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German Pages 262 [264] Year 2020
POLITISCHE EMOTIONEN IN DEN KÜNSTEN
MN EMOSYN E . S C H RIF T E N D E S IN T E RN AT I O NA L E N W A R B U RG -KO L L E G S
POLITISCHE EMOTIONEN IN DEN KÜNSTEN H ERAU SG EG E B E N VO N P H I L I P P E K A R D T, FRA N K FEH RE N BAC H U N D CO RN ELI A ZU M B U S C H
INHALT
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Politische Emotionen in den Künsten Zur Einleitung Philipp Ekardt / Frank Fehrenbach / Cornelia Zumbusch
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Political Emotion in the Mourners of Philip the Bold’s Tomb Andrew Murray
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Adorning the Prince and his Palace in Fifteenth Century Italy Seeing, Admiration and Authority Nele De Raedt
57 Herzensgemeinschaft Der »sensus communis« bei Schiller Sarah Maria Teresa Goeth
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Wärmen, glühen, verbrennen Schiller und Kleist über die Thermodynamik charismatischer Affizierung Carolin Rocks
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Proclamations of Neutrality Disinterest and Deliberation in Gilbert Stuart’s »Portrait of George Washington« Kerstin Maria Pahl
111 Gefühle unter der Glasglocke Die Ent-/Emotionalisierung des Bühnenraums im politischen Theater Erwin Piscators Sophie König
127 Übermenschliche Tränen Stalins Tod und die Ästhetik politischer Sekrete Philipp Kohl
143 Liebe stören: Skip Normans Echologik Jan Mollenhauer
163 Merkel als Leviathan und Schröder im Licht der alten Meister Visuelle Strategien der Vertrauensbildung Nikolas Werner Jacobs
183 Die Spektakel der Gesellschaft Moderne Schaulust zwischen »esprit public« und Gafferei Agnes Hoffmann
201 Scheinhinrichtung und Aufmerksamkeitsverbrechen Regina José Galindos »The Objective« und Phänomene der aktuellen Gewaltberichterstattung Philipp Müller
219 Engaging Literature Emotions as Route to Political and Societal Engagement? R. L. Victoria Pöhls
241 Farbtafeln 255 Register 259 Abbildungsnachweis
POLTISCHE EMOTIONEN IN DEN KÜNSTEN Zur Einleitung PH I L I P P E K A R D T / F RANK F E HRE NBACH / CORNE LIA ZUMB USC H
Spätmittelalterliche Grabmäler und Gedichte auf Stalins Tod, die zur kollektiven Trauer um den verstorbenen Herrscher oder Diktator anleiten; Palastbauten der Renaissance, die die für den Fürsten zu hegende Bewunderung auch in dessen Abwesenheit zu erregen verstehen; ein Porträt, das die emotionale Ausgeglichenheit und damit politische Neutralität des Präsidenten George Washington demonstrieren soll; Fotos aus bundesrepublikanischen Wahlkampagnen, die in bewährten ikonografischen Formeln für das Vertrauen der Wähler*innen werben wollen; deutschsprachige Dramen um 1800, die mal die Herzensbindung gleicher Brüder, mal den Hass der einen gegen die anderen mobilisieren sollen; die vermeintliche Austreibung der Gefühle aus dem neusachlichen Theater der 1920er Jahre und ihre Wiedereinführung über die in den Bühnenraum integrierten Filmprojektionen; Verbindungen von Rassismus, Sexualität und Gewalt im Experimentalfilm seit den 1970er Jahren sowie partizipatorische Elemente gegenwärtiger Installationskunst, in denen die Entstehungsbedingungen und gezielte mediale Erzeugung von (kollektiven) Ängsten vorgeführt und erfahrbar gemacht werden – die im vorliegenden Band besprochenen Objekte, Bilder und Texte haben über die Spannweite mehrerer Jahrhunderte, Medien und Genres gemeinsam, dass sie in politischen Zusammenhängen evozierte Gefühle wie Trauer, Angst, Bewunderung, Liebe oder Hass thematisieren, ausstellen, erzeugen und formen sollen. Bereits bei einem ersten Systematisierungsversuch überraschen diese Gefühle nicht nur durch ihre historische Kontinuität, sondern ebenso durch ihre Versatilität. Gefühlskomplexe
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wie Trauer, Bewunderung und Vertrauen, aber auch Angst und Schrecken scheinen dazu angetan, die Autorität und Herrschaft einzelner oder einiger weniger zu stärken oder überhaupt erst zu erzwingen. Gefühle wie Sympathie oder Empathie, Gemeinsinn (sensus communis) oder Solidarität hingegen können, so hofft man, die Zugehörigkeit fördern und die Beziehungen innerhalb einer politischen Gemeinschaft festigen. Dabei scheinen Gefühle auch dazu angetan zu sein, Bewegung in bestehende Verhältnisse zu bringen. Politische Emotionen betreffen somit individuelle wie auch kollektive Affektlagen, die den Führungsanspruch einzelner untermauern, den Zusammenhalt vieler grundieren, die Abspaltung oder Ausschließung weniger befördern oder verhindern können, die sowohl stabilisieren als auch für Wandel sorgen sollen. Dieselbe Heterogenität prägt auch gegenwärtige Debatten, in denen der Rekurs auf Emotionen zur Beschreibung und Erklärung politischer Dynamiken eine erstaunliche Konjunktur erlebt. In (kultur-)soziologischen Analysen identifiziert man so unterschiedliche Gefühle wie Liebe, Hoffnung, Empörung, Verachtung, Trauer, Hass, Abscheu und Zorn als Movens von Protestbewegungen, als treibende wie widerständige Kräfte von Globalisierungsprozessen oder als nicht zu unterschätzenden Faktor in Debatten um Migration und Asyl. Dabei handelt es sich um eine Diagnose, mit der nicht zuletzt autobiografische Berichte aus der neuesten algorithmen-gestützten Propaganda-Praxis korrespondieren: der Whistleblower Christopher Wylie, ehemaliger research director der Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica, berichtet, dass ein wesentliches Kriterium für die verstärkte Bemusterung der Nutzer von Online-Netzwerken wie Facebook mit quasi verschwörungstheoretischen Inhalten nicht etwa ökonomisch-soziologische Indikatoren, sondern die über deren posts erhobene wahrgenommene Benachteiligung der Zielsubjekte, mithin deren gefühlte Diskriminierung gewesen sei.1 Die zunächst zuständigen Disziplinen der Politologie und der politischen Philosophie fragen jenseits der Diagnose nach der Legitimität dieser Emotionen: Braucht die Politik – im Sinne der politischen Gemeinschaften und ihrer öffentlichen Kommunikation – mehr Gefühl? Gilt es umgekehrt, die notwendig schwankenden und notorisch manipulationsanfälligen Gefühle aus politischen Prozessen herauszuhalten? Oder können politische Entscheidungen gar nicht rein rational getroffen werden, so dass Emotionen aus der Politik schlicht nicht auszutreiben sind?
Eine Theorie politischer Emotionen? Drei besonders markante Positionen auf diesem umstrittenen Terrain stammen womöglich nicht zufällig aus dem angelsächsischen Bereich. Für die Philosophin Martha C. Nussbaum, die sich auf Liebe und Mitgefühl als einer aus ihrer Sicht unverzichtbaren Grundlage demokratischer Gesellschaften konzentriert, bieten Emotionen ein noch kaum ausgeschöpftes Potential. Liberale Demokratien, so folgert sie, wären gut beraten, wünschbare Emotionen
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zu fördern und zugleich die »Feinde des Mitgefühls« wie Angst, Neid oder Scham zu schwächen.2 Während Nussbaum dergestalt ein emotionspolitisches Edukationsprogramm entfaltet, begreift William Davies Gefühle als grundsätzliche Bedrohung des politischen Geschehens. Emotionen, so argumentiert er in seinem Buch Nervous States, haben im gegenwärtigen politischen Diskurs die Vernunft verdrängt, da fake facts nicht die rationalen Fähigkeiten, sondern lediglich die Emotionen ansprechen. Spätestens mit Donald Trump habe sich, so Davies, der Traum von einer objektiven, rationalen Politik erledigt.3 Drew Weston hatte bereits bei der vergleichenden Analyse der Wahlkampagnen seit der Bush-Ära die These aufgestellt, dass auch die in demokratischen Meinungsbildungsprozessen grundlegenden Wahlentscheidungen meist intuitiv und selten aufgrund sachorientierter Erwägungen getroffen werden. Seine Überzeugung von der »Kraft der emotionalen Assoziationen« überführt Weston in den Ratschlag an die Politik, ihre Kampagnen nicht auf Zahlen und Fakten, sondern auf die Aktivierung »neuronaler Wählerschichten« auszurichten.4 In der deutschsprachigen Diskussion ist das Thema der politischen Emotionen erst mit einer gewissen Verzögerung angekommen. Bedenkt man die in der nationalsozialistischen Propaganda gezielt betriebene Affektpolitik, so scheint die Emotionsskepsis der deutschen Nachkriegspolitik und ihrer Theoretiker mehr als gerechtfertigt.5 Die Politikwissenschaftler Gary Schaal und Felix Heidenreich haben jüngst dennoch für eine Politik der Emotionen votiert, die zwar auf Gefühlsmanipulationen verzichtet, es aber nicht versäumt, affektive Bindungskräfte gerade auch für das demokratische Projekt zu mobilisieren.6 Wie die Rolle der Emotionalität auf dem Feld der Politik bewertet wird, scheint auf den ersten Blick maßgeblich davon abzuhängen, welche in der politischen Sphäre artikulierten oder mobilisierten Emotionen betrachtet werden. Ob die Allianz von Gefühl und Politik nun begrüßt oder befürchtet, beklagt oder erwünscht wird, hängt aber auch davon ab, wie Emotionalität überhaupt gedacht wird. Während die neurowissenschaftliche Emotionsforschung den psychophysischen, zur evolutionären Grundausstattung des Menschen gehörenden Automatismus affektiver Reaktionen betont, gehen kognitivistische Ansätze von einem komplexeren Funktionszusammenhang zwischen sinnlichen Eindrücken und ihrer gedanklichen Einschätzung aus. Nach Ansicht von Joseph LeDoux oder Antonio Damasio laufen Affektprogramme unmittelbar ab und sind durch die Aufzeichnung der Hirnaktivität oder die Messung von Botenstoffen wie Adrenalin oder Serotonin empirisch nachweisbar.7 In ihrer kognitivistischen Fassung hingegen haben Gefühle selbst Urteilsstruktur. In Gefühlen wie Scham, Neid oder Eifersucht artikulieren sich durch Erfahrungen und Reflexion gewonnene Bewertungen einer Situation, die meist auf sprachliche Vermittlung angewiesen sind.8 Nun lassen sich basale Abstoßungs- und Anziehungsphänomene wie Angst, Ekel oder auch (erotische) Attraktion durchaus in neurowissenschaftlichen Versuchsanordnungen erfassen. Die Theoretisierung von sozialen oder gar moralischen Gefühlen hingegen kommt kaum ohne die Annahme eines kognitiven Anteils emotionaler Regungen aus. Entsprechend argumentiert Nussbaum vor dem Hintergrund ihres eigenen, in Upheavals of Thought entwickelten kognitivistischen Emotionsmodells.9
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Erstaunlich bleibt, dass es im Rahmen der seit den 1990er Jahren florierenden Emotionsforschung – Thomas Anz diagnostizierte bereits 2006 einen emotional turn – nicht zu einer differenzierten Untersuchung des Verhältnisses von Politik und Emotion gekommen ist.10 In gängigen Lehrbüchern, wie etwa dem Handbook of Emotions von Michael Lewis, Jeannette Haviland-Jones und Lisa Feldman Barrett oder dem von Hilge Landweer und Ursula Renz herausgegebenen Handbuch klassische Emotionstheorien, gibt es keine Kapitel über politische Emotionen.11 Diskutiert werden hier lediglich soziale Gefühle, die wiederum aufgeschlüsselt werden in zwischenmenschliche Emotionen wie Sympathie oder Mitgefühl, die sich meist in menschlichen Nahbeziehungen einstellen, sowie in Gruppenemotionen wie Panik oder Angst, die in bestimmten Fällen innerhalb eines Kollektivs geteilt werden können. Auf welche Weise werden aber diese zwischen Einzelnen oder in Gruppen erzeugten Gefühle zu politischen Emotionen? Eine Antwort gibt der phänomenologisch argumentierende emotionsphilosophische Ansatz Jan Slabys und Thomas Szantos, der sich auf die intentionalistischen Modelle Peter Goldies bezieht.12 Aufbauend auf dem Strukturmerkmal der Intentionalität, das heißt der Gerichtetheit sowie des appraisal-Charakters von Emotionen, definieren Slaby und Szanto politische Emotionen durch eine spezifische Besetzung dieser Struktur, nämlich als solche, die sich erstens auf ein bestimmtes, sie auslösendes Zielobjekt richten, das dem Bereich des Politischen zuzuordnen sei. Um dieser bis hierhin aber nur als individuell markierten Gefühlsreaktion den Status einer genuin politischen Emotion zuzusprechen, bedürfe es der entsprechenden Besetzung einer weiteren strukturellen Kategorie, nämlich der des Fokus. Politische Emotionen seien solche, deren Hintergrundfokus auf das Gemeinwesen gerichtet sei.13 Jedem politischen Fühlen sei somit, zusätzlich zu seinem Urteilscharakter, ein Ansinnen an die Polis miteingeschrieben. Diese Bestimmung scheint auch geeignet, den speziellen Fall der politischen Emotionen in den Künsten zu verhandeln. Wenn man davon ausgeht, dass jegliche Kunst, soll sie nicht im Privaten verharren, sich wenigstens strukturell – also nicht zwangsläufig empirisch – an ein irgendwie geartetes Publikum, eine Gemeinschaft der Lesenden, der Sehenden oder der Hörenden richtet, so könnte man mit dieser Adressierung wenigstens implizit erste Züge der von Slaby und Szanto diagnostizierten Gerichtetheit auf eine auch als politische zu begreifende Gemeinschaft der Rezipierenden erkennen. Umgekehrt ergäbe sich, jenseits der Debatten und Feinbestimmungen um Engagement, Kritik und/oder Propaganda oder Indoktrination, eine allgemeine Bestimmung, der zufolge die Künste hinsichtlich ihres affizierenden Potentials und ihres Vermögens, Emotionen zu bearbeiten und zu verhandeln, dann als politisch zu gelten hätten, wenn sie eben ihren prinzipiellen öffentlichen Charakter als Adressierung einer politischen Gemeinschaft entwerfen. Der Blick in die Geschichte der Philosophie zeigt überdies, dass kaum eine politische Theorie darauf verzichtet hat, die jeweils anzusprechenden oder auszuschaltenden Leidenschaften mit ins Kalkül zu ziehen und das Verhältnis zwischen privaten Leidenschaften und öffentlichem Handeln auszutarieren.14 Die daraus hervorgegangenen Konzeptualisierungen politischer Leidenschaften prägen auch historische Praktiken und Mentalitäten. Für die Ver-
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wandlungsfähigkeit der Gefühle hat die Historikerin Ute Frevert in einer Reihe von Studien wichtige Belege zusammengetragen. Eine affektgrundierte politische Figur wie der liebevolle Landesvater, republikanisch-bürgerliche Gefühlsideale wie Vaterlandsliebe oder Ehrgefühl oder die Vorstellung vom Vertrauen in die Politik im Ganzen oder in einzelne ihrer Protagonist*innen sind historischen Konjunkturen und Krisen unterworfen.15 Wie Frevert herausgestellt hat, waren in der Geschichtswissenschaft zur genaueren Analyse historischer Emotionen wie auch zur Arbeit mit Emotionen in der Vermittlungsarbeit gewisse Hürden zu überwinden. Dabei zeigt sich das Unbehagen an den irrationalen Anteilen politischer Kommunikation eng verschwistert mit der offenbar ebenso bedrohlichen »Macht der Bilder«. »Vor allem visuelle Medien«, so referiert Frevert »die wiederkehrende These, leisten der Emotionalisierung von Geschichte Vorschub; der ›Macht der Bilder‹ könne sich kaum jemand entziehen.«16 Film- und medienwissenschaftliche Untersuchungen bestätigen diese Vermutung.17 Darüber sollte allerdings nicht vergessen werden, dass auch die Macht der Sprache und ihre Performanzen am politischen Emotionsmanagement beteiligt sind und waren, liegen doch in Gestalt der antiken Rhetoriken, die in den Dichtungstheorien seit der Frühen Neuzeit weiterwirken, Manuale vor, die durchaus präzise zur Affekterregung im Rahmen politischer Kommunikation anleiten.18
Politische Emotionen in den Künsten An dieser Verbindung zwischen Politik, Emotionen und ihren visuellen wie diskursiven Vermittlungen setzt der vorliegende Band an. Wir gehen von der grundlegenden und die beteiligten Disziplinen verbindenden Überlegung aus, dass der Gefühlsausdruck und die emotionale Affizierung, Stimulierung oder Manipulation politischer Subjekte in grundlegender Weise auf Medien im weitesten Sinn – seien es Bilder, Monumente und gebaute Räume, Texte und Inszenierungen, Fotografie und Film – angewiesen ist.19 Gegenstand der versammelten Beiträge sind jedoch nicht politische oder kommunikationswissenschaftliche Aspekte, sondern deren Bearbeitung in den unterschiedlichen Künsten. Seit der Antike und der Frühen Neuzeit bilden sich in Denkmälern und Bauten, im Herrscherporträt, Herrscherdrama oder im dichterischen Herrscherlob, im Triumphzug oder Festkulturen, in höfischen wie bürgerlichen Theaterformen Bildformeln und textuelle Gattungen heraus, die in politischen Kontexten besondere Gefühlseinstellungen propagieren oder die direkte Emotiona lisierung ihrer Rezipienten verfolgen. Mit dem Selbstentwurf als autonome Kunst um 1800 haben sich Fragen der Politisierung durch die Künste nicht erledigt, sondern eher noch verschärft. Von unmittelbaren Zwecken freigesetzte oder aber engagierte Literatur mögen sich als ästhetische Gegenpole begreifen – ohne die Adressierung und Konzeptualisierung ihrer emotionalen Wirkungsmöglichkeiten kommt keine der beiden Positionen aus. Der historisch fest etablierte Nexus zwischen Politik, Emotionen und Medien gewinnt derzeit in den Sozialen Medien neue Dimensionen, etwa in den Gefühlskulturen der Empö-
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rung oder des trolling, also der provozierenden Rede. In der echtzeitschnellen Verbreitung von Bildern, Texten und Geräuschen durch das Internet verschwinden zunehmend die Grenzen zwischen affiziertem und affizierendem Subjekt. Dabei scheint es, als hätten derzeit vor allem digitale Bildmedien die Funktion übernommen, Bilder zur Erzeugung von Schrecken (Terror) oder Mitleid (Solidarität) zu produzieren und zirkulieren zu lassen. 20 Wie aber verändert sich die sprachliche Gestaltung von Emotionen im digital-technischen Zeitalter? Und gibt es womöglich ein Pathosformelrepertoire, das als formales Kontinuum einer vielleicht nicht nur visuellen Affektpolitik gedacht werden kann?21 Ohne Frage steht dabei auch eine Neuverhandlung der klassischen Figurationen der Vielen, ihrer politischen Anordnungen und Gefühlslagen an: während die politische Affizierung der prädigitalen Massen auch auf deren vergleichsweise stabile räumliche Agglomeration hinauslief, bedeutet dies im digitalen Zeitalter mobiler Techniken häufiger raschere Zusammenballungen, aber auch Desaggregationen, wie man sie etwa im arabischen Frühling beobachten konnte. Die versammelten Beiträge nähern sich diesen aktuellen Fragen aus historischer Perspektive. Sie befassen sich mit Architektur, Skulptur, Malerei, Theater, Literatur, Film, Fotografie und Performancekunst vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, um die wechselseitigen Implikationen von Politik und Emotionen im Medium der Künste zu erhellen. Im Blick auf die historischen und medialen Ausdifferenzierungen analysieren sie, auf welche Weise Verbindungen zwischen Politik und Emotion in den Künsten hergestellt wurden und werden. Wo liefern die Künste Analysen der unterschiedlichen emotionalen Dynamiken, die sich in der politischen Arena beobachten lassen? Wo sollen die Künste gezielt genutzt werden, um kollektive Emotionen zu wecken oder zu kontrollieren, um Ideen mit Gefühl zu investieren (Enthusiasmus, Patriotismus, Nationalismus), um Gemeinschaften zu festigen oder politisches Bewusstsein zu schaffen? Wie befördern sie die Emotionalisierung politischer Prozesse, wo betreiben sie ihre Entemotionalisierung? Wie reflektieren die Künste selbst die Verbindung von Politik und Emotionalität? Und wie entwerfen sie in diesem Zusammenhang ihre je eigenen gestalterischen Tätigkeiten, formalen Möglichkeiten und Wirkungsdimensionen? Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Rolle der Künste in politischen aber auch technisch-medialen Umbruchssituationen, in denen man sich verstärkt darum bemüht, alte Ordnungsmodelle zu kritisieren und neue zu plausibilisieren, zu etablieren und zu konsolidieren. Der im Band ausgelegte historische Parcours von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart sei einleitend knapp umrissen.
Mittelalter und frühe Neuzeit Für das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit ergibt sich ein facettenreiches Bild, für das die generelle Schwierigkeit, zwischen angemessenen (stabilisierenden) und fehlgeleiteten (transgressiven) Gefühlen zu unterscheiden charakteristisch ist. »Emotion« ist ein bereits mit der frühen Konnotation des Begriffs als tumultuarische Aufwallung der unteren Schichten,
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als Revolte negativ gekennzeichneter Begriff, dem die noblen Gefühle der patriotischen Hingabe, der Fürstenliebe, der Demut, des heiligen Zorns gegenüberstehen. Die Emotionalität der politischen Sphäre setzte sich dabei im Prozess der institutionellen Differenzierung erst allmählich von den seit dem Spätmittelalter stark betonten Emotionen des kirchlichen Kollektivs ab, wobei es zu charakteristischen Transfusionen und Übernahmen durch den »säkularen« Bereich kam und schon früh die Bindekraft religiöser Gefühle als politisches Kapital erkannt wurde. In Andrew Murrays Beitrag zum Funeralkult um den toten Herrscher der frühen Neuzeit wird dies exemplarisch deutlich. Grundsätzlich waren aber die Gefühle wegen ihrer engen Bindung an somatische Prozesse einerseits und wegen ihrer vermeintlichen Manipulierbarkeit durch numinose Akteure (vor allem Dämonen) andererseits dubios. Darüber hinaus war emotionale Erregbarkeit durchweg geschlechtlich konnotiert, wobei der rasche Wechsel der Gefühle, den man den Frauen unterstellte, wiederum mit ihrer spezifischen physiologischen Disposition verbunden war. Gegenüber der die res publica stabilisierenden tranquilitas animi kam es zu einer topischen Gleichung von somatischer »Weichheit« (Kinder und Frauen), mangelnder Rationalität und Emotionalität. Gerade weil die Gefühle auf vermeintlich objektiven, feinstofflichen Dynamiken beruhten, ansteckende Wirkung hatten, im Rahmen übergreifender sympathetischer Konstellationen (Gestirne, Magie) manipulierbar waren, zielte politische Affektlenkung meist auf das Leitbild des aequilibrium, der Harmonie. Herrschaftskunst beruhte daher immer auch auf der Einhegung und Ausbalancierung der kollektiven Gefühlsregungen, der Herstellung des mittleren Maßes. Das aristotelische mesotes-Ideal zeigt sich etwa in der Vorstellung des normativen »Abstands« zwischen Untertan und Herrscher; wer Letzterem zu nahe kommt, droht an seiner übergroßen Glut zu verbrennen, wer sich zu fern hält, läuft Gefahr zu erfrieren. Das Ideal der Affektmitte, das sich in der frühen Neuzeit mit dem Kernbestand stoischer Überzeugungen verband, wurde erst in dem Moment kritisch erweitert, als der kollektive Gefühlshaushalt des Gemeinwesens selbst zur Ressource der Herrschaft wurde und dieses Gemeinwesen vor allem mithilfe dynamischer Kategorien bewertet wurde. Machiavelli bereitete hier mit dem strategischen Einsatz von Furcht und Liebe die vor allem im Absolutismus zu beobachtende starke Emotionalisierung (nicht nur) des politischen Lebens vor. Nele de Raedts Aufsatz zeigt dies an der Bedeutung der Architektur als Auslöser öffentlicher admiratio gegenüber dem Herrscher. Die Transformationen des Herrscherbildes sind hierfür signifikant, auch wenn dabei die regionalen Unterschiede deutlich hervortreten. Die statuarische Erscheinung des Souveräns, die zum zeitlosen Kernbestand nicht nur des europäischen Herrscherbildes gehört und bis heute die öffentliche Erscheinung der Mächtigen prägt, hat vor allem zum Ziel, Distanz zu schaffen, indem die empathische Resonanz zwischen Regierten und Regierendem durch die Opazität des Maskenhaften blockiert wird. Die körperliche und seelische Angleichung des Herrschers an den Unbewegten Beweger, der über der dauernden Veränderlichkeit der sublunaren Sphären steht, weicht im 17. Jahrhundert beispielsweise der Vorstellung, dass der französische König über einen unvorstellbar komplexen Haushalt vielfältigster, auch widersprüchlicher Gefühle gebietet, die ihn aus jeder emotionalen Vergleichbarkeit katapultieren. Der Souverän
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wird zunehmend zum Regisseur der Emotionen auf der permanenten Bühne des sozialen Lebens, deren unablässiges Wogen er virtuos in den Dienst der politischen Lebenskraft, verstanden als expansive Macht der Nation, nimmt. Seit der Erfindung der Druckerpresse kommt es zur Intensivierung politischer Emotionen durch die Massenmedien, wobei die jüngsten technologischen Entwicklungen die Zirkularität zwischen Bilderproduzenten und -konsumenten zunehmend aufheben und dabei politisch instrumentalisierbare Emotionen beschleunigt an- und abschwellen lassen.
18. und 19. Jahrhundert Wie die gegenläufigen Signaturen der Aufklärung und der Empfindsamkeit anzeigen, gestaltet sich die emotionshistorische Situation im 18. Jahrhundert ähnlich komplex. Offenkundig ruft hier ein Jahrhundert zum Gebrauch der eigenen Vernunft auf. Genau besehen etablieren sich jedoch sowohl im Rückgriff auf antike epikureische Modelle als auch im Gefolge des zeitgenössischen Sensualismus erneut Gefühlsemphasen, die sich vom Neostoizismus des 17. Jahrhunderts zu entfernen versuchen.22 Die beiden scheinbar widerstreitenden Tendenzen – der herrschenden Rationalität einerseits, der gesteigerten Empfindung andererseits – treffen sich in dem Jahrhundertprojekt der Anthropologie, die mit der Entdeckung des »ganzen Menschen« gerade die vernünftige Aufklärung über das Gefühl, also die rationale Einsicht in die Genese und Wirkungsweise der Affekte verfolgt.23 In das 18. Jahrhundert gehört dabei nicht nur die Geburt der modernen Psychologie, die als empirische Erfahrungsseelenkunde über die älteren Typen der Vermögenspsychologie hinauszugehen versucht. Ebenso aufmerksam wie man die individuellen Innenwelten auslotet, werden auch kollektive und damit potentiell politische Emotionen beobachtet. Die das gesamte Jahrhundert durchziehende Reflexion auf gemeinschaftliche, womöglich sogar soziale Gefühle setzt zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit zwei rege rezipierten Texten Shaftesburys ein. In seinem Letter Concerning Enthusiasm beschreibt Shaftesbury in hochrhetorisierter Weise die religiöse Schwärmerei als einen kollektiven, in Massenansammlungen regelrecht seuchenartig ausbrechenden Wahn, der potentiell zu Unruhen und Bürgerkriegen führen kann.24 Hier wird die von Gustave Le Bon so genannte Psychologie der Massen im 20. Jahrhundert anknüpfen.25 Zugleich gibt Shaftesbury in seiner systematischen Inquiry concerning Virtue or Merit mit den Überlegungen zum moral sense sowie zum sensus communis entscheidende Stichworte für eine moralische Neubewertung der Gefühle, die in der moral sense-Philosophie von David Hume über Adam Smith bis Adam Ferguson aufgegriffen werden.26 In einer starken Variante konzipiert man hier Gefühle wie Wohlwollen (benevolence) oder Sympathie als präreflexive Impulse, die wesentlich zu moralischem Handeln anleiten. Gefühle werden damit als Wegweiser für moralische Wertungen ernstgenommen. Auch dort, wo die Reichweite moralischer Gefühle geringer angesetzt wird, gelten Gefühle zumindest als wichtige Handlungsmotoren, ohne die niemand das von der Vernunft Gebotene tun
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würde. Kant wird hier an der Wende zum 19. Jahrhundert Einspruch erheben, indem er als einzig moralrelevantes Gefühl die Achtung für das Sittengesetz gelten lässt.27 Im Zuge dieser Differenzierungen bilden sich veränderte Anleitungen zum Umgang mit Affekten aus. Affekttheorien des 17. Jahrhunderts – exemplarisch René Descartes in seiner Analyse der passions de l’âme – setzen auf die Macht über die Leidenschaften und entwerfen ein gleichsam absolutistisches Modell rationaler Affektbeherrschung.28 Die Anthropologen und aufgeklärten Ärzte des 18. Jahrhunderts hingegen empfehlen andere Strategien. Da sich die Gefühlsnatur des Menschen nicht austreiben lässt, schlägt man sanfte Formen der Therapeutik vor, darunter etwa den Ausgleich allzu starker negativer Gefühle durch den Einsatz von Humor oder aber durch die Stärkung von entgegengesetzten Gefühlen.29 Affektökonomien und Analysen kapitalistischer Marktmechanismen bilden sich dabei ineinander ab: So wie man auf die regulatorischen Kräfte der Leidenschaften setzt, statt sie von einer starken Vernunft in ihren Grenzen halten zu lassen, so sollen sich auch die vom Egoismus der einzelnen angetriebenen Märkte durch die unbemerkten Eingriffe einer invisible hand wie von selbst regulieren. 30 Mit dem von Adam Smith selbst wahrgenommenen Widerspruch zwischen dem Grundgefühl der Sympathie für andere und dem unbedingten Gewinnstreben im Berufsleben ist nebenbei auch der Grundstein zu ebenjener Trennung von privatem Glücksstreben und rationalem Rechtsverständnis gelegt, die Schaal und Heidenreich als Hindernis für eine demokratische Emotionspolitik beschreiben.31 Die Künste nehmen an diesen psychologischen, moralischen, ökonomischen wie politischen Neukonzeptualisierungen der Leidenschaften auf mehreren Ebenen teil: Sie liefern Figuren und Ausdrucksformen, in denen neue Affektpolitiken versuchsweise Formen gewinnen, und sie entwickeln Programme der emotionalen (Nicht-)Affizierung des Publikums. Wie Albrecht Koschorke und andere gezeigt haben, sind mit der Französischen Revolution, die ein neues politisches Subjekt auf die Bühne der Geschichte treten lässt, auch im Theater neue politische Verkörperungen gefragt.32 Hatte schon das barocke Trauerspiel einen Herrschertypus gezeigt, dessen absolute Souveränität mit seiner natürlichen Körperlichkeit und damit auch mit seiner Gefühlsnatur kollidiert, so erweitert das Theater des 18. Jahrhunderts das Repertoire affektiv dysfunktionaler politischer Akteur*innen erheblich: Königinnen als rasende Furien, wahnsinnige, träumende oder aus den von ihnen selbst begründeten Gemeinwesen selbst ausgeschiedene Helden – der Platz des Souveräns ist schwer neu zu besetzen.33 Das Drama um 1800, so zeigen zwei der hier vorgelegten Beiträge, reagiert sowohl mit der Produktion und kritischen Analyse utopischer Wunschbilder als auch mit der Diagnose gegenwärtiger Fehlformen, in denen es die pathologische Rückseite politischer Affektivität hervorkehrt. Sarah Goeth diskutiert Schillers Wilhelm Tell vor dem Hintergrund der sen sus communis-Debatten des 18. Jahrhunderts und deutet das Stück weder als ungebrochene Zurschaustellung einer allgemeinen Bruderliebe noch als deren Dekonstruktion, sondern als Verhandlung dessen, was überhaupt als Gemeinwille gelten kann. Carolin Rocks zeigt an Schillers Jungfrau von Orleans und Kleists Prinz Friedrich von Homburg, wie alle drei Dramen den von Max Weber analysierten Typus charismatischer Herrschaft nicht so sehr als singuläre
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Begabung eines Individuums, sondern vielmehr als Effekt kollektiver Gefühlsdynamiken lesbar machen. Bestes Argument ist schließlich Kleists Herrmannsschlacht, in der ein selbst denkbar emotionsloser Herrmann die Germanen kühl kalkulierend zum unbedingten Hass gegen Rom treibt. In den theaterästhetischen Programmen verschieben sich im Verlauf des 18. und 19. Jahrhundert mehrfach die Wirkungsziele, auf die insbesondere die Tragödie im bekannten Auslegungsstreit der aristotelischen Begriffe eleos und phobos verpflichtet worden ist. Weniger in historisch klar umrissener Abfolge als vielmehr in ständig neu austarierter Konkurrenz stehen hier Modelle der Abschreckung, der Bewunderung, des Mitleids oder auch der kühlen Indifferenz. Zur Bewunderung für den überlegenen Helden oder Herrscher sowie des zu mobilisierenden Schreckens angesichts seines tragischen Falls tritt um die Jahrhundertmitte die von Lessing entwickelte Vorstellung von einer Sensibilisierung sozialer Subjekte durch die konsequente Erregung des Mitleids – ein Programm, das bis zur Dramatik Georg Büchners nachwirkt.34 Zwar setzt sich die Mitleidsdramaturgie in der Theaterpraxis des 18. Jahrhunderts keineswegs überall durch.35 Zumal in Frankreich wird die Aktivierung des Schreckens als Bühnenmittel kaum aufgegeben und kann im Zeichen der Terreur der 1790er bruchlos aufgegriffen werden: Wie der Romanist Helmuth Keßler argumentiert hat, zitiert hier die Politik die nachklassizistische Dramenästhetik.36 Im Aufstieg des Melodrams als Bühnenform und schließlich als filmisches Genre im 19. und 20. Jahrhundert hat das Emotionalisierungsprojekt des empfindsamen Theaters jedoch eine große Nachgeschichte.37 Als Sonderweg zwischen den Extremen der positiven wie negativen Affizierung kann schließlich Schillers Programm der »Immunisierung« gegen exuberante Affektlagen gelten, die das Publikum gezielt an der Einfühlung in das vorgeführte Elend der Herrschenden wie der Beherrschten hindern möchte.38 Ziel der Tragödie soll es nach Schiller vielmehr sein, das bürgerliche Publikum an eine Affektfreiheit zu gewöhnen, die zum Propädeutikum der politischen Freiheit werden kann. Wie Kerstin Pahl in ihrer Analyse von Gilbert Stuarts Porträt von George Washington (1796) zeigt, führt das politische Ideal der überparteilichen Neutralität, das sich mit einer affektiven Freiheit von widerstreitenden Gefühlslagen verbindet, zur Ausbildung einer neuen Herrschaftsikonographie. Der Antinaturalismus der Weimarer Klassik wirkt trotz seiner autonomieästhetischen Prägung in den am deutlichsten politisierten Theaterformen des frühen 20. Jahrhunderts nach, setzen doch die Verfremdungseffekte des epischen Theaters auf ähnliche Mechanismen der Abkühlung und Verfremdung. In einer genauen Analyse des Bühnenraums im Theater Erwin Piscators weist Sophie König allerdings darauf hin, dass Piscator sein gegen die psychologische Illusions- und Einfühlungs ästhetik gerichtetes Theater durch eine an Eisenstein geschulte filmische Schockästhetik ergänzt und konterkariert.
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20. und 21. Jahrhundert Piscators Einbeziehung des Films in den Bühnenraum ist Anzeichen für die mit dieser Medientechnologie einhergehenden, weit reichenden gefühlspolitischen wie -poetischen Versprechen. Hier bahnt sich die reiche und differenzierte Tradition kinematographischer Affizierungs- respektive Emotionalisierungspoetiken an, die die Gefühlskulturen des 20. Jahrhunderts wie kaum ein vergleichbares Medium überhaupt prägen wird.39 Die politische Signifikanz ihrer Gegenstände liegt dabei teilweise ganz plan auf der thematischen Ebene: man denke etwa exemplarisch an die Übersetzungen und Transformationen vorfilmischer Gattungen wie des Melodramas in den Kriegsfilm40 – einem sich im 20. Jahrhundert überhaupt erst etablierenden Genre. Im vorliegenden Band wird die historische Linie der filmischen Formung politisch salienter Stoffe im Beitrag Jan Mollenhauers aufgenommen, der sich der Bearbeitung der Geschichte rassistischer Gewalt in den Vereinigten Staaten hauptsächlich über die experimentelle Praxis des afroamerikanischen Regisseurs Skip Norman nähert. Normans Kurzfilm Blues People arbeitet die Geschichte der Versklavung über die asynchrone Bild/Ton-Montage ein; entlang zunächst formalistisch anmutender Bilder werden Gesänge hörbar, die die Plantagenarbeit der Schwarzen erinnern. Sichtbar wird damit auch die enorme Aufgabe für jede künstlerische Praxis, die sich im 20. Jahrhundert zum Bereich der politischen Gefühle verhalten will. Die rapide technologische Fortentwicklung geht einher mit einer teils durch sie ermöglichten Gewaltentfaltung historisch ungekannten Ausmaßes, von Vernichtungskrieg zu Vertreibung bis Genozid, dem Aufbau und Zusammenbruch totalitärer Systeme sowie den Langzeitauswirkungen des Kollapses der Kolonialsysteme des 19. Jahrhunderts, die allesamt zu einer massenhaften Traumatisierung beigetragen haben. Die Erschließung des neuen Terrains der technischen Medien im 20. Jahrhundert – neben dem Film wären Radio, Fernsehen und dann natürlich die alles umformatierende Digitalisierung zu nennen – bedeutet dabei auch, dass sich künstlerische Affektpoetiken prinzipiell auf die Technizität solcher Medien berufen und das Bestreben entwickeln können, mit dem technologischen Stratum selbst Allianzen einzugehen. Will sagen: dass dessen medienhistorisch in dieser Form neuer apparativer Charakter in die Reflexionen zu seinem Affizierungspotential eingeht. Nicht umsonst handelt es sich bei Hugo Münsterbergs 1916 erschienener Abhandlung The Photoplay – dem Gründungsdokument der theoretischen Arbeiten zum Film überhaupt – um »A Psychological Study«, die bereits ein ganzes Kapitel für das Thema der Emotionen reserviert.41 Auch dies tritt bereits besonders deutlich in der Epoche der klassischen Moderne zutage, die hier mit den Arbeiten Piscators und Eisensteins angerissen wird. Zu ihr zählen auch Avantgarde-Praxen, von Dada bis zum Futurismus, deren disruptive Ästhetiken vermittelt über den Begriff des Schocks nicht nur explizit politische Programme, seien diese reaktionär-(proto)faschistischer Natur (Marinetti), oder linksanarchistischer Natur (vor allem Berlin-Dada), vertraten. Auch programmatische Ausarbeitungen dieser Zusammenhänge ließen nicht lange auf sich warten, wie etwa Benjamins systematisches Argument für ein grob marxistisch inspiriertes medien-revolutionäres Kon-
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zept dokumentiert, dem zufolge Schock-Momente als Rückbindung künstlerischer Praxis an die materiale Basis des Film(-Schnitt)s sowie als Elemente einer intensive Empfindungen auslösenden, antikontemplativen, von ihm als nicht-bürgerlich konzipierten Ästhetik zu gelten hätten.42 Das Kino, und insbesondere das sich als filmpoetisches Korrelat zur Geschichtstheorie des historischen Materialismus beziehungsweise zur historischen Entfaltung der Sowjetrevolution entwerfende, explizit politisch situierende, pathos-zentrierte Schaffen Eisensteins, sollte dann auch einen der wesentlichen Stichwortgeber für ein sich erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts entfaltendes Denken darstellen, das im Film seinen zentralen künstlerischmedialen Gegenstand fand und das Kardinalbeispiel eines von appraisal-theoretischen, intentionalistischen Emotionskonzepten abweichenden, gleichzeitig aber auch nicht einfach plan neurowissenschaftlich aufgestellten Ansatzes markiert.43 Von Eisenstein bezieht der Philosoph Gilles Deleuze im ersten seiner beiden Kino-Bücher einen wesentlichen Impuls für die Formulierung seines Konzepts des Affekt-Bildes – neben der Auseinandersetzung mit der kameratechnischen respektive filmästhetischen Errungenschaft der Großaufnahme, vor allem derjenigen des Gesichts, der schon in den Gründungsschriften der Filmtheorie, wie etwa in Balázs’ Der sichtbare Mensch ein besonderes expressives beziehungsweise reziprok ein besonders stark affizierendes Potential zugeschrieben wurde.44 Hiermit ist der künstlerisch-mediale Hauptstrang zu Deleuze’ in seinen früheren Abhandlungen zu Spinoza generell philosophisch ausgearbeitetem Wiederanknüpfen an die spinozistische Affekttheorie gegeben. Sie wurden wichtiger Impulsgeber einer Theorie, die sich parallel zur kognitivistischen Analyse der Emotionen entwickelte und mit dieser letztlich in Konflikt stand. Diese neuere Denktradition, die sich gegen die Scheidung von Gefühl/Ratio, für die Idee eines allgemeinen politischen Affizierungsgeschehens, aber eben auch gegen den latenten Urteilscharakter der Gefühle entschied, wurde als solche auf emotionstheoretischer Basis vehement kritisiert.45 Vermittels einer gewissen Homologie zwischen der Idee eines immer schon in Immanenzebenen eingetragenen Affektgeschehens und den Vorstellungen der medientechnologischen Einbettung jeglichen Handelns und Kommunizierens – im Kontrast zu auf instrumentellem Medienverständnis aufbauenden Modellen klassischer Öffentlichkeit, aber auch künstlerischer Produktion –, hat sich hier eine gewisse Affinität zur immersiven Struktur digitaler Medien und Netzwerke herausgebildet. Dem Immersionsparadigma folgt, wenn auch nicht im strikten Sinn digital ausgeführt, die zeitgenössische Arbeit der guatemaltekischen Künstlerin Regina José Galindo, die Philipp Müllers Beitrag analysiert. Für die 14. Documenta (2017) produziert, bettet sie das Publikum partizipativ wie installativ in emulierte Bildstrukturen so genannter ›Ernster Spiele‹ (Farocki) ein, das heißt in mediale Szenarios, die Onlinegames genauso wie tatsächlichen Waffensystemen mordender Milizen entnommen sind und politische Emotionen zwischen der Reflektion auf Todesangst und Schaulust provozieren. Unter den Beiträgen des vorliegenden Bandes nimmt keiner eine prononciert affekt-theoretische Position ein. Echos dieses Denkens lassen sich allerdings in Philipp Kohls Artikel
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vernehmen, der einen historischen Querschnitt entlang dreier Positionen der sowjetischen beziehungsweise postsowjetischen Literatur, von der Epoche der klassischen Moderne über die Stalinzeit bis in unsere Gegenwart unternimmt. In der Etablierung einer literarischen Traditionslinie, die von der Dichtung Majakovskijs zu den postmodernen Science-Fiction-Texten Sorokins führt, liegt eine Serie von literarischen Aufzeichnungen des durch den Tod des politischen Diktators affizierter Subjekte vor, die durch austretende Tränen (textuell) figuriert werden. Diese ›Sekrete‹ eröffnen ein semantisch-künstlerisches Spektrum, das von den Überwachungsdiensten totalitärer Staaten bis zum grotesken, abjekten Körper reicht. Angesprochen sind damit karnevaleske Phänomene und deren literarische Adaption, wie sie vor allem Bachtin erforschte. Diese Phasen des Karnevals waren, wie ephemer auch immer, über die Figur einer zeitweisen Umkehrung bestehender Ordnungen stets mit Figuren der Herrschafts- oder Machtkritik verbunden. Der ekelhafte Körper kann damit nicht nur als Motiv externer Zuschreibung zum Instrument der Diskriminierung, sondern in der auktorialen wie künstlerischen Aneignung auch zum Signum künstlerischer Emanzipationspolitiken werden – man denke jenseits der grotesken Tränen der Funktionäre etwa an feministische Positionen, in Theorie wie Praxis, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts die angebliche Koppelung von Ekelaffekt und Ablösung vom Mutterkörper zum Thema machten.46 Dass vergleichsweise extreme Beispiele die Bearbeitung politischer Emotionen in den Künsten im 20. Jahrhundert charakterisieren, mag kaum verwundern. Weniger stark ausschlagend, aber garantiert nicht weniger wirkmächtig sind dagegen die Versprechen einer stabilen Staatsführung, einer Absicherung des politischen Gemeinwesens, die Nikolas Jacobs in seiner Analyse von Darstellungstopoi aus der politischen visuellen Kultur der Bundesrepublik beschreibt. Auf Wahlplakaten und in Kanzler*innenportraits wird sogar die auf den Titelstich des Hobbes’schen Leviathan und damit auf die massive Erfahrung des im Bürgerkrieg zerfallenden Staatswesens zurückgehende Figur des kollektiven Kompositkörpers noch so gewendet, dass sie vor allem eins einwerben wollen: Vertrauen. Zwei Beiträge durchbrechen schließlich das eher an einem periodisierenden bzw. geographisch-kulturell spezifizierenden Muster orientierte Aufbau-Schema dieses Bandes, obwohl beide sich dennoch klar im Bereich historischer Forschung verorten lassen: Agnes Hoffmanns Artikel nimmt eine Langfristperspektive ein, in der auch noch unsere zeitgenössischen Debatten zur durch Mobiltechnologien mediatisierten affektiven Partizipation an Unfällen oder Katastrophen – sei sie anteilnehmend, sei sie voyeuristischer Natur – in den historischen Tiefenraum der (Nach-)Aufklärung gestellt wird. Die um 1800 in Westeuropa geführten Debatten über öffentliche Hinrichtungen oder den moralischen Wert der Institution des Theaters und seiner Dramen, von Rousseau bis Schiller, hätten weiterhin Gültigkeit, weil uns das Problem, dass Institutionen wie die Schaubühne – und ihre heutigen multiplen Medien-Abkömmlinge –, um moralische Anstalt zu werden, auch Ort eines Selbstgenusses des Publikums werden können, der sich als geradezu paradigmatisch unmoralisch geltende Schaulust zu äußern vermag, geblieben ist. In ihrem Beitrag reflektiert Victoria Pöhls dann Möglichkeiten einer empirisch-literaturwissenschaftlichen Analyse engagierter Litera-
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tur vermittels einer charakteristischen heuristischen Überschneidung: Die hier als eine Frage der emotionalen Affizierung von Leser*innen begriffene Wirkungsweise engagierter Texte wird im Schnittfeld von Gattungsmerkmalen wie etwa einer vergleichsweise ›transparenten‹ Schreibweise, Kriterien der für die Gattungsbestimmung wesentlichen Wirkungsdimension (die Einbindung von Fragen der politischen Positionierung in den literarischen Rezeptionsvorgang) sowie überhaupt der Möglichkeit der empirischen Erforschung dieser Textsorte behandelt. Die in diesem Band versammelten Beiträge gehen auf ein im Herbst 2018 am WarburgHaus in Hamburg abgehaltenes Warburg-Kolleg zurück. Wir danken der Aby-Warburg-Stiftung für die großzügige Finanzierung dieser Veranstaltung sowie der vorliegenden Publikation. Eva Landmann und Benjamin Fellmann haben uns bei der Durchführung des Kollegs tatkräftig unterstützt. Unser Dank gilt auch allen Teilnehmenden für die intensiven Diskussionen und für die Ausarbeitung ihrer Entwürfe zu den hier vorliegenden Texten. Für die umsichtige Redaktion der Beiträge schulden wir Sarah Goeth, Julia Klar und Bend Strebel Dank.
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1 Christopher Whiley: MindF*ck. Inside Cambridge Analytica’s Plot to Break the World, London 2019. 2 Martha C. Nussbaum: Politische Emotionen. Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist, Frankfurt am Main 2014, S. 471. 3 William Davies: Nervous States. How feeling took over the world, London 2018. 4 Drew Weston: The Political Brain. The Role of Emotion in Deciding the Fate of the Nation, New York 2007. Deutsch: Das politische Gehirn, Frankfurt am Main 2012, S. 87 u. S. 89. 5 Differenzierte Analysen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts versammelt der Band von Jose Brunner (Hrsg.): Politische Leidenschaften: Zur Verknüpfung von Macht, Emotion und Vernunft in Deutschland, Göttingen 2010; weiter zurück reicht Norbert Bolz (Hrsg.): Das Pathos der Deutschen, München 1997. 6 Gary Schaal u. Felix Heidenreich: Politik der Gefühle. Zur Rolle von Emotionen in der Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 32-33/2013, S. 3–11. 7 Joseph LeDoux: The Emotional Brain. The Mysterious Underpinnings of Emotional Life, New York 1996; Antonio Damasio: Looking for Spinoza. Joy. Sorrow and the Feeling Brain, Orlando 2003. 8 Einen hilfreichen Überblick bietet Martin Hartmann: Gefühle – wie die Wissenschaften sie erklären, Frankfurt am Main u. New York, 2. Aufl. 2010. 9 Vgl. Martha C. Nussbaum: Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions, Cambridge 2001. Weston bezieht sich vor allem auf die Arbeiten von Joseph LeDoux. 10 Thomas Anz: Emotional Turn? Beobachtungen zur Gefühlsforschung, in: literaturkritik.de 8/2006, Nr. 12. 11 Michael Lewis, Jeannette Haviland-Jones u. Lisa Feldman Barrett (Hrsg.): Handbook of Emotions, New York u. London 2008; Hilge Landweer u. Ursula Renz (Hrsg.): Handbuch klassische Emotionstheorien, Berlin u. Boston 2012. 12 Peter Goldie: The Emotions. A Philosophical Exploration, Oxford 2000. 13 Jan Slaby u. Thomas Szanto: Political Emotions, in: Thomas Szanto u. Hilge Landweer (Hrsg.): The Routledge Handbook of Phenomenology of Emotions, London u. New York 2020 (im Druck). 14 Zur Geschichte der Leidenschaften in der politischen Philosophie von Macchiavelli über Hobbes bis John Stuart Mill vgl. den Sammelband von Victoria Kahn, Neil Saccamano u. Daniela Coli (Hrsg.): Politics and the Passions 1500–1850, Princeton u. Oxford 2006. 15 Dazu grundlegend Ute Frevert: Vergängliche Gefühle, Göttingen 2013 sowie ihre Fallstudien in id.: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991; id.: Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen? Göttingen 2012; id.: Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne, München 2013. 16 Ute Frevert u. Anne Schmidt: Geschichte, Emotionen und die Macht der Bilder, in: Geschichte und Ge sellschaft 37/2011, S. 5–25, hier S. 6. Vgl. auch Ute Frevert: Angst vor Gefühlen? Die Geschichtsmächtigkeit von Emotionen im 20. Jahrhundert, in: Paul Nolte et al. (Hrsg.): Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte, München 2000, S. 95–111. 17 Frank Bösch u. Manuel Borutta (Hrsg.): Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne, Frankfurt am Main 2006.
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18 Vgl. Lila Abu-Lughod u. Catherina A. Lutz (Hrsg.): Language and the Politics of Emotion, Cambridge et al. 1990; Uwe Pörksen: Was ist eine gute Regierungserklärung? Grundriß einer politischen Poetik, Göttingen 2003; zu jüngeren Entwicklungen vgl. Bernhard Pörksen: Die große Gereiztheit. Wege aus der kollek tiven Erregung, München 2018. 19 Zum Pathos in den Künsten sowie insbesondere zu Literatur und Emotionalität vgl. Cornelia Zumbusch (Hrsg.): Pathos. Zur Geschichte einer problematischen Kategorie, Berlin 2010; Martin von Koppenfels u. Cornelia Zumbusch (Hrsg.): Literatur & Emotionen, Berlin u. New York 2015 (Handbücher zur kulturwissenschaftlichen Philologie 3). 20 Affect Me. Social Media Images in Art (hrsg. v. Julia Hörner u. Kerstin Schankweiler), Ausstellungskatalog KAI 10 / Arthena Foundation Düsseldorf, Leipzig 2018. 21 Eine solche Pathosformel des Sich-Erhebens verfolgt etwa Georges Didi-Hubermann: Uprisings, Paris 2016. 22 Dorothee Kimmich: Epikureische Aufklärungen. Philosophische und poetische Konzepte der Selbst sorge, Darmstadt 1993. Nikolaus Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit. Zur Geschichte eines Gefühls in der Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1988. 23 Hans-Jürgen Schings (Hrsg): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, Stuttgart u. Weimar 1994; Rainer Wuthenow: Die gebändigte Flamme. Zur Wiederentdeckung der Leidenschaf ten im Zeitalter der Vernunft, Heidelberg 2000. 24 Anthony Ashley Cooper Earl of Shaftesbury: Standard Edition. Deutsch und Englisch (übers. und hrsg. v. Wolfram Benda et al.), Stuttgart-Bad Cannstadt 1981, 21 Bde., Bd. I.1, A Letter Concerning Enthu siasm [1708], Bd. II.2, Inquiry concerning Virtue Or Merit [1711]. 25 Gustave LeBon: La Psychologie des foules, Paris 1895. 26 Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments [1759] (hrsg. v. David D. Raphael), Oxford 1997; David Hume: A treatise of human nature [1739/40] (hrsg. v. L. A. Selby-Bigge u. P. H. Nidditch), Oxford, 2. Aufl. 1978; Adam Ferguson: Principles of Moral and Political Science [1792] (hrsg. v. Jean Hecht), Hildesheim et al. 1995. Einen Überblick bietet Wolfgang Schrader: Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung. Der Wandel der moral-sense-Theorie von Shaftesbury bis Hume, Hamburg 1984. 27 Vgl. Birgit Recki: Wie fühlt man sich als vernünftiges Wesen? Immanuel Kant über ästhetische und mo ralische Gefühle, in: Klaus Herding u. Bernhard Stumpfhaus (Hrsg.): Pathos, Affekt, Gefühl, Berlin 2004, S. 274–294. 28 René Descartes: Die Leidenschaften der Seele, frz./dt (hrsg. u. übers. v. Klaus Hammacher), Hamburg 1996, S. 47–89. Vgl. auch Deborah J. Brown: Descartes and the passionate mind, Cambridge 2006. 29 Werner Stempel: Die Therapie der Affekte bei den Stoikern und Spinoza. Eine vergleichende Untersu chung zur Ethik und philosophischen Psychologie, Kiel 1970; Matthias Luserke: Die Bändigung der wilden Seele. Literatur und Leidenschaft in der Aufklärung, Stuttgart u. Weimar 1995. 30 Vgl. Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen, München 2002. 31 So wie der »ökonomische Liberalismus in der Tradition von Adam Smith«, so Schaal und Heidenreich, in der Sphäre der Ökonomie »den rationalen, nutzenmaximierenden Akteur« konzipiere, sei schließlich »[für den zeitgenössischen Liberalismus – den politischen Liberalismus, wie er beispielsweise von John Rawls paradigmatisch formuliert wurde – […] Neutralität zum zentralen Wert avanciert«. Schaal u. Heidenreich 2013, S. 6.
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32 Albrecht Koschorke et al.: Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt am Main 2007. 33 Juliane Vogel: Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der ›großen Szene‹ in der Tragödie des 19. Jahr hunderts, Freiburg im Breisgau 2002. 34 Hans-Jürgen Schings: Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch. Poetik des Mitleids von Lessing bis Büchner [1980], Würzburg, 2. Aufl. 2012. 35 Vgl. Cornelia Mönch: Abschrecken oder Mitleiden. Das deutsche bürgerliche Trauerspiel im 18. Jahrhun dert. Versuch einer Typologie, Tübingen 1993. 36 Helmut Keßler: Terreur. Ideologie und Nomenklatur der revolutionären Gewaltanwendung in Frank reich von 1770 bis 1794, München 1973. 37 Hermann Kappelhoff: Matrix der Gefühle. Das Kino, das Melodram und das Theater der Empfindsam keit, Berlin 2004. 38 Cornelia Zumbusch: Die Immunität der Klassik, Berlin 2011. 39 Vgl. Margrit Tröhler u. Vinzenz Hediger: Ohne Gefühle ist das Auge der Vernunft blind. Eine Einleitung, in: id. et al. (Hrsg.): Kinogefühle. Emotionalität und Film, Marburg 2005, S. 7–21. Vgl. auch die frühe Behandlung des Films als Gegenstand einer Philosophie der emotionalen Reaktionen auf die Künste, wenigstens in der intentionalistisch-analytischen Spielart der Emotionsphilosophie. Noël Carroll: The Philosophy of Horror or Paradoxes of the Heart, London 1999; id.: Theorizing the Moving Image, Cambridge 1996; Murray Smith: Engaging Characters. Fiction, Emotion, and the Cinema, Oxford 1995; Ed Tan: Emotion and the Structure of Narrative Film, Mahwah 1996. 40 Hermann Kappelhoff: Front Lines of Community. Hollywood between War and Democracy, Berlin 2018. 41 Hugo Münsterberg: The Photoplay. A Psychological Study, New York u. London 1916. 42 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: id: Werke und Nachlass (hrsg. v. Burkhardt Lindner), Bd. 16, Berlin 2013. 43 Zu Eisensteins Pathos-Techniken vgl. Sylvia Sasse: Pathos und Antipathos. Pathosformeln bei Sergej ˙ und Aby Warburg, in: Cornelia Zumbusch (Hrsg.): Pathos. Zur Geschichte einer problemati Ejzenštejn schen Kategorie, Berlin 2010, S. 171–190. In einer klassischen Analyse zu Eisensteins Oktober schlägt Annette Michelson eine implizit rhetorische Kategorie zum Verständnis der Affizierungsmacht der Eisensteinschen Montage-Ästhetik der späten zwanziger Jahre vor, nämlich die Anwendung von Auerbachs Ausführungen zu Homers hohem Stil. Annette Michelson: Camera Lucida/Camera Obscura, in: Artforum 11-5/1973, S. 30–37. Vgl. auch Hermann Kappelhoff: Ausdrucksbewegung und Zuschaueremp finden. Eisensteins Konzept des Bewegungsbildes, in: Robin Curtis, Gertrud Koch u. Marc Siegel (Hrsg.): Synchronisierung der Künste, München 2013. 44 Gilles Deleuze: Kino 1. Das Bewegungs-Bild, Frankfurt am Main 1990; id.: Spinoza und das Problem des Ausdrucks in der Philosophie, München 1993; Béla Balázs: Der sichtbare Mensch, oder die Kultur des Films, Frankfurt am Main 2001. 45 Vgl. die Besprechung einschlägiger Titel Massumis und Protevis in Jan Slaby: Affekt und Politik, in: Philosophische Rundschau 64/2017, S. 134–162. Ruth Leys erkennt in der Konjunktur der Affektmodelle eine Paralleltendenz zu neurowissenschaftlich gestützten Gefühlskonzepten wie etwa in den Arbeiten Tomkins’, Ekmans oder sogar Damasios. Die Ansätze beider Lager, so Leys, vernachlässigten die Ent-
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wicklung eines intentionalistischen Emotionsbegriff, der etwa im Fall der Appraisal-Theorie gegeben sei. Ruth Leys: The Turn to Affect. A Critique, in: Critical Inquiry 37-3/2011, S. 434–472; sowie Ruth Leys: The Ascent of Affect. Genealogy and Critique, Chicago u. London 2017. – In seinen politikphilosophischen Spielarten knüpft das affektzentrierte Denken häufig an die Foucaultsche Machtanalyse an. Vgl. Martin Saar: Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza, Berlin 2013; sowie Rainer Mühlhoff: Im mersive Macht. Affekttheorie nach Foucault und Deleuze, Frankfurt am Main 2018. Sowie als Überblick Jan Slaby u. Jonas Bens: Political Affect, in: id. u. Christian von Scheve (Hrsg.): Affective Societies. Key Con cepts, London 2019, S. 340–351. 46 Vgl. Julia Kristeva: Powers of Horror. An Essay on Abjection, New York 1982, die z. B. zur Stichwortgeberin der sogenannten Abject Art-Bewegung in den 1990ern wurde.
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POLITICAL EMOTION IN THE MOURNERS OF PHILIP THE BOLD ’S TOMB AND R E W MU R R AY
Mourning as Political and Religious Performance The Image Index of Political Iconography in Warburg-Haus, Hamburg, has a section on mourning.1 Amongst other examples, it includes photos of the mourners of the tomb of Philip the Bold (1342–1404), the first Duke of Burgundy and Count of Flanders of the Valois line |fig. 1|. This man was the son of John II, the brother of Charles V, the uncle of Charles VI and, due to the latter’s long spells of mental illness, the most powerful co-regent of France for over two decades before his death. Now in the Musée des Beaux-Arts de Dijon, his tomb |plate I|, commissioned in 1381, redesigned as a tomb with mourners from 1392 and completed in 1412, was originally installed onsite in the centre of the monks’ choir in the church of the Charterhouse of Champmol, a double-charterhouse that Philip himself had had built on the outskirts of Dijon which was largely destroyed in the wake of the French revolution |fig. 2 and plate II|.2 On a black limestone slab, Philip’s effigy, largely reconstructed in the nineteenth century, lies in prayer in an ermine cloak, a ducal coronet and with the sceptre of regency. Originally, he would also have worn armour.3 Around the tomb chest are a series of mourners, including a procession of clerical figures |plate III, numbered 1–8|, two Carthusian monks |plate IV, nos. 9 and 10|, and a series of lay figures wearing mourning robes |plate V, nos. 11–40|. Collectively known as »the mourners«, these figures are renowned artworks that have influenced the iconography of many fifteenth-century monuments, including princely tombs built in England, France, Spain and
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urgundy throughout the fifB teenth century.4 The presence of the mourners from Philip’s tomb in a database on political iconography might not be surprising. Displays of weeping, wearing black and participating in funeral processions manifested overlapping political and religious values in fifteenth-century Burgundy, representing the memory of the living for the dead, deference to forefathers and solidarity amongst allies, friends and Christian neighbours.5 As part of a memorial, mourning sculpture performed a different function to the more transitory rituals of living mourners. In their permanence, they were concerned with securing prayers and memory for the deceased for perpetuity. Philip’s mourners are clearly in prayer. Two have their hands clasped (nos. 20 and 24), while another prays with his hands apart (no. 39). 1 Andrew Murray: Images of Mourners from Philip the Bold’s Tomb, photography, Hamburg, Warburg-Haus Some of the mourners hold prayer beads (see nos. 13, 18, 19, 27, 30, 31 and 32). While living mourners have been conceptualised as engaging in the performance of political emotions, mourning sculpture are, in contrast, more often read as engaged in religious ones.6 Exceptions to this trend exist for medieval tombs in which mourners represent identifiable individuals. The tomb of Pope Clement VI (death 1352) once displayed a procession including his siblings and their relatives, as well as four cardinals who were all also relatives and who were appointed to their positions by him.7 Their presence made this a monument to family, allegiance and nepotism. Considering that Philip’s actual funeral was carefully arranged, one might suspect that the mourners from his tomb could be identified as its participants. His fu-
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neral procession, which made a journey of over 550 kilometres from Halles in modern-day Belgium to Dijon, included a bier carried on a wagon, sixty torch-bearers bearing the ducal arms, and a mounted and hierarchically ordered procession of family, household, officials and retainers.8 Philip’s will also requested the presence of thirteen poor people to pray overnight at his tomb.9 But research from the last three decades has argued against the idea that the mourners represent any of these various participants. Instead, scholars have interpreted them as having their distinctive ritual function within the context of the church of Champmol. Renate Prochno has therefore read the arrangement of 2 Renate Prochno: Reconstruction of the ground plan of the Charterhouse the mourners – one whereby of Champmol, Prochno 2002, pl. 2 they do not seem to follow the clergy in a processional direction, but instead they stand, turn to each other and face or turn from the viewer – in terms of how they are intended to emotionally engage the viewer to encourage prayer for Philip’s soul.10 However, as Sherry Lindquist has pointed out, the mourners cannot be read completely in abstraction from a procession: the position of the clergy together under the head of the effigy does indicate that they are leading the train of mourners.11 According to Michael Grandmontagne, such a procession could have anticipated the movement of the monks around the tomb during annual memorial services.12 The mourners should therefore be read as idealising both the type of rituals that occur in funerary processions and burials as well as the longer process of prayer and memory. Such a conflation of rituals is perhaps evident in how the arcades in which the mourners are installed seem to be a continuous square suited to a cloister, but with one triforium level that was neither usual to a cloister nor found in the church of the Charterhouse of Champmol, but which was more suited to the interior of a cathedral |plate III and plate V|.13 Whereas a cathedral would usually host public ceremonies and masses, a cloister is the site of more private rituals of ongoing memory for the deceased. The fictionalised
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architecture framing the mourners therefore combines that used for public rituals with that which framed the ongoing and private rituals of prayer. Similarly, the arrangement of the mourners as one seemingly led in a procession by clergy, but where they stand to engage the viewer rather than move in a single processional direction, is also suited to a series of figures that combine both the transitional rituals of procession and burial with the everlasting one of prayer. The mourners have been argued to have been suitable for a charterhouse because they encouraged prayer and because they invited consideration of death and salvation.14 Princely funerals evoked the political world outside the charterhouse, the community of Philip’s family, vassals and retainers. Such a high-status secular group seems evident in the attire of the mourners of his tomb. These wear flared sleeves (nos. 30, 38), which were fashionable at the Burgundian court; fur-lined robes (nos. 12, 20, 24, 26, 27, 35, 36, 39 and 40), indicating status; and knives (nos. 24, 34 and 36) which, due to laws on carrying arms, could indicate a noble, courtly or law-keeping position.15 Such worldly and secular details could have had significance for the Carthusians and the charterhouse. The work of both Renate Prochno and Sherry Lindquist has emphasized how the architecture and decoration of the charterhouse anticipated both a secular and monastic viewership.16 The Carthusians, too, were not only monastic figures, but also feudal land owners, ones patronised and protected by the duke, and ones who felt and performed the relations of hierarchy that came with such rank.17 In what follows, I will argue that the mourners not only functioned as figures designed for encouraging prayer, but also underlined Philip’s secular status as a supposedly beloved and powerful public figure, one worthy of being remembered and respected. This argument can be pursued by analysing literary responses to Philip’s death. In what follows I will focus on the writings of Christine de Pizan, and in particular her poem known as ballade 42, as it prescribes how Philip should be mourned. These sources are limited in that they were written after Philip’s death, whereas his tomb , as it now appears, was begun in the decades before it and completed in the years after. Furthermore, these texts were made for a different context, the politics of the French and Burgundian court rather than the prayers and rituals of a Carthusian church. Nevertheless, ballade 42 and other sources show how mourning was a literary trope that was used in the French and Burgundian courts to construct an idealised memory of Philip, and I will argue that there are some similarities between their literary rhetoric and the visual form of the mourners. Such an argument would correspond to a broader reading of the charterhouse’s fabric and audience as one which combined sacred and secular images and values. Before turning to the literary sources, it is therefore first necessary to describe in more detail the original site where Philip’s tomb was situated, and the types of reception it would have received within it.
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The tomb’s position in the Charterhouse of Champmol As a princely tomb with mourning sculpture situated in a monastery, Philip the Bold’s tomb was not innovative. In Burgundy, the tomb of an earlier count of Burgundy, that of Otto IV (death 1303), which was installed in the now destroyed Cistercian abbey of Cherlieu, also had alabaster mourners (likely set, like Philip’s, against black Dinant stone).18 Similarly, King Louis IX (1214–1270) had a series of tombs for his children installed in the Cistercian Abbey of Royaumont.19 For our purposes, the most significant of these was that for his eldest son, Louis de France (death 1260, age sixteen).20 This boy’s death caused such grief to Louis IX that Vincent of Beauvais wrote a consolatory treatise for the king, one which, in part, advised that mourning and tomb monuments should be solemn and restrained.21 On the long sides of young Louis de France’s tomb, mourners are depicted led by bishops |plate VI|. The iconography of mourning was appropriate to the ritual function of these monuments. Although Philip’s tomb was not installed until some years after his death, there is no doubt that it acted as a locus of prayer for the Carthusians. Philip was buried in the church’s crypt in a Carthusian habit (the core of his tomb contained rubble), and was recorded in the Carthusian necrology as well as in the necrology of the Grande Chartreuse (the head charterhouse nearby Grenoble) so that he could be prayed for by the whole order with full monastic status.22 Ducal accounts from 1432 record payments to the Carthusians for masses to be said for Philip the Bold and his son, John the Fearless, and stipulate that these prayers are to be celebrated at the head of their tombs.23 Furthermore, this tombs sat at the centre of the monks’ choir, a privileged space for the monks situated towards the east end of the church, and separated by a screen from the lay brothers’ choir to the west.24 The tomb’s mourners were not only depicted in prayer, but were also intended to encourage prayer. Most notably, many of them conceal their faces behind their capuchons |fig. 2 and plate III, nos. 11, 12, 13, 20, 21, 23, 26 and 33|, a device that invites the viewer to empathize with the imagined emotions stirring beneath them.25 This device seems to have been a Pathosformel that had survived from ancient iconographies of mourning.26 However, tombs from the fourteenth-century with similar mourners indicate that Philip’s do not represent a humanist revival of this trope.27 Nevertheless, the covered face does invite the viewer to project emotions onto it. Lindquist even argues the completely concealed head »is a device that allows a diverse audience to identify with them, rich and poor, lay and ecclesiastical, and perhaps, even male and female.«28 However, it is difficult to reconcile this potentially broad audience for emotional engagement with the mourners with the idea that they were designed for a specifically Carthusian reception. Carthusians lived often in silence and solitude and their prayers did not require emotional performance as they were already regulated by the religious calendar, liturgical hours and Carthusian necrology.29 Notably, in contrast to the singing choristers that precede them, the two Carthusians represented on the tomb |plate IV, nos. 9–10 | have their mouths closed. They make no sound, and instead undertake their duty of memory by marking or reading pages of the books they carry.30
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If Philip’s mourners were intended for a specifically Carthusian viewership, there is no reason why it could not have depicted mostly or exclusively monks. This is what one finds on the heart tomb of Thibaut V of Champagne (death 1270), which was originally installed in the church of the Jacobins in Provins, and which displayed praying Dominicans on its sides.31 If Philip’s tomb was intended to underline the Carthusians’ duty of prayer, it could also have been designed as a »tomb of kinship«, rather than as a tomb of ceremony depicting mourners.32 Such tombs represented identifiable family members around the monument. In doing so they would have reminded the deceased’s relatives and the institution in which the tomb was installed of their mutual obligations.33 Another possibility is that Philip’s mourners were intended to prompt prayers from a secular audience. Such prayers would have come from Philip’s family who kept two large Books of Hours in the ducal oratory, just to the north of the monks’ choir.34 Furthermore, secular visitors have been recorded visiting the church, and the space of the charterhouse itself seemed designed to regularly accommodate them, including a guesthouse and twenty-one lead rings at the gatehouse to secure horses.35 The monks’ choir could have remained an especially privileged space for the Carthusians, whose customs stipulated that only ecclesiastical guests could enter this space.36 But it is notable that choir stalls installed here could seat up to seventy-two people, three times as many as there were Carthusians.37 These stalls would have the tombs as a central visual focus.38 The anticipation of secular visitors is also perhaps indicated by the fact that, shortly after the tomb was completed, it was surrounded by a barrier comprised of four iron pillars that supported bars.39 Ultimately, these did not stop fifty-two angels installed in the tabernacle capitals of the arcades around the tomb from being lost by the time of Jean-Philippe Gilquin produced drawings of the tomb in 1736, all likely snatched by visitors.40 However, if Philip’s mourners were primarily for a secular audience, then one should ask why his tomb was installed in a monastery outside Dijon and not in a more accessible environment. The Burgundian dukes did commission or complete tombs in prominent civic churches. Among these were the triple-tomb made for his wife, Margaret (death 1405) and her parents Louis and Margaret, installed in the church of St-Pierre, Lille (commissioned during Louis’ lifetime, but only completed in the 1450s); as well as the tombs of Mary of Burgundy (death 1482) and Charles the Bold (death 1477), installed in the Church of Notre-Dame, Bruges (completed in 1501 and 1562 respectively).41 Unlike the ducal tombs in the Charterhouse of Champmol, including not only Philip’s but also that for John the Fearless and Margaret of Bavaria (completed in 1470), these were tombs of kinship or, in the case of Charles and Mary’s tombs, the related iconography of genealogy.42 This suitability of the iconography of kinship and genealogy to publicly prominent tombs is indicated by the tomb of Anne, the Duchess of Bedford (death 1432, tomb completed 1444–1445).43 Although its original appearance is difficult to reconstruct, the tomb combined mourners with kinship figures, likely including Philip the Good.44 Although it included mourners influenced by the tombs in the Charterhouse of Champmol, the presence of Anne’s brother
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and husband on her tomb was used to state a Burgundian presence in the church of the Célestines in Paris, a site holding prominent Orléanist tombs, a faction against whom the Burgundians were for decades at war.45 It therefore seems that when a Burgundian monument was strongly intended for a secular audience, it was sited in a city and it deployed the iconography of kinship. In sum, there is no clear way to explain the use of mourners in Philip’s tomb by referring either to their secular or their monastic audience alone. Rather than asserting that the mourners privileged either of these audiences, it may be better to consider how they negotiated and combined their values. Such a reading would fit a broader interpretation of how the church of the Charterhouse of Champmol was organised and furnished. There were some distinctions and separations in the monastic and secular spaces of this church: the lay brothers choir was separate from the monks’ choir; and three private donor chapels were placed on the north side of the church, countering the emphasis on the south side where three of the four chapels were reserved for the monks.46 Furthermore, the private chapels were more lavishly decorated than the monastic one, and included red tiles, some with hunting scenes, and stained rather than clear glass.47 Despite these separations, it still seems that even the most reserved and sacred spaces in the church were framed by secular iconography.48 A series of ducal portraits accumulated in the choir throughout the fifteenth century, a painted canvas frieze of the ducal arms encircling the top of the wall below the level of the vaults, and further coats-of-arms were suspended from the vaulted ceiling.49 The authority of secular and religious iconography and ritual seem to have been mutually reinforcing in the charterhouse.50 I will argue that they are also mutually reinforced in the mourners. The mourners weep not only to encourage prayer for Philip, but also to claim he was a widely beloved ruler. To argue this point, I will now turn to some courtly literature from Burgundy where this connection between weeping and praise is made explicit.
Literary Responses to Philip’s Death Several writers attached to the French and Burgundian courts described the death of Philip and the mourning for him: Christine de Pizan (1364–ca. 1430), a court poet to Charles V, Charles VI and Philip the Bold; and the later chroniclers Enguerrand de Monstrelet (ca. 1390– hilip’s 1453) and Georges Chastelain (ca. 1405 or ca. 1415–1475), who were part of the court of P grandson, Philip the Good. Consistently, they claimed that he was mourned by relatives, subjects and nobles across France and Burgundy. In what follows, I will mention each writer, but I will focus my discussion on de Pizan’s ballade 42, a text written in response to Philip’s death which, I argue, shares some formal similarities with the mourners on his tomb. I will quote it here in full, as I will return to it consistently:
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»Plourez, François! Tous d’un commun vouloir, Grans et petis, plourez ceste grante perte! Plourez, bon Roy – bien vous devez douloir – Plourez devez vostre grevance apperte. Plourez la mort de cil qui par desserte Amer devez, et par droit de lignage, Vostre loyal, noble oncle, le très saige, Des Bourgongnons prince et duc excellent: Car je vous di, qu’en mainte grant besongne, Encor dirés très fort à cuer dolent ›Affaire eussions du bon duc de Bourgongne.‹
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Plourez, Berry! Et plourez tuit si hoir, Car cause avez! Mort la vous a ouverte. Duc d’Orlians, moult vous en doit chaloir! Car par son sens mainte faulte est couverte. Duc des Bretons, plourez! car je suis certe Qu’affaire arés de luy en vo jeune aage. Plourez, Flamens, son noble seignourage! Tout noble sanc, alez vous adoulant; Plourez ses gens! Car joye vous eslongne, Dont vous dirés souvent en vous doullant ›Affaire eussions du bon duc de Bourgogne.‹
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Plourez, Roÿne! et ayés le cuer noir Pour cil par qui fustes au trosne offerte. Plourez, dames, sans en joye manoir! France, plourez! D’un pillier es deserte, Dont tu reçois escheq à descouverte. Gard toy du mat quant Mort, par son oultrage, Tel chevalier t’a tolu - c’est dommage. Plourez, pueple commun, sans estre lent! Car moult perdez et chascun le tesmongne, Dont vous dirés souvent, mat et relent: ›Affaire eussions du bon duc de Bourgoingne.‹
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Prince royaulx, priez par bon talent Pour le bon duc! car sans moult grant parlonge En voz consaulx de dire arés talent – ›Affaire eussions du bon duc de Bourgogne.‹«51
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(»Weep, French people, all with a common desire / Great and humble, mourn this great loss! / Weep, good King, you should indeed mourn / You should weep your obvious grievance. / Weep for the death of him whom for his desert / You should love, and for right of lineage / Your loyal, noble uncle, the most wise, / Excellent prince and duke of the Burgundians / Because I say to you, in many great matters / Henceforth you will say very loudly with mournful heart, / ›If only we had the service of the good Duke of Burgundy.‹ Weep, Berry! And weep, all his heirs, / For you have cause! Death has given it to you. / Duke of Orléans, it must be of great importance to you!/ Because by his wisdom many faults are guarded against. / Duke of the Bretons, weep! Because I am certain / That you will have need of him in your young age. / Weep, Flemish people, his noble lordship! / All of noble blood, go, grieving; / Weep, his people! For joyfulness is leaving you, / Wherefore you will say often in your mourning, / ›If only we had the service of the good Duke of Burgundy.‹ Weep, Queen! And have a black heart/ For him by whom you were offered to the throne. / Weep, ladies, without living in happiness! / France, weep! You are deprived of a pillar, / Due to which you receive a manifest check / Protect yourself from checkmate, since Death, outrageously, / Has taken such a knight from you – it is a harm. / Weep, common people, without being slow! / For you lose greatly and each can testify it / So you will say often, afflicted and wretched: / ›If only we had the service of the good Duke of Burgundy.‹ Royal princes, pray with good intent / For the good duke! Because without much great delay / You will want to say in your counsel – / ›If only we had the service of the good Duke of Burgundy.‹«)52 In contrast to Philip’s sculpted mourners, this poem takes the emphasis off prayer, which is mentioned only by the thirty-fourth line. Instead, it uses mourning to praise Philip’s virtues, notably in the concluding refrain: »If only we had the service of the good Duke of Burgundy«.53 To account for this change in emphasis, one has to understand how this poem was intended to influence the factional politics of the French court. I will turn to this subject before returning to a comparison between ballade 42 and Philip’s tomb. Philip’s death disturbed the factional rivalry in the French court between the Burgundians and the supporters of another regent of France, Louis of Orleans.54 Philip and Louis were in conflict over several contentious issues, including the competition of the various rival popes, the legitimacy of successions in England and the Empire and, most importantly, control over the French king and royal finances during the periods of regency from 1380–1388 and from 1392.55 Ballade 42 calls for these houses to reconcile, as is evident in the repeated exhortations in the second stanza of ballade 42 for the dukes of France, including Louis, to weep for Philip (lines 12–16).56 De Pizan took this anaphoric device from a ballade by Eustache Deschamps (1346–1404), which uses it to mock a Poitevin knight who defected to the English. Des-
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champs himself adopted the device from a satirical poem by Catullus.57 Although de Pizan’s call for people to mourn for Philip is sincere, such irony was resurrected by de Pizan’s readers.58 Her poem was imitated by the Abbot of Cerisy, who wrote a treatise calling for justice to be done for Louis of Orléans’s assassination in 1407.59 Philip’s son, John the Fearless, who admitted commanding the deed, received a royal pardon. Just like ballade 42, part of de Cerisy’s rhetoric mobilizes the imperative »weep!« as an anaphoric device addressed to different agents in France, beginning with the king of France, and then the queen and the various dukes of France.60 Conversely, the defence written on John the Fearless’ behalf by Jean Petit, the text to which de Cerisy’s sought to counter, repeatedly claimed that Louis was not worthy of mourning.61 De Pizan’s poem was therefore written not to encourage prayer for Philip (like his mourners on his tomb), but rather to manipulate debates and emotions in the French court, where to mourn a ruler was an act of praise and admiration, and such acts could be assessed, condoned and repudiated on such terms. Despite these differences in context and the resulting emphasis on praise rather than prayer in de Pizan’s poem, there are some formal similarities between it and the mourners on Philip’s tomb. Like Philip’s mourners, who occupy a dual position as integral, physical parts of the tomb as well as witnesses to it as participants at a funerary ritual, the mourners in the poem shift from being the objects described by the narrating voice to the vocalizing agents of mourning in the concluding refrain of each stanza (lines 11, 22, 33 and 37). Like the sculpted mourners, the poem uses this shift of voice to persuade readers to mourn for the duke by prefiguring them as part of the described collective of mourners. The reader is not included directly in the list of those claimed to weep; they are rather persuaded to do so by the repeated imperative to weep directed at a list of other agents, including not only the most important figures in France (the king and queen, the dukes of Berry, Orléans, and Brittany) but also social groups and entire populations of persons – noble ladies, the peoples of France and Flanders, the poor. As a repetitive, modulating frieze of individuated mourners, the mourners of Philip’s tomb make a similar iterated imploration to participate in collective mourning.62 The same sense of a collective conscience of mourning can be found in other descriptions of Philip’s death by de Pizan. Both the tomb and Philip’s funeral are mentioned in her Le Livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles V, completed by 1407.63 Here, de Pizan claims that: »[Philip’s] death, so it is said, filled with mourning all our noble lords of France and in the same way [meismement/communement] all people, by whom he was, is and will be most regretted. For his body were performed noble funerary rituals in all towns where it passed, from the town of Halles in Hainault, where he passed away, to Dijon in Burgundy, where he was carried with great ceremony, there where he rests in a resplendent tomb in the church of the Carthusians, which he founded himself, may God, by his grace and pity, consent to receive his soul!«64
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This passage closely associates the funeral of Philip with the sentiments of collective mourning. All nobles and all people of France and the towns through which the funeral procession passed wept for Philip together (»communement« in one manuscript). There is no mention of the iconography of the tomb. But it is referenced as a suitable resting place for someone who inspired the collective love of the noble and non-noble classes. Inherent to de Pizan’s descriptions of Philip as widely mourned was therefore an implication that he was a just, competent and wise ruler. De Pizan articulates this idea explicitly in Le Livre des fais, where she makes the following imploration to the reader: »[We have said] with tear-stained eyes: ›Alas! The very good prince, lover of all things good and virtuous! His former days, too early extinguished, were still useful and virtually necessary to us and to the political governance [ordennances politiques] of this realm, which remains at present deadened of joy and filled with shadows in the clear days of May, all pleasure is put aside for matters of mourning between the princes saddened for good reasons, wearing black, lamenting and in tears, for the singular and grievous loss of such a supportive holder of sense, counsel, comfort, help and succour of the public good, the merits of whose knowledge, prudent counsel, true friendship and honour will be regretted in times to come in sighs and laments by his friends related by blood, his companions, his allies and familiars.‹«65 Here the princes are not saddened simply for losing a brother, but for losing a wise and honourable ruler, governor and counsellor, one who ruled for the public good (a concept I will discuss further below). Michel Pintoin (ca. 1350–ca. 1421), a chronicler and monk at SaintDenis, sought to secure a similar memory of Philip. After describing Philip’s death, he wrote: »I pay to the duke the elegy due to him. He had the reputation of being the most wise amongst the princes of the blood [aurea lilia]; […] he helped [the King] with good council and served him up to the last moment with fervor and fidelity.«66 Ballade 42 also argues that Philip was a virtuous and competent ruler. The king of France is implored to love and weep for Philip first »for his desert«, and then secondly »by right of lineage« (lines 5–6). That such desert involves just rule and wise counsel is evident in the third stanza when France is implored to weep because death has taken from them a »pillar« that had protected them (line 26). The political and rhetorical importance of this idea of Philip as a pillar is perhaps revealed in a poem written by de Pizan to Eustache Deschamps in February 1404, a month before Philip’s death. De Pizan says that princes »must be the pillars and beams to uphold justice and to shelter the people below according to the order of law and reason.«67 This memory of Philip as wise and competent survived many decades after his death. In the 1460s Georges Chastelain would again deploy the pillar trope, claiming that »by the efforts of [Philip’s] hand and great nobility the realm of France had been maintained in all tranquillity and union as by the pillar of all her honour.«68 Similarly, in the chronicles he presented to Philip the Good in 1447, Enguerrand de Monstrelet writes that:
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»After the death of the duke [Philip], there were great tears and lamentations, principally from all his children, and generally from the most part of the lords and other men of the state of the realm of France and of all his lands, because in his time he had reigned and governed most prudently the needs of the realm with his elder brother, the duke of Berry, so that he had been and was ever more commended when he was dead.«69 De Monstrelet shows that the memory of Philip as a competent and beloved regent was sustained by the claim that there was widespread mourning for him. In sum, de Pizan’s ballade 42 and other accounts of Philip’s death show that images of mourners can be highly relevant to displays of political power and competence in the early- fifteenth century. Considering that Philip’s tomb could have been visited by members of the Burgundian and French nobility throughout the fifteenth century and that the church of the charterhouse of Champmol contained a considerable degree of secular imagery, especially the ducal tomb effigy, which represented Philip with the sceptre of regency, it is plausible that his mourners would have been read in similar terms: as an expression of the widespread and collective love Philip inspired as a duke and regent, a »pillar« worthy of prayer and memory. These literary accounts of Philip’s death were made in the years and decades after his death, whereas Philip’s tomb was designed largely in the decades preceding it.70 Only two mourners were designed as either final figures or as models by the time of Philip’s death in 1404, the rest being made after that point.71 That the mourners were planned for Philip’s tomb before his death would indicate that ballade 42 functions more plausibly as evidence for the reception of these sculptures than their conception. However, by reading the mourners as intended to associate mourning with acclaiming Philip as a ruler, we could consider an unexplored reason for why a set of largely secular figures may have been deemed suitable for a monument that acted as a locus of prayer for the Carthusians of Champmol. The foundation charter of the charterhouse states that the duty of the Carthusians was not just to pray for Philip as an individual, but also for the fortune of his dynasty and dominion. It reads: »[…] we consider that the brothers of the Order of the Carthusians continually labour and employ themselves in the contemplative life, who do not cease day and night to pray to God for the salvation of souls, for the prosperity and good condition of the public good [bien publique] and for the princes who have the governance of that under God.«72 This text introduces a concept that closely connects the idea of this community to the body of the prince, that of the public good. This idea was one used widely across Europe in the fourteenth and fifteenth centuries, and can be found in the writings of Albert the Great, Thomas Aquinas, Marsilio Ficino and Nicole Oresme, among others.73 It was also a concept used by de Pizan in the previously quoted text from Le Livre des fais to justify mourning Philip’s loss. She reiterates this idea with claims his death was to the »grief and loss of the
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common, public utility [la publique utilité commune].«74 Although the Carthusians foundation charter does not, like de Pizan, associate the common good with mourning, it makes a close connection between a ruler and the common good, and that the Carthusians were to pray for each. When they did pray by Philip’s tomb and were reminded of his lordship in his effigy, they could have seen in the mourners that close connection between his rule and the wider society he influenced.
Conclusion We have no direct evidence of how the mourners on Philip’s tomb were read by their fifteenth-century audiences. However, I have argued that it is likely that they were not only interpreted as concerned with prayer and the afterlife, but also as praising Philip as the duke of Burgundy and regent of France. Such a dual function of devout prayer and statements of rank is evident in the mourners’ attire, who are not only wearing mourning robes, carrying prayer beads and holding their hands in prayer, but also carry accessories denoting office or status: fur, flared sleeves and knives. Such a combination of liturgical attire and secular accessories also describes the fabric of the Charterhouse of Champmol itself, as this institution seemed prepared to accommodate secular visitors, and it had sacred spaces that were framed by ducal heraldry and portraiture. Furthermore, the Carthusians themselves were not only monks, but clients of the dukes and extensive land-owners who would have recognised and even performed gestures of deference within a feudal hierarchy. Mourning was one such gesture of deference, one which had potent political agency at the Burgundian and French courts where to mourn or to refuse to mourn a prince was to make a political statement of allegiance or enmity. Despite the contextual differences between de Pizan’s ballade 42 and the mourners of Philip’s tomb, both construct themselves as a collective performance of and witness to the rituals undertaken for his death. The Carthusians and visitors to the Charterhouse could therefore have read the mourners as not only encouraging prayer for Philip, but also lauding him as a prince worthy of collective mourning. Considering that the Carthusians who prayed at this tomb were to pray for Philip not only as a monastic brother, but also as prince of the realm and protector of the public good, this reading of the mourners provides a clear reason why they were considered suitable for a tomb in a charterhouse.
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* With thanks to Jane Gilbert, Susie Nash, Renate Prochno-Schinkel and Alison Wright. 1 Image Index of Political Iconography, Hamburg, Warburg-Haus, no. 200, section Trauer. 2 On the construction and layout of the Charterhouse of Champmol, see Renate Prochno: Die Kartause von Champmol. Grablege der burgundischen Herzöge, Berlin 2002, particularly pp. 18–22; and Sherry C. M. Lindquist: Agency, Visuality and Society at the Chartreuse de Champmol, Aldershot 2008, chap. 1. On the construction history of the tomb and the importance of the year 1392, see the forthcoming seminal article by Susie Nash: The Two Tombs of Philip the Bold, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institu tes 82/2019, pp. 1–110, esp. pp. 39–40. On the year 1380 see ibid., p. 2, footnote 9, on the 1412 date see p. 48. The publication of Nash’s work was delayed due to the coronavirus crisis, and I was only able to consult just before this article went to print. I thank Susie for sharing her article with me, and apologise for not being able to consider her wider arguments in this text. 3 Cf. François Baron, Sophie Jugie and Benoît Lafay: Les Tombeaux des ducs de Bourgogne. Création, de struction, restauration, Dijon 2009, pp. 99–100. 4 Cf. Prochno 2002, pp. 94–111. In addition to the examples here, see also the tombs of Charles III of Navarre (1361–1426) in the cathedral of Pamplona; Richard Beauchamp (1382–1439), in The Collegiate Church of St Mary, Warwick; and Philippe Pot (1428–1493) in the Musée du Louvre, Paris. 5 Cf. Nicole Hochner: Le spectacle du pouvoir et la function des larmes, in: Jean Molinet et son temps (ed. by Jean Devaux, Estelle Doudet and Élodie Lecuppre-Desjardin), Turnhout 2013, pp. 139–153; and Emily J. Hutchison: The Politics of Grief in the Outbreak of Civil War in France, 1407–1413, in: Speculum 91–2/2016, pp. 1–31; Élodie Lecuppre-Desjardin, L’histoire de la principauté de Bourgogne en chansons: une propagande bien orchestrée, in: Les Paysages Sonores: Du Moyen Âge à la Renaissance (ed. by Laurent Hablot and Laurent Vissière), Rennes 2016, pp. 125–142, URL: https://books.openedition.org/ pur/47096 (accessed 23/07/2020), see paragraphs 13–25. 6 Cf. Robert Marcoux: La liminalité du deuillant dans l’iconographie funeréraire médiévale (XIIIe – XVe siècle), in: Memini 11/2007, pp. 1–31; Elfriede Gaál: Zur Ikonographie des Grabmals von Philippe le Hardi in Dijon, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 43-1/1990, pp. 7–33, p. 10; Philippe Ariès: The Hour of Our Death (trans. by Helen Weaver), London 1981, p. 161. 7 Cf. Anne McGee Morganstern: Art and Ceremony in Papal Avignon. A Prescription for the tomb of Clement VI, in: Gesta 40-1/2001, pp. 61–77. 8 Cf. Prochno 2002, pp. 114–116. 9 Ibid., p. 114. 10 Cf. ibid., pp. 99–100. 11 Cf. Lindquist 2008, p. 142. 12 Michael Grandmontagne, Claus Sluter und die Lesbarkeit mittelalterlicher Skulptur: Das Portal der Kar tause von Champmol, Worms 2005, p. 260. 13 Ibid., p. 144. 14 Cf. Prochno 2002, pp. 99 f., p. 112; Lindquist 2008, p. 157; Grandmontagne 2005, pp. 258–261. 15 On flared sleeves, cf. Michèle Beaulieu and Jeanne Baylé: Le Costume en Bourgogne. De Philippe le Hardi a la mort de Charles le Téméraire, Paris 1956, p. 45. On fur and status, cf. Prochno 2002, p. 115; on
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laws restricting arms, cf. Jean-Marie Cauchies: La législation princière pour le comté de Hainaut. Ducs de Bourgogne et premiers Habsbourg (1427–1506), Brussels 1982, pp. 496 ff. For an example of such a restriction demanded by Philip the Bold, see Ordonnances de Philippe le Hardi, de Marguerite de Male et de Jean sans Peur, 1381–1419: Recueil des anciennes ordonnances de la Belgique (ed. by Paul Bonenfant), Brussels 1965–2001, 3 vols., no. 409. 16 Cf. Prochno 2002, pp. 11–14, pp. 77–78, pp. 192–194; Lindquist 2008, p. 190 ff. 17 Sherry C. M. Lindquist: Visual Meaning and Audience at the Chartreuse de Champmol: A Reply to Susie Nash’s Reconsideration of Claus Sluter’s Well of Moses, in: Different Visions. A Journal of New Perspectives on Medieval Art 3/2011, pp. 1–32, at pp. 17–18. 18 Prochno 2002, pp. 100–101. 19 G. S. Wright: A royal tomb program in the reign of St. Louis, in: The Art Bulletin 56/1974, pp. 224–243. 20 Prochno 2002, pp. 100–101. 21 Vincente de Beauvais: Epístola consolatoria por la muerte de un amigo (ed. by Javier Vergara Ciordia and Francisco Calero), Madrid 2010, pp. 36–53. 22 Cf. Prochno 2002, p. 114; The Villeneuve Necrology, Ms. Grande Chartreuse 1 Cart. 22 (AC 100:27) (ed. by John Clark), Salzburg 1997, 6 vols., vol. 1, p. 80. 23 Archives Départmentales de la Côte-d’Or, B1649, fol.109r; B1651, fol.114r (Prochno 2002, p. 274). 24 Ibid., pp. 52–53. 25 Ibid., pp. 99 f.; Lindquist 2008, p. 154. 26 John F. Moffitt: Sluter’s »Pleurants« and Timanthes’ »Tristitia Velata«: Evolution of, and Sources for a Humanist Topos of Mourning, in: Artibus et Historiae 26-51/2005, pp. 73–84. 27 See the tombs of Lucie de Vierville, dame de Hermanville, (d. 1315), in Bibliothèque nationale de France, Collection Gaignières, B2317 and the tomb of Joan of Montaigu, (d. 1316), ibid., B.4903. See also Jean Pucelle: Mise au tombeau, ca. 1324–1328, in: Livre d’heures de Jeanne d’Évreux, New York, Metropolitan Museum of Art, ms. 54.1.2, fol. 82v. 28 Lindquist 2008, p. 154. 29 Ibid., p. 159. For transcriptions from the Carthusian necrology, see Archives Départmentales de la Côte-d’Or, ms.1F-16 (earlier ms.138), pp. 184–189 (Prochno 2002, p. 17, pp. 353–355.). 30 Lindquist, 2008, p. 159. 31 Xavier Dector: Les tombeaux des comtes de Champagne (1151–1284). Un manifeste politique, in: Bulletin Monumental 162-1/2004, pp. 3–62, p. 17. 32 Cf. Anne McGee Morganstern: Gothic Tombs of Kinship in France, The Low Countries and England, Pennsylvania 2000. 33 Ibid., p.150.
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34 Archives Départmentales de la Côte-d’Or B309, account from June 24, 1409, see list under heading »Autre livres pour loratoire de monseigneur«. On the oratory, cf. Prochno 2002, p.137 ff. 35 Cf. Lindquist 2008, pp. 190 ff., pp. 197 f. 36 Cf. Prochno 2002, p. 46, p. 77; Guigo I, Consuetudines, 10.1. 37 Cf. Prochno 2002, p. 58; Lindquist 2008, p. 33. 38 Cf. Prochno 2002, p. 58; Lindquist 2008, p. 33. 39 See ibid., note 37. 40 Lindquist 2008, p. 197. 41 On Margaret and Louis’s tomb, cf. Prochno 2002, p. 110. On Mary of Burgundy’s, cf. Ann M. Roberts: The Chronology and Political Significance of the Tomb of Mary of Burgundy, in: The Art Bulletin 71-3/1989, pp. 376–400. On Charles’s, cf. Luc Smolderen: Le tombeau de Charles le Téméraire, in: Revue belge des archéologie et d’histoire de l’art 49–50/1980–1981, pp. 21–54. 42 On John and Margaret’s tomb, see Prochno 2002, pp. 104 ff. On the relationship between the iconographies of kinship and ceremony in Burgundy, see Roberts 1989, p. 390. 43 Cf. Françoise Baron: Le décor du soubassement du tombeau d’Anne de Bourgogne, duchesse de Bedford (†1432), in: Bulletin de la société nationale des antiquaries de Franc, 1990/1992, pp. 262–274. 44 Baron 1992, p. 266. Whereas Baron here identifies a second figure as John the Fearless, Jeffrey Chipps Smith identifies it as John of Bedford, see Jeffrey Chipps Smith: The Tomb of Anne of Burgundy, Duchess of Bedford, in the Musée du Louvre, in: Gesta, 23-1/1984, pp. 39–50, at p. 45. 45 Cf. Smith 1984, pp.47 f.; Louis Beurrier: Histoire du monastère et convent des Pères Célestins du Paris, Paris 1634, pp. 284–291. 46 Cf. Prochno 2002, p. 181, p. 192. 47 Cf. ibid., pp. 77–78 and ill. 78, p. 450. 48 See ibid., note 15. 49 On the portraits, cf. Prochno 2002, pp. 79–90; on the painted canvas frieze and coats of arms (the lythe and lymandes), see Lindquist 2008, p. 29 and Prochno 2002, pp. 47–51. 50 Cf. Lindquist 2011, pp. 30–32. 51 Christine de Pisan’s ballades, rondeaux, and virelais. An anthology (ed. by Kenneth Varty), Leicester 1965, pp. 120–121. 52 Thanks to Jane Gilbert for help with this translation. 53 This a difficult line to translate literally into English due to the use of the subjunctive and the phrase avoir affaire (to have need of something). This line is translated by Nadia Margolis as »If only the good Duke of Burgundy were here to lead us«, in id.: »Each … according … to his intention«: Three Phases of Christine de Pizan’s Literary Influence Through the Ages, in: Florilegium 18-1/2001, pp. 97–121, pp. 100–
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101. Tracy Adams’s translation is more literal: »we really could have used the good Duke of Burgundy«, id.: Christine de Pizan and the Fight for France, University Park PA, 2014, p. 95. 54 Cf. Bernard Guenée: Un meurtre, une société. L’assassinat du duc d’Orléans 23 novembre 1407, Paris 1992, pp. 156–159. 55 Ibid., pp. 152–156. 56 Daniel Poirion: Le poète et le prince: l’évolution du lyrisme courtois de Guillaume de Machaut à Charles d’Orléans, Geneva 1978, pp. 108–109; Lecuppre-Desjardin 2016, paragraph 18. 57 Cf. Nadia Margolis: The Poem’s Progress. Christine’s Autres balades no. 42 and the Fortunes of a Text, in: Christine de Pizan 2000. Studies on Christine de Pizan in Honour of Angus J. Kennedy (ed. by John Campbell and id.), Amsterdam 2000, pp. 251–262, pp. 60–62. 58 Ibid., p. 262. 59 Cf. Alfred Coville: Jean Petit. La question du tyrannicide au commencement du XVe siècle, Paris 1932, p. 243. 60 Ibid., pp. 243–244. 61 Hutchison 2016, pp. 3–4, pp. 14–15. 62 Thanks to Philipp Ekardt for this observation. 63 Christine de Pizan: Le Livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles (ed. by V, S. Solente), Paris 1936–1940, 2 vols., vol 1, pp. 144–152. 64 »Meismement« is used in four of the five surviving fifteenth-century manuscripts, »communement« in the fifth. See ibid., vol. 1, p. 151, note 7. De Pizan 1936–1940, vol. 1, pp. 151–152 (»Laquelle mort, comme dit est, reempli de dueil tous nos seigneurs de France et meismement toute gent, de qui fu, est et sera moult regraitiez. Son corps, auquel ot fait en toute ville, où il passoit, nobles obseques, depuis la ville de Halle en Hainaut, où il trespassa, jusques à Dijon en Bourgoigne, où il fu porté à grant solempnité, là où il repose en riche tombe, en l’eglise des Chartreux, que il meismes a fondez, du quel Dieu par sa grace et pitié vueille avoir l’ame!«). 65 Ibid., vol. 1, p. 110 (»…nous fait dire à oeilz moilliez: ›Helas! Le tres bon prince, ameur de toutes bonnes et vertueuses choses! Encore nous estoient propices et comme neccessaires ses anciens jours, trop tost faillis, aux ordennances politiques de cestui reaume, demouré presentement amortiz de joye et reampli de tenebres es clers jours de may, tous soulas remis pour matiere de dueil entre les princes à droit adoulex, noir vestus, en plais et plours, comme de perte singulieree et greveuse de tel appuial vaissel de senz, conseil, confort, aide, et secours du bien publique, de qui les merites de son sçavoir, prudent conseil, vraye amistié et preudomie sera es temps à venir en souspirs et plains regraitez de ses charnelz amis, consors, aliez et familiers.‹«). 66 Translation adapted from Michel Pintoin: Chronique du religieux de Saint-Denys, contenant le règne de Charles VI, de 1380 à 1422 (ed. by Louis-François Bellaguet), Paris 1839–1852, 6 vols., vol. 3, p. 147 (»Et ne meritis laudibus defraudetur dux prefatus, his inter aurea lilia deferentes prudencior reputatus […] eidem sollerti diligencia obsequiosus extiteriit semper, et usque ad mortem cunctis arduis fideliter et sollicite incumbens.«). 67 Christine de Pizan: Une Epistre de Eustache Morel, in: Oeuvres poétiques de Christine de Pisan (ed. by Maurice Roy), Paris 1886–1896, 3 vols., vol. 2, pp. 293–301, p. 299, lines 118–121 (»…les pilliers et les trefz/ Doivent ester pour soustenir/Justice et peupple soubz/par ordre de loy et de raison«). Philip is also described as a pillar taken by Fortune in de Pizan, 1936–1940, vol. 1, p.109.
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68 Georges Chastelain: Œuvres (ed. by Kervyn de Lettenhove), Geneva 1971, 8 vols., vol. 1, p. 13. 69 Enguerrand De Monstrelet: La chronique d’Enguerran de Monstrelet (ed. by Louis Douët-d’Arcq), Paris 1857–1862, 6 vols., vol. 1, p. 31. 70 Cf. Prochno 2002, p. 95. 71 Cf. ibid., pp. 96–97; Nash 2019, p. 38. 72 Archives Départmentales de la Côte-d’Or 46 H774, copy from 9th March 1704 (Cyprien Monget: La Chartreuse de Dijon, d’après les documents des archives de Bourgogne, Montreuil-sur-Mer 1898–1905, 3 vols., vol. 1, p. 38). 73 Cf. Matthew S. Kempshall: The common good in late medieval political thought, Oxford 1999, pp. 1–25. 74 De Pizan 1936–1940, vol. 1, p. 110.
ADORNING THE PRINCE AND HIS PALACE IN FIFTEENTH CENTURY ITALY Seeing, Admiration and Authority NELE DE RAEDT
Seeing the Prince: Majesty, Admiration and Authority In the fifteenth century, the Italian peninsula was subdivided in individual city-states, mostly governed by dukes, princes, and other sovereign rulers. These princely rulers surrounded themselves with a magnificent court whose members helped them in administering their territories. Specialized in the studia humanitatis, Italian humanists had valuable skills for princes.1 Proficiency in grammar and rhetoric made them useful for writing speeches and diplomatic letters. Extensive knowledge on history and moral philosophy rendered them excellent teachers for the ruler’s children. While working at the court, many humanists also composed political advice books. In these so-called »mirrors of princes«, humanists addressed the princely rulers personally and explained them how to best establish political authority.2 The genre had its roots in Antiquity and the Middle Ages. In the Renaissance, humanists continued upon these models, but integrated knowledge from the literary production of the ancients in their work.3 Such mirrors of princes give valuable insight in contemporary political theory on princely rule and form a good starting point to explore some of the questions central to this volume. Their authors not only addressed the role of emotions in political decision making. They also identified emotional response upon seeing the ruler as something that contributes to authority and prestige. At least from the 1450s onwards, the authors of such advice books showed a
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keen interest in the feelings of wonder and awe a prince should evoke in his subjects. Through the admiration for the prince, the ruler would be able to found authority and respect. Such admiration results from the visual encounter with the prince’s persona; from seeing his body, gestures, speech, tone of voice, clothes, domestic objects and buildings. The effect of admiration on the ruler’s subjects was explicitly expressed in visual and psychological terms; the admiration felt upon seeing the prince would move subjects towards submission and respect. In their advice books, humanists carefully prescribed how the prince should adorn his body with gestures, speech, tone of voice, among others. In so doing, the prince could take up his rightful place as the head of a well-ordered society and enhance political authority through the admiration towards him. This contribution to the volume explores a number of mirrors of princes, written during the second half of the fifteenth century in Italy, and the prescriptions their authors provided for the adornment of the prince’s body in relation to contemporary models on human understanding, emotions and their effect. My text argues that admiration in specific was understood to create powerful emotional effects as it related to both positive feelings of praise and reverence, and negative feelings of estrangement and fear. This double effect of admiration as something that simultaneously attracts and creates distance is especially discernible in contemporary discussions on the exterior ornamentation to be provided for the ruler’s palace. This ornamentation needed to evoke admiration in the beholder, as well as associations with wealth, power, virility and strength in order to create praise and reverence towards the prince, while also keeping his subjects at a distance from the ruler’s physical body. Because of its ornamentation, the palace could also function as a portrait of the prince and create a stable and continuous visual presence of the ruler, even in his absence. Architectural ornamentation could perpetuate the emotional effect of seeing the prince through time and space. Mirrors of princes of the second half of the fifteenth century included the traditional idea that a ruler should adorn his body with virtues, gestures, speech, clothing and material objects according to his status. Such adornments were necessary complements to the prince’s naked body. Without them, the prince could not take up his rightful place as the head of a well-ordered society. While such ideas conformed to traditional notions of adornment and order, the humanists’ advice was also inspired by a concern for political authority and prestige. Seeing the prince’s adorned body would inspire admiration in the beholder and increase the ruler’s reputation. This position was clearly advanced by the Neapolitan humanist Giovanni Pontano (1429– 1503) in his De principe.4 Pontano wrote his speculum principis in 1468 when he was appointed teacher to Ferrante, the son and future successor of King Alfonso I of Naples. Pontano’s political advice book took up the form of a letter to the young prince. In his letter, the author enlisted the virtues a prince should uphold in order to be a good ruler. About half of the discussion is devoted to »majesty« (maiestas), which Pontano considered the virtue most characteristic for the prince.
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Pontano defined »majesty« as »the knowledge to take up the role of the prince« (te gerere principis personam).5 The Latin definition is a transformation of »te gerere civitatis personam«, an expression used by Cicero in De Officiis to describe the duty of magistrates to act in the name of the civitas.6 Cicero’s phrase included an idea of performance. He used the word per sona as an allusion to the masks or personae worn by Greek and Roman actors in the theatre.7 Magistrates enact the person of the civitas and can therefore act in her name. In order to have »majesty« or to »take up the role of the prince«, the prince should adorn or complement his body with facial expressions, gestures, speech, tone of voice, clothing and building. According to Pontano, majesty was about »preserving gravity and constancy in all words and deeds«.8 It concerned »indicating many things through a glance or nod« and »showing a pensive expression openly in the face.«9 It referred to »showing what you think not at once, and only to a few«; and to being »cautious and brief in speaking.«10 To act with majesty was not to allow »your walk to be weak, agitated, or uncoordinated.«11 It was about »having your eyes under control« so that nothing »disgraceful, variable, cruel, envious or vain appears in their movement or gaze, nor in the eyebrows or in the forehead.«12 Majesty also extended to the physical objects that surrounded the prince’s body, such as his clothing and finery. This clothing and finery should be adapted to the prince’s status, and to time, occasion, place and age.13 Clothes worn by herdsmen, merchants and patricians did not apply to the prince. Certain colours were appropriate for young men, others for the elderly. Majesty also applied to the ruler’s palace.14 Yet, due to a lack of time, Pontano did not address the topic in detail. Pontano’s discussion of majesty related to traditional ideas of adornment and order. In the traditional sense, ornaments and decorations were understood »to adorn« or »complete« individual bodies until they could take up their rightful place within a well-ordered society.15 The semantic charge of words as κόσμος, ornatus and decor suggests this close relation between ordering and adornment. The Greek word κόσμος means both »order« and »ornament«. Its correlating verb, κοσμεῖν signifies »to order or arrange« as well as »to adorn, equip or dress«.16 The Latin word ornare relates to »fitting out, furnishing and providing with necessaries«, but also to »embellishing«. Ornamentum is »apparatus, accoutrement, equipment, trappings«, but also »embellishment, jewel and trinket«.17 Decor as »that which serves to decorate« is related to words as decorous, decent and decorum.18 While Pontano’s discussion of majesty incorporated traditional ideas on enactment, ordering and becoming, the author’s specific focus on the prince’s outward appearances was also informed by a concern for authority and prestige.19 This authority and prestige would result from seeing the prince’s visual persona and the emotional response this engenders in his subjects. The emotional response upon seeing the prince’s majesty, which can be identified in Pontano’s text, is admiration. When seeing the prince, »a certain feeling of admiration is born«, Pontano wrote, »without which there can be no majesty.«20 Contemporary models of emotions and human understanding allow to understand Pontano’s focus on visual perception as that which allows admiration to come into being, as well as how this admiration can create authority and prestige. In the Late Middle Ages and Early
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Modern Period, human understanding was believed to originate in sense perception.21 According to such models, information, received through the five senses, was processed in the brain by a number of inner faculties. This process also gave rise to emotional responses in the beholder and moved him towards certain behaviour. Late medieval and early modern models of human understanding and emotions mainly built upon Aristotle’s discussion of the topic, found in De anima and the Parva naturalia.22 In his writings, Aristotle differentiated three types of activity in processing sensory information: the activity of forming a mental image based on the information received through sense perception, the activity of reacting or forming opinions about these images, and the activity of recalling those images and reactions.23 The Greek physician Galen located these three activities in three ventricles of the human brain. Arabic, Hebrew and Latin Medieval commentators continuously built upon these models, explaining in extensive detail what mental faculties allowed these three types of activity to take place.24 To outline the specific characteristics of each of these models is beyond the scope of this paper. Here, it suffices to introduce some of the recurring concepts and terms used by authors, especially within the tradition of the Latin West. There are five inner senses or faculties that usually recur in these models, which are the sensus communis, imaginatio, vis aestimativa, vis cogitativa and memoria.25 The sensus com munis is the first of the five inner faculties. This faculty receives and combines sensory information and is also a source of consciousness (it allows the subject to know that he is sensing). The common sense also compares sensory information, using images stored in the imagina tio (or imagination). At this stage, the sensory information is also translated into a mental image, called a phantasm. Once created, these phantasms are interpreted and retained by the other inner faculties. The vis aestimativa allows organisms to form an opinion about the mental image or phan tasm. Scholastic authors often differentiated the vis aestimativa from the vis cogitativa (or cogitative faculty). The first was often defined as something like »instinct« (for example sheep instinctively fear wolves when they see them). The second was a more conscious activity of interpretation. Only human beings were generally believed to possess the vis cogitativa. The memoria, then again, allowed to store the interpreted phantasm in the brain. This faculty thus permits to retain information, but also allows organisms to learn from previous experiences. The phantasms, stored in the memory, are used by the estimative and cogitative faculty to interpret newly created phantasms. This process of human understanding was also believed to give rise to emotional response. Upon perceiving something through sense perception, the subject estimates whether or not the perceived is advantageous or harmful to its personal state. Such assessments affect the beholder and give rise to emotions. These emotions (ex-movere) or passions of the soul (passiones animae) manifest themselves physically in the body and move subjects towards certain behaviour. For example, when people see a wolf showing his teeth, they immediately judge the harm the wolf might do to them (either instinctively or based on previous experiences with wolves). The subject subsequently feels fear, trembles and flees.
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Pontano identified admiration as the emotional response upon seeing the prince’s perso na.26 Although admiration was conceived of in many different ways throughout the years, most philosophers agreed that this emotional response was caused upon perceiving something rare and extraordinary, and forced the organism to stop and behold the spectacle with wonder.27 Albert the Great (ca. 1200–1280), for example, described admiration as »the agony and suspension of the heart in stupefaction for a grand wonder in the exposure to the senses, so that the heart suffers. Because of this, admiration has something similar with fear in the movement of the heart, that is in suspension.«28 In his treatise of the passions, René Descartes (1596–1650) explained admiration as »the immediate surprise of the soul which causes the soul to consider with attention those objects which present themselves as rare and extraordinary.«29 Admiration thus arose from seeing something extraordinary and great, and caused the subject to stand still and behold with wonder.30 Other recurrent behavioural responses associated with feeling admiration were imitation and submission. Contemporary discussions on nobility and exemplarity, for example, posited that seeing virtuous behaviour inspires admiration in the beholder and urges him towards virtuous imitation.31 In political literature, it was posited that admiration, inspired by seeing magnificence, created such reverence and submission in the subject that it contributed to a ruler’s authority and prestige.32 This interrelation between seeing, admiration and its behavioural response can be found throughout the lines of Pontano’s political advice book. In his letter, Pontano used a whole vocabulary that emphasized perception.33 He continuously stressed the importance of how the prince was seen and perceived by his subjects.34 The ruler is constantly in view of all.35 He therefore needs to enact his role and control his outward appearances at all times. As the prince’s majesty is something rare and remarkable, looking upon it, will evoke admiration in the beholder. This admiration, in turn, will lead the ruler’s subjects to a certain behaviour. Pontano referred to both behavioural responses outlined above: »Since the fortune of princes is located in an elevated and illustrious place, and shows itself to be in open view to all, one should be careful that all your words and deeds are such that they not only evoke praise and authority towards you, but also excite your servants and subjects towards virtue.«36 Contemporary models of human understanding and the emotions thus allow to understand Pontano’s focus on visual perception in his De principe. The physical adornment of the prince’s body not only served to allow the naked body to become the prince. It also had a political purpose. It had to strengthen authority and prestige trough the admiration such adornments evoke. It is upon seeing the prince’s majesty that his subjects will be inspired with admiration towards him. For this mechanism to take place, the subjects need to lay eyes upon the ruler. Visual encounters with the prince are therefore crucial for the stability of his reign.
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Seeing the Prince’s Palace: Architectural Ornamentation and the Associative Process of Looking Yet, the prince cannot be present or visible at all times. His palace, on the contrary, can. The time and spatial dimension of buildings, which continue to stand as testimonies for the patrons and institutions they represent, renders architecture a valuable vehicle to create long-lasting authority and prestige. Pope Nicholas V famously expressed this position in his Testament.37 Here, the pope encouraged his cardinals to continue the Renovatio Urbis, as: »[…] popular respect, founded on information provided by educated men, grows so much stronger and more solid day by day through great buildings. These are to some extent everlasting monuments and almost eternal testimonies, as though built by God. And then this respect is continually passed on to the living and future beholders of those wonderful constructions (admirabilium constructionum conspectores) and thus preserved and enlarged; it is founded and held fast by a wonderful devotion.«38 According to the pope, buildings serve as everlasting monuments and eternal testimonies. When people look upon them, they are filled with admiration, and this admiration in turn leads to authority and respect. This respect in turn »is founded and held fast«. The continuous presence of buildings allows them to perpetuate the process of admiration through time – something which more fleeting features as facial expressions, gait, tone of voice, and even clothing, is much less capable of doing. Yet, there is more. Authors of mirrors of princes individuated the palace from other buildings that represent princely rule and institutions.39 Within the portfolio of the prince’s architectural patronage, the palace took up a special position. As part of the necessary adornments of the prince, the palace is an extension of the ruler’s body. It might even be considered as a portrait of him in stone. This analogy between the prince’s body and his palace translated in considerations of what kind of architectural ornamentation is best provided for the ruler’s residence.40 In formulating their advice, authors again turned to the emotional effect of seeing such ornamentation, as well as the behaviour this seeing evokes in the beholder through the associative process of looking. The essentially visual nature of human reflection allowed authors to translate concerns for authority, prestige and even safety in specific architectural guidelines for the palace’s exterior ornamentation. Bartolomeo Sacchi (1421–1481) is one of the authors who described the kind of residence a princely ruler should inhabit in his mirror of princes. Sacchi, also known as Platina, dedicated his De regimine principum in 1471 to Federico Gonzaga, the young prince that was to become marquis of Mantua in 1478.41 Platina’s advice book follows a three-fold structure. The first book discussed the general principles of princely rule. The second addressed the cardinal virtues and how these apply to the prince. The third and final book focused on external matters, such as public works, hunting and war. The discussion of the prince’s residence occurred
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at the end of the first book, among other chapters devoted to the prince’s body, such as food, dress, sleep and exercise. Platina’s recommendations for the prince’s palace turned to both notions we found in Pontano’s letter: the residence belonged to the necessary adornments of the prince’s body, whose location, size and grandeur should conform to the prince’s status and allow him to enact the role of the prince. The building should also enhance the political authority of the prince through visual perception. »It pertains to the prince’s majesty« ( pertinere ad maie statem principis), so Platina wrote: »[…] to live in a more lofty, magnificent and eminent place. For if the prince constructs the walls, ships, ports, aqueducts, theatres, walkways, sanctuaries and all other [constructions] that belong to the common use of the citizenry, why should he not build for himself the most magnificent residences in the highest and noble place?«42 Apart from decorum and propriety, political authority too formed an important argument to build such a residence. Platina recalled Cicero’s well-known story of how Octavius gained popular support because of the attractive and imposing residence he built on the Palatine.43 When the people saw this residence (vulgo viseretur), they supported Octavius and believed this new man was worthy of the consulate. Finally, so Platina added, a large and ample house would also allow the prince to receive private and public guests in the most honourable and magnificent way. Apart from these general recommendations, Platina also described the kind of architectural ornamentation that was best applied onto the prince’s residence. He turned to Homer as a literary authority to formulate his advice. According to Homer, Platina wrote, a ruler’s house should be »adorned with the spoils of enemies, and not with gold, ebony or silver.«44 The latter are full of the delights and lasciviousness of women (delitiarum et muliebris lasciviae) which the ruler should avoid as much as the lure of the Sirin’s call. Platina understood that Homer used descriptions of houses as portraits of his characters. Homer adorned (exornat) the house of his characters according to the nature of their souls (ex animi eius sententia). From such accurate pictures (accurata pictura), Platina reasoned, the characters of the inhabitants (mores incolentium) could be understood.45 By addressing the ornamentation of the palace, Platina explained in architectural terms what the palace should look like. In other words, he defined what architectural forms the ruler’s subjects would come to see. He did not frame the process of looking upon these forms in general terms of the admiration such an ornamentation would evoke. He rather turned to the visual nature of human thinking, as well as how our behaviour towards certain objects is defined by our previous experience with them. As we have seen, human thinking was not only believed to be based on sensory perception. Models of human understanding also emphasized the visual nature of this reflection.46 Thinking occurred in images. Furthermore, as we form opinions about these images throughout the process of human thinking, mental images
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or phantasms that are stored in the memory are always emotionally charged.47 The emotions we feel upon seeing certain objects, as well as our behaviour towards them, is therefore defined by previous encounters with them. Upon seeing certain forms, the phantasms of previous experiences are recalled from the memory and define our emotional response and behaviour. Spoils of war, so Platina seemed to have reasoned, best recall in our memory associations of superior worth and strength. Their mental images, stored in the memory, are most probably imprinted with feelings of fear and respect. Seeing spoils of war, translated in architectural form, could therefore add to the authority and safety of the prince. When the palace is decorated with spoils of war, the associative process of looking could encourage reverence in the beholder, while also evoking a certain amount of fear. Another author who discussed the prince’s residence in his speculum principis, as well as the ornamentation to be applied onto it, was Paolo Cortesi (1465–1510). This Roman humanist included a description of the cardinal’s residence in his De cardinalatu libri tres, published in 1510.48 Cortesi wrote his treatise on cardinalship during the first years of the sixteenth century. As Severus Piacentinus disclosed in the introductory letter, Cortesi initially intended to write a political advice book on the institution of the prince.49 A conversation with cardinal Ascanio Sforza, however, would have changed Cortesi’s focus. Instead of advising the secular prince, Cortesi came to write for the »ecclesiastical prince«, or cardinal. As Platina’s De regimine principum, Cortesi’s treatise was divided in three books. The first addressed the cardinal as an individual, the second as a head of a household, and the third as a public figure. Cortesi’s discussion of the cardinal’s residence appears in the second book, which promised to address all aspects that belong to the cardinal’s dignity.50 Dignitas – and not maiestas, which was a regal feature – was the central characteristic of the cardinal.51 The cardinal’s revenue, family, friends, house, dress, speech and exercise, which are discussed in individual chapters of the second book, allowed the cardinal to enact his role as a cardinal and to become the administer of the Church he ought to be. As in Platina’s advice book, the residence features among the necessary adornments of the cardinal’s body. Cortesi explained in extensive detail where such a residence should be located in the city, how it should be oriented towards the heavens and the winds, what disposition of rooms it ought to have, as well as the kind of interior and exterior ornamentation to provide.52 In his discussion of the residence’s exterior ornamentation, Cortesi presented his view on how such ornamentation might affect those looking upon it. Cortesi considered an exterior ornamentation that is both »attractively designed«, using the formal system of classical architecture, and »sumptuous in its execution« the most appropriate kind for a cardinal’s residence.53 Such an ornamentation, he reasoned, would »deter the ignorant mob from threatening the cardinals with harm and from plundering his goods by the magnitude of its power, and the admiration for its wealth«. For it is clear, Cortesi wrote, that »the ignorant mob is more guided by the judgement of the senses, than by rational reflection.« Thus, when the people »admire the building while looking« they will withhold from
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violence as »the feeble judgement of the senses« »estimates« the cardinal to be so powerful, that it is impossible to invade his house.54 Cortesi’s discussion of the exterior ornamentation explicitly turned to notions of seeing, sense perception, and emotional response. The admiration inspired by the exterior ornamentation of the palace would prevent contempt towards the cardinal and keep »ignorant people« at a safe distance. Cortesi’s architectural ornamentation is one that is based on the formal system of the ancients and sumptuously executed in material. Such an ornamentation would best evoke associations of wealth and power in the beholder’s mind, and could therefore best contribute to the cardinal’s reputation and safety. Both Platina and Cortesi thus translated concerns for safety and authority in specific architectural guidelines for the prince’s palace. Studying these architectural guidelines from the perspective of contemporary models of human understanding, emotions and their effect, allows to see why these authors had confidence in the positive effects of display, as well as why they devoted specific attention to the most visual parts of the ruler’s palace, that is its exterior ornamentation. That the authors specifically focused on the building’s outward appearance is no coincidence. It is especially the outer surface of the palace, that part of the building on which the eyes of the beholders fall, that might evoke admiration in the beholder or trigger associative processes of reflection. The essentially visual nature of human reflection also provided a model to consider which architectural forms would best engender effects of respect, reverence, estrangement and even fear. Because human thinking is visual in nature, architectural ornamentation could come to protect its inhabitants from ignorant mobs or those who want to do them harm.
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1 On humanism in general, cf. John Monfasani: Humanism, Renaissance, in: Routledge Encyclopedia of Philosophy (ed. by Edward Craig), London et al. 1998, doi:10.4324/9780415249126-C018-1. On the employment of Italian humanists at court, cf. John F. D’Amico: Humanism in Rome, in: Roman and German Humanism 1450–1550 (ed. by John F. D’Amico and Paul F. Grendler), Aldershot 1993, pp. 264–295. 2 »Mirrors of princes« is a modern denomination for literary works in which political ideas are communicated in the form of advice to a ruler. Cf. Roberto Lambertini: Mirrors for Princes, in: Encyclopedia of Medieval Philosophy (ed. by. Henrik Lagerlund), Amsterdam 2011, pp. 791–797. 3 On the genre during the Renaissance, cf. Peter Stacey: Roman Monarchy and the Renaissance Prince, Cambridge and New York 2007; Quentin Skinner: Visions of Politics, Cambridge and New York 2002; 3 vols., vol. 2 (Renaissance Virtues); id.: Political Philosophy, in: Charles B. Schmidt et al. (eds.): The Cam bridge History of Renaissance Philosophy, Cambridge (NY) 1988, pp. 389–452; Davide Canfora: Culture and Power in Naples from 1450–1650, in: Martin Gosman, Alasdair Macdonald and Arjo Vanderjagt (eds.): Princes and Princely Culture 1450–1650, Leiden 2005, pp. 79–96. 4 Giovanni Pontano: De principe, Rome 2003. An English translation is published in Nicholas Webb: Giovanni Pontano, in: Jill Kraye (ed.): Cambridge Translations of Renaissance Philosophical Texts, Cambridge and New York 1997, 2 vols., vol. 2 (Political Philosophy), pp. 69–87. On Pontano, cf. Bruno Figliuolo: Giovanni Pontano, in: Dizionario Biografico degli Italiani, vol. 84, Roma 2015. The English edition of Nicholas Webb has been used as a point of reference. Translations have been adapted by the author when closer proximity to the Latin original was preferred. 5 Pontano 2003, p. 54. 6 In De Officiis, Cicero advanced that people take up different roles (personae) in life. Each of these roles has certain duties attached to them which require to be performed with propriety (decorum). Cf. M. Tullius Cicero: De Officiis (trans. by Walter Miller), Cambridge (Mass) and London 1913, 1.107–1.117. For Cicero’s use of »se gerere personam civitatis«, cf. Quentin Skinner: From Humanism to Hobbes. Stud ies in Rhetoric and Politics, Cambridge 2018, pp. 12–44. 7 Cf. Skinner 2018, p. 13. 8 Pontano 2003, pp. 54–56 (»… in omnibus tum dictis tum factis gravitatem servabis atque constantiam.«). 9 Ibid., p. 56 (»… oculis nutuque multa declarare, multa etiam pensitantem animo vultu praeteferre.«). 10 Ibid., p. 56 (»quod ipse sentias aut non statim aut solum paucis aperire; in dicendo cautum et brevem esse…«). 11 Ibid., p. 78 (»Sit igitur incessus non mollis, non concitatus, non dissolutus.«). 12 Ibid. p. 78 (»oculos maxime oportet principem habere continentes: nihil foedum, varium, crudele, invidum, vanum in illorum appareat motu atque obtutu, nichil in superciliis, nihil in fronte.«). 13 Cf. ibid., pp. 80–86. 14 Cf. ibid., p. 88. 15 Cf. Ananda K Coomaraswamy: Ornament, in: The Art Bulletin 21-4/1939, pp. 375–382. On how such ideas translated in practices at court, cf. Daud Ali: Courtly Culture and Political Life in Early Medieval India, Cambridge 2004, pp. 143–182. I want to thank Niharika Dinkar for pointing out these references to me.
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16 Ibid., p. 380. 17 Ibid. 18 Ibid., p. 381. 19 Cf. Susan Gaylard: Hollow Men. Writing, Objects, and Public Image in Renaissance Italy, New York 2013, pp. 49–50. 20 Pontano 2003, p. 56 (»… nascetur admiratio quaedam, sine qua maiestas esse nullo modo potest.«). 21 For models of human understanding and emotions in the Late Middle Ages and Early Modern Period, cf. Virginia Langum: Medicine and the Seven Deadly Sins in Late Medieval Literature and Culture, New York 2016; Fabrizio Ricciardelli (ed): Emotions, Passions, and Power in Renaissance Italy. Proceedings of the International Conference Georgetown University at Villa Le Balze, 5–8 May 2012, Amsterdam 2015; Christoph Kann (ed.): Emotionen in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 2014 (Studia Humaniora); Peter King: Emotions, in: Brian Davies and Eleonore Stump (eds.): The Oxford Handbook of Aquinas, New York 2012, pp. 209–226; Simo Knuuttila: Emotions in Ancient and Medieval Philosophy, Oxford 2004; Susan James: Passion and Action. The Emotions in Seventeenth-Century Philosophy, Oxford 1997; Simon Kemp and Garth J.O. Fletcher: The Medieval Theory of the Inner Senses, in: The American Journal of Psychology 106-4/1993, pp. 55–76; Mary Carruthers: The Book of Memory. A Study of Memory in Medie val Culture, Cambridge 1990; David Summers: The Judgment of Sense. Renaissance Naturalism and the Rise of Aesthetics, Cambridge 1987. 22 Cf. Aristotle: On the Soul [De anima], Parva naturalia, On Breath, Loeb Classical Library 288, Cambridge 1957. 23 Carruthers 1990, pp. 47–60. 24 Ibid. 25 This reconstruction is mainly based on Carruthers 1990, complemented by the sources outlined in note 21. 26 See ibid. 27 Cf. Christine Hunzinger: Wonder, in: Pierre Destrée and Penelope Murray (eds.): A Companion to Ancient Aesthetics, Chicester 2015, pp. 422–437; Brian Davis: Thomas Aquinas’s Summa Theologiae. A Guide and Commentary, New York 2014, pp. 180–181; Andrea Wilson Nightingale: On Wandering and Wondering. »Theôria« in Greek Philosophy and Culture, in: Arion. A Journal of Humanities and the Classics 9-2/2010, pp. 23–58; Stephen C. Jaeger: Richard of St. Victor and the Medieval Sublime, in: id. (ed.): Mag nificence and the Sublime in Medieval Aesthetics. Art, Architecture, Literature, Music, New York 2010, pp. 157–178; Stefan Matuschek: Über Das Staunen. Eine Ideengeschichtliche Analyse, Tübingen 1991. 28 Albertus Magnus: Opera Omnia (ed. by Augustus Borgnet), vol. 6, Paris 1890, p. 30. Translation by author (»Admirationem autem vocamus agoniam et suspensionem cordis in stuporem prodigii magni in sensum apparentis, ita quod cor systolem patitur. Propter quod etiam admiratio aliquid simile habit timori in motu cordis, qui est ex suspensione.«). 29 René Descartes: Discours de la méthode, Méditations métaphysique, Traité des passions (ed. by Émile Faguet), Paris s.d., p. 277. Translation by author (»L’admiration est une subite surprise de l’âme, qui fait qu’elle se porte à considérer avec attention les objets qui lui semblent rares et extraordinaires.«).
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30 Because of this effect, admiration was considered as the origin of philosophical contemplation. Cf. Nightingale 2010, pp. 23–58; Matuschek 1991. 31 Thimotei Maffei referred to this mechanism when defending Cosimo de’ Medici’s architectural patronage in In magnificentiae Cosmi Medicei Florentini detractores, written 1454/1456. He wrote: »Truly a knowledge of the history of our forefathers makes us want to imitate with all strength those whom we first admire, and then praise (Veteris sane memoriae cognitio facit: ut eos quos tum admiramur, tum praedicamus: omnibus viribus imitari velimus).« English translation and Latin original cited from Peter Howard: Creating Magnificence in Renaissance Florence, Toronto 2012 (Centre for Reformation and Renaissance Studies), appendix 3, p. 132 and p. 145. Cf. Gaylard 2013; Alberti Rabil: Knowledge, Goodness, and Power. The Debate over Nobility among Quattrocento Italian Humanists, Binghamton (NY) 1991. 32 Cf. Christine Smith and Joseph F. O’Connor: Building the Kingdom. Giannozzo Manetti on the Mate rial and Spiritual Edifice, Tempe AZ 2006 (Medieval and Renaissance Texts and Studies), pp. 246–254; Louis Green: Galvano Fiamma, Azzone Visconti, and the Revival of the Classical Theory of Magnificence, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 53/1990, pp. 98–113. This line of thought specifically developed within the mirrors of princes’ genre from at least the thirteenth century onwards. Thomas Aquinas and Joseph Mathis: Divi Thomae Aquinatis … De regimine principum ad regem cypri et de regimine Judaeorum ad ucissam Brabantiae. Politica opuscula duo ad fidem optimarum editionum diligen ter recusa Joseph Mathis Curante, Turin 1971, p. 31; Galvano Fiamma: Gualvanei de la Flamma. Opusculum de rebus gestis ab Azone, Luchino et Johanne, Vicecomitibus, ab anno mcccxxviii usque ad annum mcccxlii, Bologna 1938, p. 15; Egidio Romano: De regimine principum, Venice 1498, lib. II, pars 2, cap. III. 33 Gaylard 2013, pp. 49–50. 34 Gaylard draws attention to Pontano’s peculiar use of words as »intelligere« and »sentire« which, according to her, »form a semantic cluster that privileges a utilitarian emphasis on outward appearances«. Gaylard 2013, p. 50. Examples from Pontano’s text: »… ut amari se abs te intelligant.« – »Non sentiant te avidum alieni…« Pontano 2003, p. 40 and p. 44. 35 Pontano 2003, p. 4 (»… oculos in te unum converteris.«). 36 Pontano 2003, pp. 52–54 (»Et quoniam fortuna principum in edito et praelustri sita est loco praebetque se se spectandam omnibus, studentum est ut dicta factaque tua omnia eiusmodi sint quae non modo laudem tibi atque auctoritatem pariant, sed et familiares et populares ipsos ad virtutem excitent.«). 37 The testament was integrated in Giannozzo Manetti’s biography of the pope. Giannozzo Manetti and Pope Nicholas V: De vita ac gestis Nicolai quinti summi pontifici, ed. by Anna Modigliani, Rome 2005. 38 Manetti and Nicholas V 2005, p. 122. English translation from Smith and O’Connor 2006, p. 473 (»At vero cum illa vulgaris opinio, doctorum hominum relationibus fundata, magnis edificiis perpetuis quodammodo monumentis ac testimoniis pene sempiternis, quasi a Deo fabricatis, in dies usque adeo corroboratur et confirmatur ut in vivos posterosque illarum admirabilium constructionum conspectores continue traducatur, ac per hunc modum conservatur et augetur atque, sic conservata et aucta, admirabili quadam devotione conditur et capitur.«). 39 In the mirrors of princes, studied for this article, the design of the ruler’s palace is usually discussed in a separate section from the prince’s activities as an architectural patron of other building types. 40 In so doing, mirrors of princes made the analogy between clothing and architectural ornamentation, often found in contemporary architectural treatises, explicit; As the prince’s body, the prince’s palace needed to be clothed with forms that could best represent the ruler’s strength and power visually. For the analogy between clothing and ornamentation in contemporary architectural treatises, for example,
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Filarete: Treatise on architecture (ed. and transl. by John Richard Spencer), New Haven and London 1965, p. 84. 41 Platina: De principe (ed. by Giacomo Ferrau), Palermo 1979. Fragments of the text have been translated in Webb 1997, pp. 88–108. All translations of Platina’s text are by the author. 42 Platina 1979, p. 94 (»Pertinere quoque ad maiestatem principis crediderim et laxius et magnificentius et in loco eminentiore habitare. Nam sin eius est muros, navalia, portus, ductus aquarum, theatra, porticus, phana omniaque omnino, quae ad communem usum civitatis pertinent, struere, quid est cur aedes sibi in edito et nobiliore loco civitatis quam magnificentissimas non aedificet?«). 43 Ibid., p. 94; Cicero 1913, 1.138–1.139. 44 Platina 1979, p. 94 (»Regiae domus ornatus, secundum Homerum, non ex auro, ebore argentove, sed ex hostium spoliis peti debet.«). 45 Ibid. 46 See above. 47 Cf. Carruthers 1990, pp. 53–54, pp. 59–60 and p. 68. See also Caroline Van Eck: Art, Agency and Living Presence. From the Animated Image to the Excessive Object, Berlin and Leiden 2015 (Studien aus dem Warburg-Haus, vol. 16), pp. 71–72. 48 Paolo Cortesi: Pauli Cortesii Protonotarii Apostolici De cardinalatu libri tres, Castra Cortesio, 1510. For Cortesi’s biography, cf. John F. D’Amico: Renaissance Humanism in Papal Rome. Humanists and Church men on the Eve of the Reformation, Baltimore 1983, pp. 76–81; Roberto Ricciardi: Paolo Cortesi, in: Dizion ario Biografico degli Italiani, vol. 29, Roma 1983; Kathleen Weil-Garris and John F. D’Amico: The Renais sance Cardinal’s Ideal Palace. A Chapter from Cortesi’s »De Cardinalatu«, in: Memoirs of the American Academy in Rome 35/1980 (Studies in Italian Art History 1: Studies in Italian Art and Architecture 15th through 18th Centuries), pp. 45–123, pp. 47–52; Pio Paschini: Una famiglia di curiali nella Roma del Quat trocento. I Cortesi, in: Rivista di storia della chiesa in Italia 11/1957, pp. 1–48. 49 Cortesi 1510, Introductory Letter. 50 Ibid., II, Proemium, XXXXI–XXXXII. The pagination of De cardinalatu libri tres, as published in 1510, shows inconsistencies. The titles of individual chapters, mentioned at the top of each page, often do not coincide with the actual title of that chapter. I use the following reference system: Cortesi 1510, book, chapter, page number. A combination of these three elements should allow the reader to find the cited passage. All translations of Cortesi’s text are my own. 51 On the cardinal’s dignitas, cf. Carol M. Richardson: Reclaiming Rome. Cardinals in the Fifteenth Cen tury, Leiden and Boston 2009, pp. 95–121; Margaret Harvey: Eugenius IV, Cardinal Kemp and Archbishop Chichele. A Reconsideration of the Role of Antonio Caffarelli, in: Diana Wood (ed.): The Church and Sover eignty c. 590–1918. Essays in Honour of Michael Wilks, Oxford 1991 (Studies in Church History), pp. 329– 344; Walter Ullmann: Eugenius IV, Cardinal Kemp and Archbishop Chichele, in: John A. Watt, John B. Morrall, and Francis X. Martin (eds.): Medieval Studies Presented to Aubrey Gwynn, Dublin 1961, pp. 35– 83. 52 Cortesi 1510, II, 2, IL–LIIIIv. 53 Ibid., II, 2, LIIIv (»… non modo quidam insit descriptioni lepos sed etiam is sumptus in aedificando fiat…«).
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54 Ibid., II, 2, LIIIv–LIII [sic] (The full passage reads: »… qui imperitam multitudinem, quae ad senatorum caedem, aut ad eorum bona diripienda imminere videantur, potentiae magnitudine opumque admiratione deterreat: nam cum perspicuum sit, indoctam hominum multitudinem sensu solere magis quam ratione meditata duci, satis sciri potest, eam, cum sumptuosas senatorum aedes spectando admiratur, perfacile solere ab iniuria inferenda revocari: cum senatoriam potentiam estimet sensus imbecillitate tanti, ut nullo modo locum sibi putet ad eos pellendos aut ad eorum bona diripienda dari.«).
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HERZENSGEMEINSCHAFT Der »sensus communis« bei Schiller S A R A H MA R I A T E RE SA GOE T H
Bruderliebe und Gemeinschaftsbildung »Alle Menschen werden Brüder […] Seid umschlungen Millionen! Diesen Kuß der ganzen Welt! Brüder – überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen.«1 Mit diesen berühmten Worten umschreibt Schiller in der Ode An die Freude (1785/1808) sein Ideal einer gleichberechtigten Gesellschaft, die für ihn nicht nur an eine neue politische Ordnung, sondern auch an eine neue Gefühlskultur geknüpft sein soll. Die Utopie einer universalen »Bruderliebe« beschäftigt Schiller jedoch nicht erst in den späten 1780er Jahren, kurz vor den realpolitischen Versuchen und Fehlschlägen einer neuen Brüderordnung in Gestalt der Französischen Revolution, sondern bereits in seinen Jugendschriften, in denen er eine regelrechte Philosophie der Liebe zu etablieren sucht.2 Dort stilisiert er die »Liebe« zu einem allgemeinen Gestaltungs- und Wirkprinzip, das nicht nur den Zusammenhang der Schöpfung bestimmt, sondern auch die Menschen in einer liebenden Menschheitsfamilie und Brü derliebe eint.3 Im Anschluss an die Ereignisse der Französischen Revolution und der anschließenden Phase der Terreur muss Schiller im Achten Brief seiner Schrift Über die ästhetische
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Erziehung des Menschen (1795) jedoch seinen Glauben »an die Wirklichkeit einer uneigennützigen Liebe« erst einmal in Frage stellen.4 Er schreibt: »Das Zeitalter ist aufgeklärt […] – woran liegt es, daß wir noch immer Barbaren sind?«5 Nicht Liebe, sondern Hass scheint das Grundmovens politischen Handelns zu sein. Im weiteren Briefverlauf versucht sich Schiller an einer Ursachenanalyse: »Es muß […] in den Gemüthern der Menschen etwas vorhanden seyn, was der Aufnahme der Wahrheit […] im Wege steht.«6 Um die Menschen für die politisch wichtigen Maximen empfänglich zu machen, schlägt Schiller deshalb eine »Ausbildung des Empfindungsvermögens« vor.7 Schillers Programm einer Erziehung zur emotionalen Intelligenz scheint auf den ersten Blick äußerst befremdlich, sein Anliegen jedoch keine isolierte Position innerhalb der Zeit zu sein. In Phänomenen wie der Empfindsamkeit und dem Konzept der »sanften Menschenliebe«, des neuentdeckten Mitleids und Mitgefühls, der romantischen Liebe und der Intimität, lassen sich unterschiedlich motivierte Formen affektiver Gemeinschaftsverhandlungen erkennen, die scheinbar auf eine Krise des machtpolitischen Denkens der Zeit zu reagieren versuchen.8 Alte Gesellschaftsmodelle, die auf einer Selbsterhaltungs- und Egoismustheorie à la Hobbes beruhen und notwendig auf ein vertragsrechtliches Ordnungsmodell von Herrschaft hinauslaufen, erweisen sich vor dem Hintergrund der Debatten um neue Menschen- und Bürgerrechte als nicht länger hinnehmbar. Im Gegensatz zu solchen Entwürfen werden um 1800 anthropologische Bedingungen von Sozialität erprobt, die argumentationsstrategisch Souveränität nicht mehr als Projekt eines einzelnen, sondern als allgemeines auszuweisen suchen. In diesem Zusammenhang scheinen Emotionen einen wichtigen Stellenwert als präreflexive Instanzen innerhalb von Gemeinschaftsgründungsdiskursen zu besetzen. War »Politik, bisher eine Spezialität der Höfe, läßt [sie, S.G.] sich nun als ein Unternehmen verstehen, das man zur Herzensangelegenheit machen kann«, fasst Rüdiger Safranski das demokratische Emotionsmanagement der Zeit etwas flapsig, aber durchaus treffend zusammen.9 Mit den Bildern der revolutionären Ereignisse im Hinterkopf, als aufgewühlte Massen ihren triebgesteuerten Lüsten freien Lauf ließen, schreckten Zeitgenossen aber gleichzeitig vor dem eruptiven Affektrepertoire roher Gefühlsausbrüche eines epidemischen Schwärmerkultes vergangener Strömungen zurück.10 Politischen Emotionen wird deshalb ein ambivalenter Charakter attestiert, der zwischen sozialem Engagement und Irrationalität changiert. Auch Schiller erkennt die Gefahr emotionaler »Verwilderung«, die jegliche Sozialität verhindert und es gilt zu fragen, wie er dennoch in den fragilen und leicht zu irritierenden Empfindungen Grundprinzipien von Gemeinschaft zu erkennen vermag. Hierfür möchte der vorliegende Beitrag der Debatte um den sensus com munis im 18. Jahrhundert nachgehen, der nicht mehr nur als theoretisches Vermögen, sondern als emotionales Gefühl, als Herzensgefühl, verstanden wird. Schiller scheint an solch einem Gemeinsinn mit seiner Verankerung im Empfindungsvermögen besonders Gefallen zu finden, was sich sowohl in seinen theoretischen Arbeiten als auch in seinen Theaterstücken zeigt, die an entscheidender Stelle immer wieder das Leitmotiv des Herzens einspielen.
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Gefühls-Verrohungen als politische Gefahr Schiller schreibt seine ästhetischen Briefe als Antwort auf die gewaltsamen Ereignisse der Französischen Revolution. Als begeisterter Kant-Leser sah er zwar auch in der vernünftigen Freiheit des Menschen das höchste Ziel, jedoch befand er nach den Septembermorden von 1792, als fast zweitausend Menschen vom Pariser Mob niedergemetzelt wurden, die Menschheit für dieses Projekt der Freiheit noch nicht reif. Mit Hilfe einer generellen Analyse der Missstände der Zeit versucht er den Ursachen der verstörenden Ereignisse auf den Grund zu gehen: »In seinen Thaten malt sich der Mensch, und welche Gestalt ist es, die sich in dem Drama der jetzigen Zeit abbildet! Hier Verwilderung, dort Erschlaffung: die zwey Aeussersten des menschlichen Verfalls, und beyde in Einem Zeitraum vereinigt. In den niedern und zahlreichern Klassen stellen sich uns rohe gesetzlose Triebe dar […]. Auf der andern Seite geben uns die civilisirten Klassen den noch widrigern Anblick der Schlaffheit und einer Depravation des Charakters, die desto mehr empört, weil die Kultur selbst ihre Quelle ist.«11 Schillers Befund ergibt, dass die Revolution nicht auf freie Menschen gestoßen sei, sondern auf verwilderte und entfremdete Subjekte. Die problematischen Emotionen des Subjekts sind dabei Kernpunkt der Kritik: »Der Mensch kann sich aber auf eine doppelte Weise entgegengesetzt seyn: entweder als Wilder, wenn seine Gefühle über seine Grundsätze herrschen; oder als Barbar, wenn seine Grundsätze seine Gefühle zerstören.«12 Sowohl im ungehemmten Lauf der Emotionen als auch in deren Unterdrücken lassen sich nach Schillers Ansicht pathogene Elemente erkennen. Der erste Typus ist zwar handlungs- und durchaus gemeinschaftsorientiert, jedoch sind seine Emotionen diffus, außer Kontrolle, unbewusst und radikal und es lässt sich hier leicht jenes revolutionäre Potential erkennen, das die eruptiven Ausbrüche in Frankreich verursachte. Um künftig solche emotionalen Entladungen zu vermeiden, versuchen Schiller und Goethe besonders in ihrer Weimarer Zeit, so führt Cornelia Zumbusch aus, ein ästhetisches Programm der Immunisierung zu entwickeln, das ein Schutzprogramm der Vorsorge bieten soll.13 Der zweite Typus ist dagegen ein gefühlsblindes Individuum, das sich durch eine Indifferenz und Passivität gegenüber seiner Umwelt auszeichnet und sich damit von seiner Umwelt sozial isoliert. Schillers Deutung menschlicher Isolation als emotionale Verwirrung erfasst damit neben einer Analyse der revolutionären Geschehnisse einen Prozess moderner Entfremdung, der sich in Zusammenhang mit einem gesellschaftlichen Strukturwandel im späten 18. Jahrhundert nach Luhmann als funktionale Differenzierung beschreiben lässt. Dabei »kommt es im Übergang von stratifikatorischer zu funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung zu einer stärkeren Differenzierung von personalen und sozialen Systemen«, sodass »die Einzelperson nicht mehr in einem und nur einem Subsystem der Gesellschaft angesiedelt sein
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kann, sondern sozial ortlos vorausgesetzt werden muß.«14 Die strukturellen Veränderungen der Differenzierung, die sowohl geltende Herrschaftskonzepte als auch Religion, Ökonomie und Wissenschaft betreffen, führen auf persönlicher Ebene zu einem Individualisierungsprozess, worin die einzelnen Subjekte »die eigene Differenz zur Umwelt […] auf die eigene Person zurückinterpretieren, wodurch das Ich zum Focus des Erlebens und die Umwelt relativ konturlos wird.«15 Dieser Prozess der Vereinzelung und Entfremdung korreliert, so führt Regine Romberg aus, mit der Kompensationslogik eines unstillbaren Begehrens des modernen ökonomischen Menschen, das neben Schiller mehrere Zeitgenossen, wie etwa Alexis de Tocqueville, in treffenden Bildern wiedergeben.16 Tocqueville beschreibt die moderne Demokratiebewegung unter dem Paradigma einer Freiheitspathologie, wonach sich die »Menge einander ähnlicher und gleichgestellter Menschen […] rastlos im Kreise drehen, um sich kleine und gewöhnliche Vergnügungen zu verschaffen, die ihr Gemüt ausfüllen.«17 Dergestalt richten die einzelnen Individuen nach Schiller auch ihre Interessen nicht mehr auf ein soziales Miteinander, sondern nur noch auf die eigene Bedürfnissteigerung: »Mitten im Schooße der raffinirtesten Geselligkeit hat der Egoism sein System gegründet, und ohne ein geselliges Herz mit heraus zu bringen, erfahren wir alle Ansteckungen und Drangsale der Gesellschaft. […] Die Kultur weit entfernt, uns in Freyheit zu setzen, entwickelt mit jeder Kraft, die sie in uns ausbildet, nur ein neues Bedürfniß, die Bande des Physischen schnüren sich immer beängstigender zu, so daß die Furcht zu verlieren, selbst den feurigen Trieb nach Verbesserung erstickt und die Maxime des leidenden Gehorsams für die höchste Weisheit des Lebens gilt.«18 Was Schiller und Tocqueville beschreiben, ist im Kern die Entwicklung einer veränderten Auffassung gesellschaftsbegründender Faktoren im Sinne des Liberalismus, die den Zusammenhalt einer Gemeinschaft nicht an die innere Natur des Menschen, sondern an ökonomisch-physikalische Gesetzmäßigkeiten binden. Hintergrund hierfür sind die von Schiller bereits in seinen Jugendwerken kritisierten anthropologisch-materialistischen Diskussionen der Zeit, deren Vertreter, die Vorstellung von Thomas Hobbes aufnehmend, den Menschen nicht länger als ein zoon politikon begreifen, sondern als egoistisch-interessensgeleiteten Einzelkämpfer.19 Deshalb sollen gegen Ende des 18. Jahrhunderts neue Prinzipien einspringen, die die verstreuten Einzelindividuen wieder in ein kohärentes Ganzes binden, ohne dabei dem Zwang zu unterliegen, sich einem absolutistischen Machtgefüge zu unterwerfen. Dafür scheinen sich die neuartigen Ordnungsvorstellungen eines nach Interessen strukturierten Tauschmarktes anzubieten, die gleich physikalischen Gravitationsgesetzen ein stabiles Gleichgewicht innerhalb einer Gemeinschaft zu erzeugen vermögen. In seiner Untersuchung zur Struktur moderner Märkte greift Joseph Vogl auf die Metaphorik der Zeit zurück, die einen Wandel von einem sympathisch-pulsierenden hin zu einem erkaltet-mechanischen Herzen verzeichnet:
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»Seit dem siebzehnten Jahrhundert schlägt im Innern des Menschen ein Herz voller Begierden, alle Begierden und Leidenschaften aber verkleiden nur ein nacktes und unreduzierbares Element, das die Qualität des Interesses besitzt. Das prägt die Dynamik des sozialen Verkehrs, treibt aus Regellosigkeit die Regel, aus der Gesetzlosigkeit die Gesetzmäßigkeit hervor.«20 Das emotionsaverse Verhalten im Sinne des klassischen Liberalismus scheint geradezu erwünscht zu sein, da die Selbstregulation des Marktes nicht durch den Einbruch irrationaler Elemente gestört und durch das emotionslose interessensgeleitete Handeln sogar das allgemeine Wohl mitbefördert würde.21 Für Schiller hat diese egoistische Einstellung jedoch nicht eine liberale Markt- und damit Staatsstabilität zur Folge, sondern sie gefährdet seiner Meinung nach gerade den Zusammenhalt von Gemeinschaften aufgrund sich selbst vorantreibender Isolations- und Spaltungsprozesse. Dabei rekurriert Schiller in seinen Beschreibungen immer wieder auf die bereits angesprochene Metaphorik eines »verschlossenen Herzens«, um der erkalteten Mitmenschlichkeit ein symbolträchtiges Bild zu verschaffen.22 Demnach zieht »[s]tolze Selbstgenügsamkeit […] das Herz des Weltmannes zusammen, das in dem rohen Naturmenschen noch oft sympathisch schlägt […]«, sodass sich das einst »gesellige Herz« bei den abstrakten Denkern und Geschäftsmännern notwendigerweise in ein »kaltes« und »enges Herz« verwandeln musste.23 »Die Kultur selbst war es, welche der neuern Menschheit diese Wunde schlug« und jetzt »verzehrt dort der Abstraktionsgeist das Feuer, an dem das Herz sich hätte wärmen […] können.«24 In dieser Isolation verliert jedoch auch der scharfsinnigste Denker den Blick aufs politische Ganze. Letztlich liegt es an der »Feigheit des Herzens«, dass der Mensch die wahren Ursachen der ganzen »Verkehrtheit« der Zeit nicht erkennen kann.25 »Und so wird denn allmählich das einzelne Leben vertilgt, damit das Abstrakte des Ganzen sein dürftiges Daseyn friste, und ewig bleibt der Staat seinen Bürgern fremd, weil ihn das Gefühl nirgends findet.«26 Wenn die Missstände der Zeit auf einem auf sich selbst zurückgeworfenen Individuum beruhen, das aufgrund seiner alexithymischen Veranlagung nicht in der Lage ist, Sozialität zu erfassen und herzustellen, muss sich nach Schiller ein Therapieangebot essen gefühlsblinfinden lassen, das sich im Kern um das einzelne Individuum bemüht und d den »Kaltsinn« behandelt.27 Nur so könne eine »Ausbildung des Empfindungsvermögens« gelingen, die dem Menschen die in der Aufklärung entwickelten Vernunftmaximen begreiflich machen kann, »weil der Weg zu dem Kopf durch das Herz muß geöffnet werden.«28 Schillers Ziel wäre dann eine erfüllte Menschheit auf einer höheren komplexen Ebene eines »ästhetischen Staates«. Ästhetik ist dabei der Schlüssel der Erziehung, denn nur die Kunst beziehungsweise die »Schönheit allein« kann dem Staat »einen geselligen Charakter ertheilen.«29 Mit dem Verweis auf einen »geselligen Charakter« wird Schillers Anliegen deutlich: Er möchte den Zusammenhalt einer Gemeinschaft nicht ökonomischen Dynamiken überlassen, sondern versuchen, den verschütteten Wesenszug eines zoon politikons durch pädagogische Maßnahmen wieder frei zu setzen. Damit scheint Schiller ein Kernproblem moderner Demokratisierungsprozesse bereits in seinen Anfängen zu erfassen: Ein gesellschaftlicher
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Zusammenhalt scheint sich nicht allein über gemeinsame Interessen einzustellen, sondern bedarf zudem des Paradigmas eines zweckfreien gemeinschaftlichen Miteinanders, das gemeinsamen Werten verpflichtet ist und über ein demokratisches Gefühlsmanagement auf gemeinsame Konsensziele hinarbeitet.
Sensus communis als soziale Bindekraft Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gibt es mehrere Bestrebungen, einen neuen Gemeinsinn sowie eine neue Gefühlskultur der Geselligkeit zu befördern. Der Begriff des Gemeinsinns beziehungsweise des sensus communis hat eine lange Entwicklung hinter sich und im Zuge dieser unterschiedliche Bedeutungen ausgeprägt.30 Der englische Terminus common sense, sowie die französische Entsprechung sens commun und auch die deutschen Begriffe gesunder Menschenverstand und Gemeinsinn, die sich im 18. Jahrhundert einer großen Popularität erfreuen, gehen auf die antiken Termini sensus communis beziehungsweise κοινὴ αἲσθησις zurück. Aristoteles ist dabei der erste, der den Ausdruck κοινὴ αἲσθησις in einem philosophischsystematischen Sinne verwendet, wobei er ihn zunächst wahrnehmungstheoretisch be stimmt. Er nimmt hierfür hypothetisch an, es gäbe neben den Einzelsinnen einen Gemeinsinn, der die mannigfaltigen Eindrücke der partikularen Sinne zusammenfassen und beurteilen könne. Für die κοινὰ αἰσθητά müsse es nach Aristoteles ein eigenes Wahrnehmungsorgan geben, welches er im Herzen vermutet und das in der weiteren Wirkungsgeschichte (so auch bei Schiller) immer wieder eine grundlegende Rolle spielt.31 Schon hier gibt es, wie Heinz Kleger feststellt, eine interessante Verbindung zwischen der Vorstellung eines einheitlichen sensorischen Erkenntnisvermögens und der Vorstellung einer räumlichen Vergesellschaftung der Einzelsinne im Herzensraum, sodass es sich im Fall von Aristoteles κοινὴ αἲσθησις um ein kleines aber dennoch »hoch-integriertes ›Modell von Gesellschaft‹« handelt.32 Neben Aristoteles’ psychologisch-wahrnehmungstheoretisch geprägtem Modell des sensus com munis sind es insbesondere Ciceros Gedanken in De Oratore, die die weitere Entwicklung des Begriffes entscheidend beeinflussen. Cicero, der den sensus communis als natürliches Grundvermögen des Menschen versteht, interessiert sich vor allem für dessen politische Wirkkraft. Wenn der Redner den Gemeinsinn der Bürger kennt – und darunter fallen für Cicero alle geteilten Empfindungen und Meinungen – kann er im politischen Redeakt die Gemeinschaft für sich einnehmen und zugleich Gemeinschaftlichkeit erzeugen. In dieser durch die Stoa beeinflussten Ansicht Ciceros findet sich gemäß Thomas Leinkauf et al. jene »Appellinstanz, die eine allen gemeinsame Überzeugung, Meinung und Ansicht repräsentiert« und sich als »gesunder Menschenverstand« wieder in der Common-Sense-Philosophie des 18. Jahrhunderts wiederfindet.33 Insofern ist der Begriff bereits in seiner antiken Prägung an der Schnittstelle zwischen Epistemologie, politischer und moralischer Philosophie anzusiedeln und es wird sich zeigen, dass er bei Theoretikern wie Shaftesbury, Kant und Schiller auch um eine ästhetische Dimension erweitert wird.
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Besonders durch die englische Common-Sense-Philosophie erlebt der Begriff im 18. Jahrhundert eine neue Aufwertung, wenn er als natürliches inneres Beurteilungsvermögen gemäß der aristotelischen Tradition und als sozial-ethische Bindekraft stoischer Prägung gegen eine knöchern-übertriebene Metaphysik und gegen eine materialistisch-anthropologische Auffassung neue Wege bahnen soll.34 Helga Köver unterscheidet deshalb zwei unterschiedliche Bedeutungsfelder des sensus communis in jener Zeit, die einmal den Verstandsbereich als natürliches Urteilsvermögen, sowie als praktische Weltklugheit und einmal den Bereich sozialer Intelligenz als Mit-Gefühl umfassen.35 Dabei zeigt letztere Verwendung jene entscheidende Begriffserweiterung des sensus communis im 18. Jahrhundert, die als eine Fortschreibung der im 17. Jahrhundert angestoßenen Gefühlslehren in der Philosophie erstmals innerhalb der rationalen Vermögen im Gefühl ein weiteres Grundvermögen entdeckt und thematisiert. In Folge dessen werden die unscharfen Begriffe von Leidenschaft, Affekt, Gefühl und Empfindung begrifflich zu schärfen gesucht, indem sie nicht mehr nur auf ein sensorisches Empfinden beschränkt, sondern um ethische, moralische und ästhetische Kategorien ergänzt werden.36 Die Akzentverschiebung beim sensus communis von einem reinen Verstandesvermögen hin zu einem Gefühlsvermögen wird besonders durch die Ideen von Anthony Ashley-Cooper, Earl of Shaftesbury, vorangetrieben. Denn Shaftesbury versteht den sensus com munis in seiner Analyse der antiken Klassiker nicht als Verstandesvermögen, sondern als »Love of the Community or Society, Natural Affection, Humanity, Obliginess […]«, sogar als »Love of Mankind« und spricht sich demnach für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt aus, der sich auf ein Gefühl und eine Tugend des Herzens gründet.37 Auch in Deutschland werden die Konzepte der englischen Common-Sense-Philosophie ausführlich diskutiert, wobei Shaftesburys Characteristics einen regelrechten »Skandal« auslösen, »weil sie Gott und der Religion den Krieg ankündigen«.38 Shaftesburys philosophische Schriften beanspruchen mit ihrer Überzeugung einer autonomen Sittlichkeit ehemals theologisches Hoheitsgebiet, was sie einerseits in Hinblick auf die aufklärerischen Prinzipien eines autonomen Menschenverstandes und andererseits in moralisch-anthropologischer Hinsicht als Gegenkonzept zu materialistischen Gesellschaftsentwürfen äußerst attraktiv erscheinen lässt.39 Dass Shaftesburys Gedanken mehr oder weniger omnipräsent waren, zeigt sich anhand der Wirkkraft seiner Werke auf Theoretiker und Literaten wie Goethe, Herder, Mendelssohn, Lessing, Wieland und auch den jungen Schiller. Vor allem Shaftesburys Einstellung, Fragen der menschlichen Erkenntnis, Empfindung und Moral nicht auf Begriffsbestimmungen zu reduzieren, sondern in dialogischen Gesprächen ergebnisoffen zu diskutieren und die wechselweise Abhängigkeit von Gefühl und Vernunft stets mitzudenken, begeistert Philosophen und Schriftsteller gleichermaßen.40 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Shaftesburys Ideen zu einem com mon sense in der europäischen Aufklärung eine nachhaltige Karriere machten und auch Schillers Konzeption des Gemeinsinnes motiviert haben. Damit erweist sich die Schiller’sche Adaption des schottischen common sense-Begriffes äußerst vielschichtig und scheint nicht nur, wie Hans-Jürgen Schings vermutet, den moral sense als natürlich moralisches Gefühl gegen-
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über der Verstandeslogik der Aufklärung als »Heil- und Hilfsmittel« in Anschlag bringen, sondern ein eigenes umfassendes Begriffsprogramm zwischen Episteme, Ästhetik und Ethik entfalten zu wollen.41 Denn nach den Erlebnissen der Französischen Revolution und nach seiner Kant-Lektüre konzentriert sich Schiller zwar zunächst auf die fehlende Herzenswärme und schlägt hierfür eine Reinigung der Gefühle vor, gleichwohl möchte er die Maximen der Vernunft nicht vernachlässigt wissen. Eine neue Gemeinschaft sollte beide menschliche Vermögen berücksichtigen und durch einen Gemeinsinn mit Hilfe eines ästhetischen Programms stabilisiert werden. Damit entwickelt Schiller die Vorstellung eines Gemeinsinnes, der sich nicht gegen Kants Vernunftlogik richtet, sondern hierfür sogar auf dessen »eigentümliche Kreation« eines zwischen Geschmack und Gemeinsinn vermittelnden sensus com munis aestheticus zurückgreift und ihn an entscheidender Stelle mit den Ideen der CommonSense-Philosophie Shaftesburys verbindet.42
Schillers ästhetischer Gemeinsinn zwischen Kant und Shaftesbury Kant verwendet den Ausdruck sensus communis in seinen vorkritischen Schriften äußerst unterschiedlich und das Begriffsspektrum reicht von gesunder Menschenvernunft bis hin zu sana ratio.43 Erst in der Kritik der Urteilskraft (1790) wird der wirkmächtige Unterschied zwischen Gemeinsinn als empirischer Verstand und Gemeinsinn als »apriorische Bedingung von verallgemeinerbaren Geschmacksurteilen« getroffen.44 Anhand von Geschmacksurteilen über das Schöne möchte Kant überprüfen, inwieweit solche subjektiven Urteile allgemein mitteilbar sind und inwieweit ein sensus communis dafür die Grundlage bildet. Auf den ersten Blick erscheint solch eine Vorgehensweise, die den Gemeinsinn und die Grundlage einer idealen Gemeinschaft anhand der Frage nach einem ästhetischen Urteil klären möchte, höchst ungewöhnlich, denn dies sind im Grunde Fragen der praktischen Vernunft. Tatsächlich versucht Kant auch in einem ersten Schritt den Zusammenhalt einer Gemeinschaft mittels eines »vereinigten Volkswillens« gemäß Rousseaus volonté général als moralisches Konzept zu denken: Ausgehend vom Subjekt und dessen Willen entwickelt Kant in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) einen vereinigten Volkswillen in Analogie zum individuellen, durch die Vernunft geleiteten Willen. Letztendlich scheint ihm dies aber als Grundlage eines Gemeinsinns zu dürftig, da hier lediglich subjektive Moralprinzipien auf ein äußeres Kollektiv übertragen werden und die intersubjektive Geltung damit fraglich bleibt. Deshalb versucht Kant in der Kritik der Urteilskraft die Bindekräfte von Sozialität nochmals neu definieren zu wollen, aber diesmal nicht unter dem Aspekt der Vernunft, sondern unter dem des Gefühls. Der Mensch hat nach Kant nicht nur »einen natürlichen Hang zur Geselligkeit«, sondern sogar einen »Trieb zur Gesellschaft«: »[…] weil Humanität einerseits das allgemeine Teilnehmungsgefühl, andererseits das Vermögen, sich innigst und allgemein mittheilen zu können, bedeutet; welche Eigenschaften zusammen verbunden die der Menschheit angemessene Geselligkeit ausmachen.«45 In der Verbindung eines Mitgefühls mit anderen und
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dessen Mitteilbarkeit scheinen sich für Kant die Bedingungen einer zweckfreien Grundform menschlichen Zusammenseins darzulegen. An dieser Stelle wird nun ersichtlich, warum Kant im Zusammenhang mit der sozialen Frage auf das ästhetische Urteil zurückgreift, da dieses für ihn die beiden Komponenten Gefühl und allgemeine Mitteilbarkeit vereint. Der Geschmack gilt in der ästhetischen Theorie des 18. Jahrhunderts generell als »das Vermögen, das Schöne zu empfinden, so wie die Vernunft als das Vermögen, das Wahre, Vollkommene und Richtige zu erkennen.«46 Für Kant ist aber die durch einen schönen Gegenstand ausgelöste Empfindung kein reines Privatgefühl, sondern auf die Mitteilung und Zustimmung anderer ausgerichtet, womit der sensus communis in diesem Kontext seine Bedeutung erhält. Er »wird als transzendentale Bedingung für diese Möglichkeit von Zustimmung überhaupt gesetzt, er bleibt ein idealer Bezugspunkt aller Urteile über das Schöne und ist die Vorstellung eines idealen Gemeinschaftsgefühls.«47 Ein Geschmacksurteil über einen schönen Gegenstand ist demnach auf Bedingungen begründet, die für alle gelten. Einerseits zählt hierzu die emotionale Reaktion, sowie andererseits ein einsetzender Reflexionsprozess. Beide Erkenntnisvermögen befinden sich in einem freien Spiel, das nicht den äußeren Gegenstand begrifflich zu erfassen sucht, sondern sich als speziell ästhetisch hervorgerufene Lust des Subjekts äußert. Da dieses lustvolle Gefühl auf allgemeingültigen Kriterien gründet, ist es auch für andere verständlich und damit kommunizierbar. Wenn die Grundlage des sensus communis aestheticus bei Kant eine Haltung der gemeinschaftlichen Anteilnahme bildet, wird damit bereits der soziale Aspekt dieses Konzeptes deutlich. Kant reicht dies aber nicht aus und erweitert es zudem um eine moralische Komponente, indem er das Schöne als Symbol des sittlich Guten begreift. Damit deutet sich an dieser Stelle die Möglichkeit eines Übergangs von der Moralität des Einzelnen zur Gemeinschaft im ästhetischen Urteil an. Über die verallgemeinerbaren Empfindungen, die als Gemeinsinn den Horizont des Gesellschaftlichen anvisieren, scheint Kant, gemäß Gundula Felten, auf eine »ideale Gefühlsgemeinschaft« anzuspielen, die neben der rein vernünftigen Sittlichkeit (Kritik der praktischen Vernunft) noch den Aspekt einer sittlichen Mitmenschlichkeit (Kritik der Urteilskraft) eröffnet.48 Insofern wäre hier die Möglichkeit eines überindividuellen Moralsinns angedacht, der die fehlende Verbindung zwischen Individuum und Kollektiv sowie zwischen Vernunft und Gefühl füllen und als oberstes normatives Prinzip die konstitutive Bedingung einer politischen Gemeinschaft bereitstellen würde. Jedoch trifft Kant keine inhaltlich-konkreten Aussagen, wie sich ein Ideal der Schönheit als sittliche Norm auf das Leben anwenden ließe, inwieweit sich also eine humanitäre Geselligkeit auch praktisch verwirklichen könne. Schiller wird hier Kants Konzept eines ästhetisch bedingten sensus communis erweitern. In den Augustenburger Briefen betont Schiller zunächst »vollkommen Kantisch« zu denken, denn vor dem Hintergrund von Kants Vorstellung eines geselligen Wesens kann die Kultivierung des Geschmacks seiner Ansicht nach ein humanistisches Ziel befördern.49 Schiller arbeitet in seiner Ästhetischen Erziehung daher an einem ähnlichen Programm, wobei hier der Fokus auf einer praktischen Komponente liegt, nämlich einer Bildung durch Kunst. Hier wird die Ästhetik erstmals an eine Bildungsphilosophie gebunden, die im Grunde eine volks-
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erzieherische Absicht verfolgt.50 Anhand einer Erziehung durch und zur Kunst soll die Menschheit schließlich das aufklärerische Projekt der Freiheit doch noch politisch verwirklichen können.51 Weil der politische Befreiungsschlag an der Unfähigkeit der einzelnen Menschen gescheitert war, soll ein anthropologisches Programm diese auf eine politische Gemeinschaft vorbereiten: »[M]an wird damit anfangen müssen für die Verfassung Bürger zu erschaffen, ehe man den Bürgern eine Verfassung geben kann.«52 Dabei ist es speziell die »äs t h e t i s c h e Kultur«, die für Schiller »das wirksamste Instrument der Karakterbildung« darstellt, denn sie ist besonders in der Lage die »Veredelung der Gefühle« und eine »sittliche Reinigung des Willens« voranzutreiben.53 Mit diesen beiden Aufgaben übernimmt die ästhetische Erziehung eine Vermittlungsrolle für die Doppelnatur des Menschen als vernünftig-sinn liches Wesen. Die Verwahrlosung der entgegengesetzten Triebe nach beiden Seiten könne im ästhetischen Spiel in einen harmonischen Ausgleich gebracht und der Mensch gleichermaßen von der » N ö t h i g u n g der N a t u r « und der » N ö thig u n g der V e rn u n f t« befreit werden, wodurch er nicht nur den Zustand der Freiheit erfahren, sondern sich auch seinen Mitmenschen zuwenden könne.54 Hierfür nimmt Schiller die Gedanken Kants in Hinblick auf die ästhetische Vermittlungsrolle des Geschmacks auf, denn »[h]ieraus erklärt sich auch, wie es zugeht, daß der Geschmack, als ein Beurteilungsvermögen des Schönen, zwischen Geist und Sinnlichkeit in die Mitte tritt, und diese beyden, einander verschmähenden Naturen, zu einer glücklichen Eintracht verbindet […].«55 Wenn der Geschmack einen Ausgleich zwischen den entgegengesetzten Trieben im einzelnen Individuum herstellt, könne sich das rehabilitierte Individuum auch wieder in eine soziale Gemeinschaft einfügen: »Der Geschmack allein bringt Harmonie in die Gesellschaft, weil er Harmonie im Individuum stiftet.«56 Jedoch scheint Schiller der harmonische Ausgleich im Individuum allein nicht als Gemeinschaftsbedingung auszureichen, weshalb er hierfür das frühe Konzept einer uneigennützigen Liebe nochmals in Augenschein nimmt. Dabei konzipiert er sein Liebeskonzept im Anschluss an seine Kant-Lektüre nicht einfach als unreflektiertes Gefühl, sondern wird es in Zusammenhang mit einem Gemeinsinn zwischen die beiden Vermögen von Vernunft und Neigung einspannen. Im Gegensatz zu Kant erhebt Schillers sensus communis nicht nur den Anspruch der Zustimmung zu einem allgemeingültigen Gefühl, sondern den eines intersubjektiven Gemeinschaftsgefühls, der Liebe zu seinen Mitmenschen auf Grundlage moralischer Prinzipien. Hierfür wird Schiller seinen sensus communis im Sinne der englischen Tradition von Shaftesbury erweitern. Zentrum der Love of Mankind von Shaftesbury ist das bewegte und empfindende Herz eines jeden einzelnen, womit hier die alte aristotelische Wahrnehmungstheorie wieder an Aktualität gewinnt. Die Frage, worin der Mensch das soziale Gefühl in sich entdecken könne – wobei sich hier Selbstliebe und Fremdliebe treffen – beantwortet Shaftesbury mit der individuellen Herzensempfindung: »Nothing affects the Heart like that wich is purley from it-self and of its own nature; such as the Beauty of Sentiment; the Grace of Actions; the Turn of Characters, and the Proportions and Features of a human Mind.«57 Ein Herz könne nur durch Dinge bewegt werden, die einem subjektiv-moralischen Gefühl entspringen und die man zugleich als schön empfindet, sodass man letztlich dem Schönen in
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sich selbst zustimmt und der sensus communis eine ästhetische Dimension erhält.58 Anhand dieser Beurteilung wird deutlich, dass das Gefühl anhand von Vernunftprinzipien überprüft wird, sodass das Moralbewusstsein immer eine »intellektuelle und emotionale Seite« hat: »[…] having a Sense of Right or Wrong; a Sentiment or Judgment of what is done, thro’ just, equal, and good Affection.«59 Es handelt sich um einen »reflected Sense«, der ein Gefallen beziehungsweise Missfallen in Hinblick auf Charakterzüge, Neigungen und Handlungen anderer beziehungsweise auf uns selbst ausdrückt und das moralische Gefühl an das ästhetische bindet.60 Damit zählt auch das Wohl anderer Menschen und Mitgefühl für diese zu den herzbewegenden Empfindungen, die ein Wohlgefallen im Subjekt auslösen und als Love of Man kind schließlich eine gemeinschaftsstabilisierende Funktion übernehmen.61 Schiller greift offensichtlich auf diese Gedanken zurück, wenn bei ihm das soziale Band zwischen den Menschen auf einem Zusammenspiel von vernünftigen Grundsätzen, einem moralischen Gefühl und einem Begriff des Schönen gründet. Im Gegensatz zu Kant korrespondieren hier die moralischen Grundsätze der Vernunft unmittelbar mit einer moralischen Neigung in einem »Zustand des Gemüts, wo V e r n u nft und Sinnlichkeit – Pflicht und Neigung – z u s a m m en s t i m m e n « und bilden zugleich die Bedingung »unter der die Schönheit des Spiels erfolgt.«62 In der Kunst wird deutlich, dass der Mensch bereits von Natur aus moralisch handelt. Anhand des Konzeptes einer schönen Seele kann der Mensch die innere moralische Schönheit als Grazie, Würde und Anmut erfahren, die letztlich auf »der Sanftmuth des Herzens« beruhen.63 Insofern wird deutlich, warum Schiller dem ästhetischen Zustand so viel Bedeutung beimisst, denn hier erweitern sich, ähnlich wie bei Shaftesbury, die Vermögenszustände des Menschen hin zu einem sozialen Gefühl. Dergestalt erhebt sich die egoistische sinnliche Begierde zur Nächstenliebe, sodass im ästhetischen Staat »[e]ine schönere Nothwendigkeit […] jetzt die Geschlechter zusammen[kettet, S.G.], und der Herzen Antheil hilft das Bündnis bewahren […] Die Begierde erweitert und erhebt sich zur Liebe.«64 Und auch die Gesetze der Vernunft, die den Menschen mit ihrer moralischen Tyrannei isoliert, fördern im ästhetischen Spiel den » g e s e l l i g e n C h arakter«.65 So manifestiert sich bei Schiller der Gemeinsinn als Gefühl der Liebe: der Mensch beginnt seine Mitmenschen »zu lieben«, denn dieses »Wohlwollen – Liebe« ist »ein Gefühl, das von Anmuth und Schönheit unzertrennlich ist.«66 »Die Anmuth nehmlich zeugt von einem ruhigen, in sich harmonischen Gemüth, und von einem empfindenden Herzen.«67
Reform der Gefühle? Schiller bewegt sich mit seiner Vorstellung einer normativen Grundlage von Sozialität auf dem empfindenden Herzen im Vokabular seiner Zeit. Sogar für den prinzipienstrengen Kant ist die »Moralität« dem Menschen »buchstäblich ins Herz geschrieben« und Hegel gilt das »Gesetz des Herzens« als Sockel des »W o h l s d e r M e nschheit.«68 Um den Hiatus von individueller Herzensangelegenheit und allgemeiner Normativität zu überbrücken, gibt es
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mehrere Vorschläge, die sich zwischen vernunftleitender Norm (Kant) und normgenerierender Handlung (Hegel) bewegen, jedoch bleibt stets die Frage, wie solche Grundsätze auch praktisch an den Einzelnen vermittelt werden. Schiller möchte für den herzensgeleitenden sensus communis das Theater als gemeinschaftsgenerierende Institution einbinden. Schon in seiner Schrift Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken von 1785 entwirft er deshalb Gedanken zu einer auf die moralische Verbesserung des Publikums zielende Wirkungsästhetik, die die einzelnen Herzen mit überindividuellen Normen verbinden möchte. Wenn »die Schaubühne Menschlichkeit und Sanftmut in unser Herz« pflanzt, dann können »Menschlichkeit und Duldung […] der herrschende Geist unserer Zeit« werden, denn »ihre Strahlen sind bis in die Gerichtssäle und noch weiter – ins Herz unserer Fürsten gedrungen.«69 So bewirkt die Schaubühne im Sinne der antiken ciceronischen Appellinstanz einen wahren Gemeinsinn der »Übereinstimmung«, »weil sie alle Stände und Klassen in sich vereinigt und den gebahntesten Weg zum Verstand und zum Herzen hat.«70 Dass die Etablierung eines neuen sensus communis vor dem realpolitischen Hintergrund bestehender Herrschaftsverhältnisse mit Hindernissen zu kämpfen hat, zeigt sich jedoch bereits anhand Schillers Dramenbearbeitung des Wilhelm Tell-Stoffes. In dem im Anschluss an die Französische Revolution und vor dem Hintergrund der 1789 ins Leben gerufenen helvetischen Republik geschriebenen Stück befasst sich Schiller mit Fragen der Legitimität von Herrschaft, die sich auf einen ästhetischen Gemeinsinn empfindender Herzen stützen soll. In der Rütli-SchwurSzene beruft sich dort die neue Brüderordnung sogar auf eine Einschreibung ins Herz, wodurch die alte aristotelische Metaphorik der im Gemeinsinn vereinigten Herzensgemeinschaft hier symbolisch in einem Gründungsritual verwirklich werden soll. Problematisch ist die Situation jedoch insofern, als, wie Kant dies bereits in seiner Metaphysik der Sitten (1797) ausführt, eine Ablösung der alten Herrschaftsverhältnisse durch Widerstand oder Rebellion einem »Selbstmord« am bestehenden »gemeinen Willen« gleichkäme.71 Schiller stellt demnach in seinem Stück die dringliche Frage der Zeit, inwiefern man von einem etablierten Normengebäude aus ein neues errichten kann.72 Denn auch wenn die alten tyrannischen Strukturen, im Stück durch den Vogt Geßler dargestellt, keinen Volkswillen als solchen darstellen, bestimmen diese dennoch, um mit Hegel zu sprechen, den »Geist des Volkes«, der vorgibt »was Recht und Pflicht ist […] in der Form von Gesetzen und Grundsätzen.« 73 An dieser Stelle wird Schiller in der Gestalt von Tell einen neuen Weg zur Begründung eines gemeinschaftlichen Willens entwerfen, der sich weder auf eine prinzipienorientierte Pflicht, noch auf eine moralische Handlung stützt, sondern, wie Dominik Finkelde dies nennt, auf ein »exzessives Subjekt«.74 Um im Stück die Gründung einer Brüderordnung der Eidgenossen ohne blutige Revolution zu ermöglichen, macht Schiller sie zur Privatsache Tells.75 Tell ermordet Geßler aus einer subjektiven Rache heraus, um in das falschschlagende »Herz des Feindes« zu treffen.76 Damit stellt sich Tell gegen die Normen der gängigen, aber auch die der künftigen Gemeinschaftsordnung. Handlungen von exzessiven Subjekten erscheinen gemäß Finkelde in Hinblick auf die gängige (oder auch künftige) Moral stets verantwortungslos, können aber »retroaktiv« zu einer moralischen Tat werden, indem sie die Prämissen des moralisch Allge-
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meinen durchstreichen, und damit eine neue Normativität allererst begründen.77 »Der universelle und allgemeine Bereich des Politischen erweist sich dabei strukturell vom Partikularen als dem Umschlagpunkt seiner Unabgeschlossenheit und seiner Offenheit gegenüber der eigenen aber noch unvordenklichen Zukunft abhängig.«78 Die am Ende dargestellte Versöhnung der Eidgenossenschaft, die sich in der Schlussszene um Tell drängen und ihn trotz seiner zweifelhaften Handlung, die zwischen subjektiver Schuld und kollektiver Heldentat changiert, in ihrer Gemeinschaft aufnehmen, stellt demnach eine »nicht-koinzidierende« Harmonie zwischen Einzelnem und Allgemeinen dar. Und hier scheint Schiller eine äußerst moderne Balancierungsstrategie demokratischer Gesellschaften einzuführen: indem das exzessive Subjekt nicht im allgemeinen sensus communis aufgeht, – schließlich bleibt Tell am Ende verwunderlich stumm und nicht er, sondern seine Frau wird in die »Mitte« des Bundes eintreten –, aber dennoch Teil der Gemeinschaft ist, wird deutlich, dass nur durch die auf Dauer gestellte Infragestellung der Gemeinschaft durch partikulare Subjekte eine demokratische Verhandlung eines Gemeinwillens gewährleistet bleibt.79 Damit erweist sich Schillers Vorstellung eines stets neu auszuhandelnden sensus communis auch heute noch als höchst aktuell.
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1 Friedrich Schiller: An die Freude [1786], in: Julius Petersen u. Gerhard Fricke (Hrsg.): Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 1, Weimar 1948, S. 169 (im Folgenden abgekürzt mit NA, Bandnummer und Seitenzahl). 2 Hans-Jürgen Schings: Philosophie der Liebe und Tragödie des Universalhasses. Die Räuber im Kontext von Schillers Jugendphilosophie, in: Wolfgang Riedel (Hrsg.): Hans-Jürgen Schings. Gesammelte Aufsätze, Würzburg 2017, S. 201–229. 3 Zur Liebesphilosophie im Jugendwerk von Schiller vgl. Ernst Cassirer: Schiller und Shaftesbury [1935], in: Birgit Recki (Hrsg.): Ernst Cassirer. Gesammelte Werke. Aufsätze und kleine Schriften (1932–1935), Bd. 18, Hamburg 2004, S. 333–355; Hans-Jürgen Schings: Schillers »Räuber«. Ein Experiment des Univer salhasses, in: Wolfgang Wittkowski (Hrsg.): Friedrich Schiller. Kunst, Humanität und Politik in der späten Aufklärung, Tübingen 1982, S. 1–21; Wolfgang Riedel: Die Anthropologie des jungen Schiller. Zur Ideen geschichte der medizinischen Schriften und der »Philosophischen Briefe«, Würzburg 1985. 4 Friedrich Schiller: Philosophische Briefe [1786], NA 20, S. 107–133, hier: S. 122. 5 Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen [1795], NA 20, S. 309–413, hier: S. 331. 6 Ibid. 7 Ibid., S. 332. 8 Vgl. Friedrich Vollhardt: Selbstliebe und Geselligkeit. Untersuchungen zum Verhältnis von naturrecht lichem Denken und moraldidaktischer Literatur im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2012; Hans-Jürgen Schings: Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch. Poetik des Mitleids von Lessing bis Büchner, Würzburg 2012; Niklas Luhmann: Liebe als Passion, Frankfurt am Main 2015. 9 Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, Frankfurt am Main 2015, S. 35. 10 Vgl. Johann Wolfgang Goethe: Brief an Zelter, 3. Dezember 1812, in: FA 34, S. 136. 11 Schiller 1795, S. 319 f. 12 Ibid., S. 318. 13 Cornelia Zumbusch: Die Immunität der Klassik, Frankfurt am Main 2011; vgl. zudem Gerhard Plumpe: Ästhetische Kommunikation der Moderne. Von Kant bis Hegel, Bd. 1, Opladen 1993, S. 107–150; Hans- Jürgen Schings: Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1977, bes. S. 11–41. 14 Luhmann 2015, S. 16. 15 Ibid., S. 17. 16 Regine Romberg: Die Praxis verbindlicher Freiheit. Schillers ästhetischer Staat, in: id. (Hrsg.): Friedrich Schiller zum 250. Geburtstag. Philosophie, Literatur, Medizin und Politik. Würzburg 2014, S. 43–61, hier: S. 50. 17 Alexis de Tocqueville: Über die Demokratie in Amerika [1835], Bd. 2, Zürich 1987, S. 463. 18 Schiller 1795, S. 320.
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19 Joseph Vogl: Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2016, S. 37; vgl. auch Schillers Kritik materialistischer Positionen, dargestellt bei Riedel 1985, bes. S. 178 ff. 20 Vogl 2016, S. 37. 21 In diesem Sinne wird zumindest immer Adam Smiths These der unsichtbaren Hand des Marktes gelesen, wonach die nutzenmaximierenden Akteure in ihrem egoistischen Interesse dazu beitrügen, auch andere an der Ertragssteigerung teilhaben zu lassen. Dabei wird übersehen, dass Smith selbst zu den Begründern der Moral-Sense-Philosophie zählt und in seiner Theory of Moral Sentiments von 1759 die Sympathie zu den grundlegenden sozialen Gefühlen zählt, die er seinen ökonomischen Ideen stets voraussetzt. Vgl. Gerhard Streminger: Adam Smith. Wohlstand und Moral, München 2017. Zur liberalen Forderung emotionslosen Handelns vgl. auch Gary S. Schaal u. Felix Heidenreich: Politik der Gefühle. Zur Rolle von Emotionen in der Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 32–33/2013, S. 3–11. 22 Schiller 1795, S. 331. 23 Ibid., S. 320 u. S. 325 f. 24 Ibid., S. 322 f. 25 Ibid., S. 321 u. S. 331. 26 Ibid., S. 324. 27 Ibid., S. 325. 28 Ibid., S. 332. 29 Ibid., S. 410. 30 Vgl. für einen Überblick der Entwicklungsgeschichte des sensus communis: Thomas Leinkauf, Astrid von Lühe u. Thomas Dewender: Art. Sensus Communis, in: Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörter buch der Philosophie, Bd. 9, Basel 1995, S. 622–675; Norbert Niehrig: Kritik des Common Sense. Gesunder Menschenverstand, reflektierende Urteilskraft und Gemeinsinn – der Sensus Communis bei Kant, Berlin 2010, S. 31 ff. 31 Ibid., S. 31. Zur Definition des Gemeinsinnes vgl. Aristoteles: De Anima. Buch III, 1–2, in: Aristoteles. Philosophische Schriften (übers. v. Hans Günter Zekl), Hamburg 1995. 32 Heinz Kleger: Common Sense als Argument. Zu einem Schlüsselbegriff der Weltorientierung und politi schen Philosophie (Teil 2), in: Archiv für Begriffsgeschichte 33/1990, S. 22–59, hier: S. 24. 33 Leinkauf et al. 1995, S. 630 u. S. 639. 34 Vgl. zur Common-Sense-Philosophy in England: Helga Köver: Common Sense. Die Entwicklung eines englischen Schlüsselwortes und seine Bedeutung für die englische Geistesgeschichte vornehmlich zur Zeit des Klassizismus und der Romantik, Bonn 1967; Christoph Henke: Common Sense in Early 18th-Century Bri tish Literature and Culture. Ethics, Aesthetics, and Politics, 1680–1750, Berlin u. Boston 2014. 35 Köver 1967, bes. S. 97–150. 36 Vgl. Angelica Baum: Selbstgefühl und reflektierte Neigung. Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, Stuttgart u. Bad Cannstatt 2001.
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37 Anthony Shaftsbury: Sensus Communis. An Essay on the Freedom of Wit and Humor, in: Characteris ticks of Men, Manners, Opinions, Times. In three Volumes, London 1732, Vol I, S. 104; vgl. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1990, S. 24 ff. 38 Johann Peter Decker: Historische und moralische Abhandlungen, Halle 1751, S. 65. Zit. nach Mark-Georg Dehrmann: Das »Orakel der Deisten«. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008, S. 7. 39 Vgl. Manfred Kuehn: Scottish Common Sense in Germany, 1768–1800. A Contribution to the History of Critical Philosophy, Kingston u. Montreal 1987; Dehrmann 2008; Jan Engbers: Der ›Moral Sense‹ bei Gel lert, Lessing und Wieland. Zur Rezeption von Shaftesbury und Hutcheson in Deutschland, Heidelberg 2001. 40 Zu Schillers Kenntnis von Shaftesbury vgl. Oskar Walzel: Einleitung, in: Schillers Werke. JubiläumsAusgabe in 16. Bänden (hrsg. v. Eduard von der Hellen), Stuttgart u. Berlin 1904, S. XI ff.; Wolfgang Riedel: Jacob Friedrich Abel. Eine Quellenedition zum Philosophieunterricht an der Stuttgarter Karlsschule (1773–1782), Würzburg 1995, S. 461; vgl. außerdem zum Einfluss der Moral-Sense-Philosophy der Nachfolger von Shaftesbury auf Schiller: Riedel 1985, S. 131 ff. u. S. 176 ff.; Lothar Kreimendahl et al. (Hrsg.): Shaftesbury, Hamburg 2011. 41 Hans-Jürgen Schings: Schiller und die Aufklärung, in: Hans Feger (Hrsg.): Friedrich Schiller. Die Reali tät des Idealisten, Heidelberg 2006, S. 13–35, S. 30 ff. 42 Zhengmi Zhouhuang: Der sensus communis bei Kant. Zwischen Erkenntnis, Moralität und Schönheit, Berlin u. Boston 2016, S. 77. Vgl. zur Gleichsetzung von bon sens und common sense in England und Frankreich seit dem 17. Jahrhundert Köver 1967, S. 79 ff. 43 Vgl. zu Kants sensus communis Jens Kuhlenkampff: Vom Geschmack als einer Art sensus communis, in: Andrea Esser (Hrsg.): Autonomie der Kunst? Zur Aktualität von Kants Ästhetik, Berlin 1995, S. 25–48; Wilhelm Vossenkuhl: Die Norm des Gemeinsinns. Über die Modalität des Schönheitsurteils, in: Esser 1995, S. 99–123; Gundula Felten: Die Funktion des sensus communis in Kants Theorie des ästhetischen Urteils, München 2004; Nehrig 2010; Zhouhuang 2016. 44 Nehrig 2010, S. 68. 45 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, in: id.: Gesammelte Schriften (Bd. 1–22 hrsg. von der Preussische Akademie der Wissenschaften; Bd. 23 von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, ab Bd. 24 von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen), Abt. 1 Kant’s Werke, Bd. 5, Berlin 1900 ff., § 9, S. 218 und § 41, S. 296 (im Folgenden abgekürzt mit: AA, Bandnummer und Seitenzahl); Kant AA V, § 60, S. 355. 46 Johann Georg Sulzer: Theorie der schönen Künste. In einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunst wörter auf einander folgend, Artikeln abgehandelt, Bd. 1, Leipzig 1771/1774, S. 461; vgl. zu Sulzers und Kants unterschiedlicher Konzeption des Geschmacks Konrad Paul Liessman: Ästhetische Empfindungen, Wien 2009, S. 58 [Hervorhebung S.G.]. 47 Felten 2004, S. 23. 48 Ibid., S. 201. 49 Schiller: Augustenburger Briefe (3. Dezember 1793) [1793/1], NA 26, S. 322; vgl. hierzu Wolfgang Düsing: Ästhetische Form als Darstellung der Subjektivität. Zur Rezeption Kantischer Begriffe in Schillers Ästhetik, in: Jürgen Bolten (Hrsg.): Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung, Frankfurt am Main 1984, S. 185–228; Felten 2004, S. 209.
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50 Dass Schiller im Gegensatz zu Kant die ästhetische Urteilskraft nicht mehr der theoretischen, sondern der praktischen Vernunft zuordnet, zeigt u.a. Manfred Frank: Einführung in die frühromantische Äs thetik, Frankfurt am Main 1989, S. 111; sowie Yvonne Ehrenspeck: Schiller und die Realisierung der Freiheit und Sittlichkeit im Medium ästhetischer Bildung, in: Feger 2006, S. 305–343 und Hans Feger: Poetische Vernunft. Moral und Ästhetik im Deutschen Idealismus, Stuttgart 2007, S. 140. 51 Gadamer 1990, S. 88. 52 Schiller 1793/1, NA 26, S. 265. 53 Ibid. und S. 266; Vgl. zudem Carsten Zelle: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795), in: Matthias Luserke-Jaqui (Hrsg.): Schiller Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2011, S. 409–446, S. 417. 54 Schiller 1795, S. 354. 55 Schiller: Ueber Anmuth und Würde [1793/2], NA 20, S. 251–309, S. 260. 56 Schiller 1795, S. 354. 57 Shaftesbury 1732, Vol. 1, S. 134–135; Vgl. Baum 2001, S. 72. 58 Baum 2001, S. 72. 59 Jürgen Sprute: Der Begriff des Moral Sense bei Shaftesbury und Hutcheson, in: Kant-Studien 71/1990, S. 221–237, hier: S. 228; Shaftesbury: An Inquiry Concerning Virtue, or Merit, in: id.: 1732, Vol II, S. 31. 60 Ibid., S. 28 und vgl. Spurte 1990, S. 225. 61 Vgl. Baum 2001, S. 71. 62 Schiller 1793/2, S. 282. 63 Ibid., S. 288. 64 Schiller 1795, S. 409. 65 Ibid., S. 410. 66 Schiller 1793/1, S. 302. 67 Ibid., S. 300. 68 Kant, AA VI, S. 181 und Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes, in: id.: Gesam melte Werke, Hamburg 1968 ff., 31 Bde., Bd. 9, S. 202 u. S. 203. 69 Schiller: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? [1785], NA Bd. 20, S. 97. 70 Ibid., S. 99. 71 Kant, AA VI, S. 320. 72 Vgl. zu Schillers Vorstellung eines Übergangs von unbestimmter Natur zur selbstbestimmten Freiheit Ehrenspeck 2006, S. 307 ff.
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73 Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 30,1, S. 11 ff. und Grundlinien der Philoso phie des Rechts, Bd. 14, 1, § 137, S. 119–120. 74 Dominik Finkelde: Exzessive Subjektivität. Eine Theorie tathafter Neubegründung des Ethischen nach Kant, Hegel und Lacan, München 2003. 75 Zur Exklusion von Tells »Privatsache« vgl. Hans-Jürgen Knobloch: Wilhelm Tell, in: Helmut Koopmann (Hrsg.): Schiller Handbuch, Stuttgart 1998, S. 486–513, hier: S. 496 ff. 76 Schiller: Wilhelm Tell [1804], NA Bd. 10, S. 244. 77 Insofern würde ich an dieser Stelle nicht wie Koschorke von einer Exklusion bzw. Außengrenze in Hinblick auf Tells Tat sprechen, sondern von einer im Stück verhandelten versöhnenden »Spaltung« zwischen Subjekt und Gemeinschaft. Vgl. Albrecht Koschorke Brüderbund und Bann. Das Drama der politischen Inklusion in Schillers ›Tell‹, in: Uwe Hebekus, Ethel Matala de Mazza u. Albrecht Koschorke (Hrsg.): Das Politische. Figurenlehren des sozialen Körpers nach der Romantik, München 2003, S. 106–122. Vgl. zur Versöhnung als Spaltung Slavoj Žižek: Verweilen beim Negativen, Wien u. Berlin 1994, S. 44. Finkelde 2003, S. 27 und S. 151. 78 Finkelde 2003, S. 17. 79 Schiller 1804, S. 277.
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WÄRMEN, GLÜHEN, VERBRENNEN Schiller und Kleist über die Thermodynamik charismatischer Affizierung C A RO L I N RO C K S
Webers Schiller Charisma fußt, folgt man Max Webers einschlägiger Konzeption, auf der begeisterten »Hingabe« einer Anhängerschaft an ein exzeptionelles Individuum.1 Ebenso wie die Beherrschten auf einer dezidiert emotionalen Grundlage in ein charismatisches Machtverhältnis einträten, kennzeichne den Charismatiker selbst eine massiv gesteigerte Gefühlsdisposition. Exemplarisch führt Weber die »manische[n] Anfälle« eines tobsüchtigen »›Berserkers‹« oder auch die »Ekstasen« eines »Magiers« für einen solchen von jedweder ratio entkoppelten emotionalen Ausnahmezustand des Charismatikers an.2 Webers zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Theorie des Charismas hat eine Vorgeschichte im 18. Jahrhundert, die zu den Künsten, genauer in die deutsche Dramenliteratur um 1800 führt. Die Spur dorthin ist bei Weber selbst ausgelegt: In Politik als Beruf (1919) findet sich eine Anspielung auf Schillers Wallenstein-Trilogie (1798–1799), wenn nämlich das Konzept traditionaler Herrschaft als »Autorität des ›ewig Gestrigen‹« beschrieben wird.3 Die Formulierung entstammt Wallenstein’s Tod.4 Es handelt sich um eine Wendung, die Wallenstein in seinem großen Entscheidungsmonolog anführt, um zu problematisieren, wie denn die Bindungskraft der Habsburgischen Kaiserdynastie erschüttert werden könne. Gefährlich sei, »[w]as immer war und immer wiederkehrt, / Und morgen gilt, weils heute hat gegolten!«, das heißt ein politischer Traditionalismus, den »die Menge« in konservativer Haltung gleich
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einem Heiligtum »bewahr[t]«.5 Der bei Schiller gestaltete tragische Konflikt zwischen dem Kaiser und seinem charismatischen Oberbefehlshaber über die Armeen im Dreißigjährigen Krieg liest sich, so hat die literaturwissenschaftliche Forschung betont, wie eine Antizipation der Weber’schen Herrschaftstypologie.6 Dass Weber Schillers Wallenstein, beziehungsweise genau diesen Passus aus dem dritten Teil der Trilogie zitiert, hat, darauf kommt es mir im Folgenden an, Indizienwert für den theoretischen Fokus seines Konzepts sowie für dessen, wenn nicht blinden Fleck, so doch für das von ihm stiefmütterlich behandelte Terrain der politischen Emotionen. Denn obwohl die von Weber angeführten Prototypen des Charismatikers ein geradezu überbordendes Maß an Gefühlsenergetik auszeichnet, deren enthusiasmierende Wirkungen außer Frage zu stehen scheinen, wird die emotionale Grundierung des charismatischen Herrschaftsverhältnisses nicht genauer aufgeschlüsselt.7 Vielmehr konzentrieren sich die Darlegungen in Wirtschaft und Gesellschaft erstens auf eine Differenzierung der drei typologisch angesetzten Formen legitimer Herrschaft, das heißt der charismatischen, der traditionalen sowie der rationalen. Was diesen Fokus betrifft, ist die Schiller-Passage illustrativ brauchbar, da hier die Konfrontation des charismatischen Heerführers mit der traditionsbasierten Herrschaft des Hauses Habsburg verdichtet ins Bild gesetzt wird. Zweitens richtet Weber das Augenmerk darauf zu beschreiben, wie sich charismatische in traditionale oder rationale Herrschaft transformiert.8 Im analytischen Zentrum stehen Prozesse einer »Veralltäglichung des Charismas«, und zwar aufgrund der von Weber angenommenen Instabilität und Ephemerität charismatischer Herrschaft.9 Soll diese auf Dauer gestellt werden, müsse sie »ihren Charakter wesentlich ändern«, das heißt in eine der beiden übrigen Machtformen überführt werden.10 Auch in dieser Hinsicht ist der Rekurs auf den Dramenmonolog durchaus passend, allerdings ex negativo: Wallenstein gelingt ebendiese Transformation nicht, er fällt einem Mordkomplott zum Opfer und scheitert somit in seinem charismatisch grundierten Willen zur Souveränität. Triumphieren wird schließlich der Kaiser, der in einer patriarchalen Geste Wallensteins größten Widersacher, den intriganten Octavio Piccolomini, zum Fürsten ermächtigt.11 Dass Schillers Trilogie alles andere als die Möglichkeit einer Routinisierung des Wallenstein’schen Charismas in Aussicht stellt, weist bereits darauf hin, dass sich soziologische Theorie und dramatische Reflexion nicht affirmativ zueinander verhalten. Diese Beobachtung ist indessen nicht auf den Wallenstein zu beschränken. Geradewegs kontrastiv zu Webers Modell betonen die Schlusspassagen von Schillers Held*innendramen, wie die Formatierung des Charismas im Sinne der jeweiligen politischen Systemlogik auf ganzer Linie scheitert. Schillers Dramatik eignet sich somit schon in diesem Punkt nur bedingt zur Veranschaulichung der Weber’schen Herrschaftstypologie. Darüber hinaus ergründet insbesondere eines aus der Reihe der Schiller’schen Dramen die gefühlsbasierte Funktionsweise »[r]eine[n] Charismas«, den Weber zufolge bloß flüchtigen und, so legen es die exemplifizierend herangezogenen Figuren nahe, emotional exzessiven Konstitutionsmoment charismatischer Bindung.12 Weber benennt diesen Aspekt, ohne aber im Rahmen seiner vornehmlich
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an der Funktionsweise der beiden stabilen Herrschaftsformen interessierten Typologie den Fokus darauf zu richten. Schillers Jungfrau von Orleans (1801) indessen schlüsselt in einer über Webers Problemhorizont hinausweisenden Präzision den Zusammenhang von Emotionalität und Charisma auf: So zeichnet das Drama erstens die Genese der Charismatikerin aus ihrer individuellen Gefühlsintensität heraus nach. Zweitens und vor allem geht Schiller hier dem geteilten Gefühl der Gemeinschaft, der Hingabe der Anhängerschaft näherhin auf den Grund – einer Hingabe, die sich auch ohne großes Zutun sowie nach dem Abtritt der charismatischen Einzelnen als konstitutiv mindestens für die monarchische Symbolpolitik erweist. Nachstehend soll es nicht darum gehen, Weber zu korrigieren. Wohl aber gilt es, den Theoriegehalt der deutschen politischen Dramatik um 1800 zu exponieren und die Texte dergestalt als prägnante Beispiele für das viel beschworene Wissen der Literatur geltend zu machen. In einem ersten Schritt wende ich mich Schillers dramatischem Œuvre zu und versuche, die verschiedenen Schwerpunktsetzungen in seiner Beschäftigung mit dem Phänomen charismatischer Herrschaft zu skizzieren – eben weil darin kaum eine Illustration der Weber’schen Typologie gesehen werden kann. Im Gegensatz zu den Heldendramen wirft Die Jungfrau von Orleans die Frage nach dem Zusammenhang von Charisma und Emotionalität explizit auf. Schiller stellt, so ist zweitens zu zeigen, nicht nur ein mittleres Affektregister wärmender Rührung in den Mittelpunkt der dramatischen Reflexion; seine Kriegsszenen verhandeln ebenso die im charismatischen Verhältnis freigesetzten starken Gefühle, die sich in der Figur des Berserkers ankündigen. Genau darum geht es drittens in noch radikalerer Weise bei Kleist. Das Schauspiel Prinz Friedrich von Homburg (verfasst 1809/1810, erschienen 1821) zeichnet in analytischer Feinsinnigkeit die Charismatisierung des von berserkergleichem Feuer ergriffenen Prinzen nach und endet mit der abgründigen Prognose einer martialisch entzündeten Anhängerschaft. Schillers Jungfrau von Orleans und noch ungleich drastischer Kleists Homburg-Schauspiel setzen ins dramatische Bild, wie sich die im Charismatisierungsprozess freigesetzten kollektiven Emotionen als dynamische Kräfte verselbstständigen und nicht so kurzlebig sind, wie von Weber angenommen. Ebenso wenig heben sich diese extremen Energien einfach in Formen traditionaler oder rationaler Herrschaft auf. Vielmehr treiben die Dramen eine politische Analytik hervor, die zwar stets vom spektakulären Zusammenbruch der agency des Charismatikers Zeugnis ablegt, aber gleichzeitig von der Persistenz charismatischer Energien und den Versuchen berichtet, diese im Sinne der herrschenden institutionellen Machtformen zu funktionalisieren. Für die damit angedeutete Thermodynamik charismatischer Affizierung ist viertens ein weiteres Kleist-Stück aufschlussreich, wenngleich es keinen Charismatiker ins Zentrum stellt. In der Herrmanns schlacht (verfasst 1808, erschienen 1821) begegnet uns ein unter der strategischen Führung des Titelhelden systematisch in Hass gegen die Römer versetztes Germanien. Das dramatische Porträt des Cheruskerfürsten als eines kalten Machtpolitikers impliziert eine Analyse charismatischer Herrschaft, weil Kleist ihn als Figur konturiert, die ihr Wissen um die Funktionsweise charismatischer Affizierung instrumentell im politischen Rachefeldzug einsetzt.
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Herrmanns Politik des Hasses mag ein kaltes Unterfangen darstellen; er kalkuliert aber wesentlich mit den politischen Emotionen seiner Landsleute, und zwar in der Überzeugung, dass Kriege am effektivsten zu führen sind, wenn alle vor Hass brennen.
Schillers Charismatiker Schillers männliche Helden sind ganz sicher keine Berserker. Sie lassen sich jedoch in zwei Typen von Charismatikern unterscheiden: Im Wallenstein geht es um eine Spielart des Charismatischen, die Schiller bereits im Fiesko-Trauerspiel (1783) beschäftigt. Fiesko und Wallenstein sind Figuren, denen parallel zur ihnen attestierten charismatischen Breitenwirkung eine politische Agenda, ein Wille zur Macht eigen ist, gemäß dessen sie die Emotionen des jeweiligen Kollektivs gezielt zu adressieren, mitunter auch zu manipulieren versuchen. Eine solche charismatische Machtpolitik kennzeichnet Schiller in beiden Stücken als ästhetisch grundiert, wobei der künstlerische Zug der Wallenstein’schen Herrschaftspraxis wesentlich seriöser gestaltet wird als im Fiesko.13 So formatiert die Wallenstein-Trilogie das Scheitern des Charismatikers als tragische hamartia: Wallenstein tritt als Menschenführer, als »großer Rechenkünstler« an, kann sein politisches Kunstwerk aber nicht mit einem erfolgreichen Schritt an die Spitze des Staates krönen und fällt – ähnlich wie Fiesko – einem Mordkomplott zum Opfer.14 Der doppelte Fall der temporär auf dem Wege einer charismatischen Herrschaftspraxis reüssierenden Machtpolitiker wird von Schiller klar entschieden: Weder gelingt ihnen der Griff nach der Macht noch vermögen sie die Herzen der Menge nachhaltig zu bewegen. Anders verhält es sich bei denjenigen heroischen Figuren, deren genuines Machtbewusstsein Schiller von Beginn an in Zweifel zieht; er verhandelt diesen Typus charismatischer Autorität vor allem im Wilhelm Tell (1804), aber auch in seinem Heldinnendrama um Johanna von Orleans. Johanna und Tell werden zwar als handlungsstarke Figuren, aber nicht als machtversessene Strateg*innen porträtiert. Sie agieren hochgradig eigensinnig, werden aber als politische Überzeugungstäter*innen rezipiert. Tells Apfelschuss, die Tötung Geßlers sowie Johannas religiös grundierte Kriegsinterventionen werden als Taten gezeichnet, die eine heroische Verklärung in Gang setzen. Schiller legt im Wilhelm Tell und in der Jungfrau von Orleans den Fokus auf die Dynamiken innerhalb der Gemeinschaft – es handelt sich nicht um Dramen des Charismas, sondern um eine dramatische Reflexion von Charismatisierungsprozessen. Im Wilhelm Tell sind es weniger die kollektiven Emotionen, die als Triebkräfte von Charismatisierung geltend gemacht werden, sondern es wird Tells Heldwerdung aus den geteilten Imaginationen und Projektionen der Schweizer Revolutionsgemeinschaft nachgezeichnet. Ohne die einzelnen Schritte dieser politischen Dynamik, in der Emotionen natürlich auch eine Rolle spielen, rekonstruieren zu müssen, ist der Blick auf die Schlussszene diesbezüglich aufschlussreich. Tell, der schon während des Vereinigungszeremoniells der Revolutionsgemeinschaft auf dem Rütli durch Abwesenheit aufgefallen ist, ist am Ende des Stückes,
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als man die Vogtburgen erobert hat und die errungene Freiheit feiern will, längst daheim, bei Frau und Kindern, anstatt inmitten oder gar an vorderster Front der Revolutionäre.15 Tells Absenz wird in einem Atemzug mit seiner Indienstnahme für den Sieg der Rütlianer vermerkt: »Wo ist der Tell? Soll Er allein uns fehlen, / Der unsrer Freiheit Stifter ist? Das Größte / Hat er getan, […] / Kommt alle, kommt nach seinem Haus zu wallen, / Und rufet Heil dem Retter von uns allen.«16 Schiller hält seinen Protagonisten aus den großen politischen Szenen ostentativ fern und stellt gleichzeitig aus, dass Tell in den geteilten Phantasien der Eidgenossen präsent ist, ja zur Gallionsfigur des Widerstandes gerät. Ganz in diesem Sinne markiert der Dramenschluss deutlich, wer der eigentliche politische Akteur ist: Wenn der Held nämlich nicht zum Volk kommt, kommt das Volk ganz einfach zum Helden. So endet das Drama vor Tells Wohnung, wo ihn die Revolutionäre jubelnd in ihre Mitte nehmen, ohne dass er selbst diesen Platz einnehmen würde oder sich gar zu seiner Heroisierung verhalten würde. Das Stück schließt mit dem Bild einer freudigen Gemeinschaft, die sich um ihren schweigend dastehenden Helden versammelt.17 In vergleichbarer, aber ungleich tragischerer Weise endet Johanna als am Boden liegende Leiche. Gleichwohl kapriziert sich das Einheitsbegehren der Gemeinschaft in symbolischer Verdichtung fortdauernd auf sie. Beide Dramen treiben eine machtanalytische Kippfigur hervor, die das Kollektiv als entscheidenden Handlungsträger im charismatischen Machtverhältnis ins Blickfeld rückt. Auf Johannas Fall sei nun genauer das Augenmerk gerichtet, weil das Stück die Dynamiken charismatischer Bindung doch dezidierter als emotional verfasst reflektiert.
Schrecken und Rührung (Die Jungfrau von Orleans) Dass Johanna von Orleans sich heroisch entflammt fühlt, kann als Zentralthema des Dramenprologs gelten. Sie zeigt zwar auf amouröser Ebene keine Gefühle, verschreibt sich aber ganz der religiös verankerten Liebe zum französischen Vaterland. Da die Forschung ausführlich erarbeitet hat, wie der Text das Porträt einer Charismatikerin zeichnet und gleichzeitig die geschlechterspezifischen Limitationen weiblichen Heldentums aufzeigt, konzentriere ich mich nachstehend erstens darauf zu skizzieren, wie Schiller Johannas Charismatisierung in den Kriegsszenen wenn nicht als emotionalen Exzess, so doch als kollektive Gefühlsdynamik analysiert, die zum Phantasmagorischen tendiert.18 Dabei steht der Affekt des Schreckens im Zentrum. Zweitens fokussiert Schiller die patriotischen Gefühle. Dies kann eine Szene demonstrieren, in der sich das französische Lager aufgrund der charismatischen Hinwendung zu Johanna gerührt wiedervereint. Das einstige Hirtenmädchen Jeanne d’Arc ist diejenige, die dem bereits kurz vor der Kapitulation stehenden französischen Heer im Krieg gegen England neuen Mut einzuflößen vermag. Dazu bedarf es keiner hochtrabenden Rede oder spektakulären Tat, sondern ihres bloßen Anblicks. Ein Botenbericht aus dem ersten Aufzug, der Johannas Schlachterfolg bei Vermanton und damit den Wendepunkt im Kriegsverlauf schildert, zeigt dies:
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»[…] da stellte sich Ein seltsam Wunder unsern Augen dar! Denn aus der Tiefe des Gehölzes plötzlich Trat eine Jungfrau mit behelmtem Haupt Wie eine Kriegsgöttin schön zugleich Und schrecklich anzusehn, […] ein Glanz Vom Himmel schien die Hohe zu umleuchten, […] Mit kühnem Anstand schritt die Mächtige. Wir stumm vor Staunen, selbst nicht wollend, folgen Der hohen Fahn’ und ihrer Trägerin, Und auf den Feind gerad an stürmen wir.«19 In narrativer Retrospektive gerät Johannas Auftritt zur religiösen Epiphanie, ihre Wirkung wird in die Szene einer wundersamen Ergriffenheit qua Anblick gefasst. Ein ganzes Heer folgt betontermaßen willenlos jener zur Göttin Verklärten. Die vorwaltende Emotion, die Schiller hier ins Bild setzt, ist das Staunen, die Verwunderung ob des unerwarteten Anblicks einer derart zwischen Schönheit und Schrecken oszillierenden Erscheinung – eine Wundergestalt, die als Anlass dafür ausgewiesen wird, dass sich die Franzosen aus ihrer verzweifelten Lage wieder erheben. Umgekehrt verfällt das eigentlich dominierende englische Lager – seinerseits pur erschreckt – in die Passivität, und lässt sich, der berichtende Ritter ist hier explizit, gleichsam abschlachten: »Der [Feind], hochbetroffen, steht bewegungslos Mit weit geöffnet starrem Blick das Wunder Anstaunend, das sich seinen Augen zeigt – Doch schnell, als hätten Gottes Schrecken ihn Ergriffen, wendet er sich um Zur Flucht […] Vor Schrecken sinnlos, ohne rückzuschau’n, Stürzt Mann und Roß sich in des Flusses Bette, Und läßt sich würgen ohne Widerstand, Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen!«20 Zentral ist, dass der Text jene emotionale Breitenwirkung dezidiert aus der Doppelperspektive beider Kriegsparteien ins Bild setzt: Charisma entsteht demnach in der gefühlsbasierten Wahrnehmung. Überdies wird das daraus erwachsende politische Mobilisierungspotential vermerkt. Der englische Feldherr Talbot analysiert genau, dass sich der Schrecken seiner Landsleute allen voran in der mit negativen Gefühlen übersättigten Phantasie abspielt, wenn
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er nach der Niederlage zu Bedenken gibt: »Ein blinder Schrecken nur hat uns besiegt, / Der schnelle Eindruck eines Augenblicks. / Dies Furchtbild der erschreckten Einbildung / Wird näher angesehn, in nichts verschwinden.«21 Dass mit dieser Erkenntnis allerdings kein Krieg gegen eine Charismatikerin zu gewinnen ist, stellt Schiller heraus, indem er nur zwei Auftritte später abermals schreckerfüllte englische Soldaten vor Johanna über die Bühne fliehen lässt.22 Wiederum ist es Talbot, der konsterniert den verstandesfernen »Taumelwahn« seines Heeres verzeichnet und dies in ein prägnantes Bild fasst: »– Bin ich der einzig Nüchterne und alles / Muß um mich her in Fiebers Hitze rasen?«23 Während Johanna die Engländer in denkbar negativer Weise entzündet hat, zeigt eine Szene, in welcher der auf feindlicher Seite kämpfende Herzog Philipp von Burgund für Frankreich zurückgewonnen wird, wie sich die eigenen Landsleute für Johanna erwärmen und in ihrem Schatten patriotisch zusammenschließen. Im Kontrast zur emotionalen Überhitztheit, von der die Kriegsszenen Zeugnis ablegen, ist es eine mittlere Gefühlsintensität, die den geschilderten Prozess einer charismatischen Affizierung Burgunds durch Johannas bestimmt. Es ist die Wärme einer geteilten, da als geschwisterlicher Bund apostrophierten Vaterlandsliebe, die Burgund für Johanna einnimmt. So adressiert sie die schon zum Gefecht bereiten Landeskinder (vgl. II,10), Dunois und Burgund, als Söhne Frankreichs und bezeichnet sich selbst als deren Landesschwester, die gekommen sei, dem Herzog die Hand zum Wiedereintritt in die familiale Gemeinschaft zu reichen.24 Während Burgund Johanna zunächst als »Sirene« tituliert und ihr somit den Versuch unlauterer, sinnlicher Einflussnahme vorwirft, rechnet er schließlich seinen erneuten Seitenwechsel der gleichermaßen aus- wie einnehmenden Herzenssprache der Heldin zu.25 Schon der entsprechende Nebentext belegt den Herzog mit einem ganzen Arsenal von Emotionen, er zeige sich nach Johannas landesschwesterlicher Handreichung »lebhaft bewegt, […] und betrachtet sie mit Erstaunen und Rührung«.26 Burgund selbst verweist gleich zweimal auf sein Herz, als diejenige Instanz, die er durch Johannas »rührende Gestalt« erobert fühlt.27 In diesem Sinne heißt es vom überwältigten und folgerichtig auch körperlich reagierenden Herzog: »Er weint, er ist bezwungen, er ist unser!«, gefolgt von einer kollektiven Umarmungsszene, die sich im dritten Aufzug in einer Um armungsorgie der versammelten politischen Führungsriege am königlichen Hof fortsetzt.28 Dass Johanna Burgund für Frankreich wiedererwärmt hat, legt Schiller seiner Heldin selbst in den Mund: »Er ist gerührt, er ist’s! Ich habe nicht / Umsonst gefleht, des Zornes Donnerwolke schmilzt / Von seiner Stirne tränentauend hin, / Und aus den Augen, Friede strahlend, bricht / Die goldne Sonne des Gefühls hervor.«29 Der Nexus von Emotionalität und Charisma wird an dieser Stelle in das Modell eines Bindens durch Rühren gefasst. Erscheint Johanna in der zuletzt geschilderten Szene noch handlungsmächtig, so macht der Text unmissverständlich klar, dass ihr die einen in Schrecken versetzender, die anderen ansteckender Kriegspatriotismus sowie ihre landesschwesterliche Wärme auf Dauer systemgefährdend sind. Und so liest sich das Drama im fortschreitenden dritten Aufzug grosso modo als Verfallsgeschichte weiblicher politischer Handlungsmacht.30 Gleichwohl zeigt das Schiller’sche Schlusstableau an, wie Johannas charismatische Kraft im Sinne der hegemonialen
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Ikonographie nutzbar gemacht wird. Sie endet als Leiche, als Leiche allerdings, die zum rührenden Bild der restituierten Monarchie hergerichtet wird. In brutaler Klarheit demonstriert dies die das Drama beschließende Sterbeszene. Johanna ist nach ihrer finalen heroischen Kriegsintervention tödlich verletzt, phantasiert in religiösem Enthusiasmus – und aus Sicht der übrigen Figuren geistig umnachtet – über die ihr bevorstehende Himmelfahrt. Obwohl ihr besonderer Gefühlszustand nun keine politischen Handlungen mehr auslöst, persistiert ihr Charisma, für dessen Zirkulation es, darin liegt Schillers Schlusspointe, keiner lebendigen Heldin bedarf. Folgt man der didaskalischen Darstellung ihrer postumen Existenz, so vermag sie der Monarchie als Tote den besseren Dienst zu erweisen. Denn der König weiß die im charismatischen Verhältnis freigesetzte Kraft umgehend auf die Ebene der politischen Symbolsprache zu überführen: »Die Fahne entfällt ihr, sie sinkt tot darauf nieder – Alle stehen lange in sprachloser Rührung – Auf einen leisen Wink des Königs werden alle Fahnen auf sie niedergelassen, daß sie ganz davon bedeckt wird.«31 Das Schlussbild eines spontanen Staatsbegräbnisses könnte kaum deutlicher machen, wie die Heldin der monarchischen Bildlichkeit anheimfällt und einzig noch als Projektionsfläche nationaler Vereinigungsphantasien fungiert. Der Fall jener weiblichen Heldenfigur zeigt somit – im Vergleich mit den Helden des Dramas um 1800 – in zugespitzter Weise, wie die heroische agency im Moment ihrer Einfügung in bestehende Herrschaftsstrukturen erodiert. Das abschließende Bild der toten, in einem nationalen Fahnenmeer untergehenden Heldin verhält sich somit geradewegs kontrastiv zur bei Weber formulierten Aussicht, die zunächst rein »revolutionäre Macht« des Charismas könne in einen andauernden Herrschaftstypus transformiert werden.32 Was bleibt, ist die Monarchie, die Johannas Charisma ikonographisch integriert. Im alle sprachlos machenden Bild lodert das Feuer der Heldin weiter – und Schiller fasst den entsprechenden Gefühlszustand der Gemeinschaft explizit im Begriff der Rührung.
Die entflammte Kriegsgemeinschaft (Prinz Friedrich von Homburg) Gerührt ist die politische Gemeinschaft in der Schlussszene von Prinz Friedrich von Hom burg, wie bei Kleist zu erwarten, nicht. Tot ist der charismatische Prinz auch nicht, allerdings ohnmächtig. In einer Schillers machtanalytische Kippfigur fortschreibenden Wendung präsentiert Kleist ein Brandenburgisches Heer, das sich unter Berufung auf das Gefühlsband zu seinem erklärten Helden feierlich gegen den schwedischen Feind aufstellt – in gegenläufiger Bewegung sinkt dieser Held ohnmächtig nieder und stellt am Ende nur noch seine berüchtigte Frage, ob er sich eigentlich in einem Traum befinde.33 Kleists Dramenschluss führt vor Augen, dass sich die in der Charismatisierung Homburgs freigesetzten Gefühle als Vorsatz zur martialischen Agitation verselbstständigen. Ein Gespräch zwischen dem Kurfürsten von Brandenburg und seinem Feldmarschall Dörfling aus dem beginnenden fünften Akt bringt auf den Begriff, dass Homburg die Position eines charismatisch Begnadeten zugeschrieben wird. Zu diesem Zeitpunkt ist das Drama um
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Prinz Friedrich Arthur von Homburg, jenen General der kurfürstlichen Reiterei, der sich im Krieg gegen Schweden nicht an den Marschbefehl gehalten hat und mit seinem Regiment zu früh in die Schlacht eingetreten ist, bereits auf dem Höhepunkt seiner Spannung angelangt: Der Prinz ist durch das von Friedrich Wilhelm von Brandenburg bestellte Kriegsgericht zum Tode verurteilt worden – eine Maßnahme, deren Sachgrund fraglos im Befehlsbruch des Prinzen liegt. Darüber hinaus aber exerziert der Kurfürst an Homburg bekanntermaßen einen Gesetzesrigorismus, der von den konkreten Umständen der Tat unabhängig ist. Das Gesetz gilt Friedrich Wilhelm als Urgrund seines Herrschaftsprinzips, ja als »Mutter [s]einer Krone«.34 Genau hierin, in der Infragestellung der herrscherlichen Gesetzesmacht liegt das übergeordnete Problem, das der Befehlsbruch birgt, ließe ihn der Kurfürst ungestraft. Friedrich Wilhelms Bemerkung, es sei prekär, »[w]enn auf dem Schlachtenwagen, eigenmächtig, / [ihm] in die Zügel jeder greifen« dürfe, bringt diese Gefahr einer bei Homburgs Einzeltat ihren Ausgang nehmenden, innerstaatlichen Zügellosigkeit auf den Punkt.35 Aus ebendieser Konfrontation mit dem kurfürstlichen Legalismus entspinnt sich Kleists Drama um den charismatischen Prinzen. Denn Friedrich Wilhelm muss feststellen, dass die militärische Führungsriege seinem Vetter Friedrich Arthur gerade nicht auf gesetzlicher Grundlage folgt. So wird dem Kurfürsten zu Beginn des fünften Aktes nicht nur von einer unverhohlenen Sympathie für den inhaftierten, todgeweihten Prinzen berichtet, der die Offiziere in einer Bittschrift Ausdruck verleihen. Mehr noch existiere der Plan, Homburg aus der Haft zu befreien, falls der Kurfürst das Todesurteil nicht aussetzen sollte. Noch darauf beharrend erhält er schließlich von seinem Feldmarschall einen Rat – einen eindringlichen Rat, der auf die besondere Macht Homburgs aufmerksam macht: »Herr, ich beschwöre dich, wenn’s überall Dein Wille ist, den Prinzen zu begnadigen: Tu’s, eh ein höchstverhaßter Schritt geschehn! Jedwedes Heer liebt, weißt du, seinen Helden; Laß diesen Funken nicht, der es durchglüht, Ein heillos fressend Feuer um sich greifen.«36 Kleist legt Dörfling an dieser Stelle eine präzise Analyse des Wirkmechanismus charismatischer Affizierung in den Mund: Die glühende Liebe des Heers zu seinem Helden stelle ein so intensives affektives Band dar, dass daraus eine brisante politische Dynamik erwachse. So setzt die bemühte Metaphorik den Helden als potentiellen Brandstifter ins Bild. Zwar sei die Sympathie der Offiziere für Homburg noch ein bloßer Funke, der aber bereits alle durchglühe, das heißt gefühlsmäßig vereinige. Doch jene Glut könne sich leicht zum verheerenden Großbrand steigern. Gewarnt wird hier vor einer vom Helden ausgehenden Ansteckungsgefahr, die den Souverän in eine mehr als nur latent bedrohliche Lage versetzt, weil sich seine führenden Militärs einem Anderen verschreiben, und das eben nicht aus Gesetzestreue, sondern mit ihren Herzen. Mehr noch bestehe die konkrete Gefahr einer durch die causa Hom-
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burg ausgelösten »Rebellion«, wie die Rede vom heillos fressenden und um sich greifenden Feuer verdeutlicht.37 Ganz ähnlich umkreist eine weitere Szene den Nexus von Gefühl und Charisma. Den Hintergrund bildet der zweite Akt, der die nunmehr abgeschlossenen Kriegsgeschehnisse in die Form verschiedener heroisierender Berichte fasst. Auf die Nachricht vom nur vermeintlichen Tod des Kurfürsten folgt die von Siegeseuphorie gesättigte Schilderung einer fulminanten Kriegsintervention Homburgs, die ihn zum charismatischen Ausnahmekämpfer für Brandenburg stilisiert. So erzählt der Rittmeister von Mörner von einem denkbar rasanten Rache-Ritt des Prinzen durch das schwedische Heer: »Drauf faßt, bei diesem schreckenvollen Anblick, Schmerz, unermeßlicher, des Prinzen Herz; Dem Bären gleich, von Wut gespornt und Rache, Bricht er mit uns auf die Verschanzung los: Der Graben wird, der Erdwall, der sie deckt, Im Anlauf überflogen, die Besatzung Geworfen, auf das Feld zerstreut, vernichtet, Kanonen, Fahnen, Pauken und Standarten, Der Schweden ganzes Kriegsgepäck, erbeutet.«38 Von extremen Affekten getrieben, ja mit animalischer Wucht sei der Prinz über die Schweden geradewegs hergefallen, nachdem er den Kurfürsten tot geglaubt habe. Der Passus über Homburgs martialische Großtaten, ja über sein bärenartiges Losbrechen in die Schlacht liest sich als literarisch verdichtete Präfiguration des Weber’schen Berserkers. Folgt man im Übrigen der etymologisch argumentierenden germanischen Altertumskunde, so bedeutet der erste Teil des Kompositums Ber-serker ein Wort für Bär, worauf die Annahme fußt, es habe sich bei den Berserkern um »Krieger in Bärenfellen« gehandelt.39 In dieser Linie betont Weber die kriegerische Effizienz des berserkerhaften Charismatikers: »[M]an hielt sich in Byzanz im Mittelalter eine Anzahl dieser mit dem Charisma der Kriegs-Tobsucht Begabten als eine Art von Kriegswerkzeugen«.40 Kleists Botenbericht über die Homburg’sche Attacke kann vor diesem Hintergrund als narratives Kleinformat gelten, das den Prinzen als einen von tierischer Energie getriebenen Krieger inszeniert und somit einen charismatischen Auftritt in die dramatische Handlung einspeist. Von einem bärengleichen Kriegsmut Homburgs kann, wie schon angedeutet, am Schluss des Dramas keine Rede mehr sein. In einer Szenenanordnung, die den Requisitenverkehr und die figurale Konstellation der Eingangsszene wiederholt, geht Homburg »mit verbunde nen Augen« seiner vermeintlich bevorstehenden Hinrichtung entgegen.41 Der Auftritt des Kurfürsten »mit dem Lorbeerkranz« auf der Schlossrampe bildet den Auftakt für eine dramatische Schlusssequenz, in dessen Verlauf der Prinz das Ruhmeszeichen erhält, was ihm zu Beginn des Stücks gerade entzogen wurde: Aus der Hand der Prinzessin von Oranien wird ihm
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die corona triumphalis, die höchste Auszeichnung des siegreichen Feldherrn also, überreicht.42 Wenngleich es niemand ausspricht, muss ihm klar werden, dass er schließlich doch begnadigt worden ist. Ein solches zwischen Er- und Entmächtigung changierendes Widerfahrnis treibt den Prinzen unmittelbar in die Ohnmacht.43 Er kann an der im Requisitenverkehr hypostasierten Erhebung in den Heldenstatus weder aktiv noch bewusst teilnehmen, geschweige denn glücklich darin aufgehen – Homburg hält ganz einfach nicht Stand. Kleist radikalisiert dergestalt die Schlusspose des schweigend dastehenden Tell, wenn er Homburg als eine neben sich stehende, ohnmächtige Gestalt abtreten lässt. Was das Stück überdies im Schlussbild fasst, ist die Genese einer kollektiven Gefühlsdynamik, die dem Fall des Helden aufruht und sich fortan ganz ohne dessen Handeln Bahn bricht. So präsentiert der letzte Vers ein zum Töten bereites Brandenburg: »ALLE In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!«44 Unter expliziter Berufung auf Homburg ersteht die vaterländische Militärgemeinschaft, die »[i]ns Feld! / […] [z]ur Schlacht! / […] [z]um Sieg« drängt.45 Die im Text so intensiv geschilderte charismatische Affizierung verselbstständigt sich erkennbar: Die Sympathie für jenen Befehlsbrüchigen schlägt in blanken politischen Vernichtungswillen um.46 Die damit angedeutete Zukunftsvision verheißt, dass das neu zusammengeschweißte Heer das Terrain des Krieges ungleich brutaler wieder betreten wird. So wird denn auch der ohnmächtige Charismatiker mit »Kanonendonner« aus seiner Ohnmacht erweckt.47 Zwar endet er nicht wie Johanna als Leiche, aus der sich symbolisches Kapital für den Staat schlagen lässt – nervlich grundderangiert und jeglicher Handlungsfähigkeit beraubt zeigt Kleist ihn allemal. Ob jemand, der am Ende nicht mehr angeben kann, ob er sich in der Realität oder in einem Traum befindet, einen Platz im Staatsapparat einnehmen kann, mag das Stück offenlassen. Dass sich die martialischen Gefühlsenergien, die im Charismatisierungsprozess freigesetzt worden sind, eigendynamisch fortentwickeln, das hält Kleist in seinem Dramenschluss fest – ebenso wie Schiller herausstellt, dass das patriotische Feuer seiner Heldin als staatstragender Affekt der Rührung fortbesteht.
Hass: Germanien lodert, Rom verbrennt (Die Herrmannsschlacht) Ebenso wie Homburg schließlich unter »Heil«-Rufen zur kriegerischen Gallionsfigur erklärt wird, lässt Kleist im letzten Auftritt der Herrmannsschlacht die Vertreter der germanischen Führungsriege in vierfacher Variation dem Cheruskerfürsten huldigen.48 Herrmann hat am Ende des Stücks einen so flächendeckenden Zuspruch unter den vormals zerstrittenen Germanenfürsten auf sich versammelt, dass man ihn nicht nur als »Retter von Germanien« feiert, sondern ihn zum »König« ernennen will.49 Diesen Herrmann aber zeigt Kleist während des gesamten Stückes ganz und gar nicht als auratische Gestalt oder gar als Typus des charismatischen Entscheiders à la Wallenstein. Vielmehr wird Herrmann als »strategische[r] Führer« gezeichnet, dessen machtpolitisches Handlungsprofil ins rücksichtslos Manipulative gesteigert ist.50 Seine Agenda richtet sich bekanntermaßen darauf, die zerstrittenen Germa-
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nenvölker affektiv gegen den äußeren Feind, im Hass gegen die Römer, und keinesfalls im Kult um die eigene Person wieder zu vereinen. Herrmann ist, darin ist sich die Forschung einig, kein Charismatiker, sondern ein kalter Stratege – eine Figur also, die eher an Carl von Clausewitz’ und dann an Carl Schmitts Entwurf von Politik als Krieg denken lässt.51 Liest man indessen Kleist auf Weber hin, so lässt sich Herrmanns Führungsstil genauer beschreiben: Er hat die Kraft charismatischer Affizierung begriffen und tritt an, diese in strategischer Absicht zu inszenieren – kein feuriger Held also, sondern ein auch den eigenen Untergang in Kauf nehmender Kriegsführer, der Szenen charismatischer Macht evoziert, weil er Germanien von Hass entbrannt sehen will. Pointiert hat Susanne Lüdemann die Herrmannsschlacht in ihrer auf das weibliche Gründungsopfer, das Kleist im Handlungsstrang um die Figur der Hally konstelliert, konzentrierten Lektüre als »eine Art Lehrstück […] über die Mobilisierung politischer Affekte« gedeutet.52 In der politischen Instrumentalisierung der mutmaßlichen Vergewaltigung des Germanenmädchens durch die Römer ist sicherlich das mit Abstand düsterste Exempel für Herrmanns hassschürende Affektpolitik zu sehen. Nicht minder kaltherzig erfolgt die Entsendung der eigenen Söhne als Geiseln an den Suevenfürsten Marbod zum Zwecke der politischen Allianzbildung. Jenes berechnende Spiel mit politischen Emotionen umfasst indessen auch eine Manipulation und Stilisierung seiner Ehefrau sowie eine Inszenierung der eigenen Person – beide Schachzüge lassen, so möchte ich zeigen, ein Wissen um die Funktionalisierbarkeit und emotionale Wirkkraft des Charismas erkennen. Herrmann kreiert in Gestalt von Thusnelda seine eigene germanische Berserkerin. Es kann als finstere Pointe in Herrmanns Kriegsstrategie, die sowohl die Instrumentalisierung seiner Landsleute als auch der eigenen Familie einbegreift, gelten, die Gattin zur Tötung des römischen Legaten Ventidius anzustacheln.53 Was die Handlungskomposition betrifft, steht denn auch derjenige Auftritt, in dem Thusnelda den Plan zu Ventidius’ Ermordung fasst, folgerichtig am Ende der Reihe von Herrmanns drei zentralen affektpolitischen Manövern; vorangegangen ist die Übersendung seiner Söhne an Marbod und die Hally-Handlung.54 Der gesamte vierte Akt steht somit im Zeichen von Herrmanns Bestrebungen, den vielzitierten »Römerhaß […] in der Cherusker Herzen […] / Daß er durch ganz Germanien schlägt, [zu] entflammen«.55 Dass sein Vorsatz, im Zweifel – wenn nämlich die Römer selbst zu wenig Anlass geben, die Germanen kriegerisch zu mobilisieren, – »[d]ie ganze Teutoburg an allen Ecken« eigenhändig anzuzünden, vor allem auch eine emotionale Brandstiftung umfasst, demonstriert die Szene zwischen dem Cheruskerfürsten und seiner Frau in IV, 9. Thusnelda nämlich glaubt noch, dass nicht alle Römer schlecht sein können, ja hebt ihr »Gefühl« für einzelne von ihnen hervor und bittet insbesondere darum, Ventidius zu verschonen.56 Dass sie ihr Denken noch nicht gemäß der rigiden Freund-Feind-Unterscheidung zugerichtet hat, muss Herrmann, dem es gerade um eine Entdifferenzierung der Römer zum Objekt blanken Hasses zu tun ist, mehr als nur Unbehagen bereiten. Seine Geisteshaltung verdichtet sich in dem berüchtigten Diktum »Ich will die höhnische Dämonenbrut nicht lieben! / So lang’ sie in Germanien trotzt, / Ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!«57 Der weitere Gesprächsverlauf belegt, dass Herr-
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mann in der Lage ist, auch seine Frau in glühende Rache zu versetzen. Nach dem Zugeständnis, Ventidius zu schonen, setzt er Thusnelda von einem Brief desselben an die römische Kaiserin Livia in Kenntnis, der Thusnelda auf dem Grunde ihrer weiblichen Eitelkeit treffen wird. Der Brief enthält das Versprechen, Thusnelda im Falle eines Sieges über Herrmann die Haare abzuschneiden und diese postwendend an Livia nach Rom zu übersenden; beigelegt ist dem Schreiben eine goldige Locke der Thusnelda, als »Probe« für eine zu fertigende Perücke.58 Dem ihre Getroffenheit vom Verrat des Verehrers apostrophierenden Gestenspiel folgt der entscheidende Sinneswandel Thusneldas: Sie beginnt zu hassen.59 Der Text mag offen lassen, ob Herrmann den Brief in manipulativer Absicht gefälscht hat: Thusneldas Enttäuschung könnte ihm allerdings kaum gelegener kommen, wie denn auch seine Reaktion nachdrücklich belegt: Er kniet vor ihr nieder und zeigt sich gerührt – von ihrem Bekenntnis zum Hass wohlgemerkt.60 »[M]it einem heißen Kuß« versichert Thusnelda dem Gatten, dass sie nunmehr hassentflammt zur Rache an Ventidius schreiten wird.61 Und dass die Kriegstaktik des Cheruskerfürsten genau darum kreist, unter den Germanen jenen zur Brutalität gegen den Feind animierenden Ex tremaffekt des Hasses zu evozieren, macht seine Bemerkung, mit Thusneldas Rachevorsatz sei »der erste Sieg erfochten«, allzu deutlich.62 In der Tat ist die Szene, in der Ventidius gemäß Thusneldas Plan von einer Bärin zerfleischt wird, im dramatischen Handlungsverlauf genau dort platziert, wo die finale Schlacht gegen die Römer hätte geschildert werden können.63 Thusneldas Racheakt gerät dergestalt »zur Metapher für die Herrmannsschlacht«.64 Es entspricht der Metaperspektive, aus der das Stück das Problem des Charismas umkreist, dass Thusnelda ihre Rache nicht eigenhändig vollstreckt, sondern Ventidius einer extra für diesen Anlass ausgehungerten Bärin zum Fraß vorwirft. Denn Kleist geht es in der Herrmannsschlacht nicht darum, eine aus berserkerhafter Kriegswut entstandene Affekttat zu zeigen, sondern um den Aufweis der Möglichkeit, Charisma zu inszenieren und politisch zu instrumentalisieren. Wenn Ventidius von einer Bärin getötet wird, die Herrmann im Wald gefangen hat, und die von Thusnelda als Instrument ihrer von Herrmann mindestens geschürten Rache an dem vermeintlich treulosen Verehrer eingesetzt wird, ergibt dies eine beachtliche Kette von Mittel-Zweck-Relationen, an deren Ende eben ein politisches »Höllen-Ungetüm«, die »zottelschwarze Bärin von Cheruska« steht, die schlicht tötet.65 Thusnelda ist sicher keine Charismatikerin; sie ist aber diejenige, die von ihrem Mann – und nicht von Ventidius, wie sie selbst meint – selbstvertretend für viele »zur Bärin […] gemacht« worden ist, zur hasserfüllten Patriotin, die von dem Tier, das sie auf den Feind hetzt, letztlich nicht mehr zu unterscheiden ist.66 Es ist bezeichnenderweise die Landesmutter höchstpersönlich, die Kleist in jener grotesken Szene zur »Furie«, zum »Ungeheu’r«, zur Sinnberaubten entstellt – eine Furie indessen, die Herrmann nach getaner Tat als »Heldin« empfängt, die »Großes« für Germanien vollbracht habe.67 Der Cheruskerfürst stilisiert die Gattin, die den römischen Legaten vordringlich aus verletztem Stolz auf die denkbar unheroischste Weise hat ermorden lassen, zur charismatischen Vaterlandskämpferin. Deutlicher könnte Kleist nicht ausstellen, dass Charisma hier ganz im Dienst der propagandistisch verfahrenden Vernichtungspolitik des strategischen Führers steht. Und so wird am Ende des
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Stücks deutlich, dass Thusneldas Bärinnenauftritt in der Tat für den Zustand eines ganzen Volkes steht: »In Waffen siehst du ganz Germanien lodern« lautet der Lagebericht in IV,23.68 Herrmann hat es fertig gebracht, sämtliche Landsleute in berserkerhafte Rage zu versetzen, was an dieser Stelle explizit auf eine seiner Maßnahmen zurückgeführt wird, nämlich darauf, dass er den Körper der geschändeten Hally hat zerteilen und als »des Vaterlandes Sinnbild« in alle germanischen Stämme hat verschicken lassen.69 Die brennende Kriegswut, das lodernde Germanien, das Kleist am Schluss der Herrmannsschlacht zeigt, ist das Werk eines eiskalten Machtpolitikers, dem es, so kann ein Blick auf den letzten Auftritt zeigen, weniger um das Vaterland als um die Zerstörung Roms zu tun ist. Da Herrmanns politische Strategie nicht darin besteht, sich selbst als charismatischen Fürsten zu inszenieren, um schließlich zum König von Germanien gekrönt zu werden, erscheint es folgerichtig, dass er auf die ihm von den Landesherrschern in Aussicht gestellte Inthronisierung so auffällig defensiv, ja die eigene Person nachgerade zurücknehmend reagiert: »Laß diese Sach’, beim nächsten Mondlicht, uns, / Wenn die Druiden Wodan opfern, / In der gesamten Fürsten Rat, entscheiden!«70 Warum delegiert Herrmann die Entscheidung, ob er den Thron besetzen wird, an den Rat der Fürsten zurück? Es scheint, als wolle ihm die plötzliche, aus kriegerischer Siegeseuphorie entsprungene Akklamation nicht genügen und als suche er die Legitimation im politischen Verfahren – ein Schritt in Richtung Legalismus oder mindestens Traditionalismus also? Genauer besehen wird jedoch der pararepublikanische Zug dieses Verfahrens dadurch hervorgehoben, dass Herrmann den Rat bei Mondlicht und zeitgleich mit einer Opferzeremonie versammelt wissen will. Der strategische Führer, den der Text in so geradliniger Abgründigkeit porträtiert, sieht hier, ganz am Schluss, die Chance zur charismatischen Grundierung seiner Autorität und visiert eine entsprechende politische Inszenierung an. »Offenbarung, Orakel, Eingebung« sind die Stichwörter bei Weber, die jene betont numinosen Kommunikationskonstellationen benennen, aus denen charismatische Herrschaft erwachse.71 Kleist bringt somit in den sein Drama beschließenden Versen Herrmanns Figurenprofil auf den Punkt, indem er ihn als berechnenden Analytiker politischer Machtformen und insbesondere charismatischer Autorität vorstellt: Herrmann hat es darauf abgesehen, seine Autorität im Überirdischen, hier im germanischen Götterkult zu verankern. Doch noch über die Initiierung einer solchen mitternächtlich-dunklen Versammlung samt religiösem Begleitprogramm hinaus ordnet Herrmann in diesem letzten Auftritt eine Tat an, die sich mit Weber als »charismatische Justiz« beschreiben lässt und der sogleich vom Suevenfürsten Marbod eine politische Signalwirkung attestiert wird.72 Jene letzte »Lektion« Herrmanns besteht darin, dass er kurzerhand den Befehl erteilt, den bis zum Schluss mit den Römern paktierenden Ubierfürsten Aristan stante pede enthaupten zu lassen.73 Dass man Aristan tatsächlich »ab[]führt«, muss erstaunen, hat Herrmann doch zu keinem Zeitpunkt die Position des germanischen Souveräns inne.74 Herrmanns aus »regelfreier individueller Wertung des Einzelfalles« hervorgehendes Todesurteil setzt schlicht und einfach Recht.75 Dass die Herrmannsschlacht nicht mit einer Königskrönung endet, sondern mit Herrmanns Aufruf zum Vernichtungskrieg gegen Rom, liest sich als Resümee seiner politischen
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Agenda, die sich die emotionale Energetik charismatischer Machtformen zunutze macht und stets ausgerichtet bleibt auf den Untergang des Feindes. »[G]anz zerstört«, als einen »öden Trümmerhaufen« will Herrmann Rom sehen und zwar nicht notwendigerweise unter seiner eigenen Führung: »Wir oder unsre Enkel« sollen Rom zerstören – mit dieser abschließenden Losung könnte Kleist seinem Herrmann kaum deutlicher in den Mund legen, dass es diesem um Politik als Krieg und zu allerletzt um eine Auratisierung der eigenen Person geht.76 Aber auch auf ein gehaltvolles Ideal des Vaterlandes zielt Herrmanns Krieg nicht: Die im Gespräch mit dem todgeweihten Aristan aufgeworfene Frage, »wo und wann Germanien gewesen«, die Frage also, worin eigentlich genau die politische Ordnung und Einheit Germaniens bestehen könnte, beantwortet Herrmann ex negativo: Im rigiden Entschluss, alles, was sich dem Vaterland entgegenstellt, auszumerzen, das heißt im Falle Aristans die sofortige Tötung und bezogen auf Rom, die Stadt in Schutt und Asche zu legen.77 Es soll eine »schwarze Fahne« auf dem abgebrannten feindlichen Territorium wehen.78 Diese Vision, mit der Kleist sein Drama beschließt, erschöpft sich nicht im Bild eines vor Hass lodernden Vaterlandes, sondern deutet in aller Kälte an, was jenem emotionalen Flächenbrand zu folgen droht, der nicht zuletzt mittels gezielter Inszenierungen charismatischer Macht zu entfachen ist: »nichts«.79
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1 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie. Unvollendet 1919–1920. Gesamtausgabe (hrsg. v. Knut Borchardt, Edith Hanke u. Wolfgang Schluchter), Abt. 1, Bd. 23, Tübingen 2013, S. 453 [im Folgenden zitiert unter der Sigle WG1 mit nachstehenden Seitenangaben]. Der Grund charismatischer Autorität wird von Weber alternativ auch als Glaubensakt (vgl. ibid., S. 454) sowie als Resultat einer gefühlsgeleiteten Bewertung (vgl. ibid., S. 490 u. S. 492) durch eine Gemeinschaft ausgewiesen. 2 Ibid., S. 491. 3 Max Weber: Politik als Beruf. 1919, in: id.: Gesamtausgabe (hrsg. v. Wolfgang J. Mommsen u. Wolfgang Schluchter), Abt. I, Bd. 17, Tübingen 1992, S. 157–252, S. 160. 4 Vgl. Friedrich Schiller: Wallenstein, ein dramatisches Gedicht. Zweiter Teil: Wallenstein’s Tod. Ein Trau erspiel in fünf Aufzügen, in: id.: Werke und Briefe in zwölf Bänden (hrsg. v. Frithjof Stock), Bd. 4, Frankfurt am Main 2000, S. 153–293, V. 208 (im Folgenden zitiert unter der Sigle WT mit nachstehenden Versangaben, bei Regieanweisungen mit nachstehenden Seitenangaben). 5 WT, V. 209 f. u. V. 218. 6 Vgl. Peter Philipp Riedl: Legitimität und Charisma in Zeiten des Krieges. Überlegungen zu Schillers ›Wal lenstein‹ -Trilogie, in: id. (Hrsg.): Schiller neu denken. Beiträge zur Literatur-, Kultur- und Kunstgeschichte, Regensburg 2006, S. 91–109; Walter Hinderer: Wallenstein, in: id.: Interpretationen. Schillers Dramen, Stuttgart 1992, S. 202–279, S. 231 u. S. 240. 7 Vgl. WG1, S. 497; an anderer Stelle nennt Weber neben dem »nordischen ›Berserker[]‹« weitere Figuren, die exemplarisch für jene »Heldenekstase« stehen können, den »irischen Heros Cuculain oder de[n] homerischen Achilleus«, Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaft lichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß, Gesamtausgabe (hrsg. v. Edith Hanke), Abt. 1, Bd. 22,4, Tübingen 2005, S. 460 [im Folgenden zitiert unter der Sigle WG2 mit nachstehenden Seitenangaben]. 8 Vgl. Eva Horn: Introduction, in: id. (Hrsg.): Narrating Charisma. New German Critique 114/2011, S. 1–16, S. 7. 9 WG1, S. 497; vgl. ibid., S. 498. 10 Ibid. 11 Vgl. WT, V. 3866 f. 12 WG1, S. 495. 13 Vgl. Eva Horn: Herrmanns ›Lektionen‹. Strategische Führung in Kleists ›Herrmannsschlacht‹, in: KleistJahrbuch 2011, S. 66–90, S. 68; vgl. Riedl 2006, S. 98. 14 WT, V. 2853. 15 Vgl. Friedrich Schiller: Wilhelm Tell. Schauspiel, in: id.: Werke und Briefe in zwölf Bänden (hrsg. v. Matthias Luserke), Bd. 5, Frankfurt am Main 1996, S. 385–505, V. 1097 [im Folgenden zitiert unter der Sigle W mit nachstehenden Versangaben, bei Regieanweisungen mit nachstehenden Seitenangaben im Fließtext]. Für genauere Lektüren von Schillers Jungfrau von Orleans und Kleists Prinz Friedrich von Homburg Carolin Rocks: Heldentaten, Heldenträume. Zur Analytik des Politischen im Drama um 1800 (Goethe – Schiller –Kleist), Berlin and Boston 2020 , S. 430–434 u. 434–495. 16 W, V. 3082–3086.
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17 Vgl. W, S. 505. 18 Vgl. Eva Horn: Die Große Frau. Weibliches Charisma in Schillers ›Jungfrau von Orleans‹ und Fritz Langs ›Metropolis‹, in: Michael Gamper u. Ingrid Kleeberg (Hrsg.): Größe. Zur Medien- und Konzeptge schichte personaler Macht im langen 19. Jahrhundert, Zürich 2015, S. 193–216; Albrecht Koschorke: Schil lers ›Jungfrau von Orleans‹ und die Geschlechterpolitik der Französischen Revolution, in: Walter Hinderer (Hrsg.): Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, Würzburg 2006, S. 243–257. 19 Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans. Eine romantische Tragödie, in: id.: Werke und Briefe in zwölf Bänden (hrsg. v. Matthias Luserke), Bd. 5, Frankfurt am Main 1996, S. 147–277, V. 952–969 [im Folgenden zitiert unter der Sigle JO mit nachstehenden Versangaben, bei Regieanweisungen mit nachstehenden Seitenangaben]. 20 JO, V. 970-981; Die kontrastiv gestalteten Affektlagen entsprechen den szenisch evozierten, gegenläufigen Bewegungsprofilen der Heere: Die Franzosen sind so bewegt, dass sie ›losstürmen‹, während die Engländer so erschreckt sind, dass sie ›erstarren‹. 21 Ibid., V. 1467–1470. 22 Vgl. ibid., S. 201. 23 Ibid., V. 1535; V. 1534 u. V. 1538 f. 24 Vgl. ibid., V. 1732 u. V. 1765. 25 Ibid., V. 1743. 26 Ibid., S. 210. 27 Vgl. ibid. V. 1800 u. V. 1804; ibid. V. 1801. 28 Ibid., V. 181; vgl. zur Umarmungsszene ibid. S. 217 f. 29 Ibid., V. 1805–1809. 30 Vgl. zum »Zusammenhang zwischen nation building und weiblicher ›Normalisierung‹« Koschorke 2006, S. 254 ff. sowie Horn 2015. Vgl. für eine Johannas politische Selbstexklusion akzentuierende Analyse der Krönungsszene Juliane Vogel: Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der ›großen Szene‹ in der Tragödie des 19. Jahrhunderts, Freiburg im Breisgau 2002, S. 116–121. 31 JO, S. 277. 32 WG1, S. 497. 33 Vgl. Heinrich von Kleist: Prinz Friedrich von Homburg. Ein Schauspiel, in: id.: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden (hrsg. v. Ilse-Marie Barth u. Hinrich C. Seeba), Bd. 2, Frankfurt am Main 1987, S. 555– 644, S. 644. Zu der Frage, ob er sich in einem Traum befinde vgl. ibid., V. 1856 [im Folgenden zitiert unter der Sigle PH mit nachstehenden Versangaben, bei Regieanweisungen mit nachstehenden Seitenangaben]. 34 PH, V. 1568. 35 Ibid., V. 1562 f.
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36 Ibid., V. 1457–1462. 37 Ibid., V. 1428. 38 Ibid., V. 550–558. 39 Otto Höfler: Berserker, in: Heinrich Beck et al. (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 2, Berlin u. New York 1976, S. 298–304, S. 299; vgl. für eine kritische Diskussion dieser etymologischen These Anatoly Liberman: Berserks in History and Legend, in: Russian History 32,3–4/2005, S. 401– 411. 40 WG1, S. 491. 41 PH, S. 642. 42 Ibid., S. 643. 43 Vgl. ibid., S. 644. 44 Ibid., V. 1858. 45 Vgl. ibid., V. 1854 f.; ibid., V. 1857. 46 Kittler sieht an dieser Stelle sogar einen »totalen Krieg« in Aussicht gestellt und parallelisiert das Dramenende mit »der Brutalität der ›Hermannsschlacht‹«. Wolf Kittler: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege, Freiburg im Breisgau 1987, S. 266. 47 PH, V. 1853. 48 Ibid., V. 1854; vgl. Heinrich von Kleist: Die Herrmannsschlacht. Ein Drama, in: id.: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden (hrsg. v. Ilse-Marie Barth u. Hinrich C. Seeba), Frankfurt am Main 1987, S. 447– 554, V. 2578, V. 2580, V. 2585 u. V. 2588 [im Folgenden zitiert unter der Sigle HS mit nachstehenden Versangaben, bei Regieanweisungen mit nachstehenden Seitenangaben]. 49 Ibid., V. 2578 u. V. 2585. 50 Horn 2011 (Herrmanns ›Lektionen‹), S. 70. 51 Vgl. ibid., S. 75 ff. 52 Susanne Lüdemann: Weibliche Gründungsopfer und männliche Institutionen. Verginia-Variationen bei Lessing, Schiller und Kleist, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 87,4/2013, S. 588–599, S. 591. 53 Vgl. dazu pointiert Barbara Vinken: Bestien. Kleist und die Deutschen, Berlin 2011. 54 Vgl. HS, IV, 1 f. u. IV, 4 ff. 55 Ibid., V. 1486 ff. 56 Vgl. ibid., V. 1695 f.; ibid., V. 1712 u. 1717; vgl. ibid., V. 1727. 57 Ibid., V. 1723 ff.
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58 Ibid., V. 1803. 59 Vgl. II, 7 als Vorspann zu dieser Szene, in der Ventidius Thusnelda eine Locke – ausgewiesen als Liebespfand – abschneidet; vgl. zum Gestenspiel ibid., S. 518 u. vgl. zum Sinneswandel Thusneldas V. 1818. 60 Vgl. ibid., S. 519 u. V. 1820. 61 Ibid., V. 1865. 62 Ibid. 63 So im Verweis auf die ältere Forschung Vinken 2011, S. 71. 64 Ibid. 65 Vgl. HS, V. 2310 f.; V. 2386 u. V. 2388. 66 Vgl. ibid., V. 2321. 67 Ibid., V. 2390; V. 2417; V. 2425 u. V. 2543 f. 68 Ibid., V. 2552. 69 Ibid., V. 2549. 70 Ibid., V. 2589 ff. 71 WG1, S. 494. 72 WG2, S. 468; vgl. Horn 2011 (Herrmanns ›Lektionen‹), S. 83. 73 HS, V. 2620. 74 Ibid., S. 554. 75 WG2, S. 468. 76 HS, V. 2634; V. 2636 u. V. 2631. 77 Ibid., V. 2613. 78 Ibid., V. 2635. 79 Ibid., V. 2655.
WÄ R ME N , G LÜ H E N , V E R B RENNEN
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PROCLAMATIONS OF NEUTRALITY Disinterest and Deliberation in Gilbert Stuart’s »Portrait of George Washington« K E RST I N MA R I A PA HL
Disinterested or Uninterested: The Morals of Political Neutrality In 1796, American-born and British-educated portraitist Gilbert Stuart painted a portrait of the first president of the United States of America, George Washington |plate VII|.1 Having been copied and engraved numerous times and now known as Lansdowne Portrait, the painting is arguably the most iconic portrait from the early American Republic. Clad entirely in black and standing in the center of the picture, Washington appears as though he has just risen from the chair behind him. His mouth seems to be clenched, but his determined face, his outstretched hand, and his firm posture indicate that he is about to speak. Contemporary sources suggest that this portrait shows Washington in the Congress Hall in Philadelphia in 1795, about to address the Fourth Congress (March 1795 to March 1797) on a matter that had divided Americans during the last two years: the nation’s political neutrality during the French Revolutionary Wars in 1793, which resulted in the Neutrality Act of 1794 – which is still on the books today – and the so-called Jay Treaty of 1795, which facilitated trade with Great Britain. In his address to Congress, Washington defended the US’s neutral politics, stating that »our country which was lately the scene of disorder and insurrection, now enjoys the blessings of quiet and order.«2 His emphasis on the nation’s prosperous tranquility responded to opposition to political neutrality, which figured into a larger dispute in American politics. The anti-neutrality group had also opposed the ratification of the constitution (1787–
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1788) with the argument that a strong federal government would turn the US into a monarchy. Thus, with the decision for neutrality, the question of America’s stance on monarchy flared up again.3 Exhibiting a unique blend of British portraiture adapted to an American purpose, the Lansdowne Portrait is often considered a hallmark of both the emergence of an American art tradition and the employment of portraiture in the process of nation-building.4 Indeed, the visual rhetoric and practices of eighteenth-century portraiture in the Anglophone world played a crucial role in social and political formation. While by far not its only purpose, portraiture – by describing, reflecting, and prescribing desirable social and moral ethics and forming canons of both values and their agents – expressed, shaped, and enforced larger frameworks that ordered and governed society, among them emotional frameworks.5 Because of the elite function of official portraiture, its emotional dimension can best be described with William Reddy’s concept of »emotional regimes« that is, the »set of normative emotions and the official rituals, practices, and emotives that express and inculcate them; a necessary underpinning of any stable political regime.«6 The Lansdowne Portrait makes discernable an emotional regime of disinterestedness, determination, and emotional moderation. Washington embodies the tranquilitas animae [tranquility of the soul], which great men were required to display to signal their calmness, determination, and nonpartisanship.7 In the following, however, I would like to argue that both political and emotional tranquility are nuanced differently and that national leaders have had to mind these nuances in order to strike the right tone. In the late eighteenth century, there was a fine and contested line between disinterestedness and indifference: while the former attested to a person’s ability to forge social bonds, the latter implied short-sighted carelessness.8 In the American debate on neutrality of the 1790s, one point of contention was whether the politics of neutrality meant that the government was disinterested and chose what was best for the country or, in contrast, uninterested in the United States’s role in the world. Neutrality, therefore, was not neutral but was itself a form of partisanship.9 To understand the ambiguity of tranquility, it is helpful to attend to the way in which the interrelation between emotions and politics figured into art. On the one hand, emotions are operative within politics: they express, reflect, or influence political life.10 On the other hand, political emotions were, as will be shown, also understood as functioning in analogy to politics. Personal or intimate entities, such as the human body or family, were thought to be comparable to the country, and emotions were cast as similar to politics in that both were thought of as organizing principles of a larger entity.11 As Alexis de Tocqueville wrote in his Democ racy in America (1832/1840, first translated into English in 1835): »In the United States the interests of the country are everywhere kept in view […], and every citizen is as warmly attached to them as if they were his own. […] The feeling he entertains towards the State is analogous to that which unites him to his family, and it is by a kind of egotism that he interests himself in the welfare of his country.«12
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For Tocqueville, emotions played a role in politics and mirrored politics at once, a position that James Madison, co-author of the Federalist Papers, also embraced: »The best provision for a stable and free Govt. is not a balance in the powers of the Govt. […], but an equilibrium in the interests & passions of the Society itself […].«13 This double understanding of political emotions is particularly fruitful for political portraiture, because the body of the sitter is, inevitably, a political body.14 It acts as an agent and representative of the state, which is to say: it is a part of the entity, while also embodying or symbolizing it.15 As instrumental parts both of portraiture and the ethics it subscribes to, bodies in paintings have long been understood as a system of signs comprised of readable codes adhering to a defined grammar. While this perspective was often limited to analyses of iconography, recent scholarship has developed methodologies to explore and understand artworks as visual repositories and catalysts of emotions – rather than mere depictions – and as media that communicate ideas, ideologies, and notions that cannot necessarily be communicated verbally.16 A close look at neutrality in the light of political emotions reveals quite a bit about the general discursive principles that define the feeling and expression of other political emotions that might be contained in the Lansdowne Portrait. Roland Barthes has defined »the Neutral as that which déjoue [outplays] the paradigm […]. The paradigm […] is the opposition of two virtual terms from which, in speaking, I actualize one to produce meaning.« Listing different forms of neutrality, among them political neutrality, he states that his search for »the category of the Neutral insofar as it crosses language, discourse, gesture, action, the body, et cetera.« was ultimately aimed at »ethics, that is, the discourse of the ›good choice‹ […], or of the ›nonchoice‹, or of the ›lateral choice‹.«17 In this vein, political and emotional neutrality challenges a paradigm, namely, the necessity to get involved or take sides and the need to choose or make a good choice more generally. This article will argue that the Lansdowne Por trait should be understood as the focal point of two antithetical interpretations of non-involvement. Because each form of tranquility, emotional and political, had different moral implications, it was paramount for the portrait to argue that its sitter embodied tranquility as a disinterested, but determined equilibrium.18
Composition of Composure: The Lansdowne Portrait While it remains unresolved who commissioned the Lansdowne Portrait – named after its first owner, William Petty, first Marquess of Lansdowne – it is the first known full-length depiction of the President of the United States of America to show him in civilian rather than military dress.19 In his capacity as the chief executive of a newly founded nation, Washington stands amidst symbols of ancient Roman and American republicanism.20 The columns in the background are in line with the body to signal constancy and steadfastness. The legs of the table and chair are decorated with fasces, symbols of Roman leadership, and on the back of the chair is a small, but clearly visible American flag. Together with the rainbow indicating tran-
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quility after revolutionary storms, the chair compositionally and metaphorically backs Washington: whatever he is about to say, a peaceful America is behind him. Washington’s posture, and especially the position of his feet, which are placed bluntly next to each other on the ground rather than in elegant contrapposto, is borrowed from antique sculptures of orators, but the overall composition follows the tradition of ruler portraits, famously employed by Hyacinthe Rigaud’s portrait of Louis XIV and portraits of British monarchs from Charles I to George III |plate VIII|.21 In Stuart’s portrait, however, royal pose and royal body have become civilian pose and civilian body. This transformation birthed, as Eleanor DeLorme writes, a new type of painting in American art, »the state portrait.«22 Although the classic repertoire of portraiture, such as the columns and the bulky curtain, is still there, the sitter’s body, paramount in ruler portraits, oscillates between being prominent and being inconsequential. Since Washington’s frock, stockings, and buckled shoes are all black – in contrast with the elaborate ornamentation of the carpet and furniture’s red and gold – the body’s indistinct outline merges with the background. The background is carelessly painted, pointing at the fact that in a republican system, ceremonious decor is no longer important and that the ruler’s body is no longer sacred and invested in regalia.23 Accordingly, the sword in Washington’s left hand hints both at his military career and at privileges of Old World aristocratic elites like the right to bear arms; but it is hardly visible against his frock, meaning that it has become insignificant in the face of the new order, exemplified by the books on the left side of the painting. The books on the floor are the General Orders, that is, the policy Washington wanted to see observed during the military campaigns of the 1770s, a book entitled American Revolution – probably David Ramsay’s book of 1789 – and the Constitution and Laws of the United States. The books on the table, put at the very periphery of the painting, yet pointed out by Washington’s outstretched hand, are the Journal of Congress – the Congress’s minutes, begun in 1789 – and the Federalist Papers, a collection of essays promoting the ratification of the United States Constitution, which went into effect in 1789. Written between 1787 and 1788 by Alexander Hamilton, John Jay, and James Madison, the Federalist Papers promoted national unity as a bulwark against disorder. The preference for ensuring a stable domestic situation over the pursuit of ideals overseas led to the government’s decision not to intervene on behalf of the French, who had supported America during the War of Independence. The Proclamation of Neutrality was issued by Washington on April 22, 1793. Two cabinet members, Secretary of State Thomas Jefferson, who opposed neutrality and staunchly defended the French Revolution, and Secretary of the Treasury Alexander Hamilton, who embraced it, were particularly invested in the dispute. Jefferson resigned in 1793, and the division deepened with the Treaty of Amity Commerce and Navigation, between His Bri tannick Majesty; and The United States of America, called the Jay Treaty after the American plenipotentiary John Jay.24 Ratified on June 24, 1795, the treaty is most likely the paper on the table, because on December 8 of the same year, Washington addressed the Fourth Congress, stating: »While many of the nations of Europe, with their American dependencies, have been involved in a contest unusually bloody, exhausting, and calamitous, […] our favored country
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[…] has enjoyed general tranquillity.«25 If the Jay Treaty, just signed or about to be signed, is indeed shown in the portrait, then its inclusion visually reinforces the result of the politics of neutrality, a contract establishing neutrality in law.26 At the time of the Jay Treaty debate, a newspaper stated that Washington showed »a conduct delineating the strong features of a despot« and it was this reproach of despotism that the Lansdowne Portrait aimed to confute.27 Washington exhibits a genteel, dispassionate, and unaffected posture, exemplifying – that is, literally and figuratively delineating – democratic, not despotic, leadership. With the rainbow in the background and the Jay Treaty on the left, the Lansdowne Portrait backed the Federalist argument that domestic unity and tranquility, largely based on political neutrality, had been and still was the best course of action.
Expressions of (Dis-)Passions: The Face of Duty and the Duty of the Face In the portrait, Washington’s mouth appears to be clenched, supposedly a hint at his false teeth |plate VIIa|. Yet this portrait face was, as Washington’s grandson wrote, »the best likeness of the Chief in his latter days« – unlike the body, modeled on someone else’s and too fleshy.28 Probably painted after an unfinished bust portrait called the Athenaeum Portrait (1796), this face became the one by which Washington was to be known.29 Although individualized, the face followed the portrait formula for boldness, which was frequently used for soldiers |fig. 1|.30
1 Charles LeBrun: Boldness (la hardiesse), 1660s, ink on paper, 19,6 × 25,4 cm, Paris, Louvre
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2 Charles LeBrun: Tranquility (la tranquillité), 1660s, ink on paper, 20,2 × 25,7 cm, Paris, Louvre
Such distinct codes for communicating emotions in portraiture were taken from Charles Le Brun’s Les expressions des passions, a typology of emotional expressions for use in the visual arts from 1667.31 According to Le Brun’s theory, before emotions spread across the face, it finds itself in a state of »tranquilité« [tranquility] |fig. 2|; all other emotions were then described according to their divergence from this »sort of zero degree of expression.«32 Next on the intensity scale is »l’admiration« [wonder], which is only gradually more moved. Of wonder, Le Brun wrote: »This passion produces a suspension of movement only to give time to the soul to deliberate on what it should do, and to consider the object before it attentively, for if it be rare and extraordinary, out of this first simple movement will come Esteem.«33 While tranquility serves as the springboard, wonder is a kind of distributing conduit, the state in which the soul decides on the emotional direction it will take. The other passion that diverges only slightly from »tranquility« is »l’estime« [esteem], which means evaluation, not appreciation: having used the time granted by »wonder« to reflect, the soul has found the object worthy of attention.34 However, while all other passions include value judgments, the three original ones – that is, tranquility, wonder, esteem – do not; rather, they only attest to an object’s general noteworthiness. Le Brun’s concept was based on René Descartes’s The Passions of the Soul (1649), many passages of which he copied, including the paragraph on »wonder.« 35 Descartes considered wonder (or »admiration«) as »the first of all the Passions«, a temporary state in which body, mind, and soul had not yet entirely processed the situation at hand.36 »When the first encoun-
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ter of any object surprizeth us, and we judge it to be new […], we admire it, and are astonished at it. […] this may fall out before we know at all whether this object be convenient or no […].«37 Here, the lack of value judgment (»convenient or no«) is critical because the arousal and control of emotions were indicative of the moral configuration of the individual. Descartes believed those souls to be strongest who »can most easily conquer the Passions« by »firm, and determinate judgements concerning the knowledge of good and evil.« Virtue implied the ability to make good choices and govern one’s emotions, and when one had lived so that »his Conscience cannot hit him in the teeth for failing to doe all things which he judged to be best […] the most violent assaults of the Passions, shall never be strong enough to trouble the tranquility of his Soul.«38 However, Descartes and Le Brun also hinted at the ambiguity of serene emotional states. Tranquility could be a sort of emotional zenith, in which one is filled with a range of other feelings, but is in control. However, along with wonder and esteem, tranquility could also function as a threshold for emotions that were yet to emerge. The former signaled determination, the latter indecision, two notions with very different moral values. Only if tranquility as deliberation ended in tranquility as a status did it properly function as a virtuous political emotion. Washington championed this latter conception of tranquility as the end result of intentional action when talking about political neutrality and the Jay Treaty, stating that both contributed to »the extinguishment of all the causes of external discord, which have heretofore menaced our tranquillity.« Accordingly, »to the best judgment I was able to form of the public interest, after full and mature deliberation, I have added my sanction.«39
Bodies and Politics: Emotion, Commotion, and the Government of the Passions Political emotions operate within politics and are comparable to politics. Emotion itself is an inherently political term, originally meaning political commotion. First used in English in the mid-sixteenth century, it was understood as political agitation or civil unrest, synonymous with »troubles«, »great stirres« or »disorder«.40 Since the physical movement converged with the feelings behind it, emotions indicated movement of body, blood, soul, face as well as the movement of people on the streets. Therefore, emotions, especially in the seventeenth century, provided a common denominator that could be used to cast the body itself as a political entity.41 On a societal level, emotions provided moral guidance. Virtue caused pleasure and joy and was thus rewarded by an agreeable emotional experience. On an individual level, bodies were believed capable of enacting the »government of the passions«, that is, the conscious and rightful navigation of affects and feelings.42 Edward Reynolds, in his A Treatise of the Passions of 1640, acquainted readers with the »Irregularitie, Subordination, Rebellion, Conspiracie, Discords« of the passions, implicitly treating body, mind, and soul as a political micro-entity with its own government and rules, including occasional uprising by its »sub-
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jects«, namely, the passions. Like proper subjects, passions were complicated and needed regulation by reason, but they were necessary because without them, an individual would have »scarce any thing in him, which he may command and governe.«43 No passions would also mean no vigor and no energy, as it was opposition that made one show one’s actual strength: »We see not the violence of a River, till it meet with a Bridge; and the force of the Wind sheweth it selfe most, when it is most resisted: So the power of the Will is most seene, in repairing the breaches, and setling the mutinies, wherewith untamed Affections disquiet the peace of mans nature […].«44 Taming one’s passions, however, was not the same as eliminating them, and stoicism, in particular, came under fire for not distinguishing between the two.45 As the French treatise The Use of Passions by Jean-François Senault of 1649 (English 1649) noted: »Briefly, they [the Stoics] conclude, that to be a slave to Passion, is to live under tyranny, and that a man must renounce his liberty, if he obey such insolent Masters.« Senault found this unnatural: »To part the soul from the body, so to exempt it from these agitations, were to overthrow the Fabrick of man.« In both treatises, political analogies, such as »mutinies«, »tyranny«, »masters«, »agitations«, and »overthrow« were used to emphasize that emotions enabled people to show their strength and liberty by subjecting their emotions to the rule of the »Empire of Reason.«46 Every individual was continuously replicating political battles in miniature, pitting mind (that is, reason) versus the body (that is, the senses) and negotiating with the soul (that is, the passions). Emotions kept mind, body, and soul resilient: »Vertue her self would become idle, had she no passions, either to subdue or regulate.«47 This understanding of tranquility as the mastery of emotions informed the notion of the ideal political leader as someone (preferably a man) in control of their emotions. This also sheds light on political neutrality: capable leaders are neutral in the sense that they balance factions instead of avoiding engagement with them, because the ability to balance attests to one’s strength and control.48 Washington’s own person, contemporary biographers said, embodied this form of tranquility: »His passions were naturally strong; with them was his first contest, and over them his first victory. Before he undertook to command others, he had thoroughly learned to command himself. […] Neither passion, party spirit, pride, prejudice, ambition, nor interest, influenced his deliberations.«49
Non-Neutral Neutrality: Interests and Disinterestedness Hugo Grotius, one of the earliest proponents of international law, engaged with political neutrality in his treatise On the Laws of War and Peace (1625): »It might seem superfluous to speak of these, who have nothing to do with War, seeing it is manifest there is no right of War over them. […] Necessity ought to be extreme, that it may give a right over what belongs to another man.«50 Grotius’s idea of political neutrality was equivalent to the emotional tranquility that Le Brun and Descartes talked about: it was the zero degree of any political action, which was preferably maintained as long as possible.
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3 Matthew Darly (publisher): For or Against Is Equally Alike, 1780, etching on paper, 12,6 × 9 cm, London, British Museum
At the same time, however, political neutrality and emotional tranquility both had to be expressed in a way that signaled their origins in a conscious decision to be cautiously in charge without being interventionist. Alexander Hamilton wrote in The Federalist: »The rights of neutrality will only be respected, when they are defended by an adequate power. A nation, despicable by its weakness, forfeits even the privilege of being neutral.«51 It was this promise of power, being observant, impartial, and vigorous, but not idle and indifferent, that made neutrality effective.52 There is, Barthes said, »a vitality of the Neutral: the Neutral plays on the razor’s edge: in the will-to-live but outside of the will-to-possess.«53 Neutrality, in short, is not passive. Political neutrality is, indeed, vital, because it is both an important status and an activating force. A contested concept in seventeenth- and eighteenth-century European international relations, it has no established iconography, unlike other expressions of politics, such as war,
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peace, and the reason of state, truces, or leagues.54 Ridiculed as a sign of conniving and cowardly opportunism, as the mark of those who favored pragmatism over principle, political neutrality was caricatured as a strategy of war-time profiteers, and prints satirized the neutral United Provinces trading with both the United Kingdom and their enemies, the Americans |fig. 3|.55 Since it accommodated monetary interests, neutrality undermined ideals of disinterested policy making, while the English term »interest«’s double meaning of both financial and non-financial concerns made disinterestedness in any case an ambiguous concept.56 Likewise, and despite all claims to disinterested decision-making, the Jay Treaty was so unpopular that effigies of Jay were burned in several cities.57 Thomas Jefferson came out of retirement, to form support for the anti-treaty league and the Republican Party he and James Madison had formed in 1792 to challenge Hamilton’s Federalist Party and their ideas of centralized political power. In a letter to Madison from September 1795, he wrote that the treaty was »the boldest act they [Hamilton and Jay] ever ventured on to undermine the government […]. A bolder party-stroke was never struck.« For Jefferson, the Jay Treaty had nothing to do with impartial governance or political neutrality but was a partisan decision in favor of the Constitution, the British, a centralized government with a strong executive, and an administration eerily reminiscent of a monarchy. Jefferson went on: »There appears a pause at present in the public sentiment, which may be followed by revulsion.«58 Intriguingly, Jefferson’s »pause« seems to be akin to the zero-degree tranquility described above that precedes outpourings of emotion. As soon as the public had finished deliberating, Jefferson suggested, judgment on the treaty would be scathing, so that the state of things following consideration would not be tranquil, but agitated. By pitting pre-judgment tranquility (diagnosed by himself) against Washington’s post-judgment tranquility, Jefferson’s argument challenged the claim that neutrality caused tranquility by identifying the bias in the narrative of disinterest set up by the administration.
Conclusion During a presidential election, Tocqueville wrote, »[p]olitical parties in the United States are led to rally round an individual, in order to acquire a more tangible shape in the eyes of the crowd.« The US’s chief executive represented the prevailing emotion that bound the people together, the »to a certain extent involuntary agreement, which results from similarity of feelings and resemblances of opinion«.59 »[P]arties are strongly interested in gaining the election, not so much with a view to the triumph of their principles under the auspices of the President elect, as to show, by the majority which returned him, the strength of the supporters of those principles.«60 A painting such as the Lansdowne Portrait was one way of communicating the claim that the President – here: Washington – represented majority of opinion and, as Dorinda Evans writes, »benevolent governance.«61 However, Washington’s portrait was also a site of conten-
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tion where different notions of non-involvement coalesced, even clashed, on a visual and socio-historic level.62 Its negotiation of disinterested and observant non-involvement and careless indifference thereby draws attention to the fact that differing stances on political neutrality were themselves partisan matters. In order for this political dispute to emerge more clearly, it has been helpful to understand political emotions as both playing an active role in politics and as a heuristic model for understanding politics. When the body is cast as a political realm, emotions mirror the contending parties, making political neutrality and emotional tranquility structurally similar. In his farewell address to Congress, Washington included a long paragraph in which he described politics in the language of emotions, stating that nations should not be bound by »an habitual hatred, or an habitual fondness« in order to avoid becoming »a slave to its animosity or to its affection.«63 Emotions are not only potent but also enlightening, because they contain or inform moral judgments on the situations in which they dominate. In the early years of the United States, emotional as well as political tranquility emerged as a litmus test for virtue and vice.64 The Lansdowne Portrait attests to the political and emotional conflict between neutrality understood as the result of an impartial, yet authoritative decision or, rather, as a manifestation of the mindset of a president who just didn’t care.
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1 For the portrait cf. Dorinda Evans: The Genius of Gilbert Stuart, Princeton 1999, pp. 67–71 and Carrie Rebora Barratt and Ellen G. Miles: Gilbert Stuart, exhibition catalogue, The Metropolitan Museum of Art, New Haven 2004, pp. 166–175. 2 Journal of the House of Representatives of the United States, Being the First Session of the Fourth Con gress: Begun and Held at the City of Philadelphia, December 7, 1795, Washington 1826 [1796], p. 367. 3 For political neutrality in the US of the 1780s cf. James A. Shaw: »The Great Desideratum in Govern ment«. James Madison, Benjamin Constant, and the Liberal-Republican Framework for Political Neutrality, PhD thesis, University of Manchester 2015. Cf. Ralph Ketcham: Presidents Above Party. The First Ameri can Presidency, 1789–1829, Chapel Hill 1984, p. 102 f. 4 Barratt and Miles 2004, p. 168. Cf. Eleanor Pearson DeLorme: Gilbert Stuart. Portrait of an Artist, in: Winterthur Portfolio 14-4/1979, pp. 339–360, p. 348 ff.; Alison D. Howard and Donna R. Hoffman: A Pic ture Is Worth a Thousand Words: Building American National Identity Through Art, in: Perspectives on Political Science 42/2013, pp. 142–151; Wendy Wick and Lillian B. Miller: George Washington. An Ameri can Icon. The Eighteenth-Century Graphic Portraits, Charlottesville 1982, pp. 34–73. 5 Cf. in particular Marcia Pointon: Hanging the Head. Portraiture and Social Formation in Eighteenth-Cen tury England, New Haven 1998, pp. 11–104; Udo J. Hebel and Christoph Wagner (ed.): Pictorial Cultures and Political Iconographies. Approaches, Perspectives, Case Studies from Europe and America, Berlin and New York 2011, esp. p. 7 f.; Volker Depkat: The Grammar of Post-Revolutionary Visual Politics. Comparing Presidential Stances of George Washington and Friedrich Ebert, in: Hebel und Wagner 2011, pp. 177–198, p. 177 ff.; »Emotion« will be the terminus technicus for this article. 6 William Reddy: The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001, p. 129; cf. Nicole Eustace: Passion is the Gale. Emotion, Power, and the Coming of the American Revolution, Chapel Hill 2008, p. 11. 7 On the role of specific sentiments in American politics, expressing a common spirit, and creating a self-image cf. Andrew Burstein: Sentimental Democracy. The Evolution of America’s Romantic Self- Image, New York 1999, esp. pp. 4–21; Sarah Knott: Sensibility and the American Revolution, Chapel Hill 2009, esp. pp. 1–22; Eustace 2008, esp. pp. 17–59 and pp. 385–438; cf. the chapter on »The Nonpartisan Ideal«, in: Ketcham 1984, p. 235. 8 Cf. Burstein 1999, esp. pp. xi–xxi, pp. 1–23 and pp. 167–207. 9 On the importance of disinterestedness cf. The Federalist. A Collection of Essays, Written in Favour of the New Constitution, no. 11, New York 1788, p. 9 f. and Gordon S. Wood: Interests and Disinterestedness in the Making of the Constitution, in: Richard Beeman, Stephen Botein and Edward C. Carter II (ed.): Beyond Confederation. Origins of the Constitution and American National Identity, Chapel Hill 1987, pp. 69–109, esp. pp. 75–85. On the difference between a neutral prince, »often apt to sacrifice the happiness of his subjects to personal ambition«, and a neutral state, which »exercised neutrality in the pursuit of the aggregate interest of the nation« cf. Shaw 2015, p. 99. 10 Cf. Ute Frevert: Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen?, in: Geschichte und Gesellschaft 352/2009, pp. 183–208, esp. pp. 198–201; Johannes F. Lehmann: Geschichte der Gefühle. Wissensgeschichte, Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, in: Martin von Koppenfels and Cornelia Zumbusch (ed.): Handbuch Literatur und Emotionen, Berlin 2016, pp. 140–157, esp. 141–144. 11 Cf. Eustace 2008, p. 6 ff. 12 Alexis de Tocqueville: Democracy in America, London 1835, Vol. 1, p. 129.
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13 Quoted after Colleen A. Sheehan: The Politics of Public Opinion: James Madison’s ›Notes on Govern ment‹, in: The William and Mary Quarterly 49-4/1992, pp. 609–627, p. 615 ; cf. Shaw 2015, p. 71 f. 14 Cf. Uwe Fleckner, Martin Warnke and Hendrik Ziegler: Vorwort, in: id. (ed.): Handbuch der Poli tischen Ikonographie, München 2011, 2 vols., vol 1, pp. 7–13, p. 9. 15 Cf. Volker Depkat: Die Erfindung der amerikanischen Präsidentschaft im Zeichen des Geschichtsbruchs. George Washington und die Ausformung eines demokratischen Herrscherbildes, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 56-9/2008, pp. 728–742, p. 730; cf. Barratt and Miles 2004, p. 166 and Wick and Miller 1982, p. 5. 16 Anna Pawlak, Lars Zieke and Isabell Augart: Vorwort, in id. (ed.): Ars – Visus – Affectus. Visuelle Kul turen des Affektiven in der Frühen Neuzeit, Berlin 2016, pp. 7–17, p. 8 ff.; Ursula Franke: Spielarten der Emotionen. Versuch einer Begriffsklärung im Blick auf Diskurse der Ästhetik, in: Klaus Herding and Bernhard Stumpfhaus (ed.): Pathos, Affekt, Gefühl. Die Emotionen in den Künsten, Berlin 2004, pp. 165–188, p. 172 ff. Elke Anna Werner: Visualität und Ambiguität der Emotionen. Perspektiven der kunst- und bild wissenschaftlichen Forschung, in: Claudia Jarzebowski and Anne Kwaschik (ed.): Performing Emotions. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Politik und Emotion in der Frühen Neuzeit und in der Moderne, Göttingen 2013, pp. 147–166, p. 152 f.; for the emotions and the body cf. Pascal Eitler and Monique Scheer: Emotionengeschichte als Körpergeschichte. Eine heuristische Perspektive auf religiöse Konversionen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 35-2/2009, pp. 282–313, esp. p. 283 f. 17 Roland Barthes: The Neutral. Lecture Course at the Collège de France (1977–1978), New York 2005, p. 6 ff. 18 Cf. Franke 2004, pp. 165–188; Werner 2013, p. 149 and DeLorme 1979, p. 351. 19 Barratt and Miles 2004, pp. 166–169. Cf. Depkat 2011, p. 179 f. A half-length portrait by Edward Savage of 1793 shows him in a black-and-white frock. 20 Cf. Depkat 2008, p. 738 f.; Depkat 2011, p. 177. 21 Cf. Depkat 2011, p. 183 ff., and DeLorme 1979, p. 353 f. 22 Cf. DeLorme 1979, p. 353. Cf. Depkat 2008, p. 735 f., Barratt and Miles 2004, p. 170, Howard and Hoffman 2013, p. 146 and Evans 1999, p. 67. Cf. Depkat 2011, p. 185 ff., on the civilian formula, and Ulrich Pfisterer: Zwei Körper des Königs, in: Fleckner, Warnke and Ziegler 2011, pp. 559–566, esp. p. 564 f. 23 As his grandson wrote: »This pure yet dignified Republican, avoided show in every action of his long and meritorious life. True, tinsel and embroidery could have added nothing to [him].« George Washington Parke Custis: Letter to Thomas Carberry, Esq., 7 April 1839, in: John Austin Stevens, Martha Lamb and William Abbatt (ed.): The Magazine of American History, New York 1885, pp. 583–584, p. 584. On the clothes cf. Barratt and Miles 2004, p. 169. 24 Cf. Todd Estes: Shaping the Politics of Public Opinion: Federalists and the Jay Treaty Debate, in: Jour nal of the Early Republic 20-3/2000, pp. 393–422. 25 Journal 1826, p. 367. A newspaper article of May 1797 notes that »the figure is standing and addressing the Hall of Assembly. The point of time is that when he recommended inviolable union between America and Great Britain.« Quoted after Barratt and Miles 2004, p. 170 f. 26 Barratt and Miles describe it as »an example of the use of portraits to celebrate political alliances, especially at a time of international treaties«, Barratt and Miles 2004, p. 173.
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27 Quoted after Estes 2000, p. 399. 28 Custis 1885, p. 583; cf. Barratt and Miles 2004, p. 168. For Stuart portrait faces cf. DeLorme 1979, p. 349. 29 Wick and Miller 1982, p. 53 and pp. 58–63. On the Athenaeum Portrait cf. Evans 1999, pp. 62–65 and Barratt and Miles 2004, pp. 147–153. 30 Cf. Depkat 2011, p. 186. On the face cf. Depkat 2008, p. 738 f. and Evans 1999, p. 65 f. 31 On Le Brun cf. Thomas Kirchner: L’expression des passions. Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts, Darmstadt 1991; Jennifer Montagu: The Expression of the Passions. The Origin and Influence of Charles Le Brun’s Conférence Sur L’expression Générale Et Particulière, New Haven 1994; Anne Schmidt: Showing Emotions, Reading Emotions, in: Ute Frevert et al. (ed.): Emotional Lexicons. Continuity and Change in the Vocabulary of Feeling 1700–2000, Oxford 2014, pp. 62–90, p. 64 ff.; Werner 2013, p. 150 ff.; on a rare discussion of non-emotions cf. Line Cottegnies: Codifying the Passions in the Classical Age – A Few Reflections on Charles Le Brun’s Scheme and its Influence in France and in England, in: Études Épistémè 1/2002, pp. 141–158, p. 144. 32 Cottegnies 2002, p. 144; cf. Montagu 1994, p. 18. 33 Montagu 1994, p. 132. 34 Ibid., p. 132 f. 35 Cf. ibid., p. 17; Cottegnies 2002, p. 142 f. 36 René Descartes: Passions of the Soule in Three Books, London 1650, p. 47; cf. Cottegnies 2002, p. 143 37 Descartes 1650, p. 47. 38 Ibid., p. 41, p. 121. 39 Journal 1826, p. 367. 40 »emotion, n.«. OED Online. December 2018. Oxford University Press. http://www.oed.com/view/ Entry/61249?rskey=Fd66Dt&result=1. Last accessed: February 21, 2019. 41 Cf. Eitler und Scheer 2009, pp. 283–313. 42 Cf. Jean-François Senault: The Use of the Passions, London 1649, pp. 87–122: »The Third Treatise. The Government of the Passions«; William Ayloffe: The Government of the Passions, London 1700. 43 Edward Reynolds: A Treatise of the Passions and Faculties of the Soul of Man, London 1650, p. 47 and p. 45: »So Passion, though of excellent service in Man, for the heating and enlivening of Vertue […]; yet if once they […] encroach upon Reasons right, there is nothing more tumultuous and tyranicall.« 44 Ibid., p. 48. 45 Ibid., p. 47. 46 Senault 1649, p. 4 and pp. 5–6. 47 Ibid., p. 7.
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48 Cf. Shaw 2015, p. 52 and p. 113. 49 David Ramsay: The Life of George Washington, New York 1807, p. 328; cf. Wick and Miller 1982, p. ixf. and p. xiii; Wood 1987, p. 90 f. and Howard and Hoffman 2013, p. 146. 50 Hugo Grotius: The Illustrious Hugo Grotius Of the Law of Warre and Peace, London 1654, p. 645. 51 The Federalist 1788 (no. 11), p. 65; cf. Shaw 2015, p. 115: »For Madison, inactivity was the great friend of neutrality.« 52 Cf. Wood 1987, p. 85. 53 Barthes 2005, p. 73 and p. 13: »The desire for the Neutral continually stages a paradox: as an object, the Neutral means suspension of violence; as a desire, it means violence. […] there is a passion of the Neutral […].« 54 Cf. Roberto Merrill: Introduction, in: id. and Daniel Weinstock (ed.): Political Neutrality. A Re-Evalu ation, London 2014, pp. 1–24, p. 1; Richard Arneson: Neutrality and Political Liberalims, in: Merrill and Weinstock 2014, pp. 25–43. Cesare Ripa: Iconologia, or, Moral Emblems, London 1709, p. 49, p. 54, p. 64, p. 73, and p. 75; cf. Fleckner, Warnke and Ziegler 2011, vol. 1, pp. 381–387 (»Friede«) and vol. 2, pp. 58–64 (»Krieg«) and pp. 381–387 (»Staatsräson«) 55 Cf. The Federalist 1788 (no. 11), p. 63. 56 Cf. Wood 1987, p. 83 f., p. 93 and p. 101: »No one, said the Antifederalists, however elevated or educated, was free of the lures and interests of the marketplace.« 57 For the mobilization of pro- and anti-Jay-Treaty groups cf. Estes 2000, p. 399 ff. 58 Thomas Jefferson Randolphe (ed.): Memoirs, Correspondence, and Private Papers of Thomas Jefferson, London 1829, vol. 3, p. 322. 59 Tocqueville 1835, vol. 1, p. 197 und vol. 2, p. 382; cf. Depkat 2011, p. 178 and Estes 2000, p. 403: »Public sentiment was whatever either party said it was, and each party set out to measure or take the pulse of that opinion by mobilizing its own supporters […].« Cf. Eustace 2008, p. 392 f., Wick and Miller 1982, p. xix, and Knott 2009, p. 243 f. 60 Tocqueville 1835, vol. 1, pp. 197–198; cf. Shaw 2015, p. 12 on James Madison’s and Benjamin Constant’s idea to institutionalize diversity to »neutralise the claims of competing interests.« 61 Evans 1999, p. 67; cf. Depkat 2008. 62 For a similar argument regarding the Jay Treaty debate cf. Estes 2000, p. 393: »[…] it contains a rich tapestry for historians interested in changes in political culture, […] and the democratization of the public sphere in early America. A reexamination of the public debate on Jay’s treaty is also an interesting and fruitful way to understand the efforts of Federalists to address and mobilize public support for it.« The Lansdowne Portrait can be understood as part of this »rich tapestry«. 63 Cf. Tocqueville 1835, vol. 2, p. 107. 64 Cf. on the Neutral as indifference and »The Neutral as Scandal« Barthes 2005, p. 70 ff.
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GEFÜHLE UNTER DER GLASGLOCKE Die Ent-/Emotionalisierung des Bühnenraums im politischen Theater Erwin Piscators S O P H I E KÖ N I G
Theoretische Emotionen: Piscators Das Politische Theater »Wir sind keine Politiker, für meinen Teil bin ich es gewiß nicht. Ich bin nichts als ein Theatermann«.1 Diese Selbstbeschreibung aus den Memoiren des Regisseurs Max Reinhardt, geschrieben 1927, könnte kaum gegensätzlicher zu Erwin Piscators Auffassung vom Theatermachen sein, die er in seiner Schrift Das Politische Theater von 1929 konkretisiert: »Auch ich hatte jetzt eine klare Einstellung, wie weit Kunst nur Mittel zum Zweck sei. Ein politisches Mittel. Ein propagandistisches. Ein erzieherisches.«2 Schon im Programmheft der ersten Inszenierung der Piscator-Bühne am Nollendorfplatz, die am 3. September 1927 mit dem Ernst Toller Stück Hoppla, wir leben! öffnete, provozieren Piscator und seine Mitstreiter mit der Ansage: »Dieses Theater ist gegründet worden, um aus sich heraus die politischen Kräfte frei zu machen, die ihm den Weg bahnen zur Ueberwindung der heutigen Ordnung und damit zur Ueberwindung der Politik.« 3 Für Reinhardt gilt derweil nüchtern: »Es gibt nur einen Zweck des Theaters: das Theater.«4 Der scharfe Kontrast zwischen diesen Positionen führt direkt in das Zentrum der Auseinandersetzungen um das Berliner Theater in der Weimarer Republik, zu dessen Protagonisten Reinhardt und Piscator gehören, und sein Verhältnis zur Politik. Er verdeutlicht außerdem, wogegen Piscator sich mit seinem politischen Theater auflehnt: Gegen ein Theater, das, wie bei Reinhardt, auf die Verzauberung des Zuschauers setzt, auf kunstvoll geschaffene Illusio-
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nen durch Farben und Klänge, auf Schauspielkunst und Gefühle, kurz, das Theater als ein »festliches Spiel«.5 Piscator zielt auf Agitation und Aktivierung der Zuschauer im politischen Sinne. Dafür entwickelt er ein Theater, das auf die Beweiskraft von in den Bühnenraum integrierten dokumentarischen Filmszenen, Projektionen oder Flugblättern vertraut, um das Publikum von seiner Weltsicht zu überzeugen. Es geht dabei um nichts Geringeres als »die Führung des Beweises, daß diese Weltanschauung und alles, was sich aus ihr ableitet, für unsere Zeit die alleingültige ist«.6 Gerade in der Abgrenzung Piscators von Reinhardt nehmen Emotionen eine besondere Stellung ein.7 Wo Reinhardt diese nämlich verstärkt, möchte Piscator das Theater von ihnen befreien. Sowohl die Emotionalisierung als auch der Versuch der Entemotionalisierung sind dabei unmittelbar an einen Funktionswandel der Bühne gebunden. Denn während Reinhardt mit Neuerungen wie der Drehbühne den Bühnenraum revolutioniert, um die Bühnenillusion zu verstärken, stellt Piscator die Bühne und ihre zahlreichen technischen Funktionen ganz in den Dienst der politischen Propaganda. Die Frage nach dem wechselseitigen Verhältnis von Politik, Theater und Emotionen materialisiert sich damit in der Weimarer Republik – so die These dieses Beitrags – im Bühnenraum selbst. Die Beziehung zwischen politischem Theater und Emotionen wurde bislang wenig beachtet. Dabei spielen diese sowohl in der theoretischen als auch praktischen Theaterarbeit Piscators eine tragende Rolle. Sie entfaltet sich in einem Spannungsfeld, das zwischen dem Ziel der politischen Aktivierung, Motivierung und Überzeugung des Publikums durch spektakuläre Theaterabende und der vermeintlichen theoretisch fixierten Abkehr vom Gefühl entsteht. Auflösen lässt es sich nur, geht man davon aus, dass es nicht grundsätzlich Emotionen im Theater sind, gegen die das politische Theater sich auflehnt, sondern eine ganz bestimmte Art von Emotionalität und ihr Einsatz, als dessen Gegenspieler es sich zu positionieren sucht. Um die Ambivalenz zwischen der Konstruktion des Gefühls als Feindbild und der damit verbundenen Strategie der Entemotionalisierung einerseits, andererseits die Idee der Nutzbarkeit des Gefühls im Theater als Strategie eines Affektmanagements zu untersuchen, wird zunächst Piscators Schrift Das Politische Theater analysiert und die Stellung des Gefühls innerhalb seines theoretischen Ansatzes herausgearbeitet. In einem zweiten Schritt wird gezeigt, welche Strategien sich im Bühnenraum beobachten lassen, um die theoretischen Ansätze der Entemotionalisierung auf das praktische politische Theater zu übertragen. Als einer der Revolutionäre des Theaters im beginnenden 20. Jahrhundert entwirft Erwin Piscator ein episches Theater, das vor allem mit der damaligen bürgerlichen Dramatik bricht. Dabei verfasst er keine eigenen Stücke, sondern prägt die sich entwickelnde Rolle des Regisseurs als eigenständigem Künstler.8 So sind die starke Bearbeitung von dramatischen Texten, die als Material verwendet und mit Dokumenten, Filmen, Projektionen angereichert werden, sowie die Neugestaltung und -definition des Bühnenraums und die theoretische Aufarbeitung dieser neuen Theaterform insgesamt als Teile eines Werk zu verstehen, das sich aufgrund seiner ausgiebigen Dokumentation bis heute erschließen lässt.
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Während auf Piscators Texte in praktisch jeder Studie zum politischen Theater Bezug genommen wird, werden diese selten als eigenständige theoretische oder literarische Werke rezipiert und problematisiert. Für die Untersuchung der Rolle der Emotionen bietet sich ein solches Vorgehen jedoch an, schließlich entwickelt Piscator gerade hier sein grundlegendes Verständnis von ihrer Funktionsweise und dem damit verbundenen Zweck. Als Programmschrift gelesen, lässt der Text sich darüber hinaus als Arbeit am eigenen Mythos verstehen. So stellt dieser eine strategisch kuratierte und literarisch aufgearbeitete Version der Entwicklung des politischen Theaters dar und lässt sich so weniger als dessen Dokumentation denn als seine Konstruktion verstehen. Das knapp 200 Seiten umfassende Buch Das Politische Thea ter, erstmals erschienen 1929 unter Mitarbeit des Dramaturgen Felix Gasbarra, ist laut einleitender Worte der Versuch, alle »Fakten und Geschehnisse« historisch aufzuzeigen und »die aus ihnen gewonnenen theoretischen Erkenntnisse« zu fixieren.9 Gleichzeitig liegt damit ein autobiografischer Bericht über Piscators eigene Entwicklung am und mit dem Theater in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen vor. In seinem Zentrum steht die Figur Piscators, sodass dieser selbst direkt in der Einleitung vorwarnt: »In diesem Buch wird mein Name sehr oft vorkommen.«10 Das Politische Theater setzt folglich mit Piscators eigener Zeitrechnung an, die am 4. August 1914 beginnt, wo der damals Zwanzigjährige als Student und Volontär am Münchner Hoftheater den Beginn des Krieges erlebt. Von hieran zeichnet Piscator die Geschichte seines Theaters bis in das Jahr 1929 nach. Er schreibt dabei detailliert über jede einzelne Inszenierung und ihre Umstände, die Mitarbeiter, Bühnen, Finanzprobleme, politischen Widerstände, Streitigkeiten. Vermittelt wird all dies von einem Ich-Erzähler. Die Erzählung ist jedoch durchsetzt von Kommentaren ausgewählter Zeitgenossen, Rezensionen aus diversen Zeitungen, Dokumenten, wie beispielweise Protokolle von Versammlungen, Tabellen, Programmheften. Reichlich ausgestattet mit Zeichnungen, Skizzen und Fotografien entsteht ein eigenwilliger Text, der ständig zwischen Autobiografie, Zeitbericht und theoretischer Schrift schwankt. Dabei bedient sich Piscator der Technik der Montage, die typografisch durch die Nutzung zweier verschiedener Schriftarten zusätzlich unterstrichen wird. So lässt sich eine Grundschrift erkennen, jedoch treten immer wieder in Blöcken gesetzte Einschübe hervor, die wie ein Kommentar oder eine Nebenerzählung erscheinen, aber nicht als solche funktionieren. Die bereits erwähnten Zeichnungen und Originalprogramme brechen zusätzlich das Schriftbild auf und betonen damit die Materialität des Textes ebenso wie seine Zusammengesetztheit. Die markante Textform gibt bereits einen Ausblick auf das Theater Piscators selbst, das mit dem Prinzip der Montage arbeitet und die Form der politischen Revue entwickelt. Es schwankt dabei – wie auch der Text – stets zwischen den Polen des subjektiv Gefühltem und des dokumentarisch Belegtem. Passenderweise beschreibt Piscator die Entwicklung seines politischen Theaters als Kombination aus einem Umschwung im Gefühl und daraus resultierender Theorie: »Lange Zeit, bis in das Jahr 1919 hinein, waren Kunst und Politik zwei Wege, die nebeneinander herliefen. Im Gefühl war zwar ein Umschwung erfolgt. […] Zu diesem Umschwung im Gefühl mußte noch eine theoretische Erkenntnis hinzutreten, die alles das,
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was ich ahnte, klar formulierte.«11 Im Kern ist es also ein Gefühl, das Piscator als Auslöser für sein neues Theater ausmacht. Die von ihm angestrebte »aktiv, kämpferisch, politisch« motivierte Kunst ist damit keine reine Kopfgeburt, sondern das emotionale Produkt aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der Niederlage der russischen Revolution und der Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.12 Die Beschreibung dieser Entwicklung verrät einiges über Piscators theoretisches Verständnis von Emotionen. So sind diese die Stoßrichtung, aus der eine politische Kunst entsteht, sie werden also nicht negiert. Jedoch bleibt das Gefühl nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem politischen Theater. Auf die Initialemotion folgt eine theoretische Erkenntnis, die diese einhegt und aus »Gefühlselemente[n]« konkrete politische Forderungen entstehen lässt.13 Emotionen müssen also erst erkannt, dann im Sinne der sozialistischen Weltanschauung geleitet werden. Sie werden regelrecht gemanagt. Die Abkehr vom Gefühl beschreibt Piscator damit als eine Entwicklung, in der »aus dem Gefühlsüberschwang der unpathetisch harte Kampf [wurde], in den wir hineinwuchsen.«14 Einen solchen gefühlskalten Kampf erkennt Piscator zunächst in der Kunst der Berliner Dadaisten, die »ihrerseits die Kunst ihrer Gefühle entkleideten oder – nach dem letzten Stand der Terminologie – sie ›einfrosteten‹, ›auskühlten‹.«15 Diese auch von Piscator propagierte Ablösung der Kunst vom Gefühl gewinnt durch ihr Negativ zusätzlich an Kontur. So beobachtet er, dass gleichzeitig mit der Dada-Entwicklung »eine neue Gefühlsinvasion von Seiten der O-Mensch-Dramatiker« aufkommt, die er als Revolution des Individuums beschreibt.16 Gemeint ist eine Kunst, die sich stets auf einen Einzelnen konzentriert, der sich gegen sein persönliches Schicksal aufbäumt. Piscators Ablehnung dieser Dramatik auf der Basis ihrer Gefühlslastigkeit zeigt, dass das Gefühl auf dem Theater, gegen das Piscator hier polemisiert und sein politisches Theater formiert, unmittelbar an das heroische Subjekt geknüpft ist. Dem Menschenbild der sogenannten »O-Mensch-Dramatik« und des bürgerlichen Theaters stellt Piscator folglich auch keinen nicht-fühlenden, un-emotionalen Menschen entgegen, sondern das Kollektiv, bestehend aus »kollektiv-fühlenden, -denkenden und -handelnden Menschen.«17 Damit wird der Held als heroischer Faktor abgelöst. Er wird ersetzt durch »die Zeit und durch das Schicksal der Massen.«18 Das Individuum spielt natürlich weiterhin eine Rolle. So schreibt Piscator an anderer Stelle, die naheliegende Kritik vorwegnehmend: »Verliert dadurch der einzelne die Attribute seiner Persönlichkeit? Haßt, liebt, leidet er weniger als der Held der vorigen Generation? Gewiß nicht, aber alle Empfindungskomplexe sind unter einen anderen Gesichtswinkel gerückt worden. Nicht mehr er allein, losgelöst, eine Welt für sich, erlebt sein Schicksal. Er ist untrennbar verbunden mit den großen politischen und ökonomischen Faktoren seiner Zeit […].«19 Mit dem neuen »Gesichtswinkel« geht eine Abkehr von der Fokussierung auf jene privaten Emotionen einher, die den Einzelnen isolieren, da sie eine Konzentration des Individuums auf seine Innenwelt bedeuten. Das Fühlen selbst wird hingegen politisiert, indem es kollektiv und damit unmittelbar an das Schicksal des Proletariats geknüpft wird.
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Die Fronten sind damit geklärt: Auf der einen Seite steht eine Dramatik, welche die individuelle Gefühlswelt des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt; auf der anderen zunächst die dadaistische »Entkleidung« der Kunst vom Gefühl und in der Folge das politische Theater Piscators, das eine gebändigte, nun kollektive Emotionalität als Mittel im Klassenkampf einsetzen will. Es steht also das lyrische gegen das epische Theater.
Zeitung und Theater: Beweis gegen Gefühl Mit seinem Ziel, das Theater als künstlerisches Mittel der proletarischen Bewegung einzusetzen, knüpft Piscator an Entwicklungslinien des späten 19. Jahrhunderts an. So werden ausgehend vom Naturalismus in der Literatur Darstellungen sozialer Milieus abseits des Bürgertums auf die Theaterbühne gebracht, die wiederum durch das entstehende Volksbühnensystem der ermäßigten Eintrittspreise auch den Arbeitern zugänglich wurde.20 Piscator stellt die vormalige Bühne als den Ort des eleganten Bürgertums dar, hier sollte »das Gefühl, die Seele herrschen, über den Alltag hinaus der Blick geöffnet werden in eine Welt des Schönen, Großen und Wahren.«21 Die Zeitung hingegen konstruiert er als Medium, das Raum für die Darstellung der Hässlichkeit des Alltags schafft und über Themen des Proletariats berichtet.22 Das Zusammenbringen von Theater und Proletariat und damit auch den Mitteln und Inhalten der Medien Theater und Zeitung ist das Projekt des politischen Theaters. Dabei soll dieses nicht länger, wie er es für das bürgerliche Theater behauptet, »allein gefühlsmäßig auf den Zuschauer wirken, nicht mehr nur auf seine emotionelle Bereitschaft spekulieren.«23 Stattdessen wendet es sich an dessen Vernunft und Realitätssinn. Piscator etabliert damit den Beweis als Gegenbegriff zum Gefühl – womit auch die gegensätzlichen Zuschreibungen zu den Medien Zeitung und Theater wieder aufgegriffen werden. Der Kontrast wird deutlich in einer Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller Ernst Toller während der Zusammenarbeit am Stück Hoppla, wir leben! 1927. In einem für Piscator charakteristischen Arbeitsprozess wird Tollers Stück für die Inszenierung maßgeblich modifiziert. Der Text wird gekürzt, dann um einen »realistischen Unterbau« erweitert.24 Die Zeitung bricht sozusagen in das Theater ein. Der Umbau des Stücks durch den Einbau des »realistisches Unterbaus« wird nötig, da Toller, laut Piscator, das »Dokumentarische mit dem Dichterisch-Lyrischen« durcheinander bringt: »Man kann nichts gegen die bürgerliche Weltordnung beweisen, wenn die Beweise nicht stimmen, und sie stimmen nicht, wenn das Gefühl den Ausschlag gibt.«25 Wieder werden die Gegensätze lyrisch – episch und Gefühl – Beweis bemüht, um Piscators Auffassung eines politischen Theaters zu skizzieren. Wieder wird ein starkes Negativexempel statuiert, gegen das Piscator selbst sich abgrenzen und theoretisch ankämpfen kann. In diesem Fall ist es der Schriftsteller Toller, dessen durch den Expressionismus geprägte Sprache und eigene Gefühlswelt Piscator als »schwere Belastung für den Stoff« bezeichnet, der mit allen Mitteln entgegengewirkt werden muss.26
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Nachdem die Konstruktion des Beweises als Gegenspieler für das unerwünschte Gefühl im theoretischen politischen Theater herausgearbeitet wurde, wird nun anhand der praktischen Theaterarbeit Piscators nach Strategien der Entemotionalisierung gesucht, die diese theoretische Abgrenzung auf das Theater übertragen. Dafür rückt der Bühnenraum ins Blickfeld, der zum Austragungsort dieser Versuche wird.
Die Simultanbühne als Strategie der Entemotionalisierung Piscator und die Theater-Avantgarden der Weimarer Republik, wie der bereits genannte Max Reinhardt oder auch Leopold Jessner, entwickeln in Anschluss an die revolutionären Theaterentwürfe des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein neues Verständnis der Bühne, die nicht länger statisches Bild ist, sondern Raum wird.27 Diese Wende der Perspektive auf die Bühne weg von einem rein dekorativen Element hin zum funktionalen Bühnenraum basiert auf Ansätzen aus verschiedenen Richtungen. Sie ist einem Umdenken des Verhältnisses von Publikum und Bühne durch die Erschließung neuer Spielstätten und die Ablösung der klassischen Guckkastenbühne als Universallösung ebenso geschuldet wie den zahlreichen neuen technischen Möglichkeiten. Die Bühne wird zu dem Ort, an dem sich die Diskurse um Wahrnehmung, Technik, Kunst, Politik und Emotionen treffen und ihren künstlerischen Ausdruck finden. Piscator treibt zwei grundlegende Entwicklungen auf die Spitze: die Entdeckung der Bühne als dramaturgische Instanz und die Bedeutung der Technik für dessen Erschaffung und Nutzung. Im funktionalisierten Bühnenraum materialisieren sich darüber hinaus die theoretischen Ansätze des politischen Theaters und ihre Strategien zum Emotionsmanagement. Piscators Inszenierung des Stücks Hoppla, wir leben! zeigt dabei exemplarisch auf, wie die Entemotionalisierung des Bühnenraums aussehen kann. Das Stück handelt von einem jungen Revolutionär, der nach acht Jahren Haft und Psychiatrie eine völlig veränderte Welt vorfindet, an der er scheitert. Bereits im Text ist angelegt, dass das Stück auf einer Simultanbühne gespielt werden soll, die mal ein Grand Hotel samt edlem Klubraum und Gesindezimmer, mal das Gefängnis mit seinen verschiedenen Zellen darstellt.28 Der Bühnenbildner Traugott Müller entwirft als solche eine »lichttransparente Etagenbühne«, die auf drei Stockwerken je ein Zimmer links und rechts von einem mittleren Schacht anordnet, gekrönt von einer Kuppel |Tafel IX und Abb. 1|.29 Die einzelnen Zimmer können nun sowohl gleichzeitig als auch im raschen Wechsel bespielt werden, ermöglicht durch eine präzise Lichtregie, wie Szenenfotos zeigen |Abb. 2|. Die so durch die Anordnung mehrerer sichtbarer Schauplätze neben- und übereinander erschaffene Raumkonstellation visualisiert dabei die gesellschaftliche Ordnung. Sie soll einen »sozialen Querschnitt« darstellen und präzisieren, der sich zum Beispiel im Verhältnis zwischen Angestellten und Besuchern des Grand Hotels ausdrückt.30
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1 Traugott Müller: Hoppla, wir leben! Bühnenmodell (Fotograf unbekannt), 1927, S-W-Fotografie, Silbergelatine, Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, Theaterhistorische Sammlungen, Nachlass Traugott Müller
2 Hans Böhm: Szenen fotografie Hoppla, wir leben!, 1927, S-W-Fotografie, Ermanox-Aufnahme, Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, Theaterhistorische Sammlungen, Nachlass Traugott Müller
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Der Einsatz der Simultanbühne in mehreren Stücken Piscators kann als eine Strategie zur Umsetzung der Ziele des politischen Theaters gelesen werden.31 Zunächst dient sie dazu, auf der Bühne ein System als Ganzes zu zeigen. Komplexe Ordnungen wie soziale Machtgefälle werden auf einen Blick sichtbar gemacht. Damit soll der räumliche Fokus nicht länger auf dem heroischen Subjekt, dem Individuum, sondern tatsächlich auf dem Schicksal des Proletariats als Ganzem liegen, das zum formgebenden Faktor wird. Mit der Bühnenform wird dabei auch die Perspektive des Publikums erweitert. Indem es einen Überblick präsentiert bekommt, wird es über das System und seine eigene Position darin aufgeklärt, es wird im Piscator’schen Sinne erzogen, indem die gesellschaftlichen Zusammenhänge räumlich greifbar gemacht werden. Die auf der Bühne gezeigten sozialen und historischen Ordnungen werden jedoch nicht statisch dargestellt, sondern der Bühnenraum wird von den Schauspielern belebt. Damit wird auch das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen über den Raum und die Bewegung des Körpers in diesem darstellbar. Die gegen das starre System gesetzte Bewegung kann wiederum im Rahmen von Piscators Zielsetzung der Aktivierung des Publikums als geschickte Strategie verstanden werden: So sollen die Zuschauer schließlich durch die agitierende Wirkung des politischen Theaters im Anschluss an die Vorstellung tätig werden und die bestehenden Zustände ändern. Ob dieses Ziel erreicht wurde, bleibt selbstverständlich offen.32 Die Simultanbühne wird jedoch zumindest theoretisch ein effizientes Werkzeug zur Entemotionalisierung in Piscators Sinne: Der Mensch auf der Bühne, sein Schicksal und seine Gefühle, werden durch den Raum in einen größeren gesellschaftlichen Kontext eingeordnet. Die Bühne selbst relativiert und kommentiert damit die individuellen Gefühlswelten der Figuren und ordnet sie in den Gesamtzusammenhang der propagierten Weltsicht ein.
Der Film als Werkzeug des Emotionsmanagements Einen weiteren theoretischen Ansatz des politischen Theaters Piscators zur Entemotionalisierung des Bühnenraums stellt die Einbindung des Belegs als Korrektiv des Gefühls dar. Dafür ist maßgeblich der Film verantwortlich, der schon für die Architektur der HopplaBühne essentiell ist |Tafel X|. So sorgt ein komplexes System aus einem weißen und schwarzen Schleier sowie zwei Projektionsflächen dafür, dass diese Bühne sowohl von hinten als auch von vorne bestrahlt, einzelne Flächen im Mittelfeld und vor der Bühne angespielt und das gesamte Spielgerüst in eine einzige Filmleinwand verwandelt werden kann.33 Die zentrale Rolle des Films zeigt sich also im Bühnenaufbau, doch auch der Umfang der Filmsequenzen und der mit ihnen verbundene Arbeitsaufwand kann an dessen Bedeutung keinen Zweifel lassen. So wird allein, um die acht Jahre darzustellen, die Karl Thomas im Gefängnis verbringt, von Curt Oertel ein etwa 3000 Meter langer »Zwischenfilm« gedreht, basierend auf einem Manuskript, das »eine wochenlange historische Vorarbeit erforderte.«34 Dafür wurden, laut Piscator, rund 400 »Daten der Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft, Sport, Mode
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usw.« ausgewählt und verarbeitet, die Archive der Filmgesellschaften nach authentischen Aufnahmen der Jahre durchsucht.35 Dieser Arbeitsprozess zeigt beispielhaft, was mit Beleg gemeint sein kann. Es ist die vermeintlich realistische Darstellung der Gesellschaft und ihrer politischen, wirtschaftlichen und historischen Hintergründe, die Piscator dadurch garantiert sieht, dass originale Filmaufnahmen aus dem jeweiligen Jahr mit gespielten Szenen um das Leben Thomas’ zusammengeschnitten werden.36 Die Verwendung des Films in der HopplaInszenierung knüpft direkt an die anhand der Simultanbühne herausgearbeitete Strategie zur Ablösung der Darstellung der Gefühlswelt des Einzelnen durch das fühlende Kollektiv an. Das Einspielen diverser Originalaufnahmen historischer Ereignisse dient nicht zuletzt dazu, aufzuzeigen, dass das Einzelschicksal des Protagonisten aus den historischen Gegebenheiten abgeleitet werden kann. Gleichzeitig wird durch die Filmsequenzen die Verbindung des Lebens der Figur Thomas mit dem Krieg und der Revolution und damit mit dem Kollektiv hergestellt.37 So soll der Film, eingesetzt als dramaturgisches Mittel und integriert in den Bühnenraum, das umsetzen, was Piscator als sozialistische Dramaturgie bezeichnet: Aus einem individuellen Helden wird ein Beispiel des Kollektivs. Aus einem privaten Schicksal wird ein durch die gesellschaftlichen Umstände bedingtes und damit generalisierbares. Dieser Vorgang lässt sich ebenso auf das Verhältnis zwischen Bühnengeschehen und Publikum übertragen. Der Zweck, den Piscator mit dem Film verbindet, ist die »zeitliche« Erweiterung des Stoffs zur Erreichung der »Steigerung des Scenischen ins Historische« und damit die »Schaffung einer Verbindung zwischen Bühnenhandlung und den großen historisch wirksamen Kräften.«38 Auf der inhaltlichen Ebene bedeutet dies eine Kontextualisierung des auf der Bühne Gezeigten, eine Einordnung in das historische Ganze. So dienen die filmischen Zwischenspiele in Hoppla, wir leben!, zum Beispiel Eine Großstadt 1927, das »Straßenbahnen, Autos, Untergrundbahnen, Aeroplane« zeigt, dazu, die Bühne nicht länger als eine fremde Realität darzustellen.39 Es wird keine Wirklichkeit vorgeführt, die weit entfernt vom Zuschauer existiert, stattdessen steht der Bühnenraum in direktem Bezug zu dessen Lebenswelt und weist damit über sich selbst hinaus. Im Falle der Urinszenierung von Hoppla befindet sich das Publikum dann auch genau am Ort des filmischen Zwischenspiels: in einer Großstadt im Jahre 1927. Der Mikrokosmos des Theaters bildet damit den Makrokosmos der Außenwelt in einer Bewegung der Verschachtelung oder Umschließung ab. Um das praktische Gelingen dieses theoretischen Anliegens zu beweisen, zitiert Piscator in Das Politische Theater die Besprechung seiner frühen Inszenierungen von Die Kanaker aus der KPD-Zeitung Die Rote Fahne vom 12. April 1921: »Das Publikum fühlt, daß es hier einen Blick in das wirkliche Leben getan hat, daß es Zuschauer nicht eines Theaterstücks, sondern eines Stückes wirklichen Lebens ist.«40 Im Rahmen von Piscators Dramaturgie wird damit auch der Film zu einem Mittel der Aktivierung gemacht. Durch seine Einbindung soll eine direkte Verbindung zum Publikum aufgebaut werden, indem es durch die realistische Darstellung seiner Lebensbedingungen in das Bühnengeschehen eingeschlossen wird. Im durch den Film hergestellten Bezug zwischen Bühnengeschehen und der alltäglichen Welt des Publikums lässt sich somit eine weitere Strategie identifiziert, um die Darstellung individueller
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Gefühlswelten abzulösen und damit das Theater zu einem Ort des kollektiven Gefühls werden zu lassen. Gerade an dieser Stelle zeigt sich aber auch das Spannungsfeld, das aus der doppelten Rolle des Films als Werkzeug zur Entemotionalisierung und gleichzeitig als Mittel der (emotionalen) Aktivierung entsteht. Denn obwohl Piscator den Beleg in Form vom Film als dokumentarische Intervention gegen das Gefühl intendiert, lässt sich der emotionale Gehalt der filmischen Realität kaum leugnen. Dies verdeutlicht beispielhaft der Einsatz des Films im Stück Trotz alledem!, einer »historischen Revue aus den Jahren 1914 bis 1919 in 24 Filmen und Zwischenszenen«, die am 12. Juli 1925 im Großen Schauspielhaus anlässlich des Parteitags der KPD Premiere feierte.41 Bereits in dieser Inszenierung wird der Film als Dokument verstanden. Gezeigt wurden authentische Aufnahmen aus dem Krieg, die aus dem Material des Reichsarchivs stammten. Diese »zeigten brutal das Grauen des Krieges: Angriffe mit Flammenwerfern, zerfetzte Menschenhaufen, brennende Städte […].«42 Dass das Vorführen von Filmaufnahmen dieser Art einen starken Effekt auf das Publikum hatte, war selbstverständlich einkalkuliert: »Auf die proletarischen Massen mußten die Bilder aufrüttelnder wirken als hundert Referate.«43 Diese aufrüttelnde Wirkung lässt sich nicht bloß über das aufklärerische Potential der filmischen Dokumente erklären, sondern über eine emotionale Reaktion auf den Horror der Bilder – gezeigt einem Publikum, das die realen Schrecken des Krieges größtenteils miterlebt hatte.44 Paradoxerweise ist es damit gerade der sogenannte Beleg, der die Bühne zusätzlich emotionalisiert, indem er die Verbindung zwischen Publikum und Bühnengeschehen stärkt. Über dieses Paradox wird zum einen die Diskrepanz zwischen Piscators theoretischem Ansatz und seiner Theaterpraxis deutlich. Zum anderen lässt sich anhand des Einsatzes des Films und seiner Wirkung erneut zeigen, wie Piscator sein politisches Theater gerade über den Umgang mit Emotionen von anderen avantgardistischen Theaterentwürfen abgrenzt. So auch gegen Sergei M. Eisenstein, der in den 1920ern in Russland am Proletkult-Theater ebenfalls Film und Theater kombinierte und anschließend als Filmregisseur mit Panzerkreuzer Potemkin (1925) weltberühmt wurde. Im Gegensatz zu Piscator kalkuliert Eisenstein die emotionale Wirkung von Montage in Theater und Film in seinen theoretischen Ansatz prominent ein.45 1923 schreibt er über das Theater, dass dieses das Publikum durch aggressive Momente einer »Einwirkung auf die Sinne oder Psyche« aussetzen soll, »die experimentell überprüft und mathematisch berechnet ist auf bestimmte emotionelle Erschütterungen des Aufnehmenden.«46 Den Film bezeichnet er an anderer Stelle als »Faktor emotionaler Einwirkung auf die Massen«.47 Piscator reagiert auf Eisensteins Ideen in einem Artikel in Die Rote Fahne vom 1. Januar 1928. Er argumentiert, dass, ginge es lediglich darum, die Massen aufzurütteln, ein Boxkampf oder Wettrennen ebenso wirksam wäre wie ein Film: »Das politischproletarische Theater gäbe sich selbst auf, wenn es nur an die primitiven Instinkte und Gefühle appellieren wollte. Gerade dieses Theater kann nur wirken, wenn es zu überzeugen […] vermag.« 48 Damit kritisiert Piscator Eisenstein aufgrund seiner Zielsetzung, die Massen emotional aufrütteln zu wollen und zieht daraus den Schluss, dass die Zuschauer auf diesem
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Wege nicht überzeugt, sondern lediglich »enthusiasmiert« werden könnten.49 Unabhängig von der Frage, ob Piscator damit der komplexen Filmtheorie Eisensteins gerecht wird, verdeutlicht diese Kritik einmal mehr, dass Piscator die Erzeugungen von Emotionen im Theater als reinen Selbstzweck ablehnt, da diese für ihn im Widerspruch zur Idee der Beweisführung einer marxistischen Philosophie steht.50 Piscator kann, so zeigt sich erneut, eine einkalkulierte emotionale Wirkung theoretisch nicht mit seiner Auffassung vom politischen Theater vereinen, was nicht zuletzt mit seinem engen Begriff von Gefühl zusammenhängt, der eine differenziertere Position im Rahmen seines theoretischen Theaterprogramms kaum zulässt.
Fazit: Gefühle unter der Glasglocke Dass Theater nicht ohne Emotionen zu denken ist und auch die Aktivierung des Publikums sich nicht vollständig von diesen lösen lässt, dessen ist sich Piscator bei aller theoretischen Polemik gegen die primitiven Gefühle bewusst. So gesteht er ein, dass das Drama »sicherlich beide Elemente, das Dokumentarische und das Emotionelle, das Lyrische« fordert: »Aber für uns, für den Zweck unseres Theaters muß auch das Gefühl klar eingeordnet und von allen Seiten sichtbar wie unter einer Glasglocke dem Zuschauer bewußt gemacht werden; auch Gefühle dienen uns zum Beweis unserer Weltanschauung«.51 Dieser Satz fasst die Ergebnisse der Untersuchung der Rolle der Emotionen im politischen Theater passend zusammen. Diese sind notwendige Agenten der Agitation, müssen dafür jedoch gezähmt und dem Zweck der kollektiven sozialistischen Aufklärung untergeordnet werden. Anhand der Simultanbühne und des Films wurde beispielhaft gezeigt, dass Piscator Strategien des Emotionsmanagements entwickelt, die im Bühnenraum ansetzen. Diese sollen Emotionen, dargestellt auf der Bühne sowie empfunden im Zuschauerraum, vom Individuellen ins Kollektive überführen. Die Voraussetzung dafür ist, dass das Publikum selbst als fühlende Einheit verstanden wird. Es wird zu einem »neue[n] Wesen, mit besonderen Gefühlen, Impulsen, Nerven begabt.«52 Der funktionale Bühnenraum lässt sich damit als ein System des ausgeklügelten strategischen Emotionsmanagements verstehen: Auf die Ent-emotionalisierung des Bühnengeschehens folgt eine Re-emotionalisierung, die das Publikum kollektiv ergreifen und auf die ideologischen Bahnen des politischen Theaters lenken soll. Unter der Glasglocke des Theaters werden Emotionen damit zum politischen Werkzeug.
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1 Max Reinhardt: Von der Krise des Theaters [1927], in: id.: Ich bin nichts als ein Theatermann. Briefe, Reden, Aufsätze, Gespräche, Auszüge aus Regiebüchern (hrsg. v. Hugo Fetting), Berlin 1989, S. 461–463, S. 461. 2 Erwin Piscator: Das Politische Theater [1929], in: id.: Zeittheater. »Das Politische Theater« und weitere Schriften von 1915 bis 1966 (hrsg. v. Manfred Brauneck u. Peter Stertz), Reinbek 1986, S. 13–235, S. 31. 3 Piscator-Bühne: Das Programm der Piscatorbühne, Nr.1, Berlin 1927, S. 2. 4 Gespräch Max Reinhardts mit Arthur Kahane: »Was mir vorschwebt, ist ein Theater, das den Menschen wieder Freunde gibt…« [1902], zitiert nach id.: Die Träume des Magiers (hrsg. v. Edda Fuhrich u. Gisela Prossnitz), Salzburg u. Wien 1993, S. 32. 5 Zitiert nach Arthur Kahane: Tagebuch des Dramaturgen, Berlin 1928, S. 119. 6 Ibid., S. 63. Wo Reinhardt das Publikum also verzaubert, zielt Piscator auf seine Aktivierung oder gar Überwältigung. Vgl. Erika Fischer-Lichte: Berliner Theater im 20. Jahrhundert, in: id., Doris Kolesch u. Christel Weiler (Hrsg.): Berliner Theater im 20. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 9–42, S. 26. Ähnlich argumentiert Günther Rühle: Theater in Deutschland 1887–1945. Seine Ereignisse – seine Menschen, Frankfurt am Main 2007, S. 496. 7 Piscator schreibt über Reinhardt: »So wie man heute sagt, ich hätte von den Russen entlehnt […], so hat man auch einmal gesagt (irgendwoher muss es doch kommen), ich sei ein Schüler Reinhardts. Stimmt alles nicht. Da ich erst 1918 nach Berlin gekommen bin – also die Glanzzeit Reinhardts gar nicht erlebt habe –, und auch dann nur Stücke sah, die mich stofflich nicht besonders interessierten, kann von einer Beeinflussung gar nicht die Rede sein.« Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 24. 8 Vgl. Manfred Brauneck: Bemerkungen zu einer Typologie des modernen Dramas, in: id.: Das deutsche Drama vom Expressionismus bis zur Gegenwart: Interpretationen, Bamberg, 2. erw. Aufl. 1972, S. 7–20, S. 19. 9 Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 15. In der ersten Auflage erschienen im Adalbert Schulz erlag umfasste es 320 Text- und 32 Bildseiten. Siehe Buchhandelsanzeige von 1929: http://erwinV piscator.de/das-politische-theater/; letzter Zugriff: 06. September 2018. 10 Ibid. 11 Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 25. 12 Ibid., S. 25; vgl. ibid. S. 28. 13 Ibid., S. 29. 14 Ibid., S. 28. 15 Ibid. Piscator gehörte in Berlin zeitweise den »Bilderstürmern« der Dadaistischen Gruppe um George Grosz und John Heartfield an, um dem näher zu kommen, was er als Kunst im Dienste der Politik und damit als Mittel im Klassenkampf verstand. 16 Ibid. S. 29. Auch Brecht bezeichnet das vorherige als »Die Oh-Mensch-Dramatik mit ihren unrealistischen Scheinlösungen«. Siehe Bertolt Brecht: Bei Durchsicht meiner ersten Stücke [1953/54], in: id.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe (hrsg. v. Werner Hecht et al.), Bd. 23 (Schriften 3), Frankfurt am Main 1993, S. 239–244, S. 240. 17 Ibid., S. 123.
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18 Ibid., S. 124. 19 Ibid. 20 Vgl. ibid., S. 32. 21 Ibid. 22 Vgl. ibid. 23 Ibid., S. 41. 24 Zur bei weitem nicht konfliktfreien Zusammenarbeit zwischen Toller und Piscator, siehe Ulrike Haß: Auge oder Ohr? Piscators ›Politisches Theater‹ und Tollers Hoppla, wir leben! in Berlin 1927, in: Fischer-Lichte, Kolesch u. Weiler 1998, S. 117–132, S. 129; Klaus Schwind: Die Entgrenzung des Raum- und Zeiterlebnisses im ›vierdimensionalen Theater‹, in: Erika Fischer-Lichte (Hrsg.): Theateravantgarde: Wahr nehmung – Körper – Sprache, Tübingen u. Basel 1995, S. 58–88, S. 67. In Fußnote 11 arbeitet Schwind die starken Abweichungen zwischen Tollers Textentwurf und der Druckfassung heraus. Friedrich Wolfgang Knellessen: Agitation auf der Bühne: das politische Theater der Weimarer Republik, Emsdetten 1970 (Die Schaubühne: Quellen und Forschung zur Theatergeschichte, Bd. 67), S. 116 ff. Knellessen schreibt jedoch, dass die dramaturgische Bearbeitung von Piscator und Toller gemeinsam durchgeführt wurde durch Umstellung, Striche und Ergänzungen. Darüber hinaus gibt es einen detaillierten Überblick über Änderungen und Unterschiede in den Versionen. In der Piscator-Sammlung des Archivs der Akademie der Künste in Berlin befindet sich darüber hinaus eine Kopie des Regiebuchs. 25 Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 138. 26 Ibid., S. 140 f. 27 Genannt seien Adolphe Appia oder Edward Gordon Craig, dessen »überdimensionale Dekorationen« Piscator eine »Sensation des Theaters« nennt. Siehe Erwin Piscator: Technik – eine künstlerische Notwen digkeit des modernen Theaters [1959], in: id. 1986 (Zeittheater), S. 322–340, S. 323. 28 Bei der Simultanbühne handelt es sich um eine historische Bühnenform, die für die Mysterienspiele oder geistlichen Spiele der Vormoderne prägend war. Mit dem ausgehenden Mittelalter verschwand die Simultanbühne weitestgehend aus dem europäischen Theater, bis sie besonders im Theater der Weimarer Republik wieder modern wurde. Neben mehreren Stücken Piscators kann Heinz Hilperts Inszenierung von Ferdinand Bruckners Die Verbrecher im Deutschen Theater 1928 als Beispiel für Simultandramatik gelten. Für einen ausführlichen Überblick über Simultandramatik von ca. 1929–1945 vgl. Karin Hörner: Möglichkeiten und Grenzen der Simultandramatik. Unter besonderer Berücksichtigung der Simul tandramen Ferdinand Bruckners, Frankfurt am Main 1986 (Beiträge zur Literatur und Literaturwissenschaft, Bd. 6), S. 274 ff. 29 Piscator bezeichnet die Bühne als solche in einem Vortrag, gehalten am 25. März 1929 im ehemaligen Herrenhaus, Berlin. Vgl. Erwin Piscator: »Rechenschaft 1« [1929], in: id.: Theater der Auseinandersetzung. Ausgewählte Schriften und Reden, Frankfurt am Main 1977, S. 23–30, S. 25. 30 Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 141. 31 Weitere Inszenierungen Piscators mit Simultanbühnen sind Die Räuber von Schiller, Premiere am 10.9.1926 im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, Berlin oder die Globus-Segment-Bühne der zweiten Inszenierung der Piscator-Bühne, Rasputin, die Romanows, der Krieg und das Volk, das gegen sie aufstand, uraufgeführt am 10. November 1927. Beide Bühnen wurden von Traugott Müller entworfen.
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32 Vgl. Erika Fischer-Lichte: Politisches Theater als (kultur-)revolutionäre Aktion. Zum Montage-Verfah ren in Piscators Theater in der Weimarer Republik, in: Horst Fritz (Hrsg.): Montage in Theater und Film, Tübingen u. Basel 1993 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater, Bd. 8), S. 97–120, 117 f. 33 Vgl. Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 141. Siehe auch die bautechnischen Zeichnungen von Julius Richter, die sich im Archiv des Instituts für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin, Theaterhistorische Sammlung Walter Unruh, Nachlass Julius Richter, befinden. 34 Ibid., S. 142. 35 Ibid. 36 Die Beeinflussung durch die Einbettung dieser Aufnahmen, den Zusammenschnitt und die generelle Manipulierbarkeit von Filmmaterial wird nicht thematisiert. Die Gleichung scheint zu sein: der Film ist Fakt ist die Realität. 37 Vgl. ibid., S. 142. 38 Ibid., S. 64. 39 Ernst Toller: Hoppla, wir leben! [1927], Stuttgart 2011, S. 21. 40 Die Rote Fahne, 12. April 1921, zitiert nach Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 46. 41 Das Programm ist abgedruckt in: ibid., S. 65. 42 Ibid., S. 64. 43 Ibid. 44 Vgl. ibid; vgl. Fischer-Lichte 1993 (Politisches Theater), S. 102. Auch Guido Hiss bezeichnet den Film als »emotionalisierendes Medium zwischen Bühne und Zuschauerraum«, vgl.: id.: Synthetische Visionen: Theater als Gesamtkunstwerk von 1800 bis 2000, München 2005 (Aesthetica Theatralia, Bd. 1), S. 255. 45 Zu Eisensteins Montagetheorie vgl. Erika Fischer-Lichte: Von der ›Montage der Attraktionen‹ zur Montage des Synästhesien. Zu Eisensteins Entwicklung einer Sprache des Theaters, in: Fritz 1993, S. 25–52; Hanno Möbius: Montage und Collage. Literatur, bildende Künste, Film, Fotografie, Musik, Theater bis 1933, München 2000. 46 Sergei M. Eisenstein: Montage der Attraktionen [1923], in: id.: Jenseits der Einstellung. Schriften zur Filmtheorie (hrsg. v. Felix Lenz u. Helmut H. Diederichs), Frankfurt am Main 2006, S. 9–14, S. 10. 47 Sergei M. Eisenstein: Montage der Filmattraktionen [1924], in: id. 2006, S. 15–40, S. 15. 48 Erwin Piscator: Bühne der Gegenwart und Zukunft [1928], in: id. 1986 (Zeittheater), S. 248–253, S. 252. Piscator bezieht sich hier auf einen in der deutschen Presse verbreiteten Artikel Eisensteins sowie explizit auf den Film Panzerkreuzer Potemkin. In Das Politische Theater negiert Piscator den Einfluss Eisensteins auf sein Theater pauschal mit dem Hinweis, dass er dessen (Theater-)Arbeit nicht kannte. Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 63. Nach Erika Fischer-Lichte ist diese Einschätzung berechtigt. Sie betont zusätzlich die unterschiedliche Funktion der Mittel Film und Montage bei beiden Regisseuren. FischerLichte 1993 (Politisches Theater), S. 114, Fußnote 47. 49 Ibid.
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50 Ibid. 51 Piscator 1986 (Das Politische Theater), S. 139. 52 Piscator 1986 (Die Bühne der Gegenwart und Zukunft), S. 252.
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ÜBERMENSCHLICHE TRÄNEN Stalins Tod und die Ästhetik politischer Sekrete PH I L I P P KO H L
Blut, Schweiß und Tränen Eines der großen Rätsel für die Geschichtsschreibung zur Nachkriegszeit sind die Tränen, die nach Stalins Tod in den sozialistischen Staaten vergossen wurden. Wie konnte die Bevölkerung des Erdteils, der von diesem Tyrannen unterjocht worden war, so bitterlich um ihn weinen? Fast kein Zeitzeugnis kommt ohne die Schilderung der kollektiven Tränenausbrüche aus. Allein die emotionalen Beweggründe sind unklar. Es müssen gemischte Gefühle gewesen sein, so viel ist sicher. Von einer »enormous atmosphere of grief and relief« spricht etwa Yuri Glazov.1 Sicherlich waren nicht alle Tränen freiwillig, sondern Verhaltensskripten der totalitären Kultur geschuldet.2 Doch diese Sicht fordern gerade diejenigen heraus, die unter Stalins Herrschaft Schreckliches erlitten und dennoch aufrichtig geweint haben.3 Die Schriftstellerin Evgenija Ginzburg hat mehr als ein Jahrzehnt im Lager verbracht. Schon bei der Nachricht von Stalins Krankheit bricht sie in heftiges Schluchzen aus. In ihren Memoiren begründet sie die Tränen so: »Каюсь: я рыдала не только над монументальной исторической трагедией, но прежде всего над собой. Что сделал этот человек со мной, с моей душой, с моими детьми, с моей мамой.«
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(»Ich bekenne: Ich weinte nicht nur über die unermeßliche historische Tragödie, ich weinte vor allem um mich. Was hatte dieser Mensch mit mir gemacht, mit meiner Seele, mit meinen Kindern, mit meiner Mutter …«).4 Angesichts widersprüchlicher Stimmungsberichte plädiert Jan Plamper dafür, die trauernden Subjekte als fragmentiert und multipel zu verstehen. So werde verständlich, »[…] wie ein historischer Akteur im Laufe eines einzigen Tages Tränen über Stalins Tod vergießen konnte, dann einem Freund einen antistalinistischen Witz erzählte, später das Stalinporträt am Arbeitsplatz mit Trauerflor umwickelte und am Abend einem Fremden in der Eckkneipe Unsicherheitsgefühle anvertraute, wie es denn nun nach Stalins Tod weiterginge.«5 Statt nach weiteren Gründen für die Tränen nach Stalins Tod zu suchen, soll an dieser Stelle ihr Niederschlag in Literatur und Kunst betrachtet werden. Dazu dient die Perspektive einer Ästhetik politischer Sekrete. Ein 1940 von Winston Churchill bekannt gemachtes Zitat definiert den Kanon der Körperflüssigkeiten, die ein Politiker seit dem 19. Jahrhundert in die Waagschale der Repräsentation zu werfen hat: Blut, Schweiß und Tränen. In Anlehnung an ein anderes Politikerzitat gesagt: Politische Sekrete sind das, was vorne herauskommt. Churchill hätte auch andere Sekrete anzubieten, aber im Bereich des Politischen haben sie nichts verloren. 1937 bekommt der Regisseur Dziga Vertov diesen Widerspruch zu spüren: Sein Dokumentarfilm Kolybel’naja (Das Wiegenlied) wird aus den Kinos genommen, nachdem er die Metapher von Stalin als Vater der Nationen (otec narodov) allzu buchstäblich bebildert hat. Eine Szene mit weißen Fallschirmspringern antizipiert die Inseminationsphantasie von Woody Allens Film Everything You Always Wanted to Know About Sex* (*But Were Afraid to Ask) (1972) zur falschen Zeit, am falschen Ort und im falschen Genre.6 Acht Jahrzehnte später wird Armando Ianuccis Film The Death of Stalin (2017) in Russland heftig kritisiert. Wegen der despektierlichen Darstellung Stalins wird der Film zwei Tage vor dem geplanten Kinostart verboten. Die 1948 geborene Schauspielerin und Dumaabgeordnete Elena Drapeko verurteilt die Komödie in einer Parlamentsrede aufs Schärfste und erinnert sich dabei an die »schreckliche Nacht« von Stalins Tod: »А мама, заплетаясь и расплетая косу, ходила по квартире и плакала. […] Думаю, что прав Никита Михалков, что надо заставить всех посмотреть эту гадость, когда Сталин лежит в луже мочи.« (»Meine Mutter flocht sich die Zöpfe, ging in der Wohnung umher und weinte. […] Ich glaube, Nikita Michalkov hat Recht damit, dass man alle zwingen sollte, diese Gemeinheit anzuschauen, als Stalin in einer Urinpfütze liegt«).7
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Es sind auch die nichtpolitischen Sekrete Stalins, deren Repräsentation den Film zum Politikum macht. Dabei herrscht eine eigenartige Amnesie, denn im russischen Kino ist all das schon dagewesen. Aleksej Germans Film Chrustalev, mašinu! (Chrustalev, mein Auto!) (1998) etwa zeigt, wie ein Arzt den sterbenden Stalin untersucht. Zwischen dessen Beinen wird ein dunkler Fleck sichtbar. Einen Kurzauftritt in Germans Film hat auch der Dichter und Künstler Dmitrij Aleksan drovicˇ Prigov (1940–2007). Im vorliegenden Aufsatz spielt er die Hauptrolle, denn sein Werk beschäftigt sich ausführlich mit den Tränen nach Stalins Tod. Am Beispiel von Prigov und Werken seines Schriftsteller-Kollegen Vladimir Sorokin (*1955) versucht der Beitrag, eine postsowjetische Ästhetik politischer Sekrete im Werk zweier einflussreicher Exponenten des Moskauer Konzeptualismus zu verorten, einer Strömung der inoffiziellen Kunst seit den 1970er Jahren. Ihre Arbeiten geben zunächst zu einer anthropologischen Vermutung Anlass: Die Tränen, die Stalins Tod provoziert, kann weder ein einzelner Mensch noch die kollektive Menschheit weinen – es sind übermenschliche Tränen, die die Bedingungen des Menschseins auf die Probe stellen.8 Mit ihnen lassen sich die Paradoxien der Staatstrauer als einer der zentralen politischen Emotionen einer totalitären Kultur untersuchen. Betrachtet werden Tränen als der Sonderfall, bei dem der Ausdruck einer Emotion mit einer sichtbaren Sekretion verbunden ist.9 Im Russischen bezeichnet das Wort ›sekret‹ nicht nur die Körperflüssigkeit, sondern auch das Geheimnis.10 Es soll in der folgenden Analyse also nicht nur um die Überschreitung physischer Grenzen gehen, sondern auch um die Schwelle vom Privaten zum Öffentlichen.
1924, 1953, 1982: Drei Trauerfälle und ihre Aggregatzustände Die kulturgeschichtlichen Eckpunkte dieser Untersuchung markieren die drei charismatischen Herrschertode, die die Sowjetunion jeweils im Abstand von 29 Jahren erlebte: Lenin 1924, Stalin 1953, Brežnev 1982.11 Eine Generation, die den Tod eines Herrschers erlebt hatte, konnte ihre Emotionen auf den Tod des nächsten übertragen. Beim dritten Trauerfall Brežnev sind massenhafte Tränen allerdings nicht bezeugt. Lenin und Stalin starben an Hirnschlägen, Brežnev an einem Herzinfarkt – ein Versagen der politischen Zentralorgane Hirn und Herz, wenn man in den physiognomischen Leitmetaphern der offiziellen Literatur spricht. Es waren, falls keine der zahllosen Verschwörungstheorien zutreffen sollte, natürliche Tode. Jeweils endete nicht nur eine Herrschaftsära, sondern auch ein natürlicher Herrscherkörper, der aufgebahrt und physisch betrauert wurde. Auf christliche Jenseitsideen konnte man dabei nicht zählen. Wie das Problem in den Ritualen von Lenins Einbalsamierung und Ausstellung im Mausoleum gelöst wurde, ist vielfach beschrieben worden. Weniger beachtet wurde das initiale Trauerritual des Beweinens. Vladimir Majakovskij thematisiert es in seinem lyrischen Nekrolog Vladimir Il’icˇ Lenin (1924):
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»Нам ли растекаться слезной лужею, Ленин и теперь живее всех живых« (»Sollen wir etwa / zerfließen / zur Tränenpfütze, – / Lenin / ist auch jetzt / lebendiger als alle Lebenden«) Weil Lenin auch nach seinem Tod lebendig ist, gebietet es sich nicht zu weinen. Geradezu obszön wäre es, vor ihm zu zerfließen. Lenin ist voller ungewöhnlicher Tränenformen und ‑aggregatzustände. Nicht nur Tränenschnee, auch Tränenzapfen gibt es darin: »Сквозь мильоны глаз, и у меня сквозь оба, лишь сосульки слез, примерзшие к щекам.« (»Durch Millionen Augen / und bei mir / durch beide / nur Tränenzapfen/ die angefroren sind / an den Wangen«).12 Als seien die Tränen nie Tropfen gewesen, ragen sie gefroren aus den Augen heraus. Sie haften an den Wangen, ohne zu Boden zu fallen. Im Gegensatz zum auch in Russland berühmten romantischen Träneneis, das Wilhelm Müllers Winterreise besingt, scheint es für Majakovskij im Moment tiefster Staatstrauer kein heißes Inneres zu geben, das das Eis zum Schmelzen bringen könnte.13 Das weist auf den kulturellen Aggregatzustand der Stalinzeit voraus. Wie Il’ja E˙ renburgs Wort vom »Tauwetter« (aus der gleichnamigen Erzählung Otte pel, (Tauwetter) (1954)) zu verstehen gibt, muss sie metaphorisch als Zeit des Eises wahrgenommen worden sein.14 Unabhängig von ihrem emotionalen Gehalt lässt sich die Tränenflut nach Stalins Tod dann zunächst einmal als eine Manifestation physikalischer Art deuten: dass ein flüssiger Aggregatzustand der Kultur überhaupt wieder möglich ist. Stellvertretend für die offiziellen Threnodien nach Stalins Tod soll hier Johannes R. Bechers Gedicht Stalin, du Welt im Licht (1953) stehen. Es heißt darin: »Es irrt auf den Feldern ein Bangen, Die Ähren klagen im Wind. Wohin ist er von uns gegangen? Himmel, wolkenverhangen, Fenster, wie tränenblind.
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Und wieder ein Schrei, ein schriller, Und Sonnenfinsternis Er war unserer Träume Erfüller. Und wieder Stille, noch stiller Und durch die Erde ein Riß.«15 Im Gedicht ist Stalin schon zu Lebzeiten ein geologischer Faktor (»Es schoben die groben Steine, / Kam er des Wegs, sich zur Seit«). Nach seinem Tod scheint sogar die Landschaft zu trauern (»Ströme wie ein Zerfließen / Und wie ein Abschiedsgesang«). Das Bild des Führertods als planetarischer, ja kosmologischer Katastrophe sitzt in der poststalinistischen Kultur so fest, dass sich auch der Dissident Aleksandr Solženicyn seiner nicht erwehren kann. In seinem Roman Rakovyj korpus (Krebsstation) (1967) heißt es – gleichwohl mit bitterem Sarkasmus: »От повальных этих слез казалось, что не один человек умер, а трещину дало все мироздание. Так казалось, что если человечество и переживет этот день, то уже недолго.« (»Bei diesen massenhaften Tränen schien es, als sei nicht ein Mensch gestorben, sondern ein Riss durchs ganze Weltall gegangen. Wenn die Menschheit diesen Tag auch überleben würde, so schien es, dann nicht mehr lange«).16 Ein ästhetisches Interesse an den Tränen selbst hat Solženicyn nicht. Sein Realismus kann Majakovskijs Bilderflut nicht das Wasser reichen. Die erste Zeit nach Stalin ist, mit Becher gesprochen, »tränenblind«. Erst in der Zeit vor dem dritten Herrschertod, der späten BrežnevÄra, entstehen künstlerische Positionen, die die hypertrophen Tränen als künstlerischen Antrieb verstehen. Es sind Arbeiten der inoffiziellen Kunst im Umfeld des Moskauer Konzeptualismus.
Prigov: Das Blut der Schrift und der Karneval der Tränen 1982, im Jahr von Brežnevs Tod, veröffentlicht Dmitrij Prigov zum ersten Mal im Ausland. Der Almanach Katalog enthält eine biografische Selbstauskunft, die von seiner Kindheit erzählt. Ausführlich widmet sich Prigov der Erinnerung daran, wie er als zwölfjähriger Pionier in Moskau um Stalin weint: »Если вспоминать дальше, то встает передо мной мое собственное лицо (странная аберрация памяти: почему мое лицо, а не прочие, людские?), полное горькими слезами по поводу и во дни кончины И. В. Сталина. Собственно, многие плакали, и я плакал вместе со всеми, плакал слезами общими, плакал слезами собственными неложными и запомнившимися мне и поныне.«
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(»Wenn ich mich weiter erinnere, dann entsteht vor mir mein eigenes Gesicht (eine seltsame Aberration des Gedächtnisses: warum mein Gesicht, und nicht Gesichter von anderen Leuten?), voll bitterer Tränen anlässlich und am Tag des Todes von I. V. Stalin. Eigentlich weinten viele, auch ich weinte zusammen mit ihnen, weinte gemeinsame Tränen, weinte eigene, ehrliche Tränen, die mir auch heute im Gedächtnis geblieben sind.«)17 Sein eigenes Gesicht in Tränen zu erinnern, scheint leichter, wenn man gemeinsame Tränen geweint hat. Aber worüber hat man genau geweint? Die Aufrichtigkeit der eigenen Tränen beschäftigt Prigov weiter, Prigov, den postmodernen Dichter, der in den 1980er Jahren eine »neue Aufrichtigkeit« proklamiert.18 »Встает тогда еще вопрос: во имя чего и какой ценой? И теперь, когда я уже далеко не тот мальчик в галстучке, ясно мне, что во имя чего бы там ни было, цены времен моего детства – чудовищны. Но я плакал и чувствую ответственность за эти слезы и в том смысле, что они действительно – слезы, и в том, что для кого-то они, пусть и не прямо, а опосредованно, обернулись кровью.« (»Dann stellt sich noch eine Frage: in wessen Namen und um welchen Preis? Und heute, da ich schon längst nicht mehr der Junge mit Pionierhalstuch bin, ist mir klar, dass, um wessen Preis auch immer, die Preise der Zeit meiner Kindheit ungeheuerlich waren. Doch ich weinte und spüre eine Verantwortung für diese Tränen sowohl insofern sie wirklich Tränen waren, als auch insofern sie sich für irgendjemand, wenn auch nicht direkt, sondern vermittelt, in Blut verwandelten«).19 Der Idee, dass die eigenen Tränen sich für jemand anderes in Blut verwandeln, lohnt es mythopoetisch auf den Grund zu gehen. Sicherlich, der Moskauer Trauermarsch nach Stalins Tod selbst fordert Hunderte Todesopfer, als es zu einer Massenpanik kommt. Doch das kann kaum gemeint sein. Metamorphosen zwischen Blut und Tränen sind in der christlichen Ikonographie ein verbreitetes Motiv. So kann etwa die Gottesmutter das heilige Blut Jesu weinen.20 Ermöglicht wird das durch eine aus der antiken Humoralpathologie stammende Vorstellung der Interkonvertibilität der Fluida.21 In verschiedenen Bildern ist dargestellt, wie entweder Maria selbst oder die personifizierte Ecclesia das Blut aus Jesu Seitenwunde in einem Kelch auffangen, oder wie Jesus die Gläubigen gewissermaßen daran ›säugt‹.22 Prigovs grafisches Werk kombiniert westliche und östliche Traditionen der Darstellung von Blut und Tränen. Das Phänomen des Tränens wundertätiger Ikonen (mirotocˇenie, also das vermeintliche Absondern von Myrrheöltropfen, die auch blutrot sein können) ist in der russischen Volkskultur bis in die Gegenwart verbreitet. In Prigovs Texten rinnt allenthalben Blut, entweder aus einem allsehenden Auge, wie es aus alchemistischen Darstellungen bekannt ist, oder aus den Augen von Monsterfiguren, oft in Weingläser. Ein Panoptikum von Prigovs Blut-und-Tränen-Ästhetik bietet das Buch Pjat’desjat kape lek krovi v absorbirujušcˇej srede (Fünfzig Blutströpfchen in einem absorbierenden Milieu), das
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nach einem Gedichtzyklus von 1990 benannt ist. 1993 erscheint es als eine der ersten selbständigen Publikationen Prigovs im postsowjetischen Russland, im gleichen Jahr auch in deutscher Übersetzung.23 Die Bände kombinieren Gedichte und Grafiken. Im Russischen basieren letztere auf Schwarzweißreproduktionen von Bildern, Skulpturen und Museumsräumen, im Deutschen auf Zeitungsseiten der Pravda. Schwarz zeichnet Prigov entweder ein Auge oder Wortumrisse, mit roter Farbe trägt er Tropfen, Pfützen und Rinnsale auf. In allen der 44 nach japanischer Haiku-Form verfassten Gedichte treten Blutströpfchen auf, mal auf einer wundertätigen Ikone, mal in einem chemischen Absorptionsmedium, mal auf einer halbrasierten Wange. Eine Grafik |Tafel XI| zeigt Nikolaj Andreevs Skulptur Lenin-vožd’ (Der Führer Lenin) (1932), der bei Prigov eine schwarze Flüssigkeit aus dem Auge rinnt, während aus dem allsehenden Auge hinter ihr Blut auf Schulter und Piedestal tropft. In seiner ausführlichen Betrachtung des Blutströpfchen-Buchs hat Michail Jampol’skij das Triefen der Bilder einerseits als kulturelle Referenz beschrieben. Er assoziiert die Arbeiten unter anderem mit Stendhals Schockreaktion bei der Betrachtung von Grabmälern in Rome, Naples et Florence (1817), der dieser mit einem Vers von Foscolo Ausdruck gibt: »Di che lagrime grondi e di che sangue«.24 Andererseits weist Jampol’skij auf einen Aspekt der Darstellung hin: »Изображение крови на листах не принадлежит миру, репрезентированному ›внутри‹ листа, но накладывается на него как некий внешний слой, как жест, обращенный к листу извне, в то время как само явление крови говорит о чем-то внутреннем, вытекающем изнутри организма.« (»Die Darstellung des Bluts auf den Blättern gehört nicht zur Welt, die ›innerhalb‹ des Blatts repräsentiert ist, sondern legt sich darauf wie eine Art äußere Schicht, als Geste, die sich an das Blatt von außen wendet, während die Erscheinung des Bluts selbst von etwas Innerem, aus einem Organismus Ausfließendem zeugt«).25 Eine solche Injektion einer Sekretion in die Bildoberfläche ist gleich in der ersten Abbildung des russischen Bands virulent. Darauf verteilt eine Spritze Blut über Antonio Canovas Statue Venus Italica |Tafel XII|. Jampol’skij bezieht die Spritze auf den zeitgenössischen AIDS-Diskurs, was sich einerseits mit einer Briefmarke mit ähnlicher Farbgebung aus dem gleichen Jahr |Tafel XIII| untermauern lässt, andererseits mit der im Russischen geläufigen Bezeichnung von Geschlechtskrankheiten als ›venericˇeskie zabolevanija‹ (›venerische Erkrankungen‹). In der deutschen Ausgabe findet sich eine Pravda-Seite |Tafel XIV|, deren obere Überschrift den Titel eines 1993 erschienenen militärhistorischen Buches trägt: Grif sekretnosti snjat (Geheimhaltung aufgehoben), wobei das Wort »grif« (von frz. »griffe«, »Marke«) abgeschnitten ist. In dieser Publikation erfuhr die russische Öffentlichkeit erstmals von Statistiken über sowjetische Kriegsverluste zwischen 1918 und 1989. Unter die Überschrift hat Prigov die Konsonanten der englischen und russischen Wörter für ›Geist‹ gezeichnet. Mit roter
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Farbe werden ihnen die Vokale injiziert, ein »у« fließt in »дх«, zwei »i« in »sprt«. Das in der orthodoxen Kultur traditionsreiche Motiv der Vokalellipse verwendet Prigov in den meisten seiner Zeitungsübermalungen. Die schwarzen Flecke mit weißen Schriftaussparungen schraffiert er auf Zeitungspapier mit Kugelschreiber, der seine nächtliche Zeichenroutine verlangsamen soll. Für Georg Witte stellt diese graphische Meditation »In-Bilder und In-Begriffe« her. Sie materialisieren die »pseudoplatonischen ›Ideen‹ der profansten aller denkbaren Texte«.26 Bemerkenswert an dieser einzelnen Arbeit ist, dass die blutigen Vokale hier aus der gedruckten Überschrift austreten. Das Blut, ambivalentes Symbol für Leben und Gewalt, strömt aus dem Titel eines Buchs über die Aufhebung eines totalitären Geheimhaltungsgebots einerseits, über immense menschliche Verluste andererseits. Das Wort »sekretnost[’]« (»Geheimhaltung«) scheint als Quelle nicht zufällig gewählt, enthält es doch buchstäblich sowohl Geheimnis als auch Sekret, im Russischen beides »sekret«.27 Wenn Schrift in diesem Bild toter Buchstabe ist, dann vergießt sie ihr Blut doch immerhin für den Geist, indem sie lebensspendende Vokale absondert. In seinem autobiografischen Roman Živite v Moskve (Lebt in Moskau) (2000) gelingt Prigov ein weiterer Schritt in einer Ästhetik politischer Sekrete: die Karnevalisierung der Tränen. Das scheint mit ihrer Kulturgeschichte schwer vereinbar. Tränen sind, wie Albrecht Koschorke schreibt, »die Flüssigkeit des Auges, das Auge wiederum Organ des menschlichen Geistes oder, wie eine auch im 18. Jahrhundert verbreitete Metapher sagt, Fenster der menschlichen Seele«.28 Für Sigrid Weigel sind sie die »einzig nobilitierte, nicht verunreinigende und daher nicht durch Tabus belegte Körperflüssigkeit«.29 Im Umkehrschluss bedeutet das: Als einziges Sekret fließen sie außerhalb der Lachkultur. Michail Bachtin hat sie mit François Rabelais beschrieben und damit eine zentrale Analysekategorie für die totalitäre sowjetische Kultur etabliert, auf die sich die inoffizielle Kunst der späten Sowjetunion bezieht. Für Rabelais’ Roman Gargantua et Pantagruel (1532) sind Tränen kein geeignetes poetologisches Gleitmittel. Der Prolog begründet das aus einer Art anthropologischen Exklusivität des Lachens: »Mieux est de ris que de larmes écrire, Pour ce que rire est le propre de l’homme.« (»Von Lachen schreib’ man, nicht von Tränenbrunst Denn Lachen ist des Menschen Eigenart«).30 Wenn bei Rabelais Tränen fließen, dann vor Lachen: »Maître Janotus commença à rire avec eux, à qui mieux mieux. Les larmes leur venaient aux yeux par l’ébranlement véhément de la substance du cerveau, ce qui fit apparaître ces humidités lacrymales qui coulèrent le long des nerfs optiques.« (»Meister Janotus fing an, mit ihnen um die Wette zu lachen, und zwar so lange, bis ihnen infolge der heftigen Erschütterung der Hirnsubstanz, die die lakrimale Feuchtigkeit hin-
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auspresst und den Sehnervenstrang entlanglaufen lässt, die Tränen in die Augen kamen«).31 Die Lachkultur kennt nur mechanisch erzeugte, »hydraulisch gepresste Tränen« ohne tief gefühlten Grund.32 In Prigovs Roman ist das anders. Es gibt darin zwei prägende Erfahrungen: jene grotesker individueller Schwäche in der Kinderlähmung und jene grotesker kollektiver Trauer nach Stalins Tod. Im Gegensatz zum bereits zitierten früheren Text lösen die Tränen hier eine Kette monströser ritueller Handlungen aus: »Поначалу наличествовало даже простое, привычное, человеческое, неосмысленное, простительное в своей искренности горе. Под тяжестью нахлынувшего мы в школе все уроки стояли на коленях, ритмично раскачиваясь в такт завыванию учителя, бия себя кулачками по лицу. Кулачки у нас были маленькие, но остренькие и жесткие. К третьему уроку лица уже сплошь оказались залитыми густой синевой, отливавшей в фиолетовое. Они опухали от тяжелых глубоких прободающих ранений с мрачночерными кровавыми подтеками. Притом мы бились головой об пол с отчаянием.« (»Zuerst war da ein ganz einfacher, gewöhnlicher, menschlicher Kummer ohne Hintergedanken, der in seiner Aufrichtigkeit verzeihlich war. Unter der Schwere dessen, was über uns hereingebrochen war, knieten wir in der Schule von der ersten bis zur letzten Stunde, wogten rhythmisch zum Takt des Aufheulens unseres Lehrers und schlugen uns mit den Fäusten ins Gesicht. Unsere Fäuste waren klein, aber spitz und fest. In der dritten Stunde waren unsere Gesichter bereits völlig von einer Bläue überzogen, die ins Violette überging. Sie waren angeschwollen von den schweren, tiefen Stichwunden, umrandet von dunkel-schwarzen Blutergüssen. Dabei schlugen wir uns mit dem Kopf in Verzweiflung zu Boden«).33 Eine Seite später hat Prigovs Beschreibung den realistischen Rahmen vollends verlassen, als die Trauer in ein Wüten übergeht: »От боли, от перенапряжения ли, в результате ли всеобщей истерии люди зверели, бросаясь друг на друга с невидящими, заплывшими глазами. Они промахивались, врезались в стены, заборы, столбы, опрокидывали легкие постройки и ларьки. Уже нечувствительные к боли, смахивали с лица преизбыток чего-то сочащегося и капающего. На ощупь находили сугробы, погружались, стараясь почти уйти в них в попытках холодом остановить непрестанное полное растекание ничем уже не сдерживаемого полужидкого организма. Полностью нечувствительные, они обмораживались, покрываясь поверх немыслимой, отливающей всеми цветами побежалости корки еще белым поблескивающим инеем, а затем жесткой ледяной поверхностью, сквозь которую просвечивала зловещая голубизна. Мое лицо тоже было изуродовано, но все же в пределах нормы.«
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(»Ob vor Schmerz, vor Überanstrengung oder durch die allgemeine Hysterie wurden die Leute wild, warfen sich aufeinander mit ihren nichts mehr sehenden, zugeschwollenen Augen. Sie schlugen daneben, trafen Mauern, Zäune, Säulen, legten leichte Bauten und Kioske in Schutt. Schon nicht mehr empfindlich für Schmerz, wischten sie sich vom Gesicht, was da tropfte und blutete. Sie tasteten sich durch die Schneehaufen, versanken in ihnen, versuchten geradezu darin zu verschwinden beim Versuch, mittels Kälte das unaufhörliche Zerfließen ihres halbflüssigen Organismus zu verhindern, den nichts mehr zusammenhielt. Völlig empfindungslos erfroren sie, wurden bedeckt mit einer unvorstellbaren, in allen Anlauffarben schillernden Kruste und erst mit weiß aufblitzendem Reif, danach mit einer harten Eisoberfläche, durch die eine unheilvolle Bläue schimmerte. Mein Gesicht war auch entstellt, aber gerade noch in den Grenzen der Norm«).34 Die Trauergemeinde zerfließt wortwörtlich. Warnt Majakovskij noch vor der Tränenpfütze, kennt Prigovs Prosa keine solche Ausflussangst. Und auch das Bild gefrorener Tränen um Lenin wird bei Stalin buchstäblich. Hier sind Menschen, Blut und Tränen allerdings schon nicht mehr voneinander zu trennen. Wenn Trauer karnevalesk wird, dann lacht man sich nicht tot, sondern man weint sich zu Tode.35 Im Bestreben nach Form kann man den Körper ohne Organe einfrieren, aber, so Prigovs posthumane Pointe, überleben wird man es nicht. Die im Trauerwahn Verunglückten bilden nun eine Eislandschaft von unheimlicher Schönheit. Ausgenommen von dieser Katastrophe scheinen der kindliche Ich-Erzähler und seine Mutter, die nicht weint: »Она как бы отсутствовала. Вокруг нее распространялся некий холод отсутствия. Я бы сказал, что она окаменела, если бы это ложно не напоминало нам жен, обратившихся в соляные столбы. Нет, она являла нечто принципиально иное. В ее молчании содержалось что-то черное, определенное, не расплывавшееся аморфно, как все вокруг в своих соплях и рыданиях.« (»Sie war gewissermaßen abwesend. Um sie herum verbreitete sich eine Kälte der Abwesenheit. Ich hätte gesagt, sie sei versteinert, wenn uns das nicht an Frauen erinnern würde, die sich in Salzsäulen verwandelt haben. Nein, sie offenbarte etwas prinzipiell Anderes. In ihrem Schweigen war etwas Schwarzes, Bestimmtes enthalten, das nicht amorph verschwamm wie alle um uns herum in ihrem Schniefen und Heulen«).36 Allenfalls mystische Versenkung, so scheint es, macht gegen das exzessive Ritual immun. Abschließend lässt sich vermuten: Die Trauer um Stalin kann deshalb grotesk in Bachtins Sinn werden, weil die stalinistische Kultur die dafür nötigen anthropologischen Weichen gestellt hat. Der groteske Körper definiert sich durch die Unabschließbarkeit seiner Öffnungen. Das Auge, Zentrum des geschlossenen, klassischen Körpers, öffnet sich im grotesken Sinn erst dann, wenn sich die Grenzen des Menschlichen an sich öffnen.
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Sorokin: Rückwärtsgeweinte Tränen und die Sekrete der Sekretäre In Vladimir Sorokins 1999 erschienenem Roman Goluboe salo (Der Himmelblaue Speck) findet Stalins Tod nicht statt, er lebt nach 1953 weiter. Auch Tränen spielen nur am Rande eine Rolle. Sorokins Phantastik findet einen anderen Weg für politische Sekrete. Er entwickelt dazu Rabelais’ Text unter (post‑)totalitären Vorzeichen weiter. Dem Roman vorangestellt ist über einem Zitat aus Nietzsches Götterdämmerung ein Ausschnitt aus der Episode der gefrorenen Wörter aus dem vierten Buch von Gargantua et Pantagruel.37 Das Gebrüll einer Seeschlacht wurde in Wasser eingeschlossen und gefroren, es taut wieder auf, und die »barbarische Sprache« wird wieder hörbar. Könnte man doch nur ein wenig von dem Unflat bewahren, so wie man Schnee und Eis in Stroh einwickelt, träumt der Erzähler.38 Für eine solche kryophilologische Phantasie braucht es keine technische Revolution. Die sogenannten »Biophilologen«, die der Roman in seinen Zukunftspassagen schildert, fahren da schon anderes Geschütz auf: Mitte des 21. Jahrhunderts haben sie eine Methode entwickelt, Klone kanonischer russischer Autoren Text produzieren zu lassen, der den Originalen seltsam nahekommt. Was Dostoevskij-2 und Tolstoj-3 schreiben, ist aber nur Abfallprodukt. Eigentlich geht es den Forschern darum, die titelgebende Substanz zu gewinnen. Der himmelblaue Speck entsteht als Ablagerung in den Körperhöhlen der Klone. Wie das genau funktioniert, was also die Drüse wäre, die das immaterielle Wesen der Literatur in ihre speckige Quintessenz transformieren würde, wird nicht gesagt. Bemerkenswert ist die physikalische Unveränderlichkeit des Specks: Man kann ihn nur verflüssigen, indem man ihn auspresst, seine Temperatur ändert er nicht – womit Rabelais’ Problem der Wortkonservierung gelöst wäre. Wozu die Substanz gut ist, erfährt man in der zweiten Zeitebene des Romans, einer schwarzen alternative history, in der Stalin und Hitler Europa untereinander aufgeteilt haben. Im Jahr 1954 erfreut sich Stalin bester Gesundheit, seine tägliche Prozedur, sich eine Droge unter die Zunge zu spritzen, ist tausendfach in der Kinderliteratur beschrieben. Geheimdienstchef Berija beliefert ihn mit einer Substanz, die noch Grandioseres verspricht: dem Himmelblauen Speck, der den Biophilologen von der reaktionären Sekte der »zemleeby« (»Erdficker«) entwendet und per Zeitmaschine an die Sowjets geschickt worden ist. Mit seiner Entourage und einem Speck-Serum im Gepäck begibt sich Stalin zu seinem Freund Hitler in dessen Residenz auf dem Obersalzberg. Über die Gralssubstanz kommt es zum Zerwürfnis, in einem Gemetzel auf Tarantino-Niveau obsiegt Stalin und rammt sich die Spritze mit dem Himmelblauen Speck ins Auge. Daraufhin beginnt sein Gehirn zu wachsen, sprengt den Berghof, bedeckt den Obersalzberg, schwillt zur Größe der Erde und schließlich des Universums an. Nachdem es sich in ein schwarzes Loch verwandelt und wieder auf sein tatsächliches Maß zurückschrumpft, erinnert sich Stalin an eine Birne und wacht in der Zukunft auf, aus der der himmelblaue Speck gekommen ist. Hier fehlt der Platz, um sämtliche alltagssprachlichen Metaphern und idiomatischen Wendungen aufzuführen, die Sorokin in diesem vordergründig splatterhaften Plot materialisiert, etwa die Rede von der »Bewusstseinserweiterung« der Droge oder dem »vzryv mozga« (»Explodieren«) des Gehirns als kognitiver Überforderung. Mit der
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Injektion der Essenz der russischen Literatur ins Auge Stalins gelingt Sorokin eine zweifache kulturkritische Wendung: Er kehrt nicht nur die Richtung des Sekrets um, das bei Rabelais ins Auge aus dem Gehirn kommt, er travestiert auch Solženicyns Rede vom Riss im Universum, den Stalins Tod erzeugt habe. Erst die rückwärtsgeweinte Träne, dann die Apokalypse. Die berühmteste Szene des Romans handelt von Stalin und Chrušcˇev, der hier nicht sein Nachfolger ist, sondern zum Hofstaat gehört und Französisch spricht wie eine Tolstoj-Figur. Die beiden werden als homosexuelle Aristokraten porträtiert, zwei Eigenschaften, die der Bedeutungsmatrix des Farbworts »goluboj« entspringen: Es bezeichnet nicht nur das »blaue Blut«, sondern heißt auch »schwul«. Nach einem Bankett mit Menschenfleisch-Fondue begeben sie sich in Graf Chrušcˇevs Privatgemächer. Dort nimmt ihr Liebesspiel seinen Lauf, das Sorokin nach allen Regeln der Kunst erotischer Schundliteratur schildert. Das brachte ihm eine Anzeige wegen Pornographie und Bestseller-Auflagen ein. Ohne es explizit zu machen, schöpft der Roman aus der bereits in Prigovs grafischem Werk gesehenen Doppelbedeutung von »sekret« als Geheimnis und Sekret. Auch das definitive Ende der Trauer um Stalin, Chrušcˇevs Geheimrede (»sekretnyj doklad«) über den Personenkult 1956, gehört in diesen Assoziationspool. Er enthält noch eine weitere Ingredienz: Seit Lenins Tod wird die Sowjetunion faktisch von Sekretären regiert. »General’nyj sekretar’« CK KPSS‹ (abgekürzt »gensek«) (»Generalsekretär des ZK der KPdSU«) ist die täglich in Radio und Fernsehen gehörte Amtsbezeichnung. Wenn Sekretäre Politik machen, so könnte man Sorokins biopolitische Ausbuchstabierung deuten, werden auch ihre niederen Sekrete mit hineingezogen. Die Sekrete des Sekretärs Stalin scheinen jedenfalls zu Höherem bestimmt.39 Ein Diener fängt seinen Samen in einem Kelch auf – wie die Ecclesia das Wundblut Christi.
Epilog: Postfaktische Tränen Thomas Macho hat dazu angeregt, Emil Ciorans Wort von der »Hermeneutik der Tränen« mit einer Hermetik zu entgegnen.40 Die oben beschriebenen Bilder und Texte erforschen nicht die Quellen der Tränen um Stalin, sondern akzeptieren sie als eine Art Staatsarkanum. In ihren Arbeiten gelingt es Prigov und Sorokin aber, die anthropologischen Perturbationen zu beleuchten, die die Tränenflut ermöglicht haben. Prigov lässt die selbst geweinten Tränen als Blut aus göttlichen oder bestialischen Augen tropfen, Sorokin lässt Stalin das aus Schriftstellerklonen destillierte russische Gefühl rückwärts weinen. Beide haben die übermensch lichen Tränen abgelöst von ihren Produzenten und die Sekrete als Währung für eine politische Ikonographie nach dem Sozialismus in Umlauf gebracht. Das aktuelle russische Staatsoberhaupt, Vladimir Putin, wurde von Prigov einige Jahre vor dessen Tod als Monster porträtiert |Abb. 1 |. Die Grafik gehört zur umfangreichen Serie des Bestiarij (Bestiariums), die nach streng formalisierten Regeln und ohne Rücksicht auf individuelle Gesichtszüge funktioniert.41 Im Gegensatz zu einigen mit Prigov befreundeten Künstlern in der Serie weint Putin nicht. Stattdessen beugt er sich (schützend?) über ein monumen-
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tales Weinglas, dessen politisch-theologischen Inhalt wir nun kennen. In Wirklichkeit ist es etwas anders. Obwohl Putin nicht als Mann der großen Affekte gilt, weint er bisweilen. Seine berühmtesten Tränen vergoss er am Abend des 4. März 2012 bei der Kundgebung nach seinem Wahlsieg auf dem Moskauer Manežnaja-Platz. Es wurde nicht nur darüber spekuliert, ob seine Tränen aufrichtig oder strategisch gewesen seien, sondern auch, ob sie menschen- oder naturgemacht seien, ob seine Augen also aus innerem Antrieb feucht oder nur vom Wind gereizt waren.42 Prigov hat über ein unrealisiertes Projekt gesprochen, das viel zu diesem Thema gesagt hätte: Für die Serie Placˇušcˇie chudožniki (Weinende Künstler) sollten Künstler mit Zwiebeln zum Weinen gebracht und fotografiert werden.43 Er hat damit früh gesehen, dass sich Tränen vorzüglich zum Fluidum des Postfaktischen eignen. Tränen lügen nicht, aber sie können auch nicht die Wahrheit sagen.
1 Dmitrij A. Prigov u. Sergej I. Šapoval: Ohne Titel, 2003 (Porträt von Vladimir Putin), Kugelschreiber auf Papier, Buchillustration
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1 Yuri Glazov: The Russian mind since Stalin’s death, Dordrecht et al. 1985, S. 1. 2 Vgl. Jörg Baberowski: Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, München 2003, S. 497. 3 Eine hervorragende Darstellung zeitgenössischer russischsprachiger Memoiren bietet Irina Paperno: Stories of Soviet experience. Memoirs, diaries, dreams, Ithaca u. London 2009, S. 27–29. 4 Evgenija Ginzburg: Krutoj maršrut. Chronika vremen kul’ta licˇnosti [1979], Moskva 1990, S. 544 f. Die Übersetzung stammt aus: Jewgenia Ginsburg: Gratwanderung (aus d. Russ. v. Nena Schawina), München 1984, S. 416. Sofern nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen vom Autor [P.K.]. 5 Jan Plamper: ›Die Hitler kommen und gehen …‹, der Führer aber bleibt bestehen. Der Stalinkult in der SBZ/DDR, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55/2007, S. 435–456, S. 455. 6 Die Assoziation mit Allen ist übernommen von Jurij Murašov: Das unheimliche Auge der Schrift. ediologische Analysen zu Film, Literatur und Kunst in Russland, Paderborn 2016, S. 165. M 7 Elena Drapeko: Moskvicˇi ne otlicˇili kadry iz fil’ma Nikity Michalkova ot trejlera ›Smerti Stalina‹, in: No vaja gazeta, 26.1.2018, https://www.novayagazeta.ru/news/2018/01/26/138971-moskvichi-ne-otlichili-kadry-iz-filma-nikity-mihalkova-ot-treylera-smerti-stalina; letzter Zugriff: 20.08.2019. Ein Team des Fernsehsenders »Dožd« hat Moskauern eine Szene aus Michalkovs Film Utomlennye solncem (Die Sonne, die uns täuscht) (1994) gezeigt, in der Stalins Kopf in eine Torte gedrückt wird, und glaubhaft versichert, es handele sich um den Trailer zu The Death of Stalin. 8 Diese Formulierung bezieht sich einerseits auf Hans Günthers Studie zum »sozialistischen Übermenschen« und dem Einfluss Nietzsches auf die frühsowjetische Kultur: Hans Günther: Der sozialistische Übermensch. Maksim Gor’kij und der sowjetische Heldenmythos, Stuttgart u. Weimar 1993, andererseits auf Michail Lermontovs Poem Demon (Der Dämon) (1839). Darin weint der unglücklich verliebte Dämon eine flammende, »unmenschliche Träne«: Michail Ju Lermontov: Demon: Der Dämon (zweisprachig, aus d. Russ. v. Ilse Hofmeister), Stuttgart 1986. 9 So auch Georges Didi-Huberman in seiner auf Darwins Analyse von Tränen in The expression of the emotions in man and animals (1872) beruhenden Minimaldefinition des Weinens in der Einleitung zu seinem Buch über Trauergesten bei E˙jzenštejn: »Pleurer, donc: exprimer, par muscles et sécrétions, par gestes et larmes, une émotion ou un pathos. C’est la réaction spontanée à une souffrance venue de l’intérieur ou de l’extérieur. C’est un geste humain primitif.« Georges Didi-Huberman: Peuples en larmes, peu ples en armes. L’œil de l’histoire 6, Paris 2016, S. 14. Für den Hinweis auf Georges Didi-Huberman danke ich Jan Mollenhauer. 10 ›Sekret‹ geht wie ›Krise‹ und ›Kritik‹ auf das indogermanische ›krei‹ zurück, das ursprünglich ›sieben‹ und im übertragenen Sinne ›(unter-)scheiden‹ bedeutet. Bei einer Sekretion wird also nichts zerstört, sondern nur bereits Geschiedenes voneinander getrennt. Michiel de Vaan: Etymological dictionary of Latin and the other Italic languages, Leiden et al. 2008, S. 110. 11 Die Trauer um die anderen drei verstorbenen Sowjetführer – Chrušcˇev, Andropov, Cˇernenko – hat in der Literatur kaum Spuren hinterlassen. 12 Vladimir V. Majakovskij: Sobranie socˇinenij v 13 t., t. 6, Moskva 1957, S. 233. 13 Majakovskij dichtet 1923 für eine Serie von Bonbon-Verpackungen, die auch eine Süßigkeit namens Zimnij put’ (Winterreise) enthält. 14 Der Architekturtheoretiker Vladimir Papernyj hat den paradoxen Frost der stalinistischen Alltagskultur beschrieben. Das innere Feuer des Menschen, das die Ideologie einfordert, müsse darin trotz na-
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türlicher Kälte gekühlt werden. Deshalb gibt es in Moskauer Kiosken auch im Winter Unmengen von Speiseeis, deshalb muss das Bier in Teekesseln geschmolzen werden, deshalb schützen Heizelemente die Stalinstatue am Wolga-Don-Kanal vor einer Schneedecke. Auch das Bild des Tauwetters als Phase der Lockerung hat seine Widersprüche. Wer eine russische Straße zur Tauwetterzeit überquert, kommt nicht umhin festzustellen, dass es sich dabei um eine mühselige Angelegenheit handelt. Vgl. Vladimir Papernyj: Kul’tura Dva [1985], Moskva 1996, S. 174. 15 Johannes R. Becher: Stalin, du Welt im Licht, in: Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift mit literarischen Beiträgen Sonderheft 9/1953, S. 14–15. In der Becher-Gesamtausgabe aus den 1970er Jahren fehlt das Gedicht. Nochmals abgedruckt ist es in einer bekannteren Anthologie: Günter Caspar (Hrsg.): Du Welt im Licht. J. W. Stalin im Werk deutscher Schriftsteller, Berlin 1954, S. 353–355. Die Motive von Stille und Tränen dominieren auch in den dort versammelten Prosaberichten zur Trauer u.a. von Anna Seghers, Stephan Hermlin, Bodo Uhse und Max Zimmering, der Majakovskijs Tränenpfützen-Verse zitiert (S. 340 f.). 16 Aleksandr Solženicyn: Rakovyj korpus, in: id.: Sobranie socˇinenij v 30 t., t. 3, Moskva 2012, S. 266 f. 17 Dmitrij A. Prigov: Ad libitum, in: Katalog. Berman, Klimontovicˇ, Kozlovskij, Kormer, Popov, Prigov, Charitonov, Ann Arbor 1982, S. 232–234, S. 232. 18 Vgl. Ellen Rutten: Sincerity after communism: A cultural history, New Haven u. London 2017, S. 81 ff. 19 Prigov 1982, S. 232 f., Anm. 18. 20 Vgl. dazu Sigrid Weigels Beschreibung des Radolfzeller Vesperbilds (1330/1340), id.: Grammatologie der Bilder, Berlin 2015, S. 189. 21 Vgl. Thomas Laqueur: Making Sex. Body and gender from the Greeks to Freud, Cambridge u. London 1990, S. 42. 22 Daniel Rancour-Laferriere: Imagining Mary. A psychoanalytic perspective on devotion to the Virgin Mother of God, London u. New York 2017, S. 79 u. S. 112. 23 Dmitrij A. Prigov.: Pjatdesjat’ kapelek krovi, Moskva 1993; id.: Fünfzig Blutströpfchen in einem absor bierenden Milieu (aus d. Russ. v. Günter Hirt u. Sascha Wonders (Georg Witte u. Sabine Hänsgen)), Augsburg 1993. 24 Vgl. Michail Jampol’skij: Vremja metamorfozy, in: Žanna Galieva (Hrsg.): Prigov i konceptualizm, Moskva 2014, S. 7–39, S. 21 ff. 25 Ibid., S. 29. 26 Georg Witte: Prigov, ein Phänomenologe des Verses, in: Brigitte Obermayr (Hrsg.): Jenseits der Parodie. Dmitrij A. Prigovs Werk als neues poetisches Paradigma, Wien et al. 2013, S. 16–53, S. 34. 27 Die anderen europäischen Sprachen haben diese Option so nicht, was sich gut an einem Bonmot aus Mille Plateaux von Gilles Deleuze und Félix Guattari sehen lässt: »Le secret comme sécrétion«. Hätte man es im Russischen auch als »Sekret kak sekret« übersetzen können, es wäre doch an ihrer Idee der Sekretion als einem Werden, nicht einem Produkt, vorbeigegangen. Daher wurde es mit »Tajna kak sekrecija« (»Das Geheimnis als Sekretion«) wiedergegeben. Im Deutschen heißt es eher umständlich: »Das Sekrete als Sekretion«; Gilles Deleuze u. Félix Guattari: Mille Plateaux. Capitalisme et Schizophrénie, Paris 1980, S. 351; Žil’ Delez u. Feliks Gvattari [Gilles Deleuze u. Félix Guattari]: Tysjacˇa plato. Kapitalizm i šizofrenija (aus d. Franz. v. Jakov Svirskij), Ekaterinburg u. Moskva 2010, S. 476; Gilles Deleuze u. Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie (aus d. Franz. v. Gabriele Ricke u. Roland Voullié), Berlin 1992, S. 391.
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28 Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, München 1999, S. 97. 29 Weigel 2015, S. 172. 30 François Rabelais: Oeuvres complètes (hrsg. v. Pierre Jourda), Bd. 1, Paris 1962, S. 3. Die Übersetzung entstammt: id.: Garagantua und Pantagruel (aus d. Franz. v. Walter Widmer u. Karl August Horst), München 1968, vollst. Ausg. in 2 Bde., Bd. 1, S. 7. 31 Id. 1962, S. 76. Die Übersetzung entstammt: id. 1968, S. 99. 32 Ein Wort Adornos über den Kitsch des Musicals: T. W. Adorno: Vortrupp und Avantgarde, in: id.: Gesammelte Schriften (hrsg. v. Rolf Tiedemann u. Klaus Schultz), Bd. 18 (Musikalische Schriften), Frankfurt am Main 1984, S. 800–804, S. 803. 33 Dmitrij A. Prigov: Živite v Moskve. Rukopis’ na pravach romana, Moskva 2000, S. 102. 34 Ibid., S. 103. 35 Bachtin führt Rabelais’ oben zitierte Tränen-Episode als Beleg für die Verbindung von Tod und Lachen an. Michail Bachtin: Fransua Rable v istorii realizma [1940], in: id.: Sobranie socˇinenij v 7 t., t. 4 (1), Moskva 2008, S. 11–506, S. 426. 36 Prigov 2000, S. 104. 37 Vladimir Sorokin: Goluboe salo, Moskva 1999; Wladimir Sorokin: Der Himmelblaue Speck (aus d. Russ. v. Dorothea Trottenberg), Köln 2000. 38 Vgl. Rabelais 1962, S. 1066–1071. 39 Zu dieser Bedeutungsüberschneidung siehe auch Manfred Schneiders Aufsatz über die »erotische Datenproduktion« des Don Juan und die Liebeslisten seines Dieners Leporello. Manfred Schneider: Lepo rellos Amt. Das Sekretariat der Sekrete, in: Bernhard Siegert u. Joseph Vogl (Hrsg.): Europa: Kultur der Se kretäre, Zürich 2003, S. 147–162. 40 Emile Cioran: Von Tränen und von Heiligen [1937] (aus d. Franz. v. Verena von der Heyden-Rynsch), Frankfurt am Main 1988, S. 66; Thomas Macho: Hermeneutik der Tränen. Notizen zu Hans Blumenbergs ›Matthäuspassion‹, in: Neue Rundschau 109/1998, S. 61–77, S. 75. 41 Vgl. Dmitrij A. Prigov u. Sergej I. Šapoval: Portretnaja galereja D. A. P., Moskva 2003. 42 Vgl. Zur Aufrichtigkeit der Tränen: Rutten 2017, S. 117 u. S. 227; vgl. Zur Spekulation über den Auslöser der Tränen Natal’ja Galimova: Podšcˇitali – proslezilis’, in: Moskovskij komsomolec, 5.3.2012, https: //www.mk.ru/politics/2012/03/05/678627-podschitali-proslezilis.html; letzter Zugriff: 20.08.2019. 43 Dmitrij A. Prigov: Pirogovskij narkoz, in: Dmitrij A. Prigov: Raznoobrazie vsego, Moskva 2007, S. 202– 204, S. 202.
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LIEBE STÖREN: SKIP NORMANS ECHOLOGIK JA N MO L L E N H AU ER
Körper und ihre Spektren Der Film geht los. Noch glaube ich, dass die Siebziger lange her sind. Dann aber taucht da auf der Leinwand ein Mann auf, mit Schnurrbart und blonder als blond, er philosophiert über ein weißes Amerika. Im Epilog ist er noch mal zu sehen, ohne riesigen Hemdkragen, ja sogar ohne Schnauzer und ohne Föhnfrisur, deutlich ergraut. Mit derselben Weltanschauung erläutert er, David Duke, mit Bezug auf den Terrorangriff eines weißen Nationalisten am 12. August 2017 in Charlottesville, dies sei ein Teil dessen, wovon der Präsident sprach, nämlich, dass sich ein, sein »Wir« das Land zurückzunimmt. Von wem sagt er nicht. Stand nicht im Januar 2009, und erneut im Januar 2013, ein Afroamerikaner an den Stufen des Kapitols und hob an zu sagen: »Ich schwöre feierlich«? Auch das ist lange her, glaubt man. Acht Jahre »in power«, ein Satz stiftet Verbindungen zwischen 1895 und 2017.1 2017, denn am 20. Januar dieses Jahres waren die acht Jahre der Präsidentschaft Barack Obamas vorbei. 1895, da Thomas Miller, ein afroamerikanischer Kongressabgeordneter, in diesem Jahr sagte: »We were eight years in power«, womit er die Jahre der sogenannten »Reconstruction« nach dem amerikanischen Bürgerkrieg meinte, in denen ein nordstaatliches Besatzungsregime über die Einhaltung insbesondere des Wahlrechts schwarzer Männer wachte. All das (und noch viel mehr) spukt in BlacKkKlansman (R.: Spike Lee, 2018), in dem Ron Stallworth als erster afroamerikanischer Polizist des Colorado Springs Police Departement
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den örtlichen Ku-Klux-Klan mit Hilfe seines weißen, jüdischen Kollegen Flip Zimmerman infiltriert und nebenbei den damaligen Vereinsvorsitzenden David Duke nach allen Regeln der Kunst verarscht.2 Stallworth nämlich telefoniert mit den Klan-Mitgliedern und mimt dabei in Ton und Inhalt den weißen Suprematisten, während zu den von Stallworth eingefädelten Treffen dann Zimmerman persönlich erscheint. Rons Körper, also Zimmerman und Rons Stimme sind in diesem zweiten geisterhaften Ron entzweit. Handelt es sich um eine elaborierte Täuschung oder gar um gespenstische Doppelgänger? Das alles ist auf eine groteske Art und Weise auch witzig, bis dann zum Schluss footage aus jener Kleinstadt in Virginia gezeigt wird, in der genau ein Jahr vor der Filmpremiere der Mob mit Dixie- und Hakenkreuzfahnen marschierte. Wenig später raste einer von ihnen mit seinem grauen Dodge in eine Menge friedlicher Gegendemonstrant*innen. Die 32-jährige Heather Heyer erlag daraufhin ihren Verletzungen. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten attestierte beiden Seiten Gutes wie Schlechtes. Zwar auf sogenannten wahren Begebenheiten basierend, mit einem von weißen Suprematisten geplantem Bombenanschlag auf eine Black Power-Aktivistin, aber durch den funky vibe der Siebziger und Fiktionalisierung entrückt, zeigt der Einsatz des rezenten Dokumaterials, dass das Ganze mit dem Jetzt zusammenhängt. In Lees Film wird die Geschichte um Stallworth zu einer Reise zurück zu Ausschnitten einer Serie von Ereignissen und ihren Bildern, die das Heute informieren. Von 2018 ein Echo zurück in die Zukunft sozusagen, eine Präflektion auf das, was dann kam. Ein Verfahren, das der Film zur Schau stellt. Aber auch ein Zeigen von Geschichtsschreibung (und vom Schreiben von Geschichten), oder besser: Geschichte(n) machen, zurückblickend. In einer anderen Szene des Films sitzt in der Mitte eines Raumes ein älterer Herr im Stuhl und erzählt Geschichten von gestern beziehungsweise heute, je nach Betrachtung. Moment mal, das ist doch. Ab da läuft Musik, ein Song über das Verladen von Bananen am Hafen während der Nachtschicht, Day-O. Der Entertainer, Musiker und Bürgerrechtsaktivist Harry Belafonte spricht aber im Namen eines anderen. Jerome Turner lautet der fiktive Alias. Belafonte/Turner sagen [ai] (eye/I), erzählen vom Lynching an Jesse Washington, in Waco, Texas 1916, das aus erster und zweiter Hand testiert wird. Während Turner (Belafonte) vom Mord an seinem Freund Jesse berichtet, stehen junge Menschen neben ihm, die Fotos des Gewaltverbrechens und dessen verbrannten Leichnams zeigen. Belafonte/Turner erwähnt auch einen Fotografen Gildersleeve, der zum Lynching geladen wurde und dessen Bilder später als Postkarten verkauft wurden. Tatsächlich zirkuliert(e) der Terror der Lynchings vor allem als Postkarte, unter anderem als Signifikant für ein ebenso sexuell wie gewalttätig konnotiertes Sozialritual, mit dem eine weiße Gemeinschaft ihre phobische Faszination vor dem Black Cock auszuagieren und zu bannen sucht. Zu diesem Ritual gehört das Foltern, Verbrennen und Kastrieren der zumeist männlichen Opfer.3 Harry Belafonte organisierte 1990, kurz nach Nelson Mandelas Freilassung aus dem Gefängnis, dessen Besuch in den USA. Hüben wie drüben politische Kämpfe, die miteinander zusammenhängen, der Resonanzkörper Turner/Belafonte, der im Stuhl sitzt und erzählt,
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lässt all das wiederhallen.4 Mandela und Belafonte sind ziemlich bewundernswerte Männer. Bewunderung heißt auf Englisch und Französisch admiration. Sie bringt die Frage nach der Reflexion im wörtlichen Sinne ins Spiel, der Spiegelung, der Spekulation. »Nein, wo immer ihr Name herkommt oder was immer sie sichtbar macht, die Bewunderung oder Verwunderung gehört nicht nur zum Bereich des Blickes. Sie ist Ausdruck für die Emotion, das Erstaunen, die Überraschung und das Nachfragen gegenüber dem, was das Maß übersteigt: gegenüber dem ›Außerordentlichen‹«.5 Jacques Derrida eröffnet seine eigenen Reflexionen über Mandela mit grundsätzlichen Überlegungen zur Bedeutungsvielfalt von Reflexion. Er verweist auf Descartes, welcher der Reflexion besonderes Erkenntnispotenzial zuweise, was an ihrer Buchstäblichkeit liege: die Erfahrung des Fragens werde vom »Lichtstrahl« der übernommenen und gestellten Frage getroffen. Ein paradoxer Vorgang also: Das, was gespiegelt, also vom Licht getroffen wird, konstituiert sich selbst im Getroffen-Werden. Die Reflexion produziert das, worüber sie reflektiert.6 Auch ruft Derrida den Wechsel aisthetischer Register auf, vom Blick kommt er zum Nachfragen, Sprechen und Hören. Daher können hier Reflexion und Echo als korrespondierende Konzeptionen gedacht werden. Wie kann man Belafonte sein? Und wie kann Belafonte jemand anderes sein? Belafonte leiht Jerome Turner seinen ikonischen Körper und seine ikonische Stimme, beide reflektieren, das heißt erzeugen eine transnationale Geschichte von Bürgerrechtsbewegungen. Jerome Turner, Alias, wiederum legt Zeugnis ab, vor dieser Gruppe, die sie beide so auch zu Zeug*innen machen, und zwar für das Erbe, das diese beiden parallelen Befreiungskämpfe darstellen, sie beide wollen »auch anderen die Verantwortung für eine Zukunft anvertrauen. Zeugnis ablegen, testieren, beglaubigen«.7 Turner tut dies durch Belafonte hindurch, wie ein Geist, der Besitz ergriffen hat von einem fremden Körper. Das Zeugnis, von dem ich sprach anhand von Turners Sprache durch Belafontes Stimme, spektralisiert den Star und sein Gegenbild (Turner), ihre Sprachen enteignen einander, durch den Anderen hindurch, sind Echos voneinander. Die filmische Reflexion zeigt diese Enteignung in einer operativen Differenzierung: Wen, der da jetzt spricht, sehen wir? Wir sehen Belafonte, der sagt, er sei Turner: [ai]/eye/I/, Hören durch Sehen und andersherum, die beiden bleiben unterscheidbar, prozessieren aber die Operationen des anderen Registers – als Echo. Aus dem Leihkörper wird so ein multidirektionaler Phantomkörper, auf dem die Referenzen laufen, unentwirrbar unterschieden voneinander: Mandela, Apartheid, Lynchings, Colorado Springs, 1916, 1970er, et cetera. Im Phantomkörper Belafonte/Tuner, dem verunklarten Körper, fallen nicht nur Daten und Fakten (in sich) zusammen, auch Stimme und Bild vereinigen sich in ihrem differentiellen Ineinanderaufgehen, das eine durch das andere. Dadurch gibt BlacKkKlansman nicht bloß Stallworths am Anfang des Films als »wahr« ausgezeichnete (überzeichnete?) Geschichte wieder. Ihr Echo in Filmform ist ebenso ein Zugang zu einer neuen, dieser Geschichte. Meine Vorüberlegungen habe ich im Nachhinein verfasst, eine Reflexion »on the body to come«, um einen Text, zumindest scheinbar, vom Kopf auf die Füße zu stellen. Insofern erscheint jetzt gerade – beziehungsweise wird erscheinen, bis zum Schluss – eine Gespenster-
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geschichte.8 Diese Präflektion vollzieht ein Verfahren des Reflexionsechos nach, das diesen gesamten Text strukturiert – und destabilisiert, bis hin zur Zerstörung. Zwischen Disparatem, Diskontinuierlichem und Dissoziiertem stellt sie Verbindungen her, die sich gegen Chronologien sperren, sie geradezu kollabieren lassen. Daher wird es im Folgenden durch einandergehen. Das ist nötig, um aus der vermeintlichen Unordnung und dem Mangel einen Überschuss herauszuarbeiten. Dazu dient die Denkfigur des Echos, auf die ich gleich eingehen werde.
V wie Verworren Wir schauen auf zwei Bauchnabel in Kopenhagen. 1969, Körper und Regionen, die Reise führt zu vielen Zielen. Anderswo, 1967, zunächst explizit nach Vietnam, und zu den Befreiungskämpfen in dem, was damals »Dritte Welt« hieß. Die Studierendenbewegungen in der Bundesrepublik und in den USA spielen sich global ab. Aus radikalisierten Teilen des Student Non-Violent Coordinating Committee (SNCC) gründet sich unter dem Ruf nach »Black Power« die Black Panther Party (BPP), die den Schulterschluss mit antikolonialen Protesten sucht, werden doch sowohl die Völker Afrikas, Vietnams als auch die Schwarzen in den USA unterdrückt.9 Das wiederum dient westdeutschen Studierenden als Modell. Ihre politischen Positionen richten sich gegen den Vietnamkrieg ebenso wie gegen den US-Rassismus, in ihren Analysen gehört beides zusammen.10 Und den Appell zur nationalen Befreiung, wie ihn die BPP propagiert, nutzt vermutlich Ulrike Meinhof, indem sie im West-Berliner Szeneblatt Agit 883 unter einem schwarzen Panther, dem Logo der BPP, zum Aufbau der Roten Armee aufruft.11 Eine der zentralen Figuren der Bewegung 2. Juni –, die 1974 Günter von Drenkmann, den Präsidenten des Berliner Kammergerichts, erschoss sowie 1975 den West-Berliner CDUSpitzenkandidaten Peter Lorenz entführte, – Michael »Bommi« Baumann gibt 2007 ein Buch heraus, das nach seiner Darstellung den Vorbildcharakter der amerikanischen Protestbewegungen, insbesondere von Black Power, für »seine« Generation hervorhebt.12 Im Umkreis dieser Diskurse interveniert der afroamerikanische Regisseur Skip Norman. Der ist seit 1966 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin GmbH (dffb) immatrikuliert. Er leistet mit dem Film VAU (1967) im Kampf gegen den sexuell-ökonomischen Kolonialkomplex Alphabetisierung in Sachen Subversion. VAU, das sind drei Buchstaben, die den ersten hörbar machen. Was steht da? Lies mal vor. Zwei Alternativtitel werden online genannt, V und Victory, das macht drei.13 Bild, Ton, Schrift geraten durcheinander, was gehört oder gehört nicht in die Reihe, das wird unentscheidbar. Filmische Serienbildung im Vollzug. Zusammenhänge werden zunächst einmal postuliert, dann durchdekliniert: »verinnerlichen verkäuflich VAGINA versklaven vitalität vitzliputzli volksabstimmung VICTORY volksentscheid vaterrecht verdrängen VERSUCH verändern verstaatlichen vergissmeinnicht vernunft VIETNAM verdienstspanne verbraucher« |Abb. 1–3|.
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1–3 Skip Norman: VAU, Bundesrepublik Deutschland 1967, Stills
VAU wie Vietnam wie Vagina. Vor dem Krieg kommt das Knattern. Wie das nun genau miteinander zusammenhängt, darüber gibt die Reihe keinen Aufschluss, ihr Zusammentragen versucht zunächst nur ihre Bezüglichkeit. Darin, Sex und Protest miteinander zu verbinden, entspricht VAU einem zeitgenössischen Diskurs. Die Agitation gegen die Sexualmoral einer postfaschistischen Gesellschaft, für die Befreiung der Lust, ja, das Erlangen einer der Elterngeneration abgesprochenen Lustfähigkeit am eigenen und anderen Körper dienten aus einer solchen Perspektive auch dazu, den Holocaust zu adressieren.14 Die Körperpolitik um 1968 funktioniert als eine Erinnerungspolitik. Auf den Körpern werden die genealogischen Konflikte um Nationalsozialismus – und damit untrennbar verbunden – die Shoah ausgetragen.15 VAU wie Verschiebung, Vervielfältigung oder Verbindung oder Vergleich, es passt viel in den/die Buchstaben. Auch in einem anderen seiner Filme, Blues People (1969), führt Norman zusammen, dieses und jenes, so werden hier Relationen erklärt, einfach an- oder nebeneinander schneiden. Über einen ungleich berühmteren Kommilitonen von Norman heißt es da »der Bildfluss fordert Verweis, Montage, Differenz«, in eine tiefe Zeit hinein, mit schier unendlicher Referenzialität, Dreh- und Angelpunkt der Routen sind die Körper, die wie Summen funktionieren.16 Oder Resonanzkörper, die ein Echo zurückwerfen. Sie sind Projektionen physiologischer Körper, von Menschen, die Eigennamen tragen, zusätzlich funktionale Platzhalter, Abstraktionen. Wie ein Text und seine Fußnoten, beide zusammen bilden so etwas wie den Sound selbst. Die Körper werden zu Schauplätzen eines Treffens, mediale Rendez-Vous, also eine Sache der Körperlichkeit zwischen weiß und schwarz. Seitdem die »sexuelle Revolution« im Gange ist, empfiehlt sich zur Harmonisierung dieser komplizierten Beziehung Sex.17 Aber wer liebt hier wen? Eine Frage, die ganz konkret und sehr abstrakt zugleich beantwortet werden kann, vielleicht gibt es darauf nur Antworten, die beides zusammenschneiden. Etwas Konkretes mit etwas Abstraktem zu verschalten führt dann dazu, dass das Konkrete abstrakter und das Abstrakte konkreter werden. Mit der Addition von Konkret und Abstrakt geht wiederum eine Verfremdung beider Terme einher. Was in Skip Normans Film Blues People abstrakt und was konkret genannt werden kann, verunklart die ästhetische Methode des Zerschneidens, die Zerschnittenes miteinander versammelt. Was aber ist überhaupt zu sehen? Eine Inhaltsangabe fällt nicht leicht. Auf der Tonspur werden Zitate eines Theaterstückes verlesen, davor, danach und dazwischen ertönt BluesMusik. Im Bild sehen wir in formalistischen und eher statischen Szenen einen schwarzen Mann und eine weiße Frau. Sie scheinen nackt zu kopulieren, dann werden im Close-Up ihre
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verschiedenen Körperteile präsentiert, dann liegen sie wieder nackt aufeinander. Der Film klärt nicht auf, sondern verunklart. Die Kameraeinstellungen zerstückeln und formalisieren die Körper, sie werden von allerlei Sounds belagert, von wo wird gesprochen? Deplatzierungen am laufenden Band, um uns etwas einzuhämmern. In welchem Zusammenhang stehen wir mit dem, was uns da (wo?) erklärt wird? Und wo ist unser Platz, Fragen ohne Antworten, aneinandergereiht, ohne Lösung, A+B=?, »montage, an editing of scenes without closure«; Problemstellungen werden aufeinander addiert, immer mehr Differenzen vorgeführt, alles in allem ein »state of animated variability«.18 Herumgeistern von Schwankungen (lat. variare), also Bewegungen selbst ins Bild setzen, es dreht sich um Unentscheidbarkeiten, nicht als Gegenteile voneinander, höchstens vielleicht Summanden. Vielmehr fragen sie zudem, zusätzlich, plus, auch nach den Selbstverhältnissen – wer liebt hier wen und warum? »A visceral form of narcissism: the discovery of oneself outside, strange, stranger, estranged.«19 Aus dem Bauch (visceral) heraus, da wo nach gemeinem Verständnis die Emotionen sitzen, und wo die Liebe durch geht. Beim Annähern kommt es auf das feeling an.20 »Let’s do the belly rub« sagt eine Figur im Film, das ist ein kolloquialer Ausdruck für Sex. Bevor der simuliert wird, sehen wir schwarz – und rot. Im Online-Archiv der dffb ist der Film mit dem unverkennbaren Branding einer Institution versehen, die ihre eigene Legendenbildung tatkräftig unterstützt. Alles eine Frage der Zuordenbarkeit bei digitaler Zirkulation. Zum Schwarz mit dem Rot hören wir, Musik und Gefühl, angeblich das, was den Blues ausmacht.21 Direkt aus dem Gefängnis, beziehungsweise vom Arbeitsdienst. Von der dffb geht es nach Parchman, Mississippi, ins Gefängnis, genauer aufs Feld der State Penitentiary, wo Alan Lomax 1947 das Tonbandgerät laufen ließ, um die schwarzen Häftlinge während des Holzhackens beim Singen aufzunehmen.22 Zwei von drei Songs, die im Film Verwendung finden, stammen von der daraus entstandenen LP. Dieser erste erzählt von der harten Arbeit und dem Verlangen zu einer Frau, die dieses scheinbar nicht erwidert. Whoa Buck endet mit einem Gespräch, das vom Sänger »C.B.« allein rezitiert wird: »›Boys you know I’m in bad shape tonight, I’m telling you me and that girl is sure going to have a fight.‹ ›What’s the matter John?‹ ›I don’t know Bill…‹ ›You got any chewing tobacco over there?‹ ›No boy, I got some of the best old [roll?] that you ever tangled in your teeth.‹ ›Come up over there, old Blue – [unverständlich, vielleicht stagger, JM] back there, Broad…‹ ›Boys, I’m having a tough time with this, I’m telling you…‹ ›Baby I’ll make this load alright, me and old Flattop got to get a little gin then. Then we’re goin down in Bottom, down there and get us a few of them hamburgers, you know.‹
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›I’m gonna keep on a-talking, I ain’t gonna sing no more When this is over, boys, I’ve got to let it go.‹« Wer singt da, und zu wem? Die Interpreten, die hier singen und aufgenommen werden, leisten ihre Strafen auf Baumwollfeldern ab. Es könnte Mississippi sein, aber auch ein Plattenspieler in den Räumen der dffb; strange, stranger, estranged. John Mowitt kommt dank des Jazz auf neue Ideen. Anhand der Lektüre eines biografischen Narrativs über eine Jazz-Legende stellt er eine Neuausrichtung des Echobegriffs vor. Es könne als Artikulation einer Dreiheit verstanden werden, von »delay, displacement, and decay«.23 Ein Echo ist, so Mowitt, im Vollzug als Reproduktion durch Versatz markiert, ohne klar bestimmbaren »Ursprung« aber mit deutlicher Bezüglichkeit, es ist immer das Echo von etwas. Damit beschreibt es ein operatives Spektrum, das Raum für Spekulationen bietet, welches ein Verweisnetzwerk abseits vermeintlich eindeutig identifizierbarer (und das heißt auch fixierbarer) Indikatoren aufzuspannen erlaubt. Echo meint hier also nicht den hörbaren Wiederhall, sondern eine Wiederholung, die im Modus ihrer Reflexion eine Differenz einer Vielheit sichtbar macht, die überhaupt nur echo-logisch als solche erkennbar wird. Sprich: das Echo produziert zugleich, von was es Echo ist. Entstellung (displacement/decay) und Aufschub (delay) mobilisieren Zusammenhänge, die überhaupt nur durch jene dreifache (Zer-)Störung beschreibbar werden. Auch macht Mowitt Echo als Konzeption abseits des Auditiven operabel. Bei Norman heißt das, dass nicht für sich genommen, sondern im Aufeinandertreffen der beiden unterschiedlichen medialen Prozesse Bild/Ton ein solches Echo phänomenal wird. Musik hören und/oder Film gucken. Auf alle Fälle geht’s ums Arbeiten, des Sehens, Hörens, Verstehens. Wer spricht da? In den Lyrics hören wir eine Stimme mehrere Dialogpartner sprechen. Während der Medienverbund Film gleich zu Beginn in seine Einzelteile zerlegt wird, kanalisiert der Ton Vielheit mit einer Stimme. So funktioniert eine der zentralen Operationen von Skip Normans Film Blues People: nämlich das vermeintlich Eindeutige zu disseminieren. Die MechanicalCopyright Protection Society Limited erteilt dem Verwaltungsdirektor Herrn Dr. Rathsack i.V. der DFFB GmbH ganz offiziell 1968 die Verwertungsrechte für diesen und einen weiteren Song der Platte Murderer’s Home, vom Label Pye Nixa (Kennung 1063/B aus der Jazz Today Series).24 (Zu-)Ordnung muss sein, Entgelt auch. Wilbert Reuben »Skip« Norman, 1933 in Baltimore, Maryland geboren, bewirbt sich nach einem Germanistik- und Medizinstudium in Göttingen dann 1966 an der dffb und gehört dort zur Kohorte erster Studierender. Norman drehte nicht nur eigene Filme, sondern taucht in zahlreichen, deutlich bekannteren Filmen als Kameramann auf, nach eigener Aussage hätte er vor allem von seinem Freund Holger Meins sehr viel gelernt.25 Norman lehrte von 1996 bis 2010 an der Eastern Mediterranean University in Nordzypern. Seine Forschungen kreisen um das Problem, wie Bilder in die Form wissenschaftlichen Arbeitens integriert werden können, welche Art von Wissen sie generieren, insbesondere unter dem disziplinären Schlagwort von visueller Anthropologie beziehungsweise Ethnografie.26 Schon in seiner medienwissenschaftlichen Dissertation beschäftigt ihn, inwieweit aus Fotografien afroamerikanischer Me-
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thodistengemeinden Kenntnisse über afroamerikanisches Leben entnommen werden können.27 Auf den Reisen zwischen Deutschland, den USA und Nordzypern bleibt Norman an der Frage interessiert, wie sich nicht nur mit, sondern aus Bildern heraus argumentieren lässt. Schon die während seines Studiums an der dffb entstanden Filme konzipieren eine Ästhetik, der es um die Verquickung politischer, epistemologischer und bildtheoretischer Fragen zu tun ist.28 So auch seinem zweiten Film Blues People, dessen Titel Amiri Barakas (damals noch: LeRoi Jones) 1963 erstmals erschienenes Buch gleichen Namens zitiert.29 Darin erarbeitet Baraka/Jones eine sozialanthropologische Untersuchung afroamerikanischer Kultur aus den verschiedenen Musiken schwarzer Menschen in den USA. Er greift auf Melville Herskovits’ Studien zurück, einen jüdischen Pionier der African American Studies als wissenschaftlicher Disziplin. Auch Norman ruft diese Studie auf, in der ersten Produktionsanmeldung trägt der Film noch den Titel »Reference determines value«, einer der bekanntesten Sätze aus Herskovits Buch.30 Damit markiert Norman nicht nur ein genealogisches Selbstverständnis seiner Arbeit und des Themas, das er darstellt, sondern auch eine epistemologische und wissenschaftsgeschichtliche Wende und damit eine Reorganisation von Wissen, einen Perspektiv wechsel oder einfach eine andere Form der Wissensmontage.
Exkurs: Berlin Blues 1969 erscheint eine »von einem Berliner Studentenkollektiv« erarbeitete Übersetzung von Barakas Buch.31 Das Nachwort stammt von Werner Sollors, der später in Harvard zu afroamerikanischer Literatur forscht, und Bernd Weyergraf. In West-Berlin spielten sie seit Ende der Sechziger Jahre vermehrt Blues. Das geht so weit, dass sich Ende der 1960er Jahre eine subkulturelle Gruppe aus dem Umkreis der Kommune 1 schlicht »der Blues« nennt. Wie kommt man 1969 dazu? Mit dieser »Afroamerikanophilie« (Moritz Ege) im Allgemeinen und der Aneignung von Blues als über einen Musikstil hinausgehende Bezeichnung für ein Ensemble gegenkultureller Identifizierung und Lebensweisen wird die als spezifisch afroamerikanisch ausgezeichnete Kultur bekömmlich gemacht, sie soll authentische Marginalisierung und Ausgrenzung ausweisen.32 Auf der Kehrseite dieses Begehrens werden schwarze Menschen so als fetischisierte Instrumente echter Widerständigkeit vereinnahmt.33 Und hier wird der Blues anschlussfähig für die erinnerungs- beziehungsweise körperpolitischen Anordnungen nach 1968. Unter der Überschrift »Was ist der Blues heute?« präsentiert die Bewegung 2. Juni eine Ursprungserzählung über diese Musikrichtung: »Denn sie [die Schwarzen, JM] hatten das fee ling, das die Grundlage des Blues bildete, ja praktisch mit der Muttermilch reingekriegt, zu leben auch in der größten Scheiße. Zu leben mit Ketten; vor den Gewehrläufen, hinter Knastgittern.«34 Danach wird nach einem weiteren historischen Abriss der Protestbewegung rund um die Bewegung 2. Juni empfohlen, den »eigenen Blues zu finden«. Benannt nach dem Datum, an dem der Berliner Student Benno Ohnesorg von Karl-Heinz Kurras erschossen
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4 Skip Norman: Blues People, Bundesrepublik Deutschland 1969, Still
wurde, ging die »Bewegung« aus Teilen der Tupamaros West-Berlin hervor. Diese nach dem Vorbild aus Uruguay konzipierte Gruppe versuchte am 9. November 1969 einen Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin.35 Die Route vom Blues zum Holocaust fällt kurz aus. Dass jene »linken« beziehungsweise »gegenkulturellen« Milieus den Schulterschluss mit dem Blues suchten, drückt das Mobilwerden der Signifikanten aus, eine »schwarze« Kultur, gemacht von »schwarzen« Menschen gerät (erneut) in einen ökonomischen Umlauf, sie beide können erneut konsumiert werden. Letztlich eine Frage der Selbststilisierung, einer Identifizierung mit einer gemäß den eigenen Darstellungen stolzen Opfergruppe.36 Zugleich reflektiert genau diese Aufstellung ein globales, rhizomatisches, multidirektionales Netzwerk. Mir geht es weniger um die Qualitäten der Bezüglichkeit, das heißt um Fragen, was Shoah und US-Rassismus wirklich miteinander zu tun haben oder ob sich ein solcher Vergleich ziemt. Vielmehr weise ich auf das In-Beziehung-Setzen selbst hin, eine Operation des Verbindens und Verschiebens. In den späten 1960er Jahren geraten Sexualität, Holocausterinnerung, USRassismus und Blues in einen Zusammenhang, und Blues People ist in meiner Lektüre ein Echo davon – und somit auch das Postulat dieser Verschiebungen. Dort geht es mit den medialen Verweisen auf Geschriebenes weiter. Nach gut sechs Minuten sehen wir Text |Abb. 4|.
Untergrundbahn Keine Referenz, bei der Norman davon ausgehen konnte, dass sie beispielsweise dem Oberhausener Kurzfilmpublikum (wo der Film gezeigt wurde) besonders viel sagen würde.37 Normans Filme zelebrieren auch die Lust an der Hermetik, Filme für Eingeweihte. The End of
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Man Is His Beauty ist der Titel eines Gedichts von Baraka, das 1962 in einer von Rosey E. Pool herausgegebenen Anthologie erschien.38 Während Pool sich in den 1940er Jahren in Baarn, Niederlande nach einer Flucht aus dem sogenannten »Durchgangslager« Westerboork aufgrund ihrer jüdischen Herkunft vor den Nazis versteckte, sammelte sie afroamerikanische Lyrik – eine Arbeit, der sie vor und nach dem Zweiten Weltkrieg nachging.39 In Normans Blues People besteht der gesamte Text des Voiceovers aus Zitaten von Barakas Theaterstück Dutchman (1964). Darin treffen die etwa 30-jährige Lula und der etwa 20-jährige Clay in einem New Yorker U-Bahnwaggon aufeinander. Lula ist weiß, Clay nicht. Im Verlauf des Stücks versucht Lula, Clay zu manipulieren, zu verführen, bedrängt und ermordet ihn.40 In den von Norman gewählten Ausschnitten tauschen die Stimmen folgende Sätze aus: »Plantations were big open whitewashed places like heaven, and everybody on ’em was grooved to be there. Just strummin’ and hummin’ all day – Yes, yes. – And that’s how the blues was born.« In Barakas Stück heißt es vorher und nachher: »CLAY Frighten me? Why should they [die anderen Passagiere in der U-Bahn, JM] frighten me? LULA ’Cause you’re an escaped [N*] CLAY Yeah? LULA ’Cause you crawled through the wire and made tracks to my side. CLAY Wire? LULA Don’t they have wire around plantations? CLAY You must be Jewish. All you can think about is wire. Plantations didn’t have any wire. Plantations were big open whitewashed places like heaven, and everybody on ’em was grooved to be there. Just strummin’ and hummin’ all day. LULA Yes, yes. CLAY And that’s how the blues was born.« 41 In ihrer Einleitung stellt Pool ebenfalls eine Verbindung zwischen Konzentrationslager und Sklaverei her, erwähnt dabei auch Züge: »Negro Spirituals, whether they are purely religious or songs in the code of ‹Freedom Rides› on Harriet Tubman’s ‹Underground Railway›, are deeply rooted in sorrow-soil, and they are rooted in beauty so deeply that their serenity could give moments of rest and comfort to white slaves in Nazi concentration camps of the nineteen-forties of which I was one.«42 Diese Relationierung scheinbar entlegener Phänomene, Plantagen und Lager, ist in Normans Film eingefaltet, der wie ein Aufweis seiner Hörund Lektüreprotokolle funktioniert. Die transmedialen Referenzen geraten durch die Montagen in Bewegung. Von der Plantage geht es nicht nur in Konzentrationslager, sondern auch zu Fragen des Natalen (»and that’s how the blues was born«). Wer sind seine Eltern und gibt es seine Urszene?
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5 Anthony Harvey: Dutchman, Vereinigtes Königreich 1967, Still
6 und 7 Skip Norman: Blues People, Bundesrepublik Deutschland 1969, Stills
Was zu sehen wäre 1966 wird Barakas Stück selbst zum movie.43 Als die U-Bahn an der Station hält, haben Clay und Lula Augenkontakt |Abb. 5 | . Zug und Film, Bewegungen, Assoziationen an eine Moderne.44 Eisenbahn und Sklaverei, das sind die USA. Plus die Augen. Die Blickregime bilden den Einstieg in die Dialoge, auch bei Blues People |Abb. 6 und 7 | . Wer darf wen ansehen? Keine banale Frage in den USA, da sich das rassistische soziale Gefüge (nicht nur, aber auch) in diesen Verhaltensregeln verfertigt(e).45 Der Blick als ganz konkretes Bild und zugleich abstrakte Theorie, theoria = Schau, an der dffb dachten sie laut eines Zeitzeugen »alle in Konzepten – in Blicken«, wer schaut hier wen an, und warum?46 Die Skopophilie tritt auf, und mit ihr all das, was der Blick zumindest 1969 bedeuten soll im Verhältnis von Schwarz und Weiß. »Und dann geschah es, dass wir dem weißen Blick begegneten.«47 Ein verzerrender Spiegel, schwarze Menschen sind »fixiert«, stillgestellt von den »einzig wahren Blicken«, den weißen.48 Es heißt, es sei die Phobie, eine Angstlust, die ihr Objekt sexualisiert.49 Blicke und Begehren, eine psychoanalytische Einheit,
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hier steht die Gleichung mit ihrer dritten Variable, Rassismus. Barakas Stück plus Normans Film (und andersherum) arbeiten sich an dieser Verquickung ab.50 Das, was weiße Suprematie heißt im (hier tödlichen) sogenannten Liebesspiel aufzuzeigen, mit einer ästhetischen Form, die andere Wege beschreiten will, radikal entgegensteht all dem, was von der Idee Whiteness erfunden, kolonisiert scheint. Dabei kommt Lula gar nicht gut weg. Ihre destruktive Lust fordert den Tod ihres Objekts. Es lässt sich annehmen, dass Baraka der schematischen Anordnung eine komplexere Darstellung sexueller Ambivalenz seiner weißen Frauenfigur opfert. Das Inverse der Aufstellung Lula-Clay bringt Aufschluss. Um das Gender/ Race-Schema zu vervollständigen, bedarf es eines weißen Mannes und einer schwarzen Frau, eine amerikanische Familienaufstellung. Dass in der Logik von Barakas Stück die HautfarbenGeschlechtskombination präfiguriert, was wie passiert, gründet auf einer spezifischen Grammatik, die Funktionalität beschreibt, die sich aus der Bezüglichkeit der vier Positionen er geben.51 So besehen erschließt sich eine Lesart des Textes, die gegen die Schließung, die Hierarchisierung bedeutet, das »refusal of closure« setzt, das keine »rejection« ist, sondern »an ongoing and reconstructive improvisation of ensemble; this reconstruction’s motive is the sexual differentiation of sexual difference.«52 Genau diese Dynamik setzt Blues People in Bild und Ton. Nicht die geschlechtliche Differenz, sondern die mit Melanin verworrene Differenzierung von Geschlechtlichkeit präsentiert uns Barakas Stück, die Normans Film auf der Ebene des medialen Vollzugs der Differenzierung von Ton/Bild (und Schrift) nachvollzieht, soll heißen: Dadurch, dass sich auf der Tonspur etwas anderes abspielt, als im Bild, geraten Differenzen und ja auch der Prozess des Differenzierens zur Wahrnehmung. Was Bild und Ton machen, steht in ihrer Operationalität selbst zur Disposition. Die Zugfahrt geht weiter. Differenzierung, prozessual, die dialektische Struktur zwischen Geschlechtern und zwischen »weiß« und »schwarz« reflektiert das Ensemble aus Bild und Ton, aus Wiedersehen und Wiederhören, unterschieden voneinander und Verschiebungen einander. Wie lässt sich eine solche Bewegung abbilden, filmisch gefragt: »Wie lässt sich Sichtbar-Konkretes so miteinander koppeln, dass etwas Unsichtbares, Abstraktes wahrnehmbar wird?«53 Wie lässt sich das Auseinanderbrechen von Subjektpositionen filmen, das dann auch noch die Liebe zwischen diesen beiden Subjekten problematisierend versinnbildlicht?
Entstellungen Eine Verbindung wird gestiftet, zwischen Körperteilen, vom Partialobjekt Blick zum partiellen Körper |Abb. 8 |. Zugfahrten, weg vom statischen Ich, dreifach: »Und das Körperschema, an mehreren Stellen angegriffen, brach zusammen und machte einem epidermischen Rassenschema Platz. In der Eisenbahn ging es nicht um eine Erkenntnis meines Körpers in der dritten Person, sondern in der dreifachen Person. In der Eisenbahn überließ man mir nicht einen, sondern zwei, drei Plätze. Schon amüsierte ich
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8 und 9 Ausschnitt aus Skip Norman: Blues People, Bundesrepublik Deutschland 1969, Stills
mich nicht mehr. Ich entdecke keine fiebernden Koordinaten der Welt. Ich existierte dreifach: ich nahm Platz ein. Ich ging auf den anderen zu …, und der andere verflüchtigte sich, feindselig, aber nicht greifbar, durchsichtig, abwesend.«54 In der Bewegung verflüchtigen sich die Einzelbilder. 1 und 2 und 3, Teile eines porösen Ganzen, dessen Verfasstheit als Montage die eigene Brüchigkeit aufzeigt — das gilt für Film wie für die Erfahrung heteronomer schwarzer Subjektivität durch weiße Augen im Zug, wie sie Fanon schildert. Blues People wirft genau das auf den weißen Frauenkörper zurück, dessen Gestalthaftigkeit auf der mithin buchstäblichen Zerstückelung (etwa im Lynching) »fremder« — schwarzer — Körper beruht. Dadurch, dass wir als Frauenstimme immer nur Lula hören, also eine Frauenfigur, die voll in ihrem letalen Verführungshandwerk aufgeht, dazu dann jedoch einen fragmentierten Frauenkörper sehen, entweder seltsam formalisiert oder eng umschlungen mit dem schwarzen Mann, auf den diese Frauenfigur offenbar angewiesen ist, wird gerade die Verfertigung zum Trugbild körperlicher Gestalt offenbar. Dahinter liegt eine visce ral form of narcissism: the discovery of oneself outside, strange, stranger, estranged. Jene anderswo als orthopädisch bezeichnete Ganzheit bricht zusammen, auf allen Seiten.55 Norman bringt die zerhackten Körper ins Bild |Abb. 9 |. Ich sprach bereits vorher von den zerschnittenen Körpern. Allerdings verhindern die langen, statisch-formalistischen Einstellungen, dass hier analog zu einer stumpfen oder spitzen Gewalt Körper entstellt werden. Der Bildausschnitt verkündet eine neugierige Sorgfalt, die den Geschlechtsteilen ihre pornographische Selbstverständlichkeit nimmt, und aus Körperteilen graphische Formen macht. Ent-stellung im eigentlichen Wortsinne, denn durch das Zerschneiden bleiben Körper konkret und werden Abstraktionen zugleich, Darstellungsflächen, auf denen sich Normans ästhetisch-körperpolitische Intervention nun austrägt.56 Als »Eltern« des Blues fungieren nämlich nicht nur die Plantagen. Norman zeigt im Film zwei Fotos.57 Zwei Stück, zwei von unzähligen. August 1930 in Marion, Indiana, Thomas
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Shipp und Abraham Smith und Omaha, Nebraska, September 1919, Will Brown. Dr. Rathsack erhält von SIMON & SCHUSTER 630 Fifth Avenue Rockefeller Center NY 10020 keine Antwort hinsichtlich der Verwertungsrechte dieser Fotos. DM 500 seien vorsorglich dem Produktionsbudget abzuziehen, sollte da noch was kommen.58 Entnommen sind die Bilder aus einem Dokumentarfilm in Buchform. Das Narrativ stammt von Lorraine Hansberry, welche ihre eigenen Texte zusammen mit Zitaten und Bildern unterschiedlicher Fotografen montiert. In Buchform funktioniert A Matter of Color damit im selben operativen Graubereich, den Skip Norman ausbeutet. Mit dem Blättern läuft der Film. Zunächst gefällige Landschaftsaufnahmen des »Alten Süden«, das seien »familiar images«. Umblättern. Es folgt das Foto aus Marion, Indiana. Lynchbilder sind bekannt, zugleich fami liär, Teil des Familienalbums, in denen diese Fotos nicht selten klebten. Wieder blättern. Vor dem zweiten Bild, aus Omaha, zeigt Hansberry Bilder von Holzhütten und Fabriken, der sogenannte »Neue Süden«. Allerdings führte das nicht zu einer Verbesserung der Lebenssituationen: »And if a man’s family is hungry, he may steal«, wonach er sich auf denjenigen Feldern wiederfindet, auf denen Alan Lomax seine Aufnahmen machte. Hansberry fügte auch davon ein Bild hinzu. Blättern. Neben einem Foto zweier Waschbecken (links »colored«, rechts »white«) erscheinen auf der nächsten Seite die Gaffer beim Lynching von Will Brown.59 Recht und billig wäre es, geschockt zu sein, oder ergriffen, beides feierlich; Reaktionen, die den Horror, den die Zirkulation der Fotos auslöste, immer wieder beglaubigen. Durch das, was Blues People vorher und nachher zeigt, entwirft der Film eine genealogisierende Momentaufnahme, die genau diesen Rezeptionsfallen aus dem Weg geht und damit, möglicherweise, eine andere Bilderzukunft testiert. Mittels Ausschnitten, Stills dessen, was sie zeigen, und das ist nicht nur die gewalttätige Performance, die sie abbilden – zu der das Zerstückeln der Opfer bis hin zur Kastration und Verbrennen gehört, sondern auch die, die die Fotos selbst sind. Wieder ein Echo. Hier fällt beides zusammen: »The performance is always at one level raw material for documentation, the final product through which it will be circulated and with which it will inevitably become identified«.60 Eine Wiederholung, zurück, Präflektion, eine »situation and circulation in return«, imstande zu illustrieren, wie es war, und zugleich anhaltend, unabgeschlossen. Sie fordert zur Antwort auf, was noch sein wird. Diese Fotos sind dann ein »call toward a future live moment when the image will be re-encountered, perhaps as an invitation to response? And if so, is it not live – taking place in time in the scene of its reception? Is it time deferred, finding its liveness in the time-lag, the temporal drag, ›in your hands‹ at the moment of its encounter?«61 Wie macht man weiter nach solchen Bildern? Auf das Foto aus Marion, Indiana, ikonische Trophäe weißer Dominanzfantasie, folgt Penetration. Mit dem Heranzoomen fingiert die Kamera einen Betrachtungsstandpunkt, der die Perspektive des Phallus einzunehmen scheint, das Blickverhältnis vom Anfang wird neu konfiguriert in einer Geste, die gleichermaßen Strafe wie auch Umkehrung von Autorität suggeriert |Abb. 9 und 10 |. Nach konfrontativen Ansagen (Ton) und einem Stellungswechsel (Bild) liest die Stimme von Callen Maiden vor: »They [Weiße, JM] say, ›I love Bessie Smith‹, and don’t
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10–12 Ausschnitt aus Skip Norman: Blues People, Bundesrepublik Deutschland 1969, Stills
even understand that Bessie Smith is saying: ›Kiss my ass. Kiss my black unruly ass.‹« Den Hintern hat uns der Schauspieler vorher entgegengestreckt. Eine Stimme und ein nicht dazugehörender Körper, die zusammengepasst werden. Wie bei Belafonte/Turner auch hier eine phonische Enteignung, so funktioniert Echo-logik. Währenddessen überbringt er seine Botschaft, die Mission. Dieser Sex dient der Klarstellung. Aus einer vereinigenden, gar befreienden Geste, wie von 1968 imaginiert, wird nach dem Lynchbild eine Strafpenetration.62 Im Zusammenschnitt stört der lange Schatten des Lynchings Sexualität und Begehren, deren Aggressivität und Destruktivität Blues People hervorhebt. In dieser Vereinigung entlädt sich die die Beziehung strukturierende Gewalt, ohne dass die Komplexität in dieser Reduktion aufgeht. Eine «Lösung» kann es vor diesen Hintergründen nicht geben. Es bleibt verworren.63 Norman führt vor, was »Erotisierung der Gesellschaft« heißen kann, wenn »Rassismus« grundlegende Zutat der Sexualerziehung ist.64 Ihre befreiende und spielerische Wirkung verpufft vollständig vor der Aporie, die Sex zwischen einem schwarzen Mann und einer weißen Frau bedeutet |Abb. 11 und 12 |. Um diese Komplexität konkret darzustellen, differenziert Blues People medial, präsentiert sich auf der Ebene seiner ästhetischen Operationen als zusammengesetztes Netzwerk, das echo-logisch Lynching und Sex (und verschoben durch die Körper hindurch auch die Shoah) miteinander ausstellt. Normans Reflexion, diese zurückwendende und damit die Dreiheit der echologischen Operation (delay, decay, displacement) realisierende Geste bringt Unsichtbares zur Wahrnehmung. Die Reflexion produziert das, worüber sie reflektiert. Sie führt dabei Sehen, Hören, Lesen vor, um echo-logisch die Komplexität und Verworrenheit des Themas, nun ja, zu re flektieren.
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1 Ta-Nehisi Coates: We were eight years in power: An American Tragedy, London 2017. 2 Schon Frantz Fanon bemerkte: »Auf den ersten Blick mag es verwunderlich scheinen, dass die Haltung des Antisemiten mit der des Negrophoben verwandt ist«. Vgl. Frantz Fanon: Schwarze Haut, weiße Mas ken, Wien 2015, S. 105. 3 Vgl. Linda Hentschel: Strange Fruit. Die visuelle Kultur des Lynchens in den USA, in: Anna Pawlak u. Kerstin Schankweiler (Hrsg.): Ästhetik der Gewalt – Gewalt der Ästhetik, Weimar 2013, S. 165–178. 4 Vgl. Nicholas Grant: Winning our freedoms together. African Americans and apartheid, 1945–1960, Chapel Hill 2017; John Munro: The anticolonial front. The African American freedom struggle and global decolonisation, 1945–1960, Cambridge 2017. 5 Jacques Derrida: Die Bewunderung Nelson Mandelas oder Die Gesetze der Reflexion, in: Nadine Gordimer et al. (Hrsg.): Für Nelson Mandela, Reinbek 1987, S. 11–45 u. S. 12. 6 Vgl. ibid., S. 17. 7 Ibid., S. 39 f. 8 Akira Mizuta Lippit: Cinema Without Reflection. Jacques Derrida’s Echopoiesis and Narcissism Adrift, Minneapolis 2016, S. 1. 9 Vgl. Ingo Juchler: Die Studentenbewegungen in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland der sechziger Jahre: Eine Untersuchung hinsichtlich ihrer Beeinflussung durch Befreiungsbe wegungen und -theorien aus der Dritten Welt, Berlin 1996, S. 103–110; Moritz Ege: Schwarz werden. »Afro amerikanophilie« in den 1960er und 1970er Jahren, Bielefeld 2015, S. 94–97. 10 Vgl. Juchler 1996, S. 142–146 u. S. 249–255; Detlef Siegfried: 1968. Protest, Revolte, Gegenkultur, Stuttgart 2018, S. 191–230. 11 Vgl. Wolfgang Kraushaar: Berliner Subkultur. Blues, Umherschweifende Haschrebellen, Tupamaros und Bewegung 2. Juni, in: Joachim Scharloth u. Martin Klimke (Hrsg.): 1968. Handbuch zur Kultur-und Medi engeschichte der Studentenbewegung, Stuttgart 2007, S. 261–275 u. S. 266. 12 Vgl. Bommi Baumann u. Till Meyer: Radikales Amerika. Wie die amerikanische Protestbewegung Deutschland veränderte, Hamburg 2007. Das erste Kapitel versammelt wichtige Texte der Black PowerBewegung. 13 https://dffb-archiv.de/dffb/vau; letzter Zugriff: 23.10.2019. 14 Deshalb las man auch Wilhelm Reich, aus dessen Buch Massenpsychologie des Faschismus im Voice over in VAU zitiert wird. Vgl. allgemeiner zur Rolle von Sexualität in der Gegenkultur der 1960er Jahre Siegfried 2018, S. 71–106 u. insb. S. 92–98; Pascal Eitler: Die ›sexuelle Revolution‹ – Körperpolitik um ›1968‹, in: Scharloth u. Klimke 2007, S. 235–246; Dagmar Herzog: Sex after fascism. Memory and morality in twentieth-century Germany, Princeton et al. 2007. 15 Vgl. Christian Schneider: Der Holocaust als Generationsobjekt. Generationengeschichtliche Anmerkun gen zu einer deutschen Identitätsproblematik, in: Mittelweg 36-4/2004, S. 56–73; Ulrike Jureit: Generatio nen als Erinnerungsgemeinschaften. Das ›Denkmal für die ermordeten Juden Europas‹ als Generationen objekt, in: id. u. Michael Wildt (Hrsg.): Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, S. 244–265.
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16 Volker Pantenburg: Film als Theorie. Bildforschung bei Harun Farocki und Jean-Luc Godard, Bielefeld 2006, S. 69. 17 Vgl. Ege 2007, S. 79–92. 18 Lippit 2016, S. 6. 19 Ibid., S. 27. 20 Vgl. zu dieser Kategorie als verbindungsstiftend zwischen Weißen und Schwarzen in der Bundesrepublik in den 1960er- und 1970er Jahren Ege 2007, S. 150 f. und S. 161. 21 »It may be hard, almost half a century later, to imagine the emotional turbulence experienced by a white, middle-class English schoolboy while listening intently to a recording of four black prisoners at the state penitentiary in Parchman, Mississippi, swinging their axes and intoning the overlapping lines of a work song with hoarse, urgent voices. But from such moments – the revelation of a new world of f eeling, at once distant and exotic yet seeming more immediately relevant than anything the boy had absorbed from the voices of his own culture – a revolution, of sorts, would be made.« Richard Williams: The Man who recorded the World. A Biography of Alan Lomax by John Szwed, Review, https://www.theguardian. com/books/2011/jan/08/alan-lomax-john-szwed-review, 08. Januar 2011; letzter Zugriff: 17.09.2018. 22 Alan Lomax war ein Musikethnologe oder Ethnomusikologe, der ein riesiges Archiv jener Musik anlegte, die außerhalb eines (weißen) bürgerlichen Kanons lag. Seine Aufnahmen fanden nicht nur ein akademisches Publikum, sondern hatten auch kommerziellen Erfolg, vgl. John F. Szwed: The man who re corded the world. A biography of Alan Lomax, London 2011. 23 John Mowitt: Sounds. The Ambient Humanities, Berkeley 2015, S. 35. 24 AKTE 1: 1966 Norman, Skip; 1/2 Produktionen: Blues People, F 35314_N12697_dffb, Schriftgutarchiv der Deutschen Kinemathek, Berlin. 25 Vgl. das Video, das Gerd Conradt 2002 von einem Interview mit Skip Norman gemacht hat, https:// www.youtube.com/watch?v=FFG0Dlm-Ln8&frags=pl%2Cwn; letzter Zugriff: 19.09.2018. 26 Vgl. Wilbert Reuben Norman: Photography as a research tool, in: Visual Anthropology 2-4/1991, S. 193–216; Vgl. Wilbert Reuben Norman: Ethnographic Photography As A Research Tool In The Study Of Northern Cypriot Culture, in: I˙kinci Uluslararası Kıbrıs aras¸tırmaları kongresi 1/1999, S. 693. 27 Vgl. Wilbert Reuben Norman: An examination of Centenary United Methodist Church using the pho tograph as artifact, Diss: Ohio State University, 1984. 28 Auch hier scheint das dffb-Umfeld im Hintergrund mitzulaufen. Norman gehörte der Gruppe 3 an, einer Art Arbeitskreis, die aus einem Seminarkontext entstanden war und die filmischen Möglichkeiten politischen Aktivismus diskutierte. So standen vier Fragen im Zentrum: »(a) How does one conceptualize educational films? (b) How can one film political slogans? (c) How does one construct scenes that assert themselves as documentaries, i.e. how far can documentation be fictionalized? (d) How does one address different groups?« Fabian Tietke, zitiert nach Christina Gerhardt: 1968 and the early cinema of the dffb, in: The Sixties 1/2017, S. 26–44, S. 30. 29 LeRoi Jones wird im Abspann von Normans Film explizit phonisch gedankt. 30 Melville Herskovits: The myth of the negro past, New York 1941, vgl. Objektnummer F35314_N12697_ DFFB_001_01, dffb-Archiv, auch online https://dffb-archiv.de/dffb/blues-people; letzter Zugriff: 04.03.2019.
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31 Vgl. LeRoi Jones: Blues People. Schwarze und ihre Musik im weißen Amerika, Darmstadt 1969. 32 Vgl. Ege 2007, S. 93–104 u. S. 116–136; Kraushaar 2007, S. 264 f. 33 Vgl. Detlef Siegfried: Sound der Revolte. Studien zur Kulturrevolution um 1968, Weinheim u. München 2008, S. 103–119. 34 Anonym: Was ist der Blues?, in: N.N. (Hrsg.): Der Blues. Gesammelte Texte der Bewegung 2. Juni, Berlin 1980, S. 137. 35 Vgl. Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005. 36 Vgl. Jureit 2005, S. 254 f. 37 AKTE 1: 1966 Norman, Skip 1/2 Produktionen: Blues People F 35314_N12697_dffb, Schriftgutarchiv der Deutschen Kinemathek, Berlin. 38 Vgl. Amiri Baraka (LeRoi Jones): The End of Man Is His Beauty, in: Rosey E. Pool (Hrsg.): Beyond the Blues. New Poems by American Negroes, London 1962, S. 135–136. 39 Ein weiterer Verweis oder eine Präflektion, zu Aufschub (Harun Farocki, 2007), von hier und jetzt aus besehen. Leider muss hier die bloße Nennung reichen. Zu Rosey Pool entsteht gerade eine Biographie, erste Angaben sind zu finden auf https://roseyepool.wordpress.com/about-rosey-pool/; letzter Zugriff: 19.09.2018. Baraka thematisiert zwar nicht in dem Gedicht selbst, dafür aber bei zahlreichen anderen Gelegenheiten das Verhältnis von Afroamerikaner*innen und Jüd*innen, vgl. dazu Eric J. Sundquist: Strangers in the land. Blacks, Jews, post-Holocaust America, Cambridge 2005. 40 »Der dominierende Affekt ist eine wütende Lust, die nicht von ihrem Objekt läßt, bis es zerstört am Boden liegt.« Klaus Theweleit: Männerphantasien. 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, 2: Männerkörper. Zur Psychoanalyse des weißen Terrors [1977/1978], Bd. 1, Frankfurt am Main 1986, S. 237. 41 URL: http://faculty.atu.edu/cbrucker/Engl2013/texts/Dutchman.pdf; letzter Zugriff: 18.09.2018. 42 Rosey E. Pool, Introduction, in: id. 1962, S. 11–34, S. 12. 43 Wieso eigentlich »Dutchman«? Die philologische Fingerübung zeigt eine breite Klaviatur, die von Südafrika über Underground Railroad bis Wagner reicht, vgl. Thomas A Greenfield u. Sarah Pinchoff: ›Hopeless Colored Names‹. A Taxonomy of Naming and Re-naming Rituals in Baraka’s Dutchman, in: Names 55-2/2007, S. 123–137; Robert Cardullo: Names and Titles in Amiri Baraka’s Dutchman, in: ANQ: A Quarterly Journal of Short Articles, Notes and Reviews 22-3/2009, S. 51–56. 44 Vgl. Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise: zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert, München 1977. 45 »While it was a prerogative of whites to look at blacks, blacks could be punished – and indeed were killed – merely for looking at a white person, especially a white woman«, Dora Apel: Imagery of lynching. Black men, white women, and the mob, New Brunswick 2004, S. 15. 46 Gerd Conradt: Black and White, Unite! Unite!, https://dffb-archiv.de/editorial/black-and-whiteunite-unite-0.; letzter Zugriff: 26.04.2020. 47 Fanon 2015, S. 94. Während die erste deutsche Übersetzung bis 1980 auf sich warten ließ, konnten englischsprachige Leser*innen schon seit 1967 mit dem Buch arbeiten.
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48 Ibid., S. 99. 49 Vgl. ibid., S. 132–144. 50 Als Ausschnitt aus der überbordenden Forschung siehe Hans-Dieter Gondek: Der Blick – zwischen Sartre und Lacan. Ein Kommentar zum VII. Kapitel des Seminar XI, in: RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse 12-38/1997, S. 175–198. 51 »My country needs me, and if I were not here, I would have to be invented.«, Hortense J. Spillers: Mama’s baby, papa’s maybe. An American grammar book, in: diacritics 17-2/1987, S. 65–81, S. 65. 52 Fred Moten: In the break. The aesthetics of the Black radical tradition, Minneapolis/MN 2003, S. 85. 53 Pantenburg 2006, S. 18. 54 Fanon 2015, S. 95 f. 55 Vgl. Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalyti schen Erfahrung erscheint, in: id. u. Norbert Haas (Hrsg.): Das Werk von Jacques Lacan. Schriften I, Weinheim u.a. 1991, S. 63–70, S. 67. 56 Vgl. das Gutachten von Dr. Gerd Albrecht, https://dffb-archiv.de/dffb/handelt-es-sich-um-pornographie-gutachten-zu-blues-people-2; letzter Zugriff: 26.04.2020. 57 Es sind die gleichen, die auch Santiago Alvarez in Now! (1965) verwendet. Ein Film, der über Parallelen zwischen jüdischer und afroamerikanischer Unterdrückung reflektiert, von ebenfalls unterschied lichen medialen Polen aus. 58 AKTE 1: 1966 Norman, Skip; 1/2 Produktionen: Blues People, F 35314_N12697_dffb, Schriftgutarchiv der Deutschen Kinemathek, Berlin. 59 Lorraine Hansberry: A Matter of Colour. Documentary of the Struggle for Racial Equality in the USA, New York 1965, S. 8–12 u. S. 22–24. 60 Philip Auslander: The performativity of performance documentation, in: PAJ: A Journal of Perfor mance and Art 28-3/2006, S. 1–10, S. 3. 61 Rebecca Schneider: Performing Remains. Art and War in the Age of Theatrical Reenactment, London u. New York 2011, S. 141. 62 An anderer Stelle heißt das »Wutkopulationen«, vgl. Detlev Fehling: Ethologische Überlegungen auf dem Gebiet der Altertumskunde. Phallische Demonstration—Fernsicht—Steinigung, München 1974, S. 21. 63 »Die ›Liebe‹ Anfang der 60er zwischen 20-jährigen ist ein Ereignis ›gegen den Tod‹, gegen die ›Grausamkeit der Menschen‹›, ist etwas mit ›Meer und Träumen und Schlaf‹, ist aber auch etwas, das irgendwie mit dem Terror der ›Guillotinen‹ und politischen Reden zu tun hat, und ist außerdem eine Sache von spielerischem Witz.«, Klaus Theweleit: Salzen und Entsalzen. Wechsel in den sexuellen Phantasien einer Generation, in: id.: Ghosts. Drei leicht inkorrekte Vorträge, Frankfurt am Main 1998, S. 101–160, S. 105. 64 Ann Laura Stoler: Race and the Education of Desire. Foucault’s History of Sexuality and the Colonial Order of Things, Durham 1995.
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MERKEL ALS LEVIATHAN UND SCHRÖDER IM LICHT DER ALTEN MEISTER Visuelle Strategien der Vertrauensbildung N I KO L AS W E R N E R JACOBS
Legale Herrschaftslegitimation mittels vertrauensstiftender Darstellungstopoi »Aber das Verhältnis der Bürger zu ihrem Bundeskanzler wird nicht nur auf der Ebene vorhandener oder nicht vorhandener Sympathien bestimmt, […] sondern auch von der Vorstellung, wie ein Kanzler handeln soll. Nach unseren eigenen Untersuchungen wird von einem Bundeskanzler erwartet, daß er vor allem verantwortungsbewußt, tatkräftig und glaubwürdig ist. Auch Sachlichkeit und Ruhe schaden nicht […] Dieses Idealbild von einem Kanzler ist in den verschiedenen Parteianhängergruppen übrigens sehr ähnlich.«1 So lautete im Jahr 1990 das Ergebnis von Befragungen, mit denen die Forschungsgruppe Wahlen über Jahre die Erwartungen der deutschen Wähler an einen Bundeskanzler abfragte. Durch solche Umfragen wissen wir heute relativ präzise, welche Erwartungen in Form von einzelnen Begriffen an einen Bundeskanzler gestellt werden. In der politischen Kommunikation wird versucht, diese Erwartungen auch durch Bilder emotional zu adressieren. Zu diesem Zweck wird ein Kanzler oder Kanzlerkandidat visuell in bestimmten Rollen präsentiert.2 Diese Bilder entfalten ihre Wirkung durch ihr auf kulturellen Deutungsmustern basierendes Potenzial, beim Betrachter Vertrauen für den dargestellten Politiker hervorzurufen, indem seine an eine Person in einem politischen Amt gerichteten Erwartungen visuell erfüllt werden.
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Im Folgenden wird der Versuch unternommen, anhand einer exemplarischen Auswahl dieser Bilder aufzuzeigen, dass sich kulturhistorisch bestimmte Darstellungstopoi herausgebildet haben, die auf die Etablierung von Vertrauen gegenüber Politikern zielen, um auf diese Weise deren Herrschaft zu legitimieren. Dabei wird methodisch darauf verzichtet, die tatsächliche Emotion Vertrauen als Reaktion auf die Bilder nachweisen zu wollen, da es hierfür bislang keine geeigneten Daten und Messinstrumente gibt; vielmehr soll aufgezeigt werden, dass die ausgewählten Bilder semantisch auf die Herstellung des Gefühls Vertrauen bei bestimmten Personengruppen zielten und der Erfolg dieser Absicht in Einzelfällen auch im Diskurs nachvollzogen werden kann.3 Wenn in der Emotionsforschung im Zusammenhang mit legitimer politischer Herrschaft Vertrauen thematisiert wurde, stand bislang der Typ der charismatischen Herrschaft nach Max Weber im Fokus.4 Außen vor blieb weitgehend jener Herrschaftstypus, den Weber als legale Herrschaft beschrieben hat. Im Folgenden soll dargelegt werden, dass gerade auch dieser Herrschaftstyp auf Vertrauen basiert, weshalb die im Kontext dieses Herrschaftstyps historisch herausgebildete visuelle politische Kommunikation auf die Herstellung dieses Gefühls zielt. Legale Herrschaft ist deshalb legitim, weil sie sich auf die Institutionen und (Verfassungs-) Regeln eines Gemeinwesens berufen kann.5 In einer Demokratie ist sie trotz aller Mischformen mit traditionaler oder charismatischer Herrschaft die Regel. Der Herrscher auf Zeit ist ein von der Wahlbevölkerung gewählter Politiker, der sich an die Verfassung und die übrigen Gesetze zu halten hat. Legitim ist seine Herrschaft deshalb, weil er nach den konstitutionellen Regeln legal gewählt wurde. Umgangssprachlich spricht man auch davon, dass ihm die Mehrheit der Bürger das Vertrauen geschenkt hat. Nicht grundlos hat hier der Begriff Vertrauen den Weg in die Alltagssprache gefunden: Ohne das Vertrauen der Mehrheit wird der Politiker nicht (wieder-)gewählt, weshalb er sich in der politischen Debatte um die Herstellung des Vertrauens in seine Person bemühen und den Nachweis des Vertrauens der Mehrheit stetig erbringen muss. Das im Folgenden dargelegte Schema zur Analyse der politischen Vertrauensikonographie ist grundsätzlich im Rahmen solcher politischer Gemeinwesen, die legitime Herrschaft kennen und kannten, universell anwendbar; exemplifiziert wird es jedoch am Beispiel der Bundesrepublik. In dieser ist der Bundeskanzler die wichtigste politische Person und steht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Auch wenn er nicht direkt von den Bürgern, sondern von den Bundestagsabgeordneten gewählt wird, hat der Amtsinhaber de facto zuvorderst den Erhalt des Vertrauens der Mehrheit der Bevölkerung im Sinn, denn auf diesem beruht nicht selten auch das der Abgeordneten. Betrachtet man nun die Bilder, mit denen Politiker und deren Parteien die Bevölkerung von sich zu überzeugen suchen, lassen sich diese bestimmten Darstellungstopoi, die personale Legitimität im Sinne einer legalen Herrschaft visualisieren, zuordnen. Abzugrenzen sind sie von jenen Bildern, die der charismatischen oder traditionalen Herrschaftslegitimation dienen. Die Abgrenzung und Einteilung politischer Bilder nach den Herrschaftstypen Webers wird hier erstmals vorgeschlagen. Politische Bilder wie das, welches Willy Brandt kniend
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in Warschau zeigt, können strukturell der Etablierung oder Festigung charismatischer Herrschaftselemente dienen. Bei ihnen handelt es sich um ikonische Bilder, die gerade aufgrund ihrer Einmaligkeit die Wahrnehmung einer spezifischen Kanzlerschaft prägen und die ausschlaggebend dafür sind, dass diesen Politikern Charisma zugesprochen wird. Auch Elemente traditionaler Herrschaftslegitimierung sind in den modernen Demokratien visuell nachweisbar, etwa wenn Politiker mit politischen »Ziehvätern« abgelichtet werden oder bewusst mit dem Bild eines verstorbenen Vorbilds dargestellt werden, um sie als legitime »Enkel« einer bestimmten Politik auszuweisen. Adenauer für die CDU, Brandt für die SPD und Strauß für die CSU sind wohl die prominentesten parteipolitischen Überväter – schließlich wurde die politische Führung der Bundesrepublik über Jahrzehnte fast ausschließlich von Männern dominiert –, auf die bis heute auch motivisch bewusst Bezug genommen wird, um einen bestimmten Politiker und dessen Politik in eine Tradition zu stellen und somit zu legitimieren. Das Gros der politischen Bilder von Spitzenpolitikern in der Bundesrepublik kann jedoch jenen bereits erwähnten Darstellungstopoi zugeordnet werden, die der legalen Herrschaftslegitimierung dienen. Diese Topoi dienen jeweils der Visualisierung einer oder mehrerer Eigenschaften oder Fähigkeiten, die politisch positiv besetzt sind und daher die Öffentlichkeit und den einzelnen Betrachter – gemeint ist hier der Wahlbürger – davon überzeugen sollen, dass der Politiker ein würdiger Amtsinhaber wäre oder ist. Sie dienen also dazu, eine legale Herrschaft durch die positive Beeinflussung der Wahlbürger zu begründen und zu festigen beziehungsweise den jeweiligen Politiker als Person zu zeigen, die von der breiten Mehrheit der Wähler getragen und unterstützt wird. Dafür muss dieser die unterschiedlichen in den jeweiligen Darstellungstopoi vorgesehenen Rollen einnehmen. Welche Eigenschaften und Fähigkeiten es sind, die als positiv angesehen werden, wird diskursiv immer wieder neu verhandelt und wandelt sich. Doch die erwähnte Studie belegt die Kontinuität bestimmter Erwartungen an politische Führer jenseits aller Moden über einen gewissen Zeitraum in der Bundesrepublik. Zugleich spricht die Kontinuität bestimmter Darstellungstopoi über Jahrzehnte und teilweise Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Staaten und politischen Systemen dafür, dass diesen Topoi offenbar zugetraut wird, die politischen Erwartungen der Bevölkerung eines Staates an ihre politische Führung positiv zu adressieren. Zwischen den besonders verbreiteten Topoi und den demoskopisch positiv be urteilten personalen Eigenschaften könnte demnach ein Zusammenhang bestehen, indem die Darstellungstopoi sich als Visualisierungen der erwähnten Eigenschaften herausgebildet haben. Aus diesem Grund sind im Gegensatz zu den Bildern, die eine charismatische Herrschaft stützen, die Bilder legaler Herrschaft nicht singulär und stark mit einer bestimmten Person verbunden, sondern zeichnen sich gerade durch ihre Wiederholung durch verschiedene Amtsinhaber zu unterschiedlichen Zeiten aus. Die Anzahl dieser Darstellungstopoi ist groß, wobei sie sich teils auch überschneiden oder sie in einem Bild kombiniert werden können. Zwei von ihnen sollen im Folgenden näher analysiert werden, um exemplarisch deutlich zu machen, was hier genau unter diesem Begriff zu verstehen ist und wie die Darstellungstopoi dazu beitragen, Vertrauen in Politiker visuell zu generieren.
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Politiker am Arbeitsplatz Verantwortungsbewusstsein, Tatkraft, Glaubwürdigkeit, Sachlichkeit und Ruhe – das sind die primären Eigenschaften, die laut der Befragungen der Forschungsgruppe Wahlen die Deutschen von ihren Kanzlern erwarteten. Ein SPD-Flugblatt zur Bundestagswahl 1961 kann sowohl textlich als auch bildlich als Versuch angesehen werden, diese und weitere positiv konnotierte Eigenschaften dem damaligen Kanzlerkandidaten Willy Brandt zuzuweisen. Der Titel der Broschüre bestand aus nur einem Wort: »Vertrauen« |Abb. 1 |. Dabei ist der Begriff in diesem Kontext mit einer doppelten Bedeutung versehen. Da es in dem Flugblatt vor allem um die außenpolitische Kompetenz Brandts und dessen gute Beziehungen zum US-Präsidenten John F. Kennedy ging, war zunächst einerseits das Vertrauen gemeint, dass der SPDPolitiker in der internationalen Politik zu Zeiten des Berliner Mauerbaus genoss. Andererseits warb das Blatt auch um Vertrauen für den jungen Kanzlerkandidaten bei den Wählern.6 Neben Fotografien, die Brandt mit Kennedy und bei internationalen Konferenzen zeigten, wurde er auch auf einer fast ganzseitigen Aufnahme bei der Arbeit am Tisch in einem Flugzeug präsentiert. Neben diesem Foto stand mit der Überschrift »Zurück in die Heimat« ein Text, in dem über die geplante Verknüpfung von Außenpolitik und der innerdeutschen Frage durch Brandt berichtet wurde. In diesem steht auch der Satz: »Der Kanzlerkandidat Willy Brandt bereitet sich gewissenhaft und mit zäher Energie […] vor.« Dieser Satz kann als semantische Einhegung des Fotos von Brandt im Flugzeug verstanden werden. Brandt wird an dieser Stelle in Text und Bild Gewissenhaftigkeit und zähe Energie zugeschrieben, oder, um es mit den sich in einem ähnlichen semantischen Feld bewegenden Begriffen der Forschungsgruppe zu sagen: Verantwortungsbewusstsein und Tatkraft. Diese beiden Eigenschaften werden hier und in vielen weiteren Beispielen aus der Bildgeschichte durch das Motiv des Politikers am Arbeitsplatz visuell vermittelt, bei dem es sich um den ersten Darstellungstopos handelt, der hier vorgestellt werden soll. Das Brandt-Foto aus dem Flugzeug stellt dabei zunächst einen Spezialfall dieser Gruppe von Bildern dar, denn historisch wurde der Herrscher oder Politiker am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer gezeigt. Die Darstellungsvariante, die einen Politiker bei der Arbeit in einem Flugzeug, im Auto oder in der Bahn zeigt, ergänzt jedoch das Bildnarrativ um Begriffe wie Mobilität, Dynamik und Internationalität, weshalb die Brandt-Fotografie für die Broschüre zur Außenpolitik passend gewählt wurde. Bilder, die einen Politiker bei der (Akten-)Arbeit am (Schreib-)Tisch zeigen, scheinen zunächst wenig spektakulär und aussagekräftig zu sein. Es käme wohl niemand auf den Gedanken, eine Kanzlerschaft zuvorderst mit einem solchen Motiv in Verbindung zu bringen, ganz im Gegensatz etwa zum außergewöhnlichen Motiv des Kniefalls in Warschau. Aber genau in dieser Alltäglichkeit und scheinbaren Unspezifität liegt die Bedeutung eines solchen und ähnlicher Darstellungstopoi. Sie zeigen Politiker am Schreibtisch, mit ihren Familien, beim Besuch einer Industrieanlage oder in der Freizeit beim Sport. Es sind Motive, die nicht wie der Kniefall mit einer Person und deren Persönlichkeit, sondern im kollektiven Gedächtnis mit
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1 Unbekannter Grafiker: Vertrauen, SPD-Flugblatt aus dem Bundestagswahlkampf 1961
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Assoziationen verbunden sind, die auf personale Eigenschaften verweisen, die zur politischen Führung im politischen Alltagsgeschäft befähigen und daher dezidiert nicht-heroisch wirken. Sie finden sich für jeden Kanzler und auch die meisten anderen Spitzenpolitiker. Und oftmals scheint ihre öffentliche Herstellung und Verwendung auch keiner Bildstrategie zu gehorchen, sondern eher unbewusst beziehungsweise unreflektiert zu erfolgen. Gerade jedoch das Arbeitsplatz-Motiv belegt, dass die Herstellung und Verbreitung dieses Darstellungstopos zwar nicht in jedem Fall strategisch, aber doch zumindest mit einer nicht rein zufälligen Wirkungsabsicht erfolgt. Das Foto von Brandt hat mit der Mehrheit der Bilder dieses Motivs gemein, dass sich der Betrachter in der Rolle eines scheinbar unbemerkten Beobachters wiederfindet. Brandt wird gezeigt, wie er konzentriert Akten liest und dabei Notizen macht. Vom rechten Bildrand fällt durch die Fenster Licht auf den Kanzlerkandidaten und die vor ihm liegenden Papiere, sodass er im Gegensatz zur dunkleren Umgebung erleuchtet erscheint und motivisch das Moment der Arbeit noch stärker im Fokus steht. Der Standpunkt des Fotografen und Betrachters ist erhöht, sodass man mit einer gewissen Distanz die Szene betrachtet und der Eindruck entsteht, dass Brandt nicht bemerkt, dass er fotografiert wird. Tatsächlich findet sich eine Vielzahl ähnlicher Bilder mit dieser Betrachterrolle, sodass diese wenig bemerkenswert erscheint. Doch dieser Eindruck täuscht, wie die nähere Analyse zeigt: Im Gegensatz nämlich zu Aufnahmen von öffentlichen Auftritten von Politikern, bei denen jeder Anwesende die Möglichkeit hat, die Person zu fotografieren, sind jene Bilder, die Politiker bei der Arbeit zeigen, im höchsten Maße artifiziell und gestellt, obwohl sie eine Alltagsszene zu präsentieren scheinen. Sei es das Arbeitszimmer im Kanzleramt, in der Parteizentrale oder im gecharterten Flieger: Zu diesen Orten hat die Öffentlichkeit keinen Zutritt und auch ausgewählte Fotografen bekommen nur unter speziellen Bedingungen und zu bestimmten Zeiten die Möglichkeit, hier Aufnahmen zu machen. Wenn also ein Politiker beim konzentrierten Studium der Akten fotografiert wird, ist er sich trotz der gegenteiligen Wirkung auf den Betrachter stets der Präsenz einer Kamera bewusst.
Gerhard Schröder im »Licht der alten Meister« Warum aber ist dieses scheinbare Alltagsmotiv von Bedeutung für die politische Kommunikation? Ein Bildbeispiel, das vier Jahrzehnte nach dem Foto von Brandt von dessen Nachfolger in Partei und Kanzleramt, Gerhard Schröder, entstand, machte die politische Potenz dieses Darstellungstopos explizit. Im Bundestagswahlkampf 2002 waren zwei Plakate der SPD mit dem Slogan »Das Ziel meiner Arbeit? Dass alle Arbeit haben.« versehen, eines im üblichen Format und ein Großplakat |Tafel XV|. Beide Plakate zeigten das gleiche Motiv, jedoch in unterschiedlichen Arrangements: Schröder beide Male erleuchtet von einem indirekten Licht beim Aktenstudium, einmal jedoch im Flugzeug und einmal an seinem Schreibtisch im Berliner Kanzleramt. Die zweite Version wurde für das Großplakat verwendet.
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Beide Plakatmotive wurden speziell für den Wahlkampf angefertigt, weshalb bei ihnen die paradoxe Rolle des Betrachters als unbemerkter Beobachter besonders deutlich wird. Der umgebende Raum im Kanzleramt und im Flugzeug ist jeweils bis auf das indirekte Licht völlig dunkel und dennoch scheint Schröder derart konzentriert bei der Arbeit zu sein, dass er den in geringer Distanz stehenden Fotografen nicht zu bemerken scheint. Während bei Brandt die ihm zugeschriebene Gewissenhaftigkeit und zähe Energie im längeren Begleittext fast unterzugehen scheint und nicht direkt auf das Bildmotiv bezogen ist, wird der prägnante Slogan bei Schröder unmittelbar auf das Bild bezogen. Auch wenn der Slogan, anders als bei Brandt, Schröder nicht ausdrücklich positive Eigenschaften oder Fähigkeiten zuschreibt, so sind diese doch indirekt in der sprachlichen und bildlichen Metaphorik präsent: Schröder arbeitet selbst noch in der Nacht für das Wohl der Bürger und des Staates. Impliziert werden durch dieses Narrativ auch sein Verantwortungsbewusstsein und seine Tatkraft. Wurde das Motiv des Politikers am Arbeitsplatz zuvor nur in der Presse, in Flugblättern, für Stockfotos oder auf Autogrammkarten verwendet, verwendete es die SPD 2002 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik für Wahlplakate und machte somit auch deutlich, welches Potenzial man in diesem Motiv sah. Tatsächlich verfehlte es seine Wirkung nicht: Schon damals erkannten politische Kommentatoren die spezielle Leistung des Plakats, wodurch das Motiv medial mehr Aufsehen erregte als jedes andere Plakat der Kampagne. Zeitungen wie die Taz, die Welt, der Freitag und die Zeit erwähnten es in ihrer Wahlkampfberichterstattung und versuchten sich an einer Analyse seiner politischen Botschaft und Wirkung.7 Peter Kümmel deutete das Plakatmotiv für die Zeit als zwar provokative, aber gelungene, da wirkmächtige Inszenierung: »Was wäre das Theater ohne große Theaterfotos? Schröder hat das schönste: Spät ist es geworden, der Kanzler studiert Akten, er ist ins Lösen unserer Probleme vertieft, wir dürfen ihn durch seine eventuelle Abwahl keineswegs stören. Dieses Plakat, auf dem das Licht der alten Meister liegt, hat die Opposition zur Weißglut gebracht.« In der taz kam Stefan Reinecke zu einem ähnlichen Befund. Er betonte dabei noch stärker den Anteil, den die historischen Anleihen am Erfolg dieser Inszenierung hatten: »Dieser Kanzler ist mehr als der pflichtbewusste, eifrige erste Angestellte der Deutschland AG. Er ist ein Märchenheld: Er ist derjenige, der über unseren Schlaf wacht. Ein guter König, der seinen Thron gegen einen Schreibtisch, sein Zepter gegen den Füllfederhalter eingetauscht hat. […] Die Gestaltung, der erleuchtete Herrscher, umgeben vom Dunkel, erinnert an die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, oder an Caravaggios schroffe Helldunkelkontraste. […] Raffiniert ist die Inszenierung, weil sie Machtbilder zitiert und mit Assoziationen populärer Kultur mischt. Das Herrschaftsmotiv wirkt wie übermalt von einem anderen Genre: den Bildern einsamer Männer in der nächtlichen Großstadt, die wir aus dem Kino und amerikanischer Malerei kennen. Pointiert gesagt: Das Motiv zeigt Gerhard Schröder als Bismarck, die Inszenierung assoziiert ihn mit Edward Hoppers verlorenen »Nighthawks«. […] dieser Plakatkanzler ist nicht hemdsärmelig, kein sozialdemokratischer Kumpeltyp, kein lockerer Kanzler zum Anfassen, sondern seriös, arbeitsam, ernst und weltentrückt.«
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Obgleich beide Autoren mit ihren Analysen eine bildkritische, aufklärerische Absicht verbanden, erkannten sie wie auch die übrigen Kommentatoren an, dass der SPD und ihrem Kandidaten mit diesem Bild und dem dazugehörigen Slogan die Visualisierung eines politischen Kernthemas gelungen war. Schröder erscheine pflicht- und verantwortungsbewusst sowie arbeitsam und somit als vertrauenswürdiger Staatsmann. Die Rezeption des Plakats schrieb dem Politiker, der bei der Arbeit gezeigt wird, also genau jene Eigenschaften zu, die bereits aus der Analyse des Brandt-Fotos hervorgegangen waren. Die Wirkungsgeschichte des Schröder-Plakats kann demnach als Beleg für die These dienen, dass die thematisch-emotionale Konnotation von bestimmten Darstellungstopoi nicht erst im Zuge der öffentlichen Rezeption erfolgt, sondern auch auf die kulturell geprägten Deutungsmuster tradierter Bildmotive zurückzuführen ist, die das kollektive Gedächtnis bereithält. Genau darauf spielen Kümmel und Reinecke in ihren Bildanalysen an, wenn sie vom »Licht der alten Meister« sprechen und Schröder mit Bismarck vergleichen. Vor allem Reineckes Vergleich mit Bismarck ist in diesem Kontext erhellend, war es doch gerade der Reichskanzler, dessen Bild, wie er an seinem Schreibtisch in Friedrichsruh sitzt, unzählige Male auf Postkarten und großformatigen Fotos vervielfältigt wurde. Über diesen konkreten geschichtlichen Bezug hinaus verweisen diese Beobachtungen aber auf eine generelle historische Kontinuität dieses Darstellungstopos. Tatsächlich lässt sich in der Kunst- und Bildgeschichte das Motiv des Arbeitsplatzes, an dem der Mensch konzentriert und versunken arbeitet, ikonographisch Jahrhunderte lang für das Gelehrtenbildnis zurückverfolgen.8 Seit der Aufklärung hat sich dieser Darstellungstopos in leicht veränderter Form auch als zentrales Element der Herrscherikonographie etabliert, wodurch er bereits vor 1949 in unterschiedlichen Staatsformen Verwendung fand. Das in der Bildgeschichte womöglich prominenteste Beispiel stammt aus dem Jahr 1940 und kann durch seine Verbindung von Bild und Text narrativ als direkter Vorläufer des Schröder-Plakats betrachtet werden – wohl nicht zufällig gewählt ist daher auch der Titel des taz-Artikels Im Kanzleramt brennt noch Licht. Es handelt sich hierbei um ein sowjetisches Propagandaplakat, das Josef Stalin im Licht einer Schreibtischlampe bei der Aktenarbeit zeigt, während das dahinterliegende Fenster den Blick auf den Turm des Kremls lenkt, dessen roter Stern in der Nacht leuchtet. Unter dem Bild ist in kyrillischer Schrift zu lesen: »Stalin im Kreml sorgt sich um jeden von uns« |Tafel XVI|. Der kommunistische deutsche Schriftsteller Erich Weinert verfasste zu diesem Motiv das Gedicht Im Kreml ist noch Licht, in dem er Stalin als Politiker verklärt, der auch dann noch für sein Volk arbeitet, wenn alle anderen bereits schlafen. Es wurde später zu einem der bekanntesten Gedichte der DDR. Sowohl durch die Bildunterschrift als auch durch das Gedicht wurde die Darstellung Stalins auf diese Weise in ein Narrativ eingebunden, das dem Diktator selbstloses Verantwortungsund Pflichtbewusstsein zuschreibt, da er auf den Schlaf zugunsten seiner Arbeit für das Volk verzichtet. Dieses Beispiel belegt, dass nicht nur in Demokratien die für Schröders Wahlplakat beschriebenen Tugenden eine politische Relevanz besaßen und visualisiert wurden. Obwohl es
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2 Dmitrij A. Nalbandjan: Der junge Stalin, 1951, Öl auf unbekannter Oberfläche, 145 × 142 cm, Verbleib unbekannt
in der Sowjetunion keine freien Wahlen gab und Stalin keine Abwahl zu befürchten hatte, benötigt auch die Führung einer Diktatur langfristig die Unterstützung, zumindest aber die Akzeptanz durch die Mehrheit der Bevölkerung. Durch Propagandaplakate wie jenes von Stalin wurde daher versucht, in der Bevölkerung Vertrauen für den politischen Führer aufzubauen und zu festigen, um so eine legale Herrschaftslegitimation zu erreichen. Im Falle Stalins geschah dies mit einigem Erfolg, erfreute er sich doch trotz seiner Gewaltherrschaft zum Zeitpunkt seines Todes bei vielen Bevölkerungsteilen großer Beliebtheit und Verehrung. Das Stalin-Plakat ist nur das prominenteste Beispiel einer ganzen Reihe von Darstellungen, die den Diktator und seinen Vorgänger Lenin bei der Arbeit am Schreibtisch zeigten. Wie wichtig dieser Darstellungstopos war, zeigt etwa ein Gemälde des sowjetischen Malers D. A. Nalbandjan aus dem Jahr 1951, das den Titel Der junge Stalin trägt |Abb. 2 | . Dieser wird nur von einer Öllampe beschienen an einem Schreibtisch gezeigt, wie er mit aufgestütztem Kinn gedankenverloren nach oben blickt, vor sich ein aufgeschlagenes Buch. Diese Bildschöpfung ist eine besonders interessante Variante des Darstellungstopos: Retrospektiv wird der spätere politische Führer als Person dargestellt, die bereits als junger Mann durch Lektüre ganz mit den Gedanken an die Zukunft seines Volks beschäftigt war. Zwar ist er noch nicht mit der
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späteren konkreten politischen (Akten-)Arbeit betraut, doch es wird suggeriert, dass er auch damals visionäre geistige (Vor-)Arbeit geleistet habe. Ganz ähnlich einer Darstellung Lenins vom gleichen Maler erscheint so der Diktator als Gelehrter, womit diese Bilder sehr direkt auf den bereits erwähnten ikonographischen Ursprung des Gelehrtenbildnisses zurückgeführt werden können. Der Erfolg dieses Darstellungstopos in unterschiedlichen Zeiten und Staatsystemen kann sicher durch verschiedene Aspekte erklärt werden. Hierzu zählt zunächst die These, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Arbeitsplatz eines Spitzenpolitikers/ einer Spitzenpolitikerin metaphorisch als profaner »Altar« staatlicher Entscheidungen und Handlungen gedeutet werden kann, also als zentraler Ort, von dem aus die Politik bestimmt wird.9 Stärker noch als in Deutschland zeigt diese Betrachtungsweise ihre Relevanz in den USA, wo der Schreibtisch im Oval Office des Weißen Hauses für die politischen Entscheidungen der Präsidenten inszeniert wird. Wichtiger scheint hier jedoch noch ein Aspekt zu sein, der sich historisch über eine lange Zeit hinweg herausgebildet hat. Seit der Aufklärung existiert die Vorstellung, wonach ein politischer Führer der erste Diener seines Staates sein solle. Die Darstellung am Arbeitsplatz kann als visuelle Umsetzung dieser politischen Forderung angesehen werden, sie löste sukzessive die zuvor dominierenden Repräsentationsformen wie etwa die Reiterstandbilder ab. Reinecke hat diesen Prozess in Bezug auf Schröders Plakat pointiert beschrieben: »Ein guter König, der seinen Thron gegen einen Schreibtisch, sein Zepter gegen den Füllfederhalter eingetauscht hat.« Nicht erst Schröder, sondern bereits seine aristokratischen Vorgänger tauschten seit der Aufklärung das Zepter gegen den Stift ein, doch bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde die Darstellung am Schreibtisch noch in monarchischer Tradition in Schlössern mit ihren aufwendigen Zeremonialräumen verortet, was Beispiele seit der Zeit Friedrichs des Großen bis hin zum österreichischen Kaiser Franz Joseph II. belegen. Ein besonders interessantes Beispiel aus dieser Gruppe von Darstellungen ist eine Bilderuhr, die Carl Ludwig Hoffmeister 1829 geschaffen hat |Tafel XVII|. Sie zeigt Kaiser Franz I. von Österreich in seinem Arbeitszimmer in der Wiener Hofburg am Schreibtisch bei der Lektüre von Dokumenten. Am rechten Bildrand ist über dem gemalten Fenster eine echte Uhr eingelassen.10 Auf diese Weise wird das statische Bild des Kaisers bei der Aktenarbeit verbunden mit einer tatsächlich stetig weiterlaufenden Uhr, sodass Franz I. als Herrscher erscheint, der im wahrsten Sinne des Wortes rund um die Uhr arbeitet und somit als ein legitimer erster Diener des Staates zu gelten hat. Wie im Falle Stalins und Schröders werden Zeit und Arbeit in Beziehung gesetzt, um auf diese Weise diesen politischen Führern zu attestieren, dass man auf ihr Pflichtgefühl und ihr Verantwortungsbewusstsein jederzeit zählen kann und sie sich für ihr Volk verausgaben. Somit wird evoziert, dass man ihnen aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit nicht nur in einzelnen Situationen, sondern jederzeit vertrauen kann. Ein weiteres Beispiel aus der Weimarer Republik verbindet unmittelbar das ArbeitsplatzMotiv mit der Aufforderung, dem in die Arbeit vertieften Politiker zu vertrauen. Das Narrativ ähnelt hier stark dem SPD-Slogan von 2002, auch wenn in diesem Fall der beworbene erste
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Diener des Staates Reichspräsident Paul von Hindenburg war. »Er hält zu Euch – haltet ihm die Treue!« ist auf dem Plakat für die Reichspräsidentenwahl 1932 unter dem Bild Hindenburgs zu lesen. Der Reichspräsident sitzt wie Schröder an seinem Amtsschreibtisch, vertieft in das Studium der Akten. Im Gegensatz jedoch zum SPD-Slogan, der als direktes Zitat des Kanzlers zwischen diesem und dem Betrachter noch in gewisser Weise vermittelt, wirkt die Person Hindenburgs durch den Slogan in seiner Arbeit noch unnahbarer und entrückter, denn der Aufruf zur Treue erfolgt von einer unbekannten dritten, zwischen dem Betrachter und dem Reichspräsidenten stehenden Instanz. Trotz dieser Differenz in der Ansprache gleichen sich die Botschaften: Es wird ein wechselseitiges Vertrauen eingefordert, jenes der Bürger in den Politiker und wiederum dessen Vertrauen in die Unterstützung durch die Wähler. Der sich seit der Aufklärung langsam aus dem vormodernen Gelehrtenbildnis herausbildende politische Darstellungstopos des Herrschers am Arbeitsplatz war zum Zeitpunkt der Gründung der Bundesrepublik bereits fest im kollektiven Gedächtnis verankert, was nicht nur durch seine Quantität, sondern auch durch die Art seiner Verwendung und narrativen Einbettung belegt werden kann. Dabei wandelte sich jedoch die Darstellungsform im Vergleich zum 19. Jahrhundert deutlich, was etwa die Bilder von Brandt und Schröder bereits gezeigt haben. An die Stelle der monarchischen treten Symbole der demokratischen Kontinuität und die Pracht der Schlossräume wird – anders als in anderen Demokratien wie etwa Frankreich – ersetzt durch die funktionale Sachlichkeit und Bescheidenheit eines modernen Arbeitsplatzes. Es sind somit nicht allein die politischen Kontexte, die sich über die Zeit veränderten und variiert wurden, sondern auch die Accessoires.
Politiker und Volksmenge Auch das zweite Beispiel eines Darstellungstopos hat in der Bundesrepublik weite Verbreitung gefunden und kann ebenfalls bildhistorisch zurückverfolgt werden. Er stellt jedoch eine Besonderheit in der Gruppe der Topoi dar, die der legalen Herrschaftslegitimation dienen: Anders als das Motiv des »Politikers am Arbeitsplatz« und die übrigen Darstellungstopoi verweist er nicht auf bestimmte Fähigkeiten oder Eigenschaften eines Politikers, um durch diese die Person als vertrauenswürdig und somit als legitim erscheinen zu lassen, sondern ist argumentativ direkt auf das bereits vorhandene Vertrauen in die Person gerichtet. Am ehesten kann dieser Darstellungstopos begrifflich als »Politiker und Volksmenge« gefasst werden. Er ist motivisch weit weniger eindeutig als der des Politikers am Arbeitsplatz, aber ähnlich weit verbreitet. Ihm können all jene Darstellungen zugeordnet werden, die einen Politiker zusammen mit einer anonymen Volksmenge zeigen, um auf diese Weise die mehrheitliche Unterstützung des politischen Führers durch das Volk und deren wechselseitiges enges Vertrauensverhältnis zu visualisieren.11 Dieser evozierte Einklang wird dabei jedoch nicht rational-argumentativ begründet, sondern zielt auf eine emotionale Stimulierung, die das Vertrauen in die Person weckt oder festigt.
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Ein Grundmotiv dieses Topos zeigt Politiker, die ein »Bad in der Menge« nehmen, indem er oder sie umringt werden von einer anonymen Menge von Unterstützern.12 Wolfgang Kemp hat bereits in den 1970er Jahren einen bis heute gültigen Aufsatz über die Möglichkeit geschrieben, in Bildern (Volks-)Mengen darzustellen.13 Gerade im politischen Kontext war diese Potenz historisch immer wieder ein zentrales Bildmotiv, wie Kemp anhand ausgewählter Bilder der Französischen Revolution gezeigt hat. Mit der Fotografie erhielt das Motiv der Volksmenge jedoch neue Möglichkeiten, etwa durch Unschärfen oder Bildbearbeitungen. Eines der prägnantesten Beispiele hierfür ist sicherlich das auch den Titel Das Bad in der Menge tragende Großplakat aus dem Bundestagswahlkampf 1994, das mittig Bundeskanzler Helmut Kohl zeigt |Tafel XVIII|. Sein Kopf ragt aus einer unübersichtlichen, auf ihn wie in einem Magnetfeld ausgerichteten Menge heraus. Die CDU plakatierte dieses Bild ohne Slogan oder Parteilogo. Dieser Umstand verstärkt noch den Eindruck, dass Kohl durch die ihn umgebende Menge, die als Querschnitt pars pro toto für die Gesamtgesellschaft zu stehen scheint, eine breite Unterstützung über die Parteigrenzen hinweg genießt und sich sein Politikangebot an alle wendet. In der Menge lassen sich zwar einzelne Gesichter erkennen, doch durch Unschärfen und Überschneidungen ist nur Kohls zentral gesetztes Gesicht im Fokus, während die übrigen Menschen wie repräsentative Durchschnittsmenschen erscheinen. Das Medium der Fotografie und die Unschärfen lassen die Menschenmenge jedoch zugleich authentisch erscheinen, wie einen Schnappschuss. Dadurch, dass die Menge auf allen Seiten angeschnitten ist, wird sie durch den Betrachter imaginär über den Bildausschnitt hinaus zu einer größeren Menge vervollständigt und der Betrachter selbst an das Bildgeschehen herangeführt und so beinahe ein Teil der Menge. Auf diese Weise wird die tatsächliche Distanz zum Motiv verringert und eine Nähe zum Kanzler suggeriert. Die gezeigte Menge ist unscharf und abstrakt genug, dass sie von Zeit und Ort der eigentlichen Fotografie unabhängig überall auf die Betrachter wirken kann. Sie ist aber dennoch konkret genug wiedergegeben, um dem Betrachter den Eindruck eines realen, nicht extra arrangierten Geschehens zu vermitteln. In dieser Ambivalenz liegt die Stärke des Motivs »Bad in der Menge«, das sich nicht nur bei Kohl, sondern auch bei zahlreichen weiteren Kanzlern und Kandidaten findet. Der jeweilige Politiker wird buchstäblich als Mann oder Frau »aus dem Volk« gezeigt, als bodenständiger Primus inter pares, der diese Sonderstellung einzig dem Vertrauen zu verdanken hat, das er und seine Politik bei der Mehrheit der Bürger genießen. Der Betrachter eines solchen Bildes wird somit vor die Wahl gestellt, ob er Teil dieser dargestellten breiten Mehrheit sein möchte, die diesem Politiker vertraut und ihn daher legitimiert, oder ob er durch sein Misstrauen in Kauf nimmt, außerhalb dieser Gruppe zu stehen. Gerade in jüngster Zeit hat die moderne Wahlkampforganisation das Motiv wiederentdeckt und nutzt es für ephemere Bilder bei Großveranstaltungen. Seit Barack Obama in den USA und Frank-Walter Steinmeier in Deutschland werden etwa nach bestimmten Quoten ausgesuchte Anhänger hinter das Rednerpult des Kandidaten gesetzt, um bei Foto- und Film-
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aufnahmen den Politiker immer umringt von einer möglichst diversen Gruppe von Unterstützern zu präsentieren. Auch hier soll das Vertrauen der Wähler durch die visuelle Identifikation mit einem bestimmten Vertreter eines Milieus, Geschlechts, Alters usw., der bereits dem Politiker vertraut, gewonnen werden. Das »Bad in der Menge« ist scheinbar ein Gegenbild zum Topos »Politiker am Arbeitsplatz«, betont es doch im Gegensatz zu diesem gerade nicht die Distanz schaffende Einsamkeit der politischen Arbeit, sondern das Kollektiverlebnis eines volksnahen Politikers zum Anfassen. Tatsächlich ergänzen sich jedoch beide Motive und gehören zum breiten Spektrum der Rollen, durch welche die von einem politischen Führer erwarteten Eigenschaften visuell transportiert werden. Gerade der Aspekt der Volksnähe hat seit dem 20. Jahrhundert stetig an Bedeutung gewonnen und ergänzt seitdem regelmäßig das Bildrepertoire der personalisierten politischen Ikonographie. Das »Bad in der Menge« ist jedoch nur eine Variante des Darstellungstopos »Politiker und Volksmenge«. Noch älteren Ursprungs und ähnlich populär ist jene Variante dieses Topos, die in einem Kompositbild den Politiker und die Volksmenge miteinander verschmolzen und damit als Einheit zeigt.
Angela Merkel als moderner Leviathan Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür entstand erst vor wenigen Jahren. Im Bundestagswahlkampf 2013 installierte die CDU ein von der Agentur Blumberry entworfenes, 70 mal 20 Meter großes Riesenplakat gegenüber dem Berliner Hauptbahnhof in Sichtweite des Kanzleramts |Tafel XIX|. Auf diesem Banner waren Angela Merkels zu einer Raute geformten Hände zu sehen. Gebildet wurde dieses Motiv von einem Mosaik aus Aufnahmen von 2150 Händepaaren, die CDU-Unterstützer im Vorfeld für diese Kampagne eingereicht hatten. Am selben Gebäude schloss sich an der anschließenden Fassade ein nochmals 50 mal 20 Meter breites Banner an, auf dem zu lesen war: »Deutschlands Zukunft in guten Händen.« Zur öffentlichen Präsentation und Einweihung dieser monumentalen Wahlwerbung äußerte sich der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe in einer Pressemitteilung gegenüber den Medienvertretern wie folgt: »Die Riesenfläche ist nicht nur ein Hingucker, vor allem ist sie eine Gemeinschaftsleistung, die mobilisiert und zusammenschweißt. […] Das Mosaik der vielen Hände veranschaulicht, dass die erfolgreiche Arbeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Einsatz unzähliger Menschen, die sich Tag für Tag in Beruf und Ehrenamt für unser Land einsetzen, untrennbar zusammengehören. Das Poster verkörpert geradezu die Aussage, dass Deutschland nur ›gemeinsam erfolgreich‹ sein kann.«14 Oder, wie er es im selben Zusammenhang in einem Partei-Video ausdrückte: »Da gibt es erkennbar ältere Hände, jüngere Hände, Hände, die von Arbeit gekennzeichnet sind. Kinder,
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die in den Sand am Strand gedrückt haben ihre Hand oder mit Farbe einen Abdruck gestaltet haben.«15 Horst Bredekamp hat in seiner Untersuchung zur Wirkungsgeschichte des Titelbildes von Thomas Hobbes politischer Schrift Leviathan |Abb. 3 | bis in unsere Zeit gezeigt, wie sich über Jahrhunderte unterschiedliche politische Akteure das Motiv explizit oder latent angeeignet haben.16 Dabei wurde deutlich, dass dieses Motiv, in dem die Menschen, die sich dem (imaginierten) Gesellschaftsvertrag unterworfen haben, durch eine den Körper eines Herrschers bildende Menge repräsentiert werden, vor allem im 20. Jahrhundert zur visuellen Legitimierung von Herrschaft in unterschiedlichen Systemen genutzt wurde. Das Banner mit Merkels Raute lässt sich in dieser Tradition verorten, da es sowohl motivisch als auch narrativ an den Legitimationsgedanken anknüpft. Gröhes Worte bestärken diese Lesart, indem er sowohl auf die Vielfalt der unterstützenden Hände als pars pro toto für die Vielfalt der Gesamtbevölkerung als auch auf die Gemeinschaftsaufgabe der ganzen Nation hinweist, die nach diesem Narrativ die Kanzlerin nur gemeinsam mit den Bürgern bewältigen könne. Die Politik der Kanzlerin sei gerade deshalb erfolgreich, weil ihr eine große Mehrheit der Bevölkerung aus den unterschiedlichsten 3 Abraham Bosse: Frontispiz der Original ausgabe von Thomas Hobbes »Leviathan«, 1651 Milieus und Generationen vertraue. Das Urmotiv des Leviathans hat dabei über dreihundert Jahre später eine motivische wie symbolische Umformung erfahren, durch welche die Legitimationssymbolik von Hobbes im demokratischen Sinne umgedeutet und zugleich um das Narrativ der Einheit einer an sich pluralistischen Nation erweitert wurde. Der Erfolg, den das Urbild des Leviathan in der europäischen Bildgeschichte speziell in den modernen Massengesellschaften hatte, lässt sich durch seine einfache, intuitiv verständliche Metaphorik erklären. Staat, Herrscher und Volk sind eins, die Beherrschten sind dadurch Teil eines Staatsorganismus, in dem sie eine spezifische Rolle erfüllen. Diese Vorstellung der organischen, symbiotischen Einheit eines Staates und seines politischen Führers mit dessen Volk bietet viel Identifikationspotenzial, da das Individuum auf die Stärke und den Schutz des Herrschers vertrauen soll und dafür mit einem gesellschaftlichen Zugehörigkeitsgefühl und einem »Wir« belohnt wird.
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Nicht zufällig hatte daher diese auf den Leviathan zurückgehende Form des Kompositbildes eine besondere Relevanz in totalitären Systemen. Sowohl für Adolf Hitler als auch für Benito Mussolini finden sich mehrere Beispiele für diesen Darstellungstopos. Neben faschistischen Regimen war diese Art, kollektive, gemeinschaftsstiftende Kompositbilder zu generieren, insbesondere auch in kommunistischen Staaten beliebt. Für Stalin finden sich gleich mehrere Beispiele, doch sind die eindrücklichsten der diesem Darstellungstopos angehörenden kommunistischen Bilder wohl die ephemeren, die für Massenversammlungen und Paraden im Vorfeld bis ins Detail choreographiert wurden. Wie ein proto-digitales Bild aus Tausenden von Pixeln erschienen jene doppelseitig bedruckten Tafeln, die jede einzeln von einer Person getragen und schließlich gewendet wurden, um auf diese Weise im Zusammenspiel mit den unzähligen anderen Tafeln zwei monumentale, bewegte Bilder zu kreieren. Häufig zeigte eines der beiden Kompositbilder das jeweilige kommunistische Parteizeichen, das andere den jeweils amtierenden kommunistischen Führer des Landes.17 Diese Massenspektakel wurden nicht nur für die Teilnehmer selbst, die ja die Bilder gar nicht sehen konnten, zum Identität stiftenden Erlebnis, das die Einheit und Verbundenheit mit der Partei und dem politischen Führer emotional erfahrbar machte, sondern waren speziell auch an die Außenstehenden gerichtet. Die Perfektion der Choreographie und Organisation sollte die konzentrierte Kraft der kommunistischen Struktur verdeutlichen, in der jeder seine ihm zugewiesene Aufgabe erfüllt, damit das Gesamtbild des Staates – im realen wie im metaphorischen Sinne – trägt. Vor allem sollte aber der Personenkult um den politischen Führer gestärkt werden, der in der Erscheinung als überlebensgroße Leviathan-Darstellung seinen politischen Führungsanspruch und Auftrag allein von seinem Volk übertragen bekommen zu haben schien. Seine Macht schien nur auf dieser fiktiven Akklamation zu beruhen, die ein enges Band des Vertrauens zwischen Herrscher und Beherrschten voraussetzte und damit indirekt dem Diktator Legitimität zusprach. Diese intuitiv verständliche Ästhetik der Massen faszinierte auch den deutschen Pop-ArtKünstler Thomas Bayrle, der in den 1960er Jahren mit seinen beweglichen Kunstwerken den Topos am Beispiel Maos gleich mehrfach aufgriff. Eine dieser bemalten Maschinen aus dem Jahr 1966 trägt auch den Titel Mao und kann als direkte künstlerische Miniatur-Umsetzung der als Vorbild dienenden ephemeren Massenbilder betrachtet werden |Tafel XX|. Die gesägten und bemalten Menschen sind bei Bayrle winzige, gleichförmige Punkte geworden, die sich durch den Motor langsam auf und ab bewegen und dabei ein Kippbild mit zwei Motiven kreieren: Einmal das Gesicht Maos und einmal den roten Stern des Kommunismus, wodurch auch hier künstlerisch die Einheit des Volkes mit seinem Diktator und dessen Machtsymbol nachvollzogen wird. Die Beispiele zeigen, wie schnell dieser Darstellungstopos dazu genutzt werden kann, einen illegitimen politischen Führer legitim darzustellen durch die fingierte Vertrauensergebenheit seines Volkes. Dennoch ist der Topos keinesfalls per se eine Konstruktion, die einzig totalitären Regimen dienen kann. Dies wird deutlich, wenn man seinen Ursprung betrachtet: Hobbes Titelbild war und ist auch deshalb so einflussreich, weil sein Schöpfer zwar
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keinesfalls ein Demokrat war, aber mit der Visualisierung seiner politischen Theorie bis heute die überzeugendste Bildmetapher des Konstitutionalismus geschaffen hat, obwohl Hobbes als Kontraktualist diesem nur den Weg bereitete, aber selbst wenig von Verfassungen hielt. Trotz der radikalen, auf alle systematischen Differenzierungen verzichtenden Vereinfachung, die mit dem Leviathan-Motiv hinsichtlich der metaphorischen Visualisierung eines Verfassungsstaats einhergeht, ist dieser Topos in seinen unterschiedlichen Ausprägungen bis heute die eingängigste Darstellung legaler Herrschaft geblieben. Das CDU-Plakat von 2013 muss in diesem Kontext gesehen werden: Es war der Versuch, visuell Vertrauen in die Arbeit der Kanzlerin zu beanspruchen und zugleich hervorzurufen, ohne dabei der totalitären Potenz dieser Ästhetik zu erliegen. Obwohl diese Form der Legitimationsdarstellung auf irritierende Weise die für eine Demokratie typischen Gegensätze und gegenläufigen, kritischen Diskurse völlig vermissen lässt, ist sowohl motivisch als auch narrativ mit dem repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt zumindest der Versuch unternommen worden, das Individuum durch quotierte Stellvertreter nicht gänzlich in der Masse untergehen zu lassen. Dennoch bietet das Narrativ als Alternativen nur entweder Teil des bedingungslosen, wechselseitigen Vertrauensbundes und damit des »Wir« zu werden (die konkurrierende SPD-Wahlkampagne im Jahr 2013 trug den Titel Das WIR entscheidet) oder aber von diesem ausgeschlossen zu bleiben. Die CDU-Wahlkampfstrategen waren auch keinesfalls die ersten, die das Leviathan-Motiv als Ausgangspunkt für eine demokratische Herrschaftslegitimation nutzten. Bereits 1918 hatten aus Anlass des Siegs über Deutschland 21.000 US-amerikanische Soldaten auf ihrem Militärstützpunkt das Gesicht ihres Präsidenten Woodrow Wilson gebildet und dieses Kompositbild aus der Luft aufgenommen und verbreitet |Abb. 4 |. Fast 100 Jahre später ermöglichte die digitale Technik, ohne den enormen Aufwand der Soldaten des 1. Weltkriegs ein ähnliches Ergebnis zu erzielen: Aus Anlass des 70. Jahrestags des Londoner Aufrufs zum Widerstand von Charles de Gaulle wurde 2010 am Pariser Rathaus ein riesiges Plakat aufgehängt, welches das Gesicht des Generals zeigte, gebildet aus den Aufnahmen von 1016 Köpfen von Résistance-Mitgliedern |Tafel XXI|. Es ist durchaus denkbar, dass dieses de Gaulle-Plakat direkt das Plakat von Merkel inspirierte, denn technisch und ästhetisch stehen sich beide sehr nahe. Allerdings besteht der entscheidende Unterschied darin, dass sowohl bei Wilson als auch bei de Gaulle das Kompositbild jeweils nur das (para-)militärische, aber nicht wie bei Merkel das gesamtgesellschaftliche Vertrauen in den politischen Führer visualisiert wird. Es gibt zudem zwei ikonographische und narrative Innovationen, die das Merkel-Bild qualitativ von anderen Kompositbildern dieser Art abgrenzt. Dies ist zum einen die Wahl des personalen Symbols der Raute anstatt des Porträts für die Repräsentation Merkels. Zum anderen die Tatsache, dass von Merkel und ihren Unterstützern nur die Hände Verwendung fanden. Die Verwendung der Raute statt des Gesichts von Merkel bewirkt, dass eine für eine demokratisch gewählte Politikerin wünschenswerte Distanz zur eigentlichen Person entsteht und stattdessen ihr Markenzeichen als abstraktes Symbol ihrer Persönlichkeit und poli-
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4 Arthur S. Mole u. John D. Thomas: Sincerely Yours, Woodrow Wilson, US-Präsident Woodrow Wilsons Kopf als Kompositbild, gebildet aus 21.000 Soldaten auf dem Gelände von Camp Sherman nach dem Sieg über Deutschland im 1. Weltkrieg 1918, 1918
tischen Macht stellvertretend für sie steht. Dass in Merkels Fall gerade eine Handhaltung das personale Markenzeichen bildet, nutzte die Agentur beim Entwurf des Plakats geschickt: Einerseits konnte so die Metapher bemüht werden, dass die Zukunft des Landes »in guten Händen« läge, andererseits spielt die Handmetaphorik im Politischen ohnehin eine wichtige Rolle: Hände stehen für Tat- und Entschlusskraft, sie stehen metaphorisch für das »zupackende« Element der Politik, wobei Merkels Raute hier jedoch eher in sich ruhend und wenn überhaupt beschützend wirkt. Das CDU-Plakat kann als ein Musterbeispiel für die motivische Leviathan-Nachfolge angesehen werden. Dennoch war und ist diese Darstellungsform historisch keineswegs die
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Regel, denn die erwähnten Vergleichsbeispiele zeigten bereits, welcher Aufwand für ein solches Motiv in der vordigitalen Zeit betrieben werden musste. Vergleicht man die Topos-Varianten des Kompositbildes und des »Bads in der Menge« anhand der Beispiele von Merkel und Kohl miteinander, fallen zunächst die Unterschiede auf. Besitzt das Kohl-Plakat der Größe und dem Aufwand nach nicht dieselbe Strahlkraft wie jenes von Merkel, so hat es doch den entscheidenden Vorteil, durch die erkennbaren Gesichter authentischer zu wirken und somit auch die Vertrauensbasis zwischen Kanzler und Volk realer erscheinen zu lassen. Diese Motivvariante des Topos ist daher auch nicht weniger modern oder wirkmächtig als jene des Kompositbildes, sie setzt bei der visuellen Darstellung des Vertrauensverhältnisses nur einen anderen Schwerpunkt. Während das Kompositbild durch seine zur Monumentalität geronnene Masse Aufsehen erregt und Legitimität durch Gefolgschaft in einem modernen Verfassungsstaat summarisch darzustellen vermag, bietet das »Bad in der Menge« die körperliche, nahbare Präsenz des Politikers. Im Kompositbild bilden der Körper des Herrschers und die Menge eine Einheit, der Grad der Abstraktion entspricht dem der dahinterstehenden Idee. Im »Bad« ist der Körper des Herrschers real präsent und die dargestellte Volksnähe und -unterstützung ebenso konkret erfahrbar. Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunkte verbindet beide Motive der gemeinsame Topos, der auf die Darstellung einer mehrheitlichen Unterstützung des Politikers durch die Wähler und deren Vertrauen in dessen Politik zielt.
Schlussbetrachtung Die scheinbar alltäglichen, in großer Zahl vorkommenden Bilder von Spitzenpolitikern zu ordnen, bestimmten Topoi zuzuweisen und deren Ikonographien und Motive mit Narrativen zu verknüpfen, ist bislang ein Forschungsdesiderat. Die vorgestellten Beispiele zeigen jedoch das Potenzial des Ansatzes, durch den die Forschung zur politischen Ikonographie einen wesentlichen Beitrag auch zur historischen Emotionsforschung leisten kann. Denn gerade in diesen bislang unbeachtet gebliebenen Bildern zeigen sich bestimmte ritualisierte Präsentations- und Rollenmuster: Während etwa der Darstellungstopos des Politikers am Arbeitsplatz das Vertrauen durch die Visualisierung einer positiv konnotierten Eigenschaft generiert, wird das Vertrauen in den Politiker im Falle des Volksmengen-Topos durch das Gefühl von großer Gefolgschaft und vor allem der eigenen Zugehörigkeit des Betrachters evoziert. Dass gerade wiederkehrende Topoi wie der des »Arbeitsplatzes« zur Generierung von Vertrauen geeignet scheinen verwundert dabei nicht, sind sie es doch, die allein schon durch ihre regelmäßige Wiederholung und durch ihre nicht-heroische, sachliche Ausstrahlung Verlässlichkeit und Stabilität darstellen. Auf diese Weise lassen die erwähnten Muster Rückschlüsse zu auf die visuelle Generierung politischer Emotionen und damit letztlich auch auf die politische Kultur eines Staates.
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1 Dieter Roth: Der ungeliebte Kanzler – Helmut Kohl im Licht (oder Schatten?) demoskopischer Befunde, in: Reinhard Appel (Hrsg.): Helmut Kohl im Spiegel seiner Macht, Bonn 1990 (Bouvier Forum 3), S. 285– 299, hier S. 292. 2 Hier und im Folgenden umfasst das maskuline Genus der Begriffe Kanzler, Kanzlerkandidat usw. alle Geschlechter; in Bezug auf konkrete Personen folgt das Genus dem Sexus der Person, bspw. »Kanzlerin« im Kontext von Angela Merkel. 3 Vgl. Ute Frevert: Vertrauen. Historische Annäherungen an eine Gefühlshaltung, in: Claudia Benthien et al. (Hrsg.): Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, Köln et al. 2000 (Literatur – Kultur – Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd. 16), S. 178–197; sowie id.: Über Vertrauen reden: Histo risch-kritische Beobachtungen, in: Jörg Baberowski (Hrsg.): Was ist Vertrauen? Ein interdisziplinäres Ge spräch, Frankfurt am Main u. New York 2014 (Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel, Bd. 30), S. 31–47. 4 Vgl. Ute Frevert: Moderne Politik, charismatische Herrschaft und die Vertrauensfalle, in: Clemens Risi et al. (Hrsg.): »Wann geht der nächste Schwan?« Aspekte einer Kulturgeschichte des Wunders. Ein Sympo sium in Bayreuth, Leipzig 2011, S. 49–66. 5 Vgl. zu Webers Herrschertypen zusammenfassend hier und im Folgenden Helena Flam: Soziologie der Emotionen. Eine Einführung, Konstanz 2002, S. 56–59; Weber führte seine Überlegungen zu den Herrschertypen in seiner Schrift Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss einer verstehenden Soziologie (postum veröffentlicht 1921/22) sowie in seinem Vortrag Politik als Beruf von 1919 aus. 6 Vgl. Ute Frevert: Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne, München 2013, S. 199 f. 7 Vgl. Stefan Reinecke: Im Kanzleramt brennt noch Licht, in: taz. am Wochenende, 24.08.2002; Hans Zippert: Rübe runter!, in: Welt-Online, 06.09.2002; Fabian Kress: Zwei Körper des Kanzlers. Nach werbe ästhetischen Gesichtspunkten hat Schröder bereits gewonnen, in: der Freitag, 16.08.2002 und Peter Kümmel: Die Staatsschauspieler, in: Die Zeit, 12.09.2002. 8 Vgl. hierzu u.a. Hubert Locher: Reinhart Koselleck, fotografiert von Barbara Klemm, 2003, in: Hubert Locher u. Adriana Markantonatos (Hrsg.): Reinhart Koselleck und die politische Ikonologie, Berlin 2013 (Transformationen des Visuellen, Bd. 1), S. 10–13. 9 Medial wurde immer wieder die Bedeutung von Schreibtischen als Orte verdichteter politischer Symbolik thematisiert, so etwa bei Daniela Zinser: Die spannende Geschichte des Schreibtischs. Vom antiken Laptop zur Nashornabstellfläche, in: Berliner Zeitung, 02.02.2006; und in der Ausstellung Macht zeigen des DHM, vgl. Frank Padberg: Die Kanzler und ihre Arbeitszimmer, in: Macht zeigen. Kunst als Herrschafts strategie (hrsg. von Wolfgang Ullrich), Ausstellungskatalog, Deutsches Historisches Museum Berlin, Berlin 2010, S. 106–115. 10 Das Bilderuhr-Motiv des Kaisers im Arbeitszimmers hatte Hoffmeister von einem nach 1821 entstandenen Ölgemälde Johann Stephan Deckers (heute im Museum Belvedere, Wien) übernommen, das als Stich von Joseph Kovátsch weite Verbreitung gefunden hatte. Im Gegensatz zu der Bilderuhr von Hoffmeister findet sich jedoch auf dem Stich und auf dem Bild aus dem Belvedere über dem Fenster keine Uhr. Vgl. zu dem Motiv bei Decker und Kovátsch u. a. Rainer Schoch: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts, München 1975 (Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts 23), S. 109. 11 Vgl. Wolfgang Kemp: Volksmenge, in: Uwe Fleckner et al. (Hrsg.): Politische Ikonographie. Ein Hand buch, Bd. 2, München 2014, S. 519–527.
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12 Hier wird ein Zusammenhang zwischen den Bildtopoi »Volksmengen« und »Bad in der Menge« angenommen; zum letzteren vgl. Matthias Bruhn: Bad in der Menge, in: Uwe Fleckner et al. (Hrsg.): Politi sche Ikonographie. Ein Handbuch, Bd. 1, München 2014, S. 112–118. 13 Vgl. Wolfgang Kemp: Das Bild der Menge (1789–1830), in: Städel-Jahrbuch 4/1973, S. 249–270. 14 CDU-Riesenposter im Herzen der Hauptstadt, CDU-Pressemitteilung vom 02.09.2013. 15 »In guten Händen« – Deutschlands größtes Wahlplakat, CDU.TV vom 02.09.2013. 16 Vgl. Horst Bredekamp: Thomas Hobbes. Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder. 1651–2001, Berlin 2012. 17 Neben der Sowjetunion fanden diese Massenveranstaltungen mit vielen tausend Teilnehmern, die mit ihren Körpern und Farbtafeln ephemere Bilder erzeugten, vor allem in Rumänien unter Nicolae Ceaus¸escu und – bis heute – in Nordkorea in Form des Arirang-Festivals statt.
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DIE SPEKTAKEL DER GESELLSCHAFT Moderne Schaulust zwischen »esprit public« und Gafferei AGN E S H O F F MA N N
Öffentliche Schaulust Kaum ein Thema war in Mediendebatten um das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland in jüngerer Zeit so präsent wie die Frage der öffentlichen Schaulust. Auslöser war eine Verschärfung des Strafgesetzes, das seit Mai 2017 neue Strafen für die Behinderung von Rettungsmaßnahmen vorsieht und im Februar 2018 durch einen vom Bundesrat verabschiedeten Gesetzesentwurf für eine weitere gesetzliche Änderung ergänzt wurde, mit dem die Ablichtung von Unfall- oder Unglücksopfern durch Schaulustige per Smartphone, Kamera und so weiter zukünftig zum Schutz der Persönlichkeitsrechte strafrechtlich geahndet werden soll. In beiden Fällen wurden Gafferei und Schaulust in der parlamentarischen Diskussion als Kernproblematik genannt, um die Gesetzesänderung zu begründen. Mit der ersten Änderung wurde eine Ausweitung der bisherigen Definition für »unterlassene Hilfeleistung« (§323c des StGB) erwirkt, zu der zukünftig nicht nur das eigene Nichteinschreiten oder die aktive, gewaltsame Behinderung von Rettungskräften gehört, sondern explizit auch die Erschwerung von Hilfeleistungen durch Schaulustige, die nun mit Bußgeldern oder gar Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren bestraft werden kann – eine Forderung, die seitens verschiedener Parteien und Verbände bereits seit geraumer Zeit vorgebracht worden war. Die sogenannte »Gafferproblematik« führte im Verlauf mehrerer Parlamentssitzungen zu einem einhelligen Beschluss für die Gesetzesänderung.1 Wenige Monate später wurden diese durch den Entwurf
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des anderen angeführten »Gafferparagrafen« (zu §201a StGB) vom Bundesrat ergänzt, diesmal im Hinblick auf die strafrechtlich ungeklärte Verbreitung von Bildern von Unfall- und Katastrophenopern in sozialen Netzwerken.2 Die beiden Gesetzesänderungen betrafen unterschiedliche Paragrafen des StGB und waren in den vorangehenden Monaten getrennt diskutiert worden, wobei das folgende Zitat veranschaulicht, dass bei der Vorbereitung der Initiative in den parlamentarischen Debatten die öffentliche Schaulust noch als übergreifende Problematik verhandelt worden war: »Geradezu abstoßend ist es, wenn Menschen in Unfallnähe ihre Sensationsgier und ihre Neugierde nicht zügeln können. Ich meine die sogenannten Gaffer, die mit ihren Handys beziehungsweise Smartphones notleidende Unfallopfer fotografieren oder filmen, und das oft nur zu einem einzigen Zweck, nämlich diese Bilder und Videos über verschiedene Kanäle zu posten beziehungsweise zu verbreiten. Und das wiederum nur aus Geltungssucht und zur Befriedigung der eigenen Eitelkeit. Ein solches Verhalten ist schlicht und ergreifend widerlich. Immer öfter kommt hinzu, dass Gaffer die Arbeit der Rettungskräfte behindern, obwohl gerade in solchen Momenten jede Sekunde entscheidend sein kann.«3 Die finale Entscheidung des Bundestags als höchstem parlamentarischen Gremium über den »Umgang mit sogenannten ›Gaffern‹«, wie der Entwurf der zweiten Gesetzesänderung offiziell überschrieben ist, steht trotz einer erneuten Anmahnung durch den Bundesrat im Mai 2019 zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags noch aus. Auch so steht fest, dass im Lauf weniger Monate eine nunmehr Jahrzehnte währende Debatte über die rechtlichen Umgangsformen mit Schaulust im öffentlichen Raum in juristisch greifbare Form überführt wurde.4 Als Begleiterscheinung der Änderungen im StGB kam es in den deutschen Medien seit Frühjahr 2017 zu einer nicht enden wollenden Flut von Artikeln, die Schaulust und Gafferei als gesellschaftlichen Phänomenen auf den Grund gehen wollten. Berichte über Verkehrsunfälle, Interviews mit Rettungskräften, Verkehrs- und Sozialpsycholog*innen, Beiträge aus der Kriminalistik und Katastrophenforschung bestimmten die öffentliche Schaulust bei Katastrophen und Unfällen grundsätzlich als eine allgemein menschliche Reaktion – eine mehr oder weniger zivilisierte Unvermeidlichkeit, die in Ausnahmesituationen gegebenenfalls rechtlicher Regulierung bedarf.5 Bei ihrer Bewertung stößt man hingegen auf zwei kontroverse Lager: Während die einen die Änderungen im StGB als überfällige »Kriminalisierung« des »hässlichen kleinen Bruder[s] der Neugier« begrüßen, das heißt die strafrechtliche Regulierung als Ausdruck eines Ausschlusses des »hässlichen« Gaffens aus der Ordnung des Gemeinwesens sehen wollen, fordern andere, die Schaulust in gesellschaftlichen Ausnahmefällen wie Unfällen oder Katastrophen im Gegenteil zuallererst als zutiefst soziale Reaktion zu verstehen.6 Denn was sich darin zeige, sei zunächst nichts weiter als die Betroffenheit gesellschaftlicher Individuen durch das Schicksal anderer – letztlich also ein Ausweis von Gemeinschaftlichkeit, womöglich sogar ein »sozialevolutionärer Mechanismus, der Kontakt auf Distanz ermöglicht«, selbst wenn die Folgen buchstäblich unsozial ausfallen können, etwa wenn die Rettung ande-
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rer durch ebendiese Schaulust behindert wird oder der Umgang mit einer Katastrophe in einem sensationsgeilen Verbreiten von Bildern auf Internetplattformen mündet.7 So groß das allgemeine Interesse an öffentlicher Schaulust derzeit in Deutschland und anderen Ländern ist, so unterschiedlich wird demnach ihr gesellschaftlicher Ort, ihre Rolle und Funktion eingeschätzt. Die Lust am Zuschauen gilt einerseits als integraler Teil der con ditio humana und provoziert zugleich komplexe Fragen, die das Selbstverständnis bürgerlicher Gesellschaften und das Verhältnis von Privatpersonen zum Gemeinwesen im Kern betreffen: Fragen nach rechtmäßigen versus strafbaren Formen der Teilhabe am öffentlichen Leben, nach dem moralischen wie verfassungsrechtlichen Umgang mit der individuellen Lust an visuellem und medialem Konsum, nach Sinn und Konsequenzen virtueller Kollektivbildungen via Instagram, Snapchat et cetera. Zeigt sich an ihr eine zunehmende Verrohung zivilisatorischer Umgangsformen, wie es auch in den parlamentarischen Debatten wiederholt anklang?8 Ein zivilisatorischer Backlash der Generation Smartphone und ihrer Toleranz gegenüber dem digital bystanding, dem schaulustigen Rückzug von einer aktiven, couragierten Teilhabe an gesellschaftlichem Geschehen?9 Oder sollte die Lust am Gaffen ganz allgemein eher als Hinweis auf die innere Logik des Gemeinwesens verstanden werden – als Ausdruck individueller emotionaler Reaktionen auf außergewöhnliche Ereignisse, die jeder und jedem widerfahren können und darum den Reiz ausüben, sie aus der zuschauenden Distanz an Mitmenschen (mit-)zu erleben? Letzteres ist kein neuer Gedanke: seit Lukrez war die Parabel vom Zuschauer eines Schiffbruchs, der angesichts des Unglücks in sicherer Distanz am Ufer zur Einsicht in seine eigene Freiheit von Unglück gelangt, ein Sinnbild menschlicher Existenz. Aber taugt sie auch dann noch dafür, wenn Zuschauer oder Zuschauerin am Ufer ein Selfie mit der Katastrophe im Hintergrund schießen?10 Schaulustige im öffentlichen Raum haben letztlich auf ambivalente Weise am Gemeinwesen teil – der lustvolle Blick, der sich auf Personen und Ereignisse richtet, ist ebenso Ausweis ihrer Partizipation am gesellschaftlichen Leben, wie er sich verdächtig macht, einen unsozialen Störfaktor in seinem Getriebe zu bilden. Mein Artikel möchte einen Blick in die historische Tiefe dieser ambiguen Emotion werfen: Die Spannung zwischen ihrer Bestimmung als soziale Praxis oder im Gegenteil als triebhaft und zutiefst unsozial, die in gegenwärtigen Diskussionen erkennbar ist, gehört bei genauerem Hinsehen spätestens seit der Aufklärung zum Bedeutungshof von Schaulust und Gafferei, und dies bevorzugt dort, wo es um das Verhältnis von Privatpersonen und gesellschaftlicher Ordnung geht.
»Sittliches« versus »barbarisches« Zuschauen? Ein überhistorisches Fragezeichen Ein Blick auf historische Semantiken des Wortfelds lässt vermuten, dass die verstörende Uneindeutigkeit der Schaulust von ihrer über Jahrhunderte tradierten Bestimmung als zugleich beteiligt und nicht beteiligt an ihren Objekten herrühren könnte. Bei Adelung und
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im Grimmschen Wörterbuch wird im frühen 18. Jahrhundert zum Beispiel das »Gaffen« unter Bezug auf seine Etymologie seit dem Mittelalter klar als passive Haltung gegenüber einem Geschehen bestimmt, inklusive dem Hinweis, dass seine Herkunft vom aufgerissenen Mund des Gähnens zu vermuten ist: Wer gafft, handelt nicht, sondern ist vollends von äußeren Eindrücken überwältigt.11 Die »Schaulust« wird bei Grimm ihrerseits als »Verlangen zu Schauen« übersetzt, und das »Schauen« steht hier, genau wie auch bei Adelung, für eine intensivierte, bewusste Form des »Sehens«.12 Im Gegensatz zum Gaffen eignet der Schaulust im Sprachgebrauch insofern ein gewisses Maß an sinnlich-kognitiver Aktivität, die Grimm auch im Begriff des »Zuschauens« entdeckt, der bedeute, »einem vorgang, einer thätigkeit mit innerer theilnahme zu[zu]sehen«.13 Expliziter hebt Zedlers Universallexikon schon 1711 die äußerlich passive, aber nicht untätige Natur des Zuschauens hervor, wenn es heißt, das Zuschauen scheine »etwas mehr zu seyn, denn zusehen, welches lediglich eine Gegenwart bey dem, so etwan geschiehet und vorgehet, erfordert und mit sich bringet, damit auch zufrieden ist, ohne etwas beyzutragen«.14 Schaulustigen wurde zwischen dem 18. und frühen 19. Jahrhundert in diesem Sinn entweder eine totale Handlungsunfähigkeit (im Fall des Gaffens) oder eine unklare Aktivität oder Teilhabe im Akt des Zuschauens zugeschrieben, die nicht mit unmittelbarer Handlung, wohl aber innerer Beteiligung am angeschauten Geschehen einhergeht. Die Frage, inwieweit eine schaulustige Öffentlichkeit durch ihr Zuschauen aktiv an einem öffentlichen Ereignis teilhat oder nicht, hat sich unverkennbar auch in heutigen Diskussionen erhalten. Festzuhalten bleibt, dass mit der Aufklärung neue Differenzierungen in die Schau der Zuschauenden eingetragen werden. Während noch im Mittelalter die »Begierde der Augen« eindeutig als unmoralische Verführungsgewalt galt und theologische oder moralphilosophische Schriften vom Blick auf das, was sie auslösen mochte, dringend warnten, rückte in späteren Jahrhunderten mehr und mehr der sinnlich-schauende Bezug von Subjekten auf öffentliche Ereignisse als affektiv umsäumte Schnittstelle zwischen Individualinteressen und Gemeinwesen in den Blick.15 Dies zeigt auch die skizzierte Semantik: Der zuschauende Blick konnte passiv und bar jeglicher Handlungspotenziale sein wie im Fall der Gafferei, aber einem Geschehen zuzuschauen beinhaltete zugleich auch eine wenigstens innerlich aktive Teilhabe, die ihrerseits als wie auch immer gearteter Beitrag (Zedler) zu einem Gegenstand beurteilt werden konnte. Die beiden Pole der Schaulust, Zuschauende und ihre Objekte, sind dynamisch aufeinander bezogen und modellieren sich gewissermaßen gegenseitig: Das Verlangen (Grimm) zu Schauen konstituiert das Gesehene als sein Objekt, und umgekehrt werden Schaulustige über ihre innere Teilnahme (Zedler) zu einem Teil des gesehenen Geschehens. Auch wenn in gegenwärtigen Debatten um öffentliche Schaulust andere Formen von Öffentlichkeit und mit ihnen einhergehende Aufmerksamkeitsökonomien im Zentrum stehen als in früheren Jahrhunderten, hat die Vorstellung ihrer unklar zwischen passivem Sensationskonsum und aktiver Teilhabe am Gemeinwesen schwankenden Natur augenscheinlich ältere Wurzeln. Zu dem, was die gegenwärtige Schaulust mit historischen Vorläufern ver-
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bindet, gehört entscheidend auch die Vorstellung ihrer medialen Prägung: Werden heute mit Vorliebe TV, Smartphones und Social Media-Kanäle als Trigger oder zumindest begünstigende Faktoren gesellschaftlicher Schaulust ins Feld geführt, wurde ihre Bildung und Übung seit dem 18. Jahrhundert unter anderem auf das Theater zurückgeführt, das damit zugleich als Verheissung eines sittlichen Sehens und dessen ureigenste Bedrohung galt. Vor diesem Hintergrund soll die Frage nach der öffentlichen Schaulust und ihrer gesellschaftlichen Rolle im Folgenden exemplarisch am politischen Diskurs der Französischen Revolution und der, teilweise auf die Konjunktur der öffentlichen Spektakel der Revolutionszeit reagierenden, deutschen Dramenästhetik um 1800 nachgezeichnet werden.
Das Auge der Öffentlichkeit: Schaulust als Seismograf des modernen Gemeinwesens Diskussionen um die Lust am Schauen und Gaffen in der Öffentlichkeit haben die Entwicklung der modernen westlichen Demokratien seit der Aufklärung entscheidend begleitet, sowohl was deren strategische Konzeption in Staats- und Gesellschaftstheorien betrifft, als auch hinsichtlich praktischer Formen von kollektiver Schaulust, die gesellschaftliche Öffentlichkeiten über Jahrhunderte hinweg mitgeformt haben und zum politischen Körper des modernen Staats unbedingt hinzuzurechnen sind. Ein anschauliches Beispiel für den gemeinten Status der Schaulust ist ihre Bedeutung im Rahmen öffentlicher Bestrafungsrituale: Die Herausbildung des modernen Staates lässt sich, wie Michel Foucault eindrücklich gezeigt hat, als Geschichte seiner Strafpraktiken erzählen – von den Henkern des Absolutismus bis zu den Guillotinen der Revolution ist die Anwesenheit einer schaulustigen Öffentlichkeit, denen die Bestrafung von Gesetzesbrecher*innen und Abtrünnigen als abschreckendes Memento vorgeführt wird, integraler Teil der Demonstration und symbolischen Bestätigung der jeweils rechtsprechenden und -ausübenden Macht.16 Während öffentliche Strafrituale für die moderne Staatsgewalt in westlichen Demokratien heutzutage keine vergleichbare konstitutive Funktion mehr besitzen, hat sich die Bedeutung einer zuschauenden Öffentlichkeit im Prozess der Rechtsprechung im modernen Staat bis heute nicht verloren. Foucault selbst beschreibt die historische Entwicklung als eine Internalisierung dieser Schauprozesse mit dem bürokratischen und institutionellen Bestrafungsapparat des 19. Jahrhunderts. Im Fall öffent licher oder im TV übertragener Gerichtsverfahren ist die Präsenz eines passiv teilnehmenden, schauenden Publikums auch heute noch wesentlich für die Beglaubigung des Rechtsvollzugs durch seine Vertreter*innen.17 Jenseits staatlicher Rechtsprechung werden über die Schaulust dort, wo sie im Zusammenhang politisch motivierter Gewalt im öffentlichen Raum auftritt, ebenfalls die Machtstrukturen innerhalb von Gesellschaften und, mehr noch, die Affekt ökonomien des demos – im Sinne von Staatsvolk – sichtbar, inklusive seiner Verführbarkeit, Gewaltexzessen als untätige Schaulustige beizuwohnen, welche zu einer vernünftigen Organisation von Staats- und Gemeinwesen quer zu stehen scheinen.18
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Die Frage nach der Schaulust der Öffentlichkeit lohnt also allemal, um Einblicke in das Funktionieren moderner Gesellschaften, ihre Macht- und Affektökonomien und auch ihre Blindstellen zu gewinnen. Ein weiteres Beispiel für ihre konstitutive Rolle in modernen Gesellschaften ist ihre Konjunktur im Rahmen der Französischen Revolution, als die Schaulust der Bevölkerung zum zentralen Seismografen des esprit public und Instrument seiner Steuerung avancierte.19 Vielen galt sie als naheliegendes Mittel, die Ideale der Revolution in Herzen und Köpfen der Bevölkerung affektiv zu verankern – über die Theater und ihre qua Dekret regulierten Spielpläne genau wie über die öffentlichen Schauspiele der Revolution, die Guillotinenbühnen und kunstvoll choreographierten Festumzüge; eine Tatsache, die schon Zeitgenossen zu einer Charakterisierung der Revolution als gigantisches Schauspiel führte, in dem politische Inhalte und theatrale Repräsentationsformen untrennbar verbunden waren.20 Trotz ihrer offiziellen Rolle fiel auf sie auch während der Revolutionszeit der Verdacht, nur Ausdruck einer triebhaften und unsozialen Natur zu sein. Galt die Schaulust der Bevölkerung einerseits als Signal für ein gesundes Gemeinwesen, wurden ihr immer wieder auch unzivilisierte, barbarische Anteile unterstellt. Sie war einerseits erklärtes Ziel des politischen Interesses für die Bildung des esprit public, wurde daher in Erlässen für die Regelung öffentlicher Ereignisse als Referenzgrösse angeführt und diente in der Nationalversammlung in Diskussionen um die Praxis der öffentlichen Hinrichtungen als zentrales Argument für die Beibehaltung der Todesstrafe und die Einführung der Guillotine.21 Andererseits haftete ihr eine Aura des ideologisch Undurchdringlichen und Primitiven an, weil sie die Öffentlichkeit auf nie ganz eindeutige Weise anzog und unberechenbare Kollektivierungen und Massendynamiken mit sich brachte. Vertreter aus allen politischen Lagern äußerten grundlegende Skepsis gegenüber der wahren Natur öffentlicher Schaulust und ihrer ideologischen Erziehbarkeit, und auch praktische Erfahrungen mit einer schaulustigen Öffentlichkeit, die in Theatern für die Aufführung anti-republikanischer Tragödien protestierte, zeugten nicht gerade von ihrer naturgemässen Bildungsaffinität durch die Revolutionsdoktrin.22 Könnte es nicht sein, so Camille Desmoulins, Mitglied der Bergpartei und einer der führenden Köpfe der Revolution, in einem Kommentar zu den publikumswirksamen Guillotinierungen seiner Zeit, dass die Teilhabe an den öffentlichen Spektakeln in keiner Weise politisch motiviert wäre, geschweige denn einer Sympathie für die Ziele der Revolution entspringe, sondern schlicht und ergreifend aus einer primitiven, hedonistischen Lust am Schauspiel? In einer solchen Fehleinschätzung der öffentlichen Schaulust offenbare sich, so Desmoulins, eine kardinale Schwäche der Revolutionsregierung, nämlich die arrogante Blindheit gegenüber der wahren Natur der Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse, zu denen er hier allem voran die sinnliche, triebhafte Lust am öffentlichen Spektakel zählt: »Ce n’était pas l’amour de la république qui attirait tous les jours tant de monde sur la place de la revolution, mais la curiosité, et la pièce nouvelle qui ne pouvait avoir qu’une seule representation. Je suis sûr que la plupart des habitués de ce spectacle se moquaient, au fond de l’âme, des abonnés de l’opéra et de la tragédie, qui ne voyaient qu’un poignard de
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carton, et des comédiens qui faisaient le mort. Telle était, dit Tacite, l’insensibilité de la ville de Rome, sa sécurité dénaturée et son indifference parfaite pour tous les partis.«23 Desmoulins greift hier einen Topos auf, der seit Rousseaus bekannter Polemik gegen den Bau des Genfer Theaters in den Fundamenten französischer Gesellschaftstheorien verankert war – für den Verfasser des Contract social stand ausser Frage, dass es sich bei der Vorstellung, kollektive Schaulust bringe die Menschen zu mehr Sozialität und mache sie zu besseren Staatsbürgern, um Irrglaube und Ideologie handelte. Eine theatrokratiekritische Haltung, die sich letztlich bis zu Platos Staatstheorie zurückverfolgen lässt: Am Beispiel des Theaterpublikums seiner Zeit beschreibt Platon, wie sich eine rohe, unzivilisierte Haltung gegenüber Schauspielen eingebürgert habe, sodass sich eine anwesende Menge anmaße, spontane Zuund Abneigungen für wahres Urteilsvermögen zu halten – eine Gefahr, wie Platon sie im demokratischen Staatswesen generell gegeben sieht, in der die bei der Menge beliebtesten Repräsentanten ihre Rollen auf der öffentlichen (Polit-)Bühne darbieten und sich vom Beifall des Publikums abhängig machen statt von Vernunft und politischer Klugheit. Ein funktionierendes Staatswesen müsse sich daher davor schützen, in Theatrokratie umzuschlagen.24 In den genannten Beispielen von Platon und Rousseau bis zum französischen Nationalkonvent wird das schaulustige Theaterpublikum zu einem Sinnbild für den republikanischen demos und die Steuerung seiner Emotionen – affirmativ, wie in den Diskussionen um die Guillotine, oder abwertend, wenn ein verführbares, auf Erfüllung sinnlicher Schaulust programmiertes Publikum als Negativbild eines idealen republikanischen sens commun gezeichnet wird. Im Vergleich zu anderen Staats- und Herrschaftsformen scheint sich hier ein signifikanter Unterschied in der Bewertung der öffentlichen Schaulust abzuzeichnen. Die Geschichte öffentlicher Strafrituale in Mittelalter und neuzeitlichem Absolutismus überliefert alle möglichen Reaktionen des Publikums, meines Wissens aber keine nennenswerten Zweifel an der wahren Natur, der inneren Motivation oder der ideologischen Konformität seiner Schaulust, zumindest nicht in größerem Maß. Es scheint plausibel, dies als Ausdruck der jeweiligen Gewichtung der Machtverhältnisse zu verstehen. Denn wo das Wünschen und Wollen der Bevölkerung politisch konstitutive Bedeutung besitzt, das heißt die Staatsgewalt nicht von einzelnen Souverän*innen ausgeht, sondern verfassungsgemäß vom demos selbst, der mittels gewählter Repräsentant*innen und Institutionen seine Regierung zumindest theoretisch selbst gestaltet, ist es naheliegend, dass auch der Schaulust im öffentlichen Raum (inklusive den Theatern als gesellschaftlichen Institutionen) neues Interesse zukommt, scheint in ihr doch etwas vom Begehren der Einzelnen und von ihrer affektiven Haltung gegenüber öffentlichen Ereignissen sichtbar zu werden. Liest man mit Michel Foucaults Surveil ler et punir die Geschichte öffentlicher Strafrituale als eine Genealogie von Machttechniken, so wird deutlich, dass spätestens im 18. Jahrhundert die öffentliche Schaulust in diesem Sinne nicht nur als deren Adressatin auftaucht, sondern ihr selbst neuer Einfluss zugesprochen wird: Die Machtdemonstrationen auf der Plâce de Grêve besitzen nur sehr eingeschränkte Funktion für den esprit public, wenn das Interesse der Bevölkerung sich tatsächlich in erster
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Linie auf die Sensation an sich und das Tragödienerlebnis richtet; wer dieses Volk als Regierung repräsentieren will, tut besser daran, die eigene Blindheit gegenüber ihren wirklichen Lüsten und Bedürfnissen anzuerkennen.25 Gleiches gilt für die Hoffnung auf den gesinnungsbildenden Einfluss des Theaters und für die öffentlichen Spektakel der Revolution – dass die zitierten Stimmen von Rousseau bis Desmoulins dies zu denken geben, zeugt von einer neuen Sicht auf die Schaulust, deren Stellenwert nunmehr irgendwo zwischen Ausdruck öffentlicher Meinung, Instrument seiner Bildung beziehungsweise Steuerung und mehr oder weniger kultiviertem Individualaffekt changiert. Und dies gilt nicht nur für die Anfangsjahre der modernen Demokratien. Vielmehr lässt sich ein vergleichbares Interesse in späteren Zeiten auch in ganz anderen Feldern ausmachen, zum Beispiel in Diskussionen rund um visuelle Massenmedien und ihren Einfluss auf das Gemeinwesen.26 Und letztlich kommt diese Sicht auch in gegenwärtigen Diskussionen zum Tragen, wenn die gemeinsinnige Natur der öffentlichen Schaulust betont und unter Bezug auf sie Grenzbestimmungen zwischen dem Privaten und Öffentlichen sowie Diskussionen um akzeptable Formen der Teilhabe am Gemeinwesen geführt werden.
Theatrale Schaulust um 1800 vom Hamburger Theaterstreit bis zu Schiller Nur am Rand war bisher von den bildenden und darstellenden Künsten die Rede, die naturgemäß eine besondere Beziehung zur Schaulust unterhalten. Obwohl diese seit der Antike bis ins 18. Jahrhundert als triebhaftes, unvernünftiges und theologisch anrüchiges Begehren aus dem Kanon der zivilisatorischen Vermögen ausgeschlossen worden war – ein Schicksal, dass die Schaulust teilweise mit anderen sogenannten kognitiven Affekten (Neugier, Staunen, Wundern) teilt – gehört die Auseinandersetzung mit der ästhetischen Affizierbarkeit des Publikums, mit Schaulust und Schauverbot in den visuellen Künsten von jeher zur praktischen wie dramentheoretischen Notwendigkeit.27 Im 18. und frühen 19. Jahrhundert lässt sich auch in Theorien des Theaters und zeitgenössischen Schauspielen eine verstärkte Reflexion auf die öffentliche Schaulust und ihre Stellung im Gemeinwesen erkennen, die im Folgenden skizziert werden soll. Im Hintergrund steht die zunehmende gesellschaftliche Verankerung der Institution Theater, die in Deutschland durch die vermehrte Gründung von städtischen Schaubühnen und die Entstehung der ersten Nationaltheater seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gestärkt wurde, sowie die Reaktion deutscher Dramenautoren auf die Französische Revolution, die für viele sowohl Verheissung einer neuen Staatsform und neuer Formen aufgeklärter Öffentlichkeit als auch bittere Enttäuschung der in sie gelegten Hoffnungen wurde. Ab den 1760ern und 1770er Jahren lässt sich in Deutschland ein starker Anstieg der Dramenproduktion verzeichnen; quer durchs Land wurden zeitgleich poetologische Debatten zur Tragödientheorie und Dramenwirkung geführt, unter Besinnung auf mögliche Aufgaben
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des deutschen Theaters und zugleich im engen Dialog mit französischen, englischen und italienischen Diskursen.28 Während in diesem Zusammenhang noch einmal differenziert über Emotionen wie Mitleid, Bewunderung oder Staunen nachgedacht wurde, wird die Schaulust höchstens als deren Grundvoraussetzung am Rande mitbehandelt.29 Ein Grund hierfür mag in ihrer spezifischen affektiven Struktur liegen: Im Gegensatz zu Emotionen wie Mitleid, Neugier oder Staunen ist im Fall der Schaulust der Selbstgenuss der Hauptteil ihrer intrinsischen Motivation; dem schaulustigen Sehen ist, egal worauf es sich richtet, ein Zug hedonistischer Sinnenlust eingeschrieben – ein Befund, der auch in ihrer Kritik von Rousseau bis Desmoulins anklang und sie für die Debatten der Aufklärung dort, wo sie nach moralischen und sittlichen Fundamenten ästhetischer Emotionen suchten, suspekt gemacht haben muss. In diesem Sinn war es im Zuge des sogenannten Zweiten Hamburger Theaterstreits, der 1768/69 um die theologische Rechtfertigung des Schauspiels geführt wurde, noch einmal zu einer regelrechten Verdammung der Emotion gekommen. So wetterte etwa der Hamburger Lutheraner Johann Melchior Goeze gegen die für ihn theologisch wie auch in allen möglichen anderen Hinsichten moralisch verwerfliche Schaulust. Die deutsche Schaubühne überhaupt bestimmte er in ihrem gegenwärtigen Zustand als sinnenverführendes Teufelszeug, nämlich eine »Augenlust und Fleischeslust«, die »den menschlichen Lüsten und Leidenschaften mannigfaltige Nahrung« gebe und vor allem dazu diene: »[…] [d]ie Sinlichkeiten zu reizen, Empfindungen, und oft verdamliche Empfindungen, vor welchen ein, für das ewige Heil seiner unsterblichen Sele besorgter Christ, sich nicht sorgfältig genug bewahren kann, hervorzubringen, und bis auf den höchsten Grad der Stärke zu treiben, sündliche Leidenschaften in völlige Wallung zu sezzen, Vorwitz und Neubegierde zu reizen und zu vergnügen.«30 Goeze wird in seiner Polemik nicht müde, den Irrtum anzuprangern, die Lust am Schauspiel sei in irgendeiner Weise produktiv für Gesellschaft und Staat – so sei die Forderung nach »Brot und Spielen« im antiken Rom bereits ein Zeichen seines Verfalls gewesen; die heutige Schaubühne verfolge zwar andere Inhalte und Ziele, doch zeige sie noch immer zu viele unchristliche Themen und verführe ihr Publikum zu Müßiggang und Genusssucht.31 Die Lust am Schauspiel ist also nicht explizit antisozial, wie sie in Frankreich von Autoren wie Rousseau bestimmt wurde, sondern Goeze würde die Institution Theater scheinbar am liebsten direkt abschaffen oder aber in ein Instrument der (lutheranischen) Indoktrination verwandeln. Ganz anders wird das Theater in einer bekannten Programmschrift zur Institution der Bildung im Sinne des Gemeinwesens und der Nation bestimmt: 15 Jahre später ergreift Schiller auf die 1784 von der Deutschen Gesellschaft gestellte Frage »Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich bewirken? « mit seinem Vortrag Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet vehement Position für den aktiven, positiven Einfluss öffentlicher Theater auf jede*n Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt. Auch in Schillers Vortrag ist die Wirkung des Schauspiels eine primär sinnliche und lustvolle – beziehungsweise wirken »ästheti-
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scher Sinn und Gefühl für das Schöne« gleichermaßen auf Gefühle und Verstand.32 Was für ihn, im Gegensatz zum Hamburger Theaterfeind Goeze, auch das besondere Potenzial öffentlicher Theater als gesellschaftlichen Institutionen ausmacht: Neben »Gesetz« und »Religion«, die in erster Instanz die Regeln gesellschaftlichen Zusammenlebens bestimmen, weist die öffentliche Schaubühne mit ihrer starken Wirkung auf den ästhetischen Sinn einen notwendigen dritten Weg. Denn anders als Recht und Theologie werden durch sie die Regeln und Prinzipien dessen, was es bedeutet »ein Mensch zu sein«, nicht selber gesetzt, sondern in ihren komplexen Wirkungszusammenhängen anschaulich – »Die Schaubühne« sei »mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele.«33 Die Aufgaben der öffentlichen Schaubühne sieht Schiller dabei keinesfalls nur in der Aufklärung und Bildung einzelner Subjekte, sondern stellt ihre positive Wirkung auf das Gemeinwesen und, als Konsequenz, auf die Festigung von Gesellschaft und Nationalgefühl in den Vordergrund. Die Schaubühne sei »der gemeinschaftliche Kanal«, über den das »Licht der Weisheit« sich »in milderen Strahlen durch den ganzen Staat […] verbreitet«: »Nationalgeist eines Volks nenne ich die Aehnlichkeit und Uebereinstimmung seiner Meinungen und Neigungen bei Gegenständen, worüber eine andere Nation anders meint und empfindet. Nur der Schaubühne ist es möglich, diese Uebereinstimmung in einem hohen Grad zu bewirken, weil sie das ganze Gebiet des menschlichen Wissens durchwandert, alle Situationen des Lebens erschöpft und in alle Winkel des Herzens hinunter leuchtet; weil sie alle Stände und Klassen in sich vereinigt und den gebahntesten Weg zum Verstand und zum Herzen hat.«34 Auf der Basis ihrer sinnlichen Anschaulichkeit und der besonderen Wirkung auf den »ästhetischen Sinn« wird die Theatererfahrung des Publikums hier zum direkten Organ der Reflexion menschlicher Verhältnisse und Ausgangspunkt ihrer sozialen und politischen Umgestaltung im Großen.35 Schillers Idee einer Erziehung des Volks zur Gemeinschaft vermittels des Theaters ist Modellen der zeitgenössischen Ästhetik verwandt, nach denen die Theateraufführung einen Katalysator kollektiver Emotionen bildet. So erklärt der Eintrag »Schauspiel« in Sulzers Allgemeine Theorie der schönen Künste von 1774 die Wirkung des Theaters damit, dass allein »durch die Menge der Zuschauer« und »durch eine gewisse Feyerlichkeit der Sache« die »Lebhaftigkeit der Erwartung, und jeder Eindruk unglaublich verstaerkt« werde, denn »Nichts in der Welt ist anstekender, und kraeftiger wuerkend, als Empfindungen, die man an einer Menge Menschen auf einmal wahrnihmt.«36 Zugleich entspricht Schillers Ideal des Theaters im Schaubühnen-Vortrag ziemlich genau den Hoffnungen, die von der Revolutionsregierung wenig später in die öffentlichen Spektakel der Theater und im Stadtraum gelegt wurden. Seine spätere Distanzierung von den revolutionären Ereignissen nach Beginn der Terreur im September 1793 gilt dagegen als ein wichtiger Faktor für die Entstehung seiner 1794 ver-
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öffentlichten Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen, in denen er das Ideal eines ästhetischen Staats entwirft, in dem die Zwänge des menschlichen Naturzustands überführt werden in eine von Prinzipien der Schönheit und Moral regierte Gesellschaft. Spielerisch soll die ästhetische Erziehung durch Kunst und Schönheit dem Menschen dazu verhelfen, Vernunft und Emotionalität in harmonischen Ausgleich zu bringen – eine Aufgabe von anthropologischer Tragweite, die Schiller anders als in der Programmschrift von 1784 nicht länger an einzelne Institutionen wie das Theater bindet. Dennoch taucht auch in diesem Text die Schaulust als Mittel zum Zweck gesellschaftlicher Bildung auf – an zentraler Stelle wird dabei scharf zwischen einem barbarischen, am Spektakel von Tod und menschlichem Leid entzündeten Interesse und einer kultivierten Schaulust unterschieden, die sich bei antiken Wettkämpfen an der Kraft und Gelenkigkeit der Athleten erfreut: »Man wird niemals irren, wenn man das Schönheitsideal eines Menschen auf dem nämlichen Weg sucht, auf dem er seinen Spieltrieb befriedigt. Wenn sich die griechischen Völkerschaften in den Kampfspielen zu Olympia an den unblutigen Wettkämpfen der Kraft, der Schnelligkeit, der Gelenkigkeit und an dem edleren Wechselstreit der Talente ergötzen, und wenn das römische Volk an dem Todeskampf eines erlegten Gladiators oder seines libyschen Gegners sich labt, so wird es uns auf diesem einzigen Zug begreiflich, warum wir die Idealgestalten einer Venus, einer Juno, eines Apolls nicht in Rom, sondern in Griechenland aufsuchen müssen.«37 Nicht jede Form der Schaulust ist der ästhetischen Erziehung dienlich, und nur ein unkultivierter Sinn wird sich am grausamen Schauspiel von Gladiatorenkämpfen erfreuen: Vor dem Hintergrund der zeitgleichen Entwicklung der Französischen Revolution erscheint diese Differenzierung wie eine demonstrative Abgrenzung von den Praktiken der Jakobinischen Schreckensherrschaft, die für Schiller – wie für viele Autor*innen in Deutschland und weltweit – den Auslöser für die Abwendung von der historischen Realität der Revolution bildete, und damit letztlich den Entwurf seiner eigenen Ideen menschlicher Freiheit und Gleichheit auf der Basis freiwilliger Unterordnung unter die Gesetze der Schönheit und des Geschmacks in den Briefen beeinflusste. Schillers Vorstellung einer barbarischen Lust am Leid anderer, die er hier den Schaukämpfen der römischen Antike zuschreibt, lässt an die Rede von den Revolutionären als Barbaren oder Ungeheuern denken, die sich nach 1793 gerade im deutschsprachigen Raum verbreitete. In einem bitteren Kommentar zur Hinrichtung des vormaligen Königs Ludwig XVI (Ludwig Capet) klagte der österreichische Dramatiker Leopold Alois Hoffmann beispielsweise die »müßigen Zuschauer« seiner Enthauptung als Unmenschen an: »Was sollen wir denn jezt wohl von einer sehr zahlreichen Menschenmenge, welche sich die französische Nation nennt, endlich halten? Sind denn diese Geschöpfe wirklich Menschen? […] Stand [diese Nation] nicht niederträchtig feige, oder niederträchtig boshaft als
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müßiger Zuschauer da, als ein Streich vollführt wurde, dem die lezten Bewohner dieser Erde noch mit Abscheu fluchen werden? Warum geschahen denn nirgendher entschloßne Rettungsanstalten, da man bereits das entschiedne Urtheil, da man Tag und Stunde des öffentlichen Mordschauspiels wußte? […] Es galt ja keinen heimlichen Meuchelmord. Die ganze Nation sah dies Urtheil vollziehen, rührte keine Hand dagegen, stand mit schauderhaftem Stillschweigen am Blutgerüst, und rief, nach vollbrachtem Morde ihren eignen Triumph mit kannibalischer Wildheit sich zu: Es lebe die Nation – – o doch keine andre, als die Nation der Mörder und Teufel! doch nicht eine Nation von – Menschen!!«38 Ähnlich wie Schillers Bemerkung in den Briefen markiert die Schaulust an menschlichem Leiden eine klare Grenze zwischen Zivilisation und gesellschaftlichem Rückschritt. Als Negativabzug aller Verheißungen, die von der Revolutionsregierung in die Schaulust der Bevölkerung gelegt worden waren, macht sich die französische Öffentlichkeit als »müßiger Zuschauer« der Tötung des längst entmachteten Königs hier der Tatenlosigkeit, der unterlassenen Hilfeleistung und Beihilfe zum Mord schuldig.
Fazit und Ausblick Die letzten Beispiele führen die schwierige Natur gesellschaftlicher Schaulust noch einmal eindrücklich vor Augen. Sobald es um das Leiden anderer Menschen geht, ist ein kontemplativer, gar genussvoller Konsum Ausweis einer Distanzierung von diesem Leiden, die sich dem Vorwurf fehlenden Mitgefühls oder gar Mitschuld aussetzt. Was Diskussionen um die Schaulust bis heute antreibt, ist die daraus resultierende Frage nach ihren Objekten: Was genau fügt eine Schaulustige, die bei einer Katastrophe mitfilmt, deren Opfern zu; wieviel von der momentanen Überwältigung eines Gaffers ist schiere Hilflosigkeit, wieviel an Sadismus grenzende Schadenfreude? In ihrem 2009 veröffentlichten Buch Frames of War. When is Life Grievable? hat Judith Butler hilfreiche Hinweise für das Verständnis der Problematik gegeben, indem sie unsere Fähigkeit, auf das Leiden anderer zu reagieren, auf das Wirken unbewusster Bewertungs- und Verstehensraster zurückführt. Emotionale Reaktionen wie Mitleid, Trauer oder Ungerührtheit sind, so Butler, darin begründet, ob wir denjenigen, die Leid erfahren, ein »grievable life« zuerkennen, und damit ein Leben, das ebenso viel wert ist wie unser eigenes.39 Die Frage nach der Natur der Schaulust und ihrer gesellschaftlichen Natur verschiebt sich damit in den Bereich des Ethischen, wobei Butler vor allem an der Rolle von Medien bei der Entstehung und diskursiven Verankerung solcher Bewertungsraster interessiert ist. Auch Studien etwa zur Kriegsfotografie, zum Katastrophentourismus, zur Schaulust bei öffentlichen Bestrafungen wie am Beispiel des Folterskandals von Abu Ghraib und des Bildmaterials, das anschließend öffentliches Interesse auf sich zog, aber auch zur quasi- pornographischen Darstellung von Schmerz in Literatur und Bildkünsten haben am Beispiel unterschiedlicher Bild- und Textmedien und ihrer Verbreitung die Frage nach der schauen-
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den Teilhabe am Leiden anderer aufgeworfen und Modellierungen gesellschaftlicher Schaulust durch diese Medien gezeigt.40 Um 1800 wurde die Darstellung und Reflexion von Akten der Schaulust und des Schauens insbesondere durch das Theater vorangetrieben, das im 18. Jahrhundert seine Konjunktur als öffentliche Institution der Kultivierung und Bildung angetreten hatte. Claudia Benthien hat dies am Beispiel von Tragödien dieses Zeitraums nachgezeichnet: In Dramen von Heinrich von Kleist und Schiller weist sie Affektdynamiken von Scham und Schuld nach, die in der sorgsamen Registratur des visuellen Feldes durch tribunalartige Settings, der Inszenierung sozialer Interaktion als Kampfzonen des Sehens und Gesehen-Werdens durch andere oder dem Entzug der Sichtbarkeit durch Verhüllung auf der Bühne erkennbar werden.41 Ben thien bestimmt die entdeckte Kultur von Scham und Schuld als »das Andere der im Theater institutionalisierten Schaulust«, doch stellt sich im Hinblick auf deren skizzierte Konjunktur im 18. Jahrhundert die Frage, ob das Theater nicht um 1800 vielmehr dabei war, die Komplexität der Emotion aufzuarbeiten und beispielsweise über emotionale Reaktionen wie Scham und Schuldgefühle die Objekt-Seite der Schaulust differenziert zu erfassen – eine Aufgabe, die gerade vor dem Hintergrund der kontrovers diskutierten Rolle des französischen Publikums bei den Machtdemonstrationen der Terreur plausibel scheint.42 Deutlich wird, dass das Theater um 1800 mit einer differenzierten Anamnese der Schaulust, ihrer affektiven Dynamiken und ihres Ortes innerhalb von Gesellschaft befasst ist – dies ließe sich in zahlreichen Beispielen vom bürgerlichen Trauerspiel der Spätaufklärung über die Tragödien der Weimarer Klassik bis zum postrevolutionären Geschichtsdrama des Vormärz aufzeigen.43 Was lässt sich aus den vorangehenden Überlegungen für eine Bewertung heutiger Ausprägungen des Phänomens gewinnen? Während öffentliche Schaulust heute vorwiegend unter Bedingungen moderner Öffentlichkeit, ihrer Kommunikationskanäle und Aufmerksamkeitsökonomien diskutiert wird, erweisen sich Aspekte wie ihre Rolle im Gemeinwesen, ihre Abhängigkeit von Medien der Einübung und Reproduktion bestimmter Formen des Zuschauens, aber auch Fragen nach ihren ethischen Implikationen als Themen, die sie bereits im 18. und frühen 19. Jahrhundert begleiteten. Ihre Konjunktur in politischen Diskursen in Frankreich fällt zusammen mit der Ablösung eines absolutistischen Regimes durch eine demokratische Verfassung und damit mit einem fundamentalen »Positionstausch im imaginären Zentrum des Staates«, die es im späten 18. Jahrhundert notwendig machten, nach dem Sturz des Ancien Régime anstelle des absolutistischen Souveräns nunmehr das Volk als zentrale Staatsmacht anzuerkennen.44 Gerade die Schaulust erweist sich rückblickend als eine spannungsvolle Diskursfigur, um den Umbau der staatlichen Ordnung nach dem Absolutismus zu begreifen: Mit ihr rückte der politische Körper der neuen Staatsform in den Blick, der Bezug der Vielen auf die Spektakel der Republik und die affektiven Dynamiken, die sie bestimmten. An den Ambiguitäten, die in sie eingetragen wurden; dem Bemühen, die Aufmerksamkeits- und Affektdynamiken im öffentlichen Raum als gesellschaftliche und politisch wirksame Kräfte zu erfassen und unter Umständen zu regulieren, zeigen sich dabei nicht allein die Wachstumsschmerzen einer noch in den Kinderschuhen befindlichen neuen Ge-
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sellschaftsordnung, sondern die öffentliche Schaulust erweist sich vielmehr als Austragungsort von Kräfteverhältnissen, die der Demokratie als solcher wesentlich sind. Die Festlegung dessen, was privat ist an der Schaulust und wo sie Gegenstand des Gemeinwesens wird, obliegt im 18. Jahrhundert wie heute der beständigen Aushandlung – auch im Rahmen aktueller Mediendiskussionen sowie gegenwärtigen Verhandlungen zum Strafrecht, wo der rechtliche Ort der Schaulust negativ bestimmt wird (durch die Festlegung, unter welchen Umständen Schaulust im Hinblick auf Grund- und Persönlichkeitsrechte gegen das Gemeinwohl verstößt). Mit Claude Leforts Theorie der Demokratie lässt sich diese konstitutive Uneindeutigkeit als Teil einer symbolischen Leerstelle innerhalb des politischen und gesellschaftlichen Gefüges der Demokratie beschreiben, die aus dem Bruch mit absolutistischen Machtverhältnissen notwendig hervorgeht: »Die im Fürsten verkörperte Macht verlieh nun ihrerseits der Gesellschaft körperliche Gestalt. […] Gemessen an diesem Modell zeichnet sich der revolutionäre und beispiellose Zug der Demokratie ab: Der Ort der Macht wird zu einer Leerstelle. […] Die Machtausübung ist nun einem Verfahren unterworfen, das sie in regelmäßigen Abständen erneut ins Spiel bringt. Sie geht am Ende aus einem geregelten Wettstreit hervor, dessen Bedingungen dauerhaft festgeschrieben sind.«45 Begreift man die Konstitution der modernen Demokratie wie Lefort als ein sich fortwährend erneuerndes Spiel, in dem der Kampf um die politische Machtausübung inszeniert wird, das sich im »geregelten Wettstreit« von Wahlen und parlamentarischen Debatten vollzieht, kann die öffentliche Schaulust als eine der Figuren dieses Spiels begriffen werden. Dabei ist, wie die vorangehenden Überlegungen gezeigt haben, weder ihr Einsatz noch ihr Wert rein strategisch zu denken. Im Anschluss an Konjunkturen der Schaulust in der Dramenästhetik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts zeigte sich, wie das Theater im selben Zeitraum die ästhetischen und ethischen Gehalte öffentlicher Schaulust auszuloten beginnt. Wo diese nicht als »Fleisches- und Augenlust« (Goeze) verdammt wird, treibt sie um 1800 somit die Erkundung theatraler Repräsentationen von gesellschaftlichen Gefügen und Machtstrukturen voran und ermöglicht dort, wo sie im Bühnengeschehen reflektiert wird, Einsichten in den konstitutiven Stellenwert von Mitleid, Projektion oder Machtbegehren in sozialen und politischen Interaktionen. Von hier ausgehend lässt sich die Eingangsfrage nach dem Ort der Schaulust in heutigen Gesellschaften weiterdenken als Frage danach, wie Bedürfnisse nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Partizipation gestillt werden und werden können – und welche Aufgaben und Möglichkeiten beispielsweise dem Theater und theatralen Kunstformen zufallen, um die Emotion in ihren ambiguen und politischen Aspekten zu erschließen.
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1 Christian Lange, Parlamentarischer Staatssekretär des BA für Umwelt und Verbraucherschutz, in der parlamentarischen Sitzung am 27. April 2017, Plenarprotokoll 18/231, s. http://dip21.bundestag.de/ dip21/btp/18/18231.pdf; letzter Zugriff: 01.09.2019. 2 Drucksache 18/12153, s. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/121/1812153.pdf; letzter Zugriff: 01.09.2019. 3 So Boris Pistorius (SPD), beim Vortrag eines entsprechenden Antrags der Länder Niedersachsen und Berlin im Bundesrat am 13.05.2016, Plenarprotokoll 945, s.: http://dip21.bundestag.de/dip21/brp/945. pdf; letzter Zugriff: 01.09.2019. 4 Tatsächlich finden sich in Protokollen der Sitzungen von Bundesrat und Bundestag seit Mitte der 1950er Jahre immer wieder Verweise auf die öffentliche Schaulust und Fragen nach dem rechtlichen Umgang mit ihr, etwa im Zusammenhang von Unfällen oder bei öffentlichen Großereignissen. 5 Exemplarisch für das mediale Echo: Sigrun Rehm: Rettungskräfte in der Region klagen über Schaulus tige, in: Badische Zeitung Online, 19.03.2017, s. https://www.badische-zeitung.de/rettungskraefte-inder-region-klagen-ueber-schaulustige--134696642.html; letzter Zugriff: 01.09.2019; Interview mit dem Verkehrspsychologen Heiko Ackermann: Psychologe über Schaulust: Jeder Mensch ist ein Gaffer, in: n-tv Online, 30.08.2017; s. https://www.n-tv.de/wissen/Jeder-Mensch-ist-ein-Gaffer-article19997758. html; letzter Zugriff: 01.09.2019; Ursula Gasch: Gaffen 4.0 – Schneller auf Youtube als im Rettungswagen! Kriminalpsychologische Annäherung an den hässlichen kleinen Bruder der Neugier, in: Kriminalistik 10/2017, S. 571–577; Interview mit dem Katastrophenforscher Wolf Dombrowsky: Die Gaffer beim Gaf fen begaffen, Interview mit Akiko Lachenmann, in: Stuttgarter Zeitung, 14.02.2017, s. https://www. stuttgarter-zeitung.de/inhalt.katastrophenforscher-im-interview-die-gaffer-beim-gaffen-begaffen. d16d3650-9730-4ad5-ba4b-aba92d4e8df1.html; letzter Zugriff: 01.09.2019. 6 Zitate nach Ursula Gasch 2017, S. 571 u. Titel. Ein Vertreter der Sichtweise, dass Schaulust und Gafferei als soziale Reaktionen zu betrachten sind, ist beispielsweise der auch in Anm. 5 zitierte Katastrophenforscher Wolf Dombrowsky, der dies in Interviews immer wieder geäußert hat; vgl. id. u. Akiko Lachenmann 2017. 7 Die Idee von Schaulust als »sozialevolutionärem Mechanismus«, der sich in Gesellschaft zweckmäßig herausbildet formuliert Wolf Dombrowsky in id.: Zuschauer bei Katastrophen, in: Bernd Strauß (Hrsg.): Zuschauer, Göttingen et al. 1998, S. 271–294, S. 271. 8 Siehe oben in der Rede von Boris Pistorius, vgl. auch die SPD-Abgeordnete Bettina Bähr-Lösse in der bereits zitierten Plenarsitzung vom 27.04.2017, Plenarprotokoll 18/231: »Wir müssen leider feststellen, dass diese Arten von Behinderungen […] zugenommen haben«. 9 Vgl. etwa die 2017 im Zuge der Proteste gegen den G20-Gipfel entstandene Aufnahme eines zerstörten Ladenfensters im Hamburger Schanzenviertels, die außer dem Glasbruch vor allem eine Reihe von gaffenden, fotografierenden Schaulustigen zeigt und in der medialen Nachbereitung der Ereignisse zur Ikone einer orientierungslosen, unpolitischen Öffentlichkeit stilisiert wurde: https://www.focus.de/ regional/bayern/interviews-mit-psychologen-jeder-guckt-sind-wir-alle-gaffer_id_7349476.html; letzter Zugriff: 01.09.2019. Weitere Beispiele: https://www.nytimes.com/2017/06/04/us/retroreport-bystander-effect.html; letzter Zugriff: 01.09.2019 und https://qz.com/991167/our-phonesmake-us-feel-like-social-media-activists-but-theyre-actually-turning-us-into-bystanders; letzter Zugriff: 01.09.2019. 10 Zur Konjunktur dieser Metapher bis in die (prä-Social Media-)Gegenwart s. Hans Blumenberg: Schiff bruch mit Zuschauer, Frankfurt am Main 1979.
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11 Art. Gaffen, in: Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Wien 1807, 4 Bde., Bd. 2, Sp. 387; Art. Gaffen, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Leipzig 1854–1961, 16 Bde. in 32 Teilbänden, Bd. 4 (1878), Sp. 136–141. 12 Art. Schaulust, ibid., Bd. 14 (1893), Sp. 2349–2359. 13 Art. Zuschauer, ibid., Bd. 32 (1954), Sp. 789–790. 14 Art. Zuschauen, in: Zedlers Grosses Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Halle u. Leipzig 1731–1754, 64 Bde., Bd. 64 (1754), Sp. 745 f. 15 Zur Begierde der Augen im Mittelalter vgl. Gudrun Schleusner-Eichholz: Das Auge im Mittelalter, München 1985, 2 Bde., Bd. 2, S. 803–815; zur Warnung vor verführerischen Anziehungskräften des Blicks ibid., S. 809–811. 16 Als Kernthese in Michel Foucault: Surveiller et punir. Naissance de la prison, Paris 1975. Zur modernen Institutionalisierung der Rechtsprechung als Nachgeschichte mittelalterlicher Strafpraktiken vgl. den Überblick in Kapitel 1, ibid., S. 9–35. 17 Zur konstitutiven Bedeutung einer passiv (nicht eingreifenden) zuschauenden Öffentlichkeit bei der Rechtsprechung siehe Cornelia Vismann: Medien der Rechtsprechung (hrsg. von Alexandra Kemmerer u. Markus Krajewski), Frankfurt am Main 2011, S. 130–146. 18 Und zwar gerade nicht nur in Gesellschaften, die für ihre Zurschaustellung von Staats- und Exekutionsgewalt bekannt sind, sondern aufschlussreich wird es dort, wo sich die Frage nach dem Verhältnis von Schaulust und politischer Macht im Inneren demokratischer Gesellschaften stellt: In den parlamentarischen Debatten, die 1992 im Zusammenhang rechtsradikaler Übergriffe in Rostock, Hoyerswerda, Sachsenhausen, Lichtenhagen u.a. geführt wurden, wurde die Schaulust von Anwesenden quer durch alle Parteien klar als Mithilfe zum Flächenbrand der Übergriffe gebrandmarkt und problematisiert. Eine Entschlossenheit, die auch in gegenwärtigen Diskussionen um xenophobe Ausschreitungen in Chemnitz (2018) und anderorts zu wünschen wäre. 19 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch meine Ausführungen in: Agnes Hoffmann: Blutige Schaulust. Dantons Tod und sein Publikum zwischen 1794 und 1835, in: id.. u. Annette Kappeler (Hrsg.): Theatrale Revolten, Paderborn 2018 (Reihe eikones), S. 73–107. 20 Zur Metapher vom Schauspiel der Revolution während und nach der Revolutionszeit vgl. Christine Leiteritz: Revolution als Schauspiel. Beiträge zur Geschichte einer Metapher innerhalb der europäisch-ame rikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin u. New York 1994. 21 Daniel Arasse: Die Guillotine. Die Macht der Maschine und das Schauspiel der Gerechtigkeit (aus dem Franz. von Christine Stemmermann), Reinbek bei Hamburg 1988, S. 23. 22 Vor allem ein Stück, das Drama Charles IX, ou L’École du Roi von Marie-Joseph Chénier provozierte nach 1789 wiederholt Eklats: Obwohl es auf der Verbotsliste stand, wurde seine Aufführung in mehreren Theatern unter Publikumsprotest gefordert und teilweise auch durchgesetzt. Vgl. Susan Maslan: Revolu tionary Acts. Theater, Democracy, and the French Revolution, Baltimore 2005, S. 30–60. 23 Camille Desmoulins: Le vieux cordelier, Journal politique, rédigé en l’an II, Paris 1825, S. 68 (»Es war nicht die Liebe zur Republik, die alle Tage lang so viele Menschen auf den Place de la Révolution zog, sondern die Schaulust, und das neue Stück, von dem es nur eine einzige Aufführung geben konnte. Ich bin sicher dass der Großteil des Stammpublikums dieses Spektakels im Grunde ihres Herzens über die Abonnenten von Oper und Tragödie spottete, die nur einen Dolch aus Pappe zu sehen bekommen und
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Schauspieler, die den Tod nur spielen. Dies war, schreibt Tacitus, die Gefühllosigkeit der Stadt Rom, seine entartete Sicherheit und seine perfekte Gleichgültigkeit gegenüber allen Parteien.«). 24 Einen Überblick zur abendländischen Geschichte der Theatrokratie und ihrer Kritik gibt Samuel Weber in: id.: Theatrokratie, oder: Die Unterbrechung überleben, in: Internationales Jahrbuch für Medien philosophie 1-1/2015, S. 215–248. Zu Rousseaus Skepsis gegenüber dem Theater im Rahmen seiner Ausführungen zum Bau des Genfer Schauspielhauses siehe auch Christoph Menke: Die Depotenzierung des Souveräns im Gesang. Claudio Monteverdis ›Die Krönung der Poppea‹ und die Demokratie; in: Eva Horn, Bettine Menke u. id. (Hrsg.): Literatur als Philosophie – Philosophie als Literatur, München 2006, S. 266– 296; sowie Juliane Rebentisch: Die Kunst der Freiheit. Zur Dialektik demokratischer Existenz, Berlin 2013, S. 295 ff. 25 Wie es auch Camilles Desmoulins formulierte; vgl. Anm. 22. 26 Etwa in den Diskussionen um das Kino der Weimarer Republik. 27 Vgl. zur Geschichte der Schaulust Volker Roloff: Anmerkungen zum Begriff der Schaulust, in: Lydia Hartl et al. (Hrsg.): Die Ästhetik des Voyeurs, Heidelberg 2003 (Reihe Siegen. Beiträge zu Literatur-, Sprach- und Medienwissenschaft, Bd. 147), S. 26–31; ferner Rainer Ruppert: Labor der Seele und der Emo tionen. Funktionen des Theaters im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Baden-Baden 1995. Zur Abwertung der Schaulust als primitivem Vermögen in Mittelalter und Humanismus vgl. Gudrun Schleusner-Eichholz 1985, ibid.; Stefan Matuschek: Über das Staunen. Eine ideengeschichtliche Analyse, Berlin u. New York 1991, S. 82. Erst mit der Kultur des Rokoko und seiner Vorliebe für das Piquante lässt sich wahrscheinlich von einer offiziellen Aufwertung des Voyeurismus und damit zumindest der privaten Schaulust sprechen. 28 Hierzu und zum Folgenden: Reinhart Meyer: Von der Wanderbühne zum Hof- und Nationaltheater, in: Rolf Grimminger (Hrsg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, München 1953–1980, 3 Bde., Bd. 3 (Deutsche Aufklärung, 1980), S. 186–216. 29 Zur Verhandlung von Mitleid, Staunen und Bewunderung in der Dramenpoetik s. Albrecht Meier: Dramaturgie der Bewunderung. Untersuchungen zur politisch-klassizistischen Tragödie des 18. Jahrhun derts, Frankfurt am Main 1993 (Das Abendland, Bd. 23); Wolfgang Ranke: Theatermoral. Moralische Argumentation und dramatische Kommunikation in der Tragödie der Aufklärung, Würzburg 2009. 30 Ibid., S. 89. 31 Ibid., S. 90 ff. 32 Friedrich Schiller: Was kann eine gute, stehende Schaubühne eigentlich wirken?, in: id.: Theoretische Schriften (hrsg. von Rolf-Peter Janz et al.), Frankfurt am Main 2008, S. 185–200, hier S. 189. 33 Ibid., S. 200 (Hervorh. original) u. S. 194. 34 Ibid., S. 197 f. 35 Die Idee einer klassenübergreifenden politischen Einheit und Gemeinschaft, die durch die Schaubühne entstehen soll, greift auf Schillers spätere Begeisterung für die Ideale der Französischen Revolution voraus, zu deren Ehrenmitglied der 1792 ernannt werden sollte, bevor er seine Unterstützung mit Beginn der Schreckensherrschaft der Jakobiner seit Herbst 1793 enttäuscht zurückzog. 36 Art. Schauspiel, in: Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Leipzig 1771–1774, 4 Bde., Bd. 2 (1774), S. 1020–1026, S. 1022. In: Deutsches Textarchiv http://www.deutschestextarchiv. de/book/view/sulzer_theorie02_1774?p=451; letzter Zugriff: 01.09.2020. Die Vorstellung einer kollek-
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tiven Emotionalität, die eine Menschenmenge bei öffentlichen Ereignissen wie durch Ansteckung vereint, lässt sich emotionsgeschichtlich bis zum britischen Sensualismus zurückverfolgen, dessen Theorien des Enthusiasmus (etwa bei Locke und Shaftesbury) im späten 18. Jahrhundert neue Konjunktur erlebten; vgl. Jon Mee: Romanticism, Enthusiasm, and Regulation: Poetics and the Policing of Culture in the Romantic Period, New York 2003, S. 23–81. 37 Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, in: id.: Theo retische Schriften (hrsg. v. Rolf-Peter Janz et al.), Frankfurt am Main 2008, S. 556–676; S. 613. 38 Leopold Alois Hoffmann: Ueber den Tod Ludwigs XVI, in: Wiener Zeitschrift 2-2/1893, S. 103–114, S. 104 f.; zitiert nach Norbert Otto Eke: Signaturen der Revolution Frankreich – Deutschland: deutsche Zeitgenossenschaft und deutsches Drama zur Französischen Revolution um 1800, München 1997, S. 225 f. Hervorh. im Original. 39 Vgl. Judith Butler: Introduction: Precarious Life, Grievable Life, in: id.: Frames of War. When is Life Grievable?, London u. Brooklyn 2009, S. 1–33. 40 Zur Darstellung von Schmerz in den Künsten des frühen 18. Jahrhunderts im Verhältnis zu empfindsamer Kultivation und Pornographie: Karen Halttunen: Humanitarianism and the Culture of Pain in An glo-American Culture, in: The American Historical Review 100-2/1995, S. 303–334. Zu Kriegsfotografie: Susan Sontag: Regarding the Pain of Others, New York 2003. Zu Katastrophentourismus Richard Sharpley u. Daniel Wright: Disasters and Disaster Tourism. The Role of the Media, in: Philip R. Stone et al. (Hrsg.): The Palgrave Handbook of Dark Tourism Studies, Basinstoke 2018, S. 335–354. Zur Ikonographie raming der Folter im Abu Ghraib-Skandal vgl. Werner Binder: Tales of Abuse and Torture. The Narrative F of the Abu Ghraib Photographs, in: Daniel Ziegler, Marco Gerster u. Steffen Krämer (Hrsg.): Framing Ex cessive Violence. Discourse and Dynamics, New York 2015, S. 197–223. 41 Claudia Benthien: Tribunal der Blicke. Kulturtheorien von Scham und Schuld und die Tragödie um 1800, Köln, Weimar u. Wien 2011 (Literatur - Kultur - Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte. Kleine Reihe, Bd. 30), S. 89–94. 42 Ibid., S. 85. 43 Eine detaillierte Rekonstruktion am Material zeitgenössischer Dramen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Eine umfangreichere Arbeit der Verf. zur Verarbeitung von Schaulust als gesellschaftlichem Affekt im Theater und Dramenpoetik zwischen 1770 und 1848 ist in Vorbereitung. 44 Albrecht Koschorke: Die Schrift am Ort des Souveräns. Das Mysterium der Verfassung, in: id. et al. (Hrsg.): Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt am Main 2007, Kapitel IV.4, S. 241–249, hier S. 243. 45 Claude Lefort: Die Frage der Demokratie, in: Ulrich Rödel (Hrsg.): Autonome Gesellschaft und liber täre Demokratie, Frankfurt am Main 1990; S. 281–287, hier S. 293.
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SCHEINHINRICHTUNG UND AUFMERKSAMKEITSVERBRECHEN Regina José Galindos »The Objective« und Phänomene der aktuellen Gewaltberichterstattung PH I L I P P MÜ L L E R
Performance im Fadenkreuz Eine Frau steht still in der Mitte einer hellen Zelle. Dunkel fällt ihr schwarzes Kleid über ihren unbewegten Körper. Ihr Gesicht erscheint regungslos; ihre Augen sind geöffnet, nicht aufgerissen; sie blicken seltsam unberührt in den lichtlosen Lauf eines Sturmgewehrs |Tafel XXII|. Eingebaut ist die Zelle in einen größeren betongrauen Raum. Aus vielen Richtungen fällt grelles Licht auf die Isolierte. Ihr fadenkreuzförmiger Schatten markiert sie effektvoll als Zentrum einer vermeintlichen Gefahr, die alle Seiten ihres Körpers umfasst: In jede Zellenecke sind sichtschützende Schießscharten mit eingehängten Schusswaffen eingelassen |Tafel XXIII|. Zwischen den beiden Räumen spannt sich ein schmaler Korridor auf. Einige Menschen haben sich in ihm verteilt. Zielorientiert wenden sie ihre Körper den Sturmgewehren zu. Mag in dieser Zuwendung ein seltsam anziehender Lockruf potentiell abstoßender Gewalt anklingen, so fungieren die Gewehre innerhalb des Raumgefüges wahrnehmungslogisch als Instrumente programmatischer Reiz- und Blicklenkung der Besucher. Denn erst durch das optische Visier der Waffe wird die Zelle für die Betrachter wie durch ein Objektiv einseh- und die regungslose Frau als Zielobjekt sichtbar; sehen kann nur, wer an die Waffe tritt; Betrachter werden Beteiligte und so zur persönlichen Positionierung innerhalb dieser öffentlich in Szene gesetzten Gewalt aufgefordert: hinsehen oder abwenden, abdrücken oder weggehen? |Tafel XXIV|
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The Objective wurde 2017 auf der Documenta 14 im Stadtmuseum Kassel installiert und zur Performance gebracht. Keine beliebige Person, sondern die guatemaltekische Künstlerin Regina José Galindo hat das Hinrichtungssetting selbst arrangiert, um ihren Körper wehrlos zu präsentieren und sich in ihrem eigenen Werk zu verkörpern. Die eben beschriebene Gewaltsituation ist sichtbar inszeniert und kann deshalb auch weitaus weniger drastisch wirken als zuvor angedeutet. Zwar werden alle Betrachter kraft werkimmanenter Partizipationsaufforderungen unmittelbar zu Beteiligten erklärt, doch können deren Beteiligungsarten stark variieren. Zurückzuführen ist diese Handlungsvarianz auf die subjekt- und situationsabhängige Ausprägung ethischer Reflexionsbereitschaft der Beteiligten und deren spontaner emotionaler Erosion durch die installierte Gewaltszene. Verschiedenen beobachtbaren Beteiligungsformen liegen verschiedene reizökonomische Dynamiken im Verhältnis von Künstlerin, Installation und Beteiligten zugrunde.1 Bestimmte Handlungsvarianten hängen auch von Galindos Präsenz und Absenz ab. Die Performance fand nur zu bestimmten Zeiten an wenigen Tagen statt, sodass die Installation und die Beteiligten selbst gleiche Teile einer differenzierten Werk-Wirkungsanalyse sein müssen – einer Analyse, die weder eine vollständige Ausdeutbarkeit von The Objective mit Blick auf nur eine einzige produktivste Beteiligungsart noch ein Kollektivbewusstsein oder überindividuelle Erregungsnormen voraussetzt oder verfolgt.2 Ziel dieses Beitrags ist es, unter Berücksichtigung unterschiedlicher Beteiligungsarten verschiedene Wirkungsmechanismen zwischen Emotion und Reflexion im Verhältnis von Künstlerin, Installation und Beteiligten aufzudecken und deren (medien-)politische Aspekte herauszuarbeiten. Im Bereich öffentlich inszenierter Gewalt kann jede Form der Beteiligung eine Teilnahme an der Prägung des Reizhaushalts anderer und damit Teil aufmerksamkeitsorientierter Gewalt selbst sein. Sowohl das In-Szene-Setzen der Gewalt als auch jede Beteiligung wird damit ethisch und politisch diskussionswürdig. Unumgänglich erscheint hierdurch die Forderung nach und die Förderung von kritischer Selbstbetrachtung. Besonders im Konvergenzraum von Medienpraxis und Alltagsaneignung wird die potentielle Mitverantwortung aller Beteiligten sichtbar, sodass die Reflexionen auf The Objective anschließend auf aktuelle Gewaltberichterstattungsphänomene geworfen und weiter expliziert werden. Aus der Zusammenschau von Gemeinsamkeiten und Differenzen von Berichterstattung und zeitgenössischer Kunst lassen sich so auch politisch bedeutsame Spezifika von Mediennutzung sowie partizipatorischer Kunst herausbilden und ins Verhältnis zueinander setzen, ohne dass sie einander schlicht illustrieren. Für die Performancedauer von einer Stunde steht Galindo in einer Zone der Indifferenz zwischen fiktivem Opfer und physischer Person bewegungslos in jenem Raum, in dem ihre Scheinhinrichtung stattfinden soll. Zwischen vierfacher Bedrohung und stillem Gesamtkörperhabitus entsteht der Eindruck eines asymmetrischen Konflikts, in dem die Positionszuordnungen von Opfer und Tätern zunächst einem klaren, binären Schema zu folgen scheinen.
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Alle Betrachter werden zur Beteiligung aufgefordert, indem sie an die Waffe treten müssen, um das Zielobjekt sehen zu können. Auf Galindos Körper gelenkt und affektiv aufgeladen werden ihre Blicke im optischen Visier durch ein farbig leuchtendes Fadenkreuz |Tafel XXV|. Ebenso wie als persönliche wahrnehmungssteuernde Blicklenkung ist es als Symbol eines komplexen Blickregimes zu verstehen, das Täter und Opfer funktionslogisch sichtbar trennt und gegenseitig in Stellung bringt. Seine Wirkungskräfte bezieht das Fadenkreuz dabei aus verschiedenen visuellen Aneignungsbereichen von Gewalt, in denen es häufig eingesetzt wird: Militärtechnik, Spielfilm, Propagandavideo, Online-Game und Berichterstattung.3 Galindos Arbeit kann durchaus als künstlerische »Institution menschlicher Selbstauslegung« verstanden werden, die handlungsforcierenden, sozialen und politischen Spielraum bietet.4 Dementsprechend kann das Spiel auch zum aufschlussreichen Operationsbegriff zwischen Emotion und Reflexion avancieren. Wenn die Hessisch Niederrheinische Allgemeine schreibt, dass The Objective aber »kein sinnloses Ballerspiel« sei, mag das zunächst gattungstechnisch zutreffen; doch verkennt diese Aussage ebenso wichtige Gemeinsamkeiten wie sie eine verkürzende und überholte Perspektive auf Gewaltspiele im Verhältnis von medialer Realität und Lebenswirklichkeit widerspiegelt.5 Mittlerweile erhält Medienkompetenzbildung im Hinblick auf ethische Handlungs- und Reflexionsaufforderungen in den Spielen selbst jene Aufmerksamkeit, die zuvor dem unkritischen Kurzschluss aus Gewaltspielpraxis und Aggressivität im Alltag zukam.6 Dass gerade jener Wahrnehmungsmodus von Gewaltspielen, der eine Nähe von medialer Realität und Lebenswirklichkeit erzeugt, bei The Objective mit generiert wird, kann zu dessen Affizierungskraft beitragen und zum Bewusstsein bringen, dass alle Beteiligten selbst moralische Entscheidungen treffen müssen. Gleich einem ernsten Spiel wird die Installation zu einem Handlungs- und Wirkungsraum, indem es zwar konkrete Anweisungsstrukturen, doch flexible Auslegungs- beziehungsweise Aktionsmöglichkeiten gibt.7 Je nach Affizierungsgrad und Reflexionsbereitschaft der Beteiligten eröffnen sich verschiedene Partizipationsoptionen zwischen immersiver Nähe und ästhetischer Distanz im Erkennen der AlsOb-Struktur des Kunstwerks.8 Im Visier blicken die Benutzer in oder durch das Fadenkreuz auf ein transparentes Display, das »als ein Angebot zur spielerischen Rekonfiguration der Verhältnisse« die Wahrnehmungsmodi Lebenswirklichkeit und mediale Realität gleichermaßen vermengen wie trennen kann.9 Dieses Kippmoment hängt auch mit der Handlungszeit im Verhältnis von Beteiligten- und Künstlerinnenkörper zusammen. Der auf das Opfer zentrierte Blick im Fadenkreuz verlangt und erlaubt Zeit – Zeit, die eine Reflexion der Künstlichkeit der Gewaltszene ebenso wie die Immersivität visuellen Abtastens des Opferkörpers begünstigen kann; Zeit, die aber nur dann vorhanden ist, wenn sich das Opfer nicht über seinen Status als Zielobjekt bewusst ist oder seinen Körper trotz dieses Wissens willentlich ausliefert. Ersteres kann als Attraktionsspezifikum von Verstecken und Sich-Verstecken als Orte und Handlungen zwischen Nähe und Distanz fungieren. Zweiteres kann irritieren, wenn es Wahrnehmungserwartungen von körperlich sichtbarem Leid in Gefahrenzonen durchbricht.
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Eine das Opfer markierende Leidensgeste fehlt: Galindo flieht nicht, wehrt sich nicht. Gründe hierfür erfahren die Beteiligten nicht; was sie erfahren, ist eine unbequeme Stille: Galindo schreit nicht, klagt nicht. Die programmatische Reduktion von visuellem und akustischem Leiden wirft die Beteiligten an der Waffe als Wahrnehmungs- und Tötungsapparat auf sich selbst zurück: Sind sie selbst mitverantwortlich für eine Gewaltsituation, in der zuvor als geklärt präsentierte Machtverhältnisse plötzlich unklar erscheinen?10 The Objective wird spätestens an dieser Stelle – so deutet es das titelgebende Wort-Spiel an – in seiner Ambiguität wirksam. Der Blick durch das Fadenkreuz als Sucher im Display des optischen Visiers forciert die Objekt-Werdung eines ausgewählten Subjekts und funktioniert ähnlich einem fotografischen Objektiv, durch das ein Zielobjekt erzeugt wird. Doch zugleich hat die Künstlerin als inszeniertes Opfer den Raum selbst bestimmt und hergestellt, um alle Beteiligten aktiv zu einer Handlung und durch diese zu einer ethischen Entscheidung zu drängen. Als intentionaler Teil des Gewaltsettings wird jede Form der Beteiligung auch zu einem Widerfahrnis, das – je nachdem ob die Beteiligten ihre eigene partielle Objekthaftigkeit erkennen, anerkennen, zulassen oder ablehnen – selbst wiederum ein Element aktiver ästhetischer Erfahrung als Grundlage weiterer Beteiligungsbereitschaft wird. Die Störung klarer Einteilungen von Subjekt und Objekt, aktiv und passiv, Täter und Opfer gehört bei Galindo zur künstlerischen Strategie reizökonomischer Desorientierung als Reflexionsaufforderung.11 »In my work, it seems […] very easy to locate the victim. […] But […] as well as being the victim, I am also the mastermind of the action.«12 Binäre Kodierungen werden unterlaufen, um auf die Grauzonen von Gut und Böse ein Licht zu werfen. Doch fremdbestimmte Desorientierung kann gerade den Wunsch der Beteiligten nach Orientierung verstärken. Insbesondere das Gesicht des vermeintlichen Opfers als eine alltags- und bilderfahrungsbedingte Aktualisierungsfläche von Leid verheißt hier Klärung der Machtverhältnisse. Doch in welchem Blickverhältnis stehen Galindo und die Beteiligten überhaupt? Die Künstlerin kann sich den Aggressorenblicken nicht entziehen; zugleich wird ihr jede Sicht durch die abgedunkelten Schießscharten verweigert. Dieser visuelle Entzug setzt imaginative Kräfte frei und erhöht die Reizdynamik des Wartens auf Gewalt: Jederzeit könnte sich die latente Bedrohung eines unsichtbaren Beteiligten an der Waffe in akute Gefahr transformieren. Auf Täterseite erzeugen die dunklen Schießscharten den Eindruck lebensversichernder Verstecke. Räumlich und emotional verstärken sie die Attraktion einer distanzierten Nähe. Die Bedrohungssituation des anderen Körpers bestätigt die eigene Machtposition und Vitalität. Diese Differenz kann ebenso abstoßend wirken und zu Zögern oder Weggehen führen wie den Griff zur Waffe und deren Benutzung begünstigen. Prinzipiell existieren vier Ansichts- beziehungsweise Schussmöglichkeiten. Sind diese Blickwinkel reizökonomisch vergleichbar oder stellt nicht zumindest die face-to-face-Konfrontation eine besonders wirkungsvolle Konstellation dar? Mit dem Spannungsverhältnis von Blick und Gegenblick wird die Trennung von Objekt und Subjekt wiederum partiell aufgebrochen – insbesondere durch den schwer deutbaren, äußerst reduzierten Ausdruck von
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Galindos Gesicht. Sowohl Täter, zu deren Aggressionsstimulation das leidende Gesicht gehören kann, als auch jene, die sich von einer Leidensmimik durch Mitgefühl vom Schießen abbringen lassen könnten oder wollten, werden bei Galindo gezielte Desorientierung als Trigger moralischer Selbstreflexion erfahren. Diese Desorientierung findet ihren Grund nicht nur in der Reduktion des vermeintlichen Opfergesichts, sondern auch im Rezeptionsbedürfnis der Beteiligten selbst, über die Leiderkennung im Gesicht Rollen zuzuordnen – ein Bedürfnis, das auf die umstrittene Lesbarkeit des Körpers im Sinne physio- und pathognomischen Denkens abzielt. Galindos Gesicht wird zum Medium zwischen Analogie und Differenz von Innen und Außen.13 Resigniert oder kontrolliert Galindo? Suggeriert ihr Ausdruck Selbstschutz oder appelliert die Künstlerin stumm an die geschärfte Selbstreflexion der Beteiligten über ihre Teilnahme an öffentlich inszenierter Gewalt? Drückt sich im Gesicht womöglich ein undeutliches Zeichen der Unsag- und Undarstellbarkeit asymmetrischer Gewalt aus, deren Ausmaß nie adäquat physisch übersetzt werden kann? Innerhalb dieses Spannungsverhältnisses prägt Galindos Gesicht zwischen »Selbstausdruck [und] Selbstkontrolle des Ausdrucks […]« ebenso ihren eigenen Emotionshaushalt wie den der Beteiligten.14 Doch Galindos Ausdrucksreduktion kann nicht nur affektiv desorientieren. Nähe und Distanz changieren. Sie kann zum Nachdenken über die Unentzifferbarkeit des anderen Körpers und der eigenen Rezeptionsbedürfnisse verleiten. Sie kann aber ebenso zu gesteigerter Attraktion des Abdrückens führen wie als mögliche Identifikationsfigur durch ihre eigene Regungsarmut – im Sinne eines spielerischen Auslotens – Reaktionen des Abstandnehmens erzeugen. Gleichwohl kann sie sogar langweilen und schnell auch Desinteresse fördern. Potentiell weisen diese sich bedingenden Wirkungs- beziehungsweise Reaktionsoptionen auf generelle Wechseldynamiken von Sensibilisierungs- und Desensibilisierungsmechanismen bei öffentlich sichtbar gemachter Gewalt hin, wie man sie etwa an den Verwendungsrhythmen von drastischen und weniger expliziten Bildern in der Berichterstattung beobachten kann.15 Durch die künstlerisch errichteten Lesbarkeitsgrenzen von Galindos Körper wird dieser zum »blinden« Spiegel divergierender Rezeptions- und Beteiligungsarten: Fragwürdige Schaulust; Angst vor Gewalterfahrung in einer unübersichtlichen Welt, in der alle Opfer und Täter sein und werden können; Sehnsüchte nach binärer Vereinfachung ebendieser Welt, um Ängste zu kanalisieren; affekt- oder reflexionsarmes, indifferentes oder fokussiertes Desinteresse als Folge vorgeprägter Sehkonditionen von medialisierter Gewalt.16 Galindo bricht mit einer Lesbarkeit körperlicher Merkmale und erzeugt eine moralische Konfliktsituation, die gerade durch ihre Offenheit möglicher Beteiligungsformen die Notwendigkeit sensibilisierender Selbstreflexion bei öffentlich in Szene gesetzter Gewalt anreizt. Diese erscheint umso wichtiger, als The Objective auf »jene Verflechtungen reizökonomischer Prozesse [referiert], die als Übertritt ›affektiver Energie‹ die Beschreibungslogik eines Systems sprengen […]. Gerade an den Grenzen solcher ›Beschreibungssysteme‹ tritt [eine] transformative Kraft […] zutage.«17
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Zögern und Triggern Sicht- und deutbare Übersetzungsvarianten dieser transformativen Kraft innerhalb des von ihr selbst aufgesprengten Beschreibungssystems sind die beobachtbaren Beteiligungsarten der Besucher. Offenbar scheint es bei einigen trotz der Künstlichkeit des Tatorts zu Abstoßungsreaktionen zu kommen: »Den Abzug betätigten während der […] Besichtigung die wenigsten – gerade, als ob es möglich wäre, dass sich hier doch plötzlich das Spiel in Ernst verwandelte.«18 Schon ein Zögern markiert den Zustand des Affiziert-Seins.19 Betätigen Beteiligte den Trigger nicht, erscheint die Differenz zwischen Lebenswirklichkeit und medialer Realität bei The Objective tendenziell als brüchig. Bleibt diese Differenz zwar stets markiert, so weisen doch jene breit medialisierten Ereignisse auf ein Vexierspiel von Distanzerhaltung und -auflösung hin, bei denen Kunsträume tatsächlich Tatorte werden. Wo Freiheit sich entfalten soll, drängt aufmerksamkeitsorientierte Gewalt sie beiseite. Täter eignen sich oft Räume der Kulturaneignung an und missbrauchen sie als Plattformen für »Aufmerksamkeitsverbrechen«; in ihnen sind stets Überwachungskameras und Menschen mit Smartphones anzunehmen: Medienräume mutieren zu Medialisierungszentren der Gewalt.20 Kraft gestreuter Bilder und Videos kann sich ein Reizklima permanenter Angst vor kontingent erscheinender Gewalt festigen. Bildproduzenten, -rezipienten und -verteiler werden zu Beteiligten. Die Messerattacke auf der Art Basel in Miami am 05.12.15 und die Tötung eines Diplomaten am 19.12.16 in einer Galerie in Ankara erweisen sich zum Beispiel als aufschlussreich für den wechselseitigen Ab- und Aufbau der Grenze zwischen medialer Realität und Lebenswirklichkeit. Hielten Zeugen der Messerattacke die Gewalttat selbst für eine Performance, wurde Burhan Ozbilicis 2017 mit dem World Press Photo Award prämiertes Foto des Attentats in Ankara immer wieder Fiktionscharakter attestiert: Nach dem Mord reckt der bewaffnete Täter seinen Arm zum heroischen Siegergestus empor; neben ihm liegt das leblose Opfer auf dem Boden.21 »Im Kugelhagel der Realität« erinnere das Bild aber doch auch »an eine James-Bond-Szene«.22 Derartige Qualitätsatteste sind zugleich Aussagen über das Bild wie sie die Rezeptionsbedürfnisse der Öffentlichkeit widerspiegeln: Wenn ein Gewaltfoto, bei dem sich gezeigtes Totes und faktische Lebensauslöschung überschneiden, die Wahrnehmungsmodi Fakt und Fiktion zum Kollaps führen kann, geraten wir als Beteiligte ebenso in Positionierungs- wie aktuelle politische Kunst vor Darstellungsprobleme. Hanno Rauterberg fordert in einem Artikel über Ozbilicis Foto die Tatkraft von zeitgenössischen Künstlern in Konkurrenz zur Radikalität der Realität heraus: »Und schon deshalb, weil nichts radikaler zu sein scheint als die Realität, können die Künstler der Gegenwart nicht einfach weitermachen wie bisher […], jetzt, da alles von Krisen, Kriegen, Attentaten beherrscht wird.«23 Rauterberg bedient sich hier einer apokalyptischen Rhetorik, die selbst ängstigen könnte, um die Dringlichkeit seiner Forderung an aktuelle Künstler effektvoll hervorzuheben. Der US-amerikanische Performancekünstler Chris Burden habe als einer der Pioniere der Body Art noch radikal agieren können, weil er »gegen das Werk im klassischen
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Sinne [auftrat], gegen […] das Fiktive. Aus der Galerie […] machte er einen Ort der potentiell finalen Entwertung: seines eigenen Lebens.«24 Bei The Objective sind die Waffen – anders als bei Burdens Shoot von 1971 – nicht geladen. Nicht finale Entwertung des Lebens oder Bekämpfung des Fiktiven stehen im Vordergrund, sondern die Vermischung aus Fiktion und Fakt, um über das Physische hinaus die Selbstreflexion der Betrachter als plötzlich Beteiligte bei öffentlich inszenierter Gewalt herauszufordern. Dass die Waffen nicht geladen sind, ist indes von Bedeutung und unterstreicht den Simulationscharakter der Gewaltszene als Scheinhinrichtung. Nicht eine mögliche Tötung, sondern eine Foltermethode käme so zur Anschauung, die auf die Affizierungskräfte der Todesimagination bei Opfer und Täter abzielt und das Wirkungszentrum der Gewalt vom Körper in die Psyche verlegt. Wird der Fokus auf Imagination und Reflexion auch in der Spezifizierung der Gewalt deutlich, so regt das Verborgen-Bleiben eines konkreten Zweckes von Galindos Scheinhinrichtung weiter zu Zweifel und Fragen an. »Wozu Grenzüberschreitung«, fragt Rauterberg weiter, »wenn die Gegenwart kaum mehr Grenzen kennt?« Er mahnt zwar zurecht, dass Kunst nicht versuchen sollte, ein kreatives Duplikat radikaler Realitätsformen der Gewalt zu generieren, doch bleibt sein Vorschlag einer »Kunst der Nahbarkeit« unbestimmt. Das »heikle Spiel aus Reiz und Rührung« entwickle »seine Kraft ja erst in Momenten der Nahbarkeit: […] Das mag sich vage anhören, aber wie sollte es anders sein?«25 Galindo bietet in der Tat etwas anderes an; sie überschreitet keine Grenze, setzt nicht auf Rührung, sondern wirkt selbst ungerührt; sie versucht nicht mit der Radikalität der Realität zu konkurrieren, sondern erklärt die Vagheit der Gewaltinszenierung als Ausdruck unterschiedlicher Beteiligungsbedürfnisse zum rezeptionsethischen Programm ihrer Arbeit. »Natürlich sind die Waffen nicht funktionsfähig. Und doch ist die Verunsicherung der Betrachter mit Händen zu greifen. Den meisten genügt ein Blick durch das Fadenkreuz, und sie lassen die Waffe erschrocken sinken. Ich doch nicht. Oder doch?«26 Beim Ausloten der eigenen Beteiligungsmöglichkeiten drücken andere Beteiligte, ohne zu zögern, den Abzug des Sturmgewehrs wiederholt durch. Gerade die annehmbare Folgenlosigkeit museal inszenierter Gewalt enthält die Attraktion spielerischen Triggerns. »Als bei der Begehung am Donnerstag ein kleiner Junge abdrückt, geschieht allerdings nichts.«27 Dass scheinbar – in Verbindung mit Galindos unbequemer Stille auch akustisch – »nichts« passiert, trägt Bedeutung. Kann die Dysfunktionalität der Gewehrmodelle zwar erwartet werden, sodass eine Reflexion möglicher Gefahren durch die Attraktionskraft scheinbar folgenloser Gewalthandlung nicht unmittelbar gefördert wird, verstärkt dies gerade die Notwendigkeit der Selbstreflexion von Beteiligten. Beide Beteiligungsarten, Nicht-Schießen und Schießen, sollen in ein moralisches Selbstbefragungsspiel verwandelt werden.28 Dass die Waffen nicht geladen sind und potentielle Erwartungen an deren Funktionalität nicht erfüllen, kann als Mittel verstanden werden, fragwürdige Nutzungs- und Wahrnehmungsbedürfnisse öffentlich sichtbar gemachter Gewalt zwischen medialer Realität und Lebenswirklichkeit vor Augen zu führen. Insbesondere digital kursierende Bilder und Videos in der Berichterstattung, die wie
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The Objective wirkungsästhetisch auf die Dramaturgie des (möglicherweise) Letzten setzen, reflektieren das Bedürfnis nach gefahrenorientierter Kurzzeiterregung, wenn zum Beispiel eine Frau ihren Freund bei einer »Home-Performance« für mehr YouTube-Klicks – ohne Tötungsabsicht – erschießt.29 Galindos Arbeit kann auf die Mitverantwortung aller als Produzenten, Rezipienten und Verteiler bei öffentlich gezeigten Gewalthandlungen hinweisen, ohne tatsächlich physische Konsequenzen herbeizuführen, indem sie deren Möglichkeit als Wirkungsfaktor von Beteiligung und Reflexion einsetzt. Hinweise für die Funktion physischer Beteiligung als Anstoß reflexiver Prozesse liefert die Installation mehrfach selbst.
Partizipatorische Installation Insbesondere die Absenz von Galindo verstärkt die Konzentration auf die Betrachter als Beteiligte. Schnell kann die eigene Position hinter der Waffe kippen. Sobald die Performance zu Ende und Galindo abwesend ist, richten die Beteiligten das Gewehr auf eine Leerstelle. Raum- und Selbstwahrnehmung verändern sich mit der Absenz eines Opfers, das der streng geordnete Raum mit weißen Wänden und schwarzen Schießscharten exponierte. You can choose to be the objective or the observer: Was die Installation in der Raumgestaltung schafft, vermitteln bereits die Instruktionen am Eingang des Ausstellungsraums; Wahrnehmung und Welt spalten sich suggestiv in Täter und Opfer auf. In wenigen Worten kündigt sich die Unsicherheit der eigenen Position schon an. Doch können wir in der Tat selbst wählen, ob wir Täter oder Opfer sind? Setzte diese Wahlfreiheit nicht eine symmetrisch geordnete Welt voraus? Und hebt The Objective diese Binärkodierung nicht auch selbst wieder auf, indem die Positionen von Täter und Opfer gerade nicht absolut, sondern transgressiv sind? Alle sind angehalten, von der Waffe weg hinein in die Zelle zu treten und Galindos vorige Position einzunehmen. Alle können vermeintliche Täter und Opfer werden oder sind immer schon beides. Galindo selbst beschreibt Täter als Transformationserscheinungen von Opfern: »Every victimizer was at some point a victim.«30 Spätestens bei der Teilnahme an The Objective kann jeder Täter innerhalb weniger Schritte auch wieder Opfer werden. Der Mensch wird als ständig bedrohtes oder bedrohendes Subjekt in einer asymmetrischen Welt vorgestellt, in der Machtverhältnisse weder geklärt noch stabil sind. Dies hätte zur Folge, dass physische und psychische Gewalt strukturell jederzeit und überall jeder Person widerfahren kann. Sicherheit beschriebe einen Zustand latenter Unsicherheit. Hier gewinnt The Objective auch als jenes materialisierte Wort-Spiel, das bereits am fixen Performance-Setting zwischen Künstlerin und Beteiligten erkennbar wurde, an perspektivischer und personeller Wechseldynamik. The Objective erweist sich nicht schlicht als Performance, sondern vielmehr als partizipatorische Installation mit Performance-Parts, die sowohl Galindo als auch die Beteiligten selbst übernehmen: »Partizipatorische Kunst entwirft ihre Rezipienten […] als Performer. Wenn diese entlang der formulierten […] Handlungsaufforderung agieren, generieren sie ein
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Ereignis oder eine Erfahrung, das oder die erst durch den jeweiligen Handlungsvollzug in Erscheinung tritt.«31 Doch die Handlungsaufforderung ist hier nicht imperativisch. Die Beteiligten können auch nicht »entlang der Handlungsaufforderung« agieren; sie müssen sich nicht wie Galindo unberührt in die Zelle stellen; sie können sich bewegen, sprechen, lachen; sie können den Installationsraum unkommentiert verlassen und erzeugen damit dennoch oder gerade eben deswegen ernst zu nehmende Ereignisse. Dabei fallen Ereignis und Erfahrung tendenziell in eins. Galindos »Installation [wird] Mittel zur Auslösung eines Erfahrungsprozesses«, der wiederum »das Ereignis als konstituierende Kraft der Installation« selbst bedeutet.32 Auf Handlungs-, Emotions- und Reflexionsebene sind Ereignis und Erfahrung privat und öffentlich, persönlich und geteilt zugleich. Jede Person ist in einer Doppelrolle aktiv: Während sie selbst agiert und dabei andere Beteiligte beobachtet, wird sie von diesen wiederum beobachtet; jede Person bestimmt durch ihr Beteiligungsverhalten – wie zuvor Galindo – die eigene Wahrnehmung und die der anderen in Bezug auf öffentlich in Szene gesetzte Gewalt mit; jede Person trägt in diesem Sinne Verantwortung. Die Beteiligungsoffenheit der Installation macht die Selbstpositionierung der Beteiligten so schwierig wie notwendig. Dabei entsteht weniger eine Gemeinschaft als vielmehr ein geteilter Erfahrungsraum, in dem soziale Interaktion ebenso fragil erscheint und abgelehnt werden kann wie eine Analogie von Kunst und Alltag. Wenn es weniger um den Ausstellungsraum als Ort spontaner Gemeinschaftsbildung oder politischer Interventionen geht, die aus dem Alltag bekannt sind, rückt vielmehr die Reflexion der eigenen Beteiligung als soziale Praxis in einem Setting, das Gewalt öffentlich in Szene setzt, ins Zentrum der Arbeit.
An Waffe und Kamera Sowie bei den erwähnten Gewaltereignissen, als Museumssäle Tatorte bzw. Medienräume Medialisierungszentren wurden, ließen sich intensive Kameraaktivitäten auch in Galindos Installation nicht nur annehmen, sondern auch immer wieder beobachten. Im Dokumentationsvideo der Künstlerin etwa halten viele Besucher ihr Smartphone als weltentrennende und -einende Wahrnehmungsscheibe zwischen sich und die Gewalthandlung |Tafel XXVI|. Während einer Führung entspinnt sich in einem TV-Bericht folgender Dialog: »A: Interessanterweise schießen wir gerade alle auf sie. B: Aber wir drücken doch nicht ab. A: Naja, aber wir schießen ja mit den Handys.«33 In der gleichzeitigen Benutzung von Smartphones und dem Replikat des Sturmgewehrs scheint sich eine Sicht auf das Fotografieren als eine Form gewaltvollen Schießens zu materialisieren und aktualisieren, die seit dem späteren 19. Jahrhundert immer wieder zum Beispiel als Foto-Gewehr oder in Erzählungen von FotoJagden Ausdruck fand.34 Vor den Augen läuft die Kamera, im Visier leuchtet das Fadenkreuz. In Verstärkung der Ambiguität von The Objective – das Zielobjekt durch ein Objektiv betrachten und es zugleich stets selbst werden zu können – überlagern sich zwei Wahrnehmungsdisplays. Das technische Produktions-, Rezeptions- und Verteilungsgerät tritt mit dem Re-
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plikat einer militärischen Waffe in eine temporäre Wahrnehmungsunion: Scheinhinrichtung und Bilderzeugung in Tateinheit. »Ein Junge stellt sich hinter eines der Gewehre und drückt ab, während seine Mutter ihn mit dem Handy fotografiert. Klick. Klick. Klick.«35 Gerade jenes Nutzungsverhalten von Beteiligten, die Ereignis und Erfahrung um eine weitere Medialisierungsebene anreichern, indem sie ihr Smartphone als Rezeptions-, Produktions- und Verteilungsmaschine benutzen, markiert die Bedeutung der persönlichen Reflexion der eigenen Beteiligung und Mitverantwortung bei öffentlich in Szene gesetzter Gewalt. Doch alle vorgestellten Beteiligungsvarianten sind legitim; sie alle umkreisen den Wirkungskern der Installation und leiten eine ihnen gemeinsame Partizipationsform ab: Nicht das bestimmte Handeln, sondern dessen Reflexion wird für die ethische Selbstpositionierung erforderlich und ermöglicht politische Anschlussdiskussionen – insbesondere in der Gewaltberichterstattung: Gerade weil bei The Objective »kein temporäres Soziales produziert wird, dem gegenüber die konkrete Ausstellungssituation zurücktritt, sondern vielmehr durch dieselbe temporär eine reflexive Distanz zum Sozialen eingezogen wird, von dem wir bereits Teil sind, unterhält eine solche Kunst Verbindungen zu möglichen Politisierungen dessen, was es heißt, an einer sozialen Praxis teilzunehmen, Mitglied zu sein.«36
Gewaltberichterstattung Besonders in digital vernetzten Räumen der Aneignung von öffentlich medialisierter Gewalt wird eine soziale Praxis sichtbar, die jede Einzelperson als gewichtiges Mitglied des Hybrids aus sozialen Netzwerken und Massenmedien vorstellt. Nicht nur Redaktionen tragen durch Veröffentlichung von Gewaltbildern Verantwortung für die Prägung des Reizhaushalts großer Gruppen, sondern potentiell auch alle Privatpersonen. An einer sozialen Praxis des Produzierens, Rezipierens und Teilens von Gewalt teilzunehmen heißt mitverantwortlich für die Vergrößerung der kommunikativen und wirkungsästhetischen Reichweite von Gewalt zu sein zu können. Eine kritische Reflexion des eigenen Beteiligungsverhaltens innerhalb öffentlich in Szene gesetzter Gewalt, wie sie bei Galindo herausgefordert wird, erscheint unumgänglich für einen differenzierten und distanzierten Umgang mit ebendieser. Für die Kommunikation einer alltagspraktischen Mediennutzungsethik bieten sich Überlegungen zu einer politischen Theorie der Emotionen in der zeitgenössischen Kunst und der aktuellen Berichterstattung an. Konkretisiert werden diese Überlegungen am Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vom 19.12.16, bei dem eine Person mit einem LKW in Menschengruppen gefahren war und über 60 Menschen, 12 davon tödlich, verletzte. Üben Täter einen Gewaltakt in der und gegen die Öffentlichkeit aus, sind Bilder durch die Omnipräsenz von Smartphones und Überwachungskameras meist aktiv in den Gewalthandlungszusammenhang eingebunden. Werden durch Gewaltbildproduktion, -teilung und -rezeption sowohl Publikums-, Redaktions- als auch Verbrecherabsichten erfüllt, würden alle
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Mediennutzer zu potentiell Beteiligten erklärt. Jeder und jede bestimmt den medialen In- und Output mit. Zwei Tage nach der Gewalttat titelte Bild schlicht »Angst!«. Die Redaktion druckte drei Bilder um die Überschrift herum: die zerschossene Scheibe des demolierten LKWs als ein sich im fragilen Glas festigender Index der Gewalt, ein umgefahrener Weihnachtsbaum als Symbol des Angriffs auf den sogenannten Westen und eine trauernde junge Person zur Mitleid erregenden Betrachteridentifikation. Doch alles Gedruckte zentriert sich auf »Angst!«. Das Aufforderungszeichen macht den Titel noch problematischer, da es einen Alltagsinfizierungscharakter funktionslogisch mit sich trägt. Bild erntete sofort Kritik. Als Gegenbeispiel tauchte immer wieder das Cover der Berliner Morgenpost vom gleichen Tag auf. »Fürchtet euch nicht!« stand unter dem Bild eines leuchtenden Christbaums vor dem in Schwarz-RotGold erscheinenden Brandenburger Tor. Kann dieser Titel zwar gegen die Bild-Angst und als Angstbewältigungsversuch gelesen werden, so wird mit dem Zitat aus dem Lukasevangelium doch nur jener Teil der Gesellschaft adressiert, der sich dem Christentum zugehörig fühlt. Die Berliner Morgenpost machte vor allem am Abend des Anschlags selbst Schlagzeilen. Nur wenige Minuten nach der Tat filmte deren damaliger Chefredakteur Jan Hollitzer, der zufällig privat in der Nähe war, den Tatort mit seinem Smartphone. Während er sich durch Gruppen verängstigter Menschen bewegt, zerstörte Stände und den LKW filmt, betont er, dass er keine Opfer zeigen werde. Das Affizierungspotenzial von Schreckensbildern verlagert er indes auf die Sprachebene; er kommentiert sein Video mit Sätzen, deren aufreibende Explizität mit jeder inhaltlichen Spezifizierung zunimmt: »Das ist wirklich ein sehr grausames Bild«, »Menschen liegen am Boden«, »Es liegen Menschen unterm LKW.«37 Zwischen Sprache und Bewegtbild entspinnt sich eine Emotionsspirale, deren Intensität im Spannungsraum von Sag- und Sichtbarkeit entsteht. Zwischen Informationspflicht und Sensationsjournalismus entschied sich Hollitzer für die Bildproduktion. Mindestens aber seine Entscheidung das circa 10-minütige Video auf Facebook live zu schalten, verlangt Kritik gegenüber dieser aufmerksamkeitserregenden Beteiligungsart an der Medialisierung von Gewalt. Am Tag darauf verurteilte der Deutsche Jour nalisten-Verband das Vorgehen: »Das ist […] nicht die Wahnsinnsstory […]. Das ist nur wahnsinnig geschmacklos und ein Verstoß gegen den Pressekodex. Dass es bis nach Mitternacht dauert, bis die Morgenpost endlich die verstörenden Bilder abschaltet, macht die Entgleisung nur noch schlimmer.«38 Im März 2017 urteilte der Presserat, dass kein Verstoß gegen den Pressekodex vorliegt. Die Kritik des DJV trifft den Kern jener notwendigen Mediennutzungsethik, die nicht nur Verhaltensgrundlage von Journalisten, sondern von allen Beteiligten im reizökonomischen Netz aus Quantifizierungs-Klicks und erklärungsbedürftigen Qualifizierungs-Likes sein könnte. Im Zuge der sofortigen Streuwirkung des Videos exemplifizierte ein YouTube-Post, der noch am Abend des Anschlags veröffentlicht wurde und einen Ausschnitt des Videos zeigte, unter dem Titel ANSCHLAG IN BERLIN LIVE VIDEO!!! ATTACK BERLIN die Wichtig-
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keit eines selbstkritischen Verantwortungsbewusstseins aller Nutzer. Als Urheber der Aufnahme wurde unter dem Videofeld fälschlicherweise ein N-TV-Reporter angegeben. Diese Angabe sollte offenbar aber nicht nur eine Authentifizierungsfunktion erfüllen, sondern auch eine Verantwortungszuteilung suggerieren. Unmittelbar unter dem Quellenverweis stand: »ICH HABE NICHTS MIT DEM FILMEN DIESES VIDEOS ZU TUN!« Lässt sich aber nicht gerade in dieser explizit betonten, vollständig in Großbuchstaben gesetzten Verantwortungsnegation auf Bildproduktionsebene möglicherweise das Bewusstsein über eine Mitverantwortung für das Verbreiten von potentiell Angst schürendem Bildmaterial erahnen?39 Diskutabel kann die visuelle Konkretisierung einer diffusen Angst vor Terror nicht nur durch die Verbreitung von drastischen Videos sein, die die Folgen der Tat zeigen. Auch der massen- und sozialmediale Einsatz von Tätergesichtsbildern wirft bisweilen Fragen auf, sobald Redaktionen oder Nutzer sie in kontrovers geführte politische Debatten affektorientiert einweben. Der Täter hatte seine Duldungspapiere in der Fahrerkabine verloren oder – terroristischer Aufmerksamkeitslogik folgend – absichtlich platziert. Sofort wurden Polizeimeldungsbilder des bereits als sogenannter Gefährder bekannten Mannes veröffentlicht. Am 23.12.2016 wurde er in Mailand erschossen. Erschien die öffentliche Verwendung eines Täterporträts als Fahndungshilfe noch legitim, so bliebe zu fragen, ob das posthume Zeigen des Gesichts teilweise nicht eher Funktionen eines ambivalenten Emotions- oder Angstmanagements erfüllen sollte. Der Täter, dessen Gesicht global kursierte, war, diversen Nachrichtenmeldungen zufolge, offenbar 2011 nach Lampedusa geflüchtet. Die Gefahr in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit bestand darin, dass sich durch seinen Herkunftskontext – auf die Probleme scheinbarer Lesbarkeit des Körpers wie zuvor bei Galindo referierend – und seine optischen Merkmale eine Angst zu bestätigen schien, die die Süddeutsche Zeitung am 10.12.2015 mit »Flucht und Terror sind Geschwister« überschrieben hatte.40 Geflüchtete, insbesondere junge Männer mit, wie es selbst in Fahndungstexten der Polizei oft noch heißt, »südländischem Aussehen« könnten hierdurch als besonders gewalttätig stigmatisiert werden. Ebenso wurde das Narrativ des scheinbaren Versagens deutscher Integrationspolitik und Polizeiarbeit erzeugt: »Wie sich [der Täter] durch das Asylsystem trickste«, war am 22.12.2016 bei Spiegel Online zu lesen.41 »NEUE VORWÜRFE GEGEN BERLINER POLIZEI WEGEN TERROR-FLÜCHTLING […]«, schrieb die Berliner Tageszeitung noch ein Jahr später.42 Johannes Piepenbrink zufolge spielen »Emotionen […] nicht nur beim ›Verkaufen‹ von Politik eine Rolle, sondern auch im politischen Prozess selbst. Die Verbreitung bestimmter Gefühle begünstigt politische Weichenstellungen – etwa die Angst vor Terroranschlägen die Ausweitung von Sicherheitsmaßnahmen. Andersherum gilt ebenso: Politische Entscheidungen wirken sich auch emotional aus und bestimmen das ›Lebensgefühl‹ zahlreicher Menschen mit.«43
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Eine Auseinandersetzung mit Ideen der Politics of Emotion, wie Felix Heidenreich sie präsentiert, könnte sich hier anschließen: »Auch der staatliche Umgang mit Terrorismus lässt sich unter dem Aspekt der Politics of Emotions betrachten. Eine Strategie, die darauf abzielt, durch tatsächliche physische Gewaltakte wie auch durch deren Ankündigung [und mediale Verbreitung nach der Tat] Unsicherheit, Angst und Schrecken hervorzurufen, greift das staatliche Gewaltmonopol und die damit verbundene Ordnungsgarantie auch in der Dimension des [Emotions]managements an.«44 Besonders polarisierende Politiker und Parteien betreiben bereits eine Politik der Emotionen, indem sie soziale Medien als Plattform politischer Debatten nutzen; doch lässt sich immer wieder feststellen, wie schwer Emotionspolitik durch problem- und nahezu restriktionslose digitale Beteiligungsmöglichkeiten zu moderieren ist.45 Vor allem rechtsorientierte Politiker boten in der Vergangenheit durch die öffentlich kommunizierte Konstruktion kausaler Verbindungen zwischen religiöser Zugehörigkeit und Gewalttätigkeit Anlass zur Kritik, durch ihr Verhalten gesellschaftliche Polarisierung befördern zu können. Als in Münster am 07.04.2018 ein Auto in eine Gruppe Menschen gesteuert wurde, twitterte die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch am Morgen danach: »Ein Nachahmer islamischen Terrors schlägt zu – und die Verharmlosungs- und Islam-ist-Vielfaltsapologeten jubilieren.« Dieser Jubel sei »der Beweis, dass alle die geleugnete Gefahr genau sehen – der Islam wird wieder zuschlagen«. Die Frage sei »nicht ob, sondern wann«.46 Doch auch hier wird die Verantwortung nicht nur von Vertretern der Presse oder der Politik, sondern potentiell aller Nutzer deutlich. Am gleichen Morgen postete ein Facebook-Nutzer den Screenshot einer OE24-Sendung, der einen in Österreich lebenden Münsteraner im Interview zeigt. Mit der Tat selbst hat er nichts zu tun. Doch das änderte sich in der Wirkung durch die Textbeigabe: »Hier ein Foto vom psychisch gestörten ›deutschen‹ [Täter], der für das Attentat in Münster verantwortlich ist. Was fällt Euch dabei auf???« Damit zielte der Nutzer vermutlich – nachdem bekannt war, dass der Täter deutscher Staatsbürger war – auf Inkarnat und Haare des Unschuldigen ab, um ihn als musterhaften »nicht-deutschen« Täter zu diffamieren. Der Post wurde innerhalb eines Tages über 8.000 Mal geteilt – unter anderem von einem Bundestagskandidaten der AfD.47 Auch wenn der Facebook-Post schnell faktisch widerlegt wurde, prägte er den Reizhaushalt vieler für kurz oder lang, indem er jenes Potenzial von Paratexten nutzte, das die Wirklichkeitsaussage technischer Referenzbilder umdrehen und einen Sachverhalt fälschen kann, wie Susan Sontag schon 1977 anmerkte.48 Die Wechseldynamik von Sensibilisierung und Desensibilisierung, die sich schon durch Galindos Verweigerung eines lesbaren Körpers zeigte, beschreibt zum einen auch die Wirkungspotenziale von Gesichtsbildern samt Paratext wie es zum anderen die Ambivalenz von medienbasiertem Angstmanagement skizziert. Auf eine Kurzzeiterregung – weil der Täter wieder einmal das Musterbild eines Täters zu erfüllen scheint – folgt die ›beruhigende‹ Be-
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stätigung bereits vorgeprägter Rezeptionserwartungen beziehungsweise von Angstbewältigungsbedürfnissen. Eine mediale Strategie der Vereinfachung und Binärkodierung von Angst in Form von Tätermustererstellung erscheint durch ihre oberflächliche Klarheit erst produktiv, doch könnte sie auch aus ethischer Sicht gerade deshalb als problematisch diskutiert werden. So bleibt »Angst-Framing […] ambivalent. Einerseits ist es notwendig, andererseits ist es inhärent (normativ) prekär und zudem aus der Perspektive der Problemlösungskapazität häufig suboptimal, da unterkomplex.«49 Eine Kanalisierung diffuser Angst zu konkreter Furcht durch affektorientierte Fokussierung der Täterperson in Wort und Bild suggeriert, dem Bösen ein Gesicht verleihen zu können und so die Komplexität der Gesellschaft, in der Gewalt bisweilen ubiquitär erscheinen mag, auf zwei Menschentypen reduzieren zu können: Täter und Nicht-Täter. Doch die Behauptung einer sozialen Binarität kann selbst wiederum gerade jene Angst vor Terror erzeugen, die sie zu regulieren vorgibt, wenn ihr utopischer Charakter sich mit der Erkenntnis offenbart, dass sich die Gesinnung eines Menschen nicht anhand seiner äußerlichen Merkmale oder religiösen Zugehörigkeit erkennen lässt.
Konklusion Mit scheinbar klarer Einteilung von Opfer und Täter und der gleichzeitigen Unsicherheit dieser Positionszuweisungen reflektiert auch Galindo das problematische Bedingungsverhältnis von Angstbewältigung und -produktion beziehungsweise die Ambivalenz von Emotionsmanagement. Doch gerade die Vermitteltheit eines Kunstwerks, das nicht analog zur Realität angelegt ist, zieht eine Ebene der Distanz in die Werkerfahrung ein und eröffnet Optionen der Reflexion lebenswirklicher Phänomene medien- und emotionsorientierter Politik. Partizipatorische Kunst mag die Beteiligten direkt adressieren, doch hebt sie vor allem auf »werkexterne Relationen« ab – zum Beispiel auf die verantwortungsmarkierende Selbstreflexion des persönlichen Mediennutzungs- und Beteiligungsverhaltens bei öffentlich in Szene gesetzter Gewalt.50 The Objective als partizipatorisches Kunstwerk bietet weniger praktische Lösungen für konkrete Gewaltakte an als es vielmehr auf eine reflexive Vergegenwärtigung im moralisch herausgeforderten Beteiligten aus ist. Die Möglichkeit auf eine derartige Vergegenwärtigung basiert dabei gerade auf der sichtbaren Vermitteltheit des künstlerisch bedingten Vergegenwärtigungsmodus. Reflexive Distanzierungsangebote ließen sich so bereits werkimmanent erkennen und nutzbar machen. Doch ob eine solche reflexive Distanz tatsächlich zur Alltagspraxis aller werde könnte, die an der Prägung des Emotionshaushalts großer Gruppen beteiligt sind, liegt nicht mehr direkt im Wirkungsbereich der Kunst. Gerade an dieser Grenze entladen sich politische Potenziale von Galindos Arbeit. Sie referiert nicht auf den Umgang mit Gewaltselbsterfahrung, sondern auf das eigene Beteiligungs- beziehungsweise Nutzungsverhalten, das schnell Teil der Gewalt selbst sein kann, wenn deren Medialisierung Erregungsprozesse der Öffentlichkeit lenkt und parteiisch eingesetzt werden kann: »[D]ie Möglichkeit der Partizipation [wird] selbst
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zum Material einer Reflexion.«51 Zwar sind die Beteiligungsarten sichtbar verschieden, doch signalisieren sie alle die notwendige Selbstkritik persönlichen Nutzungsverhaltens, da keine Beteiligung bei öffentlich in Szene gesetzter Gewalt folgenlos für deren individuelle und überindividuelle Wahrnehmung ist. In der reflexiven Vergegenwärtigung der Mitverantwortung des Einzelnen für den Emotionshaushalt Vieler steckt die emotionspolitische Kraft einer Kunst, die durch ihre Partizipationsoffenheit und ihre sichtbare Vermitteltheit eine produktive Verbindung mit der Lebenswirklichkeit eingeht ohne diese selbst zu imitieren. Akute Beteiligungsprobleme können reflexive Qualitäten hervorbringen. Ein potentielles Idealmodell für den Einzelnen im Umgang mit medialisierter Gewalt als lohnender Kraftakt zwischen Affektion und Reflexion ließe sich in Platons Phaidros finden: Die auseinanderstrebenden, sich in Impulsbewegungen äußernden Emotionen in Gestalt zweier Pferde sind unumgehbar für jeden Fortschritt. Beide werden durch einen Wagenlenker als Inkarnation der Vernunft geführt und gezügelt. Jede Geistesbewegung und jede Handlung sollte stets bestimmt sein von einem Bemühen, Verstand und Leidenschaften in Balance zu bringen.52 Über das eigene affektgeladene Beteiligungsverhalten nachzudenken bleibt auch in Zukunft wichtig – und damit auch eine Kunst wie Galindos The Objective –, besieht man sich die Bewerbung der Bild-Serie Sicherheit von 2018. An diversen Hamburger S+U-Bahnhöfen prangen Plakate mit der Aufschrift »Deutschland ist UNSICHER« |Tafel XXVII|. Aufgabe von Politik, Medien, Kunst und Wissenschaft könnte es nun sein, jede einzelne Person als Wagenlenker vorzustellen.
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1 Zu verschiedenen Partizipationsformen vgl. Anna Spohn: Handlung, Teilnahme und Beteiligung. Parti zipation zwischen Politik und Kunst, in: Kunstforum 231/2015, S. 74–89, S. 74 f.; zum Begriff der Emotion vgl. Ursula Franke: Spielarten der Emotionen. Versuch einer Begriffsklärung im Blick auf Diskurse der Ästhetik, in: Klaus Herding u. Bernhard Stumpfhaus (Hrsg.): Pathos Affekt Gefühl. Die Emotionen in den Künsten, Berlin 2004, S. 165–189. 2 Vgl. Juliane Rebentisch: Theorien der Gegenwartskunst. Zur Einführung, Hamburg 2015, S. 58. 3 Vgl. Roger Stahl: Through the Crosshairs: War, Visual Culture, and the Weaponized Gaze, New Brunswick 2018; zum Konnex von Game, Spielfilm und Propagandavideo vgl. Männliche Jugendliche finden das anziehend, 20min.ch, 30.06.2014. 4 Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Imaginäre, Frankfurt am Main 1991, S. 512. 5 Maja Yüce: El Objetivo von Regina José Galindo im Stadtmuseum wühlt auf, hna.de, 30.06.2017. 6 Vgl. Manuela Pietraß: Formen von Medialitätsbewusstsein. Relationen zwischen digitalem Spiel und Wirklichkeit am Beispiel moralischer Entscheidungen, Baden-Baden 2017; vgl. Dimitrij Tycho Kugler et al.: Does Playing Violent Video Games Cause Aggression? A Longitudinal Intervention Study, in: Molecular Psychiatry 24/2018, S. 1220–1234. 7 Serious Games sind Spiele, die außer auf Unterhaltung auch auf Bildung, Moral- und Medienkompetenzförderung abzielen. In der Kunst beschäftigt sich z. B. Harun Farocki in seiner vierteiligen Filmreihe Ernste Spiele mit immersiven Computersimulationen und Rollenspielübungen im Bereich des Militärs und lotet die Zwischenzonen von medialer Realität und Lebenswirklichkeit aus. 8 Vgl. Wolfgang Riedel: Ästhetische Distanz: Auch über Sublimierungsverluste in den Literaturwissen schaften, Würzburg 2019. 9 Matthias Bauer u. Christoph Ernst: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medienwissenschaft liches Forschungsfeld, Bielefeld 2008, S. 14. 10 Vgl. Caroline Rodrigues: Performing domination and resistance between body and space: The trans versal activism of Regina José Galindo, in: Journal of Media Practice 12-3/2011, S. 291–303, S. 293. 11 Vgl. Adam Czirak: Partizipation, in: Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch u. Matthias Warstat (Hrsg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart u. Weimar, 2. Aufl. 2014, S. 242–248, S. 243. 12 La víctima y el victimario, Interview mit Regina José Galindo, 26.03.2015, https://www.guggenheim. org/video/regina-jose-galindo-la-victima-y-el-victimario-english-captioned; letzter Zugriff: 15.08.18, 4:15–4:26 min. 13 Vgl. Sigrid Weigel: Das Gesicht als Artefakt, in: Trajekte 25/2012, S. 5–12, S. 6–7. 14 Hans Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München 2013, S. 10. 15 Vgl. Franca Buss und Philipp Müller im Interview mit Thomas Helbig und Anna Stemmler: »Es braucht eine Kulturtechnik der Bildbetrachtung, die anders über Bilder nachzudenken hilft.«, lisa.gerda-hen kel.de; 19.02.2019. 16 Vgl. Mieke Bal: Einleitung. Affekt als kulturelle Kraft, in: Antje Krause-Wahl, Heike Oehlschlägel u. Serjoscha Wiemer (Hrsg.): Affekte: Analysen medial-ästhetischer Prozesse, Bielefeld 2006, S. 7–20, S. 16;
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Vgl. Bastian Berbner: Wir Terrorhelfer, in: Die Zeit, Nr. 35, 24.08.2017, S. 13–15; vgl. Bastian Berbner, Franca Buss u. Philipp Müller: Wir Terrorhelfer?, in: Franca Buss u. Philipp Müller (Hg.): Hin- und Weg sehen. Formen und Kräfte von Gewaltbildern, Berlin u. Boston 2020, S. 311–325, S. 316–318. 17 Michael Hoff: Die Kultur der Affekte. Ein historischer Abriss, in: Krause-Wahl et al. 2006, S. 20–36, S. 32. 18 Roman Gerold: Als ob es möglich wäre, dass plötzlich das Spiel zum Ernst wird, standard.at, 12.06.2017. 19 Vgl. Bal 2006, S. 9. 20 Zu Aufmerksamkeitsverbrechen vgl. Philipp Müller: Realitätenkollaps? Zum Status von Bild und Be trachter bei Gewaltvideos, in: Karen Fromm, Sophia Greiff u. Anna Stemmler (Hrsg.): Images in Conflict, Weimar 2019, S. 80–102, S. 87 f. 21 Vgl. Juliett Perry: Knife Attack Confused for Performance at Art Basel Miami, cnn.com, 07.12.2015. 22 Hanno Rauterberg: Im Kugelhagel der Realität, zeit.de, 24.01.2017; Max Oppel: Attentat in Ankara – eine gute Wahl?, deutschlandfunkkultur.de, 13.02.2017. 23 Rauterberg 2017. 24 Ibid. 25 Ibid. 26 Malte Herwig: Bewegend, was die Documenta 14 bietet, stern.de, 08.07.2017. 27 Swantje Karich: Die Revolution frisst ihre Kunst, welt.de, 06.07.2017. 28 Vgl. Clare Carolin: After the Digital We Rematerialise. Distance and Violence in the Work of Regina Jose Galindo, in: Third Text 25-2/2011, S. 211–223, S. 213. 29 Vgl. Peter Geimer: Das Letzte, in: Thomas Macho u. Kristin Marek (Hrsg.): Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, S. 463–477, S. 465 f.; YouTube prankster jailed for shooting boyfriend dead, bbc. com, 15.03.18. 30 La víctima y el victimario, 4:50–4:53 min. 31 Silke Feldhoff: Zwischen Spiel und Politik: Partizipation als Strategie und Praxis in der bildenden Kunst, Berlin 2011, S. 34. 32 Oskar Bätschmann: Ausstellungskünstler: Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997, S. 232; Angelika Nollert: Performative Installation, in: id. (Hrsg.): Performative Installation, Köln 2003, S. 8–32, S. 14. 33 Bericht über die Documenta 14, ARTTRIBUNE.TV, 09.06.17, https://www.youtube.com/watch?v =WVTgco5ccBM.; letzter Zugriff: 07.09.18, 00:10 – 00:13 min. 34 Vgl. zum Beispiel die Chronofotografische Flinte des Physiologen Étienne-Jules Marey von 1883; vgl. exemplarisch Arthur Conan Doyle: After Cormorans With a Camera, veröffentlicht in zwei Teilen am 14. und 21.10.1881 im British Journal of Photography. Mit Dank an Agnes Hoffmann für den Texthinweis. 35 Herwig 2017.
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36 Rebentisch 2015, S. 70. 37 Lkw_Todesfahrt – Hier berichtet ein Reporter live, Morgenpost.de, 20.12.2016, 00:28–01:35. 38 Hendrik Zörner: Wir schämen uns, djv.de, 20.12.2016. 39 ANSCHLAG IN BERLIN LIVE VIDEO!!! ATTACK BERLIN, gepostet am 19.12.2016 auf: https:// www.youtube.com/watch?v=EQm4VeEKeaI; letzter Zugriff: 22.08.18, 1:11 min. 40 Stefan Kornelius: Flucht und Terror sind Geschwister, sueddeutsche.de, 10.12.2015. 41 Anna Reimann: Terrorverdächtiger Tunesier, spiegel.de, 22.12.2016. 42 Neue Vorwürfe gegen Berliner Polizei wegen Terror-Flüchtling, berlinertageszeitung.de, 08.12.2017. 43 Johannes Piepenbrink: Editorial, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 32-33/2013, S. 2. 44 Felix Heidenreich: Versuch eines Überblicks: Politische Theorie und Emotionen, in: id. u. Gary S. Schaal (Hrsg.): Politische Theorie und Emotionen, Baden-Baden 2012, S. 9–29, S. 15; Ergänzung durch P.M. 45 Vgl. Rebekka Fleiner u. Gary S. Schaal: Gegründet auf Furcht und Angst. Demokratietheoretische Über legungen zur Angstpolitik der Gegenwart, in: Heidenreich u. Schaal 2012, S. 177–199. 46 Der Flüchtling war es nicht, schuld ist er trotzdem, fr.de; letzter Zugriff: 08.04.2018. 47 Von rechter Hetze überrollt, wn.de, 13.04.2018. 48 Vgl. Susan Sontag: Über Fotografie [1977], Frankfurt am Main 2010, S. 85. 49 Fleiner u. Schaal 2012, S. 196. 50 Wolfgang Kemp: Der explizite Betrachter. Zur Rezeption zeitgenössischer Kunst, Konstanz 2015, S. 65. 51 Rebentisch 2015, S. 69. 52 Vgl. Platon: Phaidros, 246a–b.
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ENGAGING LITERATURE Emotions as Route to Political and Societal Engagement? R . L . V I C TO R I A P Ö HL S
The Persuasive Power of Literature: A Debate From antiquity to modern (literary) theories it has been assumed that literature has the potential to interfere with the feelings and thoughts of its recipients – feelings and thoughts that become or continue to be relevant even after the reading experience has ended, in »real life«. This belief has led some to caution against literature’s potential influence, while at the same time being the reason for others to value it as an important means in human and societal development. For the concerned, a synopsis of their general qualms can already be found in Plato’s dialogues: poets, Plato argued, could change their audiences’ perceptions of real-life matters through »the sweet influence which melody and rhythm by nature have« and, by appealing to their emotions, their »passions«, sway their minds and divert them from truth.1 To this very day every instance of censorial practice still testifies to this traditional view of the powers of literature: it is censored for fear of its capacity to convey criticism of the state’s, or religion’s order, or its potential to damage the positive image of the powerful, which might even turn readers – once made doubtful of their leaders – into revolutionaries. In this view, the persuasive power of literature, or certain types of literature, must be tamed and restricted to prevent confusing an audience seen as incapable of understanding the difference between fact and fiction. More often, however, the actual motivation is to prevent a loss of power through the evolving critical consciousness of the masses.
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The transformation of recipients’ feeling(s) was, however, not always feared, but equally often wished for: moral amelioration through feelings provoked by literature was a leading goal of 18th century enlightenment.2 Gotthold Ephraim Lessing was interested in the betterment of the audience through a mixture of »Mitleid« (compassion) and »Furcht« (fear that the described could also happen to oneself), which bears resemblance to the modern concept of identification.3 Friedrich Schiller, in the ninth letter of his Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, proclaims it is the artist who is called upon to uphold humanity and provide the opportunity for moral education through »great« and »noble« »ideals« in art in order to develop »man’s capacity for feeling«.4 It is art which has to »surround« the contemporaries with these ideals, as the »state« and politics are illsuited to provide them – whereas it is in politics, in society that men’s improvement should make a difference.5 Literature which shows more concrete engagement in political or social matters is most often connected with Jean-Paul Sartre’s term Littérature engagée. While social responsibility is no topic of debate among writers who declare allegiance to this stream, authors as diverse as Bertolt Brecht or Heinrich Heine, Harriet Beecher Stowe or Elfriede Jelinek, members of the Group 47 or authors of the social movement of ’68, just as authors writing under (self-) censorship in the historic GDR or in contemporary Iran, hold highly varying views regarding the best way to implement these ideas in their works; the results they envision as an effect on their audience differ vastly, too. To this day, some authors adhere to a similar ideal: they intend to influence their readers’ views on societal topics through fiction or even to rally them for a certain cause by (explicitly or implicitly) referring in their works to existing societal circumstances. Some (militant) representatives might describe their »art as an explicit and implicit manifestation of political thought rather than a lifeless object in a conventional context, a mere simulacrum of significance whose games and postures provide only a reflection of aesthetic emptiness.«6 This statement must be understood as opposing a poetological conception of art that assumes that any exemplar worthy of this name must be divorced from moral, didactic or societal functions, unconcerned with any mapping of reality and fiction.7 The following section of the present article, Engaged Literature: Existing attempts of defin ing the concept and its subsection Engaged Literature – A (con)textual phenomenon?, go beyond such an oftentimes polemic, and above all dichotomous view. The existing attempts of defining Engaged Literature and similar concepts, which either take a contextual (historical, authorial) or textual (thematic, stylistic) route are described in the first parts of this section. Subsequently, the section Engaging Literature – A readerly Phenomenon develops the approach proposed here. It asks whether this genre could not be better understood as Engaging Literature – a genre description based on similarities in reception and aesthetic judgments, integrating the interactions between text composition, reader variables and reading situation. If Engaged or Engaging Literature is thus envisioned as a genre fulfilling specific conditions in the eyes of the reader, and which, if successful, engages her in a societally or politically
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effective way, then one (and not just fundamental sceptics suggesting that the case for positive consequences of novel reading is at best inconclusive) should ask how affecting the audience in a certain way can be possible.8 In the section The Role of Emotions in Engaging Litera ture, I argue that the reader’s emotional involvement and response to this kind of literature is a key factor for understanding the route from texts to – not only one specific, but to various – effects in readers. While reader-response theory has sometimes been misunderstood as saying the opposite, namely to forget the very textual level itself, the effects elicited in readers are certainly far from independent from the text: reader’s (emotional) responses are prompted by specific compositional and stylistic features. The author’s role in shaping textual features is highlighted when considering that in theory and in textual practice multiple strategies exist to reach diverse goals, which could all contribute to the greater aim of Engaging Literature: societal and political involvement. Therefore, the section Engaging Literature – Possible Routes to Societal Involvement distinguishes between three main strands: Empathy-related Strategies, Knowledge/Persuasion-based Strategies, and an Actor-Awareness-Approach. All processes are described by their respective goal and dissected along the various stages which they imply as leading towards the desired effect. Possible mediators influencing the outcome are examined and the relevant (empirical) literature on the actual occurrence of effects is reviewed. As research is still relatively scarce, the final section, Guidelines for further Research, will transform the lacunae and shortcomings into five short guidelines for fruitful future research in the area of textual effects on reader-responses.
Engaged Literature: Existing Attempts of Defining the Concept The labels »political«, »engaged«, »committed«, or »intervening« are typically used as a classification for various literary texts, may they be prose, poetry or in dramatic form. Identical or similar concepts are found across literary cultures, for example Littérature engagée and Kritische Literatur in the French and German tradition, respectively. These texts are often understood intuitively to constitute a type of literature whose first and foremost goal lies in advocating political change, on a small or large scale or at least to object to certain societal circumstances.9 It is distinguished from what is called Tendenzliteratur in German, as well as from propaganda by its pronounced commitment to questions of form and aesthetics: the artistic composition is essential, it is not subordinate to the aim of propaganda, indoctrination or conversion.10 But characteristics used for classifying texts as belonging to this category – if at all stated – vary considerably: no scholarly consensus exists on the borders or key components of these genre concepts. On which level, in which dimension of the communication process is the political, the engagement to be found?
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Engaged Literature – A (Con)textual Phenomenon? When trying to answer this question, scholars traditionally tend to either focus on textual or contextual features. Accounts based on textual features either concentrate on text-theme or text-style or combine both, while contextual accounts most often judge membership to the genre by putting the person of the author at the centre of attention; the historical background and circumstances of the text’s publication are for the most part only considered if factual information on the author is inconclusive. An intuitive starting point for a genre description is pointing out distinctive subject matter. Thus, some scholars believe a text-theme distinction is made when distinguishing Engaged from (more or less) Dis-Engaged or Autonomous Literature: Engaged Literature references concrete political occurrences and events, and represents the ways in which these have been experienced; or it exemplifies socio-political constellations. While many works in the tradition will probably contain such types of concrete references, this does not seem a sufficient definitory condition: most would agree that not every historical novel mentioning a political event or persona cited by historical records, should be termed Engaged or Political Literature. In his Engagierte Literatur? Zur Poetik des Klar texts Nikolaus Wegmann, therefore, proposes a slight, but important refinement to this criterium: the medium of Engaged Literature is not society itself, but societal circumstances.11 These circumstances do not only constitute the backdrop or set a scene, for instance for a plot, but are chosen and imported into the text as mediating elements, which are formed aesthetically to then communicate the intended message. But what is the intended message in highlighting certain societal circumstances? How is one to decide if facts are mentioned to create a text-world or if the arrangement of those facts is meant to advance an engaged standpoint? Here, a contextual distinction has been drawn by some scholars and critics, sometimes based on the historical context in which a work was published, but more often directly connected to the person of the author. The political engagement of authors is taken as an indication that the text is in itself advancing a message (and if they are not known to openly engage with politics or voice their opinion on societal circumstances, this is evidence for the contrary). The author’s view, motives, and opinions – which readers or critics believe to know through utterances or actions, interviews or poetological programs – are then substituted for the motive and message of the text. But this »Rekurs auf die Gesinnungen und Beweggründe des Autors« falls short, of course, if we intend to produce a genre description.12 The author of Engaged Literature as an intellectual authority, who could be bound to his or her opinion on current societal matters, is an idea that is deeply connected to the genre, and it often corresponds with the self-image of those empirical authors. However, extraliterary engagement cannot replace the textual phenomenon.13 It is evident that literature can still transport an engaged message even if this was not the author’s intention; likewise, a highly engaged author attempting to communicate her political ideas in a literary work can fail to convey a message.
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This highlights a point briefly touched upon before: Societal circumstances are transported into the text, formed and through this transformation they become art, and thus a reference to reality at most. But being contingent on referencing the external, the potentially verifiable – something it speaks against or for that was, is, or can become real – Engaged Literature faces difficulties from two sides: On the one hand, its status as art can become unclear, for instance if the references lack literary or more generally aesthetic form, such as style. On the other hand, the reference must remain readable as referring to actuality, connecting the aesthetically formed objects with the world. To overcome both obstacles at once, Engaged Literature has to differ from a spectrum of literature generally not seen as overly or first and foremost involved in the political domain of life or social commentary; and it needs to differ by its form, by a text-style distinction. Wegmann thus concludes that: »Engagiert ist eine Literatur, die sich nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse als kunsteigenes Ausdrucksmedium schafft, sondern zugleich auch in der Wahl ihrer Formen das im Medium selbst vorgefundene Formniveau kritisiert. Alle Auswege aus dem Dilemma einer lesbaren Fiktion führen demnach durch das Nadelöhr der negativ kommentierenden (man kann auch sagen: politischen) Formenwahl.«14 As critical access to reality cannot otherwise succeed, the style has to be hallmarked by a feature Wegmann, quite ambiguously, calls »unzweifelhafte Lesbarkeit«.15 This feature entails that the text’s immediate interpretability is not only related, but deeply connected to extraliterary realities. The text must be »Klartext«.16 Even though it is as literature ultimately semantically ambiguous and of polyvalent meaning, it seems transparent, because the text speaks in a modus of deciphering, of decrypting. This constitutes, according to Wegmann, the texts’ persuasive effects: They are believable because they seem to transparently show reality, while revealing something previously unknown about it. As a consequence, even if rhetorically motivated obliterations and concealments exist – as is the case in self-censored works trying to avoid official censorship and therefore purposely using ambiguous language –the social or political critique has to be sufficiently clear in order for the text to count as Engaged Literature according to Wegmann. Texts of this genre take action by disclosure, as Sartre already put it: »If you name the behaviour of an individual, you reveal it to him […] And since you are at the same time naming it to all others, he knows that he is seen […] After that, how can you expect him to act the same way? Either he will persist in his behaviour out of obstinacy and with full knowledge […] or he will give it up. Thus, by speaking, I reveal the situation by my very intention of changing it; I reveal it to myself and to others in order to change it.«17
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Thus, Sartre and Wegmann agree that it is a revelation relevant to the here and now that makes Engaged Texts potentially dangerous in the eyes of those attempting to conceal the revealed acts or information. Existing censorship seems to validate this claim: Some information, some suggestions, some connections should not be made explicit. But the example of censorship calls attention to the fact that acts of disclosure need an addressee – censors are not afraid of texts as physical objects, but of the effects those could have on readers. Intentionally ambiguous self-censored literature as just described, respectively highlights that one should ask the question to whom Klartext needs to be Klartext: It should be to the implied, favourable reader, as it should communicate an engaged subtext to her. In most cases, it should not come across as Klartext to censors, but pass as a fable, romance, fairy tale or sci-fi-story disengaged from concrete societal circumstances. This specific example highlights that »others« – as Sartre, in passing, calls the readers – fulfil an important function with respect to message and genre classification of the texts in questions, which we will turn to now. Engaging Literature – A Readerly Phenomenon? Wegmann proposes that Engagement is a (thematic and stylistic) textual phenomenon, resulting from the use of Klartext, which signals the text’s status as art as well as its (critical) access to reality, revealing something about societal circumstances, while at the same time demanding to be heard because of the mode of discourse it is operating in – Klartext sprechen, speaking the unveiled truth. However, Wegmann’s definition also has its shortcomings, since the referent of the revelation is not present in his theory. It ignores the fact that in every communication the message depends on both sender and receiver: someone can intend to speak frankly while failing to do so and not being understood (by some or all), or, maybe a less likely scenario, while not intending to reveal something about political or societal reality, in fact still being understood as doing so.18 Accounts that rely on textual features cannot explain in a satisfactory manner why the same text might seem engaged to some groups of readers while not to others – although text and context stay the same. We would have to conclude that one group misinterprets the text, for example due to missing information on the genesis of the work, the conditions of its making, or insufficient attention to stylistic features. But even with equal knowledge, expertise, and attentiveness, readers can arrive at different interpretations of the same text. Bound to a (con)textual account, we would then have no other means to decide upon the right interpretation than our own informed opinion and experience when reading. It seems more fruitful to approach classification by evaluating the (emotional and motiva tional) effects these texts have on readers – or should have if they are correctly described as belonging to this category. This suggests a possible bottom-up approach for genre classification which not only integrates the reading public’s opinions and evaluative acts but might also capture the communicative mechanism(s) truly distinctive for political literature. Sartre might have had a similar classification in mind when stating »it is false to say the author acts
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upon his readers; he merely makes an appeal to their freedom, and in order for his works to have any effect, it is necessary for the public to adopt them on their own account by an unconditioned decision.«19 Classifying texts based on reader’s evaluations avoids running into the explanatory problems mentioned before: it makes plausible why some texts can be read as either political or non-political (at different times; by different readers at the same time), thus pointing to the ambiguity of meaning they exhibit by being a work of art and not a political leaflet. Nonetheless, some stability in evaluations can be expected, as the attribution is not purely driven by context, but guided by inherent textual features that serve the purpose to evoke specific emotional engagements and, thereby, alter opinions regarding political and societal circumstances. To emphasize the focus on the reader’s evaluation, this type of literature will henceforth be called Engaging Literature. For its classification I propose the following criteria: To be a work of Engaging Literature in a reader-response based approach, a text must simultaneously (1) be evaluated as literary/poetic – a work of art, and not a pamphlet –, (2) be perceived as connected to real (political and societal) circumstances, (3) be assumed to communicate a (critical or affirmative) standpoint regarding the presented matters, (4) have the ulterior motive of engaging the reader in some societal or political matter, either (a) by (argumentatively) convincing the reader to believe a proposition regarding a societal or political issue, (b) by making the reader identify emotionally with a represented position or societal actor, (c) or by encouraging readers to put trust in themselves as relevant societal actors. If this is the case, I argue, readers perceive a text as belonging to the genre of Engaging Literature.20 It is a different question whether a text is successful in bringing about a change described in (4). Regarding the question of genre classification, it is initially only relevant that the inten tion to engage is attributed to the text by the reader. But when interested in the actual effects of reading Engaging Literature one has to ask: which conditions do make such a change likely; what is required within the text, on the side of the reader, or within the reading situation for a reading experience to have (lasting) effects on the reader as societal actor? While the later section Engaging Literature – Possible Routes to Societal Involvement emphasises the different strategies that might go hand in hand with the different kinds of subgoals mentioned above in 4 a,b, and c, the next section first turns to an overarching principle of engaging the reader.
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The Role of Emotions in Engaging Literature It might be surprising that emotions, feelings, affects have so far not mattered much in the argumentation. Is Engaging Literature the attempt to resist emotionalizing, to resist using rhetorical means wanting to affect the reader altogether and thus set apart from political speech or Tendenzliteratur? Reading Wegmann, for example, it is noticeable that emotion is not mentioned once. In his view, the persuasiveness of literary texts that deal with political issues does not lie in the argumentation either but is due to the »Wucht und Durchschlagkraft, mit der ein Text auftritt, dessen Tragweite die Abkunft aus der strategischen Differenz von verborgener und enttarnter Bedeutung bestimmt«.21 The novelty of the revealed, the importance of the hidden explains the effect that Engaging Literature might have. To a certain extent, these undoubtedly may be influential factors, but one might wonder whether such criteria are better suited to capturing the effects a newspaper report may have on its readers, rather than the impact of (Engaging) Literature. Can we not be affected by circumstances we already know of? Along these lines, it would be the evoked emotions that presumably determine whether a text leaves a trace in the reader’s thinking and acting: Plato granted literature special influence due to its direct connection to readers’ feelings. Censors implicitly assume that literature has a deeper and longer-lasting effect exactly because of the emotional engagement provoked: A satire might involve the audience more passionately than an argumentative essay, which appeals solely to their reasoning faculties. And what about the authors? Do they rely on composing literature only because they are not skilled enough at writing treatises; do they not, by contrast, hope to reach their readers on a different level for greater impact? If surprise by novelty is flanked by emotions, the reader might more readily form action tendencies, transforming into an agent actively engaging in society.22 Sartre’s account of literature is special here, because emotions on the side of the reader fulfil an important function, without obliging the author to necessarily use the available means of persuasion to gear readers’ feelings towards a certain conclusion. In fact, Sartre believes the author should not concern him- or herself with affecting the reader. This would mean to address him in passivity, while the act of reading is, on the contrary, a mode of active creation on the reader’s part.23 It is the reader who co-constitutes the text, as Sartre is well aware of. The reader co-creates it, not only by constructing a mental model of the story-world, the characters and their relations, but also by the feeling brought forward with respect to the characters: »[I]t is not his [the character’s] behaviour which excites my [the reader’s] indignation or esteem, but my indignation and esteem which give consistency and objectivity to his behaviour«.24 Sartre concludes that »the reader’s feelings are never dominated by the object, and no external reality can condition them«.25 It is a strength of Sartre’s account to uphold the reader’s freedom to interpret the narrative while the importance of the author’s intention is emphasized at the same time. The reader progresses assured that the »beauties which appear in the book are never accidental«, »that
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they are expressly willed«, merely due to the fact that the book has been written by an author.26 The reader takes into account that there is an intention of the author to be discovered, maybe even »a secret order among parts which seem to have no connection«.27 The process of reading is therefore in large part induction, interpolation, extrapolation and, while dependent on the reader’s subjectivity, also guided by the author’s choice: words and composition are chosen deliberately, in an act of communication, to express the results of a thinking process and the author’s feelings towards the described. The skilful writer, it is assumed, has at his or her hands certain strategies he or she uses deliberately: »One is not a writer for having chosen to say certain things, but for having chosen to say them in a certain way. […] [T]he style makes the value of the prose. Beauty is in this case only a gentle and imperceptible force […], it acts by persuasion like the charm of a voice or a face. It does not coerce; it inclines a person without his suspecting it, and he thinks that he is yielding to arguments when he is really being solicited by a charm that he does not see.«28 The task of literary studies is now to analyse the textual devices, the rhetoric and stylistic features, which may »charm« the reader, while (empirically) observing to what extent these potential techniques and their plausible effects translate into an impact on the reader’s know ledge, attitudes, and expectations.29 While it remains an open question what exact role emotions and narrative emotional engagement play in this process, this field is not a completely blank canvas as far as the disciplines of psychology, communication theory and (empirical) literary studies are concerned. In the following, three possible routes for achieving a heightened involvement in societal and political questions as an after-reading-effect are introduced. The hypotheses put forward make use of existing research on emotions in the field of empirical literary studies, while new ways of studying possible effects of Engaging Literature are proposed.
Engaging Literature – Possible Routes to Societal Involvement Before the three routes to active involvement will be fleshed out in more detail, a precondition to any textual strategy used in Engaging Literature should be acknowledged: as litera ture, it might benefit from the enjoyment, the hedonistic pleasure that is often linked to reading for leisure.30 While certain topics might appear too »heavy«, too »demanding« for some if encountered in a non-fictional form, »wrapped up« in the form of (Engaging) Literature the cognitive and emotional engagement not only promises an increased gain in pleasure, but also makes it possible to discontinue the activity at any time should it become too strenuous. The condition of aesthetic distance may hence constitute an advantage for Engaging Literature regarding the
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starting threshold (to pick up a text even if »challenging« topics are expected) and continued engagement (reading on, even if it borderlines on being cognitively or emotionally too demanding, because the reader is able to focus for example on formal features).31 Moreover, contact with negatively valenced emotions becomes possible in an art context, whereas it might be refused in others. This has been called the paradox of tragedy or the paradox of horror and might also play a role in certain types of Engaging Literature that allow us to access negative emotions felt by certain societal groups or in dystopian prospects. Consequently, one comes in contact with what would be avoided outside of literature; the art context makes them bearable. But making things bearable is not far from making them inoffensive; and something inoffensive does not instil the urge to get involved. Thus, this distancing mechanism, generally seen as a forte of literature, could also prove to be a downside considering the desired effects of Engaging Literature: firstly, the degree of aesthetic distance that best enables a comfortable experience of (negative) emotions might prove too ‘high’ to genuinely affect the reader and provoke responses beyond aesthetic emotions, in the form of either reactions to the aesthetic representation of the text itself (A-Emotions) or as reactions to the narrative world, their figures and events (R-Emotions).32 Emotions felt during or in response to reading may then not carry over to similar situations or people in the real world – after-effects of reading will not occur. This poses a difficulty to real-life involvement through reading for empathy-related strategies, one of the three textual strategies examined in the following sections. Secondly, the fictional status that allows distancing may render propositions put forward in the text seem equally detached: Their truth value might seem irrelevant or only important in and for the text world. Reflecting on the truth of what has been read, ascertaining if a connection could be made to the reality of life could become redundant in such a reading mode. It is a matter of debate whether this poses a problem for knowledge/persuasion-based strategies. The perceived aesthetic distance should hence be restricted in Engaging Literature: it exists to the extent in which it allows aesthetic pleasure, but should seem less pronounced compared to other types of literature and thus closer connected to extra-textual reality, reaching greater credibility and significance not for the reader as reader, but also for the reader as human actor.33 This would be the basis for an actor-awareness-approach. Empathy-Related Strategies »Making the reader identify emotionally with a shown position or societal actor« was one of the mentioned strategies of attaining Engaging Literature’s goals. But how exactly does emotional involvement in a story bring about a change in the reader’s conceptualization and acting in the societal sphere? It is a commonplace that (narrative) literature facilitates role- or perspective-taking. Encountering characters in a literary text calls for the reader to put him- or herself »in their shoes« to at least partly understand the situations they find themselves in, their decisions made and actions taken. This active reading process is necessary and possible in literature, whereas impossible in non-narrative expository texts, and further enhanced by narrative qualities such as
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narrative perspective, focalization and tense of narration.34 The continued process of making mental inferences, trying to understand a character’s cognitive and emotional landscapes is likely to result in an increased feeling of being able to understand the other – just as in conversations with real people.35 Understanding, in turn, has been suggested to lead to or come with increased empathy with, sympathy for and/or identification with the character.36 Empathy is often understood as feeling-with the characters and experiencing similar emotions.37 Katja Mellmann cautions that this type of feeling-with characters, where readers actually experience an emotion parallel to the fictional figure as if it would concern themselves, happens only under specific circumstances, while the simulation of feelings in an empathic way (Einfühlung, feeling-for, sympathy) might be the more common response.38 Identification is a construct and measure frequently used in empirical research.39 It is most commonly understood as »a species of empathy, in which we do not merely sympathize with a person, we become that person«.40 As such it has at least two dimensions: empathy and the sensation of becoming the character, or merging.41 The processes of identification, empathy, and sympathy – in themselves closely related – are tightly linked to feelings of transportation into the narrative world and heightened mental imagery, but no conclusive research exists on the type of relationship: Does identification mediate immersion; or the other way around, does mental imagery co-occur with sympathy; or, do these processes reinforce each other? It also remains an open question whether aesthetic evaluations of the text in question enhance any of these processes. Affective responses towards characters or events in the story world, in sum called »narrative empathy«, are in a next step often hypothesized to be transferred to »cognitive and affective empathic responses to living beings«.42 It is in this step, from feelings initiated by reading to after-reading-effects, where accounts show the greatest vagueness: while it still seems intuitive to many avid readers (and by now multiple self-report-studies have shown) that we can feel for or with characters, and sometimes even identify with them, the ability to feel for characters seems to have no direct relationship to our behaviour outside of the reading chair.43 For after-effects to be possible, multiple steps, small but not trivial, have to be performed: Readers have to first of all view story characters and real people, events in the story and real situations as sufficiently similar. Secondly, the belief that the story shows or reveals something true or likely about these situations or people needs to supervene the similarity assumption. It has been argued before that Engaging Literature eases this step for readers by adopting an aesthetic style that facilitates immediate understanding.44 Based on this it can be hypothesized that resemblance of real and text world and sparseness of stylistic features which decrease text processing fluency, are related to the effects in question. But even if this is the case, some reflection period, either during the reading process or afterwards, is necessary to map text world features and experienced emotions onto the real world. Only then is it possible for the after-effects of reading to occur: Empathy-related strategies aspire to transfer the emotions felt for or with the character(s) to a larger group of real people that the characters are seen to stand for. Empirical research suggests that readers are
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more likely to overgeneralize from the experience of a single story character than from a non-literary text recounting the experience of many.45 If successful, this can create a perceived closeness to for example minorities or outgroups, or groups which the implicit reader does not normally come in contact with. Moreover, as negative stereotypic expectancies are found more frequently for people one considers to belong to one’s outgroup, identification with a literary character, whom the reader considers to be a possible representative of such a group in real-life, could lead to a revised expectancy profile for this group and reduce in-group bias.46 If they are understood better and perceived as less different, these groups’ rights and concerns, it is hypothesized, will be better represented in societal decision making, and their protection against injustice will improve as they have advocates in other societal groups or among the majority. Writers reflecting on this route often claim they hope that this could reduce division in society.47 Whereas the route from narrative empathy is mainly construed as leading to either solidarity with disadvantaged societal groups or at least tolerance towards them, it is just as possible to use the same mechanisms for less noble goals: Texts could generate solidarity with an aggressive and intolerant in-group if it is portrayed as living in fear of an outgroup, causing intolerance or hatred towards that (misrepresented?) group to arise in the reader. Similarly, it is conceivable that readers identify with patriotic characters, helping (aggressive) nationalism to surface as an after-effect. Because of political reservations, texts which enhance divisions between groups are not often taken seriously in research of Engaging Literature, even though they fulfil the (politically neutral) criteria, have similar effect mechanisms and could likewise influence readers’ emotions.48 So far, the described possible emotional routes have either sympathy, empathy or identification with or for literary characters at their core. These three have been grouped together, as all of them possibly facilitate an emotion transfer, but differences between feeling for, feeling with or feeling like the character can be expected, especially in relation to the strength of after-reading effects and effect duration. Intuitively, more consistent after-effects are expected for identification with characters than for empathy with characters, and empathy should in turn yield more consistent effects than sympathy for characters: the urge to get involved should correlate with the intimacy of the experience. Nevertheless, it is possible that sympathy for a certain group, a more cognitive form of relation, might withstand the course of time more easily than so-called hot emotions or might translate more easily into specific actions. Likewise, it remains an open question whether long-lasting effects are possible at all and if unconscious and automatic cognitive mappings, like stereotypic expectancies, can be affected by literary reading. Knowledge/Persuasion-Based Strategies Narratives which employ Empathy-related Strategies aim at influencing readers’ attitudes by what could be called emotion transfer. However, those theories that focus on the revelation of hidden information or connections propose that effects of Engaging Literature can be
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found in a different domain, mediated by a different process. According to these, influencing readers’ beliefs regarding societal and political actualities, persons, connections and causes becomes possible through the employment of a Knowledge/Persuasion-based Strategy. The hypotheses in this area of investigation generally assume that a »particular literary experience should bring about this change in readers’ attitudes towards the issues considered in this text«.49 While the most notable effect would be a complete opinion change, it is not possible to predetermine the belief set the reader brings to the situation before starting to read. Other possible effects therefore include the formation of new opinions when no knowledge on the topic had been available before, or the strengthening or weakening of already existing beliefs. I will flesh out this account by considering the processes necessary for this kind of impact step by step, as the »nature of the experience that mediates between reading a narrative and its persuasive effects is unclear«, discussing possible mediators or prerequisites on the way.50 For a Knowledge/Persuasion-based Strategy to take place, the text must contain relevant information. These pieces of information must not, however, take the form of memorizable fact-statements, but could also occur on the level of implications while still having an effect on reader’s opinions when asked about text-related propositions after reading.51 For those transfer effects to happen, these implications should neither be very far-fetched nor generalize too much from propositions encountered in the text, as ongoing reflection processes would then be necessary, which are presumably not commonly nudged by reading isolated stories.52 Heightened exposure to similar stories or more time to reflect on what was read could, however, have some bearings on these results. The mentioned findings would then be an artefact occurring in those types of experiments, which might not hold true in more natural settings: readers might get motivated to read on in similar works or share their reading experience with others, and this added reflection might indeed result in forming far-reaching conclusions from texts with only very oblique implications. But why do readers integrate certain propositions they read about in a prima facie unreliable source, namely a fictional text, into their real-world knowledge (and disregard others)? The psychological answer might be rather easy and can be summarized by the witticism »To understand is to believe, to comprehend is to accept«. Surprisingly, research has shown that readers »must engage in effortful processing to disbelieve the information they encounter in literary narratives […] otherwise, that information will have an impact in the real world«.53 But for some texts, readers invest the cognitive resources of effortful disbelief and question what they read, while in some reading situations they are less likely to do so. It has been suggested that it is topics with »personal relevance to readers« which will make them »more likely to think critically (for example to retrieve counterarguments from memory) about statements concerning these topics«.54 This makes intuitive sense from an evolutionary perspective: a false belief about a relevant topic is more likely to have negative consequences for myself than a wrong assertion about a sphere of life I might never encounter personally. Thus, it would be wise to spend more time checking the facts in the former case.
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This deliberation could potentially constitute a problem for Knowledge/Persuasion-based Strategies in Engaging Literature, as the content should seem relevant to the reader – otherwise, how will the reading instil the urge in him or her to get societally involved? Possibly the most important factor here is not relevance, but, as suggested by Wegmann (1996), sensed novelty of what has been communicated: if readers have no pre-formed beliefs regarding a certain topic, a new proposition is acquired more easily while reading, as it does not directly clash with their overall belief structure.55 Personal relevance and novelty of the information are mediators that have not been studied sufficiently. Further, resisting persuasion has been correlated with personality structures, and hence might vary greatly between different readers.56 In light of the existing psychological findings, an effective Knowledge/Persuasion-based Strategy needs to limit the urge and time spent reflecting on the textual propositions. Transportation into the textual world increases the distance between the narrative world and reality and thus also makes certain aspects of reality inaccessible, which decreases the alignment of just encountered beliefs with those acquired previously. Empirical research bolsters this hypothesis: readers who report greater experiences of being transported to the narrative world assimilate propositions in a way that impacts their judgments, as compared to less transported individuals – at least soon after reading.57 Transportation can consequently be seen as a comparatively well-researched mediator for persuasive effects of literary texts, which gives narrative texts an advantage over non-literary texts in terms of persuasiveness. But we do not know what minimal level of transportation might be required to forestall readers’ effortful critique of narrative assertions. Other textual mediators have not yet been investigated with a comparable amount of attention: the impulse to read on, linked to aesthetic pleasure, could for example further reduce time for reflection. Additionally, the way the text presents itself or the context in which the proposition is advanced could make a difference: if the text’s narrator (or the character advancing the insights) is highly unreliable, or if multiple perspectives are presented, it seems less likely that a clear trend of influence will emerge.58 Vivid descriptions could on the other hand foster transportation and hence enhance the persuasiveness of the text.59 Granted that a textual proposition stands the test of alignment with older beliefs or is – because of characteristics of the reader, the text, or the reading situation just discussed – not put to the test, it still has to be memorized for a longer-lasting effect. Interestingly, research by Appel and Richter (2007) suggests that persuasive effects obtained through reading fictional narratives increase after some time.60 This is explained by oblivescence of the context in which the proposition was obtained: while a literary text is not seen as a reliable source by most, as soon as its quality of literariness is forgotten, the proposition is readily endorsed. But, as far as I know, the time course of literary texts’ persuasive effects has not been studied further, so most of the questions concerning long- or short-term effects cannot be answered yet. As for Empathy-related Strategies, it is also open to investigation if readers act upon the changes made through reading: the potential ways in which their changed or acquired beliefs affect their decisions have not been researched.
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Actor-Awareness Approach Engaging literature, sometimes even directly referred to as »literature of commitment«, can, if the strategies adopted are successful, make readers commit to a certain group, identify with them or their mindsets and feelings regarding certain topics, or it could make them commit to certain beliefs encountered or derived from the literary text.61 Both these changes, in emotion or belief, are assumed to translate into action, into political or societal commitment. But could Engaged Literature also foster a more general commitment? Can it, apart from instilling the urge to act on a concrete belief or emotion towards a specific group of people or a specific societal/political circumstance, also increase the general impulse to actively engage in societal affairs? Can it raise the intention in readers to become more deliberate actors in society, not necessarily related to topics and groups mentioned in the text? Sartre believed that Engaged Literature aims at such a more general state of political activation. Active reading, in which the reader is engaged in meaning making and evaluations of actions taken by others, might demonstrate vividly that results are largely dependent on and achieved only by decisions and actions. Agency can be perceived as generating or leading to influence and power, which in turn enables the agent to create a living environment according to their imaginings and liking. A writing style engaging the reader in character’s reflections of how and when, and how and when not to act, as well as going through the (anticipated or surprising) consequences, might make such changes conceivable. Some evidence that might point to this possibility has been reported. The way causes and consequences unfold in narratives seems to affect the reader’s belief that outcomes are flexible and amenable to influence by agents.62 While theoretically thought out by Sartre and Brecht, this approach has not yet given rise to many empirical studies which would need to be conducted in order to examine if such literary depictions translate into an increased intention to become a deliberate and active protagonist concerning societal issues.
Guidelines for Further Research Of course, these strategies have been separated for reasons to do with the logics of research, and are most likely found in conjunction and mixtures in actual literary texts. This was already suggested by Sartre: »A bare tear is not lovely. It offends. A good argument also offends […]. But an argument that masks a tear – that’s what we are after. The argument removes the obscenity from the tears; the tears, by revealing their origins in the passions, remove the aggressiveness from the argument.«63 Emotional involvement might be something readers actively search for in literature, contributing to their reading pleasure, which allows them to let themselves into thoughts not normally entertained, topics not normally considered and to get involved with persons not normally sympathized with. It became apparent that even strategies which at first glance do not focus on emotion-transfer are probably aided by either
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style- or content-related emotions in their effects: aesthetic emotions might enhance absorption into the narrative world and strengthen both Knowledge/Persuasion-based Strategies as well as an Actor-Awareness Approach. The exemplification and distinction of the possible avenues to active involvement – Empathy-related Strategies, Knowledge/Persuasion-based Strategies, and the Actor-Awareness Approach – was needed as it forms a basis and starting point for research investigating their accuracy. It is open to investigation if these different avenues can be linked to diverse effects: Are Knowledge/Persuasion-based strategies more successful at instilling, weakening or strengthening certain propositions in readers than Empathy-related strategies? Are Empathy-related strategies, in turn, the best way to strengthen an outgroup’s standing in society or is this better achieved by strategies not focusing on sympathy, empathy, and identification? Can an Actor-Awareness Approach which focuses less on specific groups or topics and more on highlighting the general changeability of society have a greater impact on the reader’s will to be engaged? After all, it could be the case that authors’ efforts are to no avail and that the censoring apparatus concern with the alleged effects of Engaging Literature is out of proportion, perhaps even unfounded. While Plato could neither see his hypothesis on the power of literature refuted nor supported, it is possible to gain new insights into these questions with carefully designed (empirical) studies. While some research into this direction exists, I will briefly identify some under-investigated strands: 1. Variety of Effects. The literature has focused mainly on opinion change. But this is only one possible effect and others, such as group identification or stereotypic expectancies should be equally looked at. 2. Small effects. The question of an opinion change is an example of a higher-order effect. While this might be possible under certain conditions, it might not be the most frequent effect (and not even the one that most authors believe Engaging Literature to engender). Less drastic effects – a change in strength of endorsed beliefs instead of a complete opinion change – might be a better starting point. Similarly, instead of asking for actions already taken a few months after reading, data on intended future actions right after reading might prove not only to be easier to collect but also more fruitful when trying to establish effects in a relatively new research area. 3. Longitudinal studies. As mentioned, data on the duration after which effects arise (reflection needed, source memory decrease), and also on their longevity are very scarce. In the long run, there is a necessity for longitudinal studies. 4. Mediators. Transportation in the narrative, absorption or flow when reading have been named as likely candidates mediating the effect size, but further research needs to be conducted. As the effects of reading literature are often contrasted with hypothesized effects of reading expository texts, it is interesting to investigate other unique features of literature besides a heightened possibility to identify with characters.64 Reactions to the aesthetic representation of the text itself, its aesthetic appeal in the eyes of the readers, as
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well as their evaluation of different aesthetic features and especially their aesthetic emotions are not taken into consideration frequently enough. 5. New research methodologies. It is part of the constitution of Engaging Literature that readers pick up an intention (believed to be that of the author), which is communicated through the text. If asked directly or assessed in an obvious way if that intended message changed their, the readers, views or actions, the researcher will be immediately confronted with a situation where social-desirability-effects cannot be distinguished from the effects they were looking for. It is thus necessary to use implicit measures instead of overt measures of reader’s responses. Even though this might complicate the testing process, it is the only way to arrive at interpretable results not begging the question.
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1 Cf. Plato’s Dialogue with Glaucon: Richard E. Allen: Plato. The Republic, New Haven and London 2006, Book X. 2 Cf. Cornelia Zumbusch: Die Immunität der Klassik, Berlin 2011. 3 Cf. Gotthold Ephraim Lessing: Fünf und siebzigstes Stück. Den 19ten Januar, 1767, in: id: Hamburgische Dramaturgie, Hamburg und Bremen 1767, p. 578: »Er [Aristoteles, A.M.] spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines andern, für diesen andern, erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns selbst entspringt; es ist die Furcht, daß die Unglücksfälle, die wir über diese verhänget sehen, uns selbst treffen können; es ist die Furcht, daß wir der bemitleidete Gegenstand selbst werden können. Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid. […] Diese Möglichkeit aber finde sich alsdenn, und könne zu einer großen Wahrscheinlichkeit erwachsen, wenn ihn der Dichter nicht schlimmer mache, als wir gemeiniglich zu sein pflegen, wenn er ihn vollkommen so denken und handeln lasse, als wir in seinen Umständen würden gedacht und gehandelt haben, oder wenigstens glauben, daß wir hätten denken und handeln müssen: kurz, wenn er ihn mit uns von gleichem Schrot und Korne schildere.« 4 J. C. Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (Letter Nine) [1795], translation by the author. Retrieved from: http://www.deutschestextarchiv.de/book/ show/schiller_erziehung01_1795. Last accessed: 10.09.2018. Hereafter: Schiller 1795, number of letter. 5 Schiller 1795, 9: »umgib sie mit edeln, mit großen, mit geistreichen Formen, schließe sie ringsum mit den Symbolen des Vortrefflichen ein, bis der Schein die Wirklichkeit und die Kunst die Natur überwindet.«; Cf. Schiller 1795, 7 and Schiller 1795, 8: »Alle Verbesserung im Politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen«. 6 Madelena Gonzalez and René Agotini: Aesthetics and Ideology in Contemporary Literature and Drama, Cambridge 2005, p. xiii. 7 Those conceptions, often associated with the l’art pour l’art slogan, are not entirely coincidentally a popular reaction to censorship. 8 On the supposed exaggeration of effects by advocates of literary reading cf. Suzanne Keen: Empathy and the Novel, Oxford 2007. 9 Cf. Michael Opitz: Engagierte Literatur, in: Dieter Burdorf et al.: Metzler Lexikon Literatur: Begriffe und Definitionen, Stuttgart 2007, p. 190 and Nikolaus Wegmann: Engagierte Literatur? Zur Poetik des Klar texts, in: Jürgen Fohmann and Harro Müller (ed.) Systemtheorie der Literatur, München 1996, pp. 345– 365, p. 353. 10 For a characterization of »Tendenzliteratur« cf.: Konrad Lotter: Tendenz, in: Wolfhart Henckmann and id. (ed.): Lexikon der Ästhetik, München 2004, p. 365. 11 »Medium« is here understood in the sense of Niklas Luhmann as »substance matter, something that needs to be formed.« Cf.: Niklas Luhmann: Das Medium der Kunst, in: DELFIN 7/1986, pp. 6–15, p. 6. 12 Hans Magnus Enzensberger: Poesie und Politik, in: id: Einzelheiten, Frankfurt am Main 1962, p. 343 (»Recourse to the dispositions and motives of the author.«, translation by the author). 13 For the notion of the author in this genre cf. Gero von Wilpert (ed.): Engagierte Literatur, in: id.: Sach wörterbuch der Literatur, Stuttgart 1989, p. 234.
23 6 P Ö H LS
14 Wegmann 1996, p. 357 (»Engaged is a literature that not only creates social conditions as an art-immanent means of expression, but at the same time also criticizes the form level found in the medium itself in the choice of its forms. All avenues to escape the dilemma of a readable fiction, therefore, lead through the bottleneck of the negatively commenting (one can also say: political) form.«, translation by the author). 15 Wegmann 1996, p. 354. Might be best translated as »indisputable readability«. 16 Wegmann 1996, p. 345. Might be best translated as ›straight talk‹. 17 Jean-Paul Sartre: What is Literature?, New York 1949, p. 22. 18 The latter is seen as impossible by some theorists, e.g. Sartre: »The ›engaged‹ writer knows that words are actions. He knows that to reveal is to change and that one can reveal only by planning to change« (Sartre 1949, p. 23, italics by the author). 19 Sartre 1949, p. 159. 20 Some (e.g. Enzensberger 1962, but also Wegmann 1996) have suggested that the standpoint is necessarily critical, not affirmative, of some political power or agent. I, on the contrary, believe it plausible that a certain political view, structure, or agent is positively portrayed in a work of art, leaving the reader to conclude for him- or herself that this view, structure, or agent might be under threat in the certain societal situation such that it might instil in him or her, convinced by the positive view endorsed in the work of art, the urge to become actively involved in protecting or defending religious tolerance, democracy or, on the opposite end of the political spectrum, supporting a totalitarian ruler. 21 Wegmann 1996, p. 360 (»The force and power, with which a text appears, whose significance is determined by its descent from the strategic difference of hidden and unmasked meaning.«, translation by the author). 22 Cf. Aristotle’s definition of a masterful rhetorician for a similar evaluation: Aristotle: Rhetoric (translated by W. Rhys Roberts), Fairhope 2015, Book I, Chapter 2. 23 Cf. Sartre 1949, p. 49. 24 Ibid., p. 50. 25 Ibid., p. 51. 26 Ibid., p. 54. 27 Ibid., p. 54. 28 Ibid., p. 25. 29 Cf. Thomas Anz: Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung, in: Karl Eibl et al. (ed.): Im Rücken der Kulturen, Paderborn 2007 (Poetogenesis, Bd. 5), pp. 207–239, here: pp. 214–215. 30 Cf. Victor Nell: Lost in a Book: The Psychology of Reading for Pleasure, New Haven 1988. 31 Cf. Katja Mellmann: Empirische Emotionsforschung, in: Martin von Koppenfels and Cornelia Zumbusch (ed.): Handbuch Literatur & Emotionen, Berlin and Boston 2016, pp. 158–175, p. 160.
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32 For the concept of optimal aesthetic distance cf. Gerald Cupchik: The Evolution of Psychical Distance as an Aesthetic Concept, in: Culture and Psychology 8/2001, pp. 155–187, and Winfried Menninghaus et al.: The Distancing-Embracing model of the enjoyment of negative emotions in art reception, in: Behav ioural Brain Science 40/2017. For the difference between A- and R-Emotions cf. Ed Tan: Emotion, Art, and the Humanities, in: Michael Lewis and Jeannette M. Haviland-Jones Lewis (ed.): Handbook of Emo tions, New York et al. 2000, pp. 118–120. 33 The demand for close connectedness to reality relates back to Wegmann’s description of »Klartext« (see endnote 17). 34 Empirical studies investigating such effects include Gerald Cupchik et al.: Emotional effects of reading excerpts from short stories by James Joyce, in: Poetics 25-6/1998, pp. 363–377; Steen F. Larsen and Uffe Seilman: Personal remindings while reading literature, in: Text & Talk 8-4/1988, pp. 411–429; Franziska Hartung et al.: Taking Perspective: Personal Pronouns Affect Experiential Aspects of Literary Reading, in: PLOS ONE 11-6/2016, pp. 1–18. 35 Cf. Keith Oatley on the beneficial effects of reading fiction on empathy and theory of mind: Such stuff as dreams. The Psychology of Fiction, Chichester 2011, pp. 159–175. This is not to say that non-beneficial outcomes are not also possible and that the better understanding of others could not be used to manipulate or harm them, even though these effects are not reported here. 36 Cf. Raymond Mar and Keith Oatley: The Function of Fiction is the Abstraction and Simulation of Social Experience, in: Perspectives on Psychological Science 3/2008, pp. 407–428; Maria Kotovych et al: Textual Determinants of a Component of Literary Identification, in: Scientific Study of Literature 1-2/2011, pp. 260–291. 37 Emy Koopman and Frank Hakemulder: Effects of Literature on Empathy and Self-Reflection: A Theo retical-Empirical Framework, in: JLT 9/2015, pp. 79–111, here: p. 83. 38 Mellmann 2016, pp. 165–166. 39 Even though available definitions for »identification« are just as diverse as they are for empathy. For an overview see Emily Moyer-Guse: Toward a Theory of Entertainment Persuasion: Explaining the Per suasive Effects of Entertainment-Education Messages, in: Communication Theory 18/2008, pp. 407–425 and Nurit Tal-Or and Jonathan Cohen: Understanding audience involvement: Conceptualizing and ma nipulating identification and transportation, in: Poetics 38/2001, pp. 402–418. 40 Keith Oatley: Why Fiction May Be Twice as True as Fact: Fiction as Cognitive and Emotional Simula tion, in: Review of General Psychology 3-2/1999, pp. 101–117. 41 Cf. Juan José Igartua: Identification with Characters and Narrative Persuasion through Fictional Fea ture Films, in: Communications 35-4/2010, pp. 347–373, here: p. 347; and Michael D. Slater and Donna Rouner: Entertainment-Education and Elaboration Likelihood: Understanding the Processing of Narrative Persuasion, in: Communication Theory 12-2/2002, pp. 173–191. 42 Cf. Keen 2007. Koopman and Hakemulder 2015, p. 84. 43 For this opinion, see also Keen 2007. 44 As such it is close to what Moritz Baßler sees as defining feature of literary realism: Moritz Baßler: Populärer Realismus, in: Roger Lüdeke (ed.): Kommunikation im Populären. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein ganzheitliches Phänomen, Bielefeld 2011, pp. 91–103, p. 91.
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While mapping should not be hard, a minimal contribution by the reader is necessary and can be expected: »If he [the reader] is inattentive, tired, stupid, or thoughtless, most of the relations will escape him«, whereas if »he is at his best, he will project beyond the words a synthetic form […] the ›theme‹, the ›subject‹, or the ›meaning‹.« Sartre 1949, p. 43. 45 Cf. Tehila Kogut and Ilana Ritov: The Identified Victim Effect: An Identified Group, or just a Single Indi vidual?, in: Journal of Behavioral Decision Making 18/2005, pp. 157–167. 46 Cf. Robbie M. Sutton and Karen M. Douglas: Celebrating Two Decades of Linguistic Bias Research. An Introduction, in: Journal of Language and Social Psychology 27-2/2008, pp. 105–109. 47 Sartre sees the endpoint in a classless society, see: Sartre 1949, pp. 158–160. 48 One example might be seen in Enzensberger 1962, who implicitly seems to reserve the term of Engaged Literature for writers of the left political spectrum. 49 Taken from Richard J. Gerrig and David N. Rapp: Psychological Processes Underlying Literary Impact, in: Poetics Today 25-2/2004, pp. 265–281, p. 266. 50 Anneke de Graaf et al: The Role of Dimensions of Narrative Engagement in Narrative Persuasion, in: Communications 34/2009, pp. 385–405, p. 386. 51 Cf. Melanie C. Green and Timothy C. Brock: The Role of Transportation in the Persuasiveness of Public Narratives, in: Journal of personality and Social Psychology 79-5/2000, pp. 701–721. Green and Brock had participants read a story which did not make any direct assertions, but in relation to which the researchers identified and formulated tacit conclusions: »For example […] the fact that the killer was a psychiatric patient implies that such patients should not be left unsupervised« (270). Readers picked up on these implications and those who scored higher on the transportation scale were more likely to agree with them. 52 Cf. De Graaf et al. 2009, p. 400. 53 Gerrig and Rapp 2004, p. 268. 54 Ibid. 55 Support for this hypothesis comes from the work by De Graaf et al. 2009: As the topic participants read about was supposedly unfamiliar and provided them with new information, even disrupted transportation into the story world, which is generally linked to decreased belief acquisition in line of the story, did not reduce the formation of beliefs regarding these unfamiliar topics. 56 Cf. Eric S. Knowles and Jay A. Linn: Resistance to Persuasion, London 2004. 57 Cf. Green and Brock 2000; Slater and Rouner 2002, Gerrig and Rapp 2004; Rick Busselle and Helena Bilandzic: Measuring Narrative Engagement, in: Media Psychology 12/2009, pp. 321–347. 58 As far as I know, stylistic choices are not well researched. Massi Lindsay and Ah Yun investigate some differences in presentation, but the text used in their study is not a literary text, cf. Massi Lindsay and Ah Yun: The Relationship between Narrative Content Variation, Affective and Cognitive Reactions, and a Per son’s Willingness to Sign an Organ Donor Card, in: Communication Research Report 22/2005, pp. 253– 263. 59 Cf. Gerrig and Rapp 2004, p. 280.
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60 Markus Appel and Tobias Richter: Persuasive Effects of Fictional Narratives over Time, in: Media Psy chology 10/2007, pp. 113–134. 61 Cf. Britannica Online, Article ›Littérature engagée‹ https://www.britannica.com/art/litteratureengagee. Last accessed: 10.08.2018. 62 Cf. Gerrig and Rapp 2004 on participatory responses and general patterns observed over a whole body of literature: The unfolding of causes and consequences in narratives has an effect on reader’s belief that outcomes are flexible and amenable to influence by agents. 63 Sartre 1949, p. 33. 64 Steps in this direction have been taken by e.g. David Miall and Don Kuiken: Foregrounding, Defamil iarization, and Affect: Response to Literary Stories, in: Poetics 22-5/1994, pp. 389–407, see also their later and ongoing research; and Willie van Peer: Stylistics and Psychology: Investigations of Foregrounding, in: Applied Psycholinguistics 9-1/1986, p. 98–102; and Koopman and Hakemulder 2015, p. 83.
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FARBTAFELN
Plate I Jean de Marville, Claus Sluter and Claux de Werve: The Tomb of Philip the Bold (south side), 1384–1410, Dijon, Musée des Beaux-Arts de Dijon
Plate II Plan of the Charterhouse of Champmol, ca. 1760, Inv. 4 Fi 782, Dijon, Archives municipales de Dijon
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243
Plate III Mourners nos. 1–8 (per arcade: a choirboy with holy water, two choir boys (missing), crucifer, deacon, bishop, chorister, chorister, chorister), photography, Dijon, Musée des Beaux-Arts de Dijon
Plate IV Mourners 8–11 (per arcade: chorister, Carthusian, Carthusian, lay mourner), photography, Dijon, Musée des Beaux-Arts de Dijon
24 4 FA R BTAFELN
Plate V Mourners 21–28 on the west side of the tomb (all lay figures), photography, Dijon, Musée des Beaux-Arts de Dijon
Plate VI The tomb of Louis de France, ca. 1260, photography, Paris, Basilica of Saint Denis
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Plate VIIa Detail of Plate VII: face
24 6 FA R BTAFELN
Plate VII Gilbert Stuart: George Washington (The Lansdowne Portrait), 1796, oil on canvas, 247,6 × 158,7 cm, Washington, National Portrait Gallery, Smithsonian Institution
FA R B TAFE LN
Plate VIII John Shackleton: King George II, 1755, oil on canvas, 240 × 148 cm, Edinburgh, National Galleries of Scotland
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Tafel IX Traugott Müller: Montage zu Hoppla, wir leben!, 1927, Mischtechnik (Fotografie, Tempera, Tusche, Deckweiß) auf Karton, 48,7 × 67,5 cm, Berlin, Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, Theaterhistorische Sammlungen, Nachlass Traugott Müller
Tafel X Traugott Müller: Projektionsbild Montage zu Hoppla, wir leben!, 1927, Mischtechnik (Fotografie, Tempera, Tusche) auf Karton, 49,7 × 67,8 cm, Berlin, Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, Theaterhistorische Sammlungen, Nachlass Traugott Müller
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Tafel XI Dmitrij A. Prigov: Ohne Titel, 1993, Fotokopie und Tusche auf Papier, Buchillustration
Tafel XII Dmitrij A. Prigov: Ohne Titel, 1993, Fotokopie und Tusche auf Papier, Bucheinbandillustration
Tafel XIII Jurij Arcimenev: Ostanovit’ SPID! (AIDS aufhalten!), Briefmarke, 25. November 1993
Tafel XIV Dmitrij A. Prigov: Ohne Titel, 1993, Fotokopie, Kugelschreiber und Tusche auf Papier, Buchillustration
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Tafel XV Unbekannter Fotograf: »Das Ziel meiner Arbeit? Dass alle Arbeit haben.«, SPD-Plakat aus dem Bundestagswahlkampf 2002
Tafel XVI: Viktor I. Goworkow: Stalin im Kreml sorgt sich um jeden von uns, 1940, Plakat, Moskau, Russische Staatsbibliothek
Tafel XVII Carl Ludwig Hoffmeister: Franz I. von Österreich in seinem Arbeitszimmer in der Wiener Hofburg, 1829, Öl auf Metall, Bilderuhr, 64 × 79 cm, Wien, Privatsammlung
Tafel XVIII von Mannstein political communication: Helmut Kohl auf dem CDU-Großplakat »Das Bad in der Menge« aus dem Bundestagswahlkampf 1994
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Tafel XIX Unbekannter Fotograf (DPA): CDU-Banner »Deutschlands Zukunft in guten Händen.« für den Bundestags wahlkampf 2013 in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs
Tafel XX Thomas Bayrle: Mao, 1966, Öl auf Holz, Konstruktion/Motor, 145 × 148 × 32 cm, Berlin, Neue Nationalgalerie, Freunde der Nationalgalerie
Tafel XXI Unbekannter Fotograf (Agentur AP): Bildnis von General Charles de Gaulle am Pariser Rathaus im Jahr 2010, gebildet aus 1016 Porträtaufnahmen von Résistance-Kämpfern aus Anlass des 70. Jahrestags des Londoner Aufrufs
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Tafel XXII Regina José Galindo: The Objective, 2017, Performance/partizipatorische Installation, Ausstellungsansicht Documenta 14, Kassel, Stadtmuseum, Screenshot aus Dokumentationsvideo der Künstlerin
Tafel XXIII Regina José Galindo: The Objective, 2017, Performance/partizipatorische Installation, Replikat des Sturmgewehrs G36, Ausstellungsansicht Documenta 14, Kassel, Stadtmuseum, Screenshot aus Dokumentationsvideo der Künstlerin
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Tafel XXIV Regina José Galindo: The Objective, 2017, Performance/partizipatorische Installation, Korridor mit Besuchern, Ausstellungsansicht Documenta 14, Kassel, Stadtmuseum, Screenshot aus Dokumentationsvideo der Künstlerin
Tafel XXV Regina José Galindo: The Objective, 2017, Performance/partizipatorische Installation, Galindo im Fadenkreuz, Ausstellungsansicht Documenta 14, Kassel, Stadtmuseum, Screenshot aus Dokumentationsvideo der Künstlerin
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Tafel XXVI Regina José Galindo: The Objective, 2017, Performance/partizipatorische Installation, Besucher an Kamera und Waffe, Ausstellungsansicht Documenta 14, Kassel, Stadtmuseum, Screenshots aus Dokumentationsvideo der Künstlerin
Tafel XXVII Werbung für die Bild-Zeitung an der S-Bahnstation Kornweg (Klein Borstel), Hamburg, fotografiert am 31.08.2018.
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REGISTER
Adenauer, Konrad 165 Albert der Große 36, 47 Alfons I., König von Neapel 44 Allen, Woody 128 Andreev, Nikolaj 133 Anne, Gräfin von Bedford 30 Anz, Thomas 10 Appel, Markus 232 Aquin, Thomas von 36 Arcimenev, Jurij 249 Aristoteles 46, 62 Bachtin, Michail 19, 134, 136 Balázs, Béla 18 Baraka, Amiri 150, 152–154 Barthes, Roland 97, 103 Baumann, Michael 146 Bayrle, Thomas 177 Beauvais, Vinzenz von 29 Becher, Johannes R. 130f. Beecher Stowe, Harriet 220 Belafonte, Harry 144f., 157 Benjamin, Walter 17 Benthien, Claudia 195
Bismarck, Otto von 169f. Böhm, Hans 117 Brandt, Willy 164–166, 168f., 173 Brecht, Bertolt 220, 233 Bredekamp, Horst 176 Brežnev, Leonid Il’icˇ 129, 131 Brown, Will 156 Büchner, Georg 16 Burden, Chris 206f. Butler, Judith 194 Canova, Antonio 133 Caravaggio, Michelangelo Merisi da 169 Catull, Gaius Valerius 34 Chastelain, Georges 31, 35 Chrušcˇev, Nikita Sergeevicˇ 138 Churchill, Winston 128 Cicero, Marcus Tullius 45, 49, 62 Cioran, Emil 138 Clausewitz, Carl von 86 Clemens VI., Papst 26 Cortesi, Paolo 50f. Damasio, Antonio 9
255
Darly, Matthew 103 Davies, William 9 Deleuze, Gilles 18 DeLorme, Eleanor 98 Derrida, Jacques 145 Descartes, René 15, 47, 100–102, 145 Deschamps, Eustache 33, 35 Desmoulins, Camille 188–191 Drapeko, Elena 128 Drenkmann, Günter von 146 Duke, David 143f. Ege, Moritz 150 Eisenstein, Sergei Michailowitsch 16–18, 120, 121 E˙renburg, Il’ja 130 Evans, Dorinda 104
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 67f. Heidenreich, Felix 9, 15, 213 Heine, Heinrich 220 Herder, Johann Gottfried 63 Herskovits, Melville 150 Heyer, Heather 144 Hindenburg, Paul von 173 Hitler, Adolf 137, 177 Hobbes, Thomas 19, 58, 60, 176–178 Hoffmann, Leopold Alois 193 Hoffmeister, Carl Ludwig 172, 250 Hollitzer, Jan 211 Homer 49 Hopper, Edward 169 Hume, David 14 Ianucci, Armando 128
Farocki, Harun 18 Feldman Barrett, Lisa 10 Felten, Gundula 65 Ferdinand I., König von Neapel 44 Ferguson, Adam 14 Ficino, Marsilio 36 Finkelde, Dominik 68 Foscolo, Ugo (eigentl. Niccolò) 133 Foucault, Michel 187, 189 Franz I., Kaiser von Österreich 172, 250 Franz Joseph II., Kaiser von Österreich 172 Frevert, Ute 11 Friedrich II. (»der Große«), König von Preußen 172 Galen 46 Gasbarra, Felix 113, Gaulle, Charles de 178, 251 Georg III., König von Großbritannien und Irland 98 German, Aleksej 129 Gilquin, Jean-Philippe 30 Ginzburg, Evgenija 127 Glazov, Yuri 127 Goethe, Johann Wolfgang von 59, 63 Goeze, Johann Melchior 191f., 196 Goldie, Peter 10 Gonzaga, Federico, Markgraf von Mantua 48 Goworkow, Viktor I. 250 Grandmontagne, Michael 27 Gröhe, Hermann 175f. Grotius, Hugo 102 Hamilton, Alexander 98, 103f. Hansberry, Lorraine 156 Harvey, Anthony 153 Haviland-Jones, Jeannette 10
25 6 R E G ISTER
Jampol’skij, Michail 133 Jay, John 98, 104 Jefferson, Thomas 98, 104 Jelinek, Elfriede 220 Jessner, Leopold 116 Jesus von Nazareth 132, 138 Johann II. (»der Gute«), Herzog der Normandie 25 Johann Ohnefurcht, Herzog von Burgund 29f., 34 Jones, LeRoi s. Baraka Amiri José Galindo, Regina 18, 201–205, 207–210, 212– 215, 252–254 Kant, Immanuel 15, 59, 62, 64–68 Karl I. (»der Kühne«), Herzog von Burgund 30 Karl I., König von England, Schottland und Irland 98 Karl V. (»der Weise«), König von Frankreich 25, 31, 34 Karl VI. (»der Vielgeliebte« oder »der Wahn sinnige«), König von Frankreich 25, 31 Kemp, Wolfgang 174 Kennedy, John F. 166 Keßler, Helmuth 16 Kleger, Heinz 62 Kleist, Heinrich von 15f., 75, 77, 82–90, 195 Kohl, Helmut 174, 180, 250 Koschorke, Albrecht 15, 134 Köver, Helga 63 Kümmel, Peter 169f. Kurras, Karl–Heinz 150 Landweer, Hilge 10 Le Bon, Gustave 14 Le Brun, Charles 99f.
LeDoux, Joseph 9 Lee, Spike 143f. Lefort, Claude 196 Leinkauf, Thomas 62 Lenin, Vladimir Il’icˇ 129f., 133, 136, 138, 171f. Lessing, Gotthold Ephraim 16, 63, 220 Lewis, Michael 10 Liebknecht, Karl 114 Lindquist, Sherry 27–29 Lomax, Alan 148, 156 Lorenz, Peter 146 Lüdemann, Susanne 86 Ludwig II., Graf von Flandern 30 Ludwig IX. von Frankreich 29 Ludwig von Valois, Herzog von Orléans 33f. Ludwig XIV., König von Frankreich 98 Ludwig XVI., König von Frankreich 193 Ludwig, Dauphin von Frankreich 29 Luhmann, Niklas 59 Lukrez 185 Luxemburg, Rosa 114 Machiavelli, Niccolò 13 Macho, Thomas 138 Madison, James 97f., 104 Maiden, Callen 156 Majakovskij, Vladimir 19, 129–131, 136 Mandela, Nelson 144f. Mao Tse-tung 177, 251 Margarete III., Herzogin von Burgund 30 Margarete von Bayern, 30 Margarete von Brabant, Gräfin von Flandern 30 Maria von Burgund 30 Maria von Nazareth 132 Marinetti, Filippo Tommaso 17 Marville , Jean de 243 Meinhof, Ulrike 146 Meins, Holger 149 Mellmann, Katja 229 Mendelssohn, Moses 63 Merkel, Angela 163, 175f., 178–180 Michalkov, Nikita 128 Miller, Thomas 143 Mole, Arthur S. 179 Monstrelet, Enguerrand de 31, 35f. Mowitt, John 149 Müller, Traugott 116f., 248 Müller, Wilhelm 130 Münsterberg, Hugo 17 Mussolini, Benito 177 Nalbandjan, Dmitrij A. 171 Nietzsche, Friedrich 137 Nikolaus V., Papst 48
R E G I STE R
Norman, Wilbert Reuben »Skip« 17, 143, 146f., 149–157 Nussbaum, Martha C. 8, 9 Obama, Barack 143, 174 Octavius, Gaius 49 Oertel, Curt 118 Ohnesorg, Benno 150 Oresme, Nicole 36 Otto IV., Pfalzgraf von Burgund 29 Ozbilicis, Burhan 206 Petit, Jean 34 Petty, William 97 Philipp II. (»der Kühne«), Herzog von Burgund, Graf von Flandern 25–31, 33–37, 243 Philipp III. (»der Gute«), Herzog von Burgund 31, 35 Piacentinus, Severus 50 Piepenbrink, Johannes 212 Pintoin, Michel 35 Piscator, Erwin 16f., 111–116, 118–121 Pizan, Christine de 28, 31, 33–37 Plamper, Jan 128 Platina, Bartolomeo 48–51, Platon 189, 215, 219, 226, 234 Pontano, Giovanni 44f., 47, 49 Pool, Rosey E. 152 Prigov, Dmitrij Aleksandrovicˇ 129, 131–136, 138f., 249 Prochno, Renate 27f. Putin, Vladimir 138f. Rabelais, François 134, 137f. Ramsay, David 98 Rathsack, Heinz 149, 156 Rauterberg, Hanno 206f. Reddy, William 96 Reinecke, Stefan 169f., 172 Reinhardt, Max 111f., 116 Renz, Ursula 10 Reynolds, Edward 101 Richter, Tobias 232 Rigaud, Hyacinthe 98 Romberg, Regine 60 Rousseau, Jean-Jacques 19, 64, 189–191 Sacchi, Bartolomeo s. Bartolomeo Platina Safranski, Rüdiger 58 Sartre, Jean-Paul 220, 223f., 226, 233 Schaal, Gary 9, 15 Schiller, Friedrich 15f., 19, 57–69, 75–82, 85, 190–193, 195, 220 Schings, Hans-Jürgen 63
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Schmitt, Carl 86 Schröder, Gerhard 163, 168–170, 172f. Senault, Jean-François 102 Sforza, Ascanio 50 Shackleton, John 247 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Earl of 14, 62–64, 66f. Slaby, Jan 10 Sluter, Claus 243 Smith, Abraham 156 Smith, Adam 14, 15 Smith, Bessie 156f. Sollors, Werner 150 Solženicyn, Aleksandr 131, 138 Sontag, Susan 213 Sorokin, Vladimir 19, 129, 137f. Spinoza, Baruch de 18 Stalin, Josef Wissarionowitsch 7, 127–132, 135–138, 170–172, 177f., 250 Stallworth, Ron 143–145 Steinmeier, Frank-Walter 174 Stendhal, (eigentl. Marie-Henri Beyle) 133 Storch, Beatrix von 213 Strauß, Franz Josef 165 Stuart, Gilbert 16, 95, 98, 247 Sulzer, Johann Georg 192 Szanto, Thomas 10
25 8 R E G ISTER
Theobald V., Graf von Champagne 30 Thomas, John D. 179 Tocqueville, Alexis de 60, 96f., 104 Toller, Ernst 111, 115 Trump, Donald 9 Tubman, Harriet 152 Vertov, Dziga 128 Vogl, Joseph 60 Washington, George 7, 16, 95–99, 101f., 104f., 247 Washington, Jesse 144 Weber, Max 15, 75–77, 82, 84, 86, 88, 164 Wegmann, Nikolaus 222–224, 226, 232 Weigel, Sigrid 134 Weinert, Erich 170 Werve, Claux de 243 Weston, Drew 9 Weyergraf, Bernd 150 Wieland, Christoph Martin 63 Wilson, Woodrow 178f. Witte, Georg 134 Wylie, Christopher 8 Zumbusch, Cornelia 59
ABBILDUNGSNACHWEIS
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ISBN 978-3-11-071130-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-072538-4 Library of Congress Control Number: 2020948119 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandgestaltung: Gitti Krogel, Hamburg Satz: Edgar Endl, bookwise medienproduktion, München Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza www.degruyter.com