichneten Moderne zu verstehen (Luhmann 2009b: 165). Stäheli interessiert sich demzufolge für die ‚Sollbruchstellen‘ der – zwar nicht zeitinvariant aber dennoch übergangsweise ‚relativ dauerhaft‘ – stabilen Struktur, Luhmann hingegen für die Mechanismen der Sicherstellung von Stabilität. Die weiter oben bereits als ‚zweideutig‘ dargestellte – sich sowohl auf die Beschreibung des Gegenstandes als auch hinsichtlich eines gemeinsamen Theorieelements beziehende – Bemerkung Deleuze’, wonach der ‚Nullpunkt‘ ein allen strukturalistischen Ansätzen verbindendes Merkmal darstellt (Deleuze 1992: 45), kann in der Gegenüberstellung von Kontingenzformel (gegenstandsbezogener Nullwert, der die Stabilität der Sinnproduktion eines Systems durch den Rückbezug auf dessen ‚Zentrum‘ sicherstellt) und Verweiszusammenhang von Bewusstseins- vs. Sozialsystem (theorieimmanenter Nullwert, der für die Konstitution und Beobachtbarkeit des Gegenstandes im Rahmen der Theorie verantwortlich zeichnet) erkannt werden. Es ist hierbei wichtig daran zu erinnern, dass gerade der Verlust eines die gegenstandsbezogene Leitdifferenz absichernden Nullwertes ein ‚problematisches‘ Merkmal der Ansätze der Postgründergenerationen darstellt, weshalb die Differenz von Bewusstseins- und Sozialsystem hier vorläufig als theorieimmanenter Nullwert genannt wird. Eine zentrale These der Arbeit besteht ja gerade darin, dass die Ansätze der Postgründergenerationen kein ‚eingliedriges‘ (vollwertiges) Nullwertelement (mehr) aufweisen. Die Charakterisierung einer ‚Differenzsetzung‘ (Bewusstseins- vs. Sozialsystem) als Nullwert ließe sich problemlos als Beobachtung zweiter Ordnung und als Beobachtung der Leitdifferenz einer Theorie bezeichnen. Die Leitdifferenz einer Theorie (nicht die des von der Theorie thematisierten Gegenstandes!) kann allerdings zugleich als ihre ‚eigene‘ Kontingenzformel angesehen werden. Vor dem Hintergrund von Wittgensteins Ausführungen kann auf diese Weise danach gefragt werden, welche Gewissheiten feststehen müssen, damit bestimmte Fragen gestellt werden können. Insofern kann angenommen werden, dass es zwischen dem zentralen Problembezug einer Theorie und ihrem theorieimmanenten Nullwert eine Entsprechung gibt. Luhmanns Theorie – die sich hier als Beispiel anbietet, da sie im Zuge des Versuches einer klärenden Unterscheidung zwischen Beobachtung zweiter Ordnung und dem Nullwerttheorem gerade in dieser Hinsicht ausführlicher besprochen worden ist – ist zuallererst (offensichtlich) eine Sozialtheorie: Welche Annahmen erlauben es der

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funktional-strukturellen Theorie, ‚Soziales‘, ausgehend von einer bestimmten Problemwahrnehmung heraus, in den Blick zu nehmen? In der Differenz zum Bewusstseinssystem tritt das Soziale als Gegenstand für die Theorie erst in Erscheinung. Der Gegenstand ist abhängig von einer Ausdifferenzierung und zugleich Inverhältnissetzung zum Bewusstseinssystem (Luhmann 2005b: 80; Luhmann 2005c: 136; Luhmann 2006: 50f). Der für die Theorie basale Verweiszusammenhang des Sozialen und des Bewusstseins (als dessen Konstituens) verläuft freilich in der Tat über den Sinnbegriff. Und gerade hierin kann der Hauptgrund für die problematische – aber durchaus herstellbare – Anschlussfähigkeit der Systemtheorie mit techniksensiblen soziologischen Fragestellungen gesehen werden (vgl. Esposito 1993; Halfmann 1996). Der Zweck der vorliegenden Ausführungen besteht allerdings darin, danach zu fragen, ob es einen den soziologischen Theorien gemeinsamen Grund für das problematisch gewordene Verhältnis zur Technik gibt, um daran anschließend mögliche Alternativen vorzuschlagen. Halfmanns These, wonach sich „Techniksoziologie […] erst dann etablieren [kann], wenn der Elementarbegriff der Beschreibung von Gesellschaft nicht mehr primär auf Operationen des Bewußtseins bezogen wird“ (Halfmann 1996: 189), soll hier einerseits entsprochen, sowie andererseits radikalisiert werden. Wie sich weiter unten zeigen wird, kommt nämlich auch der funktional-strukturellen Systemtheorie das Subjekt – in einer sublimierten Form, nämlich der des Bewusstseinssystems – bei einer soziologischen Verarbeitung von Technik in die Quere. Folglich muss unter Umständen tiefer angesetzt werden und danach gefragt werden, welche ‚Fixpunkte‘ den soziologischen Theorien den Aufbau eines in sich schlüssigen Aussagesystems über ihren Gegenstand erlauben. Für die Herausarbeitung dieser ‚letzten‘ Fixpunkte erweist sich das Nullwerttheorem als hilfreiches Instrument. Das Theorem des Re-entry bzw. der Selbstbeobachtung eines beobachtenden Systems stößt hier insofern an seine Grenzen, als Sozialtheorien einen eindeutigen Problembezug haben (je nach Theorie kann hier auch von einem Wirklichkeitsbezug die Rede sein), nämlich den der Beschreibung des ‚Sozialen‘ als deren Gegenstand. Eine ‚Operationalisierung‘ des grundlagentheoretischen Theorems der Beobachtung zweiter Ordnung in der Form von Fixpunkten, die als Nullwert beschrieben werden können, führt dazu, die auf der Ebene von Selbstbeobachtungen nicht mehr sinnvoll prozessierbaren Referenzen aufzudecken (die andernfalls die Theorie ad absurdum führen würden). Es geht also – frei nach Wittgenstein – um die Freilegung des ‚Flussbettes‘ soziologischer Theorien. Welche Elemente liegen soziologischen Theorien zugrunde und in welchen Positionen und Verhältnissetzungen treten sie auf? Was ist – in einem übertragenen Sinn – die Kontingenzformel einer soziologischen Theorie? Zwischen den vielen verschiedenen Versionen strukturalistischer ‚Nullpunkte‘ sollen im Rahmen einer Nullwertanalyse als Instrument einer komparatistischen Methode für die Auseinandersetzung mit soziologischen Theorien nur zwei Varianten unterschieden werden. Diese verweisen zwar aufeinander und ihre ‚Grenzen‘ sind

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mehr als fließend, in ihrer chronologischen Rekonstruktion aber können sie dennoch unterschieden werden. Sie stellen zugleich die zwei ‚Hauptversionen‘ strukturalistischer Nullpunkte dar: Beide können und werden als ‚flottierende Signifikanten‘ bezeichnet, denn beide können sich ‚frei‘ im Differenzgefüge der Struktur bewegen (vgl. Stäheli 2000b: 20ff). Die ‚ursprüngliche‘ Version von Lévi-Strauss, die von ihm auch als „symbolischer Nullwert“ (1978: 40) umschrieben wird, erfährt durch Derridas Dekonstruktion eine entscheidende Wendung, die der Verwendungsweise dieses Konzeptes hier weitestgehend entspricht. Diese Neudeutung markiert zugleich einen der wesentlichen Wendepunkte vom klassischen Strukturalismus zum sogenannten Poststrukturalismus (vgl. Münker/Roesler 2000: 34). Derrida stellt den Nullwert in Lévi-Strauss’ Werk zugleich auch als dessen Nullwert dar und deutet damit den Übergang von der bloßen Konstatierung eines Nullwertes im Gegenstand durch die Theorie zum Nachweis eines die Theorie auszeichnenden Nullwertes an (Derrida 2003: 422ff). Der Nullwert vermag aufgrund seiner Eigenschaften sowohl innerhalb der Signifikantenstruktur eingliedrig zu sein (sich nicht als Effekt einer bestimmten Differenzsetzung zu etablieren) als auch demzufolge nicht auf einen bestimmten Signifikaten zu verweisen (der strukturalistisch betrachtet aufgrund der Position innerhalb der Signifikantenstruktur handlungs- bzw. sozialrelevant oder gar kognitiv erreichbar und damit ‚wahrnehmbar‘ wird). Des Weiteren hat er die Funktion, die Lücke eines ‚fehlenden‘ Zentrums auszufüllen, die zwar auf die Gegenstandsseite bezogen wird, aber zugleich auf die theorieimmanente Herstellung und Stabilisierung von Sinn bezogen werden kann: „Religiöse Strukturen lassen sich z. B. nicht mehr durch den Bezug auf Gott schließen oder politische Strukturen durch die Begründung im Willen des Königs. Diese Letztgaranten sind in die Krise geraten und geben Aussicht auf das Modell einer dezentrierten Struktur. Die theoretische Bedeutung von Mana sieht Derrida darin, dass sie einen Überschuss von Signifikanten und ihr Spiel bezeichnet – einen Überschuss, der dadurch entsteht, dass das Zentrum der Struktur nicht mehr besetzt werden kann. […] Eine Dekonstruktion entspricht also keineswegs der Zerstörung des Lévi-Strauss’schen Strukturalismus, sondern wird zur Radikalisierung des Null-Wertes oder des flottierenden Signifikanten – eine Radikalisierung, die es ausschließt, von geschlossenen, stabilen Totalitäten auszugehen.“ (Stäheli 2000b: 23)

Einen ähnlichen Stellenwert nimmt Foucaults Darstellung des ‚Subjektes‘ als das hergestellte Zentrum einer im Prinzip schon immer bedrohten, weil defizitären Struktur in der „Ordnung der Dinge“ (1995: 413ff) ein, die sich ähnlich in Barthes Werk (neben Derrida und Foucault einer der wichtigsten Wegbereiter des Poststrukturalismus) wiederfinden lässt: „Faßte Barthes in S/Z das Ich als eine Art intertextuellen Konvergenzpunkt und somit als einen Spracheffekt, so denkt er dies in seinen späten Schriften vom Mana-Wort ‚Körper‘ her. Als

128 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE flottierender (Meta)Signifikant, wie das mana bei Lévi-Strauss gefaßt wurde, und so als eine mit variablen Inhalten auffüllbare Leerstelle, läßt er sich direkt an das Konzept einer prozessual-dynamisch verstandenen Subjektivität, die sich als reine Form mit stetig wechselnden Inhalten immer wieder neu auf- und abbaut, anschließen.“ (Brune 2003: 213; vgl. Barthes 1987: 71f; 189f; Barthes 1996: 25ff)

Die Parallelen zwischen Luhmanns ‚Verständnis‘ des Sozialen und einer poststrukturalistischen Lesart von Lévi-Strauss’ Nullwert, verweisen in ihren (genau genommen kleinen) Unterschieden auf die weiter oben dargestellte Debatte: Der Sinnüberschuss wird in Luhmanns Darstellung des Sozialen als ständige Gefährdung von Kommunikation (und damit Sozialsystemen) wahrgenommen. Luhmann interessiert sich demzufolge für die Strategien der Bewältigung dieses Überschusses. Von dieser Warte aus gesehen, erscheint Luhmanns Entwurf sogar als radikalisierte Version poststrukturalistischer Nullwert-Konzepte, wonach die Struktur durch die Besetzung des Zentrums relativ ‚dauerhaft‘ beruhigt werden kann. Der zentrale Problembezug richtet sich hier einerseits auf die Strategien der Besetzung dieses ‚fehlenden‘ Zentrums sowie andererseits den möglichen Destabilisierungen einer – in der Folge einer ‚erfolgreichen‘ Platzierung eines Nullwertes – stabilen sozialen Wirklichkeit. Im Zuge einer sehr groben – und an dieser Stelle lediglich instruktiv-exemplarischen Gegenüberstellung – schälen sich als jeweilige Theorie-Nullwerte die SignifikantenStruktur der (Post-)Strukturalisten und deren (soziale) wirklichkeitskonstitutive Kraft auf der einen und der inflationäre Sinnüberschuss an der Nahtstelle (strukturelle Kopplung) zwischen Bewusstseins- und Sozialsystemen der neueren Systemtheorie auf der anderen Seite heraus. Nun mag also der Nullwert sowohl hinsichtlich eines ‚Nachweises‘ im Gegenstand (z. B. das Mana bei Lévi-Strauss) als auch die Weiterführung und Radikalisierung dieser Figur im Poststrukturalismus (z. B. das Subjekt bei Foucault), die nicht nur hinsichtlich ihrer ‚materialen Projektionsfläche‘ variabler gedacht wird, sondern vor allem in ihrer jeweiligen ‚Fassung‘ kritisch hinterfragt wird und in der Regel als Machteffekt aufgefasst wird, in den Grundannahmen des Strukturalismus selbst begründet liegen. Der argumentative ‚Absturz ins Bodenlose‘ ist schließlich einer differenztheoretischen Argumentation inhärent. Der Übergang von einer Übertragung Saussures (1967) differenztheoretischen, sprachwissenschaftlichen Grundannahmen auf das Soziale zu einer rein ‚formalen‘ Absicherung in Form eines ‚eingliedrigen‘, symbolischen Nullwertes (Deleuze stellt zu Recht die Nähe zu Jacobsons Nullphonem her (1992: 46)) und zu der Frage nach den strategischen Kräften, die dazu führen, das ‚leere Zentrum‘ der Struktur nicht mit dem Mana, sondern beispielsweise mit dem Subjekt zu besetzen, ist genau betrachtet ein recht kleiner Schritt. Luhmann sah bekanntlich in der Logik von Spencer Brown den elegantesten Weg den ‚Absturz‘ abzuwenden, nämlich durch eine ‚Temporalisierung‘ der nachgelagerten Einsicht in den als Effekt von Differenz erzeugten Sinn (Luhmann 2006: 46; 1994: 73ff, 94).

3. B EOBACHTUNGSKONSTRUKTIONEN | 129

Die Unterschiede zwischen einer strukturalistischen und einer systemtheoretischen Argumentation liegen also auch in der Art und Weise, wie die Gegenmaßnahmen eines Absturzes gedacht werden. Hier geht es – zumindest hauptsächlich – nicht darum, danach zu fragen, mit welcher Variante die Sinnproduktion eines sozialen Systems kritisch hinterfragt werden kann, und auch nicht, auf welche Weise Theorien mit von ihnen selbst erzeugten Widersprüchen umgehen, sondern welches Element im Rahmen (moderner) soziologischer Theorien die (gegenstandsbezogene) Leitdifferenz faktisch absichert. Insofern wird nicht das Theorem des Nullwertes gegen das der Beobachtung zweiter Ordnung (und dessen durch Luhmann in Anlehnung an Spencer-Brown in Aussicht gestellter Möglichkeit einer Entparadoxierung durch Temporalisierung) ausgespielt. Vielmehr dienen die grundlagentheoretischen Überlegungen einer standortgebundenen Sinnerzeugung, die systemtheoretischen, strukturalistischen und kybernetischen Ansätzen gemein ist, als ‚gesetzte‘ Vorannahme für die Verwendung des Nullwertes als zweckdienliches Instrument für den Vergleich soziologischer Theorien. Es wird also davon ausgegangen, dass soziologische Theorien nur vor dem Hintergrund einer polykontextualen Weltauffassung entstehen konnten, dass also Gesellschaft bzw. das Soziale als Gegenstand sich nur vor dem Hintergrund einer diesseitigen Begründungslogik etablieren konnte, die dementsprechend die Beobachterin von ‚Gesellschaft‘ mit der Erzeugung von Paradoxien konfrontiert (vgl. zum Verweiszusammenhang von Moderne und der Genese der ‚Sozialwissenschaften‘ Pankoke 1977; Nassehi 2000; 2001: 209f; Lepenies 1981: Beiträge in „Teil I“; Koselleck 2006: 264ff; Foucault 1993a: 187; Latour 2005: 110 Fn145). Es geht also nicht darum, auf welche Weise eine Theorie ihren eigenen Grundwiderspruch ‚für sich auflöst‘ (ob durch Temporalisierung oder diskursiver Aufrechterhaltung eines bestimmten Elementes), sondern welche Seite ihrer eigenen Leitdifferenz nicht markiert wird. Hierin ein Nullwert-Element zu sehen, hängt damit zusammen, dass faktisch die Theorie diesen ‚Ausschluss‘ nicht thematisiert. Die Aufrechterhaltung der Sinnerzeugung innerhalb der Struktur der Theorie hat also ein eingliedriges Zentrum, das als solches behandelt werden sollte und mit dem Nullwert-Theorem adäquat erfasst werden kann. Innerhalb sozialtheoretischer Entwürfe nach dem Nullwert zu fragen, bedeutet nach der Gewissheit zu fragen, die einmal gesetzt, als Äquivalent zur jeweiligen theoriespezifischen Limitationsprämisse aufgefasst werden kann. Diese schließt die Theorie derart ab, dass, von einem ‚unbeweglichen Grund‘ ausgehend, Fragen nach der Beschaffenheit des Sozialen überhaupt erst möglich werden. Die hier vertretene Sichtweise auf Sozialtheorien geht davon aus, dass das Phänomen Technik nicht angemessen verarbeitet werden kann, da ein ‚vernünftiger‘ Zweifel an dem Verweis- und zugleich Begründungszusammenhang zwischen dem Subjekt und dem Sozialen nicht möglich (geworden) ist.

4. Theorietechniken „Zu den wesentlichen Erscheinungen der Neuzeit gehört ihre Wissenschaft. Eine dem Hange nach gleichwichtige Erscheinung ist die Maschinentechnik. Man darf sie jedoch nicht als bloße Anwendung der neuzeitlichen mathematischen Naturwissenschaft auf die Praxis mißdeuten. Die Maschinentechnik ist selbst eine eigenständige Verwandlung der Praxis derart, daß diese erst die Verwendung der mathematischen Naturwissenschaft fordert. Die Maschinentechnik bleibt der bis jetzt sichtbarste Ausläufer des Wesens der neuzeitlichen Technik, das mit dem Wesen der neuzeitlichen Metaphysik identisch ist.“ HEIDEGGER 1980B: 73

Hans Linde gebührt die Ehre, schon zehn Jahre vor dem von Rodrigo Jokisch herausgegebenen, ersten deutschsprachigen Sammelband zur Techniksoziologie auf die Dringlichkeit einer soziologischen Besinnung auf „Sachen“ hingewiesen zu haben (Jokisch 1982; Linde 1972). Lindes Aufsatz ist, worauf Heintz zu Recht hinweist, bis heute wegweisend für techniksoziologische Ansätze, die die Sachdimension von Technik betonen (Heintz 1993: 238). So stellt Schulz-Schaeffers Monografie „Sozialtheorie der Technik“ (2000), in der er sich ausschließlich auf Sachtechnik bezieht – so wie die überwiegende Mehrheit techniksoziologischer Ansätze –, eine auf knapp 400 Seiten ausgesprochen elaboriert und auf den Stand gegenwärtiger Sozialtheorien gebrachte Weiterentwicklung von Lindes Hauptthese dar, wonach in Anlehnung an Durkheims Verständnis sozialer Tatbestände, sich die „eminent verhaltensregelnde und verhältnisbegründende Qualität von Sachen sich als unbestreitbar erweist“ (Linde 1972: 82; vgl. auch Schulz-Schaeffer 2007a: 445). Auf der Grundlage einer Reformulierung von Giddens analytischen Strukturkategorien „autoritativer“ und „allokativer Ressourcen“ in Verbindung mit seinem Regelbegriff zu einer „Dualität

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von Ressourcen und Routinen“ erweitert, lässt sich Schulz-Schaeffers Beitrag – eine dezidiert auf Technik bezogene Sozialtheorie und freilich in erheblich differenzierterer und erweiterter Weise – als Entfaltung von Lindes Grundannahme lesen (SchulzSchaeffer 2000: 234ff). Lindes techniksensible Rekonstruktion einiger Klassiker (Marx, Durkheim und Weber) gibt ebenso die Vorlage für zahlreiche, sehr ähnlich gelagerte Hinweise (vgl. Heintz 1993: 238ff), genauso gehört seine kritische Skizzierung des Strukturfunktionalismus, demzufolge „Sachen einen Stellenwert als Glieder sozialer Strukturen einzuräumen, an der Tatsache scheitern mußte, daß für den beziehungsorientierten Grundkonsensus der strukturell-funktionalen Systemtheoretiker und ihrer Vorläufer non-human-objects weil non-psychical-objects auch non-social-objects sind“ (Linde 1972: 82) zum rhetorischen Inventar techniksoziologischer Argumentation. In einer weiteren Hinsicht hat Linde die Marschrichtung vorgegeben, die es schließlich angebracht erscheinen lässt, Linde den Rang des Klassikers deutschsprachiger Techniksoziologie zu verleihen (vgl. Schulz-Schaeffer 2007a: 444). Die von Linde genannten Gründe für eine Exkommunizierung der ‚Sachen‘ aus dem Gegenstandsbereich der Soziologie sind so beständig wiederholt worden, dass es fast schon konspirative Züge annimmt. Linde konstatiert: „Die angezeigte Sachabstinenz unserer gegenwärtigen Soziologie hat zweifellos ihre eigene, noch nicht geschriebene Vorgeschichte. Da diese nicht selbst unser Thema ist, wollen wir nicht zögern, unsere Auffassung ohne Umschweife dahingehend zu kennzeichnen, daß diese Abstinenz offensichtlich die gemeinsame Kehrseite der unterschiedlichen Versuche darstellt, die Soziologie als eine Einzelwissenschaft neben oder zwischen älteren Sozialwissenschaften zu etablieren, welche schließlich auf (a) analytisch formale, (b) interaktionistische Social-SystemsKonzepte konvergierten. Wir wissen, wie zügig-großzügig auf dem Wege zu diesem Konsensus, gesellschaftliche Strukturen als „play of mental factors“ (Ward), als „concert of individual wills“ (Giddings) oder als „Artefakte aus psychischer Substanz“ (Tönnies) anzusehen, jahrzehntelang umstrittener philosophischer und historischer Ballast abgeworfen worden ist. Was nun den gesellschaftlichen Stellenwert von Sachen oder Sachverhältnissen betrifft, so ging die Neigung, sie angemessen in Ansatz zu bringen, anscheinend unbesehen im Zusammenhang der Vernachlässigung der historischen Positivität und der Abwertung der geschichtsphilosophischen Spekulation mit über Bord. Wo sie jedoch expressis verbis aus dem soziologischen Kontext ausgegliedert wurden, erscheint ihre Exkommunikation aus dem systematischen Konzept schlicht, wie noch zu zeigen sein wird, als die Folge formaler und/oder methodologischer Purismen.“ (Linde 1972: 12f)

Lindes Forderung nach einer ernsthaften Auseinandersetzung mit nicht-menschlichen Entitäten, da „es in unserer sich als hoch- oder postindustriell verstehenden Gesellschaft des Spätkapitalismus (und wie sonst die ideologisch umstrittenen Wortmasken heißen mögen) weder eine empirisch fundierte Wirtschaftssoziologie, noch

4. T HEORIETECHNIKEN | 133

eine Techniksoziologie“ (Linde 1972: 7) gäbe, und zugleich die Sozialrelevanz von ‚Sachen‘ unbestreitbar sei, ist spätestens seit dem Erscheinen von Jokischs Sammelband im Jahr 1982 vielfältig und reichhaltig entsprochen worden (Heintz 1993: 236ff) – wenngleich Halfmann rund 15 Jahre später der Ansicht ist, dass von „einer Soziologie der Technik […] im Grunde ernsthaft noch nicht die Rede sein“ (Halfmann 1996: 11) kann. In der Tat klafft eine Lücke zwischen der Etablierung der Subdisziplin „Techniksoziologie“ als einer ‚soziologischen Beschäftigung mit Technik‘ und der Entwicklung einer „Soziologie der Technik“ auf. So zielt Halfmanns lapidare Aussage auf ein vermisstes, konsistentes Einfügen der Technik in sozialtheoretische Entwürfe, worauf Schulz-Schaeffers und Halfmanns Monografien mögliche erste Antworten darstellen. Hinsichtlich der „noch nicht geschriebene[n] Vorgeschichte“ zur „angezeigte[n] Sachabstinenz unserer gegenwärtigen Soziologie“ (Linde 1972: 12f) finden sich jedoch nur Wiederholungen des von Linde selbst lediglich angerissenen Begründungszusammenhangs, nämlich im Wesentlichen den einer disziplinären Stabilisierung und Etablierung mittels Sättigung durch angeblich ‚reine‘ soziologische Kategorien (Degele 2002: 7; Passoth 2008: 27ff; Rammert 1998a: 10f; Schulz-Schaeffer 2000: 9f). Unbefriedigend an dieser Argumentation (die Linde explizit in Auftrag gibt, und nicht ausarbeitet) ist zweierlei: Zunächst könnte gefragt werden, wieso nicht gerade die Klassiker umso stärker das Bedürfnis gehabt haben mussten, sich von angeblich sozialfremden Kategorien zu distanzieren, um gleichsam zu einer schärferen Abgrenzung angrenzender Disziplinen zu gelangen, und zweitens, wieso sie offensichtlich einen Begriff des Sozialen entwickelt haben, der einerseits in der Lage gewesen ist das Fundament der Disziplin zu stellen, sowie andererseits aber in der Lage gewesen sind, eben auch Artefakte in diesen einzubeziehen. Lindemann deutet beispielsweise einige Male dezidiert und (leider auch nur) lapidar darauf hin, wie unbestritten für die Klassiker Artefakte und nicht-menschliche Entitäten zum Gegenstand der durch sie aus der Taufe gehobenen jungen Wissenschaft gehörten, indem sie zugleich diese Hinweise implizit zugleich als Aufforderung einer gegenwärtigen diesbezüglichen Auseinandersetzung deutet (Lindemann 2002a: 82; Lindemann 2008: 691).

4.1 K LASSISCHE ANSÄTZE Lindes Deutung einer Exkommunikation entpuppt sich als Exorzismus oder als (unverständlicher) Rückschritt, wenn einerseits den Klassikern (ganz ähnlich wie durch Linde vorgeführt und anschließend von anderen beständig wiederholt) die Fähigkeit zur Einbeziehung von ‚Sachen‘ zugestanden wird und ihnen andererseits der Klassiker-Status nicht entzogen würde – was selbstverständlich, bis auf sehr radikale Positionen (vgl. bspw. Latour 2001; 2005: 12ff), niemand auch nur ansatzweise im Sinn

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hat. Infolgedessen drängt sich die Frage auf, ob den Gründen der sozialtheoretischen ‚Ausgrenzung‘ von Technik nicht doch mehr Gewicht verliehen werden sollte, indem zunächst nach den Gründen für die Möglichkeit einer ‚unproblematischen‘ Einbeziehung der Sozialrelevanz von Artefakten bei den Klassikern gefragt wird, und zwar jenseits der seit Linde offenbar selbstverständlichen Annahme, dies müsse in deren ‚Naivität‘ gegenüber einer noch nicht gefestigten Disziplin begründet liegen; ganz so, wie es sich anscheinend von selbst versteht, dass es in der den Kindern gegenüber den Erwachsenen abgehenden Einsicht ob der Ernsthaftigkeit des Lebens begründet liege, dass es ihnen noch möglich sei, das Spiel ernst zu nehmen.

4.1.1 Karl Marx Die historisch-materialistische Theorie entfaltet ihre Dynamik aus einer anthropologischen Fundierung bezüglich des als Stoffwechsel bezeichneten Verhältnisses zwischen Mensch und Natur heraus: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur. Ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber [...]. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur […].“ (Marx 1962: 192)

‚Arbeit‘ als Tätigkeit eines verändernden Eingreifens folgt erst aus dieser anthropologischen Setzung und muss letztlich so zentral sie in Marx’ Theorie auch sein mag dieser Prämisse untergeordnet werden (vgl. Gebauer 1996: 34; Fromm 1977: 32ff). In diesem als Stoffwechsel figurierten Verhältnis zwischen Mensch und Welt liegt in Marx’ Theorie die Keimzelle von Sozialität, aber auch von Akteuren bzw. von ‚vergesellschafteten Menschen‘, also als den Menschen wesentlich auszeichnende Qualität: „Indem aber für den sozialistischen Menschen die ganze sogenannte Weltgeschichte nichts anderes ist als die Erzeugung des Menschen durch die menschliche Arbeit, als das Werden der Natur für den Menschen, so hat er also den anschaulichen, unwiderstehlichen Beweis von seiner Geburt durch sich selbst, von seinem Entstehungsprozeß.“ (Marx 1975: 125)

Diesem ‚glücklichen Ende‘ geht eine lange Geschichte voraus, in der das Subjekt noch nicht zu sich selbst gekommen ist, und dennoch stets von Anbeginn als das Subjekt nicht nur (zuletzt) der, sondern innerhalb dieser Bewegung immer auch seiner Geschichte verstanden wird. Die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse, in

4. T HEORIETECHNIKEN | 135

denen die Menschen auf dem Weg zu einer Welt, in der sie sich ‚spiegeln können‘ bzw. einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der Subjekt und Objekt eine Einheit bilden (Marcuse 1982: 230f, 243), verwickelt sind, werden bekanntlich bestimmt von der Art und Weise, wie dieser Stoffwechsel von den Akteuren gestaltet wird bzw. werden kann. Die Gestaltungskraft obliegt den Akteuren allerdings stets nur im Rahmen einer dieser determinierenden Wechselwirkung mit dem jeweils erreichten Stand der Produktivkräfte. Diese Wechselwirkung unterliegt nach Marx einem bestimmbaren dialektischen Verhältnis. Wenngleich anthropologisch gesetzt, also den Menschen wesentlich auszeichnend, wird dieser zum Subjekt der (bzw. seiner) Geschichte erst im Rahmen gemeinschaftlich-koordinierten Handelns unter Maßgabe determinierender und bestimmbarer Faktoren, die ihm prima facie die Qualität freier subjektiver Entfaltung rauben: „Versetzen wir uns nun von Robinsons lichter Insel in das finstre europäische Mittelalter. Statt des unabhängigen Mannes finden wir hier jedermann abhängig – Leibeigne und Grundherrn, Vasallen und Lehnsgeber, Laien und Pfaffen. Persönliche Abhängigkeit charakterisiert ebensosehr die gesellschaftlichen Verhältnisse der materiellen Produktion als die auf ihr aufgebauten Lebenssphären. Aber eben weil persönliche Abhängigkeitsverhältnisse die gegebne gesellschaftliche Grundlage bilden, brauchen Arbeiten und Produkte nicht eine von ihrer Realität verschiedne phantastische Gestalt anzunehmen. Sie gehn als Naturaldienste und Naturalleistungen in das gesellschaftliche Getriebe ein. Die Naturalform der Arbeit, ihre Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der Warenproduktion, ihre Allgemeinheit, ist hier ihre unmittelbar gesellschaftliche Form. Die Fronarbeit ist ebensogut durch die Zeit gemessen wie die Waren produzierende Arbeit, aber jeder Leibeigne weiß, daß es ein bestimmtes Quantum seiner persönlichen Arbeits- kraft ist, die er im Dienst seines Herrn verausgabt. Der dem Pfaffen zu leistende Zehnten ist klarer als der Segen des Pfaffen. Wie man daher immer die Charaktermasken beurteilen mag, worin sich die Menschen hier gegenübertreten, die gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten erscheinen jedenfalls als ihre eignen persönlichen Verhältnisse und sind nicht verkleidet in gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen, der Arbeitsprodukte.“ (Marx 1962: 91f)

Wie in dem Zitat deutlich anklingt, stellt sich für die in diesem Prozess faktisch involvierten Akteuren die Auseinandersetzung mit den gegebenen Umständen als ein in freier Entfaltung zu gestaltender Möglichkeitsraum dar. Und letztlich geht jeder Synthese gesellschaftlicher Antagonismen ein ‚Bewusstseinswandel‘ voraus, der sich bei voller Gegenwärtigkeit des Urteils vollzieht, wenngleich Marcuse zurecht darauf hinweist, dass aus einer vorweggenommenen Rückschau die „Produktionsverhältnisse, die die im Menschen steckenden Möglichkeiten beschränken und verzerren, determinieren unvermeidlich sein Bewußtsein, und zwar weil die Gesellschaft kein freies und bewusstes Subjekt ist.“ (Marcuse 1982: 280) Diese Einschätzung findet allerdings jenseits des von der marxistischen Theorie eingenommenen Standpunktes

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statt: Die – für die Leserin bzw. Marx selbst – als vermeintlich unfreiwillig wahrgenommene Tätigkeit der Akteure, ihre ‚Marionettenhaftigkeit‘ und ihr bloßes Reagieren auf einen strikt festgelegten Mechanismus der angesprochenen Wechselwirkung zwischen Akteuren und Produktivkräften, ist dem Umstand geschuldet, dass Marx diesen Prozess als bekannt und determiniert voraussetzt und folglich sich von einem ‚bevorzugten‘ Standpunkt aus zu beschreiben in der Lage wähnt. Koselleck macht aus einer kulturhistorischen Perspektive darauf aufmerksam, dass Marx’ Geschichtsverständnis dem Ausgang eines neuzeitlichen Transformationsprozesses entspricht, wonach erst im Laufe des 18. Jahrhunderts (vermutlich erstmalig) „die Zukunft der Weltgeschichte […] zur Debatte, ja zur Disposition gestellt“ (Koselleck 2006: 266) worden ist. Dieses – die Kultur des Abendlandes auszeichnende Signum – entfaltete selbstredend eine ganze Reihe von ‚Entwürfen‘ und ‚Auslegungen‘ der Inverhältnissetzung von Vergangenheit in der Gegenwart und der daraus gefolgerten möglichen Gestaltung der (nunmehr unbestimmten) Zukunft. Vor diesem Hintergrund betont Koselleck die in Marx’ Geschichtsverständnis – gerade im Vergleich zu zeitlich vorhergehenden Darstellungen – deutlich ausgeprägte Differenz zwischen den faktischen, historischen Gegebenheiten und dem damit einhergehenden, determinierenden Faktoren auf der einen sowie den grundsätzlich offenen Möglichkeitshorizont der ‚Menschen‘ auf der anderen Seite: „Marx hat, wo er konnte, jeden substantiell gedachten Begriff der Geschichte aufzulösen, ihn als metaphysisches Subjekt im Sprachgebrauch seiner Gegner zu entlarven versucht. […] Und seine geschichtstheoretischen Leistungen lassen sich nicht allein auf jene utopischen Zielbestimmungen reduzieren, die ihm das weltweite Echo verschafft haben mögen. Seine geschichtlichen Analysen zehren vielmehr von einer fundamentalen Differenzbestimmung, die unterscheidet zwischen menschlichem Tun und dem, was sich langfristig tatsächlich ereignet.“ (Koselleck 2006: 272)

Marx’ Ideologiekritik – so Koselleck weiter – war in ihrer Schärfe nur auf der Grundlage eines völlig neuen Zeit- und Geschichtsbewusstseins möglich, die es erlaubte zwischen dem Status quo und den Alternativen zu unterscheiden, um in einem zweiten Schritt die ‚Faktizität‘ der jeweiligen historischen Ordnung als verhandelbar und veränderbar zu entlarven. Unabhängig von der Plausibilität dieser geschichtstheoretischen Einschätzung hinsichtlich eines besonders herausstechenden Merkmals Marx’, findet seine Kritik entlang einer Differenz statt, die von einer idealen Situation ausgehend entfaltet wird. ‚Arbeit‘ als Prozess eines Stoffwechsels zwischen ‚Mensch‘ und ‚Welt‘, in dem jener kraft dieses Prozesses erst ‚entstehen‘ und sich ins Verhältnis zum Außen und zu sich selbst setzen kann, sollte mit Hegels Konzeption einer vom ‚Ende‘ her gedachten Entwicklung synchronisiert werden, die in einer transzendenten Verwirklichung des ‚Weltgeistes‘ gründet (Hegel 2008a: 345).

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Erste und zweite Natur: Adorno, Weber und Marx

In diesem Zusammenhang kann die Tragweite der Verschiebung und Doppelung – genauer: Spiegelung – der „zweiten Natur“, die von der kritischen Theorie vorgenommen wird, gelesen werden. Hierbei wird die von Marx dargestellte, innerhalb eines dialektischen ‚Einklangs‘ ausgerichtete und grundsätzlich positive Entwicklung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ins Negative gewendet (Schaap 2000: 43f): „Je unerbittlicher Vergesellschaftung aller Momente menschlicher und zwischenmenschlicher Unmittelbarkeit sich bemächtigt, desto unmöglicher, ans Gewordensein des Gespinsts sich zu erinnern; desto unwiderstehlicher der Schein von Natur. Mit dem Abstand der Geschichte der Menschheit von jener verstärkt er sich: Natur wird zum unwiderstehlichen Gleichnis der Gefangenschaft. Der junge Marx hat die unaufhörliche Verschlingung beider Momente mit einer Kraft zum Äußersten ausgesprochen, die dogmatische Materialisten irritieren muß: ‚Wir kennen nur eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft der Geschichte. Die Geschichte kann von zwei Seiten aus betrachtet, in die Geschichte der Natur und die Geschichte der Menschheit abgeteilt werden. Beide Seiten sind indes nicht zu trennen; solange Menschen existieren, bedingen sich Geschichte der Natur und Geschichte der Menschen gegenseitig.‘ [Marx, Deutsche Ideologie, in: MEGA, I. Abtlg., Bd. V, Berlin 1932, S. 567.] Die herkömmliche Antithesis von Natur und Geschichte ist wahr und falsch; wahr, soweit sie ausspricht, was dem Naturmoment widerfuhr; falsch, soweit sie die Verdeckung der Naturwüchsigkeit der Geschichte durch diese selber vermöge ihrer begrifflichen Nachkonstruktion apologetisch wiederholt.“ (Adorno 1997b: 351; vgl. Adorno 1997c: 67; Adorno 1997d: 68)

Der gegen Weber gerichtete Vorwurf, er hätte Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse nicht ausreichend scharf voneinander geschieden, kann dahin gehend gedeutet werden, dass Weber nicht in der Lage war, einen Ausweg aus eben dieser ‚Verdoppelung‘ zu denken. Hierbei erscheint der Akteur als ein Spiegelbild im Spiegelbild, als das Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung, die ohne ein transzendentes Außen zu einer ewigen innerweltlichen ‚Verstärkung‘ verdammt ist. Adorno erläutert diesen Sachverhalt anschaulich im Gespräch mit Gehlen: „Adorno: Also, daß in der Kultur, die Sie jetzt Industriekultur nennen, etwas geschehen ist, was es in dieser Weise noch nicht gegeben hat und was Sie wesentlich – und übrigens ganz ähnlich wie ich es auch tun würde – durch den Begriff der Naturbeherrschung und durch die Verbindung von Technik und Wissenschaft bestimmen, darin würde Ich mit Ihnen übereinstimmen. Aber vielleicht darf ich hier doch etwas anmerken, was pedantisch klingt, aber vielleicht nicht gleichgültig ist für unsere Diskussion. Ich würde den Ausdruck ‚Industriegesellschaft‘, der heute sehr beliebt ist, nicht gebrauchen, für meinen Teil. Gehlen: Was würden Sie denn sagen?

138 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Adorno: Nun, das wollen wir mal sehen. Ich möchte zunächst nur sagen: In diesem Begriff verschränken sich zwei Momente, die man doch wohl – obwohl sie sehr viel miteinander zu tun haben – nicht einfach gleichsetzen kann. Nämlich einmal: die Entfaltung der Technik, also die Entfaltung der menschlichen Produktivkräfte, die in der Technik sich vergegenständlicht haben. Die Technik ist ja, wie man gesagt hat, ein verlängerter Arm der Menschen. Dann aber steckt in der Industriegesellschaft ebenso auch das Moment der Verhältnisse gesellschaftlicher Produktion, also, in der ganzen westlichen Welt, daß es sich dabei um Tauschverhältnisse handelt, und in der östlichen Welt, in diesem Fall … Gehlen: Ja, aber Herr Adorno, das meint man ja auch, wenn man Industriegesellschaft sagt. Adorno: Ja, nun besteht aber, wenn man diese Momente – und das darf ich vielleicht zur Erklärung sagen – wenn man diese Momente nicht – Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse – dabei trennt, besteht leicht die Gefahr, der schon Max Weber, von dem Sie vorhin gesprochen haben, erlegen ist, daß man nämlich von einem relativ Abstrakten, wie etwa ‚der technischen Rationalität‘, Dinge prädiziert, ihnen Dinge aufbürdet, die in Wirklichkeit gar nicht so sehr an der Ratio selber liegen wie an der eigentümlichen Konstellation, die zwischen dieser Ratio und einer sogenannten Tauschgesellschaft eben herrschen.“ (Adorno/Gehlen 1974: 228f)

Dass dabei die Position der kritischen Theorie in Ermangelung eines bevorzugten Standpunktes äußerst prekär ist, erweist sich in den – zumindest von Adorno – nie systematisch entwickelten Diagnosen, sondern stets fragmentarischen und schnappschussartigen Ausleuchtungen gesellschaftlicher Verhältnisse. Webers Diagnose einer zur unbedingten Ratio verdammten und bis in alle Nuancierung von Lebensführung hinein bestimmten Gesellschaftsform, samt einer katastrophalen Prognose – womit die erste Generation der Kritischen Theorie wiederum (ohne das Attribut der unbedingten Ausweglosigkeit) auf einer Linie mit Weber zu setzen ist – ist die unweigerliche Folge eines von Marx vorbereiteten Bedingungsverhältnisses zwischen Akteur und Gesellschaft ohne die Möglichkeit der Einnahme eines außen liegenden, bevorzugten Beobachterstandpunktes, von dem aus dieses Bedingungs- und zugleich Bindungsverhältnisses aufgelöst werden könnte. „Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanischmaschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. Nur wie ‚ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte‘, sollte nach Baxters Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen […]. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die

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äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist – ob endgültig, wer weiß es? – aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr.“ (Weber 1988b: 203f)

Die Wurzeln dieses verhängnisvollen Schicksals weiter zurück in die Menschheitsgeschichte zurückreichend, wird dieses Bedingungsverhältnis – ansonsten frappierend ähnlich – auch in der „Dialektik der Aufklärung“ dargestellt: „Die dämonenhaft verzerrte Gestalt, die in der Helle der vorurteilslosen Kenntnis Dinge und Menschen angenommen haben, weist auf die Herrschaft zurück, auf das Prinzip, das schon die Spezifikation des Mana in die Geister und Gottheiten bewirkte und den Blick im Blendwerk von Zauberern und Medizinmännern fing. Die Fatalität, durch welche die Vorzeit den unverständlichen Tod sanktionierte, geht ins lückenlos verständliche Dasein über. Der mittägliche panische Schrecken, in dem die Menschen der Natur als Allheit plötzlich innewurden, hat seine Korrespondenz gefunden in der Panik, die heute in jedem Augenblick bereit ist auszubrechen: die Menschen erwarten, daß die Welt, die ohne Ausgang ist, von einer Allheit in Brand gesetzt wird, die sie selber sind und über die sie nichts vermögen. […] Wer unmittelbar, ohne rationale Beziehung auf Selbsterhaltung dem Leben sich überläßt, fällt nach dem Urteil von Aufklärung wie Protestantismus ins Vorgeschichtliche zurück. Der Trieb als solcher sei mythisch wie der Aberglaube; dem Gott dienen, den das Selbst nicht postuliert, irrsinnig wie die Trunksucht. Beiden hat der Fortschritt dasselbe Schicksal bereitet: der Anbetung und dem Versinken ins unmittelbar natürliche Sein; er hat den Selbstvergessenen des Gedankens wie den der Lust mit Fluch belegt.“ (Horkheimer/Adorno 1997: 45f)

Der ahistorische Standort der Erkenntnis: Hegel und Marx

In Marx’ Entwurf wird das Bedingungsverhältnis zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen zwar als bindend für den jeweiligen Zeitpunkt der historischen Entwicklung dargestellt, dass es sich dabei allerdings um eine ‚positive‘ Entwicklung handelt bzw. handeln kann, hängt eben damit zusammen, dass Marx (von Hegel ausgehend) einen quasi außergeschichtlichen, beobachterunabhängigen Standort einnehmen kann. Den Akteuren ebenbürtig hat Marx der Technik einen außerordentlich wichtigen Stellenwert innerhalb dieser Entwicklung zugewiesen. Wenngleich dem Akteur der Eigenwert des ‚Subjektes‘ zukommt, zunächst nur in Potenz der Geschichte, vordem bloß einer Geschichte, so steht diese in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zur Weiterentwicklung und Nutzung von Technik, die als ‚Produktionsmittel – unmittelbarstes Korrelat zur Sachtechnik – innerhalb der Theorie in Erscheinung tritt. Das Verhältnis ist so intrinsisch und von Interdependenz gezeichnet, dass es an Latours

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Kollektive erinnert – wenngleich dieser in der Monografie, in der diese Auseinandersetzung hätte stattfinden können: „Wir sind nie modern gewesen“ (Latour 2002b), den Marxismus als Denkströmung lediglich kursorisch streift und scharf kritisiert. Einerseits erkennt Latour die Verschränkung der zwei Sphären innerhalb des Marxismus an, andererseits geht er ohne eine ernsthafte Analyse davon aus, dass gerade aufgrund der ‚gelungenen‘ Inverhältnissetzung die Bereiche Natur und Kultur umso schärfer voneinander geschieden und fixiert werden: „Der Marxismus schien nicht zuletzt deshalb so lange unangreifbar, weil er die beiden mächtigsten Ressourcen, die je von der Kritik entwickelt wurden, kreuzte und für immer zusammenschloß […]. Er machte es möglich, den Wahrheitsanteil der Naturwissenschaften und der Sozialwissenschaften zu bewahren, indem er ihren verfemten Teil, ihre Ideologie, sorgfältig beseitigte.“ (Latour 2002b: 52, vgl. 168f)

Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten (und gerade auf diesen Zusammenhang lässt sich Latour nicht ein), dass der Stellenwert von Produktionsmitteln innerhalb der dialektischen Entwicklungsdynamik nicht geringer als der von den Akteuren ist. In Marx’ 13. Kapitel aus „Das Kapital“ zur „Maschinerie und große Industrie“ gewinnt der Leser den Eindruck dieser wäre vergleichsweise sogar höher einzuschätzen (Marx 1962: 391ff). So heißt es beispielsweise programmatisch: „Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozeß seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen. Selbst alle Religionsgeschichte, die von dieser materiellen Basis abstrahiert, ist – unkritisch. Es ist in der Tat viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt, aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln.“ (Marx 1962: 393 Fn89)

In diesem Lichte betrachtet wird der Vorwurf einer technikdeterministischen Darstellung, der von einer Vielzahl kraftvoller Ausdrücke untermauert wird, nachvollziehbar: „Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“ (Marx 1971: 498) Diese – nichtsdestotrotz – verkürzte Lesart kann auch darauf zurückgeführt werden, dass Marx eine nicht beobachterabhängige Theorie verfasst hat, und somit der dargestellte Werdegang als von dem jeweiligen Stand der Technik (Produktionsmittel) maßgeblich bestimmt erscheint, insofern gerade im Industriezeitalter die Dominanz dieser innerhalb der Sphäre der Produktivkräfte erschlagend wirkt. Soviel aus der Darstellung Marx’, die im Rahmen einer sorgfältigen historischen Rekonstruktion durch Hans-Peter Müller als ihrerseits ideologisch überfrachtet dekonstruiert worden ist (Müller 1990).

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Der ‚Wahrheitsgehalt‘ von Theorien steht hier allerdings freilich nicht zur Disposition. Vielmehr geht es darum, die Rolle, den Stellenwert und die Position, die ‚Technik‘ innerhalb soziologischer Theorien einnimmt und deren Verhältnis zum Akteur respektive Subjektbegriff herauszuarbeiten. Sozialtheorien beziehen sich auf Sozialtheorien, und sie tun dies immer auf eine bestimmte Art und Weise. Der Versuch, die Art und Funktion der jeweils spezifischen Bezugnahme darzustellen, würden Historiker als die Beschäftigung mit der Gedächtnisgeschichte im Gegensatz zur Ereignisgeschichte bezeichnen (Assmann 2007: 26ff, 284 Fn18). Es kann also nicht darum gehen, inwieweit eine Theorie die Wahrheit ausgesagt hat, sondern wie diese gelesen und weiterbearbeitet worden ist; wie sie also innerhalb der disziplinspezifischen Theorieproduktion ‚erinnert‘ worden ist und wird. Insofern sollte der eminente Stellenwert der Produktionsmittel innerhalb der historisch-materialistischen Theorie nicht in Ansehung einer mehr oder weniger korrekten Beschreibung der Industrialisierung betrachtet werden. Es erfolgt nach Marx kein Wandel, wenn die Akteure sich nicht explizit zu den Produktivkräften und implizit zu den Produktionsverhältnissen in Verhältnis setzen und das Basis-Überbau Gefüge ‚revolutionieren‘. Für die Akteure einer jeden Epoche erfolgt diese Inverhältnissetzung als ein Bewusstwerdungsprozess, der sie zugleich zu den Subjekten ihrer Geschichte werden lässt; so heißt es in den „Pariser Manuskripten“: „Also ist der gesellschaftliche Charakter der allgemeine Charakter der ganzen Bewegung; wie die Gesellschaft selbst den Menschen als Menschen produziert, so ist sie durch ihn produziert. […] Es ist vor allem zu vermeiden, die ‚Gesellschaft‘ wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. Seine Lebensäußerung [...] ist daher eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens.“ (Marx 1968: 537f; vgl. Marx 1960: 115; Giddens 1997: 35)

Dies jedoch in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu der jeweiligen Form der Produktivkräfte, die ihrerseits maßgeblich von den Produktionsmitteln bestimmt werden. In Marx’ Theorie verweisen Akteure und Artefakte ständig aufeinander und bleiben zunächst, für lange Zeit, getrennt – womit Latour freilich in dieser Hinsicht recht behält. Die ungeheure Entfaltung der Produktivkräfte durch die Industrialisierung markiert nach Marx zugleich das Einläuten der letzten Phase eines von Anbeginn der Genese des Sozialen währenden Prozesses. Zuletzt würde die Vermittlung zwischen Innen und Außen bzw. zwischen Akteur und Gesellschaft in einer Einheit aufgehen. Eindrücklich formuliert Hegel diesen Gedanke noch vor Marx, wobei er die Bedeutsamkeit der Technik als Produktionsmittel und Produktivkraft heraushebt. „Das Allgemeine und Objektive in der Arbeit liegt aber in der Abstraktion, welche die Spezifizierung der Mittel und Bedürfnisse bewirkt, damit ebenso die Produktion spezifiziert und die

142 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Teilung der Arbeiten hervorbringt. Das Arbeiten des Einzelnen wird durch die Teilung einfacher und hierdurch die Geschicklichkeit in seiner abstrakten Arbeit sowie die Menge seiner Produktionen größer. Zugleich vervollständigt diese Abstraktion der Geschicklichkeit und des Mittels die Abhängigkeit und die Wechselbeziehung der Menschen für die Befriedigung der übrigen Bedürfnisse zur gänzlichen Notwendigkeit. Die Abstraktion des Produzierens macht das Arbeiten ferner immer mehr mechanisch und damit am Ende fähig, daß der Mensch davon wegtreten und an seine Stelle die Maschine eintreten lassen kann.“ (Hegel 2008a: 352f; vgl. Marx 1962: 414)

Diese ‚fantastische‘, weil an Science-Fiction-Visionen erinnernde, Passage aus Hegels Werk verdeutlich die Tragweite des Stellenwertes von ‚Technik‘ im Zusammenhang mit ‚Arbeit‘ und ‚Arbeitsteilung‘. Der Technik kommt demzufolge eine wesentliche Bedeutung im dialektisch gedachten Bewegungsgesetz gesellschaftlicher Entwicklung der marxschen Theorie zu: „Marx betonte vor allem die Interdependenzen zwischen technischer und sozialer Entwicklung in der Gesellschaft. Man könnte seine Argumentationsfigur in der Formel von der wechselseitigen Ermöglichung und Begrenzung zusammenfassen. Er hat sie für drei verschiedene Ebenen mit nachhaltiger Wirkung eingeführt. Den Wandel ganzer Gesellschaftsformationen sah er durch die Spannungen zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen beeinflußt. Den Wandel von Industriezweigen führte er unter anderem auf Wechselbeziehungen zwischen produktionstechnischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zurück. Schließlich öffnete er den Blick für den Wandel der Arbeitsorganisation, indem er die Aufmerksamkeit auf die wechselseitige Bedingtheit von ‚lebendiger‘ Kooperation und ‚toter‘ Maschinerie lenkte. Auch wenn viele seiner theoretischen Gleichungen nicht mehr aufgehen, bleibt seine Theoriebauweise in vielerlei Hinsicht lehrreich und beispielgebend. Dabei denke ich vor allem an das Interdependenzmodell, seine Differenzierung des technischen Wandels für die drei Ebenen und die Auffassung, daß es sich bei der Technik um eine der Gesellschaft endogene Größe handelt.“ (Rammert 1998a: 11f)

Ähnlich wie in Durkheims Darstellung einer evolutionären, gesellschaftlichen Entwicklung stellt Marx das Phänomen der Interdependenz sozialer respektive materieller Dichte und Technik – unter anderem als Infrastruktur der Transport- und Kommunikationsmittel – als maßgeblichen Faktor dar: „Wie für die Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur eine gewisse Anzahl gleichzeitig angewandter Arbeiter die materielle Voraussetzung bildet, so für die Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft die Größe der Bevölkerung und ihre Dichtigkeit, die hier an die Stelle der Agglomeration in derselben Werkstatt tritt. […] Indes ist diese Dichtigkeit etwas Relatives. Ein relativ spärlich bevölkertes Land mit entwickelten Kommunikationsmitteln besitzt eine dichtere Bevölkerung als ein mehr bevölkertes Land mit unentwickelten Kommunikationsmitteln,

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und in dieser Art sind z. B. die nördlichen Staaten der amerikanischen Union dichter bevölkert als Indien.“ (Marx 1962: 373)

4.1.2 Émile Durkheim Durkheim stellt den gleichen, für sein ‚Evolutionsmodell‘ gesellschaftlicher Entwicklung mindestens ebenso zentralen Sachverhalt folgendermaßen dar: „Die sozialen Beziehungen (genauer gesagt: die intrasozialen Beziehungen) werden folglich zahlreicher, denn sie dehnen sich nach allen Seiten über ihre ursprünglichen Grenzen hinweg aus. Die Arbeitsteilung schreitet also um so mehr fort, je mehr Individuen es gibt, die in genügend nahem Kontakt zueinander stehen, um wechselseitig aufeinander wirken zu können. Wenn wir übereinkommen, diese Annäherung und den daraus resultierenden aktiven Verkehr dynamische oder moralische Dichte zu nennen, dann können wir sagen, daß der Fortschritt der Arbeitsteilung in direkter Beziehung zur moralischen oder dynamischen Dichte der Gesellschaft steht. Aber diese moralische Annäherung kann ihre Wirkung nur entfalten, wenn der wirkliche Abstand zwischen den Individuen immer geringer geworden ist, auf welche Art das auch geschehen mag. Die moralische Dichte kann also nicht stärker werden, ohne daß gleichzeitig die materielle Dichte zunimmt, und diese dient dazu, um jene zu messen. Es ist im übrigen unnötig zu untersuchen, welche von den beiden die andere determiniert hat; die Feststellung genügt, daß sie untrennbar sind.“ (Durkheim 1999a: 315)

Hinsichtlich des Stellenwertes der Technik für gesellschaftlichen Wandel und Strukturierung sind die Parallelen zwischen Marx und Durkheim, rein formal gesehen, erheblich. Dennoch unterscheiden sich nicht nur die sozialtheoretischen Entwürfe hinsichtlich ihrer Gesellschaftsdiagnosen und in Aussicht gestellten Entwicklungen bzw. Prognosen, sondern auch deren Akteurs- und Subjektbegriffe. Wo Marx’ Theorie vormoderne Züge aufweist, insofern eine Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Entwicklung als ‚anthropologisch-naturgegeben‘ und damit notwendig postuliert wird, die dem Beobachter äußerlich bleibt und lediglich entdeckt werden muss, kann Durkheims Theorieentwurf als modern gelten. Trotz einer auch von Durkheim recht strikt entfalteten Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Entwicklung qua Ausdifferenzierung aufgrund von notwendig gewordener Arbeitsteilung, die ihrerseits eine notwendige Folge zunehmender sozialer Dichte darstellt, wird der Akteur als Produkt des Sozialen zumindest implizit dargestellt. Schließlich – und das ist entscheidend – lässt Durkheim völlig offen, welche die ‚ursprünglichen‘ Gründe für die zunehmende soziale Dichte sind (Müller/Schmid 1999: 493 Fn23). Stattdessen stellt er explizit die Arbeitsteilung in den Vordergrund seiner Untersuchungen

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und fragt sodann nach den Auswirkungen und daraus resultierenden Problemen für die Akteure. Der moderne Akteur entsteht somit ex post als Effekt einer gesellschaftlichen Entwicklung, die in der funktionalistischen Theorietradition später als Steigerung der gesellschaftlichen Binnenkomplexität beschrieben worden ist (Luhmann 2008c: 194). Nachdem Durkheim dargelegt hat, dass das Phänomen einer ansteigenden Dichte mit einer zunehmenden Konzentration der Bevölkerung und einer daraus resultierenden Verstädterung einhergeht, gibt er als dritten Punkt an: „3. Schließlich die Zahl der Kommunikations- und Verkehrswege. Indem sie die Leerräume, die die sozialen Segmente trennen, überbrücken und verringern, vergrößern sie die Dichte der Gesellschaft. Im übrigen ist kein Beweis dafür nötig, daß sie um so zahlreicher und vollkommener sind, je höher der Gesellschaftstyp ist. Da dieses sichtbare und meßbare Symbol die Variationen widerspiegelt, die wir die moralische Dichte […] genannt haben, können wir es in der von uns vorgeschlagenen Formel an deren Stelle setzen. Im übrigen müssen wir hier noch einmal wiederholen, was wir weiter oben gesagt haben: Wenn sich die Gesellschaft verdichtet und damit die Entwicklung der Arbeitsteilung bestimmt, so erhöht diese ihrerseits die Verdichtung der Gesellschaft. Aber das ist nicht wichtig; denn die Arbeitsteilung bleibt die abgeleitete Tatsache, und folglich verdankt sie ihre Fortschritte den parallelen Fortschritten der sozialen Dichte, welches auch immer die Ursachen für diese letzteren sein mögen. Das alleine haben wir beweisen wollen.“ (Durkheim 1999a: 318)

Durkheim konstatiert damit einen Zusammenhang, gibt jedoch nicht an, wie die Einflussverhältnisse gestaltet sind. Worauf es ihm vielmehr ankommt, ist – dies wird im siebten Kapitel der „Arbeitsteilung“ deutlich (Durkheim 1999a: 256ff) – in einer kritischen Abgrenzung zum Utilitarismus, den Sozialen Wandel bzw. das Wesen des Sozialen schlechthin nicht auf ökonomische Faktoren zu reduzieren, sondern in einem sozialen Milieu zu verankern. Eine Argumentationsweise also, die Durkheim durchaus als Wegbereiter eines voluntaristischen Handlungsmodells ausweist: „Die dort [im siebten Kapitel der „Arbeitsteilung“] vorgenommene Abgrenzung von ‚organischer Solidarität und Vertragssolidarität‘ soll nicht nur die Grenzen utilitaristisch-ökonomischer Theoriebildung aufzeigen, sondern im gleichen Zuge seine eigene Konzeption über das Medium der Kritik profilieren.“ (Müller/Schmid 1999: 494)

Durkheim konzentriert sich infolge dessen auf die Arbeitsteilung als zentralen Modus für die Charakterisierung des Sozialen, und zugleich verweist dieser Modus auf die Akteure als dessen Emergenz, die eo ipso als dessen Kehrseite zum wichtigsten Einflussfaktor gesellschaftlicher Entwicklung werden. Die Vorzeichen des Bedingungszusammenhangs umzukehren, bedeutet nicht in einem Zuge die Wirkung des Effek-

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tes (Akteure) als bloßes Anhängsel auszuklammern – wenngleich Durkheim zweifelsohne den Schwerpunkt auf die Darstellung des Sozialen als eigenständiger Sphäre legt. So findet die ‚methodisch‘ motivierte Parallelisierung von Handlungsregeln und Artefakten, die rein formal Akteure und Objekte hinsichtlich ihrer Sozialrelevanz auf eine Stufe stellt, maßgeblich auf der Sozialseite (Makro- und Mesoebene) statt (Durkheim 1999b: 105ff, 194ff; vgl. Rammert 1998a: 12f). Konvergenzthese und Schöpfungsmythos: Die Geburt des freien Subjektes

Durkheims Grundlegung einer Diagnosefolie für die Erfassung und Untersuchung moderner Gesellschaften in ihrer Eigenschaft als funktional ausdifferenzierte soziale Gebilde, ist damit zugleich die Grundlegung des Akteurs als ‚Individuum‘, das zwar als nachgelagerte Emergenz in Erscheinung tritt, aber nichtsdestotrotz die entscheidende Größe hinsichtlich des Fortgangs jener ersten, emergenten Ebene, nämlich des Sozialen, darstellt. In der Gegenüberstellung des Kollektivbewusstseins einer mechanischen Solidarität in segmentär differenzierten Gesellschaften ‚niederer Ordnung‘ und der Moral einer organischen Solidarität in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften ‚höherer Ordnung‘, kommt die Geburt des ‚freien‘ Subjektes zum Vorschein: Da, wo die Akteure in segmentär differenzierten Gesellschaften aufgrund unmittelbarer Anschauung sich zum Sozialen ins Verhältnis setzen können (die Analogie zum Zahnrad innerhalb eines Uhrwerkes liegt auf der Hand), müssen sie sich in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften zunächst zu sich selbst in Verhältnis setzen, um ein Verhältnis zur verloren gegangenen Unmittelbarkeit herzustellen (Durkheim 1999a: 474f; vgl. Müller 1992; White 2008: 127 Fn8). Dieses Verhältnis kommt in Meads Entsprechung einer Ontogenese des Akteurs – als selbstreflexive Entität – mit der Phylogenese des Sozialen – als Resultat und Medium jener – in einer Schärfe zum Ausdruck, die zwar weit über Durkheims Darstellung dieses Bedingungsverhältnisses hinausgeht, aber dennoch hinsichtlich dieses interdependenten Zusammenhangs mit der Durkheims – rein formal zumindest durchaus – parallelisiert werden kann (vgl. Habermas 2008: 437ff): „Der Wert einer geordneten Gesellschaft ist für unser Leben von entscheidender Bedeutung, doch müssen auch dem Einzelnen genug Ausdrucksmöglichkeiten vorbehalten sein, wenn wir eine ausreichend entwickelte Gesellschaft haben wollen. Es muß ein Mittel für diesen Ausdruck gefunden werden. Solange wir keine solche gesellschaftliche Struktur haben, in der sich der Einzelne gleich dem Künstler und Wissenschaftler ausdrücken kann, müssen wir mit Strukturen wie der des Mob rechnen, in denen sich jedermann gegen ein der Gruppe verhaßtes Objekt auszudrücken vermag. Einer der Unterschiede zwischen einer primitiven und einer zivilisierten menschlichen Gesellschaft ist der, daß in der primitiven Gesellschaft die einzelne Identität be-

146 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE züglich ihres Denkens und Verhaltens viel weitgehender vom allgemeinen Muster der organisierten gesellschaftlichen Tätigkeit bestimmt wird, die von der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe abgewickelt wird, als dies in der zivilisierten Gesellschaft der Fall ist. In anderen Worten, die primitive menschliche Gesellschaft bietet viel weniger Raum für Individualität – für originelles, einzigartiges oder schöpferisches Denken und Verhalten seitens der einzelnen Identität in ihr – als die zivilisierte menschliche Gesellschaft. Tatsächlich verdankt sich die Entwicklung der zivilisierten Gesellschaft aus der primitiven weitgehend der fortschreitenden gesellschaftlichen Befreiung der individuellen Identität und ihres Verhaltens, den Veränderungen und Verfeinerungen des gesellschaftlichen Prozesses, die sich daraus ergaben und die durch diese Befreiung ermöglicht wurden. In der primitiven Gesellschaft manifestiert sich Individualität in einem weit größeren Ausmaß als in der zivilisierten Gesellschaft durch die mehr oder weniger perfekte Anpassung an einen gegebenen gesellschaftlichen Typus – an einen bereits in den organisierten Verhaltensweisen der Gesellschaft, in den integrierten Strukturen des gesellschaftlichen Erfahrungs- und Verhaltensprozesses gegebenen Typus, den die jeweilige gesellschaftliche Gruppe entwickelt hat. In der zivilisierten Gesellschaft manifestiert sich die Individualität weit mehr durch die Ablehnung oder die modifizierte Verwirklichung der jeweiligen gesellschaftlichen Typen als durch Konformismus. Sie neigt dazu, viel differenzierter und einzigartiger als in der primitiven Gesellschaft zu sein. Doch selbst in den modernsten und entwickeltsten Spielarten der menschlichen Zivilisation nimmt der Einzelne, wie originell und schöpferisch er in seinem Denken oder Verhalten auch sein mag, immer und notwendigerweise eine definitive Beziehung zum allgemein organisierten Verhaltens- oder Tätigkeitsmuster ein und reflektiert es in der Struktur seiner eigenen Identität oder Persönlichkeit, ein Muster, das den gesellschaftlichen Lebensprozeß manifestiert, in den er eingeschaltet ist und dessen schöpferischer Ausdruck seine Identität oder Persönlichkeit ist. Niemand hat einen Geist, der einfach aus sich selbst heraus funktionierte, isoliert vom gesellschaftlichen Lebensprozeß, aus dem er erwuchs oder sich entwickelte und der ihm somit die organisierten gesellschaftlichen Verhaltensweisen eingeprägt hat.“ (Mead 2002a: 265f)

Ohne Übertreibung stellt Durkheims gesellschaftstheoretischer Entwurf eine Schöpfungsgeschichte dar, die an die monotheistischen Schöpfungsmythen erinnert: Es ist die Freiheit des Einzelnen gegenüber dem einen Schöpfergott, die in Durkheims Entwurf einer ausdifferenzierten Moderne zum Ausdruck kommt. Wo im Falle monotheistischer Religionen dieser Zusammenhang eine interdependente Gleichung mit zwei sich gegenseitig mit Sinn aufladenden Leerstellen darstellt (den einen, ungeteilten Schöpfergott vermag es nur zu geben, wenn ihm Gegenüber ein ebenso ungeteiltes, aber von ihm unterschiedenes – also freies – Subjekt steht (Hersch 1989: 104)), ist Durkheims (freies) Subjekt das Ergebnis einer undurchsichtig gewordenen und von Uneindeutigkeit geprägten sozialen Wirklichkeit. ‚Moderne‘ Gesellschaften erzeugen aufseiten der Akteure die Notwendigkeit, sich einerseits zur Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten ins Verhältnis zu setzen sowie andererseits die ‚organische Solidarität‘ zumindest weitestgehend im Selbst zu verarbeiten.

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„Die individuelle Handlungsautonomie und die Erfüllung sozialer Rollenerwartungen schließen sich [...] nicht gegenseitig aus. Durch die Interpenetration von individuellen Antrieben und sozialen Erwartungen entsteht vielmehr etwas Neues: Persönlichkeit. Rollenhandeln besteht in diesem Fall weder im bloßen Ausführen von Erwartungen anderer noch im bloßen Ausleben von individuellen Antrieben, sondern in der eigenartigen Verknüpfung beider Komponenten in der Persönlichkeit.“ (Münch 1988: 372)

Wenngleich Durkheim in seinem Frühwerk „Arbeitsteilung“ vorrangig den gesellschaftlichen Anteil der Integrationsleistung benennt, also maßgeblich aufgrund von Systemintegration und formalen Mitgliedschaftsreglements, bleibt ein unübersehbarer Rest übrig, der in späteren Arbeiten deutlicher auf die Akteure hinweist (Durkheim 2005: 556ff; vgl. Berger/Luckmann 2003: 54 Fn13). Viel zu selten finden sich in der Sekundärliteratur Verweise auf die letzten Kapitel der „Arbeitsteilung“, in denen Durkheim dieses Verhältnis hier schon nicht nur an-, sondern sehr deutlich ausspricht: „Normalerweise hat der Mensch das Glück, seine Natur zu erfüllen; seine Bedürfnisse stehen in angemessener Beziehung zu seinen Mitteln. Auch im Organismus verlangt jedes Organ nur jene Zuteilung, die seiner Bedeutung entspricht. […] Also hängen die Fortschritte der individuellen Persönlichkeit und die der Arbeitsteilung von ein und derselben Ursache ab. Es ist also unmöglich, die einen ohne die anderen zu wollen. Nun bestreitet heute niemand mehr den verpflichtenden Charakter der Regel, die uns befiehlt, immer mehr zur Person zu werden. […] Die Regeln, die diese Moral konstituieren, sind nicht so zwingend, daß sie jede freie Überprüfung ersticken; vielmehr sind wir ihnen gegenüber freier, weil sie eher für uns und in einem gewissen Sinn von uns gemacht sind.“ (Durkheim 1999a: 445, 475, 478)

Vor allem Durkheims Begriff der ‚Moral‘ verweist auf eine Verschiebung von ursprünglich gesellschaftlich erzeugter und auf Dauer gestellter Integrationsfähigkeit zu einer, die auf individueller Ebene hergestellt werden muss: „Zu Unrecht stellt man also die Gesellschaft, die aus der Gemeinschaftlichkeit des Glaubens entsteht, der Gesellschaft gegenüber, die auf der Zusammenarbeit beruht, indem man nur der ersteren einen moralischen Charakter zubilligt und in der zweiten nur eine wirtschaftliche Gruppierung sieht. In Wirklichkeit hat gerade die Zusammenarbeit ebenfalls ihre eigenständige Moralität.“ Denn: „Dadurch, daß die Arbeitsteilung zur Hauptquelle der sozialen Solidarität wird, wird sie gleichzeitig zur Basis der moralischen Ordnung […].“ (Durkheim 1999a: 285, 471, vgl. 476f; Müller 1992: 52f)

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In den monotheistischen Religionen – also zuallererst im Judentum – die weit zurückreichenden Wurzeln moderner Subjektivität zu sehen, entbehrt vor diesem Hintergrund einer gewissen Berechtigung (vgl. Assmann 2005: 14f; 2003: 154ff). Beide Darstellungen können zwar als Schöpfungsmythen für Subjektivität dargestellt werden, die Subjektkonstitution verläuft jedoch diametral entgegengesetzt: Das dem Monotheismus entspringende Subjekt ist eine fixe Leerstelle innerhalb der Signifikantenstruktur, die als solche unmittelbar mit Sinn aufgeladen werden kann. Das moderne Subjekt ist eine arbiträre, kontingente und damit prekäre Leerstelle, die angesichts ihrer Konstitution defizitär bleiben muss (Luhmann 2008c). Inwieweit das monotheistische Weltbild einen Doppelnullwert aufweist und somit keiner eigentlichen Leerstelle – im Sinne eines frei flottierenden Signifikanten – innerhalb der Signifikantenstruktur bedarf, ist eine spannende Frage, der an anderer Stelle nachgegangen werden sollte. An dieser Stelle muss Plessners Hinweis ausreichen, wonach die rein formal stabile Struktur eines monotheistischen Weltbildes aufgrund der damit einhergehenden, veränderten Zeitvorstellung unterhöhlt wird und zugleich die Voraussetzung für ein neuzeitliches Weltbild, samt Ausdifferenzierung der Wissenschaften und daraus hervorgehender möglicher Problemlagen für den Einzelnen und die Gemeinschaft darstellt. Plessner skizziert auf gut einer Seite seines Aufsatzes „Über die Beziehung der Zeit zum Tode“ (2003) anschaulich, dass die Verbindung zwischen Monotheismus und (moderner) Subjektivität vielmehr gerade hierin zu suchen ist; er plädiert also dafür, dass sosehr eine Verbindung auszumachen ist, diese nicht direkt, sondern vermittelt über die Transformation der Zeit zustande kommt: „Die Entdeckung der linearen Zeit, die ein gerichtetes Grenzbewußtsein möglich macht und alles in das Licht des Einmaligen, Unwiederholbaren taucht, hebt das menschliche Verhalten damit auf eine neue Stufe. Welt und Mensch werden des Andenkens und der bewahrenden Überlieferung durch erinnernde Monumente und Dokumente wert. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sondern sich voneinander. Je tiefer dieses Zeitbewußtsein eine lebendige Gemeinschaft erfaßt, um so mehr wird sie in die Individualisierung ihrer Glieder hineingezogen werden und den Tod als eine Bedrohung empfinden, deren Schwere von Art und Maß der Abgrenzung des Individuums gegen die Welt und in der Kette der Generationenfolge abhängt. Steigerung des Ichbewußtseins, Problematisierung des Todes, Aktualisierung der in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich entfaltenden linearen Zeit gehören also zusammen. Obwohl viele Hochkulturen von der im zyklischen Zeitbewußtsein angelegten Möglichkeit des Übergangs in das eschatologische Zeitbewußtsein ergriffen worden sind, vermochten sie nicht den letzten Schritt zu tun, den Israel in dem Gedanken der creatio ex nihilo, der göttlichen Schöpfung aus dem Nichts, gewagt hat, auf den das christliche Weltverständnis und, in Verbindung mit griechischem Ursachendenken, die schließliche Herausarbeitung des historischen Bewußtseins zurückgehen. Nur hier hat ein Mythus, eine mythische Offenbarung Kräfte entwickelt, die zu einer Entmythisierung geführt haben, deren äußerste Konsequenzen wiederum unser Bewußtsein nicht erträgt, wiewohl es sie heraufbeschworen hat. Der Prozeß der Entmythisierung der

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Zeit, den ich früher einmal auf den verschiedenen Stufen des Verfalls des christlichen Zeitbewußtseins als eine Metamorphose und Auflösung des geschichtlichen Weltbildes beschrieben habe, […] führt in seinem Ergebnis zur Entdeckung einer völlig sinnentleerten Zeit als dem puren Worin möglicher Veränderungen und ihrer Relativierung auf Weisen des Zeitigens. Die heutige Aufsplitterung des Zeitbegriffs nach einzelnen Wissenschaften in die physikalische, biologische, psychologische, historische Zeit, nach menschlichen Dimensionen in die erlebte und die vorgestellte Zeit, nach Kulturgebieten in die ökonomische, religiöse, künstlerische, politische Zeit belegt die völlige Neutralisierung unseres Zeitbewußtseins.“ (Plessner 2003: 228ff)

In Durkheims Entwurf klingt der von Plessner angezeigte Zusammenhang von Ausdifferenzierung, Vereinzelung und Krise deutlich an. Wenngleich Durkheim die Herauslösung des Einzelnen aus dem Kollektivbewusstsein und die Pluralisierung der ‚Wertsphären‘ oder ‚Referenzsysteme‘ erstens als Folge der Arbeitsteilung – und nicht eines monotheistischen Weltbildes – sowie zweitens diesen ‚Umbruch‘ zwar als krisenhaften Zustand beschreibt, der allerdings überwunden werden kann. Plessners knappe Skizze (die viele Parallelen zu Webers Religionssoziologie aufweist) ließe sich gar als Ergänzung zu Durkheims fehlendes Glied lesen, nämlich als mögliche Erklärung für die Umstellung von mechanischer auf organische Solidarität. Diese könnte in der Tat in gewandelten Zeitvorstellungen gesucht werden (vgl. zur Relevanz der Zeit als Ressource für die Neuzeit und Moderne Ropohl 1999: 105; Huber 2008: 276f; Hölscher 1999: 34ff). Die von Talcott Parsons vertretene Konvergenzthese (die als These, deren ‚Vervollständigung‘ einfordert) leuchtet folglich insofern ein, als der Bedingungszusammenhang zwischen den zentralen Größen gesellschaftlicher Entwicklung von Durkheim nicht hinreichend dargestellt wird. Lediglich ein Zusammenhang wird postuliert, der allerdings auf eine zentrale Figur – den modernen Akteur – hinweist, „denn die Arbeitsteilung bleibt die abgeleitete Tatsache, und folglich verdankt sie ihre Fortschritte den parallelen Fortschritten der sozialen Dichte, welches auch immer die Ursachen für diese letzteren sein mögen. Das alleine haben wir beweisen wollen.“ (Durkheim 1999a: 318; vgl. Parsons 1968: 301ff; Münch 1988: 550ff) Durkheims Diagnose moderner Gesellschaften setzt bei der Arbeitsteilung als deren Wesenszug an. Die gesellschaftliche Organisation des Stoffwechsels zwischen sozialen Gruppen und ihrer Umwelt stellt seine Diagnosefolie dar, die es ihm ermöglicht, das Soziale als von den einzelnen Mitgliedern losgelöste Entität zu betrachten und somit maßgeblich als disziplinären Gegenstand zu etablieren. Zugleich stellt er den so konstituierten Gegenstand immer als ein zusammengesetztes Gebilde dar – die Mechanismen und Beschaffenheit der Integration sind das zweite Leitmotiv entlang derer er die Entwicklung und Unterschiede von segmentär zu funktional differenzierten Gesellschaften entwickelt. Dieser Abgrenzungsfolie ist der Zusammen-

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halt, die Solidarität und die daraus abgeleitete Funktionsweise der Integration inhärent: So offenkundig die Systemintegration mit Sozialintegration in segmentär differenzierten Gesellschaften zusammenfällt, so erklärungswürdig wird die Integrationsfähigkeit und -weise funktional differenzierter Gesellschaften. Letztlich muss nicht nur die Sozialintegration von den Akteuren geleistet werden, sondern – deutlich weitreichender – auch die Fähigkeit zur Systemintegration der Gesellschaft durch die Akteure vorbereitet werden. Durkheims Theoriegebäude gründet in dem unthematisierten, aber notwendigen Nullwert des ‚freien Subjektes‘. Das Ganze setzt von ihm losgelöste, unabhängige und selbstständige ‚Teile‘ voraus, um sich weiterhin als nunmehr funktional ausdifferenziertes Gebilde (System) erfolgreich zu seiner Umwelt ins Verhältnis zu setzen – und das heißt in einen selektiven, funktionalen Stoffwechsel mit ihr zu treten. Diese Notwendigkeit entsteht aufgrund der Binnendifferenzierung der Gesellschaft und der inflationären Entstehung systeminterner Umwelten. Durkheims Nullwert-Matrize kann also wie folgt veranschaulicht werden: Abbildung 10: Nullwert-Matrize Durkheim: Das ‚Freie Subjekt‘

Akteur

Soziales

Freies Subjekt

Aus der von Marx entfalteten Sicht hingegen scheinen die Akteure verwickelt in einem ihnen äußerlichen Prozess, der sich erst am ‚Ende‘ der Geschichte zu ihren Gunsten wendet. Diese Lesart hängt maßgeblich mit der Eigentümlichkeit von Marx’ Perspektive und dem Unvermögen als ‚moderne‘ Leserin sich auf diese ‚einzulassen‘ zusammen. Ungeachtet einer (unmöglich anmutenden) Präferenz oder gar Bewertung der einen oder anderen Perspektive, soll hier der Versuch unternommen werden, Marx ‚vormodern‘ und mit Hegel zu lesen, demzufolge im Verhältnis zum Ausgang des dialektischen Aufstiegsprozesses die Akteure je als überbestimmt erscheinen, es faktisch für den je gegebenen Zeitpunkt ihres Handelns aber nicht sind; im Gegenteil, sie befinden sich sogar auf den jeweils höchstmöglichen (und damit relativ zu dem jeweiligen Zeitpunkt: totalen) Grad bewussten und wirkmächtigsten Handelns:

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„Was Hegel über den Menschen als Geist allgemein sagt, gilt auch für den einzelnen Menschen. Durch die Arbeit erwirkt sich dieser ein Selbstbewußtsein. Im Unterschied zur Herrschaft hat der arbeitende Knecht die Möglichkeit, dadurch daß er Gegenstände herstellt und diese nicht verzehrt, sondern ihnen ‚das Element des Bleibens‘ gibt – er hemmt seine ‚Begierde‘ –, sich in diesem Gegenstand ‚zur Anschauung des selbständigen Seins als seiner selbst‘ zu bringen. Mit Hilfe der Arbeit findet er sich selbst ‚durch sich selber‘ wieder. Der Knecht gibt sich einen eigenen Sinn ‚gerade in der Arbeit, worin [...] nur fremder Sinn zu sein schien‘. [G.W.F. Hegel: Werke 3, Phänomenologie des Geistes. Frankfurt/M. 1970, S. 154.]“ (Gebauer 1996: 33; vgl. Hegel 2008b: 65, 586)

Vergleich: Marx und Durkheim

Der wesentliche Unterschied zwischen Marx und Durkheim stellt in dem hier thematisierten Zusammenhang die theoretische Konstruktionslogik dar, von der ausgehend das Verhältnis zwischen Akteur und Sozialem konzipiert und dargestellt wird. In beiden Entwürfen dominiert die gesellschaftliche Wirklichkeit über die Akteure, beide weisen das Soziale als die die Handlungen überragende und bestimmende, emergente Ebene aus. Genauso betonen beide die krisenhaften Momente der im Entstehen begriffenen Moderne. Allerdings führt Durkheim die Akteure – so ohnmächtig sie auch gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen zuweilen dargestellt werden (Durkheim 1999b: 106f) – implizit (und zuweilen auch explizit) als Ergebnis und Motor eben dieses Prozesses ein, wohingegen in Marx’ Theorie diese nicht nur in potentia existieren, darauf wartend, dass sie schlussendlich zu sich selbst kommen, sondern immer (Erkenntnis-)Subjekt und Akteur zugleich sind. Dies kann in Marx’ Entwurf nur gelingen, weil der Standpunkt, von dem diese Einheit konstatiert wird, sich außerhalb dieses Prozesses befindet. „Die Marxsche Lehre von der Selbstentfremdung des Menschen hat bis heute ein Prinzip des Idealismus virulent gehalten, daß der Mensch mit sich identisch werden müsse, weil er es einmal gewesen sei und an dieser Grundfigur des Zusammenfallens von Innen und Außen die Voraussetzung seiner geistig-sittlichen Freiheit besitze. Mit sich eins, zu sich gekommen, für sich selbst geworden: diese Formeln enthalten ebenso einen ethischen Anspruch wie eine theoretische Aussage, einen Appell wie ein Urteil. Ihr Adressat ist der Mensch in seiner möglichen, weil ihm von seiner Grundverfassung her ermöglichten Autonomie: Wahrhafte Aufklärung habe ihre Basis und ihr Maß an dem zur Selbstsicht befähigten Bewußtsein von sich selbst. Der Keim der Identität des Selbstbewußtseins entfaltete sich zur Identitätsphilosophie des jeglichen Gegensatz zwischen Mensch und Welt auflösenden versöhnenden Geistes. Der Versöhnung im Geist folgte die Lehre von der Verwirklichung im Element der Tat und der Gesellschaft. Diese, durch ihre industrielle Umbildung den Menschen immer neuer Bedrohung seiner überlieferten Lebensweisen preisgebende, ihn sich selber entfremdende und entwürdigende gegenständliche Macht, eine zweite, noch unbeherrschte Natur gleichsam, gelte es einzufangen

152 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE und zu vermenschlichen. Diesem Theorem stellen wir den Gedanken vom Doppelgängertum des Menschen entgegen: den Menschen als ein Wesen, das sich nie einholt. Entäußerung bedeutet keine Entfremdung seiner selbst, sondern – unter den heutigen Bedingungen einer hochdifferenzierten Arbeitswelt z. B., welcher die soziologische Funktionsanalyse einer Gesellschaft mehr oder weniger entspricht – die Chance, ganz er selbst zu sein.“ (Plessner 1966a: 31f)

Marx markiert damit vor dem Hintergrund der hier zu entfaltenden These ein Extrem, demzufolge die Gleichgewichtigkeit von Akteur und Technik völlig unproblematisch gelingen kann, da die Qualität des (Erkenntnis-)Subjektes dem Akteur innewohnt, insofern der Akteur gerade als Akteur Teil der Vernunft der Weltgeschichte ist (vgl. Fetscher 1973: 53ff; Fromm 1977: 34f). Die historisch-materialistische Theorie nicht zum Kanon der klassischen soziologischen Theorien zu zählen, kann mitunter gerade hierin eine triftige Rechtfertigung erfahren: Marx Gesellschaftsentwurf wird von einem soziologisch inexistenten (nicht utopischen) Standort aus erzählt. Marx’ Theorie muss folglich eine eigentümliche ‚Struktur-Nullwert-Matrize‘ zugewiesen werden: Abbildung 11: Nullwert-Matrize Marx: Der Weltgeist als ‚irreflexiver‘ bzw. ‚theorieexogener‘ Nullpunkt

Akteur

Erkenntnissubjekt

Soziales

Akteur

Weltgeist

Akteure und Technik als ebenbürtige Größen im gesellschaftlichen Prozess darzustellen und sogar zuletzt ineinander konvergieren zu lassen (Hegel 2008a: 352f), stellt für Marx kein Problem dar, weil der Standpunkt des Beobachters dadurch nicht gefährdet wird und der Status der Akteure als Erkenntnis-Subjekte (ihrer Geschichte) in letzter Konsequenz gesichert ist: Zuletzt löst sich der Dualismus zwischen Akteu-

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ren und Technik respektive Produktionsmittel und Produktivkräfte auf, und die Akteure gehen ‚siegreich‘ aus dem schwierigen Verhältnis zwischen Akteuren und Sozialem (Produktionsverhältnisse) hervor, in dem zuletzt der eigentliche Antagonist (nur noch) die Natur ist (bzw. sein wird). Deren dem Menschen adäquate Umwandlung wird durch einen lang währenden Prozess errungen, in dem die Akteure dem Sozialen (bzw. dem jeweils erreichten Stand der Arbeits-Organisation und Technik zum Zweck dieser Umwandlung) unterlegen sind, wenngleich dieser Antagonismus dem des auf einer anthropologischen Ebene angesiedelten Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur nachgelagert ist. Die Einschätzung bezüglich dieser Figuration wiederholt sich im Prinzip in allen hier diskutierten Klassikern: Karl Marx, Émile Durkheim, Max Weber und George Herbert Mead. In allen diesen Theorieentwürfen findet sich die – in zwar stark abgewandelten Variationen, aber dennoch in einem zentralen Punkt gleich bleibende – Geschichte einer gleichursprünglichen Genesis von Handlungssubjekt (Akteur) und Sozialität, die stets zuungunsten des Akteurs verläuft. Soziales wird zwar durch die Akteure hergestellt, zugleich konstituieren sich diese als Handlungssubjekte ex post auf der Grundlage dieser Schöpfungsgeschichte und enden als gefährdete, zuweilen gar unterjochte, diesem Prozess tendenziell Unterlegene. Der prognostizierte (Marx), in Aussicht gestellte (Durkheim) oder zumindest mögliche (Mead) Ausgang dieser Schöpfungsgeschichten der interdependenten Antagonisten „Akteure“ und „Soziales“ wird bis auf Weber im Prinzip optimistisch eingeschätzt. Webers Position ist bezüglich dieses Verhältnisses die weitreichendste und deshalb konfliktvollste. Wenngleich die von ihm entwickelte Methodologie den Akteur als Handlungssubjekt etabliert, sind seine Untersuchungen hinsichtlich der Konstitution und Stellung des ‚Subjektes‘ dazu völlig inkompatibel. Es sollte insofern strikt unterschieden werden zwischen Webers methodologisch inspirierten Begriffsdefinitionen respektive Kategorien und seinen gesellschaftsdiagnostischen Studien.

4.1.3 Max Weber Eine Theorie der Gesellschaft hat Weber im Gegensatz zu Marx und Durkheim nicht vorgelegt (Tyrell 1994: 390; Hennis 1987a: 67). Selbst Mead, dem es als Sozialbehaviorist nicht vordergründig um die Entwicklung einer Sozialtheorie ging, hat dennoch eine solche, zumindest in Form einer ontogenetischen Grundlegung, noch eher geleistet als Weber. Webers minutiös vorgenommene, terminologische Klärung, die oft vereinfachend als ‚Handlungstheorie‘ bezeichnet wird, kann nicht schlechterdings als Sozialtheorie gelten und ist vielmehr ein vorrangig der Methodologie geschuldetes Vorhaben (Kneer 1996: 13ff). In dieser Hinsicht ist der Versuch über die Suche

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nach einer das Werk Webers zusammenhaltenden ‚Fragestellung‘ als zentrales Erkenntnisinteresse eine geeignete Vorgehensweise, um aus der Vielzahl an Studien und Fragmenten von Webers Schaffen ein sozialtheoretisches Hauptmotiv destillieren zu können. Im Gegensatz zu den frühen Texten Schluchters begreift Wilhelm Hennis die ‚Lebensführung‘, und nicht die – wie gemeinhin angenommen und dargestellt – Rationalisierung respektive deren Prozess, als zentrales Leitmotiv von Webers Schaffen (Hennis 1987b). Das Konzept der Lebensführung in Webers Gesellschaftsdiagnosen

Die Fokussierung auf Webers Begriff bzw. Konzept der ‚Lebensführung‘ eignet sich – ohne damit eine Position hinsichtlich der Hennis versus Schluchter Debatte einnehmen zu wollen (Hennis 1987b: III), die ohnehin nicht mehr zeitgemäß wäre, da Schluchter sich dem Thema der Lebensführung im Fortgang seiner Weberforschung ausgiebig und kaum von Hennis Position abweichend gewidmet hat (vgl. Schluchter 1988; 1994) – um Webers Verständnis des Akteurs und dessen Verhältnis zum Sozialen nachzuzeichnen. Webers methodologisch motiviertes ‚Akteurmodell‘ weicht zwar nicht unerheblich davon ab, kann dennoch als sinnvolles Derivat rekonstruiert werden. Weber konzeptualisiert die moderne Lebensführung als Effekt einer notwendig gewordenen Vermittlung zwischen Innen und Außen bzw. Akteur und Sozialem (vgl. Hennis 1987a: 67; Schluchter 1994: 703; Heins 1990: 121 Fn108, 147; 1997: 27f; Weber 1988b: 49ff; 1987: 164f, 170ff; 1990: 236ff; 1988c: 12); insofern argumentiert Weber in dieser Hinsicht implizit differenztheoretisch. Den aufgrund dieser Vermittlung ‚entstandenen‘ modernen Akteur glaubt er, mit einem Akteurmodell am ehesten gerecht werden zu können, welches den Modus dieser Bewältigung reflektiert. Zugleich konstatiert Weber freilich eine zunehmende Orientierung an formaler Rationalität und folglich weist er seinem Akteurmodell eine vornehmlich auf (Zweck-)Rationalität geeichte Handlungskompetenz zu. Darüber hinausgehend baut seine Handlungstypologie auf das Primat der Zweckrationalität auf, worauf Joas kritisch hinweist (1999: 292; vgl. Schluchter 1979: 191f). Ohne kritischen Impetus, aber zum gleichen Ergebnis gelangt auch Döbert, der mit Schluchters Einschätzung konform geht, dass diese „Grundstruktur […] die gesamte Webersche materiale Soziologie“ (Döbert 1989: 246) durchzieht. Die terminologisch so fein vorgenommene Justierung eben dieser Aspekte, also eines Akteurs, der sich über Handlungszurechnung und Orientierung an Rationalität beschreiben lässt, ist der methodologische Ausdruck einer sich hauptsächlich in der oben genannten Vermittlungsleistung verdichtenden, diagnostizierten gesellschaftlichen Wirklichkeit, die sich durch den Akteur ihre Bahn schlägt und vor allem hier manifestiert. Der moderne Akteur wird somit zum Kernelement der Wirklichkeitskonstitution des Sozialen schlechthin, an dem das abgelesen wird, was als ‚Gesellschaft‘ bezeichnet werden kann.

4. T HEORIETECHNIKEN | 155

Webers theoretische Stoßrichtung verläuft demnach genau umgekehrt zu der Parsons’: Wo dieser bei der Handlung (und zu großen Teilen dabei gerade an Webers Handlungsmodell) ansetzt und zur Dominanz der Systemebene gelangt, beschreibt jener eine fortschreitende Institutionalisierung, deren Grundlage eine Orientierung an Zweckrationalität als kulturellen Wert darstellt, die erst infolge ihrer faktischen Wirkungen zu einer Individuierung (Vereinzelung) führt (Habermas 2006a: 303, 335; 2008). Weshalb Colemans Kritik an Webers Protestantismusthese ins Leere läuft: Weber stellt die Orientierung an Rationalität weder als ‚anthropologische Konstante‘ noch als ‚ahistorische methodologische Prämisse‘ dar, vielmehr wird diese als kultureller Wert aufgefasst, der in Form ‚geronnener‘ sozialer Wirklichkeit rückwirkend das Handeln der Akteure zunehmend bestimmt – wohingegen Coleman die Akteure von vornherein als rational Handelnde auffasst (Coleman 1991: 7ff). Die Fokussierung des Akteurs in Webers Kategorienlehre ist Ausdruck einer Methodologie, die diesen historischen Entwicklungen gesellschaftlicher Wirklichkeit Rechnung trägt, und nicht umgekehrt das Credo einer individualistischen, ahistorischen Sozialtheorieauffassung, die sich allerdings hinsichtlich Webers Hauptbeitrag für die Soziologie ‚schulbildend‘ etabliert hat (Vanberg 1975: 101ff). Das in der Protestantismusthese geschilderte Umschlagen vom Wollen des Puritaners zum Müssen des modernen Akteurs in okzidentalen Gesellschaften beschreibt die Entstehungsgeschichte von Lebensführung, die zugleich die Genese des modernen Akteurs impliziert: „Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanischmaschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist.“ (Weber 1988b: 203)

Der Puritaner kann freilich auch als Akteur beschrieben werden, genauso lässt sich problemlos eine puritanische Lebensführung beobachten, diese ist jedoch für den Puritaner weder verhandelbar noch wird sie aufgrund dessen von diesem als grundsätzlich gestaltbar wahrgenommen. Im Puritaner fallen in Webers – teilweise überzeichneter – Darstellung ‚letztmalig‘ Innen und Außen zusammen. Erst der Nicht-Puritaner nimmt das Leben in einer vom modernen Kapitalismus durchdrungenen Gesellschaft als ein Außen wahr, das einer herzustellenden Entsprechung bedarf (vgl. Schluchter 1994: 703f). Der moderne Akteur unterscheidet sich demzufolge nicht bloß graduell von dem ‚vormodernen‘, sondern prinzipiell. Analog dazu trifft dies auch auf die Makroebene,

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die Gesellschaft, zu: Das In-Erscheinung-Treten der Lebensführung als gestaltbare Lebensaufgabe lässt erst den Akteur als dem Sozialen entgegengesetzte Größe entstehen, und gleichursprünglich das Soziale als dessen Gegenüber. Der moderne Akteur, dessen definitorisches Merkmal die Notwendigkeit zur Gestaltung seiner Lebensführung darstellt, ist zugleich Ausdruck einer grundsätzlich neuen Form des Sozialen. Webers Handlungsbegriff lässt sich gewinnbringend auf sein Akteurmodell übertragen, wenn dieses ko-konstitutive Verhältnis mitgedacht wird. So lässt sich der Übergang vom Puritaner zum modernen Akteur als Umschlag der Handlungsorientierung von Wert- zu Zweckrationalität beschreiben. Für das Entstehen der spezifisch modernen ‚Lebensführung‘ aus diesem Prozess heraus, ist die Variabilität der Zwecke im Rahmen einer zweckrationalen, im Gegensatz zu einer wertrationalen, Orientierung maßgebend. Wenn die einer – im Prinzip – jeden Handlung abverlangten Zweck-Mittel-Abwägung zuungunsten der Zwecke verläuft, steht der gesamte Handlungsplan auf dem Spiel. Der Akteur muss sich demzufolge immer wieder neu positionieren, und entsteht als (moderner) Akteur aus dieser Bewegung heraus bzw. aus dem so entstandenen ‚Handlungsraum‘. Die Genese des modernen Akteurs bleibt jedoch unvollständig und letztlich unverständlich, wenn nicht die zunehmende Orientierung an formaler Rationalität auf der Systemebene mitgedacht wird. Heintz macht in Anlehnung an Döbert auf die wichtige Unterscheidung zwischen praktischer und formaler Rationalität aufmerksam (Heintz 1993: 159f; Döbert 1989). Erst die Dominanz formaler Rationalität und die damit einhergehende Umwandlung der Systemebene, erlaubt es, die Orientierung an Zweckrationalität auf der Akteurebene mit dem Konzept der Lebensführung in einen direkten Zusammenhang zu bringen. Auf der Ebene praktischer Rationalität lassen sich Handlungspläne mit den Vorzeichen von Zweckrationalität beschreiben, die insgesamt einer wertrationalen Orientierung subsumiert werden können. Wohingegen erst die Konfrontation mit formaler Rationalität auf der Systemebene dem Akteur eine grundsätzliche Neuausrichtung an verhandelbaren Zwecken abverlangt, die zur Ausbildung einer ebenso verhandelbaren Lebensführung führt. Die Dialektik zwischen effizienzsteigender, bürokratischer Verwaltung und eingeschränkter Entfaltungsmöglichkeit der Akteure ist kein den Akteuren äußerlicher Prozess, der ihnen somit zur Disposition steht (Schluchter 1985: 13). Vielmehr sind die Akteure in Webers Darstellungen als Ausdruck und Ergebnis dieser Dialektik zutiefst in ihr verwickelt (vgl. Habermas 2000 Replik auf Marcuse 1965). Ihre Existenz ist somit nicht nur unauflöslich mit der Unterordnung unter dieser Vermittlungsleistung verknüpft, Webers Akteur ist vielmehr diese Vermittlung bzw. dieser Vermittlungsleistung geschuldet. Webers Verständnis der Genese des modernen Akteurs kommt dem (kritischen) Verständnis des bürgerlichen Subjektes als geronnene Semantik eines dynamischen Prozesses von Subjektivation sehr nahe (Butler 2010). Was dem so figurierten modernen Akteur bleibt, ist die Ein-

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sicht in die konstitutiv-tragische Situation seines Daseins, die an Camus existenzialistisches Essay „Der Mythos von Sisyphos“ (1959) erinnert. Webers Matrize weist folglich das ‚Vermittlungs-Subjekt‘ als deren Nullwert auf: Abbildung 12: Nullwert-Matrize Weber: Das ‚Vermittelnde Subjekt‘

Akteur

Soziales

Vermittelndes Subjekt Vergleich: Weber und Luhmann zu Wissenschaft und Moderne

Hartmann Tyrell stellt zurecht fest, dass „Max Webers Erkenntnisinteresse […] vorrangig auf die kulturelle Eigenart der okzidentalen Moderne [zielte], als, wenn man (mit Luhmann) so will, auf die Bestimmung des Modernen an der modernen Gesellschaft.“ (Tyrell 1994: 395) Und fügt dem hinzu, dass Luhmanns Antwort „von der Webers nicht weit entfernt“ (Tyrell 1994: 395 Fn19) sei, und verweist auf die letzten Abschnitte von Luhmanns „Wissenschaft der Gesellschaft“ (Luhmann 1994). Damit deutet Tyrell eine Parallelisierung der zwei Diagnosen an, die über die jeweiligen Beschreibungen der modernen Wissenschaft verläuft, und dem, was sich darin über die spezifischen Momente moderner (abendländischer) Gesellschaften finden und aussagen lässt. In Webers Beschreibungen der modernen Wissenschaften kondensiert der Zusammenhang von Akteur und moderner Gesellschaft in der Lebensführung zu dessen manifester emergenter Folge; und in der Tat sind die Parallelen zu Luhmanns Darstellung sowie Folgerungen – für jenen wie diesen – deutlich ausgeprägt. Da dieser Vergleich nicht nur von erheblicher Bedeutung für die hier vorgeschlagene Lesart Webers, sondern ebenso für die der funktional-strukturellen Systemtheorie sind, sollen einige Passagen ausführlich zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. In Webers Definition von „Intellektualisierung“, „Rationalisierung“ und „Entzauberung“ kommt das oben skizzierte, interdependente Verhältnis zwischen modernen Akteuren und modernen gesellschaftlichen Verhältnissen zum Vorschein sowie dessen Konsequenzen für die in diesem Bedingungsverhältnis verwickelten Akteure, das im Folgenden durch einen Vergleich mit Luhmanns Darstellungen weiter entfaltet werden soll:

158 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Machen wir uns zunächst klar, was denn eigentlich diese intellektualistische Rationalisierung durch Wissenschaft und wissenschaftlich orientierte Technik praktisch bedeutet. Etwa, dass wir heute, jeder z. B., der hier im Saale sitzt, eine größere Kenntnis der Lebensbedingungen hat, unter denen er existiert, als ein Indianer oder ein Hottentotte? Schwerlich. Wer von uns auf der Straßenbahn fährt, hat – wenn er nicht Fachphysiker ist – keine Ahnung, wie sie das macht, sich in Bewegung zu setzen. Er braucht auch nichts davon zu wissen. Es genügt ihm, dass er auf das Verhalten des Straßenbahnwagens ‚rechnen‘ kann, er orientiert sein Verhalten daran; aber wie man eine Trambahn so herstellt, dass sie sich bewegt, davon weiß er nichts. Der Wilde weiß das von seinen Werkzeugen ungleich besser. Wenn wir heute Geld ausgeben, so wette ich, dass, sogar wenn nationalökonomische Fachkollegen im Saale sind, fast jeder eine andere Antwort bereit halten wird auf die Frage: Wie macht das Geld es, dass man dafür etwas – bald viel, bald wenig – kaufen kann? Wie der Wilde es macht, um zu seiner täglichen Nahrung zu kommen, und welche Institutionen ihm dabei dienen, das weiß er. Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: dass man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das. Dies vor allem bedeutet die Intellektualisierung als solche.“ (Weber 1994: 9, vgl. Weber 1988d: 473f)

In Luhmanns Darstellung werden ganz ähnliche Punkte herausgestellt, wenngleich anders gewichtet, thematisiert und bezeichnet. Zunächst einmal stellt auch er einerseits die Simplifikation als Hauptleistung und definitorisches Merkmal der Technisierung (Weber: Intellektualisierung) dar sowie andererseits das (in Webers Zitat implizit enthaltene) eigentümliche Verhältnis der Wissenschaft zur Technik (Luhmann 1994: 711ff). Im Begriff der ‚Technisierung‘, den Luhmann mit Verweis auf Husserls Krisis-Schrift im Jahr 1975 in die Soziologie einführt, verdichtet sich das techniksoziologische Verständnis der Moderne, dem zugleich (anders als deren philosophische Vor- und Nebenläufer) das Verhältnis der Wissenschaft zur Technik bzw. das von einigen Autorinnen konstatierte, spätmoderne Phänomen der ‚Technikwissenschaften‘ subsumiert werden kann (Luhmann 2003: 71; Husserl 1992a: 45f). Habermas’ Verwendung des Begriffes betont die handlungstheoretischen Elemente des Konzeptes, die sich in Webers Darstellungen ganz ähnlich wiederfinden lassen: „Technisiert sind Handlungen und Kommunikationsabläufe, die nach einer Regel oder einem Algorithmus beliebig wiederholt und automatisiert, d. h. von der expliziten Aufnahme und Formulierung des erforderlichen intuitiven Wissens entlastet werden können.“ (Habermas 2006b: 241 Fn44)

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In Webers Begriff der Intellektualisierung wird vordergründig die Antinomie von Leistung und Einsicht (Schulz-Schaeffer 2000: 44ff; Blumenberg 1981b: 51) hinsichtlich der Materialisierung von ‚Blackboxing‘-Prozessen als technische Artefakte und dem Verhältnis der Akteure zu diesen bezogen, das allerdings in Konkordanz zu seinem Handlungsbegriff steht und zu einem umfassenden Bild von Technisierung als Charakteristikum der Moderne führt, insofern eine Handlungs-Orientierung an technischen Artefakten als ‚rational‘ gilt (Weber 1988d: 473). Technisierung: Blumenbergs Kritik an Husserl als Rekonfiguration des Subjektbegriffes (von Husserl über Heidegger und Marcuse zu Blumenberg und Weber)

Blumenbergs Neuauflage von Husserls Begriff der Technisierung scheint auf den ersten Blick die grundsätzliche Kritik Husserls abzumildern. Genau betrachtet fällt sie jedoch – wie bereits weiter oben angedeutet – deutlich schärfer aus, da Husserl – worauf Luhmann hinweist und in Habermas’ Verwendungsweise des Begriffes weiterhin anklingt (Luhmann 2009c: 51) – vom klassischen Erkenntnissubjekt und einer einheitstheoretisch gedachten, subjektiven Einstellung zur Welt ausgeht, wohingegen Blumenberg die Sichtweise anthropologisch ausweitet und zu einer Dekonstruktion des klassischen Subjektbegriffes gelangt, da jegliche Natürlichkeit des Menschen in Abrede gestellt wird (Blumenberg 1981a: 114f). Damit dekonstruiert Blumenberg aber auch die Anthropologie als Wissenschaft vom Menschen, insofern es immer nur um vergesellschaftete Akteure gehen kann, die eine eindeutige Subjekt-Objekt Opposition unmöglich werden lässt. Wenngleich sich die Hauptkritik in Husserls Krisis-Schrift gegen eine besondere Form der ‚Verwissenschaftlichung der Welt‘ richtet, stellt er in diesem Zusammenhang zwei Aspekte dar, die bei der Umwandlung des Technisierungsbegriffs durch Blumenberg und Verwendungsweisen innerhalb (technik)soziologischer Theorien instruktiv sind. Zunächst betont Husserl den größer werdenden Abstand zwischen wissenschaftlich erzeugtem Wissen und Lebenswelt bzw. einer Form von Wissen, zu der Akteure sich unmittelbar ins Verhältnis setzen können, außerdem unterstreicht er die allgemeine Orientierung der Produktion wissenschaftlichen Wissens an deren Verwertung bzw. praktischem Nutzen (Husserl 1992a: 49ff, 56f). Diese Aspekte hinsichtlich einer Bestimmung der Neuzeit und insbesondere der Moderne als ein Zeitalter, das von dem Modus der Natur- bzw. Objekt-Beherrschung geprägt ist – samt der erkenntnistheoretisch allgemeinen Hauptausrichtung der Husserlschen Kritik, die maßgeblich über eine Subjekt-Objekt Figuration verläuft – ziehen sich wie ein roter Faden durch die philosophische Besinnung Heideggers (Heidegger 2007; 1980b; 1989). Die naturwissenschaftlichen Verfahren klammern dabei alles nicht ‚Berechenbare‘ (in doppelter Hinsicht: rechenmäßig Erfass- und Vorhersagbare) aus und versetzen das Subjekt damit in die souveräne Position, sich ein Bild

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von der Welt machen zu können (Heidegger 1980b; vgl. Horkheimer/Adorno 1997: 19ff). Um jedoch auf diese Weise in der ‚Eindimensionalität‘ eines rechenhaften Erschließens, Planens, Vorhersagens und Verwertens den Zugang zum ‚Sein‘ zu verlieren (vgl. Marcuse 1968: 18, 172f; Althaus 1989: 111f; Knoblauch 2005: 116). In dem dazu in beeindruckender Weise anschlussfähigen Aufsatz des Kunsthistorikers Erwin Panofsky „Die Perspektive als symbolische Form“ (1980) wird dargelegt, dass die in der Renaissance aufkommende Zentralperspektive eben dieser neuzeitlichen Orientierung geschuldet ist, die folglich – wissenssoziologisch nicht überraschend – selbst in den ‚freien‘ Künsten ihren Niederschlag findet (vgl. Esposito 1998: 271ff). In der Weberschen Trias von Rationalisierung, Intellektualisierung und Entzauberung klingen all diese Aspekte an, wenngleich das ‚Subjekt‘ ausgeklammert wird; es wird vielmehr als Ausschlusskategorie dargestellt. Zugleich kann diese frühe Aufstellung durch Weber exemplarisch für eine genuin soziologische Verwendungsweise des Phänomens der Technisierung angesehen werden, die (in der Regel) ohne einen kritischen Impetus davon Gebrauch macht, da eine monadische Subjektkategorie innerhalb einer soziologischen Betrachtung schwer vorstellbar ist. Das Bemerkenswerte an Blumenbergs Reformulierung ist allerdings weniger die Feststellung, dass diese Form von Wissensproduktion und damit einhergehender Technisierung der Preis ist, den die Moderne zahlen muss, um in den Genuss technischen Fortschritts zu kommen und einen höheren Lebensstandard zu erreichen: „Die Trennung von Philosophie und Wissenschaft – und zwar kraft der philosophischen Idee von Wissenschaft – war der Übergang zur Technisierung in jenem zu aller vorherigen Technik des Menschen heterogenen neuzeitlichen Sinne. Aber diese Trennung war notwendig und legitim. Hierin formiert sich die Kritik an Husserls Position. Der Sinnverlust, von dem Husserl gesprochen hat, ist in Wahrheit ein in der Konsequenz des theoretischen Anspruches selbst auferlegter Sinnverzicht. Man kann nicht vom ‚Werden zum Menschentum unendlicher Aufgaben‘ schwärmen […] und gleichzeitig den Preis für dieses Werden verweigern.“ (Blumenberg 1981b: 42, vgl. 31f, 34f, 37f)

Stattdessen liegt in der Ablehnung der Husserlschen Apodiktik, es gebe den Menschen als Subjekt, eine gewinnbringende Anschlussfähigkeit, die aufgegriffen werden sollte. Genau genommen schlägt Blumenberg keine Reformulierung oder Nachjustierung des Husserlschen Begriffs der Technisierung, sondern eine radikale Neuauflage dieses Konzeptes vor, da Technisierung von Blumenberg als ein Wesensmerkmal der conditio humana dargestellt wird (Blumenberg 1981a: 114f, 134).

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Technisierung: Luhmann, Weber und die Verschiebung des Nullwertes

Die techniksoziologische Theorietradition übernimmt maßgeblich den durch Luhmann eingeführten Begriff der Technisierung und stattet diesen mit Blumenbergs Charakterisierung – ohne dessen anthropologischer Wendung und Fundamentalkritik – weiter aus (vgl. Rammert 1998b: 303f; Schulz-Schaeffer 2000: 44ff): „Steigerungen nehmen unter diesen Voraussetzungen die Form von Technik an. Das Wesen des Technischen sehen wir – wiederum im Anschluß an Husserl, aber ohne dessen Abwertung vom Standpunkt transzendentaler Denkmöglichkeiten aus nachzuvollziehen […] – in der Entlastung sinnverarbeitender Prozesse des Erlebens und Handelns von der Aufnahme, Formulierung und kommunikativen Explikation aller Sinnbezüge, die impliziert sind. Im Grenzfall erreicht die Technik die Form einer Automatisierung und Kalkülisierung der Informationsverarbeitung, eines Operierens mit idealisierten Einheiten, ohne daß zugleich mit den Operationen deren weitläufiger Sinn bedacht werden müßte. Technisierung ermöglicht eine selektive Bearbeitung sehr komplexer Sachverhalte und damit eine Neuorganisation der Möglichkeiten der Welt, die mit den Grenzen des Bewußtseins und dem Status der Welt als Lebenswelt kompatibel bleibt. Dieser Technik-Begriff ist soziologisch sehr viel breiter gelagert als der Begriff der Maschinentechnik; er ist daher zunächst auch sehr viel unbestimmter, was Korrelationen mit anderen gesellschaftsstrukturellen Variablen angeht. Er suggeriert nicht so direkt wie die Maschinentechnik als primäre Faktoren des gesellschaftlichen Wandels Arbeitsorganisation, Naturbeherrschung, Produktionsverhältnisse, Wirtschaftsverfassung, Klassenherrschaft (ohne solche Momente auszuschließen). Er hat dadurch einen für das Gesellschaftssystem als ganzes adäquaten Umfang. Man kann annehmen, daß höhere Stufen der Technisierung der Gesellschaft alle Funktionsbereiche unmittelbar tangieren.“ (Luhmann 2003: 71)

Damit weist Technisierung die Züge eines trojanischen Pferdes auf, das einen Subjekt-Objekt Kern in die soziologische Verwendungsweise mitführt, nachdem deren kritische Spitze gebrochen worden ist. Dies geschieht paradoxerweise gerade aufgrund der Loslosung von der klassischen Subjekt-Objekt Opposition. Die Übergänge hierzu sind fließend; so stellt das Blackboxing von Wissen eine unweigerliche Folge funktionaler Ausdifferenzierung, daran gekoppelter Spezialisierung und Auftrennung von Herstellungs- und Verwendungskontexten dar und ist somit tief in die soziologische Diagnosefolie von Modernität eingelassen. Technisierung wird hierbei grundsätzlich als Blackboxing verstanden, als Entlastung des erforderlichen Wissens für die erfolgreiche Erreichung eines Handlungszieles durch Technik. Insofern hat Latour recht und unrecht zugleich, wenn er behauptet wir seien nie modern gewesen (Latour 2002b): Das inflationäre Blackboxing verbindet das Soziale deutlich stärker und auf vielfältigere Weisen mit der Natur, als es ehemals – in We-

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bers Darstellung: bei den ‚Indianern oder Hottentotten‘ – der Fall war. Der Zusammenhang ist nur verschleiert bzw. unsichtbar. Einerseits ist dieser Sachverhalt allerdings nichts Neues, er kommt im Begriff der Intellektualisierung und später Technisierung bereits Anfang des 20.Jh. deutlich zum Vorschein. Darüber hinaus hat Latour aber insofern unrecht, als gerade hierin, also im Blackboxing, gemäß diesen Darstellungen einhellig das Charakteristikum der Moderne liegt; die kritische oder neutral konstatierte Entsagung und größer werdende Entfernung zum benötigten Wissen über die Natur drückt zugleich ein Ausgeliefertsein gegenüber oder (neutraler) ein Abhängigkeitsverhältnis von den Artefakten, die zum ‚Handeln‘ verwendet und benötigt werden, und dem Wissen der Experten aus. Wichtiger ist allerdings die widersprüchliche Fährte, auf die sich die AkteurNetzwerk-Theorie damit bringt. Gerade in der Betonung des Blackboxings und der darin begründeten Verschleierung der Verflechtung zwischen den Aktanten wird die Trennung zwischen Akteuren und Artefakten (oder Naturobjekten) aufrechterhalten. Das Symmetrieprinzip hält die Trennung vehement aufrecht, die sie überwinden möchte, indem auf die Intransparenz der Verflechtung hingewiesen und diese permanent einseitig dechiffriert wird. Das Dechiffrieren führt ständig Akteure und Artefakte zutage. Der Netzwerkgedanke als solcher führt nicht zu einer Symmetrierung der Elemente, solange diese klassifiziert werden können und von der Akteur-Netzwerk-Theorie beständig vorgeführt werden – gleichsam als Beweis, dass es keinen Unterschied zwischen den Elementen gäbe. Die Akteur-Netzwerk-Theorie wendet das Phänomen des Blackboxings konsequent nur einseitig auf die Seite der Artefakte an; innerhalb der konstatierten und dekonstruierten Netzwerke kommen Akteure in der Regel als Einzelelemente vor und behalten damit nichtsdestotrotz einen ausgezeichneten Status bei. Blumenbergs Hinweis folgend, sollten die Akteure ebenfalls als Blackbox konzipiert werden; allerdings nicht im Sinne der neueren Systemtheorie als psychische Systeme, die in der Umwelt sozialer Systeme als intransparente, nicht-triviale Maschinen konzipiert werden, sondern als Akteure, die aufgrund ihrer Eigenschaft soziale Akteure zu sein, zugleich und vor allem Träger von Technisierung sind. Luhmanns Darstellungen lassen sich vor dem auf den letzten Seiten entfalteten Hintergrund in der Tat in vielerlei Hinsicht mit Webers parallelisieren. Hierin kommt das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Subjekt, sozialem Akteur und (Blumenbergs ‚halbierter‘) Technisierungsbegriff (als ‚trojanisches Pferd‘ hinsichtlich der hochproblematischen Unterscheidbarkeit zwischen Subjekt und Akteur) zum Vorschein: „In einer solchen Kritik geht es um die Form der modernen Wissenschaft, das heißt: um die Differenz, die es macht, daß es sie gibt. Wir lassen die oft zu hörende Klage, daß die Wissenschaft dem Kapitalismus diene (und lieber dem Sozialismus dienen solle) beiseite, weil sie gesellschaftstheoretisch nur unzureichend artikuliert ist. Es gibt jedoch noch eine andere, ins

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Zentrum zielende modernitätskritische Beschreibung der Wissenschaft. Sie zielt auf eine einseitige Neigung zur Formalisierung, Idealisierung, Technisierung, Rechenhaftigkeit etc. In diesem Sinne hat Edmund Husserl, wie oben bereits erörtert […], von einer Krisis der modernen Wissenschaften gesprochen. […] Hier geht es nicht um die Wissenschaftsabhängigkeit der Technik, sondern um die Technikabhängigkeit der Wissenschaft; und dies nicht im Sinne der etwas simplen ‚Finalisierungsdebatte‘, die nur auf Ziele abstellt, sondern darum, daß Wissenschaft Technik als eigene Form akzeptiert. Wir lassen ganz offen, ob etwas zu tadeln, zu verbessern oder abzuwenden ist, und fragen nur: Inwiefern ist Technisierung (wir bleiben bei diesem Wort) eine Form? Und wenn, was ist die andere Seite dieser Form?“ (Luhmann 1994: 711)

Die andere Seite der Form ‚Wissenschaft‘ wird ebenfalls in starker Analogie zu Weber dargestellt, und zwar nicht nur hinsichtlich der damit zusammenhängenden Folgen für den Akteur, sondern auch – und das mag überraschen – bezüglich der daraus abgeleiteten ‚Unausweichlichkeit‘ einer so konstatierten gesellschaftlichen Wirklichkeit als spezifisch moderne: „Nun ist aber die technisierende Abstraktion ihrerseits ein Mittel der Gewinnung und Sicherung von Konsens unter Weglassen all dessen, was auf verschiedene Wege leiten könnte; und dazu gehört insbesondere die Konkretausstattung des Einzelmenschen mit Einstellungen, Interessen, Motiven, Präferenzen – kurz: mit einem lebenden Gedächtnis.“ (Luhmann 1994: 712)

In Webers viel zitierter Schlusspassage seiner Rede „Wissenschaft als Beruf“ tritt der Ausschluss ‚individueller Lebenswirklichkeit‘ mindestens ebenso klar in Erscheinung, wenngleich Weber diesen offensichtlich ungleich ‚tragischer‘ als ‚Verlust‘ wahrnimmt und im Bereich engster Verbünde – die an Luhmanns Thematisierung von Vollinklusion in familiären Kontexten erinnert (Luhmann 2005d: 199) – zu retten versucht (vgl. Kaesler 2003): „Es ist das Schicksal unserer Zeit, mit der ihr eigenen Rationalisierung und Intellektualisierung, vor allem: Entzauberung der Welt, daß gerade die letzten und sublimsten Werte zurückgetreten sind aus der Öffentlichkeit, entweder in das hinterweltliche Reich mystischen Lebens oder in die Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der einzelnen zueinander. Es ist weder zufällig, dass unsere höchste Kunst eine intime und keine monumentale ist, noch daß heute nur innerhalb der kleinsten Gemeinschaftskreise, von Mensch zu Mensch, im pianissimo, jenes Etwas pulsiert, das dem entspricht, was früher als prophetisches Pneuma in stürmischem Feuer durch die großen Gemeinden ging und sie zusammenschweißte. Versuchen wir, monumentale Kunstgesinnung zu erzwingen und zu ‚erfinden‘, dann entsteht ein so jämmerliches Mißgebilde wie in den vielen Denkmälern der letzten 20 Jahre. Versucht man religiöse Neubildungen zu ergrübeln ohne neue, echte Prophetie, so entsteht im innerlichen Sinn etwas Ähnliches, was noch übler wirken muß. Und die Kathederprophetie wird vollends nur fanatische Sekten, aber nie eine echte Gemeinschaft schaffen. Wer dies Schicksal der Zeit nicht männlich ertragen kann, dem

164 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE muß man sagen: Er kehre lieber, schweigend, ohne die übliche öffentliche Renegatenreklame, sondern schlicht und einfach, in die weit und erbarmend geöffneten Arme der alten Kirchen zurück. Sie machen es ihm ja nicht schwer. Irgendwie hat er dabei – das ist unvermeidlich – das ‚Opfer des Intellektes‘ zu bringen, so oder so. Wir werden ihn darum nicht schelten, wenn er es wirklich vermag. Denn ein solches Opfer des Intellekts zugunsten einer bedingungslosen religiösen Hingabe ist sittlich immerhin doch etwas anderes als jene Umgehung der schlichten intellektuellen Rechtschaffenheitspflicht, die eintritt, wenn man sich selbst nicht klar zu werden den Mut hat über die eigene letzte Stellungnahme, sondern diese Pflicht durch schwächliche Relativierung sich erleichtert. Und mir steht sie auch höher als jene Kathederprophetie, die sich darüber nicht klar ist, daß innerhalb der Räume des Hörsaals nun einmal keine andere Tugend gilt als eben: schlichte intellektuelle Rechtschaffenheit. Sie aber gebietet uns, festzustellen, daß heute für alle jene vielen, die auf neue Propheten und Heilande harren, die Lage die gleiche ist, wie sie aus jenem schönen, unter die Jesaja-Orakel aufgenommenen edomitischen Wächterlied in der Exilszeit klingt: ‚Es kommt ein Ruf aus Seir in Edom: Wächter, wie lang noch die Nacht? Der Wächter spricht: Es kommt der Morgen, aber noch ist es Nacht. Wenn ihr fragen wollt, kommt ein ander Mal wieder.‘ Das Volk, dem das gesagt wurde, hat gefragt und geharrt durch weit mehr als zwei Jahrtausende, und wir kennen sein erschütterndes Schicksal. Daraus wollen wir die Lehre ziehen: daß es mit dem Sehnen und Harren allein nicht getan ist, und es anders machen: an unsere Arbeit gehen und der ‚Forderung des Tages‘ gerecht werden – menschlich sowohl wie beruflich. Die aber ist schlicht und einfach, wenn jeder den Dämon findet und ihm gehorcht, der seines Lebens Fäden hält.“ (Weber 1994: 22f)

Zwei Aspekte treten hier zum Vorschein: zunächst die Ausschlussbewegung des Subjektes als, zweitens, unausweichliche Folge ‚moderner Lebenswirklichkeit‘. Das Individuum bzw. „die Konkretausstattung des Einzelmenschen mit Einstellungen, Interessen, Motiven, Präferenzen – kurz: mit einem lebenden Gedächtnis“ (Luhmann 1994: 712) wird verdrängt bzw. muss sich in den Bereich äußerster Privatheit zurückziehen und der Unausweichlichkeit einer den Prinzipien der Technisierung durchdrungenen Moderne weichen. Diese ‚Unbedingtheit‘ der Verhältnisse wird von Luhmann, zwar radikalkonstruktivistisch ungleich reflektierter, aber dennoch mindestens genauso ‚dramatisch‘ dargestellt: „Damit sind wir an dem Punkte angelangt, an dem die Bedeutung des Beobachtens zweiter Ordnung deutlich wird. Sie tritt in der Architektur der Theorie, aber auch im Selbstverständnis der Moderne, an die Stelle, die vordem naturale oder transzendentale Prämissen besetzt hielten. Statt auf letzte Einheiten zu rekurrieren, beobachtet man Beobachtungen, beschreibt man Beschreibungen. Auf der Ebene zweiter Ordnung kommt es erneut zu rekursiven Vernetzungen und zum Suchen von ‚Eigenwerten‘, die sich in den weiteren Operationen des Systems nicht mehr verändern. Vielleicht sind diese Eigenwerte nur ‚Plätze‘, die man temporär mit Werten besetzt mit der Folge, daß jede Änderung der Werte die Plätze umbesetzen muß, weil sie nicht

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leer bleiben können, und dafür nur eine sehr begrenzte (oder gar keine) Auswahl anderer Möglichkeiten zur Verfügung hat. Oder anders formuliert: es sind vielleicht nur Funktionen, die erfüllt werden müssen mit einer sehr begrenzten Auswahl funktionaler Äquivalente. So kann man sagen, daß Forschung und damit Wissenschaft eine Funktion erfüllt und damit einen stabilen Eigenwert der modernen Gesellschaft reproduziert. Man kann Forschung nicht einfach unterlassen, ohne katastrophale Folgen auszulösen – Katastrophe hier begriffen als Umstellung auf andere Eigenwerte. Und eben deshalb liegt es nahe, die Kritik der Forschung selbst forschungsmäßig durchzuführen, wenn man nicht in den imaginären Raum einer ‚anderen Gesellschaft‘ flüchten will.“ (Luhmann 1994: 717f)

Webers Akteur trägt die Last dieser Umstellung ohne einen Ausweg angeben zu können, da dieser zugleich auch als (Erkenntnis-)Subjekt dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit als Teil zugerechnet wird. Auch der Begriff des ‚Lebens‘ stellt für Weber in der Moderne keine Möglichkeit dar ein ‚Außen‘ zu denken, denn auch ‚Leben‘ ist bloß ein Konzept, das schon immer sozial geprägt bzw. eingefasst gedacht werden muss (Weber 1994: 11; Weber 1988b: 62). Webers Entwurf der Moderne bleibt ohne Außen, ist also die Beschreibung totaler Immanenz, die im Bonmot des ‚Stahlharten Gehäuses‘ seinen adäquaten, klaustrophobischen Ausdruck findet (Weber 1988b: 203). Die Figur des Akteurs ist in Webers Darstellungen vielmehr tragisch denn paradox: Akteur und Subjekt entstehen aus der Notwendigkeit heraus, in immer stärkerem Ausmaße zwischen Innen und Außen vermitteln zu müssen – das ist der Kern des Begriffes der modernen, „rationalen Lebensführung“ (Weber 1988b: 49ff; 1987: 164f, 170ff; 1990: 236ff; 1988c: 12) –, und fallen zugleich uneinholbar hinter diese ‚Vermittlungsleistung‘ zurück. Luhmann hingegen, der explizit Individualität als Exklusionsindividualität thematisiert (Luhmann 2008c: 195ff; vgl. Hillebrandt 1999: 224ff), vermag es zwar, Akteur und Subjekt auseinanderdividiert ohne Pathos und Tragik zu denken, führt dennoch das Subjekt als andere Seite der Form mit bzw. als die Exteriorität des Sozialen, das dieses konstitutiv ‚irritiert‘. Diese Überlegung soll in zwei Schritten plausibilisiert werden; zunächst in extenso anhand einer diesbezüglichen, wichtigen Passage aus der „Wissenschaft der Gesellschaft“: „Konsens ist nur durch Reduktion zu gewinnen; oder um es paradox zu formulieren: durch Verzicht auf Konsens. Schon die Römer hatten das auf ihre Weise entdeckt: daß man im Streitfalle die ‚quaestio iuris‘ stellen, das Rechtsproblem definieren und von da aus nach Ähnlichkeiten im gegebenen Recht suchen müsse, um den Streit aus dem Netzwerk verwandtschaftlicher Bindungen und politischer Freundschaften zu lösen. Nichts anderes ist gemeint, wenn wir in systemtheoretischer Terminologie von Ausdifferenzierung sprechen. In genau diesem Sinne läßt sich Technisierung (Formalisierung, Idealisierung etc., um an all das erneut zu erinnern) als Spezificum der modernen Wissenschaft angeben. Und wenn man das kritisieren will, dann in einem erkennbaren Sinne erfolglos.

166 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Das heißt keineswegs, daß die Wissenschaft sich auf das technisch Realisierbare beschränken müsse; auch nicht, daß sie ihr Letztziel in der Technik zu sehen hätte und einen Freiraum des Gedankenexperimentes nur zu entsprechenden Vorüberlegungen konzediert bekäme; und erst recht nicht, daß die Technologien nun ihrerseits sich als angewandte Wissenschaften zu begreifen und entsprechend zu warten hätten, bis die Wissenschaft erklären kann, weshalb etwas funktioniert. Solche Auffassungen lassen sich durch einen Blick in die wirklichen Verhältnisse widerlegen. Wissenschaftliche Theorien und Technologien kommen jedoch darin überein, daß sie Simplifikationen vollziehen; und zwar Simplifikationen im Sinne eines Absehens von anderem, dessen Realität unbestritten bleibt. Dieses Verständnis von Technik als funktionierender Simplifikation erlaubt es, auch die Geldtechnik und die Buchführung (im weitesten, betrieblichen und nationalen Sinne) einzubeziehen. Damit werden Arbeitskosten und Materialkosten verrechnungsfähig. Unbestreitbar funktioniert das im Sinne des Herausfindens wirtschaftlich rentabler bzw. unrentabler Produktionsweisen mit Einschluß der Frage, ob wissenschaftliche Entdeckungen wirtschaftlich umsetzbar sind oder nicht. Ebenso unbestreitbar abstrahiert man dabei von der evidenten Tatsache, daß Menschen in einem anderen Sinne arbeiten als Material. Wir parallelisieren, mit anderen Worten, die Marxsche und die Husserlsche Kritik des Absehens von dem, was ein Mensch für sich selbst ist. Offensichtlich hat sich die moderne Gesellschaft von dieser Abstraktion abhängig gemacht, es eben damit aber auch dem Individuum überlassen, sich davon zu distanzieren und sein Eigenstes, wenn man so sagen darf, ‚technikfrei‘ als Mittelpunkt der Welt vorzustellen.“ (Luhmann 1994: 712f)

Zunächst fällt die erneut unterstrichene Unmöglichkeit auf, die Technisierung als Generalprinzip der Moderne von einem, soziologisch betrachtet, inexistenten Standpunkt aus kritisieren zu wollen, die an Webers Appell, sich dem „Dämon […], der seines Lebens Fäden hält“ (Weber 1994: 23) zu fügen, erinnert. Sodann tritt das „Individuum“ (unter Einnahme eben dieser soziologisch inexistenten Position) erneut als die andere Seite dieser Form auf. Ersteres deutet ganz im Sinne Stähelis auf ein Unvermögen der Theorie hin, ein Außen zu berücksichtigen, das die Sinnproduktion kontaminieren könnte. Letzteres deutet jedoch nicht nur auf das Mitführen des Subjektes als das, wovon sich das ‚Soziale‘ qua ‚Ausdifferenzierung‘ charakterisiert und different gesetzt wird, sondern auch auf einen weiteren und weitreichenden Aspekt hin: Hier wird nicht das ‚Leben‘ als Differenz zur Technisierung gesetzt, sondern das Individuum. Der einzige Modus mit dem Wissenschaft und Technisierung – mithin die Moderne – zu sich selbst in Verhältnis setzen kann, verläuft bei Luhmann – anders als bei Weber – allerdings nicht über dieses Außen: „Die Beobachtung des Einen im Einen müßte aber das, was sie ausschließt (das, wovon sie das Bezeichnete unterscheidet), einschließen. Sie müsste im System (in der Welt) vollzogen werden, so wie die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz im System (in der Welt)

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vollzogen wird. Das ist möglich und gibt dem Paradox die Form des ‚re-entry‘; aber die Auflösung erfordert einen imaginären Raum (so wie man von imaginären Zahlen spricht), und dieser imaginäre Raum tritt an die Stelle des klassischen Apriori der Transzendentalphilosophie. […] Dieses Ergebnis läßt sich weiter klären, wenn man bedenkt, daß jede Paradoxie auf eine nichtlogische (kreative) Weise entfaltet werden kann, wenn man sie durch eine Unterscheidung ersetzt. In unserem Falle wäre das die Unterscheidung von Operation und Beobachtung (wobei die Unterscheidung zu berücksichtigen hat, daß alle Operationen, wenn Kommunikationen, selbstbeobachtende Operationen sind, und alle Beobachtungen als Operationen vollzogen werden müssen oder anderenfalls nicht zustandekommen). Wir können dann sagen: Die Einheit des Systems (der Welt) wird operativ produziert und reproduziert. Dabei beobachtet die Operation sich selbst – aber eben nicht die sie einschließende Einheit, die in ihrem Vollzug entsteht und geändert wird. Die Beobachtung der Einheit ist dagegen eine besondere Operation im System (in der Welt), die eine besondere Unterscheidung benutzen muß (zum Beispiel die von System und Umwelt oder die von Welt/in der Welt) und in ihrem Unterscheiden und Bezeichnen ihrerseits beobachtet werden kann. Die Beobachtung und Beschreibung der Einheit in der Einheit ist also möglich; aber nur als Vollzug eben dieser Operation, nur auf Grund der Wahl einer Unterscheidung, deren eigene Einheit imaginär bleibt, und nur in der Weise, daß sich die Operation Beobachtung ihrerseits der Beobachtung aussetzt.“ (Luhmann 1994: 716f)

Die Unterscheidbarkeit von Operation und Beobachtung ist von Stäheli als ‚Entparadoxierungs-‘ und ‚Hermetisierungsstrategie‘ der funktional-strukturellen Systemtheorie ins Feld geführt worden (Stäheli 2000a: 124f); und tatsächlich lassen sich diese Ausführungen als elaborierte, wissenschaftstheoretische Sublimierung von Webers schicksalhafter Tragödie lesen, sich der Einen Wirklichkeit fügen zu müssen „bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist“ (Weber 1988b: 203) bzw. „die Welt, die ohne Ausgang ist, von einer Allheit in Brand gesetzt wird, die sie [die Akteure] selber sind und über die sie nichts vermögen“ (Horkheimer/Adorno 1997: 46). Da Operativität und Sinn zwar aufeinander verweisen, aber ständig getrennt bleiben, so gelingt die Beschreibung der Entfaltung der Paradoxie „auf eine nichtlogische (kreative) Weise“ (Luhmann 1994: 716) innerhalb des Sinnhorizontes eines sozialen Systems. Das Setzen einer Unterscheidung (einer Beobachtung zweiter Ordnung) innerhalb eines imaginären Raums bedarf zwar eines irritierenden ‚Unterbaus‘, das Merkmal der Kreativität ist jedoch systemspezifisch (auch in diesem Punkt nimmt Mead (2002a: 258ff) die wesentliche Argumentationsweise Luhmanns vorweg). Stäheli bleibt folglich im Recht, da selbst dieser ‚kreative‘ Akt innerhalb einer ‚beschränkten Ökonomie‘ ausgeführt wird und der imaginäre Raum keine Dissemination darstellt, sondern als revidierbare Kommunikabilie (das ‚vermeintlich‘ physische Substrat von ‚Kommunikation‘) immer wieder von systemspezifischen Beobachtungen und damit

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von Sinn eingeholt wird (bspw. allein schon deshalb, weil die Referenz einer Beobachterin von Kommunikation auf die ‚Formseite‘ der Medium/Form Unterscheidung liegt). Luhmanns anthropologische Prämisse, die Verschiebung des Nullwertes und die Folgen für die Thematisierung von Technik

An dieser Stelle ist Hahns (2004) Rekonstruktion von Luhmanns Werkgeschichte aufschlussreich. Hahn erläutert, dass Luhmanns frühe Texte – bis zu einer ‚öffentlichkeitswirksamen‘, direkten Konfrontation mit der kritischen Theorie in der gemeinsam mit Habermas 1971 veröffentlichten Monografie „Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie“ (Habermas/Luhmann 1971) – einer Reformulierung von Parsons’ Strukturfunktionalismus vor dem Hintergrund von Gehlens Anthropologie (die spätestens nach der sogenannten Studierendenrevolution von 1968 in Verruf geraten war) geschuldet sind. Die von Luhmann im Zuge dieser ‚Vermengung‘ vorgenommene Umkehrung der strukturfunktionalistischen Vorzeichen von der Frage (und oberstem Bezugspunkt der Theorie), welche Handlungen für den Erhalt der Struktur funktional sind, hin zu der Frage, welche Funktion die Struktur als Struktur erfüllt (um damit von einer strukturell-funktionalen zu einer funktional-strukturellen Systemtheorie zu wechseln), unterstreichen dessen ‚anthropologische‘ Ausgangslage (vgl. noch ganz im Zeichen dieser anthropologisierenden Ausgangslage Luhmann 2009d: 147, 166f Fn9). Erst im Zuge einer im Anschluss an die oben genannte, gemeinsame Publikation mit Habermas und einer direkten Konfrontation mit der kritischen Theorie, schickte sich Luhmann an, seine Theorie von jedweder Form anthropologisierender Annahmen und Elemente zu befreien (Hahn 2004: 283ff). Lindemann macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass eine implizite anthropologische Fundierung auch in der neueren Fassung von Luhmanns Systemtheorie auszumachen sei, die zudem deutlich an Gehlens Charakterisierung des ‚Menschen‘ erinnert, der aufgrund seiner ihm biologisch inhärenten ‚Instinktarmut‘ zur ‚Weltoffenheit‘ neigt (Gehlen 2009: 20f, 31ff): „Die Systemtheorie Luhmanns nimmt auf Anthropologie höchstens abgrenzend Bezug. Implizit führt sie aber ebenfalls anthropologische Voraussetzungen mit, denn auch die Systemtheorie behandelt die Vergesellschaftung von Menschen. […] Der Prozeß der Bildung und Aufrechterhaltung sozialer Systeme wird nicht auf psychologische Faktoren oder Instinktverhalten zurückgeführt, sondern im Sinne einer Eigendynamik des Sozialen interpretiert (vgl. [Luhmann 1996]: Kap. 3). Dies setzt die Möglichkeit voraus, auf andere Faktoren verzichten zu können. Darin ist unschwer die verborgene anthropologische Annahme eines offenen Umweltverhältnisses zu erkennen. […] Luhmann kann vielleicht für sich in Anspruch nehmen, antihumanistisch zu sein, wenn er darauf beharrt, der Mensch gehöre in die Umwelt sozialer Systeme, aber nichtsdestotrotz geht es

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ihm um die Vergesellschaftung von Menschen. Vgl. hierzu in seltener Deutlichkeit Luhmann ([2006]: 21).“ (Lindemann 1999: 166, 166 Fn5)

Die Ausschlussbewegung des Subjektes aus dem Bereich des Sozialen erfolgt bei Luhmann ungleich radikaler als bei Weber. Wohingegen der Gegenbegriff zur Moderne und Technisierung weiterhin das Individuum bleibt. Darüber hinaus gründet die Beobachtung des Gegenstandes in der Differenzsetzung dessen zum Bewusstseinssystem – bezogen auf den Strukturfunktionalismus hat dies bereits Linde ähnlich festgehalten (Linde 1972: 82). Luhmanns Systemtheorie vereitelt deshalb in doppelter Hinsicht eine Thematisierung von Technik als den Akteuren ebenbürtige Größe. Wohingegen Webers tragischer Träger von Subjektivität sich zwar am Rande sozialer Wirklichkeit bewegt, aber von dort aus nicht mit dem Akteur zusammenfällt, der insofern als Träger von Technisierung mithin als der Technik analoges Element zumindest gedacht werden kann. Luhmanns Nullwert Matrize würde folglich eines theorieimmanenten Nullwertes entbehren und wie folgt dargestellt werden müssen: Abbildung 13: Nullwert-Matrize Luhmann: Die theoriekonstitutive Differenz von Bewusstsein vs. Akteur als Adresse Akteur/ Adresse

Soziales

Bewusstsein

Die Auflösung einer – wie auch immer im Einzelnen gearteten – Subjektkategorie als Nullwert führt zu einer Verschiebung dieses Elementes in die gegenstandsbezogene Theorieebene; diese Darstellung mutet insofern falsch an, als soeben gesagt worden ist, dass in Luhmanns Systemtheorie das Individuum respektive Subjekt aus dem Bereich des Sozialen ungleich radikaler ausgeschlossen worden ist. Diese innerhalb der Theorielogik vorgenommene Ausgrenzung führt aber hinsichtlich der Relevanz des Elementes zu einer Aufladung des Akteurs als Adresse (oder genauer, obgleich widersprüchlich: des abwesenden Akteurs) innerhalb der Theoriearchitektur. Wenngleich streng genommen nur von Adressen (anstatt von Akteuren) innerhalb des Kommunikationssystems die Rede sein kann, ist es wichtig festzuhalten, dass die strukturelle Kopplung mit diesem Systemtyp (bislang) für Bewusstseinssysteme reserviert ist (Luhmann 2008a; Luhmann 2006: 117f; vgl. Lorentzen 2002: 104f). Trotz der Beteuerung von Luhmann in seinem Spätwerk – bezüglich einer möglichen Teilnahme von ‚Computer‘ an Sozialsystemen –, das Element der strukturellen

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Kopplung wäre eine Unbestimmtheitsstelle, die nicht auf Bewusstseinssysteme beschränkt sei, müsste die Theoriearchitektur gründlich umgekrempelt werden, um diesen Worten Taten folgen zu lassen (vgl. Luhmann 2006: 117f; Lorentzen 2002). Wenn von den theorieeigenen, konstruktivistischen, erkenntnistheoretischen Prämissen ausgegangen wird, wonach jeder Erkenntnis eine Beobachtung vorangeht, die auf der Grundlage einer standortgebundenen Differenz in die Lage versetzt wird, etwas im Unterschied zu anderem zu beobachten, so stellt sich die Frage wie, d. h. wovon unterschieden, der Gegenstand des Sozialen in den Blick genommen werden soll, wenn die strukturelle Kopplung nicht mehr auf Bewusstsein beschränkt wird. Die Bedeutung, der Sinn, einer Beobachtung ist mit der anderen Seite der Form konstitutiv gekoppelt. Die Form Sozialsystem bricht in sich zusammen, wenn sie sich nicht mehr als Effekt einer Differenzierung zum Bewusstseinssystem etabliert, da der Sinnbegriff auf dieser einen Differenz, der zwischen psychischem und sozialem Verstehen, basiert. Luhmann ist sich der „unabschätzbare[n] Folgen“ (Luhmann 2006: 117; vgl. Luhmann 2007: 242ff), die eine solche Neujustierung des angeblich als Leerstelle konzipierten Theorems der strukturellen Kopplung für die Theorie und ihren Gegenstand nach sich ziehen würde, durchaus bewusst. Das problematische Verhältnis der Systemtheorie zur Technik verläuft über den Sinnbegriff und seiner Verankerung in der ‚Bewusstseinssubjekt vs. Soziales‘-Differenz. Dies wird im Zuge einer expliziten Anwendung funktional -strukturellen Gedankenguts für die Thematisierung von Technik besonders gut sichtbar. So kommt Halfmann bei der konsequenten Anwendung der Systemtheorie auf techniksoziologische Zusammenhänge nicht über einen halbierten Sinnbegriff hinaus, wonach das Artefakt – sofern es wie beabsichtigt funktioniert – als Medium von Kommunikation fungiert und dabei lediglich den Informationsaspekt dauerhaft zur Verfügung stellt: „Technik ist also umsomehr Medium, je mehr sie Information ist, je mehr kausale Kopplungen von kommunikativen Selektionen als Information behandelt werden, je weniger der Vollzug und die Einheit der Kommunikation von der Mitteilungsoperation abhängt. Positiv formuliert: Technik ist Medium der Kommunikation, wenn der kausalen Verknüpfung von Informationen wechselnde Mitteilungsoperationen zugeordnet werden können, wenn also z. B. ein Automobil sowohl als Transportmittel wie auch als Statussymbol verwendet wird.“ (Halfmann 1996: 120; vgl. Luhmann 2006: 526)

Wenngleich die Relevanz von ‚Technik‘ für den Bestand von Sozialsystemen in Halfmanns Ausführungen beinahe an die der Bewusstseinssysteme heranreicht, und Technik im Gegensatz zu Naturobjekten, sowohl „eine sinnhafte“ als auch „eine nicht-sinnhafte Dimension“ aufweist, da „„echnik […] Medium und Installation zugleich“ (Halfmann 1996: 116) ist, zeichnet sich die herausgehobene Stellung von Bewusstseinssystemen für die Konstitution von Sozialsystemen deutlich ab:

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„Soziale Systeme müssen aber, um ihre Autopoiesis aufrechterhalten zu können, ständig auf Leistungen zurückgreifen, die nur in ihrer Umwelt existieren. So ‚benutzen‘ soziale Systeme Technik in ihrer Umwelt, um ihre systemspezifischen Kommunikationsprozesse zu differenzieren, beschleunigen oder vervielfältigen zu können. Und sie ‚brauchen‘ psychische Systeme, die als ‚Adressen‘ von Kommunikationen deren Fortsetzung bewerkstelligen. […] Soziale Systeme sind für ihren Fortbestand ebenso von der Umwelt der physischen Objekte (inklusive Technik) wie auch der psychischen Systeme abhängig: Kommunikationen kommen ohne (technische) Medien nicht zustande und setzen sich ohne Annahme- und Ablehnungsselektionen der Trias von Information, Mitteilung und Verstehen durch Bewusstseinssysteme nicht fort. Diese Doppelumwelt müssen soziale Systeme ‚beherrschen‘, um ihren Bestand zu sichern.“ (Halfmann 1996: 116, 117f – Hervorhebung d. V.)

Wenn Technik als Medium der Kommunikation ‚benutzt‘ wird, stellt sie für das Sozialsystem eine ‚unauffällige‘ Blackbox dar, die ‚geräuschlos‘ Kommunikation ‚erleichtert‘ bzw. wahrscheinlicher werden lässt. In diesem Fall „wird auf den Aspekt der funktionierenden kausalen Simplifikation abgehoben […]. Entscheidend ist, ob die Kommunikation, in der Technik verwendet wird, zustande kommt oder nicht.“ (Halfmann 1996: 125; vgl. Luhmann 2006: 524f) Wenn Technik nicht funktioniert bzw. nicht der erwartete ‚Output‘ eintritt, tritt sie als explizite Blackbox in der Umwelt des Sozialsystems in Erscheinung. „Technik ist also beides: Medium und Installation. Als Medium ist Technik eine Vorrichtung zur Simplifikation der Kommunikation: das Funktionieren der Technik wird vorausgesetzt. Als Installation ist Technik ein Sachverhalt in der Umwelt sozialer Systeme, über den soziale Systeme keine Kontrolle haben und deren Nicht-Funktionieren sich (per Wahrnehmung von Bewußtseinssystemen) als Irritation in sozialen Systemen niederschlägt.“ (Halfmann 1995: 222)

Etwas umständlicher wird die Darstellung von Computern als ‚universelle Maschinen‘, die in einem besonderen Maße als ‚symbolverarbeitende Maschinen‘ gelten können, wenngleich jede Technik einen Symbolaspekt aufweist; so auch Waschmaschinen: „Grundsätzlich läßt sich in jeder Maschine zwischen ‚hardware‘ und Symbolverarbeitung unterscheiden. Am Beispiel der Waschmaschine lassen sich der kommunikationstheoretische Begriff von Technik und die Andersheit des Computers klarmachen. Die Operationen der Waschmaschine lassen sich auch als Kette von Steuersignalen, also als Befehle abbilden; die elektrische Seite dieser Operationen ist in einem Schaltkreisdiagramm (das Informationen enthält) abgebildet und kann bei Reparaturen (also Störungen der nicht-sozialen, der maschinellen Dimension der Waschmaschine) als Handlungsanleitung dienen. Der Waschmaschine als Ganzer ist eine bestimmte Funktion zugeordnet, die in der Betriebsanleitung niedergelegt ist; daraus

172 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Iäßt sich z. B. entnehmen, daß Waschmaschinen zum Wäschewaschen, aber nicht zum Waschen der Haustiere benutzt werden sollen. Das Verstehen der Operationen der Waschmaschinen beschränkt sich auf den Anteil der Kommunikationen via Waschmaschine, die im Mitteilungsaspekt sichtbar werden: dem Lesen der Bedienungsanleitung oder der Symbole der Bedienungsknöpfe und -tasten. Das Verstehen der Operationsweise der Waschmaschine schließt diese kommunikative Sequenz ab, da die Waschmaschine selber keine neuen Kommunikationsanschlüsse offeriert. Technik bietet in dem Sinne eine Entlastung und zugleich eine Steigerungsmöglichkeit der kommunikativen Vernetzung, als parallel zum technischen Vollzug der Waschmaschine neue kommunikative Anschlüsse gewählt werden können. […] Waschmaschinen können als symbolverarbeitende Maschinen verstanden werden, da sie über eine – wenn auch zweckspezifisch installierte, also nicht universelle – logische Maschine verfügen.“ (Halfmann 1996: 138)

In Anlehnung an Esposito (1993) wird der Computer von Halfmann als ein besonderes Medium für Kommunikation aufgefasst, bei dem die Halbierung des Sinnbegriffs erst vollständig zum Vorschein kommt (Halfmann 1996: 135ff). Der Computer stellt zwar eine ins Unendliche reichende Quelle von Informationen bereit, die potenziell nicht ‚beherrschbar‘ bzw. voraussagbar und damit im Prinzip als kontingent erfahren werden kann bzw. faktisch wird, es kann ihm jedoch keine reflexive Intentionalität unterstellt werden; dies führt freilich auch hier dazu, dass dieser bei nicht ordnungsgemäßem Funktionieren (was allerdings ungleich schwerer als bei Waschmaschinen wahrgenommen wird) die Qualität von ‚Installation‘ anhaftet und in die Umwelt von Sozialsystemen katapultiert wird. Wohingegen Letzteres bei einem Bewusstseinssystem hingegen dazu führen würde, diesem (dem Akteur?) eine Absicht zu unterstellen, die – je nach Kontext und Ausmaß des Unverständnisses – immer noch anschlussfähig wäre. Die Grenze zwischen Bewusstseinssystemen respektive Computern hinsichtlich einer strukturellen Kopplung mit Sozialsystemen verweist letztlich allein auf die Materialität der Entitäten, auf ihr Erscheinungsbild, und ließe sich folglich nur mittels einer phänomenologischen Herangehensweise begründen, die freilich weder in Betracht gezogen noch erwähnt wird. Die konstitutive Bedeutung der in der Regel ausgeschlossenen Materialität dessen, was als ‚Bewusstseinssystem‘ bezeichnet wird, und die damit einhergehende Vorfestlegung ‚was‘ oder vielmehr ‚wer‘ eine ‚vollwertige‘ strukturelle Kopplung mit Sozialsystemen eingehen ‚darf‘, kommt bei der systemtheoretischen Auseinandersetzung mit dem Computer als universeller, symbolverarbeitender ‚Maschine‘ deutlich zum Vorschein. Luhmann hat sowohl die Materialität der Akteure als auch die Infragestellung der Natur/Kultur Dichotomie thematisiert. In dem 1994 erstmalig veröffentlichten Aufsatz „Inklusion und Exklusion“ (2008b) wird die Bedeutung des Körpers für die Erfassung der ‚Schattenseite‘ von Inklusion hervorgehoben:

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„Mit den Modi der Inklusion beschreibt die Gesellschaft das, was sie als Teilnahmebedingung setzt bzw. als Teilnahmechance in Aussicht stellt. Exklusion ist demgegenüber das, was unmarkiert bleibt, wenn diese Bedingungen bzw. Chancen formuliert werden. Sie ergibt sich gleichsam aus der Operation der Selbstbeschreibung als Nebeneffekt – so wie jede Fixierung einer Identität etwas außer Acht läßt, was nicht dazugehört. […] Exklusion folgt wie ein logischer Schatten, und es bedarf einer besonderen Anstrengung, die Beobachtung über die Grenze von Inklusion hinweg auf Exklusion zu richten. […] Einiges spricht dafür, daß im Exklusionsbereich Menschen nicht mehr als Personen, sondern als Körper erfaßt werden. Wenn man sich zum Beispiel in brasilianischen Großstädten aufhält und sich auf Straßen, Plätzen, Stränden bewegt, gehört ein ständiges Beobachten der Stellung, Entfernung, Häufung von menschlichen Körpern zur unerläßlichen sozialen Kompetenz. Man spürt mehr als sonst den eigenen Körper, man lebt mehr als sonst in ihm. Fremde werden gewarnt, aber das führt noch nicht zu einer ausreichenden Einschätzung der Situation. Es gibt vielmehr eine Art von intuitionsgeleiteter Wahrnehmung, die dazu beiträgt, Gefahren zu erkennen und sie zu vermeiden. Und umgekehrt werden natürlich Fremde oder auch andere Angriffsobjekte als Körper identifiziert. Alles, was wir als Person erfassen würden, tritt zurück, und damit auch jeder Versuch, über Beeinflußung von Einstellungen soziale Effekte zu erzielen. Dazu bedürfte es eines Kontextes sozialer Kontrolle und sozialer Gemeinsamkeit, der nicht vorausgesetzt werden kann.“ (Luhmann 2008b: 244f)

Zugleich kommt eine gewisse Resignation der Theorie gegenüber der Widerspenstigkeit sozialer Wirklichkeit zum Vorschein. Salopp ausgedrückt: Da gibt es etwas, das offenbar eine ‚erhebliche‘ Wirkung entfalten kann, sich der Beschreibung einer von funktionaler Ausdifferenzierung ausgehenden Theorie jedoch entzieht, dieses ‚Etwas‘ sind Akteure, die in Ermangelung eines adäquaten Vokabulars nur noch als sich fortbewegende und formbeständige Materie umschrieben werden können: „Auch in den favelas werden die Neugeborenen nach Möglichkeit geimpft, um Seuchenentwicklungen zu verhindern. Aber das sind dann schon Detailfragen für empirische Forschung, die man nur aufgreifen kann, wenn man über eine entsprechende begriffliche Ausrüstung verfügt. Für einen Grobüberblick, wie er hier versucht wird, ist vor allem wichtig, daß man die Theorie sozialer Differenzierung mit einer entsprechenden Begrifflichkeit anreichert und die Erwartung aufgibt, die Gesellschaft könne aus der Perspektive der vorherrschenden Typik stratifikatorischer bzw. funktionaler Differenzierung ausreichend beschrieben werden. Die Form der Inklusion und die mit ihr gegebene Exklusion steht mit der Form der Systembildung in der Gesellschaft in engem Zusammenhang, aber sie ist zusätzlich zu beachten.“ (Luhmann 2008b: 246)

Genauso unmissverständlich, wie der ‚Materialität‘ von Akteuren ihr Tribut gezollt wird, wird die Auflösung der Natur/Kultur Dichotomie aufgrund der Erfahrung ‚vir-

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tueller Realität‘ in Rechnung gestellt (Luhmann 2007: 242ff). Luhmann lotet in diesen Beispielen die Grenzen der funktional-strukturellen Theorie aus und überlässt es im oben zitierten Fall der empirischen Forschung, für Aufklärung zu sorgen, wohingegen die Folgen von Virtualität künftiger Theorieentwicklung in Auftrag gegeben werden. Ähnlich wie die bereits zitierte Passage aus „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ (Luhmann 2006: 117f) werden auch in „Die Kunst der Gesellschaft“ (Luhmann 2007) die Folgen für die Konstitution sozialer Wirklichkeit durch Virtualität nur angerissen, wobei deren Brisanz zwar deutlich zum Ausdruck gebracht wird, eine Eingliederung solcher (immer nur angestoßenen) Überlegungen in die Theorie jedoch durch Luhmann nicht erfolgt (vgl. Baecker 2011: 19): „Inzwischen gibt es zahlreiche Versuche, auch diese anthropologischen Bedingungen des Wahrnehmens (und nicht nur: die Kunstformen der Tradition) aufzulösen. Einerseits weiß man, daß ohnehin alles, was wahrgenommen wird, im Zentralnervensystem unter der Bedingung operativer Schließung konstruiert wird. Das Bewußtsein muß sich also ‚rechtfertigen‘, wenn es meint, das, was es wahrnehme, sei die Außenwelt. In Wirklichkeit wird alles, was als Realität erscheint, nicht durch den Widerstand der Außenwelt, sondern durch den Widerstand der Operationen des Systems gegen die Operationen des Systems erzeugt. Andererseits gibt es mehr und mehr Möglichkeiten, fiktionale Wahrnehmungswelten zu erzeugen – sei es mit Drogen oder mit anderen suggestiven Interventionen, sei es mit komplexen elektronischen Apparaten. Von der traditionellen Weltsemantik her erscheinen diese Möglichkeiten als Erzeugung illusionärer Realitäten – so wie man das wirkliche Leben gelegentlich durch Spiele unterbrechen kann. Aber wenn auch die Normalität eine Konstruktion ist und das Schema natürlich/unnatürlich nicht mehr verwendet werden kann bzw. als eine implizit hierarchische Opposition dekonstruiert werden muß, muß man sich fragen, ob und wie dann überhaupt noch ein Ordnungsvorrang bestimmter Strukturen begründet werden kann. Der Name ‚virtual reality‘ begünstigt den Irrtum, daß es trotzdem noch eine wirkliche Realität gebe, die mit der natürlichen Ausrüstung des Menschen zu erfassen sei, während es längst schon darum geht, diese natürliche Ausrüstung als nur einen Fall unter vielen möglichen zu erweisen.“ (Luhmann 2007: 242f)

Die Unterscheidungsstrategie von Halfmann und Esposito verweist auf ein prinzipielles Wissen um die ‚Konstruiertheit‘ des Computers (bzw. vielmehr der Software), was jedoch faktisch für den Computernutzer keinen Unterschied macht, sodass die darüber verlaufende Grenze zwischen Bewusstseinssystem und Computer hauchdünn ist und angesichts gegenwärtiger Möglichkeiten sogar lächerlich wird. Sie führen nämlich auf dem Boden systemtheoretischer Argumentation die Schieflage konsequent fort, die Luhmann zumindest als Grenzfälle adäquat thematisiert und als Desiderat in Auftrag gegeben hat; zuweilen fallen sie damit sogar hinter ihm zurück. Auf die problematisch gewordene Unterscheidbarkeit hat allerdings bereits in den 70er Jahren Joseph Weizenbaum aufmerksam gemacht (1977), genauso wie die Ky-

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bernetiker der Palo Alto Schule den relativ einfach computational zu bewerkstelligenden Übergang von einer trivialen zu einer nicht-trivialen Maschine aufgezeigt haben (Foerster 1993d). Interessanter sind insofern weniger die Parallelen zwischen dem Computer und einer Waschmaschine als vielmehr die Unterschiede. Esposito möchte sowohl das Verhältnis zwischen Bewusstseinssystem als auch Kommunikationssystem und Computer darstellen. Dabei stellt sie fest, dass der Computer ein neuartiges ‚Interaktionssystem‘ etabliert, an dem dieser einerseits teilhat, andererseits nur Kraft der Herstellung sozialen Sinns durch die beteiligten Bewusstseinssysteme, die allein in der Lage sind, reflexiv zwischen Information und Mitteilung zu unterscheiden und die ‚Aktion‘ des Artefaktes als Mitteilung zu markieren. Dabei wird deutlich, dass erst gar nicht in Betracht gezogen wird, die Ereignisse zwischen einer Computernutzerin und dem Computer als Interaktion darzustellen; die Argumentation geht von vornherein von einem ‚Mitteilenden‘ aus, dessen Verhältnis zur Mitteilung sich zwar verflüchtigt hat, aber dennoch als (reale) Adresse in Potenz für die faktisch (virtuell) zustande kommende Selektion fungiert. „Wie gesehen, verändert, verarbeitet, manipuliert der Computer die Daten, so daß das, was am Ausgang gewonnen wird, nicht mehr dem entspricht, was am Eingang eingeführt wurde: Die Prämisse der Sinneinheit des Textes entfällt. […] Das bedeutet jedoch, daß der Sinn der Kommunikation nicht mehr am Sinn der Mitteilung fixiert werden kann. Das, was der Mitteilende meinte, kann nicht mehr das Kriterium sein, um die Richtigkeit des Verstehens zu prüfen: Der Mitteilende konnte den aus dem Computer gewonnenen Text nicht kennen. Wenn das stimmt, dann fehlt auch die vom Bezug auf die Selektivität der Mitteilung geleistete Selektionshilfe. […] Was heißt, die durch die Maschine vermittelte Kommunikation abzulehnen? Was wird abgelehnt? Sicher nicht die Absicht des Mitteilenden, der wenig oder gar nicht mit der betreffenden Kommunikation zu tun hat. Hat es aber Sinn, von einer Absicht der Maschine oder von ihrer Mitteilung zu sprechen?“ (Esposito 1993: 345)

Letztlich attestiert sie dem Computer in beiden Fällen die Erzeugung einer „virtuellen Kontingenz“, die maßgeblich aufgrund der Intransparenz der Erzeugung eines Outputs entsteht, welchen sie zwar einerseits als ‚im Prinzip‘ determinierbar beschreibt, denn „auch wenn die Maschine prinzipiell alles machen kann […]: Es kann nur das gemacht werden, wofür sie programmiert wurde“ (Esposito 1993: 353), welcher aber andererseits aber dem ‚Nutzer‘ verschlossen bleibt. Ebenso ist die Referenz des Mitteilenden als Selektionshilfe nicht mehr vorhanden, und man „könnte sagen, daß die Information von der Mitteilung unterschieden wird, ohne daß dies mit dem Bezug auf einen Mitteilenden zusammenhängt.“ (Esposito 1993: 351) Nichtsdestotrotz hält Esposito an der ‚Maschinenhaftigkeit‘ des Computers fest. Wenn auch die Generierung von Informationsofferten ‚unübersichtlich‘ gewordenen ist, so bleiben diese

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letztlich doch prinzipiell reduzierbar und verweisen entweder auf die für die Programmierung oder verfügbaren Inhalte verantwortlichen Bewusstseinssysteme: „Der Benutzer hat den Eindruck, daß es ein anderes Bewußtsein gibt, das denkt, sich am Kontext und am Verhalten des Benutzers selbst orientiert während es in Wirklichkeit nichts anderes gibt als die vollkommen determinierten Operationen der Maschine. Wie im Fall des virtuellen Bildes, das man beobachtet, wenn man in den Spiegel schaut, findet der Benutzer des Computers seine eigene Kontingenz vor und kann sie nicht mehr erkennen. So kann er sich selbst überraschen und neue Informationen gewinnen.“ (Esposito 1993: 351)

Bemerkenswert ist, dass die Auseinandersetzung letztlich maßgeblich auf der Ebene zwischen Bewusstseinssystem und Technik verläuft. Es ist darüber hinaus außerordentlich bemerkenswert, dass die einzige genuine Sozialtheorie, die sich neben dem Pragmatismus aufgrund ihrer Kernaussagen am ehesten für eine unvoreingenommene Partizipation der Technik am Sozialen eignet, da sie doch eigentlich die Akteure in ihrer Materialität ausklammert (Lorentzen 2002: 104), die Teilhabe der Technik am Sozialen auf der Grundlage einer Akteur-Technik Interaktion verhandelt. Das Akteur-Technik Schisma kommt hier offen zutage, genauso wie der grundsätzliche Stellenwert, den Akteure (als Surrogat der Bewusstseins- vs. Sozialsystem Differenz) in der Theorie haben. Es ist von den Autoren (Halfmann und Esposito) völlig konsequent auf dieser Ebene zu argumentieren, denn es ist in der Tat die Architektur des Sinnbegriffes, an dem eine vollwertige Inklusion von Technik innerhalb der Systemtheorie scheitert. Insbesondere in Espositos Aufsatz kommt die Fixierung auf die ‚Subjekte als Bewusstseinssysteme‘ in besonderem und widersprüchlichem Maße zur Geltung: Angesichts der dargestellten Intransparenz des Outputs könnte entgegengesetzt dem Bewusstseinssystem der Akteurstatus abgesprochen werden und (was mit der Theorie durchaus vereinbar wäre) an die Unterstellung reflexiver Intentionalität erinnert werden. Dass dem Bewusstseinssystem eine solche attestiert wird, bleibt aus der Perspektive eines Kommunikationssystems reine Spekulation – das Bewusstseinssystem ist innerhalb der Umwelt des Sozialsystems eine Blackbox, von der sich dieses ‚überraschen‘ lassen muss. Dirk Baecker geht zwar in genau diese Richtung, seine Ausführungen bleiben allerdings vage, wenn nicht gar visionär. Er verweist auf das ‚Leben‘ als Relativitätsprinzip, das er als Kontingenzformel der nächsten Gesellschaft vorstellt (Baecker 2007a: 227). Diese Neuausrichtung verknüpft er mit dem Kommunikationsmedium Computer und einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, „die den Computer neben der Kommunikation und dem Bewusstsein zum Träger einer neuen Rechenintelligenz macht und deswegen die Frage systematisch offenhalten muss (um mit ihr situativ und problemorientiert, also pragmatisch umgehen zu können), auf welche Phänomene

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diese Rechenintelligenz bei ihren Operationen und Konstruktionen, aber auch bei ihren Rückgriffen und methodologischen Verankerungen stößt. Sich an einer Relativität der Welt zu orientieren und nicht mehr nur an einer Relativität der Kultur, wird in dem Moment zu einer methodischen und heuristischen Notwendigkeit, in dem wir anfangen, damit zu rechnen, dass das Auflöse- und Rekombinationsvermögen einer wie immer künstlichen Intelligenz an den Schranken der menschlichen und bisherigen sozialen Intelligenz nicht Halt machen wird.“ (Baecker 2007a: 225f; vgl. Halfmann 1996: 140ff)

Damit knüpft er an Luhmanns These an, „dass die Gesellschaft die Einführung von Schrift, Buchdruck und Computer nur überlebt hat, weil es ihr gelungen ist, so genannte Kulturformen des selektiven Umgangs mit dem durch die neuen Medien produzierten Überschusssinn zu finden.“ (Baecker 2007c: 10; vgl. Luhmann 2006: 405ff) In der Konfrontation mit verschiedenen Formen nicht-menschlicher Agency, die sich anschickt eine Teilhabe an Kommunikationssystemen einzufordern, sieht Baecker in der Rückbesinnung auf das ‚Leben‘ das Relativitätsprinzip der ‚nächsten Gesellschaft‘: „Jetzt aber bekommen wir es mit Robotern, Avataren, Cyborgs und Hybriden oder auch mit jenen robusteren Organismen, die nach der atomaren Katastrophe die Erde beleben, zu tun, die uns schon jetzt aus einer Zukunft zuwinken, aus der wir zurückschauen können auf eine Vergangenheit, in der es noch Menschen gab. […] Der Schnittpunkt von Welt, Design und Leben ist scheinbar inhaltsleer. Aber er enthält die gesamte Geschichte, die die Evolution des menschlichen Lebens in den uns bekannten Formationen der Gesellschaft durchlaufen hat. Er bündelt eine Unwahrscheinlichkeit, die uns lieb und teuer geworden ist, nämlich unsere eigene. Und wer hätte geahnt, dass es so schnell gehen würde? War es nicht noch gestern, dass wir uns vor Geistern gefürchtet, Götter angefleht und uns mit unserer eigenen Kultur glaubten beruhigen zu können?“ (Baecker 2007a: 228)

Es bleibt aber völlig unklar, was es heißen würde, wenn Artefakte (mögen es Computer, Roboter oder Cyborgs sein – im weitesten Sinne des Wortes, also jegliche Mensch-Maschine Kopplungen, die die Qualität eines integrierten Schaltkreises aufweisen) mit sozialen Systemen strukturell gekoppelt wären. In der hier vertretenen Lesart würde die Luhmannsche Systemtheorie kollabieren, da die Einheit – der (durch die Beobachtung hergestellten) Differenz – des Systems kollabieren würde. Was heißt es für einen differenztheoretischen Ansatz, wenn der Gegenstand sich in Differenz zu Bewusstseinssystemen und Artefakten konstituiert? Was heißt es, wenn folglich der Gegenstand von Bewusstseinssystemen und Artefakten beobachtet wird? Die strukturalistische Grundannahme der Nullwertfunktion erlaubt es die ‚Wertigkeit‘ eines Elementes innerhalb einer Theoriearchitektur zu bestimmen, gerade unabhängig von (und wie sich in diesen Ausführungen insgesamt zeigt unter Umständen auch entgegen) der Selbstbeschreibung einer Theorie. Das Nullwerttheorem wird hier

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– wie weiter oben bereits dargestellt worden ist und durch die komparatistische Anwendung hier deutlich wird – als Instrument für die Beobachtung zweiter Ordnung auf Theorien ‚verwendet‘, das es erlaubt, ohne die Prävalenz einer bestimmten Theorie den insgesamt zur Diskussion stehenden Theorien zu begegnen. Es muss allerdings festgehalten werden, dass Baecker bereits seit einigen Jahren – soweit der Verfasser das Feld überblicken konnte – als einziger konsequent diese Fährte aufgenommen hat und eine strukturelle Kopplung von Sozialsystemen mit Computern thematisiert. Neuere Entwicklungen dieser Versuche konnten nicht mehr hinreichend gesichtet und in die vorliegende Arbeit eingearbeitet werden (so z. B. Baecker 2011). Die Parallelisierung von Luhmann und Weber bringt die reflexive Verschiebung des Nullwertes deutlich zum Vorschein, die sich von den Klassikern zu neueren Ansätzen vollzogen hat, und deren Auswirkungen hinsichtlich einer sozialtheoretischen Thematisierung von Technik. Einerseits konnten starke Parallelen ausgemacht werden, andererseits deutliche Unterschiede bezüglich des Verhältnisses zwischen Subjekt, Akteur, Soziales und Technik herausgearbeitet werden; Dies freilich immer nur hinsichtlich einer Thematisierung von Technik und deren Verhältnis zum Akteur bzw. Sozialen. Der Übergang vom Individuum bzw. des in der Nullwert Matrize zu Weber als ‚Vermittelndes Subjekt‘ dargestellten Nullwertes zum ‚Leben‘ verweist auf eine mögliche Umstellung des Nullwertes soziologischer Theorien, die es ermöglichen würde, die von Luhmann nur angedeutete Möglichkeit einer strukturellen Kopplung von Technik mit Sozialsystemen zu thematisieren (Luhmann 2006: 117f; vgl. Baecker 2011: 19). Dabei muss eine wichtige Präzisierung erfolgen: Die biomedizinische Forschung und die in diesem Zusammenhang stehenden Möglichkeiten des Eingreifens in die organische Materie sowie die Verunsicherungen, die allein durch die in Aussicht gestellten weiteren Entwicklungen ausgehen, legen es nahe den Begriff des ‚Lebens‘ weiter zu spezifizieren. Hierbei geht es vorrangig darum, zwischen dem ‚Leben‘ als Eigenschaft und einem bestimmten Leben, also einer bestimmten Lebensform, zu unterscheiden, sodass beispielsweise der Eingriff in den Hormonhaushalt oder ein schönheitschirurgischer Eingriff auf einer anderen Ebene (nämlich der des Akteurs – als Cyborg) verhandelt werden können als die dieser Ebene zugrunde liegende (in Form von dem ‚Leben‘ als Nullwert). Deshalb soll der Nullwert nicht als ‚Bios‘, sondern als ‚Zoë‘ konzipiert werden. ‚Bios‘ meint das spezifische Leben einzelner Wesen, wohingegen ‚Zoë‘ auf die bloße Tatsache des Lebens hinweist (Agamben 2007: 11). Die gesellschaftswissenschaftlich ursprünglich von Hannah Arendt ins Gedächtnis gerufene Unterscheidung (Arendt 2010) wird vorrangig und verstärkt vor dem Hintergrund dieser allgemein gesprochen ‚lebenswissenschaftlichen‘ Entwicklungen diskutiert (vgl. Weiß 2009a). Eine solche Umstellung würde jedoch an die Grundfesten nicht nur der Systemtheorie, sondern insgesamt soziologischer Theorien rütteln, da diese – wie hier

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versucht wird darzulegen – im ‚Subjekt‘ ihren Nullwert finden. Dies geschieht unabhängig davon, ob das Subjekt eine Nullwertfunktion erfüllt oder aufgrund der sozialtheorieinternen Reflexivität und idiosynkratisch -pfadabhängigen Problemgenese in den Gegenstand hineingetragen worden ist. Die sozialtheoretischen Strategien des Umgangs mit dieser Art von Reflexivität können mitunter sehr unterschiedlich ausfallen. In neueren Entwürfen (bspw. – worauf weiter unten näher eingegangen wird – bei Goffman) ist das Element ‚Subjekt‘ tatsächlich in den Gegenstand ausgelagert worden und kommt hier (zumindest innerhalb der Theorie) als flottierender Signifikant zum Vorschein. In Luhmanns Systemtheorie wird dieses als ‚andere Seite‘ der Beobachtung des Gegenstandes mitgeführt – das Element ist also im Gegenstand ständig abwesend, in der Sozialtheorie hingegen ‚beharrlich‘ anwesend, je nachdem ob auf das ‚Was‘ oder das ‚Wie‘ der funktional-strukturellen Beobachtung geachtet wird. Praktische und formale Rationalität: Von Weber über Parsons zu Hobbes

Schließlich bleiben sich also Webers und Luhmanns Darstellungen zentraler Diagnosen moderner Gesellschaft und vor allem daraus abgeleiteter Konsequenzen sehr ähnlich. Im Lichte dieser Parallelen soll der wichtige Unterschied zwischen praktischer und formaler Rationalität bei Weber erneut aufgegriffen werden, um weiter der Unterscheidbarkeit zwischen Akteur und Subjekt nachzugehen sowie der damit einhergehenden Möglichkeit, Akteur und Technik gleichwertig zu behandeln. Formale Rationalität abstrahiert von individuellen Handlungsplänen und verweist auf die Meso- bzw. Sozialsystemebene: „Es ist eine Sache, einzelne Handlungen zweck- oder normrational zu gestalten; es ist eine ganz andere Sache, ein ganzes Feld kontinuierlichen Handelns so zu organisieren, daß mit Sicherheit jede Handlung zu jedem Zeitpunkt Rationalitätsstandards genügt. ‚Maschinenmäßiges Funktionieren‘ soll erreicht werden, und damit wendet man ein Rationalitätskriterium höherer Stufe an. ‚Wie muß zweck- oder normrationales Handeln gestaltet werden, damit es kontinuierlich, sicher, berechenbar erwartet werden kann‘, lautet nun die Frage. Die formale Rationalität der Bürokratie ist die Antwort auf diese Frage.“ (Döbert 1989: 242; vgl. Weber 1990: 681ff)

Es erfolgt also eine Loskopplung praktischer, auf der individuellen Handlungsebene anzusiedelnder Rationalität formalen Typs, die nach Weber charakteristisch für die Moderne ist, die folglich das Spannungsfeld zwischen Subjektivität und Objektivität weiter ansteigen lässt und von diesem in rationalisierungstheoretischen Termini zum Ausdruck gebracht wird (Pohlmann 1987: 107). Praktische Rationalität hingegen wird nicht nur auf der Individualebene verortet, sondern entspricht vielmehr der Legitimation einer Handlung auf der Ebene einer „Um-zu-Begründung“, die sich vordergründig auf die praktische Umsetzung eines Handlungsplanes bezieht (Döbert

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1989: 232ff). Die Steigerung von Effektivität kann hierbei durchaus Thema einer Abwägung sein, allerdings immer nur in Rekurs auf die Zwecke des Akteurs, die im Einklang mit den sozialen Kontexten, innerhalb derer eine Handlung durchgeführt wird, stehen und zugleich als die ‚eigenen‘ wahrgenommen werden können. Es besteht eine prinzipiell mögliche Konformität zwischen Akteur und Sozialem, ähnlich dem Attribut des Kollektivbewusstseins von Stammesgesellschaften in Durkheims Modell (Luhmann 1999: 24 Fn11). Anders verhält es sich jedoch, wenn es um Handlungen geht, die sich an formaler Rationalität orientieren: „Die moderne Bürokratie, für Weber ein Schlüsselphänomen der rationalisierten modernen Gesellschaft, steht, anders formuliert, nicht einfach für Zweckrationalität, sondern für ein Handeln, das durch explizite Regeln bestimmt ist und dem einzelnen im Prinzip keinen individuellen Verhaltensspielraum mehr offen Iäßt – für formale Rationalität mit anderen Worten.“ (Heintz 1993: 159)

Parsons destilliert im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Hobbes in seinem Frühwerk „The Structure of Social Action“ (1968: 89ff) eine ähnliche Ausdifferenzierung von ‚Rationalität‘, indem er zeigt, dass Hobbes zwischen praktischer und technischer Rationalität hätte unterscheiden müssen, um zu zeigen, dass „Aktoren ihre wohlverstandene Interessen nicht nur durch kalkulierten Zwang aufeinander, sondern auf dem Wege rationaler Willensbildung miteinander verfolgen können.“ (Habermas 2006a: 316) In der von Hobbes eingeführten Differenz von der Lebensunfähigkeit der ‚Menschen‘ im Naturzustand und der daraus abgeleiteten ‚natürlichen‘ Notwendigkeit sich zu vergesellschaften, kann – worauf weiter unten näher eingegangen wird – das sozialtheoretische Paradigma einer Subjekt vs. Akteur Differenz gelesen werden. Die durch Hobbes vorgezeichnete Eingliederung des Einzelnen in die Staatsmaschine „Leviathan“ (1990) erfolgt dementsprechend stets vor dem Hintergrund einer paradoxen Denkfigur, die zwischen ‚Zwang‘ auf der einen Seite und ‚Notwendigkeit‘ auf der anderen Seite changiert, nämlich einer natürlichen Unnatürlichkeit, die sich ihres Ursprungs nicht entledigen kann. Die Artifizialität (Notwendigkeit) verweist stets auf deren Antagonismus, den Naturzustand und die Lebensunfähigkeit, die keine andere Wahl lässt, als dem Leviathan seinen Tribut zu zollen (Zwang). Parsons Kritik an den empiristischen Positionen von Hobbes und Locke, nimmt wesentliche Aspekte seiner grundsätzliche Abgrenzungsfolie vorweg. Der Utilitarismus vermag es nicht zu erklären, wie eine stabile Ordnung entstehen kann, wenn die Einzelinteressen sich nicht im Horizont einer gemeinsamen Wertorientierung abspielen bzw. einer sozialen Norm, die eine ‚Realität eigener Art‘ darstellt (Parsons 1968: 96, 313f; vgl. Durkheim 1999b: 93f, 122). Parsons übernimmt hier also weitestgehend eine bereits von Durkheim und Weber vorgetragene Argumentation (Habermas 2006a: 317f, 335f).

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Bemerkenswert an diesen Überschneidungen und Theorie-Figurations- Wiederholungen ist, dass – wie Göbel am Beispiel des Funktionalismus gezeigt hat (2000) – Sozialtheorie als selbstreflexive Problemgenese gelesen werden kann. Die mit Hobbes gelegte Spur einer Mensch-Akteur Differenz (die als Vorlage einer Subjekt-Akteur Differenz wahrgenommen werden kann) wird immer weiter prozessiert, und alle anderen, möglichen Entfaltungen einer sozialtheoretischen Grundlegung werden dabei aus dem Gesichtsfeld soziologischer Perspektiven weitestgehend ausradiert. Auch wenn die Differenz im Verlauf sozialtheoretischer Bemühungen immer elaborierter und je nach Theorierichtung entweder implizit oder explizit aus dem jeweiligen Problemfeld ausgeblendet bzw. verwiesen wird, bleibt sie dennoch in Kraft. Dabei handelt es sich selbstredend nicht um bewusste Invisibilisierungsstrategien, stattdessen ist der diesbezügliche Verweiszusammenhang innerhalb des sozialtheoretischen Feldes so üppig geworden, dass eine direkte Auseinandersetzung mit der Genese dieses ‚Verweisgeflechts‘ kaum anschlussfähig, wenn nicht gar ‚ortlos‘ wäre. Bevor Hobbes die Behauptung aufstellt, dass der Mensch von Natur aus mit der Fähigkeit einer intentionalen Zweck-Mittel-Abwägung ausgestattet ist, die ihm zugleich zum Verhängnis wird, solange diese nicht in eine soziale Ordnung eingebettet wird, geht er auf den Körper ein (Hobbes 1994a: 20ff; 1997: 247ff). Er vergleicht diesen mit einer Maschine, eine Analogie, die vermutlich dem mechanistischen Weltbild seiner Zeit geschuldet ist (vgl. Mumford 1978: 448). Interessanter ist allerdings der Vergleich zwischen allen drei von Hobbes betrachteten Dimensionen: Körper, Mensch und Bürger – die zugleich die Titel seiner als Trilogie konzipierten ‚Elemente der Philosophie‘ darstellen (vgl. zur Entstehungsgeschichte Gawlick 1994: XV). Dabei zeichnet er das Verhältnis zwischen dem Menschen und dem Bürger als zutiefst paradox, wohingegen die Parallelen zwischen dem Körper (als Maschine) und dem Bürger (als Teil eines maschinenähnlichen Staates – Mumford spricht hier gar von einer „Wiederauferstehung der Megamaschine“ (1978: 448)) – genau umgekehrt von einer weitreichenden Wahlverwandtschaft geprägt sind (Hobbes 1990: 5ff). Hobbes, Descartes und das theoretische sowie gegenstandsbezogene Selbstverständnis der Soziologie

So grotesk und überflüssig der Hinweis auf den ersten Blick auch erscheinen mag, ist es nach Erkenntnisinteresse nicht unwesentlich festzuhalten, dass die allgemeine sozialtheoretische Folie vor dem Hintergrund der in der zweiten Cartesianischen Meditation vorgenommenen Unterscheidung (zwischen Geist und Materie) Hobbes’ Trias prozessiert (Descartes 1992: 41ff; vgl. Ihde 2002: 72ff). Dabei kommt zudem zum Vorschein, dass hierbei die Elemente schwerpunktmäßig in den Blick genommen werden, die den ‚Geist‘ betreffen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und es mag (auch) in der besonders pointiert (aber freilich nicht nur) von Dilthey formulierten,

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wissenschaftstheoretischen Spaltung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften begründet liegen, dass die Sozialwissenschaften sich für die Elemente der Trias entschieden haben, die den ‚Geist‘ betreffen (vgl. Gadamer 1990: 12f). Insofern mag gerade Parsons einen erheblichen Beitrag dafür geleistet haben, dass das pragmatistische Potenzial – das jenseits der Diltheyschen Auftrennung angesiedelt werden kann – auch in der Nordamerikanischen soziologischen Theorieproduktion an Gewicht verloren hat, insofern sein (die Sozialtheorieproduktion insgesamt stark beeinflussendes) Werk in der ‚kontinentalen‘ Soziologie wurzelt; der Untertitel von „The Structure of Social Action“ lautet: „A Study of Social Theory with Special Reference to a Group of Recent European Writers“ (1968; vgl. Joas/Knöbl 2004: 687). Abbildung 14: Schematische Darstellung: Das Verhältnis der Soziologie zu Hobbes’ und Descartes’ erkenntnistheoretischen Grundbegriffen

Körper (Leben)

Materie

Mensch (Subjekt)

Bürger (Akteur)

Geist

Soziologie

Wenn der Blumenbergschen anthropologischen Skizze, die sich durch Hobbes Darlegungen inspirieren lässt, gefolgt würde, so könnte die paradoxe Differenz zwischen dem Menschen und dem Bürger in der Einheit eines wesensmäßig von Artifizialität gekennzeichneten ‚Menschen‘ respektive Akteur aufgelöst (aufgehoben) werden und der anderen Kante (Körper vs. Bürger) der Hobbesschen Trias Aufmerksamkeit geschenkt werden (vgl. Blumenberg 1981a: 114f). Natürlich geht es nicht um die Übernahme von Hobbes konkreten Annahmen im Einzelnen, sondern zunächst lediglich um die jeweilige Position der drei Elemente und um die Folgen einer Vorauswahl, welche Elemente in der soziologischen Theorieproduktion verarbeitet werden.

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Abbildung 15: Schematische Darstellung: Darstellung einer alternativen Inverhältnissetzung der Soziologie zu Hobbes’ und Descartes’ erkenntnistheoretischen Grundbegriffen

Bürger (Akteur) Körper (Leben) Mensch (Subjekt)

Materie

Leviathan (Gesellschaft)

Geist

Soziologie

Dieser alternativen Positionierung der Soziologie folgend, könnte das darauf aufbauende Verhältnis der Disziplin zu ihrem Gegenstand entsprechend des im Kapitel zu den Techniktheorien vorgeschlagenen Akteurmodells wie folgt figuriert werden:

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Abbildung 16: Schematische Darstellung: Die konstitutive Bedeutung des ‚Lebens‘ als Nullwert im Zuge einer alternativen Inverhältnissetzung der Soziologie zu Hobbes’ und Descartes’ erkenntnistheoretischen Grundbegriffen

Bürger (Akteur)

Leviathan (Gesellschaft)

Geist Mensch (Subjekt)

Materie

Körper (Leben)

Soziologie

Die Besonderheit der Gründergeneration der ‚Soziologie‘, besteht weniger darin, dass sie sich der Hobbesschen Trias gegenüber anders positioniert und entsprechend verarbeitet hat. Im Gegenteil, diese Vorauswahl wird gerade von den Klassikern getroffen. Der Hauptunterschied zu den sozialtheoretischen Entwürfen der mittleren und späten bis hin zur gegenwärtigen Periode besteht lediglich in der Möglichkeit, das Subjekt nicht gänzlich als Sozialprodukt aufzufassen; sie sind insofern Hobbes Grundlegung näher als die ihnen folgenden Weiterverarbeitungen ihrer Vorlagen. Dies gelingt unter anderem durch das Hinzufügen eines neuen Elementes innerhalb der Struktur, nämlich der ‚eigentliche‘ Gegenstand der Disziplin, das ‚Soziale‘:

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Abbildung 17: Schematische Darstellung: Die konstitutive Bedeutung des ‚Subjektes‘ als Nullwert bei der Inverhältnissetzung der Soziologie zu Hobbes’ und Descartes’ erkenntnistheoretischen Grundbegriffen

Körper (Leben)

Leviathan (Gesellschaft)

Bürger (Akteur)

Mensch (Subjekt)

Materie

Geist

Soziologie

Der Körper wird weitestgehend ausgeblendet, der Akteur (als der vergesellschaftete Mensch) wird dem Sozialen gegenübergestellt und kann als ebenso ‚technisiert‘ wahrgenommen und dargestellt werden, weil dessen Antagonist (die ‚Natur‘ der notwendigen Unnatürlichkeit des Akteurs) aus dem expliziten Gegenstandsbereich ausgeklammert wird. Im Zentrum steht nunmehr das Verhältnis zwischen Akteur und Sozialem, das eine durchlässige Technikthematisierung (auf beiden Seiten) aufgrund der Nullwertfunktion zulässt, die das Subjekt (so problematisch auch immer) darstellt. Die fragilste Subjektposition weist dabei Webers Entwurf auf. So lassen sich hinsichtlich der Geburt des (individualisierten) Akteurs in Differenz zum Sozialen die Ansätze von Weber und Durkheim parallelisieren. Beide legen einen der Exklusionsindividualität kompatiblen Entwurf vor. Zugleich treten hinsichtlich der Charakterisierung des Subjektes (als Nullwert) deutliche Unterschiede zum Vorschein, die darauf zurückgeführt werden können, dass Webers ‚Subjekt‘ (ganz ähnlich wie die Stellung des ‚Individuums‘ in der funktional-strukturellen Systemtheorie) in dem Modus der Vollexklusion gedacht wird (allerdings ohne den Übergang zum Status einer ‚Exklusionsindividualität‘ erreichen zu können).

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Durkheims Folie stellt die funktionale Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften dar, Webers hingegen den Rationalisierungsprozess in seiner spezifischen abendländischen Eigenart. Webers Akteurmodell ist ungleich radikaler als Durkheims, was sich bereits der expliziten Thematisierung des Akteurstatus durch sein Konzept der ‚Lebensführung‘ ablesen lässt – und dem impliziten Verlust eines der beobachtungsleitenden Unterscheidung zugrunde liegenden Nullwertes, die dazu führt, dass aus einer wissenschaftlichen (modernen) Perspektive Subjekt und Akteur nicht adäquat getrennt werden können. Weber vermag es freilich nicht diesen Umstand so weit zu verarbeiten, dass jener Blinde Fleck diskursiv eingeholt und zur Disposition bereitgestellt werden kann, der im Vergleich zu Luhmanns Ausführungen sichtbar geworden ist. Nirgendwo wird dies sichtbarer als in seinem programmatischen Vortrag „Wissenschaft als Beruf“, der weiter oben ausführlich dargestellt worden ist. Es gibt innerhalb der Form moderner Wissenschaft kein Außen der Unterscheidung Akteur vs. Soziales, und somit vermag Weber nur noch in vormodernen, magischen Kategorien zu argumentiere, indem er einen Dämon ein einführt, der, komparatistisch zu Ende gedacht, die negative Seite des positiv besetzten ‚I‘ in Meads Handlungsmodell entspricht. Die Tragik in Webers Modell stellt die totale Immanenz der Moderne dar und die Unmöglichkeit, das Subjekt – an dem Weber gleichwohl ‚unwissenschaftlich‘ festhält – an ihr partizipieren zu lassen. Diese Residualkategorie einer zwar utopischen aber dennoch vorhandenen Position des Subjektes ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit, zwischen Technik und Akteur innerhalb einer Topologie der von Technisierung charakterisierten Moderne nicht unterscheiden zu müssen. In Webers Entwurf implodiert die Differenz bis hin zur Deckungsgleichheit von Akteur und Technik respektive Akteur und Sozialem: „Nun ist ja zunächst in der ‚erlebten‘ Wirklichkeit von einer spezifischen ‚Unberechenbarkeit‘ menschlichen Tuns ganz und gar nichts zu spüren. Jedes militärische Kommando, jedes Strafgesetz, ja jede Äußerung, die wir im Verkehr mit anderen machen, ‚rechnet‘ auf den Eintritt bestimmter Wirkungen in der ‚Psyche‘ derer, an die sie sich wendet, – nicht auf eine absolute Eindeutigkeit in jeder Hinsicht und bei allen, aber auf eine für die Zwecke, denen das Kommando, das Gesetz, die konkrete Äußerung überhaupt dienen wollen, genügende. Sie tut dies, logisch betrachtet, in ganz und gar keinem anderen Sinn, als ‚statische‘ Berechnungen eines Brückenbaumeisters, agrikulturchemische Berechnungen eines Landwirts und physiologische Erwägungen eines Viehzüchters, und diese wieder sind ‚Berechnungen‘ in demselben Sinn, in dem die ökonomischen Erwägungen eines Arbitrageurs und Terminmaklers es auch sind: jede von diesen ‚Berechnungen‘ begnügt sich mit dem für sie erforderlichen und bescheidet sich mit dem für ihre spezifischen Zwecke nach Lage ihres Quellenmaterials in concreto erreichbaren Maß von ‚Exaktheit‘. Ein prinzipieller Unterschied gegen ‚Naturvorgänge‘ besteht nicht. Die ‚Berechenbarkeit‘ von ‚Naturvorgängen‘ in der Sphäre von ‚Wetterprophezeiungen‘ etwa ist nicht entfernt so ‚sicher‘ wie die ‚Berechnung‘ des Handelns einer uns bekannten Person, ja,

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sie ist einer Erhebung zur gleichen Sicherheit auch bei noch so großer Vervollkommnung unseres nomologischen Wissens gar nicht fähig.“ (Weber 1988a: 64f)

Die Verortung von Akteuren und Technik auf einer Ebene, die beide in gleicher Hinsicht im Rahmen eines ko-konstitutiven Verhältnisses zum Sozialen konzeptualisiert, ist den anderen drei hier behandelten Klassikern gemein; der entscheidende Unterschied ist, dass Weber keine Chiffre der anderen Seite der Form dieser Unterscheidung in das Unterschiedene einführt und damit in dieser Hinsicht das andere, zu Marx gegenüberliegende, Extrem markiert. Die Implosion der Differenz stellt eine unweigerliche Folge dar, sofern das Differente nur als Effekt der Differenz begriffen wird. Anders ausgedrückt: Weber hat die erkenntnistheoretische Implosion der Postgründergenerationen größtenteils ‚vorweggenommen‘ und diese in den Gegenstand hineingetragen. Er hat diese allerdings in Ermangelung einer Entparadoxierungsstrategie in Form einer katastrophalen Entwicklung sowie einer der düstersten Prognosen sozialtheoretischen Schaffens, neben der kritischen Theorie, zum Ausdruck gebracht (vgl. Weber 1988b: 203). Eine Synchronisation von Akteuren und Technik findet sich bei Weber auch hinsichtlich des Aspektes der Handlungsorientierung an Technik qua ‚geronnener Rationalität‘ und dem damit einhergehenden „Vertrauen in Technik“ (Wagner 1994: 147f). Wagner geht dabei davon aus, dass bei Weber „das Vertrauen noch stark an Personen gebunden [ist] (der Trambahnschaffner, der Büchsenmacher etc.), persönliches Vertrauen ist hier noch Vertrauen in Autoritäten.“ (Wagner 1994: 149) Das Vertrauen in technische Artefakte würde sich folglich ableiten aus einer auf jenen als ‚Experten‘ verweisende Vertrauenswürdigkeit in die Rationalität der Gesellschaft als Ganzes. Die Autorität dieser Personen steht also für den Glauben daran, dass das durch sie Hergestellte, Bediente etc. das ‚effektivste‘ und zugleich ‚effizienteste‘ Mittel zur Erreichung eines Zieles darstellt. Dier von Wagner vorgeschlagenen Deutung eines Vertrauens in Technik über den Umweg von Personen, die es als Experten ‚besser‘ wissen müssen, soll hier nicht gefolgt werden, vielmehr wird vermutet, dass diese Lesart der tradierten Weberrezeption geschuldet ist, wonach „soziales Handeln“ als das zentrale Konzept stets auf subjektiven Sinn und dadurch hergestellte Wirklichkeit verweist. Stattdessen zeigt sich – dafür gibt Heintz’ Studie „Die Herrschaft der Regel“ reichhaltige Hinweise (Heintz 1993) –, dass Weber den Akteur selbst als Effekt dieser Entwicklung zeichnet. So stellt Weber das Vertrauen in die erwarteten Handlungen „einer uns bekannten Person“ (Weber 1988a: 65) als genauso berechenbar dar, wie die einer Maschine. Entscheidender ist bei dieser Gegenüberstellung vielmehr die Loslösung der Artefakte von ihrem ursprünglichen (gelebten) ‚Sinn‘ und damit die Übertragbarkeit von Eigenschaften, die dem modernen ‚Akteur‘ eigen sind, auf Technik (und nicht umgekehrt):

188 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Der Fortschritt der gesellschaftlichen Differenzierung und Rationalisierung bedeutet also, wenn auch nicht absolut immer, so im Resultat durchaus normalerweise, ein im ganzen immer weiteres Distanzieren der durch die rationalen Techniken und Ordnungen praktisch Betroffenen von deren rationaler Basis, die ihnen, im ganzen, verborgener zu sein pflegt wie dem ‚Wilden‘ der Sinn der magischen Prozeduren seines Zauberers. Ganz und gar nicht eine Universalisierung des Wissens um die Bedingtheiten und Zusammenhänge des Gemeinschaftshandelns bewirkt also dessen Rationalisierung, sondern meist das gerade Gegenteil. Der ‚Wilde‘ weiß von den ökonomischen und sozialen Bedingungen seiner eigenen Existenz unendlich viel mehr als der im üblichen Sinn ‚Zivilisierte‘. Und es trifft dabei auch nicht universell zu, daß das Handeln des ‚Zivilisierten‘ durchweg subjektiv zweckrationaler ablaufe. Dies liegt vielmehr für die einzelnen Sphären des Handelns verschieden: ein Problem für sich. Was der Lage des ‚Zivilisierten‘ in dieser Hinsicht ihre spezifisch ‚rationale‘ Note gibt, im Gegensatz zu der des ‚Wilden‘, ist vielmehr: 1. der generell eingelebte Glaube daran, daß die Bedingungen seines Alltagslebens, heißen sie nun: Trambahn oder Lift oder Geld oder Gericht oder Militär oder Medizin, prinzipiell rationalen Wesens, d. h. der rationalen Kenntnis, Schaffung und Kontrolle zugängliche menschliche Artefakte seien, – was für den Charakter des ‚Einverständnisses‘ gewisse gewichtige Konsequenzen hat, – 2. die Zuversicht darauf, daß sie rational, d. h. nach bekannten Regeln und nicht, wie die Gewalten, welche der Wilde durch seinen Zauberer beeinflussen will, irrational funktionieren, daß man, im Prinzip wenigstens, mit ihnen ‚rechnen‘, ihr Verhalten ‚kalkulieren‘, sein eigenes Handeln an eindeutigen, durch sie geschaffenen Erwartungen orientieren könne. Und hier liegt das spezifische Interesse des rationalen kapitalistischen ‚Betriebes‘ an ‚rationalen‘ Ordnungen, deren praktisches Funktionieren er in seinen Chancen ebenso berechnen kann wie das einer Maschine. Davon an anderer Stelle.“ (Weber 1988d: 473f; vgl. die leicht abgewandelte Weiterführung dieser Sichtweise bei Baudrillard 2001: 150)

In dieser Passage wird auch deutlich, dass Webers Darstellung von dem, was Technik in der Moderne auszeichnet, sich nur unwesentlich von dem weiter oben, in Anlehnung an Blumenberg dargestellten Begriff der „Technisierung“ unterscheidet, nämlich in einer „Antinomie von Leistung und Einsicht“ (Schulz-Schaeffer 2000: 44ff; Blumenberg 1981b: 51); Wagner stellt dies treffend dar: „Wie stabilisiert sich das Ungleichgewicht von Verstehen und Akzeptanz sozialer Ordnungen in modernen Gesellschaften? Vielleicht ist das eine der Fragen, mit der die Soziologie einmal begann, sich als Antwort zu profilieren. Max Weber antwortet 1913 im Kategorienaufsatz, daß man von dem, was man nicht verstehen kann, unterworfen wird, um es gebrauchen zu können.“ (Wagner 1994: 146f)

Diese Beobachtung lässt sich aber auch auf die Entstehungsbedingungen des modernen Akteurs und auf das Konzept der Lebensführung übertragen. Im Gegensatz zur praktischen Rationalität, die, wie oben gezeigt worden ist, dem Akteur zugerechnet

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wird, wird formale Rationalität in der Regel mit einer auf der Mesoebene gehobenen Form systematischen Planens und Verregelns verbunden. Zielsetzung dabei ist, eine für das jeweilige System optimale Effizienz zu erreichen. Dabei wird übersehen, dass diese nach Weber spezifisch moderne Form der Rationalität auch auf der Akteurebene wirkt. Die Lebensführung (in ihrer für die Moderne typischen Spezifika, die erst dazu führen, dass diese als Lebensführung vergegenwärtigt werden kann) kann als die Anwendung formaler Rationalität auf der Akteurebene beschrieben werden. So kommt hierin gerade das Unterwerfen der Biografie einer optimalen Zweck-Mittel Erwägung zum Ausdruck, wobei die Biografie zum Mittel wird, und die Zwecke äußerlich und damit sinnlos bleiben (Weber 1994: 20f; vgl. ähnlich Mannheim 1995: 19). Lebensführung: Vergleich zwischen Weber und Foucault

Die Lebensführung als ‚Scharnier‘ zwischen dem „was man nicht verstehen kann“, jedoch notwendig ‚braucht‘, um ‚zurechtzukommen‘ (Wagner 1994: 147) zeitigt also zugleich eine Subjektivierungsleistung, die mit Michel Foucaults Disziplinierungstechniken verwandt ist. Heins erläutert, dass in Webers Protestantismusthese die „ordnenden und disziplinierenden Eigenschaften, die die konventionelle Soziologie der ‚Gesellschaft‘ zuschreibt, […] ursprünglich Elemente selbstpraktischer Lebensführung [sind] – zuerst kleinerer, dann größerer Kollektive.“ (Heins 1997: 29) Natürlich stellt die Lebensführung als solche kein modernes Phänomen dar, so heißt es in der Vorbemerkung zu dem ersten, noch von Weber selbst herausgegebenen Band zur Religionssoziologie, dass zu „den wichtigsten formenden Elementen der Lebensführung […] in der Vergangenheit überall die magischen und religiösen Mächte und die am Glauben an die verankerten ethischen Pflichtvorstellungen“ (Weber 1988c: 12) gehören. Die Lebensführung als Quelle von Subjektivierung zu verstehen, hängt mit dem von Weber dargestellten Umschlagen vom ‚Wollen‘ des Puritaners zum ‚Müssen‘ „aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden“ (Weber 1988b: 203; vgl. Heins 1997: 28ff) zusammen. Die moderne Lebensführung zeichnet sich folglich durch eine neue Qualität aus, die sich wesentlich dadurch auszeichnet, dass diese durch den Akteur vergegenwärtigt werden kann. Die Lebensführung tritt als Medium und Resultat des Akteurs als Subjekt in Erscheinung als ein dem Akteur einerseits äußerlicher, objektivierbarer Aspekt seines Lebens sowie zugleich als ein diesen ermöglichenden und bestimmenden Aspekt, um sich als Akteur handlungswirksam bzw. im sozialen Raum ‚lebensfähig‘ zu erfahren. Schluchter betont, dass es in diesem Zusammenhang wichtig sei, zwischen drei historischen Phasen zu unterscheiden, anhand derer Webers „Interpretation des Zusammenhangs von inneren und äußeren Faktoren, von ‚Geist‘ und ‚Form‘“ (Schluchter 1994: 704; vgl. Weber 1988b: 49ff; 1987: 164f, 170ff; 1990: 236ff; 1988c: 12) nachgezeichnet werden können:

190 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Man muß […] bei Weber drei große Transformationen, die die okzidentale Sonderentwicklung entscheidend bestimmt haben, unterscheiden: die institutionelle Transformation vom 11. bis ins 13. Jahrhundert, aus der die kapitalistische Form hervorgeht; die Gesinnungstransformation vom 16. bis in 18. Jahrhundert, aus der der kapitalistische Geist hervorgeht, der sich mit der bereits existierenden kapitalistischen Form zum Frühkapitalismus verbindet; und die technologische Transformation des 19. Jahrhunderts, durch die der Frühkapitalismus in den Hochkapitalismus, in den Kapitalismus des eisernen Zeitalters, überführt wird. Weber diagnostiziert also in den Protestantismusstudien eine Revolution bzw. Transformation von innen, die in seinen Augen eine unentbehrliche historische Bedingung für die Entstehung und Entwicklung des modernen Kapitalismus und des damit verbundenen Rationalismus der Weltbeherrschung ist. Diese Revolution bzw. Transformation von innen schafft nicht aus sich allein diese schicksalsvollste Macht des modernen Lebens. Aber sie läßt sich auch nicht als ein bloßer Reflex, als eine Funktion der institutionellen Revolutionen bzw. Transformationen verstehen.“ (Schluchter 1994: 704)

Schluchter ist der Ansicht, dass Webers Interesse vor allem der zweiten Phase galt, also der gesinnungsmäßigen Neuausrichtung der Akteure, die zugleich als der eigentliche Motor der ‚Transformationsdynamik‘ gelten. Diese Schilderung (der hier im Wesentlichen gefolgt wird) stimmt nicht mit Lemkes Rekonstruktion überein, wonach – im Zuge eine Gegenüberstellung zwischen Weber, Foucault und Elias – Weber entsprechend der von Schluchter vorgeschlagenen Dreiteilung des ‚Transformationsprozesses‘ sich insbesondere der dritten Phase gewidmet hätte: „Während Weber in seiner Machtkonzeption vor allem von Herrschaftstechniken ausgeht und Elias sich auf Selbstzwänge konzentriert, verknüpft Foucaults Konzept der Gouvernementalität beide Untersuchungsrichtungen. Indem er Regierung in einem umfassenden Sinn als ‚Führung der Führungen‘, als Verschränkung von Selbst- und Fremdführungstechniken begreift, kann er über beide Analyseperspektiven hinausgehen und das Problem des Willens jenseits des Dualismus von Freiwilligkeit und Zwang, Subjektivität und Macht thematisieren.“ (Lemke 2001: 90)

Weber hat mit Sicherheit deutlich weniger pointiert als Foucault die ‚Verschränkung von Selbst- und Fremdführungstechniken‘ analytisch bearbeitet, nichtsdestotrotz finden sich beide Aspekte in Webers Diagnosen wieder. Umso ergiebiger verspricht eine auf diese Aspekte fokussierte, direkte Gegenüberstellung von Weber und Foucault auszufallen. In Foucaults Werk lässt sich – trotz aller offensichtlichen Unterschiede – eine zu Weber analoge Darstellung finden. Wenngleich in Webers Schriften deutlich schwächer ausgeprägt, finden sich bei Foucault beide Bewegungen sehr scharf gezeichnet wieder: Sowohl die Genese des Subjektes als ‚individualisierter Akteur‘ als auch die gesellschaftlichen Disziplinartechniken, die daran anknüpfend diesen Prozess verstärken und/oder umgekehrt (Foucault 2002: 258ff; Foucault

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1997: 34f, 88f; vgl. Lemke 2001: 85ff). Die zwei Momente sind als Klammer zu verstehen, die aufeinander verweisen, ohne dass es möglich wäre, ein ‚einseitiges‘ Bedingungsverhältnis angeben zu können: „Nur das durch die Subjektwerdung des Individuums entstehende Wissen über das eigene Selbst erlaubt es dem einzelnen, zu erkennen, was der disziplinierende Blick erfasst, wenn er sich auf das Individuum richtet. Die Foucaultsche Genealogie der Sexualität zeigt zudem, daß selbst die intimsten Bereiche des menschlichen Lebens in den Dienst der Disziplinargesellschaft gestellt sind […]. Allein die konstruktiven Wirkungen der modernen Kristallisationspunkte der Machtverhältnisse, also der Disziplinartechniken, die das moderne Individuum als Unterwerfungsprodukt erst hervorbringen, ermöglichen die irreversible Konstitution der Disziplinargesellschaft.“ (Hillebrandt 1999: 207)

Von den in seinen frühen Schriften dargestellten Wirkungen panoptischer Verfahren bis hin zu den Beichtpraktiken der späten, teilweise erst posthum erschienenen Reihe zur „Sexualität und Wahrheit“ zieht sich die Genese des Subjektes als ein Leitmotiv durch Foucaults Arbeiten. Diese wird nicht nur als „Doppelbewegung von Befreiung und Versklavung“ (Foucault 2003: 480) sondern zugleich als „Doppelbindung von Individualisierung und Totalisierung“ (Hillebrandt 1999: 207 Fn14) vorgestellt: „Am Beispiel der Reformbestrebungen, aus denen die psychiatrische Anstalt und die klinische Psychologie hervorgehen, entwickelt Foucault schließlich jene innere Verwandtschaft von Humanismus und Terror, die seiner Modernitätskritik ihre Schärfe und Unbarmherzigkeit verleiht. An der Geburt der psychiatrischen Anstalt aus den humanitären Ideen der Aufklärung demonstriert Foucault zum ersten Mal jene ‚Doppelbewegung von Befreiung und Versklavung‘, die er später in den Reformen von Strafvollzug, Erziehungssystem, Gesundheitswesen, Sozialfürsorge usw. auf breiter Front wiedererkennt. Die humanitär begründete Befreiung der Irren aus der Verwahrlosung der Internierungslager, die Schaffung von hygienischen Kliniken mit ärztlichen Zielsetzungen, die psychiatrische Behandlung der Geisteskranken, das Anrecht, das diese auf psychologisches Verständnis und therapeutische Fürsorge erwerben – dies alles wird durch eine Anstaltsordnung ermöglicht, die den Patienten zum Gegenstand von kontinuierlicher Überwachung, Manipulation, Vereinzelung und Reglementierung, vor allem zum Gegenstand der medizinischen Forschung zurichtet. Die Praktiken, die sich in der inneren Organisation des Anstaltslebens institutionell verfestigen, sind die Basis für eine Erkenntnis des Wahnsinns, die diesem erst die Objektivität einer auf den Begriff gebrachten Pathologie verleiht und damit dem Universum der Vernunft einordnet.“ (Habermas 1996: 289f)

Wenngleich Foucault seine Einschätzung bezüglich der ‚Ausweglosigkeit‘ dieser Situation im Verlauf seiner Wirkungszeit etwas lockert (Hillebrandt 1999: 211), zeichnet sich seine Einschätzung, ebenfalls analog zu Webers, durch einen tiefen Pessimismus aus:

192 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Unsere Gesellschaft ist nicht die eines Schauspiels, sondern eine Gesellschaft der Überwachung. Unter der Oberfläche der Bilder werden in der Tiefe die Körper eingeschlossen. Hinter der großen Abstraktion des Tausches vollzieht sich die minutiöse und konkrete Dressur der nutzbaren Kräfte. Die Kreise der Kommunikation sind die Stützpunkte einer Anhäufung und Zentralisierung des Wissens. Das Spiel der Zeichen definiert die Verankerung der Macht. Die schöne Totalität des Individuums wird von unserer Gesellschaftsordnung nicht verstümmelt, unterdrückt, entstellt; vielmehr wird das Individuum darin dank einer Taktik der Kräfte und der Körper sorgfältig fabriziert. Wir sind weit weniger Griechen, als wir glauben. Wir sind nicht auf der Bühne und nicht auf den Rängen. Sondern eingeschlossen in das Räderwerk der panoptischen Maschine, das wir selber in Gang halten – jeder ein Rädchen.“ (Foucault 2002: 278f)

Die Analogie besteht gemäß der hier vertretenen Lesart vor allem in dem sowohl von Weber als auch von Foucault nur in Form eines als Doppelbindung vorstellbarem Verhältnis zwischen Subjekt und gesellschaftlicher Wirklichkeit bzw. in der Lebensführung als ‚Scharnier‘ der Vermittlung von Akteur und Sozialem, die als Emergenz eben dieser Vermittlungsleistung entsteht und zugleich das charakteristische Merkmal des modernen Akteurs ausmacht. Das moderne Subjekt (als drittes Element – neben dem Akteur und dem Sozialen, das vorläufig als ‚Akteur-Rest‘ umschrieben werden kann) verdankt seine Individualität also einer spezifischen Relationierung zu dem, was es nicht ist. Webers Rückzug ins „Pianissimo engster Beziehungen“ (Weber 1994: 22f) entspricht im Rahmen einer solchen Gegenüberstellung Foucaults Aufforderung zu einem proaktiven Ausleben subversiver ‚Selbstpraktiken‘, die im zweiten Band von „Sexualität und Wahrheit“ vorsichtig als Bewegungsraum des Akteurs gegenüber der vom ‚Code‘ dar- und hergestellten Ordnung beschrieben wird: „Insgesamt kann sich also eine Handlung, um moralisch genannt zu werden, nicht auf einen Akt oder eine Reihe von Akten beschränken, die einer Regel, einem Gesetz oder einem Wert entsprechen. Gewiß enthält jede moralische Handlung ein Verhältnis zu dem Wirklichen, in dem sie sich abspielt, und ein Verhältnis zu dem Code, auf den sie sich bezieht; aber sie impliziert auch ein bestimmtes Verhältnis zu sich; dieses ist nicht einfach ‚Selbstbewußtsein‘, sondern Konstitution seiner selber als ‚Moralsubjekt‘, in der das Individuum den Teil seiner selber umschreibt, der den Gegenstand dieser moralischen Praktik bildet, in der es seine Stellung zu der von ihm befolgten Vorschrift definiert, in der es sich eine bestimmte Seinsweise fixiert, die als moralische Erfüllung seiner selber gelten soll; und um das zu tun, wirkt es auf sich selber ein, geht es daran, sich zu erkennen, kontrolliert sich, erprobt sich, vervollkommnet sich, transformiert sich. Es gibt keine einzelne moralische Handlung, die sich nicht auf die Einheit einer moralischen Lebensführung bezieht; keine moralische Lebensführung, die nicht die Konstitution als Moralsubjekt erfordert; und keine Konstitution des Moralsubjekts ohne ‚Subjektivierungsweisen‘ und ohne ‚Asketik‘ oder ‚Selbstpraktiken‘, die sie stützen. Die moralische Handlung ist nicht zu trennen von diesen Formen der Einwirkung auf sich selber, die von einer Moral

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zur andern nicht weniger unterschiedlich sind als das System der Werte, Regeln und Verbote.“ (Foucault 2004a: 39f)

In einem Interview bringt Foucault unmissverständlich zum Ausdruck, dass in diesem ebenfalls zunächst sehr privaten ‚Raum‘ die Techniken des Selbst quer zu dem ‚Code‘ stehen können, und somit die Beziehung „zwischen der Ethik und den sozialen, ökonomischen oder politischen Strukturen […] veränderlich“ (Foucault 1984a: 80) sind. Die Selbstpraktiken oder Selbsttechnologien sind zugleich sowohl Mittel der Unterwerfung als auch der Befreiung, der Modus von Veränderung bleibt also denselben Bedingungen unterworfen, die das moderne Subjekt hervorgebracht haben und an die seine ‚Individualität‘ verhaftet bleibt (vgl. Butler 2010: 89). Im gleichen Interview fasst er die Intention seiner letzten Veröffentlichungen wie folgt zusammen: „Der allgemeine Rahmen dieses Buches über die Sexualität ist eine Geschichte der Moral. Überhaupt denke ich, daß, sobald es sich um die Geschichte der Moral handelt, wir zwischen dem moralischen Handeln und dem Moralkodex unterscheiden müssen. Die Handlungen (die Art der Lebensführung) stellen das wirkliche Verhalten der Leute angesichts des Moralkodex (den Vorschriften) dar, der ihnen auferlegt ist. Ich denke, daß unterschieden werden muß zwischen dem Kodex, der festlegt, welche Handlungen erlaubt und welche verboten sind, und dem Kodex, der den positiven oder negativen Wert der verschiedenen möglichen Verhaltensweisen bestimmt – man hat nicht das Recht, mit jemandem anderen als mit seiner Frau geschlechtlich zu verkehren, das ist z. B. ein Element des Kodex. Und dann gibt es eine andere Seite der Moralvorschriften, die zwar meistens nicht als solche isoliert werden kann, aber m. E. sehr wichtig ist: die Art der Beziehung, die man zu sich selbst hat, der Selbstbezug, den ich Ethik nenne und der bestimmt, wie das Individuum sich als vermeintliches moralisches Subjekt der eigenen Handlungen konstituiert.“ (Foucault 1984a: 82f)

Rammert verweist im Zuge der Vorstellung eines ‚zweigeteilten Technikbegriffs‘, der zwischen Form der Technisierung und seinem Trägermedium unterscheidet, auf Foucault, der in seinem Spätwerk eine ähnliche Einteilung vornimmt: „In seinen letzten Schriften kommt Michel Foucault, wenn er seine genealogischen Studien zur Herstellung des Subjekts auf den verschiedenen Diskursfeldern resümiert, zu einer ähnlichen Einteilung: ‚Technologien des Physikalischen‘ (Arbeit), ‚Technologien der Zeichensysteme‘ (Sprache) und ‚Technologien der Beherrschung‘ (Leben), wobei er die Machttechniken des Kontrollierens, Klassifizierens und Disziplinierens von Bevölkerung, Körper und Geist noch einmal von den ‚Technologien des Selbst‘ unterscheidet, welche die ‚Selbstbeherrschung‘ und Technik der Lebensführung betreffen […].“ (Rammert 2008a: 220 Fn9; vgl. Foucault 1993b)

194 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE

In der Tat zeichnet Rammert seit seinem 1998 erschienenen programmatischen Aufsatz „Die Form der Technik und die Differenz der Medien – Auf dem Weg zu einer pragmatistischen Techniktheorie“ (Rammert 1998b) bis heute ein immer konkreteres und methodisch ausbuchstabiertes Bild eines zutiefst hybriden Akteurs (Rammert 2008a), insofern „in den soziotechnischen Konstellationen“ die verschiedenen „Formen und Träger der Technisierung […] in der Regel gemeinsam und eng aufeinander bezogen auf[tauchen]“. (Rammert 2007c: 17) Zu Foucaults – und auch Webers – Subjektbegriff lassen sich jedoch nicht unwesentliche Unterschiede ausmachen, insofern Rammert einen (neo-)pragmatistischen Identitätskern des Akteurs sozialtheoretisch zur Geltung kommen lässt, und der Schwerpunkt vielmehr in der Hybridität des Sozialen als soziotechnischer Wirklichkeit liegt, in der technische und menschliche Handlungsträgerschaft jenseits einer instrumentalistischen Engführung herausgearbeitet werden (Rammert 2008a: 224ff; Rammert 2007b: 85ff). Wohingegen Foucaults und Webers ‚Subjekt‘ entweder aus dem Bereich des Sozialen verdrängt wird (Weber) oder nur qua Akteur – und damit im Medium des technischen – Einfluss nehmen und zum Vorschein kommen kann (Foucault). Hillebrandt stellt zurecht fest, dass „Foucault […] in seinem Spätwerk eine theoretische Verschiebung von der Problematisierung von Strafpraktiken und Disziplinarstrukturen zur Thematisierung von Selbstpraktiken im Rahmen eine ‚Ethik der Existenz‘ vor[nimmt]“ und damit „die Grenzen seines Theorems der Disziplinar- und Normalisierungsgesellschaft“ (Hillebrandt 1999: 211) aufzeigt. Er übersieht allerdings gründlich, dass Foucaults Akteurmodell sich weiterhin und ausschließlich im Medium der ‚Disziplinierung‘ durch die Anwendung von ‚Selbsttechnologien‘ bewegt, wonach beispielsweise Homosexualität eine subversive Kraft aus einer Praxis gelebter Partnerschaft heraus bzw. einer ‚Lebensweise‘ entwickelt, die getrost als Aspekt einer ‚innovativen Lebensführung‘ gewertet werden kann; aber eben immer noch ‚Lebensführung‘ als Arbeit an der ‚Praxis des Lebens‘ darstellt, die erst jenes Selbst konstituiert, das sowohl der Akteur ‚für sich selbst‘ als auch dessen Umwelt eben nur insofern als Motor einer sozialen Innovation wahrnehmen können: „Die Altersunterschiede zwischen einem Mann und einer jüngeren Frau werden institutionell eingeebnet: man akzeptiert die jüngere Frau, akzeptiert sie in ihrer Funktion als Ehefrau. Welchen Code können hingegen Männer mit beträchtlichem Altersunterschied benutzen, um miteinander in Kontakt zu kommen? Sie stehen einander ohne Waffen oder passende Worte gegenüber, ohne etwas, das ihnen den Sinn der Bewegung, die sie einander zuträgt, bestätigen könnte. Sie müssen von A bis Z eine Beziehung erfinden, die noch formlos ist: die Freundschaft, d. h. die Summe all dessen, womit sie einander Freude bereiten können. Man gesteht es den anderen ja auch zu, Homosexualität allein als unmittelbares Lusterleben zweier Typen hinzustellen, zweier Typen, die sich auf der Straße begegnen, sich mit einem Blick verführen, sich am Hintern fassen und sich für ein Viertelstündchen vergessen. Damit hat man so etwas wie ein heiles Bild von der Homosexualität, das den Anschein von Unruhe aus zweierlei Gründen

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verliert: es entspricht einem gängigen Schönheitskanon und tilgt alles, was an der Zuneigung und der Zärtlichkeit, der Treue und der Freundschaft, der Kameradschaft und der Partnerschaft beunruhigend sein könnte – an Werten, denen eine schon leicht angeschlagene Gesellschaft keinen Platz mehr zugestehen kann, ohne zu fürchten, daß daraus Bindungen entstehen und Kraftlinien sich unerwartet miteinander verknüpfen. Es geht eher um die homosexuelle Lebensweise als um den Geschlechtsakt selbst; gerade das, denke ich, macht die Homosexualität so ‚aufregend‘. Die Leute stört nicht etwa, daß sie sich einen Geschlechtsakt vorstellen, der nicht dem Gesetz oder der Natur entspricht. Das Problem entsteht vielmehr erst, wenn jene Individuen sich zu lieben beginnen. Die Institution wird sozusagen von hinten aufgewickelt; sie wird von Gefühlsintensitäten durchquert, die sie aufrechterhalten, aber zugleich zerrütten […].“ (Foucault 1984b: 86f, vgl. 90)

Der damit von Foucault aufgezeigte Spielraum durchbricht zwar die geltende Ordnung, kann dies jedoch wieder nur mit eben den Mitteln bzw. innerhalb des Mediums aus denen das moderne Subjekt hervorgegangen ist tun: „Die Homosexualität bietet eine historische Gelegenheit, bestehende Möglichkeiten von Beziehungen und Gefühlen wieder zu erschließen, und dies nicht so sehr aufgrund der ‚wahren‘ Eigenschaften des Homosexuellen als deswegen, weil dieser gewissermaßen ‚schräg‘ liegt und so Diagonalen ins soziale Gewebe einzuzeichnen vermag, die diese Möglichkeiten erscheinen lassen.“ (Foucault 1984b: 90)

Im Unterschied zu Weber gelangt Foucault somit zu der Frage: „[W]omit kann man spielen und wie ein Spiel erfinden?“ (Foucault 1984b: 93) Der Akteur kann allerdings nur aufgrund ‚neuer‘ Subjektivierungsleistungen Distanz zu sich selbst aufbauen und erfährt sich so als ‚Subjekt‘, das eine Unterscheidung in ‚sein‘ Leben einschreiben kann, Akteur und Subjekt treten jedoch nicht auseinander: Das Subjekt fällt mit dem Akteur zusammen, da es nur im Modus von Subjektivation einen Unterschied in sein Leben einschreiben kann; bei Foucault gibt es kein ‚Pianissimo‘ intimer Beziehungen, die bei Weber die Schwelle zum Außen markiert. Das Subjekt ist das Ergebnis einer ‚Selbsttechnisierung‘ und als solches verbleibt es als Akteur den Wirkmechanismen des sozialen Raums verhaftet und unterliegt denselben wirklichkeitskonstituierenden Techniken. Vor diesem Hintergrund steht die Vorstellung, dass die Episteme ‚Mensch‘ zeitlich befristet ist (Foucault 1995: 462). In beiden Entwürfen wird die Genese von modernem Akteur und Subjekt gleichursprünglich gedacht, hervorgegangen aus einer fokussierten Thematisierung des Selbst. In Webers Ansatz muss dies jedoch vom Subjekt in Form einer Vermittlungsleistung in Differenz zum Außen hergestellt werden, obgleich sie dazu führt, dass das Subjekt an den Rand sozialer Wirklichkeit gedrängt wird. Dennoch bleibt es mit dem sozialen Akteur auf das Engste verbunden, da das Subjekt wiederum Ausdruck eben

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der Differenz ist, die es herstellen muss. Wohingegen in Foucaults Entwurf das Subjekt von innen heraus hergestellt wird, damit es sich zum modernen Akteur entwickeln kann (vgl. vor dem Hintergrund einer anderen Fragestellung im Kern aber ähnlichen Einschätzung bei Lemke 2001: 90). Die Stoßrichtungen sind diametral entgegengesetzt, und auch in Foucaults Ansatz kommt die Reflexivität sozialwissenschaftlicher Theoriegeschichte besonders deutlich zum Ausdruck: Es kann keinen Subjektbegriff geben, der nicht vollständig als Produkt sozialer Wirklichkeit konzipiert wird. Der moderne Akteur wird als Subjekt konzipiert; wohingegen bei Weber das Subjekt zum modernen Akteur wird. Abbildung 18: Nullwert-Matrize Foucault: Die sich im Gegenstand konstituierende Differenz von Selbst-Techniken vs. Akteur als Subjekt Akteur/ Subjekt

Soziales

Selbst (-Techniken)

Webers Subjekt konstituiert sich zwar in Differenz zum modernen Akteur, aber dieses Verhältnis wird gesellschaftsdiagnostisch als statisch dargestellt. Subjekt und Akteur bleiben aneinander gekoppelt, ohne aufeinander einwirken zu können, was damit zusammenhängt, dass die Notwendigkeit dieser Aufspaltung eine gesellschaftliche, also der Subjekt-Akteur Figuration äußerliche ist. In Foucaults Ansatz hingegen kann das Subjekt sich in Verhältnis zum Außen setzen, und wenngleich es denselben Herstellungsleistungen unterworfen ist, die es ihm ermöglichen als Akteur Handlungswirksamkeit zu entfalten, kann es einen Unterschied in das Verhältnis zwischen Selbst und Sozialem einschreiben. Dies ist im Vergleich zu Weber möglich, gerade weil der Akteur als Ergebnis von Subjektivierung aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit hervorgegangen ist. Moderne und Subjekt sind rekursiv aneinander gekoppelt, soziale Wirklichkeit und Subjektivität bedingen einander, so ähnlich wie in Giddens Modell der homöostatischen Kausalschleife Handlungen und Strukturen rekursiv aufeinander verweisen (Giddens 1997: 70, 80; vgl. zur Gegenüberstellung von Weber, Foucault und Goffman: 199ff). Das verschafft im Unterschied zu Weber dem Subjekt die ‚Freiheit‘ einen Unterschied ins Gewebe einzuschreiben, ohne den Modus dieser spezifischen Rekursivität der Moderne zu durchbrechen. Insoweit kann in Foucaults Ansatz von einem dynamischen Verhältnis ‚totaler Immanenz‘ die Rede sein, wohingegen Weber ein statisches Verhältnis ‚totaler Immanenz‘ beschreibt:

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Weber stellt in seiner Protestantismusthese das Auseinanderdriften von gesellschaftlicher Wirklichkeit und (aufgrund dieser Bewegung in Erscheinung tretenden) Akteuren dar, das dazu führt, dass das Subjekt – als Effekt einer Ausschlussbewegung – an den Rand sozialer Wirklichkeit fixiert wird (Weber 1988b: 62, 203f). Der gesellschaftliche Wirkmechanismus der Genese des Subjektes stellt zugleich der Grund seines ‚Ausschlusses‘ dar: Es ist aus der Notwendigkeit einer Vermittlungsleistung ‚entstanden‘, ohne jedoch die Möglichkeit zu haben in die Vermittlungsmechanismen einzugreifen. In keinem Entwurf kommt die Qualität des Nullwertes, die diesem Element in der Gründergeneration zukommt, offensichtlicher zum Vorschein. Im Ergebnis zeigen sich zwei entgegengesetzte Formen von Distanz: einer dynamischen bei Foucault und einer statischen bei Weber. Obwohl der moderne Akteur ähnliche Züge aufweist (die grob als Herstellungspraxen durch Disziplinierung bzw. konsequenter Anwendung von Selbsttechnologien umschrieben werden können). Bei aller ‚Abhängigkeit‘ der Subjektkonstitution vom Sozialen, zeigt sich im Vergleich mit Foucault die hier thematisierte Nullwertverschiebung. So stellt das Subjekt in Webers Ansatz eine feststehenden Größe außerhalb der Akteur vs. Soziales Differenz dar, wohingegen in Foucaults Ansatz das Subjekt in besonders plakativem Ausmaß als unmittelbares Produkt des Sozialen in den Gegenstandsbereich ‚gerutscht‘ ist. Aus dieser Beobachtung heraus wird deutlich, dass die Konzeption von Distanz sehr unterschiedlich ausfäll. Ein weiterer Vergleich soll Webers Akteurmodell in dieser Hinsicht weiter aufhellen und zugleich einen weiteren Vertreter ‚neuerer Ansätze‘ exemplarisch ins Feld führen. Die Position des Subjektes: Ein Vergleich zwischen Goffman, Plessner und Mead

Webers Akteurmodell lässt sich gewinnbringend mit Erving Goffmans parallelisieren. Dabei kommt zum Vorschein, dass jenem die Fähigkeit zur Rollendistanz abgeht. Zugleich vermag dieser Vergleich Foucaults systemimmanenter Distanzaufbau durch die Akteure (die somit innerhalb der Nullwert-Terminologie im Unterschied zu den Klassikern Subjektcharakter erlangen) zu ergänzen. Goffmans Akteurmodell buchstabiert die in Weber bereits vorhandene, aber nicht aufgelöste Paradoxie des modernen Akteurs auf der Gegenstandsseite aus und zeigt anhand seiner Studien zu totalen Institutionen die Unmöglichkeit der Existenz eines Akteurs als Subjekt, sofern diesem die Möglichkeit genommen wird, ein ‚Außen‘ zu imaginieren, von dem aus sich der Akteur als Subjekt erfahren kann: „Die einfachste soziologische Auffassung vom Individuum und seinem Selbst besagt, daß es vor sich selbst das ist, was sein Platz innerhalb einer Organisation ihm vorschreibt. Wenn es sein muß, findet der Soziologe sich allerdings bereit, sein Modell zu modifizieren und gewisse Einschränkungen gelten zu lassen: So ist es möglich, daß das Selbst noch nicht geformt ist oder

198 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE daß es konfligierende Neigungen zeigt. Vielleicht sollten wir noch eine weitere Komplikation dieses Bildes zulassen, indem wir diesen Modifikationen eine zentrale Bedeutung beimessen und für die Zwecke der Soziologie folgende erste Definition des Individuums wagen: Es ist eine Stellung beziehende Entität, ein Etwas, das eine irgendwo zwischen der Identifikation mit einer Organisation und der Opposition gegen diese gelegene Haltung einnimmt, und es ist bereit, beim leisesten Zwang sein Gleichgewicht wieder herzustellen, indem es sein Engagement in die jeweilige Richtung verlagert. Das Individuum kann sich also gegen etwas setzen. […] Ohne etwas, zu dem wir uns zugehörig fühlen, haben wir kein stabiles Selbst, erfordert doch die totale Hingabe und Bindung an jegliche soziale Einheit eine gewisse Selbstlosigkeit. Unser Gefühl, jemand zu sein, kann daraus resultieren, daß wir einer größeren sozialen Einheit angehören; unser Gefühl der Individualität kann sich in den kleinen Maßnahmen bewähren, durch die wir deren Sog widerstehen. Unser Status wird durch das solide Bauwerk unseres Milieus getragen, doch unser Gefühl der persönlichen Identität steckt häufig gerade in den Brüchen.“ (Goffman 2004a: 303f; vgl. Goffman 2004b: 25)

Zunächst erstaunlich, bei näherem Hinsehen aber durchaus plausibel, hat Goffman diese Bewegung nicht positiv bezeichnet, sondern nur symptomatisch und relational als Rollendistanz umschrieben. Auch das von ihm als „persönliche Identität“ bezeichnete lässt sich ‚positivistisch‘ ermitteln und zuschreiben (Goffman 2002: 74). So ist auffällig, dass im Falle der „persönlichen Identität“ Goffman von Merkmalen der ‚Kennzeichnung‘ spricht, wohingegen das Phänomen der Rollendistanz als ein ‚Gefühl‘ des Akteurs gegenüber sich selbst dargestellt wird (Goffman 2002: 75; Goffman 2004a: 304). Es ist nicht unwesentlich zwischen diesen zwei Seiten von ‚Identität‘ zu unterscheiden. Der mit spezifischen Attributen ‚positiv‘ definierte Begriff der „persönlichen Identität“ ist etwas gänzlich anderes als das, was im Phänomen der Rollendistanz zum Ausdruck gebracht wird. Ersteres lässt sich bestimmen, Letzteres findet jenseits des Sozialen statt und gleicht der Konzeption eines frei flottierenden Signifikanten (vgl. Brune 2003: 213): Die Einnahme einer Position ohne eine klar bestimmbare Differenz, eine Leerstelle im sozialen Gefüge, die den Lebensäußerungen aus der Binnenperspektive des Akteurs (und durch diese Bewegung zum Subjekt geworden) Sinn verleiht. Goffmans Entwurf nimmt im Rahmen der hier entfalteten Lesart soziologischer Theorien eine Sonderstellung ein. Es ist der einzige Ansatz der Postgründergenerationen, bei dem der Nullwert ‚buchstäblich‘ im Gegenstand, und zwar als empirisches Datum, angesiedelt wird. In Goffmans Werk findet sich also die hier vorgestellte These einer Bewegung des Nullwertes in den Gegenstand beim Übergang von den Klassikern hin zu neueren Ansätzen besonders anschaulich wieder. Hierbei muss hervorgehoben werden, dass das ‚Hochrutschen‘ des Nullwertes in den ‚Gegenstandsbereich‘ der Theorien in der Regel nicht bedeutet, dass dieser von den Theorien im Gegenstand ‚entdeckt‘ wird, sondern vielmehr, dass dieser dort ‚verortet‘ wird. Wie

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bereits angeführt, wird hier nicht der Frage nachgegangen, inwieweit es eine Entsprechung zwischen den (mehr oder weniger) systematischen Beschreibungen des Gegenstandes durch die Theorien und dem Gegenstand selbst gibt, sondern lediglich, in welcher Weise die Theorien diesen zu fassen und beschreiben trachten. Goffmans Theorie hebt sich auch insofern von den anderen, in dieser Arbeit besprochenen ab, als sie in den Daten qualitativer empirischer Forschung gründet (Goffman 2004c). Dass Goffman als einer der bedeutendsten Wegbereiter der Grounded Theory angesehen werden kann, wird von den reichhaltigen Verweisen auf seine Arbeiten in den frühen programmatischen Vorstellungen durch Glaser und Strauss unterstrichen (vgl. 1998). Goffman arbeitet erst in „Stigma“ drei Formen von Identität systematisch heraus: Soziale, Persönliche und Ich-Identität (2002: 9ff, 56ff, 132ff). Die von Goffman 1961 veröffentlichte Aufsatzsammlung „Asyle“ stellt eine erste Niederlegung seiner empirischen Forschung über totale Institutionen dar (2004d: 7f). Diese Entwicklung von einer ersten Darlegung einzelner Forschungsergebnisse zu totalen Institutionen hin zu einer systematischen Weiterentwicklung eines Identitäts- bzw. Akteurmodells unterstreicht die gegenstandsbezogene ‚Entdeckung‘ von ‚Identitätskonstitution‘. In der oben zitierten Passage aus einem der Aufsätze aus „Asyle“ wird mit dem „Gefühl persönlicher Identität“ (2004a: 304) allerdings nicht das zum Ausdruck gebracht, was zwei Jahre später als Ich-Identität in Abgrenzung zur persönlichen Identität dargestellt wird. Goffman geht es in „Stigma“ vorrangig darum zwischen Außen- und Binnenperspektive zu Unterschieden: Soziale und Persönliche Identität gelten dabei als sozial zugeschriebene Identitäten, wohingegen Ich-Identität auf die Bewertung durch den Akteur hinsichtlich der eigenen Position zum Sozialen abstellt. So lassen sich in „Asyle“ Passagen finden, in denen es um die Übernahme zugeschriebener Identität geht und die mit den Darstellungen von Ich-Identität konform gehen: Der ‚Karriereverlauf‘ des Geisteskranken durchläuft und ‚überschreibt‘ spätestens nach der Einweisung in eine Psychiatrie nicht selten alle drei Identitätstypen. Neben der sozialen Zuschreibung (Insasse einer Psychiatrie zu sein) muss die ‚Lebensgeschichte‘ des Eingewiesenen entsprechend umgedeutet werden (es gab schon immer oder zumindest schon sehr lange Anzeichen einer psychischen Krankheit bzw. entsprechende Auffälligkeiten) und schließlich übernimmt der Insasse die Neudeutung seiner Biografie (2004e: 144; 2002: 153ff). Die Ich-Identität kann häufig mit der Persönlichen Identität zusammenfallen; der Akteur übernimmt im Zuge einer ‚Identitätspolitik‘, die durchaus die Vorzeichen einer Identitäts-Ökonomie aufweist, die ihm zugeschriebene Identität. So stellt sich für den Insassen die Annahme der ‚neuen‘ Biografie häufig als unabdingbar dar, da nicht nur das Personal, sondern auch die dem Insassen nahe stehenden Personen die Einweisung und ihr eigenes Handeln mit der Umdeutung und Zuschreibung der ‚neuen‘ Persönlichen Identität legitimieren. Um einen

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schmerzlichen Verlust an Bezugspersonen zu vermeiden, wird die Selbsteinschätzung der Fremdzuschreibung angepasst. Ich-Identität ist folglich nicht mit emphatischer Rollendistanz gleichzusetzen. Ich-Identität ist vor allem Selbstmanagement – und gleicht in dieser Hinsicht Webers Entwurf des modernen Akteurs. Das in „Asyle“ noch unscharf als ein besonderer Aspekt persönlicher Identität Dargestellte kann zwar unter dem Konzept der IchIdentität subsumiert werden, stellt genau genommen aber eine eigene Qualität der Selbstwahrnehmung dar, die eben nicht ‚Subjektivation‘ bedeutet. Es müsste als eine flüchtige, die eigene Subjektivität übersteigende Bewegung dargestellt werden, in der kraft der bewussten Wahrnehmung der eigenen Subjektivität die Subjektivation aufgehoben wird, dennoch aber an die eigene Subjektivität gebunden bleibt, weshalb weiterhin von Subjektkonstitution die Rede sein soll. Um erneut ein auf den ersten Blick abwegigen, aber gerade im Vergleich zu Weber instruktiven Vergleich mit Camus zu bemühen: Weiter oben ist bezüglich Webers Akteurmodell geschrieben worden, dass dem modernen Akteur lediglich die Einsicht in die konstitutiv-tragische Situation seines Daseins bleibt, die an Camus’ existenzialistisches Essay „Der Mythos von Sisyphos“ (1959) erinnert. Goffmans Begriff der Rollendistanz hingegen erinnert an Camus Versuch einer existenzialistischen Rettung des ‚Menschen‘ angesichts einer absurden, sinnlosen Situation und lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf den Abstieg des Sisyphos. In diesem Zwischenraum, in dem sich Sisyphos seiner hoffnungslosen Lage ‚bewusst‘ wird, steigt er über sich selbst (als ein von den Fesseln der Rahmung seiner Handlungsmöglichkeiten bestimmter und dadurch ‚verdammter‘ Akteur) hinaus (Camus 1959: 98ff). Genau hierin liegt auch der Unterschied zwischen Webers und Goffmans Akteur. Goffman thematisiert mit seinem Begriff der Rollendistanz den Abstieg von Sisyphos, wohingegen Webers Akteur die ‚Erfahrung dieses Zwischenraums‘ und damit die Möglichkeit von Rollendistanz verwehrt bleibt, gerade weil Subjekt und Akteur (noch) nicht ‚in eins‘ gefallen sind. Goffman hat also – wie kein anderer zuvor – den Nullwert des Akteurs auf der Gegenstandsseite ‚entdeckt‘ und empirisch ex negativo vor allem anhand seiner Untersuchungen totaler Institutionen offen gelegt. Das Pendant dazu stellt in Meads Akteurmodell die Residualkategorie „I“ dar. Das Element „I“ ist jedoch in Unterschied zu Goffmans Theorem der Rollendistanz ein Element der Theorie und ist zugleich die Kontingenzformel bzw. der Nullwert in Meads Theorie. Das von Goffman konstatierte Phänomen der Rollendistanz und durch diese ermöglichte Subjektkonstitution ist in gewisser Weise ein Nebeneffekt moderner, ausdifferenzierter Gesellschaften (weshalb die Frage berechtigt ist, ob Rollendistanz in vormodernen Gesellschaftsformen auftreten kann). Wohingegen die Kategorie des „I“ ein fester Bestandteil der von Mead entwickelten, differenztheoretischen Identitätstheorie darstellt, das, um der Einheit der Differenz („I“ vs. „Me“) willen innerhalb der Theorie durch Temporali-

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sierung entparadoxiert wird (Mead 2002a: 216ff). Der ‚Ort‘ dieser paradoxen Subjektgenese wird von Plessner zu Recht in einem „utopischen Standort“ (Plessner 1975: 341ff; Plessner 2004a: 11) lokalisiert. Die Parallelen zwischen Plessners philosophischer Anthropologie und Meads sowie Goffmans Akteurentwürfen sind an dieser Stelle äußerst instruktiv. Plessner stellt im Spiel die Möglichkeit zur punktuellen und fragilen Auflösung einer paradoxen Argumentationsfigur der Erzeugung von Einheit durch Differenz (realiter, also auf der Gegenstandsseite) in Aussicht: „Spielen ist immer ein Spielen mit etwas, das auch mit dem Spieler spielt, […] eine gegensinnige Beziehung, die zur Bindung verlockt, ohne doch soweit sich zu verfestigen, daß die Willkür des einzelnen ganz verlorengeht. Gleichwohl besteht die Gefahr des Umschlags, in jedem Augenblick. Die lockere, bildhafte Bindung verfliegt dann, und die Eindeutigkeit schiebt sich an ihre Stelle: aus dem Spiel wird Ernst, aus dem sich Jagen, Fangen und Balgen wird Kampf, das Bild wird von der Wirklichkeit verdrängt. Solange man nur so tut, als ob …, solange man auf die bildhaften Qualitäten der Dinge, ihr Wippen und Schwingen, ihr Rollen und Tanzen, die Schmalheit des gespannten Seils, die Glätte des Bodens, die Schiefheit der Gleitfläche, die Elastizität des Balles anspricht, ist die Bindung da. Entzieht man sich ihrer Resonanz, verwandeln sie sich in die Qualität ihres Ernstes, in Dinge des Gebrauchs und der eindeutigen Wirklichkeit.“ (Plessner 1961: 102)

Die von Plessner als ‚Spiel‘ charakterisierte Situation erinnert stark an Meads Beschreibung einer idealen Gesellschaftsform, in der in möglichst vielen Kontexten „I“Anteile in Interaktionen zur Geltung kommen können (Mead 2002a; 257ff). Bei dieser skizzierten Parallelisierung gilt es zu beachten, dass die Konzepte von „Game“ und „Play“ in Meads Entwurf eine gänzlich andere Stellung einnehmen; was bei Plessner idealisiertes „Spiel“ ist (Gebauer 1996: 25), ist bei Mead idealisierte Interaktion (Plessner 1966b; Mead 2002a: 265). Wenngleich die Modellierung der Handlungsstruktur des Akteurs im Spiel bei Mead durchaus ähnliche Konnotationen aufweist, wie die von Plessner dargestellte Situation: „Es sind vor allem zwei Phänomenbereiche, an denen Mead und Dewey ihre Konzeption des HandeIns immer wieder erläutern: das Experiment und das Spiel bzw. die Kunst. Das kindliche Spiel, das beide Autoren ins Zentrum ihrer Bemühungen um pädagogische Reformen stellten, dient als Modell eines Handelns mit geringem Druck zur Eindeutigkeit der Zwecke. Das Experiment stellte für sie den anschaulichsten Fall einer Überwindung von Handlungsproblemen durch die Erfindung neuer Handlungsmöglichkeiten dar. Für sie hatte die Fähigkeit zur Erfindung – oder Kreativität – den kontrollierten Umgang mit der Handlungsform des Spiels, einem ‚Durchspielen‘ alternativer Handlungsvollzüge, zur Voraussetzung.“ (Joas 1999: 294f)

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Goffman gehört freilich bereits zu einer Phase sozialtheoretischen Schaffens in der das Selbstanwendungsproblem virulent geworden ist, und die Auslagerung der Subjektkonstitution auf die Gegenstandsseite als diesbezügliche Folgeerscheinung verstanden werden muss. Bemerkenswert hierbei ist die Umkehrung der Vorzeichen hinsichtlich der beschrieben Situationen, denn dort wo Plessner und Mead von ‚idealen‘ Situationen ausgehen, möchte Goffman soziale Realität beobachten. Die von Goffman vorgenommene ‚Auslagerung‘ dieser Dialektik in den Gegenstandsbereich seiner Theorie führt zu einer diametral entgegengesetzten Bewertung der genannten Situationen. Die totale Versenkung bzw. das „Von-etwas-Gefangen- genommen-Sein“ deutet bei ihm auf die Auslöschung von Subjektivität hin, wohingegen das „Ausbrechen aus dem Rahmen“ (Goffman 2000: 376f) – und andere Strategien der Herstellung von Distanz – eine Vermittlung zwischen Subjekt und Akteur in Aussicht stellen, die qua ‚Vermittlung‘, als Effekt, eben jene Subjektivität entstehen lässt (Goffman 2003), die Plessner als das den ‚Menschen‘ auszeichnende Schicksal (zumindest unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen) von Gebrochenheit markiert (Plessner 1966b: 162f). Goffman vermag es durch sein Verständnis von Rollendistanz die Subjektkonstitution im Gegenstandsbereich zu verankern, indem diese ex negativo zum Akteur gedacht wird und folglich einerseits nicht mit diesem zusammenfällt sowie andererseits von diesem abhängig bleibt. Wohingegen sowohl Plessner als auch Mead gerade in der Pendelbewegung eines ‚weder noch‘ – eine Figuration, die insbesondere in der Tätigkeit des Computerspielens markant zum Vorschein kommt (Neitzel 2001: 67) – also eines Schwebezustandes in dem Akteur und Subjekt zugleich an- und abwesend sind, die Auflösung eines sonst zum Akteur ‚verdammten‘ Subjektes sehen (Mead 2002a: 320ff; Plessner 1961: 102ff). Frappierend sind in diesem Zusammenhang (negativ gewendet) auch die Parallelen zwischen der Charakterisierung des ‚Mobs‘ bei Mead und der Beschreibung des Sports in einer kapitalistischen Gesellschaft bei Plessner (Mead 2002a: 262f, Plessner 1966b: 168f); ebenso wie die Verortung des ‚Geistes‘ bzw. der ‚Vernunft‘ allein im Bereich von Intersubjektivität (Mead 2002a: 266, 383; Plessner 2004a: 14). Dabei muss beachtet werden, dass sowohl Plessner als auch Mead zwischen den ‚anthropologischen Wesensmerkmalen‘ und den Verhältnissen in denen sich diese mehr oder weniger ihrer ‚Natur‘ entsprechend entfalten können, unterscheiden. Beide Positionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie grundsätzlich den ‚Menschen‘ als Entität fokussieren und erst in einer zweiten Hinsicht das Soziale einbeziehen. Auch Plessners Begriff der „exzentrischen Positionalität“ wird per se positiv besetzt (Plessner 2004b: 63; Plessner 2004a: 14). Diese Unterscheidung ist gerade hinsichtlich einer Parallelisierung zu Goffmans und schließlich zu Webers Positionen wichtig. So lässt sich Plessners grundsätzlich positiv konnotierte Exzentralität, die „keine Zerklüftung und Zerspaltung meines im Grunde ungeteilten Selbst, sondern geradezu die Voraussetzung, selbstständig zu sein“ (Plessner 2004b: 63) darstellt, ganz und gar mit Meads

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Position bezüglich einer als notwendigen Bedingung dargestellten Alienation des ‚Menschen‘ zu sich selbst, um sich als ‚Selbst‘ zu erfahren, parallelisieren: „Der Einzelne tritt in seine eigene Erfahrung nur als Objekt, nicht aber als Subjekt ein. Als Objekt kann er aber nur auf der Grundlage gesellschaftlicher Beziehungen und Wechselwirkungen in sie eintreten, nur durch seine auf Erfahrung beruhenden Kontakte zu anderen Geschöpfen in einer organisierten gesellschaftlichen Umwelt. Es ist richtig, daß gewisse Erfahrungsinhalte (besonders kinästhetische) nur für den jeweiligen Organismus und für niemand sonst zugänglich sind und daß diese privaten oder ‚subjektiven‘ (im Gegensatz zu öffentlichen oder ‚objektiven‘) Erfahrungsinhalte normalerweise als besonders eng mit der eigenen Identität verbunden oder als besondere Formen der Selbsterfahrung angesehen werden. Dieser ausschließliche Zugang zu gewissen Erfahrungen für den jeweiligen Organismus wirkt sich aber nicht auf die von uns dargelegte Theorie des gesellschaftlichen Wesens und Ursprungs der Identität aus, sie steht zu ihr auch in keinem wie immer gearteten Widerspruch. Die Existenz privater oder ‚subjektiver‘ Erfahrungsinhalte schafft die Tatsache nicht aus der Welt, daß Bewußtsein voraussetzt, daß der Einzelne sich selbst zum Objekt wird, indem er die Haltungen der anderen Individuen ihm gegenüber in einem organisierten Rahmen gesellschaftlicher Beziehungen einnimmt, und daß der Einzelne sich seiner selbst nicht bewußt werden noch eine Identität haben könnte, wenn er nicht derart zum Objekt für sich selbst werden könnte. Getrennt von seinen gesellschaftlichen Kontakten zu anderen Individuen, würde er die privaten oder ‚subjektiven‘ Erfahrungen nicht zu sich selbst in Beziehung setzen und könnte sich seiner selbst nicht durch diese Erfahrungen bewußt werden, nämlich als ein Individuum, als Person. Um sich nämlich seiner selbst bewußt zu werden, muß er für sich selbst zum Objekt werden oder in seine eigene Erfahrung als Objekt eintreten, und nur durch gesellschaftliche Mittel – indem er die Haltungen der anderen sich selbst gegenüber einnimmt – kann er sich selbst zum Objekt werden.“ (Mead 2002a: 270)

Plessner und Mead legen ein differenztheoretisches Subjektmodell vor, das sich zwar als Effekt einer Relationierung zum Sozialen konstituiert, aber dennoch zu den realen gesellschaftlichen Verhältnissen in Beziehung gesetzt werden kann. Plessner vermag dies – trotz einer ausgeprägten Affinität zu soziologischen Themenstellungen und Stellungnahmen – aufgrund einer anthropologischen Perspektive. Mead vermag so zu argumentieren, weil auch er von einem nicht soziologischen, sondern sozialbehavioristischen Standpunkt aus argumentiert und weil er, der hier vertretenen These folgend, zu der Gründergeneration soziologischer Theoriebildung gehört. In beiden tritt das Subjekt als Nullpunkt ihrer Argumentation deutlich hervor. So könnten beide Ansätze prima facie einem Akteurmodell, das dem der Exklusionsindividualität sehr nahe kommt, zugeordnet werden (Mead 2002a: 266; Plessner 1966a: 32). Da jedoch beide von einem zwar differenztheoretischen Subjektentwurf ausgehen, diesen jedoch theoretisch absolut setzen und somit zwischen dem Subjekt und dem Akteur

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unterscheiden – und infolge dessen eine ideale Subjektumwelt, der realen gegenüberstellen können –, ist der Subjektbegriff in sensu stricto mit exklusionsindividualistischen Konzepten nicht kompatibel. Vielmehr werden in beiden Ansätzen Faktoren ermittelt, die zu einer bestmöglichen Inbeziehungsetzung des Subjektes als Akteur zum Sozialen führen könnten; hier gelten Aspekte der Exklusionsindividualität als Mittel zum Zweck einer idealen Gesellschaft, und nicht umgekehrt die Exklusionsindividualität als Geburtsstätte des Subjektes (bzw. ‚Nebenerscheinung‘ einer funktional ausdifferenzierten sozialen Wirklichkeit). Goffman, der ebenfalls ein differenztheoretisches Subjektmodell aufweist, vermag hingegen zwischen Akteur und Subjekt nur analytisch zu unterscheiden, da er die Subjektkonstitution im Gegenstand verlagert und deshalb ein Konzept von Exklusionsindividualität vorlegt. Hier wird die Subjektkonstitution ganz und gar der Gegenstandsseite zugeschlagen, diese vollzieht sich allein und dank der Effekte von Teilintegration in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften, die dem Akteur erst die Möglichkeit verschaffen, Distanz durch Verschiebung und Aufbruch geregelter und vorgegebener Erwartungserwartungen aufzubauen. Erst die dadurch ermöglichte real-faktische Relationierung des Selbst zu seinem Akteurstatus erlaubt es dem Selbst sich als Subjekt zu erfahren (und damit zugleich als ein Selbst, das sich vom Akteur unterscheidet). Plessner stellt, in Analogie zu Mead, der differenztheoretisch fundierten Argumentation der Subjektkonstitution eine ideale soziale Wirklichkeit gegenüber. Hier wird eine soziale Umwelt konstruiert, die den subjektkonstitutiven Akten in idealer Weise entspricht. Diese Möglichkeit ist – im Unterschied zu Goffman, Foucault und Weber – gegeben, da der ‚Mensch‘ als Subjekt in potentia bereits existiert, noch bevor er sich in Differenz zum Sozialen faktisch herstellt: „Entäußerung bedeutet keine Entfremdung seiner selbst, sondern – unter den heutigen Bedingungen einer hochdifferenzierten Arbeitswelt z. B., welcher die soziologische Funktionsanalyse einer Gesellschaft mehr oder weniger entspricht – die Chance, ganz er selbst zu sein.“ (Plessner 1966a: 32; vgl. Mead 2002a: 239, 265f) Zugleich fällt die jeweilige Gegenwartsdiagnose problematisch aus: „Die Sphäre der Freiheit mit der der Privatheit, und zwar in einem außersozialen Sinne, gleichgesetzt, wohlgemerkt, um sie unangreifbar zu machen, verliert jeden Kontakt zur Realität, jede Möglichkeit gesellschaftlicher Verwirklichung. Die Freiheit muß eine Rolle spielen können, und das kann sie nur in dem Maße, als die Individuen ihre sozialen Funktionsleistungen nicht als eine bloße Maskerade auffassen, in der jeder dem anderen in Verkleidung gegenübertritt.“ (Plessner 1966a: 34f) „Der Wert einer geordneten Gesellschaft ist für unser Leben von entscheidender Bedeutung, doch müssen auch dem Einzelnen genug Ausdrucksmöglichkeiten vorbehalten sein, wenn wir eine ausreichend entwickelte Gesellschaft haben wollen. Es muß ein Mittel für diesen Ausdruck gefunden werden. Solange wir keine solche gesellschaftliche Struktur haben, in der sich der

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Einzelne gleich dem Künstler und Wissenschaftler ausdrücken kann, müssen wir mit Strukturen wie der des Mob rechnen, in denen sich jedermann gegen ein der Gruppe verhaßtes Objekt auszudrücken vermag.“ (Mead 2002a: 265)

Dahrendorf schreibt in seinem Vorwort zu Goffmans Frühwerk „Wir alle spielen Theater“, dieser würde – in Analogie und Abwandlung zu Mannheims „totalen Ideologiebegriff“ (Mannheim 1995) – „in immer neuen Anläufen einen totalen Rollenverdacht“ (Dahrendorf 2003: VIII) formulieren, ganz so als ob Soziologie in Rollentheorie aufgehen und sich darin erschöpfen würde, Rollenhandeln zu beschreiben – ein Vorwurf, den Dahrendorf in den darauf folgenden Seiten zumindest teilweise als rhetorischen Aufhänger entschärft. Konkret wirft er Goffman vor, er würde Fragen aufwerfen, die er „unformuliert lässt. Das eine ist die Frage nach dem Selbst, das sich auf so verschiedenartige Weise darstellt, indes immer darstellen muß. Goffman spricht mehr von den Zwängen als von den Chancen, in denen menschliches Verhalten steht, so dass mancher sein Buch ernüchtert aus der Hand legen mag, ohne einen Blick zu gewinnen für die Möglichkeiten, aus der totalen Institution Gesellschaft auszubrechen.“ (Dahrendorf 2003: VIII)

Hier argumentiert Dahrendorf weit unterhalb des Theorieniveaus von Goffman und geht offensichtlich von einem einheitstheoretischen Subjektbegriff aus, der folglich – da im Wesen unabhängig von einer Relationierung zum Sozialen – tatsächlich dazu verdammt wäre, marionettenhaft ‚Rollen zu spielen‘. Goffmans differenztheoretischer Ansatz geht hingegen davon aus, dass es Subjektivität außerhalb einer Relationierung zur sozialen Wirklichkeit nicht geben kann und verlegt folglich das Verhältnis zwischen Subjekt und Akteur inmitten des sozialen Geschehens. Dahrendorfs entwirft eine einheitstheoretische Variante, die eine fantastische Gesellschaft von Kaspar-Hauser-Individuen (die eben weder Akteure noch Subjekte sein können) figuriert, die kraft ihrer (unmöglichen!) Subjektivität sich mit dem Zwang der Übernahme von Rollen konfrontiert sehen. In der Folge eines solch naiven Subjektverständnisses werden die Merkmale ‚Subjekt‘ und ‚Akteur‘ dualistisch einander gegenübergestellt, sodass nur die Abwesenheit von diesem die Verwirklichung von jenem ermöglicht: „Wir müssen uns bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen sozialer Rolle und menschlicher Natur hüten, den Rollenbegriff ohne ausdrückliche Angabe des jeweiligen frame of reference zu gebrauchen und damit seinem einseitigen Erfahrungsbegriff in der Soziologie Vorschub zu leisten. […] Findet sich die Soziologie dazu bereit, das Sein in einer Rolle von dem eigentlichen Selbstsein grundsätzlich zu trennen und dieses gegen das Ärgernis der Gesellschaft auszuspielen (wie das Dahrendorf kürzlich noch mit seinem Homo sociologicus getan hat), dann gibt sie dem antigesellschaftlichen Affekt, gewollt oder ungewollt, neue Nahrung.

206 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Die Sphäre der Freiheit mit der der Privatheit, und zwar in einem außersozialen Sinne, gleichgesetzt, wohlgemerkt, um sie unangreifbar zu machen, verliert jeden Kontakt zur Realität, jede Möglichkeit gesellschaftlicher Verwirklichung. Die Freiheit muß eine Rolle spielen können, und das kann sie nur in dem Maße, als die Individuen ihre sozialen Funktionsleistungen nicht als eine bloße Maskerade auffassen, in der jeder dem anderen in Verkleidung gegenübertritt. Nichts ist der Mensch ‚als‘ Mensch von sich aus […]. […] Er ist nur, wozu er sich macht und versteht. Als seine Möglichkeit gibt er sich erst sein Wesen kraft der Verdoppelung in einer Rollenfigur, mit der er sich zu identifizieren versucht. Diese mögliche Identifikation eines jeden mit etwas, das keiner von sich aus ist, bewährt sich als die einzige Konstante in dem Grundverhältnis von sozialer Rolle und menschlicher Natur.“ (Plessner 1966a: 33-35)

Plessners Kritik an einem einheitstheoretischen Verständnis von Subjektivität und den daraus folgenden Konsequenzen für Rollenverständnis und soziologischer Rollentheorie beschreibt zusammenfassend die Positionen von Mead und Goffman. Für den hier thematisierten Zusammenhang ist es allerdings wesentlich, dass zwischen einerseits Goffmans vorgenommener Identifizierung von Subjektivität im Gegenstand als empirisches Datum in funktional ausdifferenzierten, modernen Gesellschaften und andererseits Meads (sowie Plessners) theoretisch ausgearbeiteter Konstitution von Subjektivität in Abhängigkeit vom Sozialen unterschieden wird, die es ihnen erlaubt, zwischen idealen und realen Subjekt-Akteur Verhältnissen zu differenzieren. Goffman bindet Akteur und Subjekt untrennbar aneinander; Ausformungen von Subjektivität kann es immer nur in direkter und faktischer Kontrastierung und konkret hergestellten „Brüchen“ zu sozial erwünschtem und erwartetem Verhalten geben (Goffman 2004a: 304). Wohingegen es bei Plessner (ebenso abgewandelt bei Mead) heißt: „Als exzentrisch organisiertes Wesen muß er sich zu dem, was er schon ist, erst machen.“ (Plessner 1975: 309; Mead 2002a: 268f) Mead und Plessner haben ihren Nullpunkt in einem zwar differenztheoretisch auf das Soziale rekurrierendem Subjekt, das sich dennoch (in Meads Entwurf offensichtlich aufgrund der expliziten Auftrennung der als Klammer thematisierten ‚Identität‘ in den Elementen ‚I‘ und ‚Me‘ (Schneider 2002: 213ff)) vom Akteur und dem Sozialen abhebt bzw. diesem in potentia zugrunde liegt. Goffmans Entwurf unterscheidet sich in wesentlichen Punkten kaum davon, verlagert jedoch den Nullwert in den Gegenstand und schafft es auf diese Weise, von Subjektivität ausgehen zu können, ohne diese in ein außersoziales Nirwana annehmen zu müssen. Goffmans Ansatz ist bezüglich der Nullwert-Matrizen eine Ausnahmeerscheinung von bestechender Eleganz, da er die Selbstbezüglichkeit sozialtheoretischen Schaffens durch die Tätigkeit des Forschens entparadoxiert hat, indem er sie in der Empirie entdeckt und damit gleichsam temporalisiert. Plessners Ansatz soll hier nicht näher betrachtet werden, da er nicht zum eigentlichen soziologischen Kanon gehört; seine Stellungnahmen und Positionen zeigen

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sich jedoch äußerst fruchtbar, um differenztheoretische Sozialtheorien, die sich explizit mit Individualität, Subjektivität und dem Akteurstatus auseinandersetzen, auszuleuchten. Allerdings deutet sich an, dass seine Position eine interessante Mittelstellung einnehmen würde; näher an Mead, aber in Goffmans Richtung weisend. Wenngleich er nämlich anthropologisch die Subjektkonstitution in den Blick nimmt, ist für ihn eine Verwirklichung dessen nur „als Vollzug“ (Plessner 1975: 309) und folglich nur gegenstandsbezogen, also empirisch denk- und fassbar (Plessner 1966a: 33ff). Abbildung 19: Nullwert-Matrize Mead: Das ‚Kreative Subjekt‘

Akteur

Soziales

Kreatives Subjekt Abbildung 20: Nullwert-Matrize Goffman: Die im Gegenstand sich konstituierende Differenz von Rollendistanz vs. Akteur als ‚Identitätsbündel‘

Akteur / Identitätsbündel

Soziales

Rollendistanz

Zurück zu Weber im Vergleich zu den Ansätzen von Mead, Goffman, Foucault und Plessner

Die Entfaltung dieser Positionen erlaubt es schließlich, die Webers in voller Schärfe abzubilden: Weber entwirft ein Bild der Moderne, in der das Subjekt als sozialer Akteur in Differenz zum Sozialen gleichursprünglich als Emergenz in Erscheinung tritt. Diese drei Elemente treten jeweils als interdependente Effekte einer von Rationalisierung und Technisierung geprägten Ausdifferenzierung auf, die sich in der modernen ‚Lebensführung‘ als deren sichtbarstes Phänomen und Herstellungsmodus

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dieser Trias (Subjekt, Akteur, Soziales) verdichten. Der postulierte Zusammenhang ähnelt Meads Akteurmodell bis auf die Architektur des ‚Scharniers‘, das qua Lebensführung in Webers Darstellung zwar gut geölt ist, aber keinen Spielraum für das Subjekt innerhalb des Sozialen zulässt, wohingegen in Meads Akteurmodell mit dem Element des ‚I‘ ein nur lose installiertes Scharnier ins Spiel gebracht wird. Der so verstandene Akteur setzt sich und Sozialität immer wieder neu zusammen und könnte im Prinzip eine unerhörte Dynamik entfalten, die einzig durch die in Sprache fixierte und intersubjektiv aufgebaute ‚Wirklichkeit‘ wieder entschärft und zur Ruhe gebracht wird (Mead 2002a: 107ff). Foucaults ‚Scharnier‘ hingegen ist ebenfalls fest eingelassen ins ‚soziale Gewebe‘, es lassen sich jedoch immer wieder (wenngleich durch nicht unerhebliche Anstrengungen) neue ‚Scharniere‘ (Differenzen) setzen, die quer zur ‚Lage‘ vorhandener Scharniere Bewegung ins ‚Soziale‘ bringen. Webers Subjekt befindet sich auf der Schwelle zum Außersozialen, er ist einerseits ausgeschlossen und andererseits fest mit dem Akteur verbunden. Die Tragik von Webers Subjekt liegt folglich gerade in einem substanzialistischen Rest seines Subjektbegriffes, wohingegen Foucault den Akteur als Subjekt konzipiert, das folglich entweder durch unübliche Subjektivierungsleistungen sich einen gewissen Spielraum verschaffen kann oder erst durch die Umstellung auf einen gänzlich neuen Modus sozialer Wirklichkeitskonstitution, der ohne Subjekte auskommt, und diese schlicht zum Verschwinden gebracht werden (Foucault 1995: 462). Foucaults Entwurf eines sich selbst durch Disziplinierungstechniken herstellenden Akteurs (als Subjekt) stellt innerhalb der neueren Entwürfe das Gegenstück zu Webers Diagnose dar. Ausgehend von der hier eingenommenen Perspektive auf soziologische Theorien, die auf das Verhältnis zwischen Subjekt, Akteur, Sozialem und Technik abzielen, stellt Foucaults Position eine besonders ‚anschauliche‘, reflexive Variante Webers dar. Goffman und Plessner schließlich konzipieren ein Scharnier, das immer nur vermögens seiner Abwesenheit anwesend ist. Goffman lagert dies phänomenologisch im Gegenstand aus, wohingegen Plessner es als subjektkonstitutives Element seiner „exzentrischen Positionalität“ fasst: „Ihre exzentrische Form treibt den Menschen zur Kultivierung, sie weckt Bedürfnisse, welche nur durch ein System künstlicher Objekte befriedigt werden können, und zugleich prägt sie ihnen den Stempel der Vergänglichkeit auf. Die Menschen erreichen zu jeder Zeit, was sie wollen. Und indem sie es erreichen, ist schon der unsichtbare Mensch in ihnen über sie hinweggeschritten. Seine konstitutive Wurzellosigkeit bezeugt die Realität der Weltgeschichte. […] Wie die Exzentrizität keine eindeutige Fixierung der eigenen Stellung erlaubt (d. h. sie fordert sie, hebt sie jedoch immer wieder auf – eine beständige Annullierung der eignen Thesis), so ist es dem Menschen nicht gegeben, zu wissen, ‚wo‘ er und die seiner Exzentrizität entsprechende Wirklichkeit steht.“ (Plessner 1975: 341f)

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Webers Position weist also in jeweils verschiedenen Hinsichten Parallelen zu den zuletzt besprochenen Theorien auf. Seine Argumentation bezüglich der Subjektkonstitution ist zwar differenztheoretisch angelegt, aber nicht zu Ende gedacht; weder bezüglich einer theoretischen Konstitution des Subjektes als Differenz (Mead, Plessner) noch auf der Gegenstandsseite bezüglich möglicher Entfaltungen von Exklusionsindividualität (Goffman) oder von Subjektivität durch die Einwirkung auf das Soziale (Foucault). Webers Position gleicht somit einer halbierten Differenzlogik, die mit allen aufgeführten Ansätzen ins Verhältnis gesetzt werden kann, wenngleich hinsichtlich des Akteurmodells sich der Entwurf von Mead besonders anschlussfähig erweist. Meads Modell vermag die in Webers Begriff der sozialen Beziehung fixierte soziale Wirklichkeit und daraus resultierende Handlungssicherheit durch stabile Erwartungserwartungen in ein Modell von Intersubjektivität, das subjektkonstitutive Effekte zeitigt, auszubauen. Dabei verankert Weber die soziale Sinnkonstitution in den Akteuren, Mead hingegen nimmt eine Umkehrung dieses Bedingungsverhältnisses vor, das unter anderem zur Folge hat, dass dem Akteur eine höhere Autonomie gegenüber dem Sozialen eingeräumt werden kann. Eine weitere Facette von Webers tragischem Akteur kann folglich hierin gesehen werden: Obwohl der Akteur (und mit ihm das Subjekt) als Effekt des Sozialen entsteht, fungiert dieser zugleich als der einzige Garant eben dieses Sozialen. Dieses Verhältnis kommt besonders deutlich in einer Gegenüberstellung der Weiterführung von Webers Handlungsbegriff in der phänomenologischen Soziologie Schütz’ und dem hier entwickelten Verständnis von Intersubjektivität mit Meads Modell symbolisch vermittelter Interaktion zum Vorschein (Etzrodt 2003: 194ff, 244ff, 301ff).

4.1.4 George Herbert Mead George Herbert Mead legte als einziger Vertreter der zum Kanon der Klassiker gehörenden Gründergeneration der Soziologie ein ausgearbeitetes Akteurmodell vor; dies ist umso erwähnenswerter als Mead sich weder als Soziologe verstanden hat noch streng genommen als solcher gelten kann. Dies mag als Indiz für das ambivalente Verhältnis der Soziologen unter den Klassikern zum Status des Akteurs wahrgenommen werden oder schlicht als Unterstreichung, dass diese das Soziale als den Gegenstand der im Entstehen begriffenen Disziplin fokussierten und, erst nachgereiht, als dessen Produkt den Akteur. Andererseits mag umso mehr erstaunen, dass gerade Meads Akteurmodell sich ausschließlich als Produkt des Sozialen begreifen lässt. Der Akteur konstituiert sich in Meads Modell ex post als Effekt intersubjektiv (emergent) erzeugten (sozialen) Sinns:

210 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Wir sahen, dass das Wesen des Sinnes sehr eng mit diesem gesellschaftlichen Prozeß verbunden ist, dass Sinn diese dreiseitige Beziehung zwischen den Phasen der gesellschaftlichen Handlung als den Zusammenhang voraussetzt, innerhalb dessen er entsteht und sich entwickelt: nämlich die Beziehung der Geste eines Organismus zur anpassenden Reaktion eines anderen Organismus (der auch in der betreffenden Handlung steht) und zur Vollendung der jeweiligen Handlung – eine Beziehung von der Art, dass der zweite Organismus auf die Geste des ersten als Hinweis oder Andeutung auf die Vollendung der jeweiligen Handlung reagiert. […] Das soll heißen, dass Objekte, was ihren Sinn betrifft, innerhalb des gesellschaftlichen Erfahrungsund Verhaltensprozesses durch die gegenseitige Anpassung der Reaktion oder Handlungen der verschiedenen in diesen Prozeß eingeschalteten individuellen Organismen geschaffen werden. Es ist dies eine Anpassung, die durch eine Kommunikation ermöglicht wird, welche in den früheren Entwicklungsstadien dieses Prozesses in der Form der Übermittlung von Gesten und in seinen späteren Stadien durch die Sprache stattfindet.“ (Mead 2002a: 116f)

In der durch das Aufkommen von sozialem Sinn ermöglichten Relationierung des Selbst zu sich Selbst vermag nach Mead erst Bewusstsein und Identität zu entstehen. Dieser oft als Perspektivenübernahme dargestellte Prozess ist eine interaktionistisch verkürzte und unzulässige Beschreibung von Meads Akteurmodell: Die Perspektivenübernahme ist nichts weiter als eine vom Akteur vorweggenommene Reaktion des Gegenübers, die jedoch erst – und unabhängig davon – in der faktischen Aktion eine real-konstituierende Wirkung entfaltet: „Der Mechanismus des Sinnes ist also in der gesellschaftlichen Handlung vor dem Auftreten des Bewußtseins des Sinnes gegeben. Die Handlung oder anpassende Reaktion des zweiten Organismus gibt der Geste des ersten Organismus ihren jeweiligen Sinn.“ (Mead 2002a: 117)

Diese Argumentationsfigur, nach der das Bewusstsein der Akteure strikt von dem Zustandekommen sozialen Sinns zu trennen ist, findet in der funktional-strukturellen Systemtheorie im Theorem der ‚strukturellen Kopplung‘ sowie in den basalen Annahmen des Sinnbegriffes eine doppelte Entsprechung: Bewusstseinssystem und Sozialsystem überschneiden sich nicht, sie verschmelzen an keiner Stelle miteinander: „Sie bleiben getrennt, sie verschmelzen nicht, sie verstehen einander nicht besser als zuvor; sie konzentrieren sich auf das, was sie am anderen als System-in-einer-Umwelt, als Input und Output beobachten können, und lernen jeweils selbstreferentiell in ihrer je eigenen Beobachterperspektive.“ (Luhmann 1996: 157, vgl. 296, 367f; Hahn 2004: 286f)

Genauso wird entsprechend der in Meads Akteurmodell angelegten Herstellung sozialen Sinns auch in der neueren Systemtheorie die Konstitution von Sinn kontraintuitiv (weil nicht einheitstheoretisch, bewusstseinsphilosophisch) ‚von hinten aufgezäumt‘:

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„Luhmann nennt den Empfänger einer Kommunikation Ego und den Sender Alter. Die Kommunikation realisiert sich in dem Moment, in dem Ego versteht, das (sic!) jemand ihm eine Mitteilung macht, ihn an einer Information teilhaben lässt. Man hat von der Luhmannschen Kommunikation als einer Dreifaltigkeit gesprochen, die aus Information, Mitteilung und Verstehen besteht. Ego versteht in diesem Fall nicht allein eine Information, zum Beispiel ‚es regnet‘, sondern er versteht auch, dass Alter damit eine Auswahl aus unzähligen Informationen getroffen hat, die dieser zum Objekt seiner Mitteilung hätte machen können – eben indem er sagt ‚es regnet‘, statt ‚ich liebe dich‘. Es ist also Alter, der von Ego für die Mitteilung verantwortlich gemacht wird, selbst wenn die Information als solche wahr ist.“ (Hahn 2004: 286)

In Meads Modell konstituieren sich Soziales und Akteure zugleich, wenngleich die Akteurkonstitution der des Sozialen nachgelagert erscheint. Dieser Eindruck ist der sequenziellen Rekonstruktion des von Mead geschilderten Prozesses geschuldet, tatsächlich aber konstituieren sich Soziales und Akteure in einem fortwährenden Kontinuum von aufeinander verweisenden Akten. Der Akteur entsteht als Effekt des Sozialen und das Soziale als Effekt darauf verweisender Akteure, wobei einzig das Subjekt als diesem Bedingungszusammenhang nachgelagert aufgefasst werden kann. Dies kommt in dem – tatsächlich sequenziellen – Modell des Aufbaus von Handlungskompetenz, das Mead exemplarisch über die Phasen des ‚Play‘ und ‚Game‘ entwickelt, eindrücklich zum Vorschein (Mead 2002b: 190f). Der Schlüssel zum Verständnis dieser zuweilen irrtümlich angenommenen Sequenzialität bezüglich Sozialund Akteurkonstitution liegt jedoch darin, dass Mead soziologisch kontraintuitiv zwischen sozialen Akteuren und Bewusstsein unterscheidet, sodass es im Hinblick eines Bedingungsverhältnisses, gerade vor dem Hintergrund der hier dargestellten zentralen Elemente, unbedingt zwischen drei (und nicht zwei) explizit thematisierten Elementen unterschieden werden sollte: Soziales, Akteur und Bewusstsein (Mead 2002b: 106). So bedarf eine Entität um Sozialakteur-Status zu erlangen keines Bewusstseins, denn: „Symbolisation schafft bislang noch nicht geschaffene Objekte, die außerhalb des Kontextes der gesellschaftlichen Beziehungen, in denen die Symbolisation erfolg, nicht existieren würden. Die Sprache symbolisiert nicht einfach Situationen oder Objekte, die schon vorher gegeben sind; sie macht die Existenz oder das Auftreten dieser Situation oder Objekte erst möglich, da sie Teil jenes Mechanismus ist, durch den diese Situationen oder Objekte geschaffen werden. Der gesellschaftliche Prozeß setzt die Reaktionen eines Individuums zu den Gesten eines anderen Individuums als ihrem jeweiligen Sinn in Beziehung und ist somit für Auftreten und Bestehen neuer Objekte in der gesellschaftlichen Situation verantwortlich, die von diesem Sinn abhängig sind oder durch ihn geschaffen werden. Sinn sollte daher nicht als Bewusstseinszustand oder als eine Reihe organisierter Beziehungen gesehen werden, die geistig außerhalb des Erfahrungsbereiches, in den sie eintreten, existieren oder fortbestehen. Ganz im Gegenteil, man sollte sich Sinn objektiv, als völlig innerhalb dieses Bereiches bestehend vorstellen. […] Die

212 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Reaktion eines Organismus auf die Geste eines anderen in der jeweiligen gesellschaftlichen Handlung macht den Sinn dieser Geste aus und ist gewissermaßen auch für das Auftreten des neuen Objektes – oder des neuen Inhalts eines alten Objektes – verantwortlich, auf das diese Geste hinweist durch das Ergebnis der jeweiligen gesellschaftlichen Handlung, deren Anfangsphase sie ist. […] Auf der Stufe des Bewusstseins wird eine solche Geste zum Symbol, zum signifikanten Symbol. Aber die Interpretation von Gesten ist im Grunde kein Prozeß, der im Denken als solchen abläuft oder notwendigerweise Geist voraussetzt. Sie ist ein äußerlicher und objektiv gegebener physischer oder physiologischer Prozeß, der im realen gesellschaftlichen Erfahrungsbereich abläuft.“ (Mead 2002a: 117f)

Diese Passage legt einerseits unmissverständlich Meads konstruktivistische Argumentationsweise als auch die strikte Trennung zwischen Sozialem und Bewusstsein offen. Mead vermag es aufgrund dieser klaren Trennung und der Nachlagerung der Subjektkonstitution als Folge sozialen Sinns und gesellschaftlich erzeugter Wirklichkeit ‚Menschen‘ als Akteure und Subjekte gleichermaßen zu thematisieren und in den Aufbau sozialer Wirklichkeit zu integrieren. Was zunächst paradox anmutet, ist eine nicht zu unterschätzende konzeptionelle Stärke der Theorie. So kann Mead nichtmenschliche Objekte gleichrangig und ohne Abstriche genauso in seine Argumentation bezüglich des Aufbaus des Sozialen einbeziehen, gerade Vermögens dieser scharfen Trennung, die obzwar in der funktional-strukturellen Systemtheorie auch vorhanden, diese – im scharfen Gegensatz zu Meads Ansatz – es nicht vermag, ‚Technisches‘ in ähnlicher Weise einzubeziehen, da der Subjektstatus außerhalb von Sozialität verbleibt, obwohl und gerade weil das Bewusstseinssystem – ebenfalls im Unterschied zu Mead – eine konstitutive Rolle für Sozialität spielt. Diese Aspekte der neueren Systemtheorie sind weiter oben im Zusammenhang einer Gegenüberstellung von Webers und Luhmanns Wissenschaftsdiagnosen der Moderne erläutert worden. Dort wie hier wird mittels einer komparatistischen Analyse der Ansätze die in den Matrizen dargestellte Verschiebung des Nullwertes von den Klassikern zu neueren Ansätzen besonders deutlich. Der Nullwert in Meads Akteurmodell

Meads Akteurmodell offenbart im Einzelnen die plastischste, weil in die Theorie selbst eingelassene Absicherung der (theorieimmanenten) beobachtungsleitenden Unterscheidung (Subjekt vs. Akteur) gegen die Implosion der Akteur-Soziales Differenz und der damit einhergehenden Schwierigkeit, Technik und Akteure gleichermaßen als Produkte des Sozialen darzustellen. So setzt sich der Meadsche Akteur analytisch aus den Aspekten ‚I‘, ‚Me‘ und ‚Self‘ zusammen. Das ‚Self‘ oder auch die ‚Identität‘ eines Akteurs setzt sich zusammen (und geht zugleich auf) aus (bzw. in) dem Zusammenspiel von ‚I‘ und ‚Me‘ (Mead 2002a: 244). Wenngleich das ‚Me‘

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vorläufig betrachtet eine Art internalisierter Sozial-Struktur bzw. Erwartungserwartung darstellt, und das ‚I‘ als ‚unberechenbares‘, kreativ-persönliches Moment dem gegenüberstehend aufgefasst werden kann, werden diese Beschreibungen dem Akteurmodell nicht gerecht. So stellt selbst Blumer, dem zu recht eine tendenziös verkürzte Lesart Meads vorgeworfen wird (Habermas 2006a: 212), diesen Sachverhalt in kritischer Absicht gegenüber Versuchen, die Elemente des Meadschen Akteurmodells definitorisch fixieren zu wollen, treffend dar: „The significance of the ‚me‘ lies not in being some kind of recasted ‚I‘ but, instead, in the control of the ‚I‘ which it allows. A recognition of this point brings us back to the way in which Mead viewed the ‚I‘ and the ‚me‘ namely, as aspects of a self-process in which the ‚I‘ calls for a response to guide it, and the ‚me‘ outlines or sets the stage in which the ‚I‘ may be expressed. Since both the ‚I‘ and the ‚me‘ are ingredients of such an on-going process, it is inaccurate, in depicting Mead, to view one as process and the other as structure.“ (Blumer 1992: 52)

In der Tat müssen die Elemente ‚I‘ und ‚Me‘ – die Mead, wenngleich stark abgewandelt, der Terminologie William James’ entlehnt (James 1950: 371) – als interdependente und flüchtige Größen eines Prozesses aufgefasst werden, die in der Emergenz des ‚Self‘ münden. Meads Ontogenese des Akteurs kann dabei als Brücke dienen, um zur in seinem Ansatz angelegten Phylogenese des Sozialen im Allgemeinen zu gelangen, obgleich gerade hierin die Gefahr einer Fragmentierung seines Akteurmodells liegt, das im Prozess ebenfalls als Einheit aufgefasst werden muss. Das ‚Selbst‘ verfestigt sich innerhalb der sozialisationstheoretischen Kompetenzentwicklung des Akteurs beim Übergang der Inverhältnissetzung vom signifikanten zum generalisierten Anderen. Diese Kompetenzentwicklung beschreibt Mead entwicklungspsychologisch im Übergang vom ‚Play‘ zum ‚Game‘: „This is just what we imply in ‚self-consciousness‘. We appear as selves in our conduct in so far as we ourselves take the attitude that others take toward us, in these correlative activities. […] We take the role of what may be called the ‚generalized other‘. And in doing this we appear as social objects, as selves. It is interesting to note that in the development of the individual child, there are two stages which present the two essential steps in attaining self-consciousness. The first stage is that of play, and the second that of the game, where these two are distinguished from each other. In play in this sense, the child is continually acting as a parent, a teacher, a preacher, a grocery man, a policeman, a pirate, or an Indian. It is the period of childish existence which Wordsworth has described as that of ‚endless imitation‘. It is the period of Froebel’s kindergarten plays. In it, as Froebel recognized, the child is acquiring the roles of those who belong to his society. This takes place because the child is continually exciting in himself the responses to his own social acts. In his infant dependence upon the responses of others to his own social stimuli, he is peculiarly sensitive to this relation. Having in his own nature the beginning of the parental response, he calls it out by his own appeals. The doll is the universal

214 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE type of this, but before he plays with a doll, he responds in tone of voice and in attitude as his parents respond to his own cries and chortles. This has been denominated imitation, but the psychologist now recognizes that one imitates only in so far as the so-called imitated act can be called out in the individual by his appropriate stimulation. That is, one calls or tends to call out in himself the same response that he calls out in the other. The play antedates the game. For in a game there is a regulated procedure, and rules. The child must not only take the rôle of the other, as he does in the play, but he must assume the various rôles of all the participants in the game, and govern his action accordingly. If he plays first base, it is as the one to whom the ball will be thrown from the field or from the catcher. Their organized reactions to him he has imbedded in his own playing of the different positions, and this organized re action be comes what I have called the ‚generalized other‘ that accompanies and controls his conduct. And it is this generalized other in his experience which provides him with a self.“ (Mead 2002b: 190f)

Im einfachen Spiel lernt der im Entstehen begriffene Akteur die Reaktion eines bestimmten Gegenübers in Verhältnis zu der eigenen Aktion zu setzen und somit dieser wie jenen eine Bedeutung zuzuweisen. Das ‚Selbst‘ erfährt hierbei bereits eine rudimentäre erste Bedeutungszuweisung, diese ist jedoch erst in der nächsten Stufe des ‚Game‘ ausgereift, wenn nämlich der Akteur sich nicht zu bestimmten Personen, sondern zu verschiedenen Rollenträgern (die folglich nicht mehr mit bestimmten Personen verknüpft sind) gleichzeitig in Verhältnis setzen kann, indem er deren Reaktionen auf eigene Aktionen als sozialen Sinn konstituierend erfährt. Das ‚Selbst‘ verlangt also nach der Kompetenz sich mit dem generalisierten Anderen in Beziehung zu setzen, da ein ‚bestimmtes‘ bzw. ‚partikulares‘ Selbst, also eines das sich in Abhängigkeit signifikanter Anderer etabliert, kein Bewusstsein von einem allgemeinen ‚Selbst‘ haben kann. Auf der Ebene des ‚Play‘ kann noch keine ‚autonome‘ Identität entstehen, da das Verhältnis des Selbst zu sich Selbst getragen wird von bestimmten Rollenzuweisungen. Auf dieser Ebene kann also noch nicht von einer ausgereiften Identität die Rede sein, da es für die Person unmöglich ist, sich von bestimmten (signifikanten) Rollen zu lösen. Das Selbst erfährt sich folglich noch nicht als Identität, sondern lediglich als die Ansammlung eines ‚bestimmten‘ Rollenbündels. Der Übergang zum ‚Game‘ ist kein quantitativer, sondern ein qualitativer Sprung: Die Anzahl der Interaktionspartner ist dabei irrelevant, vielmehr bedarf es jedoch der Entstehung eines Rollendifferenzials innerhalb der Persönlichkeitsstruktur, das zu einer umfassenden, die Identität konstituierenden Kompetenz führt, die ihren Ausdruck in der Fähigkeit des Selbst findet, zwischen ‚Person‘ und ‚Rolle‘ unterscheiden zu können. In der Rückführung dieser Unterscheidung auf das Selbst vermag sich die Person (auch hier: ex post) als ein spezifisches Individuum zu figurieren. Erst auf den Boden dieser Erfahrung vermag das ‚Selbst‘ sich als ‚Identität‘ zu ‚erfahren‘.

4. T HEORIETECHNIKEN | 215

Das ‚I‘ tritt für den Akteur umso stärker in Erscheinung, je weiter dieser Prozess vorangeschritten ist. Mead stellt es in seinen Beschreibungen oft als kreativen Kern der Persönlichkeit dar (Mead 2002a: 240f, 261). Dies ist jedoch eine Behelfskonstruktion, der sich Mead bedient, um das ‚I‘ als einzelnes Element zu umschreiben, welches jedoch ‚einzeln‘ nicht existiert. Diese Umschreibungen sind irreführend und verleiten häufig dazu das ‚I‘ entweder psychoanalytisch mit dem Unbewussten zu parallelisieren oder humanistisch als den natürlichen, unverwechselbaren Kern des ‚Menschen‘ aufzufassen (Abels 2004: 32ff). Beide Darstellungsweisen sind grundsätzlich falsch: Das Unbewusste ist dem Akteur nicht zugänglich und in seinen Anlagen vorsozial (Freud 2007a: 511; vgl. Watzlawick et al. 1990: 67 Fn9), seine Wirkungsweise entfaltet sich hochgradig vermittelt und verschafft sich sozusagen auf ‚langen Umwegen‘ einen indirekten Ausdruck (Freud 2000c; vgl. Giddens 1991a: 36). Ebenso wie es keinen statischen (einheitstheoretischen) ‚Kern‘ der Person in Meads Modell gibt, der wenn überhaupt, nur als das Ergebnis eines hochdynamischen Prozesses aufgefasst werden könnte, an dessen Ende eine gänzlich im sozialen Raum intersubjektiv hergestellte ‚Identität‘ steht. Folglich kann in der Identität (‚Self‘) der dynamische Kern des Akteurs gesehen werden, den Goffman in seinem Modell weiter ausdifferenziert, indem er zwischen sozialer, persönlicher und Ich-Identität unterscheidet (Goffman 2002: 9ff, 56ff, 132ff). Es wäre wiederum irreführend Goffmans soziale Identität mit Meads ‚Me‘, Ich-Identität mit ‚I‘ und persönliche Identität mit ‚Self‘ zu parallelisieren, da das ‚Self‘ in Meads Modell als Identitätskern unterhalb der Goffmanschen Ausdifferenzierung anzusiedeln ist. ‚I‘ und ‚Me‘ sind Elemente einer Identitätskonstitution, die es erst erlaubt, soziale Zuschreibungen bezüglich allgemeingültiger Rollenzuweisungen (soziale Identität) anzunehmen, autobiografisch je spezifische Zuschreibungen (persönliche Identität) zu erleben und eigene Bewertungen bezüglich dieser Zuschreibungen (Ich-Identität) vorzunehmen. Dass der Akteur selbst durch das eigene ‚I‘ immer nur überrascht werden kann und folglich die eigenen ‚I‘-Anteile nur retrospektiv erschlossen werden können, ist die vielleicht treffendste Charakterisierung (Mead 2002a: 217, 240): „Es ist ein Gemeinplatz der Psychologie, daß nur das ‚Mich‘ (‚me‘) – das empirische Ich (the empirical self) – in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit gerückt und wahrgenommen werden kann. Das ‚Ich‘ (‚I‘) liegt außerhalb der Reichweite unserer unmittelbaren Erfahrung. In den Begriffen sozialen Verhaltens ausgedrückt, bedeutet dies, daß wir unsere Reaktionen nur insofern wahrnehmen können, als sie als Vorstellungen vergangener Erfahrungen auftreten und sich mit sinnlichen Reizen verbinden. Wir können uns keine Reaktion vergegenwärtigen, während wir reagieren. Wir können unsere Reaktionen auf andere nicht als Material für den Aufbau einer Ich-Identität verwenden – denn aus diesen Vorstellungen wird die Identität der anderen gebildet. Wir müssen auf uns selbst soziale Reize ausüben, um uns das Material zur Verfügung zu stellen, aus dem unsere eigene Identität ebenso wie die Identität der anderen gebildet werden muß. […]

216 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Die ihrer selbst bewußte, tatsächlich wirkende Identität im sozialen Umgang ist ein objektives ‚Mich‘, oder es sind deren mehrere in einem fortlaufenden Reaktionsprozeß. Sie schließen ein fiktives ‚Ich‘ ein, das sich nie selbst in den Blick bekommt.“ (Mead 1987a: 239f)

Die Eigentümlichkeit des ‚I‘ besteht einerseits darin, dass sich dieses stets nur in Wechselwirkung eines sich mitkonstituierenden ‚Me‘ etablieren kann und zweitens, dass es einheitstheoretisch (im Gegensatz zum ‚Me‘, welches rollentheoretisch einholbar ist) unterdeterminiert bleibt. Im Unterschied zu Goffmans Rollendistanz darf das ‚I‘ jedoch auch nicht als auf die Gegenstandsseite ausgelagerte Stabilisierung des Akteurs durch das Hinzufügen eines Exklusions-Surplus missverstanden werden, insofern das ‚I‘ ein analytischer Begriff in Meads Entwurf darstellt, der genauso wie das ‚Me‘ und das ‚Self‘ interdependent im Akteur als Handelnden koexistieren (Etzrodt 2003: 222); sie beschreiben den ‚Mechanismus‘ eines Bewusstseins von Identität. Versuche dem Element ‚I‘ definitorisch beizukommen, scheitern oft an der Missachtung von Meads differenztheoretischer Architektur. Christian Etzrodt stellt insgesamt drei unterschiedliche – und wie er zu Recht feststellt, sich gegenseitig widersprechende – Lesarten zusammen, die in ihrer Widersprüchlichkeit als Beleg gelten können, dass die Elemente ‚I‘, ‚Me‘ und ‚Self‘ in ihrer Prozesshaftigkeit sich gegenseitig bedingen, und nicht voneinander losgelöst adäquat wiedergegeben werden können (Etzrodt 2003: 220ff). Wobei Etzrodt – ebenfalls einheitstheoretisch vor dem Hintergrund der phänomenologischen Soziologie Schütz’ – diese drei Positionen diskutiert und, da er auch zu keiner befriedigenden Alternative gelangt, äußerst kohärent die Debatte aporetisch beendet. Dies ist die (konsequent zu Ende gedachte und insofern Etzrodt hoch anzurechnende) Folge, einer differenztheoretisch-zirkulären Argumentationsfigur einheitstheoretisch-linear beikommen zu wollen. Die Position von Meads ‚I‘ innerhalb seiner Argumentation nimmt über die impressionistisch gewonnenen Beschreibungen von Kreativität und Unvorhersehbarkeit hinaus eine eigentümliche Stellung hinsichtlich des Phänomens von ‚Identität‘ ein. Mead entfaltet die Emergenz von Identität aus zwei entgegengesetzten Richtungen: einerseits bezüglich des Verhältnisses vom ‚Außen‘ zum ‚Selbst‘ und andererseits vom ‚Selbst‘ zum ‚Selbst‘. Der Geneseprozess der Identität wird hierbei spiegelbildlich von zwei Seiten ausgeleuchtet. In dieser Gegenüberstellung kann hinsichtlich der Nullwert-Matrizen ein wesentliches Kriterium herausgearbeitet werden. Zunächst eine Passage zur Konstituierung von Identität durch die Inverhältnissetzung zum Außen des Akteurs: „Intelligenz entsteht in jenem frühen Stadium der Kommunikation, in dem der Organismus in sich selbst die Einstellung des anderen hervorruft, so zu sich Stellung nimmt und damit sich selbst zum Objekt, mit anderen Worten eine Ich-Identität wird, wobei derselbe Inhalt der Hand-

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lung den anderen wie auch die eigene Identität konstituiert. Aus diesem Prozeß entsteht Denken, d. h. Konversation mit der eigenen Identität, zunächst in der Rolle des spezifischen Anderen und dann – in der oben von mir dargestellten Weise – in der Rolle des generalisierten Anderen. Es ist wichtig festzuhalten, daß die Ich-Identität sich nicht in den Anderen hineinprojiziert. Die Anderen und die Ich-Identität entstehen zusammen im sozialen Handeln. Der Inhalt des Handelns – so könnte man sagen – liegt im Organismus, aber in den Anderen wird er nur in dem Sinne projiziert, in dem er in die Ich-Identität projiziert wird – eine Tatsache, auf die sich die gesamte Psychoanalyse gründet.“ (Mead 1987b: 218f)

Mead zeichnet ein analoges Bild zur Ko-Konstitution von ‚I‘ und ‚Me‘ bezüglich der Gleichursprünglichkeit vom ‚signifikanten bzw. generalisierten Anderen‘ und ‚Identität‘. In genau dem identischen Bedingungsverhältnis stellt Mead die Aspekte von ‚I‘ und ‚Me‘ dar, allerdings hier bezogen auf einen im Akteur zu sich selbst ablaufenden Prozess der retrospektiven ‚Selbstvergewisserung‘: „Aufgrund der Erkenntnis, daß die Identität im Bewußtsein nicht als ein ‚Ich‘ auftreten kann, sondern stets ein Objekt ist, d. h. ein ‚Mich‘, möchte ich eine Antwort auf die Frage vorschlagen, was es heißt, daß die Identität ein Objekt ist. Die erste Antwort könnte sein, daß ein Objekt stets ein Subjekt voraussetzt, mit anderen Worten, daß ein ‚Mich‘ ohne ein ‚Ich‘ undenkbar ist. Dem muß entgegnet werden, daß solch ein ‚Ich‘ eine Voraussetzung, niemals aber eine Vorstellung bewußter Erfahrungen ist. Denn in dem Augenblick, in dem es vorgestellt wird, ist es in den Objektfall übergegangen und setzt, wenn man so will, ein ‚Ich‘ voraus, das beobachtet aber ein ‚Ich‘, das sich vor sich selbst nur offenbaren kann, indem es aufhört, das Subjekt zu sein, für das das Objekt ‚Mich‘ existiert. Selbstverständlich bin ich nicht an einem hegeIschen Ich interessiert, das für sich ein anderes wird, sondern an der Natur der Identität, die sich in der Introspektion offenbart und Gegenstand unserer auf Tatsachen bezogenen Untersuchung ist. Bei einem Vorgang der Erinnerung enthüllt uns diese Untersuchung eine Einstellung der Selbstbeobachtung, in der sowohl der Beobachter wie auch der Beobachtete auftauchen. […] Die Inhalte dieses vorgestellten Subjekts, das in dieser Weise, indem es vorgestellt wurde, zu einem Objekt geworden ist, welches sich aber durch eben diese Inhalte als Subjekt einer vergangenen Erfahrung immer noch von dem ‚Mich‘ unterscheidet, an das es sich wandte, diese Inhalte bestehen aus den bildlichen Vorstellungen, die eine Verständigung auslösen, aus den motorischen Empfindungen, die einen Ausdruck begleiten, sowie zusätzlich aus den organismischen Empfindungen und aus der Reaktion des gesamten Systems auf die ausgelöste Tätigkeit. Mit einem Wort, gerade jene Inhalte sind es, die eine Identität ausmachen, die sich von den anderen unterscheidet, an die sie sich wendet. Die Identität, die als ‚Ich‘ auftritt, ist das Erinnerungsbild einer Identität, die auf sich selbst bezogen handelte, und es ist die gleiche Identität, die der Identität der anderen gegenüber handelt.“ (Mead 1987c: 241f)

218 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE

Es wird ersichtlich, dass sich Identität immer nur retrospektiv einstellen kann. Ähnlich des „utopischen Standortes“ in Plessners Theorie einer „exzentrischen Positionalität“ (Plessner 1975: 341; vgl. Plessner 2004a: 11) erfährt sich der Akteur als Subjekt, indem es sich zum Objekt macht. Andererseits trifft diese Argumentation nicht auf das ‚Me‘ zu, denn „soweit das Individuum sich in einer Handlungsbeziehung zu sich selbst befindet, die der gegenüber anderen gleicht, wird es für sich selbst ein Subjekt und kein Objekt.“ (Mead 1987c: 242) Also erfährt sich die Person als Akteur, wenn sie ‚sozialkonform‘ (in voller Entsprechung von Erwartungserwartungen) handelt, eine Erfahrung von ‚Identität‘ kann sie jedoch nur machen, wenn sie sich zum Objekt macht, indem sie sich ihr eigenes Handeln retrospektiv vergegenwärtigt und dabei den Unterschied oder auch die Übereinstimmung zum erwarteten Verhalten feststellt. Im Vollzug dieser ‚Bewertung‘ entsteht ‚Identität‘ als Zurechnung und stellt eine Form von Surplus dar, die vom Akteur retrospektiv hergestellt wird (Mead 2002a: 324). Diese Darstellung verhält sich zwar analog zu der hinsichtlich der Perspektivenübernahme, also des Aufbaus von Identität über den Umweg des intersubjektiven Aufbaus sozialen Sinns, in der ebenfalls eine Aktion immer nur ex post als ‚eigene‘ Handlung konstituiert wird; dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Basis eines jeden ‚Selbstverhältnisses‘ des Akteurs in eben diesem Sozialverhältnis liegt: „I wish to emphasize the fact that the appearance of mind is only the culmination of that sociality which is found throughout the universe, its culmination lying in the fact that the organism, by occupying the attitudes of others, can occupy its own attitude in the rôle of the other. A society is a systematic order of individuals in which each has a more or less differentiated activity. […] A human organism does not become a rational being until be has achieved such an organized other in his Held of social response. He then carries on that conversation with himself which we call thought, and thought, as distinct from perception and imagination, is occupied with indicating what is common in the passage from one attitude to another. Thus thought reaches what we call universals, and these with the symbols by which they are indicated, constitute ideas. Now this is possible only in the continual passage from attitude to attitude; but the fact that we do not remain simply in this passage is due to our coming back upon it in the rôle of the self and organizing the characters which we pick out into the patterns this social structure of the self puts at our disposal. The stretch of the present within which this self-consciousness finds itself is delimited by the particular social act in which we are engaged. But since this usually stretches beyond the immediate perceptual horizon we fill it out with memories and imagination.“ (Mead 2002b: 106)

Meads Argumentation ist bezüglich seines sozialtheoretischen Beitrages offensichtlich differenztheoretisch. In keinem anderen sozialtheoretischen Entwurf seiner Generation wird so plastisch das interdependente Bedingungsverhältnis von Akteur und

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Sozialem modelliert und in keinem anderen so plakativ dem Akteur – trotzdem – Individualität erfolgreich zugewiesen. In seinem Entwurf erfüllt das Element des ‚I‘ eine ähnliche Funktion wie Goffmans Rollendistanz. Der wesentliche Unterschied liegt jedoch darin, dass Mead in jeder Handlung und jedem Gedanken, den ein Akteur fasst, Distanz als konstitutives Element der Identitätskonstitution eingelassen sieht. Das ‚I‘ als Differenz zum ‚Me‘ vervollständigt die Handlung, die in ein ‚Self‘ – als Einheit dieser Differenz – mündet, die dank einer Verzeitlichung für den Akteur und die Theorie zugleich entparadoxiert wird. In Goffmans Entwurf wird stattdessen nur die Theorie (als strikt materiale) entparadoxiert, der Akteur selbst ist Differenz. Dieser Unterschied geht auf die Verschiebung des Nullwertes zurück; Was in diesen Abschnitten zur Debatte steht, ist der Nachweis, dass die Gründergeneration von einem Subjekt-Nullwert aus argumentieren konnte, der den darauf folgenden Generationen von Sozialtheoretikern abhanden gekommen ist. Der besondere Stellenwert von Objekten in Meads Akteurmodell

Mead vermag das ‚I‘ als Element des Akteurs, der zugleich Teil des Sozialen ist (‚Me‘), zu thematisieren, weil für ihn die Individualität und herausgehobene Stellung von menschlichen Akteuren nicht verhandelbar ist. Im Zuge eines Reflexivwerdens sozialtheoretischen Schaffens verschiebt sich diese Gewissheit auf die Gegenstandsseite und wird somit verhandelbar und ungewiss. Die Verschiebung des Nullwertes in den Gegenstand transformiert aufgrund der neu eingenommenen Position innerhalb der Struktur zwangsläufig seinen theoriekonstituierenden Status. Allein die Möglichkeit einer expliziten Thematisierung eines den Akteur absichernden Elementes (‚I‘) befähigt Mead, Akteure und Technik auf eine Ebene zu stellen. Hinsichtlich der Klassiker gibt es keinen Ansatz, der dies so vorbehaltlos kann, ohne damit zugleich den Gegenstand in seiner Zusammensetzung (Akteure vs. Soziales) zu affizieren. Als dieser Position gegenüberliegendes Extrem kann erneut Webers Ansatz in Erinnerung gerufen werden, bei dem die Synchronisierung der Trias ‚Subjekt, Akteur, Soziales‘ – die durchaus die Züge einer differenztheoretischen Argumentation aufweist, weil die Bestandteile unter- und gegeneinander als Effekte einer Inverhältnissetzung emergieren – aufgrund einer nicht differenztheoretischen AkteurmodellArchitektur in eine gegenstandsbezogene Nivellierung der Differenz kulminiert. In Webers Entwurf affiziert der aufgrund des Nullwertes möglichen Synchronisation zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Sozialphänomenen den Gegenstand nahezu vollständig mit den weiter oben dargestellten, dramatischen Folgen einer äußerst negativen Diagnose der Moderne. Mead hingegen stellt völlig unproblematisch Artefakte und Natur als Interaktionspartner dar, und zwar genauso wie dies Akteure füreinander sind:

220 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Der Techniker, der eine Brücke konstruiert, spricht mit der Natur genauso, wie wir mit dem Techniker sprechen. Es gibt dabei Elemente, die er einkalkulieren muss, und dann kommt die Natur mit anderen Reaktionen, die wiederum anders unter Kontrolle gebracht werden müssen. In seinem Denken nimmt er die Haltung physischer Objekte ein. Er spricht zur Natur, die Natur antwortet ihm. Die Natur ist insofern intelligent, als es bestimmte Reaktionen der Natur auf unsere Handlungen gibt, die wir uns selbst darlegen und beantworten können und die sich auf Grund unserer Antwort verändern. Das ist eine Veränderung, auf die wir zu reagieren vermögen, und schließlich erreichen wir einen Punkt, an dem wir mit der Natur zusammenarbeiten.“ (Mead 2002a: 229)

Die Thematisierung von Technik als soziale Größe und sozialen Prozess kulminiert in der Darstellung der „Verschmelzung von ‚Ich‘ [‚I‘] und ‚ICH‘ [‚Me‘] […] durch einen Vergleich des physischen Objektes mit der Identität als einem gesellschaftlichen Objekt.“ (Mead 2002a: 324) Mead wählt die Beziehung zwischen dem Akteur und einem Objekt als paradigmatisches Beispiel für die Übereinkunft von ‚I‘ und ‚Me‘ in der ‚Identität‘, gerade weil Objekte – sofern sozialrelevant – Sozialität in ‚Reinform‘ darstellen. Schließlich muss nach Mead die ‚objektive Wirklichkeit‘ in absoluter Deckungsgleichheit des ‚sozialen Raumes‘ gedacht werden, die insofern keine feste, sondern relative Größe darstellt (Mead 1987d: 189; Mead 1987b: 221). Die Interaktion mit Objekten stellt insofern in Meads Theorie eine bevorzugte Perspektive zur Beschreibung einer ‚I‘ –‚Me‘ Konkordanz dar: „Wenn man in einen Raum eintritt und sich sofort in einen Stuhl fallen läßt, beachtet man außer dem Stuhl kaum etwas. Man sieht ihn nicht auf die gleiche Weise als Stuhl an, wie wenn man ihn als Stuhl bewußt erkennt und sich auf ein entferntes Objekt zubewegt. Im letzteren Fall ist der Stuhl nicht etwas, worauf man sitzt, sondern etwas, das einen empfängt, nachdem man sich darauf fallen ließ – dadurch wird er zu einem Objekt. […] Wir sind anderen gegenüber, was wir in unserer Beziehung zu anderen Individuen, durch die Übernahme ihrer Haltung uns selbst gegenüber sind, so daß wir uns durch unsere eigene Geste anregen, genauso wie ein Stuhl durch seine Einladung zum Platznehmen bestimmt wird; der Stuhl ist etwas, auf das wir uns setzen können, sozusagen ein physisches ‚ICH‘. Bei einem gesellschaftlichen ‚ICH‘ werden die verschiedenen Haltungen aller anderen durch unsere eigene Geste ausgedrückt, die jenen Teil repräsentiert, den wir in der gesellschaftlichen Tätigkeit ausführen. Unsere tatsächlichen Aktivitäten, die von uns gesprochenen Worte, unsere Gefühle machen das ‚Ich‘ aus; doch sind sie ebenso mit dem ‚ICH‘ verschmolzen, wie jede Tätigkeit im Zusammenhang mit den Möbeln eines Raumes mit dem Weg verschmolzen ist, der sich aus der Bewegung in Richtung auf die Lade und dem Herausnehmen des Papiers ergibt. In diesem Sinn sind die beiden Situationen identisch. […] Alle diese Objekte lösen in uns Reaktionen aus, und diese Reaktionen machen den Sinn oder das Wesen der Objekte aus: der Stuhl ist etwas, auf das wir uns setzen, das Fenster ist etwas, das wir öffnen können, das uns Licht oder Luft gibt. Ebenso ist das ‚ICH‘ die Reaktion des

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Einzelnen gegenüber den anderen Individuen, insoweit er die Haltung der anderen einnimmt. Man kann ohne weiteres sagen, daß der Einzelne die Haltung des Stuhles einnimmt. In diesem Sinn nehmen wir ganz eindeutig die Haltung der uns umgebenden Objekte ein, während dies normalerweise nicht für die Haltung der Kommunikation in unserem Verhältnis zu leblosen Objekten gilt.“ (Mead 2002a: 325-327)

Sehr deutlich wird Meads Ansatz hinsichtlich der Akteur-Objekt-Beziehung, wenn er diese Überlegungen auf die Phylogenese des Sozialen überträgt und damit zugleich auch Hinweise für Parallelen zur Ontogenese des Akteurs aufzeigt, womit er entwicklungspsychologisch im Zuge einer ‚egozentrischen Phase‘ ebenfalls ein animistisches Weltbild aufweist (Gebhard 2001: 56ff; vgl. zum Animismus bei Objektbeziehungen Schulz-Schaeffer 2007a: 456; Knoblauch/Schnettler 2004: 24ff). Meads Einschätzung unterscheidet sich in dieser Hinsicht in wesentlichen Punkten kaum von der Freuds (Freud 2000b). Wenngleich Mead das Verhältnis der Akteure zu den Objekten in einem viel stärkeren Maße aneinander bindet, da die Objekte in seinem Konzept nicht das ‚Gegenüber‘ menschlicher Psyche bzw. ‚Geist‘, sondern deren unbelebtes aber ebenso soziales Korrelat darstellen. Insofern also ‚Geist‘ im Allgemeinen dem Sozialen entspringt, tragen Objekte innerhalb des sozialen Raumes nicht nur zur Genese von Identität bei, sondern haben daran teil. Die ontogenetische Entwicklung stellt dabei eine in Zeitraffer ablaufende Wiederholung der phylogenetischen dar: „Der manifeste Bereich, in dem soziale Organisation stattfindet, ist voll von Gegenständen, physischen Dingen oder Geräten. In den Gesellschaften der wirbellosen Tiere, die ihrer Komplexität nach mit menschlichen Gesellschaften durchaus vergleichbar sind, hängt die Organisation weitgehend von der physiologischen Differenzierung ab. In einer derartigen Gesellschaft gibt es offensichtlich in der individuellen Handlung keine Phase, in der das Individuum sich die Einstellung des anderen einnehmen sieht. Von Geschlechtsbeziehungen und Elternschaft abgesehen, spielt die physiologische Differenzierung hingegen in der menschlichen Gesellschaft keine Rolle. Der Mechanismus der menschlichen Gesellschaft besteht darin, daß leibliche Individuen sich durch Manipulation mit physischen Dingen bei ihren kooperativen Handlungen gegenseitig unterstützen oder stören. In den frühesten Formen der Gesellschaftsentwicklung werden diese physischen Dinge wie Ich-Identitäten behandelt, d. h. die sozialen Reaktionen, die wir in uns allen gegenüber unbeseelten Dingen, welche uns nützlich oder hinderlich sind, feststellen können, spielen bei primitiven Völkern eine dominierende Rolle für die soziale Organisation, sofern sie von der Handhabung physischer Dinge abhängig ist. Der primitive Mensch bleibt durch Konversation in Form von magischen Riten und Zeremonien mit seinen Waffen und Instrumenten en rapport. Andererseits sind die leiblichen Individuen der sozialen Gruppe ebenso eindeutig instrumentell, wie die Instrumente sozial sind. Soziale Lebewesen sind genauso entschieden Dinge, wie physische Dinge sozial sind.“ (Mead 1987b: 218)

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Der herausgehobene Stellenwert der Subjekt-Objekt Beziehung in Meads Entwurf eignet sich in besonderer Weise, um diesen in technik- und wissenschaftssoziologischen Auseinandersetzungen zur Anwendung kommen zu lassen. Sei es bspw. in Heintz’ wissenssoziologischen Nachweis einer nicht dem Sozialen enthobenen Stellung der Mathematik – so wie sie von Mannheim im Unterschied zu allen anderen Wissenschaften dargestellt worden ist (Mannheim 1995: 251; Heintz 2000: 127ff) oder wenn es um Fragen geht, die sich im Zuge der Formulierung einer postsozialen Ära ergeben, in der es beispielsweise zu einer ‚Kreolisierung des Sozialen‘ mit einer zunehmenden Anzahl und Relevanz von sozialen Objektbeziehungen kommt, worauf Knorr-Cetina seit Ende der 90er Jahren hinweist (Knorr-Cetina 1998: 103, 106). Schließlich stellt die dezidierte Einbeziehung von Objekten und Technik in einem Modell symbolisch-vermittelten Wirklichkeitsaufbaus für Mead die logische Konsequenz seines Ansatzes dar, insofern: „The object is then expressing itself in the organism not only in stimulating it to approach or withdrawal but also in arousing in anticipatory fashion reactions that will later be carried out. By the term ‚expresses itself‘ I mean that the relations that make of the surrounding objects the environment of the organisms are active in the organism. The environment is there for the organism in the interrelationship of organism and environment. The delayed responses integrated in the act toward the distant object constitute the object as it will be or at least may be for the organism. But that it may be an object it must have an inner content, which we refer to as the results of responses now delayed.“ (Mead 2002b: 143)

4.1.5 Zusammenfassung: Klassische Ansätze Mead und die anderen behandelten Klassiker vermögen technische Artefakte als Teil des Sozialen einzubeziehen, weil der ausgezeichnete Status des Akteurs dadurch nicht gefährdet wird. Selbst der Akteur kann dem Technischen gleichgestellt werden, ohne Gefahr zu laufen, dass sich dieser als ein beliebiges Sozialelement unter vielen verflüchtigt. Die Theorien bearbeiten die Differenz ‚Akteur vs. Soziales‘ auf sehr unterschiedliche Weisen, lassen sich jedoch hinsichtlich ihrer Struktur miteinander vergleichen. Sie alle weisen einen relativ stabilen Nullwert aus, der den Subjektstatus der Akteure absichert, sodass die Differenz ‚Akteur vs. Soziales‘ aufrechterhalten bleibt, selbst wenn der Akteur buchstäblich zur Technik wird oder sich über Objekte konstituiert. Technik tritt hierbei weder als exo- noch endogener Prozess des Sozialen in Erscheinung, stattdessen wird das Soziale als Technik konzipiert. In Webers weitem Handlungsbegriff, genauso wie in Durkheims Verständnis sozialer Tatbestände, tre-

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ten Handlungen als institutionalisierte, algorithmische Praktiken auf. In Meads Identitätsbildungsprozessen durch die Inverhältnissetzung des Einzelnen zu Objekten sowie in der kulturschaffenden Bedeutung dieser Akte werden Objekte als integralen Bestandteil des Sozialen dargestellt. So ähnlich hat etwa zeitgleich der Kulturanthropologe Malinowski, der als Wegbereiter der Technografie gilt, die Bedeutung von Artefakten in seine ethnologischen Studien aufgenommen (Malinowski 1981: 324ff; vgl. Braun-Thürmann 2002: 67ff; Rammert/Schubert 2006: 17). •



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In der konstitutiven Rolle von Produktionsmitteln, die tief in das dialektische Entwicklungsgesetz Marx’ eingelassen ist, das Akteure im Rahmen eines als Stoffwechsel bezeichneten Umwandlungsprozesses an Artefakte genauso stark bindet wie an den jeweiligen sozialen Verhältnissen. Genauso wie in der die Lebenswirklichkeit bestimmenden Orientierung an Artefakten und der Lebensführung als tagtäglich gelebte Praxis der Selbst-Technisierung bei Weber, beides Sinnbild für eine von Technisierung durchtränkten Moderne. Oder auch in der Gleichbehandlung von Artefakten und Handlungsregeln als soziale Tatbestände bei Durkheim; Und schließlich der Gleichbehandlung von Akteur-Akteur und Akteur-Objekt Beziehungen, hinsichtlich der Etablierung des Sozialen und von Identität (zwei sich gegenseitig bedingende Momente) bei Mead, in dessen Entwurf die Ontound Phylogenese des Sozialen genauso zusammenfallen wie die diesbezügliche Bedeutung von Akteuren und Objekten.

In diesen frühen Entwürfen der Disziplin kommt zum Vorschein, dass die Klassiker zwischen dem Sozialen und der Technik keinen Unterschied wahrgenommen und in ihren Theorien eingezeichnet haben.

4.2 M ITTLERE ANSÄTZE Wenngleich sowohl Mumford (1978) als auch Ellul (1964) nicht davon ausgehen, dass Technik ein außersoziales Phänomen sei, führen sie die für neuere soziologische Ansätze typische Unterscheidung zwischen den Akteuren und dem Technischen aufgrund ihres kritischen Untertons in ihrer Argumentation mit (vgl. Krohn 1989: 38f). Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Erscheinungsjahre (Ellul: 1954, Mumford: 1967-1970) dieser zwei einflussreichen, technikkritischen Werke. Die sozialwissenschaftlich bereits vollzogene Trennung zwischen dem Sozialen und der Technik mag auch einen Einfluss auf diesen Zuschnitt gehabt haben. Die Frage, die zuweilen vielfach gestellt worden ist und teilweise immer noch verhandelt wird

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(Grunwald 2007), ob Technik ein dem Sozialen exo- oder endogener Prozess darstellt, ist das Ergebnis einer normativen Inversion durch die aufkommende techniksoziologische Subdisziplin der 80er Jahre. Die notwendige Bedingung für die Ermöglichung dieser Frage stellt zunächst eine Auftrennung von Sozialem und Technischem dar. Die Wiederaufnahme der Technik als soziologisches Thema – jenseits einer marxistisch geprägten Industriesoziologie – fand vor dem Hintergrund dieser vollzogenen Trennung statt, die mit der Frage nach dem Sozialen der Technik und dem Technischen des Sozialen ein Problemfeld aufgespannt hat, das die ursprüngliche Thematisierung des Sozialen als Technik in Vergessenheit hat geraten lassen (Rammert 2007d: 38ff). Für die Errichtung dieses Fundaments, auf dessen Boden die Frage nach dem Verhältnis zwischen der technischen und sozialen Wirkungsrichtung erst gestellt werden konnte, hat der Strukturfunktionalismus und die nicht zu unterschätzende Strahlkraft, die von ihm ausging, einen erheblichen Beitrag geleistet. Talcott Parsons’ Erbe: Eine kurze Gedächtnisgeschichte (Habermas, Münch, Weber und die Reflexivität von Sozialtheorie)

Habermas kritische Rekonstruktion von Parsons Werk beginnt mit einer unmissverständlichen Würdigung seines Schaffens. Er bemerkt, dass im Vergleich zu Parsons habe „[n]iemand unter den Zeitgenossen […] eine Gesellschaftstheorie von vergleichbarer Komplexität entwickelt. […] Das heute vorliegende Werk ist konkurrenzlos im Hinblick auf Abstraktionshöhe und Differenziertheit, gesellschaftstheoretische Spannweite und Systematik bei gleichzeitigem Anschluß an die Literatur einzelner Forschungsgebiete.“ (Habermas 2006a: 297)

Umso gründlicher fällt Habermas’ Kritik aus, die maßgeblich auf der Grundlage einer werksgeschichtlichen Rekonstruktion von Parsons’ Werk basiert. Der Strukturfunktionalismus wird also von seiner handlungstheoretischen Fundierung aus aufgerollt, womit sich Habermas also an die Chronologie von Parsons’ Schaffen orientiert – wobei freilich in dieser zeitlichen Abfolge auch eine erhebliche Bedeutung für den Strukturfunktionalismus insgesamt vermutet wird. Nach Habermas ist die im Schaffensprozess von Parsons immer dominanter werdende Systemebene eine zwangsläufige Folge von Parsons handlungstheoretischen Prämissen, die entstanden sind, als dieser versucht hat, entsprechend seiner werksgeschichtlich ‚ursprünglichen‘ Motivation, ein voluntaristisches Handlungsmodell in Abgrenzung zu utilitaristischen Modellen zu entwickeln:

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„Für Parsons stellt sich der Anschluß der Theorie des Handelns an eine vom Modell grenzerhaltender Systeme vorgezeichnete Konzeptualisierungsstrategie als das wichtigste Konstruktionsproblem dar. […] Der handlungstheoretische Rahmen ist zu eng, als daß Parsons aus der Handlungsperspektive ein Gesellschaftskonzept hätte entwickeln können; deshalb muß er Handlungszusammenhänge unvermittelt als Systeme vorstellen und die Gesellschaftstheorie vom grundbegrifflichen Primat der Handlungstheorie auf den der Systemtheorie umstellen. […] Im Zuge dieser systemtheoretischen Wende wird die Handlungstheorie allerdings nicht ohne Vorbehalt umgedeutet und assimiliert. Die Parsonianische Variante des Systemfunktionalismus bleibt an das Sperrgut einer aus der Erbmasse von Durkheim, Freud und vor allem Max Weber mitgeführten Kulturtheorie rückgekoppelt.“ (Habermas 2006a: 299, 303)

Parsons’ starke Anlehnung an Webers Handlungsbegriff sei ihm – so Habermas – zum ‚systemtheoretischen‘ Verhängnis geworden. Habermas’ Rekonstruktion versucht den Nachweis zu erbringen, dass die Wurzel von Parsons’ Systemtheorie in einer Umkehrung des Bedingungsverhältnisses Akteur vs. Soziales liegt, die im Rahmen einer (aufgrund ‚reduktionistischer‘, einheitstheoretischer Vorzeichen seines Akteurmodells) notwendigen Schwerpunktverlagerung von der Konstitution eines voluntaristischen sozialen Akteurs zu der einer Entsprechung dessen bezüglich den Erfordernissen sozialer Systeme. Konkret wirft Habermas Parsons vor, er habe sich auf eine an Weber angelehnte Fassung eines an Rationalität orientierenden und einheitstheoretisch konzipierten Akteurmodells ‚versteift‘, auf welches demnach kraft seiner (sozialen) Handlungen das Soziale zurückgeführt werden kann bzw. muss (Habermas 2006a: 305ff). Habermas sitzt damit ähnlich wie sein ‚Lehrer‘ Adorno einer verkürzten Lesart Webers auf, die auf die Missachtung des bereits dargestellten Unterschieds zwischen Webers methodologisch orientierter Terminologie einerseits und sozialtheoretischer Zeitdiagnosen andererseits zurückgeführt werden kann. Adornos beharrlicher Hinweis, Weber habe nicht zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen unterschieden und folglich das hinsichtlich der Produktivkräfte dominierende Prinzip der Rationalität den Produktions-, und damit letztlich den gesellschaftlichen Verhältnissen schicksalhaft aufbürden müssen, wird getragen von einem den Produktionsverhältnissen unabhängigen Subjektbegriff (Adorno/Gehlen 1974: 228f). Diese Deutung wird von Habermas nahezu identisch wiederholt: „Ein erstes Problem ergab sich daraus, daß Weber die Rationalisierung der Handlungssysteme allein unter dem Aspekt der Zweckrationalität untersucht. […] Ein weiteres Problem hat sich daraus ergeben, dass Weber, behindert durch die Engpässe seiner handlungstheoretischen Begriffsbildung, das kapitalistische Muster der Modernisierung mit gesellschaftlicher Rationalisierung überhaupt gleichsetzt.“ (Habermas 2006a: 449)

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Weber hat jedoch – wie oben anhand seines Konzeptes der Lebensführung versucht worden ist zu zeigen – Subjektivität als Folge moderner gesellschaftlicher (und freilich auch Produktions-) Verhältnisse verstanden. Habermas’ Kritik an der kritischen Theorie setzt unter anderem genau hier mit dem Vorwurf an, sie setze etwas voraus, das zunächst gesellschaftstheoretisch eingeholt werden müsse. Sein ‚Gegenentwurf‘ ist dementsprechend einer sozialtheoretischen Fundierung des Akteurs gewidmet. Nichtsdestotrotz hält er an der Weberdeutung der Kritischen Theorie fest. Er unternimmt erhebliche Anstrengungen, um einen – im Anschluss an Meads Grundlegung symbolisch vermittelter, intersubjektiv sich konstituierender Identitätsgenese – soziologisch anschlussfähigen und ausdifferenzierten Subjektbegriff zu entfalten (Habermas 2006a: 11ff; vgl. Honneth/Joas 1980: 141ff; Aboulafia 2002; Taylor 2002). Habermas spielt hierbei Durkheims und vor allem Meads Entwürfe gegen Webers Ansatz einer eindimensionalen (allein gesellschaftlichen) ‚Rationalisierungsdynamik‘ aus, indem er zeigt, „daß im Werk beider [zuletzt genannten] Klassiker der ‚Paradigmenwechsel‘ der Gesellschaftstheorie vom zweckrationalen zum kommunikativen Handeln bereits vollzogen wurde und daß es der Integration des dort Entwickelten in die Webersche Rationalisierungsthematik bedarf, um die kritische Theorie der Moderne auf den Weg zu bringen. […] Das Problem des Verhältnisses von System und Lebenswelt, das dem Verfasser zufolge weder von Max Weber noch von der Kritischen Theorie bewältigt wurde, nötigt dann zu einer zweistufigen, System und Lebenswelt umfassenden Gesellschaftstheorie […], die die spannungsreiche Differenz zwischen beidem als historisches Resultat begreift, sich aber nur dann als kritische Gesellschaftstheorie verstehen kann, wenn sie den genetischen und den normativen Primat des kommunikativen Handelns und der Lebenswelt als dessen gesellschaftlichen Komplements […] auch systematisch auszuweisen vermag.“ (Schnädelbach 2002: 18f)

Habermas’ Lesart Webers liegt also nach wie vor auf einer Linie mit der der Kritischen Theorie, wobei er letzterer vorwirft, sich einer petitio principii schuldig zu machen, da die Argumentation bzw. Kritik vor dem Hintergrund ‚freier Subjekte‘ (die keine mehr wären) entfaltet wird, die zugleich bedingt werden von dem, was ‚im Ergebnis‘ zur Debatte steht. Auf Habermas’ Rekonstruktion von Parsons’ Werk übertragen, bedeutet dies, dass Parsons’ Akteurmodell ein verkürztes, nämlich um die ‚intersubjektiv-kommunikativen‘ Entstehungsbedingungen beraubtes, Handlungssubjekt darstellt, das sich eo ipso einer Überdominanten gesellschaftlichen Wirklichkeit ‚ausgeliefert‘ sieht. Parsons’ Theorie und Habermas’ Rekonstruktion markieren auf beeindruckende Weise in zweifacher Hinsicht den Umschwung von der Gründergeneration hin zu neueren (reflexiven) Sozialtheorien, entsprechend der hier aufgestellten und zur Disposition stehenden Grundthese: Zunächst stellt rein formal Parsons’ umfassende Sozialtheorie den Versuch dar, den Stand sozialtheoretischer Entwicklungen kritisch zu

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reflektieren und diesen resümierend in eine allgemeingültige (universalistische) Theorie des Sozialen münden zu lassen. In dieser Hinsicht und dem – zuweilen negativ konnotierten – Vorwurf des Eklektizismus kommt zum Vorschein, dass spätestens mit Parsons die soziologische Theorieentwicklung ein selbstreferenzielles Unterfangen geworden ist, das sich zugleich dem Selbstanwendungsproblem öffnen muss. Zweitens stellt die in Parsons’ Theorie von Habermas völlig plausibel konstatierte, starke Betonung des Akteurs eine Verstärkung der durch die Klassiker – weiter oben im Anschluss an Hobbes Trias: Körper, Mensch, Bürger – eingeschlagenen Richtung dar. Habermas ‚Korrektur‘ von Parsons’ einseitigem (weil vornehmlich auf Weber rekurrierendem) Akteurmodell gibt dem Akteur als Subjekt noch mehr Gewicht. Die in der Gründergeneration noch vorhandene Ambivalenz des Akteurs gegenüber dem Subjekt wird irrelevant; weshalb die hier als ‚verkürzte‘ Weber-Lesart dargestellte Weiterverarbeitung als folgerichtig und plausibel bewertet werden muss. Der Ausschluss der Technik aus dem genuin soziologischen Gegenstandsbereich ist die logische Konsequenz dieser Entwicklung. Die Klassiker konnten es sich noch leisten, den Akteur mit Technik gleichzusetzen oder zumindest zwischen beiden keinen sozialrelevanten Unterschied zu machen bzw. umgekehrt beiden eine ähnliche Sozialrelevanz zuzuschreiben. Darauf aufbauende Ansätze hingegen müssen immer stärker den Akteur als Subjekt verarbeiten und diesen zugleich immer stärker zum Sozialen in Verhältnis setzen. Da offensichtlich ist, dass die Gesellschaft nicht von Robotern bevölkert ist, wird Technik auf beiden Seiten zu einem problematischen Element. Diese Entwicklung, die als fortschreitende sozialtheoretische Abarbeitung selbst verursachter ‚Probleme‘ gedeutet werden kann, lässt sich in den Übergängen von Weber über Parsons zu Habermas besonders gut skizzieren: Parsons setzt anders als Weber und freilich auch anders als Mead beim Akteur an. In seinem Entwurf zeichnet er den Akteur für den Aufbau des Sozialen verantwortlich, der zudem ein voluntaristisch, also nicht deterministisch oder (nur) fremdbestimmt, Handelnder sein soll. Dass sich aus dieser Maßgabe heraus eine den Systemerhalt garantierende Werteorientierung herausbilden musste, damit der Aufbau und die Stabilität sozialer Ordnung überhaupt denkbar sind, hat Habermas plausibel dargelegt. Der Hauptgrund für das Umschlagen einer am Akteur ansetzenden Beschäftigung mit soziologischen Theorien in eine Dominanz der Systemebene liegt nach Habermas in Parsons’ ‚monadischem‘ Akteurmodell, das für sich betrachtet unabhängig vom Sozialen existiert: „Der individualistische Ansatz einer an der Teleologie des Handelns ausgerichteten Theorie schlägt soweit durch, daß Parsons die Zwecktätigkeit zwar durch Wertstandards und entsprechende Wertorientierungen begrenzt sieht; aber der letztlich entscheidende Ansatzpunkt bleibt die singuläre Handlung eines vereinzelten Aktors. […] Parsons hält am Kern des utilitaristischen Handlungsbegriffs, eben an der Interpretation der Entscheidungsfreiheit des Aktors als einer Wahl zwischen alternativen Mitteln bei gesetzten Zwecken fest. Vielleicht glaubt er, den

228 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Voluntarismus nur dadurch retten zu können, daß er Entscheidungsfreiheit als kontingente Wahlfreiheit […] konzipiert. Diese Auffassung kontrastiert mit dem Begriff eines immer schon intersubjektiv geteilten kulturellen Wertsystems. Darin besteht gerade das Konstruktionsproblem: wie soll Parsons das monadisch angelegte Handlungskonzept mit einem Durkheim entlehnten intersubjektivistischen Ordnungskonzept verknüpfen?“ (Habermas 2006a: 320f)

Umso wichtiger wird folglich für Parsons die Synchronisation von sozialen Erfordernissen respektive sozialer Ordnung mit der Akteurperspektive und deren Verankerung in normative Wertmuster. Hinsichtlich der Protestantismusthese von Weber stellt Parsons fest, dass wenngleich die „ethischen Aspekte dieses Musters […] als wesentlich individualistisch beschrieben werden“ können, es jedoch „von großer Wichtigkeit [ist], daß die Erfüllung eines derartigen Wertmusters, nachdem es institutionalisiert ist, nicht durch explizite Anerkennung seiner religiösen Grundlage motiviert zu werden braucht.“ (Parsons 1999: 199) Zwangsläufig muss also eine Entsprechung zwischen rein gesellschaftlichen Wertorientierungen und motivationalen Orientierungen des Einzelnen postuliert werden: „Der Teil des Handlungskomplexes, der einerseits durch den Gehalt mindestens eines wesentlichen Sektors normativer Muster, andererseits durch die affektiven Haltungen moralischen Respekts und moralischer Empörung konstituiert wird, stellt den Kern dessen dar, was in der Erörterung der Theorie des Handelns als ‚Wert‘-Komplex bezeichnet werden soll. Dieser Komplex bzw. die ‚Wertorientierung‘ entweder eines einzelnen oder mehrerer Aktoren hat in der Struktur sowohl der individuellen Persönlichkeit wie auch der sozialen Systeme eine äußerst wichtige Stellung. […] Die normativen Muster bestimmen zum Teil die Ziele und Zwecke seiner [des Aktors bzw. Handelnden] teleologischen Orientierungen und die ‚normativen Bedingungen‘, unter denen diese verfolgt werden können oder sollten, ferner die Regeln, im besonderen hinsichtlich der Respektierung der ‚Rechte‘ anderer, denen sein Handeln unterliegt. […] Es gehört zu den primären Merkmalen der Integration rationaler Handlungssysteme, dass in der Regel eher Übereinstimmung als Konflikt zwischen Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und der moralischen Verpflichtung besteht.“ (Parsons 1994: 82f, 176, 131; vgl. 1976: 173)

Dementsprechend nimmt die Sozialisation eine herausragende Stellung ein, denn hier wird zwischen Akteur und Gesellschaft vermittelt bzw. das Fundament gelegt für eine Übereinstimmung zwischen motivationalen Orientierungen des Einzelnen und gesellschaftlich relevanten Systemerfordernissen: „Die Sozialisationsfunktion kann zusammenfassend gekennzeichnet werden als die Entwicklung von Bereitschaften und Fähigkeiten der Individuen als wesentlicher Voraussetzung ihrer späteren Rollenerfüllung. Bereitschaft kann wiederum in zwei Komponenten aufgeteilt werden: Bereitschaft zur Verwirklichung der allgemeinen Werte der Gesellschaft und Bereitschaft

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zur Erfüllung eines spezifischen Rollentypus innerhalb der Struktur der Gesellschaft.“ (Parsons 1999: 162; vgl. 1994: 175f)

Parsons’ Gesellschaftsbegriff verweist nach Habermas auf sein Akteurmodell, oder noch pointierter: Die Dominanz der Systemebene kann zurückgeführt werden auf ein ‚unglücklich‘ gewähltes Akteurkonzept. In diesem Zusammenhang muss denn auch die analytische ‚Entkoppelung‘ zwischen Akteuren und Sozialsystemen gelesen werden. Um die ‚Wahlfreiheit‘ der Akteure zu sichern und zugleich dem Sozialen als Ordnungsrahmen gerecht zu werden, müssen diese Elemente zunächst getrennt gedacht werden, um sie in einem zweiten Schritt wieder ‚auf Linie‘ bringen zu können (Parsons 1996: 15). Auf der anderen Seite – darauf macht auch Habermas aufmerksam (2006a: 301) – räumt Parsons, unabhängig von der ‚endgültigen‘ Architektur seiner Gesellschaftstheorie, den Akteuren durchweg ein logisches Primat gegenüber dem Sozialen ein. Nicht nur in den explizit der Mikroebene gewidmeten Texten, sondern beispielsweise auch in „Das System modernen Gesellschaften“ wird deutlich, dass es letztlich auf die Konstruktionsleistung der Akteure ankommt: „Die Integration von Mitgliedern in eine Gesellschaft umfaßt die Durchdringungszone zwischen dem sozialen und dem Persönlichkeitssystem. Es handelt sich jedoch grundsätzlich um eine Dreierbeziehung, da sowohl Teile des kulturellen Systems wie der sozialen Struktur in Persönlichkeiten verinnerlicht sind und weil Teile des kulturellen Systems in der Gesellschaft institutionalisiert sind. […] Folglich betrifft die Selbstgenügsamkeit in diesem Zusammenhang den Grad der Legitimation, welche die Institutionen einer Gesellschaft durch den Konsens ihrer Mitglieder über Wertverpflichtung erhalten haben.“ (Parsons 1996: 18; vgl. 1994: 160f)

In diesem Sinne greift Münch Habermas scharf an und wirft ihm vor, seine ParsonsExegese wäre, salopp ausgedrückt, frei erfunden (Münch 1988: 194, 196). Münchs Entgegnungen und seine gesamte Argumentationslinie zur ‚Verteidigung‘ Parsons’ sind mindestens genauso plausibel, wie die – von Münch im Übrigen in bestechender Klarheit auf wenige Seiten zusammengefasste (1988: 193ff) – Habermassche Parsons-Kritik. Für die hier thematisierten Zusammenhänge ist es völlig irrelevant, welche Position gegebenenfalls ‚einleuchtender‘ wäre, noch ist es das Anliegen dieser Arbeit, eine dritte vorzuschlagen. Wie in der weiter oben bereits erwähnten Analogie zwischen der in den Geschichtswissenschaften verwendeten Unterscheidung von Gedächtnis- vs. Ereignisgeschichte und der hier unternommenen Rekonstruktionen sozialtheoretischer Bemühungen, soll es vielmehr darum gehen, die Art und Weise des Prozessierens und Weiterentfaltens vorgelegter Entwürfe (insofern stellen die Rekonstruktionen der Klassiker eine Ausnahme dar, da sie die Ausgangslage darstellen – wenngleich auch diese im Verlauf der Arbeit mit erkenntnis- bzw. staatstheoretischen Grundlagen der ‚Neuzeit‘ ins Verhältnis gesetzt worden sind; vornehmlich mit Descartes und Hobbes). Vor dem Hintergrund der hier vertretenen zentralen These,

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dass die Position und damit Bedeutung der Elemente ‚Subjekt – Akteur – Soziales‘ innerhalb der jeweiligen Theoriearchitekturen maßgeblich für die Möglichkeit der Thematisierung von Technik verantwortlich sind, haben beide Darstellungen – von Habermas und Münch – die gleiche Wertigkeit. Beide können als Beispiele angeführt werden, um die zunehmende ‚Aufladung‘ des Akteurs in neueren Theorien darzustellen. Münch setzt an verschiedenen Stellen an, um Habermas’ Kritik einer haltlosen ‚Beliebigkeit‘ gegenüber dem Werk Parsons’ zu überführen. Zwei Punkte sind in Münchs Kritik besonders zentral: das von Habermas Parsons unterstellte ‚monadische Akteurmodell‘ sowie die Dominanz der Sozialsysteme, der sich die Akteure unterordnen müssen bzw. die diese gar zum Verschwinden bringt: „In Wirklichkeit hat jedoch Parsons weder früher eine zweckrationalistische ‚monologische‘ Handlungstheorie noch später eine quasi-naturalistische funktionalistische Systemtheorie vertreten. Beides sind Konstruktionen, die sich bei Parsons nicht finden lassen. In The Structure of Social Action ist es die fundamentale These von Parsons, daß wir, in der Absicht einer Erklärung sozialer Ordnung, Handeln nicht allein bestimmt sehen dürfen durch Ziele, Mittel und gegebene Bedingungen, sondern zusätzlich eine Selektionsregel für Ziele und Mittel vorliegen muß. Und seine weitergehende These lautet, daß diese Selektionsregel nicht allein der Rationalitätsstandard der effizienten Verknüpfung von Mitteln, gegebenen Bedingungen und Zielen für den einzelnen Akteur sein kann, wenn es eine nicht-naturalistische und nicht zufällige soziale Ordnung geben soll. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist vielmehr, daß die Akteure gemeinsam kategorisch verpflichtende Normen anerkennen. Und dies impliziert logisch, daß es konsensuell geteilte Normen sein müssen. Es widerspräche gerade der Grundthese Parsons’ gegen den Utilitarismus, wenn man annähme, daß es sich bei den Selektionsregeln nur um individuelle Festlegungen monadisch isolierter Akteure handle […].“ (Münch 1988: 195f)

Münch schlägt hier folglich eine Lesart Parsons’ vor, die nicht sehr weit von Habermas’ Sozialtheorie entfernt ist; freilich widmet sich Habermas in seinem LebensweltKonzept sehr ausführlich gerade der Erklärung der Herstellung ‚konsensuell geteilter Normen‘, die von Parsons tatsächlich etwas stiefmütterlich behandelt werden und letztlich im Rahmen einer soziologischen Begründungslogik tatsächlich ‚bloß‘ auf den Systemerhalt verweisen (vgl. Parsons 1994: 130). Nichtsdestotrotz verweist Münch hier auf einen zentralen Aspekt hin, der zugleich die Bedeutung des Akteurs hervorhebt und diesen, wenn nicht ganz und gar als Emergenz des Sozialen, so doch als mit dem Sozialen interdependent und auf das engste verbunden darstellt. Eine noch deutlichere Aufladung des Akteurs erfolgt in der zweiten zentralen Entgegnung seiner Parsons-Apologetik, wenn er zwischen ‚empirischen‘ und ‚analytischen‘ Begriffen bzw. Dimensionen in Parsons’ Theorie unterscheidet:

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„Darüber hinaus lokalisier[t] Parsons […] die Akteure entweder im sozialen oder im persönlichen System, und zwar abhängig davon, ob es sich um einen kollektiven oder individuellen Akteur handelt. Das kulturelle System bleibt dagegen in jedem Fall auf dem Status einer analytisch abzugrenzenden symbolischen Struktur stehen. In diesem Fall müssen Persönlichkeiten und Kollektive so weit empirisch ausdifferenziert sein, daß ihnen im Kontext des Handelns eine abgrenzbare Stellung zukommt und sie das Zentrum des Handelns bilden. Nur in diesem zweiten Sinn kann davon gesprochen werden, daß soziale und persönliche Systeme intentional handeln. Das ist jedoch eine doppelte Verwendung der entsprechenden Begriffe, und es widerspricht vollkommen der Absicht Parsons’, die zweite intentionale Redeweise auf die erste, analytische Fassung der Handlungssysteme zu übertragen. Eine solche Übertragung nimmt jedoch Habermas vor und verwendet schon gleich die konkreten Begriffe ‚Kultur‘, ‚Gesellschaft‘ und ‚Persönlichkeit‘ anstelle von ‚kulturelles System‘, ‚soziales System‘ und ‚Persönlichkeitssystem‘, mit denen Parsons den analytischen Charakter dieser Unterscheidungen zum Ausdruck bringt. Zweifelsohne führt die doppelte Verwendungsweise der entsprechenden Begriffe zu Verwirrungen. Das heißt jedoch nicht, daß man diese Verwirrungen noch weiter treiben soll, als es im Text selbst angelegt ist. Sie lassen sich durch klare Unterscheidungen auflösen. Die Unterscheidung von konkreten Akteuren und konkretem Handeln einerseits und analytischen Subsystemen des Handelns andererseits hat Parsons unmißverständlich durch die ganze Theorieentwicklung hindurch durchgehalten.“ (Münch 1988: 196f)

Eine Seite weiter bringt Münch das, was für ihn diesbezüglich (und für die hier vertretene These) zur Debatte steht, ebenso unmissverständlich auf den Punkt: „Nirgendwo in Parsons’ Werk gibt es eine Stelle, die es rechtfertigen würde, zu behaupten, der Akteur als konkretes Handlungssubjekt würde verschwinden und durch die Konzeption handelnder Subsysteme ersetzt.“ (Münch 1988: 198 – Hervorhebung d. V.) Aus der Sicht einer techniksoziologischen Perspektive könnte die Debatte zwischen Habermas und Münch bezüglich Parsons’ Theorie sowie Parsons’ Weiterverarbeitung der Klassiker als Verfallsgeschichte gelesen werden. Webers ‚Subjekt‘ führt ein tragisches Schattendasein am Horizont sozialer Wirklichkeit, es entsteht als Effekt moderner Gesellschaften und ist dem Akteur eher entgegen denn gleichgesetzt. Anhand des Phänomens der (modernen) Lebensführung ist diese Einschätzung weiter oben erläutert worden: Webers Akteur ist in der Terminologie von Goffman eine der Rollendistanz unfähige Entität. Das Subjekt entsteht als ausgeschlossene Instanz, das – im Unterschied zu Goffmans Akteurmodell – eine sozialirrelevante, rein ‚virtuelle‘ Distanz zum Akteur erfährt (bildlich gesprochen: Das Subjekt ist ständige Distanz ohne einen ‚Zugriff‘ auf die Rolle(n) des Akteurs – insofern wird diese von ihm lediglich ‚erfahren‘ und nicht aktiv ‚aufgebaut‘). Parsons’ Theorie stellt einen ersten Schritt der ‚Einbeziehung‘ des Subjektstatus im theoretisch einzuholenden Gegenstandsbereich. Sein voluntaristisches Handlungsmodell möchte ja gerade die Wahlfreiheit des Akteurs mit der Stabilität sozialer

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Ordnung in einem Theoriekonzept vereinen, wobei er diese Wahlfreiheit in Webers Handlungsbegriff und in einer Ordnung, die er in Durkheims Modell funktional ausdifferenzierter Gesellschaften fand, angelegt sah. Dabei ist gerade Webers Akteur (jenseits seiner Kategorienlehre, die ein analytisches, der Methodologie geschuldetes Unterfangen darstellt) ‚unfrei‘, wohingegen viel eher Durkheims Gesellschaftsdiagnose als Bedingung der Möglichkeit ‚freier Akteure‘ gelten kann. Nichtsdestotrotz: Parsons’ Theorie thematisiert den Akteur als Subjekt, und zwar in einem direkten Verhältnis zum Sozialen; dies ist zugleich sein zentraler (und ‚ursprünglicher‘) Problembezug. Es ist offensichtlich, dass Habermas’ ‚Korrektur‘ von Parsons’ ‚Konstruktionsfehler‘ und Münchs Replik zu einer fortschreitenden Überhöhung des Akteurs als Handlungssubjekt führen. In dieser Entwicklung kommt die weiter oben vertretene These zum Vorschein, wonach der Hauptgrund für die Verschiebung des Nullwertes in den explizit von den Sozialtheorien verarbeiteten Gegenstandsbereich auf die zunehmende Reflexivität soziologischer Theorien zurückgeführt werden kann. Wenn Parsons von einem monadischen Akteur ausgeht, dann bedeutet dies, dass der Akteur als Subjekt zugleich einen außersozialen Kern beibehält (vgl. Parsons 1994: 74f). Diese Deutung lässt sich selbst mit Münchs Replik vereinbaren: Einerseits plädiert er dafür, dass Parsons’ Akteur ein vergesellschafteter ist, andererseits macht er sich dafür stark, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem konkreten Akteur und den“analytischen Subsystemen des Handelns“ (Münch 1988: 197). Hier stellt sich – zumindest vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung des Strukturfunktionalismus (vgl. Luhmann 2008d: 155ff; 2008e) – freilich die Frage, wer oder was ein konkreter Akteur sei? So werktreu Münchs Replik auf Habermas’ Parsons-Lesart auch sein mag, in der direkten Gegenüberstellung dieser zwei Aussagen liegt eher der Nachweis einer Inkonsistenz der Theorie als ein Beleg für deren Schlüssigkeit. Diese Feststellung zeitigt freilich keinerlei Folgen für die Kohärenz von Münchs Kritik an Habermas – sofern es sich eben nur um einen Disput um die ‚werktreue‘ Interpretation Parsons’ handelt. Andererseits unterstreichen diese Beobachtungen, dass Parsons’ Akteur bereits der Ausdruck einer reflexiven Sozialtheorie darstellt, eine vollständige Integration des Subjektes im Gesichtsfeld soziologischer Theorien aber erst durch die Stellungnahmen von Habermas und Münch erfolgt. Abbildung 21: Nullwert-Matrize Parsons und Münch: Das ‚Selbstständige Subjekt‘ im Rahmen eines voluntaristischen Akteurmodells Voluntaristisches Akteurmodell / Selbständiges Subjekt

Soziales Technik

4. T HEORIETECHNIKEN | 233

Habermas’ Rekurs auf Mead im Rahmen der Abarbeitung idiosynkratisch-sozialtheoretischer Problemgenese

Anders als in Münchs kurzer Replik kann eine ähnliche Entwicklung bezüglich der Verschiebung des Verhältnisses zwischen Subjekt, Akteur und Soziales auch in Habermas’ groß angelegtem Gegenentwurf zu Parsons konstatiert werden. Habermas’ Alternative besteht bekanntlich in der Bevorzugung von Meads Handlungsmodell, das (wie bereits dargestellt) die Konstitution von Handlungsregeln als intersubjektiv erzeugte Emergenz auffasst, und es insofern erlaubt, Soziales als Produkt von Interaktion zu begreifen und zugleich die Akteure (im Prinzip und demzufolge im Idealfall einer ‚perfekten‘ gesellschaftlichen Realität) daran ausgerichtet zu sehen, da deren Identitätsaufbau sich aus genau denselben Prozess ableitet. Die ‚ideale‘ Gesellschaft stellt folglich (bereits für Mead) nichts weiter dar als die ständig vorhandene Möglichkeit einer Auswirkung von ontogenetischen Bildungsfaktoren im phylogenetischen Ergebnis; anders ausgedrückt: Der Wirklichkeitsaufbau der Identität des Akteurs soll eine Entsprechung finden können im Wirklichkeitsaufbau des Sozialen. Für Habermas’ Entwurf spielt also der ‚Beitrag‘ der Akteure zu diesem Aufbau eine wichtige Rolle. An dieser Stelle kommt Meads ‚I‘ ins Spiel, das weiter oben als ‚Subjektivitätsgarantie‘ dargestellt worden ist und das in Meads Theorie die Funktion eines Nullwertes aufweist, insofern es den Akteur gegenüber der – wenn auch intersubjektiv hergestellten – sozialen Wirklichkeit (bzw. sozialem Sinn) mit einer Quelle ureigenster Kontingenzentfaltung ‚absichert‘ (die gleichwohl für den Akteur nur dann in Rechnung gestellt werden kann, sofern er sich als ein ‚Selbst‘, also über den Umweg einer Konfrontation mit eben dieser ‚sozialen Wirklichkeit‘, erfahren kann). Habermas geht einen langen Weg in die soziologische Theoriegeschichte zurück, um ebenfalls den Akteur als – im Prinzip freien – Konstrukteur und impliziten Gegenspieler gesellschaftlicher Wirklichkeit wesentlich stärker zu betonen, als Mead es noch für nötig gehalten hat (vgl. Joas 2002b: 150f; Seel 2002: 54). In Meads Entwurf bildet sich in den durch die Gemeinschaft ermöglichten Identitätsaufbau zugleich ‚Rationalität‘ aus, die in Interaktionen zwischen Akteuren genauso zum Tragen kommt wie zwischen Akteuren und Gegenständen (Mead 2002a: 229, 383f). Das Kreativitätspotenzial, das sich in abduktiven Verfahren der Entdeckung von ‚Neuem‘ entfaltet, wird ebenso einer positiv konnotierten Ratio zugeschlagen: „Die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen man zu handeln bereit ist, können in der eigenen Erfahrung gegeben sein; wie man aber wirklich reagieren wird, weiß man genauso wenig, wie der Wissenschaftler die Hypothese kennt, die er aus der Beschäftigung mit einem Problem entwickeln wird. Diese oder jene Folgerungen stehen im Widerspruch zur bisher akzeptierten Theorie. Wie sollen sie erklärt werden? Nehmen wir die Entdeckung, daß ein Gramm Radium anscheinend einen Topf mit Wasser zum Sieden bringen kann, ohne daß ein Energieverlust zu verzeichnen ist. Hier findet etwas statt, das der Theorie der Physik bis zur Entwicklung des

234 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Begriffes Radioaktivität widersprach. Der Wissenschaftler, der sich diesen Tatsachen konfrontiert sieht, muß irgendeine Erklärung finden. Er verweist darauf, daß das Radiumatom gespalten wird und folglich Energie freisetzt. Nach der bisherigen Theorie war ein Atom eine unteilbare und unvergängliche Sache, aus der man keine Energie gewinnen konnte. Wenn man nun aber annimmt, daß das Atom selbst ein System aus verschiedenen Energiespannungen ist, ist es möglich, daß die Spaltung eines solchen Systems eine relativ große Energiemenge freisetzt. Ich will damit sagen, daß der Wissenschaftler auf eine solche Idee stößt, daß sie vorher noch nicht in seinem Geist vorhanden war. Sein Geist ist vielmehr jener Prozeß, aus dem sich diese Idee entwickelt. Eine Person, die bei einem bestimmten Anlaß auf ihren Rechten besteht, hat diese Situation in ihrem Geist bereits durchgespielt; sie hat auf die Gemeinschaft reagiert; tritt die Situation dann ein, so löst sie in sich etwas aus und sagt etwas, das im Geist bereits vorhanden ist. Als sie es sich aber zum ersten Mal vorsagte, konnte sie noch nicht wissen, was sie sagen würde. Sie sagte etwas, das für sie selbst ebenso neu war wie die Theorie für den Wissenschaftler, als er zum ersten Mal auf sie stieß.“ (Mead 2002a: 240f)

In diesem Zitat, bezüglich der im Vollzug sich abduktiv konstituierenden Wirklichkeit, kommt die im Pragmatismus angelegte grundsätzliche Parallelisierung des Verhältnisses zwischen Ego und Alter sowie Ego und Objekten zum Vorschein; anders ausgedrückt: Im Pragmatismus gibt es im Vollzug der Inverhältnissetzung von Ego zu seiner Umwelt keine definitorischen Merkmale bezüglich der Beschaffenheit von Alter (vgl. Joas/Knöbl 2004: 715). Meads ‚I‘ ist eine Residualkategorie, die zu gleichen Teilen dem Akteur und dem Sozialen zuzuordnen ist bzw. sich verdankt, wohingegen sie in Habermas’ Theorie nicht allein, aber vor allem den Akteur auszeichnet. Die ‚Aufladung‘ des Akteurs erfolgt bei Habermas natürlich nicht nach dem Schema eines monadischen Subjektes, sie ist vielmehr dem pathologischen Verhältnis zwischen system- und sozialintegrativen Momenten gesellschaftlicher Wirklichkeit geschuldet, die zu einer Aufladung der ‚Lebenswelt‘ führen. Habermas unterscheidet strikt zwischen systemspezifischer und lebensweltlicher Rationalität. Die Entlastungsfunktion einer ‚Entsprachlichung‘ auf der Systemebene ist zugleich die Bedingung für eine zunehmende ‚Versprachlichung‘ der Lebenswelt: „Institutionen grenzen Handlungskontingenzen ein, indem sie nur bestimmte Handlungen als zugemutet auszeichnen. Wenn diese normative Basis des Handelns versprachlicht wird, sind Handlungsunsicherheiten und Überlastungen der Handlungskoordination die Folge. Eine solche Versprachlichung kann nicht in allen Bereichen der Gesellschaft stattfinden; das würde zum Zusammenbruch des gesellschaftlichen Zusammenhalts führen. Eine Lösung des Problems der Versprachlichung zeichnet sich dann ab, wenn dem Vorgang der Versprachlichung Prozesse der Entsprachlichung in anderen Handlungsbereichen korrespondieren. Diese Bereiche werden von Habermas mit den Subsystemen Wirtschaft und Staat identifiziert. Der Überlastung der Koordination auf der einen Seite durch Versprachlichung entspricht eine Entlastung der Koordination durch Umpolung auf die Steuerungsmedien Macht und Geld auf der anderen

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Seite […]. Eine kritische Phase der Entwicklung tritt nur dann ein, wenn jene Handlungsbereiche, die auf Sprache unverzichtbar angewiesen sind (soziale Integration, kulturelle Überlieferung und Sozialisation) ebenfalls auf entsprachlichte Handlungskoordination umgestellt werden. Im Bereich der Wirtschaft kann und muß auf Sprache verzichtet werden; diese würde dort nur störend wirken. Aber was im ‚System‘ stört, auf das kann in der ‚Lebenswelt‘ nicht verzichtet werden. Und umgekehrt: derselbe Vorgang, der im ‚System‘ einen Rationalisierungsfortschritt darstellt (Umstellung auf Steuerungsmedien), würde in der ‚Lebenswelt‘ einen Rationalisierungsrückschritt bedeuten.“ (Berger 2002: 271)

Berger kommt auf dem Boden dieser Habermasschen Setzung zu dem Schluss, dass – neben einer Engführung auf eine rein sprachliche Etablierung lebensweltlicher ‚Vernunft‘ (die von anderen Autoren ebenfalls gegen Habermas vorgebracht wird (vgl. die Beiträge in Honneth/Joas 2002)) – es zu einer einseitigen, unzulässigen, weil arg verkürzenden Betrachtung spätmoderner Gesellschaften kommt. Lediglich der Antagonismus zwischen der Dominanz einer fortschreitenden ‚Entsprachlichung‘ aufgrund einer zweckrationalen Orientierung der Subsysteme und den dieser Entwicklung untergeordneten sprachlich hergestellten Lebensweltstrukturen wird von Habermas in den Blick genommen (Berger 2002: 272). Joas macht zu Recht darauf aufmerksam, dass Habermas’ Lebensweltbegriff eine erkenntnistheoretische und eine anwendungsbezogene, diagnostische („ordnungstheoretische“) Seite aufweist (2002b: 166). Auch diese Unterscheidung ist hilfreich, um der Betonung des Akteurs als Subjekt weiter nachzugehen. Hinsichtlich einer erkenntnistheoretischen Fundierung von ‚Sozialem‘ wird von Joas und Taylor kritisch angemerkt, dass einerseits die praxeologischen Elemente, die über die Sprache und die Versprachlichung hinausgehen (die nach Mead – worauf das von diesem zuletzt aufgeführte Zitat unter anderem hinweisen sollte – selbstverständlich dazugehört haben) gänzlich ausgeklammert werden. Taylor geht sogar so weit, Habermas’ Kennzeichnung der Lebenswelt auf der Grundlage eines derart verkürzten Kommunikationsbegriffes auf „die alte Definition des Menschen als zoon echon logon, als sprechendes Tier“ (2002: 46) zu verweisen, wohingegen Joas – nicht überraschend – die deutlich umfassendere Perspektive des Pragmatismus in Anschlag bringt, die weiter oben mit Meads Zitat angedeutet worden ist (2002b: 150). Berger hingegen legt den Schwerpunkt auf eine zeitdiagnostische Engführung, die in der einseitigen Betrachtung des Verhältnisses zwischen System und Lebenswelt zum Vorschein kommt: „Pathologien entstehen [gemäß Habermas] nur an der Front zwischen ‚System‘ und ‚Lebenswelt‘ und auch dort nur in einer Richtung: Der Verschiebung des ‚Systems‘ in die ‚Lebenswelt‘ hinein.“ Einer so angelegten „Analyse entgehen erstens Widersprüche im Bereich der Systemintegration und zweitens spezifische Problemlagen, die aus dem Eindringen von lebensweltlichen Prinzipien in die Subsysteme zweckrationalen Handelns entstehen.“ (Berger 2002: 270, 272)

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Abbildung 22: Nullwert-Matrize Habermas: Das ‚Vernünftige Subjekt‘ im Rahmen eines strukturabhängigen Akteurmodells Strukturabhängiges Akteurmodell / Vernünftiges Subjekt

Soziales Technik

In beiden Dimensionen kommt eine Überbetonung des Akteurs zum Vorschein. Die erkenntnistheoretische Dimension überhöht emphatisch die Leistung des Akteurs als prometheischen Schöpfer von Vernunft (durch Sprache), wohingegen die diagnostische Dimension aufzeigt, dass es vor allem darauf ankommt, den Akteur als ‚Gestalter‘ sozialer Wirklichkeit zu verteidigen. Es wäre unredlich, wenn nicht gar grotesk, Habermas’ Theorie auf wenige Seiten derart abzuhandeln, wie es hier den Anschein hat; es sei in diesem Zusammenhang an Habermas’ „Entgegnungen“ (2002) erinnert, die scharfsinnig die vorgebrachten Einwände teilweise deutlich entkräften, auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Es ist wichtig zu unterstreichen und noch einmal daran zu erinnern, dass in diesem gesamten Kapitel nicht die immanente Schlüssigkeit der vorgestellten Theorien und erst recht nicht deren Anwendbarkeit thematisiert werden, sondern lediglich das Verhältnis zwischen Subjekt, Akteur und Soziales im Mittelpunkt steht. Symbolischer Interaktionismus, Ethnomethodologie und Pragmatismus

In dieser Hinsicht stellt der von Habermas scharf kritisierte Symbolische Interaktionismus nichts weiter dar als ein sich nur graduell von seiner eigenen Position unterscheidender Ansatz. In der Tat tendiert der Symbolische Interaktionismus dazu, das Soziale als ‚gegeben‘ darzustellen und die Akteure als darin Verstrickte: „In der auf Mead zurückgehenden Tradition liegt der Gesellschaftstheorie andererseits ein Lebensweltkonzept zugrunde, das auf den Aspekt der Vergesellschaftung von Individuen verkürzt ist. Vertreter des symbolischen Interaktionismus wie H. Blumer, A. M. Rose, A. Strauss oder R. H. Turner konzipieren die Lebenswelt als soziokulturelles Milieu für ein kommunikatives Handeln, das als Rollenspiel, Rollenübernahme, Rollenentwurf usw. vorgestellt wird. Kultur und Gesellschaft kommen nur als Medium für ‚Bildungsprozesse‘ in Betracht, in die die Aktoren lebenslang verwickelt sind. Konsequenterweise schrumpft dabei die Theorie der Gesellschaft zur Sozialpsychologie.“ (Habermas 2006a: 212).

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Die Ende der 70er Jahre geführte Debatte hinsichtlich der Affinität zwischen Meads und Blumers Ansatz geht in eine ähnliche Richtung. Wenngleich sich der neuere Interaktionismus bzw. Neopragmatismus wieder stärker auf Mead besinnt (Joas/Knöbl 2004: 687ff; Joas 2002a), geht der ‚klassische‘ Symbolische Interaktionismus von einem Akteurmodell aus, das den Aufbau sozialen Sinns eindimensional durchführt. Das ‚Soziale‘ ist immer schon da und muss durch die Akteure ‚lediglich‘ immer wieder durch Sinn aufgeladen werden. Die Schieflage wird tatsächlich vor allem dann deutlich, wenn Meads Theorie als Vergleichsfolie hinzugezogen wird (McPhail/Rexroat 1979: 459; vgl. die Sammlung diesbezüglich relevanter Aufsätze in Hamilton 1992). Dabei wird deutlich, dass Blumers Akteure sich nicht ex post konstituieren, sondern dass sie diejenigen sind, die dank ihrer Interpretationsleistungen und mittels darauf aufbauender ‚Handlungen‘, zu Sinngebungsakten befähigt, das Soziale herstellen: „The concept of object is another fundamental pillar in Mead’s scheme of analysis. Human beings live in a world or environment of objects, and their activities are formed around objects. This bland statement becomes very significant when it is realized that for Mead objects are human constructs and not self-existing entities with intrinsic natures. Their nature is dependent on the orientation and action of people toward them. […] There are several important points in this analysis of objects. First, the nature of an object is constituted by the meaning it has for the person or persons for whom it is an object. Second, this meaning is not intrinsic to the object but arises from how the person is initially prepared to act toward it. […] Third, objects – all objects – are social products in that they are formed and transformed by the defining process that takes place in social interaction. The meaning of the objects – chairs, trees, stars, prostitutes, saints, communism, public education, or whatnot – is formed from the ways in which others refer to such objects or act toward them. Fourth, people are prepared or set to act toward objects on the basis of the meaning of the objects for them. In a genuine sense the organization of a human being consists of his objects, that is, his tendencies to act on the basis of their meanings. Fifth, just because an object is something that is designated, one can organize one’s action toward it instead of responding immediately to it; one can inspect the object, think about it, work out a plan of action toward it, or decide whether or not to act toward it. In standing over against the object in both a logical and psychological sense, one is freed from coercive response to it.“ (Blumer/Bales 1992: 35f)

Im Unterschied zu Mead, der in dem Akteur-Objekt Verhältnis Identitätsbildungsprozessen nachgegangen ist und die Beziehung als ko-konstitutiv für den Akteur und das Objekt (in seiner Sozialrelevanz) dargestellt hat, kommt in Blumers Schilderung sehr deutlich zum Vorschein, dass allein der Akteur die Deutungshoheit innehat. Im Symbolischen Interaktionismus gibt es eine – gegenüber Mead – deutliche Verlagerung zum Akteur hin. Diese Schieflage ist umso irritierender, als sie zu zwei Seiten

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gleichermaßen abschüssig erscheint: Das Soziale wird durch die Akteure hergestellt und ist zugleich vor diesen gegeben (Blumer 2007: 5, 18f). Dieser eigentümliche Umstand ist einer ‚halbierten‘ Mead Rezeption geschuldet: Einerseits werden vom Symbolischen Interaktionismus die Interaktionen der Akteure ins Zentrum gerückt, andererseits die Gleichursprünglichkeit und das ko-konstitutive Verhältnis von Interaktion und Akteuremergenz nicht ausreichend in den Blick genommen. Der Symbolische Interaktionismus stattet somit – als Konterpart von Parsons’ Strukturfunktionalismus (vgl. Joas/Knöbl 2004: 183ff, 206) – den Akteur, in Analogie zu Habermas, mit Merkmalen aus, die ihn grundsätzlich dem Sozialen gegenüberstellen. Es handelt sich freilich um eine rein formale Analogie bezüglich des Verhältnisses zwischen Akteur und Sozialem; die Gründe für die Ähnlichkeit dieses Verhältnisses sind diametral entgegengesetzt. Habermas konstatiert eine Loslösung sozialer Wirklichkeit von ihrem ‚lebensweltlichen‘ Fundament, wohingegen im Symbolischen Interaktionismus – genau umgekehrt – der Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung (mithin des Sozialen schlechthin) den Akteuren und ihrer interpretativen Kompetenz zugewiesen wird, und die Wirkmächtigkeit des Sozialen hinter den Akteuren, wenn nicht gleich ‚versteckt‘, so zumindest ‚verharmlost‘ wird. Sozialer Sinn verliert im Symbolischen Interaktionismus seine akteurkonstitutive Wirkung und wird einerseits von dem Akteur in einem wesentlich stärkeren Maße getrennt, als dies in Meads Theorie der Fall war, sowie andererseits seiner Interpretationsleistung überlassen. Der Akteur trägt die Last eines ständigen Wirklichkeitsaufbaus, den er einerseits ‚fertig‘ vorfindet sowie andererseits als ihm äußerlichen und vornehmlich von Aneignung gezeichneten Prozess erlebt (vgl. Denzin 1974a: 295). Abbildung 23: Nullwert-Matrize Blumer: Das ‚Vermittelnde Subjekt‘ im Rahmen eines interpretativen Akteurmodells

Interpretatives Akteurmodell / Vermittelndes Subjekt

Soziales Technik

In einem direkten Vergleich mit der Ethnomethodologie kommt die doppelte Schieflage des Symbolischen Interaktionismus bezüglich des Verhältnisses zwischen Akteuren und Sozialem besonders pointiert zum Vorschein. Garfinkels Werk besteht weniger in der Entwicklung einer Theorie als vielmehr in der Plausibilisierung der Relevanz eines von ihm ‚entdeckten‘ und als Ethnomethodologie bezeichneten Gegen-

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standes (Garfinkel 2007a: 31ff). Darunter versteht Garfinkel Verfahren zur Stabilisierung sozialen Sinns, die von den Akteuren angewendet werden, um trotz einer nicht nur im Prinzip (Symbolischer Interaktionismus), sondern faktisch von Aushandlungen abhängigen Erzeugung von Intersubjektivität bzw. von durch die involvierten Akteuren gemeinsam hergestellten und geteilten sozialen Wirklichkeit. Garfinkels Verständnis des Sozialen steht denen von Blumer und Berger/Luckman diametral entgegen. Blumer und noch stärker der Sozialkonstruktivismus von Berger und Luckmann sehen in der gesellschaftlich geteilten und die gesellschaftliche Wirklichkeit auf Dauer stellende Sprache zugleich eine ausgelagerte ‚Konservierung‘ bzw. ‚Sedimentierung‘ zuvor intersubjektiv aufgebauten sozialen Sinns. Die Haltung von Blumer bezüglich dieses zeitlichen Bedingungsverhältnisses ist zwar etwas schwächer ausgeprägt als bei Berger/Luckmann, dennoch wird auch bei seinem Entwurf, gerade in Kontrast zu Garfinkels Ansatz, deutlich, dass es sich (bei Berger/Luckmann buchstäblich (2003: 60)) um eine Robinsonade handelt: „A third important observation needs to be made, namely, that any instance of joint action, whether newly formed or long established, has necessarily arisen out of a background of previous actions of the participants. A new kind of joint action never comes into existence apart from such a background. The participants involved in the formation of the new joint action always bring to that formation the world of objects, the sets of meanings, and the schemes of interpretation that they already possess. Thus, the new form of joint action always emerges out of and is connected with a context of previous joint action. It cannot be understood apart from that context; one has to bring into one’s consideration this linkage with preceding forms of joint action. One is on treacherous and empirically invalid grounds if he thinks that any given form of joint action can be sliced off from its historical linkage, as if its makeup and character arose out of the air through spontaneous generation instead of growing out of what went before. In the face of radically different and stressful situations people may be led to develop new forms of joint action that are markedly different from those in which they have previously engaged, yet even in such cases there is always some connection and continuity with what went on before. One cannot understand the new form without incorporating knowledge of this continuity into one’s analysis of the new form. Joint action not only represents a horizontal linkage, so to speak, of the activities of the participants, but also a vertical linkage with previous joint action.“ (Blumer 2007: 20)

Da, wo Garfinkel in der Gemeinsamkeit der zur Anwendung kommenden Verfahren die Garantin für die Stabilität des Sozialen sieht, wird diese von dem Symbolischen Interaktionismus ins soziale Milieu und den hier tradierten, von den involvierten Akteuren vorgefundenen Bedeutungen ausgelagert (vgl. Zimmerman/Wieder 1974 im Ggs. zu Denzin 1974b). Die Sprache dient dem Symbolischen Interaktionismus folglich als Sediment intersubjektiv aufgebauten Sinns. Die Bedeutung einer Handlung muss zwar durch die Akteure immer wieder neu hergestellt (eigentlich: aktualisiert

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bzw. bestätigt) werden, faktisch ist sie jedoch in aller Regel vorgegeben; sie muss weder immer wieder neu ermittelt und interpretativ hergestellt werden noch ist sie grundsätzlich gefährdet. Wohingegen in Garfinkels Studien die Bedeutung einer Handlung bzw. eines Wortes faktisch, und nicht nur potenziell grundsätzlich immer gefährdet ist und zur Disposition steht: „The radical claim of the ethnomethodologist is the decision to abandon the assumption that order exists. He proceeds instead […] to ask how members in any situation construct order by making certain rules appear to be operative.“ (Denzin 1974a: 296) Diese Auffassung sozialer Wirklichkeit findet in Garfinkels Konzept der ‚Indexikalität‘ ihren schärfsten Ausdruck (Garfinkel 1981: 210ff). Abbildung 24: Nullwert-Matrize Garfinkel: Das ‚Wirklichkeitsstiftende Subjekt‘ im Rahmen eines interpretativ-regelbeherrschenden Akteurmodells Regelbeherrschendes Akteurmodell / Wirklichkeitsstiftendes Subjekt

Soziales Technik

Sozialkonstruktivismus: Berger/Luckmanns Versuch einer Zusammenführung

Im sozialkonstruktivistischen Ansatz von Berger und Luckmann finden sich – von den hier behandelten Ansätzen – insbesondere Motive aus Meads Akteurmodell und Parsons’ Strukturfunktionalismus sowie Anleihen aus Blumers Interaktionismus wieder. Sie versuchen, anders als Parsons und in Anlehnung an Mead, Plessner und Gehlen, die Konstitution des Sozialen zunächst als intersubjektiven Aufbau sozialen Sinns darzustellen, der rückwirkend auf die Akteure – im Verlauf eines minutiös geschilderten Institutionalisierungsprozesses – eine für diese konstitutive und faktische Wirkung entfaltet. Dieser Umstand zeigt sich besonders deutlich in der erst durch eine notwendig gewordene Legitimation ‚vollendete‘ Institutionalisierung sozialer Wirklichkeit als „‚sekundäre‘ Objektivation von Sinn[.] […] Das Problem der Legitimation entsteht unweigerlich erst dann, wenn die Vergegenständlichung einer (nun bereits historischen) institutionalen Ordnung einer neuen Generation vermittelt werden muß.“ (Berger/Luckmann 2003: 98, 99f). Die wissenssoziologische Grundlage des Ansatzes führt außerdem dazu, dass Berger/Luckmann von vornherein die ‚Konstruktion‘ als Wirklichkeit konzipieren:

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„Diese Art von Wissen legt die Grundlagen für die Dynamik der Motivierungen bei institutionalisiertem Verhalten. Es bestimmt, welche Verhaltensgebiete institutionalisiert sind und bezeichnet alle Situationen, die sich darunter subsumieren lassen. Es schafft und bestimmt die Rollen, die im Kontext der jeweiligen Institution gespielt werden. Es kontrolliert das Verhalten und sieht es zugleich voraus. Da dieses Wissen als Wissen gesellschaftlich objektiviert ist, das heißt, da es das Allgemeingut an gültigen Wahrheiten über die Wirklichkeit darstellt, muß jede radikale Abweichung von der institutionalen Ordnung als Ausscheren aus der Wirklichkeit erscheinen. Man kann derartige Abweichungen als moralische Verworfenheit, Geisteskrankheit oder bloße Ignoranz ansehen. Für die Behandlung dessen, der abweicht, mögen solche feineren Unterscheidungen durchaus ihre Folgen haben. Gemeinsam ist ihnen jedoch allen ein geringer kognitiver Status in der sozialen Welt. So wird eine bestimmte gesellschaftliche Welt zur Welt schlechthin. Was in der Gesellschaft für Wissen gehalten wird, wird gleichbedeutend mit dem Wißbaren oder ist wenigstens der Rahmen für alles Noch-nicht-Gewußte, das in Zukunft gewußt werden könnte. Es ist das Wissen, das im Verlauf der Sozialisation erworben wird und dem Bewußtsein des Einzelnen die Internalisierung der vergegenständlichten Strukturen der sozialen Welt vermittelt. Wissen in diesem Sinne steht im Mittelpunkt der fundamentalen Dialektik der Gesellschaft. Es ‚programmiert‘ die Bahnen, in denen Externalisierung eine objektive Welt produziert. Es objektiviert diese Welt durch Sprache und den ganzen Erkenntnisapparat, der auf der Sprache beruht. Das heißt, es macht Objekte aus dieser Welt, auf daß sie als Wirklichkeit erfaßt werde […]. Dasselbe Wissen wird als objektiv gültige Wahrheit wiederum während der Sozialisation internalisiert. Wissen über die Gesellschaft ist demnach Verwirklichung im doppelten Sinne des Wortes: Erfassen der objektivierten gesellschaftlichen Wirklichkeit und das ständige Produzieren eben dieser Wirklichkeit in einem.“ (Berger/Luckmann 2003: 70f)

Zugleich nehmen Berger/Luckmann eine wesentlich stärkere (und ungleich explizite) ‚Auslagerung‘ sedimentierten sozialen Sinns als Blumer vor. Mit dem Konzept der Reifizierung (sprachliche Objektivation (Berger/Luckmann 2003: 43, 77, 100)) nennen sie beim Namen, was in Blumers Ansatz – womöglich aufgrund des Vorhabens, in Meads Fußstapfen treten zu wollen (vgl. hierfür besonders prägnant Blumer 1980; 2007) – nur implizit angelegt ist, um es sogleich wieder in der ‚Prozesshaftigkeit‘ einer durch die Akteure interpretativ herzustellenden Bedeutung von ‚etwas‘ zu relativieren.

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Abbildung 25: Nullwert-Matrize Berger/Luckmann: Das ‚Wirklichkeitsstiftende Subjekt‘ im Rahmen eines strukturabhängigen Akteurmodells Strukturabhängiges Akteurmodell / Wirklichkeitsstiftendes Subjekt

Soziales Technik

An dieser Stelle wäre es beinahe müßig, die sozialtheoretisch ‚abwesende‘ Relevanz (Parsons, Berger/Luckmann) oder aber einseitige Form (Habermas) bzw. die ganz und gar als ‚Spielball‘ der sozialen Aushandlungen und Verfahren untergeordnete Bedeutung (Blumer, Garfinkel) der Technik und des Technischen zu erwähnen. Die Darstellung der Ansätze von Parsons über Habermas zum Symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie bis hin zum Sozialkonstruktivismus sollten vor allem dazu dienen, die Verschiebung des Nullwertes ‚Subjekt‘ innerhalb der soziologischen Theoriebildung und -entwicklung zu veranschaulichen. Hier interessiert also welche Aussagen dienen jeweils als zentrale Anknüpfungspunkte und wie werden diese weiterverarbeitet; anders ausgedrückt: Wie werden Theorien aufgrund der Weiterverarbeitung innerhalb der Disziplin ‚erinnert‘? Dabei lassen sich eine Veränderung der Nullwert-Differenz-Figuration und der aufgrund dieser Veränderung bedingte Verlust der Technik-Kategorie konstatieren. Der Begriff des ‚Subjektes‘ mutiert je weiter sich die Theorien von der Gründergeneration entfernen; in der hier vorgeschlagenen Lesart bedeutet dies, dass sie immer deutlicher zu einem abwesenden leeren Platzhalter werden, der an den Akteur ‚geheftet‘ nicht mehr frei flottierend als Nullwert die Akteur vs. Soziales-Differenz absichern kann. Es ist im Grunde in den Ansätzen nach der Gründergeneration, spätestens ab Parsons, missverständlich, vom Subjekt und vom Akteur zu reden. Vielmehr ging es in den vergangenen Abschnitten gerade darum die Auflösung der Subjektkategorie (als Nullwert) nachzuzeichnen. Eine dominante Figur stellt hierbei zweifelsohne Parsons dar; die von ihm geleistete, sozialtheoretische Problemgenese führt zur expliziten oder impliziten Thematisierung des Verhältnisses zwischen Akteur und Sozialem als entgegengesetzte (bspw. Münch, Habermas) oder auszuschließende (bspw. Luhmann) Größen. Der Akteur (mitunter als Subjekt – bspw. Blumer, Garfinkel, im Ergebnis auch Berger/Luckmann) und dessen Beziehung zum Sozialen wird immer weiter angereichert, wobei die Klassiker verstärkt dementsprechend einseitig gelesen werden – so wie dies beispielsweise in Habermas’ Parsons-Rekonstruktion besonders deutlich zum Vorschein gekommen ist.

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4.3 N EUERE ANSÄTZE Diese Stoßrichtung einer immer pointierteren Gegenüberstellung von Akteuren und Sozialem erhält in neueren Sozialtheorien einen programmatischen Stellenwert hinsichtlich deren Verarbeitung. Die Strategien sind hierbei sehr unterschiedlich und reichen von einer radikalen Überwindung, wie beispielsweise in Luhmanns funktional-strukturellen Systemtheorie, die den Akteur als Subjekt ausschließt, um ihn erkenntnistheoretisch aber elementar und konstitutiv weiter mitzuführen, bis hin zu einer expliziten Thematisierung, die dem ‚neuen‘ Problem eine feste Form verschafft, indem sie sich ganz und gar der Versöhnung des ‚Mikro-Makro Schismas‘ widmet – als paradigmatisch sei hier Giddens’ Strukturierungstheorie zu nennen (vgl. aber bspw. auch die Sammelbände Alexander 1987; Greve et al. 2008). Anthony Giddens Strukturierungstheorie als vorläufiger Höhepunkt von Sozialtheorie als Problemgenese: Die Vereinbarkeit von Akteur und Struktur

Die von Giddens entworfene ‚Dualität von Struktur‘ wird maßgeblich durch die Integration nicht intendierter Handlungsfolgen in die Produktion und vor allem Reproduktion sozialer Ordnung (und sozialen Sinns) bewerkstelligt. Die dadurch ermöglichte Entkopplung von (handlungspraktisch äußerst relevanter, weil ermöglichender) Struktur und den diese (re)produzierende Handlungen, setzt die Theorie in den Stand voluntaristische Akteure und soziale Ordnung gleichzeitig und vor allem gleichgewichtig zu konzeptualisieren. Die Nähe zum Strukturfunktionalismus Parsons’ und zum Sozialkonstruktivismus von Berger/Luckmann ist dabei weitaus größer als zum Interaktionismus oder zu den sogenannten Praxistheorien (vgl. Bongaerts 2007) – dies, obwohl die Strukturierungstheorie vielfach gemeinsam mit Bourdieus Ansatz in einem Atemzug als eine der zwei großen praxistheoretischen Würfe genannt wird (vgl. Reckwitz 2003: 282). Dass dem Kern der Strukturierungstheorie – die homöostatische Kausalschleife, also dem Modus, wonach nicht intendierte Handlungsfolgen rekursiv die intendierten Handlungen der Akteure (handlungsermöglichend) organisieren – ein Theorem Mertons zugrunde liegt, deutet bereits auf die (oft übersehene) Verwandtschaft zum Strukturfunktionalismus hin (Merton 1995: 59ff; Giddens 1997: 62ff). Insbesondere der von Giddens als ‚homöostatische Kausalschleife‘ bezeichnete Modus der Wirkungsweise nicht intendierter Handlungsfolgen ist für die Emergenz und Stabilität sozialer Strukturen von eminenter Bedeutung (1997: 65). Die homöostatische Kausalschleife kann insofern als das Kerntheorem der Giddensschen Theorie verstanden werden. In Anlehnung an Mertons Unterscheidung von manifesten und latenten Funktionen (Merton 1995: 59ff) unterscheidet Giddens zwischen intendierten und

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nicht intendierten Handlungsfolgen (Giddens 1997: 62ff). Damit verschiebt er prima facie den obersten Bezugspunkt von einer funktionalistischen auf eine interaktionistische bzw. akteurzentrierte Ebene. Diese Transformation kann nur gelingen, wenn die strukturierenden Anteile, die sich für Merton als latente Funktionen darstellen, als von den Akteuren zwar erzeugte, aber nicht beabsichtigte Handlungsfolgen konzipiert werden. In Mertons berühmtem Beispiel, das die Unterscheidung von latenten und manifesten Funktionen veranschaulichen soll, vollführen die Hopi Indianer einen Regentanz mit dem Ziel die Witterungsverhältnisse hinsichtlich der für den Erhalt der Gemeinschaft existenziell wichtigen Landwirtschaft positiv zu beeinflussen (manifeste Funktion). Da nicht davon auszugehen ist, dass irgendein Tanz in der Lage wäre, die Witterungsverhältnisse zu ändern, stellt Merton fest, dass der rituelle Tanz auch eine latente Funktion erfüllt, nämlich unter anderem die des moralischen Zusammenhalts der Gemeinschaft (1995: 62ff). Giddens stellt den Funktionalismus in dieser Hinsicht tatsächlich von dem Kopf (des allwissenden Soziologen) auf die Füße, indem er betont, dass eine Gemeinschaft (respektive Gesellschaft) weder eine Stimme noch Bedürfnisse hat: Nur Akteure bzw. die sich in einer ganz bestimmten, gesellschaftlichen Wirklichkeit orientierenden und agierenden Akteure können Bedürfnisse entwickeln, artikulieren und zu befriedigen trachten (1997: 64f). In gewisser Weise sollte bezüglich der Strukturierungstheorie – ähnlich wie die weiter oben hinsichtlich des Lebenswelt-Konzeptes von Habermas dargestellt – eine Unterscheidung zwischen erkenntnistheoretischem und diagnostischem Gehalt vorgenommen werden. Der Strukturierungstheorie eignet jedoch besser eine Unterscheidung zwischen sozialtheoretischem Beitrag und auf dieser Grundlage erstellter Diagnosen und Einschätzungen bezüglich der Funktionsweise ihres Gegenstandes. Auf einer rein theoretischen Ebene vermag die Strukturierungstheorie den Funktionalismus und die Wirkmächtigkeit von Strukturen zu überwinden, insofern diese an die originären Handlungsziele der Akteure (indirekt) rückgekoppelt werden. In Parsons’ und Webers Rationalisierungsterminologie gewendet, bedeutet dies, dass Giddens in seiner Theorie den Stellenwert der praktischen Rationalität nicht dem der technischen bzw. formalen Rationalität unterordnen muss. Faktisch zeigt sich jedoch, dass der Handlungsraum der Akteure maßgeblich durch die ihnen äußerlichen Strukturen bestimmt wird. In Giddens’ Theorie ist diese Differenz terminologisch in der Unterscheidung zwischen Struktur und System angelegt – was Giddens über das Verhältnis zwischen den Akteuren und der ‚Struktur‘ sagt, die sich unter anderem durch eine ‚Abwesenheit des Subjektes‘ auszeichnet, unterscheidet sich wesentlich von dem, was hinsichtlich ihrer Position (der ‚Subjekte‘) zu – und ihrer Charakterisierung im Zusammenhang mit – sozialen Systemen festgestellt wird: „Struktur als rekursiv organisierte Menge von Regeln und Ressourcen ist außerhalb von Raum und Zeit, außer in ihren Realisierungen und ihrer Koordination als Erinnerungsspuren, und ist

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durch eine ‚Abwesenheit des Subjekts‘ charakterisiert. Die sozialen Systeme, in denen Struktur rekursiv einbegriffen ist, umfassen demgegenüber die situierten Aktivitäten handelnder Menschen, die über Raum und Zeit reproduziert werden. Die Strukturierung sozialer Systeme zu analysieren bedeutet, zu untersuchen, wie diese in Interaktionszusammenhängen produziert und reproduziert werden; solche Systeme gründen in den bewußt vollzogenen Handlungen situierter Akteure, die sich in den verschiedenen Handlungskontexten jeweils auf Regeln und Ressourcen beziehen.“ (Giddens 1997: 77)

Um diese widersprüchliche Einschätzung und deren Folgen für das Verhältnis zwischen Subjekt, Akteur und Sozialem plausibel darstellen zu können, muss zunächst die Strukturierungstheorie in ihren Grundzügen weiter nachgezeichnet werden. Im Rahmen einer Analyse des Handelns werden von Giddens die jeweils individuellen Motive der an Handlungskontexten beteiligten Akteure ermittelt sowie diese zugleich durch eine Institutionenanalyse gerahmt, um die Wirkungsweise der bei jedem mehr oder weniger geregelten sozialen Handelns anfallenden nicht intendierten Handlungsfolgen aufzudecken (Giddens 1997: 342ff). So würden nach Giddens die Hopi Indianer den Regentanz aus den individuell womöglich unterschiedlichsten Gründen durchführen: weil es Spaß macht, weil es regnen soll, weil dies ein Zeichen für das Erwachsenwerden bedeutet, weil er schon immer durchgeführt worden ist etc. Die einzigen Bedürfnisse die im Sozialen befriedigt werden können, sind solche, die die Akteure betreffen, und nur aufgrund des Sachverhalts, dass die Akteure dieser Hopi Gemeinschaft in der sozialen Praktik Regentanz diese jeweils individuellen Bedürfnisse befriedigt sehen, wird dieser immer wieder durchgeführt. „Um zu verstehen, was passiert, bedarf es keiner anderen erklärenden Variablen als jener, welche erklären, warum Individuen motiviert sind, sich in [...] geregelten sozialen Praktiken zu engagieren, und welche Folgen daraus entstehen. Unbeabsichtigte Folgen fallen regelmäßig als ein Nebenprodukt geregelten Verhaltens an, das als solches von den Akteuren reflexiv aufrechterhalten wird.“ (Giddens 1997: 65)

Die Durchführung der sozialen Praktik ‚Regentanz‘ reproduziert alle für diese institutionalisierte Praktik notwendigen Bedingungen, obwohl dies nicht die Absicht der Handelnden ist – ihre individuellen Gründe zielen nicht auf die Aufrechterhaltung der Praxis ‚Regentanz‘ –, fallen dennoch nicht intendierte Handlungsfolgen fortwährend an: Sie sind Resultat des jeweils aktualisierten Handelns sowie zugleich Medium eben dieses Handelns (Giddens 1997: 52). Je weiter in zeitlicher und geografischer Hinsicht eine geregelte Praktik ausgreift, umso stärker ist ihr Grad an Institutionalisierung (1997: 224, 235ff). Reproduziert werden durch (hauptsächlich) nicht intendierte Handlungsfolgen Regeln und Ressourcen, also Strukturen: Regeln als Grundlage für den Aufbau bzw. der Stabilisierung von Erwartungserwartungen als einer Basiskategorie des Sozialen,

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gekoppelt an autoritativen und allokativen Ressourcen und damit auch Artefakte jedweder Art (1997: 233, 235). Insofern Strukturen letztlich auf nicht intendierte Folgen bewusst agierender Akteure größtenteils zurückzuführen sind und sowohl Resultat als auch Medium einer geregelten sozialen Praxis sind, da sie das Handeln hierin erst (wieder) ermöglichen, wirken sie nicht nur einschränkend, sondern auch ermöglichend (Giddens 1997: 77ff). Hier wird Giddens’ Argumentation, wenn nicht gleich funktionalistisch, so zumindest tendenziös, denn nicht nur das Merkmal des Einschränkens, sondern auch das des Ermöglichens wirkt bindend. Selbstredend wirken institutionalisierte Praktiken einschränkend, nicht jede beliebige Handlung kann durchgeführt werden, nicht jedes Artefakt kann zur Anwendung kommen; es darf aber nicht übersehen werden, dass das ermöglichende Moment nichts anderes darstellt als die positive Seite der Restriktion. Was als sinnvolle Handlung erlebt wird bzw. vorausgesetzt werden kann spielt sich immer innerhalb eines ganz bestimmten Referenzgefüges ab. Von der Seite der Struktur her betrachtet haben die Akteure in einem bestimmten historischen Moment innerhalb eines bestimmten sozialen Gefüges nicht jede beliebige Möglichkeit zu handeln und sind auch hinsichtlich ihrer Bedürfniserzeugung nicht frei (Giddens 1997: 224). Diese Eigenschaft der Struktur erinnert an die sozialkonstruktivistische (und vordem wissenssoziologische) Feststellung, dass es unmöglich sei, konsequent aus der Rolle zu fallen, ohne zugleich als verrückt zu gelten (Berger/Luckmann 2003: 70f; Mannheim 1995: 70). Ein Tanz, der in der Hopi Gemeinschaft völlig problemlos mit Sinn aufgeladen werden kann, würde in industrialisierten Gesellschaften kaum oder gar nicht mit Sinn aufzuladen sein. Der Ambivalenz von Giddens’ Akteurmodell – das sich in der Unterscheidung von Struktur und System respektive der zwischen dem sozialtheoretischen Beitrag und der auf dieser Grundlage möglichen Charakterisierung des Gegenstandes ankündigt bzw. virulent wird – soll unter anderem über einen Umweg seines Raumbegriffs weiter nachgegangen werden. Eine konsequente Anwendung der strukturierungstheoretischen Annahmen müsste den im Rahmen des Hopi-Regentanzes eingenommenen ‚Raum‘ als sozial konstruierten und konstituierten wahrnehmen. Denn auch der ‚Raum‘ wird durch die Handlungen abgesteckt und konstituiert sich als Raum, insofern er als sozialrelevanter Raum in Erscheinung tritt. Stattdessen geht Giddens von einem so genannten ‚Container-‘ bzw. ‚absolutistischen‘ Raummodell aus (Löw 2001: 24ff; 37f). Hier kommt besonders anschaulich zum Vorschein, dass Giddens von einem klassischen Akteurbegriff ausgeht, der sich als Subjekt die Welt erschließt: „Auch Giddens, der eine Unterscheidung zwischen Raum und Ort vollzieht, bleibt noch der Containermetaphorik verhaftet. […] Giddens Verräumlichungsthese impliziert allerdings zwei sich widersprechende Aussagen: Zum einen wird behauptet, dass der Ort für die Entstehung und die Stabilisierung des Sozialen seine Relevanz verliert und der Raum an seine Stelle tritt. Gleichzeitig wird dem Raum aber gar nicht ernsthaft zugetraut, diese Rolle zu übernehmen.

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Denn – so wird argumentiert – die Verräumlichung führe wegen des Verlustes an Unmittelbarkeit in der Interaktion zu einer Auflösung der traditionellen Bindungen und erschwere damit generell die Herausbildung sozialer Ordnung. D. h., im Grunde bewegt sich Giddens im Rahmen derjenigen Theorie, die davon ausgeht, dass das Lokale, die körperliche Unmittelbarkeit, die face-to-face-Kommunikation die ‚wirkliche‘ und das soziale Wesen angemessen zum Ausdruck bringende Kommunikation ist.“ (Paetau 2003: 195)

Wohingegen das ‚relativistische‘ Raumkonzept einem Verständnis sozialer Wirklichkeit entspricht, das sich viel eher den sonstigen allgemeinen Prämissen der Strukturierungstheorie eignet. Dieser würde sich erst aufgrund geregelter Praxis und allokativer Ressourcen etablieren, insofern dieser als ein durch soziale Handlungen sich konstituierender Raum aufgefasst würde: „Sich von der Container Metapher zu verabschieden, heißt, von den sozialen Operationen selbst auszugehen. Der soziale Raum wäre dann nicht mehr durch geographische Aspekte (Anordnungsmuster der Standorte von Menschen und Artefakten) bestimmt, sondern primär als ein Koordinatensystem von sozialen Handlungen bzw. sozialen Positionen (Bourdieu) oder als ein Netzwerk von Kommunikation (Luhmann), das sich von seinen geographischen Voraussetzungen weitgehend befreit hat.“ (Paetau 1997: 113f)

Die Strukturierungstheorie befindet sich im Spannungsfeld einer Akteurkonzeption, die maßgeblich als Motor sozialer Wirklichkeit aufgefasst wird, und sich dabei weitestgehend auf eine geradezu humanistische, subjektivistische Akteurkonzeption beruft. Wohingegen auf der anderen Seite die Akteure den Strukturen der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitestgehend subsumiert werden müssen. Es kann die Vermutung aufgestellt werden, dass die Aufladung des Akteurs, als bewusste, sich die Welt erschließende Entität, als Gegengewicht zu den letztlich doch wirkmächtigen Strukturen fungiert. Zumindest lässt Giddens keinen Zweifel daran, dass er von intentional, bewusst und unabhängig von gesellschaftlichen ‚Bedürfnissen‘ agierenden Akteuren ausgeht: „Struktur besitzt keine Existenz unabhängig von dem Wissen, das die Akteure von ihrem Alltagshandeln haben. Handelnde Menschen wissen immer, was sie tun – auf der Ebene diskursiven Bewusstseins in irgendeiner Beschreibung. Was sie tun, kann jedoch in anderen Beschreibungen ganz merkwürdig erscheinen, und möglicherweise wissen sie wenig von den verzweigten Folgen ihres Handelns.“ „Wie in allen sozialen Systemen, vollzieht sich [...] die soziale Reproduktion im und durch das geregelte Verhalten bewusst handelnder Subjekte. Die Interaktionsbezugsrahmen, in denen sich Routinebegegnungen abspielen, werden durch die sie konstituierenden Akteure in der Reproduktion der miteinander verbundenen Rollenbeziehungen reflexiv gesteuert. Doch auch wenn diese Steuerung eine Bedingung ihrer Reproduktion darstellt, nimmt sie doch nicht die

248 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Form eines aktiven Versuches an, die Reproduktionsverhältnisse kontrollieren oder ändern zu wollen.“ (Giddens 1997: 79, 255; vgl. Giddens 1991a: 35)

Die Strukturierungstheorie verlangt nach einem ständigen Oszillieren zwischen einem akteurzentrierten, interaktionistischen (Mikro) und einem strukturalistischen (Makro) Standpunkt: Bei jedem Wenden der Medaille erscheint die andere Seite unterdeterminiert und im Schatten der in Augenschein genommenen. Interessant ist die Position des Akteurs im Rahmen dieser Bewegung darzustellen. Die hervorgehobene Stellung nicht-intendierter Handlungsfolgen für die Strukturierungsleistung und die Orientierung sowie das Angewiesensein auf die bereits vorhandenen Strukturen führt unweigerlich zu einem emphatischen Akteurbegriff, der es erlaubt, kraft seiner bewussten und ‚subjektiven‘ Handlungspläne und -ziele ihn als ausreichend von den Strukturen getrennten wahrzunehmen bzw. darzustellen. Der schmale Grat zwischen Strukturierungstheorie und Strukturfunktionalismus

Im Unterschied zu funktionalistischen Ansätzen vermag die Strukturierungsleistung der Akteure von dem Sozialen so weit entkoppelt zu werden, dass den Akteuren eine wesentlich aktivere Rolle zukommt. Diese verwirklichen durch ihr Handeln selbst gesteckte Ziele und reproduzieren unbeabsichtigt die Strukturen, die ihnen dieses Handeln ermöglichen. Dabei wird der Horizont möglicher Zwecksetzungen für die Akteure von eben jenen Strukturen bereitgestellt, die (größtenteils) unbeabsichtigt von den Akteuren hergestellt werden. Sie können ebenso wenig wie der wissenssoziologisch eingefasste Akteur im Sozialkonstruktivismus von Berger/Luckmann aus dem Referenzsystem und den Relevanzstrukturen, in denen sie sich bewegen, ausbrechen. Giddens’ stellt diesen Umstand anschaulich dar, anhand einer strukturierungstheoretischen Interpretation der ethnografischen Studie von Paul Willis „Spaß am Widerstand“ (1979). Wenngleich es ihm hierbei unter anderem darum geht den Funktionalismus zu kritisieren, wird deutlich, dass so verständlich, vernünftig und nachvollziehbar das Handeln aus der Perspektive der ‚Lads‘ auch sein mag, sich ihre Motive unmittelbar aus den konkreten Strukturen ‚ihrer sozialen Welt‘ ableiten (Giddens 1997: 347ff): „Wenn davon die Rede ist, dass Struktur eine ‚virtuelle Ordnung‘ transformatorischer Relationen darstellt, dann heißt das, dass soziale Systeme, als reproduzierte soziale Praktiken, weniger ‚Strukturen‘ haben, als dass sie vielmehr ‚Strukturmomente‘ aufweisen, und dass Struktur, als raumzeitliches Phänomen, nur insofern existiert, als sie sich in solchen Praktiken realisiert und als Erinnerungsspuren, die das Verhalten bewusst handelnder Subjekte orientieren.“ (Giddens 1997: 69)

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Giddens gelingt es zwar hier die Handlungsmotive der Akteure von funktionalen Erfordernissen der Gesellschaft (bzw. des Subsystems Wirtschaft) abzukoppeln, sein Akteurmodell unterscheidet sich dennoch nicht wesentlich von dem des Strukturfunktionalismus. Im Gegenteil: Unter der Hand wandelt sich Giddens’ Theorie, die in scharfer Abgrenzung zum Strukturfunktionalismus formuliert wird, zu einer sozialtheoretischen Rechtfertigung eben dieser Theorie. Aufgrund der plausibel dargestellten Auftrennbarkeit von Akteuren auf der einen und sozialen Strukturen auf der anderen Seite werden die Strukturen legitimiert, auf die letztlich Handelnde angewiesen sind, um handlungsfähig zu sein und Handlungsziele entwickeln zu können. Die Kausalschleife wird von Giddens folgerichtig als autopoietisches Konzept dargestellt: „Social systems have structural properties, including that institutional ‚fixity‘ so beloved of Durkheimian sociologists, but they are not, as such, structures. ‚Structure‘ presumes continuity of social reproduction across time and space, but it is the medium of such reproduction as well as its outcome. The theorem of the duality of structure occupies a central place in structuration theory precisely because it encapsulates the recursive elements of social life so fundamental to social organization and change. ln the sense in which I use it – to refer to the way in which social activities regularly reconstitute the circumstances that generated them in the first place – recursiveness has only a tenuous connection with the mathematical sense of that term, and I was more influenced by theories of autopoiesis (i.e. of self-reproducing systems) in biology than by the mathematical concept.“ (Giddens 1991b: 204)

Bemerkenswert ist die in Giddens Theorie möglich gewordene, emphatische Betonung des Akteurs. Giddens ist in seiner Strukturierungstheorie gelungen, woran Parsons gescheitert ist: eine vom voluntaristischen Handlungsmodell ausgehende Akteurkonzeption, die dem Aufbau sozialer Ordnung nicht zuwiderläuft bzw. sogar dafür verantwortlich ist und trotzdem der orientierenden und handlungsermöglichenden Wirkmächtigkeit sozialer Strukturen ihren Tribut zollt. Giddens’ Theorie markiert also eine Seite der hier thematisierten Entwicklung: Das Soziale wird als Produkt der Akteure konzipiert, wobei die Akteure die Qualität von Handlungssubjekten erhalten, ohne zugleich die Stabilität und den Einfluss des Sozialen zu unterminieren. Parsons versucht den Akteur mit Subjektivität aufzuladen, vermag es aber das dabei entstandene Problem der Gewährleistung sozialer Ordnung nicht anders zu lösen als durch die Dominanz eines relativ starren Konzeptes, wonach eine die gesellschaftliche Wirklichkeit durchdringende Werteorientierung des Kultursystems in die Akteure hineinstrahlt. Der Übergang zu Giddens ist jedoch nur ein kleiner Schritt, denn die Strukturerhaltung verweist zwar hier auf die subjektiven Handlungsziele der Akteure, diese sind für deren Verfolgung (und vordem auch Generierung) allerdings genauso auf die Permanenz der Strukturen angewiesen.

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Wenngleich im Prinzip von ‚bewusst handelnden Subjekten‘ ausgegangen wird, findet die Reproduktion sozialer Praxen faktisch auf der Ebene eines routinemäßigen, unreflektierten Wiederholens statt: „Die Untersuchung der Interaktion unter den Bedingungen von Kopräsenz ist eine grundlegende Komponente der ‚Einklammerung‘ von Raum und Zeit, die sowohl Bedingung als auch Ergebnis sozialer Beziehungen von Menschen ist. Die ‚Systemhaftigkeit‘ wird hier weitgehend durch die routinemäßige reflexive Verhaltenssteuerung erreicht, die im praktischen Bewusstsein verankert ist.“ „Unter Reproduktionskreisläufen verstehe ich ausreichend klar bestimmte Prozessverläufe, die eine Rückkopplung zu ihrer Quelle implizieren, wobei es keine Rolle spielt, ob diese Rückkopplung von Handelnden in bestimmten sozialen Positionen reflexiv gesteuert wird.“ „Die Routine [...] ist die vorherrschende Form der sozialen Alltagsaktivität. Die meisten alltäglichen Praktiken sind nicht direkt motiviert. Routinisierte Praktiken sind der wichtigste Ausdruck der Dualität der Struktur in Bezug auf die Kontinuität sozialen Lebens.“ (Giddens 1997: 90, 247, 336; vgl. Giddens 1991a: 35f)

Die Stabilität von Strukturen wird garantiert durch routinemäßig handelnde Akteure. In dieser postulierten ‚Taubheit‘ zeigt sich, dass Giddens Parsons’ Werteorientierung durch routinemäßig handelnde Akteure ersetzt. Dieser Aspekt von faktisch ‚unterrationalisierenden‘ Akteuren kann mit Parsons’ anthropologisierender Annahme zur Begründung motivationaler Orientierungen parallelisiert werden. So wie Parsons in einer letztlich anthropologisierenden Setzung der Sanktionsvermeidung die Emergenz gesellschaftlicher Strukturen über die Befolgung eines Wertekonsens in den Akteuren verankert, wird sie von Giddens in dem stark auf Praxis (bzw. das, „was charakteristischerweise schlicht getan wird“ (Giddens 1997: 57)) beruhenden Aspekt alltäglicher Handlungen sichergestellt. Für die hier im Mittelpunkt stehende These ist bedeutsam, dass Giddens’ Theorie Parsons in zweierlei Hinsicht fortsetzt und sogar verstärkt: Einerseits geht die Theorie ebenfalls von einem emphatischen Akteurmodell aus – so wie ‚ursprünglich‘ auch Parsons; dies kommt bei einer genaueren Betrachtung seines Raumbegriffes heraus, tritt aber auch anhand zahlreicher Beschreibungen des Akteurs als ‚bewusst und intentional Handelnden‘ deutlich zum Vorschein. Andererseits wird den Strukturen eine nicht minder wichtige Rolle eingeräumt als in Parsons’ Entwurf. Gesellschaftliche Strukturen gehen sogar aufgrund einer ‚Emanzipation‘ von einem – aus der Binnenperspektive der Parsonsschen Akteure ‚entrückten‘ – Kultursystem als einflussreich, weil flexibel und direkt auf die Akteure zurückführbar hervor. So betont Giddens immer wieder die Differenz zwischen Intentionen auf der individuellen Ebene und systemischen Erfordernissen, von denen die Akteure in der Regel ‚nichts wissen‘, um sie auf der anderen Seite in Form routinemäßiger Bezugnahme wieder herzustellen:

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„Im Individuum erzeugen Bedürfnisse, die für die motivationalen Antriebe des Akteurs konstitutiv sind, eine dynamische Beziehung zwischen Motivation und Intentionalität. Dies ist bei sozialen Systemen nicht der Fall, außer wenn Akteure sich in Erkenntnis dessen verhalten, was sie für Bedürfnisse der Gesellschaft halten [...].“ „Die Rationalisierung von Handeln, die sich auf die ‚Intentionalität‘ als Prozess bezieht, ist wie die beiden anderen Dimensionen ein routinemäßiger Charakterzug menschlichen Verhaltens und wird von den Akteuren in stillschweigender Weise geleistet. In Interaktionszusammenhängen – seien es Begegnungen oder Episoden – schließt die reflexive Handlungssteuerung charakteristischerweise und wiederum routinemäßig die Kontrolle des Bezugsrahmens dieser Interaktionen ein.“ (Giddens 1997: 64, 54)

Giddens’ Strukturierungstheorie entbehrt nicht einer gewissen Inkonsistenz (und Ironie), die hauptsächlich vom Akteurmodell herrührt; dieses wird einerseits mit Handlungsautonomie ausgestattet, die es jedoch sogleich wieder einbüßt. Aus dieser Sicht erscheint Parsons’ Theorie sogar schlüssiger, weil konsequenter (zumindest hinsichtlich einer Übereinstimmung zwischen seinem sozialtheoretischen Beitrag und dem gegenstandsbezogenen Aussagegehalt). Die Verwertbarkeit der Strukturierungstheorie für techniksoziologische Vorhaben

Die Strukturierungstheorie ist vergleichsweise häufig für techniksoziologische Theorieentwürfe herangezogen worden (vgl. Schulz-Schaeffer 2000; Rammert/SchulzSchaeffer 2002b; Hennen 1992; Barley 1990; Holtgrewe 2006; Orlikowski 1992; 2000). Sie eignet sich einerseits vergleichsweise gut um eine stärkere Berücksichtigung von Technik vorzunehmen, andererseits liegen die Gründe hierfür – in einem nicht unerheblichen Ausmaß – in einigen der bereits angerissenen Inkonsistenzen der Theorie. Die Strukturierungstheorie weist aufgrund der Konzeptualisierung von sozialen Strukturen als Konglomerat von ‚Regeln und Ressourcen‘, die hauptsächlich in Form von Erinnerungsspuren in den Akteuren verankert werden, den Artefakten einen prominenten Platz innerhalb ihres Theoriegebäudes zu (Giddens 1997: 70f, 77f, 86). Bei dem Versuch den Dualismus von Handlung und Struktur in eine Dualität aufzulösen, kommt Giddens nicht umhin, den Ressourcen auch solche allokativen Charakters zuzuordnen (1997: 86). Dabei werden Strukturen sowohl handlungseinschränkend wie auch -ermöglichend konzipiert und sollen letztlich hauptsächlich auf die Akteure rückführbar sein, da sie als ihre Träger (Erinnerungsspuren) und Produzenten (nicht intendierte Handlungsfolgen) fungieren (1997: 64f, 77f). Technik als allokative Ressource zu fassen, bedeutet sie einerseits als bedeutungsvolle Größe im Handlungsvollzug sowie andererseits als strukturierendes Element neben intersubjektiv geteilten Sinnhorizonten und Normen zu verstehen. Technik wird in Handlungskontexte eingebunden, diese werden von ihr mitkonstituiert

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und gleichzeitig wird sie selbst – als nicht beabsichtigte Folge dieses Handelns – stabilisiert. Insofern nimmt Technik bzw. Artefakte im weitesten Sinn einen zentralen Stellenwert bei der Strukturierungsleistung des Sozialen in Form allokativer Ressourcen ein. Gleichzeitig werden Artefakte, insofern sie im sozialen Akteur verankert sind, als jene erst durch von diesem in Gang gesetzte Handlungskontexte den Status einer Ressource erlangen. Indem bestimmte Handlungskontexte auf bestimmte Artefakte rekurrieren, erhalten diese die Qualität von Sozialrelevanz. Der Status einer allokativen Ressource muss also (im Prinzip) immer wieder neu aktualisiert und hergestellt werden. Faktisch ist es jedoch so, dass Akteure soziale Systeme „reproduzieren und verändern […], indem sie immer wieder neu schaffen, was in der Kontinuität von Praxis […] bereits existiert.“ (Giddens 1997: 224) Dabei kommt gerade den Artefakten eine kontinuitätsstiftende, die sozialen Praktiken stabilisierende Rolle zu. Eine in diesem Zusammenhang wichtige Frage, die sich insbesondere vor dem Hintergrund der weiter oben angestellten Überlegungen bezüglich der Affinität der Strukturierungstheorie zum Strukturfunktionalismus aufdrängt, ist die nach der Qualität des Elementes ‚Technik‘ im Verhältnis zum Sozialen und zu den Akteuren. Giddens selbst stellt sie als Strukturressource vor, die folglich gemäß der Dualität von Struktur zugleich ermöglichenden wie einschränkenden Charakter besitzt. Prime facie legt der Begriff ‚Ressource‘ eine Betonung des ‚ermöglichenden‘ Charakters nahe und damit eine stärkere Verortung zur Seite des Akteurs hin. Schulz-Schaeffer hingegen hebt aufgrund einer elaborierten Kritik und darauf aufbauenden Modifizierung der Strukturierungstheorie den Strukturaspekt hervor (Schulz-Schaeffer 2000: 176ff). Demnach muss Technik (will sie denn als sozialrelevante Größe geltend gemacht werden) immer in dazu passende Regelkontexte eingebettet sein. Nun existiert nach Giddens Struktur nur insofern, als sie durch entsprechende Handlungen der Akteure aktualisiert wird: „Mit dem Begriff der ‚Strukturierungsmodalitäten‘ ziele ich auf die grundlegenden Dimensionen der Dualität von Struktur, wie sie in Interaktionen zur Geltung kommen; es geht darum, die Bewusstheit der Akteure mit den strukturellen Momenten sozialer Systeme zu vermitteln. Akteure beziehen sich auf diese Modalitäten in der Reproduktion der Interaktionssysteme, und im selben Zug rekonstruieren sie deren Strukturmomente.“ „Die einzigen treibenden Kräfte in menschlichen Sozialbeziehungen sind individuelle Akteure, die sich in intentionaler oder sonstiger Weise bestimmter Ressourcen bedienen, um etwas zuwege zu bringen. Die Strukturmomente sozialer Systeme wirken nicht wie Naturgewalten auf die Akteure ein, um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen.“ (Giddens 1997: 81, 235)

Dies trifft auf ‚Regeln‘ als analytische Strukturkategorie freilich ebenfalls zu. Zugleich ist weiter oben versucht worden darzulegen, dass der Theorieentwurf in der Tradition des Strukturfunktionalismus gelesen werden kann und den Strukturen (Re-

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geln und Ressourcen) insofern eine wirkmächtigere Rolle zuweist – als von der Theorie selbst zugegeben –, als die Akteure dazu tendieren müssen, diese schlicht zu reproduzieren, da sie andernfalls nicht handlungsfähig wären. Überspitzt ausgedrückt, aber durchaus noch im Rahmen der hier vertretenen Lesart, bedeutet dies nichts anderes, als dass die Strukturierungstheorie die Wirkmächtigkeit von Strukturen durch ‚überaktive‘ Akteure kaschiert. Diese Deutung kann besonders deutlich vor dem Hintergrund einer techniksensiblen Bewertung der Dualität herausgeschält werden. „Die Unklarheit des Verhältnisses von Regeln und Ressourcen und die konzeptionellen Schwierigkeiten, die daraus resultieren, lassen sich besonders deutlich im Zusammenhang mit Giddens’ Unterscheidung zwischen autoritativen und allokativen Ressourcen erkennen […]. Ein zentraler Aspekt von Ressourcen ist ihre Speicherbarkeit. Dies hängt unmittelbar mit ihrer Eigenschaft als Mittel der Machtausübung zusammen: Als Mittel verändernden Handelns sind Ressourcen dann besonders geeignet, wenn sie kontinuierlich vorliegen, man also damit rechnen kann, auf sie zugreifen zu können, wenn man sie braucht. In genau diesem Sinne repräsentieren sachtechnische Arrangements und technische Verfahren allgemein gespeicherte Ressourcen, nämlich insofern die wesentliche Eigenschaft solcher künstlich eingerichteter Zusammenhänge darin besteht, mit ihrer Hilfe nach Bedarf regelmäßig bestimmte Effekte erzielen zu können […].“ (Schulz-Schaeffer 2000: 177)

Dieser Aspekt trifft ebenso für autoritative Ressourcen zu, denn sie stellen „nichts anderes als formulierte Regeln [dar], die gesellschaftlichen Praktiken zu Grunde gelegt werden.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 177) Technik als allokative Ressource weist immer auch Anteile einer autoritativen Ressource und damit eines Regelbezugs auf. Folglich wird also der Möglichkeitshorizont von Akteuraktivitäten (und dazugehöriger Strukturierungsleistung) einseitig verstärkt. Technik würde somit zum Katalysator nur einer ganz bestimmten, gesellschaftlichen Wirklichkeit. Artefakte und soziotechnische Arrangements, die als Komplex von allokativen Ressourcen und autoritativen Regeln wahrgenommen werden können, stellen einerseits eine strukturierungstheoretische Antwort auf die Frage nach dem ‚Problem sozialer Ordnung‘ sowie andererseits ein Widerspruch zu zentralen Prämissen der Theorie, da die Wirkmächtigkeit der Akteure gegenüber den Strukturen umso unbedeutender würde, je effektiver die Zielerreichung innerhalb eines sozialen Systems ausfällt (vgl. Schulz-Schaeffer 2000: 180). „Das ‚Problem der Ordnung‘ besteht für die Theorie der Strukturierung in der Frage, wie es kommt, dass soziale Systeme Zeit und Raum ‚binden‘, indem sie Gegenwärtiges und Abwesendes aufeinander beziehen und integrieren. [...] Strukturprinzipien können so bestimmt wer-

254 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE den als die Organisationsprinzipien, die auf der Grundlage bestimmter Mechanismen der gesellschaftlichen Integration für die Existenz erkennbarer konsistenter Formen von Raum-ZeitAusdehnung verantwortlich sind.“ (Giddens 1997: 235)

Die im Akteur ausgelagerte Strukturdominanz im Rahmen einer techniksoziologischen Weiterentwicklung: Zur Ambivalenz des Akteurmodells der Strukturierungstheorie

Das Akteurmodell in Giddens’ Theorie ist widersprüchlich:.Einerseits weist es die Züge von emphatisch ‚freien‘ (untersozialisierten) Akteuren auf, andererseits wirkt es angesichts der notgedrungenen Orientierung an vorhandenen Regel- und Ressourcen-Komplexen faktisch übersozialisiert. Schulz-Schaeffers Rekonstruktion und Zueinanderführung der Konzepte allokativer und autoritativer Ressourcen unterstreicht die hier vertretene Leseart der Strukturierungstheorie, wonach der Abstand zum Strukturfunktionalismus bezüglich der konkreten Bestimmung und Beschreibung sozialer Wirklichkeit deutlich kleiner ausfällt, als von der Theorie postuliert. SchulzSchaeffers Rekonstruktion erinnert im Ergebnis stark an Lindes Durkheim-Rekonstruktion. Artefakte stabilisieren soziale Zusammenhänge (Sozialstruktur) und gewährleisten ihre Dauer (Sachdominanz); sie entlasten das Soziale von der Herstellung oder Sicherstellung einer Ordnungsleistung, die ansonsten durch die mehr oder weniger penible Einhaltung impliziter Regeln durch die Akteure gewährleistet werden müsste (Linde 1972: 17f; 1982: 2; vgl. passend zu diesem Aspekt der Akteur-Netzwerk-Theoretische Beitrag Latour 1991). Im Rahmen einer techniksoziologischen Bearbeitung der Strukturierungstheorie kommt ihre Ambivalenz zwischen analytischer Begriffsbestimmung im Rahmen dessen, was als ‚Struktur‘ begriffen wird und dem, wie das ‚Problem sozialer Ordnung‘ faktisch auf der Ebene ‚sozialer Systeme‘ zustande kommt, zum Vorschein: „Die Leistungsfähigkeit von Ressourcen steigt mit anderen Worten in dem Maße, in dem sie die direkte Abhängigkeit von derjenigen Form von Regelhaftigkeit abschütteln können, die durch den stets zukunftsoffenen und in seiner konstitutiven oder regulativen Bedeutung nur an den Handlungspraktiken selbst ablesbaren Strom des gewohnheitsmäßigen Handelns konstituiert und reproduziert wird.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 180)

Die in Giddens angelegte Thematisierbarkeit von Technik kommt bei genauerer Betrachtung nicht über Durkheims Charakterisierung von Technik als sozialem Tatbestand hinaus. Wenngleich das Verhältnis zwischen Akteur und Sozialem (und die dabei eingenommene Rolle von Technik) freilich deutlich ausdifferenzierter und vermutlich ‚zeitgemäßer‘ dargestellt und verarbeitet werden kann, so bleiben sich die grundsätzlichen Annahmen dennoch gleich. Ein deutlich über Durkheim hinausge-

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hender Aspekt bezüglich einer angemessenen Beschreibung und Erfassung des Verhältnisses zwischen Sachtechnik und Sozialem besteht gerade in der stärkeren Berücksichtigung der Handlungspraxis, der ein Artefakt ‚passgenau‘ entsprechen muss, wenn es als gesicherter Ereigniszusammenhang die beabsichtigte Entlastungsfunktion erfüllen soll – andernfalls würde es bestenfalls noch als Kunstwerk durchgehen. „Nichts desto trotz, und das ist die Perspektive der Analyse der Praxisschemata, auf der Giddens beständig beharrt, hängt der Erfolg aller solcher Bestrebungen weiterhin davon ab, auf welche Weise die entsprechenden Festlegungen in den Handlungspraktiken der Akteure zur Geltung gebracht werden. Denn im Sinne des Wittgenstein-Argumentes kann es von direkten Praxisbezügen entkoppelte Ressourcen – Wegweiser, die ihre Funktion erfüllen, – nur unter der Bedingung geben, dass zugleich bestimmte Handlungspraktiken vorausgesetzt sind, die als selbstverständliche Gepflogenheiten alle jene möglichen Zweifel zum Schweigen bringen, die hinter jeder Regelformulierung und -interpretation unweigerlich lauern. Die Analyse der Praxisschemata macht deutlich, dass es Ressourcen als gesicherte Ereigniszusammenhänge nur geben kann, weil sich alle, die Ressourcen etablieren, verwalten oder nutzen, stillschweigend auf das praktische Wissen und die praktischen Fertigkeiten durchschnittlich kompetenter Akteure verlassen: Es ist nur deshalb möglich, einen bestimmten Ausschnitt des gesellschaftlichen Lebens explizit zu reglementieren, weil alle anderen Handlungspraktiken, die in der einen oder anderen Weise mit dem reglementierten Ausschnitt zusammenhängen, als selbstverständlich gegeben vorausgesetzt werden.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 181)

Es ist klar geworden, dass die Strukturierungstheorie mit einem (in potentia) emphatischen Akteurbegriff, der auf eine klassische Subjektkonzeption verweist, und einem (in actu) – hinsichtlich der konkreten Strukturreproduktion – unterrationalisierenden, ‚narkotisierten‘ Akteur arbeitet, um das Mikro-Makro-Schisma zu überwinden. Damit markiert die Strukturierungstheorie besonders prägnant die Nullwert-Transformation: Die Gegenüberstellung von Akteuren (Mikro) und Sozialem (Makro) gilt ihr als zentraler Problembezug. Der Akteur ist Subjekt und Akteur zugleich. Damit muss Technik der Seite des Sozialen zugeschlagen und konsequent vom Akteur getrennt werden. Andererseits eignet sich die Strukturierungstheorie vergleichsweise gut, um – unter den Vorzeichen dieser Ausgangsbedingungen – Artefakte auf die Akteure zu beziehen und mit ihren Handlungspraxen in Beziehung zu setzen.

256 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE

Abbildung 26: Nullwert-Matrize Giddens: Die theoriekonstitutive Differenz von Bedürfnissubjekt vs. Akteur als (unbewusstem) Strukturreproduzenten

Akteur/Struktur

Soziales

Bedürfnissubjekt

Es handelt sich allerdings – darauf macht Schulz-Schaeffer unmissverständlich aufmerksam – um die Thematisierung von Sachtechnik. Letztlich handelt es sich nicht einmal um Sachtechnik in allen Dimensionen und Einsatzmöglichkeiten. Die Beispiele von Schulz-Schaeffer geben hierfür deutliche Hinweise, genauso wie Giddens’ geradezu ‚vormoderne‘ Weise, zeitgenössische Kommunikationstechnologien zu erfassen bzw. vielmehr nicht angemessen bearbeiten zu können – wie weiter oben im Rahmen seines Raumverständnisses angedeutet worden ist (vgl. Paetau 2003: 195). Hier kommen die Limitierungen einer so gefassten Sozialtheorie hinsichtlich einer angemessenen Technikverarbeitung zum Vorschein. So bleiben wichtige Sachdimensionen der Technik, die zunehmend die Handlungsoptionen unterbestimmt erweitern und/oder das Leben in seiner einfachsten, organischen Funktionsweise durchkreuzen, unberücksichtigt. Die Weiterentwicklung bzw. Adaptierung für eine sachtechnische Bearbeitung zielt auf einen eingeschränkten Kreis von Artefakten; in der Hauptsache geht es um unmittelbar ‚handlungsanweisende‘ Artefakte (wie zum Beispiel eine Verkehrsampel (vgl. Schulz-Schaeffer 2000: 195ff)). Wie soll aber mit einem Herzschrittmacher, der pränatalen Diagnostizierbarkeit von Erberkrankungen, der Einnahme von Neuroenhancements und der Konstituierung von Sozialität in virtuellen Räumen umgegangen werden?

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4.4 Z WISCHENBETRACHTUNG : T HEORIETECHNIKEN „Im 20. Jahrhundert werden Artefakte inevident. […] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird dies zunächst als Autonomisierung des Materials wahrgenommen. […] Mit der Emanzipation des Materials und der Konstrukte verschwinden die evidenten Gestaltungen der Natur. Das Pferd gilt jahrhundertelang als ein komplexes Symbol für nützliche Naturkraft, kriegerische Unternehmung und adeliges Jagdspiel. In der expressionistischen Malerei Franz Marcs sind Pferde zu Farbflächen verfremdet; in den Materialschlachten und Stahlgewittern des Ersten Weltkriegs verenden die Pferde. Dieser Vorgang ist heute längst vergessen. Die Generation der um 1900 Geborenen hat so viele Materialfreisetzungen und technische und ästhetische Neukombinationen in ihrer Umwelt sich ausbreiten sehen, dass keine Kraft der Erinnerung ausreicht, davon zu berichten. Das ist unheimlich.“ ESSBACH 2004: 19

Die Gründergeneration der Soziologie vermochte es, technische Artefakte als Teil des Sozialen in ihren Sozialtheorien einzubeziehen, weil der ausgezeichnete Status des Akteurs dadurch nicht gefährdet war. In Meads Verständnis von Identitätsbildungsprozessen, die auch durch die Inverhältnissetzung des Einzelnen zu Objekten zustandekommen sowie in ihrer kulturschaffenden Bedeutung werden Objekte als integralen Bestandteil des Sozialen dargestellt. In der die Lebenswirklichkeit bestimmenden Orientierung an Artefakten bei Weber, als Sinnbild für eine von Technisierung durchtränkten Moderne, genauso wie in der Gleichbehandlung von Artefakten und Handlungsregeln als soziale Tatbestände bei Durkheim, kommt zum Vorschein, dass die Klassiker zwischen dem Sozialen, der Technik und dem Akteur keine prinzipiellen Unterschiede gesehen haben. Ganz ähnlich hat das Mumford in seiner Monografie „Mythos der Maschine“ (1978) dargestellt. Mumford geht, ähnlich wie Ellul (1964), von einem weiten Technikbegriff aus, wonach technische Strukturen und soziales Handeln nicht zu trennen sind (Merton 1964: VI). Da beide jedoch in kritischer Absicht die Dominanz der Technik gegenüber der ‚Menschen‘ betonen, fallen ihre Ausführungen hinter denen der Klassiker zurück, in denen Soziales als Technik vielmehr ein Ko-Konstitutives, zunächst wertfreies Verhältnis ausgedrückt hat (Böhme 1992: 36). Nichtsdestotrotz

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bieten sich insbesondere die Schilderungen Mumfords hinsichtlich des intimen Verhältnisses zwischen zivilisatorischer Entwicklungsleistung und technologischer Sozialität als Anschauungsmaterial an. Mumford stellt am Beispiel der sumerischen und ägyptischen Hochkulturen dar, dass diese ähnlich einer ‚unsichtbaren Maschine‘ funktioniert haben, und dass „die Schrift allem Anschein nach im Zusammenhang mit der Speicherung allokativer Ressourcen entstanden ist.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 169) Wesentliche gesellschaftliche Bereiche funktionierten gemäß festgelegter Regeln, die Bevölkerung wurde weitestgehend von wenigen Beamten ‚kontrolliert‘ und die Akteure selbst ‚waren mechanisiert‘. Technische Hilfsmittel fehlten zwar weitestgehend, dafür werden die Organisation der Getreideproduktion und -lagerung – wofür die Schrift ‚als umfassende Technologie‘ wiederum von erheblicher Bedeutung ist (vgl. Ong 2007: 80ff) – sowie der Einsatz ‚menschlicher Arbeiter‘, unter anderem für den Bau monumentaler Bauwerke, als ‚maschinenhaft‘ beschrieben (Mumford 1978: 196ff). Interessant dabei ist auch, dass Mumford damit, ähnlich wie Heintz (allerdings 5000 Jahre vorverlegt), die Entstehung der Technik und des Maschinenhaften zunächst im sozialen Bereich verortet (Heintz 1993: 154ff, 234ff). Das Soziale gleicht einer Maschine, noch bevor es zur Entwicklung (geschweige denn zum Einsatz) von Maschinen für die Aufrechterhaltung einer bestimmten Ordnung kommt. Insofern macht Schachtner darauf aufmerksam, dass Mumford (gemeinsam mit Elias) eine „Charakterisierung des Sozialen als kausale Bedingung der Maschinisierung“ (Schachtner 1997: 11) vornimmt. Schulz-Schaeffer macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass Mumford „hier am konkreten Beispiel so ziemlich alles vorweg[nimmt], was Giddens über Ressourcen aussagt.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 170) Dabei kommt insbesondere die Verflechtung von autoritativen und allokativen Ressourcen zum Vorschein: „Zu einem Machtmittel werden die materiellen Ressourcen nur im Zusammenhang mit bestimmten Formen ihrer Organisation und Kontrolle (autoritative Ressourcen), wobei zunehmende Möglichkeiten der Speicherung der materiellen Ressourcen nur unter der Voraussetzung zunehmend leistungsfähiger Techniken der lnformationsspeicherung genutzt werden können. Zusammen genommen begründet dies eine wesentliche Ausweitung der Macht der Beamten, derjenigen also, die auf die entsprechenden allokativen und autoritativen Ressourcen zugreifen können.“ (Schulz-Schaeffer 2000: 170)

Mumford ging es in diesem Beispiel um den Nachweis der ineinandergreifenden Verflechtung von zivilisatorischen und technischen ‚Errungenschaften‘. Trotz der grundsätzlich ‚pessimistischen‘ Darstellung, die häufig mit einer Unterordnung der Akteure unter technische Vorzeichen einhergeht, hat Mumford das Verhältnis als bidirektionalen, zuweilen gar mimetischen, Prozess aufgefasst: „Und als die Maschinen

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lebensähnlicher wurden, lernte der abendländische Mensch, in seinem täglichen Verhalten maschinenähnlicher zu werden.“ (Mumford 1978: 443) Der besondere Stellenwert seiner groß angelegten, historischen Rekonstruktion des Zivilisationsprozesses liegt allerdings gerade darin, dass er diesen mit den Vorzeichen von Technisierung gleichsetzt; anders ausgedrückt: Vergesellschaftung wird gleichgesetzt mit Technisierung. Insbesondere die Darstellung der Erfindung, Einführung und Anwendung der Schrift als ‚Kulturprodukt‘, das mit Giddens als Medium und Ergebnis für die Etablierung erster Hochkulturen zugleich gedeutet werden kann (Giddens 1997: 70, 430), führt dies eindrücklich vor Augen. In der einflussreichen Monografie über orale und schriftliche Kulturen von Walter Ong heißt es: „By contrast with natural, oral speech, writing is completely artificial. There is no way to write ‚naturally‘. […] Technologies are not mere exterior aids but also interior transformations of consciousness, and never more than when they affect the word. Such transformations can be uplifting. Writing heightens consciousness. Alienation from a natural milieu can be good for us and indeed is in many ways essential for full human life. To live and to understand fully, we need not only proximity but also distance. This writing provides for consciousness as nothing else does. Technologies are artificial, but – paradox again – artificiality is natural to human beings. Technology, properly interiorized, does not degrade human life but on the contrary enhances it.“ (Ong 2007: 81f – Hervorhebung d.V.)

Trotz der starken Parallelen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Technik und zivilisatorischen Fortschritts gibt es – bezogen auf die Bedeutung der Schrift – zwischen dem Literaturwissenschaftler Walter Ong und Mumford erhebliche Unterschiede. Mumford ‚bedauert‘ das intime Verhältnis zwischen Zivilisation und Technik, wohingegen Ong in der Schrift lediglich ein neutrales Mittel wahrnimmt, das längst zur ‚natürlichen‘ Ausstattung des Menschen geworden ist. Auf einer Linie mit Hobbes konfrontiert Ong seine Leser mit dem Oxymoron, die Natürlichkeit des Menschen begründe sich in seiner ‚Unnatürlichkeit‘. Hobbes vollführt im (zwar 1642 als ersten veröffentlichten, aber eigentlich) dritten Teil „Vom Bürger“ der Trilogie „Elementa Philosophiae“ (1997; 1994a; 1994b), das Kunststück, den Naturzustand des ‚Menschen‘ gegen den Menschen zu richten – bzw. eine Anthropologie der Neuzeit zu verfassen, wonach der Mensch von Natur aus unnatürlich sein muss (Hobbes 1994b: 69f; vgl. Gawlick 1994: XV; Blumenberg 1981a: 114f). Obwohl Hobbes rein quantitativ rund ein Drittel seiner Ausführungen darauf verwendet, seine Staatstheorie (die nicht minder auch als anthropologischer Beitrag gelesen werden kann) mit alt- und neutestamentarischen Aussagen in Einklang zu bringen (1994b: 70f, vgl. v. a. 114ff, 187ff, 235ff), stellt diese dennoch ein frühes Zeugnis des neuzeitlichen, säkularisierten Akteurs dar. Das theistische Weltbild war zu Hobbes’ Lebenszeit noch zu dominant, um es gänzlich auszuschließen. Es darf nicht als

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Strategie der Legitimation missdeutet werden, dass der Vermittlungsleistung zwischen ‚altem‘ und ‚neuem‘ Weltbild in den ersten Jahrhunderten der ‚Neuzeit‘ erhebliche Anstrengungen eingeräumt wurden (Merton 1985: 78ff). Was der Mensch sei, ist weder eine Frage der Soziologie noch scheint es möglich zu sein, dies von einem ahistorischen Standpunkt aus bestimmen zu können. Das von Hobbes entworfene Menschenbild lässt sich im Umkehrschluss als die Geburt des ‚modernen‘ sozialen Akteurs bestimmen, wobei die Artifizialität seines Menschenbildes unter die Konstruiertheit des Staates subsumiert werden muss, die ihrerseits auf eine ‚Mechanisierung des Weltbildes‘ zurückgeführt werden kann (Hobbes 1990: 5; vgl. Mumford 1978: 447f; Dijksterhuis 1956). Noch einmal Mumford dazu, mit einer sehr zugespitzten, teilweise eigenwilligen Deutung: „Hobbes ging von zwei widersprüchlichen, aber verwandten Annahmen aus. Die eine war, daß die Menschen faktisch Maschinen seien; die andere daß sie genau das Gegenteil seien, unheilbar wild und ungebärdig, in ständigem Kampf und Konflikt, fortgesetzt von Angst geplagt und selbst zu Ansätzen geordneten sozialen Verhaltens unfähig, solange sie sich nicht einer äußeren Macht unterwerfen, dem Souverän, seine Befehle befolgen und unter Strafandrohung die Kunst des sozialen Zusammenlebens und -wirkens lernen, so daß Leben und Eigentum sicher seien. […] Bis die Menschen in den Leviathan einverleibt wurden, nämlich in den allmächtigen Staat, der den Willen des Königs vollstreckt, waren sie ihren Mitmenschen gefährlich und sich selbst eine Last. Völlige und unbedingte Unterwerfung unter den Souverän war folglich für Hobbes, genauso wie für die Ägypter des Pyramidenzeitalters, die als erste dem Königtum Göttlichkeit zusprachen, der einzige Schlüssel zum irdischen Heil. Die Tatsache, daß wir dieser Doktrin schon früher als ideologischer Grundlage und Voraussetzung der Megamaschine begegnet sind, macht ihre Auferstehung im siebzehnten Jahrhundert nur noch bedeutsamer.“ (Mumford 1978: 448)

Dass Hobbes unter dem Eindruck eines mechanistischen Weltbildes seinen „Leviathan“ (1990) entwickelt hat, lässt sich nicht bestreiten. Andererseits ist Mumford von der Obsession, die Moderne als die letzte Station einer historisch über die Jahrtausende sich entfaltenden ‚Megamaschine‘ darzustellen, so sehr eingenommen, dass er hier (trotz der an sich schönen Parallele zwischen Hobbes ‚Grundlegung‘ nicht nur absolutistischer, sondern in Ansätzen auch moderner Staatsformen und den frühen Hochkulturen) einen entscheidenden Aspekt unterschlägt: Hobbes geht von freien, aber überlebensunfähigen Menschen aus, die im Leviathan (eine rudimentäre funktional ausdifferenzierte Gesellschaftsform) zu sozialen Akteuren und dadurch lebensfähig werden (Hobbes 1990: 5f). So holzschnittartig Hobbes’ Entwurf auch sein mag, er legt damit den Grundstein (und kann zugleich als der Kronzeuge schlechthin gelten) weniger der modernen Variante von Mumfords ‚Megamaschine‘, sondern vielmehr des Verhältnisses zwischen ‚vergesellschafteten Akteuren‘ und ‚ursprünglicher

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Subjektivität‘ der Neuzeit; ein Konzept, das in den Entwürfen der Klassiker – stark abgewandelt – immer noch nachwirkt. Mumford hingegen verwechselt auf der Folie der paradoxen Grundfigur Hobbes’ die Analogie zwischen dem Staat und dem Körper des Menschen als Funktionsorganismus mit dem Antagonismus zwischen dem Naturzustand und der Natur des Menschen (nämlich ‚unnatürlich‘, also vergesellschaftet zu sein). Hobbes konzipiert den Staat als ‚Maschine‘ und konstruiert eine Analogie zum Körper des Menschen als Organismus, der ebenfalls als Maschine dargestellt wird. Das für die Renaissance typische ‚Denken in Analogien‘ ist bis ins 17.Jh. hinein wirksam, indem es als empirischer Ankerpunkt „in eine Beziehung von Gleichheit oder Ordnung transformiert“ (Foucault 1995: 102) wird. Das mechanistische Weltbild lässt sich zumindest teilweise gerade hieraus erklären, da es die Überführung von losen Analogien in ein geordnetes Tableau spiegelbildlich angeordneter ‚Un-/Gleichheit‘ („Identitäten und Unterschieden“) erleichtert (Foucault 1995: 107ff; vgl. Canguilhem 2001a: 69f). Hobbes’ Oxymoron besteht allerdings nicht darin, dass der Mensch maschinenhaft und zugleich kontingent sei, sondern dass der Mensch von Natur aus unnatürlich ist, er zur ‚Maschine‘ werden muss, um überleben zu können. Hobbes’ Beschreibung des Menschen als Maschine bewegt sich allein auf der organischen Ebene. Später wird sich Durkheim genau dieselbe Analogie zunutze machen, um die Funktionsweise ‚höherer Gesellschaften‘ beispielhaft zu veranschaulichen. Mit dem Unterschied, dass Durkheim diese dann als organisch und niedere Gesellschaftsformen als mechanistisch bezeichnen wird; diese Unterschiede sind allerdings den jeweils wechselnden Weltbildern geschuldet: Hobbes wählt für das Funktionssystem des menschlichen Organismus eine mechanistische Variante, Durkheim eine ‚biologische‘ – als ein Topos des 20.Jh. (an dessen Schwelle Durkheim „Über soziale Arbeitsteilung“ (Durkheim 1999a, Orig. 1893) verfasst hat) gilt nicht ohne Grund das ‚Leben‘ als ‚Bios‘ (Bröckling et al. 2004: 11; Plessner 1975: 3). Für eine adäquate Beschreibung von Hobbes’ Darstellung ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass dieser zwischen menschlichem Verhalten und menschlichem Körper unterscheidet, und sich folglich die Maschinen-Analogie (Gleichheit) auf den Körper als Funktionsorganismus, die Natur/Kultur Dichotomie (Ungleichheit) hingegen auf das Verhalten bezieht. Die Hobbessche Dichotomie ist latent in der soziologischen Theoriebildung weiterhin als Substrat des Akteurs vorhanden; bei den Klassikern (Marx ausgenommen) als Subjektivität irgendwo an der Schwelle zum Sozialen, bei den darauf folgenden Entwürfen in der einen oder anderen Weise entweder als konstitutives Theorieelement oder als Effekt des Gegenstandes. Die Ineinssetzung von Subjekt und Akteur der Postgründergenerationen führt zu einer notgedrungenen scharfen Gegenüberstellung von Akteur und Sozialem, die es zunehmend schwer werden lässt, Technik in allen ihren Dimensionen zu erfassen, da sie dem Akteur entgegengestellt wird (das trifft, wie weiter oben gezeigt worden ist, auch auf die neuere Systemtheorie zu). Den Akteur als im Wesentlichen technisiert

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darzustellen, würde zu einer erkenntnistheoretischen Erblindung der Soziologie führen, da sie ihre gegenstandsbezogene, beobachtungsleitende Unterscheidung verlieren würde. Selbstredend sollte dies nicht zu einem Plädoyer für eine Rückbesinnung auf die Klassiker verleiten. Der Vergleich dient ausschließlich einer heuristischen Zielsetzung, nämlich den Versuch zu verstehen, welche sozialtheoretischen Vorannahmen zu einer mehr oder weniger adäquaten Verarbeitung von Technik führen. Mit allen vorgestellten Theorien lässt sich Technik beschreiben und in der einen oder anderen Form in eine soziologische Betrachtung oder Analyse ihres Gegenstandes einbeziehen. Neuere Sozialtheorien stoßen allerdings an ihre Grenzen, wenn Akteure und Soziales gleichermaßen auf ihre Artifizialität hin erfasst werden sollen. Ob diese Möglichkeit als erstrebenswert wahrgenommen wird, ist eine andere Frage, von der hier zwar ausgegangen wird, die aber nicht erschöpfend behandelt worden ist. Auch im nächsten Kapitel findet sie lediglich als Mittel zum Zwecke der Beweisführung und der exemplarischen Anwendung eines auf ihren Erkenntnissen aufbauenden Akteurmodells Erwähnung. Denn hierin besteht schließlich das Fazit dieser nullwertbezogenen Rekonstruktionen sozialtheoretischer Entwicklungslinien: Eine Erfassung von Künstlichkeit und Technisierung, die sich über Akteure und Sozialem gleichermaßen erstreckt, kommt um ein Akteurmodell nicht herum, in dem das, was als Subjekt an ihm wahrgenommen wird, mit einer neuen Leerstelle ausgetauscht wird. Das wiederum bedeutet, in der humanistischen Tradition zu verweilen und dem Bedürfnis nachzukommen, ein Alleinstellungsmerkmal bereitzustellen, das den Akteur auch künftig von einem Roboter unterscheiden hilft. So sehr davon ausgegangen werden muss, dass das Soziale künftig von verschiedenen, akteuräquivalenten Entitäten beobachtet wird und sich als von diesen Beobachtungen ausdifferenzierte Selbstbeobachtung aufgefasst werden kann,und damit die Basis-Differenz von Selbst- und Fremdreferenz nicht auf psychische und soziale Systeme beschränkt sein wird, so lässt sich mithilfe eines Akteurmodells, das auf das Leben rekurriert, eine gewisse ‚Selbstvergewisserung‘ des klassischen Akteurs herstellen. Es mag eine Zeit kommen, in der diese Form von Selbstvergewisserung nicht mehr nötig sein wird, aber – ohne ins Visionäre abgleiten zu wollen – selbst wenn dem so sein sollte (radikalkonstruktivistische Feminismustheoretikerinnen arbeiten schließlich in gewisser Weise darauf hin), so würde die hier vorgeschlagene Variante eine Übergangslösung darstellen. Darüber hinaus – worauf später noch einzugehen sein wird – stellt sich die Frage, inwieweit noch von ‚Soziologie‘ die Rede sein kann, wenn der Kreis derer, die als soziale Akteure gelten sollen, Entitäten einschließt, die nicht in irgendeiner Weise auf menschliche Entitäten relationiert werden können. Das auf der Grundlage der bislang zusammengetragenen Rekonstruktionen soziologischer Theorien im Folgenden entwickelte Akteurmodell negiert also nicht die hervorgehobene Position des ‚Menschen‘ für ein soziologisches Verständnis vom ‚Akteur‘. Es wird im Gegenteil

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vielmehr darum gehen, ein Modell zu entwickeln, das den Verweis auf den ‚Menschen‘ noch in sich beherbergt und trotzdem in der Lage ist, der konstitutiven Artifizialität des Akteurs gerecht zu werden. Das Element des ‚nackten Lebens‘ als Nullwert ist entsprechend dieser Grundannahmen ausgewählt worden; als Element, das hinsichtlich ‚menschlicher Entitäten‘ den größtmöglichen Abstand zu deren vergesellschafteter ‚Verwirklichung‘ aufweist.

5. Techniktheorien „Wenn Aristoteles als die ersten, allen Lebewesen gemeinsamen Arten der Selbstbewegung Wachstum, Ernährung und Zeugung nennt, dann unterstreicht das nur, daß er Leben als eine Tätigkeit versteht, die Einheit, Erhaltung und Fortdauer bewirkt. Das Prädikat des Lebens besagt, daß der Körper, dem es zukommt, ein aus Teilen zusammengesetztes, aber zugleich unteilbares, ein sich selbst veränderndes, aber in dieser Veränderung, zugleich sich selbst hervorbringendes und erhaltendes Ganzes ist.“ BORSCHE 1997: 246

Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Kapitel soll in den folgenden Abschnitten ein Akteurmodell entwickelt und exemplarisch zur Anwendung gebracht werden, dass das ‚Leben‘ als konstitutives Element beinhaltet. Ein solches Modell soll es ermöglichen – in Analogie zu den Klassikern – Technik und Artifizialität im Allgemeinen als integralen Bestandteil sowohl des Sozialen als auch des Akteurs zu erfassen, ohne Gefahr zu laufen, den Gegenstand in ein unterschiedsloses Netz von Knoten (Aktanten) oder fantastischen Mischwesen (Cyborgs) auflösen zu müssen. Neben diesen zwei besonders radikalen Varianten, der Akteur-Netzwerk-Theorie Latours und der Cyborg Metapher Haraways, thematisieren die Postphänomenologie Ihdes, deren philosophische Hauptthesen leicht abgewandelt und sozialwissenschaftlich anschlussfähiger von Verbeek vorgelegt worden sind, sowie der (zuweilen als ‚Postmateriality‘ betitelte) Pragmatismus Pickerings die Auflösung einer Akteur-Technik Gegenüberstellung. Diese vier, teilweise höchst unterschiedlichen Ansätze eint der Versuch einer Überwindung des (in der Regel auf Descartes zurückgeführten) Geist-Materie Schisma, das sich in der Akteur-Technik Unterscheidung fortsetzt (vgl. Ihde

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2002: 68). Konkret richten sich diese Ansätze also auch gegen soziologische Theorien im Allgemeinen, die aufgrund ihres Festhaltens an einem intentionalen Kern des Akteurs, die Materialität des Akteurs und damit dessen Artifizialität unterschlagen. „Die in der soziologischen Theoriebildung vorherrschenden Vorstellungen darüber, was den Kern oder das Letztelement des Sozialen bildet, machen es schwer, gegenständliche Technik als Gegenstand der Soziologie in den Blick zu nehmen. Zumeist werden die Prozesse oder Operationen, die Soziales konstituieren, auf Aktivitäten des menschlichen Bewusstseins zurückgeführt: auf den subjektiv gemeinten Sinn des Handelnden im Begriff des sozialen Handelns (vgl. Weber […]) – spezifiziert als Bewusstseinserfahrung der als vollzogen vorgestellten Handlung in der phänomenologischen Soziologie (vgl. Schütz […]) oder als subjektive Nutzenerwartung im Modell der soziologischen Erklärung (vgl. Esser […]); auf die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsdispositionen bzw. das praktische Bewusstsein der Akteure in den Praxistheorien Pierre Bourdieus […] oder Anthony Giddens’ […]; oder auch auf die strukturelle Kopplung mit psychischen Systeme, ohne die sinnhafte Kommunikation als Letztelement der Konstitution sozialer Systeme in der Systemtheorie Niklas Luhmanns nicht zu Stande käme.“ (Schulz-Schaeffer 2007b: 705, vgl. 708f)

Das Festhalten an Intentionalität erweist sich allerdings erst in neueren Theorien als ‚Problem‘. Zumindest entsprechend der hier vorgeschlagenen Lesart, gründet die Schwierigkeit der Ansätze der Postgründergenerationen in der ‚Notwendigkeit‘, den Akteur als dem Sozialen strikt gegenüberzustellende Differenz zu betrachten, da die gegenstandsbezogene, beobachtungsleitende Unterscheidung andernfalls verloren gehen würde.

5.1 R ADIKALE ANSÄTZE DER T ECHNIK UND W ISSENSCHAFTSFORSCHUNG Ihde kritisiert Latours, Haraways und Pickerings Positionen, indem er ihnen zwei sich gegenseitig ausschließende Strategien der Überwindung der Cartesianischen Unterscheidung zuschreibt, die jeweils die Begrenztheit der gegenüberliegenden Position aufzeigen: „What was appealing was the way each seemed to have a sensitivity for the concrete, the material, which I found usually lacking in philosophy of science. But on closer reading, it soon became apparent that there were some issues that seemed to me to be incompatible – I phrase these […] as a tension between situatedness and symmetry. […] A major issue that I see deals with the ways in which the analyses can proceed. On the one hand, this postmodern era is one in which the emergence of situated knowledge has become prominent and self-conscious; on

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the other hand, there has been an affirmation of various symmetries that purport to equalize the accounts of the nonhuman and/or material agencies in culture and especially technoscience. I […] argue that one cannot simultaneously be situated and symmetrical.“ (Ihde 2002: 67)

Ihdes Kritik (und eigene Position) ist vor dem Hintergrund eines Akteurmodells, das technische Zusammenhänge als Akteurbestandteile bearbeiten möchte, insofern interessant, weil er gerade auf die Aspekte aufmerksam macht, die in den Ansätzen, die einem solchen Modell am nächsten stehen, problematisch sind, und zwar gerade, weil sie auf die eine oder andere Weise versuchen die Festlegung auf den Akteur als Referenz zu überwinden. Ihde kritisiert im Grunde sowohl an der Akteur-NetzwerkTheorie als auch an Pickering und Haraway (deren Ansätze er als „composite or hybrid symmetries“ (2002: 79) bezeichnet), dass sie die Handlungsträgerschaft oder allgemeiner die Akteur- und Sozialrelevanz von Artefakten von einem jeweils ‚unmöglichen Standpunkt‘ aus beobachten. In graduell unterschiedlichen Postulaten hinsichtlich der Symmetrie zwischen Sozialem und Artifiziellem kommt diesen die Situiertheit des Wissens und der Wissenden in die Quere. Besonders virulent wird dieser Widerspruch – einerseits von einer Symmetrierung auszugehen sowie andererseits der Situiertheit des Wissens bzw. einer Beobachtung respektive Erkenntnis gerecht zu werden – in der Akteur-Netzwerk-Theorie. Er manifestiert sich prägnant im Zuge einer geforderten Selbstanwendung der Theorie: Das von ihr hinsichtlich des Gegenstandes – zu dem sie selbst gehört – Ausgesagte, trifft nicht auf sie selbst zu bzw. kann offensichtlich nicht ohne Weiteres auf sie selbst angewendet werden. Die Lösung des Selbstanwendungsproblems der Akteur-Netzwerk-Theorie wird von Schulz-Schaeffer in der Auftrennung einer Beobachter- und Ethnotheorie vorgeschlagen. Er gelangt zu dem Schluss, „dass jede symmetrische Beobachtung auch eine asymmetrische Seite hat.“ (Schulz-Schaeffer 2008b: 149). Ihde dehnt diese Kritik auf Haraway und Pickering aus, indem er feststellt, dass auch diese eine (zwar schwache) Symmetrie postulieren, die sie selbst konsequent widerlegen: „I argue, of course, that such symmetries revert to functional equivalents of precisely the Cartesian modernism that postmodernity wishes overthrown in that (a) the perspective from which the symmetry is drawn is unknown, (b) the absence or transcendence of the narrator again creates a god-trick of nonsituatedness, and (c) the question of for whom the system operates also hides the politics of semiotic systems. With my neosemiotic colleagues, there are weak attempts to address this. Haraway, in her first-person narrative, inserts herself as situated within the cyborg context – she admits her motives and marks and speaks these out as part of her political program. Pickering, still in the quasi-anonymous third person, keeps situatedness within the mangle by retaining intentionality as planned and motivated actions with the humans. Thus, I conclude that neither Haraway nor Pickering are fully or genuinely symmetrists but are, at most, quasisymmetrists.“ (Ihde 2002: 80)

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Darüber hinaus wirft er der Akteur-Netzwerk-Theorie „a new social- anthropomorphic rhetoric and reduction“ (Ihde 2002: 79) vor, die zu einer ontologischen Beliebigkeit führe, die unter anderem nicht nur völlig offen lassen müsste, wer wen warum beobachtet, sondern die erkenntnispolitische Implikationen und daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen unmöglich werden lässt (siehe in obigem Zitat „and (c) the question…“). Eine ähnliche Einschätzung dieses Problems wird von Gill mit weitaus drastischeren Folgen verknüpft, da „die Überwindung des Dualismus von Geist und Materie nur um den Preis des Verzichts auf instrumentelles Gesetzeswissen und normative Generalisierung zu gewinnen ist.“ (Gill 2008: 49) Die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung sei folglich von einer – wenn auch fiktionalen – Unterscheidung zwischen Materie und Geist abhängig. Ihde stellt seine eigene Position als ‚Mittelweg‘ vor und gesteht zugleich ein, dass sie zu großen Teilen mit Latours, Haraways und Pickerings Ansätzen vereinbar ist (2002: 94). Er verortet diesen im Bereich der „interaction or performance“ (2002: 92). Seine Position weist gewisse Parallelen zu McLuhans ‚Prothesentheorie‘ von Medien und seinen Ausführungen über die damit einhergehende Extension (auf der einen Seite) und Amputation (auf der anderen Seite) menschlicher (körperlicher und kognitiver) Fähigkeiten (McLuhan 2001: 45ff; vgl. Bartels 2007: 86). Weder Ihde noch Verbeek gehen auf diese Parallelen ein, obschon sie sich aufdrängen. So geht auch Ihde davon aus, dass die Nutzung von Artefakten den Nutzer und die Situation der Nutzung einseitig verstärkend verändert: „Ihde shows that technologies, when mediating our sensory relationship with reality, transform what we perceive. According to Ihde, the transformation of perception always has a structure of amplification and reduction. Mediating technologies amplify specific aspects of reality while reducing other aspects. When looking at a tree with an infrared camera, for instance, most aspects of the tree that are visible to the naked eye get lost, but at the same time, a new aspect of the tree becomes visible: one can now see whether it is healthy. Ihde calls this transforming capacity of technology „technological intentionality”: technologies have „intentions,” they are not neutral instruments but play an active role in the relationship between humans and their world.“ (Verbeek 2006: 365; vgl. Ihde 2002: 93)

Verbeek übernimmt weitestgehend Ihdes Konzept und verlagert die Schwerpunktsetzung von einer „Mediation of Perception“ zu einer „Mediation of Action“, die sich allerdings auch bei Ihde finden lässt. Der Hauptunterschied liegt in der von Verbeek vorgenommenen, stärkeren Parallelisierung mit der Akteur-Netzwerk-Theorie; so übernimmt er das Merkmal des ‚Skriptes‘ aus deren Terminologie: „In the translation of action, a similar structure can be discerned as in the transformation of perception. Just as in the mediation of perception, some aspects of reality are amplified and others are reduced, in the mediation of action, one could say that specific actions are invited

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while others are inhibited. The scripts of artifacts suggest specific actions and discourage others.“ (Verbeek 2006: 367; vgl. 2005: 114f)

Ihdes Position bleibt umsichtiger; er hält (grundsätzlich tut dies Verbeek auch, ist allerdings gegenüber einer ‚Symmetrierung‘ grundsätzlich offener eingestellt) an einer ‚fokalen‘ Subjektposition fest, die sich zwar zeitweilig nicht mehr von den involvierten Artefakten unterscheiden lässt, die sie aber in der Regel aufgrund des sie (die Subjekte) auszeichnenden Alleinstellungsmerkmals, einer ‚reflexiven Intentionalität‘ fähig zu sein, von den Objekten scheidet (Ihde 1999: 45). Ihde betont die elementare gegenseitige Einflussnahme zwischen Subjekt und Objekt von einem (post-)phänomenologischen Standpunkt aus und veranschaulicht dies vielfach mit historischen Beispielen einer ‚Mediation of Perception‘. Wobei im Zuge einer direkten Gegenüberstellung die Ähnlichkeiten zwischen Ihde und Verbeek (der sich auf Ihde beruft) auf zu vernachlässigende Unterschiede der adressierten Community schmelzen (Ihde: Technikphilosophie, Verbeek: Wissenschafts- und Technikforschung): „Yet the telescope-using Galileo was very much an embodied observer, albeit an observer who had a kind of ‚extended, although transformed‘ vision – a vision by means of and through the telescope. Only a science which forgets to take account of its own embodiment in instrumentation can ‚forget‘ the lifeworld.“ (Ihde 1999: 43)

Im Ergebnis analog zu Ihdes wissenschaftshistorischer Rekonstruktion von Galileo als „embodied observer“, das dem zu entwickelnden Akteurmodell eines ‚hybriden‘ Akteurs weitestgehend entspricht, stellt Verbeek die Auswirkungen des Ultraschalls für Schwangere, Ärzte und der Gesellschaft dar: „First of all, the image on the screen has a specific size, and even though the representation on the screen suggests a high degree of realism, the size of the fetus on the screen does not coincide with the size of the unborn in the womb. A fetus of 11 weeks old measures about 8,5 cm and weighs 30 grams, but its representation on the screen makes it appear to have the size of a newborn baby […]. […] All of these technological mediations generate a new ontological status of the fetus. Ultrasound imaging constitutes the fetus as an individual person; it is made present as a separate living being, rather than forming a unity with its mother, in whose body it is growing. As such, obstetric ultrasound contributes to the coming about of what has been called ‚fetal personhood‘: the unborn is increasingly approached as a person […], or even as a ‚baby‘ which still needs to be born […]. This experience of fetal personhood is enhanced by the possibility to see the gender of the unborn: by its ability to reveal the genitals, ultrasound genders the unborn. […] Ultrasound does not only constitute the fetus as a person, but also as a patient. An important goal of ultrasound screening is to detect abnormalities.“ (Verbeek 2008: 15f)

270 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Das problematische Erbe Descartes’ – Die Überwindung des Geist-Materie Schismas und die Situiertheit des Wissens: ‚You can’t have it both ways‘

Ihdes kritische Rekonstruktion der Ansätze von Pickering, Latour und Haraway findet vor dem Gegensatz von Symmetrie und Situiertheit statt und der plausiblen Annahme, dass sich beide Forderungen respektive Einsichten (einerseits in die erkenntnistheoretische Unmöglichkeit einer standortungebundenen Erkenntnis sowie andererseits in einem von Artefakten entkoppelten Weltzugang) gegenseitig ausschließen – so lautet der Titel dieses Kapitels „You can’t have it both ways – Situated or symmetrical“ (Ihde 2002: 67). Die Position von Ihde (und Verbeek, der fortan unter Ihdes Position subsumiert wird) ist insofern im Vergleich zu dem konkurrierenden „trio of nonhuman defender [Latour, Haraway and Pickering]“ (Ihde 2002: 91) sehr interessant, als sie sich gerade vor dem Hintergrund dieser Gegenüberstellung bildet und profiliert. Einerseits ist der Akteurstatus – im Gegensatz zu Latours Akteur-Netzwerk-Theorie – eindeutig genug, um mit gängigen Sozialtheorien anschlussfähig zu bleiben, andererseits ist aber die Transformation des Akteurs (Subjekt) durch die Verwendung von Technik (Objekt) deutlich ausgeprägter als in Pickerings ‚Tanz der Handlungsträgerschaft‘. Wo Pickering einen Tanz zwischen verschiedenen Entitäten beobachtet, die sich gegenseitig beeinflussen, sieht Ihde eine Transformation der Entitäten aufgrund der Tatsache, dass sie sich darauf einlassen, ‚miteinander zu tanzen‘. Der Unterschied mag auf den ersten Blick klein erscheinen, da er im Detail liegt, hat aber nicht unerhebliche Konsequenzen für eine techniksoziologisch inspirierte, theoretische Grundlegung des Akteur-Technik (Subjekt-Objekt) Verhältnisses. In einem Punkt sind sich Pickering und Ihde einig: Die menschlichen Entitäten zeichnen sich durch Intentionalität aus, die den Artefakten abgeht. Was das Verhältnis zwischen den menschlichen Entitäten und den Artefakten angeht und vor allem die Auswirkungen dieses Verhältnisses auf beide Seiten, liegen die Positionen nicht weit, aber doch entschieden auseinander. Pickering ist vor allem an der Wechselwirkung zwischen den Entitäten interessiert, wohingegen Ihde die Transformation der Entitäten betont: „Just as material agency is temporally emergent in practice, so, necessarily, is disciplined human agency. And, furthermore, while the two are not continuously deformable into one another-one cannot substitute human beings for the reagents of the Wassermann reaction-they are intimately connected with one another, reciprocally and emergently defining and sustaining each other. Disciplined human agency and captured material agency are, as I say, constitutively intertwined; they are interactively stabilized […].“ (Pickering 1995: 17)

In Pickerings Beobachtungen kommt eine klare Unterscheidung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Entitäten zum Tragen – so sehr diese aufeinander verweisen, so bleiben sie doch strikt getrennt (vgl. 1995: 15, 242; 2000). Ganz so wie

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zwei Billardkugeln, die aufeinanderprallen und bei entsprechendem Winkel des Aufpralls, aneinander geschmiegt, in die gleiche Richtung rollen und doch zwei klar voneinander unterschiedliche Kugeln mit jeweils gleich bleibenden Eigenschaften bleiben. Diese können im ‚Tanz der Handlungsträgerschaft‘ aufgrund eines Prozesses von ‚Widerstand und Anpassung‘ auf einen Nenner gebracht werden. Dieser Prozess, den Pickering als dialektisch beschreibt, unterstreicht die Anstrengungen der Anpassungsleistungen zwei voneinander geschiedenen Entitäten, die sich zunächst aufeinander einstellen müssen: „The dance of agency, seen asymmetrically from the human end, thus takes the form of a dialectic of resistance and accommodation, where resistance denotes the failure to achieve an intended capture of agency in practice, and accommodation an active human strategy of response to resistance, which can include revisions to goals and intentions as well as to the material form of the machine in question and to the human frame of gestures and social relations that surround it.“ (Pickering 1995: 22)

In Ihdes Ansatz hingegen verändern sich die Entitäten durch ihre Kopplung; die Billardkugeln sind nach dem Aufeinanderprallen nicht mehr dieselben, sie ändern ihre Eigenschaften. Die Unterschiede zur Akteur-Netzwerk-Theorie sind offensichtlicher, aber nicht unbedingt weitreichender bzw. gewichtiger als die zu Pickering. Wenngleich hier die ablehnende Haltung Ihdes gegenüber einer grundsätzlichen Nivellierung des Subjekt-Objekt Status die Differenz der Ansätze schnell auf den Punkt bringt, gleichen sich die Diagnosen im Ergebnis sehr stark: „Latour goes on to claim full symmetry: ‚This translation is wholly symmetrical. You are different with a gun in your hand; the gun is different with you holding it. You are another subject because you hold the gun; the gun is another object because it has entered into a relationship with you.‘ Although from a framework of phenomenological interactivity, I would agree to the same conclusions about how subjects and objects are both transformed in relativistic situations; the disagreement would be secondary over whether or not subjects and objects are simply eliminated as meanings by virtue of symmetries.“ (Ihde 2002: 94)

Interessant wird eine Parallelisierung zu Haraways Konzept. Auch hier überwiegen die Ähnlichkeiten, insbesondere die Einschätzung, dass Cyborgs per se nie ‚unschuldig‘ sein können, deckt sich mit Ihdes, dass jede Techniknutzung, jeder ‚technisierte‘ Kontext nie ‚neutral‘ sein kann (Ihde 2002: 92, 94). Ihdes lakonische Bemerkung, dass „[i]f we are truly hybrid-cyborgs, then we are them“ (Ihde 2002: 89), zeigt allerdings unmissverständlich die Grenze auf: Ihde möchte an der Subjekt-Objekt Trennung festhalten. Wenn er diese nicht aufrechterhalten würde, so wäre der Schritt zu einem „subject who may or may not be cyborgean“ (2002: 81) verschwindend gering, genau genommen sogar beliebig.

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Die Nähe zum Cyborg Ansatz fällt insgesamt dennoch intimer aus, als zu den anderen zwei ‚Verteidigern der Nichtmenschen‘: Ihdes ‚Mittelweg‘ verläuft schwerpunktmäßig über die ‚Verwandlung‘ der sich koppelnden Entitäten. Dieses Element ist in Haraways Cyborg Metapher wesentlich stärker vorhanden, als in Pickerings strikter Trennung menschlicher Intentionalität und ‚widerspenstiger‘ Maschinen oder in Latours Aktanten-Begriff. Gleichwohl erhalten die Aktanten ihren Status erst aufgrund der Inverhältnissetzung zu anderen Aktanten, also als Effekt eines ‚stabilen‘ Geflechts von Aktanten, wobei sie aber dennoch als Aktanten identifizierbare Instanzen bleiben. Diese können sich aus einem Netzwerk lösen und in ein anderes übergehen, müssen sich gegebenenfalls von einem neuen ‚Skript überschreiben‘ lassen, aber gerade in dieser Ein- und Überschreibungs-Rhetorik kommt zum Vorschein, dass eine (wenn auch relative) Identifikation der einzelnen Aktanten betrieben wird, die rein formal sich kaum von Pickerings strikter Trennung unterscheidet. Eine besondere Affinität zu Haraway wird von Ihde nicht explizit erwähnt; er versucht vielmehr die Nähe zu allen drei Ansätzen ähnlich stark verteilt darzustellen. Dennoch kommt immer wieder beiläufig zum Vorschein, dass das Cyborg-Konzept Haraways als Metapher seinem Entwurf näher steht: „My middle-ground claim is that there is, indeed, a limited set of senses by which the nonhumans are actants, at least in the ways in which in interactions with them, humans and situations are transformed and translated. I do not want to extrapolate this agreement too far, but rather argue that while there are some situations of clear symmetries, these are often limited, and there remain many situations that are asymmetrical. The objects (nonhumans) in such interactions modify the humans, the subjects are nonneutrally and noninnocently invariant, but the counterpart modifications are not always those of immediate, real-time modifications. Eyeglasses, typewriters, and computer systems change, are ‚improved‘, and provide different combinations of resistance and accommodation in different times. There are at best degrees and kinds of symmetries. Certainly the nonhumans can no Ionger go ignored, but the degrees to which they can be socialized are, I suspect, both unclear and unpredictable. Part of their nature – still underestimated even in science studies – is the degree to which the unintended and unplanned results occur without intentions entirely. If we ‚dance‘ with the nonhumans, the steps that occur are often different from and often out of tune with the music played. That may be one of the reasons why, in the end, the cyborg metaphor of Haraway retains such suggestive power – of hybridization there is no end.“ (Ihde 2002: 100)

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Akteure als Cyborgs: Orale Kulturen und noch einmal Descartes

Pickering erläutert im ersten Postscriptum von „The Mangle of Practice“ (1995), dass er zwischen ‚Menschen‘ und ‚Maschinen‘ unterschieden hat, indem er sich nicht auf die Menschen auszeichnende Intentionalität beruft, sondern indem er sehr anschaulich auf deren unterschiedliche geradezu ‚physische‘ Beschaffenheit rekurriert. Diese Feststellung verknüpft er mit dem, was er eine ‚ungewöhnliche Handlungsträgerschaft‘ (‚nonstandard agency‘) nennt und verweist auf eine wichtige weitere Dimension der Gegenüberstellung der in den letzten Abschnitten behandelten Ansätzen, um die hier vorgenommene Prävalenz von Ihdes Ansatz mit einer Orientierung an Haraway zu plausibilisieren: „I have confidently distinguished between human and nonhuman agency, between people and machines. And I think I have been right to do so. I have been writing about people who live in worlds where the two are clearly distinguishable, almost by definition. The distinction is there, in practice. Material agency is captured by machines as material objects, separate from us as creatures of flesh and blood.“ (Pickering 1995: 242)

In den folgenden Abschnitten erläutert Pickering, dass „nonstandard agencies seem to transgress the separation of the human and the nonhuman that we take for granted.“ (1995: 244) Mindestens genauso überraschend, wie die Auftrennung zwischen Mensch und Maschine anhand der Beschreibung der Physis der beteiligten Entitäten, ist Pickerings Beschreibung von ‚ungewöhnlicher Handlungsträgerschaft‘ als ein Phänomen, das sich jenseits der Grenzen von Wissenschaft und Technikanwendung im herkömmlichen Sinn abspielt. Er verortet die Sphäre der Aufweichung der Grenzen zwischen Akteuren und Technik in einem ‚vorwissenschaftlichen‘ Weltbild: „Castaneda tells us about his partial induction into a ‚Yaqui way of knowledge‘, via his apprenticeship to a Yaqui Indian known as Don Juan. Don Juan, says Castaneda, introduced him to a set of complex disciplines through which he was able to emulate some of his master’s feats: viewing contemporary events far removed in space, flying like a bird, being in two places at once, conversing with the spirits of hallucinogenic mushrooms, and so on. Such performances sound far-fetched, but Castaneda’s writing at least makes them thinkable, and there are reports of similarly far-fetched human abilities in many nonscientific cultures: think of the feats of yogic masters for example-levitation, the suspension of bodily processes, and so forth. These are all examples of what I would call nonstandard human agency; they all entail human performativity that goes beyond that exemplified in the remainder of this book. They are not the kinds of things that ‚we‘ do.“ (Pickering 1995: 243)

Bemerkenswert an diesen Einschätzungen ist, dass Pickering weit hinter die von ihm ansonsten hochgehaltene, pragmatistische Perspektive fällt (vgl. Pickering 2007) und

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zugleich eine Brücke zu Haraways Cyborg-Metapher schlägt, die nicht frei von fiktionalen Bestandteilen ist. Gerade in oralen Kulturen (von Pickering in der zitierten Passage als „nonscientific cultures“ bezeichnet) zeichnet sich die Bedeutsamkeit von Handlungspraxis als ‚inkorporiertes Wissen‘ in hybriden Konstellationen deutlich ab. Das Verständnis von ‚Intelligenz‘ und ‚Können‘ verschmilzt in der Kopplung von Subjekt und Objekt als Einheit oder als gelungener Inverhältnissetzung der eigenen körperlichen Physis zur Umwelt: „The subject’s reactions suggest that it is perhaps impossible to devise a test in writing or even an oral test shaped in a literate setting that would assess accurately the native intellectual abilities of persons from a highly oral culture. Gladwin […] notes that the Pulawat Islanders in the South Pacific respect their navigators, who have to be highly intelligent for their complex and demanding skill, not because they consider them ‚intelligent‘ but quite simply because they are good navigators. Asked what he thought of a new village school principal, a Central African responded to Carrington […], ‚Let’s watch a little how he dances‘. Oral folk assess intelligence not as extrapolated from contrived textbook quizzes but as situated in operational contexts.“ (Ong 2007: 55)

Ong stellt in seiner Monografie die These auf, dass die Schrift als Technik in den meisten Gegenwartsgesellschaften zur ‚Naturausstattung‘ des Menschen geworden ist und in ausschlaggebendem Maße für die Auftrennung von Materie und Geist verantwortlich ist. In seinen Schilderungen ‚oraler Kulturen‘ kommt zum Vorschein, dass das Verständnis von ‚Wissen‘ und ‚Intelligenz‘ in Vergleich zu ‚schriftlichen Kulturen‘ sehr unterschiedlich ausfällt. Das technische Kommunikationsmedium Schrift ist demnach die notwendige Bedingung für die Loskopplung des Wissens vom Körper und seiner damit einhergehenden Materialität. Die systematische Niederlegung und Aufbewahrung des Wissens trennt dieses von der Wissenden. Der lineare Aufbau, die gliedernde Systematik der Darstellungsweise ist ebenfalls einer schriftlichen Niederlegung und Fixierung geschuldet. Noch wichtiger allerdings ist die dadurch ermöglichte Entkoppelung von der Physis der Wissenden und ihres verkörperten Wissens: Die Schrift, so könnte diese These weiter zugespitzt werden, ist Descartes’ a priori einer Auftrennung von Materie und Geist. Die von Descartes vorgenommene Unterscheidung ist nur auf der Grundlage des Weltbildes einer schriftlichen Kultur erst denkbar. Ongs Beispiele oraler Kulturen führen vor Augen, dass die Abwesenheit der Technik ‚Schrift‘ zur ‚Natürlichkeit‘ von Cyborgs führt, denn zwischen dem Tanzenden und der Navigatorin sind die Grenzen fließend. Die Körperbeherrschung des Tanzenden bedeutet, sich angemessen bzw. erfolgreich seiner Umwelt ins Verhältnis setzen zu können, genauso wie im Falle erfolgreichen Navigierens diese Inverhältnissetzung durch eine gelungene Körper-Ruder-Boot Kopplung erreicht wird: „of hybridization there is no end.“ (Ihde 2002: 100)

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Zu einer in dieser Hinsicht tief greifenden Veränderung durch die Schrift kommt es allerdings erst im Zuge der ‚Erfindung‘ des Buchdrucks (vgl. Baecker 2007b). Vordem war die Auftrennung im Prinzip zwar bereits möglich, blieb jedoch noch an dem Wissen derer gekoppelt, die lesen und vor allem schreiben konnten. Es handelte sich also immer noch um eine Form verkörperten Wissens, denn die Tätigkeit des Lesens und Schreibens war als (Handlungs-)Technik noch an den Körper dessen gebunden, der diese Technik beherrschte. Die Mönche in den Klöstern und die hohen Beamten der ersten Hochkulturen, die die Schrift entwickelten, sind ambivalente ‚Navigatoren‘ einer Jahrtausende währenden ‚Überfahrt‘ zu einem anderen Zeitalter des Wissens, des Körpers und des Cyborgs. Sie hüteten (noch) einen Gral, der in Begriff war, zu dem Kessel zu mutieren, den Bataille als Metapher für Webers Ausdruck, der Geist sei aus dem Kapitalismus in seiner modernen Ausformung entwichen, wählt: „Wo wir den Gral zu ergreifen meinen, haben wir nur das Ding ergriffen, was uns in der Hand zurückbleibt, ist nur der Kessel.“ (Bataille 2001: 164) Ongs Monografie zum Verhältnis zwischen oralen und schriftlichen Kulturen lässt sich entnehmen, dass die Schrift als die Demarkationslinie zwischen Akteuren als natürlichen Cyborgs auf der einen Seite und unnatürlicher Natürlichkeit der Akteure qua ihrer notwendigen Artifizialität auf der anderen Seite gesehen werden kann. Das bemerkenswerte an dieser Entwicklung ist, dass gerade die Inkorporierung einer Technik aufgrund der dadurch ermöglichten Auftrennung von Geist und Materie zur Unnatürlichkeit (bzw. im Sinne einer kulturellen Einfärbung dessen, was dem Subjekt ‚von Natur aus zukommt‘, also: Unmöglichkeit) der Inkorporierung von Technik geführt hat. Geist vs. Materie und die natürliche Artifizialität des Akteurs respektive des Sozialen: Die Widersprüche bei der Überwindung eines ‚Grundwiderspruchs‘

Trotz Pickerings starker Nähe zum Pragmatismus hält er an der Auftrennung von Geist und Materie fest; sein Tanz der Handlungsträgerschaft bleibt ein Tanz zwischen zwei ‚ungleichen‘ Partnern und vor allem bleibt es ein Tanz zwischen zwei distinkten Entitäten. Eine ähnliche Position nimmt auch Knorr-Cetina sowohl in älteren als auch neueren Texten ein. Wenngleich die Bedeutung des Körpers für die Erkenntniserzeugung im Labor hervorgehoben wird, bleiben die Forscherinnen eindeutig im Unterschied zu den ‚Maschinen‘ bzw. technischen Apparaten lokalisierbar (Knorr-Cetina 1988: 96ff). Auch in neueren Texten, die sich ‚Postsozialen Konstellationen‘ widmen, bleibt eine klare Trennung zwischen Akteur und Technik bzw. epistemischen (Natur-)Objekten bestehen (Knorr-Cetina 1998: 98ff). Die Art und Weise der Auseinandersetzung mit ‚posthumanistischen Fantasien‘ erzeugt vor allem ein Problembewusstsein für Phänomene der Vermengung und daraus erzeugter Uneindeutigkeit, anstatt Wege und Möglichkeiten der Konzeptualisierung und des wissenschaftlichen

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Umgangs damit aufzuzeigen (2009: 67ff). In beiden Texten stellt sie zudem eine zunehmende ‚Sozialität mit Objekten‘ als Folge des Individualisierungsprozesses dar. Nicht nur bleiben Akteure und Objekte in der ‚Interaktion‘ einander gegenübergestellt, sie werden auch als ungleiches Paar konzipiert, wonach das Soziale – dessen Entwicklung und jeweilige Form (Individualisierungsprozess) – über den möglichen Umgang mit den Objekten entscheidet. Es herrscht also eine ähnliche Gedankenfigur vor wie in Heintz’ Monografie „Die Herrschaft der Regel“ (1993). Eine auf den ersten Blick triviale, aber nicht ganz bedeutungslose Beobachtung – gerade hinsichtlich einer direkten Gegenüberstellung der hier besprochenen Positionen – liegt in der wissenschafts- und techniksoziologischen Provenienz einiger Autorinnen: Latour, Knorr-Cetina und Pickering haben die sozialkonstruktivistische Profilierungsstrategie der jungen Subdisziplin Anfang der 80er Jahre in vollem Umfang geteilt und sich im Laufe der Jahre mehr oder weniger radikal davon abgewandt (vgl. Latour/Woolgar 1986; Knorr-Cetina 2002; Pickering 1981). Wohingegen sowohl Ihde aus einer philosophischen postphänomenologischen, als auch Haraway aus einer feministisch-kritischen Perspektive zwei völlig andere Problembezüge ‚von Anfang‘ an in die Beschäftigung mit ‚soziotechnischen‘ Themen hineingebracht haben. Diese hatten ihren Fokus nicht in eine disziplinbezogene Positionierung und Entfaltung neuer Sichtweisen. Eine Positionierung zur Mutterdisziplin bleibt hingegen den anderen drei hier angeführten Autorinnen bis heute nicht erspart, und es ist anzunehmen, dass diese weiterhin eine Quelle für ihre nicht allein der Sache geschuldeten Erkenntnisinteressen darstellt (das trifft auf Ihde und Haraway freilich auch zu – aber eben nicht vor dem Hintergrund der eingangs in der Einleitung und dem Problemaufriss geschilderten Problematik einer normativen Inversion, die die Ausgangsbedingungen und -fragestellungen der Klassiker beständig ‚verdeckt‘). Die Trennung von Geist und Materie und die darauf zurückführbare Aufladung des Akteurs als Subjekt der Handlung und des Sozialen (und umgekehrt) wird lediglich in den ungleich radikaleren Varianten von Latour und Haraway aufgebrochen. Insbesondere die Akteur-Netzwerk-Theorie bewegt sich dabei auf sehr dünnem Eis. Einerseits führen ihre Beobachtungen als andere Seite der Form die Mensch-Objekt Unterscheidung mit, da ihre grundlegende, erste Unterscheidung, die es ermöglicht eine totale Symmetrierung einzufordern, zwischen der Unterscheidung zwischen menschlichen Akteuren und nichtmenschlichen Entitäten und der Nicht-Unterscheidung unterscheidet. Andererseits verstrickt sich die Theorie in nur schwer lösbaren Problemen der Standortbestimmung von Aktanten-Netzwerk-Beobachtungen und gibt zuletzt den ‚Akteur‘ als fokale Entität sozialer Kontexte auf. Haraways Cyborg Metapher zeigt sich zwar einerseits anschlussfähiger an gängige Akteurmodelle, verspielt diesen ‚Vorsprung‘ andererseits aber aufgrund der (in gewisser Weise durchaus konsequent) eingeforderten Auflösung nicht nur des Geist-Materie, sondern auch des Real-Fiktional Schismas.

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Alle drei Positionen sind der Bearbeitung der Folgeprobleme eines Subjektbegriffes, dem die Geist-Materie Auftrennung zugrunde liegt, geschuldet. Pickerings moderate Position ließe sich als sozialtheoretische Variante des Umgangs mit Akteur-Technik Verhältnissen beschreiben: Das Bedürfnis nach einem Subjekt-Akteur, der dem Sozialen gegenübergestellt werden kann, führt zugleich zu einer irreduziblen Restdifferenz zwischen Akteur und Technik, die neueren techniksoziologischen Ansätzen eigen ist, die vorrangig auf etablierte Sozialtheorien rekurrieren. Abbidlung 27: Nullwert-Matrize Pickering: Das ‚Intentionale Subjekt‘ in Differenz zum Akteur als Ergebnis einer Praxis von ‚Widerstand und Anpassung‘ im Umgang mit Objekten bzw. Artefakten

Akteur/Praxis

Soziales

Intentionales Subjekt

Technik als ‚Maschine‘

Die besonders radikale Position Latours hingegen stellt eine Total-Inversion dar, ihre erkenntnistheoretische sowie methodologische Legitimation erfährt sie als Negation des ‚Etablierten‘. Die Akteur-Netzwerk-Theorie ist das Negativbild dessen, was sozialtheoretisch ‚funktioniert‘. Gerade weil sich ihr Fundament aus einer Totalinversion speist, bleibt die Differenz zwischen Akteuren (als Aktanten) und Objekten erhalten. Dies kann auch mit der von Ihde angemahnten Unmöglichkeit, Symmetrierung und Situiertheit gleichzeitig zu konzipieren, zusammenhängend beschrieben werden oder mit Rekurs auf Schulz-Schaeffers (im Prinzip sehr ähnlichen) Hinweis, die Akteur-Netzwerk-Theorie komme nicht umhin, zwischen einer Beobachter- und Ethnotheorie zu unterscheiden (Ihde 2002: 67ff; Schulz-Schaeffer 2008b). Die Auflösung jedweder qualitativer Unterschiede zwischen Subjekt und Objekt, Organischem und Technischem – also das Postulat einer grundsätzlichen Symmetrie – führt unweigerlich zu der Einrichtung einer ‚unbeteiligten‘ Beobachterposition. Sobald diese ins Bild rückt (durch eine Beobachtung zweiter Ordnung oder schlicht einem erkenntnistheoretisch ‚modernen‘ Blick) führt sie die Unterscheidung wieder ein. Dieser problematische Sachverhalt ist auch in neueren Texten Latours weiterhin virulent, insbesondere dann, wenn die Figur des ‚Akteurs‘ dekonstruiert und als Aktantennetzwerk wieder zusammengesetzt wird, dem die Annahme zugrunde liegt, dass ein „actor is what is made to act by many others“ (Latour 2005: 46). Diese Kritik an der Akteur-Netzwerk-Theorie ist Ende der 80er Jahre sehr früh – und in aller Schärfe – von Haraway im Rahmen ihrer ‚god trick‘-Rhetorik formuliert und einige Jahre später weiter ausgeführt worden (Haraway 1988: 581ff; 1997: 125ff; 1996:

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358ff; vgl. Weber 1998: 709f). In diesem Zusammenhang fordert sie einen umsichtigeren Umgang mit der Konzeptualisierung der konstatierbaren ‚Grenzüberschreitungen‘ und fragt konkret nach neuen Konzepten, die sich der Beschreibung fokaler, sozialrelevanter Entitäten widmen. Wie lässt sich eine Symmetrierung ohne gleichzeitige Nivellierung denken? „These assumptions are problematic for the further development of science studies, for which a more usable – that is, psychologically, technologically, and politically lively – theory of actors, agents, actants, and practice is urgently needed. Decentering the godlike, individualist, voluntarist, human subject should not require a radical temperance project mandating abstinence from the strong drugs of networked desire, hope, and […] ‚yearning‘. Cognition and communication need […] a third term, which allows the fruitful blurring of boundaries between outside and inside, human and machine, subject and object, that poststructuralism and science studies have developed. We do not need the automatism of crypto-behaviorism to explore the boundary blurring. Both people and things are more interesting and odder than that. Both people and things have a nonreducible trickster quality that resists categories and projects of all kinds. Yearning is fed from the gaps in categories and from the quirky liveliness of signs.“ (Haraway 1997: 128)

Die Nullwert Matrize der Akteur-Netzwerk-Theorie führt die Differenz von Akteuren und Objekten fort, da sie auf dieser Grundlage in den Stand gesetzt wird, den Gegenstand in den Blick zu nehmen. Abbildung 28: Nullwert-Matrize Latour: Die Totalinversion der Akteur vs. Technik Differenz in eine Akteur-Aktanten vs. Objekt-Aktanten Differenz

Objekt-Aktanten

AktantenNetzwerke

Akteur-Aktanten

Akteure vs. Objekte

nicht Akteure vs. Objekte

Das der Akteur-Netzwerk-Theorie zugrunde liegende Postulat einer ‚totalen‘ Symmetrierung führt nicht nur zu einer ‚Aufbewahrung‘ der von der Theorie beabsichtigten Überwindung der Differenz zwischen Akteuren und Objekten, sondern zu einer

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Wiedereinführung eines bevorzugten Beobachterstandpunktes (vgl. bspw. Latour 2005: 63ff). Genauso wie Descartes in Ihdes Rekonstruktion seiner auf ‚Gott‘ rekurrierenden Erkenntnisgarantie des menschlichen Geistes sich gleichzeitig ‚außerhalb und innerhalb‘ des von ihm beobachteten ‚Systems‘ befindet, muss dies von der vom Standpunkt der Akteur-Netzwerk-Theorie aus Argumentierenden und/oder die ‚Wirklichkeit‘ Beobachtenden notwendigerweise auch angenommen werden: „Descartes himself is the ‚secret‘ of the god-trick since in his nonspoken, privileged position he can ‚see‘ if there is correspondence or not.“ (Ihde 2002: 74; vgl. Haraway 1988: 583). Weiter oben ist ausführlich dargelegt worden, dass Descartes ‚universelle‘ Aussagen über einen Gegenstand fällt, zu dem er konstitutiv auch gehört, und zugleich diese nur fällen kann, weil er sich außerhalb des Gegenstandes wähnt. Im Unterkapitel zur Beobachtung und Kybernetik zweiter Ordnung ist das Beispiel der bekannten Kreter-Paradoxie als Beispiel für eine nämliche Argumentationsfigur angeführt worden. Dieses lässt sich der Form nach vollständig auf Descartes’ Position übertragen, genauso wie aber auch auf die der Akteur-Netzwerk-Theorie. Die Cyborg Metapher und das Cyborg als Akteur: Zur Verknüpfung von Haraways und Ihdes ‚Metamorphosen‘ des Subjektes

Haraways Position hingegen kann als konsequente Destruierung subjektivierungsbezogener Konstruktionspraktiken sozialer Wirklichkeit gelesen werden, die von Machtaspekten und Ungleichheitserzeugung durchzogen bzw. geprägt sind. Hier geht die Auflösung der Geist-Materie Trennung mit einer Auflösung der Subjektkategorie einher. Ihre Matrize ist die einzige, die keinen herkömmlichen Nullwert oder Quasi-Nullwert aufweist. Zugleich ist ihr Ansatz hinsichtlich einer Anschlussfähigkeit an Sozialtheorien der problematischste. Auf der einen Seite macht sie – gerade im Zuge ihrer Kritik an der Akteur-Netzwerk-Theorie – unmissverständlich klar, dass es nicht darum gehen kann, jegliche Subjekt/Objekt Unterscheidung im Rahmen einer Überwindung der klassischen abendländischen Geist-Materie Epistemologie zu opfern. Sie beschreibt eindrücklich die folgenschweren, erkenntnispolitischen und theoretischen Probleme, die daraus erwachsen, nämlich die Wiedereinführung eines ‚unbewegten Bewegers‘, eines bevorzugten, hegemonialen Standpunktes der Erkenntnis und des Wissens – konkret: des wissenden, weißen Mannes: „Frauen, Primaten und Cyborgs erweisen sich so als heterogene Verbündete in einem Prozeß, der die Konstruktion eines unabhängigen, homogenen, selbstidentischen, aktiven männlichen Subjekts, das sich nur durch seine Abgrenzung gegen Andere (Frauen, Nicht-Weiße, Tiere, Maschinen) erhalten kann, destabilisiert. An die Stelle dieses Subjekts tritt bei Haraway ein Selbst, dessen Handlungsfähigkeit nicht auf Identität und Abgrenzung, sondern auf Verkörperung, innerer Differenz und Verbundenheit über die Grenzen zwischen Mensch und Tier und

280 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE zwischen Mensch und Maschine hinweg beruht. Haraways Bild für dieses Selbst ist die Cyborg, ein hybrides Wesen, das sowohl Organismus als auch Maschine ist.“ (Hammer/Stieß 1995: 30)

Anhand dieser Kritik kommt ein Wesenszug ihres Ansatzes zum Vorschein, der von hohem Seltenheitswert ist: die scharfsinnige Verknüpfung von erkenntnistheoretischen Aspekten mit -politischen Konsequenzen, wobei die theoretische Schärfe ihrer Aussagen nicht dem politischen bzw. kritischen Impetus geopfert wird. In diesem Sinne muss ihre lapidare Feststellung ‚wir seien alle Cyborgs‘ gelesen werden: Sie ist wahr und falsch zugleich – und erinnert der Form nach an Adornos Bonmot, wonach das ‚Bewusstsein‘ der Akteure von Gegenwartsgesellschaften ebenfalls ‚wahr und falsch‘ zugleich sei: „Die Menschen vermögen sich selbst in der Gesellschaft nicht wiederzuerkennen und diese nicht in sich, weil sie einander und dem Ganzen entfremdet sind. Ihre vergegenständlichten gesellschaftlichen Beziehungen stellen ihnen notwendig als ein Ansichsein sich dar. Was die arbeitsteilige Wissenschaft auf die Welt projiziert, spiegelt nur zurück, was in der Welt sich vollzog. Das falsche Bewußtsein ist zugleich richtiges, inneres und äußeres Leben sind voneinander gerissen.“ (Adorno 1997e: 44f)

So sind die Akteure von jeher Cyborgs gewesen, diskursiv und perspektivisch ‚festgezurrte‘ epistemische Objekte, die sich in der Neuzeit und vor allem in derModerne besonders auffällig um und am Körper verdichten und gleichsam an ihm ‚haften‘. Der Körper wird in seiner ‚einseitig‘ perspektivischen Herstellung und Wahrnehmung buchstäblich ‚naturalisiert‘, also zur Natur der sich als Akteure inszenierenden Entitäten. Akteure sind auf der einen Seite Cyborgs, aber ohne es zu wissen, und sie erleben sich auf der anderen Seite gerade deshalb als Akteure, weil sie keine Cyborgs sind. Eine körperbezogene Auseinandersetzung ist also beiden Seiten der Medaille geschuldet: Einerseits ist die Naturalisierung von Cyborgs als menschliche Akteure (gleichsam also die Invisibilisierung der Hybridität) einer zu großen Teilen körperbezogenen Praxis geschuldet, andererseits verläuft die grundlagenkritische Auseinandersetzung mit dieser Praxis gerade über der relativen, weil situativen und perspektivischen, Erkenntnis ‚verkörperter‘ Akteure, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um das Ergebnis von Effekten moderner Subjektivitätsherstellung oder hybriden Cyborg-Entitäten handelt: „What the body discourses contribute to situated knowledges is both deconstructive and reconstructive. What is deconstructed is the disembodied, nonperspectival, god-trick epistemology of early modernity. What is reconstructed is the sense of located, perspectival, embodied, and enculturated knowledge that is a praxis and action within and in relation to the surrounding world.“ (Ihde 2002: 71)

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Für Haraway ist also der Prozess der Herstellung von Identität und Verkörperung eine hinter den Rücken der Akteure verlaufende Naturalisierung von an sich frei verhandelbaren und durchlässigen Kategorien der Festlegung. Am Beispiel der Optik – nicht ohne Grund auch Ihdes bevorzugtes exemplarisches Phänomen für die Hybridität und die nie voraussetzungslose sowie wertfreie ‚menschliche‘ Erkenntnisproduktion – veranschaulicht sie diese Einschätzung besonders prägnant: „The ‚eyes‘ made available in modern technological sciences shatter any idea of passive vision; these prosthetic devices show us that all eyes, including our own organic ones, are active perceptual systems, building on translations and specific ways of seeing, that is, ways of life. There is no unmediated photograph or passive camera obscura in scientific accounts of bodies and machines; there are only highly specific visual possibilities, each with a wonderfully detailed, active, partial way of organizing worlds.“ (Haraway 1988: 583)

Das Cyborg bzw. die Cyborg-Metapher steht also für eine verdunkelte ‚Wahrheit‘, wenngleich ‚wir alle schon immer Cyborgs gewesen sind‘, müssen die einseitigen Festlegungen hinsichtlich der Separierung von wahr und falsch, organischem und maschinellem etc. zunächst wieder als verhandelbare, epistemisch erzeugte ‚Entitäten‘ bzw. ‚Objekte‘ aufgeweicht werden. Die von Haraway beschriebene und kritisierte Wirklichkeit ist eine, in der es ‚anscheinend‘ keine Cyborgs gibt, sondern Menschen in Opposition zu Objekten, Männern in Opposition zu Frauen etc. „Haraway nun hat den/die cyborg als eine Kreatur in einer post-gender-Welt bezeichnet. In dieser sind Identitäten insgesamt problematisch geworden. Und die Identität Mensch oder Maschine ebenso wie die von männlich und weiblich ist zu einer Frage der Namensgebung und ständigen Grenzziehung geworden. Die Haut als traditionale Grenzlinie zwischen anderen Körpern und zwischen innen und außen ist durchlässig und kein Garant für Identitätsmarkierungen mehr. Dafür sind alle Objekte, Räume und Körper miteinander durch einen gemeinsamen Code verknüpft. […] Für Haraway taucht die Metapher des cyborgs in jenen bereits genannten transformativen Phasen des Umbruchs und des Übergangs auf. Auf seiner Oberfläche und in seine Struktur eingeschrieben sind Ängste und Begehren gleichzeitig. Der cyborg ist ein verdichtetes Bild, das sowohl imaginäre als auch materielle Realitäten umfaßt. Der cyborg taucht dann auf, wenn Grenzziehungen problematisch geworden sind: wenn die Eindeutigkeit des Menschlichen anderen Organismen gegenüber ins Wanken gerät.“ (Angerer 1999: 177f)

Das Cyborg gibt also eine Wirklichkeit vor, die (noch) nicht existiert und zugleich schon immer wahr ist. Die ‚Doppelbödigkeit‘ – die wie oben schon erwähnt eine gewisse Wahlverwandtschaft zum Konzept des ‚Verblendungszusammenhangs‘ der Kritischen Theorie aufweist – dieser Position ist einer Programmatik geschuldet, die

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wenngleich sie politisch hochaktuell ist (und 1984 zu dem Zeitpunkt der Erstveröffentlichung des „Manifest für Cyborgs“ (1995a) umso beeindruckend ‚aktueller war‘), für die Soziologie als Disziplin kaum anschlussfähig ist und sperrig bleibt, zumindest solange bis Cyborgs tatsächlich ‚zu unserer Ontologie‘ geworden sind. Haraways Modell changiert folglich zwischen Fiktion, Programmatik, erkenntnistheoretisch kritischer Analyse der Wissensproduktion in den Wissenschaften und darauf ‚aufbauender‘ bzw. damit verknüpfter Wirklichkeits(re)produktion innerhalb und jenseits der ‚Laboratorien‘. Ihr ‚Akteurmodell‘ für Cyborgs bleibt zwar nur schemenhaft, eindeutig ist jedoch, dass die Auflösung der klaren ‚abendländischen‘ Zuordnungen nicht zu einer Auflösung der Akteure per se, sondern vielmehr der einer mit Subjektivierungspraxen einhergehenden Konfiguration von (heteronormativer) Identität. Die Konzeption des Cyborg als Akteur, das wird deutlich im Manifest unterstrichen, soll ein ‚konstruktiver‘ Beitrag für die Rekonfiguration von Subjektivität darstellen: „Im späten 20. Jahrhundert, in unserer Zeit, einer mythischen Zeit, haben wir uns alle in Chimären, theoretisierte und fabrizierte Hybride aus Maschine und Organismus verwandelt, kurz, wir sind Cyborgs. Cyborgs sind unsere Ontologie. Sie definieren unsere Politik. Die Cyborg ist ein verdichtetes Bild unserer imaginären und materiellen Realität, den beiden miteinander verbundenen Zentren, die jede Möglichkeit historischer Transformation bestimmen. In der Tradition ‚westlicher‘ Wissenschaft und Politik, der Tradition des rassistischen und patriarchalen Kapitalismus, des Fortschritts und der Aneignung der Natur als Mittel für die Hervorbringung von Kultur, in der Tradition der Reproduktion des Selbst durch die Reflexion im Anderen, hat sich die Beziehung von Organismus und Maschine immer als Grenzkrieg dargestellt. Die umkämpften Territorien in diesem Grenzkrieg sind Produktion, Reproduktion und lmagination. Dieses Essay ist ein Plädoyer dafür, die Verwischung dieser Grenzen zu genießen und Verantwortung bei ihrer Konstruktion zu übernehmen. Es ist zugleich ein Versuch, zu einer sozialistisch-feministischen Kultur und Theorie in postmoderner, nichtnaturalistischer Weise beizutragen. Es steht in der utopischen Tradition, die sich eine Welt ohne Gender vorstellt, die vielleicht eine Welt ohne Schöpfung, aber möglicherweise auch eine Welt ohne Ende ist. Die Inkarnation der Cyborgs vollzieht sich außerhalb der Heilsgeschichte.“ (Haraway 1995a: 34f – Hervorhebung d. V.)

In der Einleitung ist bereits darauf hingewiesen worden, dass Haraway – so einflussreich und reichhaltig gerade dieser Text ist – das Cyborg im Rahmen eines Manifestes vorstellt. Sie spielt damit die Doppelbödigkeit ihrer Position offen aus bzw. koppelt gekonnt die Exoterik an die Esoterik insofern die ‚Art und Weise‘ der Darstellung kongenial zu den inhaltlich vertretenen Aussagen passt. Die vom Verfasser hervorgehobene Passage soll verdeutlichen, dass das Cyborg in einem direkten Verhältnis zu den üblichen ‚Wirklichkeitskonstruktionen‘ steht. Es ist ein Konstrukt, dass exakt

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quer zu den Konstruktionsregeln steht und in eben diese ‚Grenzregion‘ verortet wird, die als die umkämpfteste wahrgenommen wird. In der Literatur wird diese, das gesamte Werk von Haraway bestimmende Unterscheidung selten vorgenommen, sodass entweder das Konzept „Cyborg“ reifiziert wird, so als ob es ‚Cyborgs‘ gebe (bzw. sie verwirklicht werden könnten, indem bspw. ein schönheitschirurgischer Eingriff vorgenommen wird) oder es darauf ankomme, alle möglichen Unterscheidungen aufzulösen. Nichtsdestotrotz, die von Haraway vorgestellte ‚Cyborg Ontologie‘ kommt gänzlich ohne ‚rein‘ menschliche Subjekte (im Sinne von kulturell eingefärbten bzw. hergestellten ‚natürlichen‘ Subjekt-Kategorien) aus und sie weist folglich einen abwesenden Nullwert auf. Letzteres hängt damit zusammen, dass der Nullwert – genauso wie in der Akteur-NetzwerkTheorie – in der Negation des Bestehenden liegt. Der entscheidende Unterschied im Vergleich zur Akteur-Netzwerk-Theorie liegt allerdings darin, dass die Negation nicht durch völlige Symmetrierung erreicht wird, sondern durch eine radikale Infragestellung der bestehenden Ordnung, die durch bestimmte Asymmetrien erzeugt wird. Das Cyborg ist nichts weiter als der Aufruf nach neuen, und zwar von allen Cyborgs (sic!) gemeinsam und gleichermaßen verhandelten Asymmetrien. Abbildung 29: (Nullwert-)Matrize Haraway: Das Cyborg(-Akteur) als Effekt frei verhandelbarer bzw. ‚selbst gesetzter‘, flexibler Asymmetrien

Cyborg(-Akteur)

Soziales

Ihdes Ansatz nimmt tatsächlich eine Mittelstellung ein. Seine historischen Beispiele – insbesondere im Zusammenhang mit optischen Instrumenten – veranschaulichen besonders gut seine Position, wonach der Akteur (als Subjekt gedacht) durch die Kopplung mit Technik verändert wird. Zugleich wird die Bedeutung des Artefaktes ebenfalls durch die Art der Verwendungsweise bestimmt. Subjekt und Objekt treten in ein symbiotisches Verhältnis der Wirklichkeitskonstruktion, die – einmal in einer bestimmten Hinsicht etabliert – ohne entsprechende Kopplungen nicht mehr zugänglich ist. Ein Akteur würde – ganz nach Berger/Luckmann – nicht mehr an der gesellschaftlichen Wirklichkeit partizipieren können, ohne ähnliche ‚Hybridisierungen‘ vorzunehmen. Wobei auch hier – immer noch Berger/Luckmann folgend – die Grenze zwischen Partizipation und Abnormalität fließend ist – mit Partizipation ist hierbei nicht Teilhabe gemeint, sondern auf einer elementaren Ebene ‚soziale Wirklichkeits-Zugangsmöglichkeiten‘. Bemerkenswert an Ihdes Ansatz ist sein Subjektbegriff: Bei aller Transformationsrhetorik hält Ihde an dem Konzept eines unveränderlichen Kerns fest. Diese Argumentationsfigur entspricht der der Klassiker – mit dem gravierenden Unterschied,

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dass Ihde das Subjekt-Objekt Verhältnis explizit als Problembezug thematisiert. Ein weiterer Unterschied stellt der Umstand dar, dass bei ihm die Subjektkategorie wesentlich problematischer ausfällt als bei den Klassikern. Diese führen das Subjekt als Residualkategorie bzw. als abseitigen (Weber), ermöglichenden (Durkheim und Mead), vervollkommnenden (Marx) Effekt des Sozialen mit, wohingegen Ihde das Subjekt als Größe ‚setzt‘, um die Transformationen durch die Objekt-Kopplungen zu thematisieren. Abbildung 30: Nullwert-Matrize Ihde: Das Subjekt als reflexiv-intentionaler Kern einer Akteur-Technik Transformation

Akteur (Subjekt)

Soziales

Technik (Objekt)

Technik

Subjekt

Der im Folgenden unternommene Vorschlag schließt grundsätzlich an Ihde an und orientiert sich zum Teil an Haraway, indem, anstatt der Subjekt-Verankerung eines Akteur-Technik-Soziales-Verhältnisses, die Verankerung im ‚Leben‘ gesucht wird. Abbildung 31: Nullwert-Matrize Akteurmodell für Cyborgs: Das ‚Leben‘ als Nullwert und die ermöglichte Beobachtung von symmetrischer Artifizialität und asymmetrischer Handlungsträgerschaft

Akteur/Cyborg

Soziales

Technik

Technik

Leben

5. T ECHNIKTHEORIEN | 285

5.2 E IN AKTEURMODELL FÜR C YBORGS Es wäre aufgrund biomedizinischer Entwicklungen und all den Bemühungen, die unter der Überschrift ‚Lebenswissenschaften‘ kursieren, nichts gewonnen, wenn der Nullwert als ‚Bios‘ konzipiert würde, und nicht vielmehr als ‚Zoë‘. Der ‚Mensch‘ ist hinsichtlich einer Bestimmung und Selbstbeschreibung auf der Grundlage seines spezifischen, ihn charakterisierenden organischen Materials zu einem hoch problematischen Konstrukt, bzw. schlicht ausgedrückt, zu einem epistemischen Objekt geworden (vgl. Lutterer 2004). Aus der Perspektive einer soziologischen Beschäftigung mit dem Körper mag dies ‚im Prinzip‘ schon immer der Fall gewesen sein (Gugutzer 2004: 49ff). Die Besonderheit und das Neue der gegenwärtigen Situation ist jedoch, dass das, was vordem implizit galt und von einem Beobachter zweiter Ordnung dekonstruiert werden konnte, inzwischen auf der Ebene erster Ordnung faktisch verhandelt wird (vgl. Giddens 1991a: 218f). List beschreibt unter der Zwischenüberschrift „Der prekäre Ort des Phänotyps ‚Mensch‘ im Szenario der Gentechnologie“ (2001: 127) die Entwicklung und Wandlung des Bildes vom ‚Menschen‘ im Zuge gentechnischer Forschung, das jedoch über die Laboratorien hinaus in den allgemeinen Orientierungen alltäglich gelebter Muster einen nicht unerheblichen Resonanzboden gefunden hat – worauf weiter unten im Zuge einer Darstellung der Rekonfiguration von Subjektivität am Fallbeispiel des Computerspielens näher eingegangen wird: „Aufgrund der Verfahrensprämissen der modernen Molekulargenetik ist erforschbares Leben das Herstellbare. Überspitzt gesagt: Erst das Phänomen des ‚Artificial Life‘, auch wenn es vorerst hauptsächlich in Computersimulationen existiert, ist der wissenschaftliche Nachweis dafür, was Leben überhaupt ist. In seinen wissenschaftlich erfaßbaren Aspekten unterscheidet sich Leben nicht von anderen Artefakten der Technikwissenschaft. Der ‚wissenschaftliche Blick‘ ist der des Technikers. Die ‚Wissenschaftlichkeit‘, oder, wie man einmal sagte, die ‚Objektivität‘ wissenschaftlichen Umgangs mit dem Lebendigen, mißt sich am Kriterium der Technizität. Die Essenz auch der Gentechnik ist Technik. Sie sieht den Menschen als potentielles technisches Projekt und Artefakt. Die Eugenik – die traditionelle wie die zeitgenössische Neo-Eugenik – ist auf Gentechnik als Instrument angewiesen. […] Der Mensch der modernen Genetik ist nicht – wie es Dawkins etwas kraß formuliert – die Überlebensmaschine seiner Gene. Er oder sie ist eher jemand, der oder die seinen oder ihren Körper als technisch kontrollierbaren und modellierbaren Apparat betrachtet und zum Zweck der Reparatur oder der Verbesserung den Experten überläßt.“ (List 2001: 133; vgl. Weiß 2009b; Rheinberger/Müller-Wille 2009)

Dieser Verschiebung und verloren gegangenen ‚Selbstverständlichkeit‘ ist es hauptsächlich geschuldet, dass hinsichtlich einer Neujustierung des Nullwertes für die Entwicklung eines Akteurmodells, das der Artifizialität des Akteurs in besonderem

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Maße gerecht werden soll, zwischen Bios und Zoë unterschieden wird. „Bios“ () meint das spezifische Leben einzelner Wesen, wohingegen „Zoë“ () auf die bloße bzw. ‚nackte‘ Tatsache des Lebens hinweist (Agamben 2007:11). Diese auf Aristoteles zurückgehende und gesellschaftswissenschaftlich ursprünglich von Hannah Arendt thematisierte Unterscheidung (Arendt 2010: 101f, 116) wird vorrangig und verstärkt vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen diskutiert (vgl. die Beiträge in Weiß 2009a). Agamben stellt fest, dass die in Vergessenheit geratene Unterscheidung zwischen Bios und Zoë, die von Arendt bereits 1958 vorgestellt worden ist, „von den Schwierigkeiten und den Widerständen, die das Denken in diesem Bereich zu gewärtigen hatte“ (2007: 13) zeugt. Diese ‚Widerstände‘ haben es Foucault ermöglicht Ende der 70er Jahre eine scheinbar ‚originäre‘ Gegenwartsdiagnose zu formulieren, wonach sich der Territorialstaat zu einem Bevölkerungsstaat neu ordnet, obgleich Arendt „bereits Ende der fünfziger Jahre […] den Prozeß analysiert, der den homo laborans und mit ihm das biologische Leben zunehmend ins Zentrum der politischen Bühne der Moderne rückt. Sogar die Veränderung und den Niedergang des öffentlichen Raumes hat Hannah Arendt auf diesen Vorrang des natürlichen Lebens vor dem politischen Handeln zurückgeführt.“ (Agamben 2007: 13)

Sie hat damit zumindest im Ansatz die zwei Stoßrichtungen vorweggenommen, die sich im Anschluss an Foucaults Begriffe der ‚Biopolitik‘ und ‚Gouvernementalität‘ entwickelt haben: „[A]uf der einen Seite das Studium der politischen Techniken (wie die Polizeiwissenschaft), mit denen der Staat die Sorge um das natürliche Leben der Individuen übernimmt und in sich integriert; auf der anderen Seite das Studium der Technologien des Selbst, mittels deren sich der Subjektivierungsprozeß vollzieht, der die Individuen dazu bringt, sich an die eigene Identität und zugleich an eine äußere Kontrollmacht zu binden. Es ist offensichtlich, daß diese beiden Linien […] sich an mehreren Punkten verknoten und auf ein gemeinsames Zentrum verweisen. In einer seiner letzten Schriften stellt Foucault fest, daß der moderne westliche Staat in einem bislang unerreichten Maß subjektive Techniken der Individualisierung und objektive Prozeduren der Totalisierung integriert hat; er spricht von einem eigentlichen ‚politischen double bind, das die gleichzeitige Individualisierung und Totalisierung der modernen Machtstrukturen bildet‘ […].“ (Agamben 2007: 15)

Agamben möchte das ‚Zentrum‘ auf den die Verknotungspunkte hinweisen – dem sich Foucault nicht explizit gewidmet hat – in den Blick nehmen und verweist dabei auf das die Polis charakterisierende Verhältnis zwischen dem ‚nackten Leben‘ und dem ‚guten Leben‘ bei Aristoteles. Seine Argumentation erinnert an Blumenbergs Ausführungen zu Hobbes’ Staatstheorie, wonach der Staat „das erste Artefakt [ist],

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das nicht die Lebenssphäre in Richtung auf eine Kulturwelt anreichert, sondern ihren tödlichen Antagonismus beseitigt.“ (Blumenberg 1981a: 114f). Es ist insofern nicht verwunderlich, dass Agamben (2007: 9) seinen Ausführungen eine Passage aus Hobbes „Vom Bürger“ (1994b: 79f) als Motto voranstellt. Die Parallelen zu Blumenbergs Hobbes Interpretation treten besonders stark im Vergleich zu Agambens allgemeiner Charakterisierung des ‚nackten Lebens‘ als ausgeschlossenes, konstitutives ‚Gegenstück‘ der Polis ( ) bzw. allgemeiner gefasst des ‚Sozialen‘ in den Vordergrund: „Foucaults Feststellung, der Mensch sei Aristoteles zufolge ‚ein lebendes Tier, das auch einer politischen Existenz fähig ist‘, muß konsequent [in sein Denken und damit darüber hinausgehend] integriert werden, und zwar in dem Sinn, daß gerade die Bedeutung dieses ‚auch‘ problematisch ist. Die eigentümliche Formel ‚Entstanden um des Lebens willen, aber bestehend um des guten Lebens willen‘ kann nicht nur als Einbeziehung der Zeugung […] in das Sein […], sondern auch als eine einschließende Ausschließung […] der zoë aus der polis gelesen werden, beinah als ob die Politik der Ort wäre, an dem sich das Leben in gutes Leben verwandeln muß, und als ob das, was politisiert werden muß, immer schon das nackte Leben wäre. Dem nackten Leben kommt in der abendländischen Politik das einzigartige Privileg zu, das zu sein, auf dessen Ausschließung sich das Gemeinwesen der Menschen gründet.“ (Agamben 2007: 17)

Die schwierige Unterscheidung von Bios und Zoë: Das ‚nackte Leben‘ als Nullwert der Akteur-Soziales Differenz oder als Gegenstand im sozialen Raum?

Agamben buchstabiert Blumenbergs impressionistisch verbleibende Bemerkungen über Hobbes’ Menschenbild aus und bringt diese hinsichtlich des hier zu entwickelnden Akteurmodells in eine argumentativ verhandelbare Spur: Wenn die Polis oder der Staat den tödlichen Antagonismus bzw. die Unmöglichkeit der Überlebensfähigkeit des ‚Menschen‘ beseitigt, so schlägt Agamben mit Foucault – und freilich über Hobbes hinausgehend – vor, die Paradoxie der natürlichen Unnatürlichkeit aufzulösen, indem die (ausgeschlossene) ‚Natur des Menschen‘ im ‚nackten Leben‘ verortet wird. Das heißt, jenseits der Natur des Menschen, die nach ‚Unnatürlichkeit‘ verlangt, lässt sich ein Rest ausmachen, der positiv bezeichnet werden kann, obwohl er faktisch ex negativo wirkt, nämlich das nackte Leben bzw. die bloße Tatsache des Lebens. Anders als Hobbes wird allerdings die ausgeschlossene Seite weder als eine vorhistorische bzw. -soziale Wirklichkeit noch als eine der Theorie zweckdienliche, utopische Ausgangsfolie verstanden. Der ‚Ort‘ an dem der ‚Mensch‘ seinen Akteurstatus verliert und auf die elementare Tatsache seines organischen Daseins ‚reduziert‘ wird, ist eine notwendige Inszenierung der ‚Außenseite‘ dessen, was sich als Effekt dazu herstellt und stabilisiert: ein geordneter, sozialer Raum. Die Aussortierung von nacktem Leben ermöglicht die Einrichtung sozialer Ordnung.

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Nach Agamben tritt in der Moderne die Zoë in ungleich radikaler Weise in den Kernbereich der Polis, nämlich auf der Ebene der Akteure, ein. Als konstitutives Element für die ‚positive‘ Markierung dessen, was ‚gutes Leben‘ bedeutet, hat die bloße Tatsache des Lebens allerdings seit jeher – so zumindest nach Agamben – eine (bzw. vielmehr die) konstitutive Rolle zur Herstellung des Sozialen gespielt. Die Argumentation lässt sich ohne weiteres mit der hier vorgeschlagenen Lesart eines Nullwertes innerhalb der elementaren Struktur von Subjekt, Akteur und Soziales verbinden, insofern der ‚Ort‘ des ‚nackten Lebens‘ leer ist und lediglich eine Funktion der Stabilisierung von grundlegenden Signifikanten erfüllt: „Die anthropologische Maschine der Alten funktioniert exakt spiegelverkehrt. Wenn die Maschine der Modernen das Außen mittels Ausschließung eines Innen erzeugt, so wird hier das Innen mittels Einschließung eines Außen hervorgebracht, der Nichtmensch mittels Humanisierung eines Tieres: des Menschenaffen, […] aber auch und vor allem des Sklaven, des Barbaren, des Fremden als Figuren des Animalischen mit menschlichen Formen. Beide Maschinen [die ‚der Alten‘ und der ‚Moderne‘] können nur dadurch funktionieren, daß sie in ihrem Innern eine Zone der Ununterschiedenheit einrichten, in der sich – wie ein missing link, das immer fehlt, weil es virtuell schon da ist – die Verbindung zwischen dem Humanen und dem Animalischen, zwischen Mensch und Nicht-Mensch, Sprechendem und Lebendem ereignen muß. In Wahrheit ist diese Zone wie jeder Ausnahmeraum völlig leer, und das wahrhaft Humane, das sich hier ereignen sollte, ist lediglich der Ort einer ständig erneuerten Entscheidung, in der die Zäsuren und ihre Zusammenfügung stets von neuem verortet und verschoben werden. Was auf diese Weise erreicht werden sollte, ist jedenfalls weder ein tierisches noch ein menschliches Leben, sondern bloß ein von sich selbst abgetrenntes und ausgeschlossenes Leben – bloß ein nacktes Leben.“ (Agamben 2005: 47f)

Die Zoë nimmt nach Agamben in der Moderne – so ähnlich wie dies bereits Arendt in den 50er Jahren dargestellt hat – eine Schlüsselrolle ein, hinsichtlich der Konstituierung des ‚Menschen‘ als vergesellschaftetes Wesen, da „die Grenze, die einmal zwischen Individuen oder sozialen Gruppen verlief, nun in die individuellen Körper hineingenommen und gewissermaßen ‚verinnerlicht‘ wird.“ (Lemke 2008: 97) Im Unterschied zu ‚den Alten‘, also zu vormodernen Epochen, konstituiert sich die Bedeutung dessen was ‚ein Mensch‘ sei, ständig über die Differenz zur bloßen Tatsache des Lebens, und zwar ‚im Inneren eines jeden Akteurs‘. Als im Rahmen vormoderner Sozialität zwar ähnlich konstitutives, aber ausgeschlossenes, von der ‚Normalität‘ des sozialen Raumes abgetrenntes Element wird das ‚nackte Leben‘ nun fortwährend mitgeführt – die Ausnahme wird folglich zur Regel (vgl. Lemke 2008: 89, 96). Wie Lemke feststellt, bleiben Agambens Deutungen in dieser Hinsicht nebulös: Was es genau bedeutet, dass nunmehr das „nackte Leben […] nicht mehr an einem besonde-

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ren Ort oder in einer definierten Kategorie eingegrenzt [wird], sondern […] den biopolitischen Körper jedes Lebewesens“ (Agamben 2007: 148) bewohnt, lässt sich vielfältig ausdeuten. Im Gegensatz zu Agamben, der diesen Prozess vornehmlich (aber nicht nur) geisteswissenschaftlich und anhand weniger, besonders markanter (bspw. Konzentrationslager), historischer Ereignisse rekonstruiert, ‚operationalisiert‘ Braidotti (2009) diesen Gedankengang, indem sie versucht die konkreten gesellschaftlichen Ursachen und Auswirkungen für diese ‚Verschiebung‘ ausfindig zu machen. Dem ‚Leben‘ eine epistemische Schlüsselrolle innerhalb der Wissenschaften zuzuweisen, die eine Normalisierungs- und Ermöglichungsfunktion für die Konstitution des modernen Subjektes einnimmt, stellt in der historischen Wissenschaftsforschung kein Novum dar (vgl. bspw. Canguilhem 2001a; 2001b; Plessner 1975: 3; List 2001: 19ff; hinsichtlich einer erkenntnistheoretischen Dimension Borsche 1997: 263). Braidotti weist allerdings dem ‚Leben‘, auf der Grundlage einer durch die Unterscheidung zwischen Bios und Zoë ermöglichten Rhetorik, einen eindeutigen Platz hinsichtlich der Herstellung gesellschaftlicher Wirklichkeit zu. Diesen richtet sie hauptsächlich an Herrschaftsund Machtstrukturen aus und schießt dabei deutlich über das Ziel hinaus, da sie das ‚Subjekt‘ als sozialrelevante Form unbeachtet lässt bzw. es als ‚überholt‘ und für eine kritische Auseinandersetzung mit sozialer Wirklichkeit als schlicht unzeitgemäß betrachtet. Die zunehmende Bedeutung des ‚Lebens‘ verortet sie im Wesentlichen als Folge biomedizinischer und technikwissenschaftlicher ‚Fortschritte‘, die sie als die maßgeblichen Faktoren dieser Entwicklungen wahrnimmt. Zugleich koppelt sie ihre Beschreibungen an eine radikale Kritik ökonomischer Verhältnisse globalen Maßstabs, denen weiter unten nur in Ansätzen nachgegangen werden soll. Ähnliche Tendenzen (und teilweise auch Beispiele), wenngleich etwas vorsichtiger formuliert, lassen sich allerdings auch bei Agamben finden: „Angesichts dieser extremsten Figur des Humanen und des Inhumanen geht es nicht so sehr um die Frage, welche der beide Maschinen (oder der beiden Varianten derselben Maschine) die bessere oder wirksamere sei – oder eher die weniger blutige und todbringende –, als vielmehr darum, ihre Funktionsweise zu begreifen, um sie gegebenenfalls zum Stillstand zu bringen.“ (Agamben 2005: 48)

Die von Agamben als ‚Maschine‘ bezeichnete Funktionsweise moderner Subjektivitätskonstitution soll hier nicht zum Stillstand gebracht werden, sondern vielmehr verwendet werden für die Formulierung eines Akteurmodells, das auf hybride Entitäten, die als Cyborg beschrieben werden können, bezogen werden soll. Die Gegenwartsdiagnosen von Agamben, Braidotti und Arendt dienen also hauptsächlich dafür, geistesgeschichtliches und gesellschaftsdiagnostisches ‚Anschauungsmaterial‘ für ein Akteurmodell bereitzustellen, das auf der Differenz von Zoë und Bios beruht, wobei

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der Bios auf das Subjekt bzw. den Akteur verweist. Es geht hier also nicht darum, deren Darstellungen im Einzelnen das Wort zu reden (geschweige denn die bspw. gegen Agamben formulierte, sehr scharfe Kritik hinsichtlich einer Nivellierung von diktatorischen und demokratischen politischen Verhältnissen zu thematisieren (vgl. Lemke 2008: 93)), als vielmehr das Element des ‚Lebens‘, das in dem hier vorgeschlagenem Akteurmodell eine zentrale Rolle spielt, zu spezifizieren und darüber hinaus Hinweise zu sammeln, wieso es Sinn machen könnte über eine rein theoretische Rekonstruktion und Begründung hinaus, dem ‚Leben‘ im Rahmen eines zeitgemäßen Akteurmodells Rechnung zu tragen. Braidottis Ausführungen werden von der These getragen, dass das „biozentrische Modell des technologisch vermittelten Subjektes der Postmoderne bzw. des Spätkapitalismus […] voll von inneren Widersprüchen“ ist und es die Aufgabe der „Critical Theory“ sei, über „diese Buch zu führen“ (Braidotti 2009: 130). Ihr ‚Programm‘ und wesentliche gesellschaftliche Entwicklungen, die dieses rechtfertigen, beschreibt sie wie folgt: „Unter genetischem Biokapitalismus verstehe ich nicht so sehr ein fest umrissenes Konzept als vielmehr ein Netz vielschichtiger, heftig umstrittener Diskurse und sozialer Praktiken, die auf die Regulierung des Lebens und der lebenden Materie abzielen. Bei der gegenwärtigen biopolitischen Wende hin zu einer posthumanen Politik des ‚Lebens‘, verstanden als ‚Bios‘ und ‚Zoë‘, der ich mich im Folgenden zuwenden möchte, spielen vor allem die Genetik und die Biotechnologie in Verbindung mit diversen Informationstechnologien eine zentrale Rolle. Die wachsende gegenseitige Abhängigkeit von Lebewesen und Technologien schafft eine neuartige symbiotische Beziehung zwischen Leben und Technik, die sowohl die humanistische Vorstellung vom Menschen als dem Maß aller Dinge als auch die anthropozentrische Hybris ersetzt, der zufolge das ‚Humanum‘ das Zentrum aller diskursiven und sozialen Praktiken darstellt. Die radikale Kritik am Anthropozentrismus deckt ein Gewirr materieller, biokultureller und symbolischer Kräfte auf, die der Entstehung der modernen Subjektivität und den gegenwärtigen sozialen Praktiken zugrunde liegen. Dieses Gewirr unterschiedlicher ineinander verwobener Kräfte ist es, was ich als ‚Zoë‘ oder als nichtmenschliches Leben bezeichne.“ (Braidotti 2009: 108)

Sie veranschaulicht den ‚genetischen Biokapitalismus‘ anhand verschiedener Beispiele, die wenngleich sie auch plausibel genug erscheinen, um zu rechtfertigen, dass es angemessen erscheint, sich der Differenz von Bios und Zoë verstärkt zu widmen, trotzdem – und zwar bei Weitem – nicht ausreichen, um von einem ‚Paradigmenwechsel‘ zu sprechen. Diese Feststellung (ohne Sarkasmus könnte sie unter Umständen auch als Attitüde umschrieben werden) gehört zum Kanon der Wissenschaftsund Technikforscher, die sich im weitesten Sinne der ‚kritischen Theorie‘ verpflichtet sehen und im Fahrwasser von Nicholas Rose arbeiten (maßgeblich hierbei ist Rose 2001). Soziologisch nüchtern betrachtet, kann es sich dabei nur um eine Form von

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Ignoranz oder Selbststilisierung handeln – dass sozialstrukturelle Merkmale (wie ethnische Herkunft, soziale Herkunft, Geschlecht etc.) sich weder aufgelöst haben, noch es Anzeichen dafür gibt, dass ihre Sozialrelevanz deutlich abnehmen würde, liegt auf der Hand. Stattdessen lässt sich gerade im Zusammenhang solcher Entwicklungen das Einflechten in bestehende, Ungleichheit erzeugende Muster und Praxen konstatieren (vgl. bspw. Lemke 2010; Lemke/Wehling 2009; Wehling 2008). Nichtsdestotrotz gilt es diesem ‚Diskurs‘ Aufmerksamkeit zu schenken, denn die beobachteten und thematisierten Transformationsprozesse lassen sich – zumindest der Tendenz nach – nur unschwer leugnen. Im Rahmen einer kritisch motivierten Beobachtung von Gegenwartsgesellschaften (hier müsste selbstredend auch weiter spezifiziert werden, von welchen ‚Gesellschaften‘ die Rede ist), sollte es stattdessen darum gehen, mit dem ‚Leben‘ (Zoë) verknüpfte Praxen und diskursive Darstellungsweisen von Subjektivität (als Bios) in Strukturierungsmodelle zu integrieren. Um es mit Foucault zu versuchen: Die Episteme ‚Mensch‘ ist noch nicht wie ein Gesicht im Sand, das von einer Welle umspült wird, verschwunden (Foucault 1995: 462). In einigen Hinsichten verändert hat sich allerdings die Art und Weise, wie dieses Gesicht vor der wiederkehrenden Flut ‚geschützt‘ wird. Hierbei lässt sich durchaus – zumindest spricht einiges dafür – eine Verschiebung konstatieren, die es angebracht erscheinen lässt, sich der Bios- vs. ZoëThematik zu widmen. Es gibt allerdings aus einer soziologischen Perspektive (noch immer) genug ‚gegenstandsbezogene‘ Hinweise dafür, die es angebracht erscheinen lassen, von einer Entität (Akteur) und dem Verhältnis zu seiner Umwelt (Soziales) auszugehen (vgl. in diesem Zusammenhang die alles andere als überraschenden – aber vermutlich umso dringlicher zu konstatierenden – Befunde von Thompson 2009). Insofern dieses Verhältnis als ein interdependentes gedacht wird, erscheint es also weiterhin angebracht zu fragen, inwiefern der Akteur als Entität sich konstituiert, indem er als eine Seite der Gleichung diese derart reflektiert, dass veränderte wirklichkeitskonstituierende Prozesse sich in ihm widerspiegeln. Anders ausgedrückt: Wenn Agentensysteme als ‚mithandelnd‘ in Erscheinung treten und biomedizinische Erkenntnisse sowie medizinische Eingriffe das organische Material (aus dem Menschen bestehen) manipulierbar und damit beliebig werden lassen, familienpolitische und epidemiologische Maßnahmen die Reproduktion (des Lebens) den Bestand (des humanen Materials) betreffen, welche Auswirkungen hat das auf die Konstitution von Subjektivität? Und zwar von Subjektivität als einen Modus der (immer noch) wirksamen Inverhältnissetzung von Entitäten (Akteuren) zu ihrer Umwelt. Auch Braidotti kippt allerdings das Kind mit dem Badewasser aus: „Mehr als den Bios, d. h. den politischen Diskurs über das Leben, schätze ich die Zoë, das vitalistische, prehumane und generative Leben. Ich vertrete die These, dass das Aufkommen der Zoë, wie es sich gegenwärtig vor unseren Augen abspielt, einen Paradigmenwechsel in der

292 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Biopolitik im Allgemeinen und in der Politik der Differenz im Besonderen erforderlich macht. […] Im Folgenden will ich versuchen, diese These näher zu erläutern. Das Aufkommen einer Politik des Lebens bzw. einer Politik des ‚Lebens selbst‘ untergräbt die Relation zwischen dem Selben und dem Anderen, die freilich bereits in der Postmoderne brüchig geworden war. Die daraus resultierende neue Beziehung zur Frau, zum Eingeborenen, zur Natur (hier Platzhalter einseitig sexualistischer, rassistischer und naturalistischer Sichtweisen) untergräbt die Macht des Einen und damit die Praxis der Wiederholung des Selben. Das ganze Interaktionsgefüge wird durch das Auftauchen der Zoë neu organisiert, so dass nun das ‚Andere‘ des Menschen, Letzterer verstanden als anthropozentrische Vision des leiblich verkörperten Subjekts, zum Thema wird. Das ist das andere Gesicht des Bios, d. h. die Zoë, verstanden als das generative Leben des nicht/oder prehumanen bzw. animalischen Lebens. Diese prehumane Kraft stimmt in überraschender Weise mit zahlreichen Aspekten der nichtmenschlichen Möglichkeiten gegenwärtiger Technologien überein. Denn die nichtmenschliche Kraft des Lebens und die moderne Technologie konvergieren in der Produktion von Diskursen, die das ‚Leben‘ zum Subjekt und nicht mehr nur zum Objekt sozialer und diskursiver Praktiken machen.“ (Braidotti 2009: 113)

Einige Seiten weiter wird schließlich unverblümt die Zoë als ‚posthumane Kraft‘ dargestellt, die im Begriff ist alle bisherigen zentralen Differenzen ‚mit einem Wisch‘ auszuradieren: „Das Leben, das uns bewohnt, ist nicht unseres: wir haben es lediglich eine Weile geliehen bekommen. Das Leben ist halb tierisch, Zoë (Zoologie, Zoophilie, Zoo), und halb diskursiv, Bios (Bio-Iogie). Während die Philosophie immer die klassische Unterscheidung hochgehalten hat, die den Bios privilegierte, fordert die gegenwärtige kritische Theorie eine ernsthafte Neufassung dieser Beziehung. Die Zoë ist nicht länger die schwächere Hälfte eines Paares, bei dem der Bios, verstanden als vernünftiges, diskursives Leben, im Vordergrund steht. Der falsche Humanismus jahrhundertelanger christlicher Indoktrinierung über die Zentralität des ‚Menschen‘ verfängt nicht mehr. Der Geist-Körper-Dualismus, dem historisch die Funktion zukam, über die Komplexität der Verhältnisse hinwegzutäuschen, hat an Überzeugungskraft verloren. Die Zoë, verstanden als posthumane Kraft, steht heute im Mittelpunkt. Sie umfasst alle Tiere und anderen Erdbewohner. Früher nannte man das ‚Natur‘ und konstruierte es als das konstitutiv Äußere zur menschlichen Polis. Heute aber markiert die Zoë nicht mehr das dem Subjekt Äußere.“ (Braidotti 2009: 125f; vgl. Rose 2001: 21)

So fragwürdig diese überschwänglichen Schilderungen auch sein mögen, sie stellen die ins Extreme ausformulierte Fassung von Blumenbergs Hobbes Interpretation dar. Von Hobbes über Blumenberg zu Agamben, Arendt und Braidotti schält sich eine andere, mögliche Version des modernen Akteurs heraus als die, die in den soziologischen Theorien, die zum Kern der Disziplin gehören, üblicherweise zur Anwendung kommt. Der Akteurbegriff, der hier zum Vorschein kommt, geht nicht auf eine Geist-

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Materie Differenz zurück, sondern auf die notwendige Artifizialität des Akteurs im Gegensatz zu seiner (nicht aussprechbaren, weil unmöglichen) ‚Natürlichkeit‘. Die ‚unmögliche‘ Seite dieser Differenz, die – worauf vor allem Arendt hinweist – bereits in Marx’ Inverhältnissetzung seines anthropologischen Modells mit einer kapitalistischen Gesellschaftsform angelegt ist, wird von Hobbes vorgezeichnet und in neueren Ansätzen in dem Konzept der Zoë identifiziert. Anders als Braidotti, die nun die Zoë als Quasi-Gegenstand thematisiert sehen möchte, verwendet Agamben die Zoë (zumindest im Rahmen einer theoretischen Darstellung seines Ansatzes) als Chiffre für eine Leerstelle, die dem klassischen Nullwertkonzept im Allgemeinen durchaus entspricht. Genauso wie Lévi-Strauss im Gegenstand die Notwendigkeit eines Nullwertes im ‚Mana‘ identifiziert, schlägt Agamben für die Konstituierung des Sozialen die Zoë vor. Das Element bleibt per se unbestimmt und definiert sich immer nur ex negativo als Opposition zum Sozialen. Die positive Markierung des eingeschlossenen Akteurs wird hergestellt über den drohenden Verlust dieses Status’, was sich in der Manifestation einer Rückführung auf den Zustand einer ‚nur noch mit Leben ausgestatteten Entität‘ historisch in den unterschiedlichsten Varianten materialisiert. Dieser Zustand findet natürlich weder im Rahmen eines rein imaginierten oder gar ‚vorsozialen‘ Ort statt. „Das ‚nackte Leben‘ verweist daher nicht auf eine ursprüngliche oder überhistorische Blöße, sondern stellt eine zugleich nachträgliche wie verhüllende Nacktheit dar, die künstlich hergestellt wird und die gesellschaftlichen Markierungen und Symbolisierungen verdeckt. Die Differenz zwischen nacktem Leben und rechtlicher Existenz ist also ebenso eine politische Strategie wie der Unterscheidung zwischen Norm und Ausnahme eine normative Entscheidung vorausgeht […].“ (Lemke 2008: 91)

Genauso wie das Subjekt ein Produkt der Neuzeit darstellt, das im Rahmen der Entwürfe der Klassiker nichtsdestotrotz die Position eines Nullwertes eingenommen hat, ist auch die Zoë selbstredend kein Element aus dem soziologischen Nirwana (dies anzunehmen, würde einer vormodernen, beobachterinunabhängigen Position gleichkommen). Der wesentliche Unterschied zum Subjekt ist dass dem Element der ‚Zoë‘ eine deutlich allgemeinere Bedeutung innerhalb der Signifikantenstruktur beigemessen werden kann und sich unter Umständen im Gegenstand Tendenzen abzeichnen, die es zudem in besonderer Weise angemessen erscheinen lassen, dieses Element – anstatt des Subjektes – als ‚neuen‘ Nullwert ‚einzusetzen‘. Ungeachtet dieser zuletzt genannten gegenstandsbezogenen Einschätzung (die ohne Weiteres außer Acht gelassen werden kann bzw. keinen Anspruch hinsichtlich einer legitimatorischen Funktion für das ‚neue‘ Akteurmodell beansprucht), kann ein dritter, wichtiger Aspekt darin gesehen werden, dass diejenigen Merkmale, die das Subjekt auszeichnen und von dem modernen Akteur hergestellt bzw. geleistet werden (müssen, um als solcher

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zu gelten), mit einem Akteurmodell, das ohne dieses Element auskommt, deutlich besser in Erscheinung treten. Leben als Nullwert: Zu einer soziologischen Einordnung der Unterscheidung von Bios und Zoë

Vor diesem Hintergrund eignet sich das Leben (die Zoë) als – wie es den Anschein hat sehr elementarer – Nullpunkt besonders gut, um die innerhalb der gegenstandsbezogenen Differenz von Akteur und Soziales wirkenden Mechanismen in den Blick zu nehmen, die zur Herstellung des ‚Subjektes‘ als eine spezifische Form des modernen Akteurs führen. Agambens Darstellungen der angezeigten Differenz von Bios und Zoë hinsichtlich ihrer für die Moderne ‚neuen‘ bzw. veränderten Bedeutsamkeit (wenngleich im Prinzip hinsichtlich ihrer konstitutiven Bedeutung für das Soziale nicht zugenommenen Tragweite) geht nicht deutlich umsichtiger mit dem Stellenwert der Zoë um als viele unmittelbar auf die Lebenswissenschaften rekurrierenden Ansätzen. Aufgrund der Herleitung dieses Elementes aus der frühen Entstehungsgeschichte abendländischer Rechtsprechung und nicht zuletzt einer schwammigen Diagnose bezüglich aktueller Tendenzen, sind die Spielräume einer daran anknüpfenden Entfaltung des Begriffes allerdings deutlich größer – und ebenso dessen Kritikwürdigkeit (vgl. Lemke 2008: 107ff). Anstatt von einer Reifikation des Elementes auszugehen, so wie ihn Braidotti, Rose und andere Nahe legen, bei denen die Zoë ein positiv identifizierbares Element im Gegenstand darstellt, oder von der Darstellung als eine – wie es Lemke (2008: 105) in kritischer Absicht fasst – ontologische Kategorie der Biopolitik bei Agamben, kann dieses im Gegensatz zum Bios nie mehr als eine Chiffre sein. Denn das unbestimmte Leben kann immer auch nur ein unbezeichenbares Leben bleiben, das höchstens ex negativo gedacht, aber nicht positiv bestimmt werden kann. Schließlich entfernt sich folglich die hier vorgeschlagene Verwendung des Begriffes auch von Agamben. Worauf es hier aber ankommt, ist die Tatsache, dass eine ArgumentationsLinie entwickelt werden kann, die von Aristoteles über Hobbes in die Gegenwart reicht und mit dieser Differenz soziale Phänomene zu beschreiben sucht. Zudem gibt es nicht wenige auch konkrete empirische Anzeichen, die es angebracht erscheinen lassen, diese Differenz stärker in den Blick zu nehmen. Schließlich spricht einiges dafür, der Zoë als Leerstelle eine (neuerdings) tragende Rolle bei der Konstituierung von (ambivalenter) Subjektivität zuzuweisen. Allerdings, und das ist die Krux der Verwendung dieses Begriffes, zeigt sich gerade in der einerseits historisch zu verortenden Bedeutung, die das ‚Leben‘ als den ‚Menschen‘ auszeichnendes Element ausweist, und den aktuellen Verwendungsweisen im Zusammenhang mit den Themenfeldern der Biopolitik und Gouvernementalität, dass eine Präzisierung erfolgen muss (vgl. Lemke 2008: 105f). Lemke macht

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darauf aufmerksam, dass das ‚Leben‘ in der von Agamben auf die Biopolitik bezogenen Verwendungsweise unterschieden werden muss von der Bedeutung, die es in der Antike hatte. Zugleich möchte Agamben gerade in der Kontinuität (deshalb schreibt ihm Lemke eine ontologisierende ‚Übertreibung‘ vor) der konstitutiven Bedeutung des Elementes für den Aufbau (im weitesten Sinne) ‚sozialer Ordnung‘ die Tragweite einerseits des Elementes sowie andererseits der gegenwärtigen Lage herausarbeiten. Insofern die Differenz im und vom ‚Einzelnen‘ ausgetragen wird bzw., sehr grob ausgedrückt, die durch die Ausgrenzung hergestellte Sicherheit des Einschlusses – angeblich – keine dem Akteur äußerliche mehr ist. Die wichtige Kritik gegenüber Agamben hinsichtlich der Nivellierung des ‚Lebens‘ als historisch nicht kontingenter Größe, die statt dessen, im Sinne einer biopolitischen Deutung, unauflöslich und konstitutiv mit der Herstellung einer bestimmten sozialen Wirklichkeit verbunden ist, kommt im folgenden Zitat von Lemke sehr deutlich zum Vorschein: „Agambens Versuch einer expliziten Korrektur Foucaults (vgl. [Agamben 2007: 19]) gibt dessen zentrale Einsicht preis, dass Biopolitik ein historisches Phänomen darstellt, das nicht von der Herausbildung des modernen Staates, der Entstehung der Humanwissenschaften und der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse zu trennen ist. Ohne diese notwendige historisch-gesellschaftliche Situierung des biopolitischen Projekts wird das ‚nackte Leben‘ zu einem Abstraktum, dessen komplexe Entstehungsbedingungen ebenso unklar bleiben müssen wie seine politischen Implikationen. […] Agamben neigt dazu, die historische Differenz zwischen Antike und Gegenwart, Mittelalter und Moderne zu verwischen. Er blendet nicht nur die Frage aus, was Biopolitik mit der Produktion ‚lebendiger Arbeit‘ und einer politischen Ökonomie des Lebens zu tun hat, sondern unterschlägt auch die Bedeutung der Geschlechterdimension für seine Problemstellung. Er untersucht nicht, inwieweit die Produktion ‚nackten Lebens‘ auch ein patriarchales Projekt ist, das durch die strikte und dichotomische Aufteilung von Natur und Politik die Geschlechterdifferenz festschreibt.“ (Lemke 2008: 107)

Agamben weitet also einerseits eine moderne Wahrnehmung der Konstitutionslogik von sozialer Wirklichkeit auf die gesamte Ideengeschichte des Abendlandes aus und übertreibt andererseits hinsichtlich der zeitgenössischen Diagnose. Wenngleich Lemkes Vorwurf, Agamben würde durch ein ‚modernes‘ Verständnis vom ‚Leben‘ im Zusammenhang mit typisch modernen oder zumindest neuzeitlichen Aspekten der Biopolitik, die Relevanz dieses Elementes und bestimmter Praktiken in vormodernen Epochen nicht gerecht werden, liegt zugleich hierin der Hauptgrund für die Möglichkeit einer konsequenten Rückbindung des Elementes an soziale Praxis im Allgemeinen. Nichtsdestotrotz kann Agamben also eine doppelte Übertreibung vorgeworfen werden: Die Ausweitung eines biopolitischen Verständnisses vom ‚Leben‘ auf die gesamte Entwicklung politischer (sozialer) Praxis des Abendlandes sowie eine übertriebene Deutung des Stellenwertes des Lebens (als Zoë) für den aktuellen Aufbau

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sozialer Wirklichkeit. Für das zu entwickelnde Akteurmodell ist Agambens Rekonstruktion dennoch äußerst wertvoll; allerdings müssen hierfür zunächst diese strittigen Punkte ausgeräumt bzw. entsprechend der hier vorgeschlagenen Lesart nachjustiert werden. Hinsichtlich des ersten Punktes kann die Ausweitung einer zeitgenössischen Sichtweise auf die Entwicklung sozialer Praxis instruktiv sein, wenngleich streng genommen freilich nicht legitim. Andererseits stellt sich die Frage, inwieweit die Verfasstheit sozialer Wirklichkeit vergangener Epochen überhaupt adäquat erfasst werden könnte. Schließlich kann diese immer nur von einem gegenwärtigen Standpunkt aus betrachtet und eingeschätzt werden. Da das vorgeschlagene Akteurmodell von vornherein als zeitlich befristetes vorgeschlagen wird, das nur für eine bestimmte historische Wirklichkeit Gültigkeit für sich beanspruchen kann, wird Agambens ‚Rundumschlag‘ als von einem gegenwärtigen Standpunkt aus entfaltete Sichtweise verwendet, die in der Lage ist die konstitutive Bedeutung, die dem Leben derzeit zukommt, zum Vorschein zu bringen. Als heuristischer Exkurs eignet sich folglich der Verweis auf die konstitutive Bedeutung des Lebens für den Aufbau und die Stabilisierung sozialer Wirklichkeit durchaus. Der zweite damit zusammenhängende Aspekt ist zwar auch instruktiv, hier muss allerdings deutlicher nachgebessert werden. Hinsichtlich seiner, wie dargelegt worden ist, ‚illegitimen‘, weil ‚ahistorischen‘ Ausweitung des Elementes der Zoë, werden von Agamben in gewisser Weise zwei Formen der politischen Praxis (bzw. sozialen Ordnung) gegenübergestellt. In beiden kommt dem ‚nackten Leben‘ die Bedeutung zu als das konstitutiv ‚Andere‘ des Sozialen, das Diesseitige einzugrenzen und damit zu stabilisieren. Seine Gegenwartsdiagnose sieht die Wirkungsweise dieser Gegenüberstellung im Individuum ‚eingelagert‘. Hier wird – ähnlich der in diesem Abschnitt vorgenommenen Kritik an Braidotti – dieser Deutung jedoch im Einzelnen nicht entsprochen. Lediglich die Grundfigur einer verstärkt auf der Ebene des Akteurs zu verortenden Differenz zwischen Ein- und Ausschluss wird übernommen und sozialtheoretisch allerdings nahezu vollständig um- bzw. überschrieben. Abbildung 32: Schematische Darstellung: Das ‚nackte Leben‘ als manifester ‚Ausnahmezustand‘ des Sozialen (nach Agamben)

Akteur

Soziales

Zoë

Bios/Sozialraum

5. T ECHNIKTHEORIEN | 297

Agamben sieht den Ort einer konstitutiven Opposition des Sozialen wesentlich gekennzeichnet durch die Abwesenheit jeglicher positiver, den Akteur auszeichnenden Merkmale hinsichtlich seiner Einflussnahme und Wirksamkeit im sozialen Raum. Die Abwesenheit jeglicher Akteurmerkmale weisen diese Entitäten lediglich als Träger von Leben aus bzw. sie zeichnen sich lediglich dadurch aus, dass sie ‚lebendig‘ sind. Als Signum der Moderne sieht Agamben eine Verschiebung dieses Mechanismus der Abgrenzung und Herstellung eines sozialen Raumes durch die Opposition zu topografierbaren Räumen der Abwesenheit von Akteuren (also der Anwesenheit von Entitäten, die sich lediglich durch die bloße Tatsache des ‚Lebens‘ auszeichnen) ins ‚Innere‘ eines jeden einzelnen Akteurs. Abbildung 33: Schematische Darstellung: Das ‚nackte Leben‘ als von dem Akteur internalisierter ‚Ausnahmezustand‘ der Verwirklichung seiner selbst als Element des Sozialen (nach Agamben)

Akteur

Zoë

Soziales

Bios/Akteur

Subjektivierung, Gouvernementalität und Biopolitik: Die Einordnung der Bios vs. Zoë-Differenz in den Aufbau sozialer Wirklichkeit und Ordnung

Entsprechend der in den nächsten Abschnitten vorgenommenen Anbindung des Akteurmodells an Lindemanns Emergenzfunktion des Dritten, wird vielmehr davon ausgegangen, dass die Zunahme körperbezogener Praxen der Sicherstellung der Akteurposition als Subjekt geschuldet ist. Die Grundfiguration der im Rahmen von Biopolitik und Gouvernementalität – insbesondere bezüglich Agambens Rekonstruktion – dargestellten Relevanz des Elementes ‚Leben‘ lässt sich dennoch sehr gut übertragen, und im Ergebnis lässt sich das Modell durchaus auch für eine Vielzahl von in diesem Zusammenhang stehenden Fragestellungen und Perspektiven nutzen. Für die Bildung eines soziologischen Akteurmodells kann die hier angerissene prominente Thematisierung der Differenz von Bios und Zoë lediglich instruktiv sein sowie dazu dienen, einige Hinweise zu liefern, dass gegenstandseitig Verschiebungen zu konstatieren

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sind, die diese Differenz auf den Plan rufen. Im Einzelnen sind die Deutungen größtenteils überzogen bzw. soziologisch unaufgeklärt, wobei einerseits soziale Wirklichkeit verharmlost wird, um sie andererseits einseitig zu radikalisieren. So schüttet letztlich auch Agamben das Kind mit dem Badewasser aus, da er die äußerst wirksamen Mechanismen einer hierarchischen Ein- und Ausschlussgestaltung, die aktuelle soziale Räume nicht minder strukturieren, ausblendet. „Agambens Beispiele sind neben den Insassen nationalsozialistischer Vernichtungslager Staatenlose, Flüchtlinge und Komapatienten (man mag aus aktuellem Anlass embryonale Stammzellen und die gefangenen Taliban und Al Qaida-Kämpfer hinzufügen, die im USamerikanischen Stützpunkt in Guantanamo auf Kuba interniert sind). Diesen scheinbar völlig unzusammenhängenden ‚Fällen‘ ist eines gemeinsam: Obgleich es sich um menschliches Leben handelt, sind die Betroffenen vom Schutz des Gesetzes ausgeschlossen. Sie bleiben entweder auf humanitäre Hilfe angewiesen, ohne einen rechtlichen Anspruch darauf geltend machen zu können oder werden aufgrund wissenschaftlicher Deutungsmacht auf den Status einer ‚Biomasse‘ reduziert. […] Agamben beschränkt sich darauf zu konstatieren, dass alle ausnahmslos von der Reduktion auf den Status ‚nackten Lebens‘ betroffen seien – ohne den Mechanismus der Differenzierung auszuweisen, der zwischen verschiedenen ‚Lebenswertigkeiten‘ unterscheidet und innerhalb der scheinbar egalitären Betroffenheit wiederum Spaltungslinien einführt. Er sieht nicht, dass die Überzeugungskraft seiner These vom ‚Lager als biopolitisches Paradigma der Moderne‘ nicht zuletzt von dem Vermögen zur Unterscheidung abhängt. Daher bleibt unklar, was genau die Komatösen auf den Intensivstationen mit den Insassen von Vernichtungslagern gemeinsam haben; ob die Häftlinge in den Abschiebegefängnissen in dem gleichen Maße ‚nacktes Leben‘ sind wie die Gefangenen der nationalsozialistischen Konzentrationslager […].“ (Lemke 2008: 92, 98)

So lassen sich auch in den befristeten Aufenthaltsduldungen und eingeschränkten Freiräumen, die Asylanten gewährt werden, bis hin zu ethnischen Merkmalen, die ungeachtet der Staatsangehörigkeit zu einer handlungswirksamen Ein- und Zuordnung führen und die faktische Auswirkungen bezüglich eines ungleichen Zugangs zu Ressourcen bedeuten (vgl. hinsichtlich Bildungschancen in Deutschland Gomolla/Radtke 2009; Müller/Stanat 2006; Segeritz et al. 2010), im Gegenstand wirksame Mechanismen identifizieren, die diesseits des ‚nackten Lebens‘ feingliedrige Schichtungen der Ungleichheit (wieder-)herstellen. Weiter oben ist auf die Bewohner der Favelas hingewiesen worden. Diese Bevölkerungsgruppe stellt ein besonders markantes Beispiel für den gegenwärtig hochaktuellen und ‚immer noch‘ wirksamen Mechanismus hinsichtlich der Zu- und Absprache eines vollwertigen Akteurstatus dar (vgl. Luhmann 2008b: 226). Der Abstand zwischen dem Totalausschluss bzw. der totalen Aberkennung des Akteurstatus durch die Rückführung des (nicht mehr) Akteurs auf sein organisches Substrat und in der bloßen Tatsache des

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Lebens, dessen einziges definitorisches Merkmal zu konstatieren einerseits und der Situation von Asylanten oder Kindern mit Migrationshintergrund, die im Vergleich zum Nachwuchs der autochthonen Bevölkerung ungleich schlechtere Zugangschancen zu höheren Bildungsabschlüssen haben andererseits, ist natürlich immens. Dennoch wird hier die These vertreten, dass diese Phänomene auf den gleichen Mechanismus – freilich deutlich schwächer ausgeprägt – zurückgeführt werden können. In den angezeigten Abstufungen stehen am Ende der drohende Verlust jeder Teilhabe, der Verlust des Akteurstatus und der Rückfall auf die Ebene eines rein vegetativen Daseins. Genauso wie beispielsweise die ‚Besserstellung‘ der Kinder autochthoner Personen nichts weiter darstellt, als ein stabilisierender Effekt der Zugehörigkeit und ‚Garantie auf Akteurstatus‘ aufgrund der Markierung derer, die ‚fremd‘ sind – und die, entsprechend der hier vorgeschlagenen Deutung, dem Totalausschluss, der Rückführung auf deren ‚vegetatives Dasein‘ – zumindest relativ – näher stehen. Weiter unten wird auf die Verbindung einer Zunahme körperbezogener Praxen mit den Prozessen, die als ‚Subjektivierung‘ und ‚Individualisierung‘ verschlagwortet werden, eingegangen. Hierin eine Dynamik zu vermuten, die einerseits auf körperbezogenen Praxen zurückgeführt werden kann sowie aktuell eine Zunahme solcher Praxen zu konstatieren, kann mit Agambens Grundüberlegungen verbunden werden. Die Art und Weise der Verschränkung unterscheidet sich allerdings nicht von derjenigen, die in Agambens Schema als vormoderne Konstruktion sozialer Ordnung dargestellt worden ist. Der Akteur stellt sich als Subjekt her, um Akteurstatus zu erlangen bzw. um diesen beizubehalten, indem er sich weitestgehend von dem, was an ihm Zoë ist, so gut es geht distanziert. Die Zoë bleibt jedoch als Element – bis auf wenige manifeste Ausnahmen – eine Leerstelle. Anders als in Agambens historischen Beispielen (oder in Lindemanns bewusstem Aufsuchen von Grenzzonen des Sozialen, die weiter unten bezüglich des Status von Komapatienten thematisiert werden sollen) bleibt die bloße Tatsache des Lebens innerhalb sozialer Wirklichkeit eine Leerstelle, worauf – im Prinzip – auch Agamben hinweist (2005: 47f). Die Zoë lässt sich als ein Nullwert beschreiben, der sich in besonderer Weise eignet, um die gegenwärtige Verfasstheit sozialer Wirklichkeit zu beschreiben – die Zoë wäre demnach für die Moderne das, was den Polynesiern das Mana war (vgl. Lévi-Strauss 1978: 34). Die Grenzen zwischen einer rein theoretischen Konstruktion eines Akteurmodells und empirischer Phänomene, zu denen dieses korreliert werden kann, ist in den letzten Abschnitten deutlich ins Schwimmen geraten. Die Perspektive einer Auseinandersetzung mit Texten (Sozialtheorien) im Sinne der Rekonstruktion einer Gedächtnisgeschichte, ohne ihre Entsprechung zu dem thematisierten Gegenstand (bzw. zu der jeweiligen Ereignisgeschichte) zu berücksichtigen, wird im Zuge konstruktiver Bemühungen bewusst aufgegeben. Jedes soziologische Modell ist nur so gut, als es Wirklichkeit abbilden kann. Das muss nicht zwangsläufig zur Folge haben, dass die

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Elemente des Modells und die Art und Weise wie sie zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, eine unmittelbare Entsprechung zu ihrem Gegenstand aufweisen müssen – ohne einige, punktuelle Übereinstimmungen kommt aber genau betrachtet keine soziologische Theorie aus. Theoriebildung befindet sich schließlich immer im Spannungsfeld zwischen theorieimmanenter Rezeption und Anschlussfähigkeit auf der einen Seite und prospektiver Anwendung auf Ereignisse der Gegenwart und Zeitgeschichte auf der anderen Seite. Das Subjekt als ‚relatives‘ a priori des Sozialen: Von Garfinkels Agnes-Studie zu Lindemanns Funktion des Dritten und zurück

Wenngleich das Modell eines Akteurs, das als Cyborg beschrieben werden kann, zunächst aus einer rein theoretischen Rekonstruktion sozialtheoretischer Entwürfe als analytisches Instrument für die Erfassung stark technisierter sozialer Zusammenhänge entstanden ist, werden im Zuge einer ersten exemplarischen Anwendung auch Phänomene und Tendenzen einer realweltlichen Entsprechung zentraler Annahmen und Elemente des Modells angesprochen. Die in den letzten Abschnitten eingeschlagene Thematisierung einer im Gegenstand sich faktisch abzeichnenden Verschiebung von Subjektivität als Bios, dem die Zoë als Nullwert zugrunde liegt, soll also weiter nachgegangen werden. Arendts Wiedergabe von Aristoteles Begriffsbestimmung bringt dieses Verhältnis zum Ausdruck: „Das Hauptmerkmal des menschlichen Lebens, dessen Erscheinen und Verschwinden weltliche Ereignisse sind, besteht darin, dass es selbst aus Ereignissen sich gleichsam zusammensetzt, die am Ende als eine Geschichte erzählt werden können, die Lebensgeschichte, die jedem menschlichen Leben zukommt und die, wenn sie aufgezeichnet, also in eine Bio-graphie verdinglicht wird, als ein Weltding weiter bestehen kann. Von diesem Leben, von dem  [Bios] zum Unterschied von  [Zoë], hat Aristoteles gemeint, dass es ‚eine  [Praxis] ist‘.“ (Arendt 2010: 116)

Im Unterschied zu und in Anlehnung an die Nullwert Matrizen der Klassiker, nimmt hier die Zoë eine ähnliche Position ein wie dort das Subjekt. Der Akteur als Bios und damit als tätige, sich durch Tätigkeit hervorbringende Größe, unterscheidet sich vom ‚Leben‘ in zweifacher Hinsicht: Erstens ist es nicht ‚nur‘ organisch und zweitens ist es nicht natürlich. Diesen Eigenschaften oder vielmehr diesem Verhältnis soll weiter unten, bei dem Versuch das Modell auf ein bestimmtes Phänomen aus dem techniksoziologischen Gegenstandsbereich zur Anwendung kommen zu lassen, weiter nachgegangen werden. Hierbei wird die These vertreten, dass wenngleich realweltliche Entsprechungen auszumachen sind, diese aufgrund verschiedener sozialer Wirkmechanismen (auf die im Einzelnen nur teilweise und nicht erschöpfend eingegangen wird) dem klassischen Akteurmodell analog sind. Das heißt: Dort wo ein Akteur als

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Cyborg beobachtet werden kann, wird realweltlich ein Subjekt, das aus dem ‚klassischen‘ Geist vs. Materie-Dualismus hervorgegangen ist, konstruiert; dort, wo Subjektivität, also der Aufbau von stabilen und konstanten Grenzen einer verkörperten Entität im Verhältnis zu ihrer sozialrelevanten Umwelt, in Gefahr ist, wird sie wieder hergestellt und sogar in besonderem Maße gestützt und stabilisiert. Unter Subjekt (als Reifikation einer Konstruktionsleistung neuzeitlicher und vor allem moderner gesellschaftlicher Wirklichkeit) und Subjektivität (als der Prozess dieser Herstellung), wird also (im Unterschied zum hier entwickelten Akteurmodell) die Identifizierbarkeit einiger struktureller Merkmale, denen offenbar eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit zukommt, verstanden. Was ist damit gemeint? Garfinkel kommt in seiner „Agnes Studie“ (2007b: 118ff) unter anderem zu dem Schluss, dass das binäre Geschlechtersystem für das erfolgreiche zustande kommen von Interaktionen den Status einer omnirelevanten Unterscheidung innehat. Anders ausgedrückt: Wenn das Geschlecht vom Interaktionsgegenüber auf der Grundlage einer bipolaren Zuordnung nicht eindeutig bestimmt werden kann, wird die Interaktion fortwährend irritiert und droht zuweilen erst gar nicht zustande zu kommen, denn das „Phänomen Transsexualität ist ein ohne Zutun der SoziologInnen gleichsam ‚natürlich‘ ablaufendes Krisenexperiment. Im Mittelpunkt stehen dabei zum einen die Verfremdung bezüglich des Darstellens, die Transsexuellen widerfährt, wenn sie sich darum bemühen, sich nicht mehr so zu verhalten, daß sie als das Ausgangsgeschlecht wirken, sondern bewußt versuchen, eine Erscheinung hervorzubringen, die dem neuen Geschlecht entspricht, statt einfach und selbstvergessen in dieser Aktivität engagiert zu sein. Die zweite Verfremdung bezieht sich auf die Wahrnehmungspraxis und macht die Irritationen zum Thema, die sich aus den Schwierigkeiten ergeben, die situativ eventuell changierenden Erscheinungen von Transsexuellen als sinnvolle Vorkommnisse in einer Ordnung zu verstehen, die nur zwei Geschlechter kennt, denen Personen jeweils ein Leben lang angehören.“ (Lindemann 1993: 48; vgl. Villa 2006: 85ff)

Diese Beobachtung – die hier nur als (ein prominentes) Beispiel dienen soll – ist reichhaltiger, als oft dargestellt. In ihr kommt über die offensichtlich konstatierte Ausrichtung von Erwartungserwartungen auf der Grundlage von Geschlecht die Unterscheidung zwischen sozialer Wirklichkeit und sozialer Ordnung zum Ausdruck. Oder anders ausgedrückt: Die vielfältigen kritikwürdigen Folgen von Heteronormativität haben nichts mit der Feststellung zu tun, dass soziale Wirklichkeit als Ordnung – also in Begriffen stabiler Erwartungserwartungen – ausgedrückt werden kann. Darüber hinaus und damit zusammenhängend wird damit aber auch ausgesagt, dass es unterhalb der Ebene von Erwartungserwartungen Strukturkategorien gibt, die für das Aufkommen von Erwartungserwartungen notwendig sind. Diese ‚Strukturen‘ befinden sich also in gewisser Weise ‚außerhalb‘ der Sphäre hergestellter sozialer Wirklichkeit und sind vielmehr dafür verantwortlich, dass diese aufgebaut werden kann.

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Das heißt freilich nicht, dass diese nicht kontingent wären oder gar zeitinvariant – natürlich sind auch sie historisch gewachsene Kategorien. Sie weisen aber eine andere Qualität auf als übliche institutionalisierte Praxen oder soziale Tatbestände (vgl. zur sozialen Konstruktion des biologischen Geschlechts die – für das Abendland – umfassende historische Rekonstruktion in Voß’ Monografie „Making Sex Revisited – Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive“ (2010)). Auf die grundlagentheoretische Unterscheidung zwischen dem in der Interaktion (re)produzierte Erwartungserwartungsgeflecht auf der einen Seite und den Bedingungen der Möglichkeit für diese (Re)Produktion auf der anderen Seite hat insbesondere Gesa Lindemann in ihren Studien zum Hirntod hingewiesen (Lindemann 2002b: 278ff; 2002a: 90f). Von der Feststellung eines (relativen – sic!) a priori der Konstruktion sozialer Wirklichkeit ist es zur Formulierung einer Soziologie des Dritten nur ein kleiner Schritt, der als logische Konsequenz erscheint (vgl. Lindemann 2006). „Im Rahmen des Theorems der doppelten Kontingenz wird Deuten als kommunikatives Deuten der Äußerungen von Alter aufgefaßt. Die Deutung ist einstufig. Wenn exzentrische Positionalität als das doppelte Kontingenz fundierende Umweltverhältnis verstanden wird, wird ein zweistufiges Deutungsverfahren erforderlich. Denn die kommunikative Deutung setzt eine weitere Deutung voraus, nämlich die praktische Deutung, die entscheidet, ob eine Entität, der Ego begegnet, als ein Alter interpretiert wird oder etwas anderes.“ (Lindemann 1999: 180)

Lindemanns Rekonstruktion von Plessners Theorem ‚exzentrischer Positionalität‘ in Verbindung mit Luhmanns Theorem ‚doppelter Kontingenz‘ führt zu der Annahme, dass die Grenze des Sozialen auf der Grundlage der Unterscheidung ‚Menschen vs. Nicht-Menschen‘ eine kontingente und historisch gewachsene darstellt. Da nicht von vornherein festgelegt werden kann, welcher Entität die Bewältigung des Problems doppelter Kontingenz zugestanden werden kann – aber faktisch wird –, muss die Praxis dieses Deutungsvorgangs in den Blick genommen werden. Diese entscheidet letztlich darüber, wie sich der Kreis, dessen was dem Sozialen zugehörig erachtet wird, konstituiert. Die Position des ‚Dritten‘ stellt eine diese Praxis absichernde Instanz dar, die den Kreis derer, ‚die dazugehören‘, rein ‚praktisch‘ abschließt (Lindemann 2006: 90f). In gewisser Weise hat Lindemann das ‚Privatsprachenargument‘ in Wittgensteins Philosophie der normalen Sprache (also die Unmöglichkeit, dass es eine rein private Sprache geben könnte, die nur für eine Person bzw. Entität gültig ist und infolge dessen als Sprache ‚funktioniert‘ (Wittgenstein 1990b: §243, § 258)) auf die sozialkonstruktivistische Ebene einer auf den Basisannahmen symbolisch-vermittelter Interaktion aufbauenden Entscheidung darüber, welche Entität zum Kreis derer zählen darf, die das Problem ‚doppelter Kontingenz‘ bewältigen, übertragen und reformuliert. Anders ausgedrückt: Sofern die Entscheidung darüber, welche Entität (Alter) sowohl

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mit der Fähigkeit ausgestattet ist, die Erwartungen ihres Gegenübers zu erwarten, als auch in der Lage ist, eine Entscheidung darüber fällen zu können, ob dies von ihrem Gegenüber (Ego) wiederum auch gilt, nicht auf bestimmte Entitäten festgelegt ist bzw. sein kann, kann die Regel darüber, wann dies (nicht) gilt auf der Ebene einer dyadischen Beziehung nicht hinreichend entschieden werden, da das, was zur Debatte steht, grundsätzlich nur in der Form einer dyadischen Beziehung zustande kommen und ausgedrückt werden kann. Die Grundfiguration der Dyade als formales ‚Letztelement‘ für die Entstehung sozialen Sinns entspricht in Wittgensteins Sprachphilosophie die der einzelnen Person als Träger eines monadischen Geistes bzw. Bewusstseins. Die sozialkonstruktivistische Regel, die für die Entscheidung darüber verantwortlich ist, welche Entität als Teil einer Dyade für den Aufbau sozialen Sinns beitragen kann, entspricht also der Ebene ‚außerhalb‘ des solipsistischen Geistes in Wittgensteins sprachphilosophischem Modell. Da sozialer Sinn per se nur auf der Grundlage einer ‚Alter Ego-Interaktion‘ erst entstehen kann, bedarf es einer weiteren ‚dritten‘ Instanz, die die ‚Richtigkeit‘ der angewandten Regel bei der Ermittlung bzw. dem Aufbau sozialen Sinns hinsichtlich der hierfür zu Recht (oder eben nicht) involvierten Entitäten bestätigt. Wittgenstein definiert die Bedeutung eines Wortes als seinen Gebrauch in der Sprache, da es jenseits der Sprache keine hinreichende Begründungslogik für den durch die Sprache hergestellten ‚Weltzugang‘ geben kann (Wittgenstein 1990b: §43). Da also die Grenzen der intelligiblen Welt die der Sprache sind bzw. mit denen der Sprache ‚zusammenfallen‘, müssen die Regeln, die die Bedeutung eines Wortes bestimmen, im Sprachgebrauch selbst ausfindig gemacht werden (Wittgenstein 1990a: 67). Eine rein private Sprache ist folglich unmöglich, da jeder Versuch der Festlegung einer Wortbedeutung bzw. der Formulierung einer Regel für den ‚richtigen‘ Sprachgebrauch, in einen infiniten Regress münden würde: Wortbedeutung und Regelwissen verweisen aufeinander ohne einen Halt oder eine Verankerung außerhalb ihrer selbst herstellen zu können (Wittgenstein 1990b: §293). Ein banales Beispiel für diesen Gedankengang kann in der Vergegenwärtigung der Wortdefinitionen in Lexika gefunden werden: Worte werden durch die Verwendung anderer Worte erläutert – ein Lexikon ist ohne eine außerhalb dieses Systems liegenden Verankerung der Bedeutung der erläuternden Worte nichts weiter als ein riesiger Zirkelschluss. Genau genommen würde beispielsweise ein Außerirdischer, der versuchen wollte, allein aus der definitorischen Logik eines Lexikons ein Verständnis für die dort erläuterten Worte aufzubauen, zu dem Schluss kommen, es handele sich um eine recht aufwendige, weil sehr umfangreiche, Tautologie. Die im Lexikon aufgeführten ‚Zeichen‘ blieben alle ohne den Hauch einer Bedeutung. „Stellen wir uns diesen Fall vor. Ich will über das Wiederkehren einer gewissen Empfindung ein Tagebuch führen. Dazu assoziiere ich sie mit dem Zeichen ‚E‘ und schreibe in einem Ka-

304 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE lender zu jedem Tag, an dem ich die Empfindung habe, dieses Zeichen. – Ich will zuerst bemerken, daß sich eine Definition des Zeichens nicht aussprechen läßt. – Aber ich kann sie doch mir selbst als eine Art hinweisende Definition geben! – Wie? kann ich auf die Empfindung zeigen? – Nicht im gewöhnlichen Sinne. Aber ich spreche, oder schreibe das Zeichen, und dabei konzentriere ich meine Aufmerksamkeit auf die Empfindung – zeige also gleichsam im Innern auf sie. – Aber wozu diese Zeremonie? denn nur eine solche scheint es zu sein! Eine Definition dient doch dazu, die Bedeutung eines Zeichens festzulegen. – Nun, das geschieht eben durch das Konzentrieren der Aufmerksamkeit; denn dadurch präge ich mir die Verbindung des Zeichens mit der Empfindung ein. – ‚Ich präge sie mir ein‘ kann doch nur heißen: dieser Vorgang bewirkt, daß ich mich in Zukunft richtig an die Verbindung erinnere. Aber in unserm Falle habe ich ja kein Kriterium für die Richtigkeit. Man möchte hier sagen: richtig ist, was immer mir als richtig erscheinen wird. Und das heißt nur, daß hier von ‚richtig‘ nicht geredet werden kann. […] Sind die Regeln der privaten Sprache Eindrücke von Regeln? – Die Waage, auf der man die Eindrücke wägt, ist nicht der Eindruck von einer Waage. […] Man könnte sagen: Wer sich eine private Worterklärung gegeben hat, der muß sich nun im Innern vornehmen, das Wort so und so zu gebrauchen. Und wie nimmt er sich das vor? Soll ich annehmen, daß er die Technik dieser Anwendung erfindet; oder daß er sie schon fertig vorgefunden hat?“ (Wittgenstein 1990b: § 258-259, § 262)

Wittgensteins Privatsprachenargument verweist also darauf, dass es einer Sprachgemeinschaft bedarf, um den richtigen Gebrauch und damit die Bedeutung eines Wortes zu ermitteln. Allein in der Praxis der richtigen Wortverwendung kann sich die Bedeutung eines Wortes etablieren. Ohne die Kontrolle der diese Sprache verwendenden Sprachgemeinschaft wären der Aufbau und die Verwendung von Sprache unmöglich (Wittgenstein 1990b: §25, 198, 199, 202, 206). Wittgensteins Argumentation bleibt in der Beschreibung bei einer fingierten Dyade stehen, wenngleich im Grunde bereits hier die Funktion des Dritten angelegt ist, aber nicht ausgeführt wird: Die Bedeutung eines Wortes wird geregelt durch die Praxis der Verwendung eines Wortes in der Gemeinschaft. Diese kann zwar im Prinzip aus nur zwei Entitäten bestehen, die sich gegenseitig ‚kontrollieren‘ und für die Einhaltung der richtigen Verwendungsweise verantwortlich zeichnen, ausdrücklich wird jedoch auf die Praxis einer die (bzw. eine bestimmte) Sprache verwendende Gemeinschaft verwiesen, die folglich auf die Einbettung einer Alter Ego-Verständigung in ein ihnen vorhergehendes und zugleich einfassendes Kollektiv hinweist. Lindemanns Argument trifft also – vor allem insoweit in Wittgensteins später Sprachphilosophie, worauf weiter oben bereits hingewiesen worden ist, die Wahlverwandtschaft zum Pragmatismus betont wird (vgl. Wittgenstein 1990b: 580) – auch hier zu. Denn die Regel, die darüber entscheidet, ob die den ‚richtigen Gebrauch‘ anzeigende Entität zu dem Kreis derer gehört, die der relevanten Sprachgemeinschaft angehört, kann auch in Wittgensteins Modell freilich nicht auf der Ebene einer Dyade entschieden werden. Das entspricht

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aber selbstredend nicht Wittgensteins primärer Zielsetzung für die für ihn zur Debatte stehenden Probleme. Abbildung 34: Schematische Darstellung: Wittgensteins Privatsprachenargument in Anlehnung an Meads Modell symbolisch vermittelter Interaktion und Luhmanns Theorem doppelter Kontingenz

Wortbedeutung / Sozialer Sinn

Ego

Alter

Lindemann erweitert das dyadische Modell einer über den Umweg der Reaktion von Alter sich konstituierenden Bedeutung zu einer triadischen Beziehung, die erst dazu führt, dass sozialer Sinn (bzw. die Wortbedeutung) sich etablieren (bzw. stabilisieren) kann, indem der Status von Alter durch einen ‚Dritten‘ festgestellt wird:

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Abbildung 35: Schematische Darstellung: Lindemanns Funktion des Dritten zur Ermittlung von Entitäten, die die Bedingungen für den Aufbau sozialen Sinns erfüllen

Wortbedeutung / Sozialer Sinn

Alter

Ego

Dritter / Sprachgemeinschaft

Von der subjektivierungstheoretischen Annahme einer somatischen ‚Subjektkonstitution‘ zur Virulenz einer kategorialen Unterscheidung zwischen sozialer Wirklichkeit und Ordnung

Diese sehr grundlagenlastigen Überlegungen sind hier insofern relevant, als davon ausgegangen werden kann, dass die dritte Instanz im ‚alltäglichen sozialen Raum‘ phänomenologisch hergestellt wird. Oder um es erneut mit Garfinkel zu versuchen: Die Omnirelevanz des Geschlechterdualismus kann als ein Merkmal dieser phänomenologisch im sozialen Raum ausgelagerten Verankerungen des Dritten angenommen werden. Lindemann konstatiert, dass sich „[d]ie dargestellten Probleme […] durch einen deutlichen Unterschied zu alltäglichen Interaktions- bzw. Kommunikationssituationen aus[zeichnen]. In alltäglichen Interaktionen gilt die Frage als geklärt, wer als ein Alter Ego gelten kann. Die fundierende Deutung wird als sicher vollzogen vorausgesetzt. In alltäglichen Interaktionen wird nur noch der Prozess wechselseitiger Interpretation und Reinterpretation sichtbar.“ (Lindemann 2006: 93)

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Da Lindemanns Empirie aus dem Bereich einer ‚Grenzzone‘ des Sozialen, der neurologischen und neurochirurgischen Intensivmedizin bzw. Frührehabilitation (Lindemann 2006: 88) stammt, ist dem Verfasser vollkommen klar, dass die hier aufgestellte These zunächst einmal nur den Rang einer ‚Behauptung‘ für sich beanspruchen kann und erst im Zuge einer diese fundierenden empirischen Forschung weiter aufgeklärt werden könnte. Nichtsdestotrotz scheint es gerade angesichts der empirischen Forschung von Lindemann und die von ihr, davon ausgehend, plausibel dargelegten Schlussfolgerungen angemessen, die These aufzustellen, dass wenn es gilt, im ‚gewöhnlichen‘ sozialen Raum danach zu fragen, „welche Entitäten in den Kreis der sozialen Akteure gehören und welche nicht“ und wenn dabei Lindemanns Überlegungen folgend „auch die Deutungspraxis in den Blick“ gerät, „durch die diejenigen Entitäten, deren Beziehung durch doppelte Kontingenz gekennzeichnet“ sind und folglich „selbst den personalen Seinskreis begrenzen“ (Lindemann 1999: 178), einige anscheinend ‚banale‘ Elemente zum Vorschein kommen würden, die das Subjekt als menschliche, verkörperte Entität auszeichnen. Zu denen beispielsweise der in Garfinkels Studie zum Vorschein kommender Sachverhalt gehören könnte, dass Akteure nicht nur ein Geschlecht haben, sondern dieses auch sind – wobei beides als sozial hergestellte Praxen dekonstruiert werden kann. Hier geht es allerdings nicht um die Thematisierung bestimmter Merkmale, sondern lediglich um die – an dieser Stelle als Arbeitshypothese aufgestellte – Feststellung, dass jenseits sozialkonstruktivistischer Annahmen über die Beschaffenheit des Sozialen, weitere Basisannahmen in Rechnung gestellt werden müssen, die gegenstandsbezogen im ‚Subjekt‘ münden, da das ‚Subjekt‘ als eine ‚verkörperte Entität‘, die mit dem Menschen gleichgesetzt wird, verstanden wird. Zudem schreibt man ihm zu, dass gerade dieser Entität die Fähigkeit zur Bewältigung des Problems doppelter Kontingenz zukommt. Das so verstandene ‚Subjekt‘ würde einer Reifizierung des ‚Dritten‘ in Lindemanns Darstellung zukommen: „Die Erweiterung der Dyade um den Dritten hat Auswirkungen auf das Konzept der Erwartungs-Erwartungen. Die Struktur, von der her Sozialität zu denken ist, verkompliziert sich in folgender Weise: Ego erwartet konsistent und dauerhaft Erwartungen auf der Seite einer begegnenden Entität nur dann, wenn Ego die Erwartung eines Dritten antizipiert, dass von dieser Entität Erwartungen zu erwarten sind. Es gibt also nicht einfach den Sachverhalt ‚ErwartungsErwartungen‘ wie in der dyadischen Konstellation zwischen Ego und Alter, sondern die dyadische Konstellation entsteht als stabile Konstellation erst dann, wenn es den Sachverhalt gibt, dass Ego von einem Dritten die Erwartung erwartet, dass von der zweiten Entität Erwartungen zu erwarten sind und es sich deshalb bei ihr um ein Alter Ego handeln muss. D. h. der Dritte ist die Bedingung der Existenz stabiler Dyaden. Der Dritte ist die Bedingung eines Zwangs zur Anerkennung. Diejenigen Entitäten, die in dieser Weise anerkannt werden müssen, bezeichne ich als legitime soziale Personen.“ (Lindemann 2006: 94)

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Der Nachweis einer historisch kontingenten Festlegung auf bestimmte Entitäten, die zum exklusiven Kreis derer gehören, die am Sozialen teilnehmen ‚dürfen‘ und in den Worten Lindemanns als ‚legitime soziale Personen‘ gelten, ist sozialhistorisch ein offenes Geheimnis (vgl. Lemke 2008: 106). So muss gerade die Eingrenzung auf menschliche Akteure als Ausnahmeerscheinung angesehen werden, die im Wesentlichen die Neuzeit und vor allem Moderne auszeichnet: „Note, however, that the idea that only consciousness has access to communication and that therefore only human beings are engaged in society is a restrictive idea entertained only by modern society, which has driven ghosts and devils, spirits and gods, plants and animals out of the realm where partners in communication were to be found. This is the flop side of humanism’s venerable attempt to liberate humans from natural and mystical confinement. The world of human beings has been emptied of any other kind of intelligence for listening to and talking with.“ (Baecker 2011: 17)

Lindemanns Beitrag besteht vielmehr in dem grundlagentheoretischen Nachweis einer sozialtheoretisch begründbaren und formulierbaren Formation, die erstens die Notwendigkeit einer handlungspraktischen Strategie der Festlegung aufzeigt sowie zweitens in der Lage ist zu beschreiben, auf welche Weise dies – zumindest im Rahmen der Rekonstruktion grenzwertiger Situationen des Sozialen – vonstattengeht. Akteure als Cyborgs: Das Leben als Zoë, der Körper als Bios und die Widerspenstigkeit des Subjektes

Weiter oben steht: ‚Unter Subjekt (als Reifikation einer Konstruktionsleistung neuzeitlicher und vor allem moderner gesellschaftlicher Wirklichkeit) und Subjektivität (als der Prozess dieser Herstellung), wird also (im Unterschied zum hier entwickelten Akteurmodell) die Identifizierbarkeit einiger struktureller Merkmale, denen offenbar eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit zukommt, verstanden.‘ Diese Merkmale weisen – soweit zumindest der im Anschluss an Lindemanns Forschungsergebnissen aufgestellten These folgend, der empirisch weiter nachgegangen werden müsste – einen omnirelevanten Charakter für die Konstitution sozialer Wirklichkeit auf. An dem Konzept des ‚Subjektes‘ sind also Merkmale geheftet, die zwar einerseits als normativ (und zugleich normierend) beschrieben und mitunter ‚geahndet‘ werden können, die aber andererseits für den Aufbau sozialer Wirklichkeit unabdingbar sind. Wenn die Unterscheidung zwischen basalen Kategorien der Reproduktion sozialer Wirklichkeit und der Kritik sozialer Ordnung (die als Ausdruck einer Reproduktion verschiedener Formen sozialer Ungleichheit auf der Grundlage eben dieser Kategorien dargestellt werden kann) nicht beachtet wird, besteht die daraus (notwendigerweise) ableitbare Gefahr der Formulierung performativer Widersprüche erster Güte.

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So stellt beispielsweise die Monografie von Jungwirth „Zum Identitätsdiskurs in den Sozialwissenschaften – Eine postkolonial und queer informierte Kritik an George H. Mead, Erik H. Erikson und Erving Goffman“ (2007) eine solche ‚problematische‘ Dekonstruktion dar: Obwohl sie im Einzelnen hinsichtlich eines intrinsischen Verhältnisses zwischen der Identitätskonstitution kaum von den hier angenommenen Zusammenhängen abweicht, dem Aufbau und der Beschreibung eines ‚autonomen Subjektes‘ und der daran gekoppelten Ausrichtung an Normierungsleistungen, die erst im Zuge eines somatischen Niederschlags (bzw. einer somatischen ‚Verankerung‘) wirklichkeitskonstituierend dominant und handlungswirksam werden, wird jenseits der (freilich berechtigten) ‚grundlagenlastigen‘ Kritik nicht danach gefragt, welche Funktion solche Prozesse für den Aufbau sozialer Wirklichkeit in modernen Gesellschaften haben. Es wird folglich eine Kritik formuliert, die im Zuge einer imaginierten Zerschlagung des Kritisierten einen buchstäblich utopischen (also inexistenten) Raum vorfinden würde. Eine Kritik kann einerseits berechtigt und andererseits trotzdem unmöglich sein. An dieser Stelle kann dieser Argumentationsstrang, der sich ‚zwangsläufig‘ aus der Konstruktionslogik des hier entwickelten Akteurmodells ergibt bzw. geradezu aufdrängt – dem sich der Verfasser folglich künftig stärker widmen möchte – nicht weiter nachgegangen werden. Es deutet sich jedoch bereits an, in welche Richtung weitergefragt werden sollte: Welche Auswirkungen hat es, wenn ein Akteur einer ‚westlichen‘ Gegenwartsgesellschaft sich nicht mehr in Differenz zu einem Tier, zu einer Maschine und einem oder mehreren (aber immer noch distinkten) Geschlecht/ern setzt? Das hier entwickelte Akteurmodell entfaltet – unter anderem – eine Perspektive ‚soziologischer Aufklärung‘ gerade aus der Annahme heraus, dass seine Anwendung jene Kopplungsstellen (oder Scharniere) in Erscheinung treten lässt, die nicht nur kritikwürdig, weil ungleichheitsfördernd bzw. -stabilisierend, sondern auch – zumindest im Rahmen gegenwärtiger sozialer Wirklichkeitskonstitutionsmechanismen – für das Zustandekommen sozialen Sinns (also von Wirklichkeit schlechthin) unabdingbar sind. Der ‚Tod des Menschen‘, mit dem die ‚Geburt‘ des Poststrukturalismus oft in Zusammenhang gebracht wird, bedeutet schließlich nicht, dass das Subjekt als erkenntnisstiftende und -garantierende Instanz ‚verschwindet‘, sondern vielmehr, dass diese ‚Instanz‘ als historisch kontingente ‚dekonstruiert‘ wird (vgl. Münker/Roesler 2000: 34; Derrida 2003: 422ff). Die Wegbereiter einer erkenntnistheoretisch reflexiven Moderne (auf die die ‚Entdeckung‘ der Standortabhängigkeit einer jeden Beobachtung hinweist (vgl. Baecker 1996)) – allen voran Nietzsche – haben darauf aufmerksam gemacht, dass eine Umstellung des ‚Erkenntnissubjektes‘ auf das ‚Leben‘ die unweigerliche Folge einer bis zur letzten Konsequenz ausbuchstabierten diesseitigen, also unabschließbaren, Erkenntnisfundierung im ‚Menschen‘ darstellt:

310 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Im Rückblick auf Hegel und Nietzsche erweisen sich sowohl der ursprüngliche Riß in unserem Begriff des Lebens als auch die schon früh vollzogene Erweiterung seiner Bedeutung als philosophisch höchst folgenreich. Sie bereiten eine Situation des Denkens vor, in der es möglich wird und am Ende sogar als notwendig erscheint, den metaphysischen Grundbegriff des Seins durch einen entgrenzten Begriff des Lebens zu ersetzen. Denn durch diesen Schritt und nur durch ihn gelingt es, die metaphysische Kluft zwischen dem wahrhaft Seienden, das Eines und unbegrenzt war, und den veränderlichen Vielen, die auf unerklärliche Weise am Einen teilhaben, es nachahmen sollten und wollten, zu überbrücken und zu schließen.“ (Borsche 1997: 263)

Die Entwicklung dieser ‚Umstellung‘, von den Anfängen des neuzeitlichen Weltbildes in der Renaissance bis zu den ersten deutlichen Erosionserscheinungen des Erkenntnissubjektes als eine sichere Erkenntnis stiftende Instanz, konnte nicht über Nacht erfolgen, da zunächst die ‚Gewissheit‘ noch über den Umweg einer transzendenten Figur (Gott) hergestellt worden ist – zu dominant und wirklichkeitsstiftend war noch das ‚alte‘ theistische Weltbild (Merton 1985: 78ff). Hierfür gibt Descartes’ weiter oben besprochener Gottesbeweis ein gutes Beispiel ab (vgl. Descartes 1992). Dieses Weltbild strahlt allerdings handlungspraktisch und erkenntnispolitisch bis in die Gegenwart hinein, worauf die weiter oben angerissenen kritischen Einwände von Ihde und Haraway an der problematischen Erkenntnis stiftenden Position der AkteurNetzwerk-Theorie hindeuten (Haraway 1988: 583, 581ff; 1997: 125ff; 1996: 358ff; Ihde 2002: 67ff). Borsche erläutert weiter, dass die Transformation einer jenseitig-transzendenten Gewissheit und Absicherung der Erkenntnis (samt einer ‚wahren‘ Wirklichkeit und unfehlbaren Kriterien für ‚wahre‘ Erkenntnis, die sich allesamt aus dieser einen bevorzugten Position ableiten lassen) im diesseitigen Subjekt, theologisch vorbereitet worden sind. Dies ist einerseits nicht verwunderlich, denn ohne eine Weichenstellung, die eine so tief greifende Umstellung vorbereitet, hätte sich das neuzeitliche Weltbild und -verständnis nicht etablieren können. Andererseits scheint die erkenntnisstiftende Leistung des Subjektes so selbstverständlich zu sein, dass es rückblickend gar nicht anders möglich erscheint, dass es auf den Menschen und seinen Fähigkeiten ankommen müsse, wenn es gilt, nach einer wahren Erkenntnis zu fragen. Umso wertvoller ist Borsches Erinnerung an diese Vorbereitungen, die aus der theistischen Weltauslegung hinaus ins neuzeitliche, in der Aufklärung seinen endgültigen Ausgang nehmende Weltbild führten: „Vor dem […] Hintergrund einer Neuordnung der Grundbegriffe unseres Denkens erscheint auch die Lehre vom absoluten Wert des einzelnen menschlichen Lebens in einem neuen Licht. Sie ist philosophisch nicht begründbar. Und sie wurde, wie sich historisch zeigen läßt, in der Tat ursprünglich auch nur theologisch begründet. […] Schwierigkeiten einer Verbindung der christologischen Lehre von den zwei Naturen Christi mit der schöpfungstheologischen Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen führten im 13.Jh. zu einer (Neu-)Bestimmung des

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Begriffs der Person, nach welchem der natürliche Mensch – der Mensch mit Leib und Seele, nicht nur der menschliche Geist (Augustin) – mit göttlicher ‚Würde‘ ausgestattet ist. Denn Gott ist Mensch geworden und hat damit die Würde seiner Person auf die Menschen übertragen, die durch diese Gotteskindschaft zu Personen im theologischen Sinn dieses Wortes geworden sind. Erst auf diesem Weg gewinnt das natürliche Leben der Menschen Anteil am unendlichen Wert oder der Würde der (göttlichen) Persönlichkeit. Aber diese Begründung muß den metaphysischen Seinsbegriff der mittelalterlichen Theologie und in seinem Gefolge auch den Gott der Philosophen oder, wie Nietzsche sagt, den moralischen Gott in Anspruch nehmen.“ (Borsche 1997: 265f)

Dieser Begründungszusammenhang ist zwar beginnend mit dem 19. Jahrhundert verloren gegangen; aber auch wenn eine jenseitige Begründungslogik erkenntnistheoretisch abhandengekommen ist, da sie sich als historisch gewachsene, sozialkonstruktivistisch oder wissenssoziologisch dekonstruierbare herausgestellt hat, heißt dies nicht im Umkehrschluss, dass die mit dieser verbundenen, wirklichkeitsstabilisierenden Momente aus der Welt sind (vgl. als ein frühes wissenssoziologisches Zeugnis dieser Dekonstruktion Mannheim 1995: 14f). Die Trägheit des theistischen Weltbildes, das die Umstellung eines neuen Weltverständnisses um einige Jahrhunderte überlagert hat, mag eine wissenschafts- oder ideengeschichtliche Vorlage, für die Trägheit eines Weltbildes, das auf das Subjekt und seiner Erkenntnisfähigkeit beruht, abgeben. Das Modell eines Akteurs, das versucht ohne diesen Subjektbegriff und -status auszukommen, wird also umso beständiger und schärfer Subjektivierungspraxen und -tendenzen abbilden. Das bedeutet im Umkehrschluss schließlich, dass nicht damit behauptet wird, das Konzept ‚Subjekt‘ hätte an Bedeutung eingebüßt oder wäre gar verschwunden oder zumindest im Begriff sich aufzulösen. Im Gegenteil: Entgegen des beispielsweise von Rose (2001), Braidotti (2009) und in jüngeren Arbeiten von Knorr-Cetina (2009) dargestellten Erosionsprozesses basaler Differenzen aufgrund der an Relevanz gewinnenden Praxen und Zuschreibungen, die um das ‚Leben‘ kursieren, treten aufgrund ihrer Disponibilität einige grundlegende,strukturelle Merkmale des Sozialen umso greller in Erscheinung (vgl. bspw. Thompson 2009: 325f). Umso schärfer zeichnet sich auch der Gegensatz zwischen (un)natürlicher und artifizieller ‚Natur‘ des ‚Subjektes‘ ab. Die Invisibilisierung der Artifizialität des Akteurs (als Subjekt) verfängt sich in immer gravierenderen Widersprüchen; ein schönheitschirurgischer Eingriff orientiert sich an Idealen, die den ‚Menschen‘ betreffen – im Unterschied zum Nicht-Menschen. Artifizialität orientiert sich also streng genommen an Artifizialität, ein Strudel von Kontingenz entsteht, dessen Taumelbewegung ‚realweltlich‘ im Rahmen ‚gelebter Muster‘ durch die Orientierung an der vermeintlichen Natürlichkeit des ‚Menschen‘ stabilisiert wird.

312 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE Das somatische Substrat des ‚Subjektes‘ als handlungspraktische Reifikation der Emergenzfunktion des Dritten

Im Zuge einer ersten exemplarischen Anwendung eines Akteurmodells für Cyborgs kommt das spannungsreiche Feld dieser Überlegungen zum Vorschein. Das Modell beschreibt soziale Wirklichkeit auf eine Art und Weise, die zugleich die umkämpften Bedeutungen und Struktureigenschaften zum Vorschein bringt, die im Dunstkreis der Themenfelder Biopolitik, Gouvernementalität und Subjektivierung umherschwirren. Die hier vorgeschlagene Lesart deckt sich zwar im Ergebnis weitestgehend mit den zentralen Aussagen dieser Konzepte, sieht aber die Wurzel einer Bedeutungszunahme des Körpers, die den Ausruf eines „Body Turns“ (Gugutzer 2006a) in der Soziologie rechtfertigen würde, sowohl sozialtheoretisch als auch gegenstandseitig in den oben angerissenen Überlegungen einiger konstitutiver Merkmale des Sozialen begründet. Insofern liegt die argumentative Ausrichtung der Begründung einer zunehmenden Thematisierung des Körpers den meisten körpersoziologischen Diagnosen diametral entgegengesetzt, da diese ihre Aussagen auf der Grundlage einer Gegenüberstellung des Körpers und des Sozialen aufbauen. Der Körper wird in der Regel sowohl als Produkt des Sozialen dargestellt als auch hinsichtlich seiner identitätsbildenden Funktion als Identitätsmedium wahrgenommen und dargestellt – er ist insofern dem Sozialen hauptsächlich hinsichtlich einer gegenseitigen Einflussnahme und Interdependenz ‚gegenübergestellt‘ (vgl. Gugutzer 2002: 295ff). Hier wird in gewisser Weise noch unterhalb dieser gegenwartsdiagnostisch konstatierten Zusammenhänge – denen in der Regel nicht widersprochen werden soll und die sich mit der weiter unten entfalteten Argumentation im Zuge einer ersten exemplarischen Anwendung eines Akteurmodells für Cyborgs, wie sich zeigen wird, gut verbinden lassen – angenommen, dass sowohl die sozialtheoretisch wahrgenommene zunehmende Relevanz des Körpers als auch die gegenstandseitig konstatierte Bedeutungszunahme, eine für den (Wieder-)Aufbau sozialer Wirklichkeit konstitutive Bedeutung innehaben: Die Funktion des Dritten wird im Rahmen alltäglich gelebter Muster nicht immer wieder neu ermittelt, sondern auf der Grundlage phänomenologischer Merkmale en passant unhinterfragt ‚angenommen‘. Entitäten, die für den Aufbau sozialer Wirklichkeit verantwortlich zeichnen sind ‚Menschen‘, diese werden aufgrund ihrer Erscheinung festgestellt. Darüber hinaus können mit dieser somatischen ‚Festlegungsstrategie‘ – hinsichtlich der Entitäten, die allein für die Wirklichkeitskonstitution im sozialen Raum verantwortlich zeichnen – zusammenhängende Merkmale in Erscheinung treten, die den Aufbau einer bestimmten sozialen Wirklichkeit tangieren, die von ungleichen Einflussmöglichkeiten und Relevanzstrukturen gezeichnet sein kann – dafür kann Garfinkels Agnes-Studie einen Hinweis geben.

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Abbildung 36: Schematische Darstellung: Reifikation der Funktion des Dritten in alltäglich gelebten Mustern zur Ermittlung von Entitäten, die die Bedingungen für den Aufbau sozialen Sinns erfüllen

Wortbedeutung / Sozialer Sinn

Ego

Alter Körper (Reifikation des Dritten)

Durch den Körper, insofern dieser zutiefst ambivalent geworden ist, schlägt sich folglich das Schicksal der Spätmoderne seine Bahn: Auf der einen Seite wird zunehmend versucht, über den Körper Identität und der erlebte Verlust einer ‚eigenen‘ (imaginierten) Subjektposition zu kompensieren. Auf der anderen Seite ist jede Arbeit am Körper zugleich Ausdruck einer schon immer das Subjekt als Akteur auszeichnenden Artifizialität und unterwandert also das ursprüngliche Ziel eines essenzialistischen (mit Natürlichkeit konnotiertem) Kriteriums, einer exklusiven Teilhabe am Sozialen. Ambivalent wird diese Situation jedoch nur, weil das Subjekt in seiner das Soziale konstituierenden Position bedroht ist. Wenn es stimmt, dass der Aufbau sozialer Wirklichkeit sich nur vor dem Hintergrund einer dritten Figur etablieren kann, und die Festlegung dieser Figur realiter an Eindeutigkeit eingebüßt hat, so wird es in einem sehr allgemeinen und grundsätzlichen Sinn umso wichtiger, die ursprünglich mehr oder weniger unproblematisch geltenden Merkmale, die diese in besonderem Maße ausgezeichnet haben, herzustellen. Die Eckpunkte der folgenden Argumentation lassen sich also wie folgt anreißen: Die Verbindung zwischen Körper und Subjektivität ist sehr eng und ko-konstitutiv. Zugleich ist Subjektivität ein wesentliches Element moderner Gesellschaften, das die flexible (unter bestimmten, nämlich den sozialen Kontexten enthobenen Perspektiven, arbiträre) Adressierbarkeit und die vom Akteur zu leistende Verarbeitung der Differenz von Selbst- und Fremdreferenz vereinfacht oder gar erst ermöglicht. Die technologischen Entwicklungen, denen (Teil-) Handlungsträgerschaft zugesprochen

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wird, sowie die biomedizinischen Entwicklungen gefährden die Konstruktion von Subjektivität und schlagen sich aus unterschiedlichen Richtungen durch den Körper ihre Bahn. Die (Mit-)Handlungsträgerschaft von Technik stellt eine Gefährdung von Subjektivität dar und kann zugleich als die fünfte, tief greifende Erschütterung bzw. ‚Kränkung‘ (Freud 2007b: 283f) menschlicher Hoheitsvorstellungen gelten (nach der kopernikanischen Wende, der darwinistischen Evolutionstheorie, der freudschen Entdeckung des Unbewussten (Es) und der Kennzeichnung des Sozialen als eine Wirklichkeit sui generis (vgl. Monod 1991; Greshoff et al. 2003: 9; Mannheim 1995: 26, 38; Rammert/Schulz-Schaeffer 2002b: 11f)). Die biomedizinischen, aktuell vorhandenen und in Aussicht gestellten Möglichkeiten manipulativer Eingriffe (auf genetischer oder aber auch somatischer Ebene) verschieben den Horizont natürlicher und pathogener Zuschreibungen, indem die ursprünglich mehr oder weniger funktionierende Konstruktion eines ‚natürlich‘ gesunden Körper bzw. einer ‚normalen‘ Psyche umfassend rekonfiguriert werden (vgl. Wehling et al. 2007). Die Angriffsflächen und Wirkungsweisen dieser zwei Stränge (Technik- und Lebenswissenschaften) auf das Subjekt zeichnen sich durch einen direkten und indirekten Körperbezug aus: Da, wo die ‚Bedrohung‘ von Subjektivität durch den Verlust von Handlungsträgerschaft in eine Steigerung der Körperpflege und -bezogenen Praxen mündet, katalysiert sie eine körperspezifische Verarbeitung von Selbst- und Fremdreferenz. Im Ergebnis zeigt sich der Körper als Manifestation einer Hybris, die die Rettung von Subjektivität zum Inhalt hat. „The advent of computers, computer networks, artificial intelligence, robots, software agents, and avatars presents the ecological movement with unlikely allies in its attempt to put the idea that only human beings qualify for communication at least in parentheses. All categories privileging human beings for both consciousness and communication are in some sense called into question. At the same time, unique features of human beings such as their bodies and senses, which constitute their ‚wetware‘ and distinguish them for the time being from artificial intelligences, are being rediscovered. Ironically these are the very features held in poor esteem by the same modern philosophy that thought human beings singular. Humans have lost reflexivity as their most distinctive feature and have in some strange kind of deal regained their body only to find it being scrutinized for virtuality, as well (Hayles 1999).“ (Baecker 2011: 17)

Die zunehmende Bedeutung des Körpers vor dem Hintergrund einer Destabilisierung einer bevorzugten Position des menschlichen Akteurs (Subjekt) kann sozialtheoretisch erst durch eine Verbindung mit Lindemanns Nachweis einer grundlegenden Bedeutung des Dritten befriedigend erörtert und erklärt werden. Das ‚menschliche Antlitz‘ gilt in alltäglichen Situationen als hinreichendes Kriterium für die Entscheidung darüber, welche Entität in den Kreis des Sozialen eingeschlossen werden kann. Je gefährdeter der bevorzugte Status menschlicher Entitäten wahrgenommen wird,

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desto wichtiger wird die ‚Pflege‘ und Thematisierung des Körpers. Die ihm zukommende Funktion muss gegenüber ‚konkurrierenden‘ Entitäten verteidigt werden. Der Körper als sozialrelevantes Element, das dem Element ‚Subjekt‘ zugeordnet wird, nimmt im Rahmen der hier entwickelten Argumentation die Position eines Bindegliedes zwischen einer rein theoretischen Rekonstruktion (Gedächtnisgeschichte) und einer gesellschaftsdiagnostischen Entsprechung (Ereignisgeschichte) ein. Es ist hierbei wichtig, beide Ebenen auseinanderzuhalten, um sie angemessen zueinander ins Verhältnis setzen zu können: Die innerhalb der im Kapitel zu den Theorietechniken erfolgten Rekonstruktion soziologischer Theorien und den diese flankierenden geistesgeschichtlichen Hintergründe hinsichtlich der Entstehung und Charakterisierung des (Erkenntnis-)Subjektes werden nun im Rahmen gegenstandsdiagnostischer, körperbezogener Überlegungen auf das ‚Subjekt‘ bezogen. Es soll noch einmal unterstrichen werden, dass hierbei Lindemanns Darlegung der Emergenzfunktion des Dritten eine herausragende Bedeutung bei der im Folgenden verstärkt thematisierten Konvergenz von Gedächtnis- und Ereignisgeschichte spielt. Ihre Thesen zur Funktion des Dritten als Elementarfiguration des Sozialen erlauben es erst, das Verhältnis zwischen Subjekt, Akteur und Soziales in Verbindung mit dem Körper als somatisches Substrat dessen, was vordem als ‚Subjekt‘ charakterisiert worden ist, zueinander zu führen, ohne die theoretischen Vorarbeiten im Sinne einer realweltlichen Entsprechung zu trivialisieren. Weiter unten wird zudem darauf hingewiesen, dass in Anbetracht einer fehlenden, diesbezüglichen empirischen Forschung, der Ertrag des hier Dargestellten zunächst in einem sozialtheorieimmanenten Nachweis bezüglich des schwierigen Verhältnisses zwischen der Disziplin und der Technik besteht. Andererseits wäre eine empirische Forschung, die darauf ausgerichtet ist zu beobachten, ob und, falls ja, auf welche Weise innerhalb sozialer Praxis die Hybridität des Akteurs zugunsten einer Subjektstabilisierung invisibilisiert wird auf ein entsprechendes Akteurmodell angewiesen. Dafür möchte das hier Dargelegte den Grundstein legen. Wenngleich die Wahrnehmung und erst recht die wissenschaftliche Thematisierung des Akteurs von der Herstellung des Subjektes abhängig ist, ist das ‚Subjekt‘ nichts weiter als eine ‚besondere‘ historische Form des Akteurs. Das Subjekt als Folgeerscheinung des neuzeitlichen Weltbildes ist anders als der Akteur an bestimmten Bedingungen geknüpft, die, je stärker diese in Gefahr sind, desto stärker in Erscheinung treten. Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass der Akteur auch faktisch in einigen Hinsichten mit dem Konzept ‚Subjekt‘ übereinstimmt. Hier geht es lediglich um zweierlei: Erstens den Nachweis zu erbringen, dass in der eigentümlichen Möglichkeit, die den Klassikern vorbehalten war, zwischen Subjekt und Akteur innerhalb ihrer Theoriearchitekturen zu unterscheiden. Der Grund für die deutlich bessere Integration von Technik lag zudem darin, dass der Akteur von Artifizialität gekennzeichnet ist, und dass eine angemessene Darstellung von Sozialität eines Akteurmodells bedarf, welches die das Subjekt auszeichnenden Qualitäten nicht beinhaltet. Da-

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ran gekoppelt sind weitere Überlegungen: Zunächst, dass eine soziologische Erfassung des Sozialen ein Element braucht, das es erlaubt, die Differenz von Sozialem und Akteuren vorbehaltlos zu verarbeiten; außerdem, dass das Subjekt in neueren sozialtheoretischen Entwürfen auf je sehr unterschiedlichen Weisen eine tragende Rolle spielt und zuletzt, dass gegenstandseitig eine Entsprechung konstatiert werden kann hinsichtlich der theoretischen Schwierigkeiten von dem Konstrukt ‚Subjekt‘, das auf eine menschliche Entität verweist, abzurücken. Diese kommen in Form einer Zunahme körperbezogener Praxen zum Vorschein. Die Funktion des Dritten gibt den Bezugsrahmen für diese Übertragbarkeit ab: Das Subjekt als menschliche Entität ist das definitorische Merkmal des Sozialen und des darauf rekurrierenden Wirklichkeitsaufbaus der Neuzeit. Diese hervorgehobene Stellung kommt sowohl innerhalb sozialtheoretischer Entwürfe als auch realweltlicher Praxen zum Vorschein. Die folgenden Abschnitte werden versuchen, diese Zusammenhänge anhand des Phänomens von Computerspielen und vor allem der Tätigkeit des Computerspielens zu erläutern und zugleich das vorbereitete Akteurmodell zur Anwendung zu bringen.

5.3 D IE R EKONFIGURATION VON S UBJEKTIVITÄT IN D IGITALEN S PIELEN Eine konstruktivistische Perspektive geht grundsätzlich davon aus, dass ihre Aussagen Konstruktionen zweiter Ordnung sind. Die hier entwickelte Perspektive hat einerseits in den vorangegangenen Abschnitten versucht, die Konstruktionsweise der zweiten Ordnung zu hinterfragen, sowie andererseits in den letzten Absätzen und im Folgenden in analoger Weise die der ersten Ordnung. Dass dabei die Argumentation in beiden Fällen in gewisser Weise um die Dekonstruktion des Subjektbegriffes kreist, könnte die Vermutung eines obsessiven ‚totalen Subjektivitätsverdachtes‘ nach sich ziehen und in deren Folge das eines totalen Ideologieverdachtes. Im besten Fall würde dies dazu führen, die vorliegenden Ausführungen als wissenssoziologisches Unterfangen auszuweisen. Der Autor zieht es allerdings vor, die im Problemaufriss bereits vorgenommene Relativierung hinsichtlich dieses Zusammenhanges zu wiederholen und darauf hinzuweisen, dass es vornehmlich darum geht, ein Modell für die adäquate Bearbeitung techniksoziologischer Fragestellungen vorzustellen – zu dem das Folgende zuallererst nichts weiter als eine exemplarische Anwendung darstellt. Die vornehmlich feministische ‚Technoscience‘-Forschung hat mehr oder weniger explizit das Cyborg-Konzept mit politischen Implikationen versehen, die einen Ideologieverdacht hinsichtlich der Konstatierung von Praktiken und Strukturen, die dieses Konzept unterwandern, nahe legt. Die von Donna Haraway – in Form eines Manifestes (!) – vorgestellte Figur des Cyborg legt es allerdings nahe, weniger von

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einem Konzept als vielmehr von einer Metapher zu sprechen (vgl. Angerer 1999: 175). Einige Autorinnen – beispielsweise Jutta Weber (2003a: 202ff; 1998: 709f), Marie-Luise Angerer (1995: 23f) oder Barbara Orland (2005a: 11) – gehen differenziert und kritisch mit Haraways Vorschlag um. Insbesondere die Reifizierungstendenzen der Cyborg-Metapher haben jedoch zu einer eigenwilligen Subsumierbarkeit dieser Metapher (als Konzept) unter Aspekten der Gouvernementalität geführt (vgl. bspw. zur Reifizierung Spreen 2004: 335ff; zur problematischen Subsumierung unter das Konzept der Gouvernementalität Maasen 2005). Diese Entwicklungen können fruchtbar sein um bestimmte Phänomene in den Blick zu nehmen, verspielen jedoch das analytische Potenzial des Ansatzes. Gouvernementalität als ein Ensemble von Praktiken der Herstellung von Subjektivität, die als Scharnierfunktion zwischen gesellschaftlichen Strukturen und individuellen Verhaltensweisen und Orientierungen konzipiert worden ist (vgl. Lemke 2008), verleitet dazu, insbesondere im Rahmen der Selbsttechnologien und Selbstverwaltung die Körperbezogenen manipulativen Maßnahmen als Cyborgisierung zu deuten (vgl. Maasen 2005). Die dem Konzept der Gouvernementalität inhärente Rekursivität zwischen Selbsttechnologien und gesellschaftlichen Strukturen – die sich formal mit Giddens Dualität der Struktur und seinem Modell der homöostatischen Kausalschleife beschreiben lassen (vgl. Giddens 1997: 77ff) – deutet allerdings unmissverständlich auf die Inkompatibilität der Entwürfe hin. Die Cyborg Metapher führt in jeder Hinsicht zur Unterbrechung von Rekursivität; sie löst elementare Codes (insbesondere das der Heteronormativität aber auch allgemeiner das des Geschlechterdualismus und damit aber auch die damit zusammenhängenden Subjektivierungsleistungen, die – vor allem in der Moderne – unauflöslich daran gekoppelt sind und zugleich auf die hierfür fundamentale Bedeutung des Körpers verweisen) der Zuordnung auf und setzt sie neu zusammen. Das Cyborg ist nicht nur geschlechtslos, sondern fordert eo ipso auch die Auflösung von Subjektivität ein. Vor diesem Hintergrund wird die Wortwahl hinsichtlich der Beschreibung von Grenzgängerentitäten – Wesen die sich den geltenden Zuordnungen entziehen – verständlich: Diese als Monster oder Monstrositäten zu bezeichnen, unterstreicht, was der Cyborg Metapher eigen ist und sie in besonderem Maße auszeichnet, dass sie die vielleicht unheimlichste Denk-Figur der (oder für die) Spätmoderne darstellt (vgl. Haraway 2006b; Bowker/Star 1999: 303ff). Spieler und Spielfigur in Digitalen Spielen

Das Verhältnis zwischen Spieler und Spielfigur (Avatar bzw. Model – im Folgenden: Avatar) in digitalen Spielen ist ein eigentümliches und wirft bei genauer Betrachtung einige grundsätzliche, die Handlungstheorie betreffende Fragen auf: Wer bzw. was handelt und wo findet die Handlung statt? Zunächst fällt auf, dass zwei (Handlungs-)Räume unterschieden werden können. In einer typischen Spielsituation kann

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einerseits zwischen der menschlichen Spielerin und ihrem unmittelbaren Handlungsraum und andererseits dem Repräsentanten der menschlichen Spielerin, ihrem „Avatar“ (vgl. Neitzel 2001: 66), der im ‚eigentlichen‘ Spielraum agiert, unterschieden werden. Der Handlungsraum des Spielers ist gekennzeichnet durch ein vergleichsweise sehr enges Betätigungsfeld, das sich auf den Radius von ca. einem Meter erstreckt und in dem Bewegungsabläufe typisch sind, die sich im Wesentlichen auf feinmotorische Finger-, Hand-, Arm- und Kopfbewegungen beschränken. Der Handlungsraum ‚seines‘ Avatars erstreckt sich hingegen (je nach Spiel) über weite Flächen; hinzu kommt, dass in dem Spielraum ein vielfältiges Handlungsinventar mit unterschiedlichsten Bewegungsabläufen durchgeführt werden kann (vgl. Thon 2007; Nohr 2007). In der Literatur wird häufig eine weitere, dritte Raum-Ebene herausgestellt, die dem Spielraum mehr Gewicht verleiht als dem Spielerin-Raum: 1.) „Physical Space“ (Spielerin-Raum), 2.) „Game-play Space“ (Spielraum) und 3.) „Socialsymbolic Space“ (Sozialraum); entscheidend dabei ist, dass der Ort an dem soziale bzw. symbolisch-vermittelte Interaktionen stattfinden, einhellig innerhalb des (virtuellen) Spielraumes angesiedelt wird (Kerr 2006: 127; vgl. Neitzel 2004a: 196; Thon 2007: 46ff). Im Handlungsraum digitaler Spiele kommen die Körper der am Spiel beteiligten Akteure nicht vor. Die Avatare verfügen allerdings über eine zwar virtuelle, aber hinsichtlich der Wirkmächtigkeit ihrer Handlungen durchaus ‚quasi-physischen‘ Präsenz. Diese unterscheidet sich jedoch deutlich von der der menschlichen Akteure, die wiederum mit den Avataren auf sehr eigentümliche Weise eng gekoppelt sind. In verschiedenen Kontexten technisch vermittelter Interaktionen ist der physische Körper der Beteiligten hinsichtlich des Interaktionsgeschehens nicht anwesend (bspw. beim Telefonieren, Chatten, etc.); kaum ein Bereich bildet jedoch so annähernd vollständig den sozialen Interaktionsraum ab – bzw. stellt diesen vielmehr dar – als der Handlungsraum digitaler Spiele (Gärtner/Arbeitskreis Digital-Game & -Gaming Forschung 2010). „In einem Großteil der Spiele stehen dem Spieler ein oder mehrere ‚elektronische Stellvertreter‘ zur Verfügung, die er mittels Tastatur, Maus oder Joystick durch die virtuelle Welt steuert. Unsichtbar mit ihm verbunden erleben sie ‚gemeinsam‘ Abenteuer, überwinden Hindernisse, meistern Probleme. Hier von einer Beziehung im herkömmlichen Sinne oder von einem wirklichen Verschmelzen zu reden wäre falsch. Es sind spezifische Fähigkeiten des Spielers, die in der Steuerung seines Stellvertreters sichtbar werden. Schnelle Reaktionen, präzise Bewegungen oder vorausschauendes Handeln – all dies entspringt dem Können des ‚Marionettenspielers‘.“ (Sleegers 2007: 17f)

Nur wenige Seiten weiter heißt es in einem anderen Beitrag aus dem Sammelband „Digitale Spielräume“ (Kaminski/Witting 2007): „Der Spieler ‚verschmilzt‘ mit seiner Spielfigur (seinem ‚Avatar‘) und erweitert durch zahlreiche Übungssequenzen

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sein Körperschema, ähnlich einem Autofahrer, der gelernt hat, ‚eins‘ zu werden mit seinem Auto.“ (Witting 2007: 24) Zwischen dem Marionettenspieler und dem Computerspieler gibt es jedoch einen beträchtlichen Unterschied, der über die Frage nach dem Grad der Kopplung zwischen Spieler und Avatar hinausgeht: Die Wirkmächtigkeit einer Marionettenhandlung ist abhängig von der Bereitschaft, meiner Mitspielerin zu Boden zu gehen, wenn ich sie erdolche oder den Kuss anzunehmen, den ich ihr anbiete; die Verlässlichkeit der programmierten Spielumwelt vorausgesetzt (ähnlich wie die Gesetze der Schwerkraft im realen Leben vorausgesetzt werden), wird jedoch der Außerirdische sterben, wenn ich ihn mit dem Laserstrahl meiner Waffe treffe. Erst durch die zwar in einem virtuellen Raum, aber in diesem sich faktisch konstituierende Wirkmächtigkeit ihrer Handlungen, erlebt die Computerspielerin die Spielhandlungen als ‚real‘ (vgl. Neitzel 2004a: 197f; 2004b: 170f). Digitale Spiele sind hinsichtlich ihrer Inhalte und Motivationen gar nicht so verschieden von den üblichen Spielen der Gesellschaften, in denen sie gespielt werden und, wie komparatistische Studien zeigen, werden sie auch gar nicht so verschieden – also kulturell jeweils deutlich gefärbt – wie diese gespielt (vgl. Kerr 2006: 106ff). Was sie auszeichnet, ist der Ort und die Eigentümlichkeit der Handlungen innerhalb dieser ‚virtuellen Räume‘. Eine nähere Beschäftigung mit digitalen Spielen vermag es nicht nur, Umgangsweisen mit sich verändernder Handlungsträgerschaft aufzudecken (Rammert 2008b: 18), sondern auch in einem besonderen Maße dominante soziale Muster an den Konfliktlinien zwischen diesen ‚neuen‘ (virtuellen) und den tradierten (realen) sozialen Wirklichkeiten auszumachen. Die folgenden Ausführungen werden von der Annahme getragen, dass die lebensweltlichen Schwierigkeiten, die Handlungsräume digitaler Spieler als soziale Räume wahrzunehmen bzw. anzuerkennen, vor allem der (im herkömmlichen Sinne) ‚Körperlosigkeit‘ dieser Interaktionsräume geschuldet ist. Darüber hinaus ergeben sich aus einer näheren Beschäftigung mit dem Handlungsvollzug und -erleben, die dem eigentümlichen Verhältnisses zwischen Spielerin und Avatar geschuldet sind, weitreichende Konsequenzen für die Subjektkonstitution, die als Ausdruck einer Rekonfiguration von Subjektivität schlechthin gedeutet werden kann. Medium Spezifika: Digitale Spielräume

Die Spielräume von digitalen Spielen sind gänzlich medial erzeugt. Bartels versucht mit McLuhans Medienkonzeption, den Spielraum als ‚Raum-Prothese‘ und die sich in diesen bewegenden Avatare als ‚Handlungs-Prothesen‘ zu rekonstruieren. Der Handlungsraum der Spieler wird erweitert, indem durch die Spielhandlungen ein vermittels Computertechnik neuer, ‚virtueller‘ Raum erschlossen wird. Dabei stellt er – mit McLuhan – heraus, dass die durch die Mediennutzung erreichte Handlungserweiterung immer auch eine ‚Beschneidung‘ nach sich zieht:

320 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Das Umkippen eines Mediums in ein Werkzeug der Selbstamputation ist eine wichtige Komponente in der Prothesenkonzeption McLuhans. Er hat unermüdlich betont, dass Prothesen keine neutralen Geräte sind, sondern dass Menschen sich an ihre mediale Umwelt zu adaptieren und in Servomechanismen ihrer Ausweitungen zu verwandeln pflegen.“ (Bartels 2007: 86)

Bartels geht dabei davon aus, dass Computerspiele vor allem eine besonders robuste Form der ‚Raumprothese‘ darstellen, die den ‚anthropologischen‘ Raum verdrängt (Bartels 2007: 95). Die durch die Steuerung der Avatare erzeugte Handlungserweiterung wird dem Spielraum, in dem diese stattfinden, untergeordnet. Das dominante Phänomen liegt nach Bartels in der besonderen Beschaffenheit des virtuellen Spielraumes, den er im Gegensatz zu dem lebensweltlich-anthropologischen ‚Realraum‘ als geometrischen und vernetzten Informationsraum kennzeichnet (Bartels 2007: 95). Bartels folgert hieraus: „Es ist also wenig zweifelhaft, dass in der neuen Spielkultur Raumprothesen das Kommando übernehmen und die Lebenswelt der Spieler, der anthropologische Raum, vom geometrischen und vom Informationsraum überformt wird.“ (Bartels 2007: 95)

Der Avatar nimmt aus dieser Sicht den Stellenwert einer „semiotischen Prothese“ (Bartels 2007: 90) ein, also eines Zeichens, das (nur) durch die Inverhältnissetzung zu den anderen, medial erzeugten Zeichen eine Bedeutung erlangt und gleichsam die Ordnung des virtuellen Raumes mit aufrechterhält. Rautzenberg macht außerdem darauf aufmerksam, dass jedes Medium von einer tiefen Ambivalenz hinsichtlich des von ihm Repräsentierten geprägt ist (Rautzenberg 2004: 131). Der symbolische, geordnete Raum wird durch jede mediale Darstellungsweise an seine eigene Kontingenz erinnert, da jedes Medium die vielfältigen anderen Möglichkeiten – bis hin zur totalen Unordnung bzw. Mannigfaltigkeit aller Möglichkeiten – potenziell bereithält (Rautzenberg 2004: 132, 134). Dieser Umstand wird mit dem ‚Rauschen‘ des Mediums, beispielsweise einer ‚misslungenen‘ Fotografie, veranschaulicht: „Dieses Chaos radikaler Kontingenz ist allerdings nichts Ephemeres, das ignorierbar wäre, im Gegenteil: […] Das Chaos als solches insistiert auf eine Weise, dass es in dem Augenblick in dem es durch die dünnen Membranen des Symbolischen und Imaginären dringt, deren Ordnungen zusammenbrechen lässt und ihrerseits als ephemer entlarvt. Genau hierfür ist das zitierte ‚Abschmelzen des Referenten‘ im fotochemischen Unfall ein Beispiel. Denn was ist dieser ‚Lärm, in dem man alles hören kann‘ anderes als das Chaos, die Ununterscheidbarkeit von Rauschen und Signal, das Rauschen selbst?“ (Rautzenberg 2004: 133)

Dabei wird das Medium selbst erst dann als ‚Medium‘ sicht- und wahrnehmbar, wenn es den Erwartungen der symbolischen Repräsentation nicht entspricht (Rautzenberg

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2004: 130; vgl. Halfmann 1996: 109ff). Das Medium hält jedoch die Kontingenz, also das Gegenteil von Eindeutigkeit und darauf aufbauender Ordnung, immer bereit: Die symbolische Ordnung (der Avatar als semiotische Handlungsprothese und der Spielraum von Computerspielen als semiotische Raumprothese) ist ‚nur‘ eine Variante des Möglichen und kann folglich als ‚Residuum‘ der totalen Unordnung aufgefasst werden: „Die ‚Heimsuchung‘ der Repräsentation durch die Materialität des Mediums bedeutet also eine ‚Störung‘, sowohl des Symbolischen als auch des Imaginären. […] Das scheinbar so verlässliche heimlich/heimelige, weil brav mimetische Medium der Fotografie wird in dem Moment unheimlich, in dem Kontingenz die Mimesis heimsucht und somit das Signal sich als Ausnahmefall des chaotischen Rauschens entpuppt und nicht umgekehrt. […] Was in der ‚Heimeligkeit‘ fotografischer Mimesis verborgen bleiben soll, ist ihre Geburt aus der reinen Kontingenz und genau jene tritt im Modus des fotochemischen ‚Unfalls‘ […] hervor.“ (Rautzenberg 2004: 132)

Ein besonderes Merkmal von computergenerierten Spielräumen liegt also wesentlich auch in spezifischen Aspekten des ‚Medialen‘; seines materiellen Substrates. Gleichzeitig konstituieren sich diese Spielräume ebenfalls durch die Handlungen der Avatare – die ihrerseits von menschlichen Spielern gesteuert werden – sowie zuvor durch die Entwürfe und Ideen der Entwickler und Programmierer von Computerspielen. Insofern unterscheiden sie sich nicht wesentlich von den ‚realen‘ gesellschaftlichen Räumen: „Wenn es stimmt, dass Raum erzeugt wird und nicht quasi naturgegeben vorhanden ist, dann dürfen wir annehmen, dass das, was wir als Raum bezeichnen, nichts anderes als ein Synonym für Gesellschaft ist. Raum ist eine Projektionsfläche, auf die die Charakteristika gesellschaftlicher Existenz geworfen und von dort quasi naturalisiert abgelesen werden.“ (Schmutzer 2003: 83)

Handeln in/mit Digitalen Spielen

Britta Neitzel entwickelt das Spieler-Avatar Verhältnis entlang der Unterscheidung von „Point of Action“ (PoA) und „Point of View“ (PoV) (Neitzel 2007; vgl. Thon 2007: 34ff). Sie geht einerseits davon aus, dass das Verhältnis zwischen Spielerin und Avatar von engen Rückkopplungsschleifen gekennzeichnet ist, also ‚kybernetische‘ Merkmale aufweist (Neitzel 2004a: 198f). Andererseits hält sie an der Trennung zwischen der Spielerin-Perspektive außerhalb des Spielraumes (PoV) und des Handlungs-Ortes innerhalb des Spielraumes (PoA) fest (Neitzel 2004a: 201; 2007: 13). Wenngleich der Spieler ‚Handlungen‘ im Spielraum ausführt, so ist sich dieser dennoch immer ‚bewusst‘, dass ein technischer Repräsentant (sein Avatar) diese

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Handlungen in einem ‚bloß‘ virtuellen (qualitativ anderen und von der Spieler-Wirklichkeit strikt zu trennenden) Raum ausführt (Neitzel 2004b: 248f). Diese Trennung macht sie also vornehmlich an der Beobachterabhängigkeit des Spielers im Verhältnis zu seinem Avatar fest (Neitzel 2007: 10; 2004a: 206ff). So kennzeichnet sie einerseits den Spielraum unter Rückgriff auf Mead als symbolischen Interaktionsraum (Neitzel 2004a: 196), fasst aber den Avatar als Demarkationslinie auf, die sich zwischen der Spielerin und ihren Handlungen im Spielraum schiebt: Die Spielerin beobachtet ihren Avatar, während dieser eine ‚Handlung‘ ausführt, mit dem jene wiederum durch Rückkopplungsschleifen eine zwar kybernetische aber ‚verdoppelte Einheit‘ realisiert. Sie stellt diesen Sachverhalt als eine „Verdoppelung des Körpers des Spielers in einen realen und einen Datenkörper“ (Neitzel 2007: 11; vgl. 2004a: 206) dar: „Das Videospiel verdoppelt im Gegensatz zum Spiegelbild die Realität nicht, es erweitert sie. Doch es gleichen sich die Gesten, mit der die Beziehung des Bildes zur Realität außerhalb des Bildes ausgetestet wird. Hebt das Kind den Arm so lange vor dem Spiegelbild, bis es schließlich erkennt, dass es selbst das Spiegelbild hervorruft, auf dem es selbst und seine Umgebung abgebildet ist, so erprobt der Videospieler die möglichen Eingaben so lange, bis er sehen kann, in welcher Weise seine Handlungen an die Bewegungen auf dem Monitor gekoppelt sind, um dann entsprechende Bewegungen und Bilder hervorzurufen. Trägt das Spiegelbild dazu bei, die Realität zu organisieren, so trägt das Bild im Videospiel dazu bei, sie auszuweiten.“ (Neitzel 2004b: 170f)

Obschon sie damit eine gewisse Verwischung der Grenzen feststellt (vgl. auch Neitzel 2004a: 198f), wird das Spieler-Avatar Verhältnis durch die Beobachterperspektive bestimmt, die der Spieler dem Avatar gegenüber einnimmt (Neitzel 2007: 10; 2001: 63). Diese Auffassung untermauert sie unter anderem mit der Abwesenheit einer Rollenübernahme und/oder Identifikation des Spielers mit ‚seinem‘ Avatar (Neitzel 2004a: 202ff). Sowohl die Darstellung des Verhältnisses als kybernetischen RückkopplungsKreislauf als auch die Kennzeichnung des Spielraumes mit Meadschen Konzepten (‚Social-symbolic Space‘) sind mit ihrer Gesamtdarstellung nur schlecht vereinbar und mögen nicht vollends überzeugen; vielmehr weisen sie den Weg in eine anders gelagerte Darstellung des Spieler-Avatar Verhältnisses: Wenn das Verhältnis zwischen Spielerin und Spielhandlungen als kybernetisches System dargestellt wird, so leuchtet nicht ein, gerade den Avatar als dazwischen geschaltete Größe zu sehen, der diese Einheit wieder zerbricht. Stattdessen lässt sich gerade mit Meads Begriff der Geste das Spielerin-Avatar Verhältnis als ein Verhältnis darstellen und begreifen, das (handlungs-)subjektkonstitutive Züge für die Spielerin aufweist. Der Avatar und die von diesem durchgeführten Handlungen können als Analogon zur vokalen Geste (Mead 2002a: 100ff) aufgefasst werden. Die Perspektivenübernahme von Alter kann

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analog zur vokalen Geste auf die Ebene der Handlungsgesten verortet werden: Die von Ego erzeugten und ebenso wie von Alter wahrgenommenen Laute und die dadurch (vereinfacht) ermöglichte Vergegenwärtigung der symbolischen Bedeutung der vokalen Geste kann auf die Handlungsgeste übertragen werden (Mead 2002a: 105). Gerade in „third person games“ (von Neitzel als „semi-subjektives Point of View“ (Neitzel 2007: 18) bezeichnet und von ihr als paradigmatisch für die Auftrennung von Spieler und Avatar ins Feld geführt (Neitzel 2004a: 206)), ist diese Analogie besonders augenfällig. Der Spieler (Ego) kann die Perspektive seiner Mitspielerin (Alter) einnehmen, nicht nur weil er, wenn er etwas sagt, genau das hört, was sie hört, sondern auch weil er sich selbst beim Handeln zusieht, genauso wie sie ihn sieht. Die herausragende Bedeutung der vokalen Geste spielt sich bei Mead selbstredend auf einer sehr basalen Ebene der Phylo- und Ontogenese des ‚Sozialen‘ als Erzeugung symbolisch-vermittelter (intersubjektiv hergestellter) Wirklichkeit ab (Mead 2002a: 131, 178, 193, 226). Nichtsdestotrotz deutet eine ausbuchstabierte Meadsche Lesart des Spieler-Avatar Verhältnisses auf eine enge Kopplung (trotz oder gerade wegen der Möglichkeit einer ‚Selbstbeobachtung‘ der eigenen Spielhandlungen verkörpert durch den Avatar), und nicht auf eine Spaltung. Der Versuch durch die Adaption von einem Cybertext-Modell dem Spieler-Avatar Verhältnis beizukommen (Friedman 1995), lässt sich als stärkere ‚Hereinnahme‘ des Avatars in den Rückkopplungskreislauf verstehen: Spieler und Avatar bilden eine kybernetische ‚Einheit‘ bzw. ein komplexes Steuerungssystem (Aarseth 1997: 51ff), in dem die von Neitzel betonte Unterscheidung zwischen Herstellungs- und Verwendungskontexten (Neitzel 2001: 63ff), genauso wie die strikte Trennung von Spieler und Avatar, der sich in ihrer Argumentation zwischen dem Spieler und den symbolischen Handlungsraum im Spiel legt (Neitzel 2004a: 201), an Bedeutung verlieren (vgl. Friedman 1995: 73). Der Spieler bildet mit dem von ihm gesteuerten Avatar eine Einheit und befindet sich gemeinsam mit ‚seinem‘ Avatar folglich im Spielraum, sodass die Unterscheidung zwischen PoA und PoV obsolet wird. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass es zu einer erfolgreichen Anpassungsleistung des Spielers an die Spiel- bzw. vielmehr Avatar-Steuerung gekommen ist (Sleegers 2007: 18; vgl. Pias 2002: 16ff; Neitzel 2004a: 200). Der Avatar wird in dieser Perspektive zu einer Handlungs-Prothese des Spielers, in der Spielhandlung selbst bilden Spieler und Avatar einen integrierten Schaltkreis (Baudrillard 1989: 125; vgl. Bartels 2007: 84ff). Postnukleare Handlungstheorie

Diese Sichtweise stößt freilich auf kulturell bedingte Unwegsamkeiten (Schneider 2005). Diese reichen von Descartes formulierte Vergewisserung und damit Verankerung des Selbst im „Geist“ des Akteurs (Descartes 1992; vgl. Schroer 2005a: 12f) über Webers Begriffsbestimmung des Sozialen als Rekonstruktion des subjektiv (also eindeutig im Akteur zu verortenden) gemeinten Sinns einer Handlung (Weber

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1990: 1) bis hin zu Parsons „unit act“ Modell (Parsons 1968: 43f). Die ‚Einheit des Akteurs‘ und die ihm exklusiv zugeschriebene Handlungsträgerschaft (vgl. Honneth/Joas 1980: 48ff), die auf eine Destabilisierung des christlich-theistischen Weltbildes zurückgeführt werden kann (Blumenberg 1981c: 88ff; 2007: 691ff), ist ihrerseits vielfach geschwächt worden – maßgeblich von Darwins Evolutionstheorie, Freuds Psychoanalyse und Durkheims sozialen Funktionalismus (Greshoff et al. 2003: 9). Diese erfährt durch avancierte, stark interaktive technische Systeme – für die Avatare ein gutes Beispiel sind – und deren Handlungsmächtigkeit eine weitere Sollbruchstelle (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002b: 11f; 2008b). So ist es nicht verwunderlich, dass Avatare neben Robotern, Cyborgs, Hybriden zu „jenen robusten Organismen [werden], die nach der atomaren Katastrophe die Erde beleben“ (Baecker 2007a: 228) und die für das Einläuten der „nächsten Gesellschaft“ von Baecker ins Feld geführt worden sind (Baecker 2007d). Bauman stellt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Computer und der Auslöschung des Individuums her, indem der Computer die Urheberschaft der Akteure hinsichtlich einer (prinzipiellen) Überwindung der Endlichkeit auslöscht. Die auf dieses Ziel hin explizit oder implizit ausgerichteten Taten und Leistungen bestimmter ‚Menschen‘ werden bis auf einen unbedeutenden Rest relativiert, der die menschliche Gattung der Beliebigkeit überführt: „Der Computer, der einer der erschreckendsten aller Unsicherheiten ein Ende bereiten sollte, ist selbst, wie alle Spezies, zur verkörperten Unsicherheit geworden. Darauf programmiert, die menschliche Unsterblichkeit zu sichern, emanzipierte er das Schicksal der Unsterblichkeit vom Streben des Menschen; er enteignete die menschlichen Individuen mit ihrer Sehnsucht nach ewigem Leben für ihre individuellen Leistungen, indem er ihnen die Unsterblichkeit wegnahm. Statt den Urhebern Unsterblichkeit zu garantieren, schaffte er die Urheberschaft am ewigen Leben ab. Die individuelle Unsterblichkeit großer Taten und Gedanken nahm den Weg der kollektivierten Unsterblichkeit des gemeinen Volkes. Auch sie wurde nun kollektiviert; den Launen der menschlichen Spezies anvertraut, nährt sich der Computer vom Tod des Individuums.“ (Bauman 1996: 254)

Eine ‚postnukleare Handlungstheorie‘ in Aussicht zu stellen, bedeutet selbstredend nicht den buchstäblichen Zustand nach der nuklearen Katastrophe als Rahmenbedingung für eine auf diese Situation hin ausgerichtete Handlungstheorie zu wählen. Vielmehr wird eine Situation thematisiert, in der die menschliche Agency sich so tief erschüttert zeigt, dass es angebracht erscheint, nach völlig neuen Möglichkeiten der Handhabung und Beschreibung von ‚Handlung‘ und ‚Handlungsträgerschaft‘ zu fahnden. Ähnlich wie Baumans angezeigte Widersprüchlichkeit zwischen der ursprünglichen Intention des Computers, als eine die menschlichen Akteure bei Weitem überragende datenverarbeitende und -speichernde Maschine und der von diesen ‚maschinenhaften‘ Fähigkeiten ausgehenden Verunsicherung und ‚Amputation‘

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menschlicher Fähigkeiten, erinnert Bartels – im Rahmen eines deutlich kleineren Maßstabs – an die ersten Studien zu digitalen Spielen, in denen einerseits von einer „Roboterisierung des Menschen“ die Rede war, da diese „zu einer ‚Gefühlsausdünnung‘“ führe und „die menschliche Natur des Spielers in eine Maschine“ (Bartels 2007: 87) verwandele. Oder aber andererseits – in anderen Studien – von einer ‚positiven‘ Ausweitung hinsichtlich einer ‚sozialen Dimension‘ ausgegangen worden ist, aufgrund der neuen Möglichkeiten der ‚Vernetzung‘ und der Aufnahme sozialer Beziehungen in einem geografisch ungeahnten Ausmaß. Je nachdem, welche Seite betont wurde, zeichnete sich in den ersten Computerspielstudien der 80er Jahre ein antagonistisches Bild: Die organische Ausweitung wurde als Amputation verteufelt, die soziale hingegen befürwortet: „Medien sind […] sowohl Ausweitungen des Menschen als auch Werkzeuge der Selbstamputation. Im Medium Computerspiel werden […] die beiden Formen der Ausweitung (hinsichtlich seiner apparativen Eigenschaften ist das Computerspiel eine Ausweitung des organischen, hinsichtlich seiner ludischen Elemente eine Ausweitung des sozialen Menschen) zu Antagonisten.“ (Bartels 2007: 86)

So zeigte sich der Tendenz nach schon in den Anfängen der Auseinandersetzung mit digitalen Spielen die Betonung des Körpers als einen Garanten für ‚menschliche‘ Agency bzw. den menschlichen Akteur auszeichnende ‚Qualitäten‘. Bartels geht dem nicht weiter nach, obwohl diese Feststellung durchaus erläuterungswürdig ist: Wieso soll die mit der medialen Ausweitung sozialer Kontakte einhergehenden Amputation (bspw. hinsichtlich einer Einschränkung unmittelbarer Kontakte und der Zunahme technikvermittelter Interaktion bei gleichzeitiger Abnahme von face-to-face Begegnungen) begrüßenswert sein, wohingegen die organische Ausweitung, die körperbezogenen Handlungserweiterungen und die damit verbundenen ‚Amputationen‘, problematisch? Hier kommt die zunehmende Bedeutung des Körpers als ‚organische‘ Demarkationslinie eines von erheblichen Erschütterungen heimgesuchten, epistemischen Konstruktes zum Vorschein, nämlich des ‚Menschen‘ als ‚Subjekt‘. Die Auflösungstendenzen ‚seiner Realität‘ und ‚realen Wirksamkeit‘ werden von Baudrillard im Zusammenhang mit dem ‚Nuklearen Zeitalter‘ (bzw. des Verhältnisses des Orbitalen mit dem Nuklearen (1978: 51ff)) in Verbindung gebracht, die dem vorläufigen Subtext dieser Abschnitte – der Formulierung einer ‚postnuklearen Handlungstheorie‘ – einen günstigen Rahmen verschaffen: „Die Abschreckung ist keine Strategie, sie zirkuliert und tauscht sich zwischen den Protagonisten der Atomwaffen aus, genau wie internationale Kapitalien die Erde im Orbit der Geldspekulation umkreisen und mit ihren Strömen sämtliche Tauschprozesse der Welt kontrollieren. In gleicher Weise zirkuliert auch das Zerstörungsgeld (dem die Referenz realer Zerstörung

326 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE fehlt genau wie den Kapitalströmen der Referent materieller Produktion fehlt) in einem nuklearen Orbit, was ausreicht, um die gesamte Gewalt und alle potentiellen Konflikte unseres Planeten zu kontrollieren.“ (Baudrillard 1978: 53)

In dieser und vielen anderen Beschreibungen Baudrillards geht es weniger um die buchstäbliche Übertragung des Geschilderten auf soziale Wirklichkeit (zumal bspw. die ‚nukleare Bedrohung‘ an faktischer Wirksamkeit seit dem Ende des Kalten Krieges erheblich eingebüßt hat), sondern um die angezeigte Tendenz einer Auflösung bzw. radikalen Entkoppelung des ehemals realen von den nunmehr virtuellen, fiktiven Referenten im sozialen Raum, die dem Akteur nicht nur eine Orientierung verschaffen konnten, sondern für die er sich auch – was mindestens genauso wenn nicht gar relevanter ist – verantwortlich fühlen konnte (vgl. Baudrillard 1979; 1989; Böhme 1998: 46). Postnuklear wäre eine Handlungstheorie demnach, wenn als äußerste, letztgültige Referenz sozialer Wirklichkeit nicht das Subjekt (in irgendeiner ihn auszeichnenden Eigenschaft), sondern die bloße Tatsache des Lebens steht. In einer der möglichen antizipierbaren Zukünften, aus der das Selbstverständnis sozialer Akteure sich in der Gegenwart speist, erblicken die Menschen schon heute ein höchst buntes Panoptikum aus Cyborgs, Robotern, Avataren in den endlosen Weiten virtueller Beliebigkeit sowie Kakerlaken als potenzielle Überlebende der nuklearen Katastrophe. Von dieser vorweggenommenen – für die Konstituierung der Gegenwart aber faktisch wirksamen – Zukunft aus betrachtet, ist die aus dem vorgeschlagenen Akteurmodell ableitbare Handlungstheorie eine ‚postnukleare‘. Das Spielerin-Avatar Verhältnis führt der handlungstheoretisch sensibilisierten Beobachterin plastisch vor Augen, welchen Herausforderungen gegenwärtige und künftige Handlungsmodelle sich stellen müssen – unabhängig davon, ob es angebracht erscheint einen völlig neuen Typus handlungstheoretischer Modellierungen ins Leben zu rufen, wofür allerdings einiges spricht. Die Herausforderung geht weit über die Feststellung von Neitzel hinaus, dass „vielleicht […] gerade dieses Sowohlals-auch, die Auflösung der eindeutigen Subjekt- und Objektpositionen im Spiel, […] uns dazu bringt, so gerne (Computer)spiele zu spielen.“ (Neitzel 2001: 67) Ganz ähnlich wie (und lange vor) Neitzel umschreibt Helmuth Plessner das Spiel als eine zutiefst von Ambiguität geprägte Tätigkeit: „Spielen ist immer ein Spielen mit etwas, das auch mit dem Spieler spielt, […] eine gegensinnige Beziehung, die zur Bindung verlockt, ohne doch soweit sich zu verfestigen, daß die Willkür des einzelnen ganz verlorengeht. Gleichwohl besteht die Gefahr des Umschlags, in jedem Augenblick. Die lockere, bildhafte Bindung verfliegt dann, und die Eindeutigkeit schiebt sich an ihre Stelle: aus dem Spiel wird Ernst, aus dem sich Jagen, Fangen und Balgen wird Kampf, das Bild wird von der Wirklichkeit verdrängt. Solange man nur so tut, als ob …, solange man auf die bildhaften Qualitäten der Dinge, ihr Wippen und Schwingen, ihr Rollen und Tanzen, die Schmalheit des gespannten Seils, die Glätte des Bodens, die Schiefheit der Gleitfläche, die

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Elastizität des Balles anspricht, ist die Bindung da. Entzieht man sich ihrer Resonanz, verwandeln sie sich in die Qualität ihres Ernstes, in Dinge des Gebrauchs und der eindeutigen Wirklichkeit.“ (Plessner 1961: 102)

Im Spiel befindet sich die Spielende (bei aller Flüchtigkeit) in einem von Plessner als „utopischem Standort“ (Plessner 1975: 288ff) bezeichneten konstitutiven ‚Zwischenraum‘ der Subjektgenese. Ein Paradoxon, das (wie alle Paradoxe) nur durch eine konsequente Temporalisierung des Prozesses entparadoxiert (von Plessner) in den Blick genommen werden kann (Luhmann 1994: 74, 83; 2005a). Die Position, die das Subjekt zu sich selbst einnimmt, wird von Plessner als exzentrisch beschrieben, insofern das Subjekt sich selbst nur als Objekt begegnen kann. Die Selbstermächtigung des ‚Menschen‘ als Subjekt erfolgt also über den Umweg der Selbstloslösung, denn als „exzentrisch organisiertes Wesen muß er sich zu dem, was er schon ist, erst machen.“ (Plessner 1975: 309) Ob der ‚Mensch‘ tatsächlich schon etwas ist, bevor er sich als (soziales) Subjekt ‚hergestellt‘ hat (und zugleich geworden ist), ließe sich gerade vor dem Hintergrund von Meads Akteurmodell (Mead 1987c: 241f) sowie sozialkonstruktivistischer (Berger/Luckmann 2003: 70f) und „neostrukturalistischer Wissenssoziologie“ (Frank 1997: 610; vgl. 174ff) trefflich infrage stellen (vgl. Foucault 1978; 1997; 2004a; 2004b). Die Position, die – aus Plessners anthropologischer Perspektive – der ‚Mensch‘ bei dieser Bewegung einnimmt, ist eine Leerstelle, denn sie verliert sich in der Bewegung; die Subjektkonstitution muss nach Plessner folglich vielmehr als Prozess denn als lokalisierbare Ermächtigung aufgefasst werden: „Wie die Exzentrizität keine eindeutige Fixierung der eigenen Stellung erlaubt (d. h. sie fordert sie, hebt sie jedoch immer wieder auf – eine beständige Annullierung der eignen Thesis), so ist es dem Menschen nicht gegeben, zu wissen, ‚wo‘ er und die seiner Exzentrizität entsprechende Wirklichkeit steht.“ (Plessner 1975: 342)

In der oben angerissenen Figuration eines Spieler-Avatar Verhältnisses, das sich mit Mead analog zur herausgehobenen Stellung der vokalen Geste verhält, steht die Spielerin sich selbst ‚unbewegt‘ beobachtend gegenüber und füllt damit die Leerstelle aus. Die Ortlosigkeit der Subjektkonstitution wird aufgrund der Hybridität der handelnden Entität topografierbar. Diese Verortbarkeit der subjektkonstitutiven Akte geht jedoch einher mit dem Verlust des Subjektes als zwar oszillierende, aber materiell dennoch als Einheit (ex post zumindest) ausmachbare Entität. Plessners SubjektDiagnose schließt mit einem Paukenschlag ab, der instruktiv zu dem hier Dargestellten ins Verhältnis gesetzt werden kann: „Die Exzentrizität seiner Lebensform, sein Stehen im Nirgendwo, sein utopischer Standort zwingt ihn, den Zweifel gegen die göttliche Existenz, gegen den Grund für diese Welt und

328 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE damit gegen die Einheit der Welt zu richten. […] [W]ie die exzentrische Positionsform Vorbedingung dafür ist, daß der Mensch eine Wirklichkeit in Natur, Seele und Mitwelt faßt, so bildet sie zugleich die Bedingung für die Erkenntnis ihrer Haltlosigkeit und Nichtigkeit.“ (Plessner 1975: 346) „Der Mensch, in seine Grenze gesetzt, lebt über sie hinaus, die ihn, das lebendige Ding, begrenzt. Er lebt und erlebt nicht nur, sondern er erlebt sein Erleben. Ihm ist der Umschlag vom Sein innerhalb des eigenen Leibes zum Sein außerhalb des Leibes ein unaufhebbarer Doppelaspekt der Existenz, ein wirklicher Bruch seiner Natur. Er lebt diesseits und jenseits des Bruches, als Körper und Seele und als die psychophysisch neutrale Einheit dieser Sphären. Die Einheit überdeckt jedoch nicht den Doppelaspekt, sie läßt ihn nicht aus sich hervorgehen, sie ist nicht das den Gegensatz versöhnende Dritte, das in die entgegengesetzten Sphären überleitet, sie bildet keine selbständige Sphäre. Sie ist der Bruch, der Hiatus, das leere Hindurch der Vermittlung, die für den Lebendigen selber dem absoluten Doppelcharakter und Doppelaspekt von Körperleib und Seele gleichkommt, in der er ihn/sich erlebt. Positional liegt ein Dreifaches vor: Das Lebendige ist Körper, im Körper (als Innenleben der Seele) und außer dem Körper als Blickpunkt, von dem aus es beides Ist. Ein Individuum, welches positional derart dreifach charakterisiert ist, heißt Person. Es ist das Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmungen und seiner Aktionen, seiner Initiative. Es weiß und es will. Seine Existenz ist wahrhaft auf Nichts gestellt.“ (Plessner 2004a: 10f)

Die Fragmentierung der Handlungseinheit in eine Gleichzeitigkeit des ‚Hier‘ und ‚Dort‘ führt zwar zu einem (zumindest während des Spielens, also temporären) Stillstand der Pendelbewegung und einem ‚Verlassen‘ des utopischen Standortes, zugleich aber auch zu einer Auflösung/Auslöschung von Plessners Nullwert bzw. apodiktischer Setzung, nämlich, dass es ‚Menschen‘ gibt. Das Spielerin-Avatar Verhältnis lässt sich konzeptionell in die Konstitution einer Handlungseinheit auflösen, die handlungstheoretische Bemühungen mit der infrage Stellung grundlegender Prämissen konfrontiert. Dabei steht weniger die Einheit der Handlung als vielmehr die des Handelnden auf dem Spiel; jene lässt sich sozialtheoretisch einfangen, diese geht dabei allerdings endgültig – und zwar über Plessners Exzentralitätsthese hinaus – verloren. Körpertechniken, Technologien des Selbst und Subjektivierungspraxen

Marcel Mauss’ viel zitierter Aufsatz „Die Techniken des Körpers“ (1978) zeigt auf eindrückliche Weise, dass selbstverständliche Tätigkeiten nicht nur kulturell überformt, sondern geradezu sozial determiniert sind: „Technik des Hustens und Ausspuckens. Dazu eine persönliche Beobachtung. Ein kleines Mädchen konnte nicht ausspucken und sein Schnupfen verschlechterte sich jedesmal dadurch. Ich habe mich darüber informiert. Im Dorf seines Vaters, in Berry, und besonders in der Familie

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seines Vaters, kann man nicht spucken. Ich habe ihm beigebracht auszuspucken. Ich gab ihm vier Sous für jedes Ausspucken. Da es unbedingt ein Fahrrad haben wollte, hat das Mädchen Ausspucken gelernt. Sie ist die erste in der Familie, die ausspucken kann.“ (Mauss 1978: 215f)

So bemerkenswert diese (und viele weitere) Schilderungen von Mauss hinsichtlich der ‚Unnatürlichkeit‘ des Körpers – insofern dieser nur im Modus der Körperanwendung für den Akteur manifest wird – auch sein mögen, deuten sie auf den ersten Blick zunächst einmal lediglich auf die soziale Bedingtheit jeglicher Körperpraxen hin. Damit ist aber auch implizit ausgesagt, dass Soziales sich in den Körpern fortwährend einschreibt und mit diesen zutiefst verbunden ist (Bourdieu 1979: 139ff; Villa 2006: 64ff; 2010). Der Wirklichkeitsraum des Sozialen, mithin menschlicher Praxis schlechthin, ist aus dieser Sicht auf das Engste mit dem Körper von jeher verknüpft. Von alltäglichen Interaktionskontexten (Garfinkel 2007b) bis hin zu hoch spezialisierten Kontexten der Wissensproduktion in Laboratorien (Knorr-Cetina 1988) spielt der Körper – und seine kulturell jeweils sehr spezifische Codierung – eine konstitutive Rolle für die Handlungsfähigkeit von Akteuren. Auf der einen Seite kann dies zur Konstatierung und Bemängelung von Einschränkungen bei der Gestaltung virtueller – und das heißt hier körperloser – Räume führen, die sich letztlich doch immer auf das ‚Bekannte‘ beziehen und daran orientieren (Yee et al. 2009). Auf der anderen Seite kann die Teilnahme an den virtuellen Wirklichkeiten digitaler Spiele (so realweltlich orientiert auch immer diese sein mögen) als subversives Moment gelten – und zwar hinsichtlich ganz konkreter sozialer Muster der (spätmodernen) Gegenwartsgesellschaften. Eine Unterwanderung des Sozialen schlechthin könnte zumindest zwar auch in Betracht gezogen werden, wenngleich das Soziale als Modus wirklichkeitskonstituierender Akte vermutlich so widerstandsfähig ist wie jene robusten „Organismen, die nach der atomaren Katastrophe die Erde beleben“ (Baecker 2007a: 228) werden – sofern freilich diese oder andere, ähnlich gravierende, Katastrophen nicht eintreten. Der Widerstand gegenüber digitalen Spielen – so grundsätzlich die Bedeutung des Körpers (bislang) für die Konstitution des Sozialen auch sein mag – kann in der relativ spezifischen Bedeutung, die der ‚Körper‘ für die Herstellung von Subjektivität hat, gesucht und gefunden werden. Dies ist eine bestimmte Form von Subjektivität, die im Zuge eines Individualisierungsprozesses der Moderne erst entstanden ist und sich verfestigt hat (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 2008b). Auf das interdependente Verhältnis zwischen Individualisierung und Moderne hat – vor dem Hintergrund funktionaler Ausdifferenzierung – mit besonderem Nachdruck bereits Durkheim (1999a) hingewiesen. Funktionalistische Ansätze haben, in Durkheims Fußstapfen tretend, den Sachverhalt mit weiterführender theoretischer Schärfe ausbuchstabiert (vgl. Luhmann 2008f; Parsons 1994: 185ff). Aufseiten der Individuen konstituiert sich Identität hier einerseits als notwendige Bedingung des Managements verschiedenster Rollenerwartungen an unterschiedlichste Teilsysteme, an denen diese im Modus der Teilinklusion teilnehmen und mit der Umschreibung

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von Exklusionsindividualität konsequent auf den Begriff gebracht werden kann. (Hillebrandt 1999; vgl. Schneider 2002: 158ff; Parsons 1975). Auf der anderen Seite nötigt die Differenz von Selbst- und Fremdreferenz den Individuen eine fortwährende Reflexion auf, die sich schlicht aus dem Umstand der Verlegenheit ob der vielfältigen Wahlmöglichkeiten ergibt: „Die Gesellschaft zeichnet nicht mehr die Lösungsrichtung vor, sondern nur noch das Problem; sie tritt dem Menschen nicht mehr als Anspruch an moralische Lebensführung gegenüber, sondern nur als Komplexität, zu der man sich auf je individuelle Weise kontingent und selektiv zu verhalten hat.“ (Luhmann 2008c: 194)

Ist die Beschreibung des Individualisierungsprozesses von Anbeginn als ambivalent dargestellt worden – Durkheims Begriff der Moral ist der fehlenden Entsprechung zwischen gesellschaftlich geforderter organischer Solidarität und individueller Einsicht geschuldet (Müller 1992) –, so steht das Konzept der Subjektivierung (anders als funktionalistische Ansätze) dem Programm der Moderne insgesamt skeptisch gegenüber. So kann Subjektivierung einerseits als Effekt von Individualisierung qua funktionaler Ausdifferenzierung mehr oder weniger negativ konnotiert (vgl. Hahn 1986), oder aber als dessen notwendige Bedingung und Kehrseite wahrgenommen werden: „Was sich historisch als gesellschaftliche Differenzierung darstellt, spiegelt sich ontogenetisch im Zuge einer immer differenzierteren Wahrnehmung von, und Konfrontation mit, vervielfältigten und spannungsreichen normativen Erwartungen. Die internalisierende Verarbeitung dieser Konflikte führt zu einer Autonomisierung des Selbst: das Individuum muß sich gewissermaßen als selbsttätiges Subjekt selber erst setzen. Insofern wird Individualität nicht in erster Linie als Singularität, nicht als askriptives Merkmal, sondern als Eigenleistung gedacht – und Individuierung als eine Selbstrealisierung des Einzelnen.“ (Habermas 2008: 440)

Die Herstellung von Subjektivität verläuft unmittelbar oder auch nur mittelbar – aber immer noch – maßgeblich über den Körper: In den aufkommenden Beichtpraxen des ausgehenden Mittelalters (Hahn 1982; Foucault 1997; 2004a), im Drill der neuzeitlichen Kasernen und dem strikten Reglement totaler Institutionen (Foucault 2002; Hutton 1993: 148ff) und in besonderem Maße in der modernen industriellen Akkordarbeit (Heintz 1993: 154ff, 234ff; Giddens 1997: 199ff) sowie epidemiologisch sensibilisierten modernen Medizin (Sarasin 2001; Haraway 1995b). Die Selbstthematisierung (der körperbezogenen Begehrlichkeiten und Befindlichkeiten) und die Disziplinierung des Selbst (im Drill und der Algorithmisierung der Produktionsarbeit) sind nicht das Ergebnis eines zum inneren Monolog angeleiteten, modernen Individuums, sondern das einer über die Jahrhunderte um den je eigenen Körper kreisenden Selbstthematisierung und -beherrschung. „Die Fabrikation

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des zuverlässigen Menschen“ (Treiber/Steinert 1980) hat viele Quellen. Sie können auch in den Routinen und Reglements der Klöster und dem normierenden Einfluss – über die Klostermauern hinaus – der im 13.Jh. aufkommenden mechanischen Uhren gesucht werden (Mumford 1986; Landes 2000: 48ff; Volti 2006: 143ff), aber alle schlagen sich durch den Körper ihre Bahn, dessen Müdigkeit es zu bezwingen gilt, dessen Lüste zu überwachen, dessen leibliches Wohl zu sichern, dessen Handlungsablauf einer Maschine gleich zu koordinieren etc. Agambens Unterscheidung zwischen medialer Darstellung und realer Präsenz ‚verkörperter‘ Akteure ist nur bis zu einem gewissen Punkt, oder vielmehr bis zu einem nur schwer genau datierbaren Zeitpunkt zutreffend. Seine Beispiele eignen sich umso besser, um die zunehmende Relevanz des Körpers zu illustrieren, da sie anders als von ihm dargestellt zumindest teilweise eben auch die Materialität der Körper der Akteure betrifft: „Nie wurde der – zumal weibliche – Körper des Menschen so massenweise manipuliert, dass er von den Techniken der Werbeindustrie und der Warenproduktion gleichsam durch und durch neu erfunden wird: Die Opazität der sexuellen Unterschiede wird vom transsexuellen Körper verleugnet, die nicht kommunizierbare Fremdheit der singulären physis von ihrer spektakulären Medialisierung aufgehoben, die Sterblichkeit des organischen Körpers von der Promiskuität mit dem organlosen Körper des Marktes in Zweifel gezogen, die Intimität des erotischen Lebens durch die Pornographie widerlegt. Gleichwohl war der Prozess der Technisierung, statt die Materialität des Körpers zu betreffen, auf die Errichtung einer separaten Sphäre gerichtet, die mit diesem praktisch keinen Berührungspunkt hatte: Was technisiert wurde, war nicht der Körper, sondern sein Bild. Deshalb konnte der strahlende Körper der Werbung zur Maske werden, in der der hinfällige, schmächtige Körper des Menschen seine prekäre Existenz führt, und deshalb verdeckt der Glanz der geometrisch angeordneten girls die langen Reihen der anonymen, nackten Körper, die im Lager ihrem Tod entgegengehen und die abertausend verstümmelten Leichen der Schlachthausszenen, die auf den Autobahnen mittlerweile zum Alltag gehören.“ (Agamben 2003: 49f)

Ein Unterschied zwischen der medialen Aufbereitung und Konstruktion vom ‚Körper‘ und dem realen Körper lässt sich nicht leugnen. Eine konsequente Trennung dieser zwei Sphären, wie sie Agamben vorschwebt, ist allerdings angesichts zunehmender, allgegenwärtiger ‚Körperarbeit‘ nicht plausibel. Roses Feststellung, die ‚Sorge um sich‘ habe nicht nur zugenommen, sondern sei zu einer (wenn nicht der) Schlüsselkomponente für die Herstellung von Identität geworden (2001: 18), muss hingegen einerseits recht gegeben werden, wenngleich er – wie weiter oben bereits angesprochen – den Bogen überspannt und von einer allgemeingültigen Neuausrichtung von ‚Bio‘-Inklusion ausgeht. Auch die Relativierung seiner diesbezüglichen Einschätzungen im abschließenden Absatz kommt angesichts seiner sonstigen Formulierungen über den Stellenwert bloßer Rhetorik nicht hinaus:

332 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE „Legal, political and social rights were first linked to the capacities and obligations of individuals who were elements of a political association. But now, it seems, each human being has such rights, simply by virtue of their existence as beings of this human kind. Individuals seem to have acquired a kind of biological citizenship – a universal human right to the protection, at least, of each human person’s bare life and the dignity of their living vital body. […] Of course, we should not overestimate the novelty of what is happening here. But nonetheless, to a greater extent and in different ways than before, we have become the kinds of people who think of our present and our future in terms of the quality of our individual biological lives and those with whom we identify. […] For once our very biological life itself has entered the domain of decision and choice, these questions of judgement have become inescapable. We have entered the age of vital politics, of biological ethics and genetic responsibility.“ (Rose 2001: 21f)

Entkörpertes Handeln: Handeln als Cyborg?

Die zunehmende Relevanz des Körpers aufgrund einer verstärkt aufkommenden, sozialen Zurechenbarkeit und damit Erwartbarkeit von körperbezogenen bzw. -modellierenden Handlungen – diese Tendenzen folglich ‚bloß‘ als Supplement des Individualisierungsprozesses darzustellen (Nollmann 2005) –, stellt nur einen Ausschnitt der Dynamik dar und argumentiert zudem latent auf einer den Sachverhalt verkürzenden, weil technikdeterministischen Folie. Die Sammelbände von Villa (2008) und Orland (2005b) oder die Monografie von Orbach (2009) geben ein differenzierteres Bild der zunehmenden und ambivalenten Bedeutung des Körpers wieder. Wenngleich die Ambivalenz häufig im Sinne einer neoliberalen Selbstermächtigung durch -gestaltung aufgelöst wird. Ein gutes Beispiel hierfür gibt Maasens Aufsatz „Schönheitschirurgie: Schnittflächen flexiblen Selbstmanagements“ (2005) ab. Dabei zeigt sich gerade in der bidirektionalen Überschreitung der Grenze zwischen ‚Eigenem‘ und ‚Fremdem‘ die Ambivalenz der inflationären Körperpraxen besonders deutlich. Die vermeintlich ‚eigene‘ Natur wird hier nicht unterwandert durch die Aneignung eines Kulturproduktes (dem chirurgischen Eingriff), indem das Selbst in freier Gestaltung und subversiven Unterwanderung dominanter Subjektivierungscodierungen (in diesem Fall v. a. von Geschlechts- und Leistungszurechnungen) zu einem Cyborg stilisiert wird; vielmehr geht es darum den kulturell konstruierten Naturanteil anzureichern und zu optimieren (Wehling 2008). Hier wird die Cyborg-Metapher über den Umweg einer arg verkürzenden oder gar unzulässigen Reifizierung – auf die Jutta Weber und Barbara Orland bereits 2003a bzw. 2005a aufmerksam machen – unter dem GouvernementalitätsKonzept subsumiert. Die zwei Konzepte meinen allerdings etwas grundsätzlich unterschiedliches, ja gar diametral entgegengesetztes: Gouvernementalität ist eine Verwaltungspraxis, die bezogen auf die Herstellungspraxen des Selbst einige Parallelen zu Webers Begriff

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der modernen Lebensführung aufweist, insofern auch hier rekursiv organisierte, subjektive Anpassungsleistungen, die eine Inverhältnissetzung des Selbst zu gesellschaftlichen Anforderungen ermöglichen, thematisiert werden (vgl. Foucault 1993a: 186; Lemke 2008; Heins 1990: 121 Fn108, 147). Wohingegen die Cyborg Metapher auf eine subversive Befreiungspraxis hinweist: „Für Haraway sind Körper und Geist, Mensch und Tier, Organisches und Anorganisches, Mensch und Maschine keine wertenden Oppositionen, in der immer eine Seite der anderen gegenüber als inferior begriffen wird, sondern es sind Verhältnisse, Intensitäten, die Koppelungen vorantreiben, und die sich wieder entkoppeln, um neue Verhältnisse zu bilden. Der cyborg ist ein ‚boundary engeneer‘ […], ein Produkt erfinderischer Verkoppelungen. Und so sind dies auch die Körper für Haraway, die sie als ‚objects of knowledge‘ und ‚material-semiotic nodes‘ […] bestimmt, deren Grenzen sich in sozialen Interaktionen materialisieren. Diese Grenzen sind virtuelle Grenzen, das heißt, welche Körper sich hierbei materialisieren, ist – theoretisch – unbeschränkt, die Limitation dessen, was ein Körper tun kann, ist allerdings eine Frage jeder Kultur. Das heißt, die potentiellen Fähigkeiten der Körper übersteigen immer die Aktualitäten, die eine Kultur zulassen kann. Warum sollte also, so Haraway weiter, der Körper nicht durch das interface zu einem Teil der Maschine werden, warum sollte der Computer nicht durch das interface menschlich werden.“ (Angerer 1999: 178)

Die ‚Ironie gesellschaftlicher Wirklichkeit‘ besteht allerdings darin, dass die Arbeit am Körper im Allgemeinen – zu der u. a. im Speziellen auch die Körpermodellierung durch chirurgische Eingriffe gehört – auf die Stabilisierung dominanter Kategorien abzielt, und nicht umgekehrt auf die ihre Implosion (Gebauer 1996; Schrage 2004). Jutta Webers Sorge, die Techno- und Lifesciences würden das Potenzial einer „radikale[n] Infragestellung einer natürlichen bzw. biologischen Zweigeschlechtlichkeit“ (Weber 2003a: 204) verspielen, ist vor dem Hintergrund ‚banaler‘ alltäglicher Handlungs- und Deutungspraxen – auf die, wenn Mannheim und Wittgenstein Glauben geschenkt wird, jede noch so formale und wissenschaftliche Wissensproduktion gründet (Mannheim 1995; Wittgenstein 1990b) – erst recht begründet. Da wo offensichtliche ‚Körperbrüche‘ die Etablierung von Monstrositäten – Entitäten, die sich einer etablierten Zuordnung entziehen (Bowker/Star 1999: 302ff; Haraway 2006b) – androhen, müssen diese als Quelle von Verunsicherungen neutralisiert werden (Schneider 2005). Die Akteure von ‚westlichen‘ Gegenwartsgesellschaften sind genauso wenig zu den Cyborgs geworden, die Donna Haraway in ihrem Manifest beschreibt (1995a); in dieser Weise sind auch die Darstellungen im Manifest von Marx und Engels (1848) Utopie geblieben sind. Und es mag Haraways Weitsicht geschuldet sein, das Cyborg in einem ‚Manifest‘ vorgestellt zu haben. Die Entwicklungen der Techno- und Lifesciences finden entweder als buchstäbliche Technologien des Selbst ‚Verwendung‘ oder werden institutionell in bestehende Muster eingepasst (Foucault 1993b;

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Kalender 2010); sie können insofernunter dem Konzept der Gouvernementalität subsumiert werden. Auch die potenzielle Auflösung von Körperlichkeit im Cyberspace geht mit einer weitaus obsessiveren Beschäftigung des Körpers einher als mit einer Auflösung der Subjekt-Körper Semantik (Angerer 1999). Der Möglichkeitsraum für Körperprojektionen nimmt zu, wobei die realweltliche Körperlichkeit im Reflex für die je eigene Selbstvergewisserung und -vergegenwärtigung umso bedeutsamer und aufgrund biomedizinischer Fortschritte in ihrer Bedeutung sogar noch potenziert wird (vgl. Beck-Gernsheim 2008). Davis’ – inzwischen historisches Beispiel – von Michael Jacksons ‚Metamorphose‘ stellt zwar einen prominenten Fall von ‚surgical passing‘, aber dennoch nur eine Ausnahme der erfolgreichen Unterwanderung sozialer Muster und Herstellung von Monstrosität dar. Ebenso erhalten die Metamorphosen der Performance Art Künstlerin Orlan gerade aus der Diskrepanz des Möglichen aber gesellschaftlich tabuisiertem ihre Faszination (Davis 2008: 55 Fn19; vgl. Poster 2008). Die tagtägliche Arbeit an und Sorge um den eigenen Körper als wesentlichen Teil der Herstellung von Subjektivität, die sich selbst hinter den unauffälligsten – weil weitverbreiteten – Verhaltensweisen verbirgt, wie beispielsweise der bevorzugte Konsum von Bio-Lebensmittel (Dovgonos/Compagna 2011) und andere spezifische Praxen der Nahrungsaufnahme als identitätsbildende Maßnahmen (Gugutzer 2005), steht im strikten Widerspruch zu der ‚Körperlosigkeit‘ in den virtuellen Räumen digitaler Spiele. „Da im Zuge der Säkularisierung unserer Lebensläufe der irdische Teil – im Gegensatz zu früher – gleichzeitig auch der wichtigste, weil einzige Teil geworden ist, hat unser Körper und alles, was mit ihm zusammenhängt, als Folge hiervon eine ungeheure Aufwertung erfahren, angefangen bei der Ernährung und Bekleidung über Trimm-Dich-Pfade und Erholung bis hin zu Kosmetik und – mit geballtem Kompetenzanspruch – zur Medizin. Denn der gute Gesundheitszustand, das einwandfreie Funktionieren des Körpers ist nunmehr die alleinige und ausschließliche Garantie für unser Leben, und zwar für unser ganzes Leben. Welkt er dahin, so welkt heute automatisch auch unser Leben dahin. […] Wir lassen den körperlichen Gesundheitszustand fachärztlich überwachen und bei der kleinsten Einbuße umgehend durch nötige, oft auch unnötige Eingriffe und Einnahme von Medikamenten wiederherstellen. Wir ernähren ihn qualitativ hervorragendst, schlucken vorbeugend zusätzliche Vitaminpräparate und essen Müsli, damit ihm ja nichts fehle. Wir kleiden ihn in Samt und Seide, duschen ihn täglich in einem Schaumbad, parfümieren und deodorieren ihn, stellen ihn zum Arbeiten in vollklimatisierte Räume, garantieren seine Unversehrtheit durch Arbeitsschutzgeräte und -gesetze aller Art, legen ihn zum Schlafen auf Spezialmatratzen in Gesundheitsbetten, treiben Jogging und schließen uns Antiraucherkampagnen an, gönnen ihm Freizeit und Muße sowie einen sommerlichen und einen winterlichen Erholungsurlaub.“ (Imhof 1984: 223f)

Arthur Imhofs zynische Bemerkungen zur eklatanten Bedeutungszunahme des Körpers in Folge einer direkten Inverhältnissetzung zum je eigenen, spezifischen Leben

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(Bios) – als dessen Garant und einziger manifesten, sinngebenden Instanz – sind nun beinahe drei Jahrzehnte alt. Vor dem Hintergrund biomedizinischer Fortschritte muss seine Diagnose noch pointierter formuliert und teilweise nachjustiert werden, wenngleich der Aussagegehalt im Kern unverändert bleibt. So lässt sich eine tief greifende Verschiebung des Verhältnisses von Krankheit und Gesundheit konstatieren, wonach ursprünglich ‚natürliche‘, körperliche Gegebenheiten als verbesserungswürdig gelten. Die Interventionsentscheidung (Gewicht, Falten, Schüchternheit etc) und das Entstehen ‚neuer‘ Krankheiten (ADHS) steht zur Disposition, und zwar deutlich unterhalb der ehemals als ‚naturgegeben‘ wahrgenommenen, körperlichen Verfasstheit (Wehling et al. 2007). Hier eine grundsätzliche Auflösung der Natur/Kultur Dichotomie anzunehmen, ist irreführend, da dies unterstellt, der Naturbegriff des 19. Jh. wäre natürlicher als der des 20. Jh. und so fort. Vielmehr tritt die Natur/Kultur Dichotomie durch die entstandenen Verunsicherungen in Erscheinung und steht erst infolgedessen hinsichtlich ihrer normierenden Wirkung zur expliziten Disposition (Weber 2003b). „Die ethische Debatte über die Perspektiven des Neuro-Enhancements ist notwendig. Aber sie ist abgesehen von den klar zu definierenden Missbrauchskonstellationen keine Debatte darüber, was man moralisch und rechtlich verbieten oder erlauben sollte. Sie ist eine Debatte darüber, was die Menschen sein wollen und in welcher Gesellschaft sie leben wollen. […] Wenn man dem sich in modernen Gesellschaften ausbreitenden Leistungs- und Optimierungswahn entgegentreten will, muss man die Ausbildungs- und Berufsstrukturen ändern. Das ist sicher nicht einfach. Aber man darf nicht glauben, hier schon etwas erreicht zu haben, wenn man stattdessen Neuro-Enhancement verbietet.“ (Daele 2009: 114)

Der virtuelle Raum von digitalen Spielen konstituiert sich aufgrund der Wirkmächtigkeit von – in einem realweltlichen Sinn – körperlosen Entitäten (Spielfiguren – Avatare, Models, etc.). Diesen Raum als ‚sozialen Raum‘ anzuerkennen, würde bedeuten die Subjektivierungspraxen, die sich verstärkt mit der ganz konkreten Arbeit am Körper verschränken, zu unterwandern, mithin Subjektivität als solche – zumindest in der derzeit geltenden Fassung und Art der Herstellung – infrage zu stellen. Dem Treiben innerhalb virtueller Räume das Attribut von ‚Sozialität‘ anzuerkennen, bedeutet nicht nur auf die kontingente Fragilität vermeintlich stabiler und ‚natürlicher‘ Zurechnungsmuster hinzuweisen, sondern auch die damit verbundenen sozialen Schichtungen und Hierarchien anzugreifen – von denen die heterosexuelle Matrix nur eine, freilich besonders offensichtliche, darstellt. Scott-Herons Song „The Revolution Will Not Be Televised“ (1970) ist das Popmusik-Gegenstück zu Baudrillards „Schweigen der Massen“: Die sich in der medialen Darstellung und Aufbereitung von Zeichen abspielende gesellschaftliche Wirklichkeit und deren inflationärer, medienimmanenter Verweissog führen zu einer Implosion realweltlicher (klassischer) Kategorien des ‚Sozialen‘ (Baudrillard 1979).

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Das subversive Potenzial digitaler Spiele ist – wenngleich sie sich nicht auf der Straße abspielen – dennoch erheblich. Die institutionalisierenden Tendenzen im eSport (bspw. das 2003 eingerichtete female Gaming samt einer weiblichen Liga innerhalb der Ligenstruktur der ESL) können mitunter als erste reaktionäre Reflexe einer Wiedereinflechtung des virtuellen Raumes in soziale Muster wahrgenommen werden – dabei geht es nicht nur um eine Ökonomisierung des eSports, sondern um die Sicherstellung der Beständigkeit sozialer Muster und damit Wirklichkeit (vgl. Streubel/Arbeitskreis Digital-Game & -Gaming Forschung 2010). „Wir alle sind cyborgs – so Haraway – Kreaturen, halb Mensch, halb elektronische Maschine, die sich auf dem Weg in eine Gesellschaft hybrider Maschinen und Organismen befinden. Der/die cyborg verweist nun unübersehbar auf die Fragilität und Künstlichkeit des Körpers und seiner an ihm sich festsetzenden Identitäten. Der physische Körper, traditionellerweise als vertrauensvoller Grund für ein komplexes Bündel von Identitäten angenommen, hat in einer biound kommunikationstechnologischen Gesellschaft seine Unschuld eingebüßt.“ (Angerer 1995: 24)

Vieles deutet darauf hin, dass ‚wir‘ weder Cyborgs sind noch Unschuld eingebüßt haben – stattdessen schrumpft das ‚komplexe Bündel von Identitäten‘ auf ein immer kleineres Format, gerade und erst recht, je kontingenter die dem Körper anhaftenden Zuordnungen erlebt werden. Zusammenfassung: Digitale Spiele als ‚Best-Case-Szenario‘ für die exemplarische Anwendung eines Akteurmodells für Cyborgs?

Die Bedeutsamkeit des Körpers als Reifikation des Dritten für die Festlegung des Subjektes als ausgezeichneter Entität, die sich für den Aufbau sozialer Wirklichkeit ‚eignet‘, kommt bei der Betrachtung von digitalen Spielen besonders deutlich zum Vorschein. Digitale Spiele eignen sich für eine exemplarische Anwendung des vorgeschlagenen Akteurmodells für Cyborgs hauptsächlich aus zwei Gründen: Einmal verteilt sich die Handlung auf zwei distinkte Entitäten (der menschlichen Spielerin und deren Avatar), die jedoch hinsichtlich der Einheit der Handlung offensichtlich nicht voneinander getrennt werden können. Außerdem – und hierin liegt der weitaus reichhaltigere Aspekt einer besonderen Eignung dieses Fallbeispieles – wird in digitalen Spielen der Körper, also das, was hier arbeitshypothetisch als das ‚Hauptmerkmal‘ für Subjektivität angenommen wird (und zwar sowohl genealogisch als auch im Vollzug), unmittelbar von der Hybridität, der – letztlich als Einheit wahrzunehmenden – handelnden Entität unterwandert. Die Handlung findet in einem Raum statt, in dem der Körper der Spielerin nicht vorkommt – gleichwohl ist ‚der Körper‘ der Spielerin maßgeblich für die Handlung (mit-)verantwortlich.

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Den Körper als Hauptmerkmal für Subjektivität ‚im Vollzug‘ anzunehmen, geht hinsichtlich der ‚gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit‘ auf die Überlegung zurück, dass er sich in besonderer Weise eignet, um eine erfolgreiche ‚Identifizierung‘ der Entitäten, die als legitime soziale Akteure gelten können, vorzunehmen. Lindemann kommt im Rahmen ihrer empirischen Forschung zu dem Ergebnis, dass menschliche Entitäten auch dann als Akteure gelten, wenn sie nicht den Kriterien der Bewältigung doppelter Kontingenz genügen. Die Kennzeichnung menschlicher Entitäten als Akteure erfolgt über ihre physiologische ‚Präsenz‘, also ihren als ‚menschlichen Körper‘ identifizierten ‚Leib‘: „Gegenwärtig gelten nur lebende Menschen als soziale Akteure. Als solche müssen sie sich nicht unentwegt in jeder Situation als soziale Akteure bewähren. Generalisiert als soziale Akteure anerkannte Entitäten bezeichne ich als soziale Personen. Als solche sind z. B. lebendige aber bewusstlose Intensivpatienten auch dann Akteure, wenn sie aktuell nicht so existieren, dass ihre Aktivitäten in einer Interaktion sinnvoll als Orientierung an einem Geflecht von Erwartungs-Erwartungen gewertet werden kann.“ (Lindemann 2002a: 86)

Genauso gelten menschliche Entitäten der Soziologie ‚unhinterfragt‘ als einzige ‚rechtmäßige‘ Elemente des sozialen Raumes. Unabhängig davon, dass es letztlich unmöglich ist, zu entscheiden, welcher Entität die Zuschreibungskompetenz bezüglich der Teilhabe am Sozialen zugebilligt werden kann. Lindemann verweist in diesem Zusammenhang auf Luhmann (2008a: 50) wenn es darauf hinzuweisen gilt, dass die Eingrenzung derer, denen die Fähigkeit zur Zuschreibung, wer oder was als sozialer Akteur gelten kann, lediglich aus ‚Tradition‘ auf menschliche Entitäten fällt, da es hierfür ‚eigentlich‘ keine hinreichende Begründungslogik geben kann: „Wir – Soziologen – in Europa und sonstwo wissen, dass nur lebendige Menschen soziale Akteure sein können, die real etwas zuschreiben; dies zu hinterfragen, verbietet sich von selbst. […] Dies offen auszusprechen, verbietet sich für eine sich kritisch verstehende Wissenschaft wie die Soziologie. Traditionsgläubigkeit ist immer nur implizit wirksam. Vgl. etwa Luhmann [(2008a: 50)].“ (Lindemann 2002a: 85, 85 Fn5)

Wenn mit dem vorgeschlagenen Modell die Szenerie eines digitalen Spieles beobachtet wird, treten Cyborgs als Akteure in Erscheinung, die als Handlungs-Einheit beobachtet werden können. Diese reicht von der menschlichen Spielerin über das Interface bis hin zur Spielfigur im virtuellen Raum. Diese Beobachtung ist nur möglich, da aufgrund der Anwendung des Modells sich das Soziale gegenstandseitig in Differenz zu Akteuren etablieren kann, die sich lediglich durch ihre Fähigkeit auszeichnen Erwartungserwartungen im Sinne doppelter Kontingenz zu bearbeiten und zugleich aufgrund ihrer Artifizialität in der Lage sind eine sozialrelevante Entität darzustellen, die sich in der Überführung unspezifischen ‚Lebens‘ in eine bestimmte organisierte

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Form zeitbeständiger Wirksamkeitsentfaltung manifestiert. Das digitale Spiele spielende Cyborg erfüllt all diese Bedingungen als Cyborg: als handelnde Einheit, die von der menschlichen Spielerin bis hin zum Avatar reicht. Es ist in der Lage das Problem doppelter Kontingenz zu bewältigen, es vermag die Erwartungen seines Gegenübers zu erwarten und stellt dies seinem Gegenüber in Rechnung; zudem geht es zugleich davon aus, dass sein Gegenüber ebenso (spiegelbildlich gedreht) davon ausgeht: „Ego erwartet, dass Alter erwartet, dass Ego das eigene Verhalten vom Verhalten Alters abhängig macht. Dadurch entsteht eine Situation doppelter Kontingenz. Denn es ist sowohl das Verhalten von Alter unwägbar, als auch das Verhalten von Ego, denn Ego macht seine Eigenaktivität von Alter abhängig und diese Unsicherheit existiert für Ego als ein praktisch wirksamer Sachverhalt. Das gleiche gilt für Alter entsprechend.“ (Lindemann 2002a: 81)

Diese Fähigkeit müsste genau genommen dem Avatar zugesprochen werden, da sie sich durch die Handlungen des Avatars manifestiert. Das Cyborg als Akteur tritt allerdings erst dann in Erscheinung, wenn organisches Material im Spiel ist, das sich – insofern eine Entität beobachtet werden kann, die das Problem doppelter Kontingenz bewältigen kann – aufgrund von Artifizialität als organisiert-organisches Material auszeichnet. Abbildung 37: Nullwert-Matrize Akteurmodell für Cyborgs

Soziales

Akteur als Cyborg

Leben

Auf der Grundlage des vorgeschlagenen Akteurmodells, das dem Akteur in Differenz zum eigentlichen Gegenstand, dem Sozialen, einen erheblichen ‚Freiraum‘ der im Gegenstand sich etablierenden Gestaltung lässt, zeichnen sich die historisch spezifischen Gegebenheiten der Konstruktion eines bestimmten ‚Akteurs‘ innerhalb sozialer Wirklichkeit besonders scharf ab. Das Akteurmodell stellt der beobachtenden Wissenschaftlerin ein analytisches Instrument bereit, um, von der oben erwähnten ‚Tradition‘ losgelöst, der Frage nachzugehen, welcher Entität – und bezüglich des

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hier entwickelten Modells vor allem: welcher Art von Entität – ein vollwertiger Akteurstatus zugesprochen werden kann bzw. faktisch wird. Lindemann verhandelt diese Frage hauptsächlich hinsichtlich des ersten Aspektes, nämlich welche Entität im Allgemeinen als dem Sozialen in besonderer Weise zugehörig erachtet wird, und weniger wie die Entität beschaffen sein soll, damit sie als solche gelten kann. Sie fragt also vorrangig danach, inwiefern nicht-menschliche Entitäten als legitime Elemente des Sozialen gelten können, und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um dieser Frage nachzugehen – um diese also im Rahmen eines wissenschaftlichen Kontextes als tatsächlich entscheidbare, und nicht nur rhetorische Fragestellung behandeln zu können. „Ein empiriebezogener kritisch-reflexiver Ausweg aus dem Problem besteht darin, anzuerkennen, dass wir nicht abschließend und schon gar nicht apriori wissen, welche Entitäten als soziale Akteure in Frage kommen, die etwas zuschreiben können. Vielmehr sind wir darauf angewiesen, mit Bezug auf die kritisch vorgenommene Begrenzung des Sozialen anhand der beobachtbaren Erscheinung von Entitäten zu untersuchen, ob sie füreinander soziale Akteure sind oder nicht. Statt um Zuschreibungen, die bei der Frage des Akteursstatus letztinstanzlich immer auf einzelne Akteure zurückführen, geht es um die Beobachtung generalisiert gültiger Deutungspraktiken, durch die der Kreis der Akteure faktisch begrenzt wird.“ (Lindemann 2002a: 85)

Trotz der im Prinzip sehr radikalen Perspektive, die Lindemann vorschlägt, nämlich den Kreis der Akteure grundsätzlich zu öffnen, soll hier ein Modell vorgeschlagen werden, das letztlich auf den Akteur als hybride, aber nicht rein technische Entität hinweist. Diese Einschränkung scheint gerade vor dem Hintergrund ihrer grundsätzlichen Annahmen gerechtfertigt. So ist eine Eingrenzung (die zugleich die Funktion einer Stabilisierung und sozial-ontologischen ‚Absicherung‘ innehat) notwendig, wem oder was zurecht hinreichende Eigenschaften zugeschrieben werden können, um zu dem erlesenen Kreis des Sozialen zu gehören. Diese Eingrenzung bedarf im Prinzip der Einschätzung durch eine ‚Dritte‘ Entität. Hierbei muss allerdings sowohl der Frage Beachtung geschenkt werden, wie diese ‚Dritte‘ Entität im Fall einer solchen Idealsituation als entsprechend kompetente Entität identifiziert werden kann als auch, wie in alltäglichen Situationen „generalisiert gültige Deutungspraktiken“ (Lindemann 2002a: 85) funktionieren und faktisch vonstattengehen. Beide Situationen verlangen nach einer phänomenologischen Festlegungspraxis: Sowohl bezüglich der ‚Dritten‘ Entität als auch der (in Ermangelung einer Einschätzung durch einen Dritten) typischerweise en passant erfolgenden Identifikation von ‚Alter‘ als ein ‚sozialtaugliches‘ Alter Ego. Das vorgeschlagene Akteurmodell soll schließlich ein analytisches Instrument für empirische Forschung darstellen, das einer bestimmten (historisch kontingenten) sozialen Wirklichkeit gerecht wird. Es stellt insofern höchstwahrscheinlich ein Werkzeug empirischer Sozialforschung des ‚Übergangs‘ dar: Die Entfernung zum Gegenstand ist zwar deutlich größer als bei herkömmlichen Modellen,

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aber nicht so groß, dass das zu Erfassende entweder durch nachträgliche Reifizierungen trivialisiert und entstellt werden müsste (bspw. indem die Zoë oder das Cyborg positiv im Gegenstand verortet werden) oder schlicht nicht mehr sozialtheoretisch anschlussfähig wäre. Die dahinterliegende Grundannahme geht von der grundsätzlichen Artifizialität des Akteurs und der historischen Singularität aus, diesen auf seinen ‚natürlich-organischen‘ Kern zurückzubinden. Es mag sein, dass in der Moderne die Spätfolgen der neuzeitlichen Säkularisierung hinsichtlich einer notgedrungenen ‚Fundierung‘ der Erkenntnis in ein distinktes Wesen sich niederschlagen mussten. Eine weiter reichende Auseinandersetzung bezüglich eines plausiblen Begründungszusammenhangs, dieser angedeuteten Singularität, muss an einer anderen Stelle erfolgen. Es erscheint jedoch fraglich, ob eine vollauf befriedigende Erklärung formuliert werden kann, wie es über einen so langen Zeitraum hinweg gelingen konnte, diesen Grundwiderspruch (den Menschen als natürlich-unnatürliche Entität) so erfolgreich zu invisibilisieren, um auf dieser Grundlage zu einem derart bemerkenswert stabilen Aufbau sozialer Wirklichkeit zu gelangen. Weiter oben ist bereits darauf hingewiesen worden, dass nicht auszudenken wäre, was es bedeuten würde, wenn das Soziale in Differenz zu rein technischen Entitäten gedacht würde, bzw. was es bedeuten würde, das Soziale als einen Gegenstand zu denken, der sich aufgrund der Beobachtung von sich völlig voneinander unterscheidenden Entitäten konstituiert. Ohne diesen Gedanken an dieser Stelle erschöpfend auszuführen, kann gerade in Verbindung mit Lindemanns Hinweis bezüglich der Notwendigkeit einer Emergenzfunktion des Dritten dieser Frage zumindest tentativ weiter nachgegangen werden: Würde der Gegenstand des Sozialen sich nicht derart fundamental ändern, dass gegebenenfalls auch nicht mehr von ‚Soziologie als Wissenschaft dieses Gegenstandes‘ die Rede sein könnte? Dass Soziologie gegenstandslos sich in Luft auflösen würde? Es würde folglich nicht nur einer unhinterfragten, stillschweigend angenommenen und aus der Tradition übernommenen Überzeugung geschuldet sein, dass gerade die Soziologie den Kreis der legitimen Akteure auf menschliche Entitäten beschränkt (sieht). Es stellt sich stattdessen vielmehr die Frage, vor welchem Hintergrund die Frage entschieden werden könnte, wer oder was sich als ‚Dritter‘ qualifizieren könnte. Die von Lindemann als infiniten Regress dargestellte, ‚unmögliche‘ Argumentationslogik hinsichtlich der Bestimmung, wem die Zuschreibungskompetenz zugeschrieben werden könnte, zeigt an, dass es eines Bestimmungsverfahrens bedarf, das außerhalb der Konstitutionslogik des Gegenstandes liegt. Außerdem sollte die ‚ausgewählte‘ Entität, die hierfür infrage kommt, offensichtlich dem ‚Selbstverständnis‘ der bestimmenden Entität so sehr es geht entsprechen, da sich ansonsten diese Entität eo ipso aus dem Kreis derer, denen das Recht gebührt, diese Frage zu stellen, herauskatapultiert – was allein schon wegen der performativen Effekte, die die faktisch gestellte Frage hinsichtlich der fragenden Entität

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zeitigt, unmöglich anmutet (ganz zu schweigen von den deutlich wirksameren Effekten der nur implizit geschaffenen, ‚konstruktiven‘ Fakten aufgrund der in der Regel nicht gestellten Frage). Der in den einleitenden Kapiteln vorsichtig formulierte Gedanke, dass soziologische Theoriebildung ohne ein (gleichwie geartetes) Subjektelement erkenntnistheoretisch tief greifende Probleme zeitigen würde, kann nun eine weiter gehende Begründung erfahren: Die Darstellung des Gegenstandes erzeugt einen ‚erkenntnistheoretischen Automatismus‘, wonach zum Kreis der Akteure nur solche Entitäten zugelassen werden können, zu denen sich die den Gegenstand beobachtende (und dadurch herstellende) Entität zugehörig wähnt. Diese ‚Selbstzuschreibung‘ kann im Rahmen eines robinsonadischen Duktus’ freilich in der Tat schlicht der Tradition zugeordnet werden. Diese Zuordnung ist allerdings insofern rein illusorisch, als die Zugehörigkeit einer Entität wiederum nur in Rekurs auf die sozialen, wirklichkeitskonstituierenden Mechanismen gedacht werden und sich etablieren kann. Es gibt folglich auf beiden Seiten gute Gründe anzunehmen, dass die Festlegung der Akteure, die zum Kreis des Sozialen gehören, auf rein menschliche Entitäten sowohl auf gegenstandseitig wirkende, ‚handlungspraktisch‘ notwendige, Zuschreibungsstrategien zurückführbar und der eigentümlichen Situation der Sozialtheorieproduktion geschuldet ist. Wobei – offensichtlich – beide Sphären insofern aufeinander verweisen, als ihre Konstruktionslogik im Ansatz identisch ist. Insofern werden die von Lindemann vorgelegten grundlagentheoretischen Erwägungen sowie gegenstandsbezogenen Annahmen im Kern übernommen, aber hinsichtlich ihrer Verwendung für die Entwicklung eines Akteurmodells für Cyborgs nachjustiert, da hier davon ausgegangen wird, dass es schlicht keinen Sinn machen würde, auch nur anzunehmen, dass es Akteure geben könnte, die nicht in irgendeiner Hinsicht auf ein menschlich-organisches Substrat verweisen (auch wenn diese aufgrund einer Gegenüberstellung zum ‚nackten Leben‘ als sehr vage und ‚äußerste‘ Abgrenzungsfolie, im konkreten Ergebnis sehr flexible Ausformungen annehmen könnten). Das heißt jedoch nicht, dass von vornherein ausgeschlossen werden soll, rein technische Entitäten könnten vollen Sozial-Akteurstatus erlangen. Diese Feststellung würde allerdings – so die hier vertretene These – keine sozialwissenschaftliche Aussage mehr sein.

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Abbildung 38: Nullwert-Matrize Akteurmodell für Cyborgs: Das ‚Leben‘ als Nullwert, der Körper als Reifikation der Emergenzfunktion des Dritten und die gegenstandseitige Herstellung des Subjektes als Quasi-Nullwert bzw. ‚relatives‘ a priori des Sozialen

Soziales

Akteur als Cyborg Akteur (Virtuell) Subjekt

Körper als Reifikation des Dritten

Akteur (Real)

Leben

Die Unterschiede zwischen dem Akteurmodell und den im Rahmen sozialer Wirklichkeit sich abspielenden Mechanismen, die zur Herstellung des (menschlichen) Subjektes als verkörperte Entität führen, kommen durch die Anwendung des Modells besonders klar zum Vorschein. Das Modell bildet soziale Wirklichkeit entgegen der innerhalb dieser sich abspielenden elementaren Positionszuweisungen hinsichtlich der Elemente Akteur, Soziales und Technik ab. Das Modell vermag die Herstellung der Ordnung, die die soziale Wirklichkeit konstituiert, umso besser zu erfassen, je ‚neutraler‘ es sich gegenüber dem Gegenstand aufstellt. Das ‚nackte Leben‘ als Nullwert für die gegenstandsbezogene, beobachtungsleitende Unterscheidung zu setzen, führt dazu, dass sich die im sozialen Raum abspielenden elementaren Setzungen besonders scharf abzeichnen, da das ‚nackte Leben‘ als dem Sozialen ‚absolut‘ äußerliches Element gelten kann. Der Akteur kann sich infolgedessen als ‚alles mögliche‘ etablieren: Subjekt, Körper, Geist, Bewusstsein etc. Nicht nur die wesentliche Rolle, die dem Subjekt zukommt, tritt dadurch besonders klar in Erscheinung, sondern auch die eigentümlichen Mechanismen, die bei der Konstituierung dessen am Werke sind. So zeigt sich beispielsweise der Körper als ein besonders wichtiges Element, wenn es zu verstehen gilt, nicht nur auf welche Weise, sondern auch wieso die Position des Subjektes so bedeutungsvoll ist. Grundsätzlich müssten allerdings diese zentralen Elemente und ihre jeweiligen Positionen als historisch kontingent wahrgenommen werden.

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5.4 Z WISCHENBETRACHTUNG : T ECHNIKTHEORIEN „Das thematische Interesse, das in Wahrnehmungen sich auslebt, ist in unserem wissenschaftlichen Leben von praktischen Interessen geleitet, und das beruhigt sich, wenn gewisse für das jeweilige Interesse optimale Erscheinungen gewonnen sind, in denen das Ding so viel von seinem letzten Selbst zeigt, als dieses praktische Interesse fordert. Oder vielmehr es zeichnet als praktisches Interesse ein relatives Selbst vor: Das, was praktisch genügt, gilt als das Selbst.“ HUSSERL 1992B: 78

Die Konzipierung der Zoë als Nullwert eines Akteurmodells, das sich für eine soziologische Analyse soziotechnischer Konstellationen im besonderen Maße eignen soll, rüttelt an den Grundfesten soziologischer Theoriebildung, da diese – wie hier versucht worden ist darzulegen – im Subjekt ihren Nullwert findet. Dies geschieht unabhängig davon, ob das Subjekt eine ‚genuine‘ Nullwertfunktion erfüllt (Klassiker) oder aufgrund einer sozialtheorieimmanenten Problemgenese und Reflexivität in den Gegenstand hineingetragen worden ist. Die sozialtheoretischen Strategien des Umgangs mit dieser Art von Reflexivität können mitunter sehr unterschiedlich ausfallen; so ist beispielsweise in Goffmans Entwurf das Element ‚Subjekt‘ tatsächlich in den Gegenstandsbereich ausgelagert worden und kommt hier als flottierender Signifikant zum Vorschein. In Luhmanns Systemtheorie hingegen wird es als die andere Seite der Beobachtung des Gegenstandes mitgeführt – das Element ist also im Gegenstand ständig abwesend, in der diese besondere Art der Beobachtung des Gegenstandes konstituierenden Sozialtheorie hingegen ständig anwesend: je nachdem, ob auf das ‚Was‘ oder das ‚Wie‘ der funktional-strukturellen Beobachtung geachtet wird. Die geschilderte eigentümliche Prozessierung von Parsons’ schwergewichtigem Erbe, die die Sozialtheorie als Lösung selbst erzeugter Problemlagen in Erscheinung treten lässt, hat ebenfalls maßgeblich dazu geführt, den Akteur als Subjekt dem Sozialen gegenüberzustellen. Das in diesem Kapitel vorgestellte Modell ist nichtsdestotrotz gerade im Vergleich zu den weiter oben dargestellten, techniksoziologischen Symmetrierungsansätzen an soziologischen Theorien anschlussfähiger, da immer noch ein ‚Akteur‘ identifiziert werden kann, der zugleich nicht in Opposition zur Technik steht. Sowohl hinsichtlich der ‚radikalen‘ Symmetrierungsversuche (Latour) als auch der weniger radikalen, aber dafür entweder unbefriedigenden (Pickering) oder ‚sperrigen‘ (Haraway) Ansätze, zeichnet sich das hier vorgeschlagene Modell einerseits durch eine nur relative Dezentralisierung und andererseits weitreichende ‚Verunreinigung‘ aus.

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Letztlich stellt das Modell eines Akteurs als Cyborg nichts weiter dar, als eine sozialtheoretisch inspirierte Version von Ihdes postphänomenologischer Technikphilosophie, wonach Subjekt und Objekt ein relatives Selbst vorgeben, das sich in der gegenseitigen Inverhältnissetzung zueinander (ko-konstitutiv) formt. Diese Sichtweise ist nicht sehr weit von Meads Grundannahmen über das Subjekt–Objekt Verhältnis und deren ebenfalls zutiefst ‚relative‘ Beschaffenheit und Interdependenz entfernt. Diese Perspektive vermag es außerdem, die moderne, erkenntnistheoretische Prämisse einer Beobachterabhängigkeit, also einer grundsätzlichen Situiertheit des Wissens, gerecht zu werden, ohne zugleich jegliche Symmetrierungsannahmen zu unterlaufen. Den Akteur als Cyborg aufzufassen, erlaubt es schließlich, das sozialtheoretische Inventar (fast) vollständig zur Anwendung zu bringen, insofern die von der Forderung nach Symmetrierung aufgespannten Vielfältigkeiten auf das Format eines Akteurs redimensioniert werden. Was bedeutet es also im angeführten Beispiel, den Akteur als Cyborg zu verstehen? Im Rahmen einer ‚typischen‘ sozialtheoretischen Lesart würde dem ‚klassischen‘ Akteur ein weiterer hinzugefügt werden müssen – sofern der virtuelle Raum als sozialer Raum wahrgenommen und dargestellt werden wollte. Gerade aus der Notwendigkeit dieser ‚Doppelung‘ erwachsen der Soziologie größte Schwierigkeiten, virtuelle Sozialität angemessen zu verarbeiten. Im Rahmen des Matrizen Schemas könnte dies wie folgt abgebildet werden: Abbildung 39: Nullwert-Matrize ‚Klassisches‘ Akteurmodell: Der schizophrene Akteur im Fallbeispiel ‚Digitale Spiele‘

Akteur Virtuell Akteur Real

Soziales (Real/Virtuell)

Subjekt

Wohingegen das hier vorgeschlagene Akteurmodell die Handlungseinheit als hybride Entität konzipiert und insofern den Akteur nicht ‚verdoppelt‘, sondern stattdessen in der Hybridität der handelnden Entität den Akteur wahrnimmt:

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Abbildung 40: Nullwert-Matrize Akteurmodell für Cyborgs: Der Akteur als Cyborg (Asymmetrie der Handlungsträgerschaft) im Fallbeispiel ‚Digitale Spiele‘ (Symmetrie der Artifizialität)

Akteur als Cyborg

Soziales

Leben

Die ‚Ausweitung‘ des Akteurs über die Körpergrenzen hinweg findet dort ihre Grenze, wo die unmittelbare Handlungswirksamkeit endet: in dem angeführten Beispiel also einerseits im virtuellen Raum, andererseits dort, wo beispielsweise der Einflussbereich einer Waffe Auswirkungen zeitigt, die ohne das Zutun des Cyborgs sich nicht manifestieren würden. Das wesentliche definitorische Merkmal ist nach wie vor das der (von Alter wahrgenommenen) Fähigkeit zur Aktualisierung reflexiver Intentionalität. Mit dem Unterschied, dass dem Cyborg nicht ein – wie auch immer geartetes – ‚menschliches‘ Substrat zugrunde gelegt wird, sondern das ‚nackte Leben‘. Insofern zeigt sich das Akteurmodell jetzt schon als zeitlich befristetes und schwach umrissenes: Denn nicht nur sind ‚Tiere‘ nicht grundsätzlich ausgeschlossene Kandidaten, sondern spätestens mit der Verwirklichung künstlichen Lebens, das als intentional reflexiv handelnde Entität wahrgenommen werden könnte, würde das Alleinstellungsmerkmal eines Akteurmodells, das den ‚Menschen‘ in seinem Kern noch aufbewahrt – oder zumindest einer Entität, die aus denselben (irgendwie als ‚natürlich‘ wahrnehmbaren) Ursprung biologischen Materials stammenden Entität (Tiere) – endgültig schwinden. Der so konzipierte Akteur ist rein phänomenologisch schwerer auszumachen, da seine ‚Gestalt‘ deutlich variabler und flexibler ausfällt, als die eines ‚klassischen‘ Akteurmodells. Das Cyborg ändert seine ‚Gestalt‘ fortwährend: Je nach vorgenommenen ‚Kopplungen‘ kann es als fahrendes Auto, fliegendes Flugzeug oder mithilfe verschiedener Programme, Datenbanken und entsprechender Hardware einen wissenschaftlichen Text Verfassender sein. Auf der anderen Seite ist dieser Umstand nichts wirklich Neues. Die unterschiedlichen Versionen eines klassischen ‚modernen‘ Akteurs in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft würden im Rahmen soziologischer Theorien auch ohne Berücksichtigung hybrider Konstellationen als ‚variabel‘ und ‚fluide‘ beschrieben werden müssen, angesichts der vielen, verschiedenen Rollenzuschnitte, denen er gerecht werden muss.

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Abschließend soll noch einmal auf das Subjekt eingegangen werden, da dieser zentrale Begriff sich im Laufe der entwickelten Argumentationen zunehmend verdichtet hat: von den sozialtheoretischen Rekonstruktionen im Kapitel zu den Theorietechniken bis hin zu der im vorangegangenen Kapitel erfolgten, (auch) gegenstandsbezogenen Thematisierung, die einen direkten Zusammenhang zur Bedeutung des Körpers postuliert. Der Begriff des Subjektes mag sich allerdings auf den ersten Blick aufgrund dieser teilweise sehr unterschiedlichen, eingeschlagenen Zugänge womöglich verkompliziert haben. Zur Aufklärung der hier vorgeschlagenen Verwendungsweise dieses Begriffes soll im Folgenden die Argumentationsweise hinsichtlich zwei zentraler Aspekte auf den Kopf gestellt werden: Die Nullwertposition des Subjektes in den sozialtheoretischen Entwürfen der Klassiker erscheint im Nachhinein als launenhafte sowie zudem fragwürdige Ausnahme, und die oben angeführten ‚Kränkungen des Subjektes‘ gaukeln eine Wirklichkeit vor, deren Dekonstruktion instruktiv für die Klärung des Begriffes sein kann. Entgegen dem Eindruck, der aus dem Aufbau der Arbeit resultiert, die Klassiker hätten im Vergleich zu neueren Ansätzen hinsichtlich einer angemessenen Thematisierung von Technik ‚Glück‘ gehabt, können ihre sozialtheoretischen Vorlagen gerade in dieser Hinsicht als grundsätzlich defizitär bewertet werden. Bei ihrer Unterscheidung zwischen Subjekt und Akteur haben sie das Subjekt als menschliches Substrat des Akteurs nicht explizit thematisiert, aber implizit als Element innerhalb ihrer Entwürfe mitgeführt. Dieser Umstand hat den Klassikern in gewisser Weise einen unlauteren Vorteil gegenüber neueren Ansätzen verschafft, da auch sie genauso wie neuere Ansätze der Artifizialität des Akteurs nicht gerecht werden konnten: Der Akteur konnte immer nur in dem Maße artifiziell sein, wie sein menschliches Substrat ‚natürlich‘ blieb. Der ‚moderne‘ Akteur zeichnet sich allerdings gerade dadurch aus, dass er als Subjekt beschrieben werden kann. Es mag einer Ironie der Sozial(theorie)geschichte geschuldet sein, dass gerade ein Zeitalter rasanter Technisierung sowohl von einer Epistemologie als auch sozialen Wirklichkeitskonstruktion begleitet wird, die die Artifizialität des Akteurs verschleiern. Wohingegen in vormodernen und insbesondere oralen Kulturen dieser Wesenszug vermutlich deutlich unproblematischer war und in den Blick genommen werden konnte. Genauso geben die Kränkungen des Menschen eine Wirklichkeit vor, die durch die geschilderten Ereignisse erst entsteht: Der ‚Mensch‘ entsteht als Subjekt, das hinsichtlich seiner Position gekränkt werden kann, erst durch eine Situation, die ihn als ‚gekränktes Subjekt‘ in Erscheinung treten lässt. Die Kränkung bzw. der Verlust führt erst zur Imagination einer Figur, die vordem noch ‚intakt‘ war, genauso wie die ‚Erkenntnis‘ mit dem Sündenfall unauflöslich verbunden ist. Die alttestamentarische Erzählung des Sündenfalls beinhaltet im Kern die Aussage, dass jede Wahrnehmung und jede Bedeutungszuweisung konstitutiv mit einem Mangel verknüpft ist. Waits beschreibt im Rahmen eines lebensweltlichen Erfahrungshorizontes diese, wie es den Anschein hat, sehr ursprüngliche Einsicht: „I never saw my hometown until I stayed

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away too long; […] I never spoke ‚I love you‘ til I cursed you in vain; […] I never saw the east coast until I moved to the west“ (Waits 1974: 0:30, 1:16, 1:43). Von Galileis und Kopernikus’ Kosmologie bis hin zur Künstlichen Intelligenz: Der Verlust erlaubt erst die Konstruktion einer Entität, die sich durch den auferlegten Mangel in Verhältnis zu sich selbst setzen kann: „Die Identität findet sich in der Nichtübereinstimmung mit den eigenen Möglichkeiten.“ (Luhmann 2008c: 194) Den Akteur als Subjekt aufzufassen, stimmt folglich auf der einen Seite mit der für die Moderne typischen Situation des Sozialen überein, verhindert auf der anderen Seite jedoch die sozialtheoretische Verarbeitung der Artifizialität des Akteurs. Sodann kann auf der einen Seite die Neuzeit und Moderne hinsichtlich ihrer Selbstwahrnehmung als eine Wirklichkeit wiedergegeben werden, bei der es auf den ‚Menschen‘ ankommt, der sich in Folge einer Reihe von Mangelerscheinungen etabliert hat. Auf der anderen Seite verhindert die Wiederholung eines im Gegenstand wirkenden Musters auf der Ebene soziologischer Theorien die adäquate Erfassung der für die Entstehung von Subjektivität verantwortlichen Mechanismen. Solange dieselben Muster auch innerhalb der Theorien wirken, bleiben diese in dieser Hinsicht hierfür blind. „Zwei große Kränkungen ihrer naiven Eigenliebe hat die Menschheit im Laufe der Zeiten von der Wissenschaft erdulden müssen. Die erste, als sie erfuhr, dass unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, sondern ein winziges Teilchen eines in seiner Größe kaum vorstellbaren Weltsystems. Sie knüpft sich für uns an den Namen Kopernikus, obwohl schon die alexandrinische Wissenschaft ähnliches verkündet hatte. Die zweite dann, als die biologische Forschung das angebliche Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichte machte, ihn auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Unvertilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies. Diese Umwertung hat sich in unseren Tagen unter dem Einfluss von Ch. Darwin, Wallace und ihren Vorgängern nicht ohne das heftigste Sträuben der Zeitgenossen vollzogen. Die dritte und empfindlichste Kränkung aber soll die menschliche Größensucht durch die heutige psychologische Forschung erfahren, welche dem Ich nachweisen will, dass es nicht einmal Herr ist im eigenen Hause, sondern auf kärgliche Nachrichten angewiesen bleibt von dem, was unbewusst in seinem Seelenleben vorgeht.“ (Freud 2007b: 283f)

Freud geht bei der Charakterisierung seiner Psychoanalyse als dritte Kränkung ‚des Menschen‘ – auf die die Wiederaufnahmen dieses Themas in der Regel beruhen – tatsächlich von einem essenzialistischen, naturalen Kern des ‚Menschen‘ aus, was in der Libido seinen psychoanalytischen Ausdruck findet (vgl. Freud 2007a: 511 Fn1; 1994: 46). Von dieser Perspektive aus betrachtet, ist es legitim von Kränkungen zu sprechen, da die Entstehungsbedingungen des ‚Subjektes‘ von Natur aus determiniert sind und insofern das ‚Subjekt‘ im Prinzip bereits existiert noch bevor es gekränkt wird (vgl. Freud 2000b; 2000a). Wenn allerdings davon ausgegangen wird – wofür vieles spricht –, dass das Subjekt – und zwar gerade auch das ‚Subjekt‘, welches Freud einerseits als Anschauungsmaterial diente sowie andererseits von diesem

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kunstvoll ‚verwissenschaftlicht‘ worden ist (vgl. Butler 2003a: 93ff) – ein Produkt der Neuzeit darstellt, so zeichnet sich der moderne Akteur (der diesem ‚im Prinzip‘ vorausgeht) gerade durch das, was an ihm als ‚Subjekt‘ beschrieben werden kann, in besonderem Maße aus. Das vorgestellte Akteurmodell entspricht also nicht dem modernen Akteur, eignet sich allerdings nicht nur für die Erfassung hybrider Handlungskontexte sondern auch um der Artifizialität des Akteurs gerecht zu werden. Es vermag, gerade weil es von dem Subjekt als Element absieht, Praxen und Strategien der Herstellung von Subjektivität umso stärker hervortreten zu lassen. Insofern die Herstellung von Subjektivität konstitutiv mit dem Körper verbunden ist und ihr Ungleichheitskategorien anheften, behält das entwickelte Akteurmodell darüber hinaus ein Stück des kritischen Potenzials bei, das der Cyborg Metapher Haraways eigen ist. Vor diesem Hintergrund kann das Akteurmodell einerseits als ein im Rahmen einer sozialtheoretischen Rekonstruktion abgeleitetes Instrument für die soziologische Erfassung von technisierten Zusammenhängen beschrieben werden, das andererseits zugleich auf der Grundlage einer Verbindung von Lindemanns Nachweis einer konstitutiven Funktion des Dritten und Haraways Hinweisen hinsichtlich der Relevanz von Körper(grenzen) für die Herstellung bzw. Stabilisierung von ungleichheitsfördernden Strukturkategorien, die Widerspenstigkeit und tiefe Verwobenheit solcher Dynamiken mit dem Sozialen als Prozess der Wirklichkeitsherstellung herauszuarbeiten in der Lage ist. In diesem Sinne muss allerdings zunächst die unter Anwendung dieses Modells durchgeführte, empirische Forschung den Nachweis erbringen, dass es sich für soziologische Aufklärung tatsächlich eignet.

6. Schluss „Die Erkenntniskritik hat verdeutlicht, daß Theorien (und damit auch die ‚Wissenschaften‘ im modernen Verständnis), wenn sie ihre empirische Basis nicht ‚ideologisch‘ übersteigen wollen, ihrem Begriff nach nicht von einer ‚Sache‘ her zu vollenden sind, die zugleich ihr besonderer ‚Gegenstand‘ sein soll. Wir können Vorstellungen ‚von‘ Sachen nicht mit ‚Sachen selbst‘ vergleichen, sondern immer nur mit anderen Vorstellungen von Sachen. Die Vorstellungen anderer ‚haben‘ wir – so wie auch unsere eigenen ‚erinnerten‘ Vorstellungen – sogar nur in den Zeichen ‚für‘ sie. Wenn wir also Vorstellungen ‚vergleichen‘ wollen, um statt der Gewißheit einer sachlichen Übereinstimmung wenigstens die Gewißheit einer Übereinstimmung ‚untereinander‘ zu haben, sind wir auf die Zeichen ‚dafür‘ angewiesen; wir ‚haben‘ nur sie.“ SIMON 1995: 11F

Die Ausgangslage dieser Arbeit bildet die Frage, wieso es die Klassiker ungleich erfolgreicher vermocht haben, Technik in ihre Entwürfe zu integrieren, als dies für neuere sozialtheoretische Ansätze der Fall ist. Im Zuge der Suche nach einer – vor dem Hintergrund dieser Frage- und Problemstellung – geeigneten Vergleichsfolie für die Inverhältnissetzung der ersten ‚soziologischen‘ Theorien und den daran anschließenden, hat sich das Nullwerttheorem als hilfreiches Instrument erwiesen. Die allgemeine theoretische Ausrichtung, die diesem zugrunde liegt, ist eine differenztheoretisch-konstruktivistische, die insbesondere in der Kategorie der Beobachtung ein dem Nullwerttheorem kompatiblen ‚äußeren‘ Rahmen bereitstellen kann.

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Dabei hat sich gezeigt, dass auf einer operativen Ebene der Nullwertbegriff von Lévi-Strauss (1978: 39ff) mit dem der Kontingenzformel von Luhmanns Systemtheorie (2000: 147ff) parallelisiert werden kann: Der Nullwert stellt bei Lévi-Strauss ein im Gegenstand identifizierbares Element, das die Zirkulation der aufgrund von Differenzeffekten entstehenden Bedeutung von Signifikanten gegen einen infiniten Regress absichert. Der Nullwert nimmt hier die Funktion einer Sinnaufladung jeglicher Signifikantenketten ein, die aufgrund einer allein im Signifikantensystem sich etablierenden Bedeutung eventuell zu kollabieren droht. Die Kontingenzformel nimmt hinsichtlich der ‚Beruhigung‘ systemspezifischer Kommunikation eine ähnliche Funktion ein. Wenngleich das Abschließen genau entgegengesetzt gedacht wird, sind sich beide Elemente hinsichtlich ihrer Funktion sehr ähnlich: In Luhmanns Systemtheorie unterbindet die Kontingenzformel einen drohenden Sinnüberschuss und kanalisiert die Kommunikation wieder in systemspezifische Bahnen, wohingegen in Lévi-Strauss’ Strukturalismus der Nullwert die Verflüchtigung von Sinn verhindert. Wichtig für das hier zu entwickelnde Instrument ist die Feststellung, dass beide Begriffe gegenstandseitig wirken; sie werden beide als ein empirisches Datum gehandelt. Im Rahmen dieser Arbeit gilt es jedoch primär Theorien zu untersuchen. In der Kategorie der Beobachtung kann vor diesem Hintergrund ein adäquates Mittel der Überführung dieser Konzepte für eine komparatistische Theorieanalyse wahrgenommen werden. Das Nullwerttheorem als Instrument für Theorievergleiche: Nullpunkt, Kontingenzformel, Kategorie der Beobachtung und die Unhintergehbarkeit ‚erster‘ Referenzen

Die Ausgangslage bildet dabei folgende Überlegung: Der Nullwert einer Theorie ist deren unausgesprochene Prämisse, von der ausgehend sie ein Aussagesystem aufbauen kann, das sich auf den Gegenstand ‚das Soziale‘ richtet. Der Nullwert weist für eine Theorie die Funktion einer Kontingenzformel auf, da dieses Element es der Theorie erlaubt, ihren Gegenstand zu beobachten. Diese Ausgangsüberlegung erfolgt sowohl vor dem Hintergrund einer differenztheoretischen Perspektive, wonach jedes sinnverarbeitende System einer Leitdifferenz bedarf, als auch einer konstruktivistischen, wonach jede Beobachtung im Prinzip paradoxal aufgebaut ist (Luhmann 1996: 155ff; Foerster 1993d; 1993b). Die Konstruktion des Gegenstandes, die durch die Aussagen der Theorie bewerkstelligt wird, wird durch den Nullwert invisibilisiert; sie wird durch diesen in gewisser Weise im Gegenstand (virtuell) verankert (vgl. Luhmann 1991: 147, 151; 1994: 90f). Der Nullwert hat also für die Theorien die Funktion einer Kontingenzformel – und zwar auf der Ebene ihrer Operationen einer Beobachtung erster Ordnung. Auf der anderen Seite tritt der Nullwert nicht als operatives Element innerhalb der Theorien in Erscheinung, sondern bleibt unausgesprochen, da er andernfalls nicht die ihm

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zugedachte Funktion erfüllen könnte. Auch deshalb erscheint eine Charakterisierung dieses Elementes als Nullwert angebrachter denn als Kontingenzformel (wenngleich es als Nullwert der Funktion einer Kontingenzformel sehr nahe kommt). Der wichtigere Grund liegt allerdings in der Annahme begründet – hierfür sollte insbesondere der Exkurs zu Wittgensteins Sprachphilosophie dienen –, dass auf der Ebene von Theoriebildung ein Nullpunkt ausmachbar ist, der nicht hintergehbar ist. Die Sprachspielmetapher von Wittgensteins später Schaffensphase sollte diesen Umstand auf der Grundlage einer näheren Erörterung der Begriffe ‚Zweifel‘ und ‚Gewissheit‘ erhellen. Der Nullwert einer Theorie bleibt für die Theorie als Element in dieser Funktion unsichtbar, da er den Boden, die Gewissheit, darstellt, von dem/der aus bestimmte Fragen hinsichtlich der Beschaffenheit des Gegenstandes überhaupt erst gestellt werden können. Rein formal ließe sich der Nullwert in eine Differenz aufspalten, dies würde allerdings den wesentlichen Charakter dieses Elementes verschleiern, nämlich die Funktion einer Kontingenzformel für die Theorie inne zu haben. Der durchgeführte Vergleich der Theorien auf der Grundlage dieser Vorannahmen kann als Beobachtung zweiter Ordnung aufgefasst werden. Es werden also auf der Ebene einer Beobachtung zweiter Ordnung Theoriekonstruktionen erster Ordnung beobachtet und dabei deren Stabilisierungsstrategien (auf der operativen Ebene der Theoriebildung) beschrieben. Radikalkonstruktivistisch würde es hierbei darum gehen zu beobachten, wie sich Theorien ‚selbst‘ daran hindern von der Ebene erster zu einer der zweiten Ordnung zu wechseln. Gegenstandsbezogene Theorien – zu denen soziologische Theorien selbstredend gehören – tun dies jedoch nicht, da jeder Zweifel auch hier irgendwo ‚ein Ende finden muss‘. Salopp ausgedrückt: Eine Chemikerin kann an Vielem zweifeln, es würde aber schlicht keinen Sinn (in einer emphatischen, epistemologischen Bedeutung des Wortes) machen, an der Existenz von Reagenzgläsern und entsprechenden Apparaturen zu zweifeln, die die ihr spezifischen gegenstandsbezogenen Zweifel erst ermöglichen. Wohingegen eine Philosophin sehr wohl an der Existenz von Reagenzgläsern zweifeln könnte. Deshalb wird die Stabilisierungsleistung eines Elements hinsichtlich der gegenstandsspezifischen, beobachtungsleitenden Unterscheidung als Nullwert aufgefasst und dargestellt. Natürlich haben auch die hier vorgebrachten Ansichten einen Nullwert, und natürlich stellt das vorgestellte Akteurmodell – gerade im Vergleich zu den dargestellten Sozialtheorien – eine Reformulierung dessen dar. Das bedeutet jedoch nicht, dass dieser für eine Theorie beliebig variabel wäre. Genauso wie der Nullwert bei LéviStrauss und die Kontingenzformel bei Luhmann, die als ein im Gegenstand wirkendes Element der Stabilisierung von sozialen Wirklichkeitskonstruktionen dargestellt werden, die für das jeweilige soziale System ohne Differenz bleiben und für einen bestimmten historischen Zeitpunkt alternativlos sind, werden Theorien als ein ‚Gegenstand‘ analysiert. Dieser kann als Aussagesystem charakterisiert werden, das auf einen bestimmten Gegenstand ausgerichtet ist und ebenfalls das Element ‚Nullwert‘,

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samt der ihn auszeichnenden Funktion, aufweist. Neben dem erklärten Ziel eines Vergleiches soziologischer Theorien ist somit zugleich als dessen ‚Abfallprodukt‘ ein Instrument für komparatistisch angelegte Untersuchungen von Sozialtheorien vorgestellt worden. Theoriebildung auf der Grundlage einer komparatistischen Sozialtheorieanalyse: Leben als Nullwert und die Widerspenstigkeit des Subjektes

Mit dem Vergleich der Klassiker zu neueren Ansätzen ist außerdem ein konstruktiver Beitrag verbunden – nämlich die Ableitung eines Theorierahmens, der eine ähnlich gute sozialtheoretische Verarbeitung von Technik erlaubt, wie es in den Ansätzen der Gründergeneration ‚noch‘ möglich war. Die Anwendung des Nullwerttheorems hat zum Vorschein gebracht, dass der Hauptgrund für die erfolgreiche Integration von Technik in soziologische Theorien, das Verhältnis zwischen Subjekt und Akteur darstellt. Oder allgemeiner formuliert: der Rahmen, innerhalb dessen der Akteur in Differenz zum Sozialen sich als Element (bzw. Effekt) dieser Differenz etablieren kann. Eine Hauptschwierigkeit liegt in der terminologischen Unschärfe der zentralen Begriffe bzw. Elemente dieses als differenztheoretische Signifikanten-Struktur dargestellten Verhältnisses. Das ‚Subjekt‘ als Nullwert ist einerseits geistesgeschichtlich und sozialtheoretisch, andererseits sozialhistorisch bzw. -diagnostisch rekonstruiert worden. Die vorrangig auf Descartes (1992) zurückgehende Etablierung des Subjektes als ‚Erkenntnissubjekt‘ in Kontrast zu Hobbes (1994b; 1990) früher Vorstellung eines artifiziellen Akteurs in seiner absolutistischen Staatstheorie – sollte die geistesgeschichtlichen Wurzeln dieser zwei Elemente offenlegen. Die sozialtheoretische Herstellung des Begriffspaares geht auf diese Grundlegung zurück und entwickelt innerhalb einer idiosynkratischen Problemgenese eigene Ausformungen der Inverhältnissetzung dieser zwei zentralen Elemente. Darüber hinaus sind einige sozialhistorische diesen geistesgeschichtlichen Hinweisen hinzugefügt worden. Sie behandeln die Frage, auf welche Weise sich der Akteur als Subjekt ‚faktisch‘ hergestellt hat und zugleich geworden ist (vgl. Butler 2003b; Treiber/Steinert 1980; Hahn 1982; Warburg 2008: 153ff). Insbesondere in diesen sozialhistorischen Hinweisen zeigt sich eine erhebliche Relevanz des Körpers der Akteure. Die körperbezogene Thematisierung des Selbst, die sich in vielerlei Hinsicht für die Herstellung von Subjektivität verantwortlich zeichnet, muss mit Descartes′ ideengeschichtlicher Vorbereitung zusammengedacht werden. Erst die Auftrennung von Geist und Materie ermöglicht eine körperbezogene Selbstthematisierung, die ein ‚Selbst‘ (Subjekt) entstehen lässt, das sich in Differenz zu sich selbst (Körper) setzt. Diese spezifische Form der ‚Selbstproduktion‘ (als Subjekt) kann weitestgehend als Form der ‚Selbst-Unterwerfung‘ beschrieben werden (Butler 2010: 35ff;

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2003b). Und zwar in einem sehr allgemeinen Sinn, noch weit von den faktisch erforderlichen ‚Anpassungsleistungen‘ entfernt, die für eine angemessene Handlungsträgerschaft und -wirksamkeit in entsprechend gestalteten, sozialen Kontexten notwendig sind. Die Klassiker haben den Akteur (in Differenz zu ihrem ‚eigentlichen‘ Gegenstand, dem Sozialen) im Auge gehabt und das Subjekt als Nullwert mitgeführt. Das Erkenntnissubjekt als ‚Produkt‘ der Neuzeit, eines sich von der theistischen Weltauffassung ‚emanzipierenden‘ Weltbildes, wird von den Klassikern stillschweigend als gegebenes ‚Faktum‘ angenommen. Zugleich thematisieren die Klassiker den Akteur als dem Sozialen gegenüberstehendes Element. Die Postgründergenerationen sehen im Unterschied dazu verstärkt das ‚Subjekt‘ als Element ihres Gegenstandes – hierfür sind zwei Hauptgründe ins Feld geführt worden: zunächst das Reflexivwerden der Sozialtheorien, das dazu führt, dass es kein ‚Subjekt‘ geben kann, das sich außerhalb des Sozialen (also ihres Gegenstandes) befindet, sowie die ‚Pfadabhängigkeit‘ bestimmter sozialtheoretisch selbsterzeugter Problemlagen, die dazu führt in der Gegenüberstellung von Sozialem – als Systemebene – und Akteur – als Primärelement der der Systemebene gegenübergestellten Interaktionsebene – einen bevorzugten Problembezug zu erkennen, der diese Dynamik verstärkt, da immer expliziter der Akteur als Subjekt verarbeitet wird. Unter der Hand hat sich damit der von Descartes und Hobbes angelegte Widerspruch zwischen einer wesensmäßig mit Vernunft ausgestatteten, ‚unteilbaren‘ Entität und einer wesensmäßig von Artifizialität gekennzeichneten (also hybriden, weil nicht mit sich selbst identischen) Entität zugunsten eines vermeintlich ‚natürlichen‘ Akteur-Substrates aufgelöst. ‚Körpersensible‘ Sozialtheorien zeigen die Unnatürlichkeit des Körpers bzw. seine soziale ‚Determinierung‘ auf (vgl. schulbildend Mauss 1978). Auch deshalb wurde der Akteur hinsichtlich der innerhalb sozialtheoretischer Entwürfe nachgezeichneten ‚Aufwertung‘ (zugleich auch ein materiell identifizierbares, einheitsstiftendes und verkörpertes ‚Subjekt‘ zu sein), mit dem ‚Bios‘ gleichgesetzt – wohingegen der ‚neue‘ Nullwert ‚das Leben‘ als Zoë konzipiert worden ist (vgl. zur Terminologie Weiß 2009c). Nichtsdestotrotz erfassen körpersoziologische Untersuchungen, die im Zusammenhang einer hypothetischen Anwendung des neuen Akteurmodells zum Vorschein gekommene, elementare Funktion des Körpers für die Konstitution des Sozialen – zumindest in der Regel – nicht hinreichend (vgl. bspw. die Sammelbände Gugutzer 2006b; Schroer 2005b; Villa 2008). Die ‚Körperarbeit‘ bzw. die Bedeutungszunahme des Körpers wird hier in der Regel als symptomatischer Effekt sozialer Relevanzstrukturen bearbeitet. Oder es wird der Beitrag des Körpers für den Aufbau sozialer Wirklichkeit thematisiert bzw. die ‚Verkörperung‘ des Sozialen. Hier wird also weitestgehend an die Sozialrelevanz des Körpers als Kategorie erinnert. Diesen Einschätzungen und Ausarbeitungen kann durch die (zumindest in Aussicht gestellte) Anwendung des entwickelten Akteurmodells eine weitere Dimension

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hinzugefügt werden, die ‚noch‘ tiefer im Gewebe des Gegenstandes anzusiedeln wäre. Im Rahmen einer Übertragung der auf Lindemann (2006) zurückgehenden These einer unabdingbaren Emergenzfunktion des Dritten für die Etablierung sozialer Wirklichkeit ist das ‚Subjekt‘ (im Sinne eines auf den ‚Menschen‘ als ‚organischmenschliche Entität‘ verweisenden Elementes) als somatische Reifikation des ‚Dritten‘ charakterisiert worden. Der organische Körper des Menschen ist – zunächst nur arbeitshypothetisch – als Basiskategorie des Sozialen dargestellt worden, insofern vieles dafür spricht, dass diesem die Funktion des ‚Dritten‘ in gewöhnlichen sozialen Kontexten zukommt. Der Körper tritt infolgedessen als zutiefst ambivalente Größe des Sozialen in Erscheinung: Er ist offensichtlich sozial überformt, nicht ‚natürlich‘, und offensichtlichstes Signum für die Artifizialität des Akteurs und übernimmt zugleich die Funktion, den biologischen Organismus ‚Mensch‘ in seiner phänomenologisch-plastischen ‚Erscheinung‘ als sozialrelevante Entität – im Gegensatz zu allen anderen möglichen Entitäten – zu kennzeichnen. Diese Funktion kann nur dann ausreichend erfüllt werden, wenn davon ausgegangen wird, dass der ‚Mensch‘ sich von ‚Natur‘ aus, von seinem ‚Ursprung‘ her, für diese bevorzugte Position auszeichnet. Andernfalls müsste seine hervorgehobene Stellung immer wieder neu ‚verteidigt‘ werden, was offensichtlich – zumindest im Rahmen gelebter Muster – nicht der Fall zu sein scheint. Blumenbergs (1981a) eigenwillige ‚Aufhebung‘ von Anthropologie als einer Wissenschaft der Wesensbestimmung des ‚Menschen‘ in seiner Ursprünglichkeit, insofern der ‚Mensch‘ sich gerade dadurch auszeichnet, unnatürlich zu sein, hat in diesem Zusammenhang erste wertvolle Hinweise hinsichtlich der problematischen Transformation des Akteur-Subjekt-Verhältnisses geliefert. Das Subjekt verweist in den Entwürfen der Klassiker selbstredend auf den ‚Menschen‘. Der Akteur konnte jedoch von dem ‚Menschen‘, der sich durch einen irreduziblen Rest als ein ‚Naturding‘ auszeichnet, abweichen, da dieser vom Akteur (und seiner Artifizialität) unterschieden werden konnte. Die Ansätze der Postgründergenerationen behalten die Kopplung von Subjekt und Mensch implizit bei, was dazu führt, dass die Artifizialität des Akteurs nicht mehr in den Blick genommen werden kann. Es zeichnet sich aber auch im Gegenstand eine schärfere Opposition zwischen Sozialem und Akteur ab, die dazu führt, dass die Technik dem Sozialen zugeschlagen wird – obgleich eine stärkere Thematisierung auf der Ebene des Akteurs angebracht erscheint und entsprechend auch bearbeitet wird, worauf in den Prolegomena bereits hingewiesen worden ist. Es ist in diesem Zusammenhang die These vorgebracht worden, dass dieser zentrale techniksoziologische Problembezug, Technik ‚(mit)handeln zu lassen‘ (Weiß 2002), gerade auf die Schwierigkeiten zurückgeführt werden kann, die im Zuge einer Aufladung des Akteurs mit Subjekteigenschaften (aufgrund der verlorenen Nullwertposition) und der daraus resultierenden, schärferen Opposition zwischen Akteur und

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Sozialem entstanden ist. Eine stärkere Gegenüberstellung zwischen Akteuren und Sozialem ist gemäß dieser Lesart vorrangig darin begründet, dass der Akteur nie gänzlich in Sozialität aufgehen kann, da die gegenstandsbezogene, beobachtungsleitende Unterscheidung implodieren – also verschwinden – würde, sofern der QuasiNullwert Subjekt-Akteur nicht ersetzt wird durch einen ‚vollwertigen‘ Nullwert, der unmöglich (wieder) das Subjekt sein kann. Aus der Grundlage der nullwertbasierten Rekonstruktionen soziologischer Theorien ist die Hauptthese abgeleitet worden, dass von dem Verhältnis zwischen Subjekt und Akteur die Etablierung einer Akteur vs. Soziales-Differenz abhängig ist, die es mehr oder weniger vermag einen Raum aufzuspannen, in dem Technik als soziale Größe verarbeitet werden kann. Die damit zusammenhängende Beobachtung, dass die erheblichen Schwierigkeiten der Postgründergeneration, das Phänomen ‚Technik‘ ähnlich den Klassikern in ihren Entwürfen einzubinden, einer Veränderung der Position des Subjektes (als Element) innerhalb dieser Struktur geschuldet ist, stellt die Grundlage für das vorgeschlagene Akteurmodell dar. In diesem wird die (ehemalige) Position des Subjektes mit der des ‚Lebens‘ ausgetauscht. Das ‚nackte Leben‘ ist – unter Rekurs auf die Schilderungen von Agamben (2007) und Arendt (2010) sowie in Anlehnung an Hobbes (1994b) und Blumenberg (1981a) – als ein Element identifiziert worden, das dem Sozialen in einer äußerst elementaren Weise äußerlich ist und sich zugleich zu diesem in einem Verhältnis ko-konstitutiver Verflechtung befindet. Nach Agamben ist die bloße Tatsache des Lebens hinsichtlich einer elementarsten Konstitution des politischen (sozialen) Raumes bereits in der Wiege abendländischer Kultur angelegt: „Agambens Ausgangspunkt bildet eine Unterscheidung, die ihm zufolge die westliche politische Tradition seit der griechischen Antike bestimmt. Die Leitdifferenz des Politischen sei nicht jene zwischen Freund und Feind, sondern die Trennung zwischen dem nackten Leben (zoé) und der politischen Existenz (bíos), dem natürlichen Dasein und dem rechtlichen Sein eines Menschen. Seine These ist, dass die Konstitution souveräner Macht die Produktion eines biopolitischen Körpers voraussetzt. Die Einsetzung des Rechts sei nicht zu trennen von der Aussetzung ‚nackten Lebens‘ […].“ (Lemke 2008: 90)

Diese Charakterisierung weist eine gewisse Parallele zu dem Unbehagen auf, das in Luhmanns Konfrontation mit den ‚vollexkludierten‘ Bewohnern der Favelas zum Vorschein kommt, und der daraus resultierenden Verlegenheit, diese im sozialen Raum ‚nur‘ über ihren Körper markieren zu können (Luhmann 2008b: 226ff). Blumenbergs Betonung einer wesensmäßigen Artifizialität des ‚Menschen‘ sowie Hobbes’ ‚natürliche Unnatürlichkeit‘ des Akteurs konnten in der von Agamben entlehnten Sichtweise einer Opposition von ‚Leben‘ und ‚Akteur‘ bzw. vergesellschaftetem

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‚Menschen‘ ebenfalls in eine Argumentationslinie überführt werden, die einen ideengeschichtlich relativ weiten anschluss- und verweisreichen Bogen aufspannt (Blumenberg 1981a: 114f). Ein Akteurmodell für Cyborgs als Theoriebeitrag und die damit verknüpften Desiderate nach empirischer Fundierung: Zum Verhältnis zwischen Theoriebildung und zu erwartendem Nutzen für die (technik)soziologische Forschung

Das auf dieser Grundlage entwickelte und vorläufig – anhand eines Beispieles – exemplarisch zur Anwendung gekommene Akteurmodell möchte der Artifizialität von Akteuren gerecht werden und hybride Handlungskontexte (bzw. Akteure als hybride Handlungsentitäten) in eine sozialtheoretisch anschlussfähige Perspektive überführen. Wesentliche Merkmale sind einerseits die Beibehaltung einer Situiertheit der Entitäten, die eine Perspektive einnehmen, die es ihnen erlaubt über einen soziologisch relevanten Sachverhalt Aussagen zu fällen (und sich dabei gerade auf der Grundlage dieses Tuns als soziale Entitäten profilieren bzw. qualifizieren) sowie andererseits die Berücksichtigung – und zuweilen Betonung – der Hybridität und damit punktuellen Symmetrierung zwischen organischen, kognitiven, materiellen und artifiziellen Elementen aus denen jene Entitäten zusammengesetzt sind. Eine fokale ‚Einheit‘ und damit eine Lokalisierbarkeit der handelnden Entität sowie eine Rückführbarkeit auf ‚menschliches‘ Mitwirken werden also weitestgehend beibehalten. Wesentlich scheint es zu sein – darauf deuten zumindest die hier angestellten Überlegung hin – dass das ‚Subjekt‘ im Rahmen eines Akteurmodells als ‚menschlichverkörpertes Individuum‘ und Kern sowie Referenz der Handlung überwunden wird. Gegenstandseitig ist die These vertreten worden, dass der Akteur auf sein materielles Substrat verweist; dies stellt das phänomenologische Signum einer notwendigen Entscheidung hinsichtlich der Zugehörigkeit des Akteurs zum Sozialen dar. Da dieses ‚Substrat‘ jedoch faktisch nicht vom Akteur und dessen Technisierung unterschieden werden kann, erfolgt eine verstärkte und höchst widersprüchliche Körperthematisierung. Insofern wird eine vorsichtige Konvergenz zwischen einer theorieinternen und gegenstandsbezogenen Entwicklung formuliert, die so lange als Spekulation gelten muss bis der gegenstandseitigen Vermutung auf der Grundlage empirischer Forschung weiter nachgegangen worden ist. Im Rahmen der vorliegenden Ausarbeitungen müssen jedoch beide Ebenen voneinander getrennt betrachtet werden: Die sozialtheoretische Rekonstruktion, die mithilfe des Nullwerttheorems als Instrument für eine komparatistische Analyse durchgeführt worden ist, möchte allein im Rahmen soziologischer Theoriebildung erklären, welche Faktoren für eine Integration von Technik verantwortlich gemacht werde können. Das auf der Grundlage der hierbei erzielten Einsichten vorgeschlagene Akteurmodell findet seine Rechtfer-

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tigung hauptsächlich vor dem Hintergrund dieser komparatistisch angelegten Rekonstruktionen. Erst in einer zweiten Hinsicht ist das entwickelte Akteurmodell, also das Produkt einer theoriebildenden Maßnahme, prospektiv mit ‚seinem‘ Gegenstand in Verbindung gesetzt worden. Dabei ist es offenkundig alles andere als überraschend, dass im Gegenstand Elemente des theoretisch Angenommenem zum Vorschein kommen. Gerade hinsichtlich der insgesamt und allgemein eingenommenen konstruktivistischen Position verwundert es nicht, dass die Elemente der Theoriekonstruktion sich im Gegenstand manifestieren. Umso wichtiger erscheint eine künftige empirische Fundierung der das Akteurmodell auszeichnenden Grundüberlegungen. In diesem Zusammenhang drängen sich insbesondere folgende zentrale Aspekte auf: Vor dem Hintergrund der geistes- und sozialgeschichtlichen Darstellungen ist dafür plädiert worden, dass das ‚Subjekt‘ eine besondere Form des Akteurs darstellt. Die hierbei zutage tretende Zirkularität dieser Behauptung ist mehrfach angesprochen worden – insofern die Wahrnehmung des Akteurs als ausgezeichnete, sozialrelevante Entität zugleich von der Produktion eben dieser besonderen Form abhängig ist. Wesentliche Merkmale dieser besonderen Form sind in einer selbstbezüglichen Thematisierung festgemacht worden, die zugleich eine starke körperbezogene Seite aufweist (die ihrerseits auf die notwendigen Bedingungen der Entstehung eines Erkenntnissubjektes zurückführbar ist). Im Rahmen der Theorierekonstruktionen ist gerade auf diese Differenz – der des Subjektes als Materialisierung einer bestimmten Form des Akteurs – abgehoben worden. Die Klassiker haben die Differenz in ihren Entwürfen ‚aufbewahrt‘, indem sie das ‚Subjekt‘ als ihren Nullwert geführt haben; ein Element, das sich in der einen oder anderen Art von dem Gegenstand zumindest soweit unterschieden hat, dass es nicht gänzlich in diesem ‚aufgegangen‘ ist. Mit Lindemanns empirisch angeleiteter – aber theoretisch akkurat rekonstruierter – Relevanz einer ‚dritten‘ Figur für die Konstitution des Sozialen konnten diese Überlegungen gegenstandseitig übertragen werden. Die Verarbeitung des Akteurs als Subjekt – also als besonderes Element des Gegenstandes – der neueren Entwürfe zeigt auch vor dem Hintergrund dieser Überlegungen die Schwierigkeit an, den Akteur als Technisierten und sich durch Artifizialität auszeichnende Entität zu konzipieren. So kann – entgegen des von Lindemann gewählten Rahmens ihrer Überlegungen, die nämlich auf eine Beschreibung des Gegenstandes abzielen – ihre These auf die Theorierekonstruktionen übertragen werden, und somit der Übergang von und eine Konkordanz zwischen Sozialtheorien und sozialen Wirklichkeitsmechanismen formuliert werden:

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Abbildung 41: Schematische Darstellung: Der arbeitshypothetisch angenommene Zusammenhang zwischen dem Akteur als Subjekt und dem Körper des ‚Menschen‘ als Reifikation der Emergenzfunktion des Dritten

Akteur (Ego)

Akteur (Alter) Soziales

Körper (Reifikation des Dritten) / Akteur als Subjekt

Wenn der Nullwert der Theorien ‚probeweise‘ mit der Funktion des Dritten parallelisiert wird, so tritt zum Vorschein, dass die sozialtheoretische Bearbeitung des Gegenstandes mit den gegenstandseitigen Annahmen zusammenfällt. Die dem Gegenstand – also der sozialen Wirklichkeit – zugeschriebene Bedeutsamkeit des Körpers als Strategie einer Stabilisierung bestehender, das Soziale konstitutiv ‚absichernder‘ sowie ermöglichender Konstruktionsleistungen – denen nur bestimmte Entitäten angehören – entspricht der Schwierigkeit der Theorien, den Akteur als Artefakt zu konzipieren, da er nun mit dem ‚Subjekt‘ in eins gefallen ist. Die gegenstandsbezogene Leitdifferenz der Theorien würde ähnlich implodieren wie die im Gegenstand angenommene und auf die Konstitution des Sozialen bezogene Leitdifferenz, die gemäß Lindemanns These auf die Unterscheidung angewiesen ist, welcher Entität die erfolgreiche Bearbeitung des Problems doppelter Kontingenz zugemutet werden kann. Das Akteurmodell kann sowohl als Ergänzung bestehender Theorieproduktion als auch als Erweiterung gegenstandsbezogener Erfassung gelten. In beiden Fällen vermag ein Modell, das das ‚Leben‘ als Nullwert aufweist, der Artifizialität des Akteurs gerecht zu werden. Im Rahmen sozialtheoretischer Weiterentwicklung vermag das Modell die Akteure in einer konstitutiv-interdependenten Differenz zum Sozialen zu erfassen, ohne die sich im Gegenstand abspielende ‚Subjektivierung‘ zugrunde legen zu müssen. Die gegenstandseitige ‚Verkörperung‘ des Akteurs – diesen mit dem ‚Menschen als Lebewesen‘ gleichzusetzen – ist eine historisch kontingente Entwicklung, die auf das Erkenntnissubjekt und dessen theistischen Ursprung zurückgeführt werden kann (vgl. Borsche 1997: 265f). Den Gegenstand adäquat zu erfassen, bedeutet – unabhängig davon, dass es hier hauptsächlich darum gehen soll, die Artifizialität des Akteurs nicht zu unterschlagen –, die gesellschaftlichen ‚Erzeugnisse‘ soziologisch als solche in den Blick nehmen zu können. Ein Akteurmodell, das die sich im Gegenstand etablierenden Subjektanteile nicht beinhaltet und ähnlich der Klassiker aufgrund der neuen Nullwertposition den Gegenstand nicht als sich selbst tragende Opposition konzipieren muss, vermag es, Akteure als Soziales und Akteure

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als Technik wahrzunehmen sowie die zunehmende Körperthematisierung, die gegenstandseitig für eine Rettung des Subjektes als verkörperte Entität gewertet werden kann, zu erfassen. Anders ausgedrückt: Den Akteur als Subjekt wahrzunehmen, gelingt mit einem Modell, das keine Elemente des Subjektes beinhaltet, ungleich besser. Das vorgestellte Akteurmodell wird im Rahmen empirischer Forschung zeigen müssen, ob es die – insbesondere von Lindemann (1999; 2002b: 48ff, 425ff; 2006) und Haraway (1995a; 1997: 125ff; 2006c) – angezeigten Zusammenhänge adäquat erfassen und zugleich gegebenenfalls für Überraschungen sorgen kann. Die zentralen Annahmen gehen dabei – grob zusammengefasst – in diese Richtung: Die Verkörperung des Akteurs als handelnde Entität wird im sozialen Raum beständig gestützt, weil ihr die Funktion des Dritten zukommt. Zugleich werden realiter die Auflösungstendenzen unterwandert und die kontingenten, mit und an dem Körper und den ‚organischen‘ Körpergrenzen verbundenen bzw. haftenden Strukturkategorien auf einer wirklichkeitskonstitutiven Ebene mitreproduziert. Das Modell behält im Kern das kritische Potenzial der Cyborg-Metapher bei, insofern es – wenn es ‚funktioniert‘ – die Mechanismen in besonderer Schärfe zum Vorschein bringt, die den Akteur daran hindern die ihn benachteiligenden, mit seinem ‚Antlitz‘ und als ‚organische Grundausstattung‘ jeweils attribuierten Merkmale abzuschütteln.

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Abbildungen

Abbildung 1: Beispiel-Matrize: Beobachtung zweiter Ordnung und das Verhältnis zwischen Subjekt, Akteur und Soziales | 33 Abbildung 2: Beispiel-Matrize: Das Subjekt als Nullwert für die gegenstandsbezogene Differenz von Akteur und Soziales | 34 Abbildung 3: Beispiel-Matrize: Das Subjekt als Nullwert und die Thematisierung von Technik (Klassiker) | 43 Abbildung 4: Beispiel-Matrize: Auflösung des Subjektes als Nullwert und dessen ‚Verschiebung‘ hinsichtlich der Thematisierung von Technik (Übergang Klassiker zu Post-Gründergenerationen) | 43 Abbildung 5: Beispiel-Matrize: Die Verschiebung des Subjektes als Nullwert in den Gegenstandsbereich und die Folgen für die Thematisierung von Technik (Postgründergenerationen) | 46 Abbildung 6: Beispiel-Matrize Klassiker: Das Subjekt als Nullwert und die Artifizialität des Akteurs | 55 Abbildung 7: Beispiel-Matrize Postgründergenerationen: Die Auflösung des Subjektes als Nullwert und dessen Verschiebung in den Gegenstandsbereich und die Folgen für die Thematisierung von Technik | 55 Abbildung 8: Beispiel-Matrize Cyborg: Das Leben als Nullwert und die Artifizialität des Akteurs | 56 Abbildung 9: Experimentanordnung (Selbstversuch): Der ‚Blinde Fleck‘ im Gesichtsfeld hervorgerufen durch die ‚papilla nervi optici‘ | 73 Abbildung 10: Nullwert-Matrize Durkheim: Das ‚Freie Subjekt‘ | 150 Abbildung 11: Nullwert-Matrize Marx: Der Weltgeist als ‚irreflexiver‘ bzw. ‚theorieexogener‘ Nullpunkt | 152 Abbildung 12: Nullwert-Matrize Weber: Das ‚Vermittelnde Subjekt‘ | 157 Abbildung 13: Nullwert-Matrize Luhmann: Die theoriekonstitutive Differenz von Bewusstsein vs. Akteur als Adresse | 169 Abbildung 14: Schematische Darstellung: Das Verhältnis der Soziologie zu Hobbes’ und Descartes’ erkenntnistheoretischen Grundbegriffen | 182

400 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE

Abbildung 15: Schematische Darstellung: Darstellung einer alternativen Inverhältnissetzung der Soziologie zu Hobbes’ und Descartes’ erkenntnistheoretischen Grundbegriffen | 183 Abbildung 16: Schematische Darstellung: Die konstitutive Bedeutung des ‚Lebens‘ als Nullwert im Zuge einer alternativen Inverhältnissetzung der Soziologie zu Hobbes’ und Descartes’ erkenntnistheoretischen Grundbegriffen | 184 Abbildung 17: Schematische Darstellung: Die konstitutive Bedeutung des ‚Subjektes‘ als Nullwert bei der Inverhältnissetzung der Soziologie zu Hobbes’ und Descartes’ erkenntnistheoretischen Grundbegriffen | 185 Abbildung 18: Nullwert-Matrize Foucault: Die sich im Gegenstand konstituierende Differenz von Selbst-Techniken vs. Akteur als Subjekt | 196 Abbildung 19: Nullwert-Matrize Mead: Das ‚Kreative Subjekt‘ | 207 Abbildung 20: Nullwert-Matrize Goffman: Die im Gegenstand sich konstituierende Differenz von Rollendistanz vs. Akteur als ‚Identitätsbündel‘ | 207 Abbildung 21: Nullwert-Matrize Parsons und Münch: Das ‚Selbstständige Subjekt‘ im Rahmen eines voluntaristischen Akteurmodells | 232 Abbildung 22: Nullwert-Matrize Habermas: Das ‚Vernünftige Subjekt‘ im Rahmen eines strukturabhängigen Akteurmodells | 236 Abbildung 23: Nullwert-Matrize Blumer: Das ‚Vermittelnde Subjekt‘ im Rahmen eines interpretativen Akteurmodells | 238 Abbildung 24: Nullwert-Matrize Garfinkel: Das ‚Wirklichkeitsstiftende Subjekt‘ im Rahmen eines interpretativ-regelbeherrschenden Akteurmodells | 240 Abbildung 25: Nullwert-Matrize Berger/Luckmann: Das ‚Wirklichkeitsstiftende Subjekt‘ im Rahmen eines strukturabhängigen Akteurmodells | 242 Abbildung 26: Nullwert-Matrize Giddens: Die theoriekonstitutive Differenz von Bedürfnissubjekt vs. Akteur als (unbewusstem) Strukturreproduzenten | 256 Abbidlung 27: Nullwert-Matrize Pickering: Das ‚Intentionale Subjekt‘ in Differenz zum Akteur als Ergebnis einer Praxis von ‚Widerstand und Anpassung‘ im Umgang mit Objekten bzw. Artefakten | 277 Abbildung 28: Nullwert-Matrize Latour: Die Totalinversion der Akteur vs. Technik Differenz in eine Akteur-Aktanten vs. Objekt-Aktanten Differenz | 278 Abbildung 29: (Nullwert-)Matrize Haraway: Das Cyborg(-Akteur) als Effekt frei verhandelbarer bzw. ‚selbst gesetzter‘, flexibler Asymmetrien | 283 Abbildung 30: Nullwert-Matrize Ihde: Das Subjekt als reflexiv-intentionaler Kern einer Akteur-Technik Transformation | 284 Abbildung 31: Nullwert-Matrize Akteurmodell für Cyborgs: Das ‚Leben‘ als Nullwert und die ermöglichte Beobachtung von symmetrischer Artifizialität und asymmetrischer Handlungsträgerschaft | 284 Abbildung 32: Schematische Darstellung: Das ‚nackte Leben‘ als manifester ‚Ausnahmezustand‘ des Sozialen (nach Agamben) | 296

A BBILDUNGEN | 401

Abbildung 33: Schematische Darstellung: Das ‚nackte Leben‘ als von dem Akteur internalisierter ‚Ausnahmezustand‘ der Verwirklichung seiner selbst als Element des Sozialen (nach Agamben) | 297 Abbildung 34: Schematische Darstellung: Wittgensteins Privatsprachenargument in Anlehnung an Meads Modell symbolisch vermittelter Interaktion und Luhmanns Theorem doppelter Kontingenz | 305 Abbildung 35: Schematische Darstellung: Lindemanns Funktion des Dritten zur Ermittlung von Entitäten, die die Bedingungen für den Aufbau sozialen Sinns erfüllen | 306 Abbildung 36: Schematische Darstellung: Reifikation der Funktion des Dritten in alltäglich gelebten Mustern zur Ermittlung von Entitäten, die die Bedingungen für den Aufbau sozialen Sinns erfülle | 313 Abbildung 37: Nullwert-Matrize Akteurmodell für Cyborgs | 338 Abbildung 38: Nullwert-Matrize Akteurmodell für Cyborgs: Das ‚Leben‘ als Nullwert, der Körper als Reifikation der Emergenzfunktion des Dritten und die gegenstandseitige Herstellung des Subjektes als Quasi-Nullwert bzw. ‚relatives‘ a priori des Sozialen | 342 Abbildung 39: Nullwert-Matrize ‚Klassisches‘ Akteurmodell: Der schizophrene Akteur im Fallbeispiel ‚Digitale Spiele‘ | 344 Abbildung 40: Nullwert-Matrize Akteurmodell für Cyborgs: Der Akteur als Cyborg (Asymmetrie der Handlungsträgerschaft) im Fallbeispiel ‚Digitale Spiele‘ (Symmetrie der Artifizialität) | 345 Abbildung 41: Schematische Darstellung: Der arbeitshypothetisch angenommene Zusammenhang zwischen dem Akteur als Subjekt und dem Körper des ‚Menschen‘ als Reifikation der Emergenzfunktion des Dritten | 358

Inhaltsverzeichnis mit indexikalischer Ebene

Eine Leseanleitung als Vorwort | 7  Zur Gliederungssystematik und zum Textaufbau | 9  Kurzdarstellung der Argumentationsebenen | 11  Sozialtheoretische Ebene | 12  Geistesgeschichtliche Ebene | 13  Techniksoziologische Ebene | 13  Sozialhistorische Ebene | 13  Konstruktive Ebene | 14  Zum Gendering: Der Akteur, die Akteurin und das Cyborg | 16  Danksagung | 16 1.

Einleitung | 19  Die Aufladung des Akteurs (Heintz’ Studie als Beispiel) | 22  Technik- vs. Sozialdeterminismus: Die Widerspenstigkeit

einer Inversionsstrategie (Passoths Studie als Beispiel) | 25  Akteur vs. Technik als ‚neuer‘ Problembezug (vorläufige Inverhältnissetzung der Klassiker zu neueren Ansätzen und daraus abgeleitete Leitthese der Arbeit) | 27 Problemaufriss | 31 2.1 Zur Grundfiguration von Subjekt, Akteur und Soziales | 32  Das Subjekt als historisch kontingente Sonderform des Akteurs: Der Körper des Menschen und die ‚Natur‘ des Akteurs | 37  Das Subjekt als Nullwert: Matrizen als Instrument einer schematischen Visualisierung | 40  Das Subjekt als Nullwert: Implosion und Verschiebung innerhalb der Struktur | 42  Vergleich zwischen Heintz und Weber über das Verhältnis des Akteurs zur Technik als Beispiel für die Leitthese der Arbeit | 44 2.

404 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE  Das Nullwerttheorem als heuristisches Instrument in Relation

zur Fragestellung der Arbeit | 46  Der Nullwert als Strukturelement und Kontingenzforme | 48  Das ‚Leben‘ als Nullwert | 54 2.2 Zum Verhältnis von Technisierung und Artifizialität des Akteurs | 57  Blumenbergs Grundlegung einer ‚Anthropologie‘ für Cyborgs | 59  Technisierung, Artifizialität des Akteurs und Techniktheorien | 62

3.

Beobachtungskonstruktionen | 65  Anmerkungen zum eigenen Standpunkt: Strategien der Explizierung

‚erster Referenzen‘ | 66  Descartes’ und Humes Ontologien und das Spannungsverhältnis zwischen

Situiertheit des Wissens, Akteurkonstruktion und Symmetrieprämisse | 67 3.1 Die Beobachtung und Kybernetik zweiter Ordnung | 69  Kybernetik erster und zweiter Ordnung | 72  Erkenntnistheoretische Implikationen einer Kybernetik zweiter Ordnung | 76  Die Kategorie der Beobachtung in der neueren Systemtheorie | 78  Zusammenfassung: Beobachtung und Kybernetik zweiter Ordnung | 84 3.2 Die Praxis der Sprachspiele | 86 3.2.1 Zweifel und Gewissheit beim späten Wittgenstein | 87  Das ‚Weltbild‘ und die ‚Flussbett‘ Metapher | 88  Wissen und Gewissheit | 91  Der ‚Pragmatismus‘ in Wittgensteins später Sprachphilosophie | 93  Zusammenfassung: Wittgensteins Zweifel und Gewissheit | 94 3.2.2 Descartes’ ‚methodischer‘ Zweifel | 96  Descartes’ erste (vorläufige) Gewissheit: Der denkende Geist | 97  Der Gottesbeweis oder Descartes’ ‚god trick‘ | 99  Zusammenfassung: Descartes’ Zweifel | 101 3.2.3 Humes ‚pragmatische‘ Gewissheit | 103  Das erkenntnistheoretische Problem des Kausalnexus | 107  Humes Grundlegung einer relativen Gewissheit als ‚kopernikanische Wende‘ | 109  Zusammenfassung: Humes Gewissheit | 110 3.2.4 Zusammenfassung: Die Praxis der Sprachspiele | 111  Die Inkommensurabilität der Sprachspiele | 113 3.3 Der Nullwert als nicht hintergehbare Einheit der Differenz | 116  Beschränkte Ökonomie und Strategien der Autoimmunisierung des Sinnbegriffs in der neueren Systemtheorie | 118  Die Inkommensurabilität der Sprachspiele: Unhintergehbarkeit der Struktur vs. Unhintergehbarkeit der Kontingenz | 120

I NHALTSVERZEICHNIS MIT

INDEXIKALISCHER

E BENE | 405

3.4 Zwischenbetrachtung: Beobachtungskonstruktionen | 124 4. Theorietechniken | 131 4.1 Klassische Ansätze | 133 4.1.1 Karl Marx | 134  Erste und zweite Natur: Adorno, Weber und Marx | 137  Der ahistorische Standort der Erkenntnis: Hegel und Marx | 139 4.1.2 Émile Durkheim | 143  Konvergenzthese und Schöpfungsmythos: Die Geburt des freien Subjektes | 145  Vergleich: Marx und Durkheim | 151 4.1.3 Max Weber | 153  Das Konzept der Lebensführung in Webers Gesellschaftsdiagnosen | 154  Vergleich: Weber und Luhmann zu Wissenschaft und Moderne | 157  Technisierung: Blumenbergs Kritik an Husserl als Rekonfiguration des Subjektbegriffes (von Husserl über Heidegger und Marcuse zu Blumenberg und Weber) | 159  Technisierung: Luhmann, Weber und die Verschiebung des Nullwertes | 161  Luhmanns anthropologische Prämisse, die Verschiebung des Nullwertes und die Folgen für die Thematisierung von Technik | 168  Praktische und formale Rationalität: Von Weber über Parsons zu Hobbes | 179  Hobbes, Descartes und das theoretische sowie gegenstandsbezogene Selbstverständnis der Soziologie | 181  Lebensführung: Vergleich zwischen Weber und Foucault | 189  Die Position des Subjektes: Ein Vergleich zwischen Goffman, Plessner und Mead | 197  Zurück zu Weber im Vergleich zu den Ansätzen von Mead, Goffman, Foucault und Plessner | 207 4.1.4 George Herbert Mead | 209  Der Nullwert in Meads Akteurmodell | 212  Der besondere Stellenwert von Objekten in Meads Akteurmodell | 219 4.1.5 Zusammenfassung: Klassische Ansätze | 222 4.2 Mittlere Ansätze | 223  Talcott Parsons’ Erbe: Eine kurze Gedächtnisgeschichte (Habermas, Münch, Weber und die Reflexivität von Sozialtheorie) | 224  Habermas’ Rekurs auf Mead im Rahmen der Abarbeitung idiosynkratisch-sozialtheoretischer Problemgenese | 233  Symbolischer Interaktionismus, Ethnomethodologie und Pragmatismus | 236

406 | P OSTNUKLEARE H ANDLUNGSTHEORIE  Sozialkonstruktivismus: Berger/Luckmanns Versuch

einer Zusammenführung | 240 4.3 Neuere Ansätze | 243  Anthony Giddens Strukturierungstheorie als vorläufiger Höhepunkt von Sozialtheorie als Problemgenese: Die Vereinbarkeit von Akteur und Struktur | 243  Der schmale Grat zwischen Strukturierungstheorie und Strukturfunktionalismus | 248  Die Verwertbarkeit der Strukturierungstheorie für techniksoziologische Vorhaben | 251  Die im Akteur ausgelagerte Strukturdominanz im Rahmen einer techniksoziologischen Weiterentwicklung: Zur Ambivalenz des Akteurmodells der Strukturierungstheorie | 254 4.4 Zwischenbetrachtung: Theorietechniken | 257 Techniktheorien | 265 5.1 Radikale Ansätze der Technik- und Wissenschaftsforschung | 266  Das problematische Erbe Descartes’ – Die Überwindung des Geist-Materie Schismas und die Situiertheit des Wissens: ‚You can’t have it both ways‘ | 270  Akteure als Cyborgs: Orale Kulturen und noch einmal Descartes | 273  Geist vs. Materie und die natürliche Artifizialität des Akteurs respektive des Sozialen: Die Widersprüche bei der Überwindung eines ‚Grundwiderspruchs‘ | 275  Die Cyborg Metapher und das Cyborg als Akteur: Zur Verknüpfung von Haraways und Ihdes ‚Metamorphosen‘ des Subjektes | 279 5.2 Ein Akteurmodell für Cyborgs | 285  Die schwierige Unterscheidung von Bios und Zoë: Das ‚nackte Leben‘ als Nullwert der Akteur-Soziales Differenz oder als Gegenstand im sozialen Raum? | 287  Leben als Nullwert: Zu einer soziologischen Einordnung der Unterscheidung von Bios und Zoë | 294  Subjektivierung, Gouvernementalität und Biopolitik: Die Einordnung der Bios vs. Zoë-Differenz in den Aufbau sozialer Wirklichkeit und Ordnung | 297  Das Subjekt als ‚relatives‘ a priori des Sozialen: Von Garfinkels Agnes-Studie zu Lindemanns Funktion des Dritten und zurück | 300  Von der subjektivierungstheoretischen Annahme einer somatischen ‚Subjektkonstitution‘ zur Virulenz einer kategorialen Unterscheidung zwischen sozialer Wirklichkeit und Ordnung | 306 5.

I NHALTSVERZEICHNIS MIT

INDEXIKALISCHER

E BENE | 407

 Akteure als Cyborgs: Das Leben als Zoë, der Körper als Bios

und die Widerspenstigkeit des Subjektes | 308  Das somatische Substrat des ‚Subjektes‘ als handlungspraktische

Reifikation der Emergenzfunktion des Dritten | 312 5.3 Die Rekonfiguration von Subjektivität in Digitalen Spielen | 316  Spieler und Spielfigur in Digitalen Spielen | 317  Medium Spezifika: Digitale Spielräume | 319  Handeln in/mit Digitalen Spielen | 321  Postnukleare Handlungstheorie | 323  Körpertechniken, Technologien des Selbst und Subjektivierungspraxen | 328  Entkörpertes Handeln: Handeln als Cyborg? | 332  Zusammenfassung: Digitale Spiele als ‚Best-Case-Szenario‘ für die exemplarische Anwendung eines Akteurmodells für Cyborgs? | 336 5.4 Zwischenbetrachtung: Techniktheorien | 343 6.

Schluss | 349  Das Nullwerttheorem als Instrument für Theorievergleiche: Nullpunkt,

Kontingenzformel, Kategorie der Beobachtung und die Unhintergehbarkeit ‚erster‘ Referenzen | 350  Theoriebildung auf der Grundlage einer komparatistischen Sozialtheorieanalyse: Leben als Nullwert und die Widerspenstigkeit des Subjektes | 352  Ein Akteurmodell für Cyborgs als Theoriebeitrag und die damit verknüpften Desiderate nach empirischer Fundierung: Zum Verhältnis zwischen Theoriebildung und zu erwartendem Nutzen für die (technik)soziologische Forschung | 356 Literatur | 361 Abbildungen | 399 Inhaltsverzeichnis mit indexikalischer Ebene | 403

Sozialtheorie Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat (2. Auflage) Mai 2014, 528 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2835-7

Urs Lindner, Dimitri Mader (Hg.) Critical Realism meets kritische Sozialtheorie Erklärung und Kritik in den Sozialwissenschaften Mai 2015, ca. 300 Seiten, kart., ca. 25,99 €, ISBN 978-3-8376-2725-1

Joachim Renn Performative Kultur und multiple Differenzierung Soziologische Übersetzungen I September 2014, 304 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2469-4

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Sozialtheorie Franka Schäfer, Anna Daniel, Frank Hillebrandt (Hg.) Methoden einer Soziologie der Praxis März 2015, ca. 360 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2716-9

Hilmar Schäfer (Hg.) Praxistheorie Ein soziologisches Forschungsprogramm Mai 2015, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2404-5

Rudolf Stichweh Inklusion und Exklusion Studien zur Gesellschaftstheorie (2., erweiterte Auflage) April 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2294-2

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Sozialtheorie Brigitte Bargetz Ambivalenzen des Alltags Neuorientierungen für eine Theorie des Politischen

Karin Kaudelka, Gregor Isenbort (Hg.) Altern ist Zukunft! Leben und Arbeiten in einer alternden Gesellschaft

April 2015, ca. 340 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2539-4

Oktober 2014, 170 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2752-7

Ullrich Bauer, Uwe H. Bittlingmayer, Carsten Keller, Franz Schultheis (Hg.) Bourdieu und die Frankfurter Schule Kritische Gesellschaftstheorie im Zeitalter des Neoliberalismus Mai 2014, 368 Seiten, kart., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-1717-7

Mathias Lindenau, Marcel Meier Kressig (Hg.) Was ist der Mensch? Vier ethische Betrachtungen. Vadian Lectures Band 1 April 2015, ca. 94 Seiten, kart., 16,99 €, ISBN 978-3-8376-3032-9

Pradeep Chakkarath, Doris Weidemann (Hg.) Kulturpsychologische Gegenwartsdiagnosen Bestandsaufnahmen zu Wissenschaft und Gesellschaft

Stephan Lorenz Mehr oder weniger? Zur Soziologie ökologischer Wachstumskritik und nachhaltiger Entwicklung

Februar 2015, ca. 226 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1500-5

Juni 2014, 144 Seiten, kart., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-2776-3

Thomas S. Eberle (Hg.) Fotografie und Gesellschaft Phänomenologische und wissenssoziologische Perspektiven

Sophia Prinz Die Praxis des Sehens Über das Zusammenspiel von Körpern, Artefakten und visueller Ordnung

Juni 2015, ca. 420 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2861-6

August 2014, 394 Seiten, kart., 33,99 €, ISBN 978-3-8376-2326-0

Hanna Katharina Göbel, Sophia Prinz (Hg.) Die Sinnlichkeit des Sozialen Wahrnehmung und materielle Kultur

Florian Süssenguth (Hg.) Die Gesellschaft der Daten Über die digitale Transformation der sozialen Ordnung

August 2015, ca. 440 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2556-1

Mai 2015, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2764-0

Zoltán Hidas Im Bann der Identität Zur Soziologie unseres Selbstverständnisses Oktober 2014, 234 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2727-5

Peter Wehling (Hg.) Vom Nutzen des Nichtwissens Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven April 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 28,99 €, ISBN 978-3-8376-2629-2

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