Pi und die Primzahlen: Eine Entdeckungsreise in die Mathematik (German Edition) [1. Aufl. 2021] 3662628791, 9783662628799

Spaß an der Mathematik haben? Ja, das geht wirklich, wie dieses Buch zeigt! Es erzählt wie ein Roman eine „mathematische

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German Pages 277 [261] Year 2021

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Table of contents :
AB IN DEN DSCHUNGEL
NICHT VON PYTHAGORAS
WAS BEWEISEN BEWEISE?
DIE KREATIVEN
MENSCHENWERK
NICHTS
DIE DIVA
GIBT ES PI ÜBERHAUPT?
DER PLAN
MILLIMETERPAPIER
DIE ATOME DER MATHEMATIK
DER GOTT AUS DER MASCHINE
RESTE
DER AMATEUR UND DIE WINDMÜHLEN
DIE BADEANSTALT
DER ERSTE ALGORITHMUS
KOMPLEXES INTERMEZZO
AUSSERIRDISCHE MATHEMATIK
EINFACHES SUDOKU
DER LETZTE BRIEF
DER SCHMALE RAND
EINFACH DIE REGELN ÄNDERN
FÜNFZEHNTAUSEND SEITEN
ENDLICH PUNKTE ZÄHLEN!
DOMINOEFFEKTE
NOCH EINE HYPOTHESE
VON FRÖSCHEN UND MÄUSEN
BUTTERKEKS
OFFENES ENDE
EPILOG
ANMERKUNGEN
INHALT
INDEX
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Pi und die Primzahlen: Eine Entdeckungsreise in die Mathematik (German Edition) [1. Aufl. 2021]
 3662628791, 9783662628799

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Edmund Weitz

Pi und die Primzahlen Eine Entdeckungsreise in die Mathematik

Pi und die Primzahlen

Edmund Weitz

Pi und die Primzahlen Eine Entdeckungsreise in die Mathematik

Edmund Weitz Fakultät Design, Medien und Information HAW Hamburg Hamburg, Deutschland

ISBN 978-3-662-62879-9 ISBN 978-3-662-62880-5 https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5

(eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung der Verlage. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: Heike Stephan, Hamburg Textgestaltung: Edmund Weitz Planung/Lektorat: Iris Ruhmann Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

The beauty of mathematics only shows itself to more patient followers. Maryam Mirzakhani (1977–2017)

AB IN DEN DSCHUNGEL

Dieses Buch hat keinen praktischen Wert. Wäre es ein Roman, dann würden Sie das wohl auch nicht von ihm erwarten, genauso wenig wie von einem Spiel, einem Musikstück oder einem Gemälde. Aber ist ein Buch über Mathematik nicht etwas ganz anderes? Wird uns nicht in Schule und Studium gepredigt, wie wichtig Mathematik sei? Dass unsere moderne Welt ohne sie nicht funktionieren würde? Da ist sicher was dran. Ingenieure, Naturwissenschaftlerinnen, Ökonomen und Programmiererinnen setzen jeden Tag mathematische Methoden ein. Smartphones, Herzschrittmacher, Satellitennavigation, DVD-Player, Computertomographie – all das ist ohne Mathematik undenkbar. Das wissen Sie natürlich. Möglicherweise wird es Sie jedoch überraschen, dass Mathematiker sich gar nicht um solche Anwendungen scheren. Sie betreiben Mathematik aus purem Selbstzweck: weil das interessant ist, weil die Ergebnisse oft unglaublich schön sind, weil es Spaß macht. Wie bitte? Mathe soll Spaß machen? Aber ja! Wie ein Roman, der so spannend ist, dass Sie ihn nicht weglegen können, kann auch eine mathematische Frage so fesselnd sein, dass Sie sie nicht aus dem Kopf bekommen, bevor sie gelöst ist. Wie bei einem aufregenden Spiel kann es Ihnen dabei passieren, dass Sie gar nicht merken, wie die Zeit vergeht. Und wie ein Musikstück oder ein Gemälde kann die Lösung ein ästhetischer Genuss sein. Wer braucht da noch praktischen Wert? Falls Sie sich das alles jetzt noch nicht vorstellen können, dann hoffe ich, dass das Buch Sie eines Besseren belehren kann. Aus diesem © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_1

Grund habe ich es nämlich geschrieben: um zu zeigen, dass Mathematik nicht etwa erfunden wurde, um Schüler und Studenten zu quälen, sondern dass es sich um eine kulturelle Tätigkeit handelt, die genauso beglückend sein kann wie Literatur, Musik oder bildende Kunst. Damit das klappt, müssen Sie sich auf eine Expedition durch einen unbekannten Dschungel in Begleitung eines geschwätzigen Reiseführers einlassen. Mit dem Dschungel ist natürlich die Mathematik gemeint, und der Reiseführer werde ich sein. Wir werden ein Ziel haben, über das gleich noch zu sprechen sein wird. Aber zwischendurch werde ich immer wieder auf exotische Gewächse am Wegesrand hinweisen, Geschichten über vergangene Expeditionen erzählen und gelegentlich sogar etwas philosophieren oder versuchen, Vorurteile über die Mathematik zu entkräften. Auch werden wir nicht geradeaus marschieren, sondern viele landschaftlich reizvolle Umwege einschlagen, so dass Sie manchmal vielleicht ganz vergessen werden, was wir eigentlich vorhatten. Am Ende kommen wir jedoch wohlbehalten an, keine Angst. Und hoffentlich haben Sie dann das Gefühl, dass die Reise sich gelohnt hat. Vielleicht haben Sie sogar Lust auf mehr. Wir werden nämlich nur einen winzigen Teil des Dschungels kennenlernen. Sie möchten sicher wissen, welchen Teil des Dschungels wir bereisen werden. Das wird alles noch detailliert erklärt werden, aber ich will Ihnen einen kleinen Vorgeschmack geben, damit Sie nicht die Katze im Sack kaufen. Es wird um die Kreiszahl π (ausgesprochen „pi“) gehen, von der Sie garantiert schon mal gehört haben. Wir werden eine Formel entwickeln, mit deren Hilfe man π berechnen kann. Was den nicht vorhandenen praktischen Wert angeht: Es gibt viele verschiedene Formeln, um π zu berechnen. Die, die das Thema des Buches sein wird, ist schon ziemlich alt und definitiv nicht „die beste“ – was immer das bedeuten mag. Außerdem wurden mit Hilfe von Computern bereits Billionen (!) von Nachkommastellen von π berechnet, obwohl für Anwendungen in der Physik oder den 2

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Ingenieurswissenschaften zwanzig Stellen mehr als ausreichend sind. Zu allem Überfluss werden wir unsere Formel sehr umständlich herleiten; man könnte das viel effizienter erledigen. Klang das abschreckend genug? Warum sollte man sich das antun? Konfuzius würde antworten: „Weil der Weg das Ziel ist!“ (Stellen Sie sich ein Motivationsposter mit einem Dschungelfoto vor.) Wir werden π mithilfe von Methoden der sogenannten Zahlentheorie berechnen. Da geht es um Primzahlen und es ist weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick ersichtlich, was das mit der Geometrie, der „Heimat“ von π , zu tun haben könnte. Und außer um Geometrie wird es auch noch um Algebra und Analysis gehen, die beiden anderen großen Teilgebiete der Mathematik. Unser verschlungener Weg wird uns zeigen, dass in der Mathematik irgendwie alles mit allem zusammenhängt. Das ist eine Einsicht, die sich immer wieder einstellt, wenn man sich länger mit mathematischen Fragen beschäftigt. Außerdem werden wir gerade am Anfang viel Zeit darauf verwenden, das Terrain zu sondieren. Dabei werde ich wahrscheinlich Dinge wiederholen, die Ihnen lange bekannt sind und trivial erscheinen mögen. Ich hoffe jedoch, dass ich Ihnen einen neuen Blickwinkel verschaffen kann. Der amerikanische Informatiker Leonard Adleman hat mal gesagt, dass Mathematik viel enger mit der Philosophie als mit der Buchhaltung verwandt sei. Einige der tiefen philosophischen Fragen, die hinter scheinbar banalen mathematischen Strukturen stehen, möchte ich zumindest gestellt haben. Beantworten kann ich sie allerdings nicht. Schließlich werde ich bei manchen meiner Abschweifungen auch über die historische Entwicklung von bestimmten Konzepten reden. Aber nicht etwa, weil dies ein Geschichtsbuch werden soll. Mir geht es vielmehr darum, zu zeigen, dass die Mathematik kein Monolith ist, der schon immer unverrückbar in der Landschaft herumstand, sondern dass sie von Menschen gemacht wurde, die zweifelten, diskutierten und auch Fehler machten. Ich kann nur wiederholen, dass nichts davon Ihnen kurzfristig zum Vorteil gereichen wird. Sie werden es höchstwahrscheinlich nie AB IN DEN DSCHUNGEL

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brauchen. Wenn Sie jedoch bereit sind, etwas Zeit und Energie zu investieren, wird es Ihren Horizont erweitern.

Ganz am Anfang habe ich einen Vergleich dieses Buches mit einem Roman gewagt. Literaturwissenschaftlerinnen werden darüber vielleicht nur müde lächeln, aber so gewagt finde ich das gar nicht. Wir Menschen sind soziale Wesen. Darum kann es uns auch passieren, dass wir süchtig nach der allerdümmsten Seifenoper werden. Wir wollen einfach wissen, ob X wirklich ein heimliches Verhältnis mit Y hat und welche schockierenden Details aus der Vergangenheit von Z noch ans Tageslicht kommen werden. So sind wir nun mal. Wer sich auf die Mathematik einlässt, entwickelt eine ähnliche Beziehung zu den mathematischen Charakteren. Er will wissen, welcher Zusammenhang zwischen X und Y besteht und was man noch alles über Z herausfinden kann. Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Belletristik und Mathebüchern: Einen Roman können Sie schmökern, während Sie gemütlich im Ohrensessel sitzen. Echtes Lesevergnügen bei einem Mathebuch gibt es hingegen nur, wenn Sie Arbeit investieren. Oft geht es nur langsam und mühsam voran und manche Sätze muss man mehrfach lesen, bis man sie richtig verstanden hat. Um bei der Analogie mit der Expedition zu bleiben: Sie brauchen gute Kondition und ordentliches Schuhwerk. (Aber wer sagt denn, dass Belletristik immer einfach ist? Ein Kritiker hat mal geschätzt, dass nur 13 Menschen Finnegans Wake von James Joyce verstehen werden. Ich hoffe, das vorliegende Buch wird etwas zugänglicher sein.) Außer guten Schuhen sollten Sie Papier und Bleistift in Ihren Rucksack packen. Ich werde nämlich zwischendurch immer mal wieder Fragen stellen. An solchen Stellen sollten Sie mit dem Lesen aufhören und über die Frage nachdenken. Kritzeln Sie auf Ihrem Zettel herum, probieren Sie verschiedene Lösungsansätze durch, und wenn Sie nicht weiterkommen, machen Sie erst mal etwas ganz anderes, zum Beispiel einen Spaziergang. Schlafen Sie ruhig eine Nacht 4

PI UND DIE PRIMZAHLEN

drüber. Aber erliegen Sie nicht der Versuchung, zu früh aufzugeben und einfach weiterzulesen. Woher wissen Sie, wann Sie fertig sind und ob Ihre Antwort richtig ist? Das werden Sie gerade am Anfang gar nicht wissen! Nach und nach, mit mehr Erfahrung, können Sie immer besser selbst beurteilen, ob Sie wirklich alles bedacht und keine Fehler gemacht haben. Aber Fehler sind ohnehin nicht schlimm. Ihr Reiseführer wird Sie wieder auf den richtigen Weg zurückführen, wenn Sie sich verlaufen haben. (Und es ist auch überhaupt kein Problem, wenn Sie manche Fragen nicht beantworten können. Wichtig ist die Beschäftigung damit.) Wenn Sie jedoch die Fragen überspringen, dann werden Sie von diesem Buch nicht viel haben. Das wäre so, als ließen Sie sich in einer geschlossenen Sänfte durch den Dschungel und wieder zurück tragen: nicht besonders anstrengend, aber man sieht auch nichts. Es wäre bequemer gewesen, gleich zu Hause zu bleiben. . . Bevor wir uns auf den Weg machen, sollten wir jedoch darüber reden, was vor uns liegt. Im echten Dschungel, im Amazonasgebiet Brasiliens, lebt fast völlig isoliert vom Rest der Welt das indigene Volk der Pirahã. Seine Sprache kommt ohne Zahlwörter und ohne Unterscheidung von Singular und Plural aus. Es gibt lediglich zwei Begriffe, die man mit eins und viele übersetzen könnte. Auf anderen Kontinenten hatten Anthropologen ebenfalls Kontakt zu traditionellen Kulturen, die keine Wörter für Zahlen haben, die größer als drei oder vier sind. Und auch die europäischen Sprachen enthalten noch Spuren einer Zeit, in der unsere Vorfahren nur „eins-zwei-viele“ zählen konnten. Beispiele sind das altenglische thrice oder im Französischen trois und très, die höchstwahrscheinlich dieselbe Etymologie haben. Im Westen Kanadas lebt die Stammesgruppe der Ts’msyan. Ihre Sprache hat ein Wort für „drei Menschen“, ein anderes für „drei Tiere“ und ein weiteres für „drei lange Objekte“, während man für „drei Kanus“ wiederum ein anderes Wort benutzt. Es gibt zudem aber auch noch ein Wort für „drei Menschen in einem Kanu“ und damit AB IN DEN DSCHUNGEL

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sind noch nicht mal alle „Dreiwörter“ aufgezählt. Die gleiche Vielfalt herrscht auch bei zwei oder sieben Menschen, Tieren und Kanus. Warum erzähle ich das? Offenbar muss eine Kultur erst eine gewisse Komplexität erreichen, bevor die Notwendigkeit besteht, über Zahlen zu sprechen. Vorher gibt es gar keine Zahlen – sie sind Menschenwerk! Und selbst dann, wenn man beginnt, den Unterschied zwischen fünf Äpfeln und sechs Äpfeln zu erkennen und zu benennen, hat man noch nicht unbedingt erkannt, was fünf Äpfel und fünf Antilopen gemeinsam haben. Das erfordert einen signifikanten Abstraktionsschritt, der die „Fünfheit“ von den Äpfeln trennt. Während die Naturwissenschaften sich mit Dingen beschäftigten, die es wirklich gibt, geht es in der Mathematik um die Kopfgeburten von uns Menschen. Den Apfel, den die Biologin untersucht, kann man anfassen (und sogar essen), die Fünf existiert nur in unseren Gehirnen. Man kann sie nicht berühren. Die arabische Ziffer 5 ist lediglich ein Symbol für die Zahl fünf, ebenso wie das römische Zeichen V, das englische Wort five oder die Strichliste . Aber keines dieser Symbole ist die Zahl fünf, genauso wenig wie ein Foto eines Apfels ein Apfel ist. Und in der Mathematik geht es ja entgegen der landläufigen Meinung nicht nur um Zahlen. Was immer Sie aus Ihrer Schulzeit vergessen haben sollten, Sie werden sich zumindest noch vage erinnern, dass in der Geometrie unter anderem Kreise eine Rolle spielten. Auch unsere „vormathematischen“ Ahnen kannten schon Kreise – lange bevor das Rad erfunden wurde. Bei Vollmond sieht man beispielsweise einen Kreis am Himmel und man sieht auch Kreise, wenn man einen Stein in einen Teich wirft. Aber sind das die Kreise, über die in der Geometrie gesprochen wird? Keineswegs! Die Kreise der Geometrie sind idealisierte Gebilde, bei denen jeder Punkt vom Mittelpunkt exakt den gleichen Abstand hat und deren Rand ein ätherisches Gebilde ohne Breite ist. Selbst die präziseste Maschine der Welt könnte so etwas nicht herstellen. Wie die Zahlen sind auch geometrische Figuren Abstraktionen, die nicht in der realen Welt, sondern nur in unseren Köpfen existieren. 6

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Überhaupt geht es in der Mathematik nur und ausschließlich um „Hirngespinste“. Sie ist eine Geisteswissenschaft im wahrsten Sinne des Wortes – wenn dieser Begriff auch im deutschen Sprachgebrauch anders besetzt ist. Wenn wir also in den Dschungel der Mathematik aufbrechen, dann treten wir eigentlich eine Reise in unseren Köpfen an. Ihre Reise findet in Ihrem Kopf statt, meine Reise in meinem Kopf. Trotzdem werden wir gemeinsam reisen und dieselben Dinge sehen. Hoffentlich finden Sie das genauso faszinierend wie ich. Als kleinen Reiseproviant bereite ich zum Abschluss dieses einleitenden Kapitels gleich die erste Frage an Sie vor. Stellen Sie sich dazu bitte ein in vier mal vier Quadrate unterteiltes Feld vor.

Sie haben einen Stapel Dominosteine zur Verfügung, von denen jeder so groß wie zwei Quadrate ist. Sie sollen das gesamte Feld mit Dominosteinen belegen und dabei diese Regeln beachten: – Jeder Stein bedeckt zwei benachbarte Quadrate. – Kein Quadrat darf frei bleiben. – Die Steine dürfen nicht übereinanderliegen. – Die Steine dürfen nicht über den Rand hinausragen. Das ist nicht schwer. Man kann es zum Beispiel so machen:

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Klappt das auch mit fünf mal fünf Quadraten? Das war die erste an Sie gerichtete Frage in diesem Buch. Sie ist nicht schwer. Zunächst mal geht es nur darum, dass Sie sehen, wie Fragen sich typographisch vom Rest des Textes abheben. Und Sie sollen sich daran gewöhnen, über die Fragen nachzudenken, bevor Sie weiterlesen. Also? Natürlich kann man die Aufgabe mit fünf mal fünf Quadraten nicht lösen. Das ergibt nämlich eine ungerade Anzahl von Quadraten, während man mit den Dominosteinen immer nur eine gerade Anzahl abdecken kann. Jetzt wird es schwieriger. Wir betrachten ein Feld mit acht mal acht Quadraten und nehmen an zwei gegenüberliegenden Ecken je ein Quadrat weg. Das sieht dann so aus:

Kann man dieses Feld nach den Regeln mit Dominosteinen bedecken? Da Sie weiterlesen, haben Sie die Frage offenbar bereits beantwortet. Ich nehme an, Ihre Antwort ist nein. So einfach wie bei den 25 Quadraten kann man das aber nicht begründen, weil es diesmal um eine gerade Anzahl (nämlich 62) geht. Doch woran liegt es denn dann? Und sind Sie sich wirklich sicher? Würden Sie einen hohen Geldbetrag darauf verwetten wollen? Haben Sie es nur ein paarmal versucht und dann aufgegeben oder könnten Sie einen Zweifler überzeugen, dass es tatsächlich unmöglich ist? Das ist die eigentliche Frage, mit der ich das Kapitel beende: Können Sie „wasserdicht“ begründen, warum es nicht klappt? 8

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Obwohl diese Frage nicht direkt mit der Formel für π zusammenhängt, um die es gehen soll, werden wir wieder auf sie zurückkommen, weil Sie uns etwas über die Denk- und Arbeitsweise von Mathematikern zeigen kann.

Noch ein Hinweis: Ich wollte das Buch nicht mit Fußnoten zukleistern. Aber ab und an werden Sie im Text kleine Sternchen entdecken. Die verweisen auf den Abschnitt mit der Überschrift Anmerkungen am Ende des Buches. In einigen Fällen finden Sie in dem kleinen Anhang auch Antworten auf die Fragen, die zwischendurch gestellt werden. Ehrensache, dass Sie es erst selbst versuchen, bevor Sie nachschauen! AB IN DEN DSCHUNGEL

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NICHT VON PYTHAGORAS

Stephen Hawking erhielt von seinem Verleger den Rat, auf Formeln in seinem ersten Buch zu verzichten, weil jede Formel die Anzahl der potentiellen Käufer halbieren würde. Hawking hielt sich daran. Aber ich bezweifle, dass dies der wesentliche Grund dafür war, dass A Brief History of Time ein Weltbestseller wurde. Damit Sie gegebenenfalls – falls Sie in der Buchhandlung die ersten Seiten durchblättern – dieses Buch schnell wieder ins Regal stellen können, kommt hier als Warnung gleich eine Formel:       n+1 n n = + k+1 k k+1 In einem Buch über Mathematik kann man nämlich nur dann gänzlich ohne Formeln auskommen, wenn man sich entweder darauf beschränkt, lediglich Bagatellen und Anekdoten zum Besten zu geben, oder wenn man so schreibt wie Blaise Pascal im 17. Jahrhundert: Wenn es vier beliebige Zahlen gibt, von denen die erste beliebig ist, die zweite um die Einheit größer als die erste, die dritte beliebig, nur nicht kleiner als die zweite, die vierte um die Einheit kleiner als die dritte; dann ist die Zahl der Kombinationen der ersten in die dritte, vermehrt um die Zahl der Kombinationen der zweiten in die dritte, gleich der Zahl der Kombinationen der zweiten in die vierte.

Dieses Zitat sagt dasselbe aus wie die obige Formel. Aber niemand wird wohl ernsthaft behaupten wollen, dass es verständlicher sei. Die Formel ist im Gegensatz dazu kurz und präzise. Formeln © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_2

sind Bestandteile einer Fachsprache, mit deren Hilfe man sich unmissverständlich und ohne große Umschweife verständigen kann. Allerdings muss man zugegebenermaßen die Sprache der Mathematik erst lernen und sich an sie gewöhnt haben, bevor man solche Formeln verstehen kann. Aber auch eine Musikerin muss die Notensprache lernen und Routine entwickeln, bevor sie ein Stück von Bach vom Blatt spielen kann. Sie werden nun vielleicht einwenden, dass Sie weder Bach vom Blatt spielen noch eine professionelle Mathematikerin werden wollen. Das sehe ich auch ein. Ich werde keine Formeln um ihrer selbst willen präsentieren. Aber auch in einem Buch, das sich an Nichtmathematiker richtet, sind Formeln ab und zu der einfachste Weg, bestimmte Sachverhalte zu kommunizieren. Wann immer es möglich ist, werde ich mit Skizzen und normaler Alltagssprache arbeiten. Doch Sie werden ab und zu auch Formeln sehen. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Mein Ziel ist, dass jeder, der will und sich ein bisschen Mühe gibt, dieses Buch verstehen kann. Ich werde Ihnen das möglichst leicht machen. Trotzdem bleibt es bei dem, was angeblich schon vor über 2000 Jahren Euklid zu Pharao Ptolemaios sagte: Es gibt keinen Königsweg zur Mathematik. Übrigens sind Formeln nicht nur die Fachsprache der Mathematik, sondern auch eine unverzichtbare Denkhilfe. Jede Mathematikerin wird Ihnen bestätigen, dass man den Gedanken wunderbar auf die Sprünge helfen kann, indem man das, was man schon weiß, in Formeln aufschreibt. Dadurch wird oft ein „algebraischer Autopilot“ in Gang gesetzt, der Transformationen und Vereinfachungen vorschlägt, die ohne diese konzise Darstellung vielleicht niemals ans Tageslicht gekommen wären. Viele Wissenschaftshistoriker vertreten die Ansicht, dass die explosionsartige Entwicklung der Mathematik seit Beginn der Neuzeit nur deshalb möglich war, weil ein neues Werkzeug zur Verfügung stand, dessen Gebrauch sich ab dem Ende des 16. Jahrhunderts in Europa ausbreitete: die mathematische Formelsprache. In diesem 12

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Zusammenhang wird der Franzose François Viète oft als „Vater der Algebra“ bezeichnet, weil er systematisch Symbole für Rechenoperationen benutzte und das Rechnen mit Buchstaben einführte. Letzteres hatte zwar schon Diophantos von Alexandria, dessen Werke Viète kannte, in der Antike zaghaft begonnen, aber vor Viète hatte niemand das aufgegriffen. Wie im Pascal-Zitat am Anfang des Kapitels wurde alles mühsam in ganzen Sätzen aufgeschrieben. Wohl ebenso wichtig für die Entwicklung einer universellen Formelsprache war René Descartes. Den lernen wir bald kennen. Aber da wir schon über Formeln reden, fange ich mit der wahrscheinlich bekanntesten mathematischen Formel überhaupt an: a2 + b 2 = c 2

Viele Menschen, die mehr oder weniger die gesamte Mathematik ihrer Schulzeit vergessen haben, können sich zumindest noch an den Satz des Pythagoras erinnern, und für sie ist diese Formel, die sie irgendwann mal auswendig gelernt haben, dieser Satz. Dabei ist das gerade ein äußerst schlechtes Beispiel für die Verwendung einer Formel. (Wir haben ja auch gerade gelernt, dass vor Viète und Descartes niemand das so aufgeschrieben hätte. Schon gar nicht Pythagoras, den über zweitausend Jahre von den beiden trennen.) Der Satz des Pythagoras ist eine geometrische Aussage über rechtwinklige Dreiecke.

Die Formel a 2 +b 2 = c 2 ergibt in diesem Fall nur dann Sinn, wenn man sich darauf einigt, die lange Seite des Dreiecks (die sogenannte Hypotenuse) immer c zu nennen und die beiden kurzen Seiten (die Katheten) immer a und b . Das mag vielleicht in der Schule so sein, aber im „wirklichen Leben“ stimmt das mit Sicherheit nicht. Merken sollte man sich den Satz besser so: N I CHT VO N PY TH AG O R A S

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Er besagt, dass die Summe der Flächen der beiden kleinen Quadrate der Fläche des großen Quadrates entspricht. In der Skizze kann man das sogar anhand der Kästchen überprüfen. Zählen Sie nach! Pythagoras war mit Sicherheit nicht der Erste, der diesen Zusammenhang erkannt hat. Man weiß, dass er lange vor seiner Zeit bereits den Ägyptern und Babyloniern geläufig war. Sie haben ihn allerdings „nur“ wie einen Erfahrungswert angewendet. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, dass sie wie Ingenieure gehandelt haben und nicht wie Mathematiker. Die ersten wirklichen Mathematiker in diesem Sinne waren die Griechen vor etwa 2500 Jahren. Sie erkannten, dass Aussagen wie der Satz des Pythagoras universelle Wahrheiten über die im ersten Kapitel thematisierten abstrakten „Kopfgeburten“ waren. Und sie wollten diese Aussagen beweisen. Ob Pythagoras nun der erste Mensch war, der den nach ihm benannten Satz bewiesen hat, und ob er ihn überhaupt bewiesen hat, wissen wir nicht und wir werden es wohl auch nie erfahren. Viele Forscher bezweifeln es jedenfalls und glauben, dass er eher ein einflussreicher Religionsführer als ein Wissenschaftler war. Aber auf jeden Fall gibt es inzwischen Hunderte von Beweisen für diesen wohl berühmtesten aller mathematischen Sätze. Ich persönlich finde die besonders schön, die ohne Worte auskommen. Hier ein Beispiel:

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PI UND DIE PRIMZAHLEN

Kommt der Beweis wirklich ohne Worte aus? Überzeugt er Sie?

Im nächsten Kapitel werde ich noch etwas ausführlicher auf das Beweisen eingehen. Als Vorbereitung darauf habe ich wieder eine Frage an Sie. Dabei geht es um einen Kreis, auf dessen Rand wir ein paar Punkte setzen. Jeder dieser Punkte wird nun mit jedem anderen durch eine im Kreis verlaufende Linie verbunden, wobei die Linien sich manchmal schneiden werden.

Dabei halten wir die beiden folgenden Regeln ein: – Es gibt keine „überflüssigen“ Schnittpunkte. – Durch jeden Schnittpunkt verlaufen maximal zwei Linien. Diese drei Linienverläufe wären also nicht erlaubt:

Die Linien teilen das Innere des Kreises in Gebiete auf und die Anzahl der Gebiete hängt von der Anzahl der Punkte ab. Sie sollten das selbst vielleicht vorsichtshalber nachzählen, ich habe aber die Zahlen aus der ersten Skizze schon mal in eine Tabelle eingetragen. Punkte

1

2

3

4

5

Gebiete

1

2

4

8

16

Wie geht es weiter? Wie viele Gebiete bekommt man bei sechs Punkten?

N I CHT VO N PY TH AG O R A S

15

WAS BEWEISEN BEWEISE?

Haben Sie die Frage am Ende des letzten Kapitels mit 32 beantwortet? Das ist falsch. Die richtige Antwort ist 31. Man kann auch einfach nachzählen, aber ich habe versucht, durch die folgende Skizze klarzumachen, warum 31 herauskommt:

Wenn einem durch dieses Wimmelbild nicht ganz blümerant vor Augen wird, dann sieht man, dass es fünf „Sorten“ von Gebieten gibt, von denen jede sechsmal vorkommt. Das ist schön symmetrisch und ergibt 30 Gebiete. Unsere Regeln verbieten, dass sich drei Linien in der Mitte treffen; darum kommt noch das kleine leere Gebiet im Zentrum hinzu. Ich hoffe allerdings geradezu, dass Ihre Antwort 32 und nicht 31 war. Nicht etwa aus Schadenfreude, sondern weil dieses Beispiel sehr schön einige grundlegende Aspekte des mathematischen Arbeitens beleuchtet. Dass als nächste Zahl 32 kommen müsste, war nahelie© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_3

gend, weil sich in der Tabelle die Anzahl der Gebiete in jedem Schritt verdoppelt hat: 1, 2, 4, 8, 16. Man konnte ein Muster erkennen. Das ist ein Begriff, der häufig benutzt wird, wenn jemand versucht, zu erklären, was Mathematik eigentlich ist. Ich finde beispielsweise den Definitionsversuch im deutschen Wikipedia-Artikel zur Mathematik nicht schlecht. Dort steht, Mathematik sei eine Wissenschaft, die selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht.

Die „selbstgeschaffenen abstrakten Strukturen“ sind die schon erwähnten Kopfgeburten. Über die Muster reden wir gerade. Der Haken bei der Sache mit den Gebieten war, dass das scheinbare Muster sich als falsche Spur erwiesen hat. Hier ließ sich das relativ leicht erkennen: man musste einfach noch einen weiteren Punkt hinzunehmen. Im mathematischen Alltag hat man es aber manchmal mit deutlich extremeren Fällen zu tun. In der Zahlentheorie gibt es Beispiele für „offensichtliche“ Muster (auf die ich aufgrund ihrer Komplexität an dieser Stelle nicht näher eingehe), von denen man inzwischen weiß, dass sie genauso falsch sind wie der Fehlschluß mit der 32, bei denen aber selbst der schnellste Computer der Welt nach Jahrhunderten kein Gegenbeispiel finden würde. Das ist gleichzeitig das Faszinosum und die Crux der Mathematik. Die „selbstgeschaffenen abstrakten Strukturen“ sind Menschenwerk. Aber nachdem wir sie erdacht haben, entwickeln sie ein Eigenleben und gehorchen Regeln, die uns eventuell (noch) nicht bekannt sind. Wir haben zwar die Freiheit, diese Strukturen zu imaginieren und uns Fragen über sie zu stellen, aber die Antworten können wir uns nicht aussuchen. Wieso das so ist, haben sich schon viele Mathematikerinnen und Philosophen gefragt, aber niemand hat bisher eine zufriedenstellende Erklärung finden können. Als Mathematiker hat man gelegentlich das Gefühl, Zahlen, geometrische Figuren und andere mathematische Objekte würden unabhängig von den Menschen existieren und von der Mathematik so untersucht werden wie die reale Welt von den Naturwissenschaften. 18

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Diese Sichtweise wird gemeinhin als Platonismus bezeichnet. Denkt man solche Gedanken jedoch zu Ende, so kommt man sehr schnell in Erklärungsnöte, wenn man nicht ins Esoterische abdriften will: Wenn es neben der realen physikalischen Welt und der mentalen Welt unserer Gedanken noch eine dritte „ideale“ Welt der mathematischen Objekte gibt, wo befindet die sich dann und wie und wieso können wir mit ihr in Kontakt treten? Solche Fragen werde ich sicher nicht in diesem Buch beantworten können. Aber gegebenenfalls wird beim Nachdenken darüber klarer, was bei der Geburt der Mathematik als Wissenschaft im antiken Griechenland passiert ist und welche Rolle Beweise dabei spielten. Vielleicht haben Sie sich ja im letzten Kapitel gefragt, wieso man den Satz des Pythagoras beweisen musste, wenn doch schon die Ägypter und Babylonier Jahrhunderte vorher wussten, dass er wahr ist. Wir wissen nicht, was die Griechen damals gedacht haben, aber ich stelle mir das in etwa folgendermaßen vor: Ja, die Erfahrung lehrt uns, dass die Summe der beiden Quadratflächen über den Katheten immer der Fläche des Quadrates über der Hypotenuse entspricht, wenn wir es mit einem rechtwinkligen Dreieck zu tun haben. Aber das stimmt immer nur ungefähr, weil es in der Realität unmöglich ist, Längen oder Flächen exakt zu messen. Ganz abgesehen davon, dass es in der wirklichen Welt auch keine Dreiecke mit perfekt geraden Seiten und einem makellosen rechten Winkel gibt. Wenn dieser Satz also stimmt, dann nur, wenn er als Aussage über idealisierte Objekte interpretiert wird. Aber in der „idealen“ Welt kann ich mir unendlich viele verschiedene rechtwinklige Dreiecke vorstellen. Und kein einziges von denen kann ich ausmessen. Wie soll ich da irgendeine Aussage über rechtwinklige Dreiecke auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können? Die Antwort ist der Nachwelt insbesondere in der Form eines Buches überliefert worden, das mehr als zwei Jahrtausende lang als Blaupause dafür galt, wie Mathematik zu sein hat. Ich meine die Elemente von Euklid von Alexandria, die zumindest bis zum Ende WA S B E W E I S E N B E W E I S E ?

19

des 19. Jahrhunderts das nach der Bibel meistverbreitete Werk der Weltliteratur waren. Euklid verwendete – das klang vorhin in der Wikipedia-Definition schon an – die Mittel der Logik, um zu begründen, warum Aussagen wie beispielsweise der Satz des Pythagoras wahr sind. Er führte nicht etwa (unendlich viele) „Experimente“ durch, in denen Flächen von Quadraten verglichen wurden. Er überzeugte stattdessen seine Leser mit Argumenten und verließ sich dabei darauf, dass gewisse Regeln des logischen Schließens bei jedem Leser vorausgesetzt werden können – zum Beispiel der folgende Klassiker: Wenn alle Menschen sterblich sind und Sokrates ein Mensch ist, dann ist Sokrates sterblich. Mit Logik alleine ist es aber nicht getan. Irgendwann muss ja auch die Geometrie ins Spiel kommen. Vielleicht ist Ihnen schon beim „Beweis ohne Worte“ für den Satz des Pythagoras aufgefallen, dass der nur dann überzeugend ist, wenn man bestimmte Dinge voraussetzt. Beispielsweise werden dort je zwei kongruente (also: deckungsgleiche) rechtwinklige Dreiecke aneinandergesetzt, um Rechtecke zu erhalten. Aber wieso ergeben sich da vier rechte Winkel? Weil in jedem Dreieck die Summe aller Innenwinkel 180 Grad beträgt. Doch woher wissen wir das? Das muss eigentlich auch erst bewiesen werden. Und wenn wir das beweisen, brauchen wir wahrscheinlich auch wieder irgendeine Voraussetzung, die wir nicht einfach so schlucken wollen, sondern ebenfalls erst beweisen müssen. Das ist wie mit einem kleinen Kind, das mit einer „Warum“-Frage anfängt und dem zu jeder Antwort eine weitere „Warum“-Frage einfällt. Man hat das Gefühl, das könne ewig so weitergehen. Das hatte sich Euklid wohl auch gedacht. Irgendwann muss mal Schluss sein! Darum fängt sein Buch mit einigen wenigen Axiomen und Postulaten an. Damit meinte Euklid Aussagen, die für jeden Leser so evident sind, dass sie keines Beweises bedürfen. Beispielsweise, dass man zwei verschiedene Punkte immer durch eine gerade Linie verbinden kann. Alles, was sonst noch in den Elementen steht, wird 20

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bewiesen, indem es mit logischen Argumenten aus den Axiomen oder aus bereits bewiesenen Aussagen hergeleitet wird. Über die Jahrtausende galt diese axiomatische Methode als erstrebenswertes Ideal einer exakten Wissenschaft. Und auch heute noch wird sie in den ersten Semestern eines Mathestudiums eingesetzt. Die Studentinnen lernen, wie man – zumindest im Prinzip – die gesamte Mathematik auf der Basis einiger weniger Axiome aufbauen kann. Erwähnen sollte ich aber auch, dass ab dem Ende des 19. Jahrhunderts sowohl Euklids Axiome als auch die axiomatische Methode an sich (also im gewissen Sinne die Mathematik selbst) von der Mathematik kritisch unter die Lupe genommen wurden. Das gipfelte in der sogenannten Grundlagenkrise und den berühmten Unvollständigkeitssätzen von Kurt Gödel. Das ist alles höchst spannend, wäre aber Stoff für ein ganz anderes Buch. Am mathematischen Alltag haben diese Ereignisse auch nicht wirklich etwas geändert. Nach wie vor besteht die Haupttätigkeit der Mathematiker darin, Aussagen zu beweisen. Und immer noch sind Beweise eigentlich Geschichten, mit denen man seine Zuhörer überzeugen will. Wie detailliert und formal diese Geschichten sind und was man voraussetzt, hängt natürlich vom intendierten Publikum ab, aber das Prinzip ist immer gleich. So werden wir es auch in diesem Buch halten. Mein Ehrgeiz ist, alle wesentlichen Aussagen zu beweisen. Sie sollen mir nicht einfach glauben, sondern in die Lage versetzt werden, alle meine Behauptungen zu überprüfen. (Unter anderem auch dafür sollten Sie im ersten Kapitel Papier und Bleistift in Ihren Rucksack packen!) Wir werden nicht bei Adam und Eva anfangen und darum werde ich ein paar Kleinigkeiten dann doch augenzwinkernd voraussetzen. Auch werde ich bei geometrischen Sachverhalten gelegentlich an Ihre Anschauung appellieren. Alle wirklich wichtigen Aussagen werden aber bewiesen werden – wenn auch nicht so formal wie im Mathestudium. Sollte Ihnen trotzdem das Buch an manchen Stellen nicht präzise genug sein, so kann ich nur entgegnen, dass es als popurlärwissenWA S B E W E I S E N B E W E I S E ?

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schaftlicher Appetithappen und nicht als Fachbuch gedacht ist. Eine solche kritische Haltung Ihrerseits deutet aber vielleicht darauf hin, dass Sie ein Studium der Mathematik in Erwägung ziehen sollten. . . Noch etwas muss ich vorausschicken, bevor es mit dem Beweisen losgeht. Schreibt eine Expertin einen Beweis für Kollegen auf, dann wissen die, was sie erwartet. Das Nachvollziehen jedes einzelnen Gedankengangs kann harte Arbeit sein, gehört aber zum Job dazu. Von einem Fachartikel erwartet man neue und interessante Resultate, aber typischerweise keine didaktischen Hilfestellungen. Als Autor eines Mathebuches, das möglichst viele Leser mitnehmen will, ist man jedoch in der Zwickmühle. Wie man’s macht, macht man’s verkehrt. Ist man zu ausführlich, vergrault man die fortgeschrittenen Leserinnen. Ist man zu knapp, hängt man manche schon am Anfang ab. Noch schlimmer: Kein Argument kann man so formulieren, dass es für jeden gleich gut verständlich ist. Manchmal kann ein einziges Wort den Unterschied zwischen schlagartiger Einsicht und böhmischem Dorf ausmachen. Aber dieses Wort ist nicht für jeden Leser das gleiche. In Mathebüchern (auch in diesem) wimmelt es von Ausdrücken wie „offensichtlich“, „offenbar“ und „klar“ und es kann sehr frustrierend sein, wenn man partout nicht auf etwas kommt, was für den Autor scheinbar so simpel war, dass es nicht der Erwähnung bedurfte. Ich bin mir leider fast sicher, dass es Ihnen auf den nächsten Seiten auch ab und zu so gehen wird. Ich könnte Sie damit zu trösten versuchen, dass auch ich dieses Erlebnis immer mal wieder habe, obwohl ich mich seit Jahrzehnten beruflich als Mathematiker betätige. Wichtiger als der Trost ist aber die richtige Strategie, mit so etwas umzugehen: Werfen Sie nicht die Flinte ins Korn (oder das Buch aus dem Fenster), sondern lesen Sie erst mal weiter. Ein völlig unverständlicher Satz kann ganz anders aussehen, wenn man ihn nach der Lektüre der folgenden Seiten oder am nächsten Tag erneut liest. Außerdem muss man mitunter einen Absatz auch mehrfach oder ganz langsam lesen oder ein paar Seiten zurückblättern und etwas 22

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nachschlagen. (Das Buch hat einen umfangreichen Index!) Ich hatte ja schon im ersten Kapitel gewarnt, dass Sie beim Lesen wohl etwas Arbeit investieren müssen. . . Schließlich gibt es ab und an noch einen ganz anderen Grund dafür, dass man etwas beim Lesen nicht versteht: Das, was da steht, ist schlicht und einfach falsch! Es kann sich um einen simplen Tippfehler handeln, der aber fatale Auswirkungen hat und den ganzen Sinn einer Aussage umkehrt. Dem Autor kann aber auch etwas unterlaufen sein, das man im Englischen mit dem hübschen Ausdruck brain fart umschreibt. So etwas ist gerade für Anfänger besonders problematisch, weil die den Fehler bei sich selbst suchen werden. Ich kann aus leidiger Erfahrung in der Vergangenheit berichten, dass Bücher immer Fehler enthalten – egal, wie sorgfältig man beim Schreiben war. Sollten Sie in diesem Buch einen Fehler finden (oder nach längerem Grübeln glauben, einen gefunden zu haben), dann schicken Sie mir gerne eine E-Mail. Ich freue mich auch über den kleinsten Tippfehler, der in zukünftigen Auflagen ausgemerzt werden kann. Sollte es trotz allem ein oder zwei Gedanken in diesem Buch geben, die Ihnen verschlossen bleiben, dann trübt das hoffentlich nicht den Spaß am Rest. In Erinnerung bleiben auch den Profis bei mathematischen Beweisen nur die großen Ideen und nicht die kleinen, nickligen Details. Zum Schluss eine harte Nuss, falls Sie Spaß an so etwas haben. (Ansonsten überspringen Sie diese Frage bitte einfach. Für den Rest des Buches werden wir sie nicht brauchen.) Das naheliegende, aber falsche Muster vom Anfang des Kapitels war, dass man bei n Punkten 2n−1 Gebiete erhält. Das hat sich bereits für n = 6 als nicht richtig herausgestellt. Es gibt allerdings eine Formel, die für jede Anzahl von Punkten funktioniert. Wie sieht diese Formel aus?

WA S B E W E I S E N B E W E I S E ?

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DIE KREATIVEN

Ich hoffe, Sie haben sich an dem Problem mit den Dominosteinen am Ende des ersten Kapitels versucht. Haben Sie einen Beweis dafür gefunden, warum man das Feld nicht nach den Regeln bedecken kann? Ich habe diese Frage schon vielen Nichtmathematikern gestellt. Die meisten sind nach einer gewissen Zeit des Rumprobierens und Nachdenkens überzeugt, dass es nicht geht. Die wenigsten können jedoch eine Begründung dafür finden, die einer genauen Begutachtung wirklich standhält. Häufig enthält so eine Begründung den Keim einer Idee, aber selten gelingt es den Befragten, sie so zu Ende zu denken und auszuformulieren, dass sie damit auch andere Menschen – insbesondere Mathematiker – überzeugen können. Ausgebildete Mathematikerinnen sind ziemlich gut darin, Lücken in vorgeblichen Beweisen zu finden. Sie trainieren während ihres gesamten Studiums, skeptisch gegenüber den eigenen Gedankengängen und den Argumenten anderer zu sein. Wurden auch alle möglichen Fälle durchdacht? Geht in die Begründung nicht implizit eine Voraussetzung ein, die man gar nicht machen darf? Und so weiter. Leider bietet dieses Buch mir nicht die Möglichkeit, mich mit Ihrer Lösung zu beschäftigen. Aber vielleicht gehen Sie mit sich selbst noch mal kritisch ins Gericht. Haben Sie nur so ein Gefühl, dass es nicht funktionieren wird, oder sind Sie sich absolut sicher? Könnten Sie jederzeit einen zweifelnden Freund oder eine Verwandte dazu bringen, auch so sicher zu sein? Hier ein Beweis, der Sie definitiv überzeugen wird: Färben Sie die Quadrate abwechselnd schwarz und weiß wie bei einem Schachbrett. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_4

Man sieht sofort, dass es mehr schwarze als weiße Felder gibt, weil an den Ecken zwei weiße Felder entfernt wurden. Wenn man jedoch nach den Regeln Dominosteine platziert, dann muss zwangsläufig jeder Stein immer ein schwarzes und ein weißes Quadrat abdecken. Wie man es auch macht, es müssen unbedeckte schwarze Quadrate übrig bleiben. Also ist es unmöglich, alle Quadrate abzudecken!

Warum reite ich so auf dieser Frage herum? Weil sie mehrere Dinge, die mir wichtig sind, exemplarisch zeigt. Zunächst mal sieht man, dass man zur Lösung dieses Problems eine originelle Idee haben muss. Es gibt kein fertiges Verfahren, das man einfach nur lernen und anwenden muss. Leider wird durch den Unterricht an Schulen (und auch an Hochschulen) häufig der Eindruck erweckt, man müsse nur bestimmte „Rezepte“ büffeln und diese fehlerfrei nachäffen, um auf die eine richtige Lösung zu kommen (für die es dann Punkte gibt). Wenn das Mathematik wäre, dann gäbe es den Beruf des Mathematikers schon lange nicht mehr, weil Computer viel besser als wir Menschen Rezepte abarbeiten können. Insbesondere vergessen Sie auch nichts und machen keine Fehler. Die Jobs der Mathematikerinnen sind (noch) sicher, weil richtige Mathematik ein hohes Maß an Kreativität erfordert, die Computer nicht aufbringen können. Auch deshalb ärgere ich mich immer mal wieder darüber, dass gewisse Berufsgruppen die Kreativität ausschließlich für sich beanspruchen. Im deutschen Sprachraum versteht jeder, was mit Wörtern wie „Kreativbranche“ oder „kreative Berufe“ gemeint ist. Wenn jemand einen Job in einer Werbeagentur hat und an dem immer gleichen Supermarktprospekt arbeitet, der jede Woche unverlangt in 26

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den Briefkästen landet, dann ist er automatisch „ein Kreativer“ und hat eventuell sogar eine Visitenkarte, auf der Creative Director steht. Aber ist das wirklich so wahnsinnig kreativ und verdienen andere Branchen dieses Etikett deswegen nicht? Ich glaube, dass dieser Alleinvertretungsanspruch nur dadurch zustande kommen kann, dass den meisten Menschen nicht klar ist, wie viel Kreativität auch in anderen Berufen vonnöten ist. Ohne seine Kreativität und Originalität hätte beispielsweise Einstein nie die allgemeine Relativitätstheorie entwickeln können. Oder Darwin die Evolutionstheorie. Man muss als Beleg aber gar nicht die großen wissenschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte anführen. Wenn man nur mit offenen Augen durch die Welt geht, erkennt man auch die Kreativität der Ingenieure in vielen technischen Vorrichtungen, ohne die unsere moderne Welt nicht mehr vorstellbar wäre. Und so ist es ebenfalls mit der Mathematik. Als Schüler bewegt man sich durch diesen Dschungel leider meistens nur an der Hand eines Reiseführers auf schon lange ausgetretenen Pfaden. Aber das Erkunden neuer Gebiete, in die sich bisher niemand vorgewagt hat, erfordert nicht nur Mut und Ausdauer, sondern eben auch Kreativität, wenn man nicht nur im Kreis herumlaufen will. Die Dominosteine eignen sich auch noch zur Illustration eines weiteren Punktes. Egal, ob man selbst auf die Lösung kommt oder ob sie einem nach längerem Grübeln verraten wird, es stellt sich ein Aha-Erlebnis ein. Das wird im Englischen auch eureka moment benannt, womit passenderweise Bezug genommen wird auf eine Legende um den antiken Mathematiker (!) Archimedes von Syrakus. Und der französische Mathematiker und Philosoph Henri Poincaré sprach in diesem Zusammenhang von der „Freude des Verstehens“ als Motivationsquelle der Wissenschaftler. Wie auch immer man es nennen will, dieser Moment des Erkennens ist mit einem sehr positiven Gefühl verbunden. Lassen Sie mich dazu etwas aus meiner eigenen Vergangenheit erzählen. In den ersten Semestern des Mathestudiums mussten meine Kommilitonen und D I E K R E AT I V E N

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ich jede Woche umfangreiche Hausaufgaben bearbeiten. Wir haben natürlich öfter ob des Arbeitsaufwandes gestöhnt. Aber gleichzeitig waren diese Aufgaben auch immer eine Herausforderung und führten zu echten Glücksgefühlen, wenn man sie – teilweise erst nach tagelangem Nachdenken – gelöst hatte. Ich bezeichne den Zustand in Anlehnung an Poincaré sogar manchmal als Eros des Verstehens und behaupte, dass er süchtig machen kann. Drei Jahrzehnte nach meinem eigenen Studium hat sich das Hausaufgabenpensum im Studienfach Mathematik nicht geändert. Anders als damals könnte man heutzutage jedoch für die meisten dieser Aufgaben Lösungen im Internet finden. Ich kenne allerdings mehrere junge Frauen und Männer, die momentan Mathematik studieren, und kann berichten, dass die überhaupt nicht an solchen „Abkürzungen“ interessiert sind. Offenbar sind sie von der gleichen Sucht erfasst wie ich früher und wollen die Freude des Verstehens nicht für billig erworbene Punkte opfern. Wenn in den Medien mal von Mathematik die Rede ist, wird gerne über berühmte Probleme berichtet, an denen unzählige Koryphäen sich schon seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten die Zähne ausgebissen haben. Vielleicht haben Sie auch schon mal von der Riemannschen Vermutung, dem P-NP-Problem oder den Navier-Stokes-Gleichungen gehört. Löst man so ein Problem, dann ist einem weltweiter Ruhm gewiss. Und manchmal gibt es noch hohe Preisgelder obendrauf. Solche Gipfel erklimmen natürlich immer nur ganz wenige Auserwählte. Aber um Poincarés Freude des Verstehens genießen zu können, muss man nicht der erste Mensch sein, der eine Frage beantwortet, und es ist auch gar nicht wichtig, wie schwierig das Problem war, das man gelöst hat, weil das ohnehin subjektiv ist. Das Glücksgefühl, das die kreative Auseinandersetzung mit der Mathematik bescheren kann, steht jedem offen. Haben Sie sich gewundert, als ich erzählte, dass es Hunderte von Beweisen für den Satz des Pythagoras gibt? Für viele mathematische 28

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Sätze gibt es mehr als einen Beweis. Hunderte gibt es nicht so oft, es kommt jedoch ziemlich häufig vor, dass es mehr als zwei sind. Und wenn Sie einen neuen Beweis für einen längst bewiesenen Satz entwickelt haben, dann wird sich auch eine Fachzeitschrift finden, die ihn veröffentlicht. Aber wenn der erste Beweis Sicherheit darüber verschafft, dass eine Aussage wahr ist, wofür braucht man dann noch einen zweiten oder einen dritten Beweis? Kann ein Satz wahrer als wahr sein? Nein, darum geht es nicht. Erstens haben Beweise eine erklärende Funktion. Wenn es nur darum ginge, dass Beweise die Korrektheit von Theoreme belegen, dann könnte man einfach die entsprechenden Aussagen memorieren und sich darauf verlassen, dass in den Lehrbüchern schon nichts Falsches stehen wird. Aber ein Großteil des Mathematikstudiums besteht aus dem Lesen von Beweisen. Die sagen einem nämlich nicht nur, dass etwas wahr ist, sondern auch, warum es wahr ist. Und daher liefern verschiedene Beweise unterschiedliche Gründe für die Richtigkeit eines Satzes. Ein neuer Beweis stellt eventuell ganz andere Zusammenhänge her als der erste und führt auf diesem Wege vielleicht zu neuen Erkenntnissen. Zweitens ist es ein gut gehütetes Geheimnis der Mathematik, dass Ästhetik eine wichtige Rolle spielt. Gerade bei „großen“ Problemen, die lange ungelöst waren, ist der erste Beweis oft zwar richtig, aber gerne auch mal umständlich und verwirrend. Die Mathematikerin, die diesen Beweis vorlegte, wollte womöglich nicht kurz vor der Ziellinie von jemand anders überholt werden oder war vielleicht auch vom langen Ringen um die Lösung zu erschöpft, um sich Gedanken über die Lesbarkeit oder gar die Schönheit ihres Beweises zu machen. Bei bedeutenden Resultaten werden sich aber immer andere finden, die entweder den vorgelegten Beweis so lange schleifen und polieren, bis er in voller Pracht erglänzt, oder die, nachdem der Satz nun einmal bewiesen ist, einen ganz anderen, eventuell viel eleganteren, kürzeren oder überzeugenderen Zugang finden. Wir werden auf dem Weg zu unserer Formel für π noch einem besonders gelungenen Beispiel für so eine ästhetische Evolution beD I E K R E AT I V E N

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gegnen. Ein zentraler Beweis stammt aus dem Jahr 2007, während die Aussage, um die es geht, bereits im 17. Jahrhundert erstmals bewiesen wurde. (Vor 15 Jahren hätte ich das Buch in dieser Form also gar nicht schreiben können.) Für fast alle interessanten mathematischen Fragen gilt jedenfalls: Viele Wege führen nach Rom. Mathematik ist nicht das, was Ihnen in der Schule beigebracht wird. Fällt Ihnen ein mathematisches Problem ein, für das Sie mehr als einen Lösungsansatz kennen?

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MENSCHENWERK

Die meisten Menschen denken wahrscheinlich, dass es in der Mathematik in erster Linie um Zahlen geht und Mathematikerinnen den ganzen Tag rechnen. Dem ist aber nicht so. Etwas flapsig formuliert sind für das Rechnen heutzutage die Computer (die „Rechner“) zuständig und für die Zahlen, die dabei herauskommen, interessieren sich hauptsächlich die Ingenieure. Aber Zahlen sind natürlich auch in der Mathematik eine der wichtigsten Zutaten und im gewissen Sinne wird sich das ganze Buch, das Sie gerade lesen, um Zahlen drehen. Wir hatten im ersten Kapitel schon kurz darüber gesprochen, inwieweit Zahlen durch Abstraktion entstehen und dass sie nicht so real wie beispielsweise ein Apfel sind. In diesem Kapitel und dem folgenden werde ich etwas näher auf die verschiedenen „Sorten“ von Zahlen eingehen, weil das für unsere Reise noch wichtig sein wird. Wie angekündigt werde ich meine Ausführungen ab und zu auch mit historischen Anmerkungen würzen. Sie sollten das aber keinesfalls als akkurate Darstellung der Geschichte der Mathematik missverstehen. Die korrekte Wiedergabe „alter“ Mathematik ist schwierig, weil sich sowohl Notation als auch Interpretation über die Jahrhunderte substantiell geändert haben. Wer heute Mathematik lernt, lernt beispielsweise immer noch Konzepte, die auf Archimedes, Leibniz oder Gauß zurückgehen. Mathematik ist im Gegensatz zu den Naturwissenschaften kumulativ. Was einmal richtig war, wird nicht durch neue Erkenntnisse obsolet. Der Satz des Pythagoras wird nicht irgendwann widerlegt oder durch © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_5

ein „besseres“ Resultat ersetzt werden. Allerdings präsentieren die modernen Lehrbücher uns die alten Ergebnisse in einer mit der Zeit immer weiter optimierten Form, in der die Urheber ihre eigenen Ideen nicht mehr wiedererkennen würden. Jedes Kind, erwirbt heutzutage in der Schule eine Vorstellung davon, was mit einer Zahl wie 1,2 gemeint ist. Diese praktische und ökonomische Schreibweise für Zahlen ist aber erst wenige Hundert Jahre alt, also viel jünger als die Mathematik selbst. Archimedes hätte damit nichts anfangen können, ebenso wenig wie mit der alternativen Schreibweise als Bruch: 6/5. Es geht bei diesen historischen Unterschieden aber nicht nur um Schreibweisen und Symbole. Viel gravierender ist, dass die antiken Mathematiker die Notwendigkeit einer solchen Notation gar nicht verstanden hätten, da Sie das, was wir heute als Bruch bezeichnen, nicht als Zahl angesehen haben. Für sie war es bestenfalls ein Verhältnis (ratio) von Streckenlängen.

Kurzum, wenn ich im Folgenden davon erzähle, wie sich mathematische Konzepte entwickelt haben, dann verwende ich die uns vertrauten Notationen und Begriffe, auch wenn ich damit nicht angemessen wiedergeben kann, was in den Köpfen der Urheber dieser Konzepte vorging. Nun aber zu den Zahlen. Wenn erst einmal der große Schritt vollzogen wurde, zu zählen und durch Abstraktion Zahlen zu schaffen, dann kommt in allen Kulturen – natürlich mit regional unterschiedlichen Bezeichnungen – immer dasselbe heraus: eins, zwei, drei, vier, und so weiter. Man spricht passenderweise von den natürlichen Zahlen. Dem Mathematiker Leopold Kronecker wird das Zitat zugeschrieben, diese Zahlen habe „der liebe Gott gemacht“, während alles andere Menschenwerk sei. (Die im ersten Kapitel erwähnten Erkenntnisse 32

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der Anthropologen deuten allerdings eher darauf hin, dass auch die natürlichen Zahlen Menschenwerk sind.) Wie auch immer, die natürlichen Zahlen haben eine bestimmte Ordnungsstruktur – sie sitzen quasi wie Hühner auf einer Stange. Und sie haben eine ganz wesentliche Eigenschaft, die schon kleine Kinder verstehen, wenn sie „Wer kennt die größte Zahl?“ spielen: Es gibt keine größte natürliche Zahl; es geht immer weiter, weil jede natürliche Zahl einen Nachfolger hat. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Wenn man das Konzept der natürlichen Zahlen verinnerlicht hat, dann folgt als Nächstes das Rechnen mit ihnen. Addition und Multiplikation haben sehr naheliegende Interpretationen im realen Leben. Sie beantworten Fragen wie „Wie viele Schafe habe ich, wenn zu drei Schafen noch vier hinzukommen?“ oder „Wie viele Äpfel brauche ich, wenn jedes meiner drei Kinder vier bekommen soll?“

(Auch Subtraktion und Division kann man sich gut vorstellen. Sie spielen aber gegenüber den anderen beiden Operationen in der modernen Mathematik eine untergeordnete Rolle, über die wir im Zusammenhang mit der Algebra noch sprechen werden. Aus didaktischer Sicht ist es daher unglücklich, dass man im Deutschen von den vier Grundrechenarten spricht, weil die vier nicht gleichberechtigt sind.) Historisch kommen nach den natürlichen Zahlen die rationalen Zahlen, die so heißen, weil sie – wie oben bereits erwähnt – Verhältnisse (beispielsweise von Strecken oder Flächen) repräsentieren. Zwar gab es rationale „Zahlen“ bereits im alten Ägypten, aber in der danach in Griechenland einsetzenden Entwicklung der Mathematik als Wissenschaft haben sie nicht die Rolle gespielt, die sie heute haben. Insbesondere wurden natürliche und rationale Zahlen nicht „vermischt“. MENSCHENWERK

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Ich verwende jedenfalls die moderne Sichtweise und gehe davon aus, dass Ihnen die rationalen Zahlen im Prinzip vertraut sind. Ich wiederhole jedoch ein paar Dinge, um gegebenenfalls Ihr Gedächtnis aufzufrischen: – Rationale Zahlen werden üblicherweise durch Brüche dargestellt, also als Paare aus natürlichen Zahlen (Zähler und Nenner), die durch einen Bruchstrich getrennt werden. Das kann typographisch unterschiedliche Formen annehmen:

2/3

2/3

2 3

– Der Bruchstrich symbolisiert gleichzeitig die Division. 2/3 ist beispielsweise das, was man erhält, wenn man zwei durch drei teilt. Es macht rein technisch auch keinen Unterschied, ob man 2 : 3 oder 2/3 schreibt. – Jede rationale Zahl kann auf unendlich viele verschiedene Arten als Bruch dargestellt werden. Statt 2/3 kann man zum Beispiel auch 4/6 oder 20/30 schreiben. Den Übergang zwischen den verschiedenen Darstellungsweisen bezeichnet man als Erweitern bzw. Kürzen: Zähler und Nenner werden dafür mit derselben Zahl multipliziert bzw. durch dieselbe Zahl geteilt. – Für jeden Bruch gibt es allerdings eine eindeutige gekürzte Darstellung, in der Zähler und Nenner teilerfremd sind, also keinen gemeinsamen Teiler haben. Im Beispiel wäre das 2/3. – Für die Mathematik des 21. Jahrhunderts sind natürliche Zahlen einfach spezielle rationale Zahlen. Die natürliche Zahl 5 und der Bruch 5/1 werden als identisch angesehen. Eine einheitliche Sicht der Zahlen, wie ich sie in diesem Kapitel zusammenfasse, hat sich erst im 19. Jahrhundert entwickelt. Sie ist 34

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also der Endpunkt einer langen Entwicklung. Heute lernt das aber jedes Kind in der Schule. Wissen Sie noch, wie man mit Brüchen rechnet? Das werden wir noch brauchen!

Nicht nur beim Rechnen, sondern auch bezüglich ihrer Anordnung sind natürliche Zahlen und Brüche „verträglich“. Teilt man beispielsweise sechs Pizzen gerecht unter fünf Mathematikerinnen auf, so erhält jede etwas mehr als eine ganze Pizza, aber deutlich weniger als zwei Pizzen. Es ergibt also Sinn, zu sagen, dass die Zahl 6/5 größer als eins, aber kleiner als zwei ist. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Es lässt sich nun leicht zu je zwei vorgegebenen rationalen Zahlen eine dritte finden, die zwischen diesen beiden liegt, die also größer als die kleinere, aber kleiner als die größere ist. Können Sie eine Formel dafür angeben? Das hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens bedeutet es, dass aus den übersichtlich separierten Punkten der obigen Darstellung ein dichtgedrängter Zahlenstrahl wird (auf dem sich nun auch links von der Eins Zahlen befinden). 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Und zweitens zeigt es, dass dieser Zahlenstrahl eine Abstraktion ist, die nicht mit der physikalischen Realität übereinstimmt. Wie dicht wir auch an ihn „ranzoomen“, er sieht immer gleich aus. Wir werden immer unendlich viele rationale Zahlen finden, zwischen denen jeweils wieder unendlich viele andere liegen. Es gibt keine „Vergrößerungsstufe“, unterhalb derer es nicht mehr weitergeht, weil wir auf Moleküle, Atome oder Quarks treffen. MENSCHENWERK

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Umso erstaunlicher ist es, dass das noch nicht alles ist! Schon den Griechen der Antike war bekannt, dass es „Zahlen“ geben muss, die nicht rational sind, die aber von der geometrischen Anschauung her auch auf dem Zahlenstrahl zu finden sein müssen. Der Beweis dieser überraschenden Tatsache ist ein Klassiker, den Sie vielleicht schon mal gesehen haben. Weil er aber so schön ist, zeige ich ihn trotzdem. Wir werden dabei wie die griechischen Mathematiker geometrisch anfangen, die Argumentation aber in der heutigen Sprache formulieren. Stellen Sie sich ein Quadrat vor, dessen Seiten die Länge eins haben. Zwei Seiten dieses Quadrates, die eine Ecke gemeinsam haben, bilden zusammen mit der entsprechenden Diagonale ein rechtwinkliges Dreieck.

Nach dem Satz des Pythagoras hat das Quadrat über der Diagonalen dieselbe Fläche wie die Summe der Quadrate über den Seiten des ursprünglichen Quadrates. Wir wenden nun zweimal an, dass ein Quadrat mit der Seitenlänge a die Fläche a · a hat. Die Quadrate über den Seiten haben jeweils die Fläche 1 · 1 = 1, zusammen also die Fläche 1 + 1 = 2. Wenn wir die Länge der Diagonale d nennen, so muss folglich d · d = 2 gelten. Mit anderen Worten: Die Länge der Diagonale muss eine „Zahl“ sein, deren Produkt mit sich selbst das Resultat zwei liefert. √ In der heutigen Sprechweise sagen wir, dass d die Zahl 2 ist, also die Quadratwurzel von zwei. Damit setzen wir aber implizit schon √ viel voraus – zuallererst, dass es so ein Objekt wie 2 überhaupt gibt und man mit ihm rechnen kann! Nicht ohne Grund habe ich im letzten Absatz Anführungszeichen verwendet; weil sich nämlich unsere mathematischen Vorfahren gehütet hätten, die Länge der Diagonale als eine Zahl zu betrachten. Euklid hätte nicht mal von der Länge der Diagonale, sondern nur vom Verhältnis dieser Länge zur Länge der Quadratseiten gesprochen. 36

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An der Grundidee ändert diese ganz andere Perspektive glücklicherweise nichts. Wir werden nun begründen, warum d keine rationale Zahl sein kann. Das machen wir mit einer Technik, die Reductio ad absurdum oder Beweis durch Widerspruch genannt wird. Im mathematischen Kontext finden das manche Menschen verwirrend, aber eigentlich benutzen wir alle regelmäßig diese Methode. Wenn Sie beispielsweise sagen „Wenn Willi rechtzeitig zum Essen da sein will, muss er fliegen können wie Superman“, dann ist das eine Reductio ad absurdum. Sie wollen damit eigentlich nur zum Ausdruck bringen, dass Willi zu spät zum Essen kommen wird. Formal gesehen wollen Sie das „beweisen“. Und das machen Sie, indem Sie zeigen, dass aus der gegenteiligen Annahme (er kommt rechtzeitig) etwas Unmögliches (er kann fliegen wie Superman) folgen würde. Weil Letzteres nicht sein kann, muss auch die Annahme falsch sein. Also stimmt Ihre Behauptung. In unserem Fall nehmen wir an, d sei eine rationale Zahl. Dann kann man d als gekürzten Bruch m/n schreiben. Wir erinnern uns an die Rechenregeln für Brüche und daran, dass das Quadrat von d zwei sein soll:  2 m m2 2 = d2 = = 2 n n Wenn wir beide Seiten dieser Gleichung mit n 2 multiplizieren, erhalten wir 2n 2 = m 2 . Wegen des Faktors zwei ist 2n 2 eine gerade Zahl. Da m 2 dieselbe Zahl ist, ist m 2 ebenfalls gerade. Dann muss m auch gerade sein, denn ein Produkt einer ungeraden Zahl mit sich selbst wäre wieder ungerade. Jede gerade Zahl kann man aber als „zwei mal irgendwas“ schreiben. Wir haben also m = 2k , wobei k die Zahl ist, die man erhält, wenn man m durch zwei teilt. Setzt man in die vorherige Gleichung ein, so ergibt sich 2n 2 = m 2 = (2k) 2 = 4k 2 . Und teilt man auf beiden Seiten durch zwei, so wird daraus n 2 = 2k 2 . Mit exakt der gleichen Argumentation kann man nun begründen, dass n gerade sein muss. Wenn aber m und n beide gerade sind, dann ist m/n kein gekürzter Bruch! Und damit haben wir einen MENSCHENWERK

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Widerspruch gefolgert. Das impliziert, dass unsere Annahme, d sei rational, falsch gewesen sein muss. √ Begründen Sie, warum 3 auch nicht rational sein kann.

Hat man sich erst einmal mit dem Gedanken angefreundet, dass Punkten auf dem Zahlenstrahl Zahlen entsprechen, dann drängt sich die folgende Konstruktion auf:

1

2

3

Wir haben das Quadrat von vorhin auf den Anfang des Zahlenstrahls gesetzt und die Länge der Diagonale mit einem Zirkel abgetragen. Dadurch erhalten wir einen Punkt auf dem Zahlenstrahl, der nach unserer Überlegung keine rationale Zahl ist. Gemäß der modernen mathematischen Sichtweise ist das aber auch eine Zahl, für √ die wir das Symbol 2 verwenden. Solche Zahlen, die nicht rational sind, nennt man irrational. Und wenn Sie die letzte Frage beantwortet haben, dann haben Sie sicher realisiert, dass es unendlich viele √ √ √ irrationale Zahlen geben muss. Die Wurzeln 3, 5 oder 10 sind beispielsweise auch irrational und das gilt ebenso für die Wurzeln von Brüchen wie 2/3. Schon der Zahlenstrahl, den man beliebig oft vergrößern konnte, ohne dass sich etwas ändert, hat unsere Vorstellungskraft auf eine harte Probe gestellt. Die rationalen Zahlen müssen unfassbar dicht liegen. Die irrationalen Zahlen bringen dieses Bild aber gehörig ins Wanken, denn sie demonstrieren, dass es zwischen den rationalen Zahlen nicht nur unendlich viele weitere rationale Zahlen gibt, sondern auch unendlich viele „Lücken“ – die von den irrationalen Zahlen geschlossen werden. Tatsächlich ist die Situation sogar noch seltsamer. Der deutsche Mathematiker Georg Cantor hat Ende des 19. Jahrhunderts mit 38

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revolutionären neuen Methoden gezeigt, dass in einem präzisen mathematischen Sinne fast alle Punkte auf dem Zahlenstrahl irrationalen Zahlen entsprechen. Mit anderen Worten: Es gibt zwar unendlich viele rationale Zahlen, aber im Vergleich zu den irrationalen sind es so wenige, dass sie keine Rolle spielen! Dies ist eines der vielen spannenden Themen, die ich in diesem Buch leider nicht vertiefen kann. Es zeigt aber erneut das bereits angesprochene Eigenleben der menschengemachten mathematischen Strukturen. Sie neigen zu Verhaltensweisen, die sich ihre Schöpfer nicht mehr vorstellen können. Dazu passt das folgende schöne Zitat des genialen ungarischen Mathematikers John von Neumann, der als einer der Väter der Informatik gilt: „In mathematics you don’t understand things, you just get used to them.“

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass nicht alle Mathematiker die hier beschriebene Sichtweise teilen. Bei Asterix gibt es das kleine gallische Dorf, das den Römern Widerstand leistet; in der Mathematik gibt es eine kleine, aber durchaus lautstarke Gruppe, die sich der Moderne widersetzt. Einer ihrer ersten Proponenten war der bereits erwähnte Kronecker, der seinen Zeitgenossen Cantor erbittert bekämpfte und die Existenz irrationaler Zahlen nicht anerkennen wollte. In dieser Diskussion steckt natürlich eine gewisse Portion Ironie. Was heißt es denn, dass ein mathematisches Objekt existiert? Hatten wir nicht schon im ersten Kapitel darüber gesprochen, dass nicht einmal die laut Kronecker vom lieben Gott gemachten natürlichen Zahlen real sind, sondern nur Abstraktionen? Inwieweit können diese Kopfgeburten „wirklicher“ sein als ihre irrationalen Geschwister? Das ist eine interessante, aber auch sehr philosophische Diskussion. Sie hat vor einem Jahrhundert hohe Wellen geschlagen, spielt aber inzwischen keine große Rolle mehr. Die große Mehrheit der Mathematiker nimmt die irrationalen Zahlen aus ganz pragmatischen Gründen als gegeben hin: Ohne sie wären viele Dinge in der heutigen MENSCHENWERK

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Mathematik – und auch in den Anwendungen wie beispielsweise der Physik – nämlich nicht möglich. Das muss Sie aber nicht daran hindern, über solche Dinge nachzudenken. Zum Abschluss des Kapitels präsentiere ich Ihnen daher als Denkanstoß noch eine Kritik an der modernen Sicht der Zahlen, die in ähnlicher Form schon von antiken griechischen Philosophen geäußert wurde: Ein idealisierter mathematischer Punkt ergibt nur dann Sinn, wenn er keine Ausdehnung, also weder Länge noch Breite hat. (Bei Euklid heißt es: „Ein Punkt ist, was keine Teile hat.“) Wie kann dann aber durch Aneinanderreihung von Punkten („Zahlen“) ein Gebilde wie der Zahlenstrahl entstehen, das man doch in Stücke zerlegen kann, die eine Länge haben? Wie entsteht hier etwas aus nichts?

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NICHTS

Man kann sich darüber streiten, was die wichtigste, einschneidendste Erfindung der Menschheitsgeschichte war. Die Schrift? Das Rad? Der Ackerbau? Ihnen fallen sicher noch viele andere Kandidaten ein. Ein Kandidat, der es meistens nicht in die Top Ten schafft, der aber in seiner Wichtigkeit für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik kaum zu überschätzen ist, ist das Nichts. Oder besser: die Null. Aber wieso sollte die Null so bedeutend sein? Die Griechen der Antike waren große Mathematiker, aber sie hatten ein mittelmäßiges Zahlensystem. Die Zahl, die wir heute als 342 schreiben, schrieb man damals als τμβ . Jedem Buchstaben des griechischen Alphabets war eine Zahl zugeordnet: den ersten neun Buchstaben die Zahlen 1 bis 9, den nächsten neun die Zahlen 10, 20, 30 bis 90 und den folgenden neun dann 100, 200 bis 900. (Da es dafür nicht genügend griechische Buchstaben gab, „borgte“ man sich noch ein paar phönizische aus.) Im obigen Beispiel steht β , der zweite Buchstabe des Alphabets, für 2, μ für 40 und τ für 300. Es handelte sich also um ein additives System: jedes Zeichen stand für eine bestimmte Zahl und diese Zahlen wurden addiert. Auch die Zahlensysteme älterer Hochkulturen basierten auf diesem Prinzip. Das römische Zahlensystem wird gerne noch im Abspann von Filmen verwendet. Die meisten Leser dieses Buches werden sich vage erinnern, dass das in der Schule mal vorkam. In diesem System wird nicht nur addiert, sondern – je nach Stellung der Symbole – auch subtrahiert. Für 342 schreibt man CCCXLII. Dabei steht C für 100, L für 50, X für 10 und I für 1. Eigentlich werden diese Werte alle © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_6

addiert. Weil aber das X vor dem höherwertigen L steht, wird es subtrahiert. Dass es für uns mühsam ist, solche Zahlen zu lesen, ist kein Wunder, weil wir keine Übung darin haben. Das ist aber nicht das Problematische an diesen Systemen. Ihr Pferdefuß ist vielmehr, dass man mit ihnen nicht effizient rechnen kann. Das Dezimalsystem, das heute weltweit benutzt wird, ist dafür ungleich besser geeignet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass kaum ein Leser dieses Buches das zu würdigen weiß. Erstens wird fast alle Rechenarbeit inzwischen von Computern übernommen. Und zweitens haben Sie wohl kaum jemals versucht, Zahlen im römischen oder griechischen System schriftlich zu addieren oder gar zu multiplizieren. Man muss es gemacht haben, um zu merken, wie umständlich es im Vergleich zur Arbeit mit dem Dezimalsystem ist. Bis zum Ausgang des Mittelalters war das einigen wenigen Rechenmeistern vorbehalten – gut bezahlten Experten, auf deren Dienste man bei Bedarf zurückgriff. Das Dezimalsystem, das aus Indien über den arabischen Raum nach Europa „importiert“ wurde und sich hier nur sehr zögerlich etablieren konnte, hat das radikal geändert. Es hat das Rechnen aus dem Stand einer Geheimwissenschaft befreit und demokratisiert. Zudem, und für unsere Geschichte ganz wesentlich, hat es die Mathematik auf ein ganz anderes Level gehoben. Es ist im Nachhinein schwer zu verstehen, warum kein Mathematiker der griechischen Antike die Idee für ein sogenanntes Stellenwertsystem hatte. Man kann sagen, dass die Lösung die ganze Zeit für alle sichtbar war, denn schon seit den Zeiten der Sumerer verwendete man als Rechenhilfsmittel Abaki. Ein Abakus ist eine mechanische Vorrichtung, bei der Steine, Holz- oder Glasperlen durch ihre Lage Zahlen darstellen. Eine weitverbreitete Variante, der chinesische Suanpan, sieht beispielsweise so aus:

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Hier wurden auf dem Stab ganz rechts zwei Steine nach oben geschoben, links daneben vier und daneben drei. Von links nach rechts gelesen ergibt das drei-vier-zwei. Und genau so ist es auch gemeint. Das ist die Darstellung der Zahl, für die wir heute 342 schreiben. Das ist ein Stellenwertsystem! Es unterscheidet sich signifikant von den Systemen, über die wir am Anfang des Kapitels gesprochen haben, weil man hier zum Beispiel für drei, dreißig und dreihundert keine unterschiedlichen Symbole braucht. In allen Fällen handelt es sich um drei nach oben geschobene Steine; es kommt lediglich auf die Position der Steine an. Eigentlich braucht man nun nur noch neun Zeichen – sowas wie 3 für drei Steine oder 7 für sieben Steine – und kann die Zahlen direkt vom Abakus „abschreiben“. Das psychologische Hemmnis, das erst in Indien fast tausend Jahre nach Archimedes überwunden wurde, war das zehnte Zeichen. Wie schreibt man eine Zahl wie diese auf?

Hier wurde auf dem zweiten Stab von rechts gar kein Stein verschoben. Man kann die Position aber nicht einfach ignorieren und 32 schreiben, weil damit ja eine andere Zahl gemeint ist. Die neue Idee bestand darin, auch für nichts ein Symbol einzuführen, nämlich unsere heutige Null. Dann ergibt sich 302. Für uns heute scheint das selbstverständlich, aber damals war es revolutionär und traf auf viel Skepsis. Welchen Sinn sollte es haben, ein Zeichen für nichts zu haben? Und wieso sollte das Hinzufügen dieses Zeichens zu einer Zahl deren Wert vervielfachen? Es ist auch nicht mehr rekonstruierbar, ob die „Erfinder“ der Null sie am Anfang nur als eine Art Platzhalter angesehen haben. Aber nach und nach hat sie sich im allgemeinen Bewusstsein zu einer Zahl entwickelt hat. Ähnliche Widerstände wie die Null mussten auch die negativen Zahlen überwinden. Während wir „modernen Menschen“ im ZuNICHTS

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sammenhang mit Temperaturen oder Kontoständen ohne Berührungsängste mit Werten unter null hantieren, wurde ihnen in der Mathematik bis zur Renaissance jegliche Lebensberechtigung abgesprochen. Auch danach ging man zunächst sehr vorsichtig mit solchen Ungetümen um, die „weniger als nichts“ sind. Wie anders die Mathematik war, bevor die Null und die negativen Zahlen allgemein anerkannt waren, will ich kurz an einem Beispiel demonstrieren. Wenn heute an Schulen gelehrt wird, wie man quadratische Gleichungen löst, dann wird als Muster die Gleichung a x 2 + b x + c = 0 betrachtet. Jede quadratische Gleichung lässt sich auf diese Form bringen, so dass man lediglich eine Lösungsformel für diese eine Gleichung braucht. Das stimmt aber nur deshalb, weil man ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass a , b und c irgendwelche Zahlen sein können, insbesondere natürlich auch negative Zahlen oder null. Das war aber nicht immer so einfach. Der einflussreiche persische Mathematiker al-Chwarizmi, der im neunten Jahrhundert in Bagdad lebte und arbeitete, hat das indische Dezimalsystem im arabischen Raum bekannt gemacht und indirekt zwei wichtige mathematische Begriffe geprägt: Das Wort Algorithmus ist eine Verballhornung seines Namens und das Wort Algebra entstammt dem arabischen Titel eines seiner Bücher. Und in ebendiesem Buch präsentierte er die erste systematische Abhandlung quadratischer Gleichungen. Allerdings behandelt al-Chwarizmi nicht etwa nur einen Gleichungstyp, sondern sechs: ax 2 + b x = c ax 2 + c = b x ax 2 = b x + c

ax2 = b x ax2 = c bx = c

Alle diese Gleichungen lassen sich auf das allgemeine Muster von oben zurückführen, wenn man beliebige Zahlen als Parameter zulässt. Aber im neunten Jahrhundert konnten a , b und c nur positive Zahlen sein, weil es keine anderen gab. Darum musste al-Chwarizmi sechs Gleichungstypen behandeln und für jeden ein anderes Lösungsverfah44

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ren angeben. Ein schönes Beispiel dafür, wie in der Mathematik die Dinge häufig dadurch einfacher werden, dass man sie verallgemeinert (und dadurch scheinbar zunächst schwieriger macht). Das Bild aus dem letzten Kapitel wird vervollständigt, wenn wir an den Anfang des Zahlenstrahls die Null setzen und ihn dann an dieser spiegeln, um zur Zahlengerade überzugehen, die sich sowohl nach rechts als auch nach links ins Unendliche erstreckt. Zu jeder Zahl außer der Null gibt es ein Gegenstück auf der anderen Seite. −4 −3 −2 −1

0

1

2

3

4

Erst jetzt ist es eigentlich korrekt, von den rationalen Zahlen zu sprechen. Im vorigen Kapitel kamen nur die positiven rationalen Zahlen vor. Und nimmt man noch die irrationalen Zahlen (inklusive ihrer negativen Spiegelbilder) hinzu, so spricht man von den reellen Zahlen. Betrachtet man nur die natürlichen Zahlen, deren Gegenstücke sowie die Null, so nennt man die zusammen die ganzen Zahlen. Können Sie die Regel „minus mal minus ist plus“ begründen? Eine amüsante, aber nicht wirklich wichtige Frage ist, ob man die Null als natürliche Zahl bezeichnen sollte. Historisch gesehen wäre das sicher falsch, denn die Geschichte hat ja sehr deutlich demonstriert, dass die Null offenbar nicht „natürlich“ ist. In bestimmten Zusammenhängen, etwa in der Informatik oder der mathematischen Grundlagenforschung, ist es jedoch praktisch, beim Zählen mit der Null anzufangen. Das führt dazu, dass die Null mal eine natürliche Zahl ist und mal nicht. Es hängt davon ab, wessen Buch man liest oder in wessen Vorlesung man sitzt. Anfänger finden das oft irritierend, weil man doch glaubt, dass in der Mathematik alles klar und eindeutig sei. Wir haben aber schon mehrfach darüber gesprochen, dass Mathematik ja NICHTS

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von Menschen gemacht wird. Und ob die Null eine natürliche Zahl ist oder nicht, ist nicht etwas, das wahr oder falsch sein kann; es ist Definitionssache. Für dieses Buch wird hiermit par ordre du mufti festgesetzt, dass die Null keine natürliche Zahl ist! Bevor wir uns im nächsten Kapitel dem Star des Buches zuwenden, muss noch eine letzte Sache über Zahlen erwähnt werden, die Ihnen im Prinzip auch bekannt ist, die nach der Diskussion auf den letzten Seiten aber auch im neuen Licht erscheint. Es geht um die Nachkommastellen. Nachkommastellen sind eine natürliche Erweiterung der Stellenwertschreibweise auf die rationalen Zahlen. Nachdem die gebildeten Kreise Europas schließlich die Vorzüge des Dezimalsystems für die Darstellung natürlicher Zahlen erkannt hatten, dauerte es nicht lange, bis im 17. Jahrhundert dieses System auch auf die anderen Zahlen übertragen wurde. Während die Ziffern bei einer natürlichen Zahl wie 342 für Einer, Zehner und Hunderter, stehen, sind die Nachkommastellen für Zehntel, Hundertstel und Tausendstel zuständig. Es geht in beiden Fällen um Zehnerpotenzen; links vom Komma um die mit nichtnegativen Exponenten, rechts davon um die mit negativen. 3,42 = 3 + 0,4 + 0,02 = 3 + 4/10 + 2/100 = 3 · 100 + 4 · 10−1 + 2 · 10−2

Sie wissen natürlich auch, dass man manche Zahlen nicht mit endlich vielen Nachkommastellen darstellen kann: 1/3 = 0,33333333333 . . .

Ob ein Bruch dieses Schicksal erleidet, hängt davon ab, ob sich sein Nenner mit der Zehn „verträgt“, die die Basis des Dezimalsystems ist. (Dass es gerade die Zehn ist, hat keine mathematischen Gründe, sondern liegt an der Anzahl unserer Finger.) Aber auch 46

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die Brüche, bei denen man mit endlich vielen Nachkommastellen nicht auskommt, haben eine im gewissen Sinne beruhigende Eigenschaft: Ihre Nachkommastellen wiederholen sich ab einem bestimmten Punkt periodisch. Man weiß also irgendwann genau, wie es weitergeht. Sie können sich ganz einfach selbst davon überzeugen, dass dem so sein muss, wenn Sie die Nachkommastellen eines Bruchs durch schriftliche Division berechnen. Sie werden erleben, dass es zwangsläufig zu Wiederholungen kommen muss. Rechnen Sie die Nachkommastellen von 3/17 aus. Sehen Sie, warum es zu Wiederholungen kommt? Das eben Gesagte gilt aber auch umgekehrt: Wenn eine Zahl unendlich viele, sich periodisch wiederholende Nachkommastellen hat, dann ist sie rational. Es gibt einen einfachen „Trick“, mit dessen Hilfe man diese Zahl als Bruch darstellen kann. Ich will darauf aber jetzt gar nicht eingehen, weil wir das nicht brauchen werden. Wichtig ist mir nur: Irrationale Zahlen haben grundsätzlich immer unendlich viele Nachkommastellen und diese folgen im Allgemeinen keinem einfach zu erkennenden Muster. Auf jeden Fall ist die Folge der Nachkommastellen einer irrationalen Zahl nicht periodisch. Typischerweise ist sie eher „chaotisch“. Das gilt auch für die Zahl, um die es im nächsten Kapitel geht.

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DIE DIVA

Obwohl die Hauptdarstellerin unserer Geschichte schon seit Jahrtausenden ein Star in der Welt der Mathematik ist, hat sie ihren heutigen Namen erst im 18. Jahrhundert erhalten. Ihr Taufpate, wenn auch nicht ihr Namensgeber, war der legendäre Schweizer Mathematiker Leonhard Euler. Der Name π („pi“) ist der griechische Buchstabe, der am ehesten dem lateinischen p entspricht. Er wurde gewählt, weil er der Anfangsbuchstabe von Wörtern wie Peripherie und Perimeter ist. Denn π hat etwas mit Kreisen zu tun. Wir sprachen schon darüber, dass in der klassischen Geometrie Verhältnisse eine wichtige Rolle spielten. Am einfachsten ist es, die Längen von Strecken zu vergleichen.

Und es ist anschaulich klar, dass sich solche Verhältnisse nicht ändern, wenn man die Objekte gemeinsam vergrößert oder verkleinert oder eines von beiden verschiebt oder dreht.

In den beiden Skizzen haben wir es mit einem „schönen“, einfachen Verhältnis von sechs zu fünf zu tun. Es ist also nach heutigem Sprachgebrauch rational. Eine kurze Zeit lang hegten die Pythagoräer, die Anhänger von Pythagoras, die Hoffnung, dass alle Verhältnisse so seien. Das hätte zu ihrer philosophisch-religiösen Grundthese „Alles © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_7

ist Zahl“ gepasst, denn damit waren (natürlich) nur natürliche Zahlen gemeint. Aber die Pythagoräer selbst gelten auch als die Entdecker der irrationalen Zahlen. Sie haben also schon recht früh erkannt, dass die (mathematische) Welt doch nicht so simpel ist, wie sie es sich erhofft hatten. Auch dazu gibt es ein passendes Zitat von John von Neumann: If people do not believe that mathematics is simple, it is only because they do not realize how complicated life is.

Wir haben gesehen, dass wir schon auf irrationale Zahlen stoßen, wenn wir Strecken in Quadraten vergleichen. Aber in der Geometrie gibt es natürlich nicht nur so einfache Figuren wie Quadrate. Idealiter möchte man die Längen beliebiger Kurven vergleichen können.

Zumindest anschaulich ist klar, was man meint: Die Länge einer Kurve ist so etwas wie die Wegstrecke, die eine Ameise zurücklegen muss, wenn sie auf der Kurve entlangläuft. Die Mathematik dahinter hat sich jedoch als Aufgabe für spätere Jahrtausende erwiesen. Erst mithilfe der Methoden der Neuzeit konnte man sinnvoll ganz allgemein definieren, was eigentlich eine Kurve ist, was genau mit der Länge einer Kurve gemeint sein soll und ob und wie man diese gegebenenfalls berechnen kann. Bei einer der einfachsten und regelmäßigsten Kurven hat man aber schon im antiken Griechenland Fortschritte gemacht, nämlich beim Kreis. Mit der Zahl π ist das Verhältnis des Umfangs zum Durchmesser gemeint.

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Nach unseren vorherigen Überlegungen ist es klar, dass dieses Verhältnis in jedem Kreis gleich sein muss, denn jeder Kreis entsteht aus einem anderen durch Verschieben und Vergrößern oder Verkleinern. Man könnte also sagen, dass π so etwas wie eine „mathematische Naturkonstante“ ist. Schon die alten Hochkulturen hatten Schätzwerte für π zur Verfügung. So sollen die Babylonier vor nunmehr viertausend Jahren von einem Verhältnis von 25 zu 8 ausgegangen sein. Man weiß heute nicht mehr, wie dieser Wert zustande kam, aber sehr wahrscheinlich hat man ganz unmathematisch Messungen an annähernd kreisrunden Objekten vorgenommen. Legt man um so ein Objekt eine Schnur und unterteilt diese dann in 25 Teile, so reichen 8 davon für den Durchmesser. Ungefähr jedenfalls. Wäre der babylonische Wert exakt richtig gewesen, so hätten sich die Pythagoräer sicher sehr gefreut. Aber er war es nicht.

Einer der ersten Menschen, die sich systematisch der Sache annahmen, war der bereits mehrfach erwähnte Archimedes, der als größter Mathematiker der Antike gilt. Mit seiner Methode gab er die Blaupause für die Berechnung von π für viele Jahrhunderte vor. Die Grundidee seines Vorgehens werde ich hier illustrieren – wie üblich in der Sprache der modernen Mathematik. (Archimedes und seine Zeitgenossen hätten sicher nicht von der „Berechnung“ von π gesprochen, weil es aus ihrer Sicht nichts zu berechnen gab. π wurde nicht als Zahl angesehen.) Wir werden im Folgenden immer von einem Einheitskreis ausgehen – einem Kreis mit dem Radius eins –, weil die Größe des Kreises irrelevant ist und es sich mit einem Einheitskreis einfach rechnen lässt. Der Umfang dieses Kreises muss 2π sein. Archimedes konstruierte nun Paare von regelmäßigen Vielecken (Polygonen). Eines, das D I E D I VA

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gerade so in den Kreis passt und diesen mit seinen Ecken berührt. Und eines, das gerade so um den Kreis herum passt, so dass der Kreis die Seitenmittelpunkte des Vielecks tangiert. Sind die Vielecke Quadrate, dann sieht es so aus:

Der Rest ist jetzt offensichtlich. Man berechnet die Umfänge der beiden Vielecke. Der eine Umfang muss kleiner und der andere größer als der Kreisumfang sein. Also hat man zwei Werte errechnet, zwischen denen 2π liegen muss. Machen Sie das ruhig mal! Man braucht nur den Satz des Pythagoras. Archimedes fing mit regelmäßigen Sechsecken an.

Dann verdoppelte er schrittweise die Zahl der Ecken: 12, 24, 48, bis er schließlich bei 96 angelangte. Die Idee dahinter ist natürlich, dass der Unterschied zwischen den Umfängen des äußeren und des inneren Polygons mit steigender Eckenzahl immer geringer wird. Anders ausgedrückt: Die Vielecke werden dem Kreis immer ähnlicher. Das sieht man schon, wenn man die Skizzen für vier und sechs Ecken vergleicht. Dadurch wird auch die Näherung für den dazwischenliegenden Wert von π immer besser. Mit 96 Ecken kam Archimedes auf die folgende Abschätzung: 3,141 ≈ 52

223 71

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10

1

= 3 71 < π < 3 7 =

22 7

≈ 3,143

Wir würden heute sagen, dass sein Wert auf zwei Stellen nach dem Komma genau war. Sie finden das vielleicht ein bisschen enttäuschend, aber damals war das ein neuer Weltrekord! Und es sollte ungefähr ein halbes Jahrtausend dauern, bis jemand eine bessere Näherung anbieten konnte. Archimedes überzeugte seine Leser jedoch nicht einfach mit Skizzen, wie ich es hier versuche, sondern er bewies tatsächlich, dass π zwischen diesen Werten liegen muss. Außerdem kommen in seiner Berechnung Wurzeln vor, für die er Näherungen durch Brüche benutzte, die er natürlich auch erst einmal ermittelt haben musste. Nach und nach verwendeten andere Mathematiker die Methode von Archimedes, um mit noch mehr Ecken und viel Fleiß die Genauigkeit der Approximation zu verbessern. Das geschah zuerst in China und Indien und kulminierte Anfang des 17. Jahrhunderts in der Zahl, die auf dem Grabstein von Ludolph van Ceulen aus Hildesheim stand:

3,14159265358979323846264338327950288 . . . Van Ceulen rechnete auf der Basis eines Polygons mit etwa vier Trillionen Seiten (!) und verbrachte den größten Teil seines Lebens mit diesen Kalkulationen. Als „Belohnung“ für seine Mühen wurde π eine Zeit lang auch die Ludolphsche Zahl genannt. Die Zahl auf van Ceulens Grabstein ist bereits viel genauer als der Näherungswert für π , den typische Programmiersprachen uns vier Jahrhunderte später liefern. Und wie ich auf den ersten Seiten des Buches schon sagte, reicht diese Genauigkeit für alle praktischen Zwecke aus. Nichtsdestotrotz wurden in den letzten Jahrzehnten mithilfe von Computern immer neue Rekorde aufgestellt. Man kennt inzwischen – Stand Januar 2020 – die ersten 50 Billionen Nachkommastellen von π . Würde man die in Büchern wie diesem ausdrucken und diese übereinanderstapeln, so wäre der daraus resultierende Turm über zweihundert Kilometer hoch! (Verkehrsflugzeuge erreichen normalerweise nur fünf Prozent dieser Höhe.) D I E D I VA

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Sie haben sich vielleicht schon gedacht, dass π eine irrationale Zahl ist. Natürlich sind theoretisch auch rationale Zahlen vorstellbar, bei denen erst nach 50 Billionen Nachkommastellen eine periodische Wiederholung zu erkennen ist, aber bei einer „Naturkonstante“ erwarten Mathematiker so ein ungebührliches und unästhetisches Verhalten nicht. Es ist nicht klar, ab wann vermutet wurde, dass das Verhältnis des Kreisumfangs zum Durchmesser nicht rational ist. Sicher ist allerdings, dass der Beweis dieser Tatsache vergleichsweise schwierig √ ist. Während bereits zur Zeit von Pythagoras klar war, dass 2 irrational ist, und der Beweis eine einfache Fingerübung ist, konnte die Irrationalität von π erst im 18. Jahrhundert von dem Schweizer Johann Heinrich Lambert nachgewiesen werden. Lambert benutzte für seinen Beweis Kettenbrüche – eine zur damaligen Zeit recht neue Technik. Alle Beweise für die Irrationalität von π verwenden Methoden, die in der antiken Mathematik noch nicht entwickelt worden waren (und die über das Niveau dieses Buches hinausgehen). Auf jeden Fall wirken die bisher berechneten Nachkommastellen von π so, als handelte es sich um eine zufällige Folge von Ziffern. Die Folge ist natürlich nicht zufällig, aber man kann quantitativ beschreiben, was man mit „zufälligem“ Verhalten in diesem Fall meint: Jede Ziffer kommt langfristig gleich häufig vor. Jedes mögliche Paar von Ziffern kommt langfristig gleich häufig vor. Jede mögliche Abfolge von drei Ziffern kommt langfristig gleich häufig vor. Und so weiter. Gilt das nicht nur in der Dezimaldarstellung, die wir willkürlich aufgrund der Anzahl unserer Finger gewählt haben, sondern bezüglich jeder möglichen Basis, so nennt man eine Zahl mit dieser Eigenschaft (absolut) normal. Und das ist eine bemerkenswerte Eigenschaft! Wenn jede endliche Sequenz von Ziffern gleich häufig vorkommt, dann kommt Ihr Geburtstag in einer normalen Zahl unendlich oft vor. Und meiner auch. Und in der Binärdarstellung einer normalen Zahl kommt das Manuskript dieses Buches als ASCII-Datei vor – natürlich ebenfalls unendlich oft. 54

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Es mag zunächst etwas seltsam erscheinen, dass man solch verrückte Zahlen normal nennt. Der Name ist allerdings berechtigt. Der französische Mathematiker Émile Borel bewies nämlich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die folgende Aussage: Wenn man zufällig eine reelle Zahl auswählt, dann wählt man mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 % eine normale Zahl aus. So gesehen sind die normalen Zahlen also der Normalfall. Doch was hat das mit π zu tun? Obwohl die meisten Zahlen normal sind, kennen die Mathematiker kaum welche. Alle Zahlen, bei denen man sich inzwischen sicher ist, dass sie normal sind, wurden quasi im Labor gezüchtet. In der freien Wildbahn gibt es diverse Zahlen, von denen man vermutet, dass sie normal seien, aber für keine von denen konnte man das bisher beweisen. Die berühmteste dieser Zahlen ist π . Es ist eine altbekannte Erfahrungstatsache, dass Flächeninhalte proportional zum Quadrat des Längenmaßstabs sind. Damit ist gemeint: Verdoppelt man beispielsweise die Seitenlängen eines Rechtecks, so vervierfacht sich die Fläche. Verdreifacht man die Seitenlängen, so verneunfacht sich die Fläche. Und so weiter.

Das gilt natürlich auch für Kreise: Die Kreisfläche muss proportional zum Quadrat des Kreisradius sein. Folglich gibt es einen Proportionalitätsfaktor. Und der ist (Trommelwirbel. . . ) die Zahl π !

OK, Sie sind jetzt nicht so überrascht. Wahrscheinlich konnten Sie sich sogar noch an die Formel A = π r 2 für die Kreisfläche erinnern. Aber eigentlich ist es überraschend. Warum sollte das Verhältnis D I E D I VA

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vom Umfang zum Durchmesser exakt dasselbe sein wie das Verhältnis der Fläche zum Quadrat des Radius? Schauen wir uns zwei Arten an, das zu begründen. Die erste Begründung wird Leonardo da Vinci zugeschrieben. Er unterteilt die Kreisfläche in gleich große „Tortenstücke“ und setzt diese so wie in der folgenden Skizze zusammen.

Dann wird die Anzahl der Tortenstücke erhöht.

Die annähernd vertikalen Kanten der so entstehenden Figur sind die geraden Seiten der Tortenstücke, also die Radien des Kreises. Die horizontalen Kanten bestehen aus kleinen Kreisbögen, die zusammen jeweils die Hälfte des Kreisumfangs ausmachen. Werden die Tortenstücke immer kleiner, so werden die horizontalen Kanten immer gerader und die ganze Figur wird irgendwann zu einem Rechteck. Nennt man den Radius des Kreises r , so sind die Längen der Rechtecksseiten r und π r – so haben wir π ja definiert. Die Fläche des Rechtecks, die nach Konstruktion der Fläche des Kreises entspricht, ist also π r 2 . Was halten Sie von diesem Beweis? Nach meiner Meinung ist da Vincis Begründung elegant und suggestiv zugleich. Sie ist aber auch problematisch, weil sie eigentlich nur dann „funktioniert“, wenn man den Prozess des Verkleinerns der Tortenstücke quasi „ins Unendliche verlängert“. Denn nur so wird man jemals ein Rechteck erhalten. Man muss glauben, dass das 56

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möglich ist, um diese Argumentation wirklich als Beweis akzeptieren zu können. Wir werden dieses wichtige Thema im nächsten Kapitel noch einmal aufgreifen. Vorher aber noch eine Skizze von Archimedes’ Originalbeweis. Von der Idee her unterscheidet er sich gar nicht so sehr von da Vincis Ansatz. Archimedes geht aber wesentlich strikter vor und appelliert nicht an die Unendlichkeit. Meine Version seines Beweises wird sich nicht konsequent an der axiomatischen Methode Euklids orientieren, aber sie ist hoffentlich so detailliert, dass man alle Zwischenschritte ohne substantielle Zweifel nachvollziehen kann. Vorab lassen Sie mich aber bitte ein weiteres Mal den Unterschied zwischen der klassischen und der heutigen Sichtweise betonen. Dass π für die griechischen Mathematiker keine Zahl war, hatte ich ja bereits gesagt. Aber auch meine Formulierung von oben, in der ich Längen- und Flächenverhältnisse gleichsetzte, hätte man damals nicht akzeptiert. Es durfte immer nur „Gleiches mit Gleichem“ verglichen werden. Archimedes vergleicht Flächen mit Flächen, und zwar so:

K

D

Das Dreieck ist rechtwinklig und die eine Kathete ist so lang wie der Radius des Kreises, während die andere so lang wie der Umfang des Kreises ist. Archimedes will beweisen, dass die beiden Figuren denselben Flächeninhalt haben. (Das Dreieck hat dieselbe Fläche wie das „Rechteck“ von da Vinci, das gestrichelt hinzugefügt wurde.) Dafür wendet er zweimal eine Reductio ad absurdum an, indem er zeigt, dass sowohl die Annahme, die Dreiecksfläche sei kleiner als die Kreisfläche, als auch die, sie sei größer, jeweils auf einen Widerspruch führen. Fangen wir mit der Annahme an, die Kreisfläche K sei größer als die Dreiecksfläche D . Als Vorüberlegung betrachten wir einen D I E D I VA

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Kreisbogen (kleiner als 180 Grad) vom Punkt A zum Punkt B . Den Mittelpunkt dieses Kreisbogens nennen wir M . M A B

Sicher ist der Kreisbogen von A nach M länger als die Strecke AM , weil eine gerade Strecke immer die kürzeste Verbindung zweier Punkte ist. Außerdem ist klar, dass das Dreieck AM B größer als der schraffierte Rest des Kreissegmentes sein muss. Das wird durch das gestrichelte Rechteck deutlich, dessen Fläche offensichtlich genau doppelt so groß wie die von AM B ist. Daraus folgt, dass die in der folgenden Skizze ebenfalls schraffiert dargestellte „Restfläche“ nach dem Einpassen eines regelmäßigen Vielecks in einen Kreis durch Verdoppelung der Eckenzahl immer mindestens halbiert wird.

Außerdem ist die Fläche so eines einbeschriebenen Polygons immer kleiner als D : Sie besteht aus lauter gleich großen rechtwinkligen Dreiecken und die eine Kathete ist kürzer als der Kreisradius, während die anderen Katheten nach unserer Vorüberlegung zusammengesetzt kürzer als der Kreisumfang sind.

Da nach unserer Annahme K größer als D ist, gibt es einen „Flächenüberschuss“ K − D . Wir legen ein Quadrat passend in den 58

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Kreis und machen aus dem Quadrat wie oben skizziert ein Achteck, dann ein Sechzehneck und so weiter. Das machen wir so lange, bis die Restfläche kleiner als K − D ist. Das bedeutet aber, dass das entsprechende Polygon eine Fläche hat, die größer als D ist, und wir hatten uns gerade überlegt, dass das nicht sein kann. Das ist ein Widerspruch, also muss die Annahme, K sei größer als D , falsch gewesen sein. Der zweite Teil des Beweises verläuft im Prinzip genau wie der erste. Hier wird lediglich mit umbeschriebenen – also den Kreis von außen touchierenden – Polygonen gearbeitet und aus dem Überschuss wird ein Flächendefizit. Ich werde das nicht mehr alles im Detail vorführen, spendiere Ihnen aber eine Skizze analog zur Vorüberlegung mit dem Kreisbogen.

Warum ist das „abgetrennte“ Dreieck größer als die schraffierte Fläche? Haben Sie Lust, den Beweis zu vervollständigen?

Immer wenn wir davon sprechen, etwas zu berechnen, dann hätten Euklid und seine Zeitgenossen stattdessen daran gedacht, die entsprechenden Größen zu konstruieren. Und ganz puristisch durften für solche Konstruktionen nur ein Zirkel und ein Lineal ohne Maßeinheiten eingesetzt werden. Das Berechnen von π entspräche in diesem Sinne der Konstruktion eines Quadrates, das dieselbe Fläche wie ein vorgegebener Kreis hat. Dieses klassische Problem wird Quadratur des Kreises genannt und an ihm haben sich mehr als zweitausend Jahre lang sowohl große Mathematiker als auch unzählige Amateure vergeblich abgearbeitet. D I E D I VA

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Erst Ende des 19. Jahrhunderts konnte Ferdinand von Lindemann beweisen, dass so eine Konstruktion zumindest nach den strengen griechischen Regeln prinzipiell unmöglich ist. Darum wird der Begriff heute auch im übertragenen Sinne für eine unlösbare Aufgabe verwendet.

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GIBT ES PI ÜBERHAUPT?

Was meinte Leopold Kronecker damit, dass irrationale Zahlen wie π gar nicht existieren? Um das vernünftig erklären zu können, muss ich ein bisschen ausholen, denn Kroneckers ablehnende Haltung bezog sich auf den Endpunkt einer mathematischen Entwicklung, die bereits im 17. Jahrhundert begonnen hatte. Damals hatten der Engländer Isaac Newton und der Deutsche Gottfried Wilhelm Leibniz die Infinitesimalrechnung erfunden, die die Grundlage dessen wurde, was man heute Analysis nennt. Falls Ihnen beide Begriffe nichts sagen, dann ist Ihnen vielleicht die Bezeichnung Differential- und Integralrechnung aus der Schule geläufiger. Wie auch immer man das Kind nennt, diese Theorie wird heutzutage als die wichtigste mathematische Innovation der letzten tausend Jahre angesehen. Nicht nur die moderne Mathematik, auch die Physik in ihrer heutigen Form sähe ohne sie komplett anders aus. Und unzählige technische Entwicklungen, die für uns inzwischen selbstverständlich sind, hätte es wahrscheinlich ohne sie gar nicht gegeben. Sowohl Newton als auch Leibniz werden zu den ganz Großen der Wissenschaftsgeschichte gezählt. Und die Historiker sind sich inzwischen sicher, dass die beiden ihre bahnbrechenden Ideen ungefähr gleichzeitig, aber unabhängig voneinander hatten. (So etwas passiert öfter mal. Manchmal liegen große Ideen quasi „in der Luft“.) Dummerweise kamen dann mehrere unglückliche Umstände zusammen: Newton hatte seine Methoden ein paar Jahre vor Leibniz entwickelt, sie aber für sich behalten. Leibniz hingegen hat seine Ergebnisse veröffentlicht und damit Newton quasi die Show gestohlen. Außer© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_8

dem war Newton offenbar ein ziemlicher Stinkstiefel. Er hat Leibniz vorgeworfen, seine Ideen geklaut zu haben, und dann viel Zeit und Energie darauf verwendet, Leibniz zu diskreditieren. Sowohl Mitglieder der von Newton gesteuerten Royal Society als auch Unterstützer von Leibniz setzten in dem daraus resultierenden Konflikt nicht sehr feine Methoden ein. Dieser Streit hat zur damaligen Zeit viele kluge Köpfe jahrelang beschäftigt und zu einem langfristigen Zerwürfnis zwischen den englischen Mathematikern und ihren Kollegen vom europäischen Kontinent geführt. Sollten Sie gedacht haben, Mathematiker seien besonders rationale Menschen, die sich nur für Sätze und Beweise interessieren, so sehen Sie das nach dieser Geschichte vielleicht anders. . . Wir wollen das unwürdige Gezänk aber nun hinter uns lassen und uns wieder der Mathematik zuwenden. Mit dem Adjektiv infinitesimal sind „Zahlen“ gemeint, die „kleiner als jede positive Zahl, aber größer als null“ sind. Das ergibt einerseits keinen Sinn, weil es solche Zahlen nicht geben kann, war aber andererseits die Grundlage, auf der Leibniz und Newton so wichtige neue Begriffe wie Ableitung und Integral entwickelten. Die neuen Methoden waren so fruchtbar, dass ganz Europa sie damals begeistert aufgriff und verwendete. Und das führte wiederum dazu, dass Mathematik und Physik auf einmal mit Siebenmeilenstiefeln voranschritten. Das war die eine Seite der Medaille. Die andere war allerdings die eben angesprochene Unsicherheit der Grundlagen. Bevor die Infinitesimalrechnung aus der Taufe gehoben wurde, berief sich die Mathematik immer noch auf das Erbe Euklids und galt als Musterbeispiel für eine exakte Wissenschaft. Niemand bezweifelte die Korrektheit ihrer Ergebnisse und alle bewunderten die Klarheit und Präzision ihrer Aussagen. Die neuen Verfahren riefen jedoch zahlreiche Skeptiker auf den Plan und ihre Verfechter sahen sich vielfältiger Kritik ausgesetzt. Es dauerte etwa zweihundert Jahre, bis die Mathematik gefühlt wieder auf sicheren Füßen stand. In diesen Jahrhunderten wurden 62

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viele Fragen geklärt, aber auch viele Fragen erstmals überhaupt gestellt. Für uns besonders wichtig ist die, was eigentlich Zahlen sind. Die Mathematiker hatten lange geglaubt, mit den (positiven) rationalen Zahlen auskommen zu können. Dass nach und nach auch die Null und negative Zahlen hinzukamen, haben wir schon besprochen. Aber für die Analysis reichte das nicht, weil es dort in erster Linie um Grenzwertprozesse geht. Wir schauen uns dazu ein Beispiel an. √ Wir wissen bereits, dass die „Zahl“ 2 irrational ist. Wir können sie nicht durch einen Bruch repräsentieren und im gewissen Sinne ist sie dadurch für uns als Wert nicht direkt zugänglich. In der Praxis braucht man aber oft Näherungswerte für solche „unzugänglichen“ Zahlen. Und bereits lange vor den Griechen kannten die Babylonier ein Verfahren, sich für Quadratwurzeln solche Näherungswerte zu beschaffen. Natürlich war das damals ein geometrisches Verfahren. Die Quadratwurzel von zwei ist die Seitenlänge eines Quadrates, dessen Fläche zwei ist. Das kann man nicht exakt konstruieren, aber man kann relativ leicht Rechtecke mit dieser Fläche konstruieren, beispielsweise eines, dessen Seitenlängen eins und zwei sind. Damit dieses Rechteck einem Quadrat ähnlicher wird, muss offenbar die eine Seite länger und die andere kürzer werden. Es liegt nahe, als „Kompromiss“ den Mittelwert der beiden Seitenlängen zu verwenden: a1 =

3 1+2 = 2 2

a 1 ist nicht die gesuchte Wurzel, weil a 1 ein Bruch ist. Darum kann ein Quadrat mit der Seitenlänge a 1 nicht die Lösung sein. Wenn wir ein Rechteck mit der Fläche zwei haben wollen, dessen eine Seite a 1 ist, dann müssen wir zum Ermitteln der anderen Seite b1 die Gleichung a 1 · b1 = 2 lösen. Das ist zum Glück einfach: b1 =

2 4 = a1 3

Die entscheidende Beobachtung an dieser Stelle ist, dass wir in derselben Situation wie am Anfang sind. Wir haben ein Rechteck G I B T E S P I Ü B E R H AU P T ?

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der Fläche zwei, die eine Seite ist zu lang, die andere zu kurz. Darum können wir den gleichen „Trick“ erneut anwenden: Mittelwert der beiden Seiten a 1 und b1 bilden, um eine neue Seite a 2 zu erhalten, dann b2 „passend“ zu a 2 berechnen. a2 =

a 1 + b1 17 = 2 12

b2 =

2 24 = a2 17

Machen wir das mit a 2 und b2 noch mal, dann haben wir insgesamt vier Rechtecke, von denen die letzten beiden sich mit bloßem Auge kaum noch unterscheiden lassen:

Und in der Tat stimmen die beiden Seitenlängen a 3 und b3 des vierten Rechtecks schon auf fünf Stellen nach dem Komma mit dem richtigen Wert überein. Faszinierenderweise haben die Babylonier also schon vor über dreitausend Jahren ein sogenanntes rekursives Verfahren entwickelt. Noch im 21. Jahrhundert haben manche Studenten große Schwierigkeiten mit der Rekursion. √ Berechnen Sie mit diesem Verfahren Näherungen für 3.

In der modernen Fachsprache formuliert ist a 1, a 2, a 3, . . . eine Folge, √ die gegen 2 konvergiert. Die meisten Menschen, die im Rahmen eines Studiums mit Mathematik zu tun hatten, kennen diese Begriffe und auch die Vorstellung dahinter. Man muss dafür nicht einmal studiert haben, weil diese Sichtweise bereits in der Schule vorbereitet wird. Sie erscheint uns heutzutage selbstverständlich. Sie bricht aber mit einer Tradition, die Tausende von Jahren alt war. Von der Antike bis ins 19. Jahrhundert hinein unterschied man in der Mathematik zwischen Zahlen und Größen. Mit (natürlichen) Zahlen wurde gezählt; Größen beschrieben quasi-physikalische Eigenschaften wie Länge, Flächeninhalt oder Zeitdauer. Zahlen repräsentierten diskrete Phänomene; Größen kontinuierliche. Die 64

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Eigenschaften der Zahlen wurden in der Zahlentheorie untersucht und die Arithmetik lehrte das Rechnen mit Zahlen. Für die Größen hingegen war die Geometrie (und später die Analysis) zuständig. Rationale „Zahlen“ dienten der Approximation von Größenverhältnissen. Sie waren bequeme Hilfsmittel und hatten einen direkten Bezug zu den „echten“ Zahlen, denn Zähler und Nenner von Brüchen sind ja solche Zahlen. Für die logische Fundierung der Analysis, also für die Befreiung der Infinitesimalrechnung vom Geruch der Vagheit, war das jedoch nicht genug. In der Analysis wimmelt es geradezu von Grenzwertprozessen wie dem von vorhin, in dem rationale Zahlen dem Objekt, √ das wir inzwischen 2 nennen, immer näher kamen. Darum musste klargestellt werden, was das denn für ein Objekt sein sollte. Die Lösung, die sich schließlich durchsetzte, hob die gerade beschriebene Trennung auf. Man verschmolz quasi die diskreten Punkte zur kontinuierlichen Zahlengerade. Der Begriff der Größe wurde aufgegeben und Zahlen (natürliche, ganze und rationale) sowie Größen wurden unter dem Begriff der reellen Zahl subsumiert, den ich vor einigen Seiten bereits vorweggenommen habe. Rationale Zahlen sind reelle Zahlen; aber auch die Grenzwerte bestimmter Folgen von rationalen Zahlen sind reelle Zahlen. Man stellt sich also vor, dass eine unendliche Folge wie a 1, a 2, a 3, . . . am Ende ein Ziel erreicht, und definiert das Ziel gleichzeitig über diese Folge. Um das formalisieren zu können, war jedoch ein weiterer Bruch mit philosophischen Traditionen vonnöten. Die im letzten Absatz umschriebene Definition, die so klingt, als beiße sich die sprichwörtliche Katze in den Schwanz, ist logisch sauber mithilfe von Mengen möglich. Die sind das geistige Kind des bereits erwähnten Georg Cantor. Aber das ganze Projekt gelingt nur, wenn man von der potentiellen zur aktualen Unendlichkeit übergeht. Mit potentieller Unendlichkeit ist die Möglichkeit gemeint, dass es „immer weitergeht“. Prototypisch dafür sind die natürlichen Zahlen: G I B T E S P I Ü B E R H AU P T ?

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Zu jeder natürlichen Zahl kann man eine angeben, die noch größer ist, indem man einfach eins addiert. Diese Möglichkeit ist sogar die definierende Eigenschaft der natürlichen Zahlen. Das hat bereits die antike Mathematik so gesehen und abgesehen von einigen wenigen sogenannten Ultrafinitisten hat damit auch niemand ein Problem. Mit aktualer Unendlichkeit ist hingegen gemeint, dass Cantor quasi alle natürlichen Zahlen in einen Sack gestopft und den Sack die Menge der natürlichen Zahlen genannt hat. Der Prozess des „immer weiter“ wird also gedanklich zu einem Ende geführt, damit alle natürlichen Zahlen als Gesamtheit betrachtet werden können. Wenn man diese Abstraktion akzeptiert, dann kann man solche Mengen als Objekte behandeln, mit denen man Mathematik betreiben kann. Darauf aufbauend kann man die reellen Zahlen definieren und in deren Gefolge die gesamte Analysis logisch absichern. Wenn man sie akzeptiert! Während manche Zeitgenossen Cantors Ideen genial fanden, interpretierten andere wie Kronecker sie als Sündenfall. Für sie war so etwas wie aktuale Unendlichkeit unvorstellbar und daher entbehrte für sie auch die Idee irrationaler „Zahlen“ jeglicher logischer Grundlage. Die Mathematiker, die im 21. Jahrhundert leben und arbeiten, sind mehrere Generationen von der Zeit Kroneckers entfernt. Sie haben an den Universitäten die Sichtweise Cantors gelernt, die sich im Endeffekt durchgesetzt hat. Von den damaligen Kämpfen erfährt nur, wer sich mit der Geschichte und der Philosophie seiner Wissenschaft auseinandersetzt. Und einem Außenstehenden kommen solche Diskussion vielleicht sogar so vor, als würde jemand, der an kleine grüne Männchen vom Mars glaubt, vehement bestreiten, dass diese Männchen rote Mützen tragen könnten. Zum Glück können Sie den Rest des Buches lesen, ohne sich auf die Seite von Cantor oder von Kronecker schlagen zu müssen. Ich habe am Anfang des Buches angekündigt, dass wir eine Formel zur Berechnung von π entwickeln wollen. Inzwischen dürfte klar sein, dass mit Berechnung nur gemeint sein kann, dass wir π approximieren. Sie können die Formel, die am Ende dieses Buches stehen wird, im 66

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Geiste Kroneckers als eine Anleitung betrachten, wie man beliebig gute rationale Näherungen des geometrischen Größenverhältnisses π berechnen kann. Sie können sie aber auch im Geiste Cantors als einen unendlichen Prozess betrachten, dessen Ergebnis die Zahl π ist. An der Herleitung, um die es hier eigentlich geht, wird das nichts ändern. Wenn Analysis dasselbe wie Differential- und Integralrechnung wäre, dann bräuchten wir sie für dieses Buch gar nicht. Wir werden weder ableiten noch integrieren. (Vor meinem inneren Auge sehe ich nun einige Leser jubeln, während andere enttäuscht sind.) Analysis ist aber mehr. Etwas überspitzt gesagt geht es in der Algebra um Gleichungen und in der Analysis um Ungleichungen. Ständig werden irgendwelche Größen abgeschätzt, um sicherzustellen, dass Fehler nicht zu groß werden oder dass andere Dinge nicht passieren. Das werden wir auch häufiger machen müssen. Außerdem werden wir es ab und zu auch mit Grenzwertprozessen zu tun haben. Die sind aber in diesem Buch alle von derselben Sorte und sehr leicht zu verstehen: Wenn Sie ein Streckenstück in mehrere gleich große Teile zerlegen, dann sind die Teile natürlich kleiner als das ganze Stück. Und die Teile werden offenbar umso kleiner, je mehr Stücke es sind.

Sie können die Teile beliebig klein machen, wenn Sie nur die Anzahl der Teile groß genug wählen. Mit der Formulierung beliebig klein meint man in der Mathematik das Folgende: Wenn jemand Ihnen sagt, dass Ihre Teilstücke höchstens einen Zentimeter lang sein dürfen, dann können Sie mit Zollstock und Taschenrechner problemlos ermitteln, in wie viele Teile man die Strecke zerlegen muss, damit diese nicht länger als ein Zentimeter sind. Und das ändert sich zumindest prinzipiell auch nicht, wenn dieser Jemand als Obergrenze drei Millimeter oder zwölf Nanometer vorgibt. Zudem G I B T E S P I Ü B E R H AU P T ?

67

ist es natürlich auch irrelevant, wie lang die Ausgangsstrecke ist. Das Zerlegen in Teile, die eine vorgegebene Grenze nicht überschreiten, bekommen Sie immer hin. Diese auch für Nichtmathematiker offensichtliche Aussage ist so grundlegend, dass sie einen Namen bekommen hat: man nennt sie das archimedische Axiom. In der ursprünglichen Form beschrieb das Axiom einen Zusammenhang zwischen Größen und Zahlen. Wie so oft in der Mathematik ist der Name eigentlich falsch, weil Archimedes das Axiom nur verwendet hat und es bereits lange vor seiner Zeit Eudoxos von Knidos bekannt war. In der modernen Form, die so auch an den Hochschulen gelehrt wird, sieht das folgendermaßen aus: Zu einer festen reellen Zahl a und einer vorgegebenen positiven Grenze ε kann man immer eine natürliche Zahl n 0 finden, so dass für alle n ≥ n 0 gilt, dass |a/n| kleiner als ε ist. Wenn man damit noch nie zu tun hatte, ist dieser Formalismus (den die Mathematiker scherzhaft „Epsilontik“ nennen, weil in solchen Aussagen fast immer eine Grenze mit dem Namen ε vorkommt) zunächst schwer zu entziffern. Es ist aber alles nicht so schlimm. Übersetzt ist a die Länge unseres Streckenstücks, ε die von Herrn Jemand vorgegebene Maximallänge der Teilstücke und n 0 die Mindestanzahl von Teilen, die man braucht, um die Anforderungen zu erfüllen. Der Nebensatz mit n ≥ n 0 bedeutet, dass es natürlich „erst recht“ klappt, wenn man noch mehr Stücke nimmt. Und die Betragsstriche sorgen dafür, dass die Aussage auch noch stimmt, wenn a negativ ist. Man sagt dann auch, dass a/n gegen null geht (oder konvergiert), wenn n gegen unendlich geht. Dieser Formulierung sind wir im Zusammenhang mit dem babylonischen Wurzelverfahren bereits begegnet und ich werde sie auch in den folgenden Kapiteln ab und an verwenden. Wenn Ihnen das zu sehr nach aktualer Unendlichkeit klingt, können Sie es im Kopf aber auch umformulieren: Man kann n bei Bedarf so groß wählen, dass der Betrag von a/n keine Rolle mehr spielt. Unabhängig davon, wie wir es ausdrücken, sind wir nun jedoch so weit, dass ich Ihnen die Details des Plans verraten kann. . . 68

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Vorher muss ich aber noch die Pointe zu diesem Kapitel loswerden. Ich sagte vorhin, dass es die infinitesimalen Größen von Leibniz und Newton nicht geben kann, die kleiner als jede positive (reelle) Zahl, aber größer als null sein sollten. Das ist der Standpunkt der Standardanalysis, die im 21. Jahrhundert an allen Universitäten gelehrt wird. Seit den 1960er Jahren gibt es allerdings auch die mit ihr konkurrierende Nichtstandardanalysis. Sie gehört nicht zum üblichen Curriculum (dafür ist die Zunft vielleicht zu konservativ), wird aber durchaus in weiterführenden Seminaren besprochen. Und niemand bestreitet, dass sie genauso valide ist wie die Standardanalysis. Die Nichtstandardanalysis hat die Sichtweise der „Väter der Analysis“ rehabilitiert, denn dort gibt es – logisch sauber fundiert – infinitesimale Zahlen. (Dafür wird es auf der Zahlengeraden noch viel enger, als es ohnehin schon war.) Auch diese Innovation lag in der Luft. Vergleichbare Ideen wurden ungefähr zur selben Zeit von drei Mathematikern publiziert: Curt Schmieden, Detlef Laugwitz und Abraham Robinson. In diesem Fall ist jedoch kein erbitterter Prioritätsstreit aktenkundig.

G I B T E S P I Ü B E R H AU P T ?

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DER PLAN

Zweitausend Jahre lang waren Geometrie und Zahlentheorie getrennte Welten. In der Moderne kamen aber immer mehr Überschneidungen zum Vorschein. Ideen und Methoden aus der einen Disziplin konnten in der anderen gewinnbringend eingesetzt werden. Unser Plan ist auch so eine Grenzüberschreitung. Die Kreiszahl π , eine altehrwürdige und etwas mysteriöse Größe aus der Geometrie, wird mithilfe der Primzahlen, die die Protagonisten der Zahlentheorie sind, angenähert werden. Und zur Rechtfertigung unseres Handelns werden wir vergleichsweise moderne Techniken aus Analysis und Algebra einsetzen. Der Plan lässt sich ganz einfach visualisieren:

Wir werden Punkte auf einem regelmäßigen Gitter anordnen und zählen, wie viele dieser Punkte innerhalb eines Kreises liegen. Um nach und nach bessere Approximationen zu erhalten, werden wir den Kreis vergrößern und dadurch die (relative) Punktdichte erhöhen. (In diesem Sinne ist die obige Skizze irreführend, weil dort beide Kreise gleich groß sind!) Aber wieso sollte das Zählen von Punkten beim Annähern von π helfen? Weil jeder Punkt Mittelpunkt eines Quadrates sein soll, wie © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_9

die folgende Skizze zeigt. Wenn wir so skalieren, dass die Quadrate die Fläche eins haben, dann entspricht das Zählen der Punkte dem Messen der Gesamtfläche der Quadrate, die augenscheinlich eine gute Näherung für die Kreisfläche ist.

Da wir dank Archimedes den Zusammenhang zwischen Kreisfläche und π schon kennen, müssen wir dann nur noch die Anzahl der Punkte durch das Quadrat des Kreisradius dividieren. Allerdings muss ich an dieser Stelle erst mal etwas auf die Bremse treten. Ich habe eben behauptet, dass wir durch die Erhöhung der Punktdichte nach und nach bessere Näherungen erhalten. Aber stimmt das wirklich? Es ist offensichtlich, dass man aus Quadraten niemals exakt einen Kreis zusammenbasteln kann. Analysiert man genauer, so sieht man, dass es zwei Sorten von Abweichungen gibt: Einerseits gibt es Punkte innerhalb des Kreises, deren zugehörige Quadrate aber nicht ganz im Kreis liegen. In diesen Fällen wird immer etwas Quadratfläche zu viel addiert. Andererseits gibt es Punkte außerhalb des Kreises, deren Quadrate teilweise innerhalb des Kreises liegen. Hier wird jeweils etwas Quadratfläche unterschlagen.

Man könnte nun einfach hoffen, dass sich diese Fehler gegenseitig aufheben. Das wäre aber ziemlich blauäugig und auf jeden Fall ein sehr unmathematischer Ansatz. Wir machen es ganz anders und 72

PI UND DIE PRIMZAHLEN

gehen sogar vom worst case aus: dass die Fehler maximal groß sind und sich addieren. Das lässt sich besonders einfach rechnen und zum Glück wird selbst dann der Fehler vernachlässigbar sein, wenn der Kreis nur groß genug ist. Anschaulich liegt das daran, dass erstens bei wachsendem Kreis die einzelnen Quadrate relativ zum Kreis natürlich immer kleiner werden und dass zweitens nur ein kleiner Teil der Quadrate im „kritischen Bereich“ liegt. Letzteres wiederum hängt damit zusammen, dass beim Vergrößern die Kreisfläche quadratisch wächst, der Kreisumfang aber nur linear. Für die folgenden Überlegungen, in denen dieser Gedankengang im Detail ausgearbeitet wird, zeige ich Ihnen vorab schon mal ein paar Skizzen. Sie haben aber hoffentlich auch nach wie vor Papier und Bleistift griffbereit und kritzeln selbst ab und zu. Nach meiner Erfahrung hilft das beim Nachdenken ungemein!

Überlegen Sie sich selbst eine Begründung, bevor Sie weiterlesen. Zur Erinnerung: Während die Größe des Kreises variiert, sollen die Quadrate gleich groß bleiben. Da ihre Fläche eins sein soll, muss auch ihre Seitenlänge eins sein. Nach Pythagoras ist die Länge ihrer √ Diagonale somit 2. Das bedeutet, dass kein Punkt eines Quadrates √ weiter als 2/2 von dessen Mittelpunkt entfernt sein kann. Das impliziert aber wiederum, dass sämtliche „Fehlerflächen“, egal ob wir zu viel oder zu wenig rechnen, innerhalb eines „Sicherheitsrings“ um den Kreisrand liegen, der von diesem in beide Richtun√ gen jeweils 2/2 entfernt ist. Die Summe sämtlicher Fehlerflächen ist also auf jeden Fall nicht größer als die Fläche dieses Rings. Können Sie diese Fläche berechnen? DER PL AN

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Wenn wir den Radius unseres Kreises mit r bezeichnen, dann √ √ wird der Ring durch Kreise mit den Radien r + 2/2 und r − 2/2 nach außen und innen begrenzt. Die Fläche des Rings ist daher einfach die Differenz der entsprechenden Kreisflächen: √ 2 √ 2 √   π r + 2/2 − π r − 2/2 = 2 2π r

Vor langer Zeit habe ich im Radio mal ein Gespräch mit Albert Mangelsdorff gehört. Er war damals über 50 Jahre alt und gerade von den Kritikern der führenden amerikanischen Fachzeitschrift zum weltbesten Jazz-Posaunisten gewählt worden. In dem Interview sagte er unter anderem, dass er nach wie vor jeden Tag mehrere Stunden üben würde. Warum erzähle ich das? Weil auch die größten Künstler ihr Handwerk beherrschen müssen. Darum habe ich eben auch nicht Schritt für Schritt vorgerechnet, wie man auf das Ergebnis kommt. Mathematik erfordert Kreativität, Inspiration und Verständnis. Aber manchmal muss man natürlich auch einfach rechnen, das kann Ihnen niemand abnehmen. Picasso wusste sicher auch, wie man Farben mischt. OK, wir wissen nun, dass die Fläche des „Sicherheitsrings“ proportional zum Radius anwächst. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht? Ich habe eigentlich schon vorweggenommen, dass es eine gute ist. Denn wir werden ja am Ende die Anzahl der Punkte (die Summe der Quadratflächen) durch das Quadrat des Kreisradius, also r 2 , teilen. Der Fehler, den unser Schätzwert für π haben wird, ist √ √ somit nicht 2 2π r , sondern 2 2π/r . Und in der im letzten Kapitel vorgestellten Sprache der Analysis ausgedrückt geht dieser Wert gegen null, wenn r gegen unendlich geht. Dem Gelingen unseres Plans steht also prinzipiell nichts entgegen. Wir müssen „nur“ noch einen möglichst simplen Weg finden, die Anzahl der Punkte in einem Kreis zu zählen. Das ist nicht gerade einfach, aber interessant. Diese Aufgabe wird uns in den nächsten 74

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Kapiteln beschäftigen und dann wird auch klar werden, welche Rolle die Primzahlen dabei spielen. Vorher sollte ich aber vielleicht mal erwähnen, von wem dieser Plan eigentlich stammt. Er beruht auf Ideen von Carl Friedrich Gauß, der im 19. Jahrhundert lebte und als einer der größten Mathematiker aller Zeiten gilt. Viele Experten meinen sogar, er sei der größte Mathematiker aller Zeiten. (Eigentlich sollte Gauß gerade in seinem Geburtsland Deutschland einen ähnlichen Popstar-Status wie Albert Einstein haben – dessen allgemeine Relativitätstheorie es ohne die geometrischen Vorarbeiten von Gauß übrigens gar nicht gäbe. Nur sehr wenige Menschen haben aber schon mal etwas von Gauß gehört. Liegt es daran, dass er vor dem Zeitalter der Massenmedien lebte? Ist Physik in der öffentlichen Wahrnehmung „cooler“ als Mathematik? Ich verstehe das jedenfalls nicht.) Gauß ging es bei seiner Beschäftigung mit Punkten und Kreisen allerdings nicht um die Approximation von π , sondern um etwas anderes. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, dann informieren Sie sich über das sogenannte Gaußsche Kreisproblem. Erlauben Sie mir noch eine weitere Abschweifung, bevor wir Punkte zählen. Hat Sie unsere Fehlerabschätzung eben überzeugt oder waren Sie eventuell nicht ganz zufrieden? Wir haben ganz großzügig als größten anzunehmenden Fehler die Fläche des Rings angesetzt und uns überzeugt, dass selbst diese im Vergleich zur Kreisfläche klein genug wird, wenn der Kreis nur groß genug ist. Aber kennen wir den wirklichen Fehler? Nein. Wir sind damit in der Situation einer Ingenieurin, die weiß, dass ein Röntgengerät sicher ist, wenn man es mit genügend Blei abschirmt, die aber nicht weiß, wie viel Blei im konkreten Fall benötigt wird. Zu wenig Blei wäre gefährlich, zu viel Blei macht die Maschine teuer und schwer. Die Relevanz solcher Fragen macht (unter anderem) den Unterschied zwischen der reinen und der angewandten Mathematik aus. In der reinen Mathematik geht es um die großen theoretischen Fragen. DER PL AN

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Man will beispielsweise wissen, ob etwas überhaupt möglich ist. In der angewandten Mathematik geht es um die Praxis. Wenn man erst einmal weiß, dass etwas möglich ist, dann möchte man Wege finden, den Job möglichst ökonomisch zu erledigen. Dazu gehören auch Fragen nach genauen Fehlerschranken und nach effizienten Methoden zur Berechnung von Schätzwerten, die in den Bereich der Numerik gehören. In diesem Buch geht es ausschließlich um reine Mathematik. Wir werden noch öfter lediglich sicherstellen, dass wir theoretisch zum Ziel kommen werden, ohne quantifizieren zu können, wie lang der Weg bis zum Ziel sein wird. Sagte ich schon, dass das Buch keinen praktischen Wert hat?

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PI UND DIE PRIMZAHLEN

MILLIMETERPAPIER

Wahrscheinlich hatte er die Idee im Bett. Von René Descartes heißt es nämlich, er habe bevorzugt im Bett gearbeitet und es selten vor dem Nachmittag verlassen. Zu Beginn der Neuzeit gab es eigentlich niemanden, der „nur“ Mathematiker war, auch weil es zwischen den verschiedenen Disziplinen nicht so klare Trennlinien wie heute gab. Leibniz beispielsweise war auch ein bedeutender Philosoph und arbeitete „nebenbei“ noch als Jurist, Historiker und politischer Berater. Newton war in erster Linie ein großer Physiker, aber er war auch Astronom und Theologe und suchte als Alchemist den Stein der Weisen, mit dem man unedle Metalle in Gold verwandeln können sollte. Und Descartes, um dessen wichtigsten Beitrag zur Mathematik es hier gehen soll, ist wohl besonders als Philosoph in Erinnerung geblieben (dessen Schriften übrigens auf dem berüchtigten Index der römischen Inquisition landeten). Es gibt eine weitere Parallele zu Newton und Leibniz: Auch Descartes’ Idee hatte zur gleichen Zeit jemand anders, nämlich sein Landsmann Pierre de Fermat, der im Verlauf des Buches noch eine wichtige Rolle spielen wird. Allerdings ist zwischen Descartes und Fermat kein ausufernder Prioritätsstreit überliefert – obwohl die beiden sich nicht immer grün waren und es diverse Zankereien per Briefpost gab. Benannt ist das geistige Kind der beiden auf jeden Fall nach Descartes bzw. nach seinem latinisierten Namen Cartesius. Aber was war denn nun die neue Sichtweise, die einen nicht unwesentlichen Teil von Descartes’ Nachruhm ausmacht? Die Geometrie © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_10

nach dem Vorbild von Euklid, die über einen langen Zeitraum die gesamte Mathematik dominierte, bezeichnet man heute als synthetische Geometrie. Die geometrischen Objekte (wie etwa Punkte, Geraden oder Dreiecke) werden über Axiome impliziert definiert und mithilfe von Konstruktionsmethoden werden die Beziehungen dieser Objekte zueinander untersucht. Weil es für uns heute schwer vorstellbar ist, muss man allerdings explizit aussprechen, was in Rahmen dieser Geometrie nicht gemacht wurde: Es wurde niemals gemessen. Es ging nie darum, wie lang eine bestimmte Strecke war oder welchen Flächeninhalt ein bestimmtes Polygon hatte, sondern höchstens um das Verhältnis solcher Größen zueinander. Die Geometer hatten sich darauf geeinigt, nur Lineale ohne Maßeinheiten zu verwenden. In der „neuen Geometrie“, die man analytische Geometrie nennt, ist das anders. Wollte man es mit modernen Begriffen ausdrücken, so könnte man sagen, dass Descartes und Fermat zur Orientierung Millimeterpapier auf die Ebene von Euklid legten, die vorher eine unendliche nichtssagende Wüste war.

Legt man willkürlich noch einen festen Bezugspunkt fest, so erhält man ein sogenanntes kartesisches Koordinatensystem.

Man kann nun Punkten „Adressen“ (ihre Koordinaten) zuordnen, anhand derer man sie eindeutig identifizieren kann. Die obere Ecke des Dreiecks in der Skizze hat beispielsweise die Koordinaten (1, 2) . Das bedeutet: vom Ursprung (dem Schnittpunkt der Achsen) aus 78

PI UND DIE PRIMZAHLEN

einen Schritt nach rechts, dann zwei Schritte nach oben. Der Punkt links unten hat die Koordinaten (−1,8, −2,3) . Die Zahlen sind negativ, weil man in die entgegengesetzte Richtung schauen muss. Jeder hat das in der Schule schon mal gesehen und es ist auch aus den Anwendungen nicht mehr wegzudenken. Unter anderem die gesamte Computergrafik beruht auf dieser Grundidee. Für die Mathematik ist die entscheidende Umwälzung, dass die Koordinaten geometrische Objekte in Zahlen „übersetzen“. Man konnte plötzlich mit Punkten, Geraden und Kreisen rechnen und damit Verfahren der Algebra auf die Geometrie anwenden. Umgekehrt kann man aber auch gelegentlich intuitive, auf geometrischer Anschauung beruhende Methoden verwenden, um abstrakte algebraische Probleme zu lösen. Der guten Ordnung halber muss man sagen, dass man in den Schriften von Descartes nirgends ein kartesisches Koordinatensystem finden wird. Und an eines, das sich beliebig weit nach links und unten erstreckt, hätte man damals ohnehin wohl nicht gedacht. Das hätte nämlich die Akzeptanz negativer Zahlen vorausgesetzt und im 17. Jahrhundert, zur Zeit von Descartes, waren die den Mathematikern noch nicht ganz geheuer. Descartes hat also das nach ihm benannte System nicht direkt vorgeschlagen, aber er hat den Boden dafür bereitet. Und er hat noch weitere Spuren hinterlassen. Die Konvention, Buchstaben vom Ende des Alphabets wie x , y und z für unbekannte Variablen zu verwenden und Buchstaben vom Anfang wie a , b und c für bekannte, hat er ebenfalls eingeführt. Noch wichtiger für die Entwicklung der Mathematik war aber sein Standpunkt, dass eine Größe wie a 2 nicht nur eine Fläche, sondern auch eine Länge repräsentieren kann. Heutzutage scheint uns das die natürlichste Sache der Welt zu sein, aber damals war das gewissermaßen ein Sakrileg. Euklid hätte sich im Grabe umgedreht! Wir haben bereits gesehen, wie kontrovers der Schritt von den Größen der Geometrie zu den Zahlen war. Descartes trug mit dazu M I L L I M E T E R PA P I E R

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bei, den Stein ins Rollen zu bringen, indem er eine „liberale“ Sicht auf die Größen der Geometrie ermöglichte. Übrigens wurde 150 Jahre nach seinem Tod die Kleinstadt, in der er geboren wurde, nach ihm benannt. Wer kann das schon von sich behaupten? Wir haben aber unser Vorhaben, Punkte zu zählen, nicht vergessen. Der Plan war, die Punkte auf einem regelmäßigen Gitter so anzuordnen, dass sie die Mittelpunkte von Quadraten der Fläche eins bilden, die einander berühren. Das sind genau die Punkte, die in einem kartesischen Koordinatensystem ganzzahlige Koordinaten haben: (1, 2) , (−3, 5) , (42, 23) und so weiter.

Den Kreis platzieren wir natürlich so, dass sein Mittelpunkt der Ursprung des Koordinatensystems ist. Durch die neue Brille von Descartes und Fermat betrachtet ist der Kreis dann die Gesamtheit aller Punkte, deren Abstand vom Ursprung dem Radius des Kreises entspricht.

Anders ausgedrückt: Wenn wir die zu zählenden Punkte identifizieren wollen – die, die sich im Inneren des Kreises befinden –, dann müssen wir ihre Abstände vom Ursprung berechnen und diese mit dem Kreisradius vergleichen. Wie berechnet man so einen Abstand? 80

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Ein angenehmer Nebeneffekt des kartesischen Koordinatensystems (der sogar eine tiefergehende Bedeutung hat, auf die ich an dieser Stelle aber nicht näher eingehen kann) ist, dass der Satz des Pythagoras quasi „eingebaut“ ist. Weil die Achsen im rechten Winkel aufeinander stehen, kann man den Abstand eines Punktes vom Ursprung direkt seinen Koordinaten entnehmen. Es bildet sich nämlich auf natürliche Weise immer ein rechtwinkliges Dreieck, dessen Hypotenuse die Verbindungslinie von Punkt und Ursprung ist.

Der Punkt (4, 2) in der Skizze hat beispielsweise nach Pythagoras den Abstand  √ 42 + 22 = 20 vom Schnittpunkt der Achsen. Man kann es auch so ausdrücken: Er liegt auf dem Kreis, dessen Mittelpunkt der Ursprung und dessen √ Radius 20 ist. Das führt zu einer wichtigen Erkenntnis, die der Grund dafür sein wird, dass wir uns in den folgenden Kapiteln nicht mit Geometrie, sondern mit Zahlentheorie beschäftigten werden: Wir haben gerade gesehen, dass ein Punkt mit den Koordinaten  (x, y) den Abstand x 2 + y 2 vom Ursprung hat. Wir betrachten nur Punkte, bei denen x und y ganze Zahlen sind. Dann ist x 2 + y 2 aber auch eine ganze Zahl. „Unsere“ Punkte können demnach nur auf √ √ √ konzentrischen Kreisen mit den Radien 1, 2, 3 und so weiter liegen. Wenn wir also beispielsweise wissen wollen, wie viele Punkte in der Kreisscheibe mit dem Radius 3,2 liegen, dann müssen wir zählen, √ √ wie viele Punkte auf den zehn Kreisen mit den Radien 1 bis 10 √ liegen, weil 10 ungefähr 3,16 ist. Und für die Kreisscheibe mit dem M I L L I M E T E R PA P I E R

81

√ Radius 3,3 wäre die Antwort dieselbe, weil die „nächste“ Wurzel 11 größer als 3,3 ist.

Wir werden daher den Plan aus dem letzten Kapitel etwas modifizieren und dadurch einfacher gestalten. Wir setzen für den Rest des Buches die folgende Bezeichnung fest: √ Pn : Anzahl der Punkte auf dem Kreis mit dem Radius n

Der Skizze können wir die ersten zehn Werte entnehmen: n

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Pn

4

4

0

4

8

0

0

4

4

8

Der Näherungswert für π , den wir berechnen wollten, war die Anzahl der Punkte (die Summe der Quadratflächen) geteilt durch das Quadrat des Kreisradius. Dieser Wert sieht mit der neuen Bezeichnung nun folgendermaßen aus: P1 + P2 + P3 + · · · + Pn n

Dabei steht n für eine natürliche Zahl und wir hatten uns bereits überlegt, dass unsere Näherung umso besser wird, je größer n ist. Dies ist ein ganz wichtiger Schritt auf dem Weg zum Ziel. Darum schlage ich vor, vor dem Weiterlesen eine Pause einzulegen und über die folgende Frage nachzudenken: 82

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Ist Ihnen klar, warum wir so vorgehen dürfen? Und wenn wir schon bei Fragen sind, dann habe ich gleich noch eine für Sie. Dafür sollten Sie sich die letzte Skizze noch einmal genau anschauen. Haben wir nicht etwas vergessen? Wir haben in der Tat etwas vergessen! Die Summe, die im Zähler des obigen Bruchs steht, berücksichtigt nicht den Punkt im Ursprung, der einfach „übersehen“ wird. Aber das ist zum Glück nicht schlimm. Wenn der Kreis immer größer wird, dann wird dieses eine Quadrat im Vergleich dazu so klein, dass es für den Schätzwert irgendwann irrelevant ist. (Aber vielleicht sollten Sie mir das nicht einfach glauben. Man kann sich relativ leicht davon überzeugen, dass es wirklich stimmt. Das läuft wieder auf einen Grenzwertprozess hinaus.)

M I L L I M E T E R PA P I E R

83

DIE ATOME DER MATHEMATIK

Über meinen einleitenden Satz, dass dieses Buch keinen praktischen Wert hat, hätte sich der englische Mathematiker Godfrey Harold Hardy wahrscheinlich gefreut. Er schrieb 1940 ein in Mathematikerkreisen recht bekanntes Essay mit dem Titel A Mathematician’s Apology, in dem er argumentierte, dass die Mathematik anhand von ästhetischen Kriterien beurteilt werden solle und nicht etwa auf der Basis ihrer Anwendbarkeit. Besonders stolz war er darauf, wie offensichtlich nutzlos sein Spezialgebiet, die Zahlentheorie, war. Wir entsinnen uns, dass in der klassischen Mathematik die Geometrie für die Größen zuständig war und man nur die natürlichen Zahlen als Zahlen ansah. Die Zahlentheorie beschäftigt sich, daher der Name, mit ebendiesen Zahlen und sie wurde tatsächlich über die Jahrhunderte als l’art pour l’art betrieben – aus purem Interesse, ohne dass irgendeine Anwendung erkennbar war. Hardy prognostizierte, dass sich das auch in Zukunft kaum ändern und seine Forschung sich nicht für kriegerische Zwecke eignen würde. Da irrte er sich allerdings gewaltig. Die Zahlentheorie spielt inzwischen eine zentrale Rolle in der Kryptographie und der amerikanische Nachrichtendienst NSA dürfte der weltweit größte Arbeitgeber für Zahlentheoretiker sein. Das ist aber natürlich nicht der Grund, warum die Zahlentheorie in diesem Buch erwähnt wird. Wir werden ihre Methoden auf der Suche nach unserer Formel für π benötigen. Da jedoch schon in den nächsten Kapiteln Begriffe aus der Zahlentheorie verwendet werden, hat sie bereits jetzt ihren ersten Auftritt in Form einer größtenteils © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_11

informellen Übersicht. Die fehlenden Beweise liefere ich in einem anderen Kontext nach. Das zentrale Thema der Zahlentheorie ist die Teilbarkeit und ihre Stars sind die Primzahlen. Wenn vier Mathematikerinnen neun Pizzen gerecht unter sich aufteilen, dann bekommt jede zwei ganze und noch ein Viertel. Das klappt bei Pizzen ganz gut, aber es funktioniert nicht mit neun Perlen, weil man Perlen wohl kaum vierteln will. Mathematisch formuliert bedeutet das, dass man neun nicht durch vier teilen kann, wenn man nur die natürlichen Zahlen zur Verfügung hat. Eine Perle bleibt übrig. Sie ist der Rest beim Teilen mit Rest, das den Kindern bereits in der Grundschule beigebracht wird. Wenn es beim Teilen keinen Rest gibt, dann sagt man, dass der Dividend durch den Divisor teilbar ist. Zwölf ist zum Beispiel durch drei teilbar, aber nicht durch fünf. Manchmal sagt man auch, dass drei ein Teiler von zwölf ist oder zwölf ein Vielfaches von drei. Das sind einfach nur unterschiedliche Formulierungen für denselben Sachverhalt. (Offenbar ist es sinnlos, im Zusammenhang mit rationalen Zahlen von Teilbarkeit zu sprechen. Wenn ich auf den folgenden Seiten einfach nur von Zahlen spreche, dann sind damit immer natürliche Zahlen gemeint, wenn ich nicht explizit ein Adjektiv wie rational oder reell verwende.) Jede Zahl ist durch eins und durch sich selbst teilbar. Anders ausgedrückt: Wenn ich sechs Pizzen unter sechs Personen aufteilen will, dann bekommt jeder eine und es bleibt nichts übrig. Es bleibt aber auch nichts übrig, wenn nur eine Person Pizza essen will (und sie sehr hungrig ist). Es gibt Zahlen, die sind nur durch eins und sich selbst teilbar. Fünf ist so eine Zahl: Man kann fünf Perlen weder unter zwei noch unter drei noch unter vier Personen so aufteilen, dass alle gleich viele (ganze) Perlen bekommen. Solche Zahlen nennt man Primzahlen. Hier die ersten zehn Primzahlen: 2 86

3

5

PI UND DIE PRIMZAHLEN

7

11

13

17

19

23

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„Moment!“, höre ich da einige Leser einwenden. „Die Eins ist doch auch nur durch eins und sich selbst teilbar. Warum fehlt die denn in der Liste?“ Die Antwort ist banal: Man setzt fest, dass eins keine Primzahl ist, weil das praktischer ist. Im Prinzip ist das wie mit der Frage, ob null eine natürliche Zahl ist oder nicht; man könnte es so oder so machen. Der Unterschied ist nur, dass sich bei den Primzahlen inzwischen alle Mathematiker einig sind: die Eins ist per definitionem keine Primzahl! (Für die Griechen der Antike war die Eins nicht mal eine Zahl. In der Mathematik ist eben nicht alles in Stein gemeißelt.) Durch die Definition der Primzahlen werden die natürlichen Zahlen in drei Klassen eingeteilt. Die eine Klasse besteht aus den Primzahlen, die zweite Klasse besteht aus den zusammengesetzten Zahlen; damit meint man die Zahlen, die noch durch mindestens eine andere Zahl als eins und sich selbst teilbar sind. Die beiden kleinsten zusammengesetzten Zahlen sind vier (durch zwei teilbar) und sechs (durch zwei und drei teilbar). Wieso drei Klassen? Das waren doch nur zwei. Es fehlt noch die Eins. Sie soll keine Primzahl sein, aber zusammengesetzt ist sie auch nicht; also bekommt sie eine Extrawurst gebraten und hat eine Klasse ganz für sich alleine. Wenn ein Teiler eine Primzahl ist, dann nennt man ihn einen Primteiler. Zwei ist beispielsweise ein Primteiler von zwölf, vier nicht; vier ist nur ein Teiler. Offensichtlich hat jede Zahl bis auf die Eins Primteiler: Handelt es sich um eine Primzahl, so ist sie selbst ein Primteiler von sich. Handelt es sich um eine zusammengesetzte Zahl, so muss sie einen Teiler haben, der kleiner als sie selbst, aber größer als eins ist. Ist dieser Teiler eine Primzahl, so haben wir einen Primteiler gefunden. Ist der Teiler eine zusammengesetzte Zahl, so muss er wiederum einen kleineren Teiler haben, der nicht eins ist. Der ist aber auch ein Teiler der ursprünglichen Zahl. Ist er eine Primzahl, so sind wir fertig. Ist er keine, dann. . . Naja, und so weiter. D I E ATO M E D E R M AT H E M AT I K

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Das muss irgendwann aufhören, weil jeder von diesen Teilern kleiner als der vorherige ist. Beispiel gefällig? 4200 ist keine Primzahl. Ein Teiler von 4200 ist 210. 210 ist auch keine Primzahl. Ein Teiler von 210 ist 10. Auch das ist keine Primzahl, aber 10 hat den Primteiler 5. Und 5 teilt auch 10, 210 und 4200. Also haben wir einen Primteiler von 4200 gefunden. Einen Teiler, der weder eins noch die zu teilende Zahl selbst ist, nennt man einen echten Teiler. Im obigen Beispiel war 210 ein echter Teiler von 4200. Und offenbar hat man, wenn man einen echten Teiler hat, immer gleich zwei. Der zweite ergibt sich durch Division, in diesem Fall, indem man 4200 durch 210 teilt. Man kommt auf den Teiler 20. Und wie wir 210 weiter zerlegt haben, kann man auch weitere Teiler von 20 finden. Das kann zum Beispiel so aussehen:

4200 210

20 10 2

2 5

21 3

10 7

2

5

Man kann offenbar so lange weiter zerlegen, bis man bei Primzahlen angelangt ist. Und die Zahl, mit der man angefangen hat, muss dann das Produkt dieser Primzahlen sein: 4200 = 20 · 210 = 10 · 2 · 21 · 10 = 2 · 5 · 2 · 3 · 7 · 2 · 5

Wir hätten es aber auch so machen können: 4200 100 42 6 7 10 10 2 3 2 5 2 5 In diesem Fall ergibt sich: 4200 = 2 · 3 · 7 · 2 · 5 · 2 · 5

Fällt Ihnen etwas auf? Da kommt dasselbe Produkt wie vorher heraus; nur die Reihenfolge der Faktoren wurde vertauscht, aber das 88

PI UND DIE PRIMZAHLEN

spielt beim Multiplizieren ja keine Rolle. Das ist der Grund dafür, dass die Primzahlen so wichtig sind. Jede Zahl (außer eins) lässt sich in ein Produkt von Primzahlen zerlegen und diese Zerlegung ist (bis auf die Reihenfolge) eindeutig: es gibt nur eine mögliche Zerlegung. Man nennt diese Aussage den Fundamentalsatz der Arithmetik. Ich hoffe, man ahnt anhand dieser Grafiken, warum das stimmen muss. Vielleicht probieren Sie selbst es ja noch mit ein paar anderen Zahlen aus. Falls Sie sich übrigens fragen, wie das mit dem Zerlegen von Primzahlen gemeint ist: Die kann man auch als Produkt von Primzahlen darstellen – es gibt dann nur einen Faktor und der ist die Primzahl selbst. Für Mathematiker ist klar, dass das so gemeint ist. Die finden ein Produkt mit nur einem Faktor ganz normal. Aber nach meiner Erfahrung sind Anfänger an dieser Stelle manchmal etwas verwirrt. Die Mathematiker gehen sogar noch einen Schritt weiter und sagen, dass sich auch die Eins als Produkt von Primzahlen darstellen lässt, und zwar als Produkt mit null (!) Faktoren. Das brauchen wir aber für unsere Zwecke nicht und ich befürchte auch, dass es bei einigen Lesern unnötige Konfusion stiften würde. Der Fundamentalsatz besagt, dass die Primzahlen sowas wie Atome sind. Materie lässt sich in Moleküle und die wiederum in Atome zerlegen und diese Zerlegung ist immer gleich. Ein Kochsalzmolekül besteht immer aus einem Natrium- und einem Chlor-Atom; da wird nicht auf einmal ein zweites Natrium-Atom auftauchen oder statt des Chlor-Atoms ein Gold-Atom. So ist das auch mit den Primzahlen. Vor einigen Seiten habe ich Ihnen den wunderschönen Beweis dafür gezeigt, dass die Quadratwurzel von zwei nicht rational sein kann. Dieser Beweis steht in den legendären Elementen von Euklid. Dort findet man noch einen weiteren klassischen und sehr eleganten Beweis, den vorzuführen ich mir auch nicht verkneifen kann; auch auf die Gefahr hin, dass einige Leserinnen ihn schon kennen. Es geht um eine Aussage, die man heutzutage den Satz von Euklid nennt: Es gibt unendlich viele Primzahlen. So hätte das Euklid aber nicht formuliert, denn das wäre ja aktuale Unendlichkeit gewesen. D I E ATO M E D E R M AT H E M AT I K

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In Euklids Worten besagt der Satz: „Es gibt mehr Primzahlen als jede vorgelegte Anzahl von Primzahlen.“ Noch anders ausgedrückt: Wenn Sie mir eine (endliche) Liste von Primzahlen zeigen, dann kann ich immer eine Primzahl finden, die nicht in Ihrer Liste steht. Wie beweist man das? Wenn Sie zwei Zahlen multiplizieren, dann sind diese beiden Zahlen natürlich Teiler des Produktes. Das gilt auch für mehr als zwei Zahlen. Multiplizieren Sie zum Beispiel 2, 3 und 7, so ergibt sich 42 und sowohl 2 als auch 3 als auch 7 sind Teiler von 42. Wenn andererseits a ein echter Teiler von b ist, dann kann a nicht Teiler von b + 1 sein. Denn beim Dividieren von b durch a gibt es ja keinen Rest, also muss es beim Dividieren von b + 1 durch a zwangsläufig den Rest eins geben. (Im obigen Beispiel ist 43 weder durch 2 noch durch 3 noch durch 7 teilbar.) Und das ist auch schon alles, was man für den Beweis braucht. Euklid kommt mit einer Liste von Primzahlen an. Wir nennen diese Primzahlen p1 bis p n . Sie rechnen nun die folgende Zahl aus: q = p1 · p2 · p3 · · · · · p n + 1

Wie geht es weiter? War Ihre Antwort, dass q eine Primzahl ist, die nicht in der Liste auftaucht? Sie waren auf der richtigen Spur, aber die Antwort ist nicht ganz korrekt. Diese Falle, in die viele tappen, zeigt, dass es in der Mathematik doch immer mal wieder auf Kleinigkeiten ankommt, die man beim Argumentieren nicht übersehen darf. Hier sehen Sie, was herauskommt, wenn p1, . . . , p n die Liste der ersten n Primzahlen ist: p 1, . . . , p n

2 2, 3 2, 3, 5 2, 3, 5, 7 2, 3, 5, 7, 11 2, 3, 5, 7, 11, 13 90

PI UND DIE PRIMZAHLEN

p1 · · · pn + 1

3 7 31 211 2311 30031

Die letzte Zahl, 30031, ist keine Primzahl, denn man kann sie durch 59 teilen. Die richtige Argumentation verläuft so: Entweder q ist eine Primzahl, die nicht in der Liste auftaucht, oder q ist eine zusammengesetzte Zahl. Die muss dann aber einen Primteiler haben und der kann nicht in der Liste stehen, denn so wurde q ja gerade konstruiert. (Der „neue“ Primteiler im Beispiel war die Zahl 59, die nicht in der Liste 2, 3, 5, 7, 11, 13 stand.) Der Satz von Euklid zeigt dann auch, dass der Vergleich mit den Atomen hinkt. Es gibt ja nicht unendlich viele verschiedene Atome. Auf jeden Fall sind die Primzahlen seit Jahrtausenden ein Faszinosum. Der in Bonn tätige amerikanische Zahlentheoretiker Don Zagier hat es mal so formuliert: There is no apparent reason why one number is prime and another not. To the contrary, upon looking at these numbers one has the feeling of being in the presence of one of the inexplicable secrets of creation.

Man hat das Gefühl, die Primzahlen würden zufällig wie Unkraut zwischen den zusammengesetzten Zahlen hervorsprießen. Niemandem ist es bisher gelungen, so etwas wie ein Bildungsgesetz oder eine Formel zur Erzeugung von Primzahlen anzugeben. Und nicht nur die professionellen Mathematiker finden die Primzahlen fesselnd. Gerade die Zahlentheorie weckt immer wieder das Interesse von Amateuren, was sicher auch daran liegt, dass viele Probleme, die mit den Primzahlen zusammenhängen, einerseits offenbar sehr schwer sind, weil sie teilweise seit Jahrhunderten einer Lösung harren, andererseits aber so leicht zu erklären, dass jede Schülerin sie versteht. Es ist scheinbar schwer zu akzeptieren, dass eine Frage, die man in zwei, drei einfachen Sätzen formulieren kann, sich seit Dezennien auch den klügsten Köpfen widersetzt. Auf die Gefahr hin, Eulen nach Athen zu tragen, will ich zum Abschluss des Kapitels zwei dieser Fragen nennen, die zu den bekanntesten zählen und die beide noch unbewiesen waren, als ich D I E ATO M E D E R M AT H E M AT I K

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diese Zeilen schrieb. In beiden Fällen gibt es durch den Einsatz von Computern überwältigende numerische Indizien, dass sie wahr sein dürften, aber es gibt eben bisher keinen Beweis. – Die Goldbachsche Vermutung aus dem Jahr 1742 besagt, dass sich jede gerade Zahl außer zwei als Summe zweier Primzahlen darstellen lässt. Damit ist etwas wie 4 = 2 + 2, oder 12 = 5 + 7 gemeint. Es ist auch nicht „verboten“, dass es mehr als eine Möglichkeit gibt: 42 = 5 + 37 = 11 + 31 = 13 + 29 = 19 + 23

Mit Computern wurde überprüft, dass die Behauptung zumindest für alle Zahlen bis 4 000 000 000 000 000 000 stimmt. Doch für Mathematiker ist das kein Beweis. – Die Primzahlzwillings-Vermutung, die mindestens 170 Jahre alt ist, besagt, dass es unendlich viele Paare von Primzahlen gibt, zwischen denen nur eine weitere Zahl liegt. Beispiele für solche Zwillinge sind 3 und 5 oder 41 und 43 oder 3 333 311 und 3 333 313. Näher können sich zwei Primzahlen (außer 2 und 3) nicht kommen, weil zwischen ihnen immer eine gerade Zahl liegen muss. Der größte Primzahlzwilling, den Computer bisher gefunden haben, besteht aus zwei Zahlen, die beide jeweils 388 342 Ziffern haben. Aber Sie wissen ja: das beweist gar nichts. Wenn Sie kein Profi sind und nicht von sich selbst denken, Sie seien ein Genie, dann empfehle ich Ihnen, nicht gerade mit einem dieser Probleme anzufangen. . .

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PI UND DIE PRIMZAHLEN

DER GOTT AUS DER MASCHINE

Dass Carl Friedrich Gauß, dessen Kreisproblem den roten Faden für dieses Buch liefert, ein Genie war, haben seine Lehrer recht früh bemerkt. Zum Glück, denn Gauß war das Kind armer und ungebildeter Eltern und ohne entsprechende Förderung und ohne die finanzielle Unterstützung des Herzogs seiner Geburtsstadt Braunschweig hätte die Nachwelt wohl nie etwas von ihm erfahren. Gerne und oft wird erzählt, wie Gauß als neunjähriger Schüler spontan eine Formel für die Summe der ersten hundert natürlichen Zahlen entwickelte, damit er diese nicht mühsam addieren musste. Ist ja auch eine schöne Geschichte. Ich erzähle Ihnen aber eine andere. Gauß starb 1855 – fast hundert Jahre, bevor die ersten brauchbaren Computer entwickelt wurden. Wenn Mathematiker damals etwas ausrechnen wollten, dann mussten sie das selbst erledigen, mit Bleistift und Papier. Die einzigen Hilfsmittel, die zur Verfügung standen, waren käuflich zu erwerbende Tafeln, in denen man beispielsweise Logarithmen nachschlagen konnte, die jemand anders schon einmal mit hohem Aufwand berechnet hatte. Gauß besaß so eine Tafel. (Übrigens eine, die von dem Herrn Lambert erstellt worden war, der auch die Irrationalität von π bewiesen hatte. Die Welt der Mathematik war damals noch ein Dorf.) In Lamberts Tafel befand sich auch eine Liste der ersten 100 000 natürlichen Zahlen, in der unter anderem vermerkt war, welche davon Primzahlen sind. Gauß brütete im Alter von 14 Jahren (!) über dieser Liste so lange, bis er aufgrund seiner Beobachtungen eine Vermutung über die quantitative Verteilung der Primzahlen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_12

entwickelt hatte, die sich als richtig herausstellte – aber erst ein Jahrhundert später mit sehr fortgeschrittenen Methoden bewiesen werden konnte. Die Verteilung der Primzahlen wird für uns keine Rolle spielen. Wichtig ist mir an dieser Geschichte, dass es hier wieder um Muster geht, die erkannt werden wollen. Wir haben darüber am Anfang des Buches bereits gesprochen. Natürlich gibt es nur wenige Menschen, die mit 14 Jahren solche Muster erkennen können. Aber selbst ein Jahrtausendgenie wie Gauß konnte das nicht im Vorbeigehen erledigen. Er musste sicher viel Zeit und Geduld aufbringen, bis er im Wust der Lambertschen Tabellen etwas erkennen konnte. Wenn ein mathematisches Resultat nacherzählt wird (und das macht dieses Buch ja), dann fallen immer mal wieder Zwischenschritte, die wahlweise clever oder genial sind, scheinbar vom Himmel. Im Theater nennt man das Deus ex Machina. Als Leser denkt man dann oft: „Ja, wenn man es so macht, dann klappt es. Aber wie soll man darauf kommen?“ Wie ich schon sagte, gibt es kein Rezept dafür. Irgendwann ist offenbar jemand darauf gekommen und im Allgemeinen weiß man nicht, wie scharfsinnig oder geistreich man dafür sein musste oder wie lange über dem Problem gebrütet wurde. Es wird in den folgenden Kapiteln noch viele solcher Wendungen geben. Es werden ja quasi Jahrhunderte mathematischer Forschung zu ein paar Dutzend Buchseiten destilliert. Da ich aber hoffe, bei einigen Lesern die Lust am Erschaffen (und nicht nur am Reproduzieren) von Mathematik zu wecken, werde ich in diesem Kapitel zumindest an einem Beispiel versuchen, ein Muster nicht einfach nur zu präsentieren, sondern einen möglichen Weg aufzeigen, wie man es vielleicht selbst hätte finden können. Es soll darum gehen, sich dem Wert Pn anzunähern, den wir im vorletzten Kapitel definiert haben – der Anzahl der Punkte mit √ ganzzahligen Koordinaten auf einem Kreis mit dem Radius n . Wir wollen ein Verfahren finden, das uns Pn zu einer vorgegebenen Zahl n liefert. Dafür werden wir noch einige Kapitel brauchen, aber hier 94

PI UND DIE PRIMZAHLEN

machen wir schon mal den Anfang. Schauen Sie sich als Erstes die Grafik auf Seite 82 noch einmal an. Können Sie dort Symmetrien erkennen? Wenn Sie eine Mathematikerin fragen, was Symmetrien sind, wird sie wahrscheinlich antworten, dass man mit diesem Begriff Objekte bezeichnet, die sich „unter bestimmten Transformationen nicht ändern“. Und sie wird vielleicht hinzufügen, dass Symmetrien in verschiedenen Bereichen der Mathematik (und übrigens auch der Physik) eine wichtige Rolle spielen. Das ist richtig, aber auch sehr abstrakt. Für die obige Frage reicht der Symmetriebegriff aus, den alle irgendwann mal in der Schule mitbekommen haben und der so auch im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet wird. Die Punkte, die wir zählen wollen, sind doppelt achsensymmetisch: Wenn man die Grafik an der horizontalen oder an der vertikalen Achse des Koordinatensystems spiegelt, dann ändert sich nichts. Das bedeutet, dass wir ebenso gut auch nur ein Viertel der Punkte betrachten könnten, zum Beispiel das obere rechte. (Den Punkt im Zentrum ignorieren wir ja ohnehin.) Und das machen wir ab jetzt auch. Wir setzen fest, dass Q n ein Viertel von Pn sein soll. Kennen wir Q n , dann kennen wir auch Pn , und umgekehrt. Das macht die Suche nach einem Bildungsgesetz für Pn nicht prinzipiell einfacher, aber es wird uns an manchen Stellen überflüssige Rechenarbeit ersparen. War das alles korrekt oder habe ich geflunkert? In der Mathematik muss man immer höllisch aufpassen, dass man nichts übersehen hat. Darum formulieren Mathematiker so vorsichtig und darum muss man Mathematik auch langsam und oft mehrfach lesen. Dass man die Anzahl der Punkte aus Symmetriegründen durch vier teilen darf, ist zwar richtig, aber meine Begründung war falsch. Wenn ein Punktmuster doppelt achsensymmetisch ist, D E R G OT T AU S D E R M A S C H I N E

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heißt das noch lange nicht, dass die Anzahl der Punkte durch vier teilbar sein muss.

Wie könnte eine richtige Begründung aussehen?

Um wie der junge Gauß ein Muster erkennen zu können, wäre so etwas wie die Tafel von Lambert hilfreich. Die zehn Werte aus dem vorletzten Kapitel reichen sicher nicht. Im Gegensatz zu Gauß haben wir heute allerdings Computer zur Verfügung. Falls Sie programmieren können, dann sollten Sie jetzt vielleicht ein kleines Programm schreiben, das Ihnen die ersten hundert oder tausend Werte für Pn bzw. Q n berechnet. Für den Fall, dass Sie nicht programmieren können, finden Sie auf der nächsten Seite 300 Werte. Und damit Sie nicht denken, es kämen immer nur Zahlen heraus, die kleiner als fünf sind, folgen hier exemplarisch noch ein paar größere. n Qn

625

850

1105

4225

5525

5

6

8

9

12

Es ist sicher nicht einfach, da etwas zu finden. Aber einen Versuch ist es wert! Nichts gefunden? Macht nichts! Und wenn Sie nicht das gefunden haben, was ich Ihnen jetzt einzureden versuche, macht das auch nichts. Man kann einerseits an diesen Tabellen verschiedene Dinge erkennen, andererseits sind es viel zu wenige Werte, um wirklich mit Sicherheit etwas sagen zu können. Es ging zunächst nur um den Spaß beim Suchen. 96

PI UND DIE PRIMZAHLEN

n

Qn

n

Qn

n

Qn

n

Qn

n

Qn

n

Qn

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50

1 1 0 1 2 0 0 1 1 2 0 0 2 0 0 1 2 1 0 2 0 0 0 0 3 2 0 0 2 0 0 1 0 2 0 1 2 0 0 2 2 0 0 0 2 0 0 0 1 3

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

0 2 2 0 0 0 0 2 0 0 2 0 0 1 4 0 0 2 0 0 0 1 2 2 0 0 0 0 0 2 1 2 0 0 4 0 0 0 2 2 0 0 0 0 0 0 2 1 0 3

101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150

2 0 0 2 0 2 0 0 2 0 0 0 2 0 0 2 2 0 0 0 1 2 0 0 4 0 0 1 0 4 0 0 0 0 0 2 2 0 0 0 0 0 0 1 4 2 0 2 2 0

151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200

0 0 2 0 0 0 2 0 0 2 0 1 0 2 0 0 0 0 3 4 0 0 2 0 0 0 0 2 0 2 2 0 0 0 4 0 0 0 0 0 0 0 2 2 0 1 2 0 0 3

201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250

0 2 0 0 4 0 0 2 0 0 0 2 0 0 0 0 0 2 0 0 4 0 0 0 3 2 0 0 2 0 0 2 2 2 0 0 0 0 0 0 2 1 0 2 2 0 0 0 0 4

251 252 253 254 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300

0 0 0 0 0 1 2 0 0 4 2 0 0 0 4 0 0 0 2 0 0 2 0 2 0 0 2 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 1 3 4 0 2 2 0 0 2 0 2 0 0

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Wenn Sie Lust haben, dann gebe ich Ihnen jetzt noch zwei Tipps, um Sie auf eine bestimmte Fährte zu lenken. Vielleicht denken Sie über diese Tipps auch jeweils noch ein bisschen nach. Erster Tipp: Es wird sich herausstellen, dass Werte, die weiter hinten in der Tabelle stehen, sich häufig aus Werten herleiten lassen, die weiter vorne stehen. Beispielsweise kennt man Q 65 , wenn man Q 5 und Q 13 kennt. Und man kennt Q 50 , wenn man Q 2 und Q 25 kennt. Ebenso kann man Q 1105 ermitteln, wenn man die beiden Zahlen Q 17 und Q 65 schon hat. Hilft Ihnen das weiter? Wenn man sich nur die Werte aus meinem Tipp anschaut, dann könnte man folgende Hypothese aufstellen: Q m ·n = Q m · Q n

Und das gilt unter anderem auch für m = 5 und n = 17 oder für m = 7 und n = 5. (Finden Sie noch andere Beispiele?) Zweiter Tipp: Die Hypothese stimmt nicht immer. Beispielsweise stimmt sie meistens nicht, wenn m = n gilt. Sie stimmt aber auch für m = 65 und n = 85 nicht. ( 65 · 85 ist 5525. Die Zahl Q 5525 finden Sie in der kleinen Tabelle weiter oben.) Was unterscheidet das Zahlenpaar (65, 85) von Paaren wie (5, 13) oder (2, 25)? Ich sage Ihnen, worauf ich hinauswollte: Die obige Hypothese stimmt dann, wenn m und n teilerfremd sind. Darum muss sie für Fälle wie m = n nicht zutreffen und auch für m = 65 und n = 85 nicht, weil diese beiden Zahlen den gemeinsamen Teiler fünf haben. Sie können nun alle Werte aus der Tabelle durchgehen und nachrechnen, dass diese Behauptung immer zutrifft. Aber wir wissen ja schon, dass das nichts beweist. Und eine größere Tabelle hilft auch nicht. Wir müssen also mehr Arbeit investieren. Weiter geht’s!

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RESTE

Wenn es vor Beginn der Saison ins Trainingslager geht, dann wissen die Spieler noch nicht, welche Taktik der neue Trainer spielen will. Sie absolvieren Übungen, deren Sinn ihnen erst später klar werden wird. So ähnlich wird es Ihnen nun auch ergehen. Bevor wir systematisch ein Verfahren zum Zählen der Punkte entwickeln können, müssen wir erst einiges an Vorarbeit leisten. Und dabei wird anfangs nicht unbedingt deutlich werden, warum wir das machen. Ich kann Ihnen im Moment nur versprechen, dass wir alles, was wir uns hier und in den folgenden Kapiteln anschauen, auf dem Weg zur π -Formel noch brauchen werden. Als Aufwärmübung für unser Training fangen wir mit einer Frage an. Ich erwarte nicht unbedingt, dass Sie auf die Antwort kommen, aber Sie sollten auf jeden Fall mal darüber nachdenken. Ist 51 000 000 000 + 3 durch vier teilbar? Falls Ihr erster Reflex war, den Computer zur Hilfe zu nehmen: Für typische Programmiersprachen ist die Zahl, um die es hier geht, viel zu groß; da muss man schon spezielle Verfahren einsetzen. Die allermeisten Mathematiker können die Frage aber ganz schnell und im Kopf beantworten. Sie verwenden dafür eine Technik, die man modulare Arithmetik nennt und die von Carl Friedrich Gauß um 1800 als effizientes Werkzeug für die Zahlentheorie entwickelt wurde. Es geht dabei um Reste bei der Division und wie sie sich durch Rechnen fortpflanzen. Da es in der Zahlentheorie in erster Linie um © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_13

Teilbarkeit geht und da man die Teilbarkeit daran erkennen kann, ob es bei der Division keinen Rest gibt, ist nachvollziehbar, warum so etwas nützlich sein kann. Gauß’ Methode beruht auf der Einsicht, dass beispielsweise die Summe von zwei durch sieben teilbaren Zahlen wieder durch sieben teilbar ist. Er hat sich überlegt, wie man das verallgemeinern kann. Bevor wir uns das anschauen, muss ich aber noch etwas zum generellen Vorgehen sagen. Ich werde auf den folgenden Seiten häufig eine Technik anwenden, die man halb scherzhaft Beweis durch Beispiel nennt. Sie ist in Fachartikeln und in der Ausbildung zukünftiger Mathematiker verpönt, kann aber didaktisch durchaus sinnvoll sein. Dass man nur durch das Betrachten von Beispielen keine allgemeingültigen Aussagen beweisen kann, haben wir schon auf den ersten Seiten gesehen, als es um die Aufteilung eines Kreises in Gebiete ging. Hätte man sich auf das Überprüfen einiger weniger Beispiele beschränkt, so hätte man eine falsche Aussage „bewiesen“. Damit so etwas nicht passiert, sind angehende Mathematikerinnen angehalten, möglichst allgemein zu argumentieren. Will man beispielsweise die binomischen Formeln beweisen, so setzt man nicht nur ein paar konkrete Zahlen ein, um sich zu überzeugen, dass das schon stimmen wird. Man arbeitet stattdessen mit Buchstaben, die Platzhalter für irgendwelche Zahlen sind, und achtet darauf, dass man nur Umformungen anwendet, die mit jeder Zahl funktionieren. Andererseits denken die meisten Menschen in konkreten Beispielen. Auch Mathematikerinnen, die von Berufs wegen abstraktes Denken gewohnt sind, fangen typischerweise mit Beispielen an und arbeiten sich dann erst zu allgemeinen Aussagen vor. Der berühmte englische Mathematiker John Horton Conway, der 2020 an den Folgen von COVID-19 verstarb, hat es mal überspitzt so formuliert: To many, mathematics is a collection of theorems. For me, mathematics is a collection of examples.

Und in der mathematischen Paradedisziplin Geometrie ist es seit der Antike üblich, Beweise durch Grafiken zu unterstützen. Die 100

PI UND DIE PRIMZAHLEN

sind aber auch nichts anderes als Beispiele. Unglücklich gewählte Illustrationen können allgemeine Zusammenhänge suggerieren, die gar nicht vorhanden sind. Ist das eine Dreieck wirklich immer größer als das andere oder ist das nur in der Skizze so, weil der Winkel besonders spitz ist? Schneiden sich die beiden Kreise in jedem Fall oder nur in dieser Grafik, weil sie dort fast gleich groß sind? Tatsächlich fand man Ende des 19. Jahrhunderts sogar in Euklids Elementen subtile Versäumnisse, die man darauf zurückführte, dass Euklid anschaulich und nicht nur rein logisch argumentiert hatte. Das führte unter anderem dazu, dass das französische Autorenkollektiv Bourbaki Beispiele und Grafiken aus seinen einflussreichen Büchern komplett verbannte und damit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen staubtrockenen Lehrstil etablierte, unter dem Generationen von Studenten, zu denen ich mich auch zähle, zu leiden hatten. Zum Glück sieht es aktuell so aus, als schlüge das Pendel wieder in die andere Richtung aus. Die Beweise durch Beispiel, um die es mir geht, sind jedenfalls didaktische Hilfsmittel, die sich in der Praxis bewährt haben – insbesondere bei interessierten, aber in formaler Mathematik nicht so versierten Lesern. Sie sind jedoch keinesfalls so gemeint, dass man ein, zwei Beispiele überprüft und dann die Daumen drückt, dass es in allen anderen Fällen auch so sein wird. Vielmehr muss erst der allgemeine Beweis erbracht worden sein und der wird dann auf ein instruktives Beispiel übertragen. Wenn ich also etwa in einem der folgenden Kapitel den Beweis einer Aussage über ungerade Primzahlen anhand der Zahl 41 vorführe, dann ist es so gemeint, dass man stattdessen auch 43 oder 42433 oder den Buchstaben p hätte nehmen können. Die Zahl 41 wurde vielleicht gewählt, weil sie gerade die richtige Größe für eine Illustration der Beweisidee hat. Aber im Beweis dürfen keine speziellen Eigenschaften dieser Zahl verwendet werden. (Es darf also verwendet werden, dass 41 eine ungerade Primzahl ist, aber nicht, dass 41 kleiner als 100 ist oder Teil eines Primzahlzwillings.) Darauf zu achten ist natürlich Aufgabe des Autors – also in diesem Fall meine. Ich lade Sie aber vorweg schon mal ein, die auf den RESTE

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folgenden Seiten vorgeführten Beweise mit anderen Beispielen selbst zu überprüfen. Das ist ohnehin eine gute Übung fürs Verständnis. Aber zurück zur modularen Arithmetik. Wir werden uns in diesem Kapitel ausschließlich mit der Division durch vier beschäftigen, weil wir die als Erstes brauchen werden. (Beweis durch Beispiel. . . ) Alles, was wir hier lernen, funktioniert jedoch auch mit jeder anderen Zahl! Wir kommen darauf wieder zurück, aber Sie sollten sich auf den folgenden Seiten zur Übung immer schon mal überlegen, wie das ganze beispielsweise mit fünf statt vier aussähe. Wenn ich von zwei Zahlen jeweils den Rest beim Teilen durch vier kenne, kann ich dann den Rest ihrer Summe vorhersagen, ohne die Zahlen zu kennen? Ja, das geht, und es ist sogar ganz einfach! Addieren wir exemplarisch die Zahlen 10 und 13. Wenn man die beiden durch 4 teilt, kommen als Reste 2 und 1 heraus. Addiert man sie, erhält man 23. Und der Rest, wenn man 23 durch 4 teilt, ist 3. Das ist die Summe der Reste 2 und 1. Ist das Zufall? Nein. Schauen wir es uns grafisch an:

Man sieht, dass die weißen Viererblöcke für den Rest der Summe keine Rolle spielen. Was zählt, sind nur die schwarzen Reste, die addiert werden. Allerdings ist es noch ein kleines bisschen komplizierter. Um das zu verstehen, ersetzen wir 13 durch 15:

Auch hier sind nur die Reste 2 und 3 relevant. Deren Summe ist allerdings größer als 4. Der Rest der Summe ist also nicht einfach die Summe der Reste. Man muss es etwas genauer formulieren: Es ist der Rest, der sich ergibt, wenn man die Summe der Reste durch vier teilt. (Es lässt sich leider nicht vermeiden, dass die mathematische Sprache zuweilen ein wenig gestelzt klingt, wenn man sich präzise ausdrücken will.) 102

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Falls Ihnen das zu aufwendig vorkommt, dann machen Sie sich klar, dass es beim Dividieren durch vier nur vier mögliche Reste gibt: 0, 1, 2 und 3. Wenn wir uns nur die Summen der Reste anschauen müssen, dann gibt es also lediglich die folgenden Möglichkeiten: +

0

1

2

3

0 1 2 3

0 1 2 3

1 2 3 0

2 3 0 1

3 0 1 2

Mehr muss man über das Addieren von Resten nicht wissen. Und da die Tabelle offenbar auch noch achsensymmetrisch zur Diagonalen von links oben nach rechts unten ist, braucht man sogar nur einen Teil der Informationen. Überprüfen Sie durch Nachrechnen die obige Tabelle. Wir haben an dieser Stelle auch die Gelegenheit, noch einmal über Beweise durch Beispiel nachzudenken, weil dies einer war. Wir haben uns nur die Beispiele 10, 13 und 15 angeschaut. Dass das Gesagte auch für andere Zahlen gilt, kann man aber leicht erkennen. Ersetzt man beispielsweise 10 durch 14 oder 18, so ändert sich zwar die Zahl der (irrelevanten) Viererblöcke, aber die Situation bei den schwarzen Resten bleibt gleich. Das meine ich, wenn ich sage, dass keine speziellen Eigenschaften des Beispiels verwendet werden. Nun zur Multiplikation. Exemplarisch multiplizieren wir die Zahlen 10 und 13. Schauen Sie sich die Grafik in Ruhe an, bis Sie sehen, wie der Rest des Produktes entsteht.

RESTE

103

Sowohl die weißen als auch die grauen Quadrate haben keine Relevanz, weil man sie auf naheliegende Weise in Viererblöcke aufteilen kann. Der Rest des Produktes hängt also nur vom Produkt der Reste ab. Es ist wie eben, wir müssen nur das Wort Summe durch das Wort Produkt ersetzen. Darum brauchen wir auch für das Multiplizieren nur eine simple Tabelle, die sogar noch einfacher ist: ·

0

1

2

3

0 1 2 3

0 0 0 0

0 1 2 3

0 2 0 2

0 3 2 1

Und das ist vorerst alles, was wir an modularer Arithmetik brauchen. Wenn Sie in Zukunft den Rest bei Division durch vier einer Zahl wie 123457 · 6891015 + 121314 benötigen, dann ersetzen Sie einfach alle Zahlen durch ihre Viererreste, d.h. Sie berechnen stattdessen 1 · 3 + 2. Die Zwischenergebnisse entnehmen Sie entweder den obigen Tabellen oder, noch einfacher, Sie rechnen alles „normal“ aus (5) und ersetzen es dann durch den Rest bei Division durch 4, also durch 1. Sie müssen lediglich einen typischen Fehler vermeiden. Eine Potenz wie 145 steht bekanntlich für 14 · 14 · 14 · 14 · 14. Hier dürfen Sie 14 wie eben durch 2 ersetzen, also 145 durch 25 . Das ergibt 32 und somit 0. ( 145 ist also durch 4 teilbar.) Sie dürfen aber nicht die Fünf im Exponenten durch eine Eins setzen. Dann kämen Sie auf das falsche Ergebnis zwei. (Und warum sollten Sie das auch dürfen? Unsere Herleitung gibt das nicht her, weil wir zwar über Addition und Multiplikation, aber nicht über Exponentiation gesprochen haben.) Zum Schluss kann ich Ihnen die Frage von vorhin noch einmal vorsetzen. Die kommt Ihnen nun hoffentlich ganz einfach vor. Ist 51 000 000 000 + 3 durch vier teilbar?

104

PI UND DIE PRIMZAHLEN

DER AMATEUR UND DIE WINDMÜHLEN

Pierre de Fermat war ein Amateur. Und zwar in dem Sinne des Wortes, mit dem jemand gemeint ist, der eine Tätigkeit aus Liebhaberei ausübt, ohne einen Beruf daraus zu machen. Er war Jurist und Politiker und beschäftigte sich nur in seiner Freizeit mit der Mathematik. Trotzdem gilt er als wichtigster Mathematiker der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und wird häufig als größter Amateur-Mathematiker aller Zeiten bezeichnet. Wir sind Fermat schon im Zusammenhang mit der analytischen Geometrie begegnet. Er hat auch Methoden der Infinitesimalrechnung antizipiert und ist einer der Begründer der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Sein Lieblingsthema aber war die Zahlentheorie, die er aus einem tausendjährigen Dornröschenschlaf erweckte, der mit dem Ende der Antike begonnen hatte. Um Zahlentheorie wird es auch in diesem Kapitel gehen. Fermats Beschäftigung mit der Zahlentheorie zeigt nebenbei besonders eindrücklich Poincarés Freude des Verstehens. Gerade die Frage, die wir auf den nächsten Seiten behandeln werden, hatte überhaupt keinen Anwendungsbezug. Fermat hat sich offenbar einzig und allein mit ihr beschäftigt, weil er die Antwort wissen wollte und weil der Weg dahin ihm Freude bereitete. Für uns gibt es aber eine „Anwendung“. Wir arbeiten ja an einem Verfahren, die Anzahl Pn der Punkte mit ganzzahligen Koordinaten √ auf einem Kreis mit Radius n zu bestimmen. Wenn unsere Hypothese stimmt (das wissen wir noch nicht), dass man diese Zahlen für große Indizes n auf Werte für kleinere zurückführen kann, wenn © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_14

man n in teilerfremde Faktoren zerlegen kann, dann liegt es nahe, sich zunächst auf den Fall zu beschränken, dass n eine Primzahl ist. Und das machen wir jetzt. Wenn p eine Primzahl ist und der Punkt (x, y) auf einem Kreis √ mit dem Radius p liegt, gilt nach Pythagoras x 2 + y 2 = p . Und wenn wir davon ausgehen, dass x und y ganze Zahlen sind, dann ist die uns interessierende Frage: Welche Primzahlen lassen sich als Summe zweier Quadrate von natürlichen Zahlen darstellen? Diese Frage hat sich Fermat um 1640 auch gestellt. Und er hat sie beantwortet. Fangen wir mit dem einfachsten Fall an. Die kleinste Primzahl lässt sich definitiv als Summe von Quadraten darstellen und das offenbar auch nur auf eine einzige Art und Weise: 2 = 12 + 12 . Ich habe diesen Fall absichtlich vorab behandelt, weil die Zwei ein bisschen aus der Reihe tanzt. Sie ist die einzige gerade Primzahl und nur sie lässt sich daher als Summe zweier gleicher Quadrate darstellen. Nachdem das erledigt ist, können wir uns nun auf ungerade Primzahlen konzentrieren. Schon gleich bei der ersten, der Drei, klappt es nicht. Bei der nächsten funktioniert es: 5 = 12 + 22 . Bei der Sieben wieder nicht. Wie stellt man überhaupt fest, ob es klappt? Hier sind die ersten neun Primzahlen, die man nicht als Summe zweier Quadrate darstellen kann: 3

7

11

19

23

31

43

47

59

Und hier ein paar positive Fälle: 5=1+4 37 = 1 + 36

13 = 4 + 9

17 = 1 + 16

29 = 4 + 25

41 = 16 + 25

53 = 4 + 49

61 = 25 + 36

Ich war nicht dabei, aber ich bin mir sicher, dass Fermat auch so angefangen haben muss. Einfach erst mal rumprobieren, viele Fälle durchrechnen. Natürlich alles ohne Computer; das war ja noch 106

PI UND DIE PRIMZAHLEN

vor den Zeiten von Gauß und es gab noch nicht mal irgendwelche Tafelwerke (die ihm aber auch nicht viel geholfen hätten). Jetzt gilt es mal wieder, ein Muster zu erkennen. Ganz offensichtlich ist es nicht, zum Beispiel wechseln sich Erfolg und Misserfolg nicht einfach ab. Aber wir wissen ja schon, dass man Geduld braucht. Vielleicht hilft es, sich nur die Erfolge anzuschauen. Ich kann zum Glück einen elektronischen Rechenknecht anwerfen und mir die ersten hundert auf dem Silbertablett servieren lassen: 5 13 17 29 37 41 53 61 73 89 97 101 109 113 137 149 157 173 181 193 197 229 233 241 257 269 277 281 293 313 317 337 349 353 373 389 397 401 409 421 433 449 457 461 509 521 541 557 569 577 593 601 613 617 641 653 661 673 677 701 709 733 757 761 769 773 797 809 821 829 853 857 877 881 929 937 941 953 977 997 1009 1013 1021 1033 1049 1061 1069 1093 1097 1109 1117 1129 1153 1181 1193 1201 1213 1217 1229 1237 1249

Sehen Sie ein Muster? Ich hätte da jedenfalls nichts erkannt. Manchmal – nicht nur in der Mathematik – hilft es aber, wenn man Dinge unter einem anderen Blickwinkel betrachtet. Man wechselt die Perspektive, sortiert um, fasst zusammen; der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Kreativität ist gefragt. Der „Trick“ in diesem Fall ist, alle ungeraden Zahlen (nicht nur die Primzahlen) in tabellarischer Form aufzuschreiben. Dann werden die Zahlen weggestrichen, die keine Primzahlen sind, und anschließend die Primzahlen, die sich nicht als Summe zweier Quadrate darstellen lassen. Das Ergebnis sehen Sie auf der nächsten Seite. Was fällt Ihnen jetzt auf? Offenbar kommt es auf die Spalten (und nicht auf die Zeilen) an. Zunächst mal eine unwichtige Sache: Dass es in zwei Spalten (fast) keine Primzahlen gibt, ist ein Artefakt, das mit der Anzahl der D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N

107

3 31 59 87 115 143 171 199 227 255 283 311 339 367 395 423 451 479 507 535 563 591 619 647 675 703

5 33 61 89 117 145 173 201 229 257 285 313 341 369 397 425 453 481 509 537 565 593 621 649 677 705

7 35 63 91 119 147 175 203 231 259 287 315 343 371 399 427 455 483 511 539 567 595 623 651 679 707

9 37 65 93 121 149 177 205 233 261 289 317 345 373 401 429 457 485 513 541 569 597 625 653 681 709

11 39 67 95 123 151 179 207 235 263 291 319 347 375 403 431 459 487 515 543 571 599 627 655 683 711

13 41 69 97 125 153 181 209 237 265 293 321 349 377 405 433 461 489 517 545 573 601 629 657 685 713

15 43 71 99 127 155 183 211 239 267 295 323 351 379 407 435 463 491 519 547 575 603 631 659 687 715

17 45 73 101 129 157 185 213 241 269 297 325 353 381 409 437 465 493 521 549 577 605 633 661 689 717

19 47 75 103 131 159 187 215 243 271 299 327 355 383 411 439 467 495 523 551 579 607 635 663 691 719

21 49 77 105 133 161 189 217 245 273 301 329 357 385 413 441 469 497 525 553 581 609 637 665 693 721

23 51 79 107 135 163 191 219 247 275 303 331 359 387 415 443 471 499 527 555 583 611 639 667 695 723

25 53 81 109 137 165 193 221 249 277 305 333 361 389 417 445 473 501 529 557 585 613 641 669 697 725

27 55 83 111 139 167 195 223 251 279 307 335 363 391 419 447 475 503 531 559 587 615 643 671 699 727

29 57 85 113 141 169 197 225 253 281 309 337 365 393 421 449 477 505 533 561 589 617 645 673 701 729

Spalten zusammenhängt. Wir haben 14 Spalten, also ist der Abstand zweier benachbarter Zeilen 28. Da diese Zahl durch 7 teilbar ist, stehen in der dritten und zehnten Spalte nur Vielfache von 7. Bei einer anderen Spaltenzahl hätten wir andere „langweilige“ Spalten. Interessanter ist, dass in sämtlichen Spalten entweder alle Primzahlen sich als Summe zweier Quadrate darstellen lassen oder keine einzige. Da die geraden Zahlen fehlen, springt man von einer Spalte zur nächsten um zwei Zahlen weiter. Man springt also von einer „Erfolgsspalte“ zur nächsten um vier Zahlen weiter. Und wenn man um vier vorrückt, ändert sich der Rest bei Division durch vier nicht. Anders ausgedrückt: Hat eine Primzahl den Rest eins bei Division durch vier, dann kann man sie als Summe zweier Quadrate darstellen, ist der Rest hingegen drei, dann geht das nicht. Und das ist der ZweiQuadrate-Satz von Fermat: Eine ungerade Primzahl ist dann und nur dann Summe zweier Quadrate, wenn sie von der Form 4n + 1 ist. Wir müssen das natürlich noch beweisen, weil es bisher nur eine Vermutung auf der Basis einer kleinen Tabelle ist. Und das bietet 108

PI UND DIE PRIMZAHLEN

mir die Gelegenheit für eine weitere Abschweifung. Ich kann noch mal darauf zurückkommen, dass es für mathematische Theoreme oft mehr als einen Beweis gibt. Dies hier ist ein typisches Beispiel. Fermat selbst hat kaum etwas bewiesen und nie etwas publiziert. Auch in dieser Hinsicht war er kein typischer Mathematiker. Was wir von ihm wissen, stammt aus seinem Nachlass, den sein Sohn herausgegeben hat, und aus seinen Briefwechseln mit anderen Mathematikern (die häufig den Umweg über den Mönch Marin Mersenne nahmen, der sowas wie das erste soziale Netzwerk für Wissenschaftler war). Bewiesen wurde der Zwei-Quadrate-Satz zum ersten Mal von Euler, und zwar über hundert Jahre, nachdem Fermat ihn formuliert hatte. Danach gab es noch diverse weitere Beweise, unter anderem auch von Gauß, bis schließlich 1971 der Brite Roger Heath-Brown im Alter von 18 Jahren einen besonders eleganten fand. Der wurde wiederum von dem schon erwähnten Don Zagier 1990 so weit vereinfacht, dass er kürzer als dieser Absatz ist. Allerdings kann man Zagiers Variante als Nichtmathematiker nicht mehr so ohne Weiteres verstehen. Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte. Der legendäre ungarische Mathematiker Paul Erdős hat mal im Scherz gesagt, Gott hätte ein Buch, in dem für jeden mathematischen Satz die besten Beweise stünden – die, die elegant und perfekt seien. Zwei seiner Kollegen haben sich dadurch inspirieren lassen und Ende der 90er-Jahre angefangen, besonders schöne Beweise zu sammeln. Das Ergebnis, Proofs from THE BOOK, liegt inzwischen in der sechsten Auflage vor und wurde in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Das BUCH enthält eine grafische Version des Beweises von Heath-Brown und Zagier, die sich der russische Lehrer Alexander Spivak 2007 ausgedacht hat. Diese Version führe ich Ihnen jetzt vor. Leider kann ich Ihnen nicht zum Vergleich den ersten Beweis von Euler zeigen, der lang und kompliziert war. Aber ich glaube, der Beweis von Spivak macht auch so deutlich, wie viel Wert die Mathematiker auf die Ästhetik legen und warum sie keine Ruhe lassen, bis sie „den Beweis für das BUCH“ gefunden haben. D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N

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Ein Teil des Beweises ist allerdings so einfach, dass man dafür keine tollen Ideen braucht. Mathematiker würden ihn trivial nennen. (Etwas gehässig formuliert bezeichnen Mathematiker etwas dann als trivial, wenn sie es verstanden haben.) Ich rekapituliere noch mal: Es geht um ungerade Primzahlen – also alle außer der Zwei. Wenn man eine ungerade Zahl durch vier teilt, kann sich als Rest nur eins oder drei ergeben. Wir werden zuerst zeigen, dass für die Zahlen, bei denen der Rest drei ist, keine Darstellung als Summe zweier Quadrate möglich ist. Sie ahnen vielleicht schon, dass das ein Job für die modulare Arithmetik ist. Schauen wir uns die Tabelle auf Seite 104 an. Wenn man das Quadrat einer Zahl bildet, dann kann als Rest dieses Quadrates bei Division durch vier offensichtlich nur einer der Werte in der Diagonalen herauskommen, also nur null oder eins. Und jetzt die Tabelle auf Seite 103. Wenn man die Reste von zwei Quadraten addiert, addiert man null und null oder null und eins oder eins und eins. Herauskommen kann also nur null, eins oder zwei, aber nicht drei. Das war’s schon! Wenn man zwei Quadrate addiert, kann der Rest ihrer Summe bei Division durch vier nicht drei sein. Dafür muss man sich nicht mal auf Primzahlen beschränken, es geht grundsätzlich nicht. Der schwierige Teil des Beweises ist die Aussage über die andere „Hälfte“ der ungeraden Primzahlen: Wenn eine Primzahl bei Division durch vier den Rest eins hat, dann kann man immer eine Darstellung dieser Primzahl als Summe von zwei Quadraten finden. Wie finden wir diese Quadrate? Hier kommen nun die Ideen von Heath-Brown und Zagier zum Tragen. Geben wir der Primzahl, für die wir die Quadrate suchen, den Namen p . Wir suchen Zahlen a und b mit p = a 2 + b 2 . a 2 und b 2 können weder beide gerade noch beide ungerade sein, denn in beiden Fällen wäre ihre Summe gerade. Also können wir o.B.d.A. annehmen, dass a 2 ungerade und b 2 gerade ist. Wie bitte? Sie fragen sich, was „o.B.d.A.“ bedeutet? Es ist die Abkürzung für „ohne Beschränkung der Allgemeinheit“. Das ist 110

PI UND DIE PRIMZAHLEN

typischer Mathematikerschnack und damit ist gemeint, dass man – meistens aus Bequemlichkeit – im Rahmen eines Beweises etwas annimmt, was zwar gar nicht unbedingt wahr sein muss, was aber die Allgemeingültigkeit des Beweises nicht einschränkt. Man geht davon aus, dass die Leserin versteht, wie man den Beweis gegebenenfalls auch ohne diese Annahme durchführen kann. Solche kleinen Randbemerkungen können in Fachartikeln gelegentlich ganz schön fies sein, wenn man partout nicht darauf kommt, was die Autorin gemeint haben mag. Hier ist es aber einfach: Entweder ist a 2 ungerade und b 2 gerade oder a 2 ist gerade und b 2 ungerade. Wir gehen einfach vom ersten der beiden Fälle aus. Sollte es andersherum sein, dann können wir das dadurch „reparieren“, dass wir die Namen von a und b vertauschen. Das ist unproblematisch, weil wir bisher über die beiden Zahlen noch gar nichts wissen, sie also völlig gleichberechtigt sind. √ OK, b 2 ist gerade. Wie im Beweis der Irrationalität von 2 muss dann auch b gerade sein, d.h. von der Form b = 2m . Aus a 2 + b 2 wird somit a 2 + 4m 2 . Sowas suchen wir. Und was haben wir? Wir wissen, dass p von der Form 4n + 1 ist. Das kann man etwas umständlicher auch so schreiben: p = 12 + 4 · 1 · n . Damit wissen wir, dass es mindestens eine Art gibt, p in der Form 2 a + 4c d hinzuschreiben – nämlich mit a = c = 1 und d = n . Wir schauen uns nun alle Möglichkeiten an, p so darzustellen, und hoffen, dass für eine von denen c = d gilt. Dann wären wir nämlich fertig. Jetzt kommt wieder ein Beweis durch Beispiel. Wir gehen alles konkret anhand der Zahl p = 41 durch. Und zuerst schreiben wir mal alle Möglichkeiten hin: 41

= = = =

12 + 4 · 1 · 10 12 + 4 · 5 · 2 32 + 4 · 2 · 4 52 + 4 · 4 · 1

= = = =

12 + 4 · 10 · 1 32 + 4 · 1 · 8 32 + 4 · 4 · 2 52 + 4 · 2 · 2

= = =

12 + 4 · 2 · 5 32 + 4 · 8 · 1 52 + 4 · 1 · 4

Die letzte Variante ist die, die wir wollen: 41 = 25 + 16. Wie viele andere Varianten es gibt, ist ansonsten aber gar nicht wichtig. Wir D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N

111

brauchen nur ein überzeugendes Argument dafür, warum es diese eine immer geben muss. Der Weg bis hier zeigt übrigens eine Strategie, die gerne beim Suchen nach einer Lösung angewendet wird: Wenn man nicht weiterkommt, modifiziert oder verallgemeinert man das Problem ein bisschen und schaut, wohin das führt. Hier ging es eigentlich um a 2 + 4m 2 und wir haben das „aufgelockert“ und a 2 + 4c d daraus gemacht. Nun kommt Spivaks Idee. Wir werden die elf Varianten von oben nach bestimmten Regeln visualisieren und sie durch „Windmühlen“ darstellen. Ich demonstriere das am Beispiel 32 + 4 · 2 · 4.

Für 32 kommt ein Quadrat aus drei mal drei (dunklen) Kästchen in die Mitte. Für 2 · 4 gibt es entsprechend ein Rechteck aus zwei mal vier (hellen) Kästchen, das wir bündig an die obere Kante des Quadrates setzen. Dabei gibt der erste Faktor die Höhe des Rechtecks vor, der zweite die Breite. Wegen der Vier in a 2 + 4c d brauchen wir vier solche Rechtecke. Wir verteilen die restlichen drei zyklisch um das innere Quadrat. Damit ist gemeint, dass wir wieder dieselbe Figur bekommen, wenn wir alles um 90 Grad um den Mittelpunkt des dunklen Quadrates drehen. Insgesamt haben wir nun natürlich 41 Kästchen. Aber Achtung! Wir hätten es auch so machen können:

Wir sehen das Spiegelbild der ersten Windmühle. Unsere Regeln legen also nicht eindeutig fest, wie die Windmühlen aussehen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich zweifelsfrei für eine Variante 112

PI UND DIE PRIMZAHLEN

zu entscheiden. Wir machen es folgendermaßen: Oben rechts haben die Figuren jeweils eine L-förmige Lücke und wir entscheiden uns für das „liegende“ L, wenn wir die Wahl haben.

Hier alle 11 Windmühlen mit 41 Kästchen.

Oben rechts steht etwas isoliert die Windmühle, die das Ziel unserer Arbeit ist, weil sie aus Quadraten zusammengesetzt ist – aus einem dunklen in der Mitte und vier weiteren, die man zu einem Quadrat zusammensetzen kann. Die anderen Windmühlen stehen immer paarweise nebeneinander, so dass bei jedem Paar das Quadrat in der Mitte identisch ist und die angesetzten Rechtecke sich nur durch das Vertauschen von horizontaler und vertikaler Richtung unterscheiden. Beispielsweise sitzen ganz links oben nebeneinander die Windmühlen für 12 +4·1·10 und 12 +4 · 10 · 1 und ganz rechts unten die für 52 +4 · 1 · 4 und 52 +4 · 4 · 1. Machen Sie sich bitte, bevor Sie weiterlesen, klar, dass Sie die Bildungsregel verstanden haben, und überprüfen Sie die Grafik. Für das weitere Vorgehen sind die folgenden Beobachtungen essentiell: – Für jede Darstellung von p der Form a 2 +4c d erhalten wir eine andere Windmühle, weil man aus den Windmühlen eindeutig D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N

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die Darstellung rekonstruieren kann. Es gibt also genau so viele Windmühlen, wie es Darstellungen gibt. – Sind c und d verschieden, so erhält man durch Vertauschen eine weitere Darstellung. Das sind die Paare von eben. Haben Sie eine Idee, wie uns das helfen könnte?

Wenn wir beweisen können, dass es immer eine ungerade Anzahl von Windmühlen geben muss, dann sind wir fertig! Das folgt aus den obigen Überlegungen: Gibt es keine Darstellung als Summe zweier Quadrate, so sind nämlich c und d immer verschieden und alle Windmühlen treten paarweise auf. Wir wechseln nun wieder, wie schon einmal in diesem Kapitel, den Blickwinkel:

Wir haben die Farbinformation weggelassen und nur die Umrisse der Windmühlen gezeichnet. Dadurch sind es weniger Windmühlen geworden, weil teilweise unterschiedliche Windmühlen denselben Umriss hatten. Jetzt drehen wir den Spieß um und fragen uns, nach welchen Regeln man solche Umrisse erstellen könnte. Man kann es sich so vorstellen, dass aus einem Quadrat an den vier Ecken vier zyklisch verdrehte gleich große Rechtecke (in richtiger „L-Lage“) herausgeschnitten werden.

114

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Die (weiße) Restfigur wird dann „nachträglich“ mit Kästchen befüllt. Allerdings sind bestimmte „Schnittmuster“ nicht erlaubt. Man darf unter anderem die Rechtecke nicht so platzieren, dass eine ihrer Ecken genau auf der Seitenmitte des Quadrates sitzt.

Warum nicht? Wie man an der Skizze unschwer erkennen kann, wäre bei so einer Aufteilung die Anzahl der Kästchen durch vier teilbar. Das ist aber nicht möglich, da sich eine ungerade Anzahl von Kästchen ergeben soll. Ist es möglich, dass die abgeschnittenen Rechtecke Quadrate sind?

Wichtiger Tipp für angehende Studentinnen der Mathematik: Wenn Sie etwas beweisen sollen (typische Hausaufgabe) und in Ihrem Beweis nicht alle Voraussetzungen verwendet wurden, dann ist mit ziemlicher Sicherheit der Beweis nicht korrekt. Die Voraussetzung, die wir bisher gar nicht verwendet haben, ist die, dass es um Primzahlen geht! Die letzte Skizze zeigt, dass man aus der ausgeschnittenen Figur ein Rechteck basteln kann, wenn die abgetrennten Rechtecke Quadrate sind. Dann wäre die Anzahl der Kästchen aber keine Primzahl, denn sie ergäbe sich ja aus dem Produkt von Höhe und Breite des Rechtecks. Also darf man keine Quadrate abschneiden. (Das gilt auch für den Spezialfall, dass man gar nichts, also ein „Quadrat“ der Seitenlänge null, wegschneidet.) D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N

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Überzeugt? Hier muss ich zum zweiten Mal in diesem Kapitel „Achtung!“ rufen. Es gibt eine „legale“ Möglichkeit, Quadrate abzuschneiden. Und zwar die, bei der das innere (gestrichelte) Quadrat aus genau einem Kästchen besteht. Dann hat nämlich das zusammengebastelte Rechteck die Höhe eins und das Produkt seiner Seiten ist nicht notwendig eine zusammengesetzte Zahl. Grundsätzlich ergeben sich aber bei unterschiedlichen Rechtecken immer auch unterschiedliche Umrisse: Haben die Rechtecke dieselbe Fläche, müssen sie unterschiedliche Formen haben. Haben sie unterschiedliche Flächen, so müssen die Ausgangsquadrate bereits unterschiedliche Größen gehabt haben, damit am Ende die Anzahl der Kästchen übereinstimmt. Kann man aus diesen ausgeschnittenen Umrissen die ursprünglichen Windmühlen wieder rekonstruieren? Aber sicher:

Dazu werden jeweils die gleich langen innen liegende Seiten der Rechtecke nach innen verlängert. Dadurch wird ein mittiges Quadrat festgelegt und damit eine Windmühle. Wie man an der Skizze sieht, liefert jeder Umriss zwei verschiedene Windmühlen. (Sie sollten aber die letzten drei Sätze nicht einfach so überfliegen, sondern selbst mal auf diesem Wege ein paar Windmühlen erzeugen.) Es gibt jedoch auch hier wieder eine Ausnahme: Aus dem besonders „schlanken“ Umriss, bei dem die entfernten Rechtecke Quadrate sind, kann man mit dieser Methode wegen der Symmetrie nur eine Windmühle generieren. Sie haben es sicher bemerkt, wir sind am Ende des Beweises angelangt! Wir haben uns einerseits überlegt, dass jede Darstellung der Form a 2 + 4c d zu zwei Windmühlen führt, wenn 4c d kein Quadrat ist. Über den Umweg des Konstruierens aus Umrissen haben wir andererseits gezeigt, dass es eine ungerade Anzahl von Windmühlen 116

PI UND DIE PRIMZAHLEN

geben muss. Daraus folgt zwangsläufig, dass in mindestens einem Fall c = d gilt. Das war das längste Kapitel bisher und ganz schön anstrengend. Ich bin froh, dass Sie noch da sind. Und ich hoffe, die Arbeit hat sich für Sie gelohnt. War das nicht tatsächlich ein äußerst schöner Beweis?

D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N

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DIE BADEANSTALT

Wenn Emmy Noether Vorlesungen hielt, dann wurden die nicht unter ihrem Namen angekündigt, sondern unter dem von David Hilbert. Denn Emmy Noether war eine Frau und 1916 war eine Frau als Professorin undenkbar. (Immerhin hatte sie überhaupt in ihrer Heimatstadt Erlangen studieren dürfen, was Frauen auch erst ab 1903 erlaubt wurde.) Obwohl sie mit Hilbert und Felix Klein zwei weltbekannte Mathematiker als Fürsprecher hatte, konnten diese bei der preußischen Regierung für sie keine Ausnahme erwirken. Legendär ist in diesem Zusammenhang der Wutausbruch Hilberts vor der philosophischen Fakultät der Universität Göttingen, die sich ebenfalls gegen eine weibliche Kollegin sperrte: „Meine Herren, ist das hier eine Fakultät oder eine Badeanstalt!?“ Emmy Noether konnte erst nach dem Ende des ersten Weltkriegs Professorin werden. Sie war damit zwar die erste in Deutschland, aber sie wurde nicht verbeamtet, bekam erst vier Jahre nach ihrer Habilitation einen bezahlten Lehrauftrag und nie eine ordentliche Professur. Leider gibt es auch kein Happy End. Wie unzählige andere Mathematiker musste Noether wegen der Nazis Deutschland verlassen. Sie erhielt eine Gastprofessur in den USA, verstarb dort aber schon mit 53 Jahren an den Komplikationen einer Operation. (Ihr jüngerer Bruder Fritz, auch Mathematiker, floh übrigens vor den Nazis in die Sowjetunion und wurde dort 1938 im Zuge des sogenannten Großen Terrors verhaftet und drei Jahre später hingerichtet.) Emmy Noethers Forschung war viel fortgeschrittener als das, was wir in diesem Buch machen. Noether hat jedoch auch in der © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_15

Lehre bleibende Spuren hinterlassen. Sie gilt als treibende Kraft hinter der zunehmenden Abstraktion der Algebra (und im Endeffekt der gesamten Mathematik) seit Beginn des 20. Jahrhunderts und hat damit indirekt die Präsentation der Ideen auf diesen Seiten beeinflusst. Das, was wir machen, hätte wahrscheinlich schon Leonhard Euler im 18. Jahrhundert verstanden. Aber die Art und Weise, wie wir es machen, zum Beispiel in diesem Kapitel, wäre ihm sicher manchmal fremd gewesen. (Sie können es auch so sehen: Dieses Kapitel wird recht abstrakt werden und ich schiebe die Schuld daran Frau Noether in die Schuhe. . . ) Früher war mit Algebra lediglich das Lösen von Gleichungen gemeint und im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort auch oft noch so verwendet. Für die Mathematiker ist Algebra aber inzwischen die Bezeichnung für ein wichtiges Teilgebiet ihrer Wissenschaft, das so ausgedehnt und verzweigt ist, dass man es kaum in ein paar Sätzen zusammenfassen kann. Auf jeden Fall hat die moderne Algebra wesentlich dazu beigetragen, dass man die Mathematik heutzutage nicht mehr als die Wissenschaft von den Zahlen und Größen ansieht, sondern als die Disziplin, die Strukturen untersucht. Das führt unter anderem zu einer Abstraktion des Zahlbegriffs. Man legt gewissermaßen bestimmte Zahlenmengen und Rechenoperationen unter die Lupe und versucht, ihre Essenz möglichst einfach – durch einige wenige Axiome – zu beschreiben. Alles, was sich aus diesen Axiomen rein logisch ergibt, trifft dann auch auf alle anderen Strukturen zu, die die Axiome erfüllen. Genau das werden wir in diesem Kapitel und den folgenden machen. Wir werden zunächst die ganzen Zahlen untersuchen und ihre grundlegenden Eigenschaften notieren. Dann werden wir eine neue Art von Zahlen definieren und sehen, dass sie sich in vielerlei Hinsicht kaum von den ganzen Zahlen unterscheiden und wir daher vieles, was wir über die ganzen Zahlen wissen, auf die neuen Zahlen übertragen können. 120

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Zur Erinnerung: Die ganzen Zahlen ergeben sich durch Hinzunahme der Null und der „negativen Spiegelbilder“ zu den natürlichen Zahlen. Uns werden in erster Linie die Addition und die Multiplikation ganzer Zahlen interessieren. Ich schreibe jetzt ein paar Eigenschaften dieser beiden Rechenoperationen auf. Das wissen Sie zwar alles, aber wir müssen dem Kind für die kommenden Ziele einen Namen geben. (i) Wenn man zwei ganze Zahlen addiert oder multipliziert, ist das Ergebnis wieder eine ganze Zahl. (ii) Bei beiden Operationen kommt es nicht auf die Reihenfolge an. In Zeichen ausgedrückt: a+b =b +a

und

a·b =b ·a

(iii) Addiert oder multipliziert man mehr als zwei Zahlen, so kommt es nicht darauf an, wie man diese gruppiert, also was man zuerst ausrechnet. Auch das wird klarer, wenn man es symbolisch hinschreibt: a + (b + c) = (a + b) + c a · (b · c) = (a · b) · c

(iv) Die Null spielt eine besondere Rolle bei der Addition. Addiert man sie zu einer anderen Zahl hinzu, dann ist es so, als hätte man gar nichts addiert. Bei der Multiplikation hat die Eins diese Sonderrolle. a+0= a

und

a·1= a

(v) Zu jeder ganzen Zahl gibt es ein „Gegenstück“ derart, dass die Summe der beiden null ist. Das Gegenstück zu 3 ist beispielsweise −3, das zu −7 ist 7 und das Gegenstück der Null ist die Null selbst. Allgemein schreibt man −a für das Gegenstück der Zahl a . D I E B A D E A N S TA LT

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(vi) Addition und Multiplikation „vertragen“ sich. In der Schule lernt man diese Eigenschaft als Ausklammern bzw. Ausmultiplizieren kennen. a · (b + c) = a · b + a · c

(vii) Wenn bei einem Produkt null herauskommt, dann muss einer der beiden Faktoren null gewesen sein; anders geht es nicht. Allerdings sagt niemand „Gegenstück“. Man nennt −a ganz vornehm das zu a inverse Element bezüglich der Addition. Überhaupt gibt es für jeden der obigen Punkte Fachbegriffe. Zur Algebra gehört leider auch, dass man am Anfang mit vielen neuen Wörtern bombardiert wird. Ich zähle die im nächsten Absatz auch mal auf. Um vom Rest des Buches etwas zu haben, müssen Sie die jetzt um Himmels Willen nicht auswendig lernen. Aber vielleicht werden Sie mal zurückblättern oder im Index nachschauen müssen. (ii) und (iii) sind die Kommutativität und die Assoziativität der Addition bzw. der Multiplikation. Unter (iv) wird beschrieben, dass null und eins deren neutrale Elemente sind. Die Eigenschaft (vi) wird als Distributivität bezeichnet. (vii) ist die sogenannte Nullteilerfreiheit. Wenn die Punkte (i) bis (vi) alle zutreffen, spricht man von einem Ring. Kommt noch Punkt (vii) hinzu, dann hat man einen Integritätsring. Die ganzen Zahlen mit den „üblichen“ Rechenoperationen bilden also einen Integritätsring. An dieser Stelle kann ich noch mal aufgreifen, was ich am Anfang des Buches angedeutet habe: In der Mathematik gibt es nur zwei und nicht vier „Grundrechenarten“, nämlich Addition und Multiplikation. Die Subtraktion ist in der Sichtweise der Algebra das Addieren des inversen Elementes. Anders gesagt: a − b ist lediglich eine Abkürzung für a + (−b) , wobei mit −b das inverse Element zu b von Punkt (v) oben gemeint ist. (Für die Division gilt eine analoge Aussage, jedoch nur bei den rationalen Zahlen.) Und wofür der ganze formale Aufwand? Weil wir jetzt einen anderen Integritätsring kennenlernen werden, der auf unserem Weg 122

PI UND DIE PRIMZAHLEN

zur π -Formel noch sehr wichtig sein wird. Wie angekündigt lernen wir einen neuen Typ Zahlen kennen: die sogenannten gaußschen Zahlen. (Die sind natürlich nach Herrn Gauß benannnt, den wir schon kennengelernt haben.) Die gaußschen Zahlen sind genau die Punkte in der Ebene, die wir zählen wollen, also die mit ganzzahligen Koordinaten. Was sie zu Zahlen machen wird, sind die Rechenoperationen, die wir gleich definieren werden. Eine Mathematikerin würde sagen, dass die Menge der Punkte dadurch eine algebraische Struktur bekommt. Wo wir vorher vor einem ungeordneten Haufen von Objekten standen, werden wir nun neue Zusammenhänge erkennen können. Formal sind gaußsche Zahlen Paare von ganzen Zahlen – sowas wie (2, 5) . Die beiden Zahlen nennt man dabei die Komponenten des Paares. Wir stellen uns diese Paare natürlich als kartesische Koordinaten von Punkten in der Ebene vor. Sollten Sie sich mit komplexen Zahlen auskennen, dann können Sie die nächsten Seiten einfach überfliegen. Gaußsche Zahlen sind nämlich nichts weiter als komplexe Zahlen, bei denen Real- und Imaginärteil ganzzahlig sind. Falls Sie noch nie etwas von komplexen Zahlen gehört haben, macht das aber gar nichts. Lesen Sie einfach weiter. Addiert werden gaußsche Zahlen komponentenweise: (4, 1) + (2, 3) = (4 + 2, 1 + 3) = (6, 4)

Das entspricht grafisch der Vektoraddition, an die Sie sich vielleicht noch aus der Schule erinnern.

Wie sieht Subtraktion grafisch aus? D I E B A D E A N S TA LT

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Multipliziert werden gaußsche Zahlen allerdings nicht komponentenweise, sondern nach einer auf den ersten Blick sehr seltsamen Regel, die ich hier ganz allgemein aufschreibe und darunter anhand eines Beispiels vorführe: (a, b) · (c, d) = (ac − b d, ad + b c) (4, 1) · (2, 3) = (4 · 2 − 1 · 3, 4 · 3 + 1 · 2) = (5, 14)

Auch für die Multiplikation gibt es eine geometrische Entsprechung. Die zeige ich hier aber nicht, weil wir das nicht brauchen werden und weil eine fundierte Begründung dafür zu lange dauert. Ich könnte auch viele Seiten damit füllen, Ihnen vorzurechnen, dass die gaußschen Zahlen die Eigenschaften (i) bis (vii) von oben alle erfüllen. Aber entweder haben Sie schon Erfahrung im Umgang mit komplexen Zahlen und das wird Sie alles langweilen oder aber Sie haben noch nie etwas von gaußschen oder komplexen Zahlen gehört. Dann sollten Sie spätestens jetzt Zettel und Bleistift aus Ihrem Rucksack holen und diese Eigenschaften alle selbst überprüfen. Ohne etwas Übung im Umgang mit diesen neuen Zahlen sind Sie nämlich bald total verwirrt und müssen mir einfach alles glauben. Das ist ja nicht der Sinn des Buches. Ich werde nur exemplarisch zwei Beispiele vorführen, damit Sie sehen, dass das alles nicht so schwierig ist. Einmal die Kommutativität der Addition: (a, b) + (c, d) = (a + c, b + d) = (c + a, d + b) = (c, d) + (a, b)

Eigentlich ganz banal, oder? Bei der Multiplikation ist der Aufwand etwas größer, aber man muss es auch einfach nur hinschreiben – und erwirbt dabei Routine. Außerdem zeige ich Ihnen noch, wie die neutralen Elemente aussehen: es sind die gaußschen Zahlen (0, 0) und (1, 0) . Rechnen Sie es nach! Machen Sie’s wirklich!! 124

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Wir führen nun eine suggestive Schreibweise für die gaußschen Zahlen ein, die erstens kompakter als die Paardarstellung ist und die zweitens dafür sorgt, dass wir die seltsame Definition der Multiplikation nicht memorieren müssen. Dafür schauen wir uns zunächst an, wie das Rechnen mit gaußschen Zahlen aussieht, deren zweite Komponente null ist: (a, 0) + (b, 0) = (a + b, 0) (a, 0) · (b, 0) = (ab, 0)

Das ist nichts weiter als die normale Addition und Multiplikation ganzer Zahlen. Daher werden wir in Zukunft für gaußsche Zahlen der Form (a, 0) einfach a schreiben und sie wie ganze Zahlen behandeln. Geometrisch sind das die Punkte auf der horizontalen Achse. Außerdem führen wir für die gaußsche Zahl (0, 1) das Symbol i ein. Man nennt diese Zahl auch die imaginäre Einheit. Der historische Grund für diesen Namen sieht so aus: i · i = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) = −1 Diese seltsame „Zahl“ i hat nach unserer Konvention also das Quadrat −1. Weil „normale“ Zahlen aber niemals negative Quadrate haben, hat man solche Objekte früher imaginär genannt. Und den Namen haben sie behalten. Rechnen Sie bitte nach, dass für ganze Zahlen a und b nach den Rechenvorschriften für gaußsche Zahlen das hier gilt: a + b i = (a, 0) + (b, 0) · (0, 1) = (a, b)

Da Sie die Distributivität bereits nachgeprüft haben (haben Sie doch, oder?), können Sie nun so multiplizieren: (a + b i) · (c + d i) = ac + b c i + ad i + b d ii = ac + b c i + ad i − b d = (ac − b d) + (ad + b c) i D I E B A D E A N S TA LT

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Mit anderen Worten: Bei der Multiplikation gaußscher Zahlen können Sie nach Herzenslust ausklammern und ausmultiplizieren, wie Sie es gewohnt sind, und dabei i wie irgendeinen Buchstaben behandeln. Die einzige Neuigkeit ist, dass Sie i · i durch −1 ersetzen dürfen (und sollten). Weiter geht’s auf dem anfangs steinigen Weg der Algebra. Zu jeder ganzen Zahl a gibt es ein inverses Element bezüglich der Addition, für das wir −a geschrieben haben. Addiert man eine Zahl und ihr inverses Element, so kommt null, also das neutrale Element der Addition heraus. Auch bei den gaußschen Zahlen ist das so. Invers zur gaußschen Zahl 3 − 2i ist beispielsweise die gaußsche Zahl −3 + 2i, wobei 3 − 2i nach unserer Konvention eine andere Schreibweise für (3, −2) ist. Wie ist das mit der Multiplikation? Hier müsste sinnvollerweise beim Malnehmen mit dem entsprechenden inversen Element das neutrale Element der Multiplikation herauskommen. Bei rationalen Zahlen ist das auch kein Problem. Das inverse Element zu 2/7 ist zum Beispiel 7/2, denn das Produkt der beiden Zahlen ist eins. Außer der Null hat jede rationale Zahl einen Kehrwert. (Die multiplikativen Inversen nennt man Kehrwerte.) Bei den ganzen Zahlen ist das aber so eine Sache. Man spricht nur dann davon, dass ein Kehrwert existiert, wenn dieser Kehrwert zu der Klasse von Zahlen gehört, die man gerade untersucht. Die Frage ist also: Welche ganzen Zahlen haben Kehrwerte, die ebenfalls ganze Zahlen sind? Sie sind sicher darauf gekommen, dass es nur zwei solche Zahlen gibt: 1 und −1. Beide haben als Kehrwert sich selbst. Elemente eines Integritätsrings, die Kehrwerte haben, nennt man (schon wieder ein neues Wort!) Einheiten. 1 und −1 sind also die einzigen Einheiten unter den ganzen Zahlen. Aber können Sie auch sauber begründen, warum es keine anderen Einheiten gibt? Bei den ganzen Zahlen mag das noch relativ 126

PI UND DIE PRIMZAHLEN

offensichtlich sein. Wir wollen jedoch auch noch herausfinden, wie die Einheiten bei den gaußschen Zahlen aussehen. Daher betrachten wir eine weitere Operation auf den ganzen Zahlen, für die wir ein Pendant auf den gaußschen Zahlen suchen werden. Es geht um den Absolutbetrag (oder kurz: Betrag), also um die Funktion, die einer Zahl a den Wert |a| zuordnet. Man kann den Betrag auf zwei Arten interpretieren: Erstens ist es einfach die Funktion, die „das Vorzeichen wegnimmt“. Aus −5 wird 5, während 8 einfach 8 bleibt. Hilfreicher ist aber die zweite Interpretation: Der Betrag einer Zahl ist ihr Abstand von der Null auf der Zahlengeraden. Auch hier stellen wir wieder eine Liste von Eigenschaften zusammen, die wir noch brauchen werden: (i) Der Betrag einer ganzen Zahl ist immer eine natürliche Zahl oder null. Und die einzige Zahl, deren Betrag null ist, ist die Null selbst. (ii) Der Betrag ist eine multiplikative Funktion. Damit meint man, dass immer |ab | = |a| · |b | gilt. (iii) Sind a und b ganze Zahlen, die beide nicht null sind, so gilt stets |ab | ≥ |a| . (iv) Einheiten haben den Betrag eins. Bei diesen Eigenschaften verlasse ich mich darauf, dass Ihnen das eigentlich klar ist bzw. dass Sie sich das mit ein, zwei Beispielen vor Augen führen können. Ich weise lediglich darauf hin, dass Eigenschaft (iii) zwar für ganze Zahlen gilt, aber nicht etwa für beliebige reelle Zahlen. Mit dem Betrag kann man nachträglich begründen, warum es nur die beiden Einheiten geben kann, die wir vorhin identifiziert haben. Dass die Null keine Einheit ist, ist klar. Für jede ganze Zahl a außer 0, 1 und −1 gilt jedoch: Multipliziert man sie mit null, kommt D I E B A D E A N S TA LT

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null heraus. Multipliziert man sie mit irgendeiner anderen ganzen Zahl, so ist nach (iii) der Betrag des Produktes mindestens so groß wie |a| und damit größer als eins. Also kann sich als Produkt nicht eins ergeben. Wie kann man das Konzept des Betrags auf gaußsche Zahlen übertragen? Nicht ohne Grund habe ich Ihnen vorhin zwei Interpretationen des Betrags genannt. Nur eine von beiden wird uns weiterbringen. Daran kann man ganz gut die Vorgehensweise beim Abstrahieren erkennen. Kann man die Eigenschaft, die man abstrahieren will, so formulieren, dass man damit ihre Essenz erfasst hat? Ist diese Formulierung auf andere Strukturen anwendbar? Eine mögliche Interpretation des Betrags war das „Wegnehmen“ des Vorzeichens. Das ist aber nicht auf die gaußschen Zahlen übertragbar, weil die kein Vorzeichen haben. Was sollte denn das Vorzeichen von 2 − 3i sein? Hat 2 − 3i ein anderes Vorzeichen als −2 + 3i? Welche der beiden Zahlen ist „positiv“? Sie sehen: das klappt nicht. Das passende Analogon zum Betrag für gaußsche Zahlen ist deren Abstand zur Null, also zum Ursprung des Koordinatensystems. Den kann man mit dem Satz des Pythagoras ausrechnen. Und für komplexe Zahlen macht man das auch so – der Betrag von a + b i √ wird als a 2 + b 2 definiert: als Abstand der Punkte (a, b) und (0, 0) . Bei gaußschen Zahlen geht man aber etwas anders vor und definiert ihre sogenannte Norm folgendermaßen: Die Norm der Zahl z = a + b i ist N (z) = a 2 + b 2 . Man erspart sich also das Ziehen der Wurzel. Das hat den angenehmen Effekt, und deshalb macht man es auch, dass die Norm einer gaußschen Zahl immer eine ganze Zahl und keine häßliche irrationale Zahl ist. Manchmal wird es aber praktischer sein, auch bei gaußschen Zahlen von ihrem Betrag zu sprechen. Wir schreiben dafür auch |z | und halten fest, dass |z | der Abstand  vom Ursprung ist und dass der Zusammenhang |z | = N (z) besteht. Es lässt sich nun leicht überprüfen, dass die Eigenschaften (i) bis (iii) auch für die Norm der gaußschen Zahlen gelten. Und Sie wissen ja, was ich jetzt sage: Glauben Sie das nicht einfach, sondern 128

PI UND DIE PRIMZAHLEN

kontrollieren Sie es! Das ist nicht schwer, aber es erfordert Arbeit. Nehmen Sie sich wirklich mal zwei gaußsche Zahlen z 1 = a 1 + b1 i und z 2 = a 2 + b2 i vor und berechnen Sie N (z 1 ) N (z 2 ) sowie N (z 1 z 2 ) . Kommt tatsächlich in beiden Fällen das Gleiche heraus? Wie sehen die Einheiten der gaußschen Zahlen aus? Bei den gaußschen Zahlen gibt es vier Einheiten: die Zahlen 1, −1, i und −i. Das sind geometrisch genau die vier Punkte mit ganzzahligen Koordinaten, deren Abstand vom Nullpunkt eins ist. Die Kehrwerte von 1 und −1 kennen wir schon, die Kehrwerte von i und −i sind −i und i. Dass es keine weiteren Einheiten geben kann, folgt wie bei den ganzen Zahlen aus Eigenschaft (iii) der Norm. Und da wir das nun wissen, ist klar, dass die Norm auch Eigenschaft (iv) des Betrags hat. Jetzt dürfen Sie erst mal tief durchatmen! Das wahrscheinlich trockenste Kapitel des Buches haben Sie hinter sich gebracht. Es steht uns noch viel Arbeit bevor und leichter wird es auch nicht. Aber zumindest wird es auf den kommenden Seiten wieder mehr Gelegenheiten für Visualisierungen und konkrete Beispiele geben. Und wir werden unserem Ziel immer näher kommen. Auch viele Mathematiker selbst empfinden die Algebra übrigens manchmal als dröge, müssen aber auch zugeben, dass sie oft ein unverzichtbares und auch effizientes Werkzeug ist. Zum Abschluss des Kapitels ein schönes Zitat dazu von Michael Atiyah: Algebra is the offer made by the devil to the mathematician. The devil says: I will give you this powerful machine, it will answer any question you like. All you need to do is give me your soul: give up geometry and you will have this marvelous machine.

D I E B A D E A N S TA LT

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DER ERSTE ALGORITHMUS

Descartes’ Name wurde der Name seines Geburtsortes und der Name von al-Chwarizmi wurde zu dem Wort Algorithmus, das heute wegen der allgegenwärtigen Computer in aller Munde ist, obwohl den wenigsten so richtig klar ist, was es bedeutet – wenn man einschlägigen Umfragen trauen kann. Wenn man im 21. Jahrhundert wissen will, was ein Algorithmus ist, schaut man bei Wikipedia nach. Der englische Wikipedia-Eintrag zum Begriff Algorithmus enthält mehr als 13 000 Wörter, hat fast 100 Fußnoten, zitiert etwa vier Dutzend verschiedene Quellen und verweist auf diverse andere Wikipedia-Artikel, die sich ebenfalls mit Algorithmen beschäftigen. Offenbar handelt es sich um einen wichtigen Begriff. Schaut man indessen in der Encyclopædia Britannica von 1910 nach, so stellt man fest, dass es dort für Algorithmus gar keinen eigenen Eintrag gibt. Lediglich im Artikel über Algebra wird das Wort kurz erwähnt. Man lernt quasi nebenbei, dass damit eine Rechenmethode (method of computing) gemeint ist und dass der Name al-Chwarizmis verballhornt wurde. Nicht mal über die Schreibweise bestand damals Einigkeit: „algorism“ und „algorithm“ werden als gleichberechtigte Möglichkeiten aufgeführt. Zu Hause habe ich noch ein achtbändiges Lexikon von 1978 im Bücherregal stehen. Dort ist es auch nicht viel besser als 1910. Es gibt zwar einen eigenen Eintrag für Algorithmus; dieser hat aber lediglich zehn Zeilen, von denen allein fünf auf die Etymologie des Wortes verwendet werden. Zum Vergleich: Auf derselben Seite findet sich ein © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_16

Beitrag etwa gleicher Länge über den französischen Lyriker FrançoisPaul Alibert. Alibert wird zum aktuellen Zeitpunkt (Ende 2020) weder in der deutschen noch der englischen Version von Wikipedia überhaupt nur erwähnt. Warum kommt über tausend Jahre nach al-Chwarizmis Tod kein Buch über Informatik mehr ohne das seltsame Wort aus, das aus seinem Nachnamen abgeleitet wurde, obwohl es zwischendurch fast vergessen schien? Wir wissen schon, dass ein wichtiger Verdienst al-Chwarizmis die Popularisierung des indischen Dezimalsystems im arabischen Raum war und dass dieses dann nach und nach auch in Europa Einzug hielt. Seine Werke wurden ins Lateinische übersetzt und auch sein Name wurde, wie es damals üblich war, latinisiert: Algorismi. Neuerungen setzen sich aber selten ohne Widerstand durch und so war es auch mit dem Stellenwertsystem. Die „alte Garde“ waren in diesem Fall die noch mit dem Abakus und dem römischen Zahlensystem arbeitenden Rechenmeister, die ihre Pfründe schwinden sahen. Sie wurden Abakisten genannt, während ihre Gegner, die nach der neuen Methode rechneten, die Algoristen waren. Wer gewonnen hat, ist bekannt. Und seitdem verbindet man mit dem Namen Algorismi eine Rechenmethode. Im Prinzip ist das auch heute noch die Bedeutung des Wortes, allerdings geht es schon lange nicht mehr nur um das Rechnen mit dem neuen Zahlensystem aus Indien. Heute meint man damit ganz allgemein die Beschreibung eines Handlungsablaufs zum Erreichen eines bestimmten Ziels. Auch Kochrezepte, Orchesterpartituren oder Montageanleitungen für Möbel sind eigentlich Algorithmen. Im engeren Sinne sind aber fast immer sehr detaillierte Handlungsvorschriften gemeint, die aus präzise beschriebenen, unmissverständlich formulierten und vergleichsweise simplen Einzelschritten bestehen. Während etwa ein typisches Kochrezept einerseits einen gewissen Spielraum lässt („leicht salzen“) und andererseits gegebenenfalls Vorwissen verlangt („die Zwiebeln schälen, schneiden und 132

PI UND DIE PRIMZAHLEN

anschwitzen“), soll ein Algorithmus so klar, explizit und fein granuliert formuliert sein, dass selbst der größte Idiot ihn ohne Fehler ausführen kann und das Ergebnis nicht davon abhängt, wie er oder sie das macht. Diese enge Auslegung des Begriffs Algorithmus ist deshalb die heutzutage vorherrschende, weil die „Idioten“, die Algorithmen ausführen sollen, fast immer Computer sind. Aber Algorithmen gab es schon, bevor es Computer gab. Es gab sogar schon Algorithmen, lange bevor al-Chwarizmi das Licht der Welt erblickte.

Als ältester noch regelmäßig verwendeter Algorithmus gilt der euklidische Algorithmus, um den es in diesem Kapitel geht. Den Namen trägt er, weil er in Euklids legendären Elementen beschrieben wird. Aber dieses Meisterwerk basierte wie auch jedes Mathebuch nach ihm auf dem Wissen seiner Vorgänger und „sein“ Algorithmus war definitiv viel älter als Euklid selbst. Betrachtet man den Algorithmus mit den Augen eines Geometers, so geht es darum, das sogenannte gemeinsame Maß zweier Strecken zu finden. Inzwischen wird das Verfahren allerdings fast ausschließlich benutzt, um den größten gemeinsamen Teiler zweier Zahlen zu ermitteln. Es hat sich mit den Jahren herausgestellt, dass diese Anwendung eine zentrale Bedeutung in Zahlentheorie und Algebra hat. Auch wir werden die algebraische Variante des Algorithmus benutzen. Aber bevor ich das näher erklären kann, muss ich mal wieder etwas weiter ausholen. Sie kennen das ja schon. . . Es soll nämlich die Zahlentheorie, in der es ja eigentlich um die natürlichen Zahlen geht, noch einmal neu aufgezäumt werden. Wir nehmen ein paar grundlegende Begriffe dieser Theorie genauer unter die Lupe und erweitern sie auf die ganzen Zahlen. Und das machen wir, damit wir alles schließlich auf die gaußschen Zahlen übertragen können. Das wird die Frucht der etwas zähen Vorarbeit sein, die wir im letzten Kapitel geleistet haben. D E R E R S T E A LG O R I TH M US

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Fangen wir mit der Teilbarkeit an. Ich habe die anlässlich ihres ersten Auftritts eher scherzhaft mit Pizzen und Perlen umschrieben und bin davon ausgegangen, dass Ihnen das Konzept ohnehin geläufig ist. Wie aber definiert die Mathematik das präzise? Typischerweise so: Man sagt von natürlichen Zahlen a und b , dass a ein Teiler von b ist, wenn es eine natürliche Zahl k mit b = k a gibt. Beispielsweise ist a = 3 Teiler von b = 15, weil man in diesem Fall b = k a mit k = 5 hinbekommt. k = 1 sorgt dafür, dass jede Zahl sich selbst teilt. Und so weiter. Da kommt genau das heraus, was wir uns unter Teilbarkeit vorstellen. Durch das Festzurren des Begriffs können wir auch eine wichtige Eigenschaft der Teilbarkeit beweisen, ihre sogenannte Transitivität. Damit ist gemeint: Wenn a ein Teiler von b ist und b ein Teiler von c , dann ist a auch ein Teiler von c . Wieso gilt das? Schreiben Sie’s einfach hin! a ist Teiler von b bedeutet: b = k a . b ist Teiler von c steht für: c = mb . (Wir brauchen einen neuen Buchstaben, weil das ja typischerweise nicht dieselbe Zahl wie k sein wird.) Die erste in die zweite Gleichung einsetzen: c = (mk) a . Und da steht’s schon: a ist Teiler von c .

Die mathematische Definition hat auch den Vorteil, dass man sie wortwörtlich für ganze Zahlen übernehmen kann, indem man nämlich einfach überall natürlich durch ganz ersetzt: Man sagt von ganzen Zahlen a und b , dass a ein Teiler von b ist, wenn es eine ganze Zahl k mit b = k a gibt. Damit ist 3 nach wie vor ein Teiler von 15 (immer noch k = 5 ), aber auch −3 ist nun (mit k = −5 ) ein Teiler von 15. Ebenso ist jetzt 3 ein Teiler von −15. Wie viele verschiedene Teiler hat −7? Ist null ein Teiler von sieben? Ist sieben ein Teiler von null? 134

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Nun zeigt sich die große Stärke der Abstraktion in der Algebra. Wenn Sie ganze Zahlen durch gaußsche Zahlen ersetzen, dann haben Sie ohne die geringste Anstrengung Teilbarkeit auch für gaußsche Zahlen definiert. Das ist deshalb so einfach, weil die wenigen in der Definition verwendeten Konzepte (eigentlich nur die Multiplikation) Pendants in den gaußschen Zahlen haben. Die folgenden Rechnungen (die Sie natürlich wie üblich überprüfen) zeigen beispielsweise, dass 2 + i und 2 − i Teiler von 5 sind und dass 5 + 3i ein Teiler von 27 − 11i ist: (2 + i) · (2 − i) = 5 (5 + 3i) · (3 − 4i) = 27 − 11i

Ich halte an dieser Stelle zwei Eigenschaften der Teilbarkeit fest, die wir gleich noch benötigen werden und die aus dem folgen, was wir im letzten Kapitel erarbeitet haben. – Sowohl in den ganzen als auch in den gaußschen Zahlen teilen Einheiten jede Zahl. – Für ganze Zahlen gilt: Wenn a ein Teiler von b und b nicht null ist, dann kann der Betrag von a nicht größer als der von b sein. Für gaußsche Zahlen gilt dieselbe Aussage auch, wenn man den Betrag durch die Norm ersetzt. Können Sie das beweisen?

Eng verwoben mit der Teilbarkeit ist das Teilen mit Rest, das wir auch schon thematisiert haben. Wenn man auch das auf ganze und gaußsche Zahlen übertragen will, muss man es so formulieren, dass eigentlich gar nicht über Teilen gesprochen wird, weil wir in diesen Zahlenräumen nicht dividieren können. Das ist aber nicht schwer. Wir schauen uns ein Beispiel an. Wenn wir 23 Perlen unter vier Personen aufteilen wollen, dann erhält jede fünf Perlen und es bleiben D E R E R S T E A LG O R I TH M US

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drei übrig. Man kann sich das so vorstellen, dass man immer vier Perlen auf einmal vom ursprünglichen Haufen wegnimmt und diese unter den vier Personen verteilt. Das macht man so lange, bis nicht mehr genügend Perlen übrig bleiben, um jedem eine zu geben.

Damit hat man das Folgende erreicht: – Der Rest, die Anzahl der verbleibenden Perlen, ist kleiner als die Anzahl der Personen, unter denen die Perlen aufgeteilt werden sollten, denn sonst hätte man ja noch mehr Perlen verteilen können. – Die unter den Personen verteilten Perlen ergeben zusammen mit dem Rest den ursprüngliche Bestand an Perlen. (Anderenfalls hat jemand getrickst und Perlen verschwinden lassen!) In Zahlen heißt das: 23 = 5 · 4 + 3 und 3 < 4. Und wenn wir ganz allgemein das Teilen von a durch b ausdrücken wollen, dann können wir sagen, dass wir Zahlen k und r suchen, für die a = k · b + r sowie r < b gilt. Mit r ist offenbar der Rest gemeint. Man kann das fast direkt auf ganze Zahlen übertragen. Der kleine Haken ist die Formulierung r < b , denn zu einer vorgegebenen Zahl b gibt es unendlich viele ganze Zahlen, die kleiner als b sind. Das ist nicht das, was wir wollen. Der Rest soll ja auf eine sinnvolle Art und Weise minimal sein. Die Rettung ist, Sie ahnten es wahrscheinlich schon, der Betrag: Zu vorgegebenen ganzen Zahlen a und b findet man, wenn b nicht gerade null ist, immer ganze Zahlen k und r , die die Bedingungen a = k · b + r sowie |r | < |b | erfüllen. r kann man dann als Rest bei der Division von a durch b bezeichnen. Natürlich habe ich das bisher nur einfach so behauptet. Aber ohne ganz tief in die Details hinabzusteigen, kann man sich grafisch leicht klarmachen, dass es immer klappen muss. Man kann a = kb + r umformen zu r = a −kb . Und nun stellen wir uns einfach alle Zahlen 136

PI UND DIE PRIMZAHLEN

der Form a − kb auf der Zahlengeraden vor, das heißt, wir lassen k alle ganzen Zahlen durchlaufen. Für das Beispiel a = 23 und b = 4 sieht ein Teil davon so aus: −10

0

10

20

30

40

Da der Abstand zweier benachbarter Punkte offensichtlich immer b ist, muss entweder einer von ihnen genau auf der Null landen (dann ist b Teiler von a ) oder wir finden Punkte, die weniger als b von null entfernt sind. Das sind unsere Reste. (Plural, denn es gibt zwei Kandidaten.) Wie macht man das für gaußsche Zahlen? Wenn man bei ganzen Zahlen mit dem Betrag arbeitet, dann bei gaußschen Zahlen sicherlich mit der Norm. Wir hoffen also, dass der folgende Satz stimmt, der nichts weiter als die „Übersetzung“ der obigen Aussage für ganze Zahlen ist: Zu vorgegebenen gaußschen Zahlen a und b findet man, wenn b nicht gerade null ist, immer gaußsche Zahlen k und r , die die Bedingungen a = k · b + r sowie N (r ) < N (b) erfüllen. Auch hier kann man sich von der Korrektheit der Behauptung durch ein grafisches Argument überzeugen. Dafür halten wir zunächst fest, dass N (r ) < N (b) genau dann gilt, wenn |r | < |b | gilt. Nun betrachten wir analog zu oben alle Werte der Form a − kb , wobei diesmal k alle gaußschen Zahlen durchläuft. Da ich Ihnen jedoch die geometrische Interpretation der Multiplikation gaußscher Zahlen bisher vorenthalten habe, ist zunächst nicht klar, wie sich diese Zahlen in der Ebene verteilen. Wir kriegen das aber hin. Erstens ist |z − w | der Abstand der gaußschen Zahlen z und w . Wenn Sie jemals mit Vektoren gearbeitet haben, dann ist Ihnen das ohnehin klar, weil gaußsche Zahlen ja wie Vektoren addiert und subtrahiert werden. Wenn nicht, dann müssen Sie mir das jetzt glauben und probieren es vielleicht mal anhand einiger Beispiele aus. D E R E R S T E A LG O R I TH M US

137

Da die gaußschen Zahlen gitterförmig in der Ebene liegen, gibt es zweitens zu jeder gaußschen Zahl vier drumherum, deren Abstand zu dieser Zahl genau eins ist.

Sind nun k 1 und k 2 gaußsche Zahlen, deren Abstand eins ist, so gilt wegen der Multiplikativität der Norm:   N (k 1 b − k 2 b) = N ((k 1 − k 2 )b))    = N (k 1 − k 2 ) N (b) = N (k 1 − k 2 ) N (b)

|k 1 b − k 2 b | =

= |k 1 − k 2 | · |b | = |b |

Es gibt also drittens zu jedem Punkt der Form a − kb vier weitere dieser Art, deren Abstand zu dem vorgegebenen Punkt genau |b | ist (denn der konstante Term a bewirkt nur eine Verschiebung). Das ist die entscheidende Eigenschaft, die wir gleich brauchen werden. Ich werde Ihnen zwar für ein konkretes Beispiel die Punkte zeigen, aber wo genau die liegen, ist eigentlich irrelevant – sie liegen auf jedem Fall auf einem regelmäßigen Gitter der ermittelten Größe. Für das Beispiel wollen wir einen Rest bei der Division von a = 5 − 7i durch b = 2 + 4i ermitteln. Hier sehen Sie ein paar der besagten Punkte.

Die Argumentation läuft wie bei den ganzen Zahlen: Offenbar müssen sich Punkte innerhalb des Kreises mit Radius |b | um den Ursprung befinden. Die kommen alle als Rest infrage. Nehmen wir 138

PI UND DIE PRIMZAHLEN

etwa den Punkt −1 + i, der dem Zentrum am nächsten ist, dann erhalten wir 5 − 7i = (−1 − 2i) · (2 + 4i) + (−1 + i) . So funktioniert Teilen mit Rest mit gaußschen Zahlen. Aber keine Angst, wir werden in diesem Buch niemals wirklich Reste ausrechnen. Wir wissen nun, dass es geht, und das reicht. Für den Fall, dass Sie mathematische Fachbegriffe sammeln: Wir haben eben gerade begründet, dass sowohl die ganzen als auch die gaußschen Zahlen sogenannte euklidische Ringe sind. So nennt man Integritätsringe, in denen man den euklidischen Algorithmus durchführen kann, der dem Kapitel seinen Namen gegeben hat. Für diesen Algorithmus muss man mit Rest teilen können. Da wir das nun können, können wir endlich zum Algorithmus kommen. Für das Verständnis ist es ganz gut, sich zuerst mit der klassischen geometrischen Fragestellung zu befassen. Das erwähnte gemeinsame Maß zweier Strecken, das gesucht wird, kann man sich so vorstellen: Sie haben zwei Holzstäbe und möchten die beiden in lauter exakt gleich große Stücke zerlegen.

Geht das immer und wie bekommt man es gegebenenfalls hin? Der Algorithmus geht so vor, dass er vom längeren Stab genau das Stück absägt, dass über den kürzeren hinausragt. Dann werden dieses Stück und der kurze Stab nebeneinandergelegt.

Findet man ein gemeinsames Maß für diese beiden Stäbe, dann hat man auch eines für die beiden ursprünglichen Stäbe gefunden, denn der lange Stab lässt sich ja aus diesen beiden zusammensetzen! Damit ist man in einer ähnlichen Situation wie beim babylonischen Wurzelziehen: Man kann dieselbe Idee erneut anwenden und noch mal und noch mal. . . D E R E R S T E A LG O R I TH M US

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Es wird so lange das längere Stück durch die Differenz ersetzt, bis die beiden zu vergleichenden Stäbe gleich lang sind. Das sind die Stücke, in die man die ursprünglichen Stäbe zerlegen kann.

Klappt das immer? Geometrisch wird dieses Vorgehen nicht immer zum Erfolg führen: Nach dem erfolgreichen Zerlegen kann man ja zählen, in wie viele Stücke die beiden Stäbe zerlegt wurden, und die beiden Zahlen vergleichen. Das bedeutet, dass die Längen in einem rationalen Verhältnis zueinander stehen. In der Skizze war das zum Beispiel fünf zu vier. Aber wenn der lange Stab die Diagonale und der kurze die Seite eines Quadrates ist, dann ist deren Längenverhältnis irrational und der Algorithmus wird niemals zu einem Ende finden. In der klassischen Geometrie hätte man die beiden Strecken inkommensurabel genannt. Für unsere Zwecke ist das jedoch kein Problem. Wir übertragen die geometrische Aufgabe in den Bereich der Zahlentheorie. Die Stäbe sollen beide eine ganzzahlige Länge haben. Dann findet man mit Sicherheit ein gemeinsames Maß, nämlich das Maß eins. Der clevere Algorithmus wird allerdings dafür sorgen, dass wir nicht so viel sägen müssen. Er wird uns ein möglichst großes gemeinsames Maß liefern.

In der Skizze repräsentiert der lange Stab die Zahl 30 und der kurze die Zahl 24. (Es sind dieselben Stäbe wie vorher; sie wurden 140

PI UND DIE PRIMZAHLEN

nur mit Markierungen versehen.) Der Algorithmus liefert ein Stück der Länge 6. In der Schule haben wir das als größten gemeinsamen Teiler der beiden Ausgangszahlen kennengelernt. Was war noch mal damit gemeint? Da sich jede Zahl durch eins teilen lässt, haben zwei Zahlen immer mindestens einen gemeinsamen Teiler. Und wenn man mit natürlichen Zahlen arbeitet, kann ein Teiler auch niemals größer sein als die Zahl, die er teilt. Darum findet man zu zwei natürlichen Zahlen garantiert auch immer den größten gemeinsamen Teiler: die größte Zahl, die beide Zahlen teilt. Sie hat nebenbei die Eigenschaft, dass jeder weitere gemeinsame Teiler der beiden Zahlen auch sie teilen muss. (Beispielsweise ist 3 auch ein gemeinsamer Teiler von 24 und 36, aber nicht der größte. 3 teilt auch 6.) Exemplarisch hier noch ein Durchlauf des Algorithmus für Zahlen anstelle von Holzstäben. Es soll der größte gemeinsame Teiler von 28 und 10 berechnet werden und das Ergebnis ist 2. 

28 10 6 2

 

18 10 4 2

 

10 8 2 2



8 2

Wieso liefert der Algorithmus den größten gemeinsamen Teiler und nicht nur irgendeinen? Man sieht an dem Beispiel, dass es noch Verbesserungspotential gibt. In den ersten beiden Schritten wird etwa 28 − 10 und dann 18 − 10 berechnet. Man hätte stattdessen auch gleich berechnen können, wie oft 10 in 28 passt und was übrig bleibt. Man hätte also das Subtrahieren durch Teilen mit Rest ersetzen können. So werden wir es ab jetzt auch machen. Dazu noch ein Beispiel mit etwas größeren Zahlen, nämlich mit 845 und 221. 845 = 3 · 221 + 182 221 = 1 · 182 + 39 182 = 4 · 39 + 26 39 = 1 · 26 + 13 26 = 2 · 13 D E R E R S T E A LG O R I TH M US

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Jede Zeile steht für einmal Teilen mit Rest. Die erste Zeile zeigt uns zum Beispiel, dass wir zwei Schritte gegenüber dem Subtrahieren gespart haben, weil man von 845 dreimal 221 abziehen kann, bis die Differenz kleiner als 221 ist. Wir fahren fort, bis es keinen Rest mehr gibt. Das ist hier in der fünften Zeile der Fall, also ist 13 der größte gemeinsame Teiler der beiden Ausgangszahlen. Für die Zahlentheorie aber fast noch wichtiger als der euklidische Algorithmus selbst ist die Tatsache, dass man ihn auch „rückwärts“ ablaufen lassen kann. Das ist so gemeint, dass man zunächst die obigen Gleichungen so umstellt, dass die Reste jeweils isoliert auf einer Seite stehen. 182 = 845 − 3 · 221 39 = 221 − 1 · 182 26 = 182 − 4 · 39 13 = 39 − 1 · 26

Dann ersetzt man Schritt für Schritt, von unten nach oben, die jeweiligen Terme durch den Ausdruck in der Gleichung darüber. 13 = 39 − 1 · 26 = 39 − 1 · (182 − 4 · 39) = (221 − 1 · 182) − 1 · (182 − 4 · (221 − 1 · 182)) = 5 · 221 − 6 · 182

Hier wurde also erst 26 durch 128 − 4 · 39 ersetzt, dann 39 an zwei Stellen durch 221 − 1 · 182. In diesem Beispiel waren wir nach zwei Schritten bereits fertig, aber es kann natürlich auch noch länger so weitergehen. (Sie haben vorsichtshalber mitgerechnet, oder?) Der Sinn der Übung ist, dass wir am Ende zusammenfassen können und bis auf die beiden Ausgangszahlen mit Vorfaktoren alles verschwunden ist. Man nennt das den erweiterten euklidischen Algorithmus. Wir werden bald sehen, wofür wir das gebrauchen können. 142

PI UND DIE PRIMZAHLEN

An viele Details meines eigenen Matheunterrichts in der fünften und sechsten Klasse kann ich mich nicht mehr erinnern, unter anderem leider auch nicht mehr an den Namen der Lehrerin. Ein Satz, den sie oft wiederholt hat, hat sich allerdings in meinem Gehirn festgesetzt (und vielleicht auch meine Berufswahl beeinflusst): „Mathematiker sind faul.“ Das war nicht etwa als Beleidigung gemeint, sondern als Beschreibung der Arbeitsweise von Mathematikern. Der englische Mathematiker und Physiknobelpreisträger Roger Penrose hat das etwas eleganter ausgedrückt: Mathematicians tend to be intrinsically lazy people, and they are often trying to find ways of avoiding computation (despite the fact that this may well lead them into considerable more difficult mental work than computation itself!).

Wir können nun auch faul sein: Wir ernten die Früchte unserer Arbeit, legen die Füße hoch und lassen die Algebra für uns schuften. Wir wollen natürlich den Begriff des größten gemeinsamen Teilers und den (erweiterten) euklidischen Algorithmus auf ganze und gaußsche Zahlen übertragen. Aber da ist fast nichts mehr zu tun! Wir müssen lediglich überlegen, wie wir mit dem Adjektiv groß beim größten gemeinsamen Teiler umgehen. Doch das liegt jetzt eigentlich auf der Hand: Wir sprechen von einem größten gemeinsamen Teiler, wenn es keinen anderen gemeinsamen Teiler gibt, der einen größeren Betrag bzw. eine größere Norm hat. (Man beachte, dass wir nicht mehr von dem, sondern von einem größten gemeinsamen Teiler sprechen, weil es nun mehrere geben kann. Beispielsweise sind 5 und −5 größte gemeinsame Teiler von 35 und 45.) Und da wir dank unserer Vorarbeit wissen, dass sowohl bei den ganzen als auch bei den gaußschen Zahlen Teilen mit Rest möglich ist, muss der euklidische Algorithmus dort genauso funktionieren, wie wir es eben am Beispiel der natürlichen Zahlen gesehen haben. Wir müssen das nicht mehr machen! Ich halte lediglich noch die wesentlichen Ergebnisse dieses Kapitels für die Nachwelt fest. Das Wort Zahlen darf in den folgenden D E R E R S T E A LG O R I TH M US

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Sätzen jeweils durchgehend durch ganze Zahlen oder durch gaußsche Zahlen ersetzt werden. – Mithilfe des euklidischen Algorithmus kann man einen größten gemeinsamen Teiler zweier Zahlen berechnen, die von null verschieden sind. – Größte gemeinsame Teiler sind nicht eindeutig bestimmt, unterscheiden sich aber nur durch Einheiten: Sind sowohl d 1 als auch d 2 größte gemeinsame Teiler der Zahlen a und b , so gibt es eine Einheit e mit d 2 = e d 1 . – Mithilfe des erweiterten euklidischen Algorithmus kann man einen größten gemeinsamen Teiler d von a und b als sogenannte Linearkombination dieser Zahlen darstellen. Damit ist gemeint, dass der Algorithmus Zahlen m und n findet, für die d = m a + nb gilt. Sie müssen nicht mehr rechnen, aber vielleicht wollen Sie ja noch. Für den Fall, dass Sie sich selbst überzeugen wollen, dass alles wie am Schnürchen klappt, spendiere ich Ihnen ein paar Werte, die Sie mit Ihren eigenen Ergebnissen vergleichen können: Für die gaußschen Zahlen a = 13 + 24i und b = −26 − 3i ist d = −2 − i ein größter gemeinsamer Teiler. Man kann d so darstellen: d = (3 − 6i) · a + (7 − i) · b

(Achtung! Auch diese Darstellung ist nicht eindeutig. Für das weitere Vorgehen ist aber nur wichtig, dass es überhaupt so eine Darstellung gibt.)

144

PI UND DIE PRIMZAHLEN

KOMPLEXES INTERMEZZO

Was ist der Unterschied zwischen einem introvertierten und einem extrovertierten Mathematiker? Der introvertierte Mathematiker schaut bei einer Unterhaltung auf seine Schuhe; der extrovertierte schaut auf die Schuhe seines Gesprächspartners. Dieser Witz dürfte ungefähr die Vorstellung wiedergeben, die viele von Mathematikern haben (ohne selbst welche zu kennen): vergeistigte Nerds mit sozialen Defiziten. In der Tat benötigen Mathematiker für ihre Arbeit häufig Phasen höchster Konzentration und können dann auch mal weltabgewandt wirken. Aber abgesehen davon sind sie natürlich ganz normale Menschen und unter den berühmten Mathematikern der letzten Jahrhunderte gab es sogar äußerst bunte Charaktere. Évariste Galois war beispielsweise ein republikanischer Hitzkopf, der mit 19 Jahren im Gefängnis landete und ein Jahr später an den Folgen eines Duells starb. Pierre-Simon Laplace war ein Karrierist, der es bis zum Innenminister Napoleons brachte, jedoch bereits nach sechs Wochen wieder entlassen wurde, weil er seinem Amt offenbar nicht gewachsen war. Laurent Schwartz wurde aufgrund seines politischen Engagements gegen den Algerienkrieg seiner Professur enthoben. Boris Delone war ein passionierter Alpinist, nach dem sogar ein Berg in Sibirien benannt ist. Ronald Graham war ein weltbekannter Jongleur und trat als Zauberer auf. Paul Erdős hatte den größten Teil seines Lebens keinen festen Wohnsitz und lebte entweder in Hotels oder quartierte sich bei befreundeten Mathematikern ein. John von Neumann war ein Freund von Partys und schnellen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_17

Autos, von denen er mehrere zu Schrott fuhr. Die Liste lässt sich mühelos fortsetzen. Die schillerndste Figur war aber wohl der Mathematiker, Arzt und Philosoph Gerolamo Cardano, der im Italien des 16. Jahrhunderts zu einer Zeit lebte, als Mathematiker sich vor Publikum auf Marktplätzen Wettkämpfe lieferten, in denen sie ihre Gegner mit möglichst schweren Aufgaben piesackten. Cardano, nach dem auch die Kardanwelle benannt ist, war damals in ganz Europa bekannt. In seinem bewegten Leben spielten unter anderem gebrochene Schwüre, die Inquisition, Glücksspiel, Prostitution und Giftmorde eine Rolle. Für den Fortgang unserer Geschichte ist entscheidend, dass mit Cardanos Namen die erstmalige Lösung sogenannter kubischer Gleichungen verbunden ist. Dabei traten als Zwischenergebnisse überraschenderweise manchmal Wurzeln negativer Zahlen auf, die aber im Laufe der Rechnung wieder verschwanden. Diese seltsamen Artefakte wurden natürlich nicht als Zahlen betrachtet und konsequenterweise imaginär genannt. (So ist die Zahl i zu ihrem Namen gekommen.) Es dauerte fast dreihundert Jahre, bis aus den rätselhaften Zwischenergebnissen nach und nach allseits akzeptierte mathematische Objekte wurden, denen Gauß dann den Namen komplexe Zahlen gab. Inzwischen weiß man, dass sich erst mithilfe dieser ehemals ungeliebten Stiefkinder bestimmte grundlegende Fragen zufriedenstellend beantworten lassen. Ein einfaches Beispiel dafür werden wir am Ende des Kapitels sehen. Außerdem gäbe es ohne komplexe Zahlen auch keine gaußschen Zahlen (die ja einfach spezielle komplexe Zahlen sind). Dieses Kapitel soll uns in Erinnerung rufen, dass die gaußschen Zahlen eine geometrische Entsprechung als Punkte in der Ebene haben und wir uns mit ihnen beschäftigen, weil wir sie zählen wollen. Nach der anstrengenden Tour durch die Niederungen der abstrakten Algebra machen wir quasi eine kurze Verschnaufpause. Vielleicht werfen Sie noch mal einen Blick auf die Skizze auf Seite 82. Die Kreise dort entsprechen den Normen, die gaußsche 146

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Zahlen haben können. Gaußsche Zahlen mit der Norm n liegen auf √ dem Kreis mit dem Radius n . Insbesondere liegen die vier Einheiten auf dem Kreis ganz innen, der den Radius eins hat: i

1

−1 −i

Obwohl ich Ihnen keine vollständige geometrische Erklärung der Multiplikation gaußscher Zahlen präsentieren werde, werde ich auf den folgenden Seiten doch zumindest ein paar wichtige Details herausarbeiten, die wir noch brauchen werden. Zunächst wäre da die Multiplikativität der Norm. Zur Erinnerung: Damit ist gemeint, dass immer N (z 1 z 2 ) = N (z 1 ) N (z 2 ) gilt. Wenn wir wissen, wo die Zahlen z 1 und z 2 in der Ebene liegen, dann wissen wir damit also zumindest, wie weit ihr Produkt z 1 z 2 vom Ursprung entfernt ist, das heißt, auf welchem Kreis es liegt.

In der Skizze hat beispielsweise z 1 = 2 − i die Norm 5 und die Zahl z 2 = 2 + 3i hat die Norm 13. Das Produkt z 1 z 2 = 7 + 4i muss also die Norm 5 · 13 = 65 haben. Daraus folgt natürlich insbesondere, dass gaußsche Zahlen auf „ihrem“ Kreis bleiben, wenn sie mit einer Einheit multipliziert werden. Schauen wir uns etwas genauer an, was bei der Multiplikation mit einer Einheit passiert. Wird x + y i mit der Einheit i multipliziert, dann ist das Ergebnis −y + x i. Die Komponenten werden vertauscht und eine wechselt dabei auch noch das Vorzeichen. Ein Punkt, der zum Beispiel vorher ziemlich weit rechts von der vertikalen Achse lag, liegt danach ziemlich weit oberhalb der horizontalen. Lag er K O M P L E X E S I N T E R M E Z ZO

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außerdem knapp oberhalb der horizontalen Achse, so liegt er nach dem Multiplizieren knapp links von der vertikalen Achse.

Probieren Sie es ruhig mal selbst mit ein paar konkreten Beispielen aus, aber ich denke, es ist ziemlich klar, was da passiert: Durch die Multiplikation mit i wird der Punkt um 90 Grad um den Ursprung gedreht. (Gedreht wird in der Mathematik immer gegen den Uhrzeigersinn. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Achsen gemäß der üblichen Konvention nach rechts und oben zeigen. Falls jemand sich beschwert, dass der mathematische Drehsinn sich nicht am allseits bekannten Drehsinn der Uhren orientiert, entgegne ich gerne, dass es Ziffernblätter erst seit wenigen Hundert Jahren gibt. Die Mathematik ist ein paar Jahrtausende älter. . . ) Was passiert beim Multiplizieren mit −1 und −i? Wenn man mit i und dann noch mal mit i multipliziert, dreht man insgesamt um 180 Grad. Und weil i · i = −1 gilt, entspricht eine Multiplikation mit −1 also einer Drehung um diesen Winkel. Entsprechend bewirkt das Malnehmen mit −i eine Drehung um 270 Grad (bzw. um 90 Grad im Uhrzeigersinn). Passenderweise kommt schließlich für die Multiplikation mit 1 eine Drehung um 360 Grad heraus, was darauf hinausläuft, dass gar nicht gedreht wird. Insgesamt ergibt sich das folgende Bild und man sagt dann, dass die vier Zahlen assoziiert sind:

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PI UND DIE PRIMZAHLEN

Die präzise mathematische Definition ist, dass man zwei Zahlen assoziiert nennt, wenn man die eine aus der anderen durch Multiplikation mit einer Einheit erhält. 2−7i und −7−2i sind also beispielsweise assoziiert. Es bilden sich „Kleinfamilien“ von je vier gaußschen Zahlen, die paarweise assoziiert sind und geometrisch gesehen auf den Ecken eines Quadrates sitzen, dessen Mittelpunkt der Ursprung ist. (Das wäre nebenbei bemerkt eine mögliche Begründung dafür gewesen, dass die Anzahl der Punkte mit ganzzahligen Koordinaten auf einem Kreis immer durch vier teilbar sein muss.) Aber nicht alle gaußschen Zahlen auf demselben Kreis sind assoziiert! 2 − 7i und 2 + 7i sind zum Beispiel nicht assoziiert; prüfen Sie’s nach. Wie Sie sich schon gedacht haben, kann man auch dieses Konzept wortwörtlich auf die ganzen Zahlen übertragen. Dort sind immer Paare von Zahlen assoziiert, z.B. 42 und −42. Das Multiplizieren mit natürlichen Zahlen ist besonders einfach. Aus x + y i wird durch Multiplikation mit der natürlichen Zahl n (also mit der gaußschen Zahl n + 0i) die gaußsche Zahl nx + ny i. Das ist einfach eine Streckung um den Faktor n vom Ursprung weg. Hier zum Beispiel für n = 3:

Auch die Multiplikation mit anderen gaußschen Zahlen, die auf den Achsen liegen, lässt sich dadurch leicht visualisieren. Multipliziert man etwa mit 4i, so kann man das wegen der Assoziativität der Multiplikation aufteilen in eine Multiplikation mit i (Drehung um 90 Grad) gefolgt von einer mit 4 (Streckung um den Faktor 4). Insgesamt ist das eine Drehstreckung. Für Zahlen wie −7 oder −6i können Sie sich das sicher selbst überlegen. K O M P L E X E S I N T E R M E Z ZO

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Die letzten „speziellen“ Multiplikationen, die wir noch brauchen, sind die mit gaußschen Zahlen der Art ±a ± a i, also mit solchen, bei denen beide Komponenten sich höchstens im Vorzeichen unterscheiden. Beispiele dafür sind 1 − i, 3 + 3i oder −7 + 7i. Zeichnen Sie ein paar solcher Zahlen in ein Koordinatensystem ein. Sie werden sehen, dass die alle auf den Diagonalen zwischen den Achsen liegen. Multipliziert man x + y i mit 1 + i, so erhält man das Produkt (x − y) + (x + y) i. Die neue erste Komponente ist die Differenz der vorherigen Komponenten, die neue zweite Komponente deren Summe. Hier exemplarisch für 4 + i und 3 + 2i:

Ich lasse Sie mit dieser Skizze alleine und appelliere an Ihre geometrische Vorstellungskraft. Ich hoffe, Sie sehen anhand der suggestiven Hilfsfiguren, dass die Multiplikation mit 1 + i einer Drehung um 45 √ Grad (und einer Streckung um den Faktor 2 ) entspricht. Man kann auch heuristisch (und mathematisch nicht ganz präzise) so argumentieren: Wenn man zweimal nacheinander mit 1 + i multipliziert, dann entspricht das einer Multiplikation mit (1+ i) 2 = 2i und damit nach dem vorherigen Abschnitt einer Drehstreckung mit dem Winkel 90 Grad und dem Faktor 2. Es liegt nahe, dass zu einer Multiplikation mit 1 + i dann der halbe Winkel und die Quadratwurzel des Streckfaktors gehören. Auf jeden Fall können Sie sich nun zusammenreimen, dass beispielsweise zu einer Multiplikation mit −1+ i = i (1+ i) ein Drehwinkel von 135 Grad gehört oder wie man sich eine Multiplikation mit 3 − 3i geometrisch vorstellen muss. Können Sie doch, oder? 150

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Vor inzwischen mehr als hundert Seiten hatte ich Sie gefragt, warum minus mal minus plus ergibt. Das ist eine klassische Frage, die sich wahrscheinlich jede Schülerin schon mal gestellt hat. Dass bei plus mal minus ein negatives Ergebnis herauskommen muss, ist eigentlich jedem klar, der sich mit negativen Zahlen angefreundet hat: Wenn ich zum Beispiel meine Schulden verdreifache, habe ich immer noch Schulden. Und weil man sich an die Kommutativität der Multiplikation gewöhnt hat, kann man dann auch noch schlucken, dass bei minus mal plus ebenfalls minus herauskommen muss. Aber minus mal minus? Die korrekte mathematische Antwort lautet: Weil nur so alle Rechenregeln beibehalten werden können, an die wir uns gewöhnt haben. Käme bei der Multiplikation zweier negativer Zahlen keine positive Zahl heraus, dann könnte man sowas wie Ausklammern und Ausmultiplizieren beispielsweise vergessen. Das ist korrekt, aber ich finde es immer etwas unbefriedigend. Viel schöner finde ich die Begründung, die wir gerade gesehen haben: In der Schule lernen wir nur einen kleinen Ausschnitt der Zahlenwelt kennen. Kennt man erst einmal die komplexen Zahlen, dann sieht man, dass die Multiplikation mit einer negativen Zahl eine Drehung um 180 Grad ist. Und wenn man das zweimal nacheinander macht, dann dreht man um 360 Grad und ist wieder am Anfangspunkt. Darum ist minus mal minus plus.

K O M P L E X E S I N T E R M E Z ZO

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AUSSERIRDISCHE MATHEMATIK

1974 wurde am Arecibo-Observatorium in Puerto Rico ein neuer Sender in Betrieb genommen. Als begleitende „Werbemaßnahme“ für die Öffentlichkeit wurde ein Radiowellen-Signal ins Weltall geschickt, das als Botschaft der Erde an mögliche Außerirdische gedacht war. Verschickt werden sollte eine Grafik. Aber wie „verpackt“ man mit einem Signal, das man bestenfalls als Folge von Bits, also von Nullen und Einsen, von an und aus, interpretieren kann, ein zweidimensionales Bild? Die Initiatoren zerlegten das Bild in 1679 schwarze und weiße Pixel, die als Sequenz hintereinander versendet wurden. Und warum gerade 1679? Weil diese Zahl das Produkt der Primzahlen 23 und 73 ist. Nach dem Fundamentalsatz der Arithmetik gibt es nur diese eine Möglichkeit, 1679 als Produkt darzustellen. Also – so jedenfalls die Autoren der Botschaft – gibt es auch nur eine sinnvolle Möglichkeit, aus dem linearen Signal ein rechteckiges Bild zu rekonstruieren. Es gibt viele Argumente, die man dagegen ins Feld führen kann, dass außerirdische Intelligenzen, wenn es sie denn gibt, diese Nachricht werden entschlüsseln können. (Über den Inhalt der Grafik habe ich beispielsweise noch gar nichts gesagt.) Mir geht es aber, weil dies ja ein Buch über Mathematik ist, hauptsächlich um einen Punkt: Gibt es in der „außerirdischen Mathematik“ überhaupt Primzahlen? Die Mathematik ist auf unserem Planeten so eng mit Wissenschaft und Technik verwoben, dass wir uns schlichtweg nicht vorstellen können, dass eine uns unbekannte Zivilisation ohne eine vergleichbare Kulturtechnik eine technische Raffinesse entwickelt, die ihr © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_18

den Empfang von Radiowellen ermöglicht. Sind die physikalischen Gesetze nicht überall im Weltall gleich und sind diese Gesetze nicht eigentlich mathematische Gesetze? Hat nicht schon Galileo Galilei gesagt, dass die Natur die Sprache der Mathematik spricht? Außerdem ist die Mathematik einerseits ein Produkt des menschlichen Geistes, andererseits sind ihre Ergebnisse jedoch scheinbar so zwingend und allgemeingültig, dass sie jedem, der sich länger mit ihr beschäftigt, irgendwann vorkommt wie etwas, das außerhalb von ihm und seinen Mitmenschen existiert und seine eigenen Regeln hat. (Das ist die schon angesprochene „platonistische“ Sichtweise, von der sich nach meiner Überzeugung kein Mathematiker gänzlich befreien kann.) Wenn Außerirdische auch Mathematik betreiben, dann müssen die doch zwangsläufig auch zählen, addieren und multiplizieren und schließlich auf Primzahlen kommen, oder? Selbstverständlich kann ich diese Fragen nicht beantworten. Ich will Ihnen nicht mal aufdrängen, was ich darüber denke. Aber vielleicht haben Sie ja auch Lust, in einer freien Minute mal darüber zu philosophieren.

Doch zurück zur irdischen Mathematik. Um den Fundamentalsatz der Arithmetik wird es auch in diesem Kapitel gehen. Sie ahnen es schon: Wir wollen ihn auf gaußsche Zahlen verallgemeinern. Dafür müssen wir natürlich erst einmal den Begriff der Primzahl verallgemeinern. Das ist aber nicht schwer. Wir machen es nach dem Ausschlußverfahren und führen alles auf, was nicht infrage kommt. Bei den Primzahlen haben wir die Eins ausgeschlossen. Konsequenterweise müssen wir jetzt alle Einheiten ausschließen. Außerdem soll natürlich auch die Null keine Primzahl sein. Darüber mussten wir uns bei den natürlichen Zahlen keine Gedanken machen. Und die zusammengesetzten Zahlen waren auch keine Primzahlen. Das waren bisher Zahlen, die sich als Produkte von zwei Zahlen darstellen lassen, die beide nicht eins sind. 154

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Jetzt haben wir alles zusammen: Wir nennen eine Zahl ein Primelement, wenn sie erstens nicht null ist, zweitens keine Einheit und sich drittens nicht als Produkt zweier Zahlen darstellen lässt, die beide keine Einheiten sind. (Profi-Algebraiker werden jetzt aufstöhnen, weil das nicht die kanonische Definition ist. Aber sei’s drum.) Wie üblich funktioniert die Definition sowohl für gaußsche als auch für ganze Zahlen. Für ganze Zahlen ist sie nicht wirklich aufregend. Wenn Sie kurz nachdenken, wird Ihnen klar, dass die Primelemente der ganzen Zahlen einfach die „klassischen“ Primzahlen zusammen mit ihren negativen Gegenstücken sind. Interessanter wird es bei den gaußschen Zahlen. Die gute alte Fünf ist zum Beispiel auf einmal keine Primzahl (pardon: kein Primelement) mehr, denn sie ist das Produkt der Zahlen 2 + i und 2 − i. Aber 2 + i ist ein Primelement. Warum? 2 + i hat die Norm 5. Könnte man diese Zahl als Produkt zweier Nicht-Einheiten darstellen, so müsste das Produkt der Normen dieser beiden Faktoren 5 sein. Aber wie soll das gehen? Die Normen sind natürliche Zahlen und 5 ist eine Primzahl. . . Weitere Beispiele für Primelemente unter den gaußschen Zahlen sind 3i und 3 − 2i. Geben Sie zur Übung auch ein paar Primelemente an. Den Begriff des Primteilers übertragen wir auch ganz schmerzlos. a heißt Primteiler der (ganzen oder gaußschen) Zahl b , wenn a Teiler von b und zusätzlich ein Primelement ist. Das obige Beispiel zeigt, dass 2 + i ein Primteiler von 5 ist. Und natürlich hat auch in unseren beiden euklidischen Ringen jede Zahl (die nicht gerade eine Einheit oder null ist) einen Primteiler. Das werden wir diesmal sogar etwas mathematischer begründen als beim ersten Mal. Nennen wir die (gaußsche) Zahl a . Sie hat als Teiler auf jeden Fall sich selbst und damit mindestens einen Teiler, dessen Norm größer als eins ist. Nun sammeln wir alle Teiler von a , deren Norm größer als eins ist. Diese Normen sind natürliche Zahlen und AU SS E R I R D I S C H E M AT H E M AT I K

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eine von denen muss die kleinste sein. Zu dieser kleinsten Norm gehört ein Teiler b von a und der ist ein Primelement. Warum? Hätte b selbst einen Teiler, der keine Einheit ist, so wäre das wegen der Transitivität der Teilbarkeit auch einer von a . Dann könnte b aber kein Teiler von a mit minimaler Norm sein. Für ganze Zahlen ersetze man die Norm durch den Betrag. Sie sehen, wie hier wieder die Maschinerie der Algebra für uns arbeitet. Wenn man nun die Lupe zur Hand nimmt und ganz genau schaut, was man da gemacht hat, dann sieht man, dass das nur klappt, weil wir davon ausgehen, dass man in jeder Ansammlung von natürlichen Zahlen eine kleinste findet. Das ist nicht weiter schlimm, Sie glauben das sicher. Aber für die Grundlagenforschung sind solche Fragen relevant. Wenn man konsequent die komplette Mathematik auf ganz wenige Axiome zurückführen will, dann ist das hier eins von denen. Man sagt auch, dass die natürlichen Zahlen wohlgeordnet sind. Das aber nur am Rande. Dass sich jede Zahl außer der Null und den Einheiten als Produkt von Primelementen darstellen lässt, ist nun (mal wieder) trivial. Wenn die Zahl ein Primelement ist, dann müssen Sie gar nichts machen. (Ein Produkt mit nur einem Faktor, Sie entsinnen sich.) Ansonsten finden Sie immer einen Primteiler, wie wir uns gerade überlegt haben. Teilen Sie Ihre Ausgangszahl durch diesen Primteiler und schauen Sie sich den Quotienten an. Ist das ebenfalls ein Primelement, dann sind Sie fertig. Anderenfalls finden Sie wieder einen Primteiler, dividieren wieder, schauen sich wieder den Quotienten an und so weiter. Das muss irgendwann aufhören, weil ja in jedem Schritt die Norm bzw. der Betrag des verbleibenden Quotienten kleiner wird. Für die gaußsche Zahl 65i sieht das zum Beispiel so aus: 65i −26 + 13i

1 − 2i

−13

2−i 3 + 2i 156

PI UND DIE PRIMZAHLEN

−3 + 2i

Aber das ist noch nicht der ganze Fundamentalsatz. Wir sind hier in einer für die Mathematik recht typischen Situation. Wir haben es geschafft, Objekte in einer bestimmten Form darzustellen. Oft ist man an Darstellungen mithilfe von Objekten interessiert, die im gewissen Sinne einfacher oder grundlegender sind. In unserem Fall sind die darzustellenden Objekte beliebige Zahlen und die einfachen „Bausteine“ sind die Primlemente. (Ein anderes Beispiel, dass manche Leserinnen vielleicht schon mal gesehen haben, wäre die Darstellung von Vektoren durch Basisvektoren.) Nachdem man im ersten Schritt die Existenz so einer Darstellung bewiesen hat (das haben wir), ist die sich anschließende Frage meistens, ob diese Darstellung eindeutig ist. Gibt es zu einer vorgegebenen Zahl nur die eine Darstellung oder sind noch andere möglich? Und? Sind noch andere Darstellungen möglich? Hundertprozentig eindeutig ist die Darstellung auf jeden Fall nicht, wie man hier sieht: 65i 26 + 13i

1 + 2i

13i

1 − 2i −3 + 2i

2 − 3i

Beim „klassischen“ Fundamentalsatz war die Darstellung eindeutig bis auf die Reihenfolge. Mehr war auch nicht zu erwarten, weil man ja beim Multiplizieren die Reihenfolge frei wählen darf. Hier ist es aber noch ein bisschen anders, weil in der zweiten Zerlegung von 65i tatsächlich andere Zahlen auftauchen als in der ersten. Dass man bei der Eindeutigkeit einer Darstellung Einschränkungen im Sinne von „bis auf“ in Kauf nehmen muss, ist durchaus üblich. Welche Einschränkung wird es wohl hier sein? Sehen Sie’s? AU SS E R I R D I S C H E M AT H E M AT I K

157

Die vollständige Formulierung des Fundamentalsatzes der Arithmetik für gaußsche oder ganze Zahlen lautet: Jede Zahl außer der Null und Einheiten lässt sich bis auf die Reihenfolge und Multiplikation mit Einheiten eindeutig als Produkt von Primelementen darstellen. Anders ausgedrückt: Die Anzahl der Faktoren ist immer gleich und wenn man zwei verschiedene Darstellungen entsprechend umsortiert, stehen sich immer assoziierte Faktoren gegenüber. Zwar taucht im Beispiel einmal der Faktor 2 − i und einmal 1 + 2i auf, aber man erhält die zweite Zahl, wenn man die erste mit i multipliziert. Und entsprechend hängen 3 + 2i und 2 − 3i zusammen. Das müssen wir nun noch beweisen und das war einer der Gründe, sich den erweiterten euklidischen Algorithmus anzuschauen. Die grundlegende Aussage, die wir brauchen, und die natürlich wieder sowohl für ganze als auch für gaußsche Zahlen gilt, ist diese: Sind a und b teilerfremd und teilt a das Produkt von b mit einer weiteren Zahl c , dann teilt a die Zahl c . (Sinnvollerweise nennen wir zwei Zahlen teilerfremd, wenn ihre einzigen gemeinsamen Teiler Einheiten sind.) Begründung: a teilt b c , also gibt es nach Definition der Teilbarkeit eine Zahl k mit b c = k a . Wir wenden jetzt den euklidischen Algorithmus auf a und b an. Dabei muss eine Einheit e herauskommen. Nun lassen wir den Algorithmus „rückwärts“ ablaufen, wenden also den erweiterten euklidischen Algorithmus an. Der liefert uns zwei Zahlen m und n , so dass e = m a + nb gilt. Multiplizieren wir diese Gleichung mit c , so ergibt sich: ec = m ac + nb c = m ac + nk a = (mc + nk) a

Und jetzt fällt uns wieder ein, was eigentlich Einheit bedeutet: e hat einen Kehrwert – eine Zahl e −1 , deren Produkt mit e eins ergibt. Also multiplizieren wir unsere Gleichung mit e −1 : c = e −1 (mc + nk) a

Und da steht wie gewünscht, dass c ein Vielfaches von a ist. 158

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Die Eindeutigkeitsaussage des Fundamentalsatzes ist eine direkte Konsequenz der eben bewiesenen Aussage. Dafür gehen wir von zwei verschiedenen Zerlegungen einer Zahl in Primelemente aus (und wollen begründen, dass sie so verschieden nicht sein können): b1 b2 b3 · · · b n = c 1 c 2 c 3 · · · c m b1 teilt das Produkt auf der rechten Seite. Ich behaupte, dass b1 bis auf Multiplikation mit einer Einheit einer der Faktoren c 1 bis c m ist. Ist b1 assoziiert mit c 1 , dann sind wir fertig. Anderenfalls sind b1 und c 1 als Primelemente teilerfremd. Nach der gerade bewiesenen Aussage muss b1 dann das „Restprodukt“ c 2 · · · · · c m teilen und wir können dort nach einem Pendant zu b1 suchen. Sind b1 und c 2 nicht assoziiert, dann muss mit dem gleichen Argument b1 ein Teiler von c 3 · · · · · c m sein. Das kann aber nicht immer so weiter gehen. Es hört spätestens dann auf, wenn b1 ein Teiler von c m sein muss. Dann müssen die beiden nämlich assoziiert sein. Dieses Argument funktioniert nicht nur für b1 . Nachdem wir die zu b1 assoziierte Zahl gefunden haben, teilen wir auf beiden Seiten durch b1 und machen dann dasselbe mit b2 und so weiter. Jede der Zahlen b1 bis b n hat also auf der rechten Seite einen assoziierten Partner (und jede hat einen anderen Partner). Außerdem kann man den Beweis ebenso von rechts nach links ablaufen lassen. (Mathematikerinnen verwenden an dieser Stelle die Formulierung „aus Symmetriegründen“.) Insbesondere folgt daraus natürlich, dass m = n gelten muss.

Überlegen Sie sich, dass wir „nebenbei“ auch den Fundamentalsatz für natürliche Zahlen bewiesen haben. Gilt der Satz von Euklid auch für die gaußschen Zahlen?

Die Aussage über die Eindeutigkeit der Zerlegung von gaußschen Zahlen lässt sich wiederum geometrisch interpretieren. Durch Multiplikation mit Einheiten ändert sich die Norm nicht und damit AU SS E R I R D I S C H E M AT H E M AT I K

159

bleiben die Faktoren auf ihren Kreisen. Wenn man also eine gaußsche Zahl auf verschiedene Arten als Produkt von Primelementen darstellen kann, dann gehen die Faktoren unterschiedlicher Darstellungen durch Drehungen um Vielfache von 90 Grad auseinander hervor. Und es sind nicht einmal beliebige Drehungen dieser Art erlaubt, da sich immer alle Drehungen zusammen neutralisieren (also zu 360 Grad addieren) müssen. Hier als Beispiel drei verschiedene Darstellungen von 3 + 9i:

Im Übergang von der ersten zur zweiten Darstellung wird beispielsweise die Zahl 1 + i durch Multiplikation mit i auf die Zahl −1 + i gedreht. Um das auszugleichen, müssen die anderen Faktoren insgesamt mit dem Kehrwert von i, also mit −i, multipliziert werden. Deshalb wird −1 + 2i auf 2 + i gedreht, während der Faktor −3i sich nicht ändert. Beim Übergang zur dritten Darstellung wechseln alle drei Zahlen auf neue Positionen. Machen Sie sich klar, dass die drei dabei durchgeführten Multiplikationen zusammen eins ergeben.

160

PI UND DIE PRIMZAHLEN

EINFACHES SUDOKU

Viele „ernsthafte“ mathematische Anwendungen haben als unschuldige Spielereien das Licht der Welt erblickt. Das wundert Sie jetzt nicht mehr, weil ich schon in der Einleitung verraten habe, dass Mathematiker nicht den ganzen Tag darüber nachdenken, was sie als Nächstes für die Kollegen Ingenieure und Physiker tun können. Ein Beispiel für so eine Spielerei sind lateinische Quadrate. A

C

B

E

B

D

C

A

E

C

E

D

B

A

D

A

E

C

B

E

B

A

D

C

D

Jeder Buchstabe muss in jeder Spalte und jeder Zeile genau einmal vorkommen. Falls Sie schon mal Sudoku gespielt haben (und wer hat das nicht?), dann wird Ihnen das bekannt vorkommen. Lateinische Quadrate sind quasi eine einfache Variante von Sudoku, weil beim Sudoku noch weitere Bedingungen zu erfüllen sind. Aber auch lateinische Quadrate sind schon kompliziert genug. Wenn Sie ein Programm entwickeln, das für jedes teilweise gefüllte Quadrat entscheidet, ob man es zu einem lateinischen Quadrat vervollständigen kann, und das diese Aufgabe immer in akzeptabler Zeit erledigt, dann haben Sie eines der größten offenen Probleme der Mathematik gelöst. Es ist sogar eines der sieben Millennium-Probleme, für deren Lösung jeweils ein Preisgeld in Höhe von einer Million Dollar ausgesetzt ist. (Was genau mit akzeptabel gemeint ist, ent© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_19

nehmen Sie bitte den Teilnahmebedingungen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.)

Der erste Europäer, der sich mit lateinischen Quadraten beschäftigte, war Leonhard Euler. Seinen Namen habe ich in diesem Buch schon mehrfach erwähnt, aber ansonsten habe ich noch nichts zu ihm gesagt. Das muss ich dringend nachholen. Euler war mit Sicherheit der produktivste Mathematiker aller Zeiten. Er veröffentlichte rund zwei Dutzend Bücher und 500 wissenschaftliche Aufsätze. Seine bisher herausgegebenen gesammelten Schriften umfassen bereits mehr als 30 Bände und da fehlen unter anderem noch seine (wissenschaftlich gehaltvollen) Briefe, von denen etwa 3100 erhalten geblieben sind. Friedrich II., an dessen Preußischer Akademie der Wissenschaften Euler lange tätig war, bezeichnete ihn als „meinen Zyklopen“, weil er auf einem Auge fast nichts sehen konnte. Mit 65 Jahren erblindete Euler völlig. Das änderte aber nichts an seiner Produktivität: er diktierte seine Publikationen fortan einfach einem Sekretär; nach wie vor waren es mehrere pro Monat. Zeitgenössischen Quellen zufolge ließ er sich bei der Arbeit auch nicht dadurch beirren, dass seine Enkelkinder auf ihm herumkrabbelten. Ich glaube, viele Menschen hätten gerne eine vergleichbar robuste Konzentrationsfähigkeit. Bei aller Bewunderung muss aber auch zarte Kritik erlaubt sein. Viele von Eulers berühmten Vorgängern und Nachfolgern, die nicht so produktiv waren, waren auch Philosophen und haben der Mathematik durch revolutionäre Ideen ganz neue Sichtweisen eröffnet oder sich zumindest an grundlegenden Fragestellungen abgearbeitet. Euler war in erster Linie ein begnadeter und extrem fleißiger Rechner. Er hat sich teilweise haarsträubende Inkonsistenzen und Fehler erlaubt, wurde aber fast immer durch seine Intuition dann doch zu den richtigen Resultaten geführt. Ein Mathematikhistoriker hat Euler mal als „Superpragmatiker ohne philosophisches Talent“ bezeichnet. Das trifft wohl den Nagel auf den Kopf. 162

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Warum sich Euler für lateinische Quadrate interessierte, kann ich Ihnen nicht sagen. Wahrscheinlich war es wirklich nur Spielerei und er sah in ihnen (zu Recht) eine Quelle spannender Fragestellungen. Uns jedenfalls interessieren sie im Zusammenhang mit der modularen Arithmetik. Der wenden wir uns jetzt wieder zu, weil wir den Zwei-Quadrate-Satz von Fermat noch etwas „aufbohren“ müssen. Für unser Ziel, das Punktezählen, müssen wir Fermats Frage nämlich nicht nur für Primzahlen, sondern für alle natürlichen Zahlen beantworten. Ich hatte ja schon im ersten Kapitel über modulare Arithmetik angedeutet, dass man auch andere Reste als vier nehmen kann. Hier die Additionstabelle für fünf: +

0

1

2

3

4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

1 2 3 4 0

2 3 4 0 1

3 4 0 1 2

4 0 1 2 3

Der Noetherschen Abstraktionsmaxime folgend führen wir nun neue „Zahlen“ ein. Und zwar fünf Stück, für die wir die Symbole , , , und wählen und für die wir auch gleich festlegen, wie sie addiert werden sollen (indem wir obige Tabelle übersetzen): +

Da können wir nun beispielsweise ablesen, dass herauskommt, wenn man und addiert. Während es unendlich viele ganze Zahlen und unendlich viele gaußsche Zahlen gibt, hat diese neue „ZahlenE I N FA C H E S S U D O K U

163

welt“ nur fünf Einwohner. Dafür ist aber präzise festgelegt und der Tabelle zu entnehmen, wie mit den neuen Zahlen gerechnet wird. Natürlich sind die Würfelsymbole nicht ganz ernst gemeint. Es ging mir nur darum, deutlich zu machen, dass dies wirklich neue Objekte mit anderen Rechenregeln als den üblichen sind. Aber Mathematiker abstrahieren ja nicht nur gerne, sie sind bekanntlich auch faul. Darum werden wir in Zukunft statt einfach wieder 4 und statt natürlich 3 schreiben. Aber das heißt dann auch, dass 4 + 3 manchmal 7 ist und manchmal 2. Es hängt davon ab, mit welchen Zahlen man rechnet! Poincaré hat mal gesagt, dass Mathematik die Kunst sei, unterschiedlichen Dingen denselben Namen zu geben. Das machen wir hier. Das Symbol 4 steht zum Beispiel mal für die „gute alte“ Vier, die wir schon aus der Grundschule kennen, und mal für das neue Objekt . Um deutlich zu machen, dass wir mit diesen neuen Zahlen arbeiten, werden wir in Zukunft sagen, dass wir „modulo 5“ oder „in Z5 “ rechnen. Z5 ist also die Zahlenwelt, die nur aus den fünf Zahlen 0 bis 4 besteht und in der nach den Regeln der modularen Arithmetik gerechnet wird. Natürlich wird es auch sowas wie Z7 geben oder Z2 – letzteres eine Welt, die nur aus den beiden Zahlen 0 und 1 besteht. Das international übliche Z steht übrigens für das deutsche Wort Zahlen. Bis durch die Naziherrschaft fast alle bedeutenden Naturwissenschaftler und Mathematiker Deutschland entweder verlassen hatten oder umgebracht worden waren, war Deutsch eine wichtige Wissenschaftssprache. Davon findet man in der Fachsprache der Mathematik ab und zu noch Spuren, wenn beispielsweise in englischen Artikeln die Rede von eigenvectors ist oder man hübsche Sätze wie „we make the following ansatz“ liest. Zur Auffrischung: Welchen Rest erhält man, wenn man −17 durch 5 teilt? Seitdem wir das erste Mal über modulare Arithmetik gesprochen haben, haben wir gelernt, dass man auch bei negativen Zahlen von 164

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Teilbarkeit und Resten sprechen kann. Teilt man beispielsweise die negative Zahl −13 durch 5, so erhält man als Rest 2, denn man kann (−3) · 5 + 2 für −13 schreiben. (Auch −3 wäre nach unseren Regeln OK gewesen, aber für die modulare Arithmetik wollen wir keine negativen Reste. 3 wäre aber falsch gewesen! Falls das Ihre Antwort war, dann blättern Sie noch mal zurück: Seite 135 ff.) Die schöne Regel, dass man beim Addieren und Multiplizieren einfach mit den Resten rechnen kann, gilt auch für negative Zahlen. Ich demonstriere das nur an einem Beispiel: −5 · 5 + 4 = −21 = −34 + 13 = (−7 · 5 + 1) + (2 · 5 + 3) = (−7 + 2) · 5 + (1 + 3)

Die Reste (bei Division durch 5) von −34 und 13 addieren sich wie gehabt zum Rest ihrer Summe −21. Und für das Produkt funktioniert es ebenfalls: −89 · 5 + 3 = −442 = −34 · 13 = (−7 · 5 + 1) · (2 · 5 + 3) = (−7 · 5 · 2 + 1 · 2 − 7 · 3) · 5 + (1 · 3)

(Das mit der Summe kann man auch so interpretieren, dass man Reste nicht nur addieren und multiplizieren, sondern auch subtrahieren kann.) Nun aber zum Thema vom Anfang des Kapitels. Werfen Sie bitte noch mal einen Blick auf die Additionstabelle auf Seite 163. Da haben wir ein lateinisches Quadrat! Jede Summe kommt in jeder Zeile und Spalte genau einmal vor. Und an der schönen Regelmäßigkeit, die man sofort erkennt, sieht man, dass sich nicht nur für fünf, sondern für jeden Rest ein lateinisches Quadrat ergeben wird. Für das Rechnen in Z5 bedeutet das, dass jede Zahl ein inverses Element bezüglich der Addition hat. Das kann man direkt aus der Tabelle ablesen: Das inverse Element zu 2 ist die Zahl, die ich zu 2 addieren muss, damit das neutrale Element, also 0, herauskommt. E I N FA C H E S S U D O K U

165

Dafür durchsuchen wir die Zeile, an deren Anfang die Zwei steht, nach der Null. Die finden wir auf jeden Fall, weil es sich ja um ein lateinisches Quadrat handelt. Von dort gehen wir nach oben bis zum Anfang der Spalte und lesen ab: 3. Das ist das gesuchte inverse Element und gemäß der üblichen Konvention können wir dafür auch −2 schreiben, wenn wir in Z5 rechnen. Und wie ist es mit dem Multiplizieren? ·

0

1

2

3

4

0 1 2 3 4

0 0 0 0 0

0 1 2 3 4

0 2 4 1 3

0 3 1 4 2

0 4 3 2 1

Nachdem wir die Multiplikation nun auch noch haben, können wir die Eigenschaften (i) bis (vi) von Seite 121 durchgehen und uns überzeugen, dass die auch in unserer neuen Zahlenwelt Z5 alle gelten. (Vielleicht machen Sie das auch zur Erinnerung und zur Übung mal.) Wir haben also ein weiteres Beispiel für einen Ring vor uns, wenn auch für einen sehr kleinen. Und für andere Zahlen als fünf erhalten wir auch einen Ring. Solche Strukturen nennt man Restklassenringe. Der eigentliche Clou des Kapitels ist jedoch die Multiplikation. Die Tabelle für das Multiplizieren, die wir gerade gesehen haben, ist nämlich auch ein lateinisches Quadrat – jedenfalls dann, wenn man den Bereich, in dem nur Nullen stehen, weglässt. Das bedeutet, dass in Z5 auch jede Zahl (außer null) einen Kehrwert hat. Wie eben können wir das der Tabelle entnehmen. Der Kehrwert von drei ist beispielsweise zwei, weil die Zwei am Anfang der Spalte steht, in der die Eins in der Zeile zur Drei auftaucht. Wir können jetzt auch Schreibweisen wie 3−1 = 1/3 = 2 verwenden und Division als Abkürzung für das Multiplizieren mit dem Kehrwert einführen. In Z5 gilt zum Beispiel: 4 : 3 = 4/3 = 4 · 3−1 = 4 · 2 = 3 166

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Wenn das in einem Ring möglich ist, dann spricht man von einem Körper. (Dass wir die Null vorher entfernen mussten, ist nicht schlimm. Es ist sogar grundsätzlich notwendig. Dazu gleich noch mehr.) Z5 ist also ein Körper, während es sich bei den ganzen und den gaußschen Zahlen jeweils nicht um Körper handelt, weil dort die meisten Zahlen keine Kehrwerte haben. Ein Blick zurück auf Seite 104 zeigt allerdings, dass man mit dem Rest vier keinen Körper erhält. Die Addition ist ziemlich banal, aber bei der Multiplikation wird es jetzt wieder mathematisch interessant: Warum klappt es für fünf, aber nicht für vier? Für welche Zahlen klappt es? Wenn Sie sich von mir nicht nur alles vorbeten lassen wollen, dann zücken Sie jetzt Zettel und Bleistift und stellen die Multiplikationstabellen für Z2 , Z3 und so weiter auf, bis Sie ein Muster erkennen. So viel Arbeit ist das nicht. (Die Programmiererinnen unter den Lesern können das auch mit Computerhilfe erledigen. ) Ich hoffe, Ihr Forschergeist ist noch nicht erlahmt. . . Nach etwa einem Dutzend Beispielen hat man eventuell die Vermutung, dass Zp dann ein Körper ist, wenn p eine Primzahl ist. Und genauso ist es auch. Beweis durch Beispiel: Wir rechnen in Z29 und suchen den Kehrwert zur Zahl 11. In Z29 soll also gelten: 11· x = 1, wobei x der gesuchte Kehrwert ist. Da wir keine Tabelle zur Verfügung haben und zu faul sind, eine zu erstellen, entsinnen wir uns, wie die Multiplikation in der modularen Arithmetik definiert ist. Wir suchen eine ganze Zahl x¯, so dass 11 · x¯ den Rest 1 bei Division durch 29 hat. Und das mit dem Rest bedeutet, dass es eine ganze Zahl k geben muss, so dass das hier gilt: 11 · x¯ − k · 29 = 1

Wenn Sie ein ähnlich gutes Gedächtnis wie Euler haben, dann erinnern Sie sich, dass Sie so eine Formel schon mal gesehen haE I N FA C H E S S U D O K U

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ben: das ist die Linearkombination, die der erweiterte euklidische Algorithmus liefert. Der größte gemeinsame Teiler von 11 und 29 ist nämlich 1, die rechte Seite der Gleichung. Und wenn Sie ähnlich gut und gerne wie Euler rechnen, dann können Sie den Kehrwert zu 11 in Z29 nun ermitteln. Eventuell bekommen Sie eine Zahl x¯ heraus, die nicht zu den Zahlen von 0 bis 28 gehört, aber das macht nichts, weil Sie die ja in eine Zahl x aus diesem Bereich „übersetzen“ können, indem Sie in 29er-Schritten vorwärts oder rückwärts gehen (wodurch sich der Rest nicht ändert). Beispielsweise kann man aus x¯ = 37 den Wert x = 8 machen. Ich rechne das aber nicht aus, denn ich bin faul und ums Ausrechnen geht es ja auch gar nicht! Es geht nur darum, sich zu überzeugen, dass man es machen könnte – dass es immer klappen würde. Und warum wird es immer klappen? Weil 29 eine Primzahl ist, wird der größte gemeinsame Teiler von 29 und der Zahl, für die wir einen Kehrwert suchen, immer eins sein. Darum können wir immer den erweiterten euklidischen Algorithmus so wie eben anwenden. Ergo: Ist p eine Primzahl, so hat jede Zahl außer null in Zp einen Kehrwert. Quod erat demonstrandum, wie die Mathematiker gerne sagen. Bisher haben wir zwar bewiesen, warum in jeder Zeile eine Eins vorkommen muss, aber noch nicht, warum sich bei der Multiplikation immer lateinische Quadrate ergeben, wenn p eine Primzahl ist. Das holen wir jetzt nach und klären dabei gleich noch eine zweite alte Schülerfrage (nachdem das Thema „minus mal minus ist plus“ bereits behandelt wurde). Spoiler: Erreichen werden wir dieses Ziel mit einer geballten Ladung brutaler Algebra. Keine Grafiken, keine konkreten Beispiele, nur Formeln. Wenn Sie dafür zu zartbesaitet sind, halten Sie sich bitte bis zum Beginn des nächsten Kapitels die Augen zu. Alles, was jetzt kommt, gilt in jedem Körper, also in jedem Ring, in dem alle Zahlen außer null einen Kehrwert haben. (Mit „Zahlen“ sind immer die Elemente des jeweiligen Rings gemeint.) 168

PI UND DIE PRIMZAHLEN

– Wenn a + a = a gilt, dann kann man, weil es inverse Elemente bezüglich der Addition gibt, auf beiden Seiten −a addieren und erhält a = 0. Mit anderen Worten: die einzige Zahl, für die a + a = a gilt, ist die Null. – Es gilt a · 0 = a · (0 + 0) = a · 0 + a · 0 für jede Zahl a wegen der Distributivität. Nach dem, was wir uns gerade überlegt haben, muss a · 0 null sein. Also: Wenn man mit null multipliziert, kommt immer null heraus. – Darum kann die Null keinen Kehrwert haben, denn dessen Produkt mit null müsste ja eins und nicht null sein. Ergo: Man kann nicht durch null teilen! (Für die ganz Aufmerksamen: Wir gehen davon aus, dass null und eins verschieden sind. Sonst wäre dieser Körper sehr langweilig. ) – Wenn a und b irgendwelche Zahlen mit a · b = 0 sind und eine von beiden nicht null ist, dann ist die andere null. Ist beispielsweise a nicht null, dann gibt es einen Kehrwert a −1 , mit dem wir die Gleichung multiplizieren können, und es ergibt sich b = a −1 · 0 = 0. In Mathematikerschnack ausgedrückt: Körper sind immer nullteilerfrei. – Sind b1 und b2 zwei verschiedene Zahlen, so sind auch die Produkte ab1 und ab2 verschieden, wenn a nicht gerade null ist. Anderenfalls wäre 0 = ab1 − ab2 = a (b1 − b2 ) ein Widerspruch zur Nullteilerfreiheit. – Also müssen in der Zeile der Multiplikationstabelle, in der alle Produkte mit a stehen, alle Werte unterschiedlich sein. Wegen der Kommutativität der Multiplikation gilt das auch für die entsprechende Spalte. Und da haben wir die Begründung für das lateinische Quadrat! Zwischendrin tauchte fast nebenbei der Grund dafür auf, warum man nicht durch null teilen kann. Es liegt nicht an der Willkür Ihres E I N FA C H E S S U D O K U

169

Mathelehrers, sondern es ist so banal wie bei „minus mal minus“: Wenn man vernünftige Rechengesetze haben will, wenn das Wort „null“ die übliche Bedeutung (neutrales Element der Addition) haben soll, dann geht es einfach nicht. Punkt.

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PI UND DIE PRIMZAHLEN

DER LETZTE BRIEF

Was machte Évariste Galois in der Nacht vor dem Duell am 30. Mai 1832, an dessen Folgen er noch vor seinem 21. Geburtstag sterben sollte? Er schrieb eine Zusammenfassung seiner mathematischen Ideen auf, schickte diese einem Freund und bat ihn, den Brief einigen damals bekannten Mathematikern wie Gauß und Jacobi vorzulegen. Allerdings waren Galois’ Ausführungen ziemlich konfus und schwer zu verstehen. (Würden Sie wenige Stunden vor einem potentiell tödlichen Duell einen kühlen Kopf bewahren?) Gauß, Jacobi und andere reagierten jedenfalls nicht. Erst mehr als zehn Jahre nach dem Tod von Galois wurden seine Aufzeichnungen von dem französischen Mathematiker Liouville veröffentlicht, der offenbar ihre Bedeutung erkannt hatte. So konnten die darin enthaltenen neuen Konzepte schließlich auch von anderen studiert werden. Und noch einmal hundert Jahre später beurteilte der deutsche Mathematiker und Philosoph Hermann Weyl den letzten Brief von Galois in einer Vorlesung in Princeton folgendermaßen: This letter, if judged by the novelty and profundity of ideas it contains, is perhaps the most substantial piece of writing in the whole literature of mankind.

Heutzutage wird an den Universitäten im Fach Mathematik die sogenannte Galoistheorie, die auf den von Weyl gepriesenen Ideen basiert, als Teil der Algebra gelehrt. Mit dieser Theorie kann man unter anderem von einigen klassischen Problemen der antiken Geometrie zeigen, dass sie nicht lösbar sind. Dazu gehört die schon einmal © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_20

kurz erwähnte Quadratur des Kreises. Eigentlich ging es Galois aber ursprünglich um eine Theorie der Lösbarkeit von Gleichungen. Bevor Mathematik zur Wissenschaft der abstrakten Strukturen mutierte, die sie heute ist, verstand man unter Algebra in erster Linie (eigentlich: nur) das Lösen von Gleichungen. Und dabei ging es nicht etwa um irgendwelche Gleichungen, sondern ausschließlich um solche, die man mit Addition, Multiplikation und natürlichen Zahlen formulieren konnte. Wir schreiben das heute beispielsweise folgendermaßen auf: x 2 + 5x + 3 = 0

In dieser für unsere Augen unschuldig aussehenden Gleichung, mit der Schüler bereits in der Mittelstufe konfrontiert werden, stecken aber – wie die vorherigen Kapitel teilweise schon angedeutet haben – Begriffsbildungen und Symbole, die sich die Mathematik erst mühsam in einem Jahrhunderte währenden Prozess aneignen musste. Wie problematisch die Null auf der rechten Seite lange war, haben wir schon besprochen, und auch die Verwendung von Buchstaben wie x . (Der in diesem Zusammenhang genannte Descartes hat auch die Abkürzung x 2 für x · x eingeführt.) Das Zeichen + für die Addition ist wahrscheinlich als Kurzschreibweise des lateinischen et entstanden und wird erst seit dem 14. Jahrhundert benutzt. Das Gleichheitszeichen = hat sich der Waliser Robert Recorde im 16. Jahrhundert ausgedacht („weil keine zwei Dinge gleicher sein können als zwei parallele Linien“). Ungefähr zur selben Zeit verwendete der deutsche Mönch Michael Stifel erstmals eine Schreibweise wie 5x für „fünf mal x “. Und natürlich wurde keine dieser Innovationen sofort von jedem umgesetzt, nachdem sie einmal vorgeschlagen worden war. Noch viele Jahrzehnte danach wurden Gleichungen oft ohne jegliche mathematische Symbole in langen Sätzen beschrieben. (Erinnern Sie sich an das Pascal-Zitat vom Anfang des Buches.) Selbst zu Beginn des 19. Jahrhunderts schrieb Gauß manchmal noch x x statt x 2 . 172

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Aber immerhin schrieb er nicht x × x . Dieses Malkreuz führte der Engländer William Oughtred im 17. Jahrhundert ein, der auch als einer der Erfinder des Rechenschiebers gilt. Leibniz fand aber, man könne es mit dem Buchstaben x verwechseln (wie man sieht) und schlug stattdessen den Malpunkt · vor. So ziemlich jeder, der in den vergangenen Jahrhunderten in der Mathematik neue Ideen hatte, musste dafür erst mal eine Schreibweise entwickeln und seine Zeitgenossen dazu bringen, diese auch zu verwenden. Wir sind inzwischen in der glücklichen Lage, dass wir mit einer vergleichsweise einfachen und weltweit standardisierten Fachsprache arbeiten können. Gleichungen wie die, die wir eben gerade gesehen haben, bezeichnet man heutzutage als Polynomgleichungen und den Ausdruck links vom Gleichheitszeichen als Polynom. (Übrigens ein Wort mit sowohl griechischem als auch lateinischem Migrationshintergrund.) Erstaunlicherweise werden an deutschen Schulen teilweise andere als die in der Praxis üblichen Bezeichnungen benutzt. Der Fachbegriff integrieren wird zum Beispiel gerne mal durch das Kinderwort „aufleiten“ ersetzt und Polynome werden als „ganzrationale Funktionen“ bezeichnet. Man traut den Schülern offenbar das Arbeiten mit Polynomen zu, möchte sie aber vor dem bösen Wort bewahren. Doch das nur am Rande. . . Polynome sind jedenfalls solche Objekte: x 4 − 2x 2 + 5x + 42

Man hat Potenzen einer Variable, meistens x , die mit konstanten Vorfaktoren multipliziert werden, die man die Koeffizienten des Polynoms nennt. Und diese Terme werden alle addiert. Ganz ausführlich sieht das obige Beispiel so aus: 1x 4 + 0x 3 + (−2) x 2 + 5x 1 + 42x 0

Die Koeffizienten sind 1, 0, −2, 5 und 42. DER LETZTE BRIEF

173

Potenzen, deren Koeffizient null ist, lässt man normalerweise weg, für x 1 schreibt man einfach x und x 0 oder 1 schreibt man auch nicht hin. (Mathematiker sind ja faul.) Und −2x 2 bedeutet nicht, dass auf einmal subtrahiert statt addiert wird, sondern dass der Koeffizient eine negative Zahl ist. (Früher undenkbar, wir machen das heute einfach.) Die höchste Potenz, die in so einem Polynom vorkommt, nennt man den Grad des Polynoms. Unser Beispiel hat also den Grad vier, weil x 4 die höchste Potenz ist. (Wäre dies ein Lehrbuch, dann müsste ich schreiben: „die höchste Potenz, deren zugehöriger Koeffizient nicht null ist“.) Polynome haben quasi zwei Gesichter. Man kann sie als Funktionen betrachten und dann zum Beispiel differenzieren, integrieren und ihre Funktionsgraphen zeichnen. Damit beschäftigt man die Kinder in der Schule gerne.

Man kann sie aber auch – das ist die Sichtweise der Algebra – als Ausdrücke betrachten. Mit dem Lösen einer Gleichung wie zum Beispiel x 2 + 3x − 10 = 0 ist gemeint, dass man Zahlen finden will, die man für x einsetzen kann, damit auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens dasselbe steht. In heutiger Sprache sucht man die Nullstellen des Polynoms x 2 + 3x − 10. Und wir sagen heute, dass es zwei Nullstellen gibt, nämlich 2 und −5. (Rechnen Sie nach!) Wie aber im Laufe des Buches sicher deutlich geworden ist, war Mathematik nicht immer so wie heute. Al-Chwarizmi hätte diese Gleichung nur in der Form x 2 + 3x = 10 akzeptiert und sie natürlich auch nicht so notiert, wie wir das heute machen, sondern sie mit Worten umschrieben. Außerdem hatte die Gleichung in der damaligen Sichtweise nur eine Lösung. Zu al-Chwarizmis Zeiten war −5 174

PI UND DIE PRIMZAHLEN

weder Zahl noch Größe und auch ein paar Jahrhunderte danach wäre so etwas höchstens als „falsche Zahl“ bezeichnet worden. Wie man solche quadratischen Gleichungen löst – also welche, bei denen die höchste Potenz zwei ist –, wusste man prinzipiell allerdings schon in Babylonien. (Die Babylonier waren angewandte Mathematiker und begnügten sich mit Näherungslösungen.) Die nächste Stufe wären dann die kubischen Gleichungen gewesen – die dritten Grades. Für die wurde ein allgemeiner Lösungsweg aber erst Tausende von Jahren später gefunden, im Italien des 16. Jahrhunderts; und zwar von Gerolamo Cardano, dem bunten Hund, von dem ich schon erzählt habe. (Und teilweise auch von zwei seiner Zeitgenossen. Die Details darüber, wer was zuerst wusste und wem verriet oder auch nicht, bilden einen zu Cardanos Lebenslauf passenden hübschen Intrigantenstadl.) Warum es von den quadratischen bis zu den kubischen Gleichungen so lange dauerte und warum die die Mathematik lange dominierenden Griechen in dieser Geschichte keine tragende Rolle spielen, hat mehrere Gründe. Unter anderem haben die Griechen sich eigentlich nur für Geometrie interessiert, wodurch sich die Frage in ihrer heutigen Formulierung für sie gar nicht stellte. (Eine Ausnahme war Diophantos, der aber erst ganz am Ende der großen Zeit der griechischen Mathematik auf den Plan trat. Mehrere hundert Jahre nach Euklid und Archimedes; genau weiß man das nicht.) Hinzu kommt, dass die rein geometrische Sichtweise nicht nur gewisse Fragen ausklammerte, sondern auch zu einer selbstauferlegten Einengung des methodischen Blickfeldes führte, das sich erst nach und nach erweiterte. Jedenfalls dauerte es von den kubischen zu den quartischen Gleichungen – den Gleichungen vierten Grades – nur wenige Jahre. Sie wurden von Lodovico Ferrari, einem Schüler Cardanos, gelöst. Zu diesem Zeitpunkt vermuteten wohl alle Beteiligten, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis man auch Formeln für Gleichungen höheren Grades finden würde. Die ließen aber, trotz großer Fortschritte in DER LETZTE BRIEF

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anderen Bereichen der Mathematik, auf sich warten. Sie ließen so lange auf sich warten, dass einige Mathematiker schließlich vermuteten, man könne für solche Gleichungen gar keine allgemeingültigen Lösungsformeln angeben. Und das ist in der Tat der Fall! Bewiesen haben das schließlich Anfang des 19. Jahrhunderts, etwa 300 Jahre nach Cardano, der Italiener Paolo Ruffini (unvollständig) und der Norweger Niels Henrik Abel. Abel wurde übrigens auch nicht alt; er starb drei Jahre vor Galois’ Duell mit 26 Jahren fast mittellos an Lungentuberkulose. Galois hat mit seinem letzten Brief quasi das, was Abel bereits bewiesen hatte, noch mal bewiesen. Er entwickelte um die Fragestellung herum aber eine ganze Theorie, die deutlich machte, warum es nicht geht, und die für die Algebra ganz neue Horizonte eröffnete. Ich sollte vielleicht noch erläutern, was genau damit gemeint ist, dass man beispielsweise die folgende quintische Gleichung nicht lösen kann: x 5 − x + 1 = 0. Denn wenn man sich ihren Funktionsgraphen anschaut, dann sieht man doch, dass es eine Lösung gibt!

Etwas salopp gesagt kann ein Ingenieur Ihnen die Lösung sagen, eine Mathematikerin aber nicht. Der Ingenieur liefert (wahrscheinlich mit Computerhilfe) eine Näherungslösung, die so genau ist, wie Sie sie haben wollen. Die Mathematikerin wird hingegen sagen, dass man die Lösung nicht als einen exakten Ausdruck hinschreiben kann, in dem nur die Koeffizienten, die Grundrechenarten und Wurzeln vorkommen (während das bei quadratischen, kubischen und quartischen Gleichungen möglich ist). Das haben Ruffini, Abel und Galois herausgefunden. 176

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Zum Glück brauchen wir die Galoistheorie zum Entwickeln unserer π -Formel nicht. Sonst wäre das Buch mindestens doppelt so dick. Wir müssen uns nur einen einzigen Sachverhalt über Polynome klarmachen: Ein Polynom n -ten Grades kann höchstens n verschiedene Nullstellen haben. Es kann also beispielsweise maximal drei verschiedene Zahlen geben, die die folgende Gleichung erfüllen: x 3 + 2x 2 − 11x − 12 = 0

Ich sage Ihnen eine Lösung: x = 3 funktioniert. Nachdem Sie das überprüft haben, ersetzen wir in der obigen Gleichung überall x durch (x − 3) + 3. Das ändert natürlich nichts, weil es ja nur eine umständliche Art und Weise ist, x hinzuschreiben. 

3  2   (x − 3) + 3 + 2 (x − 3) + 3 − 11 (x − 3) + 3 − 12 = 0

Und das multiplizieren wir jetzt aus, achten dabei aber darauf, dass wir alle Terme der Form (x −3) „ganz“ lassen. Allerdings rechnen nicht wir das aus, sondern Sie. Sonst stehen auf dieser Seite noch mehr Formeln und wenn ich Pech habe, schlägt ein potentieller Käufer in der Buchhandlung das Buch gerade hier auf und erschreckt sich. Ich sage Ihnen nur, was herauskommt: (x − 3) 3 + 11(x − 3) 2 + 28(x − 3) = 0

( )

Und da kann man nun ausklammern:   (x − 3) · (x − 3) 2 + 11(x − 3) + 28 = 0 (x − 3) · (x 2 + 5x + 4) = 0

Den ausgeklammerten Term „ x minus Nullstelle“ nennt man einen Linearfaktor des Polynoms. Denken Sie dran: Trotz dieser Taschenspielertricks ist das immer noch dieselbe Formel wie am Anfang, weil wir ja nichts geändert haben. Wir haben sie nur umgeschrieben. Allerdings haben wir die linke Seite nun in ein Produkt von zwei Faktoren umgewandelt. Man DER LETZTE BRIEF

177

sieht sofort: Setzt man für x drei ein, dann muss null herauskommen, weil der Faktor x − 3 dann null wird. Man sieht aber auch: Wenn es noch eine andere Nullstelle gibt, dann muss die dafür sorgen, dass der andere Faktor null wird. Denn einer der beiden Faktoren muss ja null werden und x − 3 kann nur null werden, wenn x drei ist. Der andere Faktor ist jedoch auch wieder ein Polynom (zweiten statt dritten Grades, weil ein x „weg“ ist). Wenn das eine Nullstelle hat, können wir wieder einen Linearfaktor ausklammern et cetera. Das geht aber offenbar nicht unendlich oft, weil der Grad des „Restpolynoms“ in jedem Schritt um eins kleiner wird. In unserem Fall endet das Spiel so: (x − 3) (x + 4) (x + 1) = 0

Man erkennt: Die Nullstellen sind 3, −4 und −1 und andere kann es nicht geben. Ich hoffe, Sie sind inzwischen kritisch genug, um mir das so nicht abzunehmen. Die ganze Sache hat nur funktioniert, weil wir den Linearfaktor ausklammern konnten. Aber wieso sollte das immer klappen? Ich will versuchen, Sie zu überzeugen. Die Formel, die ich mit einem Stern markiert habe, hätten wir gar nicht ausrechnen müssen. Es wäre sogar besser gewesen, sie nicht auszurechnen. (Sie wissen ja: faule Mathematiker.) Wir hätten viel weniger Arbeit gehabt und es hätte so ausgesehen: (x − 3) 3 + a (x − 3) 2 + b (x − 3) + c = 0

Setzt man nun wieder für x die Drei ein, dann löst sich offensichtlich fast alles in Wohlgefallen auf und links vom Gleichheitszeichen steht nur noch c . Aber wir wissen ja, dass sich null ergeben muss, wenn wir drei einsetzen. Darum muss c null sein: (x − 3) 3 + a (x − 3) 2 + b (x − 3) = 0   (x − 3) · (x − 3) 2 + a (x − 3) + b = 0 178

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Und daran sehen wir, dass wir x − 3 ausklammern können, ohne a und b zu kennen. Das wird immer klappen. Dass der rechte Faktor ein Polynom zweiten Grades ist, sieht man, ohne dass man ausmultiplizieren muss. Faulheit siegt! Mehr müssen wir wie gesagt über Polynome nicht wissen. Aber ich erinnere noch mal daran, dass wir immer noch durch die Brille der Algebra schauen. Bei allem, was wir hier gemacht haben, haben wir nur mit den Grundrechenarten gerechnet. Darum gilt das, was wir uns überlegt haben, in jedem Körper; die Argumentation ist immer dieselbe. Insbesondere haben also auch in Zp Polynomgleichungen nur eine bestimmte Anzahl von Lösungen, wenn p eine Primzahl ist. Das werden wir im nächsten Kapitel gleich anwenden. Gilt es nur in jedem Körper oder auch in jedem Ring?

DER LETZTE BRIEF

179

DER SCHMALE RAND

Erinnern Sie sich noch an den „Amateur“ Fermat? In diesem Kapitel wird der sogenannte kleine Satz von Fermat eine wichtige Rolle spielen. Und wo es einen kleinen Satz gibt, gibt es natürlich auch einen großen. Der hat für dieses Buch zwar mathematisch keine Bedeutung, aber seine Geschichte ist zu schön, um sie nicht zu erzählen. Fermat studierte das Werk Arithmetica des griechischen Mathematikers Diophantos, in dem es um Zahlentheorie geht. Seine Notizen dazu schrieb er teilweise direkt in sein Exemplar des Buches. Eine der Notizen war die folgende: Es ist jedoch nicht möglich, einen Kubus in 2 Kuben, oder ein Biquadrat in 2 Biquadrate und allgemein eine Potenz, höher als die zweite, in 2 Potenzen mit ebendemselben Exponenten zu zerlegen: Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis entdeckt, doch ist dieser Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen.

Die mathematische Behauptung lautet in heutiger Notation, dass man keine natürlichen Zahlen a , b und c finden kann, für die die Gleichung a n + b n = c n gilt, wenn n größer als zwei ist. (Für den Fall n = 2 handelt es sich um den Satz des Pythagoras und man findet sogar unendlich viele mögliche Werte, zum Beispiel a = 3, b = 4, c = 5. Das sind die sogenannten pythagoräischen Tripel.) Mehr will ich dazu gar nicht sagen. Wichtig für den Fortgang der Story ist lediglich die Bemerkung am Ende und die Tatsache, dass Fermat – wie üblich – keinen Beweis für diese Behauptung veröffentlichte. (Man geht inzwischen davon aus, dass er auch keinen haben © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_21

konnte.) Allerdings veröffentlichte sein Sohn nach seinem Tod eine Ausgabe der Arithmetica zusammen mit den Notizen seines Vaters. Und speziell diese eine Notiz hat Generationen von Mathematikern dazu inspiriert, (vergeblich) nach einem Beweis zu suchen. Wie es häufiger in der Mathematik vorkommt, war die ganze Arbeit aber nicht vergebens. Erstens gab es diverse Teilerfolge und zweitens wurden im Zuge der Versuche, die nicht zum Erfolg führten, oftmals neue Methoden entwickelt, die die Zahlentheorie voranbrachten. Verschiedene Institutionen lobten im 19. Jahrhundert Preise für die Lösung der Fermatschen Vermutung aus. 1905 vermachte dann noch ein Arzt der Göttinger Akademie der Wissenschaften den für damalige Verhältnisse enormen Betrag von 100 000 Goldmark als Preisgeld für diesen Zweck. Das rief Tausende von Amateuren (welche Ironie!) auf den Plan, die die Akademie mit Zuschriften bombardierten. Fermats „wunderbarer Beweis“ entwickelte sich in der öffentlichen Wahrnehmung nach und nach zur bekanntesten ungelösten mathematischen Frage und wurde schließlich sogar im Unterhaltungsfernsehen (in den Serien Star Trek und The Simpsons) thematisiert. Inzwischen ist das Problem gelöst. Der Brite Andrew Wiles legte 1993 einen Beweis des großen Satzes von Fermat – den man nun eigentlich den Satz von Wiles nennen sollte – vor, der fast 100 Seiten lang ist, obwohl er in konziser Fachsprache geschrieben und nur für Experten verständlich ist. (Rein technisch bewies er eigentlich „nur“ einen Teil der sogenannten Taniyama-Shimura-Vermutung, woraus dann aufgrund von Vorarbeiten anderer der Fermatsche Satz folgt.) Zwischen der wohl folgenreichsten Randnotiz der Mathematikgeschichte und der Lösung vergingen über 350 Jahre. Als Außenstehender stellt man sich vor, dass Mathematikerinnen den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen und grübeln. Das ist sicher zum Teil richtig. Fast genau so wichtig ist aber der Austausch mit Kollegen. Nicht nur, dass die vielleicht Ideen haben, auf die man selbst nicht gekommen wäre, oder eventuell von hilfreichen neuen 182

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Entwicklungen berichten können, von denen man noch nicht gehört hat. Häufig zwingt einen alleine schon der Versuch, einem Gegenüber etwas zu erklären, seine eigenen vagen Vorstellungen zu ordnen – was wiederum zu überraschenden neuen Eingebungen führen kann. (Dazu gibt es einen schönen Aufsatz von Heinrich von Kleist mit dem Titel Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden.) Den Neuankömmlingen am Department für Mathematik der Universität Princeton wurde von dessen Leiter Solomon Lefschetz immer eingeschärft, Termine und Prüfungen seien nicht so wichtig, aber sie dürften keinesfalls die teatime verpassen, anlässlich derer sich das gesamte Department jeden Nachmittag versammelte. Da wurde einfach nur zwanglos geplaudert, aber natürlich meistens über Mathematik. Und die Leitung der Universität – immerhin eine der weltweit führenden in der Mathematik – hatte offenbar die förderliche Wirkung dieses Austausches erkannt. (Das war im letzten Jahrhundert und sollte nicht verwechselt werden mit Gremiensitzungen an heutigen Hochschulen. Da geht es nach der alten Devise von Karl Valentin: „Es wurde zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.“) Wiles ging den großen Satz von Fermat ganz anders an. Obwohl auch er die kollaborative und kommunikative Art des Arbeitens bis dahin praktizierte hatte (er war bereits arrivierter Mathematiker), zog er sich jahrelang zurück und erzählte niemandem, worüber er nachdachte. (Vielleicht hatte er Angst, sich mit einem Angriff auf diesen unbezwingbar erscheinenden Gipfel lächerlich zu machen.) Es gibt eine schöne Dokumentation, in der Wiles von dem Moment spricht, an dem ihm die entscheidende Idee (revelation, also sowas wie „Offenbarung“) kam, um den Beweis zu vollenden. Die Erinnerung daran ist so wirkmächtig, dass er beim Erzählen in Tränen ausbricht. Rührender kann man Poincarés Freude des Verstehens wohl nicht illustrieren. Aber nun zum kleinen Satz von Fermat. Dessen Aussage ist einerseits überraschend, andererseits fragt man sich zunächst, wobei einem das helfen soll. Aber Sie werden es noch sehen. . . DER SCHMALE R AND

183

Der Satz besagt: Ist p eine Primzahl und a eine Zahl aus Zp , die nicht gerade null ist, dann gilt immer a p−1 = 1. Beispielsweise gilt 36 = 1 in Z7 , weil in den ganzen Zahlen 36 = 729 = 104 · 7 + 1 gilt. Auch beim Berechnen von 26 oder 46 wird eins herauskommen und ebenso gilt 910 = 1, wenn man in Z11 rechnet. Glauben Sie mir das nicht einfach! Warum ist das so? Das lässt sich tatsächlich ganz einfach begründen. Nehmen wir das Beispiel 36 von eben. Wir wissen, dass die Multiplikationstabelle von Z7 ein lateinisches Quadrat ist. Das bedeutet, dass in der „3er-Zeile“ alle Zahlen (außer null) stehen: 3·1

3·2

3·3

3·4

3·5

3·6

1

2

3

4

5

6

Die Zahlen stehen dort natürlich nicht fein säuberlich sortiert, aber da beim Multiplizieren die Reihenfolge keine Rolle spielt, erhalten wir daraus die folgenden Gleichung: (3 · 1) · (3 · 2) · (3 · 3) · (3 · 4) · (3 · 5) · (3 · 6) = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6

Und da Z7 ein Körper ist, können wir dividieren. Wir teilen beide Seiten der Gleichung durch zwei, dann durch drei und so weiter, bis wir am Ende durch sechs geteilt haben. Übrig bleibt auf der linken Seite 3 · 3 · 3 · 3 · 3 · 3 und rechts nur noch 1. Das war’s schon. Wahrlich ein kleiner Satz im Vergleich zu einem, für den ein ausführlicher und verständlicher Beweis viel dicker als dieses ganze Buch wäre. Aber es ist kein unwichtiger Satz! Obwohl es hier nicht um Anwendungen gehen soll, kann man vielleicht en passant erwähnen, dass der kleine Satz von Fermat als Grundidee hinter dem heutzutage am häufigsten in Computern eingesetzten Primzahltest steht. Die 184

PI UND DIE PRIMZAHLEN

für diverse Nachrichtendienste tätigen Mathematikerinnen kennen ihn sicherlich in- und auswendig. Wir wollen jedoch keine geheimen Botschaften entschlüsseln. Stattdessen kümmern wir uns jetzt um quadratische Reste. Dafür zeige ich Ihnen erneut die Multiplikationstabelle von Z5 , habe mir aber erlaubt, die langweiligen Nullen wegzulassen. Außerdem sind die Werte in der Diagonalen hervorgehoben.

· 1 2 3 4

1 1 2 3 4

2 2 4 1 3

3 3 1 4 2

4 4 3 2 1

Das sind die quadratischen Reste: die Zahlen, die sich in einem Restklassenring als Quadrate ( 12 , 22 etc.) schreiben lassen. Wir sehen, dass in Z5 nicht alle Zahlen quadratische Reste sind. 1 und 4 sind es, 2 und 3 nicht. Und wir haben sogar – ohne die Bezeichnung zu verwenden – schon mit quadratischen Resten gearbeitet. Als wir gezeigt haben, dass sich Primzahlen der Form 4n + 3 nicht als Summe zweier Quadrate schreiben lassen, haben wir ausgenutzt, dass es modulo 4 nur die quadratischen Reste 0 und 1 gibt. Wir sollten uns nebenbei angewöhnen, für das inverse Element zur Eins bezüglich der Addition immer −1 zu schreiben. In Z5 ist das die Vier und ganz allgemein in Zp ist es offenbar die Zahl p − 1. Diese Notation wird ein paar Dinge deutlicher machen. Insbesondere gilt immer (−1) 2 = 1, wie wir es auch von den ganzen Zahlen kennen. Und verallgemeinert folgt daraus, dass (−1) n den Wert 1 für gerade n hat und −1 für ungerade n . Wieso gilt das in jedem Ring? Diese kleine Beobachtung hat übrigens eine interessante Konsequenz: Da sowohl 12 = 1 als auch (−1) 2 = 1 gilt, wird die Eins als quadratischer Rest in der Diagonalen immer mindestens zweimal DER SCHMALE R AND

185

auftauchen. Darum können dort nie alle Zahlen stehen. Es muss immer Zahlen geben, die nicht quadratische Reste sind. In Z5 sind also die quadratischen Reste 1 und −1. Schauen wir uns zwei weitere Beispiele an. Zuerst Z13 : a

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

a2

1

4

9

3

−1

10

10

−1

3

9

4

1

Dann noch Z19 : a

1

2

3

4

5

6

7

8

9

a2

1

4

9

16

6

17

11

7

5

a

10

11

12

13

14

15

16

17

18

a2

5

7

11

17

6

16

9

4

1

Warum sind die Listen Palindrome?

Die für den nächsten Schritt entscheidende Beobachtung ist ganz unscheinbar: Im ersten Fall kommt −1 in der Liste vor, im zweiten nicht. Ich werde jetzt begründen, warum die Zahl −1 in Z19 kein quadratischer Rest sein kann. Dann werden wir uns überlegen, wie man das von 19 auf andere Zahlen verallgemeinern kann. Nach dem kleinen Satz von Fermat gilt a 18 = 1 für alle Zahlen von a = 1 bis a = 18. Das bedeutet, dass x 18 − 1 ein Polynom mit der maximalen Zahl von 18 verschiedenen Nullstellen ist. Dieses Polynom kann man folgendermaßen zerlegen: x 18 − 1 = (x 9 ) 2 − 12 = (x 9 − 1) (x 9 + 1)

Das kann man einfach nachrechnen. Und es ist nebenbei etwas, das Sie aus der Schule kennen und das man in Deutschland die dritte binomische Formel nennt. (Im anglophonen Raum heißt es treffender difference of squares.) Jeder der beiden Faktoren ist ein Polynom neunten Grades, kann also maximal neun verschiedene Nullstellen haben. Da es insgesamt 186

PI UND DIE PRIMZAHLEN

18 verschiedene Nullstellen gibt, müssen die sich also auf die beiden Polynome verteilen: Wenn eine Zahl eine Nullstelle von x 9 − 1 ist, kann sie keine von x 9 + 1 sein, und umgekehrt. −1 ist Nullstelle von x 9 + 1, weil 9 eine ungerade Zahl ist. Also kann −1 nicht Nullstelle von x 9 − 1 sein. Das ist der Grund dafür, dass −1 kein quadratischer Rest ist. Denn einen quadratischen Rest a kann man als a = b 2 schreiben. Und für diese Reste gilt nach dem „kleinen Fermat“: a 9 − 1 = (b 2 ) 9 − 1 = b 18 − 1 = 0

Das war schon die ganze Begründung. Wir müssen uns nun nur noch überlegen, welche Eigenschaften der Zahl 19 für diesen kleinen Beweis relevant waren. Vielleicht überlegen Sie erst mal selbst? Wir brauchten zwei Dinge: – 19 ist ungerade, also ist 18 gerade und deshalb klappt die Zerlegung mit der dritten binomischen Formel. – 9, die Hälfte von 18, ist ungerade und deshalb ist −1 eine Nullstelle von x 9 + 1. Der Beweis muss also für jede Primzahl funktionieren, die sich ergibt, wenn man eine ungerade Zahl verdoppelt und dann eins addiert. Das sind genau die „bösen“ Zahlen von der Form 4n + 3, die im Zwei-Quadrate-Satz vorkommen! Und um den geht es gleich auch wieder.

DER SCHMALE R AND

187

EINFACH DIE REGELN ÄNDERN

Wir sind mit dem Zwei-Quadrate-Satz noch nicht fertig. Der schöne Beweis mit den Windmühlen hat uns zwar gezeigt, dass und warum sich Primzahlen der Form 4k + 1 immer als Summen von zwei Quadraten darstellen lassen, aber es bleiben noch Fragen offen. Zum einen haben wir – wir hatten dieses Thema schon mal – bisher nur die Existenz dieser Darstellung bewiesen, aber noch nichts über ihre Eindeutigkeit gesagt. Und zweitens haben wir bislang nur über Primzahlen geredet. Es ist durchaus legitim, sich auch zu fragen, unter welchen Bedingungen zusammengesetzte Zahlen Summen zweier Quadrate sein können. Die erste Frage lässt sich mit dem Wissen, das wir seit der Sache mit den Windmühlen angesammelt haben, ganz leicht beantworten: Man kann eine Primzahl der Form p = 4k + 1 immer nur auf genau eine Art als Summe zweier Quadrate natürlicher Zahlen darstellen. Begründen kann man das mit den gaußschen Zahlen. Wir gehen dafür zunächst von der einen Darstellung aus, die es auf jeden Fall geben muss: p = a 2 + b 2 . Nun kann man einen kleinen „Trick“ anwenden, auf den man erst mal kommen muss. Er ist aber naheliegend, wenn man etwas Routine im Umgang mit gaußschen Zahlen hat und sich an die dritte binomische Formel erinnert (die passenderweise gerade erst vorkam). Man kann die Darstellung von p so zerlegen: p = (a + b i) (a − b i)

Da p (als gaußsche Zahl) die Norm p 2 hat, haben die beiden Faktoren jeweils die Norm p und sind daher Primelemente. (Wegen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_22

der Multiplikativität der Norm müssen die Normen von Teilern dieser Faktoren Teiler von p sein.) Und da nach dem Fundamentalsatz so ein Produkt bis auf Reihenfolge und Multiplikation mit Einheiten eindeutig ist, kann es keine zweite Darstellung p = c 2 + d 2 geben. Die würde nämlich zu den Faktoren c + d i und c − d i führen, von denen jeder mit einem der Faktoren a + b i und a − b i assoziiert sein müsste. Aber wenn zwei gaußsche Zahlen assoziiert sind, dann haben sie bis auf Vertauschung und Vorzeichenwechsel dieselben Komponenten. Da das Vorzeichen keine Rolle spielt (uns interessieren im Moment ja nur natürliche Zahlen), kann es höchstens eine Vertauschung gegeben haben: a = d und b = c . Die Darstellung von p als Summe zweier Quadrate ist also eindeutig – natürlich nur bis auf die Reihenfolge der Summanden. Nun zur etwas schwierigeren Frage, wann eine zusammengesetzte Zahl Summe zweier Quadrate ist. Wir ändern dafür eine Kleinigkeit und lassen als Quadrat auch 02 zu, also die Null. Wenn ich im Rest des Kapitels von Quadraten spreche, dann meine ich also Quadrate von natürlichen Zahlen oder null. (Und für die umständliche Formulierung als Summe zweier Quadrate darstellbar schreibe ich in Zukunft einfach darstellbar.) „Moment mal!“, sagen Sie jetzt vielleicht. „Sie können doch nicht einfach mitten im Spiel die Regeln ändern!“ Doch, kann ich. Das ist nämlich kein mieser Trick, sondern lediglich eine Anpassung, die uns das Leben leichter machen wird. Es geht eigentlich nur darum, dass wir uns das umständliche Formulieren von Ausnahmen ersparen werden. Und insbesondere ändert die neue Regel nichts an unseren bisherigen Ergebnissen. Denn da ging es ja um Primzahlen und eine Primzahl kann man ohnehin nicht in der Form a 2 + 02 darstellen, dann wäre es ja keine Primzahl. Fangen wir mit ein paar Beispielen für darstellbare zusammengesetzte Zahlen an. Auf jeden Fall sind nach der Regeländerung alle Quadrate darstellbar: 4 = 22 = 22 + 02 , 9, 16, 25 und so weiter. (Und 190

PI UND DIE PRIMZAHLEN

nebenbei bemerkt auch die Eins, die aber per definitionem keine zusammengesetzte Zahl ist.) Mit der Acht klappt es auch: =

+

Und mit der Zehn:

+

=

Oder, etwas größeres Beispiel, mit 40:

+

=

Aber es klappt unter anderem nicht mit 6, 12, 14 oder 15. Die sind alle nicht darstellbar; da hilft auch die neue Regel nichts. Wie soll man da ein Muster erkennen? Ich will Sie auf keinen Fall davon abhalten, selbst erst mal rumzuprobieren und Hypothesen aufzustellen. Darum warte ich jetzt einfach ab und rede erst weiter, wenn Sie fertig sind. Dumdidumdidumdidum. . .

Ich weiß natürlich nicht, was Sie herausbekommen haben. Ich arbeite mich jetzt in drei Schritten an die Antwort heran, von denen ich hoffe, dass sie jeweils gut nachvollziehbar sind. Zuerst erinnere ich aber noch mal an den „Trick“ vom Anfang des Kapitels. Eine Zahl n ist genau dann darstellbar, wenn man sie als Produkt zweier konjugierter gaußscher Zahlen darstellen kann. Man nennt zwei gaußsche Zahlen konjugiert, wenn sie sich nur im Vorzeichen der zweiten Komponente unterscheiden: a + b i und a − b i sind konjugiert. Mit anderen Worten: Zur Darstellung a 2 + b 2 gehört das Produkt (a + b i) (a − b i) und umgekehrt. E I N FA C H D I E R E G E L N Ä N D E R N

191

Erster Schritt: Sind m und n darstellbar, dann ist auch ihr Produkt darstellbar. Mit m = a 2 + b 2 und n = c 2 + d 2 kann man das mit gaußschen Zahlen ganz fix einfach nachrechnen: mn = (a + b i) (a − b i) · (c + d i) (c − d i) = (a + b i) (c + d i) · (a − b i) (c − d i)     = (ac − b d) + (b c + ad) i · (ac − b d) − (b c + ad) i

In der letzten Zeile stehen zwei zueinander konjugierte Faktoren. Zweiter Schritt: Das Produkt einer darstellbaren Zahl mit einem Quadrat ist wieder darstellbar. Können Sie das beweisen? Man muss es eigentlich nur hinschreiben: (a 2 + b 2 ) · m 2 = a 2 m 2 + b 2 m 2 = (am) 2 + (b m) 2

Damit haben wir schon relativ viel erreicht. Wir wissen, dass sich jede Zahl eindeutig als Produkt von Primzahlen darstellen lässt. Kommen in dieser Primzahlzerlegung nur Zweien und Primzahlen der Form 4k + 1 vor, so ist die Zahl nach den Überlegungen aus dem ersten Schritt darstellbar. Hier ein paar Beispiele: 10 = 2 · 5 65 = 5 · 13 2

325 = 5 · 13

40 = 23 · 5 130 = 2 · 5 · 13 1105 = 5 · 13 · 17

Was ist mit den restlichen Primzahlen? Der zweite Schritt zeigt, dass die auch als Faktoren auftreten dürfen, wenn sie das als Paare machen, also in gerader Potenz. Auch dafür Beispiele: 9 = 32 729 = 36 = (32 ) 3 245 = 5 · 72 192

PI UND DIE PRIMZAHLEN

81 = 34 = (32 ) 2 98 = 2 · 72 3969 = 34 · 72

Der dritte und letzte Schritt beantwortet die Frage, was passiert, wenn eine von den „bösen“ Zahlen (also 4k + 3 ) als Primfaktor in ungerader Potenz auftritt. Die Antwort ist: Dann klappt es nicht, die Zahl ist also nicht darstellbar! Zur Begründung nehmen wir uns so eine Primzahl q . Ich werde zeigen: Ist eine darstellbare Zahl m = a 2 + b 2 durch q teilbar, dann ist a durch q teilbar. Wenn ich das zeigen kann, dann kann ich offenbar auch zeigen, dass b durch q teilbar ist, weil a und b ja völlig gleichberechtigt sind. Nun lassen wir noch einmal die gleiche Rechnung wie im zweiten Schritt ablaufen, aber diesmal lesen wir sie von rechts nach links: (c 2 + d 2 ) · q 2 = c 2 q 2 + d 2 q 2 = (c q) 2 + (dq) 2 = a 2 + b 2

Man sieht: Ist m durch q teilbar, dann ist m das Produkt von q 2 mit einer darstellbaren Zahl. Man kann q 2 also quasi „entfernen“ und das gegebenenfalls mehrfach. Es kann keine ungerade Potenz übrig bleiben. Natürlich muss ich meine Ankündigung auch wahr machen. Warum ist also a durch q teilbar? Wir machen einen Widerspruchsbeweis und nehmen an, a sei nicht durch q teilbar. Und nun rechnen wir in Zq weiter! Dafür müssten wir formal alle Zahlen durch ihre Reste ersetzen, aber ich lasse das jetzt einfach (die Faulheit wieder) und verlasse mich darauf, dass Sie das auch so nachvollziehen können: Weil m durch q teilbar ist, gilt a 2 + b 2 = 0. Weil a nicht durch q teilbar ist, gilt a ≠ 0. Weil q eine Primzahl ist, gibt es einen Kehrwert w zu a , also w a = 1. Nun rechnen wir (immer noch in Zq ): 1 + (w b) 2 = (w a) 2 + (w b) 2 = w 2 (a 2 + b 2 ) = w 2 · 0 = 0

Mit anderen Worten: (w b) 2 = −1 ist ein quadratischer Rest. Aber im letzten Kapitel hatten wir gesehen, dass das nicht möglich ist. Das ist unser Widerspruch. Damit ist die Frage, welche Zahlen Summen von zwei Quadraten sein können, wirklich vollständig geklärt: genau die, in deren E I N FA C H D I E R E G E L N Ä N D E R N

193

Primfaktorzerlegung die Faktoren der Form 4k + 3 alle in geraden Potenzen auftreten. Und falls Sie nun anmerken, dass wir wieder so weit sind wie am Anfang des Kapitels und nur eine Aussage über die Existenz aber keine über die Eindeutigkeit haben, dann haben Sie völlig recht. Das habe ich nicht vergessen, sondern es wird das Thema der folgenden Kapitel sein, weil die Frage danach, wie viele verschiedene Darstellungen es gibt, dieselbe wie unsere ursprüngliche Frage nach der Anzahl der Punkte ist.

194

PI UND DIE PRIMZAHLEN

FÜNFZEHNTAUSEND SEITEN

Eine Frage für das Guinness-Buch der Rekorde: Wie lang ist der längste mathematische Beweis? Antwort: Man kann es nicht genau sagen, aber in gedruckter Form sind es Tausende von Seiten; es dürfte sich sogar eher um eine fünfstellige Anzahl von Seiten handeln. Was ist denn das für ein wahnsinniger Beweis? Eine weitere typische Beschäftigung von Mathematikerinnen neben der Suche nach einfachen und möglichst eindeutigen Darstellungen von bestimmten Objekten ist die Katalogisierung von Objekten eines bestimmten Typs. Damit ist aber natürlich kein Versandhauskatalog gemeint. Von interessanten mathematischen Objekten gibt es eigentlich immer unendlich viele; man kann sie nicht einfach alle aufschreiben. Gesucht ist vielmehr eine sogenannte Klassifikation – man möchte die Objekte in überschaubare und sinnvolle Kategorien einteilen. Und zwar so, dass man erstens alle erwischt, dass zweitens jedes Objekt nur zu einer Kategorie gehört und dass es drittens möglichst wenige und aussagekräftige Kategorien gibt. Klingt erst mal ziemlich abstrakt, oder? Eine bekannte und recht einfache Klassifikation, von der Sie vielleicht schon mal gehört haben, wenn Sie Kontakt mit Hochschulmathematik hatten, ist die der endlich-dimensionalen Vektorräume: Bis auf Isomorphie gibt es nur die reellen Vektorräume R1 , R2 , R3 und so weiter. Da stehen Sie alle, schön katalogisiert. (Mit „bis auf Isomorphie“ ist gemeint, dass unendlich viele Vektorräume in diesem Katalog fehlen, dass jedoch jeder von den fehlenden Einträgen strukturgleich mit einem der aufgezählten ist.) © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_23

So eine schöne Liste wollten die Algebraiker idealiter auch für Gruppen haben, genauer: für endliche einfache Gruppen. Trotz des Namens war das aber alles anderes als einfach. (Ich will jetzt nicht darauf eingehen, was Gruppen sind; das würde zu weit führen. Es sei nur gesagt, dass unser Duellant Galois einer der wichtigsten Geburtshelfer der Gruppentheorie war. ) Das Projekt der Klassifikation dieser Gruppen wurde unter anderem dadurch erschwert, dass immer mal wieder sogenannte sporadische Gruppen entdeckt wurden, mit denen vorher niemand gerechnet hatte und die in keine der bisherigen Kategorien passten. Das zog sich von 1861 bis 1976 hin und man musste dann ja auch noch beweisen, dass nicht auf einmal noch weitere auftauchen können. Der Knüller war dabei sicherlich die 1973 entdeckte Monstergruppe, die deshalb so heißt, weil sie etwa tausendmal so viele Elemente wie die Erde Atome hat. Ausgeschrieben sieht das so aus: 808017424794512875886459904961710757005754368000000000. (Die Monstergruppe ist aber immer noch endlich und um solche Gruppen ging es in der Klassifikation ja.) Inzwischen ist die Fachwelt überzeugt, dass die Klassifikation abgeschlossen und vollständig bewiesen ist. Der Beweis verteilt sich allerdings im Original auf über 500 Fachartikel von mehr als 100 beteiligten Mathematikern, die daran vom Ende der 1920er bis Anfang der 1980er Jahre gearbeitet haben. Zusammen ergibt das etwa 15 000 gedruckte Seiten. Einige der Artikel wurden nicht mal publiziert, sondern kursierten nur als Vorabdrucke im Kreise der Eingeweihten. Abgesehen von ein paar Experten, die entweder schon verstorben oder nicht mehr die Jüngsten sind, dürfte kaum jemand einen kompletten Überblick über dieses Konvolut haben. Daher gibt es auch Bestrebungen, den gesamten Beweis in überarbeiteter Form als Buch in mehreren Bänden herauszugeben. Man hat die Hoffnung, dass er dadurch auch kürzer wird. Geschätzt wird, der abgespeckte Beweis könne „nur“ noch 5000 Seiten lang sein. Das ist aber offenbar eine sehr umfangreiche Aufgabe. Und auch eine sehr undankbare: Es ist zwar wichtig, den Beweis für die Nach196

PI UND DIE PRIMZAHLEN

welt in einer halbwegs genießbaren Form zu konservieren, aber sicher wird kaum jemand ihn jemals komplett lesen. Außerdem sind Wissenschaftler in der Regel daran interessiert, neue Dinge herauszufinden, und wollen ihre Zeit nicht damit verplempern, bekannte Resultate noch mal aufzuschreiben. Man darf gespannt sein, ob dieses über mehrere Jahre angelegte Projekt erfolgreich beendet werden wird. Zum Glück ist das nicht unser Problem. Wir wollen nun aber auch ein bisschen klassifizieren, und zwar die Primelemente unter den gaußschen Zahlen. Statt 15 000 Seiten benötigen wir jedoch weniger als ein halbes Dutzend. Es soll also ein „Katalog“ aller Primelemente erstellt werden. Da es unendlich viele sind, können wir sie nicht alle aufschreiben. Wir können sie höchstens in sinnvolle Kategorien einteilen, damit wir ein Kriterium dafür haben, ob wir es mit einem Primelement zu tun haben oder nicht. Die folgende Aufzählung liefert drei Kategorien, die sich aus der Norm ergeben. Dass tatsächlich nur Primelemente kategorisiert werden, folgt in allen drei Fällen aus der Multiplikativität der Norm: Ist die gaußsche Zahl z kein Primelement, so gibt es Nicht-Einheiten w 1 und w 2 mit z = w 1 w 2 und das impliziert N (z) = N (w 1 ) N (w 2 ) . Die natürliche Zahl N (z) muss dann also ein Produkt zweier natürlicher Zahlen sein, die beide nicht eins sind. – Die vier Zahlen mit der Norm 2 sind offenbar Primelemente, also 1 + i und die drei mit dieser Zahl assoziierten Zahlen. – Ist p eine Primzahl der Form 4k + 1, so gibt es nach dem Zwei-Quadrate-Satz gaußsche Zahlen a + b i und b + a i mit der Norm p . Das müssen Primelemente sein und das gilt auch für die mit ihnen assoziierten Zahlen. Weitere Zahlen der Norm p gibt es nicht, wie wir uns gleich am Anfang des vorherigen Kapitels überlegt haben. Insgesamt kommt man so auf acht Primelemente der Norm p . F Ü N F Z E H N TAU S E N D S E I T E N

197

Warum acht und nicht nur vier? Warum sind a und b garantiert verschieden? – Ist q eine Primzahl der Form 4k + 3, so ist q (als gaußsche Zahl mit der Norm q 2 ) ein Primelement. Wäre sie nämlich kein Primelement, so müsste es einen Primteiler der Norm q geben, den es aber nach dem Zwei-Quadrate-Satz nicht gibt. Die assoziierten Zahlen −q , q i und −q i sind natürlich ebenfalls Primelemente. Andere als diese vier Zahlen mit der Norm q 2 kann es nicht geben: Aus q 2 = c 2 + d 2 mit nichtnegativen Zahlen c und d folgt, wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, dass q sowohl c als auch d teilt. Das ist aber nur möglich, wenn entweder c oder d null ist. Und das waren schon die angekündigten drei Kategorien. Ist die Katalogisierung damit abgeschlossen?

Wir sind noch nicht fertig. Die noch offene Frage ist, ob wir mit diesen drei Kategorien auch alle Primelemente erwischt haben. Das haben wir zwar, aber wir müssen es auch beweisen. Und da steht uns leider noch ein bisschen Rechenarbeit bevor. Nehmen wir uns also eine darstellbare Zahl z = a+b i der Norm n vor. Wenn es eine Zahl ist, die noch nicht in unserem „Katalog“ vorkommt, dann kann n keine Primzahl sein. Also gibt es einen echten Primteiler p von n . Ist p eine nicht darstellbare Primzahl, so wissen wir aus dem letzten Kapitel, dass n dann das Produkt von p 2 mit einer darstellbaren Zahl sein muss: n = p 2 (c 2 + d 2 ) . Mit gaußschen Zahlen sieht das folgendermaßen aus: (a + b i) (a − b i) = n = p 2 (c + d i) (c − d i) 198

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Daraus folgt, dass weder a +b i noch a −b i Primelemente sein können, weil das Produkt auf der linken Seite keine eindeutige Zerlegung von n liefert (wenn nicht n = p 2 gilt). Wir können festhalten: Nur die bereits aufgezählten Primelemente können als Teiler der Norm eine nicht darstellbare Primzahl haben. Es verbleibt der Fall, dass p darstellbar ist, also p = c 2 + d 2 . Wenn wir zeigen können, dass dann n das Produkt von p mit einer darstellbaren Zahl ist, dann können wir mit demselben Argument wie eben folgern, dass z kein Primelement ist. Jetzt die avisierte Rechnerei: (a 2 + b 2 )c 2 − a 2 (c 2 + d 2 ) = b 2 c 2 − a 2 d 2 = (b c − ad) (b c + ad)

Da n = a 2 + b 2 durch p = c 2 + d 2 teilbar ist, sind die beiden Summanden links beide durch p teilbar. Also ist auch das Produkt rechts durch p teilbar. Da p eine Primzahl ist, muss p einen der Faktoren teilen. Nun teilen wir die Arbeit auf. Ich behandle den Fall, dass p den Faktor b c − ad teilt, und überlasse Ihnen den anderen Fall, den man ähnlich abfackeln kann. Zuerst schreibe ich eine Gleichung auf: (a 2 + b 2 ) (c 2 + d 2 ) = (ac + b d) 2 + (ad − b c) 2

Von der Korrektheit dieser Formel kann man sich durch einfaches Nachrechnen (Ausmultiplizieren) überzeugen. Sie hat den etwas pompösen Namen Brahmagupta-Fibonacci-Identität und ist damit benannt nach einem im 7. Jahrhundert tätigen indischen Mathematiker und einem Italiener, der im 13. Jahrhundert aktiv (und von Beruf Rechenmeister) war. Und sie ist ein weiteres Beispiel dafür, dass man in der Mathematik gerne Dinge nach alten Heroen benennt, um ihnen ein Denkmal zu setzen, dass es aber nicht unbedingt immer die Richtigen trifft. Diese Formel war beispielsweise Diophantos schon ungefähr ein halbes Jahrtausend vor Brahmagupta bekannt F Ü N F Z E H N TAU S E N D S E I T E N

199

und hätte eigentlich nach ihm benannt sein sollen. Aber ich schweife wieder ab. . . Da p sowohl die linke Seite dieser Identität als auch (ad − b c) 2 teilt, muss p auch (ac + b d) 2 teilen. Und weil p eine Primzahl ist, ist das Quadrat (ac + b d) 2 sogar durch p 2 teilbar. Die linke Seite der Identität ist np und folglich ebenfalls durch p 2 teilbar (denn nach Voraussetzung ist n durch p teilbar). Also kann man die ganze Gleichung durch p 2 teilen und erhält:  2  2 ac + b d ad − b c n a2 + b 2 = + = 2 p p p c + d2

Entscheidend ist, dass nach unseren Überlegungen die beiden Brüche ganze Zahlen sind. Rechts steht also eine Summe zweier Quadrate. Multipliziert man die Gleichung noch mit p , dann ist man am Ziel. Jetzt sind Sie dran! (Tipp: Vertauschen Sie in Diophantos’ Identität die Vorzeichen.)

200

PI UND DIE PRIMZAHLEN

ENDLICH PUNKTE ZÄHLEN!

Es ist vollbracht! Endlich sind die Vorbereitungen abgeschlossen und wir können anfangen, Punkte zu zählen. Darum werde ich Sie jetzt auch nicht weiter mit Anekdoten und Histörchen hinhalten; wir gehen gleich in medias res. Zur Erinnerung, weil es schon so lange her ist: Es geht um Punkte mit ganzzahligen Koordinaten und um Kreise, deren Mittelpunkt jeweils der Ursprung des Koordinatensystems ist. Die Anzahl solcher √ Punkte auf dem Kreis mit dem Radius n hatten wir Pn genannt. Ferner hatten wir die Bezeichnung Q n für ein Viertel von Pn eingeführt, weil Pn wegen der erkennbaren Symmetrie durch vier teilbar sein muss. Unsere (bisher nicht bewiesene) Vermutung war, dass Q mn das Produkt Q m Q n ist, wenn m und n teilerfremd sind. Und wir wissen nun genug, um einzusehen, dass das wirklich stimmen muss. Nehmen wir als Beispiel m = 25 und n = 13. Die folgende Grafik zeigt uns P25 = 12 und P13 = 8.

Q mn = Q m Q n ist gleichbedeutend mit Pmn = Pm Pn /4 und 25 · 13 ist 325. Wir erwarten also P325 = 24. Und das stimmt auch: © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_24

(Die Grafik hat einen anderen Maßstab als die vorherige und ich habe hier nur jede zehnte Gitterlinie gezeichnet.) Wieso ist das so? Wir hatten uns bereits überlegt, dass alle Produkte von Punkten auf den beiden Ausgangskreisen Punkte auf dem großen Kreis ergeben müssen. (Mit „Produkten von Punkten“ meine ich natürlich die Produkte der entsprechenden gaußschen Zahlen. Ich identifiziere Punkte und gaußsche Zahlen im Folgenden einfach.) Aber bekommen wir auf diesem Wege auch alle Punkte auf dem großen Kreis oder können dort auch welche liegen, die nicht solche Produkte sind? Nein, das geht nicht. Wenn ein Punkt auf dem Kreis mit dem √ Radius 325 liegt, dann entspricht ihm eine gaußsche Zahl z mit der Norm 325. Als Produkt zweier teilerfremder Zahlen ist 325 weder eine Primzahl noch das Quadrat einer Primzahl. Also wissen wir, dass z kein Primelement ist. Nach dem Fundamentalsatz können wir z als Produkt von Primelementen darstellen: z = p1 p2 · · · p n . Die zugehörigen Normen N (p1 ) bis N (p n ) sind entweder darstellbare Primzahlen oder Quadrate von nicht darstellbaren Primzahlen, deren Produkt 325 sein muss. Nun kommt erneut zum Tragen, dass 325 ein Produkt von teilerfremden Zahlen ist: Die Normen müssen sich fein säuberlich zwischen den beiden Faktoren 25 und 13 aufteilen lassen. Es kann nicht sein, dass eine Primzahl sowohl 25 als auch 13 teilt, denn sie wäre ein gemeinsamer Teiler. Darum müssen sich die Primelemente so in zwei Hälften aufteilen lassen, dass sich z = w 1 w 2 ergibt, wobei N (w 1 ) = 25 und N (w 2 ) = 13 gilt. Und genau das wollten wir ja beweisen. 202

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Wir stellen nun eine Liste aller Zahlen auf dem ersten Kreis einer Liste aller Zahlen auf dem zweiten Kreis gegenüber: 5

2 + 3i

5i

− 3 + 2i

−5 − 5i

− 2 − 3i

3 + 4i 3 − 2i

− 4 + 3i − 3 − 4i

3 + 2i

4 − 3i − 2 + 3i

4 + 3i − 3 + 4i

− 3 − 2i

− 4 − 3i

2 − 3i

3 − 4i

Wir können jede Zahl links mit jeder Zahl rechts multiplizieren und damit P25 · P13 = 12 · 8 Produkte bilden. Allerdings werden nicht alle diese Produkte verschieden sein. Ich habe in den Listen die assoziierten Zahlen jeweils durch Grautöne zusammengefasst. Innerhalb dieser „Familien“ entsteht jede Zahl durch Multiplikation der über ihr stehenden mit i. Bei Multiplikationen zwischen denselben zwei Familien ergeben sich immer Gruppen von vier Produkten, die gleich sind. Eine davon habe ich durch Verbindungslinien angedeutet. Zum Beispiel gilt: z = (3 + 4i) · (3 − 2i) = i · (3 + 4i) · i−1 · (3 − 2i) = (−4 + 3i) · (−2 − 3i)

Wir müssen also die Anzahl der theoretisch möglichen Produkte auf jeden Fall durch vier dividieren, um die Anzahl der tatsächlich verschiedenen Produkte zu erhalten. Aber kann es nicht noch weitere Paare von Produkten geben, die „zufällig“ gleich sind? Nein: ENDLICH PUNK TE ZÄHLEN!

203

– Bildet man andere Produkte als diese vier mit denselben beiden Familien, dann unterscheiden die sich von dem Produkt z oben durch einen der Faktoren i, −1 oder −i. (Aus 4 · 4 möglichen Produkten werden also 4.) – Und multipliziert man beispielsweise 3 + 4i mit einer Zahl, die nicht mit 3−2i assoziiert ist, dann kann nicht z herauskommen, weil man sonst zwei verschiedene Darstellungen von z hätte, die dem Fundamentalsatz der Arithmetik widersprächen. Unsere vor gut 100 Seiten aufgestellte Hypothese ist also korrekt! Das bedeutet, dass wir für das Zählen der Punkte die folgende Strategie wählen können: Um Q n zu ermitteln, zerlegen wir n zunächst in Primfaktoren. nm n = p1n1 · p2n2 · · · · · p m

(Das ist natürlich so gemeint, dass die Primzahlen p1 , p2 , p3 und so weiter alle verschieden sein sollen.) Dann rechnen wir Q p1n1 , Q p2n2 etc. für jeden Faktor einzeln aus und multiplizieren die Ergebnisse alle miteinander. Erlaubt ist dieses Vorgehen, weil unsere Hypothese über die teilerfremden Faktoren gerade bestätigt wurde. Für den Fall, dass das eben zu viele verwirrende Indizes waren, demonstriere ich das noch mal einem Beispiel. (i) Wir wollen Q n für n = 127 050 643 720 berechnen. (ii) Wir zerlegen n in Primfaktoren: 127 050 643 720 = 23 · 5 · 74 · 112 · 13 · 292

(iii) Jemand hat für die auftretenden Potenzen schon die entsprechenden Punkte gezählt:

204

k

23

5

74

112

13

292

Qk

1

2

1

1

2

3

PI UND DIE PRIMZAHLEN

(iv) Wir multiplizieren: Q n = 1 · 2 · 1 · 1 · 2 · 3 = 12. (v) Auf dem riesengroßen Kreis mit dem Radius liegen nur magere 4 · 12 = 48 Punkte. . .



n ≈ 356442

Das ist jedenfalls die Idee. Und hier gleich die Entwarnung: Nicht im Traum fiele es uns faulen Mathematikern ein, solche Werte tatsächlich auszurechen! Uns reicht die Gewissheit, dass es so klappen würde. Wir wollen eine allgemeine Formel haben und keine konkreten Zahlen. Der verbleibende Haken an der Sache ist Punkt (iii). Damit alles wie geplant funktioniert, müssen wir noch Formeln finden, mit deren Hilfe wir Q p k beziehungsweise Pp k berechnen können, wenn p eine Primzahl ist. Es liegt nahe, dass dabei die Klassifikation aus dem letzten Kapitel hilfreich sein wird. Mit anderen Worten: Es wird sich herausstellen, dass wir für unterschiedliche „Typen“ von Primzahlen p unterschiedliche Formeln für Pp k erhalten werden. Zum Glück sind wir bei der Katalogisierung nur auf drei Kategorien gekommen. Die behandeln wir alle im nächsten Kapitel.

ENDLICH PUNK TE ZÄHLEN!

205

DOMINOEFFEKTE

Dominosteine kamen schon im ersten Akt unserer Geschichte vor und nun treten sie erneut auf. Sie haben sicher schon mal einen spektakulären Dominoeffekt gesehen, bei dem durch das Antippen eines Steins eine Kettenreaktion ausgelöst wird, die sehr viele, manchmal Millionen, weiterer Dominosteine zu Fall bringt. Damit das passiert, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens müssen die Steine so aufgestellt worden sein, dass jeder Stein beim Umkippen einen weiteren anstößt. Und zweitens muss der Prozess durch das Umkippen des ersten Steins initiiert werden. Das gibt es auch in der Mathematik. Dort heißt es vollständige Induktion. Den Begriff halten manche Mathematiker allerdings für irreführend; zumindest ist er erklärungsbedürftig. Die Mathematik ist seit der Antike eine deduktive Wissenschaft: Ihre Ergebnisse werden durch logische Schlüsse aus Axiomen hergeleitet, die als wahr angenommen werden. Wenn man beispielsweise die Axiome Euklids akzeptiert, so folgt aus diesen zwingend der Satz des Pythagoras. Man braucht keine empirische Bestätigung des Theorems mehr. Im Gegensatz dazu arbeiten die Naturwissenschaften mit Induktion. Übertrieben flapsig ausgedrückt schauen die Physiker ein paar Äpfeln dabei zu, wie sie vom Baum fallen, und bauen auf der Basis dieser Beobachtungen eine Theorie der Gravitation auf. Das ist ein abstrahierender Schluss von einigen wenigen Phänomenen auf allgemeingültige Gesetze. Bei der vollständigen Induktion, um die es hier geht, findet aber kein induktiver Schluss in diesem Sinne statt. Es handelt sich um © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_25

ein deduktives Verfahren, dessen Gültigkeit aus den Axiomen der Arithmetik folgt, also aus den allseits akzeptierten Eigenschaften der natürlichen Zahlen. Obwohl viele Studenten anfangs Schwierigkeiten mit der technischen Umsetzung haben, ist die Idee der vollständigen Induktion eigentlich ganz einfach. Es handelt sich um einen Dominoeffekt mit unendlich vielen Dominosteinen. Um zu beweisen, dass alle natürlichen Zahlen eine bestimmte Eigenschaft haben, zeigt man zwei Dinge, die den beiden Bedingungen von oben entsprechen: – Hat eine Zahl n die Eigenschaft, dann hat n + 1 sie auch. (Die Steine stehen dicht genug beisammen.) – Die Zahl eins hat die Eigenschaft. (Der erste Stein wird angestoßen.) Dadurch wird eine unendliche Kaskade ausgelöst, die alle natürlichen Zahlen „mitreißt“. Schauen wir uns ein Beispiel an. Im Kapitel über modulare Arithmetik hatte ich gefragt, ob die Zahl 51 000 000 000 + 3 durch vier teilbar ist. Ist sie. Tatsächlich ist sogar jede Zahl der Form 5n + 3 durch vier teilbar, wenn n irgendeine natürliche Zahl ist. Man kann das ohne modulare Arithmetik mit vollständiger Induktion beweisen. Zuerst der sogenannte Induktionsschritt (der dafür sorgt, dass die Steine eng genug stehen): Wir müssen zeigen, dass 5n+1 + 3 durch vier teilbar ist, wenn 5n + 3 durch vier teilbar ist. Wegen der angesprochenen technischen Schwierigkeiten wiederhole ich es noch mal mit anderen Worten: Wir setzen voraus, dass 5n + 3 durch vier teilbar ist. (Das ist die sogenannte Induktionsvoraussetzung oder -annahme.) Wir wollen beweisen, dass 5n+1 + 3 durch vier teilbar ist. Ich glaube, dass viele damit Probleme haben, weil sie an dieser Stelle meinen, wir setzten bereits das voraus, was wir erst noch beweisen wollen. Das stimmt allerdings nicht. Wir setzen nicht etwa voraus, dass 5n + 3 für jedes n durch vier teilbar ist. Wir setzen 208

PI UND DIE PRIMZAHLEN

das lediglich für ein beliebiges festes n voraus. Und dementsprechend wollen wir auch nur für dieses eine n beweisen, dass 5n+1 + 3 durch vier teilbar ist. Wenn das klar ist, ist der Rest eine einfache Umformung: 5n+1 + 3 = 5 · 5n + 3 = (4 + 1) · 5n + 3 = 4 · 5n + (5n + 3)

Rechts steht eine Summe. Der erste Summand ist wegen des Faktors vier durch vier teilbar. Der zweite Summand ist nach Induktionsvoraussetzung durch vier teilbar. Also ist die Summe ebenfalls durch vier teilbar. Fertig! Jetzt fehlt nur noch der Induktionsanfang: das Anstoßen des ersten Steins. Wir müssen uns überzeugen, dass 51 + 3 durch vier teilbar ist. Das ist aber nun wirklich ein Kinderspiel, weil das einfach die Zahl acht ist, und die ist natürlich durch vier teilbar. Das war schon der ganze Induktionsbeweis!

Auf den nächsten Seiten werden wir die Technik der vollständigen Induktion mehrfach einsetzen. Wie bisher auch werde ich dabei nicht streng nach Vorschrift vorgehen, aber Sie werden das Grundprinzip erkennen können. Ich werde den Induktionsanfang zeigen und exemplarisch („Beweis durch Beispiel“) den Induktionsschritt andeuten. Wenn Sie wollen, können Sie dann selbst daraus einen formal korrekten Beweis machen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann hätte ich auf den vorherigen Seiten eventuell schon öfter einen Induktionsbeweis verwenden sollen, habe mich dann aber mit „und so weiter“ oder einer ähnlichen Formulierung aus der Affäre gezogen. Vielleicht blättern Sie ja mal zurück und zählen meine Sünden. DOMINOEFFEK TE

209

Übrigens sah die Summenformel, die sich der neunjährige Gauß überlegt hat, folgendermaßen aus: 1+2+3+···+n =

n · (n + 1) 2

Beweisen Sie diese Formel mit vollständiger Induktion.

Wieder zurück zu den Punkten. Das wird gleich zum ersten PseudoInduktionsbeweis führen. Wir waren auf der Suche nach einer Formel für Pp k für den Fall, dass p eine Primzahl ist. Und wir fangen mit den 4n + 1-Primzahlen an. Wir wissen bereits, dass Pp in diesem Fall acht ist. Das ist schon der Induktionsanfang. Wie es weitergeht, sehen wir am Beispiel p = 5:

Die drei Kreise gehören zu den Normen 5, 25 und 125. Es sieht so aus, als erhöhte sich die Anzahl der Punkte mit jeder Potenz um vier. Und das stimmt auch. Die Formel sieht für ungerade darstellbare Primzahlen also so aus: Pp k = 4(k + 1)

Wir müssen natürlich noch begründen, warum es in jedem Schritt vier Zahlen mehr werden. Die acht Zahlen auf dem Kreis mit dem √ Radius p , die es am Anfang gibt, zerfallen in zwei Familien von miteinander assoziierten Zahlen. Wir können sie also so benennen: z1

iz 1

− z1

− iz 1

z2

iz 2

− z2

− iz 2

Die Zahlen auf dem zweiten Kreis (mit dem Radius p ) ergeben sich durch alle möglichen Produkte dieser acht Zahlen miteinander. 210

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Das sind theoretisch 64 Produkte, die hier in tabellarischer Form versammelt sind: · z1 iz 1 −z 1 − iz 1 z2 iz 2 −z 2 −iz 2

z1 z 12 iz 12 −z 12 −iz 12 z1 z2 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2

iz 1 iz 12 −z 12 −iz 12 z 12 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z1 z2

−z 1 −z 12 −iz 12 z 12 iz 12 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 1 z 2

−iz 1 −iz 12 z 12 iz 12 −z 12 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 1 z 2 −z 1 z 2

z2 z1 z2 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z 22 iz 22 −z 22 −iz 22

iz 2 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 22 −z 22 −iz 22 z 22

−z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 1 z 2 −z 22 −iz 22 z 22 iz 22

−iz 2 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 22 z 22 iz 22 −z 22

Schaut man scharf hin, so sieht man, dass aber nur zwölf verschiedene Zahlen entstehen. Das sind die grau hinterlegten Werte. Jeweils vier untereinanderstehende (und assoziierte) Zahlen wiederholen sich versetzt in den drei Spalten dahinter. Das liegt offenbar daran, dass die Faktoren in den Spaltenüberschriften immer durch Multiplikation mit Einheiten aus ihren Vorgängern entstehen. Und der gesamte linke untere Block (ein Viertel) der Tabelle taucht exakt so rechts oben noch mal auf. Das ist eine Symmetrie, die sich aus der Kommutativität der Multiplikation ergibt: z 1 z 2 und z 2 z 1 sind identisch. Damit ist erklärt, warum in der Tabelle maximal zwölf unterschiedliche Zahlen stehen. Wir haben aber noch keine Begründung dafür, dass diese zwölf auch wirklich alle verschieden sind. Klar ist, dass jeweils vier der zwölf Zahlen assoziiert sind. Die können natürlich nicht gleich sein. Aber könnte nicht beispielsweise z 12 = z 22 oder z 12 = iz 1 z 2 gelten? Was meinen Sie? Nein, diese Produkte können nicht gleich sein, weil z 1 und z 2 verschieden sind und wir dann auf zwei unterschiedliche Darstellungen derselben Zahl kämen, die dem Fundamentalsatz der Arithmetik widersprächen. DOMINOEFFEK TE

211

Soweit mein angedeuteter Induktionsschritt. Ich zeige Ihnen aber zum Abschluss noch die Tabelle für den nächsten Kreis, damit Sie das Argument vervollständigen können. ·

z1

iz 1

−z 1

−iz 1

z2

iz 2

−z 2

−iz 2

z 12

z1

iz 1

−z 1

−iz 1

z 12 z 2

iz 12 z 2

−z 12 z 2

−iz 12 z 2

3 3

3

3

3

3

3 3

iz 12

iz 1

−z 1

−iz 1

z1

iz 12 z 2

−z 12 z 2

−iz 12 z 2

z 12 z 2

−z 12

−z 1

−iz 1

z1

iz 1

−iz 12 z 2

z 12 z 2

iz 12 z 2

−iz 12

−iz 1

3

−z 12 z 2

−z 1

−iz 12 z 2

z 12 z 2

iz 12 z 2

−z 12 z 2

z1 z2

z 12 z 2 iz 12 z 2 −z 12 z 2 −iz 12 z 2 z 1 z 22 iz 1 z 22 −z 1 z 22 −iz 1 z 22

−iz 12 z 2 z 12 z 2 iz 12 z 2 −z 12 z 2 −iz 1 z 22 z 1 z 22 iz 1 z 22 −z 1 z 22

z 1 z 22

iz 1 z 22

−z 1 z 22

−iz 1 z 22

iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z 22 iz 22 −z 22 −iz 22

3 3

3

3 z1 2 iz 1 z 2 −z 12 z 2 −iz 12 z 2 z 12 z 2 iz 1 z 22 −z 1 z 22 −iz 1 z 22 z 1 z 22

3

3 iz 1 2 −z 1 z 2 −iz 12 z 2 z 12 z 2 iz 12 z 2 −z 1 z 22 −iz 1 z 22 z 1 z 22 iz 1 z 22

3

iz 1 z 22

−z 1 z 22

−iz 1 z 22

z 1 z 22

−z 1 z 22

−iz 1 z 22

z 1 z 22

iz 1 z 22

−iz 1 z 22

z 1 z 22

iz 1 z 22

−z 1 z 22

z2

iz 2

−z 2

−iz 2

3

3 iz 2 3 −z 2 3 −iz 2

3

3 −z 2 3 −iz 2 3 z2

3

3 −iz 2 3 z2 3 iz 2

3 3

z2 3

iz 2 3

−z 2

Diese Tabellen sehen vielleicht auf den ersten Blick so aus, als hätte Mathematik doch etwas mit Buchhaltung zu tun. Aber wenn Sie mitgedacht haben, haben Sie bemerkt, dass es eigentlich mal wieder um das Erkennen von Mustern ging.

Für die anderen beiden Kategorien werden keine Tabellen benötigt. Wir werden mit ein paar Skizzen auskommen und müssen uns lediglich daran erinnern, wie man die Multiplikation mit bestimmten gaußschen Zahlen geometrisch interpretieren kann. Fangen wir mit den nicht darstellbaren Primzahlen an. Ist p so eine, dann wissen wir bereits, dass auf den Kreisen, die zu den Normen p , p 3 , p 5 und so weiter gehören, überhaupt keine Punkte liegen. Wir wissen auch, dass auf dem Kreis zur Norm p 2 vier Punkte liegen (das ist unser Induktionsanfang) und können die Punkte sogar explizit benennen: Es sind die gaußschen Zahlen p , p i, −p und −p i. Wie geht es weiter? Exemplarisch sind hier die Punkte auf den Kreisen mit den Radien 3, 32 und 33 dargestellt. 212

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Können Sie sich zusammenreimen, was da passiert? Augenscheinlich sind es unabhängig von der Größe des Kreises immer vier Punkte, die auch immer auf den vier Achsen liegen. Woran liegt das? Das lässt sich ganz einfach erklären. Die Punkte auf dem zweiten Kreis entstehen durch Multiplikation zweier Punkte des ersten Kreises. Jeder dieser Punkte „zeigt“ aber in eine Richtung, die ein Vielfaches von 90 Grad ist: 0◦ , 90◦ , 180◦ oder 270◦ . Und eine Multiplikation mit einem dieser Punkte entspricht einer Drehung um den entsprechenden Winkel. Es können also nur wieder Punkte herauskommen, die ebenfalls in eine Richtung zeigen, die ein Vielfaches von 90 Grad ist. Davon gibt es nur vier, also können sich auch nur maximal vier Produkte ergeben. Und dass es auch tatsächlich vier verschiedene Produkte gibt, sollte offensichtlich sein. Dafür muss man nur eine Zahl festhalten und mit allen vier multiplizieren. Ich schlage vor, wir belassen es auch hier bei einem unvollständigen „Induktionsschritt“ und Sie machen daraus wieder einen richtigen Beweis, wenn Sie Lust dazu haben. Wir halten fest: Ist p eine nicht darstellbare Primzahl, so sieht die Formel für die Anzahl der Punkte folgendermaßen aus:

Pp k =

⎧ ⎪ ⎨4 ⎪

wenn k gerade ist

⎪ ⎪0 ⎩

wenn k ungerade ist

Was fehlt noch? Der Sonderfall der Primzahl zwei. Fangen wir gleich mit einer Skizze an: DOMINOEFFEK TE

213

Das sind die Kreise zu den Normen 2, 4, 8 und 16. Außer der Grafik liefere ich dazu nur eine Beweisskizze, die Sie sicher selbst mit Leben füllen können. Ich weise lediglich darauf hin, dass zu den Punkten immer Winkel gehören, die Vielfache von 45 Grad sind. Und dass es im inneren Kreis nur ungerade Vielfache sind, im zweiten nur gerade, im dritten wieder nur ungerade und so weiter. Mehr Hilfe brauchen Sie nicht, oder? Der Vollständigkeit halber schreibe ich noch die fehlende Formel auf, die einfacher nicht sein könnte: P2k = 4

Mit unserem jetzigen Informationsstand hätten wir die Tabelle auf Seite 204 auch selbst erstellen können.

214

PI UND DIE PRIMZAHLEN

NOCH EINE HYPOTHESE

Wir wissen nun, wie wir die Anzahl der Punkte auf einem gegebenen Kreis ausrechnen können. Ich fasse unsere Erkenntnisse für Q n (das ist für das weitere Vorgehen praktischer als Pn ) noch mal zusammen: (i) Für Primzahlen p gilt:

Q pk

⎧ ⎪ ⎪ 1 ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎨k + 1 ⎪ = ⎪ ⎪ 0 ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪1 ⎩

p=2 p = 4n + 1 p = 4n + 3 und k gerade p = 4n + 3 und k ungerade

(ii) Für teilerfremde Zahlen m und n gilt: Q mn = Q m Q n

Damit können wir Q n zwar immer berechnen, aber es ist noch nicht die Darstellung, die uns zu der angestrebten π -Formel verhelfen wird. Ich könnte Ihnen jetzt einfach sagen, wie es weitergeht. Es bietet sich für Sie jedoch ein letztes Mal die Gelegenheit, selbst eine Hypothese zu formulieren. Und die wollen wir natürlich nicht verstreichen lassen. Man kann Q n anhand eines vergleichsweise einfachen Systems herausbekommen, wenn man sich die Liste aller Teiler von n anschaut. Damit meine ich sowas wie das hier: © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_26

n 1 5 25 125 65 845 1105 130 500 15 49 45 180 1125 2025

Qn 1 2 3 4 4 6 8 4 4 0 1 2 2 4 3

Teiler 1 1|5 1|5|25 1|5|25|125 1|5|13|65 1|5|13|65|169|845 1|5|13|17|65|85|221|1105 1|2|5|10|13|26|65|130 1|2|4|5|10|20|25|50|100|125|250|500 1|3|5|15 1|7|49 1|3|5|9|15|45 1|2|3|4|5|6|9|10|12|15|18|20|30|36|45|60|90|180 1|3|5|9|15|25|45|75|125|225|375|1125 1|3|5|9|15|25|27|45|75|81|135|225|405|675|2025

Dort stehen nicht irgendwelche Zahlen, sondern ich habe diese in wohlmeinender didaktischer Absicht ausgewählt und angeordnet. Außerdem sollten Sie genau hinschauen, weil einige Teiler suggestiv durch Fettdruck hervorgehoben wurden, während andere absichtlich ausgegraut sind. Erkennen Sie ein Muster?

Mir schwebte das folgende Muster vor: Q n ergibt sich als Anzahl der Teiler von n der Form 4k + 1

abzüglich der Anzahl der Teiler von n der Form 4k + 3. (Alle geraden Teiler werden ignoriert.)

Das war auch Ihre Idee? Cool! (Sie hatten diese Idee nicht? Macht nichts. Aber vielleicht überprüfen Sie anhand der obigen Liste dann noch mal, ob die Hypothese zumindest zu den Beispielen passt.) Wie beweist man nun, dass man mit dieser Regel immer Q n berechnen kann? Ich biete Ihnen dafür einen Beweis als „Baukasten“ an. Entweder überzeugen die Ideen auf den folgenden Seiten Sie schon 216

PI UND DIE PRIMZAHLEN

von der Korrektheit der Hypothese oder Sie können sich daraus eine vollständige Begründung zusammenbasteln. Baustein Nummer eins: Ist n die Potenz einer ungeraden darstellbaren Primzahl, dann stimmt die Aussage offensichtlich. Das sieht man zum Beispiel an den Zahlen 1, 5, 25 und 125 in der Tabelle. Baustein Nummer zwei: Ist n das Produkt zwei teilerfremder Zahlen, dann sind die Teiler von n die Produkte der Teiler der Faktoren. Dazu zunächst das kleine Beispiel 100 = 4 · 25. · 1 2 4

1 1 2 4

5 5 10 20

25 25 50 100

Und dann noch das etwas größere 2700 = 27 · 100. · 1 3 9 27

1 1 3 9 27

2 2 6 18 54

4 4 12 36 108

5 5 15 45 135

10 10 30 90 270

20 20 60 180 540

25 25 75 225 675

50 50 150 450 1350

100 100 300 900 2700

Dieser Baustein passt perfekt zur Regel (ii) von oben. Baustein Nummer drei: Multipliziert man mit einer Potenz von zwei, dann kommen zu den vorhandenen nur noch gerade Teiler hinzu. Das sieht man auch an dem Beispiel 100 = 4 · 25, das wir gerade hatten – die „interessanten“ Teiler stehen alle in der ersten Zeile. Und es passt auch prima, da Q 2k immer eins ist. Für Baustein Nummer vier krame ich noch mal unsere inzwischen uralte Multiplikationstabelle modulo vier hervor, allerdings in minimaler Form. Die unwichtigen geraden Reste habe ich gleich weggelassen, damit wir uns darauf konzentrieren können, was passiert, wenn man ungerade Zahlen multipliziert. · 1 3

1 1 3

3 3 1

Solange man nur Zahlen der Form 4k + 1 miteinander multipliziert, kommen wieder solche heraus. Ist m jedoch eine Zahl der Form N O C H E I N E H Y P OT H E S E

217

4k + 3, so haben die Potenzen m , m 2 , m 3 und so weiter abwechselnd die Reste drei und eins. Bei „gemischter“ Multiplikation „gewinnt“ immer der Rest drei. Dazu ein konkretes Beispiel, bei dem die Zahlen der Form 4k + 3 wieder fett gedruckt wurden: · 1 3 9 27

1 1 3 9 27

5 5 15 45 135

25 25 75 225 675

Auch hier passt alles wie die Faust aufs Auge und mehr Bausteine braucht man nicht. Ich hoffe, das Muster leuchtet auch Ihnen ein. Was machen wir damit jetzt? Für die ersten 25 Zahlen habe ich auf der gegenüberliegenden Seite tabellarisch dargestellt, wie Q n jeweils berechnet wird. Sie können beispielsweise entlang der Zeile für n = 15 wandern und lesen dort ab: plus, minus, plus, minus. Also ist Q 15 null. Oder in der Zeile für Q 13 : plus, plus – also zwei. Das sieht allerdings mühsam und nicht sehr zielführend aus. Der Nebel wird sich jedoch gleich lichten. Wir werden ein letztes Mal den Blickwinkel wechseln. Unser vor langer Zeit gefasster Plan war, π durch das Aufsummieren der Punktzahlen anzunähern. (Das war auf Seite 82, falls Sie noch mal nachschauen wollen.) Wenn wir es mit Q n ausdrücken, dann sieht unsere Approximationsformel für ein Viertel (!) von π so aus: Q1 + Q2 + Q3 + · · · + Qn n

Für n = 25 müssen wir also die Werte in der letzten Spalte der großen Tabelle addieren. (Da kommt 20 heraus, aber das ist im Moment nicht wichtig.) Das ist die Anzahl sämtlicher Pluszeichen abzüglich der Anzahl aller Minuszeichen. Aber wer sagt uns, dass wir so zählen müssen, wie ich Ihnen das eben einreden wollte? Wir arbeiten stattdessen spaltenweise! Wenn man diese Sichtweise eingenommen hat, sieht man sofort zwei Dinge: 218

PI UND DIE PRIMZAHLEN

n

1

3

5

7

9

11

13

15

17

19

21

23

25 Q n

1

1

2

1

3

0

4

1

5

2

6

0

7

0

8

1

9

1

10

2

11

0

12

0

13

2

14

0

15

0

16

1

17

2

18

1

19

0

20

2

21

0

22

0

23

0

24

0

25

3

N O C H E I N E H Y P OT H E S E

219

– In den Spalten stehen entweder nur Plus- oder nur Minuszeichen, und zwar abwechselnd. – In der Spalte zur Zahl m steht in jeder m -ten Zeile ein Zeichen. Damit lässt sich die Anzahl der Zeichen ganz einfach berechnen: Wir teilen (in unserem Beispiel) 25 durch m und runden gegebenenfalls ab. In der Spalte für die Fünf stehen 25/5 = 5 Pluszeichen. Das ist schon der richtige Wert. Um die Anzahl der Minuszeichen für die Neuner-Spalte zu bekommen, teilen wir 25 durch 9 – das ergibt ungefähr 2,8 – und runden auf zwei ab. Für das Abrunden gibt es in der Mathematik zwei Schreibweisen. Die ältere geht auf Gauß zurück und wird daher Gaußklammer genannt. Man schreibt [x] für die Zahl, die man durch Abrunden von x erhält. Wir haben also [5] = 5 und [25/9] = 2. Eine neuere, inzwischen aber weiter verbreitete Schreibweise sieht so aus: x . Die werde ich für die restlichen Seiten des Buches auch verwenden. Aber das ist nur ein technisches Hilfsmittel, das uns nicht davon ablenken sollte, dass wir den letzten großen Schritt in unserer Unternehmung gemacht haben. Wir sind mit dem Zählen der Punkte endlich fertig und haben das hier erreicht: n n n n n Q1 + · · · + Qn = − + − +···± 1 3 5 7 n Hätten Sie das erwartet? Ich finde diese Formel überraschend und erstaunlich. Lediglich die eckigen Abrundungszeichen stören etwas. Unser letztes Ziel wird sein, die Formel durch das Entfernen derselben richtig „rund“ zu machen.

220

PI UND DIE PRIMZAHLEN

VON FRÖSCHEN UND MÄUSEN

Luitzen Egbertus Jan Brouwer wurde von seinen Freunden Bertus genannt. Aber so viele Freunde hatte er wohl nicht. Von einem Biographen wurde er mal als „stolzer und isolierter Vulkan“ bezeichnet. Und obwohl er ein bedeutender Mathematiker war und der nach ihm benannte Fixpunktsatz eine wichtige Rolle in der Topologie spielt, ist er hauptsächlich durch einen jahrelangen Konflikt in Erinnerung geblieben, den der am Rande involvierte Albert Einstein als Krieg zwischen Fröschen und Mäusen bezeichnet hat. (Natürlich waren damals alle Beteiligten klassisch gebildet. Der Froschmäusekrieg ist keine Erfindung Einsteins, sondern eine späthellenistische Parodie auf die homerischen Epen.) Soweit es darum geht, dass sich Mathematiker nicht immer mit Ruhm bekleckern, wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, steht dieser „Krieg“ dem Prioritätsstreit zwischen Leibniz und Newton in nichts nach. Bevor die Nazis den Wissenschaftsstandort Deutschland zerstörten, war die Universität Göttingen das Weltzentrum der Mathematik gewesen. Und an der Spitze stand unangefochten David Hilbert. (Das war der mit der Badeanstalt.) Hilbert war ein Verfechter der mathematischen Moderne. In der Kontroverse zwischen Cantor und Kronecker hatte er sich auf die Seite Cantors geschlagen. Und sein sogenannter Formalismus hat sich als die dominierende Sichtweise in der heutigen Mathematik durchgesetzt. Sie besagt, vereinfacht ausgedrückt, dass mathematische Objekte dann existieren, wenn man sie sich vorstellen kann, ohne dass es dabei zu logischen Widersprüchen kommt. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_27

Hilbert und der etwa zwanzig Jahre jüngere Brouwer hatten sich zunächst gut verstanden. Das änderte sich jedoch, als Brouwer eine Gegenposition zum Formalismus entwickelte, den Intuitionismus, und damit so etwas wie eine Wiedergeburt Kroneckers wurde. Brouwer wollte nur mathematische Objekte anerkennen, für die es eine „Bauanleitung“ gab. Man musste sie nicht nur denken, sondern auch konstruieren können. Ironischerweise hielt Brouwer deswegen sogar seine eigenen topologischen Resultate aus seiner Jugendzeit, die ihn bekannt gemacht hatten, für gegenstandslos. Brouwer griff Hilberts Formalismus öffentlich und recht polemisch an und fand nach und nach ein paar Anhänger. Besonders getroffen hat Hilbert, dass auch sein Lieblingsschüler Hermann Weyl sich den Intuitionisten anschloss. (Weyl änderte seine Meinung allerdings später wieder.) Und das Fass zum Überlaufen brachte schließlich ein Aufruf des Niederländers Brouwer an die deutschen Mathematiker, den Internationalen Mathematikerkongress 1928 in Bologna zu boykottieren. Daraufhin sorgte Hilbert dafür, dass Brouwer das Herausgebergremium der Mathematischen Annalen – damals die weltweit angesehenste mathematische Fachzeitschrift – verlassen musste. Ein beispielloser Eklat! Auf weitere Details dieses Hickhacks will ich hier nicht eingehen, schließe die Geschichte aber mit einer zweiten hübschen literarischen Anspielung Einsteins ab. Einstein wollte mit der Sache eigentlich nichts zu tun haben, gehörte aber auch zu den Herausgebern der Annalen und konnte sich daher nicht einfach heraushalten. Er war wohl eher auf Hilberts Seite, fand jedoch, man solle Brouwer nicht den Mund verbieten. In einem Brief an Hilbert attestierte er Brouwer zwar einerseits eine „nahe Verbindung von Genie und Wahnsinn“, forderte aber auch: „Sire, geben Sie ihm Narrenfreiheit!“ Abgesehen davon, dass ich gerne Anekdoten erzähle, kommt Brouwers Intuitionismus gerade an dieser Stelle des Buches vor, weil ich – um die Spannung zu steigern – kurz vor dem Ziel noch einmal die philosophischen Zweifel an der Existenz von π aufgreifen will. 222

PI UND DIE PRIMZAHLEN

„Hast Du den Satz Mathe ist doof an die Tafel geschrieben oder nicht?“ Wenn die Lehrerin Ihnen diese Frage stellt, dann ist die korrekte Antwort auf jeden Fall ja, denn entweder haben Sie’s geschrieben oder Sie haben es nicht gemacht. Das ist jedenfalls der Standpunkt der klassischen Logik, der als Tertium non datur („ein Drittes gibt es nicht“) bezeichnet wird: eine Aussage ist wahr oder ihr Gegenteil ist wahr, eine dritte Alternative kann es nicht geben. Kürzen wir die Behauptung, der kleine Edmund habe den Satz an die Tafel geschrieben, mit A ab. In der üblichen mathematischen Interpretation bedeutet A∨ ¬A („ A oder nicht A“) dann, dass A oder die Negation (das Gegenteil) von A wahr ist. Darum ist die Aussage A ∨ ¬A nach dieser klassischen Sichtweise immer wahr. Für Brouwers Intuitionisten bedeutet A jedoch, dass es einen Beweis dafür gibt, dass der beschuldigte Schüler sich an der Tafel zu schaffen gemacht hat. Und ¬A bedeutet, dass man die Schuld des Schülers zweifelsfrei widerlegen kann. Es geht also nicht um die Wahrheit, die man eventuell niemals herausfinden kann, sondern sozusagen darum, was vor Gericht Bestand hätte. Im Intuitionismus ist A ∨ ¬A deshalb nicht immer wahr. (Genauer: nicht immer beweisbar. Es geht ja gar nicht darum, was wahr ist.) Und jetzt kommt π ins Spiel. Um seinen Standpunkt zu illustrieren, „konstruierte“ Brouwer eine neue Zahl πˆ basierend auf der Dezimaldarstellung von π nach den folgenden Regeln: – Wenn nach n Nachkommastellen von π erstmals eine Folge von hundert aufeinanderfolgenden Nullen auftritt und n gerade ist, dann sollen die ersten n Stellen von π und πˆ übereinstimmen, die n + 1-te Stelle von πˆ soll eins sein und danach sollen nur noch Nullen folgen. ( πˆ ist dann größer als π .) – Tritt der obige Fall hingegen für ein ungerades n ein, dann sollen π und πˆ ebenfalls bis zur n -ten Stelle übereinstimmen, danach sollen in der Darstellung von πˆ aber nur noch Nullen folgen. (Dann ist πˆ kleiner als π .) V O N F R Ö S C H E N U N D M ÄU S E N

223

– Falls es in der Dezimaldarstellung von π niemals eine Sequenz von hundert Nullen gibt, soll πˆ einfach π sein. π = 3,141592 . . . . . . 85072713026788405929000000 . . . πˆ = 3,141592 . . . . . . 85072713026788405929 ?

Welcher Fall kann nicht eintreten, wenn π normal ist? Die längste Sequenz von Nullen, die bisher mit Computerhilfe in den Nachkommastellen von π gefunden wurde, dürfte meines Wissens aus nicht viel mehr als einem Dutzend Nullen bestehen. Man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass wir niemals erfahren werden, an welcher Stelle zum ersten Mal eine Folge von hundert Nullen auftritt. (Aber wenn Ihnen diese Prognose zu gewagt erscheint, dann nehmen Sie eine Million Nullen oder die gesammelten Werke des vorhin persiflierten Schiller.) In mathematischen Beweisen wird das Tertium non datur häufig angewandt. Das könnte beispielsweise so aussehen, dass man es mit einer reellen Zahl r zu tun hat, deren Wert man nicht kennt. Man macht dann vielleicht eine Fallunterscheidung und sagt, dass entweder r ≥ 0 oder r < 0 gilt, behandelt beide Fälle separat und führt den Beweis jeweils zu einem glücklichen Ende. Dabei ist natürlich ganz wesentlich, dass wir uns darauf verlassen, dass eine der beiden Aussagen r ≥ 0 oder r < 0 wahr ist; und zwar unabhängig davon, was wir über r wissen. Was aber, wenn r die Zahl πˆ − π ist? Mindestens 99 von 100 heute aktiven Mathematikern würden wohl mit den Schultern zucken und entgegnen, dass das natürlich auch für diese Zahl gilt, weil jede reelle Zahl entweder negativ oder eben nicht negativ ist. Ein Intuitionist wird jedoch entgegnen, dass weder πˆ − π ≥ 0 noch πˆ − π < 0 bisher bewiesen wurden und der ganze Beweis daher kein Beweis sei. Und selbst dann, wenn wir beispielsweise einen Beweis für πˆ − π ≥ 0 hätten, würde das auch nichts ändern, weil es 224

PI UND DIE PRIMZAHLEN

unendlich viele andere reelle Zahlen gibt, von denen wir nichts bzw. nicht genug wissen. Aus intuitionistischer Sicht existiert πˆ gar nicht, zumindest nicht als „vollendete“ Zahl. Und während in der modernen Sichtweise die unendlich vielen Nachkommastellen von π „irgendwo da draußen“ vorhanden sind, wir bisher aber „nur“ 50 Billionen davon kennen, die mit Computerhilfe ermittelt wurden, gibt es für eine Intuitionistin nur diese 50 Billionen Nachkommastellen. Es wäre aus ihrer Sicht sinnlos, über weitere Nachkommastellen zu sprechen, solange sie nicht berechnet wurden. Wie sehen Sie das?

V O N F R Ö S C H E N U N D M ÄU S E N

225

BUTTERKEKS

Als Leibniz starb, war er ein einsamer und armer Mann. Zu seiner Beerdigung erschien niemand vom königlichen Hof, für den er mehrere Jahrzehnte gearbeitet hatte. Obwohl ältere Berichte über ein Begräbnis „wie das eines Straßenräubers“, bei dem außer seinem Sekretär niemand anwesend gewesen sei, etwas überdramatisiert sind, so waren doch seine letzten Jahre auf jeden Fall wohl eher traurig und seiner Bedeutung nicht angemessen. Leibniz wird oft als letzter Universalgelehrter bezeichnet. Er hatte ein genialisches Wesen und sprudelte geradezu über von Ideen, die zu ihm kamen „wie Tiere im Morgengrauen“, wie es Georg von Wallwitz mal hübsch formuliert hat. Die Mathematiker tun sich schwer, ihn als einen der ihren zu vereinnahmen. Dafür war er intellektuell zu sprunghaft und zu wenig gewillt oder in der Lage, lange Zeit intensiv mit einem Thema zu verbringen und seine Ergebnisse dann fein geordnet zu publizieren. Trotzdem hat er – nicht nur durch die Differential- und Integralrechnung, die er stärker als Newton prägte – in der Mathematik tiefe Spuren hinterlassen und viele Ideen lange vor ihrer Zeit gehabt. Beispielsweise entwickelte er bereits um 1700 das Binärsystem, auf dem heute – ein Vierteljahrtausend später – alle Computer basieren. Auch „unsere“ π -Formel, die in diesem Kapitel nun endlich vor uns stehen wird, hat er herausgefunden und sie trägt inzwischen seinen Namen. (Mal wieder zu Unrecht. Bereits im 14. Jahrhundert war die Formel dem indischen Mathematiker und Astronomen Madhava bekannt. Davon wusste Leibniz aber natürlich nichts.) © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_28

Ob Leibniz allerdings stolz darauf gewesen wäre, der einzige Mathematiker zu sein, nach dem ein Butterkeks benannt ist? Descartes hat es da vielleicht ein bisschen besser erwischt. Nach viel Algebra und Zahlentheorie sowie gelegentlichen Ausflügen in die Geometrie kommt zum Schluss noch einmal die Analysis zu ihrem Recht. Die Formel für die Summe der Q n , die wir herausgearbeitet haben, ist eine exakte Formel für die Anzahl der Punkte. Sie ist aber nur ein Zwischenschritt zu einer Näherungsformel für π , um die es ja die ganze Zeit ging. Zur Erinnerung: Unsere Idee war, dass die Näherung immer besser wird, wenn n nur groß genug ist. Das wird uns etwas Spielraum geben, um die Abrundungszeichen loszuwerden. Hier ist unser Ausgangspunkt, der für wachsendes n eine immer bessere Approximation von π/4 liefern wird: 1 · n2



2 2 2 2  n n n n n2 − + − +···± 2 1 3 5 7 n

Gegenüber der Formel, die das vorletzte Kapitel abschloss, habe ich zwei kleine Änderungen vorgenommen: Erstens habe ich n durch n 2 ersetzt. Das wird unsere Berechnungen gleich komfortabler gestalten. (Und es schadet sicher nicht, weil n 2 „erst recht“ groß wird, wenn n groß wird.) Und zweitens teile ich durch n 2 . Das dürfen wir natürlich nicht vergessen, denn zu unserem Plan gehört ja die Division durch das Quadrat des Kreisradius. Gilt die obige Formel für alle n ? In der Form, in der sie hier steht, gilt die Formel nur für ungerade n . (Weil die Nenner alle ungerade sind, müsste der letzte Summand für gerade n anders aussehen.) Das war Ihnen sicher schon auf Seite 220 aufgefallen, aber Sie waren zu höflich, mich deswegen zu unterbrechen. Man könnte das umständlich reparieren, aber wir einigen uns für die folgenden Seiten einfach darauf, dass n immer 228

PI UND DIE PRIMZAHLEN

ungerade sein soll, OK? Wir überspringen die geraden n also, um uns etwas Schreibarbeit zu ersparen. Nun aber die finalen Abschätzungen zur Verschönerung unserer Formel. Im ersten Schritt ersetze ich den letzten Nenner durch n :  2 2 2 2 2  1 n n n n n · − + − +···± n2 1 3 5 7 n Ich lasse also ganz frech ein paar der Summanden einfach weg. (Nicht nur ein paar, sondern die große Mehrheit.) Wieso darf ich das machen? Schauen wir uns das am Beispiel n = 5 an, mit dem wir schon gearbeitet haben. Wir brechen hinter 25/5 ab und lassen diesen ganzen Teil unter den Tisch fallen: 25 25 25 25 − + − +···+ 7 9 11 25 Das können wir exemplarisch auch mal ausrechnen: − 3 + 2 − 2 + 1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + 1 = −2

Die entscheidende Beobachtung ist, dass die Zahlen, die hier addiert und subtrahiert werden, von links nach rechts auf jeden Fall nicht größer werden. Es wird also immer etwas addiert, dann weniger als das wieder subtrahiert, dann weniger als das wieder addiert und so weiter. Wenn Sie das von rechts nach links lesen, dann sehen Sie, dass jeder abgeschnittene Rest vom Betrag her maximal so groß sein kann wie die Zahl direkt vor ihm. Schematisch (mit anderen Werten) kann man sich das so vorstellen:

BUTTERKEKS

229

Im konkreten Fall heißt das, dass der entfernte Teil der Summe allerhöchstens 25/5 ausmacht. (Es ist ja sogar deutlich weniger.) Im allgemeinen Fall ist der Fehler durch das Abschneiden maximal n 2 /n , also n . Aber wir teilen am Ende noch durch n 2 , d.h. der Fehler im Näherungswert für π/4 ist auf keinen Fall größer als 1/n . Da dieser Wert aber gegen null geht, wenn n immer größer wird, war unser Vorgehen legitim und ändert nichts an der prinzipiellen Korrektheit der Abschätzung. Schließlich lassen wir einfach das Abrunden sein:   2 n2 n2 n2 n2 1 n − + − + · · · ± · n2 1 3 5 7 n Wie groß kann der Unterschied zwischen x und x höchstens werden? Für jeden einzelnen Summanden machen wir durch den Verzicht auf das Abrunden einen Fehler, der nicht größer als eins sein kann. Wegen des Vorzeichenwechsels werden sich diese Fehler teilweise aufheben, aber wir gehen bei unserer Abschätzung wie schon einmal vom worst case aus (der gar nicht eintreten kann), dass sich alle Fehler addieren. Es gibt (n + 1)/2 Summanden, also ist der Fehler, den wir machen, nicht größer als (n + 1)/2. Wie eben wird aber noch durch n 2 geteilt. Das ergibt für den Fehler (rechnen Sie nach): n+1 n+n 1 ≤ = 2n 2 2n 2 n Das ist wieder ein Term, der mit wachsendem n gegen null geht. Auch hier war unsere Umformung also gerechtfertigt. Wie man die Summe jetzt noch weiter vereinfachen kann, ist klar, oder? Zum Schluss kürzen sich die ganzen n 2 -Zähler gegen den Vorfaktor weg und es verbleibt die wunderbare Leibniz-Reihe, die das Ziel des Buches war: 230

PI UND DIE PRIMZAHLEN

1 1 1 1 1 1 1 π =1− + − + − + − +... 4 3 5 7 9 11 13 15

Führen Sie einen kleinen Freudentanz auf, wenn Ihnen danach ist. Am Ende der Formel stehen drei Punkte. Da haben wir wieder den Disput zwischen Kronecker und Cantor. So wie hier, mit einem Gleichheitszeichen, wird die Formel im modernen Sinne der aktualen Unendlichkeit verstanden. Man hat eine „unendliche Summe“ (Fachbegriff: Reihe), deren Wert tatsächlich π/4 ist. Wenn Sie eher eine Seelenverwandschaft mit Kronecker spüren, dann denken Sie sich hinter den drei Punkten noch den Term ±1/n und ersetzen Sie das Gleichheitszeichen durch ≈ für „ungefähr“. Sie haben es dann mit einer Näherungsformel zu tun. Sie können ja mal ausprobieren, wie viele Terme man addieren und subtrahieren muss, bis man eine Näherung hat, die besser ist als die von Archimedes.

BUTTERKEKS

231

OFFENES ENDE

In mathematischen Fachartikeln wird gelegentlich gemutmaßt oder es werden Fragen formuliert. Vielleicht hatte der Autor keine Zeit, sich einem Thema zu widmen, das abseits seines eigentlichen Forschungsinteresses lag. Vielleicht hat er aber auch über die Sache sehr intensiv nachgedacht und kam zu keinem Ergebnis. Ein sehr bekanntes Beispiel dieses Genres sieht so aus: Man findet nun in der That etwa so viel reelle Wurzeln innerhalb dieser Grenzen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß alle Wurzeln reell sind. Hievon wäre allerdings ein strenger Beweis zu wünschen; ich habe indeß die Aufsuchung desselben, nach einigen flüchtigen vergeblichen Versuchen vorläufig bei Seite gelassen, da er für den nächsten Zweck meiner Untersuchung entbehrlich schien.

Das schrieb Bernhard Riemann, Doktorand von Gauß und einer der einflussreichsten Mathematiker aller Zeiten, 1859 in einem berühmt gewordenen Aufsatz. Und der Beweis, den er da schuldig geblieben ist, wird heute noch gesucht. Unter dem Namen Riemannsche Vermutung hat diese offene Frage inzwischen den großen Satz von Fermat als berühmtestes ungelöstes Problem der Mathematik abgelöst. Sie ist fast so etwas wie der heilige Gral der Zunft geworden. Und sie gehört zu den schon erwähnten Millennium-Problemen, auf die jeweils ein „Kopfgeld“ von einer Million Dollar ausgesetzt ist. Aber auch ohne die Million müsste eine Mathematikerin, die diese Nuss knacken kann, sich über ihre Zukunft keine Sorgen machen. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_29

Es gibt jedoch nicht nur die wenigen ganz großen Probleme, über die man ab und zu etwas in der Zeitung lesen kann. Es gibt unzählige offene Fragen – uralte und brandneue, einfache und schwere. Manche Probleme sind wichtig für Anwendungen in Technik und Naturwissenschaften, manche sind Unterhaltungsmathematik. (Und was heißt überhaupt einfach? Es gibt Probleme, deren Lösung weltweit nur von einem Dutzend Experten verstanden wird. Aber es gibt auch Fragen, die über Jahrzehnte offen waren und die dann mit ein paar Zeilen beantwortet wurden, die schon Studenten im ersten Semester verstehen. War das Problem einfach, weil man die Lösung verstehen kann, oder war es schwer, weil es so lange niemand lösen konnte?) Auf jeden Fall will ich Ihnen nicht vorenthalten, dass es auch im Dunstkreis der Themen dieses Buches noch unerforschtes Terrain gibt. Ich nenne Ihnen drei vergleichsweise bekannte Repräsentanten. Das erste Beispiel ist schnell erklärt. Man weiß seit 1761, dass π irrational ist. Man weiß aber nicht, ob π π irrational ist. (Dass ebenfalls nicht bekannt ist, ob π normal ist, hatte ich schon erwähnt.) Auch für das zweite Beispiel braucht man nur zwei Sätze. Auf den Koordinatenachsen liegen unendlich viele gaußsche Zahlen, die Primelemente sind: 3, 7, 11, 19 und so weiter – alle Primzahlen der Form 4k + 3 und die mit ihnen assoziierten Zahlen. Aber gibt es auch noch andere Geraden in der Ebene, auf denen unendlich viele Primelemente liegen? Niemand weiß das bisher.

? ? Für das letzte Beispiel schauen Sie sich bitte die Grafik auf der gegenüberliegenden Seite an. Man sieht einen Weg durch die Ebene, der im Ursprung beginnt und dann von Primelement zu Primelement springt. Der letzte dargestellte Schritt ist der längste mit einer Sprungweite von etwas mehr als vier. Kann man so einen Weg konstruieren, der sich beliebig weit vom Ursprung entfernt, dabei aber 234

PI UND DIE PRIMZAHLEN

eine vorgegebene Schrittweite niemals überschreitet? Auch das ist ein ungelöstes Problem.

Als ich Promotionsstudent war, wurde ich ab und zu von Bekannten gefragt, was es denn in der Mathematik zu forschen gebe. Da wisse man doch seit Jahrhunderten alles und müsse nur noch rechnen. Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, hingen diesem Irrglauben aber sicher schon nicht mehr an, bevor Sie dieses Buch gelesen haben. Man könnte viele Bände mit ungelösten mathematischen Problemen füllen. Zwar werden regelmäßig einige von denen gelöst und ab und zu gibt es auch spektakuläre Entdeckungen, aus denen Schlagzeilen werden. Aber aus jeder beantworteten Frage werden mindestes zwei neue. Es ist wie mit den Köpfen der Hydra. Die Mathematik ist trotz ihres hohen Alters eine äußerst lebendige (fast hätte ich gesagt: rüstige) Wissenschaft. Sie wird immer wieder erneuert durch die, die sich mit ihr aus Freude am Verstehen beschäftigen – egal, ob es Profis oder Amateure sind. Vielleicht gehören Sie ja auch dazu!

OFFENES ENDE

235

Information is not knowledge Knowledge is not wisdom Wisdom is not truth Truth is not beauty Frank Zappa (1940–1993)

EPILOG

Wenn Sie hier angelangt sind, dann besteht eine gewisse Hoffnung, dass Sie die Seiten vorher auch alle gelesen haben und dass Ihnen die Lektüre Freude bereitet hat. Das würde mich jedenfalls sehr freuen. Meine Idealvorstellung wären Leserinnen, denen dieses Buch nicht gereicht hat. Viele Themen konnte ich auf den Seiten, die hinter uns liegen, nur kurz anschneiden. Und einige von denen klangen hoffentlich interessant genug, um den Wunsch nach mehr Information zu wecken. Sollte Ihnen mein Versuch gefallen haben, Mathematik anhand eines roten Fadens für „interessierte Laien“ zu präsentieren, ohne diese ständig zu unterfordern, dann habe ich zwei Vorschläge für weitere Lektüre. Die muss ich schon deshalb erwähnen, weil sie mich beide beeinflusst haben. Erstens kann ich Ihnen, wenn Sie englische Texte lesen, Measurement von Paul Lockhart wärmstens ans Herz legen. Für mich persönlich ist es das vielleicht schönste „populärwissenschaftliche“ Mathebuch überhaupt. In einem Satz zusammengefasst könnte man sagen, dass es die Entwicklung der Mathematik von der klassischen Geometrie bis zur Infinitesimalrechnung erzählt und die Leser aktiv daran teilnehmen lässt. Die, die Measurement kennen, werden sicher in der Gestaltung Parallelen zum vorliegenden Buch erkennen. So schön wie Lockharts Buch ist meins nicht geworden, aber ich habe ihm zumindest nachgeeifert. (Für den Aufwand, der insbesondere in der gebundenen Ausgabe von Measurement steckt, hätte sich in Deutschland wohl auch kein Verlag gefunden.) © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_30

Der zweite Vorschlag ist Das Geheimnis der transzendenten Zahlen von Fridtjof Toenniessen. In dem Buch kann man unter anderem lernen, was es mit der Transzendenz von π auf sich hat, die der Grund für das Scheitern der Quadratur des Kreises ist. Es ist umfangreicher und anspruchsvoller als mein Buch und es sieht auch eher wie ein „richtiges“ Mathebuch aus. Aber die Idee ist dieselbe: Anhand einer durchgehenden Story zeigen, dass Mathematik nicht so ist wie in der Schule und dass sie Spaß machen kann. Experten werden in meinem Buch Lücken und Ungenauigkeiten finden. Ich zitiere als Antwort auf entsprechende Vorhaltungen gerne Donald Knuth, der mal geschrieben hat, dass „vorsätzliches Lügen“ sich manchmal besser als die Wahrheit eignet, bestimmte Ideen zu vermitteln. Das gilt insbesondere auch für die ab und zu eingestreuten historischen Exkurse. Wäre ich auf all das wirklich angemessen eingegangen, dann wäre ein Buch mit vielen Fußnoten und einer ellenlangen Literaturliste dabei herausgekommen. Und diese Details hätten vom Kern meiner Erzählung nur abgelenkt. Ich habe mich bemüht, nicht immer nur von Mathematikern und Biologen, sondern auch von Mathematikerinnen und Biologinnen zu sprechen. Ich habe nicht nachgezählt, aber ich hoffe, dass es dabei halbwegs fair zuging. Meines Wissens ist die Mathematik das einzige MINT-Fach mit einem Frauenanteil, der sich um 50 % bewegt. Das finde ich äußerst positiv. Nicht ändern kann ich allerdings, dass – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Emmy Noether – bis zur zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts fast nur Männer die Geschichte der Mathematik geprägt haben. Im historischen Teil ist dieses Buch also eindeutig männerlastig. Aber das spiegelt leider nur die Realität wieder, in der es bis vor wenigen Jahrzehnten nicht als „schicklich“ galt, wenn eine Frau sich mit Mathematik beschäftigte. Ich habe das Buch – abgesehen von den unvermeidbaren Copyrightstempeln des Verlags am Anfang jedes Kapitels – mithilfe des Textsatzprogramms TEX gesetzt. Die Grafiken wurden ebenfalls in TEX mit PGF/TikZ erzeugt und dabei so programmiert, dass sie nicht zu perfekt, sondern eher ein bisschen handgemacht aussehen. 240

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Mathematikerinnen kritzeln beim Nachdenken den ganzen Tag herum und ihre Zeichnungen – ob auf dem Papier oder an der Tafel – sind sicher alles andere als makellos. Wenn die Grafiken Ihre Hemmschwelle, das auch zu machen, etwas gesenkt haben, dann haben sie ihren Zweck erfüllt. Jörg Balzer, Horst Berger, Maren Hoberg und Jeanette Jung haben das Manuskript des Buches vorab gelesen, mich auf Fehler aufmerksam gemacht und mit vielen wertvollen Anregungen zum Endergebnis beigetragen. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich. Ebenfalls bedanke ich mich bei Annette Berger und Jürgen Garbers für typographische Ratschläge. Für alle noch im Buch vorhandenen Fehler und Unstimmigkeiten beanspruche ich allerdings das alleinige Urheberrecht. (Und ich freue mich über eine E-Mail, wenn Sie über so etwas gestolpert sind.) Meinen herzlichen Dank auch an Iris Ruhmann vom SpringerVerlag, die sich schon für das Buch interessiert hat, als ich noch keine Zeile geschrieben hatte. Sie hat das Projekt trotz meines gelegentlichen Gequengels immer wohlwollend betreut und alles in die richtigen Bahnen gelenkt. Und zu guter Letzt danke ich ganz besonders meiner lieben Frau, die meine letzten beiden Bücher durch viele Mathematikerporträts aufgewertet und für dieses Buch die Illustration für das Cover beigesteuert hat. Ohne sie könnte ich wahrscheinlich gar keine Bücher schreiben. Hamburg, im Herbst 2020

Edmund Weitz [email protected]

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ANMERKUNGEN

Seite 11. Pascal beschreibt hier das Bildungsgesetz für das nach ihm   benannte Pascalsche Dreieck. Bei Ausdrücken der Form nk handelt es sich um Binomialkoeffizienten, die angeben, wie viele Möglichkeiten („Kombinationen“) es gibt, sich k von n verschiedenen Gegenständen auszusuchen. Die „vier beliebigen“ Zahlen sind k , k + 1 („um eine Einheit größer als die erste“), n + 1 und n . Man kommt da allerdings leicht durcheinander. Und wenn Sie es überprüfen, stellen Sie fest, dass Pascal selbst es auch nicht ganz richtig aufgeschrieben hat. . . Seite 12. Angeblich wollte Ptolemaios von Euklid wissen, ob es nicht für seinen Sohn (immerhin den des Königs!) einen einfacheren Weg gebe, die Mathematik zu erlernen. Man denkt da unwillkürlich an teure Privatschulen. . . Seite 15. Die Idee dieses visuellen Beweises ist, dass die beiden Quadrate gleich groß sind und in beiden Fällen vier deckungsgleiche rechtwinklige Dreiecke entfernt werden. Also muss die Restfläche in beiden Fällen gleich sein. Links ist die Restfläche das Hypotenusenquadrat, rechts sind es die beiden Kathetenquadrate. Ob Sie mit dieser Erklärung schon zufrieden sind, müssen Sie selbst entscheiden. Ist denn beispielsweise klar, dass sich durch diese Art des Zusammenfügens der Dreiecke wirklich Quadrate ergeben? Woran liegt das? © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_31

Seite 18. Ein bekanntes zahlentheoretisches Beispiel dafür, dass Daten in der Mathematik kein Beweis sind, ist die sogenannte SkewesZahl: Man kann die Anzahl der Primzahlen (siehe Seite 85ff.) unterhalb einer vorgegebenen Zahl mithilfe eines bestimmten Integrals abschätzen. Dieser Schätzwert ist gut, aber immer etwas zu groß. Wobei mit „immer“ gemeint ist, dass das für alle Fälle gilt, die bisher mit Computern überprüft wurden. Und das sind Quadrillionen! Wäre die Mathematik evidenzbasiert wie etwa Teile der Medizin oder der Erziehungswissenschaften, so wäre dies ein ausreichender Beleg dafür, dass der Schätzwert tatsächlich immer größer als der richtige Wert ist. Allerdings hat schon 1914 der englische Mathematiker Littlewood bewiesen, dass irgendwann mal der geschätzte Wert kleiner als der tatsächliche sein muss. Sein Doktorand Skewes versuchte, herauszufinden, wann das passieren würde, und kam dabei auf eine Zahl, die so unvorstellbar groß ist, dass sie seitdem seinen Namen trägt. Sie liegt auf jeden Fall weit oberhalb der Fähigkeiten heutiger oder auch zukünftiger Computer. Die Moral dieser Geschichte: Man „sieht“ ein Muster und es gibt mehr Indizien für dieses Muster, als ein Mensch sich vorstellen kann; aber das heißt noch lange nicht, dass das Muster wirklich existiert. Seite 21. Die Sache mit der Grundlagenkrise und den Unvollständigkeitssätzen ist zu kompliziert, um sie in ein paar Sätzen im Anhang abzuhandeln. Ich mache das aber nun trotzdem und hoffe, dass Sie sich dann vielleicht ein gutes Buch zu dem Thema beschaffen. Durch die Infinitesimalrechnung (Seite 61ff.), die sogenannten nichteuklidischen Geometrien und Widersprüche in der noch jungen Mengenlehre hatte sich eine gewisse Unsicherheit in der Mathematikerzunft eingestellt. Es schien kein Verlass mehr zu sein auf die einstmals unumstößlichen Wahrheiten der eigenen Wissenschaft. Man versuchte, die Mathematik dadurch zu „retten“, dass man die gesamte Disziplin (und nicht nur die Geometrie) auf einige wenige Axiome und Schlussregeln reduzierte und diese rein formal anwandte. Aus heutiger Sicht könnte man sagen: Es sollte nur noch als bewiesen 244

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gelten, was ein Computer aus den Axiomen folgern kann, ohne sie zu verstehen oder zu interpretieren. Allerdings zeigte der junge Österreicher Kurt Gödel 1931, dass dieses Vorhaben prinzipiell nicht durchführbar ist: Ein solches Axiomensystem, wie immer es im Detail auch aussehen mag, kann niemals aussagekräftig genug sein, um alle (im platonistischen Sinne) wahren Aussagen beweisen zu können. Das war ein epochales Resultat für die Philosophie der Mathematik, hat aber wenig daran geändert, wie Mathematik praktiziert wird. Seite 23. Die Herleitung zeige ich Ihnen nicht, aber die Antwort, falls Sie sie mit Ihrem Ergebnis vergleichen wollen. Die Anzahl der Gebiete bei n Punkten auf dem Kreis kann man so berechnen:       n n n + + 0 2 4 Seite 28. Bei der Riemannschen Vermutung geht es um die Verteilung der Primzahlen. Sie kommt ganz am Ende des Buches noch mal vor. Das P-NP-Problem stammt aus der theoretischen Informatik. Es geht um die Effizienz von Algorithmen. Im Kapitel über lateinische Quadrate wird es einen kurzen Auftritt haben. Die Navier-StokesGleichungen modellieren das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten und Gasen. Bisher fehlen Beweise dafür, dass diese Differentialgleichungen immer eindeutig bestimmte Lösungen haben. Alle drei Beispiele gehören zu den sieben Millennium-Problemen, die im Jahr 2000 von einem Expertengremium als die wichtigsten ungelösten Fragen der Mathematik ausgewählt wurden. Seite 35. Die wohl einfachste Formel, die man hier nehmen kann, ist die für den Mittelwert zweier Zahlen a und b : a+b 2

Seite 39. Cantor zeigte, dass die rationalen Zahlen abzählbar sind. Damit ist gemeint, dass man sie – wie die natürlichen Zahlen in ANMERKUNGEN

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der Form 1, 2, 3, . . . – der Reihe nach aufzählen kann, so dass jede irgendwann drankommt. Und er bewies auch, dass das mit den irrationalen Zahlen nicht möglich ist – weil es schlicht und einfach „zu viele“ sind. Der Fachausdruck dafür ist, dass die irrationalen Zahlen überabzählbar sind. Seite 39. Eine starke Fraktion innerhalb der kleinen Gruppe der Mathematiker, die den aktuellen Mainstream für falsch halten, bilden die Intuitionisten, auf die wir noch zu sprechen kommen. Seite 41. Ich unterschlage in diesem Kapitel das Sexagesimalsystem der Babylonier (ca. 2000 v. Chr.), das zwar ein Stellenwertsystem war, aber keine „echte“ Null hatte. Außerdem hätte man auch die Sandrechnung von Archimedes erwähnen können. Seite 43. Wie stellt man bei einem Suanpan Ziffern ein, die größer als fünf sind? Dafür sind die beiden Steine oberhalb der horizontalen Linie da, die jeder den Wert fünf haben. Schiebt man beispielsweise einen dieser oberen Steine nach unten und zwei der unteren nach oben, so steht das für eine Sieben. Das ist allerdings redundant. Man kann zum Beispiel die Fünf durch fünf der unteren Steine oder durch einen der oberen darstellen. Es gibt aber für die Bedienung des Suanpan Regeln, die dafür sorgen, dass es für jede Zahl nur eine eindeutige Darstellung gibt. Und der japanische Soroban ist eine Weiterentwicklung des Suanpan ohne Redundanzen. Er hat unten nur vier Steine und oben nur einen. Seite 44. Wenn man es ganz genau nimmt, dann muss man hinzufügen, dass a in der Gleichung a x 2 +b x +c = 0 nicht null sein darf; sonst hat man es nicht mehr mit einer quadratischen Gleichung zu tun. Die Gleichung b x = c bei al-Chwarizmi ist auch keine quadratische Gleichung. Seite 44. Falls Ihnen das Wort Algorithmus nichts sagt: das wird ab Seite 131 ausführlich erklärt. Seite 45. Auf die Regel „minus mal minus ist plus“ kommen wir noch mal zurück. 246

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Seite 47. Es muss zu Wiederholungen kommen, weil es nur eine begrenzte Anzahl von Resten gibt. Wenn man beispielsweise 3/17 ausrechnet, so ergibt sich in jedem Schritt ein Rest. Aber als Reste kommen nur die Zahlen von 0 bis inklusive 16 infrage. Spätestens nach 17 Schritten tritt ein Rest auf, der schon mal da war. Ab da wiederholt sich alles. Seite 47. Der angesprochene „Trick“ sieht so aus, dass aus der Periode der Zähler eines Bruchs wird, dessen Nenner aus so vielen Neunen besteht, wie die Periode Ziffern hat. Zum Beispiel ist 0,25 = 0,252525252525252525 . . .

der Bruch 25/99. Bei Perioden, die nicht direkt hinter dem Komma anfangen, wird es etwas schwieriger, aber das bekommen Sie schon selbst hin. Seite 50. Die Länge einer Kurve berechnet man heute, indem man sie mittels der Differentialrechnung in „unendlich kleine“ gerade Stücke zerlegt und diese dann mithilfe eines Integrals aufaddiert. Man verwendet also die Analysis, um die es im folgenden Kapitel geht. Das Teilgebiet der Mathematik, in dem Kurven untersucht werden, nennt man Differentialgeometrie. Seite 53. Die heutzutage üblichen Computer rechnen mit 64-BitFließkommazahlen und liefern diesen Näherungswert für π : 3,141592653589793

Man würde hier von 16 signifikanten Stellen sprechen. (Die Drei vor dem Komma gehört auch dazu.) Ginge es darum, den Abstand der Erde zur Sonne auf den Millimeter genau anzugeben, so käme man mit 15 Stellen aus. Seite 55. Wenn Sie keine Erfahrung mit universitärer Wahrscheinlichkeitsrechnung haben, werden Sie sich sicher gefragt haben, wie die Wahrscheinlichkeit für das Auswählen einer normalen Zahl bei 100 % ANMERKUNGEN

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liegen kann, da es doch offensichtlich Zahlen gibt (sogar unendlich viele), die nicht normal sind. Ich kann in ein paar Zeilen keinen kompletten Einstieg in diese Thematik bieten, aber ich versuche zumindest, den angesprochenen scheinbaren Widerspruch anhand eines Beispiels zu entkräften. Wenn man zufällig reelle Zahlen zwischen null und eins auswählen will und alle Zahlen dieselbe Chance haben sollen, ausgewählt zu werden, welche Wahrscheinlichkeit hat dann beispielsweise die Zahl 2/3, die Auserwählte zu sein? Die Antwort muss eine Zahl im Bereich von 0 % bis 100 % sein. Und sie kann nur 0 % sein. Bei jedem anderen Wert würden sich die Wahrscheinlichkeiten aller Zahlen zwischen null und eins zu mehr als 100 % addieren, wenn alle dieselbe Wahrscheinlichkeit wie 2/3 haben, denn es gibt ja unendlich viele solche Zahlen. Im mathematischen Sinne bedeutet also eine Wahrscheinlichkeit von 0 % nicht, dass etwas unmöglich ist, sondern dass es fast unmöglich ist. Das ist sogar der Fachbegriff dafür. Man kann sich das vielleicht so vorstellen, dass die Zahlen auf der Zahlengeraden so unglaublich dicht liegen, dass es quasi unmöglich ist, eine bestimmte zu treffen, wenn man zufällig hineinpiekst. Andererseits muss man natürlich irgendeine treffen. Man kann aber sinnvolle Wahrscheinlichkeiten nur für größere Mengen von Zahlen angeben. Im obigen Beispiel läge etwa die Wahrscheinlichkeit dafür, eine Zahl zwischen 0,3 und 0,5 zu treffen, bei zwanzig Prozent, weil der Abschnitt von 0,3 bis 0,5 ein Fünftel des Stücks von 0 bis 1 ausmacht. Die Aussage von Borel, um die es in dieser Anmerkung geht, besagt, dass zwar unendlich viele Zahlen auf der Zahlengeraden nicht normal sind, es aber fast unmöglich ist, eine von denen zufällig zu treffen, weil sich die normalen Zahlen so breit machen. (Das gilt übrigens ebenso für die rationalen Zahlen. Die trifft man auch nicht „zufällig“ auf einer dunklen Straße.) Falls Ihnen das trotz meiner Erklärung immer noch seltsam vorkommt: Das ist eigentlich dieselbe Problematik, die schon am Ende des Kapitels Menschenwerk angesprochen wurde. 248

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Seite 60. Lindemann bewies, dass π transzendent ist. Damit ist eine Eigenschaft gemeint, die noch „schlimmer“ als Irrationalität ist. Eine √ Zahl wie 2 ist zwar irrational, aber sie ist die Lösung einer einfachen Gleichung, nämlich x 2 = 2. Mit einfach ist hier gemeint, dass in der Gleichung außer der Unbekannten x nur ganze Zahlen vorkommen und dass nur multipliziert und addiert wird. Für eine transzendente Zahl wie π lässt sich keine einfache Gleichung finden, deren Lösung sie ist. Alles, was sich mit Zirkel und Lineal konstruieren lässt, kann man im Rahmen der analytischen Geometrie (Seite 77ff.) durch solche einfachen Gleichungen beschreiben. Daher kann man so etwas wie ein Quadrat der Fläche π nicht konstruieren. Seite 61. Die in diesem Kapitel skizzierte Darstellung der diversen Konflikte, die mit der Genese der Analysis einhergingen, ist eher oberflächlich und bestenfalls appetitanregend. Leserinnen, die mehr wissen wollen, empfehle ich als Einstieg Eine kurze Geschiche der Analysis von Detlef D. Spalt. Teilweise ist es eine Streitschrift und ich bin auch nicht immer seiner Meinung, aber Spalt hat auf jeden Fall einen unkonventionellen und lebendigen Schreibstil (von ihm stammt das Etikett Superpragmatiker für Euler) und richtet sich offenkundig nicht nur an einige wenige Fachkollegen. Seite 61. Der bekannte Physiker Leonard Susskind sagt, dass Physik immer etwas mit Differentialgleichungen zu tun habe. (Ähnliche Aussagen gibt es von anderen Physikern.) Ohne Analysis gäbe es aber keine Differentialgleichungen und damit auch keine Physik, wie wir sie kennen. Und ohne die moderne Physik wären technische Geräte, wie ich sie am Anfang des ersten Kapitels beschrieben habe, undenkbar. Seite 64. In der Mathematik meint man mit diskret nicht etwa verschwiegen oder zurückhaltend, sondern so etwas wie: voneinander getrennt, nicht alle Zwischenwerte annehmend – also das Gegenteil von kontinuierlich. Im Englischen ist das einfacher, weil man da zwischen discreet und discrete unterscheiden kann. ANMERKUNGEN

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Seite 66. Als Ultrafinitismus bezeichnet man eine extreme Position innerhalb der Philosophie der Mathematik, die nicht nur aktuale, sondern auch potentielle Unendlichkeit ablehnt. Als Argument dafür wird die physikalische Beschränktheit des Menschen angeführt. Beispielsweise ergibt es aus Sicht einer Ultrafinitistin keinen Sinn, über den ganzzahligen Anteil der oben erwähnten Skewes-Zahl zu reden, weil man diese Zahl niemals „ausrechnen“ kann: Für ihre Dezimaldarstellung bräuchte man weitaus mehr Ziffern, als es Elementarteilchen im gesamten Universum gibt. Seite 68. Das archimedische Axiom kann geometrisch so formuliert werden: Wenn man zwei unterschiedlich lange Strecken hat, dann kann man die längere der beiden immer übertreffen, wenn man nur genügend viele Kopien der kürzeren aneinander legt. Seite 68. Die „Epsilontik“ hat den technischen Vorteil, dass in ihr keine infinitesimalen Größen mehr vorkommen. Man könnte sagen, dass sie sich der im Text angesprochenen Unsicherheit entledigt, indem sie von einer dynamischen zu einer statischen Sichtweise übergeht – allerdings auf Kosten eines höheren formalen Aufwands. Seite 69. Eine infinitesimale „Zahl“ müsste ein Wert x sein, der für jede positive reelle Zahl r zwischen null und r liegt. Es ist offensichtlich, dass x auf jeden Fall keine reelle Zahl sein kann. In der Nichtstandardanalysis fügt man zu den reellen Zahlen neue Zahlen hinzu, die diese gewünschte Eigenschaft haben. Das führt zu den sogenannten hyperrellen Zahlen. Logisch fundieren kann man die hyperrellen Zahlen mit den Mitteln der Modelltheorie und der Mengenlehre – und somit mit mathematischen Methoden, die erst Jahrhunderte nach der Zeit von Leibniz entwickelt wurden. Seite 81. Mithilfe des kartesischen Koordinatensystems kann man wie gesagt geometrische Objekte durch Zahlen und geometrische Konstruktionen durch Rechnen ersetzen. (Computer, die Grafiken 250

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auf den Bildschirm zaubern, „sehen“ diese ja auch nicht.) Auch der Abstand zweier Punkte wird dann einfach zu einer Formel. In diesem Sinne bildet die Arithmetik einerseits ein Modell für die (klassische) Geometrie und man kann aus ihr die Axiome von Euklid und auch den Satz des Pythagoras herleiten. Andererseits beruht die übliche Formel für den Abstand auf dem Satz des Pythagoras. Ersetzt man sie durch eine andere – eventuell sogar durch eine, die von Punkt zu Punkt variiert –, so geht man über zur Differentialgeometrie, die zum Beispiel die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie bildet. Seite 86. Bei rationalen Zahlen ergibt das Konzept der Teilbarkeit keinen Sinn, weil – abgesehen von der Null – jede Zahl durch jede teilbar ist. Wenn man neun durch vier teilt, kommt 9/4 heraus und es gibt keinen Rest. Seite 89. Das mit dem leeren Produkt kann man sich vielleicht am besten mit der Addition klarmachen. Wenn Sie 3 + 4 + 5 + 6 berechnen, können Sie sich das so vorstellen, dass Sie mit der Drei anfangen, dann vier addieren, zum Ergebnis fünf addieren und zu diesem Ergebnis sechs addieren. Sie hätten aber auch schon einen Schritt vorher anfangen können: Ihr erstes „Zwischenergebnis“ ist null, dann addieren Sie drei, dann vier und so weiter. Das klappt jedoch nur, wenn Sie mit null anfangen. Sie bekommen also sozusagen null heraus, wenn Sie „gar nicht addieren“. Wenn Sie sich das gleiche Spiel mit dem Produkt 3 · 4 · 5 · 6 und schrittweisem Multiplizieren vorstellen, dann stellen Sie fest, dass es nur klappt, wenn das initiale Zwischenergebnis eins ist. Eins kommt heraus, wenn man „gar nicht multipliziert“. Seite 92. Benannt ist die Goldbachsche Vermutung nach dem deutschen Mathematiker Christian Goldbach, der im 18. Jahrhundert tätig war. Er führte eine rege Korrespondenz unter anderem mit Leibniz und Euler und äußerte die besagte Vermutung in einem Brief an Letzteren. Von Goldbach stammen zwar auch ein paar mathematische Resultate, aber unsterblich wurde er durch diesen Brief. ANMERKUNGEN

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Seite 93. Es geht also darum, wie man mit möglichst geringem Aufwand eine Summe wie 1 + 2 + 3 + · · · + 100 berechnet. Der Lehrer wollte offenbar die Klasse schön lange beschäftigen, um seine Ruhe zu haben. Aber er hatte nicht mit dem kleinen Carl Friedrich gerechnet. Die Formel kommt in diesem Buch noch vor, aber vielleicht überlegen Sie ja auch mal selbst. Sie sind doch sicher schon älter als neun, oder? Seite 94. Bei Gauß’ Vermutung handelte es sich um die in der Anmerkung zu Seite 18 angesprochene Abschätzung der Anzahl der Primzahlen unterhalb einer vorgegebenen Zahl. Man nennt die inzwischen bewiesene Aussage den Primzahlsatz. Seite 96. In Python könnte man es (ineffizient) so machen: q = lambda n: sum(i*i+j*j == n for i in range(n+1) for j in range(1,n+1))

Seite 104. Bei der Frage dürfen Sie die Fünf durch eine Eins ersetzen. Also geht es um 11 000 000 000 und das ist natürlich eins. Addiert man drei dazu, dann ergibt sich vier. Die Antwort ist ja. Seite 106. Um beispielsweise herauszufinden, ob sich die Primzahl 59 als Summe zweier Quadrate darstellen lässt, muss man nur die Quadrate 1, 4, 9 und so weiter von 59 abziehen und jeweils prüfen, ob die Differenz ein Quadrat ist. 59 − 1 = 58 ist kein Quadrat, 59 − 4 = 55 ist kein Quadrat und so weiter. Und zwar nur bis zum Quadrat 25. Das nächste Quadrat, 36, muss man schon nicht mehr überprüfen, obwohl es kleiner als 59 ist. Wieso? Seite 109. Mersenne war in seiner Jugend zusammen mit Descartes Mitglied eines Jesuitenkollegs. Später besuchte er persönlich Galileo Galilei und korrespondierte unter anderem mit Fermat, Pascal, dem französischen Mathematiker Roberval und dem niederländischen Physiker und Mathematiker Huygens. Es hieß, Mersenne über eine 252

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Entdeckung zu informieren sei so, als ob man sie im Druck veröffentlicht hätte, weil er dafür Sorge trug, dass alle ihm bekannten Wissenschaftler davon erfuhren. Mersenne war auch der erste Mensch, der die Schallgeschwindigkeit maß. Die größten zur Zeit bekannten Primzahlen sind von der Form 2n − 1 und nach Mersenne benannt, weil er die Idee hatte, speziell solche Zahlen zu untersuchen. Seite 109. So sieht Zagiers „one-sentence proof“ aus: The involution ⎧ ⎪ ⎪ (x + 2z, z, y − x − z) ⎪ ⎪ ⎨ ⎪ (x, y, z) → ↦ (2y − x, y, x − y + z) ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ (x − 2y, x − y + z, y) ⎪ ⎩

if x < y − z if y − z < x < 2y if x > 2y

on the finite set S = {(x, y, z) ∈ N3 : x 2 + 4y z = p} has exactly one fixed point, so |S | is odd and the involution defined by (x, y, z) ↦→ (x, z, y) also has a fixed point. 

Seite 119. Die Mathematik war das von den „Säuberungen“ der Nazis am stärksten betroffene Fach an deutschen Universitäten. Seite 122. Das inverse Element bezüglich der Multiplikation nennt man auch Kehrwert und man schreibt typischerweise a −1 oder 1/a für den Kehrwert von a . Die Division a : b ist in diesem Sinne lediglich eine Abkürzung für die Multiplikation a · b −1 . Seite 123. Für die Subtraktion zieht man einen Pfeil vom Subtrahenden zum Minuenden und verschiebt den Anfangspunkt des Pfeils auf den Ursprung. Die Pfeilspitze zeigt dann auf die Differenz. Die folgende Skizze zeigt das für (2, 3) − (5, 1) .

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Seite 124. Für die geometrische Interpretation der Multiplikation kann man die gaußschen bzw. die komplexen Zahlen auch als Vektoren betrachten. Dabei werden die Längen der Faktoren multipliziert, um die Länge des Produktes zu erhalten. Den Winkel des Produktes mit der horizontalen Achse erhält man, indem man die entsprechenden Winkel der Faktoren addiert. In der folgenden Skizze sehen Sie das Produkt von (3, 1) und (1, 2) .

Das hängt zusammen mit den Additionstheoremen aus der Trigonometrie. Da die in diesem Buch ansonsten gar nicht vorkommt, kann ich Ihnen auch keine vernünftige Herleitung bieten. Seite 127. Dass Eigenschaft (iii) nicht für beliebige reelle Zahlen gilt, sieht man zum Beispiel, wenn man a = b = 1/2 setzt. Seite 128. „Das klappt nicht“ ist vielleicht etwas zu lapidar. Man kann aber tatsächlich beweisen, dass es nicht möglich ist, die gaußschen bzw. die komplexen Zahlen auf sinnvolle Art und Weise mit einem Vorzeichen zu versehen. Das werde ich hier nicht vorführen, aber wenn Sie das interessiert, dann schlagen Sie mal den Begriff geordneter Körper nach. Seite 134. Ich gehe davon aus, dass es eigentlich allen Leserinnen klar ist, erwähne es aber vorsichtshalber an dieser Stelle, weil es nach meiner Beobachtung ein Fehler ist, den Studenten öfter mal machen: Wenn in einer Formel oder einem Beweis mehrfach derselbe Buchstabe vorkommt, dann steht der natürlich immer für dieselbe Zahl oder dasselbe mathematische Objekt. Ein Ausdruck wie a x 2 + a kann für 2x 2 + 2 oder für 5x 2 + 5 stehen, aber nicht für 2x 2 + 5. 254

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So weit ist das auch jedem klar. Verwirrung ist manchmal zu beobachten, wenn unterschiedliche Buchstaben auftreten. Die können für unterschiedliche Objekte stehen, müssen es aber nicht. a x 2 + b kann für 2x 2 + 5 stehen, aber auch für 2x 2 + 2. Seite 134. Das mit der Null ist eine oft gestellte und oft falsch beantwortete Frage. Einerseits teilt null keine Zahl (außer sich selbst). Denn wenn null zum Beispiel sieben teilen würde, dann müsste man ja eine Zahl k mit 7 = k · 0 finden können. Aber wenn man mit null multipliziert, kommt immer null heraus, also kann das nicht sein. Andererseits teilt jedoch jede Zahl die Null. Beispielsweise ist sieben ein Teiler von null, weil 0 = 0 · 7 gilt. Das k aus der Definition der Teilbarkeit kann also immer die Null selbst sein. Seite 135. Warum teilen Einheiten jede Zahl? Ist e eine Einheit, dann gibt es nach Definition einen Kehrwert e −1 von e ; es gilt also e −1 · e = 1. Ist b nun irgendeine Zahl, so gilt sicher b = 1 · b und das kann man als b = (e −1 · e) · b = (e −1 · b) · e schreiben. Daran sieht man, dass e ein Teiler von b ist. Nebenbei sieht man hier auch die Subtilität algebraischer Argumentationen. Bei den Umformungen habe ich stillschweigend die Assoziativität und die Kommutativität der Multiplikation verwendet. In komplizierteren Strukturen muss man sich immer fragen, ob bestimmte Vorgehensweise überhaupt erlaubt sind oder ob man nicht aus Versehen „verbotene“ Dinge macht. Und wieso gilt |a| ≤ |b | , wenn a ein Teiler von b ist? Weil nach Definition der Teilbarkeit b = k a für eine ganze Zahl k gelten muss. Und nach Eigenschaft (iii) von Seite 127 folgt dann |b | = |k a| ≥ |a| . Seite 137. Dass |z − w | der Abstand von z und w sein muss, wird (hoffentlich) sofort klar, wenn man sich noch mal die Anmerkung zur Differenz (Seite 123) anschaut. Seite 138. Die Bemerkung mit der Verschiebung ist folgendermaßen gemeint: Füllt man die Ebene mit allen Punkten der Form −kb , so erhält man das gleiche Ergebnis wie bei allen Punkten der Form kb , ANMERKUNGEN

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denn zu jedem k gibt es ja das inverse Element −k (und umgekehrt). Addiert man nun zu jedem dieser Punkte die Zahl a , so werden alle Punkte gleichmäßig verschoben. (Erinnern Sie sich daran, wie man sich die Addition von gaußschen Zahlen grafisch vorstellen kann.) Die Gitterstuktur ändert sich dadurch nicht, das heißt, die Abstände zwischen den Punkten bleiben gleich. Seite 140. Dass geometrische Entdecken inkommensurabler Strecken mithilfe des euklidischen Algorithmus dürfte historisch die erste Begegnung der Mathematik mit irrationalen „Zahlen“ gewesen sein. Sie können sich ja selbst mal mit dem folgenden klassischen Beispiel vergnügen, indem Sie die beschriebenen Schritte im Detail nachvollziehen.

In dem regelmäßigen Fünfeck links sind eine Seite und eine Diagonale hervorgehoben. Wendet man auf diese beiden Strecken zwei Schritte des euklidischen Algorithmus an, so erhält man die Strecken, die im rechten Teil der Grafik markiert sind. Die spielen aber dieselbe Rolle im inneren Fünfeck wie die beiden ursprünglichen Strecken im äußeren. Also wird sich dieser Vorgang immer weiter wiederholen, wenn man den Algorithmus fortsetzt. Das Verhältnis der beiden Strecken zueinander bezeichnet man übrigens als den goldenen Schnitt. Wohl anhand dieses Beispiels wurde die Inkommensurabilität von dem Pythagoräer Hippasos von Metapont entdeckt. Der Legende nach verriet er diese Entdeckung – die dem Glaubenssatz „Alles ist Zahl“ widersprach – an Außenstehende, wurde deswegen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und verunglückte später tödlich im Meer. Manchmal wird sogar erzählt, er sei ertränkt worden. Aber das ist sehr wahrscheinlich alles nicht wahr. So gefährlich ist Mathematik nun auch nicht. 256

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Seite 141. Dass der Algorithmus den größten gemeinsamen Teiler berechnet, kann man sich am Beispiel der Zahlen 24 und 30 folgendermaßen klarmachen: Wenn eine Zahl wie 3 gemeinsamer Teiler von 24 und 30 ist, dann muss sie auch ihre Differenz teilen. Also ist 3 gemeinsamer Teiler der Zahlen 6 und 24, die den nächsten Schritt des Algorithmus bilden. Da das so weitergeht, wird 3 am Ende auch Teiler des Ergebnisses 6 sein. Mit anderen Worten: Jeder gemeinsame Teiler von 24 und 30 teilt das Resultat des euklidischen Algorithmus und darum kann es keinen größeren gemeinsamen Teiler geben. Seite 144. Dass e d 1 ein größter gemeinsamer Teiler von a und b ist, wenn d 1 einer ist (und e eine Einheit), kann man sich wie in der Anmerkung zu Seite 135 überlegen. Seite 146. Über kubische Gleichungen sprechen wir in einem der folgenden Kapitel noch. Seite 150. In der linken Skizze wird beispielsweise das rechtwinklige Dreieck mit den Kathetenlängen 4 und 1 um 90 Grad gedreht und an die Spitze des ursprünglichen Dreiecks gesetzt. Dadurch addiert man in vertikaler Richtung die beiden Katheten und in horizontaler Richtung wird die eine von der anderen subtrahiert. Wiederholt man diese Drehung noch drei weitere Male, so ist man wieder am Ausgangspunkt angelangt und im Inneren bildet sich ein Quadrat. Und der Winkel zwischen der Diagonale eines Quadrates und der √ anliegenden Seite beträgt 45 Grad. Der Streckfaktor 2 ergibt sich einerseits durch die Multiplikativität der Norm und andererseits auch geometrisch durch den Satz des Pythagoras. Seite 150. Die heuristische Argumentation wird zu einem vollständigen Beweis, wenn man vorher die Anmerkung zur Multiplikation (Seite 124) bewiesen hat. Seite 151. Die Sache mit den Rechenregeln kann man sich folgendermaßen klarmachen: Würde „minus mal minus ist minus“ gelten, dann könnte man einen Ausdruck wie −5 · (1 − 3) nach dem DistribuANMERKUNGEN

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tivitätsgesetz auf zwei Arten ausrechnen, die zu zwei verschiedenen Ergebnissen führen würden. −5 · (1 − 3) = −5 · (−2) = −10 −5 · (1 − 3) = −5 · 1 + (−5) · (−3) = −5 − 15 = −20

Das darf natürlich nicht sein! Dieses Erhalten von Rechenregeln nennt man auch Permanenzprinzip. Seite 154. Das genaue Zitat von Galilei lautet: „Die Natur spricht die Sprache der Mathematik: die Buchstaben dieser Sprache sind Dreiecke, Kreise und andere mathematische Figuren.“ Daran erkennt man gut, dass er zu einer Zeit lebte, als Mathematik noch mehr oder weniger ein Synonym für Geometrie war. Seite 155. Falls Sie auch mal Profi-Algebraiker werden wollen: Ich habe hier eigentlich die Definition für sogenannte irreduzible Elemente hingeschrieben. In den Ringen, mit denen wir uns beschäftigen, sind das aber genau die Primelemente. Seite 156. Kommt Ihnen das mit der Wohlordnung völlig trivial vor? Die ganzen Zahlen sind zum Beispiel nicht wohlgeordnet, denn schon in der Gesamtheit aller ganzen Zahlen findet man keine kleinste. Interessanter sind aber die rationalen Zahlen. Betrachtet man etwa alle rationalen Zahlen, die größer als eins sind, so gibt es unter diesen keine kleinste Zahl, obwohl keine der Zahlen kleiner als eins ist. Seite 159. Der Satz von Euklid gilt auch für die gaußschen Zahlen: es gibt unendlich viele Primelemente. Der Beweis dafür funktioniert mit kleinen Modifikationen genauso wie der Originalbeweis. Seite 162. Ganz grob kann man die Bedeutung von akzeptabel folgendermaßen beschreiben: Ihr Programm wird natürlich langsamer werden, wenn die Eingabe (das teilweise gefüllte Quadrat) größer wird. Man kann den Zeitaufwand des Programms also als eine Funktion darstellen, die von der Eingabegröße abhängt. Wenn diese Funktion ein Polynom ist, haben Sie gewonnen. (Das hängt mit dem bereits erwähnten P-NP-Problem zusammen.) 258

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Seite 167. In Python könnte man das so schreiben: latin = lambda n: all(len({i*j%n for i in range(n)}) == n for j in range(1,n)) [n for n in range(2,30) if latin(n)]

Seite 167. Der guten Ordnung halber sei noch gesagt, dass man die Schreibweise Zp auch nur dann verwendet, wenn p eine Primzahl ist. Man würde also nicht Z4 schreiben. (In so einem Fall schreibt man etwas umständlich Z/4Z.) Seite 168. Na gut, ich habe es doch ausgerechnet. Die Lösung kam im Text sogar schon vor: 8. Denn 8 · 11 ist 88 und das kann man als 3 · 29 + 1 schreiben. Seite 168. Quod erat demonstrandum wird häufig q.e.d. abgekürzt und ist die lateinische Übersetzung von „was zu beweisen war“. So endeten die Beweise in den Elementen und so wird auch heute noch häufig das Ende von Beweisen in Lehrbüchern markiert. Als Alternative verwenden manchen Autorinnen auch ein schwarzes Quadrat , das scherzhaft Grabstein genannt wird und sogar einen eigenen Unicode-Codepoint hat. Seite 169. Ein Körper, in dem null und eins dieselbe „Zahl“ sind, kann nur aus dieser einen Zahl bestehen. Vielleicht überlegen Sie sich mal, warum das so sein muss. Seite 175. Die sogenannte p -q -Formel, die heutzutage zum Lösen quadratischer Gleichungen verwendet wird und an die Sie sich vielleicht aus der Schule erinnern, beruht auf der geometrischen Idee der quadratischen Ergänzung, die von al-Chwarizmi popularisiert wurde. Seite 178. Damit ein Produkt null ist, muss einer der Faktoren null sein: Das ist wieder die Nullteilerfreiheit, die wir bei unseren Ausflügen in die Algebra kennengelernt haben. Seite 179. Die Aussage gilt nicht in jedem Ring. In Z/6Z hat das Polynom x 2 + 3x + 2 zum Beispiel vier verschiedene Nullstellen. ANMERKUNGEN

259

Seite 182. Der in Göttingen tätige Zahlentheoretiker Edmund Landau gehörte zu den Mathematikern, die sich mit den eingereichten Lösungsversuchen für den großen Satz von Fermat abplagen mussten. Angeblich verwendete er für seine Antwortbriefe einen Vordruck, der folgendermaßen begann: Sehr geehrter Herr

!

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Wiles erhielt 1997 das Preisgeld, das zu dem Zeitpunkt immerhin noch einen Wert von etwa 75 000 DM hatte. Seite 184. Der angesprochene Primzahltest ist der sogenannte MillerRabin-Test. Seite 185. Auch bei der Einführung der quadratischen Reste gehe ich nicht ganz kanonisch vor. Sollten Sie mal Fachliteratur zur Zahlentheorie lesen, so werden Sie feststellen, dass man a eigentlich nur dann als quadratischen Rest modulo m bezeichnet, wenn a zusätzlich teilerfremd zu m ist. Seite 185. In jedem Ring gilt einerseits 1+ (−1) = 0, weil das ja gerade die definierende Eigenschaft von −1 ist. Andererseits ergibt sich nach den Rechengesetzen in Ringen: 0 = (1 + (−1)) 2 = 12 + 1 · (−1) + (−1) · 1 + (−1) 2 = 1 + (−1) + (−1) + (−1) 2 = −1 + (−1) 2

Daher bleibt (−1) 2 gar nichts anderes übrig, als den Wert 1 zu haben. Seite 196. Auch in den Anmerkungen verkneife ich es mir, mathematisch zu definieren, was Gruppen sind. Ich sage nur ein paar Sätze zu ihrer Geschichte und ihrer Bedeutung. Wie gesagt spielte Galois eine wichtige Rolle. Er führte den Begriff Gruppe bei der Untersuchung von Polynomgleichungen ein. Dabei ging es um die möglichen Permutationen (Umordnungen) der Nullstellen des Polynoms. 260

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Ebenfalls im 19. Jahrhundert begannen Gruppen, in der Geometrie eine Rolle zu spielen, und zwar bei der Abstraktion der Idee der Symmetrie. Und schließlich tauchten Gruppen – wenn auch nicht unbedingt unter diesem Namen – ungefähr zur selben Zeit auch in der Zahlentheorie auf. Die Mathematik des 20. Jahrhunderts hat diese in verschiedenen Teilgebieten auftretenden Strukturen zu einem eigenständigen Forschungsgegenstand gemacht. Seite 198. Wenn a = b gälte, dann würde sich als Norm der Wert a 2 + a 2 = 2a 2 ergeben. Das ist offenbar keine Primzahl. Seite 220. Das neuere Zeichen für das Abrunden stammt von dem kanadischen Mathematiker und Informatiker Kenneth Iverson. In Programmiersprachen wird für das Abrunden häufig der Name floor verwendet. Seite 221. Zum Formalismus siehe auch die Anmerkung zu Seite 21, in der es um die Grundlagenkrise ging. Seite 222. Der Boykottaufruf Brouwers hing mit den Nachwehen des ersten Weltkriegs zusammen. Brouwer schlug sich auf die Seite einiger national gesinnter deutscher Mathematiker, während Hilbert, der Doyen der deutschen Mathematik, einen eher internationalistischen Standpunkt vertrat. Seite 227. Das Binärsystem ist ein Stellenwertsystem, dessen Basis nicht zehn, sondern zwei ist. Es gibt also nur die beiden Ziffern 0 und 1. Die Zahl 42 sieht im Binärsystem zum Beispiel so aus: 101010. Für uns Menschen ist das ziemlich unpraktisch, weil man schon für vergleichsweise kleine Zahlen viele Stellen braucht. Für die Konstruktion von Computern ist es aber ideal, weil man nur zwei Ziffern technisch realisieren muss. Das kann beispielsweise durch „Strom an“ und „Strom aus“ erreicht werden. Seite 229. Genauer: Es wird weniger oder höchstens genauso viel subtrahiert bzw. addiert. Aber so klingt es leider recht holprig. . . ANMERKUNGEN

261

Seite 230. Im ersten Kapitel des Buches hatte ich behauptet, man könne die Leibniz-Reihe auch effizienter herleiten. Ich sollte zum Abschluss vielleicht noch sagen, wie das geht. Eine sehr einfache Möglichkeit wäre, das Argument eins in die Reihenentwicklung der Arkustangensfunktion einzusetzen. Dann steht das Ergebnis sofort da. Aber natürlich ist das geschummelt, weil man typischerweise mindestens ein Semester Analysis hinter sich haben muss, bevor man erstens versteht, was man da macht, und zweitens alles bewiesen hat, was man dafür braucht. So gesehen ist die Herleitung in diesem Buch vielleicht doch nicht so umständlich, wie ich es anfangs angekündigt hatte. Seite 233. Bei der Riemannschen Vermutung geht es eigentlich um die Nullstellen der sogenannten ζ -Funktion, die komplexe Zahlen auf komplexe Zahlen abbildet. Ein Beweis wäre aber insbesondere deshalb interessant, weil er etwas über die quantitative Verteilung der Primzahlen aussagen würde. Auch hier greifen wieder scheinbar weit voneinander entfernte Gebiete der Mathematik ineinander – in diesem Fall die Zahlentheorie und die komplexe Analysis, die man in Deutschland auch Funktionentheorie nennt. Seite 234. Wenn Sie mit universitärer Mathematik noch nicht viel zu tun hatten, ist an dieser Stelle durchaus die Frage angebracht, was π π überhaupt bedeuten soll. Um das wirklich befriedigend zu beantworten, müsste ich aber noch ein paar Dutzend Seiten spendieren. Vielleicht belassen wir es dabei, dass das Beispiel doch nicht so „schnell erklärt“ ist, wie ich behauptet habe. Seite 240. Typographie-Nerds mögen mir verzeichen, dass ich auch im Formelsatz und in Tabellen Mediävalziffern verwendet habe. Nach langem Ringen mit mir selbst fand ich es dann doch so am passendsten, weil ich ein bestimmtes Erscheinungsbild erreichen wollte. Wenn man das Feedback meiner Probeleser verallgemeinern kann, dann fällt das Nichtmathematikern gar nicht auf. Lediglich mathematisch vorbelastete Leser sind gegebenenfalls etwas irritiert.

262

PI UND DIE PRIMZAHLEN

INHALT

Ab in den Dschungel

1

Nicht von Pythagoras

11

Was beweisen Beweise?

17

Die Kreativen

25

Menschenwerk

31

Nichts

41

Die Diva

49

Gibt es Pi überhaupt?

61

Der Plan

71

Millimeterpapier

77

Die Atome der Mathematik

85

Der Gott aus der Maschine

93

Reste

99

Der Amateur und die Windmühlen

105

Die Badeanstalt

119

Der erste Algorithmus

131

Komplexes Intermezzo

145

Außerirdische Mathematik

153

Einfaches Sudoku

161

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5

Der letzte Brief

171

Der schmale Rand

181

Einfach die Regeln ändern

189

Fünfzehntausend Seiten

195

Endlich Punkte zählen!

201

Dominoeffekte

207

Noch eine Hypothese

215

Von Fröschen und Mäusen

221

Butterkeks

227

Offenes Ende

233

Epilog

239

Anmerkungen

243

264

PI UND DIE PRIMZAHLEN

INDEX

|x | , 127 f.

Algebra, 44, 67, 79, 120–129, 172

[x] , 220

Algorismi, siehe al-Chwarizmi

x , 220

Algoristen, 132 Algorithmus, 44, 131 ff.

A Brief History of Time, 11

Alibert, François-Paul, 132

A Mathematician’s Apology, 85

Analysis, 61–69, 228–231, 247, 262

Abakisten, 132 Abakus, 42, 132, 246

analytische Geometrie, 78, 105, 249

Abel, Niels Henrik, 176 Ableitung, 62, 67

angewandte Mathematik, 1 f., 40,

Abrunden, 220

75, 79, 85, 105, 161,

abschätzen, 67

175, 184, 234

absolut normal, siehe normal

Ansatz, 164

Absolutbetrag, siehe Betrag

arabische Welt, 42, 44, 132

Abstraktion, 6, 31 f., 35, 39, 120,

Archimedes von Syrakus, 27, 31 f., 43, 51 ff., 57 ff.,

128, 135, 163 f.

68, 72, 175, 246

abzählbar, 245 Achsen, 78

archimedisches Axiom, 68, 250

Addition, 33, 122

Arecibo-Observatorium, 153

Additionstheoreme, 254

Arithmetica, 181 f.

Adleman, Leonard, 3

Arithmetik, 65, 208, 251

Aha-Erlebnis, 27

Arkustangens, 262

aktuale Unendlichkeit, 65, 89,

Assoziativität, 122

231, 250 al-Chwarizmi, 44, 131 ff., 174, 246, 259

assoziiert, 148 Asterix, 39 Ästhetik, 1, 29, 54, 85, 109

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021 E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5

Atiyah, Michael, 129

Cardano, Gerolamo, 146, 175

Atome, 35, 89, 91, 196

Cartesius, siehe Descartes, René

aufleiten, 173

Ceulen, Ludolph van, 53

Ausklammern, 122

China, 42, 53

Ausmultiplizieren, 122

Computer, 2, 18, 26, 31, 42, 53,

Außerirdische, 153 f.

92, 96, 99, 131 ff., 167,

axiomatische Methode, 21, 57,

176, 184, 224, 227,

207, 244 Axiome, 20, 120, 207

245, 247, 261 Computergrafik, 79 Conway, John Horton, 100

babylonisches Wurzelziehen,

COVID-19, 100

63 f. Bach, Johann Sebastian, 12 Badeanstalt, 119, 221 Basisvektoren, 157 Betrag, 127 f. Beweis, 19 ff., 28 f., 223

da Pisa, Leonardo, siehe Fibonacci da Vinci, Leonardo, siehe Vinci, Leonardo da darstellbar, 190

durch Beispiel, 100 ff., 209

Darwin, Charles, 27

durch Widerspruch, siehe

de Fermat, Pierre, siehe Fermat,

Reduction ad absurdum Bibel, 20

Pierre de de Roberval, Gilles Personne, siehe Roberval, Gilles

Binärsystem, 54, 227, 261

Personne de

Binomialkoeffizient, 243

deduktive Wissenschaft, 207

Borel, Émile, 55, 248

Definition, 46, 87

Bourbaki, Nicolas, 101

Delone, Boris, 145

Brahmagupta, 199

Descartes, René, 13, 77–80, 131,

Brahmagupta-FibonacciIdentität, 199 Brouwer, Luitzen Ergbertus Jan, 221 ff., 261 Brüche, 34

228, 252 Deus ex Machina, 94 Dezimalsystem, 42 difference of squares, siehe dritte binomische Formel

Buchhaltung, 3, 212 Butterkeks, 228

Differential- und Integralrechnung, siehe Analysis

Cantor, Georg, 38 f., 65, 67, 221, 231, 245 266

PI UND DIE PRIMZAHLEN

Differentialgeometrie, 247, 251 Differentialgleichungen, 249

Diophantos von Alexandria,

Euler, Leonhard, 49, 109, 120,

13, 175, 181, 199

162 f., 167 f., 249, 251

diskret, 64 f., 249

eureka moment, 27

Distributivität, 122

evidenzbasiert, 244

Division, 33 f.

Evolutionstheorie, 27

Dominoeffekt, 207 f.

Existenz, 39, 61, 157, 189, 221 f.

Dominosteine, 7 ff., 25 f., 207 Drehstreckung, 149

falsche Zahlen, 175

Drehung, 148 ff.

fast unmöglich, 248

dritte binomische Formel, 186,

Faulheit, 143, 164, 167 f., 174, 178, 193, 205

189 Dualsystem, siehe Binärsystem

Fermat, Pierre de, 77 f., 105–109, 181 ff., 233,

Duell, 145, 171, 196

252

durch null teilen, 169

Ferrari, Lodovico, 175 echter Teiler, 88

Fibonacci, 199

Eigenvektor, 164

Finnegans Wake, 4

einbeschriebenes Polygon, 58

Fixpunktsatz von Brouwer, 221

Eindeutigkeit, 157, 189

Fließkommazahlen, 247

Einheiten, 126, 147, 255

floor, 261

Einheitskreis, 51

Folge, 64

Einstein, Albert, 27, 75, 221 f.

Formalismus, 221, 244, 261

Elemente, 19, 89, 101, 133, 259

Formeln, 11 ff., 79

Encyclopædia Britannica, 131

Freude des Verstehens, 27 f., 105,

Epsilontik, 68, 250

183, 235

Erdős, Paul, 109, 145

Friedrich II., 162

Erweitern, 34

Froschmäusekrieg, 221

erweiterter euklidischer

Fundamentalsatz der

Algorithmus, 142 Eudoxos von Knidos, 68 Euklid von Alexandria, 12, 19 f., 36, 40, 57, 62,

Arithmetik, 89, 153 f., 156–159 Fünfeck, 256 Funktionentheorie, 262

78 f., 89 f., 101, 133, 175, 207, 243, 251 euklidischer Algorithmus, 133–144, 256 f. euklidischer Ring, 139

Galilei, Galileo, 154, 252, 258 Galois, Évariste, 145, 171 f., 176, 196, 260 Galoistheorie, 171 INDEX

267

ganze Zahlen, 45, 120

Guinness-Buch der Rekorde, 195

ganzrationale Funktionen, 173 Gauß, Carl Friedrich, 31, 75,

Hardy, Godfrey Harold, 85

93 f., 96, 99 f., 107,

Hawking, Stephen, 11

109, 123, 146, 171 f.,

Heath-Brown, Roger, 109 f.

220, 233, 252

Hilbert, David, 119, 221 f., 261

Gaußklammer, 220

Hippasos von Metapont, 256

gaußsche Zahlen, 123, 146

Homer, 221

Gaußsches Kreisproblem, 75, 93

Huygens, Christiaan, 252

gekürzt, 34, 37

Hydra, 235

gemeinsamer Teiler, 98, 141

hyperrelle Zahlen, 250

gemeinsames Maß, 133, 139

Hypotenuse, 13

Geometrie, 77 ff., 146–151, 251, 258

i, 125, 146

geordneter Körper, 254

imaginäre Einheit, 125

Gitter, 71, 80, 138

imaginäre Zahlen, 125, 146

Gleichheitszeichen, 172

Index librorum prohibitorum,

Gleichungen, 67, 172 Gödel, Kurt, 21, 245

77 Indien, 42 ff., 53, 132, 199, 227

Goldbach, Christian, 251

Induktionsanfang, 209

Goldbachsche Vermutung, 92,

Induktionsannahme, siehe Induk-

251

tionsvoraussetzung

goldener Schnitt, 256

Induktionsschritt, 208

Göttingen, 119, 182, 221

Induktionsvoraussetzung, 208

größter gemeinsamer Teiler, 133, 141, 143 Grabstein, 259

induktive Wissenschaft, 207 Infinitesimalrechnung, 61–65, 69, 105, 244, 250 Ingenieure, 1, 3, 14, 27, 31, 75,

Grad, 174 Graham, Ronald, 145

161, 176

Grenzwert, 63–67

inkommensurabel, 140, 256

griechisches Zahlensystem, 41

Inquisition, 77, 146

großer Satz von Fermat, 181 ff.,

Integral, 62, 67, 244, 247

233 Größen, 64 f., 79, 85

Integritätsring, 122 Intuitionismus, 222–225, 246

Grundlagenkrise, 21, 244, 261

inverses Element, 122, 253

Grundrechenarten, 33, 122

irrational, 38, 47, 54, 234, 249,

Gruppe, 196, 260 268

PI UND DIE PRIMZAHLEN

256

irreduzibel, 258

Kronecker, Leopold, 32, 39, 61, 66 f., 221 f., 231

Isomorphie, 195 Iverson, Kenneth, 261

Kryptographie, 85 kubische Gleichung, 146, 175,

Jacobi, Carl Gustav Jacob, 171

257

Japan, 246

Kurven, 50, 247

Jazz, 74

Kürzen, 34

Joyce, James, 4 Lambert, Johann Heinrich, 54, 93–96

kartesisches Koordinatensystem, 78

Landau, Edmund, 260

Katalog, siehe Klassifikation

Laplace, Pierre-Simon, 145

Kathete, 13

lateinische Quadrate, 161–169,

Kehrwert, 126, 158, 253 Kettenbrüche, 54 Klassifikation, 195, 197 der endlichen einfachen Gruppen, 196 f. Klein, Felix, 119

184 LATEX, siehe TEX Laugwitz, Detlef, 69 leeres Produkt, 251 Lefschetz, Solomon, 183 Leibniz, Gottfried Wilhelm,

kleiner Satz von Fermat, 181,

31, 61 f., 77, 173, 221,

183 f., 186 f.

227 f., 250 f.

Kleist, Heinrich von, 183

Leibniz-Reihe, 227–230, 262

Knuth, Donald, 240

Lindemann, Ferdinand von,

Koeffizient, 173

60, 249

Kombinationen, 243

Linearfaktor, 177

Kommutativität, 122

Liouville, Joseph, 171

komplexe Zahlen, 123, 146, 151,

Littlewood, John Edensor,

262

244

Komponenten, 123

Lockhart, Paul, 239

Konfuzius, 3

Logarithmentafel, 93, 107

konjugiert, 191

Logik, 20

kontinuierlich, 64 f., 249

Ludolphsche Zahl, 53

Konvergenz, siehe Grenzwert Koordinaten, 78

Madhava, 227

Körper, 167

Malkreuz, 173

Kreativität, 26 f.

Malpunkt, 173

Kreise, 6, 49 f., 55–59, 71–75

Mangelsdorff, Albert, 74 INDEX

269

Mathematische Annalen, 222

Nichtstandardanalysis, 69, 250

Mäuse, siehe Froschmäusekrieg

Noether, Emmy, 119 f., 163, 240

Measurement, 239

Noether, Fritz, 119

Mengenlehre, 65, 244, 250

Norm, 128

Mersenne, Marin, 109, 252

normal, 54, 234, 247

Millennium-Probleme, 161, 233,

Noten, 12

245

NSA, 85

Miller-Rabin-Test, 260

Null, 41 ff., 168 f., 246, 255

minus mal minus, 45, 151, 246

Nullstelle, 174, 262

Mirzakhani, Maryam, V

nullteilerfrei, 122, 169, 259

Mittelwert, 63, 245

Numerik, 76

Modelltheorie, 250 modulare Arithmetik, 99, 102 ff., 110, 163–169, 217

o.B.d.A., 110 offene Fragen, siehe ungelöste

Monstergruppe, 196 Multiplikation, 33, 122, 147–151, 253 f. Multiplikativität, 127 Muster, 18, 94, 191, 212

Probleme Oughtred, William, 173 P-NP-Problem, 28, 161, 245, 258 p -q -Formel, 259

Palindrom, 186

N, 128

Pascal, Blaise, 11, 172, 243, 252

Nachfolger, 33

Pascalsches Dreieck, 243

Nachkommastellen, 46 f., 64

Penrose, Roger, 143

von π , 2, 53, 223 ff.

periodisch, 47

Nachrichtendienst, 85, 185

Permanenzprinzip, 258

Napoleon, 145

Permutation, 260

natürliche Zahlen, 32, 208

PGF/TikZ, 240

Navier-Stokes-Gleichungen, 28,

Philosophie, 2 f., 18, 39, 49, 65 f., 154, 162, 222, 245,

245

250

Negation, 223 negative Zahlen, 43 ff., 79

phönizische Buchstaben, 41

Nenner, 34

Physik, 2, 40, 61 f., 75, 77, 143, 154, 161, 207, 249, 252

Neumann, John von, 39, 145 neutrales Element, 122 Newton, Isaac, 61 f., 77, 221, 227 nichteuklidsche Geometrie, 244 270

PI UND DIE PRIMZAHLEN

π , 49–60, 66, 223 ff., 247, 249 πˆ, 223 ff.

Picasso, Pablo, 74 Pirahã, 5

Pisa, Leonardo da, siehe Fibonacci

Quadratwurzel, 36, 63 quartische Gleichung, 175

Platonismus, 19, 154, 245

quintische Gleichung, 176

Pluszeichen, 172

Quod erat demonstrandum,

Pn , 82

siehe q.e.d.

Poincaré, Henri, 27, 105, 164, 183

ratio, siehe Verhältnis

Polygon, 51

rationale Zahlen, 33 f., 248

Polynom, 173, 258

Rechenmeister, 42, 132, 199

Polynomgleichung, 173, 260

Recorde, Robert, 172

Postulate, 20

Reductio ad absurdum, 37, 57, 193

potentielle Unendlichkeit, 65, 250

reelle Zahlen, 45, 65

Potenzieren, 104

Reihe, 231

Primelemente, 155, 197–200, 258

reine Mathematik, 75

Primteiler, 87, 155

Rekursion, 64

Primzahlen, 86–92, 153 f., 262

Relativitätstheorie, 27, 75, 251

Primzahlsatz, 252

Restklassenring, 166

Primzahltest, 184, 260

Rezepte, 26, 94, 132

Primzahlzwillings-Vermutung,

Riemann, Bernhard, 233

92

Riemannsche Vermutung, 28, 233, 245, 262

Prioritätsstreit, 62, 69, 77, 221 Proofs from THE BOOK, 109

Ring, 122

Ptolemaios I., 12, 243

Roberval, Gilles Personne de,

Punkte zählen, 71–75, 80, 201

252

Pythagoräer, 49 ff., 256

Robinson, Abraham, 69

pythagoräische Tripel, 181

römisches Zahlensystem, 41, 132

Pythagoras von Samos, 13 f., 49

Royal Society, 62

Python, 252, 259

Ruffini, Paolo, 176

q.e.d., 168, 259

Sandrechnung, 246

Q n , 95

Satz des Pythagoras, 13 f., 19 f.,

quadratische Ergänzung, 259

28, 31, 36, 73, 81, 106,

quadratische Gleichung, 44, 175

181, 207, 243, 251, 257

quadratischer Rest, 185, 193, 260

Satz von Euklid, 89, 159, 258

Quadratur des Kreises, 59, 172,

Schiller, Friedrich, 222, 224

240

Schmieden, Curt, 69 INDEX

271

Schuhe, 4, 145

Topologie, 221

Schulden, 151

Transitivität, 134

Schwartz, Laurent, 145

Transzendenz, 240, 249

Sexagesimalsystem, 246

Trigonometrie, 254

signifikante Stellen, 247

trivial, 110, 156

Simpsons, siehe The Simpsons

Ts’msyan, 5

Skewes, Stanley, 244 Skewes-Zahl, 244, 250 Sokrates, 20 Soroban, 246 Spalt, Detlef D., 162, 249 Spivak, Alexander, 109, 112 sporadische Gruppe, 196 Star Trek, 182

überabzählbar, 246 Uhrzeigersinn, 148 Ultrafinitismus, 66, 250 umbeschriebenes Polygon, 59 ungelöste Probleme, 55, 91 f., 161, 233 ff.

Stellenwertsystem, 42, 246, 261

Ungleichungen, 67

Stifel, Michael, 172

Unicode, 259

Streckung, 149

Unkraut, 91

Strukturen, 18, 39, 120

Unvollständigkeitssätze, 21,

Suanpan, 42, 246 Subtraktion, 33, 253

244 f. Ursprung, 78

Sudoku, 161 Sumerer, 42 Superman, 37 Susskind, Leonard, 249 Symmetrie, 95 f., 261 synthetische Geometrie, 78 Taniyama-Shimura-Vermutung, 182 Teilbarkeit, 86, 99, 134

Valentin, Karl, 183 van Ceulen, Ludolph, siehe Ceulen, Ludolph van Vektoren, 123, 137, 157 Vektorräume, 195 Verhältnis, 32, 36, 49, 67, 78, 140 Vermutungen, siehe ungelöste Probleme

Teilen mit Rest, 86, 135, 141

Viète, François, 13

teilerfremd, 34, 98, 158, 260

Vieleck, siehe Polygon

Tertium non datur, 223

Vielfaches, 86

TEX, 240 The Simpsons, 182

Vinci, Leonardo da, 56

TikZ, siehe PGF/TikZ

von Kleist, Heinrich, siehe

Toenniessen, Fridtjof, 240 272

PI UND DIE PRIMZAHLEN

vollständige Induktion, 207–210 Kleist, Heinrich von

von Lindemann, Ferdinand,

worst case, 73, 230

siehe Lindemann, Ferdinand von von Neumann, John, siehe Neumann, John von von Schiller, Friedrich, siehe Schiller, Friedrich von Wallwitz, Georg, siehe Wallwitz, Georg von Wahrscheinlichkeitsrechnung, 105, 247

Z, 164, 259

Zagier, Don, 91, 109 f., 253 Zahlen, 6, 31–39, 63–66, 85 Zahlengerade, 45, 127, 248 Zahlenstrahl, 35, 38, 40 Zahlentheorie, 65, 85–91, 105, 261 f. Zähler, 34 Zappa, Frank, 237

Wallwitz, Georg von, 227

ζ -Funktion, 262

Weyl, Hermann, 171, 222

Zufall, 54, 91

Wikipedia, 18, 131 f.

zusammengesetzte Zahlen, 87,

Wiles, Andrew, 182 f., 260 Windmühlen, 112–117, 189 Witz, 145 wohlgeordnet, 156, 258

189 Zwei-Quadrate-Satz, 108, 163, 187, 189, 197 Zyklop, 162

INDEX

273