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German Pages 314 Year 2014
Stefanie Orphal Poesiefilm
WeltLiteraturen World Literatures Band 5 Schriftenreihe der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien
Herausgegeben von Irmela Hijiya-Kirschnereit, Stefan Keppler-Tasaki und Joachim Küpper Wissenschaftlicher Beirat Nicholas Boyle (University of Cambridge), Elisabeth Bronfen (Universität Zürich), Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford University), Renate Lachmann (Universität Konstanz), Kenichi Mishima (Osaka University), Glenn W. Most (Scuola Normale Superiore Pisa/ University of Chicago), Jean-Marie Schaeffer (EHESS Paris), Janet A. Walker (Rutgers University), David Wellbery (University of Chicago), Christopher Young (University of Cambridge)
Stefanie Orphal
Poesiefilm Lyrik im audiovisuellen Medium
Dissertationsschrift, Freie Universität Berlin, 2012. Die Entstehung dieser Arbeit wurde gefördert durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien an der Freien Universität Berlin.
ISBN 978-3-11-035162-0 eISBN (PDF) 978-3-11-035167-5 eISBN (EPUB) 978-3-11-038759-9 ISSN 2198-9370 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: unter Verwendung von Typus orbis terrarum (Weltkarte des Abraham Ortelius). Kupferstich, koloriert, 1571. akg-images. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt
Dank ................................................................................................................................. 4 Einleitung ......................................................................................................................... 5 1
Was sind Poesiefilme? ............................................................................................. 18 1.1 Lyriktheoretische Vorüberlegungen ............................................................... 18 1.2 Videopoetry, Poesiefilm und Gedichtfilm – Ein begrifflicher Klärungsversuch .................................................................. 29 1.3 Der poetische Film .......................................................................................... 41 1.4 Poesiefilm und Literaturverfilmung ................................................................ 56 1.4.1 Abgrenzung und Vergleich .................................................................. 56 1.4.2 Wim Wenders’ Rilke: DER HIMMEL ÜBER BERLIN .............................. 65
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Kleine Geschichte des Poesiefilmes ........................................................................ 72 2.1 Poesie und Avantgardefilm als moderne Konstellation – Lyrik im Stummfilm........................................................................................ 72 2.1.1 Lyrik und Film als Paradigmen der Moderne....................................... 72 2.1.2 MANHATTA........................................................................................... 84 2.1.3 L’INVITATION AU VOYAGE ................................................................... 88 2.1.4 L’ÉTOILE DE MER .................................................................................. 91 2.2 Poesiefilm als Medienkunst – die fünfziger bis siebziger Jahre...................................................................... 96 2.2.1 Nachkriegsavantgarde .......................................................................... 96 2.2.2 Lettrismus ............................................................................................. 98 2.2.3 Wiener Gruppe ................................................................................... 102 2.2.4 Video .................................................................................................. 104 2.2.5 Heinz Emigholz .................................................................................. 111 2.3 Spoken Word – Poetryslam und Poetryclip .................................................. 115 2.3.1 Vom Beat zum Poetryslam ................................................................. 115 2.3.2 Poetryslam in Deutschland ................................................................. 124 2.3.3 Dubpoetry-Clips ................................................................................. 127
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Inhalt
2.4 Lyrik im Kontext audiovisueller Massenmedien – Poesiefilm heute............ 130 2.4.1 Fernsehen ........................................................................................... 130 2.4.2 Poesiefilm im Internetzeitalter ........................................................... 134 2.4.3 Festivals .............................................................................................. 143 2.4.4 POEM in Kino und Schule................................................................... 146 3
Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität ........................................... 149 3.1 Gesprochene Lyrik im Gedichtfilm............................................................... 149 3.1.1 Stimme und Sprechkünste im audiovisuellen Medium ...................... 149 Parameter der Sprechkunst ............................................................. 149 Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“ .......................... 154 Die Medialität der Stimme ............................................................. 165 Die Zweiseitigkeit der Stimme: Barbara Köhlers NiemandsFrau................................................................................ 169 3.1.2 Ton und Bild im Gedichtfilm ............................................................. 174 3.1.3 Stimme aus dem Diesseits – Ernst Jandl: „glauben und gestehen“ .... 187 3.2 Schriftbasierte Gedichtfilme ......................................................................... 192 3.2.1 Typographie im audiovisuellen Medium............................................ 192 Typographische Dispositive ........................................................... 197 Typen der Schriftintegration .......................................................... 199 Bewegung und Zeitlichkeit ............................................................ 203 3.1.2 Schrift im Bild – Sylvia Plath: „Mirror“ und Kathrin Schmidt: „Jeder Text ist ein Wortbruch“ ........................................................... 205 3.2.3 Visuelle Poesie mit beweglichen Lettern – Gerhard Rühm: Drei kinematographische Texte.......................................................... 215 3.3 Rhythmus und Metrum im Gedichtfilm ........................................................ 218 3.3.1 Rhythmische Bewegung ..................................................................... 218 3.3.2 Rhythmus und Metrum ....................................................................... 222 3.3.3 Rhythmus in Film und Video ............................................................. 225 3.3.4 Peter Reading: 15TH FEBRUARY .......................................................... 229 3.3.5 Novalis: „Walzer“ .............................................................................. 235
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Text-Bild-Beziehungen im Gedichtfilm ................................................................ 238 4.1 Gedichtfilm als Wort-Bild-Form................................................................... 238 4.2 Filmische Bildlichkeit und sprachliche Bildhaftigkeit – zur Problematik der doppelten Relation........................................................ 250 4.3 Zwei Verfilmungen von Rainer Maria Rilkes „Das Karussell“ .................... 258 4.3.1 Rilkes Neue Gedichte ......................................................................... 259 4.3.2 Sylvia Steinhäusers emblematische Kulturkritik................................ 264 4.3.3 Barbara Dobrovitz’ Karussell-Animation als Lebensmetapher.......... 266
Schluss ......................................................................................................................... 268
Inhalt
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Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 275 Primärliteratur ........................................................................................................ 275 Forschungsliteratur ................................................................................................ 277 Film- und Videoverzeichnis ......................................................................................... 297 Abbildungen ................................................................................................................. 301
Dank
Die vorliegende Studie ist im Rahmen einer Promotion an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien der Freien Universität Berlin entstanden. Den Verantwortlichen und allen Beteiligten möchte ich hiermit für die finanzielle und organisatorische Unterstützung meiner Forschung sowie für den produktiven wissenschaftlichen Austausch danken, der durch das Programm ermöglicht wurde. In erster Linie möchte ich Prof. Dr. Stefan Keppler-Tasaki danken, der die Dissertation mit großem Engagement betreut hat und dessen literaturgeschichtlich fundierter Blick auf die Konstellation Lyrik/Film diese Studie in hohem Maße bereichert hat. Ein herzlicher Dank richtet sich darüber hinaus an Prof. Dr. Elisabeth Paefgen, die die Arbeit mit entscheidenden Anregungen vorangebracht und immer wieder motivierend unterstützt hat. Für ihr Interesse am Thema Poesiefilm, ihre Unterstützung bei der Schärfung zentraler Forschungsfragen und ihre wertvollen Hinweise bei der Formulierung konkreter Thesen möchte ich außerdem Prof. Dr. Irina O. Rajewsky danken. Der LiteraturWERKstatt Berlin verdanke ich den kontinuierlichen Zugang zu den Archiven des ZEBRA Poetry Film Festivals, eine wichtige Materialbasis, ohne die diese Arbeit nicht denkbar gewesen wäre. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem dem Programmdirektor des Festivals, Thomas Zandegiacomo Del Bel, meinen Dank aussprechen. Er hat dieses Forschungsvorhaben mit seiner unschätzbaren Kenntnis der Poesiefilmszene und mit großer Hilfsbereitschaft unterstützt. Ein besonderer Dank gilt schließlich meinem Mentor Prof. Dr. Reinhart MeyerKalkus, der das Vorhaben von der ersten Idee an mit inspirierenden Gesprächen, treffsicheren Nachfragen und wohlmeinender Kritik begleitet hat.
Einleitung
Das Potential des Randes „Ils veulent enfin, un jour, machiner la poésie comme on a machiné le monde. Ils veulent être les premiers à fournir un lyrisme tout neuf à ces nouveaux moyens de l’expression qui ajoutent à l’art le mouvement et qui sont le phonographe et le cinéma.“1 So formulierte der französische Poet Guillaume Apollinaire in seinem 1917 erschienenen Manifest „L’Esprit nouveau et les poètes“. Trotz dieser frühen, emphatisch vorgebrachten Vision eines Zusammenschlusses von Lyrik mit audiovisueller Medialität, ist die tatsächliche Verknüpfung von Gedicht und Film lange Zeit ein Randphänomen geblieben: „Und woran liegt es eigentlich“, so fragt etwa die Literaturwissenschaftlerin Anne Bohnenkamp in ihrem Vorwort zu dem 2005 erschienenen Reclambändchen Literaturverfilmungen, „dass die dritte große literarische Gattung, die Lyrik, in der Verfilmung seit jeher lediglich eine marginale Rolle spielt […]?“2 Es gibt mehrere Antworten auf diese Frage. Poesiefilme stellen eine Kombination aus Gedicht und Kurzfilm dar und bestehen damit aus Formaten, die heute ohnehin nur selten ein großes Publikum erreichen. Ihr Ursprung liegt im Avantgardefilm, in der OffKultur und in der experimentellen Literatur. Abgesehen von dem eher kleinen Publikum, das diese Strömungen traditionell anziehen, wurde die Rezeption von Poesiefilmen zusätzlich dadurch erschwert, dass sie – wie die meisten filmischen Kurzformen – nur schwer zugänglich sind.
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Guillaume Apollinaire: Œuvres complètes de Guillaume Apollinaire, hg. von Michel Décaudin, Paris 1965–1966 (3), 910. „Sie wollen schließlich eines Tages die Dichtung technisieren wie man die Welt technisiert hat. Sie wollen die ersten sein, die jenen neuen Ausdrucksmitteln, dem Grammophon und dem Film, die der Kunst die Bewegung hinzufügen, einen völlig neuen lyrischen Gehalt liefern.“ (Guillaume Apollinaire: „Der neue Geist und die Dichter“, in: Beda Allemann (Hg.): Ars poetica. Texte von Dichtern des 20. Jahrhunderts zur Poetik, Darmstadt 1971, 76–87. Hier: 87). Anne Bohnenkamp: „Vorwort“, in: Anne Bohnenkamp/Tilman Lang (Hg.): Literaturverfilmungen, Stuttgart 2005, 9–38. Hier: 29.
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Einleitung
Ein weiterer Grund, der vor allem die mangelnde Wahrnehmung des Phänomens erklärt, ist die Hybridität des Genres selbst. Weder die Literaturwissenschaft noch die Filmwissenschaft oder die Medienwissenschaft scheint sich bisher für das Thema verantwortlich zu fühlen und die bedeutendste genuin transmediale Forschungsrichtung, die Narratologie, konzentriert sich gerade auf den Aspekt, der bei der Verfilmung von Lyrik nur von untergeordneter Bedeutung ist. Poesiefilme – das heißt audiovisuelle Werke, die auf einem Gedicht basieren, oder auch: Gedichtfilme, wie ich den spezifischen Fall nennen möchte, wo sprachlich verfasste Lyrik ins audiovisuelle Medium integriert wird – sind in der Tat eine Randerscheinung der Film- und Videoproduktion.1 Diese Randerscheinung beschäftigt Künstlerinnen und Künstler aus dem Experimentalfilmbereich oder der Undergroundkultur und zieht Regisseure an, die sich noch am Anfang ihrer Karriere befinden, wie beispielsweise den Regisseur Gus van Saint, der 1997 den Gedichtfilm BALLAD OF THE SKELETONS mit Allen Ginsberg drehte.2 Von den Rändern aus gesehen liegen Kontakte und Überschneidungen mit den anderen Künsten also offenbar näher. Obwohl der Poesiefilm seinem eigenen Selbstverständnis nach ein junges Genre ist, handelt es sich dabei nicht um ein gänzlich neues Phänomen. Seine Wurzeln reichen bis in die Anfänge der Filmgeschichte zurück. Allerdings führt erst die Einführung der Videotechnik in den achtziger Jahren zum Durchbruch des Poesiefilmes, der nun seine eigenen Genreregeln und ein Distributionssystem auszubilden beginnt. Seit 2002 gibt es mit dem ZEBRA Poetry Film Festival eine der wichtigsten Plattformen der internationalen Poesiefilmszene. Seitdem ist eine große Anzahl deutschsprachiger Poesiefilme entstanden, die eine reichhaltige Materialbasis für die Forschung bereitstellen. Nicht, dass sich der Poesiefilm aus seiner marginalen Position vollkommen befreien würde, jedoch gibt es Anzeichen dafür, dass die Poesiefilmbewegung weit mehr als nur eine vorübergehende Mode ist. Im Gegenteil, die durch die digitalen Medien ermöglichte Vernetzung ist der Entwicklung des Genres günstig, und auch im Bereich des Langfilmes sind interessante Entwicklungen zu verzeichnen. So erschien im Jahr 2010 der Film HOWL, der auf dem gleichnamigen Langgedicht von Allen Ginsberg beruht. Nachinszenierte Interviews mit dem Beat-Dichter und fiktionale Rückblenden liefern den lebensweltlichen und künstlerischen Entstehungskontext des skandalumwitterten Textes. Ein paralleler Handlungsstrang zeigt die Gerichtsverhandlung um die Zensur von HOWL. Im Zentrum des Filmes steht jedoch die Performance des Textes, der in voller Länge, sowohl als Inszenierung einer historischen Lesung als auch in Form eines Voice-Overs präsentiert wird. Der Film schildert die Bedeutung von Lyrik für die BeatGeneration und referiert damit gleichzeitig auf eine der wichtigsten Traditionslinien des
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Lat. margo, marginis, dt. „Rand“. BALLAD OF THE SKELETONS, mit Allen Ginsberg, Regie: Gus van Saint, D 1997. Exemplarisch für die Kurzfilmszene des Prenzlauer Bergs: NOVEMBER, NOVEMBER, Super-8, Regie: Gino Hahnemann, DDR 1986.
Einleitung
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Poesiefilmes. Schließlich liegt in der Performance-Ästhetik der Beatniks, die sich später in der Spoken-Word-Bewegung fortsetzen sollte, eine entscheidende Motivation für die Entgrenzung der Literatur ins audiovisuelle Medium. Ein anders gelagertes Interesse des Filmes an Lyrik ist dem Film des argentinischen Regisseurs Edgardo Cozarinsky zu entnehmen, der auf der Viennale 2011 seine Premiere feierte: „The poetry of Baudelaire, Hölderlin, Novalis, Gottfried Benn, Kavafis, Robert Frost and others is woven into the soundtrack with the music of Ulises Conti to create a verbal and musical score which is an essential element of the film […].“1 In NOCTURNOS verbindet sich die Einbindung von Lyrik und Musik, mit einer Mischung aus Gedachtem und Realem und einer Auflockerung der Handlung, die ihre Ursache im ziellosen, nächtlichen Umherstreifen des Protagonisten hat. Es war Cozarinskys Überdruss an den naturalistischen Dialogen des herkömmlichen Spielfilmes, der ihn auf den inneren Monolog und die Lyrik brachte.2 Eine marginale Position hat Lyrik auch innerhalb der Forschung zu literarischer Intermedialität und zur Literaturverfilmung inne. Mit der Verfilmung von Gedichten wendet sich die vorliegende Studie also erstmals einem Kapitel in der Geschichte der Literatur-Film-Beziehung zu, das bisher vernachlässigt worden ist. Natürlich gibt es einige Ausnahmen, die im Folgenden aufgeführt werden sollen. Der US-amerikanische Kunstwissenschaftler Scott MacDonald ist einer der bedeutendsten Experten im Bereich Independent Cinema und Experimentalfilm. In seinem 2007 erschienenen Aufsatz „Poetry and Avant-Garde Film. Three recent contributions“ geht er ausführlich auf die poetischen Filmkonzepte der US-amerikanischen Avantgardeszene der vierziger und fünfziger Jahre ein und diskutiert deren Funktion für die Durchsetzung des Filmes als einem avancierten Kunstmedium. Er untersucht drei zeitgenössische Beispiele für die Arbeit mit Lyrik im audiovisuellen Medium, die er als Editionen des Gedichtes kennzeichnet, da die Filme den Gedichttext als ihr Hauptanliegen in den Vordergrund stellen.3 Diesem Vorschlag soll hier nicht gefolgt werden. Dennoch ist MacDonalds 1
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68th Venice International Film Festival: „Nocturnos. Synopsis“, online unter: http://www.labiennale.org/en/cinema/archive/68th-festival/lineup/off-sel/orizzonti/nocturnos.html. Cozarinsky, der auch Romanautor ist, ist besonders für seine innovative Verfilmung der Kriegstagebücher Ernst Jüngers bekannt: LA GUERRE D’UN SEUL HOMME (Der Krieg eines Einzelnen, 1982). Siehe Bert Rebhandl/Edgardo Cozarinsky: „Die Nacht singt ihre Lieder. Ein Gespräch mit dem argentinischen Filmemacher und Schriftsteller Edgardo Cozarinski“, in: cargo, 2011, 22–34. Hier: 23. „First, each makes available to an audience a previously published poem or set of poems in a new, cinematic form, and second, each makes the presentation of the poems, which are included in their entirety, the foreground of the film experience. That is, these films do not adapt the poems (revising them for use in a new context), they deliver the original words in their original senses, as precisely as possible, to new audiences through a different medium. They are, in other words, closer to new editions than to adaptations.“ (Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film: Three Recent Contributions“, in: Poetics Today, 28. Jg., H. 1, 2007, 1–41. Hier: 14).
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Einleitung
Aufsatz von unschätzbarem Wert, da er zu den wenigen Publikationen gehört, die den programmatischen Diskurs vom Film als Poesie mit konkreten Realisierungen von Gedichten im audiovisuellen Medium in Verbindung bringt und damit die historische und systematische Perspektive auf das Thema miteinander verknüpft. Bereits 2007 hat auch Juliane Moschell ihre Magisterarbeit Lyrik – Verfilmt. Studien 1 zu filmischen Adaptionen deutschsprachiger Lyrik vorgelegt. Sie leistet dabei in erster Linie eine grundlegende Erforschung der deutschsprachigen Poesiefilmszene und trägt wesentliche Informationen zur Gründung des ZEBRA-Festivals und zum Kinofilm POEM (2003) zusammen. Anhand von Beispielanalysen entwirft sie darüber hinaus eine Typologie von Poesiefilm-Verfahren, die sich allerdings vorrangig auf die Beziehungen zwischen Text und Bildbedeutung konzentriert. 2012 ist unter dem Titel Verfilmung von Lyrik eine weitere Magisterarbeit zum Thema erschienen. Simin Nina Littschwager liefert darin einen sehr brauchbaren Überblick über den Gegenstandsbereich und formuliert zielsicher die aus literaturwissenschaftlicher Perspektive wesentlichen Fragstellungen. Sie identifiziert thematische Schwerpunkte, wie etwa das Verhältnis von lyrischer und filmischer Bildlichkeit und benennt die prominentesten Vertreter des poetischen Avantgardefilmes. Allerdings bleibt ihre Argumentation zu sehr in der Abarbeitung lyrischer Gattungsspezifika befangen. Dadurch entsteht eine Perspektive, die von der Literatur auf den Film hin angelegt ist und die Frage übergeht, warum der Film oder das Video sich ihrerseits der Dichtung zuwenden. Die Ausführungen zur eigentlichen Realisierung im audiovisuellen Medium bleiben, sicherlich auch aufgrund des begrenzten Umfangs, knapp. Spezifika des Audiovisuellen werden in Littschwagers Arbeit kaum verhandelt und auch die wichtige Ebene des Rhythmus’ findet nur beiläufig Erwähnung. Außerdem krankt die Studie an einer in Bezug auf die audiovisuellen Medien leider recht verbreiteten „Tonvergessenheit“. Ist dies schon beim Spielfilm eine problematische Vereinseitigung auf die visuelle Ebene, so führt dies im Falle des Poesiefilmes zur beinahe vollständigen Ausblendung so wichtiger lyrischer Aspekte wie Klanglichkeit und Versrhythmus.2 Während die Forschung im Bereich der Verfilmung von Lyrik kaum mehr als verstreute Ansätze bietet, ist die andere Richtung der Bezugnahme in der Forschung etwas
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Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu filmischen Adaptionen deutschsprachiger Lyrik, Magisterarbeit Univ. Marburg 2007. Siehe Simin Nina Littschwager: Verfilmung von Lyrik. Mit Beispielanalysen aus dem Film „Poem“, Magisterarbeit Univ. Marburg 2010. Neben den hier erwähnten Arbeiten existieren vereinzelte Studien, die sich besonders auf das didaktische Potential des Poesiefilmes konzentrieren. Siehe Ingo Kammerer: „Einsamkeit zu zweit. Von der eigentümlichen Paarbeziehung verfilmter Lyrik“, in: Michael Gans/Roland Jost/Ingo Kammerer (Hg.): Mediale Sichtweisen auf Literatur, Baltmannsweiler 2008, 59–70; und Axel Krommer: „Lyrik und Film. Filmtheoretische, literaturwissenschaftliche und mediendidaktische Anmerkungen zur wechselseitigen Erhellung der Künste“, in: Gudrun Marci-Boehnke/Matthias Rath (Hg.): BildTextZeichen lesen. Intermedialität im didaktischen Diskurs, München 2006, 81–92.
Einleitung
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besser aufgestellt: Die Einflussnahme des Filmes auf die Lyrik ist in den letzten Jahren verstärkt erforscht worden. So zeigt Susan McCabe in ihrer umfassenden Studie Cinematic Modernism die Affinitäten zwischen modernistischer Lyrik und filmischer Avantgarde auf. Im Zentrum ihrer Argumentation steht die Beziehung zwischen Film und fragmentierter Körperlichkeit, ein Verhältnis das McCabe als „drama of dismemberment and reintegration“1 beschreibt. In der germanistischen Forschung existieren vereinzelte Studien zur Beziehung von Lyrik und Film, es fehlt aber weiterhin an Mikrostudien zu einzelnen Autorinnen und Autoren.2 Diesem Forschungsdesiderat wird jedoch in den letzten Jahren verstärkt entgegengearbeitet, wie sich in den Buch- und Aufsatzpublikationen von Sandra Richter, Jan Röhnert, Andreas Kramer, Stefan Keppler-Tasaki und Elisabeth Paefgen zeigt.3 Jan Röhnerts Studie Springende Gedanken und flackernde Bilder aus dem Jahr 2007 4 zählt bisher zu den umfassendsten Untersuchungen auf diesem Gebiet. Röhnert arbeitet wichtige formal-ästhetische Schnittpunkte zwischen Film und Lyrik heraus und diskutiert eingehend die historische Konstellation, die den Film als Ausdrucksmittel moderner Welterfahrung für die moderne Lyrik anziehend macht. Da die literaturzentrierte Intermedialitätsforschung von Röhnert und anderen vornehmlich die Bezugnahmen der Lyrik auf das Kino untersucht, sind die Einsichten, welche sich an ihnen für die Untersuchung von Gedichtfilmen gewinnen lassen, zwar gewichtig – aber begrenzt. Dafür gibt es mehrere Gründe, die im Folgenden angeführt und in ihren Konsequenzen für die methodische Vorgehensweise dieser Untersuchung dargestellt werden sollen. 1 2
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Susan McCabe: Cinematic Modernism. Modernist Poetry and Film, Cambridge 2005, 13. Siehe u. a. Silvio Vietta: „Expressionistische Literatur und Film. Einige Thesen zum wechselseitigen Einfluß ihrer Darstellung und ihrer Wirkung“, in: Mannheimer Berichte, 19. Jg., 1975, 294–299; Joachim Paech: Film und Literatur, Stuttgart 1997; Harro Segeberg: „Literarische Kinoästhetik. Ansichten der Kinodebatte“, in: Harro Segeberg/Corinna Müller (Hg.): Die Modellierung des Kinofilms. Zur Geschichte des Kinoprogramms zwischen Kurzfilm und Langfilm 1905/06–1918, München 1998, 193–220; Joachim Paech: „Die Töne und Bilder. Brinkmanns Zorn (Harald Bergmann 2005)“, in: Eugen Spedicato (Hg.): Literaturverfilmung. Perspektiven und Analysen, Würzburg 2008, 183–195. Die Einschätzung Sandra Richters, dass die „Forschung über das Verhältnis von Lyrik und Stummfilm […] ausgesprochen reich“ sei, kann ich allerdings nicht teilen (Sandra Richter: „Lyrik im Ausgang der Stummfilmzeit. Claire Golls ‚Lyrische Films’“, in: Wolf Gerhard Schmidt/Thorsten Valk (Hg.): Literatur intermedial. Paradigmenbildung zwischen 1918 und 1968, Berlin 2009, 67–86). Siehe u. a. ebd.; Andreas Kramer/Jan Röhnert: „Unter dem Projektor dichten“, in: Andreas Kramer/Jan Volker Röhnert (Hg.): Die endlose Ausdehnung von Zelluloid. 100 Jahre Film und Kino im Gedicht, Dresden 2009, 182–191; Stefan Keppler-Tasaki, „immer steht er in der Bilder Flut‘. Filmzugänge Gottfried Benns“, in: Euphorion, 105. Jg., 2011, 201–226; Elisabeth K. Paefgen: „Gedichte aus Filmen – Filme im Gedicht. Albert Ostermaiers lyrische Arbeit mit dem französischen Film noir“, in: Weimarer Beiträge – Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften, 58. Jg., H. 1, 2012, 62–68. Jan Röhnert: Springende Gedanken und flackernde Bilder. Lyrik im Zeitalter der Kinematographie: Blaise Cendrars, John Ashbery, Rolf Dieter Brinkmann, Diss. Univ. Jena 2007, Göttingen 2007.
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Einleitung
Audiovision: Ton – Bild – Sprache Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind Lyrik und Poesie im audiovisuellen Medium bzw. audiovisuelle Repräsentationen lyrischer Texte. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Audiovision, der Verschränkung von Ton und Bild. Die klangliche Seite soll ebenso Berücksichtigung finden wie die stimmliche Verkörperung der Gedichte in ihrer sprechkünstlerischen Gestaltung. Untersucht man gesprochene Lyrik auf diese Weise, so lenkt dies zwangsläufig die Aufmerksamkeit auf die noch immer vernachlässigte Tonebene der audiovisuellen Darstellung. Gleichzeitig schärft diese Perspektive den Blick für Wechselwirkungen zwischen den Wahrnehmungsbereichen, die sich im Film unter dem Stichwort der intermodalen Wahrnehmung1 vollziehen und deren Effekte auch in den oft kontrapunktischen Ton-Bild-Welten des Poesiefilmes zum Tragen kommen. Mit dieser Ausrichtung stellt sich diese Studie explizit in die Nachfolge eines „acoustic turn“, wie er 2008 von Petra Maria Meyer und anderen formuliert worden ist.2 Kein Phänomen wäre besser als der Poesiefilm geeignet, zu demonstrieren, dass eine solche Aufwertung des Hörbaren nicht zu einer Abwertung, sondern zu einer Komplementierung des Sichtbaren und des Sprachlichen führt.3 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Erträge der Performativitätsforschung einzugehen, die jedoch dort an ihre Grenzen stößt, wo es gerade um die Wechselwirkungen zwischen dem ‚Was‘ und dem ‚Wie‘, zwischen Text und Performance geht. Erika Fischer-Lichte zählt neben Performance und Happening auch den Aufschwung der Dichterlesungen zu den Anzeichen für eine performative Wende seit den sechziger Jahren, mit der sowohl die Beziehung zwischen Publikum und Kunstproduzenten als auch das Verhältnis von Bedeutung und Materialität eine Umgewichtung erfahren.4 Von Lesebühnen über Poetryslams bin hin zu Literaturfestivals haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Formen gebildet, „die Literatur als Ereignis inszenieren und insbesondere die Lyrik als performative Form darbieten.“5 Insofern sie im Gefolge der Spoken-Word-Bewegung eine Aufwertung der stimmlichen Performance anstrebt, gehört sicher auch die Verbreitung von Lyrik im audiovisuellen Medium in diesen Zusammenhang. Auf der anderen Seite unterliegt die Performance im Poesiefilm unausweichlich der Formierung und Strukturierung durch das audiovisuelle Medium, das die Ko-Präsenz mit den Akteurinnen und Akteuren suspendiert und seine eigene Materialität ins Spiel bringt.
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Siehe Barbara Flückiger: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films, Marburg 2001, 141. Siehe Petra Maria Meyer (Hg.): Acoustic turn, München 2008. Siehe Petra Maria Meyer: „Vorwort“, in: Petra Maria Meyer (Hg.): Acoustic turn, München 2008, 11–31. Hier: 13. Siehe Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2004, 24. Katrin Kohl: „Festival, Performance, Wettstreit. Deutsche Gegenwartsliteratur als Ereignis“, in: Nicholas Saul (Hg.): Literarische Wertung und Kanonbildung, Würzburg 2007, 173–190. Hier: 173.
Einleitung
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Diese Gewichtung spiegelt sich auch in der Gliederung der vorliegenden Untersuchung. Nachdem im ersten Kapitel wichtige gattungstheoretische und begriffliche Klärungen vorgenommen und eine Typologie des Poesiefilmes erarbeitet wird, folgt im zweiten Kapitel ein geschichtlicher Abriss, der kultur- und mediengeschichtliche Faktoren bei der Entwicklung des Genres darstellt. Dieser historische Zugang wird im dritten und im vierten Kapitel durch einen systematischen Zugang zum Phänomen des Poesiefilmes ergänzt. Zunächst soll anhand exemplarischer Analysen das Spannungsverhältnis von Performance und Medialität im Gedichtfilm erörtert werden. Mit den Wirkungen des Mediums auf Stimme, Schrift und Rhythmus werden im dritten Kapitel schwerpunktmäßig Fragen der äußeren Faktur von Poesiefilmen behandelt.1 Im vierten Kapitel soll mit der Untersuchung inhaltlicher Text-Bild-Beziehungen die Ebene der Information im Vordergrund stehen. Während im systematischen Teil Poesiefilme auf der Grundlage des Audiovisuellen untersucht werden, finden im historischen Teil auch die unterschiedlichen Spezifika audiovisueller Medien wie Film, Video und Webvideo Berücksichtigung. Hybridität und Intermedialität Wie allerorten bemerkt und auch beklagt wurde, ist der Medienbegriff außerordentlich äquivok; je nach Erkenntnisinteresse werden verschiedene Kriterien für seine Bestimmung zu Grunde gelegt.2 Dennoch möchte ich nachstehend in größtmöglicher Knappheit darlegen, was im Folgenden gemeint ist, wenn der Begriff „Medium“ (bzw. „Medien“) gebraucht wird. Gegenstand der Analyse sind Gedichte im audiovisuellen Medium, eine Kunstform, bei der man es zwangsläufig mit komplexen Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Darstellungsmodi (Schrift, Bild, Ton), Künsten (Literatur, Film, Musik), Gattungen und technischen Medien (Video, Computer, Film, Buch) zu tun hat: Gesprochener oder geschriebener Text wird mit bewegten Bildern und Musik kombiniert, in Büchern überlieferte Gedichte werden gesprochen und aufgezeichnet oder sie werden in digitalen, graphischen Schrifttext übertragen. Im Verlauf der Untersuchung möchte ich Medien von anderen Gegenstandsbereichen wie Gattungen und Künsten sowie von allgemeineren Darstellungsmodi wie Schrift, Bild, Zahl und von
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Ich übernehme die Terminologie Rüdiger Zymners, der zwischen „Faktur“ und „Information“ unterscheidet. Dabei bezeichnet der Ausdruck „Faktur“ in Anlehnung an Roman Jakobson „alle kompositionellen Eigenschaften der graphischen und phonischen Repräsentation von potentiell bedeutungsvermittelnder Sprache“ (Rüdiger Zymner: Lyrik. Umriss und Begriff, Paderborn 2009, 56). Mit Information ist das ‚Was‘, das Bedeutungspotential eines Zeichens gemeint. Siehe hierzu Lambert Wiesing: „Was sind Medien?“, in: Stefan Münker/Alexander Roesler (Hg.): Was ist ein Medium? Frankfurt am Main 2008, 235–248. Hier: 239.
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Einleitung
Zeichensystemen unterscheiden. Erst so wird es möglich, präzise zu beschreiben, worin die konstitutiven Besonderheiten des Genres „Poesiefilm“ liegen.1 Zweifellos sind technikorientierte, systemtheoretische oder phänomenologische Bestimmungen des Medienbegriffes, wie sie in verschiedenen Medientheorien formuliert werden, für die jeweilige Fragestellung und Theoriebildung produktiv.2 Allerdings bringen sie nicht unbedingt handhabbare Definitionen ihres Gegenstandes hervor, sondern neigen dazu, notwendige Eigenschaften von Medien als hinreichende Bestimmungsmerkmale zu verabsolutieren, was zu einer vielfach bemerkten Entgrenzung des Medienbegriffes geführt hat.3 Demgegenüber sollen unter „Medien“ nachfolgend ausschließlich Kommunikationsmittel verstanden werden: Der historisch erweiterte Begriff des ‚Mediums als Kommunikationsmittel‘ und als ‚Kommunikationsorganisation‘ (nicht-technische und technische Speicher- und Verbreitungsmittel und soziale Organisationen, die ‚mit einer Stimme sprechen‘) integriert die Gesamtentwicklung der Kommunikationstechniken von den oralen über die skripturalen Kulturen bis zu den modernen technischen Massen- und Individualmedien.4
Medien sind nicht auf Medientechnologien zu reduzieren. Sie bilden stets eine Verschränkung von Kommunikations- und Kulturtechniken und verwirklichen sich nur in ihrem jeweiligen Gebrauch.5 Medien werden hier demnach verstanden als Dispositiv, da sie ein Netz kultureller, rechtlicher, räumlicher und materiell-apparativer Elemente darstellen, eine Anordnung, die Wahrnehmung und Bedeutung formiert, ohne dabei selbst immer wahrnehmbar zu sein.6 Anders als etwa die Rede von den Zeichensystemen impliziert der Medienbegriff bereits eine unhintergehbare Materialität: „Dagegen
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Siehe auch Gottfried Willems: „Die Künste, ihre Medien und die Fallen der Hybridisierung“, in: Dirck Linck/Stefanie Rentsch (Hg.): Bildtext – Textbild. Probleme der Rede über Text-BildHybride, Freiburg i. Br. 2007, 53–71. Hier: 64: „Um hier methodisch sauber voranzukommen, ist es von entscheidender Bedeutung, die verschiedenen Ebenen des Trennenden und Verbindenden begriffsscharf auseinanderzuhalten, vor allem die Ebenen des Mediums, des Zeichens und der Kunst.“ Siehe etwa Marshall McLuhan: Understanding Media. The Extensions of Man, London 2007; Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1995; Dieter Mersch: Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2006. Siehe Lambert Wiesing: „Was sind Medien?“. Helmut Schanze: „Medien“, in: Helmut Schanze/Susanne Pütz (Hg.): Metzler Lexikon Medientheorie, Medienwissenschaft. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 2002, 199–201. Hier: 200. Siehe Georg Christoph Tholen: „Medium/Medien“, in: Alexander Roesler/Bernd Stiegler/RoeslerStiegler (Hg.): Grundbegriffe der Medientheorie, Paderborn 2005, 150–172. Hier: 155; Sybille Krämer: „Kulturanthropologie der Medien: Thesen zur Einführung“, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 13. Jg., H. 1, 2004, 130–133. Hier: 133. Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, Stuttgart 2003, 189; Joachim Paech: „Überlegungen zum Dispositiv als Theorie medialer Topik“, in: Medienwissenschaft, H. 4, 1997, 400–420. Hier: 407ff.
Einleitung
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wäre auf die spezifische Duplizität des Mediums zu bestehen: als Dispositiv bezeichnet es ein Bedingungsgefüge, das als Bedingendes zugleich an Materialitäten gebunden bleibt.“1 Poesiefilme sind als hybrides Genre Ausdruck einer zunehmenden Entgrenzung der Künste. Sie werden zugleich, auch im Zusammenhang dieser Untersuchung, als Erscheinungsweise von Intermedialität beschrieben. Sowohl der Begriff des Hybriden als auch der Begriff des Genres erfordern eine Erläuterung, mit der zugleich das offenkundige Verhältnis dieser Studie zur Frage der Intermedialität genauer bestimmt werden soll. Es liegt nahe, dass eine Untersuchung, die der Umsetzung von Lyrik in Film und Video nachgeht, sich bevorzugt mit Fragen des Medialen auseinanderzusetzen hat. Alle Aspekte, die in der literaturzentrierten Intermedialitätsforschung2 thematisiert werden, sind an der einen oder anderen Stelle auch für den Poesiefilm relevant. Irina Rajewsky unterscheidet drei Subkategorien von Intermedialität im weiteren Sinne: Medienwechsel, intermediale Bezugnahmen und Medienkombination. Aus produktionsästhetischer Perspektive können Poesiefilme als Medienwechsel behandelt werden, und zwar immer dann, wenn sie etwa ein Gedicht aus dem Medium des Buches in einen Film oder ein Video übertragen. In diesem Sinne sind sie Teil des klassischen Forschungsfeldes der Literaturverfilmung. Besonders Gedichtadaptionen – das sind Poesiefilme, die lediglich ein Gedicht zu Vorlage haben, ohne es in seiner sprachlichen Gestalt einzubinden – lassen sich als Formen des Medienwechsels untersuchen. Im ersten Kapitel meiner Untersuchung werde ich diesem Ansatz nachgehen und zeigen, wo dieser an seine Grenzen stößt. Als intermediale Bezugnahme kennzeichnet Rajewsky dagegen „Mediengrenzen überschreitende Rekursverfahren“3: „Mit den eigenen medienspezifischen Mitteln werden Elemente oder Strukturen eines anderen konventionell als distinkt angenommenen Mediums thematisiert, evoziert oder […] imitiert bzw. fingiert.“4 Ähnlich wie bei der Literaturverfilmung trifft dies aber nicht auf den Poesiefilm film per se zu. Inwieweit es in Einzelfällen zu einer Imitation lyrischer Strukturen mit filmischen Mitteln kommt und inwieweit dieses Phänomen als „bloße[r] Effekt von Metaphern des Beschreibungsdiskurs“5 anzusehen ist, wird im ersten Kapitel ausführlich zu diskutieren sein.
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Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 62. Ich beziehe mich hier auf den Forschungsüberblick bei Irina O. Rajewsky: „Intermedialität und remediation. Überlegungen zu einigen Problemfeldern der jüngeren Intermedialitätsforschung“, in: Joachim Paech (Hg.): Intermedialität – analog/digital. Theorien, Methoden, Analysen, München 2008, 47–60. Ebd., 53. Ebd., 57. Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“, in: Herbert Foltinek/Christoph Leitgeb (Hg.): Literaturwissenschaft. Intermedial – interdisziplinär, Wien 2002, 163–192. Hier: 185.
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Einleitung
Insofern Poesiefilme eine Kombination von Gedicht und Film darstellen, wären sie in der Terminologie der literaturzentrierten Intermedialitätsforschung als Medienkombination1 bzw. plurimediale Produkte2 anzusehen. Diese Beschreibung scheint zwar zu passen, doch trifft sie im Grunde auf alle Tonfilme und Videos zu, während es im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung darum geht, zu zeigen, wie es sich auswirkt, dass das in den „plurimedialen“ Zusammenhang eingebundene sprachliche Element eben ein Gedicht ist. Neuerdings gibt es Bestrebungen, den Begriff der Intermedialität durch den der Transmedialität zu ersetzen, da dieser stärker auf den Aspekt des Übergangs und der Überschreitung verweist.3 Demgegenüber möchte die vorliegende Studie am „Potential der Grenze“4 festhalten, das mit dem Konzept des Intermedialen verbunden ist. Zwar möchte ich mit der Analyse von Gedichtfilmen für die Auflösung starrer Gegensatzpaare (etwa Ton und Bild, Stimme und Text, Performance und Medium) plädieren, allerdings erweisen sich die Beziehungen zwischen den Elementen wiederholt gerade dann als produktiv, wenn diese eine merkliche Differenz aufweisen. Dies gilt sowohl für die intermodale Assoziation bei den Ton-Bild-Beziehungen5 als auch für die Funktionsweise der Metapher6, die ikonische Differenz7 und die kontrapunktische Text-Bild-Beziehung8. Transmedialität wird daher wie bei Rajewsky als Sammelbegriff für medienunspezifische Phänomene aufgefasst, die sich „jenseits von Mediengrenzen bzw. ‚über Mediengrenzen hinweg‘ manifestieren“9. Werner Wolf
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Siehe Irina O. Rajewsky: „Intermedialität und remediation“, 53. Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld“, 178. Vgl. dgg. Gottfried Willems: „Die Künste“, 67: „Mediale Kommunikation vollzieht sich stets im Rahmen eines einzigen Mediums, das diese Kommunikation organisiert. Wo Text und Bild kombiniert werden, oder das gesprochene Wort mit dem Laufbild, oder, weiter ausgreifend, Plastisches mit Gemaltem, Fotografiertem, Gefilmtem, Rede, Geräusch und musikalischem Klang, da werden nicht etwa Medien kombiniert, sondern Zeichengebilde bzw. ästhetische Gebilde. Das Medium kann im ersten Fall das Buch oder die Zeitschrift, im zweiten Fall das Kino oder das Fernsehen sein, und im dritten Fall wird es auf den architektonisch gestalteten Raum hinauslaufen.“ Willems Kritik an dem Begriff der Medienkombination geht ein wenig am Problem vorbei. Sicherlich werden keine technischen Einzelmedien im Sinne von Buch und Film zusammengefügt. Entscheidend ist doch, dass diese ästhetischen Gebilde sich durch differierende Medialitäten auszeichnen. Siehe Urs Meyer/Roberto Simanowski/Christoph Zeller: „Vorwort“, in: Urs Meyer/Roberto Simanowski/Christoph Zeller (Hg.): Transmedialität zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren, Göttingen 2006, 7–17. Hier: 2. Irina O. Rajewsky: „Das Potential der Grenze. Überlegungen zu aktuellen Fragen der Intermedialitätsforschung“, in: Dagmar Hoff/Bernhard Spies (Hg.): Textprofile intermedial, München 2008, 19–47. Siehe Barbara Flückiger: Sound Design, 141 Siehe Max Black: „Die Metapher“, in: Anselm Haverkamp (Hg.): Theorie der Metapher, Darmstadt 1996, 56–79. Hier: 69. Siehe Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin 2010, 37. Siehe Michel Chion: Un Art sonore, le cinema. Histoire, esthétique, poétique, Paris 2003, 346. Irina O Rajewsky: Intermedialität, Tübingen 2002, 13.
Einleitung
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nennt als wichtiges Beispiel das Phänomen des Narrativen, das sich in unterschiedlichen Medien außerhalb der Literatur nachweisen lässt.1 Könnte man auch das Lyrische in analoger Weise als transmediales Phänomen beschreiben? Diese Auffassung wurde verschiedentlich vorgebracht, nicht zuletzt von Vertretern der literarischen Moderne wie Guillaume Apollinaire, aber auch von Regisseuren wie Andrej Tarkovskij oder Filmkritikern wie dem Schriftsteller Peter Weiss. Sie schlägt sich in der Idee des poetischen Filmes nieder, der Idee, dass Poesie außerhalb der Sprache im Medium des Filmes zu verwirklichen sei. Auch wenn der poetische Film nicht im engeren Sinn Gegenstand dieser Abhandlung ist, wird der dazugehörige Diskurs im ersten Kapitel vorgestellt. Ich werde im Verlauf der Untersuchung immer wieder auf ihn zurückkommen, denn meine Hypothese lautet, dass die audiovisuelle Ausdrucksebene von der Integration lyrischer Texte nicht unberührt bleibt. Es wird zu hinterfragen sein, ob die Integration von Gedichten zu einer Lyrisierung von Film oder Video führt. „Alle Medien sind konstitutiv hybrid.“2 Dieses, aus der berühmten Aussage „All memedia are mixed media“ von W.J.T. Mitchell abgeleitete Statement sollte nicht zu einer Vergleichgültigung gegenüber den Verschiedenheiten der Elemente führen, die im Poesiefilm zusammentreffen. Versteht man unter einem Hybrid eine Mischform, in der differente Elemente zusammengeführt werden, die jedoch in ihrer Verschiedenheit wahrnehmbar bleiben, so ließe sich die Realisierung von Lyrik im audiovisuellen Medium durchaus als hybrides Genre beschreiben: Insofern die ästhetische Praxis, das ästhetische Leben in diesem Sinne von einer Spezialisierung nach Künsten und Kunstgattungen geprägt ist, insofern die Grenzen zwischen den Künsten und Kunstgattungen mithin gelebte und bewusst wahrgenommene Grenzen sind, und von daher dann auch eine Grenzüberschreitung als solche vorgeführt und erfahren werden kann, mag der Begriff des ,Hybrids‘, seine Berechtigung haben. Plausibel ist er wohl vor allem dort, wo auf Seiten des Publikums die Gewöhnung an Grenzen wahrgenommen werden kann, und auf Seiten des Künstlers der Wille zur Grenzüberschreitung, wo die Grenzüberschreitung einen demonstrativen Charakter hat.3
Zwei Beobachtungen leiten diese Untersuchung des Poesiefilmes in besonderer Weise an: eine Tendenz zu Selbstreflexivität und ein Streben nach Präsenzeffekten in Poesiefilmen. Dem experimentellen Film eine erhöhte Selbstreflexivität zuzuschreiben, die in seiner Poetizität begründet sei, ist eine starke Position in der Beurteilung des Avantgardefilmes. Besonders der einflussreiche Kritiker P. Adams Sitney hat diese, bereits bei den russischen Formalisten angelegte Bewertung aufgegriffen und bekanntgemacht. Die Filmwissenschaftlerin Gabriele Jutz schlägt in ihrem 2010 erschienenen Buch eine
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Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld“, 180. Dirck Linck/Stefanie Rentsch: „Bildtext – Textbild. Probleme der Rede über Text-Bild-Hybride“, in: Dirck Linck/Stefanie Rentsch (Hg.): Bildtext – Textbild. Probleme der Rede über Text-BildHybride, Freiburg i. Br. 2007, 7–14. Hier: 11. Gottfried Willems: „Die Künste“, 57.
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„alternative Genealogie zur Filmavantgarde“ vor und unterzieht dabei vor allem die Geschichtsschreibung und Theorie des Avantgardefilmes der Kritik, die diesen im Zeichen eines formalistischen Autonomiemodells zum selbstreflexiven und „medienpurifikatorischen“1 Kunstwerk im Sinne des high modernism vereinseitigt haben.2 Dagegen entwickelt sie eine Theorie des cinéma brut, die nicht das Reine, sondern das ‚Unreine‘ zum Maßstab nimmt. Dem cinéma pur wird ein cinéma brut entgegengesetzt, bei dem nicht Medienspezifik, Selbstreflexion, Formalismus und Präzision vorherrschen, sondern eine Ästhetik der Obsoleszenz, des Formlos-Werdens, des Flüchtigen und der Betonung des Indexikalischen.3
An Beispielen des Avantgardefilmes der 20er aber auch der sechziger und siebziger Jahre zeigt sie, wie vermeintlich feststehende mediale Grenzen immer wieder durchbrochen werden. Mit Techniken wie handpainted film und scratching ist auch eine Verschiebung des Fokus von der filmischen Form zum Materiellen und zum Physischen verbunden. Darüber hinaus markiert das cinéma brut, so Jutz, stellvertretend den kunsthistorischen Übergang vom Ikonischen zum Indexikalischen: „Als Spur, Geste oder Relikt ist der Index immer an die physische und sinnlich erfahrbare Welt gebunden und stellt daher ein wichtiges Korrektiv gegenüber dem Autonomieanspruch des modernistischen Kunstwerks dar.“4 Die Tendenz, den Index als Berührung oder Spur aufzuwerten, kommt besonders in den Praktiken des direct-film, des expanded-cinema und des found-footage Film zum Ausdruck.5 In dieser Hinsicht ergänzt das cinéma brut die Konturierung des poetischen Filmes, welche einen Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung bildet, um die Aspekte des Hybriden und ‚Unreinen‘, die ebenfalls charakteristisch für den Poesiefilm sind. Diese Erweiterung hat ihr Gegenstück in einem neubegründeten Verständnis von Lyrik, wie es Rüdiger Zymner 2009 vorgestellt hat. Es definiert Lyrik sowohl über die Eigenschaft, generisches Display sprachlicher Medialität zu sein, als auch über die durch Lyrik hervorgerufene ästhetische Evidenz, die nicht zuletzt durch eine erhöhte sinnliche Partizipation ausgelöst wird.6 Poesiefilm als Genre? Poesiefilm wird in den Selbstbeschreibungen von Künstlerinnen und Künstlern gelegentlich als selbstständiges Genre bzw. evolving genre bezeichnet.7 Auch wenn mit der Definition des Genrebegriffes in der Filmwissenschaft erhebliche Schwierigkeiten ver1 2 3 4 5 6 7
Gabriele Jutz: Cinéma brut. Eine alternative Genealogie der Filmavantgarde, Wien 2010, 258. Ebd., 257. Ebd., 258. Ebd., 260. Ebd., 259f. Siehe Rüdiger Zymner: Lyrik, 139ff. Siehe Mary Russell/Gerard Wozek: „Poetry Video. A Collaborative Art“, online unter: http://www.gerardwozek.com/learningcurve.htm.
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bunden sind, soll diesem Sprachgebrauch in dieser Studie gefolgt und Poesiefilm als ein hybrides Genre beschrieben werden. Dabei gilt es, mögliche Vorbehalte gegen diese Vorgehensweise gegen die Vorteile abzuwägen. Auf den ersten Blick erscheint der Genre-Begriff inkompatibel mit dem poetischen Prinzip des Poesiefilmes. Eingeführt als kulturindustrielles Verfahren der Standardisierung und Effizienzsteigerung des Filmabsatzes, steht die Idee des Genre zu den filmtheoretischen Versuchen, Film als Kunst zu etablieren, geradezu quer.1 Bei allen Differenzen in der Genredebatte zeigt sich, dass Filmgenres weit stärker als literarische Gattungen an ökonomische Interessen (in diesem Fall der Filmindustrie) gebunden sind. Des Weiteren gilt, dass Genres von der Erkennbarkeit und Akzeptanz durch ein Publikum abhängen.2 Beide Aspekte müssen für den Poesiefilm bezweifelt werden. Demgegenüber sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen Genrebegriffes erfüllt, denn es lassen sich sowohl konstitutive Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Erscheinungen nachweisen als auch ein soziokulturelles Umfeld, in welches das Genre als Institution eingebettet und an welches es angepasst ist.3 Ohnehin werden die Gruppierungen zu Genres aufgrund von Merkmalen von unterschiedlichem Abstraktionsgrad vorgenommen.4 Etablierte Genres wie das Musical oder das Biopic, die nach Kriterien gekennzeichnet werden, die denen des Poesiefilmes nicht unähnlich sind, lassen es als zulässig erscheinen, ihn als ein in der Entstehung begriffenes Kurzfilmgenre zu beschreiben. Als heuristisches Vorbild kann Rick Altmans Konzeption des amerikanischen Musicals dienen, eine Vermittlung von systematischem und historischem Genreverständnis, das Jörg Schweinitz folgendermaßen skizziert: Altman konstituiert zunächst einen weiten Genrebegriff, der sich allerdings nicht auf metadiskursive Indizien stützt […], sondern auf das ,tautologische‘ Merkmal: Filme, in denen diegetische Musik eine zentrale, die Spezifik der Narration prägende Rolle spielt. […] Innerhalb dieses weiten, wie Altman das nennt, semantisch fixierten Genrerahmens, der zunächst auf einem systematischen Genreverständnis (im Sinne Todorovs) beruht, macht er dann verschiedene historisch einander ablösende (teilweise einander überlagernde) Syntagmen aus.5
Ausgehend von einer systematischen Genrebeschreibung sollen daher Filme oder Videos, in denen lyrische Texte eine zentrale, nicht in die Narration eingelassene Rolle spielen, in der vorliegenden Studie auf gemeinsame Eigenschaften sowie auf die historischen Erscheinungsformen des Poesiefilmes hin untersucht werden.
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Jörg Schweinitz: „,Genre‘ und lebendiges Genrebewußtsein. Geschichte eines Begriffs und Probleme seiner Konzeptualisierung in der Filmwissenschaft“, in: montage/av, 3. Jg., H. 2, 1994, 99– 117. Hier: 110–101ff. Rick Altman: Film/Genre, London 1999, 30ff. Siehe Jörg Schweinitz: „,Genre‘ und lebendiges Genrebewußtsein“, 106. Jörg Schweinitz: „Genre“, in: Thomas Koebner (Hg.): Reclams Sachlexikon des Films, Stuttgart 2007, 283–285. Hier: 283. Jörg Schweinitz: „,Genre‘ und lebendiges Genrebewußtsein“, 115.
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Was sind Poesiefilme?
1.1
Lyriktheoretische Vorüberlegungen
Poesiefilme sind eine Kurzfilmgattung, die sich ausschließlich über die Bezugnahme auf eine literarische Gattung definiert: Sie integrieren oder adaptieren lyrische Gedichte. Um zu verstehen, was Poesiefilme sind, muss also bestimmt werden, was unter Lyrik zu verstehen ist, denn die einzelnen Auffassungen von dem, was lyrisch, was poetisch, ja, was ein Gedicht ist, bringen entsprechend verschiedene Definitionen und Formen des Genres „Poesiefilm“ hervor. Ohne eine lyriktheoretische Verortung stünde eine Untersuchung zur Lyrik im audiovisuellen Medium auf schwachem Fundament. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich daher mit der Diskussion um den Lyrikbegriff in seiner Geschichtlichkeit und den daraus folgenden Konsequenzen für die vorliegende Untersuchung. Bei dem Versuch zu klären, was im Zusammenhang mit Poesiefilmen unter den Bezeichnungen „Lyrik“ oder „Poesie“ zu verstehen ist, wird man sich vor allem mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass die Begriffe „Poesie“, „Lyrik“ und sogar „das Poetische“ gemeinhin synonym gebraucht werden. Das ist kaum verwunderlich, wenn man die begrifflichen Überschneidungen und die Verschiebungen, Erweiterungen und Übersetzungen dieser Bezeichnungen in Betracht zieht. Bedeutet „Poesie“ in der deutschen Sprache bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein jegliche Dichtung, ähnlich wie zunächst das englische „poetry“, so setzt sich für das gemeinte Textkorpus im neunzehnten Jahrhundert die Bezeichnung „Literatur“ durch.1 Im zwanzigsten Jahrhundert greift die surrealistische Bewegung den Poesiebegriff auf und wendet ihn auf verschiedene Künste, Medien und Lebensbereiche an. In der visuellen Poesie wiederum setzt man die Bezeichnung gegen den semantisch beladenen und in den fünfziger Jahren noch eindeutig emotional-subjektiven Lyrikbegriff. Wenn Enzensberger seine berühmte Lyrik-Anthologie das Museum der modernen Poe-
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Zur Verengung des Literaturbegriffes und der Etablierung der historischen Gattungstrias gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts siehe Stefan Trappen: Gattungspoetik. Studien zur Poetik des 16. bis 19. Jahrhunderts und zur Geschichte der triadischen Gattungslehre, Habil. Univ. Mainz 1998, Heidelberg 2001, 207ff.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen
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sie nennt, so unterstreicht er, indem er einen Begriff wählt, der in vielen europäischen Sprachen ähnlich ist, die Internationalität, die diese Literatur in seinen Augen besitzt. Aus ganz ähnlichen Gründen hat die Bezeichnung „Poesie“ auch heute wieder Konjunktur. Die Begriffe „digitale Poesie“, „Poesiefestival“ und eben „Poesiefilm“ schließen an internationale Phänomene an. Eine nicht geringe Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die Rückübersetzung des englischen „poetry“, dem Begriff, der wohl die größten semantischen Überschneidungen mit dem deutschen Lyrikbegriff hat. In Fügungen wie „Poetry Slam“, „Poetry Clip“ und „Spoken Poetry“ ist die englische Bezeichnung seit den neunziger Jahren auch in der deutschen Sprache geläufig. Erschwert wird die Übersetzung dadurch, dass die englische Sprache neben „poetry“ auch das Wort „lyric“ kennt. Während das Wort „poetry“ jegliche literarische Komposition in Versform bezeichnet,1 lässt sich „lyric“ einmal durch seine Liedhaftigkeit („having the form or musical quality of a song“) definieren oder durch seine bisher folgenreichste semantische Zuschreibung als „a usually short poem that expresses personal feelings and may or may not be set to music“2. Der Begriff „poetry“ hat das Antonym „prose“ und umfasst über das deutsche „Lyrik“ hinausgehend auch dramatische oder narrative Dichtungen. „Lyric“ dagegen, so Chapman im Oxford Companion to the English Language, „was seldom further defined, and is used of almost any poem that is not clearly narrative, dramatic, or satirical.“3 Allerdings ist „lyric“ mittlerweile weitestgehend zum Synonym für „poetry“ geworden und umfasst schlicht den Großteil der Literatur in Versen, bis auf das Epos und das Versdrama: „in fact no distinction between ‚the lyric‘, ‚poetry‘ and ‚poems‘ seems to be appropriate any longer […].“4 Über eine Definition des Lyrikbegriffs besteht in der deutschsprachigen Forschung weiterhin keine Einigkeit. Die Problematik einer gattungstheoretischen Abgrenzung lyrischer Dichtung von den anderen literarischen Gattungen, hängt wohl nicht zuletzt mit deren Herkunft aus einem Bereich der nicht-‚reinen‘ Wortkunst zusammen. Als Teil der mousiké waren die Texte in einen Zusammenhang von Musik und Tanz eingebunden: „Platon stellt der erzählenden Wortkunst der Dichter als eigenständigen Bereich die Gesangskunst gegenüber, die jene ‚Texte‘ umfasst, die wir heute unter ‚Lyrik‘
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Siehe Raymond Chapman: „Poetry“, in: Thomas Burns McArthur (Hg.): The Oxford Companion to the English language, Oxford 1992, 791–793. Hier: 791. Auch hier besteht jedoch keine Einigkeit; John Drury etwa unterscheidet nach Genres in „lyric“, „dramatic“ und „narrative poetry“ und bindet poetry insgesamt an „charged, compressed language“: „Prose, free verse, and metrical verse are the three principal modes of poetry.“ (John Drury: The Poetry Dictionary, Cincinnati/Ohio 2006, 216). Raymond Chapman: „Lyric“, in: Thomas Burns McArthur (Hg.): The Oxford Companion to the English Language, Oxford 1992, 632. Hier: 632. Ebd. Werner Wolf: „The Lyric. Problems of Definition and Proposals for Reconceptualisation“, in: Eva Müller-Zettelmann/Margarete Rubik (Hg.): Theory into Poetry. New Approaches to the Lyric, Amsterdam 2005, 21–56. Hier: 23.
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Was sind Poesiefilme?
subsumieren.“1 Anders als in der heutigen Vorstellung wurde die Lyrik in den antiken Dichtungssystematiken von Platon und Aristoteles genau genommen gar nicht der Dichtung zugerechnet. Wie Klaus W. Hempfer gezeigt hat, wird in Platons Politeia Dichtung zunächst generell als Erzählung verstanden. Die berühmte Trias, die in 394b-c2 entwickelt wird, unterscheidet nicht Gattungen voneinander, sondern differenziert drei verschiedene Arten der Vermittlung einer Geschichte nach dem Kriterium ‚Wer spricht?‘. Damit ergeben sich als Typen der Klassifizierung die einfache Erzählung – ihr entspricht der Dithyrambos –, die Darstellung in Komödie und Tragödie sowie die Mischung beider Formen im Epos.3 In den deutschen Barockpoetiken gibt es noch keinen Gattungsbegriff, der die heute als „lyrisch“ bezeichneten Texte zusammenfasst. So stellt etwa Martin Opitz einzelne – nach verschiedenen Kriterien bestimmte – Formen wie Elegie, Ekloge, Hymne neben die „Lyrica oder getichte die man zur Music sonderlich gebrauchen kann“.4 Bei Daniel Georg Morhof findet sich erstmals ein eigenständiger Lyrikbegriff. Seine Ordnung kennt außer Heldengedicht, Ode und Schauspiel noch das Epigramm und kommt so auf insgesamt vier Gattungen.5 Die gattungspoetische Dreiteilung zwischen Lyrik, Epik und Dramatik, wie wir sie heute kennen, wird erst im frühen achtzehnten Jahrhundert in den deutschen Sprachraum eingeführt, nachdem sie sich zunächst, übernommen aus italienischen Renaissancepoetiken, in England durchgesetzt hatte.6 Schon bald wird die die lyrische Gattung, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Ästhetik Charles Batteux’, als ideal für die Darstellung von Empfindungen und Affekten angesehen und auf diese subjektivistische, emotionalistische Konzeption eingeengt.7 Noch in den Ästhetiken von Empfindsamkeit, Sturm und Drang, wie auch der Romantik gilt dies jedoch nicht ohne Einschränkungen. So wirkt einerseits der aufklärerische Rationalismus auch in der Lyrik fort, andererseits bleiben formale Aspekte trotz der Verbreitung der Ausdrucksästhetik für die Lyrik konstitutiv: „Die folgenreiche Verabsolutierung der subjektivistischen Lyrik-Theorie erfolgte denn auch nicht durch diese, sondern erst unter idealisti-
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Klaus W. Hempfer: „Überlegungen zur historischen Begründung einer systematischen Lyriktheorie“, in: Klaus W. Hempfer/Gerhard Regn (Hg.): Sprachen der Lyrik. Von der Antike bis zur digitalen Poesie, für Gerhard Regn anlässlich seines 60. Geburtstags, Stuttgart 2008, 33–60. Hier: 38. Siehe Platon: Der Staat (Politeia), hg. von Karl Vretska, Stuttgart 2008. Klaus W. Hempfer: „Überlegungen“, 36f. Martin Opitz: Buch von der deutschen Poeterey (1624), hg. von Cornelius Sommer, Stuttgart 1997, 30. Siehe Daniel Georg Morhof: Daniel Georg Morhofens Unterricht von der teutschen Sprache und Poesie, hg. von Henning Boetius, Bad Homburg v. d. H. 1969, 327ff. Klaus W. Hempfer: „Überlegungen“, 56. In Deutschland formuliert als erster A.W. Schlegel in seinen Jenaer „Vorlesungen über philosophische Kunstlehre“ die Lehre von der poetischen Gattungstrias von Lyrik, Epik, Dramatik. (Siehe Stefan Trappen, Gattungspoetik, 201). Siehe dazu ausführlich Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen, Stuttgart 1992, XXIIff. Batteux löst das dringende gattungstheoretische Problem der Einordnung lyrischer Texte, indem er die schönen Künste auf das Prinzip der Nachahmung zurückführt, wobei der Lyrik die Nachahmung der Empfindungen zufällt.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen
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schem Vorzeichen durch Hegel und seine Schule.“1 Auch da, wo Goethe 1819 in seiner bekannten Formulierung feststellt, es gäbe „nur drey ächte Naturformen der Poesie“2, wobei er die Lyrik als die „enthusiastisch aufgeregte“3 identifiziert, gilt dies mit der Einschränkung, dass sich diese Dichtweisen im einzelnen Werk auf verschiedenste Weise verbinden könnten.4 So ist in Goethes Dichtartenlehre das Lyrische auch noch nicht mit einem dichterischen Ich verbunden. Indem Goethe betont, dass diese Naturformen nicht rein, sondern in den schönsten Gedichten gemischt auftreten können, macht er deutlich, dass es sich nicht um eine Klassifikation getrennter Gattungen handelt.5 Festzuhalten bleibt, dass bereits Goethe überzeitliche Gattungseigenschaften von den historisch und kulturell wandelbaren Gattungen trennt. Damit werden diese Eigenschaften von den Gegenständen abstrahiert und sind „ideelle Gegebenheiten jenseits der poetischen Realisationen.“6 Folgenreich für das Lyrikverständnis ist besonders im deutschen Sprachraum die mit Hegels Ästhetik geprägte Auffassung der poetischen Gattungen mitsamt ihren Funktionszuweisungen.7 Es können an dieser Stelle nur zwei Punkte Erwähnung finden, die in in diesem Zusammenhang wichtig sind. In Hegels Systematik der Künste nimmt die Poesie (verstanden immerhin als Oberbegriff für die „redenden Künste“) eine Sonderstellung ein, da sie in bestimmter Hinsicht die Extreme von bildender Kunst und Musik vereinigt und auf höherer Stufe verbindet.8 Als Material der Poesie betrachtet Hegel
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Ebd., XXIX. Siehe Johann Wolfgang von Goethe: „West-östlicher Diwan 1819. Besserem Verständnis“, in: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche (3/1), hg. von Friedmar Apel/Hendrik Birus/Anne Bohnenkamp, Frankfurt am Main 1994, 137–299. Hier: 206. Ebd. Siehe ebd., 207. Siehe Klaus W. Hempfer: „Überlegungen“, 42. Dass es sich hier trotz alledem bereits um einen idealistischen Gattungsbegriff als Wesensbestimmung handelt, zeigt Stefan Trappen Gattungspoetik. Der Jenaer Freundeskreis suchte nicht mehr nach Unterschieden zwischen Gattungen, sondern unter Absonderung aller „zufälligen“ Eigenschaften nach dem sie bestimmenden Wesenskern und konzipierte unter dem Einfluss Kants die Gattungen als apriorische Kategorien: „Ein derart verfasster Gattungsbegriff ist nicht traditionalistisch, nicht sensualistisch, nicht psychologisch, sondern apriorisch und insofern metaphysisch.“ (Ebd., 216). Albert Meier: „Lyrisch – episch – dramatisch“, in: Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe (ÄGB), historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart, 709–723. Hier: 713. Katrin Kohl stellt einen Zusammenhang her zwischen dem Schriftstatus von Literatur als Voraussetzung für den Eingang in den Kanon und einer idealistischen Ästhetik, die die rhetorische und sprachkünstlerische Dimension von Dichtung, ihre Zweckgebundenheit oder Unterhaltungsfunktion negiert und Dichtung „auf stabile, zeitlose, geistige Werte verpflichtet und als ästhetisches Gebilde von anderen Formen der Rede abgrenzt […].“ (Katrin Kohl: „Festival, Performance, Wettstreit“, 175). Siehe Wolfgang Müller: „Lyriktheorien“, in: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 2001, 396–370. Hier: 396. Siehe Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt am Main 1986, 224.
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Was sind Poesiefilme?
natürlich nicht etwa die Sprache oder deren lautliche Verwirklichung, sondern bewusste Vorstellungen und innere Anschauungen selbst. Das Wort wird zum „selbständigkeitslosen Mittel geistiger Äußerung“1. Das heißt in der Konsequenz, dass der sinnlichen Seite der poetischen Mitteilung nurmehr die Bedeutung eines „Beiherspielenden“2 zuzugedacht wird und Rhythmus, Metrum, klangliche Gestaltung bloß als eine „akzidentellere Äußerlichkeit“ gelten, bis hin zu seiner berühmten Behauptung, es sei eigentlich unwichtig, ob ein Gedicht „gelesen oder angehört wird, und es kann auch ohne wesentliche Verkümmerung in andere Sprachen übersetzt, aus gebundener in ungebundene Rede übertragen und somit in ganz andere Verhältnisse des Tönens gebracht werden.“3 Diese Herabsetzung des Sinnlichen, die Hegel der Poesie zuschreibt, steht allerdings in einem bemerkenswerten Widerspruch zu seinen gattungstheoretischen Überlegungen. Sobald er nämlich auf die lyrische Gattung zu sprechen kommt, wird diese Herabsetzung eingeschränkt, wenn nicht gar zurückgenommen. Ist zunächst nur wie nebenbei vom „unbestreitbaren Zauber des Metrums“4 die Rede, schreibt er eben dieses Metrum später normativ zur Übermittlung der subjektiven Stimmung im Klang vor, denn gerade weil die Lyrik Ausdruck einer subjektiven Innerlichkeit sein soll, muss sie sich zum Musikalischen hinwenden, der nach Hegel subjektiven Kunstform schlechthin.5 Dies erklärt dann auch seine überraschende Forderung „Werke der Poesie müssen gesprochen, gesungen, vorgetragen, durch lebendige Subjekte selber dargestellt werden, wie die Werke der Musik.“6 Was die Lyrik bei Hegel an die Musik bindet, ist demnach nicht ihre Herkunft aus der mousiké, sondern ihre Form des emotionalen Selbst-Ausdrucks. Hegel systematisiert in seiner Ästhetik die Auffassung von der Lyrik als der Gattung des Subjektiven: „Ihr Inhalt ist das Subjektive, die innere Welt, das betrachtende empfindende Gemüt, das, statt zu Handlungen fortzugehen, vielmehr bei sich als Innerlichkeit stehen bleibt und sich deshalb auch das Sichaussprechen des Subjekts zur einzigen Form und zum letzten Ziel nehmen kann.“7 Gemeint ist das konkrete dichterische dichterische Subjekt, das im Gedicht als Ich zur Sprache kommt. Anders als noch bei Herder, bei dem Lyrik als vollendeter „Ausdruck einer Empfindung, oder Anschauung im höchsten Wohlklange der Sprache“8 charakterisiert ist, wird hierbei jedoch ein dialektisches Verhältnis von Subjekt und Objekt angenommen: Die Poesie erlöst zwar das Herz nun von dieser Befangenheit, insofern sie dasselbe gegenständlich werden läßt, aber sie bleibt nicht bei dem bloßen Hinauswerfen des Inhalts aus seiner unmittelbaren Einigung mit dem Subjekte stehen, sondern macht daraus von jeder Zufälligkeit
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Ebd., 228. Ebd. Ebd., 231. Siehe ebd., 447; ebd., 289; ebd., 322. Ebd., 149. Ebd., 320. Ebd., 322, Hervorhebung im Original. Johann Gottfried Herder: „Die Lyra“, in: Schriften zu Literatur und Philosophie 1792–1800, hg. von Hans Dietrich Irmscher, Frankfurt am Main 1998, 117–136. Hier: 124.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen
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der Stimmung gereinigtes Objekt, in welchem das befreite Innere zugleich in befriedigtem Selbstbewußtsein frei zu sich zurückkehrt und bei sich selber ist.1
Lyrik ist also nicht reine Selbstaussprache, sondern objektiviert sich im lyrischen Ausdruck der Empfindung. Nachdem zunächst die äußere Welt subjektiv durchdrungen und verinnerlicht wurde, wird die Empfindung in den Rang einer Anschauung oder Vorstellung erhoben, so dass sie zur allgemein gültigen Aussprache als Innerlichkeit im Gedicht kommen kann.2 Die im Gefolge von Hegels Innerlichkeitspostulat fortgeschriebene Lyrikauffassung wirkt lange nach.3 Sie wird zunächst durch Friedrich Theodor Vischer, später durch Emil Staiger entfaltet. Dass Staiger das Lyrische im engeren Sinne vom Gattungsbegriff der Lyrik trennt, weist darauf hin, dass sich die Subjektivitätstheorie generell und zumal in der Staiger’schen Fassung, auf ein ganz bestimmtes Textkorpus bezieht. Gedichte, die traditionell zur Lyrik gehören, sich jedoch nicht problemlos als subjektiver Erlebnisausdruck lesen lassen, stellen für diese Theorie offensichtlich ein Problem dar und können daher nicht im eigentlichen Sinne als lyrisch gelten4 – bis hin zu Karl Otto Conradys Bezeichnung der barocken Gedichtproduktion als „nicht-lyrische Lyrik“5. Staiger hat sich in seiner Konzeption des Lyrischen stets auf die Erlebnis- und Stimmungslyrik des achtzehnten bis neunzehnten Jahrhunderts bezogen, eine strenge Orientierung am Kanon, die zwangsläufig zu einem Ausschluss früherer und späterer Epochen führt und daher mit einer „heimliche[n] Normativität“6 versehen ist. Trotz aller Einwände seitens der Literaturwissenschaft ist die Bestimmung der Lyrik als subjektive, emotionale Gattung für das allgemeine Verständnis bis auf den heutigen Tag prägend geblieben und auch für viele der Filmemacherinnen und Filmemacher ausschlaggebend, die sich der Verfilmung von Gedichten zuwenden. In der englischsprachigen poetischen Tradition ist die Vorstellung von Lyrik als expressiver Gattung ebenfalls sehr dominierend. Als bedeutende und ausschlaggebende Äußerung dieser emotiven Lyriktheorie7 gilt William Wordsworths Vorwort zu den Lyrical Ballads von 1802, in dem er Dichtung als „spontaneous overflow of powerful feelings“ charakterisiert.8
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Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 417. Siehe ebd., 416. Siehe Dietmar Jaegle: Das Subjekt im und als Gedicht. Eine Theorie des lyrischen Text-Subjekts am Beispiel deutscher und englischer Gedichte des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1995, 44f. Siehe Dieter Lamping: „Lyrikanalyse“, in: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände – Konzepte – Institutionen, Bd. 2, Stuttgart 2007, 139–155. Hier: 40. Karl Otto Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, Bonn 1962, 52ff. Dieter Lamping: „Lyrikanalyse“, 40. Abrams, M.H.: „Poetry, Theories of“, in: Alex Preminger (Hg.): Princeton Encyclopedia of Poetry and Poetics, Princeton/N.J. 1974. William Wordsworth/Samuel Taylor Coleridge: Lyrical Ballads 1798 and 1802, hg. von Fiona Stafford, Oxford 2013, 98. In der englischsprachigen Poetikgeschichte gibt es eher ein Problem mit der Gleichsetzung von „lyric poetry“ und „poetry“, die auf die englische Romantik zurückgeht.
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Was sind Poesiefilme?
Eine einflussreiche Begrifflichkeit prägte in den fünfziger Jahren Käte Hamburger mit ihrer speziellen Definition des „lyrischen Ich“. Dieser bedeutende, heute weniger rezipierte Beitrag zur Lyriktheorie, nähert sich der Problematik über die Logik der Aussagen und unterscheidet fiktionale von existentiellen Aussagen, wobei die Lyrik zu letzteren gezählt wird. Sie ist nach Hamburger keine fiktionale Gattung, da es sich bei lyrischen Aussagen um echte Wirklichkeitsaussagen handelt, bei denen das Aussagesubjekt sich als lyrisches Ich markiert, so dass die Aussage keinen objektiven Charakter erhält, sondern subjekt- bzw. sinnbezogen bleibt.1 Am Beispiel einer Briefstelle Rilkes demonstriert Hamburger die nötige Wendung, durch die ein historisches Ich zum lyrischen Ich wird. Unabhängig von der Form sei die Tatsache, dass etwas gesehen/erinnert wird, irrelevant. Die Aussagen würden sich „von ihrem historisch-dokumentarischen Ziel, der Beschreibung des Objektes so wie es war“2 in sich selbst zurückzurückziehen und „sich nicht mehr auf das Objekt richten, sondern sich aufeinander zuordnen, gerichtet, geordnet nun vom Subjektpol der Aussage her, ganz einbezogen in dessen Erlebnis und von ihm durchtränkt […].“3 Die Markierung als lyrisches Ich erfolge durch den Kontext. Dazu gehöre auch die ästhetische Form, die aber sekundär sei.4 Eine Gegenbewegung zu Gattungsbestimmungen der Lyrik, die in der Tradition der Subjektivitätstheorie stehen, bilden jene Theorien, die die Gattung durch ihre historische Bindung an die Musik und eine daraus folgende besondere Sprachverwendung charakterisieren. Jürgen Link spricht von einer Überstrukturiertheit der lyrischen Gattung, die auf ihre historische Gebundenheit an Tanz und Gesang in der antiken mousiké zurückgehe: „Sangbarkeit und Tanzbarkeit erlegen der Sprache eine Reihe apriorischer Bedingungen auf: Metrum, Rhythmus, stark wiederholende (rekurrente) Strukturen, Übersichtlichkeit, Prägnanz in der Formulierung, (relative Kürze).“5 Die sogenannten Abweichungstheorien sehen in der erhöhten Selbstreferentialität ein Spezifikum der Lyrik; eine Definition, die an das Konzept der poetischen Funktion anschließt, das auf Roman Jakobson zurückgeht. Während Jakobson in seinen gattungstheoretischen Überlegungen die Lyrik in traditioneller Weise an die emotive Funktion der Sprache gebunden sieht, sind seine Überlegungen zur Selbstreferentialität der poetischen Sprache insgesamt für die spätere Lyriktheorie von größter Bedeutung. Jakobson charakterisiert nämlich poetische Texte durch eine Dominanz der poetischen Sprachfunktion über die referentielle, was die Aufmerksamkeit auf die Sprache selbst lenkt. Dies äußert sich in Wiederholungsstrukturen, die die verschiedensten Ebenen der Sprache, einschließlich der semantischen Ebene betreffen: „Man kann nun also die These aufstellen, daß in der Poesie, also dort, wo die poetische Funktion der Sprache über die referentielle dominiert, das Prinzip der Äquivalenz, 1 2 3 4 5
Siehe Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1957, 181–182ff. Ebd., 165. Ebd. Siehe ebd., 171. Jürgen Link: „Elemente der Lyrik“, in: Helmut Brackert/Jörn Stückrath (Hg.): Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 1992, 86–101. Hier: 86.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen
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d. h. der Similarität, der Kontiguität, also der Abfolge der Zeichen im Text, überlagert wird.“1 Im Zusammenhang des Poesiefilmes von größtem Interesse ist Jakobsons Formulierung von der „Spürbarkeit der Zeichen“, die andeutet, dass er nicht von einer reinen Selbstreferentialität ausgeht, in der lediglich die Zeichenhaftigkeit der Zeichen zur Bedeutung wird, sondern, dass deren sinnliche Wahrnehmbarkeit in den Vordergrund tritt, etwa in rhythmischen Konfigurationen oder als alliterierender Klang. Hans Ulrich Gumbrecht beschreibt die Rezeption von Lyrik (poetry) als ein Oszillieren zwischen klangstilistisch erzeugter Präsenzerfahrung und hermeneutischer Verstehensbemühung: „Poetry is perhaps the most powerful example of the simultaneity of presence effects and meaning effects – for even the most powerful institutional dominance of the hermeneutic dimension could never fully repress the presence effects of rhyme, alliteration and stanza.“2 Dagegen stellt sich die Frage, ob nicht gerade aus dem Pendeln zwischen beiden Möglichkeiten oder Modi der Zeichenerfahrung bzw. aus deren ästhetischer Spannung die Präsenzerfahrung in der Rezeption von Lyrik hervorgeht, wie es auch Paul Valérys berühmte Formulierung nahelegt, ein Gedicht sei „ein verlängertes Zögern auf der Schwelle zwischen Klang und Bedeutung“3. Diese Auffassung vom erhöhten Grad an Poetizität der Lyrik erklärt den engen Zusammenhang, der vor allen in Übertragungen und Ausweitungen der Begriffe auf andere Medien zwischen Lyrik, Poesie und dem Poetischen hergestellt wird. Gilt die Lyrik als Prototyp kunstvoll verfremdender Sprachverwendung, als „Anti-Diskurs“4, so ist hier bereits die Bedeutung der Devianz im Sinne einer kritisch-subversiven Zeichenverwendung enthalten, die in Übertragungen auf das audiovisuelle Medium zur vollen Entfaltung kommt.5 Auf der Suche nach einem gattungsspezifischen Differenzkriterium entwickelt Dieter Lamping die Definition des lyrischen Gedichtes als „Einzelrede in Versen“; damit wird eine Kombination angestrebt aus sogenannten Sprachtheorien der Lyrik einerseits, die die Gattung durch einen abweichenden Sprachgebrauch charakterisieren, und Formtheorien andererseits, die auf den Vers als hinreichendes Merkmal von Lyrik abstellen.6 stellen.6 Lampings lange Zeit äußerst einflussreiche Bestimmung hat in den letzten JahJahren wieder verstärkt Konkurrenz durch neue Ansätze bekommen. Eva Müller Zettelmann versucht eine Abkehr von der Unternehmung eines einzigen Differenzkriteriums
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Roman Jakobson: „Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie“ (1961/1968), in: Aufsätze zu Linguistik und Poetik, hg. von Wolfgang Raible, München 1974, 247–260. Hier: 253. Hans Ulrich Gumbrecht: Production of Presence. What Meaning Cannot Convey, Stanford/Calif. 2007, 18. Paul Valéry: Œuvres, Bd. II, hg. von Jean Hytier, Paris 1960, 637 (Übers. S.O.). Eine spezifisch lyrische Deutung der ästhetischen Präsenzerfahrung gibt Rüdiger Zymner, Lyrik, 138. Siehe Karlheinz Stierle: „Die Identität des Gedichts. Hölderin als Paradigma“, in: Odo Marquard (Hg.): Identität, 8. Kolloquium, Bad Homburg, vom 5.–11. September 1976, München 1979, 505– 552. Hier: 514. Stierle beschreibt die Überschreitung von Diskursen als wesentliches Spezifikum von Lyrik. Dies beinhaltet auch die Transgression des narrativen Schemas. Siehe Kapitel 1.3. Siehe Dieter Lamping: „Lyrikanalyse“, 144.
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Was sind Poesiefilme?
der Gattung Lyrik, indem sie in einem Mehrkomponentenmodell Merkmale zusammenfasst, die nicht notwendig oder hinreichend zu einem lyrischen Text gehören, die aber als Charakteristika oder Tendenzen der Lyrik aufgefasst werden können.1 In diesen Merkmalslisten werden Aspekte erfasst, die auch in anderen Gattungstheorien zur Sprache kommen. Gleichzeitig werden diese Eigenschaften von der Notwendigkeit entlastet, als hinreichende Gattungsspezifika einzig und allein für die Lyrik gültig zu sein. Auch Werner Wolf argumentiert in ähnlicher Weise für eine Pluralität der Eigenschaften von Lyrik, doch integriert er darüber hinaus in seine Rekonzeptualisierung der Lyrikdefinition auch kommunikative und funktionale Aspekte.2 Einen Neuansatz stellt auch die von Rüdiger Zymner entwickelte Lyrikdefinition dar. Die begriffliche Arbeit Zymners, der eine konträre Position zu den Mehrkomponentenmodellen einnimmt, ist für die Fragestellung der nachfolgenden Untersuchung vor allem deshalb besonders relevant, weil sie von einem sehr weit gefassten Textkorpus ausgeht, sich mit den Grenzbereichen der Gattungen auseinandersetzt und Rezeptionsaspekte einbezieht. Zymner versucht, Lyrik nicht nur in ihren graphischen Manifestationen, sondern auch in ihren phonischen Repräsentationen und Performanzereignissen zu erfassen. Um die Beschränkung der Lyriktheorie auf sinnvoll strukturierte, schriftlich fixierte Texte aufzuheben, fasst er „Lyrik zunächst sehr allgemein als Erscheinungsweisen oder Formatierungen von Sprache, und zwar auf ‚Verdauerung angelegte‘ Erscheinungsweisen oder Formatierungen.“3 Zymners Ansatz ist dazu prädestiniert, als lyrikologische Ausgangsbasis für die Untersuchung des Genres Poesiefilm zu dienen, denn er beruft sich auf ein weit gefasstes Korpus lyrischer Formen, das auch unkonventionelle, experimentelle und nicht-kanonisierte Äußerungen in die Gattung einschließt. Weder die schriftliche Abfassung, die Fiktionalität, die Poetizität, ja nicht einmal Texthaftigkeit oder der Status als Literatur seien dafür ausschlaggebend. Als Differenzkriterium für die Definition von Lyrik wird allein deren Eigenschaft verstanden, generisches Display sprachlicher Medialität zu sein. Zymner sieht das Spezifische in der Eigenschaft der Lyrik, den Eigensinn der Sprache herauszustellen und durch Störungen im Display der Faktur oder der Information semantische Irritationen herauszufordern. Er versteht Sprache mit Ludwig Jäger als Medium, das Sinn generiert und nicht etwa sprachtranszendente Inhalte ausdrückt: „Kurz: Lyrik ist diejenige Gattung, die Sprache als Medium der sprachprozeduralen Sinngenese demonstriert bzw. demonstrativ sichtbar macht, die mithin den Eigensinn von Sprache demonstrativ vorzeigt.“4 Dies geschieht nach Zymner, indem Störungen die Rezeption verlangsamen – sie fungieren als Attraktoren. Der Begriff „Attraktoren“ ist im Unterschied zur dem der „Abweichung“ auf die Wahrnehmung der Rezipienten bezogen und umfasst besonders auffällige Formen der Ent1
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Siehe Eva Müller-Zettelmann: Lyrik und Metalyrik. Theorie einer Gattung und ihrer Selbstbespiegelung anhand von Beispielen aus der englisch- und deutschsprachigen Dichtkunst, Heidelberg 2000. Siehe Werner Wolf: „The Lyric“. Rüdiger Zymner: Lyrik, 24. Ebd., 96f.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen
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automatisierung und Verfremdung: „Ich schlage nun vor, die besonderen ‚Störungen‘ in der spezifischen Sprachverwendung oder Sprachformung der Lyrik als spezifische aufmerksamkeitsbindende Attraktoren zu betrachten.“1 Zymner integriert auch die bei der Rezeption von Lyrik erfahrbaren Präsenzeffekte, die über Prozesse der Bedeutungsstiftung hinausgehen, in seine Lyrikdefinition, indem er sie als Erfahrung ästhetischer Evidenz oder kognitionswissenschaftlich als flow-Erlebnisse beschreibt. Leicht ließe sich die hier referierte Konzeption, die Lyrik als „generisches Display sprachlicher Medialität“2 definiert, für eine Variante der Abweichungstheorie in der Tradition des russischen Formalismus halten, bei der die Poetizität eines Textes an der sprachlichen Selbstreferentialität festgemacht wird. Dem hingegen grenzt sich Zymner entschieden von diesen Positionen ab. Seine Kritik richtet sich im Kern gegen das von Jakobson übernommene Konzept der Selbstreferenz, das er in reiner Form für unrealisierbar hält.3 Zymners lyriktheoretischer Ansatz unterscheidet sich auch insofern von den Definitionsversuchen der Abweichungstheorie, als dass die lyrischen Attraktoren nicht zwangsläufig und in jedem Fall auch poetische Abweichungen sind: „denn sie stehen weder in einem Beziehungsgefüge von geordneter Reihung oder Ähnlichkeit oder Entgegensetzung, noch in einem, das entscheidbar und unzweideutig zu Sachverhalten außerhalb des Textes hergestellt wird.“4 Zymners Lyrikbegriff empfiehlt sich darüber hinaus durch seine Zweiseitigkeit für die Untersuchung des Poesiefilmes. Denn Zymner übt zwar Kritik am Konzept der Selbstreferentialität oder Selbstreflexion, das für so viele lyrikologische Theorien einen zentralen Status besitzt, gleichzeitig stärkt er aber die Rolle der sinnlichen Partizipation („an Faktur, Information, Schriftbild oder Performanz“)5 bei der Erzeugung ästhetischer Evidenz in der Rezeption von Lyrik. Wo Zymner die Annahme, lyrische Abweichungen verwiesen auf die Materialität oder sinnliche Beschaffenheit der Sprache, strikt ablehnt,6 hält dieser Aspekt in Form der „sinnlichen Partizipation“ doch wieder Einzug in seine Argumentation. Jakobsons Satz von der ‚Spürbarkeit der Zeichen‘ erhält auf diese Weise seine (präzisierte) Gültigkeit. Zymner kritisiert insofern in überzeugender Weise das theoretische Vermengen von sprachlichen Abweichungen, Selbstreferentialität und sinnlicher Partizipation.7 Die Reflexion von Medialität und die teilnehmende, unbegriffliche ästhetische Präsenzerfahrung lassen sich als die beiden Pole verstehen, zwischen denen sich das Untersuchungsfeld von Lyrik im audiovisuellen Medium aufspannt. Aus Zymners Definition ergeben sich weitere Implikationen. Wird Lyrik nämlich als generisches Display sprachlicher Medialität beschrieben, so hat dies Folgen für die
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Ebd., 113. Ebd., 96. Tatsächlich ist von einem reinen Prinzip der Selbstreferenz nie die Rede. Schon Jakobson behauptet lediglich eine Dominanz dieser Funktion. Ebd., 108. Ebd., 138. Ebd., 125. Ebd., 138.
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Was sind Poesiefilme?
Untersuchung der Repräsentation von Lyrik im audiovisuellen Medium. Es genügt nicht, vermeintliche Lyrikmerkmale aufzuzählen und filmische Realisierungen auf diese hin abzuklopfen. Die Beschränkung von Lyrik auf den Vers und die Suche nach vermeintlichen Äquivalenten des filmischen Ausdrucks oder das Gegeneinanderhalten filmischer und sogenannter poetischer Bildlichkeit reichen nicht hin, das Genre Poesiefilm in seiner Eigentümlichkeit, in seiner Besonderheit zu charakterisieren. Ohne eine eingehende Befragung der Filme auf ihr Verhältnis zur eigenen Medialität, zum filmischen Ausdruck als Medium der Sinngenese sowie auch als Medium der Genese von Wahrnehmungseindrücken und von Präsenzeffekten, bliebe die Darstellung beim oberflächlichen Abgleichen von Gattungsmerkmalen stehen. Damit dies nicht geschieht, soll im nächsten Kapitel das Augenmerk auf den poetischen Film gerichtet werden, der sich nicht auf konkrete, lyrische Texte bezieht, sondern mit seinen eigenen Mitteln eine poetische oder lyrikanaloge Ausdrucksweise anstrebt. Wenn Lyrik als generisches Display sprachlicher Medialität fungiert, ließe sich dann eine ebensolche Gattungsbestimmung für deren audiovisuelle Ausprägung finden? Können Poesiefilme als Display audiovisueller Medialität gedacht werden? Die Übertragung von Lyrik in und auf den Film scheint eine solche Möglichkeit zumindest nahezulegen. Phänomenologische Mediendefinitionen charakterisieren Medien durch ihre Eigenschaft, in ihrem (störungsfreien) Vollzug transparent zu werden. Sie übertragen damit eine zentrale phänomenologische Beobachtung über das Wesen der Sprache auf das Medium überhaupt. Gerade im Moment der erfolgreichen Verständigung, so Maurice Merleau-Ponty, geraten nämlich die verwendeten Zeichen in Vergessenheit: „Aber gerade darin liegt die Stärke der Sprache: sie ist es, die uns zu dem hinführt, was sie bedeutet; sie verbirgt sich vor unseren Augen durch ihre eigene Tätigkeit; ihr Triumph ist es, sich selber auszulöschen.“1 Nach Dieter Mersch ist für den Medienbegriff die Differenz konstitutiv, die das Medium in einer unbestimmbaren Zwischenposition zwischen Signifikant, Signifikat und Interpretation hält, was damit einhergeht, dass sich Medien in ihrem Funktionieren verbergen.2 Kunst wäre demnach als Strategie der Störung dieser medialen Funktion zu verstehen, indem sie immer wieder auf deren Materialität verweist, Prozesse der Bedeutungskonstitution erschwert und diese Medialität spürbar werden lässt: „Das Amediale manifestiert sich folglich im Regellosen, in den Verletzungen und Verwerfungen, die inmitten medialer Zurüstungen des Hörens und Sehens klafft.“3 Es soll nicht verschwiegen werden, dass ein solches Verständnis der Funktion von Kunst selbst historisch ist und an die Poetik und Ästhetik der Moderne und Avantgarde gebunden ist.4 Darin besteht eine Gemeinsamkeit mit den Poetizitätskonzepten der russischen Formalisten. Gleichzeitig trifft es in seinem Bestehen auf der Unterschei1 2
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Maurice Merleau-Ponty/Claude Lefort: Die Prosa der Welt, München 1993, 51. Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 56f. Siehe auch Sybille Krämer: „Kulturanthropologie der Medien: Thesen“, 133; zur Kritik dieser phänomenologischen Mediendefintion siehe Lambert Wiesing: „Was sind Medien?“. Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 54. Johanna Drucker: „Art“, in: W.J.T. Mitchell/Mark B.N. Hansen (Hg.): Critical Terms for Media Studies, Chicago/Ill. 2010. Hier: 10.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen
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dung von Medium und Kunst den Kern der Problematik Poesiefilm – das Verhältnis von Medialität und Poesie: Wenn daher von Techniken und Medien die Rede ist, von Medien als Kulturtechniken und ihrer Geschichte, so muß auch immer die Rede von den Künsten sein, die sie in Frage stellen, aus dem Lot bringen, verwirren oder ver-rücken. Kunst umspielt die Grenze des Technischen, errichtet auf ihr neue Räume. Veränderungen, das Ereignis des Anderen, ergehen allererst von dort her.1
Dies lässt sich auch in audiovisuellen Medien verfolgen. Die notorische Transparenz und Selbstvergessenenheit audiovisueller Medien ist von den Versuchen, eine andere Form des filmischen Ausdrucks zu finden, nicht zu trennen. Eine Reihe dieser Versuche haben sich der Formel „Film als Poesie“ bedient. Was das im Einzelnen bedeutet, soll im Kapitel 1.3 „Der poetische Film“ gesondert erläutert werden.
1.2
Videopoetry, Poesiefilm und Gedichtfilm – Ein begrifflicher Klärungsversuch
Bei einer audiovisuellen Kurzform, die so vielfältig ist wie der Poesiefilm und deren Praxis gerade darauf abzielt, traditionelle Genregrenzen zu überschreiten, fällt es schwer, begriffliche Ab- und Ausgrenzungen vorzunehmen. Dennoch soll an dieser Stelle eine Definition erarbeitet werden, um den Gegenstand der Untersuchung begrifflich zu bestimmen und die Fragestellungen dementsprechend daran auszurichten. Wo anders als bei einem gerade sich herausbildenden, sich als innovativ verstehenden Genre, ließe sich besser beobachten, dass künstlerische Gattungen keine natürlich gegebenen, wesenhaft sich unterscheidenden Ausdruckweisen sind, sondern sich kultureller Tradierung verdanken? In eine Vielfalt möglicher künstlerischer Praktiken werden diskursiv Linien gezogen, durch ästhetische Schriften, Poetiken und Bildungseinrichtungen. Infolgedessen bilden sich Regeln und Konventionen heraus, die tradiert werden und wiederum auf die künstlerische Produktion zurückwirken. Noch das Aufheben, Überschreiten und Durchbrechen von Gattungsgrenzen ist so ein Rekurs auf die Tradition. Im Fall des Poesiefilmes stößt man also auf das interessante Phänomen eines in der Bestimmung begriffenen Genres. Die Definition dieses Genres, die Aushandlung seiner Grenzen und damit seine Festschreibung vollzieht sich seit der Jahrtausendwende in Forumsdiskussionen, Zeitungsartikeln, Äußerungen von Künstlern in Vorträgen und Kolloquien, in den wenigen wissenschaftlichen Arbeiten und nicht zuletzt über die Aufnahmekriterien von Filmfestivals wie ZEBRA, Videobardo oder Visible Verse. 1
Dieter Mersch: „Wort, Zahl, Bild und Ton. Schema und Ereignis“, online unter: http://www.momoberlin.de/files/momo_daten/dokumente/Dieter%20Mersch%20%20Schema%20und%20Ereignis.pdf.
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Was sind Poesiefilme?
Inmitten all dieser Äußerungen herrscht aufgrund unterschiedlicher Kriterien und abweichender Bezeichnungen, die zumeist auf durchaus berechtigten Bedenken gegen den jeweils anderen Begriff fußen, eine immense Uneinheitlichkeit, die den Zugang zum Thema nicht eben erleichtert.1 Bezeichnungen, die im Umlauf und im Übrigen begrifflich keineswegs deckungsgleich sind, lauten: Poetryfilm, Poetryclip, Poetryvideo, Videopoem, Videopoesie, Videopoetry, Cin(e)poem, Cinepoetry, Lyrikclip, Lyrikfilm und Gedichtverfilmung. Bob Holman (geb. 1948), Dichter und wichtiger Protagonist der Spoken-Word-Bewegung, gilt als einer der Mitbegründer des Genres als „Poetryvideo“ in jüngerer Zeit. Seine Definition ist schon deshalb richtungsweisend, weil Holman für eine starke Traditionslinie innerhalb des Genres steht, an die auch Thomas Wohlfahrt mit der Gründung des ZEBRA Poetry Film Festivals anzuknüpfen wusste.2 Anlässlich der ersten Ausrichtung des Berliner Festivals im Jahr 2002 betont Holman in einem Vortrag die Vielfalt der Techniken und Stile, die im Poesiefilm zum Einsatz kommen können: A poetry film, videopoem (or Cin(e)-poem) strives for a symbiotic relationship of images words, and sound/music. It can integrate all the arts drama, dance, music, graphics and documentary elements. Some of the best poetry films and videopoems use stills animation, documentary clips as well as abstract computer-generated graphics, and narrative.3
Wichtig ist seiner Auffassung nach vor allem, und das verdeutlicht die Wendung vom ‚Symbiotischen‘ des Genres, dass aus der Verbindung der verschiedenen Elemente ein surplus entsteht: „Through a synergy of expressive words and images, successful cin(e)poems produce associations, connotations, metaphors and symbols that cannot be found in either their verbal or their visual texts taken alone.“4 Der Begriff „Poesiefilm“ ist allerdings außerhalb des ZEBRA-Festivals – vor allem international – kaum gebräuchlich. Viele sprechen, wie die Filmemacherin Mary Russell und der Dichter Gerard Wozek, von Poetry Videos, die sie mit Videopoems, CinePoetry, Poetryfilmen oder Videopoetry gleichsetzen. Ihre Definition denkt das Genre von der visuellen Seite her: „ [It] unites spoken text (or sometimes text that is written on the screen or text that is simply interpreted by the visual artist) with imagery and music. Situated somewhere between installation art and music video, poetry video is an evolving genre.“5 Die Ausführungen zeigen, dass das Künstlerduo in ihrem Verständnis des Videopoems stark von den bildenden Künsten geprägt und an ihnen orientiert ist, was noch dadurch unterstrichen wird, dass sie das Genre zwischen Kunstinstallation und Musikvideo situieren. Dennoch umfasst ihre Definition sowohl gesprochene als auch ge-
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Zur Geschichte der Festivals und Distributionsformen siehe Kapitel 2.4. Zum Beitrag der Spoken-Word-Szene bei der Entwicklung des Genres „Poetryfilm“ im Allgemeinen und zur Rolle Bob Holmans im Besonderen siehe Kapitel 2.3 dieser Arbeit. Bob Holman: „Poetryfilm“, Redemanuskript, in: Archiv des ZEBRA Poetry Film Festivals, 2001, ZEB1. Ebd. Russell Mary/Wozek Gerard: „Poetry Video“.
Ein begrifflicher Klärungsversuch
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schriebene Texte und beinhaltet sogar Videos, die ein Gedicht nur interpretieren, ohne es in das audiovisuelle Medium zu integrieren. Einem ähnlichen Ansatz folgt der Schriftsteller Dwight Okita: „What is a poetry video anyway? A loose description might be: a video with a poem at its center. Think of a music video, but with a poem on the soundtrack instead of a song. The words can be voiced-over, spoken on camera, or graphically represented.“1 Neben diesen sehr lockeren Definitionen, die Poesiefilm, Poetryvideo, Videopoem und Cin(e)poem weitgehend synonym verwenden, gibt es Versuche, das Genre weiter zu differenzieren und für die Untergruppen eigene Bezeichnungen zu finden. Verschiedene Erkenntnisinteressen oder künstlerische Hintergründe führen dabei zu zahlreichen Unterscheidungen. Medienwissenschaftlich ausgerichtete Ansätze haben sich für den Einfluss der neueren Medien (Video, Hypertext etc.) auf die Produktion von Literatur, vor allem von Lyrik, interessiert. Caterina Davinio zieht in ihrer ausführlichen Untersuchung das Fazit, dass zwei künstlerische Reaktionen auf die neuen medialen Produktions- und vor allem Rezeptionsformen zu beobachten sind.2 Da ist zum einen die Weiterführung des avantgardistischen Projektes, die Literatur vom Medium der Schrift zu lösen, wie es auch in vielen Poesiefilmen der Fall ist: „The effort […] to bring poetry out from the page, drives it through the new media sea, taking it back to the oral and theatrical forms of the origins […]“.3 Einen anderen Weg schlagen von den visuellen Künsten und der konkreten Poesie inspirierte Künstlerinnen und Künstler ein, die in simultanen Installationen, interaktiven Gedichten, Videoschriftkunstgebilden oder Hypertextpoesie die visuellen Möglichkeiten der Schriftkunst ausloten, um das schriftliche Gebilde Gedicht neuen, nicht linearen Rezeptionsformen zu öffnen. Diese aber bleiben in erster Linie dem Lesen und Sehen verhaftet, kreisen also weiterhin um die Literatur als visuelles Medium. Davinio nennt sie „Video-Visual Poetry“. In beiden Fällen ist jedoch eine Tendenz hin zur Betonung der Materialität des Kunstwerks zu beobachten, das so zwischen Ver- und Entkörperung zu pendeln scheint. Beide Richtungen fasst Davinio unter dem Oberbegriff „Videopoetry-Video“ (im Singular „Videopoem“) zusammen: „a particular type of videoart containing poetry text, variously elaborated at a visual and acoustic level; its presence in video can be more or less wide – in some cases conjugated with the cinema.“4 Im Gegensatz zu den meisten anderen Definitionen umfasst der Begriff „Videopoetry“ hier darüber hinaus auch Filme, in denen nur wenig oder gar kein Text anwesend ist. Diese besonderen Fälle, auf die noch zurückzukommen sein wird, werden filmic poem oder poem-video genannt. Für Kurzfilme, die sich aus der Spoken-Word-Szene heraus als Vermittlungsform von literarischen Performances entwickelt haben, hat sich die Bezeichnung 1
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Dwight Okita: „Poetry Video Comes Of Age (Reprint From A 1991 Letter Ex): ChicagoPoetry.com: The Center of Chicago’s Cyberspace Poetry“, online unter: http://chicagopoetry.com/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=261&mode=t hread&order=0&thold=0. Zum Folgenden Caterina Davinio: Tecno-poesia e realtà virtuali, Mantova 2002, 297ff. Ebd. Ebd., 273.
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Was sind Poesiefilme?
„Poetryvideo-Clips“ etabliert.1 Begriffliche Verwirrung herrscht nun vor allem bei dem Begriff „Videopoetry“, der sowohl von Schriftkünstlern, als auch von Spoken-WordPerformern für ihre Filme beansprucht wird. So spricht sich Dichter und Videokünstler Tom Konyves im Forum der Facebook-Gruppe „See the Voice: Visible Verse“ 2 dafür aus, Videopoetry als ein literarisches Genre zu betrachten, bei dem zwar Text, Bild und Ton zusammengeführt werden, jedoch nicht eine Vertonung des Gedichtes stattfindet: „the text is read, not heard.“ Im Gegensatz dazu bilden für ihn Poetryvideos lediglich eine Sparte des Mediums „Video“, die Texte illustriert oder sogar Lesungen dokumentiert. Auch wenn dieser Meinung hier im Weiteren nicht gefolgt werden soll, steht die beschriebene Unterscheidung doch für eine recht verbreitete Auffassung, die auf der Annahme fußt, dass Poesie ausschließlich im Medium der Schrift stattfindet. Darin liegt der Grund für die Überlegung, Videokunst, die in der Tradition der visuellen Poesie mit Schrift und Graphik experimentiert, sei als ein literarisches Genre anzusehen, während Videos, in denen Dichtung auch gesprochen, performt, inszeniert wird, sich der Literatur sozusagen nur von außen nähere. So lässt sich schon anhand der ersten umstrittenen Definitionsversuche zeigen, wie die Verbindung mit dem audiovisuellen Medium, die Dichtung auf je ganz verschiedene ihrer Eigenschaften (ihre Schriftbildlichkeit oder aber ihren Klang) befragen kann. Anders als bei Davinio umfasst der Begriff „Videopoetry“ in vielen Fällen also streng genommen eine visuelle Poesie mit den technischen Mitteln des Videos (bei Davinio dagegen als „Video Visual Poetry“ bezeichnet). In diesem Sinn argumentiert der brasilianische Künstler E. M. de Melo e Castro, wenn er schreibt: Videopoetry is also an investigation of the specific characteristics of the electronic text, as opposed to those of the motion picture and also to the massification of TV broadcasting. [...] As for videopoetry the immediate references will be the experimental poetry of the ‘60s as iconized text. But the ultimate goal is to investigate video as a medium capable of developing by itself a new kind of reading pleasure.3
Videopoetry sind in diesem Verständnis solche Kunstwerke, die sich ausschließlich elektronisch oder digital erzeugter oder veränderter Bilder bedienen. Auch hier können Stimme, Musik und Geräusch vorkommen, sie bleiben aber auf eine kontrapunktische, den Schrifttext ergänzende Funktion beschränkt.4 Eine andere, gegensätzlich ausgerichtete Untergruppe stellen die Poetryclips aus der Spoken-Word-Szene dar, die sich vollständig auf die Präsentation einer Textperformance konzentrieren. Bei der Poetryslam-Gruppe „SpokenWordBerlin“ heißt es dazu:
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Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry Slam. Kleine Schriften zur Interaktionsästhetik, Wien 2005, 86. Eine Plattform, die von Poetry-Filmemacherin und Festivalleiterin Heather Haley kuratiert wird und mit dem gleichnamigen Festival in Vancouver assoziiert ist, siehe http://www.facebook.com/topic.php?uid=2423323723&topic=4591. E. M. de Melo e Castro: „Videopoetry“, in: Eduardo Kac (Hg.): Media Poetry. An International Antology, Bristol 2007, 175–184. Hier: 176f. Siehe ebd., 179.
Ein begrifflicher Klärungsversuch
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„In der Regel sind Poetry Clips nicht länger als Popsongs. – In Poetry Clips wird der Text speziell für die Kamera inszeniert. Es handelt sich nicht um abgefilmte Lesungen.“1 Die gängigen Konzepte möglicher künstlerische Verbindungen von Video und Poetry scheinen also in zwei sehr unterschiedliche Richtungen zu weisen. Auf der einen Seite wird das audiovisuelle Medium in Anspruch genommen, um die „schriftbildliche“2, visuelle Seite lyrischer Texte zu inszenieren und auf der anderen Seite wird die Verkörperung lyrischer Texte in Ton und Bild überführt. Das mag daran liegen, dass sich der Begriff mit dem Wort „Video“ auf ein elektronisches Aufnahmeverfahren stützt, das künstlerisch ähnlich wie Papier und Federhalter auf sehr verschiedene Weise eingesetzt werden kann. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem Genre „Poesiefilm“ beschäftigen, aus ganz unterschiedlichen Traditionen und künstlerischen Bereichen herkommen. Ich möchte deshalb, was die Bezeichnung betrifft, der Praxis des ZEBRA-Festivals folgen, die sich mit dem Begriff „Poesiefilm“, auf die umgangssprachliche Bedeutung von „Film“ für alle audiovisuellen Werke bezieht, und damit alle technischen Formate einschließt, ob auf Beta-SP, 35 mm, Super 8 oder digital gedreht.3 In der Konsequenz ist in Kauf zu nehmen, dass Verweise auf Videokunst und Videoclip als für die Entstehung des Genres wichtige Einflüsse in der Bezeichnung nicht sichtbar werden. Dennoch scheint mir die Bezeichnung „Poesiefilm“ der Vielfalt der Ausdrucksformen, die er umfassen soll, am ehesten gerecht zu werden. Nicht zuletzt deshalb, weil er auf ein Gemeinsames dieser audiovisuellen Ausdrucksform hindeutet, das die medientechnische Vielfalt überlagert. Die Bezeichnung entspräche damit in ihrer Reichweite in etwa Russel und Wozeks Poetry Video oder Davinios Videopoetry. Eines haben alle diese Poetryfilme gemein: Sie übersetzen das statische Schriftbild eines Gedichts, das sonst erst der Leser ‚in Gang setzen‘ muss, in eine linear ablaufende Bildform. Poetry in motion: Der Film wird zum lyrischen Fließtext, zum projizierten Gedicht.4
Damit benennt der Autor Norbert Kron sehr präzise ein Merkmal, das allen Poesiefilmen inhärent ist und das weder in der Visualisierung oder Illustration noch in der Verstimmlichung des Gedichtes besteht. Im Moment der Bewegung liegt gleichzeitig eine Herausforderung für die Untersuchung des Phänomens „Poesiefilm“. Es wird deutlich, dass sie sich methodisch nicht allein an den Lektüreweisen für gedruckte Lyrik orientieren kann, sondern sich lyrische Aufführungen und filmische Kurzformen zum Modell nehmen muss. 1 2
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Bastian Böttcher/Wolfgang Hogekamp: Poetry Clips, Vol. 1., Beiheft 2005. „Die Schriftbildlichkeit geht hervor aus einer Hybridisierung von Sprache und Bild.“ (Sybille Krämer, „,Schriftbildlichkeit‘ oder: Über eine (fast) vergessene Dimension der Schrift“, in: Sybille Krämer/Horst Bredekamp (Hg.): Bild, Schrift, Zahl, München 2003, 157–176. Hier: 158). Die medialen Differenzen zwischen Film, Video und digitalen Videoformaten sowie ihre unterschiedlichen Übertragungs- und Rezeptionsweisen (Mediendispositive) werden im historischen Teil der Arbeit diskutiert. (Siehe Kapitel 2.2). Norbert Kron: „Poetry in Motion“, in: Die Welt, 13.07.2007.
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Was sind Poesiefilme?
Das ZEBRA Poetry Film Festival nimmt eine indirekte Definition des Poesiefilmes über seine Teilnahmekriterien vor, die im Jahr 2012 wie folgt formuliert wurden: Teilnahmeberechtigt sind Filme (max. 15 Min.), die nach dem 1.1.2009 fertig gestellt worden sind. Eine Programmkommission behält sich in Ausnahmefällen vor, längere Filme zuzulassen. Alle eingereichten Filme müssen audiovisuelle Umsetzungen eines oder mehrerer Gedichte sein. Als Vorführformate sind zugelassen: 35mm, DigiBeta, Beta SP, BluRay und DVD. Alle Filme auf den Vorführkopien, die nicht in englischer Sprache sind, müssen englische Untertitel haben.1
Auch diese scheinbar klare Definition birgt Auslegungsspielräume. Vor allem ist näher zu bestimmen, was unter einer „audiovisuellen Umsetzung“ zu verstehen ist. Neben der ohnehin schon problematischen Entscheidung über die Klassifizierung eines Textes als Gedicht, bei der kulturelle und historische Faktoren eine Rolle spielen und dessen Abgrenzung zum Lied2, muss nun auch noch die Art und Weise der Bezugnahme des Filmes auf den Text geklärt werden. Betrachtet man die von der Auswahlkommission zugelassenen Filme, so zeigt sich, dass man es hier mit einem recht umfassenden Begriff zu tun hat. Aufnahmebedingung ist nämlich keineswegs, dass das Gedicht schriftlich oder in gesprochener Form im Film vorkommt. Beispiele wie das Projekt NICHTS_WEITER_ALS (2006) verdeutlichen, dass es in dieser Auffassung von Poesiefilm lediglich darauf ankommt, dass ein Gedichttext als Vorlage existiert, der in der Konzeption des Filmes sichtbar eine Rolle gespielt hat, was sogar durch das Einreichen der schriftlichen Vorlage nachzuweisen ist. Zwei der vier Kurzfilme im Projekt NICHTS_ WEITER_ALS sind beispielsweise narrativ umgesetzte Interpretationen des Gedichtes von Arne Rautenberg, ein weiterer baut den Text in einen Spielfilm-Dialog ein, wobei ich vorläufig von einer szenischen Umsetzung3 sprechen möchte, und ein vierter besteht in einer Performance des Gedichtes durch Fritzi Haberland. Das Beispiel von NICHTS_WEITER_ALS ist in mehreren Punkten aufschlussreich. Zunächst zeigt es, dass unter die von ZEBRA vertretene Auffassung des Begriffes „Poesiefilm“ durchaus narrativ gehaltene Kurzfilme im Sinne einer Literaturverfilmung fallen, die den Gedichttext nicht als solchen einbinden müssen. Vor allem aber wird deutlich, dass in diesem Verständnis das Hauptaugenmerk trotz allem weiterhin auf dem schriftlich fixierten
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Zebra-Award, Ausschreibung 2012, online unter: http://www.literaturwerkstatt.org. Eine Abgrenzung, die gerade angesichts des performanceorientierten Poetryclips, bei SpokenWord-Filmen und vielen Poetryfilmen mit Musik ausgesprochen problematisch ist. Letztlich geht es hier um die Grenze von Sprechen und Singen, ein Thema das in diesem Rahmen allerdings nicht ausführlich berücksichtigt werden kann. Besonders die nordamerikanische Szene kommt mit ihrem rhythmischen Sprechgesang dem Rap sehr nah. Zur Problematik der Unterscheidung von Sprechen und Singen siehe Paul Griffith: „Sprechgesang“, online unter: http://www.oxfordmusiconline.com/subscriber/article/grove/music/26465. Das Gedicht ist in den Dialog eingepasst und hebt doch aus der Erzählsituation heraus, ähnlich wie in Ralf Schmerbergs preisgekrönten „Nach grauen Tagen“. Möglicherweise besteht hier eine fließende Grenze zu stark ausgestalteten Performanceclips.
Ein begrifflicher Klärungsversuch
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Gedicht liegt, wobei seine Existenz unabhängig vom Medium Film eine entscheidende Rolle spielt. Es soll in irgendeiner Form im Produktionsprozess vorkommen, nicht notwendigerweise jedoch im Film, ganz wie ein klassisches Drehbuch oder Szenario. Eine Grenze wird im Auswahlverfahren des ZEBRA Poetry Film Festivals demzufolge nach zwei Seiten hin gezogen. Zum einen fallen dokumentarische Filme, also Dichterporträts mit Texteinsprengseln oder aber auf Video dokumentierte Lesungen und Performances, aus dem Genre heraus.1 Zum anderen bleiben auch solche Filme außen vor, die keinen konkreten sprachlich verfassten lyrischen Text zur Grundlage haben oder integrieren, die sich aber von ihrer formalen filmischen Gestaltung her in Abgrenzung zum narrativen Film als lyrisch verstehen. Für diese Filme hat Davinio die Bezeichnung „filmic poem“ oder „poem-video“ vorgesehen. In ihnen ist das Lyrische oder Poetische ein Strukturmerkmal, das sich unabhängig von der sprachlichen Realisierung beobachten lässt. Anders ausgedrückt: die Verwendung der Filmsprache selbst zeigt eine Analogie zu der sprachlichen Gestaltung lyrischer Texte. Dieses gewissermaßen metaphorische Verständnis vom Film als Gedicht oder Film als Poesie spielt in der Filmgeschichte der Avantgardebewegungen eine bedeutende Rolle und soll im nächsten Kapitel ausführlicher dargelegt werden. Ein in diesem Sinne erweitertes Verständnis des Poesiefilmes lässt sich auch beim VideoBardo-Festival in Buenos Aires beobachten. Javier Robledo, Direktor des Festivals, nähert sich auf Anfrage einer Definition an und bestimmt Videopoesia als audiovisuelles Werk, in dem das Wort, die Sprache, die Rede, die Schrift, das Zeichen, das Symbol speziell behandelt werden: „Puede haber un poema escrito previo al videopoema o puede el videopoema crear en imagen y/o sonido el poema.“2 Die Schriftform oder sprachliche Form des Gedichtes ist also dort keine Bedingung, sondern das Festival widmet sich auch den aus Bild und Ton gebildeten Gedichten, womit der Begriff „Gedicht“ aus dem Bereich der Literatur entgrenzt wird. Zu den Traditionslinien der Videopoesia zählt Robledo sowohl das Kino als auch das Gedicht in seiner langen Geschichte, insbesondere aber die experimentelle Poesie. Zum Abschluss dieser Betrachtungen soll dafür plädiert werden, Filme, in denen tatsächlich gesprochene oder geschriebene Texte materieller Teil des filmischen Kunstwerks sind, in Abgrenzung zu allen anderen Bezeichnungen „Gedichtfilme“ zu nennen. Nur sie unterscheiden sich grundlegend von Formen der literarischen Adaption, wie et-
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Auch hier können sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten ergeben: Ab wann ist eine Performance auf Video technisch elaboriert genug (Zahl der Schnitte?, Perspektivwahl? etc.), um als Poetryfilm zu gelten? Oder entscheidet die Konzeption auf die filmische Umsetzung hin, so einfach sie auch gestaltet sein mag? (Siehe z. B: John Giornos grandiose Performance von „Just say no to family values“, die aus einer einzigen Einstellung besteht sowie das preisgekrönte „Perfect Activity Leaves no Traces“, das sich als Teil eines Kunstprojektes sehr nahe an der Dokumentation einer Kunstperformance bewegt, seine Wirkung aber durch zwei filmische Eigenheiten entfalten kann: Kameravogelperspektive und Verstreichen der Zeit. Ein aus Vogelfutter (Toastbrot) gelegter Satz wird in dem aus dem Märchen „Hänsel und Gretel“ bekannten Verfahren spurlos verschwinden). Javier Robledo: Videobardo’s Idea about Videopoetry, E-Mail vom 05.06.2008, Buenos Aires 2008.
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Was sind Poesiefilme?
wa der Literaturverfilmung, da hier nicht Text in Film umgewandelt wird, sondern zwei ganz unterschiedliche mediale Formen, nämlich Gedicht und Film, zusammengebracht werden. Diesen Filme, die im Übrigen ohnehin den Großteil der in diesem Zusammenhang entstehenden Produktionen ausmachen, kommt daher ein Sonderstatus zu. Möchte man den Poesiefilm als ein eigenes hybrides Genre fassen, so muss diese Verschränkung von sprachkünstlerischem und audiovisuellem Werk fassbar bleiben und das heißt auch: wahrnehmbar sein. Dies ist nur im Gedichtfilm der Fall. Ein Film, der die Handlung des Erlkönigs wiedergibt, ist eben ein Spielfilm, der seine Vorlage genau um jene materielle, sprachliche – und das heißt schriftliche oder lautliche – Seite reduziert, die das lyrische Gedicht zu einem wesentlichen Teil bestimmt und um die es dem Gedichtfilm geht.1 Im Anschluss soll ein Überblick über die verschiedenen Spielarten des Poesiefilmes gegeben werden. Jeder Ordnungsversuch, der sich dem Phänomen von seiner literarischen Seite her nähert, wird nach der „Einbindung bzw. Situierung des Gedichtes“2 ins audiovisuelle Medium fragen. Statt mich jedoch an den naheliegenden semantischen oder produktionstechnischen Merkmalen zu orientieren, möchte ich eine Typologie vorschlagen, die gewissermaßen eine Ebene tiefer ansetzt. Sie orientiert sich am Prinzip des Audiovisuellen, indem sie die Form der Ton-Bild-Beziehung zu einem wesentlichen Unterscheidungskriterium macht. Bevor also noch textuelle, inhaltliche oder formalen Merkmale herangezogen werden, soll zunächst danach gefragt werden, ob und wie sich das Gedicht im audiovisuellen Medium materialisiert. Damit sei der Versuch gewagt, mit beim Film ansetzenden Unterscheidungen zu beginnen, bevor noch literaturwissenschaftlichen Kriterien bzw. Text-Bild-Beziehungen untersucht werden, denen die konkrete stimmliche oder schriftliche Verwirklichung des Gedichtes stets zuvorkommt. Die Typologie beruht auf Beobachtungen bei der Sichtung zahlreicher Poesiefilme im ZEBRA-Festivalarchiv der Literaturwerkstatt Berlin und unter den Festivaleinsendungen des Jahres 2008 und 2010. Sie soll dazu dienen, einen Überblick über die Vielfalt des Genres zu geben, um gleichzeitig eine vorläufige Ordnung vorzuschlagen, die die sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen erst hervorhebt und als solche kenntlich macht. Zur Verdeutlichung werden knapp erläuterte Beispiele für die jeweiligen Typen herangezogen, mit denen die Typologie illustriert und gleichzeitig ganz bewusst problematisiert werden soll. Sie werden das Ordnungssystem an seine Grenzen führen, indem sie zeigen, dass klare Unterscheidungen mehr als einmal unmöglich sind und dass sich nicht selten an seinen Rändern die interessantesten Vorgänge abspielen. Ausgehend von einer großen Gruppe von Kurzfilmen, die alle in allgemeiner Weise mit Poesie oder Lyrik zu tun haben (ich nenne sie Video- oder Filmpoesie) gelangt man anhand der Unterscheidung, ob ein literarischer Text integriert wurde, zu zwei Gruppen. Filme ohne Textintegration unterteilen sich in Filme, die gar keinen Bezug zu ei-
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Siehe das Kapitel 3.1. Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu filmischen Adaptionen deutschsprachiger Lyrik, Magisterarbeit, Univ. Marburg 2007, 51.
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nem bestimmten literarischen Text haben (poetischer Film, filmic poem)1 und Filme, die ein vorliegendes Gedicht filmisch umsetzen (Adaption)2. Ein Beispiel für eine solche Adaption bildet der Kurzfilm DU UND ICH, ein Teil des Filmprojektes NICHTS_WEITER_ALS, das vier filmische Umsetzungen eines Gedichtes von Arne Rautenberg umfasst.3 Das Regie-Duo le:forel, bestehend aus Lale Nalpantoglu und Jens Schillmöller, nähert sich dem Gedicht dabei überraschenderweise, indem es fast vollständig auf gesprochenen Text verzichtet. Eine Bezugnahme auf die Textvorlage von Arne Rautenberg erfolgt ausschließlich in Form einer Übertragung lyrischer Bildkomplexe in filmische Bilder. Rautenbergs Gedicht besteht aus einer Reihung von Wortgruppen, die vordergründig um die Aktivitäten einer Vorstadtjugend kreisen. Auffällig sind Schriftbild und Versgliederung des Gedichtes. Diese unterbricht nämlich fortwährend die erwartete syntaktische Gruppierung in Sinneinheiten.4 Wo Rautenbergs Text subjektlos bleibt und nicht nur syntaktisch dissoziiert, sondern auch durch die Versgliederung in seiner Bezüglichkeit und Kontinuität unterbrochen wird, sucht sich der Film zwei jugendliche Protagonistinnen, die gemeinsam die seltsame Leere und Erwartung von Sommerferien und Jugend durchleben. In den ersten statischen Einstellungen werden Bild für Bild Signalwörter aus dem Gedicht umgesetzt, so dass hintereinander Trabantenbauten, ein Kaugummiautomat, eine Perlweinflasche im Gras vor einem Flachbau und schließlich eine Schnellstraße zu sehen sind. Dann schließt sich eine Reihe von fünf Sequenzen an, die die anzitierten Textfragmente etwas assoziativer und breiter ausführen. Dabei ergeben sich durchaus strukturelle Analogien. So wird das Gedicht durch die Formel „nichts weiter als“, die inklusive des Titels genau viermal auftaucht, gegliedert. Die dabei entstehenden Abschnitte entsprechen in etwa den fünf quasi strophischen Sequenzen des Filmes. Genau viermal taucht mitten in der Lebenswirklichkeit der Mädchen, jedoch von ihnen unbeachtet auch eine surrealistisch anmutende rote Kugel auf, die von Mal zu Mal größer wird und sich von ihrem Ausgangspunkt im Gedicht („zweimal am tag süße / kugeln eingesammelt“) denkbar weit entfernt. Obwohl das Gedicht nicht im Film vorkommt und die spezifisch materielle, sprachliche Gestalt des Textes somit ausgelassen wird, bezieht sich die Adaption nicht lediglich auf dessen Handlung, sondern findet filmische Analogien zur strophischen Gliederung des Gedichtes. Für Filme, die im Gegensatz zu den bisher genannten Formen einen lyrischen Text materiell integrieren, soll die Bezeichnung „Gedichtfilme“ reserviert sein. Fragt man nun danach, wie die Texte sich jeweils manifestieren, ob stimmlich oder schriftlich, gelangt man zu zwei weiteren Gruppen. Der schriftbasierte Gedichtfilm folgt zu großen Teilen vor allem den Traditionen der visuellen Poesie. Gerhard Rühm begann bereits in den fünfziger Jahren Schriftfilme zu konzipieren. Einige von ihnen wurden schließlich 1 2 3 4
Siehe das Kapitel 1.3. Siehe das Kapitel 1.4. Siehe Abbildung 1.1. Dargestellt durch die eingeklammerten Schrägstriche: „… / auf viel zu große widerhaken / würmer gezogen (/) am rosensee / vorm Zelt gesessen (/) kleine Barsche / mit zu großem Maul (/) der tabak ging / aus (/) pfefferminztee tats auch“.
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Was sind Poesiefilme?
1969 unter dem Titel DREI KINEMATOGRAPHISCHE TEXTE vom Sender Freies Berlin realisiert.1 Heute hat sich der Schriftfilm stark der digitalen Poesie oder Computerpoesie angenähert.2 Er hat digitale Spielarten ausgebildet, die sich radikal mit der Grammatizität3 von Schrift und Computer auseinandersetzen, wie etwa die Arbeiten von Jörg Piringer.4 Auch frühe Filme aus der Stummfilmzeit stellen nach meiner Unterscheidung streng genommen visuelle Gedichtfilme dar, da sie das Gedicht in den Zwischentiteln zeigen, selbst wenn sie ihre eigene Schriftlichkeit weniger stark reflektieren. Doch auch in den zeitgenössischen Poesiefilmen gibt es eine vielfältige Praxis der schriftlichen Textintegration. Neben digitalen oder graphischen Techniken, die tatsächlich die Schriftlichkeit in den Mittelpunkt stellen, wird auch oft mit einfachen Einblendungen, Unter- oder Zwischentiteln gearbeitet. In der neuseeländischen Produktion B ELLES LETTRES – MIRROR spielt die Typographie des Gedichttextes von Sylvia Plath die Hauptrolle. Die Buchstaben sind im Stil einer altmodischen Schreibmaschinenschrift gestaltet und befinden sich in ständiger Bewegung, wobei sie mit Graphiken und Ornamenten in Kontakt treten. Basierend auf Pin-up-Girls und Werbezeichnungen der fünfziger Jahre wird dazu eine Bilderwelt im Retrostil geschaffen, die durch Schnittmuster, Kontaktanzeigen und Tapetenmuster ergänzt wird. Während die Bilder einen konservativen Wunschtraum von Weiblichkeit heraufbeschwören, spielt die Gestaltung der Buchstaben mit den ikonischen Möglichkeiten der bewegten Buchstaben und Verse. Plaths Gedicht besteht in der monologischen Rede eines Spiegels, der die Furcht seiner Benutzerin vor Alter und Verfall „reflektiert“: In me she has drowned a young girl, and in me an old woman Rises toward her day after day, like a terrible fish.5
Da wird das Schriftbild gespiegelt und gedreht, zittern und flimmern die Wörter, verwischen, werden gestrichen oder verschwinden unter einem Tintenfleck. Dabei gewinnen typographische Aspekte zwar an Bedeutung und rücken ins Blickfeld, stehen aber weiter im Dienst des Textes, indem sie die sprachliche Bedeutung der Verse meist bildlich nachvollziehen. So war es auch das erklärte Ziel der Filmemacherin Kylie Hibbert „to explore the potential of paralinguistics and poetry as emotive narrative.“6
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Siehe Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, Frankfurt am Main 1974, 829. Siehe Michael Lentz: „Zur Intermedialität in experimentellen Schriftfilmen“, in: Hans-Edwin Friedrich/Uli Jung (Hg.): Schrift und Bild im Film, Bielefeld 2002, 113–138. Hier: 113. „For if there is a possible analogy between the inception of writing as a discretization of the flux of utterances and that of digital media as the discretization of audiovisual temporal objects, it is to the extent that the audiovisual object, just like alphabet writing, is a pharmakon.“ (Bernard Stiegler: „The Carnival of the New Screen“, in: Pelle Snickars (Hg.): The YouTube Reader, Stockholm 2009, 40–59. Hier: 46). Einige der Clips sind abrufbar unter http://joerg.piringer.net. Sylvia Plath: Collected Poems, hg. von Ted Hughes, London 1981, 137f. Kylie Hibbert: „Belles Lettres. Synopsis“, Synopsis zum Film, in: Archiv des ZEBRA Poetry Film Festivals, 2006, ZEB3-0412.
Ein begrifflicher Klärungsversuch
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Neben den schriftbasierten Gedichtfilmen bleibt eine große Gruppe von Filmen, die gesprochene Dichtung beinhalten. Innerhalb dieser Gruppe existiert nun eine breite Vielfalt an Vorgehensweisen. Die Frage nach dem Ort der Stimme führt zu einem weiteren wichtigen Unterschied. Zum einen gibt es Filme, in denen die Gedichte im weitesten Sinne vor der Kamera (on screen) gesprochen werden. Die Darbietung des Gedichtes selbst steht im Mittelpunkt und bildet das Sujet der Filme, die darum performanceorientierte Gedichtfilme genannt werden können. Anders, wenn die Stimme im off bleibt und die Rezitation ausschließlich mit Bildern aus anderen Kontexten kombiniert wird. Man kann sie als Voice-Over-Gedichtfilme bezeichnen. Diese Gedichtfilme, bei denen das stimmlich präsentierte Gedicht mit den Filmbildern kombiniert wird, bildet vermutlich die umfangreichste Gruppe unter den Poesiefilmen. Als Beispiel für dieses Verfahren ist Matthias Müllers Film NEBEL nach dem Gedichtzyklus Gedichte an die Kindheit von Ernst Jandl zu nennen. In dem im Jahr 2000 produzierten Film werden die vom Schauspieler Ernst-August Schepmann gesprochenen Gedichte mit Bildmaterial aus verschiedenen Kontexten kombiniert. Es handelt sich unter anderem um Super-8-Aufnahmen aus dem Familienarchiv des Regisseurs, die deutliche Alterungsspuren aufweisen und somit die Thematik des Gedichtzyklus visuell wiederaufgreifen. Das Gezeigte bildet nicht in illustrierender Weise das Gesagte ab, sondern ergänzt sich mit Musik und Ton zu einem Bild-Text-Gefüge von höchster Komplexität. Indem Bild und Ton sich nicht zu einer Diegese zusammenfügen lassen, öffnet sich der Raum für neue Sinnbildungsprozesse. Stimme und Bild bzw. Wort und Bild treten hier in ein Verhältnis, das sich mit am Spielfilm gewonnenen Beschreibungsmustern nur ungenau erfassen lassen. Bei den performanceorientierten Gedichtfilmen lassen sich zwei verschiedene Sprechweisen ausmachen. Oft ist ein In-die-Kamerasprechen zu beobachten, bei dem die Fiktion der Abwesenheit der Kamera, wie sie im Spielfilm üblich ist, gar nicht besteht. Die Sprechenden wenden sich in der Tradition von Rezitation oder mediatisiertem Live-Auftritt an ein Publikum. Das ist der Fall bei Antonello Farettas preisgekrönter Inszenierung einer John-Giorno-Performance.1 Der aus nur einer Einstellung bestehende Film ist Teil des Zyklus’ NINE POEMS IN BASILICATA und zeigt den berühmten Multimediapionier John Giorno im Setting eines süditalienischen Dorfes. Vor dem Hintergrund eines ärmlichen Steinhauses, vor dem eine uralte Frau sitzt, spricht er schwarz gekleidet und in kerzengrader Haltung sein Gedicht, „Just say no to family values“. Die euphorische Bejahung von Ausschweifung, Drogen, freier Liebe und Lebensgenuss verkörpert sich in einer lebendigen stimmlichen und gestischen Performance. Giornos unverwechselbare Stimmführung und expressive Gestik allein akzentuieren und rhythmisieren den Film, der ganz ohne Montage auskommt. Filmisch bzw. fotografisch ist allein die Bildkomposition, ein weit in die Tiefe reichender Bildraum, der den Blick in eine gekrümmte Gasse und auf den Torbogen eines eingestürzten Gebäudes freigibt.
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JUST SAY NO TO FAMILY VALUES (2005) gewann im Jahr 2006 den ZEBRA Poetry Film Award, siehe auch DVD-Edition INDEX, 036.
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Was sind Poesiefilme?
In anderen Fällen des performanceorientierten Gedichtfilmes bewegen sich die Sprechenden in einem diegetischen Raum. In diesem Fall ist das Gedicht meist in einen Dialog integriert (szenischer Gedichtfilm). Doch die Grenzen dieser beiden Typen sind fließend, da in einen Spielfilm eingebettete Gedichtrezitationen, auch als Teil der Handlung, doch Performance bleiben. Oft wird durch sie die Narration oder Szene einen Augenblick unterbrochen, vergleichbar vielleicht den Liedern in Brechts Epischem Theater.1 Ralf Schmerberg hat für seinen Film POEM (2002) Ingeborg Bachmanns Gedicht „Nach grauen Tagen“ in den Kontext einer Familienszene gerückt. Der sonntägliche Familienalltag in einer Plattenbausiedlung versinkt in Chaos und Überforderung und gerät zum Albtraum, was durch eine schnelle diskontinuierliche Montage ohne orientierende Totalen, vor allem aber durch den fast unerträglichen Lärm auf der Tonspur bestehend aus Kindergeschrei, Fernsehton, dem Streit der Eltern und dem Krach von elektrischem Spielzeug, dargestellt wird. Schließlich entzieht sich die Mutter, gespielt von Anna Böttcher, vorübergehend der Szenerie, indem sie sich einen riesigen blauen Ballon über den Kopf streift. Den Kopf im Inneren des Ballons, wo die Geräusche der Umgebung gedämpft und die Außenwelt nur noch blau verschwommen zu sehen ist, beginnt sie „Nach grauen Tagen“ zu sprechen. Ingeborg Bachmanns Gedicht geht in der Rollenrede einer überlasteten Mutter auf, die sich momentweise dem Wunsch nach Freiheit hingibt. Gleichzeitig aber öffnet sich ein über die filmische Diegese hinausreichender Bildraum, der sich nicht mehr in die kommunikative Situation einbetten lässt, ja der sogar diesen Ausbruch aus der alltäglichen Welt als Moment der Verfremdung und des Innehaltens thematisiert. Dieser Moment der „Entrückung“ lässt sich auch in anderen szenischen Gedichtfilmen feststellen. 2 Die hier vorgeschlagene Typologie stellt selbstverständlich nur eine Annäherung dar. Wie so oft gilt auch hier, dass Mischformen eher die Regel als die Ausnahme sind und dass gerade unter ihnen die interessantesten und innovativsten Beispiele zu sehen sind. Häufig werden Schrift und Stimme miteinander kombiniert und aufeinander bezogen, oder es gibt Wechsel von on- zu off-Stimme. Ebenso sind Performances anzutreffen, bei denen die Stimme aus dem off mit Bildern der (vermuteten) stummen Sprecher 1
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Zu erwägen wäre, ob hier ein Rückgriff auf Goethes strikte Trennung von Vorlesen, Rezitation/Deklamation und Schauspielen hilfreich sein könnte, die sich unter anderem auch auf deren verschiedene Fiktionalitätsgrade stützte, siehe dazu Johann Wolfgang von Goethe/Johann Peter Eckermann: „Schauspielkunst. Regeln für Schauspieler“ (1803), in: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Ästhetische Schriften 1771–1805, hg. von Karl Eibl/Hendrik Birus/Dieter Borchmeyr, Frankfurt am Main 1998, 860–883. Hier: 864. Siehe dazu u. a. NICHTS_WEITER_ALS (2006). Unübersehbar sind die ästhetischen Implikationen einer solchen Auffassung von Lyrik. Sie als Gattung des Individuellen, Vereinzelten vor Augen zu stellen, verrät die Forderung, „daß der lyrische Ausdruck, gegenständlicher Schwere entronnen, das Bild eines Lebens beschwöre, das frei sei vom Zwang der herrschenden Praxis, der Nützlichkeit, vom Druck der sturen Selbsterhaltung.“ (Theodor W. Adorno: „Rede über Lyrik und Gesellschaft“, in: Noten zur Literatur, Frankfurt am Main 1965, 73–105. Hier: 77f.). Adorno zeigt auf, dass noch dieses Bestreben gesellschaftlich ist. In ihm äußert sich der Einspruch gegen einen gesellschaftlichen Zustand, der als feindlich erfahren wird: „Im Protest dagegen spricht das Gedicht den Traum einer Welt aus, in der es anders wäre.“ (Ebd.).
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Ein begrifflicher Klärungsversuch
kombiniert wird, ein Mittel, das der narrative Spielfilm zur Vermittlung des inneren Monologs konventionalisiert hat und das im Poesiefilm eine ganz ähnliche Wirkung besitzt. Die Formenvielfalt innerhalb des Genres erklärt zu einem weiten Teil die begrifflichen Diskussionen um dessen Grenzen. Sie gibt andererseits aber auch Hinweise auf die verschiedenen Traditionslinien und Einflüsse, die im Poesiefilm zusammenkommen. Videopoesia / Videopoetry / Videopoesie Poesiefilm mit Textintegration: Gedichtfilme
ohne Textintegration 1 ohne literarische Textvorlage: Poetischer Film
2 mit literarischer Textvorlage: Adaption
schriftliche Integration
stimmliche Integration
on screen
off screen
3 performanceorientierte Gedichtfilme
4 Voice-OverGedichtfilme
Sprechweise Kamera
5 schriftbasierte Gedichtfilme
Szenisch
Tab.1: Typologie des Poesiefilmes
1.3
Der poetische Film
Beinahe so alt wie das filmische Medium selbst ist die Rede vom poetischen Film. Wenn vom poetischen Kino oder vom Cinepoem gesprochen wird, ist meist nicht die tatsächliche Verknüpfung von lyrischem Text und Film im Sinne einer Medienkombination gemeint, vielmehr wird das Poetische im Sinne einer medienübergreifenden Analogie verstanden, die sich auf den Gebrauch oder die Wirkung ästhetischer Mittel bezieht. Was also ist das Poetische im Film oder was sind poetische Filme, und worin besteht ihre Besonderheit, wovon sollen sie durch die Zuschreibung einer Poetizität diskursiv abgegrenzt werden? Susan Sontag charakterisiert die Tradition des Filmes als Poesie mit Blick auf den Regisseur Jean-Luc Godard wie folgt: Traditions exist within the cinema-less frequently exploited than that tradition which plausibly can be compared with the novel – which are analogous to other literary forms than the novel. [...] There is also a conception of the cinema as poetry; many of the ,avant-garde‘ short films which were made in France in the 1920s (Buñuel’s Le Chien Andalou and L’Âge d’or;
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Was sind Poesiefilme? Cocteaus’s Le Sang d’un Poète; Jean Renoir’s La Petite Marchande d’Allumettes; Antonin Artaud’s La Coquille et le Clergyman) are best compared with the work of Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé, and Lautréamont.1
In folgenden Kapitel soll es darum gehen, dem von Sontag vorgeschlagenen Vergleich nachzugehen, denn sobald es zur Übertragung von Begriffen zwischen unterschiedlichen Künsten oder Medien kommt, besteht immer die Gefahr, bei metaphorischen Wendungen stehen zu bleiben. Da es eine Stabilität der Bezugsgrößen, sowohl des genuin Poetischen als auch des genuin Filmischen nicht gibt, kann über eine tatsächliche Poetizität des Filmes nicht entschieden werden. Stattdessen soll im Folgenden der Diskurs nachgezeichnet werden, der das Verhältnis von Poesie und Film thematisiert. In der oft so schwierigen Geschichte der Literatur-Film-Beziehungen zeigt er eine andere Seite im stetigen Bestreben der Filmkunst nach Abgrenzung und Emanzipation von der als übermächtig angesehenen Literatur. Die Beschreibung muss, wie Siegfried Kracauer für die Analyse der Fotografie gefordert hat, „von den Anschauungen ausgehen, die im Verlaufe ihrer Entwicklung über sie entstanden sind – Anschauungen die auf diese oder jene Weise tatsächlich vorhandene Trends und Anschauungsmethoden widerspiegeln.“2 Wenn hier also zunächst die poetologischen Diskurse referiert werden, die sich auf den poetischen Film beziehen, so ist damit noch nichts über eine etwa bestehende tatsächlich Lyrizität dieser Filme gesagt. Im Sprechen über das, was als poetischer Film, lyrischer Film oder das Poetische im Film beschrieben wird, lassen sich jedoch – bei allen historischen Unterschieden – gemeinsame Tendenzen feststellen. Es wird sich zeigen, dass es historische Konjunkturen des Diskurses gibt, und es soll der Versuch gemacht werden, diese mit medienhistorischen Entwicklungen in Zusammenhang zu bringen. Bereits die Theoretiker des russischen Formalismus haben früh begonnen, ihre literaturtheoretischen Überlegungen auch auf den Film zu übertragen. Einschlägig ist hierfür besonders ein kurzer Aufsatz von Victor Šklovskij, der in deutscher Sprache unter dem Titel „Poesie und Prosa im Film“ erschienen ist.3 Ausgehend von an der Literatur gewonnenen Erkenntnissen des russischen Formalismus versucht Šklovskij das Prinzip der Unterscheidung von Poesie und Prosa auf den Film zu übertragen. Für ihn stellt das Poetische im Film einen Pol dar, den er mit dem Film in Prosa konfrontiert. Was heißt das genau? Šklovskij eröffnet seine Überlegungen mit der Feststellung, dass rhythmische Strukturen allein, bereits in der Literatur kein ausreichendes Differenzkriterium zwischen Poesie und Prosa darstellen. Vielmehr liegt der Unterschied im Umgang der Texte mit sujet (story) und fabula (discourse). Während in poetischen Texten die formale Komposition bestimmend ist, konstruieren Prosatexte ihre Bedeutung in einer Kombination von Situationen, die einer im Alltag erprobten Verknüpfungsstrategie oder Handlungslogik folgen.
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Susan Sontag: Against Interpretation, and Other Essays, New York/N.Y. 2001, 244. Siegfried Kracauer: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit, hg. von Karsten Witte, Frankfurt am Main 1973, 25. Für die Schreibweise aller russischen Namen wird die ISO-Transkription verwendet.
Der poetische Film
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Ich wiederhole noch einmal: Es gibt einen Film der Prosa und einen der Poesie – und dies ist eine grundlegende Einteilung der Gattungen. Sie unterscheiden sich nicht durch den Rhythmus bzw. nicht durch den Rhythmus allein, sondern durch die Vorherrschaft technisch-formaler Momente (im poetischen Film) über bedeutungsmäßige. Die formalen Momente ersetzen hierbei die bedeutungsmäßigen, indem sie die Komposition zur Lösung bringen. Der sujetlose Film ist der ‚vershafte Film‘.1
Im Übrigen betont Šklovskij, dass in Bezug auf poetische Filme nur von einer „distant anology“ zur literarischen Poesie die Rede sein kann. Um die formalen Momente zu charakterisieren, die diese Analogie erzeugen, wählt er zwei Beispiele des russischen Filmes. In Dziga Vertovs EIN SECHSTEL DER WELT (1926) sind es der betonte Parallelismus und die sich wiederholenden Bilder, die gegen Ende des Filmes die Handlung gegenüber der formalen Komposition in den Hintergrund treten lassen. Außerdem erwähnt Šklovskij die rhythmische Konstruktion, die Beschleunigung der Bewegungen, die Montage und die Entfernung vom alltäglichen Leben. So vermag es beispielsweise der schnelle Wechsel von Einstellungen in Pudovkins MUTTER (1926), eine Gleichzeitigkeit verschiedener Bedeutungen herzustellen und somit die dem poetischen Bild eigene Ambiguität zu erzeugen. Alle konkreten filmischen Ausdrucksmittel, die auf einer Betonung der filmischen Komposition und seine formalen Eigenschaften hinzielen, wie etwa die Doppelbelichtung, sind demzufolge als poetisches Verfahren einzuordnen. Die Unterscheidung zwischen Poesie und Prosa bietet noch heute eine hilfreiche Annäherung an das Projekt der filmischen Avantgarden: „In the widest perspective, the experimental cinema can be seen to expand the poetic art which the drama film subsumes in its drive to fiction.“2 Dass das Hauptinteresse der Avantgarden dem handlungslosen Film galt, stellt bereits Siegfried Kracauer in seiner Theorie des Films fest, indem er sich unter anderem auf Äußerungen und Filme von Jean Epstein und Germaine Dulac bezieht.3 Die Charakterisierung von Filmen als poetisch ist somit auch als Versuch zu verstehen, avantgardistische Filmkunst vom Kino als bedeutungstragendem oder handlungsvermittelndem Erzählmedium abzugrenzen. Die Avantgardistinnen und Avantgardisten wollten sich von den Einflüssen der traditionellen Künste befreien und zu einer eigenen Ausdrucksform finden, entschlossen, „die ihrem Medium immanenten Eigenschaften zu seinem Aufbau zu verwenden.“4 Spielhandlung wird als ein der Film-
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Victor B. Šklovskij: „Poesie und Prosa im Film“ (1927), in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 172–175. Hier: 175. Alan L. Rees: A History of Experimental Film and Video from the Canonical Avant-garde to Contemporary British Practice, London 1999, 34. Siehe Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 241. Ebd., 243. Die Filmwissenschaftlerin Fabienne Liptay beschreibt die „Flucht vor der literarischen Fabel“ (Fabienne Liptay: „,Von der Ziffer zur Vision‘. Fragwürdige Leitdifferenzen zur Ordnung der Künste“, in: Stefan Keppler-Tasaki/Fabienne Liptay (Hg.): Grauzonen. Positionen zwischen Literatur und Film, 1910–1960, München 2010, 15–40. Hier: 22) als Merkmal des absoluten Filmes, das mit einer Hinwendung zur Sinnlichkeit des filmischen Bildes einhergeht. Bezeichnenderweise
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kunst fremdes und aus der Literatur überkommenes Prinzip abgelehnt. Damit geht die Tendenz einher, verstärkt filmspezifische Gestaltungsmittel einzusetzen und auf diese Weise das Augenmerk auf die filmische Komposition zu lenken: „Aus diesem Grunde legten sie so großes Gewicht auf Filmtechniken und Tricks wie Nahaufnahmen, Fahraufnahmen, ungewöhnliche Kameraeinstellungen, Zeitraffer, Zeitlupenbilder, Verzerrungen, Weichzeichnereffekte, Schleier.“1 Die französische Avantgardefilmproduktion wird filmgeschichtlich gemeinhin in drei Bewegungen unterteilt. Sie beginnt nach dem Ersten Weltkrieg mit der Epoche des impressionistischen Filmes, der die Psychologie der Figuren und deren subjektive Wahrnehmung spiegelt. Zu den prominentesten Vertreterinnen und Vertretern zählen Abel Gance, Germaine Dulac und Jean Epstein. Danach folgt das cinéma pur mit Filmen von Fernand Léger, René Clair und den Dadaisten, das nach einem reinen, vom Einfluss anderer Künste emanzipierten Kino strebt. 1928 setzt schließlich der filmische Surrealismus mit den bekannten Werken von Germaine Dulac und Antonin Artaud, Buñuel und Man Ray ein, zu dem Kracauer selbst noch die späteren Filme Jean Cocteaus und der amerikanischen Nachkriegsavantgarde rechnet. Zentrale Akteurinnen und Akteure der französischen Filmavantgarde waren durchaus in mehreren dieser Phasen aktiv und standen miteinander in Kontakt, so dass sich von einer scharfen Trennung nicht sprechen lässt. Germaine Dulac etwa zählt mit ihren frühen Arbeiten zum filmischen Impressionismus, tritt in ihren Schriften als entschiedene Vertreterin des cinéma pur auf und schuf mit LE COQUILLE ET LE CLERGYMAN den ersten surrealistischen Film. Bei allen Unterschieden zwischen den Filmen und den dahinterstehenden Ästhetiken, stimmt die französische Avantgardebewegungen doch in wesentlichen Zielen überein: der Emanzipation des Filmes als eigenständiger Kunst, der Entwicklung einer genuinen filmischen Ausdrucksweise und der kritischen Abgrenzung vom narrativen und handlungszentrierten Kino: „Il nous est permis de douter que l’art cinégraphique soit un art narratif.“2 Die Filmpoesie und -poetik Jean Epsteins, so der Kritiker Gérard Leblanc, kommt von der literarischen Poesie her und ist von dieser vorgeprägt.3 In seinen frühen Schriften beschwört Epstein die Nähe zwischen der Ästhetik des Kinos und der modernen Literatur. Wie die modernen Autoren setze das Kino die „Reihung von Details“ an die Stelle einer „kontinuierlichen Geschichte“4 und versuche über die Großaufnahme in das
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schildert Liptay das Phänomen dieser Entfabelung am Beispiel des Filmpoems REGEN (1929) von Joris Ivens. Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 243. Germaine Dulac: „L’Esthétiques, les entraves. La cinégraphie integrale“, in: Ecrits sur le cinéma. 1919–1937, hg. von Prosper Hillairet, Paris 1994, 98–105. Hier: 102: „Es sei uns erlaubt, anzuzweifeln, dass die cinegraphische Kunst eine narrative Kunst ist.“ (Übers. S.O.). Gérard Leblanc: „La Poétique Epsteinienne“, in: Jacques Aumont (Hg.): Jean Epstein. Cinéaste, poète, philosophe, Paris 1998, 25–38. Jean Epstein: „Das Kino und die moderne Literatur“ (1921), in: Bonjour Cinéma und andere Schriften zum Kino, aus dem Französischen von Ralph Eue, hg. von Nicole Brenez/Ralph Eue, Wien 2008, 22–36. Hier: 22.
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Leben einzudringen statt objektivierend zu berichten. Neben der Suggestivität, Bewegtheit, Schnelligkeit und Sinnlichkeit ist es vor allem das Prinzip der Metapher, das in den Augen Epsteins Kino und moderne Literatur einander annähert:1 „Keine fünf Jahre mehr und es werden kinematographische Gedichte geschrieben werden: 150 Meter und 100 Bilder. Kränze, die aus elektrisch geladenem Draht geflochten sind, und die Intelligenz folgt dessen Verlauf.“2 Im Kino vermutete Epstein außerdem ein Instrument, mit dem sich der dem alltäglichen Leben innewohnende Rhythmus bloßlegen und aufzeichnen ließe: „Dies ist das Feld, auf dem das Kino eines Tages seine ihm eigene Prosodie finden wird.“3 Während Kracauer eine recht skeptische Einstellung gegenüber den anti-narrativen und betont anti-realistischen Filmen der Avantgarde vertritt4, äußert sich der Schriftsteller Peter Weiss vergleichsweise euphorisch: Die Dadaisten, allen voran Apollinaire und Desnos, entdeckten dann als erste die ungeheuren künstlerischen Möglichkeiten des Mediums Film. Sie schufen die Basis einer Ästhetik des Films. Rein intuitiv hatten die Vorläufer erfasst, worum es ging: wegzukommen vom Vorbild der Literatur und von der Dramaturgie des Theaters, die den Schauspieler ins Zentrum des Geschehens zu stellen trachtete. Man hatte verstanden, daß einzig das Bild sprechen sollte.5
In seinem Buch zeigt Peter Weiss die Merkmale einer solchen Ästhetik auf, die darin besteht, dass die Handlung gegenüber dem Rhythmus der Bilder zurücktritt, so dass dieser Rhythmus zum tragenden Element wird. „Der Bilderfluss ist ungebrochen und setzt sich aus kurzen Impressionen zusammen. Die Sequenzen vermitteln ein Gefühl von Musikalität. Gewisse Themen wiederholen sich in einem ungekünstelten, schnellen Rhythmus.“6 Weiss’ Ausführungen, gleichwohl selbst recht metaphorisch7, zeigen in verdichteter Weise die Merkmale des poetischen Filmes: Inkohärenz, Musikalität und visueller Rhythmus. Handelt es sich hier lediglich um den „Effekt von Metaphern des Beschreibungsdiskurses“8 oder haben wir es mit einer intermedialen Referenz auf ein Fremdmedium zu tun? Im Zusammenhang mit dem poetischen Film sind eben jene
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Ebd., 22f. Ebd., 25. Jean Epstein: „Bonjour Cinéma“ (1921), in: Bonjour Cinéma und andere Schriften zum Kino, aus dem Französischen von Ralph Eue, hg. von Nicole Brenez/Ralph Eue, Wien 2008, 28–36. Hier: 35. Siehe Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 258 bekanntlich ist für Kracauer das Filmische an die äußere Realität gebunden; das Erfinden neuer Formen läuft in dieser Sichtweise dem Eigentümlichen des Kinos zuwider. Bei aller Affinität der Avantgardisten gegenüber den physischen Phänomenen, sieht Kracauer diese doch in ihrem Streben nach künstlerischer Autonomie den traditionellen Künsten verhaftet. Peter Weiss: Avantgarde-Film, Frankfurt am Main 1995, 12f. Ebd. Es ist dies eine ständig wiederkehrende Problematik, die mit jeder Übertragung ästhetischer Begriffe auf einen anderen als den ihnen angestammten Gegenstandsbereich virulent wird. Dies lässt sich in der Tradition der Wort-Bild-Debatte bestens nachvollziehen. Werner Wolf: „Intermediaität: Ein weites Feld“, 185.
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Metaphern des Beschreibungsdiskurses von Interesse, denn sie verweisen auf den Unterschied zwischen technischer Medialität und ästhetischen Prozessen und sie zeigen, wie Künstlerinnen und Künstler das Medium in ihre Praxis einbinden. Wenn Weiss die Anstrengungen, den Film von der Literatur zu emanzipieren, erwähnt, die dabei entstehenden Kunstwerke jedoch als poetisch charakterisiert, weist das auf einen scheinbaren Widerspruch hin. Orientierten sich die filmischen Avantgarden an der Lyrik, so tun sie das deshalb, weil sie in ihr die literarische Gattung sehen, die am weitesten über die Grenzen der begrifflichen Sprache hinausdrängt. Dabei handelt es sich um einen in der Gattungsgeschichtsschreibung und Rhetorik ganz und gar etablierten Topos, der die Lyrik entweder in ihrer ausgeprägten Bildlichkeit oder aber in ihrer Annäherung an die Musik charakterisiert sieht. Dass es hierbei nicht um spezifische Eigenschaften der lyrischen Gattung handelt, hat die neuere Lyriktheorie gezeigt.1 Eine etwas andere Auffassung über die Poesie des Filmes vertritt der avantgardistische Filmemacher und Poet Jean Cocteau in seinen Schriften über das Kino. Zweifellos ist er der prominenteste Vertreter einer Theorie des Kinos als poetische Kunstform: „Il serait fou de ne pas considérer comme un art (et même un très grand art) ce véhicule de poésie incomparable.“2 Seine berühmte Äußerung vom Kinematographen als Waffe in der Hand des Poeten zeugt von dem Bestreben, die Poesie nicht auf die Sprache zu beschränken, sondern sie auf die visuellen Künste auszuweiten. Allerdings unterscheidet er strikt zwischen einer Poesie im Kino, zu der er seine eigenen Filme wie etwa LE SANG DU POÈTE zählt, und den bewusst poetisch gestalteten Filmen: Je ferai donc une grande différence entre le film qui se veut poétique et le film dont la poésie s’exprime en outre. Du reste poétique n’est pas poésie. Il est même probable que c’est le contraire. La poésie est faite d’inconscience. Le poétique de conscience.3
Cocteaus Filme beziehen ihre Poesie aus der Logik des Unbewussten, daher ist eine Poetisierung mit rein formalen Mitteln seinem Anliegen sogar entgegengesetzt. Anstelle einer Betonung der Komposition wie sie bei Šklovskij beschrieben ist, wird das Poetische an assoziativer Reihung der Elemente und einer als poetisch verstandenen ‚Bildhaftigkeit‘ festgemacht, die sich auch in Cocteaus eigenen Filmen beobachten lässt. Sein 1930 entstandener Film LE SANG D’UN POÈTE arbeitet, ohne selbst sprachlich verfasste Gedichte zu integrieren, mit metaphorisch, chiffrenhaften Übertragungen auf der Bildebene. Berühmt geworden ist etwa das Bild vom Mund, den der Protagonist in
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Siehe Rüdiger Zymner: Lyrik; siehe auch Kapitel 1.1 dieser Untersuchung. Jean Cocteau: „Le Film, véhicule de poèsie“, in: Du Cinématographe, hg. von André Bernard, Paris 1973, 22. Hier: 22: „Es wäre verrückt, dieses unvergleichliche Vehikel für Poesie nicht als Kunst (und sogar als eine sehr große Kunst) zu betrachten.“ (Übers. S.O.). Jean Cocteau: „Poèsie et films“, in: Du Cinématographe, hg. von André Bernard, Paris 1973, 26– 28. Hier: 26ff.: „Ich würde also einen großen Unterschied machen zwischen einem Film, der sich als poetisch versteht und einem Film, dessen Poesie zusätzlich zum Ausdruck kommt. Im Übrigen, poetisch ist nicht gleich Poesie. Es ist sogar wahrscheinlich, dass es das Gegenteil ist. Die Poesie ist aus dem Unbewussten gemacht. Das Poetische aus dem Bewussten.“ (Übers. u. Herv. S.O.).
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seiner Hand entdeckt, und der in seiner Ähnlichkeit mit einer klaffenden Wunde gleichzeitig auch ein Symbol für die künstlerische Inspiration darstellt. Dieses Vorgehen trug Cocteau allerdings die strenge Kritik Kracauers ein, der diese im Film verkommende Trope als dem filmischen Medium nicht gemäß verurteilte: Das sprachliche Bild von dem einer dichterischen Schöpfung entnommenen Mund, der in der Hand des Dichters wie eine Wunde lebt, mag sehr poetisch sein; vom Standpunkt des Films aus bedeutet aber das fotografierte Bild dieser Hand nichts anderes als […] ein natürliches, wenn auch unerklärliches Phänomen, das keineswegs die poetische Qualität des sprachlichen Bildes hat.1
Zweifellos hat die Konkretisierung poetischer Bilder auf der visuellen Ebene grundlegend andere Wirkungen als in der Poesie, die sich auf der sprachlichen Ebene bewegt. Einmal mehr muss daran erinnert werden, dass die Formel von der Bildhaftigkeit der Sprache selbst eine Metapher darstellt. Tertium comparationis, ist hierbei nicht das Merkmal der Ähnlichkeitsbeziehung, die sich bei der Metapher ja ohnehin nicht auf das Gemeinte, sondern auf die beiden Elemente der Metapher bezieht, sondern die vergegenwärtigende Kraft des sprachlichen Bildes, die der des wirklichen Bildes gleichkommen soll.2 Im Filmdiskurs der vierziger und fünfziger Jahre lässt sich beobachten, dass der Begriff des Poetischen in großer Häufigkeit und in großzügiger, fast amorpher Weise gebraucht wird. Scott MacDonald bewertet diese Konjunktur des Poetischen als Versuch, Film vom Status des bloßen Unterhaltungsmediums zu einer anspruchsvollen Kunstform zu entwickeln, die eine entsprechende Rezeptionshaltung erfordert: By emphasizing the relationship of unusual cinematic forms to poetry (and also to painting, collage, and music), Art in Cinema, Cinema 16, and the network of film societies that imitated them were implicitly arguing for the kinds of attention and patience normally accorded to serious works of art.3
In den amerikanischen Avantgardebewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg scheint es daher fast eine Gleichsetzung von poetischem Film und Avantgardefilm zu geben. Der Begriff des poetischen Filmes ist so allgegenwärtig, dass es unabdingbar ist, ihn im Kontext des kulturellen und medialen Umfeldes etwas genauer zu bestimmen. Zunächst stellen sich die in den USA entstehenden Film Societies und Coops4 dezidiert in die Tradition der europäischen Avantgarden der dreißiger Jahre. Beispielsweise fand als Teil einer Filmreihe, die von der Art in Cinema Film Society präsentiert wurde, im Jahr
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Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 256. Siehe Kapitel 4. Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 7. Film-Cooperatives organisierten Distribution und Vorführung experimenteller Filme unter Umgehung des kommerziellen Produktions- und Verleihsystems. Sie waren Vorbild für ähnliche Gruppen, die später in Europa entstehen sollten. (Siehe Alan L. Rees: „Movements in Film. 1941–79“, in: Stuart Comer (Hg.): Film and Video Art, London 2009, 48–65. Hier: 48).
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1946 unter dem Titel „Poetry in Cinema“ auch eine Vorführung von Jean Cocteaus LE statt.1 Die Bemühungen um eine Etablierung des Filmes als kritische Kunstform dokumentiert auch eine prominent besetzte Podiumsdiskussion, die 1953 von der Film Coop Cinema 16 organisiert wurde. Unter dem Titel „Poetry and the Film: A Symposium“ versammelten sich die Filmemacherin Maya Deren, die Autoren Arthur Miller und Dylan Thomas sowie der Underground-Filmexperte Parker Tyler, um über die Möglichkeiten und Grenzen der Verbindung von Film und Poesie zu diskutieren. Maya Deren gilt als die bedeutendste Protagonistin des poetischen Filmes dieser Epoche. Ihr Film MESHES OF THE AFTERNOON (1943) revolutionierte das amerikanische Avantgarde-Kino der vierziger und fünfziger Jahre und kann als Begründung des New American Cinema angesehen werden, das später, in den sechziger Jahren, eine neue Generation von Filmemachern abseits des Mainstream versammeln wird. In der Podiumsdiskussion äußerte sie sich ausführlich über ihr Konzept einer filmischen Poesie. Das Protokoll der Debatte zählt zu den aussagekräftigsten Dokumenten einer Geschichte des poetischen Filmes, denn es enthält in bemerkenswerter Weise Themen und Probleme, die bis auf den heutigen Tag relevant sind, wenn es um das Verhältnis von Film und Poesie geht. Im Zentrum stehen dabei Fragen der Medienkonkurrenz, der Trennung von Ton und Bild und der Beziehung von visuellem und poetischem Bild. Deren entwickelt ihr Verständnis des poetischen Filmes ausgehend von einem medienübergreifenden Poesiekonzept: „I’m not thinking of the poetic structure as referring to poetry simply as a verbal form; I’m thinking of it as a way of structuring in any one of a number of mediums“2. Ihre offenbar am russischen Formalismus geschulten Überlegungen, ermöglichen es ihr, vom Material der Sprache abzusehen und den Begriff auf die filmische ‚Sprachverwendung‘ zu übertragen. Poesie, verstanden als „way of structuring”, etabliert im Film, wie auch im sprachlich verfassten Text, eine vertikale Struktur, die der horizontalen, narrativen Anordnung, die im Drama dominiert, gegenübersteht: SANG D’UN POÈTE
The distinction of poetry is its construction (what I mean by ‚a poetic structure‘), and the poetic construct arises from the fact, if you will, that it is a ,vertical‘ investigation of a situation, in what probes the ramifications of the moment, and is concerned with its qualities and its depth, so that you have poetry concerned, in a sense not with what is occuring but with what it feels like or what it means.3
Die Analogie, die Deren zwischen poetischen Filmen und Poesie herausarbeitet, bezieht sich vor allem auf das Verhältnis des Gezeigten zur Dimension der Zeit: Situation, Moment und Tiefe werden gegen die als dramatisch angesehene, in der Zeit fortschrei-
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Siehe Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 5. Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film: A Symposium. With Maya Deren, Arthus Miller, Dylan Thomas, Parker Tyler“, in: P. Adams Sitney (Hg.): Film Culture. An Anthology, hg. u. m. e. Einleitung versehen von P. Adams Sitney, London 1970, 171–186. Hier: 185. Ebd., 173.
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tende Handlung gesetzt. Deren macht in ihrer Argumentation keinen Unterschied zwischen poetry und lyric poem, ebenso ist die Definition, die sie von poetischen Strukturen gibt, nicht an der Textoberfläche, sondern ausschließlich auf der Ebene des Dargestellten zu suchen. Ihre unkonventionelle Auffassung von den Möglichkeiten des Filmes stoßen in der Gesprächsrunde größtenteils auf Ablehnung. Besonders unnachgiebige Kritik lösen Derens Ideen bei Arthur Miller aus, der darauf beharrt, im Film eine genuin dramatische Kunstform zu sehen und, da er „interested in action“1 sei, jede Verbindung mit poetischen Texten wie übrigens auch den Tonfilm im Ganzen, als redundant abzulehnen: „I think it’s an intrusion on the medium. That’s all I mean, I’m speaking for an organic art, that’s all.“2 Die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Derens Konzept des vertikalen Filmes und Jakobsons Theorie des Similaritätsprinzips in der poetischen Sprache ist unübersehbar. Darauf macht auch Bernhard Lindemann aufmerksam, der in seiner filmsemiotischen Untersuchung von 1977 den Experimentalfilm als „Metafilm“ charakterisiert und seine Ergebnisse mit den Überlegungen Derens und Jakobsons verknüpft. Lindemanns Ansatz ist der strukturalistischen Semiotik verpflichtet, was zur Folge hat, dass die Übertragung poetischer Strukturen in ein anderes Medium problemlos vonstattengeht, denn wo Literatur und Film jeweils als Texte betrachtet werden, die in äquivalenten Codes strukturiert sein können, kann von Materialität und Medialität der jeweiligen Erscheinungen abstrahiert werden. Genau dies, so lässt sich zusammenfassend sagen, ist der Hintergrund der meisten Definitionen des poetischen Filmes, in denen das Poetische im Sinne einer Struktur aufgefasst wird, die sich auf das filmische Medium übertragen lässt: Die Auffassung vom Film als sprachähnlicher Kommunikationsform wirkt in ihnen fort. Um anschaulich zu machen, in welcher Weise auch Spielfilme vertikale Strukturen aufweisen können, die eine poetische Wirkung entfalten, erwähnt Deren Eingangssequenzen und Traumsequenzen: It seems to me that in many films, very often in the opening passages, you get the camera establishing the mood, and, when it does that, cinematically, those sections are quite different from the rest of the film. […] The same would apply to the dream sequences. They occur at a moment when the intensification is carried out not by action but by the illumination of that moment.3
Diese Beispiele lassen sich als bestimmte Typen filmischer Syntagmen erfassen, wie sie Christian Metz in seinem einflussreichen Text „Probleme der Denotation im Spielfilm“ entwickelt hat. So sind die achronologischen Syntagmen, in denen das „zeitliche Verhältnis der durch die Bilder dargestellten Tatsachen unbestimmt“4 bleibt, Derens Über-
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Ebd., 180. Ebd., 186. Ebd., 174. Christian Metz: „Probleme der Denotation im Spielfilm“, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 321–370. Hier: 338.
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legungen zur vertikalen Struktur sehr ähnlich. Vor allem das Syntagma der zusammenfassenden Klammerung, das sich nach Metz dadurch auszeichnet, dass es verschiedene zeitlich unbestimmte, kurze Szenen zusammenfasst, die, vom Fortgang der Erzählung isoliert, eine Reihung ähnlicher Motive bilden, ist hier einschlägig. Das von Metz gewählte Beispiel aus Godards Film UNE FEMME MARIÉE (1964), ließe sich durch eine der Beschreibung noch viel eher entsprechende Sequenz aus BANDE A PART (1965) ergänzen: Den Übergang zwischen Spielhandlung zum Syntagma der zusammenfassenden Klammerung bildet eine Szene in der Métro, wo die Protagonisten die übrigen Passagiere beobachten, während sie sich über die Rätselhaftigkeit der ihnen fremden Gesichter und ihrer anonymen Schicksale unterhalten. Dann beginnt Anna Karina zu singen und es ist eine Montage räumlich und zeitlich nicht zusammenhängender Motive zu sehen: eine einsame Frau an einem Cafétisch, ein schlafender Obdachloser, Passanten, ein Schlafender, Soldaten auf einem Bahnsteig, unterbrochen nur durch einige Aufnahmen der singenden, in die Kamera blickenden Schauspielerin. Sie werden jedoch durch die Thematik der Vereinzelung und Brüderlichkeit zusammengehalten, die auch im Text des gesungenen Liedes anklingt. Gleichwohl können nicht nur die achronologischen Syntagmen, also jene, die ein unbestimmtes Verhältnis zur Zeit haben, als poetische Syntagmen bezeichnet werden. Auch das zu den chronologischen Syntagmen zählende deskriptive Syntagma, das eine filmische Beschreibung liefert, entspricht dem, was Deren als Beispiel für poetische Anteile in Spielfilmen anführt, die ‚in eine Stimmung einführen‘.1 Ganz in diesem Sinne grenzt Metz die übrigen chronologischen Syntagmen von den erwähnten Typen wie folgt ab: „Alle anderen chronologischen Syntagmen, ausgenommen also das deskriptive Syntagma sind narrative Syntagmen, in denen die zeitliche Beziehung zwischen den im Bilde dargestellten Gegenständen oder Ereignissen auch eine Konsekution ist und nicht nur eine der Simultaneität.“2 Das Verschwinden im eigenen (störungsfreien) Vollzug gehört zu den konstitutiven Eigenschaften von Medien. Das gilt für die Medien der Literatur natürlich gleichermaßen, im Falle des Filmes ist diese Eigenschaft jedoch (wenn auch nicht ausschließlich) Funktion des kinematographischen Apparates. Angesichts der daraus entstehenden Transparenz des Mediums, dem sogenannten filmischen Realitätseffekt, der dem Film notorisch anzuhaften scheint, bietet eine Übertragung poetischer Konzepte auf den Film Ansatzpunkte zu einer Medien- und Kulturkritik. Wenn die poetische Funktion im Sinne Jakobsons als eine Konzentration auf die Nachricht, auf die Spürbarkeit der Zeichen verstanden wird, kann dies angewendet auf den Film nur heißen: eine Konzentration auf die filmischen Zeichen und die filmspezifischen Darstellungsmodi herzustellen. Bis in die sechziger Jahre hinein bleibt die Assoziation des Lyrischen oder Poetischen mit dem Underground- oder Avantgardefilmgenre ein fester Bestandteil des kritischen Dis1
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Das deskriptive Syntagma beschreibt, indem beispielsweise in mehreren aufeinanderfolgenden Einstellungen Ausschnitte aus einer Realität gezeigt werden, die als simultan gedacht werden muss. Somit ist es zwar zeitlich bestimmt, bildet aber keine Abfolge. Christian Metz: „Probleme der Denotation“, 341.
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kurses. Auch Parker Tyler, Undergroundfilmkritiker der ersten Stunde, überführt in seinen Überlegungen zu grundlegenden Filmformen die Begriffe „Epos“, „Mythos“ und „Lyrik“ auf den Bereich des Filmes.1 Der Begriff des Lyrischen wird dabei dezidiert vom Literarischen als Sprachkunst gelöst: Um noch einmal auf die ästhetische Formel der horizontalen und vertikalen Entwicklung zurückzukommen, so hat die richtige Unterscheidung zwischen einem lyrischem Film und einem erzählerischen Film nichts unmittelbar mit gesprochener oder geschriebener Sprache zu tun. Im literarischen Sinne gibt es gleichzeitig Unterschiede zwischen dem Roman und der Lyrik, die denjenigen zwischen dem erzählenden (horizontalen) und dem lyrischen (vertikalen) Film entsprechen.2
Wie diese Ausführungen zeigen, ist die Entsprechung als eine Entsprechung zwischen Unterschieden zu verstehen. Die Bezeichnung „lyrisch“ beruht darauf, dass das Verhältnis von Roman und Gedicht sich mit dem Verhältnis von Spielfilm und Avantgardefilm vergleichen lässt. Der lyrische oder poetische Film verhält sich in Fragen des Handlungsbezuges, der Länge, der Rezeptionshaltung, der Massenwirksamkeit oder der Selbstreferenz wie bestimmte Formen der Lyrik zu erzählerischen Formen. Stan Brakhage, der zu den einflussreichsten Künstlern des New American Cinema gehört, hat sich stets ausdrücklich in die Tradition von Maya Deren gestellt. Einer der maßgeblichen Experten für das US-amerikanische Avantgardekino, P. Adams Sitney, hat sich eingehend mit Brakhages Werk im Kontext der Avantgarde beschäftigt und seine Überlegungen zu einer bestimmten Phase in dessen filmischem Werk auf die Formel des lyrical films gebracht. Wenn Sitney Brakhages Filme als lyrisch charakterisiert, so bezieht sich diese gattungsmäßige Bestimmung vor allem auf die subjektive Redeweise, die bei Brakhage in einer Thematisierung des Kamerablicks besteht: The lyrical film postulates the film-maker behind the camera as the first-person protagonist of the film. The images of the film are what he sees, filmed in such a way that we never forget his presence and we know how he is reacting to his vision. In the lyrical form there is no longer a hero, instead, the screen is filled with movement, and that movement both of the camera and the screen reverberates with the idea of a man looking. As viewers we see this man’s intense experience of seeing.3
Offenbar schließen sich in dieser Beobachtung eine Auffassung von Lyrik als Gattung des Subjektiven mit der formtheoretischen Annahme einer erhöhten Selbstreferentialität der Gattung zusammen. Diese Reflexion der filmischen Wahrnehmung lässt sich mit den Überlegungen in Beziehung setzen, die Lindemann in Bezug auf Deren und Jakobson über die Selbstreflexion des filmischen Mediums anstellt. In diese Argumentation fügt sich auch die bei Brakhage vorherrschende Flächigkeit der Bilder, die im Gegensatz zur zentralperspektivischen Tiefenillusion des Spielfilmes, nicht auf das Darge-
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Siehe Parker Tyler: Underground Film. Eine kritische Darstellung, Frankfurt am Main 1970, 188. Ebd. P. Adams Sitney: Visionary Film. The American Avant-garde, Oxford 1979, 142.
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stellte, sondern auf ihre eigene Medialität verweisen.1 Sitney macht das Lyrische in Brakhages Filmen an einer Flächigkeit fest, die er mit dem Raumempfinden abstrakter expressionistischer Gemälde vergleicht, einer multiperspektivischen Vielschichtigkeit, die durch Überblendungen realisiert wird und nur selten um auf einen Fluchtpunkt ausgerichtete zentralperspektivische Tiefen erweitert wird: „Finally, the film maker working in the lyrical mode affirms the actual flatness and whiteness of the screen, rejecting for the most part its traditional use as a window into illusion.“ 2 Eine Kritik, die sicherlich auch im Kontext der Apparatus-Theorie3 zu sehen ist, die die zentralperspektivische Konstruktion des Bildraumes durch die Filmkamera als ideologisch verurteilt. Neben der Flächigkeit sind es die Ähnlichkeit, Wiederholung, Inversion und Variation4 einzelner Motive, die Brakhages Filme als lyrisch kennzeichnen. Auch hier schimmert das strukturalistische Poesieverständnis durch, demzufolge das Prinzip der Abfolge ja durch das Prinzip der Wiederholung überlagert wird. 5 Die vielkritisierte Transparenz des filmischen Mediums ist keineswegs seit Beginn der Filmgeschichte vorherrschend. Hatte die Apparatus-Theorie stets die Auffassung vertreten, dass die Differenz der Einzelbilder, mit Hilfe derer sich der filmische Bewegungseindruck herstellt, nie genügend beachtet worden ist, so verweist Joachim Paech auf die früheste Begeisterung für den technischen Aspekt der ‚laufenden Bilder‘ und spricht daher von einem „‚Vergessen‘ der apparativen Bedingtheit“ als einem „Effekt ihres Unsichtbarwerdens durch eine historisch eingrenzbare Produktionsweise.“ 6 Nicht der Film als technisches Medium produziert Transparenz, sondern die nach einer Phase der Experimente sich verfestigende Funktionszuweisung und Produktionsweise des narrativen Spielfilmes. Eine Alternative zu dieser Form wird in den Diskursen um den poetischen Film immer wieder sichtbar. Keiner der bisher erwähnten Filmschaffenden hat mit den Konzeptionen des poetischen Filmes ein breiteres Publikum erreichen können. Im Gegenteil, eher wirkt es so, als sei die Rede vom poetischen Film fest an eine sich vom Mainstream abgrenzende Avantgarde-Bewegung gebunden und bestünde sogar im Kern darin, schwierig, unverständlich oder irritierend zu sein. Ein bis in die Gegenwart hinein höchst erfolgreicher Regisseur, der als ausgesprochen poesie-affin gelten muss, da er sich nicht nur immer
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Zum Topos der Flächigkeit als Strukturmerkmal des Modernismus siehe Michel Foucault: Die Malerei von Manet, Berlin 1999; zur ideologischen Funktion der Zentralperspektive in Malerei und Film siehe exemplarisch für die Apparatus Theory Jean-Louis Baudry: „Ideological Effects of the Basic Cinematic Apparatus“, in: Philip Rosen (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader, New York/N.Y. 1986, 286–298. P. Adams Sitney: Visionary Film, 142. Wichtige Texte versammelt Philip Rosen (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader, New York/N.Y. 1986. Siehe P. Adams Sitney: Visionary Film, 144. Siehe Roman Jakobson: „Poesie der Grammatik“, 253. Joachim Paech: „Überlegungen zum Dispositiv“, 403.
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wieder ausdrücklich auf die Poesie berufen hat, sondern außerdem wiederholt lyrische Texte in seine Filme eingebracht hat, bildet hier eine Ausnahme: Andrej Tarkovskij.1 Es wäre ganz und gar falsch, diesen bedeutenden russischen Regisseur als Avantgardisten oder als Experimentalfilmer zu bezeichnen. Tarkovskij hat sich im Gegenteil stets vom formalen Experiment und einer Avantgarde, die einem bloßen Fortschrittsgedanken in der Kunst anhängt, distanziert.2 Dementsprechend setzen seine Reflektionen zum poetischen Film weniger bei formalen Strukturen an, sondern wählen das Poetische als Prinzip, gar als Philosophie, die den Film in seiner Montage, seinem mise-enscène und seiner Dramaturgie durchzieht: „Wenn ich hier von Poesie spreche, dann habe ich dabei kein bestimmtes Genre im Sinn. Poesie – das ist für mich eine Weltsicht, eine besondere Form des Verhältnisses zur Wirklichkeit.“3 Auch für Tarkovskij besteht ein wesentliches Element des poetischen Filmes in der Behandlung der Sujet-Entwicklung. Anstelle einer traditionellen Dramaturgie, die sich am Drama orientiert, strebt Tarkovskij eine poetische Verknüpfung an, die er in größerer Nähe zum Leben sieht. Während er die dramatische Behandlung mit ihren logisch-spekulativen Strukturen für eine Vergröberung der Lebensrealität hält, kann sich die poetische Logik komplexen Prozessen der Gedankenbildung annähern, die nicht rein rational oder nach konventionellen Mustern ablaufen: Für die Kunst dagegen bieten jene assoziierbaren Verknüpfungen, in denen sich rationale und emotionale Wertungen des Lebens miteinander verbinden, zweifellos viel reichere Möglichkeiten. Und es ist durchaus schade, daß der Film diese Möglichkeiten so selten nutzt. Denn dieser Weg ist vielversprechender. In ihm liegt eine innere Kraft, die das Material, aus dem ein Bild gemacht ist, ‚aufzusprengen‘ vermag.4
Obwohl sich Tarkovskij, was etwa Rhythmus und Montage betrifft, entschieden von den Filmtheorien des russischen Formalismus entfernt, sind seine ästhetischen Zielsetzungen insgesamt doch ähnlich gelagert. Im Sinne einer Entautomatisierung wird die assoziierende Vorgehensweise der poetischen Logik als rezeptionserschwerend und -verzögernd der allgemein üblichen Folgerichtigkeit der Darstellung entgegengesetzt. Der poetische Film soll nicht nur die Wiedergabe von Fakten, die Übertragung von Bedeutung, sondern auch die Übermittlung von Empfindungen oder Stimmungen leisten. Mit der poetischen Verknüpfungsweise eng verbunden ist eine erwartete aktive Rezeptionshaltung des Publikums, dem Tarkovskij eine geradezu mitschöpfende Rolle zuweist. Indem nicht alle Informationen in der gewohnten Weise vorliegen, wird gleichzeitig die Notwendigkeit geschaffen, eine eigene Syntheseleistung zu vollbringen.5
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Ein Gedichtfilm im engeren Sinne ist ZERKALO (Spiegel, 1975). Hier integriert Tarkovskij Gedichte seines Vaters Arsenij und bringt zahlreiche weitere Zitate aus der russischen Literatur. Siehe Andrej A. Tarkovskij: Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films, Berlin 1989, 104. Ebd., 23. Ebd. Siehe ebd.
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Was sind Poesiefilme?
Wenn Tarkovskij davon spricht, dass beim Publikum eine der realen Erfahrung analoge Empfindung erzeugt werden soll, so geschieht dies vor dem Hintergrund eines Verständnisses des Filmemachers als Autor, der in seinen Filmen sein subjektives Erleben und seine Imagination darstellt.1 Sehr nah an der subjektivistischen Lyriktheorie bewegt sich Tarkovskij mit seinen Überlegungen zur Darstellung der inneren Vorgänge des Helden im Film: Irgendwie deckt sich diese Verfahrensweise mit der literarischen, ja sogar der poetischen Darstellungsform des lyrischen Helden: Er selbst tritt gar nicht auf. Doch das, wie und worüber er nachdenkt, liefert eine klare, festumrissene Vorstellung von ihm. In der Folge wurde auch der ‚Spiegel‘ so konstruiert.2
Ein weiterer zentraler Topos in Tarkovskijs Filmpoesie ist die Bildhaftigkeit. Dies könnte als Banalität missverstanden werden, wenn nicht mit dem Bild in diesem Zusammenhang etwas bezeichnet wäre, was über die dem Medium inhärente Visualität hinausgeht und sich dadurch einer näheren Betrachtung empfiehlt. Nach Tarkovskij eignet dem idealen filmischen Bild eine über das Visuelle hinausgehende künstlerische Bildlichkeit, die er als Verkörperung des Unendlichen bezeichnet. Anders als Gedanken, die sich verbal formulieren lassen, bietet sich das künstlerische Bild der emotionalen und fühlenden Wahrnehmung dar: „Ein Bild kann man erschaffen und fühlen, es akzeptieren oder ablehnen, aber nicht im rationalen Sinne dieser Handlung begreifen. Die Idee des Unendlichen kann man nicht mit Worten ausdrücken, nicht einmal beschreiben.“3 Zwei Argumente Tarkovskijs sind in diesem Zusammenhang zentral. Zum einen geht es um die Eigenständigkeit des Filmes, der dabei ist, sich von kunstfremden Einflüssen zu lösen. Nicht in einer strukturellen Sprachähnlichkeit situiert Tarkovskij daher das Poetische, sondern gerade in einer über das Begriffliche hinausgehenden Affizierung durch die dem Film eigentümlichen Mittel. Zum anderen geht es um die besondere Markierung des Moments, um etwas, was man als Schwere des Bildes oder mit Tarkovskijs eigenen Worten als „Tiefe des Bildes“4 apostrophieren könnte. In Tarkovskijs Filmen wird diese Schwere meines Erachtens auch durch eine besondere Handhabung des Tons erzeugt. Das „Bild“ ist in Tarkovskijs Poetik eine Formel poetologischer Provenienz: Es ist ein poetisches Bild und es bewahrt gleichzeitig seine eigene unvermittelte Evidenz. Daher der Nachdruck mit dem Tarkovskij die bloße Zeichenhaftigkeit, Begriffshaftigkeit und Schematisierung im Film ablehnt.5 Auch in der neueren Filmwissenschaft ist der Vergleich zwischen bestimmten Filmen und der literarischen Gattung der Lyrik anzutreffen. Die Neoformalisten Kristin Thompson und David Bordwell widmen sich in ihrer Einführung Film Art unter ande-
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Siehe ebd., 36. Ebd., 33. Ebd., 45. Ebd., 28. Ebd.
Der poetische Film
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rem der nicht-narrativen Filmkunst und entwerfen dabei eine interessante Typologie der nicht-narrativen formalen Systeme. Sie unterscheiden kategoriale, rhetorische, abstrakte und assoziative Typen (associational types). „Categorical films divide a subject into parts, or categories“1 , während die rhetorische Form argumentativ strukturiert ist. Die abstrakte Form kommt der Beschreibung nach einer poetischen Form nahe, denn Thompson und Bordwell heben nichts weniger als die Poetizität der abstrakten Filme hervor: „In this type of organization the audience’s attention is drawn to abstract visual and sonic qualities of the things depicted – shape, color, aural rhythm and the like.“2 Einen Vergleich mit der Lyrik ziehen Thomspon und Bordwell jedoch bei der Definition der assoziativen Form (associational form), die eine Haltung ausdrückt oder eine Stimmung erzeugt: „[…] it works through the juxtaposition of loosely connected images to suggest an emotion or a concept to the spectator.“3 Die Spezifik der assoziativen Form besteht darin, keine Geschichte zu erzählen: „It offers no continuing characters, no specific causal connections, no defined duration, and no temporal order among the scenes.“4 Die Analogie zur Lyrik liegt in dieser Typologie also zunächst in der Nicht-Narrativität der Filme, in einem weiteren Schritt jedoch in ihrem emotional und subjektiv zu erschließenden Inhalt, der mit der nicht-linearen Komposition einhergeht. Die Formulierung der ‚lose verknüpften Einzelbilder‘ gehört in der Tat zu den Standardmetaphern des Lyrik-Film-Vergleichs: „Associational formal system suggest expressive qualities and concepts by grouping images.“5 Diese Gruppierungen verstehen sich jedoch nicht als Kategorien oder beruhen allein auf den abstrakten visuellen Eigenschaften des Dargestellten, sondern sind assoziative nicht-narrative Zusammenstellungen unverbundener Dinge: „This process is somewhat comparable to the techniques of metaphor and simile used in lyric poetry.“6 Zwei Prinzipien werden im assoziativen Film trotz aller kompositorischen Freiheit meist eingehalten: Zum einen werden die Bilder zu größeren Sets gruppiert, zum anderen werden durch Wiederholung von Motiven die assoziativen Verknüpfungen verstärkt. Das Moment der Wiederholung erhält bei der Charakterisierung des assoziativen Formtyps bei Bordwell und Thompson besonderes Gewicht7 und weist weist damit auf die Poetizitätskonzepte der russischen Formalisten zurück, die für die Entwicklung der neoformalistischen Filmtheorie von größter Bedeutung waren. Es lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sich der Diskurs über einen poetischen oder lyrikähnlichen Film auf eine ganze Reihe von Eigenschaften beruft, die in einem Katalog lyrischer Merkmale traditionell aufgeführt werden. Dazu gehören nach Müller-Zettelmanns Mehrkomponentenmodell die Tendenz zur „Reduktion des Darge-
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David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art. An Introduction, Boston 2008, 102. Ebd., 102f. Ebd., 103. Ebd., 130. Ebd., 127. Ebd., 127f. Siehe ebd., 129.
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Was sind Poesiefilme?
stellten“1, die Tendenz zu „erhöhter manifester Artifizialität“ durch die „Überstrukturierung der subsemantischen Strata“, die Tendenz zu „erhöhter Devianz“, die Tendenz zu erhöhter „epistemologischer Subjektivität“ und die Labilität der Illusionsbildung2. Die Argumente, mit denen bestimmte Filme als poetisch gekennzeichnet werden, speisen sich jeweils aus verschiedenen Gattungsauffassungen der Lyrik.3 Meist lassen sie sich jedoch an der Überstrukturierung, der Selbstreflexion oder dem besonderen Kunstcharakter der lyrischen Sprache festmachen und sind insofern vor allem mit jenen Gattungskonzepten verwandt, die der Gattung Lyrik einen erhöhten Grad an Poetizität zuschreiben. Eine trennscharfe Differenzierung von Poesie und Lyrik wird in filmbezogenen Zusammenhängen, wie im Übrigen auch im außerwissenschaftlichen LiteraturDiskurs, dagegen kaum durchgehalten. Das hat teilweise mit den bereits erwähnten Übersetzungsschwierigkeiten im gattungstheoretischen Diskurs zu tun, hängt zum anderen aber mit der Geschichte des Poesiekonzepts im zwanzigsten Jahrhundert zusammen, die von der Geschichte des Poesiefilmes nicht zu trennen ist. Beispiele4 wie die Lyrischen Films Claire Golls und die Lyrik Rolf-Dieter Brinkmanns zeigen, dass die diskursiven Volten im Bereich der Lyrik-Film-Beziehungen auch literaturgeschichtlich überaus interessant sind. Zu einem Zeitpunkt, wo sich Avantgardefilme zur Untermauerung ihres Kunstcharakters als poetisch oder gar lyrisch verstehen (in den europäischen Avantgarden der 20er bis 30er und in den USA der 50er bis 70er) versuchen literarische Poetiken, sich von den Einschränkungen der diskursiven Literatursprache zu befreien und greifen dabei metaphorisch und thematisch auf das Vokabular filmischer Techniken zurück, die sie mit direkter Erfahrung und Unmittelbarkeit in Zusammenhang bringen.
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Poesiefilm und Literaturverfilmung
1.4.1 Abgrenzung und Vergleich Die Lyrik kann im Rahmen dieser Untersuchung keine größere Rolle spielen, weil Lyrik ihrer Seinsweise nach nicht verfilmbar ist, wenigstens nicht in der Bedeutung des Wortes, die bei Prosa und Drama angelegt werden kann.5
So heißt es noch 1965 in Alfred Elstermanns klassischer Darstellung zur Verfilmung literarischer Werke. An einem solchen Urteil, das für eine Arbeit über die Verfilmung
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Eva Müller-Zettelmann: Lyrik und Metalyrik, 76. Ebd., 84; ebd.; ebd., 100; ebd., 107; siehe ebd., 119. Siehe Dieter Lamping: „Lyrikanalyse“. Siehe Sandra Richter: „Lyrik im Ausgang“, siehe Jan Röhnert: Springende Gedanken und flackernde Bilder. Lyrik im Zeitalter der Kinematographie; Blaise Cendrars, John Ashbery, Rolf Dieter Brinkmann, Diss. Univ. Jena 2007, Göttingen 2007. Alfred Estermann: Die Verfilmung literarischer Werke, Bonn 1965, 326.
Poesiefilm und Literaturverfilmung
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von Lyrik natürlich eine Herausforderung darstellt, lässt sich einiges über die sogenannte „Seinsweise“1 der Lyrik, vor allem aber über das Verständnis von „Literaturverfilmung“ ablesen, das hier zu Grunde liegt. Indem ausschließlich den Gattungen Epik und Drama Verfilmbarkeit zugestanden wird, bleibt Literaturverfilmung von vornherein auf den Spielfilm beschränkt. Verfilmungen lyrischer Gedichte sind damit aus ihrem Bereich ausgeschlossen. Bezeichnenderweise gehört zu den wenigen Sonderfällen, die Elstermann gelten lässt, ausgerechnet die Ballade, die als handlungsreiches Gedicht ohnehin traditionell einen Grenzfall lyrischer Gattungsbestimmungen ausmacht. Der Unterscheidung, die dieser Ausschluss markiert, soll im Folgenden nachgegangen werden, indem Poesiefilm mit der „herkömmlichen“ Literaturverfilmung verglichen wird. Dies geschieht zum einen in Form einer Abgrenzung des Poesiefilmes von der Literaturverfilmung, mit der gezeigt werden soll, worin sich der Poesiefilm von dieser unterscheidet, wo die für die Literaturverfilmung entwickelten Methoden beim Poesiefilm an ihre Grenzen stoßen und die Konsequenzen daraus für die Untersuchung des Poesiefilmes zu ziehen sind. Zum anderen kann der Poesiefilm auch als eine Sonderform der Literaturverfilmung verstanden werden, insofern er unter produktionsästhetischer Perspektive Gedichte, also literarische Äußerungen, die in einem anderen Medium vorliegen (akustische Speicherung oder Schrift) adaptiert und sich zu diesem Medienwechsel in einer bestimmten Weise verhalten muss. Daher soll im zweiten Teil dieses Kapitels vorgebracht werden, was die Untersuchung von Poesiefilmen der Forschung über Literaturverfilmungen verdankt und was aus deren Ergebnissen für das Studium des Phänomens zu gewinnen ist. Produktiv gemacht werden können die von der Adaptionsforschung erarbeiteten Termini besonders dort, wo das Gedicht nicht im Film zu hören oder zu lesen ist, sondern wo die Adaption lyrischer Texte ohne deren konkrete sprachliche Reformulierung vorliegt.2 Dies soll am Beispiel des Filmes DER HIMMEL ÜBER BERLIN (1987) gezeigt werden, der sich auf Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien bezieht.3 In ihrer wegweisenden Studie Der verwandelte Text, definiert Irmela Schneider die Literaturverfilmung als „Transformation eines Textsystems von einem Zeichensystem in ein anderes“4. Literaturverfilmungen werden damit in erster Linie als Umwandlungsprozesse betrachtet, infolge derer verbalsprachlich verfasste Texte in filmische Texte überführt werden. Abgesehen von der durchaus umstrittenen Rede vom „filmi-
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Siehe Kapitel 1.1. Elstermann folgt hier im Übrigen der Lyrikauffassung Emils Staigers. Ich bezeichne die Adaption als Typ des Poesiefilmes, der eine Transformation des Gedichtes leistet, wo es also nicht um die materielle Integration des Gedichtes ins audiovisuelle Medium geht. Die hier gebrauchte Formulierung der Bezugnahme geht auf die Intermedialitätsforschung zurück und markiert eine Forschungsperspektive, die von der produktionsorientierten Adaptionsforschung abweicht. Statt Literaturverfilmung als Transformationsprozess zu fassen, werden mehr oder weniger markierte Bezugnahmen im Zieltext aufgesucht. (Siehe Irina O. Rajewsky, Intermedialität, 11.) Irmela Schneider: Der verwandelte Text. Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung, Tübingen 1981, 18.
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Was sind Poesiefilme?
schen Text“ erweist sich diese im narrativen Feld äußerst erhellende Definition für eine Anwendung auf den Poesiefilm aus zwei Gründen als problematisch. Zum einen kann dort der betreffende literarische Text durchaus weiterhin in verbalsprachlicher Form, als gesprochenes oder geschriebenes Gedicht, rezipierbar sein, wie im Falle des Gedichtfilmes.1 Es handelt sich dann gar nicht, oder nicht nur, um eine semiotische Transformation, sondern um die Integration des Gedichtes in einen neuen medialen Kontext. Zum anderen sind Schneiders Analysen aufgrund ihrer semiotischen Fundierung blind für performative Aspekte verfilmter Literatur. In semiotischen Strukturanalysen werden Filme wie Romane als Textsysteme betrachtet, die mit diversen Codes operieren. Medienspezifische Unterschiede werden dabei vor allem als abweichende Sets der zu Grunde liegenden Codes beziehungsweise Zeichensysteme aufgefasst. Was in dieser Beobachtung sekundär bleiben muss, sind die Materialität und die technische Medialität der realisierten Zeichen selbst. Diese sind jedoch besonders für die lyrische Gattung als bedeutsam anzusehen, tragen sie doch gerade hier einen großen Teil zur ästhetischen Erfahrung bei. Die Konstruktion, selbst die heuristische Konstruktion, eines autonomen Systems, das unabhängig von dessen semiotischer Realisierung gedacht wird, überspringt damit gerade die Ebene, die für die poetische Sprachverwendung elementar ist. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Poesiefilm und Literaturverfilmung besteht darin, dass es sich bei einer wichtigen Gruppe von Poesiefilmen, den Gedichtfilmen, gar nicht um eine Transformation im Sinne einer „Übersetzung“ von einem Zeichensystem in ein anderes handelt. Wo die Gedichte in ihrer sprachlichen Gestalt präsent bleiben und um ihre stimmliche Realisierung oder schriftliche Bewegung sowie um andere klangliche und visuelle Elemente bereichert werden, haben wir es in erster Linie mit einer Form der Aufführung zu tun, für deren Erfassung ganz andere Kategorien relevant werden. Wie tritt das Gedicht in seiner neuen Gestalt mit anderen Zeichensystemen in Beziehung? Werden seine sprachkünstlerischen Eigenschaften durch die audiovisuelle Umsetzung betont, abgeschwächt oder in ihrer Wirkung verändert? Was die Subsumierung des Poesiefilmes unter die Literaturverfilmung jedoch am stärksten behindert, ist die starke Konzentration der Forschung auf das Erzählen: Literaturverfilmung wurde als Transformation eines Textsystems von einem Zeichensystem in ein anderes Zeichensystem bestimmt. Im Zusammenhang mit der Frage nach einem fundamentalen tertium comparationis zwischen Buch-Literatur und Film wurde Literaturverfilmung als die Manifestation dessen bestimmt, was sich analytisch als die elementare Beziehung zwischen Buch-Literatur und Film ermitteln lässt – das Phänomen des Erzählens.2
Das tertium comparationis von Literatur und Film auf das Erzählen zu reduzieren, heißt jedoch, eine historische Entwicklung zu einem fundamentalen semiotischen Faktum zu verabsolutieren. Dies entspricht weder den medialen Möglichkeiten noch den tatsächlichen Realisierungen des Filmes, einem Medium, das ebenso nicht-narrative und sogar abstrakte Werke hervorgebracht hat wie die Literatur. Die Geschichte des Kinos ist so 1 2
Als Gedichtfilm bezeichne ich alle Poesiefilme, in die ein Gedicht stimmlich oder schriftlich integriert wird. Diese grenzen sich dadurch vom poetischen Film und von der Gedichtverfilmung ab. Ebd., 27.
Poesiefilm und Literaturverfilmung
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stark an die Narration geknüpft worden, dass diese als fundamentale Eigenschaft des Filmes gilt. Das geht so weit, dass jeglicher Versuch einer alternativen filmischen Ästhetik nur als Kritik der traditionellen Narrativität wahrgenommen wird, die als solche natürlich von dieser abhängig und letztlich auf sie bezogen bleibt.1 Dies trifft sicher für einen großen Teil des Avantgardekinos und Experimentalfilmes zu, ignoriert jedoch all jene Arbeiten, die kein Interesse an der Narration haben und eigenständige ästhetische Programme verfolgen. Untersuchungen von Literaturverfilmungen bewegen sich, was angesichts der historischen Dominanz des Spielfilmes kaum überraschend ist, hauptsächlich auf dem Gebiet der Narratologie. Die Narratologie hat außerordentlich differenzierte Beschreibungskategorien und Definitionen ihres Gegenstandes hervorbringen können, deren Übertragbarkeit auf außerliterarische Medien in der transmedialen Narratologie eigens untersucht wird.2 Ausgehend von der Beobachtung, dass Spielfilme eine Form der Narration sind, die die wichtigsten Merkmale des Erzählens mit der Literatur gemeinsam hat, werden Konzepte wie Fokalisierung und Perspektive, Diegese, Zeitgestaltung und unzuverlässiges Erzählen auf den Film angewendet und für die narratologische Analyse von Spielfilmen zum Einsatz gebracht.3 Die Analyse von Gedichtfilmen zeigt, dass sich diese in vielen Punkten der narratologischen Analyse entziehen. Hier müssen einige kurze Hinweise genügen: Viele Gedichtfilme sind durch häufige Wechsel von On- zu Off-Stimme gekennzeichnet. Sie folgen damit einem Muster, dass eher in einem nicht-narrativen Format wie dem Musikvideo anzutreffen ist, wo Montage nicht in erster Linie eine Erzählung konstituiert, sondern Musik das dominierende Kompositionsprinzip ist. Ein solcher Wechsel aber würde im Spielfilm die wichtige Grenze zwischen diegetischem und nicht-diegetischem Raum überschreiten und zeigt damit an, dass es in diesen Filmen oder Videos nicht zum Aufbau einer stabilen diegetischen Welt kommt. Ähnliches gilt für die zeitliche Einbettung der einzelnen Einstellungen, die in Gedichtfilmen häufig unbestimmt bleibt, so dass weder von einer Sukzession noch von einer Gleichzeitigkeit gesprochen werden kann. Damit soll deutlich gemacht werden, dass narratologische Begriffe dort an ihre Grenzen stoßen, wo nicht in erster Linie erzählt wird. Es zeigt aber auch, dass gerade dort, wo die am narrativen Film entwickelten Modelle nicht mehr greifen, charakteristische 1 2
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Johann N. Schmidt: „Narration in Film.“ In: The Living Handbook of Narratology, online unter: http://hup.sub.uni-hamburg.de/lhn/index.php/Narration_in_Film, 21. Siehe Peter Hühn: „Plotting the Lyric. Forms of Narration in Poetry“, in: Eva MüllerZettelmann/Margarete Rubik (Hg.): Theory into Poetry. New Approaches to the Lyric, Amsterdam 2005, 147–172. Hier: 147. Transmediale Erzählstrategien erforscht Marie-Laure Ryan: „On the Theoretical Foundation of Transmedial Narratology“, in: Jan Christoph Meister (Hg.): Narratology Beyond Literary Criticism. Mediality, Disciplinarity, Berlin 2005, 1–23, sowie das Forschungsprojekt „Medialität – Transmedialität – Narration: Perspektiven einer transgenerischen und transmedialen Narratologie (Film, Theater, Literatur)“ unter Leitung von Irina Rajwesky an der Freien Universität Berlin. Johann N. Schmidt: „Narration in Film“, 23–47 und ebd., 51.
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Was sind Poesiefilme?
Merkmale des Poesiefilmes markiert hervortreten können. Diese Markierungen lassen sich häufig auch dann feststellen, wenn es in überwiegend narrativen Spielfilmen zu einer Integration von lyrischen Texten kommt. Die diegetische Welt wird verlassen, zeitliche und räumliche Bezüge werden unbestimmt und treten vorübergehend hinter ein anderes Kompositionsprinzip zurück.1 Trotz der zunehmenden Beachtung, die der Filmton in den letzten Jahren erfahren hat, wird Film häufig noch einseitig als visuelles Medium aufgefasst, so dass sowohl die Untersuchung von Literaturverfilmungen als auch die Forschung über Literatur und Film auf das Verhältnis von Wort und Bild, oder Bild und Sprache reduziert werden.2 Das ist angesichts der Vielzahl semiotischer Codes, die das filmische Medium bestimmen, eine grobe Vereinfachung der Sachlage.3 Gewiss muss die radikale Unterschiedenheit von Wort und Bild zu den zentralen Problemen der Literaturverfilmung gezählt werden, dabei kann jedoch leicht übersehen werden, dass Film nicht nur aus Bildern besteht, sondern (fast immer) auch eine Tonebene besitzt, eben ein audiovisuelles Medium ist. Kamilla Elliott hat in ihrer Studie der Forschung über LiteraturFilm-Beziehungen und Literaturverfilmung auf überzeugende Weise Argumentationsfiguren aufgezeigt, die die Debatte über Dichtung und Bildende Kunst des achtzehnten Jahrhunderts in Erinnerung rufen.4 Mit dem Ziel, die Repräsentationsbereiche der Künste scharf voneinander abzugrenzen, wird dabei in ganz ähnlicher Weise auf Lessings Laokoon-Aufsatz Bezug genommen.5 Film wird als Medium, das sich sowohl in der Zeit als auch im Raum ausdehnt, konzipiert. Dabei wird jedoch in keinem Moment in Frage gestellt, dass es sich beim Film um ein visuelles, bei der Sprache um ein diskursives Medium handelt. Elliot stellt sich dieser Vereinfachung entgegen: Novels are not poems; films are not paintings. Novels have been illustrated: nineteenth century novels in particular are brimful of pictorial initials, vignettes, full-page plates, frontispieces, and endpieces. Films abound in dialogue, intertitles, subtitles, voice-over narration, credits, and graphic words on sets and props. Yet scholars continue to designate the novel ‚words‘ and the film ‚images‘ and to define them according to Lessing’s categorizations of poetry and painting.6
Wenn sowohl Romane, vor allem aber Filme als Gemisch von bildhaften und sprachlichen Elementen angesehen werden müssen, dann wird deutlich, dass Untersuchungen, die in der Literaturverfilmung hauptsächlich eine Übertragung vom abstrakten Wort ins 1 2
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Tarkovskij: ZERKALO (Der Spiegel, 1975), Godard: BANDE A PART (Die Außenseiterbande, 1964). Noch 2007 wird die Tonebene als wichtiges Desiderat der Adaptionsforschung genannt: „Perhaps the most overlooked of all aspects of literature on film studies, which almost always concentrates on word/image debates is sound.“ (Deborah Cartmell/Imelda Whelehan: „Introduction. Literature on Screen: a Synoptic View“, in: Deborah Cartmell/Imelda Whelehan (Hg.): The Cambridge Companion to Literature on Screen, Cambridge 2007, 1–11. Hier: 10). Die noch von Irmela Schneider (Der verwandelte Text, 115) vertretene Abstraktion von Ton, Geräusch und Musik in filmsemiotischen Analysen kann mittlerweile als überholt angesehen werden. Siehe Kamilla Elliott: Rethinking the Novel/Film Debate, Cambridge 2003. Ebd., 6f. Ebd., 12f.
Poesiefilm und Literaturverfilmung
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konkrete Bild suchen, dem Phänomen nicht ganz gerecht werden. In noch stärkerem Maße gilt dies für Gedichtfilme, die ja literarische Texte in den Film integrieren, denn Dichtung kann als Sprachwerk sowohl optisch als auch akustisch wahrgenommen werden. Es gilt also zunächst auseinanderzuhalten, ob man sich auf die Wahrnehmungsebene (visuell/akustisch) oder auf die Zeichenebene (Sprache/Bild) bezieht. 1 Bei der dichotomischen Gegenüberstellung von Bild und Sprache werden diese semiotischen und wahrnehmungstheoretischen Aspekte jedoch zumeist vermengt: Das Bild wird mit einer konkreten, visuellen, simultanen, präsentischen Bedeutungsweise assoziiert, während Sprache der abstrakten, sukzessiven, signifikativen, vermittelten Repräsentation zugeschlagen wird. Die Dichotomie zwischen Wort und Bild wird somit der Unterscheidung von Sagen und Zeigen gleichgesetzt.2 Bei dieser Gegenüberstellung von Wort und Bild werden allerdings die zeigenden bzw. performativen Dimensionen der gesprochenen oder geschriebenen Sprache ausgeblendet, die ein wichtiges Element ihrer audiovisuellen Erscheinungsweise sind und der eine Untersuchung des Gedichtfilmes unter allen Umständen Rechnung tragen sollte.3 Poesiefilme und insbesondere Gedichtfilme lassen sich nicht ohne weiteres der Literaturverfilmung zuschlagen. In ihrem Fall ist das tertium comparationis von Literatur und Film nicht in den oft genannten Merkmalen der Handlung oder des Erzählens zu suchen, sondern, so meine Vermutung, in Phänomenen wie Rhythmus, Klang und Komposition. Die Untersuchung hat sich in der Konsequenz der konkreten Realisierung des Gedichtes in seiner audiovisuellen Form selbst zuzuwenden. Das bedeutet vor allem, die vernachlässigte Dimension des Tons stark zu machen und sprechkünstlerische Aspekte wie Stimme, Mimik und Gestik in die Analyse einzubeziehen. Schließlich gilt es, das Gedicht in seiner Einbettung in die durch filmspezifische Mittel (mise en scène, Kamerabewegung, Filmton und Montage) konstituierte audiovisuelle Botschaft zu beschreiben.
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Siehe W.J.T. Mitchell: „There Are No Visual Media“, in: Oliver Grau (Hg.): MediaArtHistories, Cambridge/Mass. 2007, 394–406; und W.J.T. Mitchell: „Image“, in: W.J.T. Mitchell/Mark B.N. Hansen (Hg.): Critical Terms for Media Studies, Chicago/Ill. 2010, 35–48. Hier: 43. Zwar sind Wort und Bild unterschiedene mediale Techniken. Das Wort repräsentiert den diskursiven Modus, das Bild eine aisthetische Form, jedoch: „Beide – aisthetische und diskursive Formate – sind nicht strikt voneinander trennbar: Sprache ist, wiewohl ,artikuliert‘, immer auch sinnliches Geschehen. Umgekehrt sind Bilder oder Wahrnehmungen in hohem Maße textuiert. Ihre Differenz besteht wesentlich darin, daß diskursive Schemata der Herstellung und Umsetzung signifikanter Ordnungen oder Sinnstrukturen dienen, während Bilder oder Musiken nicht vollständig auf diese zurückgeführt werden können; sie bedürfen eines anderes Zugriffs. Er wäre weniger strukturell, als vielmehr phänomenologisch vorzunehmen. Dann ergibt sich, um es vorwegzunehmen: Bilder zeigen, Töne, aufgrund ihrer zeitlichen Struktur, performieren.“ (Dieter Mersch: „Wort, Zahl, Bild“, 2). Auf diese Dimensionen weist dagegen Sybille Krämer hin. (Siehe Sybille Krämer: „Sagen und Zeigen. Sechs Perspektiven, in denen das Diskursive und das Ikonische in der Sprache konvergieren“, in: Zeitschrift für Germanistik, H. 3, 2003, 509–519. Hier: 510).
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Was sind Poesiefilme?
Wenn in den bisherigen Abschnitte versucht wurde zu zeigen, warum mit den für die Literaturverfilmung erprobten Methoden (Semiotik, Narratologie) und Konzepten (Transformation, Übersetzung, Wort-Bild-Dichotomie) das Phänomen Poesiefilm nicht zu erfassen ist, so lassen sich natürlich andererseits auch Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gegenstandsbereichen feststellen. Denn unter einer anderen Perspektive lässt sich Poesiefilm natürlich auch als eine Form der Literaturverfilmung, als Adaption von Gedichten verstehen. Dann wären Poesiefilme je danach zu untersuchen, in welcher Wiese sie die jeweiligen lyrischen Texte, aber eben auch strukturelle Gestaltungsmerkmale in das filmische Medium übertragen. Wenn sich die Gemeinsamkeit zwischen Film und Vorlage nicht vorrangig in einer erzählten Geschichte erkennen lässt, welche Merkmale sind es dann, die aus einem Gedicht in einen Film übertragen werden? Mit anderen Worten: Es stellt sich die Frage, was in einem Poesiefilm, in dem der konkrete Gedichttext nicht wiederaufgenommen wird, eigentlich verfilmt wird. Einen möglichen Anhaltspunkt für die Beantwortung dieser Frage bieten die jüngsten Bestrebungen, narratologische Kategorien für die Untersuchung lyrischer Gedichte fruchtbar zu machen.1 Dabei geht es nicht darum, lyrische Gedichte ohne Rücksicht auf ihre spezifischen Eigenschaften in das Raster einer narratologischen Analyse zu pressen, sondern um den Versuch, in heuristischer Absicht narrative Elemente in lyrischen Texten zu identifizieren und für eine differenzierte Analyse zu nutzen. Peter Hühn begründet in einem Aufsatz die Möglichkeit einer narratologischen Lyrikanalyse folgendermaßen: This paper is based on the assumption that lyric poems generally share the fundamental constituents of story and discourse as well as the narrative act with narrative fiction in that they likewise feature a sequence of incidents (usually of mental kind), mediate and shape it from a distinctive perspective and present it from a particular point of time vis-à-vis the sequence of incidents.2
Akzeptiert man die Vorannahme, dass sich auch lyrische Texte generell aus story und discourse zusammensetzen, so lassen sich eine Reihe sinnvoller methodischer Anleihen aus der Narratologie vornehmen. Zu den Kategorien, die nach Hühn für die Analyse lyrischer Gedichte Anwendung finden können, gehören Erzählschema, Erzählinstanz und -perspektive (Stimme und Fokalisierung) sowie Sequentialisierung und Plot. Insofern der Plot als Handlung seiner Definition nach eine Ordnung oder kausale Verknüpfung isolierter Ereigniselemente auf der Ebene story darstellt, lässt sich der Begriff sicher nicht ohne Modifikationen auf die Gesamtheit lyrischer Texte übertragen. Hühn löst dieses Problem mit dem Konzept des poetic plot als einem syntagmatischen Strang, der nicht nur kausal und temporal, sondern auch anderweitig ‚motiviert‘ sein kann und stellt fest, dass Plots in lyrischen Gedichten typischerweise durch mentale oder psychologische Ereignisse wie Wahrnehmungen, Vorstellungen, Begehren, 1
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Siehe Jörg Schönert/Peter Hühn/Malte Stein (Hg.): Lyrik und Narratologie. Text-Analysen zu deutschsprachigen Gedichten vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Berlin 2007; Peter Hühn/Roy Sommer: „Narration in Poetry and Drama.“ In: The Living Handbook of Narratology, online unter: http://hup.sub.uni-hamburg.de/lhn/index.php/Narration_in_Poetry_and_Drama. Peter Hühn: „Plotting the Lyric“, 148.
Poesiefilm und Literaturverfilmung
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Ängste, Erinnerungen oder Gefühle sowie durch deren Bildung und Entwicklung hervorgebracht werden.1 Die narrativen Sequenzen können mit Hilfe mentaler Schemata (frames und scripts) und Isotopien beschrieben werden. Dass sich narratologische Methoden auf den Bereich der Lyrik als produktiv erweisen können, zeigt sich besonders im Zusammenhang mit dem Problem der Mittelbarkeit. Anstatt die Spezifität lyrischer Texte zu übergehen, wird eine historisch zentrale Tendenz lyrischen Sprechens, die Tendenz, den Eindruck einer unmittelbaren performativen Präsenz zu erzeugen, durch die narratologische Perspektive erst recht markiert: [L]yric texts in the narrower sense (i.e. not just verse narratives or ballads) are distinguished by a characteristic variability in the extent to which they use the range of levels and modes of mediation. […] Similarly to the enacted utterances of characters in dramatic texts, however, they can also seemingly efface the narrator’s level and create the impression of performative immediacy of speaking. As a result, the speaker’s voice is felt to emanate from simultaneously occurring experience and speech. What a narratological approach to poetry is able to provide are a specific method of analyzing the sequential structure as well as a more precise instrument for differentiating the levels and modes of mediation in lyric poems (both of which in conventional manuals of poetry analysis are usually lacking).2
Für die Untersuchung von Literaturverfilmungen im Allgemeinen und Gedichtverfilmungen im Besonderen sind narratologische Gedichtanalysen ein hochinteressantes Modell, denn sie erlauben es, auch dann, wenn keine Geschichte im traditionellen Sinn erzählt wird, kleinste inhaltliche Einheiten zu isolieren und die verschiedenen Ebenen der Mittelbarkeit und Perspektive mit den erprobten Mitteln der Narratologie zu beschreiben. Die versuchsweise transgenerische Übertragung narratologischer Begriffe stellt insofern ein methodisches Bindeglied zwischen der stark an der Erzählfunktion ausgerichteten Adaptionsforschung und der Lyrikfoschung und Lyrikanalyse dar. Auch außerhalb narratologischer Analysen zeigt sich, dass Poesiefilm und Literaturverfilmung größere Gemeinsamkeiten haben, als zunächst angenommen. Während durch die Fixierung auf Handlungselemente der Eindruck entstehen könnte, es gehe bei der Literaturverfilmung stets um die Geschichte, also um ‚inhaltliche‘ Fragen (die Informationsebene), spielt die Textgestalt der literarischen Vorlage (die Faktur) hier durchaus eine wichtige Rolle. Auch Verfilmungen von Romanen oder Dramen beziehen sich zuweilen auf literarische Texte, die in einem hohen Maß sprachkünstlerisch sind und aus diesem Grund als ‚unverfilmbar‘ gelten. Hier soll nicht bestritten werden, daß es einfacher ist, einen weniger sprachkünstlerischen Text zu verfilmen, der seine Erzähltechnik in den Dienst der Geschichte stellt, noch daß diese Texte häufiger verfilmt wurden und werden als sprachkünstlerische Texte. Diese Tatsache aber leitet sich nicht aus den ästhetischen Möglichkeiten der Transformation ab, sondern findet ihren
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Siehe ebd., 149. Peter Hühn/Roy Sommer: „Narration in Poetry“, 5. Hervorhebung S.O.
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Was sind Poesiefilme? Grund im medialen Umfeld von Literaturverfilmung, also in den Bedingungen ihrer Produktion, Distribution und Rezeption.1
Anne Bohnenkamp hat in ihrer aktuelleren Definition der Literaturverfilmung gezeigt, dass Literaturverfilmungen vor allem insofern zum Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft werden, wo sie sich für den literarischen Text als solchen interessieren. Das heißt, dass sie Übertragungen nicht rein inhaltlicher, sondern auch struktureller Art vornehmen, die die spezifisch literarische Gestalt des Textes anerkennen.2 Damit soll keiner künstlichen Trennung von Form und Inhalt das Wort geredet werden, sondern im Gegenteil darauf hingewiesen sein, dass selbst narrative Romanverfilmungen sich nicht in einem Abziehen „narrativer Codes“ aus der literarischen Vorlage erschöpfen müssen, sondern in unterschiedlichem Maße und in ihrem eigenen Medium Analogien für sprachspezifische literarische Gestaltungsmittel herausbilden können.3 Irmela Schneider folgt einer Unterscheidung André Bazins und bestimmt die Literaturverfilmung „im emphatischen Sinne: es geht um die Umsetzung einer literarischen Vorlage in filmische Bilder, bei der intentionale Analogien zum literarischen Text feststellbar sind, die es verbieten, die literarische Vorlage als puren Stofflieferanten zu bestimmen.“4 Weit davon entfernt, die konkrete Verfasstheit des sprachlichen Kunstwerks zu ignorieren, ist also auch die narrative Literaturverfilmung dadurch gekennzeichnet, dass sie Analogien zur literarischen Vorlage ausbildet: „Wenn hier von einer Analogiebildung zur literarischen Vorlage gesprochen wird, so meint das nicht eine Strukturverwandtschaft in den Zeichensystemen, sondern eine Strukturverwandtschaft in der Art der Verwendung des Zeichensystems, im Umgang mit den Codes.“5 Über diese Bestimmungen möchte ich in meinen Überlegungen insofern hinausgehen, als dies auf Poesiefilme in besonderem Maß zutrifft, insofern sie nämlich die Gedichte als Gedichte, also mit einem Interesse an ihrer konkreten sprachkünstlerischen Gestalt verfilmen, in einer Art und Weise, die sich nicht auf die Wiedergabe eines Plots reduzieren lässt. Auch wenn das Gedicht nicht in den Film übernommen, sondern lediglich „adaptiert“ wird, ist von einer verstärkten Analogiebildung zu sprachspezifischen Codes auszugehen. Es sind diese Analogiebildungen im Transformationsprozess der Literaturverfilmung, die für die Untersuchung des Poesiefilmes interessante Anknüpfungspunkte bilden. Schon Schneiders Studie aus dem Jahr 1981, belegt implizit, dass Analogiebildungen zu literarischen Codes nicht nur auf der Ebene der narrativen Codes erfolgen können, sondern
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Irmela Schneider: Der verwandelte Text, 158. Anne Bohnenkamp: „Vorwort“, 13. So untersucht Matthias Hurst, die erzählperspektivische Gestaltung, die die Literarizität des Romans ausmacht auf ihre Übertragbarkeit ins filmische Medium. (Siehe Matthias Hurst: Erzählsituationen in Literatur und Film. Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten und filmischen Adaptionen, Diss. Univ. Heidelberg 1994, Tübingen 1996). Irmela Schneider, Der verwandelte Text, 119. Ebd., 161.
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sich auch auf Eigenschaften literarischen Sprechens beziehen, die charakteristisch für die lyrische Sprachverwendung sind.1
1.4.2 Wim Wenders’ Rilke: DER HIMMEL ÜBER BERLIN Dass es sich bei dem 1987 erschienenen Werk DER HIMMEL ÜBER BERLIN um einen außergewöhnlichen Film handelt, liegt nicht zuletzt an der speziellen Art seiner Bezugnahme auf literarische Texte. Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit mit Peter Handke und ist die letzte in einer seit 1969 andauernden Reihe von Kooperationen zwischen dem Regisseur Wenders und dem Autor. Handke hat zehn längere Textpassagen beigesteuert, die an verschiedenen Stellen des Filmes, entweder als Dialog, als innere Figurenrede oder vorübergehend als unbestimmtes Voice-Over im Film erscheinen. Es liegt nicht nur am hohen Ton dieser Texte, sondern auch an deren Einbettung, dass sie den Film als markiert literarisch erscheinen lassen. Während Handkes Texte zusammen mit den von Wenders verfassten Texten direkt im Film zu hören sind, wird auf eine andere literarische Vorlage nur indirekt Bezug genommen. Wenders hat mehrfach erklärt, dass er unter anderem durch die Lektüre von Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien zu seinem Film inspiriert worden sei.2 Geht man diesem Hinweis nach, so lässt sich eine überraschend große Anzahl von Bezügen zu dieser lyrischen Vorlage aufspüren. Da die Duineser Elegien nur sehr schwache narrative Anteile aufweisen, ist zu vermuten, dass diese Bezüge nicht in einer Übertragung des Handlungsschemas zu suchen sind, sondern sich auf vereinzelte Motive, Themen und strukturelle Eigenschaften beschränken müssen. Die Praxis dieses „nach Motiven aus“ wird in Studien zur Literaturverfilmung meist als eine nach Maßstäben der Textnähe „freie Verfilmung“ klassifiziert, selten jedoch systematisch untersucht. Da eine ausführliche Interpretation der Duineser Elegien in diesem Kontext nicht zu leisten ist, sei an dieser Stelle auf die umfangreiche Sekundärliteratur zum Thema verwiesen.3 Die vorliegende Untersuchung muss sich indes auf jene Aspekte beschränken, die im Zusammenhang mit Wenders Film bedeutsam sind. Die Adaption vollzieht eine Umkehrung der Perspektive, die die Elegien bestimmt. Dieser Richtungswechsel wird in den ersten Minuten des Filmes angezeigt. Die Duineser Elegien heben mit einer akustischen Anrufung an: „Wer, wenn ich schrie, hörte
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Siehe ebd., 158. Wim Wenders/Roger Willemsen: Interview 2005, 00:03. Eine hilfreiche Orientierung bieten die Materialien bei Ulrich Fülleborn/Rainer Maria Rilke: Materialien zu Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien, hg. von Ulrich Fülleborn, Frankfurt am Main 1980. Siehe auch Peter Szondi: Das lyrische Drama des Fin de siècle, Frankfurt am Main 1975; sowie in neuerer Zeit Katrin Kohl: „,Ruf-Stufen hinan‘. Rilkes Auseinandersetzung mit dem Erhabenen im Kontext der Moderne“, in: Adrian Stevens (Hg.): Rilke und die Moderne. Londoner Symposion, München 2000, 58–180; und Britta A. Fuchs: Poetologie elegischen Sprechens das lyrische Ich und der Engel in Rilkes „Duineser Elegien“, Würzburg 2009.
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mich denn aus der Engel Ordnungen?“ Der Film beginnt dagegen mit der Detailaufnahme eines Auges und einer Flugaufnahme, die aus großer Höhe die Stadt Berlin zeigt. In der nächsten Einstellung ist der auf einer Mauerbrüstung stehende Engel zu sehen, dem dieser Kamerablick zugeordnet wird. Der Film, so wird schnell deutlich, wird aus Perspektive der Engel erzählt. Er vollzieht damit eine Umkehrung vom Akustischen und Optischen sowie von Sender und Empfänger. Es ist mehrfach bemerkt worden, dass sich DER HIMMEL ÜBER BERLIN durch eine nur lose narrative Verknüpfung einzelner Sequenzen auszeichne und bereits in dieser Hinsicht wie ein Gedicht wirke. Tatsächlich lässt sich im Film jedoch ein komplexes Handlungsgefüge ausmachen, das allerdings an vielen Stellen durch eigenständige Episoden und Reflektionen unterbrochen wird, die keinen direkten Bezug zum Plot besitzen. Die Geschichte wird durch die beiden Engelfiguren Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander) zusammengehalten, die sich unsichtbar durch die geteilte Stadt Berlin bewegen. Aus den Schicksalen der Menschen, die sie mit Anteilnahme, aber ohne Möglichkeit der Einwirkung beobachten, bilden sich die Binnenhandlungen des Filmes: die Zirkusepisode um die Akrobatin Marion, der Filmdreh mit dem ehemaligen Engel Peter Falk und die Gänge und Reflexionen des „Erzählers“ Homer. Daneben existieren zahlreiche weitere namenlose Charaktere, deren kleine Geschichten den alternierenden Handlungssträngen zwischengeschaltet sind. Eine „eigene Geschichte“ wird dem Engel Damiel erst durch seine Menschwerdung ermöglicht. Es wird – natürlich – eine Liebesgeschichte sein. In der Figur des Engels besteht die wichtigste Analogie zu den Duineser Elegien. In der Konkretisierung, die das filmische Medium erzwingt, präsentieren sich die Vertreter der himmlischen Heerscharen in menschenähnlicher Gestalt. So ist im Medienwechsel gewissermaßen die Menschwerdung und Verleiblichung, die die Engelfigur Damiel auf story-Ebene des Filmes vollzieht, vorweggenommen. Die Repräsentation des Engels als konkrete Gestalt erscheint zunächst als eine reduzierende Vereindeutigung der von Rilke als ‚unfassliche‘ und ambivalente Instanz angelegten Engelfigur. Gleichzeitig bleibt jedoch ein enger Textbezug erkennbar, der zwei Facetten aus Rilkes vieldeutiger Umschreibung zu einer Figur verknüpft: den Moment, „da der Strahlendsten einer stand an der einfachen Haustür, / zur Reise ein wenig verkleidet und schon nicht mehr furchtbar [...]“1 und den staunende Bezug zur Größe des menschlichen Gefühls: „Doch selbst nur eine Liebende –, oh, allein am nächtlichen Fenster ... / reichte sie dir nicht ans Knie –?“2 Aus der Figur des Engels heraus und in Anrufung der Welt, nicht in Anrufung des Engels entwickelt der Film seine zentralen Themen. Auf einer poetologischen Ebene symbolisiert die Menschwerdung des Engels im Himmel über Berlin den Übergang vom Schauen zum „Herz-Werk“, die Rilke in der Werkphase der Elegien vollzieht: „Denn das Anschauns, siehe, ist eine Grenze. / Und die geschaute Welt / will in der Liebe gedeihn.“3 Die Bezugnahme auf die Engel hat auch bei Wenders eine poe1 2 3
Rainer Maria Rilke: „Die Duineser Elegien“, in: Sämtliche Werke, hg. vom Rilke-Archiv/Ruth Sieber-Rilke/Ernst Zinn, Wiesbaden, Frankfurt am Main 1955–1966, 685–726. Hier: 689. Ebd., 712f. Rainer Maria Rilke: „Wendung“, in: Sämtliche Werke, Bd. 2, hg. vom Rilke-Archiv/Ruth SieberRilke/Ernst Zinn, Wiesbaden, Frankfurt am Main 1955–1966, 83–84. Hier: 84. Angeführt bei
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tologische Dimension. Sie verkörpern die scheinbar körperlose, sich durch Raum und Zeit bewegende, stets unsichtbare Kamera. Die Menschwerdung als emphatische Bejahung des Übergangs von Beobachtung zu Teilnahme ist eine mögliche Antwort auf die noch offene Frage nach der Rolle des Erzählens in der Moderne, die im Film aufgeworfen wird. Eine zweite deutliche Anleihe macht Wenders Film bei der fünften Elegie. Sie handelt von den „Fahrenden, diese ein wenig / Flüchtigern noch als wir selbst“.1 Der Zirkus, diese „Rose des Zuschauns“, hat in der Elegie nicht nur die Funktion einer Modernekritik, die die grotesk überzeichneten Figuren als unfruchtbare, mechanische „Körpermaschine“2 erscheinen lässt. Anhand der Artisten entwirft Rilke das Bild eines plötzlichen Umschlags, vom Nicht-Können zum vollendeten Können, das als „leeres Zuviel“ auf den Tod verweist oder auf die gelingende menschliche Liebe. Deren Verwirklichung ist freilich nur noch in einem außerweltlichen, entrückten Raum denkbar: Engel!: Es wäre ein Platz, den wir nicht wissen, und dorten, auf unsäglichem Teppich, zeigten die Liebenden, die’s hier bis zum Können nie bringen, ihre kühnen hohen Figuren des Herzschwungs, ihre Türme aus Lust, ihre längst, wo Boden nie war, nur an einander lehnenden Leitern, bebend, – und könntens, […]3
Hier schließt Wenders an, wenn er die Trapezkünstlerin Marion zum Anlass der Menschwerdung des Engels macht. Indem er den Engel sich in diese Fahrende verlieben lässt, holt er Rilkes Vision in den Bereich des Irdischen zurück. Der Film unterstreicht im mise en scène die menschliche Beschränktheit der Zirkuswelt: Die Musik ist etwas schief, das Zelt klein, das Publikum spärlich und Marions Kunststücke sind alles andere als perfekt. Es ist diese Unvollkommenheit, die Damiel zuallererst anzieht. Die stärkste Affinität hat Wenders Film zur siebten und zur neunte Elegie, die in verschiedenen Denkbewegungen den Themenkomplex des ‚Hierseins‘ verhandeln. In den Zeilen „Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche […]. Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn“ ist das Grundprogramm des Filmes formuliert, aus dem heraus sich auch die Geschichte des Filmes entwickelt und motiviert.4 Der HIMMEL ÜBER
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Manfred Engel: Rainer Maria Rilkes ,Duineser Elegien‘ und die moderne deutsche Lyrik. Zwischen Jh.-Wende u. Avantgarde, Diss. u. d. T.: Leichte Gestaltung, Univ. Erlangen-Nürnberg 1984, Stuttgart 1986, 148. Zum Wandel der Wertung von „Schauen“ und dessen Zusammenhang mit dem reinen Bezug siehe ebd. Rainer Maria Rilke: „Die Duineser Elegien“, 701. Gert Mattenklott: „Rainer Maria Rilke: Die fünfte Duineser Elegie. Hinweise zum Verständnis“, in: Vera Hauschild (Hg.): Rilke heute. Der Ort des Dichters in der Moderne, Frankfurt am Main 1997, 201–213. Hier: 206. Rainer Maria Rilke: „Die Duineser Elegien“, 705. Dass das bei Wenders eher zu einem Sensualismus führt, der mit Rilkes Konzept des Weltinnenraums nicht unbedingt zusammenpasst, kann an dieser Stelle nicht ausführlich erörtert werden.
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Was sind Poesiefilme?
BERLIN findet gewissermaßen sein Motto in der Zeile „Hiersein ist herrlich“, die in den vom ehemaligen Engel Peter Falk gesprochenen Worten nachklingt: „I wish I could see your face, just look into your eyes and tell you how good it is to be here“ (1:22) nachklingen. Dass diese Worte direkt an den Engel Damiel gerichtet sind und ihn vom Sterblichwerden zu überzeugen suchen und dass damit demonstrativ den Zeilen „Glaub nicht, daß ich werbe. / Engel, und würb ich dich auch! Du kommst nicht.“1 in den Elegien widersprochen wird, ist ebenfalls bezeichnend. DER HIMMEL ÜBER BERLIN verschreibt sich der Feier des Irdischen und der Welt des Säglichen ganz. Die Preisung des diesseitigen Lebens ist im Film vor allem mit einer Aufwertung des Sinnlichen und des Profanen verknüpft, den Bereichen, die den ganz aus Geistigem bestehenden Engeln verschlossen bleiben. Filmisch wird Damiels Übertritt in die Welt der Sterblichen durch den plötzlichen Wechsel von Schwarz-Weiß-Bildern zu Farbigkeit und zu einem reicheren Ton (Atmo) markiert, durch die seine nun erst sinnliche Wahrnehmung verkörpert wird. In seiner staunenden, „kindlichen“ Haltung liegt das Ideal des Weltbezugs, das im HIMMEL ÜBER BERLIN seinen Ausdruck findet. Die Ambivalenz der Elegien und ihr tastender, suchender Gestus werden im Film abgeschwächt. Während in den Elegien zwei Gruppen von Lösungen für die aufgeworfenen Probleme der condition humaine angeboten werden, eine absolute, den Menschen aber überfordernde und eine menschlichere, lebensbezogenere, die in Spannung zueinander stehen,2 setzt Wenders Film vorbehaltlos auf das diesseitige Dasein und nimmt vor allem die in den Elegien nur tentativ eingesetzte irdische Liebe als Verkörperung dieser Lösung an. Man kann also mit einigem Recht von einer Ver-ein-fachung des elegischen Themas sprechen, die in der vom Film privilegierten Liebeshandlung kulminiert. Während die Elegien sich durch die Offenheit ihrer Form auszeichnen und keine Progression aufweisen, wird im Film mit der Vereinigung des menschgewordenen Engels und der Trapezkünstlerin Marion ein deutlicher Schlusspunkt gesetzt. Eine bei Rilke nur versuchsweise und fragend durchgespielte Möglichkeit wird damit zur endgültigen Lösung stilisiert: Endlich wird es ernst. […] Einsam war ich nie, weder allein noch mit jemand anderem, aber ich wäre gern endlich einsam gewesen. Einsamkeit heißt ja: Ich bin endlich ganz. Endlich kann ich das sagen, denn ich bin heute Nacht endlich einsam. Mit dem Zufall muss es nun aufhören. […] Wir zwei sind jetzt mehr als nur zwei, wir verkörpern etwas. […] du brauchst mich. Du wirst mich brauchen. Es gibt keine größere Geschichte als die von uns beiden, von Mann und Frau.3 (1:52:00)
Wenn Wenders’ Film also durchaus auf verschiedenen Ebenen das Motiv der Grenze umspielt, geht es ihm in letzter Instanz um eine Ganzheit, um die Überwindung dieser Grenzen durch die Erzählung und durch die – in freilich nicht unproblematischer Weise ausschließlich heterosexuell codierte – Liebe.
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Ebd., 713. Siehe Manfred Engel: Rainer Maria Rilkes ‚Duineser, 134ff. Siehe dagegen Rilkes Versbeginn: „Wen vermögen wir denn zu brauchen?“
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Neben den großen Themen, in denen der Film sehr deutlich auf die Duineser Elegien Bezug nimmt, gibt es etliche lose gereihte Motive und kleine Einsprengsel, die auf die lyrischen Texte verweisen. Sie umspielen fundamentale Themen wie das Sterben, das Kindsein und das Anschaun, oder konkretisieren lyrische Bilder, etwa in den wiederholten Aufnahmen der Vogelschwärme, die „wie Zugvögel verständigt sind“ (IV, 2–3). An vielen Stellen ergeben sich flüchtige Übereinstimmungen zwischen Figurenrede und Gedicht, etwa zwischen Rilkes Konzept der Verwandlung1 und Damiels Daseinssehnsucht: „was ich weiß von meinem zeitlosen Herabschauen verwandeln ins Aushalten eines jähen Anblicks, eines kurzen Aufschreis, eines stechenden Geruchs.“ (1:02) Die Bezüge auf die lyrische Vorlage erschöpfen sich nicht in gemeinsamen Themen und Motiven, sondern lassen sich auch auf einer strukturellen Ebene feststellen. Dies soll an zwei formalen Elementen gezeigt werden. Ein auffälliger Zug der Duineser Elegien ist deren Appellstruktur, die sich in der häufigen Ansprache eines Du und in rhetorischen Fragen äußert.2 Darüber hinaus kommt es an entscheidenden Stellen zu einem Wechsel vom Ich zum Wir.3 Auch die filmische Vermittlungsinstanz in der DER HIMMEL ÜBER BERLIN tendiert zu einem Gestus des Kollektiven. Dabei wird das in den Elegien bestimmende Wir im Film nicht einfach nachgebildet, sondern durch eine „Analogie im Zeichengebrauch“ ausgedrückt, die den Effekt einer Vielstimmigkeit hervorruft. Wenders erreicht dies durch eine für einen Spielfilm ungewöhnlich hohen Anteil an innerer Figurenrede. Er wird erzählerisch dadurch begründet, dass es den Engelfiguren möglich ist, an den Gedanken der Menschen teilzuhaben, was filmisch angezeigt wird, indem Stimmen aus dem Off hörbar werden. Ein Verfahren, das im Prinzip dem inneren Monolog gleicht, und nun in Wenders Film zum Strukturprinzip gemacht wird. Das Gesicht einer Figur ist zu sehen, jedoch ohne, dass diese spricht, während gleichzeitig auf der Tonspur eine Stimme zu hören ist, die wir diesem Gesicht zuordnen können. In einigen Szenen, etwa in der berühmten Szene in der Staatsbibliothek oder der U-Bahn-Sequenz, kommt es zu einem wahren Konzert der Stimmen, die sich überlagern, abwechseln und durchdringen und im Zusammenspiel mit der Musik zu einem überwältigenden Lärm anschwellen. Abgesehen von der Bibliotheksmetaphorik des über die Zeiten hinweg geführten Dialogs der Bücher, der sich hier zu verkörpern scheint, ist die Szene ein Beispiel für die den ganzen Film hindurch überaus unkonventionelle Verwendung des Tons.
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Zum Konzept der Verwandlung bei Rilke siehe Manfred Engel (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Darmstadt 2004, 141. Zur Appellstruktur der Elegien siehe Anthony Stephens: „Die Duineser Elegien“, in: Manfred Engel (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Darmstadt 2004. Hier: 369. Es ist frappierend, wie stark das lyrische Ich der Duineser Elegien, wie Manfred Engel es herausgearbeitet hat, seiner Konzeption nach einer filmischen Vermittlungsinstanz entspricht. Engel bezieht sich dabei auf Rilkes Überlegungen zum Theater und sieht seine Forderung, dass „zwischen Publikum und Szene ein Auge eingeschoben werden [müsse], für dessen ruhigen Blick die Handlung in jedem Moment richtig und wahrhaft ist“, in den Duineser Elegien verwirklicht. (Manfred Engel: Rainer Maria Rilkes ,Duineser, 150). Siehe ebd., 146.
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Was sind Poesiefilme?
Ein weiteres wichtiges Bauprinzip der Elegien ist nach Manfred Engel die paradigmatische Reihung: „Einzelne Aspekte werden durch eine Fülle von nuancierten Einzelbeispielen und Einzelaussagen dargestellt, die über den Zyklus verteilt sind und vom Leser zu ihrem virtuell bleibenden Allgemeinen zu synthetisieren wären.“1 Dieses Prinzip wird auch im Film an prominenter Stelle wieder aufgenommen. Es strukturiert die Sterbeszene des verunglückten Motoradfahrers auf der Brücke (Schwellenmetaphorik) und bestimmt Handkes Lied vom Kindsein, das den Film leitmotivisch durchzieht.2 In der Sterbeszene geht der innere Monolog des Sterbenden auf der Brücke nach der Ankunft des Engels in ein Gedicht über, das Wenders als „Anrufung der Welt“ bezeichnet: Wie ich bergauf ging und aus dem Talnebel in die Sonne kam... Das Feuer am Rande der Viehweide... […] Das weiße Tischtuch im Freien. Der Traum vom Haus im Haus. Der schlafende Nächste im Nebenraum. Die Ruhe des Sonntags. Der Horizont. Der Lichtschein vom Zimmer ... Im Garten. […]3
In der Form eines Listengedichtes hebt die Stimme des Sterbenden zu einer Preisung der Welt an, zunächst schwach und gebrochen im inneren Monolog, schließlich in eine festere, deutlichere Off-Stimme überwechselnd, die von einem Ort außerhalb der Diegese zu sprechen scheint. Die Art, wie hier in einfacher Aufzählung Momente der Schönheit und des Glücks präsentiert werden, lehnt sich an ein Bauprinzip der Elegien an, wie es sich etwa in der siebten Elegie vorfinden lässt: Nicht nur die Morgen alle des Sommers –, nicht nur wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang. Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben, um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig. Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte, nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend, nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,
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Ebd., 133. „Als das Kind Kind war, genügt niemals Nahrung Apfel, Brot und so ist es immer noch / Als das Kind Kind war, fielen ihm die Beeren wie nur Beeren in die Hand, und jetzt immer noch / machten ihm die frischen Walnüsse eine rauhe Zunge, und jetzt immer noch / Hatte es auf jedem Berg die Sehnsucht nach dem immer höheren Berg / und in jeder Stadt die Sehnsucht nach der noch größeren Stadt und das ist immernoch so […].“ Für eine hervorragende Analyse der Beziehung von Kamerabewegung und Tonebene in dieser Sterbeszene siehe Richard Raskin: „Camera Movement in the Dying Man Scene in Wings of Desire.“, in: p.o.v., 8. Jg., 1999, 157–170. Handke/Wenders zitiert nach ebd., 169.
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nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends ... sondern die Nächte![…]1
Auch, wenn der Film in der Anwendung der paradigmatischen Reihung bei weitem nicht die syntaktische und gedankliche Komplexität der Elegien erreicht und wohl auch gar nicht angestrebt, ist der formale Bezug doch deutlich. Auf der Ebene filmischer Ausdrucksmittel wiederholt sich dieses Prinzip in der Aneinanderreihung unverbundener Episoden, die nichts zum Fortgang der Handlung beitragen, sondern durch ein gemeinsames Kompositionsprinzip zusammengehalten werden. Es sind allesamt Beispiele für ein unbestimmt bleibendes Allgemeines, das sich mit den Begriffen „Dasein“2 oder „das Menschliche“ umschreiben ließe. Im Anspruch, dieses Allgemeine indirekt auszusagen, treffen sich Rilkes Elegien und Wenders’ Film. Roman Jakobson hat in der Projektion der paradigmatischen Achse auf die syntagmatische Achse das Grundprinzip des poetischen Sprachgebrauchs verortet.3 Setzt man die vorangegangenen Beobachtungen mit diesem Konzept in Beziehung, so wird verständlich, warum der DER HIMMEL ÜBER BERLIN in so hohem Maße poetisch wirkt. Wim Wenders bezeichnet seinen Film als vertikales Roadmovie. Doch nicht nur in dem Sinne, dass die Protagonisten zwischen Himmel und Erde unterwegs sind, statt sich auf ihrer Oberfläche zu bewegen, trifft dies zu, sondern auch darin, dass der Film die fortschreitende Erzählung zurückstellt zugunsten der Erkundung des Raumes, der Verunsicherung oder Vergleichgültigung der zeitlichen Organisation und der Betonung autoreflexiver Momente, ganz so, wie es Maya Deren mit ihrem Begriff des Vertikalen für den poetischen Film anschaulich gemacht hat: „the poetic construct arises from the fact that it is a vertical investigation of a situation […]. A poem, to my mind, creates visible or auditory forms for something that is invisible, which is the feeling, or the emotion or the metaphysical content of the movement.“4 Am Beispiel der Bezüge von DER HIMMEL ÜBER BERLIN zu Rilkes Duineser Elegien, konnte gezeigt werden, dass Poesiefilme vom Typ der Adaption5 durchaus mit den Methoden der Adaptionsforschung gewinnbringend zu untersuchen sind. Letztlich kommt es darauf an, die Definition der Literaturverfilmung zu erweitern und von ihrer Fixierung auf die Narration zu befreien. Mit welchem Reichtum an Ausdrucksmitteln das audiovisuelle Medium auf nicht-narrative literarische Gestaltungsmittel wie Strophenform, Metrum, Syntax, Metaphorik oder Klangsymbolik reagieren kann, soll in den folgenden Kapiteln ausführlich untersucht werden.
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Rainer Maria Rilke: „Die Duineser Elegien“, 710. Ebd., 711. „Man kann nun also die These aufstellen, daß in der Poesie, also dort, wo die poetische Funktion der Sprache über die referentielle dominiert, das Prinzip der Äquivalenz, d. h. die Similarität, der Kontiguität, also der Abfolge der Zeichen im Text, überlagert wird.“ (Roman Jakobson: „Poesie der Grammatik“, 253). Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“, 173. Siehe Kapitel 1.2.
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Kleine Geschichte des Poesiefilmes
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Poesie und Avantgardefilm als moderne Konstellation – Lyrik im Stummfilm
2.1.1 Lyrik und Film als Paradigmen der Moderne Als sich das Kino zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts anschickt, kulturelles Massenphänomen zu werden, gelingt dies nicht zuletzt dank seiner Orientierung an literarischen Vorbildern. Dass der narrative Spielfilm Erzählformen des realistischen Romans nachbildet, ist mittlerweile ein Gemeinplatz, der selbst schon wieder in vielfacher Hinsicht kritisiert worden ist.1 Immerhin kann ein enges Aufeinander-Bezogensein von Literatur und Film, das sich stellenweise als scharfe Konkurrenz der beiden Künste äußert, mediengeschichtlich als gesichert gelten. Bezüglich der Wirkung, welche der zu Beginn des Jahrhunderts auf der Bildfläche erscheinende Kinematograph auf das „Aufschreibesystem“ der Literatur ausübt, lautet Friedrich Kittlers Diagnose: Während also die Plattenrillen Körper und ihre scheußlichen Abfälle speichern, übernehmen die Spielfilme all das Phantastische oder Imaginäre, das ein Jahrhundert lang Dichtung geheißen hat. Kein Geringerer als Münsterberg, der Erfinder von Wort und Sache Psychotechnik, liefert 1916 die historisch erste Spielfilmtheorie oder den Nachweis, daß Kinotechniken alle Effekte überbieten, die Literatur mit Erwähnungen, Beschreibungen und Inszenierungen (also mit Romanen oder Theaterstücken) bei Leserseelen anrichten kann.2
In der sogenannten Kinodebatte der zehner Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts treten die Konfliktlinien zwischen Literatur und Film besonders deutlich zu Tage. Neben abwehrenden oder skeptischen Kritikern3 des neuen Mediums gibt es viele Stimmen,
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Harro Segeberg: „Literarische Kinoästhetik“, 195f. Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, München 2003, 298. Siehe Franz Pfemfert: „Kino als Erzieher“, in: Jörg Schweinitz (Hg.): Prolog vor dem Film. Nachdenken über ein neues Medium (1909–1914), Leipzig 1992, 165–168; Hermann Kienzl: „Theater und Kinematograph“, in: Jörg Schweinitz (Hg.): Prolog vor dem Film. Nachdenken über ein neues Medium (1909–1914), Leipzig 1992, 230–469.
Lyrik im Stummfilm
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die den Kinematographen als Herausforderung für die Literatur begreifen und entweder Konsequenzen für ihr eigenes Schreiben ableiten1 oder mit einer erneuerten Literatur auf das Kino einwirken wollen.2 Vor allem die literarische Avantgarde reagiert positiv auf die im populären Kurzfilm „sich etablierende neue Ästhetik einer ebenso diskontinuierlichen wie illusionistischen selbstreflexiven Kunst“3, übt dabei jedoch gleichzeitig Kritik an der „kulturindustriellen Standardisierung des Films“4. Einen Umschwung in der Bewertung des filmischen Mediums bewirkt schließlich das „physiognomisch geprägte[] anthropomorphe[] Denken“. In den Filmtheorien von Béla Balázs und Rudolf Harms wird dem Film eine „Affinität zur Gebärde, zur menschlichen Ausdrucksbewegung“5 zugeschrieben. Besonders im Kontext der literarischen Moderne wird nun das neue Medium mit hohen Erwartungen befrachtet, scheint es doch als visuelle Ausdrucksform jene Mittel bereitzustellen, mit denen sich die notorischen Unzulänglichkeiten der Wortsprache überwinden ließen, die die Epoche mindestens seit der Jahrhundertwende umtreiben.6 Erst ab Mitte der zwanziger Jahre wird das Massenmedium Kino schließlich selbst zur Projektionsfläche für den Vorwurf des Schematismus und der Formelhaftigkeit der modernen Kultur.7 Mediengeschichtlich gilt die Etablierung des Filmes als zunehmend narrative Form um das Jahr 1910 als abgeschlossen. In den niedergelassenen Kinos, die zu diesem Zeitpunkt bereits verbreitet waren, werden Filme als eigenständiges, abendfüllendes Programm gezeigt – und damit immer länger.8 Mit der Anwendung von Montagetechniniken, die die räumliche Gebundenheit der Spielszenen überwinden, ist ein vermittelndes Element in den Film eingeführt, das dessen Funktionalisierung als Erzählmedium sicherstellt. Mit einer immer beweglicheren Kamera werden häufige Wechsel der Perspektive möglich, was zu einer beträchtlichen Erweiterung der filmischen Ausdrucksmittel führt. Eine immer kontinuierlichere Erzählfolge befördert schließlich die „Etab1 2 3 4 5
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Siehe Alfred Döblin: „An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programm“ (1913), in: Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur, hg. von Erich Kleinschmidt, Olten 1989. Siehe Kurt Pinthus (Hg.): Das Kinobuch. Kinostücke, Dokumentarische Neuausgabe des ,Kinobuchs‘ von 1913/14, Zürich 1984. Harro Segeberg: „Literarische Kinoästhetik“, 218. Ebd. Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp. Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur Geschichte eines Mediendiskurses, theoretische Diskurse, ästhetische Transformationen, Habil. u. d. T. Stereotyp und Film, Univ. Konstanz 2002, Berlin 2006, 138. Ebd., 140f. Schweinitz spricht von einer „sprachkritisch argumentierenden Feier des Films“, die die Problematik von Stereotyp und Standardisierung im Film ausblendet. Zum Zusammenhang von moderner Sprachskepsis und Filmtheorie siehe auch Thomas Koebner: „Der Film als neue Kunst. Reaktionen der literarischen Intelligenz“, in: Helmut Kreuzer (Hg.): Literaturwissenschaft – Medienwissenschaft, 1977, 1–31. Siehe Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 160. Corinna Müller: „Variationen des Kinoprogramms. Filmform und Filmgeschichte“, in: Harro Segeberg/Corinna Müller (Hg.): Die Modellierung des Kinofilms. Zur Geschichte des Kinoprogramms zwischen Kurzfilm und Langfilm 1905/06–1918, München 1998, 43–76. Hier: 55.
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Kleine Geschichte des Poesiefilmes
lierung des diegetischen Horizontes als imaginärem Referenten filmischen Erzählens“1. Damit ist ein Vokabular filmischer Erzählmittel etabliert und der Übergang von der „Kurzfilmphase“ in die Ära des feature films eingeläutet.2 Auch in der Stoffauswahl bedient man sich schon früh im Fundus der von Welt- und Trivialliteratur bereitgestellten Geschichten. Die vielfachen und intensiven Wechselwirkungen zwischen Film und erzählender Literatur sowie dem Theater, sind vor allem im Zuge der weitreichenden Forschungen über die Literaturverfilmung bereits ausführlich untersucht worden. Noch die filmästhetischen Kämpfe der Nouvelle Vague gegen die Literarisierung des Kinos belegen die mühsame Emanzipation der Filmkunst von der vermeintlichen kulturellen Herrschaft der Literatur – verstanden als Roman und Drama. Bereits um 1920 gibt es eine ausdrückliche Debatte um die Frage, ob der Film eher episch oder dramatisch sei.3 Die dritte Option wird dabei nicht berücksichtigt. Auch der Filmsemiotiker Christian Metz bestätigt die Dominanz die Erzählfunktion: „Das Kino, das so vielen Zwecken hätte dienen können, wird tatsächlich meistens dazu benutzt, Geschichten zu erzählen“.4 Angesichts dieser die Filmgeschichte beherrschenden Tendenz zur Narration handele es sich aber um ein kulturelles und soziales Faktum, denn eine solche Bindung des Filmes an die Funktion der Erzählung ist seiner technischen Medialität nicht inhärent. Schon in der Stummfilmzeit haben Filmeschaffende sich auch lyrische Texte zur Vorlage gewählt oder haben Regisseure mit Dichtern kooperiert. Es lohnt sich daher, noch einmal auf die Anfänge des Mediums Kino zurückzukommen, als mit der Kontaktaufnahme von Lyrik und Avantgardefilm eine andere Traditionslinie der Literatur-Film-Beziehungen ihren Anfang nimmt, die zu den Rückgriffen des Filmes auf Roman oder Drama gewissermaßen quer steht. In der Forschung haben Wechselwirkungen zwischen dem Stummfilm und der literarischen Gattung Lyrik lange kaum Beachtung erfahren.5 Allerdings ist in den letzten Jahren vermehrt zum Einfluss des Kinos auf die Lyrik der Moderne und zur Übertragung filmischer Ausdrucksmittel auf lyrische Texte geforscht worden.6 Sandra Richter hat am Beispiel von Claire Golls Gedichtband Lyrische Films gezeigt, wie das Kino durch die Übertragung strukturgebender Konzepte auf die Lyrik der Zeit einwirkt.7 Jan 1 2 3
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Joachim Paech: Film und Literatur. Siehe Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 132f. Zu den verschiedenen Phasen dieser Kurzfilmzeit von 1895–1918 siehe auch Corinna Müller: „Variationen des Kinoprogramms“, 45. Siehe etwa Joseph August Lux: „Das Kinodrama“, in: Jörg Schweinitz (Hg.): Prolog vor dem Film. Nachdenken über ein neues Medium (1909–1914), Leipzig 1992, 319–325; Yvan Goll: „Das Kinodram“ (1920), in: Anton Kaes (Hg.): Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film, 1909–1929, München 1978, 136–139; Thomas Mann: „Über den Film“ (1928), in: Anton Kaes (Hg.): Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film, 1909–1929, München 1978, 38–166. Christian Metz: „Probleme der Denotation“, 358 (Hervorhebung im Original). Siehe Rudolf E. Kuenzli: Dada and Surrealist Film, New York 1987; Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film, Zürich 2007, 2007. Siehe Susan McCabe: Cinematic Modernism; Jan Röhnert: Springende Gedanken; Sandra Richter: „Lyrik im Ausgang“. Siehe ebd., 84.
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Röhnert ist in seiner umfassenden Studie den thematischen, motivischen und formalen Bezugnahmen lyrischer Texte auf das Kino nachgegangen.1 Stefan Keppler-Tasaki widmet sich der Kinoleidenschaft Gottfried Benns und verfolgt die Affinität zwischen dem Medium und der lyrischen Produktion des Dichters.2 In den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ist es noch weitaus selbstverständlicher als heute, das Kino mit der lyrischen Gattung in Verbindung zu bringen.3 Die dabei zu Grunde gelegte Ähnlichkeit beruht auf den Erfahrungen der sogenannten Kurzfilmphase: „Noch Autoren der zwanziger Jahre beziehen sich dabei vor allem auf eine bestimmte Film- und Kinowahrnehmung: den diskontinuierlichen, heterogenen, aber populären Kurzfilm.“4 Die Faszination der literarischen Avantgarde für das Kino und ihre Enttäuschung über die spätere Entwicklung des Mediums beruft sich also auf Potentiale, die sich vor allem im sogenannten Kino der Attraktionen zeigen, das vor 1906 dominiert: „a conception that sees cinema less as a way of telling stories than as a way of presenting a series of views to an audience, fascinating because of their illusory power [...], and exotism.“5 Solange der narrative Spielfilm noch nicht als allgemeingültiges Modell der Filmkunst gesetzt ist, gibt es eine größere Aufmerksamkeit für die affizierenden, malerischen und eben auch für die lyrischen Potentiale des Mediums. Die künstlerische Bestimmung des Filmes scheint noch offen und gerade die Ferne des Kinos zur Hochkultur und sein leicht anrüchiger Status zwischen Technik, Massenunterhaltung und Jahrmarktspektakel macht es interessant für die literarischen Avantgarden. Berührungspunkte zwischen Film und Lyrik existieren also schon seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Apollinaire, Gertrude Stein oder T.S. Eliot begeistern sich für die poetische Clownerie Chaplins. Lyrik widmet sich Kino und Film als Signum moderner Erfahrung.6 Andere Modernisten wie Ezra Pound standen dem Kino dagegen kritisch gegenüber. Das Medium erscheint als nicht kompatibel mit deren Bestreben, die Flüchtigkeit (evanesence) der modernen Kultur zu transzendieren.7 (High) Modernism und Avantgarde unterscheiden sich nicht zuletzt in ihrem Verhältnis zur Massen- und Populärkultur. Es ist nicht zu übersehen, dass bei aller Wertschätzung des „populären Mediums“ Film doch eine klare Trennung zwischen populären Filmen und Kunstfilmen aufrechterhalten wird. Doch die Bezüge zwischen Lyrik und Film beschränken sich nicht auf poetische und poetologische Diskurse, auch das Kino übernimmt einige seiner Gestaltungsmittel aus
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Siehe Jan Röhnert: Springende Gedanken, 117. Siehe Stefan Keppler-Tasaki: „immer steht er in“; Michael Morley („,Fading to Black‘. Emotion Re-collected and a Lack of Tranquility in Brecht’s Reworking of Chaplin“, in: Jürgen Hillesheim (Hg.): Young Mr. Brecht Becomes a Writer, Madison 2006, 284–295) interpretiert Brechts Gedicht über einen Kurzfilm von Chaplin, der wiederum auf einer Ballade beruht. Siehe Sandra Richter: „Lyrik im Ausgang“, 76 sowie Kapitel 1.3 dieser Untersuchung. Ebd. Tom Gunning: „The Cinema of Attractions: Early Film, Its Spectator and the Avant-Garde“, in: Wide Angle, 8. Jg., 1986, 63–70. Hier: 64. Siehe Jan Röhnert: Springende Gedanken, 49. Siehe Susan McCabe: Cinematic Modernism, 11.
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der Lyrik. Susan McCabe, die sich in ihrem Buch Cinematic Modernism mit den Beziehungen zwischen Dichtungen der literarischen Moderne und dem Avantgarde-Film beschäftigt, sieht nicht nur in der erzählenden Literatur, dem Vaudeville oder der Malerei wichtige Einflüsse auf den Film, sondern stellt die These auf, dass auch die Lyrik Anteil an der Entwicklung filmischer Formen hatte: „[…] from the start, film vernacular borrowed many of ist tropes from poetics (including the rythmic splicing of images) which in turn, found its ‚body‘ (its material, fleshly expression) in experimental cinema.“1 Besonders die als kritisch angesehene Traditionslinie des Kinos hat sich in der Entwicklung ihrer Ausdruckformen häufig an den Nachbarkünsten orientiert. Während für den kommerziell erfolgreichen Spielfilm vor allem Erzählformen und Inszenierungsweisen aus Roman und Theater zum Vorbild wurden, scheinen sich die sogenannten Experimental- und Avantgarde-Filme vorwiegend an Musik und bildender Kunst, in geringerem Maße aber auch an Lyrik orientiert zu haben.2 Dabei entstanden Werke, die die filmischen Mittel des bewegten Bildes von Animation über Montage bis Kamerabewegung für nicht-narrative und sogar abstrakte Kunstwerke nutzten, so dass sich ab den zwanziger Jahren von einer Experimental- oder Avantgardefilmbewegung im engeren Sinn sprechen lässt. Bereits 1917 hat der französische Dichter Guillaume Apollinaire in seinem Essay „L’Esprit nouveau et les poètes“ für diese Verknüpfung von Lyrik und Film im Zeichen der Moderne das Programm geliefert. Hatte er mit seinen Calligrammes und den Poèmes à Lou bereits die Grenze zwischen Poesie und visuellen Künsten durchlässig gemacht, ruft er nun eine Modernisierung der Poesie aus, die sich der neuen technischen Möglichkeiten in bisher ungeahnter Weise bedienen soll: L’esprit nouveau est celui du temps même où nous vivons. Un temps fertile en surprises. Les poètes veulent dompter la prophétie, cette ardente cavale que l’on n’a jamais maîtrisée. Ils veulent enfin, un jour, machiner la poésie comme on a machiné le monde. Ils veulent être les premiers à fournir un lyrisme tout neuf à ces nouveaux moyens d’expression qui ajoutent à l’art le mouvement et qui sont le phonographe et le cinéma.3
Unter Zuhilfenahme der Maschine sollte diese Modernisierung auf einen Weg führen, den der Dichter selbst mit seinen Calligrammes schon eingeschlagen hatte: zur Aus-
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Ebd, 9. Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 2. Guillaume Apollinaire: „L’Esprit nouveau et les poètes“ [1918], in: Œuvres complètes de Guillaume Apollinaire, Bd. 3, hg. von Michel Décaudin, Paris 1965–1966 (3), 900–910. Hier: 910. „Der neue Geist ist der Geist der Zeit selbst, in der wir leben. Einer an Überraschungen trächtigen Zeit. Die Dichter wollen die Weissagung bezwingen, jenes heißblütige Pferd, das man noch niemals gezähmt hat. Sie wollen schließlich eines Tages die Dichtung technisieren wie man die Welt technisiert hat. Sie wollen die ersten sein, die jenen neuen Ausdrucksmitteln, dem Grammphon und dem Film, die der Kunst die Bewegung hinzufügen, einen völlig neuen lyrischen Gehalt liefern.“ (Guillaume Apollinaire: „Der neue Geist“, 87). Siehe auch Franz-Josef Albersmeier: Die Herausforderung des Films an die französische Literatur. Entwurf einer Geschichte der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts als Mediengeschichte, Habil. Univ. Regensburg 1979, als Ms. gedr. 1982.
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weitung der Poesie in den Bereich der akustischen und optischen Medien.1 Mit Hilfe der neuen Ausdrucksmittel soll den bisher statischen Künsten wie Malerei und Literatur das Element der Bewegung hinzugefügt werden. Ein visueller Lyrismus, der sich in typographischen Werken bereits andeutet, wird ausgedehnt bis hin zu einer Synthese der Künste: der Musik, der Malerei und der Literatur.2 Apollinaire entwickelt die Vision eines Supermediums, das die verschiedenen Künste und ihre Ausdrucksformen vereinigt. Unter Zuhilfenahme der neuen technischen Medien, dem Phonographen und dem Kino, die zum allerersten Mal in der Geschichte die Speicherung von Geräusch und Bewegtbild ermöglichen, sollen der Poesie ungeahnte Möglichkeiten zuwachsen. Es sind eben jene technischen Medien, die der Medientheorie Friedrich Kittlers zufolge um 1900 das Monopol der Literatur auf die Speicherung serieller Daten attackieren: Das Grammophon entwertet die Wörter, indem es ihr Imaginäres (Signifikate) auf Reales (Stimmphysiologie) hin unterläuft. […] der Film entwertet die Wörter, indem er ihre Referenten, diesen notwendigen, jenseitigen, wohl absurden Bezugspunkt von Diskursen als Referenten vor Augen stellt.3
Auch wenn jede Filmproduktion in Wirklichkeit eine erhebliche Menge von Schrifttexten voraussetzt, bleibt die gefühlte Konkurrenz, die von der Darstellungsmacht der neuen technischen Medien ausgeht, enorm. Neben den zwei Optionen „Trivialisierung“ und „Materialgerechtigkeit“, die Kittler als Reaktionen der Literatur auf diesen Angriff ausmacht, scheint sich der Literatur ein weiterer Ausweg zu eröffnen: Er bestünde in einem Bündnis mit den neuen Apparaten und dies, zumindest für eine Literatur verstanden als geschriebene Wortkunst, auch um den Preis ihrer Selbstaufgabe. Anstatt Geräusche und Bilder nur zu evozieren, wird die Poesie in Apollinaires Vorstellung die Maschinen in den dichterischen Schaffensprozess integrieren. Man könnte sich, so Apollinaire, ein nur aus Lauten und Geräuschen bestehendes Gedicht vorstellen, das am Phonographen komponiert würde. Bezeichnet Apollinaire die Auswahl dieser Geräusche ganz allgemein als künstlerisch, so besteht für ihn das Lyrische dieser neuen Dichtung mit Apparaten in der Weise, wie die Bestandteile gemischt oder gegeneinandergesetzt werden („lyriquement mêlés ou juxtaposés“).4 Noch, so schließt Apollinaire sein
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Wieder zeigt sich, dass die Ausweitung des Poesiebegriffes nicht von der Übertragung literarischpoetischer Formen in das filmische Medium zu trennen ist. Auch, wenn ein medienunspezifischer Poesiebegriff Voraussetzung für die Ausrufung des poetischen Film sein sollte, so ist doch danach zu fragen, was diese einfache Übertragung ermöglicht und welche poetischen Verfahren es sind, die im Film zur Austragung kommen. Das Dilemma ähnelt jenem, dem sich die Filmnarratologie ausgesetzt sieht: Lassen sich die Begriffe der Erzählforschung auf den Film übertragen und wenn ja, inwieweit verlieren sie dadurch ihre Spezifik? Siehe Marie-Laure Ryan: „On the Theoretical Foundation“, 3f. Guillaume Apollinaire: „L’Esprit nouveau“, 901. Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, München 2003, 298. Guillaume Apollinaire: „L’Esprit nouveau“, 903; „lyrisch verflochtenen oder aneinandergereihten Geräuschen“ (Guillaume Apollinaire: „Der neue Geist“, 80).
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Pamphlet, seien solche Versuche nichts als Inkunabeln, befänden sich also im Stadium, in dem das neue Medium die Formen eines alten Mediums imitiert. Apollinaire setzt jedoch auf die universelle Wirkkraft des ‚neuen Geistes‘, die sich schließlich auch in den Künsten manifestieren müsse. Das Vorantreiben der Poesie in den Bereich der technischen Medien versteht sich als Versuch, eine Antwort zu finden auf die drängende Frage nach der Rolle der Poesieschaffenden, nach der Aufgabe der Dichtenden im Kontext der Modernisierung, insbesondere angesichts der fortschreitenden Technisierung aller Lebensbereiche. Aus dem Manifest spricht die Hoffnung, dass die Poesie nicht überflüssig werde, sondern dass ihr, sofern die Dichterinnen und Dichter die Erneuerung ihrer Kunst wirklich bejahten, sogar eine zentrale Rolle zukäme. Was die Verbindung zwischen moderner Lyrik und Avantgardefilm anbelangt, lassen sich drei verschiedene Formen unterscheiden: (1) Filme, deren dezidiert antinarratives, illusionsstörendes oder formalistisches Vorgehen von Filmkritik oder theorie als poetisch bezeichnet und beschrieben wurde. Sie werden im ersten Kapitel dieser Arbeit thematisiert. (2) Filme, für die Gedichte als Inspiration oder sogar Vorlage dienten, wie D.W. Griffith’ THE UNCHANGED SEA (1910), Charlie Chaplins THE FACE ON THE BAR-ROOM FLOOR (1914) oder Germaine Dulacs L’INVITATION AU VOYAGE (1927), und (3) schließlich direkte Kooperationen zwischen Regisseuren und Dichtern, die den lyrischen Text mehr oder weniger stark in einen Film einbeziehen.1 Ein frühes Beispiel für eine solche direkte Kooperation zwischen einem Dichter und einem Filmemacher ist ein Projekt von Phillippe Soupault und Walter Ruttmann aus dem Jahr 1922. Es handelt sich um Kurzfilme nach zwei Poèmes cinématographiques von Soupault, die im Jahr 1917 erschienen waren. Biographischen Aufzeichnungen des Dichters zufolge sollen die Filme nicht nur geplant worden, sondern auch tatsächlich realisiert worden sein. Leider sind beide Arbeiten im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Und da weder beschreibende Kritiken noch Berichte über eine etwaige Aufführung existieren, wissen wir kaum etwas über sie. Wahrscheinlich ist jedoch, dass es sich wie beim Großteil von Ruttmanns Arbeiten aus der betreffenden Zeit um animierte Kurzfilme gehandelt hat.2 1
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„The Chaplin film was made in 1914 under the titel The Face on the Bar-room floor, and has since also been known as The Ham Artist and The Ham Actor. The ballad on which it is based was widely popular in the early years of the 20th century and even in 1936 was still being included in an anthology of The Best Loved Poems of the American People.“ (Michael Morley: „Fading to black“, 287). Siehe Hugh Antoine d’Arcy: „The Face upon the Barroom Floor“, in: Hazel Felleman (Hg.): The Best Loved Poems of the American People, New York 1936, 149–151. Hier: 141ff. Die Ballade von Hugh Antoine D’Arc gehört zu einem Genre von Balladen, die als ein sogenanntes parlorpiece, in Music-Halls oder Vaudeville-Theatern zur Aufführung gebracht wurden. Obwohl Chaplin, wie auch Morley ausführt, gerade von Lyrikern für sein poetisches Genie verehrt wurde, übernimmt er selbst, in der Filmversion der Ballade zunächst einmal deren narratives Gerüst, das er unter Einsatz filmischer narrativer Techniken wie dem Flashback ins filmische Medium überträgt. Die melodramatisch gestimmten Strophen überträgt er dabei durch eine hinzugefügte Szene und sein eigenes Spiel in eine Burlesque (Siehe Michael Morley: „Fading to black“, 288). Siehe Jeanpaul Goergen: Walter Ruttmann. Eine Dokumentation, Berlin 1989, 105.
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In der Kombination von Lyrik und Film erfährt Apollinaires Programm also erste Ansätze seiner Verwirklichung. Dabei treffen zwei Künste aufeinander, die in hohem Maße Geltung als Paradigmen der Moderne1 erlangt haben, sei es dadurch, dass der Film zum Signum für das Zeitalter der mechanischen Reproduzierbarkeit erklärt wird, 2 dass „ausgeprägte Analogien zwischen der technischen Ästhetik des Kinos und der technisch geprägten Verkehrs- und Wahrnehmungswelt der Moderne“3 bemerkt werden oder dass die Lyrik paradigmatisch die Wende zur modernen Literatur ausdrücken soll, „weil sich in ihr der Formbruch am frühesten und zugleich am entschiedensten dokumentiert.“4 Mediengeschichtlich kann das Auftauchen technischer Medien als Prozess beobachtetet werden, in dessen Verlauf die Funktion der Speicherung des Realen und des Imaginären vom Aufschreibesystem „Schrift“ abgezogen wird,5 wodurch diese auf ihr Sprachmaterial verwiesen bleibt: Film macht als „adäquater Ausdruck für die Erfahrungen der Moderne“6 der Buchliteratur ihre kulturdominierende Funktion streitig. Konstatiert man in diesem Sinne eine Modernität des Filmes, so bezieht sich das sowohl auf dessen Technizität und seine spezifische Weise des Zur-Erscheinung-Bringens als auch auf seine soziokulturelle Einbindung als Medium der Masse sowie auf die ökonomischen Bedingtheiten,7 die zusammen die erweiterte Medialität des Filmes im Sinne eines Dispositivs Kino bilden. Für die Literaturtheorien des Modernismus wird die Lyrik früh zum Paradigma; hier sollte der Bruch mit überlieferten literarischen Formen vollzogen werden, sollten „konkrete Objekte und Umgebungen sowie die damit verbundenen Gefühle“8 literarisch gestaltet werden.9 Auch als literarische Gattung, die in ihrer Vieldeutigkeit die moderne derne Welterfahrung wiedergibt, kann Lyrik paradigmatisch für eine Literatur der Moderne stehen; nicht nur als Ausdruck einer Krisenerfahrung, sondern auch in ihrer Ten-
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Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma der Moderne, Kolloquium Köln 1964, Vorlagen und Verhandlungen, München 1966. Siehe Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Dritte Fassung“, in: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser/Theodor W. Adorno/Gershom Scholem, Frankfurt am Main 2006 (I.2), 471–508. Hier: 505; Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 132. Harro Segeberg: „Literarische Kinoästhetik“, 197. Wolfgang Iser: „Vorwort“, in: Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma der Moderne, Kolloquium Köln 1964, Vorlagen und Verhandlungen, München 1966, 9–11. Hier: 9. Siehe Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, 297. Jan Röhnert: Springende Gedanken, 49. Siehe Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 133. Jutta Ernst: „Literaturtheorien des Modernismus“, in: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 2001, 451–453. Hier: 452. Siehe ebd.
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denz, sich zur Erscheinung hinzuwenden, um „Wiedergabe von Dingwahrnehmung“1 zu sein. So formuliert Wolfgang Iser diese Beobachtung in seiner Untersuchung zu T.S. Eliots The Waste Land und deutet sie als Kennzeichen einer Programmatik imagistischer Dichtung. Sie beruht auf einer phänomenologischen Auffassung der gegenständlichen Realität: Konventionelle Wahrnehmung lässt die Dinge verarmen, weil die Dinge mit der Form ihres Erscheinens bzw. Wahrgenommenwerdens als identisch aufgefasst werden. Mit der Programmatik einer Entautomatisierung der Wahrnehmung 2 mung2 reagiert moderne Lyrik auf die veränderten epistemologischen Vorannahmen ihrer Epoche.3 In Isers Interpretation klingt ein Programm an, das ähnlich auch in Siegfried Kracauers Filmtheorie formuliert ist.4 Es gilt, durch die Hinwendung zu den äußeren Erscheinungen die Errettung bzw. Erlösung der äußeren Wirklichkeit zu leisten. Auch in diesem typisch modernen Projekt treffen sich Lyrik und Film. Doch während die Lyrik über eine Entautomatisierung der Wahrnehmung durch überraschende Bildwechsel und unvermutete Zusammenstellungen zu diesem Ziel gelangen soll, setzt man die Hoffnungen im Fall des Filmes in seine technische Medialität. Durch die Verfremdung, die sich einstellt, wenn Großaufnahmen Bildelemente aus dem gewohnten Zusammenhang isolieren – oder mit Hilfe von Zeitlupen, die überraschende Bewegungen zeigen –, sollen die visuellen Eigenschaften des Dargestellten wahrnehmbar gemacht werden.5 Die imagistischen Experimente boten Anstoß zu weitergehenden poe1 2
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Victor B. Sklovskij: „Die Kunst als Verfahren“, in: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa, München 1994, 3–35. Hier: 15. „Und gerade, um das Empfinden des Lebens wiederherzustellen, um den Stein steinern zu machen, existiert das, was man Kunst nennt. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen, und nicht als Wiedererkennen; das Verfahren der Kunst ist das Verfahren der ‚Verfremdung‘ der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozeß in der Kunst ist Selbstzweck und muß verlängert werden; die Kunst ist ein Mittel, das Machen einer Sache zu erleben; das Gemachte hingegen ist in der Kunst unwichtig.“ (Ebd.). Wolfgang Iser: „Image und Montage. Zur Bildkonzeption in der imagistischen Lyrik in T.S. Eliots Waste Land“, in: Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma der Moderne, Kolloquium Köln 1964, Vorlagen und Verhandlungen, München 1966, 361– 393. Hier: 363f. Siehe auch Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 150. Kracauer liefert übrigens eine Replik auf Isers Vortrag, geht aber lediglich auf den Zusammenhang von lyrischer und filmischer Montage ein: „Das Verlangen danach, die Realität in ihrer Unerschöpflichkeit und Unbestimmbarkeit darzustellen, ist so stark und so ganz dem Medium gemäß, daß es sich auch in Filmen mit einer Spielhandlung immer wieder Geltung zu verschaffen vermag. […] Von D. W. Griffith an haben es derart viele Regisseure verstanden, durch geeignete Montagemethoden aus dem Gefängnis der Story auszubrechen und eine Vielheit von Standpunkten zu suggerieren.“ (Wolfgang Iser: „Image und Montage. Zur Bildkonzeption in der imagistischen Lyrik in T.S. Eliots Waste Land. Diskussion“, in: Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma der Moderne, Kolloquium Köln 1964, Vorlagen und Verhandlungen, München 1966, 495–508. Hier: 508). Bis zu einem gewissen Punkt nähert sich Iser damit der Idee des Optisch-Unbewussten, allerdings ist bei Benjamin das Verhältnis von Montage, taktiler Rezeption und Gewöhnung anders gelagert. Siehe Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter“, 500ff.
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tischen Entwicklungen, so auch der lyrischen Montage. Iser rückt die lyrische Montage in die Nähe der filmischen, räumt jedoch ein, dass beide sich eher in ihren Wirkungen ähneln, ihrer Form nach jedoch unterscheiden würden. Die lyrische Montage strebt eine Kollision unabhängiger Aufnahmen an, die eine Überlagerung von Bedeutungen zur Folge hat. In vergleichbarer Weise lässt sie „Momentaufnahmen unvermittelt aneinanderstoßen“1 und produziert so jene „Chockwirkung“2, die nach Walter Benjamin die moderne, urbane Erfahrung charakterisiert.3 Im Unterschied zur Montage in Prosa verzichtet die lyrische Montage, die stärker mit Kontrastwirkungen arbeitet, auf die Beweglichkeit der Einzelbilder, die Emphase liegt eher auf der unvermittelten Kopplung der Bildausschnitte.4 Die Modernität von Lyrik und Film verdichtet sich nicht nur für Wolfgang Iser in der Frage der Montage. Montage, in all ihren Bedeutungsschattierungen, kann zweifellos als „Zauberwort der Modernismus“5 gelten. Am prominentesten wird der Begriff – vor allem im deutschsprachigen Diskurs – von Anfang an im Zusammenhang mit dem Film verhandelt, der als das Medium gilt, in dessen Funktionieren sich Kunst und Technik vereinen. Da die filmische Montage in der Weimarer Republik die größte Aufmerksamkeit erhält, entsteht leicht der Eindruck, dass Montage in der Literatur stets ein Anzeichen filmischen Schreibens sei. Dies ist jedoch durchaus nicht immer der Fall.6 Auch im expressionistischen Reihungsstil, der parataktisch disparate Elemente aneinanderreiht, ist beispielsweise ein Montageverfahren zu sehen. Unzusammenhängende Bilder werden unvermittelt gegeneinandergesetzt, so dass Brüche und Diskontinuitäten bestehen bleiben.7 Silvio Vietta kennzeichnet die expressionistische Montage und Collage als Radikalisierung und stilistisches Äquivalent zum Prinzip der Auflösung und der Zersplitterung in Einzelteile, welches für die literarische Moderne auf verschiedenen Ebenen kennzeichnend ist und das sich unter anderem in Hofmannsthals Chandos-Brief äußert.8 Das Simultangedicht mit seiner dissoziierenden, parataktischen Reihung hält die „Heterogenität der Wahrnehmungen, Impressionen und Assoziationen fest, die offenbar einer veränderten Erfahrungsstruktur entspricht“9, einer Erfahrungsstruktur, die typisch für die moderne Großstadtwahrnehmung ist.10
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Wolfgang Iser: „Image und Montage“, 378ff. Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter“, 503. Wolfgang Iser: „Image und Montage“, 378ff. Siehe Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion, 379. Diedrich Diederichsen: „Montage/Sampling/Morphing. Zur Trias von Ästhetik/Technik/Politik“, online unter: http://www.medienkunstnetz.de/themen/bild-ton-relationen/montage_sampling_morphing. Siehe Hanno Möbius: Montage und Collage. Literatur, bildende Künste, Film, Fotografie, Musik, Theater bis 1933, München 2000, 19. Siehe ebd., 242. Siehe Silvio Vietta: „Großstadtwahrnehmung und ihre literarische Darstellung. Expressionistischer Reihungsstil und Collage“, in: DVjs, 48. Jg., 1974, 354–376. Hier: 356. Ebd., 365. Siehe ebd., 358.
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Auch in der englischsprachigen modernen Dichtung gilt die filmische Montage zusammen mit der Konstruktion imaginärer Räume durch die Ausrichtung des Blickes (gaze) als „quintessentially modernist“1. Einem imagistischen Gedicht wie T.S. Eliots Langpoem The Waste Land etwa wird aufgrund seines Reichtums an Zitaten und seiner Multiperspektivität eine Tendenz zur Montage attestiert.2 Auch wenn eine solche Affinität modernistischer Dichtung und filmischer Techniken nicht zu leugnen ist, zeigen neuere Forschungen, dass der „Einfluss“ vor allem des experimentellen Kinos auf die literarische Montage bisher eher überschätzt worden ist. David Trotter argumentiert, dass den literarischen Modernismus am Film gerade die scheinbar neutrale Aufzeichnungstechnik faszinierte, nicht die anti-organische Montagekunst des historisch späteren Langfilmes: „Texts by Eliot, Joyce, Wyndham Lewis, and Virginia Woolf look back in their affinity with cinema, to that original neutrality of film as a medium, rather than forward to montage as the apotheosis of cinematic narrative art.“3 Festzuhalten bleibt, dass der Einfluss des Filmes auf die Literatur kein einseitiger war und dass es sich bei der „Kennzeichnung moderner Wahrnehmungsweisen als filmisch“4 um eine Verkürzung handelt, die die in anderen Künsten existierenden Montageformen unterschätzt; eine Kennzeichnung, die nicht differenzierend zur Kenntnis nimmt, dass die filmische Montage mit dem kinematographischen Apparat einhergeht.5 Dass das Kino zu den paradigmatischen Phänomenen der Moderne gehöre, ist auch eine nostalgische Verklärung, die übersieht, wie stark die meisten Kinofilme den Traditionen des Realismus und der narrativen Kohärenz verpflichtet bleiben.6 Während Montage in literarischen Texten nur als markierte Form besonders kontrastreicher Einzelbilder7 signifikant wird, stellt sie für den Film ein konstitutives technisches Verfahren dar. Als künstlerisches Prinzip der historischen Avantgarden wie sie Peter Bürger in der avantgardistischen Malerei und Collage ausmacht, steht Montage für ein dissoziierendes Gestaltungsmittel, mithin für eine ganz bestimmte Form, die im Filmbereich vor allem dem Experimentalfilm eigentümlich ist.8 Gerade weil die Montage im Film, wie Bürger betont, technisches Verfahren ist, muss sie also differenziert betrachtet werden. Die filmische Montage kann als künstlerisches Verfahren mit ganz
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Michael Wood: „Modernism and Film“, in: Michael Levenson (Hg.): The Cambridge Companion to Modernism, Cambridge 1999, 217–232. Hier: 222f. Siehe Hanno Möbius: Montage und Collage, 243. David Trotter: Cinema and Modernism, Malden/MA 2007, 5. Hanno Möbius: Montage und Collage, 418. Siehe ebd. Siehe Michael Wood: „Modernism and Film“, 217. Siehe Wolfgang Iser: „Image und Montage“, 379. Die Faszination vieler Schriftsteller der Moderne erstreckte sich auch auf Disney-Filme, Dokumentationen und natürlich Charlie Chaplin, auch hier lassen sich Avantgarde-Methoden wie Diskontinuität und Dislokation beobachten. Im Stummfilm kann man ohnehin noch nicht von einer scharfen Trennung zwischen narrativem Mainstreamkino und Kunstfilm sprechen. (Siehe Susan McCabe: Cinematic Modernism, 12).
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verschiedenen Zielsetzungen zum Einsatz kommen.1 Um dieser Problematik zu begegnen, gilt es, nach einer wichtigen Unterscheidung, die auf Peter Klotz zurückgeht, zwischen „einem demonstrativen (offenen, irritierenden) und einem integrierenden (verdeckten) Montageverfahren“2 zu differenzieren. Während letzteres besonders in Erzähltexten auftritt, ohne dabei in Widerspruch zur Illusionsbildung eines geschlossenen, organischen Werkes zu stehen, gilt das demonstrative Verfahren als die paradigmatische Form der Montage, die eine aufbrechende Wirkung hat und den Konstruktionscharakter des Kunstwerks offenlegt.3 In Anwendung auf den Film lassen sich in ähnlicher Weise integrative und demonstrative Verfahren beschreiben. So funktioniert in einer Dialogsequenz des klassischen Hollywood-Kinos trotz mehrerer Schnitte die Montage fast unbemerkt, während sie in Godards A BOUT DE SOUFFLE (Außer Atem, 1960) durch das Überspringen kleiner Zeitintervalle in den sogenannten Jumpcuts demonstrativ ausgestellt wird.4 Hat man nicht Literatur oder bildende Kunst, sondern Filme zum Gegenstand, genügt es also nicht, zu konstatieren, dass Montage vorliegt. Vielmehr ist zu fragen, welcher Art diese Montage ist. Man wird die Untersuchung auf Verfahrensweisen konzentrieren müssen, die zu beschreiben und deren Funktionen zu bestimmen sind. Wie tritt die Montage ins Verhältnis zur mise en scène? Werden die Nahtstellen zwischen den Einstellungen sichtbar gehalten oder verheimlicht? Dann zeigt sich, dass in poetischen Filmen5 und auch in vielen Gedichtfilmen nach anderen Kompositionsprinzipien montiert wird, als im narrativen Film, der mit Mitteln der sogenannten kontinuierlichen Montage Kontinuität und Geschlossenheit der diegetischen Welt zu erzeugen vermag. Diese integrative Montageform, die sich auf Point of View Shots oder Schuss-Gegenschuss-Verfahren stützt, wird im Avantgardefilm in Frage gestellt oder ganz aufgegeben, stattdessen rückt der Rhythmus der Montage in den Vordergrund. Auch in der kontinuierlichen Montage entstehen durch die Schnitte Lücken im linearen Handlungsablauf. Allerdings bleibt hier zumeist entweder die Einheit des Raumes oder die zeitliche Kontinuität gewahrt, so dass das Fehlende als zeitliche Raffung oder Perspektivierung interpretiert und vom Publikum kognitiv vervollständigt werden kann. Diese einbindende Rezeption wirkt durchaus aktivierend und kann den identifikatorischen Effekt und die Illusionsbildung sogar noch verstärken. In den offenen Montagen des experimentellen Filmes sind Zäsuren, die durch den Schnitt erzeugt werden, dagegen als solche markiert und lassen sich in der Rezeption als Brüche wahrnehmen: „Sie unterbrechen nicht nur die Kontinuität des Raums bzw. der Zeit partiell, um letztlich doch in einer kontinuierlichen Dramaturgie aufzugehen, sondern mit den Zäsuren stehen
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Siehe Hanno Möbius: Montage und Collage, 23. Viktor Žmegač: „Montage/Collage“, in: Dieter Borchmeyer (Hg.): Moderne Literatur in Grundbegriffen, Tübingen 1994, 286–291. Hier: 287. Siehe ebd. Siehe James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien, mit einer Einführung in Multimedia, Reinbek bei Hamburg 2008, 219. Siehe Kapitel 1.3.
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nunmehr Raum, Zeit und Handlung gleichermaßen zur Disposition.“1 Es überrascht daher wenig, dass sich der Experimentalfilm in seinem Verzicht auf geschlossene filmische Diegese gerade der Gattung der Lyrik geöffnet hat. Wie Montage und Rhythmus in der Verbindung von moderner Lyrik und Avantgardefilm im Einzelnen realisiert werden, soll im Anschluss an drei einschlägigen Beispielen gezeigt werden. Während der Großstadtfilm MANHATTA ganz im Zeichen der urbanen Moderne steht, verfilmt in L’INVITATION AU VOYAGE eine Vertreterin des cinéma pur Baudelaire, den Dichter des modernen Lebens. Mit der Kooperation von Robert Desnos und Man Ray wird die Darstellung um die Verfahren und Motive des Surrealismus erweitert.
2.1.2 MANHATTA Der nach dem Prinzip der offenen Montage verfahrende Film MANHATTA gilt als einer der frühesten Avantgardefilme überhaupt. Er wurde 1920 vom Fotografen und Maler Charles Sheeler und dem Fotografen Paul Sand gedreht und ist damit zugleich einer der ältesten noch erhaltenen Gedichtfilme.2 Der 10-minütige Film basiert auf den Großstadtdichtungen Walt Whitmans und integriert einzelne Verse aus dem Zyklus „Leaves of Grass“, darunter das titelgebende „Manhatta“, „A Broadway Pageant“ und „The Song of Ships“3. Dies geschieht auf zwölf Zwischentiteln, die mit verschiedenen statischen Aufnahmen der Stadt New York kombiniert werden. Die Verse sind recht freimütig aus ihrem jeweiligen Kontext entfernt und zum Teil verkürzt worden. Sie stehen exemplarisch für Whitmans Lyrik in freien Versen, in der die Vitalität und Modernität der Stadt New York in ihren vielen Facetten gepriesen wird. Wie andere Stadtfilme der Epoche besitzt auch MANHATTA keine Handlung im eigentlichen Sinne, sondern orientiert sich an Kompositionsprinzipien, die der Musik entlehnt sind. Die lyrischen Zwischentitel markieren verschiedene Abschnitte des Filmes, denen sie gleichzeitig als Motto bzw. Thema vorangestellt sind. Es entsteht eine Gliederung in zwölf Abschnitte: 1. Ouvertüre, 2. Die Masse, 3.–5. Architektur, 6.–8. Transport, 9. Brücken und Stahlkonstruktionen, 10. Fluss, 11. Bewegung der Menge und 12. Zukunft. Auf der Tafel zum ersten Abschnitt, Ouvertüre, werden die drei Themen4 des Filmes eingeführt: die städtische Menschenmenge, Bauwerke und Technik sowie die personifizierte Stadt: „City of the world! / (for all races are here), city of tall façades of marble
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Hanno Möbius: Montage und Collage, 412. Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 3. Außerdem: „The Song of the Broad Axe“, „Sparkles from the Wheel“, „Crossing Brooklyn Ferry“ und „[A Song for Occupations]“. Ich gebrauche den Begriff in seiner literaturwissenschaftlichen und nicht in seiner musikalischen Bedeutung.
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and iron! Proud and passionate city“1. In drei folgenden Einstellungen nähert sich daraufhin die Kamera langsam der Skyline Manhattans. Der nächste Abschnitt zeigt das „Million-footed Manhattan“, eine in der Aufsicht gefilmte Menschenmenge, die eine Fähre verlässt und in die Straßen der Stadt strömt. Nach diesen Blicken auf die Stadtbewohner folgen drei Abschnitte, die den Bauwerken gewidmet sind, und anschließend drei weitere, die das Thema „Verkehr und Transport“ ausführen. Interessanterweise bildet innerhalb der beiden Gruppen jeweils der mittlere Abschnitt eine leichte Abwandlung des Themas, man könnte sagen eine Alternation nach dem Muster (aba cdc), die sich mit gewissen Strophenformen in den Terzetten des Sonetts vergleichen ließe. Das Thema „Architektur“ wird mit einigen Einstellungen von Hochhäusern begonnen, denen Aufnahmen von Bauarbeiten folgen. Indem der Film die Bauwerke im Entstehen zeigt, kennzeichnet er das Werden der Stadt als einen Prozess, der noch anhält. Eine weitere Reihe von Hochhausaufnahmen schließt die Sequenz. Auch die nächsten drei Abschnitte begründen einen Themenkomplex, innerhalb dessen sich eine Rahmung ausbildet. Beginnend mit Schiffen, die im Hafen manövrieren, wechselt die Sequenz zu Zügen und Bahnanlagen, um schließlich wieder zu den Schiffen zurückzukehren. Als Leitmotiv fungiert auf visueller Ebene der Dampf, der aus den Fahrzeugen aufsteigt, und metonymisch auf die Industrialisierung und das moderne Zeitalter verweist. Der fünfte Themenkomplex, nur aus zwei Abschnitten bestehend, variiert in den Abschnitten Brücke und Flussschifffahrt das Eisenmotiv im Verbund mit dem des Wassers. Im vorletzten Abschnitt richtet sich der Blick wieder auf die ständige Bewegung der Menschenmenge, bevor der Film schließlich mit einer Naturerscheinung schließt: Gorgeous clouds of the sunset! drench with your splendor me, or the men and women generations after me!2
Da sich die Erfahrungswelt der urbanisierten, industrialisierten Moderne, „der Abbildbarkeit mittels traditioneller Erzählstrukturen“3 entzieht, wäre ein figuren- und handlungszentrierter Film denkbar ungeeignet für die Darstellung der modernen Großstadt, zumal wenn sie, wie in den Dichtungen Whitmans, selbst als Paradigma der Moderne fungiert: „An der großstädtischen Realität wird exemplarisch die Moderne erfahren, so daß sich die Erfahrung der Moderne als eine Erfahrung der Großstadt schlechthin definieren läßt.“4 Als nicht-narrativer Film ohne Charaktere und mit unbestimmter zeitlicher Abfolge ist MANHATTA in seiner Gesamtheit nach einer Bauform konstruiert und gegliedert, die in der Typologie der Neo-Formalisten Bordwell und Thompson dem kategorialen Prin1 2 3 4
Whitman, Walt: „Leaves of Grass“ [Final Edition of 1891/92], in: Complete Poetry and Selected Prose, hg. von James E. Miller jr., Boston 1959, 211. Ebd., 119. Sabina Becker: Urbanität und Moderne. Studien zur Großstadtwahrnehmung in der deutschen Literatur, 1900–1930, St. Ingbert 1993, 10. Ebd.
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zip1 entspricht. Zur Kategorienbildung dienen in MANHATTA die Verse Whitmans. Innerhalb der einzelnen Abschnitte ist jedoch gleichzeitig ein abstraktes Formprinzip wirksam: „In this type of organization the audience’s attention is drawn to abstract visual and sonic qualities of the things depicted – shape, color, aural rhythm and the like.“2 In MANHATTA sind die Bilderfolgen nach Kontrasten (Hell/Dunkel, Größe, Menge) oder Ähnlichkeiten des Umrisses gestaltet. Durch dieses Prinzip, das das Bildmaterial auf visuelle Eigenschaften hin organisiert und damit die Komposition gegenüber dem Dargestellten privilegiert, erfahren die Filmbilder eine poetische Umwandlung. In seiner dynamischen Rhythmik ist der vorletzte Abschnitt einer der bemerkenswertesten des Filmes. Mit einem Vers aus dem Gedicht „Sparkles from the Wheel“ leitet der Zwischentitel aus den vorangegangenen Abschnitten, die der modernen Technik gewidmet waren, wieder zurück auf das Motiv der Masse: Where the city’s ceaseless crowd moves on, the livelong day3
Hier ist es nun die Bewegung der Menge, die im Mittelpunkt steht, wie in den folgenden etwa gleichlangen Einstellungen deutlich wird: zunächst die halbnahe Aufnahme einer Fensterbrüstung aus steinernen Säulen, durch die hindurch nur ein fernes Gewimmel von Menschen auszumachen ist, darauf eine Totale, die aus großer Höhe einen fahrenden Zug zeigt, der sich vom rechten oberen Rand in die untere Mitte des Bildkaders bewegt. Die Bewegungsrichtung wird von der nächsten Einstellung gespiegelt, in der verschiedene Fahrzeuge auf einer belebten Fahrbahn von links oben nach rechts unten fahren. In der abschließenden Einstellung werden diese zwei Bewegungsrichtungen zusammengeführt. Während der Passantenstrom sich auf ganzer Breite des Kaders schräg nach rechts oben bewegt, führt in der linken oberen Ecke ein Fahrzeug die gegenläufige Bewegung aus. Mit Sergej Ejsenštejn ließe sich von einem visuellen Kontrapunkt4 sprechen, der hier durch den graphischen Konflikt zweier Bewegungen gesetzt wird. Der dynamische Effekt, der einer solchen, kontrastiven Montage in Ejsenštejns Montagetheorie zugewiesen wird, beruht auf eben jenem Prinzip, das die Bewegungswahrnehmung im Film überhaupt erst ermöglicht: Denn hier [wird] versucht, das ganze Wesen, den prinzipiellen Stil und die Gesinnung des Films aus seiner technisch(-optischen) Grundlage abzuleiten. […] Der Bewegungsbegriff
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David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art, 105. Im Unterschied zu anderen Filmen, die Komposition, Rhythmus und visuelle Qualität durchaus zur Emphase einsetzen, sind die abstrakten Filme ausschließlich um diese Qualitäten organisiert. Nicht selten folgen sie dem Muster Thema-Variation, gelegentlich existiert ein Grundprinzip, das den Film hindurch vorhanden ist. (Siehe ebd., 119). Walt Whitman: „Leaves of Grass“, 275. Siehe Sergej Ejsenštejn: „Dramaturgie der Film-Form“, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 276–304. Hier: 284.
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(Empfindung) entsteht im Prozess der Superposition des behaltenen Eindrucks der ersten Position des Objekts und der [als zweite] sichtbar werdenden Position des Objekts. 1
Bewegung ist allen drei Einstellungen gemeinsam und bildet das abstrakte Prinzip der modernen Stadt, dem Menschen und Maschinen gleichermaßen unterworfen sind. Damit wird ein formales Bildelement zur Bildung eines Kontrastes herangezogen, der gleichzeitig eine thematische Entsprechung hat. Die vielbeschworene Dynamik der Großstadt ist mit der Entfremdungsthematik eng verflochten. Dass Belebtes und Unbelebtes einem Prinzip unterworfen sind, das dem Willen der Einzelnen übergeordnet zu sein scheint, ist Teil der modernen Großstadterfahrung. Im Motiv des stets möglichen Unfalls kulminiert, hier wie auch in anderen frühen Großstadtfilmen, die Angst vor einer Überforderung durch die maschinisierte Welt.2 Menschliche und mechanische Bewegung werden über die filmische Montage schließlich kontrapunktisch visuell vermittelt, bleiben dabei jedoch in einem kontrastiven Spannungsverhältnis zueinander stehen. Dies drückt die Ambivalenz aus, mit der dem Phantasma eines urbanen Kollektivs, das sich wie eine riesige Maschine ausnimmt und in dem der Einzelne aufgeht, begegnet wird. In der Angst, sich in der Masse zu verlieren, verdichtet sich ein zentraler Zwiespalt der Moderne im weiteren Sinne, denn einerseits wird der Unabhängigkeit des Subjektes die größte Bedeutung beigemessen, andererseits sieht sich dieses Subjekt mit einer zunehmend komplexeren Umwelt konfrontiert: Die moderne Lebenswelt wurde immer anonymer, und die beherrschenden Mächte entzogen sich der Wahrnehmung: die Gesetze der Naturwissenschaften oder der Ökonomie schienen die Entwicklungen auf eine nur schwer fassbare Weise zu lenken. Mit dem Schwinden sicherer Anhaltspunkte fühlte sich der einzelne nur noch als Teil einer getriebenen, amorphen Masse.3
Im Zusammenspiel mit Whitmans Versen ergeben sich exemplarische Motive moderner Urbanität, wenn nicht gar der Modernität überhaupt. Man sieht den Menschen in seiner Einbindung in Arbeitsprozesse, im eindrucksvollen Größenkontrast zu den Maschinen und den Gebäuden, die er selbst errichtet hat und man sieht ihn als Bestandteil der Masse, die sich im Rhythmus der Stadt bewegt. Dieses MANHATTA ist, anders als in den Versen Whitmans, eine um die Aspekte der Kultur, Unterhaltung und den Komplex des Sozialen gekürzte Großstadt, reduziert auf die technisierte Modernität einer Industriemetropole. Als Beispiel für die hochkomplizierten Stahlkonstruktionen, die als Repräsentanten der Moderne gelten, steht eine Einstellung, die die Brooklyn Bridge zeigt. In
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Ebd., 280. „Berlin [Sinfonie der Großstadt, S.O.] at once orchestrates its symphonic picture of urban life, calibrating time and motion, chronographic and topographic dimensions, and exposes the accidental, having happened or waiting to happen, as a subversive counterpoint to its compositional design.“ (Andrew J. Webber: Berlin in the Twentieth Century. A Cultural Topography, Cambridge 2008, 177). Helmut Bachmaier: „Einleitung. Die Signaturen der Wiener Moderne“, in: Helmut Bachmaier (Hg.): Paradigmen der Moderne, Amsterdam u. a. 1990, vii–xxiii. Hier: vii.
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ihrer den Menschen weit überragenden Höhe und Symmetrie, mit ihren neogotischen Spitzbögen, die einem Sakralbau ähneln, scheint sie aufgrund der in der Sonne aufleuchtenden Stahlseile von einem Strahlengeflecht umgeben. In ähnlicher Weise wie Whitman die Stadt in seinen hymnischen Preisungen in mythische Sphären entrückt, werden bei Sand und Sheeler die städtischen Bewegungen und Mechaniken zu Objekten der Ästhetik. Es ist nicht zu vergessen, dass der Film im Jahr 1921 entsteht, (sechs Jahre vor Ruttmanns SINFONIE DER GROSSTADT) und damit Whitmans Beobachtungen der modernen Stadt zum Drehzeitpunkt wohl um ein Vielfaches von der Realität übertroffen worden sind. In der bewussten Betonung der eigenen Modernität, dem „selfconscious marking of its own modernity“1 steht der Film Whitmans Dichtungen sicherlich in nichts nach. In MANHATTA bilden Großstadtthematik, Film und Lyrik in exemplarischer Weise eine moderne Konstellation.
2.1.3 L’INVITATION AU VOYAGE Peter Weiss konstatiert in seiner Abhandlung Avantgarde-Film nicht nur ästhetische, sondern auch funktionale Ähnlichkeiten zwischen Lyrik und Film: „Der Avantgardefilm spielt in der großen, allgemeinen Filmproduktion dieselbe Rolle wie die modernistische Lyrik in der Literatur.“2 Zu seinen Beispielen zählen vor allem dadaistische und surrealistische Kurzfilme: Ferdinand Légers BALLET MÉCANIQUE (1924), Man Rays LE RETOUR À LA RAISON (1923), René Clairs ENTR’ACTE (1924) oder Jean Epsteins Bildgedicht UN CŒUR FIDÈLE (1923) sowie die abstrakten Filme von Viking Eggeling, Hans Richter und Walter Ruttmann (1921-1925).3 Nach Scott MacDonald besteht deren Funktion im Wesentlichen darin, die Filmkunst als eine selbstständige Kunst zu emanzipieren, indem man sie sowohl von den Unterhaltungsmedien der Masse als auch vom Roman, der in Europa kulturell dominanten Erzählform, abgrenzt. Interessanterweise wird, um die Reinheit filmischer Mittel zu erstreiten, auf die Poesie und damit wiederum auf eine literarische Tradition Bezug genommen. Vielleicht sind es eben jene Merkmale lyrischen Sprechens, die die begriffliche, diskursive Sprache zu transzendieren versuchen, die als poetische Merkmale in den filmischen Diskurs eingebracht werden? Eine vehemente Verfechterin des mit diesem Programm angetretenen cinéma pur ist die Regisseurin Germaine Dulac. In ihren Schriften verteidigt sie die Experimente vor allem des französischen Avantgarde-Kinos. Statt sich an den bestehenden Künsten zu orientieren, so fordert sie, soll der tatsächliche Geist des Kinos, der bisher verfehlt wor-
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Edward S. Cutler: Recovering the New. Transatlantic Roots of Modernism, Hanover/N.H. 2003, 136. Peter Weiss: Avantgarde-Film, 33. Siehe AVANT-GARDE: EXPERIMENTAL CINEMA OF THE 1920S AND 1930S, DVD.
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den sei, sich verwirklichen. Die Einzigartigkeit des Kinos, seine Fähigkeit zur Bewegungskunst, sei bisher noch nicht annähernd ausgeschöpft. Dulac kündigt außerdem an, keinerlei Zugeständnisse an den Geschmack der Menge machen zu wollen.1 Wenn Dulac die Gefangenschaft des Kinos2 im Käfig der bestehenden Konzeptionen beklagt, so richtet sich ihre Kritik in erster Linie gegen die Literatur, bezeichnenderweise aber ganz besonders gegen die Domestizierung des Kinos als Mittel der romanhaften oder dramatischen Literatur: „[E]t comme le cinéma était mouvement, on le confondit avec enchaînement d’actions, de situations, on le mit au service d’histoire à raconter.“3 Die Poesie dagegen gilt ihr als Kunst der inneren Bewegung von aufeinanderfolgenden Impressionen, die Sinneseindrücke und Seelenzustände gegeneinandersetzt oder verbindet.4 Dulac plädiert für ein cinéma pur, das nicht unter dem Einfluss anderer Künste stünde, sondern in seiner reinen Visualität einer Symphonie gleicht, die aus rhythmischen Bildern besteht: Il y a la symphonie, la musique pure. Pourquoi le cinéma lui aussi, n’aurait-il pas sa symphonie? Ce n’est pas le personnage qui a le plus d’importance dans une scène, c’est la relativité des images entre elles et comme dans tout art, ce n’est pas le fait extérieur qui intéresse vraiment, c’est l’émanation intérieure, un certain mouvement des choses et des gens, vu à travers son état d’âme. N’est-ce pas là l’essence même du septième art?5
In ihrem eigenen filmkünstlerischen Schaffen hat Dulac dieses Programm auf verschiedene Weise zu verwirklichen gesucht. Bekannt geworden ist sie vor allem als Pionierin des surrealistischen Filmes. Im Jahr 1927 drehte sie in Zusammenarbeit mit Antonin Artaud LE COQUILLE ET LE CLERGYMAN. Die Einflüsse der modernistischen Lyrik auf dieses Werk sind unverkennbar.6 Noch im selben Jahr entstand jedoch ein ganz anders geartetes Werk, das sich direkt auf eine lyrische Vorlage bezog. L’INVITATION AU VOYAGE nach dem gleichnamigen Gedicht aus den Fleurs du Mal gilt als Übergangsstufe zwischen Germaine Dulacs frühen impressionistischen und den späteren surrealistischen bis hin zur Abstraktion gehenden Filmen. Verse aus Charles Baudelaires Gedicht erscheinen im paratextuellen Rahmen des Filmes als Texttafel und erfüllen so die
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Germaine Dulac: „L’Essence du cinéma. L’idée visuelle“ [1925], in: Ecrits sur le cinéma. 1919– 1937, hg. von Prosper Hillairet, Paris 1994, 62–67. Hier: 63. Ebd., 64. Ebd. „Und da das das Kino Bewegung war, verwechselte man es mit der Verkettung von Handlungen, von Situationen, man stellte es in den Dienst der Geschichte, die es zu erzählen galt.“ (Übers. S.O.). Siehe ebd., 63. Ebd., 67. „Es gibt die Symphonie, die reine Musik. Warum kann nicht auch das Kino seine Symphonie haben? Es ist nicht die Figur, die in einer Szene am wichtigsten ist, es ist die Bezüglichkeit der Bilder zueinander und wie in jeder Kunst ist es nicht die äußere Tatsache, die wirklich interessiert, es ist die innere Erscheinung, eine gewisse Bewegung der Dinge und der Menschen, gesehen durch einen Seelenzustand. Ist das nicht das Wesen der siebten Kunst selbst?“ (Übers. S.O.). Siehe Susan McCabe: Cinematic Modernism.
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Funktion eines Mottos. Das Gedicht bildet somit zwar einen Ausgangspunkt, von diesem Punkt aus wird das Thema aber mit den Mitteln des Stummfilmes frei entwickelt. Die äußere Handlung des Filmes ist, hierin Dulacs Programmatik gemäß, stark zurückgenommen. Die Kontinuität von Zeit und Raum bleibt zwar gewahrt, im Zentrum stehen jedoch die inneren Vorgänge und Bewegungen der Figuren. Zunächst fällt auf, dass die zentrale Figur des Filmes eine Frau ist, und somit das männliche lyrische Subjekt ersetzt. Sie verlässt ihre häusliche Einsamkeit und begibt sich in einen mondänen Nachtclub, wo sie auf einen Marineoffizier trifft, mit ihm flirtet und sich romantischen Fluchtphantasien hingibt. Texttafeln, die Dialoge vermitteln, gibt es den ganzen Film hindurch nicht, sämtliche Kommunikationsakte bleiben auf den nicht-sprachlichen Bereich von Gestik und Minenspiel reduziert. Im Vordergrund stehen die Imaginationen und Träume der Figuren, die als innere Bilder in die äußere Wirklichkeit projiziert werden. Diese Vermischung innerer Zustände und äußerer Atmosphären wird filmisch durch Überblendungen realisiert. Damit vollzieht der Film mit seinen eigenen Ausdrucksmitteln etwas, das in Baudelaires Gedicht sprachlich herbeigeführt wird. Mit Worten entfaltet das lyrische Subjekt in seiner Einladung die Vision einer Reise, die nur im Bereich des Möglichen oder Erträumten liegt. In der ersten Strophe ergeht die Aufforderung an die Adressatin, sich das Ziel in Gedanken vorzustellen: „Mon enfant, ma sœur, / Songe à la douceur / d’aller là-bas vivre ensemble!“1 Erfolgt die Beschreibung dieses „lá-bas“ in der zweiten Strophe noch im Konjunktiv, so scheint die Adressatin in der dritten Strophe bereits in die Imagination hineingenommen: „Vois sur ces canaux / dormir des vaissaux“2. Das „vois“ (sieh) deutet darauf hin, dass das lyrische Subjekt und die angesprochene Frau den imaginären Raum nun gemeinsam bewohnen, dass er ihnen beiden gleichermaßen vor Augen steht.3 In ähnlicher Weise verfährt Dulac, wenn sie die Phantasien der Figuren in der Filmwirklichkeit (filmischen Diegese) aufgehen lässt. In einer Szene des Filmes lädt der fremde Marineoffizier die Frau dazu ein, durch ein kleines Fenster des Nachtclubs zu schauen. Zunächst erblickt sie nur den dahinterliegenden, schäbigen Hof, doch beim zweiten Versuch erscheint hinter dem zurückgezogenen Vorhang das Bild eines Schiffes auf bewegtem Meer. Auch hier also teilen die beiden Figuren die Phantasie einer möglichen gemeinsamen Flucht, die in die äußere Welt verlagert wird und sich also ihrer visuellen Wahrnehmung darbietet. Darüber hinaus teilen sie diese Vision mit der Zuschauerin, deren Blick durch Montage mit dem Blick der weiblichen Hauptfigur gleichgesetzt wird und die die Vorstellungen der Figur vor Augen gestellt bekommt, als wären es die eigenen. Viele Motive aus Baudelaires Gedicht werden vom Film aufgegriffen. Einige, wie die Blumen oder das orientalisierende Dekor, werden in das Setting des Filmes eingebaut, andere wiederum bilden Tagträume der Figuren: das Schiff, das prachtvolle Interieur eines Zimmers und ein Sonnenuntergang. Auf diese Weise werden die Elemente des Gedichtes in eine Hand-
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Charles Baudelaire: Les Fleurs du mal [1861], hg. von John E. Jackson, Paris 2003, 101. Ebd., 101f. Siehe John E. Jackson: „Commentaires“, in: Les Fleurs du mal [1861], hg. von John E. Jackson. Paris 2003, 263–343.
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lung verwoben, die deutlich melodramatische Züge trägt. Der Seemann zeigt sich zunächst unbeeindruckt vom Ehering der Frau. Als er aber an seiner Eroberung ein Amulett entdeckt, das ein Kindergesicht zeigt, wendet er sich unter sichtlicher Überwindung von ihr ab. Sie entzieht sich daraufhin verletzt und beschämt der Szene und kehrt in ihr unglückliches Familienleben zurück. Von der nächtlichen Begegnung bleibt schließlich nur eine Erinnerung zurück, die sich ein letztes Mal in einer Überblendung der Filmbilder manifestiert. „Des rêves! toujours des rêves! et plus l’âme est ambitieuse et délicate, plus les rêves l’éloignent du possible.“1 schreibt Baudelaire in seiner Prosafassung von „L’Invitation au voyage“, die in der Sammlung Le Spleen de Paris enthalten ist, und einen Subtext zum Film liefern könnte. In seiner Prosadichtung entwickelt Baudelaire das Thema und lässt noch etwas deutlicher werden, dass die Reise mit dem Eingehen in einen Ort der Phantasie zu identifizieren ist und das Begehren nach diesem Ort sich in der angesprochenen Frau erfüllt: Ces trésors, ces meubles, ce luxe, cet ordre, ces parfums, ces fleurs miraculeuses, c’est toi. C’est encore toi, ces grands fleuves et ces canaux tranquilles. Ces énormes navires qu’ils charrient, tout charges de richesses, et d’où montent les chants monotones de la manœuvre, ce sont mes pensées dormant ou qui roulent sur ton sein. Tu les conduis doucement vers la mer qui est l’Infini […].2
Dulacs Film ist sehr avanciert in seinem Gebrauch filmischer Ausdrucksmittel und verzichtet sogar in Zwischentiteln auf das dramatische Element des Dialogs. Es gibt außer den einleitenden Versen Baudelaires keine weiteren Texttafeln. Dulac überlässt die Entwicklung einzig dem Einsatz des Bildes. Ihrer Programmatik von einer visuellen Kunst, die sich gleich einer Symphonie nur auf ihre ureigenen Ausdrucksmittel verlässt, kommt sie damit zumindest nahe. In einer lobenden Erwähnung eines zeitgenössischen hawaiianischen Dokumentarfilmes bringt sie dieses Ideal einmal auf eine kurze Formel: „Pas d’intrigue. Rien que de l’image. C’est très moderne.“3
2.1.4 L’ÉTOILE DE MER Man Rays surrealistischer Film L’ÉTOILE DE MER von 1927 basiert auf einem Gedicht von Robert Desnos, der auch das Szenario verfasste. Dass der Film „in seinem Lyrismus […] stellenweise impressionistisch“4 wirkt, wie es im Standardnachschlagewerk Subgeschichte des Films heißt, überrascht also nicht. Der 13-minütige Film kreist um
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Charles Baudelaire: Le Spleen de Paris. Petits poèmes en prose, hg. von Jean-Luc Steinmetz, Paris 2005, 111. Ebd. Germaine Dulac: „Quelques Réflexions sur le ,cinéma pur‘“ [1926], in: Ecrits sur le cinéma. 1919– 1937, hg. von Prosper Hillairet, Paris 1994, 73–74. Hier: 83. „Keine Handlung. Nichts als das Bild. Das ist sehr modern.“ (Übers. S.O.). Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 731.
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das Zerbrechen einer Liebesbeziehung und besitzt damit eine, wenn auch nur vage ausgeführte Handlung, die auf verschiedene Weise unterbrochen oder verwischt wird: Ein Mann und eine Frau sind zu sehen, die eine Straße entlang gehen und eine Wohnung betreten. Dort beginnt die Frau sich zu entkleiden und streckt sich auf dem Bett aus. Bereits an dieser Stelle wird mit den Erwartungen und dem Voyeurismus der Zuschauer gespielt. Alles deutet zunächst auf die Anbahnung eines Liebesaktes hin, doch stattdessen verabschiedet die Frau ihren Besucher. In einer anderen Szene trifft er auf eine Zeitungsverkäuferin (dieselbe Frau?), die ihm ein großes Glas zeigt, das einen Seestern enthält. Es folgen Szenen, die den Mann in der Betrachtung des Glases zeigen und längere Abschnitte, in denen Man Ray mit repetitiver Bewegung, split screens, Überblendungen, wechselnder Schärfe, Trickblenden und surrealistischen Inserts experimentiert. Die Frauenfigur ist mehrmals auf ihrem Bett, mit einem Messer oder als Amazone kostümiert zu sehen. Gegen Ende des Filmes laufen Mann und Frau erneut eine Straße entlang, bis ein zweiter Mann hinzutritt und mit der Frau fortgeht. Im Zentrum des Filmes steht das Motiv des Seesterns, der den Angelpunkt einer assoziativ wirkenden Bildfolge bildet, die kurze Spielszenen mit rhythmisch geschnittenen Einstellungen von Schienen, Schiffen und Gebäuden sowie Bildern verschiedener Objekte sich abwechseln lässt. Neben der filmisch-diegetischen Ebene lässt sich eine nicht-diegetische Ebene bestimmen, auf der Stillleben, Texttafeln und Bewegungsaufnahmen vorherrschen, die keinen direkten Bezug zur Spielhandlung haben. Diese Elemente gehen in ihrer Funktion darüber hinaus, die Handlung zu kommentieren oder die inneren Zustände der Protagonisten zu verbildlichen. Zwar könnte es sich durchaus um Traumbilder oder innere Bilder der gezeigten Figuren handeln, doch nehmen sie einen so großen Raum ein, dass sie sich nicht in eine psychologische Motivation zurückbinden lassen. Die Komposition des Filmes, die Aneinanderreihung der einzelnen Bilder und Zwischentitel folgt insgesamt weniger einer handlungsbezogenen Dramaturgie als einem durch Wiederholungsstrukturen und Diskontinuitäten geprägten Rhythmus. Folgt man Šklovskijs Unterscheidung zwischen poetischem und prosaischem Film, so tendiert L’ÉTOILE DE MER eindeutig zum poetischen Film, der das kompositorische Moment dominant werden lässt, während die Bedeutung der fabula zurückgenommen ist.1 Verbindungen zwischen den einzelnen Bildelementen sowie zwischen Bildelementen und Text stellen sich mittels formaler oder motivischer Ähnlichkeit, vor allem aber durch metonymische oder symbolische Bezüge her. Damit folgt L’ÉTOILE DE MER nicht nur einem abstrakten, sondern darüber hinaus auch einem assoziativen Formprinzip, wie es Thompson und Bordwell beschreiben: „Associational formal systems suggest expressive qualities and concepts by grouping images.“2 Diese Gruppierungen sind weder kategorial noch beruhen sie allein auf den visuellen Eigenschaften des Dargestellten, sondern sind assoziative, nicht-narrative Zusammenstellungen unverbundener Dinge: „This process is somewhat comparable to the techniques of metaphor and simile
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Victor B. Šklovskij: „Poesie und Prosa“. David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art, 127f.
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used in lyric poetry.“1 Ramona Fotiade weist darauf hin, dass in L’ÉTOILE DE MER eine Spannung zwischen dadaistischer und surrealistischer Kinokonzeption spürbar wird.2 Trotz seiner surrealistischen Verfahrensweisen trägt der Film deutliche Spuren des dadaistischen experimentellen Kinos, etwa die formal-abstrakte split-screen-Sequenz und die repetitiven Bewegungseinstellungen.3 In anderen Teilen des Filmes überwiegen traumähnliche Kompositionen, die surrealistischen Collagen nachempfunden sein könnten. Die Verse des Gedichtes werden über Zwischentitel in den Stummfilm einmontiert, ohne dass sie direkt auf den Gang der Handlung bezogen wären. Im Gegenteil, häufig stehen sie sogar inhaltlich im Widerspruch zu ihrem visuellen Kontext. Besonders die von Man Ray später hinzugefügten Textelemente verstärken solche „disparities between image and text“4, wodurch Fotiade zufolge jeder Versuch frustriert wird, Text und Bild sinnvoll miteinander in Beziehung zu setzen.5 Fotiades Beobachtung, dass sich visuelle Erzählung und Zwischentitel als getrennte Entitäten gegenüberstehen, die parallel nebeneinanderher laufen, ist jedoch insofern zu widersprechen, als es durchaus zu starken Wechselbeziehungen zwischen Texttafeln und Bildebene kommt. Zwar unterbricht die Inkongruenz von Film und Zwischentiteln die narrative Kontinuität, poetisch werden die gegeneinandergesetzten Textzeilen und Filmeinstellungen aber durchaus evokativ. Zwischen Texttafeln und Filmbildern bilden sich zahlreiche Korrespondenzen aus, sprachliche und visuelle Tropen gleiten von einer Ebene zur anderen und reichern sich gegenseitig an, so dass Text und Bild im Sinn einer lyrischen Montage ineinander greifen. Das Bild einer Hyazinthe wird gezeigt, gefolgt von einem Zwischentitel: „Si les fleurs / etaient en verre“.6 Im Anschluss daran ist eine splitscreen-Einstellung zu sehen, die zwölf verschiedene Ansichten rotierender Objekte nebeneinanderstellt, darunter den Seestern in seinem Glas, ein Schwert und andere tatsächlich gläserne Gegenstände. Auf diese Einstellung folgt ein weiteres Mal die Hyazinthe und eine Wiederholung der vorangegangenen Texttafel. Werden die Motive Blume und Glas also zunächst formal miteinander verknüpft, so wird gleichzeitig deutlich, wie der Vergleich von der Textebene auf die Bildebene zurückwirkt und sich zahlreiche Bezüge zwischen beiden Ebenen ausbilden. Wenn es heißt „elle est belle comme une fleur de verre“ (Sie ist schön wie eine Blume aus Glas) und einige Einstellungen später „elle est belle comme une fleur de chair“ (sie ist schön wie eine Blume aus Fleisch), so ist nicht nur durch Parallelismus, Versmaß und Reim ein Bezug zwischen den Versen, sondern gleichzeitig auch zwischen Text und Bild hergestellt. Der Vergleich verbindet Frau und Seestern und konfrontiert metaphorisch erstarrtes Objekt
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Ebd. Ramona Fotiade: „Automatism and the Moving Image. From Verbal to Visual Metaphor in L’Etoile de mer“, in: Marie-Claire Barnet/Eric Robertson/Nigel Saint (Hg.): Robert Desnos. Surrealism in the Twenty-First Century, Oxford, Bern, Berlin u. a. 2006, 263–284. Hier: 269. Ebd. David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art, 271. Siehe ebd., 270. „Wären die Blumen aus Glas.“ (Übers. S.O.).
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hinter Glas und lebendigen Körper aus Fleisch und Blut. Die dazwischengeschalteten Einstellungen führen das Motiv bildlich aus, indem wiederholt die Frau durch Überblendungen mit dem Seestern identifiziert wird. Eine spätere Texttafel greift die Figur nochmals auf und wandelt sie ab: „belle comme une fleur de feu“. Mit der Blume aus Feuer tritt ein drittes Vergleichsobjekt hinzu und trägt die Bedeutung der zerstörerischen und gefährlichen Schönheit in die Aussage ein. Das poetische Bild ist wiederum an eine visuelle Überblendung gekoppelt, die das Bild lodernder Flammen mit einem Bild der Frau zusammenführt. Hanno Möbius zeigt, wie das Programm der Surrealisten das von Dada und anderen erprobte Montageprinzip als Verfahren des ‚kalkulierten Zufalls‘ auf die Ebene der poetischen Bilder ausweitet. Mit den Sprachexperimenten der frühen Lautdichtung hatte sich ein Bewusstsein für die Materialität und den Konstruktcharakter der Sprache durchgesetzt, was schließlich dazu führte, […]daß die Gleichzeitigkeit in den Grundelementen der Kunst selbst entdeckt wurde. Neben die Ambiguität der Worte tritt eine Ambiguität der Bildelemente. Sie wird möglich durch offene Relationen zwischen den Bildelementen, die in mehreren gleichzeitigen Beziehungen ambig werden.1
Jene Ambiguität ist auch in L’ÉTOILE DE MER zu beobachten. Sie verdichtet sich beispielsweise im Motiv des Seesterns, der den Film hindurch als erstarrtes Objekt hinter Glas inszeniert wird. Als Kontrast werden Aufnahmen eines lebendigen Seesterns entgegengesetzt, dessen Arme und kleine tentakelartige Füßchen von den Wellen des Meeres bewegt werden. Damit spricht der Film nicht nur die bereits erwähnte erotische Aufladung des Zuschauerblickes an, sondern thematisiert darüber hinaus auch die mediale Inszenierung selbst, denn der erstarrte Seestern, der hinter Glas den beobachtenden Blicken als Objekt preisgegeben ist, weist direkt auf unseren eigenen Blick auf das Liebespaar und auf die Aufnahmesituation der Kamera zurück. Bereits in der ersten Szene wird der Zuschauerblick problematisiert: Indem sich die Frau entkleidet, scheint sie sich den Blicken des Mannes darzubieten, eine körperliche Begegnung jedoch zurückzuweisen. Während dieser jedoch in den meisten Einstellungen gar nicht zu ihr hinsieht, ist der Blick der Kamera durch eine verfremdende Manipulation stark verschleiert und unscharf. Die voyeuristische Gratifikation bleibt dem Publikum somit verwehrt. In der Analogie von Frau und Seestern als Blickobjekt ist die Ambivalenz des filmischen Mediums formuliert, das zwischen Verkörperung, physischer Affizierung und lebendiger Erscheinung einerseits und der unhintergehbaren apparativen Aufnahmetechnik andererseits oszilliert. Für Susan McCabe stellt diese Ambivalenz ein zentrales Paradox des Modernismus dar: „By pairing poetic texts and films, I clarify a central modernist paradox: a desire to include bodily experience and sensation along with an overpowering sense of the unavailability of such experience except as mediated through
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Hanno Möbius: Montage und Collage, 181.
Lyrik im Stummfilm
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mechanical reproduction.“1 L’ÉTOILE DE MER visualisiert dieses Paradox medialisierter Körperlichkeit in einer hochgradig verdichteten Einstellung: Eine Großaufnahme vom Gesicht der Frau dient als Hintergrund für einen Schriftzug, der das Wort „belle“ darstellt. Erst als das Bild plötzlich zerbirst, wird sichtbar, dass es sich um einen Spiegel handelt, auf den die Buchstaben aufgemalt waren. Der Versuch die trennende, gläserne Barriere zu durchbrechen, zeigt erst recht, dass die Schönheit der Frau nur als Wort oder Bild „zu haben“ ist. In dieser Reflexion auf die eigene Medialität lässt sich eine Analogie zwischen Avantgarde-Filmen und den lyrischen Texten nicht zuletzt der literarischen Moderne erkennen. Eine Parallele, die in Filmtheorien und Filmästhetiken vom russischen Formalismus2 über die amerikanische Avantgarde3 bis zur Semiotik immer wieder formuliert worden ist.4 In L’ÉTOILE DE MER drückt sich darüber hinaus eine moderne Faszination an der Bewegung aus, die sich durch bewegte Motive oder bewegte Kamera im Bild manifestiert (besonders auffällig bei den Fahraufnahmen aus Schiff und Zug, den fliegenden Zeitungen). Mit dem Gegensatz zwischen dem lebendem und dem toten, erstarrten Seestern, stellt sich auch die mit dem filmischen Medium verbundene Assoziation von Bewegung und Lebendigkeit her. Ganz im Sinne des neuen Geistes Apollinaires, der in seinem Manifest den Poeten beschreibt, der keine, auch nicht die einfachsten Bewegung der Natur verachtet: C’est pourquoi le poète d’aujourd’hui ne méprise aucun mouvement de la nature, et son esprit poursuit la découverte aussi bien dans les synthèses les plus vastes et les plus insaisissables: foules, nébuleuses, océans, nations, que dans les faits en apparence ,les‘ plus simples: une main qui fouille une poche, une allumette qui s’allume par le frottement, des cris d’animaux, l’odeur des jardins après la pluie, une flamme qui naît dans un foyer.5
Die Darstellung alltäglicher Erscheinungen, wie sie sich nur der sinnlichen Wahrnehmung darbieten, enthüllt auch die bisher unbekannten, der Wahrnehmung entgangenen Phänomene. Und ist nicht der Tanz der Schatten, den Man Rays fliegenden Zeitungsseiten werfen, Ausdruck jenes optisch Unbewussten, dessen Erfahrung oder Wiederentdeckung sich Walter Benjamin vom filmischen Medium verspricht?6 Im Gegensatz zu den Realismen eines Siegfried Kracauers geht es Man Ray und Robert Desnos um das Unheimliche, das sich in solchen alltäglichen Erscheinungen verbirgt und das durch einen kinematographischen Blick zum Vorschein gebracht werden kann: „Film, thus,
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Susan McCabe: Cinematic Modernism, 3. Siehe Victor B. Šklovskij: „Poesie und Prosa“. Siehe Maya Deren in: Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“. Siehe Kapitel 1.3. „Darum verachtet der Dichter von heute keine Veränderung der Natur, und sein Geist verfolgt die Synthesen ebenso in den gewaltigsten und unfaßlichsten Synthesen: in Nebelflecken, Ozeanen, Nationen, wie in den augenscheinlich einfachsten Tatsachen: einer Hand, die in einer Tasche wühlt, einem Streichholz, das sich entzündet, eine Flamme, die in einem Kamin auflodert.“ Guillaume Apollinaire: „Der neue Geist“, 84. Vgl. Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter“, 500.
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becomes the means of a poetic de-realisation of everyday experience which is at least comparable, if not superior, to automatic writing and similar surrealist explorations of the uncanny.“1
2.2
Poesiefilm als Medienkunst – die fünfziger bis siebziger Jahre
2.2.1 Nachkriegsavantgarde Medienkunst ist eine „seit den 1960er Jahren einsetzende breite künstlerische Praxis“2 der Arbeit mit audiovisuellen Medien. Eigentlich wird die Bezeichnung vornehmlich für künstlerische Experimente mit ‚neueren‘ Medien, besonders Video und Computer, verwendet. Im gegebenen Kontext, einem Abriss der Geschichte des Poesiefilmes, soll die Bezeichnung dagegen auch auf den Experimentalfilmbereich seit dem Zweiten Weltkrieg ausgedehnt werden.3 Dies erscheint deshalb sinnvoll, weil die betreffenden Künstlerinnen und Künstler in ihren Werken bereits die Möglichkeiten des Filmes als eines technischen Mediums ergründet haben, ein Ansatz, der methodisch und theoretisch von großem Einfluss für die späteren elektronischen und digitalen Experimente gewesen ist. Vertreterinnen und Vertreter einer so verstandenen Medienkunst im weiteren Sinne, haben sich auch lyrischen Texten zugewandt – unter anderen Vorzeichen als der frühe Avantgardefilm der Vorkriegszeit. Die zeitgenössische Poesiefilmproduktion zehrt bis heute von diesen Ansätzen, weil sie – konfrontiert mit der Selbstreflexivität lyrischer Texte – immer wieder auf die Medialität ihrer eigenen Ausdrucksmittel, wie Schrift, Stimme, Video oder Film, zurückgeworfen wird. Nach 1945 erlebt die Avantgardefilmbewegung, die sich in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkrieges im Bereich des Dokumentarfilmes konzentriert hatte, in zwei unterschiedlichen Gebieten einen neuen Aufschwung. Zunächst entsteht in den USA im Umkreis von Maya Deren, Kenneth Anger und anderen eine zweite Avantgarde, die schließlich ins New American Cinema übergeht. Sie knüpft offenkundig an das surrealistische Avantgardekino der Vorkriegszeit an und ist besonders im Zusammenhang mit dem poetischen Film von Bedeutung. In Europa beginnen in den frühen fünfziger Jahren die Lettristen und Situationisten ihre radikalen Programme in experimentellen Filmen umzusetzen. In den sechziger Jahren entpuppt sich schließlich Österreich als neues Zentrum experimenteller Filmkunst.4 1 2 3 4
Ramona Fotiade: „Automatism“, 278. Dieter Daniels: „Medien→Kunst/Kunst→Medien“, online unter: http://www.medienkunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/vorlaeufer/3. Siehe auch ebd. Siehe Alan L. Rees: „Movements in Film“, 48.
Poesiefilm als Medienkunst
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Das einzige bekannte Beispiel für einen Gedichtfilm aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges entstand im Umkreis der zweiten US-amerikanischen Filmavantgarde. Willard Maas, der mit der Künstlerin Marie Menken verheiratet war, und als eine Zentralfigur der New Yorker Künstlerszene der vierziger und fünfziger Jahre gilt, drehte in Zusammenarbeit mit dem englischen Dichter Georges Barker den Kurzfilm THE GEOGRAPHY OF THE BODY (1943), der zu den einflussreichsten Filmen der New Yorker Avantgardeszene gezählt werden muss. Er setzt sich aus Großaufnahmen menschlicher Körper und einem Text von Barker zusammen, der vom Dichter selbst aus dem Off eingesprochen wird. In ihrer extremen Vergrößerung und Dekontextualisierung wirken die ausschnitthaften Körperbilder tatsächlich wie Landschaften mit Kratern, Gräsern und aufgesprungener Erde. Ein Moment der Verfremdung durchzieht auch den surrealistischen Text, der die Bilder begleitet. In zunächst scheinbar widersprüchlicher Weise bezieht sich ein im Vorspann eingeblendetes Motto auf die im Film gezeigte desintegrierte Körperlichkeit: „When we are longing for wholeness we say we are in love“1. In dieser Zeile äußert sich zunächst einmal ein Begehren nach Ganzheit, ein Begehren, das sich auch auf die filmische closure beziehen ließe, die für die Rezeption konventioneller, narrativer Filme grundlegend ist und als solche ein Zentralthema ideologiekritischer Filmkritik darstellt. Dieses Begehren nach Ganzheit wird von den Bildern des Filmes augenscheinlich nicht erfüllt; zum einen, weil sie sich nicht zu einem vollständigen Gesamtbild des Körpers zusammenfügen lassen und zum anderen, weil sie in ihrer Verfremdung häufig kaum zu identifizieren oder einem Geschlecht zuzuordnen sind.2 Der Text des Prosagedichtes, der mit Symbolisierungen und dichten intertextuellen Bezügen befrachtet ist, spielt in enigmatischer Weise auf exotische Welten, Mythen und abenteuerliche Reisen an und verbindet die Themen „Erotik“, „Aggression“ und „Religion“.3 In Kombination mit der filmischen Montage lässt sich die im Gedicht beschriebene Reise mit der Entdeckung des Körperlichen oder dem Verlauf eines sexuellen Erlebnisses assoziieren. Vereinzelt stellen sich auch direkte Bezüge zwischen Text und Bild her, wenn etwa eine Nahaufnahme von Brustwarzen mit den Worten „coral islands“ zusammenfällt und sich eine geographische Metapher herstellt. Surrealistisch auch in seiner Offenlegung der erotischen Motive im Akt der Produktion und Rezeption von Kunst, besitzt Barkers Sprache eine „extravagance that leaves language almost in meaningless ruins“4. 1955 produzierte Willard Maas in Zusammenarbeit mit Ben Moore einen weiteren Poesiefilm. THE MECHANICS OF LOVE (1955) zeigt zunächst andeutungsweise einen beginnenden Liebesakt zwischen einem Mann und einer Frau. Die Bilder werden von Zithermusik und einem Voice Over begleitet, das sich als poetischer Dialog zwischen 1
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Übersetzung R. Bruce Elder: Body of Vision. Representations of the Body in Recent Film and Poetry, Waterloo, Ontario 1997, 38. Es handelt sich um Aristophanes’ Rede in Platons Symposium. Siehe ebd., 38f. Zu einer überzeugenden Interpretation des „bisexual make-up of the imaginary body“ siehe ebd., 38ff. Siehe ebd., 42ff. Ebd., 37.
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einer weiblichen und einer männlichen Stimme beschreiben lässt. Im zweiten Teil des Filmes sind statt Mann und Frau alltägliche Gegenstände zu sehen, die in ihrer Form oder Bewegung auf das sexuelle Geschehen verweisen. Zu Beginn der Sequenz ist eine mit aufwärts schwenkender Kamera gefilmte Säule zu sehen, die (wie einige weitere phallische Formen) ganz offensichtlich einen erigierten Penis symbolisiert. Im Anschluss folgen Objekte, die entweder zu Paaren angeordnet sind oder eine Verschränkung oder Überkreuzung zweier Elemente aufweisen. Schließlich reiht die Montage alltägliche Tätigkeiten aneinander, die eine Verbindung herstellen (Nähen), ein Gefäß mit Inhalt füllen oder etwas durchtrennen. Innerhalb dieser reihenden Komposition wird ein Spannungsverlauf suggeriert, der auf der musikalischen Ebene mitvollzogen wird: von einer sich steigernden Intensität, die schließlich einen Höhepunkt erreicht, zu einem Abklingen und Ausklingen in Bildern der Ruhe, die auf eine abgeschlossene Handlung hindeuten. Abgesehen von der schlichten Grundidee, einen Liebesakt in filmischen Metaphern zu erzählen, ist hier der Versuch zu beobachten, eine filmische Poetizität vorzuführen, die ihre Ausdrucksmittel besonders aus Filmspezifika wie match cut, rhythmischer Montage, Bewegtbild und der Kombination von Ton und Bildern schöpft. Die erotisch anspielungsreichen Motive stellen visuelle Entsprechungen sprachlicher Bildlichkeit im Sinne rhetorischer Figuren dar. Im Poesieverständnis der New Americans besteht das Lyrische im Gegensatz zur horizontal gegliederten Narration in einer vertikalen Struktur, einem Ausloten des Moments in seiner Qualität und Tiefe, eine Struktur, die nicht auf den Bereich des verbalen Ausdrucks beschränkt bleibt. 1 Aus der angenommenen Übertragbarkeit der poetischen Struktur auf den Film folgt in der filmischen Praxis die Erkundung visueller Metaphern, die ihre übertragene Bedeutung über ein Analogieverhältnis gewinnen und damit, um in den Worten Roman Jakobsons zusprechen, „das Prinzip der Äquivalenz, d. h. die Similarität, der Kontiguität, also der Abfolge der Zeichen im Text, überlagert“2. Das ist auch in MECHANICS OF LOVE der Fall. Der Film besitzt zwar narrative Elemente, sie werden jedoch durch die poetischen Anteile, die den Film strukturieren, überlagert.
2.2.2 Lettrismus Ein gänzlich anders gelagertes Interesse an Lyrik und ihrer Integration in den Film äußert sich in den Werken des filmischen Lettrismus. Das Kino des Lettrismus, das mit zwei Filmen von Isidore Isou und Maurice Lemaître seinen Anfang nimmt, kann als ein Neubeginn der europäischen Avantgarde nach 1945, bezeichnet werden, ein Neubeginn, der von der Avantgardefilmgeschichte lange ignoriert wurde.3 Im lettristischen
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Siehe Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“, 174. Roman Jakobson: „Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie“ (1961/1968), in: Aufsätze zu Linguistik und Poetik, hg. von Wolfgang Raible, München 1974, 247–260. Hier 253. Gabriele Jutz: Cinéma brut, 205.
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Film treffen „erstmals in der Geschichte der Filmkunst die Entwicklungslinien von handmade film, expanded cinema und found-footage-film“1 zusammen. Der seit 1950 von Isidore Isou produzierte und 1951 in einem Nebenprogramm des Filmfestivals in Cannes gezeigte Film TRAITÉ DE BAVE ET D’ÉTERNITÉ2 ist ein künstlerisches Manifest gegen die vorherrschende Kinoästhetik. Isou greift darin den durch das Anwachsen seiner künstlerischen Mittel aufgeblähten Film an und fordert seine Auflösung und Zerstörung. Damit überträgt er seine Programmatik der lettristischen Poesie auf das Kino. In jeder Kunst folge, so Isous Auffassung, eine Phase der Auflösung und Zersetzung (hypostase ciselante) auf eine Phase der Erweiterung (hypostase amplique). Ein wiederkehrender Wechsel zwischen einem solchen Anwachsen der Kunst, die sich in ihren künstlerischen Mitteln anreichert und entfaltet, mit einer Phase der nuancierten Verfeinerung, die sich vom Gesamtwerk dem eigenen Material zuwendet, beobachtet Isou zuerst an der Entwicklung der Poesie.3 Mit der Dichtung von Charles Baudelaire sei der Wechsel von der poésie amplique der Klassik und Romantik zur poésie ciselante eingeleitet. Mit diesem Wechsel verbindet sich im Verständnis Isous ein literaturgeschichtlicher Übergang von einer projektiven zu einer introjektiven und von einer narrativen zu einer ornamentalen Schreibweise sowie von Themen hin zu Modulationen,4 vom Ausdruck zur Selbstreferentialität5: La poésie ciselante élimine l’extérieur pour l’intérieur et substitue les divergences par les convergences. On remplace un regard sur les données acceptées par un renforcement du poème en soi. On apprend ainsi une attention pour les éléments constituants du poème en soi.6
An die erhöhte Aufmerksamkeit für die konstitutiven Elemente des Gedichtes schließt Isou sein lettristisches Programm direkt an. Ziel ist die Loslösung der Dichtung von ihrer traditionellen Grundlage der Wörter und Ideen. Stattdessen geht sie von den Buchstaben (lettres) und den Lauten (sons) der menschlichen Stimme aus.7 Während der Lettrismus selbst noch die poésie ciselante aufgrund ihrer angeblichen Materialvergessenheit8 und ihres Individualismus für überholt erklärt, befindet sich das Kino Isou
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Ebd. Traktat über den Geifer und die Ewigkeit. Siehe Isidore Isou: Introduction a une nouvelle poésie et a une nouvelle musique, Paris 1947, 89f. Siehe ebd., 90ff. Siehe ebd., 96. Ebd., 93. „Die poésie ciselante eliminiert das Außen für das Innen und ersetzt die Divergenzen durch Konvergenzen. Man ersetzt einen Blick auf die akzeptierten Angaben durch eine Stärkung des Gedichtes an sich. So erwirbt man sich eine Aufmerksamkeit für die konstitutiven Elemente des Gedichtes an sich.“ (Übers. S.O.). Siehe ebd., 154. Isous diesbezügliche Aussagen sind angesichts der künstlerischen Praxis von Futurismus und Dadaismus, die er explizit in die Epoche poésie ciselante einbezieht, nicht nachvollziehbar. Zur Kritik an Isous Einschätzungen siehe Michael Lentz: Lautpoesie/-musik nach 1945. Eine kritischdokumentarische Bestandsaufnahme, Bd. 1, Diss. u. d. T.: Mediale Aspekte der Lautpoesie/-musik nach 1945, Univ. Siegen 1998, Wien 2000, 291.
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zufolge am höchsten Punkt des l’amplique. Entsprechend durchzieht die Rhetorik der Materialermüdung und der reinigenden Erneuerung auch das in Isous Film verkündete Manifest, wo sie sich in den Metaphern der Übersättigung und Bewegungslosigkeit manifestiert. Auch in TRAITÉ DE BAVE ET D’ÉTERNITÉ spielt die Sprache eine wichtige Rolle. Aufgrund einer strikten Trennung von Ton und Bild, die eines der wichtigsten anti-realistischen Anliegen der Lettristen darstellte, tritt sie sogar besonders stark hervor.1 Verschiedene Stimmen lassen sich aus dem Off vernehmen und tragen im Verlauf des in drei Kapitel gegliederten Filmes verschiedene Texte vor. Im ersten Kapitel verliest eine männliche Stimme die Proklamationen des filmischen Manifestes. Sie wird einer Figur namens Daniel zugeordnet, die wir bei einem Spaziergang durch das Pariser Viertel Saint-Germain-de-Près beobachten, gleichwohl Stimme und Bild voneinander entkoppelt sind. Daneben sind ein Kommentator, der die Geschichte Daniels erzählt, und weitere Stimmen zu hören, die Daniel wütend widersprechen, niederschreien und schließlich bejubeln. Im zweiten Teil, der eine Verführungsgeschichte erzählt, treten auch Frauenstimmen hinzu. Im abschließenden, dritten Kapitel sind neben drei weiteren lettristischen Manifesten mehrere Lautgedichte, darunter zwei Stücke des Lettristen Francois Dufrêne, zu hören.2 Sie werden von verschiedenen Stimmen schreiend und zum Teil chorisch vorgetragen und sind ohne Bezug zum gleichzeitig gezeigten Bildmaterial, das aus Anfangs- und Endstücken von Filmen besteht.3 Es wird deutlich, dass Isou den Tonfilm nicht nur einer Reflexion der filmischen Medienspezifik unterzieht, sondern dass er ihn außerdem für eine Verwirklichung seines poetologischen Programmes einspannt, das der akustischen Präsentation der lettristischen Texte eindeutig den Vorrang vor ihrer Verschriftlichung gibt. Trotz seiner „Fetischisierung des Buchstabens“4 ist Isous Programm vor allem auf die Lautlichkeit der Sprache ausgerichtet, auf deren onomatopoetische Überreste und lautpsychologischen Effekte er seine kombinatorische Poetik aufbaut.5 Die aus dem Off vorgetragenen Lautgedichte beziehen auch nicht-sprachliche stimmliche Äußerungen ein. Indem die Stimme der Aufgabe der sprachlichen Kommunikation in Worten enthoben wird, wird die Aufmerksamkeit auf die Lautlichkeit der Sprache gelenkt. Mit dem Titel, der von Speichel und Ewigkeit handelt, möchte Isou wie es im Film heißt „die Distanz zwischen dem Staub unseres Sprechens und der Größe seines Vermögens markieren.“6 Auch wenn Isou, wie Michael chael Lentz zu Recht kritisiert, auf stereotype Sprechweisen und rezitatorische Traditionen rekurriert, betreibt er doch eine dezidierte Erhöhung des Klanglichen, die auch im Film vorgeführt wird. Im unartikulierten Schreien, das die Stimme gepresst klingen 1 2 3 4 5 6
Siehe Gabriele Jutz: Cinéma brut, 207f. In der englisch untertitelten Version des Filmes werden die Gedichte „March“, „I question and I invective“ von „Francois Dufresne“ angekündigt. Siehe ebd., 209. Michael Lentz: Lautpoesie/-musik nach 1945, 306. Siehe ebd., 308ff. „Je l’appelle la bave et l’éternité […] pour marquer la distance entre la poussière de notre parole et la hauteur de son pouvoir.“ (Übers. S.O.).
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oder sogar krächzen und sich überschlagen lässt, wird die körperliche Gebundenheit jedes Sprechens unweigerlich spürbar. In dieser Aufwertung der „untersten Kräfte des künstlerischen Ausdrucks“1 deutet sich nach Lentz eine Umkehrung von Figur und Grund an. Die materielle Seite der gesprochenen Äußerung wird zum eigentlichen Äußerungsgegenstand und besetzt die Stelle der Bedeutung des poetischen Textes. Im lettristischen Film kann dieses Modell sowohl auf die Umkehrung von Filmstreifen und Bild sowie auf die Umkehrung von Ton und Bild bezogen werden. Das lettristische Prinzip der Zerlegung und Rekombination betrifft neben der Sprache auch das filmische Material, das sich aus auf 16 mm gedrehten Filmsequenzen und vorgefundenem Filmmaterial (found footage) unterschiedlichen Ursprungs zusammensetzt. Isou hat Letzteres durch Zerkratzen des Filmstreifens so manipuliert, dass helle Streifen das Bild durchkreuzen oder weiße Flecken es fast ganz verdecken.2 Insgesamt wird im Film jedoch eine gewisse Kohärenz beibehalten. Die Filmaufnahmen bilden thematische Komplexe und bleiben in der Mehrzahl gegenständlich. Neben den im ersten Teil bestimmenden Stadtaufnahmen werden immer wieder Aufnahmen von Dichtern eingefügt, die wie Jean Cocteau als Referenzkünstler für den Lettrismus präsentiert werden. Als eine Fortführung und Vervollkommnung des lettristischen Kinos versteht sich die Arbeit Maurice Lemaîtres, der im selben Jahr in Paris seinen Film LE FILM EST DÉJÀ COMMENCÉ? vorstellte. Anders als bei Isou war hier das Kinematographische in ein ganzes Ensemble von Performances eingebettet, die die Grenzen des Kunstwerks bewusst uneindeutig werden ließen. Lemaître erweiterte seinen ‚Film‘ durch Aktionen von Statisten auf das Publikum, den Vorführsaal, die Leinwand, den Vorhang und sogar auf den öffentlichen Raum vor dem Kino.3 Im Film wechseln Montagen von Filmresten, die abstrakte bewegliche Muster zeigen mit Negativbildern, kolorierten Flächen und Schrifttafeln. Wie bei Isou finden sich Manipulationen des Filmstreifens, der eingefärbt oder bemalt wurde. Auch in LE FILM EST DÉJÀ COMMENCÉ? finden an mehreren Stellen Rezitationen lettristischer Gedichte statt. Gabriele Jutz hat diesbezüglich angemerkt, dass anders als noch bei Isou bei Lemaître eine „fortschreitende Disartikulation des sprachlichen Teils der Tonspur [stattfindet] […], so dass letztendlich die kommunikative Funktion hinter dem Klanglich-Lautlichen verblasst.“4 Tatsächlich sind die lettristischen Rezitationen häufig im Hintergrund zu hören, so dass sie die übrigen Texte wie eine Filmmusik grundieren. Die Lautgedichte werden von einer Vielzahl von Stimmen sehr rhythmisch und zum Teil chorisch gesprochen, während im Vordergrund programmatische Bekundungen über Film, Ästhetik und Ökonomie vorgetragen werden und der Verlauf der Vorführung kommentiert wird.
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Ebd., 295. Siehe Gabriele Jutz: Cinéma brut, 207f. Siehe ebd., 215f. Ebd., 214.
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2.2.3 Wiener Gruppe Abgesehen von den Experimenten des Lettrismus und des Situationismus stagniert das experimentelle Filmschaffen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und dies zu einem Grad, dass es, wie in der Forschung geäußert wird, scheint, als sei auch der Geist der Avantgarde aus Frankreich in die USA emigriert. Dort erlebt das experimentelle Kino bis zum Ende der sechziger Jahre im New American Cinema eine neue Blüte. In Frankreich verlagert sich das Filmschaffen in der Nachkriegszeit mit wenigen Ausnahmen auf den Bereich des etablierten Kinofilmes. Dies hat einerseits zur Folge, dass sich experimentelle Tendenzen in abgemilderter Form auch im Spielfilm wiederfinden, bringt aber andererseits auch eine Schwächung des experimentellen Filmes, der sich anders als in den USA in dieser Epoche dort kaum entwickeln kann.1 Mit dem Erfolg der Nouvelle Vague verbindet sich ein Aufstieg vieler junger Regisseurinnen und Regisseure, denen nun auch von offizieller Seite der Eintritt in das kommerzielle Filmschaffen erleichtert wird.2 Die Intellektualisierung des europäischen Kinos mag gleichzeitig den Experimentalfilm von seinem Innovationsmonopol entlastet haben – nicht zuletzt durch die französische Filmkritik und Filmproduktion der Nouvelle Vague, die poetische Verfahren und andere experimentelle Ansätze in ein künstlerisch anspruchsvolles und politisch engagiertes Kino integriert. Das Filmschaffen der Nouvelle Vague zeichnet sich durch starke literarische Bezüge aus, insbesondere in Gestalt des Nouveau Roman, so dass auch hier eine Abkehr von kontinuierlichen Handlungsfolgen zu beobachten ist.3 Alain Resnais’ L’ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD (1961) nach dem Drehbuch von Alain Robbe-Grillet zeigt viele Elemente, die der Tradition des poetischen Filmes nahekommen. Sprachlich verfasste Lyrik, womit im Sinne Rüdiger Zymners auch akustische Realisationen und sprachliche Experimentalformen wie die der Lettristen oder der konkreten Poesie gemeint sind, wird in den sechziger und siebziger Jahren nun noch seltener zum Gegenstand filmischer Bearbeitung. Hat die französische Nouvelle Vague vermehrt poetische Elemente aufgegriffen und in Filmen wie L’ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD sogar zum tragenden Kompositionsprinzip erhoben, finden sich andererseits in diesem Zeitraum nur wenige konkrete Gedichtverfilmungen im engeren Sinne. Eine Ausnahme bildet die österreichische Experimentalfilmszene. Bereits in den ab 1957 entstehenden Filmen von Künstlern wie Peter Kubelka und Kurt Kren, lassen sich deutliche Verbindungen zur experimentellen Poesie feststellen, etwa in den „Reihentechniken, die in der konkreten Kunst und in gewissen Techniken der Wiener Dichter-
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Siehe Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 307. Siehe Andrew Dudley: „France“, in: William Luhr (Hg.): World Cinema since 1945, New York 1987, 170–207. Hier: 194. Siehe Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 309.
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gruppe (z. B. von Gerhard Rühm) Parallelen hatten.“1 Peter Kubelka, der als Advokat des metrischen Filmes gilt, drehte mit ADEBAR (1957) und ARNULF RAINER (1960) international einflussreiche Pionierarbeiten des Avantgardefilmes. Der österreichische metrische Film hielt emotive Inhalte durch den Gebrauch eines strengen formalen Systems in Zaum2 und distanzierte sich grundsätzlich vom Irrationalismus des New American Cinema.3 Einmal mehr zeigt sich, wie stark Konzeptionen des poetischen oder lyrischen Filmes auseinanderfallen können. Während die US-amerikanische Szene, trotz formalistischer Ansätze etwa bei Maya Deren4, an einem Lyrismus im Sinne einer Subjektivitätstheorie der Lyrik festhält, die vor allem durch den sehr einflussreichen Kritiker P. Adams Sitney5 und in der Zeitschrift Film Art vorgetragen wurde, orientieren sich die Österreicher an den radikalen Programmen der Konkreten Poesie.6 Ihr dient „das Material der Sprache (Zahlen, Buchstaben, Silben, Wörter) oftmals losgelöst von Semantik und Syntax als Ausgangspunkt künstlerischer Gestaltung“7. Zunächst nur lose verbunden, erhielt die österreichische Avantgardefilmszene in den sechziger Jahren nach dem organisatorischen Vorbild der englischen und USamerikanischen Film-Coops ein Zentrum. Ernst Schmidt jr. und Hans Scheugl gründeten 1968 die „Austria Filmmakers Cooperative“ und schufen so eine Künstlergruppe zu der unter anderen VALIE EXPORT, Peter Weibel und Gottfried Schlemmer gehörten. Sie wurde schnell durch aufsehenerregende und provokative Kunstaktionen bekannt. Im Bereich des Experimentalfilmes waren in diesem Zusammenhang die von VALIE EXPORT und Peter Weibel durchgeführten Aktionen des EXPANDED CINEMA wegweisend, die nicht nur die technische Materialität, sondern jegliche dispositive Formierung des Kinos dekonstruierten und einer Kritik unterzogen. Besonders bekannt gewordenen ist dabei das TAPP- UND TASTKINO (1968), eine Aktion, die das ‚Publikum‘ mit dem in das Kinodispositiv eingelassenen Voyeurismus und Ganzheitsbegehren konfrontiert,
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Ebd., 670. Alan L. Rees: „Movements in Film“, 52f. Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 671. Siehe Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“, 173. „The lyrical film postulates the film-maker behind the camera as the first-person protagonist of the film. The images of the film are what he sees, filmed in such a way that we never forget his presence and we know how he is reacting to his vision. In the lyrical form there is no longer a hero, instead, the screen is filled with movement, and that movement both of the camera and the screen reverberates with the idea of a man looking. As viewers we see this man’s intense experience of seeing.“ (P. Adams Sitney: Visionary Film, 142). „durch permutative ordnung möglichst dissoziierter begriffe zu internen strukturen sollte absolute künstlichkeit erreicht werden, dichtung als gebrauchsanweisung. das sprachliche material sollte, aus einem kausalen begriffszusammenhang gelöst, in einen semantischen schwebezustand geraten, auf ‚mechanischem‘ wege überraschende wortfolgen und bilder erzeugen.“ (Gerhard Rühm: „vorwort“, in: Gerhard Rühm (Hg.): Die Wiener Gruppe. Texte, Gemeinschaftsarbeiten, Aktionen, Reinbek bei Hamburg 1985, 7–36. Hier: 14). Michael Fisch: Ich und Jetzt. Theoretische Grundlagen zum Verständnis des Werkes von Gerhard Rühm und praktische Bedingungen zur Ausgabe seiner Gesammelten Werke, Bielefeld 2010, 257.
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indem es einen ertastenden Zugriff auf die Brust der Künstlerin VALIE EXPORT anbietet. Neben solchen theoretisch veranlassten Ansätzen, ein Display sprachlicher und audiovisueller Medialität zu schaffen, gibt es auch hier Versuche, Lyrik direkt in den filmischen Kontext einzubinden. Ernst Schmidt jr. drehte zwischen 1963 und 1966 den Film P.R.A.T.E.R., der dokumentarische Filmaufnahmen aus dem Wiener Vergnügungspark mit Texten und Lautgedichten von Ernst Jandl kombiniert. Der Film basiert nach Schmidts eigener Aussage hauptsächlich auf „verschiedenen Techniken der Montage und der 16-mm-Kameraführung. Der Ton kontrastiert hierzu kontrapunktisch und besteht aus Geräuschen, Musik und konkreten Texten“.1 Der Film ist später zum Teil in das Dokumentarprojekt WIENFILM (1977) eingearbeitet worden, das heute auch auf DVD erhältlich ist. Dort ist unter anderem das von Ernst Jandl eingesprochene Gedicht wien: heldenplatz zu hören, das auf historische Filmaufnahmen aus der Zeit des sogenannten Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland montiert ist.
2.2.4 Video Wie viele andere Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Experimentalfilmbewegung wandten sich auch die Wiener seit den sechziger Jahren vereinzelt dem Medium Video zu. So hat VALIE EXPORT die seit dieser Zeit auch außerhalb des professionellen Film- und Fernsehbereiches verfügbare Technik intensiv eingesetzt. Mit den Paradoxien von Sagen und Zeigen beschäftigt sich beispielsweise ihre kurze Videoarbeit SEHTEXT: FINGERGEDICHT, die zwischen 1968 und 1973 entstanden ist und die im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe zu sehen ist. Auf dem Band ist EXPORT in halbnaher Einstellung zu sehen. In einer Zeichensprache formt sie mit den Fingern einen Satz, der die Paradoxien von Sagen und Zeigen vorführt und auf die Schriften Martin Heideggers Bezug zu nehmen scheint: „Ich sage die Zeige mit den Zeichen der Sage.“2 Die Entstehung der Videokunst folgt der Einführung erschwinglicher Videotechnik für den außerprofessionellen Bereich ohne große Verzögerung nach. 1965 führt Sony die erste noch recht rudimentäre Portapack-Kamera ein. Magnetband und Videorecorder vervollständigen das Equipement, so dass sich etwa ab 1969 die Arbeit mit Videobändern zunehmend verbreiten kann.3 Die Medienwissenschaftlerin Yvonne Spielmann mann macht in der Videopraxis seit Ende der sechziger Jahre drei Hauptlinien in der ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Medium aus. Zum einen gibt es eine Richtung, die sich in ihren Arbeiten die künstlerische „Bildkritik der Medien und ihrer Insti-
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Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 814. Medien Kunst Netz, „EXPORT, VALIE: Sehtext: Fingergedicht“, online unter: http://www.medienkunstnetz.de/werke/sehtext/bilder/8. Siehe Yvonne Spielmann: Video. Das reflexive Medium, Frankfurt am Main 2005, 125.
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tutionen“1 zum Ziel gesetzt hat. Zum anderen lässt sich eine Strömung zusammenfassen, die „ sich vorrangig mit der sequentiellen Anordnung von Bild, Text, Ton, Musik usw.“2 befasst. Eine dritte Richtung bildet die „Arbeit an der Differenz zwischen analogen Kamerabildern und digitalen Computerbildern“3, die sich mit der Formbarkeit der elektronischen Bildlichkeit beschäftigen. Wie die drei Hauptströmungen zeigen, ist die ästhetische Videopraxis in besonderem Maß dadurch bestimmt, wie sie sich zu anderen Medien des Audiovisuellen ins Verhältnis setzt. Dabei spielen besonders die beiden zentralen Referenzmedien Film und Fernsehen, aber auch künstlerische Praktiken wie Performance und Happening eine herausgehobene Rolle. In videographischen Experimenten werden sie immer wieder zusammengerückt, um die Möglichkeiten von Video zu erforschen.4 Diese forcierte Bezugnahme auf andere Künste und Medien sowie eine damit verbundene Reflexion der eigenen technischen Medialität bildet eine wichtige Eigenschaft der Videokunst, die sie als Medienkunst ausweist und sie von vornherein mit einer grundlegenden Poetizität versieht. Dabei führen „unterschiedliche apparative, ästhetische und ökonomische Interessen“5 zu einer pluralen Nutzung des Mediums, das hinsichtlich Präsentation, Distribution und Rezeption keine verbindliche Institutionalisierung erfährt und daher mit einer „offenen dispositiven Struktur“6 ausgestattet ist, was verschiedene Gebrauchsweisen im Kunstbereich ermöglicht: Videoband, Installation und Skulptur. Zunächst ist festzuhalten, dass sich Video als elektronisches Medium von der kinematographischen Technik grundlegend unterscheidet. Dies betrifft nicht nur das Speichermedium, sondern die Technik der Bild- und Tonerzeugung in ihrer Gesamtheit. Während im Film Einzelbilder auf einen Filmstreifen belichtet werden, nimmt die Videokamera Lichtstrahlen auf und wandelt sie in ein elektronisches Signal um, das übertragen und als Bildpunkt in Zeilen auf einen Bildschirm „geschrieben“ werden kann. Aufnahme und Ausgabe des Signals verlaufen potentiell simultan, weshalb Medienwissenschaftler das Verfahren als Präsentationstechnik bezeichnen, um den Unterschied zur filmischen Repräsentationstechnik herauszustellen. Diese „Simultaneität von Herstellung (Konstruktion) und Wiedergabe (Reproduktion) elektronischer Bildlichkeit“7 ist eine mediengeschichtliche Neuerung, die höchst verschiedenartige Konsequenzen hat, etwa die Fernsehliveübertragung, die Verwendung als Überwachungstechnik und den Einsatz in künstlerischen Performances und Installationen. Bei der elektronischen Übertragung von Video wird das Bild auf eine Bildwandlerfläche abgebildet und in Signale umgesetzt. Die durch die optische Abbildung erzeugten Helligkeitswerte werden räumlich und zeitlich diskretisiert und stehen dann nach der Umsetzung als Informationen über die einzelnen Bildpunkte in reduzierter, jedoch
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Ebd., 14. Ebd. Ebd., 15. Ebd., 14f. Ebd., 36f. Ebd., 36. Ebd., 10.
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immer noch sehr großer Zahl gleichzeitig bereit. Die parallele Übertragung aller Informationen wäre sehr unwirtschaftlich. Ein wesentlicher Gedanke ist daher, die Bildpunktinformationen seriell statt parallel zu übertragen. Wenn die Abtastung des Bildes, die Umsetzung und der Bildaufbau bei der Wiedergabe schnell genug vor sich gehen, erscheint dem menschlichen Auge ein ganzes Bild, obwohl zu jedem Zeitpunkt nur ein Bildpunkt übertragen wird.1
Spielmann bezeichnet das Videobild deshalb als „Transformationsbild“2. Es besteht nicht in einer Reihe von Einzelbildern, sondern findet prinzipiell als Prozess statt: Das Videobild ist ein sich ständig umwandelndes Bild, ein Bild das fortwährend geschrieben wird: „Mit Transformation sind somit flexible, instabile, nicht-fixierte Formen des Bildes gemeint.“3 Ein weiterer wichtiger Unterschied zum Film besteht in der genuinen nen Audiovisualität von Video. Anders als im Film wird der Ton nicht über eine getrennte Apparatur aufgezeichnet und dann später als Lichtton auf den Filmstreifen kopiert, sondern liegt wie auch das Bild selbst lediglich als elektronisches Signal vor, was dazu führt, dass Ton und Bild potentiell ineinander umwandelbar sind.4 Die Simultaneität von Aufnahme und Ausgabe ist die Voraussetzung für das in der Videokunst weitverbreitete Feedback-Verfahren, bei dem Ausgabe und Aufnahme zusammengeschaltet werden, entweder, indem die Kamera den eigenen Ausgabebildschirm aufnimmt oder indem ein synthetisch erzeugtes Signal im closed circuit kreist. Anders als beim Film ermöglicht das Speichermedium Magnetband beim Video ein Layering ähnlich dem Multitrackverfahren bei der Studioaufnahme von Musik. Da das Signal instantan nach der Aufnahme zur Wiedergabe bereitsteht, kann das Videoband augenblicklich zurückgespult werden und mit einer weiteren Spur (ob Ton oder Bild) versehen werden.5 Das Verfahren ist so eng mit der Videotechnik verbunden, dass es von Videokünstlern wie Peter Weibel als ästhetisches Gegenkonzept zur kinematographischen Montage bezeichnet wurde: „Due to its technology layering is the basic procedure of the tape image, which is basically a different procedure than the cut of the cinematic image.“6 Dies hat Konsequenzen für die mediale Präsentation von Zeit und Raum und die Übergänge zwischen Bildern, ermöglicht aber vor allem die Kombination von Einzelelementen innerhalb eines Bildes. Manipulationen werden außerdem durch verschiedene Bildmischtechniken ermöglicht, bei denen zwei oder mehrere Videosignale kombiniert werden. Man unterscheidet zwischen den Schaltverfahren wie
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Ulrich Schmidt: Professionelle Videotechnik. Grundlagen, Filmtechnik, Fernsehtechnik, Geräteund Studiotechnik in SD, HD, DI, 3D, Berlin, Heidelberg 2009, 30. Yvonne Spielmann: Video, 12. Ebd. Siehe Woody Vasulka: „A Lecture Delivered at NNT InterCommunication Center, Tokyo, September 13, 1998“, in: Woody Vasulka (Hg.): Buffalo Heads. Media Study, Media Practice, Media Pioneers, 1973–1990, Cambridge/Mass. 2008, 392–399. Hier: 393. Siehe Peter Weibel: „Beyond the Cut: Video. Toward a Grammar of Special Effects“, in: Woody Vasulka (Hg.): Buffalo Heads. Media Study, Media Practice, Media Pioneers, 1973–1990, Cambridge/Mass. 2008. Hier: 818. Siehe ebd., 819.
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Wipe und Key und dem Mix, bei dem „beide Bilder ganzflächig mit einer bestimmten Intensität sichtbar“ sind.1 Wipes (Videotrickblenden) können unter anderem Bildübergänge gestalten. Sie reichen von einer einfachen Waagerechten, die sich durch das Bild schiebt, bis zu kurvigen Linien und sich verändernden Formen und Mustern.2 Die wichtigste Bildmanipulation im Bereich des analogen Videos stellt das Keying dar. Hier wird „das Schaltsignal […] aus dem Bildsignal abgeleitet“3, so dass ein wie ausgestanzt wirkendes Bildelement den Durchblick auf ein zweites Bild freigibt. Auch das bekannte Bluescreen-Verfahren zählt zu diesen auch als „Stanzverfahren“ bezeichneten Techniken. Dieser im Video möglichen Manipulierbarkeit des Bildes, die mit der digitalen Technologie seit den späten siebziger Jahren noch erweitert wurde, kommt ein besonderer Status zu: „The grammar of special effects can be compared to poetry, to experimental poetry, where, here too, it is not the content that tells the story but the form, where the ways of representation, the means of language themselves constitute the meaning.“4 Dies ist in Spielmanns weiterführender Argumentation in zweifacher Hinsicht richtig, insofern nicht nur wie in den historischen Avantgarden eine Thematisierung der eigenen Medialität oder Zeichenhaftigkeit erfolgt, sondern sich die Selbstreflexion auch auf der technisch-apparativen Ebene des Videos wiederholt.5 Die Bildlichkeit von Video und Fernsehen wird in gänzlich anderer Weise erzeugt als dies bei der Lichtaufzeichnung im optischen Medium Film der Fall ist: „Die elektronischen Medien sind insofern reflexiv und nicht-repräsentativ zu nennen, als das Video- und Audiosignal aus der Zirkulation elektrischer Impulse in den Geräten hervorgehen kann und keinen externen Input erfordert.“6 „[S]ynthetik, transformation, selbstreferenz, instantzeit, box“7 benennt Peter Weibel bereits 1973 fünf zentrale Eigenschaften von VT (Videotape) und VTR (Videotaperecording). Der österreichische Künstler nimmt eine zentrale Position im Bereich der Video- und Medienkunst ein.8 Er hatte in den frühen sechziger Jahren zunächst experimentelle Literatur geschrieben, bevor er sich im Umfeld der Wiener Gruppe dem Film und der Performance zuwandte. Sein Interesse an sprachlichen Strukturen und poetischen Prozessen führt auch in seinen Video- und Fernseharbeiten zu einem dichterischen Ansatz, der Video- und Medienkunst in der Tradition experimenteller Poesie verfolgt. In einer 1975 entstandenen Videoarbeit verkoppelt er die Medien Schrift, Buch und Video zu einem Video-Text: „Eine Reihe rein linguistischer Gedichte, die auf den zeitlichen, plastischen und technischen Möglichkeiten des Mediums Video auf-
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Ulrich Schmidt: Professionelle Videotechnik, 623. Ebd., 627. Ebd., 628. Peter Weibel: „Beyond the Cut: Video“, 819. Siehe Yvonne Spielmann: Video, 41. Ebd., 56. Peter Weibel: „Zur Philosophie von VT & VTR“, in: Heute Kunst, 4/5, 1974, 13–14. Hier: 14. Siehe Woody Vasulka (Hg.): Buffalo Heads. Media Study, Media Practice, Media Pioneers, 1973– 1990, Cambridge/Mass. 2008, 709.
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bauen. Methoden der konkreten Poesie werden so angewendet, daß das Fernsehgerät zu einem Textprozessor wird.“1 Weibels medienkünstlerisches Interesse speist sich zum Teil aus einer scharfen Auseinandersetzung mit einer staatlich kontrollierten und in ihrer gesellschaftlichen Funktionalisierung erstarrten Literatur. Dagegen setzt Weibel die Dichtung, die sich als experimenteller Umgang mit Zeichensystemen von der institutionalisierten Literatur abgrenzt. Aus einem auf den Bereich aller Materialien und technischen Medien erweiterten Sprachverständnis ergibt sich die Forderung einer künstlerischen Praxis, die Weibel unter dem Begriff der „Mediendichtung“ zusammenfasst: „dichtung kann heute in der tat dichtung ohne (verbale) sprache sein.“2 Dichtung soll sich als mediale Praxis auch elektronischer Medien bedienen, die Wahrnehmung und Empfindung, Konzeptionen von Wirklichkeit und Bewusstsein sowie das Verständnis von Raum und Zeit grundlegend zu verändern begonnen haben. Sie soll dabei nicht nur mit neuen Materialien experimentieren, sondern aus der medialen Herausforderung neue Methoden hervortreiben. Dabei ist der gesellschaftlich-politische Anspruch, der mit diesem Entwurf einer Mediendichtung verknüpft ist, deutlich formuliert: „literatur wird bleiben, was sie schon immer war: staatsdienst, verklärung eines gefängnisses zur besten aller welten, verstärkung des status quo. dichtung wird sein, was gute dichtung schon immer war. transport neuer erkenntnisse und empfindungen, exploration der wirklichkeit jenseits der staatlichen normen, verstärkung und erhebung des individuums.“3
Die manifestartigen Deklarationen äußern eine zeittypische Kritik an Staatsgewalt und staatlicher Normierung, der mit den Mitteln der Dichtung entgegengewirkt werden soll. In der Bestimmung der Funktion von Dichtung, die nicht im Sinne einer litérature engagée als Vehikel inhaltlicher Kritik fungiert, sondern mediale Formierungen von Wirklichkeit und Bewusstsein experimentell durchbrechen soll, stellt sich Weibel ganz in die Tradition der literarischen Avantgarden. Die dort für den Bereich der Sprache bereits weitgehend etablierte Devianz poetischer Rede wird hier auf das Feld der sozialen Interaktionen (Performance) und der neuen elektronischen Medien (Video) ausgeweitet. Zwischen 1969 und 1972 arbeitete Weibel an sogenannten tele-poems oder teleactions, die teilweise im Österreichischen Fernsehen (ORF) ausgestrahlt wurden. Einige dieser tele-poems sind sogenannte Objektgedichte und Prozessgedichte, die sich als Verknüpfung von Sprache und Objektkunst bzw. als Performances in konkreter Poesie präsentieren. In SINN (1968) wird beispielsweise das Wort ‚Sinn‘ mit Tinte in Wasser geschrieben, so dass nur der Prozess der Auflösung des Schriftbildes von der Videoka1 2 3
Peter Weibel: „Weibel, Peter: Video Texte“, online unter: http://www.medienkunstnetz.de/werke/video-texte. Peter Weibel: „Vorsätze“, in: Peter Weibel (Hg.): Mediendichtung. Arbeiten in den Medien Sprache, Schrift, Papier, Stein, Foto, Ton, Film und Video aus 20 Jahren, München 1982, 5–6. Hier: 5. Ebd., 6.
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mera festgehalten wird. Andere Arbeiten verzichten ganz auf das Element der Sprache und zeigen wie das Videopoem REKONSTRUKTION DER STOPPAGES-ETALON (1913/1914) VON MARCEL DUCHAMP eine experimentelle Performance, die aus der Interaktion einer Person (meistens Weibel) mit einem Objekt besteht. Weibel gehört nicht zu den „Bildtechnikern, die ihr „Interesse am nicht-repräsentativen, synthetischen ‚Bild‘ in der Realisation des ‚reinen‘, ‚abstrakten‘ Video[s]“1 verfolgen. Seine Arbeiten reflektieren die medialen Gegebenheiten auf einer konzeptionellen Ebene. Wie sehr Weibel dabei Videokunst im Zeichen einer Sprach- und Medienkunst betreibt, zeigt seine Arbeit TRITITÄT von 1975. Das Videopoem besteht aus Porträts von Jesus Christus gemalt von Piero della Francesca, vom Dichter Nikolaus Lenau und schließlich von Peter Weibel selbst, die nacheinander eingeblendet werden: […] dann hört man zum portrait von Jesus Christus einen satz von Francesca ‚form und inhalt sind wie bruder und schwester in der ehrwürdigen halle des raumes’, zum portrait lenaus seinen satz ‚die poesie bin ich selber. mein selbstest selbst ist die poesie‘ und ich selbst [Peter Weibel, S.O.] sage ‚meine botschaft wirft jeden auf sich selbst zurück‘.2
Indem er den Porträts videotechnisch sein eigenes Bild unterlegt (layering), bringt er die Gesichter durch seine eigene Mimik zum Sprechen und reanimiert sie. Auch auf der Ebene des Textes erfolgt eine Durchmischung der Aussagen, die nach und nach um den Satz „liebe deinen nächsten wie dich selbst“ erweitert und untereinander rekombiniert werden.3 In diesem Prozess entstehen zahlreiche abgestufte Aussagen deren Subjekte, Objekte und Prädikate untereinander ausgetauscht werden, was einerseits auf die grammatische Verfasstheit der Sätze verweist und andererseits, durch ein kluges Spiel mit Begriffspaaren (Form/Inhalt; Bruder/Schwester; nächsten/selbst) und Wendungen der Selbstbezüglichkeit, eine Reflexion von Medialität und Zeichenhaftigkeit anstößt. Die von Weibel ins Spiel gebrachten Worte ergeben wohl nicht nur zufällig Sätze, die stark an Marshall McLuhans berühmte Formel „the medium is the message“ erinnern: „die form wirft jeden auf den inhalt zurück. der inhalt wirft jeden auf die form als die botschaft seiner selbst. [...] die poesie ist die botschaft ihrer selbst.“4 Außer einer Reflexion auf Identität, auf die Weibel mit seinem Kofferwort aus den Begriffen „Trinität“ und „Identität“ bereits mit dem Titel anspielt, betreibt das Videopoem gleichzeitig eine Selbstreflexion des Mediums Video, indem es seine transformatorischen Eigenschaften und manipulatorischen Möglichkeiten ausstellt. Der ungarische Künstler Gábor Bódy begann nach einer Promotion in Philosophie und Geschichte seine Karriere als Drehbuchautor und Mitarbeiter in verschiedenen Filmen. Er ist Mitglied des Béla Bálasz Studio, das sich seit den sechziger Jahren als
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Yvonne Spielmann: Video, 179f. Peter Weibel: „Tritität. video poem. Dokumentation“, in: Peter Weibel (Hg.): Mediendichtung. Arbeiten in den Medien Sprache, Schrift, Papier, Stein, Foto, Ton, Film und Video aus 20 Jahren, München 1982. Hier: 12. Ebd. Ebd.
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ein bedeutender Nischenraum für experimentelles Filmschaffen in Ungarn etabliert hat.1 Nach einem Studium zum Film- und Fernsehregisseur Anfang der siebziger Jahre beginnt Bódy seine eigenen Filme zu produzieren. Neben seiner Lehrtätigkeit im Bereich Philosophie und Film engagiert er sich besonders im Feld des Experimentalfilmes. Bereits 1976 produziert er mit PSYCHOKOSMOS einen der frühen Computerfilme und wird seitdem verstärkt im Bereich Video aktiv. So bringt er in Zusammenarbeit mit Astrid Heibach ab 1982 unter dem Titel INFERMENTAL das erste internationale Magazin für Videoarbeiten heraus.2 Nachdem er mit dem Video/Film-Projekt DER DÄMON IN BERLIN (1982) bereits einen poetischen Text des russischen Dichters Lermontov bearbeitet hat, widmet sich Bódy 1985 der Produktion des Videos WALZER nach dem gleichnamigen Gedicht von Novalis. Die Produktion wird dezidiert als „Lyrikclip“ ausgewiesen und integriert das gesprochene Gedicht auf der Tonspur. Gábor Bódy greift metrisch-rhythmische, symbolisch-metaphorische und thematische Motive des Gedichtes auf und verflicht alle Elemente zu einer hochgradig überstrukturierten audiovisuellen Kurzform.3 Abgesehen von Montage und Bewegung und Ton-BildVerknüpfung, besteht vor allem in der Schichtung der Bildlichkeiten und den synthetisch erzeugten Bildelementen eine videospezifische Poetik. In den mehrfach auf der Objektebene des Videos abgebildeten Fließbewegungen – etwa von Fluss und Nebelwand – ist eine Reflexion auf die medienspezifischen Eigenschaften von Video festzustellen, indem auf dessen „videographische[…] Fließbewegung“4 verwiesen wird. Zwischen Experimentalfilm und Video gibt es in der Frühphase des elektronischen Mediums nur wenige Berührungspunkte. Spielmann konstatiert ein Nebeneinander der beiden künstlerischen Arbeitsgebiete, die von einem stärkeren Desinteresse des bereits medienspezifisch hochausdifferenzierten Experimentalfilmes gegenüber dem Video gekennzeichnet ist.5 Erst später kündigen sich in Institutionen wie der State University of New York (SUNY) mit ihrem neugegründeten Department of Media Studies Kooperationen von Film und Medienkunst an. Hier arbeiten seit 1973 Filmemacher wie Paul Sharits und Hollis Frampton neben Videopionieren wie den Vasulkas und später Peter Weibel. Im Grunde zeigt gerade die in Buffalo geleistete Etablierung eines Verständnisses von Film und Video als Medienkunst, dass es immer wieder Anknüpfungspunkte zwischen den medienästhetischen Programmen von Film- und Videokunstschaffenden gegeben hat:
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Terézia Kriedemann: „Das Béla Balázs Studio und die ungarische neue Welle in den 60er Jahren“, in: Kulturation, H. 1, 2003, online unter http://www.kulturation.de/ki_1_report.php?id=42. Siehe Éva Koma/Miklós Peternák: Gábor Bódy: Video Works. Booklet zur DVD, hg. zur Ausstellung „Der Stand der Bilder“, Budapest 2011, 8. Für eine ausführlichere Analyse des Videos unter dem Gesichtspunkt der rhythmischen Gestaltung siehe Kapitel 3.3. Yvonne Spielmann: Video, 206. Siehe auch Steina Vasulka/Chris Hill: „Interview with Steina“, in: Woody Vasulka (Hg.): Buffalo Heads. Media Study, Media Practice, Media Pioneers, 1973–1990, Cambridge/Mass. 2008, 482– 491. Hier: 485.
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Der konzeptuelle Ansatz ist der strukturellen Richtung im Experimentalfilm (beispielsweise Sharits) vergleichbar, denn in beiden Medien geht es um die Visualisierung eines ästhetischanalytischen Diskurses über das Bildliche, der Strukturphänomene des jeweiligen Mediums zur Anschauung bringt.1
Ein Bestreben, einen Dialog zwischen Film und Videokunst herzustellen, äußert sich in den vom Center of Media Studies organisierten Veranstaltungen, wie beispielsweise dem Programm „Women in Film and Video“2 von 1974 oder der Reihe „The Frontier“3 aus dem Jahr 1979.
2.2.5 Heinz Emigholz Zu den Künstlern, die auch in den siebziger Jahren weiter im Medium Film arbeiteten, gehört der Filmemacher Heinz Emigholz, der sich bis heute mit nicht-narrativen, poetischen Aspekten des Mediums beschäftigt.4 Emigholz benennt den strukturalistischen Film als einen der Einflüsse auf seine Arbeit. Der Begriff „structural film“ war 1969 von P. Adams Sitney geprägt worden und umfasste unter anderem die Arbeiten von Michael Snow, Hollis Frampton und Paul Sharits. Sitney bezeichnet mit dem Ausdruck eine neue Strömung im Experimentalfilmbereich, die sich durch ihre Form definiert und Elemente wie loop print, flicker oder Manipulationen am Filmstreifen aufweist5: „Theirs is a cinema of structure wherein the shape of the whole film is predetermined and simplified, and it is that shape which is the primal impression of the film.“6 Obwohl wohl die meisten der genannten Künstler die Bezeichnung ablehnten, blieb der Name haften. Emigholz sieht rückblickend vor allem in den Filmen Michael Snows einen nennenswerten Einfluss auf seine Arbeit: Die Coop-Bewegung, auch die Londoner Film Coop, waren präsent. Wer mir großen Eindruck gemacht hat Anfang der 70er, war Michael Snow. […] Seine Filme waren absoluter Bestandteil des New American Cinemas und der New Yorker Film Coop. Im gewissen Sinne waren die Filme von Michael Snow aber sogar das Motiv, etwas Anderes zu machen. Michael Snow hat – jetzt denke ich an BACK AND FORTH oder an LA RÉGION CENTRALE – immer mit Live Action gearbeitet. Er hat immer mit einer Kamera gearbeitet, die realistisch 24 Bilder aufnimmt und wiedergibt. Und dann gibt es diese Verwischungen durch Geschwindigkeiten. Aber er ist
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Yvonne Spielmann: Video, 153. Woody Vasulka (Hg.): Buffalo Heads, 45. Ebd., 97. Siehe etwa die UdK-Filmreihe „Poetischer Film“ (2009/2010). Siehe Alan L. Rees: „Movements in Film“, 58. P. Adams Sitney: „Structural Film. Reprint eines 1969 in Film Culture erschienenen Textes“, in: Wheeler Winston Dixon (Hg.): Experimental Cinema, the Film Reader, London 2002, 227–237. Hier: 227.
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nie in die Pixilation reingegangen. Für mich war es, im Gegensatz dazu, wichtig zu sagen, ich will, dass diese Bewegungen sich in meinen Kompositionen selbst analysieren.1
Es ist weniger eine Beeinflussung durch das New American Cinema als vielmehr das Interesse für grammatische Strukturen im Film weswegen Emigholz häufig als Vertreter des strukturalistischen Filmes in Deutschland genannt wird. Nach einem Studium der Philosophie und Sprachwissenschaften arbeitet Emigholz zunächst an einer Reihe von Filmen, die die Konstruktion filmischer Bewegung aus dem Einzelbild heraus untersuchen und mit filmspezifischen Mitteln wie Brennweitenwechsel, Zoom und Schwenk experimentieren. In ihnen filmt Emigholz menschenleere Landschaften und fügt die Einzelbilder zu vorher festgelegten Kompositionen zusammen. Der 1976–1977 entstandene Film DEMON ist die Umsetzung eines Prosagedichtes von Stéphane Mallarmé: „Wie vorher in den Filmen die Landschaften nach den Partituren in Fixpunkte und deren Verbindungen zerlegt wurden, bekommt hier immer ein Wort eine Einstellung.“2 Mallarmés Gedicht schildert einen Gang durch die Stadt aus der Perspektive eines Ich-Erzählers. Dabei bleiben die äußeren Ereignisse von geringer Bedeutung, im Zentrum steht vielmehr ein rätselhafter Satz („La pénultième est morte.“, dt. „Penultima ist tot.“), der in den Gedanken des Erzählers erscheint und zunehmend beginnt, ein Eigenleben zu führen. Assoziationen und Spekulationen schließen sich an. Konfrontiert mit der quälenden Frage nach dem Sinn des Satzes findet sich der Erzähler schließlich vor einem Schaufenster wieder, in dem er eben jene Gegenstände entdeckt, die in seinen gedanklichen Assoziationen vorkamen. Vor dem Hintergrund dieser inneren Handlung überrascht es nicht, dass sich die Forschung bisher vor allem, mit dem Hinweis auf einen gleichlautenden Satz André Bretons, auf die aleatorischen Schreibweisen des Surrealismus oder auf psychoanalytische Lesarten konzentriert hat.3 Gegenüber solchen retrospektiv verfahrenden Interpretationen bietet es sich an, den Text zunächst von seinem Titel her zu lesen. Gilt das Dämonische in der christlichen Tradition als eine disjunktive Kraft, der vom Dämon Besessene als zerspalten und sich selbst entfremdet, erfährt das Dämonische bei Mallarmé die paradoxale Verknüpfung mit der Analogie.4 Folgt man den Analogien, die im Text am Werk sind, stößt man auf die ihm eigentümliche poetische Dimension.5 So besteht eine explizite Analogie zwischen der Bedeutung des Wortes Penultima, und der Silbe „nul“, also „Null“ oder „Nichts“, denn Penultima bezeichnet die vorletzte Silbe eines Wortes und
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Stefan Grissemann/Heinz Emigholz: „Interview mit Heinz Emigholz. Abschrift des auf der DVD „The Formative Years (I)“ veröffentlichten Video-Interviews“, online unter: http://www.pym.de/de/texte/interviews/727-gespraech-stefan-grissemann-mit-heinz-emigholz-am4-dezember-2009, 6. Frieda Grafe: „Geraffte Zeit, geballter Raum. Zu den Filmen von Heinz Emigholz“ (1980), in: Geraffte Zeit Filmartikel, Berlin 2005, 172–174. Hier: 174. Siehe Thierry Roger: „Mallarmé et la transcendance du langage: lecture du Démon de l’analogie“, in: Littérature, H. 3, 2006, 3–27. Hier: 4. Siehe ebd., 10. Siehe ebd., 14.
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würde auf sich selbst bezogen eben diese Silbe „nul“ ausdrücken: „Le Démon de l’analogie repose tout entier sur l’idée du ‚langage se réfléchissant‘. L’énoncé ‚la Pénultième est morte‘ surgit quand le mot ‚pénultième‘ se replie sur lui-même.“ 1 Eine weitere Analogie zwischen „nul“ und seiner metaphorischen Bedeutung der Abwesenheit oder des Todes besteht im Satz „Penultima ist tot.“2 Es wird also, so könnte man mit Roman Jakobson sagen, das „Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination“3 projiziert. Ein weiteres Leitmotiv des Textes besteht in der Passage zwischen Innen und Außen.4 Mit einem Heraustreten auf die Straße beginnt das Gedicht. Es handelt von einer inneren Stimme, die einen Satz ohne äußere Entsprechung sagt und endet mit dem Blick in das Innere eines Schaufensters, das die Requisiten der inneren Vorgänge des Protagonisten enthält. Interessanterweise ist es jene Thematik, die Emigholz neben der in Mallarmé angelegten Reflexion auf Sprachlichkeit und Bedeutung an Mallarmés Text zuallererst fasziniert hat: „Ein merkwürdiger Prozess, der innere gedankliche Prozesse mit der Außenwelt in Beziehung setzt. Das ist der Dämon der Analogie, dass im Kopf etwas passiert, und in der Realität passiert etwas Ähnliches, und plötzlich frage ich mich: In welchem System agiere ich eigentlich?“5 Die Wortwahl deutet an, dass Emigholz hier auch epistemologische Fragen im Sinn hat, die mit der Frage möglicher Kopplungen von Innen und Außen, von Bewusstsein und Realität zusammenhängen. Im Vordergrund des Filmbildes von DEMON sind drei Stühle zu sehen, auf denen drei Frauen sitzen, die das Gedicht in drei verschiedenen Sprachen sprechen; der französischen Originalversion sowie der deutschen und der englischen Übersetzung. Die jeweils Sprechende sitzt auf dem mittleren Stuhl. Im Hintergrund befindet sich eine Gruppe von Männern, die auf ein Signal im Text hin ihre Position im Raum verändern.6 dern.6 Es fällt nun in der Tat eine Einstellung auf ein gesprochenes Wort, wodurch die Position der Sprechenden auf den drei Stühlen jedes Mal sprunghaft wechselt. Auch für Satzzeichen und Pausen hat Emigholz eine bildliche Entsprechung vorgesehen. Indem er die Übersetzungen Wort für Wort ineinander montiert, markiert er die sprachlichen Differenzen, die ein Verstehen des Textes entlang von Entsprechungen fortwährend durchkreuzen. Nur an einigen wenigen Stellen scheinen sich die Texte parallel und doch gleichzeitig lesen zu lassen, auf Dauer erweist sich die Bemühung angesichts der unterschiedlichen syntaktischen Oberflächenstrukturen jedoch als undurchführbar. Emigholz’ Film lässt sich kaum als filmische Interpretation des Mallarmé-Gedichtes begreifen, da in keiner Weise das Verständnis erleichtert oder in irgendeine Richtung
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Ebd., 22. „Der Dämon der Analogie ruht vollkommen auf der Idee, der sich selbst reflektierenden Sprache. Die Äußerung ‚Penultima ist tot‘ wird plötzlich klar, wenn das Wort ‚Penultima‘ auf sich selbst zurückgefaltet wird.“ (Übers. S.O.). Ebd., 14. Roman Jakobson: „Linguistik und Poetik“ (1961), in: Poetik: ausgewählte Aufsätze 1921–1971, hg. von E. Holenstein/T. Schelbert, Frankfurt am Main 1979, 83–121. Hier: 94. Siehe Thierry Roger: „Mallarmé et la transcendance“, 11. Stefan Grissemann/Heinz Emigholz: „Interview mit Heinz Emigholz“, 11. Ebd., 12.
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gelenkt wird. Er ist vielmehr eine am Text vollzogene Analyse grammatischer Strukturen in Poesie und Film, die sich selbst explizit und radikal als Display sprachlicher und filmischer Medialität ausstellt. In diesem erweiterten Sinne ist auch DEMON als Medienkunst zu verstehen. Obwohl viele derjenigen, die aus dem Bereich des experimentellen Film kamen, sich in den siebziger oder achtziger Jahren letztendlich doch der Videotechnik oder den digitalen Medien zugewandt haben, blieb es bei einer Distanz zwischen ihnen und den seit den neunziger Jahren auftretenden Videokunst der Kunstszene („video gallerists“) – eine Distanz, die nicht so sehr auf unterschiedlichen Stilen oder Themen beruht, sondern, wie der Filmwissenschaftler A.L. Rees durchaus kritisch anmerkt, auch auf einer Verkennung der Traditionen und Leistungen des Experimentalfilmes seitens des Kunstbetriebes: „The rise of the current projection art in the gallery […] comes by and large from a very different direction that rarely acknowledges, and perhaps doesn’t even know about, the films groups and experiments outlined here.“1 Lydia Haustein spricht dagegen von einem starken Bewusstsein für die Traditionen des experimentellen Filmes in der Szene, das sich in ikonischen Anleihen in der Videokunst, insbesondere in derjenigen der jüngeren Generation, manifestiert.2 Für die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler, die sich im Genre des Poesiefilmes betätigen, sind die erwähnten Diskrepanzen wahrscheinlich kaum noch relevant. Brüche entstehen weniger zwischen den Systemen „Kunst“, „Film“ und „Video“ als zwischen den an Werbeästhetik und Spielfilm orientierten Regisseurinnen und Regisseuren und denen, die in experimenteller Weise mit Sprache, Medientechnik und bildlicher Repräsentation arbeiten. Doch auch hier ist die Trennlinie nicht immer mit dem Lineal zu ziehen. Ähnlich wie beim Musikvideo sind Übergänge zwischen experimentellen Formen, Pop und konventionellen Formaten oft fließend. Sowohl aus dem Kunstkontext (Bettina Kuntzsch, Andrea Wolfensberger) als auch aus dem Bereich der kommerziellen Filmund Fernsehproduktion (Ralf Schmerberg) sowie aus der Spoken-Word-Szene heraus wird Lyrik im audiovisuellen Medium inszeniert, indem Anleihen an Ausdrucksweisen des Experimentalfilmes, der Video- und der Medienkunst gemacht werden. Ähnlich wie das Musikvideo und der Werbeclip nimmt auch der Poesiefilm bildtechnische Gestaltungsmerkmale der Videokunst der siebziger und achtziger Jahre in ästhetisch geglätteter Form in sich auf.3
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Alan L. Rees: „Movements in Film“, 65. Ähnlich äußert sich Heinz Emigholz mit Bezug auf die dokumenta 6 im Jahr 1977, auf der erstmals Experimentalfilme präsentiert wurden, die jedoch kaum Beachtung fanden: „Aber die Kunstwelt konnte damals mit Filmen nichts anfangen.“ (Stefan Grissemann/Heinz Emigholz: „Interview mit Heinz Emigholz“, 11). Siehe Lydia Haustein: Videokunst, München 2003, 93. Siehe Yvonne Spielmann: Video, 121.
Spoken Word
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Spoken Word – Poetryslam und Poetryclip
2.3.1 Vom Beat zum Poetryslam Am 15. Oktober 1955 betritt ein junger Dichter die Bühne der Six Gallery in San Francisco. Er wird sein neuestes Gedicht vortragen, doch es wird keine Dichterlesung im traditionellen Sinne werden, schließlich handelt es sich um Allen Ginsberg, der zum ersten Mal seinen Text Howl performt. Die Lesung gilt als eine Wegmarke der BeatÄra, auch wenn das Ereignis nur einer Entwicklung und einer literarischen Szene zur plötzlichen Sichtbarkeit verhilft, die sich in verschiedenen Formen wohl schon lange anbahnt. Warum aber ist die Rede von einem „epochal poetry reading“? Starting out in a calm and earnest voice that grew in intensity as he fed off the audience’s enthusiasm, Ginsberg began to sway rhythmically, waving his arms, taking deep breaths to sustain him through each of the long verse lines. He sounded like a cantor like a troubador and the audience had never heard such rawly extravagant language in public.1
Der Bericht macht klar, dass es in dieser Lesung zuallererst um den Vortrag als Ereignis im Hier und Jetzt geht, der sich nicht darin erschöpft, die angemessene Reproduktion eines schriftlichen Textes zu sein. Im Gegenteil, der Text vollendet sich erst in seiner gestischen und stimmlichen Inszenierung. Ginsberg hatte die Performance gar zum Strukturprinzip seiner Verse gemacht, indem er erstmals das Format der „breath unit“ übernahm, bei dem die Zeilen genau so lang sind, wie der Atem des Vortragenden reicht.2 Da Ginsberg einen langen Atmen hat („as sustained as that of a Jewish cantor“3), erreichen auch seine Verse, die er in einem Kerouac’schen Schreibexzess in die Maschine gehämmert haben will, eine entsprechende Ausdehnung.4 Dabei sind die freie Verszeile und die Performanz des Gedichtes der Improvisation des Jazz vergleichbar, eine Nähe zur Musik, die allen Beat-Poeten eigen war. Später pflegt der Dichter Ginsberg den von den buddhistischen chants abgeleiteten Sprechgesang in seinem Vortrag.5 Und noch etwas fällt auf: Die enthusiastischen Schilderungen des Ereignisses enthalten Anklänge an Kulthandlung („cantor“) und mündlich-musikalische Dichtungstradition („troubador“). Offenbar wird die Lesung als kollektiv rezipiertes, sogar auratisches Kunst-
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Steven Watson: The birth of the beat generation. Visionaries, rebels, and hipsters, 1944–1960, New York, N.Y. 1998, 186. Ebd., 181. Ebd., 185. Eine ausführliche Untersuchung der Präsenz-Poetik der Beats und ihres besonderen Verhältnisses zum ephemeren Moment unternimmt Erik Mortenson: Capturing the Beat Moment. Cultural Politics and the Poetics of Presence, Carbondale 2011. Siehe Helmbrecht Breinig/Hubert Zapf u. a. (Hg.): Amerikanische Literaturgeschichte, Stuttgart 1997, 307.
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werk erlebt. Das Auratische wird hier durch die Verweise auf Kult und Ritual herangerückt. Eine andere Erklärung bietet David Sterrit in seiner hervorragenden Analyse der Beziehung von Beat-Literatur und Bebop an. Er sieht im Wiedererstarken der Improvisation im Bebop der vierziger Jahre eine Reaktion auf die Konsequenzen der technischen Reproduzierbarkeit, die mit den modernen Aufnahmetechniken auch in die Musik Einzug hält. Improvisation und Live-Performance können dann als Versuch verstanden werden, die verlorenen auratischen Qualitäten durch Unwiederholbarkeit, Singularität und Spontanität wieder einzuholen. Freilich werden die Authentizität und Originalität des Improvisierens dabei gegenüber den variierenden, zitathaften Aspekten idealisierend hervorgehoben.1 Die Protagonistinnen und Protagonisten der Beat-Generation betrieben eine Dichtung der offenen Form, die sich dezidiert in der Tradition literarischer Avantgarden und in Opposition zum etablierten Literaturbetrieb sah. In der Manier der Troubadoure strebten sie nach einer Wiederbelebung der gesprochenen Dichtung, der „spoken voice“2. Dies äußerte sich nicht nur in den Präsentationsformen, die sie dem geschriebenen Wort vorzogen – vornehmlich öffentlichen Lesungen, oft begleitet von Jazz oder Percussion –, sondern auch in dem neuen Sound ihrer Dichtung.3 Es ist also kaum verwunderlich, dass sich spätere Spoken-Word-Künstlerinnen und Poetryslammer bei aller Kritik4 explizit auch auf das Erbe der Beat-Generation berufen,5 zumal die Verbindung zwischen beiden Bewegungen ohnehin nie ganz abreißt.6 Als in New York das 1974 gegründete Nuyorican Poets Café zum multikulturellen Treffpunkt von US-Dichtern aus den verschiedensten mündlichen Traditionen wurde, zählten folglich auch die Beteiligten des St. Mark Poetry Projects, darunter Allen Ginsberg und William Borroughs, zu den aktiven Gästen. Übrigens bestanden auch in der Beat-Szene Verbindungen zu Filmschaffenden, die die Dichtung und die Arbeiten bestimmter Dichter als inspirierend empfanden, etwa die Experimental-Filmemacher Stan Brakhage oder Hollis Frampton, die sich von den Gedichten Ezra Pounds inspirieren ließen.7 Im Chicago der späten siebziger Jahre bildete sich parallel zu diesen Entwicklungen eine literarische Szene mit enger Anbindung an die auslaufende Punkbewegung heraus. Auch sie hatte mehr mit dem Nachtleben und der Clubszene als mit akademischen Krei-
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David Sterritt: Screening the Beats. Media Culture and the Beat Sensibility, Carbondale/Ill. 2004, 59. Steven Watson: Birth of the Beat Generation, 192. Siehe ebd. Siehe Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry, 60. Zur Kritik der Slammer an Beat siehe ebd., 61. Bob Holmann benennt die Einflüsse HipHop, Declamador, Performance-Kunst, Rock ’n’ Roll, Beat, Blues und Jazz. (Siehe Bob Holman: „Nuyorican Poets Café“, in: du, H. 4, 1994, 72–75. Hier: 73). Siehe ebd., 71. Ein wichtiges Bindeglied ist sicherlich das St. Marks Poetry Project in New York. Siehe Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 10f.
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sen zu tun.1 Dort fanden in den achtziger Jahren die ersten Poetryslams im eigentlichen Sinne statt. Als Begründer des Formats gilt Marc Smith, der mit dem Chicago Poetry Ensemble eine Bühne für Performances verschiedener Literaten der Off-Szene schuf. Aus dieser Plattform entwickelte sich 1986 ein wöchentlich stattfindender Poetryslam, der schließlich seine Heimat im legendären Jazzclub Green Mill finden sollte, wo er bis heute veranstaltet wird.2 Es war die Geburtsstunde einer neuen Erscheinung in der literarischen Welt, einem öffentlichen Lesewettstreit, bei dem das anwesende Publikum die literarischen Performances bewertet, kritisiert, bejubelt oder auspfeift und schließlich eine Siegerin oder einen Sieger kürt. Der Poet und Literaturaktivist Bob Holman wurde Zeuge dieses Spektakels, begeisterte sich dafür, verpflanzte die Idee bald nach New York und richtete Slams im Nuyorican Poets Café aus, die bald ebenso erfolgreich werden wie die Veranstaltungen der „Second City“.3 Auch wenn die Vielfalt dieser in den achtziger Jahren erblühenden Spoken-Word-Szene eine zusammenfassende Charakterisierung erschwert, so lassen sich doch Ansätze einer gemeinsamen Poetik formulieren, wie dies Holman versucht: […] wenn man diese Dichter lesen hört, wird man eine Furchtlosigkeit erkennen, eine süchtigmachende Aufrichtigkeit, eine Bereitschaft, Klang so weit zu dehnen, dass er zur Bedeutung wird – und umgekehrt –, eine gewagte Körperlichkeit, ein Einlassen auf Whitmans Muskularität, eine reine Liebe zur Sprache.4
Eine im Poetryslam überaus beliebte Form ist beispielsweise das Listengedicht (list poem), das eine Aufzählung einer Serie von Dingen oder einen Katalog darstellt, wie man sie auch in vielen von Walt Whitmans Gedichten antrifft.5 Zeitgenössische Listengedichte bestehen häufig aus „images and specific details.“6 Geschrieben von so verschiedenen Dichterinnen wie Sylvia Plath oder Bertolt Brecht, kommt es der Performance Poetry und dem basisdemokratischen, inkludierendem Ansatz von Spoken Word in besonderem Maße entgegen, denn im Listengedicht findet sich das Prinzip der parataktischen Aneinanderreihungen lyrischer Bilder in seiner einfachsten Form wieder. Es kann sowohl in Workshops als auch in Schulprojekten und vor allem im Rahmen der kollektiven Schreibpraxis angewandt werden. Anne Waldman, als bedeutende Vertreterin der sogenannten New York School of Poetry, hat sich in ihren berühmtesten Gedichten („Fast Speaking Woman“, „Bones“, „Lady Tactics“) dieser Technik bedient und tut dies bis zum heutigen Tag.
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Siehe dazu ausführlich Kurt Heintz: „An Incomplete History of Slam. Slam poetry in Chicago“, online unter: http://e-poets.net/library/slam/converge.html, zuletzt geprüft am 17.03.2014. Siehe Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry, 35. Bob Holman: „Nuyorican Poets Café“, 72. Ebd., 73. Zum Zusammenhang zwischen Whitmans Katalogtechnik in „Leaves of Grass“ und der Weltausstellung siehe Edward S. Cutler: Recovering the New, 149. John Drury: The Poetry Dictionary, 161.
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Es ist diese neu sich formierende literarische Landschaft, die den idealen Humus für die Entstehung eines neuen audiovisuellen Genres unter dem Namen „Poetryvideo“ bildet. Wenn sich Dichtung im Ausdruck durch Stimme, Mimik und Gestik erst vollendet, bieten audiovisuelle Aufzeichnungstechniken eine hervorragende Möglichkeit, sie über den Live-Auftritt hinaus rezipierbar zu machen. Was das Phänomen zuallererst ermöglicht, ist die Verbreitung bezahlbarer Videotechnik, die die bereits von Jean Cocteau beklagte ökonomische Zugangssperre zum bewegten Bild überwindet und audiovisuelle Ausdrucksmöglichkeiten auch für die Off-Kultur verfügbar macht. Und so können im Jahr 1985 im Rahmen des Manhattan Poetry Video Projects drei literarische Videoclips gedreht werden, die als Startschuss für die Neuerfindung des Gedichtfilmes im Medium „Video“ gelten können. Anhand der illustren Gruppe der Beteiligten ließe sich eine schöne Linie von der Beat-Generation bis in die Poetryslam-Szene ziehen: Es sind Allen Ginsberg, Anne Waldman und Bob Holman, die ihre Texte in kurzen, eigens produzierten Videoclips performen.1 Freilich sind sie nicht die Ersten, die dies tun, doch sie erzeugen das nötige Medienecho und entfalten so die entsprechende Wirksamkeit, um als Gründungsmoment des neuen Genres gelten zu können.2 Allen drei Clips ist eine große Nähe zum Musikvideo gemeinsam, das sich seit Beginn der achtziger Jahre, nicht zuletzt durch die Gründung des Senders MTV von einem Undergroundformat zu einem Mainstreamphänomen entwickelt und entsprechend professionalisiert hatte. Durch ihren Musikbezug können sie darüber hinaus exemplarisch für die populärkulturellen Traditionen stehen, auf die sich der Poetryslam beruft: Blues, Pop und Hip Hop. Waldmans Beitrag UH-OH-PLUTONIUM steht im Zeichen des Pop und der subversiven Affirmationsgeste. Die grellbunten Farben und die poppige Kulisse, ganz zu schweigen von den Backgoundsängerinnen machen überdeutlich, dass wir uns im MTV-Zeitalter befinden. Anne Waldman thematisiert in rhythmischem Sprechgesang, der über eine sehr dominante Synthesizermusik gelegt ist, die atomare Katastrophe: ironisches Spiel mit den Genrekonventionen des Musikvideos. Ginsberg ist mit seinem FATHER DEATH BLUES vertreten und verweist damit auf die Wurzeln der Oral Poetry, afroamerikanische Musik- und Literaturtraditionen und deren Einfluss auf die Literatur der Beat-Generation. FATHER DEATH BLUES basiert auf einem Gedicht aus dem Jahr 1976. Es variiert in der Form eines Listengedichtes die Epitaphe von „Death“ und setzt den Tod nacheinander in die Rolle aller im Leben prägenden Instanzen von Familie, Liebhaber, Lehrer bis zum Genius und Guru. Der Text, unverkennbar durchdrungen von der buddhistischen Lehre, erschöpft sich jedoch nicht in einer memento-mori-Botschaft, sondern versucht eine Versöhnung mit dem Tod denkbar zu machen: […] Guru Death your words are true Teacher Death I do thank you For inspiring me to sing this Blues
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Siehe Dwight Okita: „Poetry Video“. Siehe ebd.
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[…] Suffering is what was born Ignorance made me forlorn Tearful truths I cannot scorn […]1
Mit dem Einsetzen der Musik ist Allen Ginsberg auf einer Fähre stehend zu sehen, die an der Freiheitsstatue vorbeifährt. Der Blues „Father Death I’m flying home“, gesungen von Ginsberg und einer Frauenstimme ist dabei aus dem Off zu hören. Während die Fähre auf der ehemaligen Immigrationsinsel Ellis Island einläuft, erklingt die Zeile „Hey old Daddy, I know where I’m going“ und führt so die doppelte Metaphorik von Tod und Heimkommen ein, die das Video in Text und Bildern durchzieht. Das Bild der übersetzenden Fähre enthält einen deutlichen Verweis auf den antiken Fluss Styx, der das Reich der Lebenden vom Totenreich trennt. Weitere Bezüge stellen sich zwischen den semantischen Feldern der historischen Migration, der Reise in die Vergangenheit, der Ambivalenz zwischen Aufbruch und Heimkommen her. Ginsberg wird in langen, statischen Einstellungen bei seinem Gang durch die verlassenen, dem Verfall ausgesetzten Gebäude gezeigt.2 Eingeblendete verblichene Fotografien und die auffällige Lichtsymbolik verstärken den Eindruck, dass es sich dabei um eine Reise in die Vergangenheit, eine Ankunft im Ungewissen handelt. Erst in den abschließenden Einstellungen auf dem Schiff, das auf die Skyline von Downtown Manhattan zufährt, bewegt Ginsberg die Lippen zum Text, holt damit den gesungenen Text ins On des Bildes und bewirkt somit auf einer weiteren Ebene die Schließung, die sich auch im Schluss des Gedichtes vollzieht: Father Breath once more farewell Birth you gave was no thing ill My heart is still, as time will tell.
Holmans Videoclip RAPP IT UP zu seinem Text „Sweat ’n’ Sex ’n’ Politics“ orientiert sich wiederum an der Hip-Hop-Kultur und präsentiert Lyrik in Form von Sprechgesang bzw. Rap, im Verbund mit Breakdance und Graffiti. Der Versuch, in dieser Form an die afroamerikanische urbane (Jugend-)kultur anzuschließen, mag aus heutiger Sicht unbeholfen wirken, doch nichtsdestoweniger bezieht das Video damit eine klare ästhetische Position. Es betont die soziale, kommunikative und politische Funktion von Poesie und
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Allen Ginsberg: „Father Death Blues“, in: Manhattan Poetry Video Project, Regie: N. Vural; Anne Waldman; Allen Ginsberg; Bob Holman u. a., DVD-Kopie mit 3 Poetryvideos und Livemitschnitten, 1984; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0008. Fales Library and Special Collections, New York University Libraries. Obwohl die Insel seit 1976 für Besucher geöffnet war, begann man erst 1984 mit Restaurierungsarbeiten, die schließlich 1990 zu der Eröffnung des Ellis Island Immigration Museum führten. (Siehe Ellis Island – Free Port of New York. Ellis Island – Timeline“, online unter: http://www.ellisisland.org/genealogy/ellis_island_timeline.asp).
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feiert gleichzeitig deren performative, musikalische Aspekte. Holmans Text ist reich an Sprachspiel und Lautsymbolik, seine Performance verknüpft Scat und rhythmischen Sprechgesang mit Tanzbewegungen. Das erste Poetry Film Festival wurde schon 1975 in Kalifornien von Hermann Berlandt ausgerichtet, zehn Jahre vor dem Manhattan Poetry Video Project und es startete durchaus mit dem Ziel, das Publikum für Lyrik zu erweitern und dieser Gattung eine moderne theatrale Präsentationsform zu schaffen.1 Allerdings beschränkte sich Berlandts Interesse auf das Medium „Film“, so dass die verfügbar gewordene Videotechnik, mit der Pioniere wie Tom Konyves zu experimentieren begonnen hatten, dort keine Berücksichtigung fand.2 Gerade die Videotechnik ist es aber, die in den achtziger Jahren aufgrund ihrer Verfügbarkeit für die Spoken-Word-Szene attraktiv wird und schließlich den Durchbruch des neuen Genres ermöglicht. Im Gefolge der PoetryslamBewegung entstehen 1987 in San Francisco und 1991 in Chicago weitere Festivals.3 Das Netzwerk der Protagonisten und Projekte lässt deutlich erkennen, dass die Poetryclip-Szene in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren mit der der Spoken-Word- und Slam-Bewegung verwoben, ja ein Teil von ihr ist. Viele Protagonisten der New Yorker Szene sind in den Poetryclips wiederanzutreffen, die Holman im Rahmen der Serie Poetry Spots von 1985 bis 1992 für den freien, öffentlichen Lokalsender WNYC-TV produziert hat.4 Das vom New York City Council of the Arts geförderte Projekt umfasst sechs Staffeln mit über 50 verschiedenen Gedichtfilmen und zählt damit wohl zu den umfangreichsten Unternehmungen in diesem Bereich. Neben renommierten Dichtern wie John Ashbery und Allen Ginsberg und Schriftstellerinnen wie Helen Adam und Grace Paley sind vor allem Poetryslam-Größen wie Patricia Smith, Bob Holman oder Paul Beatty in den Clips vertreten.5 Die Poetryspots haben sich im Laufe der achtziger Jahre gestalterisch sehr schnell entwickelt, so dass innerhalb weniger Jahre neben elaborierten Performance-Clips auch experimentelle Formen, die Verwendung von found footage und viele weitere der noch heute gebräuchlichen Techniken und Gestaltungsmittel eingesetzt werden. Die Poetryspots-Reihe zeigt, dass auch beim Poetryclip der Poetryslam-Szene nicht nur das Musikvideo als Bezugsgröße gilt, sondern auch Impulse aus anderen Künsten aufgegriffen werden. Infolgedessen beschränkt man sich keineswegs auf die Inszenierung des performing poet, sondern macht durchaus die Reflexion von Medialität und Sprachlichkeit zum Gegenstand.
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Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 11. Siehe Tom Konyves: Artist Talk, Video, 2011. Siehe Dwight Okita: „Poetry Video“; Jean Howard: „Busted for Poetry! The 8th Annual Chicago Poetry Video Festival“, online unter: http://poetry.about.com/library/weekly/aa102699.htm. Diese Videoclips befinden sich im Archiv: Bob Holman Audio/Video Poetry Collection: The Fales Library and Special Collections, New York University. Sie sind außerdem auf Bob Holmans youtube-Kanal zu sehen: http://www.youtube.com/user/bobholmanpoet. Siehe Brent Phillips: „Guide to the Bob Holman Audio/Video Poetry Collection“, online unter: http://dlib.nyu.edu/findingaids/html/fales/holman_content.html.
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Bob Holmans bilderreicher Poetryclip WE INTERRUPT THIS PROGRAM ist programmatisch für das Genre. Wozu ist Dichtung nötig? Wodurch soll sie sich von der bisherigen Literatur abheben? Womit muss sie sich befassen? Welche Feindbilder pflegt sie, welchen Traditionen verschreibt sie sich und wie verortet sie sich in der Medienlandschaft? Bereits im Titel deutet sich an, dass der Versuch, eine Störung der massenmedialen Kommunikation zu erzeugen, wesentliche Motivation für die Schaffung der audiovisuellen Poetryspots ist. Diese Intention wird in eindeutiger Weise mit politischen Zielen verbunden. In schneller Folge wechseln Nachrichtenbilder und andere TVAusschnitte. Das Weiße Haus, Nixon, Nachrichtenbilder, Graphiken, Raketen und Modenschauen sind zu sehen und werden auf der Tonebene von Holmans Lyrik begleitet. Das gesprochene Gedicht zeichnet sich durch eine geradezu exzessive Rhythmisierung und Verwendung von Reimen aus und bedient sich aus dem found footage sprachlicher Zitate: „We interrupt this programm in order to announce that we are sorry to interrupt this programm. And now we return you to this programm.“1 Mit dieser selbstreferentiellen Einleitung ist sogleich das metapoetische Thema des Textes gegeben, das visuell durch einen animierten Fernsehapparat aufgegriffen wird, der eine doppelte Rahmung des Bildes erzeugt. Im Verlauf des Videos werden zudem die Traditionen benannt, in die sich das Poetryvideo einordnen soll. „In the beginning was the rap“, heißt es in einer Abwandlung des Bibelzitates, mit der die Anfänge der eigenen Dichtung nicht in der Hochkultur, sondern auf der Straße gesucht werden. Dazu zählt sicher auch die „Rock ’n’ Roll Mythology“ mit ihren rebellischen Gesten, die durch Bilder von Mick Jagger, John Lennon und Jimi Hendrix personifiziert wird. Thematisch überblendet das Video die poetische Thematisierung von Sprache mit Bildmaterial über den Kalten Krieg und Atomwaffentests. Diese Versatzstücke aus der TV- und Politiklandschaft, werden so respektlos zusammengeschnitten und kommentiert, dass deutlich werden muss, was das Poetryspots-Projekt beabsichtigt. Die in Politik und Medien gebrauchte Sprache wird als korrumpiert und erstarrt wahrgenommen und soll mit den Mitteln der Dichtung wieder zum Leben erweckt werden. Doch Poesie soll als widerständiges Prinzip nicht nur in die Welt der Sprache, sondern auch in die Welt der technischen Medien eingeführt werden, um dort Verwirrung zu stiften, um Bedeutungen brüchig zu machen, um politische Propaganda zu kennzeichnen und Werbestrategien bloßzulegen. Sprache und mediale Bilder werden in kulturkritischer Manier als Instrumente von Herrschaft aber auch als potentielle Mittel politischer Befreiung verstanden. In der Verfremdung und Störung von Sprache und Kommunikation liegt eine Aufgabe der Dichtung, die mit den Poetryspots auf den Bereich der audiovisuellen Medien ausgedehnt und fruchtbar gemacht werden soll. Sie soll außerdem bisher ausgeschlossenen oder überhörten Gruppen eine Stimme verleihen. Es geht den USamerikanischen Spoken-Word-Aktivisten also keineswegs lediglich darum, mit dem Poetryclip ein angemessenes Publikationsmedium für ihre Performance Poetry zu finden, sondern es geht um eine poetische Störung des Mediums unter politischen Vor-
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Bob Holman (Autor und Produzent): WE INTERRUPT THIS PROGRAM, in: Bob Holman: Poetry Spots Compilation Reel, Season I, VHS, 1988.
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zeichen. Diese dezidiert engagierte Ausrichtung äußert sich auch thematisch. In einem Großteil der Poetryspots geht es um soziale Themen wie Armut und Rassismus sowie um die in den achtziger Jahren akuten Probleme Gentrifizierung, AIDS und nukleare Bedrohung. Während viele der frühen Poetryspots aus frontalen Aufnahmen der ihren Text performenden Poetinnen und Poeten besteht, die manchmal durch eine einfache Spielhandlung ergänzt werden1, entwickelt sich schon früh parallel dazu eine von diesem Muster abweichende Form, die den Poeten quasi-dokumentarisch in einer Umgebung zeigt und das Gedicht durch ein gesprochenes Voice-Over hinzufügt. In der Art und Weise, wie die Bilder komponiert und mit dem auf der Tonspur gesprochenen Gedicht in Beziehung gesetzt werden, liegt die Eigenart und der medienspezifische Kunstcharakter der Poetryclips, die sich nicht in der Dokumentation von Mimik, Gestik und Stimme der Kunstschaffenden erschöpft. Ein Beispiel für diese Form ist der 1991 entstandene Clip zu John Ashes Gedicht „Unwilling Suspension“.2 Der Clip beginnt mit einer kurzen einleitenden biographischen Bemerkung, die vom Dichter gesprochen wird und sich in Stil und Ausdruck stark von den darauffolgenden Versen unterscheidet: „My name’s John Ash. I first came to New York in 1984 and promptly fell in love with the place. So in 1985 I came back to stay, but I couldn’t get across the East River. All the bridges and that Midtown Tunnel [was] blocked ...“. Mit den eingeblendeten Titeln beginnt das eigentliche Gedicht, das John Ash über ein barockes Musikstück hinweg spricht. „Unwilling Suspension“ ist bereits 1986 in der Wochenzeitung The New Yorker erschienen.3 Die erwähnte Einleitung lenkt das Verständnis, indem es das Gedicht in einen situativen Kontext stellt. Als Grundsituation stellt sich eine Taxifahrt am Ufer des zu überwindenden Flusses dar, bei der das Ziel auf der anderen Seite, die Insel Manhattan, stets vor Augen liegt. Das lyrische Subjekt wird von den Ansichten der Stadt zur Kontemplation veranlasst; Reflexion und die Verbalisierung von Wahrnehmungen wechseln einander ab, so sehr wie sie einander auslösen. Die unüberbrückbare Distanz des East River bildet den elegischen Grundton, der durch die mythisierende Darstellung von Armut und urbaner Verlassenheit verstärkt wird: Im Video nimmt die äußere Situation des Gedichtes in aus einem Taxi gefilmten Stadtimpressionen Gestalt an, die durch Aufnahmen des Dichters ergänzt werden. Man sieht Ash als urbanen Flaneur, rauchend auf einer Bank sitzend oder auf die Kamera zusteuernd und links aus dem Bildrand verschwindend. Text und Bild sind also zunächst über das Thema der Stadt New York und die ihr zugeschriebenen Attribute miteinander verknüpft. Auch die Gliederung von Text und der Montage stellt Verbindungen her.
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Jessica Hagedorn: Loft Living; John Ashbury: Purists Will Agree; Dennis Cooper: Dear Todd; June Jordan: Sara Miles; Amiri Baraka: We are here; Paul Beatty: Two Black Men & A Baby on the Way. Der Clip ist online verfügbar im YouTube-Kanal von Bob Holman unter http://www.youtube.com/watch?v=wzmRgAqgeRc. John Ash: „Unwilling Suspension“, in: The New Yorker, 28.04.1986.
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Während die Druckversion1 aus dem New Yorker sieben Strophen verschiedener Länge mit wiederum recht gleichmäßigen Verslängen umfasst, ist das Video an den entsprechenden Stellen auf der Bildebene durch Schwarzblenden gegliedert, die visuelle Pausen setzen, auch dort, wo die Rezitation keine Abschnitte erkennen lässt. Verschiedene Synchronisierungspunkte erlauben es, Bezüge zwischen Text und Bild herzustellen. Mehrere der im Gedicht angespielten Motive wie „Bridges“, „obscure constructions“, „fireflies“, „cab“ und „reflections on a windshield“2 erscheinen im Bild. Doch die Bilder erhalten nicht nur illustrierende Funktion, sondern tragen durchaus auch zur Vereindeutigung von Metaphern bei, beispielsweise in der Figur des verblassenden Theatervorhangs, der von einer Ansicht des in der Ferne nur blass sichtbaren Empire State Buildings begleitet wird. Das Paradox der Verse „Dies ist nicht Der Gute Ort / und ist es erklärterweise“3 wird durch eine Einstellung auf die Skyline von Manhattan visualisiert, die vom Positiv- ins Negativbild wechselt, und somit mit Mitteln des Videos eine Analogie zu dieser rhetorischen Figur erzeugt. Ashes Rezitation bringt die elegische Grundstimmung des Textes zur Geltung, indem er nicht nach der Druckversion rezitiert, sondern der freien Rhythmik des Gedichtes folgt und in seine Rezitation Akzente mit intonatorischen Höhen zusammenfallen lässt. Besonders auffällig ist dies in der sechsten Strophe, wo Ash in seiner Pausensetzung genau die syntaktischen Gruppierungen berücksichtigt und damit die Enjambements der Druckversion auflöst. Hier ballen sich daktylische Versmaße, sogar der adonische Schlussvers (-vv-v) tritt mehrmals auf. Er fällt mit der rhetorischen Frage an den oder die Adressaten des Gedichtes zusammen: How can I tell you? / The legends accumulate like wealth or grain at the edge of a famine. / You will never be bored / and you will never conclude your investigations / since the crime has no culprit, / or too many to fill the old courthouse.
Die Unmöglichkeit, das Wahrgenommene in seinem Gemisch aus Gesehenem, Erinnertem und Imaginären zu vermitteln, rückt zunehmend in den Vordergrund des Gedichtes, das sich schließlich damit immer mehr der Ansprache an einen unbestimmten Adressaten bzw. eine Adressatin widmet. Hierdurch gerät der Poetryclip jedoch in Konflikt mit seiner eigenen Medialität, denn im Gedicht wird der Anblick der Stadt noch durch Metaphern und Vergleiche verbildlicht. So wirken die Wolkenkratzer in der Ferne wie „die Arbeit eines ehrgeizigen Kindes mit Schere“4 und „ähneln einem verblichenem Theatervorhang“5 oder es heißt: „des Nachts umschwirren Leuchtkäfer die
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Da das Gedicht kein regelmäßiges Metrum oder Reime aufweist, wird die Strophengliederung aus dem Druckbild abgelesen. John Ash: „Unwilling Suspension“. „This is not The Good Place / and it assuredly is […].“ „The work of an ambitious child with scissors“ ebd., 38. „Something resembling a faded theatrical curtain“ ebd.
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Türme“1, womit auf den Funkenflug der Feuertonnen angespielt wird, an denen sich die Obdachlosen wärmen. Im Video jedoch haben wir es zwangsläufig mit konkreten Bildern zu tun, was sich der lyrischen Aussage strikt zu widersetzen scheint, die am Gedichtschluss in den Versen kulminiert: „I could not photograph any of this for you / I could tell you about the rain – it is not raining.“2 Im Video lassen sich zwei Strategien beobachten, auf dieses Problem zu reagieren. Zum einen werden die Bilder durch ungewöhnliche Kameraperspektiven, Schärfewechsel, Überblendungen und Negativbeleuchtung dem Abstrakten angenähert. Das geht zwar nie so weit, dass sie ihre Gegenständlichkeit aufgegeben und aufhören, Abbilder zu sein, doch gewinnen Komposition und Form dadurch einen ästhetischen Eigenwert. Die zweite Strategie betrifft die Glaubwürdigkeit der Bilder. Just an der Stelle, wo es heißt „Ich könnte nichts von alledem für dich fotografieren“, wird das Bild Sekunden später in einer Weißblende entzogen und wir bleiben mit der Stimme von John Ash allein, die die letzte Zeile des Gedichtes spricht. Damit wird alles, was wir bisher gesehen haben, fraglich und der Spalt zwischen den lyrischen Bildern und den audiovisuellen Bildern weit geöffnet. Die zunächst angedeutete Möglichkeit, dass die Bilder und das Erleben des lyrischen Subjektes deckungsgleich zusammenfallen könnten, wird wieder verworfen.
2.3.2 Poetryslam in Deutschland Bereits Mitte der neunziger Jahre überträgt sich die Begeisterung für die neue, bewegte Dichtkunst des Slams auf den Rest der Welt. Nachdem die ersten Slams in Deutschland zunächst von amerikanischen Künstlern veranstaltet werden, wird das Format bald in die literarische Landschaft integriert. Gefördert nicht nur von Mitgliedern der OffSzene, sondern auch durch Institutionen wie der literaturWERKstatt, die einige Zeit später, im Jahr 2001, den ersten Poetry Film Award ausrichten wird, kann der Poetryslam hierzulande an existierende Szenen wie Social Beat, Trash und den Prenzlauer Berg anschließen.3 Das Konzept oder Dispositiv des Poetryslams ist in vielerlei Hinsicht und auf mehreren Ebenen von Interaktionen geprägt. Da ist zunächst die literarische Szene des Slams, die gerne als „grassroots-Bewegung“4 beschrieben wird, weil sie als Netzwerk organisiert ist und sich jenseits der massenmedialen Öffentlichkeit und der großen literarischen Institutionen entwickelt und über persönliche Kontakte und das Internet ausbreitet. Weiterhin sind die Poetryslams als Veranstaltungen selbst in ihrer Struktur hochgradig interaktiv. Performer, Publikum, Jury und MCs befinden sich in einem 1 2 3 4
„At night, fireflies buzz the towers.“ ebd. Ebd. Siehe Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry, 40f. Auch die literaturWERKstatt Berlin geht vermittelt aus der oppositionellen Literaturszene Ost-Berlins hervor. Bob Holman: „Nuyorican Poets Café“, 72.
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ständigen, rituell ausgeklügelten Informationsaustausch, der von der üblichen Kommunikationssituation einer gängigen Dichterlesung weit entfernt ist. Dies bleibt nicht ohne Auswirkung auf die in den Slams dargebotenen Texte. Wo die Vortragenden direkt mit den Äußerungen des anwesenden Publikums konfrontiert sind, wo die Performance die hauptsächliche Bestimmung des Textes ist, wo eine Wettbewerbssituation zur ästhetischen Inszenierung hinzutritt, da werden sich die Texte stilistisch und inhaltlich in Richtung von Mündlichkeit und Alltagskommunikation bewegen.1 Zu guter Letzt kreuzen sich im Poetryslam verschiedene literarische Traditionslinien und Kulturniveaus. Da sind einerseits die Einflüsse von Avantgardebewegungen wie Dada und ein populärkulturelles Selbstverständnis andererseits, die sich aber immerhin in der Ablehnung des etablierten Literaturbetriebs miteinander vereinbaren lassen.2 Die spezifischen Präsentations- und Rezeptionsformen des Slams, ihre „party- und sportähnliche Interaktion über Textpräsentationen“3, wirken sich auch auf die literarischen Texte, genannt Slampoetry aus: Der Poet ist das erste Medium seines eigenen Textes, dessen Veröffentlichung im Buchmedium für viele Autoren zunächst von untergeordneter Bedeutung ist. An dessen Stelle treten kompatiblere Kommunikationskanäle wie Websites, CDs oder Poetry Videoclips.4
Demnach wären Poetryclips als Übertragungsmedien von Slampoetry dem schriftlichen Text vorzuziehen, da sie immerhin die Koexpressivität5 von Gestik, Mimik und Stimme zu vermitteln vermögen. Dennoch scheinen sie gegenüber dem „ersten Medium“, dem Poeten in seiner Live-Performance, lediglich ein Behelfsmittel zu sein, dessen eigene spezifisch ästhetische Mittel von Preckwitz kaum reflektiert werden. Die künstlerische Praxis allerdings, wie sie sich beispielsweise in einer von den SpokenWordBerlin-Aktivisten Bas Böttcher und Wolfgang Hogekamp im Jahr 2005 herausgegebenen Sammlung deutschsprachiger Poetryclips zeigt6, gestaltet sich vielfältiger. Zwar konzentriert sich der Großteil der versammelten Videoarbeiten deutlich auf die Performance der Dichterinnen und Dichter, die meistens im Mittelpunkt des Videos stehen, doch ergibt sich aus dem Einsatz audiovisueller Mittel, so sparsam eingesetzt auch immer ein Mehr an Bedeutung. Das Video wird nicht allein als audiovisuelle Aufzeichnungstechnik genutzt, sondern als Repräsentations- und Kunstform in Anspruch genommen. So trägt beispielsweise der Einsatz der Kamera in Sebastian
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Siehe Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry, 56f. Preckwitz nennt als typische Merkmale von Slampoetry Publikumsadressierung, Rezipierbarkeit, Engagement, Cross-Genre, Oralität, Performance, Dramaturgie und Interaktion, wovon sich einige überschneiden, andere gar widersprechen mögen, wieder andere sich nicht zwangsläufig aus der beschriebenen Kommunikationssituation ergeben. Siehe ebd., 62. Ebd., 27. Ebd. Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001, 51. POETRY CLIPS, VOL. 1, Königswinter 2005.
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Krämers BONN1 als Genrezitat erheblich zum Spannungsaufbau bei und setzt, in Verbindung mit der Musik von Richard Wagner, Pointen und Akzente durch verschiedene Einstellungsgrößen und Perspektivwechsel. Till Müller-Klug bedient sich ausgiebig videokünstlerischer Mittel und Geräuscheffekte. Der Punk-Autor Jan Off arbeitet mit einem viergeteileten Bildschirm, der sehr verrauschte Schwarz-Weiß-Bilder von städtischer Betontristesse mit einer durchs Telefon ebenfalls verrauschten Off-Stimme kombiniert, wodurch die mediale Verzerrung gleich mehrfach markiert wird. In Kristoffer Keudels Video BEIM FAHREN wird die Montage geschickt zur Wiederholung und Rhythmisierung des Textes eingesetzt. In Wolf Hogekamps kurzem Clip LIEBST DU MICH? werden die medienspezifischen Möglichkeiten des Videos besonders deutlich in Anspruch genommen. Die Pointe des rezitierten Textes besteht darin, dass sich in den letzten Zeilen der bis dahin geführte Dialog als ein Selbstgespräch erweist: „Ich schwöre, dass ich dich nie verlasse. / Nie und nimmer. / Bei allem, was mir heilig ist. / Wenn ich lüge, will ich tot umfallen.“ Im Video werden verschiedene Positionen der Wechselrede durch das Auf- und Absetzen einer Sonnenbrille angedeutet. Hinzu kommt ein Effekt, der durch den filmischen Montagecode erzeugt wird. Zwischen den verschiedenen Einstellungen, die Hogekamp in Großaufnahme zeigen, erfolgt jeweils ein Schnitt, um den Performer an verschiedenen Orten der Stadt erscheinen zu lassen. Im Repertoire filmischer Montage ist dieser Umschnitt aber als Schuss-Gegenschuss-Verfahren codiert, was den Eindruck, man habe es mit einem Dialog zwischen unterschiedlichen Gesprächspartnern zu tun, verstärkt. Das Auf- und Absetzen der Sonnenbrille läuft als Rollenwechselsignal parallel dazu mit und trägt so zu einer doppelten Strukturierung bei, die den Clip rhythmisiert. Das Hogekamp’sche Rollen-Ich ist daher von Anfang an brüchig, eine Unklarheit, die für das audiovisuelle Medium typisch ist: Werden die lyrischen Ichs tatsächlich multipliziert oder handelt es sich schlicht um ein Selbstgespräch und damit um eine psychologisch motivierte Darstellung einer geschlossenen Figur? Indem die Verdopplung Hogekamps von Anfang an medial verkörpert wird und sich in der Auflösung des diegetischen Raumes wiederholt, bleibt eine Unsicherheit über den Status der AutorenPerformer-Figur bestehen, die auch die vom Text vermittelte Pointe nicht aufzulösen vermag. Man merkt den Poetryclips ihre Entstehung aus der Poetryslam-Szene deutlich an, denn der Fokus liegt stets auf der Performance, die zudem häufig einen szenischen Charakter besitzt. Was darüber hinaus ins Auge fällt, ist die Nähe der Poetryclips zum Musikvideo, die sich wie in Wolfgang Hogekamps DROGEN vor allem an der Schnittfrequenz und dem vertrauten Motiv- und Gestenrepertoire zeigen lässt. Zusammenfassend muss man sagen, dass die deutschsprachigen Poetryclips, die um die Jahrtausendwende entstehen, sich im Vergleich zu den US-amerikanischen Werken weitaus weniger mit politischen oder sozialen Themen befassen. Damit soll keineswegs ein abschließendes Urteil über die deutsche Poetryslam-Szene gefällt werden, sondern lediglich eine Tendenz angesprochen sein, die auch von anderen, darunter Bodo Preckwitz beobachtet worden ist. Natürlich ist die ganz verschiedene Situation, die in
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BONN, Regie: Wolfgang Hogekamp, D 2002/2003.
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Deutschland gerade bezüglich der Geschichte von Migration und sozialer Konfliktbewältigung besteht, dafür ein nicht unerheblicher Grund. Erfreulicherweise ist in jüngster Zeit wieder eine „Politisierung“ des Genres zu beobachten.
2.3.3 Dubpoetry-Clips Dubpoetry ist eine musikalisch-poetische Bewegung, die in den siebziger Jahren ihren Anfang nahm. Linton Kwesi Johnson und Oku Onuora gelten als die Pioniere des Genres, das sich in Jamaika und Großbritannien zunächst parallel entwickelte.1 Weitere wichtige Zentren sind neben Kingston und London heute vor allem die kanadische Szene in Toronto und Montreal aber auch andere Orte der karibischen Diaspora2, wie die USA oder Südafrika.3 Zu den bedeutendsten Vertreterinnen und Vertretern zählen neben den Genannten der 1983 verstorbene Michael (Mikey) Smith, Lillian Allen, Benjamin Zephaniah und amuna baraka-clarke. Linton Kwesi Johnson hatte den Begriff „Dub Poetry“ eigentlich geprägt, um die Sprecheinlagen der Reggae-DJs zu bezeichnen. Oku Onoura, der in Jamaika mit seinen Reggae-Dichtungen eine ganz ähnliche Richtung verfolgte, war es jedoch, der den Begriff zu einer distinkten Genrebezeichnung machte: „While his counterpart in Britain rejected the term he himself had coined to describe the talkover art of the reggae DJs. Oku developed it into a distinctive concept to denote a new genre of musically based riddim poetics.“4 Dubpoetry entwickelt sich im Zusammenhang mit dem jamaikanischen Musikstil Dub, dessen Bezeichnung sich aus der englischen Bezeichnung für das technische Hinzufügen und Mischen – dubbing – von Klangmaterial zu einer Tonaufzeichnung ableitet. Dubtracks zeichnen sich durch einen hervorgehobenen Rhythmus und Bass (riddim) sowie verschiedene Effekte wie Echos, Klangmodulationen oder Hall aus und wurden in der jamaikanischen Musikszene als Basis für DJ-ing (sogenanntes toasting) und Sprechgesang genutzt.5 Daraus entwickelte sich das musical talkover, das DubpoetryExperte Christian Habekost wie folgt beschreibt: „The DJ talked over the riddim. Yet the developing style was neither singing nor mere talking: it was a mixture of both, a sing-song style, a staccato like lyrical outburst following the rhythmic pattern of the
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Für eine kurze Einführung in das Thema siehe Mervin Morris: „Dub Poetry?“, in: Caribbean Quarterly, 43. Jg., H. 4, 1997, 1–10; einen historischen Überblick und ausführliche Analysen bietet Christian Habekost: Verbal Riddim. The Politics and Aesthetics of African-Caribbean Dub Poetry, Amsterdam 1993. Hier 19. Susan Gingell: „Always a Poem, Once a Book“: Motivations and Strategies for Print Textualizing of Caribbean-Canadian Dub and Performance Poetry“, in: Journal of West Indian Literature, 14. Jg., 1/2, 2005, 220–261. Hier: 2. Mervin Morris: „Dub Poetry?“. Siehe Christian Habekost: Verbal Riddim, 21. Ebd., 53ff.
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dub, rhymed, with a verse-refrain structure.“1 Auch Dubpoetry ist im Prinzip ein solcher Sprechgesang über ein Dubstück hinweg, unterscheidet sich allerdings in einigen Punkten deutlich insbesondere von den aktuellen Praktiken der DJs: Dub poems werden nicht improvisiert, sondern im Vorfeld sorgfältig konzipiert, decken eine größere Bandbreite von Themen ab und lassen sich aufgrund ihrer rhythmischen Durcharbeitung grundsätzlich auch ohne Musikbegleitung gewinnbringend rezipieren. Dub poets bedienen sich eines bedächtigeren, wandelbareren Rezitationsstils als DJs und legen größeren Wert auf eigenständige musikalische Produktionen.2 Über die Charakteristika und die mediale Verbreitung von Dubpoetry schreibt Mervyn Morris zusammenfassend: ,Dub poetry‘, which is written to be performed, incorporates a music beat, often a reggae beat. Often, but not always, the performance is done to the accompainment of music, recorded or live. Dub poetry is usually, but not always, written in Jamaican language; in Jamaican creole/dialect/vernacular/nation language. […] Most often it is politically focused, attacking oppression and injustice. Though the ideal context for dub poetry is the live performance, it also makes itself available in various other ways: on radio, on television, in audio recordings, video recordings and on film. Many dub poets also publish books.3
Dass Dubpoetry über das Fernsehen, vor allem aber im Video Verbreitung findet, liegt in erster Linie an der starken Bedeutung, die die Performance für diese Stilrichtung hat. Stimme und Geste des Performers sind nicht nur sekundäres Vehikel für das poetische Werk, sondern werden zum festen Bestandteil des Gedichtes.4 Diese Bindung an orale Traditionen ist auch Ausdruck einer sprachpolitischen Subversion, durch die das patois gegenüber der englischen Herrschaftssprache aufgewertet wird. Obwohl die Frage nach der Oralität des Dub traditionell im Zentrum des akademischen Interesses steht, 5 gehen die Gründe aus denen dub poets den Weg in das audiovisuelle Medium wählen, über die Performanceaffinität des Genres hinaus. Zum einen ist Dubpoetry stärker als andere Lyrik-Stile an eine Musikrichtung gebunden, ohne dabei ganz in ihr aufzugehen (wie etwa der Rap im Hip Hop). Dubpoetry entwickelte sich in den frühen siebziger Jahren im Umfeld der jamaikanischen Reggaemusik und ging direkt aus den soundsystems hervor.6 Im Idealfall sollte das Dubpoem jedoch nicht einfach über einen ReggaeRhythmus (riddim) gesprochen werden, sondern es sollte diesen Rhythmus auch selbst
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Ebd., 56. Siehe ebd., 58. Mervin Morris: „Dub Poetry?“, 1. Siehe ebd., 6f. Siehe Susan Gingell: „Always a Poem, Once“, 2. Die Frage nach der Oralität der Dichtung stellt sich besonders, wenn Dubpoetry im internationalen Kontext bewertet wird. Eine Fixierung auf die Performance-Gebundenheit läuft jedoch Gefahr einer reduktionistischen, rassistischen Trennung von schriftlicher Literatur vs. mündlichem Pop; wobei Dubpoetry Letzterem zugeordnet wird, weil die Texte für sich genommen „literarisch“ – so der Auffassung zufolge – von minderer Qualität seien. Obwohl diese Frage im Kontext von Poetryslam und Spoken Word ebenfalls virulent wird, gewinnt sie in der postkolonialen Literatur eine besondere Brisanz. Christian Habekost: Verbal Riddim, 2.
Spoken Word
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evozieren. Musikalische Rhythmen und Rhythmen des Gedichtes sind in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander konzipiert. In diesem Sinne ist auch der von Linton Kwesi Johnson geprägte Ausdruck „DJ-poet“ zu verstehen. Darüber hinaus gibt es ökonomische und politische Gründe für die Nutzung des audiovisuellen Mediums. Der große Erfolg einiger dub poets und ihrer Vermarktung durch die Musikindustrie Mitte der achtziger Jahre machte die Produktion von Musikvideoclips, die zu diesem Zeitpunkt eben ihre große Blüte erlebten, weitaus naheliegender als in anderen Bereichen der Performance Poetry. Andererseits kommt die Verbreitung der Videoclips in Fernsehen oder heute im Internet der politischen Zielsetzung vieler dub poets entgegen. Das Video von Lilly Allen zu ihrem Track „Unnatural Causes“ (National Film Board of Canada 1990) bezeichnet Habekost sogar als „poetry video“. In seiner Beschreibung des Videos deutet sich bereits an, welche Aspekte in die Untersuchung der audiovisuellen Realisierung von Dubpoetry Berücksichtigung finden müssen: The cinematography with its various cuts and the recurrent insertion of documentary black and white photographs, employs what in music is called ,sampling‘, the technique of taking musical quotations from their original sources and incorporating them into a new tune. It highlights both the riddim of the word performance and the rhythmic changes of the accompanying music.1
Es ist zu fragen, in welchem Verhältnis Montagestil und Visualisierung der Performance zu den ästhetischen Grundprinzipien der Dubpoetry stehen und welche Rolle der Musik im audiovisuellen Gebilde zukommt. Das im Jahr 2010 von Grischa Göddertz produzierte NEW WORD ORDER ist ein zeit2 genössisches Beispiel für ein Dubpoetry-Video. Es zeigt schon im Titel die sprachreflexive und politische Programmatik an. Jazz’min Tutum, Dichterin und Performerin des Dubpoems, ist in einer halbtransparenten, halbtotalen Aufnahme zu sehen. Das Gedicht, eine Kritik an globalen Ausbeutungsverhältnissen und verharmlosender Modernisierungsrhetorik, ist darüber hinaus als animierter Schrifttext zu lesen, der sich vervielfältigt und immer wieder über das Bild schiebt, ein konsequenter Verweis darauf, wie sprachliche Strategien die soziale Realität überdecken. Jazz’min Tutums Performance ist außerdem dadurch verfremdet, dass ihre Stimme dubtypischen Bearbeitungen wie Hall und Sampling unterzogen ist. Auffällig ist die Stringenz der auf mehreren Ebenen rhythmisch durchstrukturierten Performance. So ist auf Mikroebene in den Tonhöhenverläufen und auf Ebene der lautstilistischen Gestaltung des Textes durch Alliterationen, End- und Binnenreime ein deutlicher riddim zu hören, der sich auf der Ebene der strophischen Gliederung, in Pausensetzung, Refrain und Bridge fortsetzt. NEW WORD ORDER besticht weniger durch ein montageartiges Zusammenfügen von Bildmaterial als vielmehr durch Anwendung des Samplingverfahrens auf die Performance. So wird beispielsweise der „Refrain“ des
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Ebd., 111f. Siehe Abbildung 2.
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Dubpoems dupliziert und an einer späteren Stelle wiederholt. Performance und Musik ergänzen einander. Mit dem Einsetzen des Basslaufes in der zweiten Strophe und gezieltem Aussetzen des musikalischen riddim wird ein Spannungsbogen erzeugt, der die lyrische Komposition unterstreicht.
2.4
Lyrik im Kontext audiovisueller Massenmedien – Poesiefilm heute
2.4.1 Fernsehen Poesiefilmgeschichte, das haben die vorangegangenen Kapitel gezeigt, ist auch Mediengeschichte. Im Entwicklungsverlauf audiovisueller Medien bietet die Arbeit mit lyrischen Texten den Künstlerinnen und Künstlern immer wieder ein Experimentierfeld, in dem sich nicht-narrative Sinnbildungspotentiale der neuen Medien erweisen sollen. Diese Bindung des Poesiefilmes an die Entwicklung der Medien gehört zu den deutlichsten Konstanten in seiner Geschichte und ist auch in der heutigen Situation, die durch Digitalisierung und Vernetzung gekennzeichnet ist, von größtem Interesse. Wenn im folgenden Kapitel der Zustand des Poesiefilmes heute, im zweiten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, skizziert wird, so lässt sich dies nicht von seiner Einbindung in zeitgenössische mediale Kontexte trennen. Die Situation des Poesiefilmes soll daher anhand der Stichworte „Modularität“, „Performativität“ und „Internationalität“ dargestellt werden. Das Fernsehen, so hat der Medienkünstler und Lyriker Clive Holden in einer OnlineDebatte über die mediale Zukunft des Experimentalfilmes einmal gesagt, ist in der Debatte über alte und neue Medien, über Sehgewohnheiten und Filmformate ein „elephant in the room“1, ein Elefant im Raum, der, obwohl seine enorme Bedeutung für die moderne Gesellschaft eigentlich unübersehbar ist, meist stillschweigend übergangen wird. Die Gründe dafür können an dieser Stelle nicht näher erörtert werden, doch kann das geringe kulturelle Prestige des Fernsehens sicher zu den wichtigsten Ursachen gezählt werden. Auch nach dem Serienfieber, das die US-amerikanischen Qualitätsserien um die Jahrtausendwende in Feuilleton und Kulturwissenschaft ausgelöst haben, hat sich diese Situation nicht wesentlich verändert.2 Mit wenigen Ausnahmen, wie dem Phäno-
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Chris Gehmann/Brenda Longfellow/Dave Barber/Michael Sicinski/Clive Holden: „Round Table. Trains of Winnipeg + The Auteurs, Avant Garde Films, Web Distro and you“, online unter: http://.mubi.com. Dass sich diese Serien von den Sopranos bis Breaking Bad in ihrer ganzen epischen Breite erst mit dem Medium der DVD (bzw. des digitalen, downloadbaren Videoformats) voll entfalten konnten, kann hier ebenfalls nur thesenartig festgehalten werden. Jedenfalls hat ihre Reputation in der For-
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men „Musikvideo“ und eben den neueren Serien, haben Fernsehproduktionen nur geringe Beachtung bei der Erforschung audiovisueller Medialität gefunden. Doch das Fernsehen hat nicht nur eine unabweisbare soziale, politische und ökonomische Bedeutung, sondern fungiert auch als ästhetischer Impulsgeber: „Andere Formen audiovisueller Kohärenz, Bedeutungskonstruktion und Sinnvermittlung, wie sie gegenwärtig das Hollywoodkino erprobt, sind erst möglich geworden, weil auch das Fernsehen verstärkt Brüche und Interruptionen in den televisuellen Bilderflüssen zugelassen hat.“1 Es wäre falsch, ein Genre wie den Poesiefilm ausschließlich vor dem Hintergrund des Kinofilmes zu betrachten, da es auch auf durch das Fernsehen etablierten Seh- und Hörgewohnheiten aufbaut. Nicht zuletzt im Bereich der Trennung von Ton und Bild, welche TV-Berichterstattung und -Nachrichten seit Jahrzehnten mit der größten Selbstverständlichkeit betreiben, bietet das Fernsehen eine Reihe von Verfahren an, die für den Poesiefilm einschlägig sind. Auch die scheinbar präsenzgebundene Institution der Dichterlesung hat Übertragungen in das audiovisuelle Medium erlebt. Dabei deuten sich wichtige medienspezifische Probleme und Möglichkeiten an, die bereits zur Thematik des Poesiefilmes hinführen. Der Germanist Albrecht Schöne hat bereits in den siebziger Jahren eine visionäre Form der Literaturpräsentation für das Fernsehen antizipiert, die von der Möglichkeit der Ton-Bild-Trennung Gebrauch macht; nicht anders, als es zeitgenössische Poesiefilme schließlich praktizieren und wie es Wochenschauen aus den vierziger Jahren erahnen lassen. Versuche, das traditionsreiche Format der Dichterlesung, das sich ja schon erfolgreich im Rundfunk bewährt hatte, in das neue Medium zu übertragen, hat es seit der Erfindung des Fernsehens gegeben. So entstanden für die frühe WDR-Sendereihe Zur Nacht zwischen 1966 und 1977 etwa 600 Fernsehlesungen. Der Germanist Albrecht Schöne hat sich in einem Fernseh-Feature eingehend mit diesem literarischen Format beschäftigt. Seine Betrachtungen über die Präsentation von Literatur im audiovisuellen Medium sind auch für die Geschichte des Poesiefilmes relevant, da sie einen Ausblick auf eine neuartige Form der medialen Vermittlung von Lyrik bieten, die dem heutigen Poesiefilm bereits recht nahekommt.2 Im Mittelpunkt der Sendung stehen dabei Dichterlesungen, nicht Literaturverfilmungen oder Dokumentationen; es geht also um ein Format, das in der Hauptsache aus dem videotechnisch aufgezeichneten Vortrag eines literarischen Textes durch seine Autorin oder seinen Autor besteht. Schöne bezeichnet diese mündliche Vermittlung als die ursprüngliche Form von Literatur, wobei er sich
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schung kaum auf das Medium Fernsehen in seiner Gänze zurückgewirkt. Das wusste man auch bei HBO, wo bis 2009 der Slogan galt: „It’s not TV. It’s HBO.“ Knut Hickethier: „Geschichte des Films, der Audiovision oder der Multimedia. Perspektiven am Ende des ersten Jahrhunderts Film“, in: Michael Schaudig (Hg.): Positionen deutscher Filmgeschichte. 100 Jahre Kinematographie: Strukturen, Diskurse, Kontexte, München 1996, 487–503. Hier: 494. Der WDR strahlte die Sendungen in den Jahren 1972 und 1973 aus. Sie sind in Schriftform dokumentiert. Siehe Albrecht Schöne: Literatur im audiovisuellen Medium. Sieben Fernsehdrehbücher, München 1979.
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auf die Dichtung ‚vor Gutenberg‘ bezieht.1 Doch obwohl es im audiovisuellen Medium möglich ist, Mimik, Gestik und Stimme der Vortragenden aufzuzeichnen, kann in der audiovisuellen Reproduktion nicht die Leibhaftigkeit und Gegenwärtigkeit einer Lesung erreicht werden. Schöne bemüht Walter Benjamins Begriff der Aura, um diese Diskrepanz zwischen der Aufzeichnung und der Präsenz des Ereignisses zu erfassen.2 Im Zusammenhang mit dem Poesiefilm ist dieser Punkt sehr bedeutsam, denn gerade vom Film erhoffte sich Benjamin ja die Zertrümmerung der Aura des Kunstwerkes, aus der eine neue Rezeptionshaltung resultieren sollte.3 Lässt man Benjamins Optimismus gegenüber der Massenkultur einmal beiseite, so bleibt die Frage, wie sich der Poesiefilm, der in allen von Benjamin aufgezählten Punkten hochgradig „filmisch“ ist, in diesem Spannungsfeld von Vergegenwärtigung und technischer Reproduzierbarkeit verhält.4 Denn einerseits widmen sich viele Poesiefilme ausdrücklich dem Projekt, die Literatur vom gedruckten Wort zu ‚erlösen‘ und wieder in ihre performative Dimension einzusetzen, anderseits bleibt dieses Unternehmen unbestreitbar medial vermittelt und das heißt: an eine technische Apparatur gebunden, die Publikum und Darsteller trennt.5 Die visuelle Dimension einer Fernsehlesung bringt eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich. Schöne zählt eine Reihe sogenannter Äußerlichkeiten auf, die die Vortragskunst selbst in den Hintergrund drängen, banalisieren oder konterkarieren. Das Bild nämlich, so Schöne, sei zudringlicher als der Ton und besitze eine größere Ablenkungskraft.6 Festzuhalten ist zweifellos, dass jede Lesung eine Inszenierung ist, und dass eine neutrale Wiedergabe des Textes gar nicht möglich ist, wie Schöne treffend an einer Lesung von Ilse Aichinger verdeutlicht. Auch ein schwarzer, vermeintlich neutraler Hintergrund fügt dem Text eine Bedeutungsdimension hinzu und wenn es nur die ist, dass man es mit einem autonomen Kunstwerk zu tun habe.7 Das Bild, da es nun einmal da ist, spricht immer mit und ist zwangsläufig in die Gestaltung einzubeziehen. Abgesehen von den möglichen Inszenierungsformen der Lesung sieht Schöne noch andere visuelle Erweiterungen des Formats, die gerade dann angezeigt seien, wenn „der Text selber die Ergänzung durch optische Informationen nahelegt oder sie geradezu 1
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Siehe ebd., 12ff. Schöne sieht im Buchdruck lediglich ein der Dichtung zwischengeschaltetes Medium; im Vortrag dagegen ihre direkte, ursprüngliche Version. Ob dies für Literatur „an sich“ Geltung haben kann, bleibt fraglich, für die in der Sendung behandelte zeitgenössische Literatur (u. a. visuelle Poesie) gilt es sicher nicht. Siehe ebd. Siehe Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter“, 479f. Denn die „physische Chockwirkung“ (ebd., 503), von der Benjamin spricht, müsste umso stärker sein, je inkohärenter und durch weniger Narration verknüpft die Einstellungen im Film sind, die „stoßweise“ (ebd., 502) auf das Publikum Zuschauer eindringen. Schließlich vergleicht Benjamin den Film hinsichtlich seiner taktilen Qualität mit der aurazertrümmernden, moralischen Schockwirkung des Dadaismus. (Siehe ebd., 502f.). Siehe ebd., 488. Der Film steht für Benjamin im genauen Gegensatz zum Theater, wo jedes Mal ein neuer, originärer Einsatz des Schauspielers stattfindet, was Einmaligkeit und Ferne des auratischen Kunstwerks schafft. Albrecht Schöne: Literatur im audiovisuellen Medium, 34. Siehe ebd., 37.
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fordert und auf diese entschiedene Weise ‚fernsehgerecht‘ wird“1. Dies ist der Fall bei Texten über bildende Kunst und natürlich bei visueller konkreter Poesie, die mit ihrer Schriftlichkeit als materieller Substanz spielt.2 Neben den visuellen Erweiterungen hat die audiovisuelle Präsentation von Hause aus alle Vorteile, die sich aus der Wiedergabe von Klang und Stimme auf der Tonspur ergeben. Damit entfaltet sich der Text in seiner performativen Dimension. Die sprachkünstlerische Gestaltung des Vortrags wird von zahlreichen Parametern wie Sprechtempo, Tonhöhe und -stärke, Rhythmisierung und Akzentuierung bestimmt.3 Hinzu treten aber auch alle physiognomischen und idiosynkratischen Eigenschaften der Stimme wie Register, Timbre oder Dialekte.4 Bis zu diesem Punkt spricht Schöne nur von der im Fernsehen übertragenen Dichterlesung, einer Form, die ausdrücklich nicht zum Poesiefilm gezählt wird. Anders verhält es sich mit dem von Schöne ebenfalls besprochenen Lesefilm, der im Einsatz audiovisueller Gestaltungsmittel weit über die bloße Dokumentation einer Lesung hinausgeht: „Diese Lesung aber und die in der Fernseh-Sendung seinen Text begleitende Bilderfolge sind unabhängig voneinander aufgezeichnet und erst nachträglich miteinander kombiniert worden.“5 Eine solche Bilderfolge kann nun aber, einmal von der Aufnahme des Sprechenden gelöst, im Prinzip alles Mögliche zeigen. Schöne setzt zwar noch auf die Figur des Autors, der als audiovisuelles Integrationsmittel fungieren soll, sieht aber im Lesefilm durchaus ein Potential, aus dem „neue, eigenartige Formen von Poesie entstehen könnten, für die die Verbindung von Worten und bewegten Bildern wirklich konstitutiv ist.“6 Nun, der Poesiefilm ist eine ebensolche Form und Schöne hat bereits ziemlich genau die Schwierigkeiten und Streitpunkte des Genres vorausgesehen: die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Text, die Kritik an banaler Illustration oder Verdopplung und die angedeutete Bevorzugung kontrapunktischer oder sich ergänzender Verhältnisse. Großes Gewicht misst er dabei der Einbildungskraft zu, die, angeregt durch die Worte, im Vorstellungsvermögen das projiziert, was die Kamera nicht zeigt. Das stumme Gesicht des Dichters könne das „optische Korrelat dieses Vorgangs“7 sein, indem die Worte auf der Tonspur uns als dessen Gedanken erscheinen. Schöne beschreibt hier nichts weniger als eine Konvention des Spielfilmes für die Darstellung eines inneren Monologs – und eine sehr gebräuchliche Inszenierungsform des Poesiefilmes. Noch immer werden Literatur-Performances im Fernsehen übertragen. Neuere Formate wie der Poetryslam des WDR bedienen sich zur Mediatisierung der speziellen
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Ebd., 40. Siehe ebd., 72ff. Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst. Goethe-Rezitationen im 20. Jahrhundert“, in: Gabriele Leupold/Katharina Raabe (Hg.): In Ketten tanzen. Übersetzen als interpretierende Kunst, Göttingen 2008, 150–198. Hier: 180ff. Siehe ebd. Zur Problematik des Begriffes der Physiognomie und seinem produktiven Potential siehe Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 42ff. Albrecht Schöne: Literatur im audiovisuellen Medium, 48. Ebd., 52. Ebd., 51.
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Slam-Ästhetik natürlich moderner Stilmittel und Techniken, deren genaue Untersuchung noch aussteht. Aber es ist unschwer zu erkennen, dass die aufwendige Bildregie dieser Aufzeichnungen viele ihrer Mittel den Formaten „Fernsehshow“ und „Musikvideo“ verdankt. Hier wird alles versucht, um die fehlende Live-Situation durch Schnelligkeit und dynamische Kameraführung zu ersetzen.
2.4.2 Poesiefilm im Internetzeitalter Das Format der audiovisuellen Dichterlesung hat sich – sobald die technischen Voraussetzungen gegeben waren1 – auch ins Internet übertragen lassen, wobei es sich den Begrenzungen und Möglichkeiten des neuen Mediums entsprechend nochmals verwandelt hat. Als Beispiel soll eine 2010 entstandene Videolesung mit Michael Lentz dienen. Lentz las für die Frankfurter Allgemeine Zeitung 15 Gedichte aus dem Zyklus Offene Unruh, einem Gedichtband von 100 sehr anspielungsreichen, modernen Liebesgedichten.2 Die 15 entstandenen Videoclips wurden in den Tagen vor Erscheinen des Gedichtbandes in täglicher Folge auf F.A.Z.-Net veröffentlicht. Schon im Hinblick auf die Distributionsform ermöglicht das Internet also etwas, was bisher nicht möglich war. Es kombiniert die altehrwürdige journalistische Textsorte des Vorabdrucks von Romankapiteln oder des Feuilletonromans mit der Ausstrahlung von Videos und schafft so eine Veröffentlichungsform, in der Serialität und eine wiederholbare Rezeption von audiovisuellen Produkten gekoppelt sind. Die Videos gehen über die bloße Dokumentation bzw. technische Aufzeichnung einer Lesung hinaus und nutzen zahlreiche filmische und videotechnische Gestaltungsmittel. Es finden sich wechselnde Kameraperspektiven, eine bewegliche, folgende Kamera, das Spiel mit Schärfewechseln, der Wechsel von On- zu Offstimme, Jumpcuts, Doppelbild und andere mehr. Dabei wird fast immer eine Verknüpfung mit dem von Lentz gesprochenen Gedicht hergestellt. Im Video zum dreizeiligen Gedicht „handy wie bombe“ etwa korrespondiert das ansteigende Tempo, in dem die Verse skandiert werden, mit den sprunghaften Zooms, die uns von einer Halbtotalen bis zur Nahaufnahme an Lentz heranführen, so dass die Schockwirkung der hochgehenden Bombe geradezu verkörpert wird. Die wie eine Bombe hochgehende Nachricht, die man per SMS erhält (oder auch zündet), erscheint zunächst wie ein recht traditioneller Vergleich, mit dem sich die Absurdität von Liebeskommunikation im Medium mobiler Unverbindlichkeit kommentieren lässt. Er stellt sich aber in Zeiten der medialen Prä-
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Das ist seit den 90er Jahren der Fall. Voraussetzung für die erfolgreiche Durchsetzung ist, dass größere Datenmengen in ausreichender Geschwindigkeit übertragen werden können. Videos im Internet herunterzuladen, ist prinzipiell schon länger möglich. Erst mit der Breitbandtechnik kann sich jedoch das Webvideo etablieren. Ein Indiz dafür ist der durchschlagende Erfolg der Streaming-Plattform „Youtube“ im Jahr 2005. Siehe Michael Lentz: Offene Unruh. 100 Liebesgedichte, Frankfurt am Main 2010.
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senz von per Handy ferngezündeten Bomben als eine drastische Metapher heraus, die sich selbst überholt: „handy wie bombe / nachricht wie tod / taste / weg“. Mittelpunkt der kurzen Clips ist stets der Autor Michael Lentz selbst, der in wechselnden Settings seine Gedichte spricht oder auch vorliest. Stets spielt dabei der Raum eine entscheidende Rolle. Die wechselnden Schauplätze bleiben meist unbestimmt und erinnern zuweilen an die großstädtischen, nutzlos gewordenen und verlassenen Industriegebäude, die in die Hände der Kulturschaffenden übergegangen sind. Mal sieht man Lentz in einer Bar, mal in einer eindrucksvollen Säulenhalle, mal vor graffitiverzierten Wänden. Inhaltliche Bezüge zum gesprochenen Text sind oft atmosphärischer Art, wenn sich etwa eine gewisse Kälte und Verlorenheit in den Bildern zeigt; sie können aber auch wie in „ich war nie“ die Form eines Gags haben, der in Offene Unruh in Gestalt des Wortspiels überhaupt häufig ist, was in der Videolesung nun im geschickten Einsatz gestalterischer Mittel wiederaufgenommen wird. In diesem Video ist der Dichter nämlich, während die ersten Zeilen zu hören sind („ich war nie / an einem ort“), nicht im Bild zu sehen, stattdessen steht ein Schrank in einer Fabrikhalle. Gleichzeitig mit dem Wort „hingestellt“ und einem unsichtbaren Schnitt erscheint Lentz wie aus dem Nichts direkt daneben im Bild und spricht das Gedicht weiter, wobei er in wechselnden Einstellungen zu sehen ist. Am Schluss des Gedichtes wird Lentz auf dieselbe Weise wieder aus dem Bild entfernt, das letzte Wort des Schlussverses klingt so aus dem Off nach: „ich bin der ort / der mich nie / der mich nie verlässt“. Jedes der ein- bis zweiminütigen Videos beginnt und endet mit dem Bild einer schreibenden Hand, das zeigt, wie zunächst der Gedichttitel und am Schluss der Name des Dichters mit einem Filzstift auf Packpapier geschrieben wird. Diese Handschrift ist auch auf dem Buchtitel von Offene Unruh zu sehen. In der Rezension von Florian Illies wird die Körperlichkeit von Literatur als „landläufige Sehnsucht“ abgetan, so dass die handschriftliche Titelgestaltung des Buches und die Videolesungen als eine „Überwältigungstaktik“ erscheinen müssen: „Als ließe sich Qualität durch Körpereinsatz beglaubigen.“1 Die Kritik verfehlt insofern ihr Ziel, als dass Lentz’ Lyrikperformance ihr mediales Vermitteltsein in keiner Weise zu verbergen sucht. Vielmehr stehen die erwähnten Gestaltungsmittel klar in der Tradition einer offenen Montage, die die Bearbeitung des sprechenden Dichters durchaus reflektieren. Der Medienwandel durch Computertechnik, Digitalisierung und Vernetzung hat einschneidende Auswirkungen auf jede Form audiovisueller Kommunikation.2 Davon ist nicht nur die institutionalisierte Dichterlesung betroffen, sondern auch der Bereich der Film- und Videokunst. In einer im Dezember 2009 online durchgeführten Podiumsdiskussion auf der Filmplattform The Auteurs (heute mubi) wird die Frage nach der Gestaltbarkeit dieses medialen Wandels und seinen Auswirkungen auf die Kunst- und Experimentalfilmszene ausführlich verhandelt. In der Einleitung des sogenannten
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Florian Illies: „Wir lesen – und schalten ab. Und zu. Warum gehen dem Lautpoeten Michael Lentz nur immer wieder die Pferde durch?“, in: Die Zeit, Nr. 12, 2010. Hier: 49. Siehe Mark B. N. Hansen: „New Media“, in: W. J. T. Mitchell/Mark B. N. Hansen (Hg.): Critical Terms for Media Studies, Chicago/Ill. 2010, 172–185. Hier: 180ff.
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Round Table, an dem verschiedene Regisseure, Schriftsteller, Onlineredakteure, Festivalleiter und eine Filmemacherin und Filmtheoretikerin beteiligt sind, werden gleich mehrere zentrale Probleme der medialen Entwicklung benannt: Will web-based distribution open up the treasure chest of artist-made, non-dramatic narrative, filmmaking from throughout the last century, finally making it available for all to see? What’s the future for The Auteurs in terms of additions to its film library, or its format choices and other plans? And about the film itself, where does TRAINS OF WINNIPEG fit in, in the history of cinema? Is there such a thing as 21st century filmmaking?
Der Film, der dieser Runde als Gesprächsanlass dient, ist interessanterweise ein Gedichtfilm. Es handelt sich um TRAINS OF WINNIPEG, ein Filmprojekt des kanadischen Dichters und Medienkünstlers Clive Holden, das 2004 als Experimentalfilm auf 35 mm erschienen ist und seit 2009 über das Filmportal mubi im streaming zugänglich ist. Ähnlich wie das über 50 Jahre zuvor abgehaltene Symposium Poetry and the Film1 bündelt der Internet-Round-Table eine Reihe von Fragestellungen, die im Zusammenhang mit dem Poesiefilm wichtig sind und die mit dem aktuellen Umbau ganzer Mediendispositive zwangsläufig aufgeworfen werden. Im Rahmen der vorliegenden Analyse sind vor allem jene Punkte von Interesse, die die technologische Entwicklung audiovisueller Formate, ihre Vereinbarkeit mit künstlerischen Verfahren und die aus ihr resultierenden Rezeptionsweisen betreffen. Sie werden jeweils im Hinblick auf den Poesiefilm und TRAINS OF WINNIPEG erörtert. An die Digitalisierung und die Verbreitung audiovisueller Medienformate über das Internet knüpfen sich große Erwartungen. Für den Bereich des alternativen Kinos erhofft man sich vor allem eine bessere Verfügbarkeit der Arbeiten, die bisher in der Regel nur in einem schmalen Zeitfenster und in einem begrenzten – urbanen – Milieu rezipierbar waren. Alex Rogalski stellt in der Online-Diskussion Überlegungen über die Zugänglichkeit an, die für den experimentellen Film bzw. den – wie er es nennt – ‚nicht-kommerziellen‘ Film, zu dem man zweifellos auch den Poesiefilm zählen muss, bisher in dem Maße eingeschränkt war, wie es nach den Premierenvorführungen jener Filme meist keine Möglichkeit mehr gab, sie zu sehen: „One of the troubles for ‚experimental‘ or better described, non-commercial film, is that it has been forced to an existence on a festival circuit, after which point, it’s often completely inaccessible to audiences.“2 Im zweiten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts bestehen zahl1 2
Siehe Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“. Chris Gehmann/Brenda Longfellow/Dave Barber/Michael Sicinski/Clive Holden: „Round Table. Trains of Winnipeg + The Auteurs, Avant Garde Films, Web Distro and you“, online unter: http://.mubi.com. Eine Problematik, die sich auch in der täglichen philologischen Arbeit bemerkbar macht. Für literaturwissenschaftliche Kolleginnen und Kollegen, die es gewohnt sind mit schriftlich fixierten Texten zu arbeiten, bei denen das Problem der Verfügbarkeit sich in ganz anderer Form stellt, ist es oft schwer zu akzeptieren, dass diese Filme nicht allzeit und für jedermann verfügbar sind, da sie nicht aufgeführt werden. Dagegen stellt es für eine Theaterwissenschaftlerin eine Selbstverständlichkeit dar, dass Inszenierungen nur ‚verfügbar‘ sind, insofern sie aufgeführt werden.
Poesiefilm heute
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reiche Möglichkeiten, non-kommerzielle Film online anzuschauen. Die bekanntesten – das zum Suchmaschinenkonzern Google gehörende Portal YouTube, andere StreamingPlattformen wie vimeo und die Socialnetwork-Seiten wie myspace und Facebook – bieten Künstlerinnen und Künstlern die Gelegenheit, auch außerhalb institutionalisierter Anlässe ihre Arbeiten zu präsentieren. Dabei unterliegen sie nicht nur den technischen Begrenzungen, die anfangs mit beschränkten Datenmengen und Bit-Raten einhergingen, sondern sie setzen ihre Filme oder Videos außerdem einer Reihe zusätzlicher medialer Effekte aus, die mit der Onlinedistribution zwangsläufig verbundenen sind. Im Internet erfahren Filme und Videos eine veränderte kontextuelle Einbettung, Kommentierbarkeit und Rezeption, welche sich durch immer neue Empfangsgeräte wie Smartphones und Tablets zunehmend diversifiziert. Poesiefilme sind in vielfältiger Weise im Internet präsent. Einschlägiger als YouTube, wo es einen Kanal des ZEBRA Poetry Film Festivals gibt, ist für das Genre die Streaming-Plattform vimeo. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie ausschließlich von Künstlerinnen oder Künstlern selbstständig produzierte Videos präsentiert. Das Portal war in seiner Gründungszeit vor allem wegen der höheren Videoqualität beliebt und gilt noch heute als die Videoplattform der Filmschaffenden. Hier lässt sich die Poesiefilmszene beispielsweise über die Gruppe „Film & Video Poetry“ erkunden. Eine der umfangreichsten Online-Anthologien für den englischsprachigen Bereich ist die von Dave Bonta kuratierte Webseite movingpoems.com, die sich zum Ziel setzt, die besten Poesiefilme aus dem Netz zusammenzustellen und an einem Ort verfügbar zu machen. Bonta setzt dabei eine weite Definition des Genres an, die neben Videopoetry im engeren Sinn auch Performance-Videos und ekphrastische Kurzfilme einbezieht. Abgesehen von den bekannten Streaming-Portalen existieren eine Reihe weiterer Internetseiten, die historische Avantgardefilme und videokünstlerische Werke digital zugänglich machen. Zu ihnen gehören das von verschiedenen Universitäten geförderte US-amerikanische Non-Profit-Projekt UbuWeb auf ubu.com sowie die unabhängige Seite virtualcircuit.org. Das Medien-Kunst-Netz (media-art-net) des von Peter Weibel geleiteten Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe widmet sich der Katalogisierung und teilweise auch der Verfügbarmachung von herausragenden Beispielen der Videound Medienkunst. Wenn sich in dieser Entwicklung Ansätze zu einer Demokratisierung und einer Popularisierung des experimentellen Filmes andeuten, so sind damit gleichzeitig zahlreiche Probleme verbunden. Auch der Filmkritiker Michael Sicinski begegnet in der Online-Diskussion von The Auteurs euphorischen Haltungen, die das Internet und die digitalen Distributionsformen als Rettung des experimentellen Filmes begrüßen, mit Skepsis. Er verweist dagegen auf die ökonomischen und institutionellen Zwänge, die die Digitalisierung audiovisueller Kommunikation vorantreiben, ohne dass dabei auf ästhetische Übertragungsverluste Rücksicht genommen würde.1 Eine Übertragbarkeit filmkünstlerischer Arbeiten in andere Medien stößt dort auf Probleme, wo die Markierung der eigenen Medialität Teil des künstlerischen Selbstverständnisses und konstituti-
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ver Teil des Kunstwerkes ist, wie dies gerade im Bereich des Experimentalfilmes sehr häufig der Fall ist. Bereits der Unterschied zwischen einem Filmprojektor und einem Videobildschirm, so führt Chris Gehmann das Argument aus, könne hier einen Unterschied ums Ganze darstellen: This would be particularly true for the work of a filmmaker like Dorsky or David Gatten, who make work to be projected at 18 fps, with the flicker of the projector hovering at the edge of perception. The video screen, of whatever type, is a continuously emitting screen, while the film projector lights up the screen intermittently.1
Solche konkreten medialen Differenzen wie die zwischen Film und Video fallen besonders bei jenen Arbeiten ins Gewicht, die sich durch ein hohes Maß an Selbstreferentialität auszeichnen. Je stärker die materielle oder mediale Verfasstheit in den Kunstwerken spürbar wird, desto größer sind die Auswirkungen eines Wechsels jener Verfasstheit. Eine Übertragung experimenteller Filme in andere Medien muss jedoch nicht zwangsläufig die genannten negativen Effekte hervorrufen. Es scheint, als ob sich bestimmte audiovisuelle Arbeiten leichter und unbeschadeter in den verschiedenen Medienformaten und Distributionsweisen bewegen, als andere. Zu den interessantesten Befunden des Round Tables gehört dementsprechend die Beobachtung, dass eben jene Werke dem Digitalisierungsdruck besonders gut standhalten, die bereits von sich aus hybrid und medial ‚unrein‘ sind: „sufficiently hybridized and ,impure‘ (in the non-modernist, Gesamtkunstwerkish sense) to allow for a similar transition / translation“2. Dies ist einer der Gründe, warum TRAINS OF WINNIPEG im Unterschied zu vielen anderen unkonventionellen oder experimentellen Filmen die digitale Distribution relativ ‚unbeschadet‘ übersteht: Das Projekt war von Anfang auf eine Inkorporation in verschiedenen Medien hin angelegt: „It had incarnations as a book of poems, as a CD of poems with music, was produced using many different formats and technologies, and exists as a series of stand-alone short films as well as a feature film cycle, and also as a website.“3 TRAINS OF WINNIPEG verkörpert in seiner Erscheinungsweise, seiner internen Komposition, seiner medialen Distribution und seiner Rezipierbarkeit das Prinzip der Modularisierung.4 Das betrifft zum einen die nicht-lineare Struktur des Filmes, der eine lockere Reihung selbstständiger audiovisueller Gedichte bildet, die motivisch und thematisch miteinander verknüpft sind. Sie verbinden sich nicht zu einer chronologischen oder handlungslogischen Abfolge und können daher auch einzeln, in anderer Reihenfolge oder in Wiederholung rezipiert werden. Das führt unter anderem dazu, dass sie nicht als Teil einer festgelegten Komposition wahrgenommen werden, sondern sich als kombinierbare Module beschreiben lassen. Auf einer medientechnischen Ebene äußert sich diese Modularisierung darin, dass verschiedene Teile des Filmes in unterschied1 2 3 4
Ebd. Sicinski in ebd. Ebd., 2. Der Begriff wird von Brenda Longfellow in die Diskussion eingeführt. Siehe ebd.
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lichen Film- und Video-Formaten gedreht worden sind, die dann miteinander kombiniert wurden, so dass es im Nachhinein schwierig ist, von einem ursprünglichen Medienformat zu sprechen. Als 35-mm-Kopie wurde der Film zunächst in einer Langversion in Kinos und Galerien vorgeführt und ist heute vor allem als DVD oder über das kostenpflichtige Streaming auf mubi.com zugänglich. Weder dem gedruckten Text noch den audiovisuellen Bestandteilen wird innerhalb des Projektes der Status einer Vorgängigkeit zugewiesen. In diesem Punkt unterscheidet sich TRAINS OF WINNIPEG eminent von traditionellen Literaturverfilmungen und Adaptionen, weshalb anders als dort Kategorien wie „Original und Bearbeitung“ bzw. „Vorlage und Übertragung“ für Holdes Film von vornherein keine Anwendung finden. Weder wird die Rezeption einzelner Abschnitte auf dem Laptop der Vorführung einer 35-mm-Kopie des Filmes im Kinosaal untergeordnet, noch wird die Kenntnis der gedruckten Gedichte für die Rezeption des Filmes vorausgesetzt. Der Regisseur Tobias Morgan sieht in der Art und Weise, wie TRAINS OF WINNIPEG seine Form- und Technologiewechsel künstlerisch motiviert und inkorporiert, einen entscheidenden Unterschied zu einer allein aus Marketingründen herbeigeführten Mehrfachverwertung audiovisueller Arbeiten. Das Prinzip der Modularisierung ist bei Holden bereits in die Programmatik des Projektes eingelassen: It’s vanguard cinema, which is as much about approach as content – every visionary filmmaker out there I know is working not to get lost in translation, cutting for multiple mediums: the 35mm print, the 24progressive DVD, the h.264 compressed Vimeo edit, something viral and lo-fi for YouTube. If it’s a doc they try to get all that done and push a cut for a TV PBS or HBO deal. Plus print media, viral distribution of photo stills, artwork, whatever they can milk or extract from the work that’s strong enough to stand solo, plus interviews and production extras – and tap on top a plan for guerilla screenings, for events, for merchandised freebies and hype and megaphones on soapboxes on street corners. Branded and flayed and then blogged to death, most films now approach the event horizon of an abbatoir.1
Morgan verknüpft seine überaus präzisen Beobachtungen im Bereich der Internetdistribution zeitgenössischer Filme mit seiner Beschreibung der filmischen Ästhetik, die er in Holdes Poesiefilm wahrnimmt. Trotz unterschiedlicher Bewertungen lässt sich an der einen wie an der anderen das Prinzip der Modularisierung feststellen, was ihn sein Argument schließlich auf die Frage zuspitzen lässt: „But is it [TRAINS OF WINNIPEG, S.O.] a film, exactly? Or is it an audio-visual poem that lends itself to multiple platforms? What are the implications of this modularity for cinema, if any?“2 Diese Frage, die eine Überschreitung des medialen Dispositivs „Film“ andeutet, ist insofern konsequent, als mit dem Prinzip der Modularisierung die audiovisuelle Kommunikation tatsächlich auf jeder Ebene (der Produktion, des technisches Formates, der Übertragung und der Rezeption) radikal transformiert wird.
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Ebd., 10. Ebd.
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Die Debatte darüber, wie das Internet unsere Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit, unser Gedächtnis, unsere Fähigkeit zu kommunizieren oder Informationen zu verarbeiten, unsere Sehweisen und unsere Hörgewohnheiten verändert, wird seit mehreren Jahren mit großer Intensität geführt. Dies ist nicht verwunderlich, umfasst das Netz als Inter-Medium doch Aufgaben, die bisher auf Einzelmedien oder Face-toFace-Interaktionen verteilt waren und in ihrer Gesamtheit fast alle Lebensbereiche betreffen. Angesichts einer Bündelung und Verknüpfung von Funktionen wie Fernsehen, Buch, Brief, Presse, Archiv, Pinnwand, Gespräch, Spiel, Auktion und anderen mehr, ist es wohl kaum mehr die Frage, ob die Digitalisierung Umbrüche mit sich bringt, sondern vielmehr, welcher Art diese sind und wie sie zu gestalten wären. Diese Fragen stehen in einem engen Zusammenhang mit den neuen Rezeptionsweisen, die Webvideos aber auch die Verbreitung als DVD mit sich bringen.1 Zweifellos wirken sich technologische Entwicklungen, wie etwa die immer kleineren mobilen Abspielgeräte einerseits und die immer stärker auflösenden Großbildschirme andererseits, sowohl auf die medialen ‚Inhalte‘ als auch auf die Rezeption dieser Inhalte aus. Die kleineren Abspielgeräte sind darauf ausgerichtet, „nebenbei“, „zwischendurch“ und zur Überbrückung unausgefüllter Zeitabschnitte in Transportmitteln genutzt zu werden. Eine solche Rezeptionsweise kommt vor allem audiovisuellen Kurzformen entgegen, die sich problemlos in flexible Zeitpläne einschmiegen. Sie begünstigt aber, wie Clive Holden treffend anmerkt, auch solche Formate, in denen die Tonebene eine zentrale Rolle spielt. Was über der Diskussion um den ästhetischen Affront der zentimetergroßen Bildschirme nämlich häufig vergessen wird, ist die Tatsache, dass die Tonspur der audiovisuellen Formate über Kopfhörer ohne größere Verluste auch mobil zu genießen ist.2 Davon profitieren unter anderem Poesiefilme, bei denen der Fokus häufig auf der gesprochenen Sprache liegt. Mit der Rezeption über Laptop und Kopfhörer geht potentiell auch eine größere Intimität einher. Anders als in der Film-Coop, der Galerie und selbst vor dem Fernsehschirm, ist man von der äußeren Umgebung abgeschlossen und erlebt den Film mit einer Intimität, die sich derjenigen der stillen Lektüre wieder annähert.3 In Bezug auf TRAINS OF WINNIPEG bringt Jason Anderson im Round Table die Verknüpfung des Rezeptionserlebnisses mit dem medialen Dispositiv auf den Punkt und äußert die Vermutung, dass sich das Projekt nicht zuletzt aufgrund seiner fragmentierten Struktur für die Onlinedistribution eignet: [O]nline distribution of films is likely to make the viewing experience even choppier and more interrupt-able (sic) than ever. ToW’s design makes it a far more flexible and successful kind of
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Eine umfassende Untersuchung des Mediums DVD findet sich bei Jan Distelmeyer: Das flexible Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD & Blu-ray, Berlin 2012. „The films that relied sufficiently on sound (sound design, soundscape, music and spoken words), or text, or character development (or a mix of these), came across very well. There’s no question it was weird, and still is for me: watching a „movie” in the palm of my hand.“ (Holden in Chris Gehmann u. a: „Round Table“, 12). Ebd., 11.
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work in this context than, say, Satantango. Now if we could only convince Bela Tarr to make a movie using only a mobile phone …1
Mit der Beschreibung des audiovisuellen Rezeptionserlebnisses im Internet als stückweise („choppy“) berührt Anderson eine generelle Problematik, die im Zusammenhang mit den neuen Medien heftig diskutiert wird. Eine der brisantesten Thesen in diesem Kontext besteht in der Frage, inwieweit das Internet in seiner spezifischen Konstitution die kognitive Entwicklung sowie die Beschaffenheit und Verteilung von Aufmerksamkeit verändert. Angesichts der Tragweite solcher Fragestellungen sollen hier vor allem die Auswirkungen auf den Bereich des Audiovisuellen diskutiert werden. Videoplattformen wie YouTube kultivieren eine Rezeptionsweise audiovisueller Gebilde, die sich von denen des Kinos, des Fernsehens und selbst des Videos grundlegend unterscheidet. Sie ermöglichen ein assoziatives ‚Switchen‘ zwischen den Angeboten.2 Meist durch eine gezielte Suche ausgelöst, können sich die Userinnen und User auf immer neue Vorschläge hin zum nächsten Video weiterleiten lassen sowie parallel andere Funktionen der Seite nutzen. Tatsächlich werden Abbruch oder Wechsel schon während des Abspielens ermutigt, da sich die Vorschläge zumindest in der Standardansicht neben dem Display befinden, und daher gleichzeitig sichtbar sind. Die Komposition der Webseite entspräche damit im Medium der gedruckten Seite viel eher dem typographischen Dispositiv einer Illustrierten oder Zeitungsseite – mit den entsprechenden Rezeptionsmustern. Eine solche Einstellung auf häufige Abbrüche sowie ein schnelles Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Informationskanälen entspricht ziemlich genau dem, was Catherine N. Hayles als kognitven Modus der „hyper attention“ beschreibt: The shift in cognitive styles can be seen in the contrast between deep attention and hyper attention. Deep attention, the cognitive style traditionally associated with the humanities, is characterized by concentrating on a single object for long periods (say, a novel by Dickens), ignoring outside stimuli while so engaged, preferring a single information stream, and having a high tolerance for long focus times. Hyper attention is characterized by switching focus rapidly among different tasks, preferring multiple information streams, seeking a high level of stimulation, and having a low tolerance for boredom.3
Wie sind diese Erkenntnisse in Hinblick auf den Poesiefilm zu bewerten? Im Allgemeinen wird die Rezeptionshaltung gegenüber lyrischen Gedichten als konzentriert, kon-
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Ebd., 12. Das nur scheinbar willkürliche Driften beruht in Wirklichkeit auf komplexen Algorithmen. Tarleton Gillespie hat außerdem darauf hingewiesen, dass die Plattform-Metapher „YouTube“ als Verkaufs- und Präsentationsmedium für ,user generated content‘ steht und dabei die konstitutive, formative Macht herunterspielt, die dieses mediale Format tatsächlich besitzt. (Siehe Pelle Snickars/Patrick Vonderau: „Introduction“, in: Pelle Snickars (Hg.): The YouTube Reader, Stockholm 2009, 9–21. Hier: 10). Katherine N. Hayles: „Hyper and Deep Attention: The Generational Divide in Cognitive Modes“, in: Profession, 2007, 187–199.
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templativ, wiederholend und reflektierend beschrieben.1 Sie sind klassische Gegenstände der deep attention. Andererseits kommt die Kürze von Gedichten und entsprechend auch der auf ihnen basierenden Gedichtfilme der sprunghaften Rezeptionsweise auf Online-Plattformen entgegen. Die lyriktypische Konzision der Faktur und ihr Störungsreichtum ließen sich mit dem gestiegenen Tempo visueller Stimuli und einer erhöhten Komplexität von Handlungssträngen, die die Tendenz zur hyper attention bereits hervorgebracht hat, durchaus vereinbaren.2 Allerdings ist fraglich, ob die Eigenschaften des Poesiefilmes, die eine Kompatibilität mit den neuen Medien und den mit ihnen verbundenen Rezeptionsweisen zu versprechen scheinen, jene anderen konstitutiven Merkmale aufwiegen, die einen störungsfreien Konsum erschweren. Poesiefilm bleibt daher auf absehbare Zeit ein Nischenphänomen für eine interessierte Community, die sich allerdings im Internet in bisher ungeahnter Weise vernetzen kann. Dies betrifft sowohl die Distribution von Internetvideos, DVDs und Online-Zeitschriften als auch die Kommunikation zwischen Kunstschaffenden, literarischen Institutionen und Festivals. Neben vielen anderen Neuerungen bietet das sogenannte Web 2.0 auch die Möglichkeit, mit Amateurproduktionen oder Undergroundarbeiten zumindest ein spezialisiertes Publikum zu erreichen: „Denn das Internetvideo ist als asynchrones Massenmedium ideal für eine nicht an Aktualität gebundene Lektüre: Jeder hat jederzeit freien Zugriff auf ein Spezialprogramm.“3 Eine herausgehobene Bedeutung für die Distribution von Poesiefilmen hat dabei das Magazin Rattapallax, das 2002 in New York gegründet wurde. Es war von Anfang an als multimediales Poesiemagazin konzipiert und beinhaltete schon früh eine CD mit Tonaufzeichnungen von Lesungen und Performances. Die 14., 15. und 17. Ausgabe von Rattapallax erschien als DVD und brachte neben dokumentarischen Beiträgen auch eine Auswahl von Poesiefilmen. Bezeichnenderweise ist Rattapallax seit einigen Jahren ausschließlich im Internet erhältlich. Diese symptomatische Umstellung begründet die Redaktion unter anderem mit den erweiterten Partizipationsmöglichkeiten und der Internationalität, die diese Distributionsform gewährleistet: It is the natural path to a magazine that has been since the very beginning committed to poetry in various forms, medias and languages. […] The transition to the Internet fits Rattapallax’s interdisciplinary approach perfectly, widening the scope for content and outreach. Rattapallax is as innovative as always: the reader will find here a comprehensive reading of poetry that
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Rüdiger Zymner spricht generell von einem kulturell erlernten Einstellungswechsel zur ästhetischen Rezeption. Infolgedessen sind Lesende „eher bereit, beim Text zu verweilen, sich durch langsames und wiederholendes Lesen, durch probierendes oder gar meditierendes Durchdringen des Textes und Nachdenken über ihn als Artefakt, zu dem bereits die ästhetischen Potenzen der Schriftlichkeit gehören, auf Strukturen des Poetischen und ihre Deutbarkeit einzulassen oder besser, sie selbst zu entwickeln […].“ (Rüdiger Zymner: Lyrik, 51). Siehe Katherine N. Hayles: „Hyper and Deep Attention“, 191. Christian Kortmann: „Drehbücher der Zukunft. An eine Userin“, in: Süddeutsche Zeitung, 11.09.2007.
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includes new media original projects […], a dynamic poetry forum that generates live and ongoing discussions about new books […].1
Die digitalen Netzwerke transformieren die bisherige, kulturindustrielle Organisation von Produktion, Reproduktion und Distribution audiovisueller Produkte. Der Medientheoretiker Bernhard Stiegler vergleicht die neuen, digitalen Medien in ihrem spezifischen Verhältnis zu den etablierten Produktionsverhältnissen audiovisueller Formate sogar mit der Rolle, die das phonetische Alphabet im Zeitalter der Hieroglyphenschrift gespielt hat, denn sie ermöglichen eine Umkehrung der hegemonischen Verteilung und eine „auto-production based on isoproduction.“2 Eine Entwicklung, die bereits mit den Experimenten der Videokunst angestoßen wird und als Utopie schon immer das erklärte Programm künstlerischer Praxis gewesen ist. So sprach bereits der Dichter und Avantgardefilmer Jean Cocteau von der Kamera als „einer wunderbaren und gefährlichen Waffe in der Hand des Poeten“.3
2.4.3 Festivals Neben der Onlinedistribution und der Verbreitung über DVDs bleiben Festivals weiterhin die wichtigste Plattform des Poesiefilmes. Wie auch bei anderen nicht-narrativen, experimentellen Formaten oder filmischen Kurzformen gewährleistet der Festivalbetrieb, dass die Filme ein interessiertes Publikum finden und Künstlerinnen und Künstler miteinander ins Gespräch kommen und sich fördernden Institutionen empfehlen können. Das von Heather Haley ausgerichtete Festival „See the Voice: Visible Verse“ ist aus dem 1999 gegründeten Vancouver Videopoem Festival hervorgegangen und hat seine Wurzeln in der Spoken-Word- wie auch in der Videokunst-Szene: In 1999 the Vancouver Videopoem Festival – the first of its kind in Canada – began as an effort of the Edgewise ElectroLit Centre, a non-profit literary arts organization dedicated to expanding the reach of poetry through new media with programs such as Telepoetics Vancouver and the Edgewise Café electronic magazine. The Vancouver Videopoem Festival became critically regarded owing to its progressive regard for spoken word in cinema, presenting poets both in performance and on the big screen. The audience could explore the merits and distinctions of poetry rendered in these two forms, stage and screen, sparking new dialogue as to the essential nature of poetry.4
Das Festival findet heute jährlich in der Pacific Cinémathèque in Vancouver statt und ist ein bedeutender Treffpunkt für die produktive kanadische Videopoetry-Szene und 1 2 3 4
Rattapallax Online Magazine, online unter: http://rattapallax.com/blog/magazine. Bernard Stiegler: „The Carnival“, 45. Jean Cocteau: „Une Arme merveilleuse et dangereuse dans les mains des poètes“, in: Du cinématographe, hg. von André Bernard, Paris 1973, 20–21. Heather Haley: „Visible Verse Festival“, online unter: http://heatherhaley.com/visibleverse.php.
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einzelne internationale Produktionen. Es bietet außerdem ein Forum für die Erforschung und Diskussion des Genres. In diesem Bereich engagieren sich neben Heather Haley selbst der Videoregisseur Kurt Heintz sowie der Poetryvideopionier und Dozent Tom Konyves, der 2011 mit dem Essay „Videopoetry: A Manifesto“ hervortrat.1 In der Tradition der experimentellen Poesie steht das Festival Videobardo, das seit 1996 in Buenos Aires ausgerichtet wird. Kurator und Initiator Javier Robledo ist selbst im Bereich der visuellen Poesie tätig und vertritt dementsprechend eine stärker experimentelle Richtung innerhalb des Poesiefilmes. Videobardo verfügt zudem über eines der wichtigsten Archive für Videopoesie und betreibt außerdem einen Blog, eine Facebook-Gruppe, eine Internetseite und einen Twitteraccount. Die Namen der Festivals „VideoBardo“ und „See The Voice: VISIBLE VERSE Videopoetry“ sind synästhetische Oxymora. Sie spielen mit der Konfrontation zweier Sinnesbereiche. In der Fügung Videobardo verknüpfen sich „Video“, das sich vom lateinischen „Ich sehe“ herleitet und „Bardo“, der spanische Name für den mittelalterlichen Dichtersänger. Die alliterierende Bezeichnung Visible Verse, sichtbarer Vers, verbindet ebenfalls Hören und Sehen miteinander, was im Vorsatz „See the Voice“ noch deutlicher wird. Das Logo des Festivals besteht dementsprechend aus einer bildlichen Kombination von Auge und Mund. Statt, wie es im Diskurs über Literatur und Film noch immer üblich ist, Video oder Film als ‚visuelle Medien‘ zu klassifizieren oder auf das bewegte Bild zu reduzieren, legen alle genannten Festivals Wert auf die Tatsache, dass Ton und Bild hier in besonderer Weise verknüpft werden. So beruft sich die Festivalmacherin Heather Healy für „See the Voice: Visible Verse“ auf mündliche Traditionen von Dichtung und ihre Affinität zum Lied, während Javier Robledo von Videobardo der experimentellen Lyrik nahesteht und die poetische Überstrukturiertheit, die sprachliche Reflexivität und die Entblößung ihrer Faktur betont: „als ein audiovisuelles Genre, welches einen speziellen Umgang mit dem Wort, dem Buchstaben, der Sprache, dem Diskurs, dem Poetischen, dem Zeichen, dem Symbol verwirklicht.“2 Mit dem Sadho Poetry Film Fest hat sich 2007 im indischen Delhi eine weitere wichtige Plattform des internationalen Poesiefilmes etabliert. Der Name „Sadho“ referiert auf die Adressierung „Oh, Weiser“, die in den Werken des indischen Mystikers und Poeten Kabir gebräuchlich ist. Die Veranstalterinnen und Veranstalter zeigen in ihren Programmen und Workshops eine starke Publikumsorientierung, die sich in der Formel „poetry to the people“ verdichtet: „Sadho aims at taking great ,poetry to people‘ through the innovative use of arts, media, technology and social action.“ Alle der genannten Poesiefilmfestivals stehen über das Internet, Workshops und Reisen in einem engen Austausch miteinander. Darin äußert sich, bei allen Unterschieden in Traditionen und Schwerpunktsetzung, das Selbstverständnis, an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten: dem selbstständigen Genre, für das im Rahmen dieser Untersu-
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Tom Konyves: „Videopoetry. A Manifesto“, online unter: http://issuu.com/tomkonyves/docs/ manifesto_pdf. Javier Robledo: Videobardo’s idea (Übersetzung S.O.).
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chung der Überbegriff „Poesiefilm“ vorgeschlagen wurde. Die hier erwähnten Festivals sind nicht die einzigen, die der Präsentation von Lyrik im audiovisuellen Medium gewidmet sind. Die hybride Anlage des Genres bringt es mit sich, dass auch Festivals für Literatur, experimentelle Lyrik, Video, Performance oder Medienkunst Poesiefilme in ihr Programm aufnehmen. Projekte wie das „City Breath Festival of Video Poetry and Performance“ aus Südafrika zeigen, dass Poesiefilm international anschlussfähig ist. Im Sommer 2002 startete in Berlin der ZEBRA Poetry Film Award. Im deutschsprachigen Raum kann das viertägige Festival durchaus als Gründungsereignis des Poesiefilmes gelten. Das zunächst auf einen eher kleinen Rahmen angelegte Projekt der literaturWERKstatt Berlin, das anlässlich des Berliner Poesiefestivals stattfand, lockte über 610 internationale Einsendungen an und brachte damit hierzulande das Genre erstmals ans Licht einer breiteren Öffentlichkeit. Thomas Wohlfahrt, Direktor der literaturWERKstatt Berlin, war über seinen Kontakt mit Bob Holman bereits zu Beginn der neunziger Jahre in New York zum ersten Mal mit dem Genre in Kontakt gekommen und wurde dadurch für das auch in Deutschland wachsende Interesse sensibilisiert, wie er berichtet.1 So kam es also etwa 10 Jahre nach dem ersten US-amerikanischen Vorgänger zum ersten deutschsprachigen Festival. Trotz dieser Verwurzelung in der Spoken-Word-Bewegung, wurden durchaus nicht nur die Clips der Poetryslam-Szene gezeigt, sondern es herrschte von Anfang ein Interesse für historische Formen des Poesiefilmes. Im Programm äußerte sich dies in der Vielfalt der unterschiedlichsten Stile und Formate, von der Computeranimation über den Zeichentrick- bis hin zum Experimentalfilm und klassischen Filmformen. Das Festival findet bis heute im Abstand von zwei Jahren statt, erfreut sich bei seinem Berliner Publikum großer Beliebtheit und ist mittlerweile das größte Festival seiner Art.2 Zunächst wählt eine Programmkommission, zu der neben Filmexperten jeweils ein Dichter/ eine Dichterin und ein Regisseur/eine Regisseurin gehört, aus den Einreichungen diejenigen Filme, die auf dem Festival gezeigt werden und entscheiden, welche von ihnen im Wettbewerb laufen sollen. Sie setzen dabei sowohl literarische als auch filmästhetische und inhaltliche Maßstäbe an. Während des Festivals vergibt eine wiederum aus den Bereichen Dichtung, Medienkunst und Film besetzte Jury die Preise. Neben dem offiziellen Wettbewerb wird ein sorgfältig kuratiertes Programm mit wechselnden internationalen Schwerpunkten präsentiert, das historische und thematische Akzente setzt. Auch außerhalb der Austragung bildet das ZEBRA-Festival ein wichtiges und lebendiges Zentrum der Poesiefilmszene, das durch Vortragsreisen, Gastauftritte und Korrespondenz Kontakte herstellt und wichtige Akteure miteinander vernetzt. Dabei bedient sich Thomas Zandegiacomo, der künstlerische Leiter des Festivals, auch den durch das Internet entstandenen Kommunikationsmöglichkeiten. Dazu gehören unter anderem Kanäle auf YouTube und vimeo, die die in den Streaming-Plattformen verfügbaren Poesiefilme bündeln, sowie ein Facebook-Profil, über das zu Veranstaltungen eingeladen wird und Ausschreibungen angekündigt werden.
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Wohlfahrt zitiert nach Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu, 165. Das 3. ZEBRA Poetry Film Festival verzeichnete über 2000 Zuschauerinnen und Zuschauer.
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2.4.4 POEM in Kino und Schule Eine Sonderstellung im Bereich des deutschsprachigen Poesiefilmes nimmt Ralf Schmerbergs Film „POEM – Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“ ein, der erstmals verschiedene Gedichtfilme zu einem abendfüllenden Langfilm verknüpfte. Juliane Moschell hat sich im Rahmen ihrer Magisterarbeit eingehend mit dem ohne Übertreibung als Pionierarbeit zu bezeichnenden Filmprojekt beschäftigt.1 In einem Interview mit dem Regisseur ist es ihr gelungen, wichtige Informationen zur Konzeption des Filmes und zur Arbeitsweise des Filmteams zusammenzutragen. In Zusammenarbeit mit Ko-Autorin Antonia Keinz wurden 19 Gedichte von weitgehend kanonisierten Dichterinnen und Dichtern des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts ausgewählt, darunter Johann Wolfgang Goethe, Heinrich Heine, Ingeborg Bachmann, Claire Goll und Hermann Hesse. Die ausgewählten Gedichte zählen zu den weniger bekannten Werken. Daraus ergibt sich eine gewisse Freiheit hinsichtlich der filmischen Umsetzung, denn diese konkurriert nicht zwangsläufig mit Bildern oder Tönen, die in der Vorstellung des Publikums bereits vorhanden sind. POEM zeigt bezüglich der Art und Weise, wie die Gedichte filmisch integriert werden, eine relativ große Bandbreite, die von der recht klassischen, inszenierten Gedichtrezitation2 über die Performance3 bis zum videoclipähnlichen, bildmächtigen Konzeptfilm4 reicht. Wohl um eine gewisse Kontinuität herzustellen und die Modularität des Filmes aufzufangen, gibt es mit der Episode einer buddhistischen Pilgerreise eine narrative Klammer, die zwischen den Einzelfilmen fortgesetzt wird und sie miteinander verknüpft. Zudem folgt, worauf Schmerberg selbst hinweist, die Anordnung der Gedichte dem Prinzip des Lebensweges. Im Gang durch die „großen Stationen des Lebens“5 wird so ein narrativer Spannungsbogen erzeugt. Schmerberg ist es als Filmemacher offenbar sehr wichtig, „eine Geschichte zu erzählen“6. Dies, wie auch die Umschreibungen des Filmes als „magische Reise“7, lassen darauf schließen, dass sich dieser abendfüllende Langfilm von ein paar Gedichten seine Narrativität nicht gänzlich austreiben lassen will. Allerdings lässt sich auch eine gegenläufige Tendenz feststellen. Schmerberg hatte vorher vor allem Musikvideos und Werbespots gedreht und hat – wie er selbst sagt –
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Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu, 18ff., 50ff. „Gesang der Geister“, siehe Kapitel 3.1. „Alles“, siehe Kapitel 3.1. „Tenebrae“. Schmerberg zitiert nach ebd., 128. Ebd. Das Presseheft schwärmt von einer „magischen Reise durch die Welt der Poesie und Imagination“ (Trigger Happy Productions: POEM – Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug, Presseheft, 1, Berlin 2002).
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bei der Arbeit zu POEM, auf Techniken aus diesen Bereichen zurückgreifen können.1 Tatsächlich hinterlässt der Film einen Eindruck, der diese Aussage bestätigt. Die Gedichte können als Kurzfilme in jeder Hinsicht für sich allein stehen, denn sie unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Gestaltung stark voneinander, zumal sie als interpretierende Umsetzungen eines Gedichtes genug Spielraum für Lesarten lassen, die vom Lebensweg-Muster abweichen. Die thematische Gruppierung und Anordnung verschiedener Bildsequenzen in Verbindung mit dem auf der Tonspur präsenten gesprochenen Gedicht erinnert oft wirklich an Musikvideos, vor allem an aus dem Konzeptvideo bekannte Muster. POEM lief im Mai 2003 in den deutschen Kinos an und hatte mit seinen Beiträgen im folgenden Jahr beim zweiten ZEBRA-Festival großen Erfolg. Der Einzelbeitrag „Von grauen Tagen“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Ingeborg Bachmann gewann den Preis der Jury. Eine nicht zu unterschätzende Wirkung hatte der Film auch über die Vermittlung in Schulen und Bildungsstätten. In Rheinland-Pfalz gehört eine Kopie zum Bestand jedes Gymnasiums und es wurden bereits unterschiedliche didaktische Konzepte erarbeitet, die den Film in den Literaturunterricht integrieren.2 Im Jahr 2006 erschien in der Reihe EinFach Deutsch ein Unterrichtsmodell unter Mitarbeit von Ralf Schmerberg.3 Die Verbreitung von POEM zeigt exemplarisch das Potential des Genres „Poesiefilm“ für die medienpädagogische und literaturdidaktische Praxis. So lassen sich Poesiefilme beispielsweise als alternative Vermittlungsform von Gedichten und als Diskussionsgrundlage im Deutschunterricht einsetzen. Mit dieser Zielsetzung ist auch die vom Duden-Paetec-Verlag produzierte DVD POESIEFILME entstanden, die verschiedene deutschsprachige Poesiefilmproduktionen versammelt und mit Vorschlägen für die Unterrichtsplanung versehen hat. Poesiefilm wird von der Duden-Redaktion auch als Hilfe „im Verstehensprozess von poetischen Texten“4 verstanden. Nicht zuletzt deshalb, weil weil die jungen Lernenden, so klingt hier an, aufgrund ihrer Sozialisation mit audiovisuellen Medien zum Genuss „purer Poesie“ nicht mehr ohne weiteres Zugang finden.5 Filmschaffende haben ebenfalls schon früh das aktivierendes Potential des Genres erkannt und haben Projekte initiiert, in denen Kinder und Jugendliche ihre eigenen Filme
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„Das ist auch interessant an dem Film, dass er natürlich Musikvideotechnik benutzt hat. Es ist eigentlich eine Weiterentwicklung eines Regisseurs, der Musikvideos und Werbespots gemacht hat – in Richtung Kino.“ (Schmerberg zitiert nach: Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu, 162). Siehe dazu vor allem Axel Krommer: „Lyrik und Film“; und Axel Krommer/Matthias Hesse: „,Du sollst nicht …‘ – Gedichte verfilmen. Zur Theorie und Praxis eines Lyrik-Projekts in der Sekundarstufe II“, in: Volker Frederking (Hg.): Filmdidaktik und Filmästhetik. Jahrbuch Medien im Deutschunterricht, München 2005, 145–160.). Matthias Hesse/Axel Krommer/Julia Müller: EinFach Deutsch – Unterrichtsmodelle: ,Poem‘, 2006. Detlef Langermann: Vorwort, Booklet zur DVD Poesiefilme, 2010, 7. Siehe ebd., 4.
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produzieren.1 Auch das ZEBRA Poesiefilmfestival knüpft an diese Tradition an und organisiert Workshops für Kinder sowie Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer. In der Bildung bietet sich dem Unternehmen „Poesiefilm“ ein ausgedehnter und vielversprechender Anwendungsbereich. Auch an Filmhochschulen nutzt man, in diesem Fall auf der Ebene der Mediengestaltung, das Format „Poesiefilm“ in der Ausbildung. Im Fachbereich „Design“ der Hochschule Anhalt initiierte Angela Zumpe schon 2001 in Zusammenarbeit mit der literaturWERKstatt ein Seminar, in dem Lyrikclips produziert wurden und das bei den Studierenden auf großen Zuspruch stieß: Die Studenten haben sich individuell mit dem jeweiligen Text auseinandergesetzt. Es ging dabei weniger um eine werkgetreue Interpretation, als um subjektive Annäherungen, die Visualisierung von Begriffen, ohne illustrativ zu sein, Fragmente, Gegenbilder oder Analogien zu entwickeln.2
Auch in anderen Film- und Medienhochschulen entstehen immer wieder Poesiefilme, die regelmäßig für den Wettbewerb des ZEBRA Poetry Film Festival ausgewählt werden. Poesiefilm ist von einem Projekt der künstlerischen Avantgarden und der lyrischen Off-Kultur zu einem institutionell geförderten Instrument der Literaturvermittlung geworden. Die in der Geschichte des Genres impulsgebenden Zielsetzungen der Popularisierung von Lyrik und der Reflexion audiovisueller Medialität bleiben, bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung in den einzelnen Richtungen, dabei weiterhin wichtig. Mit der Einbindung des Poesiefilmes in die Kontexte der digitalen Medien ist eine neue Situation entstanden. Wie sich das Genre in diesem Zusammenhang behaupten wird, hängt davon ab, ob es sich im Spannungsfeld zwischen der erfolgversprechenden Anpassung an mediale Strukturen und deren lyriktypischer Störung überzeugend positionieren kann.
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Dazu gehören unter anderem Gerard Wozek (http://www.gerardwozek.com/video.htm ), Gerd Conradt sowie Bob Holman, zu dessen Poetry Spots auch ein Projekt mit der Ryan Junior High School in Queens zählt. (Poetry Spots, Season IV, 1993). Angela Zumpe: „The Moving Image – Text und bewegtes Bild. Überlegungen am Rande eines Videoprojektes mit Designstudenten an der Hochschule Anhalt in Dessau“, in: Bildersprechen. 6. Jahrbuch der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Köln 2006, 155–159. Hier: 157f.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
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Gesprochene Lyrik im Gedichtfilm
3.1.1 Stimme und Sprechkünste im audiovisuellen Medium Parameter der Sprechkunst Gedichtfilme1 sind nicht nur Kombinationen aus Gedichten und bewegten Bildern, sondern zuallererst eine Realisierung dieser Gedichte in Stimme oder Schrift. Ein Gedicht wird gesprochen oder in Schriftzeichen auf Leinwand, Bildschirm oder Display lesbar gemacht und bietet sich so der Wahrnehmung dar. Wichtig ist, auf welche Art und Weise dies geschieht. Vortragende Stimme und stimmlicher Ausdruck, Mimik und Gestik, Aufnahmetechnik und Aufführungsort, Beschaffenheit, Stellung und Bewegung von Buchstaben, rhythmische Muster sowie die Wechselwirkung all dieser Elemente zur Bildebene, bilden in ihrem Zusammenspiel den Gedichtfilm, der sich in seiner Rezeptionsweise von der stillen Lektüre eines Gedichtes grundlegend unterscheidet. Diese Realisierung, die als Aufführung oder Performance beschrieben werden kann, und ihr spezifisches Verhältnis zur audiovisuellen Medialität sollen Thema der folgenden Kapitel sein. Der größte Teil aller Gedichtfilme bindet die Gedichte in ihrer gesprochenen Form als stimmlich realisierte lyrische Texte ein. Diese akustische Umsetzung kommt der Affinität zu Musik und Klanglichkeit entgegen, die lyrische Dichtung auszeichnet. Das mag zum einen damit zusammenhängen, dass die Gattung historisch aus der an den Gesang und Tanz gekoppelten Dichtung (mousiké) hervorgegangen ist. Spuren dieser Herkunft aus dem Lied sind klangliche und rhythmische Strukturen wie Assonanz, Alliteration und Metrum, die lyrische Sprache in besonderem Maße prägen. Jene Musikalität und Rhythmik entfaltet ihre Wirkung vollends erst in ihrem stimmlichen Vollzug, das heißt, wenn sie im Vortrag hörbar gemacht werden.2 Gleichzeitig nehmen 1 2
Siehe Kapitel 1.2: Gedichtfilme werden hier bestimmt als Poesiefilme, in denen gesprochene oder geschriebene Texte materieller Teil des audiovisuellen Kunstwerks sind. Siehe Dieter Mersch: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München 2002, 114.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
Gedichtfilme den Faden einer Kritik auf, die in der Literaturgeschichte immer wieder formuliert wird, nämlich der Kritik daran, dass Dichtung als Literatur auf das Medium der Schrift reduziert wird. Dieser Kampf um die verlorene Stimme der Dichtung lebte wieder auf mit der Performanceorientierung der Poesie im zwanzigsten Jahrhundert, wie sie Paul Zumthor beschreibt. Befördert durch die technischen Mittel des Phonographen, „der den Materialcharakter der Sprache hervortreten ließ“1, vollzog sich eine Rückbesinnung auf die mündliche Dichtung in Form von Tonaufzeichnungen und Lesungen. Zumthors Aufzählung beginnt mit den Experimenten Apollinaires und umfasst Ungaretti, Céline, Joyce, die italienischen Futuristen, den Poeten Jewtuschenko, die New York School und schließlich auch die experimentelle Dichtung, insbesondere die Lautdichtung: „Dichter beginnen im Hinblick auf die Aufführung zu schreiben und diese Absicht strukturiert ihre Sprache.“2 Auch wenn, wie häufig konstatiert wird, Stimme und Mündlichkeit in den literalen Kulturen eher marginalisiert wurden, existiert doch seit der Antike eine Beschäftigung mit der Stimme und ihren Wirkungsmöglichkeiten, die in griechischen und römischen Rhetoriklehren niedergelegt ist.3 Als mit der Erfindung des Buchdrucks und der Durchsetzung der Kulturtechnik des stillen, einsamen Lesens die Bedeutung der Stimme im sozialen und politischen Bereich erheblich gemindert wird, geht ihre Pflege und Kultivierung auf den Bereich der Ästhetik über.4 Davon zeugt nicht zuletzt die Wirksamkeit der Sprechkunstbewegung um 1800.5 Dass sich die Rezeption von Dichtung bei weitem nicht auf die Lektüre geschriebener Texte beschränkt, gilt bis heute, mehr noch: die neueren Medien haben sogar zu einer Renaissance der Literatur fürs Ohr geführt, die heute in verschiedensten Formen daherkommt: als avanciertes Radiofeature, als Hörbuch auf CD oder mp3, als Poetryslam oder traditionelle Autorenlesung sowie auf Internetseiten wie lyrikline.org oder volkslesen.tv. Wo in Gedichtfilmen ein Gedicht gesprochen wird, muss sich die Analyse den sprechkünstlerischen Mitteln zuwenden, die im Vortrag zum Einsatz kommen. Die Deklamation oder Rezitation vergegenwärtigt den geschriebenen Text und fügt ihm die Dimension des stimmlichen Ausdrucks hinzu, der mit den Mitteln literarischer Textinterpretation allein nicht zu erfassen ist. Bei der sprechkünstlerischen Umsetzung eines vorliegenden schriftlich verfassten Textes geht es auch nicht um eine „richtige“ oder „adäquate“ Verlautlichung des Dichterwortes,6 denn eine große Anzahl sprechsprachli1 2 3 4 5 6
Paul Zumthor: Einführung in die mündliche Dichtung, Berlin 1990, 147. Ebd. Siehe Quintilian: „XI, 3“, in: Institutionis Oratoriae. Ausbildung des Redners, Zwölf Bücher, hg. von Marcus Rahn, Darmstadt 1975. Siehe Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme, München 1998, 17. Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 225. Der deutsche Schallforscher Eduard Sievers, aber auch der russische Formalist B.M. Eijchenbaum und viele russische Dichter der 20er Jahre glaubten an eine Determination des mündlichen Vortrags durch die Textstruktur. „Sievers war überzeugt, daß im Gedichttext (in Texten der belletristi-
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cher Parameter sind aus schriftlich notierten Gedichten eben nicht ablesbar. Daraus ergeben sich Varianzspielräume für die stimmliche Realisierung in der Darbietung. Für die Untersuchung literarischer Vortragskunst in Poesiefilmen können die Überlegungen Roman Jakobsons über das Verhältnis von Verstyp und Versinstanz erste Anhaltspunkte bieten. Ausgehend von der Beobachtung, dass es in einzelnen Gedichten bestimmte Freiheiten bei der Realisierung metrischer Muster gibt, nimmt Jakobson eine Unterscheidung zwischen Verstyp, oder auch Versdesign, und Versinstanz vor: „Typ und Instanz sind korrelative Begriffe. Der Verstyp bestimmt die invarianten Eigenschaften der Versinstanz und steckt die Grenzen für die Varianten ab.“1 Außerdem besteht Jakobson auf eine strenge Trennung der variablen Versinstanzen von den Vortragsinstanzen, mit denen wiederum die konkrete stimmliche Realisierung jedes einzelnen Verses bezeichnet ist.2 So kann ein bestimmter Vers vom metrischen Gesamtmuster abweichen oder besser: dieses metrische Muster variieren. Wie jener Vers dann im Vortrag intoniert wird, ist aber eine davon unabhängige Frage. Der Vortrag ändert nichts an der im Gedicht rhythmisch hergestellten Spannung, die durch eine frustrierte Erwartung hergestellt wird, beispielsweise dem Zusammenfall einer unbetonten Silbe mit einer metrischen Hebung. Beim Enjambement, das Jakobson als Beispiel nimmt, handelt es sich demgemäß um die „absichtliche Diskrepanz zwischen metrischer und syntaktischer Einteilung“3, den Konflikt zweier Gliederungsebenen, der durch keine der in Frage kommenden Vortragsweisen aufgehoben werden kann. Im lautlichen Vortrag bieten sich verschiedene Möglichkeiten, dort das Versende zu realisieren; ob durch eine kurze Pausensetzung, eine Verlangsamung, eine schwebende Betonung oder sogar durch intonatorisches Unterdrücken der Versgrenze.4 Das Gedicht und die Vorgaben und Spielräume, die aus seiner metrischen, syntaktischen oder semantischen Struktur für den Vortrag erwachsen, müssen in ihrem Verhältnis zum Vortrag und zu den Faktoren stimmlicher Realisierung berücksichtigt werden. Für eine Untersuchung sprechkünstlerischer Aspekte in Gedichtfilmen sind dabei eben jene Stellen von Interesse, die zu einer Spannung zwischen Verstyp und Versinstanz bzw. zwischen Verstyp und Vortragsinstanz führen, etwa ein Enjambement oder eine metrische Variation.
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schen Prosa schienen ihm die Dinge komplizierter) die Klangformen bereits angelegt sind, daß sich aus der Textstruktur die Aussprachemomente zwingend ableiten lassen.“ (Peter Brang: Das klingende Wort. Zu Theorie und Geschichte der Deklamationskunst in Rußland, Wien 1988, 13). Roman Jakobson: „Linguistik und Poetik“, 102. „Der Verstyp wird in Versinstanzen verkörpert. Die freie Variation dieser Instanzen läuft gewöhnlich unter der äquivoken Bezeichnung ‚Rhythmus‘. Variationen von Versinstanzen müssen streng von den variablen Vortragsinstanzen unterschieden werden.“ (Ebd., 104). Ebd., 106. Siehe Sergej Bernštejn: „Ästhetische Voraussetzungen einer Theorie der Deklamation“, in: WolfDieter Stempel (Hg.): Texte der Russischen Formalisten, Bd. 2: Texte zur Theorie des Verses und zur poetischen Sprache, München 1972, 339–385. Hier: 373ff.
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Um dieses Verhältnis von Gedicht und Vortrag systematisch zu erfassen, hat der russische Formalist Sergej Bernštejn die Unterscheidung zwischen Dichtkunstwerk und Deklamationswerk eingeführt, wobei das Dichtkunstwerk als Gebilde phonischer Vorstellungen, das Deklamationswerk hingegen als dessen lautliche Materialisierung gedacht wird. Als solches enthält es zusätzliche Elemente, die im Gedicht fehlen. So gibt die Schriftfassung eines Gedichtes meist keine genaue Auskunft über das Tempo oder den Tonhöhenverlauf, in dem es gesprochen werden soll. Gleichzeitig muss die Deklamation oft aus mehreren möglichen Realisierungen auswählen und somit eine Festlegung treffen, die im geschriebenen Gedicht offenbleiben konnte.1 Bernšteijn besteht also erstens, wie auch Jakobson, auf der strikten Trennung des poetischen Verses vom deklamatorischen bzw. tönenden Vers, und er fordert zweitens eine deskriptive Theorie der Vortragskunst, die nicht in normativer Weise deklamatorische Kategorien aus Strukturen des Verses ableitet.2 Aufgrund der Ganzheitlichkeit des deklamatorischen Kunstwerks nimmt Bernštejn keine Zergliederung in einzelne Elemente vor, sondern spricht von zusammenwirkenden Faktoren, vergleichbar mit Material und Form einer Statue3: „Zu den im Deklamationswerk höchst wesentlichen Materialfaktoren müssen neben der Melodik und dem qualitativen Lautbestand Timbre und Register (Tonlage) der Stimme sowie temporale Momente gezählt werden.“4 Jene Materialfaktoren bilden in ihrem Zusammenspiel die stimmliche Realisierung eines Gedichtes im Poesiefilm, die es zu analysieren gilt. Besonders folgenreich für die Untersuchung des Verhältnisses von Textvorlage und gesprochenem Vortrag ist dabei die sprachwissenschaftliche Beobachtung, dass einzelne Parameter der Sprechstimme, etwa Dynamik, Tempo und Prosodie, funktional aufeinander bezogen sind und daher in bestimmten Kovarianzen auftreten.5 Neuere Untersuchungen dieser Kovarianzen haben gezeigt, dass die rhythmische Realisierung eines Verses, dessen Metrum mit seiner prosodischen Gestalt konfligiert, durch eine Kombination verschiedener vokaler Mittel ermöglicht wird.6 Sie Sie erlaubt es zum Beispiel, bei einem Enjambement gleichzeitig das Versende und die syntaktische Kontinuität anzuzeigen, ohne eine der Varianten unterdrücken zu müssen. Eine gelungene, rhythmische Rezitation enthält also vokale Eigenschaften, die Metrum und Prosodie bzw. Strophenform und syntaktische Gliederung in ihrer jeweiligen Spannung zueinander wahrnehmbar machen.7 1 2 3 4 5 6
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Peter Brang: Das klingende Wort, 22f. Sergej Bernštejn: „Ästhetische Voraussetzungen einer Theorie“, 343. Ebd., 345. Ebd., 357. Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 174ff. Siehe Reuven Tsur: „A Perception-Oriented Theory of Metre and the Rhytmical Performance of Poetry“, in: Christoph Küper (Hg.): Meter, Rhythm and Performance. Proceedings of the International Conference on Meter, Rhythm and Performance, Held in May 1999 at Vechta, Frankfurt am Main u. a. 2002, 19–38. Hier: 36. Siehe ebd., 20.
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Reinhart Meyer-Kalkus konstatiert trotz eines seit der Jahrtausendwende stark gestiegenen Forschungsinteresses an der Stimme eine „Diskrepanz zwischen dem Boom der akustischen Literaturrezeption und unserer Unfähigkeit, angemessene analytische Begriffe zu finden, um das, was wir hören zu beschreiben, historisch zu kontextualisieren und ästhetisch zu kritisieren.“1 Nicht, dass die Sprechkunst ein neues, noch gänzlich unbearbeitetes Thema darstellte: Von der antiken Rhetorik2 über die Sprechkunstbewegung des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts bis zum russischen Formalismus wurden die Ausdrucksmöglichkeiten der sprechenden Stimme untersucht und entsprechende theoretische Konzepte entwickelt, doch handelt es sich hierbei lediglich um „zerstreute Versuche“3. Die Unternehmung, die Vielfalt der bestimmenden Faktoren und Parameter zu einem umfassenden systematischen Ansatz zusammenzuschließen, der den veränderten medialen Bedingungen unserer Zeit gerecht wird, steht nach Meyer-Kalkus’ Auffassung noch aus. Mit seinen „Koordinaten der Sprechkunst“ hat er aber selbst bereits ein recht umfassendes Modell vorgelegt, das eine Vielzahl einzelner Faktoren in ihrer Funktion und ihrem Zusammenspiel beinhaltet und in dem auch – was für die vorliegende Arbeit besonders wertvoll ist – Inszenierungsweise und mediale Einbettung des Vortrags Berücksichtigung finden: Das Wie und das Was des Vortrags stellen keineswegs die einzigen Koordinaten der Sprechkünste dar. Nach dem Modell der rhetorischen Topik könnte man diese Koordinaten anhand der fünf Fragen: Wer spricht?, Was, Wie, Wo und Wann? untergliedern. […] Man wird jeweils Kovarianten feststellen und Dominanten, welche die verschiedenen Koordinaten determinieren. Jede dieser Koordinaten kann ihrerseits wieder diversifiziert werden, um die Fülle und Komplexität der Aspekte am Gegenstand zu erfassen. In ihrer Gesamtheit stellen sie ein Bezugssystem miteinander verbundener Zimmer und Winkel dar, das immer tiefer ins Innere des Gebäudekomplexes der Sprechkunst hineinführt. Nur in ihrer Interdependenz und ihrem Strukturzusammenhang sind diese Aspekte von Interesse.4
Um die Bedeutung der Sprechkunst für den Bereich des Poesiefilmes zu demonstrieren, sollen die von Meyer-Kalkus vorgeschlagenen Koordinaten nicht einfach referiert, sondern an einem konkreten Gedichtfilm verdeutlicht werden. Als Beispiel dient der Kurzfilm GESANG DER GEISTER ÜBER DEN WASSERN (2002), eine Umsetzung des gleichnamigen Gedichtes von Johann Wolfgang Goethe durch die Schauspielerin Luise Rainer, die aus dem Zusammenhang des Filmprojektes POEM (2002) von Ralf Schmerberg stammt.5
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Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 167. Siehe Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme. Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 167. Ebd., 180. Siehe Abbildung 3.1.
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Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“ Das Wer des Vortrags prägt die Erwartungshaltungen des Publikums. Luise Rainer ist zwar als Star der goldenen Hollywood-Ära in den dreißiger Jahren bekannt geworden, wo sie in zwei aufeinanderfolgenden Jahren den Oscar gewann, doch ihre Karriere hatte bereits im Deutschland der Weimarer Republik ihren Anfang genommen, bevor sie, ihrer jüdischen Herkunft wegen, 1935 vor der Naziherrschaft in die USA flüchtete. Eine solche Biographie kann nicht ohne Auswirkung auf die persona sein, als die uns die Sprechende im Gedichtfilm entgegentritt. Eine hochbetagte Frau, deren elegantes Auftreten noch die Filmdiva verrät, wird Luise Rainer auch als Repräsentantin einer abgebrochenen Kulturtradition inszeniert; über ihrem Auftritt liegt wie ein Schatten die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung. Luise Rainer, die nie wieder dauerhaft nach Deutschland zurückgekehrt ist, spricht nun auf Einladung eines jungen deutschen Filmteams ein Gedicht Goethes, jenes Dichters, dessen Werk den Status des „nationalen Erbes“ besitzt; ein Werk, das auf den Flugblättern der Weißen Rose zitiert wird, wie es auch vom NS-Regime instrumentalisiert worden ist. Noch in der Bildkomposition drückt sich die Ehrfurcht aus, die der Schauspielerin und mit ihr einer untergegangenen Epoche deutschen Geisteslebens entgegengebracht wird. Mit dem Was ist die zweite Koordinate angesprochen. Zu bestimmen sind Textsorte oder Gattung, der der vorgetragene Text angehört. Auch sind die Textauswahl und eventuelle Änderungen zu kommentieren, die Rückschlüsse auf die Vortragskonzeption und das zu Grunde gelegte Verständnis des Textes zulassen. Damit soll auch daran erinnert werden, dass „Vortragskünste auf ihre Weise Interpretationen von Texten“1 sind, die das Was stets mit einem Wie des Vortrags auf eine spezifische Weise ins Verhältnis setzen. Das unserem Filmbeispiel zu Grunde liegende Gedicht „Gesang der Geister über dem Wasser“ zählt zu den abstrakt-weltanschaulichen Oden Goethes wie später auch „Grenzen der Menschheit“ und „Das Göttliche“.2 Über den Entstehungskontext wird berichtet, dass Goethe während seiner ersten Reise in die Schweiz zur Vorbereitung auf eine Passüberquerung in der Odyssee liest und sich besonders dem 12. Gesang in Bodmers Übertragung widmet, der von der Passage zwischen Skylla und Charybdis, „von Klippengefahr und zerstiebendem Wasser handelt.“3 Auch im Homer’schen Epos handelt es sich um einen „Rück- und Überblick mit Tie-
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Ebd., 182. Siehe Terence James Reed: „Gesang der Geister über den Wassern“, in: Regine Otto/Bernd Witte (Hg.): Goethe-Handbuch. Gedichte, Stuttgart, Weimar 1996, 195–198. Hier: 196. Die Realität geht in der Kausalität auf, wenn selbst die Beschreibungen des bewegten Laufes der Wassermassen nicht für sich steht, „sondern in quasi logische Strukturen gefaßt werden.“ Terence James Reed sieht daher die Naturschilderung zur Allegorie im Goethe’schen Sinne verblassen, die das Besondere nur zur Schilderung des Allgemeinen heranzieht. Ebd.
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fenperspektive“.1 Thema des Gedichtes ist also die Schilderung einer Naturerscheinung als Parabel für eine höhere menschliche Wahrheit. Es setzt mit einem direkten Vergleich zwischen der Seele des Menschen und dem Wasser ein. Das Wasser wird im Verlauf des Gedichtes vor allem durch seine Erscheinungsweise als „Strahl“, „Welle“ und „Wogen“ oder als „Bewegung“ (Sturz) gekennzeichnet. Dass in der Bewegtheit und Wandelbarkeit, im ewigen Wechseln, das zentrale Motiv des Gedichtes liegt, äußert sich auch in einer Vielzahl von Bewegungsverben und deren Partizipien. Die Ode zeichnet sich durch eine Fülle klangmalerischer Elemente aus, darunter Alliterationen und Stabreime, vor allem aber Vokalhäufungen, was sich an einigen Stellen in der Vortragsweise niederschlägt. Im rhythmischen Charakter ist das Gedicht einem antiken Chorlied nachempfunden. Komposita und mit Adjektiven beschwerte Substantive legen ein langsames Sprechen nah. In freien Rhythmen gehalten, sind die Verse größtenteils jambisch, wechseln jedoch an entscheidenden Stellen zum Daktylus und sogar zum adonischen Schlussvers.2 Am komplexesten und umfangreichsten fällt die Untersuchung des Wie des Vortrags aus, „also die stimmlichen Ausdrucksmittel, die körperlich hervorgebracht werden, aber vielschichtige symbolische Bedeutungen vermitteln.“3 Hierhin gehört zunächst eine Zuordnung zu den Gattungen der Sprechkunst: Handelt es sich um Vorlesen, Schauspielen, Deklamation oder Rezitation? Luise Rainers Vortrag lässt sich, folgt man Goethes eigenen Begrifflichkeiten gewiss als „Rezitation“ charakterisieren: Der Rezitierende folgt zwar mit der Stimme den Ideen des Dichters und dem Eindruck, der durch den sanften oder schrecklichen, angenehmen oder unangenehmen Gegenstand auf ihn gemacht wird; er legt auf das Schauerliche den schauerlichen, auf das Zärtliche den zärtlichen, auf das Feierliche den feierlichen Ton, aber dieses sind bloß Folgen und Wirkungen des Eindrucks, welchen der Gegenstand auf den Rezitierenden macht; er ändert dadurch seinen eigentümlichen Charakter nicht, er verleugnet sein Naturell, seine Individualität dadurch nicht und ist mit einem Fortepiano zu vergleichen, auf welchem ich in seinem natürlichen, durch die Bauart erhaltenen Tone spiele.4
Anders als bei der Deklamation, die sich von der gemäßigteren Rezitation zudem durch eine größere Intensität des Ausdrucks unterscheidet, findet in Luise Rainers Vortrag kein Rollenwechsel statt, bei dem die Deklamierende ihr „Naturell verleugne[t]“5. Auch die Erwähnung vokaler Stile und Sprechtraditionen kann in Einzelfällen sehr aufschlussreich sein. Die verschiedenen Sprechstile – von Goethes Weimarer Schule über Joseph Kainz’ „Schillerton“ und den Sturm-Kreis zum heutigen Hörbuch-Stil –
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Ebd. Nach dem metrischen Muster -vv-v. Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 182. Johann Wolfgang von Goethe/Johann Peter Eckermann: „Schauspielkunst. Regeln für Schauspieler“, 865f. Ebd., 865.
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haben eine ganz eigene Geschichte des Wandels, der durch soziale und mediengeschichtliche Umstände bedingt ist.1 Vor dem Hintergrund veränderter medialer Konstellationen muss heute von einem anderen, nicht aber von einem geringeren Gebrauch von Pathosformeln ausgegangen werden, als noch in den Rezitations- und Deklamationstraditionen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts.2 Im zwanzigsten Jahrhundert, der Epoche der Sprechkunst vor dem Mikrofon, ging die Entwicklung hin zu betonter Intimität, einer nach innen gekehrten Sprechweise mit wenigen Tonhöhen- und Tonstärkenwechseln. Die junge Schauspielerin Luise Rainer hatte bei Louise Dumont und Gustav Lindemann in Düsseldorf ihr Handwerk erlernt. Später spielte sie unter Max Reinhardt in Berlin und Wien. Ihre Deklamation lässt die Spuren des sprechkünstlerischen Stiles deutlich erahnen, der in diesem Umfeld gepflegt wurde und der an Vorbildern wie Josef Kainz, Alexander Moissi und Fritz Kortner geschult war. Er äußert sich vor allem in den malenden Gebärden, der klangmalerischen Dehnung bestimmter Silben und in den ausgreifenden Tonhöhenbewegungen auf einzelnen Akzentsilben.3 Während die bisher erwähnten Merkmale meist den Vortrag in seiner Gesamtheit betreffen, sind viele andere der stimmlichen Ausdrucksmittel auf der Ebene einzelner Verse, Wörter oder Silben angesiedelt: „Den größten Umfang“, bemerkt Meyer-Kalkus, „nehmen jene Ausdrucksmittel ein, die – analog zur Musik – zur Verdeutlichung von Formstrukturen des Textes verwendet werden“.4 Dies lässt sich am Beispiel von Luise Rainers Deklamation vorzüglich demonstrieren, die sowohl Tempo, Lautstärke und Prosodie zur Gliederung des Textes und zum Spannungsaufbau einsetzt. Sie wählt ein langsames Tempo und beschleunigt es an eben jener Stelle des Gedichtes, an der von einer gesteigerten Bewegung des Wasser die Rede ist, um mit der darauffolgenden, vierten Strophe wieder zu einem, dem Hinschleichen des Flusses gemäßen Tempo zu verlangsamen. Die Pausensetzung markiert Zäsuren, wie etwa zwischen der Naturschilderung der mittleren Strophen und der allgemein-weltanschaulichen Rahmung, die durch die erste und die letzte Strophe gebildet wird. Eine mehrsekündige Pause zwischen zweiter und dritter Strophe bereitet einen plötzlichen Anstieg von Lautstärke, Tempo und Tonhöhe vor, der sich daraufhin umso effektvoller abheben kann (17–18). Dass sich das Gedicht keines durchgehenden Metrums bedient, sondern in freien Rhythmen geschrieben ist, findet seinen Ausdruck in einem fließenden Vortragsrhythmus, bei sorgfältiger Betonung der Versgrenzen durch kurze Pausen und ein Senken der Stimme. Goethes Gedicht ist durch das Moment der Bewegung geprägt, das auch Luise Rainer durchgehend zum bestimmenden Gestaltungsmerkmal macht. Ihre Stimme, aber auch die sprachbegleitenden Gesten, vollziehen die Bewegungen des Wassers nach und
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Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 213. Siehe ebd., 262. Siehe ebd., 259f. Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 182f.
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evozieren so diese Bewegung; so dass man von einer lautlichen Ikonisierung des Textes sprechen kann. Dies wird in der dritten und vierten Strophe am deutlichsten. Ab der Mitte der zweiten Strophe spricht Rainer langsamer und immer leiser werdend, während sie mit einer leichten, wie dirigierenden Taktbewegung die Bewegung der „Wolkenwellen“ nachvollzieht, um schließlich in ein leichtes Wiegen des ganzen Körpers überzugehen. Mit der dritten Strophe steigert sie Dynamik, Tonhöhe und Tempo abrupt und häuft schwere Akzente an. Besonders in den Versen „Ragen Klippen / dem Sturze entgegen“ ereignet sich treffenderweise ein starker Tonhöhensprung beim Wort ‚Klippen‘, bei der Rainers Stimme sich fast zu überschlagen scheint. Die kraftvolle, stürmische Bewegung aufnehmend, die sich an einem hemmenden Widerstand bricht und dabei noch verstärkt, wird auch ihre Gestik nun akzentuierter und expressiver. Sie ballt die Faust und beugt sogar leicht die Knie, um den Schwung anzudeuten, mit dem der Wasserfall „unmutig“ schäumt. Besondere Bedeutung kommt in Rainers Rezitation der lautsymbolischen Akzentuierung zu. Vor allem die Vokaldehnungen („e-wig“, „ho-hen stei-len Fels“, „Wi-nd“) kommen zur Symbolisierung von Dauer oder Intensität zum Einsatz und bringen damit gleichzeitig die klangmalerischen Qualitäten zur Geltung, die im Text angelegt sind. Auch mit den Tonhöhenverläufen werden Bewegungen nachgebildet, etwa mit dem Gebrauch tief fallender Tonhöhe bei „wieder nieder“ oder einem hohen, singenden Verlauf bei „wallt er verschleiernd“. In diesem Zusammenhang sind Goethes frühe Überlegungen zum Symbol bedeutend, die er aus seinen Betrachtungen zur bildenden Kunst ableitet.1 Hier entwirft Goethe das Symbol als Beispielhaftes, Typisches, das auf das allgemeine Gesetz schließen lässt, von dem es herrührt. Goethe grenzt das Symbol dadurch von der Allegorie ab, dass es nicht augenblicklich auf seine Bedeutung hin „durchdrungen“2 wird, sondern, indem es zugleich darstellt und bezeichnet, sich gleichermaßen an Wahrnehmung und Intellekt richtet.3 Während die Allegorie das Interesse an der Darstellung zerstöre und vom Bild sofort auf Gedankliches verweise, scheint das Symbolische zunächst nur für sich zu stehen.4 Trotz seiner offenkundigen Bevorzugung des Symbols, das die konkrete Erscheinung in ihrem Recht lässt, gegenüber der Allegorie, welche „augenblicklich durchdrungen“5 wird, bleibt für Goethe stets die sich sekundär erschließende Bedeutsamkeit der Erscheinungen, die Zeichenfunktion der
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Siehe hierzu ausführlicher Tzvetan Todorov: Symboltheorien, Tübingen 1995, 196ff. Johann Wolfgang von Goethe: „Über die Gegenstände der bildenden Kunst“, in: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Ästhetische Schriften 1771–1805, hg. von Karl Eibl/Hendrik Birus/Dieter Borchmeyr, Frankfurt am Main 1998, 441–444. Hier: 443. Tzvetan Todorov: Symboltheorien, 198. Siehe Johann Wolfgang von Goethe: „Über die Gegenstände“, 443f. Ebd., 443.
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Welt das Wesentliche. Diese „Realsymbolik“1 Goethes, die dem Fluss als Symbol ein eigenes Leben zugesteht, ihn jedoch gleichzeitig als beispielhaft für ein höheres, allgemeines Prinzip betrachtet, das alle Phänomene durchwaltet, spricht sich auch im „Gesang der Geister aus“. Das Besondere – der rauschende Fluss – bleibt bei aller Feinheit der Beschreibung Zeichen für ein Allgemeines. Wenn sich das strömende Wasser zum See staut, wird die Wasseroberfläche zuletzt doch wieder zum Spiegel, der ganz und gar in der Darstellung unsichtbar wird: „Und in dem glatten See / Weiden ihr Antlitz / Alle Gestirne.“ Zum Wie des Vortrags zählt Meyer-Kalkus auch „die technische Unterstützung durch Mikrofon, Lautsprecher, Mikroport, Sampling, Übertragung auf Leinwände etc.“2 Da sich im Fall des Gedichtfilmes zahlreiche Überschneidungen zur medialen Aufzeichnung und Verbreitung ergeben, lassen sich diese Fragen nicht unabhängig von der räumlichen Inszenierung und damit zum Wo behandeln, das eine dritte Koordinate der Sprechkunst bildet. Wenn Meyer-Kalkus sich auch in seiner Darstellung in erster Linie auf Live-Auftritte oder Tonaufzeichnungen literarischer Vortragskunst bezieht, lassen sich seine Kategorien ohne weiteres für die Interpretation der sprechkünstlerischen Anteile von Gedichtfilmen produktiv verwenden. Bei der Untersuchung der dritten Koordinate müssen dann lediglich einige Parameter hinzutreten, die die räumliche Einbettung als eine Einbettung in eine filmische Inszenierung beschreiben helfen. So wäre für unser Filmbeispiel von großer Wichtigkeit, dass der literarische Vortrag nicht in einem geschlossenen Raum stattfindet, sondern ins Freie, nämlich an einen Wasserfall auf Island, verlegt wurde. Dies ist nun weniger aufgrund der offensichtlichen textlichen Bezüge eine interessante Wahl, sondern vor allem wegen der Konsequenzen, die sich daraus für die sprechkünstlerische Gestaltung ergeben. Eine halbnahe, amerikanische Einstellung zeigt Luise Rainer im Zentrum des Bildes zwischen einigen Felsen, auf die sie sich stützt. Während die linke Bildhälfte, die von einem rauschenden, zweistufigen Wasserfall ausgefüllt wird, überwiegend weiß ist, herrschen rechts die dunklen Töne der Felsen vor. Allerdings wird durch die Kleidung und das wehende, weiße Schultertuch der Schauspielerin ein heller Akzent gesetzt, der durch einige Felsen in der anderen Bildhälfte in fast symmetrischer Weise komplementär ergänzt wird – eine kontrastreiche und doch durchweg ausgeglichene Bildkomposition, die den harmonischen Grundton des Gedichtes aufnimmt. Mit der Positionierung der Sprecherin geht eine Beeinträchtigung der Sprechsituation einher. Das Rauschen des Wasserfalls bildet ein permanentes Hintergrundgeräusch, das die Vortragende zu lautem Sprechen zwingt. Fast könnte der Eindruck entstehen, dass sich Rainer ganz ohne technische Hilfe gegen diese akustische Störung behaupten muss. Dies ist natür-
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Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Gedichte 1756–1799, Bd. 1, hg. von Karl Eibl/Hendrik Birus/Dieter Borchmeyr, Frankfurt am Main 1987, 9–1336. Hier: 731. Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 183.
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lich ein trügerischer Eindruck, der die Medialität des Filmes verschleiert, denn selbstverständlich wurde ein Mikrofon eingesetzt, das den Ton aufzeichnete. Was wir hören, ist das Ergebnis einer auf das Feinste abgestimmten Tonaufnahme, bei der, höchstwahrscheinlich unter der Verwendung zweier Mikrofone, die Lautstärke des Wasserfalls so gewählt wurde, dass die sprechende Stimme gerade noch hörbar ist und sogar durchgängig verständlich bleibt. Weit entfernt davon, eine „natürliche“ Sprechsituation darzustellen, betont der Wasserfall nur das deklamatorische Können der Schauspielerin, die scheinbar in ein stimmliches Register gezwungen wird, das trotz technischer Verstärkung ein lautes Sprechen nötig macht. An keiner Stelle aber ist die Vermittlung des Sinns durch das Rauschen der tosenden Wassermassen gefährdet. Die Interpretation macht deutlich, dass es sich bei der Deklamation um einen Vortrag handelt, der sich in erster Linie in den Dienst des Textes stellt, in dem er Textstrukturen verdeutlicht, klangsymbolische Effekte hervorhebt, sprich: das Gedicht vergegenwärtigt. Der stimmliche Vortrag mobilisiert dabei selbst ein Arsenal nicht-sprachlicher Ausdrucksmittel, die gleichwohl symbolische Bedeutungen erzeugen. Dennoch kommt es auch in Rainers kunstvoller Deklamation stellenweise zu Verunsicherungen des nahtlosen Zusammenpassens von Text und Stimme. Mal lässt sich ein Zögern vernehmen, dass nicht als wohl gesetzte Pause durchgeht, sondern das Textgedächtnis und damit die Textarbeit in Erinnerung bringt, denen immer die Drohung des Vergessens anhaftet; mal wird in der merkwürdigen Betonung eines Wortes1 der Einfluss des Englischen hörbar, das sich in Rainers Intonation einmischt und schließlich führt die Beschaffenheit der gealterteten, angestrengten Stimme selbst stets den Hinweis auf die Körperlichkeit der Sprecherin mit sich. Roland Barthes umschreibt dies als grain de la voix, als „Rauheit der Stimme“. Damit ist jedoch kein sprechwissenschaftlicher Parameter wie Heiserkeit oder Behauchtheit gemeint, sondern etwas, das sich auch mit Korn oder Körnung übersetzen ließe und auf die Materialität des sprechenden Körpers verweist. Nicht unähnlich dem Filmkorn, das gleichzeitig mit der Abbildung auch die Materialität der Abbildung preisgibt und eine gewisse Griffigkeit und Lebendigkeit des Bildes erzeugt,2 besteht die Körnung der
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Luise Rainer betont das Wort ‚Wogen‘ nach Art des Englischen als [voʊgən]. Die Körnigkeit eines Filmes wird durch zufällig verteilte Körner in der analogen Filmemulsion ausgelöst. Sie führen zu „mildernden Ausgleichsprozessen, da Konturen oder Bildteile nicht absolut festgelegt sind, sondern sich innerhalb minimaler Toleranzen von Bild zu Bild verschieben. Gleichzeitig reichern sie homogene Flächen mit leichten stochastischen Rastern an und entwickeln damit spezifische Texturen.“ (Barbara Flückiger: „Ästhetik von analogen und digitalen Artefakten“, in: Recherche Film und Fernsehen, 3. Jg., H. 5, 2009, 14–19. Hier: 16.) Durch die leichten Unterschiede zwischen den Einzelbildern wird das filmische Medium in seiner Zeitlichkeit als Medium markiert. Falls das Filmkorn sichtbar bleibt (besonders bei Filmen mit hoher Empfindlichkeit oder Vergrößerungen) bildet es Spuren der Materialität in der Abbildung, die durchaus als störend empfunden werden können, sofern sie nicht im Zeitalter digitaler Bildmedien als signifikant er-
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Stimme nach Barthes im Zusammentreffen von Körper und Stimme im Moment der Signifikanz. Hinausgehend über das Timbre der Stimme bezeichnet das grain die Reibung von Musik und Sprache: „lorsque celle-ci est en double posture, en double production: de langue et de musique.“1 Barthes interessiert sich für jenen Bereich der gesungenen Musik, „in dem eine Sprache einer Stimme begegnet“2. Auf der Ebene einer solchen Begegnung siedelt er das an, was er als „grain“ bezeichnet. Jene Rauheit oder Körnung liegt noch diesseits dessen, was die Stimme an expressiven Mitteln und Formen des emotionalen Ausdrucks bereithält. Im Gegenteil, gerade da, wo die Stimme darauf aus ist, eine dramatische Ausdruckswirkung zu erzeugen, besitzt sie nur noch eine schwache signifikante Rauheit3. Indem er den „Phänogesang“, der den Strukturen, Genregesetzen und Kommunikationsabsichten zugehört, vom „Genogesang“ unterscheidet, versucht Barthes zu umschreiben, wie in der singenden Stimme Bedeutendes seine Wirkung entfaltet: Le géno-chant, c’est le volume de la voix chantante et disante, l’espace ou les significations germent ,du dedans de la langue et dans sa matérialité même‘; c’est un jeu signifiant étranger à la communication, à la représentation (des sentiments); à l’expression; c’est cette pointe (ou ce fond) de la production où la mélodie travaille vraiment la langue – non ce qu’elle dit, mais la volupté de ses son-signifiants, de ses lettres […].4
Mit Nachdruck stellt Barthes der Expressivität der Stimme samt der Emotion, die sie als Signifikat zu vermitteln imstande ist, die Wollust gegenüber, die im Genießen der klanglichen Berührung selbst, im Bezug auf den Körper der Singenden besteht.5 Mit der berühmten Formulierung, dass jede Stimme ein Objekt des Begehrens sei, verschärft Barthes in einer späteren Schrift diese affektive Aufladung.6 Ihre körperliche
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wünscht sind. In der Filmwissenschaft wird das analoge Filmkorn der Transparenz des digitalen Bildes gegenübergestellt. (Siehe ebd.). Roland Barthes: „Le Grain de la voix“, 1437. „[D]ie Rauheit der Stimme, wenn sie auf zweierlei ausgerichtet ist, zweierlei hervorbringt: Sprache und Musik.“ (Roland Barthes: „Die Rauhheit der Stimme“, in: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt am Main 1990, 269–278. Hier: 271). Ebd., 270. „[E]space (genre) très précis où une langue rencontre une voix“ (Roland Barthes: „Le Grain de la voix“, in: Œuvres complètes, Bd. II: 1966–1973, hg. von Eric Marty, Paris 1994, 1436– 1442. Hier: 1437). Siehe ebd. Ebd., 1438. „Der Genogesang ist das Volumen der singenden, sprechenden Stimme, der Raum, in dem die Bedeutungen keimen, und zwar ‚aus der Sprache und ihrer Materialität heraus‘; es ist ein signifikantes Spiel, das nichts mit der Kommunikation, der Darstellung (von Gefühlen) und dem Ausdruck zu tun hat; es ist die Spitze (oder der Grund) der Erzeugung, wo die Melodie tatsächlich die Sprache bearbeitet – nicht was diese sagt, sondern die Wollust ihrer Laut-Signifikanten, ihrer Buchstaben […].“ (Roland Barthes: „Die Rauhheit der Stimme“, 272). Siehe Roland Barthes: „Le Grain de la voix“, 1438ff. Siehe Roland Barthes: „La Musique, la voix, la langue“, in: Œuvres complètes, Bd. III: 1974–1980, hg. von Eric Marty, Paris 1994, 880–885. Hier: 881
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Gebundenheit macht es uns unmöglich, einer Stimme neutral gegenüberzutreten, sie erfüllt uns mit Liebe oder stößt uns ab. Jenseits oder besser diesseits dessen, was sich wissenschaftlich erfassen lässt, bleibt darin, wie uns eine Stimme anspricht, ein Rest, ein Ungesagtes, ein Überschuss.1 Nimmt man die Beobachtungen Roland Barthes’ ernst, so verdient die Stimme nicht nur als Mittel sprechkünstlerischer Gestaltung und Ausdruck deklamatorischer Praxis Beachtung. In der konkreten Beschäftigung mit gesprochenen, also stimmlich realisierten Gedichten, kommt die Stimme als Phänomen zum Tragen, das sich nicht in seiner Zeichenfunktion erschöpft, sondern als wahrgenommenes Ereignis thematisiert werden muss, das affektive Wirkungen auslöst, die über sprachliche Kommunikation hinausgehen. Der Mediävist Paul Zumthor gehört zu den frühesten und prominentesten Vertretern einer solchen Hinwendung zur Stimme, die die Körpergebundenheit mündlicher Dichtung betont und sie keineswegs auf die Praktiken oraler Kulturen beschränkt sieht.2 Hierbei handelt es sich weniger um Mündlichkeit (oralité) als um Stimmlichkeit (vocalité). […] Sicher, eine lange Tradition bewertet bei uns die Stimme als Träger der Sprache: in ihr und durch sie artikulieren sich die signifikanten Laute (sonorités signifiantes). In diesem Sinne kann man sie, wie man gesagt hat, für die ‚Verkleidung einer ursprünglichen Schrift halten‘. Dennoch, was uns vor allem zurückhalten sollte, ist die weitreichende Funktion der Stimme: Ihr Wort (parole) begründet in unserer Kultur die handgreiflichste Kundgabe, freilich nicht die einzige und wohl auch nicht die vitalste: ich meine die Ausübung ihrer physischen Kraft, ihre Fähigkeit, die phoné zu produzieren und deren Substanz zu organisieren. Diese phoné ist nicht unmittelbar mit Sinn verknüpft; sie bereitet ihm lediglich den Ort, wo er sich aussprechen wird. Worauf ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist also der körperliche Aspekt der mittelalterlichen Texte, ihre Existenzweise als Gegenstände sinnlicher Wahrnehmung.3
Das Bestehen auf der stimmlichen Dimension der Poesie, die sich einer rein bedeutungsorientierten Interpretation sperrt, verbindet Zumthors Arbeiten mit Bestrebungen, die Stimme im Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit nach einer Epoche in der die Schrift kulturell dominierte, emphatisch wieder aufzuwerten.4 In diesem Sinne
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Siehe ebd. Eine konsequente Differenzierung zwischen Produktion, Übermittlung, Rezeption, Aufbewahrung und Wiederholung erlaubt es in Zumthors Begrifflichkeit, zwischen einer mündlichen Tradition und einer mündlichen Übermittlung zu unterscheiden. Somit wären auch schriftlich tradierte, aber mündlich übermittelte Dichtungen, oder mündlich überlieferte, aber schließlich schriftlich mitgeteilte sein Gegenstand. (Siehe Paul Zumthor: Einführung, 29f.). Paul Zumthor: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft, aus dem Französischen von Klaus Thieme, München 1994, 13. Neben der einschlägigen Forschung zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Walter Ong: Oralität und Literalität, Opladen 1988), sind auch medienwissenschaftliche und mediengeschichtliche Arbeiten zu nennen, die die Stimme als Kulturtechnik und Kommunikationsmittel diskutieren (z. B. Friedrich A. Kittler (Hg.): Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme, Berlin 2002). Hinzu kommen philosophische Ansätze, die die Stimme als ethisches Phänomen im Sinne eines epiphanischen Ausdrucks von Alterität (Dieter
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steht die Erforschung der Stimme im Zeichen der seit den achtziger Jahren in hermeneutikkritischer Absicht betriebenen Aufwertung der „Materialitäten der Kommunikation“.1 Seit den neunziger Jahren hat die Stimme in der Forschung eine solche Renaissance erlebt, dass zuweilen sogar von einem „sonic“ oder „audiovisual turn“ in Analogie zum „iconic turn“ die Rede ist.2 Sie ist zum Angelpunkt einer Ästhetik des Perfomativen geworden, die sich dem Ereignischarakter ästhetischer Phänomene zuwendet. Dabei werden Charakteristika wie Flüchtigkeit, Prozesshaftigkeit und Präsenz in den Vordergrund gerückt. Im Zentrum steht jedoch eine Kritik an semiotischen oder hermeneutischen Herangehensweisen an stimmliche Praxis, die aus dem Unterschiedensein von Stimme und Rede abgeleitet wird: Die Stimme entzieht sich ihrer bruchlosen semiotischen, medialen oder instrumentellen Dienstbarkeit, und dies gerade in denjenigen Zusammenhängen, in denen die Stimme professionell als Instrument ausgebildet und genutzt wird, wie bei Schauspielern, Rednern oder Sängern.3
Damit ist die Tendenz angesprochen, dass jedem Sprechen eine performative Dimension eignet, die nicht in der Funktion des Bezeichnens aufgeht, sondern einen Überschuss bildet, der über das jeweils Ausgesagte hinausgeht, es gar deformiert oder unterläuft.4 Als stimmlich verkörperte Dichtung ist der Gedichtfilm von diesen Fragen direkt betroffen. Zentral ist in diesem Zusammenhang vor allem die leibliche Gebundenheit der Stimme. Nicht nur die Artikulationsorgane selbst, auch Lunge und Zwerchfell, sowie der gesamte Körper als Resonanzraum wirken am Hervorbringen der Stimme mit. Der
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Mersch: Was sich zeigt) oder als Phänomen der Anrufung erkunden. Ausführliche Literaturhinweise geben Reinhart Meyer-Kalkus: „Stimme, Performanz und Sprechkunst“, in: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände – Konzepte – Institutionen, Bd. 1, Stuttgart 2007, 213–223. Hier: 222f.; und Doris Kolesch/Sybille Krämer: „Stimmen im Konzert der Disziplinen. Zur Einführung in diesen Band“, in: Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.): Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt am Main 2006, 7–15. Hier: 8. Hans Ulrich Gumbrecht/Monika Elsner (Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt am Main 1988. Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: „Stimme, Performanz und Sprechkunst“, 218; Doris BachmannMedick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 2006, 264. Doris Kolesch/Sybille Krämer: „Stimmen im Konzert“, 11. Dies liegt in der unabweisbaren Materialität der Zeichen begründet, die, um überhaupt auf Abwesendes verweisen zu können, der Wahrnehmung gegeben sein müssen. Dass etwas am Zeichen ist, was (noch) nicht signifikativ ist, gilt auch für den gesprochenen Text. Jenseits der symbolischen Strukturen, die den Text bestimmen, zeigt sich etwas im Wie des stimmlichen Vollzugs, das nicht auf sprachliche Bedeutung reduzierbar ist. Siehe Dieter Mersch: Was sich zeigt, 113 sowie 11ff. und 45ff.
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Atemrhythmus schließlich verbindet die Stimme mit dem Herzschlag, der körperliche und affektive Bewegung in ihr anklingen lässt. Sybille Krämer bezeichnet daher im Anschluss an Zumthor die „Stimme als Spur des Körpers in der Sprache“1. Der Performativitätsforschung geht es nun darum, den „Eigensinn“2 der Stimme, den von ihr bereitgestellten „Überschuss an Sinn“3 und ihre „Materialität und Sinnlichkeit“4 gegenüber einer Auffassung der Stimme als bloßem Instrument der Sprache und gegenüber einer Konzentration auf den (geschriebenen) Text stark zu machen.5 Im Kontext des Gedichtfilmes, wo es um die sprechende Stimme geht, die sich unweigerlich in ein Verhältnis zum lyrischen Text setzt, muss dagegen an der Sprachgebundenheit der Stimme festgehalten werden. Der Wert eines jeden Ansatzes, der die Dimensionen Stimme und Klang, die Materialität stimmlicher Äußerungen und ihre sinnlichen Überschüsse berücksichtigt, steht außer Frage, doch lässt er jenes unerwähnt, was auch noch in den klanglichen Merkmalen des Sprechens einer kulturellen Formierung, künstlerischen Durcharbeitung und verschiedensten Symbolisierungsprozessen unterliegt. Eine direkte Zuordnung des Sprechmusikalischen zu Präsenz, Körper, Gefühl (als Gegenpole zu Differenz, Geist, Bedeutung) ist demnach zu hinterfragen. Die Performativitätsforschung widmet sich bevorzugt der Widerständigkeit der Stimme, die dazu führt, dass sie in den in ihr stattfindenden Bezeichnungsprozessen niemals ganz aufgeht. Sie tritt besonders da hervor, wo sich Stimme den Intentionen und Formierungen des Sprechens nicht gerecht wird, oder wo sie von den Sprechenden in ihrer
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Sybille Krämer: „Sprache – Stimme – Schrift. Sieben Thesen über Performativität als Medialität“, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 7. Jg., H. 1, 1998, 33–57, Hier: 44. Ebd. Ebd. Doris Kolesch: „Wer sehen will, muss hören. Stimmlichkeit und Visualität in der Gegenwartskunst“, in: Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.): Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt am Main 2006, 40–64. Hier: 44. Die rehabilitierende Erforschung der Stimme möchte sich auch einer vom Dekonstruktivismus „forcierten Fixierung auf die Schrift“ (Reinhart Meyer-Kalkus: „Stimme, Performanz und Sprechkunst“, 217) entgegensetzen. Sybille Krämer erscheint noch Jacques Derridas Kritik am Phonozentrismus „als ein Widerhall dieser Marginalisierung der Stimme“ (Sybille Krämer: „Sprache – Stimme – Schrift“, 42). Derrida problematisiert die Stimme aber primär im Hinblick auf eine vermeintliche Präsenz des logos. Dabei lässt er allerdings die Zeichenhaftigkeit der Stimme unangetastet. Ob nun darin eine erneute „Aussperrung des Anderen“ liegt, wie Dieter Mersch vorzuwerfen scheint, kann hier kaum angemessen erörtert werden. Walter Ong würdigt Derridas Zurückweisung des Phonozentrismus als eine Problematisierung der Auffassung vom gesprochenen Wort als eines transparenten sprachlichen Zeichens, das den Sinn des gesprochenen Wortes präsent halte. Davon profitiert auch die Oralitätsforschung: „Indem er das, was er ,Phono- und Logozentrismus‘ nennt, zurückweist, leistet uns Derrida einen willkommenen Dienst auf dem gleichen Gebiet, das McLuhan mit seinem berühmten Diktum durchstürmte: ‚Das Medium ist die Botschaft‘.“ (Walter Ong: Oralität und Literalität, 165).
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„Unfüglichkeit und Unverfügbarkeit“1 nicht ganz unter Kontrolle zu bringen ist. Es geht mithin darum, „die Performanz der Stimme, als Ereignis ihrer Setzung, ihren unverwechselbaren Klang als etwas auszuweisen, was sich der Vorgängigkeit der Zeichen und ihrer Wiederholung sperrt.“2 Es sind in dieser Auffassung also ausdrücklich nicht die non-verbalen symbolischen Anteile oraler Traditionen, die die Performativität der Stimme ausmachen, sondern „Flüchtigkeiten“,3 die sich jeder Bedeutungsgebung unterschieben: Jeder stimmliche Vollzug wird in dieser Perspektive zum „Ereignis, das dem Sinn des Gesagten ein Moment des Unsagbaren mitgibt.“4 Dies ist im Zusammenhang mit dem Poesiefilm deshalb wichtig, weil sich die Bemühungen um die theoretische Rehabilitierung der Stimme mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit für deren Klanglichkeit und Materialität und damit für die nicht-sinnstiftenden, materiellen Bedingungen des Sprechens einhergeht, die sich auch in den Poetiken experimenteller Literaturen von Dada bis Spoken Word wiederfindet – Bewegungen, die für die Geschichte des Poesiefilmes eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Als Gegenbewegung zu einer Fixierung der Literatur auf die Schrift, rückt die Lautpoesie der zehner und zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts die lautliche und klangliche Dimension der Dichtung in den Vordergrund. Gleichzeitig hängt ihre Entstehung mit medientechnischen Entwicklungen zusammen, die die Reproduktion und Übertragung der menschlichen Stimme ermöglichen.5 Einerseits scheint durch neue Verfahren, Töne zu konservieren, die naturalistische Funktion von Dichtung hinfällig zu werden, andererseits zeigt gerade die technische Reproduktion von Klängen und Geräuschmaterial deren Manipulierbarkeit. In dieser Situation entstehen analytische Experimente mit Dichtung aus Laut und Klang, jenseits von Sprache als Sinnvehikel: „Verse ohne Worte“6. Diese abstrakte Dichtung erreicht ihren ersten Höhepunkt bei den italienischen und russischen Futuristen und wenig später in den dadaistischen Lautgedichten. Durch den Maler Wassilij Kandinsky soll Hugo Ball auf die sogenannte russische Zaoum-Dichtung aufmerksam geworden sein. Schon 1916 kam es zu Rezitationen von Lautpoesie im legendären Café Voltaire.7 Stärker noch als bei Hugo Ball, der sich später selbst als Erfinder der Laut- und Vokalpoesie bezeichnet hat, tritt bei Kurt Schwitters das Prinzip der Collage in den Vordergrund.8 Er arrangiert und variiert
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Dieter Mersch: Was sich zeigt, 116. Ebd., 103. Ebd. Ebd. Siehe zum Folgenden Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 928ff. Hugo Ball: Die Flucht aus der Zeit, hg. von Bernhard Echte, Zürich 1992, 105. Siehe Karl Riha: Prämoderne, Moderne, Postmoderne, Frankfurt am Main 1995, 109f. Riha verweist nachdrücklich auf vordadaistische Traditionen von Lautdichtung. (Siehe ebd., 223f.; Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 255ff.). Karl Riha: Prämoderne, Moderne, Postmoderne, 110.
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sprachliche Fundstücke nach klanglichen Prinzipien, so dass sie ihren ursprünglichen Sinn verlieren. Mit der konkreten Poesie erfährt die Lautdichtung nach dem Zweiten Weltkrieg einen weiteren Aufschwung. Diese bringt nicht nur visuelle Gedichte hervor, sondern auch akustische Spielarten, angetrieben nicht zuletzt durch die technische Entwicklung der Magnetbandtechnik, die die flexible Anordnung von Tonmaterial ermöglicht. Auch die konkrete Poesie widmet sich den sprachlich-musikalischen Dimensionen der Sprache. Sie reflektiert ihre eigenen Voraussetzungen, indem sie mit dem zu Grunde liegenden Material (sei es Geräusch, Wort oder Schrift) spielt und es selbst zur poetischen Botschaft macht.1 Gleichzeitig aber äußert sich in ihr ein besonderes Interesse am Körperlichen, an Stimme und Atem. Viele Gedichte sind in ihrer schriftlichen Version nur mehr Notationen, ähnlich den Partituren in der Musik, die dem eigentlichen Gedicht, das sich erst gesprochen verwirklicht, lediglich als Vorlage dienen.2 Dieses Interesse am Körperlichen scheint dem Interesse an der fragmentierenden, collagierenden Mechanik zunächst diametral entgegenzustehen, worauf auch Monika Schmitz-Emans hinweist.3 Doch erscheint es andererseits nur konsequent, da man die Signifikantenlogik4 in der Dichtung nun schon auf die Spitze treibt, nicht nur mit Medien und Textbausteinen, sondern auch mit den Materialitäten der gesprochenen Sprache zu experimentieren. Eben diese Dynamik ist kennzeichnend für das Genre „Poesiefilm“, in dem eine stark reflektierte Medialität einerseits und ein Bewusstsein um die körperlichen Dimensionen von gesprochener Sprache und Dichtung andererseits aufeinandertreffen. Auch im zeitgenössischen Poesiefilm lässt sich eine besondere Affinität zur Lautpoesie feststellen. Aus vielen von ihnen spricht eine Faszination am Körperlichen, die sich nicht nur stimmlich äußert, sondern in der Darstellung von „Sprachwerkzeugen“ wie Zungen und Mündern in Großaufnahme auch bildlich ausdrückt. 15TH OF FEBRUARY (1995), SPRECHEN FÜR MARIE (2006) und Eku Wands GEDICHTE VON ERNST JANDL (1989) sind nur einige Beispiele für dieses mit erstaunlicher Persistenz auftretende Motiv. Die Medialität der Stimme Die Performance oder Verkörperung eines Gedichtes verbindet sich mit der Transformation des Gedichtes in ein technisches Medium. Im Poesiefilm konvergieren somit zwei Forschungsrichtungen, die sich aus der Hinwendung zu den Materialitäten der
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Siehe Monika Schmitz-Emans: „Rhythmisierung als Musikalisierung. Zu Selbstbeschreibungen und ästhetischer Praxis in der experimentellen Dichtung des 20. Jahrhunderts“, in: Colloqium Helveticum, 32. Jg., 2001, 244–287. Hier: 272. Siehe ebd., 269. Siehe ebd., 271. Siehe Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, 250ff.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
Kommunikation ergeben haben: media history und body culture.1 Für die hier angestrebte Untersuchung von Poesiefilmen hat das vor allem zur Folge, dass eine zunächst naheliegende Analyse von Text-Bild-Beziehungen nicht an erster Stelle stehen kann, da ihr noch etwas zuvorkommt, was in der Adaptionsforschung bisher vernachlässigt wurde. Bevor noch der literarische Text auf seine Bedeutung hin analysiert werden und auf seine Konvergenz oder Kontradiktion zu den filmischen Bildern hin untersucht werden muss, ist nach der Art und Weise seiner medialen Verwirklichung zu fragen, ist den Beziehungen von Klang, Bild und Stimme nachzugehen. Die Performance und die sprechkünstlerische Gestaltung sind der Interpretation eines virtuell zu Grunde liegenden Textes und seiner Bedeutung mindestens gleichgestellt. Sie aber wird gerade durch die lautliche, musikalische, rhythmische Seite des Sprechens bestimmt, die über die Vermittlung sprachlichen Sinns hinausgeht und lässt sich nicht trennen von den technischen und medialen Bedingungen, die von jeher auf Stimmen und ihre Vollzugsweisen gewirkt haben.2 Wenn die Stimme eine Spur des Körpers in der Rede hinterlässt, die die semantische Dimension übersteigt, so ist gleichzeitig die Stimme in ihrem jeweiligen Gebrauch eine in hohem Maße sprachlich, kulturell und medial geformte. Zunächst scheint es, als gäbe die akustische Speicherung die sprechende Stimme unverfälscht wieder, hält sie doch die Spur des Realen in ihren Apparaturen fest.3 Eine Tonaufnahme ist indessen bei weitem keine Reproduktion des ursprünglichen Geräusches, sondern stellt lediglich eine von verschiedenen Aufnahmeverfahren, Wiedergabemedien und Räumlichkeiten beeinflusste Form der Repräsentation dar.4 Auch die Stimme in ihrer medialen Formierung hat eine Geschichte. Zu den größten Einschnitten auf diesem Gebiet zählen zweifellos die medientechnischen Entwicklungen stimmspeichernder (Phonograph) und später stimmverstärkender Apparate (Lautsprecher), denn sie verändern die Sprechtechniken grundlegend. Mikrofon und Lautsprecher holen die Stimme direkt an das Ohr heran und erzeugen so eine Nähe und Intimität, die in keiner Weise mehr der Entfernung der Klangquelle (oder im Falle des Tonfilmes, der vermeintlichen Klangquelle) entspricht. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Vortrag ohne jede technische Verstärkung5 in einem Theatersaal, einer Kirche oder auf einem Platz stattfindet, oder ob er durch audiovisuelle Medien wiedergegeben wird. Auch die Stimme selbst entgeht der medialen Formierung nicht: „Wer sich des Mikrophons bedient vertraut sich einer
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Siehe Hans Ulrich Gumbrecht: Production of Presence, 11. Siehe hierzu besonders Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme, 455f.; Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste. Siehe Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800 1900, 278f. Siehe Rick Altman: „Introduction. Four and a Half Film Fallacies“, in: Rick Altman (Hg.): Sound Theory, Sound Practice, New York 1992, 35–45. Hier: 39. Dabei seien die architektonischen Techniken zur Stimmverstärkung ausnahmsweise vernachlässigt.
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Technik an, die das Sprechen selbst mehr verändert als er ahnt.“1 Medientechnik modifiziert keineswegs lediglich den Klang oder die Deutlichkeit des Gesprochenen, sondern wirkt auf die Art und Weise der sprechkünstlerischen Gestaltung selbst. Starke Tonhöhenschwankungen, Stimmstärke und andere expressive wie auch gestische Mittel, die weitgehend dazu gedacht waren, die Stimme durch einen großen Raum zu tragen, werden obsolet und wirken folglich heute unmodern.2 Dies muss gerade im Fall des Gedichtfilmes beachtet werden, da man es hier stets mit einer gespeicherten und technisch verstärkten Stimme, einer „akustischen Großaufnahme“3 zu tun hat. Im Tonfilm wird aber nicht nur die intime, private Stimme einer kollektiven Rezeption zugänglich, sondern auch die leisesten Geräusche und Klänge, die für gewöhnlich nur aus der Nähe vernehmbar sind. Darauf verweist der Filmtheoretiker und Tonspezialist Michel Chion, der aufzeigt, wie mit der Verbesserung der Aufnahme- und Speicherungstechniken4 des Filmtons auch dessen Dichte und Sinnlichkeit zunimmt. So sieht er in den achtziger Jahren sogar einen Rückgriff auf den ‚sinnlichen Lyrismus‘ des Kinos der Stummfilmzeit, das in ähnlicher Weise, allerdings auf visueller Ebene, Stofflichkeit und Materialität gefeiert hatte.5 Auch Gedichtfilme vermitteln uns häufig die Nebengeräusche des Sprechens, die nicht Teil der Rede sind, sondern die wie Atmen und Schlucken deren körperliche Gebundenheit anzeigen. Mitunter fördert die extreme Nähe des Mikrofons noch Geräusche zu Tage, die, gewöhnlich vom Klang der Stimme übertönt, die Geräusche des Sprechens selbst sind, wie die sich bewegende, an den Gaumen stoßende und sich von ihm lösende Zunge. Zum ersten Mal in der Mediengeschichte überhaupt hat, wie Friedrich Kittler betont, der Phonograph die analoge Aufzeichnung akustischer Daten ermöglicht. Diesseits der symbolischen Notation der Schrift gelingt seitdem die Speicherung nicht nur von Sprache und Musik, sondern eben auch von Geräuschen, da alles Klangliche ohne Berücksichtigung auf seine Zeichenfunktion sich in das Material der Walze einschreiben kann: „Unerhört muß selbst für ihren Erfinder eine Erfindung gewesen sein, die Literatur und Musik gleichermaßen unterlief, weil sie das unvorstellbare Reale auf beider Grund reproduzierbar machte.“6
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Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme, 9. Siehe Johannes Schwitalla: „Vom Sektenprediger- zum Plauderton. Beobachtungen zur Prosodie von Politikerreden vor und nach 1945“, in: Heinrich Löffler/Karlheinz Jakob/Bernhard Kelle/Hugo Steger (Hg.): Texttyp, Sprechergruppe, Kommunikationsbereich. Studien zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart, Festschrift für Hugo Steger zum 65. Geburtstag, Berlin 1994, 208–224. Hier: 222. Reinhart Meyer-Kalkus: „Literatur für Stimme und Ohr. Dichter lesen“, in: Brigitte Felderer (Hg.): Phonorama. Eine Kulturgeschichte der Stimme als Medium, Ausstellung vom 18. September 2004 – 30. Januar 2005, Berlin 2004, 173–186. Hier: 178. Dazu gehört zunächst die Magnetbandtechnik und später das Dolby Stereoverfahren. Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 91ff., 112. Siehe ebd., 119f. Friedrich A. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, 38.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
Die Spannung zwischen der Performativität der Stimme und ihren Medien liegt in jenem Verhältnis zum Materiellen, denn einerseits lenkt der Begriff des Mediums „den Blick auf die materielle Seite der semiotischen Relation“1, andererseits handelt es sich dabei nur um eine formierende, strukturierende Materialität, die die Medialität des Mediums sicherstellt. Kein Medium vermag seine Materialität mitzuvermitteln, sowenig, wie diese selbst tilgbar wäre. Kunst ist Ausdruck nur, soweit sie ihr Stoffliches im Rücken behält, und die Sprache spricht nur, wie sie sich des Lautes bedient, dem die Stimme ein Singuläres verleiht, das sich ins Gesagte zuweilen unfüglich einmischt.2
Zwar wird die sprechende Stimme in ihrer materiellen Beschaffenheit Gegenstand der Aufzeichnung, doch sie erfährt dabei sogleich ihre Einbindung in die audiovisuelle Formation. Wenn es dennoch so ist, dass in der Materialität dem Medium sein Widerspenstiges anhaftet, wie es im Bruch, in der Störung, im Rauschen, im Ausfall der Darstellung zu Tage tritt, so muss dies im Fall des Poesiefilmes zweifach gelten: für die Materialität der Stimme gegenüber der Sinnhaftigkeit der Sprache und für die Materialität des audiovisuellen Mediums, ob Film, Video oder digitaler Internetclip.3 Was geschieht nun also mit der Stimme im Zusammenhang der medialen Aufzeichnung? Wird, indem der Akt des Sprechens wiederholbar und damit gleichzeitig auch verfügbar gemacht wird, die Stimme ihrer Präsenz, Singularität, Flüchtigkeit und Ereignishaftigkeit beraubt? Diese Frage verschärft sich gerade für das Medium technischer Reproduzierbarkeit par excellence, dem audiovisuellen Medium „Film“, und erweitert sich zudem um die Problematik der technischen Trennung von Stimme und Bild, durch die die Stimme im Poesiefilm nicht selten zu einer körperlosen Stimme wird. Eine Antwort auf diese Fragen kann nur gegeben werden, indem die Stimme in ihrem je verschiedenen künstlerischen Gebrauch und in ihrem jeweiligen Zusammenhang mit dem audiovisuellen Medium beschrieben wird. Nur so kann die Bezugnahme, das Spiel zwischen Kategorien wie „Medialität“, „Sinn“ und „Materialität“ ausgelotet werden, wie es 2010 auf dem Podium des Sonderforschungsbereiches „Kulturen des Performativen“ einhellig gefordert wurde.4 Dabei kann und soll nicht auf Beschreibungskategorien verzichtet werden, die sich in der Erforschung der Sprechkünste oder in der Linguistik 1 2 3
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Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 61. Ebd., 67. Auch die Alterserscheinungen des Materials, das Timbre oder die Heiserkeit einer Stimme kann im Kunstwerk Bedeutsamkeit erlangen. „Anders als bei Naturdingen wird das Material, aus dem das Kunstwerk besteht, zur Mitwirkung am Formenspiel aufgerufen und so selbst als Form anerkannt. Es darf selbst erscheinen, ist also nicht nur Widerstand beim Aufprägen der Form. Was immer als Medium dient, wird Form, sobald es einen Unterschied macht, sobald es einen Informationswert gewinnt, den es nur dem Kunstwerk verdankt.“ (Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, 176). Doris Kolesch u. a.: Was kommt nach dem Performativen? Möglichkeiten und Grenzen eines Konzepts, Podiumsdiskussion, Berlin 2010.
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als überaus produktiv erwiesen haben und die im Übrigen noch kaum intensive Anwendung gefunden haben. Die Zweiseitigkeit der Stimme: Barbara Köhlers NiemandsFrau Die Zweiseitigkeit der Stimme, die sich im Zugleich von Sagen und Zeigen, Indexikalität und Symbolizität, Präsenz und Differenz ausdrückt, wird von Theorien der Performativität stets konstatiert,1 aber in ihren Interpretationen bislang kaum ausreichend berücksichtigt. Einer Privilegierung der Stimme als Ausdruck von Präsenz, die der literarischen Bedeutung zuvorkommt (das ‚Wie‘) soll deshalb im Folgenden eine Vorgehensweise gegenübergestellt werden, die den Beitrag anerkennt, den sprechkünstlerische Gestaltungsmittel und stimmliche Charakteristika zur (künstlerischen) Kommunikation leisten. Für diese Vorgehensweise ist auch die Stimme von kulturellen Praktiken geprägt bzw. mitkonstituiert und in diesem Sinne Gegenstand einer Mediengeschichte der Stimme, was gerade im Poesiefilm immer wieder thematisch wird. Die Beschäftigung mit dem Poesiefilm macht es in besonderer Weise erforderlich, dichotomische Begriffspaare zu problematisieren. Bereits im Bereich der gesprochenen Dichtung überlagern sich die Bereiche des Performativen und des Textuellen, die im gesprochenen Text, der zugleich stimmliche Performance ist, ineinandergreifen. Im Fall des Filmes tritt das Verhältnis von Performativität und Medialität hinzu, das durch die technische Aufzeichnung von Stimmen und Körperbildern virulent wird, deren Flüchtigkeit und Präsenz aufgehoben wird. Schließlich muss der scheinbare Gegensatz von Stimme und Bild, sowie Hören und Sehen, in Frage gestellt werden, die im Zuge der filmischen Rezeption in ein ständiges Wechselverhältnis gesetzt werden, das sich nicht als Addition ausdrücken lässt. „[D]ie Stimme nicht länger primär als Medium der Wortsprache in den Blick“2 zu nehmen, wird daher nicht das Ziel der vorliegenden Analyse sein. Nachvollziehbar als Kritik an der Indienstnahme der Stimme als Vehikel sprachlicher Bedeutung, verschärft diese Position die Aufspaltung der Stimme in Materialität und Zeichenhaftigkeit und schreibt mit der Fokussierung auf stimmliche Überschreitungen und Totalausfälle von Sprache die Vernachlässigung der stimmlichen Dimension gelungener sprachlicher Äußerungen fort. Im Zusammenhang des Poesiefilmes interessieren aber gerade das
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Siehe Doris Kolesch/Sybille Krämer: „Stimmen im Konzert“, 6; Sybille Krämer: „Die ,Rehabilitierung der Stimme‘. Über die Oralität hinaus“, in: Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.): Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt am Main 2006, 269–295. Hier: 290; Doris Kolesch: „Zwischenzonen. Zur Einführung in das Kapitel“, in: Doris Kolesch/Vito Pinto/Jenny Schrödl (Hg.): Stimm-Welten. Philosophische, medientheoretische und ästhetische Perspektiven, Bielefeld 2009, 13–22. Hier: 16: „Als Spur des Körpers in der Rede eignet der Stimme ein doppeltes Vermögen: sie vermag gleichzeitig zu sagen und zu zeigen.“ Sybille Krämer: „Die ,Rehabilitierung der Stimme“, 287.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
Zusammenspiel und das Ineinanderverschränktsein von stimmlichem Vollzug und Text, gerade die Gefährdung oder Vollendung des vordergründig stabilen Sinns durch sein stimmliches Erscheinen. Diese Reibung zwischen Stimme und Sprache lässt sich nicht auf den Gegensatz von Wort und Klanglichkeit reduzieren, denn auch das ‚Wie‘ des Sprechens, in Prosodie und Akzentuierung setzt „vielschichtige symbolische Bedeutungen“1 ins Werk. Gleichzeitig ist in jeder sprachlichen Äußerung ein Nichtsprachliches wirksam, dass sich seiner Symbolisierung widersetzt. Nicht allein die Störung der Sprache durch körperliche Spuren im stimmlichen Vollzug ist das Un-Erhörte. Die Schwierigkeit besteht in der Unentscheidbarkeit zwischen Funktionalität und Dysfunktionalität, mit der dysfunktionale Elemente im Kunstwerk das scheinbar nicht Vereinbare dennoch realisieren, indem sie die Ausfallstellen der Symbolizität symbolisieren. 2 In Poesiefilmen erfährt die Körperlichkeit von Stimmen oft eine forcierte Darstellung: Atem, Husten und Nebengeräusche des Sprechens werden hörbar gemacht und scheinen gegen die durch das technische Medium eingetragene Distanz anzukämpfen. Wie sich diese Phänomene zum poetischen Text, zum Gedicht, stellen und ob sie ein Außen zum filmischen Text bilden, bleibt an einzelnen Gedichtfilmen zu untersuchen. Die Lyrikerin Barbara Köhler studierte in den achtziger Jahren am Leipziger Literaturinstitut, 1991 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband, trat aber auch als kongeniale Übersetzerin experimenteller Literatur hervor. Immer wieder arbeitete sie außerdem mit bildenden Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Barbara Köhler gehört zu den zeitgenössischen Lyrikerinnen, die großen Wert auf die Performance ihrer Gedichte legen. Das macht sich in ihrer außergewöhnlichen Vortragsweise bemerkbar, die große Resonanz im Publikum zu erzeugen vermag, es zeigt sich aber auch in der Wahl ihrer Veröffentlichungsmedien. Der Gedichtband NiemandsFrau: Gesänge erschien 2008 im Verbund mit einer CD, für die die Autorin selbst die Texte eingesprochen hatte.3 Darüber hinaus produzierte die Videokünstlerin Andrea Wolfensberger unter dem Titel NIEMANDSFRAU: MOVIES acht Gedichtfilme, die die aufgezeichneten Gedichtvorträge Köhlers in ein audiovisuelles Kunstwerk integrieren. Köhlers Stimme, die in allen diesen Videos aus dem Off des Bildes zu hören ist, bildet in ihrer Ausdrucksstärke und ihrer Singularität das Zentrum der Filme. Sie erscheint sehr nah, da sie nur recht leise gesprochen, dabei aber als vergleichsweise lautes VoiceOver über die Videobilder gelegt wird. Darüber hinaus wird sie von keinerlei Hintergrundgeräuschen begleitet und ist so von der visuellen Ebene raumzeitlich abgetrennt. Es ist etwas zu beobachten, was in den seltensten Fällen gelingt, nämlich dass die Bil-
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Reinhart Meyer-Kalkus: „Literatur für Stimme und Ohr“, 182. Diese Funktion ähnelt in ihrer Ambivalenz dem von Claude Lévi-Strauss beschriebenen Fall des Schamanen und der Besessenheit in ihrer Stellung zum gesellschaftlichen System. (Siehe Claude Lévi-Strauss: „Einleitung in das Werk von Marcel Mauss“, in: Soziologie und Anthropologie, Frankfurt am Main 1978, 7–41). Siehe Barbara Köhler: NiemandsFrau. Gesänge, Frankfurt am Main 2007. Siehe Abbildung 3.2.
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der den Hintergrund zu dem auf der Tonebene Dargebotenen bilden. Dies ist zu einem großen Teil dadurch begründet, dass auf diesen filmischen Bildern nichts ‚geschieht‘, was einer Handlung gleichkäme – nur das blaue Meer ist zu sehen, das in ständiger Bewegung ist. In der Ferne sind wohl manchmal Schiffe zu erkennen, keine malerischen Segelboote, sondern riesige Frachtschiffe oder Tanker, aber sie verschwinden wiederholt aus dem Bildkader, der sich durch die schaukelnde Bewegung der Kamera, die auf der Oberfläche des wogenden Meeres treibt, fortwährend verschiebt. Es gibt keinen festen Bezugspunkt, stattdessen wird der Beobachtungsstandpunkt selbst von der Bewegung erfasst, die beschrieben werden soll: „(Die Beobachterin ist Teil des Systems.)“ wie es im Motto des Buches leicht abgewandelt heißt. Der Gegensatz zur bereits besprochenen Goethe-Verfilmung könnte größer nicht sein. Beim „Gesang der Geister“ schweben die Beobachter „über den Wassern“ und beobachten die Formwandel des Elementes von einem imaginären Außen her, während die Rezitation Luise Rainers in der Bildebene verankert ist, die Stimme also als eine verkörperte Stimme erscheint, die aus dem Bild hervorgeht. Barbara Köhler dagegen spricht aus dem Außen, ihre Stimme ist medial von den Bildern und ihrem Körperbild getrennt, während die visuelle Darstellung in das dargestellte Meer eingelassen, ein Teil von ihr ist. Die Gegenüberstellung der beiden Gedichtfilme ergibt eine chiastische Struktur. Die mediale Trennung von Stimme und Bild führt jedoch nicht notwendig zu ihrer Entkörperung. Auch wenn die Koexpressivität von Stimme, Mimik und Gestik in NIEMANDSFRAU. MOVIES suspendiert ist, bleibt eine Spur des Körpers in den gesprochenen Versen dennoch hörbar. Die Blöße, mit der uns die Stimme entgegentritt, wird in der Aufzeichnung nicht aufgehoben. Köhlers Stimme ist verhältnismäßig tief und besitzt ein volles, warmes Timbre mit einer leichten, fast belegten Heiserkeit. Es ist keine Stimme, die ihre leibliche Gebundenheit verleugnet. Geprägt von einer deutlichen Nasalität und einer starken Hörbarkeit auch leichterer Atemzüge, ist sie weit entfernt davon, eine Transparenz zum Gesprochenen hin herzustellen und bleibt stets in ihrer Körperlichkeit präsent. Dies wird durch die Verstärkung des Mikrofons begünstigt, die es erlaubt, die Stimme in einer großen Nähe zu halten. Köhlers Vortragsstil selbst, ein bis zum Singen gehendes Intonieren des Metrums, das kaum Sinnakzente setzt, legt größtes Gewicht auf die Musikalität und Rhythmik des Sprechens. Statt sich einer realistischen, prosaisch phrasierenden Redeweise anzunähern, entfernt es sich vom alltagssprachlichen Parlando, um eine betont „unnatürliche“, sanghafte Form anzunehmen. Damit kann Köhlers Vortragsweise als eine Tendenz zu einem sprechkünstlerischen Stilwandel identifiziert werden, der sich von der sachlich-gedämpften, ja zuweilen monoton Sprechweise, die sich seit den fünfziger Jahren besonders für lyrische Texte durchgesetzt hat, stark unterscheidet: Gegenüber dem pathetisch-hymnischen Auftreten eines Theodor Däubler oder Franz Werfel oder dem scharf-ekstatischen Stil von Karl Kraus, befleißigten sich die Schriftsteller nach 1945 eines bewusst unterkühlten, ja distanzierten Darstellungsstils. Dies gilt insbesondere für die Generation von Peter Handke und Helmuth Heißenbüttel. Absehbar, dass auch dieser Stil
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durch neue Expressionismen abgelöst wird, die Generation von Michael Lentz und Christian Utz liefert dafür genug Beispiele.1
Die musikalische Anmutung im Vortrag überrascht nicht, wenn man Köhlers Texte in Betracht zieht. Um allen thematischen Strängen, die im Gedichtband Niemandsfrau. Gesänge miteinander verwoben werden, zu folgen, fehlt hier freilich der Raum. Zu dicht ist das Netz der mythologischen Bezüge, die in unerhörter Weise an Medientheorie, Genderfragen und philosophische Themen anschließen. Mit dem Titel spielt Köhler auf die Ausflucht des Odysseus an, der sich „Niemand“ nennt und damit den Zyklopen in seiner Höhle überlistet. Die Gedichte wollen dagegen NiemandsFrau zur Sprache bringen, die Anderen, die Zahlreichen, die eine Erzählung ermöglichen, jedoch aus ihr verschwunden sind, und sie tun dies in Form von Gesängen: in einer zu singenden, also stimmlichen Form und – in der Mehrzahl.2 Dabei wird die Stimme selbst thematisch, am deutlichsten im Gesang 13, „Sirenen“, wo im Gesang der Fabelwesen sich die Alterität der Stimme tout court verkörpert. Gleich zu Beginn evoziert das Gedicht in der Rede der Sirenen das Auseinanderfallen des Zeichens in Klang und Bedeutung: Ich sei ‚Ich bin‘: ein zeichen das klingt springt / himmel und hölle / entzwei gebrochnes wort mein teil verschwiegen bin ich gleiche ihm die verglichene er kennt sich nicht im andern3
In den singenden Doppelwesen stellt sich Odysseus das Andere, das vom Zeichen Verschwiegene bedrohlich entgegen, das Unentscheidbare, was es zu bezeichnen und zu fixieren gilt: „mit bloßem ohr ein singsang an / klang echo & durchdringung wer / will das auseinanderhalten […]“ (ebd.). Odysseus fesselt sich an seine Identität, „die qual mit namen ‚ich‘„(47), während ihm in den Sirenen „selbander“ entgegentritt, die sich „gleich ist“ und die die Fremde auszuhalten vermag, da sie ein Teil von ihr ist. Die Sirenen sind Zwitterwesen aus Vogel und Frau, sie lassen sich nicht auf eine Identität festlegen. Odysseus dagegen will sich alles gleichmachen. Zu diesem Zweck bedient er sich der Sprache, in die er sich verstrickt: „in / eignen worten die den leib ent / eignen“. Diese Enteignung des Leibes jenes an den Mast gebundenen Odysseus’ gleicht der Enteignung des Leibes durch die Sprache, die die Psychoanalyse als Eintritt in das Symbolische beschreibt.4 Doch auch der Sirenengesang wird verschwiegen, das Ereignis der Stimme bleibt vom Sagen über (oder der Über-redung) ausgespart:
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Reinhart Meyer-Kalkus: „Literatur für Stimme und Ohr“, 179. Barbara Köhler: NiemandsFrau. Gesänge, 104. Ebd., 46. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf diese Ausgabe. Siehe Jacques Lacan: „Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse“, in: Schriften 1, Weinheim 1996, 72–169. Hier: 116.
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als / Einer nicht unter anderem herr der rede hat er das sagen über redet verschweigt das singen klingen springende stimmen die keine antwort stehen lassen […] (48)
Das Verfahren der Unentscheidbarkeit durchzieht auch Köhlers Sprache. Oft sind syntaktische Einheiten unscharf voneinander abgegrenzt, so dass sie Interferenzen bilden, die mehrere Lesarten möglich werden lassen. Heißt es: „es fesselt ihn das unbegreifliche“ oder „das unbegreifliche vor augen“? Keine der Deutungen lässt sich als verbindlich setzen und so gibt es konsequenterweise auch keine Hebungen oder Senkungen der Stimme, die Anfang oder Ende von Satzeinheiten markieren würden. Vielmehr folgt der Tonhöhenverlauf einem von der Phrasierung unabhängigen Muster, was sie in die Nähe der Musik rückt. Köhler hebt die Mehrdeutigkeit, die eine programmatische Un-eindeutigkeit darstellt, durch ihre Rezitation nicht auf, sondern bewahrt sie.1 Damit enttäuscht sie auch etwaige Erwartungen, dass die Rezitation eine verbindliche, letztgültige Interpretation Textes sei, die durch die Autorität der Autorin beglaubigt würde. Nicht nur thematisch also, nicht nur in der Verwirrung der linearen Erzählung, die in der Odyssee, selbst durch die geschickte Organisation der erzählten Zeit, in keiner Weise gefährdet wird, nicht nur im schwankenden Bild, das zwischen bewegtem Bildinhalt und dem schaukelnden Standpunkt des Blickes keinen festen Bezugspunkt mehr anbieten kann, auch im wellenförmigen, sanghaften Tonhöhenverlauf, auch im Auf und Ab der Stimme, die keine syntaktischen Einschnitte deutlich macht, gibt sich dieses Schwanken zu erkennen, es erfasst die Zuschauenden ein Schwindel, der dem des Odysseus auf offener See gleichkommen könnte, kämpfte der nicht durch seinen eigenen ‚Schwindel‘ stets dagegen an. Köhler geht es nicht nur um ein Re-Writing des Homerischen Epos aus weiblicher Perspektive, sondern auch darum, die Einzahl (wieder?) zu vervielfachen, dem Eindeutigen das Vieldeutige und das Uneindeutige entgegenzusetzen, das gewissermaßen im Ausgesetztsein auf dem offenen Meer der Sprache sein Bild finden könnte. Der Vergleich von Luise Rainers Goethe-Vortrag und Barbara Köhlers Performance führt gleichzeitig zu einer Gegenüberstellung von Schauspielerrezitation und Dichterlesung. Zunächst scheint es näher zu liegen, dass Schauspielende in ihrer Körperlichkeit zurücktreten, um sich zum möglichst transparenten Medium des vorgetragenen Textes
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Köhlers mit konstruktivistischen und kybernetischen Theoremen operierende Lyrik ist sich der Problematik der eigenen Medialität natürlich bewusst. Das Motto „Die Beobachterin ist Teil des Systems“ (8) und die umfangreichen Anmerkungen (Noten) am Ende des Buches verweisen auf durchaus beabsichtigte Verbindungen. Das Problem des Status’ des Beobachters verknüpft den Beobachter Odysseus mit dem Gedankenexperiment der „Schrödingerkatze“: Die Beobachtung lässt die Wellenfunktion kollabieren und beendet den chimärischen Zustand der Katze. Zuvor hatten die Interferenzen der beiden möglichen Welten zur Unentscheidbarkeit von toter und lebendiger Katze geführt.
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zu machen. Beispiele, wie die legendären Lesungen eines Klaus Kinski oder eines Oscar Werner zeigen jedoch, dass dies nicht unbedingt so sein muss. Verschiedenheiten in der der Vortragsweise, im interpretierenden oder dienenden Verhältnis zum Text oder in der Rolle des Vortragenden sind stärker an poetische Konzepte gebunden als an den Unterschied zwischen Autoren- und Schauspielerlesung.1 Dies verhindert nicht, dass die Dichterlesung im Selbstverständnis der Schreibenden und in der Erwartung des Publikums bestimmte Funktionen annimmt. Wenn die eine verbindliche Vortragsweise nicht im Text angelegt ist, wie es Eijchenbaum und Jakobson ja betonen, vielleicht, so die Hoffnung, kann der Autor oder die Autorin, aufgrund eines privilegierten Zugangs zum Sinn, die richtige anbieten?
3.1.2 Ton und Bild im Gedichtfilm Für die Untersuchung von Poesiefilmen, genauer: von Gedichtfilmen als audiovisueller Realisierung lyrischer Texte, sind zwei Merkmale des Filmtons von hervorgehobener Bedeutung: seine materielle Bedingtheit und seine Verortung im filmischen Kontext. An diese beiden Eigenschaften schließen sich zwei Leitfragen für die Analyse von Gedichtfilmen an: Zunächst: Was ist zu hören? Damit ist nicht an erster Stelle die Bedeutung geäußerter Worte gemeint, sondern zunächst die Charakterisierung von Geräuschen. Verschiedene Oberflächen und Materialien haben je unterschiedliche Eigenschaften bei der Reflektion der Lautstärke oder Frequenz von Schallereignissen, aus denen sich Rückschlüsse auf die Beschaffenheit von Räumen und Objekten der Umgebung ziehen lassen. Die Materialität von Gegenständen kann durch Geräusche, die durch Widerstände oder Reibung entstehen, noch weiter betont werden. 2 Filmtontheoretiker Michel Chion bezeichnet solche Toneffekte als indices sonores matérialisantes (I.S.M.).3 Darüber hinaus kann die Anordnung von Mikrofonen, mit der eine Nähe und Intimität bzw. Ferne und Distanz der sprechenden Stimme erzeugt wird, die Klangwahrnehmung beeinflussen. Eine zweite wichtige Frage lautet: Wo sind die Klangereignisse innerhalb des filmischen Raumes zu verorten? Die Beantwortung dieser Frage liefert wichtige Hinweise auf die Einbettung von Gedichten in die mediale bzw. narrative Struktur des Filmes. Es
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Zur Poetik der Dichterlesung siehe Reinhart Meyer-Kalkus: „Literatur für Stimme und Ohr“; Harun Maye: „Klopstock! Eine Fallgeschichte zur Poetik der Dichterlesung im 18. Jahrhundert“, in: Harun Maye/Cornelius Reiber/Nikolaus Wegmann (Hg.): Original/Ton. Zur Mediengeschichte des O-Tons, Konstanz 2007, 165–190. Rick Altman: „General Introduction. Cinema as Event“, in: Rick Altman (Hg.): Sound Theory, Sound Practice, New York 1992, 1–14. Hier: 23. Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 219. Siehe auch Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 63f. Die Betonung der Materialität betrifft freilich noch nicht die Medialität des Filmes selbst, sondern zunächst die der sprechenden Stimme.
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gilt zu beschreiben, ob sich Geräusche, Musik oder Gesprochenes in den durch die Filmbilder gezeigten Raum einfügen, ob ihre Quelle visuell präsent oder akusmatisch – das heißt unsichtbar – ist, ob sie an einem Ort verharren oder beweglich sind. Mit diesen Leitfragen soll die Rolle der Stimme, ihre Klanglichkeit und die der Bedeutung der Worte zuvorkommende oder manchmal auch mitbedeutende Körperlichkeit, an der sie Teil hat, Berücksichtigung finden, ohne dass ihre Einbettung in technisch-mediale Gegebenheiten, ganz besonders ihr Bezogensein auf die Ebene filmischer Bildlichkeit übergangen wird. Neben der Eigenschaft, auf die materielle Beschaffenheit von Objekten und Räumen zurückzuverweisen, steht Ton im Film stets in enger Beziehung zur visuellen Wahrnehmung. Diese Beobachtung formuliert der Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty bereits 1947 in einem Vortrag über die Anwendungsmöglichkeiten der Gestalttheorie auf den Tonfilm: Wir sind soeben abwechselnd auf Ton und Bild eingegangen. Aber in Wirklichkeit bildet ihre Zusammenstellung noch einmal ein neues und nicht auf ihre kompositionellen Bestandteile reduzierbares Ganzes. Ein Tonfilm ist kein Stummfilm, der mit Tönen und Wörtern ausgeschmückt wird, die lediglich dazu bestimmt wären, die kinematographische Illusion zu vervollständigen. Das Band zwischen Ton und Bild ist viel enger, und das Bild wird durch die Nachbarschaft des Tons transformiert.1
Für Michel Chion, einen der bedeutendsten Theoretiker des Tonfilmes, besteht in der engen Verschränkung von Ton und Bild eine der grundlegenden Eigenschaften des Mediums. Ton und Bild werden in unserer Wahrnehmung nicht lediglich aneinandergefügt, sondern beeinflussen sich wechselseitig, so dass in unserer Wahrnehmung ein Drittes entsteht. Klänge und Geräusche verändern nicht nur Stimmung oder Bedeutung eines Bildes, sondern beeinflussen die Bildwahrnehmung selbst, indem sie einen sinnlichen, informativen, strukturellen oder expressiven Wert hinzufügen, den sogenannten valeur ajoutée. Chion definiert valeur ajoutée, den Mehrwert, als den expressiven oder informativen Zuschuss mit dem der Ton das Filmbild anzureichern vermag, dahingehend, dass diese Zusatzinformationen im Bild selbst enthalten zu sein scheinen. Auch der semantische Mehrwert, der aus dem Verständnis des gesprochenen Textes auf die Wahrnehmung des Bildes projiziert wird, fällt bei Chion unter valeur ajoutée. Am bekanntesten ist sicherlich der emotionale bzw. affektive Mehrwert, der durch die Filmmusik beigetragen wird,2 doch der Effekt lässt sich auch bei der Wahrnehmung der sprechenden Stimme beobachten.3 Durch den Ton kann das Bild darüber hinaus mit dem Eindruck anderer Sinneswahrnehmungen angereichert werden, dem sogenannten
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Maurice Merleau-Ponty: „Das Kino und die neue Psychologie“ (1947), in: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays, hg. von Christian Bermes, Hamburg 2003, 29–46. Hier: 40. Michel Chion: L’Audio-vision. Son et image au cinéma, Paris 1994, 8f. Chion erwähnt ein Filmbeispiel, in dem der dumpfe, schleppende Sound der Stimmen dem Film eine gedämpfte Stimmung verleiht, die aber von den Bildern auszugehen scheint.
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rendu, so dass es räumliche, thermische und taktile Sinneseindrücke vermittelt, die die realistische Darstellung der Objekte bei weitem übersteigt.1 Kognitionswissenschaftlich beruht dieses Phänomen auf der sogenannten intermodalen Assoziation (cross-modal association), die unterschiedliche sinnliche Erfahrungen assoziativ verknüpft, was zu der Annahme führt, sie stünden in einer kausalen Relation zueinander.2 Es ist dieses Prinzip der intermodalen Assoziation, das dazu führt, dass wir die stilisierten Klänge der Sounddesigner oder die Synchronisation fremdsprachiger Dialoge unwillkürlich dem Ereignis zuschreiben, das auf der Leinwand zu sehen ist. Das Phänomen der intermodalen Assoziation ist als zu Grunde liegender Mechanismus Bedingung für weitere Konzepte der Filmtheorie. Von Michel Chion stammt das weniger rezeptionsorientierte Modell der „Synchrese“, das sich als Kofferwort aus den Bezeichnungen „Synchronismus“ und „Synthese“ zusammensetzt und mit dem er die unwillkürliche Verbindung bezeichnet, die zwischen einem akustischen und visuellen Phänomen hergestellt wird, wenn beide gleichzeitig auftreten. Für die Untersuchung von Gedichtfilmen bedeutet dies, dass weder die Beschreibung der sprechkünstlerischen Realisierung noch die Analyse der Tongestaltung oder der Bildebene voneinander zu trennen sind, da alle Bereiche wechselseitig aufeinander einwirken. Gemeinsam bilden sie die Einbettung des gesprochenen Gedichtes in die audiovisuelle Botschaft des Filmes. Dies lässt sich an zwei Gedichtfilmen zeigen, die in sehr unterschiedlicher Weise mit Ton, Sprache und Klang verfahren: EPILOG/PROLOG von Lars Büchel aus dem Film NICHTS_WEITER_ALS (2005) und ALLES aus dem Film POEM. ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE TRUG (HILDE DOMIN) (2004) von Ralf Schmerberg.3 Bei aller äußerlichen Ähnlichkeit lässt sich in einer genaueren Untersuchung der Ton-Bild-Beziehungen eine Reihe von Unterschieden feststellen, die sich mit dem jeweiligen Gedicht ins Verhältnis setzen lassen. Zwar widmen sich beide Filme einem zeitgenössischen deutschsprachigen Gedicht und konzentrieren sich auf die Performance des Textes durch eine junge weibliche Schauspielerin, die in einem industriellen Setting inszeniert wird, doch die Sprechposition und damit der Status des gesprochenen Gedichtes im Tonarrangement der Filme sind grundlegend andere. EPILOG/PROLOG aus NICHTS_WEITER_ALS erinnert unwillkürlich an ein Musikvideo. Der Film besteht aus verschiedenen Aufnahmen auf dem Gelände einer Industrieanlage, die durch keine weitere Chronologie oder Fiktion zusammengehalten werden. Im Mittelpunkt steht die Schauspielerin Fritzi Haberlandt. Ihre Rezitation des Textes von Arne Rautenberg zeichnet sich durch einen ironisch-melancholischen Tonfall aus. Prosodisch lässt sich dies an einer charakteristischen steigend-fallenden Tonhöhenbewegung bei bestimmten Wortgruppen festmachen, zum Beispiel bei „süße Kugeln eingesammelt“. Insgesamt spricht Haberlandt das Gedicht jedoch ohne große Schwankungen in Laut1 2 3
Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 215. Siehe Barbara Flückiger: Sound Design, 138. Siehe Abbildungen 3.3 und 3.4.
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stärke, Tempo oder Prosodie. Ihre Stimme ist gleichbleibend leise und weich, nur im letzten Teil wird das Timbre etwas rauer. Obwohl das Sprechtempo relativ hoch ist, entsteht nicht der Eindruck von Schnelligkeit. Zum einen, weil dreimal mehrsekündige Pausen zwischen den Versgruppen gesetzt werden, zum anderen, weil die meisten Filmbilder relativ statisch sind oder mit verlangsamter Geschwindigkeit ablaufen. Hinzukommt, dass die Musik auf der Tonspur in den Pausen zwischen den gesprochenen Abschnitten wieder stärker in den Vordergrund tritt, so dass diese Unterbrechungen im Text nicht als Stille wahrgenommen werden. Die Rezitation wird somit gewissermaßen in die Filmmusik eingelassen, so dass es wirkt, als seien Musik und Stimme Teile einer Komposition. Das Stück stammt von der Band Notwist und ist einem Track ihres Albums Neon Golden1 entnommen. Neben den eigentümlich gezupften Streichinstrumenten, ist ein schabendes, kratzendes Geräusch Teil dieser Soundcollage, die entfernt an die Nebengeräusche sehr alter Tonaufnahmen erinnert, was in Verbindung mit dem Text („weit weg vor langer Zeit“2) das Thema Zeitlichkeit und Erinnerung anklingen lässt: nichts weiter als an trabantenbauten kaugummi automaten verstopft und zweimal am tag süße kugeln eingesammelt nichts weiter als weit weg vor langer zeit hinter der turnhalle die haare schneiden lassen fürs schulfest[…]3
Neben den Aufnahmen der rezitierenden Schauspielerin gibt es keine Synchronisationspunkte zwischen Ton und Bild, so dass die sprechende Stimme den Bildern gewissermaßen äußerlich scheint. Es lassen sich kaum Atemgeräusche vernehmen, auch dort nicht, wo der sich bewegende Körper der Performerin dies erwarten ließe. Fritzi Haberlandt rezitiert „nichts weiter als“ im Modus eines Vor-sich-hin-Sprechens. Dabei gruppiert sie die Verse des Gedichtes gemäß syntaktischer und sinngemäßer Einheiten um. Nur an der Stelle „nachts von der schnellstraße zurück / in den vorort getrampte lebensläufe“ hebt sie Tempo und Dynamik fast unmerklich an. Sie versieht das Wort „nachts“ mit einem schwereren Akzent und verbindet die folgenden Wörter, ohne die Stimme zu senken. Die Zeile „im schnelldurchlauf erhitzt“ dagegen vollzieht sie nicht stimmlich nach, dafür übereilen sich hier die Filmbilder, die tatsächlich für Momente in erhöhter Geschwindigkeit ablaufen, wobei sich auch die Schnittfrequenz kurz erhöht.
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Notwist: Neon Golden, 2002. Arne Rautenberg: „nichts weiter als“. Arne Rautenberg: „nichts weiter als“, online unter http://www.arnerautenberg.de/Text/Gedichte/nichts_weiter_als, zuletzt geprüft am 19.03.2014.
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Ein Ansatz, dem Gedicht stimmlich und visuell einen Spannungsbogen zu verleihen, ist also durchaus vorhanden. Dass Fritzi Haberlandt ihn ins Leere laufen lässt, ist angesichts der Thematik des Textes nur konsequent: Nichts weiter als ist keine bitter enttäuschte, nur eine sanft resignierte Aufzählung der Kurzzeitfreiheiten, die den Ersatz für den Traum vom großen Aufbruch bilden, für den es nicht gereicht hat. Haberlandts Rezitation wird nicht durch Gesten begleitet, auch die Mimik bleibt die meiste Zeit fast neutral, während der Blick starr in die Kamera oder an der Kamera vorbei ins Leere geht, ein Ausdruck, der typisch ist für den Zustand der Introspektion und Erinnerung, bei dem die Augen auf keinen Gegenstand fixiert sind. Sehen wir die Darstellerin zu Beginn des Filmes mit Tränen in den Augen, so wird die damit verbundene Assoziation von großer Emotionalität schnell verunsichert, denn bald darauf wird klar, dass Haberlandt vor einer enormen Windmaschine steht, die so stark ist, dass sogar ihre Gesichtshaut in Falten geworfen wird. So regungslos die junge Frau während der Rezitation bleibt, so voller Bewegung sind die übrigen Einstellungen. Ihr Körper wird Wasser und Wind ausgesetzt, ihre Haare wirbeln, sie fliegt durch die Luft, all dies filmisch verfremdet durch Zeitlupe, Zeitraffer oder Rückwärtslauf. Dazwischen sind immer wieder Aufnahmen von Industrieanlagen, Zügen und Strommasten zu sehen, wobei eine starke Reduzierung der Farben fast zu Graustufen vorherrscht, die die Aufmerksamkeit auf Hell-Dunkel-Kontraste lenkt. Eine auffällige Betonung erfahren Texturen und Oberflächen: Wellblech, Wellen auf dem Wasser, diffuser Lichteinfall durch riesige, staubige Fenster. Obwohl die gefilmten Orte weitläufig sind und einige Halbtotalen, viele Halbnahe und nur wenige Nahaufnahmen1 vorkommen, vermittelt der Film wegen seiner sehr geringen Tiefenschärfe einen Eindruck von Flächigkeit, der mit der Vortragsweise des Gedichtes korrespondiert. Die Rezitation bleibt den Bildern äußerlich, als sei sie Teil der Filmmusik. Sie tönt sie ein und nimmt ihre Tönung an. Während in NICHTS_WEITER_ALS das Gedicht als Begleitton zur Bildfläche erscheint, lässt der Film ALLES Tonräume entstehen, aus deren Tiefe der sprechende Körper zu hören ist. Das Gedicht2 von Antonia Keinz bildet das erste Stück in Ralf Schmerbergs Episodenfilm POEM – ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE TRUG. Schon mit der ersten Einstellung, der Detailaufnahme eines menschlichen Auges, wird eine extreme Nähe zum Körper der Schauspielerin Carmen Birk hergestellt, die im Film durchgängig beibehalten wird. Es dominieren Nah- und Großaufnahmen von dem Gesicht der jungen Frau, die sich mit den wenigen halbnahen und halbtotalen Einstellungen abwechseln, in denen man sie bei verschiedenen Aktionen in einer dunklen Halle zwischen Säulen und Betonwänden sieht. Sie hangelt sich an einem Seil entlang, rennt, springt, wirbelt mit den Armen oder spiegelt sich in einer Pfütze. Die Szenerie wird von
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Das Verhältnis beträgt etwa 1,5:2:1. Die Großaufnahmen machen weniger als ein Drittel aus. Im Folgenden stets zitiert nach Antonia Keinz: Alles. Gedicht, DVD Booklet, Berlin 2002.
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mehreren hektisch zuckenden Lichtkegeln beleuchtet, die die langen Schatten verzerrend in Bewegung setzen. Zu Beginn sehen wir die sehr unscharfe Nahaufnahme einer jungen Frau, die sich langsam fokussiert. Erst dann beginnt die Frau zu sprechen. Ihre sprechkünstlerische Performance unterscheidet sich stark von Haberlandts Vortrag. Statt mit einer Rezitation hat man es hier mit der „leidenschaftlichen Selbstentäußerung“1 der Deklamation zu tun, die sich in die Sprechrolle ganz hineinversetzt.2 Nicht von ungefähr spricht in Alles ein Ich, das „will“, „möchte“ und wünscht. Dieses Ich wird im Film schauspielerisch verkörpert. Dabei kommt die Kamera ihm so nah, dass wir seinen Körper während des Sprechens kaum im Ganzen sehen. Überdeutlich werden die ohnehin schon prägnanten Augen der jungen Frau durch Beleuchtung und Einstellungsgröße betont. Doch auch die Stimme wird durch das Mikrofon so nah herangeholt, dass wir noch den leisesten Atemhauch vernehmen. Zwischen Flüstern und Schreien durchmisst die Schauspielerin eine große Spanne stimmlicher Ausdrucksformen, deren emotionale Extreme manchmal unvermittelt wirken. Die junge Frau beginnt zunächst verhalten, sie setzt viele Pausen, flüstert, ihr Atem zittert ein wenig. Die Zeile „Vogel werden …“ ruft sie laut und gedehnt mit einer geschulten klaren, vollen Stimme, die auch in der Lautstärke noch nuancieren kann. Dabei kommen auch „tonmalerische Effekte“3 zum Einsatz. So wird zum Beispiel die Zeile „Schwimmend ein Meer“ von der Tonhöhe her wesentlich tiefer gesprochen als die vorhergehende, das sehr hell klingende „Himmel sein“. Zudem entsteht durch die Dehnung der Worte, die deren sonorante Lautfolge noch betont und durch das geringere Tempo, tatsächlich ein Eindruck von Tiefe und Weite. Während die nachfolgenden Zeilen unentscheidbar zwischen einem naiv-leiernden und einem rätselhaft-drohenden Tonfall gehalten sind, folgt mit der Zeile „Glauben Alles, Allesallesalles sei für immer so“ eine wütende, sich mit jedem Wort in ihrer Dynamik, Tonhöhe und Tempo steigernde Tirade. Die laut herausgerufene Frage: „Was würde mir fehlen ohne mein Leben?“ wird nach einer langen Pause mit einem zögernden „Das Leben?“ beantwortet, das kurz darauf beim „Alles?“ in ein furchtsames Wimmern umschlägt, das von einem kindlichen Trampeln begleitet wird. Die Ausrufungszeichen des geschriebenen Textes verwandeln sich durch die am Ende der Wörter gehobene Stimme in Fragezeichen und verunsichern ihn damit. Dennoch lässt sich die stimmliche Gestaltung nicht bruchlos einer Dramaturgie oder Spannungsführung zuordnen. Viele der durch Geschwindigkeit und Dynamik markierten Wechsel im Vortrag folgen unvermittelt aufeinander. Im letzten Teil kehrt die Stimme
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Johann Wolfgang von Goethe: „Regeln für Schauspieler“, in: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Ästhetische Schriften 1771–1805, hg. von Karl Eibl/Hendrik Birus/Dieter Borchmeyr, Frankfurt am Main 1998, 857–860. „Die Worte, welche ich ausspreche, müssen mit Energie und dem lebendigsten Ausdruck hervorgebracht werden, so daß ich jede leidenschaftliche Regung als wirklich gegenwärtig mitzuempfinden scheine.“ (Ebd., §20). Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 189.
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noch einmal zu einem leisen Flüstern zurück, das mit jeder Zeile unmerklich etwas von seiner Stimmhaftigkeit zurückgewinnt: […]
Könnten doch Alle, sich wie Blütensamen dem Wind anvertrauen frei von morgen und gestern wie Blitze in der Dunkelheit Den Himmel in der Tasche.
Deutlich hebt sich schließlich die letzte Zeile ab. Das wieder gerufene „Den Himmel in der Tasche“ ist von einer Zäsur geprägt, die durch einen deutlichen, stimmhaften, fast lachenden Atemzug markiert wird. Zum ersten Mal klingt die Stimme froh und überschwänglich. Gleichzeitig wird die Nahaufnahme der jungen Frau durch ein nächtliches Stadtpanorama überblendet. Ein langsamer Schwenk über die entfernten, im Dunkel leuchtenden Lichter verwirklicht den Wunsch nach Weite und entlässt den Blick endlich andeutungsweise aus seiner Begrenzung. Ganz im Gegensatz zu NICHTS_WEITER_ALS, wirken Ton und Bilder in ALLES sehr stark aufeinander. Vor allem die Stimme hat einen großen Anteil an der Herstellung der unheimlichen Raumatmosphäre. Sie besitzt einen starken Hall, was den Effekt hat, dass gerade bei den lauten, kraftvoll nach außen gesprochenen oder geschrieenen Versen umso deutlicher wird, wie der Schall von kahlen Wänden zurückgeworfen wird und die Geschlossenheit des Raumes spürbar macht. Ein Phänomen übrigens, dass in der Inszenierung des Filmes selber wieder ins Spiel gebracht wird. An einer Stelle sehen wir eine Nahaufnahme der jungen Frau. Sie atmet ein, beugt sich leicht vor und ruft laut ihr: „Was würde mir fehlen ohne mein Leben?“, um dann innezuhalten und dem Nachhall ihrer eigenen Stimme zu lauschen, die sich von ihrem Körper getrennt hat und noch sekundenlang durch den Raum hallt. Wir sehen ihre Augen hin- und herwandern bis der Ton verklungen ist.1 Dieser Effekt des rendu durch den Ton ergibt sich auch aus dem Geräusch tropfenden Wassers, das die Kühle und Feuchtigkeit einer Höhle ins Bild ‚einträgt‘. An anderer Stelle erklingt ein pfeifendes Sirren, wie es ein schnell durch die Luft gewirbelter Gegenstand erzeugt. Durch die verschiedenen Klänge erhalten wir erst eine Vorstellung von der Tiefe und Beschaffenheit des Raumes, die uns wiederum Temperatur, Schnelligkeit und sogar Gerüche assoziieren lässt. Wenn zu sehen ist, wie die junge Frau des Filmes in der flackernd aufgehellten Dunkelheit gegen Wände anrennt oder in der drängenden Enge eines Winkels hockt, wird sie selbst noch von der Kamera bedrängt, eingefangen in extremen Großaufnahmen, die ihr Gesicht an den Bildrändern abschneiden. Zunächst scheint all dies einen scharfen
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Oder das Echo wird mit der Wiederholung der Wörter betraut, die schon im Text angelegt ist: „Könnten doch Alle / wie Nomaden wandern, / wandernwandern / immer weiter ziehen“ (Antonia Keinz: Alles).
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Kontrast zur Freiheitssehnsucht des Gedichtes zu erzeugen, die in dessen Luft- und Wassermetaphorik gefeiert wird. Doch spannen bereits die ersten Zeilen „Weite im Kopf / Im Herzen Welten“ einen Widerspruch auf. Der Kontrast zwischen „Weite und Innenraum“1, Wünschen und Begrenzung, ist thematisch schon im Gedicht angelegt und wird mit den filmischen Mitteln von Ton und Bild lediglich radikalisiert. In Gedichtfilmen, wo das gesprochene Wort ein starkes Eigengewicht besitzt und nicht in Dialogen der Spielfilmhandlung aufgehoben ist, ist grundsätzlich mit einer markierten Verbindung von Ton und Bild zu rechnen. W.J.T. Mitchell beschreibt mit dem Begriff „braiding“, das Verweben verschiedener Sinneskanäle oder Zeichenfunktionen, besonders in der filmischen Suture. Dagegen grenzt er die Vorgehensweise von Experimentalfilmen der sechziger und siebziger Jahre ab, die Ton- und Bild-Spur trennen.2 Ähnlich wie die visuelle Montage ist auch der Bereich der Ton-Bild-Beziehung, ein theoretisch umstrittenes und ästhetisch aufgeladenes Thema; einer der Bereiche jedenfalls, in dem sich das Abweichen des Gedichtfilmes vom Modell des narrativen Spielfilmes am deutlichsten manifestiert. Bereits die Experimentalfilmerin Maya Deren erblickte in einem asynchronem Verhältnis von Ton und Bild eine genuin poetische Verfahrensweise. Die Kombination von Worten und Bildern erzeuge nicht zwingend Redundanz, erklärt sie, einen gängigen Vorwurf zurückweisend, sondern könne sogar ein starkes poetisches Moment erzeugen, dann nämlich, wenn der Ton nicht einer Theater-Tradition folgend aus dem Bild hervorgeht, sondern eine eigene Dimension bildet: [I]t is the two things together that make the poem. It’s almost as if you were standing at a window looking out into the street, and there are children playing hopscotch. Well, that’s your visual experience. Behind you, in the room, are women discussing hats or something, and that’s your auditory experience. You stand at the place where these two come together by virtue of your presence. What relates these two moments is your position in relation to the two of them. They don’t know about each other, and so you stand by the window and have a sense of afternoon which is neither the children in the street nor the women talking behind you but a curious combination of both, and that is your resultant image, do you see? And this is possible in film because you can put a track on it.3
Indem sie die Frage nach einer synchronen oder nicht-synchronen Verwendung des Filmtons in die Debatte einführt, verweist Deren auf ein zentrales Thema. Sie enthüllt das poetische Potential, das sich in der technischen Trennung von Bild und Ton verbirgt. Während ein realistischer Gebrauch des Tons gerade das wiederholen würde, was auf der Bildebene zu sehen ist, kombiniert der poetische Film die Worte auf dem Soundtrack mit Bildern aus einem anderen Zusammenhang. Anders als den frühen Filmtheorien geht es Deren jedoch nicht nur um eine Vermeidung von Redundanz. In der Formulierung der curious combination sind Konzepte wie Synchrese, rendu oder
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Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt, 84. W.J.T. Mitchell: „There are no Visual“, 401. Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“, 179.
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cross modal association im Ansatz bereits vorweggenommen. Wenn Deren also über die privilegierte Position des Subjektes spricht, das als Einziges eine Relation zwischen den beiden zusammenhangslosen Ereignissen herstellt, referiert sie nicht nur auf die traditionelle Vorstellung des Lyrischen als der Gattung des Subjektiven, sondern beschreibt auch die Verknüpfung konkreter sinnlicher Eindrücke zu einer neuen Erfahrung, die in keine der beiden Einzelerfahrungen aufzulösen sei („neither the children in the street, nor the women talking behind you“). Nicht zufällig erinnern Derens Bemerkungen an eine andere Feststellung, die bereits in den zwanziger Jahren von den drei russischen Regisseuren Pudovkin, Ejsenštejn und Alexandrov getroffen worden ist. Auch sie fordern eine nach dem Prinzip der visuellen Montage gedachte kontrapunktische Verwendung des Tons. Die drei Filmtheoretiker kritisieren die von ihnen als naturalistisch bezeichnete Verwendung des Tons, hauptsächlich aufgrund der negativen Auswirkungen, die sie auf die Kunst der Montage zukommen sehen. Bei einer Übereinstimmung von Ton und visuellen Montage-Elementen, verlöre das einzelne Montagestück seine Bedeutung.1 Daraus resultiert die bekannte Forderung: Nur eine kontra-punktische Verwendung des Tons in Beziehung zum visuellen Montage-Bestandteil wird neue Möglichkeiten in der Montageentwicklung und Montage-Perfektion erlauben. Die erste experimentelle Arbeit mit dem Ton muss auf seine deutliche Asynchronisation mit den visuellen Bildern ausgerichtet werden.2
Barbara Flückiger hat darauf hingewiesen, dass als ‚asynchron‘ in den zwanziger Jahren auch Klangereignisse bezeichnet werden, die außerhalb des Bildkaders lokalisiert sind. Eine Unterscheidung zwischen inner-diegetischen und extra-diegetischen Klangereignissen ist damit demnach noch nicht angesprochen. Die Forderung nach einer asynchronen Montage des Filmes richtet sich vor allem gegen eine Redundanz von Gehörtem und Gesehenem, bezieht sich also auf „Sprache oder Geräusche von unsichtbaren Objekten“3, die außerhalb des Bildkaders verortet werden. Vor allem die Filmtheoretiker der historischen Avantgarde und Moderne reagieren verhalten auf den realistischen Gebrauch des Tons. Solchen normativen Forderungen nach einem kontrapunktischen Einsatz des Tons steht der Filmwissenschaftler Michel Chion skeptisch gegenüber; er besteht darauf, dass die künstlerische Verwendung des Tons zu akzeptieren sei, die sich in der Filmgeschichte durchgesetzt hat und bis heute tatsächlich praktiziert wird. Die Gründe die er dafür angibt, führen in das Herz von Chions Theorie. Zum einen, konstatiert er, ist die Montage von Ton und Bild nicht als solche wahrnehmbar, da es in der Tonmontage kein Äquivalent zur visuellen Einstellung gibt, welche etwa für die Montagetheorie 1 2 3
Siehe Sergej Ejsenštejn/Wsewelod I. Pudovkin/Grigorij W. Alexandrov: „Manifest zum Tonfilm“, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 54–57. Hier: 55. Ebd. Barbara Flückiger: Sound Design, 135.
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Ejsenštejn das Grundelement darstellt.1 Zum anderen erschweren es die Gleichzeitigkeit von Ton und Bild, diese überhaupt als getrennte Elemente wahrzunehmen. Aufgrund der sich unwillkürlich vollziehenden Synchrese schreiben wir akustische und visuelle Wahrnehmungen derselben Quelle zu, sobald sie simultan auftreten.2 Chion weist sich damit zwar als Kritiker der avantgardistischen Forderung eines rein kontrapunktischen (vertikalen) Gebrauchs des Tons aus, räumt aber doch ein, dass bei einigen audiovisuellen Formaten wie dem Videoclip eine gewisse horizontale Freiheit möglich ist. Der Videoclip mit seinen parallelen audiovisuellen Ketten, die häufig nur lose miteinander verbunden sind, weist als Ausgleich stärkere Verknüpfungen auf der perzeptiven Ebene auf. Durch sogenannte points des synchronisation, die die audiovisuellen Reihen rhythmisieren, werden sie immer wieder zusammengehalten.3 Im Musikvideo sind diese Synchronisationspunkte mit der rhythmischen Durcharbeitung auf visueller und akustischer Ebene gegeben, aber auch in vielen Gedichtfilmen sind ähnliche Muster zu beobachten. Die Verknüpfung des gesprochenen Textes auf der Tonspur mit der Bildebene ist lose, wodurch neue unerwartete Verknüpfungen auf der perzeptiven Ebene entstehen können. Wie aber lässt sich dieses Neue, das aus der unerwarteten Kombination von Ton und Bild entsteht, konzeptionell beschreiben? Die deutsche Filmtheoretikerin und Tonmeisterin Barbara Flückiger entwickelt Michel Chions Konzept des valeur ajoutée weiter, indem sie es als eine Modifikation und damit als dynamische Form der Bedeutungserzeugung beschreibt. Aus der Interaktion eines akustischen und eines optischen Objektes geht ein Drittes hervor, das mit keinem der beiden Einzelobjekte übereinstimmt. Je mehr aber ein Geräusch vom prototypischen Durchschnitt abweicht, desto komplexer wird die Interaktion und desto höher ist der erzeugte Mehrwert (valeur ajoutée) zu veranschlagen.4 Diesem Modell zufolge wäre der Mehrwert dann am größten, wenn die Interaktion zwischen Ton und Bild weit von Redundanz entfernt ist, indem sie möglichst untypische, mehrdeutige Konzepte einbindet und dadurch ein gewisses Maß an „Verrätselung“ erzeugt wird, ohne dabei jedoch in die maximale Differenz zu kippen, bei der sich überhaupt kein Zusammenhang mehr herstellen lässt: „Der von Ejsenštejn, Clair und anderen geforderte Kontrapunkt ist deshalb so selten und hat sich im Mainstream-Film nicht durchgesetzt, weil er sich an diesem riskanten Ende der Skala befindet.“5 Die Begriffe „Verrätselung“ und „Abweichung“ von der Typikalität führen zurück zu einer Auffassung der kontrapunk-
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Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 182. Siehe ebd., 192. Siehe Michel Chion: L’Audio-vision, 34. Nicht zufällig erinnert die Argumentation an strukturalistische Bestimmungsversuche lyrischer Spezifika. Wie bei lyrischen Texten wird ein Mangel an horizontaler Kohärenz durch eine bestimmte Form der Überstrukturierung ausgeglichen. (Siehe dazu Jürgen Link: „Elemente der Lyrik“, 90). Barbara Flückiger: Sound Design, 141ff. Ebd., 145.
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tischen Ton-Bild-Beziehung als einem lyriktypischen Verfahren: 1. Das Prinzip der Verrätselung ist innerhalb der Lyrikforschung ein entscheidendes Kriterium zur Bestimmung der Gattung.1 2. Das Prinzip der offenen Montage, wie es in der modernen Ästhetik entwickelt und in der Filmtheorie insbesondere von Ejsenštejn propagiert wird, würde angewendet auf die Montage von Ton und Bild, nicht zur Integration, sondern in ähnlicher Weise zu poetischen Effekten führen, wie sie auch in der Montage von Bildern entstehen kann.2 Durch das Erzeugen neuer unerwarteter Zusammenstellungen wird eine Entautomatisierung der Wahrnehmung bewirkt. Das intermodale Zusammenspiel von Ton und Bild lässt sich daher in seiner Funktionsweise mit der Metapher vergleichen.3 Auch in diesem Sinne muss die Untersuchung des Verhältnisses von Ton und Bild, unter besonderer Berücksichtigung des gesprochenen Gedichtes, als Schlüssel für das Verständnis von Gedichtfilmen gelten. Obwohl Chions Theorie des Tonfilmes insgesamt auf das narrative Kino fokussiert bleibt und nicht-narrative, experimentelle audiovisuelle Formen, wie auch Dokumentarfilme, nur am Rande berücksichtigt, bieten seine Konzepte eine fruchtbare Grundlage für die Beschreibung der speziellen Ton-Bild-Verhältnisse im Gedichtfilm. Mit seinem Modell des Tri-Cercle liefert er ein differenziertes Beschreibungsvokabular für die Verortung von Klangereignissen, das aber auch für unbestimmbare Klänge und Zwischentöne offen bleibt. Chion unterscheidet drei Bereiche des Tons: Sprache, Geräusche oder Musik sind entweder dem son in (On), hors-champ (Off-Screen) oder dem son off (Off) zuzuordnen. Während als On oder On-Screen alle Tonereignisse gelten, deren Quelle (oder vermeintliche Quelle) gleichzeitig im Bild zu sehen ist, bezeichnet das Off-Screen den Raum außerhalb des Bildkaders. Geräuschquellen, die sich dort befinden, sind Teil der filmischen Diegese und könnten jeden Moment, etwa durch Bewegungen, Schnitt, Schwenk oder Fahrt wieder ins Bild gelangen. Das Off dagegen ist gleichbedeutend mit dem nicht-diegetischen Raum des Filmes, denn Tonereignisse aus dem Off sind nicht Teil der diegetischen Welt der Filmszene, sind also einer anderen raum-zeitlichen Sphäre zuzuordnen. In Spielfilmen ist das Off typischerweise der Ort der Filmmusik oder der Voice-Over-Erzählung, die auch Erzählung aus dem Off genannt wird. Die VoiceOver-Erzählung wird in Spielfilmen meist nur zurückhaltend eingesetzt, gilt sie doch als unfilmisches Verfahren, das von der „eigentlichen“ visuellen filmischen Ebene ablenkt. Die Off-Erzählung ist im Spielfilm in typischer Weise mit einer ganz bestimmten Redeweise assoziert. Sie ist Rede als Text (parole-texte): „[L]e son de la parole a une valeur de texte en soi, capable comme celui d’un roman de mobilisier, par le simple
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Rüdiger Zymner etwa spricht von einer „Diversifikation der Aufmerksamkeitsspuren“ (Rüdiger Zymner: Lyrik, 112). Siehe Kapitel 2.1, Sergej Ejsenštejn: „Dramaturgie der Film-Form“. Siehe Barbara Flückiger: „Zum Mehrwert in der Ton/Bild-Beziehung“, in: Maren Butte/Sabina Brandt (Hg.): Bild und Stimme, Paderborn 2011, 160–177. Hier: 166.
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énoncé d’un mot ou d’une phrase, les images de ce qu’il évoque.“1 In den Gedichtfilmen bildet die Voice-Over-Stimme den Normalfall, mit der Einschränkung, dass es sich bei den aus dem Off gesprochenen Texten natürlich nicht um Erzählung, sondern um gesprochene Lyrik handelt. Matthias Müllers Verfilmung NEBEL (2000) von Ernst Jandls „Gedichten an die Kindheit“ beispielsweise, bedient sich durchgehend der aus dem Off sprechenden Stimme. Texte und Musik werden kontrapunktisch mit den Filmbildern kombiniert. Die Geräusche aber, die sich dem Off-Screen der Bilder zuordnen lassen, stellen eine Brücke zwischen Bild und Ton her. Meeresrauschen, das Pfeifen und Heulen des Windes und Geräusche des Dschungels sind dabei überdeutliche oder stark stilisierte Geräusche, die einen Gegensatz zu der verblassten, körnigen Qualität der Filmaufnahmen bilden. An anderer Stelle bewirken sie einen Fiktionsbruch, etwa, wenn ein Knistern, Schaben und Kratzen die verrauschten, schadhaften Super-8Aufnahmen begleitet, die in den Film hinein montiert sind. Das Geräusch ist dann nicht einer Quelle im Bild zuzuordnen, entstammt nicht einer Quelle, die vom Bild gezeigt wird, sondern scheint dem abspulenden Filmbild selbst zuzugehören und trägt so zu einer (fingierten) Betonung der filmischen Materialität bei. Stimmen und Geräusche, deren Quellen (und das heißt immer auch vermutete Quellen) nicht im Bild sind, heißen nach Chion „akusmatisch“. Dies sind die scheinbar körperlosen Stimmen, die wir hören, ohne dabei gleichzeitig jemanden zu sehen. Das Phänomen der akusmatischen Stimmen umfasst ein ganzes Spektrum von Ausnahmen und Besonderheiten, in denen sich Stimmen nicht ohne weiteres einer Zone des Schemas zuordnen lassen. So ist etwa beim inneren Monolog zwar die Person im Bild, deren Gedanken wir hören, dennoch sehen wir deutlich, dass sich ihre Lippen nicht bewegen. Woher stammt also die Stimme, die wir vernehmen? Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei verdeckten Geräuschquellen oder internen Klangereignissen, seien sie objektiv wie ein Herzschlag oder subjektiv, wie Klangereignisse in der Vorstellung von Figuren. Gerade dort, wo die Stimmen und Geräusche nicht eindeutig zuzuordnen sind, wo sie in der Schwebe bleiben oder gar überraschend eine Grenze überschreiten, entstehen besondere Effekte. Diese können aber erst dadurch Kontur gewinnen, dass sie sich von den gewohnten Relationsweisen zwischen Ton und Bild abheben. Solches Spiel mit den Relationen von Stimme und Bild prägt auch viele Gedichtfilme. Ein Beispiel für ein besonders virtuoses Spiel mit dem Ort der Stimme ist der Gedichtfilm PIRATENLEBEN2 von Friederike Jehn, die Arne Rautenbergs Gedicht „nichts weiter als“ in einen Kurzfilm mit klassischen Erzähltechniken einbettet. In einem Dialog zwischen einer Mutter und ihrer jugendlichen Tochter Nora wird der generationentypische Konflikt um ein Piercing ausgetragen. Die anschließende familiäre Kaffeetafel
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Michel Chion: Un Art sonore, 65. „Die Rede als Text, son-parole, hat einen Wert als Text an sich und ist wie ein Roman in der Lage, durch die einfache Äußerung eines Wortes oder eines Satzes, die Bilder dessen, was er evoziert zu mobilisieren.“ (Übers. S.O.). NICHTS_WEITER_ALS, siehe Abbildung 3.5.
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im idyllischen Garten bildet den Rahmen für eine Szene, in der Noras sichtliches Unbehagen und ihr Gefühl des Unverstandenseins gegenüber den übrigen Anwesenden zu einer Annäherung an ihren vermutlich demenzkranken Großvater führt. Nora wendet sich mit der Frage „Hast du sie auch so gehasst – die Jugend?“ an den alten Mann, der ihr freilich nicht antwortet. Das auf der Tonspur präsente Stimmgemurmel und Geschirrklappern verstummt einen Moment, um sich sogleich, angekündigt durch ein brausendes Geräusch, zu verstärken und schließlich durch Verzerrungen und hohe Frequenzen einen bedrängenden Charakter zu bekommen. Währenddessen geht die Montage vom Schuss-Gegenschuss-Prinzip zu einer Detailaufnahme der Augen des Großvaters über, die sich mit dem sprechenden Mund Noras abwechselt. Schließlich schwenkt die Kamera von Noras Mund zu ihrem Auge. Plötzlich verstummen alle Hintergrundgeräusche, während der Stimmklang Noras, die nun beginnt, das Gedicht „nichts weiter als“ zu sprechen, näher kommt, weicher und leiser wird. Deutlich vernehmen wir nun sogar organische Eigentümlichkeiten ihres leicht nasalen Sprechens. Den zweiten Teil des Gedichtes rezitiert eine gealterte, männliche Stimme, die wir unwillkürlich mit dem Großvater identifizieren. Während der Rezitation sind schnell wechselnde Einstellungen spielender Kinder, Pflanzen, Blüten und Beeren zu sehen, die aus der diegetischen Umgebung der Filmszene entnommen sein könnten, aber durch optische und akustische Effekte verfremdet wirken. An keiner Stelle jedoch wird deutlich, wo die sprechenden Stimmen zu verorten sind. Weder sprechende, noch schweigende Münder sind im Bild zu sehen, sondern nur die Augen der Figuren, was den Effekt hat, dass die Stimmen einem Schwebezustand zwischen hors-champ und off des Bildes zu entstammen scheinen. Ton und Bildkomposition entrücken das Gedicht in einen anderen Raum und entheben es der diegetischen Zeit. Ob es sich um den Innenraum der Figuren oder auch eine extradiegetische Kommentarebene handelt, bleibt aber ausdrücklich im Unklaren. Ein knipsendes Geräusch, synchronisiert mit einem Lidschlag in Detailaufnahme, beendet diesen lyrischen „Augenblick“. Während die Szene auf der Tonebene wieder in die umgebende Geräuschkulisse eintaucht, hebt auch die visuelle Montage die vorübergehende Isolierung der Figuren auf und holt sie in den Kreis der Familie zurück, indem diese nun in einer letzten halbtotalen Einstellung um den Kaffeetisch versammelt gezeigt werden. Im Spielfilm ist ein solches Überschreiten der Grenze zwischen diegetischem und nicht-diegetischem Off (frontière off/horschamp), die nach Chion die mysteriöseste Grenze darstellt, eine der empfindlichsten Bewegungen, mit der die Geschlossenheit der Diegese selbst verunsichert wird. Da es sich in beiden Fällen um akusmatische Geräusche handelt, muss das Hinüberwechseln in den jeweils anderen Bereich für das Publikum unsichtbar bleiben. Gleichzeitig unterminieren derartige Übertretungen, die (wie Chion formuliert) Verankerung des Filmes in seinem raum-zeitlichen Grund. Seine Einschätzung, an einer Beobachtung des Filmes INDIA SONG von Marguerite Duras gewonnen, ließe sich auf viele Poesiefilme, vielleicht auf den Poesiefilm überhaupt, ausweiten:
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Cette frontière du hors-champ et du off existe […], mais ses limites sûres ne sont pas repérées – alors que c’est elle qui fait communiquer le monde des absents (de l’image dans le présent) avec un monde au-delà, qui peut être celui des disparus. Et l’ouverture de cette frontière, qui signifie la perte des limites, est bien ce que l’on peut faire de plus poétiquement mortifière au cinéma.1
Chion betont übrigens, dass der Ton allein keinen Rückschluss auf seine Verortung geben kann, da sich diese ausschließlich in Beziehung zum filmischen Bild und zur filmischen Diegese herausbildet. Dennoch können Veränderungen in der Beschaffenheit von Geräuschen, besonders in Bezug auf Räumlichkeit und Nähe, einen Wechsel zwischen den verschiedenen Zonen markieren, wie es etwa bei einem Wechsel vom dialogischen Sprechen im On zur extradiegetischen Off-Erzählung oft der Fall ist. In einer Szene des Filmes DER HIMMEL ÜBER BERLIN (1987) findet ein solcher Wechsel in prägnanter Weise statt. Der Engel Damiel trifft an einem Unfallort ein und lauscht den letzten Gedanken eines verunglückten Motorradfahrers, die im Film von einer OffStimme gesprochen werden. Schließlich tritt er zurück und entfernt sich langsam. Der in diesem Moment stattfindende Wechsel vom inneren Monolog ins nicht-diegetische Off ist deutlich mit einem Wechsel in Timbre, Sprechweise und räumlicher Verortung der Stimme des Motorradfahrers gekennzeichnet. Klingt sie während der Sterbeszene auf der Brücke brüchig und schwach, fast flüsternd, so erhebt sie sich mit dem Weggang des Engels aus größerer Nähe und Klarheit. Sie hat die diegetische Welt des Filmes verlassen und spricht nun aus einem extra-diegetischen Raum, dem Jenseits. In Form eines Voice-Overs „schwebt“ diese Stimme, die nun von ihrem Körper und damit ihrem räumlichen Bezug gelöst erscheint, über verschiedenen Luftaufnahmen von Berlin.
3.1.3 Stimme aus dem Diesseits – Ernst Jandl: „glauben und gestehen“ Wie sich die Analyse von sprechkünstlerischer Gestaltung, Ton-Bild-Beziehung, Filmton und Montage zusammenschließen können, um der Interpretation des Gedichtes im audiovisuellen Medium gerecht zu werden, soll am Beispiel von Ralf Schmerbergs Gedichtfilm GLAUBEN UND GESTEHEN2 gezeigt werden, der die körperliche Gebundenheit der Stimme selbst zum Thema macht. Die Druckversion des Gedichtes „glauben und gestehen“ von Ernst Jandl gehört zu der Sammlung der gelbe hund, die 1980 erstmals erschien und vielen als erneuter Wende-
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Ebd., 234. „Diese Grenze zwischen hors-champ und off existiert, aber ihre sicheren Grenzen sind nicht gekennzeichnet, daher ist sie es, die die Welt der Abwesenden (vom gegenwärtigen Bild) mit einer Welt im Jenseits kommunizieren lässt, welche die der Verschwundenen sein kann. Und die Öffnung dieser Grenze, die den Verlust der Begrenzungen bedeutet, ist so ziemlich das auf poetische Weise Tödlichste, was man dem Kino antun kann.“ (Hervorhebung und Übers. S.O.). POEM (2002), siehe Abbildung 3.6.
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punkt innerhalb der Jandl’schen Poesie gilt. Mehr als je zuvor kreisen die Gedichte des Bandes um Tod, Sterblichkeit1 und Religiosität2 und weniger als in den früheren Sprechgedichten scheint hier die Selbstreflexion von Sprache und Klanglichkeit im Mittelpunkt zu stehen. Das Gedicht beginnt mit den Worten „ich glaube / daß“, denen eine acht Zeilen umfassende „und“-Aufzählung folgt. Litaneihaft wiederholt sich dabei das Satzmuster und nennt alle „toten die ich lebendig gekannt habe“ mit Verwandtschaftsgrad und Namen, denen das poetische Ich, wie sich in der letzten Zeile der ersten Strophe herausstellt, nie wieder zu begegnen glaubt. Hier ermöglicht die VerbEndstellung des deutschen Nebensatzes die Volte, dass sich das „ich glaube“ erst am Ende der Strophe gewissermaßen in sein Gegenteil verkehrt: Durch das „niemals irgendwo wieder“ wird daraus ein: „ich glaube nicht“. In der zweiten Strophe folgt dann das Geständnis des lyrischen Subjektes, dieses Wiedersehen auch gar nicht zu wünschen. Nicht aus Hass oder Verbitterung, wie ein Einschub deutlich betont, denn mit einer Angabe von Gründen hält sich das Gedicht gar nicht erst auf. Dafür ist das poetische Ich in seiner Aussage endgültig und ausschließlich, was sich in dem Superlativ „nicht den leisesten Wunsch“ und Worten wie „jemals“, „niemals“ und „irgendwo“ zeigt. Man kann die Sprechakte selbst (das „Ich glaube“ und das „Ich gestehe“) als zentrales Thema des Gedichtes auffassen, wie auch der Titel es konventionell nahelegen würde. Das Geständnis ist klassisches Beispiel einer performativen Äußerung, bei der der Sprechakt sich selbst bezeichnet und so, sprechend, eine Handlung vollzieht. Es gehört sogar zu den „ursprüngliche[n] Performativa“3, die fest mit dem Ritual verbunden sind und „Restbestände einer magischen Praktik im rituellen Reden“4 darstellen. In seiner wohl elaboriertesten Form ist der Sprechakt des Gestehens in den Kontext des Gerichtsprozesses oder der Beichte eingebettet. Insofern ist „glauben und gestehen“ zwar kein Sprechgedicht, aber vielleicht ein Sprechaktgedicht. Performativ ist auch das Verweisen auf und gleichzeitige Auslassen einer Stelle, die nie direkt bezeichnet wird, sondern im „jemals irgendwo wieder“ absolut verneint bleibt: das Jenseits. Eine sorgfältige Lektüre des lyrischen Textes kann erste Anhaltspunkte bieten, erste Fragen aufwerfen, doch die Analyse eines Poesiefilmes muss über das hinausgehen, was mit einer Gedichtinterpretation zu erfassen wäre, denn GLAUBEN UND GESTEHEN gibt mehr zu hören – und zu sehen – als den vorgetragenen Text. Im Folgenden sollen
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Siehe hierzu Klaus Jeziorkowski: „Der gelbe Hund. Ein Verfahren und ein Verlaufen“, in: Michael Vogt (Hg.): „Stehn JANDL gross hinten drauf“ Interpretationen zu Texten Ernst Jandls, Bielefeld 2000, 113–128. Hier: 120f. Siehe Bernhard Fetz: „Der Dichter und der liebe Gott. Ernst Jandls choral im Kontext seiner religiösen Gedichte“, in: Volker Kaukoreit/Kristina Pfoser (Hg.): Gedichte von Ernst Jandl, Stuttgart 2002, 116–130. Hier: 122. Sybille Krämer: „Sprache-Stimme-Schrift“, 41. Ebd.
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die stimmliche Realisierung des Gedichtes und ihre sprechkünstlerische Gestaltung näher untersucht werden. Um die Verortung der Stimme im Film an Chions Modell des Tri-Cercle zu verdeutlichen, soll zunächst der Beginn des Filmes beschrieben werden. GLAUBEN UND GESTEHEN setzt mit einem kräftigen Orgelakkord ein, dessen Herkunft zunächst noch unklar bleibt, da die Kamera einige Augenblicke auf den verschlungenen Händen eines Paares verharrt. Erst die zweite Einstellung zeigt einen Organisten vor seinem Instrument, den wir (dank Synchrese) als Urheber dieser Musik identifizieren, wodurch sie als Teil des diegetischen Raumes gekennzeichnet wird. Die Szene, die sich in den darauf folgenden Einstellungen Stück für Stück zur Darstellung einer Hochzeitszeremonie zusammensetzt, scheint sich in einer Kirche abzuspielen. Nacheinander werden einige spielende Kinder gezeigt, eine Hochzeitsgesellschaft sowie Halbtotalen von jüngeren und älteren Hochzeitsgästen. Mit der elften Einstellung, der Segnung der Braut, setzt mit den Worten „glauben und gestehen“ eine donnernde Stimme ein. Ihr Sprechduktus, ihr hallender Klang und die religiöse Konnotation der Worte, die sie spricht, lassen sie uns sofort einem nicht im Bild befindlichen Prediger zuschreiben. Sie wäre dann, wie die eben gehörte Orgelmusik, dem diegetischen Raum der Hochzeitsszene zuzuordnen. Doch dieser Eindruck täuscht. Zwei Einstellungen später hat die Szenerie gewechselt. Zu sehen sind nun die Hochzeitsgäste beim Beglückwünschen und Anstoßen in einem Garten. Viele sehr kurze Einstellungen, Detail- und Nahaufnahmen wechseln in schneller Folge, während auf der Tonspur die männliche Stimme mit der Deklamation des Jandl-Gedichtes fortfährt. Sie ist somit vom vermuteten horschamp in das Off des Bildes gewandert und spricht nun von einem anderen Ort und aus einer anderen Zeit. Was gesagt wird, ist nicht Teil der Bildhandlung, ebensowenig, wie es eine Hochzeitspredigt ist. Der Schauspieler Herbert Fritsch deklamiert „glauben und gestehen“ nicht nur mit ausgedehnten Pausen von bis zur vier Sekunden zwischen den Versen, sondern er setzt selbst die einzelnen Wörter oftmals stark voneinander ab, so dass das Gedicht, das syntaktisch aus zwei langen Sätzen mit altertümlich markierter Wortstellung1 besteht, regelrecht in seine Einzelteile zerhackt wird. Dem entspricht die ungewöhnliche Bildmontage, die oft nur sekundenlange Einstellungen aneinanderreiht, ohne sie jedoch nach klassischen Montageverfahren (wie z. B. Schuss-Gegenschuss) zu einer einheitlichen Erzählung oder Raumdarstellung zu verbinden. Einen thematischen Zusammenhang stiftet lediglich die in vier Etappen ablaufende Hochzeitsfeier (Kirche, Garten, Festessen, Tanz), die aber nur das Bildmaterial für die Gedichtdeklamation liefert, die das eigentliche Zentrum des Filmes bildet. Die Montage ist während der ersten Strophe
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Im ersten Nebensatz kommt die Aufzählung der Dativobjekte vor dem Subjekt „ich“, in der zweiten Strophe ist ein ganzer Objektsatz mit mehreren Adverbialbestimmungen dem Subjekt und Prädikat vorangestellt.
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so gestaltet, dass die Nennung eines Namens meist mit mehreren Bildern von Personen entsprechenden Alters und Geschlechts zusammenfällt.1 Die Deklamation des Schauspielers setzt sich deutlich von gewohnten Mustern eines zeitgenössischen Lyrikvortrages ab.2 Folgt man der Unterscheidung von Beatrix Schönherr, hat man es hier zweifellos mit einem „pathetischen“ oder „emphatischen“ Sprechstil zu tun; wie die Verwechslung mit einem Prediger zu Beginn des Filmes bereits angedeutet hat.3 Insgesamt zeichnet sich der Vortrag durch große Dynamik sowie eine hohe globale Tonhöhe aus, die auf eine hohe Körperspannung schließen lässt. Auffällig sind besonders die hohen Akzentgipfel, die den Tonhöhenverlauf bei bestimmten Wörtern sehr stark ansteigen lassen. In einigen Wortgruppen, wie zum Beispiel bei „meinem toten Großvater Anton“, tritt außerdem eine ungewöhnlich starke Dehnung und sogar ein steigend-fallender Tonhöhenverlauf auf dem Wort „meinen“ hinzu. An manchen Stellen setzt Fritsch mit dem Tremolo ein kaum mehr gebräuchliches und daher veraltet wirkendes Stilmittel ein. Ähnlich verhält es sich mit seinem gerollten „r“, das sich stark überhöht und stilisiert ausnimmt. Kommt es anfangs nur in wenigen Verbindungen vor, so häuft es sich zum Ende hin. Der Vortrag ist durchgehend von Steigerungen geprägt und wird durch sie strukturiert. Nach sechs Versen steigert sich zunächst die Dynamik, zudem häufen sich die Akzente. So wird zum Beispiel auch die Konjunktion „und“ jedes Mal stark betont, was den Eindruck einer großen Dringlichkeit erweckt. Die letzten zwei Zeilen der ersten Strophe sind nochmals durch eine deutliche Häufung von nun noch stärker markierten Akzenten gekennzeichnet. Auch das Tremolo tritt hier vermehrt auf, bei einem Wort wie „niemals“ im Verbund mit einer starken klangsymbolischen Dehnung. Mit Beginn der zweiten Strophe geht Fritsch ins Schreien über, wobei er interessanterweise auch die Pausenlänge noch einmal bedeutend erhöht, nämlich auf vier Sekunden zwischen den Zeilen und zwei bis drei Sekunden zwischen den Wörtern: ich gestehe daß irgend einem von ihnen wie sehr ich ihn auch geliebt haben mochte jemals irgendwo wieder zu begegnen ich nicht den leisesten wunsch hege.4
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Ein Beispiel: „… meinen to- [Detail: Zigarette] ten [essende Frau] onkeln [Mann wirbelt Kind herum] und [Mann und Frau] tanten [zwei gestikulierende Frauen] …“. Gemeint sind die intimen, leicht monotonen Sprechweisen moderner Lyrik, aber auch die rhythmischen oder hektisch-stolpernden Formen des Spoken Words. Siehe Beatrix Schönherr: „,So kann man das heute nicht mehr spielen!‘. Über den Wandel der sprecherischen Stilideale auf der Bühne seit den 60er Jahren“, in: Maria Pümpel-Mader/Hans Moser (Hg.): Sprache – Kultur – Geschichte. Sprachhistorische Studien zum Deutschen, Hans Moser zum 60. Geburtstag, Innsbruck 1999, 145–169. Hier: 148f. Hier und im Folgenden Ernst Jandl: Der gelbe Hund, Darmstadt 1980, 103.
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Fast jedes Wort wird einzeln stark akzentuiert, so dass kaum mehr ein Sprechfluss erkennbar ist. Die übermäßig langen Pausen zwischen den Wörtern führen aber nicht dazu, dass der Zusammenhang verlorengeht. Im Gegenteil, erwartet man wie gebannt den Fortgang des Sprechens, wobei das Ende des Gedichtes durch die Schlussposition des Verbs lange in der Schwebe bleibt – eine Offenheit, die es ermöglicht, dass sich den Rezipienten potentielle Ergänzungen aufdrängen. Der tatsächliche Abschluss wiederum kann dann umso überraschender und verwirrender wirken. Schließlich, da wo die Stimme ins Schreien kippt, das fast parodistisch wirkt, weil es entfernt an das Überschnappen politischer Fanatiker erinnert, tritt gleichzeitig die Brüchigkeit und Rauheit der Stimme zu Tage, die ihrem eigenen Anspruch nicht genügt. Eine begrenzte Stimme, die nun in die Höhe schnellt, um noch weiter an Kraft zu gewinnen, weil sich die Lautstärke allein an einem Körper nun einmal nicht regeln lässt. Eine Stimme vielleicht, die gegen eine Übermacht ankämpft, die ihre körperliche Geringfügigkeit und Vergänglichkeit ist; dort, wo im Sprechen ein Machtanspruch spricht, enthüllt sie sich erst recht. Wo wir an die warmen, freundlichen, schmeichelnden Mikrofonstimmen der herkömmlichen Off-Erzählung gewöhnt sind, verstört dieses aufdringliche, extensive Sprechen. Im Spielfilm liegt gerade beim inneren Monolog eine intime Sprechweise nahe. Hier aber lässt sich diese nahtlose Fügung von Bild und Ton nicht aufbauen. Auch die Sprecherposition, die Fritsch mit seiner Deklamation einnimmt, schließt sich nicht als Rolle auf, hat keinen „Sinn“. Es bleibt unklar, von welchem Ort, aus welcher Zeit diese Stimme spricht. Sie bringt uns Jandls Text nicht näher, sondern macht uns die scheinbar so einfachen Sätze fremd. Sie rückt sie ab von den Bildern, aber auch von der Logik von Lyrik als intimem Gefühlsausdruck. Bemerkenswert ist, dass auf der Tonspur außer der sprechenden Stimme nur ganz vereinzelt einige prägnante Tonereignisse hörbar gemacht werden. Die globale Klangatmosphäre, bestehend aus Hintergrundgeräuschen, einem Grundlärm und Stimmengewirr, die den Bildern gewöhnlich erst den valeur ajoutée einer gewissen Lebendigkeit und Tiefe geben, ist sehr stark zurückgenommen. Nur hin und wieder ertönt ein isoliertes Lachen, Kindergeschrei, das Schaben der Suppenkelle im Topf oder Gläserklirren. Diese scheinen an einigen Stellen sogar eine Akzentuierung des Gesprochenen zu bilden. Am Ende der ersten Strophe ist die Rezitation über einige Einstellungen gelegt, die Redner und Zuhörende einer Festansprache zeigt, die für uns unhörbar bleibt. Doch mit dem Abschluss des Verses „ich niemals irgendwo wieder begegnen werde“ brandet auf der Tonspur plötzlich der die innerdiegetische Ansprache quittierende Applaus auf, der einige Einstellungen lang anhält und selbst noch zu einem Geräusch aus dem off wird, das mit einer Einstellung des verlassenen, dämmernden Gartens kombiniert wird. Fast wie in einem Stummfilm rollen die kurzen Einstellungen geisterhaft nacheinander ab.1 Besonders im letzten Teil des Filmes, der in etwa mit der zweiten Strophe des
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Auch die meisten Super-8-Familienfilme wurden ohne Ton aufgenommen und abgespielt.
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Gedichtes zusammenfällt, wird die Stille dieser tonlosen Schattenwelt besonders deutlich. Dort sind verschiedene Paare in einem dunklen Saal beim ausgelassenen Tanzen zu sehen. Doch die rhythmischen Bewegungen der Körper und Lippen, die zudem durch eine leichte Zeitlupe verfremdet sind, werden nicht durch die dazugehörige Musik erklärt und bestätigt. Auch die Farben sind den Bildern in der Dunkelheit nun entzogen. Diese schwarz-weiße Szenerie wird nur von den zuckenden Lichtblitzen der Discobeleuchtung momentweise aufgehellt. Scheinen sonst die akusmatischen Stimmen dazu prädestiniert, unheimliche Geistererscheinungen darzustellen, so kehrt sich diese Konstellation in GLAUBEN UND GESTEHEN geradezu um. Die in den Bildern präsentierte Welt erscheint immer mehr wie die Darstellung eines Totenreiches und die Rezitation des Gedichtes als eine gegen den Tod anschreiende Stimme aus dem Diesseits. So verbinden sich die im Gedicht wiederholt aufgerufenen Toten und die nächtliche Festszene zum Motiv des Totentanzes. Über eine bloße Illustration des Gedichtes hinausgehend, erwächst aus der Rekombination von Ton- und Bild, die technisch getrennt entstanden sind, ein Drittes, das in keinem von beiden für sich allein enthalten war.
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Schriftbasierte Gedichtfilme
3.2.1 Typographie im audiovisuellen Medium Eine Rezitation durch die Stimme ist nicht der einzige Weg, den das audiovisuelle Medium für die Umsetzung von Lyrik bereithält. Auch in ihrer schriftlichen Gestalt lassen sich Gedichte prinzipiell in einen Film bzw. in ein analoges oder digitales Video integrieren, wobei sie vielfältige Formen annehmen können. Der geschriebene Text kann in Untertiteln oder Zwischentiteln den filmischen Bildern beiseite gestellt werden oder als graphisches oder computeranimiertes Element über die Bilder gelegt bzw. in sie integriert werden. Ebenso kann das Gedicht auf abgefilmten materiellen Schriftträgern platziert werden, wodurch es Teil des Realfilmes wird. Schließlich gibt es reine Schriftfilme, in denen die schriftlichen Elemente nicht von Bildern begleitet werden, sondern selbst die Hauptrolle spielen. Jede dieser Möglichkeiten impliziert eine andere Funktion von Schrift und einen unterschiedlichen Stellenwert des geschriebenen Gedichtes innerhalb seines audiovisuellen Kontextes. Für die schriftliche Integration von Lyrik ins audiovisuelle Medium gibt es eine Vielzahl von Vorbildern und Vorläufern, denn anders als bei akustisch präsentierten Gedichten drängt sich hier nicht automatisch der Spielfilm oder Experimentalfilm als Vergleichsgröße auf. Schrift, schon seit der Erfindung des Filmes Teil audiovisueller Botschaften, wird besonders außerhalb künstlerischer Formen in Werbung und Fernsehformaten oder als Teil von deren Randbereichen (wie Titelsequenz, Untertitel, Zwischentitel, Abspann) ganz selbstverständlich mit bewegten Bildern und Musik kombi-
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niert. Zwei Bereiche, die neben den traditionellen Titelsequenzen als besonders wichtig für die Verwendung von Schrift im Film angesehen werden, haben auch im Zusammenhang mit dem Poesiefilm Impulse gegeben: zum einen experimentelle Schriftfilme, zum anderen „Werbefilm und TV-Design“1. Da die wechselseitige Beeinflussung von Schrift und Bild ein Thema von ausgesprochen großer Reichweite ist, sollen auf den nächsten Seiten jene Aspekte des Themas in den Mittelpunkt gestellt werden, die für den Poesiefilm spezifisch sind.2 Dazu gehören vor allem das Element der Bewegung, das Film, analoges Video und digitales Bewegtbild den potentiellen Eigenschaften der Schrift hinzufügen und die im audiovisuellen Medium evozierte Räumlichkeit. Das Interesse gilt vor allem dem Zusammenspiel von poetischer Aussage, bildlichen Elementen und Schriftgestaltung sowie der Reflexion von Medialität und Materialität der Schrift, die seit den Experimenten der literarischen Moderne poetische Schreibweisen geprägt hat. Dabei sollen schriftlich verfasste Gedichte nicht allein als sprachliche Repräsentationen untersucht werden, die sich inhaltlich zu den Bildern in ein Verhältnis setzen, sondern auch dem „Selbstwert der Schriftzeichen“3 Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sind im vorangegangenen Kapitel performative, stimmliche und sprechkünstlerische Aspekte vorgetragener Lyrik untersucht worden, geht es nun in analoger Weise um das „Schriftzeichen in seiner Eigenwertigkeit, seine visuelle und haptische Materialität, seine Konkretheit, Dinglichkeit und Körperlichkeit“4. Schrift ist nicht allein Aufzeichnungsmedium und Kulturtechnik des Gedächtnisses, sie lässt sich auch als „graphisches und pikturales Ereignis“5 inszenieren. Davon zeugen die prächtig illuminierten mittelalterlichen Handschriften ebenso wie kunstvoll gestaltete chinesische Kalligraphien.6 In ihrem „Oszillieren zwischen Schreiben und Malen“7 lässt besonders Kalligraphie die schöne äußere Form der sprachlichen Bedeutung mindestens ebenbürtig werden. Bildlichkeit und Materialität der Schrift werden gerade in künstlerischen Zusammenhängen,
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Siehe Harald Pulch: „Type in Motion. Schrift in Bewegung“, in: Hans-Edwin Friedrich/Uli Jung (Hg.): Schrift und Bild im Film, Bielefeld 2002, 13–31. Hier: 22. Der Begriff „Poesiefilm“ bezeichnet in der Terminologie dieser Studie alle audiovisuellen Werke, die auf einem sprachlich verfassten Gedicht beruhen und bildet damit einen Überbegriff für die sogenannten Gedichtfilme, die sprachlich verfasste Gedichte mündlich oder schriftlich integrieren und für Lyrikadaptionen, die auf einem Gedicht basieren. Erika Greber/Konrad Ehrlich/Jan-Dirk Müller: „Einleitung“, in: Erika Greber/Konrad Ehrlich (Hg.): Materialität und Medialität von Schrift, Bielefeld 2002, 9–16. Hier: 9. Ebd. Barbara Naumann: „Bewegung. Einleitung“, in: Christian Kiening (Hg.): SchriftRäume. Dimensionen von Schrift zwischen Mittelalter und Moderne, Zürich 2008, 351–360. Hier: 353. Siehe ebd. Uwe Wirth: „Sprache und Schrift“, in: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände – Konzepte – Institutionen, Bd. 1, Stuttgart 2007, 203–213. Hier: 204.
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im Bereich der Dichtung relevant. Eine literarische Reflexion auf das Medium „Schrift“ setzt nicht erst mit den experimentellen Arbeiten eines Mallarmé oder Apollinaire ein: Besonders die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts bietet eine Fülle von Versuchen, die Eigendynamik der Schrift zu begreifen und sie nicht mehr nur als ein neutrales Werkzeug aufzufassen, das unabhängig von ihr erzeugte Gedanken fixiert. Nicht zufällig treten deshalb die Komplikationen und Bewegungen der Schrift in Übertragungsbeziehungen zu anderen Darstellungsformen, die von vornherein auf das Anschauen, also auf die sinnliche Wahrnehmung durch den Blick ausgerichtet sind: auf die bildende Kunst und die Malerei.1
Was in diesem Sinne für Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Adalbert Stifter oder William Blake gilt, lässt sich auch für den Bereich des schriftlich verfahrenden Poesiefilmes zeigen. In dem Moment, wo Geschriebenes mit anderen visuellen, vor allem bildlichen Elementen in Verbindung tritt, wird jene Transparenz und Durchlässigkeit, die mit der Zeichenhaftigkeit der Schrift einhergeht, suspendiert. Der Fokus verschiebt und erfasst Schrift nicht allein als visualisierte Sprache, sondern als „ikonisches oder indexikalisches Zeichen“2, das zur semantischen Bedeutung hinzutritt, sie verstärkt, ergänzt oder ihr widerspricht. In welchem Maße und in welcher Weise die Gestaltung der Schrift deren Textfunktion beeinflusst, fällt höchst unterschiedlich aus. Das Spektrum möglicher Verhältnisse reicht von der zurückhaltenden, angenehmen Schrift über das üppig schmückende Ornament bis zur sinnverstärkenden, ikonischen Formgebung. Susanne Wehde hat in ihrer umfassenden Studie zur Typographischen Kultur die Grundproblematik typographischer Semantik auf den Punkt gebracht: Zentrales Leitprinzip typographischer Schriftentwürfe ist das Lesbarkeitspostulat. Der LetternTypus als kollektives Vorstellungsmodell und allgemeine Formationsregel dient bei der Gestaltung von Druckschriften als Regulativ. Zentrales Leit-Prinzip typographischer Textgestaltung ist das Diktum der Form-Inhalt-Entsprechung. Für die Auswahl und Anordnung von Schrift bei der Textgestaltung aber gibt es keine dem Typus vergleichbare Regelungsinstanz, die zu bestimmen erlaubt, welche typographische Formgebung einem singulären Textinhalt als ‚entsprechend‘ erachtet werden kann. Aus diesem Grund ist das Verhältnis von typographischer Form und sprachlichem Inhalt in der Geschichte der Typographie immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen.3
Gilt es noch heute manchen als Kriterium für eine gelungene typographische Gestaltung, dass das Schriftbild nicht ablenkend auf das lesende Auge wirkt, indem es weitestgehend unbemerkt bleibt,4 so werden im Poesiefilm, der darin in der Tradition von Werbung, Industriedesign und künstlerischer Avantgarde steht, Schriften in ihrem semantischen Eigenwert und ihrer potentiellen Bildlichkeit zur Verstärkung der sprach1 2 3 4
Barbara Naumann: „Bewegung. Einleitung“, 355. Uwe Wirth: „Sprache und Schrift“, 204. Susanne Wehde: Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische und kulturgeschichtliche Studie zur Typographie und ihrer Entwicklung, Tübingen 2000, 147. Siehe ebd., 146.
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lichen Bedeutung herangezogen oder wie in der konkreten visuellen Poesie in ihrer eigenen Medialität thematisiert. In typographischen Werbespots oder Musikvideos, in denen Schriftzüge den dominanten Gegenstand bilden, wird augenfällig, wie viele Dimensionen der Schrift über deren Funktion als Sprachzeichen hinaus zum Gesamteindruck beitragen. Farbe und typographische Gestaltung der Schrift (Größe, Lage, Stärke, Breite und Anordnung) sowie die Schriftbewegungen und -metamorphosen sind bei der Interpretation schriftlicher Gedichtfilme zu berücksichtigen.1 Ein erstes wichtiges Analysekriterium betrifft die Unterscheidung zwischen Handschrift und Druckschrift. Wird mit dem historischen Wechsel von der Handschrift zur Druckschrift2 im Allgemeinen eine mediengeschichtliche Zäsur markiert, muss gleichzeitig daran erinnert werden, dass die Handschrift im Bereich der privaten Kommunikation sowie im Bildungsbereich neben der technisch reproduzierten Schrift fortbesteht. Brief, Tagebuch, Mitschrift und Notiz, sind Textsorten, die auch in den Zeiten der Schreibmaschine und schließlich der elektronischen Textverarbeitung eine Affinität zur Handschrift bewahrt haben. Gegenüber der Druckschrift zeichnet sich Handschriftliches durch eine größere Nähe zum Zeichnen oder Malen aus. Anders als bei standardisierten Drucktypen lässt sich jede handschriftliche Äußerung als Spur der vorangegangenen Schreibbewegung lesen und kann als indexikalisches Zeichen Aufschluss über den Schreibenden geben.3 Die der Handschrift anhaftenden Idiosynkrasien verkörpern sich nicht nur in der Rechtsgültigkeit der Unterschrift, sondern sind darüber hinaus Gegenstand der Graphologie, die aus der Handschrift Rückschlüsse über die Persönlichkeit der Schreibenden zu gewinnen sucht.4 All diese kulturellen Zuschreibungen können mit der Verwendung von Handschriften auch im Poesiefilm aufgerufen werden. Handschriftliche Texte konnotieren das Provisorische, das Skizzenhafte, den Entwurf und suggerieren eine größere persönliche Nähe bzw. emotionale Beteiligung der Schreibenden. Das audiovisuelle Medium ermöglicht es nun, Schrift im Moment der scheinbaren Entstehung auf dem Bildschirm erscheinen zu lassen, so als ob das Gedicht sich gerade eben erst selbst vollendente. Mit dieser Geste des ‚Hier und Jetzt‘ gelingt die Fiktion einer spontanen Niederlegung von Gedanken und Gefühlen, die der prototypischen lyrischen Kommunikationssituation entgegenkommt.
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Siehe Harald Pulch: „Type in Motion“, 25. Der Druck mit beweglichen Lettern wurde zuerst in China (1041–1048), spätestens im 13. Jahrhundert in Korea und schließlich im 15. Jahrhundert auch in Europa erfunden. Ergänzt durch Gutenbergs Druckerpresse konnte diese Erfindung sich erfolgreich durchsetzen. (Siehe Lydia H. Liu: „Writing“, in: W.J.T. Mitchell/Mark B.N. Hansen (Hg.): Critical Terms for Media Studies, Chicago 2010, 310–326. Hier: 317). Siehe Florian Coulmas: Über Schrift, Frankfurt am Main 1982, 137. Siehe etwa Ludwig Klages’ zuerst 1917 erschienenes und nun in der 29. Auflage vorliegendes Standardwerk Handschrift und Charakter. Gemeinverständlicher Abriß der graphologischen Technik, hg. von Bernhard Wittlich, Bonn 1989.
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Auch im Bereich der Druckschriften hat sich eine Vielfalt von Typen und Formen entwickelt, die jeweils die unterschiedlichsten Wirkungsmöglichkeiten besitzen. Eine jede Schrift lässt sich als „Konfiguration graphischer Merkmale“1 beschreiben. Diese Merkmale lassen grundsätzlich Variationen wie Ornamente und andere Abweichungen zu, zumindest so lange, wie die Distinktheit der einzelnen Letter von den übrigen und somit ihre Lesbarkeit gewährleistet bleibt. Daraus ergibt sich ein großer Varianzspielraum für die Gestaltung von Schriften, die zu einer großen Vielfalt unterschiedlichster Schriften führt. Einen ersten Zugang bietet die Systematik zur Klassifizierung von Druckschriften, die sich in der typographischen Reflexionstheorie durchgesetzt hat.2 Neben einer detaillierten Beschreibung der Schriftgestaltung ist für den Poesiefilm aber vor allem die semantische und ästhetische Wirkung entscheidend, die eine typographische Form erzeugt. Entscheidungsgrundlage für die Schriftauswahl bilden häufig konnotative Bedeutungen von Schriftformen. Auf der Rezeptionsseite bilden sie die Grundlage dafür, ob wir eine Schrift als zum Inhalt passend empfinden oder als störend oder ablenkend wahrnehmen. Schriften erscheinen bereits aufgrund ihrer graphischen Grundeigenschaften als ‚fein‘, ‚kräftig‘ oder ‚verspielt‘. Schon diese „sehr basalen Zeichen-Wirkungen“3 tragen zum Gesamtausdruck des geschriebenen Textes wesentlich bei, wobei diese semantische Funktion typographischer Gestaltungsmittel sich zunächst nur schwer mit verbalen Beschreibungsmustern erfassen lässt: „Die konnotativen Eindruckswirkungen von Schriftformen verweisen auf die Rolle elementarer wahrnehmungspsychologischer Gesetzmäßigkeiten bei der Deutung des Wahrgenommenen.“4 Solche Muster werden aus der Umwelterfahrung unwillkürlich auf die Deutung typographischer Formen übertragen. Ob eine Schriftform schwer oder leicht, dynamisch oder statisch, streng oder verspielt anmutet, hängt davon ab, ob Elemente solcher „kollektiven Wertungen“5 sich mit der Schriftgestalt verknüpfen lassen. Anders verhält es sich mit der Bedeutungszuschreibung, die aufgrund kulturellen Wissens über den Schriftgebrauch vorgenommen wird. In diesem Fall ist eine bestimmte Schriftform so stark mit einer historischen Epoche, einer künstlerischen Stilrichtung, einer typographischen Schule oder einer Institution verbunden, dass beim Betrachten des Schriftbildes die entsprechenden Assoziationen aufgerufen werden.
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Florian Coulmas: Über Schrift, 135. Danach lassen sich zuallererst Schriftsysteme, wie das phonetische Alphabet und ikonographische Schriften voneinander abgrenzen; auf der nächsten Stufe unterscheidet man Schriftarten, wie beispielsweise die Antiqua, mit ihrer jeweiligen Untergruppe, etwa eine serifenlose Antiqua (Grotesk). Schließlich folgen die Schriftfamilie (z. B. Univers) und schließlich die Bezeichnung der Einzelschrift (Univers der Firma Berthold). Der Schriftschnitt bezeichnet die genaue Gestaltung einer solchen Einzelschrift (Berthold Univers, fett-kursiv, 24 Punkt). (Siehe Susanne Wehde: Typographische Kultur, 80). Ebd., 153. Ebd. Siehe ebd.
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Wehde spricht diesbezüglich von einer „Zeichenbildung durch Korrelation typographischer Formen mit Inhaltseinheiten, die sich aus dem Wissen um deren Entstehungszusammenhang oder gestalterischen Gebrauch herleiten lassen.“1 Man denke nur an die Semantisierung der Frakturschrift, die entgegen aller historischen Belege heute in vielen Kontexten als bedenklich gilt, da sie mit dem Schriftgebrauch im Nationalsozialismus assoziiert wird.2 Sowohl die konnotativen als auch die kulturell tradierten Bedeutungen der Schriftform sind für die Gestaltung lyrischer Texte von großer Bedeutung. Prominente Beispiele, wie der Schriftentwurf Stefan Georges (St.-G.-Schrift), zeigen, dass sie nicht nur mit einzelnen Wortbedeutungen oder Textaussagen korrespondieren, sondern auch durch die umfassende poetische Programmatik eines Dichters oder einer Dichterin begründet sein können. Gerade im Bereich der Lyrik ist aber nicht nur die Gestaltung der Schriften selbst, sondern auch die räumliche Anordnung der Schriftelemente von großer Bedeutung und soll daher im Folgenden genauer dargestellt werden. Typographische Dispositive Zur typographischen Gestaltung eines Textes gehört, neben dem Design von Schriften mit ihren Lettern, Zeichen und Zwischenräumen, auch die „typographisch-syntaktische Flächenform“3. Dahinter verbirgt sich die Anordnung des Letternmaterials auf der Seite, die die Erscheinungsformen von Wortbild, Zeile und Absatz sowie den Satzspiegel regelt.4 Auch durch die räumliche Gestaltung lassen sich unabhängig vom Inhalt „unterschiedliche semantische Abläufe, Wertigkeit und Beziehungen herstellen.“5 So werden die räumliche Aufteilung von oben und unten unwillkürlich als Hierarchisierung und räumliche Nähe als inhaltliche Zusammengehörigkeit interpretiert. Im Zusammenspiel der vielfältigen typographischen Gestaltungsmittel haben sich bestimmte typographische Formen herausgebildet, die besonders komplex und so stark institutionalisiert sind, dass sie einen hohen Wiedererkennungswert besitzen. Susanne Wehde bezeichnet solche Muster mit einem Begriff von Roger Chartier als typographische
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Ebd., 156. Zur nationalsozialistischen Schriftpolitik und zum Frakturstreit siehe Norbert Hopster: „Das ,Volk‘ und die Schrift. Schriftpolitik im Nationalsozialismus“, in: Dietrich Boueke/Norbert Hopster/Rolf Sanner (Hg.): Schreiben – Schreiben lernen, Rolf Sanner zum 65. Geburtstag, Tübingen 1985, 57– 77; Susanne Wehde: Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische, 273ff.; Hans Peter Willberg: „Schrift und Typographie im Dritten Reich“, in: Xaver Erlacher/Rudolf Rieger (Hg.): Hundert Jahre Typographie, hundert Jahre Typographische Gesellschaft München. Eine Chronik, München 1990, 87–104. Siehe Susanne Wehde: Typographische Kultur, 108ff. Siehe ebd. Ebd., 170.
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Dispositive1. Wie jede typographische Form beeinflussen sie die Weise, wie wir uns einem Text nähern, steuern unsere Lektüre und prägen den kulturellen Status, den wir einem Text zuschreiben, jedoch stellen diese „makrotypographische[n] Kompositionsschemata“2 darüber hinaus einzeltextunabhängige Muster dar, die es uns ermöglichen, bestimmte Textsorten augenblicklich als solche zu erkennen. Im Verlauf des Rezeptionsprozesses wird ein Text also zunächst als visuelle Gestalt wahrgenommen, bevor noch mit der inhaltlichen Lektüre begonnen wird: „Die regelhaft typographische dispositive Gliederung eines Textes erzeugt eine wiedererkennbare Form, die maßgeblich Einfluss auf die Leseweise und den Lektüreprozess hat.“3 So gibt schon der erste Blick auf eine Zeitungsseite mit ihrer spezifischen Größe und Anordnung von Überschriften, Zeilen und Spalten zu erkennen, mit welchem Typ sprachlicher Informationen man zu rechnen hat. Gleichzeitig begünstigt das typographische Dispositiv bestimmte habitualisierte Lektüreweisen, wie etwa das Überfliegen der Überschriften und das selektive Lesen einzelner Artikel. Eben dieser Einfluss der typographischen Form ist im Falle lyrischer Texte besonders stark. Weil Lyrik traditionell durch gebundenen Rede und Reime charakterisiert ist, weist auch das Druckbild von Gedichten eine spezifische Formbildung auf: Verse und Strophen werden auf den ersten Blick durch Zeilenumbrüche bzw. Leerzeilen kenntlich. Auch moderne Lyrik in freien Versen hält in den allermeisten Fällen an dieser Besonderheit fest. Dass die lyrische Gattung sich in ihrer historischen Entwicklung von Metrum und Strophenformen entfernt hat, erhöht die Bedeutung der typographischen Textgliederung sogar eher noch. Für die Entscheidung über die lyrische Gattungszugehörigkeit kann nun das typographische Dispositiv unter Umständen ausschlaggebend sein. Nicht mehr das akustisch bestimmte Enjambement, bei dem das metrische Versende eine syntaktische Einheit unterbricht, sondern der typographische Zeilensprung werden zum poetischen Stilmittel: „Sobald ein lyrischer Text sprachlich nicht mehr metrisch gebunden ist und dennoch deutlich markierte Verszeilen aufweist, erlangt die typographische Textgliederung eine eigenständige (Zeichen-)Funktion als lyrisches Dichtungsmittel.“4 Wenn das typographische Dispositiv die Lektüreweise und die Erwartungshaltung der Lesenden gerade im Fall der Lyrik so entscheidend prägt, hat das weitreichende Konsequenzen für die audiovisuelle Umsetzung von Gedichten. Nur in den seltensten Fällen erscheint ein Gedicht in derselben Textgliederung auf dem Bildschirm, der es auf einer Buchseite unterläge. Stattdessen wird das Interesse an der medienspezifischen Bildbewegung und der Einsatz visueller Montagetechniken in den meisten Fällen dazu führen, dass die typographische Form des Gedichtes, die es in der Druckversion kenn-
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Siehe ebd., 119. Ebd. Ebd., 125. Ebd., 128.
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zeichnet, aufgelöst wird und demzufolge andere Erwartungen hervorgerufen und andere Leseweisen ermöglicht bzw. erforderlich werden. Zu einer Interpretation schriftlicher Poesiefilme gehört daher neben der Charakterisierung semantisch-typographischer Bezüge durch Schriftwahl notwendigerweise auch der Vergleich der typographischsyntaktischen Flächenformen eines Gedichtes auf Papier, Bildschirm oder Leinwand. Eine Analyse, die natürlich durch das im Film hinzutretende Element der Bewegung mit weiteren Möglichkeiten angereichert wird und daher im Folgenden durch einige Überlegungen zur Integration von Schrift ins audiovisuelle Medium ergänzt werden soll. Typen der Schriftintegration Die Möglichkeiten der Schriftintegration im Poesiefilm sind vielfältig. Sie reichen vom unauffälligen, das Bild begleitenden Untertitel, über stummfilmartige Zwischentitel bis zu jenen Varianten, bei denen die Schrift als Teil des Bildes wahrgenommen wird. Am stärksten rückt die Schrift jedoch in den sogenannten Schriftfilmen ins Zentrum, die sich in die Tradition der konkreten, visuellen Poesie stellen und in denen die Schrift selbst zur Hauptsache wird.1 Eine einfache Möglichkeit, geschriebenen Text in einen Film zu integrieren, sind die aus der alltäglichen Kinoerfahrung vertrauten Untertitel. Während sie in Spielfilmen und Dokumentarfilmen vor allem dann zum Einsatz kommen, wenn fremdsprachige Dialoge übersetzt werden sollen, ohne dass der Originalton ersetzt wird, bieten sie im Poesiefilm die Gelegenheit, das Gedicht so zu präsentieren, dass es in schriftlicher Form die Bilder begleitet.2 Der Text wird dabei statisch auf einer, seltener auf zwei Zeilen am unteren Bildrand eingeblendet und kann in beliebigem Tempo wechseln. Die für das Lesen erforderliche Dauer bildet dabei die Untergrenze, doch kann eine Zeile auch mehrere Bildkader begleiten und somit nacheinander verschiedene Kontextualisierungen durchlaufen. Mit den Untertiteln ist einerseits eine genaue Zuordnung einzelner Verse oder Zeilen des Gedichtes zu bestimmten Bildern und Tonereignissen des Filmes gewährleistet. Andererseits muss das lesende Auge in schnellen Abständen zwischen den eingeblendeten Buchstaben und dem Bild hin- und herspringen, was die Rezeption erschweren kann. Hinzu kommt die im Fall einer fremdsprachigen Originalversion erforderliche Dopplung durch englischsprachige Untertitel, die gegebenenfalls notwendig sind, um einem internationalen Publikum das Verständnis zu ermöglichen. Die Beschaffenheit der Schriftzüge, ihre Größe, Form und Farbe spielt bei untertitelten Gedichtfilmen in
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Michael Lentz: „Zur Intermedialität in experimentellen“. Das Untertiteln von Filmen dient darüber hinaus dazu, eine Fassung für Gehörlose bereitzustellen. In diesem Fall werden nicht nur die Dialoge verschriftlicht, sondern auch Geräusche und Musik verbal beschrieben.
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der Regel eine untergeordnete Rolle. Ihre Funktion beschränkt sich darauf, eine visuelle Lektüre des Gedichtes so mit den bewegten Bildern ins Verhältnis zu ersetzen, dass sich die Rezeption quasi gleichzeitig vollziehen kann bzw. sich einer Gleichzeitigkeit zumindest annähert. Bei der Integration schriftlicher Elemente in Form von Schrifttafeln, wie sie besonders aus Stummfilmen bekannt sind, findet dagegen meist eine Unterbrechung des Bilderflusses statt, wodurch das Gedicht gesondert rezipiert wird und räumlich und zeitlich von den Bildern getrennt bleibt. In narrativen Stummfilmen wurden auf Schrifttafeln Dialogsequenzen, Erzählkommentare sowie Angaben zu Raum und Zeit geliefert. Auch ohne direkt mit den Bildern in Kontakt zu sein, sind Schrifttafeln fester Bestandteil des Filmes, nicht zuletzt, weil sie eigenständige Montageelemente bilden, die zur Rhythmisierung beitragen. Meist bestehen die Texttafeln aus weißer Schrift auf schwarzem Untergrund, eine Praxis, die sich – zunächst aus Kostengründen, später aufgrund ihrer Lesefreundlichkeit – für die Kinoleinwand durchgesetzt hat. Farbig eingefärbte und typographisch aufwendige Schriften sind ebenfalls seit der Stummfilmzeit in Gebrauch und existieren bis heute, etwa in den charakteristischen Schrifttafeln, die Alexander Kluges Videoproduktionen dominieren.1 Auch bildlich gestaltete Hintergründe lassen sich schon für die Stummfilmzeit nachweisen. So werden in einem der ersten Gedichtfilme (MANHATTA, 1921) Verse Walt Whitmans vor einem fotografischen Negativ der New Yorker Skyline abgebildet. Mit dem Einsatz von Videotechnik und digitalem Graphikdesign haben sich die Gestaltungmöglichkeiten der Texttafel vervielfältigt. Vor allem die Beweglichkeit der Schriftelemente und deren räumliche Anmutung erzeugen neue Ausdruckspotentiale im Bereich der Schriftgestaltung. Eine noch engere Verknüpfung von Text und Bild ergibt sich mit der direkten Einbindung schriftlicher Elemente in die audiovisuelle Bildwelt. Bereits im Stummfilm bestand die technische Möglichkeit, Schriftelemente in das Filmbild einzubringen. In prägnanter Weise wird dies im CABINET DES DR. CALIGARI (1920) praktiziert, wo die Schriftzeichen plötzlich den Protagonisten umzingeln und somit dessen Wahnvorstellungen direkt zu lenken scheinen.2 Die Integration schriftlicher Elemente in audiovisuelle Formate wird im narrativen Spielfilm jedoch nicht zur Regel. Es sind vor allem kommerzielle Werbefilme, Filmtrailer und Titelsequenzen und später die hybriden Formate des Internets, in denen sich besonders kunstvolle Kombinationen von Schrift und
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Siehe NACHRICHTEN AUS DER IDEOLOGISCHEN ANTIKE (2008) und FRÜCHTE DES VERTRAUENS (2009). Siehe Friedrich A. Kittler: „Schrift und Bild in Bewegung“, in: Erika Greber/Konrad Ehrlich (Hg.): Materialität und Medialität von Schrift, Bielefeld 2002, 17–29. Hier: 27. Zur Dialektik Sprache/Schrift in CALIGARI (1920) und anderen Stummfilmen siehe Heinz-B. Heller: „Buch und Schrift im bewegten Bild. Zur motivgeschichtlichen Funktion und Bedeutung eines Mediendispositivs im deutschen Stummfilm“, in: Stefan Keppler-Tasaki/Fabienne Liptay (Hg.): Grauzonen. Positionen zwischen Literatur und Film, 1910–1960, München 2010, 102–120. Hier: 105ff.
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Bild entwickeln. Dabei wird aus dem großen Repertoire typographischer Formbildungen geschöpft, um vielfältige Form-Inhalt-Bezüge sowie eine hohe Affizierung durch die ästhetischen Qualitäten der Schrift zu erreichen. Solch enge Verknüpfungen von Schrift mit Bildelementen werden im schriftbasierten Gedichtfilm wieder aufgegriffen. In Kylie Hibberts MIRROR TALK (2005) werden beispielsweise von Einstellung zu Einstellung neue Bezüge zwischen sprachlichem Inhalt und Bildelementen hergestellt. In diesem Gedichtfilm bildet sich aus den Umrisslinien eines gezeichneten Pin-up-Girls ein Faden, an dem eine Nähnadel befestigt ist, die direkt auf die Worte „I am silver and exact“ deutet. Diese Form der Gegenüberstellung von Wort und Bild führt dazu, dass beide als aufeinander bezogen wahrnehmbar werden: Die Textzeile erscheint als Selbstbeschreibung einer Nadel, obwohl es im Gedicht eigentlich um einen Spiegel geht.1 Das größte Gewicht erhält Schrift im audiovisuellen Medium, wenn sie den Hauptgegenstand des Filmes bildet, ohne von weiteren Bildelementen begleitet zu werden. Michael Lentz hat solche audiovisuellen Arbeiten, die experimentell mit Sprache in Schriftform verfahren, unter dem Begriff des Schriftfilmes zusammengefasst: Ein Schriftfilm ist zunächst ein Film, dessen zentraler Bestandteil das hochgradig selbstreferentielle Medium Schrift (bzw. Schreiben) in all ihren (seinen) formal und medial unterschiedlichen Materialisierungen und Präsentationsformen ist. Schriftfilme stellen die Medialität von Schrift aus und ‚spielen‘ mit den rezeptiven Wahrnehmungsmodi von Lesen, Schauen, Wahrnehmen, Entziffern etc., von Verstehen und Dekonstruktion von Verstehen, und können somit als Modelle der ästhetischen Affizierung kognitiver Aktivität gelten.2
Anders als in Werbebotschaften oder Titelsequenzen hat Schrift hier nicht mehr primär die Aufgabe, Bedeutung zu vermitteln und sei es über ihre ikonischen oder typographischen Qualitäten, sondern wird selbst zum Gegenstand der Reflexion. Schriftfilme versuchen im audiovisuellen Medium zu erreichen, was die visuelle, konkrete Poesie in gedruckter Form anstrebt.3 In der Schriftinstallation HERE (2010) wird das französische Wort „ici“ inszeniert.4 Dabei wird die graphische Konfiguration des Wortes ausgenutzt, das aus zwei geraden Strichen und einem zu vier Fünfteln geschlossenen Kreis gebildet ist. In einem zehnminütigen Loop schieben sich die Buchstaben in sehr langsamer Geschwindigkeit von allen vier Seiten des quadratischen Kaders ins Bild. Nachdem das Wort „ici“ schließlich lesbar geworden ist, geht die Bewegung auf das Zentrum hin
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In Sylvia Plaths Gedicht ist ein Spiegel („Mirror“) das lyrische Subjekt des Gedichtes. In der Gegenüberstellung von Spiegel und Nadel ist bereits eine Bezugnahme auf filmtheoretische Metaphern erkennbar. Die Nadel symbolisiert das Konzept der filmischen Suture, während der Spiegel auf die Analogie des Kinos mit dem Spiegelstadium hinweist. Der Gedichtfilm MIRRORTALK wird im Kapitel 3.2 eingehend analysiert. Michael Lentz: „Zur Intermedialität in experimentellen“, 114. Siehe ebd. ICI, Installation, Regie: Stefan Groß, D 2010, 10 min (Loop), DVD.
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weiter, so dass sich aus den Buchstaben ein verschlungenes punktsymetrisches Ornament bildet, das an indische Mandalas oder keltische Symbole erinnert. Indem Schrift im Zuge einer Verschiebung vom sprachlichen Zeichen zum Ornament gemacht wird, wird ihr doppelter Status als Zeichen und ästhetischer Gegenstand ins Bewusstsein gerufen. Die in den vorangegangenen Absätzen getroffene, noch recht grobe Unterscheidung verschiedener Erscheinungsweisen von Schrift im audiovisuellen Medium, die vom bildbegleitenden Untertitel bis zum medienreflexiven Schriftfilm reicht, soll im Anschluss durch genauere Überlegungen zur Schriftintegration ergänzt werden. Michael Schaudig hat für seine Studie über graphische Titeldesigns vier idealtypische „raumzeitliche Visualisierungsmodi“1 von Schrift im Film vorgeschlagen, die hier auf ihre Übertragbarkeit auf den Bereich des schriftbasierten Gedichtfilmes geprüft werden sollen. Sie werden jeweils durch verschiedene Ausprägungen der Variablen der Konturiertheit, Körperlichkeit und Bewegtheit bestimmt.2 Beim Typ Schrift als Typogramm erscheinen die Buchstaben zweidimensional, also flächig über den Bildraum verteilt, und erinnern in Form von Schrifttafeln oder Inserts am ehesten an Buchstaben auf einer Buchseite.3 Die klassischen meist Weiß auf Schwarz gehaltenen Titeltafeln der goldenen Hollywood-Ära können hier als geläufiges Beispiel dienen. Bei der Schrift als Typokinetogramm tritt das Element der Bewegung hinzu; die Buchstaben werden auf der zweidimensionalen Fläche verschoben, was am häufigsten in den Roll- oder Kriechtiteln des Abspanns zu beobachten ist.4 Wenn sich die Schrift als bewegtes Element in einen dreidimensionalen Raum auszudehnen scheint, spricht Schaudig von Schrift als Ikonokinetogramm.5 Hierzu zählen etwa die prägnanten, in den Weltraum geneigten Rolltitel im Science-Fiction-Epos STAR WARS. Als Ikonogramm bezeichnet Schaudig dagegen typographische Zeichen, wenn sie selbst als dreidimensional wirkende Schriftkörper im filmischen Bildraum auftreten. Gemeint sind Fälle, in denen „die Typographie ein materiales Element des vorgefundenen oder inszenierten ikonischen Filmraums“6 bildet. Schaudigs Typographie ist hilfreich, greift aber für die Charakterisierung der Schriftintegration im Poesiefilm noch zu kurz, da in seiner Definition des Ikonogrammes, das durch seine Zugehörigkeit zum ikonischen Filmraum erklärt wird, zwei wichtige Aspekte verschwimmen. Unabhängig von der Körperlichkeit und Verortung der Schriftzeichen stellt es einen wichtigen Unterschied dar, ob die Schrift sich im selben Wirk-
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Michael Schaudig: „Phänomenologie des graphischen Titeldesigns filmischer Credits“, in: HansEdwin Friedrich/Uli Jung (Hg.): Schrift und Bild im Film, Bielefeld 2002, 163–183. Hier: 173. Ebd. Siehe ebd. Siehe ebd., 173f. Siehe ebd., 174. Ebd., 180.
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lichkeitsbereich befindet, wie die übrigen visuellen Elemente oder ob sie auf einer getrennten Ebene vorliegen. Analog zur Verortung von Klangereignissen im Tonfilm1 lässt sich dies als Unterscheidung zwischen diegetischen oder extradiegetischen Schriftelementen fassen. Dies führt zu einer weiteren Variablen, die für die Typisierung von Schriftelementen im schriftbasierten Gedichtfilm zu berücksichtigen ist, um das Verhältnis der Schrift zu den übrigen visuellen Elementen oder dem filmischen Bildraum genau bestimmen zu können. Mithilfe dieser zusätzlichen Variablen lässt sich die Schriftintegration dadurch charakterisieren, ob die Schriftelemente dem filmischen Bild angehören oder ob sie gewissermaßen auf seiner Oberfläche aufruhen. Da diese Zugehörigkeit zum Bild mit der Räumlichkeit der Schrift nicht automatisch gegeben ist, wird für den Gedichtfilm also eine Erweiterung von Schaudigs Typologie notwendig. Die Frage nach der Zugehörigkeit der Schrift zum Bild lässt sich analog zur Frage nach dem Ort der Stimme im gesprochenen Gedichtfilm denken: Sind Schrift und somit auch das Gedicht Teil einer dargestellten diegetischen Welt? Bilden sie eine extradiegetische Ebene, in der Schrift den Status von Filmmusik oder Voice-Over-Erzählung besitzt, die kommentierend, assoziierend oder kontrapunktisch mit den übrigen Bildelementen ins Verhältnis zu setzen ist? Oder erfolgt vielmehr eine Auflösung der Kategorie der Diegese, wie sie sich im Voice-Over-Gedichtfilm beobachten lässt? Bewegung und Zeitlichkeit Während schriftlich verfasste Texte in gedruckter oder handschriftlicher Form, eine zeitliche Dimension erst im Moment der Lektüre entfalten können, bietet sich im Gedichtfilm die Möglichkeit, den Lesefluss in einem gewissen Maße zu steuern. Reihenfolge und Geschwindigkeit der Rezeption lassen sich vorgeben und in die Komposition einbeziehen. Dass Schrift im Film zeitabhängig und daher situativ ist, hat zur Folge, dass die Typographie zwei filmspezifische Wahrnehmungsvariablen generiert und das Rezeptionsverhalten prädisponiert: (1) Die Verweildauer der Schrift, d. h. die vorgegebene Zeit, die das Lesen der Zeichen und Zeichenkomplexe (Buchstaben, Wörter und Sinneinheiten) begrenzt; (2) die Lesesteuerung der Schrift, d. h. die vorgegebene Segmentierung, Sukzessivität und Sequenzierung der Zeichen und Zeichenkomplexe (Buchstaben, Wörter und Sinneinheiten), die ein spezifisches Leseverhalten vorgeben.2
Wirkungspotentiale, die sich in der räumlichen Anordnung der Schriftelemente, der typographischen Form, entfalten, werden also um Effekte ergänzt, die mit der zeitlichen Segmentierung von Schrift einhergehen. Dies hat Konsequenzen, die über die Verstärkung des über die Schrift vermittelten sprachlichen Sinns hinausweisen. Momente der Plötzlichkeit, selbst der Entzug von Schrift lassen sich in der Zeitlichkeit des Mediums
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Siehe Kapitel 3.1. Ebd., 172.
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nicht nur metaphorisch oder imaginär evozieren, sondern als konkretes Ereignis auf Darstellungsebene inszenieren. Buchstaben, Wörter oder Wortgruppen können auf verschiedene Art und Weise in Erscheinung treten, ihre Lesbarkeit oder Unlesbarkeit kann sich wandeln und ihre Formen können durch Tricktechnik, Graphik oder Computeranimation Metamorphosen durchlaufen. Mit dem Eintreten der Schrift ins bewegte Bild eröffnen sich damit erneut Möglichkeiten zu einer Rhythmisierung des Textes, der nun nicht auf akustischer, sondern auf visueller Ebene in Bewegung gesetzt wird. Gleichzeitig stehen mit dem Einsatz bewegter Schriftelemente seit dem neunzehnten Jahrhundert tradierte (konzentrierte und wiederholende) Lektüreweisen lyrischer Texte zur Disposition. In welchem Ausmaß und mit welcher ästhetischen Zielsetzung schriftbasierte Gedichtfilme sich von der typographischen Form gedruckter Gedichte entfernen, ist in der Analyse der einzelnen Beispiele herauszuarbeiten. Typographische Gestaltung und Form, typographisches Dispositiv, Schriftintegration sowie Bewegung und Zeitlichkeit lassen sich zusammenfassend als zentrale Analysekategorien für den schriftbasierten Gedichtfilm nennen. Dabei sind sowohl der Eigenwert der Schrift als ästhetische Form zu berücksichtigen als auch die inhaltlichen Bezugnahmen auf sprachlich vermittelte Bedeutung, die sich auf verschiedenen Ebenen durch Schriftart, -größe und -anordnung ergeben. Von besonderem Interesse für die schriftliche Realisierung von Lyrik im audiovisuellen Medium ist die Frage nach der Übertragung der lyrikspezifischen typographischen Dispositive, insbesondere die Behandlung von Strophe und Vers im audiovisuellen Medium. Die Einbettung eines Gedichtes in seinen jeweiligen audiovisuellen Kontext lässt sich in Annäherung an verschiedene Typen der Schriftintegration erfassen. Mit den medienspezifischen Elementen „Bewegung“ und „Zeitlichkeit“ schließlich ist eine weitere wichtige Beschreibungskategorie filmischer Schriftlichkeit benannt. Im Folgenden konzentriert sich die Untersuchung mit Hilfe der zusammengetragenen Analysekriterien auf zwei Schwerpunkte. Zunächst geht es um die Bedeutung und die ästhetische Wirkung von Schrift unter den besonderen Bedingungen audiovisueller Medialität. Die unterschiedlichen Funktionalisierungsweisen von Schrift soll im Vergleich zweier Poesiefilme demonstriert werden: einer digitalen Verfilmung von Sylvia Plaths Gedicht „Mirror“ und dem Kunstvideo JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH nach dem gleichnamigen Gedicht von Kathrin Schmidt. Im Anschluss sollen DREI KINEMATOGRAPHISCHE TEXTE Gerhard Rühms untersucht werden, die sich in die Tradition der konkreten visuellen Poesie einreihen und exemplarisch für die Richtung des experimentellen Schriftfilmes stehen. Hier tritt die sprachliche Bedeutung der erscheinenden Texte gegenüber der Reflexion eben dieser schriftsprachlichen Bedeutungsfunktion in den Hintergrund. Mit audiovisuellen Mitteln werden Medialität und Materialität von Schrift und Sprache zum eigentlichen Thema.
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3.1.2 Schrift im Bild – Sylvia Plath: „Mirror“ und Kathrin Schmidt: „Jeder Text ist ein Wortbruch“ Sylvia Plaths Gedicht „Mirror“ zeichnet sich dadurch aus, dass seine Sprechinstanz ein Objekt ist, nämlich der im Titel genannte Spiegel, der in der ersten Strophe zunächst seine Funktion und in der zweiten Strophe vorwiegend sein Verhältnis zu seiner Besitzerin beschreibt. Diese eigentümliche Kommunikationssituation, die zunächst nur angedeutet wird („I am silver and exact“, „I am not cruel only truthful“) wird im Verlauf des Gedichtes zunehmend klarer („I see her back, and reflect it faithfully“). Der Spiegel zählt zu den zentralen Motiven in Sylvia Plaths Dichtung. Er bündelt Probleme, die für ihr Schreiben insgesamt von großer Wichtigkeit waren: Fragen nach der Grenze zwischen Selbst und Welt, zwischen Wahrem und Falschem, ein Hang zur Selbstreflexion und das Interesse für Prozesse der Wahrnehmung.1 Dabei ist der Spiegel als Feld der Unsicherheit und Spannung markiert, oft geht mit spiegelnden Oberflächen ein Unbehagen vor der Welt hinter dem Spiegel oder die Furcht vor dem Ertrinken einher.2 „The mirror“ so Pamela J. Annas „is a tricky, untrustworthy, confusing, alternately rigid and insubstantial boundary between self and world, self and self.“3 Angesichts einer solchen Charakterisierung des Spiegels ist es umso erstaunlicher, dass im vorliegenden Gedicht das titelgebende Objekt selbst die sprechende Instanz darstellt. Bedenkt man, dass die Funktion eines Spiegels darin besteht, sich seinem Gegenüber anzuverwandeln, indem er das zeigt, was er nicht ist, und das, was er ist (eine metallbeschichtete Glasplatte nämlich) gerade nicht zu zeigen, so dürfte die Wahl eines Spiegels zum lyrischen Subjekt überraschen. In der ersten Strophe reflektiert der Spiegel darüber, wie neutral und wahrheitsgetreu die Abbilder sind, die er „unmisted by love or dislike“ für seine Besitzerin bereithält. Sein statisches Dasein verdammt ihn zum stetigen Blick auf die gegenüberliegende Wand, die ein Teil seiner selbst zu werden scheint: „I have looked at it so long / I think it is a part of my heart.“ Tatsächlich muss die Wand als gleichbleibender Hintergrund eines jeden Bildes erscheinen, das der Spiegel produziert: ein erster Hinweis darauf, wie instabil die Grenzen zwischen Spiegel und Spiegelbild sind. Was ist die Erscheinung des Spiegels anderes, als das in ihm Gespiegelte? Wenn es zu Beginn der zweiten Strophe heißt: „Now I am a lake“, erweist sich das sprechende lyrische Subjekt plötzlich nicht mehr als ein bestimmter Spiegel, sondern als jeder Spiegel, als die Spiegelfunktion selbst. Die spiegelnde Wasseroberfläche, über die sich die Betrachterin beugt, verweist zudem auf den Mythos von Narziss. So wie Narziss (zumindest in einer der Versionen des Mythos) tatsächlich im Wasser ertrinkt, in das er stürzt, weil er sich verliebt seinem Spiegelbild nähert, versinkt auch das Bild 1 2 3
Siehe Pamela J. Annas: A Disturbance in Mirrors. The Poetry of Sylvia Plath, New York 1988, 2. Siehe ebd. Ebd., 3.
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der Jugend im Spiegel: „in me she has drowned a young girl.“ Von den vielen Facetten des Narziss-Mythos ist hier vielleicht jene des Ertrinkens im eigenen Blick der produktivste Bezugspunkt. Sylvia Plaths Spiegel-Ich verschluckt alles („whatever I see I swallow immediately“), die Frau selbst ist es aber, die das junge Mädchen, das sie selbst einmal war, mit dem Blick in den Spiegel ertränkt hat, wie die aktivische Verbform unmissverständlich klar macht. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass im Gedicht das Wort „image“ oder „picture“ kein einziges Mal vorkommt. Der Spiegel versteht sich in seiner Rollenrede offenbar nicht als Produzent von Abbildern. Stattdessen wird der Bildbegriff im Rahmen einer komplexen Metaphorik übersprungen, die die Einverleibung des gespiegelten Objekts einfasst in das poetische Bild vom Ertrinken in einem See: I am important to her. She comes and goes. Each morning it is her face that replaces the darkness. In me she has drowned a young girl, and in me an old woman Rises toward her day after day, like a terrible fish.1
Der Spiegel erfasst nicht nur ein Bild des jungen Mädchens, sondern er verschlingt sie selbst. Auf diese Weise fungiert er einerseits als Metapher für die Flüchtigkeit der Jugend, für die Hinfälligkeit des Körpers überhaupt und markiert andererseits die Aufspaltung der Frau in blickendes Subjekt und erblicktes Objekt. Mit dem Tempuswechsel vom perfect zum present tense wird die Zeitlichkeit des Geschehens angezeigt: Was der Spiegel zurückgibt, ist eine alte Frau, die der angesprochenen wie ein fremdes, furchterregendes Tier entgegenkommt („like a terrible fish“). Wenn das weibliche Subjekt beim Blick in den Spiegel ihr gealtertes Selbst als etwas Unheimliches, als etwas Animalisches wahrnimmt, das stumm aus der Tiefe auftaucht, beinhaltet das also mehr als die Vanitas-Botschaft der vergänglichen Schönheit. Als Objekt des Blickes, zu dem die Frau im patriarchalen Blickregime bestimmt ist, ist das Altern und der damit einhergehende Verlust von „Schönheit“ im Sinne jugendlicher Attraktivität auch in einem anderen Sinn existenzbedrohend. Wird der Zustand des Angeschaut-Werdens als Bestätigung des eigenen Daseins imaginiert, so muss der Wegfall dieser Versicherung als tödliche Bedrohung erscheinen. Die Selbstbeschreibung des Spiegels als neutral und objektiv ist vor diesem Hintergrund trügerisch. Da der Spiegel nur zeigt, was auf ihn projiziert wird, reproduziert er das internalisierte Blickregime und verdoppelt es somit. Der objektivierende, sogar fetischisierende Blick auf das eigene Bild, zerteilt Subjekt und Objekt des Blickes. Mit der Übertragung des Gedichtes in das audiovisuelle Medium wird dessen Spiegelmotivik auf einer Meta-Ebene erneut virulent. Zum einen gehört die Darstellung von Spiegeln in der Malerei und auch im Film zu den klassischen Topoi der Autoreferentialität. Als Erzeuger eines täuschend echten Abbildes realer Gegenstände bildet der Spie-
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Sylvia Plath: Collected Poems, hg. von Ted Hughes, London 1981, 173f.
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gel in der Malerei als Bild im Bild ein mise en abyme. Im Film MIRROR TALK (2005) von Kylie Hibberts erinnern Spiegel an die Projektionsfläche der Leinwand, vor allem aber gilt der Spiegel im narrativen Kino als Metapher für die filmtypische Identifikation der Zuschauenden mit den abgebildeten, handelnden Figuren.1 Zum anderen, und das scheint im Zusammenhang mit dem bisher Gesagten bedeutender, reflektiert „Mirror“ über Abbild und Identifikation, den Blick und das Angeblicktwerden und führt damit direkt zu Problematiken hin, die untrennbar mit der Medialität des Filmes verknüpft sind. Die Frage nach dem Blickregime des Kinos und speziell nach dem auf die Frau gerichteten Blick und seinem Zusammenhang mit der Medialität des (narrativen) Spielfilmes gehört zu den grundlegenden Themen der feministischen Filmtheorie.2 Laura Mulvey hat in ihrem wegweisenden Aufsatz „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ aus dem Jahr 1975 die psychoanalytischen Konzepte der Scopophilie (Schaulust) und des Narzissmus als zentrale Mechanismen bestimmt, die den Blick im Kino formieren. Diese beiden eigentlich widersprüchlichen Aspekte überlagern sich dort in komplexer Weise: „The first, scopophilic, arises from the pleasure in using another person as an object of sexual stimulation through sight. The second, developed through narcissism and the constitutions of the ego, comes from identification with the image seen.“3 Zumindest in der patriarchal strukturierten Gesellschaft ist die Macht des Blickes traditionell dem Mann, die Rolle des Angeblicktwerdens dagegen der Frau zugeordnet. In their traditional exhibitionist role women are simultaneously looked at and displayed, with their appearance coded for strong visual and erotic impact so that they can be said to connote to-be-looked-at-ness. Woman displayed as sexual object is the leit-motif of erotic spectacle:
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Eine Filmreferenz wird auch mit der Beschreibung der Zeitwahrnehmung des Spiegels aufgerufen: „But it flickers. / faces and darkness separate us over and over.“ Die Verse umschreiben den Wechsel von hell und dunkel, der für den räumlich fixierten Spiegel den einzigen Indikator der vergehenden Zeit darstellt. Während es für den Spiegel das Vergehen der Tage und Nächte ist, das sich hier als ein Flackern darstellt, erinnern diese Zeilen gleichzeitig an das Wechseln von Einzelbildern auf dem schwarzen Filmstreifen, die in ihren Differenzen dem menschlichen Auge eine Bewegungswahrnehmung suggerieren. Siehe Laura Mulvey: „Visual Pleasure and Narrative Cinema“, in: Screen, 16. Jg., H. 3, 1975, 6– 18. Hier: 7. „The eye of a god, four cornered“: Eine an feministischer Filmtheorie orientierte Lektüre wird den Spiegel als das Auge eins Gottes mit dem Blick des großen Anderen identifizieren, unter dessen konstanter Beobachtung sich das Subjekt konstituiert. Dass sich dieser Blick auch im eigenen Blick verkörpert, der aus dem Spiegel zurückfällt, verweist auf die Internalisierung dieser Struktur. Dass das Auge im Englischen ein Homophon bildet zum Ich (I), macht das Spiegel-Ich gleichzeitig selbst zum kleinen Abgott, der täglich geehrt wird. Den Hinweis auf das Wortspiel „eye/I“ verdanke ich Kathleen Margaret Lant, die es in ihrer Interpretation des Gedichtes „Ariel“ auf höchst produktive Weise deutet. (Siehe Kathleen Margaret Lant: „The Big Strip Tease. Female Bodies and Male Power in the Poetry of Sylvia Plath“, in: Contemporary Literature, 34. Jg., H. 4, 1993, 620–669. Hier: 657). Laura Mulvey: „Visual Pleasure“, 10.
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from pin-ups to strip-tease, from Ziegfeld to Busby Berkeley, she holds the look, plays to and signifies male desire.1
Mit der Anspielung auf den Mythos von Narziss, der sich über sein Spiegelbild beugt und in ihm zu versinken droht, bemüht Plaths Gedicht also einen Topos, der für die feministische, psychoanalytisch geschulte Filmtheorie von prominenter Bedeutung ist. Doch während das von Jacques Lacan beschriebene Spiegelstadium gerade als Bildner der Ich-Funktion gilt,2 scheint das Spiegelbild bei Sylvia Plath eine destruktive Funktion zu haben. Statt ein Ideal-Ich zu verbildlichen, entrückt es das als das Selbst erkannte in eine rätselhafte Tiefe und verfremdet es bis zur Unkenntlichkeit. Dies verdeutlicht sich nicht nur in dem Vergleich mit dem „terrible fish“, sondern auch im Wechsel von einer grammatischen Konstruktion, in der die Frau handelndes Subjekt ist („she has drowned“), zu einer Fügung, in der das Bild im Spiegel handelt, während die Frau nurmehr Teil einer Lokalbestimmung ist („an old woman / rises towards her“). Der im Gedicht beschriebene Blick ist einer, der sich mit dem männlichen Blick auf die Frau (sich selbst) als Objekt identifiziert hat. Auch darum ist die NeutralitätsBeteuerung des Spiegels tückisch; ist die Betrachterin doch selbst die strenge Richterin, der ihr eigenes ‚Aussehen‘ zum Objekt geworden ist. Die offenkundig geschlechtsgebundene Bedrohlichkeit der Spiegelbeziehung wird in Kylie Hibberts Film in erster Linie durch die verwendeten Bildelemente aufgerufen. Bezeichnend sind besonders die Pin-up-Girls der fünfziger Jahre im Stil von Ted Withers und anderen, für die ihre Funktion als Objekt der Schaulust, das zum ‚visuellen Vergnügen‘ an die Wand geheftet wird, schließlich sogar namensgebend ist. Als Ikonen des patriarchalen Blickregimes sind diese Figuren, nicht zuletzt durch die doppelte mediale Rahmung, zum Zitat herabgesunken. In ihrer Handgemachtheit wirken sie fast anachronistisch; zur Stimulation von ‚Schaulust‘ jedenfalls taugen sie kaum. Neben den Pin-up-Girls werden weitere graphische Elemente, die auf die strikten Geschlechternormen der fünfziger Jahre verweisen, zur Illustration des Gedichtes eingesetzt. Dessen Inszenierung in schriftlicher Form und die flächigen, diskontinuierlichen Graphiken bewirken allerdings eine Streuung des Blickes, so dass weder eine skopophilische noch eine identifizierende Rezeption befördert wird. Kylie Hibbert hat für die graphische Interpretation des Gedichttextes eine serifenbetonte Linear-Antiqua gewählt, die der Schrift einer mechanischen Schreibmaschine nachgebildet ist. Das Schriftbild mit seinen Lettern von unregelmäßiger Stärke wirkt ausgefranst und fingiert dadurch Spuren des Materiellen, die den Verweis auf das mechanische Schreibwerkzeug verstärken. Auch dass die Schrift, Buchstabe für Buchstabe, auf dem Bildschirm erscheint, stellt Bezüge zum Tippen auf einer Schreibmaschine her. Zusammen mit den verwendeten Bildinhalten – Schnittmuster, 1 2
Ebd., 11. Jacques Lacan: „Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint“, in: Schriften 1, Weinheim 1996, 61–70.
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Zeitungsausschnitte, Stofftexturen Tapetenmuster und Pin-up-Girls – ruft diese Schrift typische Formen der fünfziger Jahre auf. Mit einer Ausnahme (der Abbildung einer sich entblätternden Rose) sind alle visuellen Elemente graphisch erzeugt und stellen keine fotografischen Bilder dar.1 Neben dem schreibmaschinenähnlichen, sukzessiven Erscheinen der Buchstaben sind noch zahlreiche weitere Formen der Schriftbewegung festzustellen, etwa wenn die Schrift verblasst, sich aus dem Bildkader schiebt oder in ihre Einzelbuchstaben zerstreut wird. Weitere Bewegungen sind vor allem durch inhaltliche Bezüge motiviert, so wie das Herabsinken einer Textzeile über den unteren Bildrand hinaus, das direkt auf die Worte „In me she has drowned a young girl“ folgt. In dieser Schriftbewegung liegt eine Ähnlichkeit zu dem im Text sprachlich vermittelten Ertrinken des jungen Mädchens, wodurch die Schriftzeichen gleichzeitig symbolische und ikonische Funktion erhalten. Als Schriftzeichen besitzen sie eine sprachliche Bedeutung, als graphische Zeichen bilden sie die Bewegung des Versinkens ab. Die potentielle Ikonizität der Schrift wird im Film an vielen weiteren Stellen zur Verstärkung oder Akzentuierung der sprachlich vermittelten Bedeutungen eingesetzt. So wird beispielsweise im Vers „Most of the time I meditate on the opposite wall“ die letzte Wortgruppe nur in Spiegelschrift sichtbar, bevor sie durch eine Drehung der Schrift schließlich lesbar gemacht wird. Die Schrift folgt einem horizontalen Schriftverlauf von links nach rechts und bleibt zweidimensional, wird also in der Form eines Typokinetogrammes in den Film integriert. Nur an zwei Stellen deutet sich beim animierten Verwirbeln der Buchstaben durch Überschneidung und Größenveränderung eine Bewegung im Raum an, ohne dass die Schriftelemente selbst dabei an Körperlichkeit gewinnen. Wie in vielen schriftbasierten Gedichtfilmen ist die typographische Form des Gedichtes in der audiovisuellen Fassung stark verändert worden. Mit ihrer Übertragung auf den Bildschirm wird die typographische Versform modifiziert, wobei allerdings nie mehrere Verse in einem Bild zusammengezogen werden, so dass die Versgrenzen der Druckfassung weiterhin bestehen. Zwar wird in den meisten Fällen ein einzelner Vers in seiner Gesamtheit auch einem einzelnen Kader zugeordnet, allerdings nur selten in der Form, dass er eine einzelne Zeile bildet. Vielmehr findet sich eine ganze Reihe zusätzlicher Zeilenumbrüche. Solche Änderungen der typographischen Form sind in MIRROR TALK meist durch eine Bezugnahme auf die Wortbedeutung motiviert. So wird beispielsweise der Vers „faces and darkness separate us over and over“ auf drei Zeilen verteilt, deren mittlere allein aus dem stark vergrößerten Wort „separate“ besteht, so dass sich die Wortbedeutung auf der Ebene der typographischen Segmentierung wiederholt.
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Siehe Abbildung 3.7.
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Einige Verse des Gedichtes werden innerhalb des ursprünglichen Verses noch weiter segmentiert, indem sie auf zwei oder sogar drei aufeinanderfolgende Bildkader aufgeteilt werden. Zwar bildet die Neuaufteilung des Verses an zwei Stellen auch eine syntaktische Zäsur ab, in drei anderen Fällen aber entsteht durch den Bildwechsel eine neue Versgrenze, die ich als filmisches Enjambement bezeichnen möchte. Dort, wo dies geschieht, ist eine besondere Akzentuierung einer Textstelle zu beobachten. In MIRROR TALK ist das filmische Enjambement zuweilen mit einer Ikonisierung der typographischen Form verbunden. Besonders deutlich wird dies an der Umsetzung der Zeile „Each morning it is her face | that replaces the darkness“, die so aufgeteilt wird, dass der zweite Teil den ersten tatsächlich „ersetzt“. In der Druckfassung von Plaths Gedicht liegt dagegen nur ein einziges Enjambement vor, das ein entsprechend großes Wirkungspotential besitzt: Die Versgrenze zwischen letzter und vorletzter Zeile nimmt eine syntaktische stark markierte Trennung zwischen Subjekt und Prädikat vor: „and in me an old woman / Rises towards her day after day like a terrible fish.“ Das Enjambement erzwingt ein kurzes Innehalten, fokussiert die Aufmerksamkeit auf das letzte poetische Bild des Gedichtes und lässt sich sogar als ikonische Darstellung von Plötzlichkeit und Schrecken interpretieren. Diese starke Wirkung entfaltet es jedoch vor dem Hintergrund einer ausschließlich an syntaktischen Einheiten orientierten Verseinteilung, die dieser Stelle vorausgegangen sind. In Kylie Hibberts Version des Gedichtes hebt sich das Enjambement dadurch von den anderen ab, dass es mit einer erheblichen Reduktion des Tempos verknüpft wird. Indem die Verweildauer der letzten Zeile größer als die der vorausgegangenen ist, wird die Lektüregeschwindigkeit stark gedrosselt, wodurch die Stelle auch im Film eine Markierung erfährt. Zusätzlich zum typographischen Zeilensprung tritt also im audiovisuellen Zusammenhang die Trennung der Verse durch ihr Erscheinen und Verschwinden im Bild oder durch den Wechsel von Einstellungen als Gliederungsmittel hinzu, wodurch eine zweistufige Ordnung der Textsegmentierung hergestellt wird, denn der typographische Zeilenumbruch bildet im audiovisuellen Zusammenhang nun eine schwächere Gliederung als der Montageschnitt. In MIRROR TALK übernimmt daher auch letzterer die Funktion, die lyrische Versgrenze zu markieren und darüber hinaus besonders starke Akzentuierungen in Form filmischer Enjambements zu setzen. Ergänzt werden die Gliederungsmöglichkeiten im schriftbasierten Gedichtfilm durch die wechselnde Verweildauer von Schriftelementen und Pausensetzung. Eine starke Veränderung erfährt die Rezeptionsweise des Gedichtes nicht zuletzt durch die hohe Geschwindigkeit mit der die Verse und Bilder auf dem Bildschirm vorüberziehen. Sie schließt die Möglichkeit der wiederholten Lektüre oder des Innehaltens aus. Es ist der allererste Leseeindruck, das erste Textverständnis, das sich mit den visuell wahrgenommenen Bildelementen verbindet. Zusammen mit der im Video vorherrschenden Flächigkeit der graphischen Gestaltung führt dies im doppelten Sinn zu einer zerstreuten Lektüre, die den Blick hin und her wandern lässt, da er sich im schnellen Wechsel an immer neue Erscheinungen heften muss. Mit der geringen Ver-
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weildauer, die eine hohe Rezeptionsgeschwindigkeit erzwingt, steht auch die Portionierung des Gedichtes in kleine Texteinheiten in Zusammenhang, dank derer sich Schrift und Bildelemente zu immer neuen Bedeutungseffekten verbinden. Bezugnahmen von Schrift- und Inhalt heften sich dabei überwiegend an die Bedeutungen einzelner Wörter, die sie verbildlichen und verstärken. In der Konsequenz löst sich das Gedicht in eine schnelle Abfolge von Einzeleffekten auf. An Kathrin Schmidts aus 21 reimlosen Versen bestehenden Gedicht „Jeder Text ist ein Wortbruch“ fällt vor allem sein wortspielerischer Titel auf. Indem die Feststellung des Wortbruchs, des nicht eingehaltenen Versprechens, auf die Gesamtheit aller geschriebenen Texte ausgedehnt wird, wird diese eigentlich tote Metapher wiederbelebt und umgedeutet. Sie weitet sich zur Beschreibung eines Entzweigehens sprachlicher Ganzheit, eines Versagens der Sprache, das bis zur Lüge reicht. Dass es sich bei der Aufgabe, der die Sprache nicht gerecht wird, um Erinnerung handeln könnte, legen die Thematisierung der Kindheit, die Nennung von Mutter und Vater und das mehrmalige Erwähnen von Zeitbegriffen („zeiten“, „anfang“, „ende“, „zukunft“) nah. Insgesamt gibt sich das Gedicht jedoch hermetisch und lässt sich nicht auf klare Aussagen festlegen. Die Mehrdeutigkeit, die Schmidt aus der Sprache hervortreibt, stellt sich vor allem durch das konnotierende Gegeneinandersetzen einzelner Wörter her. Aus den Wörtern „Zunge“, „Haar“, „Blume“ und „Liebe“ scheint sich zunächst kein gemeinsames Bild entwickeln zu wollen; erst, wenn in einer der folgenden Zeilen von „geschlechtern“ die Rede ist, erhellt sich die Stelle ein wenig. Aus der Überschneidung der Ränder der semantischen Felder dieser Wörter deutet sich dann eine Mitbedeutung an, die in der weiblichen Körperlichkeit und Sexualität besteht, an die das lyrische Subjekt sein vergangenes Selbst erinnert.1 Diese geschlechtliche Körperlichkeit bildet eine wichtige Isotopie-Ebene des Textes.2 Die Bezeichnung des Haars als „geheimnis“ und „heimlich“ und seine Verbindung mit dem Motiv des zweiten Gesichts verweist auf den Bereich des Magischen und auf einen an das Körperliche gebundenen Zugriff auf die eigene Geschichte:
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Das metaphorische Umspielen des weiblichen Geschlechts findet sich an mehreren Stellen in Schmidts lyrischem Werk, nicht zuletzt in Bezug auf die Kindheit. „Für die Kindheit sind ‚feuchtgebiete‘ aus der Sicht der Erwachsenen typisch, die ihre Nahrung aus den unterschiedlichsten Quellen schöpfen […]“ (Maurizio Pirro: „Hermeneutik der Vergangenheit bei Kathrin Schmidt und Barbara Köhler“, in: Karen J. Leeder (Hg.): Schaltstelle. Neue deutsche Lyrik im Dialog, Amsterdam 2007, 293–310. Hier: 300.) Pirro abstrahiert diese Beobachtung allerdings zu der problematischen Schlussfolgerung einer „natürliche[n], alogische[n] und intuitiv zu erfassende[n] Verwandtschaft von Kindheits- und Frauenwelt“ (ebd., 302), die sich in der Natürlichkeit des körperlichen Erlebens darstellen lassen. Zum Isotopiebegriff in der Linguistik siehe Angelika Linke/Markus Nussbaumer/Paul R. Portmann-Tselikas/Urs Willi/Simone Berchtold: Studienbuch Linguistik, ergänzt um ein Kapitel „Phonetik/Phonologie“ von Urs Willi, Tübingen 2004, 260.
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[…] und durftest dein haar nicht wachsen lassen heimlich umspann es dein zweites gesicht und sagte die zukunft voraus die du schließlich erreichtest der weg ist vergessen der text den du schreibst ist ein wortbruch dein haar ist die brücke darüber1
Im verbotenen Wachstum des Haares verkörpert sich das Vergehen von Zeit. Es stellt keine Kontinuität im Sinne einer kohärenten Erinnerung bereit, vermag aber eine „brücke“ über die Wortbrüche des Textes zu spannen. Diese „Beständigkeit eines körperlichen Gedächtnisses“2 wird der unzuverlässigen und verfälschenden Erinnerung, die sich im geschriebenen Text herstellt, entgegengesetzt. Maurizio Pirro deutet Schmidts Poetik als Versuch, die unreflektierten und vielleicht unbewussten körperlichen Erfahrungen der Kindheit zu evozieren, die sich in ihrer Unmittelbarkeit dem sprachlichen Zugriff entziehen: „Die Aneignung des Erfahrungshorizontes der Kindheit erfolgt bei Schmidt über die entscheidende Vermittlung des eigenen Körpers wie des Organischen überhaupt.“3 Die Umsetzung des Gedichtes in das audiovisuelle Medium,4 die das Gedicht ausgerechnet als geschriebenen Text integriert, gerät nun scheinbar in einen Widerspruch zwischen der Problematisierung des Textes und seiner privilegierten Ausstellung in einem Medium, das in erster Linie mit der Produktion von Bildern in Verbindung gebracht wird. Einem solchen Konflikt entgeht die Videokünstlerin Betina Kuntzsch jedoch, indem sie das Gedicht in einen Zusammenhang stellt, in dem der Film selbst als Aufzeichnungsmedium auf seine Materialität hin befragt wird. Arbeitsmedium für die Umsetzung von Schmidts Gedicht ist zwar das Video, als Ausgangsmaterial diente jedoch gefundenes, zerfallendes Filmmaterial aus dem Archiv.5 Diese Reflexion der Medialität des Filmes in ihrer zeitlichen Auflösung verbindet sich mit der Gedächtnismotivik des Gedichtes von Kathrin Schmidt und nimmt somit eine Neugewichtung von dessen Thematik vor. Auch in der typographischen Präsentation finden sich Hinweise auf die Verstärkung der Erinnerungsthematik, die mit der Rolle der Schrift als klassischer Gedächtnismetapher zusammenhängt, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Schrift erscheint in JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH zunächst als weiße, fette, serifenlose Antiqua, die an eine Schablonenschrift erinnert. Entgegen dem ersten Eindruck handelt es sich jedoch nicht um paratextuelle Informationen, sondern um Fragmente aus
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Kathrin Schmidt: Flußbild mit Engel. Gedichte, Frankfurt am Main 1995, 33. Maurizio Pirro: „Hermeneutik der Vergangenheit“, 300. Ebd. JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH, Videotape, D 2008, 7 min, Regie: Betina Kuntzsch. Nach einem Gedicht von Kathrin Schmidt. Siehe Betina Kuntzsch: „jeder text ist ein wortbruch. Webseite“, online unter: http://www.elementvideo.de, zuletzt geprüft am 16.01.2012.
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der Titelsequenz eines alten Filmes, die die „in weiteren Rollen“ beteiligten Schauspielerinnen ankündigt. Da die Namen wie die Bilder, die sie begleiten, kaum mehr entzifferbar sind, haben die Schriftzeichen ihre Funktion als Sprachzeichen verloren. Damit erweist sich Schrift und auch Sprache gleich mit ihrem ersten Auftreten als dysfunktional und vom Verfall betroffen. Das Gedicht selbst wird in Form von Zwischentiteln in das Video eingebunden wie sie auch im Stummfilm Verwendung gefunden haben, doch werden sie hier mit entscheidenden Veränderungen versehen. Die Textzeilen erscheinen in einer weißen serifenlosen Antiqua auf schwarzem Grund. Während der Gedichttitel „JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH“ in Kapitälchen gehalten ist, herrscht im restlichen Gedicht Kleinschreibung vor. Was die typographisch-syntaktische Flächenform des Gedichtes betrifft, nähert sich dessen Gestalt dem Druckbild darin an, dass die Zeilenumbrüche der Druckfassung übernommen werden, allerdings wird es anders als dort rechtsbündig gesetzt. Mit der Verteilung des Gedichtes auf verschiedenen Titeltafeln zu je drei bis vier Zeilen entsteht eine neue Strophengliederung, die in der Druckfassung des Textes fehlt.1 Acht lyrische Zwischentitel wechseln mit bildhaften Anteilen des Videos, die die Künstlerin in einer Montage aus found footage zusammengefügt hat: „Aus kurzen erkennbaren Filmszenen und abstrakten Filmkornlandschaften wird eine Geschichte destilliert: Eine Frau, ein Mann, ein Sonnenuntergang, Krieg, Auflösung, Verschwinden.“2 Die durch chemische Prozesse ausgelöste Zersetzung des alten Filmmaterials tritt im Video in Form ungegenständlicher Muster aus flackernden grauen Wolken und Flecken, aber auch Blasen oder Rissen in Erscheinung, die Assoziationen an Landkarten, Satellitenbilder oder abstrakte Gemälde wachrufen. Ihre ursprüngliche Abbildfunktion jedoch ist verloren gegangen oder zumindest stark beeinträchtigt, wodurch der „Materialwiderstand“3 des Filmstreifens augenscheinlich wird. Stellenweise lassen sich zwar fotografische Abbildungen oder Filmausschnitte erkennen, doch sie sind verblasst, zerfressen oder wirken wie von einem grauen Schleier überzogen. Aus der Kleidung und den Frisuren der dargestellten Menschen sowie aus der Schadhaftigkeit der Bilder lässt sich auf das hohe Alter der Aufnahmen schließen, ihre Zugehörigkeit zur Ära des Stummfilmes. Eine kohärente Geschichte freilich ergeben die fragmentarischen, schnell wechselnden Szenen nur dann, wenn man eine aktive Mit-Schöpfung im Rezeptionsprozess zugesteht, bei der die Leerstellen aufgefüllt und Teilstücke imaginativ in einen kontinuierlichen narrativen Zusammenhang gebracht werden. Gleichzeitig wird diese potentielle Deutungsoffenheit durch die Herauslösung der Bilder und Filmszenen aus ihren ursprünglichen Kontexten erst ermöglicht. Dass wir über die Personen, die für Augenblicke in den Bildern sichtbar werden, und über ihre Geschichte nichts wissen,
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Siehe Abbildung 3.8. Betina Kuntzsch: „jeder text ist ein wortbruch“. Ebd.
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markiert ihr Vergangensein. Im Zerfall ihrer medialen Abbilder wiederholt sich der Prozess ihres Verschwindens. Im Verzicht auf eine kohärente Erzählung, im Zusammenstellen verschiedener Szenen und Bilder nähert sich der Gedichtfilm der lyrischen Sprache Kathrin Schmidts an. So wie dort statt direkten Benennungen immer nur partielle Übereinstimmungen zwischen Wortbedeutungen erkennbar werden, verbirgt sich im Film eine Vielzahl potentieller Geschichten hinter jedem der Ausschnitte. Fasst man das Verschwinden der Bilder als mediale Inszenierung des Vergessens auf, so stellt sich ein weiterer Bezug zum Gedicht her, mit dem Unterschied, dass bei Schmidt das Vergessen mit der Sprache in Verbindung gebracht wird: „der weg ist vergessen der text / den du schreibst ist ein wortbruch“. Anders als in Kylie Hibberts Schriftinszenierung wechseln Texttafeln und Videobilder in einem ruhigen Rhythmus, der sich zunächst verlangsamt, um erst zum Ende des Videos hin noch einmal beschleunigt zu werden. Auch JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH integriert Schrift in der Form des Typokinetogrammes, wobei die einzige Bewegung, das Erscheinen und Verschwinden der Buchstaben ist, das sich im sukzessiven Einblenden und Ausblenden der Schriftzeichen verwirklicht. Die Gedichtzeilen erscheinen in Gruppen von je drei bis vier Zeilen auf den zwischengeschalteten Texttafeln, wobei die Wörter des vorangegangenen Abschnitts meist in einer blasseren, grauen Schrift weiter lesbar bleiben. Indem die jeweils aktuellen Textzeilen in blendend weißen Buchstaben hinzutreten und die bestehende Schrift teilweise überlagern, werden Textteile übereinandergeschichtet, umgestellt und neu kontextualisiert. Mit dem Überschreiben, Verblassen und Umstellen verweist diese Inszenierung der Schrift auf die Unzuverlässigkeit und Fragilität des Erinnerns und nimmt so ein zentrales Motiv des Gedichtes auf. Nach Aleida Assmann steht Schrift als Gedächtnis-Metapher traditionell für die Fragilität und Dynamik des Gedächtnisses: Die Schrift-Metapher ist wesentlich komplizierter als die Speicher-Metapher. Die topologische Ordnung des Magazins suggeriert Organisation, Ökonomie, Verfügbarkeit – alles Aspekte, die das künstliche Gedächtnis dem natürlichen voraus hat. Die Bildlichkeit des Schreibens und Überschreibens, des Festhaltens und Löschens, der Intensität tiefer Prägungen und der flachen, vielfältigen Reize führt weg vom künstlichen zurück zur Verfasstheit des natürlichen Gedächtnisses.1
Nicht zuletzt die durch digitale Videotechnik ermöglichte Beweglichkeit lässt Schrift – über die sprachlich vermittelte Bedeutung hinaus – als Gedächtnismetapher wirksam werden.2 In ihren Überlagerungen und ihrem Verblassen verbildlicht sich die Dynamik
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Aleida Assmann: „Zur Metaphorik der Erinnerung“, in: Aleida Assmann/Dietrich Harth (Hg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt am Main 1991/1993, 13–35. Hier: 21. Bekanntlich ist gerade die Schrift in ihrer Exteriorität kritisiert worden, welche als äußerliches, künstliches Hilfsmittel des Gedächtnisses das natürliche Gedächtnis gefährde. Die berühmte
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von Erinnern und Vergessen, die das ‚natürliche‘, sprachlich verfasste Gedächtnis kennzeichnet. Dessen Instabilität und ‚Untreue‘ sind es, die in Schmidts Text problematisiert werden. Der im Gedicht angedeutete Gegenentwurf eines körperlichen, materiellen Gedächtnisses, das sich im Wachsen des Haares verbildlicht, deutet sich im Video in anderer Form wieder an. In den Einstellungen, die auf die letzte Gedichtzeile folgen, sind auf dem sonst weißen Bild (Haaren nicht unähnliche) Fädchen und Fussel zu sehen, die für gewöhnlich unbeabsichtigter Teil des aufgenommenen Filmes sind und sich als störende Spuren des Materiellen auf der Abbildung zeigen. Für einen Augenblick erscheint der Umriss eines Insektes und erinnert an experimentelle Arbeiten wie Stan Brakhages MOTHLIGHT (1963). Dort werden materielle Objekte wie Mottenflügel, Gräser und Blätter unter Umgehung der Kamera direkt auf den Filmstreifen aufgebracht und durch die Projektion visualisiert. Nicht anders markieren auch die sich zersetzenden Filmstreifen in JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH die materielle Bedingtheit des medialen Dispositivs Film und zeigen die materiellen Spuren, die zurückbleiben, wenn die Bedeutungen, die sie miterzeugt haben, schon nicht mehr lesbar sind. Während bei Kylie Hibbert Form, Anordnung und Bewegung der Schrift meist an die konkrete Wortbedeutung anschließen, bezieht sich die Ikonizität der Schriftgestaltung in Betina Kuntzsches Videoarbeit in allgemeinerer Weise auf die Medialität der Schrift und damit metaphorisch auch auf die Erinnerungsthematik des Gedichtes. In beiden Beispielen ließ sich zeigen, dass Schriftgestaltung im audiovisuellen Medium verstärkt an Bedeutung gewinnt, indem sie die Möglichkeiten der Bezugnahme von Form und Inhalt erweitert, dass aber auch der Eigenwert der Schrift gegenüber der sprachlichen Semantik tendenziell aufgewertet wird.
3.2.3 Visuelle Poesie mit beweglichen Lettern – Gerhard Rühm: Drei kinematographische Texte Das Abweichen vom für die Lyrik charakteristischen typographischen Dispositiv, das im vorangegangenen Abschnitt erläutert wurde, ist ein zentrales Element in der Programmatik der konkreten Poesie.1 Indem sprachliche Elemente aus Zeilenform und Syntax herausgelöst und isoliert dargeboten werden, können sie in unerwartete Beziehungen zueinander treten und neue, wechselnde Konstellationen eingehen. Diese Tendenz wird in der visuellen Poesie durch weitere graphische und nicht-sprachliche Elemente ergänzt. Auch die Anordnung der Schriftzeichen auf der Fläche mit all ihren semantischen Implikationen ist hier Teil der poetischen Aussage: „Visuelle und kon-
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Schriftkritik Platons richtet sich vor allem gegen die gedächtniszerstörende Funktion der Schrift, ein folgenreiches und viel diskutiertes Urteil. (Siehe dazu Jacques Derrida: Dissemination, Wien 1995, 120ff.). Siehe Michael Fisch: Ich und Jetzt, 260.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
zeptionelle Poesie präsentiert isolierte Textkonstituenten als optische Zeichen auf der Schreibfläche. Dadurch können begrifflich-wörtliche und optisch-sinnliche Werte gleichzeitig aktiviert werden.“1 Ein Zusammenspiel von Schriftzeichen und Bedeutung kann auch in DREI KINEMATOGRAPHISCHE TEXTE (1970) von Gerhard Rühm beobachtet werden. In seinen einleitenden Bemerkungen zur Buchausgabe des Filmskriptes datiert Rühm die Entstehung der Texte auf das Jahr 1964 und stellt deutlich den Zusammenhang zu seinen Arbeiten im Bereich der visuellen Poesie heraus, „in der die schrift nicht mehr bloss konservierungs oder vermittlerfunktion hat, sondern selbst zum ausdrucksmittel und betrachtungsgegenstand erhoben wird.“2 Während in den frühen Vorläufern, den Barocken Figurengedichten oder selbst den Calligrammes von Apollinaire, das Schriftbild gleichzeitig als Illustration fungiere, verfahre die konkrete Poesie „ideogrammatisch“: „sie will nicht die erscheinung des angesprochenen gegenstandes abbilden, sondern sie setzt wortinhalte und ihre typogramme zueinander in beziehung und entwickelt aus ihnen eine komplexe aussage.“3 In der Schriftforschung ist ein Ideogramm ein Schriftzeichen, das zwar für ein Wort oder einen Begriff in seiner Gesamtheit steht, ohne es dabei jedoch abzubilden wie das Piktogramm.4 Im Bestreben, der graphischen Dimension der Schrift einen Mehrwert abzugewinnen, der über die „illustrative verdopplung der aussage“5 hinausgeht, unterscheidet sich nach Rühm die konkrete visuelle Poesie von der visuellen Poesie im Allgemeinen. Schon bei den auf Buchgröße angelegten Werken der visuellen Poesie tritt mit dem bewusst gestalteten Umblättern eine Form der Bewegung hinzu. Das filmische Medium ergänzt diese Ansätze durch die „reizvolle möglichkeit, abrupte oder kontinuierliche übergänge zu schaffen“6. Mit dem Element der Bewegung wachsen der visuellen Poesie zusätzliche Gestaltungsmittel zu. Das Auftauchen und Verschwinden von Buchstaben führt zu wechselnden Kombinationen und Rekombinationen ebenso wie die Bewegung des einzelnen Buchstaben, Wortes oder Satzes durch den Bildraum. Das Ein- und Austreten von Buchstaben in den Bildkader führt dazu, dass Teile von ihnen getrennt wahr-
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Ebd., 271. Gerhard Rühm/Gerhard Jaschke: Drei kinematographische Texte, Wien 1996, iv ff. Ebd. Siehe dazu Angelika Linke u. a.: Studienbuch Linguistik, 55. Eugen Gomringer bezeichnet dagegen als „Ideogramm“ eine spezifische Erscheinungsform der Konkreten Poesie, die er auch „sehtexte“ nennt. Dabei werden die sprachlichen Elemente eines Begriffs (Silben oder Buchstaben) so angeordnet, dass „deren strukturelle verknüpfung den begriff erkennbar bildlich darstellt“ (Eugen Gomringer: „charakteristika der gebräuchlichsten formen der konkreten poesie“, in: theorie der konkreten poesie. texte und manifeste 1954–1997, Wien 1997 (2), 119–127. Hier: 119). Diese Definition steht im offensichtlichen Gegensatz zur Terminologie Gerhard Rühms. Gerhard Rühm: „konkrete poesie“, in: Gesammelte Werke, hg. von Michael Fisch, Berlin 2005, 1175–1177. Hier: 1176. Gerhard Rühm/Gerhard Jaschke: Drei kinematographische Texte.
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genommen werden und so die Konstitution der Schriftzeichen auf einer Ebene unterhalb der Lautzeichen vorgeführt werden kann. Anders als bei Kylie Hibbert gewinnt die Bewegung von Buchstaben keine semantische Dimension, die die Bedeutung des Textes wiederspiegelt, sondern führt zu einer ständigen Neuausrichtung des Verhältnisses von Wortinhalt und Schriftbild. Das von Rühm als „ideogrammatisch“ bezeichnete Verfahren der konkreten Poesie besteht hier in der Einbeziehung der Bewegung in das Spiel mit Bedeutung und Schrift: im filmischen ablauf kann das lesetempo gezielt gesteuert, als definiertes rhythmisches ereignis mitgestaltet werden. der film erschließt so ein weiteres, die rezeption des textes beförderndes spannungspotential. der schriftfilm löst das buch in permanente bewegung auf, buchstaben und wörter geraten fortwährend in metamorphosen: wachsen an, verkleinern sich, verblassen und verschwinden, tauchen in formal verwandten gestalten wieder auf, verändern ihre positionen.1
DREI KINEMATOGRAPHISCHE TEXTE präsentiert sich als Film in drei Teilen. Der erste von ihnen ist ganz auf der Ebene der Buchstaben angesiedelt, der zweite Teil arbeitet mit ganzen Wörtern und im dritten Teil treten auf der Tonebene auch gesprochene Laute und Wörter hinzu. Alle im ersten Teil des Filmes gezeigten Buchstaben bestehen aus den Grundelementen Linie und Kreis. Sie erscheinen in weißer Schrift auf schwarzem Grund, wobei sie durch Vergrößerung, Verkleinerung und Bewegung variiert werden. Der Film erforscht die Buchstaben „b“, „d“, „p“, und „q“ und führt ihre untereinander symmetrischen bzw. spiegelsymmetrischen Verhältnisse eindrucksvoll vor Augen. Oft wird ein Übergang zwischen rätselhaften Symbolen und einem sich immer deutlicher darstellenden Buchstaben erzeugt, der die festgefügt scheinende Verbindung zwischen Laut und Buchstabe immer fremdartiger erscheinen lässt. Dabei wird deutlich, wie stark die Ebene der Schriftgestaltung an der Konstruktion sprachlicher Bedeutung Teil hat, denn das Gelingen der Metamorphosen beruht auch auf stark vereinfachten, serifenlosen Schrifttypen, die in ihrer Reduktion auf die Elemente Linie und Kreis in einander umwandelbar sind. Im zweiten kinematographischen Text behalten die Buchstaben ihre Größe bei und treten ausschließlich als Wortzusammenhang auf. Mit den Mitteln der Überblendung und des Ein- und Ausblendens werden die Verwandlungsprozesse der Wörter im Film inszeniert, dabei entstehen durch minimale Veränderung gänzlich neue Bedeutungen. So wird das Wort „eben“ durch Überblendung zu „beben“, um sich dann in „heben“ und schließlich in „neben“ und „geben“ zu verwandeln. Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht das Bewegungsverb „gehen“, das mit seinem Antonym „ruhen“ und verschiedenen Präpositionen des Raumes und der Zeit in Beziehung gesetzt wird. Durch rhythmisches Auftauchen und Verschwinden des Wortes wird eine Abfolge von Schrit-
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ten evoziert, deren Geschwindigkeit eine Steigerung erfährt, die schließlich zu einem Flimmern führt. Im dritten Abschnitt wechselt die Farbigkeit zu schwarzer Schrift auf weißem Grund, die Beweglichkeit der Wörter nimmt nochmals zu, wobei erstmals der Bildrand als begrenzendes Element einbezogen wird. Außerdem tritt nun in der Gestaltung auch die Tonebene hinzu, auf der von verschiedenen Stimmen kurze Texte gesprochen werden. Sie sind keineswegs bloße Wiedergabe der im Bild sichtbaren Schriftgebilde, sondern treten mit ihnen in unterschiedlicher Weise ins Verhältnis. Einmal werden die vorgelesenen Wörter durch die gelesenen ergänzt, beispielsweise „und?“ durch „na“ sowie „du“. Ein anderes Mal ist auf der Fläche das Wort „da“ zu sehen, das sich gegen den Uhrzeigersinn am Bildrand entlang bewegt. Eine Frauenstimme spricht die Silbe „in“, die auf dem Konsonanten mehrere Sekunden lang gehalten wird, während eine Männerstimme mehrmals das Wort „aus“ wiederholt, wie um den summenden Ton abzuschalten. Schließlich vollenden beide Stimmen ihr Wort mit der Silbe „nen“, was dazu führt, das gleichzeitig die Wörter „innen“ und „außen“ erklingen. Währenddessen hat das Schriftgebilde seine Bewegung um den Rand des Bildkaders herum mit einer Verschiebung ins Zentrum der Fläche beendet. Es entsteht eine Korrelation der Wortbedeutungen mit deren Anordnung und Bewegung auf der filmisch erzeugten Fläche. Schrift tritt in Rühms Film als Typokinetogramm auf, als zweidimensional erscheinende bewegliche Lettern. Aufgrund des monochromen Hintergrundes wird zwar durch Einzelbildschaltung der Eindruck einer Bewegung der Buchstaben erzeugt, das Zoomen wird allerdings von den Betrachtenden nicht als ein sich Nähern oder Entfernen der Schriftzeichen aufgefasst, was mit dem Eindruck von Räumlichkeit einhergehen würde, sondern es wird als Anwachsen oder Abnehmen ihrer Größe interpretiert.
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Rhythmus und Metrum im Gedichtfilm
3.3.1 Rhythmische Bewegung „Vers ist tanzhafte Rede.“1 An diese berühmte Formulierung, in der sich ein zentraler Gedanke aus der Verslehre Karl Philipp Moritz’ verdichtet, kann eine Untersuchung des Rhythmus’ im Poesiefilm mit Gewinn anschließen. Rückt man den Vers, die metrische Rede, in die Nähe des Tanzes, so werden damit zwei spezifische Eigenschaften des Verses besonders betont. Zum einen stellt man fest, dass im Vers die äußere Zweckmäßigkeit der Sprache nicht im Vordergrund steht. So wie der Tanz keine ziel-
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Hans Joachim Schrimpf: „Vers ist tanzhafte Rede“, in: William Foerste/Karl Heinz Borck (Hg.): Festschrift für Jost Trier. Zum 70. Geburtstag, Köln, Graz 1964, 386–410.
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führende Bewegung, wie etwa das Laufen, das Arbeiten oder das Jagen darstellt,1 läuft die Rede in Versen nicht allein auf die Vermittlung von Gedanken hinaus, sondern hat ihren Zweck in sich selbst: Eben so drängte nun auch das Uebermaaß der Empfindung zuerst jene artikulirten Töne hervor, welche eigentlich auch keinen Zweck, als sich selber hatten, und zu denen man sich auf keine Weise durch ein äußeres Bedürfniß, sich verständlich zu machen, gedrungen fühlte, sondern die man, so wie die Schritte beim Tanz gewissermaßen um ihrer selbst willen hervorbrachte.2
Damit tritt die Ebene der sprachlichen Information hinter etwas anderes zurück, was mit Blick auf den Tanz als Freude an der Sprache und deren Bewegung beschrieben werden kann. So wie man tanzt, „weil sich man von der hüpfenden Freude gedrungen fühlte, sich zu bewegen, bloß um sich zu bewegen“3, so spricht man im Vers nicht nur, um sich mitzuteilen, sondern um die Sprechorgane zu bewegen. Die sprachliche Faktur erfährt daher gegenüber der Information eine Aufwertung. Das heißt nicht, dass die sprachlich-informative Ebene bedeutungslos wird, vielmehr entsteht aus dem Zusammenwirken von gedanklicher und rhythmischer Ebene eine Spannung, wie Moritz anhand der doppelten Gliederung nach Bedeutung und nach Metrum darstellt: „man fühlt sich bei jedem Ruhepunkte, den man macht, doppelt angezogen, indem der Zusammenhang nach dem Metrum und der Zusammenhang nach der Idee einander entgegenstreben, so daß uns das erstere immer noch zurückhält, wenn das andere uns schon vorwärts zieht.“4 Zum anderen betont der Vergleich von Vers und Tanz, dass die Rede in Versen, wie die Bewegungen des Körpers im Tanz, künstlichen, kanonisierten Regeln unterworfen ist, die sie formen und ihnen eine Gestalt verleihen, die nicht natürlich, sondern menschengemacht, regelmäßig und damit wiederholbar und kollektiv ausführbar wird. Diese Künstlichkeit5 des Rhythmus als Metrum steht in einer gewissen Spannung zu der Auffassung, die Rhythmus als natürliche Erscheinung betrachtet, die in Herzschlag, Gezeiten oder Tag-Nacht-Wechsel zu beobachten ist.6 Daher ist festzuhalten: „Rhythmus ist eine elementare Grunderfahrung und zugleich ein wesentliches Kulturphäno-
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Siehe Karl Philipp Moritz: Versuch einer deutschen Prosodie. Dem Könige von Preussen gewidmet…, Berlin 1786, 29. Ebd., 31. Ebd. Ebd., 45. Siehe Jürgen Brokoff: „Die Verselbständigung der Poesie als Spiel am Ende des 18. Jahrhunderts und der Spielbegriff bei Johan Huizinga und Jost Trier“, in: Thomas Anz/Heinrich Kaulen (Hg.): Literatur als Spiel. Evolutionsbiologische, ästhetische und pädagogische Konzepte, Berlin 2009, 101–114. Hier: 105. Siehe Hans Joachim Schrimpf: „Vers ist tanzhafte Rede“, 388.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
men.“1 In diesem Zugleich von Natur und Kultur wie auch von sprachlicher Bedeutung und affektiver Wirkung liegt das produktive Potential des Rhythmus’, das auch der Poesiefilm stets von neuem auszuschöpfen sucht. Dieses Potential beruht auf der kategorialen Unterscheidung zwischen Metrum und Rhythmus, die auch in Verstexten keinesfalls als Synonyme zu verstehen sind:2 „Das Metrum eines Verstextes ist eine regelmäßige, abstrakte Grundstruktur (vergleichbar dem Takt der Musik), die systematisch die Gangart des Textes bestimmt.“3 Rhythmus hingegen entsteht erst mit der Realisierung, „der individuellen Ausgestaltung der poetischen Rede“4, der das Versmaß zwar zu Grunde liegt, das bei der Ausgestaltung jedoch Spielräume zulässt. Das Metrum stellt lediglich ein Muster dar, nach dem Akzente und unbetonte Silben alternieren. Aufgrund schwankender Tonhöhe und Dynamik der Akzente in den Versen selbst wird es sprachlich niemals exakt reproduziert. Darüber hinaus entstehen auf einer weiteren Stufe, bei der Rezitation, Abweichungen durch Intonation und Pausensetzung. Als transmediales Phänomen stellt Rhythmus eine zentrale Schnittstelle von Gedicht und Film dar. Jan Röhnert sieht darin sogar einen strukturellen Zusammenhang beider Kunstformen: Berücksichtigt man nämlich jenes Formelement, auf welches sich die gattungsmäßige Unterscheidung der Lyrik von Prosa traditionell gründet, den Vers, so ergibt sich das tertium comparationis von Film und Lyrik nahezu von selbst: die Suggestion rhythmischer Bewegung, die im visuellen Medium über das Bild, im lautlichen Medium über die Stimme des Vortragenden realisiert wird.5
Sowohl das gesprochene oder gelesene Gedicht in seinem Vollzug als auch die filmischen Bilder sind durch das Element der Bewegung gekennzeichnet und somit für rhythmische Strukturen prädestiniert.6 Als „psycho-physiologisches Gestaltphänomen“7 men“7 ist Rhythmus nicht an einen bestimmten Sinnesbereich geknüpft, sondern kann die akustische und visuelle sowie taktile Wahrnehmung gleichermaßen umfassen: „In all diesen Kontexten kennzeichnet Rhythmus eine (1) temporale Anordnung von (2) vergleichbaren Elementen in einer nicht beliebigen, sondern (3) gestalthaften Struk-
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Christine Lubkoll: „Rhythmus und Metrum“, in: Heinrich Bosse/Ursula Renner (Hg.): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel, Freiburg im Breisgau 1999, 103–121. Hier: 104. Wie dies noch in der Antike der Fall gewesen sein soll (siehe ebd., 106). Ebd., 105. Ebd., 104. Jan Röhnert: Springende Gedanken, 17. Dass Rhythmus mit Bewegung eng verbunden ist, schließt jedoch nicht aus, dass dieser als Rhythmuserleben – in einem erweiterten Verständnis – zuweilen auch ein Mittel der bildenden Künste oder der Architektur ist. Erwin Arndt/Harald Fricke: „Rhythmus“, in: Jan-Dirk Müller/Georg Braungart (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Berlin 2003, 301–304. Hier: 301.
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tur.“1 Damit wird nicht nur die Bedeutung des Zeitfaktors unterstrichen, sondern auch die Bindung des Phänomens an seine sinnliche Wahrnehmbarkeit, denn Rhythmus ergibt sich nicht zwangsläufig aus der Beschaffenheit eines Gegenstands, sondern erweist sich als das, was als rhythmisch empfunden wird. Deshalb besteht Rhythmus auch nicht in der Wiederholung identischer Elemente, sondern vielmehr in einer Reihung von Elementen, die als gleich oder ähnlich wahrgenommen werden müssen. Das Rhythmisieren von Handlungen und sprachlichen Äußerungen kann verschiedenen Zielen dienen. Zum einen prägen sich metrisch geregelte Verse besser ein, was noch zusätzlich durch begleitende ebenfalls rhythmische Körperbewegungen verstärkt wird. Außerdem löst Rhythmus Affekte aus, und zwar von beruhigenden (Wiegenlied) bis hin zu aktivierenden Wirkungen (Kriegstrommeln). Und schließlich lassen sich mit Hilfe rhythmischer Strukturen verschiedene Bewegungsabläufe koordinieren, nicht nur im Bereich von Tanz und Chorgesang, sondern auch im Bereich der Arbeit, wovon orale Traditionen wie das field holler zeugen. Diese mnemotechnischen, affektiven und koordinierenden Funktionen gehen nicht in der symbolischen Bedeutung rhythmischer Strukturen auf.2 Eine herausgehobene Bedeutung erhält Rhythmus demgemäß im Zusammenhang mit der „philosophisch spekulative[n] Strömung, die von den Romantikern über Nietzsche bis zur Lebensphilosophie führt.“3 Hier gewinnen besonders jene vorrationalen, körpergebundenen Aspekte des Rhythmusbegriffs an Gewicht, die im Unterschied zum Mechanisch-Regelhaften des Taktes oder des Metrums stehen: die vitalen und ekstatischen Potentiale rhythmischen Ausdrucks. Auch die „Rhythmuseuphorie“ der zwanziger und dreißiger Jahre steht teilweise in dieser Denktradition.4 Für die künstlerischen Avantgarden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde Rhythmus zum ästhetischen Kernbegriff. Monika Schmitz-Emans hat am Beispiel von Kurt Schwitters herausgestellt, was die Epoche an diesem Thema außerdem interessiert haben mag: Rhythmus besitzt die Fähigkeit, Verbindungen zwischen verschiedenen Künsten und Materialien herzustellen. Angestrebt wird „ein polymediales Werk, bei welchem der Rhythmus die Ehe zwischen Sprache und Bild stiften soll.“5 Gegenüber dem Rhythmus treten Nachahmung und Darstellung als künstlerische Prinzipien in den Hintergrund, wie Schwitters in Bezug auf die bildende Kunst erklärt: „Das Wichtige
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Ebd. Siehe Hans Ulrich Gumbrecht: „Rhythmus und Sinn“, in: Hans Ulrich Gumbrecht/Monika Elsner (Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt am Main 1988, 714–729. Hier: 717. Die drei Funktionen des Rhythmus’ lassen sich in systemtheoretischer Perspektive als Wegfall von Unterscheidungen beschreiben, da die beteiligten Systeme nicht den Status von Beobachtern haben und demzufolge keine Ebene der semantischen Beschreibung besitzen. Im Rhythmus koordinierte Einzelsubjekte sind also Teilnehmer, nicht Beobachter (siehe ebd., 725). Isabel Zollna: „Der Rhythmus in der geisteswissenschaftlichen Forschung“, in: Brigitte SchliebenLange (Hg.): Rhythmus, Göttingen 1995, 12–52. Hier: 19f. Ebd. Monika Schmitz-Emans: „Rhythmisierung als Musikalisierung“, 254.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
beim Bild ist der Rhythmus, in Linien, Flächen, Hell und Dunkel, und Farben; kurz der Rhythmus der Teile des Kunstwerks, des Materials. Am klarsten aber wird der Rhythmus im abstrakten Kunstwerk.“1 Eine Programmatik, die zweifellos auch für seine lautpoetischen Werke gilt, die aus Silben und Klängen frei von sprachlicher Bedeutung komponiert sind. Mit der Konzentration auf den Rhythmus geht eine Fokussierung auf das Material und das Materielle, aber auch auf Form- und Strukturprinzipien einher, die nicht allein auf Repräsentation und Darstellung gerichtet ist.
3.3.2 Rhythmus und Metrum Insofern ein Gedichtfilm gesprochene Sprache, Geräusche und Musik enthält, ist Rhythmus als Gestaltungsform zunächst auf der Tonspur präsent. Mit jeder betonten Silbe, jeder Pause, jedem Tempowechsel wird eine Musikalisierung des Sprechens ermöglicht. Rhythmische Gestaltung auf Mikroebene beruht auf den prosodischen Eigenschaften, also der Akzentstruktur der Sprache. Die rhythmischen Strukturen sind an der „Schnittstelle von langue und parole“2 zu verorten: „sie sind als feste Grundstruktur gegeben und es gibt einen expressiven Spielraum“3. In ihrer systematischsten, regelhaftesten Form leistet die Dichtung dies durch die metrischen Ordnungsmuster, die allen Texten in gebundener Rede, darunter bekanntlich vielen Gedichten, zu Grunde liegen. Aber auch moderne Lyrik in freien Versen und Texte in Prosa können rhythmisch gestaltet sein. Auch, wenn sie keinem strengen Metrum folgen, können rhythmische Strukturen nach dem Sprachrhythmus im weiteren Sinne forciert hervortreten.4 So beschreibt etwa Bertolt Brecht in seinem kurzen Aufsatz „Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen“ aus dem Jahr 1938 Gedichte, die „zwar keinen regelmäßigen, aber doch einen (wechselnden, synkopierten, gestischen) Rhythmus haben.“5 In der Geschichte der Poetik gibt es zahlreiche Versuche, diese Differenz zwischen Metrum und Rhythmus theoretisch zu erfassen. Im russischen Formalismus und später in der strukturalistischen und generativen Metrik wird das Metrum als ideale Norm bzw. abstraktes Schema dem sprachlich realisierten Rhythmus gegenübergestellt. 6 Auf
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Kurt Schwitters: „Der Rhythmus im Kunstwerk“, in: Das literarische Werk, Bd. 5: Manifeste und kritische Prosa, Köln 1998, 245–246. Hier: 245. Isabel Zollna: „Der Rhythmus“, 25. Ebd. Siehe Christine Lubkoll: „Rhythmus und Metrum“, 104; Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen, 187. Bertolt Brecht: „Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen“ (1938, 1939“, in: Über Lyrik, hg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt am Main 1968, 77–88. Hier: 77. Siehe Isabel Zollna: „Der Rhythmus“, 36f.; Christoph Küper: Sprache und Metrum. Semiotik und Linguistik des Verses, Tübingen 1988.
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Roman Jakobson geht das Konzept des Metrums als Verstyp zurück, der der sprachlichen Realisierung im Sinne einer unbewussten Kompetenz zu Grunde liegt: Weit davon entfernt, ein abstraktes theoretisches Schema zu sein, liegt das Metrum – oder in einem expliziteren Term der Verstyp(design) – dem Bau jeder einzelnen Zeile – oder in logischer Terminologie jeder Versinstanz – zugrunde. Typ und Instanz sind korrelative Begriffe. Der Verstyp wird in Versinstanzen verkörpert. Die freie Variation dieser Instanzen läuft gewöhnlich unter der äquivoken Bezeichnung ‚Rhythmus‘. Variationen von Versinstanzen müssen streng von den variablen Vortragsinstanzen unterschieden werden.1
Eine dreistufige Unterscheidung zwischen abstraktem metrischen Schema, sprachlicher Realisierung und Rezitation vertritt auch Christoph Küper, der allerdings im Unterschied zu den russischen Theoretikern unter der sprachlichen Realisierung ausschließlich die sprachliche Füllung unabhängig vom metrischen Schema, also den prose rhythm, versteht und sie dementsprechend differenzierend hinsichtlich ihrer einzelsprachlichen linguistischen Komponenten betrachtet.2 Das komplexe wechselseitige Verhältnis zwischen den drei metrischen Dimensionen, die man auch als „prose rhythm“, „metric rhythm“ und „performance“3 bezeichnen kann, offenbart sich in der Rezitation. Eine rhythmische performance von Versen ist häufig mit konfligierenden metrischen und prosodischen Mustern konfrontiert.4 Sie kann jedoch, wie Reuven Tsur an Beispielen aus der englischen Dichtung gezeigt hat, eine Versöhnung erreichen, bei der beide Prinzipien wahrnehmbar bleiben, indem sie phonetische Verfahren wie Glottisverschlüsse, late peaking, starke Wortgrenzen und Intonationsverläufe kunstvoll miteinander kombiniert.5 Entscheidend ist im Zusammenhang mit dem Poesiefilm vor allem, dass Rhythmus als Phänomen erst im Vollzug Gestalt annimmt, während das Metrum ein vorgestelltes, abstraktes Ordnungsmuster darstellt.6 Aus der Beziehung zwischen beiden erwächst, so Christine Lubkoll, ein ästhetisches Spannungsverhältnis „zwischen der konstruierten Regelhaftigkeit, die jedem Rhythmus zu Grunde liegt, und einem erfinderischen, freien Umgang mit dem Grundmuster, der die Möglichkeit von kunstvollen Abweichungen einschließt.“7
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Roman Jakobson: „Linguistik und Poetik“, 102. Siehe Kapitel 3.1. Nach Christoph Küper ist die Versinstanz bei Jakobson nicht mit dem metrischen Schema zu identifizieren, stellt sie doch eine unbewusste Kenntnis der Regeln zum Versbau zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt dar und ist somit auf einer niedrigeren Abstraktionsstufe anzusiedeln. (Siehe Christoph Küper: Sprache und Metrum, 106ff.). Siehe ebd., 128ff. Siehe Reuven Tsur: „A Perception-Oriented Theory of“, 19. Siehe ebd., 20. Siehe ebd., 23ff. Roman Jakobson geht von einer metrischen Kompetenz als einer impliziten Kenntnis der metrischen Regeln aus. (Siehe auch Isabel Zollna: „Der Rhythmus“, 37). Christine Lubkoll: „Rhythmus und Metrum“, 104.
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Handelt es sich um einen performanceorientierten Gedichtfilm, so ist bei der rhythmischen Gestaltung besonders auch die die Rezitation begleitende, von ihr eigentlich nicht zu trennende Körperbewegung hervorzuheben, die auf der Bildspur sichtbar wird. Tanz war bei den Griechen bis zum Ende des fünften Jahrhunderts in der mousiké noch fest mit der Versdichtung verbunden: Das der Musik und der Sprache Gemeinsame aber, das, worin sich auch die Einheit von Musik und Vers bekundete, ist der Rhythmus. In der Chorlyrik, die getanzt wurde, war er außerdem auch der Rhythmus des Tanzes. So verbindet sich Rhythmus, Sprache, Vers, Musik und Tanz und wird dadurch zum Träger unserer Darstellung.1
Weil die altgriechische Sprache lange und kurze Silben voneinander unterscheidet, liegen Sprechen und Singen näher beieinander als in den modernen westlichen Sprachen: „It is easy to understand why time-duration was recognized in spoken verse if it is borne in mind that in early Greek times there was no distinction between poetry and song.“2 Alle altgriechische Lyrik war gesungene Lyrik. Georgiades spricht von der Quantitätsrhythmik des Altgriechischen als einem musikalischen ‚Klangleib‘, der die „konkrete technische Voraussetzung“3 der ganzheitlichen mousiké darstellte. Anders als als Georgiades gehen Altphilologen heute davon aus, dass der altgriechische Versrhythmus durchaus musikalische Spielräume kannte. Auch im Altgriechischen ist der Rhythmus also nicht ausschließlich vom quantifizierenden Metrum vorgegeben, sondern entfaltet sich erst in der rhythmischen Performance. Die Verteilung von Hebungen und Senkungen muss variabel gewesen sein, um die rhythmische Bewegung des Chores überhaupt zu ermöglichen. Eine weitere Variation wurde durch die Verteilung von Pausen (rests) eingeführt.4 Die Rhythmisierung der Verse wird durch eine externe Instanz bestimmt: „there must be an outside agent to provide or shape rhythm by arranging the parts.“5 Diese externe Instanz ist die Aufteilung der Silben in ‚Füße‘. Obwohl Georgiades’ Ansichten zur Musikalität der altgriechischen Sprache also mittlerweile nuanciert worden sind, geht man weiter von einer engen Bindung von Tanz und Versrhythmik aus.6 So wurden Chorgesänge oder auch die Oden Pindars tatsächlich unter Vollzug körperlicher Bewegung vorgetragen. Diese Chorbewegung spiegelt sich in der
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Thrasybulos G. Georgiades: Musik und Rhythmus bei den Griechen. Zum Ursprung der abendländischen Musik, Hamburg 1958, 7. Lionel Ignacius Cusack Pearson: „Introduction. The Greek Theory of Rhythm: Aristoxenus and Others“, in: Aristoxenus, Elementa rhythmica. The Fragment of Book II and the Additional Evidence for Aristoxenean Rhythmic Theory, hg. von Lionel Ignacius Cusack Pearson, Oxford 1990, xxiii–liii. Hier: xxix. Thrasybulos G. Georgiades: Der griechische Rhythmus. Musik, Reigen, Vers und Sprache, Hamburg 1949, 135. Siehe Lionel Ignacius Cusack Pearson: „Introduction“, xxxiiif. Ebd., xxxv. A.P. David: The Dance of the Muses. Choral Theory and Ancient Greek Poetics, Published to Oxford Scholarship Online: Sep-07, Oxford 2006, 8f.
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Terminologie vom Fuß des Verses, der eine Hebung (Arsis) und eine Senkung (Thesis) umfasste.1 The substance of ancient Greek poetical composition is rooted in the physicality of dance. The dynamism of ancient verse is born in the interconnection between the rhythm felt in the measured vigour of dancing feet, on the one hand, and that harmony whose instrument is the human voice and whose material is the accentual melody of Greek words in the flexibility of their order.2
Es scheint verlockend, den Poesiefilm als Entwicklung einer neuen mousiké unter den Bedingungen audiovisueller Medialität aufzufassen. Werden nicht Rhythmen der körperlichen Bewegung mit den Rhythmen des Verses in seiner lautlichen Performance vereint? Bei näherer Betrachtung beruht jedoch die Kombination von Tanz, Musik und gesprochener Dichtung im Poesiefilm gerade auf der historischen Spaltung der mousiké in Dichtung und Musik: Aus der ursprünglichen Einheit ist eine Zweiheit geworden; aus der Musiké sind Dichtung und Musik entstanden. Erst jetzt, erst innerhalb der abendländischen Geschichte, ist es möglich geworden, Musik und Sprache streng voneinander zu trennen. Von nun an besteht aber auch, gleichsam als Erinnerung an den gemeinsamen historischen Ursprung, die Sehnsucht der einen nach der anderen, die Neigung sich gegenseitig zu ergänzen. Was aus dieser Verbindung jeweils hervorgeht, hat jedoch mit der antiken Musiké nichts gemein.3
Hierin ist jedoch auch die Spannung und die Produktivität begründet, die aus einem Zusammentreffen von Musik, Sprache und Tanz mit ihren unterschiedlichen rhythmischen Strukturen in den heutigen audiovisuellen Erscheinungsweisen des Poesiefilmes hervorgeht.
3.3.3 Rhythmus in Film und Video Die Beschäftigung mit dem Rhythmus ist im Bereich des Filmes von Anfang an ein wichtiges Thema gewesen. In den ästhetischen Schriften der Avantgarde wird er vor allem im Zusammenhang mit der Montage zu einem zentralen Problem.4 Besonders Sergej M. Ejsenštejn geht in seiner wirkmächtigen Montagetheorie ausdrücklich auf das Phänomen des Rhythmus’ ein. Dynamik entsteht demzufolge durch die mechanisch produzierte Spannung, einem Rhythmus, der sich im Aufeinandertreffen voneinander unabhängiger Aufnahmen bildet.5 Gerade die Unregelmäßigkeit, die die Einzelheiten in 1 2 3 4 5
Thrasybulos G. Georgiades: Musik und Rhythmus bei, 37. A.P. David: The Dance of the, 22. Thrasybulos G. Georgiades: Der griechische Rhythmus Musik, 53. Siehe Diedrich Diederichsen: „Montage/Sampling/Morphing“. „Das konturelle Nicht-Übereinstimmen des im Gedächtnis eingeprägten ersten Bildes und des dann wahrzunehmenden zweiten Bildes – der Konflikt beider – gebiert die Bewegungsempfindung, den Begriff des Ablaufens einer Bewegung. Der Grad der Nicht-Übereinstimmung bestimmt die Ein-
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in Konflikt zum Regelsystem setzt, erzeuge Spannung. Hier sieht Ejsenštejn eine Ähnlichkeit zur Poesie, die aus diesem Prinzip ihren „ganzen Reiz“1 ziehe. Nicht auf traditionelle lyrische Formen stütze sich die poetische Anziehungskraft, sondern eben gerade auf den Konflikt zwischen dem Metrum und der Verteilung von Akzenten, die das Versmaß überschreiten.2 Aus der von Ejsenštejn und anderen beobachteten Äquivalenz zwischen dem Spannungsverhältnis Metrum/Rhythmus in Lyrik und Film ergeben sich interessante Ansatzpunkte für die Analyse von Poesiefilmen. Es wäre herauszuarbeiten, wie sprachliche und bildliche Rhythmen zusammenwirken oder auch gegeneinander ankämpfen. Poesiefilme verfahren in der Anordnung des Bildmaterials anders als Spielfilme, da sie im Prinzip auf narrative, kontinuierliche Montagetechniken verzichten können. Dies äußert sich häufig in einem sehr markierten, diskontinuierlichen Montagestil, der den Schnitt eher betont, als gekonnt überspielt. Auch in der Ästhetik der Avantgarde-Filmemacherin Germaine Dulac nimmt Rhythmus eine zentrale Position ein: Les images composées comme les mots dans une phrase sont coupées, opposées, juxtaposées dans un rythme exclusif au cinéma: et qui en fait une nouvelle expression d’art, une traduction inédite de la vie intérieure; c’est en cela surtout que le cinéma est merveilleux: le seul chock des images peut traduire tous les états d’âme.3
Einen diskontinuierlichen Montagestil weist neben dem Avantgarde- und Experimentalfilm auch das Musikvideo auf, wo Rhythmus aufgrund der dominierenden Rolle der Musik zu einem zentralen Gestaltungsprinzip wird. Bei der zunächst allzu offensichtlich erscheinenden Analogie zwischen musikalischem und visuellem Rhythmus besteht allerdings die Gefahr, die Komplexität des Gegenstandes aus dem Blick zu verlieren. Der Musikwissenschaftler Nicholas Cook, der das Zusammenspiel von Musik und Bildern im Musikvideo eingehend untersucht, betont, dass sich der rhythmische Charakter eines Filmes aus verschiedenen Parametern zusammensetzt. Dazu sind nicht nur der Schnitt, sondern auch Kamerabewegungen (wie Fahrten und Schwenks), Zooms sowie Bewegungen innerhalb des Bildes zu zählen.4 Hinzu kommen Veränderungen der
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drucksintensität, bedingt die Spannung, die zum eigentlichen Element des Rhythmus’ im Zusammenhang mit dem darauf folgenden wird.“ (Sergej Ejsenštejn: „Dramaturgie der Film-Form“, 281). Ebd., 278. Siehe ebd. Germaine Dulac: „Images et Rhythmes“ [Jeudi, 13 Novembre 1924], in: Ecrits sur le cinéma. 1919–1937, hg. von Prosper Hillairet, Paris 1994, 45. „Die Bilder, komponiert wie Wörter in einem Satz, werden geschnitten, gegenübergestellt, entgegengesetzt in einem Rhythmus, der einzig dem Kino eigen ist: und der aus ihm ein neues künstlerisches Ausdrucksmittel macht, eine unbearbeitete Übertragung des inneren Lebens; gerade darin ist das Kino wunderbar: ein einziger Aufprall des Bildes kann alle Zustände der Seele übertragen.“ (Übers. S.O.). Siehe Nicholas Cook: Analysing Musical Multimedia, Oxford 1998, 143.
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Lichtverhältnisse und Einblendungen graphischer Elemente und Schriftzüge.1 Alle diese visuellen rhythmischen Elemente werden nun wiederum mit verschiedenen musikalischen Rhythmusparametern in Beziehung gebracht. Zweifellos handelt es sich bei Musikvideos in den meisten Fällen um „polyrhythmische Gebilde“2, bei denen nur äußerst selten eine rhythmische Verdopplung der Musik auf der visuellen Ebene anzutreffen ist.3 Da Rhythmus sowohl der Lyrik als auch im audiovisuellen Metrum ein wichtiges ästhetisches Mittel sein kann, liegt es nahe, sich dem Poesiefilm auch über dieses Kriterium anzunähern. Dabei kommt es darauf an, strukturelle rhythmische Analogien herauszuarbeiten, indem beispielsweise die Binnengliederung eines Textes mit Bildgruppen, der Sprechrhythmus oder das Metrum mit dem Schnitt verglichen werden. Rhythmus entsteht in literarischen Texten auch auf einer Makroebene, auf der die Einteilung in Segmente wie Verse und Strophen eine gewisse Regelmäßigkeit erzeugen kann. Auf einer Makroebene der Strukturierung von Segmenten lässt sich diese Erscheinung auch im Film beobachten, wo durch Einstellungswechsel rhythmische Gliederung erzeugt wird.4 Dabei ist wiederum zu bemerken, dass nicht der Schnitt allein den Rhythmus vorgibt, sondern das Alternieren von ähnlichen Filmbildern, Kamerabewegung, Beleuchtungswechsel oder Bewegungen innerhalb dieser Bilder hinzutreten kann. Es gilt, was Irmela Schneider für die Literaturverfilmung insgesamt herausgearbeitet hat: Die verschiedenen medialen Texte selbst lassen sich aufgrund ihrer ganz unterschiedlichen materiellen Realisierung nicht direkt vergleichen, doch man kann die Zeichensysteme jeweils auf Analogien im Zeichengebrauch, auf Vergleichbarkeit in ihrer signifikativen Praxis hin befragen.5 Rhythmus prägt nicht nur visuell, sondern ist selbstverständlich auch für das sound design von Film und Video ein wichtiger Faktor, wobei neben sprachlichen Äußerungen und Musik auch alle anderen Klangelemente Rhythmus erzeugen können. Einige Geräusche bestehen ganz oder teilweise aus rhythmisierten Elementen, wie zum Beispiel das Ticken einer Uhr, der menschliche Herzschlag oder ein vorbeifahrender Zug. Zur Beschreibung des Tempos dieser Geräusche behilft man sich als Vergleichsgröße mit dem Atemzyklus (3–5 Sekunden), der nach Barbara Flückiger „am ehesten einer subjektiv empfundenen Zeiteinteilung“6 entspricht. Ebenso bedeutsam ist die Frage nach der Gleichmäßigkeit der Geräusche selbst von „gleichförmig über periodisch ge-
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Siehe Falk Rößler: „Musikvideos. Rhythmus wohin man hört und schaut“, in: Hans-Joachim Laabs (Hg.): Wir gehen multimedial. Kommt ihr mit?, Potsdam 2007, 137–143. Hier: 138. Ebd., 142. Siehe Nicholas Cook: Analysing Musical Multimedia, 163ff. Siehe Isabel Zollna: „Der Rhythmus“, 37. Siehe Irmela Schneider: Der verwandelte Text, 156ff. Barbara Flückiger: Sound Design, 231.
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häuft bis zufällig“.1 Neuere psychoakustische Publikationen bezeichnen rhythmisch auftretende Klangobjekte häufig als „zeitliches Muster (temporal pattern)“2, da sie nicht durch ein musikalisches Metrum beschreibbar sind. Weil eine starke rhythmische Durcharbeitung den Eindruck des Künstlichen hervorruft und die Aufmerksamkeit auf die äußere Faktur lenkt, wird in Spielfilmen nur selten mit forcierten Rhythmen gearbeitet: „Der mimetische Aspekt der Tonspur, der auf die Konstruktion natürlich wirkender Lautsphären ausgerichtet ist, verbietet nachgerade eine allzu offensichtliche regelmäßige Strukturbildung.“3 Anders im Gedichtfilm, wo ähnlich wie bei der visuellen Montage das sound design nicht in die Gestaltung einer filmischen Diegese eingebunden ist und es nicht erforderlich ist, den „Aspekt des Gemachten zu verbergen“4. Den Unterschied zwischen den beiden Weisen des Umgangs mit rhythmischen Strukturen, soll kurz an einem Beispiel verdeutlicht werden. In Musical-Filmen werden beim Übergang einer diegetischen Sequenz in eine Musiknummer manchmal natürliche Rhythmen aus der diegetischen Welt aufgegriffen, die sich dann ganz offensichtlich zu strukturbildenden, „künstlichen“ Rhythmen ordnen. Lars von Triers Film DANCER IN THE DARK (2002) macht ein solches Umspringen von „natürlicher Lautsphäre“ in Musik sogar zum Leitmotiv. Einmal ist es das Rattern eines Zuges, ein anderes Mal der Maschinenlärm in einer Fabrikhalle oder das Schaben eines Zeichenstiftes, das spielerisch in musikalische rhythmische Strukturen überführt wird. Auf der visuellen Ebene spiegelt sich diese Verwandlung ganz im Sinne Karl Philipp Moritz’ im Übergang von zweckgebundenen Bewegungen wie Gehen und Arbeiten in Tanz. Rhythmische Gestaltung ist im audiovisuellen Medium also grundsätzlich auf akustischer und visueller Ebene möglich. Auf visueller Ebene lassen sich die Ebene der visuellen Montage – des Schnitts – und die im Bildkader sichtbaren rhythmischen Bewegungen unterscheiden. Letztere können entweder durch Kamerabewegung erzeugt sein oder von bewegten Objekten im weiteren Sinne ausgelöst werden, etwa durch Bewegungen von Körpern oder Maschinen, Lichtwechsel oder Einblendungen. Auf der akustischen Ebene kann man zwischen rhythmischen Geräuschen, Musik und gesprochener Sprache differenzieren, die jeweils auf ihre eigenen Weise rhythmisch sein können und daher hier unterschieden werden, obwohl jede einzelne der zwischen ihnen verlaufenden Grenzen unscharf ist und problematisiert werden kann. Die visuelle Montage kann darüber hinaus wie eine Klammer jede dieser genannten Ebenen, die für sich genommen rhythmushaltig sein können, in ein polyrhythmisches Gefüge von großer Komplexität zusammenbringen, wobei das Wechselspiel von akustischer und visueller Ebene einen eigenen Rhythmus erzeugen kann. Ein kurzer Überblick soll die Systematik im Folgenden veranschaulichen:
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Ebd. Ebd., 263. Ebd. Ebd.
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Ebenen rhythmischer Gestaltung im Poesiefilm 1)
Visuelle Ebene a) Montage z. B. Schnittfrequenz b) Bild
2)
i)
Objekte, z. B: Tanz, Brandung, Hell-Dunkel
ii)
Kamerabewegung, z. B. Zoom, Schwenk
Montage
Akustische Ebene a) gesprochene Sprache, z. B. Prosodie, Vers, Wechselrede b) Musik c) Geräusche, z. B. Glockenläuten, Zugrattern
3.3.4 Peter Reading: 15TH FEBRUARY Eine besonders sinnfällige Verbindung poetischer und filmischer Rhythmen lässt sich in dem englischen Poesiefilm 15TH FEBRUARY beobachten. Das erste, was an diesem Film auffällt, ist sicher die ungewöhnlich hohe Schnittfrequenz mit der verschiedenes Bildmaterial, darunter Zeichentrick, Collagen und Stop-Motion-Animationen, in schneller Folge wechseln. Die Inhaltsangabe des Filmes lautet passenderweise: „Love gone wrong in 298 cuts“1. Doch der starke rhythmische Eindruck, den der englische Gedichtfilm hinterlässt, entsteht nicht allein durch das Tempo der Bildmontage, sondern durch ganz unterschiedliche rhythmische Elemente, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Regisseur und Animationskünstler Tim Webb produzierte 15TH FEBRUARY nach dem gleichnamigen Gedicht von Peter Reading im Jahr 1995.2 Der Text wurde von Reading selbst eingesprochen und ist als Voice-Over zu hören. Peter Reading ist bekannt für sein Spiel mit Formen und seine unversöhnliche Kombination von drastischen Ausdrücken und klassischen Metren: „As he manages to sound both haughtily fastidious and recklessly insensitive, it is small wonder that he has incurred reprobation […]“3. In 15TH FEBRUARY spricht Reading ein umgangssprachliches, regional akzentuiertes Englisch, das auch Ausdrücke wie „ain’t“ oder „me heart“ enthält. Die sprechsprachlichen Wen-
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Tim Webb: 15th February. Synopsis, 2001, online unter: http://vimeo.com/35060687, zuletzt geprüft am 19.03.2014. Im Folgenden zitiert nach Peter Reading: Collected poems, Bd. I: Poems 1970–1984, Newcastle upon Tyne 1995, 225. Thomas Riggs/Anthony Thwaite: Contemporary Poets, New York 1996, 897.
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Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität
dungen mit ihren Korrekturen, Wiederholungen und Umstellungen1 kontrastieren mit den fünfhebigen, reimlosen Jamben, die den größten Teil des Gedichtes bestimmen. Der Blankvers, altehrwürdiges Versmaß der englischen Literatur, findet sich in Miltons Paradise Lost und natürlich in Shakespeares Dramen. „15th February“ gibt sich zunächst als Liebesgedicht. Bekanntlich wird in den angelsächsischen Ländern am 14. Februar traditionell der Valentinstag als Tag der Liebenden begangen. Ohne eine konkrete Handlung wiederzugeben oder diesen Anlass explizit zu benennen, verweist das Gedicht mit Passagen wie „I tried to put in what I really felt“, „WH Smith’s ain’t cheap“2 oder „The heart was scarlet satin sort of stuffed“ auf den Brauch, der Geliebten eine Valentinskarte als Zeichen und Eingeständnis seiner Zuneigung zu senden. In den filmischen Bildern wird das noch stärker verdeutlicht, indem zum Beispiel der gesamte erste Teil von 15TH FEBRUARY zeigt, wie Briefe frankiert, eingeworfen und ausgestellt werden. Der Titel des Gedichtes markiert den Tag danach. Und so wechselt Reading von der sprachspielerischen Beschreibung des Schreibens und Kaufens einer Valentinskarte ziemlich abrupt zu einem zweiten Teil, in dem in drastischer Sprache von Zurückweisung und Verletzung die Rede ist. Readings Rezitation setzt erst in Minute 2’53 des Filmes ein, doch bereits in den Einstellungen davor entwickelt sich in der Montage eine starke rhythmische Wirkung. Man sieht wiederholt Einstellungen, in denen ein bestimmter Vorgang ausgeführt wird, meist eine kurze einfache Bewegung, die durch ein prägnantes Klangereignis begleitet wird. Alle Einstellungen haben mit dem Thema „Post“ zu tun und zeigen verschiedene Handgriffe und Abläufe, die zum Versenden eines Briefes gehören: die Zustellung durch den Postboten, das Stempeln der Marke, das Anlecken der Marke, des Umschlags, der Einwurf in einen Briefkasten. Dies alles wird gezeigt, ohne dass jedoch die Geschichte eines ganz bestimmten Briefes erzählt wird. Es gibt weder eine zentrale Perspektive, aus der berichtet wird, noch eine Chronologie der Ereignisse. Im Mittelpunkt steht der Rhythmus, der Vorgang des Briefeversendens selbst. Eine solche Darstellung fokussiert aber weniger auf inhaltliche, als auf visuelle und klangliche Ereignisse, die markiert und ihrer Form wegen kompositorisch eingesetzt werden. Die einzelne Einstellung ist nicht Teil einer Erzählung, sondern wirkt zuerst über klangliche und visuelle Eigenschaften, Geräusch und Bewegung. Hier lässt sich ein musikalischer Aspekt der Montage in 15TH FEBRUARY feststellen, der mit den sprachmusikalischen Gestaltungsprinzipien nicht zuletzt der Lyrik durchaus vergleichbar ist. Ein wichtiges Element dieser rhythmischen Montage sind die Klangereignisse auf der Tonspur. Neben dem metallischen Zuschlagen der Briefkastenklappe oder dem dumpfen Knall des Stempels, treten dabei besonders Körpergeräusche in den Vordergrund. Dabei wird das hastige Inhalieren und Ausatmen eines Rauchers, sein trockenes 1 2
Siehe Johannes Schwitalla: Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung, Berlin 1997, 200. „WH Smith’s“ lautet der Name einer bekannten Kette von Schreibwarengeschäften in Großbritannien.
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Husten sowie das Anlecken von Briefmarke und Umschlag in einer extremen akustischen Großaufnahme abgespielt, die stellenweise fast abstoßend wirkt. Diese übergroße akustische Nähe findet seine visuelle Entsprechung in den Einstellungsgrößen, in denen Mund und Zunge fast das ganze Bild ausfüllen. Insgesamt werden Bild- und Tonspur in 15TH FEBRUARY aber durchaus nicht immer miteinander synchronisiert. Einige der Geräusche setzen sich zum Beispiel im Off des Bildes fort und bilden so eine rhythmische Untermalung der ganzen ersten Sequenz. Bei einer einmaligen Rezeption nimmt man die polyrhythmische Eingangssequenz vor allem als durch schnelle Schnitte und markante Geräusche bestimmt wahr. Analysiert man den Film genauer, stellt man jedoch fest, dass diese Sequenz nach einem ganz bestimmten Muster konstruiert ist. Die Einstellungen lassen sich verschiedenen Gruppen zuordnen, innerhalb derer sie einander ähnlich, aber nie vollkommen gleich sind. Mehrere Einstellungen zeigen das Einwerfen eines Briefes, einige einen Stempel, andere das Anlecken der Briefmarke, wieder andere einen Raucher. Insgesamt lassen sich zehn dieser Gruppen unterscheiden. Man hätte den Rhythmus auch allein durch Montage erzeugen können, indem man die Einstellungen nämlich einfach nach einem bestimmten Muster technisch wiederholt hätte. Weil sie aber nicht identisch, sondern, da sie durch einen erneuten Vollzug der abgebildeten Handlung entstehen, nur ähnlich sind, könnte man sagen, dass diese Einstellungen sich visuell ‚reimen‘. Die Parallele zum Reim liegt auch deshalb nahe, weil genau wie beim Reim durch eine bestimmte Anordnung der Kadenzen wiederum eine rhythmische Anordnung der Textstruktur entsteht: das Reimschema. Betrachtet man das ‚Reimschema‘ der Eingangssequenzen von 15TH FEBRUARY, entdeckt man Überraschendes: Am Beginn des Filmes, wo Totalen einer Häuserfront (a) mit Postklappen (b) und Stempeln (c) alternieren, ergibt sich das rhythmische Muster aba bcb a bcb. Danach folgt ein längerer Teil in dem die Einstellungsgruppen Klappe (a), Stempel (b), Rauchen (c), Briefkasten, Briefmarke, Umschlag, Aschenbecher nacheinander ablaufen. Das bedeutet, dass immer sechs bis zehn Einstellungen der gleichen Gruppe gezeigt werden, bevor die nächste Gruppe an der Reihe ist. Interessant ist nun, wie die Übergänge zwischen den Gruppen gestaltet sind. Zunächst folgen eine Reihe von ähnlichen Einstellungen aufeinander, was in etwa dem Haufenreim entspricht, dann jedoch wird eine Einstellung der nächsten Gruppe hereingerückt, so dass das Schema insgesamt wie folgt aussieht: aaaaaababbbbbbcbcccccc etc. So entsteht eine Verkettung der einzelnen Einstellungsgruppen, was den Rhythmus spannender und weniger schroff macht. Die Übergänge sind im Prinzip wie Terzinen gestaltet, bei denen die verschiedenen Reime jeweils kettenartig nach dem Schema ababcbc ineinander greifen.1 Erst am Ende des ersten Teils werden die verschiedenen Einstellungen noch einmal einzeln in eine chronologische Reihenfolge gebracht. Darin lässt sich dann doch
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Siehe Christian Wagenknecht: Deutsche Metrik. Eine historische Einführung, München 1981, 137.
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die Kurzbeschreibung einer Handlung erkennen (ein nervös rauchender Mann schreibt einen Brief und schickt ihn ab), die sozusagen die Vorgeschichte zum gleich darauf anhebenden Gedicht bildet. Ein melodramatisch im Zeitraffer welkender Rosenstrauß bildet den Abschluss der einleitenden Sequenz. Das Prinzip der Neuvariation und Umgruppierung von Einzelelementen bestimmt auch das von Peter Reading gesprochene Gedicht. Aus dem sprachlichen Material eines einzigen Verses werden unter Zuhilfenahme nur weniger zusätzlicher Wörter immer neue Kombinationen gebildet. Aus dem Vers „I tried to put in what I really felt“ entstehen immer andere, sich unmerklich vom Ausgangspunkt entfernende Versionen, in denen die Möglichkeit eines Schreibens als wahrhaftiger Selbstausdruck mehr und mehr in Zweifel gerät. Wenn es schließlich heißt: „What I put in I tried to really feel.“, hat sich die Reihenfolge von Fühlen und Schreiben schon umgekehrt. Statt des Versuchs, das Gefühl in die Schrift zu legen, erscheint es nun, als ob das Gefühl erst dem Geschriebenen gerecht werden müsse. Abgesehen von diesen Darstellungsfunktionen hat das spielerische Wiederholen und Variieren aber auch einen unmittelbar klanglichen Reiz, der mit dem des rhythmisch wiederholenden Bildschnittes durchaus verwandt ist. Die kaum durch ein Suffix beschwerten, frei beweglichen englischen Wörter eignen sich hervorragend für dieses Spiel, das sich im Deutschen durch deklinierte und konjugierte Formen viel schwieriger gestaltet. In Verbindung mit den Bildern wird aber auch eine komische Seite am Gedicht hervorgehoben. Der Text wird Vers für Vers über wackelige Aufnahmen gesprochen, die wohl in einem Einkaufzentrum entstanden sind, und die nach und nach durch verschiedene Techniken verfremdet werden. In den Pausen zwischen den Versen sieht man eine schreibende Hand und ein Blatt Papier in Großaufnahme. In einem Kommentar zum hilflosen Versuch „sich auszudrücken“ werden Kreuze oder sinnloses Gekrakel auf Papier gekritzelt. Animationstricks lassen den Stift in Stücke zerbröseln oder weich wie Wachs werden. In einer dieser Einstellungen zeichnet das Schreibgerät plötzlich nicht mehr auf Papier, sondern strichelt rote Kreuze auf bloße Haut. Die Schreibfläche wird gegen den Körper ausgetauscht, ein visuelles Motiv, das sich in 15TH FEBRUARY wiederholt, ob beim auf die Haut gedrückten Stempel oder bei der Tinte aus Blut. Auch in der zweiten Strophe, die mit einer Trickfilmsequenz verbunden ist, wird das Prinzip der Umstellung und Neukombination beibehalten. Während im Text variantenreich der Kaufpreis von „a thing like that“ im WH Smith’s verhandelt wird, zeigen Zeichentrickanimationen aus subjektiver Perspektive kurze Ansichten von eben diesem Geschäft. Dabei gehört zu jeder Wortgruppe eine ganz bestimmte Bildfolge, die dann auch synchron zu den sprachlichen Umstellungen variiert werden, was natürlich zu Wiederholungen und sprunghaften Wechseln zwischen den Bildern führt. Jeder dieser „Schnitte“ wird durch das Klingeln und Rattern einer Registrierklasse akzentuiert. Die Beschreibung eines Satinherzens („satin scarlet, sort of stuffed”) eröffnet den dritten Teil des Gedichtes. Wie die Bilder zeigen, ist es der Schmuck einer an die Geliebte gerichteten Valentinskarte. Die filmische Montage überstürzt sich von hier an.
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Bilder von verschiedenen Verfallsmotiven, welkende Blumen, Maden, obszöne Collagen und die genüssliche Zerstörung des Satinherzens wechseln in schneller Folge. Doch auch die Rezitation Readings gewinnt an Tempo, Höhe und Akzentdichte. Mit dem empörten „SHE TORE THE STUFFING OUT OF THE SCARLET HEART“ beginnt die Beschreibung des Liebesleids in einer unbeholfenen, zunächst konventionell erscheinenden Metaphorik, in der das Herz die innere Gefühlswelt symbolisiert. Der Gewaltakt an der kitschigen Glückwunschkarte kann so für die Zurückweisung des Liebesantrages stehen, was sogar zweimal ausdrücklich betont wird: „ I sort of felt it was me own heart, like“. So weit so gut. Aber in einer schrecklichen Bewegung kehrt sich die Metaphorik der Verletzung wieder ins Reale um: vom Herzsymbol zum verwundbaren Organ im Körper einer Frau: „tore out her heart stuff scarred her“. Die Umwendung in konkrete, körperliche Gewalt geht einher mit einer Auflösung der Syntax und der Sinnzusammenhänge. Reading treibt sein Gedicht vom klassischen Blankvers ins Gestammel, bis die Sprache schließlich in sinnlose Bruchstücke zerfällt: „Stuffed finger scar ha ha ha ha ha ha“. Nach dem Muster der ersten beiden Strophen geschieht dies durch Umstellungen der Wörter, dann aber auch der Silben und schließlich der Phoneme: […] I sort of stuffed and tore her sort of scarlet. I stuffed her, like, and felt her sort of satin. I sort of felt she tore out all me stuffin. I felt her stuff like satin sort of scarlet her staff felt sore, torn satin satin whorlet scar I tore her satin felt her stuffed her scarlet tore out her heart stuff scarred her Satan har I licked her stiff tore scarf her harlot hair tied scarf tore stabbed scar whore sin sat tit star stuffed finger scar ha ha ha ha ha ha felt stiff scarf tight tore scarlet heart her scare he scare stare stabbed heart scarlet feel torn mur 1
Aus dem in den ersten drei Versen eingeführten Sprachmaterial entstehen durch Permutation und Kombination drastische neue Bedeutungen. Zunächst wechseln die Wörter so die Plätze, dass sich die harmlose Beschreibung der Glückwunschkarte in gewaltsame Sexualität umwandelt: „I stuffed her, like, and felt her sort of satin.“ Dann werden zunehmend auch die Wörter in Silben zerschnitten und zu anderen zusammengesetzt. So entsteht aus „satin“ und „tore“ „sore“, „heart“ und „scarlet“ bilden „harlot“ (Dirne), „heart“ und „tore“ „whore“, von „scarlet“ bleibt „scar“ stehen und so weiter. In einer weiteren Auflösungsstufe werden schließlich sogar die Einzellaute abgetrennt und neu montiert, wodurch Wörter wie „tit“, „sin“, „scare“, „stare“ und „stiff“ entstehen. Die
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Gewaltsamkeit der Sprache wird so noch einmal an ihr selbst vollzogen. Aus den Fetzen wird ein Schal geknüpft, der würgt.1 Irgendwann ist das Gedicht dann bei der Leiche („stiff“) angekommen. Indessen scheint sich auch das metrische Muster, das so klassisch mit Blankversen begonnen hatte, mehr und mehr zu übereilen und aufzulösen. Reading skandiert die nun fast ausschließlich einsilbigen Wörter mit überschnappender Stimme, so dass keine Jamben mehr hörbar sind, fast wie eine Reihe von Zählwörtern. Schließlich schreit er die Satzfragmente stoßweise heraus, zerstückelt wie sie sind: Zerstückelung der Sprache, die sich zu erschreckenden neuen Bedeutungen von aggressiver Sexualität umformt, Zerstückelung der nun in rasender Geschwindigkeit geschnittenen Bilder, erträumte Zerstückelung des begehrten Körpers der Zurückweisenden. Erinnern wir uns: „I tried to put in what I really felt.“ Es geht nicht darum, auszudeuten, ob nun dieser Wunsch in entstellter Form schon immer vorhanden war, so wie in den harmlosen Versen des Beginns die späteren Schmähungen verrätselt und verstellt, aber als sprachliche Möglichkeiten, schon enthalten sind. Nicht einer psychologischen Interpretation, sondern der Zerstückelung als Montageprinzip soll die Aufmerksamkeit gelten. Dieses Prinzip durchzieht auch die visuelle Ebene des Gedichtfilmes im doppelten Sinn. Der dritte Teil ist einerseits durch eine immer höhere Schnittfrequenz unzusammenhängender Bilder geprägt, andererseits wird auch innerhalb der einzelnen Einstellung mit Fotocollagen gearbeitet. Ohnehin sind die filmischen Bilder, die mit der dritten Strophe einhergehen, hauptsächlich flächig und bestehen zum Großteil aus Stop-Motion-Animationen. Das Ineinandergreifen von sprachlichem und Montagerhythmus lässt sich gut an der Schlusssequenz (5’40) des Gedichtfilmes zeigen. Darin hören wir Reading die letzte Zeile seines Gedichtes sprechen, wobei er ähnlich wie man es vom Zählen her kennt, immer neu ansetzt, statt einen Tonhöhenverlauf aufzubauen. Auffällig sind die Binnenreime „hair scare stare“2, die eine leichte Dehnung erfahren und damit betont werden. Jedes Wort wird mit einer Einstellung kombiniert, die zeigt, wie eine Hand das zerstörte Satinherz flickt. In den Pausen zwischen den einzelnen Wörtern erscheint jeweils kurz die Aufnahme eines aus wimmelnden Maden bestehenden Herzens. Das Zwischenschalten eines stummen Bildes verleiht der Sequenz eine ähnlich rhythmische Wirkung, wie ihn ein Wechsel von betonter und unbetonter Silbe im Vers hervorruft. Genau achtmal vollzieht sich diese Alternation bis zum letzten Wort („mur“), das schließlich mit dem Bild der auseinander kriechenden Maden zusammentrifft. In dieser alternierenden Montage kommt es zu einer bildlichen Konfrontation des Prinzips der Suture mit dem Prinzip der Desintegration, die sich im Madenbild verkörpert. Beide werden visuell auf das Symbol des Herzens übertragen. Die Maden eröffnen Assoziati-
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„Scarlet“ und „stuff“ ergibt „scarf“. Abweichend von der Buchausgabe, 15TH FEBRUARY (1995).
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onsräume des Fleisches, der Zersetzung und der Vielzahl und stehen für Desintegration und Entropie. Die nähende Hand illustriert dagegen die schließende Naht der Kultur, die den klaffenden Spalt im Herzen zudeckt und Einheit herstellt. Jenes zweite Prinzip unterliegt in 15TH FEBRUARY.1 So, wie das Gedicht von Anfang an Körperliches betont, arbeitet der Film auch die elementaren Rhythmen des Körpers in den Film ein. Auf der Tonspur sind Herzschläge und ein stoßweises Atem, manchmal das hastige Inhalieren und Auspusten von Zigarettenrauch zu hören. Beide dieser Rhythmen sind nicht an ein festes Zeitmaß gebunden, sondern beschleunigen sich mit der zunehmenden Erregung, Emotionalität und Verwirrung des Sprechers und des Textes. Sie stellen keinen regelmäßigen ‚Grundschlag‘ der menschlichen Existenz dar, sondern sind im Gegenteil, hochgradig variabel und affizierbar durch Wahrnehmung, Vorstellung und Handlung. Diese Rhythmen überschreiten die vermeintliche Grenze zwischen Körperlichem und Geistigen und gehören somit dem Bereich an, den die Phänomenologen „Leiblichkeit“ nennen.
3.3.5 Novalis: „Walzer“ Das Ineinandergreifen klanglicher und visueller rhythmischer Strukturen zählt zu den auffälligsten und stärksten Merkmalen im Poesiefilm. Der ungarische Videokünstler Gábor Bódy hat in seiner Umsetzung von Novalis’ Gedicht „Walzer“ die für den titelgebenden Tanz konstitutiven Bewegungselemente, den Dreivierteltakt, und das Drehen der Paare im Raum, zum Strukturprinzip des Gedichtvideos gemacht. Eine ikonische Funktion des Metrums findet sich schon in den Versen Novalis’, wo die vierhebigen anapästischen Verse mit jambischem Auftakt, den Walzertakt rhythmisch verkörpern. In ihrer Kürze evozieren sie zudem das schnelle und pausenlose Drehen, zu dem das lyrische Subjekt die jungen Tanzpaare auffordert.2 Das Gedicht wird in mehreren Durchgängen von einer männlichen Stimme aus dem Off vorgetragen. Dabei steigert sich von Mal zu Mal die Betonung des Metrums. Bemerkt man in der ersten Version noch kaum die rhythmische Durcharbeitung der Verse, geht der Sprecher bei der Wiederholung zu einer starken Markierung des Metrums über, die schließlich zu einem Skandieren der Verse wird. Etwa ab der Mitte des Videos wird der Walzertakt zusätzlich von einem Synthesizer-Schlagzeug mitvollzogen. Mit dem Einsetzen des Schlagzeugs erscheint zudem ein animiertes Gerippe auf der Bildfläche, das sich im vorgegebenen Rhythmus zu bewegen beginnt. Als Allegorie personifiziert dieser Knochenmann die Todessemantik, die Novalis Gedicht bedrohlich
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Siehe Abbildung 3.9. Die Verse ließen sich auch als „amphibrachische Verse“ beschreiben.
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durchzieht.1 Sie äußert sich vor allem negativ, in der Dringlichkeit, mit der die Freuden des Lebens mit dessen Flüchtigkeit kontrastiert werden. Mit der eingeschobenen Zeitangabe „solang es noch geht“ beschwört das lyrische Subjekt die Adressaten, nicht vom Tanz abzulassen. Die explizite Nennung des „klopfenden Herzens“, verdeutlicht es nochmals: rhythmische Bewegung steht für das Leben, Stillstand aber bedeutet den Tod. Das schlagende Herz, als Anzeichen der vitalen Rhythmen des Körpers, fungiert gleichzeitig als Metonymie für die physische Aktivierung und für die emotionale Affizierung der jungen Paare. Es dient als Kreuzungspunkt biologischer und kultureller Rhythmen. Das Symbol des klopfenden Herzens kann daher als das motivische Zentrum des Gedichtes angesehen werden, von dem her auch Bódy seinen Lyric-Clip strukturiert hat. Auf der visuellen Ebene wird die Drehbewegung in Form einer Papierspirale eingeführt, auf denen die Verse des Gedichtes handschriftlich zu lesen sind. Die Bewegung wird schließlich von Bildern aufgenommen, in denen tanzende Paare in historischen Kostümen an einem Flussufer zu sehen sind. Die Bewegung des Drehens wird mit der des horizontalen Fließens kontrastiert, die einmal durch eine vorbeiziehende Nebelwand in der oberen Bildhälfte, ein weiteres Mal vom in der unteren Bildhälfte dahinströmenden Fluss’ aufgenommen wird. In dieser Bildkomposition erweist sich die Gegenüberstellung von Bewegungen gleichzeitig als Konfrontation zweier Zeitkonzepte: Die vitale, zyklische Bewegung steht dem übergreifenden, linearen Strömen gegenüber, das das unaufhaltsame Vergehen der Zeit symbolisiert. Mit zwei unkonventionellen Einstellungen ergreift der Walzerrhythmus schließlich auch die filmspezifischen Darstellungsmittel. Die erste Einstellung isoliert die von unten durch einen transparenten Boden aufgenommenen tanzenden Füße, die sich im Dreivierteltakt auf der Bildfläche bewegen. Anschließend wechselt das Bild zu einer mit rollender Kamera aufgenommene Draufsicht, die nacheinander die aufwärts blickenden, erhitzten jungen Gesichter der tanzenden Mädchen zeigt. Die rollende Kamera, aufgrund der Verschiebung der Horizontlinie eine stark desorientierende und daher selten eingesetzte Kamerabewegung, erzeugt im Zusammenspiel mit der Musik bei den Betrachtenden ein immer stärker werdendes Schwindelgefühl. Indem es das Prinzip der metrischen Durcharbeitung von den Versen Novalis’ ins audiovisuelle Medium überträgt und dort konsequent weiterführt, zeigt sich das Video tatsächlich als polyrhythmisches Gebilde. Die Bewegung des Tanzes wird hier nicht einfach dargestellt, sondern rhythmisch evoziert. Das Verhältnis von Natur und Kultur, Affekt und Bedeutung, Effekt und Zeichen wird im Gedichtfilm immer wieder implizit aufgeworfen und problematisiert. Nicht nur dort, wo er an die Traditionen der experimentellen Lyrik anschließt, gewinnen Materia-
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Das Glockengeläut, mit dem Bódys Video endet, ist ebenfalls ein Symbol, in dem Todes- und Hochzeitsmotivik pointiert miteinander verknüpft werden.
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lität und Ereignishaftigkeit der Sprache an Gewicht. Performance und Medialität stehen beim Poesiefilm in einem Spannungsverhältnis, das sich nicht als eines der Dichotomie fassen lässt. Sinnliches und Sinnhaftes sind gerade in ihrem Zusammenspiel ein zentraler Reiz der Lyrik, erwächst doch nicht zuletzt aus ihm die ästhetische Evidenzerfahrung, die zum Kern ihrer Gattungsbestimmung gehört.1 Beim Lautwerden (oder Bewegtwerden) des Gedichtes im audiovisuellen Medium erlangen diese Fragen wieder neu an Bedeutung, denn hier multiplizieren sich die Ausdrucksebenen: Das Gedicht gewinnt eine stimmliche, schriftliche und rhythmische Dimension und wird gleichzeitig der Formierung des audiovisuellen Mediums unterworfen.
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Siehe Rüdiger Zymner: Lyrik, 126.
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Text-Bild-Beziehungen im Gedichtfilm
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Gedichtfilm als Wort-Bild-Form
Die allermeisten Filme und erst recht Tonfilme sind durch das Zusammenspiel von Worten und Bildern geprägt. In den letzten Kapiteln habe ich versucht aufzuzeigen, wie sich dieses Zusammenspiel im Fall des Gedichtfilmes von Konstellationen des erzählend-dramatischen Spielfilmes unterscheidet. In ihrer situativen Getrenntheit vom Bild erhalten Worte im Gedichtfilm ein besonderes Gewicht, fast könnte man von einer „Souveränität des Wortes im Gedichtfilm“ sprechen. Diese Aufwertung des Gedichtes, als ein sprachlich verfasstes Kunstwerk, markiert das Wort-Bild-Gefüge – das ein Tonfilm immer darstellt – auf eine Weise, die den Gedichtfilm in die Nähe anderer TextBild-Anordnungen rückt, wie das Emblem, das illustrierte Buch oder die Ekphrasis. Einzelne Elemente sind stärker als im Spielfilm voneinander getrennt und beeinflussen sich gegenseitig in ihrer Medialität und Semantik. Ist in den vorangegangenen Kapiteln versucht worden, das mediale und performative Gegebensein der Gedichte innerhalb der Filme zu analysieren, sollen nun verstärkt semantische Aspekte hinzugezogen werden. Gedichtfilme sollen dabei als filmische Wort-Bewegtbild-Formen untersucht werden. Die Verbindung von Wort und Bild, insbesondere von Dichtung und Malerei, ist Thema einer traditionsreichen Debatte, die sich seit dem berühmten „Ut pictura, poesis […]“1 des Horaz über die Überlegungen Lessings in seinem Laokoon-Aufsatz bis in die semiotische Bildtheorie hinein fortsetzt.2 Das Verhältnis von Wort und Bild ist mit wechselnden Vorzeichen als eines der Konkurrenz, der Inkommensurabilität oder des gegenseitigen Begehrens beschrieben worden.3
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Ars Poetica 361, Quintus Horatius Flaccus: Episteln, übersetzt und erläutert von Christoph Martin Wieland, hg. von Gerhard Wirth, Hamburg 1963, 263. Siehe besonders Laokoon, XIV–XVI, Gotthold Ephraim Lessing: „Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. Erster Teil“, in: Werke. 1766–1769, Frankfurt am Main, 1990, 11–206. Hier: 112ff. Siehe Leonard Barkan: „Picture This“, in: Parnassus: Poetry in Review [0048–3028], 30. Jg., 2006, 419–438.
Gedichtfilm als Wort-Bild-Form
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Wie Kamilla Elliott gezeigt hat, lassen sich Argumentationsfiguren aus der Debatte um Dichtung und Bildende Kunst des achtzehnten Jahrhunderts bis in die im zwanzigsten Jahrhundert geführte akademische Diskussion um Literatur und Film verfolgen. Ebenso wie damals wird mit dem Ziel, die Repräsentationsbereiche der Künste scharf voneinander abzugrenzen, auch im zwanzigsten Jahrhundert mit Bezugnahme auf Lessings Laokoon-Aufsatz argumentiert.1 Dabei wird jedoch die plurisemiotische Beschaffenheit audiovisueller Medien unterschlagen. Tatsächlich greift jede einfache Gegenüberstellung von Literatur/Wort und Film/Bild zu kurz.2 Im Zusammenhang mit dem Poesiefilm sind stets zwei Dimensionen zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen Sichtbarem und Sagbarem bestimmen: Einerseits ist von einer grundlegenden Irreduzibilität des Sichtbaren und des Sagbaren auszugehen. Andererseits stehen dieser radikalen Eigengesetzlichkeit die „gegenseitigen Überkreuzungen, Durchdringungsversuche und ‚Attacken‘ der beiden Register“3 entgegen. Gottfried Willems versucht das weite Feld der Wort-Bildbeziehungen zu ordnen, indem er es in drei verschiedene Ebenen aufteilt. Im ersten Fall sind Wort und Bild in einem einzelnen Artefakt zur „Wort-Bild-Form“4 vereinigt, so wie es in der Collage, im Emblem und auch im Film der Fall ist. Alle Gedichtfilme, die geschriebene oder gesprochene Sprache zur Aufführung bringen, sind natürlich generell schon auf dieser Ebene von Wort-Bild-Beziehungen geprägt. Ein zweiter Weg der Wort-Bild-Verbindung besteht im Austausch von Stoffen und Formen zwischen Wort- und Bildkunst. Damit sind Wechselwirkungen gemeint, bei denen „Inhaltliches“ (Informationsebene) oder bestimmte formale Gestaltungsmittel (Faktur) den jeweils anderen Künsten nachempfunden werden, etwa in der Bildbeschreibung, im Stationenbild oder im filmischen Schreiben.5 Diese Definition entspricht also ziemlich genau dem, was Werner Wolf und Irina Rajewsky unter die Begriffe der Transmedialität (Austausch von Stoffen) bzw. der intermedialen Bezugnahme (Imitation von Formen) fassen, nur mit dem Unterschied, dass Willems ausschließlich Wort-Bild-Beziehungen in den Blick nimmt.6 Wechselwirkungen letzterer Art lassen sich auch in solchen Poesiefilmen vorfinden, in denen selbst gar kein lyrischer Text vorkommt, sondern lediglich einzelne Motive eines Gedichtes oder lyrische Verfahrensweisen in das audiovisuelle Medium übertragen werden und für die ich die Bezeichnung „Adaption“ bzw. „poetischer Film“ vorgesehen habe.7 Besondere Schwierigkeiten erwachsen einmal mehr aus der Übernahme poetischer Verfahren, die nicht direkt an das Wort im Sinne sprachlicher Bedeutung geknüpft sind, wie beispielsweise der Versrhythmus. Handelt es sich bei der Evokation eines jambi-
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Siehe Kamilla Elliott: Rethinking, 6f. Siehe Kapitel 1.4 „Poesiefilm und Literaturverfilmung“. Wilhelm Voßkamp/Brigitte Weingart: „Sichtbares und Sagbares. Text-Bild-Verhältnisse“, in: Wilhelm Voßkamp/Brigitte Weingart (Hg.): Sichtbares und Sagbares, Köln 2005, 7–22. Hier: 12. Siehe Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, in: Wolfgang Harms (Hg.): Text und Bild, Bild und Text, Stuttgart 1990, 414–429. Hier: 415. Siehe ebd. Siehe Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 114. Siehe Kapitel 1.2
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schen Rhythmus’ durch eine bestimmte Montagefolge noch um einen „Austausch von Formen“ oder kann man hier bereits von einer grundlegenderen Nachbildung im Sinne innerer Wort-Bild-Beziehungen sprechen? Zu diesen auf einer dritten Ebene liegenden Konstellationen gehören Formen sprechender Bildlichkeit und des bildlichen Redens. Sie bestehen nicht in konkreten Anleihen an die anderen Künste, sondern werden von Willems als eine Annäherung von Sphären beschrieben: Sie erstrecken sich lediglich auf die fundamentalen Zusammenhänge zwischen den Verfahren mit denen Gegenstände ins Bild gebracht werden, und den Formen bildlichen Redens, zwischen den Formen in denen Bilder sprechen, wie sie die Ikonologie im weitesten Sinne demonstriert, und den Weisen sprachlichen Darstellens sowie vor allem auf den inneren Zusammenhang zwischen diesen beiden Gruppen von Relationen.1
Im Unterschied zu der Nachbildung formaler Verfahren geht es hier also um fundamentale Verfahren der Darstellung, die Bildern und sprachlich verfassten Texten zugeschrieben werden. Betrachtet man die Beispiele, die Willems für die inneren Wort-BildBeziehungen heranzieht, so wird deutlich, dass es sich darüber hinaus um eine historisch wandelbare Größe handelt. Die poetischen Schatzkammern des Barocks, Lessings Laokoon oder die Kontrastmontage des frühen zwanzigsten Jahrhunderts2 verraten jeweils ganz verschiedene Auffassungen darüber, was Worte und Bilder verbindet oder trennt. Die Frage nach den inneren Wort-Bild-Beziehungen ist die Frage nach der ‚Aufgabenverteilung‘; den Funktionszuweisungen, Ausdrucksmöglichkeiten und Beschränkungen, denen Wort und Bild zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt unterliegen. Zusammen mit den technisch medialen Voraussetzungen bilden sie einen Rahmen, in dem sich Wechselwirkungen zwischen Wort und Bildkünsten sowie die konkrete Ausgestaltung von Wort-Bild-Formen vollzieht.3 Dazu gehört nicht zuletzt, ob man die Aufgabenbereiche von Wort und Bild mit einer scharfen Trennlinie versieht, wie es prominent etwa Lessing im Laokoon-Aufsatz tut, oder ob die Bild- und Wortkünste einander angenähert werden, wie in der klassischen Moderne. Gedichtfilme sind Wort-Bild-Formen. Als audiovisuelle Werke, in denen ein Gedicht in mündlicher oder schriftlicher Form realisiert wird, trifft diese Definition jedoch noch in einem engeren Sinne zu. Wort und Bild stehen im Gedichtfilm in einem noch näher zu bestimmenden Verhältnis, das in vielen Fällen von dem in Spielfilmen und den meisten Dokumentarfilmen abweicht. Die Analyse von Wort-Bild-Formen und damit auch von Gedichtfilmen, soll im Folgenden den Ausgangspunkt für die Untersuchung der Wort-Bild-Beziehungen im Poesiefilm bilden, denn in ihnen „müssen alle wesentlichen Gesichtspunkte in Erscheinung treten, auch die, die die Analyse der Wechselbeziehungen von Wort- und Bildkunst bestimmen.“4 In der konkreten Wort-BildKombination des Gedichtfilmes manifestieren sich Austauschprozesse von Formen und
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Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 415. Siehe ebd. Siehe ebd., 417. Ebd., 418.
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Stoffen ebenso wie fundamentale Wechselbeziehungen zwischen Wort und Bild. Einerseits gelangen Stoff oder Motive eines Gedichtes zu visueller Gestaltung, oder es kommt zu Übertragung bzw. Nachbildung formaler Prinzipien des Gedichtes. Andererseits geht hier die lyrische Bestrebung des bildhaften Sprechens in eine tatsächliche filmische Bildlichkeit über. Bei der Analyse von Gedichtfilmen geht es um das Zusammenwirken von Wort und Bild: Eine Form wie das illustrierte Buch als Wort-Bild-Form zu analysieren, heißt methodisch, die Frage in den Mittelpunkt zu rücken, auf welche Weise und mit welchen Ergebnissen Wort und Bild in ihr zusammenwirken, heißt mithin, nach der Integration von Wort und Bild zu fragen.1
Diese Integration findet nach Willems wiederum auf drei Ebenen statt: der der äußeren Faktur, der Inhaltsebene sowie der Ebene der inneren Faktur. Mit der Ebene der äußeren Faktur sind all jene Aspekte bezeichnet, die die technisch-mediale, gestalterische und, wie man hinzufügen kann, performative Zusammenführung von Wort und Bild betreffen. Im Fall des Gedichtfilmes umfasst die Analyse dieser Ebene der Integration all jene Aspekte, die in Kapitel 3 unter dem Stichwort der Ton-Bild-Beziehungen bzw. Schrift-Bild-Beziehungen abgehandelt wurden. Sie erstreckt sich von der Untersuchung der stimmlichen und sprechkünstlerischen bzw. typographischen Präsentation bis hin zu deren räumlicher Anordnung unter den filmspezifischen Bedingungen von Montage und Bewegung. Eine weitere Ebene der Integration betrifft den inhaltlichen Zusammenhang, das heißt die Ebene der Information. Hier ist die Frage zu stellen, „ob Wort und Bild mit ihren je eigenen Mitteln Inhalte aus demselben stofflichen Zusammenhang gestalten und, wenn ja, auf welche Weise“2. Ob sich der Zusammenhang zwischen Wort und Bild inhaltlich eng oder eher lose darstellt, hängt nicht zuletzt von der Funktion ab, die die Elemente in der Wort-Bild-Form übernehmen. Dienen die Bilder beispielsweise in erster Linie dem Schmuck des Werkes, so ist der informationelle Bezug oft gering. 3 Für den audiovisuellen Bereich ließe sich ergänzend das Beispiel extradiegetischer Filmmusik anführen. Sind im Soundtrack gesungene Worte enthalten, so werden im Allgemeinen geringere inhaltliche Überschneidungen mit den Bildinformationen erwartet als etwa beim Kommentar in einem Dokumentarfilm. Auf der Ebene der inhaltlichen Integration von Wort und Bild sind zentrale Fragen einer Debatte um Text-Bild-Verhältnisse angesiedelt, die niemals unberührt von medialer Konkurrenz bleiben; geht es doch um die Frage, wie sich das Bild mit einem vorliegenden Text, wie sich Worte mit einem bestehenden Bild ins Verhältnis setzen. Ein großer Teil der Kritik an Gedichtfilmen und Literaturverfilmungen überhaupt argumentiert mit einer negativen Bewertung der ‚Redundanz‘ von Wort und Bild, die als überflüssige Wiederholung eingeschätzt wird, die sich in einer rein illustrativen Bebilderung erschöpft. Wenn Willems von zwei polaren
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Ebd., 418f. Ebd., 419. Siehe ebd. Zu der von Rüdiger Zymner übernommenen Terminologie von Faktur und Information siehe Rüdiger Zymner: Lyrik, 56.
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Möglichkeiten der inhaltlichen Integration spricht, gibt er ausdrücklich keiner von beiden den Vorzug: „In dem einen Fall, dem der doppelten Gestaltung ein und desselben Inhalts, kehrt das im Wort Gesagte in möglichst vielen Punkten im Bild wieder, im anderen Fall hingegen in möglichst wenigen Punkten.“1 Zwischen den Polen der Verdopplung und Ergänzung sind freilich wiederum fein nuancierte Abstufungen möglich, die sich nach zusätzlichen Kriterien beschreiben lassen. So können Wort und Bild sich wechselseitig auslegen2, kommentieren oder kritisieren. Was es heißt, dass Wort und Bild „ein und denselben Stoff mit je eigenen Mitteln zweimal“3 geben, hängt im Fall des Gedichtfilmes nicht zuletzt davon ab, was man als dessen Stoff oder Gegenstand ansieht. Versteht man darunter nicht nur die sprachliche Information des Gedichtes, sondern das, was durch die Zusammenfügung von Wort und Bild erst entsteht, dann lässt sich von einer Verdopplung eigentlich nicht sprechen. Darüber hinaus wäre zu fragen, inwieweit angesichts der medialen Inkommensurabilität von Wort und Bild überhaupt von einer Redundanz beider Phänomene auszugehen ist. Jedes Bild fügt einen Überschuss an visuellen Informationen hinzu, indem es mehr zeigt als sich mit Sprache sagen ließe und jeder Satz bzw. Vers drückt anderes aus, als es ein Bild vermöchte. Eine vollkommene Identität von Bild und Wort ist also nie möglich. Führt man sich beispielsweise die Visualisierungen des Verses „und dann und wann ein weißer Elefant“ aus Rilkes Gedicht „Das Karussell“ vor Augen, so wird deutlich, dass jeder dargestellte Elefant, indem er ein konkretes Bild ist, das mehr oder weniger schematisch sein kann, das fotografisch, graphisch oder digital erzeugt wurde, sich von einem sprachlich vermittelten Elefanten unterscheiden wird. Genauso lässt sich die temporale Bestimmung „und dann und wann“ nicht in einem einzelnen Bild, sondern nur durch Wiederholung bildlich ausdrücken.4 Wenn im Folgenden also von Redundanz oder Verdopplung die Rede ist, so ist damit die Tatsache gemeint, dass Wort und Bild sich in ihrer Darstellung auf den gleichen Gegenstand oder Vorgang beziehen. Die Frage ist also, um beim Beispiel zu bleiben, ob überhaupt ein Elefant zu sehen ist oder etwas ganz anderes. Für den Gedichtfilm ist eine andere Beobachtung Willems’ noch von größerer Bedeutung: Wenn sich Wort und Bild die Darstellung teilen und es nur wenige inhaltliche bzw. informationelle Überschneidungen gibt, fällt gegenüber den Verfahren der doppelten Gestaltung die „äußere Faktur als Ebene der Integration ins Auge.“5 Willems erklärt diesen Bedeutungszuwachs am Fall der integrierten Wort-Bild-Geschichte:
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Gottfried Willems, „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 420. Siehe ebd., 419. Siehe ebd. Dass Rilke eben jene Zeile auch im Gedicht mehrfach wiederholt, verweist auf das Verfahren der Ikonisierung, das in den Neuen Gedichten zur Anwendung kommt und im Kapitel 4.3 ausführlich behandelt werden soll. Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte/Der neuen Gedichte anderer Teil“, in: Manfred Engel (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Darmstadt 2004, 296–317. Hier: 302. Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 420.
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Denn ein kontingenter Wort-Bild-Diskurs entsteht nur in dem Maße, in dem es gelingt, durch Faktoren wie die Platzierung der textlichen und bildlichen Teile auf der Fläche, die Größenverhältnisse und die optische Pointierung eine eindeutige Zuordnung, ja eine geregelte Abfolge der Elemente zu suggerieren.1
Das Gesagte trifft auch auf audiovisuelle Wort-Bild-Formen zu, in denen keine Redundanz zwischen Wort und Bild hergestellt wird. Dort muss die Ebene der Montage, der Tongestaltung und der Anordnung der Worte im audiovisuellen Rahmen für den Zusammenhang sorgen. Doch auch dann, wenn Wort und Bild inhaltlich lediglich in einem losen Zusammenhang stehen, kommt der äußeren Faktur eine erhöhte Bedeutung zu, der auch analytisch Rechnung zu tragen ist, allerdings aus einem etwas anderen Grund als im geschilderten Fall der Aufteilung des Stoffes. Bei einer großen inhaltlichen Ferne der Worte von den Bildern, findet auf der Ebene der äußeren Faktur zwar keine Fixierung statt, wie sie Willems mit seiner „geregelten Abfolge der Elemente“2 bei der integrierten Wort-Bild-Geschichte avisiert, allerdings rückt die Ebene der äußeren Faktur überhaupt ins Zentrum der Rezeption. Das ‚Wie‘, das Layout oder die Anordnung, sind dann nicht nur Mittel zum Zweck, sondern werden im Sinne einer Verschiebung von Transparenz zu Opazität zur eigentlichen Information der Wort-BildForm. Wenn etwa im Experimentalfilm, Musikvideo oder im Gedichtfilm Bild- und Tonspur inhaltlich und diegetisch unabhängig voneinander zu sein scheinen, so werden sie dafür umso stärker von Verbindungen auf der perzeptiven Ebene zusammengehalten, die durch wiederkehrende Synchronisationspunkte entstehen.3 Im Folgenden soll versucht werden, eine Taxonomie besonders häufiger Wort-BildRelationen im Voice-Over-Gedichtfilm zu entwerfen, dem Typus des Poesiefilmes, in dem Stimme und Bild getrennt vorliegen. Dabei soll die von Gottfried Willems identifizierte Inhaltsebene der Wort-Bild-Beziehungen zunächst im Zentrum der Überlegungen stehen. Wie bereits erwähnt, sind in dem von Willems angedeuteten Spektrum zwischen Ergänzung und Verdopplung eine Vielzahl möglicher semantischer Bezüge zwischen den Worten eines Gedichtes und den Film- oder Videobildern denkbar.4 Am einen Ende des Spektrums befindet sich die Illustration, die sich einer Entsprechung der Informationen von Wort und Bild annähert, da diese auf den gleichen Gegenstand oder Vorgang referieren. Dabei kann es aufgrund von Unterschieden in Ausschnittwahl, Detailfülle und Konkretheit freilich nie zu einer vollständigen inhaltlichen Deckung kommen. Zur Illustration von Gedichten neigen vor allem Animationsfilme,
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Ebd. Dieser entspräche im Fall des Filmes eine Synchronität von Ton und Bild, eine narrative Funktionsbestimmung einer Off-Stimme durch Montagecodes oder ein Dialog in Schuss-Gegenschuss. Siehe Michel Chion: L’Audio-vision, 34. Barbara Flückiger schlägt für solche Synchronisationspunkte die Bezeichnung Akzentuierung vor, da sie eine „Markierung zur zeitlichen Justierung von Ton und Bild“ (Barbara Flückiger: Sound Design, 142) darstellen und so eine rhythmisierende Funktion erhalten. Siehe Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 419.
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die aber aufgrund ihrer darstellerischen Freiheiten oft die Art und Weise der Illustration in den Vordergrund treten lassen. An vielen Beispielen lässt sich etwa ein gesteigertes Interesse für Übergänge, Metamorphosen und Prozesse beobachten.1 Diese Tendenz trifft mit Gestaltungsmitteln zusammen, die sich von der audiovisuellen Montage im Realfilm stark unterscheiden, so dass man von einer eigenständigen Ästhetik sprechen muss, auf die im Rahmen dieser Arbeit leider nicht ausführlicher eingegangen werden kann. Von einer Differenz in den inhaltlichen Wort-Bild-Beziehungen möchte ich sprechen, wenn beide Ebenen nicht auf Gemeinsames verweisen, was Gottfried Willems’ Pol der Ergänzung entsprechen würde. Die semantischen Bezüge, die sich im Falle einer solchen Differenz von Wort und Bild herstellen lassen, sind überaus vielfältig. Eine der auffälligsten Bezugnahmen findet dann statt, wenn Wort und Bild sich in ihren Informationen nicht nur unterscheiden, sondern einen starken thematischen Gegensatz bilden oder einander sogar widersprechen. Gegensätzliche Wort-Bild-Verhältnisse finden sich besonders in solchen Gedichtfilmen, die eine aktualisierende Neuinterpretation eines kanonisierten Gedichtes anstreben oder Worte bzw. Bilder in kritischer oder subversiver Absicht gegen den Strich lesen. Da im Gedichtfilm noch wesentlich häufiger als im Spielfilm mit Voice-Over-Stimmen gearbeitet wird, stellt sich eine kontrastive Beziehung zwischen Gesagtem und Gezeigtem verhältnismäßig einfach her. Die politische Arbeit des Dichters und Medienkünstlers Francesco Levato, WAR RUG (2009), setzt harte Kontraste zwischen einem dokumentarischen Gedicht, das schonungslos Gewalt und Kriegsverbrechen in den Irak-Kriegen beschreibt, und Hobbyfilmeraufnahmen aus den fünfziger und sechziger Jahren, die eine amerikanische Idylle darstellen. Analysiert man Wort-Bild-Beziehungen auf der Informationsebene von Gedichtfilmen genauer, so kann man feststellen, dass in einer großen Zahl der Filme, die sich auf den ersten Blick durch informationelle Differenz auszeichnen, Wort und Bild auf eine spezielle Weise miteinander interagieren, auf eine Weise, die sich mit Begriffen der rhetorischen Tropenlehre erfassen lässt. Wort und Bild können dabei in synekdochischer, metonymischer oder metaphorischer Beziehung zueinander stehen, freilich ohne dass dabei eine Ersetzung stattfindet. Ich möchte dies an einigen Beispielen kurz verdeutlichen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit charakterisiere ich die unterschiedlichen Typen hinsichtlich der Funktion, die die Bilder in Bezug auf die Worte ausüben. Damit ist keine Hierarchisierung in die eine oder andere Richtung verbunden, das Verhältnis ließe sich ebenso gut umkehren und als Wirkung der Worte hinsichtlich der Bilder beschreiben. Ein synekdochisches Verhältnis zwischen Text und Bild besteht dann, wenn die Bilder eine konkrete Darstellung bzw. einen exemplarischen, speziellen Fall dessen zeigen, was im Text mehrdeutig, abstrakt oder allgemein begrifflich gegeben wird. Ein Beispiel für diese im Gedichtfilm recht häufige Form der Wort-Bild-Beziehung ist der Film TO THE MARRIAGE OF TRUE MINDS (2010) in dem Shakespeares Sonett Nr. 116 mit einer Liebesgeschichte zwischen zwei irakischen Flüchtlingen kombiniert wird.
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Siehe Howard Beckerman: Animation. The Whole Story, New York 2003, 188.
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Was die Verse des Sonetts allgemein ausdrücken, vermitteln die Bilder als Spezielles, als Geschichte einer homosexuellen Liebe, die sich über Verfolgung und Hindernisse hinwegsetzt: Let me not to the marriage of true minds Admit impediments; love is not love Which alters when it alteration finds, or bends with the remover to remove.1
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Bilder aus dem Motivbereich des Gedichtes zu wählen, so dass die Bilder in einem metonymischen Bezug zu dem stehen, was im Text genannt wird. Etwa findet sich zu Beginn des Filmes 15TH FEBRUARY2, dessen gleichnamiges Gedicht von der Zurückweisung eines Valentinsgrußes handelt, eine Anhäufung von Einstellungen aus dem Bereich der postalischen Briefkommunikation (Briefbote, Marke, Kasten, Stempel), die mit der erwähnten Valentinskarte direkt zusammenhängen, im Gedicht selbst jedoch keine Erwähnung finden. Eine metonymische Beziehung zwischen Text und Bild liegt auch dann vor, wenn der Gedichtfilm sein grundlegende Bildlichkeit aus dem Themenfeld des Gedichtes schöpft und so dem Gedicht eine Bühne bietet, wie in der videokünstlerischen Umsetzung von Barbara Köhlers MU3 SE:POLYTROP , wo kaum mehr als das mit schwankender Kamera aufgenommene Meer zu sehen ist, das (unter anderem) metonymisch auf Köhlers Odysseus-Umdichtungen bezogen ist. Die metaphorische Beziehung zwischen Text und Bild gestaltet sich im Gedichtfilm als besonders komplex, da bereits auf der Textebene selbst nicht selten Metaphern und Symbole vorkommen. Im traditionellen Verständnis beruht die Metapher auf einer Ähnlichkeit der beiden Terme, die durch ein gemeinsames Drittes (tertium comparationis) verbunden sind.4 Bezogen auf Text und Bild ist hierbei also der Fall gemeint, dass im Bild nicht das zu sehen ist, was im Gedicht genannt wird, sondern etwas anderes, das mit dem Gesagten metaphorisch verbunden ist. Manchmal liegen Text und Bild so weit auseinander, dass sie nicht oder nur schwer miteinander in Beziehung gebracht werden können, vielmehr erweist sich ihre Ähnlichkeit als etwas, das sich im Interpretationsprozess erst herstellt. Was in der modernen Literatur als „kühne Metapher“ bezeichnet wird, ist auch in den Wort-Bild-Relationen des Gedichtfilmes anzutreffen. Auf diese Beobachtung, die hier nur angedeutet werden kann, wird im nächsten Abschnitt des Kapitels zurückzukommen sein, wo der Komplex der „Bildlichkeit“ ausführlich behandelt wird.
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William Shakespeare: Shakespeare’s Sonnets, hg. von Katherine Duncan-Jones/Richard Proudfoot, London 2010, 343. Webb, Tim: 15TH FEBRUARY, mit Peter Reading, GB 1995, Spielfilm, 6:30 min. Siehe die ausführliche Interpretation in Kapitel 3.3. NIEMANDSFRAU: MOVIES (2007). Siehe Bernhard Asmuth: „Metapher“, in: Horst Brunner/Rainer Moritz (Hg.): Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik, Berlin 2006, 259–263. Hier: 260.
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An dieser Stelle sind einige Bemerkungen zur These von der konkretisierenden Funktion des Bildes notwendig. In Bezug auf Gedichtfilme erhält diese vermeintliche mediale Tatsache eine zusätzliche Schärfe, da hier die spezifisch poetische Mehrdeutigkeit des lyrischen Gedichtes gefährdet zu sein scheint. Ralf Schmerbergs POEM enthält eine Verfilmung des Gedichtes „Der Sturm“ von Selma Meerbaum-Eisinger. Das Gedicht schildert das Erblühen einer Knospe und endlich ihr Aufbrechen während einer Sturmnacht. Die Filmbilder zeigen dagegen eine Geburt sowie eine lose Folge von Szenen, in denen ein heranwachsendes Kleinkind zu sehen ist. Haben wir es im Gedicht mit einer Allegorie zu tun, die einen allgemeinen Zusammenhang verbildlicht, so zeigen die dazugehörigen Bilder ein besonderes und einmaliges Ereignis. Die Bilder konkretisieren das potentiell mehrdeutige poetische Bild, indem sie es auf einen ganz bestimmten Zusammenhang übertragen. Dabei kann über das tertium comparationis des Wachstums eine Verknüpfung der Motive „Knospe“ und „Kind“ hergestellt werden. Außerdem wird die Dimension der Fragilität und Gefährdung in die Bilder eintragen. Das Moment der bangen Spannung und deren Lösung, welches das Gedicht in seiner Schönheit auszeichnet, werden auf der Bildebene allerdings ausgelassen. Anders als die gängige Opposition von abstrakter Sprache und konkretem Bild vermuten lässt, führt das Zusammentreffen von Sprache und Bild im Gedichtfilm aber nicht in jedem Fall zu einer Konkretisierung. Vielmehr kann auch auf der Bildebene eine symbolische Ebene eingezogen werden, die jene übersteigt, die im Gedicht angelegt ist. Eine solche Symbolisierung des Textes durch die Bilder stellt eine zur Konkretisierung gegenläufige Möglichkeit dar. In Ralf Schmerbergs Verfilmung von Heiner Müllers „Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen“ beispielsweise wird das nur wenig bildhafte Gedicht als Voice-Over über mit statischer Kamera gefilmte Bilder gelegt, die brennende Brautkleider zeigen. In ihrer symbolischen Überhöhung fügen sie dem Gedicht eine nahezu allegorische Dimension hinzu, die wiederum durch das Gedicht kommentiert zu werden scheint. Allerdings finden Text und Bild nicht in einer bruchlosen Interpretation zueinander. In seinem Aufbegehren gegen die romantische Konzeption einer alles verschlingenden Liebe, gerät das Gedicht sogar in Widerspruch zum Gezeigten, denn die Feuer fangenden Brautkleider verbildlichen einen Anschlag auf die Symbole der konventionellen, institutionalisierten Liebe. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich auch auf der Informationsebene Wort und Bild im Prozess der intermodalen Assoziation gegenseitig modifizieren, wobei vor allem die Textbedeutung auf die Wahrnehmung der Bilder projiziert wird. Das Bild der brennenden Brautkleider wird nicht zuletzt durch den Text symbolisch aufgeladen. Im Kontext des Audiovisuellen sind zwei Erweiterungen dieser Taxonomie nötig, die die Reichweite eines so verstandenen Sichtbaren betreffen. Die erste ergibt sich aus dem Element der Bewegung. Das Sichtbare in Film oder Video besteht nicht nur aus den Motiven, die die Bilder zeigen (ein Gesicht, eine Landschaft), sondern umfasst aufgrund der Temporalität der Bilder auch Effekte von Schnitt und Kamerabewegung, die sich als Bewegung oder Motivwechsel im Bildkader manifestieren. Die Bewegtheit der Bilder hat außerdem zur Folge, dass Beziehungen zwischen Sichtbarem und Sagbarem (Bildern und Gedicht) ständigen Veränderungen unterworfen sind und dass sie aufeinander bezogen werden können, ohne dass sie gleichzeitig präsent sein müssen.
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So, wie visuelle und verbale Elemente jeweils untereinander syntagmatische Beziehungen unterhalten, kann ein einmal geäußertes Wort grundsätzlich mit jedem später sichtbaren visuellen Element in Verbindung treten, solange dies durch entsprechende Rahmung (paratextuelle Markierung eines Stückes oder Abschnittes) motiviert und durch die Gedächtnisleistung der Rezipientenschaft ermöglicht wird. Auf eine zweite Erweiterung machen sowohl Voßkamp und Weingart1 aufmerksam als auch Michel Chion, der in seiner Taxonomie des „raport dit/montré“2 im Kino darauf hinweist. Audiovisuelle Medien konfrontieren sprachliche Äußerungen nicht nur mit Bildern, sondern auch mit Musik und Geräuschen. Chion, der der Stimme und besonders der gesprochenen Sprache im Kino stets eine zentrale Rolle zugewiesen hat,3 unterscheidet demgemäß nicht zwischen Text und Bild, sondern charakterisiert fünf Formen der Beziehungen zwischen Gesagtem und Gezeigtem, wobei mit Gezeigtem sowohl das visuell als auch das akustisch Präsentierte gemeint sind.4 Im Unterschied zu der im zweiten Kapitel verhandelten Frage nach der Ton- oder Schrift-Bild-Beziehung geht es nun um das Verhältnis zwischen sprachlich ausgedrückten Bedeutungen und allen anderen audiovisuellen Zeichen. Zur Diskussion steht mit anderen Worten nicht mehr die Formel: „see a dog – hear a dog“5, sondern die Frage „speak of a dog – show a dog?“. Im Folgenden sollen Text-Bild-Beziehungen im performanceorientierten Gedichtfilm untersucht werden, wo die Sprechenden Teil der visuellen Darstellung sind. Michel Chion unterscheidet also fünf verschiedene Arten, in denen Gesagtes und Gezeigtes aufeinander bezogen sein können. Da seine Systematik auf den narrativen Spielfilm ausgerichtet ist, lassen sich seine Beobachtungen nur mit gewissen Einschränkungen auf den Poesiefilm beziehen. Als „scansion“ (Akzentuierung) bezeichnet Chion Konstellationen, in denen das Gesprochene durch Geräusche, Schnitt oder Kamerabewegung punktiert, unterbrochen oder rhythmisiert wird. Es handelt sich um Effekte der Signifikantenebene (effet de signifiant), die nicht mit einer bestimmten Bedeutung verbunden sein müssen.6 Sie können die Worte jedoch gewichten, hervorheben und segmentieren. Eine zweite Form der Beziehung von Gesagtem und Gezeigtem bildet in der Taxonomie Chions das „creusement“, die Aushöhlung. Sie bezeichnet den Fall, dass auf der Bildebene oder Tonebene etwas Außergewöhnliches geschieht, was aber nicht in die Figurenrede eingeht. Das Ungesagte oder Unbenannte gräbt sich in das Gezeigte wie eine Leere ein, die bis zu „forclusion audiovisuelle“7 reichen kann, die sich an Jacques
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Siehe Wilhelm Voßkamp/Brigitte Weingart: „Sichtbares und Sagbares“, 10. Michel Chion: Un Art sonore, 341. Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: „Akusmatische Extensionen im sonoren Kino. Überlegungen zu Michel Chions Theorie der Audioivison“, in: Maren Butte/Sabina Brandt (Hg.): Bild und Stimme, Paderborn 2011, 66–98. Hier: 76. Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 341. Siehe Barbara Flückiger: Sound Design, 135. Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 342. Ebd.
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Lacans Begriff der forclusion anlehnt.1 Es ist offensichtlich, dass die von Chion so beschriebene Form sich auf eine narrative oder dramatische Verbindung von Gesagtem und Gezeigten bezieht, denn „le non-dit doit avoir un cadre pour être tel.“2 Dieser Rahmen wird am zuverlässigsten von einer filmischen Diegese bereitgestellt, die vorgibt, was überhaupt als außergewöhnlich zu verstehen ist oder nicht und was den Figuren in Anbetracht ihrer jeweiligen Beziehungen untereinander als äußerungswürdig gilt. Wenn in Chions Beispiel, dem Film MAGNOLIA (1999), sich ein Krötenregen über die Stadt ergießt, ohne dass die meisten Figuren auch nur ein Wort darüber verlieren, so lässt sich dies sogar als Anzeichen für eine extradiegetische Kommentarfunktion des Gezeigten interpretieren, das somit im Film als Allegorie wirksam wird. In einem Gedichtfilm stellt es dagegen keine Besonderheit dar, wenn ein Bildmotiv oder Geräusch keine Erwähnung findet. In einem performanceorientierten Gedichtfilm, den der Regisseur Antonello Faretta mit dem Beat-Poeten John Giorno inszeniert hat, ist dennoch so etwas wie ein creusement zu beobachten. Während der Dichter im Vordergrund des mit statischer Kamera aufgenommenen Bildes sein Gedicht „Just say no to family values“ vorträgt, ist im Hintergrund eine alte Frau mit einem Kopftuch zu erkennen, die in keiner Weise mit Giorno interagiert und nicht im Text angesprochen wird. Die Wirkung, die von der Anwesenheit der Greisin auf den Text ausgeht, in dem Exzess und Bindungslosigkeit gefeiert werden, kommt der von Chion entworfenen forclusion audiovisuelle3 bereits ziemlich nah. Mit der Unterscheidung der Formen „contraste“ (Kontrast), „contrepoint“ (Kontrapunkt) und „contradiction“ (Widerspruch) nimmt Chion eine hilfreiche Differenzierung vor, die auch für die Charakterisierung der Text-Bild-Beziehungen im Poesiefilm relevant ist, denn sie kann Begriffe, die andernorts synonym gebraucht werden, auf sinnvolle Weise präzisieren. Ein Kontrast entsteht, wenn zwischen dem Gesagten und dem, was gezeigt wird, eine auffällige thematische Diskrepanz besteht. Dies ist der Fall, wenn in einem Spielfilm banal-alltägliches Gesprochen wird, während Grausames geschieht (PULP FICTION, 1994).4 Ein Kontrast kann sich auf allen denkbaren Ebenen etablieren, etwa zwischen sündhaft und keusch, liebevoll und kühl, zärtlich und grausam, vital und morbide, viel und wenig, stark und schwach etc. Die Beispiele deuten an, dass sich aus dem Kontrast von Gesagtem und Gezeigten das Groteske und das Unheimliche, aber auch das Komische speisen. Der griechische Film ON DEATH (2007) von Anastassios Langis beruht beispielsweise auf einem Gedicht, in dem das lyrische Subjekt der personifizierte Tod selbst ist. Im Film wird es von einem kleinen Jungen von höchstens sechs Jahren gesprochen, was zu einem scharfen Kontrast zwischen Gesagtem und Gezeigtem (Bild und Ton) führt. Einen contrepoint (Kontrapunkt) stellt die Situation dar, dass Figuren etwas sagen, das thematisch gänzlich unabhängig ist von dem, was sie tun oder was um sie herum geschieht. Gesagtes und Gezeigtes stehen dann
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Siehe ebd., 344f. Ebd., 345. „Das Ungesagte benötigt einen Rahmen um als solches zu entstehen.“ (Übers. S.O.). Ebd. Ebd., 345f.
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nicht in einer Beziehung des Gegensatzes oder Widerspruches, sondern verlaufen parallel, nebeneinander her.1 In Gedichtfilmen ist diese Konstellation regelmäßig anzutreffen, nicht nur, wenn man sie wie Chion auf im On gesprochene Figurenrede beschränkt. Performanceorientierte Gedichtfilme wie NICHTS_WEITER_ALS, EPILOG oder ALLES lassen sich in diesem Sinne als kontrapunktisch beschreiben, weil das Gezeigte inhaltlich ganz vom sprachlich vermittelten Text losgelöst ist.2 Die contradiction schließlich ist am stärksten an einen narrativen filmischen Kontext gebunden, denn dabei handelt es sich um die Frage, ob das Gezeigte dem, was gesagt wird, widerspricht; und zwar in dem Sinne, dass sich das Gesagte als unwahr erweist. Dies ist dann der Fall, wenn die Bilder nicht einfach vom Gesprochenen abweichen oder einen starken Kontrast zu ihm bilden, sondern wenn sie die Aussage des Textes direkt dementieren. Dazu ist aber die Etablierung einer Diegese nötig, auf die die Wahrheit oder Unwahrheit sich beziehen lässt. Natürlich können die hier vorgestellten typologischen Darstellungen nur einen ersten Überblick über die Vielfalt möglicher Wort-Bild-Beziehungen auf der Informationsebene liefern. Ebenso wenig sollen sie den Blick darauf verstellen, dass zwischen der Ebene der Faktur und der Information, wenn man deren Trennung einmal heuristisch annehmen möchte, intensive Wechselwirkungen bestehen. Eine genaue Charakterisierung der Verhältnisse zwischen Gesagtem und Gezeigtem lässt sich letztlich nur durch eine detaillierte Interpretation des in Frage stehenden Gedichtfilmes leisten. Dazu ist erneut auf die Bedeutung der inneren Wort-Bild-Beziehungen zurückzukommen, die in der Konstellation Gedicht – Film eine zentrale Rolle spielen, schließlich gilt eine erhöhte sprachliche Bildlichkeit traditionell als Inbegriff eines lyrischen Schreibens.3 Rüdiger Zymner hat diese Ausdrucksweise als zusammenfassend und sogar pauschalisierend kritisiert und charakterisiert ‚bildliche‘ Verfahren wie die Metaphorik als ein „Verfahren der stilistischen Konzision der Faktur“4 sowie als eine Form der semantischen Störung, die jedoch nicht zu den gattungskonstitutiven Merkmalen der Lyrik gehöre.5 Anhand der Analyse eines Gedichtes von Pablo Neruda kommt Zymner schließlich auf die Wirkungen der Metaphorik zu sprechen: „Die Metaphorik versinnlicht die Information, oder besser: Informationen des Gedichtes, und sie sorgt für eine poetische Evidenz, durch die es allerdings eigentlich unmöglich gemacht wird, einen genauen Inhalt zusammenfassend oder referierend mitzuteilen.“6 Die hier erwähnte
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Siehe ebd., 417. Siehe Kapitel 3.1. Siehe Walther Killy: Wandlungen des lyrischen Bildes, Göttingen 1961, 5. Bildlichkeit wird heute meist als ein wichtiges potentielles Merkmal von Lyrik genannt. Siehe Rudolf Brandmeier: „Lyrik“, in: Günther Schweikle/Dieter Burdorf (Hg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, Stuttgart 2007. Hier: 463. Zur Rekonstruktion des Topos von der Poesie als einer Rede in Bildern siehe Ralf Simon: Die Bildlichkeit des lyrischen Textes. Studien zu Hölderlin, Brentano, Eichendorff, Heine, Mörike, George und Rilke, Paderborn, München 2011, 15ff. Rüdiger Zymner: Lyrik, 85. Ebd., 87. Ebd., 86.
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versinnlichende Qualität und die poetische Evidenz des Metaphorischen, die nicht vollständig in sprachliche Formulierungen auflösbar ist, stellen erste Anhaltspunkte für eine Bestimmung sprachlicher Bildhaftigkeit bereit. Ihr soll im Folgenden nachgegangen werden.
4.2
Filmische Bildlichkeit und sprachliche Bildhaftigkeit – zur Problematik der doppelten Relation
Die Analysekategorie der inneren Beziehungen zwischen Wort und Bild führt zur Bildlichkeit oder genauer: Bildhaftigkeit von Sprache, einem Problem, dem sich ohne ein gewisses Verständnis vom Charakter des Bildlichen nur schwer begegnen lässt. Hat man einmal zugestanden, dass der Ausdruck des sprachlichen Bildes selbst bereits eine Metapher ist, stellt sich trotzdem die Frage, welche Eigenschaften einer sprachlichen Äußerung es sind, die diese Redeweise motivieren und stützen. In welchen Punkten kann sich Sprache dem Bild annähern bzw. inwieweit vermag sie Bilder (und Bilder welcher Art) zu erzeugen? Willems’ Definition bildlicher Sprache als „Anschaulichkeit schaffende Mittel der literarischen Rede“1 lässt noch vieles offen. Um intermediale Zusammenhänge präzise charakterisieren zu können, sollte also die Frage nach der Bildhaftigkeit der literarischen Sprache selber untersucht werden und ein Verständnis von der sprachgebundenen Bildlichkeit des Textes gewonnen werden: „In diesem Sinne ist aus der Perspektive der Literaturwissenschaft ein textinterner Bildbegriff die Voraussetzung für die Kopplung von materiellem Bild und Text.“2 Das Wort „Bildlichkeit“ kann bezogen auf Sprache mehrere Bedeutungsschichten haben: Es bezeichnet 1) die Qualität (z. B. Anschaulichkeit) eines sprachlichen oder durch Sprache evozierten Bildes, 2) im engeren Sinn die übertragene Ausdrucksweise (‚sensus allegoricus‘, bildlich, tropisch reden‘) im Gegensatz zur wörtlichen Bedeutung, 3) die Gesamtheit aller Varianten des rhetorisch-poetischen Bildes.3
Eine sprachliche Äußerung wird im Anschluss an die aristotelische Poetik dann als bildlich bezeichnet, wenn sie nicht im herkömmlichen Sinn auf ihr Bezeichnetes referiert, sondern in einem übertragenen, nicht wörtlichen Sinn.4 Als Bilder werden also vor
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Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 421. Ralf Simon/Nina Herres/Csongor Lîorincz: „Vorwort“, in: Ralf Simon/Nina Herres/Csongor Lîorincz (Hg.): Das lyrische Bild, Paderborn 2010, 10–25. Hier: 13. Bernhard Asmuth: „Bild und Bildlichkeit“, in: Gert Ueding/Gregor Kalivoda (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Darmstadt 1992. Hier: 10. Siehe Aristoteles: Die Poetik, griechisch/deutsch, bibliographisch erg. Ausgabe, hg. von Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1994, 1457b.
Filmische Bildlichkeit, sprachliche Bildhaftigkeit
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vor allem rhetorische Figuren und Tropen bezeichnet, die sich wie Metapher, Metonymie, Symbol oder Vergleich eines uneigentlichen Ausdruckes bedienen.1 Im Fall der Metapher, die hier als exemplarischer Fall eines poetischen Bildes diskutiert werden soll, gilt die Ähnlichkeit als Hauptprinzip der Übertragung.2 Ihre Wirkung entsteht dadurch, dass der direkte Ausdruck durch einen anderen Ausdruck ersetzt wird, mit dem er durch das Prinzip der Ähnlichkeit verbunden ist. Die Vergleichbarkeit der beiden Terme wird durch ein gemeinsames Drittes (tertium comparationis) hergestellt, ein Element, das beiden Ausdrücken gemeinsam ist und gewissermaßen die Schnittmenge ihrer Bedeutungen bildet. In der traditionellen Auffassung werden Bilder im Sinne rhetorisch-poetischer Tropen also über Uneigentlichkeit und Ähnlichkeit erklärt. So nähert Quintilian die Metapher dem Gleichnis: „Im Ganzen aber ist die Metapher ein kürzeres Gleichnis und unterscheidet sich dadurch, daß das Gleichnis einen Vergleich mit dem Sachverhalt bietet, den wir darstellen wollen, während die Metapher für die Sache selbst steht.“3 Das Prinzip der Ähnlichkeit ist es auch, das lange als wichtigstes Verbindungsglied zwischen sprachlichen Bildern und konkreten visuellen bzw. medialen Bildern galt. Obwohl sich die Ähnlichkeit bildlicher Rede auf der Ebene der Zeichen bewegt und nicht die Relation von Zeichen und Bezeichnetem berührt wie beim Bild, sprach man der bildlichen Rede aufgrund dieser Analogie eine größere Anschaulichkeit zu, die sie mit dem Bild gemeinsam haben sollte.4 Eine solche Auffassung wird auch durch eine spätere Unterscheidung unterstützt, die auf die pragmatische Semiotik von Charles Sanders Peirce zurückgeht. Peirce differenziert drei verschiedene Typen bzw. Klassen von Zeichen nach ihrer Objektbeziehung. Während Symbole Ideenassoziation oder habituelle Verbindungen zum Bezeichneten unterhalten, stellen die Ikone oder diagrammatischen Zeichen eine Ähnlichkeit oder Analogie zum Bezeichneten aus. Als Beispiele für solche Ikone nennt Peirce unter anderem die Bilder. Die dritte Klasse von Zeichen, die indexikalischen Zeichen, besitzt dagegen eine reale Verbindung zum Objekt.5 Zu ihnen gehören Spuren, das Thermometer oder der Wetterhahn, aber auch Fotografie und Analogfilm besitzen indexikalische Anteile. Peirce differenziert genauer gesagt zwischen drei Arten von „Drittheit“6 oder Repräsentation. Als eine „relativ echte Drittheit“ bezeichnet er das Symbol; „eine rela1 2 3 4 5
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Urs Meyer: „Bilder/Tropen“, in: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände – Konzepte – Institutionen, Stuttgart 2007, 97–110. Hier: 97. Siehe Bernhard Asmuth: „Metapher“, 260. Quintilian, „VIII, 6“, in: Institutionis Oratoriae. Ausbildung des Redners, Zwölf Bücher, hg. von Marcus Rahn, Darmstadt 1975, 1–76. Hier: 8. Ebd. Quintilian „VIII 6“, 19. Siehe Charles Sanders Peirce: „One, Two, Three. Fundamental Categories of Thought and Nature“, in: Peirce on Signs. Writing on Semiotics by Charles Sanders Peirce, hg. von James Hoopes, Chape Hill, London 1991, 180–185. Hier: 181. Charles Sanders Peirce: „Aus den Pragmatismusvorlesungen“ (1903), in: Schriften II. Vom Pragmatismus zum Pragmatizismus, aus dem Amerikanischen von Gert Wartenberg, hg. von Karl-Otto Apel, Frankfurt am Main 1970, 299–388. Hier: 324.
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tiv reaktionshafte Drittheit oder eine Drittheit von weniger hohem Repräsentationsgrad“1 stellt der Index dar und schließlich beschreibt er das Ikon als eine „relativ qualitative Drittheit oder eine Drittheit höchster Degeneration“2. Der Terminus ‚degeneriert‘ im Gegensatz zu ‚echt‘ bezieht sich allein auf die dyadischen bzw. triadischen Zeichenrelationen und fragt danach, ob sie unabhängig von der Existenz der anderen Glieder bestehen können. ‚Doppelt degeneriert‘ bedeutet demnach, dass das Ikon unabhängig von der aktuellen Existenz eines Korrelats und eines Interpretanten seinen potentiellen Zeichencharakter behält, „d. h. sie sind potentielle Bilder oder Modelle allein aufgrund ihres qualitativen Soseins (Erstheit!).“3 Was man gemeinhin als Analogiebeziehung oder Ähnlichkeit des ikonischen Zeichens darstellt, ist also die Tatsache, dass der Zeichencharakter des Ikons auf Eigenschaften beruht, die es unabhängig von Interpretant und Objekt besitzt: „Das Ikon ist ein Repräsentamen, das die Funktion eines Repräsentamens kraft einer Eigenschaft erfüllt, die es für sich genommen besitzt, und es würde genau diese Eigenschaft auch besitzen, wenn sein Objekt nicht existierte.“4 Die in den neunziger Jahren unter anderem durch den Kunsthistoriker Gottfried Boehm mitbegründete Forschungsrichtung der Bildwissenschaften erklären das Phänomen des Bildes nicht mehr in erster Linie mit einer Ähnlichkeit zwischen Zeichen und Bezeichnetem, sondern als Effekt einer deiktischen Praxis, die über den Zeichencharakter hinausweist. Diesen neueren Bildtheorien, die im Gefolge dieses sogenannten iconic turn entwickelt wurden, geht es darum, den Charakter des Verhältnisses vom Bild zu dem, was es darstellt, neu zu bestimmen. Statt eine Ähnlichkeit anzunehmen, soll die Ikonizität des Bildes als Vorgang eines Zeigens gefasst werden: Bilder gibt es nicht ohne ‚ikonische Differenz‘ die Frage ist aber, wie diese zu verstehen und zu beschreiben ist. Allein wenn es bei der Beantwortung der Frage gelingt, in der ‚ikonischen Differenz‘ auch eine Stärke der Bilder zu sehen, ist der platonische Verdacht zu entkräften. Eine in diese Richtung zielende Antwort, formal und neutral genug, um den Fallstricken der Abbildungsvorstellung zu entgehen, kann sein, dass Bilder etwas zeigen und dass sie in ihrem Wesen durch den Sachverhalt des Zeigens bestimmt sind.5
Bilder lediglich als Abbilder zu betrachten, die auf einen hinter ihnen liegenden Text verweisen, zeugt von einem schwachen Bildbegriff, der das Bild ganz in den Dienst der Illustration stellt.6 Dagegen verortet Gottfried Boehm das Bild in der „Sphäre des nicht1 2 3
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Ebd. Ebd. Karl-Otto Apel: „Peirces Denkweg vom Pragmatismus zum Pragmatizismus“, in: Charles Sanders Peirce: Schriften II. Vom Pragmatismus zum Pragmatizismus, aus dem Amerikanischen von Gert Wartenberg, hg. von Karl-Otto Apel, Frankfurt am Main 1970, 11–21. Hier: 82. Charles Sanders Peirce: „Aus den Pragmatismusvorlesungen“ (1903), 324, Hervorhebung S.O. Für eine Kritik dieser Auffassung aus der Perspektive der Semiotik siehe Umberto Eco: Einführung in die Semiotik, Übers. Jürgen Trabant, München 2002, 200. Günter Figal, „Bildpräsenz. Zum deiktischen Wesen des Sichtbaren“, in: Gottfried Karl Boehm/Sebastian Engenhofer/Christian Spies (Hg.): Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren, München 2010, 54–71. Hier: 55. Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 43.
Filmische Bildlichkeit, sprachliche Bildhaftigkeit
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nicht-Propositionalen“1 und fordert, bei aller Anerkennung der begrifflichen und sprachlichen Überformung von Bildern, ihr „deiktisches Potential freizulegen.“2 Es geht also zunächst einmal darum zu verstehen, wie ein Bild in seiner konkreten materiellen Beschaffenheit etwas anderes darstellen kann. Boehms Interesse setzt damit an einem Punkt vor den traditionellen Fragen der Ikonographie ein; dort, wo das Bild überhaupt etwas zeigt. In seinem Ansatz „wird die das Bild konstituierende Differenz als Akt des Zeigens ausgedeutet, in dem das materielle Substrat in Sinn umspringt.“3 Denn obwohl Bilder sich auf ein materielles Substrat zurückführen lassen, gehen sie doch in ihrer Materie nicht auf. Sie zeigen stets etwas anderes als ihre eigene Dinglichkeit und sind daher von jener spezifischen Differenz durchzogen, die Boehm als „ikonische Differenz“4 bezeichnet: „Sie begründet die Möglichkeit, das eine im Lichte des anderen und wenig Striche beispielsweise als eine Figur zu sehen.“5 An Monets Gemälde der Kathedrale von Rouen (1894) verdeutlicht Boehm, was unter dem Begriff der ikonischen Differenz zu verstehen sei. Beim Betrachten dieses Bildes spaltet sich die Aufmerksamkeit und konzentriert sich einerseits auf die Ansicht des dargestellten Gebäudes und andererseits auf das „Kontinuum farbigen Lichts, das das Gegenständliche begleitet und umhüllt.“6 Beides sind jedoch bildbegründende Aspekte, die im Blick Blick ihre Synthese als „Verschränkung von Figuration und Grund“7 erfahren. Das Bild Bild ist somit immer ein Zusammenspiel aus Bestimmtem und Unbestimmtem und eben daraus speist sich dessen „Bestimmungskraft“8: „Die ikonische Differenz vergegenwärtigt eine visuelle Kontrastregel, in der zugleich ein Zusammensehen angelegt ist. Ikonische Synthesen sind bereits in der Struktur unserer Wahrnehmung angelegt.“9 Das Das Theorem der ikonischen Differenz ist so formuliert, dass es verschiedene bildkonstitutive Verhältnisse bündeln kann, wie etwa das Verhältnis von Fläche und Tiefe, von begleitender und fokussierender Wahrnehmung oder von Opazität und Transparenz.10 Das Modell der ikonischen Differenz wird durch die These ergänzt, dass Bilder auf einem doppelten Zeigen beruhen, in dem sie gleichzeitig sich selbst und etwas anderes zeigen.11 Dabei sehen wir die Bildhaftigkeit des Bildes mit, denn das Sehen eines Bildes schließt eine Wahrnehmung der Leinwand (und, so müsste man ergänzen, des Bild-
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Ebd., 15. Ebd. Ebd., 16. Gottfried Boehm: „Die Wiederkehr der Bilder“, in: Gottfried Boehm (Hg.): Was ist ein Bild? Paderborn 2006, 11–38. Hier: 30. Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 37. Ebd., 47. Ebd., 48. Ebd., 49. Ebd. Siehe Gottfried Boehm: „Die Wiederkehr der Bilder“, 32f. Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 19.
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Text-Bild-Beziehungen
schirms) mit ein. Diese begleitende Wahrnehmung unterscheidet das Bildsehen sowohl von der Illusion, bei der der Bildstatus übersehen wird (trompe l’œuil), als auch von der „fokussierten Wahrnehmung von Leinwand plus Pinselstrichen, bei der das Bild auseinanderfällt.“1 Günter Figal fasst den Prozess der Abbildung als Vorzeigen eines Schemas. Als variables Set gemeinsamer Merkmale ermöglicht dieses Schema dem Betrachtenden eine Identifizierung des Dargestellten.2 Bilder unterscheiden sich allerdings in der Art und Weise ihres Zeigens voneinander. Während ein funktionales (rhetorisches) Bild die Aufmerksamkeit auf das vorgezeigte Schema lenkt, gibt es Bilder, die sich zeigen, in dem Sinne, dass sie sich als Bilder präsentieren: „Die Zeigemöglichkeiten sind so gestaltet, dass das Bild in seiner Komposition und seinen Farben als Bild offenbar ist.“3 Wie wirkt sich ein so verstandener Bildbegriff, der das Bild über sein doppeltes Zeigen bestimmt, auf die inneren Wort-Bild-Beziehungen aus? Ließe sich eine Bildlichkeit der Sprache auch über die Tendenz zur Aktivierung einer „ikonischen“ Differenz ansetzen? Die hier vorgetragenen Überlegungen sollen diesen Implikationen des von Boehm vorgeschlagenen Bildbegriffs Rechnung tragen, indem die Bildhaftigkeit der Sprache nicht primär über Ähnlichkeit erklärt wird, sondern über das Zeigen, das durch eine Kontrastregel ermöglicht wird. Ich möchte folglich dann von sprachlicher Bildhaftigkeit sprechen, wenn sich eine Äußerung oder ein Text durch ein Verhältnis der Differenz auszeichnet – einer Differenz zwischen den in der sprachlichen Figur zusammengerückten Vorstellungen, durch die sich ein Spielraum von Bedeutungen herstellt. Ähnlichkeit wäre demgemäß eher das mitunter überraschende Resultat als der Ausgangspunkt für das Funktionieren eines sprachlichen Bildes.4 In ähnlicher Weise argumentiert auch die Interaktionstheorie der Metapher, die der Philosoph Max Black 1978 als Gegenmodell zu den vorherrschenden Substitutionsund Vergleichstheorien vorgeschlagen hat. Nach dieser an Überlegungen des Literaturwissenschaftlers I.A. Richards anknüpfenden Auffassung verbinden sich in der Metapher zwei Vorstellungen, die miteinander in einer aktiven Wechselwirkung stehen. Dass die Bedeutung der Metapher das Resultat einer Interaktion zwischen einem Wort und seinem neuen Kontext ist, setzt voraus, dass beide Bedeutungen als getrennt voneinander wahrnehmbar bleiben.5 Black erklärt eine metaphorische Aussage also über das Zusammenwirken zweier unterschiedener Gegensätze bzw. Systeme von Dingen. Auf einen Hauptgegenstand wird ein System von „assoziierten Implikationen“6 angewandt, das dem untergeordneten Gegenstand zugehörig ist: „Die Metapher selegiert, betont, unterdrückt und organisiert charakteristische Züge des Hauptgegenstands, indem sie Aussagen über ihn einbezieht, die normalerweise zum untergeordneten Gegenstand 1 2 3 4 5 6
Michael Polanyi: „Was ist ein Bild?“, in: Gottfried Boehm (Hg.): Was ist ein Bild? Paderborn 2006. Hier: 153. Günter Figal: „Bildpräsenz“, 58f. Ebd., 65. Siehe auch Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen 1982, 19. Max Black: „Die Metapher“, 68f. Ebd., 75.
Filmische Bildlichkeit, sprachliche Bildhaftigkeit
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gehören.“1 Ein vergleichbarer Ansatz findet sich auch in Harald Weinrichs Terminologie von „Bildfeld“ und „Bildspender“. Auch Donald Davidson, der die Interaktionstheorie in einigen Punkten kritisiert, unterstreicht die hier entscheidende Aussage über die Effekte der Metapher.2 Die Metapher „makes us notice“3, sie deutet uns etwas an und zwar etwas, was nach Davidson keinen propositionalen Charakter haben muss. Wenn Metaphern nicht über einen speziellen kognitiven Inhalt verfügen, sondern eben dadurch wirken, dass sie uns auf etwas hinweisen, so liegt hierin eine Analogie zum deiktischen Charakter des Bildes. Auch Davidson vergleicht daher die Metapher mit einer deiktischen Geste, einer deiktischen Sprechhandlung und einer Fotografie: „Seeing as is not seeing that. Metaphor makes us see one thing as another by making some literal statement that inspires or prompts the insight.“4 In diesem ‚Sehen als‘, bei dem etwas als etwas anderes gesehen wird, ohne dass es dabei zu einer Verschmelzung oder Aufhebung der Standardbedeutung durch die hinzutretende Bedeutung kommt, liegt die eigentliche Analogie zwischen Metapher und Bild. Sie besteht in der „Simultanität der Geltung und Nichtgeltung der metaphorischen Prädikation“5, die auch eine Voraussetzung für die Bildwahrnehmung darstellt. Auch Gottfried Boehm hat die erhellende Kraft dieser verbindend-kontrastiven Qualität der Metapher für seinen Bildbegriff explizit hervorgehoben: Die Bildhaftigkeit, die uns die Metapher darbietet, läßt sich, Einzelbeobachtungen zusammenfassend, als ein Phänomen des Kontrastes kennzeichnen. Der Kontrast resultiert gerade aus den überraschenden Wortfolgen, aus Brüchen, Inversionen oder unüberbrückbaren geistigen Sprüngen. Was immer sich im sprachlichen Bild fügt, seine innere Differenz wird doch als eine einzige Sinngröße erfahrbar: etwas wird als etwas sichtbar und plausibel. […] In der Bemessenheit des Kontrastes, die Unterschiede zusammensieht, ohne sie auszulöschen, liegt zugleich, was man die Anschaulichkeit des Metaphorischen genannt hat, seine erleuchtende, geistige Kraft.6
Die Anschaulichkeit des Metaphorischen wird also nicht mehr in erster Linie über die Ähnlichkeit erklärt, sondern über die Kontrastwirkung, die sich durch die überraschende Zusammenstellung von Wortfolgen herstellt. Sprachliches und visuelles Bild finden eine Analogie in ihrer inneren Differenz und in der Gleichzeitigkeit, mit der das Differente ‚zusammengesehen‘ wird. Diese in diesem Prozess erzeugte sogenannte Anschaulichkeit ist indessen nicht an eine tatsächliche visuelle Vorstellung oder ein 1 2
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Ebd., 76. Davidson stellt sich gegen die in fast allen Metapherntheorien verbreitete Auffassung, dass die Metapher einen kognitiven Inhalt (cognitive content) besitze, der über ihre wörtliche Bedeutung hinausgeht. Während sie versuchten, die Funktionsweise der Metapher zu erklären, hätten jene Theorien lediglich die Effekte von Metaphern in die Metapher ‚hineingelesen’. (Siehe Donald Davidson: „What Metaphors Mean“, in: Sheldon Sacks (Hg.): On Metaphor, Chicago/Ill. 1993. Hier: 43). Ebd., 44. Ebd., 45. Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol, 23. Gottfried Boehm: „Die Wiederkehr der Bilder“, 29.
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Text-Bild-Beziehungen
Bild vor dem inneren Auge gebunden, sondern selbst schon metaphorischer Ausdruck, der jedoch Konsequenzen für die Begegnung von sprachlicher Bildhaftigkeit und konkreten Bildern hat, wie sie besonders für den Poesiefilm charakteristisch ist. Martin Earle: A Galaxy over there Martin Earles Verfilmung von Tomas Tranströmers Gedicht „Schubertiana“ zeichnet sich durch einen äußerst reflektierten Umgang mit poetischer und filmischer Bildlichkeit sowie ihren Wechselbeziehungen aus. Der zehnminütige Kurzfilm A GALAXY OVER THERE (2010) arbeitet mit Stop-Motion-Animation und Realfilmaufnahmen, die akustisch von Schuberts Streichquintett in C-Dur und einer Stimme begleitet werden, die Passagen aus Tranströmers Gedicht in einer englischen Übertragung rezitiert. „Schubertiana“ setzt mit einer Beschreibung ein, die den Blick auf eine in der Ferne liegende Großstadt richtet. In ihm erscheinen die vielen kleinen Fenster im nächtlichen Dunkel als „a spiral galaxy seen from the side.“1 Der Filmemacher hat darauf hingewiesen, dass das Gedicht mit diesem spielerischen Wechsel von Panorama und Close-up selbst in hohem Maß filmisch sei.2 Die Faszination, die Tranströmers Lyrik auf ihn ausgeübt habe, so Martin Earle, gehe vor allem von ihrer starken Bildhaftigkeit aus: „A Swedish friend showed me one of his poems. What struck me was the amazing visual sense of his poetry – his talent at creating luminously clear images.“3 Sein besonderes Interesse gilt dabei Tranströmers Gebrauch des Vergleichs, den er sehr zutreffend als „surreal“4 kennzeichnet. „Simile is an amazing thing. thing. We use it all the time to describe things we don’t have a name for, and poets use it to inspire us to see familiar thing as if for the first time; from a different angle.“5 Earles Formulierung zeigt in seltener Deutlichkeit, dass der Effekt dieser rhetorischen Figur weniger auf der im Englischen namensgebenden Ähnlichkeit (similarity) als auf der verfremdenden Wirkung beruht, die durch die ungewohnte Zusammenstellung verschiedener Elemente entsteht. Ein außerordentlicher Vergleich dieser Art findet sich auch in „Schubertiana“, ist allerdings nicht in das Voice-Over von A GALAXY OVER THERE übernommen worden. Er umschreibt das existentielle Vertrauen, das in der Musik Schuberts zu finden sei und lautet in der deutschen Übersetzung: „So, wie wenn im Treppenhaus das Licht ausgeht und die Hand – vertrauensvoll – dem blinden Geländer
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Übers. Jöns Mellgren. Zitiert nach: A GALAXY OVER THERE, GB 2010. Juliane Otto/Martin Earle: „It’s a bit like when your team wins the league – Filmmaker Martin Earle on Nobel laureate Tomas Tranströmer“, Interview, online unter: http://lyrikline.wordpress.com/2011/12/07/its-a-bit-like-when-your-team-wins-the-leaguefilmmakermartinearleon-nobel-laureate-tomas-transtromer. Ebd. Ebd. Ebd.
Filmische Bildlichkeit, sprachliche Bildhaftigkeit
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folgt, das durchs Dunkel führt.“1 Das scheinbar so schlichte, in seiner Tiefenstruktur jedoch komplexe Bild kann hier nicht in allen seinen Elementen interpretiert werden. Es soll lediglich darauf aufmerksam gemacht werden, dass gerade die Dimension des Visuellen in diesem Bild zugunsten des Taktilen suspendiert wird, um die Notwendigkeit des blinden existentiellen Vertrauens spürbar zu machen, die in diesem ganz alltäglichen Moment manifest wird. Der ausgeprägte visuelle Charakter von Tranströmers Lyrik stellt auf den ersten Blick eine Herausforderung für eine audiovisuelle Realisierung dar, die auf Gottfried Willems Konzept der inneren Wort-Bild-Beziehungen verweist. Wenn die Worte selbst sich der Anschaulichkeit des Bildes im Sinne einer inneren Bildlichkeit annähern, wie wirkt sich dann die Konfrontation konkreter Bilder auf die Ausgestaltung der Wort-Bild-Beziehungen aus? In diesen und ähnlichen Fragen erweist es sich als ein konkretes Problem der künstlerischen Arbeit, daß in einer Wort-Bild-Form die immanente Bildlichkeit des Worts auf das reale Bild und der immanente Sprachcharakter des Bilds auf das reale Wort trifft, und zwar beides zugleich, unauflöslich ineinander verschränkt. Gerade diese Beobachtung zeigt, wie notwendig es ist, die Phänomene der immanenten Bildlichkeit des Worts und des immanenten Sprachcharakters des Bilds unter dem Begriff der inneren Wort-Bild-Beziehungen zusammenzufassen.2
A GALAXY OVER THERE begegnet dieser Herausforderung der doppelten Relation, indem einzelne poetische Bildelemente aufgegriffen und in spezifisch filmischer Wese variiert werden, wie an zwei exemplarischen Sequenzen gezeigt werden soll. In der Eröffnung des Filmes zeigt das Filmbild einzelne Fenster, die nacheinander im Dunkel aufleuchten. Sie erscheinen synchron mit dem gezupften Streichern und akzentuieren damit gleich zu Beginn die zentrale Bedeutung der Musik. Earle fasst die in Tranströmers Versen angelegte Thematik, den Kontrast zwischen dem zerbrechlich Alltäglichen und dem vertrauensvollen Aufgehobensein im existentiellen Dunkel, in seine eigene audiovisuelle Metapher. In einer Kombination aus Motiven des Gedichtes („coffee cups“, „a spiral galaxy“) entsteht das Bild eines Spiralnebels, zusammengesetzt aus so alltäglichen Dingen wie Geschirr und Besteck, die zu den Klängen Schuberts durch den Weltraum kreisen. Earles Film ist durch die in der ersten Strophe des Gedichtes angelegten Gegensatzpaare strukturiert. Die Oppositionen von nah und fern, innen und außen, groß und klein, alltäglich und transzendent durchziehen auch die Folge der vorüberziehenden Bilder und Geräusche. Während Tranströmers lyrischer Sprecher in der dritten Strophe seine außenstehende Beobachterposition aufgibt und mit der Rückkehr nach Hause mit den Menschen der Stadt zu einem ‚wir‘ verschmilzt, bleibt die filmische Darstellung beim Blick von außen nach innen. Das Bild zeigt erleuchtete Fenster aus der Distanz, durch die man kurze Einblicke in die alltäglichen Verrichtungen der Menschen gewinnt. Eine weitere Sequenz des Filmes wagt den visuellen Vergleich zwischen einem aus großer
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Tomas Tranströmer: Sämtliche Gedichte, aus dem Schwedischen von Hans Grössel, München 1997, 158. Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 421.
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Text-Bild-Beziehungen
Höhe gesehenen Land mit einer Patchwork-Bettdecke, die über einen Schlafenden gebreitet ist.1 Als Ausgangspunkt lassen sich wieder zwei Formulierungen aus dem Gedicht bezeichnen, die zu einem neuen Bild zusammengezogen werden: der federnde Boden auf dem das lyrische Subjekt geht und sein im nächsten Vers thematisierter Schlaf. Im Film wird eine Patchwork-Decke, auf der Felder, Gehöfte und Strommasten zu sehen sind, erst in dem Moment als solche erkennbar, wo die Kamerafahrt zwei nackte Füße ins Bild bringt, die unter ihr hervorlugen. Trotzdem sind Decke und Erdboden gleichzeitig da, keines von beiden ist wirklicher als das andere, oder vermöchte das jeweils andere Bild zu dementieren. Eine visuelle Metapher entsteht, die sich mit den im Voice-Over gesprochenen Versen zu einem Dritten effektvoll zusammenschließt. Auch Sprache, Klänge und Geräusche werden nicht einfach additiv übereinandergeschichtet, sondern treten in ein anmutiges Wechselspiel, in welchem sie sich begleiten, sich antworten und einander ablösen. Ein großer Teil der Geräusche, die in A GALAXY OVER THERE zu hören sind, sind periodisch verteilte Geräusche,2 darunter das Heulen einer Sirene, Glockengeläut, das Rattern eines Zuges; andere sind unregelmäßig aber anhaltend, wie das Weinen eines Babys oder Geschirrklappern. Sie alle verkörpern den „perpetual swell of voices“, der im Gedicht erwähnt wird. Diese Beispiele zeigen, dass A GALAXY OVER THERE ein Verhältnis der Ergänzung zwischen Gesagtem und Gezeigtem anstrebt. Dies ist auch der Grund für bestimmte Kürzungen im gesprochenen Text. Bild und Text sollen nach der Aussage des Regisseurs in ein Gespräch miteinander treten: „And in the final edit some of the most compelling lines of the poem are left out of the voice-over, to prevent things become too rich and to try to create a conversation between voice and image.“3 Die Metapher vom Gespräch zwischen Wort und Bild beweist ein Gespür für die Besonderheiten, die TextBild-Verhältnisse im Gedichtfilm mit sich bringen. Dazu gehört nicht zuletzt die Problematik der inneren Wort-Bild-Beziehungen.
4.3
Zwei Verfilmungen von Rainer Maria Rilkes „Das Karussell“
4.3.1
Rilkes Neue Gedichte
Rainer Maria Rilkes Gedicht „Das Karussell“ stammt aus dem Zyklus Neue Gedichte, der in den Jahren zwischen 1903 und 1907 entstand. Da sich die Analyse der Gedichtfilme auf die Frage der Bildlichkeit konzentrieren soll, ist es von Bedeutung, dass die-
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Siehe Abbildung 4. Siehe Barbara Flückiger: Sound Design, 227ff. Juliane Otto/Martin Earle: „It’s a bit …“.
Zwei Verfilmungen von Rilkes „Das Karussell“
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ser Zyklus im Zusammenhang steht mit einer neuen Dichtungsprogrammatik, die sich an den Verfahren der modernen bildenden Kunst orientiert. Rilke formuliert diese Poetik1 zunächst unter dem Einfluss des ihm nah bekannten Bildhauers Auguste Rodin, später unter dem Eindruck der Malerei Paul Cézannes.2 Während Rodin besonders für den „dynamischen Dingbegriff“3 Rilkes prägend war, der sich in den Dinggedichten der Neuen Gedichte manifestiert, führte die Rezeption der Bilder Cézannes den Dichter zu seinem Prinzip des „sachlichen Sagen[s]“4 hin, das in Der Neuen Gedichten anderer Teil erprobt wird.5 In der Hinwendung zur Welt der Dinge deutet sich eine neue Form des Wirklichkeitsbezuges an, die in einem entschiedenen Gegensatz zur subjektivistischen Stimmungslyrik des Frühwerkes steht. Hierbei wird das ‚Schauen‘ selbst zum „Bestandteil des dichterischen Aktes“6 und geht als Wahrnehmungsprozess auch in die literarische Inszenierung der Gedichte ein. An den Skulpturen Rodins beobachtet Rilke eine starke Bedeutung der Oberflächen, die sich noch vor jedem Gefühl und jeder Deutung der Wahrnehmung darbieten: Aber lassen Sie uns einen Augenblick überlegen, ob nicht alles Oberfläche ist was wir vor uns haben und wahrnehmen und auslegen und deuten? Und was wir Geist und Seele und Liebe nennen: ist das nicht alles nur eine leise Veränderung auf der kleinen Oberfläche eines nahen Gesichts?7
Ulrich Fülleborn hat darauf hingewiesen, dass die Orientierung an den Dingen dennoch nichts mit der „Abbildung einer äußeren Erscheinungswelt zu tun“8 hat. Auch wenn die die Neuen Gedichte sich die „gegenständliche Welt“ zum Ausgangspunkt wählen, bleibt in ihrer Darstellung die „Kluft zwischen dem Sein der Dinge und dem Bewußtsein“9 durchaus präsent. Da die poetische Sprache anders als die bildende Kunst die Dinge nicht einfach vorzeigen kann, ist sie auf andere Gestaltungsmittel verwiesen, Gestaltungsmittel, die sich auch in dem Gedicht „Das Karussell“ finden, das in den Kreis der Dinglyrik einzuordnen ist.
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Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 296. Siehe Rainer Maria Rilke: „Auguste Rodin“, in: Werke, kommentierte Ausgabe in vier Bänden, Bd. 4, hg. von Manfred Engel/Ulrich Fülleborn/Horst Nalewski/August Stahl, Frankfurt am Main, Leipzig 1996, 401–513; und Rainer Maria Rilke: „Briefe über Cézanne“, in: Werke, kommentierte Ausgabe in vier Bänden, Bd. 4, hg. von Manfred Engel/Ulrich Fülleborn/Horst Nalewski/August Stahl, Frankfurt am Main, Leipzig 1996, 594–636. Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 298. Ebd. Ebd. Ulrich Fülleborn: „Das mittlere Werk. Kommentar“, in: Rainer Maria Rilke: Werke, kommentierte Ausgabe in vier Bänden, Bd. 1, hg. von Manfred Engel/Ulrich Fülleborn/Horst Nalewski/August Stahl, Frankfurt am Main, Leipzig 1996, 841–1005. Hier: 906. Rainer Maria Rilke: „Auguste Rodin“, 458. Ulrich Fülleborn: „Das mittlere Werk“, 914. Ebd., 911.
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Text-Bild-Beziehungen
Das Gedicht ist eine Bewegungsstudie1, die eine Karussellfahrt vom Standpunkt eines außenstehenden Beobachters beschreibt. Die vorbeihuschenden Figuren und die auf ihnen reitenden Kinder geraten kurz in den Blick und werden skizzenhaft beschrieben, bevor sie kurz darauf von der Drehbewegung dem Blick entzogen werden. Was zurückbleibt, sind einzelne Sinneseindrücke, „ein kleines kaum begonnenes Profil –. / Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet“, Eigenschaften, die wie losgelöst von ihren Objekten erscheinen. Im Gedicht sind also weniger die Dinge selbst, als vielmehr die Effekte gestaltet, die das Karussell als bewegtes Objekt in der Wahrnehmung auslöst. Hierin zeigt sich der viel diskutierte „phänomenologische[…] Grundzug“2, der Rilkes mittlere Dichtung prägt. Obwohl diese auf Käte Hamburger3 zurückgehende Beobachtung in vielerlei Hinsicht eingeschränkt werden muss (etwa lassen sich die Gedichte gerade nicht als Wesensschau im Sinne Edmund Husserls interpretieren),4 ist eine gewisse Affinität zu phänomenologischen Grundannahmen nicht zu übersehen.5 Käte Hamburger, die in ihrem Rilke-Aufsatz erstmals von einer phänomenologischen Struktur der Dichtung Rilkes spricht und sich damit explizit auf die Philosophie Edmund Husserls bezieht, spitzt diese Beobachtung auf die Formel zu, Rilkes Dichtung setze eine Lyrik statt einer Erkenntnistheorie.6 Eine erste Parallele stellt dabei der Begriff des des Schauens dar, der für beide, den Dichter und den Philosophen, konstitutiv war. 7 Eine weitere wichtige Verbindungslinie lässt sich über den Begriff der Intentionalität ziehen. Anders als Kant bestimmt Husserl das Bewusstsein stets intentional, als Bewusstsein von etwas. Diese intentionale Struktur führt dazu, dass das Phänomenale „zum Kern des Erkenntnisproblem[s]“ wird.8 Husserls Phänomenologie strebt eine Änderung der natürlichen Einstellung (Thesis) an. Sie besteht in einem erkennenden Verhalten, das gleichzeitig „die Selbstgegebenheit, Vorfindlichkeit, die Transzendenz der ‚Phänomene‘ und ihre Immanenz im Bewußtsein sowohl anerkennen als erklären möchte.“9 Käte Hamburger beschreibt diese Schwierigkeit, im Erlebnis zwischen Dingerscheinung und Ding zu unterscheiden,10 als eines der zentralen Themen und bezeichnet diese „Problematik der Intentionalität als Grundhaltung Rilkes“11. Dies wird nicht nur in der Kunstreflexion Rilkes deutlich, sondern prägt darüber hinaus sein lyri1 2 3 4
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Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 306. Ebd., 298. Käte Hamburger: Philosophie der Dichter. Novalis, Schiller, Rilke, Stuttgart 1966, 179. Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 299. Bereits Käte Hamburger hatte angemerkt, dass auf den Begriff der Wesensschau für den Nachweis einer phänomenologischen Struktur der Dichtung Rilkes verzichtet werden kann. (Käte Hamburger: Philosophie der Dichter, 186). Siehe in neuerer Zeit Ralph Köhnen: „Wahrnehmung wahrnehmen. Von Üexküll, Husserl und Rilke“, in: Erich Unglaub (Hg.): Rilkes Paris 1920–1925. Neue Gedichte, Göttingen 2010, 196– 211. Hier: 207ff. Käte Hamburger: Philosophie der Dichter, 180. Ebd., 186. Ebd., 188f. Ebd., 190. Ebd., 218. Ebd., 190.
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sches Schreiben: „In der primär schauenden Haltung ist die im Husserl’schen Sinne intentionale nicht nur unausgesprochen enthalten, sondern wird darüber hinaus selbst zum Thema seiner lyrischen Aussage.“1 In „Das Karussell“ zeigt sich die phänomenologische Ausrichtung in einer Gestaltungstechnik, wie sie für die Neuen Gedichte insgesamt charakteristisch ist. Sie besteht darin, das dargestellte Phänomen nicht nur zu benennen, sondern es durch formale Eigenschaften des Gedichtes quasi abzubilden. Wolfgang Müller bezeichnet dieses Verfahren als Ikonizität, wobei er eine Unterscheidung zwischen Ikonizität erster und zweiter Ordnung trifft. Geht es bei der Ikonizität erster Ordnung um die „formale Äquivalente für Dinge“2, so soll die Ikonizität zweiter Ordnung „die Abbildung von Wahrnehmungsvorgängen und Bewusstseinsprozessen“3 bezeichnen, eine Unterscheidung, die gerade für Rilkes Dinglyrik mit ihrer phänomenologischen Grundstruktur problematisch ist, denn ob sich ikonische Effekte auf ein Ding (eine Treppe) oder ein Wahrnehmungsphänomen (die Wahrnehmung des Ansteigens) beziehen, lässt sich nicht immer trennscharf auseinanderhalten.4 Entscheidend ist, dass solche „mimetisch-ikonische[n] Darstellungsprinzipien“5 auf nicht-begrifflichen formalen Gestaltungsprinzipien wie Strophenanordnung, Enjambement, Syntax oder Leerzeile beruhen, durch die sie in ein Verhältnis der Ähnlichkeit zum Dargestellten treten. Dies kann beispielsweise eine lautmalerische Ähnlichkeit oder eine Ähnlichkeit in Abfolge oder Anordnung sein (diagrammatische Ikonizität).6 Müllers wichtige Beobachtung wäre an dieser Stelle durch die an Gottfried Boehms Bildbegriff gewonnenen Erkenntnisse zu modifizieren. Ihre Wirkung beziehen die beschriebenen poetischen Verfahren nicht in erster Linie aus einer Ähnlichkeitsbeziehung, sondern aus ihrem deiktischen Charakter. Wenn beispielsweise in „Das Karussell“ ein Wechsel von einer Häufung dunkler Vokale in der ersten zu immer mehr hellen Vokalen in der letzten Strophe stattfindet, so evoziert dies klangmalerisch die Beschleunigung des Gefährts.7 Auch das Metrum kann zur Erzeugung solcher ikonischen Effekte herangezogen werden. Die gleichmäßige Drehbewegung, die von fünfhebigen Jamben getragen wird, wird in dem Moment gestört, wo von den nicht mehr ganz kindlichen Mädchen die Rede ist: „auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge / fast schon entwachsen, mitten in dem Schwunge / schauen sie auf, irgendwohin, herüber“. Hier werden die Jamben erst durch eine leichte Umstellung (dem adonischen Vers „fast
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Ebd., 214. Wolfgang Müller, „Neue Gedichte“, 303. Ebd. In einem neueren Aufsatz lässt Müller die Unterscheidung zwischen Ikonizität erster und zweiter Ordnung fallen. Siehe dazu Wolfgang Müller: „Rilkes Neue Gedichte und der Imagismus“, in: Erich Unglaub (Hg.): Rilkes Paris 1920–1925. Neue Gedichte, Göttingen 2010, 231–244. Hier: 241. Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 317. Siehe Wolfgang Müller: „Rilkes Neue Gedichte“, 240. Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 303.
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schon entwachsen“) und schließlich durch eine starke metrische Abweichung1 unterbrochen, die ikonisch das Aufmerken der Mädchen nachbildet, welche mit Blick und Aufmerksamkeit aus dem Kreisen des Karussells herausgetreten sind. Ikonische Effekte werden im Karussell auch durch die Syntax hervorgerufen, die sich in einer für Rilke ungewöhnlichen Weise durch parataktische Reihungen, das Polysyndeton „und“2 sowie zahlreiche Aufzählungen auszeichnet, die das Episodische und Ausschnitthafte der Wahrnehmung abbilden. Nicht zuletzt stellt der wiederkehrende Vers „und dann und wann ein weißer Elefant“ das wiederholte Vorbeiziehen der Kinder und Figuren auf dem Karussell nach, wobei die Wiederholungsstruktur versintern nochmals durch die Assonanz der Formulierung „und dann und wann“ aufgenommen wird. Die Gestaltung des Gedichtes erzeugt eine Spannung zwischen einem lyrischen Sprecher, der in die Gegenstandswahrnehmung eingelassenen ist3 und einem außenstehenden Betrachter, der von einem außenliegenden Blickpunkt auf die in sich geschlossene, „blind“ kreisende Bewegung schaut, die nur zweimal durch die Benennung des „herüber“ und „hergewendet“ unterbrochen wird.4 Diese chiastische Struktur verweist auf das Paradox, dass sich einerseits keine Unterscheidung zwischen dem Objekt und der Wahrnehmung des Objektes treffen lässt, während andererseits die Wahrnehmung der Bewegung nur in einer gewissen Distanz bzw. nur von einem stillstehenden Punkt her möglich ist. Ausgehend von der in den Neuen Gedichten dominierenden chiastischen Struktur, hat Paul de Man eine entgegengesetzte Auffassung von der Rilke’schen Bildlichkeit vertreten. Er schreibt von einem distanzierten Verhältnis zwischen den poetischen Bildern und der Leserschaft, zwischen die der Dichter einen Schirm aus Sprache schiebe. Die beschriebenen Dinge, erführen alle aus der Negativität heraus eine Umkehrung ihrer kategorialen Eigenschaften, aus der eine neue Totalität hervorgehe.5 So erlaubt etwa im berühmten Gedicht „Archaïscher Torso Appollos“ die Abwesenheit des Hauptes das Spiel mit der chiastischen Umkehrung, in der die blinde Statue zur einem an jeder Stelle Sehenden wird.6 In dieser Rilkes’schen Rhetorik der Figur, die von den Neuen Gedichten an besteht, sieht de Man eine Verabschiedung des Prinzips der Referentialität zugunsten der Macht des Signifikanten. Das Gelingen der Neuen Gedichte sei daher allein ein Gelingen der Sprache.7
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„Schauen sie auf, irgendwohin herüber“ bringt statt dem erwarteten, jambischen v-v-v-v-v- die Füße - v v - ‘ - v v - v - v in freirhythmischer Form. Siehe Helmut Berthold: „Lessings und Rilkes Karussell-Gedichte“, in: Erich Unglaub (Hg.): Rilkes Paris 1920–1925. Neue Gedichte, Göttingen 2010, 245–260. Hier: 252. Siehe ebd., 250. Helmut Berthold hat darauf hingewiesen, dass erst durch diese Benennung durch lokale Adverbien der Sprecher des Gedichtes seinen Ort preisgibt. Siehe ebd. Siehe Paul de Man: Allegories of Reading. Figural Language in Rousseau, Nietzsche, Rilke, and Proust, New Haven 1979, 40. Siehe ebd., 44. Siehe ebd., 47.
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Sabine Schneider vertritt dagegen die Auffassung, dass Rilke einen Widerspruch gegen den linguistic turn der Sprachphilospohie der Jahrhundertwende vorführe, die er „ergänzt und korrigiert durch eine spezifische Ikonik des lyrischen Textes.“1 Schneider kritisiert De Mans Lektüre als „Absolutierung des Lexikalischen“2 und setzt dagegen die These, dass die Neuen Gedichte die Ikonik des lyrischen Textes reflektieren und den Doppelcharakter des Bildlichen in ihrer paradoxen Struktur vergegenwärtigen. Sie weist an Rilkes Neuen Gedichten sowohl ein Begehren der Sprache nach Dingpräsenz nach als auch Strategien der Derealisierung, die der deralisierenden Seite der ikonischen Bilderzeugung in der Terminologie Gottfried Boehms entsprechen sollen.3 Dem ist insofern zuzustimmen, dass die ikonische Differenz, durch die sich das Bild auszeichnet, beide Tendenzen einschließt; das Materielle und sein Umspringen in ein immaterielles Bild, das etwas anderes zeigt. Dieser Sachverhalt ließe sich durchaus als analog zur paradoxen Struktur der Rilke’schen Dinglyrik bezeichnen.4 Zentral ist im vorliegenden Zusammenhang aber nicht in erster Linie die Teilung oder Dopplung, sondern der deiktische Charakter des Bildes. Was im Moment der Bildwahrnehmung entsteht, ist eine Deixis, bei der das Zeigende und das Gezeigte zugleich gesehen werden können. Rilkes Ikonizität, die sich auch in dem Gedicht „Das Karussell“ aufzeigen lässt, ist in ihrer nicht begrifflichen Evokation ein solches Zeigen in der Sprache. Im Anschluss soll an einer exemplarischen Analyse zweier Gedichtfilme untersucht werden, wie sich die Bilder des Gedichtes und die Ikonizität des Gedichtes selbst in das audiovisuelle Medium übertragen lassen. Rilke gehört neben Jandl zu den am häufigsten verfilmten deutschsprachigen Dichtern. Es stellt sich die Frage, warum gerade Rilkes Lyrik so vielfache audiovisuelle Bearbeitungen gefunden hat. Neben der Popularität des Dichters aufgrund der gnomischen Züge5 seiner Lyrik ist – so die These – in dieser Lyrik ein Drängen nach dem Bild zu verzeichnen, das besonders die Texte der mittleren Werkphase prägt. Rilke selbst hat einmal geäußert, dass er jeder künstlerischen Begleitung seiner Dichtungen, besonders aber der Illustration in hohem Maße ablehnend gegenüberstehe. Er begründete seine Abneigung mit dem „freien beweglichen Spiel der Imagination“6 das durch die bildliche Darstellung eingeschränkt würde und bestand daher auf einer Trennung der Künste. Jeder Künstler müsse im Akt der Produktion seine Mittel für die einzigen halten, „denn er käme sonst leicht zu der Ver-
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Sabine Schneider: „Kaumblau. Rilkes prekäre Bildontologie in den Neuen Gedichten“, in: Ralf Simon/Nina Herres/Csongor Lîorincz (Hg.): Das lyrische Bild, Paderborn 2010, 272–299. Hier: 280. Ebd., 283. „Das Verhältnis von Sprache und Ding scheint geklärt zu sein, als eine nicht paradigmatische, sondern syntagmatische Relation, ein durch semantisches, lautliches und grammatisches Beziehungsgeschehen konstruiertes Sprachspiel auf einer Textoberfläche der Lexis im Sinne Paul de Mans.“ (Ebd., 279). Ebd., 283. Siehe Ralf Simon: Die Bildlichkeit, 346. Siehe Paul de Man: Allegories of Reading, 20ff. Rilke an Gräfin Maria Viktoria Attems, 12. März 1921 (Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921, hg. von Ruth Sieber-Rilke/Carl Sieber, Leipzig 1937, 383).
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mutung, daß das oder jenes Stück Welt mit seinen Mitteln überhaupt nicht ausdrückbar sei“1. Rilke versucht, seine Vorbehalte sowohl aus rezeptionsästhetischer als auch aus produktionsästhetischer Perspektive zu erklären und argumentiert dabei explizit mit der Inkommensurabilität von Sichtbarem und Sagbarem. Das dichterische Sagen bestünde demnach im Versuch, diese Grenze dennoch zu überspringen. Es wird deutlich, welche Herausforderung eine audiovisuelle Umsetzung der Rilke’schen Gedichte darstellt. Wie treten konkrete mediale Bilder in Beziehung mit der das Gedicht bestimmenden Ikonizität? 4.3.2
Sylvia Steinhäusers emblematische Kulturkritik
Sylvia Steinhäusers Videoproduktion DAS KARUSSELL stammt aus dem Jahr 2003 und bildet zusammen mit einer Abschlussarbeit über Poesie und filmische Kurzformen ihr Diplomprojekt an der Hochschule für Gestaltung Anhalt. Die Regisseurin wagt den Versuch, das Gedicht mit Bildmaterial aus der Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS) zu kombinieren und gelangt auf diesem Wege zu einer erstaunlich humorvollen und formbewussten Medienreflektion, bei der sich die Frage nach einer adäquaten Umsetzung des Gedichtes gar nicht mehr stellt.2 Dass die Bilder ausschließlich vom Fernsehbildschirm abgefilmt sind,3 hat nicht nur zur Folge, dass ihre vermeintliche mediale Transparenz zugunsten einer flächigen Un-Wirklichkeit gestört wird; es führt auch dazu, dass der Gedichtfilm auf eine Rekombination des schon vorhandenen Bildmaterials verwiesen ist. Gerade hierin liegt nun aber Methode, denn die Bearbeitung kann bei den Eigenschaften des vorliegenden Materials ansetzen und sie für die eigene Gestaltung nutzen. Steinhäusers Gedichtfilm ist eine Wort-Bild-Form, die mit einer offensichtlichen Differenz, ja mit einem gegensätzlichen Verhältnis von Gesagtem und Gezeigtem arbeitet. Um dieses Verhältnis genauer zu bestimmen, soll zunächst die Ebene der äußeren Faktur in die Untersuchung einbezogen werden. Die Lesung des Gedichtes wird auf der Tonspur nur von einem etwas leiernden Glockenspiel begleitet, das einem Musikstück von Björk entnommen ist.4 Auf der Bildebene sind Ausschnitte aus der Castingshow DSDS zu sehen, die in ihrer Abfolge nicht dem chronologischen Verlauf der Sendung folgen, sondern nach dem Prinzip der Ähnlichkeit umgruppiert sind. So sieht man mehrmals hintereinander, wie die Moderatorin mit ausladender Geste einen Auftritt ankündigt, auch Auftritte der Kandidatinnen und das applaudierende Publikum erscheinen hintereinander aufgereiht. Steinhäuser kombiniert
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Rilke an Gräfin Maria Viktoria Attems, 12. März 1921 (ebd.). Eine weitere Version des Gedichtfilmes sowie das Portfolio von Sylvia Steinhäuser findet sich unter http://www.funkplatz.de. Sylvia Steinhäuser: Das Karussell. Poesie und filmische Kurzformen, Berlin 2010. „Frosti“ vom Album Verspertine 2001.
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die seriell ablaufenden Handlungen so miteinander, dass ihre frappierende Ähnlichkeit hervortritt und weist sie damit als quasi paradigmatische Handlungen aus.1 Zudem bildet die Montage in ihrer Rhythmik die zunehmende Geschwindigkeit des Karussells ab. Zunächst entspricht etwa jedem gesprochenen Vers eine Bildeinstellung, später steigert sich die Schnittfrequenz auf eine Einstellung pro Wortgruppe, schließlich, bei der Zeile „Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet“2, kommt je eine Aufnahme auf ein Wort. Bei der wiederkehrenden Zeile „Und dann und wann ein weißer Elefant.“3 ist jedes Mal eine Einstellung des Publikums aus der Vogelperspektive zu sehen, die mit rollender Kamera aufgenommen ist. Das sich steigernde Tempo, auch die hektischen Schwenks und schwindelerregenden Fahrten im Halbkreis kulminieren in der Zeile: „Und das geht hin und eilt sich das es endet, / und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel“4. Das Karussell wird also nicht auf der Ebene der bildlichen Darstellung abgebildet, sondern durch filmische Verfahren evoziert. Steinhäuser findet formale Äquivalente für das im Gedicht evozierte Ding sowie für die Wahrnehmungsprozesse, die dargestellt werden. Damit bedient sich der Film also dem Verfahren der Ikonisierung von Gestaltungstechniken wie sie auch Rilkes Neue Gedichte kennzeichnet.5 Steinhäuser entnimmt diese formalen Äquivalente dem found footage der Fernsehaufzeichnung und kann so Tendenzen ausstellen, die im Material bereits angelegt sind. Erst in der Anordnung, die durch die Montage entsteht, werden die Gestaltungstechniken, die bei der Fernsehaufzeichnung zum Einsatz kommen, ausgestellt und markiert. Das ziellose, besinnungslose Kreisen verweist strukturell auf die Wiederkehr des Immergleichen 6, die sich hier in der akkumulierenden Montage stereotyper Gesten von Moderatoren und Kandidaten zusätzlich materialisiert. Auf diese Weise findet in Steinhäusers Kurzfilm eine kulturkritische Verschiebung der Karussell-Metapher statt. Obwohl ein offensichtlicher Gegensatz zwischen Gedicht und Bildebene besteht, lassen sich doch vereinzelte Korrespondenzen feststellen. So fällt die Zeile „dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge“ mit einer halbnahen Einstellung zusammen, die das Jurymitglied Dieter Bohlen zeigt, der ja für seine Selbststilisierung als „böser“, rücksichtsloser Kritiker berüchtigt ist. Für einen Augenblick stellt sich eine Text-Bild-
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„Was ist das empirische, linguistische Kriterium der poetischen Funktion? Anders gesagt, worin besteht die unabdingbare Eigenschaft eines Dichtwerks? […] Die Selektion vollzieht sich auf der Grundlage der Äquivalenz, der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, der Synonymie und Antinomie, während der Aufbau der Sequenz auf Kontiguität basiert. Die poetische Funktion projiziert das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination. Die Äquivalenz wird zum konstitutiven Verfahren der Sequenz erhoben.“ Roman Jakobson: „Linguistik und Poetik“, 94. Rilke: „Das Karussell“, 477. Ebd., 476 Ebd. Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 302. Siehe Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main 2002, 176.
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Metapher her, die Bohlen als Karussell-Löwen vorführt, der Kinder erschreckt. In einem weniger übertragenen Sinn wird das Aufschauen der Mädchen „irgendwohin, herüber –“ im abschweifenden, unsicheren Blick einer Kandidatin visualisiert. Auch wenn sich punktuelle Bezüge zwischen Wort und Bild herstellen lassen, gilt generell, dass Gesagtes und Gezeigtes in Steinhäusers Gedichtfilm nicht auf der Ebene der Bildgegenstände, sondern auf der formalen Ebene korrespondieren. Ausgehend von medienspezifischen formalen Eigenschaften wie Kamerafahrt, Zoom und Schwenk stellt sich eine Vergleichbarkeit von Castingshow und Karussell ein, die zugleich zur umfassenden Allegorie wird. Das „blinde Spiel“ wäre dann nicht unschuldige Beschäftigung, die vom Ernst des Lebens abgesondert ist, sondern standardisierende Einübung eines normierenden Konkurrenzverfahrens. Interessant ist zudem, wie es gelingt, von einem formalen Anknüpfungspunkt ausgehend, nämlich der kreisenden Kamerabewegung, immer weitere Bezugspunkte zu eröffnen, die das Karussell mit den Bildern der Fernsehshow in Verbindung bringen: Die blendende, blinkende Beleuchtung; die runde Form der Studiobühne und die ahnungslosen, hoffnungsfrohen Gesichter der Kandidaten; sie alle erinnern an ein Karussell, ohne, dass dabei je eine genaue bildliche „Entsprechung“ zwischen Gesagtem und Gezeigtem hergestellt wird. Inhaltlich treten Text und Bild also in ein metaphorisches Verhältnis. Unter dem Aspekt der ethisch-moralischen, ja fast didaktischen Botschaft, lässt sich Steinhäusers Gedichtfilm daher durchaus als ein „modernes Emblem“ bezeichnen. 4.3.3
Barbara Dobrovitz’ Karussell-Animation als Lebensmetapher
Barbara Dobrovitz’ Animation DAS KARUSSELL (2009) entstand ebenfalls im Rahmen einer Abschlussarbeit, die die Regisseurin an der Hochschule der Medien Stuttgart produzierte. Sie basiert auf einer Rezitation des Schauspielers Heino Ferch, die zusammen mit einem Musikstück die Tonspur des Filmes bildet. Wie Steinhäuser setzt auch Dobrovitz in ihrer Animation keine direkte Abbildung eines Karussells ein, lehnt sich jedoch motivisch stärker an Rilkes Gedicht an und nähert sich damit insgesamt der Illustration. Ihr Film beginnt mit einer Karawane aus Gliederpuppen, die in ihrer Flächigkeit an Hampelmann- oder Mobilé-Figuren erinnern und darüber hinaus auf die Zirkuswelt anzuspielen scheinen. Vor einem kaum definierten dunklen Hintergrund kreisen sie zunächst stehend um einen Baum, der den Mittelpunkt bildet, bis sie zum Leben erwachen und zu laufen beginnen. Alle Tiere und Figuren des Karussells – Pferde, Hirsch, Löwe, Elefant, Junge und Mädchen – erscheinen in der Reihenfolge ihres Auftretens im Gedicht. Von besonderer Bedeutung ist die Zeitstruktur der Animation, da anstelle einer Verräumlichung in Dobrovitz’ Umsetzung eine Verzeitlichung des Karussellmotivs stattfindet, die zugleich mit einer Narrativisierung des Gedichtes einhergeht. Die Animation ist in vier Phasen aufgeteilt. Sie beruhen auf simultan abrollenden Zeiteinteilungen, die einander ungefähr entsprechen: Jahreszeit, Tageszeit und Lebenszeit. Im
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ersten Teil des Filmes, der die ersten vier Zeilen des Gedichtes umfasst, ist der Hintergrund noch dunkel, ein durchs Bild tanzendes Blütenblatt dient als metonymisches Zeichen für den Frühling. Ein grünes Blatt markiert den Übergang zum Sommer und übernimmt gleichzeitig die Blickführung. Sein Auftreffen auf der Erde verwandelt die Szenerie in eine taghelle Savanne unter einem leuchtend blauen Himmel. Dort wird durch einen Sonnenaufgang der Beginn des Tages angezeigt, der mit dem ersten Auftreten der Kinder zusammenfällt. Mit einem herbstlich gefärbten Blatt wird der Übergang in die nächste Phase eingeleitet: Und auf den Pferden kommen sie vorüber, auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge schauen sie auf, irgendwohin, herüber –.
Die Animation führt diese Verse als einen Übergang von Kindheit zur Jugend vor, indem sie zusätzlich zeigt, was in den Blick der Mädchen gerät: ein weiß gekleideter junger Mann, der rauchend zum Karussell hinzutritt. Auf der Ebene der Tageszeiten entspricht dieser Phase der Abend, der folgerichtig durch eine untergehende Sonne illustriert wird. Einen letzten Abschnitt bildet der durch eine Schneeflocke markierte Winter, dem hier die Nacht und das hohe Alter zugeordnet sind. In seiner Schlusspointe führt der Film diese Zuordnung zusätzlich einer narrativen Begründung zu. Zum Ende des Gedichtes, etwa mit den letzten drei Zeilen, zoomt der Blick aus dem Karussell heraus. Immer kleiner werdend entpuppt es sich schließlich als das Figurenensemble einer Schneekugel. Dieses Spielzeug wird von zwei gealterten Personen betrachtet, die durch die blaue und weiße Farbe ihrer Kleidung als der Junge und das Mädchen auf dem Karussell erkennbar sind. In die Schneekugel blickend, hängen sie ihren Erinnerungen an ein gelebtes Leben nach. Schon Aristoteles hat ja die Verhältnisse von Tageszeit und Lebenszeit als Beispiel für eine Analogiemetapher aufgeführt: Der Abend verhält sich zum Tag, wie das Alter zum Leben. Rilkes Karussell wird damit unmissverständlich als Lebensmetapher inszeniert. Damit schließt sich Dobrovitz’ einer gängigen Interpretation des Gedichtes an, die im Karussell eine Allegorie des Daseins sieht, dessen zielloses Kreisen nur ab und an von einer vorübergehenden „Epiphanie eines nicht näher angebbaren Sinns“1 unterbrochen wird. Allerdings wird dieses Dasein auf alltägliche lebensweltliche Klischees reduziert und die vorübergehenden Epiphanien werden mit Stationen einer standardisierten Individualbiographie gleichgesetzt.
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Ulrich Fülleborn: „Das mittlere Werk“, 949.
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Das tertium comparationis von Film und Literatur ist die Handlung. Diese alte Grundannahme über die Literaturverfilmung, die selbst noch bei der Untersuchung so aktueller Phänomene wie der Literaturadaption in Videospielen Anwendung gefunden hat, kann am Ende der vorliegenden Untersuchung als überholt oder zumindest stark ergänzungswürdig bezeichnet werden. Am Beispiel der Lyrik lässt sich erfahren, dass Sinnbildungspotentiale auch außerhalb von narrativen Strukturen möglich sind.1 Poesiefilme zeigen, dass dies, trotz der gemeinhin angenommenen Gleichsetzung von Film und Spielfilm, auch auf das audiovisuelle Medium zutrifft. Die hier zusammengetragenen Ergebnisse können für jene Elemente audiovisueller Gestaltung sensibilisieren, die sich nicht in erster Linie in den Dienst der Handlung stellen: für die sprechende Stimme, rhythmische Bewegung, komplexe Ton-Bild-Verhältnisse oder audiovisuelle Metaphorik – Mittel, die uns auch in anderen audiovisuellen Formaten begegnen und deren Reichtum durch die gründliche Untersuchung von Lyrik im audiovisuellen Medium erschlossen werden kann. Ergebnisse Poesiefilme bewegen sich zwischen den Polen von Dichotomien und das gleich in mehrfacher Hinsicht. In ihrer hybriden Verfasstheit bieten sie Anlass, Gegensatzpaare wie Textualität und Performativität, Performativität und Medialität und nicht zuletzt Hören und Sehen auf ihre Wechselwirkungen hin zu befragen. Im Verlauf der Untersuchung ist deutlich geworden, dass Performance (das Wie) und Text (das Was) in Gedichtfilmen nicht voneinander zu trennen sind. Keine hörbare Äußerung lässt sich allein auf sprachliche Bedeutung reduzieren, kein Schriftgebilde wird ganz unabhängig von seiner visuellen Gestalt rezipiert. Ebensowenig lassen sich stimmliche Merkmale ohne Rücksichtnahme auf ihre Bedeutsamkeit erfassen. Je stärker die äußere Faktur in den
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Siehe Rüdiger Zymner: Lyrik, 79.
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Vordergrund tritt, desto mehr tritt das Zusammenspiel von Schrift bzw. Stimme und Sprache ins Bewusstsein.1 Nicht zuletzt an der Dimension rhythmischer Bewegung wird deutlich, dass Gedichtfilme im Vergleich zu schriftlich fixierten Texten einen Ereignischarakter haben; gestischer, stimmlicher aber auch schriftlicher Vollzug erzeugen ihre Wirkungen auch im audiovisuellen Medium. Gleichzeitig unterliegt diese Performance einer medialen Formierung. Gedichtfilme basieren auf diesen Wechselwirkungen zwischen performativen Aspekten und den Effekten des Mediums. Es bietet sich daher grundsätzlich die Möglichkeit, die audiovisuelle Medialität auszunutzen oder aber, sie zu reflektieren. Der Poesiefilm kennt beide Tendenzen. Mit dem Begriff der intermodalen Assoziation schließlich wurde die wechselseitige Einwirkung zwischen Ton und Bild im audiovisuellen Medium gekennzeichnet.2 Auch hier liegt keine strikte Trennung der Bereiche vor. Während im Spielfilm nur selten von der mimetischen Funktion des Tons abgewichen wird, sind kontrapunktische Verhältnisse von Ton und Bild typisch für eine bestimmte Art des Gedichtfilmes: den VoiceOver-Gedichtfilm. Je stärker beide Dimensionen auseinanderstreben, desto größer der Mehrwert (valeur ajoutée), der im Prozess der gegenseitigen Anreicherung von Ton und Bild entsteht.3 Der poetische Film, so konnte in einem Durchgang durch den ästhetischen und filmkritischen Diskurs gezeigt werden, ist ein Konzept, mit dem versucht wird, eine eigenständige filmische Ästhetik zu etablieren. Dabei werden die Prinzipien der Narration und der Repräsentation zugunsten der filmischen Ausdrucksebene zurückgedrängt. Der poetische Film versteht sich nach dem Modell der Lyrik dabei auch als Reflektion seiner medialen Bedingtheit. Doch nicht nur der poetische Film nähert sich in der Handhabung filmischer Mittel Ausdrucksweisen an, die sich als analog zum lyrischen Sprachgebrauch beschreiben lassen, auch in Gedichtfilmen, die einen konkreten lyrischen Text realisieren, ist eine Tendenz zu ‚poetischen Verfahren‘ zu beobachten. Viele Gedichtfilme zeigen wie der poetische Film eine Aufwertung der Darstellungsebene gegenüber dem Dargestellten. Der Eigenwert von Schrift, Stimme oder Rhythmus wird in ihnen betont. Mit der Integration lyrischer Texte geht häufig eine Segmentierung einher, die Abschnitte ohne narrative oder handlungslogische Verknüpfung bildet. Stattdessen dominieren achronologische Montagetypen nach dem assoziativen, abstrakten oder kategorialen Prinzip.4 Besonders in den stimmlich integrierenden Voice-OverGedichtfilmen, der häufigsten Erscheinungsform des Poesiefilmes, liegt außerdem eine Trennung von Ton und Bild vor, die meist mit einem erhöhten Eigenwert der Tonebene 1
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Insofern die vernehmbare Stimme eine sprechende Stimme ist, die Schriftzeichen einen Text herstellen, setzen sie sich in ein Verhältnis zu Sprache und Bedeutung, dem in der Interpretation Rechnung zu tragen ist. Nur so können Transgressionen im Bereich stimmlicher Äußerungen, wie sie etwa bei den Lettristen anzutreffen sind, erkannt und in ihrer Tragweite anerkannt werden. Vgl. Barbara Flückiger: Sound Design, 141. Für eine Darstellung des Themas aus jüngerer Zeit siehe Barbara Flückiger: „Zum Mehrwert in der“ und im selben Band Reinhart Meyer-Kalkus: „Akusmatische Extensionen“. David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art, 122ff.
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einhergeht. Es kommt dabei nicht zu einer Dominanz des Tons, aber durch eine Enthierarchisierung der Sinnesbereiche zu einer größeren Selbstständigkeit des Hörbaren gegenüber dem Sichtbaren. Seltener zwar als in den experimentellen Spielarten des poetischen Filmes findet sich im Gedichtfilm die Aufgabe einer räumlichen Tiefenillusion nach den Prinzipien der Zentralperspektive, die zu einer Flächigkeit des Bildes führt. Eine Tendenz zur Derealisierung des Raumes ist jedoch sowohl für den performanceorientierten als auch für den Voice-Over-Gedichtfilm durchaus zu konstatieren. Schließlich gehört der Verzicht auf eine kontinuierliche Handlung und damit auf die Bildung einer filmischen Diegese, obwohl es sich keineswegs um ein bestimmendes Merkmal von Lyrik handelt, sicherlich zu den auffälligsten Tendenzen im Gedichtfilm. Auch wenn das Merkmal nicht durchgehend zutrifft, ist es doch so dominant, dass es sinnvoll erscheint, Gedichtfilme im Spielfilmformat als Sonderform des Gedichtfilmes zu bezeichnen.1 Für die systematische Untersuchung hat sich der Lyrikbegriff von Rüdiger Zymner als sehr produktiv herausgestellt, denn er ermöglicht es, zwei wichtige Aspekte der Wirkung von Lyrik zu verbinden, die sich auch im Poesiefilm als zentral erwiesen haben: zum einen die Eigenschaft, die eigene Medialität auszustellen, zum anderen die ästhetische Evidenzerfahrung, die nicht nur durch lyriktypische Verrätselung, sondern auch durch eine gesteigerte Sinnlichkeit der Rezeption befördert wird.2 Historisch zeigt sich dies in den zwei großen Strömungen des Poesiefilmes: filmische Avantgarde, experimentelle Literatur und Medienkunst einerseits und Spoken-Word-Bewegung andererseits. Die hier in loser Reihung vorgestellten Charakteristika des Poesiefilmes können durchaus als ‚lyrische‘ Attraktoren im Sinne Zymners aufgefasst werden. Handlungslosigkeit bzw. Entfabelung, kontrapunktische Relation zwischen Ton und Bild, Konzision der Information durch Montage und anderes mehr stellen programmatische Störungen der Sinnbildung dar. Rhythmische Strukturen, Materialität der Schrift und der Stimme sind dagegen als Auslöser sinnlicher Partizipation Katalysatoren ästhetischer Evidenz.3 Aus historischer Perspektive lässt sich festhalten, dass die einzelnen Ansätze und Übertragungsversuche unterschiedliche Aspekte der Lyrik stark machen bzw. für ihre Ziele anschlussfähig halten. Das können entweder die Funktion als „Display“ audiovisueller Medialität oder Schrift oder sinnliche Aspekte wie Performance, Rhythmus, Klanglichkeit sein. Aber auch die Subjektivitätstheorie der Lyrik findet unter den Film- und Videokunstschaffenden ihre Anhänger.
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TO THE MARRIAGE OF TRUE MINDS (2010); UNE LEÇON PARTICULIÈRE (2008); POEM: An grauen Tagen (2002). „Hier deutet sich unter anderem ein Aspekt der Wahrnehmung von bzw. des Umgangs mit Lyrik an, der von der rekursiven Transkription, gar in Form einer systematischen Befragung des Gebildes, gar nicht zu trennen ist: rekursive Transkription und ‚sinnliche‘ Affirmation gehören im Fall der Lyrik zusammen wie zwei Seiten einer Medaille, ja ästhetische Evidenz läßt sich analytisch in diese beiden Komponenten zerlegen.“ (Rüdiger Zymner: Lyrik, 137). Siehe ebd., 96f. und 137ff.
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Ausblick: Residuen der Forschung Ein großer Teil der Gedichtfilme, die heute auf Festivals und im Netz zu sehen sind, sind Animationsfilme. Beispiele wie ANNA BLUME (2010) oder THE POLISH LANGUAGE (2009) zeigen, dass es sich hierbei um höchst anspruchsvolle Umsetzungen von Lyrik handelt, die fast nichts mit Kinderfilmen und viel mit den bildenden Künsten zu tun haben. Da sich das Ausdrucksinventar der Film- und Videoanimation grundlegend von dem des Realfilmes unterscheidet, konnten animierte Gedichtfilme in dieser Arbeit nur beiläufig behandelt werden.1 Es wäre interessant zu untersuchen, welche Affinitäten zwischen Animation und Lyrik bestehen und wie die Gestaltungsmittel des Animationsfilmes durch digitale Techniken umgestaltet werden. Im Zusammenhang mit dem Phänomen des Dubpoetry-Videos konnte gezeigt werden, dass das Genre „Poesiefilm“ Dichtungskulturen entgegenkommt, in denen die mündliche und gestische Performance einen besonderen Stellenwert besitzt. Dass international einzelne Strömungen mit oral geprägten Poesiekulturen sich bevorzugt dem audiovisuellen Medium zuwenden, ist auf Festivals immer wieder zu beobachten, ließ sich aber im Rahmen dieser Studie, die den Schwerpunkt auf deutschsprachige Produktionen legte, nicht annähernd angemessen untersuchen. Die Poesiefilme des World Cinema2, besonders die seit den achtziger Jahren florierenden Videocultures in Afrika und Asien wären ein ausgedehnter Themenbereich für zukünftige Forschung im Bereich der Ethnopoetics, der internationalen Videokunst und der postkolonialen Literaturwissenschaft. Eine wichtige Forschungsperspektive eröffnet sich mit der Digitalisierung audiovisueller Medien. Die Arbeiten des Medienkünstlers Bill Seaman beispielsweise verfolgen eine Richtung, die über das audiovisuelle Genre „Poesiefilm“ bereits hinausgeht. In Erweiterung des Videos durch den Computer baut Seaman auf einem „entwickelten Vokabular der Videoästhetik“3 auf, das er in hypermedialen interaktiven Anordnungen gestaltet. So kann in den Arbeiten der Reihe Recombinant Poetics nicht nur ein poem generator angesteuert werden, der es dem zu Userinnen und Usern gewordenen Publikum ermöglicht, eigene Gedichte aus den vorliegenden Texten zu kreieren, sondern es kann darüber hinaus die Zusammensetzung von Text, Geräusch und Bild beeinflusst werden: For me The World Generator empowers one to explore meaning as it is emerging, because one can form a dynamic context by putting a poetic piece of text next to an image and/or sound element, and one can experience how these fields of meaning enact upon each other.4
Seamans Arbeiten bilden die künstlerische Weiterführung von Elementen, die in dieser Arbeit als konstitutiv für den Gedichtfilm herausgearbeitet wurden, wie beispielsweise
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Siehe Rolf Giesen: Lexikon des Trick- und Animationsfilms, Berlin 2003, 7. Siehe Lydia Haustein: Videokunst, 137. Yvonne Spielmann: Video, 214. Bill Seaman zitiert nach ebd., 336.
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die wechselseitige Beeinflussung von Bild und Ton oder die Konzision der Faktur, die sich in einer offenen Montage manifestiert. Der Aspekt der Interaktivität stellt eine Erweiterung der Tendenz des Poesiefilmes zum offenen Kunstwerk dar. Dennoch wird das Publikum nicht zum Produzenten der Arbeit, es bleibt user – bloße Benutzer des Kunstwerks, die dessen Performance über ein Interface steuern, während die Programmierung der Codes verborgen bleibt.1 Diese Trennung der medialen Oberfläche vom unterliegenden Code, die vielleicht erstmals in der Geschichte der Medien das Mediale vom Technischen ablöst, stellt die künstlerische Arbeit vor ganz neue Herausforderungen, gerade dann, wenn sie, wie hier vorgeschlagen, als generisches Display von Medialität fungiert. Im digitalen Code gibt es keine materiellen Unterschiede mehr zwischen den verschiedenen Darstellungsmodi. Dies ermöglicht gleichzeitig eine Verknüpfung von Lyrik auch mit audiovisuellen Ausdrucksformen, nur eben unter den gänzlich veränderten Bedingungen des digitalen Mediums. Insofern sind Fragestellungen, die sich in der Untersuchung des Poesiefilmes ergeben, auch für den Bereich der digitalen Poesie und der Computerpoesie interessant und könnten dort im Anschluss an Forschungen fortgeführt werden, die bisher unter dem Stichwort der „Hypermedialität“ angestellt werden.2 Richtet man den Blick auf den Bereich des filmischen Mediums, so zeigen sich weitere Arbeitsfelder, die in der vorliegenden Studie, die sich auf das Genre des Poesiefilmes beschränkte, noch ausgespart bleiben mussten. Ob fiktionalisierter Spielfilm oder faktualer Dokumentarfilm – Filme, die das Leben von Dichterinnen oder Dichtern zum Gegenstand wählen, müssen sich zwangsläufig in irgendeiner Form mit der Repräsentation ihrer lyrischen Werke auseinandersetzen. Diese Inszenierung von Gedichten ist gleichzeitig eine Inszenierung von Autorschaft und eine Aussage über das Verhältnis der dargestellten Personen zu den Gedichten, für die sie berühmt wurden und für die ihre Namen heute oft metonymisch stehen. Sie kann daher auch ein Indikator sein für poetologische oder ästhetische Programmatiken, die die Filmschaffenden an ihnen exemplifizieren oder auf sie projizieren. Realisierungen von Lyrik in filmischen Dichterbiographien sollten besonders daraufhin untersucht werden, wie sie mit dem narrativen Kontext und mit der Biographie des Dichters bzw. der Dichterin als einem erzählten Leben in Beziehung gesetzt werden. Hierbei müsste neben narratologischen Einzelbeobachtungen besonders die Frage diskutiert werden, was die bisher erarbeiteten unterschiedlichen Realisierungsweisen von Lyrik im audiovisuellen Medium zu den verschiedenen Inszenierungen von Autorschaft und künstlerischer Produktion beitragen. Auch in Spielfilmen, die nicht thematisch mit Lyrik verbunden sind, kommt es neben den dramatischen Dialogen oder Voice-Over-Erzählungen immer wieder zur Rezitation oder zum Zitat von Gedichten. Die Einbindung lyrischer Texte in Spielfilme kann die
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Siehe dazu Mark B. N. Hansen: „New Media“, 181. Siehe Friedrich W. Block/Christiane Heibach/Karin Wenz: „Ästhetik digitaler Poesie“, in: Friedrich W. Block (Hg.): p0es1s. Ästhetik digitaler Poesie, Ostfildern 2004, 11–36. Hier: 28f.
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unterschiedlichsten Funktionen haben und diverse Formen annehmen. In dem Spielfilm AWAKENING (Zeit des Erwachens, 1990) mit Robert De Niro und Robin Williams wird an prominenter Stelle ein Gedicht rezitiert. Der Film handelt von einem Arzt, der eine innovative Kur für seine durch Enzephalitis seit Jahren im Koma befindlichen Patienten sucht. Er findet in den Unterlagen eines Patienten Hinweise auf einen Text, der den Zustand der Erkrankten treffsicher zu beschreiben scheint. Es ist Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Panther“. Wie wird es in den filmischen Kontext eingefügt? Zunächst ist der von Robin Williams gespielte Arzt zu sehen, der auf einer Parkbank in einem Buch liest. Seine Stimme rezitiert als Voice-Over den Text von „Der Panther“, der so als innerer Monolog der Figur markiert wird. Mit dem Wechsel zur zweiten Strophe ändert sich die Szene. Nun ist der Arzt vor dem Käfig eines Panthers zu sehen, während das Gedicht im Off weitergesprochen wird. Mit dem Wechsel zur nächsten Einstellung, in der der apathisch im Rollstuhl sitzende Patient (Robert De Niro) gezeigt wird, bekommt die Rezitation den Status eines extradiegetischen Voice-Overs, dem die filmischen Bilder nachfolgen. Sie erhält damit eine Funktion, die der Filmwissenschaftler Michel Chion als „parole-texte“1 bezeichnet. Das Gedicht bildet also eine thematische Klammer zwischen den Einstellungen, die die metaphorische Intention des Filmes bekräftigt: So wie der Panther in seinem Käfig, soll uns vermittelt werden, ergeht es dem menschlichen Geist, der im Käfig der Krankheit eingesperrt ist. Diese vergleichshafte Struktur, die das Gedicht einbringt, wird auf der visuellen Ebene wiederholt. In einem Point-ofView-Shot aus Perspektive des Panthers sieht man die Stäbe des Käfigs durch das Bildfeld ziehen, womit sogar das personifizierende „Vorübergehen der Stäbe“ aufgenommen wird. In der darauffolgenden Einstellung bewegt ein untersuchender Arzt die Hand mit gespreizten Fingern vor dem Gesicht des Patienten, um zu zeigen, dass dessen Blick „nichts mehr hält“. Der Film wiederholt also das visuell und strukturell ähnliche Motiv – er poetisiert die filmische Darstellung. Selbst in einem Mainstream-Kinofilm, so zeigt das Beispiel, kann die filmische Ausdrucksebene von der Integration eines lyrischen Textes, so er denn als lyrischer Text integriert wird, beeinflusst werden. Damit soll gleichzeitig darauf hingewiesen werden, dass der in der vorliegenden Studie erarbeitete Zugang auch einen Beitrag zur Analyse von Filmen und Videoproduktionen außerhalb des Genres „Poesiefilm“ liefern kann. Gedichtfilme sind wie Literaturverfilmungen oder Rezitationen freilich immer auch Interpretationen des Gedichtes, das in sie eingeht. Wie sich diese Interpretation zu bestehenden Lesarten und Deutungen ins Verhältnis setzt, wäre ein weiteres Thema für die zukünftige Forschung, insbesondere für Mikrostudien zu einzelnen Autorinnen und Autoren. Eine Beobachtung, die mit dieser Frage in Zusammenhang steht, soll zum Abschluss mitgeteilt werden. Sie betrifft den Stellenwert der Lyrik. Die Frage danach, was Lyrik sei, nach ihrem Ort in der Gesellschaft und nach ihrer Funktion, wird spätestens seit der literarischen Moderne immer wieder aufgeworfen. Sie stellt sich in jedem Poesiefilm aufs Neue, denn nicht nur wird jedes einzelne Gedicht in einen audiovisuellen Kontext eingebunden und damit interpretiert. Daran, wie dies geschieht, wird au-
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Michel Chion: Un Art sonore, 64.
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ßerdem sein Verhältnis zur Welt verhandelt. Es kann einen wohlklingenden SoundTeppich bilden oder ein Moment der Störung in die audiovisuelle Botschaft eintragen. Es kann die Filmhandlung bis hin zur Fiktionsstörung unterbrechen oder eine emotionale Untermalung des Filmes bieten. Insofern gibt jeder Gedichtfilm auf seine Weise Auskunft auf die Frage: „Wozu Lyrik heute?“ und positioniert sich zum Verhältnis von „Lyrik und Gesellschaft“.1
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Siehe Hilde Domin: Wozu Lyrik heute. Dichtung und Leser in der gesteuerten Gesellschaft, München 1968 sowie Theodor W. Adorno: „Rede über Lyrik“.
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Film- und Videoverzeichnis
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Film- und Videoverzeichnis
Ein Sechstel der Erde. Originaltitel: Šestaja čast' mira. (dt. auch: Ein Sechstel der Welt). Regie: Dziga Vertov, UdSSR 1926, 61 min. Früchte des Vertrauens. Regie: Alexander Kluge, Deutschland 2009, 658 min, DVD. GÁBOR BÓDY Video Works. Regie: Gábor Bódy. C3 Center for Culture & Communication Foundation, Ungarn 2011, 138 min., DVD. (Novalis: „Walzer“) Gedichte von Ernst Jandl. bestiarium. Regie: Eku Wand, Deutschland 1989. (Ernst Jandl: „bestiarium“) Here (ICI). Installation. Regie: Stefan Groß, D 2007, 10 min. Howl. Regie: Rob Epstein; Jeffrey Friedman, USA 2009, 90 min, 35 mm. (Allen Ginsberg: Howl) Jeder Text ist ein Wortbruch. Regie: Betina Kuntzsch 2008, 7 min, Videotape. (Kathrin Schmidt: „jeder text ist ein wortbruch“) Just Say No to Family Values. Regie: Antonello Faretta. Mit John Giorno, Italien 2005, 4:35. (John Giorno: „Just Say No to Family Values“) L’invitation au voyage. Regie: Germaine Dulac, Frankreich 1927, 36 min, 35 mm. (Charles Baudelaire: „L’invitation au voyage“) La coquille et le clergyman. Regie: Germaine Dulac, Frankreich 1928, 41 min. L'année dernière à Marienbad. Regie: Alain Resnais, Frankreich 1961, 94 min. Le film est déjà commencé? Regie: Maurice Lemaître, Frankreich 1951, 62 min. L'étoile de mer. Regie: Man Ray, Frankreich/USA 1928. (Robert Desnos: „L’étoile de mer“) Magnolia. Regie: Paul Thomas Anderson, USA 1999, 188 min. Manhatta. Originaltitel: New York the Magnificent. Regie: Charles Sheeler; Paul Strand, USA 1920, 11 min. (Walt Whitman: Leaves of Grass) Manhattan Poetry Video Project. Regie: N. Vural; Anne Waldman; Allen Ginsberg; Bob Holman u.a., USA 1984. Mechanics of Love. Regie: Willard Maas, USA 1955, 7 min. Meshes of the afternoon. Regie: Maya Deren. Mit Maya Deren, USA 1943. Mirror Talk. Regie: Kylie Hibbert, Neuseeland 2005, 3:23 min. (Sylvia Plath: „Mirror“) Mothlight. Regie: Stan Brakhage, USA 1963. Mutter. Originaltitel: Mat. Regie: Vsevolod Pudovkin, UdSSR 1926, 89 min. Nachrichten aus der ideologischen Antike. Marx – Eisenstein – Das Kapital. Regie: Alexander Kluge, 2008 Deutschland, 570 Minuten, DVD. Nebel. Ernst Jandl's Gedichte an die Kindheit. Regie: Matthias Müller, Deutschland 2000, 11 min, VHS. New Word Order. Regie: Grischa Göddertz. Mit Jazz’min Tutum, Deutschland 2010, 2 min. (Jazz’min Tutum: „Globalisation“)
Film- und Videoverzeichnis
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nichts_weiter_als. Regie: Frederike Jehn; Stern Sebastian; Nele Nalpantoglu; Jens Schillmöller; Lars Büchel. element e 2006, 25 min. (Arne Rautenberg: „nichts weiter als“) NiemandsFrau: Movies. Regie: Andrea Wolfensberger. Mit Barbara Köhler, Schweiz 2007, 28 min, DVD. (Barbara Köhler: NiemandsFrau: Gesänge) Nocturnos. Regie: Edgardo Cozarinsky. Constanza Sanz Palacios Films, Argentinien 2011, 64 min. On Death. Regie: Anastassios Langis, Griechenland 2007, 6:24 min. Ophelia und die Wörter (Mit drei kinematographischen Texten von Gerhard Rühm). Regie: Gerhard Rühm. Ausgestrahlt am 29.10.1970. SFB. Mit Genehmigung der rbb Media GmbH. P.r.a.t.e.r. Regie: Ernst [JR ]. Schmidt. Mit Ernst Jandl, Österreich 1963-1966, 21 min, 16 mm. POEM. Originaltitel: Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug (Hilde Domin). Regie: Ralph Schmerberg. Triggerhappyproductions, Deutschland 2004, 88 min. (Johann Wolfgang Goethe, Ingeborg Bachmann, Ernst Jandl u.a.) Poèmes cinématographiques. Regie: Walter Ruttmann 1922. (Phillipe Soupault) Poetry Clips, Vol. 1. Regie: Bastian Böttcher; Wolfgang Hogekamp, Deutschland 2005, DVD. Poetry Spots Compilation Reel Season I. Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette mit 15 Poetry Spots; 1988; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0906. Fales Library and Special Collections, New York University Libraries. Poetry Spots Compilation Reel Season II Part two. Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette; 1991; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0912. Fales Library and Special Collections, New York University Libraries. Poetry Spots – Compilation Reel; Season III. Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette mit Poetry Spots verschiedener Regisseure; 1992; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0915. Fales Library and Special Collections, New York University Libraries. Poetry Spots – Compilation Reel; Season IV. Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette; 1993; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0918. Fales Library and Special Collections, New York University Libraries. Poetry Spots – Compilation Reel; Season V, Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette; 1994; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0924. Fales Library and Special Collections, New York University Libraries. Rapp it up (sweat’n’sex’n’politics). Regie: Bob Holman. Mit Bob Holman, 1985 USA, Video. Regen. Regie: Joris Ivens, Niederlande 1929, 12 min, 35 mm. Sehtext: Fingergedicht. Regie: Valie Export. Mit VALIE EXPORT 1968-1973, Video. September, September. Regie: Gino Hahnemann, DDR 1987, Super-8. In: Gegenbilder. DDR-Film im Untergrund 1983–1989. absolut Medien 2008, 97 min, DVD. sprechen 4. marie. Regie: Christina Stark, Deutschland 2006, 3:30 min. (Konrad Bayer: „Marie dein Liebster wartet schon“) Le sang d’un poète. Regie: Jean Cocteau, Frankreich 1930. In: Orphic Trilology. The Criterion Collection 1 2000, 50 min, DVD.
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The face on the barroom floor. Mit Charlie Chaplin, USA 1914, 14 min. (Hugh Antoine D'Arcy: „The Face upon the Barroom Floor“) The Geography of the Body. Regie: Willard Maas. Mit George Barker, USA 1943, 7 min 20. (George Barker) The Polish Language. Regie: Alice Lyons; Orla Mc Hardy 2009, 9 min. The Unchanging Sea. Regie: David Wark Griffith, USA 1910, 14 min. (Kingsley, Charles: „The three fishers“) To the marriage of true minds. Regie: Andrew Steggall, GB, Irak 2010, 11 min. (William Shakespeare: „Sonnet 116“) Trains of Winnipeg. 14 Film Poems. Regie: Clive Holden, Kanada 2004, 89 min. Traité de bave et d'éternité. Regie: Isidore Isou, Frankreich 1951, 120 min. Tritität. Regie: Peter Weibel, Österreich 1975, 8 min 35, Video. Une femme mariée. Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich 1964, 95 min. Une leçon particulière. Regie: Raphaël Chevènement, Frankreich 2008, 10 min., 35 mm. (Victor Hugo: „Vieille chanson du jeune temps“) Unwilling suspension. Produktion: Bob Holman, USA, 3 min; VHS-Kassette mit einem Poetryspot von John Ash zu dem Gedicht ‚Unwilling Suspension‘; 1991; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0849. Fales Library and Special Collections, New York University Libraries. (John Ash: „Unwilling Suspension“) Video Texte. Regie: Peter Weibel, Österreich 1975, 45 min, Video. Walzer. Lyric-clip. Regie: Gábor Bódy, BRD, HU 1985, 3 min, Video. (Novalis: „Walzer“) Wienfilm 1896–1976. Regie: Ernst [JR ]. Schmidt, Österreich 1977, 117 min. (Ernst Jandl: „schtzngrmm“)
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Abbildung 1.1: Du und Ich (NICHTS_WEITER_ALS)
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Abbildung 2: NEW WORD ORDER
Abbildung 3.1: Gesang der Geister über den Wassern, (POEM. ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE TRUG (HILDE DOMIN), ein Film von Ralf Schmerberg)
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Abbildung 3.2: NIEMANDSFRAU. MOVIES
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Abbildung 3.3: Alles (POEM. ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE TRUG (HILDE DOMIN), ein Film von Ralf Schmerberg))
Abbildung 3.4: Epilog/Prolog (NICHTS_WEITER_ALS)
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Abbildung 3.5: Piratenleben (NICHTS_WEITER_ALS)
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Abbildung 3.6: glauben und gestehen (POEM. ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE TRUG (HILDE DOMIN), ein Film von Ralf Schmerberg)
Abbildung 3.7: MIRROR TALK
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Abbildung 3.8: JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH
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Abbildung 3.9: 15TH FEBRUARY
Abbildung 4: A GALAXY OVER THERE
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