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German Pages 280 Year 2013
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Gesetze – Nomoi
Klassiker Auslegen Auslegen Klassiker Herausgegeben von von Herausgegeben Otfried Höffe Höffe Otfried Band 36 55
Otfried Höffe ist Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie an der Universität Tübingen. Otfried Höffe ist o. Professor für Philosophie an der Universität Tübingen
Platon
Gesetze – Nomoi Herausgegeben von Christoph Horn
Akademie Verlag
Lektorat: Dr. Mischka Dammaschke Herstellung: Christoph Neubarth Titelbild: Platon-Skulptur, Marmor, römisches Werk nach einem um 350 v. Chr. von Silanion geschaffenen Bildnis, © Antikenmuseum Basel Einbandgestaltung: K. Groß, J. Metze, Chamäleon Design Agentur Berlin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.
© 2013 Akademie Verlag GmbH www.degruyter.de/akademie Ein Unternehmen von De Gruyter Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.
ISBN 978-3-05-006022-4 eISBN 978-3-05-006448-2
Inhalt
Zitierweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Politische Philosophie in Platons Nomoi –Das Problem von Kontinuität und Diskontinuität Christoph Horn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. The Puzzles of Moderation Chris Bobonich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Der Mensch als Marionette: Psychologie und Handlungstheorie Jörn Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
4. Ursprung und Verfall von Staaten (III 676a1–702e2) Klaus Schöpsdau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. The prooimia, Types of Motivation, and Moral Psychology Hallvard J. Fossheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Die Wirtschaftsordnung und die richtige Einstellung zu Besitz und Reichtum Anna Schriefl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Poetik: Komödie und Tragödie (VII796e-817e) Irmgard Männlein-Robert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
8. Der Status der Bürger, der Frauen, der Fremden und der Sklaven in Magnesia Manuel Knoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Private matters in Plato’s Laws André Laks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10. Gesetze und Strafrecht Eckart Schütrumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11. Die theologische Fundierung der Gesetze Michael Bordt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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12. Ämter und Gesetze in Magnesia Matthias Perkams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hinweise zu den Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . .
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Zitierweise Belegstellen bei Platon werden unter Angabe des abgekürzten Werktitels angeführt, evtl. der Buchnummer, der Stephanus-Seite, des Abschnitts sowie der Zeilenzahl, z. B. Lg. IX 870a2–6 (= Nomoi, Buch IX, Seite 870, Abschnitt a, Zeilen 2–6). Für die Werke Platons werden folgende Abkürzungen benutzt: Alc. 1 Alc. 2 Ap. Chrm. Cra. Cri. Criti. Ep. Erx. Euthd. Euthphr. Grg. Hp. ma. Hp. mi. Ion La. Lg. Ly. Men. Mx. Phd. Phdr. Phlb. Plt. Prm. Prt. Rep. Symp. Sph. Thg. Tht. Ti.
Alkibiades I Alkibiades II Apologie Charmides Kratylos Kriton Kritias Briefe Eryxias Euthydemos Euthyphron Gorgias Hippias maior Hippias minor Ion Laches Nomoi/Gesetze Lysis Menon Menexenos Phaidon Phaidros Philebos Politikos Parmenides Protagoras Politeia Symposion Sophistes Theages Theaitetos Timaios
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Für weitere antike Autoren und Werktitel gelten die üblichen Kürzel aus dem Kleinen Pauly oder von Liddell-Scott-Jones.
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Vorwort Politische Philosophie bildet in den Schriften Platons eines der zentralen, in immer neuen Anläufen behandelten Probleme. Beginnend mit dem Kriton und dem Gorgias und besonders in der Politeia sowie im Politikos entwickelt Platon eine Fülle von politischen Analysen und Theorien, deren Inhalt und deren Zusammengehörigkeit häufig schwer zu verstehen sind. Die Nomoi (Gesetze) sind Platons späteste und bei weitem umfangreichste Schrift zu diesem Thema. Ihre zwölf Bücher wirken stellenweise unvollendet und sind möglicherweise von fremder Hand redaktionell überarbeitet. Die Schrift ist fast durchgehend der politischen Philosophie und den an sie angrenzenden Themengebieten gewidmet; eine besondere Rolle spielen dabei Fragen der Erziehung sowie die Einzelbestimmungen des Strafrechts. In den Nomoi werden in Dialogform die Grundlagen einer idealen Stadt, die den Namen Magnesia erhält, entwickelt. Der Gesprächsführer ist ein ungenannter Besucher aus Athen, aber die Szene spielt auf Kreta, dem Platon neben Sparta die vorzüglichste griechische Gesetzes- und Verfassungstradition bescheinigt. Der Athener berät denn auch mit dem Spartaner Megillos und dem Kreter Kleinias die grundlegenden Probleme einer bestmöglichen Gesetzgebung. Die Nomoi stellen besondere interpretatorische Herausforderungen, weil sie in vielen Hinsichten von den Lehren abweichen, die uns aus den früheren Dialogen vertraut sind. In den letzten zwei Jahrzehnten ist nun zu Platons Nomoi mehr an internationaler Forschungsliteratur erschienen als in der gesamten Zeit davor. Die exponentiell anwachsende Forschung, die zu zahlreichen neuen Einsichten und Positionen geführt hat, bildete den Hintergrund meiner Absicht, einen Sammelband mit einigen der führenden Spezialisten aus diesem Feld herauszugeben. Dazu fand im Januar 2013 ein Symposium an der Universität Bonn statt. Der vorliegende Band ist das Ergebnis dieser Tagung. Da die Nomoi in Aufbau und Themenbehandlung recht verschlungen argumentieren, lässt sich das für die KA-Reihe typische Gliederungsprinzip nach aufeinander folgenden Textstücken im vorliegenden Band nicht ganz durchhalten. Vielmehr müssen oft unterschiedliche Textpartien zusammen interpretiert werden, um ein abgeschlossenes Bild zeichnen zu können. Zu erwähnen ist ferner, dass sich die näheren Angaben zur abgekürzt zitierten Literatur (z. B. Görge-
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manns 1960) entweder am Ende des jeweiligen Artikels finden oder in der NomoiForschungsbibliographie am Ende des Bandes. Zu danken habe ich den Autorinnen und Autoren für ihre Bereitschaft, ihre Beiträge in kurzer Zeit zu überarbeiten und fertigzustellen. Der Fritz-ThyssenStiftung bin ich äußerst dankbar für die großzügige Unterstützung der Bonner Tagung. Intensive Arbeit am vorliegenden Band haben zudem Martin Brecher, Katharina Dworatzyk, Nora Kassan, Katharina Kramer, Malte Kuhfuß, Martina Richtberg und besonders Dr. Anna Schrief l geleistet; ihnen bin ich zu großem Dank verpf lichtet. Herzlicher Dank gilt auch Dr. Mischka Dammaschke für die optimale Kooperation von Seiten des Verlags. Unser Band ist der Erinnerung an Ada Neschke-Hentschke († 2013) gewidmet, die an der Bonner Tagung noch teilgenommen hat. Bonn, im Mai 2013 Christoph Horn
1 Christoph Horn
Politische Philosophie in Platons Nomoi – Das Problem von Kontinuität und Diskontinuität
In der Forschung gibt es eine ziemlich alte, kontrovers geführte Debatte über das Verhältnis der verschiedenen Ansätze Platons zur politischen Philosophie, welche in der Politeia, dem Politikos und den Nomoi greifbar sind.1 Worin genau unterscheiden sich die politischen Ansätze, wie substantiell sind diese Unterschiede, und wodurch lassen sie sich erklären? Legt uns Platon drei miteinander inkompatible Modelle vor, die verschiedenen Lebensphasen entstammen und daher Ausdruck seiner philosophischen Entwicklung sind? Dann müssten wir die Differenzen mithilfe einer Entwicklungstheorie (developmentalism) erklären; grob gesprochen hätte sich Platon dann vom Herrschaftsmodell einer Expertokratie, dem Ideal der Philosophenkönige, abgewandt und stattdessen das Konzept einer Institutionen- und Gesetzesherrschaft vertreten.2 Oder sollten wir annehmen, dass er von einem einzigen Standpunkt aus spricht, den er lediglich aus unterschiedlichen Perspektiven formuliert? Dann besäße Platon eine einheitliche politische Philosophie (Unitarismus), hätte diese aber aus irgendwelchen Gründen unterschiedlich ausformuliert. Das könnte deswegen der Fall sein, 1 Vgl. den Literaturbericht zur älteren Forschung bei Neschke 1971, 163–166; zur jüngeren Forschung Horn 2009. 2 Das frühe Paradigma für den von Platon gemeinten Philosophen-Politiker wäre dann Sokrates im Gorgias, der sich, wie es heißt, als einziger unter den Zeitgenossen mit der „wahren politischen Kunst auseinandersetzt“ (epicheirein tê hôs alêthôs politikê technê) und „politische Angelegenheiten betreibt“ (prattein ta politika: 521d).
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weil er bei seinen drei Entwürfen verschiedene Adressaten im Blick hatte, oder deswegen, weil er drei politische Ordnungen von unterschiedlicher Idealität und Nicht-Idealität skizzieren wollte, oder auch deswegen, weil er teils prinzipienorientiert (nämlich in der Politeia und im Politikos), teils praxisorientiert (in den Nomoi) sprechen wollte. Es ist diese letztgenannte Interpretation, die in diesem Aufsatz plausibel gemacht werden soll: Platon verfolgt in den Nomoi eine konkret-praktische, nicht so sehr eine generell-philosophische Absicht. Das tut er allerdings an einem fiktiven Beispielsfall, so dass seine Absicht – in einem noch zu erläuternden Sinn – doch wieder von grundsätzlicher Art ist. Überlegenswert für das Verhältnis von Politeia, Politikos und Nomoi sind natürlich auch zahlreiche Mischpositionen, nach denen es sowohl Konstanten als auch Innovationen in den drei Modellen gibt. Aber dann bliebe zu fragen, ob die Änderungen den Kern des politischen Denkens betreffen oder lediglich von marginaler Bedeutung sind. In Rechnung zu stellen ist bei alledem, dass Platons Nomoi bei dessen Tod unvollendet gewesen sind und deswegen evtl. abweichende Lehrinhalte entweder ein zufälliges Defizit an Ausarbeitung zeigen könnten oder aber einen fremden redaktionellen Eingriff.3 Alle diese Probleme sind schwer zu klären, nicht nur wegen des enormen Textumfangs der drei Dialoge, besonders der Nomoi, sondern auch, weil sie sich nicht vollständig beantworten lassen, solange man lediglich die jeweils präsentierten politischen Ordnungen untersucht und nicht zusätzlich Aspekte der Epistemologie, der Moralphilosophie und der Moralpsychologie in der platonischen Mittelperiode bzw. im Spätwerk in Betracht zieht; es könnte ja so sein, dass der Impuls zu einem grundlegenden Wandel Platons – sofern ein solcher vorliegt – gar kein primär politischer war.4 Im Folgenden kann ich dies nur in geringem Umfang tun; vielmehr konzentriere ich mich auf die politischen Aspekte der drei Texte. Im ersten Abschnitt stelle ich die wesentlichen Differenzmerkmale zusammen und nenne die wichtigsten Konstanten. Thema des zweiten Abschnitts ist 3 Laut Diogenes Laertius III 37 soll Philippos von Opus die Nomoi, die auf Wachstafeln verfasst waren, „umgeschrieben“ haben (metegrapsen). Ob dies eine bloße Übertragung oder eine Bearbeitung meint, ist allerdings unklar. 4 Bobonich (2002) vertritt die Auffassung, dass die Nomoi einen Wandel in der Metaphysik, Epistemologie, Psychologie, Ethik und politischen Philosophie anzeigen, die für die gesamte späte platonische Werkgruppe gelte.
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die Frage, ob die Differenzen nur developmentalistisch verstehbar sind oder ob sie auch (wie ich selbst glaube) eine ernsthafte unitarische Interpretation gestatten. Schließlich sollen im dritten Abschnitt zusätzliche Gründe genannt werden, weshalb eine einheitliche Lektüre, nämlich die des Praxisbezugs, insgesamt vorziehenswert ist.
1.1 Aspekte der Diskontinuität und der Kontinuität Dass es überhaupt inhaltliche Differenzen im platonischen politischen Denken gibt, besonders zwischen Politeia und Nomoi, lässt sich nicht bestreiten; unklar ist nur, ob sie Zeichen einer generellen Diskontinuität sind oder nicht. Um einen Überblick über die wichtigsten Inhalte der platonischen politischen Philosophie und ihren Wandel bzw. ihre Konstanz zu erhalten, sollten wir mit zehn Punkten beginnen, die einen grundlegenden Wandel anzuzeigen scheinen. (i) Philosophie: In den Nomoi findet sich nirgendwo der Gedanke einer Philosophenherrschaft. Die Figur des Philosophen fehlt ganz; sogar das Wort „Philosophie“ und seine Derivate sind so gut wie abwesend.5 Folgerichtig gibt es im Text auch keine Forderung nach einer Fundierung der politischen Philosophie in einer Zwei-Welten-Metaphysik; wir erfahren nichts von der Ideentheorie und hören somit auch nichts von definitiven und irrtumsfreien Erkenntnissen. Die politische Praxis besteht mithin nicht in der Anwendung invarianten Wissens auf die soziale Realität. Der „nächtliche Rat“ der Nomoi ist zwar ein Expertengremium; aber keines, das auf einer pointierten Wissenskonzeption beruht. Näher besehen gleicht der nächtliche Rat den Philosophenkönigen der Politeia in keiner wesentlichen Hinsicht.6 (ii) Tugend und Glück: Da Platon so gut wie vollständig auf den Philosophiebegriff verzichtet, erwartet man in den Nomoi (gegeben den moralischen Intellektualismus seiner früheren Dialoge), dass er den Bürgern von Magnesia alle Tugend- und Glückschancen bestreitet. Doch es kommt zu einem bemerkenswerten Schritt: Platon löst Tugend und Glück von vernünftiger Einsicht los 5 Die einzigen beiden knappen Bezugnahmen finden sich in Lg. IX 857d2 und XII 967c7. 6 Lg. XII 966c–968a. Zwar bildet der nächtliche Rat, wie es heißt, den „Anker des gesamten Staates“ (XII 961c4 f.). Doch die Mitgliedschaft im nächtlichen Rat erfolgt durch Zuwahl; ihm kommt insgesamt eine wichtige, aber keine übermächtige politische Rolle zu.
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und bindet sie an die Gesetzesbefolgung (vgl. Lg. VI 770c f.; VII 805a; XII 945d f.). Nicht mehr der Philosoph gilt als Tugend- und Glücksbesitzer, sondern der gesetzestreue Polis-Bewohner. Der Staat der Nomoi stellt dabei hohe Anforderungen an die Tugendpraxis aller seiner Bürger. Platon bleibt somit einerseits dabei, den Bürgerstatus an die Erreichbarkeit von Tugend und Glück zu binden, erweitert aber andererseits den Personenkreis, der dafür in Frage kommt. Demgegenüber sind die Mitglieder der beiden unteren Klassen in der Politeia von Tugend und Glück ausgeschlossen, da sie kein wirkliches Wissen erlangen können. In den Nomoi gibt Platon mithin seine anspruchsvolle Wissenskonzeption preis und begnügt sich nunmehr mit der Forderung nach richtiger Meinung (alêthês doxa: Lg. II 653a8). (iii) Bürgerstatus: Platons späte politische Philosophie erweitert, wie eben gesagt, den Kreis der Personen, die als aktive Bürger in der Polis mitwirken dürfen, ganz beträchtlich. Zwar sind ebenso wie in der Politeia die Handwerker, Arbeiter und Händler vom Bürgerstatus ausgeschlossen; körperliche Arbeit soll von Fremden und von Sklaven verrichtet werden (Lg. VIII 846d). Aber an den zahlreichen Ämtern, an der Gesetzgebung und den politischen Entscheidungen dürfen nun auch Nicht-Philosophen teilnehmen; richtiger gesagt: von Philosophen (oder anderen Experten) ist einfach gar nicht die Rede. Alle Bürger werden in gemeinsame Mahlzeiten (Syssitien) einbezogen; es soll zudem eine Gleichverteilung des Grundbesitzes geben. Grundsätzlich ist jeder Bürger zur politischen Mitwirkung berechtigt; spezifische Voraussetzungen für die Bekleidung von Ämtern ergeben sich aus Altersvoraussetzungen und kognitiven Fähigkeiten. Die Bürger können durch politische Deliberation zum Wohl des Staates beitragen. Alles das ist denkbar weit vom Geist der Politeia entfernt. (iv) Gesetze: Während in der Politeia der Gesetzesbegriff nicht stark akzentuiert wird, erhält er im Politikos und den Nomoi einen hohen Stellenwert. Im Politikos gelten Gesetze einerseits als mangelhaft, weil sie unmöglich das Beste und Gerechteste zugleich für alle angeben und befehlen könnten; gegenüber der Verschiedenheit der Personen und der Situationen verhalten sich die Gesetze, wie es heißt, starr und unveränderlich (Plt. 294a–b). Andererseits hätten Gesetze zwei Vorzüge: Erstens könne ein (nicht-einsichtsgeleiteter) Herrscher nicht jedem einzelnen Bürger exakt das für ihn Angemessene vorschreiben; die Allgemeinheit der Gesetze erlaube ihm daher eine willkommene Vereinfachung. Zweitens seien Gesetze dann notwendig, wenn ein (einsichtsgeleiteter) Herr-
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scher vorübergehend abwesend sei; für diesen Fall seien schriftlich fixierter Erinnerungen (hypomnêmata) erwünscht (Plt. 295c). Auch in den Nomoi wird der suboptimale Charakter von Gesetzen betont. Im Zeitalter des Kronos, als noch Götter die Menschen regierten, waren sie ebenso überf lüssig, wie sie dies unter der Herrschaft eines perfekt einsichtsfähigen Individuums wären. Gesetze sind für Platon dazu da, Gerechtigkeit hervorzubringen; darin liegt das Kriterium ihrer Legitimität (Lg. IV 705e). Gesetze müssen daher zunächst revidierbar sein, bevor sie nach ihrer Bewährung dauerhaft gelten sollen (Lg. VIII 840e f.); die Forderung nach Revidierbarkeit hängt auch damit zusammen, dass Gesetze adressatenrelativ und bezogen auf die jeweilige Situation eines Landes gegeben werden müssen. Hinzu kommt, dass sich die Gesetzgeber der Nomoi nicht als strikte Autoritäten verstehen, sondern der späteren Polis ein Auswahlrecht unter den Gesetzesvorschlägen zugestehen (Lg. III 702c f.; V 739a f.). Das alles klingt nach Pragmatismus und Offenheit, wie sie in der Politeia undenkbar wären. (v) Ämter und Prozeduren: Die Vielzahl der Ämter und politischen Funktionen und die genau geregelten Abläufe lassen Magnesia wie eine komplexe, nach strenge geregelten Verfahren ablaufende Bürokratie erscheinen. Platon formuliert nicht nur eine Menge von Einzelgesetzen, er trifft auch zahlreiche konkrete Bestimmungen zu Zuständigkeiten, Amtskompetenzen, qualifizierenden Voraussetzungen, Amtsperioden u. a. Es benennt Kontrollmechanismen, die Amtsmissbrauch und generell eine Fehlentwicklung der Polis vermeiden sollen; dem „nächtlichen Rat“ schreibt er sogar als Regel vor, sich über politische Praktiken im Ausland zu informieren, um so die eigene Ordnung behutsam reformieren zu können (Lg. XII 951c–952d). Von einer solchen legalistischen und prozeduralistischen Institutionenordnung ist in der Politeia nichts zu finden. (vi) Erziehung: In den Nomoi ist Erziehung ebenso wie in der Politeia eine der zentralen Staatsaufgaben; während aber in Politeia VII nur die philosophischen Wächter erzogen werden sollen, erstreckt sich die Pädagogik in der Spätschrift auf alle Bürger. Auch unterscheiden sich die beiden pädagogischen Konzepte erheblich voneinander. Die Erziehung der Bürger in den Nomoi stützt sich vor allem nicht auf ein vergleichbares anspruchsvolles Bildungscurriculum, wie wir es aus Politeia VII kennen; beispielsweise erhalten auch der Wein, die Musik und das Spiel positive pädagogische Funktionen. Bewegung spielt für Platon eine besonders große Rolle (Lg. II 653d–654a). In der Politeia wird dagegen klar
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gesagt, die musikalische Erzeihung erzeuge keine epistêmê (Rep. VII 522a). Im Unterschied zur Politeia kommt es auch nicht zu einer Abschaffung der Familie. Allerdings wird Erziehung dennoch nicht zur Privatsache; vielmehr gibt es zahlreiche Beamte, die über den korrekten Ablauf staatlicher Pädagogik wachen (Lg. VI 751a–768e). Platon nennt als Ziel der Erziehung den Tugenderwerb; man müsse lernen, „ein vollkommener Staatsbürger zu werden, der es versteht, der Gerechtigkeit gemäß zu herrschen und sich beherrschen zu lassen“ (Lg. I 643e). Dass die Bürger Magnesias lebenslang pädagogisiert werden, zeigt, dass sie über keinen festen Tugendbesitz wie die Philosophen der kallipolis verfügen. (vii) Frauen: Ähnliches wie bei der Einbeziehung aller Bürger in die Erziehung lässt sich auch für die veränderte Stellung der Frauen in den Nomoi konstatieren. Frauen aus allen Schichten können nunmehr am vollen Bürgerstatus teilhaben; sie partizipieren z. B. an den Syssitien, den Ämtern und dem Militärdienst. Mädchen sollen dieselbe Erziehung erhalten wie Jungen (Lg. VII 804c–806d). Im Unterschied zur Politeia ist die politische Mitwirkung von Frauen also nicht auf die Klasse kognitiv herausragender Individuen beschränkt. Platon vertritt erneut die Überzeugung, dass Frauen in allen für die Politik relevanten Fähigkeiten den Männern gleich sind; diese Überzeugung dehnt er jetzt aber auf die gesamte Bürgerschaft aus. Für Bobonich (2002) bildet diese Beobachtung einen der zentralen Belege dafür, dass Platon sich deutlich vom Modell der Politeia entfernt habe, indem er es nicht abschwächt, sondern im Gegenteil radikalisiert. (viii) Besitz: Auch die Besitzgemeinschaft der Politeia wird in den Nomoi auf sämtliche Bürger erweitert. Zwar enthält die Spätschrift die Idee einer gleichen Landverteilung an alle 5.040 Vollbürger, was ja die Idee individuellen Eigentums impliziert, aber diese Akzentsetzung ist denkbar schwach, weil dieser Besitz nicht veräußerlich ist und nicht der Produktion persönlichen Reichtums dient (Lg. V 737c–e; 745c f.). Es handelt sich vielmehr um den Gedanken einer Subsistenzwirtschaft; insbesondere ist es Geldbesitz, den Platon nun für die gesamte Bürgerschaft als gefährlich ansieht; auch hiermit verschärft er einen Punkt, der uns bereits aus der Politeia geläufig ist. (ix) Straftheorie: Im Kontext seiner Strafrechtskonzeption des IX. Buchs der Nomoi (860c–864c) verbindet Platon die „schlechte Gesinnung“ eines Straftäters mit der Vorstellung von einer Krankheit in der Seele (hôs ousôn en psychê nosôn: 862c7 f.); eine solche Krankheit verlangt Platon zufolge nach Heilung. Die Deutung personaler Ungerechtigkeit im Sinn einer Krankheit in der Seele ruft daher
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eine Diskussion der gesetzlichen Sanktionsformen hervor, mit denen man solche Krankheiten heilen kann. Auffällig ist dabei, dass Platon keineswegs intellektualistische „Therapieformen“ favorisiert (wie Aufklärung, Resozialisierung oder kognitives Training), sondern gröbere Lockmittel bzw. Abschreckungsmethoden gutheißt (nämlich auf der Basis von Lust- und Schmerzempfindungen oder der Selbstachtung: besonders Ehren und Ehrenentzug oder Geldgeschenke bzw. Geldzahlungen). Ferner wird zwischen heilbaren Seelen und unheilbaren differenziert; und für letztere kommt nur noch die Todesstrafe in Betracht (862d–e). Generell betont Platon in den Nomoi mit Nachdruck die moralresistenten Aspekte der menschlichen Psyche wie Ignoranz, Überheblichkeit, Verstocktheit, Unbelehrbarkeit, Luststreben oder Böswilligkeit. Dazu existiert in der Politeia keine wirkliche Parallele. (x) Tyrannis: In der Politeia erscheint die Tyrannis als die schlechteste aller Verfassungen, als die unterste in der Abfolge der Verfallsstufen (Rep. VIII 565d–569b). Dies wird mit der Figur des Tyrannen erklärt, welcher vollständig seinen Antrieben und Begierden unterworfen ist (vgl. etwa Rep. IX 575a). Im Politikos schildert Platon den Tyrannen zudem als unwissenden und erneut als begehrlichen Alleinherrscher (Plt. 301c–d), und zwar in direktem Kontrast zum einsichtsgeleiteten König (Plt. 301a). Hinzu kommt die Charakterisierung der Tyrannis als einer Willkürherrschaft, die auf Gesetze keine Rücksicht nimmt, sowie als Herrschaft der Unfreiheit. Hingegen entwickelt Platon in den Nomoi das Bild eines maßvollen Tyrannen (Lg. IV 709d–712a). Dem Tyrannen werden nicht nur wichtige Tugenden zugeschrieben (darunter, dass er besonnen, einsichtsvoll, lernfähig, tapfer und großgesinnt ist), sondern ihm wird auch die direkteste Realisierung des Gesetzesstaats als Leistung zugetraut. Die Realisierung der gesetzesbasierten Polis durch den Tyrannen wird geradezu als ein „göttlicher Glücksfall“ beschrieben (Lg. IV 710c–d). Soweit die Liste der wichtigsten Unterschiede. Sie belaufen sich auf so viele substantielle Punkte, dass man meinen könnte, man müsse zumindest teilweise einem developmentalism rechtgeben. Andererseits scheinen mir die genannten Differenzpunkte auch anders erklärbar zu sein als durch einen platonischen Meinungswandel. Dies beginnt mit der Feststellung, dass man aus der (fast kompletten) Abwesenheit des Begriffs „Philosophie“ nicht schließen darf, Platon habe sein bisheriges politisches Konzept preisgegeben, das sich auf Philosophie stützte. Korrekt ist vielmehr nur die Beobachtung, dass das hier entwickelte
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Modell nicht explizit auf Philosophie rekurriert – was freilich immer noch die Möglichkeit lässt, dass es implizit philosophiebasiert ist. Und in der Tat wäre es wenig glaubwürdig anzunehmen, Platon habe die Ideentheorie und die ZweiWelten-Konzeption (die beide noch im späten Timaios vorhanden sind) oder seine intellektualistische Auffassung von Tugend und Glück aufgegeben und stattdessen eine späte nicht-philosophische Denkform entwickelt, mit der er seinen eigenen früheren Intellektualismus kritisieren will. Ungleich plausibler ist die Annahme, dass Platon hier aus Gründen der Praxisorientierung ohne die Mittel der Philosophie auszukommen versucht. Diesen Punkt müssen wir genauer betrachten. Philosophie ist in einem doppelten Sinn in den Nomoi abwesend: sowohl polis-intern als auch dialog-intern. Erstens nämlich spielt in Magnesia die Philosophie keine institutionelle Rolle, weder für die politischen Führungskräfte noch für die Erziehung noch für die politisch-administrativen Entscheidungen usw.7 Zweitens stützt sich die Argumentation der Nomoi nicht nur nicht auf einen expliziten Philosophiebegriff; vielmehr finden wir auch im Dialogverlauf wenig Philosophie. Sorgfältige Begriffsklärungen, bestechende Argumente und subtile Theorien, wie wir sie von Platon sonst gewohnt sind, fehlen fast ganz; Megillos und Kleinias, die beiden älteren Gesprächspartner des Atheners, bilden dafür offenbar nicht die richtigen Adressaten. Andererseits muss man sehen, was in den Nomoi keineswegs fehlt: nämlich insbesondere die beiden für Platons politisches Denken zentralen Momente der Staatsordnung als (göttlicher) Vernunftordnung sowie der strengen Tugenderziehung. Philosophie ist im Dialog also präsent als eine Art von ferner Ratgeberin, die in einen komplett nicht-philosophischen Kontext hineinwirkt, um für diesen das Besterreichbare herauszuarbeiten. Platon argumentiert gewissermaßen mit den Mitteln der Philosophie, ohne diese Mittel ref lexiv zu rechtfertigen, für ein Modell, in dem Philosophie keine Rolle spielt, das aber mit den besten philosophischen Überlegungen übereinstimmt. Auf die Nomoi beziehen lässt sich somit das Diktum aus dem Politikos: Ein Gesetzgeber kann, vergleichbar einem Arzt oder Gymnastiklehrer, für die Zeit seiner Abwesenheit Gesetze als Gedächtnisstützen aufschreiben (Plt. 295c). Die Bürger verstehen dann zwar nicht vollständig, warum ihnen die betreffenden Fachleute diese oder 7 Sokrates hätte, wie Rowe (2003) es treffend ausgedrückt hat, keinen Platz in Magnesia gefunden: Man kann sich nicht vorstellen, wie ein argumentorientierter Wahrheitssucher dort agieren könnte, weil die Wahrheit bereits in der Verfassung und ihren Organen institutionalisiert ist.
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jene Vorschriften hinterlassen haben; das müssen sie auch nicht, weil sie im Vollzug der Gesetze eine Quasi-Einsicht in deren Richtigkeit erhalten. Man beachte, dass Platon verlangt, der Text der Nomoi selbst solle in Magnesia als Schullektüre dienen (Lg. VII 811c–812a; dazu Görgemanns 1960, 7–17). Das zeigt, dass es Platon um eine Einf lussnahme geht, die, ganz anders als in seinen sonstigen Schriften, auf ein breites Publikum belehrend und normgebend gerichtet ist. Damit dürfte zugleich die Vorstellung ins Wanken geraten, aus der in den Nomoi stark akzentuierten Rolle der Gesetze ergebe sich eine fundamentale Perspektivänderung. Die Etablierung von Gesetzen, Institutionen und Prozeduren passt in ein unitarisches Bild, wenn man Magnesia als eine philosophisch optimal geordnete konkrete Polis begreift, ohne dass dabei Philosophen direkt involviert wären oder bei Bedarf intervenieren könnten.8 Dass Magnesia eine philosophische Polis ohne Philosophie ist, zeigt sich zudem beispielsweise an der Rolle der Prooimien, die den Bürger richtige Meinungen durch Überredung (peithô) vermitteln sollen, ohne dass dabei Argumente gegeben würden. Die Gesetzgebung, so ein weiterer für uns wichtiger Punkt, ist den Nomoi zufolge nicht vergleichbar mit den Heilungsvorschriften eines „Sklaven-Arztes“, der seine Patienten unvermittelt mit seinen eigenen Einsichten konfrontiert; sie gleicht vielmehr dem Vorgehen eines „Arztes für Freie“, der seine Therapieformen den Patienten gegenüber erklärt und um ihre Zustimmung wirbt (Lg. IV 719e–720e). Wichtig ist dabei der Umstand, dass Platon im ganzen Werk auf einen moralischen Intellektualismus des strikten Typs verzichtet; er ersetzt ihn durch einen moralischen Quasi-Intellektualismus, der volle Einsicht durch wahre Meinung (doxa alêthês) ersetzt.9 So lässt sich etwa sagen, dass der Tyrann, von dem in Nomoi IV die Rede ist, nur konventionelle Tugenden besitzt und auch lediglich in einer einzigen Hinsicht als Glücksfall gilt: nämlich dann, wenn er eine optimale Gesetzesherr-
8 Eine bemerkenswerte Antizipation dieses Gedankens enthält Rep. IX 522a–e: Ebenso wie ein schwacher Mensch durch die Führung dessen profitiert, der das Göttliche als herrschende Macht in sich trägt, können die Bürger im Staat, so Platon, von der helfenden und schützenden Funktion des Gesetzes profitieren. 9 Am Beispiel der Kenntnis des richtigen Weges nach Larissa zeigt er bereits in Men. 98a, dass epistêmê und orthê doxa zum selben Ergebnis führen; allerdings besitzt die epistêmê für Platon den Vorteil, dauerhaft und kohärent zu sein.
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schaft auf den Weg bringt.10 Die platonische Bewertung des Tyrannen, wie wir sie sonst kennen, braucht dadurch keineswegs in Frage gestellt zu sein. Man darf somit angesichts der Liste der Differenzen nicht übersehen, dass es substantielle Gemeinsamkeiten zwischen den Nomoi und den früheren Schriften gibt. Wie bereits gesagt, zählen dazu die Idee einer Herrschaft der (göttlichen) Vernunft, wenn auch nur in Form einer Gesetzesordnung, sowie die Tugenderziehung, die Kritik der Dichtung11 , besonders der Komödie, und die Kritik an der Tyrannis und an der Demokratie.12 Drei weitere Punkte seien kurz explizit genannt: (a) Güter- und Tugendkatalog: Güter werden von Platon in den Nomoi in zwei Klassen eingeteilt: in menschliche und göttliche. Unter menschlichen Gütern versteht er Gesundheit, Schönheit, Körperkraft und einsichtsvollen Reichtum. Göttliche Güter sind die vier aus der Politeia bekannten Kardinaltugenden, nämlich Einsicht, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit (Lg. I 631b–d; III 688a f.). An späteren Stellen ist davon die Rede, dass es einen Primat der Fürsorge für die Seele gibt und dass erst danach die Fürsorge für den Körper und dann die Sorge für körperliche und äußere Güter folgen darf (Lg. III 697a–c; V 743d f.). Die Lehre vom Vorrang seelischer Güter wird bei Platon an zahlreichen früheren Stellen vertreten oder doch vorbereitet (vgl. etwa Euthd. 279b ff.; Men. 87d ff.; Grg. 452a ff.; Rep. VI 506a). Die Theorie der vier Kardinaltugenden findet sich prominenterweise in Politeia IV. Das alles deutet auf Kontinuität in der Güter- und Tugendtheorie hin. (b) Eudämonismus und Perfektionismus: Die Nomoi beruhen unverändert auf einem politischen Perfektionismus und Eudämonismus. Einen Perfektionismus vertritt Platon, insofern er die Vervollkommnung der Staatsbürger zum Ziel der staatlichen Gesetzgebung erklärt. Politischer Eudämonist ist er, insofern er das Glück des Individuums mit dem Leben in einer ihn perfektionierenden Verfassungsordnung gleichsetzt. Bereits die Politeia und der Politikos beruhen auf einer solchen perfektionistischen und eudämonistischen Grundlage. In den Nomoi wird ausdrücklich konstatiert: Ziel des Gesetzgebers, so der Athener, muss 10 Zum Textstück vgl. die Interpretation von Brisson 2009. 11 Zur Dichterkritik der Nomoi vgl. II 662c–e; IV 719a–c; VII 811b–e. 12 In den Nomoi wird dies besonders an den Kontrastbeispielen Persien und Athen vorgeführt (III 697c–700a).
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die Förderung der höchsten Tugend bei den Bürgern sein (Lg. I 630c; IV 705d f.; XII 963a). Das Vorhandensein guter Gesetze macht diejenigen, die sie anwenden, glücklich; denn die Gesetze verschaffen ihnen sämtliche Güter (tous autois chrômenois eudaimonas apotelountes. Panta gar agatha porizousin: Lg. I 631b5 f.). (c) Betonung der inneren Einheit und Geschlossenheit der Polis: In der Politeia gilt es als der entscheidende Vorzug von gerechten gegenüber ungerechten Staaten, dass erstere geeint seien, während letztere aus antagonistischen Teilen zusammengesetzt seien (Rep. IV 422a–423d). Es ist somit ein Zeichen von Kontinuität, dass auch Magnesia in den Nomoi als „freundschaftlich geeint“ charakterisiert wird (Lg. III 693b). Die Bürger sollen, wie es andernorts heißt, „so glücklich wie möglich und miteinander so befreundet wie möglich“ sein (Lg. V 743c). Besonders deutlich wird die Parallele, wenn es in den Nomoi heißt, die Staatsverfassung werde durch das einigende Band der Gerechtigkeit zusammengehalten (Lg. XII 945d).
1.2 Eine unitarische Interpretation der Differenzpunkte Nach diesem Durchgang durch die Momente der Diskontinuität und der Kontinuität zwischen kallipolis und Magnesia ist es zwar klar, dass es gravierende Unterschiede gibt, nicht aber, ob diese Unterschiede nun als systematische Differenzen, basierend auf Platons biographisch bedingter Meinungsänderung, zu verstehen sind – oder ob es sich einfach um kontextrelative Variationen einer einzigen Position handelt. Bisher sahen wir lediglich, dass ein developmentalism, so attraktiv er sich zunächst ausnehmen mag, nicht gerade zwingend ist; im Gegenteil, die sehr spezielle Ausrichtung der Nomoi lässt dies als wenig glaubwürdig erscheinen. Ich sehe darüber hinaus vier zentrale Argumente, die sich für eine Kontinuitätsthese anführen lassen: [I] Utopie und Realisierbarkeit: Wenn man über das Verhältnis von Politeia, Politikos und Nomoi nachdenkt, muss man beachten, dass es sich bei der Neugründung der mustergültigen Polis Magnesia nicht wie bei der kallipolis der Politeia um ein hypothetisch-argumentatives Gebilde handelt; wir haben es nicht mit einer Utopie zu tun, in der das theoretisch Bestmögliche, unabhängig von al-
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len Realisierungsperspektiven, entwickelt wird.13 Grundsätzlich kommt es in den Nomoi nicht zu interessanten theoretischen Klärungen; die Gesprächspartner fordern und erhalten keine komplexen Argumente, sondern stimmen dem Athener eher aus Lebensweisheit oder einem „gesunden Rechtsempfinden“ zu. Platon schildert die Planung der neuen Stadt außerdem zwar als ein fiktives, aber doch zugleich konkretes und reales Projekt, welches die Gesprächspartner in einem verlassenen Teil Kretas im Auftrag der Stadt Knossos erfüllen sollen. Wenn die Ausgangslage aber so unterschiedlich ist, dann scheint es so, dass sich die eben aufgezählten Differenzen dadurch erheblich relativieren lassen. [II] Politische Anthropologie: Einen wichtigen Punkt in den Nomoi bildet zudem die politische Anthropologie. Zentral ist hierfür die Stelle IX 875b–c, wo Platon die menschliche Natur als fundamental selbstsüchtig und eigeninteressiert beschreibt. Es bedarf der Herrschaft der Gesetze, so der athenische Fremde, weil sich der Mensch sonst „in nichts vom allerwildesten Tier unterscheiden“ würde. Überraschenderweise schließt sich daran eine scheinbar anti-intellektualistische und externalistische Bemerkung an, nämlich dass „keines Menschen Natur mit einer solchen Fähigkeit begabt ist, dass sie nicht nur erkennt, was den Menschen für ihre staatliche Gemeinschaft nützt, sondern auch, wenn sie es erkannt hat, die Kraft und den Willen aufbringt, das Beste zu verwirklichen“ (Lg. IX 875a2–4).14 Man tendiert hier zunächst zu der Lesart, Platon wolle das Einsichtsmoment vom Moment der Motivation trennen; doch das wäre für ein Gesamtwerk eine singuläre Feststellung, was die Lesart recht unwahrscheinlich macht. Hinzu kommt, dass er andernorts in den Nomoi wiederum klar an der intellektualistischen Formel „Niemand handelt freiwillig schlecht“ festhält.15 Wie mir scheint, sollte man die Stelle daher so verstehen, dass der moralische Intellektualismus nicht aufgegeben wird, sondern hier überhaupt nicht im Spiel ist. Gemäß seinem moralische Quasi-Intellektualismus implizieren die Worte ... kai gnousa to beltiston aei dynasthai te kai ethelein prattein vielmehr kein volles Wissen; gemeint ist weniger als eine volle philosophische Einsicht, da von Philosophie 13 Die kallipolis bildet eigentlich kein politisches Ideal, sondern stellt das politische Korrelat der optimalen individualethischen Gerechtigkeit dar. Deswegen ist die Frage nach ihrer Realisierbarkeit in der Politeia zunächst bedeutungslos. 14 Hê de aitia toutôn hêde, hoti physis anthrôpôn oudenos hikanê phyetai hôste gnônai te ta sympheronta anthrôpois eis politeian kai gnousa to beltiston aei dynasthai te kai ethelein prattein. 15 Lg. I 646b–c; II 663b; V 731c; 734b2–6; IX 860d1; 861d2–4; zur Interpretation Horn 2004.
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hier ja keine Rede ist. Der Wissensbegriff ist hier einfach unser alltäglicher, der nach Platon auf bloßer doxa alêthês beruht. Die Korrumpierbarkeit (nahezu) jedes Menschen durch politische Macht beschränkt sich so gesehen auf Nicht-Philosophen: Platon betont nur in diesem Sinn, die „sterbliche Natur“ werde jeden Herrscher „stets zur Selbstsucht und zur Befriedigung seiner persönlichen Interessen antreiben“ und werde, „indem sie in sich selbst Finsternis erzeugt, am Ende sich selbst und den gesamten Staat mit lauter Übeln anfüllen“ (875c2 f.). Dass die Korruptions-Anthropologie sich nicht auf Philosophen bezieht, ist m. E. auch daraus ersichtlich, dass diese Klage über die menschliche Natur wiederum in eine pro-intellektualistische Feststellung einmündet: Wenn allerdings einmal durch göttliche Fügung ein Mensch mit jener natürlichen Fähigkeit geboren würde und imstande wäre, eine solche Machtstellung zu erlangen, so bräuchte er keinerlei Gesetze, die über ihn herrschen müssten. Denn dem Wissen ist keinerlei Gesetz und keine Ordnung überlegen; und es widerspräche auch der göttlichen Satzung, wenn die Vernunft etwas anderem untertan und dessen Sklavin wäre, sondern sie muss über alles herrschen, sofern sie wirklich in ihrem Wesen wahrhaft und frei ist. Nun aber findet sich ja doch nirgends eine solche Fähigkeit, es sei denn in geringem Maße; darum gilt es das Zweitbeste zu wählen, die Ordnung und das Gesetz [...]. (Lg. IX 875c3–d4)16 Nach meiner Deutung ergibt sich daraus die folgende Konsequenz: Die pessimistische Anthropologie des generellen Korruptionsverdachts, die wir in den Nomoi finden, spiegelt recht besehen keineswegs eine Wendung Platons zum moralischen Anti-Intellektualismus. Sie zeigt genau das Gegenteil: Ohne Philosophie ist kein moralischer Intellektualismus zu haben; und da die Nomoi praktisch, nicht philosophisch-theoretisch ausgerichtet sind, kann es in ihnen nur das Surrogat eines moralischen Quasi-Intellektualismus der Institutionen- und Gesetzesherrschaft geben. Dies lässt sich auch anhand der platonischen Formulierung bestätigen, nach der die Stadt unter den gegenwärtigen Bedingungen der Nach-Kronos-Periode noch am relativ besten „nachahmend“ verwaltet werden 16 Ich übernehme alle Übersetzungen (teilweise in leicht modifizierter Form) von Schöpsdau 1994– 2011.
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solle, nämlich durch das Gesetz als eine „Verteilung der Vernunft“ (tên tou nou dianomên ... nomos: 714a1 f.). Das Gesetz ist Ausdruck der Vernunftordnung des Kosmos, bildet lediglich deren verminderte, nicht-ideale Variante. [III] Einsichtsgeleitetes Individuum: Wie das letzte längere Zitat belegt, ist in den Nomoi doch nicht ausnahmslos jeder Mensch von der Korrumpierbarkeit durch Macht betroffen. Platon spricht vielmehr klar von – wenn auch extrem seltenen – Ausnahmepersönlichkeiten, die durch ihr Wissen jede Gesetzesordnung unnötig machen. Auch wird hier, wie mir scheint, die Möglichkeit von Willensschwäche bei voller Einsicht infrage gestellt, nämlich mit den Worten, die Vernunft dürfe nach göttlicher Satzung nicht als „etwas anderem untertan und als dessen Sklavin“ angesehen werden, sondern müsse „über alles herrschen“ (oude themis estin noun oudenos hypêkoon oude doulon alla pantôn archonta einai: 875c7– d1).17 Der Textpassus bringt so gesehen die aus der Politeia und dem Politikos bekannte Figur des einsichtsgeleiteten Herrschers erneut ins Spiel, welcher jenseits der Gesetze steht. Auch in der bereits erwähnten Passage vom maßvollen Tyrannen erscheint ein Herrscher, der von einem „göttlichen Eros“ zu einer besonnenen und gerechten Lebensweise ergriffen wird (Lg. IV 711d). Zwar kann er nicht als wirklich einsichtsgeleitet gelten, aber zumindest gehört er zu den – gegenwärtig selten gewordenen, aber zur Zeit Trojas noch häufigen – Herrschern, die eine gute Polis auf den Weg bringen können. [IV] Geschichte: Die Nomoi (IV 713a–714b) enthalten eine Geschichtsphilosophie, die der aus dem Mythos des Politikos (268e–274d) bemerkenswert ähnlich ist. In beiden Texten werden zwei kosmologische und historische Epochen gegeneinander abgesetzt, deren Hauptunterschied darin liegen soll, dass im ersten Zeitalter der Gott (nämlich Kronos) die Menschen betreut habe, während im zweiten Menschen über Menschen herrschen; in beiden Texten wird die zweite Phase als desaströs charakterisiert. Die in der zweiten Epochen notwendigen menschlichen Staatsformen können lediglich auf bessere oder schlechtere Weise das Regiment des Kronos imitieren (mimeisthai). Der entscheidende Textpassus, in dem sich eine Wiederaufnahme und Fortführung des Politikos-Mythos findet, ist folgender (Lg. IV 713e3–714a2): Und so behauptet denn auch heute noch diese Geschichte und trifft damit die Wahrheit (alêtheia chrômenos), dass es für alle Staaten, über 17 In diesem Punkt bin ich gegen die sonst vorzügliche Untersuchung von Müller 2009, 97–108.
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die nicht ein Gott, sondern irgendein Sterblicher herrscht, kein Entrinnen vor Unheil und Leiden gibt; vielmehr müssten wir, meint sie, mit allen Mitteln die Lebensweise, die unter Kronos bestanden haben soll, nachahmen (mimeisthai) und dem, was an Unsterblichkeit in uns ist, folgend, im öffentlichen wie im persönlichen Leben unsere Häuser und Staaten verwalten, indem wir die Verteilung der Vernunft als Gesetz bezeichnen. Der athenische Fremde erscheint in den Nomoi wohl mehr als Sprachrohr Platons, als dies für irgendeinen früheren Gesprächsführer gilt. Zudem wird in unserem Textausschnitt für den Mythos explizit Wahrheit beansprucht (vgl. alêtheia chrômenos: 713e4). Die Glaubwürdigkeit dieser Geschichtsphilosophie wird zudem dadurch herausgestellt, dass von einer Notwendigkeit, an ihn zu glauben, gesprochen wird (vgl. anankê dêpou peithesthai: 714b2). Dasselbe gilt für den Politikos: auch dort wird die Geschichtstheorie als „sehr plausibel dargestellt“ (mala eikotôs eirêsthai: Plt. 270b1) gekennzeichnet. Anders gesagt, man kann die beiden politischen Ansätze Platons einheitlich als Versuche lesen, mit der prinzipiellen Schwierigkeit des aktuellen Zeitalters zurechtzukommen: Wie kann man die Herrschaft von Menschen über Menschen so gestalten, dass sie möglichst weitgehend der göttlichen Regierung der Vorzeit ähnelt? Die vier genannten Überlegungen [I–IV] bilden m. E. Meta-Kriterien für die Interpretation der Nomoi, weil sie sich als dialog-übergreifende Theorien Platons lesen lassen, die im Hintergrund permanent präsent sind. Sie lassen eine entwicklungsbasierte Sicht der platonischen politischen Philosophie als unnötig erscheinen. Wenn dies zutrifft, was ist es dann genau, was die Andersartigkeit der Nomoi gegenüber der Politeia zu erklären vermag? Ich schlage im Folgenden eine Lesart aus dem Praxisbezug vor und versuche sie mit Blick auf einige selbstreferentielle Passagen in den Nomoi zu belegen.
1.3 Wie lässt sich für eine unitarische Lesart aus dem Praxisbezug argumentieren? Eine der größten Herausforderungen für Leser(innen) des platonischen Corpus besteht darin herauszufinden, wie Platon in seinen jeweils späteren Texten über
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seine jeweils früher affirmativ vorgetragenen Auffassungen urteilt. Hier wäre es natürlich am einfachsten, er würde uns direkte intertextuelle Kommentare liefern; aber diesen Gefallen tut er uns leider so gut wie nie. Dennoch sollte man gegenüber einem allzu dynamischen developmentalism misstrauisch sein: So glaubten viele Vertreter der älteren Forschung, Platon habe seine eigene Ideentheorie mithilfe des „Arguments vom dritten Menschen“ attackiert, was heute gemeinhin als unplausibel gilt.18 Auf unseren Fall angewandt ist zu bedenken: Es gibt in den Nomoi nirgendwo eine klar erkennbare Selbstkritik Platons.19 Hingegen existieren Elemente von retrospektiver Selbstaffirmation. Einige Äußerungen Platons klingen so, als wollte er sich grundsätzlich zustimmend auf seine früheren Positionen zurückbeziehen, darunter die vier im letzten Abschnitt genannten Inhalte. Die wichtigste Stelle für eine solche Bezugnahme ist aber wohl die, an der er die Verfassung von Magnesia explizit als die „zweitbeste“ Einrichtung einer Polis bezeichnet (Lg. V 739a); andernorts werden die Ordnung und das Gesetz (taxin te kai nomon) grundsätzlich als zweitbeste Option gegenüber der Herrschaft eines einsichtsgeleiteten Individuums bezeichnet (Lg. IX 875d3 f.). Man kann darin die Behauptung sehen, die Gesetzesordnung von Magnesia müsse gegenüber der Verfassung der kallipolis als sekundär betrachtet werden. Interessanterweise muss man dies aber keineswegs behaupten, wenn man einen Unitarismus vertreten will; das hat A. Laks unter Wiederaufnahme einer älteren Beobachtung von Paul Natorp plausibel gemacht. Laks argumentiert dafür, dass Platons Gebrauch der Wertung „zweitbeste Lösung“ in den Nomoi sich stets auf spezifisch menschliche Institutionen beziehe; die bestmögliche Option ist so gesehen immer die göttliche. Die kallipolis der Politeia ist dann nur eine der Möglichkeiten, wie eine Polis-Ordnung wesentlich durch göttliche Einwirkung bestimmt sein kann.20 Das scheint mir überzeugend. Platon vertritt eine „politische Theologie“ in dem Sinn, dass er die göttliche Ordnung des Kosmos für das maßgebliche Paradigma jeder menschlichen Ordnung hält. Allerdings interpretiert Laks die Situation so, als meine Platon mit der besten oder göttlichen Staatsverfassung eine 18 Dazu ausführlich Kahn 1998. 19 Schofield 2006, 81 erwägt eine Selbstkritik für den platonischen Freiheitsbegriff der Nomoi, weist dies aber mit Blick auf die andersartige Perspektive der Spätschrift zurück. 20 Laks 2001, 108: „Now the two pairs, best/second best on the one hand, divine/human on the other hand, are functionally equivalent.“
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für Götter, so dass es sich bei der zweitbesten um die beste für Menschen handeln würde.21 Das wiederum scheint mir nicht korrekt; die bestmögliche Verfassung ist vielmehr die beste für Menschen, nur setzt sie eine göttliche Intervention voraus. Die göttliche Intervention kann wie in der Politeia darin bestehen, dass sich eine regierende Philosophenklasse herausbildet. Selbstreferentielle Passagen, in denen Platon zu seiner politischen Philosophie Stellung bezieht, sind häufig nicht nur im Fall von retrospektiven Affirmationen interessant, sondern auch dann, wenn sie das vorliegende Projekt direkt charakterisieren. Das tut Platon an zwei selbstreferentiellen Stellen, auf die ich abschließend meine Aufmerksamkeit richten will. Eine dieser bedeutenden Passagen, die ein Licht auf die politische Philosophie der Nomoi wirft, ist die Stelle IX 853b4–d4; sie sei ausführlich zitiert: Freilich ist es irgendwie beschämend, auch nur Gesetze für all das zu erlassen, wie wir dies jetzt vorhaben, in einer solchen Stadt, von der wir meinen, dass sie eine gute Einrichtung erhalten und in jeder Hinsicht über die richtigen Voraussetzungen zur Ausübung der Tugend verfügen wird. Ja schon die Annahme, dass in einer solchen Stadt jemand aufwächst, der sich an den schlimmsten Formen der in anderen Städten üblichen Schlechtigkeit beteiligen werde, so dass man dem als Gesetzgeber zuvorkommen und Drohungen aussprechen muss für den Fall, dass jemand so werden sollte, und dass man zu ihrer Abschreckung und – wenn sie doch so geworden sind – zu ihrer Bestrafung Gesetze gegen sie erlassen muss, als werde es wirklich solche Menschen geben: dies ist, wie gesagt, irgendwie beschämend. Da wir aber nicht in der gleichen Lage sind wie die alten Gesetzgeber, die für Göttersöhne, nämlich für die Heroen, wie die Sage heute erzählt, Gesetze gaben und so als Abkömmlinge von Göttern anderen, die von Wesen derselben Art abstammten, Gesetze gaben, sondern da wir jetzt als Menschen und für eine Menschensaat Gesetze geben, so möge man es uns nicht verargen, wenn wir befürchten, es könnte unter unseren Bürgern jemand gleichsam „mit einer harten Schale“ geboren werden, der so unnachgiebig 21 Laks 2001, 108: „If the best and the second best cities represent two orders that are in principle as radically different as men and gods, is not the implication that the city which is second best in absolute terms is also the best in relative terms – best for men, that is?“
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Zunächst einmal liefert die Stelle eine weitere Bestätigung für die oben rekonstruierte platonische Geschichtsphilosophie: Es gab eine frühere ideale, von Göttern bestimmte Zeit der Menschengeschichte. Allerdings wird ein eher anthropologischer Akzent gesetzt: Frühere Menschen waren Göttersöhne und Heroen; für diese Personengruppe Gesetze zu geben, sei um vieles einfacher gewesen als die heutige Gesetzgebung, da sich die Menschen zum Schlechteren gewandelt hätten. Für unseren Zweck aussagekräftig ist nun besonders, dass die Gesetzgebung bezüglich moralisch minderwertiger, uneinsichtiger und schwer beeinf lussbarer Individuen „beschämend“ oder „schändlich“ (aischron) sein soll, wie es zweimal heißt. Denn der Umstand, dass die Nomoi eine irgendwie beschämende Aufgabe erfüllen, wirft einiges Licht auf ihren Charakter. Platon beschreibt damit das, was er selbst in den Nomoi tut, nämlich eine praxisbezogene Gesetzgebung zu formulieren, offenbar als irgendwie lästige, missliche Aufgabe. Eine solche Selbstbeschreibung spricht deutlich für eine unitarische Lesart der Nomoi aus dem Praxisbezug. Was Platon uns liefert, ist also keine späte Selbstrevision, sondern eher eine Selbstzumutung: ein teilweise regelrecht beschämender Versuch, der aber um einer Einf lussnahme auf die konkrete Politik willen notwendig ist. An der zweiten bedenkenswerten selbstreferentiellen Stelle, in V 745e7– 746d2, wird die Frage aufgeworfen, ob nicht die in den Nomoi entworfene politische Ordnung eine Überforderung gewöhnlicher Menschen darstelle. Der Athener (in der Figur eines wörtlich sprechenden fiktiven Gesetzgebers) gesteht dies ausdrücklich zu, betont aber, hier werde zunächst ein idealisiertes Paradigma entworfen. Dieses habe auch dann einen Wert, wenn es nicht in jeder Hinsicht realisierbar sei und nur als Muster für eine graduelle Approximation diene. Die Passage lautet: Wir müssen aber folgendes auf jeden Fall bedenken. Alles, was wir soeben vorgetragen haben, wird wohl niemals auf derart günstige Umstände treffen, dass sich alles so ganz nach unserem Plan
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zusammenfindet: einerseits Menschen, die sich gegen ein solches Zusammenleben nicht sträuben, sondern bereit sind, das ganze Leben hindurch ein festgesetztes und mäßiges Vermögen zu besitzen und eine Kinderzahl, wie wir sie für jeden angegeben haben, und auf Gold zu verzichten und auf manches andere, was der Gesetzgeber aufgrund des eben Dargelegten offensichtlich noch anordnen wird; sodann aber auch bei Land und Stadt, wie er es verlangt, eine zentrale Lage und kreisförmig nach allen Richtungen hin angeordnete Wohnungen, fast als ob er damit Träume erzählen oder gleichsam aus Wachs eine Stadt und ihre Bürger formen wollte. Derartige Einwände sind nun in gewisser Hinsicht nicht verkehrt; man muss sich jedoch etwa folgendes ins Gedächtnis rufen. Wieder weist uns also der Gesetzgeber auf folgendes hin: „Liebe Freunde, glaubt ja nicht, ich selbst hätte bei diesen Reden übersehen, dass der jetzt erhobene Einwand in gewisser Hinsicht Wahres vorbringt. Gleichwohl meine ich, dass bei allem, was in der Zukunft verwirklicht werden soll, das angemessenste Vorgehen dies ist, dass derjenige, der ein Muster (paradeigma) dafür aufzeigt, wie das in Angriff genommene Projekt ausfallen soll, dabei nichts von dem Schönsten (kallistôn) und Wahrsten (alêthestatôn) auslässt; wem aber etwas davon sich als unmöglich realisierbar erweist, der soll eben das auslassen und nicht ausführen; was aber von den verbleibenden Vorschlägen diesem am nächsten kommt und mit dem, was ausgeführt werden müsste, am engsten verwandt ist, für eben dessen Verwirklichung soll er sorgen. Den Gesetzgeber aber soll er seine Absicht vollenden lassen; erst wenn das geschehen ist, soll er gemeinsam mit ihm prüfen, was von dem Vorgeschlagenen nützlich und welches Stück der Gesetzgebung zu schwierig ist. Denn etwas in sich selbst Stimmiges muss doch selbst der Hersteller eines noch so unbedeutenden Produkts auf jeden Fall zustande bringen, wenn er der Beachtung wert sein will“. Wie dieses ungemein aussagekräftige Textstück belegt, hält Platon den Verfassungsentwurf für Magnesia gerade nicht für nicht-ideal; es handelt sich bei ihm also keineswegs um sein Zugeständnis an die politische Realität. Man sollte also nicht behaupten, in den Nomoi werde sozusagen die ermäßigte Version des Politeia-Modells entwickelt, die von einem zwischenzeitlich gereiften platonischen
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Realitätssinn zeuge.22 Im Gegenteil, Platon sieht den hier gelieferten Ansatz als normativ besonders anspruchsvoll an, weil er den Bürgern (die ja, wie wir eben sahen, keine Göttersöhne, sondern häufig genug schlechte Menschen sind) extrem viel abverlangt. Deshalb ist auch die ältere, heute kaum noch vertretene Lesart abzulehnen, Platon habe zwischen dem Staatsentwurf der Mittelperiode und dem des Spätwerks eine Meinungsänderung vollzogen, in deren Mittelpunkt ein wachsender politischer Pessimismus und eine Abkehr von allzu hochf liegenden Idealen steht: Platon habe nunmehr resigniert. Während er gemäß dieser obsoleten Resignationsdeutung mit der kallipolis noch eine extrem utopische Vision riskiert habe, sei der – vielleicht durch schlechte Erfahrungen in Syrakus – realistischer gewordene späte Platon bereits mit einem weniger anspruchsvollen Modell zufrieden (vgl. etwa Popper 1957, 189 f.; Vlastos 2 1981, 216; Kelsen 1985, 115–132). Wir sehen vielmehr, dass Platon meint, der Staat der Nomoi sei besonders anspruchsvoll konzipiert. Im letzten Zitat scheint mir zudem Folgendes wichtig: Der Athener lässt den Nomotheten sagen, ein Gesetzgeber solle zuerst ein konsistentes Verfassungsmodell im Ganzen vorlegen, bevor man sich überlegen könne, was davon realistischerweise umzusetzen sei. Man beachte den markanten Unterschied zur Politeia. Dort wird die kallipolis von vornherein als ein ideales paradeigma konzipiert (Rep. V 472c–d), dessen Verwirklichungschancen irrelevant bleiben. Ob der skizzierte Staat realisierungsfähig sei oder nicht, bilde, so heißt es, kein Thema der Untersuchung; er existiere nirgendwo auf der Erde, sondern bestehe als ein paradeigma im Himmel (Rep. IX 592b). Die Realisierbarkeit der kallipolis hängt für Platon am Ende davon ab, ob man zu jener „kleinstmöglichen Korrektur“ (V 473b) am bis dahin entwickelten Modell bereit ist, nämlich zur Einrichtung einer Philosophenherrschaft. Eine Verwirklichung der kallipolis steht und fällt also mit der Chance darauf, dass es zur Regierung von Philosophen kommt (vgl. VII 540d). Ganz anders in den Nomoi: Dort wird die „Idealität“ des Polis-Entwurfs zwar ebenfalls betont, aber gemeint ist die Idealität eines konkret realisierungsfähigen Staats, dessen approximative Umsetzung verlangt wird („was aber von den verbleibenden Vorschlägen diesem am nächsten kommt und mit dem, was ausge22 Falsch scheint mir daher der einfache Unitarismus, den Saunders (1992, 483) wie folgt formulierte: „What is the relationship between the state Magnesia and the state Callipolis? Expressed in the sharpest form, my answer would be: There is no relationship. They are the same Platonic state – but placed at two points of a single sliding scale of political maturity“.
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führt werden müsste, am engsten verwandt ist, für eben dessen Verwirklichung soll er sorgen“). Hierin scheint mir das entscheidende Argument zugunsten einer unitarischen Interpretation der Nomoi im Sinn der Lesart aus dem Praxisbezug zu liegen. Die Nomoi liefern einen konkreten gesetzgeberischen Entwurf Platons. Natürlich handelt es sich um die literarische Fiktion einer politischen Konkretion, aber Platons Überzeugung, es bestehe eine prinzipielle (und nicht auf Kreta beschränkte) Umsetzbarkeit, ist manifest. Der späte Platon gibt seinen Zeitgenossen in den Nomoi sozusagen einen Leitfaden dafür an die Hand, wie man einen Staat tatsächlich idealerweise einrichten müsste. Zu seinem Bedauern hat ihn zuvor niemand danach gefragt, wie man dies tun sollte; aber er scheint daran interessiert gewesen zu sein, dass dies post mortem auf der Basis seiner Nomoi möglich bleibt.
Literatur Brisson, L. 2009: Le tyran dans les Lois: La violence fondatrice. Une lecture de Lg. IV 709d–712a, in: S. Gastaldi/J.-F. Pradeau (Hgg.), Le philosophe, le roi, le tyran, Sankt Augustin, 129–137. Horn, Ch. 2001: Kontinuität, Revision oder Entwicklung? Das Verhältnis von Politeia, Politikos und Nomoi bei Eric Voegelin und in der aktuellen Forschung, in: Occasional Papers des Eric Voegelin Archivs München, München. – 2002: Warum zwei Epochen der Menschheitsgeschichte? Zum Mythos des Politikos, in: M. Janka/ Ch. Schäfer (Hgg.), Platon als Mythologe, Darmstadt 2002, 137–159. Kelsen, H. 1985: Die Illusion der Gerechtigkeit: eine kritische Untersuchung der Sozialphilosophie Platons, Mainz. Müller, J. 2009: Willensschwäche in Antike und Mittelalter. Eine Problemgeschichte von Sokrates bis Johannes Duns Scotus, Leuven. Popper, K. R. 1957: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde I: Der Zauber Platons, Bern (engl. 1945). – 1965: Das Elend des Historizismus, Tübingen.
2 Chris Bobonich
The Puzzles of Moderation
In this paper, I shall focus on a difficulty in Plato’s ethical psychology – in particular, one arising for his psychology of the virtues.1 In the Laws as well as the Republic, Plato recognizes four virtues – wisdom, courage, moderation (sôphrosunê), and justice. Wisdom consists, roughly, in the possession of knowledge of what is overall best for the agent and courage in the ability to resist desires and emotions that prompt the agent to act contrary to her judgment about what is overall best. Justice as a virtue consists in the possession of wisdom, courage and moderation. As we shall see, Plato has two different conceptions of moderation, but the one that I shall focus on understands moderation as a kind of consonance (sumphônia) between, on the one hand, one’s overall best judgments and desire for what is overall best and, on the other, one’s non-rational motivations. This is Plato’s preferred conception of moderation and it is one that I shall argue is surprisingly problematic.
1 I would like to thank for their helpful comments, audiences at Stanford’s Ethics and Politics Ancient and Modern workshop and the University of Mississippi Philosophy department. I would especially like to thank Alan Code, Christoph Horn, Rachana Kamtekar, Jörn Müller, and Steven Skultety.
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2.1 Goods and Conf lict I shall begin with a passage early in Book I of the Laws. There the Cretan interlocutor, Kleinias, offers an account of the purpose underlying all Cretan laws and practices, both public and private (I 625c–626b). This aim is to defeat other cities in war and it rests on a view about the relation among the goods available to cities and their citizens in action: all other goods depend on the good of achieving victory in war. This goal, the Athenian, Plato’s spokesman in the Laws, goes on to argue, is badly mistaken, since it rests on a profound error about value (I 628d ff.). The value of all other possessions depends, not on victory in war, but on their possessor being virtuous. The Laws endorses a Dependency Thesis according to which all other goods really benefit their possessor only if he is just or virtuous (i. e. possesses all four virtues, I 631b–d; II 660e–661e). Things such as health, wealth and life itself are Dependent Goods, that is, they are only good for a just person; they are bad for an unjust person. Things such as poverty, sickness and death are Dependent Evils, that is, they are bad for a just person; they are good or not bad for an unjust person. Justice itself is an Independent Good, that is, it is good for a person regardless of what else she possesses; injustice is an Independent Evil, that is, it is bad for a person regardless of what else she possesses. This Dependency Thesis is a remarkable and counterintuitive claim, but it is, I think, the basis for the ethical and political theory of the Laws. It is central to Plato’s argument for the claim that the just person is always better off than the unjust person and that a rational person should thus always pursue justice. It also grounds the Laws’ insistence that laws must aim at inculcating virtue in all the citizens. The Dependency Thesis, I have argued elsewhere, ultimately rests on the idea that benefiting from possessing or using a Dependent Good requires an appreciation of what makes such things genuinely good (Bobonich 2002, 123– 209). But what is most important for our purposes is that the Dependency Thesis gives virtue a radical priority with respect to all other possible forms of benefit. What I want to focus on here is what Kleinias sees as the origin or source (archê: I 626d5) of the Cretan view about value. It is a psychological thesis. [A]ll are enemies of all in public, and in private each is an enemy of himself […]. Why, right here, stranger, is the first and best of all victories, the victory of oneself over oneself; and being defeated by oneself is the
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most shameful and at the same time worst of all defeats. These things indicate that there is a war going on in each of us, ourselves against ourselves. (I 626d7–e6) The Athenian suggests the error of this line of thought by means of an analogy. Consider a judge faced with a family some of whose sons are just and some unjust.
Which would be better: the one who destroyed the bad among them and set the better to ruling themselves, or the one who made the good men rule and allowed the worse to live while making them willing to be ruled? But we should also mention the judge who is third in respect to virtue, if there ever is such a judge, one capable of taking over a single divided family and destroying no one, but rather reconciling them by laying down laws for them for the rest of time and thus securing their friendship (philous) for one another. (I 627d11–628a3) This last judge is „far better“ (I 628a4) than the other two and so is the corresponding lawgiver who acts to bring harmony to the city (I 628a9). This legal and political analogy is intended to illustrate certain psychological possibilities. But which ones, exactly? To begin, in Kleinias’ view, among cities and individuals, „peace“ is „only a word“ and in reality there is a permanent state of „undeclared war“ (I 626a2–5). This conf lict and enmity extends within individuals (I 626d6–9). So in each individual there is a permanent conf lict within his own soul. Kleinias is not precise about what this involves, but it is clear that the relevant conf lict is among psychic items that are relevant to and productive of action. These include: 1. calculations about what is better and worse for the agent and rational desires in accordance with these calculations, 2. emotions such as fear, boldness, hatred, and so on, 3. pleasure and pain, and 4. non-rational desires associated with items in 2. and 3.
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Kleinias’ view is that within each individual, there will be inevitable conf lict among at least some of these items (I shall call them motivations). So there will be such conf licts even within the best of us. Typically, we should expect such conf lict to be among (1.) and items from (2.), (3.) and (4.). (This is, of course, consistent with the idea that calculation sometimes endorses, e. g., pursuing certain pleasures.) Although Plato rejects this view, it has some Platonic pedigree. In the Republic (IX 571a–572b), Plato appeals to the evidence of dreams to suggest that we all have „lawless“ pleasures and desires in us. In the Laws, one might argue that there is evidence for persistent conf lict either in the fact that everyone, even those with philosophical knowledge, will give in to serious wrongdoing when given autocratic power or in the Athenian’s claim that human beings’ ineradicable attachment to the private makes more communal social arrangements possible only for gods or children of gods (Lg. V 739a–740a). But Kleinias accepts the persistence of conf lict in an especially strong form. It is not limited to just a few topics or occasions: It presents a threat to acting for the best in very many circumstances and eventuates in endemic felt conf lict. At the political level, the right response is to arrange all of a city’s practices for the sake of victory in war and to maintain constant vigilance. For the individual, the response is to cultivate endurance with respect to fear and pain (I 633b–d) and to try to avoid pleasures (I 636e–637b) which are the greatest threat to the victory of the better psychic elements.
2.2 Moderation as Consonance The Athenian instead recommends creating friendship within the individual soul. The natural thought is that this is to create the virtue of moderation (sôphrosunê). In Book III, the Athenian characterizes consonance between pleasure and pain and reason as wisdom. The „greatest ignorance (anoia)“ is [W]hen someone does not love (philê), but rather hates (misê), what in his opinion is fine or good (kalon ê agathon), and loves and welcomes what in his opinion is wicked (ponêron) and unjust. This dissonance (diaphônian) between pleasure and pain on the one hand, and the opinion that is according to reason (kata logon) on the other, I assert to be the
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ultimate and greatest ignorance, because it belongs to the bulk of the soul […] but the finest and greatest of consonances (sumphôniôn) would most justly be called the greatest wisdom (sophia). (III 689a5–d7) Later in Book IV (710a5–8), Plato identifies this kind of wisdom with moderation (cf. II 653a and 659d–e). On the other hand, in Book I, the Athenian describes courage as „a struggle (diamachên)“ against fears (phobous), pains (lupas), longings (pothous) and pleasures (hêdonas) (I 633c8–d3). Although there can be occurrent manifestations of courage, it is plausible to think of courage as something like a disposition and, in this case, as a disposition to struggle against fears and so on in the appropriate circumstances. But there is also a second conception of moderation in the Laws that makes it very close to courage. On this conception, moderation is a kind of selfrestraint or continence (egkrateia) and thus, like courage, requires that there be wayward motivations to resist (I 648d–e; II 673e and VIII 840b–c). In the Republic, too, Plato presents two conceptions of moderation: one on which it is a kind of consonance (sumphônia) and one that involves resistance to wayward motivations.2 But in both dialogues, moderation is most clearly distinct from courage when it is understood as consonance and in both it is clear that consonance is Plato’s preferred understanding of moderation. Roughly speaking, courage seems to be a remedial virtue. It is of direct use when the person’s non-rational motivations must be struggled against. A primary case of such necessary struggle would be when they prompt the person to akratic action. In such a case, there is, it seems, something defective about the person’s non-rational motivations. But even some, e. g., pleasures, that may not prompt to action – such as pleasures in others’ undeserved misfortunes – are undesirable and courage should struggle against them as well. It is correspondingly tempting to see moderation as a higher kind of character state that obviates the need for courage. The judges passage suggests a similar lesson insofar as the best judge is the one who makes all the brothers – including the at least initially unjust ones – „friendly“ to each other.
2 As consonance: Rep. IV 431e–432a. Moderation as continence is one of the accounts of moderation as a virtue of the city, Rep. IV 431a–d. Moderation as an individual virtue may also be understood as continence at Rep. IV 430e.
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Yet before turning to the nature of moderation, we should consider why it is important to Plato. The most obvious benefit is that moderation prevents akratic action. But then again, so does courage. Moderation, however, might be distinctively valuable in several ways. First, while courage is actualized in struggling against certain occurrent motivations, moderation guarantees performance of the correct action without the risk of struggle and it also avoids whatever psychic discord is involved in the struggle. Second, actually having motivations that oppose the results of calculation may seem to be a defect in itself and moderation, in a way yet to be determined, avoids this outcome. More positively, even apart from the benefits of increasing the likelihood of successful action and avoiding the frustration and pain of psychic conf lict, it may simply be good in itself for the person to have her non-rational motivations in the proper order. But there may be more subtle benefits as well. In the Book III passage quoted above, Plato claims that those lacking moderation can be subject to the serious misfortune of hating what they consider good and fine. This goes well beyond merely having a motivation that persists and conf licts with a person’s calculation, and also feeling, e. g., pain at the potential frustration of a non-rational desire. Such hatred as an attitude might not take the fine or the good as, so to speak, an intentional object, but it should involve some appropriate characterization of it. (The hatred might be directed at „what is called ,fine‘“ or at properties, such as refraining from taking advantage of others, that are more or less reliably connected with the fine.) Nor does Plato tell us the precise etiology of this hatred. But it is plausible to think that the hatred develops in the light of repeated actual frustration that are forestalled by moderation.
2.3 The Puzzles of Moderation Let us begin with what I shall call „The Simple View of Moderation.“ On this view, prior to deliberation about what is overall best, the moderate person has no non-rational motivations that will actually conf lict with what is then determined by calculation to be all things considered best. He has been so well habituated that his non-rational motivations are only aimed at overall good objects. But this does not describe, even as an idealization, a possible human virtuous character. Consider, to adapt an example of J. L. Austin’s, a normal healthful appetitive de-
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sire for a vegan cookie. As I reach out for it, I learn that my wife has promised it to a visiting graduate student. Calculation tells me that it is overall best not to eat the cookie. Less dramatically, I may have an antecedent appetitive desire for something that calculation will reveal to be good, but not best. It would seem to be a miraculous coincidence if my ethical training and education were to guarantee that I have no antecedent desires that are for what calculation determines is not best. How could any training guarantee that I do not have desires such as those in the cookie example? Once I allow – as Plato does and the Stoics do not – that I have standing appetitive desires, it is not merely highly likely but simply inevitable that even when they are directed at normally healthful things their objects will sometimes not be endorsed by calculation in the varying circumstances of life. The Simple View, whatever its initial attractions, does not describe a good psychic condition for human beings as Plato in the late period thinks they actually are. It would be even worse to think that moderation requires that one’s standing non-rational motivations positively support what is determined by calculation to be best. The Simple View is much too simple at least in part because it does not take time into account. The natural second suggestion is that in the moderate person, once calculation has determined what is best, appetitive desires (or spirited emotions) fade out entirely or diminish greatly in felt intensity and no longer press to action. Something like this is an attractive idea and is, even apart from Plato, intuitively plausible. And in Book III, Plato describes the moderate person as one whose pleasures and pains „are consonant with and follow (sumphônous […] kai hepomenas) correct logoi“ (III 696c8–10). A reasonable way of understanding this characterization is along the lines of the account of moderation just mentioned. The key idea here is that moderation as consonance involves not only antecedently training non-rational motivations so that they aim at certain objects, but also making them actually responsive to the outcomes of calculation about what is overall best. In the rest of this paper, I shall try to show how difficult and complex it is to work out the details of this conception.
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2.4 Non-Rational Motivations in the Laws In the Laws, Plato accepts the possibility of akratic action, that is, he accepts that a person can, with full awareness, act contrary to what he knows or believes to be best at the time of action. So there are some people in whom non-rational motivations do not fade out or disappear in the manner noted above. Plato’s acceptance of akrasia is grounded in his view that non-rational motivations are independent of rational motivations both with respect to their origin and at least partially with respect to their content. We see such independence, for example, in the Laws’ famous puppet analogy. Let us suppose that each of us living beings is an ingenious puppet of the gods – whether contrived as a plaything of theirs or for some serious purpose, we do not know. But this we do know, that these affections in us (ta pathê), like sinews or cords draw us along, and being contrary to each other, pull one against the other to contrary actions; and herein lies the dividing line between virtue and vice. For, as our argument declares, there is one of the pulling forces (tôn helxeôn) which each person ought always to follow (sunepomenon) and in no way abandon, thereby pulling against the other sinews: this is the golden and sacred pull of calculation (tou logismou), called the common law of the city. The other cords are hard and iron and have every sort of shape, while this one is soft since it is of gold. With that finest pull of the law we should always cooperate; for since calculation is fine, but gentle rather than forceful, its pull needs helpers to assure that the golden kind within us may always vanquish the other kinds. (I 644d7–645b1) The hard and iron cords should include desires for pleasures, aversions from pain, and spirited emotions (I 645d). The golden cord of calculation represents judgments about what is good for the person in the long run (I 644c–d). We can now better see how Plato’s psychology constrains the ways in which moderation as consonance could work. First, although I do not think that in the Laws Plato accepts the existence of Republic-style parts of the soul (i. e. agent-like parts), he does think that there are persistent psychic structures that guarantee
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the existence of motivations that are independent of reason. Such structures have at least the following features. They are able 1. to respond, on the basis of perception or thought, to features in the person’s environment and to internal states of the person, 2. to represent in some way a goal of action and possible actions that conduce to that goal, and 3. to produce a relevant psychic item, e. g. a desire, that can cause the appropriate action. I leave aside here the details and controversies that arise from trying to fill out this structure. Second, non-rational motivations are not for random objects and come in characteristic forms, e. g. hunger, thirst and anger. They divide into appetitive desires for food, drink and sex and spirited emotions (e. g. anger and the desire for honor and so on) and both groups have their associated pleasures, and motivations toward such pleasures. It is now clearer why it is important that nonrational motivations are independent of overall deliberation and judgment both in origin and content. If non-rational motivations had the same content as deliberation, that is, the overall good, they would then involve judgments about the overall good. Such judgments would either face pressure to be made consistent with deliberation’s judgments (and if the judgment underlying the non-rational motivation changes, so should the non-rational motivation itself) or must somehow be partitioned off in such a way as to avoid the pressure for consistency. If non-rational motivations had the same origin as overall deliberation, then the judgment components of the non-rational motivation would seem simply to be inputs into a process of deliberation that issues in a single overall judgment. Especially important for our purposes is the account that the Philebus gives of some desires, such as thirst. On this account, the perception of emptiness along with a stored memory of a previous filling produces a desire directed at satisfying this thirst (Phlb. 34e–35d). This is an example of the sort of persistent psychic structures just noted. What is most relevant to moderation is that this structure takes a very simple form: it is sensitive to emptiness and fullness and results in a desire capable of causing action. It is, so to speak, encapsulated, both from overall deliberation about what is best and, it seems, from inf luence by other
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concepts. Such desires will thus be especially difficult to bring into consonance with calculation. Plato shows no sign of thinking that this sort of independence of non-rational motivations both with respect to their origin and at least partially with respect to their content is anything but a permanent fact about human existence at least as long as souls are in human bodies. (And the Phaedrus suggests that non-rational motivations can persist in a disembodied state.) But if this is so, how is the virtue of moderation possible for human beings? Persistent psychic structures will continue to generate motivations for objects because they possess some feature other than being overall best. (This will be true whether these structures are robust in the way that soul parts are in the Republic or whether they have the simpler structure that the Philebus associates with the standing desire for drink. I shall return to the Philebus account below.) Even if ethical education and training bring it about that a person lacks all non-rational motivations for objects that are always bad, there seem to be no plausible objects for appetitive and spirited motivations such that pursuing them is always overall best. To see how much moderation demands, we can draw on Stoic ethics. To take an example, I might exercise aiming at improving my health. In doing so, I assent to the idea that it is appropriate for me now to improve my health in this way. As it turns out, as I jog I am hit by a bus with a corresponding decrease in my health. Since virtue for the Stoics consists in bringing my will into accordance with the will of Zeus and all events are outcomes of Zeus’ will, I will not regret the outcome after the fact. But if I were a wise person, I would realize that although I have reasons at the moment of choice to pursue the preferred indifferent of health, my understanding of Zeus’ will is necessarily limited. Thus as a wise person, I shall exercise appropriate caution in my impulses. I shall, for example, have an impulse to improve my health „unless Zeus wills otherwise.“ This is an impulse „with reservation“ (hupexairesis, exceptio). Such impulses are never in conf lict with Zeus’ will and if I limit myself to them, I will feel no regret if I fail to attain what I had a qualified impulse for. Such an impulse also is intended to allow automatic updating as my insight into the will of Zeus improves. As Chrysippus puts it: As long as the future is uncertain to me I always hold to those things which are better adapted to obtaining the things in accordance with
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nature. […] But if I actually knew that I was fated now to be ill, I would have an impulse even to be ill. For my foot, too, if it were intelligent, would have an impulse to get muddy. (Epictetus, Discourses 2.6.9 = SVF 3.191)3 Non-rational motivations embodying an analogous restriction – „unless it’s not for the overall best“ – might be automatically updatable with respect to the outcomes of calculation. A person whose non-rational motivations embodied such restrictions would (as long her calculations were correct and such updating actually occurred) possess the virtue of moderation as consonance. But such use of restriction and updating is for the Stoics the work of the unitary rational part of the soul. There is no reason to think that Plato believes that their analogues are possible for non-rational motivations and their associated psychic structures. But the idea makes vivid what the virtue of moderation seems to require.
2.5 The Nature of Moderation The official account of moderation in the Republic relies on the idea that the parts of the soul are agent-like in that they can have beliefs. On this account, moderation consists in the friendship (philia) and concord (sumphônia) of all the parts of the soul when they all share the belief that the reasoning part should rule (to logistikon homodoxôsi dein archein: Rep. IV 442c10–d1). The lower parts of the soul may lack the ability to judge of what is best for the whole soul, but Plato assumes that they can judge which part should (dein) rule in the soul and he makes such beliefs essential to moderation. There are issues about exactly what such beliefs come to and the view faces philosophical difficulties, but it remains the Republic’s official account of moderation. But the Laws does not invoke such agent-like parts and their beliefs in its account of moderation and I do not think that Plato still accepts the idea that the soul has agent-like parts by the time of the Laws. His psychology is that of a single agent having different psychic items – beliefs, desires, and so on (cf. Bobonich 2002, 216–92). It thus seems natural to think that for Plato virtue is a matter of what a person knows (or perhaps truly believes), what she desires and the con3 Translation in Inwood 1985, 120. On reservation, see Inwood 1985, 119–26.
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tent of her emotions. But moderation seems to provide a counterexample to this claim. To see why, consider that even well trained non-rational appetitive desires that aim at objects whose pursuit is only sometimes good will conf lict, at least on occasion, with correct calculations about what is best. The problem is exacerbated because moderation should prevent not merely akratic action, but also akratic conf lict of desires. This seems to require that, e. g., the appetitive desire in the above case no longer presses to action at all after calculation determines that something else is best. Here the content of the desires is not the problem: they are, by hypothesis, aimed at the sort of thing that well-trained appetitive desires should aim at. Their nature as appetitive desires does not allow building into them the goal of the overall best or something analogous to Stoic reservation. It is controversial whether the parts of the soul in the Republic have their own conception of their own overall good. But even if sensitivity to what is, so to speak, best overall from the point of view of appetitive desire could be built into appetitive motivations, this would not solve the problem. Such motivations can still conf lict with what calculation determines to be genuinely overall best. Since desires rather than beliefs are more obviously relevant to our problem, I shall focus on them. (I do not think that taking beliefs into account would help.) One might object that virtue is not merely a matter of what I desire, that is, of the content of my desires, but also depends on how strongly I desire it. A desire’s strength might be identified with either its felt intensity or its causal strength in bringing about action and Plato, from the Republic on, does recognize that desires have, in addition to their content, differing degrees of causal strength. (The idea that there can be a mismatch between a desire’s strength and the perceived goodness of its object is essential to Plato’s explanation of the possibility of akratic action; cf. Bobonich 2002, 235–47 and 260–82). Yet acknowledging that desires have strength does not clearly solve our problem which is not that nonrational motivations can be too strong, but that they need to be responsive to the judgments of calculation. The strength of a desire is not itself identical with, nor is it the obvious causal basis or ground, of the disposition to be responsive to calculation. (I shall remain neutral for now on whether such dispositions do have bases or whether they are bare.) If the strength of the relevant non-rational desire is less than that of the rational desire to do what is overall best, then the
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person will not act akratically. But as long as the desire still presses to action, there will be psychic conf lict and its attendant discomfort. It may be plausible that weaker desires are more likely to be responsive to calculation, but we do not yet know what grounds such responsiveness nor how to bring it about. The practical problem for Plato in the Laws may be especially acute, since he seems to have concerns about how strong the rational desire to act in accordance with what calculation judges best is and does not try to find ways of weakening non-rational desires as a whole.4 Indeed, insofar as non-rational desires aim at healthful satisfactions that are necessary for individual survival or the survival of the species, we should expect them to be relatively strong.
2.6 Kinds of Responsiveness Even apart from Plato, it may seem quite clear that ordinary, non-virtuous human motivation displays such a degree of responsiveness. After all, does not even a strong desire for gin fade upon learning that the stuff in the glass is poisoned? But caution is needed here. If I have a strong appetitive desire for the gin in that glass and learn that it really is water, the appetitive desire will, ceteris paribus, just go away. But even if this is a case of responsiveness to a rational judgment – e. g. I correct sensory evidence to arrive at the truth – this is not a case of responsiveness to a rational overall best judgment. Nor would it necessarily be so even if reason revealed that the stuff in the glass was turpentine and formed a rational overall desire to avoid it. In such a case, reason may not overrule the appetitive desire on the basis of considerations not available to appetite, but may simply point out that the desire is mistakenly aimed at an object that is not in fact as appetite conceived it. So the matter is more complicated than it initially appeared. In one sort of case, the appetitive desire aims at the object as F and the rational rejection involves the belief that x is not F. In such cases, e. g. when it is water in the glass, we expect the appetitive desire to fade. A plausible explanation of this phenomenon is that it is simply an instance of the more general impossibility of believing at the same time explicit contradictories. (At least for Plato, desiring x as F seems to involve 4 At Lg. I 645a1–6, Plato describes the golden cord of calculation as „soft“ and its pull (or causal force) as „gentle rather than forceful.“
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believing that x is F and I think that for Plato the desire, as well as the belief, is conceptualized.5 ) The idea that either the belief that x is not F or the desire for x as F must fade away is supported by the fact that it seems to get the cases right. It suggests that the gin drinker’s desire for the stuff in the glass goes away (which is why he stops reaching for the glass and goes off in search of another source of gin) and it allows the desire for a cookie as sweet to persist in light of the overall rejection of it because it is fattening. But this only scratches the surface of the relevant complexity. It is often surprisingly hard to identify (either from the third person perspective or even from inside) the real object of a desire. A strong appetitive desire for that glass of bourbon may persist upon learning that the stuff in the glass does not meet the US labeling requirements for bourbon. But even in this case, it may be hard to distinguish the persistence of a desire from its replacement by a closely related desire. Was the original desire for bourbon replaced by a more generic desire for whiskey or was it a desire for whiskey all along? Or given Plato’s emphasis on the idea that appetitive desires aim at pleasure, we might see the desire as really for the pleasure of being tipsy. (This might help explain why the desire for the whiskey would tend to go away in all but the most hopeless or inebriated drunkards upon learning that it had been spiked so as to induce immediate severe headache and nausea.) Typically, overall best judgments will be sensitive to long-run consequences or to other factors that are compatible with x being F. But at least some strong and basic appetitive desires sometimes appear to show sensitivity to long-run consequences. Even a strong sexual desire for a person might well often fade upon learning that one’s prospective partner has a loathsome sexually transmitted disease and some governments are optimistic that gruesome images on cigarette packages will inhibit the desire to smoke. (Here we would have to distinguish the fading of the original appetitive desire from the rise of a new appetitive aver5 The idea that desire involves belief may be controversial, but Plato does not have a notion of appearance (phantasia) that is independent of belief (Sph. 264b2). But even if one held that appetitive desires had only imagistic content, one should recognize that such imagistic content has to interact appropriately with conceptual content to guide action. Even if my desire for a cookie has wholly imagistic content, this content must interact with the conceptualized belief that the cookies are in the bag to produce action. It would be very odd if imagistic desires capable of this much rational integration with beliefs persisted in the face of contradiction.
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sion to pain.) In these cases, the long-run consequences are at least couched in terms of objects to which people typically have appetitive aversions. And in a notoriously difficult passage in the Timaeus, Plato suggests that the appetitive part is, or perhaps appetitive desires are, sensitive to frightening, dissuasive images produced by reason (Ti. 70d–71b). Again, we have to go beyond the letter of the text to try to fill out Plato’s position. Sometimes it might be the case that the original appetitive desire persists, but the strength of a new appetitive aversion to, e. g., bodily pain combined with the strength of the desire for what is overall best is greater than that of the persistent appetitive desire. In other cases, the appetitive desire might fade or at least its strength might diminish. Both in the Republic and the Laws, Plato suggests that misdirected desires can be weakened by cultivating desires for other things (Rep. VI 485a–b; Lg. VIII 841a–b). The simplest way of understanding this is as the idea that there is, at any given time, some fixed amount of objectless psychic energy that can be converted into contentful desires. The more of this psychic stuff that is, e. g., turned into desires for learning, the less there is to be turned into appetitive desires. But it may be hard to make good sense of a reservoir of objectless, contentless psychic energy that can be converted into contentful desires. It is more plausible to think that causal strength is relatively fixed and that a gain in strength by one desire results in a loss for others.6
2.7 Summary I cannot pursue these complexities further here. But the issues raised highlight a fundamental worry about moderation. So far we have understood moderation as consonance to involve a disposition in non-rational motivations to be responsive to overall best judgments or desires. (I shall call these „best motivations.“ I shall distinguish overall best judgments from desires only when something important hangs on it.) There seems to be no obvious reason why it would be impossible for, 6 It is also plausible that felt intensity of desires is not open to indefinite increase and that a gain in the intensity of one desire comes, to some extent, at the expense of the intensity of others. Similarly, attention seems to be something that at least typically has to be divided up among different possible objects that compete against each other. Desires tend to focus one’s attention on themselves, their objects and ways of attaining them, but Plato does not clearly appeal to these phenomena.
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e. g., a non-rational desire to be responsive to a non-rational motivation, such as anger. While there may not actually be any such cases, even if they were to occur, they would not be instances of moderation. Moderation as consonance requires responsiveness to overall best motivations. But the above discussion shows that we do not yet have an explanation of how such responsiveness is possible. In cases in which the non-rational desire is a desire for x as F and the overall judgment entails that x is not F, responsiveness can be seen as grounded in the deeper tendency to avoid contradiction. When beliefs interact so as to avoid contradiction, this is a causal outcome that is due to the contents of the beliefs in question. But what could ground such responsiveness in cases where there is no contradiction? In particular, what is it that the non-rational desire could be responsive to? It is not responsive to a denial of F-ness, since there is no such denial. Since non-rational motivations are not aimed at the overall best, they are not responsive to reason in virtue of this conceptual overlap either. Alternately, one might suggest that in the cases without conceptual overlap, the non-rational desire responds to some formal feature of the content of the overall best motivation. For example, such judgments or desires may have imperatival force. („Don’t drink this!“) Yet although in Rep. IV, Plato may associate desires with imperatives, he does not think that only desires for the overall best have this imperatival force, it seems rather to be common to all desires and thus would not explain why the relevant non-rational desire is sensitive only to the overall best desire. There is a similar problem for the idea that the non-rational desire’s responsiveness is explained by its tendency to respond to, e. g., the intensity of the overall best desire (intensity is not, it seems, a feature of the desire’s content). But even if we could explain why this happens, such responsiveness would just be a tendency to fall into line with the strongest motivation and this need not be the desire for what is overall best. Finally, there is an issue about the value of moderation as consonance. The last two proposed explanations did not make non-rational motivations uniquely responsive to overall best motivations. But even if we could find a way to make the non-rational motivations responsive to the overall best judgment as such, this would not show that this sort of responsiveness is a good psychic feature. It need not be genuinely good, since non-rational motivations might be responsive to overall judgments as such even if these judgments are false. The non-rational motivations would not yet be responsive to overall best judgments because they
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are true. The progression of the psychopathology in Rep. VIII–IX suggests that Plato may think that lacking such responsiveness even to mistaken overall best judgments would be worse than having it, but this does not show that it is a genuinely good quality. Such responsiveness would seem to be a Dependent Good, that is, good for its possessor only on the condition that he is virtuous.7
2.8 Conclusion Let us make a fresh start. A few points about Plato’s late conception of the soul are necessary as a preface. Plato thinks that the soul is distinct from the body or matter and is composed of some non-material psychic stuff. Psychic particulars, such as beliefs or desires, are either identical with or are constituted by motions in this psychic stuff. But there are other psychic motions that do not constitute conceptualized psychic states (e. g. those constituting mental images). In a notoriously difficult passage in Lg. VII, Plato begins his discussion of correct nurture and education by stressing the importance of inculcating the right bodily and psychic motions in the young, including fetuses (VII 788a–793a; cf. Kamtekar 2010). Since items such as belief and knowledge are, or are constituted by, psychic motions, establishing proper motions in the soul could be understood as bringing about certain contentful beliefs in the soul. But here rocking the fetus or the infant sets up certain motions in the body that are passed on to the soul. Since fetuses and infants do not have language, this cannot involve acquiring conceptualized beliefs. Perhaps what is produced is a non-linguistic representation, but what is most important is that the good effects in the soul are brought about by inducing the right psychic motions. The result of having such appropriate motions is that the child has a „middle“ (meson) state of soul with respect to pleasures and pains (VII 792b–d). So the result of producing the appropriate psychic motions is the establishment of a disposition to enjoy pleasures and pains in a certain way and to react to them in a certain way. It is, to be sure, not a matter of having pleasures and pains that are appropriately responsive to a best judgment or even a best desire, since infants seem to lack these. But it is a disposition to respond in particular ways that is not 7 At Lg. IV 710a–b, Plato makes it clear that moderation that does not involve responsiveness to correct judgments of goodness could only be a Dependent Good.
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based on bringing about certain conceptual changes in non-rational motivations. The dispositional and causal powers of a non-rational motivation can thus vary without a change in its conceptual content. Upon ref lection, this should not be surprising, since a desire’s intensity (which is a causal factor) can vary without a change in its content. The possibility that this opens up is that establishing the appropriate motions in non-rational motivations can make them responsive to best motivations even when such responsiveness is not grounded in conceptual overlap. Although I cannot discuss them fully here, certain passages in the Timaeus support this line of thought. First, on the Timaeus’ account of the introduction of the soul, or its immortal part, into the body (Ti. 42e ff.), when the circular motions composing the soul are first introduced into the body, they are disturbed by their interaction with motions from the outside that pass through the body and the soul makes false judgments about objects. But if the circles of the soul regain their proper and natural motions, they become disposed to make true judgments about the incoming motions. Here, again, a change in the relevant psychic motions produces a disposition to interact with new motions in an appropriate way. Re-establishing the proper motions does not merely bring it about that the souls’ circles constitute beliefs or instances of knowledge that have true content, but produces in them the dispositional property or power of generating new true judgments when interacting with new incoming motions. Further, the Timaeus gives an analysis of the „construction“ of the soul and in it characterizes the soul, or at least the immortal part of it, when it is in its original or good condition as a complex proportionate structure of harmonized motions (Ti. 35a ff.). The elaborate mathematical structure attributed to it not only characterizes the soul’s motions, but also a kind of possible musical harmony as well as the orderly motions of the heavenly bodies (cf. Barker 2007, 318–27). We might, thus, think of moderation as consonance as literally a kind of attunement or harmony.8 Consider the following plausible claims: in tuning a stringed instrument, (i) once one string is brought into tune, the others can be tuned to it so that the whole instrument is in tune, (ii) when the instrument is in tune, 8 The classic work on Greek harmonics is Barker (2007). The Republic, the Timaeus and the Laws contain significant material, but there are many points of harmonic theory on which Plato is silent and his interest in its mathematical aspects may have discouraged him from detailed investigation of actual Greek musical practices and of musical instruments.
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the movements of the originally tuned string can produce beneficial motions in other strings, and (iii) not all mathematically determinate ratios among string lengths and string vibrations produce a valuable harmony.9 Let us try to transpose these claims to moderation as consonance. In the musical case, Plato’s acceptance of (iii) is emphatic and with respect to the corresponding ethical and psychological claim his endorsement of it is equally emphatic and obvious. A virtuous condition of soul requires not merely that non-rational motivations are subordinated to overall best motivations, it requires that best motivations are desires for the actual good and that they are based on true judgments about goodness. The analog of (i) would be that when the non-rational motivations are attuned to correct best motivations, the person is virtuous. Plato does accept this, but a little care is needed in its interpretation. The notion of attunement must be complex because Plato’s view of non-rational motivations in the late period is complex. As I have argued, non-rational motivations are independent of best motivations in origin and at least partially in content. Thus proper attunement cannot require that non-rational motivations are the direct outcome of deliberation about the overall best or that they take the overall best as their object. But non-rational motivations vary widely in the late period. In some cases, they can incorporate rational considerations to significant degree. In the Laws, the place of anger in the psychic economy of the virtuous person is radically curtailed: anger is only to be felt by the virtuous person at the incurable (Lg. V 731b–d). Nevertheless, getting angry is not the outcome of deliberation and is not aimed at the overall best. At the other end of the spectrum of sophistication are the pleasures and pains that are more or less firmly entrenched in childhood (perhaps via structures that are similar to that attributed to thirst in the Philebus.) Reason here may not reshape these structures in adulthood, but rather works by 9 There is no obvious reason why Plato would not have held (i). He emphatically endorses (iii) which gets its grounding in the Philebus’ views on the limit (peras) and the unlimited (apeiron) and its view that only good mixtures are genuine mixtures. It is also strongly suggested by the Republic’s preferences among different musical modes. (iii), without Plato’s metaphysics, is a commonplace of Greek musical theory, see, e. g. Barker 2007, 6–9. There is no evidence on Plato’s attitude towards (ii), but related issues come up in the Aristotelian Problemata at 19.36 and 19.42. The Timaeus passage concerning the introduction of the soul’s immortal part soul into the body stresses that when this part’s circuits regain their proper self-motion, they „rule“ (archein) and are the „leader“ (hêgemôn) of the motions of the soul that are affected by bodily motions (44a).
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setting up the appropriate sort of simple training and education for the next generation that will ensure that the fixed pleasures aim at things that are at least typically good. Plato does think that adults who are properly educated will come to endorse this education (Lg. II 653a–c), but shows little optimism about the possibility of rooting out or redirecting deeply entrenched pleasures and desires. In the case of thirst (which seems to be close to the limiting case for unsophisticated motivations), the production of the relevant desire was strongly encapsulated and this seems psychologically plausible: after sufficient dehydration, everyone gets thirsty. Perhaps the best that can be done here involves an extension of the training of infants noted above: production of the appropriate motions in the soul by, e. g., physical exercise or later, by simple conceptualizations, can inf luence the degree and manner in which pain is experienced at the deprivation. Finally, there is the analogue to (ii) which is the point most directly relevant to moderation as consonance. The first important problem we saw earlier was that we could not explain consonance in virtue of conceptual overlap between best motivations and non-rational motivations. If the musical analogy holds, best motivations will be able to operate causally on the non-rational motivations in virtue of the causal properties of the motions constituting each and such causal interaction does not require conceptual overlap. It will require that the motions constituting best motivations are, like the circles of the soul in the Timaeus when they have regained their appropriate self-motion, in the proper state and that the motions constituting non-rational motivations are in the proper order that makes them responsive. As the case of rocked fetuses and infants shows, even simple psychic motions can have widespread effects throughout the soul. We might expect genuine self-moved motions to have powerful effects. The second problem concerned the value of consonance. In the case in which correct best motivations are acting on appropriately prepared non-rational motivations in virtue of the former being genuine instances of self-motion, the consonance is the outcome of good motions acting insofar as they possess the right order and thus are themselves good. Such a condition is both inherently different from that in which incorrect best motivations act and is good in itself. Whether or not this line of thought, if fully worked out, proves fruitful, I hope that it is now clearer why moderation as consonance is a puzzling virtue and why it seems plausible to look for a solution by considering the causal relations among the motions constituting the soul’s motivations.
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Bibliography Barker, A. 2007: The Science of Harmonics in Classical Greece, Cambridge. Inwood, B. 1985: Ethics and Human Action in Early Stoicism, Oxford.
3 Jörn Müller
Der Mensch als Marionette: Psychologie und Handlungstheorie
Ebenso wie in Platons Politeia besitzt die Analogie von Stadtstaat (polis) und Seele (psychê) unverkennbar eine tragende Funktion für den Aufbau der Überlegungen in den Nomoi. Die fundamentale Bedeutung der Psychologie für das gesetzgeberische Projekt in toto wird vom athenischen Fremden (i. e. Platon) folgerichtig sehr früh artikuliert: „Wenn aber Menschen über Gesetze eine eingehendere Betrachtung anstellen, dann gilt fast die ganze Betrachtung den Lust- und Schmerzgefühlen in den Städten wie in den Gemütern der Einzelnen.“ (I 636d; Übers. Schöpsdau) Was Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik (I 13, 1102a 18–26) für den Politiker fordert, gilt auch für den Staatsphilosophen der Nomoi: Er muss mindestens über Grundkenntnisse der menschlichen Seele verfügen, besser noch: über umfassende Einsichten in Emotionen. Vor diesem Hintergrund überrascht es zumindest prima facie, dass die Psychologie der Nomoi offensichtlich mehrdeutig genug ist, um zu diametral entgegengesetzten Deutungen in der Forschung Anlass zu geben. Ein zentraler Streitpunkt ist dabei v. a. die Frage nach dem Aufbau der menschlichen Seele, und zwar nicht zuletzt im Vergleich mit der dreiteiligen Psychologie der Politeia. Dabei lassen sich in skizzenartiger Form die beiden folgenden Konf liktlinien unterscheiden: [1] Dichotomiker versus Trichotomiker: D. A. Rees (1957) hat die Auffassung vertreten, dass sich in der platonischen Akademie letztlich ein zweiteiliges Seelenkonzept durchgesetzt habe, das sich bereits im Spätwerk Platons und
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insbesondere in den Nomoi vorgezeichnet finde. Dieses Modell lebt von einer elementaren Dichotomie von Vernunft und unvernünftigen Affekten, wobei letztere nicht noch einmal, wie in der Politeia, zwei unterschiedlichen Seelenteilen, nämlich der Begierde (epithymêtikon) und dem Eifer (thymoeides) zugeschlagen werden (vgl. Sassi 2008). Dem hat Saunders (1962) entgegengehalten, dass sich auch in den Nomoi weiterhin eine der mittleren Werkphase Platons entsprechende Dreiteilung der Seele finden lasse. Dies wird auch in der jüngeren Forschung teilweise noch mit der freilich recht umstrittenen Behauptung begründet, dass der Staat der Nomoi ebenfalls aus drei der Politeia analogen „Ständen“ bestehe (vgl. z. B. Brisson 2012). [2] Partitionismus versus Unitarismus: Dichotomiker und Trichotomiker stimmen allerdings grundlegend darin überein, dass die Psychologie der Nomoi auf einer Idee von Seelenteilung beruht, in der die einzelnen Teile als unabhängige Quellen von Handlungsantrieben konzipiert sind.1 Diese Grundannahme des psychologischen Partitionismus ist für die Nomoi nun in jüngster Vergangenheit nachdrücklich von C. Bobonich (1994; 2002) bestritten worden: Platon gebe in seinem Spätwerk letztlich die Idee von autonomen Seelenteilen zu Gunsten einer Konzeption von „unified agency“ auf, in der die Seele zwar weiterhin einen Schauplatz von Konf likten zwischen rationalen und irrationalen Motiven darstelle, deren Herkunft aber gerade nicht unterschiedlichen psychologischen Subjekten geschuldet sei. Dieser Unitarismus hat durchaus einige Anhänger gefunden (vgl. z. B. Laurent 2006), ist aber auch nachhaltig kritisiert worden (vgl. v. a. Gerson 2003; Kahn 2004; Laks 2005, 85–92). Ist die Seele in den Nomoi also zwei- oder dreiteilig? Oder hat sie vielleicht gar keine Teile mehr? Die Beantwortung dieser Fragen in den divergierenden Forschungspositionen ist dabei meist mit umfassenderen Hypothesen verquickt, die eine mögliche Entwicklungsgeschichte vom mittleren zum späten Platon in den Bereichen Epistemologie, Moralpsychologie oder Staatslehre involvieren. Im Folgenden möchte ich hingegen versuchen, die Psychologie der Nomoi so 1 Price (1995, 53) bestimmt platonische Seelenteile wie folgt: „What, then, is a part of the soul? It turns out to be the home of a family of desires and beliefs that have a tendency to stand in relations both of strong contrariety, and of confrontation, with members of any other family but not of their own. The tendency is due to contrasting sources of desire and belief within the mind.“ Zur Diskussion der genauen Deutung von Seelenteilen im Blick auf ihren umstrittenen Status als „psychologische Subjekte“ (in Auseinandersetzung mit Bobonich und Lorenz) vgl. neuerdings auch Price 2009.
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weit wie nur möglich auf der Basis interner Evidenz zu rekonstruieren. Im Zentrum meiner Rekonstruktion steht dabei ein handlungstheoretisches Problem, über das sich in nuce viel für das Verständnis der Psychologie in den Nomoi gewinnen lässt: das Phänomen der Willensschwäche, dem in den antiken Texten terminologisch die Ausdrücke von akrateia (bei Xenophon und Platon) sowie akrasia (bei Aristoteles) entsprechen.2 Dieser systematische Zugriff bietet sich aus verschiedenen Überlegungen heraus an: • Während akrateia und kognate Ausdrücke (z. B. akratês) ansonsten keine prominente Stellung bzw. Frequenz im Corpus Platonicum besitzen, tauchen sie in den Nomoi sehr regelmäßig zur Beschreibung einer seelischen Konstellation auf, durch die schlechtes Handeln kausal bedingt sein kann (Abschnitt 3.1). • Die genaue Rekonstruktion der handlungstheoretischen Position der Nomoi involviert die Diskussion einiger Passagen – insbesondere des kontroversen Marionettengleichnisses in Buch I –, die für die dort präsentierte Psychologie von grundlegender Bedeutung sind (Abschnitt 3.2). • Bobonichs in jüngster Vergangenheit viel diskutierter Unitarismus beruht wesentlich auf einer Neudeutung dieses handlungspsychologischen Problemkomplexes im Spätwerk (vgl. Bobonich 1994). Die akrasia-Thematik in den Nomoi ist entsprechend auch einer der hauptsächlichen Streitpunkte zwischen Unitaristen und Partitionisten, deren Kontroverse sich von hier aus also besonders gut beleuchten und bewerten lässt (Abschnitte 3.3 und 3.4).
3.1 Unbeherrschtheit (akrateia) in den Nomoi Fasst man Willensschwäche in allgemein gehaltener Beschreibung als Phänomen, dass jemand nicht tut, was er für das Beste hält, ohne dabei aus Zwang zu handeln, so zeugen verschiedene Passagen der Nomoi eindeutig von der faktischen Anerkennung dieses Sachverhalts. So ist die Erkenntnis der Pf lichtmäßigkeit einer Handlung noch keine Garantie für deren Ausführung, 2 Für eine umfassende Darstellung der historischen Entwicklung der antiken akrasia-Diskussion vgl. Müller 2009, 47–208.
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insofern es Menschen gibt, die „wohl wissen (eidotes), dass sie besser etwas anderes täten als das, was sie tatsächlich tun“ (X 902a). Der athenische Fremde beschreibt die so Handelnden als „die minderwertigsten Menschen (hoi phaulotatoi tôn anthrôpôn)“ (ebd.), und auch andernorts könnte der Eindruck entstehen, dass akrateia in erster Linie ein Problem der „ganz großen Masse der Menschen (ho pas anthrôpinos ochlos)“ (V 734b), also gewissermaßen des „Pöbels“ ist. Damit hätte es zwar eine quantitativ nicht zu unterschätzende Reichweite, wäre allerdings auf eine bestimmte Klasse von Akteuren beschränkt, die einen bestimmten moralischen Reifegrad nicht erreicht haben. Platon scheint in den Nomoi aber von einer fundamentalen Pervasivität des Phänomens in der menschlichen Natur als solcher auszugehen. So führt er als wesentlichen Grund für die Notwendigkeit der Gesetze an, dass selbst diejenigen, die erkannt haben, was den Menschen für ihre staatliche Gemeinschaft nützt, nicht von sich aus die Kraft (dynamis) bzw. das Wollen (ethelein) mitbringen, das erkannte Beste zu verwirklichen: Das liege in „keines Menschen Natur (physis)“, insofern die „sterbliche Natur“ selbst denjenigen, der das Gemeinwohl erkannt habe, dazu bringe, unvernünftigerweise vor dem Schmerz zu f liehen bzw. der Lust nachzujagen, also seinen persönlichen Interessen gegebenenfalls auch zu Ungunsten der salus publica zu frönen.3 Auf Seiten des Akteurs vorauszusetzen ist damit die grundsätzliche Möglichkeit einer Divergenz von rationaler Evaluation, die sich im Urteil über das moralisch Richtige sedimentiert, und faktischer Handlungsmotivation, welche die genau gegenteilige Handlung kausal bewirkt. Ein solches potenzielles Auseinanderklaffen von Evaluation und Motivation wird nun in den Nomoi mehrfach explizit eingeräumt: Es ist durchaus möglich, dass „jemand etwas, obwohl es ihm schön und gut scheint, nicht liebt, sondern hasst, das aber, was ihm schlecht und ungerecht erscheint, liebt und sich daran freut“ (III 689a), und gerade diese innere Dissonanz bewirkt dann die faktische Wirkungslosigkeit seiner moralischen Überzeugungen, wodurch der Weg frei ist für das seiner eigenen Überzeugung widersprechende Handeln.4 Der athenische Fremde diagnostiziert hier einen „Missklang“ (diaphônia) zwischen den Lust- und 3 Vgl. IX 875a–c mit den Anmerkungen von Baumgarten 1998, 216–219. 4 Vgl. III 689b, wo es heißt, dass bei einem einzelnen Menschen zuweilen „die schönen Grundsätze, die in seiner Seele wohnen, nichts weiter ausrichten, sondern ganz das Gegenteil davon bewirken“.
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Schmerzempfindungen des Akteurs und seiner rationalen Meinung: Seine Auffassung über das Gute und Schöne ist nicht ausreichend affektiv verwurzelt, d. h. seine Gefühle tragen es nicht hinreichend, um eine entsprechende Handlungsmotivation zu generieren. Offen bleibt hier zwar noch, ob die rationalen Überzeugungen, gegen die der Akteur handelt, bloß allgemeinen bzw. prinzipiellen Charakter haben (im Sinne von: „Ehebruch ist verboten“), oder ob es sich um ein Handeln gegen ein konkretes hic-et-nunc-Urteil in einer bestimmten Situation („Du sollst nicht mit dieser Frau schlafen“) handelt. In beiden Fällen wäre aber auf jeden Fall ein elementares handlungstheoretisches Prinzip im Blick auf den Zusammenhang von Urteilen und Wollen verletzt, das D. Davidson in der modernen Debatte über Willensschwäche wie folgt formuliert hat: „P 2. If an agent judges that it would be better to do x than to do y, then he wants to do × more than he wants to do y.“ (Davidson 1980, 23) Dass die Vernunft sich nicht ins Handeln zu übersetzen vermag, ist dabei in den Nomoi dem Umstand geschuldet, dass sie von einer stärkeren affektiven Motivation faktisch übertrumpft wird, der gegenüber sie in der inneren Auseinandersetzung schwächer bzw. unterlegen ist. In diesem Sinne wird als mögliche Ursache für Verfehlungen angegeben, dass man der Lust (hêdonê) oder dem Zorn (thymos) „unterlegen“ (hêttôn) sein kann (IX 863d). Die Konstatierung dieses ursächlichen Zusammenhangs einer Überwindung der rationalen Überlegung durch die Stärke von appetitiven und aversiven Leidenschaften ist gerade in der hier gewählten Formulierung für das Corpus Platonicum höchst signifikant, v. a. mit Blick auf den moralischen Intellektualismus der sog. sokratischen (d. h. frühen) Dialoge. Dort hatte Sokrates nämlich v. a. im Protagoras (351b358e) entgegen der populären Meinung, dass viele nicht das tun, was sie als Besseres erkannt haben, weil sie „von der Lust oder Unlust überwunden werden (hypo hêdonês [...] hêttômenous ê lypês)“ (352e), genau diesen kausalen Konnex geleugnet: Willensschwaches Handeln gegen das eigene Urteil ist nicht einer Überwindung bzw. Außerkraftsetzung der Vernunft durch die Affekte geschuldet, sondern einer temporären, durch die räumliche und zeitliche Nähe der sinnlich begehrenswerten Objekte bedingten Urteilsoszillation; der Akteur verrechnet sich bei der Einschätzung der zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen in seinem hedonistischen Kalkül und weicht deshalb unter der „Macht der Erscheinung“ (dynamis tou phainomenou) fälschlicherweise von seinem ursprünglichen Urteil ab. Ein „Von-der-Lust-überwunden-werden“
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der Vernunft gibt es dann aber der sokratischen Analyse zufolge eigentlich nicht, insofern der Akteur letztlich doch das tut, was er genau im Moment der Handlungsausführung für das Beste hält. Auch wenn im Protagoras der Begriff akrateia nicht fällt, ist unverkennbar, dass hier eine alternative kausale Deutung des Phänomens willensschwachen Handelns gegeben werden soll. Dieses entpuppt sich bei näherem Hinsehen nicht als zwanghafte Überwindung der Suprematie der rationalen Überlegung durch einen inneren Affektsturm – wie es v. a. die alte attische Tragödie oft modelliert hat –, sondern schlicht als ein Versagen der Vernunft selbst: „Das Zu-schwach-seingegen-sich-selbst (hêttô einai hautou) ist also nichts anderes als Unverstand (amathia), [... d. h.] falsche Meinungen zu haben und sich zu täuschen über wichtige Dinge.“ (Prt. 358c) Im Protagoras liegt also gerade kein durchgängiger Missklang von Vernunft und Affekt, also keine persistente Divergenz von rationaler Evaluation und emotional fundierter Handlungsmotivation, vor, sondern eine temporär fehlerhafte Evaluation, die motivational in der falschen Richtung wirksam ist. Davidsons P2 bleibt hier somit in Kraft, allerdings um den Preis, dass willensschwaches Handeln nur als diachrones Phänomen gefasst werden kann: Der Akteur handelt grundsätzlich gegen ein vorheriges (und sich später auch wieder einstellendes) Urteil der Vernunft, aber nicht gegen ein aktuell präsentes. Demgegenüber gehen die Nomoi, wie die oben zitierten Passagen mit hinreichender Deutlichkeit belegen, von der Möglichkeit einer stärkeren Form von Willensschwäche aus, nämlich einer synchronen bzw. „klarsichtigen“ Form derselben: Der Akteur handelt im vollen Wissen um die Falschheit seiner Handlung gegen ein persistierendes rationales Urteil. Für eine solche „hard akrasia“ müssen zwei Bedingungen erfüllt sein (vgl. Bobonich 2002, 282): (1) Handlungsmotivationale Impulse können sich auch anderen Quellen als der vernünftigen Überlegung verdanken. (2) Von der vernünftigen Überlegung abweichende motivationale Impulse können auch nach dem Fällen eines vernünftigen Gesamturteils fortbestehen.5 Platon erkennt in seinem Spätwerk damit nicht nur die im Frühwerk geleugnete ursächliche Erklärung des „Überwunden-werdens-von-der Lust“ an, son5 Vgl. IX 863e: „Von diesen allen aber behaupten wir, dass sie einen jeden, wenn er sich in die Richtung seines eigenen Willens gezogen fühlt, oftmals zugleich (hama) in die entgegengesetzte Richtung drängen.“
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dern rehabilitiert sie auch als eine eigene Kategorie moralischen Fehlverhaltens, die von einem bloßen Vernunftirrtum klar zu unterscheiden ist (vgl. Sph. 228a– b; Ti. 86b–e). Dabei kommt auch terminologisch der bis dahin bei Platon wenig profilierte Begriff der akrateia6 immer stärker zum Tragen: Als Ursache für ein unfrommes Leben wird neben der Unwissenheit explizit die „Unbeherrschtheit gegenüber den Lüsten und Begierden (akrateia hêdonôn te kai epithymiôn)“ (X 886a–b) angeführt. Analog dazu unterscheidet Platon im „Strafrechtsexkurs“ der Nomoi drei Ursachen von Verfehlungen:7 Der schlecht Handelnde ist entweder (a) seinem Eifer oder (b) seiner Lust bzw. Begierde unterlegen, oder (c) er handelt aus irgendeiner Form von Unwissenheit. Damit werden verschiedene Ursachen bzw. Bestimmungsgründe des Handelns gekennzeichnet, die auch voneinander zu unterscheidenden Motivationsquellen entsprechen (vgl. IX 864a–b). In den Nomoi figuriert die Überwindung durch eigene Zorn- bzw. Lustgefühle als eine klar markierte Alternativerklärung für schlechtes Handeln, die gerade bewusst von Unwissenheit bzw. Unverstand als einem anderen Ursachentypus abgehoben wird, anstatt auf sie zurückgeführt zu werden. Man kann sogar eher in der Gegenrichtung feststellen, dass in den Nomoi stellenweise eine Neuinterpretation von Unwissenheit (amathia) gegeben wird, bei der sie selbst als Dissonanz von vernünftigem Urteil und affektiver Motivation beschreiben wird.8 Diese explizite Dreiteilung der Ursachen falschen Handelns lässt sich prima facie durchaus als Beleg für die Fortführung der Trichotomie der Seele im Sinne der Politeia anführen. Letztlich gehören (a) und (b) aber demselben Genus an, insofern bei diesen beiden die Rede vom „Stärker- oder Schwächer-Sein“ des Akteurs einen Sinn macht, während man seiner Unwissenheit weder unter- noch überlegen sein kann (vgl. IX 863d). Während nun Aristoteles später im VII. Buch seiner 6 Außerhalb der Nomoi findet sich akrateia bei Platon nur recht verstreut, z. B. in Grg. 525a; Rep. V 461b; Ti. 86d–e. In den Nomoi hingegen häuft sich das Auftreten dieses Terminus auffällig: I 636c; V 734b; X 886a; X 908c; XI 934a. 7 Vgl. IX 860d–864b sowie die ausführliche Diskussion dieser Passage bei Horn 2004. 8 Vgl. III 689a. Damit ist wohl keine aitiologische Reduktion auf einen einzigen kausalen Typus intendiert, sondern lediglich angedeutet, dass die verschiedenen Phänomene Übergänge untereinander aufweisen. Vgl. auch V 734b: „Denn entweder aus Unwissenheit oder aus Unbeherrschtheit oder aus beiden Gründen lebt der ganze große Haufen der Menschen ohne Besonnenheit.“ [Hervorh. J. M.]. Vgl. auch XI 934a (anoia resultiert aus akrateia) sowie die Kombination von Unwissenheit und akrateia bei den Gottesleugnern in X 908c. Zur genaueren Analyse dieser Interdependenzen vgl. Sharafat 1998, 97–104.
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Nikomachischen Ethik (v. a. in Kap. 7–8) auch unterschiedliche Phänomenologien für die durch Begierde und die durch Lust bewirkten Arten von akrasia entwirft, differenziert Platon die durch Zorn verursachte Willensschwäche (akrateia thymou) hingegen lediglich sporadisch (z. B. in IX 869a) von dem bei ihm im Vordergrund stehenden lustbedingten Pendant (akrateia hêdonôn). Letztlich spricht das eher für eine Dichotomie von Vernunft und unvernünftigen Leidenschaften als kausalen Faktoren in Sachen akrateia als für eine Dreiteilung. Muss man hier nun überhaupt von einem „Partitionismus“, d. h. von unterschiedlichen „Teilen“ der Seele als voneinander unabhängigen Motivationsquellen ausgehen? Ein starkes Indiz dafür ist zumindest, dass in den Nomoi die Rede vom „stärker“ (kreittô) bzw. „schwächer sein“ (hêttô einai) in ref lexiver Verwendung, also mit dem Zusatz „als man selbst“ (hautou), regelmäßig für die Herrschaft über bzw. die Überwindung der Vernunft durch die eigenen Leidenschaften steht (vgl. I 626e-627b; 633e; 645b). In der Übertragung dieser Redeweise auf das Selbstverhältnis findet somit eine normative Identifikation des „Selbst“ mit der Vernunft statt: Selbstherrschaft besagt dann nichts anderes als eine vernünftige Kontrolle der Lüste und Begierden.9 Vorausgesetzt ist also eine Unterscheidung der Seele in einen besseren und einen schlechteren Teil, die in einem „natürlichen“ Herrschaftsverhältnis stehen. Die Nomoi bestätigen dies nicht zuletzt durch den schon oben erwähnten Hinweis, dass sich der Akteur im Falle des schlechten Handelns aus Unwissenheit keineswegs selbst „unterlegen“ ist, denn er handelt dann ja durchaus in Übereinstimmung mit seinem „wahren“ bzw. „besseren“ Selbst, i. e. der Vernunft – auch wenn diese im konkreten Fall fehlgeleitet ist. Deshalb wäre hier die ref lexive Verwendung des Ausdrucks unangebracht, ganz im Gegensatz zum akratischen Handeln, wo damit der Kern der Sache, nämlich die Willensschwäche in ihrer evaluativen Dissonanz von „guter“ Vernunft und „schlechten“ Leidenschaften angemessen beschrieben wird. Als handlungsmotivational intendierte Beschreibung erzeugt die Verwendung von „stärker“ bzw. „schwächer sein als man selbst“ jedoch auch einige Aporien, die Platon selbst bereits im frühen Charmides (168b–c) formuliert. Dort weist Sokrates darauf hin, dass die Anwendung relationaler Termini (wie etwa „größer als“) auf ein und dieselbe Sache fatalerweise dazu geeignet ist, logi9 Vgl. hierzu Grg. 491d–e sowie Dorion 2012.
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sche Paradoxien zu erzeugen. Wenn man sagt, dass etwas größer als es selbst ist, sagt man damit zugleich, dass dasselbe auch kleiner als es selbst ist, etc.10 Bezeichnenderweise taucht gerade dieses Argument später in leicht variierter Form in der Politeia wieder auf, um die semantische Problematik des „schwächer“ bzw. „stärker zu sein als man selbst“ zu verdeutlichen.11 Auch der Begriff der Selbstbeherrschung setzt nun bei näherem Hinsehen eine entsprechende Relationalität von Herrschendem und Beherrschtem voraus: Wenn man sich also selbst beherrscht, ist man folglich paradoxerweise zugleich Herrschender und Beherrschter, Herr und Diener in einem. Eben solches gilt dann natürlich mutatis mutandis auch für die selbstref lexive Form von Unbeherrschtheit (akrateia). Man kann hier von einem „Dilemma der Selbstbeherrschung“ sprechen, auf das man auf zwei verschiedene Weisen reagieren kann: 1. Die erste Strategie liegt in der Leugnung der Adäquatheit der Beschreibung, wie wir sie oben im Protagoras kennengelernt haben. Dort demaskiert Sokrates ja auf der Basis einer einheitlich rationalen Seelenkonzeption das scheinbare „Schwächer-als-man-selbst-sein (hêttô einai hautou)“ (Prt. 358c) als Ausf luss von Unvernunft, um die Alternativbeschreibung als „Überwunden-werden-durch-die-Leidenschaft“ als unzutreffend abzuweisen. 2. Eine diametral entgegengesetzte Lösung für dieses Dilemma besteht darin, hier ein Konzept der Seelenteilung anzunehmen. Dies schlägt Platon in Politeia IV vor: Selbstbeherrschung steht für die Herrschaft der Vernunft über die beiden unvernünftigen Seelenteile, Unbeherrschtheit für die Umkehrung dieses Verhältnisses. Auf diese Weise lässt sich dann im Blick auf akratisches Handeln das handlungstheoretische „Prinzip der Gegensätze“ intakt halten: Offenbar ist doch, dass dasselbe nie zu gleicher Zeit Entgegengesetztes tun und leiden wird, wenigstens nicht in demselben Sinne genommen und in Beziehung auf eines und dasselbe. Sodass, wenn wir etwa fin10 Vgl. auch Prm. 141c–d („jünger“ – „älter“). 11 Vgl. Rep. IV 430e–431a: „Nun ist doch dieses ‚stärker als man selbst‘ (kreittô hautou) lächerlich. Denn wer stärker als er selbst wäre, wäre doch offenbar auch schwächer als er selbst, und der Schwächere stärker; denn es ist doch immer derselbe, der in allen diesen Redensarten auf beiden Seiten angeführt wird.“
J M den sollten, dass in diesem dies vorkommt, wir wissen, dass sie nicht dasselbe waren, sondern mehreres. (Rep. IV 436b–c)12
Politeia IV präsentiert somit ein zum Protagoras alternatives Modell, das dem Dilemma der Selbstbeherrschung gerecht zu werden versucht, indem die Redeweise von „stärker“ bzw. „schwächer als man selbst“ ernst genommen wird;13 dies setzt aber unverkennbar eine grundlegende Partition von motivationalen Kräften als eigenständigen Seelenteilen voraus, um die angesprochenen semantischen Paradoxien zu vermeiden und das handlungstheoretische Prinzip der Gegensätze nicht zu verletzen. Insofern Platon in den Nomoi erkennbar von der Identifikation von akrateia als „schwächer-sein-als-die- Leidenschaften“ mit der ref lexiven Verwendung des Ausdrucks ausgeht, steht er dem seelischen Partitionsmodell der Politeia zumindest näher als dem im Protagoras zugrunde liegenden evaluativen und motivationalen Monismus der Seele. Weiteren Aufschluss über die Verwendung dieses Ausdrucks in den Nomoi bietet nun das Marionettengleichnis.
3.2 Das Marionettengleichnis (I 644c–645a) Zur Illustration dessen, was es heißt, „stärker“ bzw. „schwächer zu sein als man selbst“, also zur psychologischen Analyse von Selbstbeherrschung und Unbeherrschtheit, entfaltet der athenische Fremde nun ein sehr wirkmächtiges Bild, in dem der Mensch mit einer Marionette (thauma) verglichen wird.14 Deren Körper ist innerlich an verschiedenen Drähten bzw. Fäden aufgehängt: Zum einen an gegenwärtigen oder zukünftigen Lust- und Schmerzempfindungen, die sich generisch unterteilen lassen in (a) appetitive Kräfte, die auf den Genuss bzw. die Erlangung eines Objekts ausgehen (Lust und Zuversicht), und 12 Das Prinzip wird nochmals wiederholt und bekräftigt in Rep. IV 436e–437a. 13 Vgl. hierzu v. a. das Leontios-Beispiel in Rep. IV 439a–440b. 14 Zu unterschiedlichen Deutungen des Gleichnisses siehe Gaudin 2002; Mesch 2005; Laurent 2006; Frede 2010.
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(b) aversive Strebungen, die einen unangenehmen Zustand f liehen oder vermeiden wollen (Schmerz und Furcht). Daneben gibt es dann noch den Faden der vernünftigen Überlegung (logismos). Diese Fäden sind als motivationale Kräfte innerhalb der Seele zu verstehen, die „an uns ziehen und [...] uns, da sie als Gegensätze einander entgegen wirken, zu entgegengesetzten Handlungen hinzerren“ (644e). Damit ist schon angedeutet, dass es sich hier um ein Bild handelt, das Platon spezifisch zur Modellierung innerer Konf likte entwirft. Aussagekräftig ist nun die metaphorische Charakterisierung dieser unterschiedlichen Drähte: Während (a) und (b) aus Eisen bestehen, ist der Faden der vernünftigen Überlegung aus Gold gefertigt. Dadurch ist er als der wertvollste von allen gekennzeichnet, dem es in normativer Absicht zu folgen gilt, gegebenenfalls auch gegen die Widerstände der anderen. Deshalb sollte dieser Draht auch durch die Gesetze unterstützt werden. Diese Unterstützung benötigt er nun auch insofern, als er im Gegensatz zu den anderen Drähten „sanft“ (praos) ist, also selbst nicht durch Gewalt (bia) zwingen kann (645a), sodass er die anderen zumindest im Konf liktfall aus eigener Kraft schwerlich allein zu besiegen vermag. Diese werden nämlich als eisern beschrieben, wobei offenkundig zwei Konnotationen mitschwingen: 1. Die eisernen Drähte sind im inneren Konf likt kausal besonders nachhaltig wirksam, d. h. sie verkörpern ausgesprochen „zugkräftige“ motivationale Instanzen. 2. Im Gegensatz zum „sanften“ und „biegsamen“ (malakê: 645a) goldenen Draht sind sie eher starr und unf lexibel. Damit kann z. B. gemeint sein, dass sie verhältnismäßig alternativlos auf die Handlungsmotivation in Richtung bestimmter Objekte oder Zustände hin festgelegt sind und nicht auf andere Ziele hin ausgerichtet werden können. Obwohl hier von Lust und Schmerz als „Ratgebern“ (644c) in der Seele die Rede ist und die auf die Zukunft ausgerichteten Erwartungshaltungen von Zuversicht und Furcht als „Meinungen“ (doxai) (644c) beschrieben werden, ist deshalb von diesen „starren“ Drähten wohl kaum eine abwägende Beurteilung von konkurrierenden Strebensobjekten – im Sinne eines hedonistischen Kalküls – zu erwarten. Als Instanz für ein die verschiedenen Strebungen übergreifendes „all things considered judgment“, was unter den gegebenen Umständen „alles in allem“
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Dieses im Marionettengleichnis entfaltete Bild deckt sich nun mit der oben in Teil 3.1 erarbeitete inhaltliche Bestimmung der akrateia in den Nomoi, indem es plastisch die als Kernbestand des Phänomens der Willensschwäche ausgewiesene Divergenz von rationaler Evaluation und emotionaler Motivation veranschaulicht. Die vernünftige Überlegung bringt ein „alles in allem“Urteil über das insgesamt Beste zustande, das in sich durchaus handlungsmotivationalen Charakter haben kann: Es ist immerhin ein eigener Draht, der auch direkt auf die Marionette einwirken kann, also nicht prinzipiell der Vermittlung über die anderen Fäden bedarf – hier unterscheidet sich das Bild bei Platon deutlich von jeder Handlungspsychologie im Stile David Humes, bei dem die Vernunft motivational komplett untätig ist und sich kausale Effizienz immer nur von den irrationalen Leidenschaften erborgen kann.16 Im Falle eines Konf likts der vernünftigen Überlegung mit den durch die eisernen Drähte verkörperten Emotionen kann das „alles in allem“-Urteil allerdings in seiner Handlungswirksamkeit blockiert werden, insofern die stärkeren Leidenschaften sich motivational durchsetzen und das konkrete Tun bestimmen. Hier bestimmt die jeweilige Stärke der hervorgebrachten motivationalen Impulse also den Ausgang des inneren Kampfes von Vernunft und Leidenschaft, wobei im Marionettengleichnis offensichtlich ein eher hydraulisches Modell der antagonistischen inneren Kräfte vorausgesetzt wird. Platon zieht allerdings auch die Möglichkeit von externen Einf lüssen auf diese inneren Opponenten in Betracht, die sich auf deren jeweilige kausale Stärke auswirken. Im Anschluss an das Marionettengleichnis schildert der Fremde aus Athen, wie sich der Weingenuss auf das innerseelische Kräfteverhältnis auswirken kann: Durch den induzierten Rauschzustand werden die motivationalen Zugkräfte der Leidenschaften tendenziell verstärkt, während das vernünftige „alles in allem“-Urteil abgeschwächt und sogar gegebenenfalls 15 Zur Identifikation des goldenen Drahts mit dem „alles in allem“-Urteil vgl. Bobonich 1994, 19. 16 Zu den „desires of reason“ und ihrer motivationalen Ausrichtung bei Platon vgl. Cooper 1999, 121–126.
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ganz verdrängt wird (645d–e). Hiermit entfernt man sich tendenziell von der starken, und d. h.: klarsichtigen Form von Willensschwäche in Richtung etwas „schwächerer“ Formen, bei denen eine wie auch immer geartete Trübung des vernünftigen Urteils auftritt.17 Eine solche kausale Interaktion setzt voraus, dass die daran beteiligten Größen zumindest nicht kategorial verschieden sind. Dies ist in den Nomoi dadurch gewährleistet, dass alle kognitiven und emotionalen Zustände der Seele, also „Wollen, Erwägen, Fürsorgen, Beraten, richtiges und falsches Meinen, in Freude oder Schmerz, Mut oder Furcht, Hass oder Liebe“ elementar als Bewegungen (kinêseis) verstanden werden, durch welche Bewegungen zweiter Ordnung auf der Ebene des Körpers hervorgerufen werden (X 897a). Das tertium comparationis aller seelischen Aktivitäten, der rationalen wie auch der emotionalen, ist dabei ihr kinetischer Charakter, durch den auch eine gegenseitige kausale Interaktion ermöglicht wird.18 Das Marionettengleichnis präsentiert also in nuce eine Art „causal theory of action“ auf kinetischer Basis. Eine Schlüsselstellung scheint hierbei in den Nomoi den in der Seele auftretenden Lust- und Schmerzzuständen zuzukommen. Diese werden als „wesenhaft menschlich“ charakterisiert, insofern an ihnen „zwangsläufig jedes sterbliche Wesen geradezu wie festgebunden und aufgehängt ist mit seinen stärksten Neigungen“ (V 732e). Hiermit ist sicherlich kein normativer Hedonismus impliziert (demzufolge die Lust das höchste Gut im evaluativen Sinne ist), aber wohl so etwas wie ein „psychologischer Hedonismus“, wie die Ausführungen zur Wahl der Lebensformen in Nomoi V bezeugen: Hier wird im Rahmen einer explizit hedonistisch orientierten Präferenzwahl die Überlegenheit von vier guten Lebensformen gegenüber ihren schlechten Pendants explizit ausgewiesen, und zwar vor dem Hintergrund, dass letztlich unsere Wahl der Lebensformen „naturgemäß“ an die abwägende Kalkulation von Lust- und Schmerzempfindungen gebunden ist.19 Wer hingegen behauptet, „dass wir noch 17 Zu diesen „schwächeren“ Formen von akrateia in den Nomoi vgl. auch Bobonich 2002, 267–273. 18 Dieser „kinetische Interaktionismus“ ist letztlich auch der Boden für die Wechselwirkungen von Seele und Körper im platonischen Spätwerk. Vgl. hierzu Kamtekar 2010 sowie meine Überlegungen in: „Leib-Seele-Dualismus? Zur Anthropologie beim späten Platon“ (erscheint 2014 in: S. Föllinger (Hg.): Anthropologie in Antike und Gegenwart). 19 Vgl. v. a. die Passage V 733a–c, in welcher sozusagen avant la lettre die Grundprinzipien eines hedonistisch orientierten rational-choice-Kalküls beschrieben sind, allerdings nicht im Sinne einer situativen Präferenzwahl zwischen verschiedenen konkurrierenden Gütern, sondern als Wahl der Lebensform.
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irgend etwas außer diesen wollen“, sagt dies letztlich „aus mangelnder Kenntnis (agnoia) und mangelnder Vertrautheit (apeiria) mit den wirklichen Lebensformen“ (V 733d). Die Annahme eines psychologischen Hedonismus als Basis der „causal theory of action“ erscheint in den Nomoi somit wesentlich empirisch fundiert. Man würde nun in Anbetracht der handlungspsychologischen Zentralität von Lust und Schmerz als den zwei motivationalen „Quellen der Natur“ (I 636d) erwarten, dass ihnen und den durch sie bedingten Emotionen auch im Blick auf das gesetzgeberische Projekt der Nomoi eine präzise Analyse zuteil wird; de facto bleibt ihre Behandlung dort allerdings tendenziell farblos und unterkomplex: Weder wird an die zuvor im Philebos präsentierten, äußerst differenzierten Überlegungen zum Wesen von Lust und Schmerz angeknüpft, noch werden die verschiedenen Emotionen in ihrem Verhältnis zu den einzelnen Tugenden weiter ausdifferenziert (wie später bei Aristoteles). Ebenso unklar bleibt auch der intentionale Gehalt von Begierden, was in der jüngeren Forschung u. a. Anlass zu einer Kontroverse darüber gegeben hat, ob Begierden („desires“) in den Nomoi als konzeptualisiert verstanden werden sollten oder nicht (vgl. Bobonich 2010, 149–171). Dieses Desinteresse an einer genauen Klärung der zugrunde liegenden psychologischen Konzepte überrascht doch etwas,20 ist aber möglicherweise ein Fingerzeig dafür, womit wir es insgesamt in den Nomoi zu tun haben. Platon operiert hier mit einer eher grobkörnigen, auf das Notwendige reduzierten Psychologie und Handlungstheorie, die eher auf einen an Alltagserfahrungen geschulten Common Sense abzielen, wie ihn die beiden eher „unphilosophisch“ dargestellten Gesprächspartner des athenischen Fremden, Megillos und Kleinias, repräsentieren.21 Dieser Mangel an analytischer Feinkörnigkeit zeigt sich etwa auch in der Tendenz, ganz verschiedene seelische Zustände einfach nur in einer ungeordneten Zur Identität des besten und lustvollsten Lebens vgl. II 662d–663d; zum Hedonismus in den Nomoi vgl. Görgemanns 1960, 165–193; Stalley 1983, 59–70; Bravo 2003. 20 Vgl. Frede 2010, 114: „such carelessness in the treatment of affections must seem quite odd“. 21 Deren beschränktes intellektuelles Fassungsvermögen in Sachen Psychologie zeigt sich u. a. daran, dass sie nach eigener Aussage selbst dem nicht gerade übermäßig komplexen Marionettengleichnis kaum folgen können (vgl. I 644d); ähnliche Schwierigkeiten haben sie dann erwartungsgemäß auch bei den schwierigeren Ausführungen zur Selbstbewegung der Seele in Buch X.
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Aufreihung aufzuzählen, wobei deren genauer ontologischer Status letztlich vage bleibt (vgl. z. B. I 631e–632a; 649d–650b; X 897a). Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist die alternative Kennzeichnung des Zorns als „Zustand (pathos) oder Teil (meros)“ der Seele (IX 863b), auf die sich gelegentlich die Trichotomiker zur Stützung ihrer These berufen haben. Offensichtlich kommt es Platon hier für seine Argumentationszwecke gar nicht auf philosophische Präzision in der Strukturanalyse der Seele an. In den Nomoi wird zwar im Gegensatz zur Politeia insgesamt so gut wie nicht mehr von „Arten“ (eidê) oder „Teilen“ (merê) der Seele gesprochen, sondern fast ausschließlich von „Zuständen“ (pathê) – womit nicht nur „Leidenschaften“ im engeren Sinne des Wortes gemeint sind, sondern auch kognitive Zustände der Vernunft; aber das präjudiziert vor dem Hintergrund des oben konstatierten Trends zu einer eher simplifizierten Psychologie noch keineswegs den Streit zwischen Partitionisten und Unitaristen zu Gunsten der letzteren. Deshalb muss man hier einen noch genaueren Blick auf die im Marionettengleichnis wiedergegebene Dynamik des akratischen Konf likts werfen.
3.3 Unitarismus versus Partitionismus: Platon „auf dem Weg zum Willen“? Wenn man das Marionettengleichnis als Darstellung von konf liktuösen Entscheidungsprozessen eines rationalen Akteurs verstehen möchte, hinterlässt es erst einmal einen schalen Beigeschmack. Eine Marionette (thauma) ist ja etwas essentiell über ihre Schnüre Fremdgesteuertes, das keine Kontrolle über seine eigenen Bewegungen hat, sondern ganz in der Macht des Spielers liegt.22 Obwohl nun in den Nomoi sogar explizit gesagt wird, dass im Falle der menschlichen Marionette göttliche Puppenspieler am Werk sind (I 644d; VII 803c), lässt sich das Bild aber zumindest so deuten, dass hier doch eine Form von Selbststeuerung angenommen wird: „Plato seems to have in mind wind-up toys that move themselves rather than marionettes.“ (Frede 2010, 116) Doch auch das so entworfene Bild scheint mit menschlicher „rational agency“ noch nicht allzu viel zu tun zu 22 Zu thaumata vgl. auch II 658b–c. Um den negativen Unterton von „Marionette“ zu neutralisieren, wird manchmal im Anschluss an neuplatonische Deutungen auch vorgeschlagen, den Ausdruck als „Wunderwerk“ zu übersetzen. Vgl. hierzu Laks 2007.
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haben: Die Rede von Drähten bzw. Schnüren, die den Menschen innerlich bewegen, bringt schwer abweisbare Konnotationen eines kausalen Determinismus mit sich, die sich mit Blick auf die oben skizzierte hedonistische „causal theory of action“ eher verstärken. Damit scheint Platon aber den Menschen eher zum Schauplatz eines inneren Gladiatorenkampfes von rationalen und emotionalen Motivationen zu machen, in dem sich dann eben die kausal stärkste Kraft faktisch durchsetzt. Wenn Seelenteile aber in dieser Weise als Homunkuli charakterisiert werden, ergibt sich daraus eine ganze Reihe gewichtiger philosophischer Einwände,23 die auf verschiedene Weise auf einen blinden Fleck in diesem Modell hinweisen: Wer ist denn nun der Akteur im Falle akratischen Handelns, wenn die verschiedenen Seelenteile miteinander im Konf likt stehen und sich die Leidenschaften „gewaltsam“ gegen den Widerstand der Vernunft durchsetzen (oder diese zur Änderung ihres Urteils nötigen)? Kann man hier sinnvollerweise noch von einer selbstbestimmten Handlung des ganzen Menschen sprechen, wenn in Wirklichkeit eher ein einziger Teil seiner Seele sich im motivationalen Gladiatorenwettkampf gegen die anderen durchsetzt? Diese Einwände scheinen a fortiori auf den seelischen Konf likt im Marionettengleichnis zuzutreffen. Um hier doch eine höherwertige Form von selbstgesteuerter „rational agency“ zu etablieren, bieten sich nun zwei Strategien an: (1) Teilweise ist eine Art Aufwertung der kausalen Rolle der Überlegung vorgeschlagen worden. Der goldene Faden ist dann gewissermaßen nicht mehr auf einer konkurrierenden Ebene mit den eisernen Fäden angesiedelt, sondern oberhalb von ihnen, sodass er durch seine Urteile auf ihre Ausrichtung direkten Einf luss nehmen kann.24 Der Konf likt würde sich dann ausschließlich auf der Ebene der verschiedenen Leidenschaften abspielen, und die vernünftige Überlegung könnte man eher als eine Art „Schiedsrichter“ betrachten, der den Gewinner kürt (vgl. Mesch 2005, 104). Diese Lösung lässt zwar die seelische Teilung intakt, aber es gibt im Gleichnis selbst keinen überzeugenden Anhaltspunkt dafür, 23 Kritische Anmerkungen zur Tragfähigkeit eines solchen Homunkulus-Modell mit besonderem Blick auf die akrasia-Problematik finden sich u. a. bei Bobonich 1994, 14–17, und Shields 2007, bes. 80–82. 24 Vgl. in diesem Sinne Frede 2010, 119: „This must be the Plato’s reason for treating the calculating faculty as the third ,string‘. The puppet does not contain three strings that pull in different directions in a contest that is won by the strongest; it contains two strings that are in principle non-rational, and which are given shape by the rational faculty that judges their worth.“
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dass der goldene Draht eine solche Sonderstellung innehat: Er wird letztlich als eine von unterschiedlichen Arten von motivationalen Kräften beschrieben, die „neben“ und nicht „über“ den eisernen aufgehängt ist; der goldene Faden zieht diese also nicht. (2) Systematisch ergiebiger mutet der Vorschlag an, auf der Basis einer „unified agency“ von einer bestimmten Art von spontaner und indeterminierter Akteurskausalität („agent causality“) auszugehen, welche die Seele in toto gegenüber allen verschiedenen Strängen ausübt. Die „einheitliche“ Seele wird dabei als Träger einander widerstreitender Impulse (pathê) in Form von Begierden, Überzeugungen und Gefühlen verstanden. Um Phänomene von Unbeherrschtheit und Selbstkontrolle zu erklären, muss man nun den in der klassischen analytischen Handlungstheorie von Davidson zugrunde gelegten Rahmen von „beliefs“ und „desires“ sprengen und eine dritte, von diesem beiden mentalen Vorkommnissen unterschiedene Größe annehmen, die ihrerseits aktiv eigene Bewegungen hervorbringen kann, nämlich die Seele: „The soul is an active principle, distinct from and not entirely constituted by its beliefs, desires and acts.“ (Bobonich 2002, 280) Die Seele als eigenständige und aktive kausale Instanz zieht dann gewissermaßen die Fäden der Marionette, was dann auch für den Sonderfall des akratischen Handelns gilt, in dem sie sich eben für die Leidenschaften und gegen das „alles in allem“-Urteil der Vernunft entscheidet. Eine wesentliche Voraussetzung für dieses Modell ist hierbei eine handlungstheoretische Deutung der in Nomoi X präsentierten Idee der Selbstbewegung der Seele, wie sie erstmals H.-U. Baumgarten (1998, 171–264) konsequent entwickelt hat. Begreift man die Seele im Unterschied zum Körper als ein sich selbst bewegendes Prinzip (vgl. X 895e–896a), also als eine Art kinetische causa sui, kann man eine Spontaneität in der kausalen Verursachung von inneren und äußeren Bewegungen des Akteurs annehmen, die letztlich in Richtung eines autonomen Willens zu weisen scheinen: „Der Sache nach kann man in den Nomoi von freier Willensentscheidung sprechen. Der Mensch kann sich frei entscheiden, ob er beim Verwirklichen von Handlungszwecken aus der Quelle seiner Vernunft oder aus der Quelle seines Körpers schöpfen will.“ (Baumgarten 1998, 250) Auch unbeherrschtes Handeln gründet damit auf „einem Akt der Selbstbestimmung“, der gegebenenfalls sogar gegen ein gleichzeitig präsentes Tugendwissen vollzogen werden kann (ebd. 252).
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Ist Platon also in den Nomoi „auf dem Weg zum Willen“ (Baumgarten), also zu einem spontanen Entscheidungsvermögen, das kausal unabhängig von den bereits vorhandenen vernünftigen „beliefs“ und irrationalen „desires“ eine indeterminierte Entscheidung zwischen ihnen bzw. über sie treffen kann? Oder anders formuliert: Ist der späte Platon eine Art Libertarier (Bobonich 2002, 282)? Die Crux dieser philosophisch nicht unattraktiven Deutung ist m. E. die folgende: Wie kann man das in den Nomoi verschiedentlich affirmierte handlungstheoretische Prinzip, dass niemand freiwillig (hêkôn) das Schlechte tut (vgl. V 731c; IX 860d; vgl. Horn 2004), noch in irgendeiner Form halten, wenn man – wie Bobonich und Baumgarten – davon ausgeht, dass willensschwaches Handeln weder auf einem Irrtum (wie im Protagoras) noch auf einer gewaltsamen Überwindung der Vernunft durch die Affekte (wie in der Politeia), sondern auf einer spontanen und bewussten Selbstbewegung der einheitlichen Seele zum Schlechten hin beruht? Inwiefern ist man dann denn überhaupt noch – in der in den Nomoi ja weiterhin gebrauchten Terminologie – „schwächer als man selbst“? Letztlich ist die Selbstbestimmung der Seele zum Schlechten hin ja hier kein Zeichen von seelischer Schwäche, sondern eher von innerer Stärke. Die ref lexive Verwendung dieser Formel kann dann aber nicht mehr im Sinne einer motivationalen Dominanz der unvernünftigen Leidenschaften, sondern nur noch in normativ-evaluativer Wendung verstanden werden: Der unbeherrschte Akteur folgt ungezwungen seinen (minderwertigen) leidenschaftlichen Begierden, der Selbstbeherrschte hingegen seinen (höherwertigen) rationalen Überlegungen und Urteilen. Der Akratiker bleibt also freiwillig unter seinen eigenen Möglichkeiten. Die systematische Anschlussfrage, die sich daran anknüpft, lautet dann aber, warum der akratische Akteur in der unitarischen Konzeption überhaupt das Schlechte tut, also seine indeterminierte Akteurkausalität in Richtung der falschen Ziele nutzt, obwohl er diese evaluativ eindeutig als falsch erkannt hat (also nicht aus Unwissenheit handelt) und auch keinem inneren Zwang durch seine Affekte unterliegt. Inwieweit kann dann hier überhaupt noch das von Platon immer wieder unterstrichene sub-ratione-boni-Prinzip für intentionales Handeln aufrechterhalten werden?25 Gerade in einer unitarischen Konzeption 25 Vgl. hierzu auch den allerdings etwas unklar formulierten Einwand von Gerson (2003, 151) gegen Bobonich.
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von „rational agency“ lauern, wie das spätere Beispiel der Stoiker und ihrer monistischen Psychologie zeigt, besonders nachhaltige Probleme in der Erklärung klarsichtiger Willensschwäche, sofern sie als eine bewusste Dissonanz zwischen rationalem Urteil und handlungskausaler Motivation verstanden wird (vgl. Müller 2010). Insofern mutet es erst einmal höchst kontraintuitiv an, dass Platon in den Nomoi nun gerade diese Form von akrasia als Beleg für ein neues Modell von „unified agency“ ins Feld geführt haben soll. Für eine voluntaristische (bzw. libertarische) Neudeutung der Problematik der Willensschwäche, wie sie später Augustinus vorgenommen hat, in welcher der Wille als eine personale Dezisionsinstanz verstanden wird, die sich bei vollem Bewusstsein auch für das Schlechte entscheiden kann (vgl. Horn 1996), lässt die in den Nomoi dargebotene „causal theory of action“ m. E. jedenfalls zu wenig Spielraum. Die Frage, wie man das „Dilemma der Selbstbeherrschung“ befriedigend auf lösen kann, ohne in die – in den Nomoi offensichtlich überwundene – Leugnung der Willensschwäche aus dem Protagoras zurückzufallen oder doch eine innere Spaltung des Akteurs (wie in der Politeia) anzunehmen, kann somit von den Unitaristen letztlich nicht überzeugend beantwortet werden.
3.4 Synopse Platons Nomoi präsentieren eine Konf liktpsychologie dichotomischen Zuschnitts, die primär vom grundlegenden Gegensatz zwischen rationaler Evaluation und affektiver Motivation gespeist wird. Das hierdurch ermöglichte Phänomen einer starken, i. e. klarsichtigen Form von Willensschwäche wird klar artikuliert, und zwar als eine eigenständige Quelle moralischer Verfehlungen neben dem intellektuellen Irrtum. Das steht im eindeutigen Kontrast zum moralischen Intellektualismus in den frühen „sokratischen“ Dialogen des Corpus Platonicum, in denen eine aitiologische Reduktion akratischer Handlungen auf Unwissenheit (amathia) erfolgt, insofern hier noch ein starker handlungstheoretischer Internalismus (also eine robuste kausale Verknüpfung zwischen rationalem Urteil und Handlungsmotivation) vorausgesetzt wird. Die Psychologie der Nomoi weist in ihrer Betonung der kausal eigenständigen Rolle der Affekte in der Handlungsmotivation hingegen eher eine Tendenz zum psychologischen Hedonismus auf, der maximal noch einen schwachen
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Internalismus zulässt. Dieser Trend zeigt sich nicht zuletzt in der expliziten Einräumung einer knowledge akrasia, also eines Handelns wider besseres Wissen im platonischen Vollsinne des Wortes,26 was letztlich mit einer starken sokratischen Fassung des Tugendwissens überhaupt nicht mehr kompatibel ist. Hierin besteht unverkennbar das innovative Moment der dargestellten Handlungstheorie. Daraus resultiert dann in den Nomoi auch ein neuartiges Konzept von Selbstbeherrschung (sophrôsynê), das nicht mehr allein auf Wissen beruht, sondern auf der Herstellung eines Übereinklangs (symphônia) von „Lust- und Schmerzgefühlen mit den richtigen Vernunftgrundsätzen (orthois logois)“ (III 696c);27 hierzu bedarf es dann v. a. einer von früher Kindheit an praktizierten éducation sentimentale zur „richtigen Heranbildung dieser Lust- und Schmerzgefühle“ (II 653c), die stellenweise sehr stark an die von Aristoteles später propagierte Habitualisierung (ethismos) von Tugenden erinnert.28 Die gegenüber dem mittleren Werk Platons fortgesetzte Charakterisierung der Selbstbeherrschung als „Stärker-sein-als-man-selbst“ (bzw. der Unbeherrschtheit als „Schwächer-sein-als-man-selbst“) spricht dabei klar für die Annahme einer Seelenteilung, über deren Details man jedoch in den Nomoi selbst recht wenig erfährt, insbesondere im Blick auf die Frage nach einer möglichen Trichotomie. Diese ist zwar nicht ausgeschlossen, aber auffällig bleibt doch, dass die Dreiteiligkeit in den Nomoi eher angedeutet als explizit ausgeführt ist.29 Im Marionettengleichnis werden jedenfalls lediglich zwei Arten von Drähten, nämlich eiserne und goldene, unterschieden; ebenso sticht auf moralpsychologischer Ebene der weitgehende Ausfall des thymos als eine Form der affektiven Selbstkontrolle ins Auge, die in der Politeia noch in ihrem moralfördernden Potenzial betont wird. Mit einem Wort: Das Fehlen von silbernen Fäden neben den eisernen und goldenen ist ein deutlicher Fingerzeig in Richtung der Vereinfachung der psychologischen Konf liktstruktur zu
26 Vgl. hierzu IX 875a (gnônai bzw. gnousa). 27 Vgl. hierzu den Beitrag von C. Bobonich in diesem Band, dem ich hiermit auch für einige Anregungen zu meinem eigenen Text danken möchte. 28 Vgl. die geradezu programmatische Formulierung in VII 792e: to pan êthos dia ethos. 29 Die Stellen in den Nomoi, die für eine Fortschreibung der Trichotomie sprechen, bietet Saunders 1962, 38–41.
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einer Dichotomie.30 Dadurch kommt die Psychologie der Nomoi alltäglichen und auch in der griechischen Tragödie propagierten Vorstellungen des fundamentalen Antagonismus von Vernunft und Leidenschaft recht nahe; insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass der athenische Fremde oft aus Gründen der Adressatenorientierung gegenüber den beiden etwas einfacher gestrickten Gesprächspartnern Megillos und Kleinias auf einen elaborierten philosophischen Begriffsapparat verzichtet und eher auf „populärer“ Ebene des Common Sense argumentiert.31 Ob der weitgehende Wegfall der Trichotomie in den Nomoi nun ein entwicklungsgeschichtlich signifikanter Befund im Spätwerk ist, muss allerdings offen bleiben, weil natürlich nicht endgültig ausschließbar ist, dass Platon aus spezifischen Darstellungsgründen auf die elaborierte Ausarbeitung einer trichotomischen Struktur verzichtet. Letztlich ist eine Dichotomie wohl zumindest immer „ausbaufähig“ in Richtung einer Trichotomie (vgl. Saunders 1962, 37). Gerade die simplifizierte Struktur der psychologischen Überlegungen in den Nomoi insgesamt lässt auch grundsätzliche Zweifel an der unitarischen These Bobonichs aufkommen. Sollte es Platon wirklich um eine gegenüber seinem früheren Werk „revisionäre“ (wenn nicht gar „revolutionäre“) anti-partitionistische Kurskorrektur in Richtung eines anspruchsvollen philosophischen Modells von „unified agency“ – und damit um eine radikale Neufassung des Problems der akrasia in einem eigenen Œuvre – gegangen sein, würde die gewählte Darstellungsform in den Nomoi dieses innovative Anliegen jedenfalls eher verschleiern. Ebenso kann man wohl annehmen, dass Platon zur Darstellung einer rational basierten „unified agency“ letztlich ein etwas geeigneteres Bild gefunden hätte als gerade das einer Marionette, die an verschiedenen Fäden hängt. Man muss dieses Gleichnis hermeneutisch schon sehr belasten, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen, dass der personale Akteur qua seelischer Selbstbewegung hier autonom „die eigenen Fäden zieht“ (vgl. Bobonich 2002, 166; Baumgarten 1998, 231). Mit Blick auf die oben vorgetragenen Überlegungen zur Handlungstheorie erscheint deshalb der Unitarismus als Grundmodell für die Interpretation der Psychologie der Nomoi insgesamt nicht überzeugend. 30 Vgl. in diesem Sinne auch Sassi 2008, 133–138. Für eine psychologische Dichotomie in den Nomoi plädiert ebenfalls Schöpsdau 1994, 228–232. 31 Vgl. Görgemanns 1960, v. a. 105–111. Auch die in diesem Rahmen dargebotene Handlungspsychologie hat D. Frede (2010, 117) zu Recht als „surprisingly simplicistic“ charakterisiert.
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Literatur Baumgarten, H.-U. 1998: Handlungstheorie bei Platon. Platon auf dem Weg zum Willen, Stuttgart/ Weimar. Davidson, D. 1980: Essays on Actions and Events, Oxford. Dorion, L.-A. 2012: Enkrateia and the Partition of the Soul in the Gorgias, in: R. Barney/T. Brennan/ C. Brittain (Hgg.): Plato and the Divided Self. Cambridge, 33–52. Horn, C. 1996: Augustinus und die Entstehung des philosophischen Willensbegriffs, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 50, 113–132. Müller, J. 2009: Willensschwäche in Antike und Mittelalter. Eine Problemgeschichte von Sokrates bis Johannes Duns Scotus, Leuven. – 2010: „Doch mein Zorn ist Herrscher über meine Pläne“ – Willensschwäche aus der Sicht der Stoiker, in: J. Müller/R. H. Pich (Hgg.): Wille und Handlung in der Philosophie der Spätantike, Berlin/New York, 45–68. Price, A. W. 1995: Mental Conf lict, London/New York. – 2009: Are Plato’s Soul-Parts Psychological Subjects?, in: Ancient Philosophy 29, 1–15. Rees, D. A. 1957: Bipartition of the Soul in the Early Academy, in: Journal of Hellenic Studies 77, 112–118. Shields, C. 2007: Unified Agency and Akrasia in Plato’s Republic, in: C. Bobonich/P. Destrée (Hgg.): Akrasia in Greek Philosophy. From Socrates to Plotinus. Boston/Leiden, 61–86.
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Ursprung und Verfall von Staaten (III 676a1–702e2)
4.1 Das Thema des III. Buches Nachdem sich die drei Dialogpartner in den ersten beiden Büchern mit den nomoi, d. h. den für das Leben der Bürger verbindlichen Normen befasst haben, wenden sie sich im III. Buch gemäß der doppelten Zielsetzung des Gesprächs (vgl. 625a6 f.; 641d9) der politeia, also der staatlichen Organisation zu. Um deren Ursprung zu finden, soll die Entwicklung der Staaten „zur Tugend oder zur Schlechtigkeit“ von Anbeginn bis in die heutige Zeit betrachtet werden. Der dabei zu beobachtende Umschlag zum Besseren oder Schlechteren soll jeweils auf seine Ursache zurückgeführt werden (676c), um daraus Einsichten zu gewinnen, die für einen heutigen Gesetzgeber von Nutzen sein können. Unter den so gewonnenen Einsichten ist die wichtigste die, dass zur Erhaltung eines Staates eine Mischverfassung erforderlich ist, welche die Macht der Regierenden beschränkt und die Vorzüge von Monarchie und demokratischer Freiheit miteinander verbindet.
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4.2 Die vorhistorische Zeit: „Naive“ Sittlichkeit. Beginn der Gesetzgebung (676a1–683c7)
Der gesprächsführende Athener betrachtet zunächst die vorhistorische Zeit. Sie reicht von der letzten der periodisch wiederkehrenden Flutkatastrophen bis zur dorischen Landnahme auf der Peloponnes. Die Menschheit durchläuft in dieser Zeit drei Phasen: Die Flut überleben nur die Hirten auf den Bergen; sie wohnen zunächst wie die homerischen Kyklopen zerstreut in Familien unter patriarchalischem Regiment; Gesetze kennen sie nicht, weil sie den Gewohnheiten und den väterlichen Bräuchen (patriois nomois: 680a6 f.) folgen (677a1–680e5). Nach einiger Zeit schließen sich Familien zu größeren Einheiten zusammen und betreiben an den Berghängen Ackerbau. Da jede Familie ihre eigenen Bräuche mitbringt, müssen übergreifende, für alle verbindliche Normen aufgestellt werden. Mit dieser Aufgabe betraut die Gemeinschaft Leute, die aus den einzelnen Bräuchen das Geeignete auswählen und den einzelnen Familienoberhäuptern zur Annahme empfehlen (680e6–681d6). In der dritten Phase siedeln die Menschen wieder in der Ebene und gründen Städte. Die Erfindung der Seefahrt ermöglicht militärische Unternehmungen wie den Zug gegen Troja. Während dieses Zuges kommt es in der Heimat der Trojafahrer zu Unruhen und Aufständen der Jüngeren, welche die aus Troja heimkehrenden Achaier töten oder vertreiben. Die Vertriebenen kehren auf die Peloponnes zurück und heißen nun Dorer, weil ein Heraklide namens Dorieus die Flüchtlinge gesammelt hatte (681d7–682e4). Was zunächst die Quellenfrage betrifft, so beruft sich der Athener für das periodische Auftreten von Flutkatastrophen und sonstigen Vernichtungen der Menschheit auf „alte Erzählungen“ (palaioi logoi: 677a1). Gemeint sind damit sicherlich die in Ti. 22b zur fiktiven Beglaubigung erwähnten Erzählungen ägyptischer Priester, die von vielen Überschwemmungen berichten und die Unwissenheit der Griechen belächeln, die nur von einer einzigen Flut wissen (23b). – Bei der Schilderung der Lage der damaligen Menschheit arbeitet der Athener (abgesehen von zwei Homer-Zitaten 680b; 681e) mit Mutmaßungen und Wahrscheinlichkeitsschlüssen und bedient sich damit einer Methode,
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wie sie auch Thukydides in seiner „Archäologie“ angewandt hatte;1 Resultat dieser Vermutungen ist eine „wahrscheinliche Erzählung“, ein eikôs logos wie der kosmologische Bericht im Timaios. Die spekulativ-konstruierende Methode verbindet Platons Darstellung auch mit den Kulturentstehungslehren des 5. Jh., ohne dass sich jedoch eine konkrete Beeinf lussung beweisen lässt.2 – Unruhen in der Heimat der Trojafahrer während des trojanischen Kriegs erwähnt auch Thukydides I 12,2. Dass aber die Dorer ursprünglich Achaier hießen und mit den vertriebenen Trojakämpfern oder deren Söhnen identisch sind, ist wohl eine Erfindung Platons, um die peloponnesischen Dorer nahtlos an die homerischen Achaier anzuschließen. Zivilisatorisch ist die Lage nach der Flut geprägt durch den Verlust fast aller Erfindungen und sämtlicher technischen Kenntnisse und des politischen Wissens (677c). Aber dank göttlicher Fürsorge (679b)3 verfügen die Menschen über die Technik des Töpferns und Flechtens, ernähren sich von Milch, von Rind und Ziege und von der Jagd (677e; 679a); sie kennen den Gebrauch des Feuers und besitzen alles Lebensnotwendige in ausreichendem Maße (679a). Sie waren also keineswegs das „nackte, unbeschuhte, unbedeckte und unbewaffnete“ Mängelwesen, wie es der platonische Protagoras (Prt. 321c) und andere sophistische Kulturentstehungslehren beschreiben. Die moralische Verfassung der damaligen Menschen erschließt der Athener aus ihren Lebensbedingungen: Als Bergbewohnern waren ihnen die in den Städten üblichen Strategien zur Befriedigung der pleonexia, also des Mehr-habenWollens fremd (677b). Wegen ihrer geringen Zahl und ihrer Vereinzelung gingen sie freundlich miteinander um; Kriege gab es nicht, weil die hierzu erforderlichen Metalle noch fehlten; um die reichlich vorhandene Nahrung gab es keinen Streit (678c–e). Das Fehlen von Gold und Silber ließ keine großen Reich1 Die sog. „Archäologie“ des Thukydides dürfte Platon gekannt haben; er gelangt aber in vielen Punkten zu anderen Ergebnissen als Thukydides; vgl. Weil 1959, 45 und 63 ff. 2 Gegen eine (von Uxkull-Gyllenband 1924, 28 f.; Rohr 1932, 62 f.; Gaiser 1961, 348; Cole 1967, 54; 97 ff.; 107 ff. u. a. vertretene) Abhängigkeit von Demokrit spricht der Umstand, dass der Athener keine klare moralische Deszendenztheorie vertritt und auf eine kausale Erklärung der technischen Entwicklung durch die Notwendigkeit (chreia) verzichtet. 3 Auch im Politikos sind die ersten Kulturtechniken ein Göttergeschenk (274c–d). Zu Platons Schilderungen des „Urzustands“ der Menschheit (Ti. 22c ff.; Criti. 109b ff. sowie Plt. 268d–274e) vgl. Zuolo 2012.
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tümer und keine Konf likte zwischen Arm und Reich entstehen; Ungerechtigkeit und Neid waren unbekannt (679b–c). Zu diesen günstigen äußeren Bedingungen kam noch als seelische Eigenschaft die euêtheia (679c3), also die Unverdorbenheit ihres Charakters (êthos).4 Sie zeigte sich darin, dass die Menschen die in der Gemeinschaft geltenden religiösen Aussagen und moralischen Urteile für wahr hielten und nicht aus Schlauheit hinterfragten (679c). So waren sie verglichen mit den Menschen vor der Flut und mit den Heutigen zwar technisch ungeschickter, aber dafür „charakterlich unverdorbener (euêthesteroi) und tapferer und besonnener und in allem gerechter“ (679e2–3). Sie erreichten freilich nicht die höchste Stufe der Tugend bzw. des Lasters, da sie mit dem vielen Schönen bzw. Schlechten, das sich heute in den Städten findet, unbekannt waren (678a–b). Ihre „Tugend“ war letztlich das Resultat günstiger sozio-ökonomischer Bedingungen, aber nicht das auf der Erkenntnis von Gut und Schlecht basierende Wissen, wie es in einer fortgeschritteneren Kultur erforderlich ist. Dementsprechend fehlte ihnen zur vollen Tugend die höchste der vier platonischen Kardinaltugenden, die vernünftige Einsicht (phronêsis); ihre Stelle nimmt in der Vierergruppe der positiven Charaktereigenschaften die euêtheia ein.5 Die gesellschaftliche Entwicklung ist wie in anderen Darstellungen6 durch das Fehlen größerer Ansiedlungen und schriftlicher Gesetze bestimmt (678a). Abweichend von Theorien, die für diese Zeit jegliche politische Struktur bestreiten, sieht der Athener in den getrennt auf den Bergen hausenden Familien bereits eine „Art von politischer Organisation“ (politeias tropos tis: 680a9), da sie nach festen Normen leben und von einem Oberhaupt regiert werden (680e); formal handelt es sich um eine mit einer Königsherrschaft vergleichbare absolute Macht (dynasteia: 680b2; e3). Die Schaffung einer familienübergreifenden Ordnung in der zweiten Phase markiert für den Athener den Ursprung der Gesetzgebung (681d). Indem die Gesetzgeber die Anführer als Regenten einsetzen, entsteht aus der dynasteia eine Aristokratie (d. h. eine Herrschaft der Besten) oder eine
4 Zur positiven Bedeutung des Wortes euêtheia, das auch pejorativ („Einfalt“, „Torheit“) gebraucht werden kann (so IV 722a8; VII 818b5; vgl. Thukydides III 83,1), vgl. Rep. III 409a7 ff. und bes. 400e1 ff. sowie Gastaldi 2012, 112 ff. 5 Vgl. Plt. 272b–c: Ob die Menschen der Urzeit glücklicher als die Heutigen waren, hängt davon ab, ob sie durch Philosophieren ihre Einsicht vermehrten. 6 Vgl. Prt. 322b; Anonymus Iamblichi Vors. 89 Kap. 6,1 = Iamblich, Protr. 20 p. 127 des Places.
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Art Königtum. In der dritten Phase entstehen alle möglichen Arten von Staatsformen (681d8), darunter vermutlich auch die Demokratie. Dadurch, dass Platon vorstaatliche Formen und staatliche Formen der Gemeinschaft unter dem Begriff der politeia zusammenfasst, unterscheidet er sich wiederum von Theoretikern, die die staatliche Organisation mittels einer Vereinigungs- und Vertragstheorie ziemlich unvermittelt aus der vorstaatlichen Lebensform hervorgehen lassen.7 In der Schaffung familienübergreifender Normen sieht aber auch Platon etwas qualitativ Neues, nämlich den Beginn der Gesetzgebung (681c–d), wobei allerdings eine gewisse Kontinuität dadurch gewahrt bleibt, dass die neuen Normen durch Auswahl aus den früheren Bräuchen gewonnen und die neuen Herrscher offenbar aus dem Kreis der früheren Familienältesten genommen werden. Im Resümee schreibt der Athener explizit auch der Betrachtung der vorhistorischen Zeit Relevanz für die Frage zu, wie ein Staat am besten verwaltet und wie das Individuum sein Leben am besten führen würde (702a–b). Prüft man, welche Erkenntnisse er hierbei im Auge hat, kommen wieder die schon genannten Züge der damaligen Moralität in den Blick, die – nach Andeutungen in den vorausgehenden Büchern – als notwendige Bedingungen staatlichen Gedeihens auch im Folgenden thematisiert werden; so das Fehlen von Gewinnsucht und Machtstreben (pleonexia: 677b; vgl. 690e; 691a4); die gegenseitige Freundschaft (678e9; vgl. 628a–c; 693b4; c3; e1; 701d9; 738d–e; 743c5 ff.; 757a; 771d7 ff.); das Ausbleiben sozialer Konf likte zwischen Arm und Reich (679b; vgl. 695e5 ff.; 697b2 ff.; 728e–729a; 744d) und von Krieg (678e; vgl. 628c–e); die Anerkennung der Autorität der Älteren (680e; vgl. 690a; 701b6); die freiwillige Annahme der Gesetze durch die Gemeinschaft (681c–d; vgl. 702c; 723a; 739b; 746a; 751b). Was speziell den Wandel der Staatsformen betrifft, so lehrt die Urgeschichte lediglich, dass die jeweilige Staatsform abhängig ist von den geographischen und ökonomischen Bedingungen. Auch dies ist ein Zusammenhang, den ein guter Gesetzgeber berücksichtigt, wie die Anlage der neuen Gründung zeigt (vgl. 704a–708d; 747d–e).
7 So Protagoras bei Platon, Prt. 322b–c; Anonymus Iamblichi 6,1; Demokrit bei Diodor 1,8.
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4.3 Die historische Zeit (683c8–701c4) Im zweiten Abschnitt seiner Betrachtung untersucht der Athener drei historische Staatsgebilde, die alle nach einem vielversprechenden Anfang einen bis in die Gegenwart reichenden Verfallsprozess durchgemacht haben: den dorischen Staatenbund, das persische Königreich und die attische Demokratie. Obwohl dieser Abschnitt mit dem vorausgehenden ein zeitliches Kontinuum bildet, hat Platon beide durch ein Zwischenresümee und einen Wortwechsel getrennt, der auf die äußeren Bedingungen des Gesprächs verweist: Es findet am längsten Tag des Jahres, der Sommersonnenwende, statt (683c). Solche Rekurse auf die Gesprächssituation (Ort, Zeit, Gesprächsteilnehmer) sind dialogtechnische Mittel, mit denen Platon öfter entscheidende Wendepunkte des Gesprächs markiert.8 Hier soll dadurch der Wechsel im Niveau der Argumentation unterstrichen werden, die sich nicht mehr auf Spekulation, sondern von nun an auf geschichtliche Fakten (erga genomena: 683e9) stützt, sodass die Erörterung gleichsam auf einer neuen Basis (hoion ex archês: 683b5) weiterzuführen ist. Dies lässt vermuten, dass Platon im Folgenden schriftliche Quellen benutzt hat, auch wenn sich diese nicht mehr alle identifizieren lassen. Neben einer nicht näher zu ermittelnden spartafreundlichen Tradition (682e5) stützt er sich vor allem auf Herodot und für die Darstellung der persischen Monarchie auf Xenophons Kyrupädie und auf die Persika des Ktesias von Knidos, der einige Jahre am persischen Königshof lebte.9 Ein weiterer Unterschied zum vorausgehenden Abschnitt besteht darin, dass jetzt statt der anonymen Menschheit namentlich bekannte Individuen als geschichtlich Handelnde auftreten: die Herakliden, die Könige Kresphontes von Argos, Temenos von Messene und Aristodemos von Sparta, die Perserkönige Kyros, Kambyses, Dareios und Xerxes. Diese sind für die Entwicklung ihrer Staaten persönlich verantwortlich. Nur ihnen kann daher sinnvollerweise ein Versagen oder ein Verdienst zugerechnet werden. Das dabei anzuwendende Verfahren beschreibt der Athener als einen methodischen Dreischritt: „Dies haben wir (1) den sogenannten Staatsmännern und Gesetzgebern der alten Zeit wie den heutigen vorzuwerfen, damit wir (2) die 8 Weitere Beispiele finden sich I 632e; III 685a; IV 722c; VI 769a; VI 781e; VII 811c; IX 858a–b; X 887b. 9 Einzelnachweise bei Schöpsdau 1994, 389 f.; 396 f.; 441 ff.; 456 f.
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Ursachen davon erforschen und (3) so herausfinden, was sie stattdessen hätten anders machen sollen“ (693ab). Dabei ist der Geschichtsbetrachter gegenüber den geschichtlichen Akteuren immer im Vorteil: Welche Vorsichtsmaßregeln hätte nun der Gesetzgeber bei seiner damaligen Gesetzgebung gegen das Entstehen dieses Übels [sc. der Maßlosigkeit der Könige] treffen müssen? [...] Heute erfordert es keine Weisheit, das zu erkennen, und es ist nicht schwer auszusprechen; wenn es aber damals vorauszusehen gewesen wäre, so wäre einer, der es voraussah, weiser gewesen als wir. (691b; ähnlich 692b–c)
4.3.1 Argos und Messene: Niedergang infolge der Unwissenheit und Maßlosigkeit der Könige (683c8–691a9) Die Geschichte der drei dorischen Staaten Argos, Messene und Sparta setzt Platon offenbar als bekannt voraus. Die vagen Aussagen des Textes ergeben folgendes Bild: Das dorische Heer wird auf drei Königshäuser verteilt. In einem eidlich beschworenen Vertrag (684a) verpf lichten sich die drei Könige zu maßvoller Regierung und die drei Völker zur Loyalität gegenüber den Königen; außerdem sollten jeweils zwei Staaten einander gegen den dritten beistehen, falls dieser sich nicht an die Abmachungen halte (684b).10 Günstige Bedingungen für den Bestand der Staaten waren ferner das reichliche Vorhandensein von Land und das Nichtvorhandensein alter Schulden (684d–e). So entstand ein mächtiges Bündnis, das alle Hellenen vor den Barbaren hätte schützen können (685c). Doch Argos und Messene ließen ihre Verfassung und Gesetze untergehen, sodass das Bündnis zerfiel (685a). Nur Sparta hatte Bestand und musste sogar Krieg gegen die beiden andern führen (686b). Im Kampf gegen die Perser stand Argos abseits und Messene versuchte sogar, Sparta durch einen Krieg an der Abwehr zu hin-
10 Hier hat Platon wohl den von der spartanischen Tradition vorgegebenen Eid zwischen König und Volk (Xenophon, Lak. Pol. XV 7) inhaltlich nach dem Vorbild der von Xenophon geschilderten Vereinbarung zwischen Kyros und den Persern Kyr. VIII 5,24 f.) umgestaltet (Näheres hierzu bei Schöpsdau 1994, 389 f.).
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dern (692d–e),11 sodass die Spartaner in Marathon erst am Tag nach der Schlacht eintrafen (698e). Was war die Ursache für den Niedergang des Bündnisses? Eine grundlegende Antwort gibt der Athener gleich zu Beginn: Eine Herrschaft wird niemals durch andere, sondern immer nur durch sich selbst, d. h. durch das Verhalten der Herrscher aufgelöst (683e). Im Falle der dorischen Staaten liegt also die Schuld für den Niedergang bei den Königen von Argos und Messene, nicht beim Volk (so explizit 690e–691a).12 Was sich die Könige konkret zuschulden kommen ließen, deutet der Text allerdings nur an. Sie versäumten es, das Bündnis zu festigen (686b3; 687a6), verhielten sich maßlos (690e), führten ein üppiges Leben (691a), wollten mehr haben (pleonektein), als ihnen die Gesetze (d. h. der Bündnisvertrag) erlaubten (691a); wegen ihrer Jugend erlagen sie der Verführung durch die Macht (vgl. 692b). Die tiefere Ursache hinter all diesen Fehlhandlungen der Könige sieht der Athener in einem seelischen Zustand, nämlich der „Unwissenheit in den größten menschlichen Dingen“ (688c7 f.). Damit wird der Verfall des dorischen Bundes zu einem Exempel für die im Politikos 302a aufgestellte These, dass „viele Staaten im Lauf der Zeit zugrunde gingen und gehen, weil ihre Lenker in den größten menschlichen Dingen die größte Unwissenheit besitzen“. Allerdings wird diese Ursache im Falle der Könige von Argos und Messene nicht mit den Methoden des Historikers herausgearbeitet, sondern auf einem merkwürdigen Umweg erschlossen. Denn statt die Fehler der Könige zu präzisieren, prüft der Athener die Urteile heutiger Beobachter über solche Machtgebilde. Wie ihm selbst beim Anblick der dorischen Heeresmacht, gesteht der Athener, so gehe es jedem, der etwas Großes sieht: Er meint, wenn dessen Besitzer seinen Besitz richtig zu gebrauchen wüsste, brächte er etwas Wunderbares zustande und wäre glücklich (686c7–686e8).
11 Für diesen sonst nirgends bezeugten Krieg Messenes gegen Sparta um 490 ist Platon der einzige Gewährsmann (vgl. Schöpsdau 1994, 441 ff.). 12 Die konkreten Vorgänge sind nur unvollkommen rekonstruierbar. Antike Zeugnisse berichten von der Ermordung der Könige Kresphontes und Temenos und von Aufständen des Volkes. Isokrates gibt die Schuld am Untergang der Könige von Messene dem Volk der Messenier, die in einem frevelhaften Akt ihren König töten und dadurch Sparta zum Eingreifen veranlassen (Or. 6,22 f.). In der von Ephoros FGrHist 70 F 116 tradierten Version trifft beide Könige eine gewisse Mitschuld am Aufstand des Volkes, weil sie der nichtdorischen Bevölkerung zu viele Rechte einräumten (Details bei Schöpsdau 1994, 395).
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Dieses Urteil klingt plausibel, zumal da es auf dem sokratischen Gedanken basiert, dass ein Gut sich nur bei richtigem Gebrauch als wirklich gut erweist.13 Zweifel entstehen aber, wenn man solche Urteile genauer auf die ihnen zugrunde liegende Blickrichtung hin prüft (687a2–b8). Die Menschen sehen nämlich den Nutzen militärischer Macht (687a5) oder des Reichtums (687b4) darin, dass ihr Besitzer bei richtigem Gebrauch selbst frei bleibt und über so viele herrschen kann, wie er will, und bei allen Menschen alles tun kann, was er nur wünscht.14 Der Wunsch, dass alles gemäß dem eigenen Wollen geschehe (687c1–7), birgt aber Gefahren. Denn wenn dieses Wollen sich absolut setzt und nicht der vernünftigen Einsicht folgt, riskiert man, dass man aus Unkenntnis statt eines Gutes etwas Schlechtes wünscht oder von den Göttern erbittet, sodass einem durch eigene Unvernunft das Gegenteil seines (wahren) Wollens zuteil wird (688b4–c1), womit der Athener wiederum ein Thema der Sokratik anschlägt.15 Hieraus vermag selbst der philosophisch ungeschulte Megillos zu schließen, dass Staat und Individuum vor allem nach dem Besitz von Vernunft streben müssen (687e5–9). Der Athener folgert daraus in 688a1–b4, dass die Gesetze an erster Stelle auf die Führerin der Tugend zielen müssen, nämlich auf die Einsicht (phronêsis) und die Vernunft (nous), zu denen (wie 645e1–2, 653a7–8) noch 13 Vgl. Euthd. 280b–281e; 288d–293e; Men. 87e–89a; Xenophon, Mem. I 3,2; III 8,5–7; IV 2,31–39; Ps.-Platon, Alc. 2 141a–145c; Erx. 395e–397b. Auch die spezielle Anwendung dieses Theorems auf Macht und (Welt-)Herrschaft ist sokratisch, wie das Vorkommen des Motivs in den pseudoplatonischen Alkibiades-Dialogen beweist (vgl. dazu Müller 1999, 472 f.). 14 „Tun, was man nur wünscht“ ist eines der „sogenannten Güter“ (661b2); vgl. ferner V 727b2; VI 780a4; IX 863b8 f.; X 907c3 (durchgehend mit negativer Wertung); am nächsten kommt der vorliegenden Stelle Ps.-Platon, Alc. 1 104b6–8: „er [= Perikles] vermag nicht nur hier in der Stadt zu tun, was er will, sondern in ganz Hellas und bei vielen großen Barbarenvölkern“ (vgl. auch 105b–c und Thg. 125e–126a). 15 Vgl. besonders Xenophon, Mem. I 3,2 und den pseudoplatonischen Alkibiades II (in dem 141a ff. die Weltherrschaft als mögliches Objekt des Betens auftaucht). Die naheliegende Frage, ob also jemand unter der Voraussetzung, dass er die geforderte Vernunft besitzt, die Herrschaft über viele und möglichst über alle anstreben darf, ist wohl so zu beantworten, dass die Vorstellung einer mit Vernunft ausgeübten unbegrenzten Herrschaft für Platon eher in das Reich der Utopie gehört. Für ein Individuum, zumal wenn es jung ist, bedeutet eine schrankenlose Machtstellung gerade eine Gefahr, weil sie seine Seele mit Unvernunft erfüllt (Lg. III 691d1; vgl. auch IX 875b). Die imperialistische Expansion einer Stadt („Herrschaft zu Land und zur See über möglichst viele“) wird in V 742d als eine Wunschvorstellung der Masse charakterisiert, die ein „vernünftiger Staatsmann“ nicht zu realisieren versuchen wird. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Verbindung außenpolitischer Freiheit mit der Herrschaft über andere in XII 962e als Kennzeichen einer verfehlten Gesetzgebung gewertet wird.
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die Meinung (doxa) tritt, die als vernunftgemäße Meinung (kata logon doxa 689a8) ebenso wie phronêsis und nous eine den vernunftlosen Trieben entgegenwirkende geistige Kraft ist. Jetzt erst wird daraus die schon erwähnte Diagnose abgeleitet, dass am Niedergang von Argos und Messene nur die Unwissenheit der Könige in den größten menschlichen Dingen schuld gewesen sein kann (688c1 ff.). Da diese auch heute noch politische Ordnungen vernichten kann (688e), muss ein Gesetzgeber seinem Staat möglichst viel Einsicht einpf lanzen. Was aber ist mit dieser Unwissenheit gemeint? Sie ist zunächst eine sachbezogene Unwissenheit; ihren Gegenstandsbereich bilden „die größten menschlichen Dinge“ (ta megista tôn anthrôpinôn pragmatôn), worunter gemäß Plt. 302b die Grundfragen des staatlichen Lebens (ta politika) zu verstehen sind. Diese Unwissenheit in den größten Dingen wird im Folgenden mit unmerklicher Verschiebung zur „größten Unwissenheit“ (megistê amathia: 688e4), und diese wird in musikalischer Metaphorik beschrieben als Dissonanz (diaphônia: 689a7) zwischen den Affekten und der vernunftgemäßen Meinung (tên kata logon doxan: 689a8); entsprechend ist deren Einklang (symphônia) die größte Weisheit (sophia). Diese „sittliche“ amathia ist die eigentliche Ursache der sachbezogenen „technischen“ amathia: denn im politischen Bereich, wo das Maßvolle besser als das Maßlose ist (690e), wird ein von der Vernunft nicht gesteuertes Begehren immer auch sachliche Fehlgriffe zur Folge haben. Die Dissonanz zwischen irrationalen Regungen und vernünftiger Meinung besteht darin, dass man das, was diese Meinung für gut befindet, hasst und umgekehrt das für schlecht Erklärte liebt. Dies ist die „größte“ Unwissenheit in einem doppelten Sinn (689a–b): qualitativ ist sie die äußerste (eschatê: 689a9), weil die Seele den „von Natur zur Herrschaft berufenen“ (archikois: 689b3) rationalen Vermögen Widerstand leistet; quantitativ ist sie die größte, weil der sich widersetzende affektive Seelenteil den größten Teil der Seele ausmacht (vgl. Rep. IV 442a6). Auf den Staat übertragen besteht die größte Unwissenheit darin, dass das Volk als größter Teil des Staates den Herrschenden und den Gesetzen nicht gehorcht (die gemäß der Analogie ebenfalls von der Natur zur Herrschaft bestimmt sind). Da es im Kontext aber um die Unwissenheit nicht von Völkern, sondern von Herrschern geht, stellt der Athener dem Fall des unwissenden Volkes noch den Fall eines Individuums zur Seite, in dessen Seele die schönen Grundsätze nichts ausrichten (689b5–c1).
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Die hier als amathia bzw. sophia bezeichneten Seelenverfassungen sind im bisherigen Gespräch bereits unter anderen Bezeichnungen zur Sprache gekommen. Erinnert sei an die Vorstellung des „Sich-selbst-überlegen-Seins“ und der sôphrosynê als eines Sieges des vernünftigen Seelenteils über Lust und Schmerz (626e ff.; 633d ff.; 647d), das Bild von der Drahtpuppe mit seiner Forderung, mit Hilfe des goldenen Drahtes der Vernunft gegen die Affekte anzustreben (644c ff.), oder die Definition der Tugend als harmonische Übereinstimmung der Affekte mit dem richtigen Logos (653b; 659c–d). Die Eigenart der vorliegenden Stelle liegt neben der musikalischen Metaphorik darin, dass Einklang und Dissonanz als sophia bzw. amathia bezeichnet werden, womit sonst gewöhnlich intellektuelles oder technisches Wissen bzw. Nichtwissen gemeint ist. Man darf hierin wieder ein Echo sokratischen Sprachgebrauchs sehen: Im Protagoras nennt Sokrates das „Der-Lust-unterlegen-Sein“ die größte Unwissenheit (megistê amathia: 357e);16 der xenophontische Sokrates setzt sophia mit sôphrosynê bzw. akrateis mit asophoi gleich (Mem. III 9,4). Für die Vergabe eines Herrscheramts ergibt sich daraus: Wer in sittlicher amathia befangen ist, darf kein Regierungsamt ausüben, auch wenn er ansonsten ein schlauer Kopf sein mag (689c–e). Die Besetzung eines Herrscheramts führt zu der Frage, wer überhaupt zur Herrschaft berechtigt ist. Der Athener zählt in 690a–c sieben Ansprüche (axiômata) auf Herrschaft auf. Einen Herrschaftsanspruch besitzen 1. Vater und Mutter über ihre Kinder; 2. die Edlen über die Unedlen; 3. die Älteren über die Jungen; 4. die Herren über ihre Sklaven; 5. der Stärkere über den Schwächeren; 6. der Einsichtige über den Unwissenden, was analog zur Herrschaft des Gesetzes eine auf freiwilligem Gehorsam basierende Herrschaft ist; 7. der, den das Los trifft, über den Verlierer. Warum der Athener gerade diese Ansprüche aufzählt, ist nicht klar ersichtlich, ebenso wenig, ob er damit historisch belegte Ansprüche aufzählt (dann fehlt der Reichtum) oder nur die seiner Ansicht nach berechtigten Ansprüche (dann stört der Anspruch des Stärkeren, der in 715b8 verworfen wird). Wichtiger ist, dass sie einander entgegengesetzt und eine Quelle von Streitereien sind, denen der Gesetzgeber vorbeugen muss. Hierin besteht das Versagen der Könige von Argos und Messene (690d–691a). Nach der Darstellung des Atheners verlangten sie mehr, als ihnen nach den Gesetzen 16 Dass die „sokratische“ Definition der amathia trotz der äußeren Übereinstimmung mit der Definition in den Nomoi auf einer anderer Konzeption basiert, zeigt J. Müller in diesem Band S. 47 ff.
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zustand (pleonektein), was wohl bedeutet, dass sie ihre Macht verschärften; damit verabsolutierten sie den Anspruch des Stärkeren und setzten sich über den Anspruch der Vernunft und des Gesetzes hinweg. Schuld trifft auch die damaligen Gesetzgeber, weil sie glaubten, einen jungen Machthaber durch einen Eid zügeln zu können (692b), anstatt ihm wie in Sparta das Alter als Gegengewicht zur Seite zu stellen, worin man eine sträf liche Vernachlässigung des dritten Anspruchs sehen kann.
4.3.2 Sparta: Bewahrung durch Beschränkung der Macht (691b1–693c5) Dem spartanischen Staat drohte dasselbe Geschick wie Argos und Messene, da auch seine Könige vor Machtfieber glühten (691e3; 692a4). Denn eine unumschränkte Machtstellung vermag kein Mensch, zumal ein junger, zu bekleiden, ohne der Unvernunft (anoia) zu verfallen, die man als die „größte Krankheit“ (691d1) wohl mit der „größten Unwissenheit“ gleichsetzen darf. Dies muss der Gesetzgeber durch Erkenntnis des rechten Maßes verhüten (691d4–5). Mäßigend wirkten in Sparta verschiedene Umstände. Zunächst wurde nach der von einem Gott bewirkten Zwillingsgeburt die Königsmacht durch Aufteilung auf die beiden Königshäuser des Prokles und Eurysthenes beschränkt. Dann stellt Lykurg („ein mit göttlicher Kraft begabtes Wesen“) den immer noch machtgierigen Königen die 28-köpfige Gerusia zur Seite, und ein dritter Retter, vermutlich Theopomp, warf ihnen gleichsam einen Zaum um durch die fünf Ephoren, deren Wahlmodus der Athener mit der für die Demokratie typischen Losung vergleicht (691d–692a). Die spartanische Verfassung ist also eine „Mischung“17 aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen, weshalb sie in 712e9 als eine wirkliche Verfassung gerühmt wird im Unterschied zu den Pseudoverfassungen, die jeweils Partikularinteressen bedienen. Ihr gelingt so auch der Ausgleich zwischen den wichtigsten Ansprüchen auf Herrschaft: die Regierung der Könige realisiert den Anspruch der edlen Geburt, die Machtbeteiligung der Geronten den des besonnenen Alters und die Beteiligung der Ephoren den des Loses. Sofern die Macht der einzelnen Machtträger durch die 17 So explizit in 691e3; 692a7; 693b3 (zu Nippels Einwänden gegen diesen Terminus vgl. Schöpsdau 1994, 433). Der Begriff der Mischung begegnet wohl erstmals bei Thukydides VIII 97,2 (metria ... xynkrasis) mit Bezug auf die gemäßigte Verfassung von 411 (mündlicher Hinweis von E. Schütrumpf).
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von Gesetzgebern geschaffene Verfassung beschränkt wird, kann diese Funktion der Verfassung als Herrschaft des Gesetzes und damit als Verwirklichung eines weiteren Anspruchs gedeutet werden. Neben der Beschränkung der Macht verdankt Sparta seine Erhaltung einem weiteren Umstand, den der Athener aber erst nach seiner Kritik an der Erziehung der persischen Königssöhne hervorhebt. Die Spartaner werden dort gelobt, weil bei ihnen die Armut und der Reichtum, der Privatstand und das Königtum keinerlei besondere Ehre oder Erziehung über die in der Verfassung vorgesehenen hinaus genießen (696a–b). Anlass zu diesem Lob ist vermutlich die Gleichstellung der spartanischen Vollbürger unter der Bezeichnung „Gleiche“ (Xenophon, Hell. III 3,5), die Zugänglichkeit des Ephorats auch für Ärmere (Aristoteles, Pol. II 9, 1270b6 ff.) und die Gleichheit der Erziehung für Arme und Reiche (IV 9, 1294b21 ff.). Ergebnis der Betrachtung Spartas ist die Erkenntnis, dass eine Mischverfassung nötig ist, wenn in einem Staat Freiheit, Einsicht und Freundschaft herrschen sollen (693b). Diese drei Ziele, mit denen die historische Betrachtung ins Grundsätzliche gewendet wird, tauchen hier erstmals auf, sind aber nach den Worten des Atheners mit den früher genannten Zielen identisch. Sie bestimmen vor allem die anschließende Beschreibung der Entwicklung in Persien. Wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung müssen sie sich aber, obwohl nicht explizit genannt, auch in einen Bezug zur Geschichte der dorischen Staaten setzen lassen, und sei es auch nur – wie bei der Entwicklung von Argos und Messene – im Modus der Defizienz: Die Maßlosigkeit der dortigen Könige entspringt einem Mangel an Einsicht und beweist die größte Unwissenheit (688d1; 691a6); die Verschärfung der Macht schränkt zwangsläufig die Freiheit der Untertanen ein, wodurch (wie im späteren Persien: 697c7–d6) an die Stelle der Freundschaft der Hass tritt (vgl. 691d2). Für Sparta dagegen darf infolge der Beschränkung der Macht zweifellos ein gewisses Maß an Freiheit und Freundschaft angenommen werden. Hinsichtlich der Einsicht ist zu bedenken, dass der Athener in 693c die Einsicht (phronêsis) und die Besonnenheit (sôphrosynê) als identische Ziele der Gesetzgebung bezeichnet und in 689a–b die Unterordnung der Leidenschaften unter die Vernunft als phronêsis gedeutet hat. Einsicht ist daher in Sparta sowohl durch die Besonnenheit der Geronten wie auch durch das ganze System der Machtkontrollen verwirklicht, das die vor Wildheit strotzenden Regierenden zügelt. Das Ziel, möglichst viel Einsicht im Staat zu erzeugen, kann eben,
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falls es den Machthabern an phronêsis fehlt, auch durch geeignete konstitutionelle Strukturen erreicht werden.
4.3.3 Eine Theorie der Mischverfassung (693c6–694a1) Der historische Aufweis der Vorzüge einer Mischverfassung am Beispiel Spartas wird in 693d–e ergänzt durch eine systematische Begründung der Notwendigkeit einer Mischverfassung mittels einer Theorie, nach der es zwei Grundformen („Mütter“) von Verfassungen gibt: die Monarchie, deren Prinzip die Knechtschaft (douleia) bzw. das Herrschen (despozein) ist, und die Demokratie, deren Prinzip die Freiheit ist. Um Freiheit, Freundschaft und Einsicht zu verwirklichen, darf ein Staat sein Prinzip nicht absolut setzen, sondern muss jeweils das rechte Maß (metrion) der monarchischen Herrschergewalt bzw. der demokratischen Freiheit einhalten. Dies ist nur möglich, wenn der Staat an den Vorzügen beider Verfassungsformen teilhat (693d7 ff.), also Monarchie bzw. Demokratie mit Elementen der jeweils entgegengesetzten Verfassung durchmischt sind.18 Im Idealfall koinzidieren so gemäßigte Knechtschaft und gemäßigte Freiheit, während die Übersteigerung eines der beiden Prinzipien zum Niedergang eines Staates führt. Belege für diese Theorie findet der Athener in der Entwicklung der persischen Monarchie und der attischen Demokratie.
4.3.4 Persien: Niedergang durch Übersteigerung des monarchischen Prinzips (694a2–698a8) Im alten Persien waren zur Zeit des Kyros alle drei Ziele verwirklicht, weil die Monarchie auch demokratische Elemente enthielt, wie der Athener in einer wohl von Xenophons Kyrosbild beeinf lussten Schilderung19 feststellt. Die Herrscher gaben dem Volk Anteil an der Freiheit und gewährten ihm eine gewisse Gleich18 Dies entspricht dem ersten Typ der drei von Aristoteles Pol. IV 9, 1294a35 ff. aufgeführten gemischten Verfassungen. 19 Xenophons Kyrupädie vertritt die wohl in der Sokratik entwickelte Konzeption von Kyros als dem idealen Herrscher (vgl. Schöpsdau 1994, 458 ff.). Von althistorischer Seite wird das positive Kyrosbild auf den Einf luss eines iranischen Epos zurückgeführt (vgl. Breitenbach 1967, 1709; Metzler 1987, 89– 91). Ob allerdings aus den Darstellungen Platons und Xenophons auf das tatsächliche Vorhandensein
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stellung; zwischen Soldaten und Befehlshabern bestand Freundschaft, und weil der König Redefreiheit gewährte, konnte ein verständiger Mann seine Klugheit in den Dienst der Allgemeinheit stellen. So gedieh bei ihnen alles durch Freiheit, Freundschaft und gemeinsame Teilhabe an der Vernunft (nou koinônia: 694b6). Dies alles ging zugrunde durch eine Ursache, mit der Platon ein letztes Mal das sokratische Thema der bei der Erziehung ihrer Söhne versagenden „großen“ Männer20 aufgreift. Kyros kümmerte sich nicht um die Erziehung seiner Söhne (694c) – eine Behauptung, die sich, wie schon die Antike erkannte,21 gegen Xenophons Kyrupädie richtet. Wegen der kriegsbedingten Abwesenheit der Männer wurden seine Söhne von Frauen und Eunuchen erzogen, die sie vor jeder Zurechtweisung verschonten (694d); ferner ließ es Kyros zu, dass sie eine verweichlichende medische Erziehung erhielten (695a). Denselben Fehler beging Dareios, der das Reich wieder emporbrachte, aber bei der Erziehung des Xerxes22 versagte. Schuld am Niedergang ist also das schlechte Leben, das die Söhne übermäßig reicher und mächtiger Väter führen (695e5 ff.). Daraus zieht der Athener mit dem schon erwähnten lobenden Seitenblick auf Sparta die Folgerung, dass in einem Staat niemand besondere Anerkennung finden darf, der nicht die von Mäßigung (sôphrosynê) begleitete Tugend besitzt (696b). Denn von den drei übrigen Kardinaltugenden (Tapferkeit, Gerechtigkeit, Einsicht) ist keine wertvoll ohne die sôphrosynê. Dies zeigt der Athener in einer längeren Partie (696b–697c), in der die vier Kardinaltugenden vermittels der sôphrosynê explizit in einen Bezug zur dreistufigen Güterordnung gesetzt werden. Denn die sôphrosynê, die hier gemäß 710a als Widerstandskraft gegen die Lust zu verstehen ist, ist für sich allein zwar wertlos, verleiht aber als Zusatz allen anderen Dingen ihre Werthaftigkeit (696d–e). Diese anderen Dinge lassen sich demokratischer Elemente in der achaemenidischen Verfassung geschlossen werden darf (so Metzler), ist fraglich (skeptisch Kurth/Sherwin-White 1987, 201). 20 Vgl. La. 179c–d; 180b; Prt. 319e–320b; Men. 93a ff. 21 Gellius XIV 3,4; Athenaios XI 504e–505a; Diogenes Laert. III 34. 22 Dass mit Xerxes der Niedergang und Machtverfall der persischen Könige beginnt, ist eine auch von anderen Zeitgenossen Platons geäußerte Einschätzung (vgl. Isokrates, Or. 4,138 f.; 5,90 f.; 101 f.; Demosthenes, Or. 14,29 f.). Sie dürfte ihre Wurzeln vor allem in dem von der griechischen Tradition vorgegebenen Xerxesbild haben, das neben jugendlicher Unüberlegtheit auch Züge von Despotismus und religiöser Intoleranz aufweist (z. B. Aischylos, Pers. 744 ff.; 807 ff.; Herodot I 183,3; VII 35 und 39; VIII 109,3; Ktesias FGrHist 688 F 13 § 27 [23]. 29 [25]. 31 [27]).
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nach ihrem Nutzen in seelische, leibliche und materielle Güter einteilen (697b). Die sôphrosynê gehört als Tugend einerseits zu den seelischen Gütern (und zwar nach 631b zu den göttlichen); sie muss aber auch die beiden andern Arten von Gütern begleiten, damit diese wirklich Güter sein können (man denke etwa an einen Mann von großer Körperkraft, der seine Triebe nicht unter Kontrolle hat). Nach diesem Zwischenstück, das den Niedergang moralisch und politisch mit dem Mangel an sôphrosynê und dem Verfehlen der wahren Güterordnung erklärt, schildert der Athener die Endstufe der Entwicklung Persiens: Die drei Staatsziele sind jetzt in ihr Gegenteil verkehrt: Statt der Freiheit herrscht maßlose Despotie (697c8); das Gefühl der Freundschaft ist geschwunden; der Rat der Herrschenden verwendet seinen Verstand zum eigenen Vorteil statt zum Wohl der Allgemeinheit. Indem sie so mit ihren Taten die im Staat geltenden Werte missachten, verhalten sie sich töricht (amathainein: 698a1); denn ihr Verhalten widerspricht den „schönen Grundsätzen“, was gemäß 689b nichts anderes als Unvernunft und Torheit ist.
4.3.5 Athen: Niedergang durch Übersteigerung der demokratischen Freiheit (698a9–701c4) Athen hingegen verdankte seine einstige Blüte dem rechten Maß an Freiheit (701e). Um dies zu zeigen, hebt der Athener bei der Schilderung des alten Athen gerade die Elemente hervor, die der Freiheit entgegenwirkten. Neben der timokratischen Verfassung war das Entscheidende die sittliche Scheu (aidôs), die als „Herrin“ (despotis) der Athener diese zu sklavischer, aber freiwilliger (700a5) Unterwerfung (douleia) unter die Beamten und das Gesetz antrieb. Hinzu kam noch als äußerer Faktor die Bedrohung durch die Perser. Dies alles zusammen erzeugte starke Freundschaft unter den Bürgern (698c) und ermöglichte den Sieg über die Perser. Die Faktoren, die die Freiheit mäßigten, waren also zugleich Ursachen der Freundschaft; denn Freundschaft entsteht durch die von der timokratischen Verfassung realisierte geometrische Gleichheit (VI 757a–c) und dadurch, dass alle von derselben höheren Macht gesteuert werden (so Rep. IX 590d), nämlich von der aidôs und dem Gesetz. Inwiefern war neben der Freiheit und Freundschaft auch die Einsicht als das dritte zu verwirklichende Ziel im alten Athen vorhanden? Auch sie realisiert sich
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im Gehorsam gegen Beamte und Gesetze. Denn der entgegengesetzte Zustand, „wenn die Masse den Herrschenden und den Gesetzen nicht gehorcht“, ist gemäß 689a–b „Unvernunft“ (anoia) und somit das Gegenteil der phronêsis (688e7). Da das Gesetz – wie unvollkommen auch immer – die Vernunft verkörpert (vgl. 645a; IV 714a), ermöglicht die Unterwerfung unter das Gesetz die Präsenz von Vernunft in der Polis. Die in Persien vorhandene nou koinônia war also auch im alten Athen gegeben. Der Niedergang Athens begann nach Meinung des Atheners mit der Missachtung der musikalischen Normen (nomoi) durch die Dichter. So entstand die Meinung, in der Musik gebe es nicht die geringste Richtigkeit, sodass sich jeder im Publikum für sachkundig halten konnte. Folge der musikalischen Gesetzesverletzung war die Ausweitung der Freiheit und die Auf lehnung gegen jegliche Autorität, zunächst gegen die Beamten, dann gegen Eltern und überhaupt Ältere, danach gegen die Gesetze und schließlich gegen die Götter (700a–701c). Die musikalische Entartung ist also die Ursache (und nicht nur Symptom) der politisch-moralischen Entartung. Athen wird damit zum Exempel für die in der Politeia dem Musiktheoretiker Damon zugeschriebene These, dass eine Veränderung der musikalischen Formen immer auch eine Veränderung der politischen Ordnung nach sich zieht (Rep. IV 424c5–6), eine Einsicht, die in den Nomoi VII 797a–c analog auf die Spiele der Kinder übertragen wird.
4.4 Das Resümee: die Lehren der Geschichte (701c4–702e2) Schaut man zurück auf die vom Athener im III. Buch vorgetragenen Einsichten, so stellt man fest, dass der Athener keineswegs jede Erkenntnis ausschließlich der geschichtlichen Betrachtung verdankt; öfter trägt er ein Theorem von außen an einen historischen Vorgang heran, um ihn zu deuten. So ist die dreifache Zielformel (Freiheit, Freundschaft, Einsicht) ebenso wie der Maßgedanke oder die dreistufige Güterordnung ein von außen an die Staaten angelegter Maßstab, an dem sich diese messen lassen müssen. Entsprechend wird die Notwendigkeit der Verwirklichung der drei Staatsziele im Resümee nicht als eine gewonnene Erkenntnis, sondern als eine eigene Behauptung (elexamen: 701d7) wiederholt. Als wirkliche Lehre der Geschichte wird dagegen die Erkenntnis bezeichnet, dass dieses dreifache Ziel nur zu erreichen ist, wenn ein Staat das monarchische bzw.
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demokratische Prinzip nicht verabsolutiert (701e). Die vergleichbare Erkenntnis, dass es wie in Sparta nötig ist, durch Verteilung der Macht auf mehrere Träger eine „gemischte“ Herrschaft zu schaffen, wurde in 692b6 sogar als eine Erkenntnis bezeichnet, die der Gott vermittelt hat. Diese unterschiedlichen Verfahrensweisen entspringen aber letztlich beide der Grundüberzeugung Platons, dass sich an geschichtlichen Vorgängen wie überhaupt im empirisch Gegebenen nur durch Zurückführung auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten eine von der bloßen Faktizität ablösbare Wahrheit sichtbar machen lässt, für die das historische Faktum auf diese Weise zum Exemplum (paradeigma: 692c2) wird.23 Abschließend wäre noch zu zeigen, wie Platon im fiktiven Staatsentwurf für Magnesia die Lehren der Geschichte in die politische Wirklichkeit umsetzt. Aus Raumgründen beschränke ich mich hierbei auf die drei Staatsziele Freiheit, Freundschaft und Einsicht sowie auf das Konzept der Mischverfassung. Die Freiheit wird im Gesetzesentwurf für Magnesia kaum thematisiert, ist aber durchaus vorhanden. Voraussetzung für den Bürgerstatus ist wie in allen griechischen Poleis die freie Geburt. Die politische Freiheit der Bürger gewährleistet das Gesetz, das die Bürger sowohl vor Beamtenwillkür schützt als auch voneinander unabhängig (eleutheroi: 832d2) macht. Den hierzu erforderlichen Gesetzesgehorsam erzwingt das Gesetz nicht mit tyrannischer Gewalt, sondern sucht durch Überredung die Bürger zu freiwilliger Anerkennung zu bewegen (690c; IV 722c; IX 859a). Freundschaft setzt gemäß VI 757a–e proportionale Gleichheit voraus, die den Bürgern die „Ehren“ jeweils entsprechend ihrer Tugend zuteilt. Diesen Grundsatz verwirklicht in Magnesia die timokratische Gliederung der Bürger in vier Vermögensklassen und das Prinzip der Wahl statt des Loses. Der Freundschaft dient außerdem die Abschaffung von Gold und Silber und die Beschränkung großen Reichtums, der die Freundschaft gefährdet (V 743c), ferner die vielen Feste, bei denen sich die Bürger näher kennen lernen (V 738d; VI 771d), und letztlich natürlich der ganze Gesetzeskodex, sofern er redliches Verhalten unter den Bürgern fördert. Die Einsicht kommt in Magnesia auf verschiedene Weise zur Geltung: Alle gesetzgeberischen und erzieherischen Maßnahmen zielen auf die phronêsis, die die 23 Vgl. Gaiser 1961, 347 f.; Erler 1997, 92; Desclos 2006, 10–11.
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Führerin der Gesamttugend ist (631c; 688b u. ö.). Das Gesetz hat als „Verteilung der Vernunft“ (IV 714a) die Funktion, alle Lebensbereiche nach der Ordnung der Vernunft zu gestalten (vgl. II 674b7; IV 713a4; VIII 836e4; XII 957c6–7). Personell wird die Einsicht vor allem durch die Nächtliche Versammlung verkörpert, deren Mitglieder eine vertiefte intellektuelle Bildung erhalten. Fachliche Kompetenz kommt aber auch schon dadurch zur Geltung, dass die Ämter durch Wahl statt durch Los vergeben werden. Schwieriger ist das Prinzip der Verfassungsmischung in Magnesia nachzuweisen. Die auf Beschränkung der Herrschermacht zielende Mischverfassung spartanischen Typs wird nämlich funktional ersetzt durch das weit über die zeitgenössische Praxis hinausgehende System von Interorgankontrollen (checks and balances), denen die Beamten unterliegen.24 Die Mischung von Demokratie und Monarchie wird hingegen in VI 757a ff. explizit als ein Grundzug der magnesischen Verfassung bezeichnet, der bei der Wahl der Buleuten zum Tragen kommt. Im Kontext wird das monarchische Prinzip durch die Polarität von Dienen und Herrschen, also durch absolute Ungleichheit, und das demokratische Prinzip durch die Gleichstellung von Guten und Schlechten, also durch absolute Gleichheit, charakterisiert. Wenn nun aufgrund der proportionalen Gleichheit die Tüchtigsten in die Ämter gelangen und so zu „Herrschern“ (archontes) werden, entsteht eine Herrschaft der Besten (= Aristo-kratie), die andererseits aber auch die für die Demokratie charakteristische Forderung nach Gleichheit erfüllt, freilich durch die „wahre und beste Gleichheit“, die sich nach Verdienst und Würdigkeit bemisst. Die Regierungsform Magnesias kann daher als eine demokratisch legitimierte Aristokratie interpretiert werden. Die präziseste Formel für diese Mischform bietet der Menexenos (238d1–2) mit der (dort auf das idealisierte alte Athen gemünzten) Formulierung met’ eudoxias plêthous aristokratia: „Herrschaft der Besten mit Einwilligung des Volkes“. 24 Jeder Beamte muss sich nicht nur vor Amtsantritt und beim Ausscheiden aus dem Amt einer Überprüfung unterziehen, sondern kann auch während seiner Amtsführung von jedem Bürger wegen Pf lichtverletzung gerichtlich bei einer übergeordneten Aufsichtsbehörde belangt werden; dasselbe gilt auch für die Richter, die anders als in Athen ebenfalls rechenschaftspf lichtig sind. Selbst die Euthynen, die alle andern Beamten kontrollieren, unterliegen einer Aufsicht durch die sog. Auserlesenen Richter (946d), während diese Richter, die als Aufsichtsinstanz für die Gesetzeswächter fungieren (928b), ihrerseits sich vor den Gesetzeswächtern verantworten müssen (767e). Vgl. dazu Morrow 1960, 539 f.; 547–552.
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Literatur Breitenbach, H. R. 1967: Xenophon (Nr. 6) von Athen, in: RE IX A, 1569–2052. Cole, T. 1967: Democritus and the Sources of Greek Anthropology, Cleveland. Desclos, M.-L. 2006: Platon l’historien, in: L. Brisson/F. Fronterotta (Hg.): Lire Platon. Paris, 3–11. Erler, M. 1997: „Mythos und Historie“ – Die Atlantisgeschichte als Platons Antwort auf die Frage: ‚Wie und wozu Geschichtsschreibung?‘ und Aristoteles’ Reaktion, in: P. Neukam (Hg.): Vermächtnis und Herausforderung. München, 80–100. Gaiser, K. 1961: Rez. zu: R. Weil: L’„Archéologie“ de Platon, in: Gnomon 33, 344–349. Kurth, A./Sherwin-White, S. 1987: Rez. zu: S. W. Hirsch: The Friendship of the Barbarians, in: JHS 107, 200–201. Metzler, D. 1987: Stilistische Evidenz für die Benutzung persischer Quellen durch griechische Historiker, in: H. Sancisi-Weerdenburg/A. Kuhrt (Hg.): Achaemenid History II: The Greek Sources. Leiden, 89–91. Müller, C. W. 1999: Weltherrschaft und Unsterblichkeit im pseudoplatonischen Theages und in der Eudemischen Ethik, in: C. W. M.: Kleine Schriften zur antiken Literatur und Geistesgeschichte. Stuttgart-Leipzig, 467–480 (zuerst 1969). Nippel, W. 1980: Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, Stuttgart. Rohr, G. 1932: Platons Stellung zur Geschichte, Berlin. Uxkull-Gyllenband, W. 1924: Griechische Kultur-Entstehungslehren, Berlin. Weil, R. 1959: L’„Archéologie“ de Platon, Paris.
5 Hallvard J. Fossheim
The prooimia, Types of Motivation, and Moral Psychology1
As the dialogue’s title indicates for us, the Laws is about laws. In this work, laws are thought of first and foremost as explicitly articulated rules of behavior. The set of laws as a whole governs, regulates, and – not least – guides the lives of people living in the city-state. As such, the judicial framework has a crucial educational purpose, if by education we have in mind a support towards living well that relates not only to youth, but to all ages of life. The laws, then, while they regulate and define the city-state as a whole, are directed at bettering and aiding the individuals concerned. The prooimion (preface or preamble) that the three elderly gentlemen of the Laws agree should be a feature of each law makes for one of the most original and striking features of the text. While the law, taken in a narrow sense, only forbids, commands, and defines punishments, the prooimia supplement this stance towards the individual by means of explanations and exhortations. Together, a (narrowly construed) law and its prooimion thus form a team of blind authority (orders, prohibitions, rules – „bad cop“) and admonishments (through explanations, reason-giving, sketches of the bigger issues at stake – „good cop“). 1 The section 5.3 found in this chapter and earlier versions of presentations of specific prooimia have been published in Fossheim 2011. As several of the developed theses and arguments of the present chapter are not to be found in that earlier publication, and as the potential readership of the two publications can reasonably be expected to overlap only to a very small degree, I have found it acceptable to include a revised version of this previously published material in the present text.
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5.1 Introducing prooimia When the notion of a prooimion is first introduced, this is done by means of an analogy with medicine (IV 720c–e). There are two kinds of doctors. First, there are proper medical experts who discuss the illness and cure with their patients and explain the causes involved. Second, there are „slave doctors“, that is, doctors who attend to slaves. These doctors do not reason with their patients, but merely prescribe a treatment by giving brief, unexplained instructions to them about what to do. The difference between these two kinds of medical help, then, is not primarily a difference between two kinds of expertise, but a difference between two ways of relating to the patient: the one seeing him as an active participant in his own healing, the other treating him as so much f lesh. In transferring this contrast between two ways of relating to the individual to the legal sphere, we get, on the one hand, laws that simply tell us what to do, and, on the other hand, laws that go at least some way towards persuading us through speaking of why we ought to do what we should do. A prooimion is thus such an attempt to explain and persuade the individual to adhere to the law at hand. Admittedly, the scholarly jury is still very much out on the question of how much real explanation, and how much mere persuasion or even deceit, is performed through the prooimia.2 Whatever one’s reply to this last question, however, the inclusion of prefaces to the laws remains a radically innovative feature in the development of legal thinking as such. The advocacy of non-slavish attitudes transferred to the legal and political realm, in the form of laws that include prefaces, is tantamount to an advocacy of the individuals as (in a broad sense, to be sure) thinking, deliberating, and responsible agents – agents with an „inside“ that should be acknowledged in the very form of the legal code.
5.2 Types of Motivation The prooimia are interesting not only in their own respect, but as a rather important source for grasping what sort of characters are envisioned by Plato in his work. In order for something to work persuasively, it must be adapted to the sort of person you wish to persuade. Different types of people are motivated by 2 A champion for an optimistic response here is Bobonich 2004. On the pessimist side is Stalley 1994.
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different kinds of considerations. The notion of such types appears to be important to Plato and seems to be taken much more seriously in his (as well as in Aristotle’s and Theophrastus’) work than it is by virtue ethicists today (both before and after the Situationist attack).3 This probably has to do with the fact that while moral philosophers today are typically far removed from real-life politics and social reform, Plato and his heirs saw themselves as close to political action. It was thus very important for them to think in terms of operationalizable (i. e., recognizable and pragmatically valuable) classifications through which one might steer activity in the social sphere. However, in order to unravel this dimension of the text, we need a psychological model for interpreting the indications it provides. Accordingly, I will begin by arguing that a distinction between three types of motives is present in the underlying moral psychology of the Laws. When we then approach the prooimia, we shall see that they conform to this picture of three basic sorts of motives. This in turn helps us see how the preambles are supposed to function vis-à-vis the individual. The general relation between prooimia and presumed motivational set-up consists not least in the fact that models of persuasion build on some conception of moral psychology, whether or not that model is made explicit in the relevant passages. These features of the Laws make the work a unique source for understanding Plato’s grasp of the varieties of character and motivation. This is a feature of social reality about which we get little information in the corpus. The perhaps most prominent example of such thinking is found in the Phaedrus, where it is claimed that each soul follows one of the Olympic gods – Zeus, Poseidon, Hades, Ares, Athena, Apollo, Aphrodite, Hermes, Artemis, and Hephaestus.4 Only Zeus’ contingent is implicitly characterized in any way; this is the highest and best soul, the purest and most virtuous one. And perhaps we can also take a guess as to the quality of the Ares followers. Beyond this, however, there is precious little to go by. The Laws reveals a little more information.
3 For a still relatively authoritative version of an introduction to the Situationist attack, cf. Doris 2002. 4 At Phdr. 247a, Hestia is said to stay at home, that is – naturally – by the hearth (hestia).
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5.3 Indications of a Broad Motivational Tripartition in the Laws5 A main hypothesis will be that the Laws is tailored to a psychology with broadly three kinds of motivational structure in play: reason, taking in and responding to arguments and truth; appetite, reacting to mere pleasures and pains; and thumoeidetic motivation, concerned with self-esteem and as such responsive to pride, shame, and the noble and beautiful.6 There are several indications outside the prooimia themselves that a motivational tripartition is at work in the Laws. I will point out five of them. (1) For one thing, there is separate mention and treatment of mere pleasure and pain on the one hand, and of phenomena having to do with spiritedness on the other. Spirit or thumos is explicitly singled out by the Athenian in Book IX. Doubtless in the course of conversation you make at least this point to each other about the soul: one of the constituent elements (whether „part“ or „state“ is not important) to be found in it is ho thumos, and this innate impulse, unruly and difficult to fight as it is, causes a good deal of havoc by its irrational force. […] The next point is the distinction we make between hêdonê and ho thumos. We say Pleasure wields her power on the basis of an opposite kind of force; she achieves whatever her will desires by persuasive deceit that is irresistibly compelling. […] Thirdly, we would be saying nothing but the truth if we named ignorance as a cause of wrongdoing. (IX 863b1–c2, translation by Trevor J. Saunders, slightly modified) What is elsewhere in the Laws referred to in terms of a „lower self“ consists, it would seem, of at least two forces or principles that are quite different in how they 5 As stated above, this section also appeared in The Journal of Greco-Roman Studies. I am grateful to the editor, Moon-Heum Yang, for allowing me to reuse this material. 6 This is all I shall mean by terms like „thymoeidetic“. Concerning the claim about the noble and beautiful, Cooper has previously argued that Aristotle introduced the idea that thumos aims at to kalon, while according to the Republic, thumos aims only at timê (Cooper 1999, 263 f.). Richardson Lear, however, has suggested that thumos aims at to kalon in Plato as well: cf. Richardson Lear 2004, Happy Lives and the Highest Good, esp. Chapter 6 and note 36 at 139. Cf. also Rogers 1993.
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work.7 They are not reducible to each other, and their differences are treated as important for the lawgiver to keep in mind. In addition, of course, there is reason. Together, they explain what can go wrong with people in their moral forming.8 There are other indications as well. (2) The one most often adduced is outside the text proper. And that is the contention that the Laws is a late work, contemporaneous with the Timeaus, which does have an explicit tripartition of the soul (Ti. 70b–71b; 77bc). There are also some further hints in the Laws. (3) In Book II, the Athenian says the following. I call education the initial acquisition of virtue by the child, when the feelings of pleasure and affection, pain and hatred, that well up in his soul are channeled in the right courses before he can understand the reason why. Then when he does understand, his reason and his emotions agree in telling him that he has been properly trained by inculcation of appropriate habits. Virtue is this general concord of reason and emotion. (II 653b) In the individual’s development, there is at first mere pleasure and pain. This makes us isolate more or less stable objects for love and hate, respectively. Second, there is the channeling or shaping of these basic forces, enabling one to transcend a pleasure by hating it, for instance. This is what the Athenian implies is „initial virtue“. Third, there is the level of understanding or reason. With this in place, one is able to take an all-round look at oneself and judge that the second-level overcoming of mere pleasure and pain has been good or proper. This is virtue as a concord or sumphônia (653b6) between what one has been emotionally shaped into and what one judges with reason about the result of that shaping. If we take this passage with Book I (636d–e), we also see that while both initial and reasoned 7 The passage clearly constitutes a further division of the lower self characterized in Book V: „There are two elements that make up the whole of every man. One is stronger and superior, and acts as master; the other, which is weaker and inferior, is a slave; and so a man must always respect the master in him in preference to the slave. Thus when I say that next after the gods – our masters – and their attendant spirits, a man must honor his soul, my recommendation is correct.“ (726–727a) 8 By itself, this could also be construed as a reduction of anger to pain: the two are associated elsewhere in the dialogue. (Saunders in this passage translates „anger“ in quotation marks.)
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virtue are the products of paideia, pleasure and pain are springs f lowing actively in us from nature (phusei, 636d–e). This is a framework which we should probably feed back into our understanding of the infamous puppet metaphor as well (I 644d–645c). This metaphor is sometimes brought in to support the notion that the Laws offers a bipartition – between pleasure and pain on the one hand and reason on the other – rather than a trifurcation of types of motives.9 The explicit aim of the puppet metaphor appears to be not to function as a model for moral psychology, however, but to give an exhortative picture of how we should see ourselves as weak and far from the gods in qualities (pace Frede 2010, esp. 120). And crucially, the metaphor is not about virtue. It is only about how the two coarse strings of pleasure and pain pull us „back and forth […] across the boundary line where vice and virtue meet“ (I 644e). In this context, reason, the golden chord, is primarily what the lawgiver can provide to shape and give order to the material provided by nature or the gods. This does not entail a moral psychological claim to the effect that a state of virtue can be fully articulated in terms of three chords. And so, if there is some psychological theory lurking in the Laws, we should anyway not expect it to consist in an elaboration of pleasure/pain/reason as the three chords of humanity. The talk of virtue that comes later as well informs us that virtue consists not simply in pleasure and pain, but in the shaping, disciplining, or developing (tethrammenôn: 653b7; c7) of pleasures and pains by habit and persuasion. There is not even reason to think that pleasure and pain as such are on the same level as virtue. In view of the three-level passage we just looked at, they seem not to be so. (4) A further indication that there is room for thumos is that two main instances of soul-shaping, drinking and dancing, are social activities. The drinking parties overlooked by those who can make you ashamed of yourself are clearly so (II 671b–672b; cf. II 665e–666c). But the dancing treated in Book II (654c–d) is social too. The formative power of dance does not exclusively stem from the pleasure of feeling rhythms in one’s own body and the expression of grace of which it is capable. Rather, the charms (epôdai) work by the participants being 9 This is one of the two passages usually looked at for moral psychological answers. The other is Book X 896e ff.: here, too, soul is clearly understood as being, in its fullest form, harmonious, as it figures as the controlling instance in the heavens. However, we do not get much more to work on when it comes to human souls.
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parts of a chorus. The feeling of singing and moving musically together is what counts. (5) A rather striking indication of a division even along the lines of the Republic is found at I 631c–d, according to which the divine good consists of the four virtues – wisdom (phronêsis), self-control (being sôphrôn), courage (andreia), and finally justice (dikaiosunê) as a mixture of the first three. Each virtue is a way of being rightly disposed – in this case, it would seem, concerning reason, appetite, and one’s thumoeidetic powers, respectively. It should be admitted, however, that there is nothing in the Laws that lets us conclude safely how the soul figures in this work. Nevertheless, I hope to have presented an acceptable case for the assumption that the Laws operates with a broad division into three kinds of motivation. Armed with these premises, we now turn to the prooimia.
5.4 The prooimia as a Source of Evidence for Types of Motivation In what follows, I shall be concerned with spelling out how some of the prooimia provide us with glimpses into different sorts of motivation on the part of the individual to which the law applies. Each of the prooimia provides an implicit sketch of a certain range of characters and/or types of motivation. The ones that are the most central in this respect are the prooimion dealing with atheism, the one on temple robbery, the one included with the law on marriage, and the one concerning voluntary murder.10
5.4.1 Reason The preface concerning atheism (X 888a–907d), with all its dialectical twists and turns, constitutes a rather impressive appeal to reason. The preamble is not di10 According to one reading (Stalley 1994, 157 note 5), the Laws provides us with the following further examples of prefaces: assault (IX 879b–c), selling adulterated goods (XI 916d–917d), wills (XI 923a–c), orphans (XI 927a–c), care for parents (XI 930e–931a), and respect for parents (931e–932a). I have argued elsewhere how to construe each of these other prooimia in relation to a psychological trifurcation; cf. Fossheim 2011, 5–26.
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rected solely at the individuals’ budding logistikon, however; thumos as well is recognized and addressed. Furthermore, the prooimion suggests to us how the two can relate, not least in the young, clever and ambitious: the familiar fact at the heart of this feature of the prooimion is that one’s reasoning ability too can be something to show off, something by which one might position oneself as standing out from the others, something that – from Odysseus to Socrates and beyond – can be an occasion of recognition and even fame. It might be of some use keeping in mind the socio-historical conditions in Plato’s surroundings, as the leisure required to produce clever anti-religious arguments go hand in hand with the conditions of the over-privileged and proud upper echelons of Athenian (and Greek) society. Keeping closer to the text, the young men in question are treated as ultimately in opposition precisely from a desire to be acknowledged and respected. Thus the opening remark: „Neither you nor your friends are the first to have held this opinion about the gods“ (888b6 f.). After this initial framing of the would-be atheist, coupled with an admonition pointing to the need to think of the goodness of his life as a whole, the bulk of the prooimion (something in the vicinity of 15 Stephanus pages) is spent presenting a detailed and laborious argument for the gods and their goodness. So with the caveats mentioned above, what is primarily appealed to is clearly one’s capacity to grasp and respect solid arguments. The example also reminds us that a type of person, however this is further construed, is not entirely static on the level of the individual. For the condition is clearly identified with a certain age group (the young), and being youthful is not a character or a character trait. We may perhaps speculate, however, that these young and promising people go on to find other outlets for their pride and self-love, in, say, politics or philosophy. And so the association of intelligence and self-affirmation (even self-aggrandizement) does constitute the basis for a certain range of characters at least.
5.4.2 Appetite The prooimion that concerns temple robbery is much briefer than the one on atheism. It goes as follows.
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My dear fellow, this evil impulse that at present drives you to go robbing temples comes from a source that is neither human nor divine. It is a sort of frenzied goad, innate in mankind as a result of crimes of long ago that remained unexpiated; it travels around working doom and destruction, and you should make every effort to take precautions against it. Now, take note what these precautions are. When any of these thoughts enters your head, seek the rites that free a man from guilt; seek the shrines of the gods who avert evil, and supplicate them; seek the company of men who have a reputation in your community for being virtuous. Listen to them as they say that every man should honor what is fine and just – try to bring yourself to say it too. But run away from the company of the wicked, with never a backward glance. If by doing this you find that your disease abates somewhat, well and good; if not, then you should look upon death as the preferable alternative, and rid yourself of life. (IX 854b–c) Temple robbery is seen as entirely undermining the moral fabric of the perpetrator. If one is ready to steal from the god and the city (an act of temple robbery would in fact amount to both deeds rolled into one), one is beyond salvation. The social effect of such an act would also amount to a radical undermining of social values, as few actions constitute an equally bare denial of political and religious authority. Consequently, the punishment for a citizen performing such a deed is death. The preamble makes clear, however, that the potential perpetrator is not undivided about the act. On the contrary, it is precisely because he feels such an impulse and a negative reaction to it at the same time that the advice can be effective. The impulse treated as such an alien and shocking intruder is most likely a form of appetite in the sense of a desire for external goods. This desire is treated as markedly different from the rest of the person, as something of an alien element in his psychology – an impulse or „goad“ from a part of him lower than his humanity. The preamble makes clear that the person experiences this desire not only as something he does not align himself with, but as something he reacts to with terror or some equivalent emotion. The recommendation to seek a god’s shrine is most likely to be understood as a recommendation to enter a situation
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where one will awaken feelings and reactions to counter the initial impulse, feelings and reactions which must somehow be thought of as present in the person to begin with. The fact that there is a reaction internal to the person does not, however, tell us whether the person who is in the throes of this appetitive desire reacts primarily with fear or with shame. Is it the fear of the death penalty (or divine retribution) or the shamefulness of committing the basest crime which makes itself felt? The reply might very well be that the prooimion is designed to suit both cases. The advice to approach good people suggests that there is something like an acknowledgement of the act as contrary to decency within the person, since their acts and words would otherwise meet no resonance in him; and this is all the more true of the advice to visit a shrine. The recommendation that he ends his own life if he realizes he cannot stop himself seems to suggest as well that mere fear of dying is not his sole motivation (although, as the punishment for non-citizens seems to entail not only death but slow, painful death, suicide might be preferable even on that count). The circumscribed way in which the preamble refers to the people one should approach – „seek the company of men who have a reputation in your community for being virtuous“ – is useful for those who are so far removed from virtue that they do not even recognize it when they see it. Such people are not only in need of advice, but need advice on where to get advice. The circumspect fashion in which the preamble refers to moral language („try to bring yourself to say it too“) similarly suggests that the addressees might include those to whom such talk is for the most part mere words. However, even in cases in which the person in question has had a taste of the noble and therefore reacts with moral terror to his own appetites, the limitations of his moral fabric are obvious. Perhaps Plato here lets the Athenian dramatize something which is true of most of us, namely, that we depend on others’ constant company to avoid grave error. Staying in the company of good people, and shunning the company of bad men, is treated as key to shaping one’s outlook from moment to moment. This correction through sociability reminds us of the lack of optimism on behalf of human beings that characterizes much of the Laws. We thus see in this preface not only a real mental conf lict between desires – between an appetite gone mad, on the one hand, and a desire to behave decently or, alternatively, to survive, on the other – but also evidence that such conf licts will be decided by the company one keeps.
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In sum, this prooimion indirectly provides us with a sketch of a type of person who is driven by his appetites, not controlled by a sense of decency, and rather unref lective in his opinions: someone egotistical, greedy, primitive, unintelligent, and indecent. Finally, the preamble can also bring us a little bit closer to understanding what it means to tailor one’s address to an aspect of human psychology. Nothing in the Laws warrants concluding that the three forms of motivation should be taken to exist on the homunculus model, that is, as separate from each other to the extent that each should be said to possess its own perceptual, linguistic, and more broadly cognitive capacities (cf. Bobonich 2010, 149–171 and more generally Bobonich 2010). The prooimion appeals to something in the addressee, but that does not imply that the address is to a part of the person’s moral psychology construed as an autonomous recipient.
5.4.3 Thumos An instance of a law and its prooimion partly motivated by considerations of thumos is the law on marriages (VI 773a–e). A prime concern on the part of the lawgivers is their consideration of eugenics, based on the understanding that different types of parents will produce different kinds of children. Although the text is not entirely unambiguous on whether the relevant mechanisms should be construed as primarily biological (that is, working through phusis) or social (working through êthos and ethismos), it is safe to assume that biology does play a real role. However, this consideration is not something the lawgivers find it strategically wise to refer to explicitly in their formulation of the law, due to a lack of appreciation of such matters among the citizens (773d4 f.). What can be stated explicitly, and remains as central as the hidden eugenics agenda, is the importance to the city of each marriage being a harmonious and successful one. Here again we see that types of character, or broad psychological propensities, are thought of in terms of thumoeidetic and appetitive qualities. In fact, this very dichotomy can be traced through the entire preamble. Initially, the two dimensions deemed relevant are citizens’ desire to marry someone with wealth and their natural tendency to be „drawn to the person most like himself“
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(773b), where this latter tendency is explicitly articulated in terms of thumoeidetic qualities: If a man knows he’s rather headstrong and apt to be too quick off the mark in everything he does, he ought to be anxious to ally himself to a family of quiet habits, and if he has the opposite kind of temperament he should marry into the opposite kind of family. (773a7–b4) This basic dichotomy of which psychological factors are relevant – appetitive greed and thumoeidetic tendencies – is then upheld and repeated throughout the preamble. The thumos aspect is picked up as follows in a statement citing what the lawmakers want to ensure, but are afraid to spell out publicly: „the headstrong must be forced to join in marriage with the phlegmatic and the phlegmatic with the headstrong“ (773c). Interesting as it is on this account, this prooimion offers little by way of f leshing out anything like a specific character. Pride and a sense of self-esteem are simply too broad and general features to do that. It is well worth noticing, however, that this aspect of moral psychology is seen as such a central challenge to the institution of marriage. Naturally, we must keep in mind that a marriage in Plato’s world was much less of a romantic meeting of individuals, and much more of an acknowledgement of and identifying with another family, than it is to us. But this fact probably does not go all the way towards explaining the emphasis placed on pride and self-esteem as a core issue in marital law.
5.4.4 A double address: appetite and thumos The prooimion chosen to illustrate an acknowledgement of thumos, while primarily paying heed to that sort of motivation, displayed a striking parallelism in how it developed issues dealing in epithumetic motivation as well. This feature becomes even more obvious when we get to the preamble on premeditated murder (IX 869e–870d). Indeed, the phenomenon should not surprise us. It is simply a reminder of the fact that something which is, on the face of it, one and the same action, morally speaking, can be the result of very different motivations. Be the act in question one of desiring to marry one person over another or of murdering
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another person – what they share is that the underlying motivation can be either thumetic or epithumetic. In the latter case, that of premeditated murder, this is obvious: one can plan to kill someone either simply for profit (epithumia) or because of a perceived insult (thumos). (I say simply for profit, as profit may to some also be used as a measure of worth, so that the profiteering in its turn has an underlying self-confirming basis.) That this is how Plato develops the theme in the Laws is evident from the first sentence on. Our next task is to speak of voluntary murders, which are premeditated and spring from sheer injustice – the lack of control over the desire for pleasure and over one’s lusts and jealous feelings (te kai epithumiôn kai phthonôn). (IX 869e5–8) Subsequently, the causes of such actions are specified. First is epithumia. „The chief cause is lust (epithumia), which tyrannizes a soul that has gone wild with desire. The lust is most usually for money, the object of most men’s strongest and most frequent longing.“ (870a1–4) The other cause is equally obviously thumetic: „Second, an ambitious cast of mind (philotimou psuchês hexis): this breeds feelings of jealousy (phthonous), which are dangerous companions to live with, particularly for the person who actually feels jealous, but potentially harmful to the leading citizens of the state as well“ (870c5–7). In addition, a third cause concerns cases where one murder brings another in its wake due to a desire not to get caught (870c8–d4). In both of the „first-order“ cases, the person in question is basically unjust, and plans and then carries out deeds of extreme evil. We have two broad types in view here: one is driven by appetitive desires, and can perhaps best be characterized as a paradigm of extreme egotism, while the other acts on a thumetic desire, that is, from a skewed conception of his own worth or position and of what one is supposed to accept from others.
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5.5 Implications Put together, these insights provide us with something like the following recipe for relating the various types indicated in the prooimia.
Law
Appetite
thumos
Intelligence
Summary of type
Temple robbery
+
0
0
Unjust, blunt and greedy
Voluntary murder (I)
+
0
0/+
Sly and greedy
Voluntary murder (II)
0
+
0/+
Sly and thumoeidetic
Selling adulterated goods
+
0
0/+
Blunt and greedy
Marriage
0
+
0
Proud
Atheism
0
+
+
Clever and proud
The preambles appear, then, to be designed to appeal to the three basic aspects of human psychology acknowledged by Plato in his writings. While it should once more be stressed that this does not entail a strict tripartition of the soul, it does suggest rather forcefully that epithumia, thumos, and to logistikon (or types of motivation along those lines) are seen as the central ones. This also suggests that each is somehow to be taken as irreducible to the others. An admonition to, say, a person’s sense of honour cannot do the job that can be done through appealing to his appetitive desires; and what can be done by speaking to someone as a rational being cannot be done by addressing her as honour-loving. One crucial facet of the picture is very different from what we should expect from any fully worked-out tripartition. The main division is not, it would seem, between parts of soul, but between types of motivation and perhaps of character. Different types of character are liable to break different laws for different reasons, and correspondingly, they should be addressed in different fashions. In practical terms, this means among other things that reforming someone, or helping them avoid a need to reform, cannot be exclusively about which actions and practices to perform and which to avoid: in order to work, such ethical support must also take into account the individual’s specific motivations for taking a certain course of action. Whether as lawgiver, father or mother, teacher, or citizen, the Laws appears to be saying, assisting in making each other better requires getting under each others’ skin.
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A further, related feature of this approach to law is that it seems to be based on the idea of different individuals being, to a greater or lesser extent, informed by different types of motivation. One person might see in the light of thumos what another sees in the light of epithumia, and this is relevant to illness and cure alike. As the preamble on premeditated murder exemplifies, even when the acts externally defined are identical to each other, they can in a judicially relevant sense be radically different. Beyond the general fact that the persons in question are fundamentally unjust, meaning deeply out of touch with goodness and their own place in it, any further explanation – or, before the fact, amelioration – has to pay heed to the specific type of person one is dealing with in each case. This must be as true of less serious offenses, and less serious degrees of moral psychological shortcomings, as it is for the extremes of premeditated murder.
5.6 False Steps and Mistaken Lives There is a bigger picture here. An act, lawful or unlawful, is never just an act to Plato. The act is at the same time a cause of and an indication of something much bigger, namely, the individual’s life. The Laws, like all of Plato’s works, is about what kind of life one should lead. And the laws, including their prooimia, are important in this respect not least because they afford a means of helping the individual to lead the best possible life. Their main mission lies beyond regulating the single act, and consists in helping individuals get into the right habits and enjoying and hating the right things. Correspondingly, single acts too have their primary importance in how they contribute to such long-lasting patterns of habits, enjoyments, and dislikes. According to the perspective taken not only in the Laws but in Plato’s oeuvre as a whole, the quality and nature of a life is a more relevant and central issue than that of the single act. Furthermore, such lives can be ref lected upon, classified, and evaluated. Not surprisingly, given the fact that this is a main concern for any individual or culture that has started ref lecting about life and how to live it, Plato in discussing this matter inscribes himself into a rich existing discourse. To be sure, there are important innovations in the Laws (not least the notion of a prooimion), but the idea of choosing between or ending up with one of several different kinds of life, and the question of their relative merit, is not among them. Aristotle’s endo-
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xic method makes him an important source for understanding how the issue was defined and articulated. What he presents as the framework for the entire discussion of the good life is the topos of the three lives. According to the Nicomachean Ethics, „[t]he kinds of lives that stand out here are especially three: the one just mentioned [the life of pleasure]; the political life; and the life of ref lection“ (EN I 5, 1095b17–19, Christopher Rowe’s translation). For our purposes, the context is important. Pretty much most people are agreed about what to call it: both ordinary people and people of quality say ,happiness‘, and suppose that living well and doing well are the same thing as being happy. But they are in dispute about what happiness actually is, and ordinary people do not give the same answers as intellectuals. (EN I 4, 1095a17–22) This passage, as well as its continuation, makes it adamantly clear that Aristotle is not taking himself to be presenting his own interpretation of the phenomena, but a classification of the existing endoxa – what people actually report. The focus is constantly on people’s own sayings and attitudes. This reminds us of what we already know: the three lives are not a philosopher’s (at least not this philosopher’s) invention, but an acknowledged cultural topic. In another passage, Aristotle also provides us with an enticing hint about further possible connections. In the Eudemian Ethics, the question of the three lives is explicitly hooked up to another, and to us extremely relevant, dimension of the human good as follows. Since there are three things that rank as conducive to happiness, the ones that were earlier described as the greatest possible human goods, namely virtue, wisdom and pleasure, we see also that there are three lives, chosen by all who have the means to do so – that of politics, that of philosophy, and that of enjoyment. (EE I 4, 1215a32–b1; translation by Brad Inwood and Raphael Woolf) Naturally, caution is called for in tying these statements to the question of what moral psychology might underlie the prooimia in the Laws. In this passage, Aristotle in all probability is not merely reporting endoxa in his characteristically
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interpretive manner. He is also carving out connections between two sets of more or less popular notions in ways that may or may not have been realized or championed by his contemporaries. It is well worth noting, however, that the three goods included here are not identical to the broad (no doubt also traditional) division into three kinds of goods that we know from the Nicomachean Ethics: goods of the soul, goods of the body, and external goods. In the Eudemian Ethics version, the goods listed form the teleological pinnacles of the lives they emblematize. How do we connect the endoxon of the three lives to the vision, shared by Plato and Aristotle, of there being three kinds of motivation broadly construed? One premise seems to be that one’s life is crucially shaped by one’s motivation. What you actually go for in life – that is, what sort of good you actually go for in life – determines what sort of life you get. Few or none lead lives defined entirely in terms of one sort of good; nearly all of us partake in all three kinds of goods – virtue, wisdom, and pleasure – in various ways. Nevertheless, it remains true that the way of existing for each of us can also be reasonably characterized as the lived results of different mixtures of the three. Opting mainly for the good of thinking and learning, say, primarily means going for the intellectual life. Crucially, however, we are not only facing various mixtures or blends of goods turning out as different forms of life. In most cases, this mixing is partly characterized by doubts and regrets. In short, human lives are characteristically conf licted. What we must imagine is that most of us (most inhabitants of Magnesia) most of the time can be persuaded to take our lives in different directions through the actions we perform and the motivations that are activated and shaped through them. It is this very indeterminateness or state of manifoldness in our motivations that makes it possible for the prooimia to make a difference. We do have appetites that make the wrong things seem tempting. We do have some sense of shame, pride, and self-esteem that is not perfectly tuned, but will have us set off in the wrong directions if unaided. And we do have a capacity for thinking that is not fully developed, but errs due to lack of knowledge, indeterminateness, complexity, and, often, a need for excuses. All in all, this makes for a situation where every act has the potential to drive us towards a life less good than it could be. Furthermore, the lives we then start realizing are not haphazardly constructed. As much evidence has suggested and as the prooimion example of voluntary murder made explicit, there really are two highways to hell. Whether we call them appetite and self-conceit, or desire and pride, or mistakes about external values
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and mistakes about one’s own value, the appetitive and thumoeidetic dimensions seem to be invoked again and again as the two sorts of motivational threat there are. And, we must imagine, each of them, if unheeded, works towards realizing a life defined and determined in terms of its own perceived good.
5.7 Conclusion The Laws’ contribution to moral psychology occurs mainly through the prooimia. To Plato, analysis on this level is the bread and butter of (successful) political theory and practice. „The dear self“ (to borrow a phrase from Kant) provides both the biggest threat and the biggest resource for the social engineer. This is what necessitates a clear grasp of the major varieties of types of motivation and the combinations of traits as they exist in the city. The perhaps most striking shift from the Republic to the Laws is that, while a subset of perfect individuals rule in Kallipolis, Magnesia is ruled not by people but by laws. I hope to have suggested in a convincing manner that this shift is accompanied by a shift towards an account of how to be ruled that addresses and thus acknowledges the inhabitants’ weaknesses and shortcomings as defined by a broad tripartition of kinds of motives: the prooimia are ways of appealing to motivational aspects of those who are not perfect in their development – for better or worse – towards a take on what is good that will define their lives. In this way too, Magnesia is a second best solution, designed for a world closer to our own.
Bibliography Cooper, J. M. 1999: Reason, Moral Virtue, and Moral Value, in: ders. (Hg.): Reason and Emotion. Essays on Ancient Moral Psychology and Ethical Theory. Princeton, 253–280. Doris, J. 2002: Lack of Character: Personality and Moral Behavior, Cambridge. Fossheim, H. J. 2011: Plato’s Rhetoric of Law: The Prooimia and Moral Psychology, in: Journal of Greco-Roman Studies 46, 5–26. Richardson Lear, G. 2004: Happy Lives and the Highest Good, Princeton. Rogers, K. 1993: Aristotle’s Conception of To Kalon, in: Ancient Philosophy 13, 355–71. Reprinted in L. P. Gerson (Hg.): Aristotle: Critical Assessments 4, London, 337–355.
6 Anna Schrief l
Die Wirtschaftsordnung und die richtige Einstellung zu Besitz und Reichtum
In den Nomoi spielen Überlegungen zum wirtschaftlichen Verkehr eine große Rolle. Dabei wird deutlich, dass Platon einerseits eine funktionierende Wirtschaft für wichtig erachtet, andererseits in der Überschätzung von Reichtum und Besitz eine erhebliche Gefahr sieht. In den Büchern I–III, in denen sich grundsätzliche Überlegungen zu einer idealen Gesetzgebung finden, legt Platon fest, dass Reichtum den untersten Rang in der Güterliste einnehmen muss, an der sich die Gesetzgebung zu orientieren hat. Diese Entscheidung schlägt sich im späteren Text auf zweifache Weise nieder: Erstens entwickelt Platon eine Wirtschaftsordnung, die ökonomische Stabilität und ein bescheidenes materielles Wohlergehen aller garantieren, aber zugleich den primären Fokus auf Reichtum und Profit verhindern soll. Zweitens werden im Straf- und Zivilrecht Verstöße gegen die Wirtschaftsordnung und Eigentumsdelikte sehr ernst genommen und hart bestraft, teilweise sogar mit der Todesstrafe. Ich werde zunächst einen Überblick über die relevanten Passagen geben, um einen ersten Eindruck von Platons Position zu vermitteln.
6.1 Ein Überblick Lg. I–III: In Buch I wendet sich Platon gegen die Sichtweise, dass eine Polis vor allem auf den Erhalt und den Zugewinn materieller Güter achten muss.
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Er verteidigt die Ansicht, dass Reichtum zwar zu den Gütern gehört, die das glückliche Leben ausmachen, aber unter diesen den untersten Platz einnimmt (I 630d–632d). Diese Sicht wird im weiteren Verlauf der Bücher I–III untermauert: In den Ref lexionen über die richtige Erziehung und den Verfall der historischen Poleis betont Platon wiederholt, dass moderate Besitzverhältnisse für die politische Stabilität unerlässlich sind, während die Überschätzung von Reichtum und materiellem Überf luss für Individuen wie die Gemeinschaft eine destruktive Wirkung ausüben (II 660e–661a; III 690e–III 691a; III 694d–695b; III 695e–696b; 697b; 698a). Lg. IV–VIII, XI: Auf der Basis dieser Grundsatzentscheidung entwickelt Platon eine restriktive Wirtschaftsordnung. Als ideale geographische Lage wird dort ein Ort bestimmt, an dem man weitgehend ohne Außenhandel auskommen kann: Die Bodenbedingungen sollen landwirtschaftliche Autarkie, aber keine Überschussproduktion ermöglichen, zugleich soll die weite Entfernung zum Meer Seehandel ausschließen (IV 704a–705b). Eine vollkommen egalitäre Landverteilung wird ferner als wichtigste Grundlage der Gesetzgebung bezeichnet (V 736e–737b). Außerdem wird eine Währung ohne Realwert eingeführt, es gelten feste Vermögensgrenzen, und handwerkliche sowie andere monetär entlohnte Tätigkeiten sind den Bürgern und deren Sklaven verboten (V 740a–744d; VIII 842c–850d; XI 915d–922a). Dieses Verbot wird damit begründet, dass die Bürger sich vor allem um den Erhalt der politischen Ordnung und die eigene Tugend bemühen sollen (VIII 846d–847b), die Tugend aber durch Gelderwerb gefährdet wird (XI 918c–920c). Da Platon zugleich eine monetär organisierte Wirtschaft für alternativlos hält, müssen Handwerk, Handel und andere mit Geld entlohnte Berufe den Metöken, Fremden und deren Sklaven übertragen werden (VIII 846d; 847a; 849d; XI 920a). Lg. IX–XII: Im Straf- und Zivilrecht werden die Strafen für Verstöße gegen die Wirtschaftsordnung und Eigentumsdelikte genannt. Die Strafen sollen entweder den Täter von seiner Geld- und Profitgier heilen oder, wenn er als unheilbar angesehen werden muss, aus der Gemeinschaft entfernen. Zudem wird im Strafrecht Geldgier als Hauptmotiv für kriminelle Handlungen und für Kapitalverbrechen identifiziert; ohne Geldgier, so heißt es dort, gäbe es in den Städten keine vorsätzlichen Tötungen (IX 870a–c).
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Unter den Kommentatoren besteht ein breiter Konsens, dass die Überlegungen zur Wirtschaftsordnung in den Nomoi eine wichtige Rolle spielen.1 Dies ist ohnehin nicht überraschend, denn bei jedem Staatsentwurf stellt sich natürlicherweise die Frage, auf welche Weise die materiellen Bedürfnisse der Bewohner erfüllt werden sollen und wie die Produktion der dafür nötigen Mittel am besten organisiert werden kann. Ein Dissens besteht jedoch darüber, warum Platon eine solch restriktive Wirtschaftsordnung entwickelt und aus welchem Grund er den Bürgern jede Form von Gelderwerb verbietet. Vor allem das Verbot von Gelderwerb und die streng egalitäre Bodenverteilung bringen Platon nach der Meinung einiger Kommentatoren in die Nähe sozialistischer Ansätze.2 Andere Autoren vermuten ganz im Gegenteil, dass Platon bei der Einführung eines Agrarstaats, der nur Grundbesitzern Bürgerstatus zuerkennt, und vor allem beim Verbot von Lohnarbeit einer traditionell-aristokratischen Sichtweise folgt, die Handwerk und Handel als niedrige, unfreie Tätigkeiten betrachtet und daher für die Voll-
1 Die Perspektiven auf Platons Position sind allerdings recht heterogen. Nach Susan Sauvé Meyer haben die wirtschaftlichen Restriktionen einen hohen Stellenwert für Platon, werden von ihm jedoch nicht konsistent begründet. Er gebe vor allem keinen überzeugenden Grund für das Verbot von Erwerbsarbeit an; vgl. Meyer 2003. Rameil findet dagegen zahlreiche hilfreiche Überlegungen zur Sicherung der Wirtschaftsstabilität in den Nomoi. Er würdigt zudem Platons volkswirtschaftliche Theorie: Die Nomoi enthielten fundierte Untersuchungen zu Raumwirtschaft, zu Gebrauchswert und Tauschwert, zur Wert- und Geldtheorie und zur Korrelation zwischen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen; vgl. Rameil 1973, 2 und 81f. Borecky meint, dass Platon in den Nomoi „der genauen Regelung der Eigentumsbeziehungen besondere Aufmerksamkeit zuwendet“, weil er die radikale Lösung der Politeia durch die Einführung von Privatbesitz aufgegeben habe und sich aus diesem Grund nun mit wirtschaftlichen Details befassen müsse; vgl. Borecky 1963, 83. Zoeppfel betont die direktive Natur der Wirtschaftsordnung. Sie verweist darauf, dass in Magnesia „die Regelung des Wirtschaftslebens bis ins Detail“ dem Gesetzgeber übertragen wird und „dem Bürger kein Raum für eine selbstgestaltete Haushaltsführung“ bleibt; vgl. Zoepffel 2006, 175. Morrow urteilt, in den Nomoi gelte die richtige Einstellung zu Besitz als das zentrale Fundament der Gesetzgebung. Eine ähnliche Sichtweise habe Platon aber bereits in der Politeia vertreten, insofern dort der Verfall der Verfassungen ökonomisch erklärt und somit die wirtschaftliche Situation als Grundlage der politischen angesehen werde; vgl. Morrow 1960, 101. Sandvoss betont die Radikalität von Platons Position und schreibt, im Generalpröomium „findet sich eine der schärfsten vorchristlichen Absagen an den Reichtum“; vgl. Sandvoss 1971, 57. Fuks ist der Ansicht, dass nach Platon generell sämtliche Gesetze die Funktion haben, das Streben nach Geld und Reichtum einzuschränken. Auch im achten Brief (Ep. VIII 355a8–b2) heiße es, dass Gesetze vor allem dem Zweck dienten, die Orientierung an Geldwirtschaft (chrêmatismos) und Reichtum (ploutos) einzudämmen; vgl. Fuks 1984, 129. 2 Vgl. v. a. Pöhlmann 1925 und Fuks 1984.
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bürger einer Polis ablehnt.3 Auf diesen Punkt werde ich im letzten Abschnitt zurückkommen.
6.2 Die Kritik an den Sophisten und die Besitzregeln der Politeia Die Nomoi sind nicht das erste Werk, in dem Platon seine Überlegungen zu Reichtum, Gelderwerb und Besitz vorstellt. Bereits in der Apologie heißt es, dass Sokrates in Armut lebt und kein Geld von etwaigen Schülern annimmt (Ap. 19d– 20a; 23b–23c; 31b–c; 33a–b). Sokrates betont zudem, dass in seiner „göttlichen Mission“ die Ermahnung an die Athener eine zentrale Rolle spielt, sie sollen die aretê stets höher schätzen als Geld und Reichtum (Ap. 29b–30b). Seine letzten Worte in der Verteidigungsrede formulieren sogar den Wunsch, man möge seine eigenen Söhne kritisieren, sollten sie sich als Erwachsene mehr für Geld als für die aretê interessieren (Ap. 41e–42a). Die Sophisten charakterisiert Platon dagegen stets als Geschäftsleute, die hohe Honorare fordern und finanziell äußerst erfolgreich sind (vgl. Men. 91d; Prt. 311d; Hp. ma. 282c–d; Sph. 231d–e). Ihre Geldgier wird teilweise recht plastisch vorgeführt, etwa am Beispiel des Thrasymachos, der in der Politeia erst dann bereit ist, seine Theorie zur Gerechtigkeit darzulegen, als er dafür bezahlt wird (Rep. I 337d).4 Warum ist es für Platon so wichtig, das kommerzielle Interesse der Sophisten so stark zu betonen und mit 3 Bisinger etwa wendet sich gegen die Deutung, Platon folge einer sozialistischen Intuition: „Sein Grundsatz, den Staat auf dem Bodenbesitz aufzubauen, entspringt vielmehr aristokratischen, reaktionären Beweggründen. [...] Das ist keine Utopie, einem legendären goldenen Zeitalter entnommen, sondern es wird in den Staat eingeführt, was früher einmal war und längst wieder programmatische Forderung der aristokratischen Partei geworden war.“ Bisinger 1925, 14 f. Vgl. auch Bisinger 1925, 115; Rameil 1973, 53; Wood 2008, 69 und 78 f. 4 Platons Charakterisierung der Sophisten ist so wirkmächtig, dass noch heute die Ansicht verbreitet ist, die historischen Sophisten hätten sich von den Philosophen bereits dadurch unterschieden, dass sie Geld von ihren Schülern forderten und primär kommerziell motiviert waren. Dieses Bild ist allerdings verfehlt. Zu Platons Zeiten wurden die Sophisten nicht als einheitliche Gruppe wahrgenommen und es gab kein gängiges Kriterium zur Unterscheidung von Philosophen und Sophisten. Noch lange nach Platon war es zudem selbstverständlich für viele Philosophen, Honorare zu fordern; selbst für einige Kyniker und Stoiker ist dies belegt. Erst viel später setzte sich die vermutlich genuin platonische Sichtweise durch, dass die Philosophen im Unterschied zu den Sophisten keine kommerziellen Ziele verfolgen. Vgl. dazu Tell 2009.
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Sokrates’ Haltung zu Geld und Reichtum in Kontrast zu setzen? Eine mögliche Antwort lautet, dass Platon auf den Unterschied in der Motivation aufmerksam machen will: Während Sokrates ein genuines Erkenntnisinteresse verfolgt, sind die Sophisten aufgrund ihrer kommerziellen Motivation eher an Publikumserfolg als an der Wahrheit interessiert (vgl. dazu v. a. Hp. ma. 304a–b). Eine kommerzielle Motivation steht aber der Ausrichtung auf Erkenntnis und Wahrheit – und damit der platonisch verstandenen aretê – nicht nur deswegen entgegen, weil sie Publikumserfolge im Blick haben muss, sondern auch aus dem Grund, dass sie eine genuin nicht-rationale Motivation ist: Sie hat letztlich die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse zum Ziel oder ist zumindest eng mit ihnen verbunden. Dies wird in der Politeia deutlich. Platon teilt dort die Seele in drei Teile ein, die am besten als Motivquellen zu verstehen sind. Die Seele hat einen rationalen Teil (logistikon), der nach Erkenntnis strebt. Daneben hat sie zwei nicht-rationale oder irrationale Seelenteile (thymoeides und epithymêtikon). Das thymoeides strebt primär nach sozialer Anerkennung. Dem epithymêtikon schreibt Platon neben dem Verlangen nach Essen, Trinken und Sexualität auch das Merkmal zu, „von Natur aus überaus unersättlich nach Geld“ zu sein (Rep. IV 442a). An einer anderen Stelle sagt er, dass der dritte Seelenteil „geldliebend“ und „profitliebend“ genannt werde, weil Geld das Mittel sei, mit dem man auch die anderen Begierden dieses Seelenteils stillen könne (Rep. IX 580d–581a). Eine gerechte Seelenverfassung ist nach Platon dann erreicht, wenn der rationale Seelenteil sich erstens den genuin rationalen Gegenständen zuwendet (v. a. den Ideen) und zweitens die irrationalen Teile kontrolliert. Eine solche Seelenverfassung ermöglicht ein Leben, in dem einerseits die Suche nach Erkenntnis im Zentrum steht; andererseits werden die Gegenstände der unteren Seelenteile, also etwa soziale Anerkennung, sexuelle Befriedigung, kulinarische Freuden oder Profit, nicht zu bestimmenden Faktoren des Lebens, sondern der Wahrheitssuche untergeordnet. Dagegen führt eine Seelenverfassung, in der die unteren Seelenteile dominieren, zu einer Lebensweise, in der diese Dinge die wichtigsten und letzten Zwecke werden. Es ist für Platon offensichtlich, dass das rationale Vermögen in einem solchen Leben auf eine bloß instrumentelle Rolle beschränkt wird; statt sich philosophischen Fragen zuzuwenden, muss es Strategien zur effektivsten Jagd nach körperlicher Lust oder Profit entwickeln. Platon findet dazu ein eindrückliches Bild: In der Seele des in Buch VIII beschriebenen oligarchischen Menschentyps, der sich vor allem für Reichtum interessiert,
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sitzt der dritte Seelenteil auf einem Thron, unter dem der vernünftige Seelenteil kniet und nur darüber nachdenken darf, wie aus wenig Geld viel werden kann (Rep. VIII 553c–d). Vor dem Hintergrund dieser psychologischen Theorie wird deutlich, warum Platon in der Politeia einen Idealstaat entwirft, in dem die Regierenden – die vollkommen gerechten Philosophinnen und Philosophen – nicht nur ein umfangreiches Erziehungsprogramm durchlaufen müssen, das alle drei Seelenteile formt, sondern zusätzlich äußerst rigide Besitzregeln beachten müssen, die ihnen Gelderwerb verbieten und lediglich eine genau bemessene materielle Verpf legung zusprechen (Rep. III 416d–417b). Diese Besitzregeln schließen aus dem Leben der Regierenden jede Möglichkeit zu Profit und Geldvermehrung aus. Dadurch verhindern sie, dass die Geldgier des dritten Seelenteils Macht über die Seele gewinnen kann und die Dominanz des rationalen Seelenteils untergräbt. Den Regierenden stehen die Landwirte, Händler und Handwerker gegenüber, die für die wirtschaftliche Produktion zuständig sind und Gelderwerb betreiben, denen es aber nicht möglich ist, die volle Tugend zu erreichen, weil bei ihnen der dritte Seelenteil dominiert (Rep. IV 431c–d). Platon stellt also in der Politeia das Leben der vollen aretê dem kommerziellen Leben gegenüber; beide schließen sich wechselseitig aus. Diese Position behält Platon auch in den Nomoi bei: Die Bürger von Magnesia dürfen keinen kommerziellen Tätigkeiten nachgehen, weil dies mit dem Erwerb der Tugend in Konf likt stünde. Auch andere Gesetze zielen darauf, dass Profit, Gelderwerb und die Akkumulation von Reichtum im Leben der Bürger keine oder nur eine geringe Rolle spielen. Platon verzichtet in den Nomoi allerdings auf eine explizit psychologische Argumentation, sondern verweist stattdessen auf eine Güterhierarchie, bei der Reichtum den untersten Rang einnimmt. Wer dem Reichtum einen zu hohen Stellenwert zuspricht, kehrt die Güterhierarchie um und verfehlt dadurch die eudaimonia. Auf die Gütertheorie gehe ich im folgenden Teil näher ein.
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6.3 Die Ziele der Gesetzgebung: Reichtum vs. gesamte eudaimonia (I 625d–631d) In den ersten drei Büchern der Nomoi werden die Ziele einer idealen Gesetzgebung erörtert. Der Athener setzt sich dabei in Buch I zunächst mit der kretischen Gesetzgebung auseinander. Der Kreter Kleinias gibt an, dass in seiner Heimat alle gesetzlichen Bestimmungen „auf den Krieg ausgerichtet“ seien (I 625e; 626a). Militärische Überlegenheit sei deswegen wichtig, weil bei einer Niederlage der gesamte Besitz einer Polis an den Feind falle (I 626b). Gegen diese Zielsetzung, die laut Megillos auch die spartanische Gesetzgebung verfolgt, wendet der Athener ein, dass ihr eine verkürzte Sicht auf die menschliche Tugend zugrundeliege und damit auch eine verengte Vorstellung von eudaimonia, dem glücklichen Leben (I 630e; 631b; vgl. IV 705d–706a). Eine gute Gesetzgebung müsse sich, statt nur die Tapferkeit und die Sicherung des Besitzes in den Blick zu nehmen, an der gesamten eudaimonia orientieren. Diese umfasse erstens vier göttliche Güter; genannt werden die vier Kardinaltugenden Einsicht, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit. Zweitens enthalte sie vier menschliche Güter; dies sind Gesundheit, Kraft, Schönheit und Reichtum. Zudem bestehe ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen diesen beiden Gütergruppen: Mit den vier Tugenden erhalte man auch die vier menschlichen Güter, ohne die Tugenden verliere man alles. Die vier Tugenden bilden mithin sowohl die hinreichende als auch die notwendige Bedingung für die vier menschlichen Güter (I 630e–631d).5 Deutlich wird, dass die Gütertafel des Atheners eine fundamentale Kritik an der Sichtweise darstellt, die der Kreter eingangs ausgeführt hatte: Den Zielen, denen dieser die höchste Wichtigkeit eingeräumt hatte, wird nun eine untergeordnete Bedeutung zugewiesen; sowohl Tapferkeit als auch Reichtum erhalten in ihrer Gruppe jeweils den untersten Rang. Für das vorliegende Thema sind zwei Punkte an der Gütertafel besonders wichtig. Erstens wird die Position, gegen die Platon sich hier richtet, als eine für 5 Problematisch an der Gütertafel ist, dass das Bedingungsverhältnis zwischen göttlichen und menschlichen Gütern argumentativ nirgendwo begründet wird. Allerdings findet sich auch an anderen Stellen der platonischen Dialoge die Behauptung, die Tugend sei notwendige und hinreichende Bedingung für die körperlichen und äußeren Güter (Ap. 30b2–4 und Criti. 121a4–7). Und auch Aristoteles stellt seinem Staatsentwurf in Pol. VII eine Güterlehre voran, der zufolge die Tugenden hinreichende und notwendige Bedingung für die körperlichen und äußeren Güter sind (Pol. VII 1, 1323a38–41).
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damalige Aristokraten typische Haltung eingeführt. Kleinias und Megillos sind zwar wahrscheinlich fiktionale Charaktere, aber als Vertreter der spartanischen und kretischen Aristokratie erkennbar. Besonders die aristokratische Position des Kleinias wurde im Gesprächsverlauf bereits hervorgehoben (I 627a6–10; vgl. Schöpsdau 1994, 163). Tatsächlich ist uns der Fokus auf militärische Kompetenz und materielle Güter vor allem aus der epischen Dichtung und der Adelslyrik vertraut, und so beklagt auch Platon häufig, dass die Dichtung dem Reichtum eine zu hohe Bedeutung zumesse, Heroen als geldgierig beschreibe und sogar Götter als Diebe darstelle (z. B. Rep. II 364a6; III 392a–b; 390d–e; 391c; Lg. XII 941b). Idealerweise sollten daher die Dichter gezwungen werden, nicht den Reichen, sondern den Gerechten als glücklich zu preisen (Lg. II 660e–661a). Dass Platon die Gütertafel als Kritik an der unter den damaligen Aristokraten typische Hochschätzung von Reichtum formuliert, wird später für die Beantwortung der Frage relevant, wie Platon seine kritische Position gegenüber Reichtum und Gelderwerb begründet (vgl. 6.6). Zweitens schreibt Platon in der Gütertafel dem Reichtum explizit eine glückskonstitutive Bedeutung zu, auch wenn er ihn auf den letzten Rang verweist. Revidiert er damit die radikal reichtumskritische Sicht der früheren Dialoge, besonders der Politeia? Ich denke nicht. Erstens ist zu beachten, dass Platon nicht Reichtum in einem unqualifizierten Sinn in die Gütertafel aufnimmt, sondern hinzufügt, dass es sich „nicht um blinden, sondern scharfsichtigen Reichtum“ handeln muss (ploutos ou typhlos, all’ oxy blepôn: 631c4). Platon spielt hier auf den literarischen Topos des blinden Reichtums an. Dieser Topos ist besonders durch Aristophanes’ Komödie Plutos bekannt, in der der personifizierte Reichtum blind ist für Tugend oder Schlechtigkeit der Menschen und daher unterschiedslos bei guten und schlechten Menschen einkehrt. Ein scharfsichtiger Reichtum ist also derjenige, der nur tugendhafte Menschen aufsucht; das bedeutet, dass dieser Reichtum auf gerechte und besonnene Weise erworben wurde (vgl. Schöpsdau 1994, 181 f.). Später wird zudem deutlich, dass es sich bei diesem glückskonstitutiven Reichtum nicht um materiellen Überf luss handelt, sondern um moderate Besitztümer (V 728e–729c). Dieses steht in Kontrast zu dem, was „die große Masse“ unter Reichtum versteht, nämlich „Besitztümer von sehr hohem Geldwert“ (V 742e–743a). In der später vorgestellten Wirtschaftsordnung zielen ferner sämtliche Verordnungen darauf, zwar eine gewisse Mindestversorgung sicherzustellen, aber extremen Reichtum gerade zu verhindern. Dass Platon einen
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solchen moderaten Reichtum als glückskonstitutiv wertet, ist jedoch gut vereinbar mit seiner Position in der Politeia. Zwar dürfen dort die Regierenden nur das Nötigste besitzen, aber für ihre materiellen Bedürfnisse ist gesorgt; zudem soll die Polis als Ganze sowohl Armut als auch extremen Reichtum vermeiden (Rep. IV 421c–422a).
6.4 Die Wirtschaftsordnung: IV 704a–707d; V 735a–747e; VIII 842c–850d; XI 917c–920c Die Wirtschaftsordnung zielt darauf, die in Buch I festgelegte Güterhierarchie im Leben der Polis zu verwirklichen. Sie umfasst zahlreiche kleinteilige Regelungen. Ich konzentriere mich hier auf einige zentralen Elemente, nämlich die Wahl der Lage, die Bodenverteilung, die Festlegung von Vermögensgrenzen und die Landwirtschaftsgesetze samt Marktgesetzen und dem Verbot von Lohnarbeit. (1) Lage (IV 704a–707d): Die ideale geographische Lage bestimmt der Athener als diejenige, die möglichst wenig Außenhandel erforderlich oder möglich macht. Dazu ist erstens eine Binnenlage förderlich, weil Seehandel eine Stadt „mit Geldgeschäften überschwemmt“ und damit den Seelen der Bewohner schade (IV 705a). Zweitens sei weitgehende landwirtschaftliche Autarkie anzustreben, jedoch keine Überschussproduktion. Denn auch dies „würde eine umfangreiche Ausfuhr ermöglichen, und die Stadt würde dafür mit Gold und Silbermünzen überschwemmt werden, was für eine Stadt, wie man bei genauer Abwägung sagen muss, das größte Übel ist im Hinblick auf den Erwerb edler und gerechter Gesinnungen“ (IV 705b).6 Bei der Begründung der Kriterien verweist der Athener explizit auf die Güterdiskussion aus Buch I: Das Gesetz dürfe nur auf Tugenden zielen, welche die restlichen Güter bedingen, niemals aber auf den Reichtum selbst (IV 706a). Denn das Ziel der Gesetze liege nicht einfach im Erhalt und in der Existenz einer Polis, sondern bestehe darin, dass die Menschen „möglichst gut werden und dies bleiben, solange sie leben“ (IV 707d). (2) Landverteilung (V 736c–747e): Das Land wird in 5040 gleichwertige Grundstücke aufgeteilt, die Platon als klêroi, Landlose, bezeichnet (z. B. V 6 Tatsächlich beschränkt sich der Import in Magnesia auf Material zur Waffenproduktion (VIII 847d).
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737e4). Auf einem Landlos lebt jeweils eine Familie mit ihren Sklaven und betreibt Landwirtschaft, deren Produkte sowohl für den Eigenbedarf wie für die landlosen Metöken und Fremden bestimmt sind.7 Der Athener betont, dass der egalitären Bodenordnung eine große Bedeutung für das Gelingen der politischen Ordnung zukommt. Hier liege auch der entscheidende Vorteil einer Polis-Neugründung. Denn bei Reformen von bestehenden Poleis sei man auf den unwahrscheinlichen Fall angewiesen, dass die Reichen zu einer Verringerung ihres Vermögens bereit wären, dass sie also trotz ihres Reichtums „irgendwie an der Mäßigung“ festgehalten hätten und verstünden, dass eine Verringerung ihres Vermögens ihnen nicht schade, mithin „durch ein Ende der Geldgier in Verbindung mit Gerechtigkeit“ (736e–737a).8 Der Athener verfügt weiterhin, dass jeder Bürger sein Land „als Gemeingut der ganzen Stadt ansehen“ solle (740a). Etwas unklar bleibt dabei, wer letztlich Eigentümer der Landlose ist. Lauffer hat darauf hingewiesen, dass es sich zwar nicht um Gemeinbesitz oder Kommunismus handeln kann, denn dieser wird als ideale, aber zugleich unrealistische Lösung bezeichnet (vgl. 739c–740a), dass aber die Bürger über ihre Landlose auch nicht nach Belieben verfügen können, wie dies bei Privatbesitz der Fall wäre: Die Lose sind unveräußerlich, der Übergang an Nachkommen ist genau geregelt und zahlreiche Maßnahmen zielen darauf, die egalitäre Bodenverteilung stabil zu halten (vgl. Lauffer 1936, 242).9 Daher ist der Boden seiner Meinung nach am ehesten als Staatseigentum zu verstehen, das der „Privatnutzung“ überlassen wird (vgl. Lauffer 1936, 242–244). Morrow 7 Diese Zahl eignet sich einerseits, weil sie hinsichtlich der Gesamtgröße Wehrfähigkeit, wirtschaftliche Autarkie und die Bekanntheit aller mit allen erlaube, was förderlich für tugendhaftes Verhalten sei (V 737d1), andererseits weil ihre f lexible Teilbarkeit die unterschiedlichen Los- und Wahlverfahren zulasse (V 738a–b). 8 Platon macht hier deutlich, wie unwahrscheinlich es ist, dass ein Reicher eine besonnene Einstellung zu Reichtum behält. Dies gilt jedoch auch für die Armen. Platon spricht etwa von „Habenichtsen“, die gierig sind nach den Besitztümern der Reichen (V 735e–736a). Auch an anderer Stelle wird deutlich, dass Armut ebenfalls auf eine falsche Einstellung zu Besitz zurückzuführen ist oder diese erzeugt (V 743b–c; XI 919b). 9 In den Landwirtschaftsgesetzen wird beispielsweise neben der kriminellen Verrückung der Grenzen auch die Schädigung fremden Bodens behandelt, welche die qualitative Gleichwertigkeit der Lose gefährdet (VIII 842e–843e). Das Erbrecht (XI 922a–926d) regelt alle erdenklichen Sonderfälle für fehlende oder überschüssige Nachkommenschaft. Zudem wird verfügt, wer bei einer Verbannung das Landlos erhält, vgl. 877c und Schöpsdau 2011, 253.
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kommt dagegen zum Schluss, es handle sich um Privateigentum, dessen Nutzung aber sehr speziellen staatlichen Kontrollen unterliegt (vgl. Morrow 1960, 107).10 (3) Vermögensklassen und -grenzen (V 744b–d): Die Bürger haben neben den Landlosen auch beweglichen Besitz wie Tiere (erwähnt werden besonders häufig Herdentiere und Bienen), Werkzeuge oder Sklaven. Der Athener meint, dass sich hier keine vollkommen egalitäre Verteilung durchsetzen ließe, und schlägt eine Einteilung in vier Vermögensklassen und die Festlegung einer Unter- und Obergrenze vor. Es wird nicht ganz klar, welchem Zweck die Einteilung in vier Vermögensklassen dient. Da die höheren Vermögensklassen teilweise mehr politische Verantwortung übernehmen, vermutet Aristoteles hier ein oligarchisches Moment (Pol. II 6, 1266a12). Platon spricht sich jedoch in einer anderen Passage explizit gegen das oligarchische Prinzip aus, Ämter nach Reichtum zu verteilen (Lg. IV 715b). Bestimmte Ämter sind zwar nur den oberen Vermögensklassen vorbehalten, wahrscheinlich mit der Unterstellung, dass deren Umgang mit Besitz sparsamer ist.11 Doch die politisch relevanten Ämter stehen allen Bürgern gleichermaßen offen. Daher haben die Vermögensklassen nur wenig Bedeutung für die politische Realität.12 Sie sind im Gesetzestext v. a. bei der Bestimmung von Strafmaßen relevant. Wichtiger sind die festen Ober- und Untergrenzen des Besitzes. Bei Überschreitung der Obergrenze muss der Überschuss abgegeben werden; andernfalls wird er konfisziert. Die unterste Grenze ist so bemessen, dass das Vermögen zur materiellen Versorgung einer Familie samt Sklaven ausreicht. Somit sind die Bürger für ihre Bedürfnisbefriedigung nicht auf Handel und Handwerk angewiesen (V 742e). Gold und Silber werden in der Polis ohnehin verboten. Stattdessen wird eine Währung ohne Realwert eingeführt, die im Ausland nicht anerkannt wird und nur die Bezahlung der Metöken und de10 Vgl. auch die Positionen von Rameil 1973, 22, der die Landlose als Privateigentum versteht, und Pöhlmann 1925, 180 f., der meint, dass der Boden letztlich der Polis gehört und die Bürger nur Nutzungsrecht haben. 11 Die Schatzmeister für die „heiligen Gelder der einzelnen Tempelbezirke“ (VI 759e4) werden beispielsweise aus der obersten Vermögensklasse rekrutiert, einige der Marktaufseher aus den beiden oberen Klassen (VI 763e). Teilnahmepf licht an den Volksversammlungen besteht ebenfalls nur für die zwei obersten Klassen. 12 Vgl. zu dieser Einschätzung auch z. B. Morrow 1960, 133–135; Bobonich 2002, 375 f.; Schöpsdau 2003, 333.
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ren Sklaven regelt (742a–b). Auch die Einführung dieser Währung wird damit begründet, dass ein guter Gesetzgeber nicht beabsichtige, die Stadt „möglichst reich“ zu machen, denn übermäßiger Reichtum sei ohnehin mit dem Glück unvereinbar (V 742e–744a). Das generelle Verbot von monetärer Arbeit für alle Bürger und deren Sklaven, das Platon hier bereits andeutet, wird im Kontext der Landwirtschaftsgesetze näher ausgeführt. (4) Landwirtschaftsgesetze (VIII 842c–850d): Besonders wichtig für die wirtschaftliche Organisation sind die Landwirtschaftsgesetze, die in Buch VIII besprochen werden. Sie thematisieren die materielle Versorgung der Bürger, die im Agrarstaat der Nomoi, der ohne Seehandel auskommt, nur durch Viehwirtschaft, Bienenzucht, Ackerbau und Forstwirtschaft bewerkstelligt wird. Die Gesetze lassen sich in drei Gruppen teilen. In einer ersten Gruppe geht es darum, die Stabilität der egalitären Landverteilung zu garantieren; hier werden auch alle möglichen Arten von Schädigungen fremden Bodens samt seiner Wälder und Tiere sowie die Wasserversorgung in Betracht gezogen (VIII 843b–e; 845e–846b). In einer zweiten Gruppe von Gesetzen geht es um die Verteilung und den Verbrauch der Ernte. Der Athener legt fest, wie die Bodenfrüchte aufgeteilt werden, welche davon aufzubewahren sind und welche zum sofortigen Verzehr von allen bestimmt sind. Wichtig ist, dass auf jedem Landlos einerseits für den Eigenbedarf der Familie samt Sklaven produziert werden soll, andererseits ein Drittel des Ertrages über die Märkte (die von Metöken betrieben werden) an die Metöken und Fremden verkauft wird, die kein eigenes Land besitzen und daher ihre Lebensmittel nicht selbst produzieren können (844d–845d; 847e–848c). Eine dritte Gruppe betrifft das Marktgeschehen. In diesem Kontext wird den Bürgern auch ausdrücklich verboten, handwerkliche Berufe und Handel auszuüben und auf dem Markt einzukaufen (849a–850d). Auf den Märkten sind ferner zahlreiche Maßnahmen der Gewinnmaximierung verboten, wie etwa das Anpreisen der Waren, das Schwören auf ihre Qualität oder Ratenzahlung. Die Händler dürfen zudem nur einmal am Tag die Preise festsetzen; dies verhindert vermutlich vor allem, dass bei höherer Nachfrage der Preis nach oben korrigiert wird (XI 917c), statt ihn, wie vorgesehen, am Wert der Ware zu bemessen (921b). Zudem wird die Gewinnspanne durch die Marktaufseher kontrolliert (920c). Einige Produkte dürfen schließlich nur an bestimmten Markttagen und Orten verkauft werden (VIII 849b–850a). Platon scheut nicht davor zurück, die Regeln bis ins kleinste Detail festzulegen; dies
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fällt auch deswegen auf, weil er die Entwicklung kleinteiliger Vorschriften in Bezug auf andere Themen, z. B. bei den Klagemöglichkeiten gegen Beamte, als „unter der Würde“ des alten Gesetzgebers bezeichnet (vgl. z. B. VIII 846b–c). (5) Verbot von Gelderwerb für die Bürger (VIII 846d–847a; XI 919e–920a): Im Zusammenhang mit den Landwirtschaftsgesetzen und den Marktgesetzen wird auch das Verbot von Handwerk und Handel für alle Bürger eingeführt. In Buch VIII begründet Platon das Verbot mit dem Idiopragie-Prinzip: Wie kein Handwerker der Stadt zwei Berufe ausüben darf, um seine Gewinne zu maximieren, so sei auch den Bürgern nicht gestattet, neben ihrer Hauptbeschäftigung dem Gelderwerb nachzugehen. Die Hauptbeschäftigung bestehe aber darin, die Ordnung der Polis aufrecht zu erhalten und sich um die eigene Tugend zu kümmern (VIII 846d–847a).13 Die Bürger von Magnesia erhalten somit, ähnlich wie die Wächter in der Politeia, für keine Tätigkeit Geld. Es ist ihnen verboten, für ihre Amtstätigkeiten Geschenke oder Bezahlung anzunehmen (XII 955c). Selbst die bezahlten Lehrer an den Gymnasien müssen Ausländer sein (VII 804c–d; vgl. auch 813d–e). Im Zivilrecht wird das Verbot von Gelderwerb wiederholt. Dort heißt es, dass in diesen Tätigkeiten eine große Gefahr liege, schlecht zu werden. Obwohl der Markt und Geldgeschäfte an sich eine Wohltat für eine Polis darstellten (XI 918b–c), sei es sehr unwahrscheinlich, dass die Menschen, die diese Tätigkeit ausübten, einen guten Charakter bewahrten (918c–d). Daher gebe es nur drei Mittel, mit den schädlichen Einf lüssen von Gelderwerb zurechtzukom13 Diese Passage legt nahe, dass die Bürger selbst nicht produktiv tätig sind, nicht einmal als Landwirte. So deutet dies auch Aristoteles, dem zufolge die Bürger Magnesias „von allen Arbeiten für den Lebensunterhalt“ befreit sind (Pol. II 6, 1265a6–8). Der Punkt ist allerdings in der Literatur umstritten. Morrow denkt, dass die Bürger selbst landwirtschaftliche Arbeit verrichten und verweist darauf, dass die Landwirtschaftsgesetze sich an die Bürger selbst richten (842e); vgl. Morrow 1960, 152 und 134. Auch Stalley ist der Ansicht, dass die Mehrheit der Bürger selbst Landwirtschaft betreibt und nur wenige das mußevolle Leben des Landadels führen können, vgl. Stalley 1983, 102. Rameil meint dagegen, dass die Bürger nur Aufsichts- und Kontrollfunktionen ausüben, während die eigentliche Arbeit von Sklaven ausgeführt wird, vgl. Rameil 1973, 16. Vgl. zu dieser Sicht auch Benardete 2000, 247. Lauffer hält es ebenfalls für ausgeschlossen, dass die Bürger die landwirtschaftliche Arbeit selbst ausführen; sie müssten zahlreichen kultischen und politischen Pf lichten nachkommen und daher auch den Wohnsitz in der Stadt beziehen, vgl. Lauffer 1936, 246. Vgl. zu dieser Frage auch Meyer 2003 und Schöpsdau 1994, 112. In den Nomoi wird auch an anderen Stellen der Eindruck erweckt, dass die Bürger ganztägig mit dem Erwerb der Tugend beschäftigt sind und daneben keinen manuellen Arbeiten nachgehen, vgl. v. a. VII 807d, wo der Athener sagt, Tag und Nacht reichten für den Erwerb der Tugend kaum aus.
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men: Man müsse erstens den Bereich von Handel und Handwerk möglichst klein halten, zweitens diese Tätigkeiten Menschen auftragen, deren Korruption der Polis keinen Schaden bringe, und drittens die Handwerker und Händler überwachen (919c). Tatsächlich werden die Metöken, die als Händler und Handwerker arbeiten, von den Bürgern streng kontrolliert. Sie müssen nicht nur die oben skizzierten Marktregeln beachten, sondern dürfen auch nicht mehr besitzen als die dritte Vermögensklasse, andernfalls droht ihnen die Todesstrafe (915a–c).
6.5 Straf- und Zivilrecht: IX 870a–c; IX 853d–855a; XI 915–922a Im Straf- und Zivilrecht (IX–XI) wird ebenfalls greifbar, wie Platon die in Buch I festgelegte Güterhierarchie festigen, d. h. wie er der Überbewertung von Reichtum entgegenwirken will. (1) Erstens wird im Strafrecht Geldgier als häufigstes Motiv für Kapitalverbrechen bezeichnet; den Bürgern wird hier ins Bewusstsein gerufen, dass eine richtige Einstellung zu Geld und Reichtum Verbrechen dieser Art verhindert. (2) Zweitens werden Eigentumsdelikte sehr ernst genommen und zählen teilweise als sakrale Vergehen. Dies gilt natürlich für den Tempelraub, der daher im Rahmen des Strafrechts als Vergehen gegen die Götter behandelt wird. Auch im Zivilrecht werden Verstöße gegen die Wirtschaftsordnung, beispielsweise gegen bestimmte Marktregeln, mit sakralen Mitteln geahndet und als Schamlosigkeiten gegen die Götter gewertet. Zu (1): Das Strafrecht, das in Buch IX beginnt, behandelt nach den Ausführungen zur Unfreiwilligkeit von Unrechttun die vorsätzlichen Tötungen. Die drei häufigsten Motive für Mord sind dem Athener zufolge erstens Begierde, zweitens Neid oder Ehrgeiz und drittens Feigheit. Unter diesen Motiven wird die Begierde, besonders die Geldgier, als stärkster Antrieb und „größte Ursache“ bezeichnet (IX 870a; 870c). Geld erzeuge nämlich „zahllose Begierden nach unersättlichem und unbegrenztem Besitz“, und zwar aus zwei Gründen: einerseits aufgrund von Naturanlagen, andererseits aufgrund einer mangelnden, schlechten Erziehung (dia physin te kai apaideusian kakên: 870a6 f.). Der Mangel an Erziehung bestehe wegen des „verkehrten Rühmens des Reichtums unter Hellenen und Barbaren“ (870a). Die falsche Güterhierarchie, welche den Reichtum an erste Stelle setze, statt ihm eine nur untergeordnete Rolle zuzuschreiben, müsse
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daher durch die richtige Einstellung ersetzt werden, der zufolge man „nicht danach streben darf, reich zu sein, wenn man glücklich sein will, sondern danach, auf besonnene und gerechte Weise reich zu sein; und auf diese Weise würden auch in den Städten keine Tötungen begangen, die durch Tötungen gesühnt werden müssten“ (IX 870b–c). Mord, so behauptet der Athener hier also, kann durch die richtige Einstellung zu Reichtum verhindert werden.14 Zu (2): Sowohl im Strafrecht wie im Zivilrecht gibt es zahlreiche Gesetze, welche Eigentumsdelikte ahnden und die Besitz- und Wirtschaftsordnung aufrechterhalten sollen. Im Strafrecht wird der Tempelraub behandelt (IX 853d–855a); im Handels- und Gewerberecht werden Regelungen für das Marktgeschehen und Strafen für Fehlverhalten vorgestellt (XI 915–922a); und im Erbrecht werden Bestimmungen entwickelt, die letztlich darauf zielen, die egalitäre Landverteilung zu stabilisieren (XI 922a–926e). Ich werde mich hier auf den Tempelraub und das Finden von Schätzen beschränken, das zu Beginn des Zivilrechts behandelt wird. Das Strafrecht beginnt mit der Behandlung von Tempelraub. Wenn ein Sklave oder Fremder einer solchen Tat überführt wird, soll er gezüchtigt und verstoßen werden; Ziel dieser Strafe sei die Heilung von dieser Krankheit. Bei Bürgern sei diese Art von Straftat aufgrund der guten Erziehung normalerweise nicht zu erwarten (IX 853d–854a); wenn ein Bürger daher trotzdem Tempelraub begeht, muss er als unheilbar gelten und mit dem Tod bestraft werden (IX 854e). Wer unter den Bürgern sich von dieser unheilbaren Begierde befallen sieht, solle den Suizid wählen, der ansonsten vom Athener als feige und ungerechte Tat abgelehnt wird (IX 854c; zum Suizid vgl. IX 873c–d). Das Zivilrecht beginnt mit der grundlegenden Vorschrift, dass man sich nicht an fremdem Besitz vergreifen darf (XI 913a). Die erste Regelung betrifft dann sogleich das Finden von Schätzen: Es ist nicht nur verboten, einen gefundenen Schatz an sich zu nehmen, sondern auch, im Gebet darum zu bitten, einen Schatz zu finden. Zudem wird das Fehlverhalten auf eine falsche Güterhierarchie zurückgeführt, bei der Geld ein höherer Wert zugeschrieben werde als der Gerechtigkeit (XI 913b). Obwohl es sich nicht im engen Sinn um ein Vergehen 14 Diese Passage ist deswegen wichtig, weil in ihr deutlich wird, dass Platon unter den nicht-rationalen Begierden der Geldgier die destruktivste und stärkste Macht zuspricht. Auch deswegen, so kann man schließen, ist die Güterhierarchie besonders durch die verbreitete und naheliegende Überschätzung von Reichtum viel mehr in Gefahr als beispielsweise durch die sexuellen Triebe.
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gegen die Götter handelt, wird das Strafmaß von einem Orakel festgelegt und erhält somit auch eine sakrale Konnotation. Zudem besteht für alle, die ein solches Fehlverhalten beobachten, eine Anzeigepf licht: Kommt ein Sklave dieser Pf licht nicht nach, wird er mit dem Tod bestraft (XI 914a). Dieses Gesetz zeigt exemplarisch, wie in Magnesia Verstöße gegen die Besitzordnung geahndet werden sollen: Sie werden häufig als Respektlosigkeit gegen die Götter gewertet, auf eine falsche Auffassung der Güterhierarchie zurückgeführt und hart bestraft. Auch das Anpreisen von Waren auf dem Markt wird auf fehlenden Respekt vor den Göttern zurückgeführt (917a–b). Die Todesstrafe droht auch bei Diebstahl von Gemeineigentum (XII 942a) oder, wenn jemand für seine Amtspf lichten Geschenke entgegennimmt (XII 955c). Freigelassenen, Fremden und Metöken droht die Todesstrafe auch dann, wenn sie gegen die Regel verstoßen, dass sie nicht mehr besitzen dürfen als die dritte Vermögensklasse (XI 915a–c).
6.6 Ist Reichtum ein Gut oder ein Übel? Abschließend möchte ich auf eine fundamentale Spannung hinweisen, die Platons Position enthält. Einerseits wird in der Gütertafel zumindest ein moderater Reichtum als glückskonstitutiv bewertet, solange er unter der Bedingung der Tugend steht und nur den untersten Rang einnimmt. Andererseits klingen viele Bestimmungen so, als sei Reichtum eher als ein Übel denn als ein Gut anzusehen und als stelle er selbst für die Tugendhaften eine fundamentale Gefahr dar. So ist es gerade den Bürgern Magnesias verboten, einem Gelderwerb nachzugehen, obwohl sie dank ihrer Erziehung in der Lage sein müssten, diese Tätigkeit besonnen und gerecht auszuüben. Warum glaubt Platon, dass tugendhafte Menschen nicht in der Lage sind, die richtige Güterhierarchie im Blick zu behalten, wenn sie selbst einem Gelderwerb nachgehen? Eine erste mögliche Erklärung bietet die in der Forschung verbreitete Antwort, dass Platon hier einfach einem traditionell-aristokratischen Vorurteil folgt.15 Dafür spricht, dass Platon ein entsprechendes Vokabular verwendet, wenn er etwa betont, Gelderwerb und Handwerk seien Freien nicht angemessen (vgl. V 741e; XI 919e) und Geldgier sei insgesamt eine „niedrige“ Gesinnung 15 Vgl. z. B. Schöpsdau 2011, 239 f.; Morrow 1960, 143; Wood 2008, 78. Vgl. dazu auch Meier 2003, 58 und 60.
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(V 747b). Für die Deutung spricht weiterhin Platons politische Lösung des Problems: Die tugendhaften Bürger werden wie der traditionelle Landadel von handwerklichen und kommerziellen Tätigkeiten befreit und können sich ganz höheren Tätigkeiten hingeben, während Ausländer und deren Sklaven, die zudem in getrennten Bereichen der Stadt wohnen, die manuellen, produktiven Tätigkeiten übernehmen. Gegen diese Deutung spricht jedoch, dass das Verbot von Lohnberufen für die Bürger nur eines unter vielen Erlassen darstellt, die in Magnesia die richtige Güterordnung verwirklichen sollen. Alle anderen Restriktionen lassen sich dabei nicht, oder viel schwerer, auf traditionell-aristokratische Prinzipien zurückführen. Im Gegenteil, einige von ihnen wenden sich sogar gegen die für den Adel typische Hochschätzung von Reichtum und gegen eine oligarchische, auf Reichtum basierte Machtstruktur: Bei der Beschreibung des Verfalls der historischen Staaten weist Platon darauf hin, welche verheerenden Folgen auftreten, wenn gerade künftige Herrscher in ihrer Jugend Luxus und Überf luss erfahren (III 695e5–696b). Auch die Festlegung eines Maximalbesitzes und die Unveräußerlichkeit der Landlose verhindern eine Konzentration von Reichtum, wie sie insbesondere in aristokratisch strukturierten Verhältnissen auftritt. Und schließlich wird die Gütertafel in Buch I, die dem Reichtum eine nur untergeordnete Rolle zuweist, gerade in Auseinandersetzung mit einer aristokratischen Sichtweise entwickelt, der zufolge das wichtigste Ziel der Polis militärischer Erfolg und Bewahrung der materiellen Güter ist. Platon selbst deutet eine andere Erklärung für das Verbot an: die Schwäche der menschlichen Natur. Er hält es offenbar nicht für grundsätzlich ausgeschlossen, dass tugendhafte Menschen einen moderaten und guten Umgang mit Gelderwerb pf legen und auch durch Handel und Handwerk ihre Tugend nicht gefährden (XI 918c–e). Da aber die meisten Menschen aufgrund ihrer Natur und Erziehung nicht imstande wären, der Versuchung von Profit zu widerstehen (XI 918d), hält er daran fest, dass man diese Aufgaben den Bürgern nicht auftragen darf (XI 919b–c). Diese politische Lösung verstößt natürlich gegen eine fundamentale egalitäre Intuition, der zufolge in einem Staat alle die gleichen Chancen auf ein glückliches und gutes Leben haben sollten. In Magnesia werden die materiellen Bedingungen des tugendhaften Lebens von Menschen geschaffen, denen
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das tugendhafte und somit glückliche Leben nicht offensteht.16 Ein ähnliches Modell findet sich auch in der Politik des Aristoteles. Auch er hält die monetär entlohnten Tätigkeiten für inkompatibel mit dem Erwerb der aretê (vgl. bes. Pol. VIII 2, 1337b1–15). In Pol. VII 8 heißt es ferner, dass eine Polis zwar nicht ohne Besitz bestehen könne, dieser aber kein Teil von ihr sei. Damit geht einher, dass Aristoteles diejenigen Menschen, die die materielle Basis der Polis schaffen, nicht als Teil der politischen Gemeinschaft versteht – genau wie Platon, der in Magnesia die produktive Arbeit den Sklaven, Metöken und Fremden überträgt, die nicht Teil der Bürgerschaft sind. Abgesehen von der inakzeptablen politischen Lösung kann Platons Position aber einen wichtigen Punkt deutlich machen, nämlich dass es keineswegs banal ist, dem Reichtum den Status der obersten Priorität abzusprechen und eine Lebensweise zu befördern, in der die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse keine dominante Bedeutung gewinnt. Dies scheint nämlich nur möglich in einer Situation, in der man sich weder große Sorgen um die Befriedigung dieser Bedürfnisse machen muss, noch allzu leicht in Versuchung gerät, unnötig viele Überlegungen auf Profit und Gewinn zu richten. Die Wirtschaftsordnung der Nomoi versucht, genau diese Situation herzustellen.
Literatur Meier, C. 2003: Griechische Arbeitsauffassung in archaischer und klassischer Zeit, in: M. Biertwisch (Hg.): Die Rolle der Arbeit in verschiedenen Epochen und Kulturen. Berlin, 19–76. Pöhlmann, R. von 1925: Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt (3 Bände), München. Schrief l, A. 2013: Platons Kritik an Geld und Reichtum, Berlin/New York. Wood, E. M. 2008: From Citizens to Lords. A Social History of Western Political Thought from Antiquity to the Middle Ages, London/New York. Zoepffel, R. 2006: Aristoteles, Oikonomia. Schriften zu Hauswirtschaft und Finanzwesen (Übersetzt und erläutert von Renate Zoepffel), Darmstadt.
16 Vgl. dazu die Kritik von Wood 2008, 74 und 78 f.
7 Irmgard Männlein-Robert
Poetik: Komödie und Tragödie (VII 796e-817e)
Im VII. Buch der Nomoi kommen Kleinias, Megillos und der Athener auf Komödie und Tragödie zu sprechen. Im Kontext der Erziehung der potenziellen Siedler bzw. deren Kinder im vorbildlichen Staat mit Namen Magnesia, wie man ihn gerade im Gespräch entwirft, geht es um die etablierten Bildungsbereiche Sport und Musik, gymnastikê und mousikê, beide verstanden in einem sehr umfassenden und integrativen Sinne. Vor allem die mousikê als umfassende Musenkunst dominiert das Gespräch. Die normativen Vorgaben der Ägypter für Tanz und Lied, welche jede Veränderung ausschließen, gelten den Dialogpartnern als positiv. Als man im Gespräch nach gleichermaßen verbindlichen Modellen für die mousikê in Magnesia sucht und dabei ausdrücklich auch Dichtung ohne Versmaß mit einbezieht, erklärt der Athener, dass der von ihnen geführte Dialog über Gesetze den pädagogischen Anforderungen entspräche. Ihre Unterhaltung über Gesetze könne als kanonischer Schultext (paradeigma), als „eine Art Dichtung“ die bislang im Unterricht etablierte traditionelle Dichtung der Griechen mitsamt ihren Mythen, Göttern und Geschichten ersetzen. Diese Bemerkung des Atheners öffnet den Gesprächsraum im Folgenden für wichtige und programmatische Aussagen des athenischen Fremden über die poetischen Gattungen Komödie und Tragödie, welche im zeitgenössischen Athen bereits eine lange Tradition haben. Er ist also besonders autorisiert, darüber zu sprechen. Wenn er mit dem Begriff „poiêtai“, der im zeitgenössischen Sprachgebrauch regulär auf Dichter an-
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gewandt wird, nun auch die Verfasser von Prosaschriften meint, dann erweitert er das Feld dessen, was als „poetisch“ gelten kann, auf programmatische Weise. Dies kommt vor allem in seinen berühmten Ausführungen über die Tragödie zum Tragen, wenn der Athener sich und seine Gesprächspartner als „Dichter der wahrsten Tragödie“ zu den konventionellen Tragödiendichtern in Konkurrenz stellt. Die Prosadichtung der Nomoi, die im dialogischen Gespräch vorbildliche Modi und Normen für den Bildungssektor im idealen Staat Magnesia konzipiert, kann demnach traditionelle poetische Gattungen wie Komödie und Tragödie ersetzen. Der Grund dafür liegt darin, dass das „beste Drama“ resp. die „wahrste Tragödie“ in der Dramaturgie des Nomos, des Gesetzes, besteht, der basierend auf anthropologischen Konstanten das ganze menschliche Leben umfasst und lenkt. Das „beste Drama“ erzieht die Bürger im Sinne der Gesetzgeber, die zwar nicht explizit, aber doch erkennbar mit Blick auf ein höheres Ziel im philosophischen Sinne agieren. Zugleich ersetzen die Gesetzgeber die Tragödiendichter dadurch, dass sie nun neue poetische Modelle menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns entwerfen und inszenieren, und zwar solche, die gesamtgesellschaftlich gelten sollen. Allerdings kann jetzt konventionelle Dichtung, die den für Magnesia gewünschten Anforderungen entspricht, – unter Aufsicht – zugelassen werden. Der Athener formuliert seine Ausführungen über dialogische Prosadichtung und die „wahrste Tragödie“ in dichtem Bezug zu poetologischen Passagen, wie sie in anderen Dialogen Platons, vor allem aber in der Politeia, deutlich werden. So findet sich etwa in Nomoi VII das komplexe mimêsis-Konzept, das in Buch III und Buch X der Politeia – nicht konsistent – verhandelt worden war, jetzt gleichsam emulgiert und homogenisiert wieder. Mimêsis im siebten Buch der Nomoi ist, anders als in der Politeia, nicht mehr negativ konnotiert, sie scheint nun gleichsam eine Synthese zu sein zwischen mimêsis, verstanden als „Darstellung“, wie sie sich etwa in der „wahrsten Tragödie“ in den Nomoi oder auch im dramatischen Dialog der Platon-Dialoge selbst ausformt, und mimêsis, verstanden als „Reproduktion“, wie sie etwa in der Normativität des Spiels, auch des dramatischen Spiels in Nomoi VII, in der geforderten richtigen Abbildung des Modells ersichtlich wird. Dieses neue integrative und anwendungsbezogene (praxeologische) mimêsis-Verständnis und die damit einhergehende Neusemantisierung von mimêsis sind vermutlich darauf zurückzuführen, dass Platon in Nomoi VII seine Dialogfiguren ein neues, integratives und umfassendes Poetik-Konzept entwerfen lässt, das als metapoetisches Signal
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für das Selbstverständnis des Philosophen und Literaten Platon auszuwerten ist. Trotz mitunter unterschiedlicher Perspektiven und Akzentsetzungen zeichnet sich ein enger Zusammenhang gerade zwischen Politeia und Nomoi darin ab, dass in beiden Werken Dichtung als etabliertes Instrument und Medium politischer Erziehung gilt, auch wenn in den Nomoi das Feld des Poetischen durch die Integration und Umakzentuierung auf Prosadichtung programmatisch erweitert und durch philosophische Parameter modifiziert wird.
7.1 Kinderspiel und Tanz und Lied: Die Normierung der mousikê Der Athener, Megillos und Kleinias knüpfen in Buch VII der Nomoi an das Thema Erziehung an, das bereits im I. Buch anklang und im II. Buch ausgeführt wurde: Man einigte sich bereits in Buch I darauf, dass das Ziel der Erziehung der gute Mensch und gute Bürger sei (643e–644a; Cleary 2003, 165–173). In Nomoi VII diskutieren die Gesprächspartner die Erziehung von Kindern und Jugendlichen durch mousikê, welche die Wohlgestalt der Seele fördere, und gymnastikê, welche der Körperbildung nütze (795d6–796e1).1 Im Folgenden wird das Gespräch erneut (vgl. bereits II 673b) vom Thema der Musenkunst dominiert (VII 796e2 ff.). Der Athener schwört seine Dialogpartner nun auf etwas „Seltsames und Ungewöhnliches“ ein (sphodra atopon kai aêthes: 797a2): Es geht ihm nun um das Genus der Spiele (paidiai), die am besten immer konstant bleiben sollen (Jouët-Pastré 2006, 25 f.). Würden Spiele verändert oder ersetzt, stellte sich keine Liebe zur Tradition ein, was sich auf alle Bereiche des Lebens, auch auf den Staat, auswirke. Ebenso müssten Gesetze fix bleiben, da Veränderungen in diesem Bereich als größter Verderb für einen Staat anzusehen seien. Modifikationen in Spielen wie in Gesetzen setzen das Alte herab und machen Neues attraktiv: Die dadurch eingeübte Sinnesart der Menschen, der Hang zu Veränderung, ist für den Staat gefährlich (VII 797d–e). Das wird mit Blick auf körperliche Gewohnheiten ebenso deutlich wie mit Blick auf seelische. Daher sei die Stabilisierung des Seelischen in der Erziehung durch 1 Hier wird nur dem Anschein nach die Besprechung der gymnastikê beendet, denn diese wird in 813a erneut Thema der Unterhaltung; zur kontrovers diskutierten Annahme einer möglicherweise fehlenden Schlussrevision Platons in den Nomoi siehe Görgemanns 1960, 1–5.
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immer gleiche, alte Spiele wichtig, da hingegen neue Spiele neue Menschen mit neuer Lebensweise generierten, die nach anderen Gesetzen verlangten. Der Gesetzgeber muss also ein Mittel finden, den bestehenden Zustand in seiner Stadt, in den Gesetzen, in der Lebensweise der Menschen, in den Seelen der Menschen zu erhalten (798b). Der Athener verweist hier auf das Vorbild der Ägypter (799a–b): Bei diesen legen einzelne exakt fest, welche Gesänge und welche Tänze zu welchem Fest für welchen Gott oder daimôn darzubringen sind, und alle bekräftigen das. Wer dagegen verstößt, wird aus der staatlichen wie der religiösen Gemeinschaft ausgeschlossen. Das Gesetz der Nachahmung in Tanz und Lied (der Nachahmung von besseren und schlechteren Menschen, vgl. 798d) wird bei den Ägyptern religiös sanktioniert und somit zum „heiligen Gesetz“. Die Gesprächspartner der Nomoi beschließen übereinstimmend, den seltsamen Umstand, dass „Gesänge nun zu Gesetzen“ geworden sind (799e), eingehend zu prüfen. Sie setzen fest, dass in Magnesia allein die üblichen und gebräuchlichen Lieder sowie der entsprechende Chortanz erlaubt sein sollen. Ihr Modell für Gesänge beinhaltet vier Gesetze: 1. Allein „Worte von guter Vorbedeutung“ dürfen gebraucht werden, die Art des Gesangs muss glückverheißend sein. 2. Gesänge sind Gebete zu den Göttern, Dichter dürfen Götter in Liedern nur um Gutes bitten. 3. Dichter haben die besondere Verpf lichtung, die traditionellen Usancen der Stadt (Götterhymnen, Loblieder mit Gebeten) zu wahren und müssen sich vorab der Kritik von Kunstrichtern und Gesetzeswächtern unterziehen (801c–d). 4. Verdienstvolle Bürger, die immer den Gesetzen gehorcht haben, dürfen mit Lobliedern bedacht werden. Die in diesem Passus postulierte Parallelität oder besser: weitgehende Identität von Spielen und Gesetzen sowie beider Normierung resp. Normativität kulminieren anschließend in den Worten des Atheners, wenn er den Menschen als von Gott ausgedachtes Spielzeug (theou ti paignion […] memêchanêmenon) beschreibt, der „sein ganzes Leben lang die schönsten Spiele spielen soll“ (803c2–8). Das Bild vom Menschen als „Marionette“ Gottes hatte er bereits im ersten Buch verwendet (I 644d; siehe Beitrag von J. Müller in diesem Band). Normierter Tanz
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und Gesang sowie das Erfüllen konstanter Gesetze erweisen sich somit als Gegenstände des menschlichen „Spiels“, das sich ein Gott ausgedacht hat.
7.2 Prosadichtung und Prosadichter: Die Nomoi als pädagogisches Modell Nachdem Lieder und Tanz in ihren notwendigen Regelungen besprochen worden sind, fehlt noch eine Regelung der schriftlichen, ohne Versmaß verfassten Werke, welche zunächst in Anthologienform im Unterricht tauglich sein sollen. Es geht im Folgenden also um Prosaschriften (ta de en grammasi men onta, aneu de metrôn: VII 809b6), die neben der traditionell im Unterricht verwendeten Dichtung pädagogischen Zwecken dienen sollen. Der Athener postuliert hier etwas gänzlich Neues (Görgemanns 1960, 10; Schöpsdau 2003, 568 und 573–575; Delgado 2008, 321), da Prosaliteratur im Schulunterricht der Griechen bis auf Platons Zeiten nicht üblich war, vielmehr anhand kanonischer Dichtung (v. a. Homer) Lesen, Schreiben und Inhalte gelernt und geübt wurden (Rep. II und III; X 606e–607a; Prt. 325c ff.; 338e ff.; Xen. Symp. III 5; IV 6). Auch bei seiner Besprechung der Schriftwerke von Dichtern (Lg. VII 810b ff.) ergibt sich überraschend Neues: Wie der Kontext nämlich beweist, sind mit dem Begriff „poiêtai“ Dichter und Prosaschriftsteller benannt, obwohl der Terminus „poiêtês“ im zeitgenössischen Sprachgebrauch Platons praktisch immer nur „Dichter“ bezeichnet (Görgemanns 1960, 8–10). Es wird sich im Folgenden abzeichnen, dass Platons Athener den Begriff „poiêtês“ in seiner wörtlichen Bedeutung als „Macher“ oder „Autor“ verwendet und mit dieser Öffnung des Begriffs auf den Bereich der Prosaschriftstellerei eine neue Semantisierung vornimmt.2 Der Athener widerspricht der landläufigen Meinung, dass man aus den Dichtern lernen könne, denn es finde sich nicht nur Schönes in ihren Werken. Als Kleinias nach einem vorbildlichen Muster (paradeigma: VII 811b8; c6; Görgemanns 1960, 10–13) fragt, hat der Athener tatsächlich eines parat: Es ist eben die Unterhaltung über Gesetze, die sie drei auf ihrem Weg vom frühen Morgen an, gleichsam göttlich inspiriert, 2 Vgl. Rep. X 597d2: klinês poiêtês oder Ti. 28c3 f.: ton […] poiêtên kai patera toude tou pantos; poiêtês zôon in Sph. 234a2; „poiêtês“ als Verfasser einer (Prosa-)Rede in Euthd. 305b8; vgl. Phdr. 234e6, 278e1. Siehe auch Erler 2007, 489 f. Zum poiêtês-Begriff im 5. und 4. Jh. v. Chr. siehe auch Männlein-Robert 2007, 192.
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gemeinsam geführt haben, diese seien „einer Art Dichtung“ vergleichbar (VII 811c9 f.), man müsse sie also aufschreiben und den Lehrern zur Erziehung der Kinder übergeben (811c6–812a2). Die bisher geführten Gespräche über Gesetze werden hier als Text der Nomoi kenntlich. Diese fungieren somit als Muster und Maßstab für die Schullektüre (811d2–5), als Ersatz für herkömmliche Dichtung. Mit dem Verweis des Atheners auf dieses paradeigma wird die Fiktionalität des Nomoi-Gesprächs allerdings stark strapaziert (Schöpsdau 2003, 571),3 da dieses nun über den mündlichen Dialog hinaus als grundlegender und verbindlicher, pädagogisch tauglicher (Prosa-)Text und somit im Medium der Schrift als reproduzierbares, normatives Muster nicht nur für den Schulunterricht in Magnesia, sondern mit weiterer Geltung kenntlich wird (Erler 2007, 280; vgl. auch XII 957c). Mit Blick auf Magnesia wird die gesamte Literatur, also Dichtung wie Prosa,4 den in den Nomoi formulierten Vorgaben und Maßstäben unterworfen. Diese Nomoi sollen sowohl kanonischer Schultext in Magnesia als auch als Nomoi Maßstab für das werden, was nach mündlichem Gespräch schriftlich fixiert werden soll (Gaiser 1984, 109; Picht 1990, 31–37; Schöpsdau 2003, 576). Worin besteht aber nun die vom Athener angedeutete Ähnlichkeit der Nomoi mit der Dichtung (vgl. poiêsei tini proshomoiôs: 811c9 f.)? Auf der Suche nach formalen poetischen Elementen wird man sofort an die Proömien in den Nomoi,5 an die große, rhetorisch stilisierte fiktive Ansprache der Gesprächspartner an die Siedler von Magnesia (IV 715e7–V 734e2; Schöpsdau 2003, 577) oder an die suggestiv, mit poetischen Mitteln gestalteten „Besingungen“ (epôdai) denken.6 Hinzuweisen ist hier allerdings auch auf die klare „paränetische“ Funktion der 3 Diskutiert wird, ob das gesamte Nomoi-Gespräch (z. B. Gaiser 1984, 109; Bobonich 1996, 253) oder nur das Gespräch bis zu dieser Stelle gemeint ist (Görgemanns 1960, 62 f.). 4 Zur Frage, ob Platon hier wie in Rep. II–III 377b–398b implizit Homer kritisiert oder ob er auch bestimmte zeitgenössische Prosaschriften als verderblich für die Jugend ansieht, siehe z. B. Schöpsdau 2003, 572 f. und Görgemanns 1960, 17–22. 5 Umfassend Görgemanns 1960, 30–69, der (ebd. 70 f.) nachdrücklich auf deren „poetische Unschärfe“ und populärphilosophische Züge hinweist. Zu „Proömion“ als Begriff für den Eingang nichtdramatischer Dichtung oder literarischer Prosa siehe Männlein-Robert 2005, 247–256; zu Platon siehe Jouët-Pastré 2006, 159–164. 6 Helmig 2003, 75–80 identifiziert drei Aspekte von epôdai in den Nomoi: pädagogische epôde mittels Musik und Nachahmung guter Vorbilder mit Blick auf Kinder; philosophische epôde mittels logoi und mythoi für Philosophen; politische epôde mittels Gesetzesproömien der Regenten in Magnesia mit Blick auf dessen Bürger.
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Nomoi, welche gewöhnlich der Dichtung zugeschrieben und hier dezidiert auch auf die Nomoi übertragen wird. Überdies schließt die Prosadichtung der Nomoi wie seit alters die (v. a. epische) Dichtung alle Bereiche des Menschlichen und des Göttlichen mit ein (dazu Männlein-Robert 2002). Wenn der Athener die Nomoi als „eine Art Dichtung“ bezeichnet, verweist er nicht nur auf poetische Formen, Strukturelemente und stilistische Charakteristika im Nomoi-Gespräch, sondern auch auf inhaltliche, funktionale und topische Kongruenzen zur traditionellen (metrischen) Dichtung sowie auf deren mimetischen Modus der Darstellung (VII 817b4). Bemerkenswert ist in diesem Kontext der Verweis des Atheners auf die göttliche Inspiration (epipnoia theôn), die ihr Nomoi-Gespräch zu „einer Art Dichtung“ mache (VII 811c6–10; vgl. III 682e10; IV 722c6; Görgemanns 1960, 14 und 63–65; Schöpsdau 2003, 577 f.). Im traditionellen Sinne ist epipnoia die göttliche Inspiration, welche Dichter zur Autorisierung und Legitimierung ihres Tuns beanspruchen (z. B. Hes. Theog. 31 f.). Hier handelt es sich, abstrakter, um die Wirksamkeit einer göttlichen Kraft oder Instanz, auf die sich die Gesprächspartner beziehen. Bereits hier wird also nicht nur die später (VII 817b7) explizite Konkurrenz in poeticis zwischen den Gesetzgebern und den konventionellen Tragödiendichtern greifbar, sondern auch beider Anspruch auf die letztlich göttliche Provenienz des Dargestellten (vgl. Kullmann 1962, 282).
7.3 Komödie und Tragödie Im großen Kontext der Ausführungen zu gymnastikê und Tanz (VII 812a5 ff.) kommt der Athener auf Komödie und Tragödie zu sprechen. Der Grund liegt darin, dass komische und tragische Chöre singen und tanzen. Immer ist dabei der Körper das Medium des Tuns und Handelns, kurz: der Darstellung. Er unterteilt den Tanz in zwei, im Folgenden weiter ausdifferenzierte Rubriken: Die eine umfasst den „ernsten“ Tanz (spoudaion) mit seiner Darstellung schönerer bewegter Körper, die andere den komischen Tanz (phaulon) mit seiner Darstellung hässlicherer bewegter Körper (814d–e).7 Während bakchisch inspirierte Tänze ganz zu meiden sind (815c–d), dient, so der Athener, das Lächerliche des „komischen“ Tanzes dem besseren Erkennen des Ernsten als seines Gegensatzes (816d–e). Da das Komische eines Freien unwürdig sei, müsse die Aufführung von Spielen, die 7 Diese Opposition führt die Antithese von paidia und spoudê fort, dazu Jouët-Pastré 2006, 146 f.
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auf Lachen abzielen, also Komödien, streng geregelt sein: Allein Sklaven oder angeworbene Fremde kommen dafür in Frage. Die Zuordnung der Komödie im dihairetischen Konzept des Tanzes insgesamt ist problematisch und wird bislang kontrovers diskutiert: Denn an dem Punkt der Ausführungen, an dem der Athener nach der Besprechung des spoudaion genos zum phaulon genos übergehen müsste, kommt er auf einmal auf Lachen, Lächerliches, lächerliche Mimesis und Komödie zu sprechen. Die Komödie ist der Inbegriff des Lächerlichen. Entweder gehört die Komödie als Ganze dem phaulon genos an und die Tragödie klappt als Gegenstück nach (so Delavaud-Roux 1995, 7) oder die Komödie, genauer: die populäre Komödie (Patterson 1982, 79), stellt nur einen Teil des phaulon genos dar und die (herkömmliche) Tragödie den anderen Teil (so Lisi 1985, 138). In jedem Fall stehen Komödie und Tragödie hier nah beieinander. Schöpsdau (2003, 589 f.) verweist allerdings darauf, dass die Tragödie in den Nomoi sonst nicht erkennbar zum phaulon genos gerechnet wird oder als Darstellung hässlicher Körper gilt, dass sie (in ihrer etablierten Ausformung) hingegen eine Weltdeutung vermittelt, die zu der der Gesetzgeber vielfach in Widerspruch steht. Man wird also weiterhin diskutieren müssen, wie die Tragödie im siebten Buch der Nomoi an die Darstellung des phaulon genos anschließt, zu dem zumindest partiell die (herkömmliche) Komödie gehört. Wenn man freilich annimmt, dass der Übergang vom geloion zum spoudaion im Tanz resp. von Komödie zu Tragödie vom Autor Platon absichtlich f ließend gestaltet ist, dann zeichnet sich hier eine generische Offenheit ab, welche die scharfe Abgrenzung komischer und tragischer Charakteristika voneinander aufhebt und vielmehr deren kontrastive Spiegelung und die damit einhergehende Einsicht in das Entgegengesetzte betont (s. u.).
7.4 Die Gesetzgeber als Tragödiendichter und die „wahrste Tragödie“ Wie steht es nun um die Tragödie? Wenn umherziehende Tragödiendichter in die Stadt (sc. Magnesia) kämen und anfragten, ob sie dort ihre Dichtungen zur Aufführung bringen dürften (VII 817a–d), dann müsste man ihnen überaus strenge Auf lagen machen. Hier nun fingiert der Athener eine Rede an die Tragödiendichter: „Wir sind selbst Dichter einer Tragödie, die so weit als
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möglich die beste und schönste sein soll. So ist die gesamte Staatsverfassung von uns als Darstellung des schönsten und besten Lebens konzipiert worden, was unserer Meinung nach doch wirklich die wahrste Tragödie ist“ (VII 817b2–5). Weiterhin betont er das Konkurrenzverhältnis zwischen den gewöhnlichen Tragödiendichtern und Gesetzgebern, als deren Sprachrohr der Athener gerade agiert. Das schönste Drama kann also nur der Gesetzgeber hervorbringen (817b8). Daraus resultiert, das macht der Athener deutlich, das Verbot von tragischen Aufführungen in der Stadt vor Kindern und Frauen und aller Darbietungen, die abweichend von den eigenen sind. Vor öffentlichen Darbietungen müssen Beamte entscheiden, was aufgeführt werden darf und was nicht. Die Vertreter „schmeichlerischer“ Musen (malakôn Mousôn ekgonoi: 817d4) müssen ihre Lieder und Stücke einer staatlichen Zensur unterziehen. Erst wenn sich deren poetische Produkte als gleich oder besser als die ihren erweisen, würden sie zur Aufführung zugelassen.
7.4.1 „Wir sind selbst Tragödiendichter“: Wer spricht? Indem der Athener hier sich selbst und seine Gesprächspartner, die sie allesamt gerade als Gesetzgeber agieren, als Rivalen der Tragödiendichter bezeichnet (VII 817b7: antitechnoi, antagônistai), wird das bekannte Problemfeld, das Platons Sokrates in Buch X der Politeia den „alten Streit zwischen Dichtung und Philosophie“ genannt hatte (z. B. Glaser 1940, 30–73; Kannicht 1996; Most 2011), anzitiert. Dabei handelt es sich in den Nomoi um einen spezifischeren Interessenkonf likt zwischen (konventionellen) tragischen Dichtern und poetisch produktiven Gesetzgebern (zu stark forciert bei Mouze 1998, 82). Bereits in Lg. II (671c2 f.) hatte der Athener den gestalterischen, pädagogisch verantwortlichen Dichter (plastês) mit dem „guten Gesetzgeber“ (agathos nomothetês) gleichgesetzt. Indem der Sprecher aus Athen nun im Kontext von Buch VII über sich selbst hinaus auch andere, nämlich seine aktuellen Gesprächspartner in das „wir“ seiner Aussage integriert, ermöglicht und eröffnet er eine über die Figuren des Dialogs Nomoi hinausgehende Identifikation. So wird im „wir“ seit langem eine metapoetische Selbstaussage des Autors Platon vermutet (Schöpsdau 2003, 571; vgl. Erler 2007, 75–78). Auch Gaiser (1984, 105–111 und 121 f.) lässt keinen Zweifel daran, dass er die Worte des athenischen Gesprächspartners aus den Nomoi als ref lek-
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tierende Selbstaussagen des Schriftstellers Platon über sein neues philosophischpoetisches Konzept versteht. Demnach setzt sich also in der persona des Atheners der Autor und Philosoph Platon in Konkurrenz zu den – konventionellen – Tragödiendichtern und bietet seinen Nomoi-Dialog als Modell für poetische Texte in einem idealen Staat wie Magnesia an. Die fiktive, bürokratisch stilisierte Rede des Atheners an die Tragödiendichter erinnert in gewisser Hinsicht an zwei bekannte Passagen aus Platons Politeia, in denen einmal ein Tragödiendichter (Rep. III 398a1–b4) und einmal die tragischen Dichter mitsamt ihrem Archegeten Homer (Rep. X 606e1–607a8) von Sokrates in fiktiver (An-)Rede disqualifiziert und dann jedoch, anders als in den Nomoi, kategorisch aus dem idealen Staat ausgeschlossen werden. In den Nomoi dürfen sie dort aufführen, aber nur, wenn sie mindestens so gute Produkte zu bieten haben wie der Athener, Kleinias und Megillos (Lg. VII 817d4–8).
7.4.2 Die „schönste und beste Tragödie“ oder die Poetik des Nomos Der Athener proklamiert in seiner Rede an die konkurrierenden Tragödiendichter, dass er und seine Gesprächspartner als Gesetzgeber „selbst Dichter der schönsten und besten Tragödie“ (VII 817b2 f.) seien. Die Kriterien, die im Folgenden kenntlich werden, basieren auf philosophischen Vorgaben: So ist etwa der tragische Gegenstand, der Stoff, nicht der im homerischen Epos oder der Tragödie wurzelnde Mythos, sondern die „Staatsverfassung“ (politeia), also ein nach Gesetzen geregeltes Zusammenleben von Menschen in einem Staat (Schöpsdau 2003, 289; Mouze 1998, 86 f.; vgl. Kullmann 1962, 281).8 Diese politeia ist auf ihre Weise Mimesis, nämlich Darstellung des schönsten und besten Lebens.9 Die ideale politeia erscheint damit als Pendant zu traditionellen Tragödiensujets. Zu Recht verweist Gaiser (1984, 110 f.) auf die Ambivalenz des Begriffes „politeia“ an dieser Stelle: Denn zum einen ist der nunmehr „tragische“ Gegenstand der poetischen Darstellung im Sinne Platons der gut geordnete Staat, das politische Leben. Zum anderen ist mit „politeia“ zugleich die Staatsverfassung im Sinne der Gesetzgebung gemeint, wie sie in den Nomoi 8 Siehe die Junktur nomous politeias in V 734e5. 9 Die Junktur des „schönsten und besten Lebens“ dient im Siebten Brief Platons als Inbegriff philosophischen Lebens.
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beispielhaft entworfen wird, d. h. politeia ist hier das „schönste Drama“, das auf der Umsetzung philosophischer Vorgaben beruht. Generell liegt hier dem Begriff politeia ein recht umfassendes anthropologisches Konzept zugrunde, das die Inszenierung einer politeia nicht nur als ein nach Gesetzen organisiertes Zusammenleben von Menschen in einem Staat versteht, sondern zugleich auch alle menschlichen Tätigkeiten, Eigenschaften, Emotionen, Ereignisse etc. mit umfasst. Politeia erscheint demnach ein verkürzter Code für „Leben“ in einem umfassenden Sinne zu sein (vgl. Aristoteles’ Definition des Menschen als zôon politikon: Pol. I 2; III 6). Problematisch ist die von Gaiser (1984, 122) vorgenommene Deutung des Begriffs des „Lebens“ (bios), da es fraglich ist, ob man die lebensecht und plastisch gestalteten früheren Dialoge Platons, die Sokrates als Hauptunterredner haben, hier als Beleg für bios anführen darf. Vielmehr wird man hier unter „Leben“ (bios) eher einen Bedeutungskomplex verstehen müssen, der die allgemeinen Gegebenheiten des Lebens (Freud und Leid) mitsamt ihrer Bewältigung, also: der Lebensführung insgesamt umfasst (Laks 2010, 218 und 223). Die Tragödie als Darstellung des schönsten und besten Lebens im soeben skizzierten Sinne ist demnach konträr zum Leben eines konventionellen mythischen tragischen Helden, der durch eigene Fehler (vgl. hamartia) sowie äußere Widrigkeiten ins Unglück stürzt und ostentativ leidet. In der schönsten Tragödie der Gesetzgeber agiert der Mensch demnach, trotz Widrigkeiten und Schicksalsschlägen, affektkontrolliert und begegnet ruhig sogar dem Tod (s. u.). Eine solche, den philosophischen Vorgaben Platons entsprechende, tugendhafte Lebensführung (bios) ist die Bedingung für das Glück (eudaimonia), auf das sie abzielt. Die schönste und beste Tragödie im Sinne Platons inszeniert also eine philosophische Lebensweise, die als vorbildlich gelten und damit in Magnesia zur Erziehung der Bürger und nicht zuletzt der Kinder zugelassen werden kann. Die Poetik dieser „neuen“ Tragödie basiert auf dem Gesetz, dem Nomos, und zwar dem einen wahren Nomos (VII 817b8).10 Die Spielregel dieser vorbildlichen Tragödie ist das Gesetz, das auf philosophischen (ethischen, ontologisch
10 Vgl. Laks 2010, 224–331, der im Nomos-Begriff zwar richtig eine Ambivalenz erkennt, diese jedoch in Auseinandersetzung allein mit Aristoteles’ Poetik und Kuhn 1969 als Vertreter eines Begriffs vom Tragischen verhandelt, der vom Deutschen Idealismus geprägt ist. Jegliche theologische Implikationen des Nomos-Begriffs bleiben bei ihm außen vor; siehe dagegen Lisi 1985, 353 f.
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resp. theologisch verhandelten) Vorgaben beruht.11 Der Nomos konvergiert hier deutlich mit dem, was am Ende von Buch II der Politeia als typos benannt ist: Dort werden nämlich die typoi, nach denen Gott (ebenfalls in pädagogischem Kontext) als „gut“ und „unveränderlich“ postuliert wird, als diskursive Form beschrieben und ausdrücklich als nomoi bezeichnet (Rep. II 380c4–7; 380d1; 383c6 f.; Naddaf 2007, 335; zu den Typoi Männlein-Robert 2010, 117). Der Nomos herrscht als oberste Autorität, als etwas Göttliches über die Menschen, die somit einer „Nomokratie“ untergeordnet sind (Lg. IV 715c2–d6; Görgemanns 1960, 30) – auch wenn die Nomoi mit Blick auf die Philosophie im engeren Sinne (Ende Lg. XII) einer niedrigeren Bildungsstufe zuzurechnen sind (Görgemanns 1960, 69). Was von den Gesetzgebern als richtig und wahr erkannt wird, soll für das Handeln der Menschen verbindlich sein, daran müssen sie sich ständig ausrichten. Das alles gilt für die Bürger des projektierten Idealstaates Magnesia, nicht für die Philosophen. Der Nomos ist also, modern gesprochen, handlungsleitend und zielführend. Wie mit Blick auf die Spiele zuvor gesagt (Lg. VII 797d–e) soll auch der Nomos unverändert und stabil bleiben. Der Nomos ist hier also entweder als normative „Poetik“, als theoretische Richtlinie zur praktischen Umsetzung und Anwendung, zu verstehen oder als ein abstrakter „Dramaturg“, der den Staat, die politeia, faktisch erst in Szene setzt, konkret: die Regeln der Erziehung für Kinder und Jugendliche ausbuchstabiert. Damit freilich erweist sich der „wahre Nomos“ als die vom Nous des Gesetzgebers erkannte Seinsordnung, der er seine Dichtung anzugleichen versucht (so mit Lisi 1985, 88; vgl. Schöpsdau 2003, 597 f.; Müller 1951, 166 f.).
7.4.3 Das Kriterium der Wahrheit Das Differenzmerkmal zwischen der Tragödiendichtung der Gesetzgeber und der der gewöhnlichen Tragödiendichter ist das Kriterium der Wahrheit: Die Gesetzgeber behaupten, die „wahrste Tragödie“ hervorzubringen (VII 817b5) und verweisen auf den „einen wahren Nomos“ (ebd. b8). Der hier zugrunde gelegte Wahrheitsbegriff ist ein anderer als der der herkömmlichen Tragödiendichter oder auch der, den etwa Aristoteles im berühmten 9. Kapitel seiner Poetik formu11 In XII 957c4–7 macht der Athener die Zusammengehörigkeit von Nomos und Nous explizit deutlich.
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liert. Es handelt sich um einen das Ästhetische weit übersteigenden, ethisch wie ontologisch-metaphysisch ausgreifenden Wahrheitsbegriff, bei dem „Wahrheit“ Wissen voraussetzt (siehe z. B. Prm. 134a; Tht. 152c5 f.; 187b etc.; Szaif 2009, 347). Daher erinnert dieser Passus an Buch X der Politeia (z. B. 598a–602b), wo den Dichtern als bloßen Nachahmern kein „wahres“ Wissen zugestanden wird. Vor dem Hintergrund der in den Nomoi nur latenten Ideenlehre (Laks 2010, 221; Görgemanns 1960, 218–226) hebt sich die dort propagierte (philosophische) Auffassung von Wahrheit in poeticis deutlich von geläufigen populären Vorstellungen ab. Die Konkurrenz zwischen den konventionellen Tragödiendichtern und den Gesetzgebern beruht also auf einem Agon zweier gegensätzlicher Konzepte von Mimesis (Jouët-Pastré 2006, 144 f.). Bereits in Buch II der Nomoi hatte der Athener auf zwei Kriterien bei der richtigen Beurteilung mimetischer Dichtung hingewiesen (667b–668c): Zum einen (1) sei es wesentlich, ob das, was dargestellt werde, gut oder schlecht sei (s. u. Affekte), zum anderen (2), dass Mimesis nach der äußeren (Größe/Beschaffenheit) und der „inneren Richtigkeit“ (orthotês/isotês), also nach der Wahrheit zu beurteilen sei (II 668a3; Tulli 2007, 130 f. und 140; Tulli 2013/14; Gaiser 1984, 120 f.). Diese Kriterien einer ethischen und ontologischen Basiertheit mimetischen Tuns klingen in Nomoi VII im Verweis auf das Differenzmerkmal der Wahrheit in der Tragödiendichtung der Gesetzgeber an. Dazu kommt noch eine religiöse Komponente: Denn bereits mit dem ersten Satz der Nomoi (I 624a1 f.: „Ist für euch ein Gott oder ein Mensch Ursache der Einrichtung von Gesetzen?“), den der Athener an Kleinias und Megillos richtet (Burnyeat 1997, 1–20), wird deutlich, dass die letztlich göttliche Urheberschaft von Gesetzen einen ständigen Bezugspunkt der Nomoi bildet (zur Religion in Magnesia siehe O’Meara 2012, 104–114; Jouët-Pastré 2006, 151– 154). Mit Blick auf das Bild vom Menschen als Spielzeug Gottes und den hier diskutierten Passus hieße das, dass die (philosophisch motivierten) Gesprächspartner der Nomoi in ihrer Rolle als Gesetzgeber wie Puppenspieler agieren (vgl. I 644d7–9; VII 803c2–8), wenn sie entsprechend der göttlichen Poetik des Nomos, basierend auf letztlich ontologischen Prämissen ihre ideale politeia in Szene setzen und den Menschen und Bürgern von Magnesia, ihren Spielfiguren, mit den Gesetzen die entsprechenden Voraussetzungen bieten (siehe den Beitrag von J. Müller in diesem Band; Frede 2010, 116). Darüber hinaus manifestiert sich die latente Präsenz eines metaphysischen Göttlichen in den Nomoi nicht zuletzt im modellhaften Kosmos mit seinen als göttlich verehrten Planeten (z. B. VII 821d–
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822c; Delgado 2008, 323; O’Meara 2012, 110). Im Kontext der mousikê, Musik und Tanz, wird einmal mehr deutlich, dass Chortänze (in deren Kontext die Tragödie thematisiert wird) aufgrund von Harmonie und Rhythmus eine musikalisch-mathematische Ordnung abbilden, welche auf die höhere mathematische Ordnung des Kosmos verweist, die ihrerseits auf der hinter dem Kosmos stehenden metaphysischen Ordnung der Ideenwelt basiert (vgl. O’Meara 2012, 112). Den Abschluss von Buch VII (817e ff.) bildet das Gespräch über die Notwendigkeit mathematischer Wissenschaften, in dem auch eine Korrektur populärer Gottesvorstellungen erfolgt. Damit ist jedoch mittels des Kosmos und der Gestirnsbewegungen, denen mathematische Ordnungen und Strukturen zugrunde liegen, eine klare Referenz gegeben auf die dahinter wirkenden ontologischen (und theologischen) Strukturen, welche bis auf die lebensweltliche und praxeologische Ebene der Gesetzgebung hinunter impliziert sind.
7.4.4 Tragödie und Affekte In seiner fingierten Rede an die Tragödiendichter betont der Athener, dass diese in ihren Tragödien im Vergleich zu ihnen als Gesetzgebern meistens genau das Gegenteil machten und sagten (VII 817c7: enantia ta pleista). Nimmt man diese Bemerkung zusammen mit seiner wenig später erfolgenden Apostrophierung der Tragödiendichter als „Kinder, Abkömmlinge der verweichlichten Musen“ (ô paides malakôn Mousôn ekgonoi: 817d4), so zeichnet sich zumindest eine – wichtige – Facette von deren konträrem Tun klarer ab: Denn wenn deren Musen „verweichlicht“ sind, werden sie selbst zu Trägern von Affekten und appellieren an die Affekte des Publikums und stimulieren diese (siehe die enge Parallele in Rep. III 387c5; vgl. Rep. VIII 556c1 f.). Das wirft Sokrates auch in anderen Werken Platons (Grg. 502b–c; Rep. X 603e ff.; 605c–d; 606d) der Tragödie vor. Dagegen tun die Gesetzgeber der Nomoi als Tragödiendichter alles, um gerade die Affekte einzugrenzen und zu beherrschen. In den griechischen Tragödien finden sich regelmäßig Trauer und Klage um Todgeweihte oder Tote, das Leben wird dort als etwas Wertvolles ersichtlich. Dem traditionellen, homerisch geformten Jenseitsbild zufolge ist der Tod das schreckliche Ende. Indem Platon jedoch die Unsterblichkeit der menschlichen Seele und deren Reinkarnation postuliert, verändert sich die Bewertung des Todes eklatant: Der Tod wird nun
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zum erstrebenswerten Zustand, da dann die Seele endlich vom Körper befreit ist. Das konvergiert mit der Neubewertung dessen, was bislang als beklagenswert galt (vgl. Halliwell 1996, 338). Diese manifestiert sich bei Platon, auch in den Nomoi, in der Kritik an (Tragödien-)Dichtung, welche entsprechende Affekte inszeniert und beim Betrachter stimuliert (vgl. Rep. III 387c5). Bereits in der Politeia (X 604b9 ff.) fungiert der Nomos als Inbegriff dessen, der im Unglück für Ruhe, rasche Heilung und Aufrichtung der Seele sorgt, da die menschlichen Angelegenheiten ohnehin kein Engagement (spoudê) verdienten. Es zeigt sich, dass die Bedeutung von menschlichem Leid und Schicksalsschlägen bei Platon stark eingeschränkt wird (Halliwell 1984, 53–55). Das platonische Ideal der Tragödie besteht darin, einen – trotz widriger Ereignisse – völlig affektbeherrschten Helden zu zeigen (phronimos kai hêsychios: Rep. X 604e1; epieikês anêr: 603e3; siehe v. a. Rep. III 398b; vgl. phronimos: Lg. VII 816e2) und so ist im Dialog Phaidon Sokrates als exemplarischer tragischer philosophischer Held figuriert (Halliwell 1984, 56 f.; Erler 2007, 62 f.). Vor diesem Hintergrund scheint fraglich, ob es tatsächlich „in der Tragödie wie im platonischen Dialog […] um einander dialektisch entgegengesetzte Grundformen des menschlichen Daseins“ (Kuhn 1969, 239) geht. Vielmehr geht es um den divergenten Umgang mit menschlichem Leid, Schicksalsschlägen und dem Tod, um gegensätzliche Modi der Lebensführung, hier konkret um grundlegende Affektkontrolle, welche im Kontext von Lg. VII 817d der Athener eng mit der „wahrsten Tragödie“ verbindet.
7.4.5 Die wahrste Tragödie: Platonische Anthropologie Im Rückblick auf den Passus VII 816 f., in dem eine klare Abgrenzung der Charakteristika von Tragödie und Komödie nicht möglich war, zeigt sich jetzt, dass diese generische Offenheit augenscheinlich mit dem Konzept der „wahrsten Tragödie“ und dem des „schönsten Dramas“, wie es der Athener nur wenig später formuliert, konvergiert: Demnach sind nämlich die Charakteristika von Komödie12 und Tragödie im „schönsten Drama“ gar nicht voneinander 12 Es geht hier nicht um die Gegenstände der komischen Nachahmung, etwa hässliche Körper und schlechte Charaktere, sondern um das ihr eigene Lächerliche, vielleicht auch ihren heiteren Grundzug und das obligatorische Happy End. Es geht also um anthropologische Konstanten, die in der Komödie eingefangen und gespiegelt werden. Die Komödie ist in Magnesia (vgl. anders Kallipolis in Rep.)
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zu trennen. Denn das mit der Komödie konnotierte Lachen und das mit der (konventionellen) Tragödie konnotierte Weinen gehören unabdingbar zum menschlichen Leben dazu. Diese Mischung aus Lust und Schmerz wird auch im Philebos Platons thematisiert (Phlb. 50b1–4): Sokrates macht hier deutlich, dass nicht nur in Bühnenstücken, sondern in der gesamten Tragödie und Komödie des Lebens Lust und Schmerz gemischt seien (Halliwell 1996, 337). Noch enger fügt sich der berühmte Schlusspassus aus dem platonischen Symposion zur behandelten metapoetischen Passage aus den Nomoi: Denn indem Sokrates in der frühmorgendlichen Szene nach dem Gelage die beiden einzigen noch wachen Symposiasten Agathon und Aristophanes zwingt zuzustimmen, dass der wahre Tragödiendichter auch ein guter Komödiendichter sei, wird auch dort (wie in Lg. VII) die bisherige Trennung der Genres resp. ihrer Verfasser aufgehoben und eine generische Offenheit angedeutet (Symp. 223b6–d8). In den Nomoi nun inszenieren die Gesprächspartner unter der Ägide des Atheners das Modell einer durch Gesetze geordneten politeia. Eben das entspricht demnach der „wahrsten Tragödie“, wie sie der Athener für sich und seine Gesprächspartner, allesamt Tragödiendichter – ihr Gespräch ist „eine Art Dichtung“ – beansprucht. Platon legt dem Athener also ein neues, umfassendes, integratives Konzept des „Tragischen“ in den Mund: Es handelt sich dabei nicht um eine „Verbannung“ von Dichtern, sondern um eine grundlegende philosophische „Reform“ (so Naddaf 2007, 338), Transformierung und zugleich Überwindung dessen, was bislang als tragisch galt (Halliwell 1996, 338; JouëtPastré 2006, 147–151). Freilich bleibt zu diskutieren, ob die „wahrste Tragödie“ (Halliwell 1996, 338 f.) hier tatsächlich zum Begriff für Philosophie selbst und, wie Halliwell behauptet, damit zur bloßen Metapher wird. In jedem Fall ist „die wahrste Tragödie“ das, was die Gesetzgeber machen: Das Konstruieren (vgl. den Begriff „poiêtai“) eines politisch-philosophischen Ideals, das InSzene-Setzen normativer Vorgaben in poetischer Gestalt. Das im dialogischen Gespräch sich vollziehende Entwerfen und Konstruieren von Gesetzen ist die dramatische und damit mimetische Performanz eines Ideals, das anthropologisch basiert ist und pädagogischen Zwecken dient. Dass tatsächlich auch die affektive Physis des Menschen in diesem Projekt des „schönsten Dramas“ (VII zugelassen, auch wenn nur Nicht-Bürger sie aufführen dürfen. Zur positiven Bewertung der Komödie bei Platon z. B. Dalfen 1974, 134–137; Büttner 2000, 251–253 mit Anm. 73.
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817b7 f.) in den Gesetzen, wie sie der Athener und seine Gesprächspartner konstruieren, berücksichtigt ist, belegen weitere Passagen aus den Nomoi: Im ersten Buch betont der Athener, dass Menschen, die Überlegungen über Gesetze anstellen, ihre Aufmerksamkeit fast ganz auf Freuden (hêdonai) und Schmerzen (lypai) in den Städten und bei den einzelnen Charakteren richten sollen. Denn diese beiden Quellen habe die Natur f ließen lassen. Man müsse sich ihrer mit Verstand und Maß bedienen (I 636d4–e3). Der richtige und dosierte Umgang mit Affekten und Emotionen, die naturgegeben sind, ist also entscheidend; hier müssen Gesetze die nötige Regulierung verschaffen. Ähnlich formuliert das der Athener in V 732e4–7: „Das Menschliche besteht von Natur aus am meisten aus Lust (hêdonai) und Leid (lypai) und Begierde (epithymiai), an welche jedes sterbliche Lebewesen schlichtweg einfach gekettet ist (exêrtêsthai) und in seinen größten Bestrebungen von diesen abhängt“ (vgl. das sog. Marionettenbild aus I 644d–645b). Dieser Passus steht nun in direktem Bezug zum Eingang des VII. Buches der Nomoi: Dort beschreibt der Athener explizit die allgemein menschlichen Konstanten (er nennt sie auch „ungeschriebene Gesetze“ (agrapha nomima) und „ererbte Gesetze“ (patrioi nomoi): VII 793a10 f.) Schmerz (lypê), Lust (hêdonê) und Begierde (epithymia) als nicht immer konform mit den Überlegungen des Gesetzgebers. Er formuliert hier einmal mehr ein anthropologisches Konzept, dem er erhebliche Bedeutung zuschreibt (VII 792c7). Im Folgenden skizziert er (792c7–e2) anthropologische Gegebenheiten im Kontext der Fürsorge für Neugeborene, deren Lust- und Unlustbekundungen auf ein mittleres Maß eingeschränkt werden sollten, und weitet dann die Geltung dieser Erkenntnis auch auf Erwachsene aus. Der Vollzug des „rechten Lebens“ bestehe nicht in reinem Genuss oder reinem Schmerz, sondern im Erreichen eines mittleren Zustandes (to meson), der allgemein der Gottheit zugeschrieben wird. Wer nun dem Göttlichen folgen, sich diesem angleichen will, darf nicht dem allgemein menschlichen Hang (tauton touth’ hêmin 792d7 f.) zu Lust und Unlust nachgeben, sondern muss sich um Habitualisierung einer zwischen den Extremen ausponderierten seelischen Gestimmtheit bemühen. Diese Bemerkungen fügen sich stimmig zu den späteren Ausführungen des Atheners über Komödie und Tragödie. Denn mit Blick auf die unvermeidliche, anthropologisch bedingte Vermengung von Lust und Leid (und Begierden) im menschlichen Leben wird nun deutlich, dass, wenn man dies auf eine generische Ebene bringt, Tragödie und Komödie im
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Grunde nicht voneinander zu trennen sind (vgl. Phlb. 50b1–4; Symp. 223b6–d8; siehe Patterson 1982). Das Faktum aber, dass Lust, Schmerz und Begierden anthropologische Konstanten sind, die bestenfalls gut ausbalanciert werden können, legt einmal mehr die Vermutung nahe, dass auch die Gesetzgeber in ihrer „schönsten und besten“ Tragödie nicht nur in poetologischer Hinsicht die Komödie, sondern anthropologisch gesehen auch Freude und Lachen mit umfassen. Es handelt sich bei Platons „wahrster Tragödie“ resp. dem „schönsten Drama“ um ein integratives dramatisches Genre, das an die vor allem für die hellenistische Literatur bekannte Gattungsmischung erinnert (vgl. Erler 2007, 80–82 und 491), das sich mit Blick auf den Literaten Platon jedoch noch weiter denken lässt: Denn indem der Autor Platon seine Dialogfiguren in den Nomoi eine solche gemischte poetische Form postulieren lässt, demonstriert er selbst die Aufhebung und Überwindung generischer Gegensätze durch eine philosophische Poetik, die im Modell seiner Nomoi natürlich den Regeln des Nomos folgen muss.
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Männlein-Robert, I. 2002: „Wissen um die göttlichen und die menschlichen Dinge“. Eine Philosophiedefinition Platons und ihre Folgen, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft N. F. 26, 13–38. – 2005: Prooimion, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 7, 247–256. – 2007: Stimme, Schrift und Bild. Zum Verhältnis der Künste in der hellenistischen Dichtung, Heidelberg. – 2010: Umrisse des Göttlichen. Zur Typologie des idealen Gottes in Politeia II, in: D. Koch/I. Männlein-Robert/N. Weidtmann (Hgg.): Platon und das Göttliche. Tübingen, 112–138. Most, G. W. 2011: What Ancient Quarrel between Philosophy and Poetry?, in: P. Destrée/F.-G. Herrmann (Hgg.): Plato and the Poets. Leiden/Boston, 1–20. Mouze, L. 1998: La dernière tragédie de Platon, in: Revue de Philosophie Ancienne 16, 79–101. Naddaf, G. 2007: The Role of the Poet in Plato’s Ideal Cities of Callipolis and Magnesia, in: Kriterion 116, 329–349. O’Meara, D. 2012: Religion und Musik als politische Erziehung in Platons Spätwerk, in: D. Koch/I. Männlein-Robert/N. Weidtmann (Hgg.): Platon und die Mousiké. Tübingen, 104–114. Patterson, R. 1982: The Platonic Art of Comedy and Tragedy, in: Philosophy and Literature 6, 76–93. Szaif, J. 2009: Wahrheit, in: C. Horn/J. Müller/J. Söder (Hgg.): Platon. Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar, 347–351. Tulli, M. vorauss. 2013/14: Platon als Maler: Politeia, Timaios, Gesetze, in: I. Männlein-Robert/D. Koch/N. Weidtmann (Hgg.): Platon und die Bilder, Tübingen [Manuskript in Vorbereitung zum Druck].
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Der Status der Bürger, der Frauen, der Fremden und der Sklaven in Magnesia
Von der antiken Polis bis zum modernen Nationalstaat ist die Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft ein soziales Gut ersten Ranges. Das lässt sich am Schicksal von Flüchtlingen, von Staatenlosen, von Menschen ohne politische Zugehörigkeit verdeutlichen. Wie eine politische Gemeinschaft dieses Gut verteilt, kann daher mit Recht als die „erste und wichtigste Verteilungsfrage“ verstanden werden (Walzer 1983, 31). Denn von ihr hängt es ab, ob ein Mensch in den Genuss vieler anderer Güter und Rechte kommt, die den Bürgern, den Mitgliedern der politischen Gemeinschaft, vorbehalten sind. Der vorliegende Beitrag interpretiert den Status der Bürger in der „Kolonie (apoikia)“, die Platon in den Nomoi in Gedanken neu gründet und die „Polis der Magneten“ nennt (IX 860e). Als erster Unterschied zu heutigen Verhältnissen fällt dabei ins Auge, dass das Gros der Bevölkerung von Platons neuer Polis ihr nicht zugehört. Wer nicht als Bürger (politês, astos) zählt, ist entweder ein Sklave (doulos, oiketês) oder ein Fremder (xenos). Als solcher ist er entweder ein ortsansässiger Fremder (metoikos) oder ein Fremder, der sich nur vorübergehend in der Polis aufhält. Die Fragen und Probleme, die im Folgenden untersucht werden, betreffen zum einen den Status der Fremden und Sklaven, die in Magnesia die meisten Arbeiten verrichten. Zum anderen beziehen sie sich auf die verschiedenen Aspekte des Bürgerstatus und vor allem auf diejenigen, die in der Literatur umstritten sind.
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8.1 Die Herkunft und die Qualität der Bürger Am Ende der einleitenden drei Bücher der Nomoi eröffnet der Kreter Kleinias seinen beiden Gesprächspartnern, dass der größte Teil der Kreter plant, auf ihrer Insel eine Kolonie zu gründen. Mit der Sorge um die Ausführung dieses Projekts ist die Polis der Knosier beauftragt, die ihm und neun anderen Männer die Gründung und Gesetzgebung anvertraut haben (III 702c; vgl. VI 752e–753a). Damit stellen sich die Fragen, in welcher Lage die neue Polis gegründet werden soll und woher die neuen Bürger kommen sollen. Die neuen Bürger sollen sich aus Einwohnern aus ganz Kreta, aber auch aus dem gesamten übrigen Griechenland zusammensetzen. Der panhellenische Charakter der Kolonie ist zum einen eine Folge davon, dass auf Kreta auch Leute aus Argos, Ägina und aus anderen Orten Griechenlands angesiedelt sind. Zum anderen ist er die Folge der bewussten Entscheidung, auch andere Hellenen als Bürger aufzunehmen. Diese werden aber nicht wahllos aus allen Regionen zugelassen, sondern sollen „vorzugsweise Peloponnesier“ sein (IV 708a).1 Auch wenn Platon dies nicht sehr deutlich zum Ausdruck bringt, dürfte er für seine Wahl der Zusammensetzung der ersten Bürger der neuen Polis einen guten Grund haben. Ein zentrales Ziel seiner Gesetzgebung besteht darin, dass die Polis in sich selbst geeint bzw. mit sich selbst befreundet wird (III 693b–d; 701d). Eine derartige Eintracht bzw. Freundschaft (philia) der Bürger wäre am leichtesten zu erreichen, wenn alle Mitglieder der neuen Polis aus derselben Volksgruppe (genos) mit derselben Sprache, denselben Bräuchen etc. kämen. In diesem Falle hätte es der Gesetzgeber jedoch schwer, seine neuen Anordnungen gegen die alten einheitlichen Traditionen und Gewohnheiten durchzusetzen. Dieses Ziel könnte er dagegen leicht erreichen, wenn die neuen Bürger aus verschiedenen Städten und Volksgruppen kämen. In diesem Falle wäre es allerdings schwierig, die verschiedenen Bürger zu einem einträglichen Ganzen zu vereinen (IV 708b–d). Die Zusammensetzung, die Platon für die ersten Bürger der neuen Polis anstrebt, vermeidet beide Extreme und ihre jeweiligen kaum überwindbaren Schwierigkeiten. Die von ihm ausgewählten Gruppen der Kreter und Peloponnesier bilden zwar keine homogene Einheit. Sie sind sich jedoch wegen ihrer 1 Schöpsdau erklärt in seinem Kommentar über die neue Kolonie: „Sie verkörpert damit den Typ der panhellenischen Kolonie, als dessen bekanntestes Beispiel die Gründung von Thurioi in Unteritalien (444/443 v. Chr.) gelten darf“ (2003, 151; vgl. 152).
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überwiegend dorischen Herkunft ähnlich. Zudem sind die zu Platons Zeiten bestehenden guten Beziehungen zwischen den Städten auf Kreta und der Peloponnes vielversprechend für die Eintracht der neuen Bürgerschaft.2 Trotz der Gemeinsamkeiten von Kretern und Peloponnesiern bestehen zwischen ihnen hinreichend Unterschiede, damit der Gesetzgeber seine neuen Anordnungen durchsetzen kann. Platon ref lektiert nicht bloß über die Volksgruppen, aus denen sich seine neue Polis zusammensetzen soll, sondern auch über die geeigneten Individuen. Er beginnt diese Ref lexionen mit einem Vergleich des leitenden Politikers oder Gesetzgebers mit einem Schaf- oder Rinderhirten und einem Pferdezüchter. Übernimmt ein solcher die Pf lege einer Herde, dann muss seine größte Sorge in ihrer Reinigung bestehen, die die kranken und unedlen Tiere aussondert (V 735a–736a). Auf den Fall der Gründung der neuen Polis übertragen, geht es natürlich nicht darum, eine bestehende Gemeinschaft zu reinigen. Vielmehr muss vermieden werden, dass unedle Individuen als Bürger aufgenommen werden. Platon verwendet für den Gründungsakt das Bild von Quellen und Sturzbächen, die von verschiedenen Orten in einen See zusammenf ließen. Der leitende Politiker oder Gesetzgeber muss mit größter Aufmerksamkeit darüber wachen, das zusammenf ließende Wasser rein zu halten. Daher muss er unreines Wasser abschöpfen oder ableiten. Das bedeutet für Platon, dass der Gründer die untauglichen und schlechten Bürger, nachdem lange genug versucht wurde, sie durch Überredung zu bessern, von einem Eintritt in die neue Gemeinschaft abhalten muss. Dagegen sollen die guten und tüchtigen Bürger nach Kräften durch Wohlwollen und Freundlichkeit dazu bewogen werden, der neuen Polis beizutreten (V 736a–c). Nach R. F. Stalley ist es nicht vollständig klar, wie und nach welchen Kriterien diese Selektion stattfindet (1983, 100). Auch wenn sich Platon nicht ausdrücklich zu dem Modus der Selektion äußert, ergibt sich das Kriterium eindeutig aus den Zielen der Gesetzgebung für die neue Polis. Neben dem Ziel der Eintracht bzw. Freundschaft (philia) führt Platon noch die Freiheit (eleutheria) und die Einsicht (phronêsis) der Polis und das Glück (eudaimonia) ihrer Bürger als zentrale Ziele an (III 693b–d; 701d; V 743c; vgl. III 688e). Die Einsicht ist für ihn sowohl zen2 Vgl. ebd., 151 f. und Morrow 1960, 100 f. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Gesprächspartner des Gastfreunds aus Athen ein Kreter und ein Lakedaimonier sind.
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trales Ziel der Polis als auch die oberste Tüchtigkeit des Einzelnen. Bereits zu Beginn seines Werks betont Platon, dass ein guter Gesetzgeber bei seiner legislativen Tätigkeit die Erzeugung der größten und umfassendsten Tüchtigkeit (aretê) als Ziel vor Augen haben muss. Die verschiedenen Tüchtigkeiten begreift er als göttliche Güter, die den menschlichen Gütern wie Gesundheit oder Schönheit übergeordnet sind. An erster Stelle der Rangordnung der Tüchtigkeiten steht die Einsicht, an zweiter die mit Vernunft verbundene besonnene und maßhaltende Seelenverfassung (sôphrôn psychês hexis), an dritter die aus der Mischung dieser beiden mit der Tapferkeit (andreia) hervorgehende Gerechtigkeit (dikaiosynê), und an vierter Stelle die Tapferkeit.3 Gelingt es dem Gesetzgeber, diese Tüchtigkeiten zusammen mit den menschlichen Gütern bei den Bürgern hervorzubringen, dann macht er sie zu glücklichen Menschen (I 630c–631d; vgl. IX 870b–c). Tüchtigkeit und Glückseligkeit bestehen, wie Platon erklärt, notwendig zusammen (V 742e). Die Individuen, die sich für die neue Polis als Bürger eignen, werden nach dem Kriterium selektiert, ob bei ihnen die angeführten Tüchtigkeiten vorhanden sind oder zumindest durch Erziehung ausgebildet werden können. Denn das Ziel der Gesetze der neuen Polis ist ein durch Tüchtigkeit geprägtes und damit glückliches Leben ihrer Bürger. Im Einklang damit erklärt Platon nach seinen Überlegungen zum Verhältnis von Volksgruppen, Eintracht und der Durchsetzung von neuen Anordnungen, dass Gesetzgebung und Stadtgründung tüchtige Männer erfordern und das vollkommenste Mittel sind, um zur Tüchtigkeit zu gelangen (IV 708d). Um bei den Bürgern die entscheidenden Tüchtigkeiten hervorbringen zu können, muss die Gesetzgebung eine besondere Sorge auf die Frage der besten Erziehung und Bildung (paideia) verwenden, die in den Nomoi wie in der Politeia ein zentrales Thema ist (Lg. I 643a–644b; Buch II und VII; Rep. Buch II ab 375e; III und VII). An anderer Stelle erklärt Platon, die neue Polis dürfe aus freien Stücken keine Bürger aufnehmen, die keine echte Erziehung und Bildung erhalten haben (V 741a).
3 Vgl. zur Frage der Einheit und Vielheit der vier Kardinaltüchtigkeiten XII 963a ff. Es ist bemerkenswert, dass Platon die Gerechtigkeit, der in der Politeia eine herausgehobene Bedeutung zukommt (IV 433b), erst an dritter Stelle der Rangordnung anführt.
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8.2 Die Landverteilung, die Ordnung des Grundeigentums und die Zahl der Bürger (I) Nach der Herkunft und der Qualität der neuen Bürger behandelt Platon die Frage nach ihrer Zahl, ihrer Einteilung und der Verteilung des Landes. Sein Kriterium für die angemessene Zahl der Bürger ist vor allem ein militärisches. Die Bevölkerung muss groß genug sein, damit sich die Polis zum einen gegen Übergriffe der Umwohner verteidigen kann, und zum anderen in der Lage ist, ihren Nachbarn zu Hilfe zu kommen, wenn ihnen Unrecht geschieht (V 737c–d). Die Bürgerzahl darf jedoch nicht so groß sein, dass sich die Bürger untereinander nicht mehr persönlich kennen. Eine Bekanntschaft der einzelnen Bürger untereinander ist vor allem für eine gerechte Verteilung der politischen Ämter und Ehren im Verhältnis zur Tüchtigkeit wichtig und dafür, dass jeder Bürger zu seinem Recht gelangt (V 738e).4 Platons Kriterium für die Größe des Landes ist ein ökonomisches. Das Land soll gerade so groß sein, um alle Bürger bei einer maßvollen Lebensweise ernähren zu können. Bei der Verteilung des Landes und der Wohnstätten kommt es erfahrungsgemäß leicht zu Streit und Eifersucht. Um die Eintracht bzw. Freundschaft unter den Bürgern aufrechtzuerhalten, wird das vorhandene Land bei der Gründung nach dem Losverfahren gleichmäßig an alle neuen Bürger verteilt, sodass immer ein Mann (anêr) und ein Grundstück (klêros) zusammengehören (V 737c–e). Bei der Verteilung des Landes soll jeder von dem Bewusstsein geleitet werden, dass das ihm durchs Los zufallende Grundstück Teil des Gemeinguts seiner Polis ist. Da der Boden der Vaterstadt gehört, müssen ihn die Bürger noch mehr hegen und pf legen als eine Mutter ihre Kinder (V 740a; vgl. IX 877d; XI 923a). Platon hält es für angemessen, dass es 5.040 männliche Grundbesitzer gibt, die zugleich Verteidiger des Landes sind. Diese Grundbesitzer und ihre Familien sind die Mitglieder der neuen Polis. Die Zahl 5.040 wählt Platon vor allem aus praktischen Gründen, weil sie sich durch nicht weniger als 59 Zahlen teilen lässt. Dies ist sowohl für Zwecke des Kriegs als auch des Friedens nützlich, etwa für Verteilungen und Steuern. Die Stadt und das Land werden in zwölf gleich große Teile aufgeteilt, die Bürgerschaft in zwölf Stämme, die nochmals in zwölf 4 Vgl. zur Bedeutung der Verteilungsgerechtigkeit für das politische System der Nomoi Knoll 2010, 15–23.
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Teile untergliedert werden (V 737e–738a; V 745c–e; VI 771b). Die Bürger werden ermahnt, die anfänglichen Grundbesitzverhältnisse lebenslang aufrecht zu erhalten. Um die Zahl der 5.040 Haushalte (oikoi, oikêseis) oder Herdstellen (hestiai) für immer stabil zu erhalten, ersinnt Platon eine Reihe von Maßnahmen, die zeigen, dass er es für das Funktionieren der neuen Polis als entscheidend ansieht, ihre Bevölkerung konstant zu halten. Die Bürger haben nur ein eingeschränktes Privateigentum an ihrem Land, weil sie es weder verkaufen noch nach eigenem Willen vererben dürfen (V 740b–741c; vgl. zur Debatte Morrow 1960, 105–107).
8.3 Die Stellung der Frauen und die Zahl der Bürger (II) Obwohl es in der neuen Polis 5.040 männliche Grundbesitzer geben soll, ist die Zahl ihrer Bürger deutlich größer. Wie groß sie tatsächlich ist, lässt sich Platons Text nicht eindeutig entnehmen. Zweifellos ist Morrows Auffassung zuzustimmen, dass zumindest die Söhne der Inhaber der Landlose mit zu den Bürgern zu zählen sind. Seiner groben Schätzung nach umfasst die neue Polis zwischen 10.000 und 12.000 männliche Bürger (1960, 128). Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob die Frauen und die Töchter der Landinhaber dazuzurechnen sind. An einer Stelle spricht Platon explizit von „Bürgern und Bürgerinnen (politai kai politides)“ (VII 814c), an einer anderen von „Amtsinhaberinnen (archousai)“, was den Bürgerstatus voraussetzt (VII 795c). Bejaht man daher diese Frage und setzt pro Familie im Durchschnitt das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von einer Tochter und einem Sohn an, wären Morrows Zahlen in etwa zu verdoppeln (XI 930c). Zählt man pro Landlos noch zwei Großeltern dazu, dann kommt man auf gut 30.000 Bürger.5 Aus den Bestimmungen zur Verteilung des Bodenertrags (VIII 848a) lässt sich ableiten, dass die Zahl der Bürger etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung der neuen Polis ausmacht. Dazu kommt ein zweites Drittel, das aus den ortsansässigen und den vorübergehend in der Polis weilenden Fremden sowie ihren Sklaven besteht. Da das Vermögen der Fremden einer Beschränkung 5 Bertrand, der pro Landlos drei Generationen ansetzt, errechnet für die neue Polis insgesamt 30.240 sowohl männliche als auch weibliche Bürger (2000, 44, Fußnote 55). Schöpsdau kritisiert diese Berechnung und wendet ein, dass „die tatsächliche Zahl angesichts der damaligen geringen Lebenserwartung um einiges niedriger gewesen sein“ dürfte (2003, 301). Vgl. zur Gesamtzahl der Bevölkerung Magnesias Morrow 1960, 129, Fußnote 105.
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unterliegt (XI 915b), kann man vermuten, dass jeder Fremde im Durchschnitt maximal einen Sklaven hat. Da das letzte Drittel der Bevölkerung aus Sklaven besteht, kann auf dieser Grundlage geschätzt werden, dass die Gesamtzahl der Sklaven etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmacht.6 Die Frage, welche soziale und politische Stellung den Frauen in der neuen Polis zukommt, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Manche Interpreten gelangen zu dem Resultat, dass die Frauen an allen Aspekten und Pf lichten des bürgerlichen und politischen Lebens partizipieren sollen (Cohen 1987, 37; Ottmann 2001, 89 f.). Für andere Autoren hingegen ist es nicht klar, ob Frauen politische Rechte erhalten, und vor allem ob sie bedeutende politische Ämter innehaben dürfen (Saunders 1995, 604; Stalley 1983, 105; Schöpsdau 2003, 497). Wieder andere Interpreten bezweifeln, dass die Frauen am politischen Leben als Gleiche partizipieren können. Platons Restituierung der Familie, so die Argumentation, konterkariere seine fortschrittlichen Intentionen und versetze die Frauen wieder in ihre traditionelle Position (Okin 1979). Viele Gründe sprechen dafür, dass Platon in den Nomoi seine Forderung gleicher Aufgaben für Mann und Frau aus der Politeia aufrechterhält. Die Verwirklichung dieser Forderung ist jedoch problematisch, weil er zugleich die Familie wieder einführt. Ähnlich wie in der Politeia erklärt Platon in den Nomoi, dass das weibliche Geschlecht an Anlage zur Tüchtigkeit (aretê) hinter dem männlichen zurücksteht (VI 781b; Rep. V 455c). Grundsätzlich verlangt er vom Gesetzgeber und Gesetzeswächter, dass sein eifrigstes Bemühen darin zu bestehen hat, die Ausbildung der dem Menschen entsprechenden Tüchtigkeit (aretê) der Seele (psychê) auf jede mögliche Weise das ganze Leben hindurch zu fördern. Platon erklärt ausdrücklich, dass der Gesetzgeber und Gesetzeswächter das Streben nach diesem Ziel bei allen Mitgliedern der Gemeinschaft, seien sie männlich oder weiblich, jung oder alt, zu begünstigen hat (VI 770c–d). Platons Erklärung impliziert eindeutig, dass ihm zufolge auch Frauen die dem Menschen gemäße 6 Diese plausible Berechnung geht auf Morrow zurück (1976, 22 f.). Nach Schöpsdaus Verständnis der Bestimmungen zur Verteilung des Bodenertrags wird ein Drittel an die Bürger, ein Drittel an die Sklaven und ein Drittel an die Fremden vergeben. Daher kommt er zu dem Ergebnis, dass jede dieser drei Gruppen ein Drittel der Bevölkerung Magnesias ausmacht (2003, 302). Platon bestimmt jedoch, dass ein Drittel des Bodenertrags nicht an alle Sklaven in der Polis, sondern lediglich an die Sklaven der Bürger vergeben wird (VIII 848a). Das wird auch dadurch deutlich, dass diesen Sklaven ihr Drittel nach Gutdünken von ihren Herren zugeteilt werden soll (VIII 848c; d).
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Tüchtigkeit entwickeln können. Daher ist es nur konsequent, dass er wie in der Politeia fordert, die Frauen sollten dieselbe Erziehung und Bildung erhalten wie die Männer. Das schließt eine allgemeine Schulpf licht für alle Kinder sowie eine Erziehung in den musischen Fächer und zu militärischen Aufgaben mit ein (VII 804d–806d; VIII 833c–d).7 Ebenso konsequent ist Platons Forderung, dass das weibliche Geschlecht nicht bloß an der Bildung, sondern auch an „den sonstigen Aufgaben des männlichen Geschlechts so weit wie möglich teilhaben soll“ (VII 805c; d). Schließlich schafft die gleiche Erziehung und Bildung der Frauen sowie die Entwicklung ihrer Tüchtigkeiten die nötigen Voraussetzungen, um an den militärischen und politischen Aufgaben teilhaben zu können. Platons Begründung für seine Forderung gleicher Bildung und gleicher Aufgaben für Mann und Frau leitet sich zum einen aus der Zielsetzung der neuen Polis her. Soll die ganze Polis glücklich werden, dann müssen auch die Frauen ihre Tüchtigkeiten entfalten und handelnd verwirklichen können. Zum anderen ist seine Begründung nutzen- oder vorteilsorientiert. Platon gibt sie im Rahmen einer Kritik der zu seiner Zeit üblichen Praxis, die Frauen von den militärischen und politischen Beschäftigungen auszuschließen. Durch diese Praxis werde die Polis in ihrer Leistungsfähigkeit und Kraft auf die Hälfte ihres Gesamtpotentials herabgesetzt. Deshalb hält Platon die übliche Praxis für unvernünftig. Platon weist das Argument zurück, demzufolge gleiche Übungen und Leistungen für Frauen nicht möglich sind. Nicht bloß habe er aus alten glaubwürdigen Sagen Kenntnis von der Möglichkeit einer gleichen Erziehung erhalten. Er verweist auch auf das Erfahrungswissen von den Sauromatinnen, den Frauen am Pontos, die eine gleiche militärische Ausbildung erhalten (VII 804a–805b). Aus Platons Formulierung, dass das weibliche Geschlecht an „der Bildung und an den sonstigen Aufgaben des männlichen Geschlechts so weit wie möglich teilhaben soll“ (805c–d), geht nicht präzise hervor, wie weit die angestrebte Gleichstellung von Mann und Frau genau reicht (vgl. Schöpsdau 2003, 555). Zu der entscheidenden Frage, ob die Frauen politische Rechte erhalten und politische Ämter innehaben sollen, äußert sich Platon jedoch bereits davor in der Schlusspassage von Buch VI, in der er einige grundlegende Bestimmungen darlegt. Zuerst ordnet er an, dass die Namen neugeborener Knaben und 7 Sabine Föllinger, die der Stellung der Frau in Platons Politeia und Nomoi einige Kapitel in ihrer Untersuchung widmet, spricht in diesem Zusammenhang von einer „,männlichen‘ Frauenerziehung“ (1996, 96).
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Mädchen sowohl in das Geburtsregister des Heiligtums der Familie einzutragen sind als auch in dasjenige des Bürgerverbands, der Phratrie (VI 785a; vgl. V 746d). Zu Platons Zeit bedeutete die Eintragung in die Liste der Phratrie die Aufnahme als Bürger. Das ist nochmals ein Argument dafür, die Frauen zu den Bürgern zu zählen. Die Registrierung der Neugeborenen dient Platon auch dazu, die Altersgrenzen, die er anschließend für Eheschließungen, die Bekleidung von Ämtern und den Kriegsdienst angibt, einhalten zu können. Die Töchter sollen zwischen ihrem sechzehnten und zwanzigsten Lebensjahr verheiratet werden, die Söhne zwischen dem dreißigsten und fünfunddreißigsten. Frauen können Ämter (archas) ab dem vierzigsten Lebensjahr bekleiden, Männer ab dem dreißigsten. Männer sind zum Kriegsdienst vom zwanzigsten bis zum sechzigsten Lebensjahr verpf lichtet, Frauen nach der Geburt der Kinder bis zum fünfzigsten (VI 785b). Die Interpreten sind sich nicht einig, wie Platons zentrale Aussage, Frauen könnten ab dem vierzigsten Lebensjahr Ämter bekleiden, genau zu verstehen ist. Meint Platon tatsächlich alle politischen Ämter, oder nur diejenigen, für die er ausdrücklich Frauen vorsieht wie die kurz davor erwähnten Eheaufseherinnen? (VI 784a–b; Bobonich 2002, 387; Schöpsdau 2003, 497; Stalley 1983, 105 f.) Für die weite Deutung, dass Platon tatsächlich alle politischen Ämter meint, lassen sich vier Gründe anführen. Erstens hat Platons Schlusspassage von Buch VI einen sehr grundsätzlichen Charakter und so auch seine Aussage, Frauen könnten ab dem vierzigsten Lebensjahr Ämter bekleiden. Der Sinn dieser Altersgrenze dürfte sein, dass ab diesem Alter die Kinder bereits erwachsen sind und die Frauen daher Zeit für politische Tätigkeiten haben. Zweitens gibt es in den Nomoi keine Passagen, die die weite Deutung explizit ausschließen.8 Drittens liegt die weite Deutung, wie Klaus Schöpsdau zu Recht bemerkt, „in der Konsequenz des Platonischen Denkens“ (2003, 497). Haben Frauen die Anlage zur menschlichen Tüchtigkeit und bekommen sie dieselbe Erziehung und Bildung wie die Männer, warum sollte die Polis ihre Qualitäten ungenutzt lassen, statt sie zum
8 Ein Argument gegen die These, dass in Magnesia Frauen politische Rechte erhalten und alle politischen Ämter innehaben sollen, wird von Stalley formuliert: „Against this one may point to the fact that the Athenian nowhere explicitly mentions female holders of the main offices of state“ (1983, 105). Unmittelbar danach schwächt Stalley dieses Argument jedoch wieder stark ab: „This may not be very significant, since, in Greek, masculine grammatical forms can ‚embrace the female‘“ (ebd.).
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Wohl der Gemeinschaft heranzuziehen?9 Zudem erfordert das Glück der ganzen Polis, dass die Frauen alle politischen Ämter innehaben können. Denn wie Aristoteles begreift Platon ein glückliches Leben zu einem bedeutenden Teil als ein politisches Leben, in dem die Bürger ihre moralischen und politischen Tüchtigkeiten handelnd verwirklichen können (vgl. Bobonich 2002, 436–449). Viertens erklärt Platon, dass alle, die Militärdienst leisten oder geleistet haben, ein Teil der Volksversammlung (ekklêsia) sind und dort ein Wahlrecht haben (VI 753b). Die Volksversammlung ist für die Wahl der meisten Inhaber der politischen Ämter in Magnesia verantwortlich. Da die Frauen an militärischen Aufgaben teilhaben, so lässt sich schließen, sind sie wie die Männer Teil der Volksversammlung und daher gleichgestellte Vollbürgerinnen Magnesias. Wenn in der Volksversammlung Frauen gleichberechtigt an der Wahl teilhaben können, dann darf man annehmen, dass auch Frauen in die Ämter gewählt werden können. Gegen dieses Argument wurde eingewandt, dass es nicht klar ist, ob die nicht weiter spezifizierten militärischen Aufgaben, an denen Frauen teilhaben, dem Kriterium für die Mitgliedschaft in der Volksversammlung genügen (Bobonich 2002, 387). Vergleicht man die genaue Formulierung des Kriteriums (VI 753b) mit den Vorschriften für den Kriegsdienst (VI 785b) und der militärischen Ausbildung der Frauen Magnesias sowie derjenigen der vorbildlichen Sauromatinnen, der Frauen am Pontos (VII 794d; 796c; 804e–805a; 806a–c; 813e–814c; VIII 829b; 833–834a), dann erscheint es jedoch als wahrscheinlich, dass die Frauen dem Kriterium für die Mitgliedschaft in der Volksversammlung genügen können. Die angeführten Gründe legen es nahe, dass die Frauen in Magnesia – wie in der guten Polis der Politeia – politische Rechte erhalten und alle politischen Ämter innehaben. Dennoch erlaubt Platons Text kein Urteil, das unbezweifelbar wäre. Daher ist nicht auszuschließen, dass Platon diese Frage bewusst nicht eindeutig beantworten wollte (Stalley 1983, 106) oder lediglich beabsichtigte, die Tür für eine vollkommene politische Gleichstellung der Frauen offen zu halten (Saunders 1995, 604). In jedem Fall ist die Stellung der Frau durch die Wie9 In diesem Zusammenhang argumentiert Stalley: „It looks therefore as though older women, at least, would be eligible for the full range of political offices. This is what one would expect in the light of the argument for women’s participation in the army. It would, one supposes, be just as serious a waste of human resources to exclude women from office as it would be to exclude them from bearing arms“ (1983, 105).
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dereinführung der Familie, durch das ausschließliche Eigentum der Männer am Grundbesitz und durch die rechtliche Zuständigkeit des Vaters und der männlichen Verwandten für ihre Verlobung (VI 774e) in den Nomoi stärker im Einklang mit der Tradition und weniger selbstbestimmt als in der Politeia. Geht man jedoch davon aus, dass die Frauen politische Rechte erhalten und alle politischen Ämter bekleiden können, dann ist ihre politische Stellung deutlich besser als in der griechischen Poliswelt des 4. Jh. v. Chr.10 Wie die Politeia sind die Nomoi ein Dokument der sozialrevolutionären Tendenzen von Platons politischem Denken. Diese kommen auch darin zum Ausdruck, dass er als Neuerung gemeinsame Mahlzeiten für Frauen einführt (VI 780b–781d; vgl. Bobonich 2002, 376 f.; Schöpsdau 2003, 474–480). Dennoch sind die Nomoi nicht frei von abwertenden Äußerungen über Frauen, die in der Antike verbreitete Klischees reproduzieren (781a; vgl. Bobonich 2002, 387 f.; Schöpsdau 2003, 481).
8.4 Die Wirtschaftsordnung: Sklaven und Fremde Platon zielt darauf ab, dass seine neue Polis eine stabile und autarke Agrargesellschaft wird, in der der Bodenertrag alle Bedürfnisse der Bürger befriedigt und in der Handel und Handwerk nur eine untergeordnete Rolle spielen. Neben dem Ackerbau werden vor allem Forstwirtschaft sowie Vieh- und Bienenzucht betrieben. Um die Eintracht bzw. Freundschaft unter den Bürgern aufrechtzuerhalten, hält es Platon für erforderlich, die Entstehung von Armut und Reichtum zu verhindern, die die Gemeinschaft spalten und zu Zwietracht bis hin zum Bürgerkrieg führen können.11 Um dieses Ziel zu erreichen, versucht er in Magnesia 10 Stalley konstatiert in den Nomoi auch kleine Schritte in Richtung der Anerkennung der Rechtpersönlichkeit der Frau: „Those over fourty will be able to act as witnesses in courts, and widows or divorcees will be able to initiate legal actions in their own right (XI 937a). Divorce law is also more favourable to women than in Athens (929e–930b), and it is envisaged that in certain very limited circumstances an heiress may be able to choose her own husband (925a–c)“ (1983, 105). 11 Bereits in der Politeia erklärt Platon, dass die Inhaber der politischen Macht auf jede Weise die Entstehung von Armut und Reichtum verhindern müssen (IV 421e–422a). Eine Polis, in der es arme und reiche Bürger gibt, ist keine Einheit, sondern gespalten in zwei Gruppen, die sich feindlich gegenüberstehen (422e–423a). In Buch V der Politik stellt Aristoteles den Konf likt zwischen armen und reichen Bürgern als eine zentrale Ursache für Aufruhr (stasis) und Verfassungswandel (metabolê) heraus. Vgl. zu den sozialen Konf likten und Bürgerkriegen in Griechenland im 5. und 4. Jh. v. Chr. Fuks 1984 und Gehrke 1985.
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die Geldgier und die Habgier zu unterbinden. Daher schränkt er die Möglichkeiten zum Gelderwerb und zur Selbstbereicherung stark ein. Die Mittel dazu sind etwa das Verbot des Handels mit Immobilien, die Unterbindung des Seehandels und des Exports, sowie Restriktionen und Regulierungen der Wirtschaft (V 737a–c; 744d).12 Auch wenn nach Platon eine Gleichheit der Vermögen der Bürger wünschenswert wäre, lassen sich Vermögensunterschiede zwischen ihnen doch nicht verhindern. Denn die erste Generation von Bürgern wird in die Polis mit verschieden großem beweglichen Besitz eintreten. Daher hat der Gesetzgeber vier Vermögensklassen (timêmata) zu schaffen, deren Vorbild höchstwahrscheinlich die Verfassung ist, die von Solon in Athen eingeführt wurde.13 Allen vier Klassen ist gemeinsam, dass sie über das Existenzminimum verfügen, d. h. über das Landlos und die Mittel zu ihrer Bewirtschaftung. Die Angehörigen der untersten Vermögensklasse dürfen insgesamt beweglichen Besitz bis zum doppelten Wert eines Landloses haben, diejenigen der zweituntersten bis zum dreifachen und diejenigen der obersten Klasse bis zum fünffachen Wert (vgl. Aristoteles Pol. 1265b22; 1266b7; Bobonich 2002, 375 f.; Schöpsdau 2003, 329 f.; Saunders 1961; Morrow 1960, 131).14 Erhöht sich der Besitz eines Angehörigen der obersten Vermögensklasse über diese Grenze hinaus, dann muss er den Überschuss an die Polis abgeben. Die Einführung der vier Vermögensklassen erlaubt es, eine Obergrenze für den Reichtum der Bürger festzulegen (V 744b–745a).15 In der Wirtschaftsordnung Magnesias spielen die Sklaven (douloi, oiketai) und die ortsansässigen Fremden (metoikoi), die auch als „Metöken“ oder „Beisassen“
12 Vgl. zu detaillierteren Ausführungen über die Wirtschaftsordnung Magnesias Schrief l in diesem Band. 13 Meier erklärt über Solons Einteilung der Bürger in vier Klassen in Entsprechung zu ihrem Steueraufkommen: „Sie diente offenbar der Lastenverteilung, der Steuererhebung (im Falle des Bedarfs; denn regelmäßig wurden Steuern nicht erhoben), aber auch der Regulierung des Zugangs zu gewissen Ämtern, vor allem der Finanzverwaltung“ (1993, 77). 14 Im Gegensatz zu Platons missverständlicher Formulierung, die als Maximum ein Vierfaches zulässt (744e), und zur vorherrschenden Meinung, behauptet Ottmann merkwürdigerweise über die Ordnung der Gesetzesstadt: „Mit der Unterschiedlichkeit des mobilen Kapitals wird gerechnet. Eine Obergrenze wird jedoch beim Dreifachen des Wertes eines Landloses festgesetzt“ (2001, 89). 15 Vgl. zu Platons Gründen für die Einführung der vier Vermögensklassen Knoll 2010, 17 f.
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bezeichnet werden, eine bedeutende Rolle. Denn diese vom politischen Leben ausgeschlossene Bevölkerungsgruppe verrichtet, wie dies in vielen griechischen Städten zu Platons Zeit der Fall war, die meisten Arbeiten in der Polis. Metöken waren besonders wichtig für eine Handelsstadt wie Athen, in der sie ein gewisses Ansehen genossen und sehr wohlhabend werden konnten. Dagegen spielten sie in Sparta keine Rolle. Metöken waren durch die Gesetze der jeweiligen Polis geschützt und vor Gericht den Bürgern gleichgestellt. In Athen war ihnen der Besitz von Grund und Boden verwehrt. Sklaven waren in der griechischen Antike in der Regel wie in Athen persönliches Eigentum der Bürger, das verkauft und vermietet werden konnte. In Athen arbeiteten die meisten Sklaven in den Bergwerken und den Haushalten. Sie waren jedoch auch in der Herstellung und der Landwirtschaft tätig, was den wohlhabenderen Bürgern die Muße für politische und wissenschaftliche Tätigkeiten verschaffte. Im Gegensatz zu Athen waren die Sklaven in Sparta kein Privatbesitz, sondern gehörten der Polis. Spartas Sklaven waren an ihr Land gebundene Bauern, die als Heloten bezeichnet werden (heilotes, Gefangene). Die Heloten gingen aus der bei der Einwanderung der griechischen Stämme unterworfenen einheimischen Bevölkerung hervor. Sie bestellten in Zwangsarbeit die Landlose der Spartiaten in Lakonien und Messenien, dienten im Haus und verrichten zudem andere Aufgaben. Im Gegensatz zu den Besitzsklaven in Athen konnten sie nicht freigelassen werden (Finley 1983, 50–53; 60 f.; Finley 1993, 65 f.). Wie bereits erwähnt, lässt sich aus den Bestimmungen zur Verteilung des Bodenertrags ableiten, dass in Magnesia die Bevölkerung etwa zu einem Drittel aus Bürgern besteht, zur Hälfte aus Sklaven und zu einem Sechstel aus ortsansässigen und vorübergehend in der Polis weilenden Fremden (VIII 848a–d). Die in der griechischen Antike gängige Unterscheidung zwischen einem Sklaven (doulos) einerseits und einem Freien (eleutheros) und Herrn (despotês) andererseits, wird von Platon nirgends in Frage gestellt, sondern als „notwendig“ bezeichnet (VI 777b). Platon sieht die Sklaven grundsätzlich als eine Form des Besitzes an und fordert, dass sich jeder möglichst mit Sklaven von ausreichender Zahl und Tauglichkeit zur Unterstützung für alle möglichen Arbeiten versehen soll (VI 776b; c; 778a). Wie die Sklaven Magnesias beschafft werden sollen, wird von Platon nicht thematisiert. G. Morrow kommt durch ein Ausschlussverfahren zu dem Ergebnis, dass sie entweder von Sklavenhändlern erworben werden oder als Kriegsgefangene in die Polis gelangen (Morrow 1976, 23 f.).
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Dem Helotentum Spartas steht Platon wegen der wiederholten Aufstände in Messenien kritisch gegenüber. Aus diesen schlechten Erfahrungen leitet er die Lehre ab, dass Sklaven nicht aus demselben Land stammen sollen (VI 777c; d; vgl. 776c). Der weitaus größte Teil der Sklaven in Magnesia ist im Privatbesitz der Bürger oder der Metöken. Die Sklaven der Bürger verrichten vor allem Arbeiten auf deren Grundstücken (VII 806d), in deren Häusern (VII 808a; b), oder leisten ihren Herren persönliche Dienste (VI 763a). Die Sklaven der Fremden sind wie diese selbst vor allem als Händler und Handwerker tätig und dienen ihnen vermutlich auch im Haus (VIII 846d–847b; 848a; 850c; XI 919d–920a). Platon erwähnt zudem Sklaven, die der Polis gehören und Arbeiten für die Gemeinschaft verrichten. Als eine solche erwähnt er die Züchtigung von widerspenstigen Kindern von Sklaven und Fremden in Schulen, die unter Aufsicht einer Ordnerin aus der Bürgerschaft vollzogen wird (VII 794b).16 Für öffentliche Arbeiten, etwa zur Errichtung von Verteidigungsanlagen für die Polis, können aber auch Sklaven in Privatbesitz herangezogen werden (VI 760e; 763a). Zudem erwähnt Platon, dass Sklaven wie bezahlte Fremde mit der Aufführung von Komödien beauftragt werden (VII 816e). Eine zentrale Frage, über die Platon ref lektiert, betrifft die angemessene Behandlung von Sklaven. Ausgangspunkt sind die zu seiner Zeit verbreiteten gegensätzlichen Meinungen und Erfahrungen mit Sklaven und ihrer Behandlung. Den einen zufolge tun Sklaven häufig viel Gutes für ihre Herren. Es komme darauf an, sittlich gut geartete Sklaven zu besitzen und diese gut zu behandeln. Den anderen zufolge könne man den ungesunden Sklavenseelen keinesfalls vertrauen. Daher müsse man sie wie Tiere behandeln und züchtigen, wodurch sie noch sklavischer würden. Platon selbst war ähnlich wie Aristoteles davon überzeugt, dass es Sklaven im Gegensatz zu Freien an Vernunft mangelt (IV 720a–e; vgl. Aristoteles Pol. 1252a32; 1254b22 f.; 1260a12; Schöpsdau 2003, 466; Vlastos 1981a, 148). Auf dieser Überzeugung basiert seine Antwort auf die Frage nach der angemessenen Behandlung von Sklaven. Man dürfe sie nicht verhätscheln und sich nicht wie Freien gegenüber auf bloße Mahnungen oder Zurechtwei16 Vgl. zu den Aufgaben der öffentlichen Sklaven in Athen Morrow 1976, 17, Fußnote 2. Merkwürdigerweise erklärt Schöpsdau: Ob „es wie in Athen Staatssklaven geben soll, ist nicht sicher zu entscheiden“ (Schöpsdau 2003, 465). Auch sein anschließender Verweis auf Morrow 1960, 148 f. ist nicht nachvollziehbar. Erklärt Morrow doch eindeutig: „Some slaves, it is assumed, will be owned by the state, as at Athens (794b)“ (ebd., 148).
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sungen beschränken, sondern müsse sie durch Züchtigung bestrafen, wenn sie es verdienen. Nahezu jede Anrede an einen Sklaven müsse ein Befehl sein. Scherze mit Sklaven sind unbedingt zu unterlassen wie auch ein übermütiges und ungerechtes Verhalten ihnen gegenüber. Denn durch ein moralisch einwandfreies Verhalten gegenüber Sklaven könne man bei ihnen am ehesten die „Saat der Tugend ausstreuen“ (VI 777d; e). Die Gesetzgebung der Nomoi enthält erstaunlich viele Bestimmungen, die Sklaven betreffen. Das trifft insbesondere für das Strafrecht zu. Dabei fällt auf, dass Sklaven für denselben Tatbestand in der Regel – eine Ausnahme bildet der Tempelraub – wesentlich strenger bestraft werden als Freie. Wenn etwa ein Bürger seinen eigenen Sklaven im Zorn tötet, dann genügt es, wenn er sich einer Reinigung unterzieht. Wenn er den Sklaven eines Fremden im Zorn tötet, dann soll er dem Besitzer den Schaden doppelt erstatten. Wenn dagegen ein Sklave im Zorn seinen eigenen Herrn tötet, dann können die Angehörigen des Getöteten mit dem Täter machen, was sie wollen, ohne dabei schuldig zu werden. Sie dürfen ihn jedoch unter keinen Umständen am Leben lassen (IX 868a–c). Derartige Bestimmungen dienen offensichtlich vor allem dazu, die soziale Hierarchie zu stabilisieren und die Sklaven von aufsässigen Handlungen gegen ihre Herren abzuschrecken. Als Fremder kann jeder nach Magnesia kommen, der dies wünscht und fähig ist, den Umzug zu bewerkstelligen. Die Bedingungen sind, dass er eine Berufsausbildung hat und nicht länger als 20 Jahre in der Polis bleibt. Die Söhne der Metöken können sogar 35 Jahre bleiben, wenn sie ein Handwerk erlernt haben. Nach Ablauf dieser Frist sollen die Fremden mit ihrer Habe fortziehen. Platon möchte offenbar verhindern, dass in Magnesia fremde Familien über Generationen leben, wie dies in Athen der Fall war. Seine Regelung sorgt dafür, dass die Polis unerwünschte Metöken nur für eine begrenzte Zeit auf ihrem Territorium dulden muss. Für den Fall, dass die Polis mehr Metöken benötigt, gibt es noch eine weitere Vorschrift. So haben die Fremden, die der Polis einen bedeutenden Dienst geleistet haben, die Möglichkeit, beim Rat und der Volksversammlung einen Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung zu stellen und sogar ein Aufenthaltsrecht auf Lebenszeit zu beantragen (VIII 850a; b; vgl. XI 915b und Schöpsdau 2011, 252). Anders als etwa in Athen zahlen die Metöken in Magnesia keine besonderen Steuern und Gebühren. Zudem müssen sie im Gegensatz zu Athen wohl keinen
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Militärdienst leisten. Verlangt wird aber „ein anständiges Verhalten“ (sôphronein) (VIII 850b). Ein weiterer Gegensatz zum Status der Metöken in Athen besteht darin, dass die Fremden in Magnesia maximal den Wohlstand erwerben dürfen, der für die Bürger der dritten Vermögensklasse vorgesehen ist. Übersteigt ihr Vermögen diesen Satz, dann müssen sie die Stadt innerhalb von 30 Tagen verlassen. Versäumen sie es, ihr Vermögen rechtzeitig zu reduzieren oder mit ihm auszureisen, dann können sie mit dem Tode bestraft werden und müssen ihr ganzes Vermögen an die Polis abgeben (XI 915b; c). In Magnesia sind nicht bloß die Sklaven, sondern auch die Handwerker und die Händler kein Teil der Polis. Diese Berufsgruppen schließt auch Aristoteles in der besten Polis, die er in Buch VII und VIII der Politik entwirft, aus der Bürgerschaft aus. Das begründet er ähnlich wie Platon vor allem damit, dass diese Berufe unedel sind und nicht die Muße gewähren, um die moralischen und intellektuellen Tüchtigkeiten zu erlangen, die ein Bürger für ein glückliches Leben benötigt (Pol. 1328b33–1329a2; 34–39; 1330a25–33; vgl. Knoll 2009, Kap. VIII). Platon zufolge mangelt es den Sklaven an Vernunft, den Fremden an Zeit für eine Erziehung zur Tüchtigkeit. Der Ausschluss der Bauern, Handwerker und Händler aus der Bürgerschaft Magnesias und aus Aristoteles’ bester Polis bildet einen offensichtlichen Gegensatz zur Sozialordnung der guten Polis, die Platon in der Politeia entwirft. Denn in diesem Entwurf setzt sich der dritte und unterste Stand der Bürger genau aus den Angehörigen dieser Berufsgruppen zusammen (Rep. VII 519e; vgl. IV 420b– 421c; V 466a; b). Im Gegensatz zu den Nomoi macht Platon in der Politeia nicht deutlich, ob es in der guten Polis Sklaven geben soll. G. Vlastos, der sich mit dieser Frage auseinandersetzt, bejaht sie überzeugend durch einen Verweis auf eine Stelle in Buch IV, in der Platon die Sklaven beiläufig als Bestandteil der Bevölkerung der Polis erwähnt (433d; Vlastos 1981b, 145). Daher darf man schließen, dass die Sklaven den Bürgern des dritten Standes der guten Polis, die Platon in der Politeia entwirft, einen guten Teil ihrer Arbeit abnehmen. Dennoch unterscheidet sich der Status dieser Bürger wesentlich von demjenigen der Bürger Magnesias, weil sie nicht am politischen Leben der Polis partizipieren können und sollen.
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8.5 Die Lebensform der Bürger Magnesias Zweifellos sollen alle Bürger Magnesias am sportlichen, militärischen, sozialen, politischen und religiös-kultischen Leben der Polis partizipieren. Ob sie aber auch an der Bewirtschaftung ihrer Landgüter selbst teilnehmen sollen, ist in der Literatur umstritten. Das mag verwundern, weil sich Platon doch zu dieser Frage mehrmals in aller Deutlichkeit äußert. So fragt der Athener in Buch VII: „Welche Lebensweise ist für Menschen angemessen, die mit allem Notwendigen in ausreichendem Maße versorgt sind, während die Handwerksarbeit anderen überlassen ist und der Ackerbau an Sklaven übertragen wurde, die ihnen so viel vom Ertrag des Bodens liefern müssen, dass es für ein mäßiges Leben ausreicht“ (VII 806d; e). Die denkbare Antwort, dass die Bürger Magnesias ein träges Leben als sorgenlose Faulpelze führen können, weist Platon entschieden zurück. Stattdessen erlässt er über die Lebensform der Bürgerinnen und Bürger ein „gerechtes Gesetz“ (VII 807c; vgl. zur Forderung der Teilhabe der Frauen an dieser Lebensweise 805c–806c). Das Leben der Bürger Magnesias soll diesem Gesetz zufolge ganz und gar der Sorge für die Vervollkommnung des Körpers und der Seele gewidmet sein. Platon betont gleich zweimal, dass diese Aufgabe keinerlei Muße für andere Beschäftigungen oder Tätigkeiten lässt. Diese Lebensform lässt sogar deutlich weniger freie Zeit, als sie Athleten verbleibt, die für die sportlichen Wettkämpfe in Olympia trainieren. Für die Bürger Magnesias darf „keine Nebenbeschäftigung mit anderen Tätigkeiten hemmend darauf einwirken, dass sie den Körper durch Übungen und Ernährung angemessen pf legen und die Seele durch wissenschaftliche und sittliche Bildung“ (VII 807d). Wer sich die körperliche und seelische Vervollkommnung zum Ziel setzt, dem reichen dafür weder Tag und Nacht. Die Aufgabe, zu der die Bürger der neuen Polis berufen sind, so Platon auch in Buch VIII, sei die Sorge um die eigene Tüchtigkeit (aretê) und die Erhaltung der politischen Ordnung. Der Athener verbietet es ihnen und ihren Sklaven sogar explizit, Handel zu treiben oder ein Handwerk auszuüben und droht ihnen mit verbalem Tadel und Ehrentziehung (VIII 846d–847b).17 Die neue Polis gewähre ihren Bürgern nicht „bloß ein Höchstmaß an Muße und freier Zeit, sondern 17 Das begründet er zum einen damit, dass Gelderwerb für die Bürger Magnesias nicht notwendig ist und dass derartige Tätigkeiten eines freien Mannes unwürdig sowie für ein edles Gemüt verächtlich sind (V 741e; XI 919c–920c; vgl. I 643e–644a; V 743d). Schöpsdau weist darauf hin, dass Verbote
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auch persönliche Unabhängigkeit voneinander“ (VIII 832d). Die jungen Leute Magnesias beiderlei Geschlechts sind „von allen schweren und erniedrigenden Arbeiten freigestellt“ (VIII 835d). Möglich ist das selbstverständlich nur, weil zwei Drittel der Bevölkerung Magnesias für das eine Drittel arbeiten, das in den Genuss des Bürgerstatus kommt (vgl. VI 778a). Die Auslegung, dass die Bürger Magnesias nicht zu arbeiten brauchen, wird von G. Morrow und R. F. Stalley bestritten. Beiden Interpreten zufolge müssen die Mehrheit der Bürger oder alle Bürger an der Landarbeit selbst in mehr oder weniger großem Umfang teilnehmen (Morrow 1960, 152; 531 f.; Stalley 1983, 102).18 Die Argumente von Morrow und Stalley können nicht überzeugen. Stalley führt als erstes an, dass es den Bürgern nicht ausdrücklich verboten wird, sich mit Landarbeit zu beschäftigen (1983, 102). Dieses Argument ist nicht bloß schwach, sondern trifft schlicht nicht zu, weil das „gerechte Gesetz“ über die Lebensform der Bürger ihnen indirekt verbietet, an der Landarbeit teilzunehmen (VII 807c). Auch nach dem Idiopragie-Prinzip ist den Bürgern implizit die Landarbeit untersagt, weil die Tätigkeit, die ihnen eigen ist, in der Sorge um die Tüchtigkeit (aretê) und die Erhaltung der politischen Ordnung besteht (VIII 846d–847a; vgl. Rep. II 369d–370c; 374a; IV 434a). Stalleys zweites Argument bezieht sich auf die Kritik, die Aristoteles in der Politik an der Realisierbarkeit von Platons Polis-Entwurf übt. Um 5.040 unproduktive Familien zu versorgen, so Aristoteles, wäre ein enorm großes Territorium erforderlich (Pol. 1265a15–17; Stalley 1983, 102). Aus dieser Kritik folgt aber gewiss nicht, dass die Bürger an der Landarbeit teilnehmen müssen, weil Aristoteles kurz davor ausdrücklich erklärt, Platon befreie sie „von allen Arbeiten für den Lebensunterhalt“ (1265a6–8). Stalleys drittes Argument geht auf Morrow zurück, auf den er sich ausdrücklich bezieht. Diesem Argument zufolge sind die Agrargesetze (VIII 842b–846a) für Bürger entworfen, die selbst in der Landwirtschaft arbeiten (Stalley 1983, 102; Morrow 1960, 152; 531 f.). Morrow zitiert zudem eine Passage, in der Platon erklärt, der Gesetzgeber beschränke sich „auf Gesetze für Landwirte, Hirten, „banausischer“, d. h. handwerklicher Tätigkeiten für mehrere griechische Poleis wie Sparta bezeugt sind (2011, 240). 18 Im Anschluss an Morrow – allerdings noch vorsichtiger als Stalley – erklärt Schöpsdau, dass eine Befreiung der Bürger Magnesias „von jeglicher Landarbeit“ durch die Sklaven „vermutlich nicht durchgehend der Fall ist“ (2003, 478; Hervorhebungen von M. K.).
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Bienenzüchter“ (VIII 842d). Morrows Argument kann nicht überzeugen, weil aus Platons Formulierungen nicht folgt, dass sich die Bürger an den Arbeiten, die auf ihren Landgütern für ihre Familien betrieben werden, beteiligen. Bereits Guthrie wendet zu Recht gegen Morrow ein, dass Platons Agrargesetze nicht mehr implizieren, als dass die Bürger auf ihren Landlosen die Aufsicht führen und Anweisungen geben (1978, 345, Fußnote 3; vgl. Brunt 1993, 274). Morrows Auffassung, dass die Agrargesetze die Beziehungen zwischen Bürgern regeln, trifft gewiss zu (1960, 152). Jedoch regeln sie nicht die Beziehungen zwischen arbeitenden Bürgern, sondern zwischen Land- und Sklavenbesitzern, die für ihre Landgüter verantwortlich sind und daher mit Schadenersatz und Geldbußen bestraft werden können. Das stärkste Argument von Stalley ist sein viertes, das in ähnlicher Form bereits von Morrow formuliert wurde. Die Bestimmungen für die Wahlen zum Rat (boulê), so Stalley, setzen voraus, dass die häufige Teilnahme eine besondere Bürde für die Angehörigen der unteren Vermögensklassen ist (VI 756b–e). Den Grund vermutet er darin, dass sie arbeiten müssen (1983, 102). Morrow argumentiert, dass den Angehörigen der unteren Vermögensklassen manche Dienste für die Öffentlichkeit erlassen werden, die von den wohlhabenderen Bürgern verlangt werden können, weil jene weniger Muße dazu haben (1960, 152). In der ersten Textpassage, die Morrow als Beleg anführt, wird den Angehörigen der unteren beiden Vermögensklassen die Teilnahme an der Volksversammlung im Gegensatz zu denjenigen der oberen beiden nicht zwingend vorschrieben (VI 764a). In der zweiten Passage wird festgelegt, dass die Stadtaufseher der obersten Vermögensklasse entstammen müssen. Diese Bestimmung begründet Platon tatsächlich ausdrücklich damit, dass sie ausreichend Zeit und Muße haben müssen, um sich den öffentlichen Angelegenheiten zu widmen (VI 763d). Hinzufügen ließe sich die Bestimmung, dass die Marktaufseher aus den oberen beiden Vermögensklassen kommen müssen (VI 763e; vgl. 758b). Auch wenn die Angehörigen der unteren beiden Vermögensklassen mehr Zeit auf ihre Landlose verwenden müssen, folgt daraus keineswegs, dass sie sich auch an der Landarbeit beteiligen. Da sie weniger Vermögen haben, können sie sich wahrscheinlich keinen Sklaven leisten, der ihr Landgut leitet und dort die Arbei-
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ten der anderen Sklaven organisiert.19 Daher müssen sie selbst die Aufsicht über ihre Sklaven führen, ihnen regelmäßig Befehle erteilen und sie züchtigen, wenn sie es verdienen (vgl. Bobonich 2002, 571, Fußnote 55). Auf einem Landlos leben in der Regel drei Generationen und im Durchschnitt etwa sechs Bürger. Aus den Bestimmungen zur Verteilung des Bodenertrags kann man schließen, dass auf jedem Landlos im Durchschnitt sechs Sklaven arbeiten dürften (VIII 848a). Diese Zahlen erhärten nochmals die Interpretation, dass die Bürgerinnen und Bürger an der Bewirtschaftung ihrer Landgüter nicht selbst teilnehmen müssen, sondern sich je nach Vermögen mehr oder weniger Sklaven leisten können und sich persönlich mehr oder weniger um ihre Güter kümmern müssen. Die genauen Verhältnisse variieren natürlich je nach den klimatischen Bedingungen für die Landwirtschaft und nach der gesamten Lage der Wirtschaft und insbesondere nach der Versorgung mit Sklaven. In jedem Fall haben die Bürger Magnesias ausreichend Zeit und Muße, sich der Vervollkommnung ihres Körpers und ihrer Seele und dem politischen Leben der Polis zu widmen. Im Gegensatz zur extremen Hierarchie zwischen den drei Ständen der guten Polis der Politeia geht Platon in den Nomoi davon aus, dass alle Bürger Magnesias diesem Kriterium mehr oder weniger entsprechen können (vgl. Bobonich 2002, 409–417; dagegen V 735a). Im Vordergrund stehen dabei vor allem die Tüchtigkeiten, die für das politische Leben und damit für die Bekleidung eines der vielen verschiedenen Ämter erforderlich sind. Platons Begriff des Bürgers ist vor allem durch die Fähigkeit zum politischen Leben bestimmt. Im Einklang damit versteht er unter wahrer Bildung (paideia) „jene von Kind auf genossene Erziehung zur Tüchtigkeit, die das Verlangen und die Liebe dazu weckt, ein Bürger (politês) im vollkommen Sinne des Wortes zu werden, der es versteht der Gerechtigkeit gemäß zu herrschen und über sich herrschen zu lassen“ (I 643e).20 Damit die Bürger lobenswerte Herrscher werden können, müssen sie zuvor gelernt haben, gut den Gesetzen und damit der Vernunft und Gott zu dienen. Dieser Dienst 19 Bemerkenswerterweise macht Morrow selbst darauf aufmerksam, dass in der griechischen Antike diese Möglichkeit bestand (1960, 151). 20 Hervorhebungen von M. K. Aristoteles nimmt den angeführten Begriff des Bürgers in seine Politik auf: „Ein Bürger (politês) ist, wer teilhat am regieren und regiert werden. Zwar unterscheidet er sich in verschiedenen Verfassungen, in der besten aber ist er derjenige, der fähig und willens ist, zu regieren und sich regieren zu lassen zum Zweck eines Lebens der Tüchtigkeit“ (1283b42–1284a3; vgl. 1275a22– b21; 1332b25–27).
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(douleuein) ist für das gesamte Bürgerleben zentral (VI 762e; IV 713a; 713e–714a; XII 957c). Die Gerechtigkeit verlangt, dass die wichtigsten politischen Ämter Magnesias in Entsprechung zur ungleichen Tüchtigkeit (aretê) der Bürger vergeben werden (VI 757c). Die Spitze von Platons Rangordnung der Tüchtigkeiten bildet die Einsicht (phronêsis), gefolgt von Besonnenheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit (I 631c). Diese Hierarchie verweist darauf, dass im politischen Leben Magnesias die einsichtigsten Bürger, die sich wie die Philosophenherrscher der Politeia auch einem theoretischen bzw. betrachten Leben widmen, einen herausragenden Herrschaftsanspruch haben (III 690b; XII 961a–969d). Institutionell ist dieser Anspruch in der frühmorgendlichen Versammlung derjenigen Bürger verwirklicht, die den obersten Behörden der Polis angehören (XII 951d; e; 961a; 968a; b; vgl. Ottmann 2001, 91; 98; vgl. Perkams in diesem Band). Damit sichert Platon in der Verfassung der Nomoi wie in der Verfassung der Politeia die Herrschaft der moralisch und intellektuell Tüchtigsten, was den aristokratischen Charakter der Mischverfassung Magnesias dokumentiert (Knoll 2009, 39–48; Schöpsdau 1994, 123; Sternberger 1984, 135).
Literatur Barker, E. 1960: Greek Political Theory, London. Bertrand, J.-M. 2000: Le citoyen des cités platoniciennes, in: Cahiers Glotz 11, 37–55. Brunt, P. A. 1993: Studies in Greek History and Thought, Oxford. Finley, M. I. 1983: Die Griechen. Eine Einführung in ihre Geschichte und Zivilisation (2., durchges. Auf lage), München. – 1993: Die antike Wirtschaft (3., durchges. und erw. Auf lage), Nördlingen. Föllinger, S. 1996: Differenz und Gleichheit. Das Geschlechterverhältnis in der Sicht griechischer Philosophen des 4. bis 1. Jahrhunderts (Hermes Einzelschriften, Bd. 74), Stuttgart. Fuks, A. 1984: Social Conf lict in Ancient Greece, Jerusalem/Leiden. Gehrke, H.-J. 1985: Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts, München. Guthrie, W. K. C. 1978: A History of Greek Philosophy. V: The later Plato and the Academy, Cambridge u. a. Knoll, M. 2009: Aristokratische oder demokratische Gerechtigkeit? Die politische Philosophie des Aristoteles und Martha Nussbaums egalitaristische Rezeption, München/Paderborn. – 2010: Die distributive Gerechtigkeit bei Platon und Aristoteles, in: Zeitschrift für Politik 1, 3–30. Meier, C. 1993: Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, Berlin. Morrow, G. R. 1939: Plato and Greek Slavery, in: Mind 48, 186–201.
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– 1976: Plato’s Law of Slavery in its Relation to Greek Law [zuerst: 1939], New York. Okin, S. 1979: Women in Western Political Thought, Princeton. Ottmann, H. 2001: Geschichte des politischen Denkens. Bd. 1/2. Die Griechen. Von Platon bis zum Hellenismus, Stuttgart. Sternberger, D. 1984: Drei Wurzeln der Politik, Frankfurt a. M. Vlastos, G. 1981a: Slavery in Plato’s Thought, in: ders.: Platonic Studies. Princeton, 147–163. – 1981b: Does Slavery exist in Plato’s Republic?, in: ders.: Platonic Studies. Princeton, 140–146. Walzer, M. 1983: Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality, New York.
9 André Laks
Private matters in Plato’s Laws1
9.1 Introduction: The Greeks and the private Dealing with „private matters“ or „private life“ in Plato’s Laws requires some clarifications about the scope of the notion of the „private“ in Antiquity in general and in Plato in particular. It is widely admitted that, from ancient to modern times, a fundamental shift occurred in how the „private“, and its relationship to the „public“, was conceptualized. The nature of this shift, from both a historical and a philosophical perspective, is the central topic of some extremely inf luential works, such as Benjamin Constant’s De la Liberté des Anciens comparée à celle des Modernes (1819), Fustel de Coulanges’ La Cité Antique (1864) and, in the 20th century, H. Arendt’s chapter „The Public and the Private Realm“ in her book The Human Condition (1958).2 Contemporary philosophers, in the wake of the debate about the lost merits of an ethic of virtue, have often drawn a contrast between „ancient ethics“ and modern ethical theories: whereas the Ancients insisted on ethical excellence („virtue“) and the means to cultivate it, Modernity tends to insist on individual conceptions of happiness and on the necessity of preserving a
1 Quotations from the Laws are taken from Bury’s translation in the Loeb Classical Library. Passages from other dialogues are quoted from the translations collected by John M. Cooper in Plato, Complete Works, 1997. 2 Cf. infra, n. 13.
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space in which they are free from interference (the social and private spheres).3 Recognizing that there is a shift does not imply, of course, that the Greeks did not know of „private life“ (nor even of „privacy“ – although „privacy“ definitely sounds more modern than „private life“). It can be argued, on the contrary, that the Greeks „invented“ private life, in the same breath that they „invented“ public life, and that for the obvious reason that „private“ and „public“ are correlates. The Greek language confirms this: the term commonly translated „private“, namely idios, is regularly paired with – and opposed to – either „public“ (dêmosios) or „common“ (koinos). The very existence of this pair, and its extreme frequency in extant Greek literature,4 suggests that the idea that we lead two lives was a matter of course for the Greeks – as it is for us. Significantly, Isocrates’ client, in his forensic speach On the team of horses, contrasts the public achievements of his father (which are military in nature) with „the rest of his life“ (ho allos bios, lit. „his other life“), which there is no harm in translating (as is commonly done) „his private life“.5 This does not mean, however, that the Greeks construed the relationship between these two lives in the same way we do, especially when we consider that the range of items that fall under their notion of „private“ and ours do not exactly coincide. One traditional starting point for appreciating the scope of the pair idios/dêmosios-koinos, and hence of capturing the Greek notion of „private life“, has been the notion of the oikos, „household“.6 If we assume, as is gene3 As Christoph Horn reminded me upon reading a first version of this paper. 4 A useful collection and analysis in Macé 2012. 5 „I am aware that I am omitting many of my father’s exploits as your general; I have not recounted them in detail because nearly all of you recall the facts. But my father’s private life (ho allos bios) they revile with excessive indecency and audacity, and they are not ashamed, now that he is dead, to use a license of speech concerning him which they would have feared to employ while he lived“ (Isocrates 16.22, trans. G. Norlin). 6 Here are two relevant references (among many others): 1) Plato, Prt. 318e1–319a2: [Protagoras speaking]: „The others [sc. sophists] abuse young men, steering them back again, against their will, into subjects the likes of which they have escaped from at school, teaching them arithmetic, astronomy, geometry, music and poetry [...] But if he comes to me he will learn only what he has come for. What I teach is sound deliberation, both in domestic matters (peri tôn oikeiôn), – how best to manage one’s household (hopôs an arista tên autou oikian dioikoi) and in public affairs – how to realize one’s maximum potential for success in political debate and action.“ (trans. Lombardo/Bell); Isocrates, Antidosis, 285: „They characterize men who ignore our practical needs and delight in the mental juggling of the
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rally admitted, that the oikos includes not only family, but possessions and more generally everything that might be implied by life within a household, then the „private“ will include the relationship between husband and wife, the status of women, sexuality, child-rearing, slaves, „economy“ in the ancient sense of the term, and other matters such as non-official religious rites and „private justice“.7 One way to conceptualize these „private“, „household“ items is to present the very distinction between idios and dêmosios-koinos as being in the first place spatial.8 A house has an inside and an outside, and „private“ would be, accordingly, all that belongs to and happens within a household. We might wonder, however, whether any such a conception of the private is quite right. To see this, consider first public life: whereas it is apparent that public life has an important spatial component, it is by no means restricted to public spaces such as the agora, the assembly, and the courts of justice, but includes a number of social practices, some taking place in private spaces (e. g. symposia), others, though clearly part of the fabric of public life, taking place in „spaces“ not easy to classify as public or private (e. g. war, collective hunting).9 Conversely, what goes on inside the household is often of direct public interest, as is abundantly shown by the use orators make of private considerations; this is most conspicuous in their willingness to appeal to everything that has to do with ancient sophists as ,students of philosophy‘, but refuse this name to whose who pursue and practise those studies which will enable us to govern wisely both our own households and the commonwealth – which should be the objects of our toil, of our study, and of our every act“ (trans. Norlin). 7 On the meaning of this last expression, cf. infra, n. 31. Interestingly, the link between the notions „private“ (idios) and „household“ (oikos) also raises a question about the relationship between the words idios and oikeios, inasmuch as oikeios, while obviously related to oikos (as the passage from Plato’s Protagoras quoted n. 6 shows), is much broader in scope – I shall come back to this important question in my conclusion. 8 See Cohen 1991, 72. Cf. Solon, fr. 4.12–13, 26–29 West: „sparing neither sacred nor private property, they steal with rapaciousness, one from one source, one from another […] And so the public evil comes home to each man and the courtyard gates no longer have the will to hold it back, but it leaps over the high barrier and assuredly finds him out, even if he takes refuge in an innermost corner of his room“ (trans. Gerber). The two paragraphs about the criterion of spatiality (its relevance and limitations) follow Cohen’s analysis. 9 See esp. Schmitt-Pantel 1992, 112: „dans les cités archaïques, le politique n’est pas cantonné dans deux ou trois institutions précises, mais plusieurs pratiques sociales semblent remplir une ,fonction politique‘ [...]: tout ce qui définit la citoyenneté, la qualifie, l’exprime“. Hunting and symposia are mentioned p. 110.
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honor and reputation.10 Moreover, one can argue that theoretical activity such as studying the stars, which may be considered a private activity, breaks the spatial and conceptual limits of the household;11 and one might even maintain (in particular on the basis of some famous passages in the Republic which discourage participation in political life), that the cultivation of virtue, which is not restricted to the household, is a fundamentally private matter (see Rep. VI 496b–e with the occurrence of ta idia at 497a5; cf. ta hautou prattôn: 496d6).12 In any case, the boundary between private and public becomes fuzzier as the opposition between inside and outside loosens. As a matter of fact, most interpreters now share the view that private and public „are more complementary than binary opposites“; or else that „the boundary between [the two notions] was porous“ (Nagle 2006, respectively 11 and 309).13 The analogy Weinstein uses in his analysis expresses this idea in a striking way: „The two notions [dêmosios/idios] are probably best seen as layers of onion skin, any given layer potentially counting as private in
10 Hence the role of neighbors and friends, who, in Cohen’s terms, constitute a „threshold“ between private and public (cf. Cohen 1991, 87: „the social functions of friends and neighbors made the Athenian oikos far less private than some scholars have imagined“). Cohen refers to Bourdieu’s study of Kabyl society (in Bourdieu 1972). But „modern“ societies are concerned as well. 11 That there is a potential conf lict between theoretical activity and the household is well illustrated by the fact that scholars had to create their own separate space within the household in order to devote themselves to their studies (cf. Algazi 2003, 25 ff.). 12 Cf. Swanson 1992, 2: „Aristotle’s conception of the private includes both the household and the meaning of idios, but it goes beyond both, for the private is constituted of activities that cultivate virtue and discount common opinion“. This argument, which is directed against H. Arendt’s negative conception of privacy, will be especially attractive to interpreters with Straussian inclinations. 13 Cohen 1991, 77 speaks of fluidity and of the relational quality of the public/private dichotomy. One and the same action can be viewed either as private or as public depending on the point of view one adopts. (Hence the rhetorical manipulations we find in the orators). In Anglo-saxon studies, this view about f luidity and porosity often has H. Arendt’s views as a point of reference and a target. Arendt’s position (1958, 23 ff.) is based on the idea that „private“ implies privation, namely privation of the accomplishment which can only be provided by public life (private life comes from privatus which is or is construed as negative concept: deprived of). Obviously, this analysis is part of her program of rehabilitation of the political. This is the tradition of Benjamin Constant, with an axiological reversal: whereas Constant insisted that the Ancients could not provide a model for Modernity, for Arendt, the Moderns should learn from them. Cf. also Macé 2012, 431, n. 8: „Il faut absolument résister à l’idée [éminemment représentée par Arendt] que la polis serait le seul lieu public, arraché à la sphère privée [...] Pour Platon, l’espace privé et l’espace public sont deux domaines qui définissent la polis“.
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relation to the next, that is various publics“ (Weinstein 1971, 34).14 One may wonder whether this is not true, to a certain extant, of „us“ Moderns, too. But the important point here is that, given a „layered“ conception of the relationship between private and public, it might turn out that a whole range of activities that could be thought as belonging to the „private“ sphere can also be considered „public“ as well. As we shall see in a moment, this interpenetration of the „private“ with the „public“ is illustrated in a particularly striking way in Plato’s Laws. But before turning to the Laws, we need to say something about their relationship in the Republic.
9.2 Plato’s views on household and the city: from the Republic to the Laws The Laws contain abundant material about „private life“, and especially about marriage and family. This stands in strong contrast with the Republic, where, as is well known, marriage and family do not loom large. This is partly because in the Republic family life is (implicitly) restricted to the producers, and these do not receive much attention in this dialogue; but it is also because family life is emphatically excluded from the lives of the guardians and magistrates, on whom Plato’s analysis is mainly focused. At the end of Book III, having now sketched a program for the guardians’ education, Socrates observes (416c5– 417b2): Now, someone with some understanding might say that, besides this education, they must also have the kind of housing and other property that will neither prevent them from being the best guardians nor encourage them to do evil to the other citizens [...]. In the first place, none of them should possess any private property beyond what is wholly necessary. Second, none of them should have a house or storeroom that isn’t open for all to enter at will. Third, whatever sustenance moderate and courageous warrior-athletes require in order to have neither shortfall nor surplus in a given year they’ll receive by taxation on the other 14 I owe the reference to Cohen 1991, 74. For some Platonic texts illustrating the continuity between idia et dêmosia, cf. e. g. Rep. X 599c6–600e3 (about education); Grg. 514a5–d2 (about architecture and medecine); Lg. IV 713e3–714a8.
A L citizens as a salary for their guardianship [...] But if they acquire private land, houses, and currency themselves, they’ll be household managers and farmers instead of guardians – hostile masters of the other citizens instead of their allies. (Trans. Grube, rev. Reeve)
The scheme then develops into the proposal, first mentioned in Book IV and then f leshed out in Book V, of a so-called community of goods, women and children (see IV 423e4–424a3; V 449c2–450c5; 457c7–461e9). All this implies, clearly, that there are no individual households for the guardians in the „beautiful city“ (kallipolis) of Plato’s Republic. Now this is not the picture we get from the Laws. In a very famous passage of Laws IV, the Athenian Stranger, in his capacity as legislative adviser, suggests to his Cretan interlocutors, who are about to found a new city, that they not follow the scheme of the „first“, absolutely best city, and turn instead to another one („second in unity“), designed not for gods, but for men. The starting point of the new scheme is described as a „retreat“ from an „old saying“, according to which „what belongs to friends is common“.15 According to the Athenian Stranger, applying this precept „genuinely“16 would imply that it „gets the widest possible extension throughout the whole city“. It has already been observed that this was not the case even for the Kallipolis of the Republic, since the producers do not fall under the scheme imposed on the guardians (cf. Bobonich 2002, 482, n. 7);17 but it is even less the case in Plato’s second-best, Cretan city, whose starting point will be „a division of land and housing“ among all the citizens: That State and polity come first, and those laws are best, where there is observed as carefully as possible throughout the whole State the old saying that ,friends have all things really in common‘. As to this condition, – whether it anywhere exists now, or ever will exist, – in which there is community of wives, children, and all chattels, and all that is called ,pri15 The proverb, possibly of Pythagorean origin (according to a scholion at Ly. 207c10), is quoted at Rep. IV 424a1 f. and V 449c5 to justify the community of women and children. 16 „Genuinely“: that is, according to Plato’s own interpretation of the saying at this juncture of the Laws. 17 In this sense, the interpretation which the Republic gives of the „old saying“ is not „genuine“ according to the highest possible standard evoked in the Laws (see n. 16).
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vate‘ is everywhere and by every means rooted out of our life, and so far as possible it is contrived that even things naturally ,private‘ (idia) have become in a way ,communized‘ (koina gegonenai), – eyes, for instance, and ears and hands seem to see, hear, and act in common, – and that all men are, so far as possible, unanimous in the praise and blame they bestow, rejoicing and grieving at the same things, and that they honor with all their heart those laws which render the State as unified as possible, – no one will ever lay down another definition that is truer or better than these conditions in point of super-excellence [...] for the present, however, what is this second best polity, and how would it come to be of such a character? First, let them portion out the land and houses, and not farm in common, since such a course is beyond the capacity of people with the birth, rearing and training we assume. (V 739b8–740a2) There is a question about whether the results of this apportioning are fairly described as „private property“. They are certainly not „private“ in any of the senses in which we would usually understand the term, in particular because, in order to maintain a fixed number of households – a crucial feature of Plato’s Cretan city18 – they have to be inalienable: they cannot be sold or mortaged, and of course not divided or amplified. They are, rather, a kind of tenure, whose real „proprietor“ remains the city.19 This is clearly indicated in the passage that immediately follows: And let the apportionment be made with this intention, – that the man who receives the portion should still regard it as common property of the whole State, and should tend the land, which is his fatherland, more 18 Plato’s insistence on the number of families and households (not citizens, who will be more numerous, because they include the grown sons, cf. Morrow 2 1993, 114) derives from his desire to provide a secure basis for the overall stability of the city. It should be noted, although it is of secundary importance for us, that the number of allotments (5040) and families is not identical with that of households, of which there are 1080; this results from the fact that each „allotment“ includes two „parcels“, one located nearer the city, which is to be exploited by the genuine tenant and head of the family, the other one further away, which will be exploited by one of his sons. For an arithmological justification of the number 5040, cf. VI 771a6c7. 19 For details of the scheme, and of its relationship to existing practices in antiquity, see Morrow 2 1993, 103–110.
A L diligently than a mother tends her children, inasmuch as it, being a goddess, is mistress over its mortal population, and should observe the same attitude also towards the local gods and daemons. And in order that these things may remain in this state for ever, these further rules must be observed: the number of hearths, as now appointed by us, must remain unchanged, and must never become either more or less [than 5040]. (740a2–b5)20
Given these declarations, should we not avoid talk of „private property“ altogether (cf. Pöhlmann 1893, 502 f.; Brisson/Pradeau 2007, 100)? It is certainly true that it may look as if Plato was taking away with his right hand what he had just given his left. Still, we should remember that Plato explicitly presents the allotment of land and the institution of households as a retreat from a communitarian principle; how can this be except by constituting some sort of „ownership“? Indeed, Plato himself explicitly associates households with the idea of the „private“ (idion): for example at IV 713e8 f. (with an interestingly chiastic formula: dêmosiai kai idiai tas t’oikeseis kai tas poleis dioikein) and VII 788a5 (where we find the expression idiai kai kat’oikias). Again, at IX 855a5 f. he says that it would be „inappropriate for a regime in which the allotments must always remain the same and equal“ for them ever to „become public“ (dêmosia [...] gignesthai; i. e. revert to the city e. g. as a penalty for a certain crime). At this point, we might ponder whether it would not be helpful to construe the idion/dêmosion-koinon distinction in terms of „individual or particular vs. collective“ rather than in terms of the „private vs. public“. Such a construal will certainly not dissolve the tension just mentioned, because „individual“ and „collective“ are no more compatible than „private“ and „public“. But it is certainly useful in two important respects: generally and negatively, it helps by removing some undesirable („modern“) connotations of the term „private“;21 20 Cf. also IX 877d6–e2: „and they [the Law-wardens and priests responsible for the procedure at issue] shall bear in mind this principle, that no house of the 5040 belongs as much, either by private or public right, to the occupier or to the whole of his kindred as it belongs to the State; and the State must needs keep its own houses as holy and happy as possible.“ 21 Cf. Casevitz 1998, 45 who concludes his analysis about the terminology of the private and the public in Greece with the following observation: „Ce qui semble remarquable, quand on regarde le vocabulaire, c’est qu’il n’y a pas, à l’origine, de ,vie privée‘. Le privé, c’est le ,particulier‘ [...] Le particulier, c’est la plus petite unité commune du public, du commun“.
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positively and with special attention to the Laws, it so happens – and this is certainly not by chance – that the order in which legislation is presented in the Laws follows the various stages of an individual life, from one’s birth to one’s death.22 And this story, not unexpectedly, will include some episodes that we would classify as „public“, and other that we would classify as „private“.23 Here is a selection of some of the main topics belonging to the household-bound (and thus, with due reservations, „private“) aspect of an individual life, in the sequence in which they appear in the Laws. 1. Marriage (a: the parents): IV 721a6–721d6 (cf. VI 773e5–774a1) 2. Marriage (b: the children): VI 771e1–772a6 (the encounter), 772e7–773e4 (justifying the choice) 3. Procreation: VI 775b4–e4; 783d4–785b9 4. Early education (from the foetus to ten years): VII 788c6–804c124 5. Educating the children after their 10th year: VII 804c2–822d3 6. Hunting: VII 823b1–c1; 824a11–19 7. Sex: VIII 835d3–842a3 8. Religion: X 909d7–910d1 (cf. VII 800c5–d5: public sacrifices) 9. Bequests: XI 923a2–925d6 10. Funerals: XII 958b7–960b1 How do these „private matters“ fare, then, in the Laws? 22 Or, more exactly, from the marriage of the parents to the death of the children. On compositional principles in the Laws, cf. Laks 2000, 265 f. 23 One relevant passage in this respect is VI 779d1–d6: „And now that these buildings and those of the market-place, and the gymnasia, and all the schools have been erected and await their inmates, and the theaters their spectators, let us proceed to the subject which comes next after marriage, taking our legislation in order“. Especially telling is also the juxtaposition of marriage, procreation, education, and offices at VII 842d6–e2: „This he will do, now that he has already enacted the most important laws, which deal with marriage, and with the birth and nurture and education of the children, and with the appointment of magistrates in the State. For the present he must turn, in his legislating, to the subject of food and of those whose labors contribute to its supply. First, then, let there be a code of laws termed ,agricultural‘“. Such a passage not only testifies to the porosity of the boundary between private and public, it also shows that individual life is just an episode of the life of the polis. 24 There are further subdivisions: from the foetus to three years, 788c6–793e3; from three to six years, 793e3–794c3; from six to ten years, 794c3–804c1.
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9.3 „Private“ matters
Plato explicitly states very early in the Laws that legislative (public) control must be exercized over every aspect of the individual life of the citizen of the secondcity:
And in regard to their marriage connections, and to their subsequent breeding and rearing of children, male and female, both during youth and in later life (631e) up to old age, the lawgiver must supervise the citizens, duly apportioning honor and dishonor; and in regard to all their forms of intercourse he must observe and watch their pains and pleasures and desires and (632a) all intense passions, and distribute praise and blame correctly by the means of the laws themselves. Moreover, in the matter of anger and of fear, and of all the disturbances which befall souls owing to misfortune, and of all the avoidances thereof which occur in good-fortune, and of all the experiences which confront men through disease or war or penury or their opposites, – (632b) in regard to all these definite instruction must be given as to what is the right and what the wrong disposition in each case. It is necessary, in the next place, for the law-giver to keep a watch on the methods employed by the citizens in gaining and spending money, and to supervise the associations they form with one another, and the dissolutions thereof, whether they be voluntary or under compulsion; he must observe the manner in which they conduct each of these mutual transactions, and note where justice obtains and where it is lacking. To those that are obedient he must assign honors by law, but on the disobedient he must impose (632c) duly appointed penalties. Then finally, when he arrives at the completion of the whole constitution, he has to consider in what manner in each case the burial of the dead should be carried out, and what honors should be assigned to them. This being settled, the framer of the laws will hand over all his statutes to the charge of Wardens – guided some by wisdom, others by true opinion – to the end that Reason, having bound all into one single system, may declare them to be
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ancillary neither to wealth nor ambition, but to temperance and justice. (I 631d6–632d1)25 There is no shortage of texts in the Laws confirming that the regulation of the citizens’ life takes place not only at a general level (something which would perfectly be compatible with modern conceptions of what regulation should be), but bears on the most minute details of individual behavior. It is perfectly obvious that the share accorded to the private in the Platonic city is rather thin, to put it mildly. Here are two striking illustrations of the reach of these legislative regulations: 1) the choice of spouse In view of the fellowship and intercourse of marriage, it is necessary to eliminate ignorance, both on the part of the husband concerning the woman he marries and the family she comes from, and on the part of the father concerning the man to whom he gives his daughter; for it is allimportant in such matters to avoid, if possible, any mistake. To achieve this serious purpose, sportive dances should be arranged for boys and girls; (772a) and at these they should both view and be viewed, in a reasonable way and on occasions that offer a suitable pretext, with bodies unclad, save so far as sober modesty prescribes. Of all such matters the officers of the choirs shall be the supervisors and controllers, and also, in conjunction with the Law-wardens, the lawgivers of all that we leave unprescribed. (VI 771e–772a) 2) the begetting of children In charge of them there shall be the women-inspectors whom we have chosen, – more or fewer of them, according to the number and times of their appointments, decided by the officials; and they shall meet every 25 Cf. also VI 780a1–7 (in relationship with the obligation made to married couples to participate in public common meals): „Whoever proposes to publish laws for States, regulating the conduct of the citizens in State affairs and public matters, and deems that there is no need to make laws for their private conduct, even in necessary matters, but that everyone should be allowed to spend his day just as he pleases, instead of its being compulsory for everything, public and private, to be done by a regular rule, and supposes that, if he leaves private conduct unregulated by law, the citizens will still consent to regulate their public and civil life by law – this man is wrong in his proposal.“
A L day at the temple of Eileithyia, for a third of an hour, or more; and at their meetings they shall report to one another any case they may have noticed where any man or woman of the procreative age is devoting his attention to other things instead of to the rules ordained at the marriage sacrifices and ceremonies. (784b) The period of procreation and supervision shall be ten years and no longer, whenever there is an abundant issue of offspring; but in case any are without issue to the end of this period, they shall take counsel in common to decide what terms are advantageous for both parties, in conjunction with their kindred and the women-officials, and be divorced. If any dispute arises as to what is fitting and advantageous for each party, they shall choose ten of the Law-wardens, (784c) and abide by the regulations they shall permit or impose. The women-inspectors shall enter the houses of the young people, and, partly by threats, partly by admonition, stop them from their sin and folly: if they cannot do so, they shall go and report the case to the Law-wardens, and they shall prevent them. If they also prove unable, they shall inform the State Council, posting up a sworn statement that they are ,verily unable to reform So-and-so.‘ The man that is thus posted up, – (784d) if he fails to defeat those who have thus posted him in the law-courts, – shall suffer the following disqualifications. (VI 784a1–d2)26
Reading these texts and similar ones is likely to provoke either fear or laughter – most probably both. Laughter was expected by Plato to be a reaction to his proposals in the Republic, and it also has a role to play in the Laws, as we shall see in a moment.27 And whereas our fear is certainly marked by our experience of modern totalitarianisms and their eugenic policies, it is also a fact that Plato’s regulations were already repellent to Aristotle, who in Book II of his Politics criticized them by stressing that the conception of unity they presupposed suppressed the very essence of the city, namely multiplicity (Popper 1945; cf. Arist. Pol. II 2, 1261a14–30, and 5, 1263b29–35).
26 On eugenics, cf. also VI 772e7–773e4. 27 Laughter in the Republic: V 452a7–c2 (concerning the proposal of having naked women exercising gymnastics in common with men).
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Presenting things in this way is far from wrong. On the other hand, it does not do justice to a number of features present in Platonic legislation. And it is on some of these features I would like to concentrate in the rest of this paper, in part because they are (I think) interesting, and in part because they are somewhat overlooked in the current literature.28 We have already seen that the idea that there is no private life in the Laws conf licts at some level with the move (conceptualized as such) to grant citizens some kind of property or ownership, in deference to their humanity. Thus from Plato’s point of view it is important from the start that the family be a foundational element of the city and its most basic institution, even if, for that very reason, this institution has to be handled by the city with the utmost care and attention. The impact of this move is felt on three different levels. First, Plato provides us with a number of indications of what an individual life looks like in Magnesia. I have seen a wonderful young boy or girl in one of those publicly organized feasts: what next (cf. VI 772d5–e4)? I want to irrigate my land, how should I proceed (cf. VIII 844a1–d2)?; my cousin has been murdered, I should hasten to take the relevant steps in order that his murderer be exiled lest my cousin’s phantom shows up at my door and pursues me (see infra, note 38); etc. All these indications are of foundational value for historians of ancient Greece, but also for an appreciation of Plato’s handling of his historical heritage, which might be, depending on the cases, either more conservative or more progressive than we would expect: more conservative, because, contrary to the general spirit of the Republic, a great number of institutions of the „second“ city ref lect or adapt current (mostly Athenian) practices; and more progressive, because, perhaps equally against expectation, there are important areas, such as education and penal justice, where Plato’s proposed reforms are not only for the
28 What I shall not do here is to engage in an anti-popperian defense of Plato, first because this has been done and well done more than once (see most recently Neschke 2012 with further literature), second because it seems to me that the interesting question is not to decide whether Plato’s city suppresses individual liberty or relies on a truer concept of liberty, but to recognize that these two readings equally ref lect a crucial aspect of Plato’s thought – which is also a problem, of course. On liberty in Plato, see Laks 2007c.
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worse, but also for the better. The reader may be referred here to a number of studies that deal extensively with the historical background of the Laws.29 A second level at which the presence of the family is felt in the Laws is of a more internal nature and will detain me a bit more. The point here is that in spite of the extended control that the city has over life in general and over private (i. e. family) life in particular, family also limits the city’s power over its affairs: that is, certain aspects of „private life“ simply resist the city’s control, forcing the legislator to make concessions even beyond the „initial“ concession of land-tenure. Admittedly, there are not many such cases in the Laws, and it is significant that the most prominent concession of this type is to be found in the public rather than in the private sphere. The situation is the following: the Athenian legislator agrees with the „ancient saying“ according to which friendship is founded on „equality“ (VI 757a5 f.);30 but equality has two different meanings. There is, first, „arithmetical“ equality, which implies that every citizen is worth the same as any other, and then there is the „truer and better“ equality (757b5 f.), namely the „geometrical“ one (cf. Grg. 508a4–8), which implies that those who are unequal (in some respect) receive an unequal share of power. Now to understand that geometrical equality is a form of equality, and that it is, moreover, the more genuine one, is not an easy task. It requires an education that not every citizen is going to possess. In order to avoid the result that its enforcement should simply reproduce, at a higher level, the very disagreement which it was meant to prevent, the Athenian proposes to grant some (limited) space to the lesser form of equality (i. e. the arithmetical one) – not much, but enough to leave the mass of the citizenry content; the way to do this will be to allow some offices to be distributed by lot. One can discover a corresponding situation within the private sphere, although both its identification and its interpretation are less obvious, in part because the concession remains implicit (whereas it is presented as a concession in the case of „equality“), in part because it involves a number of intricate juridical details. The point is here that some of the principles that guide the handling of „pri29 Morrow’s book (2 1993), whose subtitle is „A Historical Interpretation of the Laws“, is fundamental in this respect. For Plato’s legislation on education and justice as based on progressive principles, see Saunders 1991a. 30 This adage is also of Pythagorean origin, cf. Diogenes Laertius VIII 10. For further references, see Schöpsdau 2003, 389.
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vate“ suits tend to go against the dialogue’s official penal philosophy.31 In the case of certain crimes, such as certain types of homicide, the family of the victim stands under the obligation to get compensation for the crime, lest they themselves incur the anger of the dead person.32 And since the anger of the dead person amounts to a simple desire for revenge, taking it into account means disregarding the principle that punishment should not look towards the past, aiming to obtain compensation for the victim, but should on the contrary look to the future, being conceived as an educative process aimed at improving the criminal’s soul (cf. Saunders 1991a, 139 ff. (and passim) and on law molding and improving the character Morrow 2 1993, 552). This example shows that and in what sense there is some room in the Laws for the preservation of a private sphere. Admittedly, this preservation does not occur where we would have expected or wished it to occur – rather the contrary, for in this case family values imply a regression to archaic ideas and practices, and that precisely in the one field – penal legislation – where Plato’s ideas may be classified as „progressive“.33 Further, and more importantly from a philosophical point of view, neither is it an open concession, as was the policy to assign certain offices by lot. Instead we appear to be dealing here with a survival or vestige of past ways of doing things.34 This should not really cause surprise. For, as I have already mentioned, one important feature of the Laws is that it accomodates historical
31 This has been shown in a fine article by Saunders 1991b. Private suits are what is refered to under the heading „private justice“ in Morrow’s 2 1993 index. This is not justice exercised by the members of the family as opposed to justice exercised by courts (cf. Aeschylus’ Oresteia), but rather concerns harm done to an individual, as opposed to the community or city (cf. Morrow 1960, 264). The different levels of juridiction competent for those cases (there are three of them) may be called „private courts“ (see Morrow 2 1993, 256, n. 27). For the distinction between private wrongs and public wrongs, see Lg. VI 767b4–c2, 767e9–768b3 (cf. also Rep. IV 442d). 32 Cf. Saunders 1991a, 119: „As in Athens, homicide law [in Magnesia] is firmly based on the family: it is the duty of a relative of the dead person to undertake the prosecution of the killer; and Plato is insistent that a relative in dereliction of his duty can expect the anger of the dead to arrive at his own door (866b; 871b), and himself to become liable to prosecution“. 33 On Plato’s „medical penology“, cf. Saunders 1991a, 169 ff. 34 On such survivals in the Laws, cf. Gernet 1917.
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realities; and, as Marx would have insisted, no one can ever jump over his own historical horizon.35 By contrast with the two former levels, the third one I wish to pinpoint implies neither concession nor survival. Here private matters become rather a tool in the legislator’s hands. Given the overall treatment of private matters in the Laws, this of course is cause for surprise. Two cases may be distinguished, the second by far the more interesting. In the first, the legislator simply makes use of a feature of private life in spite of the fact that, taken in itself, it escapes his control. In other words, he simply makes the best of a bad situation. By contrast, in the second case, a feature of private life downright lends itself to fostering the legislative project – as if some kind of objective collaboration were taking place between family structure and legislative expertise. Here are the two cases.
9.3.1 Household as a hiding place At the end of the long passage regulating sexual relationships, the Athenian sketches two possible laws (VIII 840c11–841c2). The first law, which would be the best, would require young citizens to live chaste and celibate lives without sexual intercourse until they arrive at the age for breeding; and when they reach this age [to] pair off, as instinct moves them, male with female and female with male; and thereafter [840e] [to] live in a way that is holy and just, remaining constant to their first contracts of love. (VIII 840d5–e1) But given that „,lawless Love‘ (as it is called)“ is likely to exercise its formidable power, a second law must be devised which will first foster the practice of sports and second regard hiding (lanthanein) in such actions as honorable – sanctioned both by custom and by unwritten law; and not hiding (mê lanthanein) – 35 It would be interesting to look from this angle at what Plato has to say about the status of women (cf. Saunders 1995). Aristotle too would present interesting examples of a tension between the implications of conceptual analysis and historically explainable prejudices.
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yet not the entire avoidance of such actions – as dishonorable. Thus we shall have a second standard of what is honorable and shameful established by law and possessing a second degree of rectitude. (841b2–6) In other terms, „lawless sex“ (whether this refer to homosexual relationships or other forms of sexual „deviance“) should be protected by „privacy“ (whether privacy in this case is provided by households or not). Hiding (lanthanein) is a way of suppressing, whenever suppressing is not possible (cf. Demosthenes, Against Aristogiton, 88 f.: „to shut the eyes“).36 Not the best solution for the legislator, but a useful one nevertheless.
9.3.2 Objective collaboration: the form of the law Much more refined and deeper is the second type of situation. In order to understand its importance, it is necessary to realize that one crucial feature of the work entitled the Laws is that it aims both at establishing the „rule of law“ and at developing a critique of law. There is no contradiction there, as soon as we see that Plato considers law under two different aspects – content and form. Law should rule, as far as its content is concerned, because it is essentially what reason commands; but law should be abolished as far as its form is concerned, because, according to the common understanding (which is also Plato’s understanding), law is an order accompanied by a threat of penalty, and thus a form of violent, and to that extent un-political, source of motivation37 – whence the idea that „preludes“, and not laws, are the fundamental political factor, not to mention the many tensions and complex dialectic that result from this double perpective.38 But of interest here is the way that private life, though usually a source of resistance to innovations in law’s content, is a positive resource for innovations in form. 36 Interestingly, Plato does not here use the root idio-, contrary to what is suggested by Bury’s translation (which uses the pair privacy/no privacy for lanthanein/mê lanthanein). 37 Law as violent threatening order: Lg. IV 722b4–c1; cf. 722e7–723a2. 38 At IV 722e1–7, the Athenian presents the „preludes“ as the great innovation of the Laws. I have analysed this conceptual constellation in Laks 2005; cf. also Laks 2000, 285–290.
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The passage that bears on this most directly is found at the beginning of Book VII, just after „the children are born“ (which are the first words of the book). The legislator remarks that he now faces a dilemma: these children must be nutured, but on this matter it is as impossible for him to legislate as it is for him to keep silent.39 The very multiplicity and frequency of the problems which must be adressed makes law seem inappropriate, and that in two respects; first, it would be incapable of producing the many series of detailed prescriptions that particular situations require, and second, it would be incapable of ensuring that such prescriptions are adhered to by the relevant individuals, namely mothers and nurses (788b4–6). For example, experience shows that living organisms must compensate for the perturbations resulting from rapid growth: absorption of food must be compensated for by an equivalent expenditure of energy in the form of physical exercise (cf. Cra. 414a8–b2; etymology of thallein). Now growth begins even before birth and progresses in the first five years at a rate far greater than that of later developmental stages;40 even fetuses should exercise, because they absorb so much food. Should a law be promulgated, then, directing that fetuses and children up to three years shall be submitted to continuous movement, first by their mothers, during gestation, and then by their nurses (790c7 f.), and prescribing penalties for infringement (as seems required by the very nature of law; VII 789e4; cf. 790a1 f.)? The very idea of such a law has the air of the ridiculous about it (790a5); moreover it would be extremely divisive, in that while mothers and nurses, to whom such laws are actually addressed, would not „obey“ (peithestai: 790a6),41 the (male) citizens, conscious that such prescriptions are fundamental for the success of the larger enterprise, would side with the legislator. This „domestic“ disagreement is the social manifestation of the legislative dilemma. While the women’s reaction stresses the difficulty of legislating on this topic, that of responsible minds testifies to the impossibility of keeping silent: left to itself, the so-called private sphere (idia kai kat’oikias: 788b2) would produce a citizenry 39 There are four references to this dilemma: VII 788a3 f.; 788c1 f.; 793b2 f.; and 822e2–4. The last, which comes at the end of Book VII, widens the perspective. The dilemma is also the structuring principle of the confrontation between men and women, cf. infra. 40 According to a common view, between the ages of five and twenty five a man only doubles his size (cf. Stein 1966, 49). 41 Given that the term in Greek means both „obey“ and „be persuaded“, it also forecasts the only possible justification of the women’s conduct (see below).
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that was heterogeneous in character, thereby undermining the whole legislative project. One might expect that the advantage would lie with the fathers, who are defending the public interest, by contrast with the mothers and nurses, whose recriminations assert an interest that is essentially personal, particular, and private: the fathers’ argument (after all) is correct; it asserts and defends the values of the city; moreover the fathers are free, and as such are opposed to the servile minds of the nurses (who are associated with the mothers). As a matter of fact the legislator does decide to follow the path of „legislation“ (790b8); but the advantage won by the law is only apparent. For in one respect at least, it is the reaction of the female component of the household that is correct: what their reaction suggests (though they themselves do not necessarily understand this) is that „legislation“ on these matters cannot take the form of law. The solution to the embarrassment that results from the impossibility of both promulgating such a law and refraining from promulgating it is provided by the introduction of a type of discourse that, while akin to law, does not coincide with it. „Unwritten law“ is its traditional name. Transmitted from one generation to the next, ancestral customs are marked by neither the violence nor the rigidity characteristic of written legal prescriptions. In fact, being unwritten, they „speak“, better than any law engraved in stone could do.42 Now, the form of „unwritten laws“ is relevant not only for child-rearing, but for legislation in general. This is confirmed for example by the case of matrimonial laws. Unwritten law, contrary to „explicit“ law43 , imposes itself by means of „praise“ (epainos) and „reproach“ (oneidos). These are the typical resources (even if there are other, both more and less rational) of the legislative „preludes“, which, contrary to the law, rely on persuasion, and not on constraint (773d6). How this persuasion works, whether all of it is rhetorical, and thus irrational, or some of it can be (and should be) rational in nature, is the matter of an interesting debate, which need not detain us here.44 The relevant and extremely striking point, especially in a work so fundamentally preoccupied with reducing its own sphere of
42 Obviously, endorsing the traditional notion of unwritten law need not imply adopting their traditional content (although it does not exclude it either). 43 This I take to be the meaning of dia logou: 773c3. 44 For the debate about the nature of persuasion in the Laws cf. Bobonich 1991; Brisson 2000; Laks 2007b.
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inf luence, is that „private life“, taken in one of its most private aspects – children’s „pre-school“ education – offers a paradigm for a new form of legislation.
9.4 Conclusion The Laws are usually taken, from a modern perspective, and even from some ancient ones (Aristotle, as we have seen, is a case in point), as launching a rather wild attack on private life. This is wholly justified, and can be easily exemplified in many more passages than those I have quoted or referred to (e. g. X 909d7– 910d: prohibition of private religious practices; XI 923a–b12: recommandations for writing one’s testament; XII 950d4–e2: interdiction to travel abroad). Nevertheless I have insisted on the positive role that some features of private life – and especially one of them – play for „legislative“ practice, understood in a Platonic sense. And this is, I think, an interesting angle. But it is not the only angle from which the problem of „private life“ in the Laws – and in Plato in general – can be approached. And I would like to point, by way of a conclusion, to two directions from which the problematic could and should also be approached – and the analysis correspondingly complexified. First, one should not forget that the Laws, in subordinating the individual to the aims of the community, represents an important moment in a more general process that has led to a restriction of familial privileges in the name of the public interest. In Plato’s time, the main steps in matter of justice had already been taken, in spite of the survivals that can be spotted (as we have seen above) even in his own work. But the idea that education was the responsibility of the city, rather than of the family, was yet to come. In the Laches 179d Laches and Melesias complain that their own fathers „neglected [their] education, while there were busy with alien business“ (the reference is, as the context shows, to political affairs). This is a clear indication that education was commonly thought of as a „private“ matter.45 By the time Aristotle was writing Book VIII of his Politics, the situation had not evolved: 45 Cf. Nagle 2006, 221: „The principal education of the vast majority of Greeks – men, women, and children, elite and non-elite, rich and poor – was incidental. It was acquired largely by actual involvement in the institutions and social, cultural, military and political activities of everyday polis life; hence, the often-repeated endoxic assertion in the texts that the laws and the institutions of the state teach“ (with further references).
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And since the whole city has one end, it is manifest that education should be one and the same for all, and its care public (koinên) and not private (kai mê kat’idian), not as at present, when everyone looks after his own children separately and give them separate instruction of the sort he thinks best. The training in things which are of common interest should be made the same for all. (Pol. VIII 1, 1337a21–27; trans. Jowett/Barnes) In this respect as in many others, Aristotle, who had leveled a severe criticism of Plato’s cities in Book II of his Politics on the ground that he did not leave any space to the individual, was deeply indebted to the Laws, one of the most convincing and fruitful insights of which is that it is the city, and not the individual, which must take in charge the education of children through the development of an obligatory schooling system.46 A second – and conceptually related – point is that there are, in Plato, two ways of construing „privacy“, if privacy refers to „what is mine“ or „what belongs to me“ – one negative, one positive. In this essay, I have focused on the term idios, which usually refers to the „private“ in a negative sense – to what has to do with private interests, egoism, and eventually the irrational drive of pleasure and lust. In one of the most famous passages of the Laws, which is commonly seen (rightly, I think) to put an end to the dream of the philosopher-king,47 Plato coins a wonderful word in order to refer the principle of self-centered action (in a certain sense of the term „self“): idiopragia, „acting in one’s own interests“ (Lg. IX 875b7).48 Allowing for „private allotment“ and „household“ is a way to pay lip 46 Hence the importance of the idea of a „social pedadogy“ (cf. Natorp 1922, 7: „Der Mensch bildet sich zum Mensch nur in menschlicher Gemeinschaft. Umgekehrt besteht und entwickelt sich eine menschliche Gemeinschaft allein durch die menschliche Bildung ihrer Glieder. Sie bedeutet im höchsten Sinn Gemeinschaft des wesentlichen geistigen Inhalts des Daseins: Gemeinschaft der Erkenntnis, des Wollens, selbst des künstlerischen Empfindens [...] Diese notwendige Wechselbeziehung der Begriffe Bildung und Gemeinschaft in Erinnerung zu halten, soll der Ausdruck ‚Sozialpädagogik‘ uns dienen“). On the history of education in Antiquity, see Marrou 1948. 47 For a discussion of this point, cf. Laks 2012, 29 ff. 48 The term is coupled with pleonexia. Later uses of this or related words registered in the LiddellScott-Jones (in the Ps.-Aristotelician Problemata, Philodemus, Diodorus of Sicily, etc.) probably derive from this passage (see, e. g., Diodorus 18. 52, pros idiopragian hormomenos: setting on „on a private venture“). There is an interesting entry in Hesychius: idiopragei = ta idia prassei, hêsuchazei (= to mind
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service to this kind of motivation, which is really a form of „selfishness“ that leads to disaster when joined to and abetted by power – monarchic or otherwise.49 On the other hand, there is my true self. This true self is, in the spirit of the Alcibiades, my soul, as indicated by the Athenian at the beginning of the general prelude to his legislation – the only prelude of the laws which is not followed by a law, because if it was persuasive, no further law would be necessary (V 726a1–729b1). What matters here is the most precious of my belongings (to hautou ktêma). Significantly, Plato avoids referring to this true self as something „private“, if by „private“ it is meant what is covered by the term idion. On the other hand, this self is explicitly and emphatically described as what is most „proper“ to me (pantôn gar tôn hautou ktêmatôn meta theous psuchê theiotaton, oikeiotaton on: 726a2 f.).50 What we are witnessing here is a specifically Platonic process of specializing the meaning and application of the two adjectives oikeios and idios. Oikeios, which etymologically refers to the household (oikos), commonly applies not only to the individual himself, but to his family and relatives. In a kind of inverted extension of the „household“ terminology (an extension „within“, as opposed to an extension „outside“), Plato, at the beginning of Book V, uses oikeios to refer to what „really“ belongs to me – my „innermost“ self. This use stands in an obvious and strong contrast with that of idios in the idiopragia passage in Book IX. Indeed, the coining of idiopragia at this crucial juncture in the Laws must deliberately echo another of Plato’s coining, that of the term oikeiopragia at Rep. IV 434c8 (also hapax in the Platonic corpus), where it refers to the three Platonic kinds of citizen „doing their own [task] (ta hautou prattontos) in the city“. More generally, when it does not simply refer to „individual“ life in the descriptive and neutral sense we spotted above, idios in Plato tends to have negative connotations. It is true that, one’s own business). This is definitely not the regular Platonic sense of idios, but points exactly to the problem I am drawing attention to in the present paragraph (i. e. the fact that there in fact are two Platonic selves). 49 See the passage quoted in the previous note (for monarchic power); cf., on a lesser level, VI 763a: agronoms should not have anyone attending their personal needs (epi ta idia), but only for the purpose of the city (eis ta dêmosia). 50 „Of all a man’s own (hautou) belongings, the most divine is his soul, since it is most his own (oikeiotaton)“. Bury follows England in suppressing the words „after the gods“. Would the gods, if we keep the transmitted reading, be necessarily thought of as one of my own belongings? The sentence is open to a weaker reading. Alternatively, the paradox could be precisely Plato’s point. Schöpsdau 2003 does not comment on this problem.
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in the very passage of Book IX where idiopragia appears, idios also appears, in one sentence at least, to refer to the „true self“: No man’s nature is naturally able both to perceive what is of benefit to the civic life (eis politeian) of men and, perceiving it, to be alike able and willing to practice what is best. For, in the first place, it is difficult to perceive that a true civic art (politikê technê) necessarily cares for the public, not the private interest (ou to idion alla to koinon), – for the public (to koinon) interest bind States together, whereas the private (to idion) interest rends them asunder, – and to perceive also that it benefits both public and private interests alike (tô koinô te kai idiô, toin amphoin) when the public interest (to koinon), rather than the private (to idion), is well enacted. (IX 875a2–b1; my italics) But the italicized sentence in fact confirms, rather than contradicts, the tendency just mentioned. Plato’s point here is rhetorical. Because of the binary opposition on which the construction of his sentence relies, his denial of the traditional opposition between idios and koinos would have been much less effective, had he used the „proper“ term, oikeios, instead of the „improper“ one, namely idios. But rhetorical efficiency should not conceal the fact that the „private interest“ fostered by the public interest cannot coincide with the private interest I am after when I disregard the public one. Another way to make this point is to say that the individual-cum-healthy-soul is neither a private individual nor a public person, but stands above and beyond the many layers of the distinction between private and public.51 The Platonic citizen, because he is his true self, is apt to act virtuously in both the private and the public sphere.52 There is certainly something to be said in favor of this conception, even if, no less certainly, the manner in which Plato implements it in his Laws remains highly problematic.53 51 The fact that the article is not repeated before idioi, in the turn tô koinô te kai idiô, toin amphoin, may be interpreted as ref lecting the inseparability of the two notions. 52 Murgier’s analysis of the uses of oikeios in the Republic (forthcoming) fully confirms this. Murgier 2013 also shows that Plato’s specific version of what oikeion is prepares the way for the Stoic version of oikeiosis. 53 An earlier version of the present paper was presented in November 2012 at the Ancient Philosophy Workshop of the University of Chicago (Gabriel Lear) and at the Notre Dame Workshop in Ancient Philosophy at the University of Notre Dame (Sean Kelsey). During these two lively sessions,
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10 Eckart Schütrumpf
Gesetze und Strafrecht
10.1 Der weitere Rahmen von Strafgesetzgebung in den Nomoi „Es trifft sich so, dass der größte Teil der Gesetze Gesetze sind“, kalauert Aristoteles zu Beginn seiner Kritik an Platons Nomoi im II. Buch der Politik (II 6, 1265a1 f.). Und so ist diese Bemerkung auch eher witzig als zutreffend; denn, wie E. B. England berechnet hat, nimmt das „Gespräch über Gesetze“ (IV 722c9 f.; I 641d8; VII 799d5) genau doppelt so viel Raum ein wie die Gesetzgebung selbst,1 nur ein Drittel der Nomoi enthalten Gesetze. In der ersten Hälfte des Werkes Nomoi wird überhaupt kein Gesetz gegeben – dasjenige über Ehe und Heiratsalter in Buch IV dient der Erläuterung der Aufspaltung eines „doppelten Gesetzes“, das überredet und Strafe androht (IV 721d6 ff.; schon 718b2 f.), in das dem Gesetz vorausgeschickte Proömium einerseits, das zu überzeugen versucht, und das einfache, „unvermischte“ Gesetz andererseits, das nur in knappster Form die Regelung, das Verbot und die Strafbestimmung enthält (719e7–723d4). Erst in Lg. V kann Platon „das Proömium der Gesetze“ als abgeschlossen darstellen (734e3), und erst nach weiterem Aufschub wird in 737d7 f. bemerkt: „die Unterhaltung soll sich der Gesetzgebung zuwenden.“ Aristoteles’ Bemerkung hilft aber, den Stellenwert von Strafgesetzen in Platons Nomoi zu bestimmen. Dieses Werk beabsichtigt mehr, als nur (Straf-)Ge1 England, 1921, Bd. 1: Von den 321 Seiten der Nomoi behandeln nur 107 spezifische Gesetzesregelungen.
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setze zu erlassen, es betont die Neuheit des Verfahrens, Gesetzen Proömien vorzuschalten (IV 722e). Mit diesen wird den Gesetzen nicht einfach ein zusätzliches Element vorangestellt, sondern die Gesetzgebung, die auch die Proömien formuliert, wird damit neu gewertet. Im Rahmen der Gesetzgebung sollte es mehr geben als Bestimmungen, die die Übertretung einer Norm zur Voraussetzung haben und sich an den Kriminellen und die ihn richtenden und strafenden Organe wenden, wie dies Strafgesetze tun. Der Athener erklärt es in IX 853b4 als beschämend, in einer guten Stadt überhaupt Gesetze erlassen zu müssen, und ergeht sich über die allgemeine Schwäche der menschlichen Natur – dies ist eine der Grundannahmen, die die Notwendigkeit von Erziehung bzw. Gesetzgebung erklärt.2 Selbst angesichts dieser menschlichen Anfälligkeit sollte die Rolle des Gesetzgebers nicht mit der eines Tyrannen, der anordnet oder droht (IX 859a), gleichzusetzen sein, sondern mit der von Vater und Mutter – dies ist ein erstaunliches, höchst modernes Erziehungskonzept, nach dem die Eltern nicht züchtigen, sondern zunächst an den Erfolg von Belehrung und Ermahnung glauben. Und so ist die Aufgabe des Gesetzgebers nicht damit erledigt, dass er Gesetze erlassen und Drohungen ausgesprochen hat (IX 859a), eher umgekehrt: Wegen des Gewichts, das auf Belehrung und Erklärung liegt, kann man bisweilen auf Gesetze verzichten. So soll man das Verfolgen von finanziellem Vorteil beim Heiraten nicht durch Gesetz, sondern Tadel verhindern.3 Entsprechend kündigt der Athener in V 730b3 ff. an, alles das zu behandeln, „was nicht das Gesetz, sondern Lob und Tadel durch Erziehung bewirkt“. Es gibt etwas, das zwischen Gesetz und Ermahnung liegt; es muss vom Gesetzgeber ausgesprochen werden, ist aber kein Gesetz. Dieses sind die Vorstellungen des Gesetzgebers von den Dingen, die schön oder nobel (kala) sind. Und so ist auch die höchste Qualität des Bürgers nicht einfach, dass er den Gesetzen gehorcht, sondern darüber hinaus, dass er sich auch den Vorschriften, in denen der Gesetzgeber lobt und tadelt, fügt (VII 822e5 ff.). Der Bürger Magnesias soll die Werte dieser Gemeinschaft verinnerlicht haben, aufgrund von Erziehung und Belehrung, und wenn möglich mit Strafgesetzen nie zu tun bekommen.
2 IX 854a1. Platon formuliert diesen Gedanken häufig, vgl. III 691c5–d5; IX 875a1–c3; XI 918c9 ff.: Schwäche der Menschennatur, Maß zu halten; vgl. VIII 843c4 f. 3 VI 773e2; vgl. 773c8 ff. Das Gesetz über Ehrungen derjenigen, die die Gesetze hoch achten, und der tapferen Krieger gibt eher Rat, als dass es mit Gewalt droht: XI 921e5.
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Nach gewöhnlichem Verständnis sei das, was die Unterredner dieses Gesprächs tun, nicht Gesetzgebung, sondern Erziehung (IX 857e4) – diese traditionelle Unterscheidung von Erziehung und Gesetzgebung wird in den Nomoi aufgehoben, indem Erziehung zur Hauptaufgabe der Gesetzgebung gemacht wird. Die Nomoi selbst, d. h. die Unterhaltung, die hier mitgeteilt wird, wären das beste „Muster“ für einen Erzieher (VII 811d). Strafgesetze zu erlassen ist die weniger geschätzte Seite der Tätigkeit des Gesetzgebers des zu gründenden Staates; solche Gesetze sind nur das zweitbeste Mittel (so ausdrücklich IX 875d3), das Verhalten der Bürger in der gewünschten Weise zu beeinf lussen, und überhaupt nur für den Teil der Gesellschaft, der für Überredung und Belehrung nicht zugänglich ist, notwendig.4 Dagegen entfallen bei demjenigen, der die in den Proömien enthaltenen Belehrungen und Mahnungen befolgt, die Drohungen der Gesetze (IX 854c6 ff.; XI 927c7 ff.). In Lg. IX–XII, in denen Strafgesetze im Vordergrund stehen, sind es die Proömien und die bei der Regelung spezifischer Sachverhalte eingefügten grundsätzlichen Erklärungen, die dieses Werk zu mehr als nur einer Sammlung aneinandergereihter Einzelgesetze (IV 719e7 ff.) machen.
10.1.1 „Ordnende Gesetze“ Die auf die zitierte Äußerung des Aristoteles in Pol. II 6 folgende Bemerkung, Sokrates5 habe nur „wenig über die Verfassung gesagt“ (Pol. II 6, 1265a1 f.), ist nicht weniger unzutreffend. In Lg. III, bevor er auch nur ein Gesetz aufgeführt hat, beginnt der Athener mit „dem Ursprung der Verfassung“ (676a1), und er gibt Verfassung neben Gesetzgebung als Thema der gegenwärtigen Unterhaltung an (678a). Er kann im Hinblick auf den Verlauf des Gesprächs von einer schriftlichen Darstellung von „Gesetzen und der gesamten Verfassung“ sprechen (VII 822e4 f.; vgl. VI 781d; IX 858a). Anders als in den Gesetzen, die Strafe androhen, etablieren die „Gesetze einer Verfassung“ (V 734e5) die staatliche Ordnung, und ich bezeichne sie deshalb als „ordnende6 Gesetze“, im Gegensatz zu den auf Versäumnisse, Vergehen u. a. m. reagierenden und durch Strafen „korrigierenden 4 IX 880a6–9; vgl. XI 938a5 ff.; XII 941c2 ff.; Gegensatz Lob – Gesetz: 943a1 ff. 5 Dies ist ein Versehen, denn Sokrates ist nicht Mitunterredner der Nomoi. 6 Vgl. III 685b3 f. (diakosmein); IV 718b1 u. ö.; Grg. 504d.
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Gesetzen“. Insgesamt werden durch ordnende Gesetze die politischen Institutionen geschaffen, nach denen dieser Staat verwaltet werden soll. Noch in VIII 832b10 ff. erklärt der Athener, warum es die meisten der bestehenden Staatsformen nicht verdienen, Verfassungen (politeiai) genannt zu werden, und fügt hinzu, dass „die Verfassung, die wir jetzt in Gesetzen festlegen“, diese Mängel nicht besitze – die Gesetzgebung schließt hier und anderswo Regelungen, die Verfassung betreffen, ein. In Lg. VI kann der Athener sagen, die „Unterhaltung über die gesamte Verfassung sei nicht unglücklich verlaufen“ (781d). Bei der Gesetzgebung will sich der Athener an der guten Qualität der Verfassung ausrichten;7 Gesetze nehmen schon daher eine eher nachgeordnete Position ein, und noch mehr in einer eher grundsätzlichen Weise: In einem Zusammenhang, in dem die Mitunterredner die Bedeutung von Gesetzen eher herabsetzen, bezeichnen sie Gesetzgebung als eine Aufgabe, zu der sie zum Glück keine besondere Notlage zwinge (was in der Regel Gesetzgebung auslöst: IV 709a), sie seien vielmehr in einer Untersuchung (skepsis) darüber begriffen, was an der Verfassung insgesamt am besten und am notwendigsten ist (IX 858a1 ff.). Statt als Gesetzgeber der Not gehorchend pedantisch Gesetze ausarbeiten zu müssen und dabei noch dem Ideal der Exaktheit gerecht zu werden,8 erlaubt es ihre Beschäftigung mit der Verfassung, in einer eher theoretischen Weise Grundsätzliches wie die wünschenswerten Bedingungen einer Verfassung betrachten (katidein) zu können. Das verrät schon Lg. III: Die Radikalität in Knechtschaft wie in der Monarchie Persiens bzw. in Freiheit wie in der Demokratie Athens sei behandelt worden, „um zu erkennen (katidein), wie sich ein Staat der besten Zustände erfreuen kann und wie man persönlich sein Leben am besten leben kann“ (702a7–b1). Die bei der Verfassungsbetrachtung gewonnene Erkenntnis davon, was die Qualität eines Staates ausmacht, liefert auch die Erkenntnis über die Qualität des einzelnen Lebens, und diese wird in einer Weise formuliert, die an Sokrates im Gorgias erinnert.9 Es sind aber die Einzelgesetze, die das Verhalten jedes Einzelnen regeln: Durch die Gesetze für das ganze Leben von Ehe über Fortpf lanzung bis zur 7 Vgl. IV 707d1 f.: Gesetze orientieren sich an den Verfassungen. Das übernimmt Aristoteles: Gesetze muss man auf die Verfassungen ausrichten und nicht umgekehrt: Pol. IV 1, 1289a13–15. 8 VI 769d. Dies galt als ein Ideal; vgl. Arist. Pol. II 12, 1274b7 f. über Charondas. 9 Grg. 512e4 f. Man soll nicht nach einem langen Leben streben, sondern sehen (skepteon), „wie man dieses Leben am besten leben kann.“
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Bahre10 soll in den Bürgern die richtige Einstellung zu Lust und Schmerz durch Lob und Tadel geformt werden (I 631d–632b). Der Gesetzgeber wird „in aller seiner Gesetzgebung“ zu erreichen versuchen, dass die Bürger so gut wie möglich durch Überzeugung für die aretê gewonnen werden (IV 718c8–10). Und so steht irgendwie über den Gesetzen mit ihren facettenreichen Bedeutungen, seien sie ordnend, erziehend oder korrigierend, der Nomos. Nomos, das Gesetz, enthält den Kern, das Grundprinzip, an dem sich die Einzelgesetze orientieren, sodass, wie das Marionettengleichnis im I. Buch darlegt, der „Leitung durch Berechnung (logismos), die das allgemein gültige Gesetz der Polis genannt ist, jeder, Stadt wie Privatmann, folgen muss“ (I 645a1). Erziehung ist die Führung der Jugend zu dem vom Gesetz bestimmten richtigen logos (II 659d).11
10.1.2 Lg. IX–XII. Korrigierende Gesetze. Die Funktion von Gesetz und Strafe Es sind in der Hauptsache die Bücher IX–XII, die Einzelgesetze mit entsprechenden Strafregelungen für ihre Übertretung enthalten. In Lg. IX werden nach grundsätzlichen Erörterungen, die der begriff lichen Klärung von Unrecht in Abgrenzung von Schädigung dienen, zunächst gesetzliche Bestimmungen für unterschiedliche Formen von Tötung und Gewaltanwendung erlassen. Lg. X enthält die Gesetze zur Asebie. Lg. XI entwickelt umfangreiche Bestimmungen zu Handel, Gewerbe, geschäftlichen Beziehungen und Familienrecht. In Lg. XII folgen Regelungen, die das Verhalten in Angelegenheiten, die den Staat betreffen (von Gesandten, Kriegern, Befehlshabern), zum Gegenstand haben; es schließt mit der Einrichtung der nächtlichen Versammlung der Regierenden, die den Schutz und die Erhaltung des Staates sichern soll (XII 968a4 ff.). Man darf Platons Bemerkung in Lg. V, dass „das Proömium der Gesetze“ abgeschlossen sei und jetzt das Gesetz selber folgen müsste,12 nicht so verstehen, als bestehe das Werk Nomoi aus zwei Teilen, von denen der erste, „das Proö10 IV 720e10 ff.; VI 775e; XI 929e–930c; Bestattung: XII 958c7–960b4; dies ist zugleich Ende der Gesetzgebung. Vgl. Knoch 1960, 8 und 16. 11 Vgl. Lisi 2000. 12 V 734e3; 737d7 f.; s. o. S. 189.
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mium der Gesetze“, die allgemeine Grundlage legte, auf der die Gesetzgebung des zweiten Teils aufbaut,13 vielmehr beruhen einige der durch Proömien und Gesetze zu regelnden Verhaltensweisen der späteren Bücher auf Prinzipien, die vorher nicht entwickelt worden waren. Das heißt konkret: Im letzten Drittel dieses Werkes finden wir nicht einfach die dürren Bestimmungen zum Strafrecht, für das zuvor die theoretischen Grundlagen gegeben waren, sondern Platon fügt hier häufig Erörterungen grundsätzlicher Art ein, die durch den Tatbestand des gerade behandelten Gesetzes ausgelöst werden, und damit steht das letzte Drittel der Nomoi an philosophischem Gehalt nicht nur nicht hinter den vorausgehenden Büchern zurück, sondern leistet erst grundsätzliche Klärung von in den Eingangsbüchern aufgeworfenen Fragen, und einige der wichtigsten Erklärungen scheinen für die letzten Bücher zurückgestellt zu sein. In der ersten Hälfte war z. B. die Rolle der Götter und das ihnen von den Menschen geschuldete Verhalten häufig angesprochen (grundlegend IV 715e7–717a). Erst in Buch X wird, eingeleitet von dem „schönsten und besten Proömium“ (887c–907d), die Leugnung der Existenz der Götter bzw. eine falsche Auffassung über sie ausführlich behandelt, und die drei Formen dieses Unglaubens werden widerlegt (885b–907d). Dies ist nicht gerade eine systematische Anordnung, ebenso wenig wie in Lg. IX (859b6 ff.): Nachdem Gesetze zu Tempelraub und Diebstahl schon gegeben waren, werden sie doch einer erneuten Prüfung unterworfen, unter ausdrücklichem Verweis darauf, dass einige schon erlassen sind, andere noch nicht abschließend – der Athener entschuldigt sich für diese Unterbrechung damit, dass er und seine Begleiter noch keine Gesetzgeber seien, sondern dies erst werden, und gibt somit mangelnde Erfahrung als Grund für die Unterbrechung der Gesetzgebung an – der Athener tritt dem Eindruck entgegen, die Nomoi sollten ein systematisches Lehrbuch sein, in dem in logischer Abfolge und säuberlich getrennt in einem einleitenden Teil die theoretischen Grundlagen für die hauptsächlich im letzten Drittel gegebenen Einzelgesetze entwickelt werden; vielmehr wird hier eine schon in Angriff genommene Gesetzgebung zu Diebstahl unterbrochen, um die tiefere philosophische Begründung nicht nur der bestimmten Strafregelung selber, oder der gewählten Begriff lichkeit, sondern auch des Charakters von Strafe überhaupt, dann der Kriterien für die Beurteilung von Handeln als gerecht oder ungerecht zu liefern. 13 So Schöpsdau 1994, 99.
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Für Landesverrat, Tempelraub und Verfassungssturz wird eine einzige Strafe festgelegt; und sicherlich, um die Einheitlichkeit des Strafsystems der Nomoi zu betonen, wird diese gleiche Bestimmung dann für Diebstahl wiederholt: Allen Dieben soll eine einzige Strafe auferlegt werden, unabhängig von der Größe ihrer Beute (IX 857e8 ff.). Dieses allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden widersprechende Prinzip wird zum Ausgangspunkt einer Erörterung, in der die gewöhnliche, rein äußerliche Beurteilung der Tat nach ihrer Schwere durch die Berücksichtigung der subjektiven Bedingungen, unter denen der Täter gehandelt hat, seine „Schuld“, ersetzt wird, die „Strafrechtsexkurs“ genannt wird.14 Wenn man unter „Exkurs“ eine Digression versteht, die einen zusammenhängenden Gedankengang unterbricht und wohl wünschenswerte zusätzliche Informationen bietet, aber eigentlich auch entbehrlich wäre, dann trifft dies auf diese längere Passage in Lg. IX nicht zu. Die hier eingeführte Unterscheidung von Unrechttun und Schadensstiftung (blabai) war einmal überfällig, denn schon in VIII 843b7 ff. hatte der Athener die Schädigungen (blabai) unter Nachbarn behandelt; was die Bestrafung angeht, wurde dem Täter zusätzlich zum Schadensersatz eine Buße auferlegt, die der „Therapie“ (iatreuesthai) der in seinem Verhalten offenbarten Charaktermängel dienen soll. Hier sind schon Kompensation für das Opfer und Besserung des Täters auseinandergehalten. In der grundsätzlichen Erörterung von IX 860a ff., die eben diese Unterscheidung begründet, wird außerdem nicht ein Thema behandelt, das die Gesetzgebung allenfalls am Rande berührt, sondern der Athener betont, wie ihr Ergebnis die Gesetzgebung, mit der sie gerade beschäftigt sind, besonders die Art der Bestrafung, konkret beeinf lusst (besonders 860e5; 861b–c; 862a–b; 863d; 864c). Dieser Abschnitt ist grundlegend für die philosophische Begründung von Strafe und muss daher eingehender behandelt werden. Eingebunden ist auch diese Behandlung in eines der immer wieder aufgebrachten Themen der Nomoi, der Bedeutung von Gesetzgebung: Gesetzgebung solle nicht der ärztlichen Behandlung von Sklaven vergleichbar sein (IX 857c4 ff.; IV 720b8 ff.), sondern belehren und überzeugen. Mit diesem das gesamte Werk durchziehenden Thema (s. o. S. 190) setzt der „Exkurs“ von Lg. IX ein: Der Gesetzgeber gibt Rat darüber, was „schön (oder nobel, kalon), gut und ge14 Schöpsdau 1984, 97–132; Erler 2007, 281 „Strafrechtsexkurs (857b–864c)“; vgl. 287 (bis); England 1921, Bd. 2, 391 zu 859b6, „digression“.
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recht“ ist, und lehrt, was man tun muss, um glücklich zu sein. Die Schriften von Gesetzgebern sind „bei weitem das Schönste (kalliston) und Beste“; was ihnen widerspricht, ist lächerlich (858d–e). Genau dieser Widerspruch lässt sich aber beobachten, denn vielen gelten manche Leiden, d. h. Strafen wie die Todesstrafe für Tempelraub, zugleich als am gerechtesten und schimpf lichsten (IX 860b). Dieser offensichtliche Widerspruch gegen die Gleichsetzung von Gerecht und Schön betrifft nicht die praktische Umsetzung von Prinzipien, sondern verrät einen Konf likt von Wertungen: Der unbedingten und ausnahmslos gültigen Verknüpfung von Gerecht und Schön, die der Athener vertritt, auf der einen Seite und der Meinung der Menge auf der anderen Seite, die glaubt, es gebe in gravierenden Fällen Ausnahmen von dieser Zuordnung (860b–c). Beobachtet wird dieser Widerspruch angesichts der Bewertung schwerer Strafen. Das Problem ist philosophisch wichtig genug, um die Aufmerksamkeit des Aristoteles zu finden, der eine Anwendung von aretê, die dies nur bedingt ist – damit bezieht er sich auf „gerechte Bestrafung und Züchtigung“ – von einer anderen unterscheidet, die dies schlechthin ist, wie das Hervorbringen von etwas Gutem. Strafe sei eine Notwendigkeit und besäße „das Noble“, „Schöne“ (kalon) nur als „notwendig gefordert“, während das Hervorbringen von Gutem schlechthin am nobelsten ist (Pol. VII 13, 1332a11 ff.) – dies entspräche etwa dem Unterschied von Reparatur einer beschädigten Geige und Bau eines neuen noblen Instruments – Platon hatte noch nicht das Begriffspaar von „schlechthin“, und „bedingt“ zur Verfügung, er nimmt auch bei der Bewertung von Strafe keine mindere, „bedingte“ Form von Gerecht oder Schön/Nobel an, aber er nimmt die aristotelische Unterscheidung von Pol. VII 13 in seiner Wertung der unterschiedlichen Teile der Tätigkeit des Gesetzgebers vorweg: Die eigentliche Aufgabe der Gesetzgeber von Platons Nomoi ist nach Aristoteles Verwirklichung des Gerechten „schlechthin“, da sie durch Erziehung Gutes hervorbringen, während Gesetzgebung dies nur bedingt ist, da Gesetze in der Regel Strafandrohungen als Druckmittel enthalten für diejenigen, die sich der Belehrung und Vernunftgründen verschließen.15 Sie sind nur das zweitbeste Mittel (so ausdrücklich IX 875d3) das gewünschte Verhalten zu erreichen (s. o. S. 190 f.)
15 VI 774a3: „falls jemand (diesen Ermahnungen) nicht gehorcht [...], soll er bestraft werden.“
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Platon präsentiert nicht ein neues Ergebnis zur Wertung von Strafe, zumal die Antwort ja komplizierter ist: Die wahre Strafe für Unrechttun, nämlich aus der Gesellschaft der Guten ausgeschlossen zu sein, ist tatsächlich nicht nobel (V 728c). Er entwickelt einen Ansatz zur Lösung des von anderen behaupteten Widerspruchs von Gerecht und Nobel/Schön, indem er auf eine Unterscheidung von Handeln, für das man verantwortlich ist, und solchem, für das das nicht gilt, verweist, angesichts der Tatsache, dass „in allen Staaten alle Gesetzgeber Gesetze erlassen, so gäbe es zwei Arten von Unrechttun, freiwilliges und unfreiwilliges“ (861b). 10.1.2.1 „Der Unterschied zwischen ungerechter Handlung und Schädigung und der zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Handlungen“ (IX 863a4 f.)
Die in der gewöhnlichen Gesetzgebung vorausgesetzte Möglichkeit freiwilligen Unrechttuns widerspricht der früher nachdrücklich vertretenen These (V 731c; 734c), dass niemand freiwillig ungerecht ist – auch in diesem Falle erörtert erst das späte Buch IX in grundsätzlicher Weise, was vorher schon als Prinzip festgestellt war. Die „Stimmigkeit“ (symphônia) der Positionen, die die Mitunterredner im Laufe ihres Gespräches vertreten haben, wird gerade in Lg. IX ständig als eine Bedingung, die ihre Gesetzgebung erfüllen muss, thematisiert (859a1; c7 f.; 860a1; a5; c4 ff.; e3; 861a10). Die Auffassung von der Unfreiwilligkeit allen Unrechttuns, die schon Sokrates vor den athenischen Richtern für sich selber beansprucht haben soll16 – hier gebrauche ich dafür den Ausdruck „Sokratisches Prinzip“ – wird in IX 860c4 ff. erneut bestätigt. Der Widerspruch zur gewöhnlichen Auffassung, dass viele auch freiwillig Unrecht begehen, wird gelöst, indem der Athener hier Schadensstiftung (blabai) als eigene Kategorie einführt (861e), die – im Unterschied zu Unrechttun – sowohl freiwillig wie unfreiwillig begangen werden kann. Für die Systematik der Handlungen bedeutet dies, dass die Intention zum Handeln bei der Zufügung von Schaden vorhanden ist, aber nicht bei Unrechttun. Entsprechend müssen auch zwei grundsätzlich verschiedene Systeme von Buße bzw. Strafe entwickelt werden (862b5 ff.). Das Verhältnis von Unrecht und Schädigung erlaubt zwei alternative Deutungen:
16 Ap. 37a6; Grg. 488a3; 509e; Prt. 345d–e; Rep. II 382a; III 413a; IX 589c; Ti. 86e1.
E S 10.1.2.2 Einfache Alternative. Eine Handlung ist entweder Schädigung oder Unrecht
Die Unterscheidung von Schädigung und Unrecht dient zunächst der klareren Bestimmung der Bedingungen, unter denen eine Handlung als entweder Unrecht oder Schädigung gilt, um damit Vermengungen oder grobschlächtige Beurteilungen zu vermeiden: Wer „jemanden irgendwie schädigt, ohne es zu wollen, sondern unfreiwillig, begeht kein Unrecht“ (IX 862a3 ff.). Nicht jede Schädigung ist Unrecht. „Ohne es zu wollen“ verweist auf die Intention des Täters, und die Vorstellung von Unrecht ist nicht von der Perspektive des Opfers, das als Geschädigter Unrecht zu erleiden glauben könnte, sondern ganz von der des Täters her verstanden. Auf keinen Fall kann eine Handlung für sich genommen schon als gerecht oder ungerecht beurteilt werden, andere Gesichtspunkte müssen berücksichtigt werden. Diesen Grundsatz hatte Platon schon in Politeia I vertreten, wo er gegen das schlichte Verständnis von Gerechtigkeit als „das Geschuldete zurückgeben“ einwandte: „Angenommen jemand empfing von einem Mann, der voll bei Sinnen war, Waffen, aber dieser forderte sie im Zustand des Wahnsinns zurück, dann dürfte jeder behaupten, dass der, der sie zurückgibt, nicht gerecht ist“ (331c5; vgl. 332a11). In dieser Situation handelt ein Schuldner, der nicht seine Schuld begleicht, gerecht; er zeigt sich in der Weigerung, das Geschuldete zurückzugeben, als verantwortlich für das Wohlergehen des Gläubigers, seine Intention war gut. In Lg. IX gilt genauso eine schlichte Bewertung einer Handlung – der Athener bezieht sich auf die gleichen Akte von Geben oder Wegnehmen (862b) – als unzulänglich, als könne man diese an sich beurteilen. Für die Entscheidung, ob Unrecht begangen wurde, muss der Gesetzgeber vielmehr auf die Qualität des Charakters (êthos: 862b; vgl. schon 859d8) des Handelnden sehen – Aristoteles wird in Nikomachische Ethik II 3, 1105a28 diesen Grundsatz mit wörtlichen Anklängen wiederholen und mit zusätzlichen Qualifikationen vertiefen. Für die Rechtspraxis geht es in Lg. IX einmal darum, den angerichteten Schaden wiedergutzumachen (862b–c). Hinzukommt, dass man versuchen soll, durch Ersatz des Verlustes ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Opfer einer Tat und Täter herzustellen.17 Für die Rechtssystematik ist der Satz „Nicht jede Schädigung ist Unrecht“ (861a6) nicht umkehrbar, sodass jedes Unrecht zugleich 17 Vgl. das Prinzip, dass Gesetzgebung die Bürger glücklich und befreundet machen soll: V 743c5.
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Schädigung wäre. Die Unterscheidung der beiden Kategorien bleibt gültig, denn 1. gibt es Unrecht, auch wenn davon niemand sonst betroffen, „geschädigt“, ist (863e), und 2. kann man Unrecht auch bei Vorteilsgewährung begehen (862c). 10.1.2.3 Komplexe Alternative: sowohl Schädigung als auch Unrecht in einer Handlung
In anderen Fällen sind Unrecht und Schädigung unterschiedliche Elemente einer einzigen Handlung, denn es gibt „ungerechte Handlungen, jemandem Schaden zuzufügen“ (862c6). Hier trennt der Athener analytisch die beiden verschiedenen Aspekte einer solchen Handlung dadurch, dass er sie einerseits nach den subjektiven Voraussetzungen im Täter als Gerecht/Ungerecht qualifiziert und andererseits die Wirkung auf andere als Schaden betrachtet. Dies betrifft wiederum die Rechtspraxis, denn beides ist in je verschiedener Weise in der Ahndung berücksichtigt, da das Gesetz „zusätzlich zum Schadensersatz“ durch Belehrung oder Zwang Ungerechtigkeit, die Krankheit in der Seele des Täters ist, zu beseitigen suchen muss.18 Es ist die Erwähnung der schwersten Bestrafung für Menschen mit der schlimmsten Qualität, die 863b zu einer Unterscheidung von drei Vermögen in der Seele führt: Zorn, Lust, Unwissenheit, wodurch die Qualität des Charakters (êthos) als Kriterium darüber, ob Unrecht begangen wurde (462b), präzisiert wird. Bei Unwissenheit werden zunächst zwei Arten unterschieden: eine einfache, die harmlose Fehler verursacht, und eine doppelte, bei der zur Unwissenheit die Einbildung von Wissen kommt. Diese wird wieder unterteilt entsprechend den zur Verfügung stehenden Mitteln. Wenn sie von Macht begleitet ist, verursacht sie schwere, wenn von Schwäche, kindliche oder senile Verfehlungen (863c–d). Die Herrschaft von Zorn und Lust wird als Tyrannis bezeichnet. Diese nennt der Athener Ungerechtigkeit, und zwar auch dann, wenn jemand keinen Schaden anrichtet; allein das Vorherrschen dieser Affekte in der Seele, unabhängig von ihrer Wirkung, ist Ungerechtigkeit (863a7–864a1) – und dies entspricht der Auffassung der Politeia, wo Ungerechtigkeit als Aufstand eines Teiles der Seele 18 862c6 ff., wie VIII 843b7 ff., s. o. S. 195. Die moderne Rechtspraxis trennt Strafrecht, welches das Interesse des Staates und der Gesellschaft an der Verfolgung einer Straftat repräsentiert, von der Entschädigung des Opfers: In der Regel sind für Schadensersatzansprüche die Zivilgerichte zuständig. In einem sog. Adhäsionsverfahren (= §§ 403 ff. StPO) kann der Geschädigte seine Ansprüche aber auch im Zusammenhang mit dem Strafverfahren vor dem Strafrichter geltend machen.
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beschrieben ist, durch den dieser die Macht innehaben will, die ihm nicht zukommt (Rep. IV 444a10 ff.). Es war sogar die zentrale These der Politeia, dass Tyrannis extreme Ungerechtigkeit sei (Rep. IX 587e), und der ihr entsprechende Mann war durch tyrannische Bedingungen in der Seele gekennzeichnet, genauer: die Herrschaft nicht-notwendiger Begierden (Rep. IX 574a ff.). In Lg. IX ist die Erklärung der Ungerechtigkeit nach den Bedingungen in der Seele – tyrannischer Herrschaft – zwar beibehalten, ist aber weniger subtil, da zum einen kein Unterschied in der Art der Begierden vorgenommen wird, zum anderen sogar dem thymos, der doch in der Politeia eine mittlere Stellung einnimmt und sogar „als Verbündeter“ das rationale Vermögen unterstützen soll (Rep. IV 440b; 441e), tyrannische Herrschaft zugeschrieben wird – in Lg. IX wird nicht die unterstützende Aufgabe des muthaften Seelenteils zur Durchsetzung der Herrschaft des rationalen Vermögens erwähnt.19 Die Vorstellung von der Tyrannis der Emotionen in Lg. IX fordert geradezu, dass es in der guten Verfassung eines Menschen eine legitime Regierung gibt, das ist die Herrschaft der „Vorstellung vom Besten“ (864a3–5). Alles, „das sich bei allen dieser Herrschaft unterordnet,“ wird als „gerecht“ angegeben – „alles“ sind in diesem Zusammenhang die beiden Emotionen, und deren Unterordnung unter die Vorstellung vom Besten ist gerecht. Das ist eine sehr verkürzte Darstellung der Position der Nomoi, denn nach Lg. I 631c herrscht Gerechtigkeit, wenn zunächst die Vernunft (phronêsis) führt, sie eine besonnene Seelenhaltung hervorbringt und diese mit Tapferkeit gemischt ist. Auch dies nimmt aus der Politeia die Vorstellung auf, dass Gerechtigkeit dann in der Seele vorherrscht, wenn jeder ihrer Teile die ihm zukommende Stellung erhält. Die „Vorstellung vom Besten“ (tou aristou doxa) selbst – diese ist das Gegenteil der vorher beschriebenen Unwissenheit20 – ist in Lg. XI nicht erläutert, aber die Art und Weise, in der sie über die anderen Seelenvermögen regieren soll, legt 19 Vgl. Ti.70a; Lg. I 645a. – Eine Zusammenfassung der bisher behandelten Gründe für Fehlverhalten (IX 864b–c) führt Neues hinzu: Zorn (thymos) wird um Furcht erweitert und dem Obergriff „Schmerz“ (lypê) untergeordnet; Lust wird um Begierden erweitert – diese umfassendere Sicht der Emotionen war schon in Lg. I entwickelt (633c–e). Als dritte Ursache von Verfehlungen wird in Lg. IX „das Streben von Hoffnungen und der richtigen Vorstellung vom Besten“ angegeben (864b). 20 Tou aristou doxa ist von der Formulierung, nicht der syntaktischen Funktion des Genitivs her, die Antwort auf doxa sophias, die Einbildung von Wissen, die die „doppelte“, schlimmere Form von Unwissenheit charakterisiert (863c5).
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nahe, dass der Athener seine Ausführungen in den Eingangsbüchern der Nomoi voraussetzt: In Lg. III erklärt er Unwissenheit als den Widerstand von Lust und Schmerz – sie entsprechen in der Polis dem Demos und der Menge – gegen das, was als nobel (kalon) und gut anerkannt ist, m. a. W. als den Missklang von (Un)lust und der im Einklang mit der Vernunft gebildeten Meinung (kata logon doxa, 689a–b) – die hier beschriebene Situation entspräche in Lg. IX der Weigerung der Emotionen, sich der Vorstellung vom Besten unterzuordnen. Da er in Lg. III die Analogie von Stadt und Einzelnem herstellt, darf man auch auf das Marionettengleichnis verweisen, wo die Berechnung (logismos) die goldene und heilige Führung ausüben soll,21 und jeder, Stadt wie Einzelner, deren Zug folgen, und dem der anderen, von Lust, Schmerz, Furcht und anderen Gefühlszuständen, sich entgegenstellen müsse. In Lg. I, III und IX wird an die Vorstellungen der Politeia über die Unterordnung der anderen Seelenteile unter dieses rationale Vermögen erinnert, nur dass hier die Führung der doxa und nicht Philosophie übertragen wird.22 Die mutatis mutandis gehäufte Wiederaufnahme von Vorstellungen aus der Politeia in Lg. IX ist sinnvoll, da ein Hauptgegenstand der Politeia die Bestimmung von Gerechtigkeit ist, wie auch die Erörterung in Lg. IX von der „Verwirrung und widersprüchlichen Vorstellung über Gerechtes“ ausging (861a). Die Vorstellungen der Politeia werden in Lg. IX für den Spezialfall von Recht und Unrecht in der Gesetzgebung zur Strafe weiterentwickelt: Handlungen sind gerecht, wenn sich Zorn und Lust der „Vorstellung vom Besten“ unterordnen. Eine Funktion dieser Erörterung in Lg. IX besteht darin, die Rolle der „Vorstellung vom Besten“ zunächst zu etablieren („ihre Herrschaft ist das Beste für das ganze Leben der Menschen“) und dann für die Frage nach Verantwortlichkeit des Handelnden gegen das Unverständnis der Menge zu verteidigen, denn selbst das Fehlschlagen einer von der Vorstellung vom Besten geleiteten Handlung ist gerecht, während in der Auffassung der Menge „ein solcher Schaden als unfreiwilliges Unrecht“ gilt (864a1 ff.). Die Tyrannis der Emotionen ist Unrecht, auch wenn sie nicht schadet. „Der Athener verlagert“ in Lg. IX gerade nicht „den Schwerpunkt beim Begriff Gerechtigkeit von der Bezeichnung eines Seelenzustandes (vgl. Rep. IV 442d–443b) zum Ausdruck für den Umgang mit einer 21 I 644d–645b. Vgl. die Kontrolle der grundlegenden Begierden durch den wahren logos, VI 783a. 22 Das rationale Vermögen der Wächter ist orthê doxa: Rep. IV 430c.
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anderen Person“ (Erler 2007, 287), vielmehr bleibt in den Nomoi Gerechtigkeit ein Zustand der Seele – Ungerechtigkeit ist ihre Krankheit – und der Bezug zu Betroffenen wird allein über die Kategorie Schaden hergestellt – entsprechend der von Aristoteles in Nikomachische Ethik V 7 vorgestellten besonderen Form von Recht, dem korrigierenden, begradigenden. Nur die Tyrannis der Emotionen ist für Unrecht verantwortlich, beim Rationalen wird diese Wirkung nicht erwähnt; die Formen von Unwissenheit werden nicht für Unrecht, sondern nur für Verfehlungen (hamartêmata) verantwortlich gemacht (Lg. IX 863c–d) – ein Terminus, der auch für die durch Emotionen verursachten ungerechten Handlungen benutzt werden kann (864b). Diese Dehnbarkeit des Begriffs Verfehlungen lässt die Möglichkeit offen, dass diese Erörterung von Lg. IX die negativen Möglichkeiten des Rationalen nicht völlig erfasst; denn nach Lg. XII 957e2 ist Unwissenheit (amathia) ein Wesenszug eines schlechten Mannes, der sogar völlige Ungerechtigkeit besitzen kann, sie kennzeichnet den schlechten Mann, dem die Eigenschaft der Ungerechtigkeit anhaftet.
10.2 Das Sokratische Prinzip Was bleibt bei der komplexen Handlung, die sowohl Schädigung als auch Unrecht ist, vom Sokratischen Prinzip? Ist eine beabsichtigte ungerechte Schädigung als Unrecht unfreiwillig, zugleich aber als Schädigung freiwillig? Das Sokratische Prinzip „Niemand handelt freiwillig ungerecht“, d. h. „alle ungerechten Handlungen sind unfreiwillig“, tritt im Verlauf dieser Erörterung zurück. Die Beurteilung als (un)gerecht auf der Grundlage der seelischen Vermögen kommt ohne die Benutzung der Kategorien von Freiwillig und Unfreiwillig aus; von der Frage des Kleinias (Lg. IX 863a) nach dem „Unterschied von Unrecht und Schaden und von freiwilligen und unfreiwilligen Handlungen“ wird nur der erste Teil beantwortet, indem Unrecht als die Tyrannis der Emotionen erklärt wird. Ihre Herrschaft verrät die Schwäche des Menschen, der ihrer nicht Herr ist, sondern ihnen unterliegt (863d). Damit greift der Athener auf Lg. I zurück, wo der Begriff der Tapferkeit erweitert wurde und auch als Kraft gilt, nicht nur Schmerzen wie Furcht, sondern auch Begierden und Lüsten zu widerstehen (633c–634c), und dies muss anerzogen
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werden. Die Tyrannis dieser Emotionen (Lg. IX) verrät, dass man unerziehbar zu der im weiteren Sinne gedeuteten Tapferkeit (Lg. I) ist; sie ist in Lg. IX Unrecht, und jedes Mittel, Belehrung (schon Lg. I) wie auch Gewalt bis zur Todesstrafe, muss eingesetzt werden, um Menschen davon abzubringen (IX 862c ff.). Wenn jeder mit der Bestrafung so dafür verantwortlich gemacht wird, wie er auf diese vom Gesetzgeber angebotenen bzw. verhängten Maßnahmen antwortet, dann ist damit vorausgesetzt, dass zunächst einmal jeder auch dafür verantwortlich ist, die angebotene Hilfe anzunehmen oder auszuschlagen, und in dieser Hinsicht wäre die Tyrannis der Emotionen, die er akzeptiert, anstatt sie abzuschütteln, freiwillig – aber das wird hier23 nicht in dieser Klarheit und mit diesem Terminus explizit erklärt. Das verwundert nicht: Nachdem zunächst Charakter (êthos) als Kriterium bei der Beurteilung von Handeln als gerecht oder ungerecht etabliert und dieser noch ganz unbestimmte „Charakter“ durch die drei Vermögen in der Seele präzisiert wurde, wobei auf früheren Erklärungen zur Rolle des Rationalen gegenüber den Emotionen aufgebaut wurde, verloren Freiwillig und Unfreiwillig die ihnen in der üblichen Gesetzgebung eingeräumte Bedeutung. Das wird dadurch bestätigt, dass die letzte Erwähnung von unfreiwillig im „Exkurs“ die falsche Deutung durch die Menge wiedergibt, die fehlerhaftes Verhalten, das eintrat, obwohl der Handelnde die Vorstellung vom Besten besaß, als „unfreiwilliges Unrecht“ bezeichnet (IX 864a). Die Beurteilung eben dieses Handelns durch den Athener war „gerecht“, wobei er auf (un)freiwillig verzichtet, da dies durch die Qualität der Seele ersetzt ist. Dieser Deutung scheint zu widersprechen, dass die Gesetzgebung, die folgt, doch mit der Qualifikation „unfreiwillig“ operiert. Aber dabei wird nicht „unfreiwilliges Unrecht“ benutzt, wie die Auffassung der Menge in 864a wiedergegeben wurde, sondern „unfreiwillig“ bezieht sich auf den subjektiven Tatbestand, und so findet sich denn auch in vielen Fällen, in denen in Lg. IX außerhalb der grundsätzlichen Abschnitte „(un-)freiwillig“ verwendet wird, dieser Terminus bei der Beschreibung der begangenen Handlung in der Protasis des Bedingungssatzes, so in 865a3 f.: „Wenn jemand beim Wettkampf und öffentlichen Wettbewerben
23 Dagegen werden in IX 869e5 ff. freiwillige und in völligem Unrecht begangene Handlungen auf die Niederlage von Lüsten und Begierden, die über die Seele herrschen, zurückgeführt. Dafür ist man verantwortlich; das gleiche gilt auch, wenn auch in geringerem Maße, für Handeln im Zorn: 867a.
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[...] einen befreundeten Mann unfreiwillig tötet“24 – entsprechend der Bestimmung im „Exkurs“ IX 862a3: „Wenn jemand jemanden schädigt, ohne es zu wollen“ –, aber nicht im Nachsatz, in dem die rechtliche Würdigung und die ihr entsprechende Bestrafung festgelegt ist. Dass es sich hier um die Beschreibung des subjektiven Tatbestands handelt, geht aus den anderen in diesem Zusammenhang genannten Bedingungen des Tatbestands hervor, wo häufig „aus Zorn“ aufgeführt wird (IX 866e6 ff.; 869e4; 874e5 ff.). Diese Feststellung des Tatbestands geht der rechtlichen Würdigung als rechtmäßig oder Unrecht voraus und ist wohl Beschreibung des Vorfalls, aber nicht eine Kategorie der Beurteilung als Unrecht, wie es die überkommene Rechtspraxis „in allen Staaten“ vorsah, „so gäbe es zwei Arten von Unrechttun, freiwilliges und unfreiwilliges“ (IX 861b). Schon in der Argumentation des „Exkurses“ wird aber deutlich, dass selbst der Athener am Konzept der Intentionalität festhält, etwa wenn er nach der Behandlung von Schadensersatz auf die vom Gesetz vorgeschriebenen Maßnahmen hinsichtlich des Unrechtsaspekts eingeht: Daß das Gesetz jemand, einerlei ob er nun ein kleines oder ein großes Unrecht begangen hat (adikein), nicht nur den dadurch verursachten Schaden ersetzen lässt, sondern ihn auch belehrt und zwingt, daß er so etwas entweder nie wieder willentlich (hekôn) zu unternehmen wagt oder doch beträchtlich seltener. (IX 862d) Entgegen dem Sokratischen Prinzip wird die Möglichkeit, freiwillig Unrecht zu tun, akzeptiert. Auch bei einigen der im Folgenden beschriebenen Vergehen oder Verbrechen wird eine Kategorie angenommen, die „freiwillig und mit vollständigem Unrecht und Planung begangen sind“, z. B. Mord (IX 869e5 ff.). Man kann nicht annehmen, Platon habe unter dem Einf luss von Gesetzesformulierungen solcher Art an der Beurteilung „freiwillig“ festgehalten, die eigentlich seinen Grundauffassungen widerspricht, denn in einem Zusammenhang, in dem verhindert werden soll, dass ein Richter „freiwillig oder unfreiwillig“ eine falsche Strafe verhängt, indem er den Krieger, der durch die Umstände gezwungen wurde, die Waffen im Kampf zurückzulassen, mit dem gleichsetzt, der dies freiwillig (hekôn) tut, besteht der Athener darauf, dass diese zwei Handlungen verschieden seien, und die Strafe müsse diesem Unterschied entsprechen; denn 24 Außerdem IX 865b4; b7; c7; 879b1; XI 914b4; 920d3.
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„den schlechten Mann muss man bestrafen, damit er besser wird, nicht den, der Unglück hatte“ (XII 943d ff.). Es scheint, als sei bei diesem Akt in der Regel der Krieger, der ohne Waffen zurückkehrte, verurteilt worden – wenn nicht durch ein formales Verfahren, so doch in the court of public opinion, denn der Athener begründet ausführlich, zum Teil unter Bezug auf die Mythologie, warum dieser Unterschied zwischen aufgezwungen und freiwillig beachtet werden muss. Es gibt also doch Krieger, die freiwillig das Unrecht begehen, ihre Waffen wegzuwerfen. Den Widerspruch dieser und anderer Äußerungen zum Sokratischen Prinzip möchte ich, eine frühere Deutung weiterführend,25 aus dem unterschiedlichen Bezug von „freiwillig“ erklären: einen kurzfristigen, vordergründigen, subjektiven sich auf den Ablauf der Tat beziehenden Bezug einerseits, und einen langfristigen, letztlich gültigen, objektiven andererseits. Beispiel für die erste Kategorie ist der Mord unter Verwandten „mit Vorsatz (ek pronoias) und in ungerechter Weise“ (IX 871a2). „Mit Vorsatz“ kann nicht als „unfreiwillig“ gelten, wie es das Sokratische Prinzip für ungerechte Taten verlangte – Mord unter Verwandten wird hier als ungerecht bezeichnet –, und so werden denn in IX 872d1 Morde, die mit hinterlistiger Planung verübt wurden, als „freiwillig und ungerecht“ bezeichnet – eine Verbindung, die dem Sokratischen Prinzip widerspricht. „Freiwillig“ bezieht sich hier auf den Vollzug dieser einen Handlung. Beim Sokratischen Prinzip ging es dagegen nicht um diese kurzfristige Perspektive der Motivation einer Handlung, was schon daraus deutlich wird, dass dieses Prinzip bei seiner ersten Erwähnung im „Exkurs“ nicht auf Handlungen, sondern den Charakter bezogen war: „Alle, die in jeder Beziehung schlecht sind, sind unfreiwillig schlecht [...] der Ungerechte ist schlecht, der Schlechte ist aber unfreiwillig ein solcher Mann“ (860d1–6). Dies liegt auf einer anderen Ebene als die Planung und Ausführung einer einzelnen Handlung, und zugespitzt könnte man sagen: Wer freiwillig eine ungerechte Handlung ausübt, erwirbt oder beweist damit einen Charakter des Unrechts, den er, wenn er das nur richtig versteht, nicht haben möchte, und insofern ist dieser Zustand von ungerecht sein unfreiwillig. Hier sind damit zwei verschiedene Dimensionen des (un)freiwilligen Unrechts unterschieden, die kurzfristige, subjektive einerseits 25 Lisi 2008, 91 f., hat ebenso eine Lösung dieses „Widerspruchs“ vorgeschlagen, wenn er der „unmittelbare[n] Intentionalität der Handlung“ diejenige „im strengen Sinne“ gegenüberstellt.
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und die nachhaltige andererseits, und nur für diese gilt das Sokratische Prinzip. Die zugespitzte Formulierung ihres Verhältnisses: Freiwilliges Unrechttun resultiert in einer Ungerechtigkeit, die nicht freiwillig ist, ist nicht so sehr verschieden von derjenigen, die Platon selber im Gorgias vorträgt: Der Tyrann, der tut, was er will, tut damit etwas, das er nicht wirklich will (466c ff., bes. 467d ff.). Nach Menon, 77b–78b gibt es einige, die das Schlechte begehren; damit würden sie aber unglückselig sein; dies will aber niemand, sodass auch niemand das Schlechte will. Wer etwas Ungerechtes aus freien Stücken plant, tut etwas, was er eigentlich nicht wollen kann. In Lg. V wird genau dieser Aspekt artikuliert: Wer Unrecht tut, rechnet sich die tatsächliche Strafe nicht aus, und die besteht darin, dass man sich aus der Gemeinschaft der Rechtschaffenen ausschließt und nur mit seinesgleichen verkehrt (728b). Man begeht Unrecht, ohne sich über die letztlichen Folgen klar zu sein. Der Ungerechte in Lg. IX leidet an einer Krankheit, ohne sich dessen bewusst zu sein, einem Zustand, den aber in Wahrheit niemand freiwillig wählen würde – entsprechend dem Sokratischen Prinzip –, zumal die Alternative zur Ablehnung der Therapie die Todesstrafe ist (862d–e; V 728c5). Dies ist allerdings die ultima ratio. Insgesamt führen aber die Unterscheidungen, die der Athener vornimmt, zu einer differenzierteren Sicht, als sie von ihm für die gewöhnliche Rechtspraxis dargestellt wird, angefangen mit „Nicht jede Schädigung ist Unrecht“ (861a6) bis zur Rechtfertigung einer fehlgeschlagenen Handlung als gerecht (864a). Sie verschärfen nicht bestehende Strafbestände, sondern nehmen sogar einigen den Charakter der Strafwürdigkeit. In Lg. IX ist die Einführung der Herrschaftsordnung in der Seele die nachhaltigste Strategie, Handlungen nicht vom Resultat her zu beurteilen, sondern von den spezifischen persönlichen Bedingungen. In der Theorie der Strafe aus Lg. IX sind dabei nicht die Elemente des Tatbestands, sondern der Zustand der Seele strafrelevant. Nur für den Unheilbaren wird die Todesstrafe verhängt,26 die auch als Abschreckung dienen soll und die Schlechten aus dem Staat entfernt. Anders als beim Ersatz für angestifteten Schaden, der proportional zur Höhe des vom Opfer erlittenen Verlustes festgelegt ist (XI 933e), entsprechen die Unterschiede bei den Strafmaßnahmen nicht der Schwere des Verbrechens – sie sind ausdrücklich nicht als Reaktion auf die Tat bezeichnet (934a) –, sondern 26 Diese Alternative dann auch in XII 957d–e. Arist. NE X 10, 1180a5 ff., der sich auf die Nomoi bezieht, schreibt statt Todesstrafe nur „außerhalb der Grenzen entfernen“, exorizein.
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zunächst den Bedingungen in der Seele, die dieses Handeln hervorbrachte. So werden Strafen für Vergehen, die in Unkenntnis begangen werden, nicht nach der Schwere der Tat, sondern dem Grad der Unwissenheit festgelegt (863c–d). Insgesamt richten sie sich ausschließlich nach den Chancen oder dem Erfolg der Heilung der zugrunde liegenden seelischen Bedingungen (XII 941d2), denn sie haben eine erzieherische Wirkung und können jemanden besser machen.27 Sie dienen der Rehabilitation,28 für die eine reichhaltige Palette von Mitteln angegeben wird (IX 862d–e). Es ist kein Widerspruch zu dieser Auffassung, wenn für die schwersten Verbrechen wie Landesverrat und Tempelraub die schwerste Strafe, Exekution, verhängt wird, denn solche Taten verraten die völlige Missachtung der Erziehung, die die Täter doch erhalten haben; sie leiden unter einer unheilbaren Krankheit (853e) und erfüllen damit die Bedingungen für die Todesstrafe nach dem „Exkurs“ (862e). In einer Umkehrung der üblichen Differenzierung des Strafmaßes je nach sozialem Status der Täter – schwerere Strafe für Täter niedrigeren Status’, die schwersten für Sklaven – kommen hier Fremde und Sklaven mit Auspeitschen bzw. Verbannung davon; diese Strafe könnte sie besser machen (in Sklaven kann man „(die Samen) zum Wachstum von aretê säen“: VI 777e), während Bürger, die sich eine solche Tat zuschulden kommen lassen, „unheilbar“ sind (XII 942a; vgl. IX 854a). Corruptio optimi pessima. Wer seine Eltern im Zorn tötet, hat sich nicht nur der Misshandlung, sondern auch der Asebie und des Tempelraubs schuldig gemacht und verdiente, vielfach die Todesstrafe zu erleiden, „wenn es möglich wäre, dass ein und der derselbe Mann vielmals sterben kann“ (869a2–c6).
Literatur Hunter, V. 1997: The Prison of Athens: A Comparative Perspective, in: Phoenix 51, 296–326.
27 IX 854d4 ff.; vgl. V 728c; Grg. 472e5 ff. 28 Hunter 1997, 296, schreibt bei Athen von „a penal system that sought either restitution or retribution and rarely, if at all, correction or reform.“
11 Michael Bordt
Die theologische Fundierung der Gesetze
Der Athener: Ein Gott oder irgendein Mensch – wer ist es, ihr Gastfreunde, den ihr als Ursprung der Gesetzgebung annehmt? Kleinias: Ein Gott, Fremder, ein Gott, wie man am richtigsten sagen muss. (I 624a1–3) Mit diesen feierlichen Worten lässt Platon seinen Dialog Nomoi beginnen. Die Worte sind sorgfältig überlegt, und ähnlich wie in anderen Dialogen spielen die ersten Worte für das Verständnis des gesamten Textes eine besondere Rolle (vgl. Burnyeat 1997). Sie geben eine Perspektive vor, unter der das gesamte Werk gelesen werden kann. Und in der Tat: Auch wenn im weitaus größten Teil der Nomoi keine theologischen Fragen diskutiert werden, so ist es doch die Theologie, d. h. die vernünftigen Auffassungen von Gott und den Göttern, die in systematischer Hinsicht das Fundament des gesamten Werkes bildet. Allerdings wirft der erste Satz sogleich eine Frage auf: Was soll es heißen, dass eine Gesetzgebung auf einen Gott und nicht auf einen Menschen zurückgeführt wird? Schließlich sind es doch Menschen, die die Gesetze aufstellen. An keiner Stelle beruft sich einer der drei Gesprächspartner dabei auf eine Art göttliche Offenbarung, und die jüdischchristliche Vorstellung, dass Gott selbst einem anderen Menschen die Gesetze gegeben, gleichsam diktiert habe, ist Platon natürlich fremd. Was aber bedeutet es dann, einen Gott als Ursprung der Gesetze anzunehmen? Und welcher Begriff
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Gottes liegt dieser Auffassung zu Grunde? Zwei Texte sind für eine Antwort auf diese für die gesamten Nomoi zentrale Frage und damit für die Rekonstruktion von Platons Theologie in den Nomoi von besonderer Bedeutung. Der erste Text ist der Beginn der Rede des Atheners an die Siedler im IV. Buch. Die Rede, in der der Athener eine Art objektiver Wertordnung für die künftigen Siedler skizziert, gibt einen Hinweis darauf, was es heißen kann, dass die Gesetzgebung auf einen Gott zurückgeführt wird. Der zweite Text ist das X. Buch der Nomoi. Ziel des X. Buches ist es, Gesetze gegen die Asebie, also gegen ein frevelhaftes Verhalten den Göttern gegenüber, aufzustellen. Gegen die Götter frevelt man, wenn man falsche Auffassungen über sie vertritt und verbreitet. Insbesondere soll unter Strafe gestellt werden, wer die Existenz der Götter leugnet, wer meint, die Götter kümmerten sich nicht um jeden Menschen und wer die Ansicht vertritt, dass sich die Götter durch Opfergaben und Gebete bestechen ließen. Weil derartige Gesetze der Sache nach freilich nur dann richtig sind, wenn Götter tatsächlich existieren und sie sich wirklich um die Menschen kümmern und unbestechlich sind, argumentiert der Athener in drei Beweisgängen für die Existenz, die Fürsorge und die Unbestechlichkeit der Götter.
11.1 Die Rede an die Siedler (IV 715e7–716d4) In der Mitte des IV. Buches der Nomoi lässt Platon den Athener eine fiktive und programmatische Rede an die künftigen Siedler von Magnesia (715e7–718a6) beginnen, die er, durch Überlegungen zur Notwendigkeit von motivierenden Vorreden vor den eigentlichen Gesetzestexten unterbrochen (718a7–724b5), den Athener zu Beginn des V. Buches fortsetzten lässt (726a1–734e2). In der Rede geht es ihm darum, das geistige Fundament für sämtliche Gesetze zu legen, die in den kommenden Büchern diskutiert und aufgestellt werden. Der Athener entfaltet in seiner Rede eine Werteordnung, die von den richtigen Auffassungen über Gott, der das Maß aller Dinge und Standard der Gerechtigkeit und des glücklichen Lebens der Bürger ist, über die Verehrung der Götter und Heroen, die Ehrung der Eltern und Ahnen, der eigenen Seele und des eigenen Körpers bis hin zu Überlegungen zum tugendhaften Leben, das dem natürlichen Bedürfnis eines Menschen entspricht, reicht. Es ist der Beginn der Rede, der für das theologische Projekt der Nomoi von Bedeutung ist:
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Ihr Männer [...], Gott (ho theos)1 also, der, wie auch der alte Spruch sagt, Anfang und Ende und Mitte alles Seienden in Händen hat, erreicht sein Ziel auf stetigem Weg, indem er seiner Natur gemäß kreisend seine Bahnen zieht. Ihm folgt dabei stets Dike [d. h. die Gerechtigkeit] nach als Rächerin für diejenigen, die hinter dem göttlichen Gesetz zurückbleiben. An diese schließt sich an, wer glücklich sein will, und folgt ihr in Demut und Bescheidenheit. […] Welches Tun ist nun einem Gott lieb und folgt ihm nach? Eines, das auch einen einzigen alten Spruch auf seiner Seite hat, dass nämlich das Gleiche dem Gleichen, wenn es maßvoll ist, lieb ist […]. Dieser Gott dürfte für uns nun am ehesten das Maß aller Dinge sein, und dieses weit mehr als etwa, wie manche sagen, irgendein Mensch. (IV 715e7–716a4; 716c1–6; Übersetzung nach Schöpsdau) Diese wenigen Zeilen sind ausgesprochen voraussetzungsreich. Ein antiker Scholiast (vgl. DK 1 B 6; dazu Schöpsdau 2003, 209) weist darauf hin, dass Platon an eine Auffassung anknüpft, die sich in einem orphischen Text findet: Zeus sei es, von dem gesagt wird, er sei Anfang und Mitte und habe alles geschaffen. Es ist plausibel, dass der Athener, wenn er von Gott spricht, bei den Siedlern, die diese Rede hören, Assoziationen an Zeus wecken möchte, aber selbst dann, wenn er Zeus meint, hat die Vorstellung, dass dieser Gott „seiner Natur gemäß kreisend seine Bahnen zieht“ ja doch ausgesprochen wenig mit dem gemeinsam, was in der griechischen Mythologie über Zeus gesagt wird. Platon greift in diesen Zeilen auf Überlegungen zurück, die er am ausführlichsten in seinem Dialog Timaios entwickelt hat: Ein Gott ist ein Himmelskörper. Wenn jemand etwas von Gott und den Götter verstehen möchte, dann muss er die Himmelskörper, und d. h. insbesondere die Bewegung der Himmelskörper, verstehen. Für die Auffassung, dass die Himmelskörper Götter sind, konnte Platon an traditionelle Auffassungen anknüpfen. Vor allem die Sonne galt den Griechen als ein Gott.2 Zudem boten Überlegungen zu den Himmelskörpern 1 Zur Übersetzung von ho theos mit „Gott“ vgl. Bordt 2006, 93–95. 2 Gegen Anaxagoras ist ein Asebieprozess angestrengt worden, weil er behauptet habe, die Sonne sei kein Gott. In der Apologie verteidigt sich Sokrates gegen die Anklage, er glaube nicht an Götter, mit dem Hinweis darauf, ob sein Ankläger wirklich meine, er halte die Sonne und den Mond nicht für einen Gott, so wie es die anderen Menschen auch täten (Ap. 26d1–9).
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offenbar eine interessante Möglichkeit, der Annahme, dass es Götter gibt, irgendeinen Sinn abzugewinnen. Wenn sich Platon auch eher zurückhaltend und wenig optimistisch hinsichtlich der Möglichkeit zeigt, die Existenz der traditionellen olympischen Götter zu beweisen,3 so bieten ihm die Himmelskörper eine attraktive Alternative, dennoch an der Annahme von Göttern festzuhalten. Die Gemeinsamkeit zwischen den hergebrachten Vorstellungen von Göttern und den Himmelsgöttern lag dabei in der für die traditionellen Götter charakteristischen Eigenschaft der Unsterblichkeit. Vor allem dadurch unterscheidet sich ein Gott von den sterblichen Menschen, und wenn man von Göttern sprechen wollte, konnte man auch einfach von „den Unsterblichen“ sprechen. Nun kann man von Himmelskörpern zwar nicht ohne Weiteres sagen, dass sie unsterblich sind, weil sie keine Lebewesen sind, aber sie existieren in einem Kosmos, von dem angenommen wird, dass er ewig existiert, ebenfalls ewig. Die Himmelskörper sind ewig, weil sie nicht dem Entstehen und Vergehen unterworfen sind. Sie bewegen sich in kontinuierlicher Kreisbewegung am Himmelsfirmament entlang. Weil die Kreisbewegung keinen Anfang und kein Ende hat, also kontinuierlich ist, ist das, was sich entlang einer Kreisbewegung bewegt, ein möglicher Kandidat für etwas, das ewig existiert. Die Unsterblichkeit der traditionellen Götter entspricht also der Ewigkeit der Himmelskörper. Wenn der Athener in seiner Rede an die Siedler davon spricht, dass der Gott „seiner Natur gemäß kreisend seine Bahnen zieht“, dann ist damit die kontinuierliche, ewige Kreisbewegung eines Himmelskörpers gemeint. Auch wenn der Athener also Assoziationen an Zeus evozieren möchte, so hat die Vorstellung, dass Zeus am Himmelsgewölbe seine Bahnen zieht, kaum etwas mit der traditionellen Vorstellung von Zeus gemeinsam.4 Von diesem Gott wird nun gesagt, er sei das Maß aller Dinge, und das bedeutet in unserem Kontext insbesondere, dass er das Maß der Gerechtigkeit und der 3 Morrow hat darauf hingewiesen, dass Platon sich allerdings offensichtlich darum bemüht, in den Nomoi Vorstellungen der Polis-Religion in die Gründung von Magnesia einf ließen zu lassen, vgl. Morrow 1960, 434–436. 4 Die enge Verbindung von Zeus und Dike, der Göttin der Gerechtigkeit, entspricht demgegenüber allerdings ganz den mythologischen Vorstellungen von Zeus: In Hesiods Theogonie wird beispielsweise berichtet, dass er dadurch an die Macht kommt und die anderen Götter ihn in seiner Machtposition akzeptieren, weil es ihm gelingt, Gerechtigkeit im Kosmos wieder herzustellen (vgl. dazu die Ausführungen bei Schmidt 1988/1989).
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Gesetzgebung ist. Damit hebt sich Platon ausdrücklich gegenüber Protagoras ab, der behauptet hat, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei. Wer gerecht leben möchte, orientiert sich an Gott und versucht, so gut es geht, ihm gleich zu werden, denn nicht nur Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, sondern auch die Menschen ziehen im Bild des Siedlers hinter dem Gott auf der Kreisbahn her. Nur, was soll damit gemeint sein? Wie soll ein als Gott angenommener Himmelskörper, der sich in stetiger Kreisbewegung befindet, das Maß aller Dinge sein und wie kann ein Mensch ihm gleich oder ähnlich werden? Die Schwierigkeiten, die sich schon beim ersten Satz der Nomoi aufgetan haben, sind damit keinesfalls beseitigt. Wir stoßen an diesem Punkt unserer Überlegungen auf ein Problem, das die Rekonstruktion der gesamten Theologie in Platons Nomoi betrifft. Von dieser Schwierigkeit ist nicht nur die Theologie, sondern auch die Metaphysik in den Nomoi betroffen. Wenn man mit metaphysischen oder theologischen Fragestellungen an den Dialog herantritt, dann wird man immer wieder feststellen, dass die eigenen Erwartungen nach Klarheit und nach einer ausgearbeiteten Theorie frustriert werden.5 Vielleicht liegt darin auch ein Grund, warum die Nomoi zu den von der Forschung eher vernachlässigten Dialogen gehören. Der Grund dafür, dass in der Rede an die Siedler ausgearbeitete theologische Überlegungen fehlen, dürfte darin zu finden sein, dass die Siedler der neuen Stadt, die fiktiven Adressaten also, keine Fachphilosophinnen und -philosophen sind und folglich mit explizit philosophisch-theologischen Überlegungen überfordert wären. Schwierigere philosophische Überlegungen stünden dem Zweck der Rede an die Siedler deswegen im Wege. Nun hätte Platon in seinem fiktiven Dialog natürlich auch ganz andere Adressaten wählen können, etwa philosophisch gebildete Siedler. Die fiktive Adressatengruppe sagt aber auch etwas über die faktische Leserschaft, an die sich Platon mit den Nomoi wendet. Er wollte mit dem Dialog offenbar nicht nur ausgebildete Philosophen erreichen, sondern Argumente für eine Staatsverfassung vorbringen, die jedem damaligen Leser prinzipiell zugänglich waren (vgl. Görgemanns 1960, 100–105). Ähnliches wird uns auch bei der Rekonstruktion der theologischen Überlegungen im X. Buch wieder begegnen. 5 Allerdings findet man in keinem Dialog Platons eine ausgearbeitete Theorie der Ideen oder eine Ideenlehre, auch wenn Platons Ausführungen auf eine Lehre oder eine Theorie zielen. Dass Thesen und Argumente nur angedeutet werden, ist also keine Besonderheit der Nomoi, selbst wenn die Andeutungen und Hinweise in diesem Dialog tatsächlich besonders spärlich sind.
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Auch dort vermisst man die Klarheit und Vollständigkeit in der Argumentation, die einen guten philosophischen Text auszeichnen sollte. Aber auch im X. Buch lässt sich die fehlende Theorie durch das Ziel des Buches erklären. Der Athener schlägt in einer Passage vor, dass die Beweise für die Existenz der Götter schriftlich niedergelegt werden, damit sie jeder nachlesen und studieren könne (X 890e6–891b4). Dieser Hinweis auf die Verschriftlichung von philosophischen Texten ist überraschend, weil Platon sich im Phaidros bekanntermaßen explizit gegen die Schriftlichkeit der Philosophie gewandt hat. Texte, die schriftlich fixiert sind, könne man nicht befragen, so wie man Menschen befragen könne. Sie seien offen für Missverständnisse und für Fragen der richtigen Interpretation (vgl. Phdr. 274b6–278b6). Wenn Platon demgegenüber nun in den Nomoi davon spricht, dass die philosophischen Argumentationen für jeden nachlesbar sein sollen, dann muss die Argumentation möglichst für jeden verständlich sein. Der Text wird für die Leser umso akzeptabler ausfallen, je weniger komplexe metaphysische Überlegungen in den Text eingegangen sind, denn die meisten Athener wären mit metaphysischen Überlegungen heillos überfordert. Dennoch lassen sich, vor allem unter Einbeziehung des Timaios, weitergehende Überlegungen zur Frage anstellen, wie ein Gott, der ein Himmelskörper ist und sich in stetiger Kreisbewegung befindet, Maß aller Dinge sein kann. Im Timaios wird die Kreisbewegung der Himmelssphäre auf ein Prinzip zurückgeführt, das Ursache der stetigen Kreisbewegung ist: auf die Vernunft. Es wird beschrieben, wie ein Demiurg, d. h. ein Handwerker, den gesamten Kosmos erschafft. Der Demiurg steht in Platons Schöpfungsmythos dabei für die Vernunft. Alles, was er so herstellen kann, wie er es will, ist vollständig intelligibel (vgl. Ti. 29d6–30a6 und Cornford 1937, 34–39). Dass nicht der gesamte Kosmos vollständig vernünftig ist, liegt daran, dass der Demiurg in vielen Fällen die Materie, die er vorfindet, formen muss, und die Eigengesetzlichkeit der Materie es ihm unmöglich macht, die Dinge, die aus der Materie hervorgegangen sind, vollständig intelligibel zu schaffen. Bei dem Himmelsgewölbe ist es aber anders, denn das Firmament wird aus einem komplex bearbeiteten Seelenstoff geschaffen, der vollständig formbar ist und keine eigene Resistenz aufweist. Aus diesem Seelenstoff schafft der Demiurg die Kreisbahnen, auf denen die Fixsterne und die Planeten ihre Runden ziehen (vgl. Ti. 34a9–37c5). Ein Problem entsteht dadurch, dass die Planeten von der Erde aus gesehen keine regelmäßigen Kreisbahnen am Himmelgewölbe ziehen. Im Gegenteil: Ihre Bewegungen wirken
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gesetzlos und geradezu chaotisch. Bedeutet das, dass im Himmelsgewölbe nicht nur die Vernunft wirkt, sondern ein zweites Prinzip angenommen werden muss, das der Vernunft entgegensteht und die chaotischen Bewegungen der Planeten verursacht? Um diese Frage zu klären, hat Platon ein mathematisches Modell entworfen, das die von der Erde aus gesehen unregelmäßigen Bewegungen der Planeten sowie der Sonne und des Mondes auf ein kompliziertes Ineinander von mehreren sich überlagernden Kreisbewegungen zurückführt (vgl. Ti. 36b6–d7 und Cornford 1937, 72–93). Was unregelmäßig und chaotisch erscheint, ist in Wirklichkeit also ebenso ein Ausdruck der Vernunft wie die Kreisbewegungen der Fixsternsphäre. Damit ist die Vernünftigkeit der Welt der Himmelskörper gesichert. Entscheidend ist, dass die Kreisbewegung der Sphäre der Fixsterne nicht selbstverursacht ist, sondern auf ein anderes Bewegungsprinzip zurückgeführt wird, auf die Vernunft. Und ebenso, wie die kontinuierliche Kreisbewegung nun Ausdruck dieser Vernunft ist, sollen die Gesetze der zu gründenden Stadt Magnesia Ausdruck der Vernunft sein.6 Die Vernunft, die sich an der Bewegung der Himmelskörper exemplarisch erkennen lässt, soll das Maß der Gesetzgebung sein. Dieses Maß ist nichts, was im Belieben der Menschen stünde, sondern ist, ebenso wie die kosmische Ordnung, dem Menschen vorgegeben. Dass die Gesetzgebung ein Ausdruck dieser Vernunft ist, bedeutet der Sache nach, dass die Gesetze so aufgestellt werden müssen, dass sich die Menschen, die sich in ihrem Leben nach den Gesetzen richten, ein gutes, glückliches Leben führen können. Dass alles, was regelgeleitet ist, Ausdruck der Vernunft ist, ist keine Auffassung, die nur für die späten Dialoge Platons charakteristisch ist. Sie findet sich beispielsweise auch an prominenter Stelle im VI. Buch in der Politeia. Dort vertritt Platon die Ansicht, dass sich ein Philosoph von den Dingen dieser Welt ab- und sich der ewigen und unveränderlichen Ordnung zuwendet, in der alle Dinge so in Harmonie sind, wie es die Vernunft gebietet (vgl. 500b7–c8). Das, was einer Ordnung oder Gesetzmäßigkeiten folgt und was regelgeleitet ist, kann nicht ein Produkt des Zufalls sein. Es wird nun auch verständlich, warum der Athener davon spricht, dass diejenigen Menschen, die glücklich werden wollen, der Gerechtigkeit folgen müssen, 6 Vgl. dazu auch die Deutung des Kronosmythos in Lg. IV 713e1–5.
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die ihrerseits dem Gott auf seinen Kreisbahnen folgt. Die Gleichheit zwischen dem Menschen und dem Gott ist die Gleichheit der Vernunft. Je vernünftiger der Mensch ist, desto gerechter ist er, desto mehr gleicht er sich Gott an und desto glücklicher und erfüllter ist sein Leben (vgl. Sedley 1997).
11.2 Das X. Buch der Nomoi Unsere Interpretation des Beginns der Rede des Atheners an die Siedler hat ergeben, dass zwischen den Göttern, die als Himmelskörper gedacht sind, und der Vernunft selbst, die die kontinuierliche Kreisbewegung verursacht, unterschieden werden muss. Dass diese Vernunft selbst Gott oder ein Gott ist, wird nicht ausdrücklich gesagt. Die ersten Zeilen der Nomoi legen aber zumindest diese Annahme nahe, weil es ein Gott ist, auf den die Gesetzgebung zurückgeführt werden soll, und die Gesetzgebung nicht auf die am Himmel kreisenden Sterne, sondern auf die Vernunft selbst zurückgeführt wird. Diese Annahme wird durch eine Interpretation des X. Buches der Nomoi bestärkt, auch dann, wenn wiederum Fragen offenbleiben werden. Im X. Buch möchte Platon den Asebiegesetzen eine sachliche Grundlage geben und zeigen, dass es Götter gibt, dass diese sich um jeden Menschen kümmern und unbestechlich sind. Sein Anliegen wäre missverstanden, wenn man meinen würde, es ginge ihm lediglich um besondere religiöse oder kultische Vorstellungen, die bewahrt und beachtet werden müssten. Bereits die Rede an die Siedler hatte ja gezeigt, dass es von einer Antwort auf die Frage, ob Gott existiert, abhängt, ob es eine an objektiven Standards ausgerichtete gerechte Gesetzgebung geben kann. Diesen Zusammenhang macht Platon noch einmal klar, wenn er in Buch X darauf hinweist: „Niemand, der gemäß der Tradition an das Dasein der Götter glaubt, hat jemals freiwillig eine unfromme Tat begangen oder ein gegen das Gesetz gerichtetes Wort gesagt“ (885b4 f.) oder: „Das Wichtigste aber [...] ist dies: Über die Götter eine richtige Ansicht zu haben, und infolgedessen schön zu leben oder im anderen Fall nicht“ (888b3 f.). Mit der richtigen Auffassung über Gott, über seine Existenz, seine Fürsorge und seine Unbestechlichkeit, hat man also die Grundlage dafür geschaffen, dass sich die Bürger an die Gesetze halten werden und darum ein glückliches, gelungenes Leben führen können. Platon greift damit einen Gedanken auf, den er schon im II. Buch der Politeia entfaltet
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hat. Adeimantos, der Gesprächspartner von Sokrates, übernimmt die Rolle eines advocatus diaboli und vertritt die Ansicht, dass es, um glücklich zu werden, nicht notwendig sei, tatsächlich gerecht zu sein, sondern es völlig ausreiche, gerecht zu scheinen; wichtig sei lediglich, dass die anderen Menschen von einem glaubten, man sei gerecht, denn dann könne man mit dem Gesetz nicht in Konf likt kommen, habe eine ausgezeichnete Reputation und bleibe straffrei (vgl. Rep. II 362e1–363a6). Nun könne man zwar einwenden, dass ein Mensch, der ungerecht lebe, sich aber erfolgreich den Anschein von Gerechtigkeit gebe, einen großen Fehler mache, weil er die Götter vergesse, die die ungerechten Taten des Menschen bestrafen würden. Deswegen reiche es nicht, gerecht zu scheinen: Man müsse tatsächlich gerecht sein. Dieser Einwand lässt sich, so Adeimantos, aber leicht entkräften: Von den Göttern sei nichts zu befürchten. Entweder es gibt sie überhaupt nicht – dann können sie einen auch nicht bestrafen; oder sie kümmern sich nicht um uns Menschen – auch in diesem Fall sind sie harmlos; oder aber sie sind bestechlich – und wenn man ihnen nur kräftig opfere, drohe auch in diesem Fall keine Gefahr (vgl. Rep. II 365d7–366a4). Wenn Platon in den Nomoi also die Existenz, die Fürsorge und die Unbestechlichkeit der Götter beweist, dann möchte er damit das sachliche Fundament einer Weltordnung legen, in der gesichert ist, dass derjenige, der gerecht ist, glücklich wird.
11.2.1 Der Beweis für die Existenz der Götter (X 887c5–899d3) Auch dann, wenn Kleinias kein Problem darin sieht, die Existenz der Götter zu beweisen, weil es doch das Universum mit den Himmelskörpern gebe, die die Jahreszeiten, Jahre und Monate in so schön geordneter Folge hervorbrächten und außerdem doch alle Griechen und Barbaren an die Götter glaubten, ist dem Athener klar, dass die Dinge so einfach nicht liegen. Wir haben ja gesehen, dass Platon bereits im II. Buch der Politeia darauf hingewiesen hat, dass es Menschen gibt, die die Existenz der Götter leugnen, und ein Konsens der meisten Griechen und Hellenen wird diese Menschen wenig beeindrucken. Aber auch aus der Tatsache, dass es die Himmelskörper gibt, folgt nicht notwendig die Existenz von Göttern. Neben den vielen, einander oft widersprechenden und unglaubwürdigen Theogonien, in denen die Himmelskörper als Götter beschrieben werden, gibt es einen weiteren, deutlich ernster zu nehmenden Grund dafür, dass Men-
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schen nicht glauben, dass die Himmelskörper Götter seinen: den Materialismus. Wenn der Materialismus richtig ist, dann sind die Himmelskörper nichts als leblose Materie, und weil Götter Lebewesen sind, könnten die Himmelskörper nicht Götter sein. Damit ist Platons Argumentationsweg vorgezeichnet: Wer zeigen möchte, dass der Atheismus falsch ist, muss zunächst zeigen, dass die materialistische Ontologie, die dem Atheismus zu Grunde liegt, falsch ist. Damit ist der Weg frei zu zeigen, dass die Himmelskörper tatsächlich als Götter angesehen werden können. In einem ersten Schritt skizziert der Athener die materialistische Theorie, die er im Folgenden widerlegen möchte (vgl. 889b1–c6). Ein Materialist vertritt ihm zufolge eine bestimmte Auffassung darüber, wie alle Dinge entstanden sind bzw. entstehen. Alles, was entsteht, entsteht ausschließlich durch Natur und Zufall.7 Die Grundelemente, also Feuer, Wasser, Luft und Erde, verdanken ihr Dasein der Natur. Diese Elemente haben eigene ihnen innewohnende Kräfte. Diese Kräfte bewirken, dass sich die Elemente miteinander verbinden oder voneinander abstoßen. Durch diesen Prozess entstehen komplexere Körper und schließlich das ganze Universum. Dabei ist es der Zufall, der darüber entscheidet, welches der Elemente sich gerade mit einem anderen verbindet, und insofern ist es auch der Zufall, der komplexe Körper und das ganze Universum schafft. Die materialistische Theorie richtet sich ausdrücklich gegen die Auffassung, es sei eine Vernunft oder irgendein Gott und damit auch ein Plan oder eine rationale Ordnung, die dafür verantwortlich ist, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Die Materialisten gestehen zwar zu, dass es im Universum auch Vernunft gibt; diese sei aber nichts als ein Epiphänomen. Die Bewertung dessen, was durch Vernunft hervorgebracht wird, ist für die Materialisten zwiespältig: Wenn sich die Vernunft mit der Natur verbindet, wie es z. B. in der Landwirtschaft oder der Medizin vorkommt, kommen durchaus beachtenswerte Ergebnisse zustande. Wo die Vernunft aber ihren eigenen Ursprung, die Natur, vergisst und sich nicht an ihr orientiert, entsteht Unsinn (vgl. 889c7–d7), und genauso ist es bei den Gesetzen, die von Menschen gemacht werden: Sie beruhen in den meisten Fällen nicht auf der Natur und sind dadurch falsch. Der Materialismus ist also nicht nur die ontologische Grundlage für einen Atheismus, sondern auch für einen ethi7 Zu interessanten Parallelen mit moderner Evolutionstheorie vgl. Saunders 1972.
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schen Relativismus. Das, was faktisch gerecht und ungerecht ist, beruht ihrer Auffassung nach nicht auf der Natur, sondern wird von Menschen willkürlich festgesetzt (vgl. 889e7–890a1). Dasselbe gilt auch für die Götter: Sie existieren nicht, weil sie ein Fundament in der Natur der Dinge hätten, sondern weil bestimmte Gesetzgeber sie erfunden und für die jeweilige Polis als verbindlich erklärt haben (vgl. 889e4 f.), beispielsweise um Menschen politisch manipulieren zu können und sie zu motivieren, die Gesetze, die oft ihrem eigenen Lebensglück im Wege stehen, einzuhalten (vgl. DK 88 B 25). Wenn der Athener im Folgenden den Materialismus widerlegt, dann widerlegt er also nicht nur die sachliche Grundlage des Atheismus, sondern ebenso einen ethischen Relativismus, der sich darauf beruft, dass die Standards für die Gerechtigkeit nicht in der Vernunft liegen. Die Kritik des Atheners setzt bei der Frage an, welches die erste Ursache für alles Werden und Vergehen ist. Bei einer Antwort auf diese Frage machen die Materialisten folgenden Fehler: Das, was die erste Ursache des Werdens und Vergehens aller Dinge ist, das erklären jene Lehren, die von den Gottlosen vertreten werden, nicht für das Erste, sondern für etwas später Entstandenes, was aber später entstanden ist, für das Frühere. Dadurch sind sie über das wahre Wesen der Götter in Irrtum geraten. (X 891e5–9) Die wahre erste Ursache alles Werdens und Vergehens sei, so der Athener, nicht die Natur und der Zufall, sondern die Seele, „weil sie vor allen Körpern entstanden“ sei und „mehr als alles andere bei der Veränderung und dem Wechsel der Körper“ (892a4–7) herrsche. Vor dem eigentlichen Beweis für die ontologische Priorität einer Seele bei allem Werden und Entstehen bringt der Athener einen Exkurs über zehn Arten der Bewegung, dessen Details ausgesprochen kompliziert sind und in dem der Athener den ontologischen Aufbau der gesamten Realität skizziert (vgl. Bordt 2006, 199–204; Crivelli 1982; Steiner 1992, 134–149). Platon deutet dabei nur an, was er in seinen früheren Dialogen ausführlicher dargelegt hat. Der Exkurs beginnt mit der Frage, ob wohl (i) alles stillsteht, (ii) sich alles bewegt oder (iii) manches stillsteht und sich anderes bewegt. Der Athener optiert für (iii), und derjenige Leser, der mit Platons Dialogen vertraut ist, wird diese
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Antwort auch erwarten (vgl. z. B. Sph. 249c10–d4). Es ist für Platons Sicht der gesamten Wirklichkeit charakteristisch, dass es nicht nur Dinge gibt, die sich bewegen und verändern, sondern es über diese hinaus noch andere Dinge gibt, die unveränderlich sind und die der Grund dafür sind, warum die veränderlichen Dinge so sind, wie sie sind. Es sind diejenigen Entitäten, die in den mittleren Dialogen Platons oft als Ideen bezeichnet werden.8 Die bewegten Dinge werden im Verlauf des Exkurses in zwei Gruppen eingeteilt: Zum einen existieren diejenigen Dinge, die sich selbst bewegen (das sind, wie später deutlich werden wird, die Seelen der Himmelskörper), zum anderen diejenigen, deren Bewegung von etwas anderem verursacht worden ist. Innerhalb der zweiten Gruppe unterscheidet der Athener darauf zwischen acht Bewegungsformen, von denen die Kreisbewegung (im Unterschied zur fortschreitenden Bewegung) besonders hervorgehoben wird, weil sie die „Quelle alles Wunderbaren“ (893d2 f.) sei. Dass diese Hervorhebung der Sache nach geschieht, weil mit der Kreisbewegung die Bewegung der Himmelskörper beschrieben ist, wird später im Beweis für die Existenz der Götter deutlich (vgl. 897c3–898b10). Die fünfte und sechste Bewegung ist die Verbindung und Trennung. Die beiden Terme werden im Timaios für die Bewegungsart der Elemente, d. h. der unbelebten Dinge, gebraucht, die aufeinandertreffen und sich verbinden bzw. voneinander lösen (vgl. Ti. 56c8–61c3). Die siebte und achte Bewegungsart sind charakteristisch für Veränderungen im Bereich des Lebendigen: Wachsen und Abnehmen. Dass diese beiden Arten tatsächlich von der fünften und sechsten Bewegungsart unterschieden werden, bedeutet der Sache nach, dass sich das Wachsen und Abnehmen von Lebewesen nicht auf die Verbindung und Trennung von seelenlosen Materieteilen reduzieren oder durch sie hinreichend erklären ließe. Als neunte und zehnte Bewegungsart nennt der Athener Werden und Vergehen und gebraucht damit allgemeinste Begriffe, die jede Form von Veränderung beschreiben und eigentlich charakteristisch für eine metaphysische Untersuchung der gesamten Wirklichkeit sind. Es ergibt sich also folgendes Gesamtbild des Exkurses: Es gibt Dinge, die unveränderlich sind, und Dinge, die sich bewegen. Die Bewegung der Dinge, die sich bewegen, ist entweder selbstbewegt oder fremdverursacht. Von den fremd8 In Spannung zu dieser Interpretation steht allerdings Lg. X 893c2–d6, denn in dieser Passage wird das, was feststeht und sich nicht bewegt, als etwas, das in einem Raum ruht, bestimmt.
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verursachten Bewegungen ist die Kreisbewegung von allen anderen Formen besonders hervorgehoben. Die Bewegung lässt sich unter dem Aspekt des Werdens und Vergehens ontologisch beschreiben. Unter den Dingen, die sich bewegen, gibt es Belebtes, das wächst und abnimmt, und Unbelebtes, das sich miteinander verbindet und voneinander trennt. Der nun folgende Beweis für die Existenz der Götter beruht auf dieser metaphysischen Skizze. Ausgangspunkt für den Beweis für die Existenz der Götter sind die Dinge, die sich selbst bewegen und damit Ursache aller anderen Bewegung sind. Platon vertritt an dieser Stelle im Dialog die Auffassung, dass es gar keine Bewegung geben könnte, wenn es nicht einen Ursprung aller Bewegung gibt, und dass dieser Ursprung selbstbewegt sein muss. Auch wenn es zunächst so scheint, als sei damit zugleich gesagt, dass die Selbstbewegung letzte Ursache aller Bewegung ist und es für die Selbstbewegung keine Ursache mehr geben könne, wird später deutlich werden, dass auch die selbstbewegte Bewegung eine Ursache der Bewegung haben muss, nämlich die Vernunft. Zunächst ist der entscheidende Schritt im Argument aber der zu zeigen, dass die Selbstbewegung die Bewegung einer Seele ist, denn dann wäre erwiesen, dass jede Bewegung ihre letzte Ursache in einer Seele hat und folglich der Materialismus falsch ist. Für die Identifikation einer selbstbewegten Bewegung mit einer Seele bringt der Athener zwei Argumente vor. Zum einen ist alles, was sich selbst bewegen kann, lebendig, und alles, was lebendig ist, hat eine Seele (vgl. 895c1–13). Das zweite Argument: Es gibt zwei unterschiedliche sprachliche Ausdrücke, um sich auf dieselbe Sache zu beziehen: „Seele“ und „Bewegung, die fähig ist, sich selbst zu bewegen“. Aus beiden Argumenten folgert er, dass die Seele, weil sie sich selbst bewegen kann, Prinzip aller Bewegung ist (vgl. 895d1–896a5). Weil der Unterschied zwischen einem materiellen Körper und einer Seele darin besteht, dass ein Körper sich im Unterschied zur Seele nicht selbst bewegen kann und jede Bewegung eines Körpers in der Analyse der Bewegung auf die Selbstbewegung einer Seele zurückgeführt werden muss, ist die ontologische Priorität der Seele vor dem Körper aufgezeigt (vgl. 896a5–d9). Mit der Priorität der Seele vor dem Körper ist aber auch gezeigt, dass alles, was mit der Seele verbunden ist, wie z. B. Charaktereigenschaften, Überlegungen, wahre Meinungen, Sachverstand und Kunstfertigkeiten, Priorität vor dem Körper hat. Weil die Seele Ursache der Bewegung von allem ist, was sich bewegt, muss sie auch Ursache der Bewegung der Himmelskörper sein (vgl. 896d10–897d7).
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Platon lässt den Athener die Frage aufwerfen, ob eine oder zwei Seelen die Bewegungen der Himmelskörper verursachen. Das Kriterium, diese Frage zu entscheiden, ist folgendes: Wenn eine Seele „die Vernunft zu Hilfe nimmt“ (897b1 f.), dann verursacht sie Bewegungen, die geordnet sind und der Vernunft entsprechen; wenn eine Seele sich mit der Unvernunft verbindet, verursacht sie chaotische Bewegungen. Weil aber die Kreisbewegungen der Fixsternensphäre und, wie wir im Timaios gesehen haben, auch die Bewegungen der Planeten, der Sonne und des Mondes geordnete Bewegungen sind, muss eine gute Seele im Kosmos herrschen, die die Vernunft zu Hilfe nimmt. Der nun folgende ausdrückliche Beweis für die Existenz der Götter beruht auf der Annahme, dass jeder Himmelskörper beseelt ist. Ähnlich wie bei Lebewesen sehen wir die Seele nicht. Was wir sehen, ist der Körper, aber aus der geordneten Bewegung des Himmelskörpers lasse sich, so der Athener, auf dessen Beseeltheit schließen. Auf welche Art und Weise sich die Seele mit dem Körper verbindet, lässt der Athener offen. Aber er schließt: „Diese Seele […] muss doch jeder für einen Gott halten“ (899a7–10). Folglich müsse jeder zugeben, dass alles voll von Göttern sei und Götter existierten. Der Beweis für die Existenz von Göttern ist damit abgeschlossen. Im Zusammenhang mit der Frage, ob ein oder zwei Seelen die Bewegungen der Himmelskörper verursachen (vgl. dazu Steiner 1992, 157–161), gibt es allerdings einen Hinweis, der nahelegt, dass mit der Auffassung, ein Gott sei eine Seele, noch nicht das letzte Wort über Platons Theologie gesprochen ist. Die Frage, ob eine Seele sich mit der Vernunft oder der Unvernunft verbindet und entsprechend geordnete oder chaotische Bewegungen hervorbringt, legt nahe, dass im strengen Sinn nicht die selbstbewegte Seele die letzte Ursache jeder Bewegung ist, sondern jede selbstbewegte Seele wiederum von einem anderen Prinzip abhängig ist: von der Vernunft, die, wenn man den Exkurs zu den zehn Bewegungsarten berücksichtigt, zu den unveränderlichen Dingen gehört.9 Entscheidend für die Rekonstruktion von Platons Theologie in den Nomoi ist dabei ein Zusatz, den der Athener in Bezug auf die Vernunft macht. Es sei die Vernunft, die „für Götter mit Recht ein Gott ist“ (897b2). Diese kurze Bemerkung, die leicht überlesen wird, erlaubt es, eine auch zu den Bemerkungen in der Rede 9 Zur Diskussion der umstrittenen Frage, ob die Vernunft auch ohne eine Seele existieren kann, vgl. Menn 1995, 19.
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an die Siedler und zum ersten Satz des Dialoges konsistente theologische Skizze der Nomoi zu rekonstruieren: Es gibt nicht nur die vielen Himmelsgötter, sondern auch einen obersten Gott, der mit der Vernunft zu identifizieren ist. Von diesem obersten Gott hängen die Himmelsgötter ontologisch ab.10 Ein sachliches Problem bleibt allerdings bestehen: Es ist alles andere als klar, ob ein Atheist sich von dem Beweis für die Existenz der Götter beeindrucken lassen muss. Selbst dann, wenn er Platons Widerlegung des Materialismus und der Abhängigkeit eines ethischen Relativismus vom Materialismus zustimmen würde, gäbe es für ihn keinen notwendigen Grund, die Existenz von Göttern anzunehmen, denn er könnte die Identifikation der Götter mit den Seelen der Himmelskörper oder der Vernunft mit einem obersten Gott bestreiten. Dass jeder Mensch die Seele eines Himmelskörpers für einen Gott halten müsse, ist keinesfalls ausgemacht, selbst wenn Kleinias an entsprechender Stelle hinzufügt, dass jeder, der nicht vollkommen unvernünftig sei, diesem zustimmen müsse (vgl. 899b1 f.). Gegenüber der Tradition der Polis-Religion, aber auch der gesamthellenistischen Götterwelt, führt Platon neue Götter ein, wobei er sich allerdings, wie wir gesehen haben, darin auf die Tradition berufen kann, dass einzelne wenige Gestirne in der Polis-Religion als Götter angesehen werden. Mit dem Beweis der Existenz dieser neu eingeführten Götter ist aber noch nichts über die Existenz der Götter gesagt, die zu beweisen er eigentlich angetreten ist.11 Sein 10 Diejenigen Interpreten, die der Auffassung sind, diese zugegebenermaßen vereinzelten Hinweise in den Nomoi erlaubten keine konsistente Rekonstruktion der Theologie in den Nomoi, werden sich vielleicht eher der deutlich vorsichtigeren Deutung von Mayhew 2010 anschließen, dessen Überlegungen mit der Bemerkung enden: „in the scholarly debate over the identity of Plato’s god, and the corollary discussion of the relationship between Reason (Nous), the Demiurge, and the World Soul, I think any hypothesis that dismisses Reason as a candidate for Plato’s chief god or demotes the place of Reason in his theology is likely to be mistaken“ (Mayhew 2010, 216). In jedem Fall ist mit dieser Deutung widerlegt, was Friedrich Solmsen in seiner vor allem im englischsprachigen Raum einf lussreichen Monographie 1942 vertreten hat: Ein Gott könne nie einem obersten metaphysischen Prinzip entsprechen, weil ein Gott die Seele eines Himmelskörpers sei. Eine Seele vermittle zwischen den letzten Prinzipien und der wahrnehmbaren Wirklichkeit, sei aber nie ein letztes Prinzip (vgl. dazu Bordt 2006, 31–38). 11 Im Timaios vertritt Platon die Auffassung, dass es nicht einmal wahrscheinliche Gründe für die Annahme und Charakterisierung der traditionellen Götter gebe, dass man aber der Tradition folgen solle (vgl. Ti. 40d6–41a6). Man kann wohl relativ sicher sein, dass Platon das Unterfangen, die Existenz der Götter, die in einer Polis verehrt werden, beweisen zu wollen, für ziemlich aussichtslos gehalten hat.
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kosmologischer Entwurf entspricht viel eher der Skizze einer Metaphysik, deren Ergebnisse dann theologisch interpretiert werden. Das wird einen Atheisten nicht überzeugen müssen.
11.2.2 Der Beweis für die Fürsorge (X 899d4–905d7) und die Unbestechlichkeit (X 905d8–907b4) der Götter Die beiden folgenden Beweise für die Fürsorge und Unbestechlichkeit sind wesentlich kürzer und stellen keine besonderen Anforderungen an die Interpretation. Wie, so fragt der Athener, komme es, dass jemand, der die Existenz von Göttern annehme, zu der Auffassung käme, sie kümmerten sich nicht um die Menschen? Die Analyse des Atheners ist prägnant: Jemand, der die Fürsorge der Götter leugnet, ist der Auffassung, dass gerechte Menschen unglücklich und ungerechte Menschen glücklich sein können. Wenn sich die Götter tatsächlich um die Menschen kümmern würden und sich der menschlichen Angelegenheiten annähmen, wäre das Unglück des Gerechten ebenso ausgeschlossen wie das Glück des Ungerechten. Deswegen existierten die Götter zwar, aber sie seien über alle menschlichen Dinge so erhaben, dass ihnen das Glück und Unglück des Einzelnen gleichgültig sei. Platon lässt den Athener nicht diskutieren, ob die These des Glücks des Ungerechten und des Unglücks des Gerechten richtig oder falsch ist; klar ist aber, dass er sie für falsch hält. Zur Widerlegung der Annahme, die Götter kümmerten sich nicht um die Menschen, nimmt er einen Gedanken aus dem Beweis für die Existenz der Götter wieder auf. Die Seele, die den Himmel durchwaltet, orientiert sich vollständig an der Vernunft. Etwas, das sich vollständig an der Vernunft orientiert, muss aber über alle Tugenden verfügen. Wer nun über alle Tugenden verfügt, vernachlässigt nichts aus Feigheit oder Trägheit, weil Feigheit und Trägheit Laster sind. Wenn er etwas vernachlässigt, dann, weil er der Meinung ist, es mache keinen Unterschied, ob er sich darum kümmert oder nicht. Nun macht es aber für die Menschen einen ganz erheblichen Unterschied, ob sich die Götter um ihn kümmern oder nicht. Folglich müsse er annehmen, dass sich die Götter aus Unwissenheit oder Unkenntnis nicht um die Menschen kümmerten. Das sei aber ebenfalls unmöglich, weil Götter alles wissen. Also kümmern sich die Götter um die menschlichen Angelegenheiten – zwar nicht dadurch, dass sie in
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das Geschehen der Geschichte unmittelbar eingreifen oder die Handlungen der Menschen vorhersehen oder beeinf lussen, sondern dadurch, dass sie den gesamten Kosmos so geordnet haben, dass die ganze Weltordnung gerecht ist. Nur derjenige, der gerecht lebt, lebt in Kohärenz mit der kosmischen Ordnung und wird glücklich. Auch dann, wenn es den Anschein hat, dass ungerechte Menschen glücklich sind: Sie sind es nicht, weil sie im Widerspruch zur kosmischen Ordnung leben. Der Beweis für die Unbestechlichkeit der Götter in ausgesprochen knapper Form beruht im Wesentlichen darauf, dass jemand, der die Existenz und die Fürsorge der Götter anerkennt, nicht konsistent der Auffassung sein kann, die Götter seien bestechlich. Die Götter für bestechlich zu halten hieße beispielsweise, sie mit Steuermännern zu vergleichen, die sich durch Wein- und Fleischgeschenke dazu überreden ließen, das Schiff vom richtigen Kurs abzubringen – und eine solche Auffassung von Gott und den Göttern könne doch keiner haben, der an deren Existenz und Fürsorge glaube. Es ist auffällig, dass Platons Beweise für die Fürsorge und die Unbestechlichkeit der Götter verglichen mit dem Beweis für die Existenz Gottes und der Götter relativ knapp gehalten sind, obwohl sie für die praktische Lebensführung der Bürger von Magnesia doch bedeutsam sind und Platon in den Nomoi an anderen Stellen ausführlich Fragen der praktischen Lebensführung diskutiert. Ein Grund dafür dürfte darin zu finden sein, dass Platon erst mit dem Beweis für die Existenz Gottes und der Götter bzw. mit dem Beweis dafür, dass es eine Vernunft gibt, die den Kosmos ordnet und sich an dieser Vernunft auch die Gesetze orientieren müssen, das argumentative Fundament für das gesamte Werk gelegt hat. Ein zweiter Grund ist vielleicht, dass es nicht so sehr konkrete praktische Forderungen sind, die sich aus der Fürsorge und der Unbestechlichkeit der Götter ableiten lassen. Die beiden Eigenschaften prägen vielmehr das Selbstverständnis der Bürger von Magnesia, die sich in einem geordneten Kosmos wissen, dessen Vernunft garantiert, dass derjenige, der gerecht ist, im recht verstandenen Sinn glücklich wird.
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Literatur Bordt, M. 2006: Platons Theologie, Freiburg. Burnyeat, M. F. 1997: First Words: a Valedictory Lecture, in: Proceedings of the Cambridge Philosophical Society 43, 1–20. Cornford, F. 1937: Plato’s Cosmology, London. Menn, S. 1995: Plato on God as Nous, Carbondale/Edwardsville. Schmidt, J.-U. 1988/1989: Die Aufrichtung der Zeusherrschaft als Modell – Überlegungen zur Theogonie des Hesiod, in: Würzburger Jahrbuch N. F. 14, 39–69 und 15, 17–37. Sedley, D. 1997: „Becoming like God“ in the Timaeus and Aristotle, in: T. Calvo/L. Brisson: Interpreting the Timaeus-Critias. Proceedings of the IV. Symposium Platonicum. Sankt Augustin, 327–340. Solmsen, F. 1942: Plato’s Theology, Ithaca.
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Ämter und Gesetze in Magnesia1
12.1 Überblick Der gewaltige Umfang von Platons Nomoi ist insbesondere der großen Zahl von detailliert formulierten Gesetzen geschuldet, die den Kern des Werkes bilden. Das in ihm entwickelte politische System wäre aber unvollständig ohne die zahlreichen Ämter bzw. Magistrate,2 die Platon zur Verwaltung, Erhaltung und Ausarbeitung der Gesetzesordnung einführt. Auch diese erreichen eine beeindruckende Zahl und Differenziertheit: • • • • • •
Volksversammlung (ekklêsia, koinos syllogos) Rat (boulê) Beamte (archontes) Gesetzeswächter (nomophylakes) Militärbeamte: Strategen, Taxiarchen, Hipparchen und Phylarchen Ordnungsbeamte: Agronomen, Astynomen, Agoranomen
1 Für wertvolle Hinweise zur Verbesserung dieses Beitrages danke ich den Teilnehmern der vorbereitenden Konferenz, vor allem Christopher Bobonich und Ada Neschke-Hentschke. 2 Die Bezeichnung „Magistrate“ wird in der deutschen Übersetzung von Hansen 1995 für die Strukturen im Athen des 4. Jh. bevorzugt. Ich verwende im Folgenden „Ämter“ oder „Beamte“ und hoffe, hierdurch nicht zu viele Modernismen in die Darstellung zu bringen.
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Kultusbeamte: Priester, Ausleger (exêgêtai), Schatzmeister Erziehungsbeamte (darunter der Aufseher über die gesamte Erziehung) Richter, wobei das Gerichtswesen im Detail genau geregelt ist die Euthynen (euthynoi), hochrangige Kontrollbeamte die nächtliche Versammlung3
Das Nebeneinander von Gesetzen und Ämtern führt auf ein wesentliches Problem für die Interpretation der Nomoi: Sind die Gesetze, zumindest in ihrem Kern, ein einmal begründetes, unverrückbares Korpus von Regelungen, das von den menschlichen Amtsträgern lediglich mit dem Ziel verwaltet wird, die Bewohner von Magnesia den Normen des platonischen Denkens zu unterwerfen? Oder sind die Ämter Ausdruck der eigenständigen Verantwortung der Bürger für den Staat, wodurch diese letztlich die Möglichkeit erhalten, das Gesetzeskorpus beständig zu revidieren und zu erneuern?4 Die Relevanz dieser Fragen zeigt sich, wenn man die Nomoi in einen breiteren Kontext stellt. Da ist zunächst der häufig gezogene Vergleich mit der Politeia: Ein Hauptunterschied beider Werke besteht offensichtlich darin, dass in der Politeia die Personengruppen der Wächter und Philosophen durch die Qualität ihres Wissens und Charakters garantieren sollen, dass der ideale Staat sich einmal bildet und dann erhält; hingegen tritt in den Nomoi das gesetzliche Element stark in den Vordergrund, so dass die Relevanz der personalen Eigenschaften für die Erhaltung des Staates deutlich geringer scheint. Vor diesem Hintergrund wirft aber die schiere Zahl der Amtsträger und ihrer Rollen sowie der ihnen gegebenen Möglichkeiten die Frage auf, ob dieser erste Eindruck nicht trügerisch ist bzw. ob die Nomoi nicht doch, wie schon die Politeia, einen Staat begründen, der wesentlich von personalen Tugenden seiner Herrscher lebt, selbst wenn diese nun als Amtsträger vorgestellt werden. Einen weiteren Vergleichspunkt kann der Umgang mit Gesetzen in den griechischen Staaten zu Platons Lebzeiten abgeben. Ein besonders wichtiges und 3 Eine genaue Auf listung und Erklärung der diversen Ämter bietet Schöpsdau 1994, 113–121; vgl. auch Schöpsdau 2003, 351–360. Sie wurde dieser stichpunktartigen Auf listung zugrundegelegt und sei für genauere Informationen empfohlen. 4 In der Forschung finden sich unterschiedliche Antworttendenzen auf diese Frage: So betont Saunders 1992 den verpf lichtenden Charakter der Gesetzesherrschaft; dagegen stellt Bobonich 2001, 374–409, die Herrschaft der Bürger heraus.
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quellenmäßig bekanntes Beispiel ist die Athener Demokratie des 4. Jh. v. Chr., in der Platon selbst gelebt hat. Hier war es interessanterweise gar keine Frage, ob Gesetze geändert werden können. Spätestens seit 402 v. Chr., also noch vor dem Tod des Sokrates, gab es Verfahrensgesetze, die (mehr oder weniger) genau regelten, wie eine solche Änderung vor sich zu gehen hatte, und ein Gremium, das diesen Prozess durchzuführen hatte: Die Gesetzgeber (nomothetai) mussten auf Antrag nicht nur von Amtsträgern, sondern auf den jedes einzelnen Bürgers hin aktiv werden und die von diesem vorgeschlagenen Gesetzesänderungen diskutieren, über sie abstimmen und gegebenenfalls die Änderung vornehmen.5 In modernen demokratischen Staaten erhält die Problematik des Verhältnisses von Ämtern und Gesetzen schließlich dadurch eine besondere Note, dass diese Staaten nicht nur über Einzelgesetze verfügen, sondern meist auch eine Verfassung bzw. ein „Grundgesetz“ haben, an deren unveränderlichen Vorlagen die übrigen Gesetze zu messen sind. Diesem Element der Dauerhaftigkeit steht eine Legislative gegenüber, die als eine der Grundgewalten des Staates dazu bestimmt ist, das Gesetzeskorpus zu deuten und zu erneuern. Hier wird also durch eine Rahmenordnung versucht, das komplexe Verhältnis zwischen der notwendigen Konstanz der Gesetze, die für deren Verlässlichkeit und Wirksamkeit unerlässlich ist, sowie ihrer nicht minder wichtigen Wandelbarkeit, durch die mit Flexibilität auf neue Herausforderungen und Änderungen von Wertvorstellungen reagiert werden kann,6 in angemessener Weise zu regeln. In der Folge sind in heutigen Staaten die Möglichkeiten des Einzelnen zur Anregung von Gesetzesänderungen meist eingeschränkter als in Athen zu Platons Zeit. Das Verhältnis von Gesetzen und Ämtern in den Nomoi betrifft also, wie diese Beispiele zeigen, nicht nur die Entwicklung von Platons Denken, sondern auch ein wichtiges Sachproblem: Das Zusammenspiel von schriftlich niedergelegten Gesetzen und sie kontrollierenden und anwendenden Menschen ist ein Grundmerkmal jeder politischen Ordnung und bestimmt das Verhältnis bewahrender und innovativer Tendenzen in ihr. Worin liegt die Bedeutung von Platons Nomoi in dieser Hinsicht? Ich möchte sie im Folgenden darin verorten, dass hier erstmals nicht nur die Gesetze selbst 5 Zu den Details vgl. Hansen 1995, 172–183. 6 Ein klassischer Text zur Notwendigkeit von Konstanz und Wandelbarkeit von Gesetzen ist Thomas von Aquin, Summa theologiae I–II, Quaestio 97, Artikel 1–2.
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thematisiert, sondern die Einzelgesetze auch als Teil einer Verfassung (politeia) behandelt werden (IV 715b; VIII 832b). Deren Besonderheit besteht darin, dass die Änderung der Gesetze durch einen rationalen Überlegungsprozess auf der Grundlage der fundamentalen Staatsziele erreicht werden soll, der durch die Inhaber mehrerer Ämter durchgeführt und inhaltlich abgesichert wird. Um dies zu erklären, gehe ich auf drei Ämter näher ein: 1. Die Gesetzeswächter, die konkret mit der Anwendung und Erneuerung der Gesetze befasst sind (VI 752d–2755b6). 2. Die Euthynen, die selbst noch eine Kontrolle über die Gesetzeswächter ausüben (XII 945b–948b). 3. Der Nächtliche Rat, der das Gesetzessystem in gewisser Weise als Ganzes kontrollieren soll (XII 951d–952b; 960b–969d). Von diesen Ämtern, deren Sonderstellung dadurch deutlich ist, dass sie keine eindeutigen Parallelen im zeitgenössischen Athen haben (Morrow 1960, 195 f.; 227; 514 f.), ist besonders die Rolle des Nächtlichen Rates in der Forschung ganz verschieden beschrieben worden, von der Funktion einer allmächtigen Stadtregierung bis hin zu einer rein didaktischen Rolle. Ich möchte hierzu darlegen, dass dieses Gremium zwar in der Tat „inoffiziell“, aber gleichwohl durch die Sammlung und Diskussion von Informationen vor dem Hintergrund des Staatsziels die Durchführung und gegebenenfalls Änderung dieses Ziels bestimmt. Auf diese Weise prägt es, vermittelt auch über die Tätigkeit der ihm angehörenden Gesetzeswächter und Euthynen, die gesamte Verfassung und insbesondere den Prozess der Änderung von Gesetzen. Um den Rahmen für diese Fragestellung zu vertiefen, werde ich vor der Behandlung der einzelnen Gruppen auf die allgemeinen Aussagen zur Herrschaft des Gesetzes in Lg. IV 712b–715e eingehen.
12.2 Die Herrschaft der Gesetze über die Amtsträger In dieser Passage wird die zentrale Rolle der Gesetze begründet, indem ihre Herrschaft derjenigen der Menschen gegenübergestellt wird:
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Denn einem Staat, in dem das Gesetz beherrscht wird (archomenos) und machtlos ist, für einen solchen sehe ich den Untergang bereitstehen. Dem aber, in dem es Gebieter über die Herrschenden (archontes) ist, die Herrschenden aber Sklaven des Gesetzes sind, sehe ich Fortbestand und alle Güter zuteil werden, welche die Götter je Staaten verliehen haben. (IV 715d 3–6) Diese Stelle ist für unsere Frage von grundsätzlicher Relevanz, da sie sich auf alle Amtsträger bezieht. Das griechische Wort für Herrscher, archontes, unterscheidet nämlich nicht zwischen Regierenden und Beamten. Die zitierte Aussage gilt also grundsätzlich für das Verhältnis der Gesetzesordnung zu den Menschen, die für ihre Geltung verantwortlich sind. In sich betrachtet ist sie freilich schwer zu verstehen: Denn wie sollen Gesetze in Geltung treten, wenn sie nicht von Menschen erdacht und eingeführt werden? Was also soll eine Herrschaft des Gesetzes über die Herrschenden bedeuten, wenn die Gesetze doch gar nicht zustande kommen können, ohne von den Herrschenden erlassen zu sein? Diese Frage wird in 712b–715e auf raffinierte Weise beantwortet: In einem ersten Schritt konfrontiert der Athener seine Gesprächspartner aus Kreta und Sparta mit der Frage, wie ihre heimischen Staatsformen in die theoretische Aufteilung in aristokratische, oligarchische, demokratische und monarchische Verfassungen einzuordnen sind. Die Antwort des Spartaners Megillos lautet, er könne aufgrund der Vielschichtigkeit der lakedaimonischen Verfassung hierauf keine eindeutige Antwort geben. Sie bildet für den Athener den Anlass, gerade eine derartige aspektreiche Staatsordnung im vollen Sinne „Verfassung“ (politeia) zu nennen (712d–e). Demgegenüber werden im weiteren Verlauf des Gesprächs die demokratischen, oligarchischen und monarchischen Ordnungen, welche „die breite Masse“ (hoi polloi) Verfassungen nennten, abgewertet, weil sie jeweils nur den Interessen einer bestimmten Gruppe in der Stadt dienten (714b–d). Platon geht also davon aus, dass ein funktionierender Staat eine komplexe Verfassung haben muss, bei der sich verschiedene Bestandteile die Waage halten. Dagegen werden die einfachen Staatsformen, deren Instabilität schon in Politeia VIII und IX gezeigt wurde, klar abgewertet, indem der eigene Vorteil der Herrschenden, den Platon schon in Politeia I diskutiert hatte, als Motiv von ihnen
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allen angegeben wird. Auch der Staatsentwurf der Nomoi verfolgt also das Ziel, die schon in der Politeia aufgetretene Frage zu lösen, wie eine gerechte, nicht von Eigeninteressen geleitete und gerade deswegen stabile Verfassung möglich ist. Der Verweis auf die real existierenden komplexen Verfassungen in Kreta und Sparta reicht dazu in Platons Augen nicht aus. Denn anstatt diese Staatsformen zu analysieren und zum Vorbild für seine eigenen Entwürfe zu machen, fährt er mit einem protologischen Mythos fort: Das glückliche Leben der Menschen in der Urzeit sei darauf zurückzuführen, dass Kronos ein höheres Geschlecht, die Dämonen, zur Herrschaft über die Menschen eingesetzt habe (713c–d). Dies sei auch ein Vorbild für die ideale Staatsordnung, so dass wir „dem, was an Unsterblichkeit in uns ist, folgend öffentlich wie privat unsere Haushalte und Staaten verwalten“ müssen, „wobei wir die Verteilung der Vernunft als Gesetz bezeichnen (tên tou nou dianomên eponomazontas nomon)“ (713e–714a). Zu diesem griechischen Wortspiel stellt sich die Frage, worin die übermenschliche Natur der Vernunft bzw. des Geistes besteht, die sich im recht verstandenen Gesetz ausdrückt. Platon lässt selbst keinen Zweifel daran, dass die Vernunft im Menschen wohnt, wenn auch als etwas Unsterbliches. Ihr übermenschlicher Charakter ergibt sich vor allem daraus, dass der nous in den Nomoi – wie auch in anderen späteren Werken Platons (Bobonich 2008, 94 f.) – das göttliche Ordnungsprinzip des gesamten Universums, einschließlich von dessen Seele, darstellt (XII 966d–e). Die Dignität des Gesetzes leitet sich also letztlich aus seiner metaphysischen Ordnung der Gesamtwirklichkeit her. Ebenso wie der Geist in dieser ein internes Prinzip ist, das alles ordnet, so wird auch der Mensch durch den Geist als sein eigenes internes metaphysisches Prinzip geordnet. Das gerechte Gesetz, das sich Menschen geben, ist insofern nicht nur eine menschliche Einrichtung, sondern zugleich ein übernatürliches Prinzip. Wann aber ist ein Gesetz gerecht? Wenn Platon in unserem Abschnitt sagt: „denn nicht auf den Krieg noch auf die gesamte Tugend, behauptet man, müssten die Gesetze abzielen“ (714b), spielt er auf eine Grundbedingung an, die er bereits im ersten Buch der Nomoi vorgestellt hatte: Ziel der Gesetze muss die Tugend in ihrer Gesamtheit sein, die wiederum ihre Ordnung durch die Klugheit (phronêsis) erhalte (I 631c–e). Hierdurch wird nicht nur ein Vorzug der anvisierten Gesetzesordnung vor der kretischen und spartanischen angedeutet, die jeweils auf Einzelziele wie den Sieg abzielen, sondern es wird wiederum gefor-
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dert, dass dasjenige Gesetz, das auf übermenschliche Weise herrscht, innerhalb einer tugendhaften Struktur möglichst weitgehend Rationalität zum Ziel hat. Eine solche Herrschaft des Gesetzes ist aber nur als hypothetischer Idealzustand zu denken: Sie kann erst dann erreicht sein, wenn die Menschen sich vollständig Gesetzen unterwerfen, die in vollkommener Weise auf das rechte Ziel gerichtet sind. Die Gesetzesordnung, die in den folgenden Büchern entworfen wird, soll diesem Ideal möglichst nahe kommen, ohne dass Platon davon ausgehen kann, es vollständig zu beschreiben. Diese Möglichkeit wird schon durch seine Ansicht ausgeschlossen, dass Herrschaft jeden Menschen verdirbt (875a2–7; vgl. 714e). Trotzdem beansprucht das Gesetzeskorpus der Nomoi, eine Rationalität zu entwerfen, die dem Idealstaat näher kommt, als jeder einzelne Mensch das könnte. In Bezug auf die Herrscher bzw. Beamten in der nun zu schildernden Stadt ergibt sich daraus, dass sie sich nicht nur dem vorhandenen rationalen Gesetz möglichst vollständig unterwerfen müssen. Vielmehr benötigen sie auch eine Einsicht in diese kosmische Rationalität, um an einer weiteren Verbesserung der Gesetze in Richtung auf diesen Idealzustand hin mitwirken zu können.
12.3 Die Rolle der Gesetzeswächter: VI 752d–755b; 769a–771a Fundamental für diese Aufgaben ist das Kollektiv der Gesetzeswächter (nomophylakes). Ihre Bedeutung für Platon zeigt sich schon daran, dass sie als erste Gruppe zu Beginn von Buch VI, dessen größter Teil der Aufstellung geeigneter Amtsträger gewidmet ist, eingeführt werden (751a–755b) und am Ende dieser Aufzählung wieder erscheinen, wenn es um die Revision und beständige Verbesserung der Gesetze geht (769a–771a). Schon am Ende der ersten Passage wird zudem darauf hingewiesen, dass sich mit jedem neu einzuführenden Gesetz auch neue Aufgaben für die Gesetzeswächter stellen (755b); aus diesem Grund werden diese auch an verschiedenen Stellen immer wieder genannt.7 Sie sind auch die Amtsträger, die als erste gewählt werden müssen (752d–e): Bereits bei der Gründung von Magnesia muss es ein Gremium von 37 Gesetzeswächtern geben, die zunächst die Bewohner von Knossos auswählen müssen, weil die Neusiedler selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht über eine hinreichende 7 Übersicht bei Morrow 1960, 196–203.
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Kenntnis ihrer neuen Gesetze sowie der zur Wahl stehenden Mitbürger verfügen. Auch 18 der ersten Gesetzeswächter sollen direkt aus Knossos kommen, während 19 von den Knossiern aus den Reihen der Neusiedler zu wählen sind (752e–753a). An dem komplizierten Wahlverfahren, bei dem zu einem späteren Zeitpunkt alle 37 Gesetzeswächter aus der Bürgerschaft der Magnesier in mehreren Schritten ausgewählt werden,8 nimmt ebenfalls eine Delegation von 100 Bürgern aus Knossos teil, die ihrerseits 100 der Neubürger als Teil des Prüfungsgremiums auswählt (754c–d). Die frühe Ernennung der ersten Gesetzeswächter zeigt die Bedeutung, die Platon ihnen dafür zuschreibt, dass das neugegründete Staatswesen mit dem ihm gegebenen Gesetzeskorpus als Ganzes erhalten bleibt. In diesem Sinne reagiert die Einführung der Gesetzeswächter unmittelbar auf die Forderung, eine wohl verwaltete Stadt müsse gute Amtsträger (archai) haben (751b–c). Die tragende Bedeutung, die dem Amt des Gesetzeswächters zukommen soll, zeigt sich auch an der langen Amtszeit: Es soll möglich sein, 20 Jahre lang als Gesetzeswächter zu fungieren, wenn man im 50. Lebensjahr, dem frühestmöglichen Zeitpunkt, das Amt antritt. Mit 70 soll man es spätestens niederlegen (755a–b). Unmittelbar im Anschluss an die Wahl der Gesetzeswächter wird zunächst – nach der beiläufigen Mitteilung, sie hätten die Gesetze zu bewahren – ihre Rolle bei der Überprüfung der Eigentumsvorschriften erläutert: Sie sollen die Besitzverzeichnisse überprüfen und sind offenbar berechtigt, die gesetzlich vorgesehenen Strafen zu verhängen (755d–756a). Der Grund dafür, dass zunächst nur diese Aufgabe genannt wird, ist wohl, dass bis zu diesem Punkt nur die Gesetze über das Eigentum erlassen worden sind. Die übrigen Aufgaben der Gesetzeswächter werden erst im weiteren Verlauf des Textes der Nomoi deutlich, wenn dieser weitere Gesetze einführt. Insgesamt sind die Gesetzeswächter mit verschiedenen Aufgaben in Bezug auf die einzelnen Gesetze befasst, wobei ihnen allerdings keine Disziplinarfunktion zuzukommen scheint, die von der der übrigen Amtsträger unabhängig ist (Morrow 1960, 196–198). Man kann daher sowohl für die Anfangszeit von Magnesia als auch für die fortschreitende Zeit annehmen, dass die Gesetzeswächter insbesondere durch eine kontrollierende Mitwirkung an der rechten Anwendung der Gesetze die moralischen Grundla8 Zu Details des Wahlverfahrens, das in Platons Text einige Unklarheiten aufweist, vgl. Schöpsdau 2003, 368–377.
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gen lebendig zu halten haben, durch welche die Bürger ein gutes Verhältnis zu ihren Gesetzen entwickeln bzw. behalten können.9 Eng mit dieser Aufsichtsaufgabe verbunden ist die Mitwirkung der Gesetzeswächter an Gerichtsverfahren, die ebenfalls, in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse, bereits bei der ersten Einführung der Gesetzeswächter eingeführt wird: Jeder, der will, kann bei ihnen denjenigen anzeigen, der sich zu viel Geld angeeignet hat (754e). Ihre Bedeutung wird auch daran deutlich, dass sie über die Todesstrafe zu entscheiden haben (855c), gerade auch im Fall des Widerstands gegen andere staatliche Organe (958c). In diesen Gerichtsverfahren, aber auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel dem Außenhandel, haben die Gesetzeswächter alleinige Entscheidungsgewalt.10 Insgesamt ist ihr weites Aufgabenfeld nicht in jeder Richtung klar spezifiziert und widerspricht so modernen Ideen einer Gewaltenteilung. Das zeigt sich auch an der Tätigkeit der Gesetzeswächter in der Legislative, deren Bedeutung vom Athener betont wird: Jeder verständige Gesetzgeber wisse, dass er die Gesetze so zurücklasse, dass sie noch der Ergänzung und Revision bedürften (769b–d). Folglich müsse er auch dafür Sorge tragen, Männer heranzubilden, die die nötige Kompetenz hierzu besitzen (769e). Dies soll nun in seinem Staat auf die Gesetzeswächter zutreffen, und zwar dadurch, dass sie das Ziel der Gesetzgebung stets vor Augen haben, nämlich die Bürger zu guten Menschen zu machen (770c–d), und zu diesem Zweck jede Veränderung der Staatsverfassung zum Schlechteren verhindern. Spätestens an dieser Stelle lohnt ein vergleichender Blick auf die attische Demokratie zu Platons Zeit: Ebenso wie diese sieht Platon ein Gremium von Amtsträgern vor, das sich mit der Änderung von Gesetzen befassen soll. Diese nennt er jedoch bezeichnenderweise nicht Gesetzgeber, sondern eben Gesetzeswächter: An die Stelle eines Amtes, das auf Initiative aus der Bürgerschaft hin in Richtung auf eine mögliche Gesetzesänderung aktiv werden muss, tritt ein Gremium, das eine solche Änderung zwar im Notfall vornehmen kann, aber in erster Linie damit befasst ist, die Geltung der bestehenden Gesetze zu sichern. Dieser Aufgabe wie auch dem Auftrag, zum Gehorsam gegenüber den Gesetzen zu erziehen, dürften die Gesetzeswächter letztlich aufgrund derselben 9 Vgl. Schöpsdau 2003, 367. 10 Dazu Morrow 1960, 202 f.
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Eigenschaft gerecht werden können, die sie auch zum Richteramt befähigt: nämlich dass sie Einsicht in die Ziele der Gesetzgebung haben, insbesondere in die Erreichung der Tugend. Nur wenn die Gesetzeswächter auch tatsächlich an den Staatszielen partizipieren, das heißt den Gedanken der Tugend als Staatsziel begriffen und verinnerlicht haben, können sie lebendige Stützen der Gesetzmäßigkeit der Bürger und Revisoren der existierenden Gesetze sein. Vor diesem Hintergrund überrascht es allerdings, wie wenig spezifische Sachkompetenz Platon von den Kandidaten für dieses Amt erwartet: Abgesehen von einem Alter von 50 Jahren wird von ihnen nur das Ansehen gefordert, das zu ihrer Wahl führt. Die Antwort auf die Frage, wieso im Hinblick auf die Auswahl der Gesetzeswächter keine besondere Kompetenz erwähnt wird, obwohl sie zumindest für einen Teil ihrer Aufgaben unverzichtbar ist,11 muss daher an einer anderen Stelle der Verfassung von Magnesia gesucht werden.
12.4 Kontrolle. Die Euthynen: XII 945b–948b Ein weiteres wichtiges Gremium im Zusammenhang mit den Gesetzen sind die Euthynen, deren Funktion kurz zusammengefasst in der Überprüfung der Arbeit der anderen Beamten und deren Sanktionierung besteht, wenn jemand einen Fehler begeht, „entweder weil er von der Last seines Amtes niedergedrückt wird oder weil es ihm an Kraft fehlt, um der Würde seines Amtes zu entsprechen“ (945b7 f.). Deswegen nennt Platon sie auch „Amtsträger der Amtsträger“ bzw. „Herrscher der Herrscher“ (archonta tôn archontôn; 945c1). Die aus der Athener Verfassung bekannten Beamten gleichen Namens, deren Aufgabe die nachträgliche Prüfung der Ausfüllung der Ämter (euthyna) war, dienten Platon zwar als Vorbild, doch gestaltete er deren Beschreibung so grundlegend um, dass faktisch ein ganz neues Amt entstand (Morrow 1960, 219–222; Schöpsdau 2011, 534 f.). Entscheidende Punkte in dieser Hinsicht sind die Auswahl der Euthynen nicht durch Losentscheid, sondern durch eine Wahl ausschließlich aufgrund ihrer Kompetenz und ihres Alters (945e–946a) sowie ihre lange Amtszeit von bis zu 25 Jahren, während in Athen dieses Amt, wie andere auch, nur einjährig war. Die Wahl soll hohe moralische Standards bei den künftigen Euthynen sicherstellen: Gesucht werden „göttliche“ Männer bzw. solche, die alle anderen 11 Vgl. Morrow 1960, 208.
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Amtsträger an Tugend übertreffen (945c1 f.). Die Umstände der Wahl und der Amtsführung beinhalten eine deutlich hervortretende religiöse Dimension: Die Wahl findet im Heiligtum des Helios und des Apollon statt (946e), und die Gewählten werden den beiden Göttern als Erstlingsgabe geweiht (945b–c). Während ihrer Amtsführung sollen sie in diesem Heiligtum wohnen (946c–d), zu auswärtigen Festlichkeiten mit einem Kranz bekränzt gehen und als Priester der beiden Götter dienen, wobei derjenige, der die meisten Stimmen erhält, den Titel des Hohepriesters trägt (947a). Auch nach ihrem Tod sollen ihnen besondere Ehren in der Form ihrer Totenfeier und ihres Grabes zuteilwerden (947b–e). Eine solche religiöse Dimension tritt zwar auch bei anderen Ämtern auf12 und ist in Anbetracht der Bedeutung religiöser Riten für Magnesia auch nicht überraschend; trotzdem fällt das Gewicht, das sie bei den Euthynen bekommt, aus dem Rahmen und unterstreicht den Rang ihres Amtes. Gerechtfertigt wird diese besondere Stellung dadurch, dass die Prüfung der Amtsführung ein Anlass für die Auf lösung einer Polis bzw. des sie einigenden Bandes rechtlicher Vorschriften sein kann (945c–e). Es gibt einige Anzeichen dafür, dass die hier geäußerten Sorgen auf Probleme zurückgehen, die sich aus dem Missbrauch des Verfahrens der Euthyna im Athen des 4. Jh. v. Chr. ergaben (Morrow 1960, 221 f.).13 Platon sieht die Lösung für derartige Probleme offenbar, entsprechend seiner Hochschätzung des Tugendgedankens, primär in der Verbesserung des Charakters der Euthynen. Auch hierbei kann man daran erinnern, dass die Tugenden in den Nomoi mit dem Geist bzw. der Klugheit (phronêsis) als dem göttlichsten Element im Menschen untrennbar verknüpft (I 631c–d) und tugendhafte Menschen folglich Gott ähnlich sind (IV 716c), so wie ja auch schon im Theaitet (176b) das Ähnlich-werden mit Gott durch das Erwerben von Tugenden geschehen soll.14 In dieser Hinsicht haben die Tugenden als „göttliche“ Güter auch einen Vorzug vor seelischen und körperlichen Gütern (I 631b–d). Die Tugendhaftigkeit der Euthynen rückt diese also in eine analoge Stellung zu den in VI 713d genannten Dämonen, die in der Urzeit die guten Staaten regiert haben sollen. So wie diese besser sind als Menschen allgemein, so sollen die Euthynen besser sein als ihre Mitbürger (945d2). Die religiöse Rolle der Euthynen 12 Belege bei Schöpsdau 2011, 537. 13 Eine andere Perspektive dazu äußert allerdings Hansen 1995, 232. 14 Dazu ausführlicher Schöpsdau 2003, 206 f.
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dürfte diese Überlegenheit symbolisch widerspiegeln. Allerdings bleibt Platon seinem Grundsatz treu, dass alle Menschen fehlbar und durch Macht verführbar sind, und führt deswegen auch die Möglichkeit einer Klage gegen die Euthynen und einer Überprüfung ihrer Amtsführung an (947e–948b).15 Im Vergleich zu den Gesetzeswächtern, die zum Teil an eventuell fälligen Untersuchungen gegen die Euthynen beteiligt sind (948a), ist die Aufgabe der Letzteren noch eindeutiger auf die Stabilität des einmal durch Gesetze geregelten Staatswesens ausgerichtet. An der Gesetzgebung bzw. der Revision der Gesetze sind sie nicht beteiligt. Ihre Qualifikation durch Tugend ist deshalb notwendig, weil sie die Gesetze unkorrumpierbar anwenden und ihre Anwendung durch andere überprüfen müssen. Auch hierzu bedarf es allerdings einer rationalen Fundierung, und zwar sowohl im Hinblick auf die gerade genannte kosmische Rationalität als auch, weil die Prüfer von Prozessen deren komplexen Ablauf durchschauen müssen. Daher stellt sich auch im Hinblick auf die Euthynen die Frage, woher Platon die Zuversicht nimmt, dass es in Magnesia Bürger gibt, die auch diese Aufgabe mit entsprechender Kompetenz ausführen können.
12.5 Der Anker. Die Schilderung des nächtlichen Rates: XII 951d–952b; 960b–969d 12.5.1 Allgemeines zum Nächtlichen Rat Eine Antwort könnte sich aus der wohl berühmtesten Institution ergeben, die Platon in den Nomoi einführt: der Nächtliche Rat bzw., genauer, die Nächtliche Versammlung (ho nykterinos syllogos). Die beiden Darstellungen dieses Gremiums und seiner Aufgaben folgen, durch kurze Bemerkungen vorbereitet, im Abstand von etwa zehn Seiten voneinander getrennt im 12. Buch gegen Ende der Nomoi (951d–952b; 961a–b ff.). Beide stimmen weitgehend darin überein, dass der Nächtliche Rat aus den zehn ältesten Gesetzeswächtern, dem amtierenden Aufseher der Erziehung und seinen Vorgängern, den besonders geehrten Bürgern bzw. Priestern der Polis (darunter wohl die Euthynen) sowie denjenigen älteren Mitbürgern zusammengesetzt sein soll, die die Erlaubnis zu einer Informationsreise erhalten und von dieser nützliche 15 Zu Details vgl. Schöpsdau 2011, 544.
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Informationen zur Gesetzgebung mitgebracht haben. Jedes dieser Mitglieder soll einen jüngeren Mitbürger von mindestens 30 und maximal 40 Jahren als weiteren Teilnehmer vorschlagen. Wenn die übrigen Mitglieder den Vorschlag gebilligt haben, gehören auch diese jüngeren Bürger zum Nächtlichen Rat. In beiden Passagen wird ferner festgehalten, dass der Nächtliche Rat täglich zwischen Morgendämmerung und Sonnenaufgang tagen soll, da zu dieser Zeit am meisten Ruhe von privaten und öffentlichen Geschäften herrsche – was schon deswegen erforderlich ist, weil ja zumindest ein Teil der Mitglieder des Rates nach wie vor öffentliche Ämter bekleidet. Schwieriger zu bestimmen sind die genauen Aufgaben des Nächtlichen Rates. Interpretationen, die ihn als das höchste, nahezu allmächtige politische Organ Magnesias deuteten, ist Glenn Morrow mit der These entgegengetreten, es handle sich in erster Linie um ein Organ zu Erziehungszwecken. Seine Funktion bestehe vor allem darin, die jüngeren Mitglieder auf ihre spätere Tätigkeit als Amtsträger vorzubereiten, indem ihnen die nötigen philosophischen und gesetzgeberischen Kenntnisse vermittelt würden, um die Gesetze anwenden und verändern zu können (Morrow 1960, 500–514). Diese Interpretation hat den Vorteil, Platons Aussagen zum Nächtlichen Rat so zu interpretieren, dass sie die Verfassungsordnung aus den vorhergehenden elf Büchern der Nomoi nicht faktisch aufheben. Ferner zeigt sich aus den hier angestellten Beobachtungen zu den Gesetzeswächtern und den Euthynen, dass Morrow zu Recht auf eine große Passgenauigkeit der theoretischen Arbeit im Nächtlichen Rat mit den Anforderungen an die Herrschaft der Gesetze im Staat verweist (Morrow 1960, 513 f.): Der Nächtliche Rat, wie er ihn deutet, kann in der Tat den Amtsträgern die theoretischen Kenntnisse vermitteln, die bei den Wahlordnungen für die einzelnen Ämter immer wieder vermisst worden sind. Eine Schwäche von Morrows Interpretation scheint aber darin zu liegen, dass sie die Texte über dieses Gremium ein Stück weit umdeuten muss. Insbesondere erklärt Morrow den Schluss der Nomoi, in dem davon die Rede ist, dass diesem Rat „die Stadt übergeben werden soll“ (paradoteon toutô tên polin: 969b2 f.), als rhetorische Floskel, bei der es auf Genauigkeit nicht ankommt (Morrow 1960, 512 f.). Das scheint wenig überzeugend: Zwar ist der rhetorische Charakter der Passage offensichtlich, doch ist mit dieser Feststellung nicht viel für deren Verständnis gewonnen. Denn die zitierte Formulierung besagt trotzdem eindeutig, dass dem Nächtlichen Rat eine besondere Verantwortung für die Erhaltung des
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neu gegründeten Staates zukommt. Sie kann sich kaum in einer bloß didaktischen Funktion ohne eigene Beteiligung erschöpfen. Daher hat Christopher Bobonich Morrows These dahingehend modifiziert, dass er dem Nächtlichen Rat eine „official role“ beim Zustandekommen von Gesetzen zubilligen will, ohne das Kollegium als die Polis beherrschend anzusehen. Hierzu hat er insbesondere angemerkt, es sei wenig aussagekräftig, dass Platon eine solche Rolle der Mitglieder des nächtlichen Rates nicht erwähne; schließlich wirkten ja diejenigen Gesetzeswächter, die Mitglieder des Rates seien, an der Gesetzesänderung mit (Bobonich 2002, 407 f.). Das ist jedoch selbst ein wenig aussagekräftiges Argument: Die Gesetzeswächter tun das ja qua Gesetzeswächter und nicht qua Nächtlicher Rat, so dass diesem doch nur ein informeller Einf luss zukäme, den auch Morrow nicht bestritten hatte. Insofern bedarf es nach wie vor einer Erklärung dafür, wie der Nächtliche Rat Verantwortung für die Stadt wahrnimmt. Um hierzu beizutragen, möchte ich nun einen etwas genaueren Blick auf die Aussagen werfen, in denen Platon die Aufgaben des Nächtlichen Rates beschreibt.
12.5.2 Die Arbeit des Nächtlichen Rates in Platons Darstellung Die Einführung des Nächtlichen Rates wird vorbereitet, indem Platon das Gremium bereits vor der ausführlichen Darstellung seiner Aufgaben zweimal im Rahmen der Gesetzgebung über die Atheisten erwähnt: Am Ende von Buch X legt der Athener fest, dass Atheisten, die trotz ihrer falschen Ansichten tugendhaft und einsichtsvoll sind, für mindestens fünf Jahre in eine „Mäßigungsanstalt“ (to sôphronistêrion) geschickt werden sollen. Hierbei handelt es sich um ein spezielles Gefängnis, das unmittelbar beim Nächtlichen Rat angesiedelt ist (X 908a). Hier sollen die Atheisten, die man für besserungsfähig hält, ausschließlich von Mitgliedern des Rates besucht werden, „die zu ihrer Zurechtweisung und zur Rettung ihrer Seele mit ihnen verkehren“ (X 909b). Die erste ausdrückliche Erwähnung des Nächtlichen Rates erfolgt also im Kontext der Begründung der religiösen Dimension, die in den Nomoi eine so große Rolle spielt. Dabei üben die Mitglieder des Rates keine regierende oder richtende Gewalt aus, sondern sollen durch Beratung und intellektuellen Austausch eine Besserung der Gefangenen herbeiführen.
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Die erste ausführliche Beschreibung des Nächtlichen Rates erfolgt dann im Rahmen der Regelung freiwilliger Auslandsreisen einzelner Bürger. Diese können von den Gesetzeswächtern gestandenen und erfahrenen Mitbürgern zwischen 50 und 60 Jahren zu dem Zweck erlaubt werden, sich über die Gesetze anderer Staaten zu informieren und auf diese Weise einen Beitrag zur besseren Gestaltung von Magnesia zu liefern (XII 950d–951c). Dem Nächtlichen Rat kommt die Aufgabe zu, den Erfolg des Unternehmens zu beurteilen: Erbringt es weder ein positives noch ein negatives Resultat, ist der Beobachter für seinen Eifer zu würdigen; ist das Resultat sehr positiv, ist er im Leben und im Tode besonders zu ehren; ist er schließlich mit weniger politischer Einsicht wiedergekehrt, als er vorher besaß, so soll ihm der Kontakt mit anderen Bürgern verwehrt werden (XII 952b–c). Die Einhaltung der letzten Anweisung, auf deren Nichtbeachtung die Todesstrafe steht, wird allgemein den Beamten (hoi archontes) zugewiesen (XII 952c–d), scheint also nicht spezifisch in die Kompetenz des Nächtlichen Rates zu fallen. Auch hier wird also dem Nächtlichen Rat in erster Linie die intellektuelle Fähigkeit zur Beurteilung der Reisenden zugeschrieben, keine ausführende Rolle. Warum das so ist, kann aus der anschließenden Skizzierung der Arbeit des Rates erschlossen werden: Dieser soll Argumente bzw. Überlegungen (logoi) austauschen 1. über die Gesetze, 2. über die eigene und ggf. über fremde Poleis, 3. über alle Lehrgebiete (mathêmata), die für die Regierung der Stadt nützlich oder deren Vernachlässigung schädlich wären. Hierbei sollen insbesondere die jüngeren Mitglieder das lernen, was die älteren für notwendig halten (XII 951e–952a). An dieser Stelle erscheint also der Nächtliche Rat, entsprechend Morrows Interpretation, als eine Lehr- und Lerngemeinschaft der besten Köpfe der Stadt. Es überrascht nicht, dass, wenn überhaupt jemand, seine Mitglieder die Kompetenz haben sollen, Atheisten von der Falschheit ihrer Position zu überzeugen oder die Beobachtungen von Erkundungsreisenden zu bewerten. Bei der ausführlichsten Erörterung des Nächtlichen Rates am Ende der Nomoi scheinen aber noch weitere Aspekte ins Spiel zu kommen. Denn im Rahmen von Platons Feststellung, zu einer vollständigen Angabe der notwendigen Gesetze gehörte auch die Benennung von Strukturen, die deren Erhaltung im richtigen Zustand gewährleisten (XII 960b–e), wird der Nächtliche Rat als „Anker für die ganze Polis“ bezeichnet, „der alles Erforderliche in sich hat, um all das zu bewahren, was wir wollen“ (XII 961c). Eine Schlüsselfunktion kommt hier dem
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Wort „bewahren“ bzw. „retten“ (sôzein) zu, denn schon zuvor war mit dem dazugehörigen Substantiv sôtêria (XII 960d–e) die „Bewahrung der Gesetze“ und damit der „guten gesetzlichen Ordnung der Stadt“ (eunomia tês poleôs) zum Ziel erhoben worden. Die entscheidende Frage ist nun, wodurch der Nächtliche Rat die Erhaltung der Gesetze ermöglicht. Zu den Ausführungen, die dies näher klären sollen, gehört ein Abschnitt, der das Ziel der Polis mit deutlichen Anklängen an die aus anderen Dialogen bekannte platonische Dialektik verbindet. Ausgangspunkt ist die Frage, wie sich die Tatsache, dass die Tugend das einheitliche Ziel der Polis sein soll, damit verträgt, dass es mehrere Tugenden gibt. Hierzu führt der Athener aus, dass sich dies durch eine Erkenntnis des Logos, der sich hinter dem Wort Tugend verbirgt (XII 964e), bzw. der einen Idee hinter dem Vielen erreichen lasse (XII 965c). Der hier angedeutete Bezug zu den Ideen hat einige Forscher dazu geführt, gerade an dieser Stelle zu vermuten, dass die traditionelle Ideenlehre hinter dem hier angeführten Bildungsideal steht, so dass der Nächtliche Rat und seine Ausbildung insbesondere den Rollen der Philosophenkönige in Buch VI und VII der Politeia ähneln würden. Hiergegen ist eingewandt worden, dass die Ideen als solche in den Nomoi nie erwähnt und in anderen späteren Dialogen, vor allem dem Parmenides, sogar kritisiert werden, weswegen man die Geltung der Ideenlehre in den Nomoi nicht voraussetzen dürfe (Stalley 1983, 135 f.). Dies dürfte aber für die Frage nach der Funktion des Nächtlichen Rates nicht entscheidend sein. Denn es ist zwar in der Tat unzweifelhaft, dass eine Parallele zur Politeia insofern besteht, als der Rat seine Rolle aufgrund seiner durch dauernde Gespräche erworbenen intellektuellen Kompetenz wahrnehmen kann. Hier geht es aber nicht um einen hypothetischen Bezug zu den Ideen, sondern um die Art und Weise, auf die diese Kompetenz ihre Wirkung entfalten soll. In dieser Hinsicht scheinen mir die Ausführungen in den Nomoi deutliche Unterschiede zur Politeia auf- und in vieler Hinsicht auf den Gedanken der zielgerichteten Überlegung (bouleusis) aus Aristoteles’ Ethik16 vorauszuweisen. Erläutert wird die Funktion des Nächtlichen Rates, wie so häufig bei Platon, durch Bilder. Die Polis wird mit einem Lebewesen (zôon) verglichen, dessen Erhaltung durch die Tugend bzw. gut ausgebildete Kompetenz (aretê) erfolgt, die in seinem Kopf bzw. seiner Seele vorhanden ist. Hierbei soll ein „Geist, der mit 16 Vgl. z. B. EN III 5, 1112a18–1113a22.
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den edelsten Sinnen vermischt ist“ (nous meta tôn kallistôn aisthêseôn kratheis: XII 961d) diese Kompetenz sicherstellen. Voraussetzung dafür sei, dass er auf das jeweils richtige Ziel gerichtet sei, wie Platon an den Beispielen der Schiffsführung und der Medizin erläutert, die er gleich auf den politischen Bereich überträgt (961e–962e). Die nächstliegende Interpretation dieser Bilderfolge besteht darin, die Leistung des Nächtlichen Rates im Erbringen einer Erkenntnis über das Ziel des politischen Handelns zu sehen, die bereits die Möglichkeiten ihrer Anwendung in sich trägt, so wie es z. B. bei der Schiffsführung auch der Fall ist. Auffällig ist hierbei, gerade im Vergleich mit vielen anderen Aussagen Platons, die Betonung der Verbindung des Geistes mit sinnlicher Wahrnehmung. Sie impliziert, dass die angestrebte Erkenntnisleistung nicht primär im Erkennen abstrakter Prinzipien besteht, sondern zugleich eine Auffassung konkreter Situationen beinhaltet. Dies ergibt sich jedenfalls aus der Fortführung des Bildes in XII 964e, das, nach dem Abschnitt über die Dialektik, einen direkten Bezug zum Aufbau des Nächtlichen Rates herstellt: Dessen junge Mitglieder werden mit den verschiedenen Sinnen verglichen, die Informationen über „alles, was in der Stadt geschieht“ (panta ta kata polin) an die Älteren weitergeben. Diese gebrauchen insofern, ebenso wie der Geist die Sinne, die jungen Mitglieder zur Beschaffung von Informationen, und „überlegen“ (bouleuesthai) selbst, wie weiter zu verfahren ist (XII 964e–965a). So erhält die Zusammensetzung des Rates aus alten und jungen Mitgliedern eine konstitutive Bedeutung für dessen Funktionieren: Die jungen Mitglieder führen den älteren Informationen zu, die von den Alten gespeichert und wieder verwertet werden. Insofern gewähren die jungen „Räte“ den Bezug zur alltäglichen Praxis, in der sich das Wissen der Alten erst bewähren kann. An dieser Stelle kehrt Platon, etwas unvermittelt, zur Dialektik zurück: Der Athener weist kurz darauf hin, dass es zur Erfüllung der gerade gestellten Aufgabe „einer genaueren Erziehung“ (tina akribesteran paideian) bedürfe (XII 965b), die es ermöglichen soll, „in der Lage zu sein, aus dem Vielen und Unähnlichen eine Idee in den Blick zu nehmen“ (XII 965c). Diese Umschreibung des Erziehungsziels verbindet die platonische Dialektik mit dem „In den Blick nehmen“ (blepein), das die Ausrichtung auf ein praktisches oder politisches Ziel ausdrückt (I 631d; VI 770c; XII 962d4 und d7). In diesem Sinne soll der Gründer (dêmiourgos) und Wächter (phylax) eines Staates „in der Lage sein, zu dem Einen hinzudrängen und es zu erkennen sowie, wenn er es erkannt hat, alles auf dieses
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hinzuordnen, indem er es gemeinsam betrachtet“ (XII 965b). Die im Folgenden skizzierte Fähigkeit der angehenden Gesetzeshüter, die Begriffe gut und schön sowie auf dieser Grundlage den Sinn der Gesetze zu erläutern (XII 966a–b), impliziert demnach, dass die Gesetze als Teil einer in sich komplexen Ordnung verstanden werden können, die auf ein Ziel gerichtet ist. Damit lässt sich auch die Rolle der Dialektik genauer erklären: Sie erweist sich nicht als ein ausschließlich theoretisches Unterfangen, sondern als notwendige Grundlage der praktischen Kompetenz, die in XII 964e–965a dem Rat als Ganzem zugeschrieben worden war: Ein dialektisch geschulter Geist kann die mannigfaltige Wirklichkeit in ihrer Vielfalt durchschauen und jedes Detail in einer Gesamtschau auf das eine Ziel einer guten politischen Struktur, nämlich die Tugend als solche, hinordnen. Auf diese Weise erhält auch die interne Mannigfaltigkeit der Tugend, die das Ausgangsproblem der dialektischen Bemühung darstellte, einen Sinn: Denn als dem einen Ziel in sich innewohnende Vielfalt bildet sie den Ansatzpunkt, anhand dessen die zahlreichen verschiedenen Elemente der Polis einheitlich so geordnet werden können, dass jeder ihrer Bereiche gebührende Beachtung findet. Die Auffassung des Ziels und dessen Auffaltung durch die Dialektik werden so als Grundzüge einer buleutischen Struktur erkennbar, durch die eine auf die Sinne gestützte Vernunft die Fähigkeit zum adäquaten und gerechten Verwirklichen praktischer Ziele erhält. Nicht als Ideenerkenntnis ermöglicht die Dialektik eine Behandlung der Praxis, sondern als Fähigkeit, politisch bzw. praktisch zu denken. Schon die Ausdrucksweise, aber auch die hinter ihr liegende systematische Struktur weisen wohl nicht zufällig auf Aristoteles voraus, dessen Konzept praktischer, buleutisch vorgehender Vernunft durch diesen Text angeregt sein könnte. Eine Zweck-Mittel-Rationalität, wie Aristoteles sie ausführlich entwickelt, findet sich hier allerdings noch nicht in ausgearbeiteter Form. Die Schlussrede der Nomoi muss daher noch vom Rahmen des platonischen Werks aus interpretiert werden: Der Rat, dem die Polis übergeben werden soll, wird als „Abbild der Gemeinschaft von Kopf und Vernunft“ dargestellt, aus der ausgewählte und ausgebildete Männer als Wächter der Stadt hervorgehen sollen (XII 969b–c). Unterschieden wird also zwischen dem Rat als Gesamtheit und seinen einzelnen Mitgliedern, die in der Lage sind, als Wächter zu fungieren. Nun gibt es in Magnesia kein Amt, das nur als Wächter bezeichnet wird. Das Wort dürfte daher den Bürger bezeichnen, der die Kompetenz zu politischer Aktivität
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besitzt. In diesem Sinne ist er insbesondere in der Lage, das Amt des „Gesetzeswächters“ (phylakes tôn nomôn) auszufüllen (XII 966b), in das nur Menschen, die die Ausbildung im Nächtlichen Rat durchlaufen haben, gewählt werden sollen (XII 966c–d). Der Nächtliche Rat ist demnach in der Tat ein Ausbildungsinstitut, das jungen Leuten die nötige Kompetenz dafür vermittelt, in den Ämtern Magnesias tätig zu werden. Zugleich werden in ihm aber auch tagtäglich die Grundlagen der Regierungsarbeit gelegt, indem man Informationen sammelt, bündelt und durchdenkt. Zwar kann der Rat nicht als solcher politisch aktiv werden. Aber die ältesten Gesetzeswächter, die Euthynen und Erziehungsleiter, die stets seine Mitglieder sind, können die Impulse, welche gerade die jungen Mitglieder des Rates anregen, mit ihren Kollegen diskutieren und dann direkt in die alltägliche politische Arbeit überführen. Diese Rolle des Nächtlichen Rates ist mehr, als aus Morrows Darstellung hervorgeht, aber noch keine „offizielle“ Rolle im Sinne Bobonichs: Die politische Wirkung des Nächtlichen Rates ist gerade dadurch gegeben, dass die Amtsträger durch die theoretischen, aber auf praktischen Informationen ruhenden Gespräche in diesem Gremium die aktuellen Probleme vor dem Horizont des Ziels der Polis durchdenken können.
12.6 Die Staatskonzeption der Nomoi – eine Standortbestimmung Das von Platon in den Nomoi dargelegte Gesetzeskorpus ist keine statische Sammlung von Vorschriften, sondern eine Art Ausgangsgesetz eines Staatswesens, das auf eine langfristige Entwicklung mit entsprechenden Veränderungen angelegt ist. Schon die Mindestaltersstufen für die Wahl und die altersmäßige Zusammensetzung des Nächtlichen Rates zeigen, dass Platon dabei in der Zeitspanne von Jahrzehnten denkt. In diesem Rahmen ist es durchaus möglich, dass auf Initiative der Gesetzeswächter, die im Nächtlichen Rat informiert und beraten werden, das eine oder andere Gesetz, vielleicht nicht nur punktuell, geändert wird. Dies ermöglicht der Rat, indem seine dialektischen Gespräche absichern, dass solche Änderungen stets rational und auf der Grundlage der unveränderten Staatsziele geschehen.
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Gerade im Vergleich mit den Regelungen im Athen seiner Zeit vermittelt dieses Konzept den Eindruck, dass der Staat sich in der Gesetzgebung nicht völlig, aber doch recht weitgehend zurückhalten soll. Die Stabilität der Gesetze wird auch dadurch gesichert, dass diese letztlich nur durch eine relativ kleine Oberschicht ausgewählter Gebildeter verwaltet werden, die Einsicht in das Gesetzeskorpus haben können. Platon hält in diesem Sinne ausdrücklich fest, dass nur wenige in der Lage sind, die komplette Ausbildung im Nächtlichen Rat zu durchlaufen (VII 818a), während die meisten Bürger nur dem Wortlaut, aber nicht dem inneren Sinn der Gesetze gehorchen (XII 966c). Lediglich in der Hinsicht, dass das Ziel der Tugend jeden Bürger betrifft und dessen Tagesabläufe prägen soll (Bobonich 2002, 389–391), richtet sich das Staatsideal an alle Magnesier. Ihren Beitrag zur Sicherung der Verfassung lässt Platon aber lediglich darin bestehen, die richtigen, im Nächtlichen Rat geschulten Männer in die Ämter zu wählen; weitere Eigeninitiativen werden von ihnen nicht erwartet. Im Hintergrund dieser Maßnahmen steht eine immer noch sehr enge Verbindung zwischen der Staatsordnung und ihrer Begründung in einer Art kosmischer Rationalität: Die Einsichtsfähigkeit der Ordnung stammt von einem Idealprinzip her, das Momente der antiken Tugendvorstellung in Verbindung mit religiösen Ideen zum höchsten Wert erhebt. Selbst wenn dieser Wert in Buch I durch das Ziel der Stabilität eine politische Dimension erhält, ändert das an dieser metaphysischen Grundlegung wenig. Aus ihr erklärt sich auch das Fehlen einer Trennung der praktischen Legislative und der theoretischen Ref lexion über die rechte Gesetzgebung, die in modernen Staaten so entscheidend sind: Die wenigen Einsichtsfähigen sind auch die Einzigen, die in der Lage sind, die von ihnen verwaltete Ordnung gegebenenfalls zu ändern. Zwar ist Platon durchaus an der auch heute noch aktuellen Frage interessiert, wie es zu erreichen ist, dass die Gesetzgebung in einer Weise erfolgt, die den allgemeinen geistigen und sittlichen Grundlagen des jeweiligen Staates entspricht. Aber eine Veränderung dieser Grundlagen selbst, die sich vielleicht aus veränderten Wertvorstellungen ihrer Bewohner ergibt, wird von ihm offensichtlich abgelehnt, wie der Vergleich mit dem zeitgenössischen Athen unterstreicht. Wird man seinen Staatsentwurf insofern vielleicht als zu konservativ einschätzen, so bleibt es doch sein Verdienst, den Prozess der Gesetzesänderung erstmals in einen Rahmen gestellt zu haben, der letztlich darauf abhebt, die intellektuelle
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Kompetenz der dafür Verantwortlichen zu sichern, so dass der Staat im Grundsatz stets rational „verfasst“ bleiben soll.
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Personenregister
Arendt, Hannah 165, 168 Aristodemos von Sparta 72 Aristophanes 112 Aristoteles 45, 46, 47, 51, 58, 64, 90, 101, 102, 111, 115, 117, 122, 133, 134, 152, 153, 156, 158, 162, 168, 176, 179, 183, 184, 185, 189, 191, 192, 196, 198, 242, 244 Augustinus 63
Gaiser, Konrad 131, 132, 133 Guthrie, William K. C. 161 Herodot 72 Hesiod 212 Hesychius 185 Homer 69, 128, 132, 136 Isokrates 74, 166
Baumgarten, Hans-Ulrich 62 Bertrand, Jean-Marie 148 Bisinger, Josef 108 Bobonich, Christopher 2, 46, 47, 62, 64, 65, 227, 240, 245 Bordieu, Pierre 168 Borecky, Borivoj 107 Bury, Robert G. 165, 181, 186
Jagannathan, Dhananjay 187 Kambyses 72 Kelsey, Sean 187 Kresphontes von Argos 72, 74 Ktesias von Knidos 72 Kyros 72, 73, 80, 81
Charondas 192 Chrysipp 32 Cohen, David 167, 168 Constant, Benjamin 165, 168 Cooper, John M. 165
Laks, André 16 Lauffer, Siegfried 114, 117 Lear, Gabriel 187 Lorenz, Hendrik 46 Lykurg 78
Damon 83 Dareios 72, 81 Davidson, Donald 49, 61 Demokrit 69 Diodorus von Sizilien 185 Diogenes Laertius 2
Marx, Karl 179 Meier, Christian 154 Morrow, Glenn 107, 114, 117, 149, 156, 160, 161, 162, 177, 178, 212, 239, 240, 241, 245 Murgier, Charlotte 187
Ellison, John 187 England, Edwin Bourdieu 186, 189 Ephoros 74 Eurysthenes 78 Föllinger, Sabine 150 Frede, Dorothea 65 Fuks, Alexander 107 Fustel de Coulange, Numa Denis 165
Natorp, Paul 16 Neschke-Hentschke, Ada 227 Nippel, Wilfried 78 Philodemus 185 Price, Anthony W. 46 Prokles 78 Protagoras 213 Rameil, Aloysius 107, 117
262
PERSONENREGISTER
Rees, David A. 45 Sandvoss, Ernst R. 107 Saunders, Trevor J. 46, 91 Sauvé Meyer, Susan 107 Schöpsdau, Klaus 130, 144, 148, 149, 156, 159, 160 Solmsen, Friedrich 223 Solon 154 Stalley, Richard F. 117, 145, 151, 152, 153, 160, 161 Strauss, Leo 168
Temenos von Messene 72, 74 Theophrast 90 Theopomp 78 Thukydides 69 Weinstein, W. L. 168 Xenophon 47, 72, 73, 80 Xerxes 72, 81 Zoeppfel, Renate 107
Sachregister
agathon siehe Gut/Güter akrateia, akrasia siehe Willensschwäche Akteurskausalität 47, 49f., 57f., 60f., 63 amathia siehe Unwissenheit Ämter 4–6, 77, 85, 115, 147, 149, 151f., 154, 162f., 173, 178f., 227f., 230f., 235–237 Anthropologie 12f., 18, 26, 48, 57, 60, 78, 92, 121, 137, 139f., 187, 190, 232 aretê siehe Tugend Aristokratie 70, 78, 85, 107f., 111, 120f., 163, 231 Arithmetik 166, 178 Arzt siehe Medizin Atheismus 51, 93f., 100, 194, 210, 217–219, 223f., 240f. Auslosung 77f., 84f.,114, 147, 178f., 236 Beamte 82–85, 117, 131, 227, 233, 236, 241 Begehrungsvermögen (epithymêtikon) 46, 90, 93, 97–100, 109f. Begierde (epithymia) 7, 23, 25f., 28–42, 46, 51f., 56, 58, 61f., 93, 95–100, 103, 109, 118, 118, 139, 174, 200, 202f. Beherrschtheit 27, 53f., 62f. Besitz 6, 74, 105f., 108, 111, 114f., 118f., 155, 158, 167, 172, 177, 186, 234 Besonnenheit (sôphrosynê) 7, 10, 14, 23, 26– 29, 31–33, 37, 39–42, 51, 64, 70, 77, 79, 81, 82, 93, 111f., 114, 119f., 145, 163, 175, 200 boulê siehe Rat Bürger 4, 117, 143–153, 159–163 Demokratie 10, 67, 71f., 78, 80, 82, 84f., 192, 229, 231, 235 Denkvermögen (logistikon) 33, 46, 52f., 60, 62, 77, 90f., 93f., 100, 109f., 200f. Dichtung/Poesie 10, 83, 112f., 123–129, 131f., 134–138, 140, 166 Diebstahl 106, 119, 120, 167, 194f.
dikaiosynê siehe Gerechtigkeit doxa siehe Meinung Ehe 93, 97f., 100, 151, 153, 169, 173–175, 190, 192 eidos siehe Ideentheorie/Idee Eigentum siehe Besitz Einsicht (phronêsis) 3–5, 7, 9f., 12, 14, 16, 32, 67, 70, 75–77, 79–85, 93, 111, 145, 163, 200, 232, 237 epistêmê siehe Wissen epithymêtikon siehe Begehrungsvermögen epithymia siehe Begierde Erziehung (paideia) 5f., 8, 10, 29, 32, 39, 41f., 64, 79, 81, 84, 88, 91f., 106, 110, 112, 118– 121, 123–125, 127f., 133f., 146, 150f., 162, 169, 173, 177–179, 183–185, 190f., 196, 207, 228, 238f., 243, 245 eudaimonia siehe Glückseligkeit euêtheia siehe Naivität Eugenik 97, 176 Euthynen 85, 228, 230, 236–239, 245 Familie 6, 25, 68, 70f., 98, 114, 116, 149, 153, 167, 169, 171, 177–179, 184, 186, 193 Frau, Stellung der 6, 131, 148–153, 159, 167, 170, 175, 181–183 Freundschaft 25–27, 33, 71, 79–84, 144f., 147, 153, 170, 178, 198 Fremde/Metöken 4,106, 114, 117, 119–122, 130, 143, 148f., 154–158, 207 Geometrie/geometrische Gleichheit 82, 166, 178 Gerechtigkeit (dikaiosynê) 5f., 10f., 14, 23–25, 70, 81, 93, 109, 111–114, 119f., 146, 162f., 174f., 177, 184, 194f., 198–203, 206, 210– 213, 215–217, 224f., 232 Gerichtsbarkeit siehe Justiz
264
Sachregister
Gesang siehe Musik Gesetz (nomos) 88, 130–134, 189–193, 230–233 – Form 181 – Inhalt 181 – ungeschriebenes 139, 180, 182 Gesetzesänderung 125, 228–230, 233, 235f., 238, 245f. Gesetzesherrschaft 1, 7, 12f., 79, 82, 134, 181, 228, 230f., 233, 239 Gesetzeswächter (nomophylakes) 85, 126, 149, 172, 176, 227, 230, 233–235, 238–241, 244f. Gesundheit 10, 24, 32, 111, 146 Gewaltenteilung/Interorgankontrolle 85, 235 Gleichheit (isotês) 84f., 121, 154, 178 Glückseligkeit (eudaimonia) 3f., 8, 10f., 102, 106, 110–113, 116, 119, 121f., 126, 133, 145f., 152, 165, 196, 210, 213, 216f., 219, 224f., Gott/Götter 5, 7–10, 13–18, 26, 30, 32, 59, 69, 75, 78, 83f., 91f., 94f., 108, 118, 120, 123, 126f., 127, 129, 134–136, 139, 162–163, 170, 172, 186, 194, 209–214, 216–224, 231, 237 Gut/Güter (agathon) 10f., 24, 105f., 111–113, 120–122 Gütergemeinschaft 114, 170 Güterordnung, dreistufige 81, 83 gymnastikê siehe Sport Handel 106, 107, 113, 115–119, 121, 153– 155, 158f., 193, 225 Handwerker 4, 106f., 110, 115–118, 121f., 153, 155, 157–159 Harmonie 25, 40f., 77, 92, 97, 135, 216 Hass siehe Zwietracht Haus/Haushalt (oikos) 15, 106, 148, 155, 166– 173, 181, 183, 185f., 232 hêdonê siehe Lust Hedonismus 58, 60 – normativ 57 – psychologisch 57f., 64 Idealstaat 2, 12, 17, 19–21, 110, 134, 138, 170, 228, 233
Ideentheorie/Idee (eidos) 3, 8, 16, 109, 135f., 213, 220, 242, 244 Intellekt (nous) 14, 75f., 81, 83, 134, 232 isotês siehe Gleichheit Justiz 25, 27, 85, 100, 167, 178, 199, 228, 235f. Kallipolis 6, 11f., 16, 20f., 104, 137, 170 Kindheit/Jugend 39, 42, 64, 77, 83, 88, 91, 94, 97, 123, 125, 128, 131, 133f., 136, 139, 147, 149–151, 155, 160, 162, 166f., 170, 172–174, 177, 180, 182–185, 193 Komödie 10, 123f., 129f., 137–139, 155 Konflikt, innerer 27f., 46, 55f., 59f., 65 Kontraktualismus siehe Vertragstheorie Körper 39f., 57, 61, 92, 103, 111, 136, 159, 161, 175, 210, 221f. Krieg 24f., 69, 71, 73f., 111, 147, 167, 174, 232 Kunstfertigkeit (technê) 69f., 221 Lachen 130, 137, 140, 176 Landaufteilung 6, 106, 110, 113, 116, 119, 147, 170, 172, 177 Landwirtschaft 68, 106, 110, 113f., 116f., 153, 155, 159–162, 173, 185, 218 Laster 30, 70, 92 Liebe (philia) 26, 57, 76, 91 logistikon siehe Denkvermögen logos siehe Vernunft Losung siehe Auslosung Lust (hêdonê) 7, 25–27, 29f., 36, 39, 41f., 45, 48–52, 54f., 57f., 64, 77, 81, 90–92, 99, 101– 103, 133, 138f., 174, 185, 193, 199–203 lypê siehe Schmerz Macht 13f., 26, 67, 70, 74f., 78f., 84, 186, 199f., 238 Magnesia 143 Marionettengleichnis 30, 47, 54, 56–59, 77, 92, 126, 135, 139, 193, 201 Materialismus 218f., 221, 223 Medizin 8f., 89, 179, 195, 218, 243 Mehr-haben-wollen (pleonexia) 69, 71, 74, 78, 153, 185
Sachregister Meinung (doxa) 4, 9, 13, 26, 33f., 38–40, 46, 48, 50, 55, 57, 61f. 76, 174, 196, 201, 216, 221 Militär 68, 73, 75, 81, 111f., 121, 147, 150– 152, 158f., 184 mimêsis 124, 128, 130, 132f., 135, 137f. Mischverfassung 67, 78–80, 84f., 163, 231 Monarchie 67, 7–73, 78, 80, 83, 85, 185, 192, 231 Mord 93, 98–101, 103, 106, 118, 157, 177, 179, 193, 204f., 207 Motiv/Motivation 12, 23, 25, 27–35, 37f., 40– 42, 46, 48–52, 55–58, 61–64, 88–90, 92f., 96–100, 103f., 109, 118, 181, 186, 205, 219 mousikê siehe Musik Musik (mousikê) 5f., 40–42, 76f., 83, 93, 123, 125–129, 135, 150, 166, 200 Mut/Strebevermögen (thymoeides) 46, 90, 93, 97–101, 104, 109f. Mythos/Mythologie 14f., 123, 128, 132f., 205, 211, 213, 232 Nächtliche Versammlung 4f., 85, 163, 193, 228, 230, 238–246 Naivität (euêtheia) 70 Natur des Menschen siehe Anthropologie nomophylakes siehe Gesetzeswächter nomos siehe Gesetz nous siehe Intellekt Öffentlichkeit siehe privat vs. öffentlich oikos siehe Haus/Haushalt Oligarchie 109, 115, 121, 231
paideia siehe Erziehung paidiai siehe Spiele peithô siehe Überredung philia siehe Liebe Philosophenherrschaft 1, 3, 17, 20, 163, 185, 242 Philosophie/Philosophen 3f., 6–9, 12, 17, 26, 70, 90, 94, 102, 108, 110, 124f., 131f., 134f., 137f., 201, 213–215, 228, 239 phronêsis siehe Einsicht pleonexia siehe Mehr-haben-wollen
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politeia siehe Verfassung politikos siehe Staatsmann praktische Deliberation 4, 25, 28–37, 41, 48, 50, 55–57, 63, 89, 166, 201 privat vs. öffentlich 15, 24, 166–175, 177–185, 186f., 239 Privatbesitz 107, 114f., 169, 171f. 185 Proömien 9, 88–90, 93–98, 100–104, 106, 128, 181, 183, 185, 189–191, 193f., 210 psychê siehe Seele Psychologie 23f., 30, 33, 41, 45–47, 58f., 63– 66, 88–90, 92f., 95, 97f., 100–102, 104, 110 Rat (boulê) 161, 227 Relativismus 219, 223 Schädigung 193, 195, 197–199, 202, 206 Schmerz (lypê) 7, 25–27, 29f., 36f., 39, 41, 48f., 54f., 57f., 64, 77, 90–92, 133, 138f., 174, 193, 200f. Seele (psychê) 39, 45–7, 59–65, 90–93, 221f. – Partitionismus 46f., 52, 54, 59 – Unitarismus 33, 46f., 59, 62f., 65 – Krankheit der Seele 7, 199, 202, 206, 207 – Seelenteile 30, 32–34, 45f., 52f., 59–61, 64, 76, 91, 109,f., 199–201 Sexualität 31, 109, 119, 167, 173, 181 Sklave/Sklaverei 4, 9, 13, 14, 77, 82, 89, 91, 106, 114–116, 119–122, 130, 143, 148f., 153–159, 161f., 167, 195, 207, 231 sophia siehe Weisheit Sophisten 69, 108f., 166f. sôphrosynê siehe Besonnenheit Spiele (paidiai) 6, 83, 124–127, 134 Sport (gymnastikê) 6, 8, 123, 125, 129, 159, 175f., 180, 182 Staatsmann (politikos) 45, 72, 75, 145 Strafe 6, 17, 88, 95f., 105f., 115, 118–120, 157, 161f., 172, 174, 177, 179, 181–183, 189–191, 193–197, 199, 201, 203f., 206f., 217 Tanz 92, 123, 126f., 129f., 135, 175 Tapferkeit 10, 23, 27–28, 51, 57, 64, 70, 81, 90, 92–94, 97–99, 101, 111, 163, 190, 200, 202f.
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Sachregister
technê siehe Kunstfertigkeit Tempelraub 93–95, 100, 118f., 157, 194–196, 207 Theologie 16, 133, 136, 209f., 213, 222, 224 thymoeides siehe Mut/Strebevermögen Timokratie 82, 84 Tragödie 65, 123f., 129f., 132f., 135–139 Tugend (aretê) 10f., 81, 111 Tyrann/Tyrannis 7, 9f., 14, 84, 99, 190, 199– 203, 206 Überredung (peithô) 9, 84, 89f., 92, 103, 145, 182f., 186, 189, 191, 193, 195 Ungerechtigkeit 7, 11, 24–27, 70, 99–101, 119, 157, 194, 198–200, 202f., 205f., 217, 224 Unrecht 118, 147, 193, 197–199, 201– 206 Unwissenheit (amathia) 50–52, 62f., 74–79, 82, 90, 175, 199–202, 207, 224 Utopie 11, 75, 108, 228
Verfassung (politeia) 7f., 11, 16f., 20, 67, 71, 73, 76, 78–80, 85, 107, 123, 130, 132–134, 138, 174, 191, 192, 213, 229–232, 235, 239, 246 – Ursprung 67, 191, 209 – Kretas 24, 111, 232, – Persiens 10 – Spartas 78, 85, 111, 231f. Vernunft (logos) 55f., 60f., 75, 93f., 214–216 Vertragstheorie 71 Wächter 117, 169f., 201, 228, 243f. Wahl 84f., 114, 152, 161, 233f., 236f., 245f. Weisheit (sophia) 23, 26f., 32, 76f., 102f., 174 Willensschwäche (akrateia, akrasia) 14, 27, 30, 33f., 47–54, 56f., 60–65, 77 Wissen (epistêmê) 4, 9, 12f., 23, 26, 33, 39f., 62, 64, 70, 78, 103, 134f., 228 Ziele der Gesetzgebung 10, 79–81, 83f., 110f., 113, 144f., 150, 153, 230, 232, 236, 242, 244, 245 Zwietracht 26, 28, 57, 76f., 79, 91, 147
Hinweise zu den Autorinnen und Autoren
Chris Bobonich is C. I. Lewis Professor of Philosophy and Professor, by courtesy, of Classics at Stanford University. He is the author of Plato’s Utopia Recast: His Later Ethics and Politics, Oxford 2002. He edited and contributed to Plato’s Laws: A Critical Guide, Cambridge 2010, and, along with P. Destrée, edited and contributed to Akrasia in Greek Philosophy: from Socrates to Plotinus, Brill 2007. He has also published a number of papers on Greek political and ethical theory and ethical psychology. At present, his work focuses on the relations between knowledge and action in Plato and Aristotle. Michael Bordt SJ, Professor für philosophische Anthropologie, Ästhetik und Geschichte der Philosophie an der Hochschule für Philosophie, München. Wichtigste Veröffentlichungen: Platons Lysis, Göttingen 1989; Platons Theologie, Freiburg 2006; Aristoteles’ Metaphysik XII, Darmstadt 2006. Zahlreiche Artikel im Bereich der Antiken Philosophie.
Hallvard Fossheim, Professor II in Philosophy at the University of Tromsø. Fossheim has published numerous articles on Plato and Aristotle, and is currently co-editing a volume on happiness in ancient thought. Christoph Horn, Professor für Philosophie an der Universität Bonn. Publikationen: Plotin über Sein, Zahl und Einheit, 1995; Augustinus, 1995; Antike 3 Lebenskunst, 1998; Politische Philosophie, 2012. Als Herausgeber: Augustinus, De civitate dei, 1997; (mit C. Rapp) Wörterbuch der antiken Philosophie, 2002; (mit N. Scarano) Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart, 2002; (mit D. Schönecker) Groundwork for the Metaphysics of Morals, 2006; (mit C. Mieth und N. Scarano) Kant. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2007; (mit Ada Neschke) Politischer Aristotelismus. Die Rezeption der aristotelischen ‚Politik‘ von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, 2008; (mit J. Müller/J. Söder) Platon-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, 2009; (mit G. Löhrer) Gründe und Zwecke. Texte zur aktuellen
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Zu den Autorinnen und Autoren
Handlungstheorie, 2010; Platon, Symposion, 2011; (mit J. Wilberding) Neoplatonism and the Philosophy of Nature, 2012.
Manuel Knoll, Professor für Philosophie an der Fatih University, 34500 Büyükcekmece/Istanbul. Lehrbeauftragter für Theorie der Politik an der Hochschule für Politik München. Buchpublikationen: Das Staatsdenken der Renaissance (hg. zus. mit S. Saracino, 2013); Niccolò Machiavelli – Die Geburt des Staates (hg. zus. mit S. Saracino, 2010); Aristokratische oder demokratische Gerechtigkeit? Die politische Philosophie des Aristoteles und Martha Nussbaums egalitaristische Rezeption (2009); Theodor W. Adorno. Ethik als erste Philosophie (2002); Aufsätze (u. a.): The Meaning of Distributive Justice for Aristotle’s Theory of Constitutions, in: Pege/ Fons 2013; Die „Politik“ des Aristoteles – Aufsatzsammlung oder einheitliches Werk? Replik auf Eckart Schütrumpfs Erwiderung, in: Zeitschrift für Politik, 4/2011; Die „Politik“ des Aristoteles – eine unitarische Interpretation, in: Zeitschrift für Politik 2/2011; Die distributive Gerechtigkeit bei Platon und Aristoteles, in: Zeitschrift für Politik 1/2010; (Mit-)Herausgeber von: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie.
André Laks is Professor emeritus of Ancient Philosophy at the University of Paris-Sorbonne and Professor at the Universidad Panamerícana, México City. He has written a number of pieces on Plato’s Laws, most recently: Plato’s ,truest tragedy‘, in: C. Bobonich (ed.), A Critical Guide to Plato’s Laws, 2010; Temporalité et utopie: remarques herméneutiques sur la question de la possibilité des cités platoniciennes, in: F. Lisi (ed.), Utopia, ancient and modern, 2012. A selection of his studies on other topics is available in: Histoire, Doxographie, Vérité. Etudes sur Aristote, Théophraste, et la philosophie présocratique, 2007. He is currently finishing with Glenn W. Most a four volumes collection about Early Greek Philosophy for the Loeb Library. Most recent publication in this area: Phenomenon and reference: revisiting Parmenides, Empedocles, and the problem of rationalization, in: Sally C. Humphreys and Rudolf G. Wagner (edd.), Modernity’s Classics, 2013. Irmgard Männlein-Robert, Professorin für Klassische Philologie mit dem Schwerpunkt Griechische Philologie an der Eberhard Karls-Universität Tübingen.
Zu den Autorinnen und Autoren
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Wichtigste Veröffentlichungen im Bereich der antiken Philosophie: Longin. Philologe und Philosoph. Eine Interpretation der erhaltenen Zeugnisse (2001); Wissen um die göttlichen und die menschlichen Dinge. Eine Philosophiedefinition Platons und ihre Folgen, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft 26 (2002) 13–38; Umrisse des Göttlichen: Zur Typologie des idealen Gottes in Platons „Politeia II“, in: Platon und das Göttliche (hg. v. D. Koch, I. Männlein-Robert, N. Weidtmann), Tübingen 2010, 112–138; Ps.Platon, Über den Tod, eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Irmgard Männlein-Robert (Hg.) et al., Tübingen 2012; Die Musenkunst des Philosophen oder Sokrates und die Zikaden in Platons Phaidros, in Platon und die Mousiké (hg. v. D. Koch, I. Männlein-Robert, N. Weidtmann), Tübingen 2012, 83–103; Von Höhlen und Helden. Zur Semantik von Katabasis und Raum in Platons Politeia, in: Gymnasium 119 (2012), 1–21. The Meditations as a (Philosophical) Autobiography, in: A Companion to Marcus Aurelius (hg. v. M. van Ackeren), Chichester 2012, 362–381; zahlreiche Artikel über Platon und kaiserzeitlich-spätantiken Platonismus. Jörn Müller, apl. Professor und akademischer Oberrat am Institut für Philosophie der Universität Würzburg. Wichtigste Veröffentlichungen: Physis und Ethos. Der Naturbegriff bei Aristoteles und seine Relevanz für die Ethik (2006); Willensschwäche in Antike und Mittelalter. Eine Problemgeschichte von Sokrates bis Johannes Duns Scotus (2009). Als Herausgeber: Wille und Handlung in der Philosophie der Kaiserzeit und Spätantike (2010); Platon: Phaidon (2011). Zahlreiche Aufsätze zur Philosophie der Antike (bes. Platon, Aristoteles und Augustinus) sowie zur mittelalterlichen Philosophie. Matthias Perkams, Privatdozent und Akademischer Rat an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Philosophie und Altertumswissenschaft). Wichtigste Veröffentlichungen: Liebe als Zentralbegriff der Ethik bei Peter Abaelard, Münster 2001; Selbstbewusstsein in der Spätantike. Die neuplatonischen Kommentare zu Aristoteles’ De anima, Berlin/New York 2008. Zahlreiche Aufsätze zu antiker und mittelalterlicher Philosophie, vor allem im Bereich der Praktischen Philosophie.
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Zu den Autorinnen und Autoren
Klaus Schöpsdau, apl. Professor für Klassische Philologie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Veröffentlichungen: Platon Nomoi: Übersetzung und Kommentar (= Platon Werke IX 2) in drei Teilbänden: Buch I–III (1994); IV–VII (2003); VIII–XII (2011). Aufsätze zu Platons Nomoi. Anna Schriefl, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Buchpublikation: Platons Kritik an Geld und Reichtum, Berlin/New York 2013. Eckart Schütrumpf ist Professor für Classics und Humanities an der University of Colorado at Boulder. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur politischen Theorie, Ethik, Rhetorik und Poetik hauptsächlich der klassischen griechischen Epoche, aber auch Ciceros. Nach einer Monografie zur „Analyse der polis durch Aristoteles“ (1980) hat er eine Gesamtübersetzung und kommentierung zu Aristoteles’ Politik vorgelegt (4 Bände, 1991–2005). Er verfasste eine Monographie zu Xenophons Poroi (1982), gab die Fragmente von Herakleides Pontikus heraus (2007), und ist Mitherausgeber der FragmentAusgaben von Demetrius von Phaleron, von Dikaiarch von Messene und von „The Greek Strand in Islamic Political Thought“. 1999 war er Member am Institute for Advanced Study (Princeton); 2007 erhielt er den Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung.