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German Pages 330 Year 2015
Margreth Lünenborg (Hg.) Politik auf dem Boulevard?
Band 1
2009-01-13 12-58-14 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02cb199749965608|(S.
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) T00_01 schmutztitel - 939.p 199749965616
Editorial Die Reihe Critical Media Studies versammelt aktuelle und historische, theoretisch und empirisch angelegte, sozial- sowie kulturwissenschaftlich orientierte Arbeiten, die auf die Funktion und Bedeutung von Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit für gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse, deren Produktion, Reproduktion und Veränderung fokussieren. Sie orientieren sich dabei an einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die danach fragt, in welcher Weise symbolische und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt bzw. vorenthalten werden und wie soziale und kulturelle Einschluss- und Ausschlussprozesse gestaltet sind. So verstandene kritische Medienund Kommunikationsforschung schließt die Analyse der sozialen Praktiken der Menschen, ihrer Kommunikations- und Alltagskulturen ein und fragt danach, wie gesellschaftliche Dominanzverhältnisse reproduziert, aber auch verschoben und unterlaufen werden können. Als relevante Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit und sozialer Positionierung werden insbesondere Geschlecht, Ethnie, soziale und kulturelle Differenz sowie deren Intersektionalität in den Blick genommen. Die Reihe wird herausgegeben von Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Jutta Röser und Ulla Wischermann.
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) T00_02 seite 2 - 939.p 199749965632
Margreth Lünenborg (Hg.) Politik auf dem Boulevard? Die Neuordnung der Geschlechter in der Politik der Mediengesellschaft
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) T00_03 titel - 939.p 199749965664
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) T00_04 impressum - 939.p 199749965688
ћѕюљѡ Margreth Lünenborg Politik auf dem Boulevard? Eine Einführung aus geschlechtertheoretischer Perspektive
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ǯȱ ќѢџћюљіѠњѢѠ Margreth Lünenborg Geschlechterordnungen und Strukturen des Journalismus im Wandel
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Claudia Riesmeyer & Martina Thiele ‚Ersatz für Queen Blabla gesucht‘. Wie Spiegel und SpiegelOnline Geschlechterstereotype reproduzieren
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Tarja Savolainen Geschlechterstrukturen und Kommerzialisierung im skandinavischen Fernsehen
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ǯȱќљіѡіѠѐѕђȱјѡђѢџћћђћ ȱûǰȱ Ĵȱãǰȱȱǰ
ȱûȱǭȱȱ Ĵ ‚Merkels Dekolleté’ als Mediendiskurs. Eine Bild-, Text- und Rezeptionsanalyse zur Vergeschlechtlichung einer Kanzlerin
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ãȬ ȱ Merkel und der Boulevard – eine weibliche (Erfolgs-)Strategie?
103
¸ȱȬ ¢ · siegt über Marianne. Verkörperung und politische Darstellung ȱ£ãȱ§Ğ ȱŘŖŖŝȱ
ŗř0
Sabine Seggelke Das Präsidentenpaar auf dem Boulevard. Privatheit und politische PR in Frankreich
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ǯȱ ђћёђџёіѠјѢџѠђ Gabriele Dietze Okzidentalistische Bilderpolitik. Neo-Orientalismus und Migration in der visuellen Kultur
175
ȱ Von Cowboys, Staatsmännern und Terroristen. Männlichkeitskonstruktionen in der medialen Inszenierung des 11. September und des Krieges in Afghanistan
196
ǯȱђѧђѝѡіќћ Corinna Peil Weibliche Information und männliche Unterhaltung? Die Tagesthemen und deren Moderation aus Sicht der Zuschauerinnen und Zuschauer
232
ȱãǰȱȱ £ȱǭȱȱ ě Anmaßend oder akzeptiert? Geschlechtskonstruktionen und Emotionen auf der politischen Bühne und ihre Relevanz für Jugendliche
256
ǯȱ іѠѡќџіѠѐѕђȱђџѠѝђјѡіѣђћ ȱ Ĵȱȱ£Ğǵ Popularisierungsstrategien und Konturen ȱȱȱ[ěȱȱȱ
Řŝ5
Martina Thiele ,Das Leben ist kein Wunschkonzert’. Die Popularisierung von Politik als historisches Phänomen?
302
іђȱѢѡќџћћђћ
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ќљіѡіјȱюѢѓȱёђњȱќѢљђѣюџёӓȱ Eine Einführung aus geschlechtertheoretischer Perspektive юџєџђѡѕȱҿћђћяќџє ǻѢћѡђџȱіѡюџяђіѡȱѣќћȱ юѡѕюџіћюȱџіѡѠѐѕђǼ [ěȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ãěȱ Diskurs müssen politische Konzepte plausibel und überzeugend werden und damit um Zustimmung der BürgerInnen werben. Diȱ[ěȱȱȱȱ¡ȱȱ ĞȱȱȱǻǼȱȱĴȱȱȱ-Komȱǰȱȱ ȱĴȱȱǯȱȱȱ politisches Handeln ohne mediale Kommunikation oder gar gegen medial verhandelte Themen und Positionen heute nicht möglich. ûȱ ȱ ȱ Ȭȱ ȱ Ğǰȱ aber auch in den entsprechenden Praxisfeldern des Journalismus und der politischen Kommunikation Einigkeit (vgl. Jarren/Donges 2006; Sarcinelli 2005). Mit sich wandelnden medialen Kommunikationsformen verändert sich auch die politische Kommunikation. Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation sind in Zeiten digitaler Netzkommunikation nicht länger als strukturprägend aufrecht zu erhalten. Und auch andere systematische ȱ ȱ DZȱ [ěȱ ȱ ǰȱ Relevantes und Triviales, Unterhaltsames und Informatives – diese als Gegensatzpaare angelegten Charakteristika zur Beschreibung und Abgrenzung des Feldes politischer Kommunikation erscheinen in der aktuellen Medienwirklichkeit nicht länger tauglich, um ȱ ȱȱ£ȱǯȱȱĚãȱ von Dichotomien, die Durchlässigkeit vermeintlich hermetischer Trennungslinien erweist sich aus geschlechtertheoretischer Perspektive als produktive Irritation. Sie zwingt dazu, tradierte Strukturen
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Politik auf dem Boulevard? – Einführung
ȱ ȱ [ěȱ ȱ ȱ ȱ gebundenen Gehalt zu prüfen und neue Strukturen jenseits von Dualismen zu denken.
ќѢљђѣюџёіѠіђџѢћєȱюљѠȱѕѫћќњђћȱ ѝќљіѡіѠѐѕђџȱ ќњњѢћіјюѡіќћ Unterhaltungsorientierung oder Popularisierung zeigen sich als £ȱ ȱ ȱ ãěȱ ǯȱ Auch die politische Kommunikation ist von dieser Entwicklung ȱ ěȱ ǻǯȱ ¡ȱ ŘŖŖŝǰȱ Ȧȱ ŘŖŖŞǼǯȱ Mit dem Stichwort Boulevardisierung werden diese Veränderungen ȱ ȱ ȱ ěȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ £ ȱ DZȱȱ£ȱȱěȱȱȱȬ . Schlagworte wie Personalisierung, Privatisierung, Intimisierung oder Skandalisierung beschreiben diese Veränderungen. Im boulevardisierten Mediendiskurs verlieren Sachthemen, Fakten und rationale Argumente an Relevanz. Demgegenüber wird Politik verstärkt über Personen verhandelt. Sie rücken nicht allein als Entscheidungs- oder MandatsträgerInnen in den Fokus medialer Aufmerksamkeit, sondern als personae, deren privates Leben und Handeln gleichermaßen mediale Aufmerksamkeit erfährt. Politiker und Politikerinnen werden selbst zu Medienprominenz, deren đȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ Ĵȱ werden. Zugleich verfolgen sie selbst strategisch das Ziel, sich jenseits politischer Sachthemen und Handlungsfelder in der MediĞȱ£ȱ§ǯȱ ȱȱãěȱȱ£ȱ ȱȱȱȱǯȱȱĞȱǰȱ ¢ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ̧ǰȱ ȱ der die Folgen von Politik gemessen werden. Daneben beschreibt ȱěȱȱȱȱformale und §ȱȬ : Weg von den Qualitätsmedien des Nachrichtenjournalismus, die in strenger Konzentration auf die Aushandlungsprozesse institutionalisierter Politik selbst zu Akteurinnen in der politischen Arena geworden sind und hin zu Boulevardmedien und ihren spezięȱǰȱȱ£ȱȱȱĴȱ §Ěȱ ǯȱ ȱ £§ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ¡ǰȱȱȱȱ¡ǰȱĞȱ ûȱ und emotionalisierte Erzählweise von Text- und Bildarrangements. Die Folge sind hybride Darstellungsformen und Erzählweisen,
Lünenborg: Eine geschlechtertheoretische Perspektive
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denen mit dem klassischen Repertoire journalistischer Genres und Darstellungsformen nicht beizukommen ist. Diese boulevardisierten Diskurse entfalten ihre Wirkung als populärkulturelle Texte.
ђџȱџюѡіќћюљђȱіѠјѢџѠ юљѠȱћќџњюѡіѣђѠȱёђюљ Mit dem normativen Anspruch des aufgeklärten und rationalen ǰȱ ȱ ȱ [ěȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ dieser Wandel schwerlich vereinbar. Entsprechend zahlreich sind die kritischen Stimmen in der Politik- ebenso wie in der Kommuni ĞǯȱȱǻŗşşŞDZȱŗśśǼȱȱȱȱǮȱ ȱȃǰȱȱȱǮȱȱȱ (und übrigens auch des journalistischen!) Personals [zur Folge hat, Anmerkung der Autorin], zum anderen eine Derationalisierung des politischen Prozesses.“ Exemplarisch formuliert er damit ein §¢ȱûȱȱǰȱãěȱǰȱȱȱȱȱ Ĥ§ȱǮȱ£ȱȱĞȱȱȱȱȱ ȱȱĞȱȃȱǻǯDZȱŗŚşǼȱǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ãěȱ Ĵȱ über Horst Seehofers Geliebte und ihr gemeinsames Kind, über das Liebesleben des französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy oder über die Angemessenheit der Kleidung von Angela Merkel ȱ ȱ ȱ §ȱ ǰȱ ûĞȱ ȱ ȬĤ§ȱǯȱȱȱȱȱȱtiven Verachtung tatsächlich die Bedeutung, die diese Diskurse des ȱûȱȱ ȱȱ Ğȱûǵȱ ȱ§ȱȱȱ£ȱ£ȱǮȱȱȱlitisch!“ auch auf diese Themen und Diskurse sinnvoll anwenden? Welche Relevanz mit Blick auf die medial hergestellten und in ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Diskurse, ihre Themen, Personen und Präsentationsweisen? Das ist die zentrale Fragestellung, der sich dieses Buch widmet. Haben wir es dabei tatsächlich mit einer Neuordnung der Geschlechter in der Ğȱ£ȱǵ
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Politik auf dem Boulevard? – Einführung
ђѠѐѕљђѐѕѡђџѡѕђќџђѡіѠѐѕђȱ ђѢяђѠѡіњњѢћєȱёђѠȱќљіѡіјяђєџіѓѓѠ Im Folgenden soll aus der Perspektive der Geschlechterforschung ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ £ ȱ [ěȱ und Privatheit, zwischen demokratischer und populärer Teilhabe £ ȱ §ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ Ğǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ£ ȱ ȱûȱ ȱ ǻǼ[ěǰȱ ȱ auf demokratietheoretischen Prämissen gründen, und Anforderungen, die aus der Geschlechterperspektive zu formulieren sind. ȱ§ȱȱȱ£ȱȱ£ȱȱěǯȱ Wer keine androzentrische Perspektive will, muss auf einen weiten ěȱ £ûǰȱ ȱ Ǯȱ §zesse aus ihrer Verklammerung mit staatlichen Agenturen und ǰȱȱĞȱûȱȱȱȱ transformieren, befreien“, wie Regina Köpl (2008:36) unter Bezug auf Eva Kreisky schreibt. Sie hält es für erforderlich, das von Jarren und Donges (2006) zu Grunde gelegte und ihrer Ansicht nach zu eng gefasste Verständnis von politischer Kommunikation zu erweitern. ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ Ğȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱǮȬȱȱȱȱȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȃȱ ǻǯDZȱ řŝǼǯȱ ȱ kategoriale Unterscheidung von Darstellungs- und Entscheidungspolitik (vgl. Sarcinelli 2005: 123) wird damit grundlegend in Frage gestellt. Auf dieser Grundlage gilt es zu bestimmen, welche Handlungsȱȱãěȱȱûǰȱ ȱûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěǰȱ ȱ ȱ £ȱ schützen sind (vgl. Sauer 2001; Dorer et al. 2008). Zur Disposition steht damit das zugrunde liegende Bild des Staatsbürgers und der ûȱ ȱ ȱ Ğǯȱ ȱ Ȯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ȯȱ ęȱ £ȱ ȱ ȱ Ğȱ Ĵǵȱ ȱ Ĥ§ȱȱãěȱȱȱȱȱûdigen, engagierten, kritischen MedienrezipientInnen zugrunde, die sich in rationaler Auseinandersetzung mit dem informativen Medienangebot durch eigene Selektionsstrategien und Bewerȱ §ǰȱ ȱ ãěȱ ȱ £ǯȱ In der Journalismusforschung wird diese Perspektive besonders DZȱǮȱȱĴȱȱȱȱ ȱ ȱ ȱ Ĥ§ȱ ȱ ğȱ ȱ gleichzeitig die notwendige Basis für den aufgeklärten Diskurs“
Lünenborg: Eine geschlechtertheoretische Perspektive
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(Blöbaum 1994: 169). Kritische Mediennutzung gilt hier als Vor£ȱ ûȱ £Ğȱ £ǯȱ ȱ ûber stehen die ‚couch potatoes’, die sich als vornehmlich passive MedienkonsumentInnen dem medialen Unterhaltungsangebot ausliefern. Keine aktive Auseinandersetzung als £, sondern lediglich konsumptive Nutzung als wird hier in dichotomer Gegenüberstellung postuliert. Boulevardisierte Mediendiskurse des Politischen bedienen – so die Sorge in publizistik- wie Ğȱ ȱ Ȯȱ ȱ ǰȱ ȱ £ȱȱȱȱȱ[ěǯ
‚ќѢѐѕȱќѡюѡќȂȱѣђџѠѢѠȱіѡіѧђћ ȱ ȱȱȱȱȱȱ Ğȱ hinein. So schreibt Barbara Holland-Cunz (2006: 25): Ǯȱȱȱ dem Fernsehgerät ist nicht der Ort der Demokratie, von dem die gesamte Ideengeschichte der Politischen Theorie der Neuzeit geträumt hat.“ Aus
ihrer Sicht erscheint die Unterscheidung zwischen Sprechenden und Schweigenden, zwischen KommunikatorInnen und Publikum demokratietheoretisch hochgradig problematisch: Ǯȃȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ [fentlichkeit verkommt zum mediatisierten Gespräch – TalkShow-Geschwätz auf der einen, Stummheit auf der anderen Seite. […] Dass diese […] Kommunikation die scharfe Teilung zwischen Sprechen und Schweigen institutionalisiert, interessiert ȱěȱ§ȱȱ ĞȱǻǼǯ
Sie argumentiert, dass die scharfe Trennung zwischen Sprechen und Schweigen Frauen in besonderer Weise ausgrenze: a. durch geringere Repräsentanz, b. durch weniger und kürzeres Sprechen und c. Ǯȱđȱ£ȱȅ Ȃȱȱûȱȱ ȱȱ[ěȱǰȱȱȱȱȱmen ihrer Intimisierung und Feudalisierung, in verletzender Grenzüberschreitung und/oder bewusst kalkulierter Erzeuȱȱǯȱȱãěȱȱȱǰȱ insbesondere der Akteurinnen, nimmt zu und fungiert als Kontrolle politischer Kompetenzen“ (ebd.: 26).
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Politik auf dem Boulevard? – Einführung
Während sich die ersten beiden Kritikpunkte grundsätzlich auf ȱȱ[ěȱ£ǰȱ ȱȱ£ȱ ȱȱȱȱȱãěDZȱȱ £ȱȱãěȱȱȱ§ȱ Gefahren für die Neugestaltung von Geschlechterverhältnissen.
ђџѠѐѕџѫћјѢћєȱѣќћȱ[ѓѓђћѡљіѐѕјђіѡ Ѣћёȱџіѣюѡѕђіѡ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ Geschlechterforschung ausführlich auseinander gesetzt (vgl. Herrmann/Lünenborg 2001, Herrmann 2002). So argumentiert Elisabeth
ȱǻŘŖŖŗǼǰȱȱȱȱȱȱȱȱ[ělichem und Privatem – die stets mit historisch gewachsenen GeĴȱȱȮȱȱ ȱãȱ ǯȱȱ§ȱȱûȱȱě£ǰȱȱ[ěȱ ȱȱȱȱǰȱȱ £ȱĞǰȱ sondern als Prozesse, die einer beständigen Neuaushandlung und ȱĚȱǯȱȱȱȱȱ £ȱ£ȱ[ěǰȱȱȱȱ§ǯȱȱ ist die Sorge, die exemplarisch von Holland-Cunz artikuliert wird, ȱ ȱȱȱȱěǯȱȱȱǰȱ die sich kritisch mit dem normativen Ideal des rational-aufgeklärten Diskurses auseinander setzen, wird diese Besorgnis artikuliert. So weist Liesbet van Zoonen (2005: 87-103) nach, dass die Thematisierung privater und familiärer Fragen in der MedienberichterĴȱȱȱȱȱȱ£ȱȱ ȱ ȱ ǯȱ§ȱȱȱ£ęȱ£ȱ Kompetenz und damit Statuszugewinn zugesprochen wird, dient es bei Politikerinnen nach wie vor primär einer Abwertung und ǯȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ Ĵȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ aus geschlechtertheoretischer Perspektive kritisch zu betrachten. Gleichwohl – das machen die einschlägigen Analysen deutlich – steckt in dem Prozess der fortwährenden Verschiebung von Gren£ȱ£ ȱãěȱǻǼȱȱǰȱȱȱ der medialen Auseinandersetzung zu schützen ist, beträchtliches gestalterisches Potenzial. Eine zentrale Frage der MediengesellĞȱȮȱȱȱ ǵȱȱȱǵ – wird hier fortwährend neu verhandelt. Die über lange Zeit gültige Trennung zwischen ȱ [ěȱ ȱ §ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ
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der primär weiblich besetzten Privatheit ist obsolet geworden. ‚Politik auf dem Boulevard’ ist ein Element eben dieses Prozesses von Grenzverschiebung. Dabei ist analytisch zu prüfen, in welcher Weise im medialen Diskurs des Boulevards Geschlechterrollen konstruiert, deformiert, umgedeutet werden. Neben den besorgniserregenden Resultaten, die mit dem Verlust vormals geschützter Privatheit beschrieben werden können, sollen hier auch die positiven Optionen veränderter Geschlechterarrangements in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Welche neuen Themen werden zum Geȱãěȱ£ǰȱȱ£ȱȱvatsache waren? Welche neuen Akteurinnen und Akteure erfahren mediale Aufmerksamkeit jenseits enger, geschlossener politischer, Ğȱȱ£ȱǵȱȱ£ûȱ politischen Handelns werden explizit, wenn Politiker und Politikerinnen auch in ihren lebensweltlichen Kontexten medial sichtbar ȱ ǵȱȱ ȱ[ěȱȱ ǰȱ ȱȱ tradierte Dichotomien hinter sich lässt?
ђњіћіѠѡіѠѐѕђȱ ќћѧђѝѡђȱ ѣќћȱ[ѓѓђћѡљіѐѕјђіѡ ȱȱȱȱ§ȱ[ěȱȱȱ von feministischen Theoretikerinnen formuliert worden. Seyla Benhabib (1995) betont den prozeduralen Charakter der Herstellung ȱ[ěǰȱȱ ȱǰȱȱȱ§ȱ ȱ[ěȱǯȱȱûĞȱȱȱ¢ȱȱ an, die prononciert in Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas’ ȱ ûȱ [ěȱ ǻŗşşŖǼȱ £ ȱ ȱ ȱDZȱȱ§ȱȱȱě§ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ £ȱ ûǯȱ [ěȱ ȱ ǮȱȱȃȱǻȱŘŖŖŞDZȱŗŞǼȱ£ȱǰȱȱđȱ£ȱ jeder Person die Teilhabe zu ermöglichen und dabei grundsätzlich allen die gleichen Möglichkeiten zu geben, gehört zu werden. Poȱě§ȱ£ȱ[ěǰȱȱȱǮȱ£ȱ ȱ ǰȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ£ȱ ȱȃȱǻǯǼǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ȃȱ [ěȱ leitete sich stets primär aus dem Verstoß gegen das Prinzip der gleichen Teilhabe ab. So formulieren Abels und Bieringer (2006: 12) in einem Überblick:
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Politik auf dem Boulevard? – Einführung Aus feministischer Perspektive ist ein gendering politischer Kommunikation mit Überlegungen zur demokratischen Teilhabe zu verknüpfen, basierend auf der Erkenntnis, dass hegemoniale Öffentlichkeiten immer noch männerdominiert sind, während sich ȱĞȱȱȬȱȱ ãěȱ ǰȱȱ ȱ ȱ ȱ ȅǻȬǼ̧Ȃȱ ȱ ȱ [ělichkeiten (z.B. als Nachrichtensprecherin, nicht aber als Chefredakteurin).
юѠȱёђњќјџюѡіѠѐѕђȱќѡђћѧіюљȱ ёђѠȱȅќѢљђѣюџёѠȁ Kritisch gilt es damit zu prüfen, ob und in welchem Maße boulevardisierte Formen der politischen Kommunikation veränderte Formen der Partizipation mit sich bringen. Dieser Frage haben sich Politik ȱ Ğȱ £ ǯȱ dere Andreas Dörner hat mit seinem Konzept des Politainment darauf verwiesen, dass boulevardisierte, populäre Mediendiskurse ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ Ǯãěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ đȱ £ȱ ǰȱ ȱ £ȱȱãěȱȱȱ£ȱ steuern.“ (Dörner 2001: 98) Populäre politische Diskurse adressieren und erreichen besonders weite Teile der Bevölkerung. Dörner hat sich nicht in besonderer Weise damit auseinander gesetzt, in wie weit eine solch integrative Funktion dazu beitragen kann, Geě£ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ û ǯȱ ȱ der Ausgangspunkt seiner Überlegungen bietet dazu einiges Po£ǯȱȱ Ğȱȱȱȱȱȱ Ȭǰȱȱ ǰȱȱȱȱȱĞȱ Partizipation, von Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen abwendet. Im Gegenteil: Bei der lustvollen, aktiven und zugleich skeptischen Auseinandersetzung mit unterhaltenden Medienanȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ Ȭȱ ȱ ȱ Ĵǯȱ ȱ ȱ ȱ ãȱǰȱȱ£ǰȱȱǮ§ȱ als eine von mehreren möglichen Welten“ (Dörner 2001: 238) ȱ ǯȱȱȱȱǻŘŖŖśǼȱûĞȱȱȱ ȱ ȱȱȱȱãěȱ§ȱǯȱȱȱȱ eben jener Konvergenz von Politischem und Populärkultur eine £ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ und gerade mit Blick auf Geschlechterverhältnisse. Diese Option
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erschließt sich für sie, indem sie die Parallelen zwischen populärȱ£ȱȱûĞȱ ȱ in den Blick nimmt: Both fans and citizens emerge as a result of performance, of popcultural and political actors respectively; both fans and citizens seek information about their objects, talk and discuss, try to convince others of their preferences, and propose alternatives (ebd.: 145).
In den zentralen Modi populärkultureller Unterhaltung – dem Fokus auf das Individuum (Personalisierung) und der populären Gestaltung einer Erzählung (Dramatisierung, Emotionalisierung) – sieht sie wesentliche Ressourcen zur Re-Vitalisierung politischer £ȱȱ£ȱȱȱ[ěǯȱ Aus geschlechtertheoretischer Perspektive werden damit Ambivalenzen sichtbar: Die aktuellen Formen der Boulevardisierung politischer Kommunikation bergen einerseits Risiken einer verstärkten Trivialisierung und auch Sexualisierung des Mediendiskurses. ȱ ȱ ȱ ě£ȱ ȱ ȱ §ǯȱȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ tischen die Chance einer Veränderung der Geschlechterordnung: ȱǰȱȱȱ£§ ȱęȱȱȱ ȱ ȱ [ěǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ nachfolgenden Beiträge ausloten.
ѢȱёђћȱђіѡџѫєђћȱіћȱёіђѠђњȱѢѐѕ Die Beiträge in diesem Band gehen zum größten Teil auf die
£ȱ Ǯȱ ȱ ȱ ǵȃȱ £ûǰȱ ȱ ȱ Lünenborg im September 2007 von an der Freien Universität Berlin organisierte.1ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ [ěȱ
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Dank gilt an dieser Stelle der FU Berlin, hier insbesondere ihrer Zenȱ Ğȱȱ ǰȱȱę£ȱ die Durchführung der Tagung sowie die Drucklegung dieses Bandes gefördert hat. Großer Dank gilt zudem dem studentischen Team mit ȱ ǰȱ ȱ ǰȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ û£ȱ ǯȱ Ein ganz besonderer Dank geht dabei an Katharina Fritsche, die neȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ
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Politik auf dem Boulevard? – Einführung
ȱ ȱȱȱȱ Ğȱûȱ£Ȭȱȱ
Ğȱ ǻ Ǽȱ ȱ ȱ men international und interdisziplinär angelegt. Diese Diskussionen sind in die Beiträge eingearbeitet worden, einzelne Texte sind ganz neu hinzugekommen. Die hier zusammengestellten Aufsätze fragen ȱȱȱȱȱę£ȱȱȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ [ěǯȱȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ £ȱ aktuellen Formen der medialen Verhandlung von Politik in boulevardisierten Formen und Formaten. Allen gemeinsam ist dabei die Frage nach den Folgen populärer Mediendiskurse für die Herstellung, Darstellung und Verhandlung von Geschlechterrollen und identitäten. Die interdisziplinäre und internationale Zusammensetzung der AutorInnen bringt unterschiedliche Herangehensweisen, theoretische Konzepte und methodische Herangehensweisen mit sich. Diese Vielfalt verweist einerseits auf unterschiedliche Kon£ȱȱ Ğǰȱȱȱȱ zueinander existieren und in Deutschland nicht immer in ihrer Vielfalt wahrgenommen werden. Insbesondere die französische
Ğȱ ȱ ȱ Ğȱ und historischen Tradition – hier vertreten mit einem Beitrag von Marlène Coulomb-Gully – unterscheidet sich deutlich von den ȱ Ğȱ §£ȱ ȱ deutschsprachigen Raum (vgl. dazu Averbeck 2008). Zugleich verweist die Vielfalt aber auch auf das interdisziplinäre Potenzial der Gender Studiesȱȱȱ Ȭȱȱ Ğǯȱ ȱȱȱ Ğȱȱ ȱȱȱȬȱȱ Ğȱten. Gerade in der interdisziplinären Zusammenschau werden die Ambivalenzen des popularisierten Mediendiskurses für die GestalȱȱĞȱȱȱ ȱ sichtbar. Die Beiträge sind in insgesamt fünf Teile gegliedert, die sich auf unterschiedliche Ebenen des Kommunikationsprozesses beziehen. Der erste Teil konzentriert sich auf Strukturen und AkteurInnen im Journalismus, fragt also nach dem Verhältnis von Geschlecht und Journalismus unter sich wandelnden ökonomischen, sozialen und technologischen Bedingungen. Nach einem Aufriss der Wandlungsprozesse im journalistischen Berufsfeld stellt Margreth Lünenborg Tagung auch die redaktionelle und technische Betreuung des Buches umsichtig, sorgfältig und kreativ vorangetrieben hat.
Lünenborg: Eine geschlechtertheoretische Perspektive
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die Frage, ob sich dadurch auch die Funktionsweisen und Aufgaben ȱ ȱ §ǯȱ ȱ [ěȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ und eine verstärkte Entwicklung hin zu Unterhaltungs- und Ratgeberjournalismus lassen sich parallel beobachten. Sie diskutiert, wie sich Journalismus verändert und welche Rolle Frauen dabei übernehmen. Claudia Riesmeyer und Martina Thiele untersuchen am Beispiel ȱȱȱȱȱĴȱȱȱǰȱ ȱȱ Spiegel und SpiegelOnlineȱȱ§ȱȱȱĴȱ hochgradig geschlechterstereotyper Beschreibungen charakteriȱ ǯȱ ȱ ȱǰȱȱ ȱȱ Ĵbuierungen in vermeintlich neutrale Maßstäbe für journalistische Qualität eingeschrieben sind. Tarja Savolainen schließlich beschreibt aktuelle Entwicklungen ȱ ¢ȱ ȱ ǯȱ ȱ ûĞȱ ǰȱ ȱ ȱ einen Zusammenhang zwischen der Kommerzialisierung des Fern¢ȱ ȱ ȱ §ȱ [ěȱ ûȱ ȱ ǯȱ ȱ hohem Partizipationsniveau im internationalen Vergleich kann sie ȱȱȅãȱěȂȱȱ£ȱ ¢ȱ ǯȱ[ěȱȱȱĴ ȱ nachgezogen, so dass auch mit Blick auf die Bildschirmpräsenz von Frauen von einer Konvergenz der Systeme gesprochen werden kann. Im zweiten Teil rücken die politischen AkteurInnen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sowohl ihr strategisches Kommunikationsmanagement als auch die mediale Wahrnehmung und Repräsentation der Politikerinnen und Politiker spielen hier eine Rolle. Margreth Lünenborg,ȱ Ĵȱ ã, Tanja Maier, Kathrin Müller und ȱ Ĵ untersuchen in einer Fallstudie den Mediendisȱȱȅȱ·Ȃȱȱȱãěȱȱȱȱȱ April 2008. Sie rekonstruieren die Entstehung des Bildmaterials, analysieren den Mediendiskurs und – bislang eine Leerstelle in ȱ ĞȱȱȮȱȱȱ mit der Rezeption und Aneignung dieser Medientexte durch junge Frauen. Macht und Geschlecht werden an diesem Beispiel als spannungsreiche Beziehung wahrgenommen. Auch ãȬ ȱ widmet sich der Kanzlerin und analysiert ihr Kommunikationsmanagement. Am Beispiel des letzten Bundestagswahlkampfes und der ersten Regierungsjahre der Kanzlerin zeichnet er nach, in welcher Weise Merkel Boulevardmedien zur ãěȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ǰȱȱȱȱěȱȱȱ£ȱ£ǯȱ
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Politik auf dem Boulevard? – Einführung
¸ȱȬ ¢ betrachtet die mediale Darstellung der beiȱ£ãȱ§Ğȱȱ£ȱkampf, Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy. In der Tradition der £ãȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱȱ§ȱȱȱ§ǯȱ ûȱ ȱ ȱ ¢ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ tik“, die in Habitus und Hexis der KandidatInnen ihren Ausdruck ęǯȱ Der Beitrag von Sabine Seggelke macht deutlich, dass Privatheit ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ £ȱ ist. In ihrer Auseinandersetzung mit der Première Dame werden Konzepte der strategischen Kommunikation von Privatheit sichtbar. Angefangen mit Yvonne de Gaulle im Jahr 1958 bis hin zu Carla Bruni-Sarkozy heute werden, unter Berücksichtigung von §ȱȱ Ğȱȱ¢ǰȱĞȱȱ ȱȱ§Ĵȱǯȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ telpunkt. In globalen Diskursen um kulturelle Zugehörigkeit und Fremdheit kommt der Dimension Geschlecht verstärkte Relevanz zu. Gabriele Dietze analysiert, in welcher Weise deutsche Medien visuell das Fremde als bedrohliches Anderes herstellen. Als ‚okziȱ Ȃȱ £ȱ ȱ ȱ Ĵȱ über MigrantInnen, bei der die Darstellung von Geschlecht, ethnischer wie religiöser Zugehörigkeit dazu dient, für das Publikum Zugehörigkeit zur überlegenen westlichen Kultur herzustellen. Die Versuche, Barack Obama im US-Wahlkampf 2008 als fanatischen Muslim zu karikieren, verweisen auf die Wirkmächtigkeit dieser visuellen Strategie. ȱ befasst sich mit den Männlichkeitskonstruktionen im ‚Krieg gegen den Terror’. Ausgehend von einer feministischen Analyse von Kriegsstrategien und der Rolle der Medien im Krieg analysiert sie Männlichkeitsbilder in der ZeitungsberichterĴȱȱȱŗŗǯȱȱŘŖŖŗȱȱȱȱȱ Krieges in Afghanistan. Westliche Politiker zeigt sie dabei als kriegsbefürwortend und entschlossen, mit vermeintlich männlich ȱ Ğȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȅȂȱ dagegen erscheint als feminin, unberechenbar oder ihm wird gar seine Geschlechtlichkeit abgesprochen. Der vierte Teil setzt sich mit geschlechtsgebundenen Rezeptionsweisen popularisierter Mediendiskurse auseinander. Corinna Peil untersucht die Rezeption der Tagesthemen-Moderation. Die ȱȱȱĴȱãȱviel-
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§ȱęȬȱȱǰȱȱûȱ ȱȱĴȱȱȱǯȱȱ schlecht des Publikums und der Moderierenden erweist sich dabei in mehrfacher Hinsicht als strukturprägend.
ȱãǰȱȱ £ȱundȱȱ ě interesȱȱûǰȱ ȱȱȱȱȱãěȱ Kommunikation von PolitikerInnen haben. Werden sie dadurch ‚menschlicher’ und somit als authentisch wahrgenommen? Oder haben Gefühle auf der politischen Bühne nichts zu suchen? Anhand einer Rezeptionsstudie mit Jugendlichen wird herausgestellt, dass sich gerade die Neu-WählerInnen mehr ‚Politik zum Anfassen’ wünschen, vor allem Mädchen formulieren den Wunsch, mehr über PolitikerInnen auch jenseits ihrer professionellen Rolle zu erfahren. ȱđȱûĞȱȱ ȱȱȱȱ sichtbar, dass Strategien medialer Popularisierung von Politik keineswegs ein neuartiges Phänomen sind.ȱ ȱ zeigt ȱȱȱȱĞȱûȱȱ£ȱȱȱŘŖǯȱ Jahrhunderts. Schon damals waren Formen der Boulevardisierung ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ [ělichkeit von und für Frauen und unerlässlich für die Politisierung ȱȱȱãǯȱȱğȱ ȱȱȱ ȱ ãěȱȱȱȱ ȱȱ auch Propaganda-Kommunikation im Nationalsozialismus. Bemerkenswert ist, dass bereits vor 100 Jahren der heute so genannte £ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ausmachte. Damit wurde Frauen durch Bildung, Information und ȱȱȱȱȱ Ğȱãǯ Martina Thieleȱ đȱ ¢ȱ ȱ Ȭęȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ £ȃȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Strategien der Visualisierung, Privatisierung, und Emotionalisierung, um auf unterhaltsame Art und Weise Ideologie zu verbreiten. ȱȱęȱȱȱęȱȱȱ Material werden hier gleichzeitig traditionelle und moderne ȱ ȱ£ȱȱȱȱȬ[ěǰȱȱ ȱȱȱȱȱ ȬȱȱĞȱ wandelt.
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Politik auf dem Boulevard? – Einführung
іѡђџюѡѢџ ǰȱ Ȧǰȱ ĴȱǻŘŖŖŜǼDZȱ ȱȱȱȱ
DZȱǯȱȱǯȱĞȱûȱȱ Ğǯȱ Ğȱ ŘDZȱ ȱ ȱ der politischen Kommunikation, S. 9-20. ǰȱ ȱ ǻŘŖŖŞǼDZȱ tȱ ȱ £ęȱ Ǯȱ ȱȃDZȱ Ğȱ ȱ reich. In: Carsten Winter/Andreas Hepp/Friedrich Krotz (Hg.): ȱȱ ȱ Ȭȱ ȱ Ğǯȱ Grundlegende Diskussionen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen. Wiesbaden: VS, S. 211-228. Benhabib, Seyla (1995): Selbst im Kontext. Kommunikative Ethik im Spannungsfeld von Feminismus, Kommunitarismus und Postmoderne. Frankfurt: Suhrkamp. Blöbaum, Bernd (1994): Journalismus als soziales System. Opladen: Westdeutscher Verlag. ǰȱ Ȧ ǰȱĴȦ ãǰȱȱǻ ǯǼȱǻŘŖŖŞǼDZȱȱ – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung. Wiesbaden: VS. Dörner, Andreas (2000): Politische Kultur und Medienunterhaltung. Zur Inszenierung politischer Identitäten in der amerikanischen Film- und Fernsehwelt. Konstanz: UVK. Dörner, Andreas (2001): Politainment. Politik in der medialen ȱĞǯȱDZȱǯ ǰȱ ¢ȱ ǻŘŖŖŞǼDZȱ ȱ ȱ ȱ [ěǯȱ §ȱ ȱ ě§ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ǯȱ DZȱ ȱ ȦĴȱ Geiger/Regina Köpl (Hg.) (2008): Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung. Wiesbaden: VS, S. 18-34. Gerhards, Jürgen/Neidhardt, Friedhelm/Rucht, Dieter (1998): ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ãěȱ Meinungsbildung am Beispiel der deutschen Diskussion zur Abtreibung. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
ǰȱ ûȱ ǻŗşşŖǼDZȱ ȱ ȱ [ěǯȱ Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen GesellȱĞǯȱĚǯȱDZȱǯȱ Herrmann, Friederike (2002): Privatheit, Medien und Geschlecht. Bisexualität in Daily Talks. Opladen: Leske + Budrich.
Lünenborg: Eine geschlechtertheoretische Perspektive
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ǰȱȱǻŘŖŖŗǼDZȱȱ[ěȱȱȱȮȱȱȱ ȱ[ěǯȱȱȱ£ǯȱDZȱ Friederike Herrmann/Margret Lünenborg (Hg.): Tabubruch als Programm. Privates und Intimes in den Medien. Opladen: Leske + Budrich, S. 15-35. Köpl, Regina (2008): Verschiebungen – Neuvermessungen – (Wieder)Entdeckungen. Feministische Diskurse zum Ver§ȱ ȱ [ěȦȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ǯȱDZȱ ȱȦĴȱ Ȧ Regina Köpl (Hg.) (2008): Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung. Wiesbaden: VS, S. 35-50. Ross, Dieter (1998): Die Regression des Politischen. Die Massenmeȱȱȱ[ěǯȱDZȱ ȱȦȱ£ȱ ǻ ǯǼDZȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ Ȯȱ ȱ ȱ ȱ[ěǯȱDZȱȱǰȱǯȱŗŚşȬŗśŜǯ Sarcinelli, Ulrich (2005): Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Ĵȱȱȱ¢ǯȱDZȱǯ Sarcinelli, Ulrich/Tenscher, Jens (Hg.) (2008): Politikherstellung und Politikdarstellung. Beiträge zur politischen Kommunikation. Köln: von Halem. Saxer, Ulrich (2007): Politik als Unterhaltung. Zum Wandel poȱ [ěȱ ȱ ȱ Ğǯȱ £DZȱ UVK. van Zoonen, Liesbet (2005): Entertaining the citizen. zen. When politics and popular culture converge. Critical media studies: InstituǰȱǰȱȱǯȱDZȱ ȱǭȱĴęǯ Sauer, Birgit (2001): Die Asche des Souveräns. Staats und Demokratie ȱȱ ĴǯȱDZȱǯ
ђѠѐѕљђѐѕѡђџќџёћѢћєђћȱ ѢћёȱѡџѢјѡѢџђћȱ ёђѠȱ ќѢџћюљіѠњѢѠȱіњȱюћёђљȱ юџєџђѡѕȱҿћђћяќџє Ǯȱ ȱ ȱ ǯȃǰȱȱȱȱmessage. InternatiȬ ȱĞȱûȱ im Herbst 2007. Und in der Unter£ȱȱȱȱȱ ȱ§DZȱǮȱȱȱ durchsetzen: Ändert sich der Inhalt?“ (message 4/2007: 1). Illustriert ist das Cover mit einer Zeichnung, die eine energische, blonde Frau am Kopf des Konferenztisches sitzend zeigt. Einigen Männern ihres Alters macht sie entschiedene Ansagen: Sie analysiert die vor ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ěȱ £ȱ ûȱ ȱ Ğǯȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ konzentriert. Ein Online-Redakteur des Berliner Tagesspiegel erläuȱȱȱĞDZȱǮȱȱȱęȱ£ǰȱ ęȱȱȱȱȱȱȱȃȱǻȱ ȱŘŖŖŝDZȱ 8). Mercedes Bunz, Leiterin des Online-Ressorts seit dem Frühjahr 2007, verkörpert für ihn solch ein Wagnis. ȱǰȱȱȱȱ£Ğȱ£ȱȱǰȱȱ auf ersten Auswertungen einer Delphi-Befragung der Universität £ȱ£ȱĞȱȱ ȱǻ ȱŘŖŖŝǼǯȱȱǰȱ ein ȱ im Journalismus, reiht sich ein in eine illustre Sammlung vorwiegend männlicher Statements zu den Geschlech§ȱȱ ǯȱȱȱȱ§ȱě§ȱ ȱȱȱȱǮȱĴȃȱǻȱȱǯȱŗşŞŜǼǰȱȱȱ in den USA in den 1980er Jahren die ‚Feminisierung’ der PR konstatiert und als Bedrohung der Profession diagnostiziert wurde. Im folgenden Beitrag werden diese Prognose sowie die aktuellen Befunde zur Geschlechterstruktur im Journalismus dargestellt und diskutiert. Im Kern geht es dabei um die Frage, welche §ȱ ȱ §ȱ ȱ Ĵęȱ ȱ ȱ Ğȱ £ȱ ȱ ǯȱ ȱ ûĞȱ ȱ ȱ ȱ
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Verbindungen und Zusammenhängen zwischen einer stärkeren Präsenz von Frauen in (politischen) Redaktionen und veränderten ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ǯȱ Grundlegender gesprochen, rückt die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen einer zunehmenden Popularisierung ȱȱȱȱĴȱȱȱ Anteil von Journalistinnen in den Redaktionen. Lässt sich hier ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang erkennen? Wird dieser in der Ğȱ Ĵȱ ǵȱ ȱ Bedeutung hat das für die aktuelle Journalismusforschung? Diese Diskussion wird hier in Erkenntnisse der Geschlechterforschung zum Wandel von Berufen und ihrer GeschlechtsgebunȱĴǯȱȱĴȱǻŘŖŖŘǼȱȱȱȱěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ûȱ ěǯȱ Sie lieferte zahlreiche historische Beispiele dafür, wie Geschlechtergrenzen innerhalb einer Profession entstehen und unter welchen Bedingungen sie sich historisch verschieben können. Ausgehend von diesem Wissen werden hier aktuelle Veränderungs- und Umbruchprozesse im Journalismus analysiert. Diese Analyse ermöglicht es, einen Zusammenhang herzustellen und damit zumindest einige Indizien für ein doing gender in journalism im aktuellen Umbruchprozess zu rekonstruieren. Erforderlich ist dafür eine kulturtheoretische Perspektive, die Journalismus als kulturelle ¡ȱ ę£ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěǰȱ ȱȱȱ£ȱȱȱȱ als integralen Bestandteil von Journalismus als kultureller Praxis zu erkennen und analytisch einzuarbeiten. Von dort ausgehend werden die Folgen des strukturellen Wandels für die Bedeutung ȱ ȱȱȱĞȱǯ Diese Überlegungen werden im Folgenden entlang von sechs Thesen entwickelt. Sie beginnen mit einer Bestandsaufnahme zur Partizipation von Frauen im Journalismus sowie dem aktuellen Wandel der Geschlechterstrukturen im Berufsfeld und reichen weiter über die Diagnose eines strukturellen und funktionalen Wandels von Journalismus, der tradierte Gegensatzpaare obsolet werden lässt. Auf dieser Grundlage lässt sich ein Wandel der Geschlechterstrukturen als Ausdruck und zugleich Motor des Wandels von Journalismus charakterisieren.
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Politik auf dem Boulevard? – I. Journalismus These 1: Frauen im politischen Journalismus erscheinen ȱǯȱȱȱǮȱȱȃȱ - ȱȱǮȱȱȃȱ
Am Tag, als Deutschland erstmalig von einer Kanzlerin regiert ǰȱ ęȱ ȱ ȱ ǯȱ §£ȱ ȱ ȱ chernd saßen sie auf der Besuchertribüne, bemerkten politische JournalistInnen anderntags pikiert. Sabine Christiansen und Friede ȱĴȱȱȱȱȱȱȱĴȱȱeinführung beigewohnt. Sollte sich mit der Ernennung von Angela Merkel zur Kanzlerin jene Sorge bewahrheitet haben, die im Somȱ ŘŖŖřȱ ȱ ȱ §Ğǵȱ ȱ ǰȱ ȱ der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, fragte damals ǰȱ ȱ ȱ ȱ ûĞȱ ȱ ȱ ûȱ DZȱǮȱȱDZȱȱûȱȱ ȃȱǻȱŘŖŖřDZȱřřǼȱȮȱȱȱtĞȱûȱ der konservative Meinungsmacher, das mediale Matriarchat habe längst begonnen. Mit Friede Springer und Liz Mohn ständen in Deutschland mächtige Frauen auf der EigentümerInnenseite. Mit Sabine Christiansen und jetzt Anne Will, Maybrit Illner und Sandra Maischberger sind es prominente Journalistinnen, die den zentralen politischen Talkrunden Gesicht und Struktur geben (ebd.). Besorgnis erregend erschien dem FAZ-Herausgeber die politische Deutungsmacht einer neuen Generation von Journalistinnen. Schirrmacher konstatierte die Verdrängung der Männer von den Schaltstellen ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ Ǯ§§rung“ drohe unter diesen Umständen heraufziehen (ebd.) und der Feuilletonist sorgte sich dabei möglicherweise gar um die eigene Ğǯ Ganz anders klingt die Sorge über den Einzug von immer mehr Frauen in die Redaktionen in Teilen der Journalismusforschung. ȱ ȱ ȱ ȱ ŗşşŝȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ Ǯȃȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ Ǯ fühls- und Tränenjournalismus“ als Synonym für Qualitätsverlust gefunden (Weischenberg 1997). Die überproportionale Präsenz von Frauen in Unterhaltungs- und Ratgebersendungen steht damit pars pro toto für die Feminisierung des Journalismus, die zugleich einen ‚Abstieg auf den Boulevard’ bedeutet. Mit dieser Zuweisung werden Geschlechterdichotomien vitalisiert, die entlang der Achse männlich versus weiblich Gegensatzpaare wie Information versus
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Unterhaltung, Ratio versus Emotion, relevant versus trivial und ãěȱȱȱȱǻǯȱ£ȱȱ ȱŗşşŜDzȱ Klaus/Lünenborg 2000). Auch in den aktuellen Erhebungen zur Situation der Journalistinnen und Journalisten in Deutschland, wie zum Beispiel in ěȬ ȱȱĞǯȱȱûȱȱ ȱȱȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ûȱ Ǯ ȱ ȱ ȱ heutzutage haben kann, wer eine junge, hübsche Frau ist, deshalb ins Fernsehen kommt und populär wird“ (Weischenberg et al. ŘŖŖŜDZȱŘŖǼǯȱǮ ȱȱȱ£ȱ ȃȱǻǯDZȱŗŜǼȱȱ Bärbel Schäfer, Frauke Ludowig, Birgit Schrowange und Verona Feldbusch bilden die besorgniserregende Folie, vor der mit erhoȱęȱȱ DZȱǮȱȱȱȱ ȱ verdünnen, ohne dass es seine Wirkung verliert? Wie und wann geht dem Journalismus durch die Prozesse der Boulevardisierung ȱȱ£ȱǰȱȱȱȱȱȱĞlichen Selbstbeobachtung untauglich wird?“ (ebd.). Die Tätigkeit von Journalistinnen steht hier symptomatisch für Qualitätsverlust ȱ DZȱ ȱ Ĵ§ȱ £ȱ männliche Seriosität und Expertise. In diesen Interpretationen der JournalismusforscherInnen übernehmen also Frauen nicht die Meinungsmacht, wie Schirrmacher befürchtet hat, hier tragen Journalistinnen vielmehr maßgeblich £ȱǰȱȱǰȱǰȱ¢ȱȱĚxion verloren gehen. Es sind in besonderer Weise die Frauen, so suggeriert der ȱûȱȱ ȱȱ (Weischenberg et al. 2006), die verantwortlich für Infotainment, Boulevardisierung und Trivialisierung sind und damit Schuld an einem substanziellen Qualitätsverlust tragen. Ähnliche Befürchtungen klingen in der Leipziger Delphi-Studie an: Die Mehrheit [der knapp 4.000 online befragten JournalistInnen, Anm. d. A.] ist überzeugt, dass die zu erwartende Frauendominanz sich auf das Medienangebot nachhaltig auswirken wird – primär auf die Themenauswahl, aber auch auf die Art der Themenpräsentation (Haller 2007: 15).
Details über die zu erwartenden Veränderungen werden (noch) ȱ ǰȱ ȱ ȱ £ęȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ȅȂȱ ȱ ȅȂȱ
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beschrieben. Gleichwohl: Eine Revolution ist durch die Frauen nicht zu erwarten, konzedieren doch insbesondere die befragten Männer ȱ ȱǮȱȱĞȃȱǻǯDZȱŗřǼǯ ȱ ȱ §ęǰȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ auf der Tagesordnung steht – und um die geht es bei der aktuellen ȱ ȱ ȱ ěȱ Ȯȱ ȱ ȱ Auseinandersetzung vehement geführt. Die Argumente, die dabei ins Feld geführt werden, sind, so zeigt sich, widersprüchlich und ȱȱȱȱǯȱȱ§ȱĴȱ ȱ deshalb die Fakten dokumentiert, um die Geschlechterstrukturen im aktuellen Journalismus analytisch fassen zu können.
ȱ ŘDZȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ȭ nalismus bleibt die Geschlechterhierarchie stabil. Im politischen Journalismus sind Frauen dabei längst keine Exotinnen mehr. Die ‚gläserne Decke’ durchbrechen sie jedoch nur selten. Die Sorge Frank Schirrmachers lässt sich schnell aus der Welt schaffen: Der Anteil von 37 Prozent Journalistinnen im Jahr 2005 verweist zwar auf einen ansteigenden Trend, aber von einer ‚Machtübernahme’ sind die Frauen weit entfernt (Weischenberg et al. 2006: 45). Bereits Anfang der 90er Jahre hat Lünenborg (1997) im europäischen Vergleich einen Frauenanteil in den Redaktionen von circa einem Ĵȱ Ĵǯȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ £Ȭȱ ȱ Arbeitsmarktsystem der Staaten zwischen Dänemark und Spanien erwies sich die Geschlechterstruktur im Journalismus als erstaunȱ ǯȱ £ęȱ ǰȱ Ȭȱ ȱ ȱ ȱ Profession erwiesen sich als dominant gegenüber ‚weicheren’ Faktoren des Sozialsystems wie Betreuungsangeboten für Kleinkinder, ȱ£ȱ£ȱȱȱĚ¡ȱ£ȱ im Journalismus. Zu diesem Zeitpunkt bewegten sich Journalistinnen in den USA bereits auf merklich höherem Niveau. Mit einem Anteil von gut ȱĴȱȱȱȱȱȱûȱȱ£ȱȱȱ Redaktionen eingestiegen und dort verblieben (vgl. Robinson 2005, Klaus/Lünenborg 2007). Doch der Anteil von Journalistinnen in den USA stagniert bereits seit etwa 10 Jahren auf diesem Niveau. Ein tatsächlich ȱ , ein Wechsel von einer männlichen zu einer weiblichen Profession ist (anders als in der PR) bislang nicht in Sicht. Die Hierarchien sind – in den USA genauso wie in Deutschland –
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weiterhin fest in Männerhand. An der Spitze deutscher Redaktionen bewegt sich nahezu nichts: In Chefredaktionen hat der Frauenanteil innerhalb von 13 Jahren um ganze 3 Prozent zugenommen, von 19 £ȱȱ ȱŗşşŘȱȱŘŘȱ£ȱȱ ȱŘŖŖśǯȱȱȱĴȱ Führungsebene der Ressortleitung machen Frauen heute immerhin 29 Prozent aus, 1992 waren es noch 20 Prozent (Weischenberg et al. 2006: 46). Während Volontärinnen bereits seit Jahren die Mehrzahl stellen, liegt der Anteil der Redakteurinnen bei 39 Prozent. Entscheidend sind also zum einen der Verbleib von Frauen im Journalismus sowie zum anderen ihre Chancen (und der eigene Entschluss), innerhalb der Hierarchie aufzusteigen und damit publizistische wie gestalterische Entscheidungsmöglichkeiten zu haben. Bislang ȱȱȱȱȱ£ȱȱȱȱȱĴ ȱ eine durchaus weit verbreitete Erkenntnis, dass dafür strukturelle Veränderungen der Arbeitsbedingungen erforderlich sind: Die Anpassungsleistung kann nicht von den auf die Doppelrolle eingestimmten Frauen, sie muss von den männlichen Redaktionsmanagern geleistet werden. […] Zum Beispiel die Flexibilisieȱȱ§ǰȱȱĠȱȱǰȱ Ȭring (Haller 2007: 14).
Forderungen, die von FrauenforscherInnen und JournalistInnen bereits in den 1980er Jahren formuliert wurden, haben im 21. Jahrhundert damit immerhin Eingang in die ‚Mainstream’-KommunikatorInnenforschung gefunden. Bemerkenswert an den aktuellen Wandlungsprozessen im Journalismus erscheint, dass sich die geschlechtsgebundene Verteilung nach Ressorts und damit inhaltlichen Zuständigkeiten deutlich nivelliert hat. So sind Frauen in den Politikressorts gemäß ihrem Anteil in der Profession insgesamt vertreten. Noch in den 1980er Jahren, das zeigen die ersten Studien in Deutschland, waren die Politik-Redaktionen quasi frauenfrei (vgl. Neverla/Kanzleiter 1984). Daran hat sich Grundlegendes geändert. Die Arbeit im Politikressort gehört genauso zum Repertoire von Journalistinnen wie die in der Kultur, dem Lokalen oder dem Ratgeber. Dennoch hält sich die These von ‚Frauenressorts’ und ‚Männerressorts’ bis heute hartnäckig. Die Behauptung einer merklichen Unterrepräsentanz der Frauen im Politikressort im Vergleich zu anderen Arbeitsbereichen durchzieht die Forschung bis heute. So konstatierte das ForscherInnen-Team der ersten nationalen KommunikatorInnenstudie ȱȱǰȱǮȱȱȱ ȱȱȅ¢ȱmänn-
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liche’ und ‚typisch weibliche’ Ressorts gibt. […] Eine Reihe von Ressorts erweist sich deutlich als ‚männlicher’ Arbeitsbereich. £ȱ ãȱ ȱ ȱ ȱ Ȭȱ ȱ ȱ Ğȃȱ (Weischenberg et al. 1994: 19f.). In der Nachfolge-Studie von 2006 werden die Daten über den Anteil von Männern und Frauen in den ȱȱȱ ȱě£ȱǯȱ Auf Grund immer zahlreicher werdender nicht-ressortgebunden arbeitender JournalistInnen verringert sich die Validität der verbleibenden Daten zur Ressortbindung. Dennoch erscheint hier ein detaillierter Blick gewinnbringend. Vergleicht man die Reihung ȱǰȱȱȱ ȱȱ§ęȱǰȱ mit der ihrer (männlichen) Kollegen, so verliert sich die (früher Ǽȱě£ȱ£ ȱȱ ȱȱ ȱ ǯȱȱȱȱȦǰȱĞȱȱȱ ȱȱȱęȱȱǯȱȱđǰȱ innerhalb der Gruppe der Journalistinnen ist ein Arbeitsplatz in ȱȱȱȱ§ęȱ£ěȱ ȱȱ ȱ§ȱ ǯȱ ȱęȱȱ gibt es in den Ressorts Sport, Feuilleton sowie Ratgeber/Service. Im ȱȱęȱȱȱȱȱ ihrem Anteil an der Profession insgesamt. Damit ließ sich für den Journalismus in Deutschland bereits Anfang der 1990er Jahre DZȱǮȱ£ȱȱȱ¢ȱ ȱȱ ȱǻǼȱȱȱđȱ£ęȱȱ wie es die Forschung uns bislang annehmen ließ. ȱ ȱ ȱȱȱȱ“ (Lünenborg 1997: 115, Herv. i. O.). Mit diesem Argument nämlich versuchen einige Journalismusǰȱ ȱ ¡ȱ ě£ȱ ȱ ȱ ȱ Männern und Frauen zu erklären. So verweisen Weischenberg et al. (1994: 22) auf die unterschiedlichen Ressortzugehörigkeiten von ȱ ȱ §ȱ ȱ ûȱ ûȱ ěȱ ǯȱ Ǯȱ ȅ§Ȃȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ sich ein(e) JournalistIn wohl eher ‚einen Namen machen’ als in weiblichen ‚Bastionen’ wie Mode, Ratgeber oder Familie“. In der aktuellen Bestandsaufnahme der Profession wird auch auf die PR ȱȅĜȱȂȱ ȱǻȱȱǯȱŘŖŖŜDZȱŚŝǼǯȱ Tatsächlich ist dieses Arbeitsfeld deutlich stärker von Frauen ge§ǰȱȱȱȱȱȱě£ȱ£ ȱ den Geschlechtern manifest (vgl. Fröhlich et al. 2005). Die Konstruktion des Politikressorts als männliches Feld in Abgrenzung zum
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ȅĜȱȂȱȱȱȱ£ȱȅ Ȃȱȱȱ deutlich, in welchem Maße professionsintern Grenzziehungen via Geschlecht vorgenommen werden. Tatsächlich erfolgt die Rekrutierung für Leitungspositionen auf oberer und oberster Ebene (zum Beispiel für die Chefredaktion oder die Auslandskorrespondenz) in der Regel aus dem politischen Ressort. Johanna Schwenk (2006: 178) hat in ihrer Dissertation bei einer Befragung von 1.128 deutschen Journalistinnen und Journalisten einen Frauenanteil von 44 Prozent unter den PolitikredakteurInnen erhoben. Diese Daten können zwar nicht als repräsentativ angesehen werden1, gleichwohl bieten ihre Daten einen aktuellen Hinweis auf verstärkte Präsenz von Frauen in Politikressorts. Eindrücklich sichtbar wird eine Balance ebenfalls bei der Frage nach dem Wunschressort: Bei Männern wie Frauen führt das Politikressort das berufsinterne Ranking an. Hier wollen Männer wie Frauen am liebsten arbeiten. Im eigenen Berufsleben dagegen ęȱȱȱȱ§ȱȱ ȱȱȱȱȱ Lokal- und Regional-Ressort wieder, während die Politik bei beiden Geschlechtern den zweiten Platz einnimmt. Sichtbar wird an ȱ§£ǰȱȱȱȱȱȅ §ĞȂȱ des journalistischen Handelns im Selbstverständnis der Profession nach wie vor dominant ist. Auch wenn sich das tatsächliche Täȱȱȱ ȱȱě£ȱȱ und die Bereiche Unterhaltung, Ratgeber und Service an Bedeutung £ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȅĤ§Ȭ ideal’ geprägt, in dem sich Journalismus im kritischen Verhältnis £ȱȱ¢ȱęǯȱȱȱȱȱ sich Männer und Frauen gleichermaßen und leiten davon ihre beĚȱЧȱǯȱȱȱȱȱ ȱ ȱ werden, dass Journalistinnen durch das Ausweichen auf randständige Ressorts ihre Karrierechancen mindern.
1
Da keine Zufallsstichprobe gezogen wurde, sondern die freiwillige Teilnahme an einer Online-Befragung zu Grunde lag, ist der Repräsentationscharakter der Studie zu hinterfragen. Diese methodische £ȱĚȱȱȱȱȱǯȱȱhen Frauenanteil von 47 Prozent an ihrer Befragung führt sie auf das methodische Vorgehen zurück und interpretiert ihn entsprechend vorsichtig. Im Sample sind überproportional JournalistInnen aus öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vertreten.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Politikressort historisch als fast ausschließlich von Männern besetztes Ressort gewachsen ist. Heute jedoch hat sich ein Wandel vollzogen: Journalistinnen sind im Politikressort in etwa im selben Maße präsent, in dem sie an der Profession insgesamt teilhaben. Der aktuelle Trend §Ğȱȱȱȱȱ§ȱ ȱǰȱȱ der sich Journalistinnen längst nicht mehr auf einen ‚Exotinnen-StaȂȱ£ǯȱȱȱȱȅ§Ȃȱęȱȱ ȱ ȱûȱȱȱ ȱãěǯ ȱȱȱ ě£ȱȱȱ ȱ ȱȱ ǯȱȱ§ȱĴȱȱȱȱȱ Politikressort hat ihnen die Türen in die Chefredaktion bislang nicht ȱ ȱ ȱ ãěǯȱ ȱ Unterscheidungen bleiben hier weiterhin wirksam. Exemplarisch für diese Prozesse steht eine Aussage des ehemaligen Spiegel-Chefredakteurs Stefan Aust. An der Spitze des Nachrichten-Magazins standen 2007 drei männliche Chefredakteure, neben 25 Ressort- und (stellvertretenden) Büroleitern fanden sich gerade mal zwei Frauen. Stefan Aust begründet diese Personalpolitik im Unterschied zu der bei ȱ: Es hat sich eben leider herausgestellt, dass in der Auswahl derjenigen, die für bestimmte Positionen in Frage kommen, beim ȱȱę£ȱȱ£ȱęȱǰȱȱȱȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ğǰȱ §ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǻȱ ŘŖŖŝDzȱ ǯȱ auch Lünenborg 2007a).
Das verweist bereits auf den gegenteiligen Einwand: Journalistinnen bedrohen nicht deshalb, weil sie politische Macht übernehmen, sondern weil sie genau das nicht tun. Journalistinnen – das sugȱ £ȱ ȱ Ğȱ ȱ Ȯȱ ȱ §ȱǰȱǻǼȱĴȱ£ȱ§ȱȱ ȱ£ǰȱ politisch zu analysieren und kritisch zu kommentieren. Zugewiesen wird ihnen die Kompetenz, in besonderem Maße zu unterhalten, zu plaudern und Gefühle zu erzeugen, aber eben nicht knallhart zu recherchieren, kritisieren oder kommentieren. Diese Argumentation wird – soweit es sich rekonstruieren lässt – nicht systematisch ȱ ûǰȱ ȱ ȱ ¢DZȱ £ęȱ ȱ Journalistinnen entwickelte Formate – Margarethe Schreinemakers, Birgit Schrowange oder Sabine Christiansen – stehen prototypisch für einen geschlechtsgebundenen Journalismusstil. Und dass dieser
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Stil als besorgniserregend eingeschätzt wird, soll hier noch einmal ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ DZȱ Ǯȱ gilt als Ausdruck immanenter Selbstgefährdung auf den globalen Informationsmärkten“ (Weischenberg et al. 2006: 17). Bemerkenswert daran erscheint, dass die AutorInnen damit, ȱ ȱ ȱ £ȱ ǰȱ ȱ ûȱ ě£ȱ tȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ£ûǯȱ ȱ ȱȱȱ Ğȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯ ȱ ȃȱ ǻǯȱ ȱ ŗşşŘǼǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ǰȱ ȱ ȱ §ęȱ ȱ ȱ đǰȱ ȱ ȱȱȱě£ȱȮȱȱûȬȱǰȱ ȱȱěȱȱȱȱ basierend – dennoch bedeutsam für Journalistinnen ebenso wie für Forscherinnen (vgl. Klaus 1998). Auf dieser Grundlage wurde eine verstärkte Orientierung an alltagsnahen Themen, eine Ausrichtung auf ein breites und vielfältiges Publikum sowie ein stärker an Personen und ihren Biographien angelehntes journalistisches Arbeiten als besondere Qualität von (manchen) Journalistinnen ǯȱ ȱ ȱ £ęȱ §ûȱ ȱ £ȱ Ausgangspunkt für eine geschlechterpolare Unterscheidung von Qualitäts- und ‚Boulevardjournalismus’ genommen werden, mutet mehr als irritierend an.
ȱřDZȱȱȱȱȱ[ěȱȱ Ȭ ȱȱȱ£ȱȱȱȱ Rundfunk und der damit verbundenen Vervielfältigung ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱãěǯȱȱȱ ǰȱȱȱȱȱ Ĵȱ ȱ ȱ Ȭ ȱȱȱĴǰȱȱȱȱȬ lust des Journalismus einher. Herlinde Koelbl (2001) hat die Erscheinung politischer Journalisten und (einzelner) Journalistinnen in Berlin wenig charmant, aber trefȱȱǮȃȱǯȱȱȱ£ȱȱȱȱ dem übersichtlichen, beschaulichen Bonner ‚Glashaus’ in das großstädtische, nach anderen sozialen Gesetzen funktionierende Berlin ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ §ǯȱ ȱ die Vervielfältigung der AkteurInnen brachte die in Jahrzehnten
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gewachsene Relevanz- und Beziehungsstruktur zwischen politischen und publizistischen Eliten in Unordnung. Die politische Journalistin Tissy Bruns (2007: 13) beschreibt diesen Wandel als eigenen Leidenprozess: ȱȅĞȂȱǽdzǾȱȱȱȱûȱȱ ȱǽǰȱǯȱǯȱǯǾȱ ǯȱȱ£ȱĞȱãȱȱ das unbestimmte Gefühl, dass die wachsende Quantität der Me2 dien im umgekehrten Verhältnis zur Qualität der Arbeit steht.
Ähnlich kritisch beschreibt Lutz Hachmeister (2008) das Phänoǰȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ Meinung ins konservative Lager diagnostiziert. Bei beobachteter Vervielfältigung der publizistischen AkteurInnen konstatiert er gleichwohl ein Fortbestehen einer publizistischen Elite, die an ȱ ȱ ȱ ȱ ǮȬ ȃȱ ǻȦȱ ŘŖŖŝǼȱ £ȱ ǯȱ ȱ ûĚûȱ £ȱ §ǰȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ đȱ §ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ£ȱȱȱ ǰȱȱȱĞȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ãDZȱ Ǯȱ formale Dominanz der neuen publizistischen Klasse wirkt sich in der Systemkonkurrenz ‚Journalismus’ versus ‚Politik’ vor allem personell aus, weil das journalistische System, eingebunden in eine erweiterte Unterhaltungs- und Bewusstseinsindustrie, in seiner £ȱ Ĵȱ ǰȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ akademische Sphäre“ (Hachmeister 2008: 88). Bemerkenswert an ȱǰȱȱ ȱȱ[ěȱȱ ȱȱ £ȱȱȱĴ§ȱ§£ǯȱȱȱ Aspekt wird später noch eingegangen. Die Vervielfältigung des Medienangebots und der MedienproduzentInnen beschränkt sich dabei keineswegs auf den politischen
Ȭ ǯȱ ȱ ȱ ě£ȱ ȱ Ğȱȱ§ȱ¢ȱȱ-Angeboten ebenso wie durch die Vervielfältigung journalistischer Angebote im Hörfunk-, Fernseh- und Online-Markt hat das Volumen gedruckter Zeilen, gesendeter Minuten und verfügbarer Inhalte beträchtlich zugenommen. Vielfältige neue Medienorganisationen sind Řȱ ȱȅĞȂȱ£ȱ¢ȱȱȱȱȱȱtreter, die Helmut Kohl nach der Sitzung des Spendenuntersuchungsausschusses umringen. Ein Foto dieser Szenerie wurde im Jahr 2000 als ‚Rückblende’ preisgekrönt (vgl. Bruns 2007: 12).
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entstanden, deren Personalpolitik ungleich dynamischer angelegt ǰȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ãěȬȱ Rundfunkanstalten gewohnt waren und sind. Nach wie vor sind die traditionellen Medien – Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen vorne weg – diejenigen mit dem geringsten Frauenanteil (vgl. Weischenberg et al. 2006). Die höchsten Anteile gibt es in den elektronischen Medien, insbesondere bei den kommerziellen Anbietern. Diese Entwicklung ist nicht allein in Deutschland zu beobachten, auch im europäischen und nord-amerikanischen Kontext zeigt sich, ȱȱȱ§ȱȱȱ[ěȱûȱȱȱȱȱȱȱãěȱȱ ȱȱȱĴȱȱȱȱãȱǻǯȱ Lünenborg 1997, Robinson 2005, vgl. dazu auch Savolainen in diesem Band). ȱ [ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ handelnden Akteurinnen und Akteure hat erhebliche Unruhe mit ȱ ǯȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ dabei zweifellos, dass Strukturen, die in Jahrzehnten gewachsen sind, abrupte Veränderungen erfahren haben. Die vergleichsweise kleine publizistisch-journalistische Elite, die im ‚Glashaus Bonn’ ȱ ǰȱȱ ȱ§ȱȱĴȱ ȱ im Umgang mit PolitikerInnen etabliert, die kollektiv respektiert wurden. Dies betraf auch den Umgang mit privaten und intimen ȱ£ȱȱȱǯȱtȱě§ǰȱĞȱ ȱ Ğȱ ȱ Ȯȱ ȱ ȱ ȱ – vielleicht gesprochen, aber nicht publiziert. In Berlin agieren jetzt die langjährigen ExpertInnen, die auf eine Partei spezialisiert sind und ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ǰȱ Seite an Seite neben Neulingen und PraktikantInnen, die schnell am Reichstag einen O-Ton einfangen müssen oder auf der Suche nach exklusiven News sind.3ȱȱĚãȱȱȱ sozialen Milieus der KorrespondentInnen, verbunden mit einem deutlich erhöhten Exklusivitätsdruck der Medien, hat langjährig gewachsene Reglements und Tabus fragil werden lassen. Exemplaȱ£ȱȱȱȱȱȅě§ȱȁǰȱȱȱȮȱȱȱ Parteikollegen – sein Leben mit einer Geliebten und gemeinsamem
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Es mutet dabei nicht ganz zufällig an, dass immer wieder junge FrauȱȱȱûȱǰȱĞȱȱȱlistisches Handeln angeführt werden (vgl. beispielsweise Bruns 2007: 13f.).
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nachhaltig geschwächt wurde. War das Privat- und Intimleben von SpitzenpolitikerInnen in Bonn vor der medialen Aufdeckung sicher, so gilt diese Regel in Berlin nicht mehr. Das veränderte kommunikative und soziale Gefüge hat die Grenzen zwischen Wissen und Publizieren verschoben. Nicht allein das Ideal der demokraȱ Ĥ§ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ Mit diesen Veränderungen im politischen Journalismus geht – und ȱȱ£ ȱ§ȱûȱȱěȱȮȱȱ§ȱ Image- und Prestigeverlust der journalistischen Profession einher. Diesen Wandel als Folge oder Ausdruck einer Feminisierung des Journalismus zu beschreiben, ist nicht nur verkürzt, sondern stellt den Versuch dar, Geschlechterhierarchie im Wandlungsprozess erneut herzustellen. Aus der Perspektive der Geschlechterforschung gilt es, die geschlechtsgebundene Zuweisung journalistischen Handelns kritisch zu revidieren. Journalistinnen machen nicht qua Geschlecht ‚anderen’ Journalismus – weder per se emanzipatorischen, noch per se trivialisierenden. Aktuelle Entwicklungen im Journalismus machen ȱ ǰȱ ȱ Ǯ ȱ ȱ £ȱ £ ȃȱ ǻĴȱ ŘŖŖŘǼȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ěrenzen in den professionellen Praktiken sind es damit die hierarȱě£ǰȱȱûȱȱȱȱȱ Handeln von Männern und Frauen im Journalismus sowie über die Ğȱ§£ȱȱȱȱ ȱ entscheiden. Das heißt, es gibt sehr wohl einen Zusammenhang zwischen der Veränderung von Journalismus durch Formen der Boulevardisierung und Unterhaltungsorientierung und der Steigerung des Frauenanteils in der Profession. Allerdings lässt sich dabei kein simpler Ursache-Wirkungs-Zusammenhang herstellen.
These 4: Die strukturellen Veränderungen im Journalismus ȱ ȱ ȱ Ȭǰȱ Ȭǰȱ Ȭȱ und Nutzwertorientierung. Damit werden Grenzen zu anȬ ȱȱȱ ȱǯ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱě£ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱȱĴǰȱȱȱȱȱȱ ě£ȱȱ£ȱ£ȱȱ Produktion, die mit der Verschiebung der Geschlechterstrukturen im Journalismus einhergeht und diese zugleich ermöglicht.
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Versucht man, Journalismus in seinen vielfältigen Ausdrucksformen £ȱȱȱȱ£ȱûȱȱ Ğȱ£ȱben, so reicht eine Konzentration auf den politischen Journalismus und hier insbesondere den Nachrichtenjournalismus längst nicht mehr aus. Das Repertoire journalistischer Themen, Formen und Formate hat sich beträchtlich erweitert. Charakteristisch dafür ist eine verstärkte Publikumsorientierung, die vielfältige Ausdrucksȱęȱǻǯȱ£ȱûȱûȱŘŖŖśDZȱŗŖŜȬŗŚśȱȱ 201-219, 2009). Exemplarisch seien an dieser Stelle einige Phänoȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ãěȱ ȱ beleuchtet. Die Entwicklung neuer Erzählformen und Präsentationsweisen hat eine verstärkte Alltagsorientierung in den Journalismus einziehen lassen. Unübersehbar wird diese in verschiedenen Formaten des Reality-TV, die dokumentarisches Erzählen in veränderter Form repräsentieren. Ohne an dieser Stelle ethische und professioȱ Ěȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ¢ȱ Zurschaustellung ignorieren zu wollen, beinhalten diese Formate ȱȱ£ǰȱ£ȱȱ[ěȱȱȱȱ von Medien-AkteurInnen, ihren Lebenspraktiken und Ausdrucksweisen beizutragen. Das Eintreten ‚normaler Menschen’ mit ihrer ȱȱȱ ȱȱȱȱ[ěkeit erweitert das Repertoire – auch und insbesondere mit Blick auf die Geschlechterstrukturen. Mit der Alltagsorientierung rücken Frauen und Männer zunehmend gleichgewichtig in den Fokus journalistischer Aufmerksamkeit. Ȭ gilt im Journalismus nicht länger als lästiges Accessoire, sondern ist zu einem integralen Bestandteil journalistischer Aufgaben und Leistungen geworden, mit denen sich zudem erfolgreich Geld verdienen lässt. Was bis in die 1990er ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȅȂȱ ȱ ȱ ȱ ȱ KommunikatorInnenforschung als klassisches ‚Frauenressort’ ę£ȱ ǰȱȱȱȱȱ ȱȱ neuen Glanz ȱȱȱȱǮ£ Ȭ ȃȱǻȱŘŖŖŚǼȱǯȱ ȱ ĞĴǰȱ Ȭȱ ȱ ȱ – zentrale Orientierungsgröße in der journalistischen Arbeit ist der Anspruch, der Leserin oder dem Nutzer hilfreiche, entscheidungsrelevante Informationen zur Verfügung zu stellen: Nachrichten, die für die eigene Alltagsgestaltung des Publikums Relevanz haben, sind damit ein fundamentaler Unterschied zum traditionellen politischen Nachrichtenjournalismus. Dieser Funktionswandel in Teilen des Journalismus ist dabei keineswegs unproblematisch. Insbesondere
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in diesem Bereich des Nutzwert-Journalismus ist die Grenze zwiȱȱȱȱȱĞȱȱȱ£ȱ£ǯȱ Im Bereich der ¢ȱ ȱ -Angebote beruht die Expertise der JournalistInnen auf besonders intensiven Verbindungen zu ȱ ȱ ȱ ȱ £ęȱ ȱ oder Dienstleistungen. Das Ideal journalistischer Unabhängigkeit ist unter diesen Bedingungen nur durch sehr strenge redaktionelle Verhaltensregeln und Sanktionen zu gewährleisten (vgl. Dernbach/ Quandt 2009). In diesem Bereich der unscharfen Grenze zwischen PR und Journalismus lassen sich besonders deutlich Formen der ȱě£ȱȱ ȱ£ǯ Schließlich ist aktueller Journalismus durch eine zunehmende gekennzeichnet. Ob in der News-Show, der Talk-Runde, der dokumentarischen Erzählung oder großen ‚Seite-3-Geschichte’ in überregionalen Tageszeitungen, Kriterien der Unterhaltsamkeit in der Themenauswahl und Präsentationsweise haben immens an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklungen sind einerseits einer verstärkten Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Medien zuzuschreiben, andererseits – und dieser Gedanke wird später weiter verfolgt – verweisen sie auf eine systematische Berücksichtigung des Publikums, seinen Rezeptionsgewohnheiten und -interessen. Die Frage, welche Bedeutung und gegebenenfalls Bedrohung die Unterhaltung für den Journalismus darstellt, wird ȱ ȱ Ğȱ Ğȱ ȱ trovers diskutiert (vgl. dazu die unterschiedlichen Positionen in Scholl et al. 2007). Unabweislich ist aus historischer Perspektive, ȱȱȱȱĴȱȱ§ȱȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ[ěȱȱȱ ĞȱĴȱǻǯȱ£ȱ Ȧûborg 2000 und Lünenborg 2007b). Aktuell lässt sich konstatieren, dass Unterhaltung und Unterhaltsamkeit ein integraler Bestandteil journalistischer Kommunikation sind. Zusammengefasst bedeutet das: Nicht Journalistinnen sind in besonderer Weise verantwortlich für eine Unterhaltungsorientierung und Boulevardisierung von Journalismus, sondern eine massive Ausweitung des journalistischen Angebots hat den Markt für Journalistinȱãěǯȱȱȱ[ěȱȱȱȱȱȱler, inhaltlicher und gestalterischer Wandel. Als strukturelles Problem ĴȱȱȱȱȱȱȬě£ȱ£ȱ Formen der medialen Unterhaltung und zur PR auf.
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These 5: Nur in einer verengten Perspektive der JournaȬ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȅ £ûȂȱ£ǰȱ ȱȱȱȬȱ ȱě£ȱ£ §ęȱȱ§ȱ bewertet. Der politische Journalismus, genauer der politische Nachrichtenjournalismus, nimmt innerhalb der Profession im Selbstverständnis wie auch in der Fremdzuschreibung durch die Journalismusforȱ ȱ ȱ ȱ ȅ §ĞȂȱ ǯȱ §ȱ Ȭȱ ȱ Reisejournalismus, Ratgeber- oder Motorjournalismus, aber auch Formen des Infotainment oder des Reality-TV als Randbereiche der Profession gelten, die an Umfang gewonnen haben, gilt der politische Journalismus vor allem mit Blick auf die normative Legitimierung der Profession als das eigentliche Herzstück. Wenn Journalismus ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ đȱ daher bezieht, sein Publikum zu kompetenten Staatsbürgerinnen und -bürgern zu machen, wenn Journalismus mit dem normativen ȱȱȅȱ ȂȱĴȱ ǰȱȱûȱȱ§ȱ der politische Journalismus in den Fokus der Aufmerksamkeit. In einer dichotomen Struktur lassen sich damit zwei Typen von ȱȱ£ ȱěȱȱDZȱ ȱ ȱĤ§ȱǰȱȱ ȱȱ an die mündigen, aktiven BürgerInnen (£Ǽ. Er verfolgt das Ziel, [ěȱȱȱȱ£ǯȱȱȱ§ȱȱ Unterhaltung gewidmete Journalismus, der ein als passiv gedachtes ȱ ǯȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ handelnde Gruppe denn als KonsumentInnen (Ǽ in Erǰȱȱȱȱȱãěȱ§ǰȱȱ dem Privaten zuzurechnen sind. Diese dichotome Strukturierung ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Politik als männlich, Unterhaltung in der privaten Sphäre angesieȱȱ ȱĴȱ ȱǻǯȱ ȱŗşşŜǼǯȱȱȱȱ der Konstruktion der unterschiedlichen Felder als Gegensätze liegt das grundlegende Problem. Die oben beschriebenen strukturellen Veränderungen im Journalismus verweisen auf die wechselseitige Ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ěđȱ t§ǰȱ die sich eher als ein Kontinuum zwischen zwei Idealpositionen denn als Gegensätze beschreiben lassen. Liesbet van Zoonen (2005) £ȱ ȱ £ȱ ěȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ§ǰȱȱȱ ȱȱĴȱ übernimmt.
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Geht man jedoch von einer dichotomen Unterscheidung zwischen einem an die BürgerInnen gerichteten Informationsjournalismus versus an KonsumentInnen adressierte Unterhaltungskommunikation aus, so konzentriert sich ein großer Teil der nationalen wie internationalen KommunikatorInnenforschung explizit in der Anlage oder faktisch in der Auswahl der Befragten auf das Feld des politischen Nachrichtenjournalismus (vgl. zur kritischen Diskussion Klaus/Lünenborg 2000: 192-194 sowie Lünenborg 2005: 20-45). Diese Konzentration auf einen Teilbereich des Journalismus als dessen normativen Kern ist stets mit einem gender bias verbunǯȱȱȱȱȱ§ȱ ȱĞȱȱȱȱ ‚männlich’, während Soziales, Ratgeber oder Kultur als ‚weiblich’ ȱ ǯȱ£ȱȱĞȱȱ werden in einem binären System hergestellt. Dabei geht es nicht um ȱȱęȱ£ęȱȱȱ Journalismus, sondern um geschlechtsgebundene Konstruktionen Ğȱ §ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ęȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱȱ ¡ȱěȱ ǯȱ Gender is consequently ‚constructed’ in relation to a particular place and time and most importantly in relation to the existing power relations of the culture in question, as well as the gendered experiences one has over one’s lifetime (Robinson 2005: 9).
In diesem Sinne gilt Journalismus im Politikressort als bedeutsamer, machtvoller Bereich des journalistischen Handelns, der seine Macht ȱ ££ȱ ȱ ȱ Ĵȱ §ȱ £ȱ ȱ ȱ bezieht. Hier legitimiert sich Journalismus in seiner Funktion für Ğǯȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ Bruns, Publizisten wie Hachmeister oder JournalismusforscherInnen wie Weischenberg, Malik und Scholl in genau diesem Bereich ȱȱȱ §Ğ§ǯȱȱ ȱ verliert an Relevanz, die Privilegien eines elitären Zugangs zur Macht schwinden, die ‚Meute’ ist auf der Jagd nach News. Dieser Bedeutungsverlust von Journalismus in seinem ‚Kernbereich’ lässt die Qualität von Journalismus in toto zur Disposition stehen.
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ȱ ŜDZȱ ȱ ȱ ǰȱ die sich dem gesamten Repertoire journalistischer ProȬ Ȭȱȱ§ ȱ£ ȱȱȱ
¡ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ǰȱ ãěȱȱǯȱȱãȱȱ£ǰȱȱ ȱȱ ȱȱȱȱȱȬ ȱãěȱȱ£ȱǯ In Deutschland sind es insbesondere KommunikationswissenĞȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Geschlechterforschung, die sich kulturorientierten Theorieansätzen £ȱ§ȱȱȱȱȱĞȱ kation zuwenden (Röser 2000; Klaus 2004; Maier 2008). Betrachtet man Medien – und hier insbesondere Journalismus – aus einer solchen Perspektive, so verschieben sich Erkenntnisperspektiven und lösen sich Dichotomien als Gegensätze auf. Das Primat des politischen Nachrichtenjournalismus als Herz- und Kernstück ist damit in Frage gestellt. Journalismus ȱȱȱ§ȱȱĴȱȱȱ Zweck, kompetente StaatsbürgerInnen zu erzeugen, betrachtet. ȱ ȱ§ȱȱȱȱȱǮȱȱ £ȱ §ȱ ȱ Ğȃȱ ǻûȱ ŘŖŖśDZȱ ŗŖŗǼǯȱȱȱȱĞȱ§ȱȱ ȱȱǰȱ£Ğȱȱȱ wie der ȱ¢ gleichermaßen wie die Titelseiten der Tageszeitungen, Nachrichtensendungen der Rundfunk-Anstalten oder ȱǯȱȱ ȱȱȱĞȱ relevant, wenn sie vom Publikum mit Bedeutung versehen werden. ȱȱȱȱęȱȱȱȱ ȱȱĴǯȱȱȱȱ§ȱ erlangen dabei für das Publikum keineswegs automatisch höhere Bedeutsamkeit als alltagsnahe, unterhaltsam erzählte Stories. Für ȱ Ğȱ §ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ Einzelinformationen im Kontext eigener Erfahrungen und eigenen Weltwissens sowie im intertextuellen Zusammenhang mit anderen Medienangeboten diskursiv angeeignet werden. So wird das Unpolitische politisch, tragen populäre Medienangebote gleichermaßen ȱ ȱ ȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ğȱ £ȱ entwerfen (vgl. Renger 2000). Das erfolgreichste Online-Medium in Deutschland SpiegelOnȬ line zeigt, wie schnell die dichotome Strukturierung von Wichtigem versus Trivialem, Bedeutsamem versus Alltäglichen überholt sein
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kann. Im Angebot dieses Online-Mediums ist diese normativ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ęȱ ǻǯȱ ãȱ 2006). ‚Prominentenklatsch’ wird dort gleichgewichtig neben bundespolitischen Neuigkeiten positioniert. Etablierte Hierarchien von Relevanz sind damit in Frage gestellt. Es bedarf damit einer veränderten Forschungsperspektive, um diese gar nicht mehr so neue Unübersichtlichkeit in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit erkennen und analysieren zu können. Eine kulturorientierte Perspektive in der Journalismusforschung in der skizzierten Form konzentriert sich nicht primär auf KommunikatorInnenforschung, sondern bezieht die Rezeption und Aneignung journalistischer Diskurse als letztlich relevante Bedeutungsproduktion integrativ mit ein. Mit einer solchen Perspektive ist es möglich, Dimensionen der feministischen Forschung einzuarbeiten. Sie beschränken sich dann – und das sollte in diesem Beitrag deutlich werden – nicht allein auf die Analyse der Geschlechterverhältnisse in den Redaktionen im Sinne eines kontinuierlichen Auszählens der Arbeitsplätze von Männern und Frauen im Journalismus. Eine ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ den eingeschriebenen Geschlechterstrukturen in der Profession, in den medialen Konstruktionen von Wirklichkeit sowie in den vom ȱ ȱȱȱ Ğǯ
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ȅџѠюѡѧȱѓҿџȱѢђђћȱљюяљюȱєђѠѢѐѕѡȁȱ ȱ und Geschlechterstereotype reproduzieren љюѢёіюȱіђѠњђѦђџȱӕȱюџѡіћюȱѕіђљђ Die Kritik an der Person und der Sendung Sabine Christiansen ist alt. Solange es diese politische Talkshow gab, ist ihr vorgeworfen worden, zur Boulevardisierung von Politik beizutragen und ein Ersatzparlament zu sein (vgl. SpiegelOnline 23.6.06a). Als im Juni 2006 bekannt wurde, dass Sabine Christiansen die Talkshow nicht ȱȱ ǰȱȱȱĴȱȱȱȱ oder einen Nachfolger aus. ȱȱĴȱěȱȱ ȱ£trale Kritikpunkte an der Sendung und ihrer Moderatorin Sabine Christiansen wieder auf. Insbesondere das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und seine Internetausgabe SpiegelOnline waren nicht ȱǰȱȱȱȱȱĴǰȱȱȱ§đȱ berichteten und selbst NachfolgekandidatInnen ins Spiel brachten. Am Beispiel dieser Sendung wurde dort das Format politische Talkshow im Allgemeinen und das Phänomen der Boulevardisierung von Politik im Besonderen diskutiert. Vorausgesetzt, man hält an der Unterscheidung zwischen Information und Unterhaltung fest (vgl. Klaus 1996), nehmen politische Talkshows eine ‚Zwischenstellung’ ein, weil sie politische ȱȱĴǯȱȱ ȱȱ ȱȱȱĤȱȱȱȱȱǰȱȱ£ȱãěȬȱȱ ȱ konfrontative Sendungen. Neben der Presse und den Nachrichtensendungen in Hörfunk und Fernsehen zählen Sendungen wie Anne Will oder Maybrit Illner inzwischen zu den zentralen Instanzen der Ĵǯȱ ȱ ȱȱȱǰȱ ȱ sie zur ‚Inszenierung des Politischen’, zur ‚Boulevardisierung von
Riesmeyer & Thiele: ‚Ersatz für Queen Blabla gesucht‘
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Politik’ beitrügen, indem sie komplizierte Sachverhalte auf Meinung und Gegenmeinung reduzierten und den PolitikerInnen eine Bühne zur Selbstdarstellung böten (vgl. Meyer et al. 2000). Spiegel und SpiegelOnlineȱ ȱ ȱ Ĥȱ ȱ ȱȬȱȱȱȱĞȱ kungen, sie gaben insbesondere in ihren Beiträgen zur ChristiansenNachfolge auch vor, worin ‚guter Journalismus’ besteht, setzten also §đ§ǯȱ Ğȱ ȱ mit ihren Antworten auf die Frage nach Qualität im Journalismus vorsichtiger und sprachen von ‚Qualitätsdimensionen’ wie Aktua§ǰȱ£ǰȱȱȱĴȱǻǯȱȦ ȱ 2006; Held/Ruß-Mohl 2005; Fabris 2001; Rager 1994; Ruß-Mohl 1992).
ȱĚȱ ȱȱǰȱ ȱȱ§ȱstanden sind und welche Rolle dabei ein von Männern dominierter ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ Ğliche Geschlechterforschung diskutierte den Journalismus als ein ‚zweigeschlechtliches System’ und fragte, ob es einen weiblichen Journalismus geben kann (vgl. Keil 2000, Klaus 2005: 79). Letzteres ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ Ȭȱ ȱ Ȭȱ ȱ£ęȱȱȱ§ǰȱȱ§ȱ§ȱ journalistischen Praxis abweichendes Agieren von Frauen“ (ebd.: 205). Es überwögen die Gemeinsamkeiten. Wenn Journalistinnen Unterschiede wahrnähmen, dann deswegen, so Klaus, weil es eine Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ Ȭȱ ȱ Arbeitszusammenhang“ gäbe (ebd.). ȱ ȱ ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ auch in der journalistischen Praxis wird nach einem Unterschied zwischen weiblichem und männlichem Journalismus gefragt. In Anne Will, der Nachfolgerin Sabine Christiansens, vermutete der Spiegel eine Expertin in Sachen Geschlechterdualismus. Will sah ȱ ǰȱ Ǯȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ wissen wollen – nicht, um bestätigt zu bekommen, was sie schon zu wissen glauben“ (Der Spiegel 13.2.07: 118). Doch räumte sie ein, dass es natürlich auch hervorragende (männliche) Interviewer gibt. Angesprochen auf die Frage, was sie anders als Sabine Christiansen ȱ ǰȱ ȱDZȱǮȱȱȱȱǰȱĞȱ ȱ ȱ £ȱ ȃȱ ǻǯǼǯȱȱ ȱ ȱ Ǯȱ Frauen in die Runde bringen“ (ebd.).
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ѕџќћќљќєіђȱёђџȱюѐѕѓќљєђёђяюѡѡђȱ Im Juni 2006 meldeten die Nachrichtenagenturen, dass Sabine Christiansen ihre gleichnamige Talkshow nur noch bis zum Sommer 2007 moderieren wird. Diese Nachricht stand am Beginn einer Ĵǰȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ der insbesondere Der Spiegel und SpiegelOnline die Vorzüge oder Nachteile potentieller NachfolgerInnen diskutierten. ȱȱȱǰȱȱȱȱĢãren werde, kam Günter Jauch als ihr Nachfolger ins Spiel. Trotz seiner Tätigkeit für RTL und seiner zahlreichen Werbeverträge schien er der geeignete Mann zu sein. Doch platzten die Verhandlungen mit der ARD. Jauch gab Anfang 2007 bekannt, dass er nicht als Nachfolger von Sabine Christiansen zur Verfügung stehe. Daraufhin begann in der ARD die Suche nach einem anderen Moderator oder einer Moderatorin für eine politische Talkshow am Sonntagabend. Der nächste Favorit des Spiegels war der WDR-Moderator von ȱ ȱ , Frank Plasberg. Doch entschieden sich die ARD-Verantwortlichen nicht für ihn, sondern für die TagesthemenModeratorin Anne Will als Nachfolgerin von Sabine Christiansen. ȱ ȱ Ĵȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ersatz für die Tagesthemen-Moderation gesucht wurde. Dieser fand sich schließlich in Caren Miosga, die bis dahin die Moderation des Kulturmagazins titel, thesen, temperamente ûȱĴǯ Sabine Christiansen moderierte ihre letzte Sendung am 24. Juni 2007. Nach der Sommerpause, am 16. September 2007, ging Anne Will mit einer politischen Talkshow auf Sendung, die ebenfalls ihren Namen trägt und sonntags abends um 21.45 Uhr nach dem Tatort ausgestrahlt wird. Nach anfänglich verhalten positiver Kritik mehrten sich im Frühjahr 2008 die kritischen Berichte im Spiegel und in SpiegelOnline, in denen Anne Will vorgeworfen wurde, sich nicht deutlich genug von ihrer Vorgängerin und deren Sendekonzept abzusetzen.
ќѢџћюљіѠѡћћђћȱіњȱѝіђєђљ Spiegel und SpiegelOnlineȱ£§ȱ£ȱȱǮûȃǰȱ da sie von so genannten Opinion Leaders (PolitikerInnen, WissenĞǰȱ ǰȱ ȱ ǯǼȱ ȱ werden und andere Medien sich auf jene berufen (vgl. Bönisch 2006; Noelle-Neumann 1997: 555). 2007 gehörten Spiegel und SpiegelOnline
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zu den meist zitierten Medien (vgl. Media Tenor 2008). Der Spiegel ȱ ȱ ȱ ĞȱĚȱ ȱ Ĵȱ ŗǰŖśȱ nen Exemplaren Deutschlands führendes Nachrichtenmagazin (vgl. IVW 2008). SpiegelOnline erreicht mit über 4,5 Millionen NutzerInnen monatlich 11,2 Prozent aller Online-NutzerInnen und ist damit Nummer eins unter den deutschsprachigen Online-NewsMagazinen (vgl. SpiegelOnline 1.9.08). Als Untersuchungsobjekt bieten sich Der Spiegel und SpiegelOnȬ line nicht nur aufgrund ihres Status als ‚Leitmedium’ an, sondern auch, weil die Printausgabe in verschiedenen Studien für Stereotypisierungen, sexistische Darstellungen und die abwertende, ausgrenzende Sprache des Spiegel kritisiert worden ist (vgl. Huhnke 1996). Er gilt aufgrund seines Themenangebots, seiner Themenaufbereitung und -bebilderung, seiner mehrheitlich mit Männern besetzten Redaktion1ȱȱȱȱ§ȱĞȱ als ‚Männermedium’. Doch wie berechtigt ist der Vorwurf, dass Spiegel und SpiegelOnline Zuschreibungen von ‚gutem Journalismus’ geschlechtsbezogen vornehmen und ‚guter Journalismus gleich männlicher Journalismus’ ist? Unsere These lautet, dass Spiegel und SpiegelOnlineȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Nachfolgerin Christiansens sowie eine möglicherweise anstehende journalistische Neuausrichtung der Sendung einen Zusammenhang zwischen Geschlecht, TV-Format und journalistischer Qualität herstellten. Dabei reproduzierten sie überholte Geschlechterstereotype (vgl. Klaus 2005: 187; Klaus 2002). Journalistinnen, so die tradierte Vorstellung, seien aufgrund ihres weiblichen Kommunikationsstil und ihrer sozialen Rolle im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen zu einem kritisch kommentierenden Journalismus nicht fähig. Das schließt jedoch nicht aus, dass auch andere, eventuell mit dem ȱûĞȱȱȱȱ ȱȱ AkteurInnen wirken: Verhandelt wurden in den Spiegel-Beiträgen einerseits der journalistische Werdegang, das journalistische Selbst§ǰȱȱ£ȱȱãěȬȱǰȱ
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Trotz der wenigen Spiegel-Redakteurinnen und wenigen Beiträge zur Christiansen-Nachfolge, die von Spiegel-Mitarbeiterinnen stammten, behalten wir im Folgenden die geschlechterkorrekte Bezeichnung Spiegel-RedakteurInnen bei. Das ist auch deswegen angebracht, weil sich die Beiträge der Spiegel-Redakteurinnen über ihre KollegInnen Christiansen, Plasberg, Jauch und Will nicht von denen ihrer SpieȬ gel-Kollegen unterschieden, was die Reproduktion von Geschlechterund Berufsstereotypen anbelangt.
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die Ressorts, in denen Sabine Christiansen und ihre möglichen ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ £§£ȱ ȱ ȱ§ȱȱȱęǯȱȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ đȱ ȱ Ğǰȱ ǰȱ ǰȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ihr Privatleben zu geben. Diese Faktoren wurden in der BerichtĴȱ ȱ ǰȱ ûȱ ȱ ¢ȱ ȱ ȱ £ ȱ thematische Blöcke getrennt. So umfasst der eine alle Merkmale der journalistischen Profession und Arbeitsweise – und dazu gehören Ausbildung, journalistischer Werdegang, Selbstverständnis, Soziȱ ȱ ãěȬȱ ȱ Ȭ£ȱ ǰȱǰȱûĞȱȱǯȱȱȱ berücksichtigt diejenigen, in denen es um mediale Präsentationen ȱȮȱ£ȱãȱ đǰȱĞǰȱ ǰȱǰȱ ǰȱ Ğǰȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ãȱ ȱȱȬȱȱ ¢ȱĴȱ zu können, wurden die Zuschreibungen zu Sabine Christiansen und ihrer Sendung mit denen verglichen, die Spiegel und SpiegelOnline zu Günther Jauch, Frank Plasberg und Anne Will vornahmen. Der Untersuchungszeitraum begann am 23. Juni 2006 mit der Ankündigung Sabine Christiansens auszusteigen, er endete im ûȱ ŘŖŖŞȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȃǻȱ ȱ śǯśǯŖŞDZȱ ŗŖśǼǯȱ ȱ ȱ ȱ ãěchten Spiegel und SpiegelOnline 152 zum Teil mehrseitige Artikel. Print- und Onlineausgabe unterschieden sich in ihrer Publikati§ęȱǯȱSpiegelOnline reagierte schneller auf neue ǯȱȱȱȱȱȱûĴȱǰȱ der Absage Jauchs oder der Besetzung Wills über die Ticker der Nachrichtenagenturen gingen, erschienen in SpiegelOnline zum Teil innerhalb weniger Minuten aktualisierte, allerdings überwiegend auf Agenturmaterial basierende Beiträge. Das erklärt, warum zweieinhalbmal so viele Onlinebeiträge ausgewertet wurden (Der Spiegel: 42 Artikel, SpiegelOnline: 110 Artikel). Die Printbeiträge ȱ ȱ §ȱ ȱ §ęȱ §Ğǯȱȱȱ ȱĴȱȱ¢ȱǰȱȱȱ ȱȱȬȱĴȱǰȱȱȱȱ Bewertungen, Zuschreibungen und Deutungsmuster beider ‚Meinungsführermedien‘ erheben zu können.
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ȅ Ѣѡђџȱ ќѢџћюљіѠњѢѠȱєљђіѐѕȱ њѫћћљіѐѕђџȱ ќѢџћюљіѠњѢѠȂӓ ќѢџћюљіѠѡіѠѐѕђȱџќѓђѠѠіќћȱѢћёȱџяђіѡѠѤђіѠђ Sabine Christiansens journalistischer Werdegang erscheint manchen ungewöhnlich, weil sie nicht den Weg über Studium und Volonȱȱȱ ȱ §ȱǯȱȱǮȱ ȃȱ (SpiegelOnline 25.6.06) moderierte von 1987 bis 1997 die ARDTagesthemen. Schon in dieser Zeit war eine Diskrepanz zwischen Publikumsmeinung und KritikerInnenmeinung erkennbar. Erfuhr Christiansen durch die ZuschauerInnen viel Zuspruch und wurde mit Preisen bedacht, so wertete der Spiegel ihre journalistischen Leistungen ab. ARD-intern sei ihre Tagesthemen-Moderation zu ȱȱȱǮȱȱȱȃȱ£ȱ ȱǻǯǼǯȱ ȱ ȱȱȱȱȱȱ ȱ§ȱĴȱ ȱȱȱDZȱǮȱ ȱȱȱȱ ȬȱǽdzǾǯȱȱãȱȱĚãȱȱ ȱȱ ¢ĴȃȱǻȱȱŗŜǯŗŖǯşşDZȱŗŚŚǼǯȱȱ ȱ lauteten in den folgenden Jahren, dass das Gästespektrum elitär und ȱǯȱȱȱǯȱȱęȱȱȱ§ȱ ȱĴǯȱ §ǰȱȱȱȱ§ǰȱ ûden als Experten vorgestellt, ohne dass Christiansen hinterfrage, wessen Interessen ihre Gäste vertreten (vgl. Klein/Müller 2006). Die journalistischen Fähigkeiten Sabine Christiansens wurden also im Spiegel von Anfang an in Abrede gestellt. Nach der Ankündigung aufzuhören und damit zu Beginn unseres Untersuchungszeitraumes im Juni 2006, verwendeten die Spiegel-RedakteurInnen ihre früheren Formulierungen für Christiansen wieder, zum ǰȱȱȱȱȱǮ Ȭȃȱȱȱȱ investigativ nachfrage (Der Spiegel 26.5.06: 146f.). Im Verlauf der Ĵȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ £ȱ ȱ ȱ Ȭ Nachfrage von Sabine Christiansen“ bedauern (SpiegelOnline ŘśǯŜǯŖŝǼǰȱȱĴȱȱȱȱǮȱlektuelle Präsenz“ (SpiegelOnline 25.6.07b). Die journalistischen Qualitäten des potentiellen Nachfolgers Günther Jauch lagen hingegen für Spiegel und SpiegelOnline klar ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ǮtȬȃȱ ǻȱ ŘřǯŜǯŖŜǼǰȱǮȬȃȱǻȱȱŘŜǯśǯŖŜDZȱŗŚŜǼǰȱȱǮȃȱǻǯǼǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯ ȃȱ ǻȱ ŗŗǯŗǯŖŝǼǯȱ ȱ ȱ ȱȱȱǮãȃǰȱȱȱȱȱȱǮ§ȱ
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ȱ ȃȱ ǻǯǼǯȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȃȱ ǻ SpieȱŘŜǯśǯŖŜDZȱŗŚŝǼȱȱǮȱȱARD“ (Der Spiegel 15.1.07a: 62) ǰȱȱȱȱȱȱĚȱ£ȱȱȱȱ ȱ Ğȱǯȱȱȱ ȱȱûǰȱ Jauch werde Christiansen folgen, ist auch in der von SpiegelOnline §ȱtĞȱǮȱȱȮȱȱ£ȱȱErste“ (23.6.06b) erkennbar. Kritische Bemerkungen über Günther Jauch fanden sich im Spiegel dort, wo es um seine Werbeverträge und unternehmerischen Tätigkeiten ging. Setzte er seine Fähigkeiten allerdings in Verhandlungen mit der ARDȱǰȱȱȱȱȱǮschickte Verhandler“ (Der Spiegel 26.5.06: 148). Groß war die Aufregung beim Spiegel, als die Gespräche zwischen Jauch und der ARD Anfang 2007 platzten. Der Moderator ȱ ǰȱ Ǯȱ ȱ Ȭȱ ARD“ abzurechnen ǻȱȱŗśǯŗǯŖŝDZȱŜŚǼȱȱȱ ȱȱãěȬlichen Rundfunk und der Art und Weise, wie dort Entscheidungen ěȱ ǰȱ£ȱûǯȱȱARD, so Jauch, sei beherrscht von Ǯ ȱȱ ȃȱȱǮȱĴȱ§ȃȱȱȱãěȱȱǻǯǼǯ Mit der Absage Jauchs bot sich für Spiegel und SpiegelOnline die Gelegenheit, nun neue KandidatInnen ins Spiel zu bringen und ȱ ȱ ȱ £ǯȱ ȱ Ğȱ die LeserInnen der Onlineausgabe abstimmen und sich für Sandra Maischberger als Nachfolgerin aussprechen (vgl. Der Spiegel 5.2.07: 103), doch favorisierte der Spiegel klar den Moderator der WDR-Sendung ǰȱ ȱ ǰȱ ȱ ǯȱ Ǯȱ ȱ ȱ es keine Probleme. Er macht keine Werbung, ist in Sendungen des ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ §ȱ ȱȱ Ě¡ȱȱARD schon lange gewohnt. Er hat einen Grimme-Preis gewonnen und wurde jüngst zum ‚Politikjournalisten des Jahres’ gewählt“ (Der Spiegel 15.1.07a: 64). Die Bewertungskriterien des Spiegel für einen ‚QualitätsjournaȂȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ Ĵȱ ȱ ǮȬȃǰȱ ȱǮ ȃȱȱȱȱǮȬȃȱȱ Chancen, den begehrten Sendeplatz am Sonntagabend auszufüllen (alle Zitate aus Der Spiegel 26.3.07: 66). Die ARD entschied sich mit Anne Will für eine Moderatorin und damit - in geschlechtlicher Hinsicht - für Kontinuität am Sonntagabend. Wie schon bei Jauch und Plasberg thematisierten Spiegel und SpiegelOnline Wills journalistische Professionalität sowie persönlichen Vorzüge. Zwar erȱȱȱȱǮ¢ȱ ȃȱǻȱśǯŘǯŖŝǼǰȱ doch überwogen die positiven Zuschreibungen. Vorgestellt wurde
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ȱ ȱ ǮȬ¢ȃȱ ǻǯǼǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯ§£ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Schauer über den Rücken jagten und eitle Politiker so unprätentiös ins Leere laufen lassen“ (SpiegelOnline 17.7.07). Anne Will hat wie Sabine Christiansen die Tagesthemen moderiert, doch im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin brachte ihr das und die Tatsache, die erste Moderatorin der Ȭ gewesen zu sein, von Seiten der ARD und des Spiegel einen Vertrauensbonus ein. Kurz vor Start der Sendung Anne Will veranstaltete die ARD eine Pressekonferenz und gab eine Pressemappe heraus, in der das Konzept der Sendung ausführlich dargelegt wurde. Dieses versprach eine Art Gegenveranstaltung zu Sabine Christiansen, inhaltlich also gerade nicht Kontinuität, sondern Veränderung. ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ §ûȃǰȱ ȱ Ǯȃǰȱ Ǯ §ǰȱ ȱ ȱ ȱ £ȃȱ ȱ ȱ §ȱ Ǯȱ £ȱ entlarven“ (Programmdirektion Erstes Deutsches Fernsehen 2007: 2). Auch die Zusammensetzung der Gästerunde werde sich daȱǰȱȱȱǮȱãȱȱ ǰȱĞȱȱ ȃȱȱȱǮ ãȱȱȃȱȱ ǮěȃȱȱȱǻǯǼǯȱȱûȱȱ sich mit dem, was Anne Will schon im Spiegel-Gespräch im Februar ŘŖŖŝȱȱȱȱȱ§ȱ ȱĴȱǻǯȱȱ Spiegel 12.2.07: 118). Interpretieren lassen sie sich als ein Wechsel im Politikverständnis: Politik ist nicht allein Sache einiger weniger ExpertInnen, sondern etwas, das alle angeht und wobei prinzipiell ein jeder und eine jede mitreden kann. Anne Wills erste Sendung lief am 16. September 2007. Die Besprechungen in SpiegelOnline waren freundlich bis verhalten. Kritik kam zwar vor, doch weniger persönlich als nach den ersten ChrisȬ tiansen-Sendungen. So forderte SpiegelOnlineȱ Ǯȱ ȱ ȱ ǰȱ ǰȱ Ğȱ ȱ ȃȱ ȱ Ǯ ȱ ȃȱ (17.9.07). Vergleichsmaßstab schien die Sendung ǰȱȱ zu sein, überzeugte doch deren Moderator Frank Plasberg durch eine konfrontative Diskussionsführung. Diese positiv verhaltende Stimmung hielt nicht lange an. Zu Beginn des Jahres 2008 bezeichneten Markus Brauck und Thomas ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ Ȭ ȃȱ ǻȱ ȱ 31.12.07: 76). Ihre Sendung unterscheide sich nur noch durch die ȱȱDZȱǮ ǰȱȱȱȱȱȱȱ kritisch und alles. Aber irgendwie ist es die gleiche Soße wie früher
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– nur in Dunkelbraun“ (ebd.). Damit spielten die Spiegel-RedakteurInnen neben der Studiogestaltung vielleicht auch auf die Haarfarbe Wills im Vergleich zur blonden Christiansen an. Deutlich wurde wiederum, dass die Spiegel-RedakteurInnen im Hybridformat politische Talkshow eine Gefahr für eine Nachrichȱ ȱȱȱǯȱȱ ȱĴȱ verlief nach dem Muster ‚wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um’. Dass die Quoten zurückgingen, erschien ihren KritikerInnen ȱ ȱ £ §ęǯȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Marktanteil von 18,2% (5,04 Mio. ZuschauerInnen), sank dieser bei der zweiten Sendung auf 12% (3,26 Mio. ZuschauerInnen) und damit unter den Wert, den Programmdirektor Struve vor dem ȱȱĴȱǻǯȱȱŘŚǯşǯŖŝǼǯȱȱȱobachteten die ARD-Verantwortlichen, dass insbesondere jüngere ȱȱȱûȱȱȬȱǯȱĜ£ell warteten die IntendantInnen zwar noch ab, hieß es im Spiegel im Mai 2008, doch mache man sich bereits Gedanken, wie es mit den politischen Talkrunden im Ersten weitergehe (vgl. Der Spiegel 5.5.08: 105). SpiegelOnline brachte erneut seinen Wunschkandidaten ȱ §DZȱȱȱȱȱȱȱĴȱ £ȱȱȱ ǰȱȱǮȱȱȱ£ ȱ Politikrunden eine zu viel“ (SpiegelOnline 4.5.08).
ђёіюљђȱџѫѠђћѡюѡіќћђћ Die Inhaltsanalyse der Spiegel- und SpiegelOnline-Beiträge hat ergeben, dass der journalistische Werdegang und die Arbeitsweise der als Christiansen-NachfolgerInnen gehandelten Personen entscheidend für die Bewertung durch den Spiegel waren. Allerdings spielten auch andere, weiche Faktoren eine Rolle, die in der Ĵȱ ȱ ȱ ěȱ ǯȱ Besonders die mediale Präsentation Sabine Christiansens beinhaltete nicht nur Wertungen über sie als Journalistin. Immer standen auch ihre Person als Ganzes, ihr Aussehen und ihr Privatleben zur Ĵǯȱ ȱȱ ȱ£ȱȱȱȱȱ ȱ auf die Kleidung der Moderatorin aus. So wurde sie beispielsweise ȱ ȱ Ǯ£ȱ Ȭȱ ȱ đȱ £ȃȱ bezeichnet (SpiegelOnline 25.6.07b). Anlass zur Ironie war für den SpiegelOnline-Redakteur Sebastian Fischer das Abstimmen ȱ ȱȱȱȱ §ȱȱ¢DZȱǮȱȱ
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Christiansen stört heute in ihrer Sendung auch überhaupt nicht. Bis ȱȱ£ęȱȱȱȱȱ ȱ nichts vorwerfen“ (22.1.07). Erleichterung verspürten ihre KritikerInnen nach der letzten ȱȱ ȱŘŖŖŝǯȱęȱȱȱȱȱȱ ȱ ǯȱǮȱȱȱȱȱđȱđȱ weißer Rosen – passend zum sommerlichen Hosenanzug der mächtigsten Fernsehfrau Deutschlands“ (SpiegelOnline 24.6.07). ȱ ȱ §ȱ ãěȱ SpiegelOnline ein Foto der zum Abschied winkenden Moderatorin mit dem Rosenstrauß im Arm ȱȱȱĞDZȱǮȬȱDZȱ Ein Strauß lahmer Gespräche“ (SpiegelOnline 25.6.07b). ȱěȱ ȱȱȱȱȱȱtion auf Äußerlichkeiten bei den als NachfolgerInnen ins Gespräch ȱȱȱĴǯȱ ȱ ȱȱ ȱȱ ȱãȱĞǰȱ ȱȱȱ §ǰȱȱȱȱȱǯȱȱ ȱȱǮȃȱǻȱ ŗŗǯŗǯŖŝǼȱȱǮȱȱȱ ûĴȃȱǻǯǼǯȱ Bei Plasberg sucht man solche Beschreibungen vergeblich. Hinweise auf sein Äußeres, Kleidung und Frisur fanden sich bei ihm ǯȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ǮȬȃȱ ȱ lediglich Details über seine ‚bodenständige‘ nordrhein-westfälische
ĞǰȱȱĚȱȱȱȱȱ Selbstverständnis (vgl. Der Spiegel 26.3.07: 67). Die Auswertung der Spiegel-Beiträge zu Anne Will ergab, dass auch bei ihr journalistische Profession und mediale Präsentation miteinander vermischt wurden. Doch anders als bei Sabine Christiansen ȱ đȱ ȱĞȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ sich zwar Bemerkungen zu ihrer Vorliebe für Hosenanzüge, denn Ǯȱ£ȱȱãȱ ȃȱǻȱȱřǯşǯŖŝDZȱŗŞŜǼǰȱȱ£ȱ ȱȱǰȱȱȱǮȱȱȱ ȱ Kommentar hebt“ (SpiegelOnline 5.2.07). Doch wenn ihre mediale Präsentation bewertet wurde, dann ähnlich positiv wie bei Jauch. ȱȱȱǰȱȱȱȱǮȱȱ £ȱ lächelnd die gewohnt gute Figur abgibt“ (SpiegelOnline 17.9.07), sie ȱȱȱȱȱȱǮûȱȃȱȱǻȱ ŗŝǯŝǯŖŝǼǯȱȱȱȱȱȱȅĞȂȱ ȱ gut aussehend und sympathisch, scheint die ‚kühle’ Will stärker ̧ȱ§ȱûȱ£ȱǯȱȱĴ§ȱ und die Besetzung eines der begehrtesten Sendeplätze verstärkten die Neugierde auf das Privatleben Wills. In einem Interview im Frühjahr 2007 versuchte der Spiegel, ihr darüber etwas zu entlocken.
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Doch hielt sie sich vorerst bedeckt, anders als Sabine Christiansen, über deren private Beziehungen auch in der Bunte und anderen Boulevardmedien zu lesen war. Dann aber, zwei Monate nach Start ihrer Sendung, nutzte Anne Will die Bild am Sonntag, um sich öffentlich zu ihrer Lebenspartnerin Miriam Meckel zu bekennen (vgl. Hellemann 2007). Dem Spiegel, sonst bekannt für seine investigative Ĵȱȱ¡ȱǰȱ ȱȱming-out keinen Bericht wert. In SpiegelOnlineȱęȱȱȱ eine kurze Meldung, allerdings ohne Wertung. Diese Zurückhaltung ȱȱȱđȱȱȱ£ȱãȱĴȱȱ Nachrichtenmagazins deuten, allerdings konnte, wer wollte, auch in der Bezeichnung ‚Schwester Anne’ schon einen Hinweis auf ihre Homosexualität erkennen. Trotzdem stellt sich die Frage, warum der Spiegel im Falle männlicher Politiker wie Wowereit, Westerwelle ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ nicht scheute. Möglicherweise unterscheidet der Spiegel nicht nur bei der Bewertung journalistischer Fähigkeiten nach Geschlecht, ȱȱȱȱĴȱûȱ ¡§ǯ
ѤіѠѐѕђћȱȅџіяѢћюљȱѓюѡюљȂȱ ѢћёȱȅіѡѢюљȱяюћюљȂ Die ‚Meinungsführermedien’ Spiegel und SpiegelOnline haben die Macht, das Image einer Person und der von ihr verantworteten Sendung zu kreieren. Diese Macht nutzen Spiegel-RedakteurInnen, um Vorgaben zu machen, wer ein guter Journalist oder eine gute Journalistin ist und wer nicht: Jauch und Plasberg ja, Christiansen nein. Die Untersuchung der journalistischen Professionalität und Arbeitsweise sowie der medialen Präsentation dieser drei im Vergleich mit Anne Will zeigte jedoch, dass die einfache, vom Spiegel jahrzehntelang praktizierte Gleichsetzung ‚guter Journalismus gleich männlicher Journalismus’ so nicht mehr vertreten wird. Durch Anne Will hat sich die Gewichtung der Faktoren, die bei der Bewertung der journalistischen AkteurInnen wirken, verschoben. Vor allem der journalistische Werdegang bestimmte die Wahrnehmung und das Urteil der Spiegel-RedakteurInnen über die TV-KollegInnen. Weiterhin gilt aber, dass Karrieren in einem ‚zweigeschlechtlichen System’ wie dem Journalismus nicht unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung verlaufen. Wills Reputation bei den überwiegend männlichen Kollegen beruht auch darauf, dass sie in den statushohen, männlich dominierten Ressorts Politik und Sport
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gearbeitet hat. Christiansen hingegen wurde – anders als ihrem früheren Tagesthemen-Kollegen Ulrich Wickert – angekreidet, keine durchgängige Karriere als Journalistin vorweisen zu können. So ist nicht allein das Geschlecht entscheidend, zusätzlich wirken andere Faktoren, die aber meist nicht unabhängig von der Variable Geschlecht sind. Dieses Muster ist auch in der medialen Präsentation der vier AkteurInnen erkennbar. Unsere Ergebnisse belegen, dass eine Reduktion auf Äußerlichkeiten vor allem bei Christiansen erfolgte, sehr viel seltener bei Will, Jauch und Plasberg. Hier waren die wenigen Bemerkungen ausschließlich positiv und stellten alle drei als smarte, gestandene JournalistInnen dar. Dass selbst der eher laue Start von Anne Will und das Comingout der Moderatorin von Spiegel und SpiegelOnline zurückhaltend kommentiert wurden, kann als weiterer Beleg dafür genommen werden, dass Geschlecht und sexuelle Orientierung nicht unmitȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ěǯȱ Möglicherweise ist diese Zurückhaltung auch als Reaktion der Spiegel-RedakteurInnen auf den sozialen Wandel zu interpretieren, der zu mehr Toleranz gegenüber Frauen und Homosexualität geführt hat. Eine solche Interpretation passt aber nicht zu der grundsätzlich sexistischen Tendenz, die in den Kommentaren zu Sabine Christiansen oder auch anderen TV-Journalistinnen wie Caren Miosga deutlich wird. Hat der Spiegel einer Journalistin einȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȅȂȱ ȱ ȅȱ Ȃȱ ǰȱ so kann sie noch so viele Auszeichnungen und Zuschauerpreise gewinnen, das ‚Meinungsführermedium’ revidiert sein Urteil nicht. Immer wieder greifen die RedakteurInnen diese Formulierungen ȱ ȱ £ȱ ȱ Ȯȱ £ȱ ȱ Ğȱ ȱ medialen Wandels – Geschlechter- und Berufsstereotype. Die Daten belegen, dass Der Spiegelȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ £ǰȱ ȱȱȱȱ£ȱȱȱǮ ȬȃȱǻȱŗşşşDZȱŗŚŚǼȱȱĴDZȱȱȱ ȱ §ȱ ęȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱȱȱȱûȱȱȱȱǮȱȃȱ nicht hinaus (SpiegelOnline 23.6.06a). Und auch bei Anne Will war das Ende der Schonfrist ein halbes Jahr nach Sendestart erreicht. Der Spiegelȱ ȱ ȱ §£ȱ ŘŖŖŞȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ǯȃǰȱ ȱ ǮȬȱ ȱ §ȃȱ ǻŗŖǯřǯŖŞDZȱ ŗŖŞǼǯȱ ȱ die Frage nach männlichem und weiblichem Journalismus wurde ȱǰȱȱǮȱȱȱ ȃȱ ȱǮ¢ȱ§ȃȱȱȱǮȱȱȱȱ ȱ ȃȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȃȱ ǻǯDZȱ ŗŖşǼǯȱ Ǯȱ
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ȱ ȃǰȱȱȱȱȱǰȱǮȱȱȱǰȱ wenn man nun die Wahl der Qual hat zwischen Tribunal fatal und Ritual banal“ (ebd.).
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Ѣђљљђћ ђџȱѝіђєђљ ŗŜǯŗŖǯŗşşşDzȱǰȱĴDZȱȱȱĴȱǯȱȱȱ Christiansen in ihrer Sonntagsrunde an Oskar Lafontaine scheiterte. 53/42, S. 144-146. 26.5.2006; Brauck, Markus/Rosenbach, Marcel/Tuma, Thomas: TVStars: Ende einer Primadonna. 60/26, S. 146-148. 15.1.2007a; Brauck, Markus: ARD: Aus der Jauch. 61/3, S. 62-64. ŗśǯŗǯŘŖŖŝDzȱǰȱDZȱǮ ȱȱ ȃǯȱ ȱ mit Günther Jauch. 61/3, S. 64-65. 5.2.2007; (o. V.): ARD: Mehrheit für Maischberger. 61/6, S. 103. ŗŘǯŘǯŘŖŖŝDzȱ đǰȱ Ȧǰȱ DZȱ Ȭ §ȱ Ǯȱ halte Distanz“. Interview mit Anne Will. 61/7, S. 116-118. 26.3.2007; Brauck, Markus: TV-Moderatoren: Der Anti-Christiansen. 61/13, S. 66-68. řǯşǯŘŖŖŝDzȱǰȱDZȱǮȱ ȱȱ ȃǯȱŜŗȦřŜǰȱǯȱŗŞŜǯ 31.12.2007; Brauck, Markus/Tuma, Thomas: Auszeichnungen: Von Bambis und Bären. 62/1, S. 74-77. 5.5.2008; (o. V.): Intendanten warten bei Anne Will noch ab. 62/19, S. 105. 10.3.2008; Tuma, Thomas: Die Leiden der jungen W. 62/11, S. 108109.
ѝіђєђљћљіћђ 23.6.2006a; Mohr, Reinhard: Sabine Christiansen: Queen Blabla dankt ǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗśŗŞǰŚŘřŘşŜǰȱ 00.html; 31.7.2007.
Riesmeyer & Thiele: ‚Ersatz für Queen Blabla gesucht‘
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23.6.2006b; Schader, Peer: Christiansen geht: Es jauchzet das Erste, DZȱ ĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗśŗŞǰŚŘřŘŜŞǰŖŖǯ html; 31.7.2007. 25.6.2006; Minkmar, Nils: Christiansen hört auf: Die wegmoderierten ǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗśŗŞǰŚŘřŚŚȱ 9,00.html; 31.7.2007. 11.1.2007; Fischer, Sebastian: Jauch versus Christiansen: Pinguindaȱ¢ǰȱȬ¢ȱǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗśŗŞǰŚśşŖŘŝǰŖŖǯDzȱřŗǯŝǯŘŖŖŝǯ ŘŘǯŗǯŘŖŖŝDzȱǰȱDZȱȬĴȱȱDZȱȱ ȱ ǰȱ DZȱ ĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗśŗŞǰŚŜŗŘŘŗǰŖŖǯDzȱřŗǯŝǯŘŖŖŝǯ 5.2.2007; Buß, Christian: Christiansen-Nachfolge: Ruhe, Lady KomȱȱǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗȱ 518,464442,00.html; 31.7.2007. 24.6.2007; Kreutzmann, Susann: Sabine Christiansens Abschied: ǮȱđȱȱȃǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦȦland/0,1518,490439,00.html; 24.2.2008. 25.6.2007a; Fischer, Sebastian: Christiansens letzte Sendung. Köhler §ȱûȱ ȱȱ§ǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯ de/politik/deutschland/0,1518,490441,00html; 24.2.2008. 25.6.2007b; Mohr, Reinhard: Christiansen-Finale: Abgrund ist immer, DZȱ ĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗśŗŞǰŚşŖŚśŝǰŖŖǯ html; 3.7.2007. ŗŝǯŝǯŘŖŖŝDzȱǰȱDZȱȱȱǮȃDZȱǮȱ ȱȱȱȱ ȃǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗśŗŞǰŚşŚŝŝŜǰŖŖǯDzȱŘŖǯŝǯŘŖŖŝǯ 17.9.2007; Mohr, Reinhard: Talk-Premiere: Volkstrauertag mit ȱǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦȱ 0,1518,506057,00.html; 23.9.2007. ŘŚǯşǯŘŖŖŝDzȱ ǻǯȱ ǯǼDZȱ ȬDZȱ đȱ ûȱ ȱ ǰȱ DZȱ ĴDZȦȦ www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,507463,00.html; 25.9.2007. ŚǯśǯŘŖŖŞDzȱǻǯȱǯǼDZȱĞȱȱǮȱȃȱ ȱȱȱȱȱǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦȦĞȦŖǰŗśŗŞǰśśŗřŖřǰŖŖǯDzȱŘŘǯŗŗǯŘŖŖŞǯ 1.9.2008; (o.V.): Werben auf SpiegelOnline. SpiegelOnline ist die führende Nachrichten-Site im deutschsprachigen Internet: schnell, ǰȱ §£ǰȱ DZȱ ĴDZȦȦ ǯǯȦ¡ȦŖǰŗśŗŞǰŘŚşřŞŝǰȱ 00.html; 1.9.2008.
ђѠѐѕљђѐѕѡђџѠѡџѢјѡѢџђћȱѢћёȱ
ȱ ќњњђџѧіюљіѠіђџѢћєȱ іњȱѠјюћёіћюѣіѠѐѕђћȱђџћѠђѕђћ юџїюȱюѣќљюіћђћȱ Verändern ökonomisch-strukturelle Umbrüche im Fernsehen die Geschlechterverhältnisse? Dieser Frage geht der Beitrag an ausgewählten Tätigkeitsbereichen im skandinavischen Fernsehen nach. ȱ ȱȱȱ§ȱ£ȱ Ğlichen Strukturen gesetzt. Diskutiert werden die Möglichkeiten ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ Fernsehen präsent zu sein. Basierend auf einer skandinavischen Studie von 1995 (Pedersen 1999a, Savolainen 1999) sowie einer Folgeuntersuchung der Jahre 2003 und 2004 in Finnland (Savolainen 2004) werden die Chancen, Potentiale und Schwierigkeiten von Frauen untersucht, sich im skandinavischen Fernsehen Gehör £ȱ ěǯȱ ȱ §ȱ Ğȱ ȱ Pedersen (1999a) leitete die Analyse: ǰȱ Ȭ £ȱȱ ȱȱDZȱȱȱȱȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ , die Daten aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden einbezieht. Aktuelle Daten aus Finnland ermöglichen einen Vergleich im Zeitverlauf (Savolainen 2004). Zunächst werden der Hintergrund und die Ausgangspunkte der skandinavischen Studie und der Nachfolgestudie in Finnland skizziert. Danach werden die empirischen Ergebnisse der skandinavischen Studie präsentiert, wobei der Fokus auf die Resultate der ęȱȱȱǯ Die strukturellen Veränderungen, denen das Fernsehen und ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ £ǯȱȱȱȱěȱǰȱȱ und Kommerzialisierung. Tabloidisierung beschreibt dabei eine Dimension des Journalismus, die sich am kapitalistischen Markt
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orientiert und sich in Phänomenen wie dem Sensationsjournalismus, einem starkem Akzent auf dem Unterhaltungswert und human interestȱ§đȱǻȱȱǯȱŘŖŖŖǼǯȱȱěȱȱ charakterisiert eine Form von Journalismus, die sich vor allem mit ȱǰȱȱ¡§ȱȱǮȱȃȱ§tigt (vgl. Hirdman/Kleberg/Widestedt (2005); van Zoonen 1991).
£ȱđǰȱȱěǰȱȱȱȱȱȱ£ûĞȱǻȱŗşşşǼǰȱ ȱȱ auf Formen der Deregulierung des Fernsehens und das Entstehen ȱ ę£ȱǰȱ ȱ §ȱȱŗşŞŖȱ ȱȱȱȱãěȱȱȱȱ skandinavischen Ländern entstanden. ĴȱȱŗşşŖȱ ȱĴȱ§ȱȱȬ und Norwegen mit ȱ ȱȱãěȱǰȱ §ȱȱ mit ŗ und Ř sowie Schweden mit ŗ (später ŗ) und Ř über jeweils zwei verfügten. Außerdem gab es in allen vier Ländern mehrere kommerzielle oder zumindest teil-kommerzielle Sender, ȱȱãěȱĚȱ£ȱûȱĴǯȱȱȱvaten Anbietern wurden zwei dänische (ř und der teil-kommerzielle Sender Řŗ), zwei schwedische (ř, Ś), vier norwegische (ř, , Ƹ und der teil-kommerzielle ŘŘǼȱȱȱęȱ Sender (ř) in das Sample der Studie aufgenommen (Pedersen 1999a, vgl. Tabelle 1). ãě
Ȭ£
Dänemark
Ȭ
Řǰȱř
Finnland
ŗǰȱŘ
ř
Norwegen
řǰȱǰȱŘǰȱƸ
ŗǰȱŘ
řǰȱŚ
Tabelle 1: Skandinavische Fernsehsender (1995)
Seit den 1980er Jahren wurde in der feministischen MedienwisĞȱȱ§ȱȱȱ£ȱ§ȱȱȱ Kommerzialisierung untersucht, wobei ein besonderer Fokus auf 1 2
ȱãěȱ§ȱŘȱę£ȱȱû ȱȱbung (Pedersen 1999b: 49). Das privat-kommerzielle norwegische ŘȱȱȱĚǰȱ§lich der der ãěȱȱ ȱǻĴȱŗşşşDZȱśřǼǯ
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der Frage lag, wie die strukturellen Veränderungen des Fernsehens ȱ §ȱ Ěȱ ûǯȱ ȱ Ğȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ §ȱ geben, wobei sie vor allem von einer steigenden Anzahl von Frauen im Fernsehen, d.h. sowohl in den Redaktionen als auch auf der Ĵǰȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ was dies für den generellen Status von Frauen bedeuten würde. ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ǻǯȱ ǯȱ ȱ 1987) eine pessimistische Prognose und sahen in dem erwarteten zahlenmäßigen Anstieg dennoch keine grundsätzliche Verbesserung der weiblichen Subjektposition. Dagegen argumentierten ȱ ǻǯȱ Ğȱ ȱ ŗşşřDzȱ ȱ ȱ ŗşşŗǼǰȱ ȱ mit dem Anstieg des Frauenanteils so genannte ‚Frauenthemen’, wie Angelegenheiten aus der häuslichen Sphäre, Sexualität und persönliche Beziehungen, mehr Raum in den Medien einnehmen würden, wodurch weibliche Positionen letztlich doch eine Aufwertung erfahren könnten. In der skandinavischen Studie (Pedersen 1999a) stand die ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Fernsehsender Frauen setzten und ob das kommerzielle Fernsehen ȱȱ£ȱãěȱȱȱãȱãěnete, Posten als Fernsehsprecherinnen zu belegen. Die Hypothese lautete, dass die kommerziellen Sender Frauen zwar mehr Stellen anbieten würden, ihnen dabei jedoch stereotype Rollen zuweisen würden, wie beispielsweise die Aufgabe der jungen Assistentin in einem Fernsehprogramm. ȱ ȱ ¢ȱ ȱ ȱ Ȭęnalen, national produzierten Programmen. Damit waren die meist ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ȭęȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ǮcherInnen“ wurden GastgeberInnen von Fernsehsendungen sowie deren AssistentInnen gefasst. Mit ‚GastgeberInnen von FernsehȂȱ ȱ ǰȱ ĴsprecherInnen sowie ModeratorInnen von Talkshows, UnterhalȬȱȱȱǯȱȱęȱ ȱ eine Fernsehsprecherin, beziehungsweise einen Fernsehsprecher, als jemanden, der als eine politisch neutrale Person erscheint und direkt in die Kamera blickt (vgl. Holland 1987). Als AssistentInnen ęȱ ȱȱȱȱǰȱȱ Hauptaufgabe darin bestand, den GastgeberInnen der Sendungen £ȱȱ£ȱȱȱĚȱ£ȱȱǻȱŗşşşDZȱŜǼǯȱȱ
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Erhebung erfolgte einerseits über eine quantitative Inhaltsanalyse der Programme, wobei das gesamte TV-Programm der Sender in einer Woche täglich jeweils von 6 Uhr bis Programmende aufgenommen wurde. In diesem Material wurde die Verteilung von männlichen und weiblichen SprecherInnen erhoben. Zugleich wurden Daten über die Geschlechterverteilung der ModeratorInnen von den Redaktionen der Sender direkt eingeholt. Die skandinavische Studie ging mit Jürgen Habermas (1975) ȱǰȱȱȱȱȱãěȱȱȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ [ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ vor allem auf männlich konnotierte Interessen, wie Politik, Sport und ‚Hochkultur’ konzentrieren (van Zoonen 1991). Obwohl das ãěȱȱȱđȱǰȱȱhabe und Chancengleichheit zu ermöglichen, hat es das weibliche Publikum bisher mehr oder weniger vernachlässigt. Hingegen ist das kommerzielle Fernsehen immer schon abhängiger von dem ȱȱȱ ȱ ǯȱȱĴȱȱ stets das Bestreben, auch Frauen mit seinen Sendungen anzusprechen, hat sich dabei jedoch an einem eher traditionellen Konzept von Weiblichkeit orientiert. Um es einfach auszudrücken, Frauen ȱ ȱȱ ȱȱãěȱȱseits lediglich am Rande thematisiert, im kommerziellen Fernsehen andererseits hingegen weitgehend trivialisiert (vgl. Holland 1987; Pedersen 1993, 1999a). Ein weiterer zentraler Ausgangspunkt der Studie war, dass Frauen im kommerziellen Fernsehen durchaus wichtige Positionen als Gastgeberinnen von Fernsehsendungen erreichen könnten. Dies war der feministischen visual theory geschuldet, die davon ausgeht, dass Bilder von Frauen nicht nur in ihrer Sexualisierung und als ȱ£ȱǰȱȱȱęȱȱ zur Visualisierung von schwer darstellbaren, abstrakten Ideen benutzt werden können (Holland 1987; Pedersen 1993, 1999a). Das private Fernsehen, das insbesondere mit ästhetischen Prinzipien Aufmerksamkeit auf sich lenken will, versucht das Publikum an sich zu binden, indem es Frauendarstellungen zum visuellen Vergnügen und zur Verkörperung unterschiedlicher Inhalte benutzt. ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ§ęȱ£ȱǻǯǼǯ
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іёђџѠѝџҿѐѕљіѐѕђȱџєђяћіѠѠђ Der Frauenanteil lag bei allen skandinavischen Sendern im Jahr 1995 zwischen 25 und 40 Prozent (vgl. Tabelle 2). Dabei bilden die ãěȱȱȱ§ȱȱ ȱȱȱȱ die Schlusslichter und liegen ca. 15 Prozent unter dem Niveau der kommerziellen Kanäle im jeweiligen Land. Dagegen lassen sich in ȱȱ ȱȱě£ȱ£ ȱãěȱ und kommerziellen Kanälen feststellen. Damit liegt der FrauenanȱȱĴȱȱȱȱ§ȱȱûȱȱ §ȱȱǻǯȱûȱȱȱǼǯȱȱěrenzen innerhalb Skandinaviens lassen sich jedoch nicht entlang der zentralen Hypothese der Studie erklären. [ě
Ȭ£
total
Dänemark
25
40
34
Finnland
40
39
40
Norwegen
24
37
32
Schweden
37
41
39
Tabelle 2: Frauenanteil im Programm skandinavischer Fernsehsender (1995, in Prozent)
Die zentrale Hypothese der Studie, dass kommerzielle Sender mehr ȱȱȱ£ȱȱȱȱȱãěȱhens, wurde somit nur in zwei Ländern (Dänemark und NorweǼȱ§ǯȱȱ ȱęȱȱě£ȱȱȱ£ȱȱ schwach aus, in Finnland dagegen gab es keinen nennenswerten Unterschied im Frauenanteil zwischen dem kommerziellen und ȱ ãěȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱȱŘ aus Finnland, der in den skandinavischen Ländern an der Spitze lag: 45 Prozent der FernsehsprecherInnen dort waren Frauen (Savolainen 1999). ȱ£ ȱĴȱ£ȱȱ¢ǰȱȱȱȱȱȱ skandinavischen Länder Frauen in mehr oder weniger stereotypen Rollen zu beobachten waren. Eine stereotype Rolle wurde dann erfasst, wenn zwischen dem gezeigten Mann und der gezeigten Frau ein so großer Altersunterschied deutlich wurde, dass aus der Beziehung der beiden Geschlechter eine hierarchische Positionierung
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entstand. Frauen waren etwa neun Jahre jünger als ihre männlichen Kollegen; daneben wurden fast alle AssistentInnenstellen von Frauen ausgefüllt (Pedersen 1999a).
іђȱћюљѦѠђȱёђџȱђіћѧђљћђћȱ ђћџђѠ ȱě£ȱ¢ȱȱȱ ȱǰȱȱȱ insbesondere in den Nachrichtensendungen der kommerziellen Sender mehr Platz eingenommen haben als in den Nachrichtenȱ ȱ ãěȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ §ȱȱȱ ę£ȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱ[ěǯȱȱȱȱ ȱȱ Dänemark die Nachrichtensprecherinnen die Mehrheit auf den ȱ §ȱǻȱŗşşşDzȱĴȱŗşşşǼǰȱȱȱȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱ ǻȱŗşşşDzȱȱŗşşşǼǯȱ£ȱȱãěȱȱ Dänemarks Ȭȱ§Ğȱ£ ȱȱȱȱȱȱ als PräsentatorInnen der Nachrichten (Pedersen 1999b). Allerdings spielen die Nachrichtensendungen bei den kommerziellen Sendern ȱ £ȱ ȱ ûȱ ȱ ęǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ £ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ǯȱȱ (ebd.) in ihrer Analyse des schwedischen Fernsehens beobachten konnte. ȱȱĴȱ£ȱȱ£ȱȱ ǰȱ ȱ §ȱ ȱ ęǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ǻȱ ŗşşşDzȱ ȱ ŗşşşDzȱ Ĵȱ ŗşşşǼǯȱ ȱ Ĵȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱȅĴȂȱǻȱŗşşşDzȱĴȱŗşşşǼǯȱȱȱ hingegen gestaltete sich die Situation etwas anders: Obwohl es nur ȱȱȱȱȱęȱãěȱȱ ǰȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ǯȱ ȱȱ§ȱ ȱȱȱȱĚȱ Meteorologen (Savolainen 1999). ȱȱãěȱȱȱȱȱȱ strahlten im Untersuchungszeitraum Unterhaltungs- und Sportsendungen aus. Bei den meisten Sendern wurden diese Genres ȱȱ§ȱǯȱȱĴȱȱ§ȱãěȱ Sender Ȭ nicht eine einzige Moderatorin in einer Unterhaltungssendung (Pedersen 1999b), das norwegische Pendant ȱȱȱȱ ȱǻĴȱŗşşşǼǯȱȱȱ
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Ĵȱȱȱ ȱ£ ȱǰȱȱȱ£ȱȱ ȱ ãěȱ ȱ §ȱ ȱ Ğǯȱȱęȱȱȱȱȱȱtentinnen, die den männlichen Kollegen zur Seite gestellt wurden (Savolainen 1999). Damit ist deutlich, dass Unterhaltungsangebote ȱȱȱȱ§Ȭȱ[ěȱ fungierten (Habermas 1975; van Zoonen 1991). Überraschender ȱ ȱȱãěȱǰȱ ȱȱȱȱ ǰȱ ȱ ûȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ (Pedersen 1999b). In Schweden gab es zwei Frauen und in Finnland ǰȱȱȱȱȱãěȱȱȱ§sentierten (Abrahamsson 1999; Savolainen 1999). Hingegen konnte auf keinem norwegischen Sender eine weibliche Sportjournalistin ȱ ȱǻĴȱŗşşşǼȱȱȱ§ȱ ȱȱ£ȱȱȱȱ£ȱęǰȱȱȱȱ£ȱ §ȱȱȱ§ĞȱǻȱŗşşşǼǯ ȱȱǰȱȱȱȱȱȱãělichen Fernsehanbietern ausgestrahlt wurden, waren die männlichen Präsentatoren eindeutig in der Überzahl. In Dänemark gab es kaum eine Sprecherin bei Informationssendungen jeglicher Sender und auch in Norwegen und in Schweden waren in diesem Genre ȱ ȱ£ȱȱǻȱŗşşşDzȱĴȱŗşşşDzȱȱ ŗşşşǼǯȱȱȱȱȱǰȱ ȱȱȱ §Ğȱȱ Präsentationen von Informationssendungen von Frauen realisiert wurden (Pedersen 1999a; Savolainen 1999).
ћȱіћћљюћёȱіѠѡȱёђџȱљюѡѧȱёђџȱџюѢђћȱ іњȱћѓќџњюѡіќћѠѓђџћѠђѕђћ ȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ formationssendungen im Vergleich zu den anderen nordischen §ȱ ȱ ȱ ŗşşśȱ ǯȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ĞDZȱ Śŝȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Genre waren Frauen. Diese große Anzahl beruhte vor allem auf den ȱȱȱãěȱŘ, die alle von Sprecherin und Sprecher gemeinsam präsentiert wurden. Diese Form der Doppelmoderation stammt ursprünglich aus dem kommerziellen Fernsehen und fand auch bei Ř großen Anklang. Der Sender gestaltete damit ein ‚modernes’ Image, das aus einer gezielten
ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ãělichen Fernsehens entstand. Die starke Präsenz von Sprecherinnen
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in den Informationssendungen bei Ř war der Hauptgrund für ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ (Savolainen 1999). ûȱȱȱȱûȱȱĴȱȱŗşşŖȱ ȱȱ ǰȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ŗ zwar weniger Sprecherposten mit Frauen besetzte, sie dabei aber auch weniger stereotyp Ğȱ đǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ Ř präsentierte hingegen fast genauso viele Frauen wie Männer in Sprecherpositionen, diese entsprachen aber stärker einer ge¢ȱ ǯȱ ûȱ ãěȱ das kommerzielle Fernsehen Frauen nicht mehr Positionen als ǰȱȱȱȱȱûȱȱĠȱ¢ȱ ǰȱ ȱĢȱǰȱȱȱãěȱȱȱȱȱĴȱȱŗşşŖȱ ȱȱȱãđȱ Präsenz bot (Savolainen 1999).
ђџȱџюёіјюљђȱћѠѡіђє ȱ ȱ ȱ ŘŖŖřȱ ȱ ŘŖŖŚȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ Fernsehen wiederholt, eine Vergleichbarkeit der Daten war methodisch sichergestellt. Dabei war es möglich, auf einen größeren Materialkorpus zurück zu greifen. Neben den bereits untersuchten Sendern ŗ, Ř und ř, deren Sendezeiten in dieser Zeit stark ȱ ȱǻȱȱǯȱŘŖŖŝǼǰȱĚȱȱȱȱȱ £ ȱȱ£ȱȱǯȱŗşşŝȱ ȱȱęȱsender Channel Four gegründet worden, der sich als erster an eine explizite Zielgruppe von jungen, gut ausgebildeten StädterInnen wandte (Hietala 1007). Der letzte Sender des Samples, , ging 2001 auf Sendung. Die Nachfolgestudie (Savolainen 2004) zeigte, dass seit 1995 der Anteil an Sprecherinnen von 40 auf 51 Prozent gestiegen war (vgl. ȱřǼǯȱ£ȱ ȱȱȱ£ȱ §Ğȱǰȱȱ ȱȱȱęȱȱǯȱȱãđȱ ȱ ȱȱãěȱȱŗ zu verzeichnen, wo Frauen nun sogar 60 Prozent der SprecherInnen ausmachten. Auf den anȱȱĴȱȱȱ ȱ§ȱĴgefunden. Ganz ähnlich wie beim älteren kommerziellen Sender ř mit 43 Prozent, waren auch beim jüngeren kommerziellen Sender Channel Four 39 Prozent an Frauen in Sprecherpositionen zu
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Ĵǯȱ ȱ £ȱ ȱ Ĵȱ ȱ nur sehr wenige Sprecherinnen und Sprecher. Die acht Positionen verteilten sich gleichwertig zwischen Männern und Frauen. 1995
2003/2004
TV1
37
60
TV2
45
44
ř
39
43
Channel Four
-
39
-
50
40
51
total
ȱřDZȱ ȱȱȱęȱȱǻŗşşśȱ und 2003/2004, in Prozent)
ȱ ãěȱ ȱ ŗ war sowohl die absolute Zahl der Sprecherinnen als auch ihre Relation zu den männlichen Kollegen in jedem einzelnen Genre gestiegen. Die größten Veränderungen in £ȱȱ§ȱĴȱȱȱȱȱȱĴȱĴǯȱȱ§ȱȱ§ȱȱ war von 29 auf 57 Prozent in den Nachrichten und von 25 auf 75 £ȱ ȱ Ĵȱ ǯȱ ŘŖŖřȱ ȱ ŘŖŖŚȱ £ȱ ȱ ãěȱ ȱ YLE eine gestiegene Zahl verschiedener Nachrichtenprogramme während der zuschauerintensivsten Zeiten, ȱ ȱ ȱ ȱ Ğǯȱ Der Anteil weiblicher Nachrichtensprecherinnen war auch in den nationalen Nachrichtenprogrammen angestiegen, wo Frauen nun ȱ£ȱ£ ȱĴȱȱȱǯȱȱ ȱȱȱȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ geworden (vgl. Holland 1987). Auch in anderen Informationssendungen war der Frauenanteil von 47 auf 69 Prozent deutlich ange ǯȱȱĴȱȱȱȱȱȱ£ȱ ȱ dieses Fernsehsenders deutlich verbessert. In der Studie von 1995 ließ sich keine Frau in der Assistentinnenȱ ȱ ęȱ ãěȱ ȱ ǯȱ ȱ Ĵȱȱ£ȱȱȱ§đȱȱȱ £ȱ ǻȱ ŗşşşǼǯȱ ȱ ȱ §ȱ Ĵȱ ȱ die Situation umgedreht und es konnten zwei Assistentinnen im öffentlichen Fernsehen gezählt werden, während das Privatfernsehen ȱ ȱȱ§ȱȱ£ȱĴǯ
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ȱ ȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ ęȱ ãěȱ Fernsehsender zu Beginn des neuen Jahrhunderts radikal ‚feminisiert’ wurden: 2003 und 2004 waren 56 Prozent der SprecherInnen weiblich, während es acht Jahre zuvor noch 39 Prozent gewesen ǯȱ ȱ ě§ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ konservativen Fernsehsender ŗȱĴǯ
ђџѫћёђџѢћєђћȱёђџȱ ђѠѐѕљђѐѕѡђџѣђџѕѫљѡћіѠѠђDZȱ ђѠѠђџȱќёђџȱѠѐѕљђѐѕѡђџӓ ȱ Ĵȱ ȱ £ ȱ ȱ ãȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱ§Ğȱ Frauen konnte in der Analyse skandinavischer Fernsehsender im Jahr 1995 nicht nachgewiesen werden. Während in den privaten Sendern Dänemarks und Norwegens mehr Frauen als Sprecherinnen tätig waren, war in Schweden kein nennenswerter Unterȱȱȱȱȱ ȱȱȱãěȱǰȱ in denen Frauen stärker sichtbar waren. Aktuellere Daten aus Finnland widerlegten den monokausalen Zusammenhang zwischen privat-kommerzieller Struktur und verstärkter Teilhabe von Frauen erneut. Gleichwohl war der Anteil von Fernsehmoderatorinnen zwischen 1995 und 2003 deutlich angestiegen. Zugleich stieg die Zahl der kommerziellen Sender. Der zahlenmäßige Anstieg von Frauen ȱȱȱȱãěȱȱĴǰȱȱȱ Sender ŗ, allesamt geprägt von informationsorientierten Senǯȱȱȱȱȱȱãěȱȱ Finnlands eine deutliche Präsenz als Nachrichtensprecherinnen, Ĵȱȱ ȱǯ Die angestiegene Zahl von Frauen auf dem Fernsehbildschirm lässt sich nicht mit Prozessen der Kommerzialisierung begründen. ȱ ȱđȱȱěȱȱ£ȱãȱȱȱ im Rahmen des Gender Mainstreamings sichtbar werden, müsste ȱûûĞȱ ǯȱȱûȱȱȱ ȱtȱȱȱ Ğȱ an, die zu weiteren Fragen anregen. Wird die verstärkte Präsenz ȱȱȱȱȱ£ǰȱȱȱĴ§ȱ ûȱȱȱ§ȱȱ£ȱěǵȱ ûĞȱȱ ȱãěȱȱȱ ȱȱȱ ȱ
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an, um mit den privaten Sendern konkurrieren zu können und sich selbst als moderner Sender präsentieren zu können (vgl. Pedersen 1993)? Aktuelle Wandlungsprozesse haben zu einer gestiegenen Anzahl von Frauen im Fernsehen geführt. Dieser Wandel kann auch £ȱ ûǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ Fernsehen diskutiert werden (van Zoonen 1998). Doch garantiert die verstärkte Präsenz von Frauen im Fernsehen keinesfalls, dass Frauen auch die Möglichkeit bekommen, mehr über ihre Lebenszusammenhänge mitzuteilen. Der Anstieg von Frauen auf dem Bildschirm spiegelt keinesfalls die Verhältnisse innerhalb der Senȱ ȱ ȱ ȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ Positionen in den Fernsehanstalten nicht parallel (Gallagher 1987). Vielmehr ist es möglich, dass die angestiegene Zahl der Moderaȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱĴ§ȱ ȱ ȱ somit wiederum patriarchalen Regeln Folge leistet. ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ¢ȱ ȱ ȱ hin, dass auf lange Sicht die Gleichberechtigung der Geschlechter ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ kann. Dies setzt allerdings voraus, dass die Sender sich verstärkt auf ein weibliches Publikum einlassen und erkennen, welchen Zugewinn die intensive Präsenz von Frauen auf dem Bildschirm ûȱ ȱ ęȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱ ûǰȱȱãěȱȱ£ȱȱȱȱ weniger altmodischen und patriarchalen Strukturen zu verteidigen. Innovative Formate und subversive Interpretationen scheinen ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ęǯȱ Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass die bloße Präsenz ȱȱȱȱĴȱȱȱȱûȱǰȱȱ ȱ £ȱȱ£ȱȱãěȱȱęǯȱ Doch ohne Frauen wird es auch nicht gehen, denn es ist unmöglich sich Feminismus ohne Frauen vorzustellen (vgl. Modleski 1991). ǻt£ȱȱȱDZȱȱǼ
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іѡђџюѡѢџ Abrahamsson, Ulla (1999): Sverige. In: Vibeke Pedersen (Hg.): TVvaerter, kommercialisering og kon i Norden. En komparativ undersogelse med fokus på forholdet mellem public service og reklamekanaler. Kobenhavns Universitet: Institut for Nordisk Filologi, S. 63-84. Aslama, Minna/Hellman, Heikki/Lehtinen, Pauliina/Sauri, Tuomo (2007): Niukkuuden aikakaudesta kanavapaljouteen. Television ohjelmisto ja monipuolisuus 1960-2004. In: Juhani Wiio (Hg.): Television viisi vuosikymmentä. Suomalainen televisio ja sen ohjelmat 1950-luvulta digiaikaan. Helsinki: Suomalaisen Kirjallisuuden Seura, S. 58-77. ǰȱȱǻŗşŞŝǼDZȱęȱȱȱlution. In: Helen Baehr (Hg.): Boxed in: Women and Television. Gillian Dyer. London/New York: Pandora, S. 19-37.
ǰȱ ûȱǻŗşŜŘȦŗşŝśǼDZȱȱěǯȱ DZȱ Fremad. Hellman, Heikki (1994): The Formation of Television. In: Francesco Bono/Ib Bondebjerg (Hg.): Nordic Television. History, Politics and Aesthetics. Sekvens, Special Edition. Department of Film & Media Studies, University of Copenhagen, S. 79-101.
ǰȱħȱǻŘŖŖŝǼDZȱȱȱȱȱȬ viihteen? In: Juhani Wiio (Hg.) Television viisi vuosikymmentä. Suomalainen televisio ja sen ohjelmat 1950-luvulta digiaikaan. Helsinki: Suomalaisen Kirjallisuuden Seura, S. 354-368. Hirdman, Anja/Kleberg, Madeleine/Widestedt, Kristina (2005): The Intimization of Journalism. Transformations of Medialized Public Spheres from the 1880s to Current Times. Presentation of the research program. Nordicom Review 2/26, S. 109-117. Holland, Patricia (1987): When a woman reads the news. In: Helen Baehr/Gillian Dyer (Hg.): Boxed in: Women and Television. New York/London: Pandora, S. 133-150. Modleski, Tania (1991) Feminism without Women. Culture and CriȱȱȱǮȄȱǯȱȦ ȱDZȱǯ Pedersen, Vibeke (1993): Soap, Pin-up and Burlesque. Commercialization and Femininity in Danish Television. Nora 2/1, S. 74-89. Pedersen, Vibeke (Hg.) (1999a): TV-vaerter, kommercialisering og kon i Norden. En komparativ undersogelse med fokus på forholdet mellem public service og reklamekanaler. Kobenhavns Universitet: Institut for Nordisk Filologi.
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Politik auf dem Boulevard? – I. Journalismus
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ȅђџјђљѠȱђјќљљђѡђȂȱ юљѠȱђёіђћёіѠјѢџѠ ȱȬǰȱ¡Ȭȱȱ£¢ȱ£ȱ ȱȱ £ юџєџђѡѕȱҿћђћяќџєǰȱ ѢѡѡюȱҦѠђџǰȱюћїюȱюіђџǰȱ
юѡѕџіћȱҿљљђџȱӕȱљјђȱ џіѡѡњюћћ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ §ȱ §Ğȃȱ ǻ £Ȭȱ ŘŖŖŞDZȱ ŗŖǼǯȱ ȱ ȱ ȱ langen Prägung durch Männer funktioniert es einerseits nach ȱ Ǯȃȱ ǻǯǼǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ Wahrnehmung als männlich konnotierte Sphäre. Noch eindeutiger als für die Politik im Allgemeinen gilt diese Zuschreibung für die
ȱ ȅȂǯȱ §ȱ ȅ§Ȃȱ ȱ Ğȱ und politischen Diskurs wie selbstverständlich mit ihr einhergeht, stehen sich Weiblichkeit und Macht im traditionellen Verständnis diametral gegenüber. ‚Macht’ und ‚weibliches Geschlecht’ sind ȱ ̧ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ Folge, dass Akteurinnen innerhalb des politischen Feldes auf Widerstände stoßen. Sie müssen einerseits ihre Geschlechtszugehörigkeit möglichst unsichtbar machen, um als Frau nicht als die ‚Andere’, ‚Fremde’ aufzufallen, andererseits werden sie stets an ȱ ȱǯȱȱěȱȱȱȬȱȱ Ğȱȱȱ ȱ ȱȱãȱĴȱȱȱĴȱ DZȱtȱȱȱȱȱ ȱ mehr berichtet als über das von Politikern (vgl. Norris 1997).1
ŗȱ ȱãěȱȱȱǻǼȱȱȱěDZȱ Zum Beispiel standen Gerhard Schröders (gefärbte) Haare oder seine Brioni-Anzüge in den Schlagzeilen.
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Angela Merkel ist im internationalen Vergleich eine der wenigen Frauen, die ein Spitzenamt innehat. An ihrem Beispiel lässt sich ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ęȱ ȱ ȱ und Weiblichkeit wie durch ein Brennglas untersuchen. Vor ihrer
£ĞȱȱȱȱȱȱûȱȱȱȱȅěȂǰȱȱȱ đĚȱȱȱ ȱȱȱãěȱȱȬȱȱ¢ȱȱ ihre immer wieder thematisierte Frisur. Zwar kommentierten die Medien ihre äußere Erscheinung im Bundestagswahlkampf 2005 §ęȱȱãȱǻ Ȧ £ȬŘŖŖŞǼǰȱȱȱȱ ȱ ěȱ £ȱ ȱ ȱ đȱ £ǰȱ ȱ ȱ ûȱ das Amt der Kanzlerin kandidierte (vgl. Koch 2007).2 Ein Grund dafür ist, dass Merkel selbst im Wahlkampf und als Kanzlerin ihre Geschlechterrolle möglichst in den Hintergrund zu stellen suchte. ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ǰȱ bei dem sie sich entlang traditioneller Geschlechterrollenzuschreibungen in Szene setzte. Das tief dekolletierte Abendkleid, das Anȱȱȱȱãěȱȱ ȱȱȱ 12. April 2008 in Oslo trug, wurde so zum Medienthema. Zahlreiche Medien im In- und Ausland berichteten über den ungewöhnlichen ĞĴȱȱȱȱȱȱ£rin. Die Fallstudie, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden, analysiert am Beispiel der medialen Darstellung von Angela Merkel im
¡ȱȱĞĴȱȱǰȱ ȱȱȱ£ȱȱ Achsen ‚Macht’ und ‚Geschlecht’ zueinander ins Verhältnis setzen.
ќћѡђѥѡѢюљіѠіђџѢћє ѢћёȱњђѡѕќёіѠѐѕђȱќџєђѕђћѠѤђіѠђ Der vorliegende Beitrag präsentiert Ergebnisse einer Fallstudie aus dem Forschungsprojekt Spitzenfrauen im Fokus der Medien. Die ȱ§ȱȱ ȱȱ§ȱû§Ğȱ
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Dass auch Ségolène Royal, die im Vergleich zu Merkel deutlich häuęȱ ȱ ǰȱ ȱ £ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ £ãȱ ȱ ȱ Ġtung nicht auf ihr Äußeres reduziert wurde (vgl. Leidenberger/Koch 2008), könnte eine Wende hin zu einer veränderten Darstellung von Spitzenpolitikerinnen anzeigen, die genauer zu untersuchen bleibt (vgl. dazu Coulomb-Gully in diesem Band).
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ȱǰȱĞȱȱĞǯ3 Das Projekt untersucht dabei die geschlechtsgebundenen medialen Darstellungsweisen von ȱȱĚȱȱȱȱ¢ȱ Perspektiven: Produktion, Text- und Bildanalysen, Rezeption.4 Am ȱȱȱĞĴȱȱȱȱȱȱȱ ȱĴȱ ȱȱȱȱȱ exemplarisch beleuchtet. Die mediale Aufregung über die Abendgarderobe von Angela Merkel gründete sich vor allem auf den Fotos der Nachrichtenagenturen. Daher wird zunächst der Entstehungsund Produktionskontext dieser Aufnahmen in Oslo rekonstruiert. ȱȱǰȱęȱ¢ȱȱęȱ werden die geschlechtsgebundenen Konnotationen der Bildmotive ȱ Ĵȱ ǯȱ ȱ đȱ ȱ Ĵȱ einer diskursanalytischen Herangehensweise danach gefragt, wie ȱȱĴȱûȱȅȱ·Ȃȱ ȱȱ ȱ Ĵȱ ǯȱ ȱ ȱ sionen5ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ £ Ğȱ ȱ Diskursanalyse durchgeführt, die sich auf qualitative Verfahren des ěȱȱ£ȱǻ ȱŘŖŖŚǼǯȱȱȬȱȱȱsanalysen umfassen eine systematische Auswahl von Printmedien, die für klassischen Informationsjournalismus einerseits und für
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Es handelt sich um ein Verbundprojekt der Universitäten Siegen und ûȱȱȱȱȱûȱȱ Ĵȱãǰȱ ãȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ Forschung (BMBF) und der Europäischen Union - Europäischer Sozialfonds (ESF), Laufzeit 2008-2010. Das Projekt verbindet eine Erhebung der medialen Sichtbarkeit von ȱȱǰȱ Ğȱȱ Ğȱzenpositionen im Vergleich zu Männern (quantitative InhaltsanalyǼȱȱȱ¢ȱȱĴǰȱȱȱ Ĵȱ £ȱ ȱ ȱ ǻȱ ¡Ȭȱ ȱ Bildanalyse). In einer Produktionsanalyse werden die Strukturen und Bedingungen untersucht, die für die geschlechtsgebundene BeĴȱ§ȱǯȱȱȱȱ£lyse wird untersucht, welche Relevanz und Bedeutung junge Frauen und Männer den vorgefundenen geschlechtsgebundenen Images des £ȱȱǰȱĞȱȱĞȱ£ȱ (vgl. www.spitzenfrauenindenmedien.de). Analyse der Ausdrucksebene, Haltung zum Nachrichtensubjekt,
ãǰȱ ǰȱ Ĵȱ ȱ Hinblick auf Geschlecht.
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ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ǯ6 Diese Zusammensetzung des Samples trägt der Tatsache Rechnung, dass Politik hochgradig personenzentriert kommuniziert wird. Dabei erscheinen PolitikerInnen als Medienprominente und ûȱȱȱȱȱȱĴȱ in den medialen Fokus. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich vom 13. bis 21. April 2008 und somit auf die Zeit direkt nach dem Besuch von Angela Merkel in Norwegen. Über die Bedeutung solcher medialer Wirklichkeitsentwürfe entscheiden letztlich aber die Aneignungsweisen und Interpretationen der MediennutzerInnen. Qualitative Rezeptionsanalysen, die aus der Sicht der Mediennutzerinnen und Mediennutzer untersuchen, wie Mediendarstellungen von PolitikerInnen wahrgenommen werden, stellen ein Forschungsdesiderat dar – dies gilt für die Gender Media Studies, aber weitgehend auch für die Medien- und Kommu Ğȱǯȱȱȱ¡ȱȱ Rezeptionsstudie wird hier danach gefragt, wie Rezipientinnen die mediale Darstellung von Angela Merkels Dekolleté bewerten, welche Bedeutung sie diesen vergeschlechtlichten Repräsentationen zuschreiben und wie sie sich insbesondere die Bilder aneignen. Um erste Einsichten in die Sichtweisen der Rezipientinnen zu gewinnen, haben wir eine explorative Studie basierend auf qualitativen Leitfadeninterviews mit sechs jungen Frauen durchgeführt.7 Befragt wurden vier Studentinnen und zwei Abiturientinnen im Alter zwischen 19 und 25 Jahren.8 Im problemzentrierten Interview 6
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Als Tageszeitungen decken Frankfurter Allgemeine Zeitung, SüddeutȬ ȱ, die tageszeitung und ȱ das politische Spektrum der überregionalen Qualitätspresse ab, die BILD wird ergänzend als Boulevardzeitung berücksichtigt. Als Wochenzeitungen gehen Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Bild am Sonntag sowie Die Zeitȱ ȱ ȱ¢ȱ ǯȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ £ęȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ Nachrichtenmagazine Der Spiegel und sowie die general interest-Titel Stern, Bunte und . Insgesamt fanden sich 23 Beiträge, die Merkels Abendkleid und/oder Dekolleté thematisierten. Im Rahmen des Projekts ‚Spitzenfrauen im Fokus der Medien’, das die Autorinnen durchführen, wird zurzeit eine größere Rezeptionsstudie vorbereitet: Aus diesem Erkenntniszusammenhang rührt die Konzentration auf junge Frauen. Befragt wurden Anfang Juli 2008 Franziska, Studentin auf Lehramt für Grund-, Haupt- und Realschule (22 Jahre), Janina, Stuȱ ȱ Ğȱ ǻŘŘȱ Ǽǰȱ ǰȱ ȱ ȱ
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ȱ£§ȱȱěȱȱȱ£§£ȱǯȱ Dem Erkenntnisinteresse folgend wurde zum einen nach der Bewertung und Aneignung des Medienereignisses, zum anderen nach der allgemeinen Darstellung von Politikern und speziell Politikerinnen ȱȱȱǯȱȱȱȱȱȱĴȱ aufzufrischen, wurden den Interviewpartnerinnen Zeitungs- und Ğȱ ȱȱǯ9 Die Auswertung erfolgte unter Verwendung der strukturierenden, qualitativen Inhaltsanalyse: Ein im Vorfeld erstelltes Kategoriensystem wurde induktiv erweitert, einzelne Fundstellen paraphrasiert, zu Sinneinheiten zusammengefasst und erneut paraphrasiert (vgl. Mayring 2008: 89).
ћѡѠѡђѕѢћєѠјќћѡђѥѡǰȱіљёѝџќёѢјѡіќћȱ ѢћёȱёіђȱђџѓќџњюѡіѣіѡѫѡȱёђѠȱіѠѢђљљђћ ȅȱ ·Ȃȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ȱ Geschlechterpolitik, wie sie immer wieder von den Medien mit Politikerinnen betrieben wird (vgl. zum Beispiel Bystrom et al. 2001). Das Medienereignis ist ebenso ein Beispiel für Bilderpolitik, es zeigt die Bedeutung und die Rolle, die Bildern inzwischen in der Ĵȱ£ǯȱȱǰȱȱȱȱȱ und besonders von Politikerinnen journalistisch zu thematisieren, verstärkt sich durch die Visualisierung. Der voyeuristische Blick auf den weiblichen Körper im Bild, wie er seit dem 15. Jahrhundert etabliert ist, erhält hier seine Aktualisierung. Im Fall von Merkels ĞĴȱȱȱȱȱȱȱȱmechanismen, wie sie bei politisch geplanten Ereignissen greifen, eine entscheidende Rolle.
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ȱ ĞȱǻŘśȱ Ǽȱǰȱȱȱ ĞȱǻŘŘȱ Ǽȱ ȱȱȱȱȱȱ (19 Jahre) und Nadine (22 Jahre). Ein Interview wurde als Paarinterview von zwei Freundinnen durchgeführt, um durch die Interaktion eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema zu initiieren. Die Befragten wurden auf dem Campus der Leuphana Universität Lüneburg durch persönliche Ansprache rekrutiert und bei Zusage sofort interviewt. Studierende medienbezogener Fächer wurden ausgeschlossen. Dabei handelte es sich um die hier abgedruckten Abbildungen 4 und 5 sowie um ein Porträtfoto von Gerhard Schröder.
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Zum Entstehungskontext: Am Samstag, dem 12. April 2008, war Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Einladung des norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg nach Oslo gereist. Merkel Ĵȱȱȱȱȱ£ȱûDZȱȱ §ǰȱ Referenzbesuch des Munch Museums, Pressekonferenz, Dinner. ȱȱȱȱȱȱȱãěȱȱȱȱȱ ǻǯȱ Ĝȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ŘŖŖŞǼǯȱ ȱ §ȱ ȱ ȱȱȱȱȱǮȱȃȱ vorgesehen (ebd.). Wie bei solchen Ereignissen ebenfalls üblich, wurden für die Innenaufnahmen nur wenige FotojournalistInnen zugelassen und daher ein ǻǼȱȱ gebildet. Das Prinzip ist dabei, dass ausgewählte FotojournalistInnen für einen pool der Nachrichtenagenturen arbeiten und ihre Aufnahmen dann anschließend allen Mitgliedern des pools gleichermaßen zur Verfügung stellen. In diesem Fall übernahm die norwegische Pressefotoagentur ¡ diese Aufgabe und belieferte mit ihren Bildern AFP, AP, Reuters und die European ȱ¢ (epa), der auch die dpa angehört.10 Die Bilder dürfen von den Agenturen nur außerhalb von Norwegen angeboten werden, um Scanpix im Land keine Konkurrenz zu machen. Auch andere (freie) FotojournalistInnen waren dabei, allerdings müssen Nachrichtenbilder freier Agenturen oder FotojournalistInnen im Gegensatz zu den meisten Nachrichtenbildern der Agenturen extra vergütet werden. Daher greifen die meisten Zeitungen und OnlineRedaktionen aus Kostengründen auf die Agenturbilder zurück. Die Zahl der verbreiteten Bilder war daher begrenzt, sie standen aber allen Redaktionen, die einen der genannten Nachrichtendienste beziehen, zur Verfügung. ȱȱȱȱȱȱȱĞǰȱȱȱûȱ ȱȱȱȱȱĴȱȱȱȱȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ BamSȱȱȱȱȱȱȱȱĞĴȱȱȱśȱ publiziert (vgl. Abbildung 1) und dem an sich komplexeren Ereigȱ ȱ ȱ ȅȂȱ DZȱ ȱ ȱ ȱ Ǯdzȱ ȱ ȱ§£ȱȱȃȱȱȱĴȱȱ £ȱȱȱȱ ȱȱĴȱȱȱȱǮȬãȱĞĴȃȱ (BamS 13.4.08: 5). Damit war das Aussehen von Merkel ins Zentrum ûǯȱȱ§ȱȱȱȱęȱȱȱȱȱ der Agenda zahlreicher Tageszeitungen, so dass sich der VizeRegierungssprecher Thomas Steg bei der Bundespressekonferenz 10ȱ Ğȱȱ¡-Chefredakteur Jon Eeg.
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ȱ Ĵȱ £ȱ ȱ ȱ ãȱ ûDZȱ ȱ habe nicht in der Absicht der Kanzlerin gelegen, für solche Furore zu sorgen (zitiert nach taz 15.4.08: 2). Innerhalb von 36 Stunden war die Abendgarderobe der Bundeskanzlerin ein Medienthema geworden. Doch das war erst der Anfang: Caroline Bock von der Nachrichtenagentur dpa schrieb anlässlich von Stegs Kommentar im Anschluss an die Konferenz einen eigenen Beitrag zu Merkels Kleiderwahl, der in den darauf folgenden Stunden von zahlreichen Onlineredaktionen deutscher Tageszeitungen – mehr oder weniger bearbeitet – publiziert wurde.
ȱŗDZȱ Ǯdzȱȱ§£ȱȱȃȱǻȱŗřǯŚǯŖŞDZȱśǼǯȱ Angela Merkel im Gespräch mit Jens Stoltenberg. (Sammelquellenangabe, Quelle nicht eindeutig zuzuordnen)
ȱȱ§ȱȱěȱȬȱȱ£ǰȱzine und Sendungen das Thema in TV-, Online- und Printbeiträgen im In- und Ausland auf und drehten die Geschichte so intensiv ǰȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȅȱ ·Ȃȱ £ ȱ £ȱ ¢¢ȱûȱȱĞĴȱȱȱȱȱ ȱ hat. In dem von uns analysierten Sample erschien lediglich in der SZ zwischen dem 13. und 21. April 2008 kein Beitrag zum Thema. ȱȱȱ ȱȱ§ȱȱĴȱ ansonsten zwischen einem Beitrag in der FAZ und fünf Beiträgen in Bild. In den wöchentlich erscheinenden Zeitungen und Magazinen
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fanden sich jeweils ein bis zwei Berichte.11 Nur wenige kürzere Presȱûȱȅȱ·Ȃȱȱȱȱȱęȱ aus. Insgesamt lassen sich unter den publizierten Fotos im Weȱȱ£ȱȱę£ǰȱ ȱ£ȱȱ Motiv zwar jeweils mehrere Aufnahmen vorkommen, aufgrund des festgelegten Standpunktes variieren diese in Perspektive und Ĵȱȱȱǯ12 Interessant ist dabei, dass die ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ £§ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱĞĴȱ ȱ §sentantInnen stehen:13 1) ȱ Ğȱȱ ȱǻȱȱǼȱđDZȱ Eine Motivgruppe zeigt, wie Angela Merkel dabei ist, aus dem vorgefahrenen Wagen zu steigen und den roten Teppich vor der Oper zu betreten; auf einer Aufnahme schreitet ihr der norwegische Ministerpräsident entgegen, um sie zu begrüßen ǻǯȱ ȱ ŘǼǯȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ¢ȱ ȱ ȱ Besuchen von PolitikerInnen und hebt die Bedeutung der BesucherInnen hervor.14 In den Originalaufnahmen ist die Bundes£ȱęȱȱ£ęȱ£ȱȱǻǯȱȱ 3). In einer Reihe von Publikationen werden die Aufnahmen ȱȱãđȱ£Ĵǰȱȱȱȱȱȱ ȱĴȱȱǻǯȱ£ȱȱȱŗŜǯŚǯŖŞDZȱřŝǼǯ
11 Eine Ausnahme ist hier der Spiegel. Das Magazin berichtete nicht über ȱĞĴȱ ȱ ǰȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱĞĴȱ ȱȱȱȱǮȱ§ȃȱûȱȱȱȱ Merkels zu berichten. Hier wurde das Bild Angela Merkels in einen anderen Kontext übertragen (Spiegel 21.4.08: 36). 12 Um zu überprüfen, ob noch andere Bildmotive publiziert worden waren, wurden die Bilder und Bildergalerien von rund 20 Onlineangeboten überregionaler, regionaler und Boulevardzeitungen sowie £ȱ ȱ Ğȱ £ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱûȱȱ ȱȅȱ·ȁȱěǯ 13ȱ ȱȱęȱȱȱęȱǯȱ Ĵmann 2007. 14ȱ ȱŘŖǯȱ ȱ ȱȱȱȱȮȱȱĞȱǰȱ ohne Begrüßung – popularisiert: Stars steigen aus Limousinen und schreiten über den roten Teppich. Als Motiv ist es heute bei Filmfestspielen etc. zum Bildtypus geworden.
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ȱŘDZȱ Ǯȱ§ȃȱǻȱȱŘŗǯŚǯŖŞDZȱřŜǼǯ ȱȱȱȱĞȱȱȱǯȱȱ durch Ministerpräsident Jens Stoltenberg. (Quellenangabe: Scanpix)
ȱřDZȱ ǮȱûȱȱĞĴȃȱǻȱŗŝǯŚǯŖŞDZȱřŖǼǯ ȱȱȱȱĞȱȱȱǯ (Sammelquellenangabe, Quelle nicht eindeutig zuzuordnen)
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2) Shaking Hands/Begrüßung innen: Eine weitere Aufnahme, die ein Fotograf einer Partneragentur von dpaȱȱĴǰȱ£ȱȱȱȱ¢ȱ ‚Shaking Hands’ im Foyer oder Vorraum der Oper mit der schwedischen Kronprinzessin Victoria (l) sowie dem norwegischen Kronprinzen Haakon (r) und seiner Frau Prinzessin ĴȬȱǻĴǼȱǻǯȱȱŚǼǯȱȱȱ £ȱȱȱ Moment aufgenommen wurde, als sie sich nach vorne rechts beugt, bietet die Aufnahme einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté. Die Agentur ¡ȱĴȱȱȱǰȱȱȱ Merkel und die anderen Gäste aufrecht stehen. Diese wurden jedoch nicht weiter vertrieben beziehungsweise verwendet.15
ȱŚDZȱ Ǯ ãȱȱȃȱǻȱŗŝǯŚǯŖŞDZȱŘŖȬŘŗǼǯ Begrüßung zwischen Angela Merkel und der schwedischen Kronprinzessin Victoria (l.) (Quellenangabe: Albert Nieboer/dpa)
3) Gäste im Gespräch: Gesprächssituationen von PolitikerInnen sind seit den 1920er Jahren ein typisches Motiv im Rahmen internationaler Diploȱȱȱ§ȱǻǯȱ ĴȱŘŖŖŝǼǯȱȱȱ und Beziehung der dargestellten Personen soll dabei insbesondere für die politische Beziehung der Mächtigen stehen 15 Es konnte hier nicht eindeutig geklärt werden, wer diese Bilder nicht weiter verbreitete, ob ¡ oder die Nachrichtenagenturen. Wir danken ¡ für die Möglichkeit, ihr Bildarchiv einzusehen.
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(lockeres Geplauder, freundlich = gute Beziehung). In der Aufnahme, die die BamS abgedruckt hat, ist sowohl Merkel (mit Redegestus) als auch Stoltenberg zu sehen (vgl. Abbildung 1). In zahlreichen Printbeiträgen, beispielsweise der Bild (vgl. Abbildung 5), wird eine Aufnahme nur von Merkel gezeigt, zuweilen wird Merkel ganz freigestellt (vgl. zum Beispiel Bild 18.4.08: 1). Der Gesprächskontext entfällt damit, die Aufnahme ȱ ¡ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ·ȱ ȱȱĴǯ
ȱśDZȱ Ǯȱ£ȱ·ȃȱǻȱŗŚǯŚǯŖŞDZȱŘǼǯ Angela Merkel im Gespräch mit alleinigem Fokus auf die Bundeskanzlerin. (Sammelquellenangabe, Quelle nicht eindeutig zuzuordnen)
Das Bildmaterial war in fast allen Redaktionen in Deutschland verfügbar. Der Blick der FotografInnen, die Bildbeschneidung durch die einzelnen Redaktionen und die Kontextualisierung durch Bildunterzeilen haben zu einer deutlichen Fokussierung auf ȱȱĴȱȱǯȱȱȱȱȱ ȱ ȱĞĴȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ die den Blick erst auf das Dekolleté lenkten. Sie dienten als Beweis, als authentisches Dokument für Merkels Vergeschlechtlichung und ¡ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ
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erzeugt, was die Bilder angeblich bezeugen sollten. Jenseits der inszenierten Weiblichkeit, die Angela Merkel aus Anlass der Opernerãěȱ §ȱǰȱ§ȱȱȱ ȱȱȱ der FotojournalistInnen und die darauf folgende Bildauswahl der Agenturen und schließlich die Bildbearbeitung in den Redaktionen als performativer Akt beschreiben, der die Sexualisierung erst hervorbringt, die die Bilder angeblich bezeugen.
іѠјѢџѠђȱѧѢȱ ђѠѐѕљђѐѕѡǰȱ ђѥѢюљіѡѫѡȱѢћёȱюѐѕѡ ȱ ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱĞĴȱ £ǰȱ ȱ ȱ ȱ ě£ȱ £ ȱ ȱ ȱ Weiblichkeit und dem bislang Gewohnten. Formuliert wurden £ ȱDZȱȱûȱȱęȱȱȱ Kontrast zu Merkels bisheriger Inszenierung, welche in der ȱĴȱ£ȱ§ęȱȱȬȱȱȬ ȱ ęȱ ǯȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ existierenden Kleidernorm für Frauen in politischen Spitzenpositionen westlicher Demokratien abweichen, welche vorsieht, weibȱĴȱ£ȱ£ȱǰȱȱȱ¡£ȱ£ǯȱ ȱě£ǰȱȱȱȱ¢ȱǰȱȱȱ maßgeblichen Anlass für die breite Medienresonanz dar und sie ȱȱȱĴȱȱ ȱǯ
ђёіюљђȱǻђљяѠѡȬǼђѓђџђћѧіюљіѡѫѡ In der Boulevardpresse mit ihrer intensiv personalisierten Darstellung, in der PolitikerInnen zu Medienprominenz werden, erfuhr das Thema eine besonders hohe Aufmerksamkeit. So titelte die BamSȱ £§ȱ Ǯdzȱ ȱ §£ȱ ȱ ȃ (BamS 13.4.08: 5). Am nächsten Tag rückte die Bild nicht nur in ihrer Headline das tief Ĵȱ ȱȱ £ȱȱǰȱȱȱ ȱȱȱ£Ĵȱȱȱ¡£ȱȱȱ·ȱ (vgl. Abbildung 5) In den darauf folgenden Tagen wurde das Theȱ ȱěǰȱȱȱ§ȱȱȱûȱ ȱ ãěȱ Ĵȱ ȱ Ĵǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ auf der Titelseite der Bildȱ ȱ £DZȱ Ǯȱ ûȱ ûȱ Dekolleté-Diskussion“ (Bild 18.4.08: 1). Anschließend kürte die BamSȱ ȱ £ȱ Ǯȱ ȱ ȃǰȱ ȱ ȱ Ǯ§ȱ ȱ ȱ
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ȱȱûȱȱȱĴȱȃȱ ǻȱŘŖǯŚǯŖŞDZȱŜǼȱȱǯȱȱĴȱ ȱ£ȱ zunehmend selbstbezüglich, indem sie über das berichtet, was andere Medien über ‚das Dekolleté’ von Merkel geschrieben haben. Immer wieder ließ sich eine direkte Referenz auf andere Medien ęǯȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ûȱ ȱ Sabah und
û¢ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱĞĴȱ berichtet. Dies wurde wiederum zum Thema einzelner deutschsprachiger Beiträge (zum Beispiel taz 15.4.08: 2; SUPERillu 17.4.08: 86). ‚Das Dekolleté’ von Angela Merkel erreichte überhaupt erst dieses Maß an medialer Aufmerksamkeit durch die Selbstreferenz der Medien untereinander. Durch den fortwährenden Bezug auf die Ĵȱȱȱȱ£ȱȱȱmerksamkeitsspanne deutlich verlängert werden.16 ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ in Frage gestellt, es werden aber durchaus unterschiedliche thematische Schwerpunkte gesetzt. Neben der Legitimierung der Ĵȱ ȱ ȱ £ûȱ ȱ ȱ vor allem zwei Diskursstränge benennen. Dabei geht es erstens um den sich wandelnden Stil der Kanzlerin und das Einhalten eines Dresscodes für Politikerinnen und zweitens um Fragen nach der ȱ ȱ ȱ ĞĴǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȬȱȱȱûĞǯ
іђȱѤђіяљіѐѕђȱюѐѕѡȱіћȱџѠѐѕђіћѢћє ѡџђѡђћȱѠќљљѡђ Bei der Bewertung und Verortung des Themas treten deutliche Unterschiede in den Mediendiskursen auf. Es waren vor allem die Boulevardmedien wie Bunte, , Bild, BamS aber auch der Stern, die ausgesprochen positiv über die Betonung femininer Ĵȱȱȱȱ£ȱǯȱ ȱęȱȱȱȱȱ£ȱȅȱkeit’, das positiv herausgestellt wird. Das Dekolleté wird dabei zum evidenten Zeichen von Weiblichkeit gemacht. In der BerichtĴȱ ęȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱ ãȱĴǰȱ ȱȱȱȱȱȱȱ 16 Dabei spielen die Online-Ausgaben der Tageszeitungen und Magazine eine zusätzlich verstärkende Rolle, die hier in der empirischen Analyse jedoch nicht systematisch berücksichtigt werden.
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Wandlungsprozesses ist, der zu einer positiven Bewertung führt. So schrieb die Illustrierte ǰȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ £ûȃȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ dem Gipfel“ (SUPERillu 17.4.08: 86f.). Die BunteȱȱǮȱûȱȱ ĞĴǷȃȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ wusstseins“ (Bunte 17.4.08: 30). Unter ästhetischen Gesichtspunkten ȱȱęȱȱȱ£ȱǯȱǮȱ Kanzlerin wirkte sehr feminin, trug zur eleganten Robe eine PerĴǰȱ ȱ ûȱ Ȭǰȱ ȱ ȱ Schuhe und ein seidenes Abendtäschchen“ (ebd.: 32). Dabei stehen ȱȱȱ Ȭȱȱȱ£ȱǰȱĴȱ ȱ ȱ Ěȱ ȱ ûȱ onen artikuliert. Laut einer BunteȬ ȱ ȱ ȱ ǮǽǾȱ ȱ ěȱ ȱ ȃǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûDZȱ Ǯȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Seite zeigen. Damit wir wissen, dass sie nicht nur Zahlen und Fakten im Kopf hat, sondern auch Gefühle. Macht ist auch der Mut zur Weiblichkeit“ (Bunte 17.4.08: 7). Mächtige Frauen sollen nicht ihre ‚natürliche Weiblichkeit’ verlieren, die mit Emotionalität und ǰȱȱȱȱȅĴȂȱȱ£ȱ wird. Es sind nicht nur die klassischen Boulevardmedien, die MerȱĞĴȱȱȱȱȱȱȱȱ Vergeschlechtlichung und Sexualisierung inszenieren. So machte der ȱȱ£ȱǮ ãĴǯȱȱȱǰȱȱȱ ȱ £ȱ ȱ £§ȱ ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ ganze Nation an ihre Brust drücken will“ (Focus 21.4.08: 190). Das Magazin Stern kürte die Bundeskanzlerin in einer Schlagzeile £ȱ Ǯ ãȱ ȱ ȃȱ ǻȱ ŗŝǯŚǯŖŞDZȱ ŘŖǼȱ ȱ ȱ kurz die unterschiedlichen Bekleidungsnormen für Männer und Frauen. Das Magazin präsentierte dazu doppelseitig das Bild, auf dem Merkel der Kronprinzessin Victoria die Hand zur Begrüßung reichte (vgl. Abbildung 4). Obwohl das Kronprinzenpaar gemeinsam lächelnd den Blick auf den Handschlag als traditionelle Geste der guten Zusammenarbeit richtete, schrieb der Stern in der Bildkommentierung: Der norwegische Kronprinz Haakon erwies sich jedenfalls ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ DZȱ ȱ Ĵȱ nur Augen für die Begrüßung zwischen der Bundeskanzlerin, ȱ £ȱȱȱȱ ĴȱĴȬrit (ebd.).
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Der SternȱûĞȱȱȱȱȱtionen an, die davon ausgehen, dass Frauen – und insbesondere die weibliche Brust - den Blick und das heterosexuelle Begehren der männlich gedachten Betrachter auf sich ziehen. Intensives Angeschaut-werden und Ausgestellt-werden hat die feministische Medientheorie als eine feminisierte Position beschrieben, die den heteronormativen Blick im Bild und vor dem Bild evoziert (vgl. zum Beispiel Mulvey 1980). Da der sexualisierende Blick des norwegischen Kronprinzen auf dem Bild fehlt, wird er auf der sprachlichen ȱûȱȱȱȱę£ǯȱȱȱûȱȱ ȱĴȱ¢ȱǰȱ ȱ ȱȱ gezeigt die Beziehung der politischen Personen untereinander symbolisiert, wird Merkel nicht als politisch Handelnde, sondern als sexuelles Objekt ausgestellt und entlang vergeschlechtlichter Blickmuster des Zur-Schau-Stellens inszeniert. ȱ ȱ ȱ ãěȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ £§ȱ ǰȱ ȱ ȱ §ęȱ ȱ sympathisch dargestellt. Entsprechen sie hingegen klassischen ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ Kompetenz abgesprochen. Dieser ‚double bind’ (vgl. Jamieson 1995 sowie Nieland in diesem Band) beeinträchtigt Politikerinnen nachhaltig in ihren Handlungsmöglichkeiten. Diese Paradoxie wird in ȱĴȱ ȱ£ûȱǯȱȱȱȱ Nachrichtenmagazin : So viel freie Haut war auf den ersten Blick ziemlich ungewohnt. Deshalb: der erste Preis für den Mut zu einem solch gewagten ęǯȱȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ£ȬĴȱǻȱŘŗǯŚǯŖŞDZȱŗşŖǼǯȱ
In der Bildȱȱȱ ȱ£ȱ ȱȱȱȱętiven Brief an die Bundeskanzlerin, ob die deutschen Bürgerinnen und Bürger lieber eine im biederen Hosenanzug streng angezogene Kanzlerin wünschten – eine rhetorische Frage, die er am Ende des Beitrages selbst verneinte (Bild 15.4.08: 2). Das Tragen eines männlich konnotierten Anzuges, selbst in seiner weiblichen Adaption als Hosenanzug, scheint das bipolare Geschlechterdenken nach wie vor zu irritieren. Merkels Entscheidung für eine körperlich ȱȱȱȱĞĴȱȱȱ ȱȱȱ Diskursstrang als beruhigende Stabilisierung des Systems der Zweigeschlechtlichkeit erkannt und bewertet.
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ
ȱȱęȱȱ¡£ȱȱȱȱ¡ȱȱĴǰȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱęȱǯȱȱȱȱFAS, der ohne Bild von Merkels Dekolleté erschien, berichtete kritisch über den beschriebenen ‚double bind’ (FAS 20.4.08: 68). Die FR illustrierte ein Interview mit der Imageberaterin Silke Frink über ‚das Dekolleté’ zwar mit einem entsprechenden Bild, doch stand hier vor allem das politische Amt der Bundeskanzlerin im Zentrum.Argumentiert wurde, dass Merkel ȱȱ·ȱȱȱǮĴ§ȃȱȱǰȱ ȱȱ ęȱȱǮȱȃȱȱǻȱŗŜǯŚǯŖŞDZȱřŝǼǯȱȱ§ȱ der politischen Elite westlicher Demokratien wird von Merkel ein bestimmter Stil erwartet, der Weiblichkeit verhüllt und nicht explizit ausstellt. Dementsprechend empfahl die Imageberaterin ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ £ȱ ȱ angemessenes Kleidungsstück für weibliche Führungspersonen. Auch wenn sich hier männliche und weibliche Bekleidungsideale £§ȱ ǰȱ ȱ ȱ ě£ȱ ȱ betont. So werden Männern der Anzug und Frauen die weibliche Adaption des Hosenanzuges vorgeschlagen, bei dem eine körperȱĴȱȱȱȱ ȱȱǯ
іѠјѢџѠђȱҿяђџȱёіђȱѠѡџюѡђєіѠѐѕђȱѢѠџіѐѕѡѢћє ёђѠȱѢѓѡџіѡѡѠ ȱȱ§ȱęȱȱȱ ȱǰȱȱ£ȬĚȱȦȱǰȱǰȱȱûȱ ȱ ·ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ě§ȱ ǰȱ ȱ weder ihr Geschmack noch ihr Körper negativ bewertet werden. ěȱ¡ȱȱȱȱ ǯȱĴȱȱȱ rationale Motivsuche in den Vordergrund: Es wurden Gründe dafür gesucht, ȱȱȱ ȱȱȱȱĴȱȱ ĴȱȱûȱĴǰȱȱȱȱ ûȱȱȱ ĞĴȱǯȱȱ ȱ£ȱȱ ȱȱ tazǯȱȱȱȱȬŗȬȱǮȃȱ ȱDZȱ ǮǽǾȱ ȱ ûȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱȱ ȱȱȱǰȱ Ğȱ ȱ sozial tief gespaltenen Deutschlands ab. Sie hat damit ihren letzten Trumpf ausgespielt“ (taz 15.4.08: 1). Der Beitrag in der FAS, der sich kritisch mit dem ‚double bind’ für Politikerinnen auseinander setzte, ȱ£ȱȱǰȱȱǮȱȱȱȱȱ blankes Kalkül gesteckt haben“ könne (FAS 20.4.08: 68). Merkel sei
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eine Medienkanzlerin und wisse genau, was sie tue. Vielleicht habe ȱȱȱĞĴȱ£ȱ£ȱȱȱȱȱ wollen. Die Zeit bewertete in der Headline einer Glosse Merkels AufĴȱȱǮĴûȃȱǻȱŗŝǯŚǯŖŞDZȱŗŘǼǯȱȱȱ ȱȱȱ der Qualitätsmedien (mit ironischem Unterton) als bewusste Geschlechterperformanz im Feld des Politischen verhandelt. Mwerkel erscheint dabei durchaus als politisch handlungsfähige Person, die ‚Weiblichkeit’ taktisch und kalkuliert für ihre Ziele einsetzt. Doch, so ließe sich dieser Diskursstrang pointiert zusammenfassen: Das
ûȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ Ğȱ ǯȱ Die taktisch kalkulierte Weiblichkeitsinszenierung wird durch die ȱȱĤ§ȱ£ȱǯȱ ȱ konstruieren sich selbst damit als überlegene Deutungsinstanz. ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ĞĴȱ ȱ ȱ bewertete, wurde der Bundeskanzlerin meist keine beabsichtigte Inszenierung unterstellt. Zur Beglaubigung dieser Aussagen wurde mehrfach der Vize-Regierungssprecher Thomas Steg zitiert, wie etwa in BunteDZȱǮȱȱȱûȱȱȱȱ hat, lag nicht in der Absicht der Bundeskanzlerin“ (Bunte 17.4.08: 30). Die Selbstrepräsentation (außen) wurde auch mit dem scheinbaren authentischen Selbst von Angela Merkel (innen) beglaubigt. So schrieb die BamSDZȱǮtȱȱȱȱȱǰȱ weil kein Mensch gemerkt hat, dass sie dieses Kleid schon in ihrer Zeit als Fraktionsvorsitzende bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth getragen hat!“ (BamS 20.4.08: 6).17 Zudem wurde auf BeraterInnen oder DesignerInnen verwiesen, die für die Kleiderwahl verantwortlich seien. Mit solchen Zuschreibungen von Weiblichkeit über die Körperkonstruktionen geht eine Zuschreibung von Naivität und damit eine Trivialisierung einher. Bezogen auf die Verhandlungen von Macht und Geschlecht wird der Bundeskanzlerin als Politikerin £ȱȱȱȱȱȱĴ§ȱǯȱ ȱȱȱ£ȱȱĴȱ£dest latent die Annahme einer durch Weiblichkeit beeinträchtigten politischen Kompetenz.
17 In einem anderen Bericht der Bunte werden strategische Gründe durchaus thematisiert, wenn auch naturalistischen Vorstellungen von Weiblichkeit untergeordnet. Als Strategin habe Merkel akzepǰȱ ȱ ȱȱ§đȱȱȱȱDZȱǮȱ deswegen ist ihr Dekolleté eben doch ein Politikum, wenn auch ein sehr charmantes!“ (Bunte 17.4.08: 7).
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ
Interessant sind die beschriebenen Diskursstränge, die sich mit der inȱ ȱȬȱ£ȱȱĞĴȱ§tigen, bezogen auf die darin wirksame Vergeschlechtlichung der Politik. Es ist sichtbar, dass die politische Sphäre nicht geschlechtsneutral entworfen ist. Wird Merkel keine bewusste Inszenierung unterstellt, dann erscheint sie bezogen auf ihre politische Handlungsfähigkeit als ȱǯȱȱĞĴȱ ȱȱȱȱǻǼȱscheidung dargestellt, sondern als scheinbar ‚natürliche Handlung’ einer Frau. Wenn hingegen eine bewusste Performanz angenommen ǰȱ ȱ £ȱ ȱĴȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ûȱ ȱ ȱ ȅȱ ȱ ěȱ ȱ Frau’ hinwegtäuschen zu wollen und/oder diese zu verschleiern. Die politische Sphäre bleibt damit für weibliche Akteurinnen zwangläuęȱȱȱ£ȱ§ȱǯ
ȅђџјђљѠȱђјќљљђѡђȁȱюѢѠȱёђџȱіѐѕѡ їѢћєђџȱђѧіѝіђћѡіћћђћȱ Nur ein kleiner Teil der Menschen verfügt über soziale Alltagserfahrungen mit (Spitzen-)Politikerinnen und Politikern: Wissen über ȱȱȱȱȱ ȱȱȱĴǯȱ Eine Auseinandersetzung mit der Aneignung medialer Repräsentationen lässt somit aufschlussreiche Einblicke in die Wahrnehmung und Bewertung politischer Akteure erwarten. Für die deutschen Gender Studiesȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱĴȱ ȱ lichen Bundeskanzlerin zusätzlich interessant, weil zu vermuten steht, dass die Person Merkel sowohl auf einer Politik- als auch auf einer Geschlechterfolie ‚gelesen’ wird. Mit dem Fallbeispiel ‚Merkels Dekolleté’ wird zugleich die vielfach nachgewiesene Trivialisierung und Sexualisierung von Frauen in den Medien (vgl. Klaus 2005: 216) relevant, die, wie gezeigt wurde, von Rezipientinnen und teils auch Rezipienten durchaus kritisch wahrgenommen wird (vgl. Röser/Kroll 1995).
ѢєѫћєђȱѧѢњȱѕђњю Das Medienereignis um ‚Merkels Dekolleté’ ist für die sechs von uns befragten jungen Frauen von unterschiedlicher Relevanz. Zwei Frauen zeigen sich deutlich involviert und nehmen zugleich dezidiert kritische Positionen ein, wobei einmal eine feministische (Sonja) und
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einmal eine medienkritische Perspektive (Franziska) im Vordergrund stehen. Bei beiden ist es dann auch zu einer Anschlusskommunikation DZȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ £ ȱ ȱ gInnen über die Medienberichte gesprochen. Zwei weitere Befragte haben die Berichte wahrgenommen und äußerten auch ihre Meinung, zeigten sich aber insgesamt weniger involviert (Nadine und Sarah). Schließlich stellte sich bei zwei Befragten heraus, dass sie das Ereignis zuvor gar nicht wahrgenommen haben (Nele und Janina).18 Die jungen Frauen formulieren eine weitgehend übereinstimȱęȱ£ǰȱ ȱȱȱȱȱ DZȱȱȱȱǮȱȱȃȱȱǻ£Ǽǰȱ ȱǮ ȱȱȱȃȱ£ȱǻǼȱȱ£ǰȱȱ ȱȱǮȱ ȱȃȱȱǻǼǰȱȱđȱȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȃȱ ǻǼǰȱ ȱ Ĵȱ Ǯȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ £ȱ ȃȱǻ£ǼǯȱȱȱȱǮȱȃȱ£ȱǰȱȱmit aus Sicht der jungen Frauen Kern des Vorgangs und Auslöser ȱĴȱǻȱȱ ȱ ǰȱ Kleiderordnungen oder politischer Schlagabtausch). Und es besteht Einigkeit verbunden mit einer gewissen Parteilichkeit, dass dies ihr ǮȃȱȱȱȱȱǮȃȱȱǯȱȱ ȱ ȱ ȱ£ȱ£ȱȱĚǰȱȱȱȱȱȱȱ Deutungsmuster: Kleid und Dekolleté stehen für naturalisierte Weiblichkeit, deren Performativität durch Merkel positiv bewertet wird. Die Frage, warum dieses ‚normale Verhalten’ zum Medienereignis werden konnte, beantworten die Befragten, indem sie das Thema in drei Kontexte einbinden: 1) das Agieren der Medien, die das Thema inszenierten 2) das Agieren Merkels, die im Rahmen ihres Amtes als Kanzlerin, aber auch ihrer biographischen Entwicklung ansonsten eher andere Seiten betont, und 3) die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern, Politikeȱȱȱȱ Ğȱȱ[ěǯ 18ȱ ěȱǰȱȱȱȱûȱȱȱ£ȱȱ des Interviews diese recht umstandslos im Lichte vergleichbarer Beȱ ûȱ ȱǰȱ ȱ ȱ ȱ Ĵǰȱ ordnen. Bei diesen zwei Befragten handelte es sich gleichwohl bezogen auf das engere Thema um eine durch die Forschungssituation künstlich herbeigeführte Rezeption, die es im Alltag nicht gegeben ĴDzȱȱ ȱȱȱ ȱȱûǯ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ
ђѤђџѡѢћєȱёђѠȱџђієћіѠѠђѠȱ юљѠȱђёіђћіћѠѧђћіђџѢћє Der Diskurs um die Konstruktion von Themen durch die Medien stellt einen dominanten Zugang in den Interviews dar. Die Befragten werten das Ereignis als Medieninszenierung und betonen ihre ȱ ȱ ûȱ ȱ DZȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ stehen, dass um ein Kleid ein solcher Wirbel gemacht wird“ (Franziska). Fünf Interviewte vertreten die Ansicht, dass Merkel mit der Kleiderwahl keine sozialen Normen verletzt habe und leiten daraus ab, dass eine mediale Thematisierung deshalb unangemessen war: ȱǰȱȱ ȱȱǯȱǽdzǾȱȱ Ĵǰȱȱȱ ȱ£ǰȱ ȱȱãǯȱȱęȱȱǰȱ£ȱǰȱ ȱȱȱ£ȱ£ǯȱûȱȱȱȬ Ĵȱher kommen, wäre es etwas anderes, aber sie kann doch wohl ein bisschen Dekolleté zeigen und sich wie eine normale Frau anziehen (Nadine).
Sie kritisieren, dass die Medien allein diesen Aspekt wichtig machten, während das eigentliche Ereignis in den Hintergrund getreten DZȱǮȱ ȱȱȱȱǰȱ ȱȱȱȱǰȱ ȱȱ ȱȱȱûȱȱęȱȃȱ (Sonja). Die Interviewten begründen die intensive mediale BerichterĴȱ£ȱȱȱȱ ȱȱȱǯȱ ȱȱȱ£ȱǮȱȱȱȱȱ [ěȃȱǻ Ǽǯȱȱȱ ȱȱȱǰȱȱ auch der Tatsache, dass Merkel es als erste Frau innehat, einen hohen Nachrichtenwert zu. Hinzu komme ein Moment des Ungewöhnǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ Ǯȱ ȃȱ Ğȱ ǻ£Ǽǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ durch die Medien konstatiert und nachdrücklich kritisiert. Diese ordnen die jungen Frauen allein den Boulevardmedien zu. Während ȱĴȱȱȱ§ȱȱȱȱȱ wohlwollend beschrieben wird, sei das Thema in den Boulevardmedien auf das Dekolleté der Kanzlerin reduziert worden. Hier ergibt sich ein gewisser Widerspruch zum oben genannten Befund, wonach der Tenor der Boulevardberichte zur Geschlechterperformativität Merkels (vordergründig) positiv war. Diese Wertung der Medien deckt sich zudem mit der Einstellung der jungen Frauen selbst, die sie in den Interviews zum Ausdruck brachten.
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Die dissonante Wahrnehmung der Befragten speist sich aus zwei Hintergründen: Zum Ersten geht es den Frauen nicht primär um ȱ¡ȬǰȱȱȱȱĴDZȱ Also gerade in der Boulevardpresse, also in Bild etc., das sieht man ja auch ganz deutlich an dem Foto: Alle anderen Fotos richten sich auf das Gesamtbild und auf Frau Merkel in Aktion und hier ist eigentlich das Dekolleté das springende Argument (Franziska).
ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ Ĵȱ ȱ Bild-Zeitung gar Ǯȃȱ ǻǼǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ von weiblichen Körpern mit der für die Boulevardpresse typischen Strategie der Sexualisierung, die in einem Spannungsfeld zum vordergründigen Lob auf der Textebene steht. Der zweite Hintergrund erklärt, warum der Abdruck derselben Fotos auch in vielen Qualitätszeitungen von den jungen Frauen meist unbeachtet blieb: Die Interviewten haben den Boulevardmedien gegenüber eine grundsätzlich ȱ ǯȱěȱȱȱȱȱȱȱduktion weit verbreiteter hochkultureller und bildungsbürgerlicher Bewertungsmuster (vgl. Klaus et al. 2006), die auch unabhängig von ȱĴȱ£ȱ ǯȱȱ ȱȱ ȱ £ȱȱȱȱĞȱȱȱ§đDZȱ Ich mein, alleine die Bildǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱĚȱ ȱ ȱ ǵȱ Millionen! Das ist Klatsch, das ist Tratsch, das wollen die Leute ãǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ §Ğǰȱ ȱ £ȱ ǯȱȱ ȱȱǰȱ̧ȱ Gerede (Nadine).
Die Interviewten reproduzieren Vorurteile, die im konkreten Fall den Inhalten nur bedingt entsprechen, wobei die von uns als Diskussionsanreiz vorgelegten Beispielartikel dieses Schema zumindest partiell gestützt haben.19 Die Kritik an den Boulevardberichten ist somit teilweise als allgemeiner Rekurs auf dominante kulturelle Hierarchisierungen einzuordnen; sie bezieht sich aber auch auf ȱȱȱ ȱȱȱěȱ ȱ zur (visuellen) Sexualisierung von Frauen. 19 Während der Beispielartikel aus der ‚seriösen‘ überregionalen Presse ein Ganzkörperfoto der Kanzlerin in Oslo zeigt und das Dekolleté nur sehr klein abbildet, präsentiert der vorgelegte Bild-Artikel ausđȱȱûđȱȱ·Ȭ£ȱĴǯ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ
ȱ £ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ětierend mit der medialen Präsentation von PolitikerInnen umgehen. Auf Basis ihrer Genre- und Medienkompetenz erkennen sie mediale Inszenierungen und wissen, dass Medien Themen lenken und gewichten können. Sie stehen Merkels Erscheinung deutlich ȱûǰȱȱȱȱ đȱȱĴȱȱ ǰȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ûȱ zum Thema gemacht haben.
ћєђљюȱђџјђљȱюљѠȱ ђѠѡюљѡђџіћȱ іѕџђџȱҦѓѓђћѡљіѐѕђћȱǻ ђѠѐѕљђѐѕѡђџȬǼќљљђ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ǰȱ ȱ ȱ ȱ §ęȱ ãȱ ȱ tischen Veränderungsprozesses hin zu einem feminineren Äußeren darstellt, den Merkel in den letzten Jahren durchlaufen hat. Die ȱ ȱ ȱ ȱ ĞĴȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Fortsetzung: Damals war sie ja auch eher so ein graues Mäuschen. Sie hat sich ja jetzt schon ein bisschen hergemacht. Und dass sie sich sehr verändert hat, wird dadurch [durch das Tragen des Kleides] deutlich (Sarah).
ȱȱǮĴ ȱȱǰȱȱȱȱȱ zu betonen, gerade auch mit dem Make-up und der Frisur“ (Franziska). Das veränderte Erscheinungsbild Merkels wird von den Befragten positiv bewertet. Sie beurteilen das Kleid als angemessen ûȱȱãěDZȱǮȱęȱȱȱȱûȱȱȱ ęȱǰȱȱȱȱȱǯȱȱȱȱȱȱ ȱȱ anziehen? Wenn es dem Anlass entsprechend ist, ist es immer okay“ (Sonja). Bis auf eine Ausnahme sind sie sich einig, dass Merkel
Ǯȱ ȱ ȱ ûȱ ȃȱ ǰȱ ȱ ȱ £ȱ ȱǻ£Ǽǯȱȱȱǰȱȱȱ£ȱãěȱ Anlässen ihre Kleidung nicht alleine auswähle. Sie setzen eine abȱ£ȱDZȱǮǽdzǾȱȱȱȱȱȱ und sie wird ja wissen, was das für eine Wirkung hat“ (Nele). Merkels Erscheinungsbild gilt den Befragten als Bekenntnis zu mehr Weiblichkeit und als sichtbares Symbol für eine Symbiose von Amt und Geschlechterrolle. Sie vermuten hinter ihrem veränderten Aussehen unterschiedliche Motive: Ein Teil von ihnen sieht es als
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gesteuerte Imageveränderung, die durch die permanente Kritik an ȱȱȱ ȱȱȱĴȱ£ȱ ȱȱ mehr Popularität, eine andere vermutet dahinter den persönlichen ȱȱȱĴȱ đǯ Die Bewertung des Ereignisses reicht jedoch über eine reine Diagnose des Wandlungsprozesses hinaus. Zwei Befragte versprechen sich über Merkels Beispiel eine Bewusstseinsveränderung in ȱ[ěǰȱȱȱȱȱȱãȱĴȱ von Weiblichkeit nicht mehr als Gegensatz zu intellektuellen Leisȱȱãěȱȱȱ DZȱ Ich glaube einfach, dass sie vielleicht dadurch zeigen wollte: ‚Ich ȱȱǰȱȱȱȱȂǯȱǽdzǾȱȱ§Ĵȱȱȱȱ getragen, mit dem Bewusstsein, dass dann darüber gesprochen wird (Sonja).
Aber auch die Deutung des Ereignisses als ‚normaler’ geschlechtsȱĞĴȱȱȱȱȱȱȱ lässt sich als Wunsch einer Annäherung beider Sphären lesen. MerȱȱȱȱȱȱǰȱȱĴȱȱ als eigenständige Akteurin gegenüber, die sich ihrer bedient. Die ȱ ȱ ěȱ ȱ ěǰȱ ȱ ȱ ȱ ‚Macht’ und ‚Geschlecht’, um deren Gegensätzlichkeit sie wissen, miteinander verbunden werden und Merkel als erste, weibliche Bundeskanzlerin in diesem Prozess eine Vorreiterrolle einnimmt.
ђѠѐѕљђѐѕѡђџѢћєљђіѐѕѕђіѡȱіћȱ ђѠђљљѠѐѕюѓѡ ѢћёȱќљіѡіјяђџіѐѕѡђџѠѡюѡѡѢћє Die bisher diskutierten Befunde weisen darauf hin, dass die Befragten sich eine Normalisierung und Akzeptanz der Geschlechterperfor§ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ
¡ȱěǯȱȱȱȱ§ȱȱǰȱȱ ȱȱȱȱĴȱȱ§ȱȱȱȱ ȱęǰȱȱȱ£ȱȱĞȱ §ȱ ęȱ ȱ ǻǯȱ Ȧ ȱ ŗşşŚǼǯȱȱȱ ȱȱȱȱȱĴȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ Ğȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱ ȱěǰȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ §Ĵȱ ȱ ȱ ohnehin leichter, denn:
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ Männer haben mit der Kleidung nicht die Möglichkeit, so zu provozieren. Die tragen halt einen Anzug zu solchen Anlässen oder einen Smoking. Da kann man nicht so viel falsch oder richtig machen (Nele).
ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱǯȱȱ §Ğȱȱ ȱǰȱ ȱȱ ȱȱȱȱǮ ûȱȱȱȱȱȱ werden“ (Janina). Die Befragten unterstreichen, dass Frauen sich in einem Zwiespalt zwischen den sozialen Erwartungen aufgrund ȱ Ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Thema für sie auch eine persönliche Relevanz. Einige Interviewte verweisen darauf, dass nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern alle Frauen im Beruf der Schwierigkeit begegnen, sich adäquat zu kleiden: Egal, wie man es macht, es ist immer irgendwie falsch. Zieht man sich zu spießig, zu hoch geschlossen an, ist man hart und nicht ȱȱȱȱȱȱ£ȱě£ǯȱȱȱȱ ǰȱȱȱĴȱ£ȱęȱǻǼǯȱ
Dieser Aspekt bildet für die Befragten die einzige Brücke vom Medienthema zu eigenen Alltagserfahrungen und der Performativität des Weiblichen als (erwartete) alltägliche Praxis. ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ěǰȱ £ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ǰȱ ȱ Ǯȱ §ȱ ȱȱ ȱȱĴȱ£ǰȱȱȱȱ£ȱ£ȱ auf ihr Aussehen, dass eben wieder gesagt wird, Frauen können so ȱǽ£ȱǾȱȃȱȱǮȱȱȱȱȱ noch nicht so ernst genommen wird und dass man dagegen was machen sollte“ (Sonja). Ihre Wahrnehmung des Medienereignisses ûĞȱȱȱ ȱãđȱȱȱ£ȱȱ ȱȱǻ §ȱȱȱȱȱĴǼȱ ȱ der Schule (Behandlung von Geschlechterthemen). Diese Rückkopplung zwischen Medienrezeption und Alltagskommunikation §ȱ ȱȱ ǯȱȱȱ ȱĚǰȱȱ äußern doch vier weitere der jungen Frauen geschlechterkritische Sichtweisen. Auf die Frage, ob sich die mediale Repräsentation von Politikern und Politikerinnen von einander unterscheide, verweist ȱ §Ğȱȱȱǰȱȱȱ§ęȱȱ£ȱ auf ihr Äußeres dargestellt werden, während Politiker im Kontext
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ȱȱȱ ûDZȱǮȱȱ§ȱ ȱȱ auf die Kompetenzen geachtet und bei einer Frau ist es noch immer das Aussehen, auf das sie reduziert wird, und das stört mich eben massiv“ (Sonja).20ȱȱ ȱęȱȱ§ȱ als ungerecht. Bei Angela Merkel hingegen erkennen sie eine Ver§ȱ ȱ Ĵȱ £ȱ ǯȱ Ĵ ȱ ȱ §ȱûȱȱ ȱȱǮȱȱȱ£ǰȱȱ auf das, was sie tut und wofür sie eigentlich auch im Rampenlicht steht, weil sie Politikerin und Kanzlerin ist“ (Nadine). Während die befragten Frauen die medialen Repräsentationen auf der qualitaȱȱȱȱȱęǰȱȱȱ ihre quantitative Unterrepräsentiertheit (vgl. GMMP 2005; Röser ŘŖŖŜǼȱ ȱ ǯȱȱ ȱ ȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱěȱȱȱ£ȱȱȱȱ£§ȱȱȱȱ DZȱǮ ǰȱȱȱȱ sich zu steigern, aber noch längst nicht…, na ja gut, aber die Frauen sind in der Politik auch noch nicht so in den hohen Ämtern präsent“ (Franziska). Übereinstimmend gehen die Frauen davon aus, dass ȱȱ £Ğǰȱȱȱȱȱ wie Ursula von der Leyen oder Condoleezza Rice schon mehr Medienpräsenz zu verzeichnen sei. Die relative Verbesserung der Sichtbarkeit von Spitzenpolitikerinnen scheint die Wahrnehmung stärker zu prägen als die faktisch anhaltende klare Dominanz männlicher Amtsinhaber in den Medien.
юѧіѡ Bei der medialen Darstellung des Dekolletés von Angela Merkel in den Printmedien handelt es sich in weiten Teilen um eine hochgradig sexualisierte Repräsentation. Diese wird diskursiv im Text- und Bildmaterial hergestellt. Die Bilder, die einen wichtigen Auslöser für ȱȱĴȱǰȱȱȱ§ȱ ęȱ ȱ §ȱ ȱ §ten. Zugleich sind sie aufgrund der Wahl des Aufnahmemoments
20 Gerhard Schröder, dessen mediale Repräsentanz im Interview als ȱ £ȱ ǰȱ ȱ ěȱ ȱȱ ǯȱ ȱȱȱĴȱûȱȱȱ ȱȱ ȱ ȱ ûȱ ǰȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Themenkontexten, zum Beispiel unter Bezugnahme auf seine potenziell gefärbten Haare oder seine Ehe erschienen, so der Tenor.
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ȱ ȱ Ȭȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ Akt der Vergeschlechtlichung und der Sexualisierung zu begreifen. Hier wird visuell das ‚doing gender’ der Kanzlerin hergestellt. In den Textbeiträgen werden Stilfragen, Kleiderordnungen für Führungspersonen sowie in selbstbezüglicher Weise die MedienĴȱǯȱȱȱȱ ȱȱ§ȱ die Verhandlung der Relation von Macht und Geschlecht. Dabei werden zwei Diskursstränge sichtbar: In den Boulevardmedien (und einzelnen Qualitätsmedien) wird Merkels Hinwendung zu Weiblichkeit ausgesprochen positiv bewertet. Indem Weiblichkeit sowohl auf der bildlichen als auch auf der sprachlichen Ebene explizit ausgestellt wird, konstruiert vor allem die Berichterstattung der Boulevardmedien einen modernen Typus von Politikerin, der das System der Zweigeschlechtlichkeit nicht in Frage stellt. Zugleich erweitert der Weiblichkeitsdiskurs der Boulevardmedien das Rollenrepertoire der erfolgreichen Politikerin: Weiblichkeit und Macht erscheinen hier als vereinbar in der sozialen Identität der Kanzlerin. In der Qualitätspresse verschiebt sich der Diskurs scheinbar hin zu politischen Sachverhalten. Der Rückbezug auf Weiblichkeit bedeutet hier zumeist, dass die politische Handlungsfähigkeit der Kanzlerin in Frage steht. Vorstellungen von Weiblichkeit und Politik erscheinen als unvereinbar. Die politische Sphäre wird in der medialen Repräsentation als männliche bestätigt, der Ausschluss von Weiblichkeiten erscheint als natürlich. Geschlechterkritische Perspektiven erwiesen sich in der Rezepȱ ȱ DZȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ terungleichheit als von außen durch die Medien an die Menschen herangetragen, aber auch als die Reproduktion sozialer Normen durch die Menschen selbst. Ihre subjektive Sicht deckt sich mit den Befunden der Gender Media Studies, die für die aktuelle BerichterĴ¡ȱȱȱ£ȱȱȱȱ ãȱ Ĵȱ ȱ ȱ ǻǯȱ §ȱ ŘŖŖŝDzȱ Ĵȱ ŘŖŖŝǼǯȱ ȱ £ȱ ȱ £ǰȱ ȱ ȱ ȱ Bewusstsein für die Bedeutsamkeit sozialer Praxen bei der Herstellung von Dominanzverhältnissen. Die Bedeutungszuschreibungen, ȱȱ ȱ ãȱȱȱȱĴȱ§ǰȱ sehen sie als ungerechtfertigt und einseitig, weil sie seine Darstelȱȱ ȱȱĴȱǰȱȱȱ£ȱlisieren. Sie kritisieren nicht – wie diverse feministische Analysen (vgl. zum Beispiel Schmerl 1984) – die Darstellung von Frauen im Kontext traditioneller Rollenzuschreibungen an sich, sondern die
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ȱ ȱ Ĵǯȱ ȱ ûȱ ȱ eine Akzeptanz traditioneller Performanzen von Weiblichkeit und die Möglichkeit einer Vereinbarkeit mit einem Leben in progressiven Geschlechterrollenentwürfen. Die Rezipientinnen zeigen in ihrer Bewertung des Medienereignisses zwar Parallelen zu den Diskursen der Boulevard- wie auch der der Qualitätsmedien, bringen jedoch in ihrer Medienkritik einerseits und ihrer Geschlechterkritik andererseits auch abweichende Perspektiven zum Ausdruck. Diese eigensinnige Sicht äußert sich in ihrem Entwurf einer für sie adäquaten medialen Reaktion: Sie §Ĵȱ ȱ ûđǰȱ ȱ ûȱ ȱ đȱ ûȱ ȱ ǰȱȱȱĞȱȱȱ§ȱ£ȱ worden wäre. Allein mit Formen der Trivialisierung und Nicht-Beachtung (Tuchman 1978) lassen sich in Zeiten einer Frau als Kanzlerin ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ Deutschland nicht (mehr) beschreiben. Doch der Abstand zum traditionellen Stereotyp erweist sich als noch immer hauchdünn. Kaum legt die Kanzlerin Angela Merkel den schützenden Hosen£ȱȱȱȱȱȱûȬ£ȱĞǰȱ greifen wieder die aus der Forschung bekannten Muster der Sexualisierung und Trivialisierung. Der machtvolle Status der deutschen ęȱ ȱȱȱȱȱ¢ȱȱȱȱđȱđȱ Ğȱ£ȱȱȱ die Inszenierung vorgeblich ‚natürlicher Weiblichkeit’ überlagert. ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ Ĵȱ ȱȱȱȱãěȱĞȱȱȱ ȱlen funktionieren (und erfährt hier in gewisser Weise sogar eine Bestätigung), der konnotierte Widerspruch zwischen Macht und ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ aufgelöst.
іѡђџюѡѢџ Ang, Ien/Hermes, Joke (1994): Gender and/in Media Consumption. In: Marie-Luise Angerer/Johanna Dorer (Hg.): Gender und Medien: theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis der Massenkommunikation. Ein Textbuch zur Einführung. Wien: Braumüller, S. 114-133.
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ǰȱ ȱ ǻŘŖŖśǼDZȱ Ğȱ schlechterforschung. Zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Wien/Münster: Lit.
ǰȱ Ȧãǰȱ ĴȦǰȱ ȱ ǻŘŖŖŜǼDZȱ ȱ ȱ DZȱ ȱ Ğ£ȱ ȱ £Ȭȱ ȱ Ğǯȱ £ǰȱ ĞȱśǰȱǯȱřśŚȬřŜşǯȱ Koch, Thomas (2007): Immer nur die Frisur? Angela Merkel in den Medien. In: Christina Holtz-Bacha/Nina König-Reiling (Hg.): Warum nicht gleich? Wie die Medien mit Frauen in der Politik umgehen. Wiesbaden: VS, S. 146-166. Koch, Thomas/Holtz-Bacha, Christina (2008): Der Merkel-Faktor – ȱĴȱȱȱûȱȱȱãder im Bundestagswahlkampf 2005. In: Dies. (Hg.): Frauen, Politik und Medien. Wiesbaden: VS, S. 49-71. ǰȱ Ȧ ǰȱ ȱ ǻŘŖŖŞǼDZȱ Ǯȱ ȱ ȱ ãȱ ȃǯȱ ·¸ȱ ¢ȱ ȱ ȱ £ãȱ §Ğwahlkampf in der deutschen und französischen Presse. In: Christina Holtz-Bacha (Hg.): Frauen, Politik und Medien. Wiesbaden: VS, S. 122-150. Mayring, Philipp (2008): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim/Basel: Beltz.
Lünenborg et al.: ‚Merkels Dekolleté‘ als Mediendiskurs
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Ѣђљљђћ Bild vom 14.4.2008: Merkel zeigt Dekolleté, S. 2. Bild vom 15.4.2008: Liebe Bundeskanzlerin, S. 2. Bild vom 18.4.2008: Merkel amüsiert über Dekolleté-Diskussion, S. 1. Bild am Sonntag vom 13.4.2008: …und Merkel glänzt in Oslo, S. 5. Bild am Sonntag vom 20.4.2008: Merkel trug ihr Abendkleid in Oslo nicht zum ersten Mal, S. 6. ȱȱŗŝǯŚǯŘŖŖŞDZȱȱûȱȱĞĴǷǰȱǯȱřŖȬřŘǯ ȱȱŗŝǯŚǯŘŖŖŞDZȱȱȱěȱȱǰȱǯȱŝǯ
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Der Spiegel vom 21.4.2008: Die Zuckerbäckerin, S. 36-40. die tageszeitung vom 15.4.2008: Merkel überrascht im kleinen Blauen, S. 2. die tageszeitung vom 15.4.2008: Hurra, 2 Jahre Silas, S. 1. ȱ ȱ ȱ ŗŝǯŚǯŘŖŖŞDZȱ Ĵûǯȱ ȱ ȱ ȱȱ ȱ Dekolleté auf sich hat, S. 12. Focus vom 21.4.2008: 1. Preis für ‚das Dekolleté’ von Angela Merkel, S. 190. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 20.4.2008: Dresscode, S. 68. Frankfurter Rundschau vom 16.4.2008: Stilvorbild Queen, S. 37. Stern vom 17.4.2008: Königin der Macht, S. 20-21. SUPERillu vom 17.4.2008: Merkel modisch auf dem Gipfel, S. 86-87.
ђџјђљȱѢћёȱёђџȱќѢљђѣюџёȱȬ ђіћђȱѤђіяљіѐѕђȱǻџѓќљєѠȬǼѡџюѡђєіђӓȱ ҦџєȬѤђȱіђљюћё Ich erwarte von einer Kanzlerin Angela Merkel, dass sie ihr Frausein nicht versteckt. (Claudia Roth, zitiert nach Schumacher 2006: 90)
In verschiedenen Studien zur Politischen Kommunikation in Deutschland wurden in den letzten Jahren Belege für die zunehmende Medialisierung (vgl. Donges 2008; Sarcinelli 2005; Neidhart 2007; Sarcinelli/Schatz 2002) und Entertainisierung (vgl. insbesondere ãȱŘŖŖŗȱȱȱȱŘŖŖśDzȱȱ ãĴȦȱŗşşŝDZȱŗşŖDzȱ Holtz-Bacha 2004; Nieland/Kamps 2004: 11f.; Kamps 2007: 148f.) des Politischen gesammelt. Letztere kann man in zwei Ausprägungen DZȱ£ȱȱȱȱȱȱĠȱ von politischen Themen in den Medien und zum zweiten beim ĞȱȱȱȱȱȬȱ texten (Dörner 2001).1 Entgegen zahlreicher (kultur)pessimistischer Klagen muss dieser Trend keineswegs negative Folgen auf die Kenntnisse von Politik, das Ansehen von Politikerinnen und Politikern, das Vertrauen in das politische System sowie die Partizipation ȱȱ£ȱǯȱȱę£ȱȱȱȱ (2005) Zusammenhänge zwischen der Rezeption unterhaltender Angebote und der Beteiligung am politischen Prozess. Sie leitete aus ihren Beobachtungen zu den Unterhaltungsangeboten (sie untersuchte vor allem die Formate West Wing, Big Brother und Pop Idol) die These ab, dass Unterhaltung zum besseren Verständnis
ŗȱ ǯȱ ȱ ȱ tȱ ûȱ Ǯȱ ȱ tung“ Saxer 2007; auch Nieland 2008. Vgl. mit Einschätzungen von Politikerinnen und Politikern zur Medialisierung Pontzen 2006.
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politischer Vorgänge beitragen kann.2 Solche positiven Aspekte geraten indes bei den meisten (tages-)politischen oder feuilletonistischen Kommentierungen der Entertainisierung selten in den Blick, vielmehr beziehen sie sich mit negativem Unterton auf bestimmte ǰȱ£ ȱȱȱȱĞĴȱ£ȱ PolitikerInnen.3ȱȱȱȱãȱ £ĞĴȱȱGute ǰȱȱ und seine Fotostrecke mit Brioni-Anzug und Zigarre in der Gala, Blüms Teilnahme an dem Fernsehquiz Was bin ǵȱǻȱĚȱȱARD-Klassikers auf ŗ), Westerwelles Besuch im Big Brother-Container oder die in der Bunte abgebildeten Badespiele des damaligen Verteidigungsministers Scharping. Auch ȱȱȱȱȱĴǰȱȱȱȅ£ȱ auf den Boulevard’ ein relativ neues Phänomen ist, ist dem nicht so. Bereits die Kanzler Adenauer, Brandt und Schmidt haben viele Geschichten über ihr Privatleben zugelassen. Es handelt sich aber nicht um eine Strategie die hauptsächlich die Politiker anwenden – Politikerinnen wählen den ‚Gang auf den Boulevard’ ebenso. §ȱȱȱȮȱȱȱȱȱ £Ğȱ von Angela Merkel und der Kandidatur von Gesine Schwan um das Amt der Bundespräsidentin – in der deutschen Politik auf dem Vormarsch.4ȱȱȱ ȱȱȱ§ȱ §Ğȱȱ (Holtz-Bacha 2008a: 10), so inszeniert sich Merkel inzwischen noch stärker als es Gerhard Schröder getan hat. Der Spiegel-Journalist ȱ ȱȱȱǻŘŖŖŞDZȱřŖǼDZȱǮȱȱěǯȱ ȱ ȱȱȱěǯȱȱȱǰȱȱȱȱ ȱ[ěȱ£ȱǯȱȱȱ£ǰȱȱȱ 2
3
4
Dieser Befund gilt nicht nur für explizit politische Unterhaltungssendungen – wie beispielsweise die Serie West Wing, in die das Regierungshandeln im Weißen Haus zum Thema hat. Im Fall von Big Brother ȱȱȱǻŘŖŖśDZȱśřȬŜŘǼȱȱȱǮȱ¢ȃǰȱȱȱ das aktive Eingreifen der ZuschauerInnen ermöglicht wird. Ein Beispiel wäre die Äußerung des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (2004), der einen Bedeutungs- und Quali§ȱ ȱ Ĵȱ ǯȱ £ǰȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ǻȬǼshows (Vgl. zur Talkshowisierung der politischen Kommunikation Tenscher/Nieland 2002a; vgl. mit zahlreichen Belegen für kritische Kommentierungen der Inszenierung und Entertainsierung der Politik in deutschen Medien Kamps 2007: 12f.). Diese Beobachtung gilt nicht nur für die deutsche Politik, sondern inzwischen weltweit (vgl. beispielsweise Holtz-Bacha 2008a: 6f.; World Economic Forum 2007: 3f.; Cornelißen 2005).
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genannt zu werden. Heimliche Medienkanzlerin.“ Dabei sind von ȱȱȱĞȱȱȱȱDZȱ ȱ đĚǰȱȱȱȱȱȱ¢ȱȱ ŘŖŖśȱ£ȱȱ ǰȱȱȱȱęȱȱȱȱ ȱȱȱǻ£ǵǼȱȱĴȱ ǰȱȱȱȱȱŘŖŖŞȱ ȱȱãěȱȱȱȱȱȱǻǯȱ£ȱȱȱ ǯȱȱȱǼǯȱȱĞȱȱûȱȱȱȱ In- und Ausland bestätigen einmal mehr die Befunde verschiedener Studien, die nachweisen, dass über Politikerinnen anders berichtet wird als über ihre männlichen Kollegen. ȱ£ ȱȱȱȱȱǮ¢ȱȬ Existenz“ (Gaye Tuchman, zitiert nach Bauer 2008: 27) gesprochen werden kann – sondern davon, dass die Medien vielfältige und Ĵȱ Ȭȱ ȱ §ȱ §ȱ Ȯǰȱ Ǯȱ die Darstellung von Mann und Frau noch immer anhand von weitgehend stereotypen Geschlechterrollen, wonach Männer als ãěǰȱȱȱȱȱȱȱȱȱvatpersonen gezeigt werden“ (Klaus 2005: 225). ȱȱ ȱŘŖŖśȱȱȱȱĴȱ der schwarz-roten Regierung greifen nicht nur die Boulevardmedien die Männer-Frauen-Klischees (wieder) auf und spekulieren verstärkt über die Geschlechterverhältnisse in Medien und Politik.5 ȱ §ęȱ ãȱ ȱ ȱ Ĵȱ ûȱ ȱ ȱȱȱȱȱ£Ȭ§Ğȱ von John McCain (vgl. beispielsweise Zernike et al. 2008; Pally 2008; Böhm 2008). Die Fragen, die sich vor diesem Hintergrund stellen, DZȱȱȱûȱȱȱĞȱȱȱ wie agiert das Kommunikationsmanagement der Kanzlerin? Dabei steht die Forschung zu Politikerinnen in den Medien in Deutschland erst am Anfang6 (vgl. beispielsweise Koch/Holtz-Bacha 2008: 49); Pionierarbeit haben hier die von Christina Holtz-Bacha herausgegebenen Bände (vgl. Holtz-Bacha/König-Reiling 2007;
śȱ ȱȱûȱȱ£ãȱ§Ğ ȱŘŖŖŝȱ zwischen Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy (vgl. dazu CoulombGully in diesem Band) sowie der Auseinandersetzung zwischen Hil¢ȱȱȱȱȱȱȱ§Ğȱ der Demokraten in den USA 2007/2008. Ŝȱ ȱȱȱȱȱȱȱě£ȱȱ bietet daher wichtige Bezugs- und Vergleichspunkte (Koch/HoltzBacha 2008: 49).
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Holtz-Bacha 2008) sowie eine Reihe von Untersuchungen zum Bundestagswahlkampf 2005 (vgl. beispielsweise Schulz/Zeh 2006; Boomgaarden/Semetko 2006; Ballensiefen 2008) geleistet. Mit Bezug zu den Studien über das Verhältnis zwischen Politikerinnen und Medien hält Holtz-Bacha (2008a: 17) fest, dass die Politikerinnen der zweiten Generation7 eine strategische Medienarbeit betreiben und gezielter Eigenwerbung vornehmen. Gleichzeitig klagen auch sie über das mediale Interesse an ihrem Äußeren und ȱ£ȱ£ȱ¢ȱȱȱȱĴȱ ȱ von Politikerinnen beschwert sich darüber, dass einige Medien den Frauen Sachkompetenz absprechen und männliche Gesprächspartȱ£ǯȱȱȱȱȱ¢ǰȱǮȱ seien jedoch nicht mehr ganz so banal, sondern etwas komplexer geworden“ (ebd.). Vor diesem Hintergrund kann aus kommunikations- und Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Politikerinnen gefragt werden; konkret soll in diesem Beitrag das Kommunikationsmanagement von Angela Merkel auf den Prüfstand gestellt werden. ȱ ist Ausdruck der Modernisierung politischen Handelns im Zuge der Medialisierung der Politik (Kamps 2007: 22). Mit Hilfe der InstruȱȱĞ ȱȱȱtegien betreiben politische Akteure eine aktive Interpretation des ȱ Dzȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ Ǯȱ ȱ ęȱ bezüglich der Themen […] und […] Kandidatenimages“ (HoltzBacha 1996: 12) zu erlangen. ȱ £ȱȱǮǰȱȱȱ ǰȱȱgische Planung und den operativen Einsatz von Kommunikation durch politische AkteurInnen mit dem Anspruch und Ziel, eigene Positionen und Interessen allgemein verbindlich durchzusetzen“ ǻ ȱ ŘŖŖŝDZȱ ŘśǼǯȱ û£ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ûȱ ȱ vorliegenden Beitrag die umfänglichen Forschungen zum Umgang
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Konkret stützt sich Holtz-Bacha auf eine Studie von Jürschik aus dem Jahr 1998, die mit dem Generationenansatz arbeitet. Unterschieden wurden dabei drei Generationen. Politikerinnen, die bis 1930 geboren wurden und zwischen der vierten und achten Wahlperiode im Bundestag saßen, zählt Jürschik zur ersten Generation, jene Politikerinnen, die um 1940 geboren wurden und ab der achten Wahlperiode in den Bundestag gewählt wurden zur zweiten Generation sowie Politikerinnen, die in der 12. und 13. Wahlperiode in den Bundestag £ȱ£ȱĴȱȱǻ £ȬȱŘŖŖŞDZȱŗŜǼǯȱ
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der (ehemaligen) Kanzler und der (jetztigen) Kanzlerin mit den Medien (vgl. beispielsweise Rosumek 2007; Köhler/Schuster 2006; Kamps/Nieland 2006), zur Herausbildung von Politikstilen (vgl. beispielsweise Korte/Fröhlich 2004) und des Aufstiegs von Angela Merkel (Schumacher 2006; Meng 2006; Langguth 2007) den Ausgangspunkt. Die These, die im Folgenden vertreten wird, lautet: ȱ ȱ ȱ ȱ ĞĴȱ ȱ ȱ ȱ ȱ in ihr Kommunikationsmanagement ein, dabei nutzt sie Bild und Bunte, ebenso wie die klassischen Medien. Bevor zu dieser These eine Reihe von Beobachtungen präsentiert werden, sollen zunächst Untersuchungsgegenstand und -kriterien ȱ ȱ ǻǼȱ ȱ ȱ Ĵȱ und im Anschluss die Chancen und Risiken der Entertainisierung vorgestellt werden.
ћѡђџѠѢѐѕѢћєѠєђєђћѠѡюћёȱ ѢћёȱћѡђџѠѢѐѕѢћєѠјџіѡђџіђћ Der Auswahlprozess des Untersuchungsmaterials ließ Zweifel an ȱ ûȱȱȱȱȱĤDZȱĞĴȱ ȱȱȱȱȱȱ ȱȱ£ȱęǯȱȱȱȱǮȱ£ȃȱǻ ȱŘŖŖŞDZȱ 31) ohne schrille Inszenierungen und intime Homestories aus. Um diese besondere Strategie zu beleuchten, werden in einem ersten Ĵȱ ȱ ȱ £ȱ Ĵȱ §ȱ des Bundestagswahlkampfs 2005 wiedergeben. Aufgrund der Sondersituation, die sich im Bundestagswahlkampf ergab (Kandidatenǰȱ ȱ £ȱ ûȱ ȱ Ğȱ sowie der Manipulationsvorwurf gegenüber einigen Medien) wird bei der Aufarbeitung besondere Aufmerksamkeit zum einen auf die Behandlung der Geschlechterfrage durch die Medien (vgl. vor allem die Beiträge in Holtz-Bacha 2008) und zum anderen auf die Rolle der Bild-Zeitung im Wahlkampf gelegt (vgl. Wagner 2007). Einige der Ausführungen und Befunde zur Bild-Zeitung beruhen ȱȱȱȱȱãěȱȱǻǯȱ ȱȱ al. 2006). Da sich die Regierungskommunikation (vgl. Kamps/Nieland ŘŖŖŜǼȱȱȱĤȱȱȮȱȱ Ĵȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ präsentiert sich in klassischen Interviewformaten wie einem SpieȬ gel-Gespräch, einem Zeit-Interview oder in der Sendung ȱȱ
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Berlin – wurden für eine qualitative Betrachtung der DokumentaręȱDie Kanzlerin – Angela Merkels erstes Regierungsjahr (2006, Regie: Roll/Bissinger) über das erste Regierungsjahr Merkels und zwei Interviews in der Bunte herangezogen. Die ausgewählten Stücke erlauben einen Blick auf den Kommunikations- und Politikstil Merkels (vgl. grundlegend Schumacher 2006; Langguth 2007), können ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ £ȱ präsentieren. Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ¡ȱ ȱ ȱ ȱȱDzȱȱȱȱ ȱǮȃǰȱǮȃȱȱǮȃȱǻ ãĴȦȱ ŗşşŝǼȱ ȱ ǯȱ ûěȱ ȱ ȱ ȱ nalisierung einer Untersuchung zu Talkshows (Tenscher/Nieland 2002a). Dort standen die Gründe für den ‚Gang auf den Boulevard’, das meint also die Teilnahme an ‚unpolitischen’ Talkshows und Unterhaltungssendungen, sowie dessen Erfolg im Zentrum der Betrachtung. Es wird davon ausgegangen, dass sich einzelne Medien nach a. dem Ausmaß des Politikgehalts beziehungsweise im Stellenwert politischer Themen und Gäste b. der Relevanz unterhaltender Elemente c. dem Grad ihrer Strukturiertheit beziehungsweise ihrer Kontingenz d. dem Grad ihrer Seriosität, beziehungsweise der Sachlichkeit der Themenbehandlung sowie e. der Größe und Zusammensetzung der Publika unterscheiden. ȱȬȱȱ£ęȱȱȱ letztlich das Potenzial, das ihnen von Seiten der PolitikerInnen und ihrer Wahlkampf-, beziehungsweise KommunikationsmanagerInnen in Bezug auf die Platzierung von Themen, Positionen ȱ Ğȱ ǻȬ) sowie zur Selbstdarstellung (Ȭ) zugeschrieben wird. Die aufgezählten Untersuchungskriterien wurden an das ausgewählte Material angelegt, um das Kommunikationsmanagement Merkels in Hinblick auf die Entertainisierung zu betrachten. Dargestellt werden kann im ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱĴȱ des Trends der Entertainisierung der Politik – insbesondere weil sich Angela Merkel sehr ‚dosiert’ ,auf dem Boulevard‘ bewegt.
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ќљіѡіјѣђџњіѡѡљѢћєȱ іћȱёђџȱђџљіћђџȱђѝѢяљіј Die aktuellen Analysen zum Verhältnis von Medien und Politik diagnostizieren eine Interpenetration. Interpenetration ist zu verstehen als die wechselseitige Überlagerung und Durchdringung £ ȱě£ȱ¢ȱȮȱȱȱȬȱȱȱlitiksystems. Beide Systeme kommen in den funktional bedingten Austauschprozessen nur zur Erreichung ihrer Ziele, wenn sie die Ziele des jeweils anderen Systems in ihr Kalkül einstellen und ǯȱȱ Ĵ£ȱ £ ȱ ȱ ȱ ȱ dient vor allem das sich zunehmend professionalisierende Feld der ȱ[ěȱǻȱŘŖŖŝDZȱŚŗǼǯ8 Gleichwohl kann an bestimmten Stellen und zu bestimmten Zeiten das Verhältnis umschlagen. Dieser Prozess des Umschlagens wurde prominent durch den Medienrechtler und ehemaligen Verfassungsrichter ȱ ěȬȱ ǻŘŖŖŖǼȱ ǯȱ ȱ ȱ Ȯȱ ȱ ȱ dem Hintergrund seiner Erfahrungen als parteiloser Justizsenator ȱ ȱȮȱȱȱǮȱȱȱȱĞȃȱǻǯDzȱǯȱȱ£ȱȱǯȱŘŖŖŘǼǯ9 Mit dem viel beschriebenen Übergang von der Bonner in die Berliner Republik sind auch einschneidende Veränderungen im ¢ȱǻȱȱȱȱĴǼȱǯȱȱ Veränderungen lassen sich in zwei Dimensionen verdichten: zum einen die Ökonomisierung des Mediensektors und zum anderen das neue Selbstverständnis der JournalistInnen (vgl. Kramp/Weichert 2008). Sichtbar werden diese beiden Dimensionen sowohl in einem nahezu ständig wachsenden Angebot als auch in der Unterordnung der Medien unter die Marktbedingungen. Es scheint die Formel zu gelten: Nicht das Programm bestimmt die Quote, sondern immer ãĞȱȱȱȱȱǯȱ
Şȱ ǯȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ [ěȱ ȱ Parteien und PolitikerInnen die Beiträge in Sarcinelli/Tenscher 2003 sowie in Schatz et al. 2002. şȱ ȱȱěȱȱǮȃȱ£ȱ¢ȱǻŘŖŖŗǼȱȱ lonisierung der Politik durch die Medien. Eine solche – pessimistische – Bestimmung des Verhältnis von Politik und Medien wird allerdings inzwischen kaum mehr vertreten (vgl. Sarcinelli 2005; Neidhart 2007).
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Weil vor diesem Hintergrund Politiker gehalten sind, im politischen Ĵ ȱȱȱ£ȱǰȱȱȱȱ Ğȱȱ£ȱǰȱȱȱȱȱȱȱȱ ȅȂȱ £ȱ ę¡ȱ ǻǼȱ ȅ£Ȃȱ ǯȱ ȱ vermuten ist, dass die traditionellen politischen Institutionen und ȱȱĞȱǯȱđȱȱ£ȱmatisieren, wie sich politische Prozesse im Kontext von Regierung, Parlament und Parteien verändern, wenn diese zunehmend medię¡ȱȱǻȱŘŖŖŘDZȱŗŘDzȱǯȱȱȦ ȱŘŖŖŚDZȱ 16f., sowie aus Sicht der politischen AkteurInnen Pontzen 2006). Die £ȱ§ȱȱĴȱȱȱȱ Republik10ȱȱǰȱȱǮȃȱȱ ȱȱȱ ǻǯȱãȱŘŖŖŗǼǯȱȱ ȱ ȱȱȱĞȱȱ auch den PolitikerInnen akzeptiert, dass erstens politische InszeȱĴęȱȱ£ ȱȱȱȱ£ ȱ Darstellungs- und Entscheidungspolitik (vgl. Sarcinelli/Tenscher ŘŖŖřǼȱȱ£ȱěȱǯȱ
ђџѠќћюљіѠіђџѢћєȱѢћёȱ ћѡђџѡюіћіѠіђџѢћєȱȬȱћѓќџёђџѢћєђћȱ юћȱёюѠȱ ќњњѢћіјюѡіќћѠњюћюєђњђћѡȱ Die Forschung zur politischen Kommunikation konstatiert die zunehmende ‚Personalisierung der Politik’. Konkret manifestiert sich das Handeln von Parteien, Regierung und Opposition für die ãȱûȱȱȱȱȱȱĴȱȱ Handeln ihres ‚Führungspersonals’. Neben der (zunehmenden) Medienpräsenz der SpitzenkandidatInnen lassen sich Personalisierungstendenzen auch anhand der nachlassenden Bedeutung der Parteiorganisationen ablesen (vgl. Sarcinelli 2005: 212). Eine deutliche Asymmetrie in der medialen Präsenz der Parteien zugunsten ȱȱûȱǻǮ£§ȃǼȱȱ daher als ein Indikator für die Gewichtung der AkteurInnen in den politischen Handlungsfeldern zwischen Parteien und SpitzenkandidatInnen im Wahlkampf durch die Medien gedeutet werden. Die Personalisierung der Politik ist in drei Bereichen zu beobDZȱȱȱȱȱěûǰȱ£ ȱȱȱȱĴȱûȱ§ȱ 10 Zum Journalismus in der ‚Berliner Republik’ vgl. Hachmeister 2007; Kramp/Weichert 2008; Bruns 2007.
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ȱĴȱȱȱȱ§ȱǻǯȱ Römmele 2005: 414). Personalisierung ist eng verbunden mit der Entertainisierung, denn bei der (Selbst-)Darstellung der politischen AkteurInnen kommt es zum Einsatz von unterhaltenden Stileleȱȱȱǻ £ȬȱŘŖŖŚDZȱŘŜǯDzȱǯȱȱ ãĴȦȬ land 1997: 194f.). Auf die Frage, warum sich Politikerinnen und Politiker ‚auf den Boulevard begeben’, können drei Antworten genannt werden. Zum einen bieten Unterhaltungsformate mehr Zeit für Selbstdarstellung ǻ ȱ ȱ ȱ £ȱ û£ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ nahmen oder journalistischen Beiträgen kommt) und zum anderen, weil politische Inhalte ‚leicht’ verpackt den ZuschauerInnen verĴȱ ȱ ãǯȱ đȱ ȱ ȱ §£ȱ ȱ terhaltungsformaten verstärkte Medienberichte über die jeweiligen ȱȱȱȱȱĞĴǯ11 Gleichzeitig aber birgt diese Strategie auch Risiken. So kann erstens durch UnstrukȱȱȱȱȱĤǰȱ£ ȱ ȱȱĞȱȱ§ȱ ȱ ȱĴȱđȱȱȱȱȱȱ£ǰȱ beim (jugendlichen) Publikum ins Negative umzuschlagen (vgl. mit zahlreichen Beispielen Tenscher/Nieland 2002a; 2002b). Die Chancen und Risiken der Entertainisierung sind im Zusammenhang mit der zunehmenden Professionalisierung der Politikerinnen und Politiker im Umgang mit den Medien zu betrachten. Dabei gilt aber auch, dass Politikerinnen in der Politik vor schwierigere Herausforderungen als ihre männlichen Kollegen gestellt sind (vgl. beispielsweise Klaus 2005). Einerseits dürfen sie ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȅ ȱ Ȃȱ đȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ Ğȱ ǰȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ §Ğȱ ãȱ ȱ (Holtz-Bacha 2008a: 11). Weil beides kaum zusammenpasst, entsteht ein double bind für Frauen in der Politik. Kathleen Jamieson (1995) hat neben den soziologischen und strukturellen Barrieren, die den Aufstieg von Frauen behindern, mit dem double bind die ûȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ konstruierten Gegensätzen ergeben. Sie nennt die Gegensätze wie 11 Da als eines dieser Unterhaltungsformate ‚unpolitische’ Talkshows und Personality-Shows gelten könnten, orientiert sich die Aufzählung der Gründe für die zunehmende Entertainisierung an einer ȱ£ȱǮ ȱȱȃǰȱȱȱȱȱȱ betrachtet wurden (vgl. Nieland/Tenscher 2002a).
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Ǯ Ȧȃǰȱ ǮȦȃǰȱ ǮȦěȃǰȱ Ǯ¢Ȧȃȱ ȱǮȦ¢ȃȱǻ£ȱȱ £Ȭȱ ŘŖŖŞDZȱŗŗǯǼǯȱȱ ȱȱûȱȱǰȱǮȱȱ Mix aus den vermeintlich weiblichen und männlichen Qualitäten“ ǻǯDZŗřǼȱ£ȱęǰȱ£ȱȱĞȱȱȱtierungen sowie den Statements der politischen Gegner von Angela Merkel während der Wahlkampagne 2005 oder der Kampagne von
¢ȱȱȱȱ ȱ£ȱȬ§Ğdatur 2008. Mit den Vorwürfen, den Kommunikationsstrategien ȱ £ȱ Ǯ§Ĵȱ ȱ §ȱ ȃǰȱ ȱ ȱ double bind bestätigt (ebd.). In dieses Muster passt auch ein Teilergebnis einer Studie zur ȬĴȱûȱȱȱãȱȱ ȱŘŖŖśDZȱǮȱ£ȱȱǰȱȱȱ §ǰȱ thematisieren auch ihre äußere Erscheinung. Schröders Aussehen war für die Journalisten nicht ganz so berichtenswert und fand nur in vier Prozent der Berichte über Schröder Beachtung.“ (Koch/ Holtz-Bacha 2008: 63) Der von Claudia Roth (2007: 137) formulierte ȱ ȱ ȱ ǰȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ geworden ist, wirklich mehr über ihre Haare als über ihre Politik geredet wurde“ (vgl. auch Koch 2007), erscheint den Autorinnen dieser aktuellen Studie übertrieben – gleichwohl bleibt aber in ihȱȱ§ûĞǰȱ ȱȱȱȱȱ ǮĴ§ȃȱûȱȱȱĴȱûȱ das Äußere der Kandidatin verantwortlich war (Koch/Holtz-Bacha 2008: 63).12 ȱȱĴ§ȱȱȱȱ ȱȱ Medien und der Wählerinnen und Wähler bezüglich der weiblichen Rollenklischees zu beachten. Die US-amerikanische KulturwissenĞȱȱ¢ȱǻŘŖŖŞǼȱȱ£ ȱ§ȱ¢ȱûȱ ambitionierte Politikerinnen benannt, die Erfolg bei den Wählerinnen und Wählern versprechen. Der erste Typ ist die strenge, aber ȱȱǮȃ13ǰȱȱ£ ȱ¢ȱȱǮȱ
12 Ein Beispiel wäre in der Kampagne der Satirezeitung gegen ȱ£ȱǯȱȱȱ§ȱȱĞȱȱȱ ȱ ȱ DZȱ Ǯȱ ȱ £ȱ ǵȃȱ ǻȱ ĴDZȦȦ ǯ mein-parteibuch.de/2005/06/07/angela-merkel-t-shirt-von-titanicdarf-das-kanzler-werden; 22.5.08). 13ȱ ȱȅ¢ȂȱȱǮȃȱ ȱȱ¢ȱȱȱ DzȱǮ ȱãȱȱȱǰȱ ȱ ȱȱȱȱ leiden können, wenn wir uns gut benehmen“ (Pally 2008: 11).
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Schwester“ (ebd.: 11). Sarah Palin, damalige Kandidatin der konservativen Partei für das Amt der US-Vizepräsidentin, verkörpert ěȱȱȅȱ ȱȂȱȮȱȱȱ nisse und Erfahrungen sowie ihr politisches Programm geraten dabei in den Hintergrund.14 Eine solche Verkürzung erleben wir in Europa und vor allem der Bundesrepublik Deutschland trotz fortĴȱȱȱȱǯȱȱȱȱȱ zu überwindenden Widerstände, sind durchaus vergleichbar. So đȱȱ ȱȱȱǰȱȱȱȱĞǰȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ ȱ ȱ §ȱ (vgl. Fröhlich 2007, Gaschke/Grunenberg 2007). Doch gegen die Einschätzung von Claudia Roth (2007: 143), dass nämlich Frauen ȱ ûȱ ȱ Ǯȱ ¢ȱ ȃȱ £ ȱ ȱ ȱ Politikern verfügen, lassen sich eine Reihe von Gegenbeispielen anführen – insbesondere Angela Merkel ist ausgezeichnet vernetzt. Zum engen Kreis des ‚Frauennetzwerkes’ Merkels gehören unter anderem Friede Springer und Liz Mohn und zum SympathisantinȱȱȬęȱȱȱȱȱ ȱ Bauer.15 ȱǮĞȃȱȱğȱȱ£§£ȱ§đȱ ȱȱĴȱ ȱȱȱ ȱȱ Moderatorinnen Sabine Christiansen, Maybrit Illner und Sandra Maischberger. Die von dem Journalisten Hajo Schumacher (2006: 84) als postfeministischer-konservativer Komplex16 bezeichnete Gruppe, bildet den zentralen Stützpfeiler für das Verhältnis von Merkel zu den Medien – nicht ohne Wirkung, wie ein Blick auf die Ĵȱȱ ȱŘŖŖśȱ£ǯȱ
14ȱ Ǯȱûȱ£ȱȱȱȱǯȱȱǰȱ§ȱ Ĵȱ ȱ ûȱ ǰȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ nicht wirklich verstehen muss, weil es darauf nicht ankommt“ (Pally 2008: 11). 15 Maßgeblichen Anteil an Merkels Erfolg hat ihr von den Medien so ȱǮ ȃȱȱȱûȱȱȱȱȱ (damaligen) Pressesprecherin Eva Christiansen (vgl. grundlegend ȱŘŖŖŝDzȱȱŘŖŖŝǼǯȱǯȱ£ȱǮȱȃȱȱȱ Regierungszentrale Neukirch 2008. 16 Als verbindendes Element macht Schumacher (2006: 85f.) die Erfahrung eines steinigen Lebensweges und gleichzeitig große Triumphe DZȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱȱȱȱ ȱ Clan gemacht, einen Club ohne Satzung, aber zusammengehalten von ähnlichen bis gleichen Gefühlen und Erlebnissen.“
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іђȱђџіѐѕѡђџѠѡюѡѡѢћєȱҿяђџȱћєђљюȱ ђџјђљȱіњȱѢћёђѠѡюєѠѤюѕљјюњѝѓȱŘŖŖś Der Bundestagswahlkampf 2005 war – nicht zuletzt aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit nach den überraschend angestrebten Neuwahlen durch Schröder und Müntefering – besonders intensiv und medienzentriert. Vor dem Hintergrund der ungewöhnlichen Kandidatenkonstellation und der Umfrageschwäche der SPD (vgl. ǯȱ Ĵȱ ŘŖŖśDzȱ ȱ ȱ ǯȱ ŘŖŖŜDzȱ Ĵȱ ȱ ǯȱ 2007) spitzte sich der Wahlkampf zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Amtsinhaber und der Herausforderin zu. Im Vergleich zu den Wahlanalysen der Vergangenheit, war erstaunlicherweise kein ‚Kanzlerbonus’ zu verzeichnen (vgl. bspw. ĴȱŘŖŖśDzȱȱȱǯȱŘŖŖŝDzȱȱŘŖŖŞǼǯȱȱchung von Thomas Koch und Christina Holtz-Bacha (2008: 58) zur Ĵȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ãȱ ȱ Bundestagswahlkampf 2005 zeigt, dass lediglich in jedem zehnten ȱ ȱ ãȱ Ğȱ ǻȱ ȱ ȱ ǰȱȱȱĴȱȱȱȱ £ȱ in Verbindung stehen) die Rede war. Indizien für eine geschlechts£ęȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ęȱ Wertungen in Bezug auf die politische Kompetenz der Beiden festmachen. Merkel erfuhr eine gemischte Bewertung – konkret ĴȱŘşȱ£ȱȱȱȱȱȱȱřşȱ£ȱ einen negativen Tenor (ebd.: 59). Ursächlich für die unausgewogene Bewertung der politischen Kompetenz der beiden Kandidaten war ȱ ȱȱ £ȬȱȱĴȱȱBild-Zeitung, die Schröders politische Kompetenz meistens negativ, Merkels politische Kompetenz hingegen überwiegend meist positiv bewertet (ebd., vgl. auch Korte at al. 2006). Im untersuchten Zeitraum17 wurde Angela Merkel in der BildZeitung deutlich positiver dargestellt als Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sie erhielt 37,3 Prozent positive Beschreibungen, während Schröder lediglich 13,6 Prozent erreichte. Auch bei den negativen
17ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ SüddeutȬ ȱ und Bild-Zeitung sowie der Talksendung ǰȱȱ. Der Untersuchungszeitraum umfasste neun Wochen – und zwar im Umfeld folgender Ereignisse: Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, Vertrauensfrage, Neuwahlentscheidung des Bundespräsidenten, Bundestagwahl, Koalitionsverhandlungen und Regierungserklärung von Angela Merkel.
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ȱĴȱãȱȱȱȱȱȱ Kandidatin der Union. Schröder wurde in 30,7 Prozent der Imagebeschreibungen negativ dargestellt, Merkel nur in zwei Prozent der §ǯȱȱ ȱȱȱȱĴȱȱBild-Zeitung zur Ǯûȱ £ȃǻȱȱǯȱŘŖŖŝDZȱŚŜǼǯȱ Bezogen auf die Frage nach der Personalisierung und Enterȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ das Privatleben beider KandidatInnen thematisiert wurde. Im ȱ £ȱ Ĵȱ ŘŖŖŘȱ ȱ ûȱ ȱ ǰȱ Geschwister, Ex-Ehemänner und Ex-Ehefrauen kaum berichtet und auch die Ehepartner der Beiden spielten nur eine untergeordnete Rolle. Merkels Ehemann, Joachim Sauer, tauchte in drei Prozent der Artikel, die Merkel erwähnen, auf18; Schröders Ehefrau, Doris Schröder-Köpf, fand in sechs Prozent der Artikel, die von Schröder handelten, Erwähnung. Letztlich war dieses Ergebnis wenig überraschend, denn einerseits versuchte Merkel konsequent ihr Privatleben und hier insbesondere ihren Ehemann aus dem Wahlkampf herauszuhalten, während andererseits Doris Schröder-Köpf ȱ ȱ ȱ [ěȱ §ȱ ǻ Ȧ £Ȭȱ ŘŖŖŞDZȱ 62).19 Zahlreiche Beiträge im Fernsehen als auch in den Printmedien §Ğȱ ȱ ȱ ȱ§đȱȱǯ20 In den ȱȱȱȱ §Ğȱȱ§ȱȱǻ Ȧ £Ȭȱ 2008: 63).21ȱěȱȮȱȱ ȱȱ £ȬȱȮȱȱȱ
18 Vgl. mit einer Darstellung der Person Joachim Sauer und seiner Rolle im Kommunikationsmanagement bzw. Politikstil von Merkel (Langguth 2005). 19 Dieser Befund hängt sicher mit der Tatsache zusammen, dass Schröder-Kopf Journalistin ist und sich in den Bundestagswahlkämpfen 2002 und 2005 engagierte. 20 So beispielsweise in der Sendung ǰȱ ȱ am 28.9.05, in der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz, der (Star-)Fotograf Jim Rakete, die Journalistin Alice £ǰȱȱȱ §ĞûȱȱȬȱ ȱȱãĴȱȱȱȱȱȱȱ£ȱûȱ den von Schröder geäußerten Manipulationsvorwurf gegenüber den Medien diskutierten. In diesem Zusammenhang wurden die (positiven) Veränderungen des Erscheinungsbildes Merkels und die Komȱȱȱȱȱ§ȱȱĞȱ herausgestellt (Korte et al 2006: 52f.). 21ȱ đȱ§ȱǰȱȱȱȱŘŖŖśȱȱȱ Ğȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ãȱ ȱ ȱ ȱ
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Presse Merkel nicht per se wohlwollend, sondern unterschied, ob ãȱĞǰȱȱȱ £ǰȱȱȱ oder die Performance zu bewerten waren (ebd.). ȱȱȱǮ£ȱ ȃȱȱ ȱȱȱĴȱ£ȱ ȱŘŖŖśȱ£stellen (Korte et al. 2006: 59f.; Ballensiefen 2008: 189f.) – der Vorwurf von Kanzler Schröder während der so genannten Elefantenrunde am ǰȱȱȱ§Ĵȱȱȱȱ ȱǰȱ ist zwar nicht in dieser Schärfe, sehr wohl aber in Ansätzen und bei ȱǻǼȱ£ěǯȱ§ȱȱge Medien in den Wählkämpfen eine aktive Rolle. Augenscheinlich wurde dies bei dem Endorsement (also einer direkten Wahlempfehlung) der ȱȱ zur Bundestagswahl 2002 für die CDU22 und der ‚Prominentenwahlempfehlung’ der Bild-Zeitung einen Tag vor der Wahl am 17. September 2005. Im Unterschied zum Ǯȃȱ Endorsement (durch JournalistInnen/Medien) traten ȱ ȱ ȱ ȅĝȂȱ ǯȱ ȱ £ȱȱ ȱ ȱDZȱǮȱǰȱ ȱ ȱ §ǷȃȱǻǯȱȱȱǯȱŘŖŖŝDZȱ 47f.).23 Die 60 Statements sollten, so der von Bild formulierte Anspruch, den unentschlossenen LeserInnen eine Orientierungshilfe zur Wahl geben. Die Auswahl der Prominenten, das Übergewicht an Merkel-Befürwortern (von den 60 Personen gaben 28 (46,7%) an, die CDU wählen zu wollen) und die Platzierung der Mehrzahl der Pro-Merkel-Statements24ȱȱȱȱ §Ğȱȱ25 rückt ȱĴȱȱȱ§ȱȱěȱǯȱ Damit ist das Boulevardzeitung zu einem mitbestimmenden und teilweise auch wahlentscheidenden Akteur im Wahlkampf geworǯȱ ȱ ęȱȱȱȱȱȱǰȱȱ
22 23
24ȱ
25ȱ
thematisiert wurde – konkret waren es acht Prozent der Artikel, die
ȱȱ £ȬȱǻŘŖŖŞDZȱŜŗǼȱȱĴǯȱ Auch zur Bundestagswahl 2005 druckte die ȱȱȬ land ein Endorsement, damals für die FDP. Vgl. auch Wagner 2006. Da Wagner nicht zwischen Experten und Prominenten unterscheidet, sind die Befunde allerdings nur teilweise vergleichbar. ȱȱȱDZȱǮǰȱǰȱȱȮȱȱ muss sich etwas ändern! Ich brauche keinen Schauspieler und Selbstdarsteller mehr als Kanzler“ (zitiert nach Nieland et al. 2007: 48). ȱ§DZȱȱȱ §ĞȱȱBild-Zeitung wird gut sichtbar in Kiosken oder Verkaufsstellen ausgelegt, damit der Leser auf einen Blick die wichtigsten Informationen des Titelthemas ,aufschnappen kann‘.
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dass sich Prominente aus der Unterhaltungskultur äußern, nicht aber Politik unterhaltend beschrieben oder erklärt wird. Für die Bild-Zeitung und die zitierten Prominenten stand am 17.9.05 die ȱȱ ȱȱ ȱȱȱĴDzȱ aber bereits am 30. September – während der Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD – gab die Bild-Zeitung einer prominenten weiblichen Unterstützerinnengruppe ein Forum (Abbildung 1).
Abbildung 1: Bild-Unterstützung für Angela Merkel (Quelle: Bild-Zeitung vom 30.9.05: 2)
Ähnlich wie die Bild-Zeitung trat auch die FAZ auf: Der in der ȱ £ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȃȱ ȱ kel abgedruckte Aufruf der Filmproduzentin Regina Ziegler Ǯȱû£ȱǷȱȱȱǰȱ Ğȱ und einen neuen Kurs“ (zitiert nach Schumacher 2006: 8) wurde von 130 Frauen unterschrieben, sowie im Anschluss durch 200 weitere Sympathisantinnen unterstützt. Festgehalten werden kann, dass es einen ‚Merkel-Faktor’– zumindest in einigen, meinungsführenden Medien – während des Bundestagswahlkampfes und auch während der Koalitionsgespräche gegeben hat.
ђџјђљDZȱ ќњњѢћіјюѡіќћѠѠѝюєюѡȱѧѤіѠѐѕђћȱ ȅіѠѠȱќџљёȁȱѢћёȱџњѢѡѠѫѠѡѕђѡіј Merkel achtet darauf, als Politikerin und nicht als Frau bewertet zu werden und rückte daher gerade im Wahlkampf 2005 ihre ‚Rolle als Frau’ nicht in den Vordergrund (vgl. beispielsweise Koch/
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£ȬȱŘŖŖŞDZȱŜŚǼǯȱȱȱęȱȱȱȮȱ£ȱ im Gegenteil zum eingangs zitierten Wunsch von Claudia Roth – ihr ‚Frausein‘ nicht, sondern betreibt Politik (weiterhin) wie eine ĞȱȱǻǯȱȱŘŖŖŜDZȱ 92f.). Als promovierte Physikerin nutzt Merkel ihre analytischen
£ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ £ȱ ę£ȱȱ㧣ȱ£ȱȱǻǯDZȱşŚǯǼǯȱ Im Bereich der Darstellungspolitik ist ein Stilwechsel gegenüȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ãȱ zu beobachten. Korte (2006: 9) bezeichnet Merkels Strategie als die Ǯ£ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûǯȃȱ Ĵȱ Ȭûȱ Ğȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ Ǯ§ȃȱ ǻǯǼȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ dafür ist das Titelbild der Bild vom 31. Mai 2005. Am Tag nach ȱ ȱ £ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ǮȱȃȱȱȱȱǻȱŘǼǯ
26
Abbildung 2: Image-Building von Merkel (Quelle: Bild-Zeitung vom 31.5.05: 1) 26 Schumacher (2005: 28) weist darauf hin, dass seit Helmut Kohl als Ǯȃȱȱȱȱŗȱûǰȱȱȱȱȱ£ȱ
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ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ęȃȱ ȱ ȱ das von Evelyn Roll, Autorin, Merkel-Biographin und leitende Redakteurin der ûȱ , und der Filmemacherin Claudia Bissinger erstellte Fernsehporträt Die Kanzlerin.27 Roll und ȱĴȱȱȱ ȱȱ £Ğȱȱȱȱ ohne Kamera begleitet und Interviews geführt. Die Filmautorinnen schufen einen Film im Film, indem sie die Bilder von den wichtigsten Augenblicken der Merkelschen Regierungszeit zusammen Ĵȱȱȱȱȱȱ §ȱ£ ȱûȱ Interviews zur Selbstkommentierung vorführten. In seiner Kritik bemerkt der Spiegel-Autor Reinhard Mohr (2006), dass der Clou, ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ǯdimensionale Langeweile“ verwandele. Bemerkenswert ist der für das Format (und auch die Arbeit von Evelyn Roll) ungewöhnlich unpolitische Charakter des Stückes; die von den Filmautorinnen zugelassene Selbstdarstellung der Kanzlerin lässt kaum Raum für Kritik oder politische Inhalte. Der Film ist persönlich, aber nicht ǰȱȱ§ȱȱȱȱȱ£ȱęȱmöglicht Einblicke, aber kaum Erklärungen. Die Kanzlerin kommt ohne unterhaltende Elemente aus; die sachliche, dozierende und unaufgeregte Art des Porträts deckt sich mit dem Image Merkels ȱǮȱ £ȃǯȱȱȱȱȱȱlistische Anspruch der Autorinnen, eine kritische Bilanz des ersten Regierungsjahres Merkels abzugeben, auf der Strecke, da es Merkel gelingt, die Deutungshoheit über ihren Stil und vor allem über ihre Erfolge zu behalten – ein Beispiel für gelungenes Kommunikationsmanagement der Kanzlerin. Auch ‚auf dem Boulevard’ präsentiert sich Merkel als unpräãȱ ęǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ der Bunte vom 12.10.06.28 Der Kritik, die Politik würde größere Zusammenhänge – wie etwa die Gesundheitsreform – nicht mehr
ȱȱĴȱ§ȱ ǯȱȱȱȬ neralsekretär Kauder merkte an, dass die ganzseitige Merkel sogar ȱ ȅȱ ȱ ĴȂȱ ȱ ȱ řȱ §ȱ ȱ ǻ£ȱ ȱ Schumacher 2005: 28). 27 Ausgestrahlt wurde der Beitrag am 15.11.06 im ZDF (22.10 Uhr). 28ȱ Ǯȱ £ȱȱȱȱȱȱȃǯȱ ȱȱ £ȱgela Merkel, in Bunte, Ausgabe 42, vom 12.10.2006, S. 42. Der Wortlaut des Interviews ist auch auf der Homepage der Bundesregierung unter http://www.bundeskanzlerin.de/nn_5300/Content/DE/Interview/ 2006/10/2006-10-12-interview-merkel-bunte.html einzusehen und ab-
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§ȱ§ȱǻãǼǰȱ§ȱȱǰȱȱǮȱȃȱȱȱȱ£ûĴȱ ȱ ǰȱȱȱ auf eine gute Gesundheitsvorsorge und Behandlung verlassen wollen. Auf Fragen zum rauen Klima in der Großen Koalition, die ěǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ
£DZȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ DZȱ ȱ ǰȱ ȱ hinten rauskommt. Und Helmut Kohl hat wohl niemand einen sofȱûȱǯȃȱȱĴȱȱȱ ûǰȱȱȱ ȱȱęȱǯȱȱ £ȱ DZȱ Ǯûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ entspannt. Aber privat soll auch privat bleiben.“ Noch privater war die Frage, ob sie sich vorstellen können, Oma zu sein – da ihr Joachim Sauer zwei Söhne hat. Auch hier ließ Merkel keine tieferen ȱȱȱȱ£DZȱǮȱȱȱ£ȱȱȱ Gedanken verschwendet.“ Das Bunte-Interview erlaubt keinen Blick auf Privates oder gar Intimes der Kanzlerin. Diese bewusste Zurückhaltung Merkels, die ein wesentlicher Teil ihres Kommunikationsmanagements ist, führt Schumacher (2005: 28) auf die DDR£ȱȱ£ûǯȱȱǮȱȱǰȱȱȱ Ěȱ£ȱǯȱđȱȱȱûǰȱȱȱȱȱǰȱ ist man stets vorsichtig; man weiß ja nie, wer mithört. Und was drinnen im Haus passiert, geht keinen was an.“ Am 20.9.07 wiederholte die Bunte ihr Interview mit der Kanzlerin.29ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ Ĵǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ęȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ûǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯđȱ ȃȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ěȱ Ȯȱ ȱ würde jeder beziehungsweise jede seinen/ihren ganz eigenen Ton in die Gespräche einbringen. Weniger der Unterschied Mann-Frau spiele ihrer Meinung nach eine Rolle, als vielmehr das jeweilige Temperament und Werdegang. Als Beispiel nennt Merkel, dass sie
zurufen. Die nachfolgenden Zitate aus den Antworten von Merkel stammen aus diesem Interview. 29ȱ Ǯ ȱȱ£ȱȱȃǰȱBunte Nr. 39 vom ŘŖǯşǯŖŝǰȱǯȱŚŞǯȱȱȱȱ ȱȱȱȱĴDZȦȦ ǯ bundeskanzlerin.de/nn_5300/Content/DE/Interview/2007/09/200709-20-interview-bkin-mit-bunte.html einzusehen und abzurufen. Die nachfolgenden Zitate aus den Antworten von Merkel stammen aus diesem Interview.
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ȱȱȱȬȱȱ ûȱȱĴȬȱȱ§ischen Länder hineinversetzen kann, da sie selbst noch eine junge EU-Bürgerin sei, die bis zum 35. Lebensjahr nicht in der EU, sondern in der DDR gelebt hat. Wieder stellt die Bunte die Frage nach dem Stellenwert und den Möglichkeiten der Entspannung von der ǯȱȱ DZȱǮȱȱĴȱ und ab und zu mal im Urlaub bleibt mir dafür Zeit. Dann lese ich, diskutiere mit Freunden, rede mit der Familie und natürlich mit meinem Mann.“ Die Kanzlerin präsentiert sich als volksnah und verständnisvoll; auf die Frage der Bunte, ob auch manchmal noch Ǯȱ ȱ ûȃȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ DZȱ Ǯ ǰȱ ûǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Menschen ihre Sorgen und ihr Schicksal.“ Wie im Jahr zuvor nutzt ȱ £ȱȱĴȱȱ£ǰȱȱȱtik und ihren Stil zu erläutern, wiederum gibt sie wenig von sich preis. Beide Interviews mit der Bunte zeugen von dem funktionalen §ǰȱȱȱȱȱȱĚǯȱûȱȱȱȱterviews nicht rein kommunikationstaktischer Natur, sondern sie erfüllen auch einen politikstrategischen Zweck30: Merkel transporȱ ȱ ȱ Ǯȃȱ ȱ ǻǯȱ ȱ ŘŖŖŞDzȱ ȱ 2008), sondern erfüllt mit ihrer Kommunikation strategische FunkȱȱûĴȱȱĞǯȱȅȱȱȂȱ plaudert Merkel nicht über Privates und sie präsentiert sich nicht extrovertiert wie Schröder 1999 in der Gala. Dem den Frauen und ȱ ȱ ȱ Ĵ§ȱ ȱ ȱěȱ ȱȱȱȱ§ǰȱȱȱȱȬ Anzug und mit Zigarre zeigte.
ѐѕљѢѠѠѓќљєђџѢћєђћȱѧѢњȱ
ќњњѢћіјюѡіќћѠњюћюєђњђћѡȱѣќћȱђџјђљȱ Angesichts der Vielzahl der Frauen, die in verschiedenen Ländern höchste politische Positionen erreicht haben und der Befunde aus ȱ £ȱ ¢ȱ £ȱ Ĵȱ ûȱ litikerinnen, kann konstatiert werden, dass sich die Chancen auf Gleichbehandlung für Frauen in der Politik und in den Medien verbessert haben (Holtz-Bacha 2008a: 21). Trotzdem bleibt es bei dem ernüchternden Befund, dass Politikerinnen im Vergleich zu
30 Vgl. mit dieser Unterscheidung Kamps 2007: 384.
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ihren männlichen Kollegen einem höheren Standard genügen müssen (ebd.: 16); verkürzt gesagt: der double bind für die Politikerinnen bleibt bestehen. Für Politikerinnen gerät das politische Kommunikationsmanagement beim Machterwerb und Machterhalt zur entscheidenden Größe.31 Angela Merkel ist gegenüber den Herausforderungen der Medialisierung der Politik (vgl. beispielsweise Donges 2008) gut gewappnet; denn sie reagiert und regiert mit einem geschickten ȱ ȱ Ǯǰȱ ȱ ȱ ¡ȱ ȱ vielschichtigen Kommunikationsprozesse“ (Kamps 2007: 392). Ihre ȱȱǮȱȃȱȱȱȱ£ȱ£ǰȱ£weise nicht gezielt Frauen anzusprechen, stellt auch im Vergleich zu Politikerinnen im Ausland einen Sonderfall dar (Holtz-Bacha ŘŖŖŞDZȱŗşǼǯȱȱȱȱĞȱȱȱȱ mit Medienmacherinnen – den Moderatorinnen der Politischen Talkshows, der Chefredakteurin der Bunte und der Verlegerin Friede Springer – zurück und wählt eine deutliche Abgrenzung gegenüber dem männlichen, ‚ungehobelten’ Stil.32 Bei dieser Abgrenzung half Merkel die Unterstützung durch die Bild-Zeitung während des Wahlkampfes und während der Koalitionsverhandlungen. Kennzeichen ihres Kommunikationsmanagements ist erstens, dass sie keine Kumpanei mit den Journalisten eingeht – vielmehr hält Merkel, seit sie Bundeskanzlerin ist, die Journalisten auf Distanz. Indem sie sich in den Medien rar macht, erhöht sie die Aufmerksamkeit für ȱĞĴȱȱȱǻǯȱ ȱȱŘŖŖŜDZȱŞŚǼǯȱȱ ehemalige Pressesprecherin ist sie zweitens geübt im Umgang mit den Medien (vgl. Schwennicke 2008: 30) und setzt ihre Kontakte zu den Medienverantwortlichen gezielt ein. Merkel orchestriert die Medien nicht in der Bandbreite wie Schröder.33 Die Kanzlerin agiert zurückhaltend, schnörkellos, pragmatisch und unprätentiös. Erfolgreich praktiziert sie die Trennung zwischen Privatheit und Politik. Merkel ist in ausgewählten Boulevardmagazinen präsent,
31 Gleichwohl bleibt politisches Kommunikationsmanagement ein spe£ęȱĴȱȱȱȱȱȱȱ Handelns (vgl. Kamps 2007: 390f.). 32ȱ ȱǮȱĞȃȱȱȱȱ ȱãder am Wahlabend 2005 hin, sondern es ist auch bei zahlreichen seiner Parteifreunde zu beobachten (Schumacher 2006: 121). 33 Gleichzeitig ist ihre Strategie auf der Höhe der Zeit: als weltweit erste ęȱ ȱ ȱ ãȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ (vgl. vertiefend Hofmann 2008).
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ȱȱȱǮȱȱȱȃǰȱȱȱȱǻŘŖŖŜǼȱ ûȱȱȱȱ §ǰȱğȱȱȱ £ȱ ȱ £ǯȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ŜŞȬ ȱ Ǯȱ ȱȱȃȱȱǰȱȱǮȱǰȱȱȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ sprüche von Individualität und Selbstbestimmung Richtung und Bewegung“ bekommt (ebd.: 274). Merkel dagegen präsentiert sich nicht bunt und schrill. Was nicht gegen die eingangs formulierte ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ĞĴȱ ȅȱ ȱ Boulevard‘ geschickt in ihr Kommunikationsmanagement ein. Weil ȱȱȱĞȱȱȱȱȱȱȱ ȱǻǼȱãȱǰȱȱǰȱȱĴȱȱȱ und Privatisierung innerhalb der Medienstrategie gezielt einzu£ǯȱȱȱȱȱĞȱȱȱ daher (Saxer 2007). Dies kann mit einem Demokratiegewinn oder zumindest einem Kommunikationsgewinn verbunden sein (vgl. beispielsweise van Zoonen 2005). Merkels Aufstieg zur Kanzlerkandidatin, ihre Inthronisierung während der Koalitionsgespräche, ihre Performance auf der weltȱûȱȱȱ££ȱȱĞĴȱȱȱđȬ WM34 und der Fußball-EM haben nicht nur das Image der Politikerin §ǰȱȱȱȱȱȱ ǰȱȱȱȱǮđȃȱ (Nieland 2006) zu verfangen, vielmehr bietet sie den männlichen ȱȱ ǰȱȱ¢ȱȱǻŘŖŖŝǼȱȱǮȱ der Berliner Republik“ bezeichnet, die Stirn.
34ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ Ǯȃȱ ȱ ȱ §§ȱ đȱ gelungen (vgl. bspw. Holtz-Bacha 2008b). Schumacher (2006: 183f.) ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ěDZȱ ihre Außenseiterrolle und Unabhängigkeit, die Tatsache, dass eine Ǯ¡ȃȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ûǰȱ ȱ §ǰȱ ȱ Weg aus der Provinz auf die Weltbühne sowie ein Mentalitätsmix (der Fußballer wie die Politikerin sind strukturkonservativ, zugleich ȱ ȱ ȱ ěǰȱ ȱ ȱ Dzȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ kommunizierte per Mail).
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юѝќљђќћȱѠіђєѡȱҿяђџȱюџіюћћђ
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Verkörperung und politische Darstellung im französischen §Ğ ȱŘŖŖŝ юџљѽћђȱќѢљќњяȬ ѢљљѦ Während viele Länder in den vergangenen Jahren eine Frau an die Spitze ihrer Regierung gewählt haben, stellte in Frankreich schon die Kandidatur von Ségolène Royal als Spitzenkandidatin der Sozialistischen Partei ein Novum dar.2 Zum ersten Mal wurde eine Frau bei einer solch wichtigen Wahl als Kandidatin aufgestellt. Auch allgemein sind Frauen in den Spitzenposten der Ministerien oder Parlamente in Frankreich deutlich unterrepräsentiert (vgl. Achin/ Lévêque 2006; Sineau 2001). Der Rückstand Frankreichs in dieser ȱǰȱ£ȱȱȱĴȱȱȱȱ des ȱȱȱ·ȱȱ ȱŘŖŖŖǰȱěǯ3 ŗȱ ȱȱȱȱȱȱȱĴȱȱȱ – · krönte sich, ungeachtet der Republik, die durch Marianne symbolisiert wird, selbst zum Kaiser Frankreichs – doch hier sind die £ ȱ ȱ §Ğȱ DZȱ ȱ £¢ǰȱȱȱȱ£ãȱȱ§ȱȱĞȱȱ · karikiert wurde und Ségolène Royal, die in denselben Medien mehrfach als Marianne dargestellt wurde. 2 Margaret Thatcher wurde bereits 1979 britische Premierministerin, in jüngerer Zeit kamen Michelle Bachelet in Chile, Ellen Johnson Sirleaf in Liberia und Angela Merkel in Deutschland an die Macht. 3 Das ȱȱȱ· ist ein Quotierungsgesetz beziehungsweise eine Quotenregelung für die französischen Parlaments- und andere Wahlen mit KandidatInnenlisten. Dennoch wurden im Juni 2007 nur 18,54% Frauen in das Parlament gewählt, womit der Frauenanteil trotz des deutlichen Anstiegs gegenüber dem früheren Anteil von 12,5% gering bleibt.
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Diese chronische Unterrepräsentation von Frauen in der Politik Ğȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ mediterranen Kultur und katholischen Tradition als Wiege der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten. Ein kleiner Exkurs in die französische Geschichte soll helfen, diesen Widerspruch zu verstehen. Während der Renaissance wurde in Frankreich das aus dem 6. Jahrhundert nach Christus stammende salische Recht ȱȱ ‚wiederentdeckt’. Es legte fest, dass Land nur an Männer vererbt werden konnte, was auch als Vorwand genutzt wurde, um Frauen von der politischen Macht fernzuhalten.4 Daher zählt Frankreich zu einem der wenigen europäischen Länder, in dem das Wort ,Königin‘ niemals etwas anders als die Ehefrau des Königs bezeichnete. Diese Ausgrenzung der Frauen aus der Politik, die auch auf die religiösen Ämter im französischen Katholizismus angewandt wurde, hielt diese nicht davon ab, eine verdeckte, aber durchaus reelle Macht im ȱ· auszuüben (vgl. Fraisse 1995). Paradoxerweise hat die Französische Revolution trotz ihres emanzipatorischen Charakters diese Ausgrenzung von Frauen aus der Politik noch unterstützt, wie das Schicksal von Olympe de Gouges veranschaulicht. Sie reagierte auf die berühmte §ȱȱȬȱȱû im Jahr 1791 mit einer eigenen §ȱȱȱȱȱȱȱ Bürgerin.5ȱȱȱȱȱȱȱDZȱǮȱȱ ȱȱǰȱȱĴȱ£ȱǯȱ đȱȱȱ das Recht zugestanden werden, eine Rednertribüne zu besteigen.“6 ȱȱ ȱȱȱȱȱĴȱ£DZȱȱ ȱ ȱ später guillotiniert. ȱ ȱ ȱ ŗşǯȱ ȱ §Ğȱ ȱ ȱ £ ȱ ihre bürgerlichen Rechte, das Wahlrecht erhielten sie jedoch erst im Jahr 1944, als per Anordnung festgelegt wurde, dass auch Frauen bei den bis dahin fälschlicherweise als ‚allgemein’ bezeichneten
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Frauen wurden konsequent von der Erbfolge bei Adelstiteln oder der Thronfolge ausgeschlossen, auch wenn kein männlicher Erbe existierte. ·ȱȱȱȱȂȱȱȱ¢, wobei auf Französisch ȱȱěȱhomme sowohl ‚Mensch’ als auch ‚Mann’ bedeutet. Obwohl hier sehr wohl der ‚Mensch im Allgemeinen’ gemeint war, nahm Olympe de Gouges dies zum Anlass, als Gegenstück dazu die ·Ȭ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱ¢ zu verfassen. Im Original: ȱȱȱȱȱȱȱ¥ȱȂ·ǰȱȱȱȱȱȱ monter à la tribune.
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Wahlen ihre Stimme abgeben dürfen. Nunmehr Wählerinnen, wenn noch selten gewählt, wurden Frauen immer zahlreicher in den Regierungen der V. Republik (vgl. Sineau 2001). Der Umgang mit Edith Cresson, der ersten und bislang einzigen Premierministerin, die 1992 unter beschämenden Umständen entlassen wurde,7 und der Ĵ8ȱěȱǰȱȱ§ȱȱȱ in hohen politischen Ämtern weiterhin bestehen. ȱ£ãȱ§Ğ ȱȱŘŖŖŝȱȱȱ nur Nicolas Sarkozy, Kandidat der 9, und Ségolène Royal, Kandidatin der ȱ10 gegenübergestellt, sondern erstmals auch einen Mann und eine Frau (vgl. Abbildung 1). Letzteres soll hier besonders betont werden: Zweifellos ist es wünschenswert, ȱȱȮȱȱ§Ğ ȱȮȱȱ demokratischer Ideale aufgrund politischer Inhalte im Rahmen ȱ ȬĴȱ ȱ ȱ ȱ ȱ werden. Doch es lässt sich feststellen, dass auch die persönliche Dimension, die Tatsache also, die Programme der zur Wahl stehenden Parteien verkörpert, von großer Bedeutung ist. Diese Personalisierung des Wahlkampfes, in der manche Kritiker einen Widerspruch zur Demokratie, ja sogar eine Rückkehr zu politischen
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Entlassen nach nur einem knappen Jahr im Amt, ist ihr Scheitern auf verschiedene Faktoren zurückzuführen: Die Opposition, bestehend aus einer politischen Elite, konnte die Ernennung einer Frau mit impulsiven Temperament und außerdem eine langjährige ‚militante’ Sozialistin niemals akzeptieren. Auch hat Cresson keinen klassischen ȱ (Ausbildung an und ȱ ) durchlaufen. Eine Presse-Kampagne, unter dem Vorwand, dass sie die Mätresse ȱ ³ȱ Ĵȱ ǰȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ûǰȱ ȱ die ökonomische Situation Frankreichs war zudem zu dieser Zeit schwierig. 8 Ĵȱist die sexistische Bezeichnung für die außergewöhnlich vielen Ministerinnen in der Regierung von Alain Juppé im Jahr 1995, welche allerdings nicht lange an der Macht blieben. Die Bezeichnung ist ein bekanntes Wortspiel aus den französischen Medien und bedeutet soviel wie ‚die Rockträgerinnen’. ‚Juppé’ erinnert an jupe = ǰȱȱĜ¡ȱȬĴ ist die Verniedlichungsform. 9 ȱȱȱȱ, Partei aus dem rechten Spektrum, die damals die Mehrheit im Parlament hielt und daher den Regierungschef, das heißt den Premierminister, stellte. 10 Sozialistische Partei, führende Partei im linken Parteienspektrum ȱȱȱȱȱȱȱ£Ĵǯ
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Praktiken des ȱ ·11 sehen, ist eng verbunden mit der Präsidentialisierung der Macht in Frankreich.12 Letztere wurde durch die von Charles de Gaulle im Jahr 1962 beschlossene Einführung ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ §Ğ ȱ gestärkt, doch zweifellos ist sie auch auf einige technologische Faktoren zurückzuführen, die Medien, und insbesondere die Bildmediǰȱȱȱȱȱ[ěȱǯȱȱȱ wird das Individuum und die Verkörperung, die es darstellt, zum Argument – im gleichen Maße wie das Wahlprogramm. ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ěȱ ȱ ȅkörperung‘ näher zu bestimmen. Er verweist in erster Linie auf traditionelle Elemente politischer Darstellung, also das politische Programm, zu dem sich die KandidatInnen bekennen und das die politische Kultur ihres ideologischen Lagers prägt.13 Hier wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die ‚Verkörperung’ auch voraussetzt, dass nicht nur die KandidatInnen, sondern auch die ȱȱȱ ãȱȱȱûȱęǯȱ ȱȱ ãȱȱȱȱȱȱȱĴȱ in den Vordergrund rückt, führt diese Dimension, die im wahrsten ȱȱȅãȂȱěȱ ǰȱ£ǰȱȱȱ ȱ£ȱ einem wichtigen Element politischer Repräsentation wird. Diese ȱȱđȱȱȱĞȱȱûrInnen an, welche mit dem, was als Erotologie der Politik bezeichnet wird, verbunden ist.14 11 ȱ ·ȱ ·ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ¡ȱ ¥ȱ Ĵȱ DZȱ ȱ ȱ ȱ ·ȱ ¥ȱ ȱ (Lefort 1981: 172). Dies ȱ ȱ ȱ ûDZȱ Ǯȱ ȱ ȱ Revolution wird am ehesten durch diese Verwandlung verdeutlicht: Keine Macht, die nicht mit einem Körper verbunden ist.“ 12ȱ ȱěȱȅȃȱ£ȱȱȱȱkampfes auf die Person des Spitzenkandidaten und nicht auf das Programm seiner Partei. ‚Präsidentialisierung’ ist die Konzentration der Macht auf das Amt des Staatspräsidenten. 13 Diese Dimension wurde bereits ausführlich untersucht, weshalb hier nicht darauf eingegangen wird (vgl. u. a. Bernstein 2003). 14 Folgende Aussagen beziehen sich auf die Analyse einer Sammlung von Presseartikeln und Fernsehbeiträgen – vorwiegend im Zeitraum zwischen Januar und Mai 2007 – insbesondere: die 20 Uhr-Nachrichten der Fernsehsender ŗ und ȱŘ, die wichtigen politischen Fernsehsendungen (wie zum Beispiel Ȃȱȱȱ¥ȱȱ auf ŗ oder A vous de juger auf ȱŘ) sowie die tägliche Satire Les Guignols ȱ Ȃ, die im Vorabendprogramm auf Canal Plus gesendet wird;
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Abbildung 1: Royal und Sarkozy in den 20 Uhr-Nachrichten auf ȱŘȱ(1.4.07)
іђȱќљіѡіјDZȱіћђȱџюєђȱ ёђѠȱѫѢѠѠђџђћȱџѠѐѕђіћѢћєѠяіљёђѠ Ohne den Grundsätzen der Morphopsychologie noch der zu fehĞȱ§£ȱûȱ¢ȱ£Ěǰȱ kann doch nicht geleugnet werden, dass im Wertesystem einer Ğȱȱãȱȱȱ¢ȱ Ğȱ£ȱ ǯȱȱ ȱ£ȱȱȱ
Le Monde für die tägliche überregionale Presse und die April-AusgaȱȱĞȱȱȱȱȱÉ·ȱǮ¢·ȬǷȃȱǻŘŖŖŝǼǯȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ £ęȱ ȱ ȱ ȱ ums zu erfassen, sondern der Versuch, die wichtigsten Merkmale der ãȱȱȱȮȱ£ §ęȱȮȱȱȱ Umfeld zu begreifen. Dabei wird weder der reale Körper der Individuen mit seiner Darstellung in den Medien verwechselt, noch davon ausgegangen, dass diese Darstellung durch die eine oder andere beteiligte Partei (PolitikerInnen, KommunikationsberaterInnen, JournalistInnen) kontrolliert wird, sondern dass die in Szene gesetzten Individuen das Ergebnis einer gemeinsamen Konstruktion sind, in die die verschiedenen Akteure involviert sind, wobei die Interpretation des Publikums hinzukommt (vgl. Coulomb-Gully 2001, 2003).
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ȱ đȱ ȱ Ĵȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ stämmigen Gestalt, sowie ein längliches Gesicht gegenüber einem runden und breiten Gesicht bevorzugt.
іћђȱіљѕќѢђѡѡђ ȱȱȱȱȱğǰȱȱ£ȱȱȱ
ȱ£§ȱȱȱĴȱǰȱȱȱȱ wahrgenommen wird – klein oder groß gewachsen, schmal oder stämmig. Nicolas Sarkozy entspricht – zu seinem Leidwesen – aufgrund seiner kleinen Statur nicht der männlichen ‚Norm’, weshalb seine KritikerInnen beispielsweise auf die Ferseneinlagen seiner Schuhe hinweisen und diese als unentbehrliches Wahlkampfutensil Ĵǯȱȱȱȱ Ěȱȱȱđȱ ȱ Dominique de Villepin15ȱȱ ȱȱȱ§Ğdatur der UMP stellte dieses körperliche Merkmal deutlich heraus: Im Gedächtnis jedes Franzosen sind die Szenen geblieben, in denen de Villepin, insbesondere bei politischen Veranstaltungen, die Hand £¢ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûĴDZȱ Eine scheinbar freundliche Geste, durch die er jedoch den Größenunterschied zwischen ihnen absichtlich betont. Dieses körperliche ǰȱ ȱ ȱ tȱ ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ zum Beispiel mit Kleinlichkeit im Gegensatz zur ‚moralischen Größe’, assoziiert wird, wurde in zahlreichen Karikaturen während des Wahlkampfes hervorgehoben. Besonders bekannt wurde auch ein verfremdetes Porträt von Sarkozy als Staatspräsident, auf dem nur sein Scheitel im unteren Teil des Bildes zum Vorschein kommt. Die sozialistische Kandidatin hingegen entspricht mit ihrer ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ §đȱ £ûȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãǯȱȱǰȱȱ Ğȱȱ die Übereinstimmung der Schönheitskriterien – ob bei Männern oder bei Frauen, bei Kindern oder bei Erwachsenen – belegen (vgl. ǯȱǯȱȱȱŘŖŖŞDzȱ£ȱŘŖŖŘDzȱ£ȱŘŖŖŘǰȱ ěȱŗşşŞǼǯȱ Auf der Hitliste des monatlich erscheinenden ‚Männermagazins‘ belegte Ségolène Royal in der französischen Ausgabe von Juni 2006 den 6. Platz, direkt hinter Angelina Jolie und noch vor Sexsymbolen wie Pamela Anderson und Monica Belluci. 15 Dominique de Villepin war von 2002 bis 2007 französischer Premierminister.
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іћȱ ђѠіѐѕѡ Zum Körper gehört auch das Gesicht, und zwar umso mehr, da sowohl im Fernsehen als auch auf Pressefotos Nahaufnahmen bevorzugt werden. ȱ£ȱûĴǰȱȱȱǰȱȱ gene Augenbrauen, eine große Adlernase, schmale Lippen und markante Züge: Das Aussehen von Nicolas Sarkozy stimmt in dem Fall perfekt mit seinem Image – ein Mann aus dem rechten politischen Lager, entschlossen, durchsetzungsfähig und autoritär – überein. Vielleicht zu perfekt: Nicolas Sarkozy hat im Laufe des ȱȱǰȱȅĞȂȱ£ȱǯȱȱȱȱȱ Aussageȱ Ȃȱ ·ǰȱ Ǯȱ ȱ ȱ §ȃȱ §ȱ ȱ Wahl zum Spitzenkandidaten seiner Partei am 14. Januar 2007 erinnert. ȱȱ·¸ȱ¢ȱě§ǰȱȱȱȱ§ȱȱ ǯȱȱȱǰȱȱ ȱȱȱĴǰȱȱȱ Eckzähne abfeilen lassen. Die Brille legte sie ab, so dass ihre blauen Augen nun besser zur Geltung kommen. Haarreifen und Pferde £ȱ ȱȱû£ȱȱĴȱãǰȱěȱ ȱ ersetzt. Ségolène Royal hat sich entschlossen, den zeitgenössischen Schönheitskriterien zu entsprechen. Während schließlich Nicolas Sarkozy als hart und unnachgiebig, seine Kritiker meinen sogar brutal, erscheint, setzt Ségolène ¢ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ěȱ ǯȱ ȱ §ȱ ȱ £ȱ§ĞȱȮȱȱ ěȱǻŗşŞŞǼȱȱ ‚weibliche Wesenszug‘ schlechthin, nach Bertini (2002) ein Zeichen der ‚anthropologischen Verfügbarkeit’ von Frauen – bestätigt, dass sie sich in ihre Geschlechterrolle fügt. Mit der oben beschriebenen körperlichen Verwandlung entspricht sie nun der perfekten Verkörperung von Weiblichkeit.
іћђȱѡіњњђ Nichts verweist mehr auf den Körper als die Stimme, die neben dem Aussehen auch dazu beiträgt, einem Körper Gestalt zu geben und somit an der Verkörperung mitwirkt: Wer hat noch nie eine ȱ Ĵ§ȱ ǰȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ von jemandem, dem man noch nie begegnet ist, plötzlich mit der §ȱȱ ǵȱȱȱĴȱȱȱȱȱ sich, ausgehend von der Stimme, ihrem Klang, ihrer Farbe und
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der Aussprache, einen Körper, ein Gesicht, einen Blick und eine Ausstrahlung vorgestellt. Dabei hält die Realität nur selten dem Vergleich mit der Phantasie stand. ȱ ȱ ȱ ȱ £¢ǰȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ǰȱȱȱȱȱ ȱȱȱĴȱǰȱȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ěûǯȱ ȱ ûȱ ȱ sprache verweist auf seine rhetorischen Fähigkeiten und soll seine ȱtȱûǰȱ §ȱȱĞȱ und gesetzte Stimme im Gleichklang mit der Vorstellung von Ordnung und Autorität steht. Im Übrigen ähnelt seine Aussprache durch die starke Velarisierung16 mancher Konsonanten dem Slang gewisser Vororte von Paris, wobei dieser volkstümliche Zug durch eine gewisse Nachlässigkeit in der Syntax bestätigt wird. So neigt Nicolas Sarkozy dazu, Verneinungen abzukürzen, indem er ȱ¡ȱ ȱȱĴȱȱȱ ȱȱ¡ȱȱ sagt, und die Inversion von Subjekt und Verb in Fragesätzen umgeht, indem er sich einer aufsteigenden Satzmelodie als einzigen Verweis auf eine Frage bedient oder den Fragepartikel Ȭȱ verwendet. Dieser ‚mündliche’, wenn nicht saloppe Stil verleiht ihm den witzig-freȱȱȱȅȱđȂǰȱȱĴȱȱ£¢ȱ wohlbekannte Schlagfertigkeit erinnert.17 Allerdings änderte sich seine Stimme im Laufe des Wahlkampfs erheblich und ging zu einer tieferen Tonlage und einer langsameren ȱ ûǯȱ Ǯȱ ȱ £ȱȱ ȱ ȱ ǰȱ seine Stimme ist um eine ganze Oktave gesunken. Er spricht nicht mehr, er murmelt. Seine Stentorstimme18 behält er sich für seine 16 Als Velarisierung bezeichnet man eine Sekundärartikulation, bei der ȱ§ȱĴȱȱ£§£ȱȱȱȱ durch Hebung der Hinterzunge ein dunklerer Ton verliehen wird. 17 Auch die Größe Nicolas Sarkozys unterstreicht dieses Bild und kann daher seinem volkstümlichen Ethos zugeschrieben werden. Auch wenn bereits erwähnt wurde, dass eine kleine Statur durchaus ein Handicap für jemanden darstellen kann, der sich um das Amt des Staatspräsidenten bewirbt, so rief seine kleine Statur in der Fantasie der WählerInnen auch positive Assoziationen hervor. So wurde Sarkozy beispielsweise als ·¡ (sehr populärer gallischer Held), ·ȱ ǻ§ęȱ ȱ £ȱ ûȱ £¢Ǽȱ ȱ ȱ Jo ǻȱ Ğ£ ȱȱǰȱȱȱȱ£ǰȱȱ sehr beliebten französischen Komiker) bezeichnet. 18 Stentor ist der Name eines griechischen Kämpfers in der Sage um Troja. Seine Stimme soll so laut gewesen sein wie die von fünfzig Männern.
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politischen Wahlveranstaltungen, seine Ansprachen vor“, stellte die Zeitung Le Monde am 10. Mai 2007 fest. Ȃȱ ·ǰȱ Ǯȱ ȱ mich geändert“, behauptete Sarkozy im Wahlkampf fortwährend, eine Behauptung, die durch eine Stimme untermauert wird, die Ruhe und Tiefgründigkeit und vielleicht auch mehr Männlichkeit ausdrücken soll – im Gegensatz zur Stimme der sozialistischen Kandidatin. Diese hat eine Stimme mit einer für Frauen eher untypischen tiefen Tonlage.19 Die Stimme von Ségolène Royal zeichnet sich aber vor allem durch ihre langsame Aussprache, ja sogar durch ihr §ęȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱȱȱȱ ȱĴǰȱ ȱȱȱ§ǰȱ ȱ£ȱǰȱȱ ȱȱěȱûȱȱ ihr während des gesamten Wahlkampfs unterstellte Inkompetenz lieferte. Anhand dieser verschiedenen Beispiele wird deutlich, wie schwierig es ist, anscheinend rein körperliche Merkmale von den ¢ǰȱȱȱȱȱĞȱ zu trennen. Der Körper ist nämlich niemals nur ein Körper: Er ist mit Werten belegt und spricht die Phantasie an. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat nichts anderes gemeint, als er die körperliche Hexis20 als ‚Transsubstantiation in der Werte zum Körper werden’ ęǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ãȱ ȱ ȱ ęǰȱ ȱ ȱ ǰȱ bekannt ist (1980: 96). Aber wenn der Körper eine soziale Dimension ausdrückt, so kann der Spielraum, der im Bezug zum Körper besteht, nicht geleugnet werden. In der Tat kann erlernt werden, mit dem Körper, ähnlich wie mit der Sprache, Dinge vorzutäuschen oder zu
19 Es sei an die Glossen erinnert, die die Stimme von Edith Cresson zu ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ rief, weil sie angeblich der einer Fischhändlerin glich. Gleichzeitig wurde weiblichen Abgeordneten in Sprechtrainings empfohlen, mit einer tiefen Stimme zu sprechen, um keinen Anlass für solche Anfeindungen zu geben. 20ȱ §ȱȱȱȱěȱȱ ȱnismen für geistige Einstellungen und Gewohnheiten bezeichnet, zum Beispiel den Kunst- oder Musikgeschmack, verwendet er Hexis in Bezug auf die körperliche Dimension, zum Beispiel für Gestik oder Körperhaltung.
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simulieren. Es wird hier davon ausgegangen, dass PolitikerInnen ǰȱ ȱȱȱãǰȱȱȱ§ȱãěǰȱ für sich nutzen können.
ќњȱ ѢѠѠђџђћȱюѢѓȱёюѠȱћћђџђȱѠѐѕљіђѠѠђћDZȱ ѢџѐѕђіћюћёђџȱёђѠȱѡѕќѠȱ §ȱȱ§Ğ ȱȱȱȱȱ Diskussion bezüglich der ideologischen Positionierung der soziȱ ȱ Ĵǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Behauptung Pierre Bourdieus (der zu diesem Anlass durch das Internet zu neuem Leben erweckt wurde) ausgelöst, Ségolène ¢ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȃǯȱ ȱ ȱ ȱ monatlichen Sendung ȱ sendete der Regisseur Pierre Carles im Oktober 2006 auf dem Online-Fernseh-Portal ȱ ȱãěȱ£ȱȱȱȱDie Soziologie ist ein KampfsportǰȱȱȱûȱȱȱȱĴǯȱȱȱ sich um eine zwölfminütige Szene, die im Mai 1999 aufgenommen wurde und in der Bourdieu erklärt, dass einige Politiker des linken Lagers ‚eigentlich’ dem rechten Lager zuzuordnen seien. Als Beiȱȱȱ·¸ȱ¢ǰȱȱȱȱǮȱ ǰȱ eine Verhaltens- und Sprechweise an den Tag legt, die zeigt, dass sie eigentlich aus dem rechten Lager kommt“ (Carles 2006: Min. 7-10). Im Folgenden soll geklärt werden, was ihn zu einer solchen Schlussfolgerung brachte.
іћѫѠѡѕђѡіѠѐѕђȱѢћёȱѝџќѥђњіѠѐѕђȱљђњђћѡђDZȱ ѢџҿѐјѕюљѡѢћєȱѣђџѠѢѠȱѥѝџђѠѠіѣіѡѫѡȱ ǮǰȱĞǰȱǰȱ·¸ȱ¢ȱȱȱten wie angewurzelt hinter ihrem Rednerpult stehen, ohne ein Wort zu sagen. Sie starrt in die Menge, die ihrerseits nicht so recht weiß, wie sie reagieren soll“21, so schilderte die Zeitung Le Monde am 12. Oktober 2006 eine Wahlkampfveranstaltung der sozialistischen
21 Originalzitat: ǰȱę·ǰȱ·ǰȱ·¸ȱ¢ȱȱ·ȱ¥ȱȱ ȱȱȱǰȱ¸ȱȱȱȱȱǯȱȱę¡ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ·.
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Spitzenkandidatin. Abgesehen von der erstaunlichen Stille hat auch die steife und hieratische Art von Ségolène Royal alle Beobachteȱûğǯ In der Tat ist die Gestik der Kandidatin nahezu inexistent. Zu ihrem kinästhetischen Repertoire gehört eine beschwichtigende Geste: beide Arme, waagerecht erhoben, senken sich langsam und Ĵȱ ȱ ȱ Dzȱ ȱ ȱ ȱ DZȱ ȱ ȱ werden senkrecht erhoben und bilden so ein Kreuz, ähnlich wie bei Papst Johannes Paul II.22 Und schließlich diese Geste, einmalig während des Wahlkampfs: Am 11. Februar 2006 hält sie – bei der feierlichen Bekanntgabe ihrer Spitzenkandidatur in Villepinte – als Zeichen einer tiefen Revolte die ȱȱȱȱȱȱ§DZȱǮȱ ȱûȱȱ ȱ Frankreichs das, was ich mir für meine eigenen Kinder gewünscht habe“ (Le Monde). Der Zusammenhang zwischen der Stärke dieser ȱȱȱ ȱȱȱĴĞȱȱȱǯ Ségolène Royal hat stets auf das Bad in der Menge verzichtet: Auf Wahlveranstaltungen gelangt sie in einer Inszenierung, die mögli ȱȱȱȱĴȱȱ ȱŗşŞŞȱȱǰȱ allein zum Rednerpult, indem sie einen Gang entlang schreitet, an dessen Seiten ihre AnhängerInnen auf Abstand gehalten werden. Dieselbe zögerliche Haltung zur Hingabe kann in dem strikten gegenüber JournalistInnen ausgesprochenen Verbot gesehen werǰȱȱȱȱ£ȱęǯȱȱĞȱȱ¢ȱ 22 Dieser Vergleich mit der Gestik des verstorbenen Papstes ist kein Zufall: Die Kandidatin, die von den Medien die Beinamen die Jungfrau und Madonna erhalten hat, hat während des gesamten Wahlkampfs mehrfach Bezug auf die Religion genommen, was dazu beitrug, ihr Image noch mehr durcheinander zu bringen. In der Tat bekennen sich in Frankreich alle Parteien des linken politischen Lagers zum Laizismus, das heißt zur Trennung von Kirche und Staat, und ver ȱȱ ǰȱȱȱȱȱ[ěȱȱ£ȱȱten werden darf, in den Bereich des Privatlebens. Nicht so Ségolène Royal: Im Jahr 1992 stellte sie sich, wenige Stunden nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter Flora, vor der Kamera in eine Positur, die an die ‚Heilige Jungfrau mit dem Kind’ erinnerte. Ein weiteres Klischee kann damit in Verbindung gebracht werden: Als Nicolas Sarkozy zum Spitzenkandidat gekürt wurde, stellt sie sich vor die Kameras mit einem Lamm in den Armen, und symbolisierte damit das evanȱȱǯȱ¢ȱ£ȱ£ȱǰȱȅĚȂȱ
ûȱ ȱûȱ ȱǮȱ ȱǰȱȱ ȱ ȱȃȱȱǮȱȱȱȱǯȃ
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für die Ablehnung, den Körper beim Verrichten von Grundbedürfnissen zu zeigen, und verweist auf eine Art Tabu gegenüber dem eigenen Körper, so wie es in bürgerlichen Schichten üblich ist. Ségolène Royal bleibt somit eine Ikoneǰȱȱěǰȱȱȱȱ mehrfach für sie benutzten. Nicolas Sarkozy bot ein ganz gegensätzliches Bild, was beȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ĞĴȱ ȱ Kandidaten vergleicht: Nicolas Sarkozy badet in der Menge, ja er umarmt diese förmlich und demonstriert so eine besondere Nähe zum ‚wahren Volk’. Im Übrigen ist sein kinästhetisches Repertoire deutlich breiter als das seiner Konkurrentin. Wenn er eine Rede hält, unterstreicht ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ǯȱ §ȱ sei auch diese noch nie da gewesene Geste in einem französischen Wahlkampf: Während er mehrfach grüßt, legt er die rechte Hand aufs Herz – ganz im Stile amerikanischer Politiker. Wie sollte dabei kein Zusammenhang mit den politischen Überzeugungen des Kanȱȱȱ ȱ§Ğȱȱ Kurs hergestellt werden? Er spricht, vielleicht in Anlehnung an den ȱ, nach seinem Wahlsieg auch vom ‚französischen Traum’. Im Allgemeinen zeichnet sich Sarkozys Körper dadurch aus, dass er ständig in Bewegung ist. Bekanntlich ist Sarkozy ein leiĞȱ ǯ23 Seine körperliche Verausgabung zeigt sich £ȱȱȱ đǰȱȱȱĠȱ§đȱȱ dafür ist und der in zahlreichen Reportagen und Bildern von Nicolas Sarkozy im Wahlkampf sichtbar war; so drückt sich der Wille aus, durch den eigenen Körper die Notwendigkeit der Anstrengung, sowie seine Zugehörigkeit zum arbeitenden Volk, ja zur früh aufstehenden Bevölkerung kund zu tun. Dort, wo Ségolène Royal ȱ ãȱ ȱ [ěȱ £ǰȱ ȱ ȱ £¢ȱ seinen zur Schau, animalisch und schweißgebadet. Bourdieu, der die Körpersprache entschlüsselt hat, hat die Litote24 und die Zurückhaltung den oberen sozialen Schichten, die Emphase und die Maßlosigkeit dem Volk zugeordnet (1979: 197).
23 Hat nicht eines der ersten Bilder der frisch gebildeten Regierung ge£ǰȱ ȱȱ£¢ȱȱ˗ȱǰȱȱȱnister, Seite an Seite durch die Straßen von Paris joggen? 24 Die Litote ist eine rhetorische Figur, die einen Sachverhalt mit dem Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ teils umschreibt.
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Dies stützt die These, nach der die sozialistische Kandidatin ein eher rechtes Ethos hat, während der konservative Kandidat sich durch ein eher volkstümliches Ethos auszeichnet.
іђȱǻђџ-Ǽ љђіёѢћєDZȱ юљѝѕȱюѢџђћȱѣђџѠѢѠȱюѢљђȱ юȱ ȱȱȱȱ ȱȱ§Ğȱ bringt diesen erstaunlichen ·Ȭ·25 zum Ausdruck. Die satirische Presse und die humoristische Fernsendung Les Guignols de Ȃ26 (Canal Plus 2006b) haben nicht versäumt, auf die lässige
ǰȱ ȱ ȱ £¢ȱ ȱ §ęȱ ȱ ȱ ǰȱ £ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ tĞȱ ȱ ĞȱLes dossiers du Canard (2007: 39), die Nicolas Sarkozy lässig ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ £DZȱ Prolo de Ralph Lauren27. ȱ£¢ȬĴȱȱȱ ȱȱȂ trägt einen groben schwarzen Rollkragenpullover und hat die Gewohnheit, den Nachȱ £ȱ DZȱ Ǯãȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ğȱ ǵȃǰȱ Ģȱ ȱ ȱȮȱȱȱ ȱȮȱȱ£ȱȱ Ĵȱȱȱver erscheint (Canal Plus 2006b). So wird deutlich, dass durch die Kleidung politische Strukturen symbolisiert werden. Ganz anders die Kleidung von Ségolène Royal, die, von der ȱ ȱ ȱ ȱ Ĝǰȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ûȬ gediegenen Stil entschieden hat: taillierte Jäckchen, knielange, enganliegende Kleider und geschlitzte Röcke und Stöckelschuhe. So entspricht sie dem Bild von Pariser Eleganz und Schick. Der Stil ȱ£ȱ§Ğȱȱȱě§ǰȱ wenn man ihn mit dem der anderen Kandidatinnen aus dem linken
25 C·Ȭ·ȱȱȱȅ£ȱĴȂDZȱ·¸ȱ¢ȱ gehört zwar zur sozialistischen Partei, erscheint aber wie aus dem politisch rechten Lager – Nicolas Sarkozy dagegen gibt sich volksnah, obwohl er zur konservativen Partei gehört. 26 Sehr beliebte Fernsehsendung, die täglich kurz vor den 20 Uhr-Nachȱȱ ȱȱȱȱ£ȱȱȱĠȱȱ Fernsehnachrichten nachahmt. Alle Charaktere sind darin durch MaĴȱȱǻǯȱȬ ¢ȱŘŖŖŗǼǯ 27 Es handelt sich um ein Wortspiel: ‚Prolo’ ist eine Wortschöpfung aus Polo(shirt) und Prolet.
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politischen Lager vergleicht28, wie zum Beispiel Marie-George BufǰȱĴȱȱȱȱ¢ǰȱȱȱ§ȱ Kleidung tragen, zumeist Hosen und weite Pullover aus Naturstoffen. Wenn diese Kleidung bewusst ausgewählt wurde, so soll damit vor allem der Eindruck erweckt werden, als sei dies eben nicht bewusst geschehen, als würde Kleidung nicht zur Selbstdarstellung dienen, sondern nur ein simples Accessoire sein. Damit lässt sich die Wahl der Kleidung von Royal auf zwei Gründe zurückführen: Ihre ideologische Verankerung (als Alternative zur sozialistischen Linken oder sogar zum extrem linken Lager) spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass keine der ȱ ȱȱȱȱĴǰȱȱȱ£ȱ ergreifen. Im Gegensatz zu Ségolène Royal müssen sie daher keine legitime Macht verkörpern. Ǯȱ ȱ ȱ ǽǯǯǯǾȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ethischen Programm“29, behauptet Gaxie (1993: 28). Die Unterscheidung, die der französische Politologe hier vornimmt, erinnert an Bourdieus (1979: 499) Einteilung zwischen dem ‚verkörperten Programm’, das durch den Habitus des Kandidaten verraten wird und dem ‚objektivierten Programm’, den klassischen, politischen Vorschlägen.30 Die Wortführerin der französischen Sozialisten, Ségolène Royal, bietet jedoch das Bild einer Frau aus dem rechten politischen Lager und trägt so zur Störung der politischen Nachricht bei, die sie selbst aussendet. Es stellt sich die Frage, ob dieses politische Ethos nicht auch ȱȱ£ęȱȱ ȱȱȱȱ verstärkt wird. Die körperliche Zurückhaltung von Ségolène Royal ȱȱ §ǯȱȱȱȱǰȱȱ ȱĴȱ Laguiller, die Spitzenkandidatin der trotzkistischen Partei, eine größere Lockerheit an den Tag legt. Das Ethos, das in Anlehnung an Bourdieu einer sozialen Schicht zugeschrieben wurde, lässt sich ȱ ȱ ȱ ȱ £ęȱ ȱ ǯȱ Frauen zeichnen sich eher als Männer durch einen körperlichen Habitus der Zurückhaltung aus: Eine Frau zieht ihren Bauch ein, spannt ihr Gesäß an, bemüht sich darum, möglichst gerade zu
28ȱ ȱȱȱȱȱȱȱ§Ğ ȱŘŖŖŝȱ keine Frauen. 29 Originalzitat:ȱȂȱȱȱǽǯǯǯǾȱȱȱȱȱ ȱ·ȱ·. 30 Bourdieu spricht hier vom ȱ· und ȱȬ ·.
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stehen, nimmt ihre Schultern zurück und macht keine unangemesȱ ȱǻǯȱ ěȱŗşşŞǼǯȱȱ ȱȱ·¸ȱ¢ȱ ȱěȱȱȱ ȱ ȱûǯȱȱ wenn man der Argumentation Bourdieus (1979) folgt, kann man sagen, dass der Körper mehr sagt als Worte. Damit ist nicht nur die soziologische Dimension an der Verkörperung der Kandidatin ǰȱ ȱ ȱ ȱ £ęȱ ǰȱ ȱ ȱ Ausgangslage noch komplexer werden lässt.
юѠȱ ђѠѐѕљђѐѕѡDZȱ ђѠѡђієђџѡђȱѫћћљіѐѕјђіѡȱѣђџѠѢѠȱ ђјђћћѡћіѠȱѧѢџȱђіяљіѐѕјђіѡȱ Die Frage des Geschlechts, die auf dieser Ebene des politischen Ĵȱ ȱ ǰȱ ěȱ ȱ ãȱ ȱ ȱ ȱ grundsätzlichsten Form: in ihrer sexuellen Komponente. In Frankreich ringen zum ersten Mal in der Geschichte ein Mann und eine Frau um das höchste Amt im Staat, wobei die Inszenierung der Körper in den und durch die Medien dieser Dimension der politischen Verkörperung einen bedeutsamen Platz einräumt. In einem bemerkenswerten Beitrag haben die Soziologin Catherine Achin und die Philosophin Else Dorlin (2007) dargelegt, wie die sozialisȱ§Ğȱȱȱȱ ȱȱ die Männlichkeit des UMP-Spitzenkandidaten ausgebaut hat. Nicolas Sarkozy hat wie kein anderer Politiker zuvor das Geschlecht als Argument genutzt und seine Männlichkeit in Szene gesetzt.
іѐќљюѠȱюџјќѧѦDZȱіђȱ ќћѠѡџѢјѡіќћȱђіћђџȱ єђѠѡђієђџѡђћȱѫћћљіѐѕјђіѡ Die Ministerien, in denen Nicolas Sarkozy im Amt war, das Haushalts-, Finanz- und Innenministerium, sind Regierungsministerien schlechthin. Als Innenminister, ein Amt, das er jahrelang bekleidete, hat er sich das Image eines Ě aufgebaut, eines ‚repressiven SuperȂǯȱȱȱĞȱȱȱȱȱȱŘŖŖśȱûȱ das ‚Gesindel’ und den ‚Kärcher’ während der Krawalle in einigen Pariser Vororten erinnert.31 31 So konnte sich Nicolas Sarkozy dank der Krawalle in den Pariser Vororten, die als soziale Brennpunkte gelten, im Herbst 2005 endgültig
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Dies ist umso bedeutsamer, da, wie Achin und Dorlin erwähnen, zwei alte Hypotheken den konservativen Politiker belasten: Zum einen sein Ruf als Verräter, da er im Jahr 1995 Eduard Balladur und nicht seinem Mentor und Ziehvater Jacques Chirac bei der Kandidatur um das Staatspräsidentenamt den Vorzug gab und zum anderen sein Ruf als gehörnter Ehemann, da ihn seine Frau wegen eines Anderen verlassen hat. In beiden Fällen bestand die Gefahr, dass seine Männlichkeit in Frage gestellt wird: Der Verräter ist derjenige, der gegen den männlichen Ehrenkodex verstößt und der gehörnte Ehemann ist der, der ‚nichts in der Hose hat’ oder zumindest nicht genug.32
ѼєќљѽћђȱќѦюљDZȱ іћђȱђіћєђѓќџёђџѡђȱђіяљіѐѕјђіѡ Ségolène Royal bekennt sich indessen ausdrücklich zu ihrer Weiblichkeit. Sie ist sicherlich die erste französische Politikerin in einer ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ǯȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ weibliche Parteimitglieder eher für die entgegengesetzte Strategie entschieden und es abgelehnt, ihr Geschlecht in den Vordergrund zu stellen.33 Diese Verneinung des Geschlechts wurde durch Michèle Alliot-Marie perfektioniert, die, als sie unter de Villepin als ‚Kerl, der was in der Hose hat’ durchsetzen. Er erklärte damals: Ǯȱȱȱ£ȱȱȱȱ ǰȱǰȱ ȱ ȱ ȱȱǯȃȱȱǮȱ ȱ ȱ ǰȱȱ ȱȱ ȱĴȱûȱǰȱȱȱȱ ȱȱ dem Kärcher gesäubert“, wobei er mit den Ausdrücken ‚Gesindel’ ȱ ȅȱ ȱ §ȱ §Ȃȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ reich auslöste (25.10.05). 32 Dieses Bild seiner gesteigerten Männlichkeit wurde im Laufe des Wahlkampfes noch komplexer, da Sarkozy auch Sentimentalität und Zerbrechlichkeit verkörperte: siehe die wiederholte Anspielung auf ȱȅ£Ȃȱȱȱȱ ǮȱȱȱȱȃȱǻȱȱśǯȱȱŘŖŖŝǼȱȱǮȱȱȃȱǻȱ vor Jugendlichen am 18.März 2007, beides zitiert nach Le Monde). 33 Weiter oben wurden bereits die zwei Ereignisse erwähnt, die sich als Trauma für Politikerinnen erwiesen haben: die Entlassung von Edith Cresson, erste und bislang einzige Premierministerin, und die Entlassung der Ministerinnen aus der ersten Regierung von Alain Juppé ȱ ȱŗşşśǯȱȱȱěȱȱ¡ȱǰȱ
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Verteidigungsminister war, auf der Verwendung der männlichen Berufsbezeichnung bestand und, analog zu ihren männlichen Kollegen, stets nur Hosenanzüge trug. Royal hingegen arbeitet mit ihrer Weiblichkeit. Als sie von einem Journalisten gefragt wurde, welchen Unterschied es zwischen den drei KandidatInnen zur Spitzenkandidatur der sozialistischen Partei gebe, also zwischen ihr, Dominique Strauss-Kahn und Laurent ǰȱ ȱ DZȱ Ǯȱ ȱ £ȱ ȱ ȃ34 (zitiert nach Le Monde 19.10.06: 10). Auf dieses Argument kam sie im Laufe ihres Wahlkampfs immer wieder zurück. Am 19. Februar 2007 sagte sie in der Sendung Ȃȱȱȱ¥ȱȱ (TF1 2007): Ǯȱȱȱ ȱûȱȱǰȱȱȱǰȱȱȱment für Frankreich gekommen ist, eine Frau als Staatsoberhaupt zu haben.“35ȱȱȱĞĴȱȱȱȱDZȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ǯȱ ȱ ȱ ȱ Frauen ist der Wille zur Veränderung extrem stark“36 (zitiert nach Le Monde 17.4.07). Gleichzeitig bietet Royal französischen Politikerinnen ein neues Vorbild an, indem sie die bisher vorherrschenden Rollenbilder neu zusammensetzt: den Politikerinnen-Typ der ‚Favoritin’ wie ȱ ǰȱ ȱ ¢ȱ ȅûĴȂȱ ȱ ȱ ǰȱ ǰȱ ȱ Achin und Dorlin, den Typ ‚La King’ wie Michèle Alliot-Marie oder Margaret Thatcher, Frauen ohne Kinder oder solche, die es ablehnen, ihre Weiblichkeit in der Vordergrund zu stellen.37 Unter dem Schutz des ‚Fürsten’, ihrem politischen Ziehvater ³ȱĴǰ38 löste Ségolène Royal Anfang der 1990er Jahre ȱȱǰȱȱȅȂȱ£ȱǰȱȱȱȱĴȱ
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die in Frankreich im politischen Umfeld herrscht und sich bei solchen Gelegenheiten äußert. Originalzitat: Ȃȱȱȱȱǰȱǯȱ Originalzitat: Ȃȱȱȱȱȱȱǰȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȂȱȱȱ¥ȱȱ·ȱȱȱ ·ǯ Originalzitat: Ȃȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ǰȱ Ȃȱ ȱ ȱ¡¹ȱȱȂȱȱǯ Edith Cresson und Michèle Alliot-Maire wurden bereits erwähnt. Simone Veil, Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, war Gesundheitsministerin in verschiedenen Regierungen des rechten Parteispektrums. Royal war Ministerin und Staatssekretärin in beiden Legislaturpeȱȱ³ȱĴǯȱȱȱȱȱȱȱȱ ihrem Wahlkreis ȱ ¡ȱ ¸, und setzte sich trotz deutlicher
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in den Vordergrund rückte. Es ist die Zeit der weiten Kleider mit ǰȱȱȱãǰȱȱ ȱȱĚȱ Schuhe. Es ist auch die Zeit, in der sie Journalisten auf die Entbindungsstation bestellt, um die Geburt ihrer jüngster Tochter Flore wenige Stunden nach der Entbindung - in Szene zu setzen; die Zeit, ȱȱȱȱȱȱ ȱĴȱǯȱȱ ihren vier Kindern und den Regierungsämtern, die allesamt der traditionellen Festlegung von Frauen auf soziale Bereiche in der Politik entsprachen,39ȱãȱ·¸ȱ¢ȱȱûĴȱ ¢ȱǯȱǮȱ ȱûȱȱ ȱȱǰȱ ȱȱ mir für meine eigenen Kinder gewünscht habe“, verkündete sie während einer politischen Versammlung am 11. Februar 2007 in ȱȱȱDZȱǮȱ ȱȱûȱȱȱǽǯǯǯǾȱ Frankreich braucht Zärtlichkeit. Es wurde ihm so sehr verwehrt [...]. Das was zählt, ist die Art, wie wir uns gegenseitig lieben, mit unseren Unterschieden“40 (zitiert nach Le Monde), so zum Beispiel am 4. Mai 2007 in Brest. Sie kann aber auch gelegentlich hart durchǯȱȱȱȱ ȱǰȱȱЧȱ§ȱ zu betreuen. Diese autoritäre Art trägt dazu bei, ihr Image als ȅtĴȂȱ£ȱ§ǯ ȱȱȱȱȱĴȱȱǰȱȱȱzosen entdecken, als Ségolène Royal für die Spitzenkandidatur der sozialistischen Partei antrat. Auf ihre körperliche Verwandlung ȱȱ ǯȱȱȱ ȱğǰȱȱȱȱûȱ die weibliche Eleganz entschieden: Sie hat selten Hosen an, ihre eng anliegenden Kleider unterstreichen ihre schlanke Figur, ihr Schmuck ȱě§ǰȱȱ§ȱȱǰȱ£ȱ§ȱȱ ûȱ Ĵǯȱȱãȱȱȱ§ȱĴǰȱȱȱ zu ihrer Weiblichkeit bekennt und elegant und sexy ist. Mit diesem neuen Modell zieht sie den Hass mancher Feministinnen auf sich,
Schwäche der Linken gegen einen rechten Abgeordneten durch. Die §Ğȱȱ·¸ȱ¢ȱ ȱȱȱȱĴȱûǰȱȱȱȱȱ£ǯ 39 Ségolène Royal war Ministerin für Jugend und Sport (1982-1984), So£ȱ ǻŗşŞŚȬŗşŞŞǼǰȱ ȱ Ğȱ ûȱ ȱ ȱ ǻŗşşŝȬŘŖŖŘǼȱȱ££ȱĞȱûȱǰȱ ȱȱderte (2000-2002). 40 Originalzitat: ȱȱȱȂȱȱȱǽǯǯǯǾȱȱȱȱȱȱȬ ǯȱȱȱȱȱ·ȱǽǯǯǯǾȱȱȱȱǰȱȂȱȱ¸ȱ ȱȱȱȱȱȱȱǰȱȱȱě·.
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die ihr ein doppeltes Zugeständnis an das chauvinistische Diktat ǰȱ ȱ £ȱ ȱ £ȱ ȱĴȱ aus.41
іђȱџќѡќљќєіђȱёђџȱќљіѡіј Die derart inszenierten und zur Schau gestellten Körper ermöglichen den WählerInnen eine Interpretation, die wahrscheinlich nicht frei ȱęȱȱȱȱȱȱȱĞȱ getrennt werden kann. Zwei Punkte sollen hier besonders hervorgehoben werden, weil sie die Rezeption der sozialistischen Kandiȱȱȱ§ȱěDZȱȱȱȱ Ğȱ ȱ ȱĴǰȱ ȱ ·¸ȱ ¢ȱ £ȱ wurde, und zum anderen die zahlreichen Bezeichnungen, die für die Kandidatin gefunden wurden. ȱ ȱ ȱ ğǰȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ đȱȱ DZȱǮ·¸ȱ¢ǰȱȱȱ ȱ das Bild ohne den Ton“, so Valérie Pécresse, Pressesprecherin von ȱ£¢ǯȱǮȱ§ȱȱȱȱĞǰȱ ȱȱȱãcke wechselt“, meinte Michèle Marie-Alliot, und Laurent Fabius ȱ ȱ £ȱ ȱ DZȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûǵȃȱ Ǯȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ lesen.“ sagte Dominique Strauss-Kahn über Royal (alle zitiert nach
41 Gleichzeitig wurde der langjährige sozialistische Parteivorsitzende und Lebenspartner von Ségolène Royal, François Hollande, zunehmend als ‚weiblich’ wahrgenommen: seine etwas pummelige Figur, sein Bemühen um Konsens und seine ablehnende Haltung Konflikten gegenüber decken sich mit vermeintlich weiblichen Stereotypen. In ȱ ȱȱȂ gab es zudem Sketche der Reihe MaȬ ȱȱȱĴ, was soviel bedeutet wie ‚Madame hat die Hosen an’, und Djamel Debbouze, ein französischer Komiker, erklärte sich zum ‚Royalisten’, nur um François Hollande als ‚Première Dame’ von Frankreich zu sehen (Canal Plus 2006a). Nach und nach ins Abseits des Wahlkampfs gedrängt, überließ Francois Holland seinen Platz einem anderen Mann: Thomas Hollande, Sohn des Paares, der mit ·¸ȱ¢ȱȱ ãȱȱǰȱ ȱȱȱĴȱ ĞĴȱȱ£ȱǰȱȱȱǰȱǯȱȱ ȱ 2007 schließlich trennten sich Ségolène Royal und François Hollande auch im ‚wahren Leben’.
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Libération 10.4.07: 3).42ȱ ȱ ȅě§Ȃȱ ȱ ȱ £ãȱ Ȭ U-Boote und um das Telefonat mit dem vermeintlichen Premierminister von Québec43 verfolgen eine ähnlich sexistische Logik wie die ȱȱ£ȱȱȱȱ ĞȱDZȱ Einige Vorschläge des Programms von Ségolène Royal wurden Ğȱǰȱ ǰȱ ȱȱĞ Ğȱȱ Ĵȱ ǰȱ ȱ ȅ Ğȱ§Ȃȱ ȱ gramms von Nicolas Sarkozy von niemandem aufgedeckt wurden (Libération 9.4.07: 25). Auch die insgesamt sehr kritische BerichtĴȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱȱĴȱȱ§ȱȱȱ ǯȱȱȬǰȱĞȬȱȱđDZȱȱȱ ȱ des Staates, Bereiche, die Männer bislang quasi allein vorbehalten waren. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die scharfe Kritik, die der Kandidatin begegnete, sich auf diese Punkten konzentrierte, was ȱȱ¡ȱȱȱĴȱ£ǯ Noch nie wurden so zahlreiche Bezeichnungen für eine PräsiĞȱ ǰȱ ȱȱȱȱ·¸ȱ¢ǰȱ wobei diese Fülle von der Stärke der durch die Kandidatin hervorgerufenen Vorstellungen zeugt. Royal wurde in den Medien lange Zeit aufgrund von Umfrageergebnissen als ‚Favoritin im Rennen’ £ǰȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ · und auf die Geliebte des Königs verweist und so mit dem Namen Royal spielt. Weitere Bezeichnungen waren zum Beispiel Ȭ, IkoȬ ne, Madonna, ȱ , Marianne, Juno, Klytämnestra, Walküre und .44 Diese ‚Spitznamen’ stellen alle einen Bezug zum
42 Originalzitate: ·¸ȱ¢ǰȱȂȱȂȱȱȱ (Valerie Pécresse); ȱȱȂȱȱȱ (Michèle Alliot Marie); Qui va garȬ ȱȱǵ (Laurent Fabius); ȱȱ¡ȱȱȱȱ£ȱȱ ȱȱȱȱęȱ (Dominique Strauss-Kahn). 43ȱ ȱ ȱ ·ȱȱĴȱȱ ȱǰȱȱȱ sich am Telefon für den Premierminister von Québec ausgegeben hatǯȱȱ ȱ Ȭ ȱȱȱȱȱĴȱ dagegen Ségolène Royal in einem Interview in die Enge getrieben und sie dazu gezwungen, ihre Unkenntnis hinsichtlich der Anzahl französischer Atom-U-Boote einzugestehen. 44 Ein systematisches Verzeichnis dieser ‚hochtrabendenden’ Bezeichnungen in der Presse ist in Bearbeitung. Dies sollte ermöglichen, die Image-Matrix zu aktualisieren, die zur Konstruktion der Person Ségolène Royal beigetragen hat.
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ȱ ȱȱ ȱǰȱǰȱȱȱȱȱȱĴĞȱ wie bei Klytämnestra, die Verführung wie bei Ȭȱoder Sex, indirekt wie bei Walküre oder geleugnet wie bei Madonna, beziehen. ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ die Bezeichnungen für Nicolas Sarkozy, die dennoch, wie im Fall seiner weiblichen Kontrahentin, auf die Bedeutung der geschlechts£ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ hinweisen. Es soll kurz auf ein Zitat aus einem Leserbrief in der Tageszeitung Le MondeȱǻŗŚǯŚǯŖŝǼȱȱ DZȱǮȱȱ Politiker darf – wenn ich so sagen darf – kein ,Weichei‘ sein“.45 Diese Formulierung, mit der der Leser seine Präferenz für den ‚draufgängerischen ·Ȃ in Sarkozy zum Ausdruck brachte, entspricht der stereotypen Darstellung des UMP-Kandidaten, der ȱȱ£ãȱȱ§ȱȱ§ęȱȱ· dargestellt wurde, und lässt zugleich tief in das Imaginäre blicken, das bereits als ‚Erotologie der Politik’ bezeichnet wurde. Dieses Imaginäre ist verankert in einer uralten Vorstellung des Landes Frankreich als Frau, die erobert werden will, und ihrem Repräsentanten als Mann, auf den sie wartet. Diese Erotisierung der Beziehung zwischen einem Land und seinem Herrscher wird ȱ ȱ ȱ ȱ ¡ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ £hung zwischen Ehemann und Ehefrau46 thematisieren und von der £ȱ£ ȱȱȱȱȱ Ğȱ inspiriert ist, formuliert. Ernst Kantorowicz (1989: 160) bemerkt, dass das Konzept der politischen ‚Körperlichkeit’ eine unerschöpfȱȱȱȱǯȱȱȱDZȱǮ ȱęȱȱ moralische und politische Vermählung zwischen dem Fürsten und der ȱȱĴǯȱûȱǰȱȱ ȱȱȱȱ Ĵȱȱ£ ȱȱ ȱȱȱû§ȱ geschlossen wird, wird eine vergängliche und irdische Verbindung zwischen dem Fürsten und dem Staat geweiht“ (zitiert nach ebd.). Diese Metapher wird zur Rechtsgrundlage der Beziehung zwischen dem König und seinem Reich: Bei seiner Krönung wird ihm ein Ring überreicht, durch den er ‚feierlich mit seinem Königreich vermählt’ wird, während er durch dieselbe Zeremonie die ȱ, sprich ȱȱǰȱȱĞȱ§ǯȱȱ £ȱ stellt im Übrigen fest, dass die Metapher der Ehe in Frankreich am weitesten entwickelt ist (ebd: 164f.). Auch Jules Michelet (1952) 45 Originalzitat:ȱȂȱȱ·ȱȱ¹ȱȬȱȱȂȱȱȬȱǰȂ. 46 Heteronormativität ist in der französischen Geschichte und auch in der Gegenwart fest verankert.
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erinnert in der Einleitung seines Buches ȱ ȱ ȱ ·ȱ françaiseȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ zosen dazu veranlasst, sich wie in einer Art Liebesbeziehung mit ȱ ȱ £ȱ ę£DZȱ Ǯȱ £ȱ §ȱ ȱ war die der Monarchie. Es geht hier nicht um eine reine Formfrage, ȱ §ęȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ §£ȱ ǰȱ intimer und beharrlicher als alle anderen Fragen in Frankreich, eine Frage, die nicht nur politisch ist, sondern bei der es auch um Liebe und Religion geht. Kein anderes Volk hat seine Könige je so sehr geliebt“ (ebd.: 62). Diese Liebesbeziehung, die der Historiker zwischen dem Souverän und seinem Volk erkennt und die die ȱȱĴȱ¢ȱȱǰȱęȱȱ heute noch, wenn auch in abgewandelter Form, in der Beziehung zwischen dem Land und seinen Regierenden wieder, vor allem zu einer Zeit der Verführung, wie sie der Wahlkampf darstellt. Diese Metapher, die in der weit zurückliegenden Vergangenheit westlicher Monarchien verankert ist, erklärt zahlreiche Verhaltensweisen und Formulierungen, sowohl der KandidatInnen als auch der französischen BürgerInnen.47 Ohne das Wahlergebnis auf eine Entscheidung der Franzosen für das männliche Modell und gegen eine Frau zu reduzieren48, so ȱȱȱ ǰȱȱȱȱ§Ğwahlen die big mother, wie der Titel eines Buches über Ségolène Royal von Michel Schneider (2002) verdeutlicht, verloren hat. Das ‚neue Modell der Weiblichkeit’, das Ségolène Royal im Wahlkampf 47 Eine abgeschwächte Version dieser Logik stellten die ‚eleganten‘ Vorschläge von Dominique de Villepin, damals Kandidat für die PräĞȱȱǰȱǰȱ ȱȱȱ ȱ Franz-Olivier Giesbert glauben darf: ȱȱȱȱȂȱȱǯȱ ȱȱ·ȱȱȱǯȱȱȱȂȱ¥ȱȱȱ·ǰȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱǰȱȱȱǰȱȱȬ apan, un maraudeur (Giesbert 2006: 382f.). Dies bedeutet soviel wie Ǯȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ Person, die die nächsten Wahlen gewinnt, das wird kein Funktionär der Politik sein, sondern ein Saisonarbeiter, ein Strolch, ein Marodeur.“ 48 Die Gründe für die Niederlage von Ségolène Royal sind zahlreich: ȱȱȱĴȱȱȱ£ȱȱȱ ȱ ȱ §Ğ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ohne die Unterstützung seiner eigenen Partei gewonnen. Die geringe ȱȱ ǰȱ§ȱȱȱ Ěȱȱȱ Partei, hat zur Verunsicherung der Bürger beigetragen.
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ
angeboten hat, hat sicherlich viele Franzosen, die seit Jahrhunderten daran gewöhnt sind, das Staatsoberhaupt mit einem Mann zu assoziieren, vor den Kopf gestoßen. Zwar wäre wünschenswert, dass Marie-Ségolène Royal, schon allein aufgrund ihres Namens49, den ȱȱȱȱȱȱȱ§Ĵȱȱ können, doch: Es kam nicht dazu. In der sich widerspiegelnden £ȱ £ ȱ ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ ȱ ǰȱ der den BürgerInnen durch die beiden KandidatInnen vorgehalten wurde, hat die Verkörperung des männlichen Kandidaten Nicolas Sarkozy die Erwartungen von 53 Prozent der Franzosen erfüllt. Ségolène Royal hat sich der Herausforderung gestellt und ein neues Bild einer Politikerin angeboten, jedoch hat sie es nicht ğǰȱȱȱȱ£ȱȱ£ãȱûȱȱ zu gewinnen. In Frankreich wird die Republik durch die Marianne symbolisiert, weibliches Symbol schlechthin, während die höchste Macht im Staat weiterhin von einem Mann verkörpert wird. Auch wenn ȱ£ȱ§Ğ ȱȱȱãȱǰȱȱ ȱȱȱ£ȱ£ȱȱȮȱ ȱȱĚȱȱȱȱzösischen Unterbewusstsein verankerten Vorstellungen bestätigt wurde – so haben sie jedoch eine Verschiebung der Grenze und ȱ ȱ Ĵȱ ǰȱ ȱ ȱ £ȱ beitragen wird, dass eines Tages aus dem Symbol der Marianne Realität wird. ǻt£ȱȱȱ£ãDZȱ·ȱ Ǽ
іѡђџюѡѢџ Achin, Catherine/Dorlin, Elsa (2007): J’ai changé, toi non plus. MouveǰȱDZȱĴDZȦȦ ǯǯȦǯǵŚŘDzȱśǯŞǯŘŖŖŞǯ Achin, Catherine/Lévêque, Sandrine (2006): Femmes en politique. Paris: La découverte. Bernstein, Serge (Hg.) (2003): Les cultures politiques en France. Paris: Seuil. Bertini, Marie-Joseph (2002): Femmes, le pouvoir impossible. Paris: Pauvert. 49ȱ ȱ ¢ȱ ƽȱ ãȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ Ȭ Ĵǯ
Coulomb-Gully: Napoléon siegt über Marianne
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Bourdieu, Pierre (1979): La distinction. Paris: Éditions de Minuit. Bourdieu, Pierre (1980): Le sens pratique. Paris: Éditions de Minuit. Canal Plus (2006a); Le Grand Journal. Canal Plus (2006b); Les Guignols de l’Info. Coulomb-Gully, Marlène (2001): La démocratie mise en scènes. Paris: CNRS Éditions. Coulomb-Gully, Marlène (2003): Rhétorique télévisuelle et esthétisation politique: le corps (en) politique. In: Simone Bonnafous/ Pierre Chiron/Dominique Ducard/Carlos Lévy (Hg.): Argumentation et discours politique. Rennes: PUR, S. 121-130. Destrez, Christine (2002): La construction sociale du corps. Paris: Seuil. Carles, Pierre (2006): La sociologie est un sport de combat (Die Sozioȱȱȱ ǼǯȱȱǰȱDZȱȱǰȱĴDZȦȦ ǯ £ǯȱȱĴDZȦȦǯ¢ǯȦȦǵƽŚŞDzȱŘŝǯŞǯŘŖŖŞǯ Fraisse, Geneviève (1995): Muse de la raison. Démocratie et exclusion des femmes en France. Paris: Gallimard, Folio. France 2 (2006): A vous de juger. Gaxie, Daniel (1993): La démocratie représentative. Paris: Montchrestien. Giesbert, Franz-Olivier (2006): La tragédie du Président. Scènes de la vie politique (1986-2006). Paris: Flammarion. ěǰȱȱǻŗşŞŞǼDZȱȱȱȱȱ··ǯȱDZȱȱments et leurs hommes. Paris: Seuil/Minuit. Kantorowicz, Ernst (1989): Les deux corps du roi. Paris: Gallimard.
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юѠȱџѫѠіёђћѡђћѝююџȱ юѢѓȱёђњȱќѢљђѣюџё Privatheit und politische PR in Frankreich юяіћђȱђєєђљјђ In Frankreich ist die mediale Präsentation von Politik heute zunehmend durch Phänomene der Boulevardisierung gekennzeichnet. In der politischen Kommunikation des derzeit amtierenden Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy sind Prozesse der Personalisierung, Emotionalisierung, Intimisierung und Visualisierung in einem Ausmaß sichtbar geworden, die dem Präsidenten in der Medienöfȱȱ ȱȱ̧ȱ£ȱ einbrachte. Im Folgenden soll die Boulevardisierung von Politik in der Geschichte der V. Republik (das heißt seit 1958) anhand der politischen PR des Staatpräsidenten untersucht werden. Da die mediale Popularisierung von Politik die Medien für neue Akteure ȱȱȱȱĞǰȱ§ȱȱ ȱ ȱ Ĵȱ ãěǰȱ ȱ ȱ ǰȱ den Schwerpunkt der Untersuchung auf eine Person aus dem persönlichen Umfeld des Staatspräsidenten zu legen: die Ehefrau des Präsidenten, die Première Dame. Die Rolle, die der Première Dame in der politischen PR am Ely·ȱ£ǰȱěȱȱ ȱ£ãȱ JournalistInnen an das Privatleben von PolitikerInnen. Während diesem in den USA wie in Großbritannien große politische Bedeutung zugemessen wird, gilt es in Frankreich traditionell als journalistisches Tabu. Es lässt sich jedoch die Hypothese aufstellen, ȱ ȱ ȱ £ãȱ ãěȱ ȱ ȱ £ȱȱǮ¢ȃȱȱǻ¢ȱŗşŞřDZȱřŜǼȱ§ȱĴȱȱȱȱȱȱ des vorgeblichen journalistischen Tabus besonders gut funktioniert (Seggelke 2007).
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£ãȱ Ğȱȱzwar, ȱȱ£ãȱȱȱě§ȱȱǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ Zusammenhang stehen. Begründet wird dies unter anderem mit ȱ§ȱȱ[ěǰȱȱ ȱȱȱsönliche Umfeld der PolitikerInnen, sondern auf deren Einsatz für ȱãěȱȱ£ȱǻȱŘŖŖŗDZȱřŝǼǯȱ £ȱȱȱ jedoch führenden PolitikerInnen immer wieder gelungen, in den Medien eine genau auf die gerade vorherrschenden Erwartungen ȱ ãěȱ ȱ £Ĵȱ ȱ £ȱ ǯȱ Die Rolle, die der Première Dame, der Ehefrau des Staatspräsiǰȱȱȱȱ[ěȱ£ǰȱěbart, dass der Umgang mit dem Privatleben des – bisher immer männlichen – französischen Staatspräsidenten keinesfalls einem einheitlich vorgegebenen Muster folgt. Bevor daher die Rolle der Ehefrauen der Staatspräsidenten von 1958 bis heute im Einzelnen untersucht werden soll, gilt es, die Grundlagen der sozialen und ȱĞȱȅȁȱȱȱȱ tion Frankreichs zu klären und sich sowohl den rechtlichen Rahmenbedingungen als auch der politischen Kommunikationskultur (zum Theorieansatz vgl. Pfetsch 2003) zuzuwenden. Methodisch stützen sich folgende Überlegungen auf eine qualitative Analyse der Presse und audiovisueller Dokumente sowie 30 leitfadengestützte Experteninterviews mit GesprächspartnerInnen aus hoher Verwaltung, PR und Journalismus (Seggelke 2007).1
џіѣюѡѕђіѡȱіћȱёђџȱѝќљіѡіѠѐѕђћȱ
ќњњѢћіјюѡіќћȱџюћјџђіѐѕѠ ђѐѕѡљіѐѕђȱюѕњђћяђёіћєѢћєђћ Rechtlich ist das Privatleben von PolitikerInnen in Frankreich geradezu unantastbar. Anders als in Deutschland, wo die Rechtspreȱȱȱȱ££ęȱ §ȱ
1
Dank der ¸ȱȱ (INA) konnten auch audiovisuelle Dokumente in die Untersuchung eingebracht werden. Vier Typen von Fernsehsendungen wurden hier unterschieden: Interviews der Staatspräsidenten; Pressekonferenzen der Staatspräsidenten, Ansprachen der Staatspräsidenten; Wahlkampfsendungen (Wahlwerbespots und Fernsehduelle); Dokumentationen und Sondersendungen (Seggelke 2007: 14).
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ
zwischen dem Informationsinteresse der Allgemeinheit und dem Persönlichkeitsrecht einer von den Medien thematisierten Person geprägt gewesen ist2, genießt der Schutz der persönlichen Ehre in ȱ§£ȱDZȱȱęȱȱ §ȱĴǯȱ Das Recht auf Privatleben ist in Art. 9 Code Civil ausdrücklich geschützt: ȱȱȱȱȱȱȱȱ·. Hinzu kommen seit dem Gesetz vom 17. Juli 1970 strenge strafrechtliche Regelungen.3 Selbst bei Prominenten ist die Aufnahme und Publikation eines Fotos außerhalb der Ausübung der eigentlichen Funktion nur mit Einwilligung erlaubt. Das französische Recht setzt den Schwerpunkt ȱȱ£ȱȱȱȱãěȱȱȱ ȱ ȱ [ěȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ǰȱ sondern auf die Art der Aktivität. Das Privatleben hört also nicht ǰȱȱ£ȱǰȱȱ ȱȱȱȱȱãěȱ £ȱ ęǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãȱ ȱ ȱ ȱ am eigenen Bild zu den absoluten Rechten; eine Einwilligung zur ãěȱȱȱȱ£ȱȱȱ ȱ werden (Neumann-Klang 1999: 82-85; Derieux 2001: 98-99). Diese Art ȱ ȱ erschwert der französischen Boulevardpresse, der presse people, manchen Bericht über einen Star oder prominenten Politiker (Pierrat 2003: 97).
ћѡѕҿљљѢћєѠїќѢџћюљіѠњѢѠ In Frankreich sind JournalistInnen, die investigativen Journalismus nach angloamerikanischem Verständnis betreiben möchten, nicht nur mit einem restriktiven Presserecht, sondern auch mit einem Amtsverständnis von PolitikerInnen konfrontiert, das Enthülȱȱ£ §Ğǯȱȱȱ¸ȱȱ
2
3
Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur BildberichterĴȱûȱȱȱȱȱȱȱȱ rigkeit des Abwägens zwischen den Belangen des Abgebildeten und ȱ ȱ ȱ [ěȱ £ǯȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ §ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ Ĵ¡ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ scheinbare Belanglosigkeiten ihres Alltagslebens zulässig sind. Die [ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ£Ĵ¢ȱ§ȱȱȃȱǻǯȱ ȱŘŖŖŞǼǯ Vgl. Art. 226-1 bis 226-9 ȱ·ǯ
Seggelke: Das Präsidentenpaar auf dem Boulevard
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ȱ ȱ DZȱ ǮǽdzǾȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ Linie auf die Hingabe des Politikers an das Gemeinwohl und seine Selbstlosigkeit ab“ (2001: 37).4 Dieses Amtsverständnis steht in bewusstem Gegensatz zum Herrscherverständnis des Absolutismus, in dem das Privatleben der Herrschenden, verkörpert durch deren Geliebte – etwa Diane de Poitiers, Madame de Maintenon und Madame du Barry, die Geliebten von François I., Louis XIV. und ȱǯȱȮȱđȱĚȱȱȱȱûȱ (Bacqué 2004). Tatsächlich sind die meisten heute in Frankreich ȱ ȱ Ğȱ ǯȱ ȱ Journalismus gehört allerdings nach wie vor nicht zu den Stärken der französischen MedienvertreterInnen. Die Tradition des französischen Meinungsjournalismus und die engen persönlichen Beziehungen zwischen journalistischer und politischer Elite, die so genannte , haben dazu geführt, dass die Arbeitsweise des angloamerikanischen Enthüllungsjournalismus, der bestrebt ist, seine Unparteilichkeit unter Beweis zu stellen, schwach ausgeprägt ist (vgl. Thogmartin 1998: 268). Von wenigen Ausnahmen wie der satirischen Wochenzeitung ȱ ȱ É· abgesehen, geht die Aufdeckung von Skandalen weniger von der journalistischen ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ǻȱ Ȧ Delporte 2003: 320). Enthüllungsberichte haben zudem weniger ȱûĴȱȱěȱ£ȱȱȱ£ȱǯȱĴȱ werden sie als Belastung der politischen Kultur in Form von Wahlenthaltungen und Misstrauen gegenüber der Politik wahrgenommen (Gerbaud 1993: 152). Französische JournalistInnen sehen im Respekt des Privatlebens eine verdienstvolle exception française. Catherine Pégard, Chefredakteurin des Wochenmagazins Le Point und derzeit Beraterin von Präsident Sarkozy, berichtet etwa im Experteninterview, wie sie mit dem Unverständnis ausländischer Kollegen konfrontiert wurde: … es stimmt schon, dass wir in Frankreich eine außergewöhnliche Beziehung dazu haben, und ich verstehe sehr gut, dass das für Überraschung sorgt. Ich erinnere mich, dass ich einmal Fotos gesehen habe, ich glaube, das war im Canard enchaîné, wo man ȱȱȱ£ȱȱȱĞȱȱȅȱ mit einer seiner Bekannten’, nun ja. Und ich erinnere mich, dass
4
Im Original: ǯǯǯȱȱȱ·ǰȱǯǯǯȱȱȱȱȱȱ·Ȭ ȱȱȂȱȱ¥ȱȱȱȱȱȱȱ··Ȭ ment.
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ ein Kollege von der Times mich anrief, um mich zu fragen ‚Aber was soll das heißen, eine Bekannte, ist das etwa seine Freundin?’ Und ich, ich habe gesagt ‚Aber in Frankreich sagen wir das so, eine Bekannte. Verstehe dann wer will, je nachdem was man weiß – man weiß es übrigens nicht, was weiß man denn schon von dem Leben der anderen!’ Und für ihn war das so unglaublich, dass er in seinem Artikel den Ausdruck verwendete ‚eine Bekannte, wie 5 Cathérine Pégard sagen würde (zitiert nach Seggelke 2007: 208).
Der amerikanische Publizist Theodore Stanger kritisiert hingegen, ȱȱĴȱȱȱȱȱ ûǰȱ die nur Eingeweihten verständlich sind, vor allem der Selbstaufwertung einer kleinen Gruppe von Pariser StarjournalistInnen dient (2003: 65). In dieser Form hat die Boulevardisierung des Politischen indirekt die Funktion, die Zugehörigkeit zur journalistischen Elite zu betonen.
ȬћѠѡџѢњђћѡȱџђњіѽџђȱюњђӓȱ Im Folgenden wird die Rolle der Ehefrau des Staatspräsidenten in dessen politischer PR untersucht, da sie als Repräsentantin des Privaten einen konkreten Untersuchungsgegenstand für die Entwicklung einer psychologisierten PolitikerInnendarstellung in Frankȱǯȱȱȱ ȱȱĞĴȱȱPremière Dame in der politischen Kommunikation des Elysée zu erfassen, muss zwischen zwei Phänomenen unterschieden werden: Politiȱ ãȱ ȱȱěȱȱȱȱȱ Seiten selbstbewusst recherchierender JournalistInnen konfrontiert werden. Sie können jedoch andererseits ihr Privatleben gezielt als PR-Instrument einsetzen. Aus der Perspektive der PolitikerInnen
5
Im Original: dzȱȂȱȱȂȱȱȱȱȱȱ¸ȱ¸ȱ ¥ȱ³ǰȱȱǰȱȱȱ¸ȱȱȱ³ȱȱǯȱ ȱȱȬ ȱȱȂȱȱȱǰȱȱȱȱȂ·ȱȱȱȱÉ·ǰȱùȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱ·ǰȱȂ·ȱȁȱȱȱȱȱ ȂǰȱǯȱȱȱȱȱȂȱ¸ȱȱǰȱȱȂȱ···ȱ ȱ ȱ ȱ ȁȱ ȂȬȱ ȱ ³ȱ ȱ ǰȱ ȱ ǰȱ ǰȱ Ȭȱ ȱ Ȃ·ȱȱȱȂǰȱǯȱȱǰȱȂȱȱȁȱǰȱȱǰȱȱȱ ȱȂǯȱȱ¸ǰȱȱȱǰȱȱȱȂȱȱȮȱȱȱ ȱȱȂǰȱȂȬȱȂȱȱȱȱȱȱǯȱȱȱȱȂ·ȱ ȱ¢ȱȂǰȱȂȱȱȱȱȱȁȱȱȱ ǰȱȱȂ¡ȱȱ·Ȃǯ
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kann die Ressource Privatleben vier Funktionen zur Legitimitätssteigerung erfüllen: Demonstration von Nähe, Vereinfachung und Ablenkung von Sachfragen, Herstellung emotionaler Bindungen ȱĠǰȱȱȱȱȱ£ȱǻȱŗşşśDZȱ 397; Holtz-Bacha 2001: 23f.). Nähe suggerieren Berichte über den französischen Präsidenten insbesondere dann, wenn über Personen aus seinem persönlichen Umkreis berichtet wird. Dem Privatleben ȱ ȱ ȱ ãěȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ Mehrwert zu, denn es steigert die Aufmerksamkeit noch, die derartigen Berichten zuteil wird. Außergewöhnlich im internationalen Vergleich ist die ungleiche Rollenverteilung in der französischen politischen KommunikatiDZȱ ȱ ãě£ȱ ȱ ȱ ȱ JournalistInnen nicht gleichgestellt. Ersteren kommt die Initiative zu – letztere stellen lediglich das Medium dar und leiten jene Elemente des Privatlebens weiter, die PolitikerInnen preisgeben möchten. ȱȱ £ȱȱȱĞȱ£ȱ ȱȱ§ęȱȱȱȱȱǯȱȱ seiner inszenierten, von den PolitikerInnen selbst angebotenen ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ěȱ ǯȱ £ãȱ
Ğȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ das französische Fernsehen dagegen – anders als in den USA – an diesem Thema weniger interessiert ist (Korengold 1996: 28-35; Le Monde 12./13.05.02). Einzelne Fernsehsendungen spielten jedoch bei der Darstellung des Privatlebens als Element der präsidentiellen PR-Strategie durchaus eine entscheidende Rolle und werden im Folgenden in die Analyse einbezogen. £ȱ
ȱ§ Première Dame
1958-1969
Charles de Gaulle
Yvonne de Gaulle
1969-1974
Georges Pompidou
Claude Pompidou
1974-1981
Valéry Giscard d‘Estaing
Anne-Aymone Giscard d‘Estaing
1981-1995
³ȱĴ
ȱĴ
1995-2007
Jacques Chirac
Ĵȱȱ
2007- heute
Nicolas Sarkozy
Tabelle:
Cécilia Sarkozy Carla Bruni-Sarkozy
Die Première Dame Frankreichs von 1958 bis heute
160
Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ
Seit den Anfängen der V. Republik 1958 haben sieben Akteurinnen die Rolle der Première Dame eingenommen (vgl. Tabelle), die im Folgenden in chronologischer Reihenfolge untersucht werden.
ѣќћћђȱёђȱ юѢљљђȱ Charles de Gaulle lehnte jeden Versuch der MedienvertreterInnen ǰȱȱȱȱȱ[ěȱ£ǯȱȱȱ ȱ ȱ ¢ęĴȱ ǰȱ ȱ ãȱ ȱ §ȱǰȱȱȱûȱĞȱtierten, die über das Leben der Familie de Gaulle in ihrem Wohnsitz in der französischen Kleinstadt Colombey schreiben wollten. Für ȱ ȱ ȱ ȱ §£ȱ ȱ ȱ DZȱ Ǯȱ wirklich! Für mich ist das eine Prinzipienfrage. Meine Familie ist ȱǯȱȱȱȱǯȱȱȱȱȱ Ğǰȱȱ Manie der Presse, alles zu unterwandern!“6 (1997: 196) Die Ehefrau von Charles de Gaulle, Yvonne, wurde im Volksmund aufgrund ihrer eher herben und konservativen Ausstrahlung ȱȅȱȂȱ£ǯȱȱȱ ȱȱȱȱ[ěkeit präsent. Bei Reisen in die Städte der Provinz wurde Charles de Gaulle jedoch von seiner Ehefrau begleitet. Während der Präsident Fabriken, Baustellen oder Universitäten in Augenschein nahm, besuchte seine Frau – in aller Diskretion, wie Charles de Gaulle betonte – soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Altenheime ǻȱ ȱŗşşşDZȱřŖśǯǼǯȱȱȱȱȱĴȱȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ęǯȱ Der aufrecht in seinem Wagen stehende Gründer der V. Republik Ĵȱȱȱȱȱǯȱȱfrau betonte durch ihre Anwesenheit im Präsidentenwagen diese herausragende Position des Präsidenten (Claeys 1998: 273-275).
6
Im Original: ǰȱǷȱ Ȃȱȱȱȱȱǯȱȱǰȱ Ȃȱȱǯȱȱȱ·ȱǯȱȂȱȱ¸ȱȱ¡ǰȱĴȱȱ ȱȱȱȱȂęȱǷ
Seggelke: Das Präsidentenpaar auf dem Boulevard
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љюѢёђȱќњѝіёќѢ ȱȱȱȱȱ§Ğ7 wurde das ȱȱ ȱȱȱȱȱ[ěarbeit am Elysée eingeführt (Cayrol 1995: 98). Der zweite Präsident der V. Republik schlug im Gespräch mit einzelnen JournalistInnen einen familiären Ton an und ließ sich von ihnen auf Ausstellungen moderner Kunst begleiten, die er mit seiner Frau besuchte. Die Entȱǰȱȱ[ěȱȱȱȱ seines Privatlebens teilhaben zu lassen, erklärt sich wohl nicht nur durch dessen Persönlichkeit. Georges Pompidou stand vielmehr als Präsident vor der schwierigen Aufgabe, die Nachfolge einer ęȱ£ǯȱȱ£ȱȱ ȱȱǰȱ ȱȱȱãěȱȱȱ§ȱȱ ȱ££ǯȱ ȱđ ãȱȱȱȱęȱAdresse ¢·, den der französische Fernsehsender ȱ (später ŗ) am 21. April 1970 ausstrahlte: Die Zuschauer sahen nicht nur, wie der Präsident seine tägliche Arbeit bewältigte, sondern auch, wie er den Abend in den präsidentiellen Privaträumen im Elysée verbrachte und mit seiner Frau Claude auf seinen Landsitz fuhr. Claude Pomȱ ȱȱȱ[ěȱ£ ȱ§ȱȱȅȱȂǯȱ Sie trat jedoch explizit als Ehefrau, Gastgeberin, Repräsentantin der französischen Mode (vgl. Aubry/Pleynet 2006: 73) und Kunstliebhaberin auf und wies jegliche politische Rolle von sich. ȱȱȱȱãěȱȱȱȱȱȱȱĴȱȱȱ§ǰȱȱȱ ȱȬě§ȱ£ǰȱȱȱȱ nern Pompidous instrumentalisiert wurde. Im Oktober 1968 war die Leiche von Stephan Markovitch aufgefunden worden, einem Leibwächter des Schauspielers Alain Delon. Die Tageszeitung Le Figaro behauptete, Markovitch habe Fotos von mondänen Abendveranstaltungen des Ehepaares Delon benutzt, um bestimmte Persönlichkeiten zu erpressen, darunter ein ehemaliges Mitglied
7
Nach Roland Cayrol beruht die französische ·ȱ Ȃ in erster Linie auf dem grundlegenden institutionellen Mechanismus der Direktwahl des Präsidenten, da diese dem Präsidenten das Privileg verleiht, als einziger Politiker der Träger des direkten Ausȱȱãěȱȱ£ȱǯȱĴȱȱǰȱȱ Parlamentswahlen und, in zunehmenden Maße, der MeinungsumȱȱȮȱȱȱȮȱȱãěȱȱȱ Politik des Präsidenten.
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱȱ
der Regierung und eine ihm nahe stehende Person.8 Dass diese Andeutung auf Georges Pompidou und dessen Ehefrau abzielte, ȱȱȱěǰȱȱ ȱ§ȱ§ȱphische Fotos in Paris im Umlauf waren, auf denen Claude Pompiȱ£ȱȱ ǯȱ ȱȱȱ ȱȱãěǯȱ ȱȱȱ ȱȱǮ£ȱȃȱǻȱȱȱ ǰȱ £ȱ ȱ ȱ ŘŖŖŚDZȱ ŘśŞǼȱ ȱ ěǰȱ traf unzählige JournalistInnen und konnte die Mehrzahl der MedienvertreterInnen von der Unschuld der Pompidous überzeugen (Roussel 2004: 264; Pompidou 1982: 258-59).
ћћђȬѦњќћђȱ іѠѐюџёȱёȂѠѡюіћєȱ Für Pompidous Nachfolger Valéry Giscard d‘Estaing fand die diȱ ȱ ȱ ȱ [ěȱ £ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ Ĵǯȱ ȱ ǰȱ ȱ ãlichkeit nicht hinter den Ritualen symbolischer Politik zu verbergen, ging auf seinen Ansatz der · zurück: Der junge Präsident Ĵȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ £ǰȱ ȱ £ãȱ Ğȱ ȱ §ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ Gedenkfeiern“9 zu befreien (Berstein/Rémond/Sirinelli 2003: 79). ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ [ěȱ ȱ ȱȱȱ ĞȱęȱȱĴȱ§ȱ ȱǯȱȱȱ§ęȱ §DZȱ ȱ¢ȱȱ ȱȱȱȱǮ¢ȱȱȱ Macht“10 (1983: 37): John F. Kennedy, P.E. Trudeau und Valéry GisȱȁȱȮȱȱ ȱȱȱȱ§ęȱ ȱ tituliert wurde. Als Staatspräsident ließ sich Giscard bei sportlichen Aktivitäten von FotografInnen und JournalistInnen begleiten: Im Urlaub an der Côte d’Azur im Sommer 1974 wurde über die Familie des Präsidenten wie über Prominente berichtet. Giscard ließ sich im £ȱȱȱȱęǯȱ listInnen begleiteten ihn während des Winterurlaubs beim Wandern und Skifahren (vgl. Bothorel 1995: 245). Seine Ehefrau Anne-Aymone war ein wesentliches Element dieser Zurschaustellung der Privatperson VGE. Rückblickend erklärte die Première DameDZȱǮȱ 8
Infolge der StudentInnenunruhen und eines Generalstreiks im Mai 1968 trat Pompidou am 10. Juli 1968 als Premierminister zurück. 9 Im Original: ·ȱ¥ȱȱȱȱ··ȱ³ǯ 10 Im Original: Ȭ¢ȱȱǯ
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ȱȱĴȱȱȱDZȱȱȱȱ§ȃȱ (Guichard 1987: 156).11 Dass mit der PR-Tätigkeit der Ehefrau des §ȱ ȱ ȱ ǰȱ ěȱ ȱ ȱ Anne-Aymones an der Neujahrsansprache des Staatspräsidenten. Die Filmaufnahmen des 31. Dezember 1975 zeigen Anne-Aymone ȱ ȁȱ ȱ ãȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ Ěȱ ǯȱȱȱȱȱȱ§ȱ wurde sie von ihm aufgefordert, sich ebenfalls an die Bevölkerung £ȱ DZȱ Ǯȱ ǰȱ Ȭ¢ȱ ãȱ ȱ ȱ ihre guten Wünsche aussprechen.“ 12 (France3 31.12.02). Dieser Moę£ȱȱȱȱȱȱ ȱȱ beschieden, denn in den folgenden Jahren wurde sie von Giscard ȱ ȱ ǯȱ ȱ ³ȱ Ĵȱ ȱ ȱ Chirac ließen sich später zu diesem Anlass von ihren Ehefrauen begleiten (Seggelke 2007: 171).
юћіђљљђȱіѡѡђџџюћёȱ Die ¡ȱ ³ im Umgang mit dem Tabu Privatleben zeigte sich deutlich in den zwei Amtszeiten (double septennat) von ³ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ¡£ȱ ȱ £ ȱ ǰȱ ȱ heißt seiner Geliebten Anne Pingeot und der gemeinsamen Tochter £ǰȱ ȱ ȱ ȱ [ěȱ ȱ ȱ ǯȱ §Ğȱȱ§ȱȱȱȱȱȱ von Anne und Mazarine Pingeot. Die französischen JournalistInnen akzeptierten mit der größten Selbstverständlichkeit das Tabu. Als Fotos von Mazarine Pingeot und ihrem Vater schließlich im November 1994 doch in ȱ erschienen, gelang es dem Elysée £ǰȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ £ȱ 13
11 Im Original: ȱȂ·ǰȱȂȱȱȱ·DZȱȱȱȱ·Ȭ sident. Aubry/Pleynet bezeichnen sie denn auch als épouse-assistante (2006: 105). 12 Im Original: ȱȱȂȬ¢ȱȱȱȱȱȱ¡ǯ 13 Der Direktor von ȱ, Roger Thérond, erhielt kurz nach der Aufnahme der Bilder einen Anruf von Roland Dumas, der ihn bat, ȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ££ãǰȱ da Mazarine gerade vor Prüfungen stehe. Diese Abmachung wurde Thérond zufolge von ȱ eingehalten, wie er zwei Jahre später in der Fernsehsendung ȱȱȱȱǯȱ¹ȱȱȱ erklärte.
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(La Cinquième 17.11.96). Im Experteninterview erklärte die PresseȱĴǰȱ¸ȱ Ȭ¡ǰȱȱ ȱ §Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ǯȱ Erst gegen Ende der zweiten Amtszeit sei es zu einer Veränderung innerhalb der journalistischen ¡ȱ³ gekommen, als die ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱȱȱȱȱ ȱȱȱ£DZȱǮȱ ǽ³ȱĴǰȱǯȱǯȱǯǾȱ ȱȱȱ ǰȱȱben in seiner politischen Kommunikation völlig abzuschirmen. Er hat übrigens auch nicht von den Aktivitäten seiner Frau Danielle ĴȱǯȱǽdzǾȱȱȱȱȱǰȱ ȱȱ ȱ§ȱǰȱȱȱãěȱĞĴȱȱ Paar zu zeigen.“14 (Seggelke 2007: 217) ȱȱĴȱȱȱ£ ȱȱ ǰȱȱ ȱ£ȱȱęȱȱȱȱPremière Dame bei. Sie weigerte sich, wie Anne-Aymone Giscard d‘Estaing als schweigende ȱ§ȱ ĴȱȱûȱãěȱĞĴȱȱ£ȱǯȱ Obwohl sie sich weigerte, als ‚Politikerin’ aufzutreten und eine parteipolitisch eindeutige Haltung einzunehmen, wusste sie, dass die ȱȱ§ĴȱȱŗşŞŜȱûȱĞȱȬ ·ȱȱãđȱ ȱȱȱãěliche Aufmerksamkeit einbrachte. Ihr humanitäres Engagement sah ȱȱȱȱȱ£ęȱȅ ȂȱȱȱǻȱŘŖŖŝDZȱ 360).15ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȅȱ Ȃȱ des Präsidenten und traf eigenmächtige Entscheidungen wie ihren Besuch bei Fidel Castro im ersten Septennat oder ihr Engagement für El Salvador (Picar/Montagard 1982: 226), was von François Mitȱ£ȱȱãěȱû£ȱ ǯȱȱȱ der ersten Amtszeit die kommunistische Partei an der französischen Regierung beteiligt war, zog die Première Dame sogar die Kritik der ȱȱȱDZȱȱǮȱpasionaria, die den Präsidenten nach links zieht“16 (Guichard 1987: 103) verkörperte sie in
14 Im Original: dzȱȱ·ǰȱǰȱ¸ȱ¡ȱȱȱȱȱȬ ȱȱȱ·ȱȱȱȱ·ǯȱȱȱȂȱȂȱȱȱ ȱ·ȱȱȱĴǰȱȱȱǯȱǽdzǾȱȱȱ¹ȱ··ǰȱȱ ȱȱȱȱ·ȱ·ǰȱȱȱ·ȱȱǰȱȱ des manifestations. 15ȱ ȱ§ȱȱĴDZȱ ȱȱ¸ȱȱȱ¹ȱǰȱ ·ȱȱȱ·ȱȱȱ·ǰȱȱȱȱȱ·ȱ· (Adler 2007: 361). 16 Im Original:ȱȱȱȱȱȱ¥ȱǯ
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den Augen konservativer Kritiker die Unberechenbarkeit des neuen ȱǯȱȱȱĴȱȱȱȱ aus dem Regierungsbündnis 1984 reduzierte sich allerdings das InȱȱȱȱȱȱǮȱȬȃȱ ȱ Ĵȱ ǻǯDzȱ Ĵȱ ŗşŞŝDZȱ ŘŚŞȬŘśŘǼǯȱ ŗşŞśȱ ȱ ȱ ȱęȱȱȂȱ·DZȱ³ȱĴ in vielen Sequenzen präsent. Ihre Rolle war hier die Begleitung des reisenden Präsidenten, sprich des im Flugzeug, auf Militärparaden und Empfängen im Ausland agierenden Repräsentanten Frankreichs in der Welt (France3 10.5.85). Vier Jahre später wurde der PremiȬ ère Dame und ȱȂȱȱĴȱȱûȱ Portrait auf ȱŘ gewidmet (Le Monde 12.11.89, 1.3.96). Den FernsehzuschauerInnen wurden so zum ersten Mal ausführlich ȱĞȱȱȱȱȱȱȱ§ȱ vorgestellt.
ђџћюёђѡѡђȱѕіџюѐȱ Jacques Chirac wurde durch seine Tochter und Kommunikationsberaterin Claude Chirac und ihren Mitarbeiterstab von den MedienvertreterInnen abgeschirmt. Die Ehefrau des Präsidenten, ĴȱǰȱĴȱȱȱŘŖŖŗȱȱ§ȱteurin etabliert. Zunächst verfolgte sie mit besonderem Engagement jenen Politikbereich, der seit der Ehefrau des ersten Präsidenten der III. Republik Mac Mahon (1875-1879)17 jeder Präsidentengattin vorbehalten ist: der Wohltätigkeit (Restier-Melleray 1999: 90). Die bereits 1989 lancierte Aktion ¸ȱ ȱ ȱ ¸ȱ erfreut sich in Frankreich außerordentlicher Beliebtheit und kann hohe Spendeneinnahmen vorweisen.18 Einen großen Erfolg erzielte đȱ ȱ ǰȱ ȱ Ĵȱ ȱ ŘŖŖŗȱ ȱ ȱ
17 Die Maréchale de Mac Mahon führte die erste soziale Einrichtung am Elyséepalast ein, einen Vertrieb von Kinderbekleidung für arme Kinder. 18ȱ Ĵȱȱ ȱȱȱȱ ȱȱȱ, den die Freunde von Präsident Roosevelt 1936 gründeten. Dank der gespendeten 10-Cent-Münzen, der Dimes, konnte damals die Forȱ ûȱ ȱ §ȱ ę£ȱ ǯȱ ȱ ȱ £ãsischen Spendenaktion kommen die Einnahmen insbesondere den pädiatrischen Abteilungen in Krankenhäusern und Schulen zugute ǻǯȱȱŘŖŖŘDZȱŝśśǼǯȱĴ ȱ ȱȱ ȱȱȱ
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dem Chefredakteur des Figaro Magazine, Patrick De Carolis, herausgab. In dieser Conversation, so der Buchtitel, erhalten die LeserInnen ȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȅĴȂǰȱ ȱĴȱȱ ǰȱȱȱȱȱ der Première Dameȱ£ȱĞȱ ȱ ȱȱ ȱǻǯȱ Les dossiers du Canard enchaîné 2004: 50). Ein Jahr später (2002) erschien das Buch der ȱ –Journalistin Caroline Pigozzi, das dem Titel ȱ ȱ Ĵȱ ȱ · gerecht wird; erfuhren die LeserInnen hier doch alles über das prominente Paar, von Ğȱȱȱ£ȱȬȱȱ ȱǻŘŖŖŘǼǯȱȱ ȱ ȱ ĞĴȱ Ĵȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ der Aktion ¸ȱ ǰȱ ȱ §ȱ ȱ ãěȱ ȱ Conversation sorgten dafür, dass die Aufmerksamkeit der MedienvertreterInnen erhalten blieb. Diese Aufmerksamkeit war umso ǰȱȱȱ£ȱǰȱȱĴȱȱȱ Herbst 2003 zeigten, der fehlenden Präsenz des Präsidentenehepaares während der Hitzewelle im Sommer 2003 entgegenwirken konnten, die dem Präsidenten einen Popularitätsverlust eingebracht Ĵǯ19 Unterstützt von einer eigenen Kommunikationsabteilung im Elyséepalast (vgl. Le Monde 3.10.03: S. 16/17) gelang es BernaĴȱ ȱ ȱ ȱ £ ȱ£ǰȱ ȱ ȱ ȱ eine neue Persönlichkeit einzuführen, eine Art Ȭ·ȱ Ȭ trimoniale (Le Monde 3.10.03: S. 17), die in Krisensituationen dem Präsidenten beisteht. So war im Juni 2005, nur zwei Monate nach der gescheiterten Referendumskampagne über den europäischen ǰȱȱȱ ȱȱĴȱȱȱ ȱ zu lesen (21.6.05). Auch Spekulationen, der Präsident könne sich erneut um eine Amtszeit im Elysée bemühen, gingen ĴȱȱĴȱȱDZȱȱȱȱȱȱ des ȱ ȱ ãěȱ ȱ ûȱ ǰȱ die Zeit ‚nach Chirac’ sei noch längst nicht angebrochen (Libération 15.11.06).
£ȱ ȱ û£DZȱ ĴDZȦȦ ǯ¡ǯ fr/pieces_jaunes/les_partenaires.php. 19ȱ ȱ ȱŘŖŖřȱȱȱȱȱȱĞĴDZȱ ȱ im ȱ ··· (TF1 21.1.03), Interview in ŗȱ anlässlich der Lesereise von Hillary Clinton in Frankreich (2.4.03), Teilnahme an der Sendung Ombre et Lumière (France3 7.6.03), Teilnahme an der Sendung Au nom des autres (France3 29.9.03).
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ѼѐіљіюȱюџјќѧѦȱȱ Cécilia Sarkozy strebte schon vor der Wahl ihres Mannes zum Staats§ȱȱȱȱǰȱ ȱȱãěȱ Präsenz an die politischen Ämter ihres Mannes gebunden war. Als Ĝ£ȱȱȱãȱ§ȱȱȱ den Terminkalender Sarkozys, der verschiedene Regierungs- und §ȱĴǯȱȱȱûȱȱûȱȱ Büro neben dem ihres Mannes, und als dieser an die Spitze der Partei ȱǰȱ ȱȱȱ Ĵęȱǻǯȱ¢Ȧ¢ȱ ŘŖŖŜDZȱŘřŞǼǯȱȱȬȱȱ§ȱ£ȱȱ§ęȱ mit seiner Frau für die Medien. Für Aufsehen sorgte etwa ein Foto des Ehepaares mit dem gemeinsamen Sohn Louis, der unter dem Schreibtisch des Ministers spielte – eine (über)deutliche Hommage ȱȱ ¢ǯȱȱĴȱȱȱ£ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ [ěȱ £ȱ ȱ ŘŖŖśǰȱ als Cécilia Sarkozy ihren Mann verließ und ȱ dies auf ȱŗȱȱ[ěȱûȱǻŘśǯŞǯŖśǼǯȱ£¢ǰȱȱ£ȱȱȱȱȱȱ§Ğȱ der Konservativen gehandelt wurde, versuchte, sich auch in dieser ãȱ ȱȱȱ[ěȱ£ȱ ęȱ£ȱ machen. Seine BeraterInnen ließen die MedienvertreterInnen verǰȱȱȱȱȱ§Ğȱȱȱ Figaro-Journalistin kein Geheimnis sei. Schließlich galt es, eine Porträtierung Sarkozys als Verlassenen und Gekränkten zu vermeiden. Die Rückkehr Cécilias und die Versöhnung der Sarkozys wurden in Gala, dann auch in der so genannten seriösen Presse ausgiebig kommentiert (vgl. Deloire/Dubois 2006: 367-368). Nicolas Sarkozy war mit einiger Aggressivität darum bemüht, weitere negative Schlagzeilen zu vermeiden. So gelang es ihm, die Herausgabe eines Buches der Gala-Journalistin Valérie Domain Cécilia, ȱȱȱȱ la raison im Verlag First zu vereiteln. Alain Genestar, Chefredakteur von ȱ, wurde auf seine Intervention hin entlassen (ebd.: 370-373).20
20ȱ £¢ȱ£ȱ ȱȱȱȱĞȱ mit MedienmanagerInnen und VerlegerInnen bestimmt. Arnaud ¸ǰȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ǰȱ zu der ȱ gehört, ist ein langjähriger Freund Sarkozys. Die Ğȱ ȱǰȱȱȱ während ȱ§Ğ ȱȱȱȱȱ
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ȱ§Ğ ȱ ȱȱĚȱȱ·ȱ£¢ȱ ȱȱȱ[ěȱȱȱȱȱnalentscheidungen. So sorgte sie etwa dafür, dass zwei politische Weggefährten Nicolas Sarkozys ihre Posten verloren.21 Fasziniert zeigte sich die Presse von den Launen Cécilia Sarkozys, die etwa beim zweiten Wahlgang ‚vergaß’, zur Wahl zu gehen, und am Wahȱȱȱ§ȱ£ȱȱȱĞȱǯȱ ȱĞȱȱȱ£ãȱȱ ¸ȱȱ ȱȱȱȱãěȱȱ ȱȱȱȱȱĚǯȱȱ Präsident Sarkozy bemühte sich, eine Aufgabe für seine Frau £ȱęǰȱȱȱûȱĴǰȱȱ ȱȱȱȱȱ Première Dameȱ ȱ ę£ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ als Wohltätigkeitsdame durch die Republik reisen. Die Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern aus der libyschen GefangenĞȱȱŘŚǯȱ ȱŘŖŖŝȱȮȱȱȱȱ ȱȱȱȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ – schien eine ideale Gelegenheit, Cécilia Sarkozy einen Erfolg in der internationalen Diplomatie zu ermöglichen. Die Reise der PräsiĞĴȱȱ¢ȱȱȱȱȱûȱȱǰȱȱûȱȱ£ȱȱĴǰȱ ȱ Rolle die Première Dameȱȱȱ[ěȱȱ£ȱȱ habe. Die sozialistische Opposition forderte, sie solle vor einem ȱ ȱ £ȱ ě§Ğȱ mit Libyen aussagen. Der Pressesprecher des Präsidenten erklärte ǰȱȱûȱǮȱȱȱ ȱȃ22, da sie ȱ ãȱ Ğǰȱ ȱ ¢·ȱ des Präsidenten gehandelt habe (Libération 24.8.07). Im Herbst, so bestimmte der Präsident, werde seine Frau erklären, wie sie ihre Rolle auszufühȱ ȱ ǻǯǼǯȱ ȱ Ğȱ kommentierte, dass diese Rolle am US-amerikanischen Modell orientiert sein werde. Als politische Aktivistin ohne politischen Hintergrund gleiche sie Pat Nixon, aber sie werde sich nicht mit der Rolle der Assistentin ȱ§ȱûǰȱȱȱȱ£¢ȱȱĠen (Newsweek 13.8.07).
Sarkozys Partei UMP stand. (La Tribune de Genève 16.5.07; International Herald Tribune 25.6.07) 21 Zum Ausschluss von Brice Hortefeux und Frédéric Lefebvre aus dem ĢȱǯȱĴȱǻŘŖŖŝDZȱŘřŖǼǯ 22 Im Original: ȱȂȱȱȱ¥ȱȱ¥ȱ.
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юџљюȱџѢћіȬюџјќѧѦȱ Cécilia Sarkozy musste ihre Vorstellungen zur Rolle der Première DameȱȱȱȱãěȱûDzȱ ȱȱȱȱ ihrer Scheidung von Präsident Sarkozy am 18. Oktober 2007 nur vier Monate später durch Carla Bruni, ehemals Topmodel, heute Sängerin, ‚abgelöst’. Nicolas Sarkozy ließ sich mit seiner neuen Freundin bei einem Ěȱ ȱ ¢ȱ ûȱ ęǯȱ ûǰȱ Fotostrecken der Klatschpresse, aber auch Berichte der Meinungspresse ließen wenig später darauf schließen, dass Nicolas Sarkozy an der Seite Carlas einen exklusiven Geschmack entwickelte. Mit teuren Uhren, Mobiltelefonen und Sonnenbrillen erfüllte sich der §ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ Ĵ §ǯȱ ȱ§ȱĴȱȱûȱȱ ǰȱȱ ȱ oder Literatur begeistert – Sarkozy dagegen steht ostentativ für den materiellen Erfolg. ûȱ £ȱ ȱ ŘŖŖŞȱ ȱ ȱ Ğȱ Ȃ¡ȱ ein exklusives Interview mit Carla Bruni (14.2.08), das ȱȱȱȱȱȱěȱ ǯȱ Carla Bruni erklärte ihren Wunsch, als Première Dame ihr Bestes £ȱȱȱǮûȱ ȱȱȱ¢·ȃȱǻȱđǰȱȱ£ȱȱ ȱ Ǽȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ £ȱ ȱ ȃ23 an Sarkozys Seite zu bleiben. Die Internet-Seite des ȱ Ĵȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ £¢ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ¡Ȭȱ ·ȱ ȱ ȬĞȱ die Rückkehr angeboten (Le Monde 17.2.08). Für Carla Bruni sind ȱ ȱ Ǯȱ Ĵȱ ȱ ȃǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱDZȱǮȱȱȱȱȬȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ¡ȱ §Ĵǰȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ mit den Denunzierungen gegen die Juden gekommen?“24 (ebd.)
£ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ûȱ ȱ ȱ ǯȱěȱûȱȱȱûȱȱãȱtische Sensibilität, um abzusehen, welch empörte Reaktionen dieser Vergleich französischer Medien mit der ‚Kollaborationspresse’ hervorrufen würde (International Herald Tribune 13.2.08). Darüber 23 Im Original: ȱȱȱ¸ȱȱȂ¥ȱȱęȱȱȱȱȱ ǰȱȱȱ·ȱȂ¥ȱȱǯ 24 Im Original:ȱȱ¡ȱ¢ȱȱ· sowie ȱȱȱȱ ȱȱ¡·ȱȱȱǰȱȂȱȱȱ··ȱȱ·ȱȱ ǵ
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ȱěȱȱ ȱȱȱȱȱȱãěǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãȱ ȱ rung der Rolle der Première Dame bisher nicht genutzt hat. Damit £ȱȱȱȱȱȱȱĴȱǰȱȱȱ ȱȱ§ȱĴȱȱȱ·ȱ£¢ǰȱ deren politische Rolle sich zumindest als Teilbereich ihrer Funktion etablierte. Carla Bruni verfügt über eine eigenständige Prominenz, ȱȱȱȱěȱȱ§ȱ£ûzuführen ist (zur einzelfallanalytischen Prominentenforschung vgl. Schneider 2004). Die glamouröse Zurschaustellung des Privatlebens Sarkozys fachte die Unzufriedenheit der französischen Bevölkerung aufgrund ȱȱĞ ȱȱȱ Ğȱ ȱǯȱȱȱ£ȱȱȱȱ£ȱȱȅ§dent Bling-Bling’25, wie ihn die linke Tageszeitung ·ȱam 19. Dezember 2007 auf ihrer Titelseite karikierte, zunehmend Kritik auf ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ğȱ ȱ ȱ Popularitätswerte des Präsidenten derzeit drastisch (vgl. Le Monde ŘŜǯŘǯŖŞǼǯȱ §đȱȱȱŘǯȱ§£ȱŘŖŖŞȱãěȱȱȱ Meinungsforschungsinstituts Ř (in Kooperation mit der Tageszeitung Libération) erklärten 73 % der Befragten, Nicolas Sarkozy Ǯȱȱȱ£ȱȱ£ȱȃȱǻȱȱŘǯřǯŖŞǼǯȱ Bei den Kommunalwahlen im März 2008 musste Sarkozys Partei UMP deutliche Verluste gegenüber der Linken hinnehmen. ȱȱȱĢȱȱȅ Ȃȱ£¢ȱ voraus (Le Monde 15.3.08). Es bleibt abzuwarten, ob dies mit einer Reduzierung von PR-gesteuerten Informationen aus dem Privatleben der Sarkozys verbunden sein wird.
ѠѠіѠѡђћѡіћǰȱјѡіѣіѠѡіћǰȱюѝќљіѡіѠѐѕђѠȱ ѐѐђѠѠќіџђȱȮȱюџюёієњђћѤђѐѕѠђљȱіћȱёђџȱ ѝџѫѠіёђћѡіђљљђћȱ[ѓѓђћѡљіѐѕјђіѡѠюџяђіѡȱ Der historische Vergleich der Instrumentalisierung des Privatlebens von PolitikerInnen in Frankreich zeigt, dass das Private eine Ressource darstellt, die Medienorganen wie PolitikerInnen Aufmerksamkeit einbringt und um die stets neu verhandelt werden muss. Die französische Rechtssprechung und politische Kommunikationskultur 25ȱ ȅȬȂȱȱȱěȱȱȱ ȱȱǰȱȱûȱȱ
ȱ£ȱě§ȱ Ĵȱȱ ȱǯ
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Ěȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ §Ğǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Privatheit zunehmend als Bestandteil der Glaubwürdigkeit von PolitikerInnen (vgl. Rosanvallon 2006: 53). Die Auswahl dieser ȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ politischen Kommunikationsstrategie der AmtsinhaberInnen. Während Georges Pompidou etwa auf eine Simulation privater §ȱȱ ǰȱȱȱãěȱĞȱȱ Nachfolgers Valéry Giscard d’Estaings an Schauspieler und Filmstars. Mit Nicolas Sarkozy sind Reibungspunkte und Widersprüche ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ §ȱ £gänglich geworden, die dessen Medienpräsenz gesteigert haben. Ausgewählte Elemente des Privatlebens gelangen durch vom ¢·ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ [ěǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ ȱ ȱ keineswegs neu, sondern kennzeichnet die Rolle der Première Dame spätestens seit den 1970er Jahren. Die Frau des Staatspräsidenten agiert in diesem Kontext als Public Relations Assistentin wie Anne-Aymone Giscard d’Estaing, ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ Ȭ·Ȭ ȱȱ ȱĴȱǯȱȱȱ ȱ£ȱ als apolitisches Accessoire wahrgenommen, an deren Seite der Präȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ Ĵ §ȱ von Glamour und Luxus erfüllt. Zunehmende Kritik an ‚Präsident Bling Bling’ zeigt jedoch die Risiken, die dieser Neuausrichtung der politischen PR innewohnen.
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јѧіёђћѡюљіѠѡіѠѐѕђȱіљёђџѝќљіѡіј Ȭȱȱȱ ȱȱȱ юяџіђљђȱіђѡѧђ Bilder und visuelle Medienpräsentation sind in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Moment politischer Inszenierung ȱ ǻǯȱ ĴȦȱ ŘŖŖŖǼǯȱ ȱ ȱ
ȱȱDZȱǮȱȱȱȱȱȱ£ȱ verstehen, innerhalb derer die Sichtbarkeit des Politischen erzeugt ȱȱȱȱȱęȃȱǻŘŖŖŝDZȱŘŝǼǯȱgelang war im letzten Irakkrieg das US-Pressecorps auf der Jagd nach abbildbarer ‚Bevölkerung‘, die ein Saddam-Hussein-Denkmal stürzen wollte, bevor US-Soldaten frustriert die Sache selbst in die
ȱǯȱȱȱ§Ğȱȱ Obama beabsichtigte während des Nominierungswahlkampfes 2008, Fernsehbilder seiner außenpolitischen Rede vor dem Brandenburger Tor um die Welt zu schicken, was ihm Kanzlerin Merkel – geizig mit deutschem symbolischem Kapital – verwehrte. ȱȱȱ[ěȱȱǽdzǾȱ§ȱǰȱȱ so wird er zum symbolischen Raum der Politik, in dem auch über ȱȱȱȱȱĴȱ ȱǯȱȱ ist auf diesen symbolischen Raum angewiesen, weil sich Repräsentanten und Repräsentierte nicht direkt gegenüberstehen und ǰȱȱȱȱ§ȱęǰȱȱûȱmediäre Instanzen der Sichtbarmachung reproduziert und transformiert wird (Celikates/Rothhöhler 2007: 62).
ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȅȬȬȂȱ đȱ Ȯȱ ǰȱ Ğûǰȱ ȱ Ȯȱȱȱȱȱ ȱȱ£ȱĴȱȅȁȱ
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Politik auf dem Boulevard? – III. Genderdiskurse
amerikanischen Sache einzuschreiben, oder genauer gezeigt, ‚interpiktoral‘ abzubilden.1 Dieser Plan ist trotz des Kanzlerinnenverbots einigermaßen aufgegangen, denn der Kandidat sprach an einem nahegelegenen Ort, an der Siegessäule, die eine Sichtachse ȱȱȱȱãěǰȱȱȱȱȱȱ symbolträchtige Tor heranzoomen. Barack Obama konnte den Bildhintergrund für seine historische Rede kontrollieren. In einem anderen Terrain war ihm das versagt. Politische GegnerInnen lancierten während des gesamten Vorwahlȱęȱȱ ǰȱȱȱȅ ȁȱȱ als Muslim inszenierten. So wurde ein Foto von ihm mit Turban in Umlauf gebracht, das bei einem Besuch in der Heimat seines Vaters Kenia aufgenommen wurde, als er die traditionelle Kleidung seiner Familie anlegte (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Obama in kenyanischer muslimischer Kleidung (AP 2008)
Und der noble ȱ hat in durchaus unfreundlicher Absicht ȱȱȱ ĞȱŘŖŖŞȱȱȱ ȱǰȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ Ğȱȱȱ£ǰȱ wie er die Faust seiner Frau Michelle in einer Siegergeste anstößt (vgl. Abbildung 2). Diese ist als eine Mischung von ‚Black Panther ȱ ȱ Ȃȱ ȱ ȅĴ§ȱ ȱ §ȱ Kalaschnikow’ karikiert. Im Kamin sieht man eine amerikanische Flagge verkokeln. Man kann davon ausgehen, dass diese Bildinszeȱȱȱȱȱ§Ğ §ȱ ǰȱ da sie ihn im Lager der Feinde Amerikas und des ‚Abendlandes‘,
ŗȱ ȅ§ȁȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ěȱ von ‚Intertextualität‘ für Bildbezüglichkeit auf diachronen und synchronen Ebenen geprägt worden (vgl. Rosen 2003).
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also im muslimischen Terrorismus, positionieren. Auf einem der £ȱȅȬȁȱ ȱȱȱȱǮȱȱȃȱ dargestellt (vgl. Abbildung 3).
ȱŘDZȱ Ĵȱ ȱ vom 22.7.08
Etwas Ähnliches wollte Kanzlerin Merkel eine Woche vor Barack Obamas Berliner Rede vermeiden. Sie lehnte bei einem Staatsbesuch in Algerien ab, eine alte Moschee zu besuchen, um nicht mit einem ȅ ĞȁȱȮȱȱȱ§Ĵȱȱ ãĚȱûȱȱĴȱȱûȱȮȱȱ£ȱ ǯȱȱ£ȱȱ neuen Moschee, die von einem deutschen Architektenteam geplant ǰȱȱȱȱȮȱȱ Ğǰȱȱ §ȱ ȱȱ nicht seinem religiösen Zweck zugeführt – und stellte sich damit selbst als aktive Exportförderin dar.
Abbildung 3: Obama als Bin Laden (Quelle: chesieofdarock 2008)
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љіѐјюѐѕѠђћȱёђџȱ ђєђњќћіђѝџќёѢјѡіќћ Der hier angestellte Bildvergleich Obama–Merkel ist Grundlage zweier Ausgangsbehauptungen: 1) Es ist kein Zufall, dass imageschädigende Motive für westliche Politiker aus dem ‚orientalischen‘ Bildraum stammen. 2) Es ist nicht beliebig, dass problematische ‚orientalische‘ Bilder gerade jene PolitikerInnen bedrohen, die keine klassischen Verkörperung von Macht darstellen. Obama und Merkel fehlen jeweils ein Haupt- und einige Nebenkriterien, die sie zu angemessenen RepräsentantInnen im Sinne von ‚Vertreten‘ und ‚Darstellen‘ westlich-okzidentaler Überlegenheit machen würden. Barack Obama mangelt es an und amerikanischer Sozialisation, da er in Indonesien aufgewachsen ist. Seine Religion ist prekär, entweder wird er radikalen afroamerikanischen Predigern zugeordnet wie dem Prediger Jeremiah Wright ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȅ ȁȱ unterstellt, er sei heimlich Muslim wie sein Stiefvater. Angela Merkel dagegen mangelt es an Männlichkeit und als ehemaliger DDRBürgerin an westlicher Sozialisation und, obwohl Pfarrerstochter, möglicherweise völlig an religiöser Bindung. Die Abweichung beider Positionen bezüglich Gender, Race/Ethnizität, Lokalität und Religion2 erschwert es Obama und Merkel, sich in Machtbilder des Ǯ£ȱ §ȃȱ ǻȱ ŘŖŖŝDZȱ ŗŝŜǼȱ £ûǯȱ Denn diese werden in einem ‚Bildfundus‘ gelesen, der mit Ausnahme dynastischer Erbfolgen nur männliche Weiße Repräsentanten kennt.3 Als nicht universelle, sondern als weiblich und/oder Schwarz markierte ProtagonistInnen stören sie die Zentralperspektive. Kaja Silverman spricht von einem ‚Bildschirm‘ oder , in dem ähnlich wie in einer Sprache Darstellungsparameter festgelegt sind,
Řȱ ȱȅ ȁǰȱ ȱȱȅě£ȁȱȱ§£ȱ und/oder unterminieren, werden in verschiedenen Disziplinen der Cultural Studies ‚Intersektionalität‘ (Crenshaw 1998) oder im Deutschen ‚Interdependenz‘ genannt (vgl. dazu Walgenbach et al. 2007). 3 Zur Frage, inwieweit marginalisierte und hegemoniale Positionen ‚intersektionell’ verbunden sind und welche Auswirkungen das auf die Möglichkeiten von Kritik hat vgl. Dietze 2008.
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die organisieren, was und wie wir sehen und welche Bedeutung wir dem Gesehenen geben, das heißt, wie wir das vor-gesehene Bild entschlüsseln (vgl. Silverman 1997: 58). An den Figurationen Merkel und Obama werden zwei historisch aufeinander folgende Ordnungsmuster und entsprechende verhandelt, die für den westlichen Anspruch auf Dominanz zentral waren und sind: Zunächst die Achse Ost–West und dann die die Achse Orient–Okzident. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs verstand man sich als ‚der Westen’. Die organisierenden Binaritäten ęȱȱûȱ ȱȱ£ǰȱȱ versus Diktatur, Privateigentum versus Staatseigentum. Mit dem ȱȱȱęȱȱȅȱđȁȱȱ nordwestlichen Führungsanspruchs weg. Es spricht einiges dafür, dass eine Achse Orient–Okzident die Ost-West-Binarität ersetzt hat (vgl. Schulze 2007). Zwei sehr unterschiedliche Indizien unterstützen diese Behauptung. Zum einen der Nah-Ost-Terror-Komplex, ȱ ȱ Ȭ§Ȭ Ěǰȱ ȱ şȦŗŗȱ ȱ ȱ Ȭȱ ȱ Afghanistankriegen verbindet und neben westlichen Sicherheitsbedürfnissen auch von einer lebenswichtigen ökonomischen Frage ȱ DZȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěǰȱ ȱ ȱ Öl. Das zweite Indiz ist ein postkolonialer Migrationskomplex, der sich zunehmend auf Religionszugehörigkeit und angeblich ȅȁȱ Ĵȱ Ȯȱ ȱ ȱ ȱ Ȯȱ ȱ ȱ ę¡ǯȱ £ãȬǰȱ britisch-pakistanische und deutsch-türkische Arbeitsmigration hat zu bedeutenden muslimischen Bevölkerungsanteilen geführt, die in der Huntington‘schen Rhetorik eines Clash of Civilizations zunehmend als fremd und bedrohlich wahrgenommen werden (vgl. Huntington 1996). Verklammert werden beide Komplexe in der ȱȱȅĴ§ȁǰȱȱȱ§ȱ£û£ȱ sein wird. Beide Felder, das lokale und das globale, verbinden sich zu einem Ressentimentmuster, das man auch ‚Neo-Orientalismus‘ nennt (Al-Azmeh 1993: 22f).
ѢѓјљѫџѢћєȱѢћёȱіѐѕђџѕђіѡ Die Achse Orient–Okzident ist natürlich nicht die einzige Achse spätmoderner Hegemoniebildung. Die schon kolonial vorgeprägte Nord-Süd-Achse hat sich postkolonial verfestigt und bringt besondere Einwanderungs- und Abschließungsregime mit drakonischen Grenzregimen (Zäune und Mauern) und insbesondere Lager
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ȱ ȱǻǯȱ£ěȱŘŖŖŜǼǯ4 Auch an der alten Systemaußengrenze Ost–West haben sich neue Bildräume gebildet. Die positiv überlegene Seite der Achse Orient–Okzident ist etwa durch Säkularität, Demokratie und Emanzipation gekennzeichnet, die negative durch religiösen Dogmatismus (sprich Islamismus, Fanatismus), Autoritarismus (angebliche Unfähigkeit zur Demokratie) und Patriarchat (Frauenunterdrückung). Sie besteht im Kern aus einer weltanschauȱȱǻȅȂȱȱȱȱȅĤ§§Ȃȱ Religiosität) und einem lebensweltlichen Fokus (emanzipatorische Subjektbildung versus orientalischem Patriarchat). Auf dieser Folie wird erkennbar, warum Barack Obama Autoritätsverlust droht, ȱȱȱȱǮȱȃȱ ȱǻȱŘŖŖŝǼǰȱȱȱ als islamistischen Terroristen insinuiert und warum die deutsche
£ȱ ȱ ȱ ãǰȱ ȱ ȱ Ğȱ gebildet zu werden, das sie in die Nähe einer vom ‚orientalischen Patriarchat‘ unterdrückten Frau bringt. Die besondere Bedeutung der Achse Orient–Okzident und damit auch ihre Funktion als Leitdiskurs bestehen darin, dass an ihr die Frage von kollektivem Leben und Tod verhandelt wird. Der ȬȬ Ěȱ ȱȱȱȱǯȱȱ Schutz davor in der sogenannten ‚Balance des Schreckens‘ hat die jeweiligen Subjekte mit ihren Systemen loyalisiert. Das Versprechen von Sicherheit hat bestimmte Dimensionen von Repression legitimiert, zum Beispiel im Westen das KPD-Verbot, Notstandsgesetze, Prüfung von Verfassungstreue von potentiellen Staatsdienern und im Osten Einschließen, Zensur und Einschränkung der Freizügigkeit. Die Rede von der Bedrohung durch Auslöschung setzt sich im okzidentalistischen Diskurs fort. Ein Beispiel dafür waren die so ȱ ěȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Existenz ein vorgeschobener Kriegsgrund war. Weitere Beispiele sind mögliche Atombomben im Iran und Erzählungen von kleinen ‚schmutzigen‘ Nuklearbomben, die durch ‚Schläfer’ im Abendland zur Explosion gebracht werden können. Das bietet den Regieȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ûȱ ȱ ȱ ęȱ ‚Sicherheitsdispositiv‘.5 Dieser in Theorien der Gouvernementa§ȱ ȱ ěȱ Ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ 4
Siehe insbesondere zu den Abschließungs- und Grenzregimen in Afrika und Asien die Arbeiten des in Kamerun geborenen Theoretikers Achille Mbembe (2001). śȱ ûȱȱûȱ§ȱ£ȱěȱȅtiv‘ siehe Bröckling et al. (2000: 13).
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Regierungsweise, weg von der körperbeherrschenden (Bio-)Macht ȱ£ȱ ǰȱt ȱȱěǰȱȱȱȱ Individuen davon überzeugt sind beziehungsweise überzeugt werden, dass sie selbst für Arbeitslosigkeit und Armut verantwortlich ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ǯȱ mentalitätstheorie geht davon aus, dass staatliches Handeln in neoliberalen Strukturen immer mehr hinter die Marktgesetzlichkeiten zurückgewichen ist – sie spricht auch von einer Ökonomisierung des Sozialen. So gesehen verliert sichtbare staatliche Machtdemonstration immer mehr an Akzeptanz. Sie wird nur dann als legitim empfunden, wenn sie mit dem Versprechen, die BürgerInnen vor dem Tod zu schützen, verbunden ist. In diesem Zusammenhang ȱȱǰȱȱđȱǻȱǼȱȱȅěȱ£ȱ£ȁǯȱȱ ‚virtueller Ausnahmezustand‘, der über die ständige Todesgefahr, die von islamischem Gruppen- oder Staatsterrorismus ausgehen könnte, motiviert wird, erfordert repressive Antiterrorgesetze oder rechtsfreie Räume (Guantanamo). Diese werden als überlebensnotwendiger Schutz für okzidentale Bürger verstanden.
ђќȬќџіђћѡюљіѠѡіѠѐѕђȱ ђѠѐѕљђѐѕѡђџѝџќєџюњњђ6 ѢћёȱіљёѝџќёѢјѡіќћ Der hegemoniebildende Binarismus Orient–Okzident ist historisch ȱǰȱȱȱ£ǰȱȱȱȱȱěȱ-Oriȱ ȱ ǯȱȱûĞȱȱ ȱȱǰȱȱ koloniale Phantasmen über den nahen und fernen Osten ‚Orientalismus’ genannt hat. Seine Vorstellung von der ‚epistemischen Gewalt’ der kolonialen Macht-Wissens-Konstruktion entwickelte er am anglo-französischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts (vgl. Said 1978). Der ‚Orientale’ – in dieser Zeitperiode verstanden ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûęȱ ȱ ȱȮȱȱȱȱȱǮę“ des Okzidents. Der Schwerpunkt der Bilderproduktion im wörtlichen Sinne – ganze Malstile und Genrekonventionen widmeten sich orientalischen Sujets – lag auf einer Vorstellung von üppiger Sinnlichkeit und
Ŝȱ ȱ ãȱ ěȱ ȅ ȁȱ ȱ ȱ ȱ Ȭ nistischen Studie geborgt (Helduser 2005).
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ȱ ĝȱ §ǯ7ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ¡ȱ ȱ ȱ ǰȱ Ȭ£ȱ ǻ ĞȬ kriegerische) Weiße Männlichkeiten und züchtige abendländische Femininitäten herzustellen. Das Orientalismus-Paradigma bildete in der Folge eine der zentralen Säulen der postkolonialen Theorie, die es auf andere Kolonialisierungsphantasmen und postkoloniale Zuschreibungen von Minderwertigkeit von ehemals kolonialisierten Subjekten übertrug, etwa auf Afrika oder die Südsee. Der heutige neo-orientalistische Bildraum dagegen ist fast umgekehrt besetzt. Er bezieht sich auf OrientalInnen als – neuerdings meist verhüllte – Migrantinnen (vornehmlich sexuell unterdrückte Frauen) und/oder potentielle TerroristInnen. In lateinamerikaȱȱȱȱȱĴȱȱȱ lieber von einem ‚Okzidentalismus’ um den Blick weg vom orientalisierten Subjekt hin zu dem orientalisierenden Hegemon zu richten. Fernando Coronil schreibt: Ich möchte [...] dass wir unsere Aufmerksamkeit verschieben und uns von der Problematik des Orientalismus, die sich auf ȱ§ȱȱȱȱěȱ§ȱȱ ȱ£ǰȱ ǯȱĴȱȱ ȱȱȱ Problematik des ‚Okzidentalismus’ zuwenden, die sich auf die Konzeptionen des Westens bezieht, die diesen Repräsentationen zugrunde liegen [...] Mit Okzidentalismus bezeichne ich alle jene Praktiken der Repräsentation, die an Konzeptionen der Welt beteiligt sind, welche (1) die Komponenten der Welt in abgegrenzte Einheiten unterteilen; (2) ihre relationalen Geschichten voneinȱDzȱǻřǼȱě£ȱȱ ȱ DzȱǻŚǼȱȱ Repräsentationen naturalisieren; und also (5) an der Reproduktion asymmetrischer Machtbeziehungen, und sei es auch noch so unbewusst, beteiligt sind (Coronil 2002: 184f.).
Im Angesicht westlicher Hegemonieproduktion ist Coronil daran gelegen, ‚Abendländischkeit’ zu dekonstruieren. Okzidentales Selbstverständnis versteht er als ein Bündel von Diskursen der Geschichtsteleologie, Homogenisierung, Hierarchisierung und Naturalisierung. Neben der faktischen Machtausübung wird auch eine Doxa, das heißt Prinzipien des Wertens und Beurteilens, als einzig
7
Siehe zu Fragen von europäischer Malerei, ‚Orientalismus‘ und Gender Yegenoglu (2003) und Lewis (1995).
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mögliche Weltinterpretation durchsetzt.8 Im Fall des hier zu entwiȱȬȱȱȱǰȱȱěȱ£ȱ ûǰȱ ȱ ȱ §ȱ §ȱ £ȱ ěȱ ȱ einen als abendländisch beschriebenen Wertekanon beziehen, zum Beispiel, wenn es um (christliche) Leitkultur geht. Analog zu den ebenfalls auf Hegemonieproduktion gerichteten Ansätzen einer ȱ ȱ ¢ ist es unter gegenwärtigen europäischdeutschen Umständen sinnvoll, von einem ‚Kritischen Okzidentalismus‘ zu sprechen, wenn man eine Untersuchungsperspektive zu Neo-Orientalismen und Islamophobien sucht.9 Auch die gegenwärtige neo-orientalistische Bildproduktion folgt dem Bedürfnis, ȱ Ȭđȱtȱȱȱ Ğȱ £ȱ£ǯȱȱȱȱȱȱȱ Ĝ£ȱ und die ‚Lady‘, die sich von den orientalisierenden Bildern absetzen, sondern modernere Figurationen, wie die ‚emanzipierte‘ Frau und der geschlechterdemokratisch aufgeklärte Technokrat.
іѠѢюљіѠіђџѢћєȱ ёђѠȱȅџіђћѡюљіѠѐѕђћȱюѡџіюџѐѕюѡѠȁ Verfolgt man Bildpolitiken zur Migration, so herrschte in der ersten ǰȱȱȱȱȱȅ Ȃȱǰȱȱęȱȱ ȱǯȱȱȱȱȱȱǮȃǰȱȱȱ Migranten als bäuerlichen, sich nach der Heimat sehnenden Mann beschreibt (Osten 2007). Das Wort ‚Gastarbeiter’ enthält ‚arbeiten’ und somit eine funktionale Gemeinsamkeit mit der ‚einheimischen’ Bevölkerung, aber er ist bloß ‚Gast’, dementsprechend gehört er nicht dazu und ist bald wieder ‚zu Hause‘. Bei dem späteren Wort ‚ArbeitsmigrantIn’ ist das auch noch der Fall, obwohl mehr und mehr ‚Arbeit’ vor dem Wort ‚MigrantIn’ (und ihrer beunruȱĞǼȱ ȱ ǯȱȱȱȱ ȱĴǰȱ ȱ£§ȱ ǰȱ ȱȱsenstatus dem heimischen Proletariat einen Distinktionsgewinn ğǰȱ ȱ ȱ Ǯȱ Ȅȱ ȱ (Rommelspacher 2002: 17). Die Tendenz, die EinwanderInnen – 8
Postkoloniale TheoretikerInnen wie Robert Young bezeichnen euro£ȱȱȱȱǮȱ¢¢ȃȱǻŘŖŖŖǼǯ şȱ ȱěȱǮ ȱ£ȃȱȱȱßenden Überlegungen werden an anderer Stelle ausführlicher erläutert (Dietze 2006).
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verkörpert in türkischen MigrantInnen – jetzt hauptsächlich als ȱ £ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ Glaubenssystem unterworfen, gehört zur um sich greifenden Strategie des ‚Fremdmachen des Fremden’ oder De-Familiarisierung ǻǯȱ ȱ ŗşşŜǼǯȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ
§Ğ§ȱ ǰȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ schen Wiedervereinigung der Wunsch des Ostens, ‚ein Volk‘ zu sein, zunächst eine Welle von Fremdenfeindlichkeit und Neorassismus insbesondere gegen Menschen anderer Hautfarbe und Religion nach sich zog. Die Zuspitzung einer Sichtweise auf MigrantInnen als ãȱěȱȱȱȱȱđȱ im Zuge von Ängsten vor der Globalisierung, die in Deutschland – bevor Multikulturalismus überhaupt zu einem durchgesetzten Paradigma werden konnte – das Narrativ vom ‚Scheitern des Multikulturalismus‘ hervorbrachte. ȱ Ȭȱ ȱ ěǰȱ ȱ ȱ kenberg versteht, kann das Bild des sogenannten ‚Terrorvaters‘ erzeugen, das im Jahr 2002 um die Welt ging und inzwischen mehrere Cover (westlicher) Sachbücher zum Terrorismus ziert (vgl. Abbildung 4).10
Abbildung 4: Buchcover ¢ȱȱ ǯȱȱȱȱȱ (Bloom 2003, Foto: AP/Jan BauerǼ
Ein Mann, möglicherweise der Vater, trägt auf einer als palästinensisch erkennbaren Demonstration ein kleines Mädchen auf den ǰȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ěĴȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ §¢ȱ ȱ Ğȱ 10 Auf die vielfache Verwendung des Bildes auf Buchcovern hat mich Claudia Brunner aufmerksam gemacht, die auch in ihrer eigenen Forschung darauf Bezug nimmt. Siehe zu okzidentalistischen Phanȱ£ȱĴȱȱȦ ȱŘŖŖŜǯ
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um den Kopf geschlungen hat. Dieses Bild, zusammen mit der in den Zeitungen nachgelieferten Geschichte von einem libanesischen ûĚûȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ fasst wie in einer Matrix okzidentale Ängste zusammen. Der potenȱȱȱǻęȱȱĴ§Ǽǰȱ ȱȱȅȂȱ Ğȱȱě§ȱǻȱ§Ǽȱ lebend, opfert seine Tochter (orientalisches Patriarchat – in unserer ȱȱȱãǼǰȱȱȅȂȱ ĞȱȱȱĞȱ £ȱȱǻĴȱ Ğȱ§ȱȱȱ§¢Ǽǯȱ ȱȱȱ¢ȱĴȱȱȱȱȱȱ £ęȱȱǯȱȱ ȱȱȱȱ am sogenannten Al-Quds-Tag aufgenommen, dem vom iranischen Revolutionsführer Chomeini 1979 eingeführten Solidaritätstag zur û£ȱ ȱ §ȱ ǰȱ ȱ ȱ §ęȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ĵȱ ȱ ǯȱ Diese Forderung wird von der jüdisch-deutschen Bevölkerung als ȱȱȱ§Ğȱȱȱȱȱȱȱ deutschen UnterstützerInnen mit Gegendemonstrationen beantwortet. Wir haben es hier also mit einem im Sinne Umberto Ecos Ǯûȃȱ ¢ȱ £ȱ ȱ ǻȱ ŗşŞśǼǰȱ ȱ ȱ Vielzahl von ȱ bedient.
Abbildung 5: Spiegel-Titel vom 15.11.04, Nr. 47
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Im Gegensatz zu dem viril erschreckenden Zeichensystem des ‚Terrorvaters‘ wird die Orientalinȱ ȱ ǰȱ ȱ ûȱ Ğȱ ȱ ȱȱûȱęȱǻ §ȱŗşşŜǼȱȱǻȦ Wehner 1995). Der SpiegelȬȱǮȱȱãȃȱȱûȱ viele vergleichbare Darstellungen stehen (vgl. Abbildung 5). Nicht nur der männliche weiße Hegemon zieht aus diesem Bildfundus okzidentalistischen Gewinn. Über das Phantasma der ûȱ Ğȱ ȱ Ǯ¢ȱ ûȱ ȱ §ȱ ûȄȱǻȬ ȱŘŖŖŚDZȱŗŗǼȱ ȱ£ȱtȱ auch für Weiße Frauen produziert. Margret Jäger (1996) spricht im Zusammenhang mit der Dämonisierung des orientalischen Patriarchats als Verursacher von Frauenunterdrückung symboliȱ ȱ ȅȁȱ £ěȱ ȱ ȅȱ ȱ ¡ȁǯȱ Sexismus wird damit weg von den weiterhin unbefriedigenden abendländischen Geschlechterverhältnissen auf die ethnisch ‚Anderen‘ verschoben. Interessanterweise entsteht in diesem das Bild von der emanzipierten okzidentalen Frau wie von selbst. Es ist kein Zufall, dass deutscher Mainstream-Feminismus zum ȱȱ ȱȱȱ £ȱȱȱĞȱEmma ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ £ȱ ȱ £ȱ Programmpunkt gemacht hat. Gleichgültig, wie wenig durchgesetzt Emanzipationsanliegen in Wirklichkeit sind, die Fiktion der ȱȱȱȱȱȱ§Ğȱûȱ den okzidentalistischen Diskurs.11 Für den eigentlich als angestaubt geltenden, spätmodernen Feminismus ist er eine Möglichkeit, sich ȱȱĴȱȅȱ§ȁȱ£ȱȱ westlicher Kulturkämpfe zu machen, wobei die Gefahr, gleichzeitig £ȱȱȱȱ£ȱ ǰȱĚȱǯ Was den Feministinnen Schwarzer’scher Prägung ebenfalls unlieb sein muss, sind die bildpolitischen Umsetzungen des Zeichensystems ‚Emanzipation‘. Es wird der fetischisierte, erotisierte und fragmentierte weibliche Körper als ‚befreit’ gegen den bedeckten orientalischen Körper gesetzt. Albrecht Koschorke (2007) spricht vom Zwangscharakter westlicher Lustkultur und Christina von Braun vom ‚Sichtbarkeitsgebot‘ okzidentaler Kultur (vgl. Braun/Mathes 2007). Paradigmatisch für viele andere ist ein Foto, 11 Typisch für solche Argumentationen ist der von Alice Schwarzer mitherausgegebene Sammelband ȱ Ĵȱȱȱȱ£ von 2002, der auch bildpolitisch sehr drastisch daherkommt. Auf dem Cover sieht man eine ganz verschleierte Frau, um deren Sehschlitz ein Stacheldraht geschlungen ist (Badinter et al. 2002).
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das Der Spiegel in eine seiner unzähligen, kulturell rassistischen BeȱȱĞȱ£ǯȱȱ£ȱȱ fast völlig bedeckte, als Muslimin zu erkennende wahrscheinlich ȱȱȱ Ğȱȱȱȱȱȱǰȱȱ für Unterwäsche wirbt. Das Model ist nur mit Höschen und Büstenhalter bekleideten und drapiert seinen Körper in aufreizender Pose (vgl. Abbildung 6).
Abbildung 6: Spiegel vom 29.5.06, Nr. 22, S. 136
Hier kollabieren zwei Zeichensysteme ineinander. Enthüllung und £ȱȱȱûȱĤ§ǰȱ ȱ¡ȱȱ ȱȅĤ§ȁȱȱ£ ȱȱȱȱǯȱ Verhüllung steht für Obskurantismus und Rückständigkeit. Dieser Bildraum bedient auch noch ein zweites Bedürfnis okzidentaler Überlegenheitskonstruktion. Fast immer, wenn Femininität orientalisiert wird (im Sinne deutscher Migrationsverhältnisse), hat das ȱ ǰȱ ȱ ȱ ěǯȱ ȱ ȱ
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ȱ ȱȱ ȱȱȅ ĞȁȱȱȱȱĴȱ Ĵǯȱȱȱȱȱȱȱȅȱ von Unterschicht‘.
ȅѕюёќџѠȱіњȱ ђєђћљіѐѕѡȁȱ ȬȱќѢљђѣюџёȱѢћёȱђѥѢюљіѠіђџѢћєȱ Okzidentalistische Bilderpolitiken stehen in ambivalentem Verhältȱ£ȱȱĴǯȱȱ ȱ des Boulevards sind auch hier erfüllt: zum Beispiel eine Konzentration auf visuelle Politik. Das islamophobe Muster transportiert ȱ ûȱ ȱ Ěȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ §ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ matisierung und Narrativierung. Es ist leicht, eine Meistererzählung vom muslimischen Patriarchat und der unterdrückten Frau auszumachen, dramatisiert durch Erzählungen von Zwangsehen, ȅĞȱ §ȁȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ £ȱ Phänomene zweifelfrei vorkommen, werden sie nie im Zusammenhang okzidentaler gewaltsamer Geschlechterasymmetrien wie Zwangsprostitution, häuslicher Gewalt, Stalking, Katalogbräute oder Eifersuchtsmorde gelesen. Wenn unter Boulevardisierung allerdings Personalisierung oder Privatisierung verstanden werden, dann produziert eine okzidentalistische Bilderpolitik das exakte Gegenteil. Die Menschendarstellung konzentriert sich auf sogenannte kulturelle Merkmalsmotive und nicht auf Individuen. So gesehen sind sie eine Folie, auf der westliche Individualität zum Strahlen kommt. Eine Migrantin mit muslimischem Hintergrund erhält in der Regel erst dann eine Individualität, Namen und ein Gesicht, wenn sie sich als Renegatin und vor allem Islamkritikerin deutlich macht. Fügt man zum Kriterienkatalog Boulevardisierung die Kategorie Erotisierung und Sexualisierung hinzu, verändert sich das Bild allerdings. Wie über die feministischen male gaze-Theorien allgemein bekannt, spielt das ‚visuelle Vergnügen‘, das über die Fetischisierung weiblicher Körper, insbesondere ihrer sekundäre Geschlechtsmerkmale, zu erzielen ist, eine zentrale Rolle in den androzentrischen Blickregimen von Moderne und Spätmoderne. Ein Ěûȱȱȱȱȱȱ£ȱȱȱ beliebigen Zeitungsstand bestätigt das. Die Sexualisierung der Bildwelt über den entkleideten weiblichen Körper ist strukturell kein ěȱȱȬ£Ȭǰȱȱȱȱȱȱȱ
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Foucault herausgearbeiteten Funktion des sexuell aufgeladenen
ãȱ ȱ ȱ ȱ ǻǼȱ Ğȱ (vgl. Foucault 1977). Wenn Sexualisierung in okzidentalistischen Bilderpolitiken eingesetzt wird, dient sie meist als Kontrastfolie. Wie oben gezeigt, wird westliche (sexuelle) Freiheit gegen orientalische Sexualunterdrückung gestellt. Die inhärente Paradoxie, dass fast ausschließlich erotisierte weibliche Körper als Agentur von Freiheit kontrastiert werden – entsprechend erotisierte nackte männliche Körper in nicht-pornographischer Konsumkultur sind selten oder inexistent – bleibt unbemerkt. Nun ergibt sich eine Schwierigkeit. Wie im von Said (1978) beschriebenen kolonialen Orientalismus gesehen, ist die Sexualisierung von Ethnizität ein wichtiges Instrument der Hegemoǯȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ sinnliche Haremsgespielin. Vordergründig sieht es so aus, als eigne ȱȱȱȅ ĞȂȱȱûȱȱǯȱȱȱ ja geradezu eine verkörperte Kritik an der exponierten Sexualisierung spätmoderner Geschlechterverhältnisse.12 Allerdings zeigt ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ĞȬȱ ȱ ŘŖŖŜǰȱ ȱ ȱ okzidentalistische Selbstkonstruktion auf die Sexualisierung der orientalischen Frau keineswegs verzichtet, auch wenn dazu zu đ ãȱ Ĵȱ ěȱ ȱ DZȱ ȱ ȱ ȱ besonders der Stern hervor. So wird eine Sexualphantasie in das
Ğȱǰȱȱȱ£ȱ ǰȱwelches aus dem gleichen Verlag stammt, werden die Körperskulpturen unterm ȱȱ ȱęȱǻǯȱȱŝǼǯ ȱ ȱ ȱ £ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ner Konstruktion, in der die sexuelle Unterdrückung von Frauen ȱ ûȱ ȱ ȱ ǵȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ die Verfügbarkeit der Frauen der untergeordneten Gruppe durch die dominante Gruppe. So war es in der amerikanischen Sklaverei selbstverständlich, dass der Master sexuell und generativ über seine Sklavinnen verfügte. Aber der ‚Schwarze Mann’ wurde bis ins
12ȱ ȱĴȱȱ ȱȱ£ȱȱȱ£ȱȱ ¡ǯȱ§ȱȱȱȱȱęȱȱ zu Eigen gemacht. Die erfolgreiche Fernsehfamilienserie ûȱûȱ Anfänger in der ARD schildert eine türkisch-deutsche PatchworkFamilie, in der die religiöse Tochter Yagmur die Rolle der Mahnerin ûȱ ȱ Ěȱ ȱ ȱ ûǰȱ ȱ antiautoritäre sexuelle Freizügigkeit sie in etliche Schwierigkeiten gebracht hat.
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20. Jahrhundert mit Lynchmord bedroht, wenn er sich einer Weißen Frau näherte. Derselben Struktur folgen die Konkubinatssysteme des französischen Kolonialismus oder zeitgenössische Sextourismen von okzidentalen Männern beispielsweise nach Thailand.13 Die Unberührbarkeit der sich religiös zu erkennen gebenden Muslima verhindert die kulturelle Logik der sexuellen Aneignung. Die ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ãȱ kann demnach als ein Versuch betrachtet werden, über diese Bilderpolitik auch die ‚Orientalin‘ dem okzidental männlichen Blick zu unterwerfen.14
Abbildung 7: Stern Nr. 36 (1.9.05), 10/2006, Stern Nr. 42 (12.10.06)
Sexualität ist also ein entscheidendes Relais, an dem über die Unterordnung von Geschlechtern und Ethnien verhandelt wird. An der Figur der Muslima überkreuzen sich mehrere Diskurse. Der Diskurs okzidentaler kultureller Überlegenheit benötigt die durch ein angeblich universelles ‚orientalisches Patriarchat‘ unûȱȅ Ğȁǯ15ȱȱȱǮ§ȱ Ğȃȱ
13 Spätmoderne sexuelle Revolution haben auch okzidental weibliche Varianten dieser Verfügung über untergeordnete Körper hervorgebracht, etwa den Sextourismus in die Karibik, nach Tunesien, Bali oder Westafrika. 14 Man erinnere sich an den Enthusiasmus, mit dem westliche Medien ȱȱĞȱȱęȱȱ ȱȱȱ ûđǰȱȱ ȱȱ ȱȱĴǯȱ 15ȱ ȱȱȱȅȱ Ğȁǰȱȱǰȱȱricht klagte, mit demselben unterrichten zu dürfen, war man dermađȱǰȱȱȱȱȅȁȱȱȱĞǰȱȱȱ Kollektivsymbol der Unterdrückung zu tragen begehrte, dass man ȱ£ǰȱȱȱȱȱ Ğûȱȱȱ£ȱǰȱȱȱȱȱȱȱ
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(Bourdieu 1997) benötigt ein durch visuelle Regime sexualisiertes (das heißt objektiviertes) weibliches Subjekt, und zuletzt beinhaltet ȱȱȱ Ğȱȱûȱûȱȱȱ der untergeordneten Ethnie. Bilderpolitik kann hier eine Bühne der Diskursverschmelzung sein, die von der unargumentativen Diȱȱ§ȱȱȱȅ§ěȁȱterstützt werden. Es können harte Dichotomien inszeniert werden ǻȱȱ ĞȱȮȱȱȱȱûǼǰȱ insinuierte Verbindungen (Väterlichkeit und Gewalt – sprich Patriarchat und Terrorismus) und anzügliche Gleichzeitigkeiten (Religiosität und Verfügbarkeit).
ќѠѡѠѐџіѝѡѢњȱ ȬȱќѢљђѣюџёȱѢћёȱђѥѢюљіѠіђџѢћєȱȱ ѢћёȱђіћȱѝѝђћёіѥȱѧѢȱȅюѐђȁ Bislang wurde die Frage von Verdinglichung und Entsubjektivieȱȱ¡ȱȱȱǯȱ §ęȱ ȱxualität oder zumindest Erotik in Beziehung zu Schönheit gesetzt. Unter bestimmten Bedingungen kann das kulturelle Kapital ‚Weibliche Schönheit’ auch in politisches Kapital umgewandelt werden. Boulevardjournalismus, der mit visuellem Vergnügen operiert, kann dabei auch ausnahmsweise eine ermächtigende Funktion für ȱǯȱȱȱȱ££ȱǰȱȱȱĴȱ -Politikerin Gabriele Pauli zur Königsmörderin am bayrischen §ȱęȱȱȬȱ ȱȱ ȱȱȱ£§Ğȱ und ehemalige Schönheitskönigin Sara Palin über Fotoserien in Boulevard-Magazine wie People oder ȱ zur Popularität fand.16 Problematisch wird das Schönheitsthema allerdings, wenn inhaltliche und besonders bildpolitische Sexualisierung hinzukommt. Dann werden Handlungsmöglichkeiten von Frauen prekär. Wenn die männliche Lust am Bild in ihrer fetischisierenden Ausprägung bedient wird, kann die Angeschaute nur schwer
auszuhalten, dessen ‚orientalische‘ Trägerin als Agentin ihres eigeȱȱĞǯȱ 16 Der lateinamerikanische Staat Ecuador ist berühmt für Schönheitsköniginnen in wichtigen politischen Ämtern und auch im letzten französischen Wahlkampf wurde mit der Schönheit von Madame Royal argumentiert.
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Subjektcharakter bekommen. Gabriele Pauli hat sich, als sie sich von einem Glamour-Magazin mit Latex-Handschuhen ablichten ließ, als politisch handelnde Figur selbst liquidiert. Die Figuration Angela Merkel ist dagegen möglicherweise auch deshalb erfolgreich, weil sie erotisierte Femininität konsequent unterlaufen hat.17 Instinktsicher hat sie, wie im Vorspann gezeigt, auch den neo-orientalistischen Bildraum gemieden und damit bislang ihren mehrfach §Ğȱȱȱ£ȱtȱǯȱ ‚Race‘ lässt sich schwerer in kulturelles Kapital verwandeln als ȱĴ§ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Weißen Betrachters. Die Beharrlichkeit, mit der Barack Obama in einen muslimischen Bildraum gestellt wurde, ist in vieler Hinsicht eine ‚Verschiebung‘ im Freudschen Sinn. Sie transferiert ein Ressentiment, das mit seiner Hautfarbe zu tun hat, auf die Ebene der Furcht vor einer ‚anderen Kultur‘. Das Bild ‚Obama mit Turban‘ – um auf den Aufsatztitel ‚Okzidentalistische Bilderpolitik‘ zurückzukommen – nimmt dabei eine besondere Funktion ein: Es bleibt im ãȱȱȱȱĞǯȱȱȱȱȮȱȱȱsezusammenhang – erzeugt es eine scheinbar unwiderlegbare Evidenz: ‚Das sieht man doch‘. Bis zur letzten Phase des Wahlkampfes berichteten Mitarbeiter der Obamakampagne, dass das Argument, der Kandidat sei Muslim, trotz profunder Gegenbeweise nicht aus ȱ ȱ £ȱ ěȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ‚Schwarz’ auf ‚Muslim’ hat dabei noch einen weiteren angenehmen ěDZȱȱ§ȱǰȱȱȱȱȱotischen Gründen nicht wählen können, weil sie im Krieg mit dem Islamismus liegen. Das ermöglicht zu verdrängen, dass sie niemals ȱ £ȱ ȱ §ȱ §Ĵǯȱ ȱ £ȱ £ȱ tion okzidentalistischer Bilderpolitik zu kommen ist: Sie arbeitet islamophoben (und anderer) Rassismen und Sexismen zu Tableaus ‚kulturkritischer’ Besorgnis und zivilisatorischer Überlegenheit um.
17 Zur Ausnahme von der Regel vgl. den Beitrag von Lünenborg et al. in diesem Band.
Dietze: Okzidentalistische Bilderpolitik
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ќћȱќѤяќѦѠǰȱѡююѡѠњѫћћђџћȱ ѢћёȱђџџќџіѠѡђћ §ȱȱȱ ȱ£ȱȱŗŗǯȱȱ ȱȱ ȱȱ ћёџђюȱюѐѕѡієюљљ џѠѐѕҿѡѡђџѡђȱџёћѢћєӓ ‚Nichts wird mehr so sein, wie es war’, hieß es in den Tagen nach ȱ§ȱȱŗŗǯȱȱŘŖŖŗǰȱȱȱĴtäter zwei Flugzeuge in das World Trade Center in New York und ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ einstürzten, das Hauptgebäude des US-amerikanischen Verteidungsministeriums beschädigt und tausende Menschen getötet wurden. Diese im Westen lange Zeit dominante Interpretation der Ereignisse proklamierte eine tief greifende historische Zäsur und £ǰȱ ȱȱȱ§ȱȱûĴȱȱĞȱ Ordnung wahrgenommen wurden. ‚Terror’ ist jedoch kein politisches Faktum, das von sich aus schon eindeutig wäre, wie es diese Auslegung des Geschehens suggeriert. Die Anschläge wurden und ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ¡ȱ ǰȱȱȱǮȱȃȱ ȱ£ǰȱ ȱ die Beiträge des gleichnamigen Sammelbandes (Hitzler/Reichertz 2003) instruktiv darlegen. Im Zentrum stehen hierbei symbolische £ǯȱȱȱĞȱȱȱȅȂȱȱ mediale Praktiken und Routinen von großer Relevanz, sie bieten Deutungen – und damit immer auch Bedeutungen – an, mit denen ȱ ȱ ȱ ȱ ¢ȱ ȱ ȱ Ğȱ integriert werden (vgl. ebd.: 8). Die Anschläge werden hierzulande ȱ ȅ §Ȃǰȱ ȅ ȱ ȱ Ȃǰȱ ȅěȱ ȱ misten’, ‚erster Krieg des 21. Jahrhunderts’ oder ‚Stunde Null einer
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neuen Weltordnung’ gedeutet – wesentlich seltener auch als Folge von westlichem Imperialismus oder Ungleichheit produzierender ökonomischer Strukturen (vgl. dazu auch Junge 2003). Je nach Deutung fällt auch die Legitimität, die der Ausübung von Gewalt zugestanden wird, unterschiedlich aus. Wie Schwab-Trapp (2007) in einer Studie zur diskursiven Verarbeitung des 11. September in ȱ£ǰȱûȱȱ§ȱȱȱĢȱgerufene ‚Krieg gegen den Terror’ aufs Neue fundamentale Normen des Verständnisses von Krieg und Gewalt. Die Diskussion über die Legitimität militärischer Gewaltanwendung geht zwei Jahre nach dem Kosovokrieg, dem ersten militärischen Auslandseinsatz deutscher Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg, in eine neue Runde und gewinnt zugleich eine neue Qualität (ebd.: 13).
Abbildung 1: Titelseite Emma Nr. 6, November/Dezember 2001
ȱ ãěȱ ȱ ȱ ǻȬǼȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ûĞǯȱ ȱ ȱ ûěȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Werte verspricht angesichts der beunruhigenden Geschehnisse eine gewisse Form der Sicherheit und Stabilität. Damit wird zuȱ ȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǻǼȱ Ğȱ §ȱ ãǯȱ ȱ ȱ
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ěȱûĴȱ ǰȱȱȱȱȱȱ Darstellung der Anschläge und des ‚Kriegs gegen den Terror’ zieht, ist die explizite, vor allem aber implizite Bezugnahme auf ‚Geschlecht’ bzw. Geschlechterverhältnisse. Dabei kommt es zu einer Aktualisierung und Verfestigung stereotyper dichotomer Vorstellungen von ‚passiver, friedfertiger Weiblichkeit’ und ‚aggressiver, gewaltbereiter Männlichkeit’. Deutlich wird die Re-Etablierung der Zweigeschlechtlichkeit beispielsweise mit dem Titelbild der femiȱ Ğȱ Emma von November 2001 (vgl. Abbildung 1). Das Bild zeigt den US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush, den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer und den vermeintlichen Drahtzieher hinter den Anschlägen Osama ȱȱȱȱtĞȱǮǯȱ§ȱ§ȱ§ȃǯȱ Damit wird Terror als ‚Männersache’ bzw. ‚patriarchales Wirkungsfeld’ deklariert, während die im Hintergrund sichtbare, durch die Verschleierung als Frau assoziierte Gestalt mit der Dornenkrone pures – daraus resultierendes – Leid verkörpert. Innerhalb des Deutungsrahmens ‚Patriarchat’ sind Täter- und Opferrolle eindeutig nach Geschlecht verteilt (Männer = Täter und Terroristen, Frauen = Opfer und Leidtragende) und beanspruchen universale Gültigkeit. ȱȱȱǰȱȱȱȱȱĴȱǰȱ wird der Zusammenhang zwischen Terror, Krieg, Medien und Geschlecht näher beleuchtet. Warum erscheint die Zuordnung von Männlichkeit zu Terror und Krieg plausibel? Wie ist die Kategorie Geschlecht in die medialen Prozesse der Bedeutungs- und Sinngebung im Kontext des 11. September und des darauf folgenden Krieges in Afghanistan eingeschrieben? Auf welche Männlichkeitsund Weiblichkeitsbilder wird in den Printmedien des mainstream Bezug genommen und welche Funktionen erfüllen sie? Zur Beantwortung dieser Fragen bieten feministische Ansätze zum Thema Krieg und Frieden wichtige Anregungen, weshalb diese nachfolgend, im zweiten Teil des Beitrages kurz skizziert werden. So ist es kein Zufall, dass Krieg, Gewalt und internationale Politik mit Männlichkeit assoziiert werden, da diese Bereiche allein personell – Politiker, Soldaten, Staatspräsidenten ebenso wie ihre ‚Feinde’ – eine überwiegend männliche Angelegenheit zu sein scheinen (vgl. Harders 2004b: 462). Betrachtet man Geschlecht jedoch nicht als ontologische Gegebenheit, sondern als analytische Strukturkategorie, bleibt ein Verweis auf die ‚biologische’ Männlichkeit der Akteure als Erklärung unzureichend. Geschlecht ist einer poststrukturalistischen Lesart folgend ein kulturelles System der Zweigeschlechtlichkeit, welches sich zwar in den Körpern materialisiert, aber
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innerhalb von sozialen Interaktionen, symbolischen Ordnungen, medialen Repräsentationen, Institutionen, Arbeitsteilungen und ǻĞǼȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ truiert wird (vgl. stellvertretend Hark 2001). Darüber hinaus gilt es zu klären, welche Rolle den Medien in Zeiten von Krieg und ãȱ Ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ zukommt (Teil Drei). Mit Hilfe einer diskurstheoretisch motivierten Herangehensweise im Anschluss an Michel Foucault lassen sich ȱȱĴȱȱȱȱȱ ĞȱȅȂȱĚûǰȱ ȱȱ¢ȱȱ der Ebene der Sprache, Symboliken und Metaphern ansetzt. Eine diskurstheoretische Perspektive fragt nach den überkommenen Denk- und Wissensordnungen, die die Politik der Gegenwart strukturieren (Kerchner 2006: 34). Medien, diskurstheoretisch ǰȱȱȱǰȱȱȱ£ęȱȱ von Wirklichkeit. Siegfried Jäger, der die foucaultsche Diskurstheorie vor allem für die Analyse aktueller Diskurse, insbesondere für Mediendiskurse fruchtbar gemacht hat, versteht Diskurs als Ǯȱȱȱȱȱȃȱǻ §Ȧ §ȱŘŖŖŝDZȱŗŜǼǯȱȱ sind demnach ‚Träger’ gültigen Wissens, die mit permanenten Deutungskämpfen und Macht-Wirkungen einhergehen – denn nicht alles was sagbar wäre, wird gesagt. Im vierten Teil wird die ȱ Ĵȱ ûȱ ȱ ŗŗǯȱ ȱ ȱ den Krieg in Afghanistan darauf hin analysiert, in welcher Weise Kriegsdiskursen funktionale Geschlechterkonstruktionen inhärent sind. Was sich anhand der Emma bereits besonders plakativ zeigen ließ, wird im Folgenden exemplarisch anhand der Frankfurter AllȬ gemeinen Zeitung und des SpiegelȱĞǯȱȱȱȱȱȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȅ§Ȃȱ bei der medialen Inszenierung der politischen Akteure zum Tragen kommen.
џіђєǰȱіћѡђџћюѡіќћюљђȱќљіѡіјȱѢћёȱ ђѠѐѕљђѐѕѡȱȮȱѓђњіћіѠѡіѠѐѕђȱђџѠѝђјѡіѣђћ Zahlreiche feministische Analysen haben die Interdependenzen zwischen Geschlechterordnung, Krieg und Frieden nachgewiesen:
ȱ ȱ ãȱ Ěȱ ȱ gendered, das heißt auf verschiedenen Ebenen mit Geschlecht verwoben (Seifert 2001: 26; vgl. für einen Überblick Harders/Roß 2002; Neissl et al. 2003; Davy et al. 2005; Lorentzen/Turpin 1998). Damit sind nicht nur
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ȱ £ęȱ ȱ ȱ ěȱ von Krieg (zum Beispiel von sexualisierter Gewalt) oder die unterschiedliche Involviertheit von Männern und Frauen ins
ȱǻ£ȱȱȱȱ£ȱ ĴǼȱmeint, sondern auch die Ebene der symbolischen und diskursiven Repräsentationen. Harders (2004a) unterscheidet drei Richtungen der feministischen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Krieg und Frieden: 1) Ansätze der Frauen- und Friedensbewegung, die auf eine ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ abzielen und die Entwicklung feministischer Gegenentwürfe anstreben, wobei zum Teil eine ‚positive Weiblichkeit’ zugrunde gelegt wird (vgl. zum Beispiel Albrecht-Heide 1991; Wasmuht 1991; Ruddick 1989) 2) Arbeiten, die sich mit dem praktischen engendering des konkreten Kriegs- und Friedensgeschehen und den damit verbunȱ §ȱ §ĞDzȱ £ȱ ãȱ £ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ Militär, Friedensverhandlungen und NGOs (vgl. zum Beispiel ȱȱǯȱŘŖŖśDzȱĚȦȱŗşşşDzȱȱŘŖŖŗǼ 3) Ansätze, die sich auf eine grundlegende Kritik der theoretischen Konzepte, insbesondere der Internationalen Beziehungen und der Staatstheorie konzentrieren und diese auf ihren impliziten geschlechterpolitischen Gehalt hin untersuchen (vgl. zum Beispiel Mordt 2002; Roß 2002; Ruppert 1998; Tickner 1992).
Für die vorliegende Untersuchung sind vor allem die beiden letztgenannte Ansätze relevant, die aus (de-)konstruktivistischer Perspektive nach den Geschlechterbildern und -diskursen forschen, die die Vorstellungen von Krieg und Frieden im internationalen System strukturieren. Die Analysen machen deutlich, dass der Zusammenhang zwischen Geschlechterungleichheit und Kriegskultur tief in das ideengeschichtliche Fundament des bürgerlichen Nationalstaates eingelassen ist (vgl. Harders 2004b 462; vgl. Roß 2002): Im Kontext von Krieg und Frieden dominieren dichotome Geschlechterkonstruktionen (vgl. Elshtain 1987; Goldstein 2001). Entlang stereotyper Zuschreibungen wird Weiblichkeit mit ǰȱ £ûĞȱ ȱ ȱ £ǰȱ §ȱ §ȱ ȱ ĠĞǰȱ §ȱ und Beschützerrolle gleichgesetzt wird – kurz: Männer kämpfen,
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Frauen nicht.1 Mordt (2002) arbeitet im Anschluss an Elshtain vier klassische Geschlechterbilder heraus, die den Konzepten Internationaler Beziehungen strukturierend zugrunde liegen: kämpferischer ‚Soldat’ und rationaler ‚Staatsmann’ stehen als männliche Identitätskonstruktionen der friedfertigen ‚Schönen Seele’ und ȱ ȅ ĴȂȱ ȱ ȱ ȱ ûǯ2 Dabei sind die komplementären Geschlechterkonstruktionen in ihrer Gegensätzlichkeit funktional und für Funktionsweise und Struktur von Nationalstaat und Militarismus zentral (vgl. Harders 2004b: 462). Solchermaßen ‚militarisierte Geschlechtscharaktere’ dienen nicht nur als Begründungszusammenhang für die Zuweisung unterschiedlicher Positionen und Rollen im Kriegskontext. Sie stellen darüber hinaus eine wichtige Legitimationsbasis für das außen- und sicherheitspolitische Handeln der Staaten dar.3 ȱ ǰȱ Ğȱ ȱ ȱ §ȱ Ěđȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ zwischenstaatliche Handeln ein. So wie Männern in der Regel eine
1
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Die enge Koppelung von Männlichkeit mit Militär und Kampf geht historisch auf die Entstehung der modernen Nationalstaaten zurück. Die Gewährung der vollen Bürgerrechte wurde an das Tragen von ěȱ£ ȱȱĚȱ£ȱȱȱȱǰȱ ȱȱûȱȱĚȱȱŗşǯȱ ȱschließlich Männern vorbehalten war. Frauen wurden hingegen als mindergestellte Staatsbürgerinnen konzipiert und in der häuslichen Sphäre verortet (vgl. Seifert 1999: 47f.). Mordt (2002: 68) macht darauf aufmerksam, dass diese beiden ‚Paare’ jeweils nach innen widersprüchlich konzeptualisiert sind, sich jedoch zu einem ‚sinnvollen Ganzen’ ergänzen, zum Beispiel bedarf der kühl kalkulierende Politiker eines durch ein Gefühl der Hingabe motivierten Soldaten. Die kriegsferne ‚Schöne Seele’ wird durch die ûĴȱȱ§£ǰȱȱȱ ȱȱû£ǰȱȱ sie Mann und Söhne in den Kampf schickt. Daraus wird ersichtlich, warum ein feministisch-normativer Bezug auf eine friedfertige Weiblichkeit oder die Begründung allen kriegerischen Übels mit Männlichkeit problematisch ist, da letztlich auch ein in kritischer Absicht formulierter Bezug auf eine weibliche Frie£ȱȱȱȱ§ȱȱȱȱĞȱ und damit insgesamt die binäre Logik der Zweigeschlechtlichkeit unangetastet fortschreibt – wie das Emma-Beispiel deutlich zeigt (vgl. zu einer Kritik dieser Ansätze ausführlich Seifert 1999: 54-60). Zudem bleiben Frauen als Täterinnen oder Männer als Opfer von Krieg und Gewalt damit unsichtbar.
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ãȱ Ğȱ£ȱ ǰȱ ȱȱȱ das Gewaltmonopol und das Recht auf militärische Außenverteidigung übertragen, womit die Gewährung von ‚Sicherheit’ nach ȱ ȱ ȱ ȅ£Ȃȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ außen einhergehen (Harders 2004a: 239; vgl. Roß 2002). Die klassischen Theorien der Internationalen Beziehungen betrachten die internationale Arena als anarchisches System, in dem Kriegs- und §ȱ ȱ ȅû Ȃȱ Ğȱ gelten; im Gegenzug werden Frauen (und Kinder) zum Symbol der zu schützenden Nation (vgl. Enloe 1990; Tickner 1992, 1996; Zalewski/Parpart 1998; Mordt 2002). Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit sind zudem in die Konstruktionen des Eigenen und ȱȱǯȱȱȱȱȱǮȱȱ the external other“ (1996: 157) eine wichtige Legitimierungsstrategie westlichen Imperialismus dar. Neben der Kontrastierung einer ȱ Ǯȱ ȱ §ȃȱ ȱ ȱ Ǯfährlichen internationalen Außen“ (ebd.: 156) dient diese Strategie bereits seit den frühmodernen europäischen Expansionsbestrebungen dazu, eine Politik der Kolonialisierung und Eroberung mit dem Argument, die ‚Anderen’ seien unzivilisiert und bräuchten unseren Schutz, zu rechtfertigen (vgl. ebd.: 157). Die Kategorie Geschlecht, und hier insbesondere Frauen und Weiblichkeit als Symbol für die Nation und Hüterinnen der Kultur, spielt darüber hinaus eine zentrale Rolle für die kollektiven Identitätskonstruktionen ‚imagiȱ Ğȁȱ ǻȱ Ǽȱ ȱ ¡ȱ ǻǯȱ Kreile 2002: 38, vgl. dazu auch Coulomb-Gully in diesem Band). Das Geschlechterverhältnis, speziell die soziale und kulturelle Rolle der Frau, wird als konstitutives Element der inneren Ordnung ěȱȱȱȱęȱȱȱ ȱȱ£ȱ ȱđȱǻǯȱǯǼǯȱǮȱȱ ȱȱȱ
Ěȱ ǰȱ ȱ Ȧȱ §đȱ ȱ und in Beziehung zur politischen Identität der Gruppe gesetzt“ (Seifert 2001: 35).4
4
Die Konstruktion von Frauen(körpern) als Symbol für Nation hat insbesondere für die Gewalthandlungen im Kriegskontext weit reichende Folgen. Kriegsvergewaltigungen werden zu einem systemaȱĴȱȱ ûǰȱȱtěȱȱȱȱȱ ȱ Ğȱȱȱ¢ȱ ȱȱ ‚Volkskörpers’ betrachtet werden (Seifert 2001: 35).
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Aus dem Bisherigen wird deutlich, dass Kriege und sicherheitspolitische Krisen nicht allein deshalb ‚Männersache’ sind, weil die individuellen politischen Akteure mehrheitlich Männer sind. Neuere ȱ§£ȱȱĴȱȱȱsionen von Geschlecht im Kontext von Krieg und gewaltförmigen
Ěȱȱȱȱ§ȱ§ȱ tereotype belegt. Dabei bleibt die Medialisierung dieses Verhältnisses jedoch meist unberücksichtigt, was in Anbetracht der Tatsache, ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ Ĵȱǰȱȱě§ȱûȱǯ
ђџȱђёіђћёіѠјѢџѠȱюљѠȱȅђѐѕћќљќєіђȂȱ ѣќћȱ џіђєȱѢћёȱ ђѠѐѕљђѐѕѡȱ Bei der Frage nach der Bedeutung und Funktion von Geschlechterbildern ist zunächst der besondere Zusammenhang von Medien und Krieg zu berücksichtigen. Wenn Demokratien Kriege führen, ist ȱȱȱǰȱȱȱȱĞȱ Zustimmung erforderlich (vgl. Kassel 2004: 164). Kriege erfordern £ȱȱȱęȱȱȱȱǰȱȱȱ £ȱ Ğǰȱȱȱȱ¢ȱ (re-)produziert werden muss und auf die überzeugende Konstruktion des ‚Eigenen’ im Gegensatz zum ‚Anderen’ angewiesen ȱ ǻȱ ŘŖŖŗDZȱ řŚDzȱ ǯȱ °ȱ ŗşşŞǼǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ§ȱ ȱȱȱȱȱ brisant. Medien bilden, wie eingangs erwähnt, nicht einfach eine bereits gegebene Realität ab, sondern sie stellen selektive Interpretationsangebote bereit, weisen Bedeutungen zu und produzieren, befestigen und verstetigen Meinungen, die einen Krieg als legitim oder nicht-legitim erscheinen lassen – das gilt auch für Nachrichtenmedien (vgl. Klaus 2005; ausführlich Lünenborg 2005a). Auch ȱãȱ£ȱ Ğȱȱȱȱȱ wie kollektiven Identitäten werden maßgeblich durch Medien hergestellt (vgl. Lünenborg 2005b: 6). Medien fungieren darüber ȱ ȱ §ȱ Ǯȱ ȱ ȃȱ ǻȱ retis 1996), indem sie permanent Aussagen über Weiblichkeit und Männlichkeit aktualisieren und damit an der Ausgestaltung und Aufrechterhaltung der Zweigeschlechtlichkeit mitwirken. ȱ ȱ £ ȱ Ĥȱ ŗşşŖȦşŗȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ tung und Funktion von (Massen-)Medien im Kriegskontext
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ȱ £ȱǻǯȱ£ǯǯȱãě£ȱŗşşřǰȱŘŖŖŚDzȱȦ£ȱ 1995; Albrecht/Becker 2002; für einen Überblick Klaus 2005). Als ernüchterndes Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Medien mehrheitlich einer dualistischen Kriegslogik folgen, in der es nur noch Freund oder Feind gibt. Dominikowski konstatiert eine ǮȱȱȱȃȱǻŘŖŖŚDZȱŝŞǼȱȱlogischer, ökonomischer, politischer und individueller Hinsicht, die sich vom frühen 19. Jahrhundert bis zum jüngsten Irakkrieg fortsetzt. Stereotype Dichotomisierungen, die zumeist mit einer ȱǰȱȱȱě£ȱtrachtungsweise und führen zu einer Komplexitätsreduktion geĞȱ Ěȱǻǯȱ £ȱŗşşŞǼǯȱȱȱ der SpiegelȬĴȱ ûȱ ȱ ȱ £ȱ £ȱ Beispiel, wie das ‚Andere’ gegenüber dem ‚Eigenen’ als rückstänǰȱ £ȱ ȱ Ĵ§ȱ ȱ ȱ ǻǯȱ ȱ ȱ al. 2002); die vermeintliche Brutalität des Gegners lässt (allein) ein militärisches Einschreiten notwendig erscheinen, um Schlimmeres zu verhindern. Die verschiedenen Arbeiten zeigen ebenfalls, so sie denn Geschlecht als Analysekategorie berücksichtigen, dass auch den Mediendiskursen dichotome Geschlechterkonstruktionen inhärent sind. Entlang traditioneller Geschlechterrollen werden ȱȱȱȱȱǰȱěȱȱ ȱȱ ȱ ȱ Ěûȱ ûĴȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ während Männer überwiegend als Verteidiger und Beschützer von ‚Vaterland’ und Familie dargestellt werden (vgl. Klaus/Kassel 2003: 14f., vgl. Pater 1993). Auch für die Ereignisse des 11. September und den ‚Krieg gegen den Terror’ lässt sich ein gendering durch§ȱȱȱȱę£ǯȱȱ ȱȱȱȱ männlichen Heldengeschichten, die jeden Krieg begleiten – hier in Gestalt der todesmutigen Feuerwehrleute am Ground Zero. Sie werden in der Regel von Frauen ‚dekoriert’: So waren Frauen in den Tagen nach den Anschlägen vor allem als unschuldige Opfer, trauernde Angehörige und Brötchen schmierende Helferinnen zu sehen (vgl. Forster 2003). ȱ £ȱȱȱȱȱȱ£ûĞȬ gen erhält dabei eine zentrale Bedeutung für die Legitimierung eines Krieges, insbesondere in Zeiten, in denen Kriege als ‚humanitäre Interventionen’ und ‚zivilisatorische Missionen’ begründet ǯȱ ȱ ¡ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ûĞȱ
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FrauenundKinder5ȱ ûȱ §ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱǰȱȱȱȱȱȱĴȱȱ Beschützerrolle der eigenen Soldaten appellieren und die KampfesĞȱȱãȱǻǯȱȱŗşşřDzȱ ȱȱǯȱŘŖŖŘDzȱȱ 2005).6ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ Ǯȱ ¡ȃȱ ȱ (sexualisierten) Gewalt gegen Frauen (Stanley/Feth 2007: 138), das heißt die Verletzung von Frauenrechten wird ausschließlich als Charakteristikum des ‚Feindes’ dargestellt, wodurch seine ‚Unterlegenheit’ gegenüber der eigenen Männlichkeit begründet und der ‚Schutz der (fremden) Frauen’ zum Kriegsargument werden kann (ebd.).7ȱȱĴȱûȱȱȱ£ȱ deutlich, wie die ‚Befreiung der afghanischen Frau’ zu einer zenȱ ȱ ęȱ ȱ ǻǯȱ ȱ ŘŖŖŚDzȱ Maier/Stegemann 2003; Dietze 2006).8 Während die ‚weiblichen’ Stereotypisierungen in den Medien und ihre Funktion(alisierbarkeit) mehrfach zum Gegenstand der Analyse wurden (zum Beispiel bei Kassel 2004; Klaus/Kassel 2003; §ȱŗşşŞDzȱ §ȱŘŖŖřǼǰȱęȱȱȅ§Ȃȱonen zumeist wenig Beachtung – dies gilt besonders für eine Analyse ȱȱĴȱûȱȱȅ ȱȱȱ Terror’.9 Im Folgenden richtet sich daher der Fokus auf die Männlichkeitskonstruktionen in deutschen Medien. Anhand ausgewählter Text- und Bildbeispiele des Nachrichtenmagazins Der Spiegel und 5 6
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Enloe (1990) prägte die Wortschöpfung , um ihre Funktionalität kenntlich zu machen. Das gleiche Bildmotiv kann jedoch auch eine delegitimierende Funktion übernehmen, wenn FrauenundKinder (stellvertretend für die ZiãǼȱ ȱ £ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Vertreibung gezeigt werden. Hier wird zudem auf ein koloniales Motiv rekurriert: Der ‚Weiße’ wird als zivilisatorisch überlegen imaginiert, der die ‚Wilden’ von der ‚Barbarei’ befreien muss. Dem vermeintlichen Schutz oder der Befreiung der einheimischen Frauen kommt in dieser Rhetorik eine zentraȱȱ£ǰȱȱ ¢ȱȱǻŗşşŖǼȱȱȱ£ȱǮ ȱȱ saving brown women from brown men“ auf den Punkt bringt (zitiert nach Dietze 2006: 225). Auch im Bosnienkrieg 1993 diente die mediale Inszenierung von Kriegsvergewaltigungen primär dazu, den Gegner zu dämonisieren und Handlungsdruck zu erzeugen (vgl. Stanley/Feth 2007; Klaus/ Kassel 2003). Für eine Analyse der US-amerikanischen Medien nach dem 11. September vgl. zum Beispiel Forster 2003; Lorber 2005; Drew 2003.
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der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) soll gezeigt werden, wie internationale Politik als Arena von Männlichkeiten inszeniert wird, wobei die Analyse bei der Repräsentation der individuellen und kollektiven politischen Akteure ansetzt.10 Spiegel und FAZ gelten im deutschen Kontext als Leitmedien mit weit reichender Meinungsbildungs- und Multiplikatorfunktion. Gerade wegen ihrer jeweils unterschiedlichen Ausrichtung, Aufmachung und Zielgruppe sind sie geeignet, um in der Analyse ein möglichst breites Spektrum der politischen Positionen innerhalb des hegemonialen Diskurses abzudecken. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Figuren des ‚westlichen Politikers’ und des ‚feindlichen Gegners’ in Gestalt des ‚Terroristen’, konkret geht es um die mediale Darstellung von George W. Bush, Gerhard Schröder, Joschka Fischer, der Partei Bündnis 90/Die GrünenȱȱȱȱȱȱȱĴǰȱ ȱ ȱûȱ ȱĴ§ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ (männliche) Hauptprotagonisten herausgestellt werden.11 Das medial produzierte Bild des politischen Akteurs ist, so die These, von konkurrierenden Vorstellungen von Männlichkeit geprägt – und in die dichotome Konstruktion von ‚Freund’ und ‚Feind’ eingelassen. Mit Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit (2000) ist es möglich, die unterschiedlichen Vorstellungen von Männlichkeit analytisch zu fassen und in ihrem hierarchischen Verhältnis 10 Grundlage der Untersuchung bilden alle Artikel zwischen dem 12.9. und dem 5.12.2001, dem formalen Ende des Krieges in Afghanistan, die schwerpunktmäßig auf die Ereignisse des 11. September und die damit in Zusammenhang stehende Politik, insbesondere den Krieg in ȱȱȱĴȱȱȱȱǰȱ£ȱ nehmen. Daraus ergibt sich ein Textkorpus von rund 500 Artikeln, wobei auf den wöchentlich erscheinenden Spiegel gegenüber der Ta£ȱȱ ȱȱĴȱȱȱǯȱȱȱȱ die politischen Akteure wurden für die vertiefende Analyse insgesamt 30 Schlüsseltexte ausgewählt, wobei die Textanalyse durch eine Bildanalyse des Spiegels ergänzt wurde. 11ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯ ȱ ȱ ȱ Sicherheitspolitik“ (Mordt 2002) lässt sich als Hypothese auch auf eine Analyse der Medien übertragen, muss jedoch um die Figur des Feindes ergänzt werden. Die Figur des Soldaten, die neben dem Politiker zum ‚männlichen Part’ gehört, taucht in den Medien ebenfalls ǰȱȱ ȱǯȱȱûĞȱȱ ȱ¢ǰȱ das Zusammenspiel von Soldat und Politiker und ihre Funktion für die Konstituierung einer europäischen Identität und Außenpolitik zu untersuchen.
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zueinander zu beschreiben. Hegemoniale Männlichkeit stellt dem £ȱȱȱ ãđǰȱȱȱȱ§Ğǰȱ£Ȭȱȱ kontextabhängiges kulturelles Ideal und Leitbild dar. Hegemoniale §ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ lation: in Abgrenzung zu Weiblichkeit und zu anderen Formen von Männlichkeit.12 Mit diesem Instrumentarium lässt sich die Ĵȱ ûȱ ȱ ŗŗǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ §ȱ ǯȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȃȱ ǻ ¢ȱ 1997) des politischen Raums ist davon auszugehen, dass Aussagen ûȱ§ȱû ȱ£ȱĞǰȱȱȱȱ dem eingangs zitierten Emma-Beispiel, und gleichsam als Subtext ȱ Ĵȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱ ȱ£ȱěǰȱȱȱȱ daher eines ‚Umwegs’: So gibt die Frage, wie ein erfolgreicher PoliȱěȱȱǰȱĞȱûȱȱȮȱȱ ȱ Ȯȱ Ğȱ ȱ £ȱ ǻǯȱ Mordt 2002: 64). Ebenfalls ist die Kontextualisierung der Akteure zu DZȱȱȱȱȱãěȱȱȱȱȱ gezeigt, werden sie als aktiv oder passiv präsentiert, mit welcher
ãȱȱȱȱęȱȱ£ûȱȱ Ğǰȱ Religionszugehörigkeit, Sexualität, Alter oder Aussehen? Zu fragen ist weiter, an welche historischen, aktuellen und alltäglichen Wis§ȱûĞȱ DZȱȱ ȱǻ ȬǼ¢ȱ und Bilder aus Mythologie, Geschichte und Religion wird implizit oder explizit rekurriert? Die aufgeworfenen Fragen dienen der empirischen Analyse als Orientierung, sie helfen den wiederkehrenden Aussagen13 und Regelmäßigkeiten in Bezug auf Geschlecht ȱȱȱ£ȱǯȱȱȱȱĴȱ ȱȱȱ £§ȱ ȱ ȱĞȱ ȱȱ ȱ ȱ ȱ verbundenen Themen kodiert, die Analyse zielte sodann darauf ab, wiederkehrende sprachliche Bilder, Metaphern und Symboliken von Männlichkeit zu rekonstruieren. Die diskursanalytische Perspektive fokussiert die in den Texten enthaltenen über-individuellen Wissensordnungen und weniger die bewussten oder unbewussten Intentionen der AutorInnen. 12 Connell (2000: 97-102) unterscheidet zwischen hegemonialer, kom£Ğǰȱȱȱȱ§ǯ 13 Zum Beispiel kann das Bild des ‚kriegerischen Mannes’ ebenso wie das der ‚friedfertigen Frau’ als eine wiederholbare, materialisierte Aussage im Sinne Foucaults interpretiert werden.
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ђёіюљђȱ ќћѠѡџѢјѡіќћђћDZȱ ќљіѡіјђџȬȱѢћёȱђіћёяіљёђџȱѧѤіѠѐѕђћȱ ŗŗǯȱђѝѡђњяђџȱѢћёȱѓєѕюћіѠѡюћјџіђє ђќџєђȱǯȱѢѠѕȱ ȬȱѧѤіѠѐѕђћȱќѤяќѦȱѢћёȱѡююѡѠњюћћ Die medialen Repräsentationen des US-Präsidenten George W. Bush ȱȱȱĞȱ ȱûȱȱnalität zu, assoziieren mit ihm andererseits unkontrollierte Rache ȱǯȱȱȱȱĴȱȱȱŗŗǯȱȱ wird Bush zunächst als kompetenter Staatsmann charakterisiert, der auf die schockierenden Ereignisse entschlossen, aber besonnen reagiert habe. Die durch die Anschläge verursachte Krise wird als individuelle Reifeprüfung gedeutet, die Rede ist beispielsweise von ȱ Ǯȱ ȃȱ ǻȱ ŗŚǯşǯŖŗDZȱ ŞǼȱ ȱ Ǯ §proben“ (FAZ 14.9.01: 3), an denen sich Professionalität und Größe eines Politikers messen lassen, und die der Präsident erfolgreich £ȱ ȱ DZȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ǯ ȃȱ ǻȱ ŘŘǯşǯŖŗDZȱ ŘǼǰȱ Ǯ§ȱ ȃȱ ǻȱ ŗśǯŗŗǯŖŗDZȱ řǼȱ ȱ Ǯ£Ȭ§ȃȱǻȱŗśǯşǯŖŗDZȱŘśǼȱȱ ǰȱȱ ȱ ¡ȱȱ ȱȱǮȃȱȱȱȱ £ȱ Ǯ ȱ ȱ ȃȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȃȱ ȱ ȱ ȱ Ǯnaler Trostsprecher und internationale Führungsgestalt“ bewiesen ǻȱǰȱŘŘǯŖşǯŘŖDZȱŘǼǯȱȱ ȱǮȱĞĴȱ£ȱĞĴȱȱ und Sicherheit“, bilanziert die FAZ (14.9.01: 3), und auch Der Spiegel ûǰȱȱǮȱ ȱȱęȱȃȱǻŗśǯşǯŖŗDZȱŘśǼǯ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ŘŖŖŗȱ im Zuge der Vorbereitungen des Afghanistankrieges ein weiteres, welches ersteres partiell in Frage stellt: Anknüpfend an tradierte Wildwest-Mythen von Freiheit, Abenteuer und Männlichkeit (vgl. Erhart 1997) wird Bush – und mit ihm die gesamte US-amerikanische Nation – als ein auf Rache und Vergeltung sinnender Cowboy inszeniert. Der Cowboy, zu dessen Insignien Pferd, Lasso, Patronengurt, Ranch und eine raubeinige Unabhängigkeit gehören, bildet ein ausgesprochen maskulines Männlichkeitsideal US-amerikanischer Geschichte, welches bis in die heutige Zeit die kulturellen Konstruktionen amerikanischer Männlichkeit prägt und immer wieder von Präsidenten zu politischen Zwecken instrumentalisiert wurde (vgl. Greenberg 2007: 103). Aus deutscher Perspektive wird das Bild ȱ Ǯȱ ȃǰȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ûĞȱ
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schießt“ (FAZ 22.9.01: 2), jedoch negativ konnotiert und kennzeichnet die amerikanische Politik als überzogen und irrational. Die Bombardierung Afghanistans wird sodann als imperialistisches ȱ ȱ ǮȬ ȃȱ ǻȱ ŗśǯŗŖǯŖŗDZȱ ŗśşǼȱ ǯȱǮȱěȬ ǰȱȱȱȱȱȱȱȱ ist, hat sie siegreich durch zwei Weltkriege geführt“, kommentiert der Spiegel (5.11.01: 142). In Abgrenzung zur ‚Cowboy-Nation’ USA konstituiert sich ein ȱȱȱȱȱȱȱ ȱěȱ Ğǰȱ ȱ ȱȱȱ£ȱĴȱȱȱ £ǯȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ ¡ȃȱ ȱ ¢ȱ ûȱ ȱ ǰȱûȱȱ§ȱȱǮ£ȱȱȃǰȱȱȱ§ȱ Ǯȱ ȃȱ ȱ ǻȱ ŘŘǯşǯŖŗDZȱ ŘǼǯȱ ȱ ȱ ȱ Verhältnisses zwischen Europa und den USA weist hier zahlreiche geschlechtliche Implikationen auf, so zum Beispiel die Assoziation von Europa und Deutschland als passiv, friedlich, feinfühlig, zivil und potentiellem ‚Opfer’ der USA, denn diese könnten Europa in ȱǮȱ£ȃȱǻȱŗśǯşǯŖŗDZȱřřǼȱ£hen. Auf der anderen Seite werden die USA ungleich ‚männlicher’ DZȱǰȱǰȱ£ȱȱĞǯ14 ȱ ȱȱȱȱȅȂȱȱěȱ mit einem anderen Männlichkeitsbild einher, was im Folgenden durch die Analyse der medialen Darstellung des damaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), des Außenministers Joschka Fischer und seiner Partei Bündnis 90/Die Grünen (im Folgenden: Die Grünen) rekonstruiert werden soll.
ђџѕюџёȱѐѕџҦёђџȱѤіџёȱђџѤюѐѕѠђћ Auch Schröder wird als professioneller Staatsmann herausgestellt, der insbesondere mit dem Diktum der ‚uneingeschränkten Soli§ȱ ȱ ȱ Ȃȱ ǰȱ ȱ ȱ ûĞǰȱ aber auch Maßhaltung und Besonnenheit bewiesen hat – Schröder ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯ§ȃȱ ȱ Ǯ§ȃȱ reagiert (Spiegel 24.9.2001: 38). Im Kontrast zu der als irrational, kurzschlüssig und hyperaggressiv markierten US-amerikanischen 14ȱ ȱȬȱȱ ȱĞȱȱȱȱȱȱ und Venus die binären Geschlechterstereotype anlässlich des Irakȱ ȱ DZȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ from Venus“ (zitiert nach Harders 2004a: 240).
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Politik, präsentiert Schröder sachliches Kalkül, Weitsicht und ȱtDZȱ Ǯȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ §ȱȱȱȱȱȱěǯȱȱȱ war nicht der Moment, um der tief verwundeten amerikanischen Nation mit Vorhaltungen zu kommen“ (Spiegel 15.9.01: 34). Zur Konstituierung eines ‚deutschen Handlungsfeldes’ in Abgrenzung zu den USA wird wiederholt auf die Unterscheidung zwischen ȱ ȱ ȱ £ûěǯȱ ȅȱ ȱ Ȯȱ ȱ Nein’ wird als Maxime deutscher Außenpolitik etabliert. Diese geht £ûȱȱȱ đȱãȱȱDZȱǮȱǰȱ auch im Militärischen, ist Deutschland bereit. Zu Abenteuern nicht“ (FAZ 20.9.01: 4). Deutlich wird, dass militärische Reaktionen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, sondern dass es vor allem um die Art der Einsätze geht. Die Darstellung Schröders generiert vor diesem Hintergrund in Abgrenzung zu dem vermeintlich ungezügelten, kriegslüsternen US-Präsidenten ein alternatives, kontrollierteres Männlichkeitsmodell, das jedoch gleichermaßen Stärke und Unnachgiebigkeit beweist.15 Dies weist zentrale Züge des modernen ‚Berufspolitikers’ auf. Max Weber bestimmte in seiȱȱ ȱŗşŗşȱȱȱǮȱȱȃȱûȱȱ Ideal eines professionellen Politiker drei Qualitäten: 1. gezügelte Ğȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ Řǯȱ wortungsbewusstsein im Umgang mit der Macht und 3. Augenmaß im Sinne einer distanzierten Haltung zur eigenen Person und zum ȱ §Ğȱǻ£ȱȱ£ȱŘŖŖŝDZȱŗŖŚǼǯȱȱȬ ideal konnte Weber zufolge nur von Männern vertreten werden, ȱȱȱ£ȱĞȱ ȱȱȱziertheit als männlich galten (ebd.). Der auf Kampf und Vergeltung ȱ ¢ȱȱȱȱ ęȱ£ȱȱȱ Ideal des rationalen, gezügelten Politikers dar und fungiert als Folie der Abgrenzung. Andererseits werden jedoch die Gemeinsamkeiten zwischen Bush und Schröder betont, wenn es um die Neujustierung der internationalen Ordnung und der deutschen Außenpolitik geht. Zentral ist die Konstruktion von Deutschland, Europa und den USA als SoĞȱȱǮĞȃȱǻȱŗŚǯşǯŖŗDZȱŗǼǯȱ tĞȱ ȱǮȱȱȱȃȱǻȱŗśǯşǯŖŗDZȱřŘǼȱ15 Dies wird insbesondere im Zusammenhang mit der ‚Vertrauensfrage’ hervorgehoben, die Schröder mit der Abstimmung über den AntiȬ£ȱȱ ȱȱȱûĞǰȱȱȱ Entsendung durchzusetzen.
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gieren eine gemeinsame ‚westliche’ Identität und machen deutlich, dass Deutschland selbst – wenn auch indirekt – von den Anschlägen ěȱDZȱǮȱ ȱȱȱǰȱȱǰȱȱȱȱ ȱĞǰȱȱěȱ ȱ ǯȃȱǻȱ 13.9.01: 16) Vor diesem Hintergrund werden Bush und Schröder als Verbündete im Kampf gegen einen äußeren Feind, den ‚internationalen Terrorismus’, herausgestellt, wobei das Bild einer gleichbeȱĞȱȱǻ§ȬǼĞȱǯȱȱ Darstellung Schröders weist in diesem Kontext deutliche Parallelen £ȱȱȱȱDZȱ§ǰȱûĞȱȱ£Ğȱ ȱȱ£ȱ £ȱDZȱǮȱ ȱǰȱ wie sie Politikern nur selten widerfahren – in Deutschland zuletzt
ȱ ȱŗşŞşȱȱȱȱȱȱƺȱȱȱchenstellung, Führung und Gestaltung. Und der Kanzler zeigt sich ǰȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ Ĵ§ȃȱ ǻȱ 15.10.01: 23). Auch die visuelle Darstellung hebt die Übereinstimmungen hervor, die gleiche Gestik und Kleidung entsprechen dem Bild eines professionellen Staatsmannes (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Der Spiegel vom 15.10.01, Nr. 42, S. 22
Ähnlich wie in der Darstellung des US-amerikanischen Präsidenten wird die politische Krise als Auslöser eines entscheidenden Reifungsprozesses gedeutet – für Schröder, der erfolgreich zum Staatsmann avanciert – und darüber hinaus für die deutsche Nation, die zum anerkannten internationalen Akteur aufsteigt. Die Neubestimmung der politischen Rolle Deutschlands wird eindeutig positiv herausge-
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ǰȱ£ȱȱȱȱǮĴȱȱȱȱȃȱǻȱŗśǯŗŖǯŖŗDZȱ 22, vgl. Abbildung 2) der Weltpolitik. Das folgende Zitat verdeutlicht darüber hinaus, wie die persönliche Entwicklung Schröders mit ȱȱȱđȱûĞȱ DZ Als Neuling und Getriebener auf der Weltbühne begann Schröder £ȱǰȱȱȱȱȱĞȱȱǰȱ der auch bereit ist, sich militärisch zu engagieren. Heute nennt der Kanzler diesen Erfahrungsgewinn einen Prozess des Erwachsenwerdens – persönlich und politisch (Spiegel 15.10.01: 23).
Das ‚Erwachsenwerden’ vollzieht sich als ‚Mannwerdung’ durch eine Militarisierung der Außenpolitik, das heißt einer Aufwertung ȱ Ğȱȱȱ ȱȱ§ȱ ǯȱȱȱȱ ȱęȱȱȱ Ĵȱ §ęȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ǻǼȱ ǰȱ § ǰȱ Ğȱ ȱȱ£ ȱȮȱȱȱ£ȱȱȱtĞȱ Ǯȱȱȱ§ȃȱǻȱŗŘǯŗŗǯŖŗDZȱŘŘǼȱ§ȱĞȱ ȱ §ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ģȱ ǰȱ erscheint auch der Prozess der Militarisierung als normaler und unausweichlicher Reifungsprozess einer Nation. Alternativen sind damit verworfen, würden sie doch ein Verharren im frühkindlichen Stadium, Realitätsverlust und damit eine Gefährdung Deutschlands bedeuten.16ȱȱȱȱȱȱȱĚȱȱǰȱ ȱȱȅ ȂȱȮȱȱȱȱȱȱƺȱȱ mal mit sich bringe.17ȱȱȱĞȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ zwischen gleichwertigen § Partnern metaphorisiert, die sich einer militarisierten Männlichkeit entsprechend durch Stärke ȱ ĠĞǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ
16ȱ §ȱ§£ȱǰȱȱãǰȱȱǮȱ ȱЧȱȱĴȱȱȱȃȱǻȱ 20.9.01: 1). 17ȱ Ǯȱȱȱȱȱ§ȱǰȱȱûȱȱȱ noch Sonderrechte und Rücksichtnahmen reklamieren kann. ‚Entscheidungsspielräume’, sich aus internationalen Großkrisen herauszuhalten, gebe es nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr, erklärt ein Regierungs-Insider. Das sei der ‚Preis des Erwachsenwerdens’“ (Spiegel 12.11.01: 23f.).
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ȱ Ěȱ £ǯȱ Ǯ§ȱ ȱ ǯȱ ȱ §đȱ ȱ £ȱ ûȱ ȱ Ğȱ ȱ §ȱ £ȱ§ȱ£ȱȱ§ĞDZȱȅȱȱȱȱ etwas leisten’“ (Spiegel 12.11.01: 24). Jedoch erst durch eine Militarisierung der Außenpolitik kann Deutschland zum gleichwertigen ȱȱȱĴȱȱȱȱ ǯȱ ȱ £ ȱ Ğȱȱȱȱȱȱ ‚Aufnahmeritus’ in die internationale Politik.
ќѠѐѕјюȱіѠѐѕђџȱѢћёȱёіђȱюџѡђіȱёђџȱȅ ђѢљѠѢѠђћȂ Die ‚Vermännlichung’ der Politik nach dem 11. September lässt sich insbesondere anhand der kontrastierenden Darstellung zwischen dem deutschen Außenminister Joschka Fischers und der Parteibasis der Grünen verdeutlichen. Während die mediale Inszenierung von Fischer ähnlich der von Schröder und Bush dem Typus Staatsmann folgt und mit einer ausgesprochen positiven Wertschätzung einhergeht, kommt es im Gegenzug zu einer Abwertung und symbolischen ‚Feminisierung’ davon abweichender Positionen – wofür in der medialen Darstellung stellvertretend die Grünen herangezogen werden. In Abgrenzung zu Fischer werden diese als lernresistent bzw. Ǯȱ ȱ ȱ ȃȱ ǻȱ ŗŞǯşǯŖŗDZȱ ŗŜǼȱ £ǯȱ Eine kriegskritische Haltung wird als naive Verweigerungshaltung infantilisiert und als ‚Drückebergertum’ oder ‚Antiquiertheit’ diskreditiert. So werden die Grünen regelmäßig mit an Hysterie grenzenden Angstzuständen in Zusammenhang gebracht: Fast zwei Wochen lang §Ĵȱ Ǯȱ ȱȱ ȃȱ ǻȱ ŗǯŗŖǯŖŗDZȱ ŘśǼǯȱ Ǯȱ schrillten bei den Grünen von früh bis spät die Alarmglocken“ (FAZ ŞǯŗŖǯŖŗDZȱŗǼǯȱȱȱ ȱȱȱǮȃȱȱǮȃȱ bezeichnet (Spiegel 19.11.01: 25; 38); die Grünen erscheinen völlig konȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȃDZȱ Ǯȱ Emotionen, Tränen und taktische Tricksereien sind garantiert“ (ebd.: 25). Die Emotionalisierung geht mit der Zuweisung von Irrationalität ǯȱȱ£ęȱȱȱGrünenȱȱǮȱ weg von der Realität des Außenministers“ (ebd.). Die Grünen reaȱ Ĵȱ Ǯȱ ȱ Ě¡ȱ ȱ ȱ ȃȱ ȱ ûȱ ȱ Ǯûȱ ȱ ȃȱ ǻǯDZȱ ŘŘǼǯȱ ȱ ȱ als unbelehrbar und unberechenbar portraitiert und verweigerten sich vermeintlich rationaler Einsichten. Moralisches Abwägen und Zweifeln, was bei Schröder positiv hervorgehoben wurde, wird im Zusammenspiel mit Zuschreibungen von Irrationalität und
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Weiblichkeit negativ konnotiert. So bezeichnete Schröder die Grünen£ȱȱȱ§ȱȱǮ ȃǰȱȱȱȱûȱ eine Feuerpause in Afghanistan aussprach (Spiegel 22.10.01: 26). Die Grünen brachten Tage und Nächte damit zu, den eigenen Bauchnabel zu bestaunen, und fanden sich dabei auch noch großartig. Sie sehe keine andere Partei als die Grünen, die ‚sinnvoll ȱ ȱ ĚȂǰȱ ȱ ȱ £ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ‚sinnvoll’, sondern eine einzige Anmaßung, die eigene Unfähigkeit zur Entscheidung mit der Unterstellung zu bemänteln, die anderen Parteien durchdächten die Angelegenheit weniger gründlich“ (FAZ 26.11.01: 1).
§ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ Dialog als Zeitverschwendung und Selbstzweck betrachtet, die Grünenȱ Ǯ§ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ £ȱ ęȃȱ ǻǯǼǯȱ Der Spiegel vergleicht die Partei mit einer Ǯȃȱ ǻŗşǯŗŗǯŖŗDZȱ řŞǼǯȱ ě§ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ – weiblich konnotierten – Privaten. Ein solchermaßen als weichlich, geschwätzig und weibisch gekennzeichnetes Politikverhalten wird mit fehlender Regierungsfähigkeit gleichgesetzt und zugleich als Gefahr für die ‚männlich’ markierte Politik imaginiert. Eine Karikatur (Spiegel 03.12.01: 31) verbildlicht die geschlechtlichen Rollenzuschreibungen: Rot-Grün als Momentaufnahme eines Ehelebens (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: Der Spiegel vom 3.12.01, Nr. 49, S. 31
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ȱȱȱȱǮ§ȱȱãȦȃȱ (Spiegel 1.10.01: 26) grenzt sich von dieser Art der Politik deutlich ab. Schröder und Fischer repräsentieren den Prototyp des maskulinen Berufspolitikers, wie ihn Schöler-Macher (1994: 30) beschreibt: ritualisiert, uniformiert in immer gleichen Anzügen, gewichtig, bedeutend, machtvoll, im männlich-militärischem Schulterschluss, sich ihrer gegenseitigen Wahrnehmung und Achtung versichernd. Hierzu gehört auch die Demonstration von Vertraulichkeit, FreundĞȱ ȱ §ȱ £ ȱ §ȱ ǯ Das ȱ ȱ Ğȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ęȱ ěDZȱ ãȱ ȱ ȱ schulterklopfend und feixend im Bundestag (vgl. Abbildung 4).
Abbildung 4: Der SpiegelǰȱĞȱ ȱŘŖŖŗǰȱǯȱŘŝŖȬŘŝŗȱȱ S. 275.
іђȱ ќћѠѡџѢјѡіќћȱёђѠȱђџџќџіѠѡђћȱ юљѠȱѕѦяџіёђȱќћѠѡџќѠіѡѫѡ Eingelassen in die dichotome Konstruktion von ‚Freund’ und ,Feind’ folgt die mediale Darstellung des Terroristen dem Deutungsmuster eines religiös motivierten ‚Kulturkampfes’, in dem sich der ‚zivilisierte, säkularisierte und moderne Westen‘ und der ‚barbarische, ȬãȱȱûĴȱȁȱȱȱȅȂȱ ûǯȱȱȱȅȱȂȱȱ ęȱȱ westlichen Politikers.18 Während sich die Darstellung des Politikers 18 Das Feindbild ‚Terrorist’ setzt sich aus drei Teilen zusammen: die afȱǰȱȱĴ§ȱȱ Ȭ ȱȱȱ ‚Gesicht des Bösen’ Osama Bin Laden.
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ȱûĞȱ ȱȱ§ȱ£ǰȱȱȱ Bild des Terroristen durch Irrationalität geprägt, wie die Charakterisierungen als religiöser Fanatiker, Psychopath und Wahnsinniger zeigen. Männlichkeit wird hier, wenn es um die Konstruktion des islamistischen ‚Anderen’ geht, explizit zum Thema – meist in Verbindung mit ‚Frauenrechten’. Insbesondere im Zusammenhang mit den afghanischen Taliban werden wiederholt archaische Männlichkeitsvorstellungen und der brutale Umgang mit Frauen problematisiert (vgl. ausführlich Kassel 2004). So wird der Feind in besonderer Weise als männlicher Feind sichtbar, verkörpert er doch ein besonders abscheuungswürdiges ‚barbarisches’ Männlichkeitsbild.19 Insgesamt betrachtet, changiert die mediale Inszenierung des Terroristen zwischen Hypermaskulinisierung auf der einen Seite und Demaskulinisierung (als das Absprechen und Infragestellen von Männlichkeit) auf der anderen. Ambivalente Zuschreibungen zwischen friedlich und brutal, weich und hart, männlich und un§ǰȱ ȱ ȱ ûĴȱ £ȱ ȱ ȱ Feindbild, welches durch eine oszillierende Unschärfe zwischen ‚Vertrautem’ und ‚Fremdem’ geprägt ist und ambivalente Reaktionen von Anziehung und Abscheu provoziert. Die Bilder Bin ȱ đȱ ȱ Ǯȱ £ȃȱ ǰȱ ȱ ȱ ǰȱ ǰȱ Ǯ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Hochzeit zugegen ist oder einen heiligen Text liest, (…) mit jeder selbstverliebten Geste das Kamerabewusstsein eines Schauspielers ǻĴǼǯȃȱȱ DZȱ Er ist hochgewachsen, sieht gut aus, besitzt Gewandtheit, Intel£ȱ ȱ £Ğȱ Ȯȱ ȱ đȱ Ğǰȱ sofern man nicht der meistgesuchte Verbrecher der Welt ist [...] (FAZ 17.10.01: 49).
Wiederholt wird auf sein ‚mildes Lächeln’ verwiesen, welches die Hinterhältigkeit zu belegen scheint, zugleich aber eine mystische Aura erzeugt.
19 Die Konstruktion des Gegners als ‚barbarischem Frauenfeind’ hat ebenfalls historische Vorläufer, so wurde zum Beispiel im Ersten und ȱȱȱȱ§ęȱȱǻǼȱ ȱ und Mörder von Frauen und Kindern (als Symbol für die Nation) dargestellt (vgl. Wenk 2005; Stanley/Feth 2007).
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ȱ ȱȱȱǰȱ Ĵ§ȱȱȱ Herrscher wie Saddam Hussein, vielmehr wirkt er wie ein gütiger Priester. Ein solcher Gegensatz von friedfertiger äußerer Erscheinung und dem angeblich von seinen Gefolgsleuten verübten Terror bringt die Amerikaner in Rage. Sie sind nämlich im Umgang mit anderen Menschen Direktheit gewöhnt, man nennt Dinge so, wie sie sind, beim Namen und umgibt sich nicht mit einer falschen Aura (FAZ 17.9.01: 5).
Diese Problematisierungsweisen, die insbesondere in der Darstellung Osama Bin Ladens zum Ausdruck kommen, können als charakteristisch für die Konstruktion eines neuen, ort- und zeitlosen Feindbildes angesehen werden, welches sich insbesondere in der Figur des ‚Schläfers’ verdichtet. Ein harmlos anmutendes, angepassȱ đȱȱȱ£ȱȱęȱ§ȱǰȱ und so wird gerade die vermeintliche ‚Normalität’ zur unsichtbaren ǰȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ǯ20 Die vermeintlich potenzierte Gefahr resultiert jedoch meines Erachtens weniger aus der Möglichkeit der vorsätzlichen Täuschung, sondern ȱȱȱ ȱDZȱǮȱȱȱristenorganisation im traditionellen Sinne. (…) Es ist ein Chamäleon, eine Amöbe, die ständig Farbe und Form wechselt, die aber einen Führer hat: Osama Bin Laden“, heißt es im Spiegel in Bezug auf Al-Qaida (15.9.01: 143). Hybride Geschlechterbilder sind für diese Feindbildkonstruktion zentral und verstärken den Eindruck ȱȱȱĠǯȱ Blütenweiß sind die Gewänder des hoch gewachsenen, selbstverȱ ȱȱãǰȱ ȱȱĚđȱȱ §ȱ seiner schönen Hände, sinnlich die Lippen, die den Hass verströǯȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ Ğȱ ȱ disch klingt seine Stimme, und die Gebrechlichkeit seines Körpers gibt ihm eine eigentümliche Würde“ (Spiegel 22.10.01: 160).
ãǰȱȱȱĞȱȱȱȱȅ ȂȱĴǯȱȱãȱȱȱ £ȱ auch als symbolische Demaskulinisierungsstrategien oder auch 20 Die Konstruktion eines ort- und zeitlosen Feindbildes erinnert an das ȱ ¢ȱ ȱ ȅ ȱ Ȃǯȱȱ ȱ ęȱ ȱ feminisierende und hypermaskuline Zuschreibungen (vgl. Mosse 1997).
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Feminisierungsstrategien verstanden werden. Die christlichreligiöse Symbolik trägt zudem zu einer Entsexualisierung Bin Ladens bei. Er wirkt in einem christlichen Sinne ‚asexuell’ und ĞȬ ǰȱ ȱ ãĴǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ und wallendem Bart. Er erscheint als spirituell-geistliche Lichtgestalt, frei von sexueller Begierde. Die Bezeichnung als gebrechlich und mit einer ‚eigentümlichen Würde’ versehen, erinnert mehr an einen alten kranken Mann als an ‚vitale’ Männlichkeit. Die besondere Gefährlichkeit Bin Ladens scheint in seinen hybriden EigenĞȱûDZȱȱȱȱ đȱ£ȱ ȱȱȱ ȱûǯȱ ȱȱĞûȱ und sinnlichen Fassade lauert eine grausame, archaische Männlichkeit. Die uneindeutigen Geschlechtszuschreibungen erscheinen zudem als unvollständig. Die Weiblichkeit ist verführerisch, aber nicht sorgend, die Männlichkeit ist aggressiv, aber nicht schützend. Die Irrationalisierung des Terroristen geht zudem mit einer Pathologisierung von Männlichkeit und Sexualität einher und mündet in dem Bild des zutiefst verunsicherten Terroristen. Dieses Motiv ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵ§ȱ ȱ Ĵǯ21 ȱ ȱȱȱȱȱȱDZȱǮȱ ûȱ ȱĴȱȱěǰȱȱûȱȱǯȱ Er gab ihnen nicht die Hand, wandte den Blick ab, antwortete mit Ja ȱȃȱǻȱŘŜǯŗŗǯŖŗDZȱśŖǼǯȱĴȱ§ȱ£ȱȱ ȱȱ Ğǰȱãȱȱ£ȱȱǰȱȱȱȱȱĞȱȱȱȱȱȱȱûȱǯȱ ǮȱȱȱȱȱȱĴȱ¢ȱûȱgenommen“, heißt es mit Bezug auf sein Testament (Spiegel 1.10.01: 31). Durch die permanente Diskursivierung und Problematisierung der Männlichkeit und Sexualität des ‚Anderen’ wird im Gegenzug die eigene (heterosexuelle, monogame, säkularisierte, auf Gleichheit beruhende) Geschlechterordnung idealisiert und legitimiert. Neben diesen Strategien der De-Legitimierung von Männlichkeit kommt es gleichzeitig zu einer ausgeprägten Maskulinisierung Bin Ladens, indem dieser als (einziger) Gegenspieler und Hauptfeind des US-Präsidenten inszeniert wird. In der Konstruktion als übermächtiger Feind wird Bin Laden in besonderer Weise als männlicher Feind sichtbar, der über die Macht und Potenz verfügt, der Welt
21 Auch die Anspielungen auf seine vermeintliche Homosexualität sind in diesem Kontext zu betrachten (vgl. Nader 2003).
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den Krieg zu erklären.22 Terror wird hier als Duell gedeutet, in dem sich traditionell zwei Männer mit dem Ziel der Wiederherstellung männlicher Ehre gegenüberstehen. In diesem Zweikampf zwischen Gut und Böse verkörpert Bin Laden die Rolle des feigen Angreifers, wobei jedoch, einem heroischen Gestus folgend, der US-Präsident die Herausforderung ohne Zögern annimmt, um die ‚Beleidigung’ zu tilgen. Es kommt zu einer Vermännlichung des Feindes, indem dieser als satisfaktionsfähiger Gegner anerkannt wird.
Abbildung 5: Der Spiegel vom 15.9.01, Nr. 38, S. 132-133.
Auch die visuelle Darstellung arbeitet mit binären Gegensätzen ǻĞûȱȱ ¢£ǰȱ ȱȱãǰȱȱsus Feind). Abbildung 5 zeigt ein typisches Bildmotiv: Bin Laden in Gegenüberstellung mit dem zerstörten World Trade Center. Wie zum Zeichen, dass es sich hier um einen militarisierten und höchst
22 Die Anschläge wurden wiederholt im Anschluss an Bush und SchröȱȱǮ §ȱȱȱȱ£ȱȃȱpretiert (vgl. unter anderem FAZ 13.9.01: 1). Bush antwortete darauf in Anlehnung an alte Wildwest-Erzählungen von Steckbriefen ȱ ¢Ȭǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȃȱ £ȱ Strecke bringen (FAZ 22.9.01: 2). Auf das hier ebenfalls anklingende ȱĴȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱ Stelle nicht näher eingegangen.
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§ȱ §ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ Bildes so gewählt, dass die Kalaschnikow im Bild bleibt – sie stellt gleichsam einen Kontrast zu der ansonsten harmlos wirkenden Figur Bin Ladens her. Die Gegenüberstellung Bin Ladens mit dem đȱȱãĞȱȱ§ȱȱ£ȱȱ besondere Gefahr, die sich hinter vermeintlich unscheinbaren FassaȱȱȱȅȂȱȱĞûȱ§ȱȱ§ȱ Lüge. Die Bildanordnung enthält zudem die Kontrastierung des feigen Angreifers mit den Feuerwehrleuten an Ground Zero, die in ȱĴȱȱȱ ȱȱ ǯ23
юѧіѡȱѢћёȱѢѠяљіѐјDZȱѫћћљіѐѕјђіѡђћȱ іњȱ ќћѡђѥѡȱѣќћȱ џіђєȱѢћёȱђџџќџ Abschließend werden die Analyseergebnisse fokussiert auf zwei Aspekte zusammengefasst: Zunächst werden einige Thesen zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach den Funktionen ȱ§ȱȱȱĴȱûȱ ȱȱ Terror formuliert, dann die Tauglichkeit des Konzepts der hegemonialen Männlichkeit diskutiert. ȱ¢ȱȱȱĴȱûȱȱŗŗǯȱ September und den Afghanistankrieg macht dreierlei deutlich: Ersȱȱ§ȱȱȱȱę¡ȱĞȱȱǻ§lichen) Akteure, sondern eine dynamische Kategorie, die permanent aktualisiert und hergestellt, und von diskursiven Anfechtungen,
§ȱȱ£ȱȱ ǯȱ ȱĚßen Vorstellungen von Männlichkeit nicht nur in die Darstellung der individuellen, sondern auch in die der kollektiven Akteure wie Staaten oder Parteien ein, wodurch Geschlecht als symbolisch-kulturelles Ordnungsmuster sichtbar wird – Männlichkeitsdimensionen können ȱȱȱȱ§ȱę£ȱ ǯȱ ȱ ȱĴȱ£ȱȱȱ £££ȱ£ ȱnem und Fremden eingewoben, womit eine zentrale Funktion von Männlichkeitsbildern in Krisen- und Kriegszeiten angesprochen ist. ȱ ȱ Ĵȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ schlecht zu einer zentralen Ressource im Kampf um politische Entscheidungsprozesse. Personalisierung bedeutet immer auch 23 Wenk (2005: 79f.) deutet dies als Versuch, die schockartigen Bilder des 11. September durch Bilder heroisierter und militarisierter Männlichkeit zu kompensieren.
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Vergeschlechtlichung, das heißt, militärischen, politischen und geĞȱȱ ȱȱ£ȱ ȱȱȱȱ geschrieben, das individuelles und kollektives Verhalten erklärbar und verständlich macht. Mit anderen Worten: Über Männlichkeitsbilder werden politische Akteure auf- und abgewertet, sie sind das diskursive Material, mit dem Wert-Hierarchien konstruiert und politische Handlungsoptionen wie zum Beispiel die Entȱûȱȱ§ȱȱãěȱȱ und (de-)legitimiert werden. Männlichkeitsbilder sind zudem eng ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ǯȱ ȱ kam es unter Rekurs auf verschiedene Männlichkeitsbilder zur Konstruktion eines ‚zivilisierten Eigenen’ in Abgrenzung zu einem ‚barbarischen Anderen’. Im Zuge dessen wurden die Gemeinsamkeiten zwischen Bush und Schröder im Bild des ‚Staatsmannes’ beziehungsweise den USA und Europa als ‚freier Welt’ betont. ȱ ȱȱȱȅȂȱ ȱě£ǰȱȱ sich eine ‚deutsche Identität’ in Abgrenzung zu den USA konstituierte. In den deutschen Printmedien wurde eine modernisierte, rational-verantwortungsvolle Männlichkeit a là Schröder/Fischer gegenüber der altmodischen, aggressiv-rachsüchtigen von George W. Bush positiv hervorgehoben. Doch auch im deutschen Kontext dominieren klassische Vorstellungen von Männlichkeit und Politik, was insbesondere durch die Aufwertung männlich konnotierter Ğȱ ȱ §ǰȱ ǰȱ§ȱ ȱ §ȱ Ğȱȱ£ȱ ȱlich weiblicher Emotionalität und Irrationalität deutlich wurde.
ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ȅ§Ȃȱ stereotyper Vorstellungen von Geschlecht. Die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik wurde dabei mit der Metapher des ȱ ûĞȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ
ȱ ȱ ûȱ §ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ £ęȱ Männlichkeitsinszenierung hervortreten, an deren Bewältigung ȱȱȱȱ£ȱȱĞȱȱȱ zeigt wie die vollständige staatliche Reife einer Nation. Vor diesem Hintergrund wird besser verständlich, warum Krieg als legitimes ĴȱȱȱȅȂȱȱȱȱȱ ȱǯȱȱȱȅĞȂȱǰȱȱȱȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ £ûĞǰȱ ȱ ȱȱȱ ǰȱȱȅ ȂǰȱûĴȱ und Krise, die durch die Anschläge des 11. September ausgelöst wurden, zu kompensieren. Insgesamt wird deutlich, wie tief die ȱ ȱȱȱĞȱȱ
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eingelassen ist und auch in den so genannten ‚Neuen’ Kriegen des 21. Jahrhunderts medial für Übersichtlichkeit, vertraute Ordnung und Sicherheit sorgt (vgl. Münkler 2002). Besonders in Zeiten der Irritation und Krise kann ‚Geschlecht’ als ordnungsstabilisierende Kategorie herangezogen werden, wobei andererseits uneindeutige Geschlechterbilder mit Gefahr assoziiert werden. Die Geschlechterordnung erhält zentrale Bedeutung für die (Re-)Konstruktion Ğȱ §DZȱ §ȱ ȱ ȱ ¢ȱ § suggerieren, wird Gefahr (auch) als Destabilisierung der binären Geschlechterordnung symbolisiert. Die Untersuchung hat auch gezeigt, dass nicht ein Modell von Männlichkeit dominiert, sondern dass verschiedene Männlichkeitsformen, also Männlichkeiten um die Vormachtstellung ringen, wobei Relationen von Unter- und Überordnung hergestellt werden. Connells dynamisches Konzept hegemonialer Männlichkeit erweist sich als brauchbar, um die konkurrierenden Entwürfe zu beschreiben (vgl. Connell 2000). Demnach wird hegemoniale Männlichkeit in Abgrenzung von anderen Männlichkeiten und in der Abgrenzung von Weiblichkeit erzeugt. Trotz der unterschiedlichen Nuancierung orientiert sich sowohl das Bild des Cowboys als auch das des Staatsmannes am Leitbild hegemonialer Männlichkeit. Beide, Bush und Schröder, begegnen uns als starke Politiker, ȱȱȱ ¡ȱȱ ȱȱȱě£ȱ herausgestellt werden. Auch staatliches Handeln repräsentiert und konstruiert hegemoniale Männlichkeit (vgl. dazu auch Tickner 1992). Die Maskulinität der Politik wurde gegen eine imaginierte Weiblichkeit – personalisiert und symbolisiert durch die Parteibasis der Grünen – in Anschlag gebracht, die indes der Welt des Chaos ȱȱ§ȱ£ȱ ǯȱȱę£ȱȱ bestimmten Verhaltens als ‚unmännlich’ oder ‚weiblich’ dient dazu, ȱȱȱȱȱ£ȱǯȱ ȱęȱ ȱȱ Modell der Unterordnung. All diesen Konzepten von Männlichkeit wird die Konstruktion des Terroristen antagonistisch gegenübergestellt. Diese Konstruktion einer vermeintlich anderen, abweichenden Männlichkeit ist mit kulturalisierenden und ethnisierenden Diskursen untrennbar ûĞǰȱ ȱ ȱ ȅ ȱ Ȃȱ ȱ £ȱ ȱ Männlichkeit ebenso wie auf seine okzidental-weiße Verortung die unmarkierte Norm bildet. Folgt man dem connellschen Schema, verweist die Konstruktion des Terroristen zunächst auf die Kaȱ ȱ ȱ §ǯȱ ȱ £ęȱ ȱ neuen Feindbildes ‚Terrorist/Terror’ ist jedoch die Kombination aus
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männlichen und weiblichen Zuschreibungen. Gerade die Uneindeutigkeit weckt Ängste und begründet eine nicht lokalisierbare und deshalb omnipotente Gefahr. Es entsteht eine Art ‚monströses Mischwesen’, welches nicht einfach als Abweichung von der männlichen Norm, sondern vielmehr als deren Gegensatz und Negation entworfen wird. Diese Konstruktion spiegelt sich ebenfalls in der Darstellung des ‚Kriegs gegen den Terror’ als Kampf zweier ‚Welten’ beziehungsweise als Antagonismus von Gut und Böse wider.24 Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Erklärung der Figur des Terroristen über das Modell §ȱȱ£ȱ£ȱĞǰȱ und ob man nicht eher von einer ¢ von Geschlecht sprechen müsste. Connells Kategorienschema erscheint an dieser Stelle unzureichend, da der ‚Terrorist’ weder einer marginalisierten (aufgrund der ethnisierenden Zuschreibungen) noch einer untergeordneten (aufgrund der feminisierenden, homoerotischen Zuschreibungen) Männlichkeit eindeutig zugeordnet werden kann, ȱ ȱ ȱ ȱ ȅȱ đȂǰȱ ȱ ȱ ǮȬ¢ȃȱ (Mosse 1997)25 zum Ideal der hegemonialen Männlichkeit dar. Auch das besondere Zusammenwirken von Weiblichkeit und Männlichkeit, welches gerade die potenzierte Gefahr zu begründen scheint, kann mit dem connellschen Modell nicht erfasst werden, in dem Weiblichkeit in Relation zu Männlichkeit nur als Unterordnung und symbolische Verweiblichung demzufolge nur als Abwertung gedacht wird.26 24 Für diesen Hinweis sowie für anregende und kritische Diskussionen danke ich Sabine Mehlmann. 25 Mosse (1997: 79-106) zeigt, wie mit der Ausbildung des Ideals moderner Männlichkeit im 18./19. Jahrhundert die Konstruktion des ǮȬ¢ȃȱǻǯDZȱŝşǼȱǯȱȱȱȱûȱ ȱȱȱȱ ĞȱěȱȱȬ¢ǰȱȱȱȱȱęȱǯȱȱȱ zur Abgrenzung und Vergewisserung der eigenen Identität und Stärkung des Selbstbildes. Während sich der männliche Idealtypus durch Gesundheit, Schönheit und Selbstkontrolle/Mäßigung auszeichnete, wurden – neben Homosexuellen und Juden – vor allem der Geisteskranke und der Verbrecher zum Anti-Typus erhoben und symbolisierten körperliche und moralische Unordnung. Juden und Homosexuelle bildeten die ‚erschreckendsten’ Anti-Typen, da sie, ȱȱȱȱĴǰȱȱȱȱȱĴȱȱ der Bevölkerung verstecken konnten (ebd.: 98). 26 Die Feminisierung des Gegners als Beleidigungs- und Abwertungsstrategie stellt ein wohlbekanntes Motiv zahlreicher Feindbildstereotype
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Die Figur des Terroristen lässt sich nicht ohne weiteres in die zweigeschlechtliche Ordnung integrieren und verdeutlicht zugleich ȱ ǰȱ ȱ ȱ ¢ȱ ȱ £ȱ ãěȱ und in ihrer Interdependenz mit anderen Kategorien sozialer ě£ȱ ȱȅ£§ȂȱȱȅȂȱ£ȱǯȱȱ (de-)konstruktivistische Analyse darf nicht bei der Unterscheidung männlich-weiblich stehen bleiben, sondern muss auch die Binnenrelationen, wie es zum Beispiel Connell für Männlichkeit gezeigt hat, in den Blick nehmen. Aber nicht nur das: Untersuchungen der medialen Geschlechterkonstruktionen, im Kriegskontext ebenso wie in vermeintlichen Friedenszeiten, müssen gerade bei den Irritationen und Brüchen ansetzen. So lassen sich die Markierungen von Männlichkeit im ‚Krieg gegen den Terror’ angestoßen durch die Figur des Terroristen auch als eine neue ‚Unordnung’ der Geschlechter interpretieren, die von zahlreichen diskursiven Anstrengungen begleitet wird, den Status quo ante wiederherzustellen und das Uneindeutige zu vereindeutigen – wodurch jedoch gerade die Fragilität und Brüchigkeit vermeintliche kohärenter Kategorien ěȱ ǯȱ ȅ Ȃȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ ¡hängige Größe in den Blick.
яяіљёѢћєђћ 1) ȱ ǰȱ ĞȱŜǰȱŘŖŖŗǰȱȚȱȱǻ ǯǯǼ 2) ȱ ȱǰȱŗśǯŗŖǯŖŗǰȱǯȱŘŘǰȱȚȱ 3) ȱ ȱ ǰȱ řǯŗŘǯŖŗǰȱ ǯȱ řŗǰȱ ȱ ȱ ǰȱ Țȱ ȱ Haitzinger 4) ȱ ȱǰȱĞȱ ȱŘŖŖŗȱ ǯȱŘŝŖȬŘŝŗǰȱȚȱȱǰȱȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱŘŝśǰȱȚȱȱDZȱȱȦǰȱȱDZȱǰȱȱ oben: T. Koehler/Phalanx, rechts unten: DPA 5) ȱ ȱǰȱŗśǯşǯŖŗǰȱǯȱŗřŘȬŗřřǰȱȚȱDZȱǰȱDZȱ
dar, insbesondere in militärischen und kriegerischen Kontexten (vgl. Enloe 2000).
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Nachtigall: Von Cowboys, Staatsmännern und Terroristen
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џюћјѓѢџѡђџȱљљєђњђіћђȱђіѡѢћє 13.9.2001; Nonnenmacher, Günther: Danach, S. 1. 13.9.2001; Schröder, Gerhard: Solidarität mit unseren amerikanischen Freunden, S. 1. 13.9.2001; Kohler, Berthold: Das Maß der Solidarität, S. 16. 14.9.2001; Feldmeyer, Karl: Der Wert der Nato, S. 1. 14.9.2001; Wieland, Leo: Jeder ist ein Amerikaner, S. 3. 14.9.2001; Feldmeyer, Karl: Der entscheidende Test für Präsident Bush, S. 8. 17.9.2001; Rademacher, Horst: Gefühle wie noch nie in einer großen Krise, S. 5. ŗŞǯşǯŘŖŖŗDzȱ Ğ¢ǰȱ ȱDZȱ¢ȱȱȱ ûǰȱǯȱŗŜǯ ŘŖǯşǯŘŖŖŗDzȱ Ğ¢ǰȱ ȱDZȱ §Ğǰȱǯȱŗǯ 20.9.2001; Bannas, Günter: Bundestag sichert Amerika militärische Unterstützung zu, S. 4. 22.9.2001; Wieland, Leo: Die Sprache des Texaners ist für manche zu starker Tobak, S. 2. 8.10.2001; Lohse, Eckart: Die Qual der Grünen, S. 1. 17.10.2001; Le Carré, John: Dieser Krieg ist längst verloren, S. 49. 15.11.2001; Wieland, Leo: Bush und Putin, wie zwei Freunde in der Not, S. 3. 26.11.2001; Lohse, Eckart: Grüne Zerreißproben , S. 1.
ђіяљіѐѕђȱћѓќџњюѡіќћȱѢћёȱ њѫћћљіѐѕђȱћѡђџѕюљѡѢћєӓȱ Die ȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱ ќџіћћюȱђіљ Bei den Tagesthemenǰȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ARD, gab es in den letzten beiden Jahren gleich zwei personelle Veränderungen: Im September 2006 ersetzte zunächst Tom Buhrow – langjähriger Fernsehkorrespondent und früherer Leiter des ARD-Studios in Washington – den Moderator Ulrich Wickert, der fünfzehn Jahre lang als Aushängeschild des Nachrichtenmagazins ȱĴǯȱȱȱ§ȱȱȱȱ£ȱ ersten Mal die Tagesthemen und löste damit Anne Will ab, die mit ihrer gleichnamigen Polit-Talkshow die Nachfolge von Sabine Christiansen antrat. Dass dieser Wechsel von einem enormen Medienecho begleitet wurde und Miosgas erste Präsentation erwar§đȱǮ ȱȱȱȱ£ȃȱǻ¢ȱŘŖŖŝDZȱ 15) und in den Medien kommentiert wurde, überraschte kaum. ȱȱŘŖŖŗǰȱȱĴȱȱǰȱ ȱȱ ȱ Ĵȱ ǰȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ãȱ eines neuen Frauentyps in der Nachrichtenmoderation drehte. Die Berufung einer dunkelhaarigen Moderatorin galt mitunter gar ȱ Ǯȱ ȃȱ ǻãȱ ŘŖŖŗǼȱ ȱ es wurden Befürchtungen geäußert, dass gerade die männlichen Zuschauer durch Wills äußere Erscheinung irritiert und von den Inhalten der Nachrichten abgelenkt werden könnten (vgl. ebd.). Reaktionen wie diese erinnern stark an das Medienecho, das Anfang der 1970er Jahre auf den Einsatz der ersten Nachrichtensprecherinnen folgte, die entweder gänzlich als untauglich befunden oder auf eine expressive Rolle festgelegt wurden und als Folie für zahlreiche sexistische Witze und Kommentare herhalten mussten
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(vgl. Holland 1996: 438f.). Sie verweisen aber auch auf das große ãěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ǰȱ ȱ ȱ rierenden eines äußerst renommierten und viel beachteten Nachrichtenmagazins wie die Tagesthemen hervorrufen. ȱ Ğȱ ȱ fokussierte lange auf die Erinnerungsleistungen des Publikums, die ȱ£ȱȱȱ ȱȱĞȱ ȱ (vgl. u.a. Renckstorf 1977; Ruhrmann 1989). Inzwischen haben sich die Zugänge verändert und die Wahrnehmung und Verarbeitung von Nachrichten werden als ein komplexer Prozess der Aneignung und Konstruktion von Bedeutung verstanden, bei dem vielfältige £ǰȱȱȱ ¡ȱęȱ werden. Die in den letzten Jahren zu beobachtende Tendenz zu einer stärkeren Inszenierung von Nachrichten, und damit auch zu einer Personalisierung, hat die Bedeutung der Moderierenden weiter erhöht und fordert ihnen eine entsprechende Präsentation ab (vgl. Hickethier 1997, 2000). Dies steht allerdings immer im Kontrast zur Neutralität und Autorität, die mit einem klassischen Nachrichtenformat wie den Tagesthemen assoziiert werden.
џјђћћѡћіѠіћѡђџђѠѠђȱѢћёȱћљюєђ ёђџȱћѡђџѠѢѐѕѢћє In diesem Spannungsfeld ist eine qualitative Rezeptionsstudie angesiedelt,1 die der Frage nachgeht, auf welche Weise sich ein klassisches Nachrichtenformat für politische und persönliche Aus£ȱãěȱȱȱȱȱ Ěȱ§ȱǻǯȱȱŘŖŖřǼǯȱȱȱȱȱûȱ geben, welche Bedeutung die moderierende Person und deren Geschlecht für den Aneignungsprozess von Nachrichten spielt – einem Genre, an das latent immer noch stärker männlich konnoȱȱûĞȱȱǻǯȱȱȱȱŗşşŗDzȱȱ 1987). Den theoretischen Impulsen der Cultural Studies folgend ȱ ȱ ȱ ȱ §£ȱ ěȱ ȱ ȱ dientextes ausgegangen. Das heißt, seine Interpretation ist abhängig von den Lebensbedingungen, dem Wissen und den Wünschen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Zu beachten ist dabei, dass der Nachrichtentext im Vergleich zu anderen Medientexten eine 1
Bei Durchführung der Studie moderierten noch Ulrich Wickert und Anne Will die Sendung.
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£ȱ £ȱ ãđȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ Weise die von den Produzierenden gewünschte Lesart nahe legt. Zuschreibungen und Interpretationen seitens der Zuschauerinnen und Zuschauer könnten dadurch erschwert werden. Im Zentrum der Studie standen deshalb folgende Fragen: Bleiben die Strategien ȱ£ȱȱǰȱ ȱȱȱȱǮgradig standardisiertes und formatiertes Genre“ (Lünenborg 2005: 125) einen zu engen Rahmen für alternative Lesarten spannen und ȱȱȱȱęȱȱȱ Rezipierenden gehemmt werden? Oder nimmt das Publikum bei seiner Dekodierungsarbeit die Spielräume der Nachrichtengestaltung wahr, sodass eine produktive Aneignung unterschiedlicher medialer Sphären, wie Unterhaltung und Information, und verschiedener, nicht nur auf den Nachrichtentext bezogener Diskurse Ĵęȱ ǵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ zweierlei Hinsicht: Zum einen werden Bedeutungsproduktionen im Hinblick auf die unterschiedlichen Darstellungs- und Präsentationsweisen männlicher und weiblicher Moderierender der Tagesthemen analysiert, und zum anderen wird zwischen männlichen und weiblichen Lektürepositionen zu den Tagesthemenȱě£ǯȱ ȱȱȱ ȱȱȱûȱěȱ£ȱ können, welche Rolle die Moderation bei der Nachrichtenrezeption ȱȱȱ£ ȱãěȱon und individueller, alltäglicher Sinnzuschreibung spielt, erschien eine qualitative Studie geeignet, bei der nach den subjektiven Bedeutungsproduktionen zu den Tagesthemen und ihrer Moderation gefragt wurde. Die zentrale Fragestellung der Studie lautete: Welche Bedeutungen transportieren die Moderierenden in einem dem Qualitätsjournalismus zuzurechnenden Nachrichtenmagazin wie den Tagesthemen und welche Diskurse und genderbezogenen Idenęȱ ȱȱȱãȱǵȱ Insgesamt sind acht qualitative, problemzentrierte Leitfadeninterviews mit Zuschauerinnen und Zuschauern der Tagesthemen geführt worden, die nach ihrer kulturellen Kompetenz und theoretischen Bedeutsamkeit für die Erforschung des Gegenstandes ausgewählt wurden. Untersucht wurden somit Personen, die angaben, die Tagesthemen mindestens dreimal pro Woche zu verfolgen ȱ ȱ Ğȱ ûȱ ȱ £ȱ und die eigene Auseinandersetzung mit dem Format und seiner Moderation geben konnten. Dabei wurde eine ausgewogene Auswahl zwischen männlichen und weiblichen sowie zwischen älteren
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ȱ ûȱ ȱ ěǯ2 Einerseits konnten auf diese Weise geschlechtsgebundene Aneignungsweisen und Idenęȱ ûȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Altersspektrum abgedeckt und insbesondere dem hohen Anteil älterer Zuschauerinnen und Zuschauer des Nachrichtenmagazins ȱ ǰȱ ȱ ȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ über 50-Jährigen angehörte.3 Auf Basis des Erkenntnisinteresses ließ sich die theoriegeleitete Forschungsfrage in vier Dimensionen unterteilen, die für die Durchführung der Interviews leitend waren: Voreinstellungen und Rezeptionsfolien, Bedeutungsproduktionen zur Moderation, Gender-Artikulationen sowie alternative Zugänge. Diese gaben bei der Konstruktion des Leitfadens die Richtung vor und boten in den Gesprächen Orientierung. Alle Interviews fanden im Herbst 2002 in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in den Wohnungen ȱȱĴȱȱȱĴȱ ȱȱde. Nach einem etwas allgemeiner gehaltenen Teil mit Fragen zu Vorwissen, Einstellungen und Gewohnheiten hinsichtlich der Tagesthemenȱ ȱ ȱ £ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ aus Sendungen eingespielt, die den weiteren Gesprächsverlauf zunächst auf die Moderation Ulrich Wickerts und später auf die von Anne Will lenkten. Die kurzen an- und abmoderierten Filmbeiträge führten als roter Faden durch das Interview, während zugleich ȱĚ¡ȱ §ûȱȱ ǰȱȱȱûȱȱ Darstellung persönlicher Relevanzsysteme und für individuelle Bedeutungszuschreibungen gab. Auf der Grundlage eines aus den Forschungsfragen abgeleiteten Kategoriensystems orientierte sich die Datenanalyse an der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (1997; vgl. auch Peil 2003). ȱȱęȱ£§ȱȱȱ£ȱ mit dem Informations- und Unterhaltungsdualismus in der Nach£ȱĴȱȱȱ ȱȱȱȱȱ Funktionen und Bedeutungen der Nachrichtenmoderation diskutiert. Im Anschluss wird die theoretische Fundierung im Rahmen
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Im Einzelnen handelte es sich um vier Frauen und vier Männer im Alter zwischen 25 und 64 Jahren (vgl. Peil 2003). řȱ ȱ ȱ ŘŖŖŘȱ ãȱ ȱ Ĵȱ ŝŚǰŗȱ £ȱ ȱ TagestheȬ men-ZuschauerInnen der Gruppe der über 50-Jährigen an. Bis 2007 erhöhte sich der Anteil dieser Altersgruppe auf 77 Prozent (vgl. AS&S Fernsehforschung 2003, 2008).
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der Cultural Studies umrissen, bevor abschließend die Ergebnisse zu den verschiedenen Deutungen und Wahrnehmungsweisen der Tagesthemen-Sendung und ihrer Moderation vorgestellt werden.
ѤіѠѐѕђћȱћѓќџњюѡіќћȱѢћёȱћѡђџѕюљѡѢћєDZ юѐѕџіѐѕѡђћџђѧђѝѡіќћȱѢћёȱȬњќёђџюѡіќћȱ Bei Nachrichtensendungen im Fernsehen handelt es sich um ein stark formalisiertes Genre, das innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens über aktuelles Weltgeschehen berichtet und die Zuschauerinnen und Zuschauer in erster Linie mit Fakten und Informationen ǯȱ§ȱȱȱ£ĞǰȱȱȱȱȱȱȱĞȱ§ȱȱ in Unterhaltungs- und Informationsangebote durchaus sinnvoll ǰȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ £ȱ ȱȱȱĞȱĞȱãǰȱȱȱȱ zugleich verstärkt in die Kritik geraten (vgl. u.a. Klaus/Lünenborg 2000, 2002; Lünenborg 2005). Vor allem auf der Publikumsseite wird der Unterhaltungs-Informations-Dichotomie nicht entsprochen, wie Dehm (1984) anhand ihrer empirischen Untersuchungen £ȱȱ ę ȱȱ ȱȱȱ £ȱ ǯȱ ȱ ę£ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ zentralen Erlebniskategorien – Emotionalität, Orientierung, Ausgleich, Zeitvertreib und soziales Erleben – verdeutlicht, dass das ȱȱ¡ȱȱě£ȱ§ȱȱ durch die Genres Unterhaltung und Information suggeriert wird (vgl. Dehm/Storll 2003; Dehm et al. 2005). So ist bei der Rezeption einer klassischen Informationssendung wie der nicht nur deren Orientierungsfunktion von Relevanz, sondern es werden auch Aspekte wie Zeitvertreib, Gewohnheit, Alltagshilfe sowie emotionale Faktoren wie Spannung und Abwechslung bedeutsam (vgl. ebd.). Weil bei den Tagesthemen durch die nicht nur ablesende, ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ oder der Moderatorin eine weitere Komponente ins Spiel kommt, schließt sich hier die Frage an, inwieweit die Moderierenden durch ihre Kommentare und Überleitungen, aber auch durch ihre Erscheinung und Persönlichkeit imstande sind, den Zuschauerinnen und ȱȱęęȱ£ȱǰȱȱȱȱȱ anzusprechen und somit eine stärkere Ausprägung unterschiedlicher Erlebensweisen einer Nachrichtensendung zu ermöglichen.
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Als moderierte Nachrichtenmagazine unterscheiden sich Formate wie die Tagesthemen oder das Ȭ von einer klassischen Sprechersendung,4ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ §đȱ ȱ ȱ ãȱ § ȱ Ěȱ ȱ ǻǯȱ Ĵ ȱ ŗşşśDZȱ řŖǯǼǯȱȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ûȱ cher Subjektivität angehaltenen NachrichtensprecherInnen gehört es zu den Aufgaben der Moderierenden, dem Publikum durch ihre Ausstrahlung, persönliche Ansprache und den individuellen Stil eine Bezugsperson zu sein, die ganz bewusst mit der scheinbar objektiven Anonymität des Nachrichtenprozesses bricht (vgl. Morse 1986: 56f.). Für gewöhnlich sind die Moderierenden daher auch redaktionell an der Gestaltung und Ausrichtung der Sendung beteiligt. Ihre Funktion, Halt zu bieten, Sympathien zu wecken und die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht nur kognitiv, sondern auch emotional an die Sendung zu binden, ist seit den 1970er Jahren immer wichtiger geworden. Die Entwicklung einer tagesaktuellen Magazinsendung wie die Tagesthemen, die Anfang 1978 erstmals auf ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ĴDZȱ ȱ ȱ klassischen Nachrichtensendungen aufgrund ihres Objektivitätsund Vollständigkeitsanspruches zunehmend in die Kritik gerieten, sollten mit einem breiteren Themenspektrum, durch sprachliche ȱȱȱȱĚȱȮȱȱsondere durch den strategischen Einsatz der ModeratorInnen als Bindeglied zwischen Fernsehsender, Nachrichten- und Alltagswelt (vgl. Hartley 1993: 90) – neue Akzente im Nachrichtensegment gesetzt werden. Auch der seit 1985 nach dem Rotationsprinzip erfolgende paritätische Einsatz weiblicher und männlicher Moderierender ist Ausdruck des Versuchs, unterschiedliche Präsentationsstile stärker ins Blickfeld zu rücken und eine größere Zuschauerakzeptanz zu erreichen (vgl. Hickethier 1998a: 340, 374f.).5
4 5
Hierzu zählen etwa die zur Prime Time ausgestrahlten Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF. Nicht zufällig bezieht sich die aktuelle Kritik an den Tagesthemen, die aufgrund sinkender Quoten in die Schlagzeilen geraten sind (vgl. Busse 2008: 21; Hanfeld 2007: 38; Jakobs 2007: 15), zu einem großen Teil auf die beiden Moderierenden der Sendung. So tut sich ein SZ-Reȱ£ ȱ ȱǰȱȱę£ȱȱȱȱȱen Gesichter Tom Buhrow und Caren Miosga konkret zu benennen, ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ £ ȱ ȱ Ǯ§ȃȱ ȱ Ǯ¢ȃȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ
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Hickethier (1997, 1998b) beschreibt die Beziehung zwischen NachrichtenmoderatorIn und Publikum in Anlehnung an die formale Struktur einer Erzählung. Demnach erfüllen die Moderierenden ȱȱȱĴȱȱȱȱȱzählerrolle, die Orientierung bietet und durch das Weltgeschehen führt: Die £§ȱ ȅȂȱ ȱ ȱ £§ȱ ȱ Ȭ ȱ , geben diesem Form und Struktur, ordnen das Geschehen in größere Zusammenhänge ein, liefern Orientierung ûȱǰȱ ȱ£ȱĴȱȱǻ ȱŗşşŝDZȱŝǰȱ ȱ im Original).
Dieses auf den Inszenierungsrahmen von Nachrichten verweisende Narrationskonzept, das von Lünenborg (2005: 152-157) weiterentwickelt wurde, bezieht sich gleichermaßen auf die Erzählstrukturen des journalistischen Textes wie auf die Deutungsleistungen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Da der Fokus nicht allein auf der Ĵȱȱtȱȱȱǰȱȱȱ ěȱ £ȱ £ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ wird, erlaubt diese Perspektive, Nachrichten im Spannungsfeld von Produktion, Rezeption und Text zu analysieren. Wie die Nachrichtenerzählung entschlüsselt und rezipiert wird, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, angefangen bei den Erwartungen, die an das Programm gestellt werden, über ȱ £ęȱ £ȱ ȱ ȱ £ȱ £ȱ ȱ den eigenen Alltag und den Handlungskontext. Die Relevanz der Moderation für den vielschichtigen Prozess der Aneignung von moderierten Nachrichten wird hier deutlich: Nicht nur das, was ȱȱȱȱĴǰȱȱȱûȱȱ £ǰȱȱȱǰȱ ȱȱȱĴȱȱ welche Bedeutungen sich um ihre Person als NachrichtenerzählerInnen manifestieren. Zentral wird hier die Frage, ob es tatsächlich ȱ£ęȱ ȱȱǰȱȱ§ȱȱ expressiven Charakter betont und der gerade Zuschauerinnen zu ȱȱ§Ğȱȱęȱȱȱbotenen Nachrichten einlädt, oder ob diese Funktion nicht vielmehr das Produkt einer geschlechterstereotypen Zuschreibung ist (vgl. u.a. Cornelißen/Küsters 1992; Holland 1996). erfahrene oder geheimnisvolle Fernsehpersönlichkeiten darstellen wie zuvor Ulrich Wickert oder Anne Will (vgl. Kniebe 2007: 6).
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юѐѕџіѐѕѡђћȱюѢѠȱёђџȱђџѠѝђјѡіѣђȱ ёђџȱѢљѡѢџюљȱѡѢёіђѠ Theoretisch stützt sich dieser Beitrag auf ein Verständnis von ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ ĞȃȱǻûȱŘŖŖśDZȱŞŚǼǯȱȱȱȱȱȱdies angelehnte Sichtweise impliziert, dass zur Bestimmung von Journalismus der gesamte Prozess medialer Bedeutungsproduktion zu berücksichtigen ist – neben Produktions- und Text- auch die Publikumsperspektive. Dieser Prozess ist als kontextgebunden und intertextuell zu verstehen, das heißt der Text steht nicht isoliert, sondern in fortwährender Wechselwirkung mit anderen Texten, Diskursen und sozialen Handlungen. Gerade die Annahme, dass die Aneignungsaktivitäten der Zuschauerinnen und Zuschauer zentraler Ort der kulturellen Bedeutungsproduktion sind, unterscheidet den Ansatz der Cultural Studies vom Gros der Journalismustheorien, die ihr Augenmerk fast ausschließlich auf das Handeln der journalistischen Akteure und die Mechanismen der Textproduktion legen, wie Lünenborg in ihrer Kritik an der aktuellen Journalismusforschung ausführlich darstellt (2005: 41-45). Im Umfeld der Cultural Studies ist inzwischen eine ganze Reihe von Rezeptionsstudien entstanden, die sich hauptsächlich mit der ȱ ęȱ ȱ §Ğǯȱ ȱ ¡ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěǰȱ ûȱ ȱ ȱ ȱȱȱ §ȱȱ§ȱę£ȱ lassen. Obwohl ein klassisches Nachrichtenmagazin wie die TaȬ gesthemen zu einer größeren textuellen Geschlossenheit neigt und ȱ £ęȱ £ȱ ȱ ȅ§ȁȱ ǻǯȱ Langer 1998) seine Zugehörigkeit zur Populärkultur zu verbergen ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěǰȱ §ȱ ¡ȱ gelesen werden. Es ist daher zu erwarten, dass mit dieser zwar moderierten, aber dennoch eher ‚nüchternen’ Nachrichtensendung ȱȱȱȱȱȱĚǰȱ die sich den Text auf kreative Weise aneignen, sich durch ihn unterhalten lassen oder mit seinen DarstellerInnen, den Moderatoren und Moderatorinnen, parasozial interagieren.6 Die Vielfältigkeit
6
Zum Konzept der parasozialen Interaktion, das eine Quasi-Dialogizität oder Schein-Reziprozität des Fernsehens impliziert, siehe Horton/ Wohl (1956).
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ȱ ȱ ûĞȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Erfahrungsschatz des Publikums, den Erwartungen, Rezeptionsbedingungen und den situativen Alltagsbezügen resultieren. ȱ ȱ ȱ £ȱ Ǯǰȱ ȱ ȱ zialen Zirkulation von Bedeutungen und Vergnügen“ (Renger ŘŖŖŖDZȱŚŞŖǼȱȱȱȱ£ȱȱȱȱĴȱ von Wissen dient. Unterhaltende und informierende Funktionen schließen sich somit nicht gegenseitig aus, sie müssen als sich ergänzende Potenziale journalistischer Texte betrachtet werden, die durch die jeweiligen Bedeutungszuweisungen der Zuschauerinnen und Zuschauer ihre Gewichtungen erfahren. Eine dichotome Unterscheidung zwischen Unterhaltung und Information, wie sie von John Corner (1991: 268f.) durch seine Einteilung von Medienkommunikation in ein ȱ ȱ und einȱ ȱ ȱ vorgenommen wird, lässt sich vor diesem Hintergrund in Frage stellen. Der Kritik an dieser Zweiteilung folgend – wie sie aus feministischer Perspektive insbesondere von Ann Gray (2001) oder anhand des Konzepts des ȱ£ von Joke Hermes (1998) geäußert wurde7 – wird hier davon ausgegangen, dass die strikte Trennung von Unterhaltung und Information, die implizit mit weiteren Dualismen wie weiblich und männlich, privat und ãěǰȱȱǻǯȱ ȱȱǯȱŘŖŖŜǼǰȱȱ§ȱȱ Nachrichtenrezeption als kulturelles und politisches Handeln behindert.
7
Mit dem Konzept des ȱ£ geht es Joke Hermes (1998) um eine umfassende Zusammenführung bisher voneinander geȱȱĝDZȱǮȱȱȱȬ ¢ȱȱ between the public and the private, or the public and the popular, I would be in favour of recognizing the many divisions in social life, and do away with this particular mystifying division. Cultural citi£ǰȱȱȱǰȱȱȱȱȱȱȱȱ¢ȄȱǻǯDZȱŞśǼǯȱ
ȱ ȱ ûȱ ȱ £ ȱ ȱ ǰȱ ȱ Ǯȱ ȱ[ěȱǽdzǾȱ£ȱ§ȱȱȱalen Diskurses [werden]“ (2004: 205), kritisieren an Hermes Ausführungen jedoch, dass diese auf eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Macht als zentralen Bestandteil von ȱȬ zenship weitgehend verzichtet (vgl. ebd.: 198f.).
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џєђяћіѠѠђȱёђџȱўѢюљіѡюѡіѣђћȱѡѢёіђȱ ѧѢџȱћђієћѢћєȱёђџȱюєђѠѡѕђњђћ Ѣћёȱіѕџђџȱќёђџюѡіќћ Die Präsentation der Ergebnisse aus den Leitfaden-Interviews erfolgt entlang zentraler Einsichten, die an dieser Stelle vertiefend dargestellt, anhand von Beispielen erläutert und zusammenfassend interpretiert werden. Dabei wird zum einen deutlich, dass für die unterschiedlichen Lesarten ausschlaggebend ist, ob ein traditioȱ ȱ ȱ ěǰȱ ȱ £ȱ ȱ TagesȬ themen wahrnehmendes Verständnis von Nachrichten vorherrscht. ȱȱ£ȱǰȱȱȱĞȱȱ§ǰȱȱ Text Bedeutung zuzuschreiben, abhängig davon sind, wie stark das ȱȱȱȱȱǯȱęȱ£hen sich zumeist auf Personen des gleichen Geschlechts. Dabei gibt es große Unterschiede in der Wahrnehmung und Beschreibung der Moderierenden. Die Auseinandersetzung mit ihnen durch die Zuschauerinnen und Zuschauer reicht von relativer Gleichgültigkeit ûȱȱěȱȱȱȱĞȱȱ zur Zuschreibung einer ästhetischen Vorbildfunktion.
ќѝѢљюџіѠіђџѢћєȱёѢџѐѕȱђџѠќћюљіѠіђџѢћєӓȱ ћѡђџѠѐѕіђёђȱѢћёȱіёђџѠѝџҿѐѕђȱіћȱёђћȱ ѢєѫћєђћȱѧѢȱњќёђџіђџѡђћȱюѐѕџіѐѕѡђћ Mit Blick auf die Aussagen aller Befragten lässt sich festhalten, dass die Moderierenden der Tagesthemen auf unterschiedliche Weise und in Abhängigkeit vom subjektiven Lebenskontext und der individuellen Mediensozialisation der Interviewten ein Interesse auf sich ziehen, das die Geschlossenheit des weitgehend formalisierten ¡ȱ Ġȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ŘśȬ§ȱ ȱ bei ihrer Auseinandersetzung mit den Tagesthemen vor allem für die sprachlichen und stilistischen Merkmale der Moderation und führt ihr hohes analytisches Engagement bei der Rezeption der Sendung auf ihr Germanistik-Studium zurück, wo sie dieses Interȱȱȱ§ȱǮȃȱȱǯȱȱȱ §£ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯȃȱ ȱ ȱ Ǯȱ und inhaltlich sehr schön[en]“ Texte und seine von Ironie gekennzeichnete Sprache. Hinsichtlich Will führt sie an, dass diese ein Ǯȱȃȱǰȱ§ȱǮ¢ȃȱȱȱ
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ȱǮǽǾȃȱ ȱȱȱ ûȱ £ǰȱȱȱǮȃǯȱȱȱȱȱȱ aufgrund seiner persönlichen Elemente in der Moderation, die für sie ȱǮȱ ȱȃȱȱȱȱǯȱ Für einige Rezipierende, deren Nachrichtennutzung einem eher traditionellen Verständnis folgt und in deren Lebenskontext Politik keine große Rolle spielt, wird die Darstellungsleistung und Perspektivierung der Moderierenden jedoch nicht deutlich genug, um eine kritische Auseinandersetzung und aktive Beteiligung an der Sendung zu provozieren. Dabei zeigt sich bei einigen Befragten eine deutliche Diskrepanz zwischen einer teilweise explizit gewünschten ȅĚȂȱȱȱȱȱ§muster und einer gleichzeitigen Forderung nach größtmöglicher Sachlichkeit und Seriosität. Bei einer 64-jährigen Probandin äußerte sich das Interesse an alternativen Diskursangeboten und InszenieȱȱȱǰȱȱȱȱǮȱȃȱ§ǰȱ wenn die Moderierenden deutlicher Position beziehen würden und ȱȱ §ǯȱǮȱȱȱȱȱȱȱ bilden, weil es [die Tagesthemen; Anm. d. A.] ja sehr neutral gemacht wird.“ Als positiven Gegenentwurf zu Wickert führt sie Wolf von Lojewski an, der bis 2003 das Ȭ moderierte und bei dem sie stärker als bei den Moderierenden der Tagesthemen Momente ȱ§ȱę£DZȱǮȱȱȱȱȱȱȱȱ anders als bei den Tagesthemen. […] Also er hat nicht so gleich diese absolut sachliche Schiene.“ Der Moderationsstil der beiden scheint sich auf den ersten Blick nur in Nuancen zu unterscheiden, so dass die Wahrnehmung einer geringeren Neutralität auch von der Sympathie und dem Interesse für den Moderator des Ȭ abhängig ist. Fehlt diese Nähe, wird auch der Nachrichtentext nicht ȱěȱǰȱ ȱȱȱ ȱȱ ǯ Eine stärkere Inszenierung der Moderation und des Formats könnte verhindern, dass bestimmte Zuschauerinnen und Zuschauȱ ȱ ěȱ ȱ §ȱ ȱ ¡ȱ ȱ ȱ Präsentation übersehen. Dabei müsste für sie jedoch sichergestellt sein, dass Werte wie Überparteilichkeit und Glaubwürdigkeit nicht verloren gehen. Alle Interviewten distanzieren sich ausdrücklich von den journalistischen Angeboten der privat-kommerziellen Sender. Die Moderierenden der dort ausgestrahlten Nachrichtensendungen werden als anbiedernd und – wie es eine Befragte ausdrückt ȮȱǮĴȃȱȱȱȱǯȱ§ȱ §ȱ für einige Rezipierende eine Inszenierung, die zwar als neutral und sachlich empfunden wird, aber stärker suggeriert, dass die
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Moderierenden bestimmte Perspektiven anbieten, zu denen eigene Standpunkte formuliert werden können. Die Wahrnehmung einer solchen Strategie der Popularisierung durch Personalisierung – das zeigt die Untersuchung überdeutlich – hängt jedoch in großem Maße von den Kenntnissen, Erwartungen und Einstellungen der Zuschauerinnen und Zuschauer ab. Im Hinblick auf diesen Aspekt weisen die Interviewten große Diskrepanzen auf. Das Spektrum der moderationsbezogenen Re£ ȱȱȱȱȱěȱûȱ an Informationen bis zur deutlichen Abwertung des scheinbar Unterhaltenden. Ein 26-jähriger Proband lädt Nachrichteninhalte und Moderation so stark mit subjektiven Bedeutungen auf, dass sich hierfür Fiskes Konzept von Nachrichten als ‚Soap für Männer’ heranziehen ließe (vgl. Fiske 1987: 308).8 Während bei einigen Befragten Nachrichten also auf positive Weise zugleich informativ und ȱȱȱȱȱȱãěȱȱten Sphäre aufgehoben sind, vermag eine stärkere Inszenierung der Moderation bei anderen genau das Gegenteil auszulösen. Für einen 28-jährigen Lehramtsstudenten sind bereits die ungewohnten – da vermeintlich weiblichen – Elemente in der Moderation Anne Wills mit seinem konservativen Nachrichtenbild unvereinbar. Der Wickert macht es ein bisschen feiner, er hat die Stimme nicht ganz so extrem gelangweilt oder abfällig. [...] Das [die Moderation Anne Wills; Anm. d. A.] reduziert das Ganze für mich so ein bisschen auf diese Boulevard-Kiste.
Die Rezeption ist vielfach von moderationsbezogenen Antizipationen und Fantasien sowie von dem politischen und medialen Erfahrungsschatz und Wissensvorrat der Befragten geprägt. Für eine 30-jährige Übersetzerin sind Nachrichten und politische Kultur eng miteinander verbunden. Dies demonstriert sie gleich zu Beginn des Interviews, als sie ihre spontanen Assoziationen zu den Tagesthemen
Şȱ ȱ ȱȱȱȱǮȱȱȄȱǻŗşŞŝDZȱřŖŞǼȱ £ǰȱ ȱȱȱȱěȱ£§ȱȱȱ ȱ ȱȱȱȱȱęȱ Fernsehserie vergleichbar sind, aber primär einer maskulinen Kultur ãDZȱǮ ȱȱȱȱȱȱǻ ȱȱ ȱȱ people circulate) rather than the domestic. […] The public sphere is one that in our society deems to be masculine and is thus peopled ¢ȱ¢ȱȄȱǻǯDZȱŘŞŚǼǯ
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ȱDZȱǮãǰȱûǰȱǰȱȱȱȱȱ politisch ausgewogen, dieses links und rechts immer, das ist so typisch auch dafür“. Ihre Auseinandersetzung mit dem Format und seiner Moderation wird insbesondere durch die in den Tagesthemen durchgeführten Interviews gefördert, was auf eine dialogische Vorstellung von politischer Medienkultur hindeutet. In der Beschreibung der von ihr bevorzugten Form der Adressierung verweist sie auf ein Verhältnis von Nähe und Distanz, das von einer Vermischung ȱ §ǰȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ [ěȱ und Privatem zeugt. Diese Vermischung in der Wahrnehmung von ȱûȱȱȱȱ£ȱȱȱĚȱ ȱȱȱȱĞȱ ȱȱȱ ȱȱęȬǰȱȬȱȱ£boten. Deutlich wird diese Komponente vor allem dann, wenn sie ûȱȱȱ§ȱ ¢ȱȱDZȱǮȱȱ ¢ȱ ȱĴȱȱȱȱȱđǰȱȱȱ ȱȱđȱ wichtig, weil ich habe das wirklich genossen, absolut genossen, wie sie das erzählt hat“.
ђёіђћјќњѝђѡђћѧȱѢћёȱќљіѡіјіћѡђџђѠѠђ юљѠȱѐѕљҿѠѠђљѓюјѡќџђћ Die Rezeptionsweisen aller Befragten sind von der Dominanz des ¡ȱ §ǯȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱȱȱ§ȱȱĞǰȱȱȱȱ ěȱ¡ȱ£ȱǯȱȱȱȱȱȱǰȱ ȱ ȱ Ȭȱ ȱ ȱ Ĝȱ ȱ ȱ ȱ über die Inszenierung und Präsentation der Sendung urteilen. Auf der anderen Seite äußern sich deutlich verhaltener diejenigen, die die Autorität des Nachrichtentextes und die vermeintliche Neutra§ȱȱȱȱȱȱȱĴȱȱȱ ȱȱȱěȱ£ȱȱ ǯ ȱ ěȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ mit Blick auf die Aussagen und Stellungnahmen der weiblichen Befragten. So beschreibt eine äußerst medien- und politikinteressierte 30-Jährige, die über ein großes intertextuelles Wissen verfügt, die Rezeption der TagesthemenȱȱȱǮȱȱĚȱȱ Spaß“. Ihr Vergnügen an der Sendung verbindet sie zum Teil explizit mit den Moderierenden. Wie diese ihre Persönlichkeit ins Spiel bringen und sich den Inhalten gegenüber positionieren, wird als Mehrwert wahrgenommen, sofern sie ihr sympathisch sind. Genau
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wie sie zeigt auch eine 25-jährige Doktorandin, dass sie sich der medialen Inszenierungsstrategien bei den Tagesthemen bewusst ist. Das Wissen um die gestalterischen Freiräume der Nachrichtenpräsentation veranlasst sie zu der Einschätzung, dass das Nachrichtenmagazin durch die unterschiedlichen Stile der Moderierenden zugänglicher ist als eine klassische SprecherInnensendung – wenn sich die Präsentationsweisen von Wickert und Will ihrer Ansicht ȱ ȱ ȱ ȱ DZȱ Ǯȱ ȱ ǰȱ ęȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ so einen Erzählduktus.“ Für zwei 55- und 64-jährige Hausfrauen sind Nachrichten dagegen objektiv und nicht verhandelbar. Ihre Voreinstellungen sind stark von einem allgemeinen Genreverständnis geprägt, in dem Nachrichten als lediglich informierende und neutrale Texte wahrgenommen werden. Beiden erscheinen die Moderierenden als entindividualisierte und letztlich bedeuȱĴȱȱǰȱȱȱ£ȱûȱ besondere Zuschreibungen, tiefer gehende Auseinandersetzungen ȱ ęȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ist unabhängig davon, wie aufmerksam das Format im Fernsehen ȱ ǯȱ§ȱȱȱȱȱȱȱĞȱǮȱ so mitrauschen“ lässt und die Machart des Nachrichtenmagazins in keiner Weise in Frage stellt, erklärt die andere entschieden, von den Tagesthemen sachlich informiert und nicht auf einer emotionalen Ebene angesprochen werden zu wollen. Die Moderation erfüllt für sie lediglich eine Informationsfunktion, die Personen sind entspreȱDZȱǮȱȱȱȱȱ ǯȃ Die jeweilige Medienkompetenz9 wird zum entscheidenden Strukturierungsmoment bei der Rezeption der Nachrichten und der Beurteilung der Moderierenden. Inwieweit sich die Interviewten
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Im Zusammenhang mit der unterschiedlich ausgeprägten Medienkompetenz spielen ganz sicher auch die jeweiligen Bildungsressourcen eine entscheidende Rolle für die Rezeption der Tagesthemen. In dem hier vorgestellten Sample waren gerade die jüngeren Befragten ȱ ûĴȱ ûȱ ȱ ȱ §ȱ §£ȱ ûȱ ãěȬȱ ȱ ǯȱ ȱȱ£ęȱ ȱȱȱ£ȱěȱ eine Minderheit in der Gesamtheit der Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer dar, passen aber in das Publikum der Tagesthemen, das von einem überproportionalen Anteil höher Gebildeter geprägt ist (vgl. AS&S Fernsehforschung 2008). Aufschlussreicher als der nur schwach variierende Bildungshintergrund der Befragten erschien
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von der Moderation angesprochen fühlen, scheint eine Frage des Bewusstseins für mediale Inszenierungsstrategien sowie des Interesses an Politik zu sein. Deutliche Parallelen zeigen sich unter einerseits den älteren und andererseits den jüngeren Interviewten. Die Jüngeren demonstrieren ein hohes Maß an Lese- und Medienkompetenz sowie ein großes Interesse an politischen Zusammenhängen. Sie scheinen sich mit den Tagesthemen und ihren Moderierenden, ȱȱȱãȱǰȱȱ£ȱę£ǯȱȱ sie erkennen, dass diese ein Image von sich produzieren und aktiv in die Inszenierung der Nachrichtensendung eingreifen, können sie ȱ¡ȱȱȱęȱȱ£ȱȱ£ȱȱ politischen Meinungsbildung teilhaben. Die Moderierenden werden dabei zu positiv besetzten Leitbildern, an deren Persönlichkeit die ProbandInnen über den Nachrichtentext hinaus interessiert sind. Dabei erfüllt das intertextuelle Wissen über die Moderierenden ganz unterschiedliche Funktionen: bei einigen handelt es sich lediglich um ein schwach ausgeprägtes, anekdotisches Wissen, bei ȱ ȱȱ£ȱĴȱȱ£§ûȱȱȱ als Grundlage für die Zuordnung der Moderierenden zu einem bestimmten politischen Lager. Die älteren Befragten bringen dagegen ihr Wissen weniger mit der Darstellung in Verbindung. Es wird deutlich, dass sie sehr stark £ ȱȱȱȱȱãěȱȱȱ unterscheiden – eine Trennung, die auch ihre allgemeine Lesart der Tagesthemen widerspiegelt. In ihrer Rezeption der Nachrichten zeigen sie sich wenig interpretationsfreudig, ihre Fantasie kommt ȱ £ȱ £ǰȱ ȱ ȱ ȱ ¡ȱ ȱ ȱ ȱ ęǰȱ ȱ ȱ ȱ [ěȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ überdeutlich angezeigt werden. Erkennbar wird diese Haltung auch darin, dass einige Befragte zwischen der ‚gesprochenen’ und den moderierten Tagesthemenȱ ȱ ě£ȱ können. Mit dieser eher unbeteiligten Nachrichtenaneignung geht eine negative Einschätzung der eigenen Urteilsfähigkeit einher, die auf der mangelnden Selbstwahrnehmung als an der politischen [ěȱ £ȱ ûȱ £ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ §ȱ £ȱ £ȱ ȱ ȱ ǰȱ ęȱ ȱ ȱ£ȱȱęȱȱȱȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ Ĵǯȱ ȱ ȱȱě£ȱȱȱ£ǰȱȱȱ damit zusammenhängt, wie die Befragten mit Medien aufgewachsen sind und von welchen Medienumgebungen sie geprägt wurden.
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ěȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ûȱ ȱ £ȱ ne produktive Vermischung von Information und Unterhaltung, ȱ ȱ [ěȱ Ĵęǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Bezugspersonen erscheinen. Beide Sphären bleiben überdeutlich voneinander getrennt, die unhinterfragte und dem Nachrichtentext zugeschriebene Autorität und Neutralität verhindert deren Zusammenführung und beeinträchtigt aktives Rezeptionshandeln.
ђёђѢѡѢћєȱ єљђіѐѕєђѠѐѕљђѐѕѡљіѐѕђџȱђѧѢєѠѝђџѠќћђћ Unabhängig von ihren Prädispositionen, moderationsbezogenen Antizipationen und ihrer Medienkompetenz lässt sich allen Befragten eine intensivere Auseinandersetzung mit gleichgeschlechtȱ£ȱĴǯȱȱ§ȱȱȱȱ £ȱ £ȱ ęȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ sehangebote (vgl. Klaus/Röser 1996). In der Auseinandersetzung mit den Moderierenden wird eine größere Nähe zu den gleichgeȱ ȱ ǯȱ ȱ §Ğȱ ȱ ȱ erfolgt intensiver und zeigt eine stärkere Involvierung. Bei den beiden befragten Hausfrauen zeigt sich dies zum einen darin, dass sie in den innerhalb der Nachrichten agierenden Frauen äußere Zeichen von Emanzipation sehen. Im Sinne des Gleichheitsansatzes argumentierend (vgl. Klaus 1998: 15) bewerten sie als positiv, dass sich Frauen in der Nachrichtendomäne als Akȱ ęȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ein geschlechtsneutrales Feld anzusehen sind, auf dem Männer und Frauen gleichwertig ihren Beruf ausüben können. Zum anderen bieten ihnen die Frauen in der Nachrichtenmoderation mehr Möglichkeiten, Bezüge zum eigenen Alltag herzustellen, auch wenn der Einsatz weiblicher Moderatorinnen für sie keine speziell weiblichen ȱ ȱ ȱ Ĵȱ Ěđȱ §ǯȱ ȱ gleich zu ihren männlichen Kollegen werden die Moderatorinnen stärker als eigenständige Persönlichkeiten und weniger durch das Format determiniert wahrgenommen. Für eine der beiden provoziert gerade Anne Will eine stärkere Auseinandersetzung mit ihrer ȱ ȱ ȱ ȱ ãđȱ §ȱ £ȱ £ȱ Ġǰȱ ȱȱȱȱ đȱ§Ğȱ DZȱǮȱ ȱ so mehr rein ins Wohnzimmer“. Die weiblich konnotierte Sphäre ȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ
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ãěǰȱ£ȱȱȱ£ȱȱ§ȱ£ȱǯȱ Angesichts der dem Nachrichtentext zugeschriebenen Neutralität sowie ihrer verhaltenen Einschätzung der Bedeutung der Moderation kann jedoch nur ansatzweise von einer parasozialen Beziehung die Rede sein. Bei einer 30-jährigen Befragten zeigt sich die intensivere Be§Ğȱȱȱȱȱ§ten. Sie scheint den aktiven Wunsch zu haben, die Nachrichtenwelt mit Frauen und Weiblichkeit zu assoziieren. Entgegen stereotyper ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ DZȱ Ǯȱ habe immer das Bild einer Frau, also so eine Art Nachrichten immer von Frauen. Nicht für Frauen, aber von Frauen. Sehr sachlich, sehr objektiv, sehr seriöser Journalismus sozusagen.“ Ihr Selbstbild einer politisch interessierten und selbstständig denkenden Zuschauerin korrespondiert mit ihrer Vorstellung von weiblichen Nachrichten. ȱę£ȱȱ§Ğȱȱȱȱȱ ȱ Moderierenden, stellt sie aber auch stärker in Frage als die männlichen Moderatoren der Tagesthemenǯȱ ȱ £ȱ ȱ Ğȱ ȱ engagierte Kritik an Anne Will verweist darauf, dass sie Politik und Nachrichten für ein wichtiges Feld hält, auf dem eine Auseinander£ȱȱ ȱĴęȱǯȱȱȱ der Befragten sind teilweise widersprüchlich: Einerseits zeigt sie sich sensibel für Genderdiskurse und bezieht geschlechtspolitische Fragen in ihre Nachrichtenaneignung mit ein, andererseits bringt sie zum Ausdruck, dass sie sich in ihrer Lesart nicht von GendeȱĚȱȱ ǯȱȱ ȱěǰȱȱȱ ihre Beschreibungen der besonderen Qualitäten der weiblichen ȱ ȱ ȱ ȱ DZȱ Ǯȱ ęǰȱ ȱ Frau kann viel mehr bewirken, also viel mehr erreichen, halt durch die Art, so rhetorisch halt, ne. Weil die auch viel menschlicher sind, ȱ ȱ ǯȄȱ ȱ §ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ Medientext zu interpretieren und seine Inszenierung zu erkennen, verbindet sich mit dem Wunsch, die Moderatorinnen mit einer positiv besetzten Vorstellung von Nachrichten zu verknüpfen. Da sie bei Anne Will jedoch keine besonderen Fähigkeiten entdecken kann ǻǮȱ ǰȱ ȱ ȱ ǰȱ ęȱ ȱ ȱ ¢ǰȱ ȱ ȄǼǰȱ £ȱȱȱȱȱȱȱ£ȱěǰȱȱ Stereotypisierung. Auch bei den männlichen Rezipienten zeigt sich die größere £Ğȱ ȱ ȱ £ȱ in den Nachrichten. Die beiden jüngeren Befragten unterscheiden sich zwar stark im Hinblick auf ihre Einschätzung der
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Nachrichtenmoderation, sie lassen aber beide eine deutliche Afę§ȱ £ȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ sie in positiver Weise von ihren weiblichen Kolleginnen ab. Dem 28-jährigen Studenten kann ein Interesse an den Moderierenden Ĵȱ ǰȱ ȱ£ȱȱ£ęȱ ȱȱǯȱ§ȱȱȱûǰȱě£ȱ ȱȱȱȱ§ȱȱ§Ğǰȱȱ ȱ ȱȱȱǮȱȃȱûȱȱ ǯȱ Die TagesthemenȱûĞȱȱȱȱȱȱǰȱȱ dessen Kompetenz er sich als Nachrichtenzuschauer ernst genommen und angesprochen fühlt – eine Aufgabe, die Anne Will für ihn nicht in gleicher Weise erfüllt: Das klingt vielleicht arrogant, aber ich glaube, ich bin der Frau dann, also der Anne Will, ein Stück weit kritischer gegenüber, ǽdzǾȱȱȱȱȱǰȱȱȱȮȱȱ ĴȱȮȱȱ bisschen gering schätzend.
ȱ ŘŜȬ§ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ weiblichen Moderierenden zwar nicht ihre journalistische Kompe£ȱǰȱ£ȱ ȱȱȱęȱ ermutigen ihn aufgrund der größeren Alltagsnähe aber nur die §ȱǯȱȱȱȱȱęęǰȱȱȱȱȱȱǰȱȱ ȱȱȱ ganz an das Idealbild eines Nachrichtenmoderators heranreicht, das er durch den von ihm verehrten, väterlichen Hanns Joachim Friedrichs verkörpert sieht. Bei diesem gerät der Interviewpartner geradezu ins Schwärmen: Ja, Hanns Joachim Friedrichs als ersten und als den klassischen Nachrichtenmann der alten Stunde, absolut seriös, auch vom Aussehen her mit den weißen Haaren. Aber insofern noch seriöser, weil er noch ein bisschen väterlicher ist als Ulrich Wickert und auch nicht so hager.
Hier wie auch an anderer Stelle kommt deutlich eine ästhetische Orientierungsfunktion zum Ausdruck, die der politisch äußerst interessierte Proband den männlichen Moderierenden zuschreibt: Wolf von Lojewski oder Ulrich Wickert, das sind Leute, wo ich ǰȱ ȱ ûȱ Ĵȱ ȱ ǰȱ ȱ ûȱ£ûǰȱ ȱ ȱ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ£ das aus? [...] Als Anhaltspunkte, was man, sag‘ ich mal, selbst ȱȱęȱȱȱȱȱȱ ȱȱĞǯ
Das politische Interesse und eine über die Inhalte der Moderation ȱǰȱȱęȱȱ hier also ausdrücklich nicht im Widerspruch zueinander. Die Unterschiede bei den Aneignungsformen der Nachrichten lassen sich zum einen also entlang des Geschlechts festmachen. Zum anderen zeigen sich aufgrund ihrer unterschiedlich ausgeprägten £ȱ ȱ ȱ đȱ ě£ȱ zwischen den jüngeren und älteren Rezipierenden der Tagesthemen. Die befragten Zuschauerinnen und Zuschauer, die zur Gruppe der über 50-Jährigen gehören, nehmen die Rezeption der Tagesthemen ȱ ûȱ Ěȱ ȱ ǻǯȱ ȱ ŘŖŖŖǼǰȱ ȱ ȱ Freiräume dafür lässt, sich vom Nachrichtentext unterhalten zu ǯȱ ȱ ȱ ȱ Ěȱ ãȱ ȱ ȱ hier interviewten jüngeren ZuschauerInnen, die durchweg über hohe Bildungsressourcen verfügen, sich durch einen souveränen Medienumgang auszeichnen und von einem großen Interesse an Politik bestimmt sind, der aktiven Auseinandersetzung mit dem Nachrichtentext und seinen Moderierenden widmen.
юѧіѡȱѢћёȱѢѠяљіѐјDZȱ іђȱ џђћѧђћȱѣќћȱѢљѡѢџюљȱіѡіѧђћѠѕіѝ Die Interviews mit den Zuschauerinnen und Zuschauern der TaȬ gesthemenȱȱȱĴȱȱȱnehmungen, Zugänge und Lesarten des Nachrichtenmagazins und seiner Moderation. Dabei zeigen sich wiederkehrende Aneignungsmuster in den verschiedenen Altersgruppen und Geschlechtern. Mit aller – unter Berücksichtigung des kleinen Samples gebotenen – Vorsicht können die Ergebnisse zu den folgenden drei Kernaussagen verdichtet werden: 1) ȱ ȱ£ȱȱȱȱě£ȱ sich über die Kategorie Geschlecht, weil die Nachrichtenperȱȱȱȱȱȱ£ęȱsoziationen und Zuschreibungen betrachtet werden, auch wenn ȱȱ ȱǰȱȱȱĴȱ bewusst zu entziehen. Zudem zeigen die Rezipierenden eine beȱ§ȱ£ȱȱęęǯ
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2) Die Wahrnehmung und Beurteilung der Darstellungsformen strukturiert sich entlang des Alters und damit zusammenhängend auch der Mediensozialisation der hier befragten Tagesthemen-RezipientInnen. Für die meisten Älteren sind die Tagesthemen schlicht Nachrichten, die vorwiegend als objektiv und unveränderbar erscheinen. Die Rezeption dieser Sendung ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ Ěȱ ǰȱ ȱ ȱ diglich die Informationen von Interesse sein sollten, nicht aber ȱĠȱȱĴǯȱûȱȱ ûȱgen sind auch die darstellenden Elemente der Tagesthemen von Bedeutung, wie etwa die Moderation oder Präsentation. Aus dem Wissen um die Inszenierungsstrategien und Gestaltungsmöglichkeiten einer Nachrichtensendung werden Vergnügen ȱȱ ȱȱȱ£ȱãĞǯ 3) Für die Fähigkeit, gestalterische und ästhetische Spielräume zu erkennen, dadurch eine größere Beteiligung an der Sendung zu entwickeln und den Text überhaupt als unterhaltend wahrzunehmen, scheinen jedoch vor allem die unterschiedlich ausgeprägte Medienkompetenz und ein spezielles Politikinteresse ausschlaggebend zu sein. Fundierte Medien- und GenreKenntnisse ermöglichen ein spielerisches und produktives Rezipieren der Tagesthemen-Moderation und bieten so einen alternativen Zugang zum Nachrichtentext. Insbesondere über einen politisch geprägten Alltagskontext der Zuschauerinnen und Zuschauer manifestieren sich Vergnügen und Interesse an der Nachrichtensendung. Dabei prägen Voreinstellungen und Antizipationen, die bei der Rezeption in Zuschreibungen und Interpretationen resultieren, in besonderer Weise die Auseinandersetzung mit den Moderierenden.
Die Aussagen der Befragten zeigen einmal mehr, dass bei der Aneignung von Nachrichten sowohl unterhaltende als auch informierende Aspekte bedeutsam werden. Selbst bei einem eher traditionellen Nachrichtenformat wie den Tagesthemen, das auf ȱ ȱ ȱ ȱ [ěȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ Interpretationen bietet, kann die Rezeption zu einer produktiven Zusammenführung unterschiedlicher Sphären im Sinne des Konzepts des Cultural Citizenship führen. Die besondere Rolle, die den Moderierenden in diesem Aneignungsprozess zuteil wird, konnte dabei nachgewiesen werden, wenn auch nicht alle Befragten die Spielräume der Darstellung erkannt haben. Im Extremfall galten die
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Moderierenden als entindividualisierte TrägerInnen von Nachrichten und konnten von SprecherInnen nicht unterschieden werden; ȱȱ¡ȱûȱȱȱęȱȱȱȱ ästhetische Orientierungsfunktion, die sogar den Bereich der Mode erfasst. Die bisweilen überaus lebendige Auseinandersetzung mit den Moderierenden macht deutlich, dass zumindest bei einem Teil des Publikums das partizipatorische Potenzial und damit die Ermutigung zu politischer Beteiligung durch ein Format wie die Tagesthemen gefördert werden kann. Frauen als Moderatorinnen können dabei eine besondere Rolle übernehmen. Das Format und seine Rezeption geben Hinweise darauf, dass die Grenzen zwischen männlich und weiblich, Information und Unterhaltung zumindest §ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ěǰȱ ȱ ȱ traditionellen Muster einer Trennung dieser Sphären zu überwinden helfen, werden jedoch noch immer von der unterschiedlich verteilten Medienkompetenz und der davon abhängenden BereitĞǰȱȱȱȱȱȱ£ȱǰȱ§ǯ
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ћњюѠѠђћёȱќёђџȱюјѧђѝѡіђџѡӓ Geschlechtskonstruktionen ȱȱȱȱȱûȱ und ihre Relevanz für Jugendliche
юѡџіћȱҦѣђљіћєǰȱљюѢёіюȱѐѕѤюџѧȱӕȱ юєњюџȱ ќѓѓњюћћ Ǯ ȱ ¢ȱ ȃǰȱ ȱ ȱ ȱ ŘŖŖŗȱ ȱ ŘŖŖŚȱ ȱ te Slogan des Fernsehsenders ŗ. Er bringt eine Tendenz zum Ausdruck, die nicht nur Marketingstrategien von Fernsehsendern umfasst, sondern auch vor der Arena des Politischen keinen Halt macht (vgl. Döveling 2008). Personalisierung1 und Emotionalisierung ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ £§ȱ Tendenzen. Diese werden bis dato in den verschiedenen sozial Ğȱ £ȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ selten befürwortet. Gleichwohl bedienen derartige Praktiken der ȱȱěȱȮȱȱȱȬȬ Prinzip – bestimmte emotionale und psychosoziale Bedürfnisse der RezipientInnen. Im folgenden Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Formen der Emotionalisierung und Personalisierung erwünscht und gegebenenfalls legitim sein können, wenn es um die politische Partizipation und Mobilisierung von Jugendlichen aus der Geschlechterperspektive geht. Wir orientieren uns dabei am Ansatz des doing gender (West/Zimmerman 1987), der das alltägliche,
ŗȱ Ǯȱ ȱ ȱ ¢ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱǰȱȱȱȱ£ęȱãǰȱ die dadurch prädestiniert sind, dass sie zum Beispiel über einen entsprechenden Amtsbonus verfügen. Personalisierung bewirkt eine Reduktion von Komplexität auf ein überschaubares, kognitiv wie emotional verarbeitbares Maß“ (Meyer et al. 2000: 170) .
Döveling et al.: Anmaßend oder akzeptiert?
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menschliche Handeln bei der Herstellung von Geschlechtlichkeit in ȱĴȱ Ğȱ¢ȱȱȱĚȱ ȱȱ Ğȱȱȱȱ§on und Rezeption von politischen AkteurInnen aus der Sicht junger Menschen. Von Interesse ist diese Altersgruppe nicht nur, weil sie ȱ£ûĞȱ§Ğȱǰȱȱǰȱ ȱȱ politische Orientierung zu einer der essentiellen Entwicklungsȱ £§ȱ ȱ ȱ £ȱ Ğȱ £ȱ ȱ Partizipation in dieser Lebensphase erfolgt.
ќіћєȱ ђћёђџȱіћȱёђџȱќљіѡіј ȱ ȱ Ĵȱ ȱ Ȭȱ ȱ ȱ besteht Konsens darüber, dass essentialistische Vorstellungen von Geschlecht nicht mehr haltbar sind, und so wird seit Anfang der 1990er Jahre im deutschsprachigen Raum schon fast selbstverständlich von der ‚Gemachtheit der Geschlechter’ ausgegangen ǻ ȦĴȱ ŗşşŘǼǯȱ ȱ ȱ ȱ fußt unter anderem auf dem in der angloamerikanischen Literatur entwickelten, ethnomethodologisch inspirierten Konzept des doing gender (West/Zimmerman 1987), das Geschlecht als ein sozial hergestelltes und sich in alltäglichen Situationen immer wieder ȱ ǰȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ ȱ ment“ (ebd.: 126) versteht. Die Betonung liegt damit auf der sich in Handlungen vollziehenden Erzeugung einer (ver-)geschlechtlichen Identität. In der Geschlechterforschung bedeutet eine solche Schwerpunktsetzung, sich weniger auf das Geschlecht als Strukturkategorie der sozialen Wirklichkeit zu konzentrieren, sondern die ȱǰȱ£ȱ¢ȱȱȱĴęȱ Konstruktionsprozesse von Geschlechtlichkeit in den Blick zu ǯȱȱȱȱ ȱ ȱȱǮ¢ȱ ȱȱǰȱ ȱȱ ȱȱě£ȱ gründet, über welche Regeln und Regelstrukturen sie reproduziert ȃȱ ǻ ȦĴȱ ŗşşŘDZȱ ŘřŝǼǯȱ ȱ ȱ dabei immer an soziale und diskursive Situationen gebunden, in denen Geschlecht unter Anwesenheit anderer für diese produziert oder bei Abwesenheit anderer gedanklich auf diese projiziert wird. Die Vorstellung eines imaginären Publikums, für das Geschlechtlichkeit inszeniert wird, ist besonders im Falle massenmedialer Kommunikation bedeutsam. So konstruieren etwa PolitikerInnen,
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ£
ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ğȱ ǰȱ ȱ ȱ Geschlechtlichkeit, indem sie versuchen, das von den potentiell Wählenden gewünschte Geschlechterbild zu antizipieren. Um diesen Prozess analytisch aufzuschlüsseln, bietet sich eine von West und Zimmerman (1987) vorgeschlagene Unterscheidung an. Sie erweitern und reformulieren die bis dahin vorherrschende ě£ȱ £ ȱ £ȱ ȱ ǻgender), das im Laufe der Sozialisation angeeignet wird, und dem von Geburt an, aufgrund körperlicher Merkmale zugeschriebenen Geschlecht (¡) um ein zusätzliches Unterscheidungskriterium, die Geschlechtskategorie (¡ ¢). Im Alltag wird von Individuen gefordert, einem der zwei akzeptierten Geschlechter zu entsprechen: Der ěȱȱ ȱȱȱ£ȱȱ zu einem Geschlecht, während gender in dieser Konzeption für die gegenseitige, interaktive Bestätigung dieser Zuteilung steht und nicht wie in der sex-gender-Unterscheidung für die kulturelle ȱȱȅûȂȱě£ǯȱȱȱȱ rücken mit dieser Reformulierung die Aktivitäten (doing) stärker in das Bild, durch die versucht wird, sich einer der beiden gesellĞȱ £ȱ ȱ ȱ £ãȱ zu erweisen. Doing gender stellt den permanenten Versuch dar, ȱ ȱ ǻ Ǽȱ ûěȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ rechtfertigen. Geschlecht wird zum einen als durch Interaktionen hergestellt konzipiert, gleichzeitig strukturieren Vorstellungen von Geschlecht aber auch Interaktionen (vgl. Giddens 1992). Somit stützen soziale AkteurInnen ihr Handeln immer auch auf vorhandene Strukturen und Wissensbestände und reproduzieren ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ den Geschlechterdualismus.2 Die (inter-)subjektive Herstellung von Geschlecht ist dabei von einem im Körper situierten Wissen geleitet, das routinisiertes Handeln ermöglicht und der eigenen Wahrnehmung kaum zugänglich ǯȱ ȱ ȱ ȱ ǻǯDZȱ ŚřŗǼȱ ȱ Ǯȱ ȃȱ £ȱ ȱ ǰȱ ǰȱ Ǯǽ Ǿȱ ȱ ȱ ûȱ £ȱ sammenhänge [zu] wissen glauben, einschließlich der Bedingungen 2
Für eine notwendige Erweiterung des Konzepts über die Geschlechterkonstruktion hinaus siehe West/Fenstermaker (1995), die damit der Kritik Rechnung tragen, dass in Interaktionen nicht nur Geschlecht, ȱȱȱĴȱȱ§ȱ ȱ ȱ £ãrigkeit und Ethnizität hergestellt werden.
Döveling et al.: Anmaßend oder akzeptiert?
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ihres eigenen Handelns, was sie aber nicht in diskursiver Weise ausdrücken können“. Da Individuen Phänomene, die sie nicht ȱãǰȱĞȱȱȱǰȱ ȱȱ vergeschlechtlichtes Wahrnehmen, Deuten und Handeln dieser Logik folgend nicht als sozial erworben interpretiert (vgl. Gildemeister 2001: 71f.). Auch in der Politik als traditionell männlich dominiertem Feld ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ‚natürlich männliche’ Qualitäten und Fähigkeiten als zentral beziehungsweise hegemonial angesehen (vgl. Connell 2006). Mediale Charakterisierungen der Politik mit Metaphern aus den ebenso männlich dominierten Bereichen der Kriegsführung und des Sports ȱǰȱ ȱȱěȱȅȂǰȱȅĴȂȱȱȱ ȱ ȅȬȂȱ ȱ £ȱ Ğȱ £gen (vgl. Kreisky 1997: 175-177). Frauen und die ihnen unterstellte Emotionalität gelten in der Politik allgemein als störende Faktoren, ȱ ȱ Ǯȱ ȱ ȱ ãěȬȱ Raumes abzulegen“ (Sauer 1997: 3) seien.
ќіћєȱ ђћёђџȱіћȱёђџȱѝќљіѡіѠѐѕђћȱ ђљяѠѡѝџѫѠђћѡюѡіќћDZȱ юџѠѡђљљѢћєȱѢћёȱюѕџћђѕњѢћє Die dargelegten gender-sensiblisierenden Perspektiven implizieren, dass die im politischen Feld vorherrschenden sozialen Kategorisierungen und Konnotationen auf die Probe gestellt werden, wenn eine Politikerin versucht, sich darin zu etablieren. Bezüglich der £ęȱ lässt sich festhalten: ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ğȱ einen konträren Stil im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen verfolgen, indem sie sich etwa als kooperativ, kommunikativ und personenzentriert präsentieren (vgl. für einen Überblick Sauer 1997: 7). Durch die Betonung eines solchen Images besteht allerdings die Gefahr, ‚gefühlvolleres’ Verhalten dem weiblichen Geschlecht an sich zuzuschreiben und dem verzerrten Bild zu erliegen, dass es sich bei der Politik (sonst) um einen vermeintlich emotionsfreien Raum handele. Es gibt allerdings auch gegenteilige Tendenzen, etwa wenn Politikerinnen im Wahlkampf auf formelle Businessoutęȱȱȱȱ§ȱȱȱȱȱ £ȱ ȱ £Ğǰȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ£
ȱĞȱ£ȱǻǯȱ ȱŘŖŖŚDZȱŗśşǼǯ3 Eine Strategie für Politikerinnen besteht demzufolge darin, sich den Merkmalen der maskulinen Geschlechtskategorie anzupassen und die Zuschreibungen an die weibliche damit zu konterkarieren. Die Orientierung an der ‚anderen’ Geschlechtskategorie führt allerdings, wie aktuelle Studien belegen, nicht unbedingt zu besseren WahlerȱȱȅȱȂȱǻǯȱĴȱŘŖŖŝDZȱŘşǼǯȱȱ ęȱȱȱȱȱ ȱǰȱ§ǰȱ ȱ ěȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȅ Ȃȱȱȱȱ§ȱĞȱ ȱǻȱ £ȱ¡ȱȱȱȱ ȦĴȱŗşşşǼǯ ȱ ȱȱĴȱǻŗşşŘǼȱ£ȱǰȱȱȱ das Beispiel des Geschlechtswechsels von Berufen – das heißt weiblich dominierte Berufe werden zu männlich dominierten und vice versa – besonders aufschlussreich für die Analyse von Geschlechterverhältnissen und ihrer sozialen Konstruktion. Dadurch gerät die Frage nach den Reaktionen des politischen Feldes und der Medien4 auf die ‚eindringenden’ Frauen und dem damit induzierten Wandel des Berufsfelds auf die Forschungsagenda. Studien zur Frage der ȱĴȱǰȱȱȱȱ gleichbehandelt werden. [D]as Geschlecht von Akteuren stellt ein – nicht notwendigerweise bewusstes – journalistisches Auswahlkriterium dar, das zu einer systematischen Bevorzugung männlicher Akteure in der Ĵȱûȱǻ £ȬȱŘŖŖŝDZȱŗŘǼǯ
Dabei lässt sich ein generelles Dilemma für Politikerinnen konstaǰȱȱȱȱǮȱǰȱ ȱȱȱ konfrontationsfreien Stil anwenden, überbetonen aber ihr nicht-stereotypes Verhalten, wenn sie einen kämpferischen Ton anschlagen“ ǻĴȱŘŖŖŝDZȱŚŜǼǯ
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Hardmeier weist in ihrer Überblicksdarstellung zur Thematik Wahlkampf und Medien auch auf den Vorschlag von Sapiro und Walsh (2002) hin, Wahlwerbung aus der doing gender-Perspektive zu betrachten, wodurch eine fruchtbare Synthese zwischen dem oben dargestellten geschlechtertheoretischen Ansatz und der Forschungsrichtung zur politischen Selbstpräsentation und Imagekonstruktion gelingt. Zum doing gender in der politikjournalistischen Praxis siehe Lünenborg (2006).
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Gleichwohl wird auch das Aussehen männlicher Politiker medial thematisiert, aber es wird in diesen Fällen nicht die Frage aufgeworfen, ob Politiker ihre ‚Männlichkeit’ zur Schau stellen ‚dürfen’. Männlichkeit wird auf der politischen Bühne vielmehr vorausgesetzt und es wird eher darüber berichtet, wenn Politiker nicht dem hegemonialen Männlichkeitsbild entsprechen und sich, wie der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, einer Schönheitsoperation unterziehen. Wenn Politikerinnen wie Angela Merkel einmal nicht explizit versuchen, in ihrem Verhalten den – an die männliche Geschlechtskategorie gebundenen und in der Politik erwarteten – Merkmalen zu entsprechen und sich auf ihre sonst ‚verborgene’ ȱ ǰȱ ãȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ Ĵȱ um ihre Geschlechtlichkeit aus.5 Für Politikerinnen ist es noch ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ an der ihnen eigentlich zugeschriebenen Geschlechtskategorie zu orientieren. In einem männlich dominierten Feld wie der Politik zu agieren, bedeutet für sie, sich mit der eigenen Geschlechtsidentität ȱ §Ğȱ £ȱ ûǯȱ ȱ ȅȱ Ȃȱ Identitätsarbeit bleibt Männern auf der politischen Bühne aufgrund ȱĞȱȱǯȱ Bezüglich der £ęȱ ££ der Selbstdarstellungen und der medialen Präsentationen von PolitikerInnen konnten Norris und Lovenduski (1995) zudem feststellen, dass politische Führungspersönlichkeiten aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich wahrgenommen werden und ihnen geschlechts£ęȱȱĴȱ ǯȱȱ§Ğȱǰȱ so der Tenor einer Untersuchung von Kahn (1992), wohlwollend auf eine ‚männliche’ mediale Darstellung von Politikerinnen, die weniger ihre ‚weibliche Sensibilität’ als ihre Fähigkeit zu ‚männȱȂȱȱǻǯȱȱĴȱŘŖŖŝDZȱŘŘǯǼǯ Aus einer doing gender-Perspektive interessiert im Folgenden die emotionale Wahrnehmung von PolitikerInnen durch Jugendliche in Form interaktiver Aushandlungsprozesse, denn diese sind nicht nur inhaltlicher Austausch, sondern dienen immer auch der Herstellung von Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechterunterschieden.
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Vgl. hierzu die medialen Reaktionen zur Kleidungswahl von AngeȱȱȱȱŘŖŖŞȱȱȱãěȱȱȱǰȱȱǰȱ nicht wie zuvor von ihr gewohnt, in einem hochgeschlossenen Kostüm oder Hosenanzug, sondern in einem Kleid mit tiefem Dekolleté erschien (siehe dazu Lünenborg et al. in diesem Band).
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ќљіѡіѠѐѕђѠȱћѡђџђѠѠђȱњіѡѡђљѠȱњќѡіќћђћȱ іћȱюџѠѡђљљѢћєȱѢћёȱђѧђѝѡіќћ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Phase, in der sie geschlechterkonformes Verhalten im Hinblick auf die Bewertung von Politik und ihren RepräsentantInnen erlernen, weshalb zu erwarten wäre, dass sie in Diskussionen versuchen, den Erwartungen an ihre Geschlechtskategorie zu entsprechen. West ȱȱǻŗşŞŝDZȱŗŚŘǼȱDZȱǮǽǾ ȱȱȱ¢ȱ come to be involved in a self-regulating process as they begin to monitor their own and others’ conduct with regard to its gender implications.“ In den Anstrengungen, die junge Menschen unternehmen, um als vergeschlechtlichte Erwachsene akzeptiert zu werden, zeigen sich dann Prozesse der Geschlechterkonstruktion und die Bestätigung oder Ablehnung von erwarteter Geschlechtlichkeit. Die Auseinandersetzung mit Politik kann im Jugendalter zum einen auf freiwilliger Basis erfolgen, zum anderen gehört sie in ȱ ȱ Ğȱ ȱ £ȱ lischen Lehrplan. Junge Menschen werden grundsätzlich in den Bildungseinrichtungen an Politik herangeführt, mitunter aber auch im Elternhaus oder in informellen Kontexten wie etwa Vereinen oder Gleichaltrigengruppen sowie über verschiedene Medien, die wiederum von hegemonialen Strukturen (mit-)geprägt sind (vgl.
ȱ ŘŖŖŖDzȱ ěȦȱ ŘŖŖŚDzȱ ȱ ŘŖŖŞǼǯȱ ȱ ȱ wie auch informelle politische Bildung erfolgt immer in einem Kontext oder System, das die Dynamiken von Geschlechter- und Machtverhältnissen widerspiegelt (vgl. Kulke 1998; Bilden 2006) und gelegentlich in Frage stellt. Es ist davon auszugehen, dass Heranwachsende ab einem bestimmten Alter über ein gewisses Maß an Kenntnissen über Politik und PolitikerInnen verfügen. Diese Kenntnisse erleichtern ihnen politische Positionierungen und damit Wahlentscheidungen; sie ermöglichen aber nicht unbedingt eigenverantwortliches beziehungsweise partizipatives politisches Hanȱȱȱȱę£ȱȱȱǯ Zur Schule stehen Jugendliche in einer asymmetrischen Beziehung (vgl. Rippl 2008), was für die Ausbildung politischer Kompetenzen nicht nachteilig sein muss, für politische WillensbilȬȱ ȱ Ğȱ £ȱ ȱ ǯȱ Diese werden in der Regel über Diskurse und vor allem über einen in Aussicht gestellten Nutzen des angewandten Wissens und somit des Handelns erreicht, der für Jugendliche ersichtlich sein muss. Politisches Handeln – das beinhaltet unter anderem das darüber
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ȱ ȱ ȱ Ȯȱ ȱ ę£ȱ ǯȱ ȱ möchten darüber Anerkennung von anderen erfahren. Diese Rück£ȱȱȱȱȱȱ Ğȱ kaum oder nicht in ausreichendem Maße zu geben. Aktuelle empirische Studien verweisen darauf, dass allgemein politische Themen in Peer-Kontexten seit den 1990er Jahren immer unbedeutender ȱ ȱ ȱ £Ěûȱ ȱ ȱ in dieser Hinsicht nachlassen (im Überblick siehe ebd.). Sich über Politik und PolitikerInnen mit Freunden und Freundinnen zu unǰȱȱěȱ ȱûǰȱ ȱěȱ und insgesamt wenig Nutzbringendes für die Individuation. Gleichwohl zeigen sich in repräsentativen Befragungen wie etwa ȱȬ Ȭǰȱ£ęȱȱȱ Hinblick auf das politische Interesse. Demzufolge interessieren sich Jungen aktuell eher noch als Mädchen für Politik. Sie können Politik mehr ‚abgewinnen’. Des Weiteren ist das Politikinteresse abhängig vom Bildungsniveau und vom Interesse der Eltern an Politik (vgl. Schneekloth 2006). Somit ist es für besser gebildete Jugendliche selbstverständlicher, sich mit politischen Themen auseinanderzusetzen als für Jugendliche, die eine Haupt- oder Reȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ politikinteressierte Eltern, über die sie an Politik herangeführt werden und mit denen sie sich über Politik austauschen können (vgl. Schneekloth 2006: 107; vgl. auch Boehnke et al. 2000). Neben ȱ ȱ ȱȱȱȱȱě£ȱ ȱ Bildungs- und Familienhintergrund für das Maß der Hinwendung zu politischen Themen relevant. Qualitative Untersuchungen (vgl. Mikos et al. 20056) mit vorrangig bildungsbenachteiligten Jugendlichen verweisen auf zwei Momente, die als Ausgangsbasis für ein politisches Interesse und eine politische Partizipation von Jugendlichen – unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit – gegenwärtig fehlen:
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Wir beziehen uns auf Ergebnisse einer 2005 von der Bundeszentrale ûȱȱȱǻǼȱȱĞȱȱȱ£ȱȱǮĴȱȱȱûȱȱ liche“ (Mikos et al. 2005). Im Rahmen der Untersuchung wurden im Herbst 2005 in Berlin, Rathenow, Rendsburg und Leipzig insgesamt 60 Jugendliche im Alter von 14 bis 25 Jahren verschiedener Bildungsniveaus zu besonderen TV-Formaten zur politischen Bildung, zu ihrem Politikverständnis und zu ihrem politischen Engagement befragt. Es wurden acht themenfokussierte Diskussionen mit sowohl
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1) Es mangelt zum einen an Themen, die PolitikerInnen und Heran ȱȱěȱ£ ȱȅûȂǯ 2) Es gibt zum anderen keine ‚gewachsene’, unbelastete Beziehung und Bindung zwischen den politischen AkteurInnen und jungen Menschen. Politiker und Politikerinnen haben bei Jugendlichen keinen Vertrauensvorschuss; es mangelt ihnen allgemein an Glaubwürdigkeit und ihr Image ist zumeist negativ besetzt. ȱ£ȱ§ȱȱȱȱę£§ǰȱ ȱȱȱ als ‚gestört’ bezeichnet werden.
Gegenseitige Ressentiments sind keine gute Voraussetzung zum ȱȱ£ȱ£ȱȱ£ȱĠȱȱ§ǰȱȱ junge Menschen bei politischen AkteurInnen vermissen. Einerseits ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĝ£ȱ ûȱ ȱ Politischen mit dem Alltagshandeln, mit den Lebensentwürfen und Sorgen junger Menschen nur wenig zu tun. Anderseits weckt das ȱ§Ğȱȱȱȱȱȱesse. Die Arbeit der PolitikerInnen tangiert junge Menschen immer weniger. Die Frage ist nun: Wie können beide Seiten (wieder) zueinander ęȱȱȱĞȱȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ den? Hier gilt es nicht nur aus Sicht von Politik- und Kommunika Ğǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ und pädagogischer Perspektive, nach Möglichkeiten zu suchen, um den dargelegten Missständen innerhalb der demokratischen Kultur entgegenzuwirken (vgl. auch Detjen 2000, 2007). Im Folgenden soll geklärt werden, welche Bedeutung für die Ausbildung ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Politischen im Sinne eines doing emotions haben könnte. Hierbei gilt ǰȱ£ęȱûȱȱȱûȱȱzipationsprozesse mitzudenken.
geschlechtshomogenen als auch -heterogenen Realgruppen durchgeführt. Es ging unter anderem darum, besondere Ansprachemodi, ȱȱȱȱ ¡ȱȱȱȱ£ȱęǰȱ auf die Jugendliche positiv reagieren, das heißt, die sie interessieren ȱ ȱ §Ğȱ ǻȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ãȦ ȱŘŖŖŜǰȱãȦ ěȱŘŖŖŞǼǯȱ
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њќѡіќћюљђȱюѕњѢћє ȱǮȱĴȃȱǻãȦ ěȱŘŖŖŞDZȱŗśǼȱȱȱȱ Ǯȱȃ7 stellt einen wichtigen politischen Mobilisierungsfaktor dar, denn Emotionen spielen in der sozialen Welt jedes Menschen eine wesentliche Rolle. Sie sind Teil fast jeden Aspekts des menschlichen Lebens und zugleich selbst Bestandteil und Ergebnis sozialer und somit auch politischer Prozesse (vgl. unter anderem Gerhards 1988: 11f.; Döveling 2005: 118). Bereits Simmel (1890/1966) ǰȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ ȅȱ £ȱ Ȃȱ ȱ ȱ Ğȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ gilt, dass Emotionen politische Handlungsweisen gleichermaßen wie Werte oder Kognitionen anleiten. Wenn es darum geht, dass Ǯûȱđǰȱȱ ȱȱ£ȱȃȱǻ ȱŗşŞŗDZȱŗşǼǰȱȱ liegen die Implikationen für die Bedeutung von Gefühlen in der Politik nahe. Gefühle werden einerseits in den politischen Themen durch Personen dargestellt, andererseits sind die politischen Reziȱȱȱȱǰȱȱȱěǯȱ ȱȱěȱȱǮȱȃȱǻãȱŘŖŖśDZȱśŝȬŝŗǼȱ wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Medien nicht nur eine kognitive Themenstrukturierung nahe legen, sondern ebenso eine explizite wie implizite Thematisierung von Emotionen, und somit eine ‚emotionale Strukturierung’ von Themen, Ereignissen und Personen, aufweisen.8ȱ ȱ ãȱ ȱ ěȱ herbeigeführt werden. In diesem Kontext spielt die Darstellung von ǰȱȱȱĴȱȱ ȱȱȱ emotionale Adressierung und Rahmung eine bedeutende Rolle. So ȱȱĴȱȱȱ¢ȱ£ȱȱ£ȱȱ Schluss: The analysis suggests that visuals may play an important role in the mobilizing and consciousness-raising strategies of a movement,
ŝȱ ȱěȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱǮȃȬ £ȱȱ ȦȱǻŗşŞŞǼǰȱ ȱȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ¢ȱ ȱĞȱ und der Rolle politischer AkteurInnen ebenso angewendet werden könnte (vgl. auch McAdam 1994; Unz et al. 2007; Döveling 2005). 8 Obwohl der Terminus ‚Agenda’ an die bereits etablierte Forschung £ȱ ȱ ȱ ûĞǰȱ ęȱ ȱ ȱ ttragung des Ansatzes im Sinne einer Erörterung einer unbedingten ȱĴǯ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ£ especially when it comes to stirring up emotions. It further suggests that emotions hold identity at a depth that makes it hard to mobilize bystanders only with rational arguments (2005: 114).
Das Augenmerk sollte somit in der politischen Kommunikationsforschung stärker noch auf das Vorhandensein und die Thematisierung von Emotionen in politischen Kontexten gerichtet sein. Zu berücksichtigen ist hierbei die emotionale Rahmung, der ‚Frame’, also die Art, wie Themen, Personen und Sachverhalte dargestellt und beschrieben werden und wie sich Akteure und Akteurinnen selbst (emotional) darstellen. Mit Verweis auf den Ansatz des doing gender kann herausgearbeitet werden, wie die ‚politische Welt’ geschlechtlicht gerahmt und diese Rahmung in Interaktionen ausgedrückt wird. Eine solche Forschungsperspektive macht sich £ȱ ǰȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ£ȱȱƺȱ ȱ ȱȱ£ ȱȱ ȱȱȱȱƺȱ£ȱǯȱȱȱ emotionaler und Rahmungsprozesse scheint gerade deshalb sinnvoll, da an die Geschlechtskategorien im Kontext der Mobilisierung von Jugendlichen unterschiedliche emotionale Erwartungen gebunden sind. In gewisser Weise ist es ein Dilemma, dass politisches Handeln und die funktionsgebundene Selbstdarstellung, insbesondere politischer Akteurinnen, als mehr oder weniger emotionslos respektive emotional kontrolliert wahrgenommen und als solche negativ beurteilt werden. Denn: Es kann erwartet ǰȱȱȱȱȱ Ğǰȱȱdel auch auf Emanzipationsprozessen beruht, hier nicht zwischen männlichen und weiblichen Handlungen unterscheiden sollte. Die politische Bühne ist weder für Aktive noch für Rezipierende Ĵǰȱȱȱȱ£ ȱ£ Ğȱ respektive konventionell kontrolliert werden müssen.9 Emotionen stellen einen gewichtigen Impuls zum Handeln dar. Sie sollten daher auch beim politischen Handeln nicht abgelegt werden müssen. Junge Menschen wollen nicht allein wissen, was PolitikerInnen
9
So entgegnete die deutsche Schauspielerin Iris Berben in einem Interview in DIE ZEIT vom 14.8.08 (S. 5) auf die Frage, warum sie nicht die Schauspielerei aufgegeben habe und sich (nur noch) politisch engagieren würde, dass sie das nicht könne, da ihr dafür ihre Emotionen im Weg stehen würden.
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denken und tun, sondern sie wollen auch erfahren, was sie (dabei) ûǯȱ ȱ ȱȱȱȱ ¡ȱĞȱȱ£ȱ gibt, wenden sich junge Menschen vom politischen Geschehen ab.
ћѡђџђѠѠђȱюћȱёђџȱѝђџѠќћюљђћȱ іћѡђџяҿѕћђȱ ѝќљіѡіѠѐѕђџȱјѡђѢџћћђћ Jugendliche sind prinzipiell an der Ausbildung eines politischen Bewusstseins interessiert und haben dahingehend ein Orientierungsbedürfnis. Dieses Bewusstsein ist Teil ihrer Identität. Sie sind bemüht, sich im Jugendalter einen eigenen politischen Standpunkt £ȱǰȱȱđǰȱǮȱȱ£ ȱȱlegenden Loyalität zur politischen Ordnung einerseits, und einer kritischen Aufmerksamkeit gegenüber der politischen Praxis andeǰȱ ȱ ȱ §ȱ £ȱ ȱ £ȱ ęȃȱ ǻ ȱ 2000: 29). Genau hier liegt das Potential einer geschlechtersensiblen Ansprache jugendlicher RezipientInnen. In diesem Sinne lassen sich ǮȱȱȃȱǻãȱŘŖŖśDZȱŗŚřǼȱȱȱȱ der Jugendlichen wie auch auf der Agenda der Medien verstehen. Die Ausbildung eines politischen Bewusstseins erfolgt indessen nicht vordergründig durch die Aneignung politischen Wissens, ȱȱȱȱûȱȱǮěȬȱȱ £ȱȃȱǻãȦ ěȱŘŖŖŞDZȱŘŖŞǼǰȱȱȱĞȱ ȱ£ęȱ£ȱ£DZȱ • Insbesondere Mädchen beziehungsweise junge Frauen äuđȱȱȱȱǻȱȱǯȱŘŖŖśDzȱãȦ ěmann 2008) den Wunsch, mehr über die Hinterbühne von PolitikerInnen erfahren zu wollen. Mädchen wünschen sich mehr Transparenz im Hinblick darauf, mit welchem Menschen sie es zu tun haben. Nicht im Sinne des Klatsches oder intimer Detailinformationen,10ȱȱȱȱȱȱȱȅĚchung’ möchten sie erfahren, was den Politiker beziehungsweise
10ȱ ȱȱ£ȱȱ£ȱ ȱ£DZȱǮȱûȱȱ ȱ ǰȱȱȱȱ§ęȱȱȱȱge mit Bezug zu den Themenbereichen ‚Kultur und Unterhaltung’, ‚Prominenz und Klatsch’ sowie Kriminalität“ (vgl. Holtz-Bacha 2007: 11). Dieser Befund, so Holtz-Bacha, hat sich nicht grundlegend in den £ȱ ȱ§ǯȱȱǮ ȃȱǻǯǼȱȱȱ jedoch von den Befragten nicht gemeint.
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ£ die Politikerin als (Privat-)Mensch ausmacht. Sie fragen sich zum Beispiel, inwieweit ein Politiker oder eine Politikerin überȱ§ȱûȱȱȱȱ ȱĠgen kann, wenn er oder sie keine eigenen Kinder hat oder man nicht viel über eigene Kindheits- und Jugenderfahrungen weiß. Es geht darum, den Menschen jenseits der professionellen Rolle kennenzulernen.
• Vor allem Jungen wünschen sich eine andere Performanz der PolitikerInnen. Sie erwarten mehr Impetus und Charisma von politischen AkteurInnen (vgl. ebd.). Menschen sollen nicht einfach ‚Politik betreiben’, sondern sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit in ihre Arbeit einbringen. Zu ihrer Persönlichkeit zählt nicht nur Fach- und Sachkenntnis, sondern auch Hingabe, Emotionalität, Idealismus, wobei mögliche Fehlbarkeiten nicht negativ gewertet werden. Jugendliche wollen insgesamt mehr von Politikern und Politikerinnen erfahren, um sie nahbarer und ‚ganzheitlicher’ erleben zu können,11ȱȱȱȱ££ȱȱ£ȱ£ȱȱĠȱ£ȱ können. Die Art und Weise, wie die politischen AkteurInnen und ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ûȱ gerecht werden können, gilt es stärker als bisher zu überdenken. AkteurInnen ‚auf der politischen Bühne’ werden – zumindest aus Sicht junger Menschen – zu sehr nur auf ihre professionelle Rolle £Dzȱ ȱ ûĞȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ãěȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ unterscheidbarer, das heißt individueller werden lässt. Es ist auch zu beobachten, dass PolitikerInnen zunehmend versuchen, die ‚Macht der Emotionen’ zu nutzen. Junge Menschen ȱ ȱ ȱ ęǰȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ
11 Der Journalist und Leiter der Redaktion des Chrisȱȱãěȱȱȱśǯȱ ȱŘŖŖŞȱȱȱ von Christian Lesemann, die Prominentendoubles in privaten Situaȱ£ǰȱȱ£ȱȱȱȱȱȱĴǯȱ In seinem kurzen Kommentar dazu erklärt er die Entwicklungen des ȱ Ȭȱ ûȱ ȱ ȱ ££Ȭ §Ğȱ für verantwortlich. Seiner Beobachtung nach hat das Publikum die ãȱ ȱ ȅȂȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ §ȱȱȱȱǮȱȱǰȱȱȱ§Ĵȱ Seite“ (S. 29).
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Praktiken nur dazu dienen, sie strategisch und vorsätzlich als potentielle WählerInnen zu erreichen. Jugendliche – und zwar sowohl Jungen als auch Mädchen – wünschen sich authentische Gegenüber und RepräsentantInnen, die ehrlich ihre Anteilnahme an sozialen ȱ ãǯȱ ȱ ȱ ęǰȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Widersprüche entdecken, wenn Emotionen vorgetäuscht, das heißt ǻȱǼȱ£ȱ[ěȬȱȱ¢Ȭ ȱgesetzt und instrumentalisiert werden. Betrachtet man Emotionen als in der Politik, so ist die Schlussfolgerung im Hinblick auf die hier formulierte Aufgabenstellung, dass auch Jugendliche emotional angesprochen werden wollen. In diesem Kontext greifen aktuelle Analysen auf das Phänomen der Personalisierung von Politik zurück, denn Politik wird von Menschen ȱȱȱȱȱȱȱĴǯ
ђѠіёђџюѡђȱѢћёȱђџѠѝђјѡіѣђћȱ Die hier aufgezeigten Recherchen und Analysen haben ergeben, ȱ ȱ £ęȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ und Emotionen bislang in geringem Maße Gegenstand detaillierter, ȱ £Ȭȱ ȱ Ğȱ Untersuchungen gewesen ist. Dabei könnten Rezeptions- und Aneignungsstudien zur Ansprache, Partizipation und politischer Mobilisierung von jungen Menschen vor allem aus der Geschlechterperspektive und unter Berücksichtigung der bislang in der Politikforschung kaum berücksichtigten Emotionalität aufschlussreich sein. Zu untersuchen wäre, welche männlichen und weiblichen PolitikerInnentypen mit welchen Themen, mit welchen Darstellungsweisen und welchen zugeschriebenen Persönlichkeitsmerkmalen, welche Jugendlichen wie – und vor allem wie nachhaltig – ansprechen. Junge Menschen wissen um aktuelle politische Inszenierungen von PolitikerInnen und von Politik in den Medien ȱȱȱȱȱûǰȱ£ęǰȱ ȱȱȱ Politiker ‚wirklich’ ist und was ‚inszeniert’ (vgl. auch Leinemann 2006). Politiker und Politikerinnen können durchaus beim Publikum ‚punkten’, wenn zu erkennen ist, inwieweit sie eine Rolle in und für die Medien spielen beziehungsweise, wer sich hinter ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ĵȱ einer politischen Persönlichkeit konstruiert werden und wie diese von Jugendlichen rezipiert werden. Die Wahrnehmungsweisen
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und Bedürfnislagen der jungen RezipientInnen sollten dabei nicht nur entlang von Strukturkategorien wie Bildung oder Geschlecht analysiert werden. Ergänzend dazu könnte die Untersuchung von interpersonalen Aushandlungsprozessen von politischem Themen und Bewertungen von politischen Persönlichkeiten in ‚natürlichen’ Situationen, zum Beispiel in Schulen oder im Elternhaus, Aufschluss über die interaktive Konstruktion, Wahrnehmung und Bewertung politischer Akteure liefern. ȱȱȱ ȱęȱȱdato kaum Analysen über die Tragweite der Verbindung von Geschlechtlichkeit und Emotionen in der Darstellung, WahrnehȱȱȱȱȱĴǯȱ ȱ ȱǰȱ welche Rolle die Wahrnehmung von politischen Personen auf die Wahlentscheidungen spielt (vgl. Ohr 2000) und auch die Mischung ȱȱȱěȱ ȱǻǯȱãȱŗşŞřDZȱ 71) wurde beachtet.12 Hierbei gilt es jedoch weiter in der Analyse zu berücksichtigen, dass PolitikerInnen medial fortwährend in unȱ ¡ȱ§ȱǰȱȱȱĴȱȱ ȱ Ěǯȱ ȱ ȱ ȱ §£ȱ ȱ PolitikerInnen wird ein GenderȬȱěǰȱȱȱȱȱȱȱ ǰȱ ȱȱĴ§ǰȱ also Emotionen, verbunden ist. Das Beispiel der deutschen Bundeskanzlerin, die die Erwartungen an ihr bis dato ‚unweibliches’ ȱ ȱ ȱ ȅ ȂȱĞĴȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ěǰȱ £ǰȱ ȱ ȱ onen ein Bruch mit Geschlechterrollenbildern einer Politikerin in ihrer medialen Darstellung und Wahrnehmung im medialisierten politischen Rampenlicht bewirken kann. ȱȱȱ ȱȱ ûȱęȱȱ zwar in einem Wandel, aber es existiert noch immer Misstrauen gegenüber Gefühlen in der Politik und ihre Gleichsetzung mit irrationalen Motivstrukturen, die in den Raum des Politischen einbrechen, ȱ ȱ Ǯǰȱ ȱ £ãȱ ȱ ȱ ȱ ȱ dadurch entpolitisieren“ (Sauer 1999: 202). Es ist die Leistung der Ȭȱȱ ǰȱȱȱ ȱĞȱ ȱǮȱ£ȱȱȃȱǻǯDZȱŘŗŘǼȱȱȱ
12 So erklärt Schönbach, dass im transaktionalen Modell Vorstellungs-, Ȭȱȱ§ȱȱȱǮȱ ȱȱȱȱ ǰȱęziert durch Prädispositionen“ entstehen (1983: 71).
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ȱ§ȱĞȱȱȱȱȱ beleuchtet hat. Die politische Realität ist keineswegs emotions- und geschlechtslos. Ohne die Gefahren der ‚Inszenierung von emotionalisierter Personalisierung’ leugnen oder politische AkteurInnen auf ihre Darstellerrolle reduzieren zu wollen, muss dem hier dargelegten Zusammenhang politischer Selbstdarstellung im Verhältnis von Politik, Gender, Medien und Publikum in der Beurteilung von Politikern und Politikerinnen in den Medien mehr Bedeutung beiȱ ǯȱȱȱĴȱȱȱĴȱ einer (auch) emotionalen Personalisierung von Politik muss generell ȱȱ ȱǯȱȱĚȱȱȱmehr die Art und Weise, die Rahmung der emotionalen Agenda, und wie diese mit Prozessen der Geschlechtskonstruktion verwoben ist. Wünschenswert wären daher weitere empirische Analysen zur £ęǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ von Politikern und Politikerinnen durch Jugendliche, weisen diese ȱȱĞȱȱȱǯȱ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ£
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ќљіѡіјѣђџњіѡѡљѢћєȱ ёѢџѐѕȱџюѢђћѧђіѡѠѐѕџіѓѡђћӓ ȱȱ ȱ ȱȱȱ[ě ȱ ѢѠюћћђȱ іћћђяџќѐј ȱ ȱ ãěȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȅȂȱȱ§ȱȱȱȱĴȱ beschrieben. Die verstärkte Orientierung an Sensationen, Alltäglichȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ über Skandale werden beklagt, eine Entpolitisierung der Medien, ja ȱȱȱȱĚȱȱȱǯȱ Dies hat durchaus weitreichende Konsequenzen, wird doch die Boulevardisierung dafür verantwortlich gemacht, dass die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu- und das politische Wissen abnimmt (vgl. exemplarisch Jansen 2005). Dieses Negativszenario ȱ ȱȱȱǻǼȱ Ğȱ Analysen gestützt, die ein Übergreifen von Medienlogiken auf den Bereich der Politik feststellen, so dass die Demokratie zu einer medienbestimmten und hinsichtlich ihrer politischen Problemlösungskompetenz mediokren ‚Mediokratie‘ verkomme (vgl. unter anderem Meyer 2001). Ein Blick in die Geschichte legt jedoch ganz andere Entwicklunȱ ěȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱĤȱ ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ £ ȱ §Ğȱ ȱ ŗşǯȱ derts ging in den Ländern westlicher Prägung eine fundamentale Politisierung einher, die die Herausbildung partizipatorischer und demokratischer Strukturen unterstützte (vgl. Bösch/Frei 2006: 7). Betrachtet man das Medienangebot in Deutschland, so entstanden vor allem mit den Generalanzeigern im Zeitungssegment ȱ §Ĵȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ
ȱ Ěȱ§Ĵǰȱȱȱȱȱȱ ȱ verdienten. Denn sie richteten sich nicht nur primär an eine Elite aus (Bildungs-)Bürgertum und Adel, sondern an ein breites Publiǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ǰȱ ȅû£Ȃȱȱ£ȱĴǰȱȱȱȱȱ§ǰȱ ȱ ȱȱȱȱȱ£ǯȱǮȱpresse überführte die Politik in Alltagsgespräche und machte sie damit zu einem wahrnehmungsprägenden Bestandteil des sozialen Lebens“ (Bösch 2006: 27). Obgleich Deutschland bis 1918 eine Monarchie war, setzte noch zur Kaiserzeit ein Demokratisierungsprozess ein, der Männern sogar auf staatlich-institutioneller Ebene gewisse Mitbestimmungsmöglichkeiten einräumte und Frauen an Ğȱ ȱ £ȱ £ȱ ȱ đǯȱ ȱãȱȱȱȱȱȱǮûȃȱȱȱǮȃȱǻãȦȱŘŖŖŜDZȱ 7) für diese Zeit fest. Und so erscheint es wenig verwunderlich, dass nach Ende des 1. Weltkrieges die geschlagenen Monarchien durch Republiken ersetzt wurden (vgl. ebd.). ȱ ȱĠȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ breites Publikum muss demnach nicht zwingend einen Verfall des politischen Diskurses, Interesses und Engagements nach sich ziehen. Die Prozesse sind genauer zu betrachten – vor allem mit Blick ȱ ǰȱ ȱ §ȱ £ȱ ȱ ȱ ãěȱ §ȱ sich an der Wende von 19. zum 20. Jahrhundert noch völlig anders gestaltete als das von Männern. Beim Start in das demokratische Zeitalter mussten Frauen nämlich einige zusätzliche Hürden nehmen, die gleichermaßen auf der manifest-juristischen, der sozialen und schließlich auf der Ebene ȱ Ğȱ ȱ £ȱ ǯȱ ¡ȱ sei hier auf die Verweigerung von Rechten verwiesen (vor allem von Wahlrechten), die miserable Mädchenbildung, aber auch die diskursiv perpetuierte Konzeption des ‚anderen’ weiblichen Geschlechtscharakters. Dieses im 19. Jahrhundert dominante, letztlich biologistisch begründete Modell ging davon aus, dass Frauen aufȱ ȱ ȅȱ Ȃȱ ȱ ȱ §Ğȱ ȱ ȱ ȱûȱȱȱȱȱȱȱȱ Ĵ ȱãěȱ§ȱ£ȱû£ȱȱǻǯȱȱŗşşśDzȱ Hausen 1976). Der Weg in die Politik war für Frauen also steiniger als für Männer. ȱȱȱȱȱĞȱûȱ mit ungleich schlechterer Vorbildung gegenüberstanden und darüber hinaus in ihren politischen Aktionsmöglichkeiten restringiert
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waren, drängt sich die Frage auf, welche Faktoren es waren, die Frauen im 20. Jahrhundert schließlich eine erweiterte Partizipation ȱȱȱĞȱ ȱãǯȱȱ ȱ ȱȱȱȱĠȱȱȱ in den Medien. Sie fand sich zum einen in der eher unterhaltenden ǰȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ĞĴǰȱ ȱ historische Bedeutung bis heute verkannt wird: die politische Frau£ĞȱǻǯȱȱŗşşŞǼǯȱ Im Folgenden soll deshalb dargelegt werden, welche Rolle ȱ£ĞȱȱȱŘŖǯȱ ȱȱ der Popularisierung von Politik spielten. Für den Zeitraum des ausgehenden Kaiserreichs bis hin zum Nationalsozialismus soll ȱ ǰȱ ȱ ȱ £Ğȱ £ȱ Popularisierung von politischem Wissen beitrugen, ‚von unten’ (ĴȬǼȱȱȱȱȱ[ěȱ û£ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱȱ politischer Frauen-Interessen halfen und wie sie schließlich auch ‚von oben’ (Ȭ ) zur Instruktion und Lenkung von Frauen und ihrem politischen Handeln genutzt wurden.
ѕђќџђѡіѠѐѕђџȱѢћёȱѕіѠѡќџіѠѐѕђџȱюѕњђћ ќѝѢљюџіѠіђџѢћєȱѣќћȱѝќљіѡіѠѐѕђњȱіѠѠђћȱ ёѢџѐѕȱђёіђћ Breite politische Partizipation und die Popularisierung von politischem Wissen bedingen sich gegenseitig, bei letzterem spielen ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ěȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ welchem Maße und wie zur Rezeption, Weiterverarbeitung und Überführung in soziale Praxen angeboten wird. Dabei liegt eine besondere Leistung der Medien darin, nicht nur Informationen in abstrakter Form zur Verfügung zu stellen, sondern mit Hilfe von Ĵȱȱ£ȱȱon zu Wissen zu unterstützen, so dass schließlich Wissen im Sinne ȱǮ§ȱ£ȱ ȃȱǻȱŗşşŚDZȱŘŖŞǼȱ£ ȱ die Fähigkeit zum politischen Handeln entsteht.
ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ǻ Ğlichem) Wissen weisen darauf hin, dass die Popularisierung von Wissen nicht hierarchisch von oben nach unten – von wissenden ȱ£ȱ ȱȅđȂȱȮȱ§Ğǯȱȱȱ
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vielmehr einen wechselseitigen Kommunikationsprozess zwischen ProduzentInnen und RezipientInnen des Wissens dar, wobei eine neue Form des Wissens generiert wird (vgl. resümierend Kretschmann 2003: 9). Überträgt man diese Befunde auf politische Kommunikation und politisches Wissen, so ist anzunehmen, dass auch hier ȱ Ĵȱ ȱ ęȱ ãǰȱ ȱ ȱ ȱȱ Ğȱȱûȱ Massenmedien wenig berücksichtigt wird: die dialogisch-symmetrische. Deshalb wird zu untersuchen sein, inwieweit politische £Ğȱ§ȱȱǰȱȱȱ Ğȱ ǰȱ ęȱ ȱ Willensbildung unterstützten und somit schließlich zur verstärkten Politisierung beitrugen.
іѠѡќџіѠѐѕђȱѢѠєюћєѠѠіѡѢюѡіќћDZȱ єђѠђљљѠѐѕюѓѡљіѐѕȬѝќљіѡіѠѐѕђȱ ђіљѕюяђњҦєљіѐѕјђіѡђћȱѣќћȱџюѢђћȱіњȱ ђѢѡѠѐѕђћȱ юіѠђџџђіѐѕ Betrachtet man die Situation von Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert, so waren ihre Möglichkeiten, sich am politischen Diskurs zu beteiligen, in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Zunächst war der Zugang zu politischer Information beeinträchtigt, wobei vor allem ‚weiche’, das heißt kulturelle, in Diskursen ausgehandelte Grenzen wie beispielsweise ‚Schicklichkeit’ den Zugang erschwerten. Dies geschah, wenn die Rezeption bestimmter Lektüre und die Beteiligung ȱ £ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȅȂȱ ȱ wurden (vgl. Engelsing 1973: 135; Engelsing 1974: 338). Darüber hinaus sorgten handfeste rechtliche Regelungen dafür, dass Frauen qua Geschlecht keine solide Vorbildung erhalten konnten, um sich ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ £ȱ ǯȱ Die gymnasiale Bildung blieben ihnen bis 1893, der reguläre Hochschulbesuch bis 1899 versagt (vgl. Frevert 2001: 119f.). Auch galt für die meisten Frauen in Deutschland ein stark eingeschränktes Versammlungs- und Vereinsrecht. Erst 1908 Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ sammlungen teilnehmen und Mitglied in politischen Vereinen und Parteien werden. Davor konnten – abhängig vom jeweiligen Landesrecht – politische Versammlungen polizeilich aufgelöst werden, sobald sich Frauen daran beteiligten, sowie Frauenvereine verboten werden, wenn ihre Zielrichtung eine politische war
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(vgl. Gerhard 1997: 526-534). Zeitweise waren sogar die Möglichȱȱãěȱȱȱȱ§ǯȱȱ so genannte ¡ȱĴ (1851-1874) untersagte es Frauen in Sachsen, als Herausgeberinnen oder verantwortliche Redakteurinnen tätig zu werden (vgl. Wischermann 1998: 108-112). Dass unter diesen Umständen auch politische Wahlrechte nicht gewährt wurden, erstaunt nicht weiter. Die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland 1918/19 kann als ein eher unerwartetes Geschenk der Revolution angesehen werden (vgl. Rosenbusch 1998: 455-473). Wie bereits angedeutet, war das ausgehende 19. Jahrhundert nicht nur eine Zeit, in der Frauen auf vielfältige Weise von der politischen Partizipation, dem politischen Diskurs, ja sogar von der ȱ ãěȱ §ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ chermaßen eine Zeit der Politisierung und Demokratisierung, der Industrialisierung, welche auch vermehrt außerhäusliche Frauenerwerbsarbeit mit sich brachte, und schließlich der Medialisierung ȱ Ğǯȱȱȱȱ ȱ ȱȱȱ Ğȱ£ȱûȱȱȱ ǰȱ §ȱ ȱ£ȱȱȱĞȱȱdialen Inszenierungsregeln beugen mussten (vgl. Nipperdey 1990: 797-811; Bösch 2006). Und im Zuge dieser Prozesse waren Frauen ȱȱȱěǰȱȱȱȱǰȱ wobei es vor allem Frauenrechtlerinnen waren, die im Rahmen der sich formierenden Frauenbewegung ihre politischen Belange ãěȱǯȱȱȱȱû ȱȱȱȮȱmeintlich unpolitischen – Vereinsversammlungen und in ihren £Ğǯ
ќљіѡіјяђєџіѓѓђȱ Diese von der Forschung bislang vernachlässigten VereinszeitĞȱȱȱȱȱǰȱ ȱȱȱ den im deutschen Sprachraum dominanten engen gouvernemenȱěǰȱȱȱ ȱ§ȱ£de legt. Letzterer berücksichtigt neben dem formalen Rahmen von Politik samt Institutionengefüge (polity) und den Inhalten (¢) von Politik auch den politischen Prozess (), der das Aushandeln und Durchsetzen politischer Ziele durch unterschiedlichste ǻĞǼȱȱǯȱȱ£ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ Ȭȱ Systems abstellen (das heißt auf die Polity-Dimension), fokussieren
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ
sie primär auf das Agieren der – damals weitgehend frauenfreien – Institutionen Exekutive, Parlament und Parteien (vgl. Lang 2004: 69). Frauen gerieten so allenfalls als passive Leistungsemp§ȱ ȱ ȱ ǯȱ §ȱ ęȱ berücksichtigen stärker die -Dimension, so dass Politik als ȱǮȱ£ȃȱǰȱǮȱȱȱȱ divergierenden Interessen aushandeln“ (Dörner/Vogt 1994: 165). ȱȱȱ£ȱȱãěȱȱȱverhältnissen zwischen unterschiedlichsten AkteurInnen als einen ȱ ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱ£ȱȱ£Ğǰȱȱȱ reich und in der Weimarer Republik gegründet wurden. Denn sie Ĵȱȱûǰȱ ȱȱȱȱȱ wie sich die Situation von Frauen generell verbessern ließe – sei es im Beruf, in der Kirche und im Bildungsbereich oder gar im zivilen ȱãěȱǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ £ȱ ȱ rücksichtigt man infolge dessen auch all die Frauenmedien, die ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ¡ȱ §Ğǰȱȱ§ȱȱȱȱȱȱ zwischen dem formalen Ausschluss von Frauen aus der politischadministrativen Sphäre einerseits und ihrer verstärkten Teilnahme ȱȱȱȱĚãǯȱȱȱ – so meine These – entwickelten eine umso größere Bedeutung für die Rezeption von politischem Wissen, seine Weiterverarbeitung und seine Überführung in soziale Praxen, je ausgeprägter der formale Ausschluss von den Macht- und Wissensressourcen einer Ğȱ ǯȱ£ȱȱȱ£Ğȱ gerade im ausgehenden Kaiserreich eine besondere Rolle bei der Ĵȱ ȱ ȱ £ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱûǰȱȱȱ ȱĞȱȱlitische Partizipationsmöglichkeiten einforderten und (später) auch wahrnahmen.
ћѡѤіѐјљѢћєȱѝќљіѡіѠѐѕђџȱ џюѢђћѧђіѡѠѐѕџіѓѡђћ Im deutschsprachigen Raum können Periodika speziell für Frauen inzwischen auf eine fast 300jährige Tradition verweisen, wobei ȱ ȱ ȱ ûȱ £Ğȱ ȱ ŗŞǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵǯȱ ȱ ȱ
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ȱ£ȱȱȱȱȱȱĞȱȱ wollten gleichermaßen belehren und unterhalten. Nützliche Wahrheiten – so die Diktion der Zeit – sollten auch unter die Frauen ȱ ǯȱ tȱ ŗŖŖȱ ȱ £Ğȱ lassen sich allein für das 18. Jahrhundert nachweisen (vgl. Weckel 1998: 599-605), und mit der Vervielfältigung der Titel ging auch die Herausbildung von Subtypen einher. Doch lassen sich all diese Subtypen, die sich dann im Laufe des 18. und vor allem 19. Jahrhunderts entwickelten – all die verschieȱȬǰȱ Ȭȱȱ £Ğǰȱ ȱȱ £Ğǰȱ ȱ ȱ ȬȬĞȱ ûȱȱȮȱ ȱȱȱę£ǯȱȱ ȱ für die folgende Analyse nur solche Periodika berücksichtigt, die mindestens vierteljährlich erschienen, sich gezielt an erwachsene Frauen richteten und deren redaktionelle Inhalte überwiegend politisch waren, das heißt, die bei der Auseinandersetzung mit dem weiblichen Lebenszusammenhang Veränderungsmöglichkeiten der sozialen Lebenssituation von Frauen und/oder ihre Partizipation am Gemeinwesen thematisierten (und damit eher die Policy- und Politics- als die Polity-Dimension akzentuierten). ȱ ȱ ȱ §Ĵȱ ȱ ȅȱ £ĞȂȱ ǰȱȱȱȱęȱȱȱãěȱ§ȱ ȱȮȱȱȱȱȱ ȱǻ£ȱȱ£ĞǼǰȱ bei der Sozialarbeit für das Gemeinwesen (karitative FrauenzeitĞǼǰȱ ȱ ȱ đ§ȱ ȱ ǻȱ £ĞǼȱȱđȱȱȱȱvereinen, politischen Vereinen und Parteien. ȱęȱǰȱȱȱȱȱȱ£Ğȱ bis zur Reichsgründung insgesamt nur 19 politische FrauenzeitĞȱ ȱđȱȮȱ£ȱȱȱȱŗŞŚŞȦŚşȱȱ einer zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen auch in den ersȱȱĴȱȱŗşǯȱ ǯ1ȱ£Ğǰȱȱ ȱû ȱȱȱȅȱȱãěȱ§Ȃȱ widmeten, scheinen vor allem ein Phänomen des ausgehenden
1
Grundlage für die folgenden Zahlen und Ausführungen bilden zwei Forschungsprojekte, die von der Ludwig-Maximilians-Universität München (2003/2004) und von der Universität Erfurt (2005/2006) gefördert wurden. Im Rahmen der Projekte wurde der Gesamtbestand ȱȱ£ĞȱȱŗşŚśȱ¢ȱȱȱ ȱĞȱǯ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ
19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gewesen zu sein. Deshalb scheint im Folgenden die Konzentration auf die Zeit von 1871 bis 1945 angeraten.
ќљіѡіѠѐѕђȱџюѢђћѧђіѡѠѐѕџіѓѡђћȱ ѧѤіѠѐѕђћȱŗŞŝŗȬŗşŚś Die These, dass Massenmedien gerade dann, wenn der formale Ausschluss von den Macht- und Wissensressourcen einer GesellĞȱȱȱ ǰȱȱȱãđȱȱûȱȱ Ĵȱȱȱ ǰȱ§ȱȱ£§ȱ einmal quantitativ bestätigen: durch die Vielzahl und Vielfalt neu ûȱȱ£Ğǯ ȱ£Ğȱȱȱȱŗşǯȱȱ ȱȱȱ §ĞȱȱŘŖǯȱ ȱ ȱȱmeerscheinungen dar. Insgesamt 389 verschiedene Titel konnten ûȱ ȱ ȱ ȱ ŗŞŝŗȱ ȱ ŗşŚśȱ ę£ȱ 2, wobei ȱȱ£Ğȱȱȱȱȱ ȱ und in der Weimarer Republik eine Blütezeit erlebte. Unter natio£ȱ Ğȱ ȱ ȱ řŖȱ §Ĵȱ ûǯȱ Berücksichtigt man zudem, dass bis zu 150 politische FrauenzeitĞȱȱ£ȱȱȱȱǻȱȱ ã£ȱ ȱȱŝǯŖŖŖȱĞȱȱ ȱŗşŗŚǰȱǯȱȱŘŖŖŖDZȱ ŘŝŜǯǼǰȱȱ ȱǰȱȱȱ£ĞȱȱȱȱȱȱĞȱǯ Primär anhand der Träger und sekundär anhand der inhaltlichen Ausrichtung lassen sich für den Zeitraum von 1871 bis ŗşŚśȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £Ğȱ ě£ǯȱ ȱ ȱ ȱ ę£ȱ Ğȱ
Řȱ ȱȱȱȱ§ȱȱĞȱ für Frauen, keine Beilagen. Ebenso wurden Periodika, die ihren Titel änderten, aber die Jahrgangszählung beibehielten, nur als ein Titel £§ǯȱ ȱ ȱ ȱ § ȱ §Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Titel noch deutlich erhöht. Weiterhin ist festzuhalten, dass die An£ȱȱȱ£Ğȱȱȱûȱȱ ȱǰȱȱȱȱûĞȱȱȱȱ ȱ ȱ ȱ £Ğȱ ęȱ ȱ ȱûĞǯ
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zu unterschiedlichen Zeiten ihre Blüte erlebten, sollen sie hier in weitgehend chronologischer Folge vorgestellt werden. Am Anfang ȱ ȱĚȱ£§DZ ŗǯȱ £Ğȱ ȱ £ȱ ǰȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ Ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ȭ £ãȬ ȱ ȱ ŗŞŝŖȦŝŗȱ ȱ ǻǮȱ £ĞȃǼǰȱȱȱ Řǯȱ £Ğȱ ȱ ȱ ȱ Ğǰȱȱȱȱ ȱ ȱǻǮ£ĞȃǼǰȱȱȱȱ ȱđȱ řǯȱ £Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱ£Ğǰȱȱ£ ȱȱȱeinen getragen wurden, aber dennoch emanzipatorische Ziele ȱǻǮȱ£ĞȃǼǯ Gewissermaßen als Reaktion auf dieses neue Segment im Zeitschriftenmarkt, das sich an Frauen in Berufsarbeit, Frauenorganisationen und Sozialarbeit richtete und damit letztlich diese Frauen dem ȱ Ěȱ £ȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ mit einer Vielzahl von Śǯȱ £Ğȱ ûȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ £ ȱ§ĴȱȱȱȱǻǮȱĞȃǼȱȱȱ śǯȱ £ĞȱǻǮȱ£ĞȃǼǯ3 Ebenfalls als Reaktion auf die zumeist liberal orientierten feministiȱ§Ĵǰȱȱȱȱȱȱȱȱȱ terverhältnisse, sondern darüber hinaus die autoritären politischen Verhältnisse in Frage stellten, entwickelten sich: Ŝǯȱ £Ğǰȱȱȱǰȱ£ȱȱȱ ‚antifeministischen’ Frauenorganisationen oder politisch konservativen (Männer-)Vereinen nahe standen, aber nicht explizit řȱ ȱûtȱ ȱȱĞȱȱ ǰȱȱȱ zwar an Frauen richteten, sie aber primär in ihren ‚häuslichen’ Rollen ȱ ǰȱȱȱûĴȱǯ
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ eine bestimmte politische Partei unterstützten oder von einer ȱ ȱ ȱ ǻǮȱ £ĞȃǼǰȱ und
ŝǯȱ £Ğȱ ȱ §ȱ ǻǮ Ȭ £ĞȃǼǰȱȱ§ȱ ȱȱȱ£Ğȱȱȱ §ȱȱ grundsätzlich infrage stellten, aber für eine Aufwertung der ȱ ȱãěȱĴǯ Zuletzt seien noch erwähnt die: Şǯȱ £Ğȱȱȱȱȱȱȱ£Ğǰȱȱ£ȱȱȱmäßig Stellung bezogen, auch wenn keine formale Bindung an ȱȱȱȱǻǮȱ£ĞȃǼǯȱ Sie erlebten in der Weimarer Republik eine Blütezeit, als die Parteien um eine neue Klientel, die Wählerinnen, warben. ě§ȱǰȱȱȱȱȱ£Ğȱȱ von politischen Parteien gegründet worden waren beziehungsweise ihnen nahe standen, dies betraf insgesamt nur 18%. Die größte Zahl ȱȱęȱȱȱȱȱ£Ğǰȱȱȱ §Ĵǰȱȱȱ£ȱȱǰȱȱȱ leben mit Informationen und Ratschlägen zur Seite zu stehen, dies ȱŘŚƖǯȱȱȱȱ£Ğȱȱ ȱǻşƖǼȱ ȱ£ȱȱãȱȱ£Ğȱ£ǰȱȱ ȱȱȱĴȱȱȱ£Ğȱȱ £Ğȱ££ǯȱȱ£ ãđȱ ȱȱ ȱĞȱȱ ȱǻŘŘƖǼȱȱȱȱ Ğȱ ǻŗŘƖǰȱ £ ȱ ŘŗƖȱ ȱ ȱ £ĞǼǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ û£ȱ und tendenziell konservative Zielgruppen bedienten (karitative £ĞDZȱśƖǰȱȱ£ĞDZȱŚƖȱȱ Ğȱȱ DZȱŜƖǼȱǻǯȱǼǯ ȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ £Ğȱ ǰȱ Fraueninteressen zu artikulieren und Frauen beim Agieren in der ãěȱ§ȱ ȱ£ȱǰȱȱ ȱ§ȱ£ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ĵǯȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ £ȱ £Ğǰȱ ȱ £ ȱ handlungsrelevante politische Information für Frauen enthielten,
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aber das politische Tagesgeschehen weitgehend ignorierten. Zum ȱ ȱȱȱ£ȱĞȱûȱȱ die staatlich verordneten Schulreformen und ihre Folgen intensiv diskutiert. Gesetzes- und Verordnungstexte wurden Paragraph für Paragraph analysiert und auf ihre Bedeutung für den Berufsalltag ȱ ûûĞǯȱ ȱ ȱ ȱ Ȯȱ £ȱ ȱ die Wahl zur Nationalversammlung 1919, an der Frauen sich erstmals beteiligen konnten, oder die Machtübernahme durch die £ȱ ŗşřřȱ Ȯȱ ȱ ȱ ȱ £Ğȱ ȱ ǯȱ ȱ đǰȱ ȱ §Ĵȱ £ȱ sich auf politische Spezialthemen, die für die jeweilige Zielgruppe Relevanz besaßen, während aktuelles politisches Geschehen, vor allem das Agieren von zentralen politischen Institutionen, kaum thematisiert wurde.
5% karitativ, n=18 18% parteinah, n=70 24% beruflich, n=92 6% hausfraulich, n=23 4% konservativ, n=17
9% kirchlich-beruflich, n=35
12% kirchlich, n=47
22% feministisch, n=87
DZȱ ęȱȱ£ĞȱŗŞŝŗȬŗşŚśȱȱ (N= 389)
Ein zumindest ähnlicher Themen- und Ereignishintergrund ist aber £ǰȱ ȱȱȱĴȬȱȱȱȱ£Ğȱȱǯȱ Und damit tut sich ein gewisses Dilemma auf: Einerseits wurde ȱ ȱ ȱ ȱ ěȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ £ȱ und ihre medialen Repräsentationen adäquat und umfassend zu erfassen. Andererseits legten die zeitgenössischen (tages-)aktuellen
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ
ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ Verständnis von Politik zugrunde. Die Tageszeitungen und poliȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ und Akteure der Exekutive, Legislative und Judikative in den ĴȱȱĴȱǻǯȱȱãȱŘŖŖŜDZȱřŚǯǼȱȱ £ȱȱȱǰȱȱ£ȱȱ£Ğȱȱ politischem Aktualitätsanspruch nicht ignorieren konnte und die zum anderen die Grundlage einer vergleichenden Analyse von VerĴȱǯȱȱ£ȱȱȱȱȱȱ Voraussetzung desselben Ereignishintergrundes herausarbeiten – ansonsten liefe man Gefahr, die Vielfältigkeit der Themen anstelle ȱȱȱĴȱ£ȱǯ ȱ ȱûȱȱ ȱ¢ȱȱȱ§Ĵȱangezogen, die politische Partizipationsfragen und tagesaktuelles politisches Geschehen tatsächlich regelmäßig thematisierten – nämȱǰȱȱȱȱ£Ğȱ – insgesamt 174 Titel, die im Folgenden als ‚politisch-aktuelle Frau£ĞȂȱ£ȱ ȱǯȱ ûȱ ȱ ŗŝŚȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ Ĵȱ ȱ funktionsbasierte Typologie erstellt (vgl. zum Verfahren Mayring 2002, zu seiner konkreten Ausgestaltung Kinnebrock 2007).4 Dabei đȱȱȱ¢ȱȱȬȱ£Ğȱ ę£DZȱ
4
Dabei erfolgte die Typenbildung auf der Grundlage von Inhalten ǻǼǰȱȱ£ęȱǻǰȱ ǰȱȱ und der Anteil an Illustrationen) und schließlich Medienfunktionen. Als Medienfunktionen wurden sowohl für rezipientenorientierte Funktionen beziehungsweise Bedürfnisse (Umweltbeobachtung, Orientierung, Umweltverständnis, Meinungsbildung, Orientierung/ Normbestätigung, Integration/soziale Einbindung, organisatorische ǰȱ Ĵȱ ȱ ǰȱ Ȧǰȱ Ȧ§Ěǰȱǰȱȱǰȱ£ale Interaktion, Sachberatung/Service, Lebenshilfe/Verhaltenshinweise, ästhetische Erbauung, vgl. Rubin 2002; Schenk 2002; Röser 1992; Tonscheidt 1996) Indikatoren gebildet wie auch für politisch-gesellĞȱ ȱ ǻǰȱ ȱ ȱ [Ȧǰȱ ȦĴǰȱ ǰȱ Lenkung, Kritik und Kontrolle, Soziale Orientierung, Sozialisation, Integration, Mobilisierung, vgl. zusammenfassend McQuail 2001: 81; Burkart 2002: 378-402).
DZȱĴȱȱ£Ğǵ
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ŗǯȱ £Ğȱ ȱ£ȱȱDie FrauenbeȬ (1895-1919) und ȱ (1892-1923) Řǯȱ ĞȬȱȱ£ȱĞ wie Die Frau (1893-1944) řǯȱ ȱ Ĵ§Ĵȱ ȱ ȱ ȱ gung wie das ĴĴȱȱȱȱ (1922-1933) Śǯȱ Ȭ£Ğǰȱ ȱ §ȱ ȱ £ãȱ £Ğȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ¡ȱ Ğȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ sachkundiges Publikum behandeln ließen. Allerdings legten Ȭ£Ğȱȱȱȱȱen zugrunde. Beispiele sind die Ȭȱ (1903-1922) und Die Frau im Staat (1919-1933). śǯȱ ȱȱ£Ğȱ ȱDer AboliȬ tionist (1902-1933) 6. Politische Frauenillustrierte wie die (1924-1933) der SPD, die der KPD nahe stehende Illustrierte der Weg der Frau (1931-1933) und schließlich die Ȭ (1932-1945) ŝǯȱ Ȭȱ ȱ £Ğȱ ȱ ȱ ȱ zum Beispiel die ȱȱȬĞȱȱȱȬ ȱ ǰȱ ȱ Ȭ (1939-1944) und die ȱûȱȱ ȱȱȬĞȱ ȱ Bayreuth (1943-1944) Şǯȱ £ȱ ȱ ǰȱ ȱ Ĵȱ ähnelten und sowohl die Organisationseinheiten der jeweiligen Parteien als auch die Tagespresse regelmäßig über aktuelle frauenpolitische Aktivitäten, Entscheidungen und Stellungnahmen informierten. Exemplarisch seien hier die Frauenkorrespondenz für nationale Zeitungen (1919-1933) der Deutschnationalen Volkspartei und die ȱȬ £ (1933-1934) der NSDAP erwähnt.
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ
Zur weiteren Analyse wurden die 14 hier bereits genannten pro¢ȱ§Ĵȱǰȱ ȱȱȱ§ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §Ĵȱ û£DZȱ ȱ ȱ ȱ £Ğȱ ȱ und ȱ ȱȱ£ȱĴȱDie Frau als Prototypen ȱ Ȭȱ £Ğȱ ȱ ǰȱ ȱ Polit-Illustrierten und Weg der Frau als Prototypen der Ȭȱ £Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱȬȱȱ£Ğȱȱȱ ȱȱȬĞȱȱȱȱ ǰȱ ȱ Ȭ und die Arbeitsanregungen für die Kindergruppen ȱȬĞȱ ȱ¢ȱals Prototypen der politisch-aktuȱ£Ğȱȱȱ£ǯȱ
ђџњіѡѡљѢћєѠѠѡџюѡђєіђћDZȱ яќѢљђѣюџёђѠјȱѣђџѠѢѠȱюѢѓјљѫџђџіѠѐѕ ȅȁȱĴ ȱȱȱǰȱȱȮȱĞȱȱȱwort ‚Boulevardisierung’ – den Wandel von (politischer) BerichtĴȱ ȱ ǻǯȱ ¡ȱ Ȧȱ ŘŖŖŞDzȱ ȱȱǯȱŘŖŖŗDzȱȦûĴȱŘŖŖśDzȱ ěȱŘŖŖŗDzȱ Krüger/Zapf-Schramm 2001; Kepplinger 1998), dann werden in der Regel mindestens vier Phänomene genauer in den Fokus genommen: Visualisierung, Dramatisierung beziehungsweise Emotionalisierung, Personalisierung und der (mutmaßlich vermehrte) Anteil an nicht-politischen Themen (vgl. zusammenfassend auch Pürer 2003: 154-160; Dulinski 2003: 233-281). Bei den nicht-politischen ȱȱȱȱ§ęȱȱǰȱȱȱȱȱblikums entnommen sind. Mithilfe dieser Kriterien lassen sich auch die frühen politischȱ£ĞȱĢȱ¢ǰȱ ȱȱȱȱĴȱȱȱȱ eingesetzt wurden. Ingesamt ergab sich dabei das Bild einer recht schwach ausgeprägten Boulevardisierung. Visualisierungen, also ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ tĞȱ wurden zum Beispiel kaum gezielt eingesetzt, um auf Inhalte aufmerksam zu machen oder ihre Rezeption zu erleichtern. Visuelle ȱĴȱȮȱȱ£Ĵ¢ȱȮȱȱȱǯȱ Gängig war zum Beispiel weiterhin die aufwändige graphische
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ȱȱȱȱȱȱȱĴǯȱ Bezeichnend ist, dass selbst die Polit-Illustrierten der 1920er Jahre noch stark auf Dekor setzten und reißerische Bilder und übermäßig herausgestellte Schlagzeilen die Ausnahme darstellten. Somit wurȱ ȱ Ȭȱ £Ğȱ ȱ §ȱ ȱȱȱȱȱĞǰȱȱȱ an ein gemischtes Publikum richteten. Auch Dramatisierungen ȱȱȱȱȱ¢ȱĞȱȱȱȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ£ǯȱȱȱȱȱ£Ğȱ – nicht nur die feministischen, konservativen und parteinahen – leisteten sich ein Feuilleton, das primär der Unterhaltung diente. Personalisierung lässt sich insofern nachweisen, als Porträts eine gern eingesetzte Darstellungsform darstellten. Alltagsthemen hingegen fanden erst zu einem relativ späten Zeitpunkt Eingang ȱ ȱ £Ğǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ȭ Illustrierten seit der Weimarer Republik nachweisbar. Es ist bemerkenswert, dass sich diese ‚klassischen’ Strategien der unterhaltsamen und populären Gestaltung von redaktionellen Medieninhalten kaum im politischen Teil der politisch-aktuellen £Ğȱ ǯȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ leton zum Einsatz. Eine gewisse Ausnahme stellen hier allenfalls ȱ Ȭȱ ûȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ Inhalte einsetzten.
ȅĤ§ȂȱĴ Allerdings sollte zwischen dem Alltag als Thema und dem Herstellen von Bezügen zwischen Alltag und politischem Geschehen ě£ȱ ǯȱ £ȱ ȱ ȱ §ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ Ȭȱ £Ğȱ ǯȱ ȱ §ĴȱûȱȱǰȱȱȱȅđȱȂȱûȱ den Alltag herauszuarbeiten, wenn sie zum Beispiel abstrakte Ğȱȱûȱ££ãȱȱȱ Preiserhöhungen für Hausfrauen umrechneten, wie das vor allem das Organ der proletarischen Frauenbewegung ȱ , aber auch die feministische taten.
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ
ûȱȱȱȱ§Ĵȱ ȱûȱǰȱ die hier als praktische Handreichungen bezeichnet werden sollen.5 Beispielsweise druckte ȱ ȱ– und der Name dieser
Ğȱ ȱȱȱȮȱȱȱ Argumentationen ab, mit deren Hilfe sich Frauen bereits 1906, also lange bevor sie tatsächlich das Wahlrecht erhielten, für die Kommunalwahlen zumindest registrieren lassen sollten. Diese Handreichungen zielten klar auf eine politische Aktivierung und die Förderung des Handlungsvermögens von Frauen. ȱ ȱȱȱ£Ğȱȱ Hilfestellungen zur kognitiven Wissensbildung. Darunter fallen zunächst einmal ganz einfache Erläuterungen fremdsprachiger ǰȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ûȱ ȱ Die in Klammern hinter das Fremdwort setzte, oder auch Lektüre-Ratschläge, wobei vor allem einfache Literatur, die das grundsätzliche politische Verständnis fördern sollte, empfohlen wurde. Und schließlich ist die Versorgung mit Hintergrundinformatiȱȱ ȱǰȱȱȱ§Ĵȱǯȱȱȱ £ȱ ȱ ȱ £Ȭȱ ȱ Ğȱ Ğ Die Frau auf die Entscheidung von 1908, Frauen das volle ȱȱȱȱȱĞȱ£ȱ §ǰȱ mit einem dreiteiligen Hintergrundbericht über die Geschichte der ǰȱȱȱûȱȱȱȱĞȱȱ und insgesamt rund 50 Seiten umfasste. ȱ ȱȅĤ§ȂȱĴȱȱȱ Akzentuierung dialogischer Elemente. ȱ ȱ bei ȱãěȱŗşŖŞȱ§ȱȱȱãǰȱ ȱ ȱ £ǰȱ ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ LeserInnenbriefen, Stellungnahmen der Redaktion und wiederum ȱ££ǯȱȱ ȱȱĞkeit der Parteien, Frauen aufzunehmen und ihre Belange tatsächlich zu berücksichtigen, von Redakteurinnen, Leserinnen, aber auch von etablierten Politikern – auch Leser der ȱȮȱĴǯ Dies verweist auf eine Besonderheit von politisch-aktuellen £Ğȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱȱȱȱȮȱȱȱȱȮȱĞȱ von Leserinnen ihren Ausdruck fand, deutet darauf hin, dass diese 5
Diese Handreichungen können durchaus als ein Service angesehen werden, der heute als eine Form des Nutzwertjournalismus ( ȱȱ use) neue Wertschätzung erfährt (vgl. Fasel 2004).
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§Ĵȱ£§ȱȱȱȱȱ£ ȱȱȱ ãěȱ§ȱȱǻǯȱȱȱŘŖŖřDZȱŘŜŞǯǼǯȱ Und die im Privaten oder in der direkten Face-to-face-Auseinandersetzung üblichen Kommunikationsmodi wurden durchaus ȱȱȱȱ£ĞȱĚǯȱȱ ȱȱȱȱȱ£ ȱȱĞȱȱ ȱãȱȱĞȱȱȱǰȱ deren Sprachduktus stark an persönliche Auseinandersetzungen erinnert, wie sie damals in privaten Briefen und in persönlichen Gesprächen ausgetragen wurden. Die dialogische Struktur der Kommunikation zeigt sich aber auch daran, dass die verschiedenen politisch-aktuellen FrauenzeitĞȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ǯȱ ȱ heißt, sie initiierten nicht nur Dialoge und zuweilen einen Rollentausch zwischen Redaktion und Leserinnen, sondern waren auch §ȱ ȱ Ĵȱ £ ȱ ȱ ȱ £Ğǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ raum, der Anschluss an die Privatsphäre einerseits, aber zuweilen ȱȱȱ¡ȱ[ěȱȱĴȱǻǯȱȱ Wischermann 2003: 261-269). Versucht man diesen Raum entlang ȱ [ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǻŗşşŗǼȱ ȱȱ ȱȱ£ęȱ[ěȱǻǯȱ Klaus 1994; Wischermann 2003) zu verorten, dann handelt es sich ȱȱǰȱȱ§ȱȱĴȱȱ£ȱ ȱ ȱ ȱ ȅ ãěȂȱ ȱ werden kann.6
ђџњіѡѡљѢћєѠѠѡџюѡђєіђћȱіњȱюћёђљȱёђџȱђіѡ Die Kaiserzeit ȱ ȱ ûȱ ȱ ûȱ ȅĤ§Ȃȱ Ĵstrategien stammen alle aus der Zeit des Kaiserreichs. Und dies ist ȱǯȱȱ£ȱȱȱȱ§ȱȱȅĤ§Ȃȱ
Ŝȱ ȱ ȱȱȱȱȱȱ£Ğȱȱ ihre Trägervereine deutlich von den Zielen der Frauenbewegung £ǰȱ ȱ ãȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǻǼȱ ãěȱ ȱ ȱ ãěȱ £ȱ ǯȱ ȱ £ȱ £ȱ ȱ ȱ £ ȱ Ğȱ kritisierten Aktivitäten der Frauenbewegung.
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im Kantschen Sinne im Vordergrund: Frauen sollten befähigt und ermuntert werden, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Deswegen wurden relevante Zusatzinformationen für politisch interessierte und aktive Frauen bereitgestellt, deshalb wurde das politische Geschehen aus Frauenperspektive kommentiert und darum wurde versucht, im Dialog mit den Leserinnen praktisches und theoretisches Wissen zu generieren. Dorothee von Velsen, eine bürgerliche Frauenrechtlerin und liberale Politikerin hat die Bedeuȱ ȱ £ȱ £ȱ £Ğȱ Die Frau in ihren Memoiren folgendermaßen umrissen: ȱȱĞȱDie Frau für uns bedeutete, kann die heuȱ ȱȱǯȱȱ ȱȱ ĠĴǰȱȱ ȱ standen im Kampf. Es gab kein Gebiet des Frauenlebens, zu dem nicht Stellung bezogen wurde. […] Jeden Monatsersten schauten wir nach der Nummer aus, verschlangen sie vom ersten bis zum letzten Buchstaben und stürzten davon, sie mit gleichgestimmten Seelen zu erörtern (Velsen 1956: 109).
Die Weimarer Republik In der Weimarer Republik hingegen kam es zu einer Fragmentierung ȱȅ ãěȂǰȱ ȱȱ£ȱđȱȱ ȱ ȱ Ěȱ £û£ûȱ ǯȱ ȱ ǰȱ die neuen Wählerinnen an sich zu binden, versuchten die Parteien £§ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ sich zu binden. Dies gelang in beachtlichem Maße, denn ein Großteil der prominenten Frauenrechtlerinnen und Herausgeberinnen engagierte sich in den Parteien (vgl. Frevert 2001: 167). Die Einbindung von Aktivistinnen der Frauenbewegung in die Parteien Ĵȱ ȱ £ȱ ǰȱ ȱ £§£ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ£ ȱȱȱ§Ĵȱȱ ȱ (vgl. zu den ‚zentrifugalen Tendenzen’ in der Frauenbewegung Schaser 2006: 97-109). Neben feministische Dispute traten nun auch parteipolitisch motivierte. Bezeichnend ist, dass die verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung im Kaiserreich – sozialistisch, bürgerlich-radikal, bürgerlich-gemäßigt, evangelisch, katholisch und konservativ – immer noch Bezug aufeinander genommen ĴǰȱȱȱȱĴȱûȱȱȱȱȱȱȱ
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ȱûȱȱ§Ĵȱ ȱȱȱ ǯȱȱȱ£ęȱȱȱȱȱȱȱ fragmentierte Teildiskurse. Die ökonomischen Krisen der Weimarer Republik beschleuȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȅ ãěȂȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ¢Ěȱ ŗşŘŘȦŘřȱ ȱ ȱ ĞȱȱȱŗşŘşȱȱ£ȱ£Ğȱȱȱȱǻǯȱ ȱŘŖŖŝDZȱŘŚǼǯȱ Neugründungen wiederum erfolgten in der Weimarer Republik zum großen Teil unter (männlicher) Parteiägide und mit etwas anderer thematischer, ästhetischer und funktionaler Ausrichtung. Der ¢ȱȱȬȱ£Ğȱ ȱȱĴȱȱ 1920er Jahr die Polit-Illustrierte für Frauen. Diese Illustrierten waren populärer aufgemacht als die nun ‚altmodischen’ BewegungszeitĞǯȱ ȱ đȱ ȱ ȱ ¢ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȅȱ Ȃȱ ȱ ȱ ȱ Haushalt, Mode, Wohnen und menschliche Beziehungen. Zudem enthielten sie mehr politische Information im engeren Sinne. Ereignisse rund um das Staats-, Regierungs- und Parteienhandeln ûȱ £ȱ ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ Ȯȱ £ȱ ȱ ȱ der Zeit (vgl. Fulda 2006) – einseitige Kommentierung und konkrete politische Instruktion stärker akzentuiert wurden. Und damit ȱȱ§Ĵȱȱǰȱȱđȱȱȱȱ verstärkten Popularisierungs-, aber auch Politisierungsprozesses gefasst werden könnten. ȱȮȱȱȱȱȱȮȱȱĴȬȱȱ Diskursfunktion gleichzeitig in den Hintergrund. Der politische sowie feministische Diskurs verlor zwischen Hausfrauenecke und politischer Instruktion an Substanz. Als ein Indikator dafür können đȱęȱȱȱ ǰȱȱ£ȱȱ£Ğȱ£ǯȱȱȱȱ ȱȱǰȱȱȱȱ Ğȱȱlands deutlich verschlechterte und die politischen Auseinander£ȱ ȱ ȱ §Ğȱ Ĵǰȱ ȱ £ȱ ȱ ǰȱ ȱ Ȯȱ ȱ £ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱĴȱȱȮȱȱ§ȱ ȱ ȱ §Ĵȱ û §ȱ ǰȱ §ȱ ȱ £ȱûȱȱȱȮȱ£ȱȱ§Ĵȱȱ ȱȱȮȱȱȱȱ§ǯȱ §ęȱ £ęȱ ȱȱȱȱȱȱweise in der Polit-Illustrierten aus dem kommunistischen Münzenberg-Konzern Der Weg der Frau, die sich auf diese Weise von ihrer
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Konkurrenz, der SPD-Frauenillustrierten , abzugrenzen ǯȱȱȱǰȱȱȱ£Ğȱȱȱ Marketing- und Propagandaabteilungen der Parteien entstammten als den Federn von Leserinnen. Zumindest lässt der Vergleich mit den ‚echten’, thematisch gebundenen und zuweilen recht ‚unprofessionell’ anmutenden Leserinnenbriefen in früheren Jahren den Schluss zu, dass inzwischen nicht mehr von Leserinnen um Inhalte und deren Artikulierung gerungen wurde, sondern dass eine von oben diktierte Instruktion Hintergrund war. Das Aushandeln von Themen und Positionen ‚von unten’ wurde zusehends durch das Propagieren vorgefertigter Positionen zu gesetzten Themen ‚von oben’ ersetzt.
Die Zeit des Nationalsozialismus ȱȱȱȬǰȱȱ§Ğȱȱȱ ȱ nochmals. Doch zunächst einmal mussten bereits im ersten Jahr ȱ £ȱ Ğȱ ȱ ŚŞȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £Ğȱ ȱ ȱ ǯȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ ȬĞȱ ȱ ȱ §Ĵȱ ǻǯȱ ȱ ŘŖŖŝDZȱ ŘŚǼǰȱ ȱ ȱ ȱ đȱ ȱ §Ĵȱ ȱȱȱȱȱȱȱȅ ãěȂȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ǯȱ ȱ ȱ §Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ £ȱ Ğȱ Die Frau, waren durch vielfältige Drangsalisierungsmaßnahmen in ihren Möglichkeiten beschränkt, eigenständig Themen zu setzen oder frei zu kommenǯȱ ȱȱȱȱȱȱȱĴȱȱ sich auch hier zunehmend in private Briefe verlagert zu haben (vgl. Schaser 2000: 299-304). Durch das Unterbinden der Diskurse in feministischen und Ȭ£ȱ§Ĵȱ ȱȱȱ§£ȱȱȱȬȱ£Ğȱ ǯȱȱȱȬȱĞȱȱȱǻȬǼȱhaltung assoziiert wird oder zumindest der Rückzug auf unverfängliche und unpolitische Thematiken beklagt wird (vgl. exemplarisch Frei/Schmitz 1989: 71-95; Geiger/Weigel 1981: 223-225, vgl. dazu auch Thiele in diesem Band), so lässt sich mit Blick auf politisch-aktuelle £Ğȱȱȱ ȱȱȱlitisierung feststellen. Denn es gab nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten einige Neugründungen von hochpolitischen
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£Ğǯȱ ȱ ŘŖȱ Ȭȱ £Ğȱ ûȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ¢ȱ DZȱ ȱ Ȭȱȱ£Ğȱûȱǯ7 ȱ §Ĵȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ
ȱȱȬĞȱȱȱ ǯȱ Zwar wollten auch sie über frauenpolitisch Relevantes informieren, doch unterschieden sie sich von anderen Typen politisch-aktueller £Ğȱǰȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱĴǰȱ ȱȱȱȱ Parteirichtlinien anstrebten. Der Instruktionscharakter nahm zu, wobei bezeichnenderweise nicht nur einzelne Rezipientinnen in den Fokus der politischen Persuasion gerieten, sondern vielmehr ȱ ȱ ȱ [ěȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȅ§Ĵȱ ûȱ ûȁ wurde – ähnlich wie in den NS-Presseanweisungen – genau vorgeschrieben, wie Politik über so genannte ‚Führerinnen’ in Frauenvereinen zu popularisieren, welche Themen wie zu diskutieren und welche Schlussfolgerungen zu ziehen seien. Sich frei entwickelnde ȱȱȱȱȱ§Ĵȱȱǯȱȱ ȱȱȱȱ£ȱȱȱ ȱãěȱ Kommunikation von oben. Propaganda ersetzte nun die zuvor ȱȱȅ ãěȂǯ Bezeichnenderweise wurde nicht nur die Kontrolle von politisch ȱ ãěȱ ¡£ȱ ǯȱ ȱ ȱ gerieten jetzt auch Kinder in den Fokus nationalsozialistischer Kontrollwut. In den ȱûȱȱ ȱȱȬ Ğȱ ȱ ¢ beispielsweise wurde den Leiterinnen von Kindergruppen genau erläutert, wie sie (traumatisierten) Kinȱȱȱ ȱȱ£ȱȱ§Ĵȱ und mit welchen Gesängen der Nationalismus der Kinder weiter gestärkt werden sollte. Versucht man die Funktionen politisch-aktueller FrauenzeitĞȱ ȱ ȱ ¡ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱȱȱȱ£ȱǰȱȱȱȱ folgendes Bild (vgl. Tabelle).
7
Insgesamt ließen sich nach der ‚Machtergreifung’ 30 Neugründungen ȱȱ£Ğȱȱȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ŘŖȱ Ȭ§Ĵȱ ȱ £Ğǰȱ ȱȱȱ£ ȱȱ£Ğȱûȱ wurden (vgl. Kinnebrock 2007: 45-53).
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£
ȱ Republik
Medienfunktionen (kognitiver BeȬ Ǽ
Information/ Bildung (über verschiedene GesellĞǼ
Gezielte Infor- Lenkung (Propagandamation Information) (selektierte politische Information)
Medienfunktionen (motivationaler Ǽ
Stärkung des individuellen Handlungsvermögens
Mobilisierung (für Parteien oder Partikularinteressen)
Mobilisierung (für totalitäre NS-Ideologie)
Medienfunktionen (interaktiver BeȬ Ǽ
Kommunikation/ Diskurs (Integration in die Frauenbewegung)
Integration/ Lenkung (entsprechend dem Parteikalkül)
Lenkung/ Instruktion/ Kontrolle (gemäß der totalitären NSIdeologie)
Unterhaltung (durch Visualisierung, Personalisierung, Alltagsthematiken)
Kaum Unterhaltung (verlagert auf andere Medien)
Medienfunktionen Unterhaltung ǻěȱǼ (nur im Feuilleton)
¢ȱ ȱȬ £Ğ
Ȭ sozialismus
FrauenbewePolit-Illustrierte Arbeitsbrief £Ğ
Charakterisierende ȅĤ§ȁ Ĵ
‚Parteilichkeit ‘
‚Instruktion‘
DZȱ ȱȱȱĴȱȱ Zeitverlauf
ђѠҿњђђ ȱȱȱȱ Ğȱ ȱȬȱ£Ğȱ£ȱ£ǰȱȱȱȱǰȱȱ Medien in nationalsozialistischen Zeiten als Lenkungsinstrumente eingesetzt wurden. Doch es überrascht, dass ausgerechnet in der ‚undemokratischen’ Kaiserzeit politisch-aktuelle FrauenzeitĞȱ £ȱ ȅȱ ȁȱ ȱ ȱ ȅĤ§ȁȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ demokratischen Zeiten der Weimarer Republik hingegen wurden
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Ȭȱ£Ğȱ§ȱȱȱ£ȱ ȱ £ǰȱ ȱ ȱ Ĵȱ ûȱ ȱ ȱ kollektive Wissensgenerierung. Dabei wurden ‚boulevardeske’ anȱȱȅĤ§Ȃȱđȱȱ eingesetzt. Somit lässt sich zunächst resümieren, dass mit Bezug auf poliȱ£Ğȱȱȱȱȱ Voraussetzung für eine demokratische Willensbildung ‚von unten’ ǯȱȱȱȱěȱȱȱȱȱĴ ȱȱȱȱȱ§ȱȱ ȱđȱãȱȱ ȱȱĚniveau des politischen Diskurses gehoben zu haben. Dieser Befund deutet zunächst darauf hin, dass Popularisierungsmaßnahmen sehr ě£ȱ£ȱȱǯȱȱȱ ȱȱȱȱ ȱ £ȱ ȱ ǻ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱěȱȅȂȱȱȅkratie’ geschieht) noch als Königsweg zu feiern, der geradewegs £ȱȱȱǰȱȱĚ¡ȱȱĞȱ £ȱûǯȱȱě£ȱȱȅȂȱȱ ȅĤ§Ȃȱȱȱǯȱ ȱ heißt dies, dass bei der Analyse von historischen (aber auch aktuellen) medialen Quellen immer die Frage aufgeworfen werden sollte, (ausschließlich professionelle KommunikatorInnen oder auch RezipientInnen?) mit ȱ £ (vor allem Information oder Persuasion?) und ȱĴ (Anregung des Intellekts und Dialog einerseits oder Einseitigkeit und gegebenenfalls gar Manipulation andererseits?) kommunizierte. Auf diese Weise lässt sich eruieren, ob tatsächlich Dialoge initiiert wurden, die die Popularisierung von Wissen stets begleiten (vgl. Kretschmann 2003: 9). Dieses Vorgehen verlangt freilich, die Perspektive der RezipientInnen immer mitzudenken. Und sie lässt sich aus medialen Quellen deutlicher erschließen, als das übliche Lamento über die schwierige Rekonstruktion von historischen Rezeptionsprozessen Glauben macht (vgl. Wischermann 1996). Betrachtet man die von Medien angestoßenen Kommunikationsprozesse in diesem Sinne genauer, so bleibt festzuhalten, dass die Prozesse kollektiver Wissensgenierung und demokratischer Meinungsbildung vielleicht von den politischen Rahmenbedingungen unabhängiger sind als gemeinhin angenommen. In demokratischen Systemen mag zwar die Willensbildung in Parteiorganisationen ȅȱ Ȃȱ ǰȱ ȱ ȱ đȱ ȱ ędung in politischen Medien. Der Vergleich von politisch-aktuellen
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£Ğȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ verdeutlicht, dass primär in Zeiten des formalen Ausschlusses von politischen Organisationen und Institutionen Medien eine zentrale Rolle bei der Artikulation von Interessen und dem kollektiven Er ȱȬĞȱȱǯ
іѡђџюѡѢџ ǰȱȦǰȱȱǻŘŖŖŞǼDZȱǮȃȱȱȱǯȱ ȱ§ĴȱŗşŞŖȬŘŖŖŝȱȱȱgeszeitungen. Publizistik 53/2, S. 231-250. ǰȱ ȱ ǻŘŖŖŘǼDZȱ Ğǯȱ gen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären So£ Ğǯȱ Śǯȱ ûȱ ȱ ȱ Ěǯȱ Wien/Köln/Weimar: Böhlau/UTB. Bösch, Frank (2006): Katalysator der Demokratisierung? Presse, ȱȱ ĞȱȱŗşŗŚǯȱDZȱȱãȦȱȱ (Hg.): Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein, S. 25-47. Bösch, Frank/Frei, Norbert (2006): Die Ambivalenz der Medialisierung. Eine Einführung. In: Dies. (Hg.): Medialisierung und DeȱȱŘŖǯȱ ǯȱ ãĴDZȱǰȱǯȱŝȬŘřǯ ǰȱ ȦûĴǰȱ ȱ ǻŘŖŖśǼDZȱ rend in deutschen Fernsehnachrichten. Darstellungsmerkmale ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ŗşŞřǰȱ 1990 und 1998. Publizistik 50/1, S. 19-38. Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera (1994): Literatursoziologie: Liteǰȱ Ğǰȱ ȱ ǯȱ DZȱ ȱ Verlag. Dulinski, Ulrike (2003): Sensationsjournalismus in Deutschland. Konstanz: UVK. Engelsing, Rolf (1973): Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und ȱ ĞǯȱĴDZȱ ǯǯȱ£ǯ Engelsing, Rolf (1974): Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in ȱŗśŖŖȬŗŞŖŖǯȱĴDZȱ ǯǯȱ£ǯ Fasel, Christoph (2004): Nutzwertjournalismus. Konstanz: UVK. ǰȱȱǻŗşşśǼDZȱǮȱȱǰȱȱȱȱȃǯȱ Ȭě£ȱȱȱǯȱûDZȱǯ ǯȱǯ
DZȱĴȱȱ£Ğǵ
299
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300
Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ
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DZȱĴȱȱ£Ğǵ
301
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ǰюѠȱђяђћȱіѠѡȱјђіћȱѢћѠѐѕјќћѧђџѡȂ Die Popularisierung von Politik als historisches Phänomen? юџѡіћюȱѕіђљђ Wer überzogene Wünsche formuliert, bekommt zuweilen zur Antwort, dass das Leben nun einmal kein Wunschkonzert sei. In Kriegszeiten ist der Wunsch zu überleben der alles Beherrschende. Doch auch die daran gemessen kleineren Wünsche wie Freiheit oder, materieller, ein Dach über dem Kopf und ausreichend Nahrung, sind in einer Diktatur wie der nationalsozialistischen nicht immer und längst nicht für alle erfüllbar gewesen. Wenigstens einen Musikwunsch konnte dagegen eine der populärsten Radiosendungen während der NS-Diktatur erfüllen: das vom GroßdeutȬ ȱȱ sonntags ausgestrahlte £. Diese ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ Films aus dem Jahr 1940, der als Beleg für die These dient, dass die Popularisierung von Politik und die Vermischung von Information und Unterhaltung keine neuen Phänomene sind. Ein Blick in die Mediengeschichte, speziell in die Filmgeschichte, Propaganda- und Stereotypenforschung zeigt, dass auch im nationalsozialistischen Deutschland auf Visualisierung, Personalisierung, Privatisierung, ę£ȱ ȱ ȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ unterhaltsame Art und Weise Ideologie zu verbreiten.
іљњȱѢћёȱџќѝюєюћёю іњȱюѡіќћюљѠќѧіюљіѠњѢѠ Die Massenmedien Hörfunk und Film spielten in den dreißiger Jahren eine wichtige Rolle im Propagandakonzept der Nationalsozialisten. Hitler und Goebbels gingen von einer starken
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303
Wirkung dieser Massenmedien aus. Beide galten darüber hinaus als ausgesprochene Filmfreunde. Allerdings unterschieden sie sich grundlegend in ihrem Propagandaverständnis. Während Hitler ȱȱȱȱĴȱ£ȱ ǰȱȱȱ den Zuschauerinnen und Zuschauern bewusst war, dass sie einen politischen Film anschauen, bevorzugte Goebbels die indirekte ȱȱǯȱȱȱ ȱȱěǰȱȱ direkte, hoch dosierte politische Propaganda ihr Ziel verfehlen ûȱȱ£ȱȱȱȅȂȱĚǯȱȱ ȱ lautete Goebbels Überzeugung: Nicht das ist die beste Propaganda, bei der eigentliche Elemente der Propaganda immer sichtbar zutage treten, sondern das ist die beste Propaganda, die sozusagen unsichtbar wirkt, das gesamte ãěȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ãěȱ ȱ überhaupt von der Initiative der Propaganda irgendeine Kenntnis hat. (Goebbels 1943: 112)
ûȱ ȱĴȱęȱ£ ȱǯȱȱ sollten sie dazu dienen, die Menschen vom Kriegsalltag und von der Politik abzulenken. Andererseits sollten sie aber dazu beitragen, die Aufnahme- und Begeisterungsfähigkeit der Bevölkerung für politisch-propagandistische Inhalte zu steigern. So gesehen gab es im Nationalsozialismus keinen unpolitischen Film. Der Soziologe Gerd Albrecht hat 1969 in seiner Untersuchung £ȱ Filmpolitik als einer der ersten darauf hingewiesen, dass die Unterscheidung zwischen Unterhaltung und Propaganda, politisch und ǰȱ Ȭȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ NS-Filmen nicht weiter führt. 1979 schrieb er im Vorwort von Der ȱȱřǯȱ: Selbst der ganz eindeutig seinem Inhalt nach unpolitische Film wurde insofern Bestandteil einer insgesamt politisch ausgerichteten Propaganda, sollte nämlich die Probleme, mit denen der £ȱ ȱȱȱ£ȱ§ȱĴǰȱȱǯȱȱsem Sinne sind nun allerdings alle Filme, die damals hergestellt ǰȱȱȮȱȱȱȱȱěǰȱȱȱ nach ihrer Aufgabe mehr indirekt. Ja, gerade die scheinbar unpolitischen Filme sind, weil sie den Eindruck einer intakten und geȱȱĴǰȱȱȱȱȱDZȱ Sie konnten und sie sollten (auch vor dem Zweiten Weltkrieg) die weltpolitische Spannung und die innenpolitischen Unstimmigkeiten vergessen machen. (Albrecht 1979: o.S.)
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Politik auf dem Boulevard? – ǯȱ ȱ
ěȱȱȱȱ£ȱda gerade auch auf der Vermischung von Genres, darauf, dass nicht strikt zwischen Unterhaltung und Information, Alltag und Politik, Fiktion und Dokument unterschieden worden ist. Begründen lässt ȱȱěȱȱȱȱ¢ȱȱȱȬ konzert aus dem Jahr 1940.
Abbildung 1: Historische Wahrnehmung und Wirkung von Filmen. Ein Arbeitsmodell (Korte 1997: 163)
ђѡѕќёђћȱёђџȱіљњюћюљѦѠђ Bezüglich der Methodik der Filmanalyse konkurrieren verschiedene Ansätze. Faulstich nennt in Die FilminterpretationȱȱǮȱ ěȃǰȱ ȱ Ǯȃǰȱ ȱ ǮȬȱ
Thiele: ,Das Leben ist kein Wunschkonzert’
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ȱ ȃǰȱ ȱ Ǯ£ȃǰȱ ȱ Ǯ¢ȃȱ ȱ ę ȱ Ǯ£ęȱ ȃȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ verschiedene Filme als ‚Fallbeispiele‘ an (vgl. Faulstich 1988). Es gibt viele weitere theoretische Zugänge wie etwa semiotische, ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ £ȱ ȱ einen Film unter Genderaspekten betrachten. Möglich wäre auch, verschiedene Ansätze zu kombinieren, was aber nicht garantiert, einen Film als künstlerisches Werk vollständig zu erfassen. Einig ȱ ȱ Ğȱ ǰȱ ȱ ȱ ¢ȱ Analyse eines Films über die durch den Film gegebenen Daten ȱȱȅđęȱȂȱûȱǯȱ Korte schlägt deshalb neben der Produkt- und Rezeptionsanalyse ȱ ¡¢ȱǰȱȱȱȬĞȱtion, in der der Film entstanden ist, angemessen zu berücksichtigen (vgl. Abbildung 1). ȱ ȱ ȱ ȬĞȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ §Ğȱ ȱ £ als einem der ȱȬęȱ§ǯȱȱ ȱ in dem Korteschen Modell, dass sich die verschiedenen Analysebereiche überschneiden. Trotz aller Systematik besteht somit bei Filmanalysen, die möglichst viele Aspekte berücksichtigen wollen, die Gefahr, am Ende zahlreiche Einzelergebnisse relativ unverbunden zu präsentieren oder sich zu wiederholen. Zu einer Auswahl bestimmter Untersuchungsbereiche führt aber die hier interessierende Frage nach der Popularisierung von Politik als historischem Phänomen. So richtet sich der Fokus der Analyse auf fünf Strategien ȱǰȱȱ£ȱǰȱĴȱ ȱturgischen Verfahren im Film £ letztlich Ideologieproȱ Ĵęǯȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ £ ǯȱ ȅ ěȁȱ ǻǯȱiħȱŗşŘśȦŗşŞŚǼȱȱȱȱȱ a. ȱȱȱȱȱęȱ Material b. die Figurenkonstellation c. die Verknüpfung mehrerer Erzählstränge und die Vermischung von Genres d. ȱěȱȱȱȱ§ȱȱǰȱ Mode und Design e. die Emotionalisierung des Publikums durch Musik
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Die fünf Strategien berühren unterschiedliche Analysebereiche. ȱȱğȱȱȱȱȱȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ Wirkung.1 Sie ist zudem kontextgebunden und damit historisch zu betrachten, doch auch als ein aktuelles Phänomen nachweisbar. Das gleiche gilt für die vier anderen Strategien. Ihre Auswahl beruht jedoch nicht auf dem Prinzip der Beliebigkeit, sondern auf dem Prinzip der Ergiebigkeit hinsichtlich der hier interessierenden Frage nach der Aktualisierbarkeit und Modernität künstlerischer Verfahren zum Zwecke der Popularisierung von Politik.
ђџȱіљњȱѢћѠѐѕјќћѧђџѡ Im Zentrum des Films £ (Deutschland 1940, Regie: Eduard von Borsody) steht die Liebesgeschichte zwischen einer jungen Frau namens Inge Wagner, gespielt von Ilse Werner, und ȱĜ£ȱ ȱ ǰȱȱȱȱ£ǯȱȱ und Herbert lernen sich während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin kennen, wo Inge ihre Tante besucht. Sie verlieben sich ineinȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ ȱ ȱ zur Legion Condor nach Spanien abkommandiert und darf Inge darüber nicht informieren. So verlieren sich die beiden aus den Augen, können einander aber nicht vergessen. Drei Jahre vergehen, inzwischen führt Deutschland Krieg. Inges Jugendfreund Helmut und andere Männer aus ihrem Heimatort verabschieden sich und ziehen frohen Mutes an die Front. So der Bäcker und der Metzger, ȱȱȱȱǯȱ ȱ ȱ ȱěȱ£ǯȱȱđȱĞǰȱ ȱȱȱǰȱ dass sie beide in dieselbe Frau verliebt sind. Durch das sonntägliche Ǯ£ȱûȱȱȃǰȱȱȱȱ ûđȱ£ ȱ ȱȱ ȱĴȱ ǰȱ§ȱȱȱ£ȱ von Herbert. Denn dieser wünscht sich die Olympiafanfare. Inge §ȱ ȱ ǰȱ ğȱ ȱ £Ȭȱ £ȱ Goedecke und erhält Herberts Adresse. Doch kommt es nicht zum ǰȱ ȱ ȱȱ ȱ£ȱȱĤ§Ěȱ über dem Meer abkommandiert werden. Sie werden abgeschossen ŗȱ ȱ ȱ ěȱ ȱ £ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱǯȱǮȱȱęǰȱȱȱȱȃȱȱȱȱǮ£¢ȃǰȱȱ ȱǮ¢ȃǰȱ£ǯ
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und Helmut erleidet leichte Verletzungen. Ein deutsches U-Boot ȱȱȱĴȱȱǯȱȱ£Ĵȱěȱǰȱ ȱ und Helmut schließlich aufeinander und die Situation klärt sich trotz anfänglicher Missverständnisse. Helmut gibt zu, nicht mit ȱȱ£ȱǯȱȱȱ ȱęȱȱ£ǯ
ȱŘDZȱ ĴȱȱȱȬ Nr. 3166 aus dem Jahr 1940
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Auf den ersten Blick handelt es sich bei diesem Film um leichte ǰȱ ȱ ęǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ende ,kriegen’. £ ist aber mehr: ein unterhaltender ȱ ȱ ęǰȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ Ȭȱ ȱ ęǯȱ ȱ ȱ sind Originalaufnahmen von den Olympischen Spielen 1936, die ȱȱȱȱȱȱ¢ęȱFest der ãȱund ȱȱãȱǰȱȬĴǰȱ die den Einsatz der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg und ȱtȱȱȱŗşřşȱ£ǰȱ ȱęȱ ȱûȱȱ§ȱǮ£ȃǰȱ das im Rundfunkhaus live vor Publikum gespielt wurde. Der Film war mit einem Einspielergebnis von 7,6 Millionen Reichsmark einer der erfolgreichsten NS-Unterhaltungs- und ęǯȱȱȱȱ§ȱǮȱȱûȱȱ ȃǰȱǮûȃȱ ȱǮ ȃȱȱ und mehr als 23 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht (vgl. Courtade/Cadars 1975: 211). Goebbels, der selbst am Drehbuch und den Dialogen mitgearbeitet und im Einzelnen auch Muȱ ȱ §ȱ ȱ Ĵǰȱ ȱ ȱ ȱ Resultat. Nach 1945 wurde £ verboten, eine Freigabe für ZuschauerInnen ab 16 Jahren erhielt er von der FSK 1980, nach ȱĴȱŗşşŝȱ ȱȱ ȱȱȱǮȱȱŗŞȃȱ Ğǯ
ѡџюѡђєіђћȱёђџȱќѝѢљюџіѠіђџѢћє ѣќћȱќљіѡіјȱіћȱѢћѠѐѕјќћѧђџѡ іђȱђџњіѠѐѕѢћєȱѣќћȱёќјѢњђћѡюџіѠѐѕђњ Ѣћёȱѓіјѡіќћюљђњȱюѡђџіюљ ȱęȱ ȱȱȱ£ spielt in einem Zeitǰȱȱȱ ȱ ȱȱȱãěȱȱȱ somit eng an die damalige Gegenwart von 1940 grenzt. Älteres, doȱȱ ȱȱȱǰȱęȱ ǯȱȱȱęȱȱȱȱ£ȱ Ĵǰȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱ Popularisierung von Politik erkennbar sind, wie das folgende
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Sequenzprotokoll2 (vgl. Tabelle) belegt. Dokumentarisches und ęȱȱ ȱȱ£ȱǻȱȱȱ Bild/Handlung ist Dokumentarisches hellgrau, Fiktionales etwas dunkler unterlegt), um zu verdeutlichen, wo auf Handlungs- und ȱt§ȱĴęǯȱȱȱȱȱȱȱ allem der Einsatz von Musik aufschlussreich für die Bedeutung der Figuren und der Handlung: £ Ȧ
ȦȦ
Zeit
0.
Vorspann
Titelmusik von Werner Bochmann
00:00
1.
Großaufnahme Olympische Glockengeläut Olympiafanfare Glocke mit Reichsadler und Olympischen Ringen. Überblendung Wolken. Olympische Fahnen wehen. Berliner Olympiastadion, internationale Flaggen, ein Doppelstockbus fährt vorbei.
01:24
2.
Stadion aus der Vogelpers- Titelmusik pektive, Menschen vor dem Stadion, die zu den Eingängen eilen.
02:25
3.
Einführung der Protagonis- Dialog Inge und Tante. tInnen: Inge und ihre Tante DZȱǮȱ ǰȱǰȱ ȱȱĴǯ ich weiß doch ganz bestimmt, dass ich die Karten in dieser Tasche Ĵǯǯǯȃ
02:40
4.
Inge und Tante vor der Einlasskontrolle. Wärter lässt sie ohne Karten nicht hinein.
Dialog Tante und Wärter
03:07
2
Anders als ein Einstellungsprotokoll, das versucht, entlang der Zeitachse und Szene für Szene möglichst detailliert Kamerabewegung, Ĵǰȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ £ǰȱ ȱ ȱ Sequenzprotokoll der Analyse dramaturgischer Einheiten, in diesem ȱȱ£ǯȱȱȅȁȱȱ ȱDZȱǮȱ £ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ Analyse aufzuschließen und die Argumentation nachvollziehbar zu machen“ (2000: 38).
310
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£ Ȧ
ȦȦ
Zeit
5.
Ein Taxi hält vor dem Stadi- Titelmusik on. Herbert steigt aus.
04:00
6.
Tante übernimmt sein Taxi, Dialog Tante und Herbert, 04:10 möchte nach Hause, um die Tante und Inge, Tante und Taxifahrer Karten zu holen.
7.
Ein Mann in Wehrmachts- Dialog Herbert und Melder uniform meldet Herbert, dass sein Bekannter dienstlich verhindert ist und so ȱȱ£ȱãěfeier kommen wird. Herbert schaut zu Inge, die dreht sich weg.
8.
Herbert bietet Inge eine Ĵȱǯȱȱȱ zögert, will auf die Rückkehr der Tante warten.
9.
Marschmusik Der Wagen des ‚Führers’ fährt vor. Die Menschen laufen nach vorn, versuchen ihn zu erspähen, zeigen den Hitlergruß. So auch Inge und Herbert. Herbert deutet noch einmal ȱȱĴǯȱȱ geht mit ihm mit.
05:23
10.
Hitler und seine Gefolgsleute betreten das Stadion. Die Menschen jubeln, zeigen den Hitlergruß. Ein kleines Mädchen grüßt, knickst und überreicht ihm Blumen. Wieder Jubel, erhobene Arme.
Marschmusik
05:55
11.
Inge und Herbert nehmen Dialog Inge und Herbert. ihre Plätze ein, machen sich DZȱǮȱȱȱãǰȱ diese vielen Menschen!“ ǰȱĚǯȱ ǻdzǼȱDZȱǮȱȱȱ Ihnen schuldig?“
04:26
Dialog Herbert und Inge, 04:55 Herbert über Inges Tante: Ǯȱȱǯȱȱ hat sie denn die Karten vergessen?!“
Thiele: ,Das Leben ist kein Wunschkonzert’ £ Ȧ
ȦȦ
311 Zeit
12.
Einzug der Nationen: USA, Titelmusik leise. Schweden, Japan, Italien. Die Italiener zeigen ebenfalls den Hitlergruß. ĴDZȱȱbelnde Publikum.
13.
Einzug der deutschen Ğǯȱȱ£ȱȱ weiß gekleidet, die Sportlerinnen voran, grüßend. Inge und Herbert springen begeistert auf.
Thema der Titelmusik, laut. DZȱǮȱȱȱ Deutschen!“
07:35
14.
Einlasskontrolle, Inges Tante und der Wärter. Tante fragt nach ihrer Nichte. Als der Wärter hört, dass sie schon 19 ist, versucht er zu beschwichtigen.
Dialog Tante und Wärter, §DZȱǮȱȱȱ keen Kindamädchen! … Die hat sich bestimmt schon eenen anjelacht.“
08:00
15.
Die olympische Fackel ğȱǯȱȱȱ steht auf, applaudiert. Der Fackelläufer erklimmt die letzten Stufen, entzündet das olympische Feuer. Ein Marine-Soldat hisst die olympische Flagge. TauȱĚĴȱȱ ǯ
Olympiafanfare
08:34
16.
Inge und Herbert schauen ihnen nach, dann sich an.
Glockengeläut, Olympia- 09:55 fanfare geht in das Thema der Titelmusik über. Dialog Inge und Herbert, DZȱǮȱȱȃǷȱ
DZȱǮûǵȃȱDZȱ Ǯȱȱ§Ĵȱȱȱ draußen stehen müssen und das Schönste ver§ǯȃȱ DZȱǮ ǰȱȱ ich erst!“
Tabelle:
07:06
Protokoll der Eingangssequenz
ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ realen Ereignis von nationaler und internationaler Bedeutung teil, ȱ ãěȱ £ȱ ȱ ¢ȱ ȱ ŗşřŜȱ ȱ
312
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Berlin. Zu sehen ist das tatsächliche Publikum im Stadion und als £ǰȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ĞĴȱ ȱ ěȱ ȱ Ausschlag dafür, dass Inge nach anfänglichem Zögern doch mit
ȱȱȱȱȱȱȱãěȱǯȱ ȱȱȱȱęȱ£ȱȱ eine Art Authentisierungsstrategie, deren Ziel darin besteht, die ûȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ £ȱ ãǯȱ Bei weniger versierten ZuschauerInnen kann so der Eindruck entǰȱȱȱ §ȱ§ȱȱȱãěfeier der Olympischen Spiele in Berlin 1936 zugegen gewesen. ȱȱ£ ȱȬȱȱęȱȱ ȱ ȱ £ ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ę¢ȱ ¡ȱ ûǰȱȱęȱȱȱȱȱǰȱ ȱȱęȱȱȱȱ£ȱȱȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ – man denke nur an andere Filme Leni Riefenstahls wie den Paręȱ Triumph des Willens – inszeniert und organisiert sein Material in einer Form, die sich in nur ganz wenigen Punkten, zum Beispiel ‚echte’ 3ȱȱȱǰȱȱęȱ unterscheidet (vgl. Thiele 2007: 42f.).
іђȱієѢџђћјќћѠѡђљљюѡіќћȱ ȱȱĞĴȱȱȱȱȮȱ ǰȱȱȱȱ Stadion und im Konzertsaal des Rundfunkhauses, der Moderator Heinz Goedecke und die Stars des Wunschkonzerts – gewinnen die ęȱȱ ûǯȱȱȱȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ȭȱ ȱ ęȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ǰĴȂȱ der damaligen Zeit gleichen, zum Eindruck des Authentischen, ȱĞȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ sional, denn der Film spielt zwar mit Geschlechter- und Berufsstereotypen, bestätigt sie, bricht sie zuweilen aber auch auf. Das wird
3
Gerade dieses ‚ȱ dabei gewesen zu sein‘ mag aber diejenigen ȱ ȱȱǰȱȱȱȱȱãěȱȱ¢ȱȱȱĴȱȱ §ȱȱmen im Konzertsaal des Rundfunkhauses saßen, denn vielleicht war man für den Bruchteil einer Sekunde auf der Leinwand zu erkennen?
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ȱȱȱȱ ȱ ęȱǯȱȱȱȱ Ĵǰȱȱǰȱ ǰȱǰȱȱ§nisvoll, zuverlässig und treu. Sie hat ein gutes Verhältnis zu ihrer Tante, die sie zur Zeit der Olympischen Spiele in Berlin besucht, ȱ£ȱȱ đĴǰȱȱȱȱǯȱȱûȱȱären Hintergrund erfahren die ZuschauerInnen nicht, nichts über ihre Eltern, ihre Ausbildung und mögliche Berufstätigkeit. Inge tut nicht anderes, als auf ein Lebenszeichen von Herbert zu warten.
ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĝ£ǰȱ ȱ ȱ Disziplin und Edelmut eine Führungsposition erreicht hat. Seine Vorgesetzten bleiben im Hintergrund. Meistens wird er via Telefon mit den neuesten Tatsachen und Befehlen konfrontiert. Zwar muss er die Einberufung zur Legion Condor und die damit verbundene Ěȱ ȱȱ ȱ£ȱȱȱȱ hinnehmen, doch ist er nicht nur Befehlsempfänger, sondern verfügt auch über Befehlsgewalt. Von der muß er aber nicht Gebrauch ǰȱ ȱȱȱȱĤ§ȱȱ£ȱ£ ȱǰȱ Helmut und Inge geht. Helmut lässt seinem Vorgesetzten, den er ȱ§£ǰȱȱĴǯȱ Helmut verkörpert den jungen, ungestümen Soldaten, der mit Begeisterung dem Vaterland dient. Als mutiger und begabter Pilot ȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱĢȱȱȱ ȱ ȱ§£ȱĚǯȱȱ ȱ §ȱȱ Ĥ§Ěȱ£ȱ ǰȱȱȱȱȱǯȱȱǰȱȱȱȱȱĞȱ£ȱȱȱ ǰȱȱȱ eine Art Familienersatz. Ihre Familie verlassen müssen auch der Bäcker und der Metzger aus Inges Heimatstädtchen. Das macht ihnen aber wenig aus, wissen sie doch bei ihren Frauen alles in guten Händen. In der Tradition des braven Soldaten Schwejk sorgen sie für das komödiantische Element im Film. Als etwas tollpatschige, aber gute Seelen packen sie überall mit an, ob zuhause oder an der Front. Das Leben im Schützengraben gleicht einem großen Abenteuer, im Vordergrund ȱ Ğȱȱ ǯȱȱȱȱȱȱ ȱȱĞȱ ȱǰȱ£ ȱȱȱ£ãsische Schweine (sic!) in Berlin abzuliefern und den Gegenwert ȱǮ£ȃȱ£ȱǰȱûȱȱȱ Ğȱ aus. Viele weitere Figuren wären noch zu nennen, die in einem Erzählstrang besondere Bedeutung erlangen und das FigurenenȱĴǰȱȱ£ȱȱȱȱǰȱȱȱ sein Orgelspiel in einer Kirche in Frontnähe den im Nebel verirrten
314
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Kameraden den Weg weist. Dieser wird, während er spielt, tödlich £ǯȱȱȱȱ£ȱȱȱȱǯȱȱǮkonzert“ wird seiner gedacht und ein von ihm komponiertes Lied gespielt. So verfügt der Film £ über ein breites Spektrum an ǰȱȱȱ£ȱĞȱȱǯȱ Fraglich ist, ob das ZuschauerInnen damals ebenso empfunden haben. Denn das gesamte Ensemble weist eine solche Vielfalt an ǰȱǰȱ§ǰȱ ǰȱȱȱãĞȱȱǰȱȱȱęãȱȱ sind. Eine Funktion dieser großen Bandbreite an Figuren wird darin bestanden haben, zu signalisieren, dass es auf jeden Einzelnen in ȱ ȅĞȂȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ alle Menschen vereint und keinen ausschließt.
іђȱђџјћҿѝѓѢћєȱњђѕџђџђџȱџѧѫѕљѠѡџѫћєђȱ ѢћёȱёіђȱђџњіѠѐѕѢћєȱѣќћȱ ђћџђѠ Die Haupterzählung in £ ist die der 1936 in Berlin beginnenden Liebesgeschichte zwischen Inge und Herbert, dazwischen wird vom Einsatz der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg, ȱȱȱŘǯȱǰȱȱĞȱ£ ȱ ȱ und Inge, den in den Krieg ziehenden Männer, den zu Hause bleibenden Frauen und vielem mehr berichtet. Zu sehen sind so neben Berlin, Hamburg und Inges ungenanntem Heimatort auch Einsatzorte der Soldaten in Spanien, Polen, Frankreich oder über dem Meer. Diese Vielfalt an Orten und Personen sorgt für Spannung und Abwechslung, ermöglicht wird sie durch die Verknüpfung mehrerer Erzählstränge. Zusammengeführt werden diese zum Ende des ȱȱȱǮ£ȃȬ£ǰȱ ȱȱȱ Radiosendung zum Kulminationspunkt der Handlungen wird. Die zuvor eingeführten Personen treten entweder wie der Bäcker und der Metzger selbst im Wunschkonzert auf, oder aber sie verfolgen die Sendung an ihren Radiogeräten. Das dramaturgische Verfahren der Verknüpfung mehrerer £§§ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ §ǯȱȱȱȱȱȱ Ğȱȱ nicht auf literarische Texte begrenzt. Ausgehend von semiologischen Überlegungen zu ȱȱ (Metz 1973) zeigte sich, ȱ ȱ £§ȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ęȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ
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ûȱ ȱ £ ȱ ǮȬ¢ȱ ȃȱǻȱŗşŝśǼȱęȱȱ§¢ȱȱȱûȱ ȱȱȱęȱǻǯȱ ȱŗşşşǰȱ Ĵȱ 1999). Narrativität durch die Verknüpfung verschiedener Erzähl§ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ beschränkt oder von der zeitlichen Struktur (Dauer, Serialität) des Werkes abhängig. Gerade auch der Erfolg von Serien und speziell Soap Operas beruht darauf, dass durch den Wechsel von Erzählung zu Erzählung mehrere dramaturgische Höhepunkte aneinandergereiht werden können. Am Ende einer Folge bleibt in der Serie £ȱ ûȱ ȱ £§ȱ ěǰȱ ȱ ȱ ȱ Ȯȱ ȱ ȱȱȅģȂǯȱȱ ȱûȱȱȱ und das ‚Wechselbad der Gefühle’ erleben die ZuschauerInnen als unterhaltsam und spannend. In £ ist dieses dramaturgische Verfahren geschickt angewandt worden. Mehrere Erzählstränge zu verfolgen, ermöglichte außerdem, sich verschiedenen Genres zu nähern und Elemente des Liebes-, Musik-, Kriegs- und komödiantischen Films zu vermischen, je nach dem, wessen Geschichte gerade erzählt wird. Für David Bathrick (1999: 127) ist £ ein Beispiel dafür, Ǯ ȱȱȱȱ ¢ Ȭãȱȱcals verwendet werden, um politisch geprägten deutschen Filmen eine Geste der Leichtigkeit und der Kurzweil zu verleihen.“
ќёђџћіѡѫѡȱёѢџѐѕȱђѐѕћіјǰȱќёђȱѢћёȱђѠієћ Dass es sich bei £ um einen zeitgenössischen Film handelt, wird den ZuschauerInnen auch durch Technik, Mode und ȱ Ĵǯȱ ȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ Höhe der Zeit, sie benutzen Telefon, Fernschreiber und Radio und ȱȱĴȱ£ûȱȱ£ȱǯȱ Modernität, vor allem aber technische Überlegenheit, sollen die ȱȱ £ȱ£ȱǰȱ£ȱȱȱȱȱĞȱ£ȱ §ȱ ȱ ěȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱ ǯȱĴȱȱ ȱȱȱ nur in den Außenszenen vorgeführt, auch bei den Menschen daheim hat das Neue in Form des ‚Volksempfängers’ Einzug gehalten. Dieses preiswerte ‚Radio für alle‘ ist über 30-mal im Film zu sehen. Es ist das damals modernste Massenmedium, das die Grenzen £ ȱ[ěȱȱȱĢȱȱȱûȱ
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weite Entfernungen hinweg miteinander verbindet, wenn auch in der Realität das eingeschränkte Frequenzspektrum des ,Volks§Ȃȱȱȱ£ȱ ȱȱǮȱûȱ außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ den Empfang ‚ausländischer Feindsender‘ verhindern sollte. Modern ist das Radio auch deshalb, weil es nicht nur zur passiven Rezeption, sondern durch Sendungen wie Wunschkonzert zur aktiven Teilnahme einlädt. ȱȱǰȱ ȱȱȱȱ ęȱ ȱ§ȱȱĴȱ¢ǯȱȱŗşȬ§ȱȱ Werner ist durch £ zum modischen Vorbild junger Frauen geworden. Frisuren, Hüte und Kleider der Schauspielerin wurden von den Zuschauerinnen nachgeahmt. Das von ihr getragene Matrosen-Mützchen mit Strass-Elefanten entwickelte sich gar zu einem Modehit (vgl. Koch 2003: 247). Der Film £ setzte aber nicht ausschließlich auf neueste Technik, Architektur, Mode ȱ ǯȱ Ĵȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ £ schen Tradition und Moderne herzustellen, indem Altbewährtes, Gewachsenes, ‚Altdeutsches’ gleichberechtigt neben dem Neuen steht, übrigens ein künstlerisches Verfahren, das gleichfalls in der sowjetischen Propaganda, in Filmen wie ȱȱȱȱ von 1929 unter der Regie von Sergej Eisenstein angewandt wurde.
ѢѠіјȱѧѢџȱњќѡіќћюљіѠіђџѢћєȱёђѠȱѢяљіјѢњѠ Vom Versuch, Tradition und Moderne zu verbinden, zeugt insbesondere die Filmmusik. Dabei ist zwischen illustrativer Hintergrundmusik, die ‚passiv’ das Geschehen untermalt, und Musikstücken, die im Film ‚aktiv’ als Teil der Handlung vorgetragen werden, zu unterscheiden. Erstere wurde von Werner Bochmann komponiert. ȱ §ȱȱȱȱȱĞsik hat einen monumentalen, festlich-freudigen Charakter. Sie leitet die Eingangssequenz (vgl. Tabelle: Protokoll der Eingangssequenz) ǯȱȱ Ĵȱȱȱ ȱȱ£ ȱ ȱû£ȱ ȱDZȱȱȱĴȱ ȱȱ Helmuts nach dem Abschuß ihres Flugzeugs und im Orgelspiel des Musikers.
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ȱȱ£ȱȱ£§ȱȱȱȱǮ£ȃȬ Sequenz4 des Films vorgetragenen Stücke, die über das Radio von ȱęȱȱ ǯȱȱ ȱȱȱãǰȱȱ Soldaten im Schützengraben, den Frauen zuhause, den Flugzeugtechnikern im Fliegerhorst und eben auch von Inge und Herbert. Diese Sendung, die im Film das alles verbindende Element darstellt, ȱȱȱ§ȱ ȱȱȱȱ Ğûȱ£ǯȱ ǰȱ ȱ Ǯ£ȃȬ£ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £, bieten eine bunte Mischung unterschiedlichster MuĴǯȱȱãȱȱȱȱŗŖŗȬûȱȱ§ǰȱ £ǰȱǰȱȱȱȱȱ Ĵǰȱ Klaviersonaten, Volkslieder, populäre Unterhaltungsstücke sowie ȱ ûǯȱ ȱ ȱ Ǯ£ȃȬ£ȱ ȱ neben dem Moderator Heinz Goedecke InterpretInnen mit Stücken auf, die das Publikum zum Teil schon aus früheren Filmen kannte und die deswegen über einen hohen Wiedererkennungswert verfügten, so zum Beispiel Marika Rökk mit dem Lied ȱȱȱȱ Mai aus dem gleichnamigen Film von 1938 oder Heinz Rühmann, der ȱȱ ȱ Ĵȱȱ ȱȱȱȱȱ ȱȱȱûĴ singt, ein aus der Komödie Paradies der Junggesellen von 1939 bekanntes Lied. Die verschiedenen in der Ǯ£ȃȬ£ȱȱûȱȱȱ Haupt- und Nebenhandlungen im Film zu kommentieren: passend zu der Geschichte der beiden tölpeligen Schweinefänger zeigt sich ȱ ¢ȱ ȱ đȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ Ǯȱ ȱ£ȱȃǰȱȱȱ£ȱ Ĵȱȱȱ intoniert das Philharmonische Orchester Berlin unter der Leitung von Eugen Jochum die Ouvertüre zur Oper ȱ £. Der Film £ ist streng genommen nicht dem Genre ęȱ ££ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ǰȱ dass die ProtagonistInnen selbst singen, singend kommunizieren und singend ihrer jeweiligen Gefühlslage Ausdruck verleihen. Dennoch lebt der Film zu einem großen Teil von der Musik. Die positive Resonanz beim Publikum, das laut Sicherheitsdienst-Berichten
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Bei dieser Sequenz handelt es sich um ein Stück Film im Film: die ȱ §ȱ ȱ Ȭtȱ ȱ Ǯ£ȃȱ tretenden KünstlerInnen und das im Rundfunkhaus anwesende ȱȱ ȱ ęǯȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Film £ integriert.
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fröhlich und singend den Kinosaal verlassen hat (vgl. Leiser 1968: 139), bestätigt die Annahme der Popularisierung von Politik durch den Einsatz von Musik.
џіђєȱюљѠȱќџњюљѧѢѠѡюћёȱ Dass sich Deutschland im Krieg befand, wird im Film nicht etwa ausgeblendet, wie in vielen anderen während des Nationalsozialismus entstandenen Filmen geschehen. Nur bleiben die Schrecken des Krieges außen vor. Es gibt lediglich einen Toten, den Musiker. ȱ §ȱȱǮ£ȃȱȱ ȱȱ ǰȱ £ȱ ȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ Ĵ£ȱ ûȱ ȱ Sessel und lauscht dem von ihrem Sohn komponierten und von Wilhelm Strienz vorgetragenen Stückȱ ȱǰȱĴ. Für alle anderen männlichen Figuren ist der Krieg eher ein Abenteuer, etwas, bei dem sie sich erproben und echte KameradĞȱ ȱ ãǯȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ ȱ ȱ etwa, sondern leisten ihren Beitrag an der ‚Heimatfront’, so die Bäckers- oder Metzgersfrau oder aber die schwangere Frau des Lehrers. Inges Beitrag beschränkt sich darauf, Herbert die Treue zu halten. Ihre Liebesgeschichte in Kriegszeiten ist Teil der größeren Liebesgeschichte zwischen Volk und Führer. Das belegt die Eingangssequenz, in der sich nicht nur dokumentarisches und ęȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ [ěǰȱ Freizeit und Beruf, Sport und Politik, Individuen und Massen vermischen, das belegen weitere Schlüsselsequenzen im Film wie die Ǯ£ȃȬ£ȱȱȱȱȱȱ£ǰȱ denn der Film endet nicht mit Hochzeitsglockengeläut, sondern dem Lied Wir fahren gegen Engelland, dazu hört man den Lärm von
Ġȱȱȱ £ȱȱ ěǯȱ Trotz der Kriegsszenen bleiben die große Politik und das Weltgeschehen in £ marginal, wichtiger erscheinen deren Auswirkungen auf die ‚ganz normalen Leute’. Diese Auswirkungen sind aber nie nur negativ, sondern werden als Schicksal dargestellt, dem man sich wacker stellt und das auch zu bewältigen ist, solange man nur zusammenhält.
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юѧіѡDZȱѡџюѡђєіђћȱёђџȱќѝѢљюџіѠіђџѢћєȱ ѣќћȱќљіѡіјȱюљѠȱѕіѠѡќџіѠѐѕђѠȱ ѢћёȱюјѡѢђљљђѠȱѕѫћќњђћ ȱ Ȭęȱ £ȱ Ĵȱ ĞlerInnen bis heute eine gewisse Wirkungsmacht (vgl. Regel 1966, Leiser 1968, Courtade/Cadars 1975, Lange 1994, Bathrick 1999, Vaupel 2005), denn auch, wenn inhaltliche und formale Gestaltung ȱ ȱ ęȱ ǰȱ ȱ £ mehr als DZȱ ȱ ęȱ ȱ ȱ ȱ £ ȱȱȱęǯȱĴȱ cher dramaturgischen Verfahren Politik popularisiert und letztlich Propaganda für die NS-Ideologie betrieben worden ist, sollte die Auseinandersetzung mit fünf ausgewählten künstlerischen Verfahren beziehungsweise Strategien klären. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass diese Strategien überwiegend darauf abzielen, Gegensätze aufzulösen, Genres zu vermischen und Vielfalt, sowohl in personeller als auch in thematischer Hinsicht, zu bieten. Es gibt wenig Eindeutiges, kaum Fokusȱ ȱ £ȱ ǰȱ Ĵȱ ȱ ȱ ȱ £ȱȱĴǯȱ£ war so gesehen ein Film für ȱȅĞȂǯȱȱğȱȱȱęȱ und bot für (fast) jeden Geschmack etwas. Der Film stellt zudem eine interessante Quelle für die interdisziplinäre Geschlechterforschung dar, denn in £ sind sowohl traditionelle als ȱ ȱ ěȱ ûȱ ȱ ǯȱ Sie beide passten in die NS-Ideologie zu einem Zeitpunkt, als ȱȱȱěȱûȱȱȱȱȱ der ‚Heimatfront’ bewähren sollten. £ȱ£ȱȱȱ ȱĴȱ ĚǰȱȱĚ¡ȱ Ȭȱ Ĵȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱȱȱ ȱȱȬ[ěȱȱȱ ȱ ȱ Ȭȱ ȱ Ğȱ ȱ werden, deren Grundlage aber weiterhin Führerprinzip, völkische Idee, Rassismus und Militarismus bildete. Zwar betonte die NSȱȱ§ȱȱȱȅĞȂǰȱȱ wurde die soziale Rangfolge, die im Nationalsozialismus eine militärische war, nicht infrage gestellt: Helmut lässt seinem Vorgesetzten ȱĴǯȱȱãȱȱȱûǰȱ etwas unterbelichtete Typen, die einfache Soldaten und im zivilen Leben Bäcker oder Metzger sind. So weist £ zugleich Ĵȱȱû § ȱ£ȱǯȱ
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Ĵȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ŝŖȱ ȱ ȱ ȱ sondere, was den Einsatz künstlerischer Verfahren zur Populaȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ęǰȱ ‚Doku-Dramen’, Wahlwerbespots, Berichten über Parteitage oder die ‚Friedensmissionen’ eigener und alliierter Truppen wird ȱ ȱ ęȱ ȱ ǰȱ ȱ Technik ins Bild gerückt und Musik so eingesetzt, dass sie die ęȱ ȱ û£ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ¢ȱ ęǯȱ In der publizistischen Kontroverse über die US-Serie von Marvin Chomsky im Jahr 1978 verweist Wolfgang Würker auf die Ǯȱ ȱȱȱȱ§ȱȱ§ȱ ȱęȱȱĴȱȃȱǻŗşŞŘDZȱŘśǼǯ £ ist deswegen ein interessantes Untersuchungsobjekt, weil dieser Film beweist, dass es sich bei der Popularisierung ȱȱĴȱȱ ȱȱȱȱ§ȱǰȱ wie die in den letzten Jahren verstärkt geführten Diskussionen über Ǯȃǰȱ Ǯȃǰȱ Ǯȃȱ ȱ legen (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000, Dörner 2005, Saxer 2007), noch um ein historisches, das es so nur damals, in diesem konkreten politischem Kontext gegeben hat. Vielmehr sind die künstlerischen Verfahren, die ‚Strategien’ zur Popularisierung und Boulevardisierung von Politik zwar gelegentlich modernisiert worden, letztlich aber gleich geblieben.
іѡђџюѡѢџ Albrecht, Gerd (1969): Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziȱȱûȱȱęȱȱĴȱǯȱ ĴDZȱȱȱǯ ǰȱ ȱǻ ǯǼȱǻŗşŝşǼDZȱȱȱȱĴȱǯȱȱmentation. Karlsruhe: OHG+DOKU-Verlag. Bathrick, David (1999): Radio und Film für ein modernes Deutschland: Das NS-Wunschkonzert. In: Irmbert Schenk (Hg.): Dschungel Großstadt: Kino und Modernisierung. Marburg: Schüren, S. 112-131. Courtade, Francis/Cadars, Pierre (1975): Geschichte des Films im ĴȱǯȱûDZȱ ǯ Dörner, Andreas (2005): Politainment. Politik in der medialen ErĞǯȱDZȱǯ
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ǰȱ ȱ ǻŗşŞŞǼDZȱ ȱ ǯȱ ãĴDZȱ denhoeck & Ruprecht. Goebbels, Joseph (1943): Das eherne Herz. Reden und Aufsätze 1941/1942. München: Zentralverlag der NSdAP.
Ĵǰȱ ȱ ǻŗşşşǼDZȱ ęȱ ȱ £§ǯȱ ȱȱȱȱ ĴǯȱȱȱȱǰȱĞȱ ȱȱ ȱȱęȱŚǯȱ £DZȱ ǯ Kiener, Wilma (1999): Die Kunst des Erzählens. Narrativität in dokumentarischen und ethnographischen Filmen. Reihe Close up, Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ęȱ ŗŘǯȱ £DZȱ UVK. Koch, Hans-Jörg (2003): Das Wunschkonzert im NS-Rundfunk. Mit einem Vorwort von Hans-Ulrich Wehler. Köln/Weimar/Wien: Böhlau. Korte, Helmut (1997): Historische Wahrnehmung und Wirkung von Filmen. Ein Arbeitsmodell. In: Knut Hickethier/Eggo Müller/Rainer Rother (Hg.): Der Film in der Geschichte. Dokumenȱ ȱ Ȭǯȱ ȱ Ȭ Ğȱ Řřǰȱ Ğȱȱ ĞȱûȱȬȱȱ ĞȱŜǰȱ S. 154-166. Korte, Helmut (Hg.) (2000) : Einführung in die systematische Filmanalyse. Ein Arbeitsbuch. Mit Beispielanalysen von Peter Drexler, Hans-Peter Rodenberg und Jens Thiele. Berlin: Schmidt. Lange, Gabriele (1994): Das Kino als moralische Anstalt. Soziale ȱ ȱ ȱ ȱ Ğȱ §ȱ ȱ ęȱȱĴȱǯȱȱûȱȱ£ȱeren und neuesten Geschichte 7. Frankfurt u.a.: Lang. Leiser, Erwin (1968): Deutschland erwache! Propaganda im Film ȱĴȱǯȱȱȱ DZȱ ǯ Meyer, Thomas/Ontrup, Rüdiger/Schicha, Christian (2000) (Hg.): Die Inszenierung des politischen. Zur Theatralität von Mediendiskursen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Metz, Christian (1973): Sprache und Film (Langage et cinéma). Übers. aus dem Franz. von Micheline Theune und Arno Ros. Frankfurt: Athenäum. ȱûȱǯǯȱǻ ǯǼȱǻŗşşśǼȱDZȱǮǯǯǯȱ£ȱ letzten Atemzuge....“. Propaganda in der NS-Zeit. Texte und Materialien zur Ausstellung des Museumsverbandes Südnieȱǯǯȱ ãĴǯ Regel, Helmut (1966): Zur Topographie des NS-Films. Filmkritik 10/1, S. 5-18.
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Saxer, Ulrich (2007): Politik als Unterhaltung. Zum Wandel poȱ [ěȱ ȱ ȱ Ğǯȱ £DZȱ UVK. iħǰȱ ȱ ǻŗşŘśȦŗşŞŚǼDZȱ ȱ ȱ ȱ ǻħȱ £¢Ǽǯȱ Hrsg. und aus dem Russischen übers. von Gisela Drohla. FrankDZȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ǯ ȱ ȱ
ěȃǯȱ Thiele, Martina (2007): Publizistische Kontroversen über den Holocaust im Film. Reihe Beiträge aus dem Zentrum für Interdis£§ȱ Ğȱ ȱ §ȱ ãĴȱ ŗǰȱ Řǯȱ ûǯȱĚǯȱDZȱǯȱ Wildenhahn, Klaus (1975): Über synthetischen und dokumentaȱ ǯȱ ãȱ ǯȱ ǯȱ Ěǯȱ DZȱ Kommunales Kino. Vaupel, Angela (2005): Frauen im NS-Film. Unter besonderer Beûȱȱęǯȱ DZȱ ²ǯ Würker, Wolfgang (1982): Wenn Holocaust wiederkommt. Der ameȱęȱȱȱDZȱȱnis, das die Meinungen gespalten hat. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.11.1982, S. 25.
іђȱѢѡќџћћђћ Ȭ ¢ǰȱ¸, Dr., 1958. Professorin für Kommunikation an der Universität Toulouse-Le Mirail, ehemalige Schülerin der Ecole Normale Supérieure. Sie lehrt und forscht zu Gender und den Beziehungen zwischen Medien und Politik. §ȱ Publikationen: Le 8 mars à la Une, Sciences de la société n°70, PUM ŘŖŖŝDzȱ Ǯ·ȱ ŘŖŖŝDZȱ ȱ ȱ ȱ ȃǰȱ ȱ Ȭȱ ȱ langages du politique- n°90, ENS Editions 2009 (im Erscheinen); La démocratie mise en scènes, CNRS 2001; Radioscopie d‘une campagne, Kimé 1994; Les Informations télévisées, PUF, 1994. Kontakt: [email protected] £ǰȱ ǰ Prof. Dr., Studium der Germanistik, Philosophie und Amerikanistik in Frankfurt/Main und Berlin. Habilitation zur Konkurrenz von amerikanischen Race und Gender-Emanzipationsdiskursen (erscheint 2009). Gastprofessorin in Chicago, an der HU Berlin, in Graz, Klagenfurt und Salzburg, Fellow im Berlin Institute for Cultural Inquiry (ICI). Zur Zeit ist sie Max-Kade-Gastprofessoȱ ȱ ȱ ¢ȱ ȱ ǰȱ Ĵǯȱ : Feministische Theorie, Migration und Rassismus und Cultural- und Media Studies. Schwerpunkt Diskursanalyse und Visuelle Kultur. Aktuelle Publikationen: Weiß – Whiteness – Weissein. Kritische Studien zu Gender und Rassismus (hg. mit Tißberger et al.), Lang 2006; Gender Kontrovers (mit Hark), Helmer 2007; Geschlecht als interdependente Kategorie (mit Walgenbach et al.), Budrich 2007. Kontakt: [email protected] ãǰȱ ǰȱ ǯǰȱ ŗşŝŖǯȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱûȱ£Ȭȱȱ Ğȱȱȱ Berlin. Zuvor Studien- und Forschungsaufenthalte in Frankreich und den USA. : Emotionsforschung in der Ȭȱ ȱ Ğǰȱ Ȭȱ ȱ Rezeptionsforschung, Visuelle Kommunikation, Politainment. Pu-
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blikationenDZȱǮȂ ȱ¢ȱȂǯȱȱȱȱȱȱ ¢ȱȃǯȱDZȱ §Ȧȱǻ ǯǼǰȱȱȱ Ğǰȱ VS 2008, S. 57-82; Social Appraisal in der dynamischen Transaktion: Emotionale Aushandlungsprozesse und ihre komplexe Dynamik (mit Sommer). In: Wünsch et al. (Hg.), Integrative Modelle in der Rezeptions- und Wirkungsforschung: Dynamische und transaktionale Perspektiven, Fischer 2008, 173-196. Kontakt: [email protected] ǰȱ , 1979. Studium der Publizistik- und Kom Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱȱȱĴĴȱǮȱȱȱȃȱȱ der Universität Siegen. Interessensgebiete: Journalismusforschung, Gender und Diversity Studies, Intersektionalität, Cultural Studies, Medienkonzentrationsforschung. Kontakt: [email protected] Ĵǰȱ ǰȱ ǯǰȱ ŗşŜŜǯȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğǰȱ versität Hamburg. Ȭȱ ȱ : Visuelle Kommunikation/Fotojournalismus, Politische Kommunikation ȱ [ěǰȱ ȱ ǰȱ ȱ Methoden, u.a. Bildanalyse. Aktuelle Publikationen: Das politische ǯȱȱȱęǯȱȱȱǰȱȱ von Halem 2007; Global – lokal – digital. Fotojournalismus heute. (hg. mit Neverla/Ammann), von Halem 2008. KontaktDZȱǯĴȓȬǯȱ
ěǰȱǰȱǯȱǯǰȱŗşŜŚǯȱ£ǰȱĴȱ£ȱȱ Professur für Medientheorie an der Kunsthochschule Berlin. Sie ist Sprecherrätin der Sektion Jugendsoziologie der DGS, Mitherausȱ ȱ Ğȱ ȱ Ȭȱ ȱ ǯȱ : Medien- und Sozialisationstheorien, Medien-, Jugend- und Sozialisationsforschung. Publikationen: Mediensozialisationstheorien. Neue Modelle und Ansätze in der Diskussion (hg. mit Mikos),Wiesbaden 2007; Jungsein in einer alternden GesellĞǯȱȱȱȱȱȱ der Generationen (hg. mit Schubarth/Lohmann) Weinheim/München 2008. KontaktDZȱǯěȓ¡ǯ
Die AutorInnen
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ǰȱ , Dr. phil., 1966. Seit Oktober 2007 Verȱûȱ£Ȭȱȱ Ğȱ ȱȱ§ȱǯȱȱŗşşřȱȱŘŖŖŝȱ Ğȱbeiterin, Assistentin und Habilitationsstipendiatin an den kommu Ğȱȱȱ§ȱûȱ und Erfurt. : Kommunikationsgeschichte, Ğȱ ȱ ǰȱ tor- und Journalismusforschung, Narrativitätskonstruktion und -rezeption, Lernen mit Online-Medien. Kontakt: [email protected] ûǰȱ , Dr. phil., 1963. Seit 2009 Professorin für Journalistik am Institut für Publizistik- und KommunikationswisĞȱ ȱ ȱ ǰȱ £ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱȱȱ§ȱǯȱȱȱ Ğȱ Arbeit als Journalistin und in der politischen Kommunikation tätig. : Journalismusforschung, kommuni Ğȱ ǰȱ ȱ Medienforschung. § Publikationen: Zwischen Boulevard und Polit-Talk: Doing Gender im politischen Journalismus. In: ȱ ǰȱ Ğȱ ûȱ ȱ ȬĞǯȱ Jg. 15, 2/2006, S. 33-46; Journalismus als kultureller Prozess. Zur ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğǰȱ ȱ ŘŖŖśDzȱ
ȱ ȱ ȱ Ğȱ Ȭȱ ȱ ûȱ ȱ Ğǯȱ §ȱȱ§ȱȱ Kommunikationsforschung. Medien Journal 3/2004, S. 34-47. Kontakt: [email protected] ǰȱ ǰȱ ǯȱ ǯǰȱ ŗşŝŘǯȱ Ğȱ ȱ ȱ Ȭȱ Ǯ£ȱ ȱ ȱ ȱ ȃȱ ȱ der Universität Siegen. : Geschlechterforschung, Cultural Studies, Kultur- und Medientheorien (Film, TV, Print), Diskursanalyse, Queer Theorie. Publikationen: Gender und ǯȱ ȱ ȱ ȱ Ğǯȱ Bielefeld 2007; Wahrheit, Wissen, Wirklichkeit: Popularisierungs£ȱȱĞ£ǰȱDZȱȱȱǯȱǻ ǯǼǰȱȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Ğǯȱ £ȱ ŘŖŖŞǰȱȱ S. 128-140. KontaktDZȱȓ ĞǯȬǯ
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ûǰȱ ȱǰȱǯǯǰȱŗşŝŞǯȱĞȱȱȱȬȱǮ£ȱȱȱȱǯȃȱ ȱ £ȱ £ȱ ȱ ȱ £Ğȱ Ĵǯȱ : Gender Studies, Frauenzeitschriftenforschung, Rezeptionsforschung, Cultural Studies, Grounded ¢ȱ ȱ ȱ ęȱ ǯȱ Publikationen: Das ȱȱ§ǯȱ£Ğ£ȱ£ ȱ Gebrauch und Genuss. In: Röser et al. (Hg.): Alltag in den Medien ȮȱȱȱǰȱȱŘŖŖ9ȱǻȱǼDzȱ£Ğȱ ȱȱȱȱǯȱȱ£ȱȱĴȱȱ ¡ȱ ȱǰȱęȱȱȱ ǰȱŘŖŖşȱǻȱǼǯȱ Kontakt: [email protected] ǰȱ , Dipl.-Päd., 1972. Doktorandin an der Freien §ȱȱǻ ĞǼȱȱĞȱȱȱ Gender Studies an der Humboldt Universität sowie an der AliceSalomon-Hochschule in Berlin. : Geschlecht ȱȱȬȱȱ Ěǰȱȱȱloniale Theorien, Medien- und Diskursanalyse sowie Nationalsozialismus und Geschlecht. PublikationenDZȱǮȱȱȱȱûȱ Nazis wissen wollten…“: Nationalsozialismus und Geschlecht im £ãȱęȱǻȱǼǯȱDZȱȦ ȱ (Hg.), Nationalsozialismus und Geschlecht: Zur Politisierung und ȱ ȱ ãǰȱ Ǯȃȱ ȱ ¡§ȱ ȱ ǮĴȱ Reich“ und nach 1945, Bielefeld 2008; Vom multikulturellen Soziȱ£ȱȱęȱȮȱȱ£ ȱ ȱ ȱǮ ȱȱȱȃȱǻȱ £Ǽǯȱûȱ ȱȱȱĞȱŗśȦŘŖŖŞǯȱ Kontakt: [email protected] ǰȱ ãȬ ǰȱǯǰȱŗşŜśǯȱĞȱȱȱȱ §ȱȬȱȱȱǮȱȃDzȱ aktuelle Projekte zu den Bereichen: Politische Kommunikation und Regierungstätigkeit, Extremismusforschung sowie Populärkultur. : Analysen von politischer Kommunikation und Regierungstätigkeit, Politikfeldanalysen, Extremismusforschung, Populärkultur- und Jugendkulturanalysen. Publikationen: Neue Kritik der Medienkritik. (hg. mit Hallenberger) Halem 2005; Regieren und Kommunikation (hg. mit Kamps) Halem 2006. Kontakt: [email protected]
Die AutorInnen
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ǰȱǰȱǯǯǰȱŗşŝśǯȱĞȱȱȱ Ȭ ȱ Ǯȱ £ȱ ȱ ǯȱ ȱ §licher Aneignungsprozesse 1997-2007“ an der Leuphana Universität Lüneburg. Dissertationsprojekt über mobile Medienkulturen in Japan. Forschungsstipendium der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) an der University of Tokyo 2006. Arbeitsgebiete: Neue Medien und Kommunikationstechnologien im Alltag, Cultural Media und Gender Studies, Rezeptionsforschung, Fernsehen ȱ ȱ ȱ Ğȱ ǯȱ Aktuelle Publikation: Japanische Kawaii-Kultur und das Keitai – Zur Integration mobiler Kommunikationstechnologien in weibliche Lebenswelten. In: Röser et al. (Hg.): Alltag in den Medien - Medien im Alltag. Wiesbaden: VS (im Druck.). Kontakt: [email protected] ãǰȱ Ĵ, Dr., 1959. Professorin für KommunikationswissenĞȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ Ğȱȱȱȱȱȱ§ȱûǯȱ : Publikums- und Rezeptionsforschung, Cultural Media Studies und Gender Studies, (Digitale) Medien und Kommunikationstechnologien in Alltagskontexten, Populäre Medien, Mediengewalt. Publikationen: MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien (Hg.), VS 2007; Frauen und DZȱ ȱ Ğ£ȱ ȱ £Ȭȱ ȱ Ğȱ ǻȱ ȦǼǰȱ £ȱ Ğȱ śȦŘŖŖŜǰȱ ǯȱ řśŚȬřŜşDzȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱ ȱ ǰȱ ȱ Ğȱ Śşǰȱ śȦŘŖŖśǰȱ S. 86-96. Kontakt: [email protected] ¢ǰȱǰȱǯǰȱŗşŝŞǯȱĞȱȱȱ ȱ ûȱ Ğȱ ȱ ǰȱ ûǯȱ ŘŖŖŚȬŘŖŖŝȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ £§ȱ Ğǰȱ ãĴǯȱ : Journalismus und Public Relations, politische Kommunikation und Massenmedien, Nachrichtenforschung sowie Lokalmedien. . Publikationen: Wie unabhängig ist Journalismus? Zur Konkretisierung der Determinationsthese, UVK 2007; Wahlkampf ȱ ǯȱ ȱ ȱ Ĵȱ ûȱ ȱ û ȱȱ ãĴǰȱȱřȦŘŖŖŝǰȱǯȱřȬşǯȱ KontaktDZȱ¢ȓĤ ǯǯǯ
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ǰȱǰȱǯǰȱŗşśŞǯȱ£ ĞDzȱȱzeit als freie Forscherin, hat Kommunikation, Journalismus und feministische Medienforschung an denen Universitäten in Helsinki und Turku in Finnland gelehrt. Forschungsschwerpunkte: Gender und audiovisuelle Medien in Finnland. KontaktDZȱǯȓǯę £ǰȱ ǰȱ ǯȱ ǯǰȱ ŗşŞŘǯȱ £ Ğǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ Ğforschung der Universität Wien. : Medien- und Kultursoziologie, Geschlechterforschung, Wissenssoziologie und Ğȱ PublikationenDZȱ ȱ Ĵȱ ȱ Ƿȱ ȱ Legitimation von Lust, Macht und Gewalt in der SM-Szene (mit Röthlin/Plaschg). SWS-Rundschau 3/2008; Zuhause zwischen populärem Fernsehen und Popmusik. Casting Shows im Spannungsȱ ȱ ȱ ȱ ȱ £ęȱ Aneignung. In: Brunner et al. (Hg.): pop: modulationen. Beiträge junger Forschung, StudienVerlag 2008. Kontakt: [email protected] ǰȱǰȱǯǰȱŗşŝŝǯȱȱěȱȱǻ ¢ȱ ǰȱǼȱȱȱ ȱĴǯȱȬ DZȱ ȱ ǰȱ ěǰȱ politische PR. Kontakt: [email protected] ǰȱ , Dr., 1967. Studium der Slavischen Philologie, £Ȭȱ ȱ Ğȱ ȱ Ğȱȱȱ ȬȬ§ȱ ãĴǯȱȱ £ȱ ȱ Ǯ£ȱ ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȃǯȱ Ğȱ ȱ ȱ Ȭȱ Ǯsozialisation bei Informationsmedien“, Institut für Journalistik, §ȱ ǯȱ Чȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ und Krems. Vertretung der C4-Professur für Allgemeine PublizisȬȱȱ Ğȱȱȱ ȬȬ§ȱ ãĴǯȱ ȱ ŘŖŖřȱ §Ȭȱ ȱ ȱ Ğȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ Salzburg. ȱȱȱȱDZ Mediensysteme im internationalen Vergleich, Kommunikationsgeschichte und -theorien, Stereotypenforschung. Kontakt: [email protected]
ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften
Michael C. Frank, Bettina Gockel, Thomas Hauschild, Dorothee Kimmich, Kirsten Mahlke (Hg.)
Räume Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2008 Dezember 2008, 160 Seiten, kart., 8,50 , ISBN 978-3-89942-960-2 ISSN 9783-9331
ZFK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent: Neben innovativen und qualitativ hochwertigen Ansätzen besonders jüngerer Forscher und Forscherinnen steht eine Masse oberflächlicher Antragsprosa und zeitgeistiger Wissensproduktion – zugleich ist das Werk einer ganzen Generation interdisziplinärer Pioniere noch wenig erschlossen. In dieser Situation soll die Zeitschrift für Kulturwissenschaften eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über Kultur und die Kulturwissenschaften bieten. Die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur, historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus kann so mit klugen interdisziplinären Forschungsansätzen fruchtbar über die Rolle von Geschichte und Gedächtnis, von Erneuerung und Verstetigung, von Selbststeuerung und ökonomischer Umwälzung im Bereich der Kulturproduktion und der naturwissenschaftlichen Produktion von Wissen diskutiert werden. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften lässt gerade auch jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die aktuelle fächerübergreifende Ansätze entwickeln.
Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen die Ausgaben Fremde Dinge (1/2007), Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft (2/2007), Kreativität. Eine Rückrufaktion (1/2008) und Räume (2/2008) vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected] www.transcript-verlag.de
2008-05-27 12-26-20 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02a8179786122216|(S.
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) T00_02 seite 2 - 746.p 179786122240