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German Pages 346 [348] Year 2019
Philosophische Bibliothek
Band 1 Porphyrios: Einführung in die Kategorien des Aristoteles · Kategorien · Hermeneutik · Erste Analytik · Zweite Analytik Band 2 Topik · Sophistische Widerlegungen Band 3 Nikomachische Ethik Band 4 Politik Band 5 Metaphysik Band 6 Physik · Über die Seele
In der Schrift Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck unter sucht Aristoteles die Formen des Satzes und der Verknüpfung von Satzteilen zu Urteilen (z.B. Bejahung und Verneinung). Die Lehre vom einwandfreien logischen Schluss, die Aristote les in der Ersten Analytik entwickelt, gilt als sein Meisterstück. Mit diesem „Gesetzbuch des konkreten Denkens“ hat er nicht nur die Logik als Wissenschaft begründet, sondern grundsätz lich vollendet. In der Zweiten Analytik erklärt er die Entstehung des Wissens aus der Sinneswahrnehmung und legt den Grundstein für den Auf- und Ausbau des Gebäudes der strengen, analytischen Wissenschaften im Denken des Abendlandes. Beigegeben ist dem Band die Einführung in die Kategorien des spätantiken Aristoteles-Kommentators Porphyrios.
Band 1
Aristoteles Philosophische Schriften · Band 1
Die Schrift über die Kategorien eröffnet die Reihe der später unter dem Titel „Organon“ zusammengefassten Werke des Aristoteles zur Logik. Neben der Klärung der Frage, was ein Begriff sei, gibt Aristoteles hier erstmals eine bestimmte Einteilung der Formen, unter denen prädikative Aussagen über Dinge getroffen werden können: die Tafel der 10 Kategorien.
Aristoteles Philosophische Schriften
ISBN 978-3-7873-3596-1
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Meiner
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1 einf ü hru ng in die k ate g orien
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F ELI X M EI N ER V ER L AG
ARISTOTELES
PHILOSOPHISCHE SCHRIFTEN in sechs Bänden
Band 1
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
ARISTOTELES
Porphyrios: Einführung in die Kategorien des Aristoteles (Isagoge)
Kategorien Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck (De interpretatione)
Erste Analytik Übersetzt von hans günter zekl
Zweite Analytik Übersetzt von wolfgang detel
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 721
Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über http://portal.dnb.de. ISBN gesamt print: 978-3-7873-3550-3 ISBN einzeln print: 978-3-7873-3596-1 ISBN gesamt eBook: 978-3-7873-3594-7 ISBN einzeln eBook: 978-3-7873-3602-9
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VORBEMERKUNG DES VERLAGES
Mit dieser Leseausgabe der wichtigsten – im modernen Sinne – philosophischen Schriften von Aristoteles setzt der Verlag die Reihe der Aristoteles-Ausgaben in der Philosophischen Bibliothek (PhB) fort, die bereits 1922–25 mit der Ausgabe der „Philosophischen Werke“, hrsg. von Eugen Rolfes, begann und in denen jeweils die jüngsten in der PhB erschienenen Übersetzungen in einer handlichen Werkausgabe zusammengefasst sind. Im Gegensatz zu den Studienausgaben in der PhB wird in dieser Ausgabe auf ausführliche Einleitungen, Kommentare und Register sowie den Abdruck des griechischen Textes verzichtet; wer das Studium der aristotelischen Philosophie vertiefen möchte, sei auf die parallel lieferbaren Einzelausgaben in der PhB bzw. auf die umfangreichen Kommentare in der Akademieausgabe „Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung“, Berlin 1956 ff. verwiesen. Um ein leichtes und schnelles Auffinden gesuchter Textstellen zu ermöglichen, wird am Seitenrand die Paginierung der Gesamtausgabe der überlieferten Werke Aristoteles’ von Immanuel Bekker (Berlin 1831–1870) mitgeführt, nach der üblicherweise zitiert wird. Anders als in der 1995 erschienenen Ausgabe der „Philosophischen Schriften“ werden die Texte jetzt in einem einheitlichen Satzbild präsentiert. Einige veraltete Übersetzungen wurden durch inzwischen in der PhB erschienene neue ersetzt: die Politik, die Zweite Analytik und die Schrift Über die Seele (De anima). Da die zugrunde gelegten Ausgaben nicht alle einheitlichen Maßstäben folgen, gibt es geringfügige Unterschiede hinsichtlich der Rechtschreibung, der Kapitelbezeichnung und der Kennzeichnung von Ergänzungen und Auslassungen; Näheres hierzu in den Hinweisen zu den einzelnen Bänden.
Zu diesem Band
Der vorliegende Band enthält die Kategorien, die Einführung in die Kategorien (Isagoge) von Porphyrios, die Hermeneutik (De interpretatione), die Erste Analytik und die Zweite Analytik, die neben der Topik und den Sophistischen Widerlegungen (Band 2) das sogenannte Organon des Aristoteles, also die Schriften zur Logik und Wissenschaftstheorie, umfassen. Kategorien, Hermeneutik und Isagoge bildeten bis ins 12. Jahrhundert (vor dem Bekanntwerden der übrigen Schriften) den kanonischen Bestand der später so genannten Logica vetus. Obwohl sie nicht von Aristoteles, sondern von seinem antiken Kommentator Porphyrios stammt, wurde die Isagoge früh zum Standardwerk der Einführung in aristotelisches Denken und ist seit antiker Zeit in die meisten Organon-Ausgaben eingebunden. Kategorien, Isagoge, Hermeneutik und Erste Analytik wurden übersetzt von Hans Günter Zekl und sind den Bänden PhB 493 und 494 entnommen, ersch. 1998. An- und Abführungszeichen (einfache und doppelte) werden hier sowohl für Zitate als auch für Hervorhebungen verwendet; sie sind, ebenso wie Kursivierungen, Stilmittel der Übersetzung und finden sich nicht im griechischen Originaltext. Ergänzungen von Wörtern, die nicht ausdrücklich im griechischen Text stehen, sind in runde Klammern eingeschlossen. Die Zweite Analytik ist dem Band PhB 633, ersch. 2011, entnommen und wurde von Wolfgang Detel übersetzt. Sie stellt eine stark überarbeitete Fassung seiner Übersetzung in der Akademie-Ausgabe der aristotelischen Schriften (Band 3/II,1, Berlin 1993) dar. Überarbeitet wurden im Wesentlichen Interpunktion und Wortstellung, um die Übersetzung ohne ergänzenden Kommentar aus sich heraus verständlich zu gestalten und sprachlich zu glätten. Kursiv gesetzte Stellen zeigen hier Pronomina oder Vorkommnisse des Wortes Din-
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Zu diesem Band
ge (meist Wiedergabe des griechischen Neutrum Plural) an, deren Bezug oder Bedeutung unklar ist und die gegenüber der Akademie-Übersetzung durch nominale Phrasen ersetzt oder ergänzt wurden.
INHALT
Porphyrios: Einführung in die Kategorien des Aristoteles 11
Kategorien 45
Hermeneutik 91
Erste Analytik 119 1. Buch 121 2. Buch 209
Zweite Analytik 251 1. Buch 253 2. Buch 313
Porphyrios: Einführung in die Kategorien des Aristoteles (Isagoge) Porphyrios
PORPHYRIOS aus Phönizien Schüler des Plotin aus Nikopolis Einführung in die Kategorien des Aristoteles
Mein lieber Chrysaorios, da es nötig ist, erstens, für die Lehre der Grundaussagen bei Aristoteles Kenntnis darüber zu erwerben, was Seins-Geschlecht (ist), was (artbildender) Unterschied, was Erscheinungsform, was eigentümlich, was nebenbei zutreffend, und da, zweitens, die Betrachtung dieser (Grundbestimmungen) förderlich ist sowohl für die Angabe von Begriffsbestimmungen und überhaupt für das Geschäft des Einteilens und Beweisens, so fertige ich dir eine kurzgefaßte Mitteilung dazu an und will darin versuchen, in Kürze, gewissermaßen nach Art einer Einführung, das von den Früheren (dazu Zusammengetragene) durchzugehen, wobei ich mich aller tiefergehenden Untersuchung enthalte, die einfacheren Sachverhalte dagegen angemessen erkunden will. Gleich mit den Seins-Geschlechtern und ihren Erscheinungsformen anzufangen: Die Frage, ob sie Seinsbestand haben oder allein im bloßen Gedanken liegen, und wenn sie denn wirklich sind, ob es Körper sind oder körperlose Wesen, und ob sie getrennt rein für sich (sind) oder nur in Wahrnehmbarem und in dessen Reich ihr Sein haben, darüber zu sprechen versage ich mir, da ein derartiges Unterfangen sehr in die Tiefe geht und weiterer, ausführlicherer Untersuchung bedarf; dagegen, was darüber und über die oben angegebenen (Grundaussagen) die Alten mehr nach begrifflicher Weise für Unterscheidungen getroffen haben, und darunter besonders die aus der Schule des Peripatos, darüber will ich versuchen, Bericht zu erstatten.
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[Kapitel 1] Seins-Geschlecht
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Offenkundig werden weder »Geschlecht« noch »Erscheinungsform« in einfacher Bedeutung ausgesagt: (a) Geschlecht wird genannt die Versammlung derer, die hinsichtlich einer Eigenschaft und zueinander ein bestimmtes Verhältnis zeigen. In diesem Sinn des Wortes spricht man vom »Geschlecht der Herakliden«, infolge ihrer Herkunft von einem, nämlich Herakles, und bezogen auf die Vielzahl derer, die zueinander eine bestimmte Beziehung haben, nämlich ihre Verwandtschaft von ihm her, in Absetzung gegen die übrigen Geschlechter so genannt. (b) Es wird aber auch »Geschlecht« in wieder anderer Bedeutung ausgesagt, nämlich als Anfangspunkt der Herkunft eines jeden, entweder vom Erzeuger her gesehen oder von dem Ort, an dem einer geboren ist. So sagen wir: Orest leitet sein Geschlecht von Tantalos her, Hyllos von Herakles; und von Pindar sagen wir: Er ist von Herkunft Thebaner, und von Platon: Er stammt aus Athen; auch die Heimatstadt ist ja eine Art Quell der Herkunft eines jeden, so wie der Vater auch. Dies scheint die auf der Hand liegende Bedeutung des Wortes zu sein: »Herakliden« werden die genannt, die ihr Geschlecht auf Herakles zurückführen, »Kekropiden«, die es von Kekrops her tun, und deren Nahestehende. Und zuerst wurde der Herkunftsursprung eines jeden »Geschlecht« genannt, danach dann auch die Menge derer, die aus einem Ursprung kommen, z. B. Herakles; das grenzen wir ab, trennen es von den übrigen und haben die ganze Versammlung dann »Heraklidengeschlecht« genannt. (c) In wieder einer anderen Bedeutung wird »Geschlecht« das genannt, dem die sichtbare Erscheinungsform untergeordnet ist, möglicherweise ist es nach Ähnlichkeit zu den anderen so gesagt; denn auch diese Bedeutung von »Geschlecht« meint eine Art Ursprung der darunter (vorkommenden Erscheinungsformen), und sie scheint die gesamte unter sie fallende Menge zu umfassen.
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Angesichts nun also dieser drei Bedeutungen von »Geschlecht« geht die Rede der Philosophen um die dritte. Diese umreißen sie und haben den Sinn von »Geschlecht« mit folgenden Worten angegeben: Was von mehreren, der Erscheinungsform nach sich unterscheidenden (Bestimmungen) im Bereich des (wesentlichen) »was-es-ist« ausgesagt wird, z. B. »Lebewesen«. Unter allem, was da ausgesagt wird, werden ja die einen (Bestimmungen) von einem (Gegenstand) allein ausgesagt, als nicht weiter Teilbares, z. B. »Sokrates«, »dieser«, »das da«; andere von mehreren (Gegenständen), als die Geschlechter, die Erscheinungsformen, die Unterscheidungsmerkmale, die eigentümlichen (Eigenschaften) und nebenbei Zutreffendes, all dies in gemeinsam zusammenfassender Weise, nicht besonders für einen bestimmten Gegenstand. Seins-Geschlecht ist also so etwas wie »Lebewesen«, Erscheinungsform davon etwa »Mensch«, dessen Unterscheidungsmerkmal »Vernunft gebrauchend«, Eigentümlichkeit »kann lachen«, nebenbei zutreffende Bestimmungen: »weiß«, »schwarz«, »sitzt«. Von allem, was nur über einen (Gegenstand) ausgesagt wird, unterscheiden sich die Seins-Geschlechter dadurch, daß sie bei ihrer Angabe von mehrerem in der Aussage gelten; von den anderen (Bestimmungen) wieder, die auch von mehrerem gelten, so: Von den Erscheinungsformen, indem diese zwar auch von mehrerlei ausgesagt werden, aber solchem, das sich nicht der Erscheinungsform nach, sondern nur der Anzahl nach unterscheidet; »Mensch«, das eine Erscheinungsform ist, wird von Sokrates und Platon ausgesagt, die sich nicht ihrer erscheinenden Art nach voneinander unterscheiden, sondern der Anzahl nach; dagegen »Lebewesen«, als Seins-Geschlecht, wird von Mensch, Rind und Pferd ausgesagt, (Bestimmungen,) die sich auch der Art nach voneinander unterscheiden, nicht nur der Zahl nach. Von der Eigentümlichkeit aber unterscheidet sich das Seins-Geschlecht darin, daß sie nur von einer einzigen Erscheinungsform, deren Eigentümlichkeit je dies eben ist, ausgesagt wird, sowie von den unter diese Art fallenden nicht weiter teilbaren (Einzeldingen),
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so wie das »kann lachen« Eigentümlichkeit des Menschen allein und der einzelnen Menschen ist; das Seins-Geschlecht dagegen wird nicht von einer erscheinenden Art ausgesagt, sondern von mehreren, voneinander unterschiedenen. Von dem Unterscheidungsmerkmal andererseits und den gemeinhin nebenbei zutreffenden (Eigenschaften) unterscheidet sich das Seins-Geschlecht darin: Wenn diese Unterschiede und allgemein so nebenbei zutreffenden (Aussagen) auch von mehreren Gegenständen, die sich der Erscheinungsform nach voneinander unterscheiden, ausgesagt werden, so werden sie doch nicht im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt. Wenn wir nach jenem fragen, von dem diese ausgesagt werden, so werden sie nicht in seinem Wesensbereich ausgesagt, sondern eher im Bereich der Frage, was für Eigenschaften es denn hat. In der Frage: »Welche Eigenschaft hat das, was Mensch ist?« erwarten wir als Antwort: »Er besitzt die Fähigkeit zum Vernunftgebrauch«; und mit: »Welche Eigenschaft hat das, was Rabe ist?« wollen wir die Aussage: »Er ist schwarz«. Dabei ist der mögliche Vernunftgebrauch (das artbildende) Unterscheidungsmerkmal, (die Bestimmung) »schwarz« ist nebenbei zutreffend. Wenn wir dagegen gefragt werden: »Was ist das, was Mensch ist?«, antworten wir: »Ein Lebewesen.« »Lebewesen« war aber eben das Seins-Geschlecht zu »Mensch«. Also, das Von-mehrerem-ausgesagt-werden des Seins-Geschlechts setzt es ab von den Bestimmungen, die nur von einem einzigen (Gegenstand) aus dem Bereiche der nicht weiter teilbaren ausgesagt werden; daß es von solchem ausgesagt wird, was sich der erscheinenden Art nach voneinander unterscheidet, setzt es ab von solchem, was als Erscheinungsform ausgesagt wird oder als eigentümlich; daß es schließlich im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt wird, trennt es von den Unterschieden und dem gemeinhin nebenbei Zutreffenden, welches sich eben nicht im Bereich des wesentlichen »was-es-ist« findet, sondern in dem: »Was für Eigeschaften hat es?« oder: »In welchen Verhältnissen steht es?« von alledem ausgesagt wird, wovon es eben ausgesagt wird. –
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Der vorgetragene Umriß des Begriffsinhalts von »SeinsGeschlecht« zeigt also einen Umfang, der weder über die Sache unerlaubt hinausgeht, noch, gemessen an ihr, zu eng ist. [Kapitel 2] Erscheinungsform (a) »Form« wird auch zu jeder äußeren Gestalt von etwas gesagt, nach dem Dichterwort: Sein Aussehn schon, es ist der Herrschaft würdig. (b) »Form« wird aber auch das genannt, was unter das angegebene Geschlecht fällt; demgemäß sind wir gewohnt, den Menschen als eine »Art« von »Lebewesen« auszusagen, wobei »Lebewesen« eben das Seins-Geschlecht dazu ist, »weiß« als Erscheinungsform von »Farbe«, »Dreieck« als Erscheinungsform von »Raumgestalt«. Wenn wir aber bei der Angabe des Begriffsinhalts von »Seins-Geschlecht« auch die Erscheinungsform erwähnt haben, indem wir es nannten: »Was von mehrerlei, das sich der Erscheinungsform nach unterscheidet, im Bereiche des ›wases-ist‹ ausgesagt wird«, und wenn wir nun von der Erscheinungsform sagen: Sie ist das, was unter dem angegebenen Seins-Geschlecht steht, so muß man folgendes wissen: Da einerseits Geschlecht immer Gattung von etwas ist und ebenso die Erscheinungsform Art von etwas, und zwar jedesmal das eine vom anderen, so kann es gar nicht anders sein, als daß man in den Begriffserklärungen beider je beide heranzieht. (c) Man gibt »Erscheinungsform« auch so an: Erscheinungsform ist das, was unter dem Seins-Geschlecht eingeordnet ist und von dem diese Gattung im Bereich seines »was-es-ist« ausgesagt wird. (d) Und auch so: Erscheinungsform ist, was von mehrerem, der Anzahl nach Unterschiedenen im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt wird. Aber diese (letzte) Angabe ginge auf das »Erscheinungsförmigste«, was nämlich immer nur eine solche Art
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ist, die anderen hingegen gingen auch auf solche Arten, die nicht »am meisten erscheinungsförmig« sind. Was gemeint ist, dürfte auf folgende Weise klar werden: Im Bereich einer jeden Grundaussage gibt es einige (Bestimmungen), die im Höchstmaß Gattungseigenschaften besitzen, und wieder andere, die sind im Höchstmaß erscheinungsförmig, und auch noch andere, die stehen zwischen den umfänglichsten und den am engsten festgelegten in der Mitte. »Im Höchstmaß Gattung« ist das, über welches kein anderes SeinsGeschlecht hinausgestiegen sein kann; »am meisten erscheinungsförmig« das, hinter welches keine andere Erscheinungsform heruntergestiegen sein kann; mitten zwischen dieser Gattung im Höchstmaß und dem Erscheinungsförmigsten stehen andere (Bestimmungen), die, je nachdem welcher anderen Bestimmung gegenüber man sie nimmt, als sie selbst einmal Gattungen, ein andermal Arten sind. Das Gemeinte soll am Beispiel einer Grundaussage klarwerden: Seiendes Wesen ist selbst ein Seins-Geschlecht, darunter steht Körper, unter Körper belebter Körper, unter diesem Lebewesen, unter Lebewesen vernunftfähiges Lebewesen, darunter Mensch, unter Mensch schließlich Sokrates, Platon und eben die Menschen im einzelnen. Darunter hat »seiendes Wesen« im höchsten Maße Gattungseigenschaft und ist, was allein Seins-Geschlecht ist, »Mensch« dagegen ist das am meisten Erscheinungsförmige, was eben nur Erscheinungsform sein kann, »Körper« schließlich ist Erscheinungsform von »seiendes Wesen«, aber Gattung von »belebter Körper«; »belebter Körper« seinerseits ist Erscheinungsform von »Körper«, aber zu »Lebewesen« ist er das Seins-Geschlecht; und wieder, »Lebewesen« ist Erscheinungsform von »belebter Körper«, zu »vernunftbegabtes Lebewesen« ist es die Gattung; »vernunftfähiges Lebewesen« schließlich ist Erscheinungsform von »Lebewesen«, Seins-Geschlecht zu »Mensch«; »Mensch« dagegen ist die Erscheinungsform des vernünftigen Lebewesens, selbst aber nicht mehr eine Gattung im Verhältnis zu den Einzelmenschen, sondern nichts als Erscheinungsform, und alles, was von den nicht weiter teilbaren Wesen in unmittelbarem
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Anschluß an sie ausgesagt wird, ist dann ja wohl nur Erscheinungsform, nicht mehr auch Seins-Geschlecht. So wie nun also »seiendes Wesen«, weil es an oberster Stelle steht, indem keine Gattung mehr davorliegt, ein Höchstmaß an Gattungseigenschaft an sich hat, entsprechend umgekehrt »Mensch«: Er ist die Erscheinungsform, hinter der keine andere Erscheinungsform mehr kommt und auch nichts, was sich in Erscheinungsformen einteilen ließe, sondern sie ist dann ja wohl die Erscheinungsform von nicht weiter Einteilbarem – in diesem Sinne unteilbar sind: Sokrates, Platon, dies bestimmte Weiße –, somit letzte Erscheinungsform und, wie wir sagten, das »Erscheinungsartigste«. Die in der Mitte stehenden Bestimmungen sind dann ja wohl jeweils Erscheinungsform der vor ihnen (stehenden Begriffe), für das, was hinter ihnen kommt, sind sie Seins-Geschlecht. Diese zeigen also zwei Verhaltensweisen, einmal im Verhältnis zu dem, was vor ihnen kommt, demgemäß sie als dessen Unterarten bezeichnet werden, ein andermal im Verhältnis zu dem, was hinter ihnen steht, demgemäß sie als dessen jeweilige Gattung ausgesagt werden. Die Eckbegriffe dagegen haben nur ein Verhältnis: Erstens, das Seins-Geschlecht im Höchstmaß, das ja die oberste Gattung von allem ist, hat nur ein Verhalten als zu den unter ihm selbst stehenden (Bestimmungen), ein solches gegenüber (Bestimmungen), die vor ihm selbst stehen, hat es nicht mehr, da es doch selbst an oberster Stelle steht, als ein erster Anfang und, wie wir sagten, als etwas, über welches hinaus kein anderes Seins-Geschlecht hinaufgestiegen ist; zweitens, das Erscheinungsartigste hat auch nur ein Verhalten, nämlich als zu den vor ihm stehenden Bestimmungen, deren erscheinende Art es eben ist; auch das Verhältnis, das es zu den ihm nachstehenden Bestimmungen hat, ist kein andersartiges, sondern es wird auch als die Art der nicht weiter teilbaren (Wesen) ausgesagt. Aber (der Unterschied ist zu bemerken:) Art wird es im Verhältnis zu den unteilbaren Wesen genannt, als etwas, das diese umfaßt, Erscheinungsart, andererseits, im Verhältnis zu den vor ihm stehenden Bestimmungen, als etwas von ihnen Eingeschlossenes.
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Man gibt nun also die Begriffsbestimmung dieser Gattung im Höchstmaß so an: Was als Seins-Geschlecht nicht zugleich auch Erscheinungsform ist; und wieder: Über welches hinaus kein anderes Seins-Geschlecht aufgestiegen ist. Für das Erscheinungsförmigste im Höchstmaß (macht man es so): Was als Erscheinungsform nicht zugleich auch übergeordnete Gattung ist; und: Was man, als diese erscheinende Art, nicht in noch weitere Arten einteilen kann; und: Was von mehrerlei, das sich der Anzahl nach unterscheidet, im Bereich des »wases-ist« ausgesagt wird. Die in der Mitte zwischen den Außenstellen stehenden Begriffe nennt man »wechselseitig über- und untergeordnete« Gattungen und Arten, und man setzt eine jede dieser Bestimmungen so an, daß sie Erscheinungsform und Seins-Geschlecht sein kann, allerdings je und je im Verhältnis zu einer anderen Bestimmung und in anderem Hinblick genommen. Also, die Bestimmungen vor den erscheinungsartigsten, die hinaufsteigen bis zu dem, was Seins-Geschlecht im Höchstmaß ist, werden Gattungen und Arten genannt und in Reihe einander unter- und übergeordnete Seins-Geschlechter, so wie (man) Agamemnon (bezeichnen kann als) »stammend von Atreus« oder »von Pelops« oder »von Tantalos« oder – schließlich – »von Zeus«. Nur, bei den Geschlechterabfolgen führt man es auf einen einzigen zurück, sagen wir einmal: den Zeus, den Ursprung in den allermeisten Fällen, bei den Seins-Geschlechtern und den Erscheinungsformen verhält es sich nicht so: »Seiend« ist nicht das eine, allem gemeinsame Geschlecht, und es hat nicht alles die gleiche Abkunft von einem einzigen, obersten Geschlecht her, wie Aristoteles sagt. Sondern es seien aufgestellt, wie eben in der Kategorienschrift, die ersten zehn Seins-Geschlechter, im Sinne von zehn unmittelbaren Anfangspunkten. Und wenn denn einer (diese) alle doch eben »seiend« nennen wollte, so wird er dies nur mittels einer Wortgleichheit tun, hinter der verschiedene Begriffe stehen, nicht im Sinne der Vereinigung mehrerer Wörter in einem Begriff. Wenn nämlich »seiend« ein einziges gemeinsames Herkunftsgeschlecht von allem wäre, so würde alles, auf dem Wege der Vereinigung unterer Bestimmungen zu einem
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Begriff, »seiend« genannt; nun gibt es aber von diesen Erstbestimmungen zehn, ihre Gemeinsamkeit könnte also nur über die Wortbezeichnung bestehen, nicht mehr auch gemäß der Begriffserklärung, die zur Wortbezeichnung gehört. Die obersten Seins-Geschlechter sind also zehn, die Erscheinungsformen im eigentlichsten Sinn (treten auf) in einer unbestimmten Anzahl, die allerdings nicht unendlich groß ist; die nicht mehr zu teilenden Wesen schließlich, die hinter den unmittelbarsten Erscheinungsformen kommen, sind unendlich viele. Daher gab Platon Anweisung, auf dem Weg herab von den allgemeinsten Seins-Geschlechtern hin zu den der Erscheinung nächsten Formen da Schluß zu machen; den Weg herab durch die inmitten stehenden Bestimmungen solle man nehmen, indem man sie mithilfe der artbildenden Unterschiede einteile. Von dem unbegrenzt Vielen, sagt er, lasse man die Hände, davon könne sich ja wohl kein Wissen einstellen. Auf dem Weg herab zum Erscheinungsnächsten muß man also einteilend durch die Vielzahl wandern; steigt man auf zu den allgemeinsten SeinsGeschlechtern, so muß man die Vielzahl zu immer einem zusammenfassen. Art, und Seins-Geschlecht noch mehr, sind etwas, das das Viele zu einer Naturgestalt zusammenführt, die Teilsachverhalte dagegen und all das viele Einzelne nehmen im Gegensatz dazu das Eine immer in die Vielzahl auseinander; durch Teilhabe an der (einen) Erscheinungsform sind die vielen Menschen einer, durch die vielen einzelnen ist der eine und gemeinsame (Begriff »Mensch«) eine Mehrzahl: trennend ist immer das Einzelne, zusammenführend und einsmachend das Gemeinsame. Nachdem nun von »Seins-Geschlecht« und »erscheinender Form« angegeben ist, was ein jedes der beiden denn ist, und angesichts der Tatsache, daß ein Seins-Geschlecht (im Hinblick auf seine Arten) eines ist, (in umgekehrter Hinsicht) die Erscheinungsform eine Mehrzahl: Die Zerschneidung einer Gattung führt immer zu mehreren Arten – (so gilt nun folgendes zur Aussagbarkeit:) Gattung wird immer von Art ausgesagt, und überhaupt alles Höherstehende vom weiter unten Stehenden, umgekehrt dagegen die Art schon nicht von dem
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unmittelbar anschließenden Seins-Geschlecht und erst recht nicht von den weiter oben stehenden; hier gibt es keine Umkehrung der Aussage. Es müssen nämlich entweder gleichgroße (Begriffsumfänge) von gleichgroßen ausgesagt werden, wie z. B. »wiehernd« von »Pferd«, oder solches von größerem Begriffsumfang von solchem mit kleinerem, wie z. B. »Lebewesen« von »Mensch«; dagegen, solche von kleinerem Umfang von solchen mit größerem (auszusagen, das geht) nicht mehr; man kann ja nicht mehr sagen: (Alles, was) Lebewesen (ist), ist Mensch, so wie man ja umgekehrt sagen kann: (Je)der Mensch ist ein Lebewesen. (Gegenstände,) von denen die Art ausgesagt ist, von denen wird notwendig auch das Seins-Geschlecht dieser erscheinenden Art (mit)ausgesagt werden, und auch die höhere Gattung dieses Geschlechts bis hinauf zum allgemeinsten Seins-Geschlecht; wenn es denn wahr ist, von Sokrates zu sagen: Er ist ein Mensch, und auch: Der Mensch ist ein Lebewesen ..., Lebewesen ist ein Wesen, das ist, – dann ist es auch wahr, Sokrates (gleich) »Lebewesen« zu nennen und »Wesen, das ist«. Da also das jeweils Höherstehende vom weiter unten Stehenden ausgesagt wird, so wird also die Erscheinungsform vom nicht weiter teilbaren Wesen ausgesagt, das Seins-Geschlecht sowohl von der unmittelbaren Art wie auch vom Einzelwesen, das höchste Seins-Geschlecht dann von der (vermittelnden) Gattung oder den Gattungen, wenn nämlich mehrere da in der Mitte stehen und unter einander sich ordnen, und auch von der unmittelbaren Erscheinungsform und schließlich dem unteilbaren Einzelwesen. Es wird nämlich das oberste Seinsgeschlecht von allen unter ihm stehenden Seins-Geschlechtern, Erscheinungsformen und Einzelwesen ausgesagt; das Seins-Geschlecht vor der unmittelbaren Erscheinungsform von allen diesen und von den Einzelwesen; was dann allein nur noch Erscheinungsform ist, von allen unteilbaren Einzelwesen; dies nicht mehr Teilbare dann nur noch von einem einzigen Einzelwesen allein. »Nicht weiter teilbar« wird nämlich (derlei) genannt (wie:) Sokrates, dies weiße Ding hier und dieser hier eintretende Sohn des Sophroniskos – wenn eben Sokrates sein einziger Sohn wäre.
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»Nicht weiter teilbar« wird derlei genannt, weil jedes Einzelstück davon aus lauter Eigentümlichkeiten besteht, deren Versammlung bei keinem anderen je genau die gleiche wird: Die Eigenheiten des Sokrates werden ja wohl bei keinem anderen Einzelmenschen als genau die gleichen wieder auftreten. Dagegen die eigentümlichen Merkmale des Menschen – ich meine ja damit die gemeinsame Bestimmung – können bei mehreren die gleichen sein, genauer noch, bei allen Einzelmenschen, soweit sie eben dies, Menschen, sind. Es wird also das Unteilbare von der Erscheinungsform umfaßt, diese Form von ihrem übergeordneten Seins-Geschlecht. Ein bestimmtes Ganze ist dies Seins-Geschlecht, das Unteilbare ist je und je nur Teil; die Erscheinungsform ist (beides), sowohl ein Ganzes wie auch Teil, nur, Teil von etwas anderem, als Ganzes aber nicht »von« etwas anderem, sondern in anderem (bestehend): in seinen Teilen findet sich das Ganze vor. Also, über Seins-Geschlecht und Erscheinungsform und über (die Frage:) Was ist Gattung im Höchstmaß, was ist das Erscheinungsnächste, welche (Bestimmungen) sind als dieselben sowohl Gattung als auch Art, welche Wesen sind nicht weiter teilbar, und schließlich, in wievielen Bedeutungen kommen Seins-Geschlecht und Erscheinungsform vor: darüber ist somit gesprochen. – [Kapitel 3] Unterschied Der Ausdruck »Unterschied« sei sowohl in allgemeiner wie eigentümlicher und auch in ganz besonders eigentümlicher Bedeutung ausgesagt. (a) In allgemeinem Sinne sagt man: Etwas unterscheidet sich von etwas, indem es mittels einer Verschiedenheit sich irgendwie davon abhebt, (und das kann es) entweder im Verhältnis zu sich selbst oder zu etwas anderem als es: Es unterscheidet sich Sokrates von Platon durch ein Anderssein und selbst im Verhältnis zu sich selbst, indem er erst ein Kind war und nun zum Mann geworden ist, indem er jetzt etwas tut und damit
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wieder aufhört, und je und je in den Andersheiten, sich so oder so zu verhalten. (b) Im eigentümlichen Sinne sagt man je dann: Etwas unterscheidet sich von etwas, wenn der Unterschied zwischen dem einen und dem anderen in einer untrennbaren nebenbei zutreffenden Eigenschaft besteht. So ein untrennbares nebenbei zutreffendes Merkmal ist z. B. Blauäugigkeit, Krummnasigkeit, hartgewordene Narbe infolge einer Verwundung. (c) Im eigentümlichsten Sinne spricht man davon, daß etwas sich von etwas unterscheide, wenn es mittels eines artbildenden Unterschieds von ihm abweicht, wie sich eben »Mensch« von »Pferd« durch ein artbildendes Merkmal unterschieden hat, nämlich die Eigenschaft der Fähigkeit zum Vernunftgebrauch. Ganz allgemein also, jede Unterscheidung macht, wenn sie an etwas herantritt, dies zu etwas »Verschiedenartigem«; nur, die im allgemeinen und im eigentümlichen Sinne machen es »andersartig«, die dagegen im eigentlichsten Sinne erst machen es wirklich zu etwas anderem; tatsächlich ja schaffen die einen Unterscheidungen ein Andersartiges, die anderen ein wirklich Anderes. Die nun also ein Anderes schaffen, werden artbildend genannt, die es nur zu andersartig bringen, heißen einfach und ohne Zusatz »Unterschiede«. Indem (z. B.) zu »Lebewesen« das Unterscheidungsmerkmal tritt, das da besagt »Fähigkeit zum Vernunftgebrauch«, hat es ein Anderes geschaffen; dagegen das (Unterscheidungsmerkmal) »in-Bewegung-sein« hat neben dem »in-Ruhe-sein« nur etwas Andersartiges bewirkt, also: Das eine hat Anderes, das andere Andersartiges geschaffen. Gemäß den Unterscheidungen nun also, die Anderes herstellen, erfolgen die Trennungen der Seins-Geschlechter in ihre Erscheinungsformen, und ebenso werden Begriffsbestimmungen angegeben, die aus der Gattung und derartigen (artbildenden) Unterschieden bestehen; gemäß den (anderen Unterscheidungen) dagegen, die nur Andersartiges fertigbringen, treten bloß die Verschiedenartigkeiten auf und die Zustandsänderungen der Dinge, die sich so oder so verhalten.
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Indem man nun noch einmal von oben anfängt, ist festzustellen: Unter den Unterscheidungen sind die einen ablösbar (vom betreffenden Gegenstand), die anderen sind es nicht: »in-Bewegung-sein«, »in-Ruhe-sein«, »gesund-sein«, »kranksein« und alles, was dem ähnlich ist, läßt sich ablösen, dagegen »hakennasig«, »stupsnasig«, »vernunftfähig«, »vernunftunfähig« lassen das nicht zu. Von den nicht-ablösbaren (Unterschieden) liegen die einen (an ihrem Gegenstand) vor, sofern sie eben genau dies sind, die anderen in nur nebenbei eintretender Folge: »vernunftfähig« liegt am Menschen vor gemäß dem Sinn, den (nur) es hat, und so »sterblich« und »aufnahmefähig-für-Wissen-sein«; dagegen »hakennasig« oder »stupsnasig« zu sein, das nur in nebenher sich ergebender Weise, nicht insofern sie genau dies sind. Die (Unterschiede) nun also, die demgemäß hinzutreten, was sie selbst sind, werden in die Begriffserklärung dessen aufgenommen, was der Gegenstand denn wirklich ist, und schaffen ein Anderes (gegenüber allem übrigen); dagegen, die nur nebenbei miteintreffen, werden weder in die Begriffserklärung dessen aufgenommen, was der Gegenstand ist, noch schaffen sie ein Anderes, sondern nur Andersartiges. Und, die es ihrer eigentlichen Bedeutung nach sind, nehmen ein »mehr« und »minder« nicht an sich, dagegen die nebenbei zutreffenden, auch wenn sie nicht ablösbar sein sollten, nehmen Zu- und Abnahme auf: Ein Seins-Geschlecht wird von dem, dessen Seins-Geschlecht es eben ist, nicht mehr oder weniger ausgesagt, und auch die Unterscheidungen in solcher Gattung nicht, nach denen sie eingeteilt wird. Diese sind es doch, welche den Begriffsinhalt eines jeden (Gegenstands) erfüllen, daß aber ein jedes dieses eine und dasselbe ist, läßt weder eine Abschwächung noch eine Steigerung zu; hingegen, »hakennasig-«, »stupsnasig-sein« oder »die-und-die-Hautfarbe-haben«, das läßt sich sowohl steigern wie auch abschwächen. Da nun also drei Erscheinungsformen von Unterschied vor Augen stehen und die einen ablösbar sind, die anderen unablösbar, und wieder von den unablösbaren die einen ihrem eigenen Sein nach (auftreten), die anderen nebenbei mit ein-
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treffend, so ergibt sich wieder: Von den ihrem eigenen Sein nach auftretenden Unterschieden sind die einen es, denen gemäß wir die Seins-Geschlechter in ihre Erscheinungsformen einteilen, die anderen, denen gemäß das Auseinandergenommene erst zu Arten gemacht wird. Da z. B. von den an sich vorliegenden Unterschieden alle, die an »Lebewesen« vorliegen, folgender Art sind: »beseelt«, »der Sinneswahrnehmung fähig«, »fähig zum Vernunftgebrauch« und »ohne Vernunftvermögen«, »sterblich« und »unsterblich«, so ist das Unterscheidungsmerkmal, das da »beseelt«, und das, welches da »mit Sinneswahrnehmung ausgestattet« sagt, für das, was »Lebewesen« wirklich ist, begriffsbildend – ein Lebewesen ist doch ein mit Seele ausgestattetes, der Sinneswahrnehmung fähiges seiendes Wesen –, dagegen die Unterscheidung »sterblich – unsterblich« und »Vernunftgebrauch – kein Vernunftgebrauch«, das sind Merkmale, die innerhalb von »Lebewesen« Trennungen setzen: durch sie nehmen wir die Seins-Geschlechter in deren Erscheinungsformen auseinander. Aber diese einteilenden Unterscheidungen (leisten ja wieder zweierlei: Sie) werden zu den erfüllenden Vollendern der jeweiligen Gattung und sind für deren Arten begriffsbildend: »Lebewesen« wird mittels der Unterscheidung »Vernunftgebrauch – kein Vernunftgebrauch« zerschnitten, und noch einmal durch die »sterblich – unsterblich«; davon werden nun wieder die Merkmale »sterblich« und »Vernunftgebrauch« begriffsbildend für »Mensch«, die »Vernunftgebrauch, unsterblich« (begriffsbildend) für »Gott«, die »kein Vernunftgebrauch, sterblich« (begriffsbildend) für die vernunftlosen Tiere. Da nun aber genauso die Unterscheidungen »beseelt – unbeseelt« und »der Sinnenswahrnehmung fähig – der Wahrnehmung nicht fähig« für das oberste Sein einteilende Wirkung haben, so haben die (Merkmale) »mit Seele und mit Wahrnehmungsvermögen ausgestattet«, mit »seiendes Wesen« zusammengenommen, (die Bestimmung) »Lebewesen« zur Vollendung gebracht, dagegen die »mit Seele begabt, der Wahrnehmung nicht fähig« haben »Pflanze« herbeigeführt. Da nun ein und dieselben (Unterscheidungen), einmal so genommen, begriffsbildend sind,
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ein andermal anders, mit einteilender Wirkung auftreten, so sind sie denn alle artbildend genannt worden. Und es sind vor allem diese, die man zur Einteilung der Seins-Geschlechter braucht und für die Begriffsbestimmungen, dagegen nicht die nebenbei zutreffenden nicht ablösbaren, von den ablösbaren erst gar nicht zu reden. Indem man also ihren Begriff bestimmt, sagt man: (I) Unterscheidungsmerkmal ist (der Punkt), um den die Art einen Überschuß hat gegenüber der Gattung; (z. B.) »Mensch« hat über »Lebewesen« hinaus noch »vernunftfähig« und »sterblich« an sich. »Lebewesen« ist nun zwar nicht nichts davon – Begründung: Woher erhielten denn wohl die Erscheinungsformen ihre besonderen Merkmale? –, andererseits kann es doch nicht alle entgegengesetzten (Merkmale) an sich haben – Begründung: Dann hätte ein und derselbe Gegenstand gleichzeitig entgegengesetzte (Bestimmungen) an sich –, sondern, wie man als Forderung aufstellt: Dem Vermögen nach hat (die Gattung) alle unter ihr vorkommenden Unterscheidungsmerkmale, dem tatsächlichen Vorliegen nach keins. Und so (werden zwei unsinnige Sätze vermieden:) Weder muß etwas aus etwas entstehen, das es nicht gibt, noch wird einander Ausschließendes zugleich bei einem und demselben Gegenstand sein. (II) Man bestimmt ihren Begriff aber auch so: Unterscheidungsmerkmal ist, was von mehrerlei, das sich der Art nach unterscheidet, im Bereich des »welche-Eigenschaften-hat-es« ausgesagt wird; denn »vernunftfähig« und »sterblich«, als von »Mensch« ausgesagt, wird im Bereich dessen geredet, welche besonderen Eigenschaften der Mensch denn hat, aber nicht in dem, was er denn ist; fragt man uns ja: »Was ist Mensch?« – so ist die angemessene Antwort: »Er ist ein Lebewesen«; will man von uns wissen: »Was für ein Lebewesen denn?« – werden wir mit »fähig zum Vernunftgebrauch, sterblich« die angemessene Angabe machen. Da doch die Dinge aus Stoff und Form bestehen, oder ihren Bestand entsprechend dem Verhältnis zwischen Stoff und Form haben, so wie das Standbild aus einem Stoff (besteht), der Bronze, und zur Form die Gestalt
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(, die der Künstler ihm gab,) hat, genauso ist es mit »Mensch«: Allgemein genommen und nach Art der Erscheinungsform, so besteht er aus der Gattung, als der Entsprechung zu Stoff, aus dem besonderen Unterschied, als der zur Gestalt; dieses Ganze dann aber, »Lebewesen, vernunftfähig, sterblich«, Mensch eben: so wie dort das Standbild. (III) Man umreißt diese derartigen Unterschiede aber auch so: Unterschied ist, was seiner Naturveranlagung nach dazu geeignet ist, die unter einem Seins-Geschlecht stehenden (Erscheinungsformen) von einander zu trennen; z. B. »vernunftfähig« und »unvernünftig« trennen Mensch und Pferd, die unter dem gleichen Seins-Geschlecht – Lebewesen – stehen. (IV) Man gibt es auch noch so an: Unterschied ist alles das, wodurch sich ein jedes voneinander abhebt. Mensch und Pferd haben sich ja ihrer Gattung nach nicht unterschieden: »Sterbliches Lebewesen« sind sowohl wir als auch die vernunftlosen (Tiere), nur, das »vernunftfähig«, hinzugesetzt, hat uns von ihnen abgehoben; und »vernunftfähige (Wesen)« sind sowohl wir als auch die Götter, aber das »sterblich«, hinzugesetzt, hat uns von ihnen abgesondert. (V) Diejenigen aber, welche die Sache mit dem Unterschied weiter ausarbeiten, sagen, nicht jedes beliebige (Merkmal) unter allem, was die unter der Seins-Gattung stehenden Arten trennt, sei dieser (gesuchte) Unterschied, sondern nur, was zu dem, was es je ist, beiträgt, und was ein Stück dessen ist, was das (zu bestimmende Ding) je und je sein sollte; denn (z. B.) die Naturbegabung, zur See fahren zu können, ist ja doch wohl nicht (artbildendes) Unterscheidungsmerkmal des Menschen, wenn es auch des Menschen Eigentümlichkeit sein mag; wir könnten ja wohl sagen: Unter den Lebewesen sind die einen dazu begabt, Seefahrt zu betreiben, die anderen nicht, und würden so eine Trennung unter sie setzen, nur, das (Merkmal) »zur Seefahrt veranlagt« war keins, das das erfüllt, was dies je ist, und auch kein Teilstück dieses Seins, sondern nur eine besondere Eignung dieses Wesens, weil es eben nicht von der Art ist wie die im eigentümlichen Sinn so genannten artbildenden Unterschiede. Es sollen denn also artbildende Unter-
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schiede alle die sein, welche eine (von anderen) unterschiedene Erscheinungsform herstellen und welche bei der Angabe dessen, was es denn sein sollte, herangezogen werden. Bezüglich Unterschied reicht also so viel aus.
[Kapitel 4] Eigentümlich Das Eigentümliche teilt man vierfach ein: (a) Was einer bestimmten Art allein, wenn auch etwa nicht in ihrem ganzen Umfang, zutrifft, wie etwa beim Menschen, daß er Heilkunst ausübt und Flächen mißt; (b) was (unter anderen Eigenschaften) an der ganzen Art vorkommt, wenn auch etwa nicht an ihr allein, wie etwa dem Menschen das Zweifüßigsein; (c) was (der Art) allein und in ihrem ganzen Umfange und zu einer bestimmten Zeit (zukommt), etwa allem, was Mensch ist, im Alter zu ergrauen; viertens (d) schließlich die Bedeutung, auf welche das »allein«, »dem ganzen Umfange nach« und »immer« zusammengekommen sind, etwa beim Menschen, daß er lachen kann; wenn er ja auch nicht immer lacht, so nennt man ihn doch »des Lachens fähig«, – nicht weil er es immer tut, sondern weil er dazu naturveranlagt ist; dies liegt, mit ihm zusammen erwachsen, an ihm immer vor, wie am Pferd die Fähigkeit, daß es wiehern kann. Diese (letzteren), sagt man, seien die Eigentümlichkeiten im eigentlichen Sinn, weil es hier auch Umkehrung der Aussage gibt: Wenn es ein Pferd ist, kann es wiehern, und wenn es wiehern kann, ist es ein Pferd. [Kapitel 5] Nebenbei zutreffend Nebenbei zutreffend ist (a) solches, was auftreten und auch wieder verschwinden kann ohne Verderben für den betroffenen Gegenstand. Es wird eingeteilt in zwei (Stücke): Das eine von dem (,was so nebenbei mitfolgt,) läßt sich (von dem Begriff des
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Gegenstandes) ablösen, das andere ist untrennbar. »Schlafen« (z. B.) ist ein ablösbares nebenbei eintretendes Ereignis, dagegen »schwarz-sein« trifft in unablösbarer Weise beim Raben und beim Äthiopier ein, es kann jedoch, ohne Untergang des Gegenstandes, gedacht werden, daß ein Rabe weiß wäre oder ein Äthiopier seine Hautfarbe abgelegt hat. Man bestimmt den Begriff aber auch so: (b) Nebenbei zutreffend ist, was an einem und demselben (Gegenstand) vorliegen oder auch nicht vorliegen kann; oder: (c) Was weder Gattung ist noch Unterschied noch erscheinende Art noch eigentümlich, aber doch immer an einem Gegenstande mit ins Sein tritt. – Nachdem nun alle vorgestellten (Bestimmungen) ihrem Begriffe nach genau bestimmt sind – ich meine: Seins-Geschlecht, Erscheinungsform, Unterschied, Eigentümlichkeit, nebenbei Zutreffendes – so ist darüber zu sprechen, was ihnen als gemeinsame Bestimmung beiwohnt und welche Eigentümlichkeiten (einer jeden davon).
[Kapitel 6] Die Gemeinsamkeit der fünf Ausdrücke Gemeinsam ist also allen, von je mehrerlei ausgesagt zu werden. Nur, das Seins-Geschlecht (wird ausgesagt) von den erscheinenden Arten und den nicht mehr teilbaren (Wesen), der Unterschied ebenso, die Art von den unter ihr stehenden unteilbaren (Wesen), die Eigentümlichkeit sowohl von der Art, deren Eigentümlichkeit sie ist, und von den unter dieser Art stehenden unteilbaren (Wesen), das nebenbei Zutreffende schließlich sowohl von den Arten wie von Unteilbarem. (Beispiele:) »Lebewesen« wird von Pferden und Rindern ausgesagt, was doch Arten sind, von diesem bestimmten Pferd und diesem bestimmten Rind, was doch nicht mehr einteilbare Einzelwesen sind; »ohne Vernunft« wird von Pferden und Rindern ausgesagt, Arten eben, und von den entsprechenden Einzeltieren auch; dagegen eine erscheinende Art, etwa
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»Mensch«, nur von den entsprechenden Einzelwesen; die Eigentümlichkeit dann, etwa »des Lachens fähig«, sowohl von (der Art) »Mensch« wie auch von den einzelnen Menschen; »schwarz« schließlich von der Art der Raben wie auch von deren Einzeltieren, und ist untrennbar davon, und »in-Bewegung-sein« (wird ausgesagt) von Mensch und Pferd als ein nebenbei Zutreffendes, das man ablösen kann, aber besonders von den unteilbaren Einzelwesen, erst im zweiten Sinn auch von dem, was diese Einzelwesen umfaßt.
[Kapitel 7] Gemeinsamkeit von Seins-Geschlecht und Unterschied (a) Gemeinsam ist dem Seins-Geschlecht und dem Unterschied, daß sie Erscheinungsformen umfassen. Denn es schließt ja auch der Unterschied Arten ein, wenn auch etwa nicht alle, die die Seins-Gattung umschließt. (Z. B.) »möglicher Vernunftgebrauch«, wenn (dieses Unterscheidungsmerkmal) auch die nicht-vernünftigen (Arten) nicht einschließt, so wie »Lebewesen« (das tut), so umfaßt es doch Mensch und Gott, was ja erscheinende Arten sind. (b) Und: Alles, was von der Seins-Gattung als Gattung ausgesagt wird, wird auch von den unter sie fallenden Erscheinungsformen ausgesagt, (entsprechend) alles, was von dem Unterschied als Unterschied, das wird auch von der aus ihm (hervorgegangenen) Art ausgesagt werden. Da nun ja »Lebewesen« ein Seins-Geschlecht ist, so wird von ihm, als einem Seins-Geschlecht, (beides) ausgesagt: »seiendes Wesen« und »beseelt«; aber auch von allen unter »Lebewesen« stehenden Arten wird das ausgesagt, bis hin zu den unteilbaren Wesen, (entsprechend bei Unterschied:) Da »zum Vernunftgebrauch fähig« ein Unterscheidungsmerkmal ist, so wird davon, als einem Unterschied, ausgesagt »Vernunftgebrauch«, aber dies nicht allein von dem (Merkmal) »zum Vernunftgebrauch fähig«, sondern dies – »Vernunftgebrauch« – wird
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auch von den unter »zum Vernunftgebrauch fähig« stehenden Erscheinungsformen ausgesagt werden. (c) Gemeinsam ist ihnen auch: Wird entweder die SeinsGattung aufgehoben oder die Unterscheidung, so wird auch das je unter ihnen Stehende aufgehoben: Wie, wenn es »Lebewesen« nicht gibt, dann auch Pferd und Mensch nicht sind, genauso, wenn es »Fähigkeit zum Vernunftgebrauch« nicht gibt, wird kein Lebewesen sein, das von Vernunft Gebrauch macht. Unterschied zwischen Seins-Geschlecht und Unterschied
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(a) Eine Eigentümlichkeit des Seins-Geschlechts ist es, von mehr (untergeordneten Bestimmungen) ausgesagt zu werden als Unterschied, Erscheinungsform, Eigentümlichkeit und nebenbei Zutreffendes: »Lebewesen« wird ausgesagt von Mensch, Pferd, Vogel und Schlange, »vierfüßig« dagegen allein von den Wesen, die eben vier Füße haben, »Mensch« allein von nicht mehr einteilbaren Einzelwesen, »kann wiehern« allein von Pferd und den darunter fallenden Einzeltieren, und nebenbei Zutreffendes entsprechend von weniger. Man muß aber als Unterschiede hier die nehmen, durch welche das Seins-Geschlecht zerlegt wird, nicht die, welche das Sein der Gattung erfüllen. (b) Des weiteren umfaßt das Seins-Geschlecht den Unterschied der Möglichkeit nach: Von »Lebewesen« ist die eine Art zum Vernunftgebrauch fähig, die andere dazu nicht fähig. [Die Unterschiede umfassen aber die Seins-Geschlechter nicht.] (c) Des weiteren sind die Seins-Geschlechter den unter sie fallenden Unterschieden vorgeordnet, daher heben sie diese mit auf, werden aber ihrerseits nicht mit aufgehoben: Wird »Lebewesen« aufgehoben, so fallen »vernunftfähig« und »vernunftunfähig« mit; dagegen die Unterschiede heben das Seins-Geschlecht nicht mehr mit sich auf: Wenn sie auch alle aufgehoben sein sollten, so bleibt im Gedanken immer noch »seiendes Wesen, mit Seele versehen, der Wahrnehmung fähig« – und das ist genau Lebewesen.
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(d) Des weiteren wird das Seins-Geschlecht im Bereich des »was-es-ist«, der Unterschied aber in dem des »von-welcherEigenschaft-es-ist« ausgesagt, wie schon vorgetragen. (e) Des weiteren, bezogen auf jede Erscheinungsform gibt es ein einziges Seins-Geschlecht, z. B. zu »Mensch« (ist das) »Lebewesen«, aber mehr als ein Unterscheidungsmerkmal, etwa »vernunftfähig«, »sterblich«, »aufnahmefähig für Geist und Wissen«, durch welche er sich von den übrigen Lebewesen unterscheidet. (f) Und: Das Seins-Geschlecht ist vergleichbar mit dem Stoff, mit der Form das Unterscheidungsmerkmal. Wenn auch noch andere Gemeinsamkeiten und Besonderheiten bei Seins-Geschlecht und Unterscheidung anzutreffen sind, so soll dies doch genügen.
[Kapitel 8] Gemeinsamkeit von Seins-Gattung und Erscheinungsform (a) Seins-Geschlecht und Erscheinungsform haben gemeinsam, von einer Mehrzahl (anderer Bestimmungen) ausgesagt zu werden, wie vorgetragen ist. Es soll dabei die Erscheinungsform als eben diese Art genommen werden, nicht auch als Seins-Gattung, für den Fall, daß eines und dasselbe sowohl Art wie auch Gattung sein kann. (b) Gemeinsam ist ihnen auch, dem vorgeordnet zu sein, wovon sie ausgesagt werden, und jedes für sich ein bestimmtes Ganze zu sein. Unterschied zwischen Seins-Gattung und Erscheinungsform (a) Es besteht ein Unterschied darin, daß das Seins-Geschlecht die (unter ihm) erscheinenden Arten umfaßt, diese Formen werden umfaßt, sie umfassen ihrerseits die (jeweiligen) Seins-Gattungen nicht: Seins-Geschlecht erstreckt sich über einen weiteren Inhalt als Erscheinungsform.
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(b) Des weiteren müssen die Seins-Gattungen zuvor dasein und, von den artbildenden Unterschieden durchgestaltet, die Erscheinungsform zuwegebringen; daher denn die Seins-Gattungen auch von Natur aus vorrangig sind. (c) Und: Sie heben (die Arten) mit sich auf, werden aber (von ihnen) nicht mit aufgehoben, also, ist eine Erscheinungsform, so liegt in jedem Fall auch ihr Seins-Geschlecht vor, liegt aber das Seins-Geschlecht vor, so ist nicht in jedem Falle auch die erscheinende Art da. (d) Und: Die Seins-Geschlechter werden in mitbezeichneter Weise von den unter ihnen erscheinenden Arten ausgesagt, umgekehrt aber die Erscheinungsformen von den Seins-Gattungen nicht. (e) Weiter, die Seins-Geschlechter haben einen Überschuß darin, daß sie die unter ihnen erscheinenden Formen umfassen, diese Arten dagegen haben den Seinsgattungen etwas voraus durch ihre eigentümlichen Unterscheidungsmerkmale. (f) Weiter kann wohl weder eine Erscheinungsform zur obersten Gattung schlechthin, noch umgekehrt eine SeinsGattung zur erscheinungsnächsten Art werden.
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(a) Dem Seins-Geschlecht und der Eigentümlichkeit ist es gemeinsam, den Erscheinungsformen zu folgen: Wenn »Mensch« (gesetzt) ist, so auch »Lebewesen«, und wenn »Mensch«, so auch »des Lachens fähig«. (b) Und (gemeinsam ist ihnen auch), daß die Seins-Gattung von (jeder) ihrer Erscheinungsformen gleichsehr ausgesagt wird, und die Eigentümlichkeit von den an ihr teilhabenden Einzelwesen auch: »Mensch« ist genau so sehr ein Lebewesen wie »Rind« auch, und Anytos ist genauso zum Lachen fähig wie Meletos. (c) Gemeinsam ist ihnen auch, daß die Seins-Gattung von ihren zugehörigen Erscheinungsformen ebenso in mitbezeich-
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neter Weise ausgesagt wird wie die Eigentümlichkeit von den (Dingen), deren Eigentümlichkeit sie ist. Unterschied zwischen Seins-Gattung und Eigentümlichkeit (a) Es besteht ein Unterschied darin, daß das Seins-Geschlecht zuerst kommt, die Eigentümlichkeit danach: Erst muß da sein »Lebewesen«, danach ist es einzuteilen mithilfe von Unterscheidungen und Eigentümlichkeiten (b) Und: Die Seins-Gattung wird von einer Mehrzahl von Erscheinungsformen ausgesagt, die Eigentümlichkeit dagegen nur von einer Art, der sie eben eigentümlich ist. (c) Und: Die eigentümliche Bestimmung läßt sich in der Aussage mit dem vertauschen, dessen Eigentümlichkeit sie ist, die Seins-Gattung dagegen läßt sich mit nichts wechselweise aussagen: Weder (gilt) »Wenn Lebewesen, so Mensch«, noch: »Wenn Lebewesen, so Fähigkeit zum Lachen«, und umgekehrt. (d) Weiter, die Eigentümlichkeit liegt an der gesamten Art vor, der sie eigentümlich ist, und an ihr allein und immer, dagegen die Seins-Gattung zwar an der gesamten Erscheinungsform, deren Seins-Geschlecht sie eben ist, und immer, jedoch nicht auch an ihr allein. (e) Weiter, die eigentümlichen Bestimmungen, wenn man sie aufhebt, heben die Seins-Gattungen nicht mit auf, dagegen die Gattungen, wenn man sie aufhebt, heben auch die Erscheinungsformen mit auf, welche Eigentümlichkeiten an sich haben, also, ist das aufgehoben, was Eigentümlichkeiten hat, so werden auch diese mit aufgehoben.
[Kapitel 10] Gemeinsamkeit von Seins-Geschlecht und nebenbei Zutreffendem Seins-Geschlecht und nebenbei zutreffende (Bestimmungen) haben gemeinsam, von einer Mehrzahl (von Gegenständen) ausgesagt zu werden, wie vorgetragen, mag es sich dabei um
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ablösbare (Bestimmungen) handeln oder mögen sie zu den nicht-ablösbaren gehören: Sowohl »in-Bewegung-sein« (gilt) von einer Vielzahl wie auch »schwarz« von Raben, Äthiopiern und einigen leblosen Dingen. Unterschied zwischen Seins-Geschlecht und nebenbei Zutreffendem (a) Es unterscheidet sich die Seins-Gattung von nebenbei Zutreffendem darin, daß die Gattung vor den Erscheinungsformen kommt, die nebenbei zutreffenden (Bestimmungen) aber nach ihnen; auch wenn man etwas nebenbei Zutreffendes nimmt, das sich nicht ablösen läßt, so kommt das, an dem das nebenbei Zutreffende vorkommt, immer noch vor diesem nebenbei Zutreffenden selbst. (b) Und: Was an einer Seins-Gattung teilhat, tut das in gleichem Maße, dagegen beim nebenbei Zutreffenden liegt dies gleiche Ausmaß nicht vor: Die Teilhabe an nebenbei Zutreffendem nimmt Steigerung und Abnahme an sich, die an SeinsGattungen aber nicht mehr. (c) Und: Die nebenbei zutreffenden Eigenschaften fassen im ursprünglichen Sinn der Beziehung Fuß auf den nicht weiter teilbaren Wesen, die Seins-Geschlechter und deren Erscheinungsformen sind aber dem natürlichen Wesen der Dinge nach den unteilbaren Wesen vorgeordnet. (d) Und: Die Seins-Gattungen werden von den unter ihnen stehenden (Bestimmungen) im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt, die nebenbei zutreffenden Eigenschaften dagegen (werden von den Gegenständen, an denen sie vorliegen, ausgesagt) im Bereich des »wie-beschaffen-ist-« oder »in-welchenVerhältnissen-steht-ein-jedes«: Wird man gefragt: »Welche Beschaffenheit hat ein Äthiopier?« – so wird man sagen: »Er ist schwarz.«, und (auf die Frage:) »Was tut Sokrates gerade?« – wird man antworten: »Er sitzt.«, oder: »Er geht herum.«
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(Zwischenbesinnung) Von der Seins-Gattung ist nun also vorgetragen, worin sie sich von den anderen vier (Bestimmungen) unterscheidet; es ergibt sich aber auch, daß eine jede der anderen vier (Bestimmungen) Unterschied an sich hat, und da es nun also fünf sind und je eine davon gegenüber den je vier anderen sich unterscheidet, also: Fünf viermal, so wäre die Gesamtzahl der Unterschiede zwanzig. Indessen verhält es sich so nicht, sondern, wenn je (die Verhältnisse) in Reihe hergezählt werden und (sich dabei herausstellt, daß) Reihe zwei um ein Unterschiedsverhältnis kleiner ist, weil dies doch schon vorgekommen war, Reihe drei dann um zwei, Reihe vier um drei und Reihe fünf um vier, so wird die Gesamtzahl der Unterschiedsverhältnisse zehn: Vier und drei und zwei und eins. (Ausführung davon:) Seins-Geschlecht unterscheidet sich von Unterschied, Erscheinungsform, Eigentümlichkeit und nebenbei Zutreffendem, also vier Unterschiedsverhältnisse. Wie nun aber Unterschied sich von Seins-Geschlecht unterschieden hat, das ist ja schon vorgetragen bei der Gelegenheit, wo darüber gesprochen war, wie sich Seins-Geschlecht von ihm unterscheidet; was noch übrigbleibt, worin er sich unterscheidet von Erscheinungsform, Eigentümlichkeit und nebenbei Zutreffendem, darüber wird zu sprechen sein, das macht drei Verhältnisse; und wieder, worin sich Erscheinungsform von Unterschied unterscheidet, das ist ja vorgetragen bei der Gelegenheit, als gesagt wurde, worin sich Unterschied von Erscheinungsform unterscheidet; worin sich aber Erscheinungsform von Seins-Geschlecht unterscheidet, das wurde an der Stelle vorgetragen, wo darüber die Rede war, worin sich Seins-Geschlecht von Erscheinungsform unterscheidet; was also noch übrig ist, worin sie sich von Eigentümlichkeit und nebenbei Zutreffendem unterscheidet, darüber wird zu sprechen sein, und dies ergibt zwei Unterschiedsverhältnisse; worin sich Eigentümlichkeit vom nebenbei Zutreffenden unterscheidet, wird dann noch übrigbleiben; wie sie sich ja von Erscheinungsform, Unterschied und Seins-Geschlecht unterscheidet, dazu ist ja früher
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schon vorgetragen bei Gelegenheit der Unterscheidung derer im Verhältnis zu ihr. Nimmt man nun also vier Unterscheidungsverhältnisse von Seins-Geschlecht den anderen gegenüber, drei von Unterschied (entsprechend), zwei von Erscheinungsform und eines von Eigentümlichkeit im Verhältnis zu nebenbei zutreffend, werden es in der Gesamtheit zehn sein. Davon haben wir die vier, welche die von SeinsGeschlecht im Verhältnis zu den übrigen waren, im Vorhinein schon nachgewiesen. [Kapitel 11] Gemeinsamkeit von Unterschied und Erscheinungsform (a) Gemeinsam ist also dem Unterschied und der Erscheinungsform, daß (andere Bestimmungen) in gleicher Stärke an ihnen teilhaben: An »Mensch« haben alle Einzelmenschen in gleichem Maße Anteil, und an dem Unterscheidungsmerkmal »vernunftfähig« ebenso. (b) Gemeinsam ist ihnen auch, daß sie an dem, was an ihnen teilhat, immer vorhanden sind: Sokrates ist immer zu vernünftigem Denken fähig, und Sokrates ist immer ein Mensch. Unterschied zwischen Erscheinungsform und Unterschied (a) Eigentümlich ist für Unterschied, im Bereich des »wie-beschaffen-es-ist« ausgesagt zu werden, für Erscheinungsform dagegen, im Bereich des »was-es-ist« (entsprechend); auch wenn ja »Mensch« als ein »mit den und den Eigenschaften Ausgestattetes« genommen würde, so wäre er doch nicht zusatzlos ein solches, sondern nur, insofern die zur Seins-Gattung hinzutretenden Unterscheidungsmerkmale ihn als ein solches erstellt hätten. (b) Außerdem wird ein Unterscheidungsmerkmal oft über eine Mehrzahl von Erscheinungsformen hin angesehen, z. B. »vierfüßig« im Hinblick auf sehr viele Lebewesen, die sich der Erscheinungsform nach unterscheiden; die Erscheinungsform
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dagegen ist (das, was sie ist) allein im Hinblick auf die unter ihr stehenden unteilbaren Wesen. (c) Weiter, der Unterschied ist der nach ihm gebildeten Erscheinungsform vorgeordnet: »vernunftfähig«, aufgehoben, hebt »Mensch« mit auf, »Mensch« dagegen, aufgehoben, hat »vernunftfähig« nicht mit aufgehoben, es gibt dann immer noch »Gott«. (d) Weiter, Unterscheidung läßt sich zusammensetzen mit anderem Unterscheidungsmerkmal: »vernunftfähig« und »sterblich« wurde zusammengestellt zur Herstellung von »Mensch«; erscheinende Art dagegen läßt sich mit anderer Art nicht zusammensetzen, so daß sie irgend eine weitere Art erzeugten; ein bestimmtes, einzelnes Pferd tut sich mit einem bestimmten, einzelnen Esel wohl zusammen zur Erzeugung eines Maultiers, dagegen »Pferd«, ohne vereinzelnde Zutat mit »Esel« zusammengestellt, wird wohl nicht »Maultier« zuwegebringen. [Kapitel 12] Gemeinsamkeit von Unterschied und Eigentümlichkeit (a) Unterschied und Eigentümlichkeit haben gemeinsam, daß, was an ihnen teilhat, dies in gleicher Stärke tut: Was alles vernunftfähig ist, ist dies gleichsehr, und was zum Lachen fähig ist, ebenso. (b) Und: Gemeinsam ist beiden das »immer und allem«; auch wenn ein zweifüßiger (Mensch) verstümmelt worden sein sollte, so wird doch das »immer« im Hinblick auf den Naturzustand gesagt, da doch auch das »kann lachen« sein »immer« sich aus der Naturveranlagung dazu holt, und nicht daher, daß (dies Wesen) immer lachte. Unterschied zwischen Eigentümlichkeit und Unterschied (a) Eigentümlich ist für Unterschied, daß er oft über eine Mehrzahl von Erscheinungsarten hin ausgesagt wird, etwa »vernunftfähig« sowohl über »Gott« wie über »Mensch«; da-
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gegen die Eigentümlichkeit über eine einzige Erscheinungsart, der sie eben eigentümlich ist. (b) Und: Der Unterschied folgt den (Bestimmungen), deren Unterscheidungsmerkmal er war, allerdings gibt es dabei keine wechselseitige Aussage; die Eigentümlichkeiten dagegen werden in Gegenrichtung zu dem gesagt, dessen Eigentümlichkeiten sie sind, weil es hier Umkehrentsprechung gibt.
[Kapitel 13] Gemeinsamkeit von Unterschied und nebenbei Zutreffendem Dem Unterschied und dem nebenbei Zutreffenden ist gemeinsam, von einer Mehrzahl (von Gegenständen) ausgesagt zu werden; gemeinsam im Verhältnis zu unablösbaren NebenbeiBestimmungen ist das Immer-und-allen-Zukommen: »zweifüßig« ist immer an allen Raben vorhanden und »schwarz« ebenso. Eigentümlichkeiten von Unterschied und nebenbei Zutreffendem
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(a) Es liegt Unterschied darin vor, daß Unterschied (andere Bestimmungen) umfaßt, aber seinerseits nicht umfaßt wird: »vernunftfähig« schließt »Mensch« ein; nebenbei zutreffende Bestimmungen hingegen haben zwar auf eine bestimmte Weise einschließende Wirkung, dadurch daß sie an einer Mehrzahl (von Gegenständen) vorkommen, auf eine bestimmte andere Weise werden sie aber umfaßt, indem nämlich die zugrundeliegenden Gegenstände nicht bloß für eine Nebenbei-Bestimmung aufnahmefähig sind, sondern für eine Mehrzahl. (b) Und: Unterschied ist nicht steigerbar und nicht abzuschwächen, nebenbei zutreffende (Bestimmungen) nehmen das »mehr und minder« an sich. (c) Und: Einander gegenüberliegende Unterschiede sind nicht mit einander vermengbar, dagegen einander gegenüber-
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liegende Nebenbei-Eigenschaften lassen sich ja wohl vermengen. Solcher Art sind die Gemeinsamkeiten und die Eigentümlichkeiten also von Unterschied und den übrigen (Bestimmungen) im Verhältnis dazu. – Was nun die Erscheinungsform angeht, so ist, worin sie sich von Seins-Gattung und Unterschied unterscheidet, an den Stellen schon vorgetragen, wo darüber zu sprechen war, worin sich Seins-Gattung von allen anderen und worin sich Unterschied von den übrigen Bestimmungen unterscheidet.
[Kapitel 14] Gemeinsamkeit von Erscheinungsform und Eigentümlichkeit Erscheinungsform und Eigentümlichkeit haben gemeinsam, wechselseitig von einander ausgesagt zu werden: Wenn »Mensch«, so auch »des Lachens fähig«, und (umgekehrt), wenn »des Lachens fähig«, so auch »Mensch« – daß »des Lachens fähig« im Sinne der Naturveranlagung dazu zu nehmen ist, ist ja schon oft bemerkt –; die Erscheinungsformen kommen ja dem, was an ihnen Anteil hat, in gleichem Maße zu, und die Eigentümlichkeiten den (Gegenständen), deren Eigentümlichkeit sie je sind, auch. Unterschied zwischen Erscheinungsform und Eigentümlichkeit (a) Es besteht Unterschied zwischen Erscheinungsform und Eigentümlichkeit darin, daß erscheinende Art ihrerseits Seins-Geschlecht anderer (Arten) sein kann, daß dagegen etwas Eigentümliches zur Eigentümlichkeit anderer (Eigentümlichkeiten) werden könnte, ist unmöglich. (b) Und: Die Erscheinungsform ist vor dem Eigentümlichen ins Sein getreten, die Eigentümlichkeit tritt auf dem Rücken der erscheinenden Art auf: Es muß »Mensch« schon sein, wo »des Lachens fähig« sein soll.
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(c) Weiter, die Erscheinungsform liegt an dem zugrundeliegenden Gegenstand immer in tatsächlicher Wirklichkeit vor, die Eigentümlichkeit gelegentlich auch (nur) der Möglichkeit nach: Mensch ist Sokrates immer in tatsächlicher Wirklichkeit, er lacht aber nicht immer, wiewohl er immer die Naturveranlagung hat, lachen zu können. (d) Weiter, Gegenstände, deren Begriffsbestimmung sich unterscheidet, sind auch selbst unterschieden; nun besagt die Erscheinungsform das »Unter-der-Gattung-stehen« und das »von mehrerem, der Zahl nach Unterschiedenen im Bereich des ›was-es-ist‹ Ausgesagtsein«, und was dergleichen mehr ist; die von eigentümlich dagegen das »diesem-allein-und-immerund-in-allen-Fällen-Beiwohnen«.
[Kapitel 15] Gemeinsamkeit von Erscheinungsform und nebenbei Zutreffendem Erscheinungsform und nebenbei Zutreffendes haben gemeinsam, über eine Vielzahl von Gegenständen hin ausgesagt zu werden. Sonstige Gemeinsamkeiten sind selten, weil das nebenbei zutreffende Merkmal und der Gegenstand, dem dies eben nebenbei zugetroffen ist, sehr weit von einander entfernt sind. Unterschied zwischen denselben (a) Eigentümlichkeiten gibt es von jedem der beiden; bei der Erscheinungsform ist eine, daß sie von dem, dessen Erscheinungsform sie eben ist, im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt wird, die dagegen des nebenbei Zutreffenden ist das Im-Bereich-des-»wie-beschaffen«- und des »wie-verhält-es-sich«(Ausgesagtwerden). (b) Und die Tatsache, daß jedes seiende Wesen an einer einzigen Erscheinungsform teilhat, aber an einer Mehrzahl nebenbei zutreffender (Eigenschaften), sowohl solcher, die man ablösen kann, wie solcher, wo man das nicht kann.
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(c) Und: Die Erscheinungsformen kommen früher in den Gedanken als das nebenbei Zutreffende, mag dies auch unablösbar sein: es muß ja ein zugrundeliegender Gegenstand dasein, wo ihm etwas zutreffen können soll; nebenbei zutreffende Bestimmungen sind ihrem Wesen nach spätgeboren und haben vorübergehende Natur. (d) Und: Die Teilhabe an der Erscheinungsform ist immer gleichstark, die an nebenbei Zutreffendem, und wäre es auch unablösbar, ist das nicht: Ein Äthiopier mag wohl unter dem Gesichtspunkt »Schwärze« eine stärkere oder weniger starke Hautfärbung haben als ein anderer. – Bleibt also noch übrig, über eigentümlich und nebenbei zutreffend zu sprechen; inwiefern sich ja eigentümlich von Erscheinungsform, Unterschied und Seins-Geschlecht unterschieden hat, ist vorgetragen.
[Kapitel 16] Gemeinsamkeit von Eigentümlichkeit und nicht-ablösbarem nebenbei Zutreffenden (a) Gemeinsam ist also der Eigentümlichkeit und dem nichtablösbaren nebenbei Zutreffenden, daß die Gegenstände, an denen man sie betrachtet, nicht ohne sie auftreten können: Wie ohne »zum Lachen fähig« nicht »Mensch« auftritt, so wird ja wohl ohne »schwarz« auch kein Äthiopier auftreten. (b) Und: Wie die Eigentümlichkeit (am jeweiligen Gegenstand) in allen Fällen und immer vorkommt, so auch die nichtablösbare Nebenbei-Eigenschaft. Unterschied derselben (a) Es ist dadurch Unterschied eingetreten, daß die Eigentümlichkeit allein an einer Erscheinungsform auftritt, wie »zum Lachen fähig« an »Mensch«, hingegen die unabtrennbare Nebenbei-Eigenschaft, etwa »schwarz«, nicht nur dem Äthiopier beiwohnt, sondern auch dem Raben, der Kohle, dem Ebenholz und einigen anderen (Gegenständen). Daher wird auch
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die eigentümliche Bestimmung wechselweise ausgesagt mit dem (Gegenstand), dessen Eigentümlichkeit sie ist, und die reicht genau so weit wie er, das untrennbare Nebenbei hingegen wird nicht wechselweise ausgesagt. (b) Und: Die Teilhabe an eigentümlichen Bestimmungen ist immer gleichstark, bei Nebenbei-Eigenschaften gibt es stärkere und schwächere (Teilhabe). – Es gibt nun also auch noch andere Gemeinsamkeiten und Eigentümlichkeiten der genannten (fünf Bestimmungen), aber es reichen auch diese schon zu ihrer Unterscheidung und zur Bereitstellung ihrer Gemeinsamkeit.
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Kapitel 1. »Wortgleich« wird (solches) genannt, wovon bloß die Bezeichnung gemeinsam (ist), dagegen die zu dieser Bezeichnung gegebene Erklärung dessen, was es ist, verschieden, z. B.: »Lebewesen« (ist) sowohl der (lebende) Mensch wie auch ein bloß Gemaltes; bei denen ist nämlich nur die Bezeichnung gemeinsam, die zum Namen gegebene Erklärung dessen, was es ist, verschieden: wenn nämlich jemand angeben will, was denn an jedem dieser beiden ihr »Lebewesen-sein« ist, so wird er von beiden eine eigene Erklärung angeben. »Begriffsgleich« wird genannt, wovon sowohl die Bezeichnung gemeinsam ist wie auch die zum Namen gegebene Erklärung dessen, was es ist, die gleiche, z. B.: »Lebewesen« ist sowohl der Mensch wie auch das Rind; jedes dieser beiden wird mittels gemeinsamer Bezeichnung als »Lebewesen« angesprochen, und die Erklärung dessen, was es ist, ist aber die gleiche: wenn nämlich jemand von einem jeden von ihnen die Erklärung abgeben will, was ihrer beider »Lebewesen-Sein« denn ist, so wird er die gleiche Erklärung abgeben. »Abgleitet« wird genannt, was von etwas (anderem) aus, von dem es sich (nur) durch seinen Beugungsfall unterscheidet, die namentliche Ansprache hat, z. B. von »Schriftkunde« der »Schriftkundige« und von »Mannestum« der »Mannhafte«. Kapitel 2. Von allem Ausgesprochenen wird das eine in Form einer Verknüpfung ausgesprochen, anderes ohne Verknüpfung. Also in Form einer Verknüpfung z. B.: »Mensch läuft«, »Mensch siegt«; ohne Verflechtung z. B.: »Mensch«, »Rind«, »läuft«, »siegt«. Von allem, was da ist, wird (1) das eine zwar von einem Zugrundeliegenden ausgesagt, ist aber an keinem Zugrundeliegenden, z. B., »Mensch« wird zwar von einem bestimmten Menschen als Zugrundeliegendem ausgesagt, ist aber an keinem Zugrundeliegenden; (2) anderes ist an einem Zugrun-
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deliegenden, wird aber von keinem Zugrundeliegenden ausgesagt – mit »an einem Zugrundeliegenden« meine ich: Was, an etwas – nicht wie ein Teil – vorkommend, unmöglich gesondert von dem sein kann, an welchem es ist –, z. B. diese bestimmte Schriftkundigkeit tritt an einem Zugrundeliegenden auf, der Seele, wird aber von nichts Zugrundeliegendem ausgesagt, und dies bestimmte Weiße begegnet an einem Zugrundeliegenden, dem Körper – jede Farbe kommt an einem Körper vor –, es wird aber von keinem Zugrundeliegenden ausgesagt. (3) Wieder anderes wird sowohl von etwas Zugrundeliegendem ausgesagt und ist auch an einem Zugrundeliegenden, z. B., »Wissen« tritt einerseits an einem bestimmten Zugrundeliegenden auf, der Seele, andererseits wird es auch von einem Zugrundeliegenden ausgesagt, der Schriftkunde. (4) Wieder anderes ist weder an einem Zugrundeliegenden, noch wird es von einem Zugrundeliegenden ausgesagt, z. B. dieser bestimmte Mensch oder dies bestimmte Pferd – nichts derartiges tritt ja an einem Zugrundeliegenden auf, noch wird es von einem Zugrundeliegenden ausgesagt. Vereinfacht, was nicht mehr geteilt werden kann und somit eines der Zahl nach ist, wird von keinem Zugrundeliegenden ausgesagt; an Zugrundeliegendem aufzutreten aber wird einiges durchaus nicht gehindert: Diese bestimmte Schriftkunde gehört zu dem, was an einem Zugrundeliegenden vorkommt. Kapitel 3. Wenn eines vom anderen ausgesagt wird als von einem Zugrundeliegenden, (dann gilt:) Alles, was mit dem Ausgesagten gemeint ist, das wird auch alles über das Zugrundeliegende ausgesagt werden; z. B. »Mensch« wird von einem bestimmten Menschen ausgesagt, »Lebewesen« aber von »Mensch«; mithin wird also auch vom bestimmten Menschen »Lebewesen« ausgesagt; denn dieser bestimmte Mensch ist erstens Mensch und somit auch Lebewesen. Von Dingen aus verschiedenen Gattungen, die auch nicht unter einander angeordnet sind, sind auch die Unterschiede verschieden der Art nach, z. B. von »Lebewesen« und »Wissen«: Von »Lebewesen« sind die Unterschiede »Fußgänger«, »geflügelt«, »im Wasser (lebend)«, »zweifüßig«; von »Wissen«
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ist es keiner davon; es unterscheidet sich ja wohl Wissen nicht dadurch von Wissen, zweifüßig zu sein. Bei den untereinander (stehenden) Gattungen hindert dagegen nichts, daß es dieselben Unterschiedsmerkmale sind; denn die oberhalb werden von den Seinsgeschlechtern unter ihnen ausgesagt, daher, wieviele die Unterschiede des Ausgesagten sind, so viele werden es auch vom Zugrundeliegenden sein. Kapitel 4. Von dem, was da nach keiner Verknüpfung ausgesagt wird, weist ein jedes entweder auf ein seiendes Wesen hin oder auf ein »irgendwieviel« oder »irgendwie-beschaffen« oder ein »im-Verhältnis-zu ...« oder »irgendwo« oder »irgendwann« oder ein Liegen oder Haben oder Tun oder Erleiden. – Seiendes Wesen ist dabei, um es umrißhaft zu sagen, z. B. »Mensch«, »Pferd« (usw.); so-und-so-viel z. B. »zwei Ellen«, »drei Ellen« ...; derartig z. B. »weiß«, »schriftkundig«; im-Verhältnis-zu ...« z. B. »doppelt«, »halb«, »größer« ...; da-und-dort z. B. »im Lykeion«, »auf dem Markt«; dann-und-dann z. B. »gestern«, »vor einem Jahr«; Lage z. B. »liegt da«, »sitzt«; Haben z. B. »hat Schuhe an«, »hat Waffen angelegt«; Tätigsein z. B. »schneiden«, »brennen«; Erleiden z. B. »geschnitten werden«, »gebrannt werden«. Jeder der genannten (Ausdrücke) wird, rein für sich, nicht in Form einer Behauptung oder Verneinung ausgesagt, aber durch die Verknüpfung dieser miteinander wird eine Behauptung oder Verneinung (daraus); jedes behauptende oder verneinende Urteil ist doch offenkundig entweder wahr oder falsch, von dem aber, was nicht in Form einer Verknüpfung ausgesagt wird, ist nichts (derart, sondern) weder wahr noch falsch, z. B. »Mensch«, »weiß«, »läuft«, »siegt«. Kapitel 5. Wesenheit ist im eigentlichsten Sinne und in unmittelbarster Erfassung und in stärkstem Maße ausgesprochen als die, welche weder von einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird noch an einem Zugrundeliegenden auftritt, z. B. dieser bestimmte Mensch, dies bestimmte Pferd. »Zweite Wesenheiten« werden die genannt, in welchen, als den Erscheinungsformen, die im ersten Sinne genannten Wesenheiten vorkommen, – diese und auch die Seinsgeschlechter dieser er-
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scheinenden Arten; z. B. dieser bestimmte Mensch kommt in der Art »Mensch« vor, das Seinsgeschlecht dieser erscheinenden Art ist »Lebewesen«. Zweite Wesenheiten werden also solche genannt wie »Mensch«, »Lebewesen«. – Deutlich ist auch aus dem Gesagten: Von dem, was von einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird, muß sowohl das Wort wie auch der Begriff von dem Zugrundeliegenden ausgesagt werden, z. B. »Mensch« wird von dem bestimmten Menschen als Zugrundeliegendem ausgesagt, und somit wird auch das Wort davon ausgesagt – man wird doch einen bestimmten Menschen eben »Mensch« nennen –, und auch der Begriff von Mensch wird von einem bestimmten Menschen ausgesagt werden – ein jeder bestimmte Mensch ist eben auch Mensch; daher denn also: Sowohl die Wortbezeichnung wie auch der Begriff werden von dem Zugrundeliegenden ausgesagt. – Von den (Bestimmungen), die an einem Zugrundeliegenden auftreten, wird in den allermeisten Fällen weder die Wortbezeichnung noch der Begriff vom Zugrundeliegenden ausgesagt; in einigen Fällen dagegen hindert zwar nichts, das Wort vom Zugrundeliegenden auszusagen, mit dem Begriff aber ist das unmöglich; Beispiel: »weiß«, das an einem Zugrundeliegenden auftritt, nämlich einem Körper, wird von dem Zugrundeliegenden ausgesagt – man sagt eben: Der Körper ist weiß. –, der Begriff von weiß wird aber niemals von dem Körper ausgesagt. – Alle übrigen (Bestimmungen) werden entweder von den ersten Wesenheiten als Zugrundeliegendem ausgesagt oder kommen an ihnen als Zugrundeliegendem vor. Das (wird) einsichtig aus den Einzelverhältnissen, wenn man sie vornimmt; z. B. »Lebewesen« wird von »Mensch« ausgesagt, somit auch von jedem bestimmten Menschen – wenn nämlich von keinem der bestimmten Menschen, so auch von »Mensch« insgesamt nicht; und wieder, »Farbe« kommt vor an »Körper«, somit auch am bestimmten Körper; wenn denn nicht an irgendeinem der Einzelkörper, so auch an »Körper« insgesamt nicht. Daher: Alles übrige wird entweder von den ersten Wesenheiten als Zugrundeliegendem ausgesagt, oder es kommt an ihnen
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als Zugrundeliegendem vor. Wenn also die ersten Wesenheiten nicht wären, so könnte unmöglich von allen übrigen etwas sein. [Alles übrige wird ja entweder von diesen als Zugrundeliegendem ausgesagt, oder es kommt an ihnen als Zugrundeliegendem vor; daher, wären die ersten Wesenheiten nicht, so könnte unmöglich von den anderen etwas sein.] Von den zweiten Wesenheiten ist in höherem Maße Wesenheit die erscheinende Art im Vergleich zum Seinsgeschlecht; sie ist ja näher an der ersten Wesenheit. Wenn nämlich jemand von der ersten Wesenheit ihr »was-es-ist« angeben will, so wird er dies einsehbarer und angemessener tun, indem er ihre Art angibt, als (wenn er) die Seinsgattung (nennt); z. B. dürfte man einen bestimmten Menschen auf erkennbarere Weise angeben, indem man ihn als Menschen bezeichnet statt als »Lebewesen« – das ist nämlich dem bestimmten Menschen mehr eigentümlich, das andere ist allgemeiner –; und wer einen bestimmten Baum angeben will, tut dies auf leichter erkennbare Weise, indem er ihn als Baum bezeichnet statt als »Pflanze«. Weiter, die ersten Wesenheiten (betreffend:) Wegen der Tatsache, daß sie allem übrigen zugrundeliegen und alles übrige von ihnen ausgesagt wird oder an ihnen vorkommt, eben deswegen heißen sie doch Wesenheiten im Höchstmaß; wie aber die ersten Wesenheiten sich zu allem übrigen verhalten, so verhält sich auch die erscheinende Art zur Seinsgattung – es liegt nämlich die Art der Gattung zugrunde; denn Gattungen werden von Arten ausgesagt, Arten aber nicht in umgekehrter Reihenfolge von Gattungen –, also auch aus dieser Überlegung ist die erscheinende Art in höherem Maße Wesenheit als die Seinsgattung. – Von den Erscheinungsarten selbst aber, was davon nicht auch Seinsgattungen sind, ist nicht eine in höherem Maße Wesenheit als eine andere; man macht ja in keiner Weise eine näherliegende Angabe, wenn man von einem bestimmten Menschen »Mensch« angibt, als (wenn man) von einem bestimmten Pferd »Pferd« (sagt). Entsprechend auch bei den ersten Wesenheiten: es ist nicht eines mehr Wesenheit als ein ande-
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res: um nichts mehr ist ein bestimmter Mensch Wesenheit als ein bestimmtes Rind. Aus gutem Grund werden nach den ersten Wesenheiten allein unter allem die erscheinenden Arten und die Seinsgeschlechter »zweite Wesenheiten« genannt; sie allein nämlich unter allem Ausgesagten klären die erste Wesenheit: Wenn jemand von diesem bestimmten Menschen das »was-es-ist« angeben will, so wird er, wenn er die Art oder die Gattung angibt, es angemessen tun – und auf leichter einsehbare Weise wird er es machen, indem er »Mensch« statt »Lebewesen« angibt –; von allen übrigen (möglichen Aussagen), was auch immer da einer angeben mag, so wird er diese Angabe auf sachfremde Weise gemacht haben, z. B. wenn er »weiß« oder »läuft« oder was auch immer derart angibt. Daher werden mit Grund diese allein unter allen übrigen (Bestimmungen) Wesenheiten genannt. – Weiter, die ersten Wesenheiten werden aufgrund dessen, daß sie allem übrigen zugrundeliegen, im eigentlichsten Sinne Wesenheiten genannt; wie aber die ersten Wesenheiten sich zu allem übrigen verhalten, so auch die Arten und Gattungen der ersten Wesenheiten zu allen restlichen: Von diesen wird alles restliche ausgesagt; diesen bestimmten Menschen wird man schriftkundig nennen, mithin wird man »schriftkundig« auch über »Mensch« und »Lebewesen« aussprechen. Entsprechend auch bei allem anderen. Gemeinsam (gilt) von jeder Wesenheit, daß sie nicht an einem Zugrundeliegenden vorkommt. Die erste Wesenheit wird weder von einem Zugrundeliegenden ausgesagt, noch kommt sie an einem Zugrundeliegenden vor. Von den zweiten Wesenheiten ist auch folgendermaßen deutlich, daß sie nicht an Zugrundeliegendem vorkommen: »Mensch« wird ja zwar von einem Zugrundeliegenden, nämlich einem bestimmten Menschen, ausgesagt, kommt aber daran als Zugrundeliegendem nicht vor – denn an dem bestimmten Menschen findet sich »Mensch« nicht vor –; ebenso wird auch »Lebewesen« zwar von Zugrundeliegendem ausgesagt, dem bestimmten Menschen, aber »Lebewesen« findet sich an dem bestimmten Menschen nicht vor. –
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Weiter, bei den (Bestimmungen), die an einem Zugrundeliegenden vorkommen, hindert nichts, die Bezeichnung gelegentlich von dem Zugrundeliegenden auszusagen, bei dem Begriff (davon) ist das aber unmöglich; von den zweiten Wesenheiten dagegen wird ebenso der Begriff von dem Zugrundeliegenden ausgesagt wie auch die Wortbezeichnung – den Begriff »Mensch« wird man von dem bestimmten Menschen aussagen und auch den von »Lebewesen«. Mithin gehörte also Wesenheit nicht zu den (Bestimmungen, die) an einem Zugrundeliegenden (vorkommen). – Das ist aber keine Eigentümlichkeit von Wesenheit, sondern auch der Unterschied gehört zu den (Bestimmungen, die) nicht an einem Zugrundeliegenden (vorkommen): »Fußgänger« und »zweifüßig« werden zwar von »Mensch« als Zugrundeliegendem ausgesagt, kommen aber an Zugrundeliegendem nicht vor – nicht an dem Menschen findet sich »zweifüßig« oder »zu Fuß gehend« vor –. Auch der Begriff des Unterschiedes wird (von dem) ausgesagt, wovon immer der Unterschied ausgesagt wird, z. B. wenn »zu Fuß gehend« von »Mensch« ausgesagt wird, so wird auch der Begriff von »zu Fuß gehend« von »Mensch« ausgesagt werden, – der Mensch ist doch ein Fußgänger. – Es soll uns aber nicht durcheinanderbringen, daß die Teile von Wesenheiten an dem jeweiligen Ganzen wie an Zugrundeliegendem vorkommen, daß wir nicht etwa gezwungen sind zu sagen, das wären keine Wesenheiten; das »an einem Zugrundeliegenden« war doch so nicht bestimmt, als wie Teile von etwas darin enthalten zu sein. Es trifft aber den Wesenheiten und den Unterschieden zu, daß alle von ihnen aus gebildeten Aussagen in begriffsgleicher Weise erfolgen; alle von diesen (hergeleiteten) Aussagen werden entweder vom Unteilbaren ausgesagt oder von den erscheinenden Arten. Von der ersten Wesenheit geht zwar keine Aussage aus – sie wird ja von keinem Zugrundeliegenden ausgesagt –, von den zweiten Wesenheiten wird die Art vom Unteilbaren ausgesagt, die Seinsgattung sowohl von der Erscheinungsart wie auch vom Unteilbaren. Entsprechend werden
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auch die Unterschiede sowohl von den Arten wie auch vom Unteilbaren ausgesagt. Und auch den Begriff übernehmen die ersten Wesenheiten mit, den der erscheinenden Arten und den der Seinsgeschlechter, und die Art ihrerseits den der Seinsgattung. Alles, was nämlich vom Ausgesagten gesagt wird, wird damit auch vom Zugrundeliegenden ausgesprochen. Entsprechend übernehmen sie auch den Begriff der Unterschiede mit, sowohl die erscheinenden Arten wie auch die Unteilbaren; begriffsgleich bedeutete doch: »... deren Bezeichnung gemeinsam ist wie auch der Begriff der gleiche«. Daher alles von den Wesenheiten und den Unterschieden Abgeleitete in begriffsgleicher Weise ausgesagt wird. Jede Wesenheit scheint ein »dieses-da« zu bedeuten. Bei den ersten Wesenheiten ist unbestreitbar und wahr, daß sie je ein »dieses-da« meint: Unteilbar und eines an Zahl ist doch je das Bezeichnete. Bei den zweiten Wesenheiten scheint es gleicherweise aufgrund der Form der Ansprache, als ob sie ein »dieses-da« meinten, wenn man etwa sagt: »Mensch« oder »Lebewesen«. Das ist aber nicht wahr, sondern das bedeutet eher »so-und-so-geartet«, – denn das Zugrundeliegende ist hier nicht eines, wie die erste Wesenheit, sondern über vieles wird »Mensch« ausgesagt und »Lebewesen«. Allerdings nicht ohne Einschränkung bedeutet es ein »so-und-so-geartet«, wie etwa »weiß«; »weiß« bedeutet nämlich nichts anderes als (nur) »derart«, Erscheinungsart und Seinsgattung dagegen legen bezüglich einer Wesenheit ihr »derartig« fest: sie machen kenntlich, (um) »was für eine« Wesenheit (es sich je handelt). – Es ist über einen weiteren Umfang, wenn man die Abgrenzung mithilfe der Seinsgattung als als wenn man sie mithilfe der Erscheinungsart macht: Wer »Lebewesen« sagt, umgreift einen größeren Bereich, als wer »Mensch« (sagt). Es trifft den Wesenheiten auch zu, daß es zu ihnen kein Gegenteil gibt. Was sollte denn zu einer ersten Wesenheit auch gegensätzlich sein? Z. B. zu diesem einen, bestimmten Menschen ist nichts gegensätzlich, und auch zu »Mensch« oder »Lebewesen« gibt es kein Gegenteil. Das ist jedoch der Wesenheit nicht eigentümlich, sondern (gilt) auch von vielem anderen,
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z. B. von »so-und-so-viel«: Zu »zwei Ellen lang« gibt es kein Gegenteil und zu »zehn« auch nicht und zu keiner derartigen (Bestimmung), wenn nicht etwa jemand sagen wollte, »viel« sei das Gegenteil zu »wenig« oder »groß« das von »klein«; von den genau bestimmten Vielheiten ist aber keine zu irgendeiner anderen das Gegenteil. Es scheint die Wesenheit ein Mehr oder Minder nicht zusätzlich an sich zu nehmen. Damit sage ich nicht, daß nicht eine Wesenheit dies in höherem Maße ist als eine andere – daß das so ist, ist ja gesagt –, sondern daß eine jede Wesenheit das, was sie denn ist, nicht in stärkerem oder minderem Maße genannt wird; z. B. wenn diese Wesenheit »Mensch« ist, so wird das nicht mehr oder weniger Mensch sein, weder an sich selbst gemessen noch als etwas Verschiedenes an einem anderen. Denn es ist nicht einer »mehr Mensch« als ein anderer, so wie ein »weiß« weißer sein kann als ein anderes und ein »schön« schöner als ein anderes; und auch an sich selbst gemessen sagt man hier »mehr oder weniger« aus, z. B. ein Körper, der weiß ist, wird – jetzt oder früher – »weißer« genannt, und einer, der warm ist, wird »wärmer« und »weniger warm« genannt. Die Wesenheit dagegen wird keinesfalls »mehr oder weniger (das)« genannt – es wird ja ein Mensch jetzt nicht mehr Mensch als früher genannt und auch nichts anderes von allem, was da Wesenheit ist. Daher, es dürfte wohl die Wesenheit das Mehr und Minder nicht zusätzlich an sich nehmen. – Das am stärksten Eigentümliche der Wesenheit scheint zu sein, daß das, was da mit sich selbig und der Zahl nach eines ist, fähig ist, die gegenteiligen Bestimmungen an sich zu nehmen. Eine derartige Eigenschaft könnte bei allem anderen wohl keiner vorbringen [...], was da eines an Zahl wäre und doch Gegensätzliches an sich nimmt; z. B. »Farbe«, die da eine und dieselbe der Zahl nach ist, wird nicht »weiß und schwarz« sein, auch eine einheitliche und dieselbe Handlung wird nicht »nichtsnutzig und tüchtig« sein, ebenso bei allem anderen, was da nicht Wesenheit ist. Die Wesenheit dagegen, die da eines und dasselbe der Zahl nach ist, ist in der Lage, gegensätzliche Bestimmungen anzunehmen; z. B. dieser be-
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stimmte Mensch, der einer und derselbe ist, wird mal weiß mal schwarz, mal warm und kalt und nichtsnutzig und tüchtig. Bei keinem unter allem übrigen tritt etwas derartiges in Erscheinung, wenn denn nicht jemand hier einreden wollte, indem er behauptet, »Rede« und »Meinung« gehörten auch hierher; denn eine und dieselbe Aussage scheint wahr und falsch sein zu können, z. B., wenn der Satz wahr wäre: »Jemand sitzt.«, dann wird, wenn der aufsteht, dieser selbe (Satz) falsch sein; ebenso auch bei der Meinung: Wenn einer wahrheitsgemäß meinte: »Da sitzt jemand.«, so wird, sobald der aufgestanden ist, der, welcher (immer noch) die gleiche Meinung über ihn hat, darüber falsch vermuten. Wollte man das auch zusätzlich annehmen, so unterscheidet sich das doch durch den Verlauf: Einerseits bei den Wesenheiten, da ändern sich die Dinge selbst, die fähig sind, Gegensätze an sich zu nehmen – was da aus einem Warmen kalt geworden ist, hat sich gewandelt, es hat ja Andersartigkeit angenommen, und aus einem Weißen schwarz, und aus einem Nichtsnutzigen tüchtig, entsprechend auch bei allem anderen: Ein jedes ist fähig, Gegensätze an sich zu nehmen dadurch, daß es selbst Wandel annimmt –; dagegen Rede und Meinung sind selbst unveränderlich und bleiben in jeder Weise durchaus (was sie sind), dadurch aber, daß der Sachverhalt sich bewegt, gerät das Gegenteil über sie. Der Satz bleibt ja derselbe, der da sagt: »Da sitzt einer.«, durch die Bewegung des Sachverhalts wird er mal wahr, dann falsch; entsprechend bei der Meinung. Also wäre es wenigstens dem Verlaufe nach eine Eigentümlichkeit der Wesenheit, daß sie über Veränderung an ihr selbst fähig wird, Gegensätzliches an sich zu nehmen. Wenn einer nun ganz entschieden auch das dazunehmen wollte, daß Meinung und Rede fähig seien, das Gegensätzliche an sich zu nehmen: – das ist aber nicht wahr. Denn von Rede und Meinung wird nicht deswegen, daß sie einen der Gegensätze annehmen, gesagt, sie könnten das, sondern deswegen, weil an einem von ihnen Verschiedenen dies Ereignis aufgetreten ist, – aufgrund davon, daß der (jeweilige) Sachverhalt besteht oder nicht besteht, wird auch der (ihn beschreibende) Satz wahr oder falsch genannt, nicht des-
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wegen, weil er selbst fähig wäre, diese Gegensätze an sich zu nehmen. Schlechterdings überhaupt nicht, von gar nichts werden Rede und Meinung verändert, daher sie denn nicht fähig wären, Gegensätze an sich zu nehmen, wo doch an ihnen selbst nichts geschieht. Dagegen wird die Wesenheit aufgrund dessen, daß sie selbst die Gegensätze an sich nimmt, aufnahmefähig für die Gegensätze genannt: Krankheit und Gesundheit nimmt sie an, und weiße und schwarze Farbe, und indem sie eine jede derartige (Bestimmtheit) selbst annimmt, sagt man von ihr, sie sei für die Gegensätze aufnahmefähig. Daher dürfte es wohl eine Eigentümlichkeit der Wesenheit sein, daß, was eines und dasselbe der Zahl nach ist, aufnahmefähig für die Gegensätze ist. Über Wesenheit soll nun also so viel gesagt sein. – Kapitel 6. An dem, was »so-und-so-viel« ist, (ist zu unterscheiden) einerseits, was feste Grenzen in sich hat, andererseits Zusammenhängendes, und das eine davon besteht aus Teilen darin, die gegen einander eine Anordnung haben, das andere nicht aus solchen, die Anordnung haben. Abgegrenzte (Vielheit) ist z. B. Zahl, (gesprochene) Rede, zusammenhängende (ist) Strich, Oberfläche, Körper, außerdem daneben noch Zeit, Ort. – Die Teile von Zahl haben keine gemeinsame Grenze, an der die Teile davon einander berühren; wenn z. B. »fünf« Teil von »zehn« ist, so kommen an keiner gemeinsamen Grenze die fünf und fünf zur Berührung, sondern sie sind abgegrenzt; und die drei und die sieben kommen auch an keiner gemeinsamen Grenze zur Berührung. Und überhaupt kann man bei Zahl wohl nicht eine gemeinsame Grenze der Teile ergreifen, sondern das ist immer abgegrenzt. Daher gehört Zahl auf die Seite der abgegrenzten (Bestimmungen). – Entsprechend gehört auch Rede zu den Abgegrenzten; – daß Rede ein »so-und-so-viel« ist, ist einsichtig: Sie wird ja gemessen mithilfe langer und kurzer Silbe; ich meine damit eben unter Stimmgebrauch zustandegekommene Rede –; an keiner gemeinsamen Grenze berühren einander ihre Teile; da ist ja keine gemeinsame Grenze, an der die Silben sich berühren, sondern eine jede ist für sich abgegrenzt. –
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Der Strich dagegen ist ein Zusammenhängendes; man kann nämlich eine gemeinsame Grenze greifen, an der seine Teile einander berühren, den Punkt. Und von der Oberfläche (ist diese gemeinsame Grenze dann) der Strich, – die Teile von Fläche berühren einander eben an einer gemeinsamen Grenze –; entsprechend kann man auch beim Körper eine gemeinsame Grenze greifen, eine Kante oder eine Oberfläche, an der die Teile des Körpers einander berühren. – Es gehört auch die Zeit und der Ort zu den derartigen (Bestimmungen); die Jetztzeit berührt sich doch mit der vergangenen und der bevorstehenden. Und der Ort wieder gehört zum Zusammenhängenden; es ist doch ein Ort, den die Teile des Körpers einnehmen, die da an einer gemeinsamen Grenze sich berühren; also auch die Teile von Ort, die da durch einen jeden der Teile von Körper eingenommen sind: sie werden sich an der gleichen Grenze berühren, an der das auch die Teile des Körpers tun. Daher ist ja wohl auch der Ort ein Zusammenhängendes: an einer einzigen, gemeinsamen Grenze berühren einander seine Teile. Weiter, die einen Dinge bestehen aus Teilen in ihnen, die zueinander eine Anordnung haben, die anderen nicht aus solchen, die eine haben; z. B. die Teile einer Geraden haben Anordnung zueinander: Jeder von ihnen liegt an einer bestimmten Stelle, und man kann doch erfassen und angeben, wo ein jeder in der Fläche liegt und mit welchem der übrigen Teile er sich berührt. Entsprechend haben auch die Teile einer Fläche eine bestimmte Anordnung; in gleicher Weise kann ja wohl angegeben werden, wo ein jeder liegt und welche berührend aneinanderstoßen. Und die Verhältnisse beim festen (Körper) entsprechend und die beim Ort. Bei der Zahl dagegen wüßte wohl keiner zu ersehen, daß ihre Teile irgendeine Lage zu einander hätten oder irgendwo liegen, oder welche unter den Teilen in Berührung zueinander kommen. Auch nicht die von Zeit; es hat nämlich keins der Teile von Zeit Bestand, was aber nicht beständig ist, wie sollte das irgendeine Lage haben können? Stattdessen könnte man eher sagen, sie haben eine Art Reihe, dadurch daß ein
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Zeitstück früher ist, das andere später. Und bei Zahl dann genauso, dadurch daß »eins« früher gezählt wird als »zwei«, und »zwei« (früher) als »drei«. Und so haben sie denn wohl eine Reihe, eine Lage kann man hier durchaus nicht greifen. Und mit Rede entsprechend: Keins ihrer Teile hat Bestand, sondern gesagt ist dies und ist nicht mehr zu fassen, daher es keine Lage ihrer Teile gibt, wenn doch keins Bestand hat. Also: Die einen Dinge bestehen aus Teilen, die eine Anordnung haben, die anderen nicht aus solchen, die eine haben. In eigentlicher Bedeutung »vielheitlich« wird dies allein genannt, was vorgetragen ist, alle anderen Bestimmungen nur in beiläufiger Folge so; indem wir auf diese nämlich hinblicken, nennen wir auch alles übrige »so-und-so-viel«, z. B. wird das Weiß »viel« genannt, dadurch daß da viel (weiße) Fläche ist, und man spricht von »viel Arbeit« aufgrund dessen, daß das lange Zeit dauert, und auch von »langer Bewegung« (spricht man, aus dem gleichen Grunde). Denn ein jedes davon wird nicht an sich »so-und-so-viel« genannt; z. B. wenn jemand angeben will, wie groß der Arbeitsumfang ist, so wird er das mittels der Zeit bestimmen, indem er sie als »ein Jahr in Anspruch nehmend« oder ähnlich angibt, und wenn er von »weiß« angeben will, es sei so und so viel, so wird er es nach der (davon bedeckten) Fläche bemessen, – wie groß nämlich die Oberfläche ist, »so viel weiß«, wird er sagen, sei da. Also: Ausschließlich im eigentlichen Sinn und an und für sich wird »so-und-so-viel« das genannt, was vorgetragen ist, von den anderen (Bestimmungen) keine an ihr selbst, sondern wenn denn schon, so in beiläufiger Folge. Weiter, zu Vielheitlichem gibt es kein Gegenteil, – bei den genau bestimmten Größen ist es ja einsichtig, daß es zu ihnen kein Gegenteil gibt, z. B. zu »zwei Ellen lang« oder »drei Ellen lang« oder dieser (so und so großen) Fläche oder (überhaupt) zu etwas derart – da ist gar kein Gegenteil –, wenn nicht einer sagen wollte, »viel« sei doch zu »wenig« das Gegenteil und »groß« zu »klein«. Aber davon ist ja nichts ein »so-undsoviel«, sondern die gehören zum »im Verhältnis zu ...«; nichts wird doch an sich selbst »groß« genannt oder »klein«, sondern
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es wird damit auf ein anderes bezogen, z. B. wird ein Berg wohl »klein« genannt, ein Hirsekorn aber »groß«, aufgrund dessen daß es größer ist als seine Artgenossen, er aber kleiner als seine Nachbarn. Es erfolgt also damit der Bezug auf ein anderes, denn wenn »groß« oder »klein« an und für sich ausgesagt würden, würde nie der Berg »klein« genannt, das Hirsekorn aber »groß«. Und wieder, wir sagen (gelegentlich): »In dem Dorf sind aber viele Leute.«, und: »In Athen sind wenig«, wo das doch vielmal so viele sind wie die (im Dorf), und: »Im Haus sind viele, im Theater aber wenige«, wo doch die wenigen im Theater bedeutend mehr sind (als die im Haus). – Weiter, »zweiellig« und »dreiellig« und alles derart bedeutet ein »so-und-so-viel«, dagegen »groß« oder »klein« bedeutet nicht ein »so-und-so-viel«, sondern eher ein »im Verhältnis zu ...«: Auf ein anderes hin wird »groß« und »klein« angesehen; daher denn einsichtig ist: Dies gehört zum »im Verhältnis zu ...«. – Weiter, ob nun einer sie ansetzt, »so-und-so-viele« zu sein, oder ob er sie nicht so setzt, ein Gegenteil haben sie in jedem Falle nicht; was doch gar nicht für sich zu greifen ist, sondern immer nur auf etwas anderes hin bezogen, wie sollte es dazu wohl ein Gegenteil geben? – Weiter, wenn »groß« und »klein« Gegensätze sind, so wird eintreten, daß ein und dasselbe gleichzeitig die Gegensätze an sich nimmt, es also Dinge gibt, die in sich widersprüchlich sind. Es ergibt sich ja, daß ein und dasselbe gleichzeitig groß und klein ist – im Verhältnis zu dem ist es nämlich klein, im Verhältnis zu einem anderen ist eben dieses groß –, sodaß eintritt, daß es denn also gleichzeitig die Gegensätze an sich nähme. Dagegen: Nichts nimmt offenbar gleichzeitig Gegensätze an sich; z. B., was die Wesenheit betrifft: Sie ist offenbar fähig, Gegensätze anzunehmen, aber kein eines ist gleichzeitig krank und gesund, und auch nicht weiß und schwarz ist es zugleich, und auch von allem übrigen nimmt nichts gleichzeitig die Gegensätze an sich. Und es tritt auch ein, daß die Dinge selbst mit sich in Widerspruch geraten; wenn doch »groß« dem »klein« entgegen-
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gesetzt ist und nun ein und dasselbe zugleich groß und klein ist, dann wäre es selbst mit sich im Gegensatz. Aber es gehört ja zu den Unmöglichkeiten, daß etwas mit sich selbst im Gegensatz ist. – Es ist also »groß« dem »klein« nicht entgegengesetzt und »viel« nicht dem »wenig«, daher, wenn es einer auch sagen wird, daß die nicht zum »im Verhältnis zu ...«, sondern zum »so-und-so-viel« gehören, sie doch kein Gegenteil haben werden. – Am meisten aber scheint die Gegensätzlichkeit im Bereich des »so-und-so-viel« beim Ort vorzuliegen; denn »oben« und »unten« setzt man als Gegenteil, wobei man den Platz um die Mitte (des Alls) herum »unten« nennt, weil diese Mitte den meisten Abstand zu den Grenzen der Welt hat. Sie scheinen auch die Begriffsbestimmung aller übrigen Gegensätze davon abzuziehen: Das, was am meisten von einander entfernt steht, von dem, was in die gleiche Seinsgattung gehört, das bestimmen sie als gegensätzlich. Es scheint aber das »so-und-so-viel« das »mehr« und »minder« nicht an sich zu nehmen, z. B. »zwei Ellen lang« – da ist nicht das eine »mehr zwei Ellen lang« als ein anderes; auch nicht bei der Zahl, z. B. ist »drei« nicht in höherem Maße drei, wenn man sie an »fünf« hält, auch nicht eine »Drei« mehr als eine andere; und überhaupt bei den genannten (Bestimmungen) nicht: Über keine wird das »mehr« oder »minder« ausgesagt. Daher nimmt das »so-und-so-viel« das »mehr oder minder« nicht an sich. Eine ganz besondere Eigentümlichkeit des »so-und-so-viel« ist, daß hier von »gleich« und »ungleich« gesprochen wird. Jedes der genannten »Irgendwievielen« wird ja »gleich« und »ungleich« genannt, z. B. einen Körper nennt man »gleich (groß)« und »ungleich(groß)«, und Zahl wird »gleich« und »ungleich« genannt und Zeit auch »gleich« und »ungleich«; entsprechend auch bei allem übrigen Genannten: Ein jedes wird da »gleich« und »ungleich« genannt. Bei allem übrigen, was da nicht ein »so-und-so-viel« ist, scheint es ja doch durchaus nicht so, daß man es »gleich« oder »ungleich« nennt, z. B. eine Befindlichkeit wird durchaus
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nicht »gleich(groß)« oder »ungleich(groß)« genannt, sondern eher »ähnlich«, und »weiß« durchaus nicht »gleich« oder »ungleich«, sondern »ähnlich«. Daher wäre eine ganz besondere Eigentümlichkeit des »so-und-so-viel«, daß da von »gleich« und »ungleich« gesprochen wird. Kapitel 7. »Im-Verhältnis-zu ...« wird solches genannt, bei dem man sagt, daß das, was es selbst ist, von einem anderen sich herleitet oder (das) irgendwie anders auf ein von ihm Verschiedenes (bezogen ist). Z. B. »größer« ist das, was es ist, (je) »als ein anderes« – man sagt doch: »Größer als etwas« –, und »doppelt so viel« wird mit Bezug auf ein anderes das genannt, was es ist – man sagt: »Doppelt so viel wie ...« –; entsprechend auch bei allem anderen, was derart ist. – Es gehören aber auch folgende (Bestimmungen) zu den »im Verhältnis zu ...« wie: Verhalten, Befindlichkeit, Wahrnehmung, Wissen, Lage; von all den Genannten sagt man, daß sie das, was sie sind, in Beziehung auf anderes sind, und nichts anderes: Sich-Verhalten wird als »Sich-Verhalten-zu-etwas« ausgesagt, Wissen als »Wissen-von-etwas« und Lage als »Lage-im-Verhältnis-zu-etwas«, und alles übrige genauso. »Im Verhältnis zu ...« ist also alles, von dem man sagt, daß das, was es selbst ist, von der Beziehung auf ein anderes herkommt, oder was irgendwie anders auf ein von ihm Verschiedenes (bezogen ist). Z. B., ein Berg wird »hoch« genannt im Vergleich zu einem anderen – »hoch im Verhältnis zu ...«, sagt man von dem Berg –, und was ähnlich ist, spricht man als »ähnlich wie ...« an, und alle übrigen derartigen Bestimmungen werden entsprechend »im Verhältnis zu ...« ausgesagt. Es sind auch Liegen, Stand, Sitz bestimmte Formen von Lage, Lage aber gehört zu den (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...«; dagegen das Sichniederlegen, Aufstehen, Sichhinsetzen sind selbst keine Lagen, sie werden aber in Ausdrücken, die von den genannten Lagen abgeleitet sind, ausgesprochen. Es kommt auch Gegensätzlichkeit unter diesen (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« vor, z. B. ist die Tüchtigkeit dem Versagen entgegengesetzt, jedes der beiden ist ein »im Verhältnis zu ...«, und das Wissen der Unwissenheit. Aller-
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dings nicht allen den »im Verhältnis zu ...« trifft ein Gegenteil zu: »Doppelt« hat nämlich kein Gegenteil, »dreifach« auch nicht und von den derartigen keines. – Es scheinen aber die (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« das »mehr und minder« an sich zu nehmen: »Ähnlich« nennt man doch etwas »in stärkerem oder geringerem Maße«, und bei »ungleich« sagt man auch »mehr oder weniger«, beides davon ist im Verhältnis zu etwas: Ähnlich wird als »ähnlich wie ...« ausgesagt und ungleich als »ungleich dem ...« Allerdings nicht alles nimmt hier das »mehr und minder« an: »Doppelt« wird nicht als »mehr oder weniger doppelt« ausgesagt, und (überhaupt) von derartigem nichts. Alle Bestimmungen »im Verhältnis zu ...« werden in wechselseitiger Entsprechung ausgesagt, z. B. der Sklave wird als »eines Herrn Sklave« gemeint und der Herr als »eines Sklaven Herr« ausgesagt, und »doppelt« ist die »Verdoppelung eines Halben« und »halb« die »Halbierung eines Doppelten«, und »größer« (meint) »größer als ein Kleineres«, und »kleiner« (ist) »kleiner als ein Größeres«; entsprechend auch bei allem übrigen, nur, der Beugungsform nach wird sich das manchmal in der Aussprache unterscheiden; z. B. Wissen wird als »Wissen von Wißbarem« ausgesprochen, und Wißbares ist »durch Wissen wißbar«, und Wahrnehmung ist »Wahrnehmung des Wahrnehmbaren«, und Wahrnehmbares ist »wahrnehmbar mithilfe der Wahrnehmung«. Indessen manchmal scheint die Entsprechung nicht zu bestehen, wenn das, im Verhältnis wozu es ausgesagt wird, nicht in passender Weise angegeben ist, sondern der Angebende da Fehler macht; z. B. wenn »Flügel« angegeben wird als »... eines Vogels«, so gilt die Umkehrung, »Vogel eines Flügels«, nicht; es ist dann nämlich nicht sachgemäß das unmittelbar Nächstliegende wiedergegeben mit »Flügel eines Vogels«, – denn nicht über die Beziehung, daß er ein Vogel ist, wird über ihn »Flügel« ausgesagt, sondern insofern er zu »geflügelt« gehört: viele andere (Tiere) haben ja auch Flügel, die keine Vögel sind. – Daher, wenn sachgemäß angegeben wird, dann gilt auch die entsprechende Umkehrung, z. B.: Flügel ist »Flügel eines
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Geflügelten«, und das Geflügelte (ist) »über Flügel geflügelt«. – Gelegentlich ist es vielleicht sogar notwendig, wortschöpferisch tätig zu sein, wenn keine vorliegende Bezeichnung da ist, auf die hin sachgemäß die Angabe gemacht werden könnte. Z. B., wenn »Steuerruder« als »... des Schiffes« angegeben würde, so (wäre) diese Angabe nicht sachgemäß: Nicht über die Verbindung, daß es ein Schiff ist, wird von ihm das Steuerruder ausgesagt, es gibt ja auch Schiffe, die kein Steuerruder haben; deshalb geht keine Umkehrung: Schiff wird nicht als »eines Steuerruders Schiff« ausgesagt. Dagegen wäre vielleicht die Angabe sachgemäßer, wenn irgendwie so angegeben würde: Steuerruder (ist) »Ruder eines Steuerbaren«, oder so ähnlich, – eine Bezeichnung dafür liegt nicht fest. Da gilt dann auch die Umkehrung, wenn das sachgemäß wiedergegeben ist: Steuerbar (ist) »durch ein Ruder steuerbar«. Entsprechend auch bei allem übrigen, z. B. wäre »Haupt« wohl sachgemäßer wiedergegeben als »eines Be-Haupteten« denn »eines Lebewesens« angegeben. Nicht insofern es ein Lebewesen ist, hat es ja ein Haupt, viele unter den Lebewesen haben ja kein Haupt. Folgendermaßen könnte man vielleicht am leichtesten erfassen, wofür es da keine Bezeichnungen gibt, wenn man von unmittelbar Nächstliegendem aus auch dem, was ihm da umgekehrt entsprechen soll, die Namen gäbe, wie bei dem oben Genannten: Von »Flügel« »geflügelt« und von »Steuerruder« »steuerbar«. Alle die Dinge »im Verhältnis zu ...« werden mithin, wenn sie nur sachgemäß angegeben werden, im Verhältnis zu umgekehrt Entsprechendem ausgesagt. – Indessen, wenn sie in Beziehung auf ein beliebig Herbeigerafftes angegeben werden und nicht in Beziehung auf das, als was es ausgesagt wird, besteht eine Umkehrung nicht. Ich meine damit: Auch bei eingestandenermaßen in Bezug auf umgekehrt Entsprechendes Ausgesagtem, und wenn dafür auch Bezeichnungen bereitstehen, wird nichts umgekehrt entsprechen, wenn die Angabe im Hinblick auf irgend etwas nur beiläufig Mitgemeintes erfolgt und nicht im Hinblick auf das, als was es da ausgesprochen wird; z. B. wenn »Sklave« nicht als »... eines Herrn« angegeben wird, sondern als »... eines Men-
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schen« oder »... eines Zweifüßigen«, oder wessen auch immer derart, dann gibt es keine entsprechende Umkehrung: diese Angabe war nicht sachgemäß. Weiter, wenn es nun sachgemäß angegeben ist im Hinblick auf das, als was es ausgesprochen wird, nach Fortnahme aller übrigen Bestimmungen, soviel da beiläufig mitgemeint sind, und wenn nur das allein zurückbleibt, im Hinblick auf welches es sachgemäß angegeben wurde, dann wird es immer im Verhältnis zu diesem ausgesagt werden. Z. B. wenn der Sklave »im Verhältnis zum Herrn« so genannt wird, nach Fortnahme von allem, was da dem »Herrn« beiläufig mitfolgt, z. B. »zweifüßig sein«, »fähig sein, sich Wissen anzueignen«, »Mensch sein«, und wenn dann allein das »Herr sein« übrigbleibt, so wird der Sklave immer im Verhältnis zu diesem so genannt werden: »Sklave« wird ausgesagt als »eines Herrn Sklave«. Wenn andererseits nicht sachgemäß angegeben worden ist im Hinblick auf das, als was es ausgesagt wird, und wenn zwar alles übrige fortgenommen wird und nur das übrigbleibt, im Hinblick auf das es angegeben war, so wird es nicht im Verhältnis zu diesem ausgesagt werden. Es soll einmal angegeben sein »Sklave« mit »... eines Menschen« und »Flügel« mit »... eines Vogels«, und es soll fortgenommen sein von »Mensch« dessen »Herr-sein«: Nicht mehr wird »Sklave« im Verhältnis zu »Mensch« ausgesagt werden – wenn nämlich kein Herr ist, so ist auch kein Sklave –; entsprechend soll auch von »Vogel« fortgenommen sein das »Geflügelt-sein«: Nicht mehr wird »Flügel« zu den Bestimmungen »im Verhältnis zu ...« gehören; wenn nämlich es kein Geflügeltes gibt, so wird auch kein »Flügel von etwas« sein. Daher: Man muß die Angabe machen im Verhältnis zu dem, als was es je sachgemäß ausgesagt wird, und wenn eine vorliegende Bezeichnung da ist, dann fällt die Angabe leicht, ist aber keine da, so ist es wohl nötig, Wortschöpfung zu betreiben. Wenn das in der Weise angegeben wird, so ist einsichtig: Alle (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« werden im Verhältnis zu umgekehrt entsprechenden (Bestimmungen) ausgesagt werden.
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Es scheinen die (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« von ihrer Naturbeschaffenheit her zugleich zu bestehen. Und bei den meisten ist das auch wahr: »Doppelt« und »halb« bestehen zugleich, und wo ein »halb« ist, ist auch ein »doppelt«, und wenn »Sklave« ist, ist auch »Herr«; ähnlich wie dies auch alles übrige. – Und das hebt sich gegenseitig auch auf: Wo kein »doppelt« ist, da auch kein »halb«, und wo kein »halb« ist, da auch kein »doppelt«. Entsprechend auch bei allem anderen, was da derartig ist. – Allerdings nicht bei allen den »im Verhältnis zu ...« scheint es wahr zu sein, daß sie ihrer Naturbeschaffenheit nach zugleich bestehen: Das Wißbare scheint ja wohl früher zu bestehen als das Wissen davon; denn in den meisten Fällen eignen wir uns Kenntnisse von Tatbeständen an, die schon vorliegen; nur bei wenigen (Gegenständen), oder so gut wie keinem, könnte man wohl sehen, daß Wißbares und das Wissen davon zugleich auftreten. – Weiter, wird »wißbar« gestrichen, so hebt das auch »Wissen davon« auf, dagegen Wissen hebt das Wißbare nicht auf; wo kein Wißbares ist, da ist auch kein Wissen davon – es wäre ja dann nur noch ein Wissen von nichts –, wenn dagegen Wissen nicht da ist, so hindert nichts, daß es Wißbares doch gibt. Beispiel: Die Vierecksumwandlung des Kreises – wenn das etwas Erforschbares ist, so gibt es zwar davon noch kein Wissen, (das Verfahren) selbst ist aber wißbar. – Weiter, würde »Lebewesen« gestrichen, so gibt es kein Wissen, von Wißbarem dagegen kann noch viel sein. – Ähnlich wie damit ist es auch bei den Verhältnissen der Wahrnehmung: Das Wahrnehmbare scheint früher da zu sein als die Wahrnehmung davon; wird »wahrnehmbar« fortgenommen, so hebt das auch »Wahrnehmung« mit auf, »Wahrnehmung« dagegen hebt »wahrnehmbar« nicht mit auf. Die Wahrnehmungen spielen sich nur um den Leib herum ab und sind an ihm; wird »wahrnehmbar« aufgehoben, so ist damit auch »Leib« aufgehoben – zu den wahrnehmbaren Dingen gehört doch auch der Leib –, wo aber »Leib« nicht ist, da ist auch »Wahrnehmung« aufgehoben, daher hebt »wahrnehmbar« »Wahrnehmung« mit auf. Dagegen »Wahrnehmung« das
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»wahrnehmbar« nicht; würde »Lebewesen« gestrichen, so ist damit zwar »Wahrnehmung« aufgehoben, Wahrnehmbares aber wird es geben: Körper, warm, süß, bitter und alles übrige, was da alles wahrnehmbar ist. – Weiter, Wahrnehmung entsteht zugleich mit Wahrnehmungsfähigem – gleichzeitig treten doch auf: Lebewesen und Wahrnehmung –, das Wahrnehmbare ist aber schon da, bevor es Wahrnehmung gibt – Feuer nämlich und Wasser und die derartigen (Stoffe), aus denen auch das Lebewesen zusammentritt, sind schon da, auch bevor es überhaupt Lebewesen gibt oder Wahrnehmung –; daher dürfte also das Wahrnehmbare früher als die Wahrnehmung sein. Es hat aber eine Schwierigkeit (zu entscheiden), ob keine Wesenheit unter den (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« ausgesagt wird, so wie es denn scheint, oder ob dies doch sein kann für einige unter den zweiten Wesenheiten. Bei den ersten Wesenheiten ist es ja wahr: Weder das je Ganze (von ihnen) noch ihre Teilstücke werden als »im Verhältnis zu ...« ausgesagt: Dieser bestimmte Mensch wird nicht als »jemandes Mensch« ausgesprochen und dies bestimmte Rind nicht als »dies Rind im Verhältnis zu ...«; genauso auch die Teilstücke: Diese bestimmte Hand wird nicht als »diese Hand im Verhältnis zu etwas« ausgesagt, wohl aber als »jemandes Hand«, und dieser bestimmte Kopf wird nicht ausgesprochen als »dieser Kopf im Hinblick auf etwas«, sondern als »jemandes Kopf«. Genau so ist es auch bei den zweiten Wesenheiten, jedenfalls bei den meisten; z. B. »Mensch« wird nicht genannt »in einer Hinsicht auf etwas Mensch«, und »Rind« nicht »in Hinsicht auf etwas Rind«, und auch nicht »Holz« als »in Anbetracht von irgendetwas Holz«, dagegen, »jemandes Besitz« wird gesagt. Bei den derartigen (Bestimmungen) ist also einsichtig, daß sie nicht zu den »im Verhältnis zu ...« gehören, bei einigen von den zweiten Wesenheiten hat das aber Stoff zum Streit; z. B. »Kopf« wird als »jemandes Kopf« gemeint und »Hand« als »jemandes Hand« und jedes derart, daher dies denn anscheinend zu den »im Verhältnis zu ...«-(Bestimmungen) gehören möchte. –
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Wenn nun die Begriffsbestimmung von »im Verhältnis zu ...« hinreichend abgeliefert ist, gehört es zu den ganz schwierigen, wenn nicht gar unmöglichen Dingen, es umzustoßen, daß keine Wesenheit unter den »im Verhältnis zu ...« ausgesagt wird; falls (sie) aber nicht hinreichend (war), sondern solche (Dinge) »im Verhältnis zu ...« sind, für die ihr Sein gleichbedeutend ist mit »irgendwie sich zu etwas verhalten«, dann könnte vielleicht etwas dagegen gesagt werden. Die frühere Begriffsbestimmung folgt zwar allen den »im Verhältnis zu ...«, indessen, das ist ihnen ihr »Im-Verhältnis-zu ... -Sein« nicht, daß sie das, was sie sind, nur in Abhängigkeit von anderem genannt würden. Aus diesem ist klar: Wenn jemand eins dieser »im Verhältnis zu ...« auf fest bestimmte Weise kennt, so wird er auch jenes, im Verhältnis zu dem es ausgesagt wird, auf fest bestimmte Weise kennen. Einsichtig ist das auch aus ihm schon: Wenn einer von einem »dieses-da« weiß, daß es zu den »im Verhältnis zu ...« gehört, und wenn den »im Verhältnis zu ...« (-Bestimmungen) ihr Sein gleichbedeutend ist mit »zu-etwas-sich-irgendwie-verhalten«, dann kennt er auch jenes, zu welchem sich dies so und so verhält; wenn er nämlich gar nicht weiß, im Verhältnis wozu sich dies so und so verhält, so wird er auch nicht wissen, ob es sich überhaupt zu irgendetwas irgendwie verhält. – Auch bei den Einzelfällen ist diese Lage klar; z. B. wenn man von einem ganz bestimmten Betrag genau bestimmt weiß: Dies ist ein Doppeltes, so weiß man auch sofort genau, wovon es das Doppelte ist, – wenn man es nämlich nicht als »doppelt von einem ganz bestimmten Betrag« wüßte, dann wüßte man überhaupt nicht, ob es ein Doppeltes ist. Entsprechend auch, wenn man bei einer ganz bestimmten Handlung weiß: Sie ist sittlicher, so ist notwendig, deswegen auch ganz genau zu wissen: Sittlicher »als was ...«; – so auf unbestimmte Weise ist nicht zu wissen: Das ist sittlicher als ein weniger Wertvolles; so etwas gerät nur zur Vermutung, nicht zum Wissen, denn dann wird man nicht mehr genau wissen: Es ist sittlicher als ein Minderwertiges; denn wie sich’s dann so ergibt, ist auf einmal nichts weniger wertvoll als dies.
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Daher ist denn einsichtig: Notwendig muß jemand, wenn er eines der »im Verhältnis zu ...« genau bestimmt kennt, auch jenes andere, im Verhältnis zu dem es gesagt wird, genau bestimmt kennen. Aber bei »Kopf« und »Hand« und jedem derart, was Wesenheiten sind, kann man eben das, was es je ist, genau bestimmt wissen, das, »im Verhältnis wozu« es ausgesagt wird, (ist dazu) nicht notwendig; wessen doch dieser Kopf ist oder wessen die Hand – kommt vor, daß man das nicht genau bestimmt weiß. Also gehören diese nicht zu den »im Verhältnis zu ...«; wenn aber die nicht zu den »im Verhältnis zu ...« (-Bestimmungen) gehören, dann ist es wohl wahr zu sagen: Keine Wesenheit gehört zu den »im Verhältnis zu ...«. – Vielleicht ist es ja schwierig, über derlei Fragen entschieden vorzutragen, wenn man es nicht oftmals geprüft hat; das zweifelnde Durchfragen bei jedem einzelnen davon ist allerdings auch nicht nutzlos. Kapitel 8. »Beschaffenheit« nenne ich (die Bestimmung), dergemäß irgendwelche »so und so beschaffen« genannt werden. Beschaffenheit gehört zu den (Ausdrücken), die in mehrfacher Bedeutung ausgesagt werden. (1) Als eine Form von Beschaffenheit seien also »Haben« und »Verfassung« ausgesprochen. Es unterscheidet sich »Haben« von »Verfassung« dadurch, daß es beständiger und längerfristig ist; derartig sind die Arten von Wissen und Trefflichkeit. Wissen gehört offenkundig zum Bleibenden, das kaum aus der Bahn zu werfen ist, auch wenn einer nur sehr bescheiden Wissen ergriffen haben sollte, außer wenn ein großer Umschlag eingetreten ist infolge von Krankheit oder etwas anderem derartigen. Ebenso auch Trefflichkeit: Wie etwa Gerechtigkeit, Besonnenheit und ein jedes derart, – das ist offenkundig nicht leicht aus der Bahn zu bringen und nicht leicht umzuwerfen. Verfassungen dagegen nennt man, was leicht veränderbar ist und schnell umschlägt, z. B. Wärme, Abkühlung und Krankheit, Gesundheit, und was alles sonst derartig ist. Es befindet sich ja wohl diesen gemäß der Mensch in dieser oder jener Verfassung, schnell wechselt er von Wärme zu Verkühlung und vom Gesundsein zum Erkranken. Ebenso auch bei allen übrigen (Verfassungen), au-
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ßer wenn auch davon eine infolge der langen Dauer schon zur Naturbeschaffenheit geworden sein sollte und nun unheilbar oder nur sehr schwer wegzubringen ist, – die würde man vielleicht schon als ein »Haben« ansprechen. Es ist aber offenkundig, daß (die Leute) das mit »Haben« meinen wollen, was längerfristig ist und schwerer fortzuschaffen; denn diejenigen, die Wissensinhalte nicht ganz erfaßt haben, stattdessen noch leicht beeinflußbar sind, von denen sagt man nicht, sie hätten das schon im Besitz, doch sind sie bezüglich des Wissens schon in einer solchen und solchen, entweder schlechteren oder besseren, Verfassung. Also: Es unterscheidet sich »Haben« von »Verfassung« dadurch, daß sie leicht veränderbar ist, es dagegen längerwährend und schwerer zu verändern. – Es sind die Formen von Haben auch Verfassungen, aber nicht notwendig die von Verfassung auch solche von Haben: Die etwas in ihrem Besitz haben, sind demgemäß auch in der und der Verfassung dazu, dagegen, die in der und der Verfassung sind, haben das nicht schon gänzlich in ihrem festen Besitz. – (2) Eine (davon) verschiedene Gattung von Beschaffenheit: Gemäß deren wir (jemanden) »begabt zum Faustkampf« oder »veranlagt zum Laufen« oder »ausgestattet mit Gesundheit« oder »neigend zur Krankheit« nennen, und allgemein, was gemäß einer natürlichen Anlage oder Nichtveranlagung ausgesagt wird. Denn nicht aufgrund dessen, daß diese oder jene Verfassung vorläge, wird ein jedes Derartige ausgesagt, sondern weil man dann eine Naturveranlagung hat, etwas mühelos tun zu können, oder daß einem nichts widerfährt. So werden etwa (Leute) »begabt zum Faustkampf« und »veranlagt zum Lauf« genannt, nicht weil sie sich in der und der Verfassung befinden, sondern aufgrund dessen, daß sie ein Naturvermögen haben, etwas mühelos auszuführen; »voller Gesundheit« werden (Menschen) genannt, weil sie eine natürliche Anlage haben, daß ihnen nicht leicht von seiten beliebiger Einflüsse etwas zustößt, »kränklich« dagegen (heißen sie) infolge dessen, daß sie ein Unvermögen haben bezüglich dessen, daß ihnen nichts widerfährt.
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Ähnlich dazu steht es auch mit »hart« und »weich«: Das Harte wird so genannt, weil es die Anlage hat, nicht leicht durchgeteilt zu werden, das Weiche, weil es bezüglich eben des gleichen ein Unvermögen hat. (3) Eine dritte Gattung von Beschaffenheit: Zu erfahrende Eigenschaften und Einwirkungen. Derlei ist z. B. Süße, Bitterkeit, Säure und alles dem Verwandte, außerdem noch Wärme, Kälte, Weißfarbigkeit, Schwärze. Daß das Beschaffenheiten sind, ist offenkundig: Was sie angenommen hat, wird nach ihnen »so und so beschaffen« genannt. So wird etwa Honig aufgrund dessen, daß er Süße an sich genommen hat, »süß« genannt, und ein Körper »weiß« dadurch, daß er Weiße angenommen hat. Ebenso verhält es sich auch mit allem anderen. »Zu erfahrende Eigenschaften« werden sie genannt nicht aufgrund dessen, daß die Gegenstände, welche die Beschaffenheiten angenommen haben, etwas erlitten hätten: weder nennt man den Honig infolge dessen, daß ihm etwas widerfahren wäre, »süß«, noch irgendeins von den anderen derartigen (Dingen so); ähnlich dazu werden auch Wärme und Kälte »Erfahrungseigenschaften« genannt, nicht infolge dessen, daß die Dinge, die sie angenommen haben, etwas erlitten hätten, sondern weil eine jede der genannten Eigenschaften über die Sinneswerkzeuge eine Empfindung bewirkt, deshalb heißen sie »zu erfahrende Eigenschaften«; die Süße verursacht über den Geschmackssinn eine bestimmte Empfindung, die Wärme über das Berühren, entsprechend auch die übrigen. Weißfarbigkeit dagegen und Schwärze und die anderen Hautfärbungen werden nicht auf die gleiche Weise wie die genannten »zu erfahrende Eigenschaften« genannt, sondern aufgrund dessen, daß sie selbst infolge von Einwirkungen sich ergeben. Daß mancherlei Farbwechsel aufgrund des Gemütszustandes erfolgt, (ist) klar: Da schämt sich einer, und schon ist er rot geworden, einer bekommt Angst und erbleicht, und ein jedes derartige. Daher denn auch, wenn einer von Natur mit einer derartigen Gemütsveranlagung ausgestattet ist, es wahrscheinlich ist, daß er eine entsprechende Hautfarbe hat; denn welche Körperverfassung jetzt beim Sichschämen eingetreten
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ist, die gleiche Verfassung dürfte auch gemäß natürlicher Ausstattung sich ergeben, so daß von Natur aus auch eine entsprechende Färbung sich ergibt. – Alles, was nun an derartigen Begebenheiten von irgendwelchen schwer veränderbaren und langzeitigen Gemütsausstattungen seinen Ausgang nimmt, wird »Eigenschaft« genannt; denn ob nun in der natürlichen Ausstattung bleiche Farbe oder dunkle Farbe aufgetreten sind, so nennt man das »Eigenschaft« – »so und so beschaffen« werden wir ja ihnen gemäß genannt –, oder ob durch eine lange Krankheit oder infolge von Sonnenhitze Blässe oder Dunkelfärbung eingetreten ist und das nicht leicht loszuwerden ist oder sogar lebenslang erhalten bleibt, »Eigenschaften« nennt man auch das, – entsprechend werden wir auch diesen gemäß »so und so beschaffen« genannt. – Alles, was dagegen infolge von (Vorgängen) eintritt, die sich leicht wieder auflösen und die man schnell wieder loswird, nennt man »Einwirkungen«; denn denen gemäß werden nicht Leute »so und so beschaffen« genannt: Weder wird einer, der errötet, weil er sich geschämt hat, »rotgesichtig« genannt, noch einer, der erbleicht ist, weil er Angst hat, »bleichgesichtig«, sondern (man sagt) eher, ihm sei etwas widerfahren. Also nennt man derartiges »Einwirkungen«, nicht aber »Beschaffenheiten«. – Entsprechend dazu werden auch im Bereich der Seele zu erfahrende Eigenschaften und und Einwirkungen ausgesagt. Was da gleich bei der Entstehung bestimmter Einwirkungen sich ergeben hat, wird »Eigenschaft« genannt, z. B. leidenschaftliches Außersichsein, Zorn und dergleichen; denen gemäß werden ja (Leute) »jähzornig« genannt und »leidenschaftlich«; entsprechend auch alle Formen von Außersichsein, die nicht von Naturanlage her kommen, sondern infolge irgendwelcher anderer Begebenheiten eingetreten sind als solche, die man nur schwer wieder loswird oder die überhaupt nicht von der Stelle zu bringen sind: Eigenschaften sind auch das; denn ihnen gemäß wird man »so und so geartet« genannt. Alles, was dagegen infolge von (Vorgängen) auftritt, die auch
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schnell wieder verschwinden, heißt »Einwirkung«, z. B. wenn einer Kummer erfährt und dann leichter zu Zorn neigt: Wer in solchem Gemütszustand mehr zum Zorn neigt, wird nicht »jähzornig« genannt, sondern man sagt eher, es habe auf ihn etwas eingewirkt; daher man derlei »Einwirkung« nennt, »Eigenschaft« aber nicht. (4) Vierte Gattung von Beschaffenheit: Äußere Form und die an einem jeden (Ding) vorliegende Gestalt, dazu noch Geradheit, Krümmung, und wenn etwas dem ähnlich ist; über ein jedes davon wird (ein Ding) »so und so beschaffen« genannt: Aufgrund des Dreieckig- oder Viereckigseins wird etwas als das und das angesprochen, und aufgrund seines Gerade- oder Krummseins. Auch aufgrund der Gestalt wird ein jedes als »so und so beschaffen« ausgesagt. Dagegen »locker«, »dicht« und »rauh« und »glatt« möchte zwar ein »So-und-so-beschaffen« zu bezeichnen scheinen, doch ist derlei offenbar fremd bezüglich der Einteilung von So-und-so-beschaffen; es scheint nämlich beides eher eine Lage der Teile zu bezeichnen: Dicht (ist etwas) dadurch, daß seine Teile eng beieinanderliegen, locker aufgrund dessen, daß sie (weiter) voneinander entfernt sind; glatt infolge dessen, daß die Teile auf einer Art Geraden liegen, rauh dadurch, daß der eine hervorsteht, einer zurückbleibt. – Vielleicht erscheint wohl auch noch irgendeine andere Weise von Beschaffenheit, doch die am häufigsten so ausgesagten sind in etwa so viele, als da aufgezählt sind. – Beschaffenheiten sind nun also die genannten, so und so beschaffen sind die Dinge, die nach jenen in abgeleiteter Weise ausgesagt werden, oder irgendwie anders von ihnen her. In den meisten, ja fast in allen (Fällen) wird so abgeleitet gesprochen, z. B. nach »Weiße« »weiß« und nach »Schriftkunde« »schriftkundig« und nach »Gerechtigkeit« »gerecht«, ebenso bei den übrigen. Bei einigen aber ist es aufgrund dessen, daß für die Beschaffenheiten Namen nicht festliegen, nicht gegeben, sie in abgeleiteter Weise von diesen aus auszusagen, z. B. ein nach Naturbegabung »zum Lauf Geschickter« oder »zum Faustkampf Geeigneter« wird von keiner Beschaffenheit her abge-
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leitet so angesprochen; denn für die Vermögen, nach denen die so genannt werden, liegen Namen nicht fest, wie auf der anderen Seite für Übungsarten, nach denen die (Sportler) gemäß Verfassung »Boxer« oder »Ringer« genannt werden – es wird doch eine Sportart »Boxen« und eine »Ringen« genannt, und die sich dazu geübt haben, werden in abgeleiteter Weise von denen her »so und so beschaffen« genannt. – Gelegentlich aber auch (kommt es vor:) Obwohl zwar ein Name festliegt, so wird doch das gemäß dieser (Beschaffenheit) »so und so beschaffen« Genannte nicht von ihm aus abgeleitet ausgesagt, z. B. nach »Tüchtigkeit« der »Rechtschaffene«; denn aufgrund davon, daß er Tüchtigkeit hat, wird er »rechtschaffen« genannt, nur nicht in vom Worte »Tüchtigkeit« her abgeleiteter Weise. Aber nicht bei vielem ist derartiges anzutreffen. Also, »so und so beschaffen« wird das genannt, was in abgeleiteter Weise von den aufgeführten Beschaffenheiten her ausgesagt wird, oder irgendwie anders von ihnen her. Es trifft auch Gegensätzlichkeit im Bereich des So-undso-beschaffen zu, z. B. (ist) »Gerechtigkeit« das Gegenteil zu »Ungerechtigkeit« und »Weiße« zu »Schwärze« und das übrige entsprechend, und (das gilt auch) von den danach als »so und so beschaffen« angesprochenen Dingen, z. B. »ungerecht – gerecht«, »weiß – schwarz«. Doch nicht über alles gilt das: Rot oder bleich und dergleichen Hautfarben haben kein Gegenteil, wo sie doch ein So-und-so-beschaffen sind. – Sodann, wenn der eine der Gegensätze ein So-und-so-beschaffen ist, wird es auch der restliche sein. Das ist klar, wenn man die übrigen Aussageformen mit zur Hand nimmt; z. B., ist »Gerechtigkeit« das Gegenteil zu »Ungerechtigkeit«, Gerechtigkeit aber ein So-und-so-beschaffen, also dann auch Ungerechtigkeit ein solches; keine der anderen Aussageformen paßt für »Ungerechtigkeit«, nicht »so und so viel«, auch nicht »im Verhältnis zu ...«, noch »irgendwo« und überhaupt gar keine davon als eben nur »so und so beschaffen«. Genau so auch bei allen anderen Gegensätzen im Bereich des So-und-so-beschaffen. –
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Es nimmt das so und so Beschaffene aber auch das »mehr oder weniger« zusätzlich an: »Weiß« wird etwas in höherem oder geringerem Maße als ein anderes genannt, und »gerecht« eines mehr als ein anderes. Und auch für sich nimmt es Steigerung an – was weiß ist, kann noch weißer werden –, allerdings nicht alles, sondern nur das meiste: Bei »Gerechtigkeit« möchte man wohl im Zweifel sein, ob sie »mehr« Gerechtigkeit als (andere) Gerechtigkeit (ist), ähnlich auch bei den übrigen Verfassungen. Denn einige erheben ja Zweifel bezüglich dessen: Gerechtigkeit werde durchaus nicht, sagen sie, »mehr oder weniger« Gerechtigkeit genannt als andere, und auch nicht Gesundheit im Verhältnis zu Gesundheit, dagegen habe wohl einer in geringerem Maße Gesundheit, sagen sie, als ein anderer, und Gerechtigkeit in geringerem Maße einer als ein anderer, ebenso auch Schriftkunde und die übrigen Verfassungen. Dagegen, die diesen gemäß ausgesprochenen (Dinge) nehmen unbestreitbar das »mehr oder weniger« an: »Schriftkundiger« wird nämlich einer im Vergleich zu einem anderen genannt und »gerechter«, »gesünder«, und bei den anderen (Bestimmungen) genauso. »Dreieckig« aber und »viereckig« scheinen das »mehr« nicht anzunehmen, auch von den anderen Außenformen keine; was die Begriffserklärung von »dreieckig« angenommen hat und was die von »Kreis«, das sind alles in gleicher Weise Dreiecke oder Kreise, von dem, was sie nicht angenommen hat, wird keins »mehr als ein anderes« so genannt werden: Um nichts mehr ist doch das (gleichseitige) Viereck ein Kreis als das Rechteck; keins von beiden nimmt ja die Begriffserklärung von »Kreis« an. Überhaupt, wenn beide die Begriffserklärung des Vorliegenden nicht annehmen, so wird das eine nicht mehr so angesprochen als das andere. Nicht alles »So-und-sobeschaffen« nimmt also das »mehr und weniger« an. – Von den genannten (Bestimmungen) ist keine der Beschaffenheit eigentümlich, »ähnlich« dagegen und »unähnlich« werden allein im Bereich der Beschaffenheiten ausgesagt: Ähnlich ist eines einem anderen in keiner anderen Hinsicht als nur, insoweit es ein »So-und-so-beschaffen« ist. Daher es
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denn wohl der Beschaffenheit eigentümlich ist, daß »ähnlich« oder »unähnlich« in ihrem Bereich ausgesagt werden. – Man darf sich dadurch nicht verwirren lassen, daß jemand sagen könnte, wir, die wir uns doch das Vorhaben »Über Beschaffenheit« gesetzt hätten, zählten nun doch viele der (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« mit auf; die (Bestimmungen) »Haben« und »Verfassung« gehörten ja zu denen »im Verhältnis zu ...«. Nahezu bei allen derartigen werden nämlich die Gattungen als »im Verhältnis zu ...« angesprochen, von den Einzeldingen aber keins. So wird zwar »Wissen«, was eine Gattung ist, als das, was es denn ist, als im Verhältnis zu einem anderen ausgesagt – man sagt: »Wissen von etwas«. Von den einzelnen (Erscheinungsformen) davon wird aber keine als das, was sie denn ist, im Verhältnis zu etwas ausgesagt, z. B. »Schriftkunde« wird nicht ausgesagt als »Schriftkunde von etwas«, und auch nicht »Tonkunst« als »Tonkunst von etwas«, sondern, wenn denn schon, so werden auch diese über ihre Gattung »im Verhältnis zu ...« genannt, z. B. wird »Schriftkunde« ausgesagt als »Wissen von etwas«, nicht »Schriftkunde von etwas«, und »Tonkunst« als »Wissen von etwas«, nicht »Tonkunst von etwas«. Daher denn die einzelnen Arten nicht zu den Bestimmungen »im Verhältnis zu ...« gehören. – Wir dagegen werden »so und so beschaffen« genannt nach den Einzel(arten), – die haben wir doch: »Wissend« werden wir genannt aufgrund dessen, daß wir eine der Einzelwissenschaften (uns angeeignet) haben. Daher diese doch wohl auch Beschaffenheiten sein werden, die Einzelarten, denen gemäß wir irgendwann »so und so beschaffen« genannt werden; die gehören nicht zu den (Bestimmungen) »im Verhältnis zu …«. – Schließlich: Wenn eines und dasselbe wirklich ein »So-undso-beschaffen« und ein »Im-Verhältnis-zu ...« sein sollte, so ist nichts Unsinniges dabei, es unter beiden Gattungen aufzuzählen.
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Kapitel 9. Es nimmt aber auch »Tun« und »Erleiden« Gegensätzlichkeit und «mehr und minder« an: »Wärmen« ist dem
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»Kühlen« entgegengesetzt, und »Angewärmt-werden« dem »Abgekühlt-werden« und »Sichfreuen« dem »Traurigsein«. Also nimmt es Gegensätzlichkeit an. Aber auch »mehr« und »weniger«: »Wärmen« geht mehr und weniger, und »Erwärmtwerden« mehr und weniger und »Traurigsein« mehr und weniger. Es nimmt also das Tun und Erleiden das »mehr« und »weniger« an.
[Darüber ist nun also soviel gesagt. Gesprochen ist aber auch über »Liegen« in den (Ausführungen über) »im Verhältnis zu ...« nämlich, daß es in abgeleiteter Weise nach den Lagen ausgesagt wird. Bezüglich der übrigen (Grundformen von Aussage), nämlich »irgendwann«, »irgendwo« und »Haben«, so ist, weil sie ja doch auf der Hand liegen, nichts anderes über sie gesagt, als was schon zu Anfang ausgeführt wurde, nämlich: »Haben« bedeutet »Schuhe anhaben«, »Waffen anhaben«, »da-und-dort« (meint) z. B. »im Lykeion«, – und was alles sonst noch darüber gesagt ist. – Kapitel 10. Für die zum Gegenstand gemachten Grundformen ist das Gesagte hinreichend. – Über Entgegengesetztes ist zu sprechen: In wievielfacher Bedeutung pflegt man es einander gegenüberzusetzen?] Es wird eines einem anderen entgegengesetzt ausgesagt auf vierfache Weise: Entweder wie die Dinge »im Verhältnis zu ...« oder wie Gegenüberliegendes oder wie Verlust und Besitz oder wie Behauptung und Verneinung. Entgegengesetzt ist ein jedes davon, um es im groben Umriß zu sagen, (etwa so): Als »im Verhältnis zu ...« z. B. »doppelt« dem »halb«, als Gegenüberliegende z. B. »schlecht« dem »gut«, als nach Verlust und Besitz z. B. »Blindheit« und »Augenlicht«, als Behauptung und Verneinung z. B. »sitzt« – »sitzt nicht«. (A) Alles, was nun als ein »im Verhältnis zu ...« entgegengesetzt ist, wird als das, was es ist, im Unterschied zu seinem Gegensätzlichen ausgesagt, oder irgendwie anders im Verhältnis dazu. Z. B. »doppelt« wird (erst) im Verhältnis zu einem Halben das, was es ist – doppelt – genannt. Und »Wissen« steht
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dem, was gewußt werden kann, als »im Verhältnis zu ...« gegenüber, und Wissen wird als das, was es denn ist, ausgesagt in Beziehung zu dem, was gewußt werden kann; und das, was gewußt werden kann, wird als das, was es ist, im Hinblick auf sein Gegenüberstehendes, das Wissen, ausgesagt. »Wißbar« wird als »wißbar für jemanden oder etwas« ausgesagt, hier für die Wissenschaft. Alles, was nun gegenübersteht als »im Verhältnis zu ...«, wird als das, was es ist, im Unterschied zu seinem Gegensätzlichen, oder wie auch immer im Verhältnis zueinander, ausgesagt. Was dagegen (B) als Gegenüberliegendes (entgegengesetzt ist), wird als das, was es denn ist, unter keinen Umständen im Verhältnis zueinander ausgesagt, als einander gegenüberliegend wird es allerdings ausgesagt: Weder wird »gut« als »eines Schlechten Gutes« ausgesagt, sondern als sein Gegenteil, noch »weiß« als »eines Schwarzen Weiß«, sondern als dessen Gegenteil. Daher unterscheiden sich diese Entgegensetzungen voneinander. – Alles, was an Gegenüberliegendem von der Art ist, daß bei den Dingen, an denen es ihnen gegeben ist vorzukommen oder von denen sie ausgesagt werden, notwendig eines von ihnen beiden vorliegen muß, dabei gibt es keine Vermittlung. [Bei welchen aber nicht notwendig eins von beiden vorliegen muß, dabei gibt es in jedem Fall etwas Vermittelndes.] Z. B. ist es naturgegeben, daß Krankheit und Gesundheit im Körper eines Lebewesens auftreten, und notwendig muß das eine von beiden im Körper des Lebewesens vorliegen, entweder Krankheit oder Gesundheit; und »ungerade« und »gerade« wird von »Zahl« ausgesagt, und notwendig muß das eine von beiden an dieser Zahl vorliegen, entweder ungerade oder gerade; und dabei gibt es nichts Vermittelndes, weder zwischen Krankheit und Gesundheit noch zwischen ungerade und gerade. Bei welchen dagegen nicht notwendig eins von beiden vorliegen muß, dabei gibt es etwas Vermittelndes; z. B. schwarz und weiß kommen am Körper natürlich vor, und es muß nicht sein, daß eins von ihnen beiden am Körper vorliegt – nicht jeder ist nämlich entweder weiß oder schwarz –, und »wertlos«
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und »vortrefflich« wird ausgesagt sowohl von Menschen wie auch von vielem anderen, nicht notwendig aber muß eins der beiden an jenem zutreffen, über die das ausgesagt wird: Nicht alles ist nämlich entweder wertlos oder vortrefflich. So gibt es dabei etwas, das in der Mitte steht, z. B. zwischen »weiß« und »schwarz« das »grau« und »bleich« und alles, was sonst noch andere Farben sind, und zwischen »wertlos« und »vortrefflich«, was weder wertlos noch vortrefflich ist. – In einigen Fällen liegen Namen fest für die Vermittlungen, z. B. zwischen weiß und schwarz »grau« und »bleich«; bei einigen dagegen ist es nicht leicht zu machen, mit einem Namen das in der Mitte Stehende wiederzugeben, es wird dann aber durch die Verneinung eines jeden der beiden Außenglieder das in der Mitte bestimmt, z. B. »weder gut noch schlecht« und »weder gerecht noch ungerecht«. (C) Verlust und Besitz wird über ein und dasselbe Ding ausgesagt, z. B. »Sehkraft« und »Blindheit« über »Auge«. Um es allgemein zu sagen: An welchem Gegenstand es naturbestimmt ist, daß Besitz statthaben soll, über den wird beides davon ausgesagt. »Verlustiggegangensein« sagen wir dann von einem jeden Gegenstand unter denen aus, die den Besitz an sich nehmen konnten, wenn (an dem Ding), an dem (die Eigenschaft) naturgegeben vorliegen sollte, und zu dem Zeitpunkt, wo es ihm naturbestimmt war, sie zu haben, sie dann keinesfalls vorliegt: »Zahnlos« nennen wir nämlich nicht etwas, was gar keine Zähne hat, und »blind« nicht das, was gar kein Augenlicht besitzt, sondern etwas, das dies nicht besitzt zu einem Zeitpunkt, wo es ihm naturbestimmt war, es zu haben. Einige (Wesen) haben ja ihrer Naturausstattung nach weder Sehkraft noch Zähne, aber die nennt man nicht zahnlos und nicht blind. – »Verlustiggegangensein« und »im Besitz sein« ist nicht gleich mit Verlust und Besitz; Besitz ist nämlich »Sehkraft«, Verlust »Blindheit«, dagegen »Sehkraft haben« ist nicht »Sehkraft« und »blind sein« nicht »Blindheit«; ein bestimmter Verlust ist nämlich die Blindheit, blind sein dagegen ist ein Verlustiggegangensein, nicht Verlust.
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Weiter, wenn »Blindheit« dasselbe wäre wie »blind sein«, dann würde ja beides von demselben Gegenstande ausgesagt, aber »blind« wird von einem Menschen ja wohl ausgesagt, »Blindheit« von einem Menschen dagegen nie und nimmer. Entgegengesetzt zu sein scheinen aber auch diese, das »Verlustiggegangensein« und das »im Besitz sein«, so wie »Verlust« und »Besitz«; die Weise der Entgegensetzung ist ja die gleiche: Wie Blindheit der Sehkraft entgegengesetzt ist, so auch das Blindsein dem Sehkraftbesitzen entgegengesetzt. – Auch ist das, wovon Behauptung und Verneinung ausgesagt wird, nicht selbst Behauptung und Verneinung: Behauptung ist eine zusagende Rede, Verneinung eine absprechende Rede; von den Gegenständen, über die behauptet oder von denen verneint wird, ist keiner eine Rede; man sagt aber auch davon, daß es einander entgegengesetzt sei, so wie Behauptung und Verneinung; auch dabei ist die Weise der Entgegensetzung die gleiche: Wie denn wohl Behauptung gegen Verneinung steht, z. B. »sitzt« – »sitzt nicht«, so ist auch der unter jedes von beiden fallende Tatbestand entgegengesetzt: »sitzen« – »nicht sitzen«. – Daß Verlust und Besitz nicht in der Weise entgegengesetzt sind wie die (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...«, ist offenkundig; denn (das eine Stück davon) wird nicht als das, was es denn ist, im Verhältnis zu seinem Gegensatz ausgesagt: Sehkraft ist nicht »einer Blindheit Sehkraft«, und auch anderswie wird sie in keiner Weise auf diese hin bezogen ausgesagt; ebenso wird ja wohl auch nicht die Blindheit als »Blindheit der Sehkraft« ausgesagt, sondern »Verlust von Sehkraft« wird die Blindheit zwar genannt, »Blindheit der Sehkraft« aber sagt man nicht. – Weiter, die Bestimmungen »im Verhältnis zu ...« werden alle in Beziehung zu einem durch Umkehr Entsprechenden ausgesagt, daher auch Blindheit, wenn sie denn zu den (Dingen) »im Verhältnis zu ...« gehörte: dann müßte das, woraufhin sie ausgesagt wird, auch umgekehrt entsprechen; aber es entspricht nicht: Sehkraft wird nicht als »Sehkraft von Blindheit« ausgesagt. Daß aber das nach Verlust Ausgesagte und das nach Besitz auch nicht wie das Gegenüberliegende entgegengesetzt ist,
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ist aus folgendem klar: Von den gegenüberliegenden (Bestimmungen), bei denen nichts vermittelnd in der Mitte steht, muß notwendig an den Dingen, an welchen sie naturgegeben vorkommen oder von denen sie ausgesagt werden, eines der beiden jeweils vorliegen; es gab ja bei denen nichts in der Mitte, wovon das eine von beiden notwendig an solchem vorliegen mußte, was dafür aufnahmefähig ist, z. B. bei Krankheit – Gesundheit und ungerade – gerade; bei welchen dagegen ein Mittleres da ist, ist es nie notwendig, daß einem jeden (Gegenstand) immer eins von beiden zukommen muß: Weder muß alles, was dafür empfänglich ist, je »weiß oder schwarz« sein noch »warm oder kalt« – daß daran irgendein Mittleres vorliege, hindert ja nichts. – Weiter, auch (umgekehrt) bei den (Bestimmungen) gab es irgendein Vermittelndes, bei denen es nicht notwendig war, daß je eins von beiden an dem Empfänglichen vorliegen mußte, wenn nicht (noch hinzugenommen werden) die (Dinge), denen von Natur aus nur (je) eines davon zukommt, z. B. dem Feuer das Warmsein und dem Schnee das Weißsein, – hierbei ist notwendig, daß je das eine für sich genommen vorliegt, nicht einerlei welches von beiden: es ist nicht gegeben, daß Feuer kalt wäre oder Schnee schwarz; daher ist es hier nicht notwendig, daß an allem Aufnahmefähigen je das eine von beiden vorliegen müßte, sondern (es gilt) nur: Dinge, denen von Natur aus nur je das eine zukommt, an denen liegt dies eine für sich genommen vor, und nicht, wie sich’s gerade so ergibt. – Bei Verlust dagegen und Besitz ist keine der beiden vorgetragenen (Seiten) wahr: Einerseits muß nämlich nicht je eins von den beiden dem Aufnahmefähigen zukommen – was nämlich überhaupt nicht dazu naturbestimmt ist, Augenlicht zu haben, davon wird weder ausgesagt, es sei blind, noch, es besitze Sehkraft, sodaß denn also dies nicht unter derartige Gegensätze fällt, bei denen es keine Vermittlung gibt –, aber andererseits (fällt es) auch nicht (unter die), bei denen es irgendwie ein Mittleres gibt; denn hierbei (d. h. bei Verlust/Besitz) muß ja notwendig zu irgendeinem Zeitpunkt an allem Aufnahmefähigen je das eine davon vorliegen: Wenn es denn schon dazu
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herangewachsen ist, Sehkraft zu besitzen, dann wird es entweder als »blind« oder »im Besitz der Sehkraft« angesprochen, und davon nicht ein jedes getrennt für sich, sondern wie es sich eben gerade so fügte – es ist ja nicht notwendig, daß es (nur eines von beiden, nämlich) entweder blind oder mit Sehkraft ausgestattet, ist, sondern es kann beides eintreten, wie es sich eben gerade so fügte –; bei den gegenüberliegenden Gegensätzen, bei denen es ein Vermittelndes gibt, war es ja zu keinem Zeitpunkt notwendig, daß einem jeden (Gegenstand) je eines der beiden zukommen mußte, sondern (das trifft nur) für einige (zu), und denen dann die eine Bestimmung für sich genommen. Daher denn klar ist: Auf keine der beiden Weisen ist das gemäß Verlust und Besitz Entgegengesetzte so entgegengesetzt wie Gegenüberliegendes. Weiter, bei gegenüberliegenden Gegensätzen ist es im Falle, daß ein Aufnahmefähiges da ist, möglich, daß ein Umschlag ineinander stattfindet, außer für den Fall, daß einem von Natur aus nur immer das eine zukommt, z. B. dem Feuer das Warmsein; das Gesunde kann in Krankheit geraten, Weißes kann schwarz geworden sein und Kaltes warm, und aus einem Tüchtigen kann ein Untaugliches und aus einem Untauglichen ein Tüchtiges geworden sein: Der Nichtsnutz, zu besserem Gebrauch seiner Zeit gebracht und zu (besserem) Gesprächsumgang, dürfte ja doch wohl einen kleinen Fortschritt wenigstens machen zum Besserwerden; wenn er aber einmal auch nur einen kleinen Fortschritt gemacht hat, so ist offenkundig, daß er sich entweder wohl völlig wandeln könnte oder doch sehr viel Besserung ergreifen; er wird ja immer leichter ansprechbar für Tüchtigkeit, wenn er von Anfang an einen, wie auch immer nur geringen, Fortschritt gemacht hat, sodaß er wahrscheinlich auch noch mehr Besserung nehmen wird; und das, immer weiter so erfolgend, bringt ihn endlich zu der entgegengesetzten Haltung fort, wenn er nicht in der Zeit daran gehindert wird. Bei Verlust und Besitz dagegen ist es unmöglich, daß ein Umschlag ineinander erfolgen kann: Vom Besitz zum Verlust erfolgt wohl Wandel, vom Verlust aber zum Besitz ist das unmöglich: Weder hat einer, der blind geworden ist, wie-
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der gesehen, noch hat ein Kahlkopf wieder die Haarpracht erlangt, noch hat ein Zahnloser je wieder Zähne wachsen lassen können. (D) Alles, was wie Behauptung und Verneinung (einander) entgegengesetzt ist, davon ist offenkundig, daß es nach keiner der genannten Weisen entgegengesetzt ist: Bei diesen allein muß notwendig immer das eine wahr, das andere davon falsch sein. Denn weder bei dem Gegenüberliegenden muß notwendig immer das eine wahr, das andere dagegen falsch sein, noch bei den »im Verhältnis zu ...«, noch bei Besitz und Verlust; z. B. »Gesundheit« und »Krankheit« sind gegenüberliegende Gegensätze, und auf keins von beiden trifft »wahr oder falsch« immer zu; entsprechend, »doppelt« und »halb« sind als »im Verhältnis zu ...« entgegengesetzt, und auch hier trifft auf keins von beiden »wahr oder falsch« immer zu; und auch nicht für (Gegensätze) nach Verlust und Besitz, z. B. »Sehkraft« und »Blindheit«. Überhaupt, von dem, was nach keiner Verknüpfung ausgesagt wird, davon ist gar nichts wahr oder falsch; alles Genannte ist aber ohne Verknüpfung ausgesprochen. Indessen aber möchte es doch besonders scheinen, daß derartiges eintritt bei den gegenüberliegenden Gegensätzen, die in einer Satzverknüpfung ausgesagt werden – daß »Sokrates gesund ist«, ist ja dem, daß »Sokrates krank ist« gegenüberliegend –; doch auch bei diesen (Sätzen) muß nicht immer notwendig das eine wahr, das andere dann falsch sein: (Erst) wenn es Sokrates gibt, wird das eine wahr, das andere dann falsch sein; gibt es ihn dagegen nicht, so beides falsch; denn weder, daß »Sokrates krank ist«, noch, daß »(Sokrates) gesund ist«, ist wahr, wenn Sokrates selbst überhaupt gar nicht ist. – Bei Verlust und Besitz ist, wenn (der Gegenstand der Aussage) nicht ist, gar keins von beiden wahr, gibt es ihn aber, so ist nicht immer eins von beiden wahr (das andere dann falsch): Daß »Sokrates Sehkraft besitze« ist dem, daß »Sokrates blind sei« entgegengesetzt als Verlust und Besitz, und wenn es ihn gibt, so ist nicht notwendig eins davon wahr oder falsch – zu einem Zeitpunkt, wo es ihm noch nicht naturgegeben ist, dies zu besitzen, ist beides falsch –, gibt es Sokrates dagegen gar
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nicht, so ist auch so beides falsch, sowohl daß er Sehkraft habe wie auch das Blindsein. – Dagegen bei Behauptung und Verneinung immer: Mag (der Gegenstand der Aussage) sein, mag er nicht sein, das eine wird falsch sein, das andere (dann) wahr; denn, daß »Sokrates krank ist«, und, daß »Sokrates nicht krank ist« – wenn es ihn gibt, so ist offenkundig: Eins davon ist wahr, (das andere) falsch; und wenn es ihn nicht gibt, entsprechend: Das Krankein (ist), wenn es ihn nicht gibt, falsch, das Nicht-Kranksein aber wahr. So daß denn also bei dieser Gegensatzform allein es die Eigentümlichkeit wäre, daß immer eines davon wahr, (das je andere) dann falsch ist, – was denn alles als Behauptung und Verneinung entgegengesetzt ist. Kapitel 11. Gegenüberliegend ist dem »gut« notwendig das »schlecht« – das ist klar mittels der Heranführung im Einzelfalle, z. B., der Gesundheit (steht gegenüber) Krankheit, der Gerechtigkeit Ungerechtigkeit, der Tapferkeit Feigheit und so entsprechend bei den übrigen; – es kommt aber auch vor, daß einem »schlecht« einmal ein »gut« gegenüberliegt, ein andermal ein (anderes) »schlecht«: Dem Mangel, der doch etwas Schlechtes ist, steht gegenüber das Übermaß, das auch schlecht ist; ebenso aber auch steht beiden das Mittelmaß gegenüber, das etwas Gutes ist. Bei wenigen Fällen (nur) mag man derartiges sehen, in den meisten ist immer dem »schlecht« ein »gut« entgegengesetzt. – Weiter, bei gegenüberliegenden Gegensätzen muß nicht notwendig, wenn das eine ist, dann notwendig auch das restliche sein: Sind alle gesund, so ist Gesundheit, Krankheit aber nicht; entsprechend auch, wenn alles weiß ist, so wird Weiße sein, Schwärze dagegen nicht. – Weiter, wenn, daß »Sokrates gesund ist«, dem, daß »Sokrates krank ist«, gegenübersteht, und es nicht sein kann, daß beides gleichzeitig an demselben vorliegt, dann kann es ja wohl auch nicht sein, wenn eine dieser Gegensatzbestimmungen vorliegt, daß dann auch die restliche vorläge; denn wenn, daß Sokrates gesund ist, Bestand hat, dann wird ja wohl, daß Sokrates krank ist, nicht gelten.
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Klar ist aber auch: Bei (Gegenständen, die) entweder der Art oder der Seinsgattung nach gleich (sind,) treten die gegenüberliegenden Gegensätze von Natur aus auf; Krankheit und Gesundheit nämlich im Leib eines Lebewesens, weiße und schwarze Farbe an Körper überhaupt, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in der (menschlichen) Seele. Notwendig muß alles Gegenüberliegende entweder in derselben Gattung sein oder in gegenüberliegenden Gattungen, oder es sind selbst Seinsgattungen: »Weiß« und »schwarz« (sind) in der gleichen Seinsgattung – Farbe ist nämlich deren Gattung –, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in den gegenüberliegenden Gattungen – des einen Gattung ist ja »Tugend«, des anderen »Schlechtigkeit« –; »gut« und »schlecht« sind nicht in einer Gattung, sondern das sind selbst Seinsgattungen von anderem. Kapitel 12. »Früher« als ein anderes wird etwas genannt auf vierfache Weise: Erstens und im eigentlichsten Sinne nach der Zeit – demgemäß wird eines »älter als ein anderes« und »vormaliger« ausgesagt: dadurch, daß da nämlich die Zeit mehr ist, wird es als »älter« und »vormaliger« angesprochen –; zweitens, was nicht umkehrbar ist nach der Folge des Seins, z. B. ist die Eins »früher« als die Zwei; wenn nämlich zweie sind, folgt daraus sofort, daß auch eines ist; dagegen wenn eines ist, müssen nicht notwendig auch zwei sein, sodaß denn von Eins aus nicht die umgekehrte Folge (eintritt), daß nun auch der Rest wäre; »Früher« scheint nun aber ein derartiges zu sein, von dem aus die Seinsfolge sich nicht umkehren läßt. Drittens wird nach einer bestimmten Anordnung »früher« ausgesagt, wie bei (den Gegenständen von) Wissen und dem Vortrag (darüber); in den herleitenden Wissensfächern ist ja doch das »früher und später der Anordnung nach« gegebenes – die Grundbestandteile (der Raumlehre) sind der Anordnung nach früher als die Darstellung mittels Zeichnung, und bei der Schriftkunde kommen die Buchstaben vor den Silben –, und beim Redevortrag entsprechend: Die Einleitung kommt der Anordnung nach vor der Ausführung. Weiter (4), neben dem Genannten scheint das Bessere und das Ehrenhaftere von Natur aus an vorderer Stelle zu stehen; es ist ja auch die Masse der Leute gewohnt zu
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sagen, die Namhafteren und von ihnen Höhergeschätzten gingen vor. Es ist dies zwar allerdings so ziemlich die am fernsten liegende Weise (von »früher«). Die besagten Weisen von »früher« sind nun also so viele. Es möchte aber scheinen, daß es neben den genannten noch eine weitere Weise von »früher« gibt: Von Gegenständen, die nach der Seinsfolge eine Umkehrung zulassen, dürfte das, was für das andere – wie auch immer – verursachend ist, daß es ist, wohl mit Recht »früher« genannt werden. Daß es Derartiges gibt, (ist) klar: Daß es Menschen gibt, läßt sich umkehren nach der Seinsfolge mit der wahren Aussage darüber; wenn es nämlich Menschen gibt, so ist wahr die Aussage, mit der wir sagen, daß es Menschen gibt; und das geht auch umgekehrt: Wenn wahr ist die Rede, mittels derer wir sagen, daß es Menschen gibt, so gibt es welche. Nun ist aber die wahre Aussage durchaus nicht ursächlich dafür, daß der Sachverhalt besteht, dagegen der Sachverhalt scheint irgendwie die Ursache dessen zu sein, daß die Aussage wahr ist; denn aufgrund dessen, daß der Sachverhalt besteht oder nicht, wird der Satz (über ihn) als wahrer oder falscher ausgesagt. Also, nach fünf Weisen wird wohl etwas »früher« als etwas anderes genannt. Kapitel 13. »Zugleich« werden (1) in einfacher und eigentlichster Bedeutung (Gegenstände) genannt, deren Entstehung in der gleichen Zeit stattfindet; denn in dem Fall ist keins von beiden früher oder später; »zugleich der Zeit nach« wird das genannt. (2) »Zugleich der Naturbeschaffenheit nach« (wird alles das genannt), was (a) nach der Seinsfolge Umkehrung zuläßt, dabei jedoch keinesfalls das eine für das andere ursächlich ist, daß es ist, z. B. bei »doppelt« und »halb«; die lassen ja Umkehrung zu – wo ein »doppelt« ist, ist auch ein »halb«, und wo ein »halb«, da auch ein »doppelt« –, keins von beiden ist aber für das andere ursächlich, daß es ist. (b) Auch die Bestimmungen aus der gleichen Gattung, die unterschieden werden in Absetzung gegen einander, werden »zugleich nach Natur« genannt. In-Absetzung-gegen-einander-unterschieden-werden meint Unterteilung gemäß einer und derselben Hinsicht, z. B. »geflügelt«, »auf Füßen«, »im Wasser (schwim-
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mend)«; das wird in Absetzung gegen einander unterschieden und ist aus der gleichen Seinsgattung; denn »Lebewesen« wird in diese eingeteilt, in »geflügelt«, »auf Füßen« und »im Wasser«, und keine dieser (Arten) ist früher oder später, sondern zugleich nach Natur scheint derartiges zu sein. [Es könnte wohl auch ein jedes davon wieder in Arten zerlegt werden, etwa »auf Füßen«, »geflügelt« und »im Wasser«.] – Es wird also auch alles das zugleich nach Natur sein, was aus der gleichen Seinsgattung über dieselbe Einteilungshinsicht sich ergibt; dagegen die Gattungen gehen den Arten immer vor: Sie lassen nach der Seinsabfolge keine Umkehrung zu, z. B., gibt es »im Wasser (lebend)«, so ist auch »Lebewesen«, gibt es dagegen »Lebewesen«, so muß nicht notwendig »im Wasser (lebend)« sein. – »Zugleich nach Natur« wird also alles das genannt, was nach der Seinsfolge eine Umkehrung zuläßt, wobei aber durchaus nicht das eine am anderen versursachend ist, daß es ist, und die (Bestimmungen) aus der gleichen Gattung, die in Absetzung gegen einander unterschieden werden; »zugleich«, ohne Zusatz, (sind die Dinge), deren Entstehung zur gleichen Zeit (stattfindet). Kapitel 14. Von »Veränderung« gibt es sechs Formen: Entstehen, Untergang, Wachsen, Schwinden, Eigenschaftswechsel, Ortsveränderung. Bei den einen Veränderungsformen (ist es) offenkundig, daß sie voneinander verschieden sind: Entstehen ist nicht Untergang, auch ist Wachsen nicht Schwinden, auch Ortsveränderung nicht (...?), entsprechend auch die übrigen; bei Eigenschaftswechsel dagegen hat es eine gewisse Schwierigkeit, ob es nicht doch etwa notwendig ist, daß das, was da seine Eigenschaften ändert, dies aufgrund irgendeiner der übrigen Veränderungsformen tut. Das stimmt aber nicht. So ziemlich nach allen Einwirkungen oder doch nach den meisten trifft es uns zu, Eigenschaften zu ändern, ohne daß wir an irgendeiner der anderen Veränderungsformen teilnehmen: Weder wachsen muß das, was da über Einwirkung in Bewegung gesetzt wird, noch (muß es) schwinden, ebenso auch bezüglich der anderen (Formen), sodaß denn also für sich verschieden,
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neben den anderen Veränderungsformen, die Eigenschaftsveränderung bestünde; wenn sie nämlich die gleiche wäre (wie eine davon), dann müßte das, was da eine Eigenschaft verändert, sofort auch (entweder) wachsen oder schwinden oder irgendeiner der anderen Veränderungsformen folgen; aber das muß nicht sein. Entsprechend (müßte) auch, was da wächst oder in irgendeiner anderen Veränderungsform sich bewegt, Eigenschaften ändern; nun gibt es aber (Gegenstände), die wachsen, welche nicht (gleichzeitig) Eigenschaften ändern, z. B. das gleichseitige Viereck: Wenn man den »Zahlenwinkel« herumlegt, ist es zwar größer geworden, doch in irgendeiner Form andersartig hat es sich in nichts entwickelt. Entsprechend auch bei den übrigen derartigen (Gegenständen). Daher denn also die Formen von Veränderung von einander verschieden wären. Es steht im allgemeinen »Veränderung« dem »Stillstand« gegenteilig gegenüber, bei den Einzelformen dagegen der Entstehung der Untergang, dem Anwachsen das Schwinden; dem Wechsel des Ortes möchte der Stillstand am Ort am meisten entgegengesetzt scheinen, und wenn denn, (so auch) der Übergang zum gegenüberliegenden Ort hin, z. B. der (Bewegung) nach unten die nach oben, [und der von oben herunter die von unten herauf]. – Bei der noch übrigen der wiedergegebenen Veränderungsformen ist es nicht leicht anzugeben, was denn das Gegenteil ist; es scheint zu ihr kein Gegenteil zu geben, außer wenn einer auch bei ihr den Stillstand bezüglich des »sound-so-beschaffen« dagegensetzen wollte oder den Übergang zum Gegenteil an Eigenschaft, so wie bei der Ortsveränderung ja auch (entweder) den Stillstand am Ort oder den Übergang zum gegenüberliegenden Ort – es ist doch Eigenschaftsveränderung ein Wandel hinsichtlich des »so-und-so-beschaffen« –, sodaß denn also entgegengesetzt ist Stillstand bezüglich des »so-und-so-beschaffen« der Übergang in die gegenteilige Eigenschaft, z. B. »weiß-werden« dem »schwarz-werden«; denn da liegt ja Eigenschaftveränderung vor, wenn Übergang zum Gegenteil an Eigenschaft stattfindet.
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Kapitel 15. »Haben« wird nach mehreren Weisen ausgesagt: Entweder als ein Besitz oder eine Verfassung oder irgendwie andere Eigenschaftlichkeit – man sagt von uns (Menschen), wir »haben« Wissen und Tugend –; oder als ein »so und so viel«, z. B. Größe, die da einer »hat« – es wird ausgesagt, daß (etwas) »drei Ellen lange Größe hat« oder »vier Ellen lange ...« –; oder als das »Um-den-Leib-herum«, z. B. Mantel oder Kleid; oder als an einem Teil (des Leibes), z. B. (hat man) an der Hand einen Fingerring; oder als selbst ein Teil, z. B. (hat der Leib) Hand oder Fuß; oder als in einem Gefäß (Enthaltensein), z. B. (»hat«) der Scheffel die Weizenkörner und der Krug den Wein – daß er Wein in sich habe, wird ja von dem Krug ausgesagt, und der Scheffel den Weizen –; oder als erworbenes Eigentum: Man sagt von uns (Menschen), wir »haben« ein Haus und ein Stück Land. Man sagt von uns (Männern), wir »haben« eine Frau, und eine Frau »hat« einen Mann; die damit genannte Weise von »Haben« scheint aber die am fernsten liegende zu sein; denn mit »eine Frau haben« bezeichnen wir ja nichts anderes, als daß er mit ihr zusammenlebt. – Vielleicht erscheinen ja auch noch irgendwelche anderen Weisen von »Haben«, aber die gewöhnlicherweise ausgesagten sind damit so ziemlich alle aufgezählt. –
ARISTOTELES Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck (De interpretatione)
HERMENEUTIK
Kapitel 1. Zuerst ist zu setzen, was ist Name und was Tätigkeitswort; danach, was ist Verneinung, Behauptung, Kundgebung und Rede. – Es ist nun also das zur Sprache Gekommene Ausdruck von Vorgängen im innern Bewußtsein, so wie das Geschriebene (Ausdruck) des Gesprochenen. Und so, wie nicht alle die gleichen Buchstaben haben, ebenso auch nicht die gleichen Lautäußerungen; wovon allerdings, als seelischen Ersterfahrungen, dies die Ausdrücke sind, die sind allen gleich, und die Tatsachen, deren Abbilder diese sind, die sind es auch. Darüber ist ja nun im Vortrag Über Seele gesprochen – es gehört in ein anderes Sachgebiet –, es ergibt sich aber: Wie im innern Bewußtsein einmal Denkinhalt ist ohne die Frage nach wahr oder falsch, ein andermal aber schon derart, daß dem notwendig das eine oder andere davon eignen muß, so auch in der Aussage; denn im Bereich von Verknüpfung und Trennung erst treten »wahr« und »falsch« auf. Die bloßen Namen und Handlungsworte für sich gleichen nun dem Denkinhalt ohne Verknüpfung und Trennung, z. B. »Mensch« oder »weiß«, wenn nicht etwas hinzugesetzt wird: da liegt nirgends wahr oder falsch vor. Beleg dafür ist: Auch »Bockhirsch« bezeichnet ja etwas, nur noch nicht Wahres oder Falsches, – solange man noch nicht ein »sein« oder »nicht sein« dazusetzt, entweder einfach so oder auf Zeit. Kapitel 2. »Name« ist nun also eine übereinstimmungsgemäß etwas bezeichnende Lautform ohne Zeitzusatz, von der kein für sich genommenes Teilstück mehr etwas bezeichnet: In »Kallippos« bedeutet ja »-ippos« nichts für sich, wie etwa in dem Wortausdruck »schönes Pferd«. Indessen, anders als bei einfachen Namen verhält es sich so nicht bei zusammengesetzten: bei den ersten bezeichnet das Teil nie etwas, bei letzteren will es das wohl, doch, für sich genommen, trifft es nichts, z. B.
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in »Küstenschnellsegler« das »-segler«. Übereinstimmungsgemäß meint, daß keine der Benennungen von Natur aus besteht, sondern erst dann dazu wird, wenn sie Ausdruck von etwas ist; es verlautbaren ja auch die unschriftlichen Laute, z. B. von Tieren, etwas, – nichts davon ist eine Benennung. »Nicht Mensch« ist keine Benennung. Es liegt aber auch keine Bezeichnung vor, wie man so etwas rufen soll – es ist nämlich weder eine erklärende noch eine verneinende Rede –, so heiße es denn: »unbestimmte Bezeichnung«. »Des Philon« oder »dem Philon« und dergleichen sind keine Bezeichnungen, sondern nur Fälle einer solchen; die Begriffserklärung verläuft dazu in allen übrigen Hinsichten über die gleichen Punkte, nur, daß diese in Verbindung mit »ist«, »war«, »wird sein« keine wahre oder falsche Aussage machen – das tut aber eine Benennung immer – z. B. »Philons ist« oder »... ist nicht« – das sagt ja wohl überhaupt nichts, redet weder wahr noch falsch. Kapitel 3. »Tätigkeitswort« ist eines, das zusätzlich Zeit mitbezeichnet, dessen Teil, für sich genommen, nichts anzeigt; es ist Ausdruck von Aussagen, die über andere Gegenstände gemacht werden. Mit »zeigt Zeit mit an« meine ich z. B.: »Gesundheit« ist eine Benennung, »ist gesund« ein Tätigkeitswort, es bezeichnet nämlich mit das Gegenwärtig-Vorliegen. Und es ist immer ein Ausdruck von Vorliegendem, z. B. dessen an einem Satzgegenstand. Dagegen »ist nicht gesund« oder »leidet nicht« nenne ich nicht Tätigkeitsausdruck; es bezeichnet zwar eine Zeit mit und liegt auch immer an etwas vor, doch liegt für den Unterschied keine Bezeichnung bereit; so heiße es denn »unbestimmtes Tätigkeitswort«, weil es gleicherweise an Beliebigem zutrifft, ob das nun ist oder nicht ist. Entsprechend aber auch, »gesundete« oder »wird gesund sein« sind nicht Tätigkeitswort, sondern Fälle eines solchen; sie unterscheiden sich vom Tätigkeitswort darin, daß dieses gegenwärtige Zeit mitbezeichnet, sie aber die Zeit darum herum. – Bloß so für sich ausgesprochen sind die Tätigkeitsworte auch Benennungen und deuten auf etwas hin – wer sie ausspricht, richtet das Verstehen fest auf einen Punkt, und wer
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sie hört, macht sich daran fest – nur, ob das nun ist oder nicht, zeigt dies noch nicht an; denn »sein« oder »nicht sein« sind nicht Anzeiger eines Gegenständlichen, auch nicht, wenn man »seiend« bloß für sich sagt. Als dieses selbst ist es nämlich nichts, es bezeichnet aber eine Verbindung mit, die ohne die verbundenen Stücke nicht zu denken ist. Kapitel 4. »Erklärende Rede« ist eine etwas bezeichnende Lautäußerung, von deren Teilen jeder beliebige für sich gesondert etwas bezeichnet, nur als bloßes Kundtun, aber noch nicht als behauptende Zusage. Ich meine z. B., »Mensch« bedeutet etwas, nur noch nicht, daß das ist oder nicht ist – zu einer bejahenden Zusage oder einer verneinenden Absage wird das erst, wenn etwas dazugesetzt wird –, dagegen die Einzelsilbe von »Men-schen« nicht; auch in »Maus« ist ja das »-us« kein Bedeutungsträger, sondern eben nur ein bloßer Laut. In den aus zweien zusammengesetzten (Worten) bedeutet dagegen (das Einzelteil) wohl etwas, nur nicht für sich genommen, wie gesagt. Es ist nun also jede erklärende Rede etwas bedeutend, nur nicht so wie ein natürliches Sinneswerkzeug, sondern, wie gesagt, übereinstimmungsgemäß. Darstellend ist aber nicht jede, sondern nur die, der es zutrifft, wahr oder falsch sein zu können; das trifft aber nicht auf alle (Sätze) zu, z. B. ein Gebet ist zwar auch eine Rede, doch weder wahr noch falsch. Die anderen Formen seien nun beiseitegesetzt – deren Betrachtung ist der Lehre von Rede und Dichtung angemessener –, die aussagende Rede ist Gegenstand der gegenwärtigen Betrachtung. – Kapitel 5. Die erste aussagende Rede, die zu einer Einheit kommt, ist die Behauptung, danach die Verneinung; die übrigen gewinnen durch Verknüpfung ihre Einheit. Notwendig kommt jede aussagende Rede her von einem Handlungswort oder einem seiner Fälle; die Begriffsvorstellung »Mensch«, wenn ihr nicht ein »ist« oder »wird sein« oder »war« oder dgl. hinzugefügt ist, ist noch keine aussagende Rede. – Wieso aber »Lebewesen, zu Fuß über Land gehend, zweifüßig« ein eines ist, nicht etwa eine Vielheit – die Einheit wird ja doch wohl nicht dadurch hergestellt, daß es hintereinander weg ausge-
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sprochen ist –, doch darüber zu sprechen ist Sache einer anderen Anstrengung. – Einheitlich ist aussagende Rede entweder, indem sie auf einen Sachverhalt hinweist, oder sie ist durch Verknüpfung einheitlich; vielheitlich die, welche auf vieles und nicht eines hinweisen, oder die unverknüpften. Bezeichnung und Handlungswort seien nun also bloßes Kundtun, denn indem man so mit Lautäußerung auf etwas hinweist, heißt das nicht so reden, daß da eine Aussage gemacht wird, einerlei ob da einer Fragen stellt oder nicht, sondern man sich selbst dazu entschließt. Davon ist die eine Form aussagender Rede die einfache: Etwas gilt von etwas, oder etwas wird von etwas verneint; die andere ist die aus diesen zusammengesetzte, etwa eine bestimmte schon zusammengebaute. Die einfache aussagende Rede ist eine Lautäußerung, die über etwas zum Ausdruck bringt, ob es vorliegt oder nicht, wie die Zeiten verschieden sind. Bejahende Zusage ist Rede, die etwas von etwas aussagt, verneinende Absage ist Rede, die etwas von etwas abspricht. Kapitel 6. Da nun aber folgende Möglichkeiten gehen: Etwas Vorliegendes aussagen als nicht vorliegend, etwas nicht Vorliegendes als vorliegend, etwas Vorliegendes als vorliegend, etwas nicht Vorliegendes als nicht vorliegend, und das nun auch noch für die Zeiten außerhalb der Gegenwart entsprechend, so kann denn wohl auch jede bejahende Aussage, die einer gemacht hat, verneint werden und jede verneinende bejaht; daher klar ist, daß jeder Behauptung eine Verneinung entgegengesetzt ist und jeder Verneinung eine Behauptung. Und das soll denn Widerspruch heißen: Behauptung und Verneinung, die einander gegenüberstehen. Mit »gegenüberstehen« meine ich Bezugnahme auf die gleiche Bestimmung in der gleichen Hinsicht, – und zwar nicht unter Verwendung von Wortgleichheiten, und was wir sonst noch alles derart zusätzlich festlegen gegen die Lästigkeiten der Wortverdreher. Kapitel 7. Da nun aber die einen Gegenstände allgemein sind, die anderen einzeln – mit »allgemein« meine ich: Was von der Art ist, von mehreren Gegenständen ausgesagt zu wer-
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den; mit »einzeln« etwas, wo das nicht geht; Beispiel: »Mensch« gehört zum Allgemeinen, »Kallias« zu den Einzelbestimmungen –; notwendig muß aber auch die Aussage, daß etwas vorliegt oder nicht, einmal über einen allgemeinen Gegenstand, ein andermal über einen Einzelgegenstand gehen: wenn denn nun also (a) allgemein ausgesagt wird über einen allgemeinen Gegenstand, daß es an ihm zutrifft oder nicht, so werden die Aussagen entgegengesetzt sein – mit »allgemein aussagen über einen allgemeinen Gegenstand« meine ich beispielshalber: »Jeder Mensch ist weiß«, »kein Mensch ist weiß« –; wenn sie dagegen (b) zwar über allgemeine Gegenstände gehen, aber nicht allgemein sind, sind sie nicht entgegengesetzt, was sie aussagen, kann allerdings entgegengesetzt sein, – mit »nicht allgemein aussagen über allgemeine Gegenstände« meine ich beispielshalber: »Mensch ist weiß«, »Mensch ist nicht weiß«; »Mensch« ist zwar ein Allgemeinbegriff, wird aber in dieser Aussage nicht so gebraucht; der Zusatz »jeder« zeigt nicht die Allgemeinheit an, sondern daß die Aussage allgemein sein soll. – (c) Von etwas Ausgesagtem etwas Allgemeines allgemein auszusagen, ermöglicht nicht Wahrheit: es wird nämlich keine Bejahung geben, in der von einem Ausgesagten ein Allgemeines allgemein ausgesagt wird, Beispiel: »Es ist jeder Mensch jedes Lebewesen«. – Daß nun also eine Behauptung einer Verneinung im Widerspruch entgegengesetzt sei, meine ich so: Die, welche ein Allgemeines aussagt über einen Gegenstand, im Verhältnis zu der, die über den gleichen Gegenstand eine nicht allgemeine Aussage macht, Beispiel: (d) »Jeder Mensch ist weiß« – »Nicht jeder Mensch ist weiß«; (e) »Kein Mensch ist weiß« – »Irgendein Mensch ist weiß«. Gegenüberliegend dagegen nenne ich die Behauptung eines Allgemeinen im Verhältnis zur Verneinung eines Allgemeinen, Beispiel: (f) »Jeder Mensch ist gerecht« – »Kein Mensch ist gerecht«. Diese (letzteren) Sätze können daher nicht zugleich wahr sein, die ihnen entgegengesetzten können es über den gleichen Gegenstand wohl, z. B.: (g) »Nicht jeder Mensch ist weiß« – »Irgendein Mensch ist weiß«. Von denjenigen Gegensätzen, die über Allgemeines allgemein gehen, muß notwendig jeweils der eine
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wahr, der andere dann falsch sein, und von denen, die über Einzelgegenstände gehen, ebenso, Beispiel: (h) »Sokrates ist weiß« – »Sokrates ist nicht weiß«; von denjenigen dagegen, die über Allgemeines nicht allgemein gehen, ist nicht immer, wenn der eine wahr, dann der andere falsch. Es ist ja gleichzeitig wahr, zu sagen: (b) »Mensch ist weiß« und »Mensch ist nicht weiß«, und: »Es gibt schöne Menschen« – »Es gibt nicht schöne Menschen«; wenn einer dann häßlich ist, so ist er auch nicht schön; und wenn etwas (erst) wird, so ist es auch (noch) nicht. Es möchte aber sofort unsinnig erscheinen, weil doch der Satz (b) »Mensch ist nicht weiß« gleichzeitig auch zu bedeuten scheint, daß kein Mensch weiß ist (a); doch weder bedeuten sie das gleiche, noch gelten sie notwendig gleichzeitig. – Klar ist aber, daß es eine einzige Verneinung von einer einzigen Behauptung gibt; die Verneinung muß doch genau das verneinen, was die Behauptung bejaht hatte, und zwar an dem gleichen Gegenstande, ob der nun aus dem Bereich der Einzelgegenstände einer ist oder aus dem Bereich der Allgemeinbestimmungen, und ob die Aussage allgemein gemacht war oder nicht allgemein; ich meine z. B.: (h) »Sokrates ist weiß« – »Sokrates ist nicht weiß«; wenn aber etwas anderes verneint wird, oder zwar das gleiche, doch von einem anderen Gegenstand, dann ist das nicht die entgegengesetzte Behauptung, sondern nur eine von der ersten verschiedene; der Behauptung: (d) »Jeder Mensch ist weiß« (ist entgegengesetzt die) »Nicht jeder Mensch ist weiß«, der: (e) »Irgendein Mensch ist weiß« die »Kein Mensch ist weiß«, der: (b) »Mensch ist weiß« die »Mensch ist nicht weiß«. Daß nun also eine Behauptung einer Verneinung widersprüchlich gegenübersteht, und welches die jeweils sind, ist vorgetragen, auch, daß die gegenüberliegenden andere sind, und welche das sind, und auch, daß nicht jeder Widerspruch wahr oder falsch sein muß, warum das so ist, und unter welchen Umständen wahr oder falsch. Kapitel 8. Einheitlich ist aber diejenige Behauptung oder Verneinung, die eines über eines aussagt, entweder über ein Allgemeines allgemein, oder nicht, in entsprechender Weise,
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z. B.: »Jeder Mensch ist weiß« – »Nicht jeder Mensch ist weiß«; »Mensch ist weiß« – »Mensch ist nicht weiß«; »Kein Mensch ist weiß« – »Es gibt einen weißen Menschen«, – wenn dabei »weiß« je eines bezeichnet. Wenn aber zwei Gegenständen eine Bezeichnung gegeben wird, aus denen tatsächlich nicht eine Einheit wird, so ist die Behauptung nicht eine und die Verneinung auch nicht; wenn z. B. jemand dem (Ausdruck) »Pferd und Mensch« die gemeinsame Bezeichnung »Mantel« gäbe, so ist der Satz: »Mantel ist weiß« nicht eine einzige Behauptung; es macht nämlich keinen Unterschied, das zu sagen, oder: »Pferd und Mensch ist weiß«, und das unterscheidet sich in nichts davon, zu sagen: »Pferd ist weiß« und »Mensch ist weiß«. Wenn also diese Aussagen eine Vielheit bezeichnen und dann selbst auch eine Vielheit sind, so ist klar, daß auch die erste Form entweder eine Vielheit bezeichnet oder nichts – es ist doch nicht irgendein Mensch Pferd –, daher es bei diesen also auch nicht notwendig ist, daß, wenn der eine Satz wahr, dann sein Gegen-Satz falsch sein müßte. Kapitel 9. Bei Sätzen von »ist«-Form und von »war«-Form muß nun also die Behauptung oder die Verneinung wahr oder falsch sein; und wenn es über Allgemeines allgemein geht, jeweils, wenn die eine wahr, so die andere falsch, entsprechend über Einzelgegenstände, wie gesagt ist. Wenn aber über Allgemeines nicht allgemein gesprochen wird, so ist das nicht notwendig. Auch darüber ist gesprochen. – Bei Einzelgegenständen und »wird sein«-Aussagen ist es nicht entsprechend: Wenn nämlich jede Behauptung oder Verneinung, je nachdem, wahr oder falsch ist, so muß auch alles (Behauptete, je nachdem) entweder vorliegen oder nicht vorliegen; wenn denn nun einer sagt: »Etwas Bestimmtes wird sein«, ein anderer dagegen sagt: »Genau das wird nicht sein«, so ist klar, daß notwendig nur einer von ihnen das Richtige sagt, wenn jede Behauptung wahr oder falsch ist; beides wird ja gleichzeitig in solchen Fällen nicht eintreten können. Wenn es denn wahr sein soll, gesagt zu haben: »... ist weiß« oder »... ist nicht weiß«, so muß dieser Gegenstand eben auch weiß
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oder nicht weiß sein, und wenn er nun das eine oder andere ist, so war es auch wahr, das Jeweilige zu behaupten oder zu leugnen; und wenn es je nicht zutrifft, so redet er falsch, und wenn er falsch redet, so liegt es auch nicht vor. Also ist notwendig die Behauptung oder die Verneinung wahr. Nichts also ist noch tritt ein, sei es aus Zufallsfügung oder als ein »Wie es sich gerade so ergeben hat«, und es wird auch nicht so sein oder nicht sein, sondern aus Notwendigkeit alles, und nicht als ein »Wie es sich gerade so ergeben hat«: entweder spricht der Behauptende wahr oder der Verneinende; denn sonst wäre es ja mit gleichem Recht eingetreten oder nicht eingetreten; eben das »Wie es sich gerade so gefügt hat« ist doch von der Art, um nichts mehr sich so oder nicht so in Gegenwart oder Zukunft zu verhalten. – Ferner, wenn »... ist weiß« jetzt gilt, so war es auch schon früher wahr, gesagt zu haben: »... wird weiß sein«, sodaß es immer wahr war, »... wird sein« von etwas zu sagen, das irgendwann einmal ins Sein eintreten sollte; wenn es aber immer wahr war, »... ist« oder »... wird sein« gesagt zu haben, so ist dies nicht von der Art, daß es nicht ist und auch in Zukunft nicht sein wird; was aber nicht von der Art ist, nicht ins Sein zu treten, davon ist es unmöglich, daß es nicht ins Sein tritt; wovon es wieder unmöglich ist, nicht ins Sein zu treten, das muß notwendig ins Sein treten; alles, was da sein wird, tritt also mit Notwendigkeit ins Sein. Nichts wird also ein »Wie es sich gerade so ergeben hat« und auch nicht infolge Zufallsfügung sein. Wenn es nämlich infolge von Zufallsfügung wäre, so nicht aus Notwendigkeit. – Indessen aber, daß keins von beiden wahr wäre, kann nicht gesagt werden, etwa: »... wird weder sein noch nicht sein«. Erstens nämlich, wäre die Bejahung falsch, so auch die Verneinung nicht wahr und wäre diese falsch, so ergibt sich, daß auch die Bejahung nicht wahr ist. Und zudem, wäre es wahr zu sagen: »weiß und schwarz«, dann muß beides zutreffen, wenn aber »wird morgen eintreffen« (wahr ist), so wird es morgen eintreffen; wenn es aber morgen weder sein noch nicht sein wird, dann gäbe es auch das »Wie es sich eben so ergab« nicht, Beispiel: Eine
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Seeschlacht; dann wäre es ja nötig, daß die Seeschlacht weder stattfindet noch nicht stattfindet. Was sich denn also ergibt, ist derlei Unsinn und derartiges mehr, wenn denn bei jeder Behauptung und Verneinung, sei es über Allgemeines allgemein ausgesagt oder von Einzelgegenständen, notwendig von den entgegengesetzten Aussagen immer die eine wahr, die andere dann falsch sein müßte, es aber bei Gegenständen des Werdens kein »Wie es sich gerade so fügte« gäbe, sondern alles aus Notwendigkeit sein und eintreten müßte. So brauchte man denn weder zu Rate zu gehen noch sich die Mühe der Überlegung zu machen: Wenn wir das tun werden, wird folgendes eintreten ..., wenn (wir) das aber nicht (tun werden), so wird es nicht eintreten ... – Nichts hindert dann noch die Annahme, daß einer aufs zehntausendste Jahr das zukünftige Eintreten von etwas behauptete, ein anderer bestritte das, folglich müßte dann das, wovon es zu dem Zeitpunkt wahr war, es zu sagen, mit Notwendigkeit eintreten. Indessen, nicht einmal das macht dann einen Unterschied, ob irgendwer den Widerspruch geäußert oder nicht geäußert hat: Klar doch, daß sich die Dinge so verhalten (wie sie’s eben tun), auch wenn nicht vorher der eine es so behauptet, der andere es bestritten hat; nicht aufgrund einer solchen Behauptung oder Bestreitung werden sie doch eintreten oder nicht eintreten, und das aufs zehntausendste Jahr nicht mehr als zu irgend beliebiger Zeit. Also, wenn es zu jeder Zeit sich so verhielt, daß eins von beiden wahr war, so war es auch notwendig, daß dies eingetreten ist, und alles, was je eingetreten ist, mußte dann immer von der Art sein, daß es aus Notwendigkeit eingetreten ist: wovon doch einer wahr ausgesagt hat: »Es wird sein«, das kann doch nicht nicht eintreten; und (umgekehrt) von etwas Eingetretenem war es immer wahr, gesagt zu haben: »Es wird sein«. Wenn das also unmöglich ist – wir sehen ja, daß zukünftig Eintretendes seinen Ausgangspunkt nimmt sowohl vom Beraten aus wie davon, daß man zu handeln beginnt, und überhaupt, daß im Bereich der Dinge, die nicht immer wirkend sind, das »kann sein oder auch nicht« sich findet, worin beides
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als Möglichkeit beschlossen liegt, sowohl das »sein« wie auch das »nicht sein«, somit aber auch sowohl das »eintreten« wie auch das »nicht eintreten«. Und vieles – ist uns klar – verhält sich so, z. B.: Dies Kleidungsstück kann zerschnitten werden, wird aber nicht zerschnitten werden, sondern zuvor abgetragen; ebenso ist aber auch »nicht zerschnitten werden« möglich: denn das »zuvor abgetragen sein« träfe ihm ja nicht zu, wenn »nicht zerschnitten werden« nicht möglich gewesen wäre. Also auch mit allen übrigen Werdensvorgängen, wieviele da nach derartiger Möglichkeit ausgesprochen werden. So ist denn also einsichtig: Nicht alles ist oder tritt ein aus Notwendigkeit, sondern einiges, wie es sich gerade so ergeben hat, und dann ist die Behauptung um nichts wahrer als die Verneinung, anderes wohl mehrheitlich so und daß meistens das eine von beiden eintritt, indessen jedoch kann auch das andere eintreten, das erste dann nicht. – Das Sein von etwas, das ist, solange es ist, und, daß Nichtseiendes nicht ist, solange es nicht ist, ist notwendig. Allerdings gilt weder: Alles, was ist, ist notwendig, noch: Alles, was nicht ist, ist notwendig nicht. Es ist nämlich nicht dasselbe (zu sagen): Alles, was ist, ist notwendig zu der Zeit, da es eben ist, und einfach so vom »Sein aus Notwendigkeit« zu sprechen. Entsprechendes gilt von dem, was nicht ist. Und mit dem Widerspruch dazu ist es die gleiche Erklärung: »Sein oder nicht sein« gilt von allem mit Notwendigkeit, und »in Zukunft sein oder nicht sein«; allerdings, je eines von beiden für sich zu nehmen und es auszusagen, ist nicht notwendig. Ich sage beispielsweise: »Notwendig gilt: Morgen wird eine Seeschlacht stattfinden, oder es wird keine stattfinden.« Nicht allerdings gilt: »Notwendig findet morgen eine Seeschlacht statt«, auch nicht: »Notwendig findet keine statt«. Dagegen »stattfinden oder nicht stattfinden« gilt notwendig. Da denn nun also die Reden in Entsprechung zu den Tatsachen wahr sind, so ist klar: Was von der Art ist, daß es sich gerade eben so ergeben hat, und wovon auch je das Gegenteil möglich war, bei dem muß auch der Widerspruch von entsprechender Art sein; das ergibt sich bei solchem, was nicht immer ist oder nicht immer nicht ist;
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dabei muß ja zwar je das eine Stück des Widerspruchs wahr sein oder falsch, allerdings nicht mit Bestimmtheit dies oder das, sondern wie es sich eben gerade so fügte, und es mag auch die eine Seite in höherem Maße wahr sein, allerdings ist ihre Wahrheit oder Falschheit nicht schon erwiesen. So ist denn klar: Nicht notwendig ist bei jeder Behauptung und Verneinung von je Entgegengesetztem die eine wahr, die andere falsch; denn nicht so wie bei »ist«-Aussagen verhält es sich auch hier, bei Aussagen über Sachverhalte, die zwar nicht sind, aber doch (dermaleinst) sein oder nicht sein können, – sondern so, wie gesagt. – Kapitel 10. Da nun aber Behauptung (eine Rede) ist, die etwas über etwas aussagt, und das ist entweder eine Bezeichnung oder etwas, wofür es einen Namen nicht gibt, und da das in der Behauptung (Ausgesagte) eines sein muß und über einen Gegenstand gesagt sein muß – was Bezeichnung ist und Namenloses, ist früher gesagt: »Nicht Mensch« nenne ich nicht Bezeichnung, sondern unbestimmte Bezeichnung – das bezeichnet eben irgendwie ein Unbestimmtes –, so wie ja auch »ist nicht gesund« keine Tätigkeitsaussage ist –: so wird denn jede Behauptung bestehen entweder aus einer Bezeichnung und einem Tätigkeitswort oder aus unbestimmter Bezeichnung und Tätigkeitswort. Ohne Tätigkeitswort gibt es keine Behauptung und Verneinung; »ist« oder »wird sein« oder »war« oder »tritt ein« oder anderes derart sind aufgrund des Festgelegten Tätigkeitsaussagen, sie bezeichnen ja eine Zeit mit. Ursprüngliche Behauptung und Verneinung sind also: »Mensch ist« – »Mensch ist nicht«, sodann: »Nicht Mensch ist« – »Nicht Mensch ist nicht«, und wieder: »Jeder Mensch ist« – »Jeder Mensch ist nicht«, »Jeder nicht Mensch ist« – »Jeder nicht Mensch ist nicht«. Und mit den außenliegenden Zeiten ist es die gleiche Erklärung. Wenn aber »ist« als ein Drittes zusätzlich ausgesagt wird, so werden die Gegensätze auf zweifache Weise ausgesagt. Ich sage z. B.: »Mensch ist gerecht«, dann behaupte ich: »ist« wird als Drittes – Bezeichnung oder Tätigkeitswort – in der Behauptung mitgesetzt. So werden das aus dem Grunde vier
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(Sätze) sein, von denen zwei bestimmte im Hinblick auf Behauptung und Verneinung sich entsprechungsgemäß verhalten werden, wie die Fortnahme von Eigenschaften, die anderen zwei dagegen nicht; ich meine damit: »ist« wird entweder dem »gerecht« hinzugesetzt oder dem »nicht gerecht«, folglich auch die Verneinung. So werden es also vier sein. Wir wollen das Gesagte begreifen aus folgender Aufzeichnung: »Mensch ist gerecht« – Verneinung dazu: »Mensch ist nicht gerecht«. »Mensch ist nicht-gerecht« – Davon die Verneinung: »Mensch ist nicht nicht-gerecht«. »Ist« und »ist nicht« stehen hier bei »gerecht« und »nicht gerecht«. Das ist also, wie in den Analytiken vorgetragen, auf diese Weise geordnet. Entsprechend verhält es sich auch, wenn die Behauptung über den Bezeichnungsgegenstand allgemein gemacht wird, Beispiel: »Jeder Mensch ist gerecht« – [Verneinung dazu:] »Nicht jeder Mensch ist gerecht«. »Jeder Mensch ist nicht gerecht« – »Nicht jeder Mensch ist nicht gerecht«. Nur, daß die am weitesten auseinanderliegenden Aussagen nicht entsprechend gleich wahr sein können, gelegentlich aber können sie es doch. Diese zwei sind nun also entgegengesetzt, andere im Hinblick auf »nicht Mensch«, als eine Art Satzgegenstand zur Aussage gesetzt:
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»Nicht Mensch ist gerecht« – »Nicht Mensch ist nicht gerecht« »Nicht Mensch ist nicht-gerecht« – »Nicht Mensch ist nicht nicht-gerecht«. Mehr als diese Gegensätze wird es nicht geben; die letzteren stehen aber gesondert von den ersten für sich allein, indem sie »nicht Mensch« wie eine Bezeichnung brauchen. Bei welchen (Tätigkeitsaussagen) »ist« nicht paßt, z. B. bei »sich wohlbefinden« und »gehen«, bei denen macht es die gleiche Aussage, wenn man sie so setzt, als wie wenn »ist« zugefügt wäre, Beispiel: »Wohlbefindet sich jeder Mensch« – »Nicht wohlbefindet sich jeder Mensch« »Wohlbefindet sich jeder nicht Mensch« – »Nicht wohlbefindet jeder sich nicht Mensch«. Nicht ist hier »nicht jeder Mensch« zu sagen, sondern das »nicht«, die Verneinung, muß zu »Mensch« gesetzt werden; denn das »jeder« meint nicht die Allgemeinheit des Gegenstandes, sondern die der Aussage. Das ist klar aus folgendem: »Mensch befindet sich wohl« – »Mensch befindet sich nicht wohl« »Nicht Mensch befindet sich wohl« – »Nicht Mensch befindet sich nicht wohl«. Letztere (Sätze) unterscheiden sich von den ersten dadurch, daß sie nicht allgemein ausgesagt sind. Also, »jeder« oder »kein« bezeichnet nichts weiter zusätzlich, als daß man dem bezeichneten Gegenstand etwas allgemein zu- oder abspricht. Das übrige muß man gleichbleibend dazusetzen. – Da nun aber der (Behauptung) »Jedes Lebewesen ist gerecht« gegenüberliegt die Verneinung, die da besagt: »Kein Lebewesen ist gerecht«, so ist einerseits klar, daß diese niemals zugleich wahr sein und auch nicht am selben Gegenstand gelten können, die diesen entgegengesetzten (Sätze) werden es
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aber gelegentlich können, z. B.: »Nicht jedes Lebewesen ist gerecht« und: »Es gibt irgendein Lebwesen, das gerecht ist«. Die folgen einander, nämlich dem »Jeder Mensch ist nicht gerecht« der »Kein Mensch ist gerecht«, dem »Es gibt irgendeinen gerechten Menschen« der entgegengesetzte »Nicht jeder Mensch ist nicht gerecht«, – denn dann muß es einer ja sein. – Klar ist nun auch (bei Aussagen) über Einzelgegenstände: Wenn es wahr ist, auf eine entsprechende Frage hin zu verneinen, dann ist die entsprechende Bejahung auch wahr, Beispiel: »Ist Sokrates weise?« – »(Ist er) nicht.« – Sokrates ist also nicht weise. Dagegen bei Allgegenständen ist die ebenso ausgesprochene (Behauptung) nicht wahr, wahr stattdessen (nur) die Verneinung, Beispiel: »Ist jeder Mensch weise?« – »(Ist so) nicht.« – »Jeder Mensch ist also nicht weise.« – das ist ja falsch, aber »Nicht jeder Mensch ist also weise« ist wahr. Das ist die entgegengesetzte, die andere aber war die gegenüberliegende. – Die über unbestimmte Bezeichnungen und Tätigkeitsworte gehenden entgegengesetzten (Sätze), wie über »nicht Mensch« und »nicht gerecht«, möchten wohl wie Verneinungen ohne Bezeichnung und Tätigkeitswort zu sein scheinen, sind es aber nicht; denn notwendig muß die Verneinung immer wahr oder falsch sein, wer aber »nicht Mensch« sagt, der hat überhaupt nicht mehr wahr oder falsch gesprochen als einer, der »Mensch« (sagt), sondern sogar weniger, solange nicht etwas zugesetzt ist. Es bezeichnet aber »Es ist jeder nicht Mensch gerecht« zu keinem der obigen Sätze das Gleiche, und auch nicht der diesem entgegengesetzte, »Es ist nicht jeder nicht Mensch gerecht«. Dagegen, »Jeder nicht Mensch (ist) nicht gerecht« bedeutet zu »Kein nicht Mensch ist gerecht« dasselbe. – Umgestellte Bezeichnungen und Tätigkeitsworte behalten dieselbe Aussage, Beispiel: »Weiß ist Mensch« – »Mensch ist weiß«; wenn das nämlich nicht ist, dann wird es zu dem selben (Satz) mehrere Verneinungen geben, aber es war doch gezeigt, daß es zu einer (Behauptung nur) eine (Verneinung gibt). Zu »Mensch ist weiß« ist die Verneinung: »Mensch ist nicht weiß«; wenn zu »Weiß ist Mensch« die Verneinung nicht die gleiche
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ist wie zu »Mensch ist weiß«, so wird die Verneinung entweder sein: »Nicht Mensch ist nicht weiß«, oder: »Weißer Mensch ist nicht«; nun ist aber die eine die Verneinung zu »Nicht Mensch ist weiß«, die andere zu »Mensch ist weiß«; so wären es denn zwei (Verneinungen) zu einer (Behauptung). Daß nun also bei Umstellung von Bezeichnung oder Tätigkeitswort Bejahung und Verneinung ihre Bedeutung als dieselbe behalten, ist klar. Kapitel 11. Eines über vieles oder vieles über eines zu behaupten oder zu verneinen ist, wenn ein aus vielen Zusammengesetztes nicht eine Einheit ist, nicht eine einzige Behauptung oder Verneinung. Von Einheit rede ich dann nicht, wenn (zwar) eine Bezeichnung gesetzt ist, aber aus jenen (vielen Bestandteilen) keine bestimmte Einheit (geworden) ist, Beispiel: »Mensch« ist ja wohl vielleicht auch: »Lebewesen, zweifüßig, gesittet«, aber aus alledem wird auch eine Einheit. Dagegen, aus »weiß«, »Mensch«, »gehen« (entsteht) keine Einheit. Daher also ist weder, wenn eines über diese ausgesagt wird, dies eine einheitliche Behauptung, sondern zwar eine Lautäußerung, aber viele Behauptungen, noch, wenn diese über eines ausgesagt werden, sondern ebenfalls viele. Wenn nun die Frage im Untersuchungsgespräch die Forderung nach einer Antwort darstellt, entweder auf die vorgelegte Frage oder (Wahl) der anderen Seite des Widerspruchs, wobei die vorgelegte Frage die eine Seite eines Widerspruchs ist, so wäre die Antwort darauf nicht eine; es war ja auch nicht eine Frage, auch dann nicht, wenn sie wahr wäre. Gesprochen ist in der Topik darüber. Gleichzeitig ist auch klar: Die »Was-ist-es«-Frage ist auch keine Gesprächsfrage; dazu muß nämlich (die Möglichkeit) gegeben sein, aufgrund der Fragestellung zu wählen, welche von beiden Seiten des Widerspruchs man aussagen will; so muß aber der Fragende zusätzlich eingrenzen: »Ist ›Mensch‹ das oder das nicht?« Da nun aber die einen Aussagen verbunden gemacht werden, so daß das ganze Ausgesagte, bestehend aus gesonderten Einzelaussagen, eine Einheit wird, für andere aber gilt das nicht: welches ist der Unterschied? Von »Mensch« ist es doch wahr, einerseits für sich zu sagen »Lebewesen«, und wieder
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für sich »zweifüßig«, und (drittens) das als Einheit; so auch »Mensch« und »weiß« und das (drittens) als eines. Aber nicht (gilt): Wenn »Schuster« und »gut«, dann auch »guter Schuster«. Wenn denn, weil jedes von beiden (wahr ist), dann auch das »aus beiden zusammen«, ergäbe sich ja viel Unsinn! Von einem Menschen ist doch sowohl die (Aussage) »Mensch« wahr wie auch die »weiß«, mithin also auch das Ganze; wenn dann erneut »weiß«, und wieder das Ganze, dann gibt es folglich: »Weißer Mensch weiß«, und das ins Unendliche. Und aufs neue: »Gebildet, weiß, gehend«, und das in vielfacher Verflechtung. Weiter dann, wenn Sokrates »Sokrates« und »Mensch«, dann auch »Sokrates-Mensch«, und wenn »Mensch« und »zweifüßig«, auch »Mensch-zweifüßig«. Daß nun also, wenn einer es einfach so setzt, daß Verflechtungen eintreten, sich ergibt, viel Unfug zu reden, ist klar. Wie es dagegen anzusetzen ist, sagen wir jetzt. Also: Alles, was an Ausgesagtem, und auch worüber sich das Ausgesagtwerden ergibt, gemäß bloß zukommender Eigenschaft, entweder an demselben oder als Verschiedenes über ein Verschiedenes, ausgesprochen wird, das findet nicht zur Einheit, Beispiel: Mensch ist »weiß und gebildet«, aber damit werden »weiß« und »gebildet« nicht zu einer Einheit; denn sie treffen eben nur beide demselben zu; auch wenn »weiß, gebildet« wahr wäre zu sagen, trotzdem wird »gebildet-weiß« nicht zu einem; nur beiläufig ist hier ein Gebildetes auch weiß, also ein »weißgebildet« wird es nicht geben. Daher ist auch ein Schuster nicht einfach so »gut«, doch »zweifüßiges Lebewesen« ist er; das ist er nämlich nicht beiläufig. – Sodann auch solches nicht, was in dem anderen schon enthalten ist; daher weder »weiß« mehrmals (zu setzen ist) noch »Mensch« als »Menschenlebewesen« oder »(Mensch)zweifüßig«; denn es ist in »Mensch« schon »zweifüßig« und »Lebewesen« enthalten. Wahr ist dagegen, es von einem Einzelgegenstand auch ohne Zusatz auszusagen, z. B. von irgendeinem bestimmten Menschen »Mensch« oder von einem bestimmten Weißen »weißer Mensch«. Aber nicht immer, sondern wenn in dem Hinzugesetzten etwas an Entgegengesetztem schon enthalten
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ist, dem ein Widerspruch folgt, so ist es nicht wahr, sondern falsch – z. B. einen gestorbenen Menschen »Mensch« zu nennen –, wenn dagegen (solches) nicht darin schon enthalten ist, ist es wahr. Oder (genauer): Wenn es darin eingeschlossen ist, ist es immer nicht wahr, wenn es aber nicht eingeschlossen ist, nicht immer wahr; wie also »Homer« etwas ist, etwa »Dichter«, – also, ist er nun auch oder nicht? Nur beiläufig wird doch hier das »ist« von Homer ausgesagt; weil er doch Dichter ist – aber nicht an und für sich –, wird von Homer hier »ist« gesagt. Daher, in welchen Aussageformen einerseits kein Gegensatz steht, wenn Begriffe anstatt von Bezeichnungen ausgesprochen werden, andererseits sie im eigentlichen Sinne ausgesagt sind, nicht bloß beiläufig, bei denen ist das »was« auch ohne Zusatz wahr auszusagen. »Nicht seiend« dagegen, weil es Gegenstand bloßer Meinung ist, ist nicht wahrheitsgemäß als ein Seiendes auszusagen; die Meinung über es geht ja nicht dahin, daß es ist, sondern daß es nicht ist. – Kapitel 12. Nachdem dies bestimmt ist, ist zu prüfen, wie sich die Behauptungen und Verneinungen zueinander verhalten, die da gehen um »möglich sein«, »nicht möglich« und »kann sein, daß ...«, »kann nicht sein, daß ...« und bezüglich »unmöglich« und »notwendig«. Denn das hat einige Schwierigkeiten. Wenn denn also von den zusammengesetzten Aussagen diese Widersprüche einander entgegengesetzt sind, wieviele gemäß »sein« und »nicht sein« angeordnet werden, z. B. von »... ist Mensch« ist die Verneinung »... ist nicht Mensch«, und nicht »nicht Mensch ist«, und von »weißer Mensch sein« (ist es) »nicht weißer Mensch sein«, aber nicht »nicht-weißer Mensch sein« – wenn denn von allem die Bejahung oder Verneinung (gälte), so wäre der Satz wahr: »Holz ist nicht-weißer Mensch«; wenn aber so, und (zusätzlich bei Sätzen), in welchen »sein« nicht hinzugesetzt, das anstatt »sein« Gesagte die gleiche Wirkung hervorbringen wird, z. B., von »Mensch geht« wäre nicht die Verneinung »nicht Mensch geht«, sondern »Mensch geht nicht«; – es macht denn doch keinen Unterschied zu sagen: »Mensch geht« oder »Mensch ist gehend«: –
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also, wenn das überall so ist, dann ist von »möglich sein« die Verneinung: »möglich, nicht zu sein«, aber nicht: »nicht möglich sein«. Es scheint aber doch eines und dasselbe sowohl sein wie nicht sein zu können: Alles, was zerschnitten werden oder gehen kann, kann auch nicht gehen oder nicht zerschnitten werden. Erklärung davon ist: Alles, was derart möglich ist, verwirklicht seine Möglichkeit nicht immer, daher ihm auch die Verneinung zutrifft. Es kann ja auch ein zum Gehen Befähigtes nicht gehen und ein Sichtbares nicht gesehen werden. Aber nun ist es doch unmöglich, daß entgegengesetzte Aussagen über den gleichen Gegenstand wahr sind; also auch diese Verneinung nicht. Es ergibt sich ja daraus, entweder das Gleiche gleichzeitig am Gleichen zu behaupten und zu verneinen, oder daß die hinzugesetzten (Aussagen) nicht Behauptungen und Verneinungen bezüglich »sein« oder »nicht sein« sind. Wenn nun das erste nicht geht, so wäre mithin das zweite zu wählen. So ist also die Verneinung zu »möglich sein«: »nicht möglich sein«. Dieselbe Erklärung gilt auch für »kann sein, daß ...«: Dazu ist die Verneinung »kann nicht sein, daß ...«. Und bei den anderen (Bestimmungen) ist es gleicherweise so, z. B. mit »notwendig« und »unmöglich«. Es ergibt sich doch (dies): Wie bei den früheren (Sätzen) das »sein« und »nicht sein« Zusätze sind, die zugrundeliegenden Sachverhalte aber (z. B.) »weiß« und »Mensch«, so wird hier »sein« gewissermaßen zur Grundlage, »können« und »eintreten können, daß ...« zu bestimmenden Zusätzen, und wie dort das »sein« und »nicht sein« die wahre Aussage ausmacht, entsprechend (betreffen) diese das »möglich sein« oder »nicht möglich sein«. Von »möglich, nicht zu sein« ist die Verneinung »nicht möglich, nicht zu sein«. Daher möchten wohl auch einander zu folgen scheinen die (Setzungen) »möglich sein« – »möglich, nicht zu sein«: dasselbe ist doch vermögend, zu sein und auch nicht zu sein; es sind ja derlei (Ausdrücke) keine Widersprüche gegen einander. Dagegen, »möglich sein« und »nicht möglich sein« (gehen) nie zusammen, die sind entgegengesetzt.
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Und auch »möglich, nicht zu sein« und »nicht möglich, nicht zu sein« (gehen) nie zusammen. Entsprechend auch, von »notwendig sein« (ist die) Verneinung nicht »notwendig, nicht zu sein«, sondern »nicht notwendig sein«; von »notwendig nicht sein« aber »nicht notwendig nicht sein«. Und von »unmöglich sein« nicht »unmöglich, nicht zu sein«, sondern »nicht unmöglich, zu sein«; von »unmöglich, nicht zu sein« aber (ist die Verneinung) »nicht unmöglich, nicht zu sein«. – Und überhaupt, wie gesagt ist, »sein« und »nicht sein« muß man setzen wie die Aussagegegenstände, diese dagegen zu Behauptung und Verneinung machen und so an »sein« und »nicht sein« anknüpfen; und diese muß man für die entgegengesetzten Aussagen halten: Möglich – nicht möglich, kann sein, daß ... – kann nicht sein, daß ..., unmöglich – nicht unmöglich, notwendig – nicht notwendig, wahr – nicht wahr. Kapitel 13. Und auch die Folgen ergeben sich in entsprechender Weise, wenn man es so setzt: Dem »möglich sein« (folgt) »sein können, daß ...«, und dies entspricht dem anderen, und: »nicht unmöglich sein« und »nicht notwendig sein« (entsprechend); dem »möglich, nicht zu sein« aber und dem »kann sein, daß nicht ...« (folgt) »nicht notwendig nicht sein« und »nicht unmöglich nicht sein«; dem »nicht möglich sein« aber und dem »kann nicht sein, daß ...« (folgt) »notwendig nicht sein« und »unmöglich, zu sein«; dem »nicht möglich, nicht zu sein« und »kann nicht sein, daß nicht ...« (folgt) »notwendig sein« und »unmöglich, nicht zu sein«. – Es mag aus folgender Tafel zu ersehen sein, wie wir es meinen: (a) möglich sein sein können, daß ... nicht unmöglich sein nicht notwendig sein
(b) nicht möglich sein nicht sein können, daß ... unmöglich sein notwendig nicht sein
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(c) möglich, nicht zu sein (d) nicht möglich, nicht zu sein nicht sein können, daß sein können, daß nicht ... nicht ... unmöglich, nicht zu sein nicht unmöglich, nicht zu sein nicht notwendig, nicht notwendig sein. zu sein
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Also: »unmöglich« und »nicht möglich« folgt dem »kann sein, daß ...« und »möglich« und dem »kann nicht sein, daß ...« und »nicht möglich« zwar auf widersprechende Weise, doch in umgekehrter Reihe; denn dem »möglich sein« folgt die Verneinung von »unmöglich«, der Verneinung die Bejahung; denn dem »nicht möglich sein« (folgt) das »unmöglich sein«; »unmöglich sein« ist nämlich eine Bejahung, dagegen »nicht unmöglich« eine Verneinung. – »Notwendig«, wie (es damit steht), ist zu sehen: Einsichtig doch, daß (es da) nicht so (ist), sondern die gegenüberliegenden (Sätze) folgen, die Widersprüche (stehen) für sich. Denn von »notwendig nicht sein« ist die Verneinung nicht »nicht notwendig sein«; da kann es ja sein, daß beide (Setzungen) über den gleichen Gegenstand wahr sind: »notwendig nicht sein« (schließt auch ein) »nicht notwendig sein«. Ursache dafür, daß hier nicht die entsprechende Folge besteht wie bei den anderen (Bestimmungen), ist: »unmöglich« wird zu »notwendig« in gegenüberliegender Form wiedergegeben, um dasselbe zu vermögen: Wenn nämlich etwas unmöglich sein kann, so ist von ihm notwendig nicht sein Sein, sondern sein Nichtsein; wenn es andererseits unmöglich nicht sein kann, so ist sein Sein notwendig. Wenn daher jene dem »möglich« und »nicht (möglich)« in entsprechender Weise (folgen), so diese in entgegengesetzter, da doch »notwendig« und »unmöglich« zwar auf dasselbe hinweisen, doch, wie gesagt ist, in umgekehrter Anordnung. – Oder ist es unmöglich, daß die Widersprüche zu »notwendig« so angeordnet sind? Das »notwendig sein« ist ja doch (auch) ein »möglich sein«; wenn denn nicht, so wird ja die
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Verneinung folgen; notwendig ist doch, entweder zu bejahen oder zu verneinen; daher denn, wenn »nicht möglich sein«, so auch »unmöglich sein«: »unmöglich sein« wäre somit ein »notwendig sein«, was ein Unsinn ist. Aber nun doch, dem »möglich sein« folgt das »nicht unmöglich sein«, diesem aber das »nicht notwendig sein«; daher sich ergibt, »notwendig sein« (wäre auch) »nicht notwendig sein«, was (erneut) Unsinn ist. Indessen, einerseits folgt nicht »notwendig sein« dem »möglich sein«, aber auch nicht »notwendig nicht sein«; einerseits kann es ja sein, daß dem beides zutrifft, bei diesem dagegen wird, einerlei welches von beiden wahr ist, jenes dann nicht mehr wahr sein: »möglich sein« und »... nicht sein« (gelten) gleichzeitig; wenn dagegen (gilt) »notwendig sein« oder »... nicht sein«, dann geht beides nicht mehr. Bleibt also, »nicht notwendig nicht sein« folgt dem »möglich sein«; das ist nämlich wahr auch (ausgesagt) von »notwendig sein«. Diese (Setzung) ist ja auch der Widerspruch zu der, die dem »nicht möglich« folgt: dem folgt nämlich »unmöglich sein« und »notwendig nicht sein«, dessen Verneinung das »nicht notwendig nicht sein« (ist). Es folgen also sowohl diese Widersprüche gemäß der vorgetragenen Ordnung, wie sich auch nichts Unmögliches ergibt, wenn das so gesetzt wird. Nun könnte man darüber im Zweifel sein, ob dem »notwendig sein« das »möglich sein« folgt. Wenn es nämlich nicht folgt, so wird sein Widerspruch folgen, »nicht möglich sein«; und wenn jemand sagen wollte, das sei nicht der Widerspruch, so wäre notwendig zu sagen »möglich, nicht zu sein«; was denn beides vom »notwendig sein« falsch (ausgesagt wäre). Indessen aber, es scheint doch wieder an einem und demselben möglich zu sein, zerschnitten und nicht zerschnitten zu werden und zu sein und nicht zu sein, sodaß denn »notwendig sein« (gleichbedeutend wäre mit) »sein können, daß es nicht ist«, das ist aber falsch. Einsichtig ist mithin: Nicht alles, wovon es möglich ist, zu sein oder zu gehen ..., vermag auch das Entgegengesetzte, sondern es gibt Fälle, bei denen das nicht wahr ist. Erstens bei den Dingen, die nicht über Vernunftausübung etwas können, z. B.: Feuer kann wärmen und hat (damit) eine ver-
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nunftlose Kraft; – die Vermögen also mit Vernunftgebrauch (gehen) als dieselben auf eine Mehrzahl, und zwar Gegenteiliges, (aus), die vernunftlosen dagegen nicht alle, sondern, wie gesagt ist, Feuer ist nicht in der Lage, zu wärmen und auch nicht, und auch alles andere nicht, was da immer in Tätigkeit ist; einige allerdings auch von den über vernunftlose Vermögen (wirkenden Dingen) können zugleich das Gegensätzliche; aber dies ist nur dessentwegen gesagt, weil nicht jedes Vermögen auf Entgegengesetztes geht, auch nicht solche, die im Bereich der gleichen Art ausgesagt werden; – einige Vermögen andererseits haben die gleiche Bezeichnung: das »möglich« wird ja nicht einfach ausgesagt, sondern in einem Fall so, daß es wahr ist, als in tatsächlicher Wirkung vorhanden, z. B.: »... kann gehen«, weil (er, sie, es gerade) geht, und allgemein: »... kann sein«, weil schon in tatsächlicher Wirklichkeit das ist, was da als »möglich« ausgesagt ist; im andern Fall (heißt es »möglich«), weil es zur Tätigkeit wohl kommen könnte, z. B.: »... kann gehen«, weil (er, sie, es) gehen könnte. Und dieses Vermögen ist bei den Gegenständen, die einer Bewegung fähig sind, allein (anzutreffen), jenes aber auch bei denen, die keiner Bewegung fähig sind. Bei beiden ist es aber wahr zu sagen, es sei »nicht unmöglich« für sie zu gehen oder zu sein, sowohl von dem, was da schon geht und dies bestätigt, wie auch von dem, was dazu (noch nur) in der Lage ist. Das so (bestimmte) »möglich« ist von einem Notwendigen ohne Zusatz nicht wahrheitsgemäß auszusprechen, das andere aber wohl. Da denn also dem nur teilweise Gültigen das allgemein Gültige folgt, so folgt dem »aus Notwendigkeit sein« das »sein können«, allerdings nicht jedes. Und so ist denn also vielleicht »notwendig« und »nicht notwendig« bei allem der Ausgangspunkt, zu sein oder nicht zu sein, und die übrigen (Bestimmungen) muß man als diesen folgend ansehen. Klar (ist) mithin aus dem Gesagten: Was infolge von Notwendigkeit ist, ist in tatsächlicher Wirklichkeit, daher, wenn das Immerwährende früher ist (als alles, was erst zur Wirklichkeit kommt), so ist die tatsächliche Wirklichkeit früher als die Möglichkeit. Und das eine sind Wirklichkeiten ohne
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(bloße) Möglichkeit, z. B. die ersten Wesenheiten, das andere sind solche in Verbindung mit ihr, was dem Wesen nach früher, der Zeit nach aber später ist, das dritte sind niemals Wirklichkeiten, sondern immer nur Möglichkeiten. – Kapitel 14. Ist etwa entgegengesetzt Bejahung der (entsprechenden) Verneinung oder Bejahung einer (anderen) Bejahung, und somit die Aussage, die da besagt: »Jeder Mensch (ist) gerecht«, der »Kein Mensch (ist) gerecht«, oder: »Jeder Mensch (ist) gerecht« dem »Jeder Mensch (ist) ungerecht«? Z. B.: »Kallias ist gerecht« – »Kallias ist nicht gerecht« – »Kallias ist ungerecht« –: welche davon sind entgegengesetzt? – Wenn doch das mit der Stimme zum Ausdruck Gebrachte dem im Denken (Vorgestellten) folgt, dort aber die entgegengesetzte Meinung die mit dem entgegengesetzten Inhalt ist, z. B. die: »Jeder Mensch (ist) gerecht« der »Jeder Mensch (ist) ungerecht«, dann muß es sich mit den zum Ausdruck gebrachten Behauptungen notwendig entsprechend verhalten. Wenn dagegen auch dort nicht die Meinung entgegengesetzten Inhalts entgegengesetzt ist, so wird auch nicht die Bejahung der Bejahung entgegengesetzt sein, sondern die dargestellte Verneinung. Daher ist zu prüfen, was für eine wahre Meinung welcher falschen entgegengesetzt ist, ob die mit dem verneinenden Inhalt oder die, welche das Entgegengesetzte als bestehend annimmt. Ich meine damit folgendes: Da ist eine wahre Meinung vom Guten (die besagt): Es ist gut, eine andere, falsche dagegen: Es ist nicht gut, eine davon verschiedene: Es ist schlecht. Welche dieser beiden ist also der wahren entgegengesetzt? Und wenn es nur eine einzige ist, über welche von beiden ergibt sich die Entgegensetzung? – Zu meinen nun, daß entgegengesetzte Meinungen dadurch bestimmt wären, daß sie Entgegengesetztes zum Inhalt hätten, (ist) falsch: die Meinung über Gutes, daß (es eben) gut (ist), und die über Schlechtes, daß (es) schlecht (ist), ist ja wohl dieselbe und wahr, ob das nun mehr als eine sind oder nur eine; die Inhalte sind aber entgegengesetzt; aber nicht dadurch, daß sie Entgegengesetztes zum Inhalt haben, sind sie entgegengesetzt, sondern eher dadurch, daß sie einander entgegenstehen. – Wenn denn also da
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eine Meinung über das Gute ist: Es ist gut, da eine: Es ist nicht gut, und wieder eine: Es ist irgendetwas anderes, – was ihm nicht zukommt und auch gar nicht derart ist, ihm je zukommen zu können – von den anderen darf man gar keine setzen, weder welche, die da vermuten, es komme ihm zu, was (tatsächlich) nicht an ihm vorliegt, noch solche, die (vermuten), es komme ihm nicht zu, was (tatsächlich) nicht an ihm vorliegt, noch solche, die (vermuten), es komme ihm nicht zu, was doch tatsächlich an ihm vorliegt – unzählig viele gibt es ja von beiden Arten, sowohl, welche da meinen, es liege vor, was nicht vorliegt, wie auch solche, es liege nicht vor, was doch vorliegt –, sondern die, in welchen der Trug steckt; diese (Trüglichkeiten) aber stammen daher, von wo aus die Werdevorgänge kommen: Aus den Entgegensetzungen aber gehen die Werdensvorgänge hervor, somit auch die Trugvorgänge –: wenn nun das Gute sowohl »gut« wie auch »nicht schlecht« ist, und das eine für sich, das andere in beiläufiger Folge – es ergibt sich ja für es mit, »nicht schlecht« zu sein – und wenn die Meinung über einen jeden Gegenstand, die ihn an sich betrifft, in höherem Maße wahr ist (als die nur beiläufige), so gilt entsprechendes auch für die falsche, wenn es doch für die wahre galt. – Die Meinung nun mit dem Inhalt: »Das Gute ist nicht gut« ist falsch hinsichtlich dessen, was ihm an sich zukommt, die: »Es ist schlecht« nur hinsichtlich der Beiläufigkeit, daher in höherem Maße falsch über das Gute die Meinung wäre, die die Verneinung zum Inhalt hat, als die, die das Gegenteil meint. Es irrt aber bezüglich jedes Gegenstandes der am meisten, der die gegenteilige Meinung hat: das Gegenteilige gehört zu dem, was bezüglich eines und desselben Gegenstandes am weitesten auseinanderliegt. Wenn nun die eine von ihnen gegenteilig ist, die mit dem Widerspruch als Inhalt aber noch gegenteiliger, so ist klar, daß dies wohl die gegenteilige ist. Die dagegen mit dem Inhalt: »Das Gute ist schlecht« ist zusammengesetzt: (wer sie hat), derselbe muß ja wohl auch annehmen, daß es »nicht gut« ist. Weiter, wenn es sich auch bei den übrigen (Vorstellungen) entsprechend verhalten muß, so dürfte auch auf diesem Wege
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sich zeigen, daß das gut gesagt war. Entweder (leistet die Meinung) mit dem Widerspruch als Inhalt überall (das gleiche wie die mit dem Gegenteil) oder nirgends; zu welchen Dingen es Gegenteiliges aber nicht gibt, bei denen ist die falsche Meinung die der wahren entgegengesetzte, z. B. wer einen Menschen nicht für einen Menschen hält, hat sich geirrt. Wenn nun diese (Meinungen) gegenteilig (sind), so auch die anderen mit dem Widerspruch als ihrem Inhalt. Weiter, es verhält sich entsprechend die (Meinung) über das Gute (die besagt): »Es ist gut«, und die über das nicht Gute (die besagt): »Es ist nicht gut«, und zu diesen die über das Gute (mit dem Inhalt): »Es ist nicht gut«. Der Meinung also über das nicht Gute (mit dem Inhalt): »Es ist nicht gut« – die (also) wahr ist –, welche ist ihr entgegengesetzt? Doch wohl nicht, die da besagt: »Es ist schlecht«; die ist ja wohl gelegentlich gleichzeitig wahr, niemals aber ist eine wahre (Meinung) zu einer wahren gegensätzlich; es gibt ja einiges nicht Gute, das auch schlecht ist, so daß es sein kann, daß sie zugleich wahr sind. Andererseits doch auch nicht die mit dem Inhalt: »Es ist nicht schlecht«; wahr ist ja auch diese; auch das könnte ja gleichzeitig sein. Bleibt denn also: Der (Meinung) über das nicht Gute mit dem Inhalt: »Es ist nicht gut« ist entgegen gesetzt die über das nicht Gute mit dem Inhalt: »Es ist gut«. [Falsch; die andere war doch wahr.] So denn also auch die (Meinung) über das Gute mit dem Inhalt: »Es ist nicht gut« der über das Gute mit dem Inhalt: »Es ist gut« (entgegengesetzt). – Einsichtig ist aber, daß es keinen Unterschied machen wird, auch dann nicht, wenn wir die Behauptung allgemein setzen; dann wird nämlich die allgemeine Verneinung das Gegenteil sein, z. B. der Meinung, die da meint: »Alles Gute (ist) gut«, die mit dem Inhalt: »Nichts von dem Guten ist gut«. Denn die (Meinung) über das Gute mit dem Inhalt: »Es ist gut«, wenn »das Gute« allgemein (genommen wird), ist dieselbe wie die, die da meint: »Was auch immer je gut ist, ist gut.« Das unterscheidet sich aber in nichts von dem: »Alles, was gut ist, ist gut.« Entsprechend (ist es) auch mit »nicht gut«.
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Wenn es sich denn also mit der Meinung so verhält und – weiter – die stimmlich geäußerten Behauptungen und Verneinungen Ausdrücke der (Vorgänge) im Bewußtsein sind, so ist klar: (1) Zu einer (allgemeinen) Behauptung ist (a) gegenteilig die Verneinung, die über denselben Gegenstand allgemein geht, Beispiel: Der (mit dem Inhalt) »Alles Gute (ist) gut«, oder: »Jeder Mensch (ist) gut« die (mit) »Nichts ...« oder »Kein ...«; dagegen (b) auf widersprechende Weise ist es die mit »Nicht alles ...« oder »Nicht jeder ...«. (2) Einsichtig ist aber auch, daß eine wahre (Aussage) zu einer wahren nicht gegenteilig sein kann, das gilt sowohl für Meinung wie geäußerten Widerspruch. Gegenteilig sind die (Meinungen, Aussagen) über das Entgegengesetzte, darüber kann es sein, daß einer und derselbe die Wahrheit sagt; dagegen, daß gleichzeitig an einem und demselben (Gegenstand) Gegenteiliges vorliegt, das kann nicht sein.
ARISTOTELES Erste Analytik
ERSTES BUCH
Kapitel 1. Als erstes ist vorzutragen, worum es in dieser Untersuchung geht und worauf sie aus ist: Es geht hier um Beweis, und sie ist auf beweisendes Wissen aus. Sodann ist klar einzugrenzen: Was ist »vorgegebener Satz« und was »klar bestimmter Begriff«, was »Schluß«, und welche Art davon ist vollkommen, welche unvollkommen; danach: Was bedeutet »dies ist – oder ist nicht – in dem als Ganzem«, und: Was verstehen wir unter »über alles oder von keinem ausgesagt werden«. Vorgegebener Satz ist also eine Rede, die etwas von etwas bejahend oder verneinend aussagt. Diese erfolgt entweder in der Allform oder in der Teilform oder ist (in der Hinsicht) unbestimmt. Mit »Allform« meine ich: Entweder allem oder keinem zukommen, mit »Teilform«: Einigem oder einigem nicht oder nicht allem zukommen, »unbestimmt«: Zukommen oder Nicht-Zukommen ohne Zusatz der All- oder Teilaussage, z. B. der Satz: »Gegensätze sind Gegenstand eines und desselben Wissens,» oder: »Lust ist nicht ein Gut.« Es unterscheidet sich der Eingangssatz im Beweisverfahren von dem des bloßen Untersuchungsgesprächs darin: Der im Beweisverfahren ist die Annahme der einen oder anderen Seite eines ausschließenden Widerspruchs – wer Beweis führt, stellt keine Fragen, sondern macht Annahmen –, der dagegen im Untersuchungsgespräch ist eine Frage nach (der einen oder anderen Seite) des Widerspruchs. Das wird aber keinen Unterschied machen im Hinblick darauf, daß auf diese oder die andere Seite hin ein Schluß erfolgt: Sowohl wer Beweis führt, wie der, der Fragen stellt, rechnet (die Aussagen) zusammen, nachdem er die Annahme gemacht hat: Das liegt an dem vor oder nicht vor. Es wird also Eingangssatz im Schluß folgendes sein: Zusatzlose Behauptung oder Leugnung (des Vorliegens) von etwas an etwas, auf die genannte Weise; (als Eingangssatz)
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im Beweisverfahren (taugt er dann), wenn er wahr ist und auf dem Wege über die Voraussetzungen vom Anfang her zur Annahme gelangt; (die Art des Satzes, eigentümlich) für das Untersuchungsgespräch, hat er (a) als Frage nach der oder der Seite eines Widerspruchs, indem einer (einen anderen) ausfragt, aber auch (b), wenn einer schließt, (dann ist er) Annahme von etwas, das anscheinend so und allgemein so anerkannt ist, wie ja in der topik vorgetragen. Was nun also Eingangssatz ist und worin sich der im Schluß, im Beweis und im Untersuchungsgespräch unterscheidet, darüber wird in aller Genauigkeit im folgenden gesprochen werden, für den gegenwärtigen Gebrauch mögen die jetzt getroffenen Bestimmungen ausreichend sein. Fest bestimmten Begriff nenne ich das, in was der Eingangssatz aufgelöst wird, etwa das »was ausgesagt wird« und »wovon es ausgesagt wird«, unter Hinzusetzung von »ist« oder »ist nicht«. Schluß ist eine Rede, in welcher bei Setzung einiger (Sachverhalte) etwas anderes als das Gesetzte mit Notwendigkeit zutrifft aufgrund dessen, daß diese (gültig) sind. Mit »aufgrund dessen, daß diese sind« meine ich: Deswegen tritt es ein, und mit »deswegen tritt es ein« (meine ich): Es bedarf keines von außen herzugenommenen Begriffes, daß die Notwendigkeit zustandekommt. Vollkommen nenne ich einen Schluß, der über das Angenommene hinaus keiner zusätzlichen weiteren Annahme bedarf, damit seine Notwendigkeit in Erscheinung tritt; unvollkommen einen solchen, der entweder einer oder mehrerer Zusatzannahmen bedarf, die zwar aufgrund der zugrundegelegten Begriffe notwendig sind, allerdings mittels der Eingangssätze nicht (ausdrücklich) angenommen waren. Der Ausdruck »eines ist in einem anderen als Ganzem« und der andere, »eines wird von einem über alles ausgesagt« meinen das gleiche. Wir sagen aber: »(Etwas wird von etwas) über alles ausgesagt«, wenn nichts zu greifen ist, von dem das andere nicht ausgesagt würde. Das »in keinem Falle« (ausgesagt werden) gilt entsprechend.
Erstes Buch ∙ Kapitel 2 123
Kapitel 2. Da jeder Eingangssatz auf (folgende Aussageweisen) bezogen ist, entweder: »Liegt vor«, oder: »Liegt mit Notwendigkeit vor«, oder: »Kann sein, daß vorliegt«, und da von diesen (Sätzen) in jeder (dieser drei) Aussageweisen die einen behauptend, die andern bestreitend sind, und da wieder von diesen behauptenden und bestreitenden (Sätzen) die einen in der Allform, andere als Teilaussage, wieder andere, ohne sich so oder so festzulegen, (gebildet werden, angesichts dieser Möglichkeiten gilt): Der (Satz), der beim Vorliegen in der Allform verneint, muß notwendig bezüglich der an ihm beteiligten Begriffe umkehrbar sein, z. B. wenn: Keine Form von Lust ist ein Gut, dann auch: Keine Art von Gut ist Lust. Der behauptende (Satz) muß zwar (auch) sich umkehren lassen, allerdings nicht in der Allgemeinform, sondern nur als Teilaussage, z. B. wenn: Jede Form von Lust ist ein Gut, so auch: Ein bestimmter Teilbereich von »Gut« ist Lust. Von den (Sätzen) in Form der Teilaussage muß der behauptende notwendig in Teilform sich umkehren lassen: Wenn doch ein bestimmter Teilbereich von Lust etwas Gutes ist, so wird auch ein bestimmtes Teilstück von »Gut« Lust sein; dagegen bei dem verneinenden ist das nicht notwendig, (es gilt) nämlich nicht: Wenn »Mensch« auf einen bestimmten Bereich von »Lebewesen« nicht zutrifft, daß dann auch »Lebewesen« auf einen bestimmten Bereich von »Mensch« nicht zuträfe. Erstens nun also, es sei der Eingangssatz AB allgemein verneinend. Wenn nun A an keinem B vorliegt, dann wird auch B keinem A zukommen. Wenn denn etwa doch einem Teilbereich davon, etwa C, so wird (der Satz) nicht mehr wahr sein, daß A keinem B zukommt: das C ist ja dann ein Teilstück der B. Wenn aber A dem ganzen B, so wird auch das B dem A teilweise zukommen; falls nämlich keinem, dann wird auch A an keinem B vorliegen; aber es war doch vorausgesetzt: Es sollte an allen vorliegen. Entsprechend auch, wenn der Eingangssatz in Teilform steht: Wenn A einigen B zukommt, muß notwendig auch das B einigen A zukommen; falls etwa keinem, dann auch das A keinem B.
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Wenn dagegen das A einigen B nicht zukommt, dann ist es nicht notwendig, daß auch B einigen A nicht zukomme, z. B.: Ist B »Lebewesen« und A »Mensch«, (dann zeigt es sich so): denn »Mensch« kommt nicht jedem Lebewesen, »Lebewesen« dagegen jedem Menschen zu. Kapitel 3. Auf gleiche Weise wird es sich auch bei den Eingangssätzen (mit dem Zusatz) »notwendig« verhalten: Der in Allform verneinende läßt sich in Allform umkehren, von den behauptenden beide (der in Allform und der in Teilform) in der Teilform. Wenn also A notwendig keinem B zukommt, dann kommt notwendig auch das B keinem A zu; falls es doch dem oder dem zukommen könnte, dann könnte ja auch das A dem oder dem B zukommen. Wenn dagegen notwendig das A jedem oder einigen B zukommt, dann muß notwendig auch das B einigen unter A zukommen; falls dies nicht notwendig sein sollte, dann würde ja auch A nicht einigen B notwendig zukommen. Dagegen die verneinende Aussage in Teilform ist nicht umzukehren, aus der gleichen Ursache, wie wir sie schon früher vorgetragen haben. Bei den »Kann-sein-daß«-Aussagen (sind Unterschiede zu machen): Da das »kann sein« in mehreren Bedeutungen ausgesagt wird – sowohl von dem, was notwendig ist, wie auch von Nicht-Notwendigem und von Möglichem sagen wir: Es kann sein–: also, bei behauptenden (Sätzen) verhält es sich bezüglich der Umkehrung in allen Fällen entsprechend: Wenn A jedem oder einigen B (zukommen) kann, dann wird es ja wohl auch sein können, daß B einigen A (zukommt); falls etwa keinem, dann ja auch das A keinem B. Das ist ja früher nachgewiesen. Bei den verneinenden (Sätzen) ist es nicht entsprechend, sondern (hier greifen die oben gemachten Unterschiede): Alles, wovon man »kann sein« sagt im Sinne des Aus-Notwendigkeit-Zukommens oder dem des Nicht-aus-NotwendigkeitNicht-Vorliegens, da ist es entsprechend so; z. B., wenn einer sagen wollte: Es kann sein, »Mensch« ist nicht »Pferd«, oder: (Kann sein,) »weiß« trifft auf keinen Mantel zu, – die eine
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dieser Aussagen trifft aus Notwendigkeit nicht zu, die muß nicht notwendig zutreffen, und entsprechend ist der Satz auch umzukehren: Wenn es sein kann, daß auf keinen Menschen »Pferd« zutrifft, dann geht es auch, daß »Mensch« auf kein Pferd zutrifft; und: Wenn es geht, daß »weiß« an keinem Mantel vorliegt, dann geht es auch, daß »Mantel« an nichts vorliegt, was weiß ist; wenn es nämlich notwendig wäre, daß er an dem oder dem (Weißen) doch vorläge, so müßte auch »weiß« mit Notwendigkeit an dem oder dem Mantel vorliegen. Das ist früher nachgewiesen. – Entsprechend (ist es) auch bei der in Teilform verneinenden (Aussage). Dagegen, was im Sinne von »allermeist« und »natürlicherweise so« mit »kann sein« gemeint ist, gemäß dem, wie wir das »kann sein« eben abgrenzen, das wird sich nicht entsprechend verhalten bei der Umkehr im Verneinungsfalle, sondern der in Allform verneinende Eingangssatz läßt keine Umkehr zu, der in Teilform läßt sie zu. Das wird dann klarer werden, wenn wir über das »kann sein« sprechen werden. Für den Augenblick soll für uns, zusätzlich zu dem Vorgetragenen, so viel klar sein: »Kann sein, daß es keinem ...« oder »... daß es einem nicht zukommt« hat bejahende Form – »kann sein« wird ja entsprechend gestellt wie »ist«, das »ist« bewirkt aber bei allem, dem es in der Aussage hinzugesetzt wird, immer und in jedem Falle Bejahung, z. B.: »ist nicht-gut« oder »ist nicht-weiß«, oder verallgemeinert: »ist nicht dies«; auch das wird im Verlaufe des folgenden gezeigt werden –, was die Umkehrung angeht, so werden sie sich entsprechend den anderen (behauptenden) Sätzen verhalten. Kapitel 4. Nachdem das festgesetzt ist, wollen wir nun darüber sprechen, über welche Schritte, wann und wie ein jeder Schluß erfolgt. Später wird dann über Beweis zu reden sein. Es ist deswegen früher über Schluß vorzutragen als über Beweis, weil der Schluß einen höheren Allgemeinheitswert hat: Der Beweis ist eine Form von Schluß, der Schluß aber ist nicht in jeder Form Beweis. Also: Wenn drei Begriffe sich so zueinander verhalten, daß der letzte in dem mittleren ganz enthalten ist und der mittlere
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in dem ersten ganz entweder enthalten ist oder nicht enthalten ist, dann muß sich notwendig für die Eckbegriffe ein vollkommener Schluß ergeben. »Mittleres« nenne ich dabei, was selbst in einem anderen, und anderes in ihm, ist, was denn auch der Anordnung nach in die Mitte tritt. »Außen« (nenne ich) erstens, was selbst in einem anderen enthalten ist, zweitens, in welchem ein anderes enthalten ist. Wenn nämlich A von jedem B und B von jedem C (ausgesagt wird), so ist notwendig: A wird von jedem C ausgesagt. Es ist ja früher angegeben, wie wir das »von jedem« verstehen. Entsprechend aber auch, wenn A von keinem B, B dagegen von jedem C (ausgesagt wird, dann gilt), daß A an keinem C vorliegen wird. Wenn dagegen das Erste dem Mittleren in allen Fällen folgt, das Mittlere andererseits an keinem Letzten vorliegt, dann erfolgt unter den Eckbegriffen kein Schlußverhältnis: Dadurch, daß das so ist, tritt nichts Notwendiges ein; es kann dann ja sein, das Erste liegt an jedem Letzten und an keinem vor, also weder in der Allform noch in der Teilform tritt Notwendigkeit ein; wenn da aber nichts notwendig wird, dann gibt es durch diese (Annahmen) keinen Schluß. (Beispiels-) Begriffe für An-jedem-Vorliegen: Lebewesen – Mensch – Pferd, für Ankeinem ...: Lebewesen – Mensch – Stein. Auch wenn weder das Erste dem Mittleren noch das Mittlere dem Letzten in irgendeinem Fall zukommt, wird so Schluß nicht stattfinden. Begriffe für Vorliegen: Wissen – Gerade – Heilkunst, für Nicht-Vorliegen: Wissen – Gerade – Einheit. Soweit nun also die Begriffe in Allform (verbunden) sind, so ist innerhalb dieser Schlußform klar, wann es Schluß gibt und wann nicht, und (umgekehrt), wenn einerseits Schlußverhältnis besteht, daß sich die Begriffe so verhalten müssen wie angegeben, wenn sie sich andererseits so verhalten, daß dann Schlußverhältnis sich ergibt. Wenn aber der eine der Begriffe in der Allform, der andere in der Teilform im Verhältnis zum anderen (steht, so ergibt sich): Wenn die Allgemeinaussage zum größeren Eckbegriff gesetzt wird, entweder zusprechend oder verneinend, die Teilaussage –
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zusprechend – zum kleineren, dann tritt notwendig vollkommenes Schlußverhältnis ein; wenn dagegen (die Allform) zum kleineren (tritt) oder sich auch die Begriffe anderswie verhalten, so ist das unmöglich. – Mit »größerem Eckbegriff« meine ich den, in welchem der mittlere enthalten ist, der »kleinere« ist dann der, welcher unter dem mittleren steht. – Es soll also einmal A an jedem B vorliegen, B an einigen C; folglich, wenn »von allem ausgesagt werden« das zu Anfang Bezeichnete ist, so muß notwendig das A irgendeinem C zukommen. Und wenn das A keinem B zukommt, das B aber irgendwelchen C, so ist notwendig: A kommt einigen C nicht zu. – Es ist ja auch bestimmt, wie wir »von keinem (ausgesagt werden)« verstehen. – Also dies wird ein vollkommener Schluß sein. Ebenso aber auch, wenn BC nicht so oder anders festgelegt wäre, es muß nur zusprechend sein; es wird derselbe Schluß sein, ob (dieser Satz) unbestimmt genommen wird oder in Form der Teilaussage. Wenn dagegen die Allaussage zum kleineren Eckbegriff gesetzt wird, entweder zusprechend oder verneinend, so wird sich kein Schlußverhältnis einstellen, weder wenn (die andere Begriffsbeziehung) behauptend noch wenn sie verneinend ist, einerlei ob sie nicht festgelegt oder in der Teilform gemacht ist; z. B.: Wenn A einigen B zukommt oder nicht zukommt, das B aber an jedem C vorliegt. (Einsetzungs-)Begriffe für Vorliegen: Gut – Verfassung – Einsicht, für Nicht-Vorliegen: Gut – Verfassung – Unwissenheit. Und wieder, wenn B keinem C (zukommt), das A einigen B entweder zukommt oder nicht zukommt, oder ihnen nicht allen zukommt, auch so stellt sich Schluß nicht ein. Begriffe (dafür): Weiß – Pferd – Schwan; Weiß – Pferd – Rabe. – Die gleichen (gehen) auch für den Fall, daß AB nicht festgelegt ist. Auch wenn die Allaussage zum größeren Eckbegriff kommt, entweder zusprechend oder verneinend, die Verneinung in Teilform zum kleineren, wird es keinen Schluß geben, z. B.: Wenn A jedem B zukommt, B aber einigen C nicht, oder wenn es an ihm nicht als Ganzem vorliegt; denn an welchem das Mittlere nur zu Teilen vorliegt, dem kann das Erste sowohl
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ganz als auch gar nicht folgen. Es seien als Begriffe einmal eingesetzt: Lebewesen – Mensch – weiß; sodann sei für weiße (Gegenstände), von denen »Mensch« nicht ausgesagt wird, angenommen: Schwan, Schnee; also, »Lebewesen« wird vom einen in allen Fällen ausgesagt, vom anderen in keinem, mithin erfolgt kein Schluß. Und erneut: A komme keinem B zu, B aber komme einigen C nicht zu; und die Einsetzungsbegriffe sollen sein: Unbelebt Mensch – weiß; sodann seien für weiße (Dinge), von denen »Mensch« nicht ausgesagt wird, genommen: Schwan, Schnee; dann wird ja »unbelebt« von dem einen in allen Fällen ausgesagt, vom anderen in keinem. Darüber hinaus, da »B kommt einigen C nicht zu« nicht festgelegt ist, aber wahr ist, daß, sowohl wenn es keinem zukommt, wie auch, wenn es nicht allen (zukommt), es dann an einigen nicht vorliegt, (und da) bei Ansetzung solcher Begriffe, daß es keinem zukommt, ein Schluß sich nicht ergibt – das ist ja früher gesagt –: nun, so ist offenkundig, wenn die Begriffe sich so (zueinander) verhalten, wird es Schluß nicht geben; denn sonst müßte es ja auch bei denen gehen. – Entsprechend läßt sich dies auch für den Fall zeigen, wenn die Allaussage verneinend gesetzt würde. Aber auch wenn beide Begriffsverhältnisse in Teilform ausgesagt werden, entweder behauptend oder verneinend, oder das eine behauptend das andere verneinend, oder das eine nicht festgelegt das andere genau bestimmt, oder beide nicht festgelegt: auch dann ergibt sich in keinem Falle Schlußverhältnis. Gemeinsame Einsetzungsbegriffe für all diese Fälle: Lebewesen – weiß – Pferd; Lebewesen – weiß – Stein. Offenkundig ist nun aus dem Gesagten: Wenn ein Schluß innerhalb dieser Form als Teilaussage vorliegt, daß sich dann die Begriffe so verhalten müssen, wie vorgetragen ist; wenn sie es nämlich anders tun, geht es auf keine Weise. Klar ist aber auch, daß alle Schlüsse in ihr vollkommen sind – alle werden doch aufgrund des zu Anfang Angenommenen zu einem sauberen Ende gebracht –, und daß alle gestellten Aufgaben durch diese Schlußform aufgezeigt werden: Sowohl das An-allem-Vorliegen wie das An-keinem ... und auch das An-
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einigen ... wie das An-einigen-nicht ... Ich nenne die Schlußform mit diesen Eigenschaften die erste. Kapitel 5. Wenn dagegen eine und dieselbe (Bestimmung) an dem einen in jedem Falle, an dem anderen in keinem vorliegt, oder auf beiden Seiten jedem oder keinem – die Schlußform mit diesen Eigenschaften nenne ich die zweite. Als Mittelbestimmung in ihr bezeichne ich das, was von beiden ausgesagt wird, Eckbegriffe sind die, von denen dies ausgesagt wird; größerer Eckbegriff ist der, welcher (näher) zum mittleren hin liegt, kleinerer der, welcher weiter weg von der Mitte liegt. Es wird dabei der Mittelbegriff außerhalb der Eckbegriffe gesetzt, er ist der Setzung nach der erste. Vollkommen wird in dieser Form gar kein Schlußverhältnis sein; es wird dennoch solches möglich sein, sowohl wenn die Begriffe in der Allform als auch wenn sie nicht in der Allform (verbunden) sind. Liegt also die Allform vor, so wird Schluß stattfinden, wenn der Mittelbegriff dem einen (Eckbegriff) in jedem Falle, dem anderen in keinem zukommt, einerlei bei welchem von beiden die Verneinung steht; anders auf keine Weise. Es sei also M von keinem N ausgesagt, aber von jedem X. Da nun die Verneinung Umkehrung zuläßt, so wird N keinem M zukommen; es war aber gesetzt, M sollte jedem X zukommen; also N keinem X, das ist ja früher gezeigt. Erneut, wenn M jedem N, aber keinem X (zukommt), dann wird auch X keinem N zukommen – wenn nämlich M keinem X, dann auch X keinem M; M aber kam doch jedem N zu; X wird also keinem N zukommen; es ist hier ja wieder die erste Schlußform entstanden –; da aber die Verneinung die Umkehrung zuläßt, so wird auch N keinem X zukommen, mithin wird es der gleiche Schluß. Man kann das auch nachweisen, indem man (die Gegenannahme) auf’s Unmögliche hinausbringt. Daß nun also Schlußverhältnis zustandekommt, wenn sich die Begriffe so verhalten, ist offenkundig, nur ist es kein vollkommenes; denn die Notwendigkeit dabei wird nicht allein aus den Anfangsannahmen, sondern unter Zuhilfenahme anderer herbeigeführt.
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Wenn dagegen M von jedem N und von (jedem) X ausgesagt wird, gibt es keinen Schluß. Einsetzungsbegriffe für Vorliegen: Seiendes Wesen – Lebewesen – Mensch; für Nicht-Vorliegen: Seiendes Wesen – Lebewesen – Zahl; Mittelbegriff dabei: Seiendes Wesen. Auch wenn M in keinem Falle von N noch von X ausgesagt wird, (erfolgt kein Schluß); Einsetzungsbegriffe für Vorliegen: Gerade – Lebewesen – Mensch; für Nicht-Vorliegen: Gerade – Lebewesen – Stein. Offenkundig also, wenn Schluß stattfindet bei Verbindung der Begriffe in der Allform, daß dann die Begriffe sich notwendig so verhalten müssen, wie zu Anfang gesagt; verhalten sie sich anders, tritt Notwendigkeit nicht ein. Wenn aber der Mittelbegriff (nur) zum einen (der Eckbegriffe) in der Allform tritt, dann für den Fall: Wenn er zum größeren in der Allform tritt, entweder behauptend oder verneinend, zum kleineren aber in der Teilform, also in der Allform entgegengesetzter Weise – und mit »entgegengesetzt« meine ich: In Allform verneinend – in Teilform behauptend; in Allform behauptend – in Teilform verneinend –, dann tritt notwendig ein in Teilform verneinender Schluß ein. Wenn also M keinem N, aber einigen X zukommt, so muß notwendig N einigen X nicht zukommen. Da nämlich die Verneinung Umkehrung zuläßt, wird N keinem M zukommen; es war aber ja gesetzt, daß M einigen X zukomme; also wird N einigen X nicht zukommen. Es ergibt sich ja so ein Schluß mittels der ersten Form. Wieder, wenn M jedem N, aber einigen X nicht zukommt, so ist notwendig, daß N einigen X nicht zukommt; wenn es ja nämlich allen zukäme, und es wird doch auch M von jedem N ausgesagt, dann müßte notwendig das M an jedem X vorliegen; es war aber doch gesetzt, an einigen liegt es nicht vor. Und wenn M jedem N zukommt, aber nicht jedem X, dann ergibt sich Schluß: N liegt nicht an jedem X vor. Beweis dafür ist der gleiche. Wenn dagegen (M) zwar von jedem X, aber nicht von allen N ausgesagt wird, gibt es kein Schlußverhältnis. Einsetzungs-
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begriffe (für Vorliegen): Lebewesen – seiendes Wesen – Rabe; (für Nicht-Vorliegen): Lebewesen – weiß – Rabe. Auch wenn es von keinem X, aber von einigen N (ausgesagt wird, erfolgt kein Schluß). Einsetzungsbegriffe für Vorliegen: Lebewesen – seiendes Wesen – Einheit; für Nicht-Vorliegen: Lebewesen – seiendes Wesen – Wissen. Für die Fälle, wo also die Allform der Teilaussage entgegengesetzt ist, ist nun vorgetragen, wann hier Schluß stattfindet, wann nicht. – In den Fällen dagegen, wo die Eingangssätze von gleicher Form sind, etwa beide verneinend oder beide behauptend, wird es in keinem Falle ein Schlußverhältnis geben. Sie seien also erst einmal verneinend, und die Allaussage stehe beim größeren Eckbegriff, etwa: M komme keinem N und einigen X nicht zu; dann kann es also sein, daß N jedem X und keinem zukommt. Einsetzungsbegriffe für Nicht-Zukommen: Schwarz – Schnee – Lebewesen; für Jedem-Zukommen sind keine zu greifen, wenn M einigen X zwar zukommt, anderen aber nicht. Wenn nämlich N jedem X, M aber keinem N (zukommt), so wird das M an keinem X vorliegen. Aber es war doch vorausgesetzt: Einigen sollte es zukommen. So also geht es nicht, Einsetzungsbegriffe zu greifen; wenn man aber die Aussagen unbestimmt läßt, ist es doch nachweisbar: Da nämlich (der Satz) »M kommt einigen X nicht zu« wahr ist auch dann, wenn es keinem zukommt, und wenn es keinem zukommt, so gab es ja keinen Schluß, also wird es offenbar auch jetzt keinen geben. Erneut, (die Eingangssätze) seien behauptend, und die Allaussage sei entsprechend gestellt (wie eben), etwa: M komme jedem N, aber (nur) einigen X zu. Dann kann es also sein, daß N sowohl jedem X wie auch keinem zukommt. Einsetzungsbegriffe für Keinem-Zukommen: Weiß – Schwan – Stein; für Jedem(-Zukommen) sind keine zu greifen aufgrund der gleichen Ursache wie zuvor, stattdessen ist es aus Nicht-Festgelegtem nachzuweisen. Wenn dagegen die Allaussage bei dem kleineren Eckbegriff steht und (es dann so steht): M kommt keinem X und einigen N nicht zu, dann kann es sein, daß N sowohl jedem
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X und keinem zukommt. Einsetzungsbegriffe für Zukommen: Weiß – Lebewesen – Rabe; für Nicht-Zukommen: Weiß – Stein – Rabe. – Sind dagegen die Eingangssätze behauptend, so sind die Einsetzungsbegriffe für Nicht-Zukommen: Weiß – Lebewesen – Schnee; für Zukommen: Weiß – Lebewesen – Schwan. Offenkundig nun also, wenn die Eingangssätze von gleicher Form sind und der eine die Allform hat, der andere eine Teilaussage macht, daß dann unter keinen Umständen sich Schluß ergibt. Aber auch dann nicht, wenn (der Mittelbegriff) beiden (Eckbegriffen) je in der Teilform zukommt oder nicht zukommt, oder dem einen wohl dem anderen aber nicht, oder keinem von beiden in der Allform, oder auch nicht festgelegt. Gemeinsame Begriffe für all diese Fälle, (für Vorliegen): Weiß – Lebewesen – Mensch; (für Nicht-Vorliegen): Weiß – Lebewesen – unbelebt. Offenkundig ist nun also aus dem Gesagten: Wenn sich die Begriffe so zueinander verhalten, wie vorgetragen ist, dann ergibt sich notwendig Schlußverhältnis, (und umgekehrt) wenn Schluß zustandekommt, müssen sich die Begriffe notwendig so verhalten. Klar ist aber auch: Alle Schlüsse in dieser Form sind unvollkommen – alle werden zu ihrem Ende geführt unter Zuhilfenahme bestimmter Annahmen, die entweder in den Begriffen miteingeschlossen sind oder die als Voraussetzungen unterstellt werden, wie z. B. wenn wir Nachweis führen durch Hinbringen auf’s Unmögliche (der Gegenannahme) –, und: Mittels dieser Schlußform kommt kein behauptender Schluß zustande, sondern sie alle sind verneinend, sowohl die in der All- wie die in der Teilform. Kapitel 6. Wenn einem und demselben (Begriff) einer in jedem Falle, der andere in keinem Falle zukommt, oder beide in allen Fällen oder in keinem – eine Schlußform mit diesen Merkmalen nenne ich die dritte. Mittelbegriff nenne ich in ihr das, von dem beide Aussagen gemacht werden, Eckbegriffe sind die Inhalte der beiden Aussagen; größerer Eckbegriff ist der weiter weg vom Mittelbegriff, kleinerer ist der näher daran. Angeordnet wird der Mittelbegriff außerhalb der Eckbe-
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griffe, der Setzung nach ist er der letzte. Ein vollkommener Schluß ergibt sich auch in dieser Form nicht, es wird aber (Schluß) möglich sein, sowohl wenn die Begriffe im Verhältnis zum mittleren in der Allform stehen und wenn sie es nicht tun. Stehen sie in der Allform, also wenn P und R jedem S zukommen, (so kann geschlossen werden): P kommt einigen R mit Notwendigkeit zu. Da nämlich die Behauptung umkehrbar ist, so wird S einigen R zukommen, also, da P jedem S, S aber einigen R (zukommt), so muß notwendig P einigen R zukommen. Damit erfolgt ja Schluß nach der ersten Form. Es geht aber auch, den Beweis mittels der Unmöglichkeit (der Gegenannahme) und mittels des Heraussetzungs-Verfahrens herzustellen: Wenn ja beide (P und R) jedem S zukommen, und wenn man sich irgendeins unter den S herausgreift, beispielshalber N, so wird diesem sowohl das P wie auch das R zukommen, folglich wird P an einigen R vorliegen. Und wenn R jedem S, P dagegen keinem zukommt, dann wird notwendig Schluß erfolgen: P kommt einigen R nicht zu. Es ist ja das gleiche Beweisverfahren, wenn der Satz RS umgekehrt wird. Das könnte auch mittels der Unmöglichkeit aufgezeigt werden, wie in den früheren Fällen auch. Wenn dagegen R keinem S, P aber jedem zukommt, wird es Schluß nicht geben. Einsetzungsbegriffe für Zukommen: Lebewesen – Pferd – Mensch; für Nicht-Zukommen: Lebewesen – unbelebt – Mensch. Auch wenn beide von keinem S ausgesagt werden, gibt es kein Schlußverhältnis. Einsetzungsbegriffe für Vorliegen: Lebewesen – Pferd – unbelebt; für Nicht-Vorliegen: Mensch – Pferd – unbelebt. Mittelbegriff ist »unbelebt«. Offenkundig ist nun also auch bei dieser Schlußform, wann Schluß erfolgt und wann nicht, für den Fall, daß die Begriffe in der Allform verbunden sind. Sind nämlich beide (Eck)-begriffe (mit dem mittleren) behauptend (verbunden), wird Schluß darauf erfolgen können, daß der eine Eckbegriff dem anderen in der Teilform zukommt; stehen sie dagegen verneint, so wird es kein Schlußverhältnis geben. Wenn aber der eine verneint, der andere behauptend (gesetzt ist), (dann für den Fall): Tritt
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der größere verneint auf, der andere behauptend, so erfolgt Schluß darauf, daß der eine Eckbegriff dem anderen in Teilform nicht zukommt; ist es dagegen andersherum, so erfolgt kein Schluß. Wenn aber der eine (Eckbegriff) zum mittleren in der Allform, der andere in Teilform (gesetzt ist), dann muß notwendig, für den Fall daß beide (Verbindungen) behauptend sind, Schluß sich ergeben, einerlei welcher von beiden Begriffen in der Allform verbunden ist. Wenn also R jedem S, P dagegen einigen (S zukommt), so muß notwendig das P einigen R zukommen. Da ja nämlich die Behauptung Umkehrung erlaubt, so wird das S einigen P zukommen, also, da R jedem S, S aber einigen P (zukommt), so wird auch R einigen P zukommen; somit das P einigen R. Und wieder, wenn das R einigen S, das P aber allen (S) zukommt, dann muß notwendig das P einigen R zukommen. Es ist ja das gleiche Beweisverfahren. Es geht auch nachzuweisen mittels der Unmöglichkeit (der Gegenannahme) und mit dem Heraussetzungs-Verfahren, wie in den früheren Fällen auch. Wenn aber der eine (Eckbegriff) in behauptender Form, der andere in verneinter (steht), und der behauptete steht in Allform, (dann für den Fall): Wenn der kleinere der behauptete ist, so wird Schluß erfolgen. Wenn nämlich R jedem S, P dagegen einigen (S) nicht zukommt, so kommt notwendig P einigen R nicht zu. Falls etwa doch allen, dann würde auch R allen S und P allen S zukommen; aber das kam ihm doch (annahmegemäß) nicht (in allen Fällen) zu. Das wird auch ohne Hinführung (auf’s Unmögliche) nachgewiesen, wenn irgendeins unter den S herausgegriffen wird, dem P nicht zukommt. Wenn aber der größere (Eckbegriff) behauptet ist, so gibt es kein Schlußverhältnis, z. B.: Wenn P jedem S, R dagegen einigen S nicht zukommt. Einsetzungsbegriffe für AllemZukommen: Belebt – Mensch – Lebewesen. Für Keinem(-Zukommen) geht es nicht, Begriffe zu greifen, wenn R einigen S zukommt, einigen aber nicht; wenn nämlich P jedem S zukommt, R aber einigen S, wird auch P einigen R zukommen; es war aber doch zugrundegelegt: Es sollte keinem zukom-
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men. Aber es ist wie in den früheren Fällen anzufassen: Da doch der Ausdruck »einigen nicht zukommen« nicht festgelegt ist, so ist auch etwas, das keinem zukommt, wahrheitsgemäß durch »kommt einigen nicht zu« mit abgedeckt; und wenn es keinem zukam, gab es keinen Schluß. Offenkundig ist nun also: Hier erfolgt kein Schluß. Wenn aber der verneinte unter den Begriffen in der Allform steht, dann gibt es, im Falle daß der größere verneint, der kleinere bejaht ist, ein Schlußverhältnis. Wenn nämlich P keinem S, R dagegen einigen S zukommt, dann wird P einigen R nicht zukommen. Es wird ja wieder die erste Schlußform geben, wenn der Eingangssatz RS umgekehrt wird. Wenn dagegen der kleinere (Eckbegriff) verneint steht, gibt es keinen Schluß. Einsetzungsbegriffe für Vorliegen: Lebewesen – Mensch – wildlebend; für Nicht-Vorliegen: Lebewesen – Wissen – wildlebend; Mittelbegriff in beiden Fällen »wildlebend«. Auch wenn beide (Eckbegriffe) verneint gesetzt sind, der eine in der Allform, der andere in der Teilform steht, (gibt es kein Schlußverhältnis). Einsetzungsbegriffe für den Fall, daß der kleinere (Eckbegriff) in Allform zum mittleren steht: Lebewesen – Wissen – wildlebend; Lebewesen – Mensch – wildlebend; wenn es der größere ist, für Nicht-Zukommen: Rabe – Schnee – weiß; für Vorliegen ist nichts zu greifen, wenn R einigen S zwar zukommt, einigen aber nicht zukommt; wenn nämlich P allen R, R aber einigen S (zukommt), dann auch P einigen S; es war aber vorausgesetzt: Keinem. Aber es ist dann von Nicht-Festgelegtem aus nachzuweisen. Auch wenn jeder der beiden (Eckbegriffe) einigem von dem Mittelbegriff zukommt oder nicht zukommt, oder wenn der eine zukommt, der andere nicht, oder der eine einigem, der andere nicht allem, oder wenn (das alles) nicht festgelegt ist, gibt es in keinem Falle ein Schlußverhältnis. Gemeinsame Einsetzungsbegriffe für alles (für Vorliegen): Lebewesen – Mensch – weiß; (für Nicht-Vorliegen): Lebewesen – unbelebt – weiß.
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Offenkundig ist nun auch in dieser Schlußform, wann Schluß sich ergibt, wann nicht, und daß einerseits, wenn die Begriffe sich so (zueinander) verhalten, wie gesagt ist, mit Notwendigkeit Schluß erfolgt, und (umgekehrt), wenn Schluß erfolgt, daß sich dann notwendig die Begriffe so verhalten müssen. Offenkundig ist auch, daß alle Schlüsse in dieser Form unvollkommen sind – alle finden zu ihrer Vollendung nur durch zusätzliche Annahmen –, und daß über diese Schlußform auf die Allaussage nicht zu schließen ist, weder in verneinter noch in behauptender Weise. Kapitel 7. Klar ist auch, daß in allen Schlußformen, wenn Schluß nicht erfolgt, im Falle daß beide (Eck)begriffe behauptet oder verneint sind, überhaupt keine Notwendigkeit eintritt; ist aber (eine Verbindung) behauptend und (eine) verneinend, dann erfolgt, wenn die Verneinung in Allform genommen wird, immer Schluß auf das Verhältnis des kleineren Eckbegriffs zum größeren, z. B., wenn A jedem B zukommt oder einigen, B aber keinem C; wenn nämlich die Eingangssätze umgekehrt werden, muß notwendig das C einigen A nicht zukommen. Entsprechend ist es auch bei den übrigen Schlußformen: Immer erfolgt über Umkehrung Schluß. Klar ist auch, daß die nicht festgelegte Aussage, anstelle des in Teilform Behauptenden gesetzt, den gleichen Schluß in allen Formen bewirken wird. Offensichtlich ist auch: Alle unvollkommenen Schlüsse werden mittels der ersten Schlußform zur Vollendung gebracht; entweder auf dem Beweisweg oder durch (Hinführung auf) das Unmögliche werden sie alle zum Ziel geführt. Auf beide Weisen entsteht dabei die erste Schlußform: Wenn sie auf dem Beweisweg ans Ende gebracht werden, (dadurch) daß alle mittels Umkehr zur Vollendung geführt wurden, die Umkehrung brachte aber die erste Form hervor; wenn sie durch Unmöglichkeit aufgezeigt werden, (dadurch) daß nach Setzung der falschen Aussage der Schluß über die erste Form erfolgt, z. B. in der letzten Schlußform: Wenn A und B jedem C zukommen, (erfolgt Schluß darauf), daß A einigen B zukommt; falls näm-
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lich keinem, aber B jedem C, dann A keinem C; aber es war (doch gesetzt): allen. Entsprechend auch in den anderen Fällen. Es geht auch, alle Schlüsse auf die von Allform innerhalb der ersten Schlußform zurückzubringen. Von denen in der zweiten Schlußform ist es offenkundig, daß sie durch die zum Ende gebracht werden, nur nicht alle auf gleiche Weise, sondern die mit der Allaussage dadurch, daß die Verneinung umgekehrt wird, die mit der Teilaussage beide durch Hinführung auf’s Unmögliche. Die Schlüsse in der ersten (Form), die mit Teilaussagen, werden zwar durch sich selbst vollendet, es geht aber auch, sie über die zweite Form nachzuweisen, indem man sie nämlich auf’s Unmögliche hinausbringt, z. B., wenn A jedem B, B aber einigen C (zukommt, dann Schluß darauf), daß A an einigen C (vorliegt); falls nämlich an keinem, aber an allen B, dann wird B keinem C zukommen. Das wissen wir über die zweite Schlußform. Entsprechend wird der Nachweis auch im Verneinungsfall erfolgen: Wenn A keinem B, B aber einigen C zukommt, so wird A einigen C nicht zukommen; falls es denn jedem, aber keinem B zukommt, dann wird B an keinem C vorliegen. Das war die mittlere Schlußform. Also, da alle Schlußverhältnisse in der mittleren Schlußform auf die Schlüsse mit Allaussagen in der ersten zurückgeführt werden, die mit Teilaussagen in der ersten auf die in der mittleren, so ist offenkundig: Auch die in der Teilform werden auf die mit Allaussage in der ersten Schlußform zurückgeführt werden. Die in der dritten Schlußform werden, wenn die Begriffe in der Allform verbunden sind, sogleich durch jene anderen Schlußverhältnisse zur Vollendung gebracht; sind sie aber in der Teilform genommen, dann durch die Schlüsse mit Teilaussagen, die es in der ersten Schlußform gibt; diese waren aber in jene überführt, somit also auch die (Verhältnisse) mit Teilaussagen in der dritten Schlußform. Offenkundig nun also: Alle werden in die Schlüsse mit Allaussagen in der ersten Form zurückgeführt werden können. Von den Schlüssen also, die »Zukommen« oder »Nicht-Zukommen« erweisen, ist vorgetragen, wie es damit steht, sowohl
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was das Verhältnis derer aus der gleichen Schlußform zueinander, wie das derer aus verschiedenen unter einander angeht. Kapitel 8. Da nun aber Unterschied zu machen ist zwischen »kommt zu«, »kommt mit Notwendigkeit zu« und »kann sein, daß zukommt« – vieles liegt ja vor, allerdings nicht aus Notwendigkeit; anderes liegt weder aus Notwendigkeit vor, noch liegt es einfach so vor, es kann aber sein, daß es vorliegt –, so ist klar: Der Schluß auf ein jedes davon wird auch verschieden sein und nicht aus Begriffen sich ergeben, die sich gleich verhielten, sondern der eine (Schluß) aus notwendigen (Begriffsverbindungen), der andere aus (nur eben) vorliegenden, wieder ein anderer aus solchen, von denen es (bloß) sein kann, (daß sie vorliegen). Bei den notwendigen (Schlußaussagen) verhält es sich in etwa gleich wie bei den (ohne Zusatz) vorliegenden: Wenn die Begriffe genauso angesetzt werden im Falle von »vorliegen« wie »aus Notwendigkeit vorliegen« oder (je) »nicht vorliegen«, so erfolgt – und erfolgt nicht – Schluß, nur wird der Unterschied darin liegen, daß zu den Begriffen der Zusatz tritt: »liegt aus Notwendigkeit vor oder nicht vor«. Die Verneinung erfährt die gleiche Umkehrung, und »in (etwas als) Ganzem sein« und »von allem (ausgesagt werden)« werden wir in gleichem Sinne angeben. In allen übrigen Fällen zwar wird sich auf die gleiche Weise die Notwendigkeit des Schlußsatzes durch Umkehrung nachweisen lassen, wie beim einfachen Vorliegen auch; im Falle der mittleren Schlußform aber, wenn die Allaussage behauptend, die Teilaussage verneinend ist, und wieder in der dritten, wenn die Allaussage behauptend, die Teilaussage verneinend ist, wird der Beweis nicht entsprechend gehen, sondern es ist notwendig, nach Heraussetzung von etwas, dem beides nicht zukommt, auf dies bezogen den Schluß zu machen; dafür wird er ja notwendig sein; wenn er aber für das Herausgestellte notwendig ist, dann auch bezogen auf Beliebiges unter jenem; denn das Herausgestellte ist doch ein wesentlicher Vertreter dessen. Jeder der beiden Schlüsse erfolgt in seiner angestammten Schlußform.
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Kapitel 9. Es tritt aber von Fall zu Fall auch dies ein: Auch wenn nur einer der beiden Eingangssätze notwendig ist, tritt der ganze Schluß (im Ergebnis) unter Notwendigkeit, nur darf das nicht nach Zufall verteilt sein, sondern es muß das Verhältnis zum größeren Eckbegriff betreffen, z. B., wenn angenommen ist: A kommt dem B mit Notwendigkeit zu oder nicht zu, B kommt dem C eben bloß so zu; sind die Eingangssätze so angenommen, wird A mit Notwendigkeit dem C zukommen oder nicht zukommen; da nämlich das A jedem B mit Notwendigkeit zukommt oder nicht zukommt, das C aber eines von den B ist, so ist offenkundig: Das eine oder andere davon wird auch für C aus Notwendigkeit gelten. Wenn dagegen (die Verbindung) AB nicht notwendig sein wird, die BC dagegen notwendig, so wird der Schlußsatz nicht unter Notwendigkeit treten. Falls er es nämlich täte, so wird eintreten über die erste und über die dritte Schlußform: A kommt einigen B notwendig zu. Und das ist falsch: Es kann ja B von der Art sein, die es zuläßt, daß A keinem (B) zukommt. Darüberhinaus ist auch aus den Begriffen offenkundig, daß der Schlußsatz nicht notwendig sein muß, z. B., wenn A »Veränderung« wäre, B »Lebewesen«, C »Mensch«: Lebewesen ist der Mensch aus Notwendigkeit, es ist aber das Lebewesen nicht aus Notwendigkeit in einer (orts- oder sonstwie verändernden) Bewegung, so auch der Mensch nicht. Entsprechend auch, wenn (die Verbindung) AB verneint sein sollte; der Nachweis ist der gleiche. Bei den Schlüssen mit Teilaussagen wird für den Fall, daß die Allaussage notwendig ist, auch der Schlußsatz unter Notwendigkeit treten; ist es aber die Teilaussage, dann nicht, einerlei ob der Eingangssatz in Allform verneinend oder behauptend ist. Es sei also, erstens, die Allaussage notwendig: A komme jedem B mit Notwendigkeit zu, B dagegen komme einigen C nur eben zu; dann ergibt sich zwingend: A kommt einigen C mit Notwendigkeit zu; C fällt ja unter B, dem B aber kam es in allen Fällen mit Notwendigkeit zu. Ebenso, wenn der Schluß verneinend wäre; es wird ja der gleiche Nachweis sein.
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Wenn dagegen die Teilaussage notwendig ist, wird der Schlußsatz nicht unter Notwendigkeit treten – es trägt sich dabei ja nichts Unmögliches zu –, wie auch nicht bei den Schlüssen in Allform. Entsprechend auch nicht bei den verneinten. Einsetzungsbegriffe: Veränderung – Lebewesen – weiß. Kapitel 10. Bei der zweiten Schlußform wird, wenn der verneinte Eingangssatz notwendig ist, auch der Schlußsatz unter Notwendigkeit treten; wenn es der behauptende ist, wird er nicht unter Notwendigkeit stehen. Es sei also, erstens, der verneinte notwendig: A soll unter keinen Umständen irgendeinem B zukommen können, an C aber liege es einfach vor. Da nun die Verneinung sich umkehren läßt, wird auch B keinem A zukommen können; A aber liegt an jedem C vor, also kann B an keinem C vorliegen; C steht ja unter A. Entsprechend auch, wenn die Verneinung zu C gesetzt würde: Wenn A an gar keinem C vorliegen kann, kann es auch gar nicht gehen, daß C an irgendeinem A vorläge; A dagegen kommt jedem B zu, also kann es nicht sein, daß C an irgendeinem B vorläge; es entsteht ja wieder die erste Schlußform. Also auch das B nicht dem C; das läßt sich ja entsprechend umkehren. Wenn aber der behauptende Eingangssatz notwendig ist, wird der Schlußsatz nicht unter Notwendigkeit treten. Es liege also A an jedem B mit Notwendigkeit vor, es komme aber keinem C – ohne Zusatz – zu; wird nun also die Verneinung umgekehrt, entsteht die erste Schlußform. Nun ist aber in dieser ersten nachgewiesen, daß, wenn die Verneinung beim größeren (Eckbegriff) nicht notwendig ist, dann auch der Schlußsatz nicht notwendig sein muß, also auch bei diesen (Verhältnissen) wird er nicht mit Notwendigkeit gelten. Weiter dann, wenn der Schlußsatz unter Notwendigkeit steht, tritt ein, daß C einigen A mit Notwendigkeit nicht zukommt; wenn nämlich B mit Notwendigkeit keinem C zukommt, wird auch C keinem B aus Notwendigkeit zukommen; B dagegen muß einigen A notwendig zukommen, wenn doch auch A jedem B mit Notwendigkeit zukam; also muß C notwendig einigen A
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nicht zukommen. Aber es hindert nichts, das A als so beschaffen anzunehmen, daß ihm als Ganzem das C zukommen kann. Weiter könnte auch, indem man Begriffe heraussetzt, nachzuweisen sein, daß der Schlußsatz nicht voraussetzungslos notwendig ist, sondern notwendig nur dann wird, wenn diese (Annahmen) gelten. Es sei z. B. A »Lebewesen«, B »Mensch«, C »weiß«, und die Vordersätze seien entsprechend genommen: es kann ja sein, daß »Lebewesen« auf nichts Weißes zutrifft; dann wird auch »Mensch« an nichts Weißem vorliegen, aber nicht aus Notwendigkeit: es kann sein, daß die Verbindung von »Mensch« und »weiß« auftritt, allerdings nicht, solange »Lebewesen« auf nichts Weißes zutrifft. Also, wenn diese (Annahmen) gelten, wird der Schlußsatz notwendig sein, unter allen Umständen notwendig ist er nicht. Entsprechend wird es sich auch bei den Schlüssen mit Teilaussagen verhalten: Wenn der verneinte Eingangssatz Allform hat und notwendig ist, wird auch der Schlußsatz unter Notwendigkeit treten; wenn dagegen der behauptende Satz eine Allaussage, der verneinende eine Teilaussage ist, wird der Schlußsatz nicht notwendig sein. Es sei also, erstens, der verneinende Satz eine Allaussage und notwendig: A soll dem B unter gar keinen Umständen zukommen können, einigen C aber komme es zu; da nun die Verneinung Umkehrung zuläßt, wird es ja wohl auch nicht sein können, daß B irgendeinem A zukäme; A dagegen kommt einigen C zu, sodaß also B einigen C mit Notwendigkeit nicht zukommen wird. Und wieder, es sei der behauptende Satz eine Allaussage und notwendig, und die Behauptung sei zu B gestellt: Wenn denn also A jedem B mit Notwendigkeit zukommt, einigen C aber nicht zukommt, so ist offenkundig, B wird einigen C nicht zukommen, allerdings nicht mit Notwendigkeit. Es werden zum Nachweis die gleichen Einsetzungsbegriffe sein wie auch bei den Schlüssen in Allform. Aber auch, wenn die als Teilaussage genommene Verneinung notwendig ist, wird der Schlußsatz nicht unter Notwen-
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digkeit treten. Der Nachweis geht durch die gleichen Einsetzungsbegriffe. Kapitel 11. In der letzten Schlußform (tritt ein): Stehen die Verhältnisse der (Eck)begriffe zum mittleren in Allform und sind beide Eingangssätze behauptend, dann wird, wenn einer davon, einerlei welcher, notwendig ist, auch der Schlußsatz mit Notwendigkeit auftreten. Wenn dagegen der eine verneinend ist, der andere behauptend, dann wird für den Fall, daß der verneinende notwendig ist, auch der Schlußsatz notwendig gelten; ist es dagegen der behauptende, so wird er nicht notwendig sein. Es seien also, erstens, beide Eingangssätze behauptend: A und B sollen allen C zukommen, notwendig sei dabei die Verbindung AC; da nun das B jedem C zukommt, wird auch C einigen B zukommen aufgrund der Umkehrung der Allaussage durch die Teilaussage, also, wenn A allen C mit Notwendigkeit zukommt und das C einigen B, so muß auch notwendig das A einigen B zukommen; denn B steht ja unter C. Es tritt somit die erste Schlußform auf. Entsprechend läßt sich Nachweis führen für den Fall, daß BC notwendig ist; das C gilt ja in Umkehrentsprechung für einige A, also, wenn B allen C aus Notwendigkeit zukommt, wird es auch einigen A aus Notwendigkeit zukommen. Und wieder, es sei AC verneint, BC behauptet, notwendig sei die Verneinung; da nun C in Umkehrung einigen B entspricht, A aber mit Notwendigkeit an keinem C (vorlag), so wird auch A an einigen B mit Notwendigkeit nicht vorliegen; denn B steht ja unter C. Wenn dagegen die behauptende (Aussage) notwendig ist, wird der Schlußsatz nicht mit Notwendigkeit auftreten. Es sei also BC behauptet und notwendig, AC dagegen verneint und nicht notwendig; da nun also die Behauptung eine Umkehrung zuläßt, wird auch das C einigen B mit Notwendigkeit zukommen, also, wenn A an keinem C, C dagegen an einigen B (vorliegt), so wird A an einigen B nicht vorliegen; aber dies nicht mit Notwendigkeit. Es ist ja in der ersten Schlußform nachgewiesen: Wenn der verneinte Eingangssatz nicht
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notwendig ist, wird auch der Schlußsatz nicht notwendig sein. Darüber hinaus wird das ja wohl auch durch die Begriffe klar: Es sei A »gut«, B »Lebewesen«, C »Pferd«; es kann nun sein, »gut« trifft auf kein Pferd zu, »Lebewesen« aber muß notwendig auf jedes (Pferd) zutreffen; aber (daraus folgt) nicht notwendig (das Schlußverhältnis): Ein bestimmtes Lebewesen ist nicht gut, wenn es denn doch sein kann, daß ein jedes gut ist. Oder, wenn nicht dies (als) möglich (angenommen wird), dann ist eben »aufwachen« oder »schlafen« als (Beispiels)begriff einzusetzen: Jedes Lebewesen unterliegt dem. Für den Fall nun also, daß die Begriffe in Allform zum mittleren setehen, ist vorgetragen, wann der Schlußsatz notwendig ist. Für den Fall dagegen, daß der eine (Eckbegriff) in Allform (zum mittleren gesetzt wird), der andere in Teilform, (ergibt sich): Sind beide (Eingangssätze) behauptend, wird, wenn die Allaussage notwendig ist, auch der Schlußsatz notwendig werden. Nachweis ist der gleiche wie früher auch: Die behauptende Teilaussage läßt Umkehrung zu. Wenn nun also B notwendig jedem C zukommt, A aber unter C steht, dann muß notwendig B einigen A zukommen; wenn aber B einigen A, dann muß auch notwendig A einigen B zukommen, das läßt sich ja umkehren. Entsprechend auch, wenn die Verbindung AC notwendig sein sollte und in Allform steht; B steht nämlich unter C. Wenn dagegen die Teilaussage notwendig ist, wird der Schluß (im Ergebnis) nicht als notwendig auftreten: Es sei also BC eine Teilaussage und notwendig, A dagegen komme jedem C zu, allerdings nicht aus Notwendigkeit; wenn nun also BC umgekehrt wird, tritt die erste Schlußform ein, und der Eingangssatz in Allform ist nicht notwendig, der in Teilform ist notwendig. Wenn sich die Eingangssätze so verhielten, war der Schlußsatz nicht notwendig, also ist er es auch bei diesen (Verhältnissen) nicht. Darüber hinaus ist das auch von den Begriffen aus offenkundig: Es sei A »aufwachen«, B »zweifüßig«, C »Lebewesen«; B muß nun notwendig einigen C zukommen, für A kann es sein, daß es an C vorliegt, und das Vorliegen von A an B ist nicht notwendig: Es ist nämlich nicht
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notwendig, daß ein bestimmtes Zweifüßiges schläft oder wach ist. – Entsprechend wird sich auch durch die gleichen Begriffe Nachweis führen lassen für den Fall, daß AC eine Teilaussage und notwendig ist. Wenn aber der eine der (Eck)begriffe behauptend, der andere verneinend (gesetzt ist), dann wird, wenn die Allaussage verneint und notwendig ist, auch der Schlußsatz unter Notwendigkeit treten: Wenn A keinem C zukommen kann, B aber einigen C zukommt, dann muß notwendig das A einigen B nicht zukommen. Wenn dagegen die Behauptung als notwendig gesetzt wird, mag sie in Allform oder in Teilform stehen, oder die Verneinung in Teilform (als notwendig gesetzt), dann wird der Schlußsatz nicht unter Notwendigkeit treten. Was die übrigen (Nachweise) dazu betrifft, können wir die gleichen anführen wie in den früheren Fällen, Einsetzungsbegriffe aber (sollen sein) für den Fall, daß die als notwendig gesetzte Behauptung die Allform hat: Wachen – Lebewesen – Mensch; Mittelbegriff ist »Mensch«; für den Fall, daß die als notwendig gesetzte Behauptung die Teilform hat: Wachen – Lebewesen – weiß; »Lebewesen« muß notwendig bei einigem Weißen vorliegen, »wachen« kann an keinem vorliegen, und es ist nicht notwendig, daß einigen Lebewesen »wachen« nicht zukommt. Für den Fall, daß die verneinte (Aussage), in Teilform, notwendig ist, (die Einsetzungsbegriffe): Zweifüßig – in Veränderung – Lebewesen; Mittelbegriff: »Lebewesen«. Kapitel 12. Offenkundig ist nun also: Auf Zukommen erfolgt Schluß nicht, wenn nicht beide Eingangssätze im Zukommen liegen, dagegen auf notwendig erfolgt (ein Schluß) auch dann schon, wenn nur der eine davon notwendig ist. In beiden Fällen, mögen die Schlüsse zu behauptendem oder verneinendem Ergebnis kommen, muß notwendig der eine Eingangssatz dem Schlußsatz ähnlich sein. Mit »ähnlich« meine ich: Sagt (der Schlußsatz) »liegt vor«, dann (auch der Eingangssatz) zukommend, sagt er »notwendig«, dann (der Eingangssatz) notwendig. Also ist auch das klar: Es wird nicht gehen, daß der Schlußsatz entweder notwendig oder (einfach) vorliegend
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ist, wenn nicht ein Eingangssatz als notwendig oder vorliegend angenommen ist. Kapitel 13. Also: Über »notwendig« – (die Fragen betreffend), wie das verläuft und welchen Unterschied es zeigt gegenüber einfachem Zukommen – ist nun in etwa hinreichend gesprochen. – Über »kann sein, daß ...« wollen wir hiernach vortragen (mit der Fragestellung), wann und wie und unter welchen (Voraussetzungen) Schluß erfolgt. Mit »kann sein, daß ...« und »möglicherweise« meine ich: Was zwar nicht notwendig sein muß, woraus aber, wenn man es als vorliegend setzt, deswegen nichts Unmögliches folgen muß; »notwendig« sprechen wir in einer anderen Bedeutung des Wortes auch als »möglich« aus. Daß dies der Sinn von »möglicherweise« ist, ist offenkundig von den Verneinungen und Bejahungen von Gegenteiligem aus: »Kann nicht sein, daß vorliegt« und »liegt unmöglich vor« und »liegt notwendig nicht vor« bedeutet entweder das gleiche oder folgt doch aufeinander; also auch deren jeweilige Gegenaussage: »Kann sein, daß vorliegt« und »ist nicht unmöglich, daß vorliegt« und »ist nicht notwendig, daß nicht vorliegt« sagt entweder dasselbe oder solches, das einander folgt. Bejahung und Verneinung schöpfen doch eine Aussagehinsicht voll aus. Es wird also, was sein kann, nicht notwendig sein, und was nicht notwendig ist, ist möglich. Es ergibt sich, daß alle Eingangssätze unter »kann sein, daß ...« sich unter einander umkehren lassen. Ich will damit nicht sagen: Die behauptenden mit den verneinenden, sondern: Alle die, welche in der Entgegensetzung behauptende Form haben, z. B.: »Kann sein, daß vorliegt« mit »kann sein, daß nicht vorliegt«, und: »Kann an allem vorliegen« mit »kann an keinem ...« oder »... an nicht allen«, und: »(Kann) an einigen (vorliegen)« mit »(kann) an einigen nicht ...«. Auf die gleiche Weise auch in den übrigen Fällen. Da ja, was sein kann, nicht notwendig ist, andererseits, was nicht notwendig ist, auch die Möglichkeit hat, nicht vorzuliegen, so ist offenkundig: Wenn A dem B zukommen kann, so kann es auch sein, daß es ihm
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nicht zukommt. Und: Wenn es allen zukommen kann, dann geht es auch, allen nicht zuzukommen. Entsprechend auch bei den Behauptungen in der Teilform; es ist der gleiche Nachweis. Derartige Eingangssätze sind behauptend, nicht verneinend: das »kann sein« wird entsprechend angesetzt wie »ist«, wie früher vorgetragen. Nachdem das bestimmt ist, wollen wir noch einmal darüber sprechen, daß »kann sein« auf zwei Weisen ausgesagt wird: In einer (besagt es), was allermeist so eintritt, aber an Notwendigkeit nicht heranreicht, z. B. daß ein Mensch graue Haare bekommt oder daß er an allem zu- oder abnimmt, oder überhaupt, was dem natürlichen Gange nach auf ihn zutrifft – das hat nämlich nicht stetige Notwendigkeit bei sich, weil der Mensch nicht immer ist; wenn aber der Mensch da ist, tritt es entweder mit Notwendigkeit oder doch allermeist so auf –; in einer anderen (besagt es) die unbestimmten Ereignisse, was denn so oder auch nicht so sein kann, wie z. B.: Da bewegt sich ein Lebewesen, oder während es dahergeht, ereignet sich ein Erdbeben, oder überhaupt, was sich so von Ungefähr zuträgt; hier ist ja nichts dem natürlichen Gange nach mehr so als genau gegenteilig. Es entspricht nun jedes der beiden, was da sein kann, in Umkehr gemäß entgegengesetzten Sätzen einander, allerdings nicht auf gleiche Weise, sondern: Was dem natürlichen Gange nach so ist, dem, was nicht notwendig vorliegt – in dem Sinne kann es sein, daß ein Mensch nicht ergraut –, das unbestimmte Ereignis dem »nicht mehr so als gegenteilig«. Wissen und beweisenden Schluß gibt es von diesen unbestimmten Ereignissen nicht, weil der Mittelbegriff ohne festen Platz ist; von dem, was natürlicherweise so sein kann, gibt es das, und allermeist gehen die Reden und Untersuchungen auf solches, was in dem Sinne sein kann. Von jenem anderen kann es zwar Schluß geben, allerdings forscht man gewöhnlicherweise danach nicht. Das wird im folgenden noch mehr zur klaren Bestimmung geführt werden; jetzt wollen wir vortragen, wann und wie
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Schlüsse aus Eingangssätzen erfolgen, die unter »kann sein, daß ...« stehen, und welche es sind. Da nun also »kann sein, daß das an dem vorliegt« zweifach aufzufassen ist: Entweder »dem dies (tatsächlich auch) zukommt« oder »dem dies zukommen kann« – der Satz: »Wovon B, – davon kann A (gelten)« bedeutet ja eins von den beiden: Entweder »wovon B ausgesagt wird« oder »wovon es ausgesagt werden kann«; der Satz aber »wovon B, davon kann A (ausgesagt werden)« oder der andere, »A kann möglicherweise allen B (zukommen)« unterscheiden sich in nichts so ist offenkundig: »A kann an allen B vorliegen« wird ja wohl in zweifacher Bedeutung ausgesprochen. Erstens wollen wir nun sagen: Gesetzt die beiden Eingangssätze »wovon C, davon kann B (ausgesagt werden)« und »wovon B, davon A«, – welcher Schluß geht dann, und was hat er für Eigenschaften? So werden ja beide Eingangssätze im Sinne dessen, was sein kann, genommen; wenn dagegen, woran B vorliegt, A es nur kann, besagt der eine ein tatsächliches Vorliegen, der andere ein nur mögliches. Man muß also bei (Sätzen) von gleicher Form anfangen, so wie auch in den anderen Fällen. Kapitel 14. Wenn also A jedem B (zukommen) kann und B allen C, wird sich der vollkommene Schluß ergeben: A kann an allen C vorliegen. Das ist klar aus der Begriffsbestimmung: das »allem zukommen können« haben wir ja so ausgesagt. Entsprechend auch, wenn A keinem B (zukommen) kann, B aber allen C, dann: Es kann sein, daß A keinem C (zukommt). Denn (die Annahme) »wovon B (ausgesagt werden) kann, kann A es nicht« – das bedeutete doch: Nichts von dem auslassen, was unter B sein können sollte. Wenn dagegen A jedem B (zukommen) kann, B aber die Möglichkeit hat, keinem C zuzukommen, dann tritt aufgrund der angenommenen Eingangssätze kein Schluß ein; kehrt man aber den Eingangssatz BC in Bezug auf das Seinkönnen um, ergibt sich der gleiche Schluß wie zuvor: Da es denn sein kann, B liegt an keinem C vor, so kann es auch sein, es liegt an allen vor. Das ist früher vorgetragen. Also, wenn B an allen C
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(vorliegen kann), und A an allen B, so wird es wieder derselbe Schluß. Entsprechend auch, wenn die Verneinung in Verbindung mit »kann sein« zu beiden Eingangssätzen gestellt würde; ich meine z. B., wenn es sein kann, A kommt keinem B, und B kommt keinem C zu. Aufgrund der angenommenen Eingangssätze ergibt sich kein Schlußverhältnis, werden sie dagegen umgekehrt, wird es wieder derselbe sein wie vorhin auch. Offenkundig ist denn also: Wird die Verneinung zum kleineren Eckbegriff oder zu beiden Eingangssätzen gestellt, so erfolgt entweder kein Schluß, oder es erfolgt wohl einer, doch kein vollkommener; denn erst infolge der Umkehrung wird seine zwingende Notwendigkeit erreicht. Wenn der eine Eingangssatz in Allform, der andere in Teilform genommen wird, dann wird, wenn die Allaussage beim größeren Eckbegriff steht, Schluß erfolgen: Wenn A jedem B (zukommen) kann, B aber einigen C, dann kann A einigen C zukommen. Das ist offenkundig nach der Begriffsbestimmung von »kann sein«. Erneut, wenn es sein kann, A kommt keinem B zu, B aber kann einigen C zukommen, so ist notwendig (zu schließen): Es kann sein, A kommt einigen C nicht zu. Nachweis ist der gleiche. Wenn dagegen der Eingangssatz in Teilform verneint genommen wird, der in Allform behauptet, und der Stellung nach verhalten sie sich gleich (wie zuvor) – z. B.: A kann jedem B (zukommen), von B kann es sein, es kommt einigen C nicht zu –, dann ergibt sich aufgrund der angenommenen Eingangssätze kein durchsichtiger Schluß; kehrt man aber die Teilaussage um und setzt: Es kann sein, daß B einigen C zukommt, so wird sich derselbe Schluß ergeben wie zuvor auch, wie in den Ausführungen zu Anfang (gesagt). Wenn dagegen das (Verhältnis) zum größeren Eckbegriff in Teilform genommen wird, das zum kleineren in Allform, dann wird, einerlei ob man beide behauptend setzt oder verneinend, ob sie nicht von gleicher Form oder beide nicht festgelegt oder in Teilform sind, auf keine Weise Schluß stattfinden; es hin-
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dert ja nichts (die Annahme), daß B über A hinausreicht und nicht über den gleichen Bereich ausgesagt wird. (Die Größe), um die B über A hinausreicht, sei genommen als C; dem kann A weder in allen Fällen, noch in keinem, noch in einigen, noch in einigen nicht zukommen, wenn doch die unter »kann sein« stehenden Eingangssätze Umkehrung zulassen und B mehr (Gegenständen) zukommen kann, als A dies kann. Darüber hinaus ist das auch aus den Begriffen klar: Wenn die Eingangssätze dies Verhältnis haben, kann das Erste dem Letzten sowohl in keinem Fall und muß ihm in jedem Falle zukommen. Gemeinsame Einsetzungsbegriffe für alle Fälle, bei »aus Notwendigkeit vorliegen«: Lebewesen – weiß – Mensch; für »kann nicht vorliegen«: Lebewesen – weiß – Mantel. Somit ist offenkundig: Wenn die Begriffe auf diese Weise im Verhältnis stehen, gibt es kein Schlußverhältnis. Jeder Schluß geht doch entweder auf vorliegen oder auf aus Notwendigkeit (vorliegen) oder auf möglicherweise vorliegen. Daß es hier auf »vorliegen« und auf »notwendig« nicht geht, ist offenkundig: Der behauptende (Schluß) wird durch den verneinenden aufgehoben, der verneinende durch den behauptenden; bleibt also (Schluß) auf das »sein können«; das aber ist unmöglich. Es ist ja nachgewiesen, daß, wenn die Begriffe in dem Verhältnis stehen, das Erste dem Letzten sowohl in jedem Falle wie auch in keinem zukommen kann; also geht hier ja wohl auch kein Schluß auf »kann sein, daß ...«; »notwendig« war ja nicht als »möglich« bestimmt. Offenkundig ist: Wenn die Begriffe in den unter »kann sein« stehenden Eingangssätzen in Allaussage verbunden sind, erfolgt immer Schluß in der ersten Form, sowohl wenn sie behauptend, wie wenn sie verneinend sind, nur (ist es) im Falle von Behauptung ein vollkommener, im Falle von Verneinung ein unvollkommener. Man darf aber das »kann sein, daß ...« nicht unter »notwendig« nehmen, sondern gemäß der angegebenen Begriffsbestimmung. Gelegentlich wird das übersehen. Kapitel 15. Wenn einer der Eingangssätze in der Form von »(einfach) vorliegen«, der andere in der von »kann sein, daß ...« genommen wird, so werden im Falle, daß die (Be-
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griffsbeziehung) zum größeren Eckbegriff das möglich sein bedeutet, alle Schlüsse, erstens, vollkommen sein, zweitens auf »kann sein« gehen, gemäß der vorgetragenen Begriffsbestimmung davon; ist es dagegen die zum kleineren, so sind sie, erstens, alle unvollkommen, zweitens gehen die verneinten unter den Schlüssen nicht auf das »kann sein« im Sinne der Begriffsbestimmung, sondern auf »keinem oder nicht allem aus Notwendigkeit zukommen«; wenn nämlich (etwas) keinem oder nicht allem aus Notwendigkeit (zukommt), dann, sagen wir, kann es sein, daß es keinem und nicht allem zukommt. Es soll also sein können, A kommt jedem B zu, von B sei gesetzt, es kommt allen C zu. Da nun also C unter B steht, allen B aber A zukommen kann, so ist offenkundig, es kann auch allen C (zukommen). Der Schluß wird somit vollkommen. Entsprechend auch, wenn der Eingangssatz AB verneint wird, der BC aber behauptet, und der eine als möglich, der andere als einfach vorliegend genommen wird, dann wird vollkommener Schluß erfolgen, nämlich: Es kann sein, A liegt an keinem C vor. Daß also, wenn das (einfache) Vorliegen zum kleineren Eckbegriff gesetzt wird, vollkommene Schlüsse sich ergeben, ist offenkundig. Daß sich Schlüsse ergeben sollen, wenn es sich gegenteilig verhält, ist durch (Hinführung auf) das Unmögliche (der Gegenannahme) nachzuweisen; damit wird zugleich auch klar, sie sind unvollkommen: ihr Nachweis erfolgt nicht aus den angenommenen Eingangssätzen. Als erstes ist auszusagen: Wenn, aufgrund des Geltens von A, notwendig B sein muß, dann gilt auch: Wenn es sein kann, daß A vorliegt, wird es auch sein können, daß B notwendig ist. Es sei also, dies Verhältnis gesetzt, der Betrag A möglich, der B unmöglich; wenn nun das, was sein kann, dann, wann es das kann, auch wohl eintreten mag, das, was unmöglich sein kann, dann, wann es so ist, wohl nicht eintreten wird, und zugleich gelten soll: A ist möglich, B ist unmöglich, so wird es ja wohl sein können, daß A ohne B eingetreten ist, wenn aber eingetreten, dann ist es auch, – was eben geworden ist, ist zu dem Zeitpunkt, wo es mit Werden fertig ist. – Man darf aber
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»unmöglich« und »möglich« nicht allein bloß für den Werdevorgang nehmen, sondern (muß es auch nehmen) für den Fall wahrer Aussage und Vorliegen, und auf wieviele andere Weisen »möglich« noch ausgesagt wird: in allen wird es sich ja entsprechend verhalten. – Weiter, »wenn A ist, dann ist B« – das darf man nicht so verstehen: »Wenn ein bestimmtes (Ding namens) A ist, wird B sein« – es ist nämlich nichts aus Notwendigkeit, wenn ein bestimmtes (Andere) ist, sondern es müssen schon mindestens zwei sein, z. B. wenn sich die Eingangssätze, so wie vorgetragen, zum Ablauf des Schlusses verhalten: Wenn C von D (ausgesagt wird) und D von F, dann notwendig auch C von F. Und wenn beide (Eingangssätze) möglich sind, so wird auch der Schlußsatz nur möglich sein. Entsprechend also auch, wenn einer setzte: A für (beide) Eingangssätze, B als Schlußsatz, – dann ergäbe sich nicht nur: Wenn A notwendig ist, ist zugleich auch B notwendig, sondern auch: Ist (A) möglich, (dann B auch nur) möglich. Nachdem das nachgewiesen ist, ist offenkundig: Wird etwas Falsches unterstellt, und (zwar) etwas, das nicht unmöglich ist, so wird auch, was infolge der Voraussetzung eintritt (je nachdem) falsch und nicht unmöglich sein. Z. B., wenn A zwar falsch ist, allerdings nicht unmöglich, und wenn aufgrund des Geltens von A auch B ist, so wird auch B falsch, aber nicht unmöglich sein. Da ja nachgewiesen ist: Wenn aufgrund der Geltung von A auch B ist, und wenn A möglich ist, ist auch B möglich, und da nun als Voraussetzung angenommen ist: A ist möglich, so wird auch B möglich sein; falls (es) denn unmöglich (wäre), so würde ja eines und dasselbe gleichzeitig möglich und unmöglich sein. Dies also festgesetzt, so soll A allen B zukommen, für B aber soll es sein können, allen C zuzukommen; somit ist notwendig: Es kann sein, daß A allen C zukommt. Gesetzt einmal, dies sei nicht möglich, B dagegen komme allen C zu – dies zwar falsch aber nicht unmöglich –, wenn nun also A nicht allen C zukommen kann, B dagegen allen C zukommt, kann es nicht sein, daß A allen B (zukommt); es erfolgt damit Schluß in der dritten Form. Es war aber doch zugrundegelegt, es soll-
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te allen zukommen können. Somit ist notwendig: Es kann sein, A kommt allen C zu. Nachdem ja Falsches, nicht Unmögliches gesetzt war, ist die Folge (doch) unmöglich. [Es geht auch, über die erste Schlußform die Unmöglichkeit herbeizuführen, indem man setzt: B kommt C zu; wenn nämlich B allen C zukommt, A aber allen B zukommen kann, dann müßte ja auch A allen C zukommen können. Es war aber vorausgesetzt, es kann nicht allen zukommen.] Man muß aber das »allem zukommend« nehmen – nicht indem man es der Zeit nach festlegt, etwa: »jetzt« oder: »in der und der Zeit«; sondern ohne jeden einschränkenden Zusatz. Es sind nämlich derartige Eingangssätze, mittels derer wir Schlüsse machen, während aus einem in der Gültigkeit auf jetzt beschränkten Eingangssatz kein Schluß erfolgen wird. Es hindert ja vielleicht nichts (die Annahme), daß zu irgendeinem Zeitpunkt einmal »Mensch« an allem sich Bewegenden vorliegen mag, wie etwa, wenn gerade nichts anderes in Bewegung wäre; »in Bewegung« kann an jedem Pferd Vorkommen, aber »Mensch« kann an keinem Pferd vorliegen. – Weiter, es sei der erste (Begriff) »Lebewesen«, der mittlere »bewegt«, der letzte »Mensch«; da werden sich die Eingangssätze entsprechend verhalten, der Schlußsatz dagegen ist notwendig, kann nicht bloß sein: Notwendig ist der Mensch ein Lebewesen. Offenkundig ist nun also: Die Allaussage muß man ohne Einschränkung nehmen, sie ist nicht zeitlich festzulegen. Erneut, es sei der verneinte Eingangssatz AB eine Allaussage, es werde also angenommen: A liegt an keinem B vor, B aber soll an allen C vorliegen können. Ist das gesetzt, so ist notwendig: Es kann sein, A liegt an keinem C vor. Das soll einmal nicht sein können, es liege aber fest, B kommt C zu – wie früher; dann ist also notwendig: A liegt an einigen B vor. Es erfolgt ja Schluß durch die dritte Form. Das aber ist unmöglich. Also muß es ja wohl sein können, daß A keinem C (zukommt); nachdem ja eine falsche Annahme gesetzt war, ist das, was eintritt, unmöglich. – Dieser Schluß also erfolgt nicht auf ein »kann sein« im Sinne der Begriffsbestimmung, sondern im Sinne des »keinem aus Notwendigkeit« – das ist näm-
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lich der genaue Widerspruch zur erfolgten Voraussetzung: Es war ja gesetzt, A sollte einigen C aus Notwendigkeit zukommen; und der »Schluß mittels des Unmöglichen« geht ja auf die genau entgegengesetzte Aussage. – Weiter ist auch von den Einsetzungsbegriffen her klar, daß der Schlußsatz nicht unter »möglich« steht: Es sei also A »Rabe«, B »mit Denkfähigkeit ausgestattet«, C »Mensch«; keinem B kommt also das A zu: Nichts, was denken kann, ist ein Rabe. B aber kann allen C zukommen: Jedem Menschen die Fähigkeit zu denken. Aber A kommt notwendig keinem C zu, mithin ist der Schlußsatz nicht (bloß) möglich. Aber auch notwendig ist er nicht immer: Es sei also A »in Bewegung«, B »Wissen«, C »Mensch«; das A also wird an keinem B vorliegen, das B kann an jedem C vorkommen, und der Schlußsatz wird nicht notwendig sein: Es ist nicht notwendig, daß kein Mensch in Bewegung ist, sondern es ist nicht notwendig, daß irgendeiner es ist. Klar ist somit: Der Schlußsatz geht darauf, daß es keinem aus Notwendigkeit zukommt. – Es wären aber die Begriffe besser auszusuchen. Wenn die Verneinung zum kleineren Eckbegriff gesetzt wird und das (nur) ein »kann sein« bezeichnet, so wird sich aus den angenommenen Eingangssätzen allein kein Schluß ergeben. Wird dagegen der Eingangssatz unter »kann sein« umgekehrt, so wird es einen geben, wie in früheren Fällen auch: Es komme also A jedem B zu, von B aber gelte: Es kann sein, daß es keinem C zukommt. Haben die Begriffe dies Verhältnis, tritt nichts mit Notwendigkeit ein. Wenn dagegen BC umgekehrt wird und man annimmt, es kann sein, daß B allen C zukommt, dann erfolgt Schluß, wie früher; die Begriffe verhalten sich dann ja der Anordnung entsprechend. Auf gleiche Weise (geht es auch), wenn beide Begriffsverhältnisse verneinend sind, für den Fall daß AB ein (einfaches) Nicht-Vorliegen besagt, BC ein An-keinem-vorliegen-können: Aufgrund der Annahmen selbst tritt unter keinen Umständen etwas Notwendiges ein, kehrt man dagegen den unter »kann sein« stehenden Eingangssatz um, wird es ein Schlußverhältnis geben. Es sei also angenommen: A kommt keinem B zu, von B kann es sein, daß es keinem C zukommt; aufgrund die-
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ser (Annahmen folgt) nichts notwendig; nimmt man dagegen an: Es kann sein, B kommt allen C zu, was ja wahr ist, und der Eingangssatz AB bleibe genau so stehen, dann wird sich wieder derselbe Schluß ergeben. Wenn dagegen gesetzt wird, B kommt jedem C nicht zu – und nicht bloß: Es könne sein, es komme ihm nicht zu –, dann wird es auf keinen Fall Schluß geben, einerlei ob der Eingangssatz AB verneinend oder behauptend ist. Gemeinsame Einsetzungsbegriffe für Notwendig-Zukommen: Weiß – Lebewesen – Schnee; für »kann sein, daß nicht ...«: Weiß – Lebewesen – Pech. Offenkundig ist also: Stehen die Begriffe in einer Allgemein-Verbindung und ist der eine Eingangssatz im Sinne von »(einfach) vorliegen«, der andere unter »kann sein, daß ...« genommen, dann erfolgt für den Fall, daß der Eingangssatz mit dem kleineren Eckbegriff als möglich genommen wird, immer ein Schluß, nur, einmal aus den (Annahmen) selbst, das andere Mal, wenn man den Eingangssatz umkehrt. Wann jedes davon eintritt und aufgrund welcher Ursache, haben wir vorgetragen. Wenn aber das eine der Begriffsverhältnisse in Allform, das andere in Teilform genommen wird, dann wird, wenn (das Verhältnis) zum größeren Eckbegriff in Allform und als möglich gesetzt wird, entweder verneinend oder behauptend, die Teilaussage dagegen behauptend und einfach vorliegend, vollkommener Schluß erfolgen wie auch, wenn die Begriffe in Allform verbunden sind. Nachweis ist der gleiche wie auch früher. Wenn dagegen das Verhältnis zum größeren Eckbegriff in Allform steht, vorliegend und nicht bloß möglich, das andere in Teilform und möglich, und mögen nun beide (Eingangssätze) verneinend oder behauptend gesetzt sein, mag auch der eine verneinend der andere behauptend (gesetzt sein), in allen Fällen ergibt sich unvollkommener Schluß; nur, die einen davon werden durch (Hinführung auf) das Unmögliche nachgewiesen, die anderen durch Umkehrung des Satzes, der unter »kann sein« steht, wie in den früheren Fällen. Mithilfe der Umkehrung erfolgt dann Schluß, wenn die Allaussage, zum größeren Eckbegriff gesetzt, ein (einfaches) Zukommen
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besagt, der in Teilform auftretende Satz, verneint, das bloße »sein können« annimmt, z. B.: Wenn A allen B zukommt oder nicht zukommt, von B dagegen es sein kann, einigen C nicht zuzukommen; wenn man also BC, das »sein können« betreffend, umkehrt, erfolgt Schluß. Wenn andererseits der Eingangssatz, der in Teilform gesetzt ist, ein (einfaches) »nicht vorliegen« annimmt, erfolgt kein Schluß. Einsetzungsbegriffe für Vorliegen: Weiß – Lebewesen – Schnee; für Nicht-Vorliegen: Weiß – Lebewesen – Pech. Man muß ja den Nachweis mittels der nicht festgelegten (Aussageform) sich holen. Wenn aber die Allaussage zum kleineren Eckbegriff gesetzt wird, die Teilaussage zum größeren, einerlei welche davon verneint oder behauptet, welche als nur möglich oder als (tatsächlich) vorliegend (genommen ist), so ergibt sich in keinem Falle Schluß. Auch wenn die Eingangssätze in Teilform oder nicht festgelegt gesetzt sind, mögen sie das »möglich sein« annehmen oder das »(tatsächlich) vorliegen«, oder auch der eine dies, der andere jenes, wird es in keinem Falle Schluß geben. Nachweis ist der gleiche wie in den früheren Fällen auch. Gemeinsame Einsetzungsbegriffe für »aus Notwendigkeit vorliegen«: Lebewesen – weiß – Mensch; für »kann sein, daß nicht ...«: Lebewesen – weiß – Mantel. Offenkundig ist also: Wird die Allaussage zum größeren Eckbegriff gestellt, gibt es immer Schluß, wird das Verhältnis zum kleineren so genommen, in keinem Fall auf irgendetwas. Kapitel 16. Wenn der eine Eingangssatz ein notwendiges Zukommen, der andere ein mögliches bezeichnet, so wird zwar, wenn sich die Begriffe auf gleiche Weise verhalten (wie eben), Schluß stattfinden, und auch vollkommener, wenn das »notwendig« zum kleineren Eckbegriff gesetzt wird; der Schlußsatz wird aber, wenn die Begriffe behauptend stehen, nur auf sein können, nicht auf »vorliegen« gehen, sowohl wenn sie in Allform oder nicht in Allform gesetzt sind. Ist dagegen die eine (Aussage) behauptend, die andere verneinend, (dann wird), wenn die bejahende notwendig ist, (der Schluß erfol-
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gen) auf »kann sein (daß nicht vorliegt)«, und nicht auf »liegt nicht vor«. Ist aber der verneinende Satz (notwendig), dann (kann) sowohl (geschlossen werden) auf »kann sein, daß nicht zukommt« wie auch auf »kommt nicht zu«, sowohl wenn die Begriffe in Allform wie wenn sie nicht in Allform verbunden sind. Das »kann sein, daß ...« im Schlußsatz ist auf die gleiche Weise zu nehmen wie auch in den früheren Fällen. Auf »liegt aus Notwendigkeit nicht vor« gibt es keinen Schluß; es ist ja doch etwas anderes: »Liegt nicht aus Notwendigkeit vor« und »liegt aus Notwendigkeit nicht vor«. Daß nun also für den Fall, daß die Begriffe behauptend verbunden sind, der Schluß nicht notwendig wird, ist offenkundig. Es komme also A jedem B mit Notwendigkeit zu, B soll jedem C zukommen können; dann ergibt sich unvollkommener Schluß: A kann allen C zukommen. Daß er unvollkommen ist, wird aus dem Beweis klar; er wird ja auf gleiche Weise geführt werden wie in den früheren Fällen auch. Und wieder, A soll jedem B zukommen können, B liege an allen C mit Notwendigkeit vor; dann erfolgt also Schluß: A kann an allen C vorliegen, aber nicht: Es liegt vor. Und er ist vollkommen, nicht unvollkommen: er kommt nämlich unmittelbar aufgrund der Anfangssätze zu seinem Ziel. Haben die Eingangssätze nicht die gleiche Form, so sei also, erstens, der verneinte Satz notwendig: A soll keinem B zukommen können, B dagegen soll an allen C vorliegen können. Dann ergibt sich notwendig: A liegt an keinem C vor. Es sei also einmal gesetzt, es liege an allen oder einigen vor – es war aber zugrundegelegt: Dem B konnte es in keinem Falle zukommen –; da nun die Verneinung Umkehrung zuläßt, so wird auch B keinem A zukommen können; nun ist aber gesetzt: A komme entweder allen C oder einigen zu; also könnte es sein, B kommt entweder keinem C oder nicht allen zu; es war aber vorausgesetzt: Allen aus Notwendigkeit. Offenkundig aber, daß Schluß auch erfolgt auf »kann sein, daß nicht vorliegt«, wenn er doch schon auf (tatsächliches) Nicht-Vorliegen geht. Aufs neue, es sei der behauptende Eingangssatz notwendig: A soll keinem B zukommen können, B aber liege an allen C mit
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Notwendigkeit vor. Der Schluß daraus wird vollkommen sein, aber (er geht) nicht auf Nicht-Vorliegen, sondern auf »kann sein, daß nicht vorliegt«. Es ist ja der Eingangssatz mit dem größeren Eckbegriff genommen worden, und die Hinführung auf das Unmögliche geht hier nicht: würde nämlich unterstellt, A kommt einigen C zu, und es liegt fest, dem B kann es in keinem Falle zukommen, dann ergibt sich daraus nichts Unmögliches. Wenn dagegen die Verneinung zum kleineren Eckbegriff gesetzt wird, so wird für den Fall, daß dies ein »kann sein« aussagt, Schluß durch Umkehrung erfolgen, wie in den früheren Fällen; sagt es dagegen »kann nicht sein«, so erfolgt keiner. Auch wenn beide verneinend gesetzt sind, das »kann nicht sein, daß ...« beim kleineren (Eckbegriff steht), erfolgt keiner. Einsetzungsbegriffe sind dieselben, für Vorliegen: Weiß – Lebewesen – Schnee; für Nicht-Vorliegen: Weiß – Lebewesen – Pech. Auf gleiche Weise wird es sich auch bei den Schlüssen in Teilform verhalten: Ist der verneinte Satz notwendig, wird auch der Schlußsatz auf »nicht vorliegen« gehen, etwa: Wenn A keinem B zukommen kann, B aber einigen C zukommen kann, dann ist notwendig: A kommt einigen C nicht zu. Falls es doch allen zukommt, aber keinem B zukommen kann, dann kann auch B keinem A zukommen; also, wenn A allen C zukommt, kann B keinem C zukommen. Aber es war doch vorausgesetzt, einigen sollte es zukommen können. Wenn aber der in Teilform behauptende Satz notwendig ist, der in dem Schluß mit verneinendem Ergebnis, etwa BC, oder der in Allform in dem Schluß mit behauptendem Ergebnis, etwa AB, findet kein Schluß auf Vorliegen statt. Nachweis ist der gleiche wie in den früheren Fällen auch. Wenn dagegen die Allaussage zum kleineren Eckbegriff gesetzt ist, entweder behauptend oder verneinend, und als (nur) möglich, der Satz in Teilform aber notwendig, wird kein Schluß stattfinden. Einsetzungsbegriffe für »aus Notwendigkeit vorliegen«: Lebewesen – weiß – Mensch; für »nicht sein können«: Lebewesen – weiß – Mantel. Im Falle, daß andererseits die Allaussage notwendig ist, die Teilaussage möglich, (dann) wenn die Allaussage verneinend ist, (sind die) Einset-
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zungsbegriffe für Vorliegen: Lebewesen – weiß – Rabe; für Nicht-Vorliegen: Lebewesen – weiß – Pech; ist sie behauptend, dann für Vorliegen: Lebewesen – weiß – Schwan; für NichtVorliegen-Können: Lebewesen – weiß – Schnee. Auch wenn die Eingangssätze nicht festgelegt genommen werden, oder beide in Teilform, findet kein Schluß statt. Gemeinsame Einsetzungsbegriffe für Vorliegen: Lebewesen – weiß – Mensch; für Nicht-Vorliegen: Lebewesen – weiß – unbelebt. Denn, »Lebewesen« kommt irgendeinem Weißen, und »weiß« irgendeinem Unbelebten sowohl notwendig zu und es kann nicht sein, daß es ihm zukäme. Und bei »kann sein, daß ...« ist es entsprechend, somit sind die Einsetzungsbegriffe für alle Fälle verwendbar. Offenkundig ist nun aus dem Vorgetragenen: Verhalten sich die Begriffe im Falle einfachen Vorliegens und in den unter »notwendig« stehenden Sätzen entsprechend, so erfolgt Schluß und erfolgt auch nicht, hier wie dort; nur, wird der verneinende Eingangssatz auf »einfach vorliegen« gesetzt, ging der Schluß auf »kann sein, daß ...«, wird der verneinende Satz auf »notwendig« gesetzt, (geht der Schluß) sowohl auf »kann sein, daß ...« und auf »liegt (tatsächlich) nicht vor«. [Klar ist auch: Alle die Schlüsse sind unvollkommen und werden mittels der früher vorgetragenen Schlußformen zum Ziel gebracht.] Kapitel 17. In der zweiten Schlußform wird es, wenn beide Eingangssätze das bloße »kann sein« annehmen, keinen Schluß geben, einerlei ob sie behauptend oder verneinend gesetzt werden, ob in All- oder in Teilform. Wenn dagegen einer »vorliegen« besagt, der andere »(vorliegen) können«, dann wird es, wenn der behauptende ein Vorliegen besagt, niemals einen geben, wenn aber der in Allform verneinende (es tut), dann immer. Auf gleiche Weise auch, wenn der eine der Eingangssätze als »notwendig«, der andere als »möglich« genommen wird. Man muß auch in diesen Fällen das in den Schlußsätzen stehende »kann sein, daß ...« so nehmen wie in den früheren Fällen. Erstens ist also nachzuweisen, daß die unter »kann sein, daß ...« stehende Verneinung keine Umkehrung zuläßt, z.
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B., wenn es sein kann, A kommt keinem B zu, so tritt nicht notwendig ein: Es kann sein, B kommt keinem A zu. Dies sei einmal so gesetzt, es soll also sein können, B komme keinem A zu. Folglich, da die unter »kann sein« stehenden Behauptungen den (entsprechenden) Verneinungen in Umkehr entsprechen, u.z. die gegenüberliegenden sowohl wie die entgegengesetzten (je entsprechend), und da es nun (annahmegemäß) sein kann, B kommt keinem A zu, so ist offenkundig: Es könnte auch sein, es komme allen A zu; das aber ist falsch. Es tritt nämlich nicht notwendig ein: Wenn das dem in allen Fällen (zukommen) kann, dann auch Letzteres dem Ersteren. Also die Verneinung läßt eine Umkehrung nicht zu. Weiter hindert nichts (die Annahme), daß es zwar sein kann, A kommt keinem B zu, B dagegen kommt einigen A mit Notwendigkeit nicht zu, z. B.: Es kann sein, »weiß« kommt jedem Menschen nicht zu – es kann ihm ja auch zukommen –, von »Mensch« aber ist es nicht wahr zu sagen: Es kann sein, er komme keinem Weißen zu; vielem (was da weiß ist) kommt er notwendig nicht zu, und »notwendig« war nicht »was sein (oder eben auch nicht sein) kann«. Aber nun ja, auch aus (der Rückführung auf das) Unmögliche wird sich eine Umkehrung nicht erweisen lassen, wie etwa jemand fordern wollte: Da die Aussage falsch ist »Es kann sein, B kommt keinem A zu«, (so muß die) wahr (sein): »Es kann nicht sein, (B kommt) keinem (A zu)« – (das wäre) ja Behauptung und (ihre) Verneinung –, wenn aber das (gilt), so ist es wahr, daß (B) notwendig einigen A zukommt; somit also auch A einigen B. Das aber sei dann unmöglich. – (Es gilt) nämlich nicht: Wenn es nicht sein kann, daß B keinem A (zukommt), dann kommt es notwendig einigen zu. Denn der Ausdruck »es kann nicht sein, daß keinem ...« wird in zwei Bedeutungen ausgesagt, einmal, wenn es mit Notwendigkeit einigen zukommt, zum anderen, wenn es mit Notwendigkeit einigen nicht zukommt. Was ja mit Notwendigkeit einigen A nicht zukommt, davon ist es nicht wahr zu sagen: Es kann sein, es kommt allen nicht zu, wie (es) auch nicht wahr (ist zu sagen): Was einigen aus Notwendigkeit zukommt, das kann allen
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zukommen. Wenn nun einer fordern wollte: Da es nicht sein kann, C kommt allen D zu, so kommt es mit Notwendigkeit einigen nicht zu, dann würde der etwas Falsches annehmen; es kommt ja allen zu, aber weil es einigen (darüber hinaus) mit Notwendigkeit zukommt, deshalb sagen wir: Nicht jedem möglicherweise. Also, dem »kann sein, es liegt an allen vor« ist einerseits das »es liegt mit Notwendigkeit an einigen vor« entgegengesetzt, andererseits das »es liegt aus Notwendigkeit an einigen nicht vor«. Entsprechend auch (mit der Entgegensetzung) zu »kann sein, daß keinem ...«. Klar nun also: Zu dem so (verstandenen) »kann sein ...« und »kann sein, daß nicht ...«, wie wir es zu Anfang bestimmt haben, ist (als Gegensatz) nicht das »kommt mit Notwendigkeit einigen zu«, sondern das »kommt mit Notwendigkeit einigen nicht zu« zu nehmen. Wird das aber genommen, so tritt nichts Unmögliches ein, also gibt es in diesem Falle keinen Schluß. – Offenkundig ist nun also aus dem Vorgetragenen, daß die Verneinung keine Umkehrung zuläßt. Nachdem dies aufgezeigt ist, sei also gesetzt: Es kann sein, A liegt an keinem B vor, aber an jedem C. Mithilfe von Umkehrung gibt es also keinen Schluß; es ist ja gesagt, daß sich ein derartiger Eingangssatz nicht umkehren läßt. Aber auch nicht durch (Rückführung auf) das Unmögliche; gesetzt nämlich: Es kann sein, B kommt allen C zu, ergibt sich ja nichts Falsches: es könnte ja sein, A kommt sowohl allen wie auch keinem C zu. Überhaupt, wenn (denn hier) Schluß ist, so ist klar, er ginge nur auf ein »kann sein«, weil keiner der beiden Eingangssätze unter »(tatsächlich) vorliegen« genommen ist; und der wäre nun behauptend oder verneinend, aber weder so noch so geht es: Würde er behauptend gesetzt, so läßt sich mithilfe der Einsetzungsbegriffe nachweisen, daß ein Vorliegen nicht sein kann; setzt man ihn aber verneinend, (so läßt sich nachweisen), daß der Schlußsatz nicht unter »kann sein« steht, sondern notwendig ist. Es sei also A »weiß«, B »Mensch«, C »Pferd«; dann kann es also sein, A – weiß – kommt dem einen in allen, dem anderen in keinem Falle zu; aber von B gilt: Es kann dem
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C weder zukommen, noch kann es (nur) sein, daß es ihm nicht zukommt. Daß es ihm nicht zukommen kann, ist offenkundig: Kein Pferd ist Mensch; aber auch, daß es nur sein könnte, es kommt ihm nicht zu, geht nicht: Es ist nämlich notwendig, daß kein Pferd Mensch ist, und »notwendig« war etwas anderes als nur »möglich«. Es erfolgt also kein Schluß. Entsprechend wird auch Nachweis geführt, wenn die Verneinung umgekehrt gesetzt ist, und auch, wenn beide (Eingangssätze) behauptend genommen sind oder verneinend – der Nachweis wird mittels der gleichen Einsetzungegriffe gehen –; und wenn der eine (Eingangssatz) in Allform, der andere in Teilform (gesetzt wird), oder auch beide in Teilform oder nicht festgelegt, oder auf wieviele Weisen sonst noch es geht, die Eingangssätze umzustellen: es wird immer mittels derselben Begriffe der Nachweis erfolgen. Offenkundig ist nun also: Werden beide Eingangssätze unter »kann sein« gestellt, so erfolgt kein Schluß. Kapitel 18. Wenn der eine (Eingangssatz) ein (einfaches) Vorliegen, der andere ein »kann sein« besagt, und wenn der behauptende unter »vorliegen« gesetzt wird, der verneinende unter »kann sein«, gibt es in keinem Falle Schluß, einerlei ob die Begriffe (in ihrem Verhältnis zueinander) in Allform oder in Teilform genommen werden – Nachweis ist der gleiche und mit den gleichen Begriffen –; wenn dagegen der behauptende unter »kann sein« steht, der verneinende ein (tatsächliches) Vorliegen aussagt, gibt es Schluß. Es sei also angenommen: A komme keinem B zu, es könne aber sein, daß es jedem C zukommt. Kehrt man nun die Verneinung um, so wird B keinem A zukommen, A aber sollte jedem C zukommen können; dann erfolgt also Schluß in der ersten Form: Es kann sein, B kommt keinem C zu. Entsprechend auch, wenn die Verneinung zu C gesetzt wäre. Wenn dagegen beide (Eingangssätze) verneint sind und der eine ein Nicht-Vorliegen besagt, der andere ein »kann sein, daß nicht ...«, dann tritt aufgrund der Annahmen nichts notwendig ein; wird dagegen der Eingangssatz unter »kann sein« umgekehrt, erfolgt Schluß: Es kann sein, B kommt keinem C
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zu, wie in den früheren Fällen auch; es ist ja wieder die erste Schlußform. Wenn aber beide (Eingangsätze) behauptend gesetzt sind, gibt es keinen Schluß. Einsetzungsbegriffe für Zukommen: Gesundheit – Lebewesen – Mensch; für Nicht-Zukommen: Gesundheit – Pferd – Mensch. Auf die gleiche Weise wird es sich auch bei den Schlüssen mit Teilaussagen verhalten: Wenn die bejahende Aussage ein Vorliegen besagt, entweder in Allform oder in Teilform genommen, gibt es keinen Schluß – das läßt sich in gleicher Weise und mit denselben Begriffen nachweisen wie früher –; ist es dagegen die verneinende, so gibt es (Schluß) mittels Umkehrung, wie in den früheren Fällen. Und wieder, wenn beide Begriffsverhältnisse verneint genommen sind und der (Satz) in Allform ein einfaches Vorliegen besagt, dann tritt aus den Eingangssätzen selbst kein notwendiges Ergebnis ein; wird aber (der Satz mit) »kann sein« umgekehrt, dann gibt es Schluß, wie in den früheren Fällen auch. Wenn dagegen der verneinte Satz ein Vorliegen besagt und in Teilform genommen ist, gibt es keinen Schluß, einerlei ob der andere Eingangssatz behauptend oder verneinend ist. Auch wenn beide (Eingangssätze) unbestimmt genommen sind – entweder behauptend oder verneinend – oder in Teilform, (dann kein Schluß). Nachweis ist der gleiche und mit den gleichen Begriffen. Kapitel 19. Wenn der eine der Eingangssätze »notwendig«, der andere »kann sein« besagt, dann wird es, wenn der verneinende Satz notwendig ist, Schluß geben, (u.z.) nicht nur: Kann sein, daß nicht vorliegt, sondern auch: Liegt (tatsächlich) nicht vor; ist es der behauptende Satz, so gibt es keinen. Es sei also gesetzt: A kommt notwendig keinem B zu, es kann aber sein, daß es jedem C zukommt. Wird der verneinte (Eingangssatz) umgekehrt, wird auch B keinem A zukommen; A aber sollte allen C zukommen können; so erfolgt also wieder der Schluß über die erste Form: Es kann sein, B kommt keinem C zu. Zugleich ist aber klar: B wird auch tatsächlich keinem C zukommen. Es sei gesetzt, es kommt ihm zu; folg-
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lich, wenn A keinem B zukommen kann, B aber einigen C zukommt, dann kann es sein, A kommt einigen C nicht zu. Aber es war doch vorausgesetzt: Es sollte allen zukommen können. Auf die gleiche Weise wird Nachweis geführt auch für den Fall, daß die Verneinung zu C gesetzt wäre. Erneut, es sei der behauptende Satz notwendig, der andere möglich: Es soll sein können, A kommt keinem B zu, dagegen soll es jedem C mit Notwendigkeit zukommen. Haben die Begriffe dies Verhältnis, so ergibt sich kein Schluß. Es tritt ja ein, daß B dem C aus Notwendigkeit nicht zukommt. Es sei also A »weiß«, B »Mensch«, C »Schwan«; »weiß« liegt also an »Schwan« aus Notwendigkeit vor, bei »Mensch« kann es sein, daß es an keinem vorkommt; und »Mensch« liegt notwendig an keinem Schwan vor. Daß also hier kein Schluß auf »kann sein« erfolgt, ist offenkundig; »notwendig« war ja etwas anderes als »kann sein«. Aber doch auch nicht auf »notwendig«: Notwendigkeit trat doch nur ein entweder bei beiden (Eingangssätzen) als notwendig, oder wenn es der verneinte war. Darüberhinaus geht es ja auch bei dieser Setzung, daß B dem C zukommt; es hindert ja nichts (die Annahme), daß C unter B steht, A aber allen B zukommen kann und dem C aus Notwendigkeit zukommt, z. B. wenn C »wach« wäre, B »Lebewesen«, A »Bewegung«: Bei »wach« liegt mit Notwendigkeit Bewegung vor – sie kann es bei allen Lebewesen –, und: Alles, was wach ist, ist Lebewesen. Offenkundig also, daß auch kein Schluß auf Nicht-Vorliegen geht, wenn doch, bei diesem Verhältnis, Notwendig-Vorliegen eintritt. Also auch keiner auf die entgegengesetzten Behauptungen; somit gibt es also gar keinen Schluß. Entsprechend wird auch Nachweis geführt für den Fall, daß der behauptende (Eingangssatz) andersherum gestellt wird. Wenn die Eingangssätze die gleiche Form haben, dann wird es, wenn sie verneint sind, immer Schluß geben, nachdem der unter »kann sein« stehende Eingangssatz umgekehrt worden ist, wie in den früheren Fällen. Es sei also angenommen: A kommt dem B mit Notwendigkeit nicht zu, bei C kann es sein, daß es ihm nicht zukommt. Werden nun die Eingangssätze umgekehrt, so kommt B kei-
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nem A zu, A kann jedem C zukommen; es entsteht also die erste Schlußform. Und wenn die Verneinung zu C gesetzt wäre, genauso. Wenn sie dagegen behauptend gesetzt sind, gibt es keinen Schluß: daß er auf »nicht vorliegen« oder auf »aus Notwendigkeit nicht vorliegen« nicht gehen kann, ist offenkundig aufgrund der Tatsache, daß der verneinende Eingangssatz nicht so genommen ist, weder mit »vorliegen« noch mit »notwendig vorliegen«; aber auch auf »kann sein, daß nicht vorliegt« nicht: bei diesen Verhältnissen wird B dem C mit Notwendigkeit nicht zukommen, z. B., wenn A gesetzt ist als »weiß«, B »Schwan«, C »Mensch«. Auch kein (Schluß geht) auf die entgegengesetzten Behauptungen; ist doch nachgewiesen: B kommt dem C mit Notwendigkeit nicht zu. Es erfolgt also überhaupt kein Schluß. Entsprechend wird es sich auch bei den Schlüssen in Teilform verhalten: Wenn der verneinte Satz eine Allaussage ist und notwendig, wird es immer Schluß geben sowohl auf »kann sein« wie auf »liegt nicht vor« – Nachweis erfolgt durch Umkehrung –; ist es dagegen der behauptende Satz, dann nie; auf gleiche Weise wird sich der Nachweis führen lassen wie bei den Allaussagen und mittels der gleichen Begriffe. Auch wenn beide (Eingangssätze) behauptend genommen sind, (erfolgt) kein (Schluß); auch dafür ist es der gleiche Nachweis wie früher. Wenn aber beide verneint sind und der Satz, der das Nicht-Vorliegen besagt eine Allaussage ist und notwendig, dann tritt zwar aufgrund der Annahmen selbst keine (Schluß)-Notwendigkeit ein; wenn aber der Eingangssatz mit »kann sein« umgekehrt wird, gibt es Schluß, wie in den früheren Fällen. Wenn (schließlich) beide (Eingangssätze) nicht festgelegt oder in Teilform gesetzt sind, erfolgt kein Schluß; Nachweis ist der gleiche und mit den gleichen Begriffen. Offenkundig ist also aus dem Vorgetragenen: Wird der in Allform verneinende Satz als notwendig gesetzt, ergibt sich immer Schluß, nicht nur auf »kann sein, daß nicht vorliegt«, sondern auch auf »liegt nicht vor«; ist es dagegen der behaup-
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tende, so niemals. Und, wenn die Begriffsverhältnisse die gleichen sind, je in den Sätzen mit »notwendig« und denen, die ein einfaches Vorliegen besagen, so erfolgt (hier wie dort) Schluß und erfolgt auch nicht. Klar ist auch: Alle die Schlüsse sind unvollkommen; sie werden zum Ziel gebracht durch die vorgenannten Schlußformen. Kapitel 20. In der letzten Form erfolgt Schluß, sowohl wenn beide (Eingangssätze) unter »kann sein« stehen, wie auch wenn es nur einer davon ist. Wenn also die Eingangssätze ein »kann sein« besagen, wird auch der Schlußsatz unter »möglich« stehen; auch, wenn der eine (Eingangssatz) ein »kann sein« besagt, der andere ein »(tatsächlich) vorliegen«. Wird dagegen der eine als »notwendig« gesetzt, dann für den Fall, daß es ein behauptender ist, gibt es keinen Schluß, weder auf »notwendig« noch auf »liegt (einfach) vor«; ist er dagegen verneint, gibt es Schluß auf »nicht vorliegen«, wie in den früheren Fällen auch. Man muß auch in diesem Falle das »kann sein« in den Schlußsätzen entsprechend (wie früher angegeben) nehmen. Es seien also zuerst (die Eingangssätze) möglich: Es soll sein können, A und B kommen jedem C zu. Da nun die Behauptung eine Umkehrung in Teilform zuläßt, B allen C zukommen können soll, wird also auch C einigen B zukommen können; also, wenn A allen C (zukommen) kann und C einigen B, ergibt sich notwendig: Es kann auch für A sein, daß es einigen B zukommt. Es tritt ja die erste Schlußform ein. Und, wenn es sein kann, A kommt keinem C zu, B aber allen C, ergibt sich notwendig: Es kann sein, A kommt einigen B nicht zu. Das wird ja wieder die erste Schlußform sein, mittels Umkehrung. Sollten dagegen beide (Eingangssätze) verneint gesetzt sein, dann wird sich aus den Annahmen selbst kein Schluß mit Notwendigkeit ergeben; hat man aber die Eingangssätze umgekehrt, gibt es Schluß, wie in den früheren Fällen auch: Wenn es sein kann, A und B kommen dem C nicht zu, wenn man dann das »zukommen können« umwendet, so tritt mittels dieser Umkehrung wieder die erste Schlußform auf.
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Wenn aber der eine der Begriffe in einer Allaussage steht, der andere in einer Teilaussage, und wenn die Begriffe die gleichen Verhältnisse haben wie bei »(einfach) vorliegen« auch, (dann ist es hier wie dort): Es gibt, je nachdem, Schluß oder nicht. Es soll also sein können, A kommt allen C, B einigen C zu; dann tritt also wieder die erste Schlußform auf, wenn der Eingangssatz in Teilform umgekehrt ist: Wenn es sein kann, A kommt allen C zu, C aber einigen B, dann kann es auch sein, A kommt einigen B zu. Und wenn die Allaussage zu BC gesetzt ist, dann genauso. Entsprechend auch, wenn AC verneint wäre, BC behauptet: über Umkehrung wird wieder die erste Schlußform eintreten. Wenn dagegen beide (Eingangssätze) verneint gesetzt sein sollten, der eine in All-, der andere in Teilform, dann ergibt sich aufgrund der Annahmen selbst kein Schluß; sind sie dagegen umgekehrt, gibt es ihn, wie in den früheren Fällen. Wenn schließlich beide nicht festgelegt oder in Teilform genommen sind, erfolgt kein Schluß: hier tritt notwendig ein, A kommt allen B zu und keinem. Einsetzungsbegriffe für Zukommen: Lebewesen – Mensch – weiß; für Nicht-Zukommen: Pferd – Mensch – weiß; Mittelbegriff ist »weiß«. Kapitel 21. Wenn der eine Eingangssatz ein (einfaches) »vorliegen«, der andere ein »kann sein« besagt, wird der Schlußsatz gehen auf »kann sein«, und nicht auf »liegt vor«; Schluß wird sich dann ergeben, wenn die Begriffe in den gleichen Verhältnissen stehen wie in den früheren Fällen. Sie seien also, erstens, behauptet: A liege an allen C vor, von B soll es sein können, daß es an allen (C) vorliegt; wird nun die Aussage BC umgekehrt, entsteht die erste Schlußform, und der Schlußsatz ist: Es kann sein, A kommt einigen B zu. In dem Falle, daß doch der eine der Eingangssätze in der ersten Schlußform ein »kann sein« besagte, war auch der Schlußsatz (bloß) möglich. Entsprechend aber auch, wenn BC das »(einfach) vorliegen«, AC das »sein können« (besagt); und wenn AC verneint, BC behauptet (ist), einerlei welches von beiden nun das einfache Vorliegen (besagte), in beiden Fällen wird der Schlußsatz unter »möglich« stehen. Es tritt ja wieder die
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erste Schlußform auf, und es ist nachgewiesen: Besagt der eine Eingangssatz ein (bloßes) »sein können«, so ist in ihr auch der Schlußsatz (nur) »möglich«. Wenn dagegen die Verneinung zum kleineren Eckbegriff gestellt wäre, oder auch wenn beide verneint genommen wären, erfolgt aufgrund der Aufstellungen selbst kein Schluß; kehrt man sie dagegen um, gibt es ihn, wie in den früheren Fällen auch. Wenn dagegen der eine der Eingangssätze in Allform, der andere in Teilform (steht), dann wird es für den Fall, daß beide behauptend sind, oder wenn der in der Allform verneinend, der in der Teilform behauptend (ist), die gleiche Weise mit den Schlüssen sein: Alle werden über die erste Schlußform zum Ziel gebracht; somit ist offenkundig: Der Schluß geht auf »kann sein«, und nicht auf »liegt vor«. Wenn dagegen der behauptende (Eingangssatz) in Allform, der verneinende in Teilform (steht), erfolgt der Nachweis durch (Rückführung auf) das Unmögliche (des Gegenteils): Es komme also B allen C zu, von A aber soll es sein können, es kommt einigen C nicht zu; notwendig dann also: Es kann sein, daß A einigen B nicht zukommt; falls nämlich A allen B notwendig zukommt, von B aber ist gesetzt, es liegt an allen C vor, dann wird A allen C mit Notwendigkeit zukommen, das ist früher nachgewiesen. Aber es war doch zugrundegelegt: Es sollte sein können, einigen (C) kommt es nicht zu. Wenn (schließlich) beide (Eingangssätze) nicht festgelegt oder in Teilform genommen sind, gibt es keinen Schluß. Nachweis ist der gleiche wie auch in den früheren Fällen und mittels der gleichen Begriffe. Kapitel 22. Wenn der eine der Eingangssätze unter »notwendig« steht, der andere unter »kann sein«, dann wird es, wenn die Begriffe behauptend verbunden sind, immer Schluß auf »kann sein« geben; wenn dagegen die eine Aussage behauptet, die andere verneint ist, (dann geht der Schluß), wenn die Behauptung unter »notwendig« steht, auf »kann sein, daß nicht vorliegt«; ist es die Verneinung, (dann geht der Schluß) sowohl auf »kann sein« wie auf »liegt (tatsächlich) nicht vor«. Auf »liegt aus Notwendigkeit nicht vor«
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erfolgt kein Schluß, wie ja auch in den anderen Schlußformen nicht. Es seien also zuerst die Begriffe (als einander zukommend) behauptet: A soll allen C mit Notwendigkeit zukommen, von B soll sein können, es liegt an allen (C) vor; da nun A allen C mit Notwendigkeit (zukommt), es bei C aber sein kann, daß es einigen B (zukommt), so kann es auch (nur) sein, A kommt einigen B zu, und es liegt nicht (ohne Zusatz) vor; so fiel das ja bei der ersten Schlußform zusammen. Entsprechend wird auch Nachweis geführt, wenn BC als notwendig gesetzt wäre, AC als nur möglich. Erneut, es sei die eine Aussage behauptend, die andere verneinend, die behauptende notwendig: Es soll sein können, A kommt keinem C zu, B dagegen komme allen (C) mit Notwendigkeit zu. Dann gibt es also wieder die erste Schlußform: auch der verneinte Eingangssatz besagt ja ein »sein können«; offenkundig ist somit, der Schlußsatz geht auf »kann sein«: als ja die Eingangssätze in der ersten Schlußform dies Verhältnis hatten, ging der Schlußsatz auch auf »kann sein«. Wenn aber der verneinte Eingangssatz notwendig ist, wird der Schlußsatz gehen sowohl auf »kann sein, einigen kommt es nicht zu« wie auch auf »kommt nicht zu«. Es sei also gesetzt: A kommt C aus Notwendigkeit nicht zu, von B dagegen kann es sein, daß es allen (C) zukommt; nachdem man den behauptenden Satz BC umgekehrt hat, tritt die erste Schlußform ein, und der verneinte Eingangssatz ist dabei »notwendig«; als nun die Eingangssätze dies Verhältnis hatten, ergab sich sowohl: Es konnte sein, daß A einigen C nicht zukommt, wie auch: Es kam ihnen wirklich nicht zu; also ist auch zwingend: A kommt einigen B nicht zu. Für den Fall, daß die Verneinung zum kleineren Eckbegriff gesetzt ist, wird es, wenn sie unter »kann sein« steht, Schluß geben, nachdem der Eingangssatz gewendet ist, wie in den früheren Fällen; steht sie unter »notwendig«, gibt es keinen: Dann kommt es sowohl allen mit Notwendigkeit zu, und es kann auch sein, daß es keinem zukommt. Einsetzungsbegriffe für
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Allem-Zukommen: Schlaf – schlafendes Pferd – Mensch; für Keinem(-Zukommen): Schlaf – Pferd, das wach ist – Mensch. Entsprechend wird es sich auch verhalten, wenn der eine der Begriffe im Verhältnis zum Mittelbegriff in Allform, der andere in Teilform (ausgesagt wird): Sind beide behauptend, erfolgt Schluß auf »kann sein«, nicht auf »liegt vor«; (ebenso) auch, wenn das eine Verhältnis verneint genommen ist, das andere behauptet, das behauptete notwendig. Wenn dagegen das verneinte (als) notwendig (genommen ist), wird auch der Schlußsatz auf »liegt nicht vor« gehen; es wird ja dasselbe Nachweisverfahren sein, sowohl wenn die Begriffe in Allaussagen verbunden sind, wie auch wenn sie nicht in Allform stehen. Es ist nämlich notwendig, daß die Schlüsse mittels der ersten Form zum Ende gebracht werden, sodaß wie in jenen (früheren Fällen) auch hier bei diesen die zwingende Schlußnotwendigkeit eintritt. Wenn dagegen die Verneinung, in Allform genommen, zum kleineren Eckbegriff gesetzt ist, dann wird es, wenn sie unter »kann sein« steht, Schluß mittels Umkehrung geben; steht sie aber unter »notwendig«, gibt es keinen. Das läßt sich auf die gleiche Art nachweisen wie auch bei den Aussagen in Allform und mit den gleichen Begriffen. Offenkundig ist nun also auch bei dieser Schlußform, wann und wie Schluß erfolgt, wann er auf »kann sein« geht, wann auf »(tatsächlich) vorliegen«. Klar ist auch, sie sind alle unvollkommen, und sie werden über die erste Schlußform zur Vollendung gebracht. – Kapitel 23. Daß nun also die Schlußverhältnisse in diesen Formen, erstens, vollendet werden durch die als Allaussagen auftretenden Schlüsse in der ersten Form, zweitens, auf diese zurückgeführt werden, ist nach dem Vorgetragenen klar. Daß (darüberhinaus) einschränkungslos jeder Schluß sich so verhält, wird nun klarwerden, indem nachgewiesen werden soll: Jeder erfolgt durch eine dieser Formen. Notwendig (gilt) also (folgendes): Jeder Beweis und jeder Schluß zeigt entweder ein Vorliegen oder ein Nicht-Vorliegen von etwas auf, und das entweder in Allform oder in Teilform,
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und schließlich entweder zeigt er es unmittelbar auf oder aufgrund einer Voraussetzung; ein Teilstück dieses »aufgrund von Voraussetzung« ist (Nachweis) aufgrund von Unmöglichkeit. Erstens wollen wir nun also sprechen über die unmittelbar nachweisenden (Schlüsse). Ist es bei denen aufgezeigt, so wird es offenkundig sein auch bei denen, die auf Unmöglichkeit (zurückführen) und überhaupt bei denen aufgrund von Voraussetzung. Wenn denn also (folgendes) sein soll: Im Verhältnis von A zu B einen Schluß zu ziehen, es komme ihm entweder zu oder nicht zu, dann muß man notwendig etwas von etwas angenommen haben. Wenn also A von B angenommen wäre, hat man sich ja gleich die Ausgangsfrage schlicht genommen. Wenn man dagegen (A) von C (annimmt), C dann weiter von nichts und auch nichts anderes von ihm und auch nichts anderes von A, dann gibt es kein Schlußverhältnis: Dadurch, daß man eines von einem angenommen hat, tritt nichts mit Notwendigkeit ein. Also muß man noch einen zweiten Vorspann mit hinzunehmen. Wenn man nun also A von etwas anderem angenommen hat oder etwas anderes von A oder etwas anderes von C, dann hindert zwar nichts, daß ein Schlußverhältnis zustandekommt, allerdings wird dieses aufgrund des Angenommenen nicht in eine Beziehung zu B kommen. Auch wenn C einem anderen (zukommen soll), dieses wieder einem anderen, das erneut einem anderen, sich dabei aber keine Verknüpfung zu B herstellt –: auch so wird sich kein Schluß auf B ergeben. Sagen wir es ganz allgemein: Es wird nie jemals Schluß erfolgen vom einen aufs andere, wenn nicht etwas Vermittelndes angenommen wird, welches zu jedem der beiden in irgendein Verhältnis von Grundaussagen gesetzt werden kann. Der Schluß ganz allgemein erfolgt von vorgelegten Eingangssätzen aus; der Schluß auf dies bestimmte (Ergebnis) dann von Eingangssätzen auf dieses hin aus, und der von dem auf dies hin über Eingangssätze dessen im Verhältnis zu dem. Es ist aber unmöglich, auf B hin einen Eingangssatz in die Hand zu bekommen, wenn man nichts, weder in behauptender noch in verneinender Form, von ihm aussagt, oder anders gewendet, (es geht nichts)
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von A auf B hin, wenn man nichts ihnen Gemeinsames ergreift, sondern von jedem irgendwelche ihm eigenen, behauptenden oder leugnenden, Aussagen macht. Also, es ist etwas in der Mitte zwischen beiden anzunehmen, welches die Aussagen verknüpft, wenn denn Schluß von dem auf das gehen können soll. Wenn es nun notwendig ist, etwas Bestimmtes zu erfassen, das zu beiden hin Gemeinsamkeit hat, und das nun dreifach sein kann: Entweder indem man A von C und C von B aussagt, oder C von beiden, oder beide von C, und da genau das die genannten Schlußformen sind, so ist offenkundig: Jeder Schluß muß notwendig durch eine dieser Formen gehen. Es ist ja dieselbe Erklärung, auch wenn (A) über mehrere (Verbindungsglieder) an B anknüpfte: es wird ja auch über viele Stufen die gleiche Form sich ergeben. Daß nun also die unmittelbar nachweisenden (Schlüsse) durch die vorher aufgeführten Formen erfolgen, ist einsichtig. Daß es aber auch die aufs Unmögliche führenden tun, wird klar aus folgendem: Alle (Schlüsse), die ihr Ziel durch Rückführung (von etwas) auf Unmöglichkeit erreichen, erschließen das eine als falsch, damit weisen sie die Anfangsannahme aufgrund von Voraussetzung (als richtig) nach, wenn nämlich etwas Unmögliches folgt, nachdem man den Widerspruch zu ihr gesetzt hat, z. B.: (Der Satz) »der Durchmesser ist nicht mit vereinbaren Maßen zu messen« (wird als richtig nachgewiesen dadurch), daß, nachdem man ihn als meßbar gesetzt hat, herauskommt: Ungerade (Zahlen) werden geraden gleich. Dabei wird (der Satz) »ungerade Zahlen werden geraden gleich« erschlossen, den anderen, »der Durchmesser hat kein vereinbares Maß«, weist man aufgrund der Voraussetzung nach, daß ja aufgrund seines Widerspruchs etwas Falsches folgte. Das eben war doch »Schließen durch Unmöglichkeit«, zu zeigen, daß aufgrund der anfänglichen Voraussetzung etwas Unmögliches folgt. Also, da in den Fällen von Rückführung auf Unmöglichkeit ein nachweisender Schluß auf Falsches erfolgt, und damit wird die Ausgangsbehauptung aufgrund von Voraussetzung nachgewiesen, da wir nun schon früher gesagt haben, daß die
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nachweisenden Schlüsse genau durch diese Formen erfolgen, so ist offenkundig: Auch die Schlüsse aufgrund des Unmöglichen werden durch diese Formen gehen. Entsprechend auch alle anderen (Schlußarten) aufgrund von Voraussetzung: In allen denen erfolgt ja der Schluß auf das, was da umgesetzt ist, die Anfangsannahme wird erreicht durch Verabredung oder irgendeine andere Voraussetzung. Wenn das aber wahr ist, so muß notwendig jeder Beweis und jeder Schluß durch die drei zuvor bezeichneten Formen gehen. Nachdem das nachgewiesen ist, ist klar: Erstens, jeder Schluß wird durch die erste Schlußform vollendet, zweitens, er wird auf die Schlüsse in Allform innerhalb dieser zurückgeführt. Kapitel 24. Darüberhinaus muß, erstens, in jedem (Schluß) einer der Begriffe behauptet sein, zweitens muß eine Allaussage vorliegen: ohne Allaussage gibt es entweder keinen Schluß oder keinen auf den gesetzten Sachverhalt, oder es wird die Ausgangsbehauptung nur herbeigefordert. – Es sei also gesetzt: Lust in Form von Kunstgenuß ist edel. Wenn daraufhin einer (Zustimmung) einforderte für (den Satz) »Lust ist edel« und hat nicht dazugesetzt »jede«, so gibt es keinen Schluß; läßt er es »irgendeine« Lust sein, (dann tritt ein): Ist es eine andere, so trägt das nichts aus für die gesetzte Behauptung; soll es genau diese sein, so nimmt er sich die Ausgangsbehauptung. Das wird klarer bei den Zeichnungen, z. B. (der Satz): Beim gleichschenkligen (Dreieck) sind die (Winkel) an der Grundstrecke gleich. Es seien also die (Strecken) A, B zum Mittelpunkt geführt; wenn nun einer sich nehmen wollte: Winkel AC ist gleich (Winkel) BD, und hat nicht allgemein gefordert: Halbkreiswinkel sind gleich, oder andersherum, (Winkel) C gleich D, und nimmt nicht jeden (Winkel), der bei Schnitt entsteht, hinzu, oder nochmal, wenn von den Gesamtwinkeln, die gleich sind, je die gleichen abgezogen werden, dann sind auch die Restwinkel, E, F, gleich, der fordert also die Ausgangsbehauptung herbei, wenn er nicht die (allgemeine) Annahme macht: Wenn Gleiches von Gleichem abgezogen wird, bleibt Gleiches übrig.
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Offenkundig nun also: In jedem (Schluß) muß eine Allaussage vorliegen; und: Ein allgemeiner Sachverhalt läßt sich (nur) nachweisen, wenn alle Begriffe in Allaussagen verbunden sind, ein Teilsachverhalt dagegen sowohl so wie auch auf jene andere Weise. Also: Ist der Schlußsatz eine Allaussage, müssen notwendig auch die Begriffe in Allform verbunden sein; wenn andererseits die Begriffe in Allaussagen stehen, kann es sein, daß der Schlußsatz nicht allgemein ist. Klar ist auch: In jedem Schluß müssen entweder beide Eingangssätze oder einer davon dem Schlußsatz ähnlich (gesetzt) werden. Damit will ich sagen: Nicht nur indem sie behauptend sind oder verneinend, sondern auch, was »notwendig« betrifft oder »liegt (einfach) vor« oder »kann sein ...«. Man muß aber auch die anderen Aussageformen in Betracht ziehen. Klar ist nun auch ohne alle Einschränkung, wann Schluß gehen kann, wann nicht, wann er möglich ist, wann vollendet, und daß, wenn Schluß vorliegt, die Begriffe notwendig in einer der vorgetragenen Weisen von Verhältnis zueinander stehen müssen. Kapitel 25. Klar ist auch: Jeder Beweis erfolgt mittels dreier Begriffe, mehr (brauchen es) nicht (zu sein), wenn nicht mittels anderer und wieder anderer (Begriffe) ein und derselbe Schlußsatz erreicht werden soll, z. B. (Schlußsatz) E über AB und über CD, oder über AB und ACD: es hindert ja nichts, daß es für dieselben (Sachverhalte im Ergebnis) eine Mehrzahl von Vermittlungsbegriffen geben kann. Gibt es die, so ist es nicht ein, sondern es sind mehrere Schlüsse, die erfolgen. Oder wieder, wenn ein jeder der beiden (Eingangssätze) A,B durch Schluß erhalten worden ist – etwa A über DE und wieder B über FH –, oder der eine mittels Heranführung, der andere durch Schluß: aber auch so ist das eine Mehrzahl von Schlüssen, es ist ja eine Mehrzahl von Schluß-Ergebnissen, etwa A, B und C. Sind es aber nun nicht mehrere, sondern einer, so kann es so sein, daß ein und derselbe Schlußsatz über eine größere Anzahl (von Begriffen als nötig) erreicht wird, dagegen, so wie C über AB (erreicht wird), ist das unmöglich: Es sei also E
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als Schlußergebnis erreicht von A, B, C, D aus; es muß folglich einer unter diesen (Begriffen) ins Verhältnis zu einem anderen genommen sein, der eine als Ganzes, der andere als Teil; das ist ja früher nachgewiesen: Wenn Schluß sein soll, müssen einige der Begriffe sich so verhalten. Es stehe also A in diesem Verhältnis zu B; dann wird es also von ihnen aus irgendein Schlußergebnis geben: Also entweder E, oder von C, D das eine oder andere, oder noch sonst etwas neben alledem. Wenn es also E ist, dann wäre der Schluß allein aus A, B (gezogen). Wenn dagegen C, D sich so zu einander verhalten, daß das eine als Ganzes, das andere als Teil (auftritt), dann wird auch aus diesem sich etwas ergeben, entweder E oder von A, B das eine oder andere, oder sonst noch etwas neben dem; und wenn es E ist oder eines von A, B, dann wird es entweder eine Mehrzahl von Schlüssen sein, oder – wie es ja auch sein konnte – es ergibt sich, daß eines und dasselbe (Ergebnis) über eine Mehrzahl von (Vermittlungs-)Begriffen erreicht wird; ist es dagegen noch etwas anderes außer dem, so wird es eine Mehrzahl von Schlüssen sein, und die sind auch noch unverbunden zu einander. Wenn schließlich C zu D in einem solchen Verhältnis stünde, daß dies keinen Schluß hervorbrächte, dann wären die gemachten Annahmen zwecklos, außer etwa vielleicht zum Zwecke der Heranführung oder des Verbergens (von etwas, das man in Wirklichkeit verfolgt), oder um etwas anderen derartigen willen. Wenn aber aus A, B nicht E, sondern irgendein anderes Schlußergebnis folgt, aus C, D entweder das eine oder das andere davon, oder noch etwas anderes außer dem, dann ist es erstens eine Mehrzahl von Schlüssen, die erfolgt, zweitens gehen sie nicht auf das, was zugrundegelegt war: es war doch zugrundegelegt, der Schluß sollte auf E erfolgen. Wenn (schließlich) aus CD gar kein Schlußergebnis folgt, dann tritt sowohl ein, daß die Annahmen sinnlos gemacht sind, wie auch, daß der Schluß nicht auf die Ausgangsaufgabe geht. Somit ist also einleuchtend: Jeder Beweis und jeder Schluß erfolgt allein durch drei Begriffe.
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Ist das offenkundig, so ist auch klar: (Schluß erfolgt) von zwei – und nicht mehr – Eingangssätzen aus: Die drei Begriffe (bilden) zwei Eingangssätze, – wenn nicht etwa zusätzliche Annahmen gemacht werden, wie in den Ausführungen zu Anfang gesagt, im Hinblick auf die Vervollkommnung der Schlüsse. Offenkundig ist dann also: Eine schließende Rede, in welcher die Anzahl der Eingangssätze nicht gerade ist, durch die das hauptsächliche Schlußergebnis zustandekommt – einige der weiter oben gewonnenen Schlußergebnisse müssen (weiter unten wieder) Eingangssätze sein –, eine solche Rede ist also entweder nicht schlüssig, oder sie hat mehr Fragen gestellt als im Hinblick auf die Aufgabenstellung notwendig. Nimmt man die Schlüsse nach ihren hauptsächlichen Eingangssätzen, (so ergibt sich): Jeder Schluß erfolgt aus einer geraden Anzahl von Sätzen, einer ungeraden von Begriffen: die Begriffe sind immer genau einer mehr als die Sätze. Es sind dann auch genau halb so viele Schlußsätze wie Vordersätze. Wenn aber (der Schluß) durch vorausgegangene Schlüsse vollendet wird oder über eine Mehrzahl zusammenhängender Mittelglieder, z. B. AB durch C, D, dann wird die Anzahl der Begriffe ebenso die (der) Sätze um eins übertreffen – der dazwischenfallende Begriff wird ja entweder nach außen zu oder zur Mitte hin gesetzt: in beiden Fällen tritt es ein, daß die Anzahl der Verhältnisse unter ihnen um eins kleiner ist als die der Begriffe –, die Eingangssätze aber sind gleichviele wie die Verhältnisse. Allerdings werden nicht immer die einen von gerader, die anderen von ungerader Anzahl sein, sondern wechselweise: Bilden die Eingangssätze eine gerade, so die Begriffe eine ungerade Anzahl, (und umgekehrt), sind die Begriffe gerade, so die Eingangssätze ungerade; es wird ja doch zugleich mit dem Begriff auch ein Eingangssatz hinzugesetzt, einerlei auf welcher Seite der Begriff hinzugesetzt wird; also, da die einen eine gerade, die anderen eine ungerade Anzahl hatten, so muß sich das umkehren, wenn auf jeder Seite der gleiche Zusatz erfolgt. Die Schlußsätze werden dann nicht mehr das gleiche Verhältnis haben, weder zur Zahl der Begriffe noch zu der der Eingangssätze: Wird ja ein Begriff hinzugesetzt,
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so werden Schlußsätze hinzugefügt, an Zahl um eins geringer als die vorher schon vorhanden gewesenen Begriffe, denn (der hinzugesetzte Begriff) macht allein im Verhältnis zum letzten keinen Schlußsatz, wohl aber gegenüber allen anderen, z. B.: Wenn das D zu A, B, C hinzugesetzt ist, sind zugleich auch zwei Schlußsätze hinzugesetzt, der im Verhältnis zu A und der zu B; entsprechend auch bei weiteren; und wenn er aber in die Mitte fiele, dann genauso: Im Verhältnis zu einem (anderen Begriff) allein wird er keinen Schluß bilden. Also, es werden sehr viel mehr an Schlußsätzen sein als Begriffe und Eingangssätze. Kapitel 26. Da wir nun darüber verfügen, auf was für Gegenstände die Schlüsse gehen, was da in jeder Schlußform vor sich geht und auf wieviele Weisen es sich aufzeigen läßt, so ist uns auch klar, was für eine Aufgabenstellung schwierig ist und an welche man leicht herankann: Etwas, das in einer Mehrzahl von Formen und über eine Mehrzahl von Abwandlungen durchzuführen ist, ist leichter, das in weniger Formen und über weniger Abwandlungen ist schwerer zu behandeln. Die in Allform behauptend (zu lösende Aufgabe) wird allein durch die erste Schlußform aufgezeigt, und durch sie nur auf eine Weise; die (in Allform) verneinende sowohl durch die erste wie durch die mittlere, durch die erste nur auf einem Weg, durch die mittlere zweifach; die Behauptung in Teilform (geht) durch die erste und durch die letzte, auf einem Weg durch die erste, auf dreien durch die letzte; die Verneinung in Teilform läßt sich in allen Schlußformen beweisen, nur, in der ersten einfach, in der mittleren zweifach, in der letzten dreifach. – Offenkundig nun also: Die Behauptung in Allform ist am schwierigsten zu errichten, am leichtesten einzureißen. Überhaupt ist für einen, der einreißen will, die Allgemeinbehauptung ein leichterer Gegenstand als eine Teilbehauptung: Sie ist ja sowohl aufgehoben, wenn (etwas) keinem, wie auch schon, wenn es einem nicht zukommt; davon wird das »einem nicht ...« in allen Schlußformen nachgewiesen, das »keinem ...« in zweien.
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Auf gleiche Weise auch bei den verneinenden (Aussagen): Sowohl wenn (etwas) allen, wie auch wenn es nur einem (zukommt), so ist die Ausgangsbehauptung eingerissen; dieses aber ging in zwei Formen. Bei den Teilaussagen (geht es) nur auf eine Weise, indem man (je nachdem) nachweist: Es liegt an allen vor oder an keinem. Für einen, der eine Behauptung errichten will, sind Teilaussagen leichter: Sie gehen in mehr Schlußformen und durch mehr Abwandlungsweisen. Und überhaupt muß (folgendes) klar sein: Einreißen geht wechselseitig, sowohl Allaussagen durch Teilaussagen wie (umgekehrt) diese durch Allaussagen; beim Errichten (gilt diese Entsprechung nicht): Allaussagen nicht durch Teilaussagen, wohl aber (umgekehrt) diese durch jene, das geht. Zugleich ist dann auch klar: Einreißen ist leichter als Errichten. Wie nun also ein jeder Schluß zustandekommt, durch wieviele Begriffe und Eingangssätze, und wie die sich zueinander verhalten müssen, darüberhinaus, welche Aufgabenstellung in einer jeden Schlußform, welche in einer Mehrzahl, welche in weniger (Formen) aufgezeigt wird: das ist aus dem Vorgetragenen klar. Kapitel 27. Wie wir nun selber auf eine je gestellte Aufgabe hin gut mit Schlüssen versorgt sind, auf was für einem Weg wir die Ausgangspunkte zu einem jeden ergreifen können, darüber ist nunmehr zu sprechen. Man muß ja wohl nicht nur die Herkunft der Schlüsse betrachten, sondern auch über die Fähigkeit verfügen, solche zu machen. Von allem also, was es da gibt, sind die einen Dinge von der Art, daß sie von nichts anderem wahrheitsgemäß in Allform ausgesagt werden können, z. B. »Kleon« und »Kallias« und (überhaupt) ein jedes Einzelne und sinnlich Wahrnehmbare; dagegen anderes (kann) von ihnen (ausgesagt werden): »Mensch« und »Lebewesen« sind sie ja beide. Anderes wird selber von anderem ausgesagt, von ihm aber wird anderes nicht zuvor ausgesagt; wieder anderes (wird) sowohl von an-
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derem, wie auch anderes von ihm (ausgesagt), z. B. »Mensch« von Kallias und von Mensch »Lebewesen«. Daß nun also einiges unter dem, was da ist, natürlicher Weise von nichts (anderem) ausgesagt wird, ist klar. Unter den sinnlich wahrnehmbaren (Dingen) ist ja so ziemlich ein jedes von der Art, von nichts (mehr) ausgesagt zu werden, außer etwa in nebenbei zutreffender Bedeutung: Wir sagen ja gelegentlich »dies Weiße da ist Sokrates« und »was da herankommt, ist Kallias«. Daß andererseits auch, wenn man in der Reihe aufsteigt, irgendwo ein Halt eintritt, werden wir später vortragen; jetzt sei dies vorausgesetzt. Daß von diesen (Bestimmungen) noch etwas anderes ausgesagt würde, läßt sich nicht beweisen, außer vielleicht auf bloße Meinung hin; dagegen sie von anderem; auch das Einzelne nicht von anderem, sondern anderes von den Einzeldingen. Was alles dazwischenliegt, davon ist klar, es kann damit auf beide Weisen gehen: Sowohl es selbst kann von anderem, wie anderes über dies ausgesagt werden. Und die Erklärungsreden und Untersuchungen beschäftigen sich so ziemlich allermeist genau damit. Man muß also die Eingangssätze, einen jeden Gegenstand betreffend, so herausholen: Man legt erstens (den Gegenstand) selbst zugrunde und die Bestimmungen seines Begriffs sowie alles, was es an Eigentümlichkeiten der Sache gibt; dann, nach diesem, alles, was der Sache folgt, und wieder alles, dem die Sache folgt, und alles, wovon es nicht sein kann, daß es ihr zukommt; die Bestimmungen dagegen, denen sie selbst nicht zukommen kann, braucht man nicht herauszuheben, weil die Verneinung Umkehr erlaubt. Man muß auch bei dem, was ihr folgt, auseinanderhalten, was alles in ihrem »was es ist« (vorkommt), was alles ihr eigentümlich ist und was alles als nebenbei zutreffend ausgesagt wird, und darunter wieder, was nur im Rahmen von Vermutungen und was in Wahrheit (von ihr ausgesagt wird). Je mehr einer reichen Vorrat davon, und von je mehr davon er ihn hat, umso schneller wird er an einen Schlußsatz geraten, und je stärkeren Wahrheitswert sie haben, desto stärkeren Beweis wird er führen können.
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Man darf aber nicht herauslesen, was dem oder dem folgt, sondern was dem ganzen Sachverhalt folgt, z. B. nicht: Was folgt diesem bestimmten Menschen, sondern: Was allem, was Mensch ist? Der Schluß geht ja über Eingangssätze in Allform. Legt man nun den Sachverhalt nicht fest, so bleibt unklar, ob der Eingangssatz eine Allaussage ist; hat man es fest umrissen, so ist das offenkundig. Entsprechend muß man auch solches auswählen, dem in seiner Ganzheit der Sachverhalt folgt, aus dem gleichen Grunde. Das, was folgt, darf aber nicht so genommen werden, als folgte es ganz, ich meine z. B., daß auf »Mensch« »jedes Lebewesen« und auf »Musenkunst« »jedes Sich-auf-etwas-Verstehen« folgte, sondern hier ist allein, ohne Zusatz, bloß »folgen« zu setzen, wie wir es auch in den Eingangssatz bringen; die andere Annahme wäre ja unbrauchbar und unmöglich, etwa: Jeder Mensch ist jedes Lebewesen, oder: Gerechtigkeit ist jedes Gute. Aber, dem es folgt, bei diesem wird das »allem« gesagt. Wenn dagegen die zugrundegelegte Sache, zu der man das greifen soll, was ihr folgt, von etwas (anderem) umfaßt wird, darf man in solchen Fällen nicht herauslesen, was dem Ganzen zusammen folgt oder nicht folgt – das ist darin ja schon angenommen: Alles, was »Lebewesen« folgt, folgt auch auf »Mensch«, und was daran nicht vorliegt, entsprechend –, stattdessen muß man das für ein jedes Eigentümliche nehmen. Es ist ja einiges besonders der Art eigentümlich, über die Gattung hinaus: die verschiedenen Arten müssen doch einige für sie eigenartige Merkmale haben, die an ihnen vorliegen. Man darf also auch nicht für den übergeordneten Begriff das aussuchen, welchem der (in ihm) umfaßte folgt, z. B. für »Lebewesen« solches, dem »Mensch« folgt: Wenn doch »Lebewesen« auf »Mensch« folgt, dann muß es doch auch alledem folgen, nur ist das alles näherstehend zur Auswahl von »Mensch«. Nehmen muß man auch, was allermeist folgt und welchem es folgt: Bei Aufgabenstellungen aus dem Bereich des »allermeist so« erfolgt auch der Schluß aus Allermeist-so-Sätzen, u. z. entweder sind das alle oder doch einige; der Schlußsatz
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ist bei einem jeden Sachverhalt den Ausgangsannahmen ähnlich. Schließlich noch, etwas, das auf alles folgt, soll man nicht auswählen; aus so etwas ergibt sich kein Schluß. Aus welchem Grunde das so ist, wird im folgenden klarwerden. Kapitel 28. Wenn man nun also eine Behauptung errichten will über irgendein Ganzes, so muß man auf seiten des zu Behauptenden hinsehen auf solche zugrundeliegenden Gegenstände, von denen es eben ausgesagt wird, auf seiten dessen, von dem es ausgesagt werden soll, (ist) auf alles das (zu achten), was diesem folgt: Wenn sich auf beiden Seiten eine gleiche Bestimmung findet, so muß notwendig das eine dem anderen zukommen. Wenn dagegen nicht gelten muß: »Es kommt allen ...«, sondern nur: »Es kommt einigen zu«, (dann muß man auf das sehen), welchem dies beides folgt: Findet sich darunter irgendeine Übereinstimmung, so muß das eine dem anderen in einigen Fällen zukommen. Wenn es dagegen keinem zukommen soll, dann (muß man) bei dem, dem es nicht zukommen soll, (sehen) auf das, was diesem folgt, auf seiten dessen, was nicht zukommen soll, auf das, was an ihm nicht vorkommen kann; oder umgekehrt, auf seiten dessen, an dem es nicht vorliegen soll, (ist zu sehen) auf das, was bei ihm nicht vorkommen kann, auf seiten dessen, was nicht vorliegen soll, auf das, was diesem folgt: Wenn diese Bestimmungen, einerlei welche unter ihnen, gleich sind, dann kann das eine dem anderen in keinem Falle zukommen; es erfolgt nämlich einmal Schluß in der ersten Form, das andere Mal in der mittleren. Wenn (schließlich) das eine in einigen Fällen (am anderen) nicht vorliegen soll, dann auf seiten dessen, dem es nicht zukommen soll, (Augenmerk auf das), dem dies folgt, auf seiten dessen, was nicht vorliegen soll, (Augenmerk auf das), was ihm unmöglich zukommen kann: Findet sich hier eine Übereinstimmung, so kommt (das eine dem anderen) notwendig in einigen Fällen nicht zu. Das Vorgetragene wird im einzelnen auf folgende Weise wohl noch mehr einleuchtend: Es sei also (angesetzt), was dem A folgt, sei B, das, dem es selbst folgt, sei C, das, was an ihm
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nicht vorliegen kann, sei D; und wieder, was dem E zukommt, sei F, das, dem es selbst folgt, sei G, was an ihm nicht vorliegen kann, sei H. Wenn jetzt also (1) irgendeins der C irgendeinem der F gleich ist, dann muß notwendig A jedem E zukommen; denn F (kommt) allen E (zu), A jedem C, somit also A jedem E. Wenn andererseits (2) C und G gleich sind, dann muß A einigen E zukommen; denn dem C folgt A, dem gesamten G das E. Wenn aber (3) F und D das gleiche sind, so wird A keinem E zukommen, infolge Vorausschlusses: Da nämlich die Verneinung Umkehrung zuläßt und F das gleiche ist wie D, wird A keinem F zukommen, aber F allen E. Erneut (4), wenn B und H das gleiche sind, wird A keinem E zukommen; denn das B wird dem gesamten A, dem E aber in keinem Falle zukommen; es war ja das gleiche wie H, H aber kam keinem E zu. Wenn aber (5) D und G das gleiche sind, so wird A einigen E nicht zukommen; dem G kommt es ja nicht zu, weil dem D auch nicht; das G steht aber unter E, also (A) wird einigen E nicht zukommen. Wenn aber (6) B mit G das gleiche ist, findet umgekehrter Schluß statt: E wird einigen A zukommen – denn B dem A, E dem B, das war ja dasselbe wie G –, A dagegen muß nicht allen E zukommen, wohl aber einigen, aufgrund der Umkehrung der Allaussage durch die Teilaussage. Einleuchtend ist nun also, daß man bei jeder Aufgabenstellung beiderseits auf die zuvor genannten (Gesichtspunkte) schauen muß; über sie erfolgen ja alle Schlüsse. Man muß aber auch bei dem, was da folgt, und bei dem, dem ein jedes je folgt, auf die ersten und allgemeinsten (Bestimmungen) schauen, z. B. für E mehr auf K, F als bloß auf F allein und für A (mehr) auf K, C als auf C allein; wenn nämlich A dem KF zukommt, kommt es auch dem F und dem E zu; wenn es aber dem nicht folgt, so ist für es immer noch möglich, dem F zu folgen. Entsprechend ist auch auf das das Augenmerk zu richten, dem es selbst folgt: wenn es nämlich den ersten (Bestimmungen in der Reihe) folgt, dann auch den unter ihnen stehenden, wenn aber diesen (ersteren) nicht, so kann es doch den unter diesen stehenden (folgen).
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Klar ist auch, daß diese Untersuchung durch die drei Begriffe und die zwei Eingangssätze geht und daß alle Schlüsse über die zuvor genannten Formen laufen. Es wird ja nachgewiesen, A liegt an allen E vor, wenn von den C und F eines erfaßt wird, das dasselbe ist; das wird dann zum Mittelbegriff, A und E stehen außen; es tritt somit die erste Schlußform auf. Daß (A) an einigen (E vorliegt, wird bewiesen), wenn C und G als dasselbe genommen werden; das ist dann die letzte Schlußform; Mittelbegriff wird G. (Daß es) an keinem (vorliegt, wird bewiesen), wenn D und F gleich sind; so tritt sowohl die erste Form auf wie die mittlere, die erste, weil A keinem F zukommt, wenn doch die Verneinung sich umkehren läßt, das F aber jedem E; die mittlere, weil D keinem A aber jedem E zukommt. Daß es einigen nicht zukommt, (wird bewiesen), wenn D und G dasselbe sind; das ist die letzte Schlußform: A liegt an keinem G vor, E dagegen an allen G. Offenkundig ist nun also, alle Schlüsse erfolgen durch die zuvor genannten Formen, und man darf nicht aussuchen, was allem folgt, weil daraus nämlich kein Schluß erfolgt: Etwas zu errichten – das ging überhaupt nicht aus Folgen, und etwas wegnehmen, das geht nicht an, weil es doch allen folgen sollte; es muß eben dem einen zukommen, dem anderen nicht zukommen. Offenkundig ist auch, daß die anderen Fragestellungen in diesem Bereich der Auswahl nutzlos sind im Hinblick auf das Verfertigen von Schlüssen, z. B. (Fragen wie): Ist das, was beiden (Bestimmungen) folgt unter einander gleich? Oder, das, dem A folgt, und das, was dem E nicht folgen kann, (ist das unter einander gleich)? Oder, alles, was wieder an keinem der beiden vorliegen kann, (ist das einander gleich)? Über diese Bestimmungsreihen erfolgt nämlich kein Schluß: Wenn die Folgen gleich sind, etwa B und F, tritt ein die mittlere Schlußform mit behauptenden Eingangssätzen, (und das gibt keinen Schluß); wenn das, dem A folgt, und, was dem E nicht folgen kann, (gleich sind), etwa C und H, tritt ein die erste Schlußform mit einem verneinenden Eingangssatz zum kleineren Eckbegriff hin; wenn schließlich, was beiden nicht (folgen)
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kann, (einander gleich ist), etwa D und H, sind beide Eingangssätze verneint, entweder in der ersten oder in der mittleren Schlußform. So erfolgt auf keine Weise ein Schluß. Klar ist auch: Man muß die zur Untersuchung einschlägigen Bestimmungen danach nehmen, was für welche einander gleich sind, und nicht, welche voneinander verschieden oder einander entgegengesetzt sind, erstens (aus dem Grunde), weil die Untersuchung zum Zwecke der Findung des Mittelbegriffs (angestellt wird), und als Mittelbegriff darf man nicht etwas Unterschiedenes, sondern muß etwas (auf beiden Seiten) Gleiches erfassen. Zweitens, in allen Fällen, wo es auch eintritt, daß Schluß dadurch zustandekommt, daß man Entgegengesetztes ergriffen hat oder solches, was nicht an einem und demselben (Gegenstand) vorliegen kann, läßt sich alles auf die früher aufgezählten Weisen zurückführen, z. B. wenn B und F gegensätzlich sind oder nicht an dem gleichen (Gegenstand) vorliegen können. Dies angenommen, so gibt es den Schluß: A liegt an keinem E vor, aber nicht aus dem Angenommenen selbst, sondern von der zuvor beschriebenen Weise aus: B wird jedem A aber keinem E zukommen; also muß B notwendig dasselbe sein wie einige H. [Erneut, wenn es nicht geht, daß B und G an dem gleichen (Gegenstand) vorkommen können, (so ergibt sich Schluß): A kommt einigen E nicht zu; auch auf dem Wege tritt ja die mittlere Schlußform auf: B wird jedem A aber keinem E zukommen; also muß B notwendig das gleiche sein wie H; denn die Tatsache, daß B und G nicht an dem gleichen (Gegenstand) vorliegen können, unterscheidet sich ja in nichts davon, daß B mit einigen H das gleiche ist; es ist ja (unter H) alles erfaßt, was an E nicht vorliegen kann.] Offenkundig ist dann also, von diesen Hinsichten selbst aus ergibt sich kein Schluß, dagegen wenn B und F entgegengesetzt sind, muß B notwendig einigen H gleich sein, und der Schluß erfolgt hierüber. So ergibt sich also für die, welche die Sache so anschauen, nach einem anderen Weg als dem notwendigen Ausschau zu halten, weil ihnen die Selbigkeit der B und H entgeht.
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Kapitel 29. Auf gleiche Art wie die beweisenden verhalten sich auch die auf’s Unmögliche führenden Schlüsse: Auch sie erfolgen über das, was (den untersuchten Begriffen) je folgt, und über das, dem ein jeder der beiden je folgt. Und die Untersuchung ist auch in beiden Fällen die gleiche: Was nachweisend gezeigt wird, kann auch über Unmöglichkeit (der Gegenannahme) erschlossen werden mittels der gleichen Begriffe, und was mittels des Unmöglichen (gezeigt wird, geht) auch nachweisend, z. B. daß A an keinem E vorliegt. Es sei also gesetzt, es komme einigen zu; folglich, da B an allen A (vorliegt), A aber an einigen B, wird auch B an einigen E vorliegen; aber es kam doch keinem zu. Erneut, es soll jetzt (A) an einigen (E) vorliegen; wenn also (– Gegenannahme –) A keinem E zukommt, E aber allen G, dann wird A keinem G zukommen; aber es kam doch allen zu. Entsprechend auch bei den übrigen Aufgabenstellungen: Immer und in allen Fällen erfolgt der Beweis mittels des Unmöglichen von dem aus, was (den beiden Begriffen) folgt, und dem, welchem sie beide folgen; und bei jeder Aufgabenstellung ist es die gleiche Untersuchung für einen, der einen aufzeigenden Schluß ziehen will, wie für einen, der es ins Unmögliche führen will; beide Beweisarten erfolgen aus den gleichen Begriffen, z. B.: Wenn nachgewiesen ist, A kommt keinem E zu, weil sonst eintritt, daß auch B einigen E zukommt, was unmöglich (ist); und wenn dann angenommen ist, B kommt keinem E aber allen A zu, so ist offenkundig, daß A keinem E zukommen wird. Und wieder, wenn nachweisend geschlossen ist, A liegt an keinem E vor, so wird sich, indem man unterstellt, es liege an einigen vor, durch die Unmöglichkeit (dessen) zeigen lassen: An keinem liegt es vor. Entsprechend auch in den anderen Fällen: In allen muß man irgendeinen gemeinsamen Begriff erhalten, der ein anderer ist als die zugrundegelegten, im Verhältnis zu dem der Schluß auf das Falsche erfolgt, sodaß, wenn dieser Eingangssatz umgekehrt ist, der andere sich weiterhin genauso verhält, mittels derselben Begriffe der Schluß nachweisend erfolgt. Es
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unterscheidet sich ja der nachweisende Schluß von dem auf’s Unmögliche (führenden) dadurch, daß in dem nachweisenden beide Eingangssätze als wahr gesetzt werden, in dem auf’s Unmögliche (führenden) einer als falsch. Das wird im Laufe des Folgenden noch klarer werden, wenn wir über »unmöglich« sprechen werden; gegenwärtig soll uns nur so viel klar sein: Man muß auf die gleichen (Bestimmungen) hinsehen, sowohl wenn man nachweisend schließen will wie auch wenn man es auf Unmöglichkeit hinbringen will. Bei den übrigen Schlüssen aufgrund von Voraussetzung, z. B. solchen, die mit einer Vertauschung arbeiten oder anhand einer bestimmten Eigenschaft vorgehen, liegt die Untersuchung in den Voraussetzungen, nicht den anfänglichen, sondern in den umgetauschten, die Art und Weise der Hinsicht ist die gleiche. Man muß aber auch darauf achten und es auseinanderhalten, auf wieviele Weisen die (Schlüsse) »aufgrund von Voraussetzung« (gehen). Es wird also jede Aufgabenstellung so beweisend gelöst, es geht aber auch, einiges davon auf andere Weise zu erschließen, etwa Allaussagen mittels eines Hinsehens auf Teilsachverhalte, aufgrund von Voraussetzung: Wenn C und G das gleiche wäre, aber angenommen wäre, E kommt bloß den G zu, dann käme A allen E zu; und wieder, wenn D und G das gleiche wäre, E aber allein von den G ausgesagt würde, dann (ginge der Schluß auf): A kommt keinem E zu. Einleuchtend also, daß man auch in dieser Hinsicht prüfen muß. Auf die gleiche Weise geht es auch mit den Notwendigkeitsund Möglichkeitsschlüssen: es ist dieselbe Untersuchung, und der Schluß auf »kann sein« und »liegt vor« kommt durch in gleicher Anordnung stehende Begriffe zustande. Man muß bei solchem, was sein kann, auch (Sachverhalte) nehmen, die zwar nicht vorliegen, aber vorliegen können; es ist ja nachgewiesen, daß der Schluß auf »kann sein« auch über solches geht. Entsprechend auch bei allen anderen Weisen von Aussage. Offenkundig ist also aus dem Vorgetragenen nicht allein, daß es gehen kann, daß über diesen Weg alle Schlüsse erfolgen, sondern auch, daß es über einen anderen unmöglich ist.
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Es ist ja von jedem Schluß nachgewiesen: Er geht durch eine der vorgenannten Formen, diese aber können nicht durch anderes zusammengestellt werden, außer eben nur durch solches, was einem jeden und dem ein jedes folgt. Daraus (werden) ja die Eingangssätze und die Erfassung des Mittelbegriffs (hergenommen), also ist auch kein Raum für die Annahme, daß Schluß mit anderen Mitteln erfolgen könnte. Kapitel 30. Der Weg also ist in allen Fällen der gleiche und (anwendbar) im Bereich der Suche nach Wahrheit und jeder beliebigen Fertigkeit und allem, was gelernt werden kann: Man muß auf jeder der beiden Seiten betrachten, was (der Bestimmung) zukommt und wem sie zukommt, und in solcherlei Bezügen soll man möglichst große Fülle haben und das dann, angewendet auf die drei Begriffe, prüfen, wenn man eine Behauptung errichten will, so, will man etwas (von einem anderen Behauptetes) einreißen, dann so, und geht es um Wahrheit, (so ist auszugehen) von solchen (Sachverhalten), die als in Wahrheit vorliegend festgeschrieben sind, für Schlüsse dagegen im Rahmen der bloßen Kunst der Gesprächsführung von Eingangssätzen im Bereich dessen, was man so meint. Was die Grundlagen der Schlüsse angeht, so ist im Allgemeinen vorgetragen, wie es mit ihnen steht und auf welche Weise man sie aufspüren muß, damit man nicht hinsieht auf alles, was so gesagt wird, und nicht auf das gleiche, wenn man errichten und wenn man einreißen will, und nicht (durcheinanderwirft), ob man etwas in Allform oder nur in einigen Fällen behaupten will und etwas an allen oder nur einigen (Gegenständen) leugnen will, sondern (man soll hinsehen) auf weniger und festbestimmte (Gesichtspunkte), indem man Auswahl trifft dem je einzelnen (Gegenstand), der da ist, gemäß, etwa für »Gut« oder »Wissen«. Die meisten (Ausgangspunkte) sind für jedes (Wissensfach) eigentümlich. Daher ist es Erfahrungssache, die Anfangsannahmen bezüglich eines jeden (Gegenstandes) bereitzustellen, ich meine z. B. gestirnkundliche Erfahrung (gibt die Anfangsannahmen) des Wissensfachs, das eben Gestirnkunde ist, (an): Nachdem hinreichend Erscheinungen aufgenommen
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wurden, wurden infolge davon die gestirnkundlichen Beweiswege gefunden; entsprechend auch verhält es sich bei jeder beliebigen anderen Kunst und Wissenschaft; also, wenn das, was an jedem (Gegenstand) vorliegt, aufgenommen ist, dann ist es nunmehr unsere Aufgabe, die Beweisarten bereitwillig zu erhellen; wenn nämlich auf dem Wege der Forschung nichts mehr ausgelassen wäre von alledem, was an den Sachverhalten tatsächlich vorliegt, dann werden wir für alles, wovon es Beweis gibt, diesen zu finden und nachzuweisen wissen, wovon es aber Beweis von Natur aus nicht gibt, dies durchsichtig zu machen. In großen Zügen ist also in etwa vorgetragen, auf welche Weise man die Eingangssätze auswählen muß. In Genauigkeit sind wir es durchgegangen in der Arbeit Über die Kunst der Gesprächsführung. Kapitel 31. Daß das Einteilungsverfahren mithilfe von Gattungen nur ein kleines Teilstück des vorgetragenen Verfahrens ist, kann man leicht sehen: Dies Auseinandernehmen ist so etwas wie ein kraftloser Schluß; was nämlich nachgewiesen werden muß, wird hier nur fordernd genommen; er schließt immer auf etwas, das weiter oben liegt. Zuerst blieb genau das allen denen verborgen, die sich dessen bedienten, und sie versuchten, Vertrauen für die Annahme zu erwecken, daß es möglich sei, es könne Nachweis für das Wesen (der Dinge) und das, was sie wirklich sind, erfolgen. Sie hatten also weder ein Verständnis davon, was man, wenn man dies Einteilungsverfahren anwendet, erschließen kann, noch daß dies so möglich war, wie wir es vorgetragen haben. In Beweisen also, wenn darauf geschlossen werden soll, daß etwas (an etwas) vorliegt, muß der Mittelbegriff, durch den der Schluß geht, stets von geringerem Umfang sein als der erste Eckbegriff und kann dann nicht in Allform von ihm gelten. Das Einteilungsverfahren will das Gegenteil: den Allgemeinausdruck nimmt es in die Mitte Es sei also »Lebewesen« A, »sterblich« B, »unsterblich« C, »Mensch« dann, wovon es hier die Bestimmung zu erhalten gilt, D. Jedes »Lebewesen« nimmt dann entweder (die Eigen-
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schaft) »sterblich« oder »unsterblich« an; das bedeutet: Alles, was A ist, ist entweder B oder C. Und wieder setzt man »Mensch«, im Laufe der schrittweisen Einteilung, (schließlich) als »Lebewesen«, sodaß man also annimmt, A liegt an D vor. Der Schluß ist dann: D muß als Ganzes entweder B oder C sein; somit also ist zwar notwendig, daß »Mensch« entweder sterblich oder unsterblich ist, dagegen, daß er »sterbliches Lebewesen« sei, das ist nicht notwendig, sondern wird nur gefordert. Das aber war es doch, was durch Schluß erreicht sein sollte. – Und (Entsprechendes) noch einmal: Man hat also gesetzt A als »Lebewesen, sterblich«, B als »mit Füßen ausgestattet«, C als »fußlos«, »Mensch« schließlich D, und danach nimmt man ganz entsprechend an, A muß entweder in B oder C auftreten – jedes sterbliche Lebewesen ist ja entweder mit Füßen ausgestattet oder fußlos –, von D aber gilt A – denn daß »Mensch« ein sterbliches Lebwesen sei, hat man ja angenommen; somit also muß der Mensch zwar ein Lebewesen sein, mit Füßen ausgestattet oder nicht, aber daß er mit Füßen ausgestattet ist, ist nicht notwendig, sondern man nimmt es sich. Das aber war es doch, auch diesmal wieder, was nachzuweisen war. Und wenn sie denn also auf diese Weise immer weiter einteilen, geschieht es ihnen, die Allgemeinvorstellung in die Mitte zu nehmen, wovon aber etwas nachgewiesen werden sollte, und die Unterscheidungen, das tritt auf die Außenseiten. Schließlich und endlich aber, daß »Mensch« dies ist, oder, was denn das Untersuchte wohl wirklich ist, dazu tragen sie nichts Klares vor, so daß es zwingend wäre; auch die ganze restliche Reise machen sie ja, indem sie nicht einmal mitbekommen, daß die tatsächlich möglichen Bahnen ihnen zur Verfügung stünden. Offenkundig ist, daß man mit diesem Verfahren weder etwas einreißen kann noch Schlüsse auf nebenbei Zutreffendes oder Eigentümliches ziehen kann noch auf eine Gattung noch in solchen Fällen, in denen man nicht weiß: Verhält es sich so oder so, z. B. ob nun der Durchmesser mit einheitlichen Maßen meßbar ist oder nicht. Wenn man nämlich (den Satz) nimmt: Jede Länge ist entweder mit einheitlichem Maß meß-
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bar oder ist es nicht, und der Durchmesser ist eine Länge, so ist durch Schluß festgestellt: Der Durchmesser ist mit einheitlichem Maß nicht meßbar, oder er ist es. Wenn man sich aber nimmt: Er ist unmeßbar, dann nimmt man sich ja, was doch zu erschließen war. Also geht es (so) nicht nachzuweisen: der Weg war dieser, auf dem geht es nicht. (Der Sachverhalt) »unmeßbar oder meßbar« sei A, »Länge« B, »Durchmesser« C. Offenkundig nun also, diese Untersuchungsweise paßt weder für jede Form von Fragestellung, noch ist sie gerade in den Fällen nützlich, in welchen sie doch am meisten zu taugen scheint. Woraus nun also die Beweise hervorgehen und wie (sie es tun), und worauf man bei einer jeden Aufgabenstellung hinsehen muß, das ist aus dem Vorgetragenen klar. – Kapitel 32. Wie wir die Schlüsse auf die vorgenannten Formen zurückführen können, darüber wäre hiernach zu sprechen; das ist nämlich an der Untersuchung noch übrig. Wenn wir nämlich die Herkunft der Schlüsse durchschauten und über die Fähigkeit verfügten, (solche) zu finden, (und wenn) wir darüberhinaus in abgelaufener Form vorliegende (Schlüsse) in die vorgenannten Schlußformen auflösen könnten, dann hätte unser anfängliches Vorhaben Ziel und Ende erreicht. Zugleich wird sich auch aufgrund des nun Vorzutragenden mit ergeben, erstens, daß das zuvor Gesagte auf festere Füße gestellt wird, zweitens, daß klarer wird: So verhält es sich wirklich. Alles Wahre muß doch an allen Stellen und in jeder Beziehung mit sich selbst in Übereinstimmung stehen. Erstens nun also muß man versuchen, die zwei Eingangssätze des Schlusses herauszubekommen – es ist ja leichter, das Größere zu zerteilen als das Kleinere, und was zusammengesetzt ist, ist größer als (die Stücke), aus denen es besteht –; danach ist zu prüfen, welcher in Allform, welcher in Teilform (vorliegt), und wenn noch nicht beide erhalten sein sollten, muß man selbst den zweiten setzen. Gelegentlich nämlich (kommt es vor): Leute, die den allgemeinen Satz vorlegen, nehmen den in ihm (enthaltenen Teilsatz) nicht an, schreiben ihn nicht auf und stellen keine Frage danach; oder
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sie legen diese zwar vor, (die Sätze) aber, durch welche diese zum Ziel geführt werden, lassen sie aus, fragen stattdessen sinnloserweise nach anderem. Man muß also prüfen, ob irgendetwas Überflüssiges angenommen ist oder etwas Notwendiges ausgelassen, und das eine muß man setzen, das andere streichen, -bis man auf die zwei Eingangssätze kommt: ohne solche sind Untersuchungen in dieser Frageform nicht durchzuführen. Bei einigen (Fällen) ist es nun nicht leicht, das Fehlende genau in den Blick zu bekommen, einige bleiben undurchschaut und scheinen einen Schluß zu ergeben, weil doch aus dem Gesetzten etwas Notwendiges sich ergibt, z. B. wenn man (folgende) Annahmen machte: Wird ein vorhandenes Wesen nicht vernichtet, so geht kein solches Wesen zugrunde; werden aber (die Teile), aus denen es besteht, vernichtet, so geht auch das aus diesen (Bestehende) unter. Hat man das gesetzt, ist zwar (die Folge) notwendig: Teil eines Wesens ist (selber) Wesen, allerdings ist das aufgrund des Angenommenen nicht durch Schluß erreicht, sondern die Eingangssätze zeigen Mängel. Noch ein Fall: Wenn im Zusammenhang damit, daß es »Mensch« gibt, notwendig auch »Lebewesen« sein soll, und wenn »Lebewesen«, dann auch »seiendes Wesen« (überhaupt), dann ist notwendig: Gibt es »Mensch«, dann auch »seiendes Wesen«. Aber das ist noch nicht durch Schluß erreicht: die Eingangssätze haben nicht die verlangten Eigenschaften. Wir werden in solchen Fällen hinters Licht geführt, weil ja aus dem Gesetzten etwas Notwendiges sich ergibt und weil doch auch der Schluß eine zwingende Notwendigkeit hat. Aber »notwendig« reicht ja weiter als »Schluß«: Jeder Schluß ist notwendig, aber nicht alles Notwendige ist Schluß. Also darf man nicht, wenn nach Setzung von etwas irgendetwas folgt, gleich den Versuch machen, das (auf Schlußformen) hinaufzuführen, sondern erst einmal muß man die zwei Eingangssätze in die Hand bekommen, danach sie so (wie angegeben) in die Begriffe zerlegen, als Mittelbegriff den ansetzen, der in beiden Eingangssätzen augesagt wird; denn der Mittelbegriff muß in allen Schlußformen in beiden (Eingangssätzen) vorliegen.
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Wenn nun also der Mittelbegriff (selbst) eine behauptende Aussage macht und von ihm etwas so ausgesagt wird, oder, wenn er selbst eine behauptende Aussage macht, etwas anderes aber von ihm verneint wird, ist das die erste Schlußform. Wenn er einerseits etwas behauptet, andererseits von etwas verneint wird, ist es die mittlere. Wenn anderes von ihm behauptend ausgesagt wird, oder, wenn das eine von ihm verneint, das andere behauptet wird, ist es die letzte. Entsprechend auch, wenn die Eingangssätze keine Allform haben: Die Begriffsbestimmung von »vermittelnd« bleibt die gleiche. Offenkundig ist also: Eine Herleitungsrede, in der nicht eine und dieselbe Bestimmung mehrfach ausgesagt wird, kann nicht zum Schluß werden: da ist keine Vermittlung angenommen. Da wir nun aber darüber verfügen, welche unter den Aufgabenstellungen in einer jeden Schlußform zum Ziel geführt wird und in welcher die Allform, in was für einer die Teilform (vorliegt), so ist offenkundig: Man muß nicht auf alle Schlußformen schauen, sondern auf die für jede Aufgabenstellung zuständige. Was (an Aufgaben) in mehreren (Schlußformen) durchzuführen geht, da werden wir die Schlußform an der Stellung des Mittelbegriffs erkennen. Kapitel 33. Oft also tritt Täuschung ein bei den Schlüssen infolge der Vorstellung von Notwendigkeit, wie früher vorgetragen ist, gelegentlich auch über die Ähnlichkeit bei der Stellung der Begriffe; das darf uns nicht entgehen. Z. B., wenn A von B ausgesagt wird, und B von C: Das scheint ja wohl, wenn die Begriffe dies Verhältnis haben, ein Schluß zu sein, doch tritt weder (immer) zwingende Notwendigkeit ein, noch wird das (immer) ein Schluß. Es sei also A »ist immer«, B »Aristomenes, an den man denken kann«, C »Aristomenes«; dann ist also wahr, daß A an B vorliegt: Ein denkbarer Aristomenes ist immer; aber (wahr ist) auch, daß B an C (vorliegt): Aristomenes ist ein Aristomenes, an den man denken kann. Das A liegt an C aber nicht vor: Aristomenes ist sterblich. Es ist also aus den in diesem Verhältnis stehenden Begriffen kein Schluß entstanden, sondern dafür war es nötig, den Eingangssatz AB in der Allform zu nehmen; das wäre aber falsch, for-
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dern zu wollen: Jeder Aristomenes, an den man denken kann, ist immer, wo doch »Aristomenes« etwas ist, das vergehen muß. Noch einmal, es sei Wert C »Mikkalos«, B »gebildeter Mikkalos«, A »geht morgen zugrunde«; dann ist es also wahr, B von C auszusagen: Mikkalos ist ein gebildeter Mikkalos; aber auch A von B (könnte wahr sein): Es könnte ja sein, der gebildete Mikkalos findet morgen sein Ende; daß aber A von C gelten sollte, ist falsch. Das ist also die gleiche Sachlage wie eben: Es ist eben nicht in der Allform wahr, »gebildeter Mikkalos wird morgen sterben«; war das aber nicht angenommen, so gab es keinen Schluß. Diese Form der Täuschung schleicht sich ein über das »ein klein wenig (anders)«: Als ob es nämlich keinen Unterschied machte, gesagt zu haben: »Das liegt an dem vor«, oder: »Das liegt an dem in allen Fällen vor«, so räumen wir es halt ein. Kapitel 34. Oft dagegen trägt es sich zu, einer Täuschung zu unterliegen, dadurch daß die im Eingangssatz verwandten Begriffe nicht sauber herausgestellt werden, z. B.: A wäre »Gesundheit«, B »Krankheit«, C »Mensch«; es ist ja wahr, zu sagen: Es kann nicht sein, daß A an irgendeinem B vorläge – keiner Krankheit kommt Gesundheit zu –, und auch: B kommt allen C zu – jeder Mensch ist Krankheiten ausgesetzt; dann scheint sich ja wohl zu ergeben: Es kann nicht sein, daß Gesundheit an irgendeinem Menschen vorliege. Ursächlich für diesen (Irrtum) ist (die Tatsache), daß die Begriffe dem sprachlichen Ausdruck nach nicht sauber herausgestellt sind, (wie sich daran zeigt), daß, wenn man die auf Zustände bezogenen (Begriffe) umformt, kein Schluß zustandekommt, z. B., wenn man anstatt von »Gesundheit« setzte »gesund« und anstatt von »Krankheit« »krank«; dann ist es nämlich nicht wahr, zu sagen: Es kann nicht sein, daß am Kranken das Gesunden vorliegt. Wird das aber nicht angenommen, so gibt es keinen Schluß, außer unter »kann sein, daß ...«; das ist nicht unmöglich: Es kann ja sein, daß an keinem Menschen Gesundheit vorliegt. Und wieder, über die mittlere Schlußform wird der Irrtum sich entsprechend ergeben: Es kann ja sein, die Gesundheit
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kommt keiner Krankheit zu, liegt aber an allen Menschen vor, also dann Krankheit an keinem Menschen. In der dritten Schlußform kommt der Irrtum über das »kann sein«: Sowohl »Gesundheit« wie auch »Krankheit« wie auch »Wissen« und »Unkenntnis«, und überhaupt gegensätzliche Bestimmungen können an dem gleichen (Gegenstand) vorliegen, einander aber (können sie) unmöglich (zukommen). Das ist aber nicht in Übereinstimmung mit dem zuvor Gesagten: Dann, wenn mehrerlei dem gleichen (Gegenstande) zukommen konnte, konnte es dies auch gegenseitig. Offenkundig nun also, in allen diesen (Fällen) kommt der Trug über die (nicht richtige) Herausstellung der Begriffe: Formt man die zustandsbezogenen um, gibt es keinen Irrtum. Klar nun also, daß man bei solcherlei Eingangssätzen immer den Gegenstand, an dem der Zustand auftritt, anstatt des Zustandes selbst nehmen und als Begriff dann setzen muß. Kapitel 35. Man darf nicht immer unbedingt danach trachten, die Begriffe in Form (eines) Wortes herauszustellen: oft wird es zu Erklärungen kommen, für die eine bestimmte Namensbezeichnung nicht festliegt. Es ist daher schwierig, derartige Schlüsse (auf eine der drei Formen) zurückzuführen. Gelegentlich wird es auch dahin kommen, daß man sich auf dem Wege einer solchen Suche verirrt, etwa daß der Schluß aus Unvermitteltem erfolgt. Es sei A »zwei Rechte«, B »Dreieck«, C »gleichschenklig«; dem C kommt also A zu über B, dem B nicht mehr vermittelt über etwas anderes – das Dreieck hat, als es selbst, einen Winkelbetrag gleich zwei Rechten –, also wird es für AB keinen Mittelbegriff geben, obwohl dies doch beweisbar ist. Offenkundig ist somit: Die Vermittlung ist nicht immer so zu nehmen, daß es ein »dieses-da« ist, sondern gelegentlich als erklärende Rede, was eben bei dem genannten Fall eintritt. Kapitel 36. Was den Sachverhalt angeht, daß die erste (Bestimmung) der mittleren und diese der äußeren »zukommt«, so darf man das nicht so nehmen, als würden die stets und immer voneinander ausgesagt oder das erste vom mittleren und dies vom letzten in (immer) gleicher Weise – und für »nicht zu-
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kommen« entsprechend –, sondern in wievielerlei Bedeutungen von »sein« die Rede ist und in wievielfacher Weise man ebendas wahrheitsgemäß aussagen kann, genau so viele Bedeutungen hat, muß man sich klarmachen, auch »zukommen«. Z. B. der Satz: »Von Gegensätzlichem ist es ein (und dasselbe) Wissen«; es sei also A »es ist ein Wissen«, die zu einander gegensätzlichen Bestimmungen B; dann kommt also A dem B zu, nicht so, daß »das Gegensätzliche ein Wissen ist«, sondern so: Es ist wahrheitsgemäß auszusagen, auf sie bezogen ist nur ein einziges Wissen. Es tritt gelegentlich der Fall ein, daß von der mittleren (Bestimmung) die erste (einfach) ausgesagt werden kann, die mittlere von der dritten aber nicht, z. B., wenn (es so geht): Weisheit ist ein Wissen; Weisheit ist bezogen auf das Gute; dann ist der Schlußsatz: Es gibt ein Wissen vom Guten. Also, das Gute ist nicht ein Wissen, die Weisheit aber ist eines. Ein andermal wird die mittlere (Bestimmung) von der dritten ausgesagt, die erste aber von der mittleren nicht, z. B., wenn (es so geht): Von allem, was die und die Eigenschaft hat oder ein Gegenteil zu sich, gibt es ein Wissen; das Gute ist nun von der Art, und es gibt ein Gegenteil dazu; dann ist der Schlußsatz: Es gibt ein Wissen vom Guten. Es gilt aber nicht: Das Gute ist ein Wissen, oder: Was die und die Eigenschaft oder ein Gegenteil hat, (ist ein Wissen), sondern: Das Gute ist dies (beides). Es gibt auch den Fall, daß weder die erste (Bestimmung) von der mittleren noch diese von der dritten (ausgesagt wird), wobei die erste von der dritten gelegentlich ausgesagt wird, gelegentlich nicht, z. B., wenn (es so geht): Das, wovon es ein Wissen gibt, dazu gibt es eine Gattung; vom Guten gibt es aber ein Wissen; dann ist der Schlußsatz: Es gibt zu »gut« eine Gattung. Hier wird kein (Begriff) von einem anderen ausgesagt. Wenn dagegen (gelten soll): Das, wovon es ein Wissen gibt, ist (selbst) eine Gattung; vom Guten gibt es ein Wissen; dann ist der Schlußsatz: Das Gute ist eine Gattung. Also wird in diesem Falle das erste vom letzten ausgesagt, unter einander aber gilt die Aussagereihe nicht.
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Auf gleiche Weise ist es auch bei »nicht zukommen« zu nehmen: »Das kommt dem nicht zu« bedeutet nicht immer: »Das ist nicht dies«, sondern gelegentlich auch: »Das ist nicht auf dies bezogen« oder: »Das (folgt) dem (nicht)«, z. B. (folgender Trugschluß): Es gibt keine Veränderung der Veränderung und kein Werden des Werdens; von Lust aber gibt es das; also ist die Lust kein Werdevorgang. Oder noch einmal: Es gibt Anzeichen des Lachens; es gibt aber kein Anzeichen des Anzeichens; also ist Lachen kein Anzeichen. Ähnlich auch in den übrigen Fällen, in welchen die Aufgabenstellung dadurch zum Verschwinden gebracht wird, daß irgendwie Gattungsaussagen auf sie hin gemacht werden; auch dafür (ein Beispiel): Der Augenblick, auf den es ankommt, ist nicht die notwendige Zeit zu handeln. (Diesen falschen Schlußsatz beweist man dann so:) Für einen Gott gibt es zwar wohl den rechten Augenblick, aber nicht eine notwendige Zeit, weil für einen Gott nichts dienlich sein kann. Als Begriffe muß man hier ja setzen »rechten Augenblick«, »notwendigen Zeitpunkt«, »Gott«; den Eingangssatz muß man nehmen nach der Formabwandlung des Namenswortes. In ganz allgemeiner Weise sagen wir das einmal für alle Fälle: Man muß die Begriffe immer in der Nennform der Namensworte setzen, z. B. »Mensch«, »gut«, »Gegenteiliges«, und nicht »des Menschen«, »des Guten«, »der Gegenteile«; die Eingangssätze dagegen muß man so nehmen, wie die Formabwandlung eines jeden das erfordert: Entweder »diesem« – etwa bei »gleich« – oder »dessen« – etwa bei »Verdoppelung« – »(den oder) das« – etwa bei »schlägt« oder »sieht« oder »dieser« – etwa bei »der Mensch (ist) ein Lebewesen« –, oder wie auch immer sonst noch das Namenswort gemäß der Eingabe fallen mag. Kapitel 37. Die Sachverhalte »das kommt dem zu« und »das von dem ... ist eine wahre Aussage« muß man in genau so vielen Bedeutungen nehmen, in wieviele die Grundformen der Aussage eingeteilt sind, und diese dann noch entweder in bestimmter Beziehung oder ohne einschränkenden Zusatz, und schließlich noch entweder in einfacher oder verknüpfter
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Setzung. Entsprechend auch bei »nicht zukommen«. – Das ist noch zu betrachten und fester zu bestimmen. Kapitel 38. Die verdoppelte Vorstellung ist in den Eingangsannahmen zum ersten Eckbegriff zu setzen, nicht zum mittleren. Ich meine damit z. B. dies: Es möge ein Schluß erfolgt sein des Inhalts: »Es gibt ein Wissen von der Gerechtigkeit, (das besagt), daß sie ein Gut ist«, – da ist also »daß sie ein Gut ist« oder »insofern sie ein Gut« zum ersten (Begriff) zu setzen. Es sei also A »Wissen darum, daß es ein Gut«, B »Gut«, C »Gerechtigkeit«; dann ist es also wahr, A mit Bestimmtheit von B auszusagen: Vom Guten gibt es ein Wissen, (das weiß und sagt), es ist gut; aber auch B von C (ist wahr): Wenn etwas gut ist, dann doch Gerechtigkeit. So (und nur so) erfolgt Auflösung. Wenn dagegen das »daß es ein Gut ist« zu B gesetzt wäre, erfolgt sie nicht: A wird von B wahr sein, B von C aber nicht, denn »Gut, daß es ein Gut ist« von »Gerechtigkeit« auszusagen ist (nicht nur) eine Falschheit, (sondern auch) unverständlich. Entsprechend auch, wenn nachgewiesen sein sollte: Von dem Gesunden gibt es ein Wissen, insofern es gut ist, oder: Der Bockhirsch, insofern es ihn nicht gibt ..., oder: Der Mensch ist vergänglich, insofern er ein Gegenstand der Sinnenwelt ist. In allen Fällen solcher zusätzlichen Aussagen muß man die Verdoppelung zum Eckbegriff setzen. Wenn etwas ohne Einschränkung erschlossen werden soll, ist die Stellung der Begriffe nicht die gleiche wie dann, wenn (geschlossen werden soll, es ist z. B.) ein »dieses da« oder (es ist) in der und der Hinsicht oder unter den und den Umständen; ich meine z. B. (den Unterschied), wenn nachgewiesen worden ist: Von dem Guten kann man ein Wissen haben, und: Man kann von ihm wissen, es ist gut. Wenn es einfach so nachgewiesen ist als etwas, wovon man ein Wissen haben kann, muß man als Vermittlung ein (einfaches) »ist« setzen; soll dies Wissen nun auch noch besagen, es ist gut, (so muß als Vermittlung dienen): »ist etwas«. Es sei also A »Wissen, daß es etwas ist«, B »etwas, das etwas Bestimmtes ist«, C »gut«; dann ist es also wahr, A von B auszusagen: es ging ja um ein Wissen von etwas, das etwas Bestimmtes ist, (und dies Wissen besagt),
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daß es dies Bestimmte ist; aber auch B von C (ist wahr): Was auf C steht, ist ja auch etwas Bestimmtes; also auch A von C: es wird mithin ein Wissen vom Guten geben, (das weiß), daß und warum es gut ist. Das »etwas sein« galt uns doch als Zeichen für ein eigentümliches Wesen. Wäre dagegen ein (einfaches) »ist« als Vermittlung gesetzt und bei dem Eckbegriff zusatzlos »ist«, und nicht »ist etwas« gesagt, dann ginge der Schluß nicht auf den Satz: Es gibt ein Wissen vom Guten, (das weiß), daß es gut ist, sondern (auf den anderen): »... daß es das gibt«; z. B. sei A »Wissen, daß es das gibt«, B »es gibt das«, C »gut«. – Offenkundig nun also: Bei Schlüssen, die einen Sachverhalt nur zu Teilen aufnehmen, muß man die Begriffe in der Weise nehmen. Kapitel 39. Man muß auch Ausdrücke, die ihrem Inhalt nach das gleiche bedeuten, durch einander ersetzen können: Namensbezeichnungen anstatt anderer Namenwörter, begriffserklärende Reden anstatt begriffserklärender Reden, auch Namenswort mit Begriffserklärung; und immer (wenn es geht) ist anstatt der begriffserklärenden Rede das Namenswort zu nehmen; dann ist die Herausstellung der Begriffe leichter. Wenn es z. B keinen Unterschied macht zu sagen: Das Vermutliche ist nicht Gattung des Wahrscheinlichen, oder: Was wahrscheinlich ist, ist nicht von der Art, vermutet werden zu können – die Bedeutung kommt nämlich auf das gleiche heraus –, dann sind anstatt der ganzen vorgetragenen Rede (lieber gleich) »vermutbar« und »wahrscheinlich« als Begriffe zu setzen. Kapitel 40. Da es aber nicht das gleiche ist (zu sagen): »Lust ist etwas Gutes« und: »Lust ist das Gute«, so darf man die Begriffe nicht so setzen, als wäre es das, sondern wenn der Schluß darauf geht, Lust ist das Gute, dann (ist zu setzen): »das Gute«, wenn es nur darum geht, daß sie etwas Gutes ist, dann: »gut«. So auch in allen anderen Fällen. Kapitel 41. Es ist nicht dasselbe, weder dem Sein noch der Rede darüber nach, zu sagen: »An welchem B vorliegt, an dem allen liegt A vor« und: »An welchem allen B vorliegt, an dem allen liegt A vor«; es hindert nämlich nichts (die An-
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nahme), daß B an C zwar vorliegt, aber nicht an allen. Z. B sei B »schön«, C »weiß«; wenn denn also an einigem Weißen »schön« vorliegt, so ist es wahr zu sagen: An »weiß« liegt »schön« vor; aber eben vielleicht nicht an allem. Wenn nun also A an B vorliegt, aber nicht an allem, so weit das B reicht, dann tritt keine Notwendigkeit ein, weder im Falle, daß B an allen C vorläge noch wenn es ihm bloß so zukäme, daß dann A – wir wollen gar nicht von allen (C) reden, sondern daß es ihm überhaupt zukäme. Wenn es dagegen an all dem vorliegt, wovon B wahrheitsgemäß ausgesagt wird, dann ergibt sich für A: Von all dem wird es ausgesagt, von welchem allen B ausgesagt wird. Wenn allerdings A (nur einfach) ausgesagt wird (von dem), wovon B in allen Fällen ausgesagt wird, so hindert nichts (die Annahme), daß B an C zwar vorliegt, A dagegen nicht an allen (C) oder ihm auch gar nicht zukommt. Für die drei Begriffe ist also klar: (Die Rede) »Wovon B, davon wird in jedem Falle auch A ausgesagt« meint dies: »Von wievielen (Gegenständen) B ausgesagt wird, von allen denen wird A ausgesagt«. Und wenn B in allen Fällen (von C ausgesagt wird), dann A genauso; wenn aber nicht in allen Fällen, dann ist nicht notwendig, daß auch A in allen Fällen (ausgesagt würde). Man darf nicht meinen, auf dem Wege über das Herausstellen ergäbe sich irgendetwas Unsinniges: wir benutzen das »dieses-da-sein« (von etwas) zu nichts weiter, sondern (machen es) wie der Flächenmesser, der da sagt: Dieser Strich ist 1 Fuß lang, gerade und ohne Breite, – wo sie’s doch nicht sind; aber er benutzt sie ja auch nicht so, als käme seine Rechnung aus diesen (gezeichneten Strichen) zusammen. Überhaupt ja, was sich nicht wie ein Ganzes zum Teil verhält, und anderes zu ihm wie Teil zu Ganzem, aus nichts derartigem führt der Beweisende seinen Beweis, also erfolgt auch kein Schluß. Das Herausstellen benutzen wir so, wie auch die sichtbare Darstellung, indem wir es dabei auf den Lernenden abgesehen haben: nicht so, als ginge es ohne das nicht nachzuweisen, als wären es etwa die Annahmen zu einem Schluß. Kapitel 42. Es darf uns nicht entgehen, daß bei einem und demselben Schlußverhältnis nicht alle Schlußsätze durch eine
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einzige Schlußform gehen, sondern (es kann) der eine durch diese, der andere durch jene (erfolgen). Klar dann also, auch die Auflösungen sind so zu machen. Da nicht jede Aufgabenstellung in jeder Schlußform, sondern das eine in der, das andere in einer anderen eingeordnet ist, so ist ganz offenkundig aus dem Schlußsatz zu ermitteln, in welcher Form (es steht). Kapitel 43. Was die herleitenden Erklärungen auf eine Begriffsbestimmung hin angeht, so soll man bei allen denen, die nur auf ein bestimmtes Bestandsstück derer, die in dem festen Begriff vorkommen, hin vorgebracht wurden, nur das als Begriff setzen, woraufhin sie vorgebracht sind, und nicht die gesamte Herleitungserklärung, dann wird es nämlich nicht so leicht eintreten, durch Langwierigkeit in Verwirrung zu geraten, z. B.: Hat man von »Wasser« gezeigt: naß, trinkbar, so sind »trinkbar« und »Wasser« als Begriffe zu setzen. Kapitel 44. Darüberhinaus, die Schlüsse aufgrund von Voraussetzung darf man nicht zurückzuführen versuchen; sie sind nämlich nicht aus dem Festgesetzten rückleitbar. Sie sind ja nicht durch Schluß nachgewiesen, sondern alle mittels einer Übereinkunft zum Zugeständnis gebracht. Z. B., wenn man erst einmal unterstellt hat: Wenn es keinen einheitlichen Bedeutungsbereich gegensätzlicher Bestimmungen gibt, so gibt es auch kein einheitliches Wissen (davon), und sodann das Gespräch darauf hinausgeführt hat: Es gibt keinen einheitlichganzen Bedeutungsbereich von Gegensätzen, wie etwa von »gesundheitsförderlich« und »krankmachend«; denn (andernfalls) wäre ja eines und dasselbe sowohl gesundheitsförderlich wie auch krankheitserregend. Daß es nun also keinen einheitlichen Bedeutungsbereich gibt für alles, was da gegensätzlich ist, hat man ja begründet; daß es davon kein (einheitliches) Wissen gibt, ist nicht nachgewiesen; und doch muß man dem (so) zustimmen, nur, nicht infolge eines Schlusses, sondern von der Voraussetzung aus. Dieser ist nun also nicht zurückführbar, dagegen (der Satz) »(Gegensätzliches) hat nicht eine Bedeutung« ist es; er war ja vielleicht sogar ein Schluß, jenes andere ist eine Voraussetzung.
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Entsprechend auch bei den (Schlußvorgängen), die mithilfe der Unmöglichkeitsbestimmung zu ihrem Ende kommen: Auch die sind nicht aufzulösen, genauer, die Rückführung auf Unmöglichkeit ist es zwar – hier wird ja durch Schluß nachgewiesen –, das andere dagegen ist es nicht: es kommt aufgrund einer Voraussetzung zum Ziel. (Diese Art von Schlüssen) unterscheiden sich aber von den zuvor genannten (darin): Bei denen muß man zuvor Übereinstimmung herbeigeführt haben, wenn (der andere) zustimmen soll, etwa wenn gezeigt ist: Ein einziger Bedeutungsbereich von Gegensätzen, dann bezieht sich auch ein und dasselbe Wissen darauf; hier dagegen machen (die Leute) auch ohne vorherige Verständigung das Zugeständnis, weil doch die Falschheit auf der Hand liegt, etwa wenn man den Durchmesser für einheitlich meßbar setzt, (kommt heraus): Ungerades wird Geradem gleich. Es sind auch noch viele andere (Schlußvorgänge), die aufgrund von Voraussetzung zum Ziel kommen; die muß man durchprüfen und sauber klären. Welches ihre Unterscheidungsmerkmale sind und in wievielen Formen das »aufgrund von Voraussetzung« auftritt, werden wir später vortragen; jetzt soll für uns nur soviel klar sein: Derartige Schlüsse sind nicht in die Schlußformen aufzulösen. Und aus welchem Grunde (das so ist), haben wir vorgetragen. Kapitel 45. Alles, was an Aufgabenstellungen in mehreren Schlußformen nachzuweisen ist, (hat folgende Eigenschaft): Wenn in der einen davon geschlossen worden ist, läßt sich der Schluß auf die andere zurückführen, etwa der in der ersten Form verneinende auf die zweite, der in der mittleren auf die erste, – doch nicht alle, sondern nur einige. Das wird im folgenden klar werden. Wenn also A keinem B, B aber jedem C (zukommt), dann A keinem C. So ist das also die erste Schlußform, wenn aber die Verneinung umgekehrt wird, wird es die mittlere: B kommt keinem A zu, aber jedem C. Entsprechend auch, wenn der Schluß nicht in Allform, sondern in Teilform (steht), etwa wenn A keinem B, B aber einigen C (zukommt); wird hier die Verneinung umgekehrt, tritt die mittlere Schlußform auf.
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Von den Schlüssen in der zweiten (Form) werden die in Allform auf die erste zurückgeleitet, von denen in Teilform aber nur der eine von beiden. Es sei also (gesetzt): A liegt an keinem B, aber an allen C vor; wird also die Verneinung umgekehrt, wird es die erste Form: B wird an keinem A, A aber an jedem C vorliegen. Wenn dagegen die behauptende Aussage bei B steht, die verneinende bei C, so ist C als erster Begriff zu setzen: Es kommt keinem A, A aber kommt allen B zu, also C keinem B; also auch B keinem C, denn die Verneinung läßt ja Umkehrung zu. Wenn aber der Schluß in Teilform steht, dann ist er für den Fall, daß die Verneinung beim größeren Eckbegriff steht, zurückzuführen auf die erste (Form), etwa: Wenn A keinem B, aber einigen C (zukommt); wird ja die Verneinung umgekehrt, wird daraus die erste Form: B (liegt) an keinem A, A aber an einigen C (vor); für den anderen Fall aber, daß die Behauptung (beim größeren Eckbegriff steht), gibt es keine Auflösung, etwa: Wenn A allen B, aber nicht allen C (zukommt); in dem Fall läßt ja weder (der Satz) AB eine Umkehrung zu, noch, selbst wenn das ginge, wird daraus ein Schluß. Und wieder, die (Schlüsse) in der dritten Form lassen sich nicht alle in die erste auflösen, die in der ersten aber alle in die dritte. Es liege also A an allen B vor, B an einigen C; also, da die Behauptung in Teilform Umkehrung zuläßt, wird C einigen B zukommen; A kam aber allen (B) zu, also wird es die dritte Form. Und wenn der Schluß verneinend ist, genauso: Es läßt ja die Behauptung in Teilform Umkehrung zu, also A wird keinem B, C dagegen einigen (B) zukommen. Von den Schlüssen in der letzten Form läßt sich einer allein nicht in die erste auflösen, wenn nämlich die Verneinung nicht in Allform gesetzt wird, die anderen lassen alle Auflösung zu. Es sei also A und B von allen C ausgesagt; folglich kehrt sich C im Verhältnis zu beiden in Teilform um: Es kommt also einigen B zu; somit ist es die erste Form, wenn A allen C, C aber einigen B (zukommt). Und wenn A allen C, B aber einigen (C zukommt), ist es die gleiche Erklärung: C läßt im Verhältnis zu B ja Umkehrung zu. Wenn dagegen B allen C, A einigen C
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(zukommt), ist B als erster Begriff zu setzen: B (liegt) an allen C, C an einigen A vor, somit also B an einigen A. Da aber die Teilaussage Umkehrung zuläßt, wird auch A einigen B zukommen. Und wenn der Schluß verneinend ist, vorausgesetzt, die Begriffe sind in Allform verbunden, ist es entsprechend zu nehmen: Es liege also B an allen C vor, A aber an keinem; also wird C an einigen B vorliegen, A aber an keinem C, somit wird C der Vermittlungsbegriff sein. Entsprechend auch, wenn die Verneinung in Allform steht, die Behauptung in Teilform: A wird an keinem C, C an einigen B vorliegen. Wenn dagegen die Verneinung in Teilform genommen ist, wird es keine Auflösung geben, etwa wenn B allen C, A dagegen einigen (C) nicht zukommt: Wird die Aussage BC umgekehrt, werden beide Eingangssätze in Teilform auftreten. Offenkundig ist auch: Zum Zwecke der Auflösung der Schlußformen in einander ist in beiden Formen der Eingangssatz beim kleineren Eckbegriff umzukehren; wenn dieser umgestellt wurde, erfolgte der Übergang. Von den (Schlüssen) in der mittleren Form läßt sich der eine in die dritte auflösen, der andere nicht. Wenn die Allaussage verneint ist, geht es: Wenn A keinem B (zukommt), aber einigen C, läßt sich beides im Verhältnis zu A umkehren, also B an keinem A, C an einigen (A); Mittelbegriff ist sonach A. Wenn dagegen A allen B (zukommt), aber einigen C nicht, dann gibt es keine Auflösung: Keiner der beiden Eingangssätze, die aus der Umkehrung entstehen, ist eine Aussage in Allform. Schließlich noch, die (Schlüsse) aus der dritten Form lassen sich dann in die mittlere auflösen, wenn die Verneinung in Allform steht, etwa: Wenn A an keinem C, B aber an einigen oder allen (C vorliegt); dann wird ja C auch an keinem A, aber an einigen B vorliegen. Wenn dagegen die Verneinung in Teilform steht, gibt es keine Auflösung: die teilweise Absprechung nimmt Umkehrung nicht an sich. Offenkundig ist nun also: Es sind in diesen Formen die gleichen Schlüsse, die sich nicht (in einander) auflösen lassen, wie die, welche nicht in die erste aufzulösen waren; und, wenn man die Schlüsse auf die erste Form zurückbringt, kommen
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diese allein durch Hinführung aufs Unmögliche (der Gegenannahme) zum Ziel. Wie man nun also die Schlüsse zurückführen muß und daß sich die Schlußformen in einander zurückführen lassen, ist aus dem Gesagten klar. Kapitel 46. Es macht aber beim Errichten oder beim Einreißen (von Behauptungen) schon einen Unterschied, ob man annimmt, die Ausdrücke »das nicht sein« und »nicht das sein« meinten dasselbe oder etwas verschiedenes, etwa z. B. bei »nicht weiß-sein« und »nicht-weiß sein«. Das meint nämlich nicht dasselbe, und die Verneinung von »weiß sein« ist nicht »nicht-weiß sein«, sondern »nicht weiß-sein«. Die Erklärung dazu ist folgende: (Der Satz) »er kann gehen« verhält sich zu dem »er ist in der Lage, nicht zu gehen« entsprechend wie der »es ist weiß« zu dem »es ist nicht-weiß«, und wieder »er versteht sich auf das Gute« zu dem »er versteht sich auf das Nicht-Gute«; der Satz »er versteht sich auf das Gute« oder der andere »er ist des Guten verständig« unterscheiden sich ja in nichts, auch nicht der »er kann gehen« von dem »er ist in der Lage zu gehen«; also (gilt das) auch (für) deren Gegen-Sätze: »er kann nicht gehen« – »er ist nicht in der Lage zu gehen«. Wenn nun der Satz »er ist nicht in der Lage zu gehen« dasselbe meinte wie »er ist in der Lage, nicht zu gehen« oder »... zum Nichtgehen«, so würde das ja gleichzeitig an einem und demselben vorliegen – denn einer und derselbe kann doch sowohl gehen wie auch nicht gehen und ist verständig des Guten sowohl wie des Nichtguten –, aber einander entgegengesetze Behauptung und Verneinung liegen doch eben nicht gleichzeitig an einem und demselben vor. Also, wie »sich auf das Gute nicht verstehen« und »sich auf das Nichtgute verstehen« nicht dasselbe sind, so auch nicht »nicht-gut sein« und »nicht gut-sein«; denn wenn von Bestimmungen, die einander entsprechen, je das eine Paar unterschieden ist, so auch das andere. (Also ist) auch nicht (dasselbe): »nicht-gleich (sein)« und »nicht gleich-sein«: das eine hat nämlich einen Gegenstand, der ihm zugrundeliegt, das, was da nicht-gleich ist, und das ist das Ungleiche, das andere hat nichts dergleichen. Deshalb
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steht auch nicht alles vor der Wahl: »gleich oder ungleich«, dagegen wohl: »gleich oder nicht-gleich«. Ferner, (die Sätze) »(dies) Holz ist nicht weiß« und »(dies) ist nicht weißes Holz« liegen nicht gleichzeitig vor: Wenn nämlich Holz nicht weiß ist, so ist es immer noch Holz, was aber nicht weißes Holz ist, muß nicht notwendig Holz sein. Also ist offenkundig: Zu »... ist gut« ist die Verneinung nicht »... ist etwas Nichtgutes«. Wenn nun von jedem einheitlichen Gegenstand entweder eine Behauptung oder ihre Verneinung wahr ist, so ist klar, wenn das keine Verneinung ist, dann wird das ja wohl eine Art Behauptung sein. Nun gibt es aber zu jeder Behauptung eine (ihr entsprechende) Verneinung, und zu dieser also wird sie sein: »... ist nicht etwas Nichtgutes«. Das hat nun folgende Anordnung zueinander: Es sei »gut sein« A, »nicht gut sein« B; »nicht-gut sein«, C, (stehe) unter B, »nicht-gut nicht sein«, D, (stehe) unter A. Dann steht alles vor der Wahl: Entweder A oder B kommt ihm zu, keinem mit sich Selbigen (beides oder keins), und somit auch: Entweder C oder D, und keinem (entsprechend). Und welchem das C (zukommt), an dem allen muß notwendig auch B vorliegen – wenn es doch wahr zu sagen ist »ist nicht-weiß«, so auch wahr »ist nicht weiß«; unmöglich ist es doch, gleichzeitig weiß zu sein und nicht-weiß zu sein oder nicht-weißes Holz zu sein und weißes Holz zu sein, also, wenn die Verneinung nicht, so wird die Behauptung vorliegen –; (umgekehrt) aber dem (durch) B (Bestimmten) das C nicht immer: Was nämlich ganz und gar nicht Holz (ist), das wird auch nicht nicht-weißes Holz sein. Andersherum nun, welchem A (zukommt), dem allen auch D – entweder ja doch C oder D; da es nun aber nicht geht, gleichzeitig nicht-weiß zu sein und weiß, wird also D vorliegen; von solchem, das weiß ist, ist es ja wahr zu sagen: Es ist nicht nicht-weiß –; dagegen von (dem durch) D (Bestimmten) nicht in allen Fällen auch A: Von solchem, was ganz und gar kein Holz ist, ist es nicht wahr, A zu sagen: Es ist weißes Holz, also ist D wahr, A dagegen, »es ist weißes Holz«, nicht wahr. Klar dann: A,C können nie an einem und demselben (Gegenstand) vorliegen, B und D dagegen können das in einigen Fällen.
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Entsprechend verhalten sich in dieser Anordnung auch die Verneinungen zu den Behauptungen: »Gleich« (sei) A, »nichtgleich« B, »ungleich« C, »nicht ungleich« D. Auch in vielen Fällen, wo eine und dieselbe (Eigenschaft) den einen (Teilstücken des Gegenstandsbegriffs) zukommt, den anderen nicht, kann ja wohl die Verneinung gleichermaßen wahr sein, (z. B.): Nicht alle sind weiß, oder: Nicht ein jedes ist weiß; dagegen, »jedes ist nicht-weiß« oder »alle sind nicht-weiß« – (diese Behauptung) ist falsch. Entsprechend ist auch zu »jedes Lebewesen ist weiß« die Verneinung nicht: »jedes Lebewesen ist nicht-weiß« – beide sind ja falsch –, sondern: »nicht jedes Lebewesen ist weiß«. Da es denn klar ist: »ist nicht-weiß« meint etwas anderes als »ist nicht weiß«, und das erste ist eine Behauptung, das zweite eine Verneinung, so ist offenkundig, daß die Weise, dies beides nachzuweisen, nicht die gleiche ist, etwa (für die Sätze): »Alles, was ein Lebewesen ist, ist nicht weiß« oder »... von dem kann es sein, daß es nicht weiß ist« und: »Es ist wahr gesprochen, (wenn man behauptet, es ist) nicht-weiß«, denn das will dies »es ist nicht-weiß« ja besagen. Genauer, für »es ist wahr gesprochen: Es ist weiß« oder: »... es ist nicht-weiß« ist es die gleiche Weise: Will man es aufstellen, so werden beide (Sätze) durch die erste (Schlußform) nachgewiesen; denn dies »wahrheitsgemäß« ist ja dem »ist« gleichgestellt: Zu »wahr gesprochen: weiß« ist die Verneinung nicht: »wahr gesprochen: nicht-weiß«, sondern: »nicht wahr gesprochen: weiß«. Wenn es denn also wahr gesprochen sein soll: Alles, was Mensch ist, ist gebildet, oder: ... ist nicht-gebildet, so muß man es nehmen als: Alles, was (menschliches) Lebewesen ist, ist entweder gebildet oder ist nicht-gebildet, und so ist es dann nachgewiesen. Dagegen, daß das, was Mensch ist, nicht gebildet sei, das wird, wenn man es einreißen will, nachgewiesen auf die drei vorgetragenen Weisen. Kurz und gut, wenn es zwischen A und B so steht, daß sie gleichzeitig an einem und demselben (Gegenstand) nicht (vorliegen) können, aber jeder (Gegenstand) sich notwendig entscheiden muß: Das eine oder das andere, und wieder, wenn
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es mit C und D genauso steht, und wenn dann A auf C folgt und das keine Umkehrung zuläßt: dann wird auch D dem B folgen, und das wird sich nicht umkehren lassen; und A und D können an dem gleichen (Gegenstand vorliegen), B und C dagegen können es nicht. Erstens nun also, daß D dem B folgt, ist aus folgendem einsichtig: Da an jedem (Gegenstand) von C, D notwendig das eine oder andere (vorliegen) muß, an welchem dann B (vorliegt), C es nicht kann, weil es doch A mit sich führt, A und B aber an dem gleichen nicht (vorliegen) können, so ist offenkundig: D folgt (dem B). Nochmal, da C dem A nicht in Umkehr entspricht, jeder (Gegenstand) aber wählen muß: Entweder C oder D, so kann A und D an dem gleichen (Gegenstand) vorliegen. Dagegen B und C können das nicht, weil dem C das A mitfolgt; es kommt ja sonst eine Unmöglichkeit heraus. Offenkundig nun also, daß auch B dem D nicht in Umkehr entspricht, wenn es doch gehen kann, daß D und A zugleich (an einem und demselben Gegenstande) vorliegt. Gelegentlich tritt es bei solcher Anordnung der Begriffe auch ein, daß man sich aufgrund dessen täuscht, daß man die Gegensätze nicht richtig nimmt, von denen doch notwendig der eine oder der andere an jedem (Gegenstand, den man herausgreift,) vorliegen muß. Z. B., wenn A und B nicht zugleich an einem und demselben (Gegenstand) vorliegen können, dabei aber notwendig ist: Welchem das eine davon nicht, dem kommt das andere zu, und wieder bei C und D genauso, und an welchem dann C vorliegt, dem allen folgt auch A –: dann wird ja eintreten: Welchem das D (zukommt), dem muß notwendig das B zukommen, – was denn aber falsch ist. Es sei also genommen F, als Verneinung von A, B, und wieder als die von C, D H; dann muß also alles sich entscheiden: Entweder A oder F, entweder die Behauptung oder ihre Verneinung. Und wieder, entweder C oder H, denn (die verhalten sich wie) Behauptung und Verneinung. Und: Welchem C, dem allen auch A, so ist es vorausgesetzt; also, welchem F, dem allen auch H. Wieder, da von F, B einem jeden (Gegenstand) entweder das eine oder das andere (zukommen muß), und von H, D entspre-
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chend, und da nun dem F das H folgt, so wird auch das B dem D folgen, das wissen wir ja. Wenn also dem C das A, dann auch dem D das B, das aber ist falsch: Die Folge bei Begriffen, die sich so (zu einander) verhalten, war doch umgekehrt. Also ist ja wohl (die Annahme) nicht notwendig: An allem entweder A oder F, und: (Entweder) F oder B; denn F ist nicht die Verneinung zu A. Zu »gut« ist »nicht gut« die Verneinung; »nicht gut« ist aber nicht das gleiche wie »weder gut noch nicht gut«. Entsprechend auch mit C, D: die genommenen Verneinungen sind zwei.
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Kapitel 1. In wievielen Formen nun also und mittels was für welcher und wievieler Eingaben und wann und wie Schluß sich ergibt, außerdem, worauf einer, der (eine Behauptung) aufstellen oder (eine) einreißen will, zu sehen hat, und wie man bei einer vorgelegten Aufgabe nach dem oder dem Verfahren auf die Suche zu gehen hat, schließlich noch, über welchen Weg wir die Anfangssetzungen in jedem Fall in die Hand bekommen: das alles sind wir nunmehr durchgegangen. – Da aber die einen Begriffsverhältnisse in Allform auftreten, die anderen in Teilform, (so liegt folgender Tatbestand vor): Die in Allform schließen alle immer auf mehrere Sachverhalte, von denen in Teilform (schließen) die mit den behauptenden Aussagen auf mehrerlei, die verneinenden dagegen nur auf (diesen einen) Schlußsatz allein. (Begründung): Die übrigen Eingangssätze lassen eine Umkehrung zu, der verneinende kennt keine Umkehrentsprechung; der Schlußsatz sagt etwas von etwas, also schließen die übrigen Schlüsse auf mehrere Sachverhalte, z. B., wenn gezeigt ist: A an allen B, oder an einigen, dann muß auch notwendig B an einigen A vorliegen; und wenn (gezeigt ist): A an keinem B, dann auch B an keinem A; das ist aber etwas anderes als das erste. Wenn dagegen (A) einigen (B) nicht zukommt, ist nicht notwendig, daß B auch einigen A nicht zukäme: es kann nämlich sein, es liegt an allen vor. Dies ist nun eine für alle – Schlüsse in Allform und solche in Teilform – gemeinsame Begründung; man kann es für die in Allform auch noch anders vortragen: Für alles, was entweder unter dem Mittelbegriff oder unter dem Schlußsatz steht, wird es der gleiche Schluß sein, wenn man das eine davon in den Mittelbegriff, das andere in den Schlußsatz stellt, z. B.: Wenn AB ein Schlußsatz ist, erreicht über C, dann muß von alledem, was unter B und C steht, A ausgesagt werden; wenn nämlich
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(etwa) D ganz in B (enthalten wäre), B aber in A, so wird auch D in A enthalten sein. Und wieder, wenn E ganz in C ist, C aber in A, so wird auch E in A sein. Entsprechend auch, wenn der Schluß verneinend ist. Im Falle der zweiten Schlußform ist nur zu schließen auf solches, was unter dem Schlußsatz steht, z. B.: Wenn A an keinem B, aber an allen C (vorliegt); Schlußsatz dann: B an keinem C. Wenn nun also D unter C steht, so ist offenkundig, daß ihm B nicht zukommt. Daß es dem unter A Stehenden nicht zukommt, ist aufgrund des Begriffsverhältnisses nicht klar; dennoch kommt es dem E nicht zu, wenn das unter A steht. Dagegen, daß B an keinem C vorliegt, ist zwar durch Schluß nachgewiesen, daß es aber an A nicht vorliege, ist unbewiesen angenommen, also ergibt sich die Behauptung, B komme E nicht zu, nicht durch einen Schluß. Im Falle der (Schlüsse) in Teilform ergibt sich für die unter dem Schlußsatz stehenden (Begriffe) keine Notwendigkeit – es ergibt sich nämlich kein Schluß, wenn diese (Eingabe) in Teilform genommen wird –, für die unter dem Mittelbegriff stehenden in allen Fällen, nur, nicht durch Schluß, etwa wenn A an allen B, B an einigen C (vorliegen soll): Für etwas, das unter C gesetzt ist, gibt es keinen Schluß, für etwas unter B Stehendes gibt es ihn, aber nicht aufgrund des Vorhergegangenen. Entsprechend auch im Falle der anderen Schlußform: Für etwas, das unter dem Schlußsatz steht, wird es das nicht geben, für das andere wohl, nur, nicht aufgrund von Schluß, insoweit auch in den Fällen mitAllaussage das unter dem Mittelbegriff Stehende von der unbewiesenen Eingabe aus nachgewiesen war; also, entweder geht das auch dort nicht oder in diesen Fällen eben auch. Kapitel 2. Es geht nun, erstens, daß es sich so verhält: Die Eingangssätze, durch die das Begriffsverhältnis eintritt, sind wahr, es geht auch, zweitens, sie sind falsch, es kann drittens sein, der eine ist wahr, der andere ist falsch. Der Schlußsatz ist notwendig entweder wahr oder falsch. Aus wahren (Eingangsannahmen) kann man nun nicht etwas Falsches schließen, aus falschen aber Wahres, nur, nicht, warum (das so ist),
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sondern (nur) daß (es so ist). Auf das Warum geht von falschen (Eingangsannahmen) aus ein Schluß nicht; aus welcher Ursache (das so ist), wird im folgenden vorgetragen werden. Erstens nun also, daß es nicht geht, aus Wahrem Falsches zu schließen, ist von folgendem aus klar: Wenn aufgrund dessen, daß A ist, notwendig auch B sein muß, dann ist notwendig, wenn B nicht ist, auch A nicht. Wenn nun also A wahr ist, muß notwendig auch B wahr sein, oder es würde sich ergeben, daß eines und dasselbe zugleich ist wie auch nicht ist; das aber ist unmöglich. Es soll aber nicht, weil hier mit A ein Begriff gesetzt ist, die Meinung entstehen, es könne sein, wenn ein Bestimmtes sei, daß dann aus Notwendigkeit irgendetwas folge; es ist nicht von der Art: Was da folgt, ist ja mit Notwendigkeit der Schlußsatz, durch was der aber zumindest zustandekommt, das sind drei Begriffe, zwei Verhältnisse (unter ihnen), also Eingaben. Wenn nun wahr ist: An welchem B vorliegt, dem allen kommt auch A zu, welchem aber C, dem auch B, dann muß notwendig an dem, welchem C zukommt, auch A vorliegen, und es kann nicht sein, daß das falsch wäre; denn sonst würde eines und dasselbe (an etwas) zugleich vorliegen und nicht vorliegen. »A« ist also hier wie eines gesetzt – zwei Eingangsannahmen zusammengenommen. Entsprechend verhält es sich auch im Falle der Verneinungen: Aus Wahrem kann man nichts Falsches nachweisen. Dagegen, aus falschen (Annahmen) Wahres zu erschließen, das geht, sowohl wenn beide Eingangssätze falsch sind, wie auch wenn es nur einer ist; der aber darf nicht einerlei welcher, sondern es muß der zweite sein, jedenfalls wenn man ihn ganz falsch nimmt; nimmt man ihn dagegen nicht als ganz falsch, so kann es jeder beliebige sein. Es sei also: A am ganzen C vorliegend, aber an keinem B, und auch B nicht an C. Das kann etwa sein im Falle von: »Lebewesen« an keinem Stein, und »Stein« an keinem Menschen. Wenn nun genommen wird: A an allen B, und B an allen C, dann wird auch A an allen C vorliegen, also aus zwei falschen
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(Annahmen) ergibt sich das wahre Verhältnis: Jeder Mensch ist ein Lebewesen. Entsprechend auch der Verneinungsfall: Es kommt ja vor, weder A noch B liegen an C in irgendeinem Falle vor, dagegen A an allen B, etwa bei gleichen ausgewählten Begriffen, wenn »Mensch« als Vermittlung gesetzt ist: Einem Stein kommt weder »Lebewesen« noch »Mensch« in irgendeinem Falle zu, dagegen jedem Menschen das »Lebewesen«. Wenn man nun also (die Sätze ins Gegenteil verkehrt und) annimmt: An welchem es (tatsächlich) vorliegt, dem komme es in keinem Falle zu, dann wird aus diesen beiden falschen (Annahmen) das wahre Begriffsverhältnis folgen. Entsprechend läßt sich das nachweisen auch für den Fall, daß jeder der beiden (Eingangssätze) nur in einer bestimmten Hinsicht als falsch angenommen ist. Wenn andererseits nur der eine (der Eingangssätze) als falsch gesetzt wird, dann wird im Falle, daß es der erste ist, und er ist als ganz falsch angenommen, also AB, der Schluß nicht wahr sein; gilt das dagegen für BC, so wird er es sein. Mit »ganz falsch« meine ich (den Satz), der das Gegenteil (des wahren) aussagt, z. B. wenn man nimmt: Etwas, das an keinem vorliegt, soll nun allen zukommen, oder (umgekehrt), was an allen vorliegt, nun an keinem. Es sei also (gesetzt): A kommt keinem B zu, B aber allen C; wenn ich also nun den Eingangssatz BC als wahr nehme, den AB aber als ganz falsch, also daß A allen B zukäme, dann ist es unmöglich, daß der Schlußsatz wahr wäre; (A) lag ja an keinem C vor, wenn doch (gegolten hat): Welchem B (zukommt), dem (kommt) A in keinem Falle (zu), und B liegt doch nun an allen C vor. Entsprechend auch (für folgenden Fall): Wenn A an allen B vorliegt und B an C, es wurde aber der Eingangssatz BC als wahr genommen, hingegen der AB als ganz falsch, also: Keinem, welchem B, kommt A zu –: so wird der Schlußsatz falsch sein; an jedem C wird A vorliegen, wenn doch (galt): An welchem B, an dem allen A, und B (liegt) an allen C (vor).
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Einleuchtend ist also: Wird die erste (Eingangsannahme) als ganz falsch genommen, einerlei ob sie nun behauptend ist oder verneinend, die andere dagegen als wahr, so wird der Schluß nicht wahr. Wird sie dagegen nicht als ganz falsch genommen, so wird er es: Wenn A dem C in allen Fällen zukommt, dem B in einigen, B aber allen C – z. B. »Lebewesen« (trifft) auf jeden Schwan (zu), auf Weißes nur in einigen Fällen, »weiß« aber liegt an jedem Schwan vor –: wenn dann angenommen wird, A an allen B, und B an allen C, dann wird auch A an allen C wahrheitsgemäß vorliegen: Jeder Schwan ist ein Lebewesen. Entsprechend auch, wenn AB verneint wäre: Es kann ja gehen, A liegt an einigen B vor, aber an keinem C, B hingegen an allen C, etwa: »Lebewesen« an einigem Weißen, aber in keinem Fall an Schnee, »weiß« dagegen an allem, was Schnee ist. Wenn nun angenommen würde: A an keinem B, B an allen C, dann wird A an keinem C vorliegen. Wenn andererseits die Eingangsannahme AB ganz wahr genommen ist, die BC als ganz falsch, gibt es wahres Verhältnis: es hindert ja nichts, daß A dem B und dem C in allen Fällen zukommt, B dagegen keinem C, etwa alle Arten der gleichen Gattung, die nicht unter einander stehen: »Lebewesen« kommt sowohl dem Pferd wie auch dem Menschen zu, »Pferd« aber keinem Menschen. Wenn nun angenommen wird: A an allen B, und B an allen C, dann wird der Schluß wahr sein, wo doch die Eingangsannahme BC ganz falsch war. Entsprechend auch, wenn die Eingangsannahme AB verneint ist: es kann nämlich sein, A liegt weder an B noch an irgendeinem C vor, und B auch nicht an irgendeinem C, wie etwa bei Arten aus verschiedener Gattung die (jeweils andere) Gattung: »Lebewesen« liegt weder an Musik noch an Heilkunst vor, und auch nicht »Musik« an Heilkunst. Wird nun angenommen: A an keinem B, B aber an allen C, so wird das Schlußverhältnis wahr sein. Und wenn (die Eingangsannahme) BC nicht ganz falsch ist, sondern nur in einer bestimmten Hinsicht, auch so wird das Schlußverhältnis wahr sein; es hindert ja nichts, daß A sowohl
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dem B wie auch dem C ganz zukommt, B dagegen einigen C, wie etwa die Gattung der Art und dem (artbildenden) Unterschied: »Lebewesen« (liegt) an allen Menschen (vor) und an allen Landwesen, »Mensch« dagegen nur einigem, eben nicht allem, was da auf Füßen geht. Wenn nun angenommen wäre: A an allen B, und B an allen C, dann wird A an allen C vorliegen, was ja wahr war. Entsprechend auch, wenn die Eingangsannahme AB verneint ist: Es kann ja sein, A liegt weder an B noch an C in irgendeinem Falle vor, B dagegen an einigen C, etwa die Gattung an der Art aus einer anderen Gattung und ihrem (artbildenden) Unterschied: »Lebewesen« liegt weder in irgendeinem Falle an »Einsicht« vor noch an der denkend-anschauenden, »Einsicht« dagegen an einigem, was anschauendes Denken ist. Wenn nun angenommen wäre: A an keinem B, B an allen C, dann wird A an keinem C vorliegen; das aber war wahr. Bei den Begriffsverhältnissen in Teilform kann es sein, erstens, wenn die erste Eingangsannahme ganz falsch, die andere aber wahr ist, ist der Schlußsatz wahr; zweitens, wenn die erste in einer Hinsicht falsch, die andere aber wahr ist, drittens, wenn die eine wahr, die in Teilform dagegen falsch ist, viertens, wenn beide falsch sind, (in allen Fällen entsprechend). Es hindert ja nichts, daß A an keinem B vorliegt, aber an einigen C, und B an einigen C, etwa, »Lebewesen« liegt an Schnee in keinem Falle vor, an Weißem aber in einigen, und »Schnee« an Weißem in einigen Fällen. Wenn nun »Schnee« als Mittelbegriff gesetzt wird, als erster »Lebewesen«, und angenommen würde: A liegt an dem ganzen B vor, B an einigen C – AB also ganz falsch, BC wahr –, so ist auch der Schlußsatz wahr. Entsprechend auch, wenn die Eingangsannahme AB verneint ist: es kann ja gehen, A liegt am ganzen B vor, an einigen C aber nicht, B dagegen liegt an einigen C vor, z. B. »Lebewesen« kommt allen Menschen zu, einigem Weißen aber folgt es nicht, »Mensch« dagegen liegt an einigem vor, was weiß ist; also, »Mensch« als Mittelbegriff gesetzt und dann angenommen: A liegt an keinem B vor, B an einigen C, dann wird
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der Schlußsatz wahr sein, wo doch die Eingangsannahme AB ganz falsch war. Und wenn die Eingangsannahme AB nur in bestimmter Hinsicht falsch ist, wird der Schlußsatz auch wahr sein. Es hindert ja nichts, daß A sowohl dem B wie dem C nur in einigen Fällen zukommt, und B an C in einigen Fällen vorliegt, etwa »Lebewesen« an einigem, was schön ist und was groß ist, und daß »schön« an einigem vorliegt, was groß ist. Wenn nun also angenommen wird: A an allen B, und B an einigen C, dann ist die Eingangsannahme AB in bestimmter Hinsicht falsch, die BC ist wahr, und der Schlußsatz ist auch wahr. Entsprechend für den Fall, daß die Eingangsannahme AB verneint ist: es sind dann die gleichen Einsetzungsbegriffe, und sie sind zum Nachweis genauso gestellt. Und wieder, ist (die Eingangsannahme) AB wahr, die BC falsch, so wird der Schlußsatz wahr sein; es hindert ja nichts, daß A am B in allen Fällen vorliegt, am C in einigen, und daß B keinem C zukommt, etwa: »Lebewesen« am Schwan in jedem Falle, an Schwarzem in einigen Fällen, »Schwan« dagegen an nichts, was schwarz ist. Wenn also nun angenommen würde: A an allen B, und B an einigen C, so wird der Schlußsatz wahr sein, wo doch BC falsch war. Entsprechend auch, wenn die Eingangsannahme AB verneint genommen wird: es kann ja gehen, A kommt dem B in keinem Falle, dem C in einigen Fällen nicht zu, dagegen B dem C in keinem Fall, etwa die Gattung der Art aus einer anderen Gattung und dem, was Arten ihrer selbst so nebenbei zutrifft: »Lebewesen« liegt an Zahl in keinem Falle vor, an Weißem in einigen, »Zahl« aber an nichts, was weiß ist. Wenn nun »Zahl« als Mittelbegriff gesetzt wird und man annimmt: A an keinem B, B aber an einigen C, dann wird A an einigen C nicht vorliegen, was denn wahr war; dabei ist die Eingangsannahme AB wahr, die BC falsch. Und wenn AB in bestimmter Hinsicht falsch, falsch aber auch die BC ist, so wird der Schlußsatz auch wahr; es hindert ja nichts, daß A einigen B und einigen C, beidesmal so, zukommt, B dagegen keinem C, etwa wenn B dem C entgegen-
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gesetzt ist, beide aber an der gleichen Gattung nebenbei auch zutreffen: »Lebewesen« liegt an einigem vor, was weiß, und an einigem, was schwarz ist, »weiß« dagegen aber an nichts, was schwarz ist. Wenn nun also angenommen wird: A an allen B, und B an einigen C, so wird der Schlußsatz wahr sein. Und wenn man (die Eingangsannahme) AB verneint nimmt, genauso: es werden dann die gleichen Einsetzungsbegriffe, und sie werden auch zum Nachweis genauso gestellt werden. Auch wenn beide (Eingangsannahmen) falsch sind, kann es einen wahren Schlußsatz geben: Es kann ja gehen, A liegt an keinem B, aber an einigen C vor, B dagegen an keinem C, etwa die Gattung an der Art aus einer anderen Gattung und an dem, was auf ihre eigenen Arten nebenbei auch zutrifft: »Lebewesen« liegt an Zahl in keinem Falle, an etwas Weißem aber in einigen Fällen vor, und »Zahl« an nichts, was weiß ist. Wenn nun also angenommen ist: A an allen B, und B an einigen C, so ergibt sich wahrer Schlußsatz, die Annahmen aber waren beide falsch. Entsprechend auch, wenn (die Eingangsannahme) AB verneint ist: Es hindert ja nichts, daß A dem B in allen Fällen zukommt, an C aber in einigen Fällen nicht vorliegt, und auch B in keinem Falle an C, etwa »Lebewesen« an jedem Schwan, an einigem aber, was schwarz ist, liegt es nicht vor, »Schwan« dagegen an nichts, was schwarz ist. Wenn also nun angenommen wäre: A an keinem B, B aber an einigen C, dann wird A an einigen C nicht vorliegen. Der Schlußsatz ist also wahr, die Eingangsannahmen aber (waren) falsch. Kapitel 3. In der mittleren Schlußform geht es auf alle Weisen, aufgrund falscher (Annahmen) etwas Wahres zu erschließen, sowohl wenn beide Eingänge als ganz falsch genommen werden, wie auch wenn jeder der beiden es nur in bestimmter Hinsicht ist, und auch wenn die eine (Annahme) wahr, die andere [ganz] falsch ist, einerlei welche nun als falsch gesetzt ist, [und wenn beide in bestimmter Hinsicht falsch sind, und wenn die eine ohne Einschränkung wahr, die andere in bestimmter Hinsicht falsch, und wenn die eine ganz falsch, die andere
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in bestimmter Hinsicht wahr ist] sowohl in den Schlüssen mit All- wie bei denen in Teilform: Wenn also A an keinem B vorliegt, aber an allen C, etwa »Lebewesen« an keinem Stein, aber an jedem Pferd, wenn dann die Eingangssätze ins Gegenteil gesetzt werden und man annimmt: A an allen B, aber an keinem C, dann wird aus diesen Annahmen, die ganz falsch sind, ein wahrer Schlußsatz folgen. Entsprechend auch, wenn A an allen B, aber an keinem C vorliegt: es ist ja der gleiche Schluß. Und wieder, wenn die eine (Eingangsannahme) ganz falsch, die andere ganz wahr (ist, dann entsprechend): Es hindert ja nichts, daß A sowohl dem B wie auch dem C in jedem Falle zukommt, B dagegen keinem C, etwa die Gattung an den Arten, die nicht unter einander stehen: »Lebewesen« kommt jedem Pferd und jedem Menschen zu, und kein Mensch (ist ein) Pferd. Wenn nun also angenommen wird: (A) kommt dem einen in allen Fällen, dem anderen in keinem zu, so ist die eine (Annahme) ganz falsch, die andere ganz wahr, und der Schlußsatz wahr, einerlei wozu die Verneinung gesetzt wird. Und wenn die eine in bestimmter Hinsicht falsch, die andere ganz wahr ist: Es kann ja gehen, A liegt an einigen B vor, aber an allen C, dagegen B an keinem C, etwa »Lebewesen« an einigem, was weiß ist, aber an jedem Raben, und »weiß« an keinem Raben. Wenn nun also angenommen ist: A kommt keinem B, aber dem C in seiner Gesamtheit zu, dann ist die Eingangsannahme AB in bestimmter Hinsicht falsch, die AC ganz wahr, und der Schlußsatz wahr. Und setzt man die Verneinung um, genauso: der Beweis geht ja durch die gleichen Begriffe. Und wenn die behauptende Annahme in bestimmtem Sinne falsch, die verneinende ganz wahr ist: es hindert ja nichts, daß A einigen B zukommt, dem C aber ganz und gar nicht, und auch B keinem C, etwa »Lebewesen« einigem, was weiß ist, aber an Pech liegt es in keinem Falle vor, und »weiß« an Pech in keinem Falle. Wenn nun also angenommen ist: A kommt dem B in seiner Gesamtheit zu, dem C aber in keinem Falle, so ist die (Annahme) AB in bestimmter Hinsicht falsch, die AC ganz wahr, und der Schlußsatz wahr.
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Auch wenn beide Eingangsannahmen in bestimmter Hinsicht falsch sind, gibt es einen wahren Schlußsatz: Es kann ja gehen, A liegt an B sowie auch an C in einigen Fällen vor, B aber an keinem C, etwa »Lebewesen« an einigem, was weiß ist, und einigem, was schwarz ist, »weiß« aber an nichts, was schwarz ist. Wenn nun angenommen ist: A an allen B, aber an keinem C, so sind beide Annahmen in bestimmter Hinsicht falsch, der Schlußsatz aber wahr. Entsprechend auch bei Umstellung der Verneinung, (Nachweis) durch die gleichen Einsetzungsbegriffe. Offenkundig ist das auch bei den Begriffsverhältnissen in Teilform: Es hindert ja nichts, daß A allen B und einigen C zukommt, und B dann an einigen C nicht vorliegt, etwa »Lebewesen« an jedem Menschen und einigem, was weiß ist, dann wird »Mensch« an einigem, was weiß ist, nicht vorliegen. Wenn nun also gesetzt ist: A liegt an keinem B vor, aber es trifft bei einigen C zu, dann ist die Eingangsannahme in Allform ganz falsch, die in Teilform wahr, und auch der Schlußsatz wahr. Genauso auch, wenn die Annahme AB behauptend genommen wird: Es kann ja gehen, daß A an keinem B, und einigen C nicht vorliegt, und B dann an einigen C nicht vorliegt, etwa »Lebewesen« an nichts, was keine Seele hat, an einigem, was weiß ist, , und »unbelebt« liegt an einigem, was weiß ist, nicht vor. Wenn nun gesetzt ist: A liegt an allen B, an einigen C aber nicht vor, dann ist die Annahme AB – die Allaussage – ganz falsch, die AC wahr, und der Schlußsatz wahr. Und wenn die (Annahme) in Allform als wahr gesetzt wird, die in Teilform als falsch, (dann genauso): Es hindert ja nichts, daß A weder dem B noch dem C in irgendeinem Falle folgt, daß dann allerdings B an einigen C nicht vorliegt, etwa »Lebewesen« an Zahl in keinem Fall, und an Unbeseeltem ebenso, und »Zahl« folgt einigem, was leblos ist, nicht. Wenn nun gesetzt ist: A an keinem B, aber an einigen C, so wird der Schlußsatz wahr sein, wie die Eingangsannahme in Allform auch, die in der Teilform dagegen war falsch. Und wenn die (Annahme) in Allform behauptend gesetzt wird, dann genauso: Es kann ja gehen, daß A sowohl an B
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wie auch an C zur Gänze vorliegt, und doch B einigen C nicht folgt, etwa die Gattung der Art und dem (artbildenden) Unterschied: »Lebewesen« folgt allem, was Mensch ist, und allem, was zu Lande lebt, »Mensch« aber nicht allem, was zu Lande lebt. Wenn also angenommen ist: A liegt an B in seiner Gesamtheit vor, auf einige C aber trifft es nicht zu, so ist die Annahme in Allform wahr, die in Teilform falsch, der Schlußsatz wahr. Offenkundig ist auch, daß aus beiden, als falsch genommenen, (Eingangssätzen) ein wahrer Schlußsatz folgen kann, wenn doch sein kann: A liegt sowohl an B wie auch an C in ihrer Gesamtheit vor, B dagegen folgt einigen C nicht. Wird nun also genommen: A liegt an keinem B vor, aber an einigen C, dann sind beide Eingangsannahmen falsch, der Schlußsatz aber wahr. Entsprechend auch, wenn der Eingangssatz in Allform behauptend ist, der in Teilform verneinend: Es kann ja gehen, daß A dem B in keinem, dem C dagegen in jedem Falle folgt, und B liegt dann an einigen C nicht vor, etwa »Lebewesen« folgt auf Wissen in keinem, auf Mensch aber in jedem Falle, »Wissen« auf Mensch nicht in jedem Fall. Wenn nun genommen wird: A liegt an B in seiner Gesamtheit vor, folgt einigen C aber nicht, dann sind die Eingangssätze falsch, der Schlußsatz aber wahr. Kapitel 4. Es kann auch in der letzten Schlußform über falsche (Annahmen) Wahres geben, sowohl wenn beide ganz falsch sind, wie auch wenn es eine jede nur in bestimmter Hinsicht ist, und auch wenn die eine ganz wahr, die andere (ganz) falsch ist, und wenn die eine in bestimmter Hinsicht falsch, die andere ganz wahr ist, und auch umgekehrt, und wie anders sonst noch es gehen kann, die Annahmen zu verändern. Es hindert ja nichts, daß weder A noch B in irgendeinem Falle an C vorliegen, und doch A einigen B zukommt, etwa: Weder »Mensch« noch »Landlebewesen« folgen irgendeinem, das unbeseelt ist, dagegen »Mensch« liegt an einigen Landlebewesen wohl vor. Wenn nun angenommen ist: A und B liegen an allen C vor, dann sind die Eingangssätze zwar ganz falsch, der Schluß aber wahr.
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Genauso auch, wenn die eine (Annahme) verneinend, die andere behauptend ist: Es kann ja gehen, daß B an keinem C vorliegt, A dagegen an allen, und daß A dann an einigen B nicht vorliegt, etwa »schwarz« an keinem Schwan, »Lebewesen« aber an jedem, und »Lebewesen« nicht an allem, was schwarz ist. Wenn also nun genommen ist: B an allen C, A an keinem, dann wird A einigen B nicht zukommen, und der Schlußsatz ist wahr, die Annahmen zu ihm aber falsch. Auch wenn jede der beiden (Annahmen) nur in bestimmter Hinsicht falsch ist, so kann es wahren Schlußsatz geben: Es hindert ja nichts, daß sowohl A wie auch B an einigen C vorliegen, und dann A an einigen B, etwa »weiß« und »schön« treffen auf einige Lebewesen zu, und »weiß« auf einiges, das schön ist. Wenn nun gesetzt ist: A und B liegen an allen C vor, dann sind die Annahmen in bestimmter Hinsicht falsch, der Schlußsatz aber wahr. Und wenn (die Annahme) AC verneinend gesetzt wird, dann entsprechend: Es hindert ja nichts, daß A an einigen C nicht vorliegt, B aber einigen zukommt, und daß dann A nicht an allen B vorliegt, etwa liegt »weiß« an einigen Lebewesen nicht vor, »schön« liegt an einigen vor, und dann »weiß« nicht an allem, was schön ist. Wenn also nun angenommen ist: A an keinem C, B dagegen an allen, so sind beide Eingangssätze in bestimmter Hinsicht falsch, der Schlußsatz aber wahr. Genauso auch, wenn die eine (Annahme) als ganz falsch, die andere als ganz wahr genommen wird: Es kann ja gehen, daß sowohl A wie auch B allen C folgen, daß dann jedoch A an einigen B nicht vorliegt, etwa: »Lebewesen« und »weiß« folgt auf Schwan in allen Fällen, »Lebewesen« dagegen liegt nicht an allem vor, was weiß ist. Nachdem nun also die Begriffe so gesetzt sind – wenn dann angenommen wird: B liegt an C in allen seinen Fällen vor, A dagegen in allen nicht, dann ist (die Annahme) BC ganz wahr, die AC dagegen ganz falsch, und der Schlußsatz wahr.
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Entsprechend auch, wenn BC falsch, AC aber wahr ist: es sind ja die gleichen Einsetzungsbegriffe für den Nachweis [schwarz, Schwan, unbeseelt]. Aber auch, wenn beide (Eingangsannahmen) behauptend genommen würden: Es hindert ja nichts, daß B allen C folgt, A dagegen ihm in seiner Gesamtheit nicht zukommt, und dann A an einigen B vorliegt, etwa jedem Schwan »Lebewesen«, »schwarz« dagegen keinem Schwan, und »schwarz« liegt an einigen Lebewesen vor. Wenn nun also angenommen wird: A und B liegen an allen C vor, so ist (die Annahme) BC ganz wahr, die AC ganz falsch, und der Schlußsatz wahr. Entsprechend auch, wenn AC als wahr genommen wird: der Nachweis erfolgt durch die gleichen Einsetzungsbegriffe. Und wieder, ist die eine (Annahme) ganz wahr, die andere in bestimmter Hinsicht falsch, (so geht es auch): Es kann ja gehen, daß B an allen C vorliegt, A an einigen, und dann A an einigen B, etwa »zweifüßig« an jedem Menschen, »schön« dagegen nicht an allen, und dann liegt »schön« an einigem vor, was zweifüßig ist. Wenn nun angenommen ist: Sowohl A wie auch B liegen an C in seiner Ganzheit vor, dann ist (die Annahme) BC ganz wahr, die AC in bestimmter Hinsicht falsch, der Schlußsatz wahr. Entsprechend auch, wenn (die Annahme) AC als wahr, die BC als in bestimmter Hinsicht falsch genommen wird: Indem man die gleichen Begriffe umstellt, erfolgt der Nachweis dafür. Und wenn die eine (Annahme) verneinend, die andere behauptend ist, (dann ebenso): Da es ja gehen kann, daß B an dem gesamten C vorliegt, A an einigen (C), und wenn sie in dem Verhältnis stehen, dann A nicht an allen B –: und wenn nun angenommen wird: B liegt an dem gesamten C vor, A dagegen an keinem, dann ist die verneinende (Annahme) in bestimmter Hinsicht falsch, die andere ganz wahr, und (ebenso) der Schlußsatz. Und wieder, da nachgewiesen ist: Wenn A an keinem C vorliegt, das B aber an einigen, dann kann es gehen, daß A an einigen B nicht vorliegt, so ist offenkundig: Auch wenn (die
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Annahme) AC ganz wahr ist, die BC dagegen in bestimmter Hinsicht falsch, dann kann es gehen, daß der Schlußsatz wahr ist. Wenn nämlich angenommen wird: A an keinem C, B aber an allen, (so ist) die (Annahme) AC ganz wahr, die BC dagegen in bestimmter Hinsicht falsch. Offenkundig ist das auch im Falle der Schlüsse in Teilform: In allen Fällen kann Wahres durch Falsches erschlossen werden; man muß dazu die gleichen Einsetzungsbegriffe nehmen wie in dem Falle, wenn die Eingangsannahmen in Allform stehen: In behauptenden behauptete, in verneinenden verneinte. Es macht nämlich im Hinblick auf die Herausstellung der Begriffe keinen Unterschied, wenn er an keinem vorliegt, zu nehmen, er liege in allen Fällen vor, und wenn er in einigen Fällen vorliegt, zu nehmen, er liege in Allform vor; entsprechend auch im Falle der Verneinungen. – Offenkundig ist nun also: Wenn der Schlußsatz falsch ist, so müssen notwendig (die Annahmen), von denen aus die Herleitung (erfolgt), entweder alle, oder einige davon, falsch sein; ist er dagegen wahr, so ist nicht notwendig, daß sie wahr sein müssen, weder eine bestimmte noch alle, sondern es geht auch, wenn von den Bestandteilen in einem Schlußablauf keiner wahr ist, daß doch der Schlußsatz gleichermaßen wahr ist. Allerdings nicht aus Notwendigkeit so. Ursächlich dafür ist: Wenn zwei (Bestimmungen) sich so zu einander verhalten, daß, wenn es die eine gibt, notwendig auch die andere sein muß, dann wird, wenn dies (Letztere) nicht ist, es auch das andere nicht geben; wenn es aber ist, muß das andere nicht notwendig sein. Wenn aber eines und dasselbe ist und nicht ist, so ist aus Notwendigkeit unmöglich, daß es eines und dasselbe ist – ich meine z. B. (folgendes): Wenn A weiß ist, daß dann B mit Notwendigkeit groß sein muß, und wenn A nicht weiß ist, daß B aus Notwendigkeit groß sein muß; wenn nämlich aufgrund dessen, daß dies – A – weiß ist, jenes – B – notwendig groß ist, wenn aber B groß ist, dann C nicht weiß, so ist notwendig: Wenn A weiß, daß dann C nicht weiß ist. Und wenn von zwei vorhandenen (Bestimmungen) aufgrund dessen, daß
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die eine gilt, notwendig auch die andere gelten muß, ist diese (Letztere) aber nicht, so gilt notwendig auch die erste nicht, nun also: Wenn B nicht groß ist, ist A nicht in der Lage, weiß zu sein. Ist es aber doch notwendig, angesichts dessen daß A nicht weiß ist, daß B groß ist, so ergibt sich mit Notwendigkeit: Angesichts dessen, daß B nicht groß ist, ist eben dies B groß, und das ist unmöglich. Wenn nämlich B nicht groß ist, wird A aus Notwendigkeit nicht weiß sein; wenn nun angesichts der Lage, daß dies nicht weiß ist, B groß sein wird, so ergibt sich: Wenn B nicht groß ist, ist es groß, als wäre es aus drei (Begriffen erfolgt). Kapitel 5. Das »Im-Kreis-herum-« und »Aus-einander-Beweisen« ist dies: Mithilfe des Schlußsatzes und indem man, in umgekehrter Aussage, den einen Eingangssatz hernimmt, den dann noch übrigen zum Ziel eines Schlußsatzes zu machen, den man doch in einem anderen Schluß angenommen hatte. Etwa wenn nachzuweisen wäre: A liegt an allen C vor, und man hat es nachgewiesen mittels B, wenn man dann wieder nachweisen wollte: A liegt an B vor, indem man nimmt: A liegt an C vor, und C an B; zuvor hatte man doch umgekehrt angenommen: B liegt an C vor. Oder, wenn nachzuweisen ist: B liegt an C vor, wenn man dann nähme: A (wird) von C (ausgesagt), was der Schlußsatz war, und: B gilt von A, – zuvor war doch umgekehrt angenommen: A von B. Anders geht es nicht, den Beweis aus einander zu führen: wenn man nämlich einen anderen Mittelbegriff nehmen will, (geht es) nicht im Kreis herum; man nimmt ja nicht wieder (eine Bestimmung aus dem Bestand) derselben; wenn andererseits eine von diesen, so kann es notwendig nur die andere sein: nähme man sie nämlich beide, so gibt es wieder den gleichen Schlußsatz; es sollte jedoch ein anderer sein. Bei Aussagen, die keine Umkehrentsprechung kennen, erfolgt somit der Schluß von der Sachlage aus, daß eine der beiden Eingangsannahmen unbewiesen ist, denn mittels dieser (gesetzten) Begriffe kann man nicht nachweisen, daß dem mittleren der dritte oder dem ersten der mittlere zukommt. Bei solchen Sätzen dagegen, die Umkehrung zulassen, kann
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man alles durch einander beweisen, etwa wenn A und B und C sich durch einander ersetzen lassen. Es sei also nachgewiesen: AC, durch Vermittlung von B, und umgekehrt: AB, durch den Schlußsatz und die umgekehrte Eingangsannahme BC; entsprechend auch: BC, durch den Schlußsatz und die umgekehrte Eingangsannahme AB. Nun sind aber Eingangsannahme CB und BA noch zu beweisen, wir haben ja sie allein unbewiesen in Gebrauch genommen. Wenn man nun angenommen hat: B liegt an allen C vor, und C an allen A, so ergibt sich Schluß auf das Verhältnis B zu A. Und wieder, wenn angenommen ist: C an allen A, A an allen B, so ist notwendig: C kommt allen B zu. In diesen beiden Schlüssen also ist die Eingangsannahme CA unbewiesen angenommen worden; die anderen waren ja aufgezeigt. Wenn wir also diese nachweisen können, werden sie alle durch einander aufgezeigt sein. Wenn nun also angemommen wird: C liegt an allen B vor, und B an allen A, sind es erstens beide Eingangsannahmen, die als bewiesene angenommen sind, zweitens ist (aus ihnen) auch notwendig: C liegt an A vor. Somit ist also offenkundig: Allein bei Sätzen, die sich umkehren lassen, kann es sein, daß Beweise im Kreis herum und durch einander erfolgen, bei den anderen (ist es so), wie wir früher vorgetragen haben. Es tritt auch in diesen Fällen ein, das Nachgewiesene selbst für den Beweis in Gebrauch zu nehmen: C wird, als von B geltend, und B, als von A (geltend), bewiesen, dadurch daß angenommen ist: C wird von A ausgesagt; daß aber C seinerseits von A (gilt), wird wieder durch diese Eingangsannahmen aufgezeigt, also: Wir nehmen das Schlußergebnis zum Beweise in Anspruch. Bei den verneinenden Schlüssen wird folgendermaßen aus einander Beweis geführt: Es gelte, B liegt an allen C vor, A aber an keinem B; Schlußsatz dann: A an keinem C. Wenn nun also in Umkehrrichtung zustandegebracht werden soll: A an keinem B, was man doch vormals angenommen hatte, so gelte also: A an keinem C, C an allen B – so ist die Eingangsannahme ja umgekehrt. Wenn es dagegen darum geht, als Ergebnis zustandezubringen: B an C, ist der Sachverhalt AB nicht mehr in entsprechender Weise umzukehren – es ist
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nämlich die gleiche Annahme: B liegt an keinem A vor, und A an keinem B –, sondern man muß nehmen: An welchem A in keinem Falle vorliegt, an dem B in jedem Falle. Es gelte: A liegt an keinem C vor, – das war doch der Schlußsatz; welchem aber A in keinem Falle, dem – so sei angenommen – kommt B in jedem Falle zu, also notwendig: B liegt an allen C vor. Also, von den Sätzen, die dreie sind, ist jeder einmal zum Schlußergebnis geworden, und das heißt doch dies »Im-Kreis-HerumBeweisen«: Den Schlußsatz zur Annahme machen, die andere Annahme in umgekehrter Form dazuzunehmen und dann auf die restliche (Annahme) zu schließen. Bei Schlüssen in Teilform ist der Eingangssatz in Allform nicht mithilfe der anderen (Sätze) nachzuweisen, bei denen in Teilform geht es. Daß also die Allaussage nicht beweisbar ist, liegt auf der Hand: Aussagen in Allform werden nachgewiesen durch solche in Allform, der Schlußsatz ist aber hier keine Allaussage, man muß aber doch den Nachweis mithilfe des Schluß- und des anderen Eingangssatzes führen. Darüber hinaus, es erfolgt überhaupt kein Schluß, wenn der Eingangssatz umgekehrt wird: beide Eingangssätze treten ja dann in Teilform auf. Den (Eingangssatz) in Teilform dagegen kann man (aus den anderen beweisen). Es sei also bewiesen: A (wird) von einigen C (ausgesagt), über B. Wenn nun also angenommen ist: B an allen A, und der Schlußsatz bleibt so, dann wird B einigen C zukommen; es tritt ja dann die erste Schlußform auf, und A ist die Vermittlung. Ist dagegen der Schluß verneinend, dann ist die Eingangsannahme in Allform nicht zu beweisen, aus dem gleichen Grunde, der vorhin genannt wurde; bei der in Teilform geht es, wenn (der Satz) AB entsprechend umgekehrt wird, wie bei den Allaussagen auch [geht nicht, geht nur mithilfe von Hinzunahme], etwa: Welchem A in einigen Fällen nicht zukommt, an dem liegt B in einigen Fällen vor; anders erfolgt ja auch kein Schluß, aufgrund dessen daß der Eingangssatz in Teilform verneint ist.
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Kapitel 6. In der zweiten Schlußform ist behauptete Aussage auf diese Weise nicht aufzuzeigen, bei verneinter geht es: Zusprechende Aussage läßt sich deshalb nicht nachweisen, weil nicht beide Eingangsannahmen behauptend sind: der Schlußsatz ist ja verneint, von behauptender Aussage war aber nachgewiesen, (sie ergibt sich nur) aus beiden (als) behauptend (gesetzten Eingangssätzen). Verneinte Aussage wird so nachgewiesen: Es liege also A an allen B vor, aber an keinem C; Schlußsatz dann: B an keinem C. Wenn nun angenommen ist: B liegt an allen A vor [aber an keinem C], so ist notwendig: A liegt an keinem C vor; es tritt dann ja die zweite Schlußform auf, Vermittlung (ist) B. Wenn dagegen (der Satz) AB verneint genommen ist, der andere behauptet, so wird es die erste Schlußform: C an allen A, B an keinem C, also: B an keinem A; dann also auch nicht A an B. Aufgrund des Schlußsatzes und der einen Eingangsannahme erfolgt also kein Schluß, wird die andere dagegen hinzugenommen, so gibt es einen. Wenn aber der Schluß nicht in Allform steht, dann ist die Eingangsannahme mit der Ganzheitsaussage nicht nachzuweisen, aus dem gleichen Grund, den wir auch schon früher vorgetragen haben; die dagegen in Teilform läßt sich nachweisen, wenn die Allaussage behauptend ist: Es liege A an allen B vor, aber an nicht allen C; Schlußsatz dann: BC. Wenn nun angenommen ist: B an allen A, aber nicht an allen C, dann wird A an einigen C nicht vorliegen; Vermittlung (ist) B. Ist dagegen die Allaussage verneint, läßt sich die Eingangsannahme AC nicht nachweisen, nachdem der Satz AB umgekehrt ist; dann tritt nämlich ein, daß entweder beide Eingangssätze oder der eine davon verneint werden, sodaß es keinen Schluß gibt. Aber es läßt sich gleichermaßen Nachweis führen wie auch in den Fällen der Allaussage, wenn angenommen ist: An welchem B in einigen Fällen nicht vorliegt, dem kommt A in einigen Fällen zu. Kapitel 7. Bei der dritten Schlußform (liegt es so): Wenn beide Eingangssätze in Allform genommen sind, geht es nicht, den Nachweis aus einander zu führen: Allaussage wird durch
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Allaussagen nachgewiesen, der Schlußsatz in dieser (Schlußform) ist aber immer in Teilform, somit liegt auf der Hand: Es kann überhaupt nicht sein, durch diese Schlußform die Eingangsannahme in Allform zu beweisen. Wenn andererseits die eine (Eingangsannahme) in Allform, die andere in Teilform steht, so wird es bald gehen, bald aber nicht. Wenn also beide behauptend genommen sind, und die Allaussage tritt zu dem kleineren Eckbegriff, geht es; steht sie bei dem anderen, geht es nicht. Es liege als A an allen C vor, B an einigen; Schlußsatz dann: AB. Wenn nun genommen wird: C liegt an allen A vor, so ist zwar nachgewiesen: C kommt einigen B zu, dagegen B an einigen C ist nicht nachgewiesen; dennoch ist notwendig: Wenn C einigen B (zukommt), dann liegt auch B an einigen C vor. Aber es ist nicht das gleiche (zu sagen): »Das kommt diesem, und dieses kommt dem zu«, sondern man muß noch dazunehmen: »Wenn das an einigem von diesem, dann auch das andere an einigem von dem ...« Wird das nun genommen, dann erfolgt von dem Schlußsatz und der anderen Eingangsannahme aus kein Schluß mehr. Wenn dagegen (vorliegt): B an allen C, A an einigen C, so läßt sich die Aussage AC beweisen, wenn angenommen ist: C liegt an allen B vor, A an einigen; wenn nämlich C an allen B, und A an einigen B, so ist notwendig, daß A an einigen C vorliegt; Mittelbegriff (ist) B. Und, ist die eine (Eingangsannahme) behauptend, die andere verneinend, die behauptete in Allform, so läßt sich die andere nachweisen. Es liege also B an allen C vor, A dagegen an einigen (C) nicht; dann Schlußsatz: A kommt einigen B nicht zu. Wird nun dazugenommen: C liegt an allen B vor, so ist notwendig: A liegt an einigen C nicht vor; Mittelbegriff (ist) B. Wenn dagegen die verneinende (Eingangsannahme) in Allform getreten ist, läßt sich die andere nicht nachweisen, außer etwa wie in dem früheren Fall, wenn man annimmt: Welchem dies in einigen Fällen nicht zukommt, dem kommt das andere in einigen zu, z. B.: Wenn A keinem C, B aber einigen (C zu-
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kommt), so ist der Schlußsatz: A liegt an einigen B nicht vor. Wenn nun genommen wird: An welchem A in einigen Fällen nicht vorliegt, an dem liegt C in einigen vor, so ist notwendig: C liegt an einigen B vor. Anders geht es nicht, indem man die Eingangsannahme in Allform umkehrt, die andere zu beweisen; es ergibt sich auf keine Weise ein eindeutiges Begriffsverhältnis. [Offenkundig nun also: In der ersten Schlußform findet der gegenseitige Nachweis sowohl durch die dritte wie auch durch die erste Form statt; ist der Schlußsatz behauptend, dann durch die erste, ist er verneinend, dann durch die letzte; es wird dazu genommen: Welchem dieses in keinem Falle, an dem liegt das andere in allen Fällen vor. In der mittleren (Schlußform führt man den Beweis so): Ist der Schluß eine Allaussage, dann durch sie selbst und durch die erste Form; ist er eine Teilaussage, so durch sie selbst und die letzte. In der dritten (Schlußform) aber alle (Beweise) durch sie selbst. Offenkundig ist aber auch: In der dritten und der mittleren (Schlußform) laufen die nicht in diesen selbst erfolgenden Schlüsse entweder nicht im Sinne des Beweises im Kreisgang ab, oder sie sind unvollkommen.] Kapitel 8. Umkehren bedeutet: Man setzt das Schlußergebnis (ins Gegenteil) um und zieht dann Schluß darauf, daß entweder der (erste) Eckbegriff dem mittleren nicht zukommt oder dieser (nicht) dem letzten. Es ist ja notwendig, wenn der Schlußsatz umgekehrt wird und die eine Eingangsannahme stehenbleibt, daß die restliche umgerissen wird; würde sie stehenbleiben, hätte ja auch das Schlußergebnis Bestand. Es macht aber einen Unterschied, das Schlußergebnis entweder in entgegensetzender oder in gegenüberstellender Weise umzukehren: es erfolgt nämlich nicht der gleiche Schluß, wenn (die Aussage) so oder anders umgekehrt wird; das wird aus dem folgenden klarwerden. Mit »entgegengesetzt sein« meine ich: Allem (zukommen) – nicht allem, und: Einigem (zukommen) – keinem; mit »gegenüberstehen«: Allem (zukommen) – keinem, und: Einigem zukommen – einigem nicht.
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Es sei also bewiesen: A (ausgesagt) von C, durch Vermittlung von B. Wenn denn also angenommen wäre: A liegt an keinem C vor, aber an allen B, so wird B an keinem C vorliegen; und: Wenn A an keinem C, B aber an allen C, dann: A nicht an allen B, und nicht zusatzlos: An keinem. (Begründung): Es wurde ja eine Allaussage durch die letzte Schlußform nicht nachgewiesen. Überhaupt ist die Eingangsannahme, die das Verhältnis zum größeren Eckbegriff ausspricht, nicht in allgemeiner Form durch Umkehrung einzureißen: sie wird ja immer durch die dritte Schlußform aufgehoben; es ist ja notwendig, beide Eingangsannahmen im Verhältnis zum letzten Eckbegriff zu nehmen. Und wenn der Schluß verneinend ist, genauso: Es sei also bewiesen, A liegt an keinem C vor, mittels B. Wenn nun also genommen wird: A liegt an allen C vor, B aber an keinem, dann wird B an keinem C vorliegen. Und: Wenn A und B an allen C (vorliegen), so auch A an einigen B. Aber es kam doch keinem zu. Wenn dagegen das Schlußergebnis in entgegenstellender Form umgekehrt wird, so werden auch die Schlüsse entgegengesetzt sein und nicht in Allform auftreten: es erfolgt ja die eine Eingangsannahme in Teilform, also wird auch der Schlußsatz die Teilform annehmen. Es sei also der Schluß behauptend, und er soll so umgekehrt werden: Wenn also A nicht an allen C, aber an allen B (vorliegt), so B nicht an allen C; und wenn A nicht jedem C, B aber jedem (zukommt), so A nicht allen B. Entsprechend auch, wenn der Schluß (im Ergebnis) verneint ist: Wenn A an einigen C vorliegt, aber an keinem B, so wird B an einigen C nicht vorliegen, nicht zusatzlos an keinem; und wenn A an einigen C, B aber an allen (C vorliegt), wie zu Anfang genommen war, so wird A an einigen B vorliegen. Bei den Schlüssen in Teilform werden, wenn der Schlußsatz in entgegengesetzter Weise umgekehrt wird, beide Eingangsannahmen eingerissen; geschieht es in gegenüberstellender Weise, so keine. Es tritt nämlich nicht mehr ein, wie
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in den Fällen mit der Allaussage, dadurch einzureißen, daß das Schlußergebnis in seiner umgekehrten Form einen Mangel aufweist, sondern überhaupt kein Einreißen. Es sei also bewiesen: A (ausgesagt) von einigen C. Wenn nun angenommen ist: A liegt an keinem C vor, B an einigen, so wird A einigen B nicht zukommen; und wenn A an keinem C, aber an allen B (vorliegt), so B an keinem C. Somit werden beide (Eingangssätze) eingerissen. Erfolgt dagegen die Umkehrung in gegenüberstellender Weise, so keiner von beiden: Wenn A einigen C nicht zukommt, aber allen B, so wird B an einigen C nicht vorliegen, aber damit ist die Anfangsannahme noch nicht aufgehoben: es kann nämlich sein, es kommt einigen zu und einigen nicht zu. Auf die (Eingangsannahme) in Allform, AB, erfolgt überhaupt kein Schluß: Wenn A einigen C nicht zukommt, B aber kommt einigen zu, so steht ja keine der Eingangsannahmen in Allform. Entsprechend auch, wenn der Schluß (im Ergebnis) verneint ist: Wenn nämlich angenommen wäre, A liegt an allen C vor, so werden beide (Eingangsannahmen) eingerissen; wenn (A) nur an einigen (C vorliegt), so keine. Beweis ist der gleiche. Kapitel 9. In der zweiten Schlußform geht es nicht, die Eingangsannahme, die das Verhältnis zum größeren Eckbegriff darstellt, so einzureißen, daß das gegenüberliegende Gegenteil herauskommt, einerlei wie nun die Umkehrung (des Schlußsatzes) erfolgt: immer wird der Schlußsatz in der dritten Form auftreten, einen Schluß mit einem Ergebnis in Allform gab es in dieser aber nicht. Die andere (Eingangsannahme) reißen wir entsprechend der Umkehrung ein – mit »entsprechend« meine ich: Wenn die Umkehrung ins gegenüberliegende Gegenteil erfolgt, dann in dieses; erfolgt sie auf Entgegensetzung hin, dann in diese. Es liege also A an allen B vor, aber an keinem C, Schlußsatz dann: BC. Wenn nun angenommen ist: B liegt an allen C vor, und der Satz AB bleibt so, so wird A allen C zukommen. Es tritt nämlich die erste Schlußform auf. Wenn dagegen B allen C (zukommt), A aber keinem C, dann A nicht allen B – letzte
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Schlußform. Wenn andererseits BC in die Entgegensetzung umgekehrt wird, so wird AB auf gleiche Weise nachgewiesen werden, die (Annahme) AC aber auf das entgegengesetzte Gegenteil hin: Wenn B einigen C (zukommt), A aber keinem C, so wird A an einigen B nicht vorliegen; und wieder, wenn B einigen C (zukommt), A aber allen B, so A einigen C, sodaß also ein Schluß auf das entgegengesetzte Gegenteil herauskommt. Entsprechend wird auch Nachweis geführt, wenn sich die Eingangssätze umgekehrt verhalten sollten. Wenn aber der Schluß in Teilform steht, so wird, wenn das Schlußergebnis ins gegenüberliegende Gegenteil umgekehrt wird, keine der beiden Annahmen eingerissen, wie auch in der ersten Schlußform nicht; geschieht es dagegen ins entgegengesetzte Gegenteil, dann beide. Es sei also gesetzt: A liegt an keinem B vor, aber an einigen C, Schlußsatz dann: BC. Wenn nun gesetzt ist: B liegt an einigen C vor, und der Sachverhalt AB bleibt so, dann wird der Schlußsatz sein: A liegt an einigen C nicht vor; aber damit ist die Anfangsannahme nicht eingerissen: es kann sein, (A) liegt an einigen (C) vor und an einigen nicht vor. Und wieder, wenn B einigen C (zukommt), und A einigen C, so gibt es keinen Schluß: keine der Annahmen liegt in Allform vor; also wird (der Satz) AB nicht eingerissen. Wenn dagegen die Umkehrung ins entgegengesetzte Gegenteil geht, werden beide (Eingangsannahmen) eingerissen: Wenn B an allen C, A aber an keinem B (vorliegt), dann A auch an keinem C; es galt aber: An einigen. Und wieder, wenn B an allen C, A aber an einigen C (vorliegt), dann A an einigen B. Der Beweis ist der gleiche auch für den Fall, daß die Allaussage behauptend ist. Kapitel 10. Bei der dritten Schlußform wird, wenn der Schlußsatz ins gegenüberliegende Gegenteil umgekehrt wird, keine der Eingangsannahmen, in keinem Schlußablauf, eingerissen; erfolgt die Umkehrung dagegen ins entgegengesetzte Gegenteil, dann beide, und in allen. Es sei also nachgewiesen: A liegt an einigen B vor, als Vermittlung sei C genommen, es sollen die Eingangssätze in
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Allform stehen. Wenn nun also angenommen ist: A liegt an einigen B nicht vor, B aber an allen C, so tritt kein Schlußverhältnis zwischen A und C ein. Auch wenn A einigen B nicht zukommt, aber allen C, tritt kein Schlußverhältnis zwischen B und C ein. Entsprechend wird auch Nachweis geführt, wenn die Eingangssätze nicht in Allform stehen: Entweder müssen beide infolge der Umkehrung in Teilform stehen, oder die Allaussage muß zum kleineren Eckbegriff treten; so gab es aber keinen Schluß, weder in der ersten Form noch in der mittleren. Wenn dagegen die Umkehrung ins entgegengesetzte Gegenteil erfolgt, werden beide Eingangssätze eingerissen: Wenn A keinem B, B aber allen C (zukommt), dann A keinem C; und wieder: Wenn A keinem B, aber allen C (zukommt), so B keinem C. Und wenn die eine (Eingangsannahme) nicht in Allform steht, genauso: Wenn A an keinem B, B aber an einigen C (vorliegt), dann wird A an einigen C nicht vorliegen; wenn dagegen A an keinem B, aber an allen C (vorliegt), dann B an keinem C. Entsprechend auch, wenn der Schluß verneinend ist. Es sei also nachgewiesen: A liegt an einigen B nicht vor, die Aussage BC sei behauptend, die AC verneinend; so ging der Schluß ja. Wenn nun das gegenüberliegende Gegenteil zum Schlußergebnis angenommen wird, so erfolgt kein Schluß: Wenn A einigen B (zukommt), B allen C, gab es kein Schlußverhältnis zwischen A und C. Auch wenn A einigen B, aber keinem C (zukommt), gab es kein Schlußverhältnis zwischen B und C. Somit werden die Eingangssätze nicht eingerissen. (Erfolgt die Umkehrung) dagegen ins entgegengesetzte Gegenteil, so werden sie es: Wenn A allen B, und B dem C (entsprechend zukommt), so A allen C; aber es lag ja an keinem vor. Und wieder: Wenn A allen B, aber keinem C (zukommt), dann auch B keinem C; aber es lag ja an allen vor. Entsprechend wird auch Beweis geführt, wenn die Eingangssätze nicht in Allform stehen; es tritt dann ja AC in Allform und verneint auf, die andere (Annahme) in Teilform und behauptet. Wenn also A allen B, B aber einigen C (zukommt),
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so tritt A an einigen C auf; aber es lag ja an keinem vor. Und wieder, wenn A an allen B, aber an keinem C (vorliegt), so B an keinem C; es war aber doch gesetzt: An einigen. Wenn dagegen A an einigen B, und B an einigen C (vorliegt), so ergibt sich kein Schluß; und wenn A an einigen B, aber an keinem C (vorliegt), dann auch nicht. Also, in den ersteren Fällen werden die Eingangssätze eingerissen, so aber werden sie es nicht. Offenkundig ist nun also aufgrund des Vorgetragenen, wie bei Umkehrung des Schlußsatzes ins Gegenteil in einer jeden Schlußform ein Verhältnis sich ergibt, wann es im gegenüberliegenden, wann im entgegengesetzten Gegenteil zur Eingangsannahme steht, und daß in der ersten Form die Schlüsse durch die mittlere und die letzte Form gehen, und daß die (Eingangsannahme) mit dem Verhältis zum kleineren Eckbegriff immer durch die mittlere (Form) eingerissen wird, die mit dem zum größeren durch die letzte; in der zweiten (Schlußform ergeben sich die Verhältnisse) durch die erste und die letzte, die (Eingangsannahme) mit dem Verhältnis zum kleineren Eckbegriff (wird) immer durch die erste Schlußform (eingerissen), die mit dem zum größeren durch die letzte; in der dritten (Schlußform schließlich ergeben sich die Verhältnisse) durch die erste und die mittlere, und die (Eingangsannahme) mit dem Verhältnis zum größeren Eckbegriff (wird) immer durch die erste (eingerissen), die mit dem zum kleineren immer durch die mittlere. Kapitel 11. Was nun also Umkehren heißt, wie in jeder Form ein Schluß erfolgt und was für einer es ist, ist offenkundig. – Auf der anderen Seite (steht) der Schluß durch das Unmögliche: Er tritt seinen Beweis an, wenn der Widerspruch zum Schlußergebnis gesetzt wird und die andere Eingangsannahme dazugenommen ist, und geht in allen Formen. Er ist ja der Umkehrung ähnlich, nur unterscheidet er sich (von ihr) insoweit, daß umgekehrt wird, nachdem Schluß erfolgt war und beide Eingangssätze angenommen worden sind, dagegen die Zurückführung auf das Unmögliche erfolgt, ohne daß das Gegenteil zuvor übereinstimmend angenommen ist, wobei aber offenkundig ist, es ist wahr. Die Begriffe haben in beiden
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(Verfahren) ein entsprechendes Verhältnis, und die Art, wie sie in beiden Fällen genommen werden, ist die gleiche. Etwa wenn A an allen B vorliegt und Mittelbegriff C ist: Ist nun vorausgesetzt, A liegt entweder nicht an allen oder an keinem B vor, aber an allen C, was ja wahr war, so muß notwendig C an B entweder in keinem Falle oder in nicht allen vorliegen; das aber ist unmöglich, somit das Unterstellte falsch, also dessen Gegenteil wahr. Entsprechend auch in den anderen Schlußformen: Alles, was Umkehrung an sich nimmt, (läßt) auch den Schluß durch das Unmögliche (zu). Die übrigen Aufgabenstellungen finden ihre Beweislösung durch das Unmögliche alle in allen Schlußformen, nur der in Allform behauptende Fall läßt sich zwar in der mittleren und der dritten (Form) beweisen, in der ersten aber nicht. Es sei also vorausgesetzt: A liegt an B nicht in allen oder in keinem Falle vor, und es sei hinzugenommen eine Eingangsannahme, welche von beiden auch immer, – entweder: C liegt an allen A vor, oder B an allen D – so wäre es ja die erste Form; wenn nun also vorausgesetzt ist, A liegt nicht an allen B vor, so gibt es keinen Schluß, von welcher der beiden Seiten auch man die Eingangsannahme nimmt; wenn dagegen (vorausgesetzt ist), (A) an keinem (B), dann wird, wenn die (Eingangsannahme) BD hinzugenommen wird, zwar Schluß auf den falschen Satz erfolgen, doch der Beweis geht nicht auf die vorliegende (Aufgabenstellung): Wenn A keinem B (zukommt), B aber allen D, dann A keinem D; das sei unmöglich: es ist also falsch, daß A keinem B zukommt; aber wenn das »(es kommt) keinem (zu)« falsch ist, so ist das »(es kommt) allen (zu)« dadurch nicht wahr. Wird andererseits die (Eingangsannahme) CA hinzugenommen, so stellt sich kein Schluß ein, auch nicht wenn vorausgesetzt ist, A liegt nicht an allen B vor. Somit liegt also auf der Hand: Das »an allem vorliegen« läßt sich in der ersten Schlußform mithilfe des Unmöglichen nicht beweisen. Dagegen (der Fall, daß etwas) in einigen Fällen und in gar keinem und in nicht allen (an etwas vorliegt), läßt sich beweisen: Es sei vorausgesetzt, A liegt an keinem B vor, B dagegen, so sei angenommen, an allen oder einigen C; folglich muß A
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an keinem oder an nicht allen C vorliegen; das aber ist unmöglich – es soll nämlich wahr sein und offenkundig, daß A an allen C vorliegt –, also, wenn das falsch ist, so muß notwendig A an einigen B vorliegen. Wenn andererseits zu A die andere Eingangsannahme genommen wird, so gibt es keinen Schluß. Auch nicht, wenn man das gegenüberliegende Gegenteil zum Schlußergebnis voraussetzt, etwa: »... liegt an einigen nicht vor«. Offenkundig somit: Man muß das entgegengesetzte Gegenteil voraussetzen. Aufs neue sei vorausgesetzt: A kommt einigen B zu, (dazu) genommen sei: C allen A; folglich muß C an einigen B vorliegen. Das sei unmöglich, somit das Vorausgesetzte falsch. Wenn aber das, so ist wahr: (A) kommt keinem (B) zu. Entsprechend auch, wenn der Satz CA verneint genommen ist. Wenn dagegen die Eingangsannahme bei B genommen wird, gibt es keinen Schluß. Wenn das gegenüberliegende Gegenteil vorausgesetzt wird, erfolgt zwar Schluß und Unmögliches auch, allerdings wird nicht bewiesen, was man sich vorgenommen hatte. Es sei also vorausgesetzt: A liegt an allen B vor, und es sei die (Eingangsannahme) genommen: C (liegt) an allen A (vor); folglich muß C allen B zukommen; das aber ist unmöglich, somit also falsch der Satz: A liegt an allen B vor. Aber es ist durchaus noch nicht notwendig, wenn es nicht allen, daß es dann gar keinem zukäme. Entsprechend auch, wenn zu B die andere Eingangsannahme genommen ist: Dann gibt es zwar Schluß und Unmögliches, aber die Voraussetzung wird nicht eingerissen; also muß man das entgegengesetzte Gegenteil zur Voraussetzung machen. Um nachzuweisen: A liegt nicht an allen B vor, ist vorauszusetzen: Es liegt an allen vor; wenn nämlich A allen B, und C allen A (zukommt), dann auch C allen B, sodaß also, wenn das unmöglich ist, das Vorausgesetzte falsch ist. Entsprechend auch, wenn zu B die andere Eingangsannahme genommen wurde. Und wenn der Satz CA verneint war, dann genauso; auch so gibt es ja Schluß; wenn dagegen die Verneinung bei B steht, läßt sich kein Beweis führen.
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Wenn andererseits vorausgesetzt wird: Es liegt nicht an allen, aber an einigen vor, so wird nicht bewiesen »nicht an allen«, sondern »an keinem«: Wenn also A an einigen B, C an allen A (vorliegt), so wird C einigen B zukommen; ist das nun unmöglich, so ist falsch der Satz: A kommt einigen B zu, mithin wahr: (Es kommt) keinem (zu). Ist das jedoch nachgewiesen, so wird der wahre Satz mit eingerissen: A kam zwar einigen B zu, einigen aber auch nicht zu. Darüberhinaus tritt über die Voraussetzung nichts Unmögliches ein: Sie wäre ja falsch, da aus wahren Sätzen Falsches nicht zu schließen ist; nun ist sie aber wahr: A kommt ja einigen B zu. Also ist nicht vorauszusetzen, es komme einigen zu, sondern allen. Entsprechend auch, wenn wir nachweisen wollten: A liegt an einigen B nicht vor; wenn nämlich »einigen nicht zukommen« und »nicht allen zukommen« dasselbe ist, so ist es für beide der gleiche Beweis. Offenkundig ist nun also: Bei allen Begriffsverhältnissen ist nicht das gegenüberliegende, sondern das entgegengesetzte Gegenteil zur Voraussetzung zu machen; so tritt Notwendigkeit ein und ist die Forderung einleuchtend: Wenn nämlich eine Behauptung und ihre Verneinung erschöpfende Aussagen sind, dann muß, wenn nachgewiesen ist: Die Verneinung ist es nicht, die Behauptung notwendig wahr sein. Und wieder, wenn (der andere) nicht setzt: Die Behauptung ist wahr, so ist es einleuchtend, die Forderung zu erheben: Dann also die Verneinung. Das gegenüberliegende Gegenteil zu fordern, will weder auf die eine noch die andere Weise passen. Weder gilt notwendig: »Wenn ’keinem’ falsch, dann ’allen’ wahr«, noch ist es einleuchtend (zu fordern), daß, wenn das eine falsch, das andere wahr sein muß. Kapitel 12. Offenkundig nun also, in der ersten Schlußform finden die anderen Aufgabenstellungen alle eine Beweislösung mithilfe des Unmöglichen, dagegen die in Allform behauptende Weise findet keine. In der mittleren und der letzten (Schlußform) läßt sich auch dies nachweisen: Es sei also gesetzt, A liegt nicht an allen B vor, und es sei (hinzu)-genommen, A liegt an allen C vor; folglich, wenn (A) nicht an allen B, aber an allen C (vorliegt), dann C nicht an allen B; das aber ist
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unmöglich, – es soll nämlich offenkundig sein, C liegt an allen B vor, also ist das Vorausgesetzte falsch; wahr ist somit: Es liegt an allen vor. Wenn dagegen das gegenüberliegende Gegenteil davon vorausgesetzt ist, gibt es zwar Schluß und Unmögliches auch, allerdings wird nicht nachgewiesen, was man sich vorgenommen hatte: Wenn A an keinem B, aber an allen C (vorliegt), dann C an keinem B; das aber ist unmöglich, also das »an keinem vorliegen« falsch. Aber wenn das falsch ist, so ist das »an allen« noch nicht wahr. Dafür aber, daß A an einigen B vorliegt, sei vorausgesetzt: A kommt keinem B zu, dem C soll es in allen Fällen zukommen; folglich (ist) notwendig, C liegt an keinem B vor; also muß, wenn das unmöglich ist, A einigen B zukommen. Wenn dagegen vorausgesetzt ist, es kommt einigen nicht zu, wird es das gleiche sein wie in der ersten Schlußform schon. Wieder sei vorausgesetzt: A liegt an einigen B vor, an C aber soll es in keinem Fall vorliegen; folglich ist notwendig: C liegt an einigen B nicht vor. Aber es kam ja allen zu, somit ist das Vorausgesetzte falsch; also kommt A keinem B zu. Dafür daß A nicht an allen B (vorliegt), sei vorausgesetzt, es kommt allen zu, dem C aber in keinem Fall; dann ist notwendig: C liegt an keinem B vor. Das aber ist unmöglich, also ist wahr: Es kommt nicht allen zu. Also liegt auf der Hand: Durch die mittlere Schlußform ergeben sich alle Schlußverhältnisse. Kapitel 13. Entsprechend auch durch die letzte. Es sei also gesetzt: A liegt an einigen B nicht vor, aber C an allen; dann kommt also A einigen C nicht zu. Ist das nun unmöglich, so ist falsch, daß es einigen nicht zukommt, also wahr: (Es kommt) allen (zu). Wenn dagegen vorausgesetzt wird, es kommt keinem zu, dann gibt es zwar Schluß und Unmögliches auch, nur wird nicht nachgewiesen, was man sich vorgenommen hatte: wenn man nämlich das gegenüberliegende Gegenteil voraussetzt, wird sich dasselbe einstellen wie in den früheren Fällen auch. Hingegen, zum Erweis der Behauptung »es liegt an einigen vor«, ist diese Voraussetzung zu wählen: Wenn nämlich A keinem B, C dagegen einigen B (zukommt), dann A nicht allen C; wenn nun das falsch ist, so ist wahr: A kommt einigen B zu.
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Dafür daß A an keinem B vorliegt, sei vorausgesetzt: Es liegt an einigen vor, hinzugenommen sei auch: C liegt an allen B vor; folglich muß A an einigen C vorliegen. Aber es kam doch keinem zu, somit ist »A liegt an einigen B vor« falsch. Wenn andererseits vorausgesetzt ist: A liegt an allen B vor, so läßt sich, was man vorhatte, nicht nachweisen, sondern diese Voraussetzung ist zu wählen zum Erweis des Satzes »es liegt nicht an allen vor«: Wenn A allen B, und C allen B (zukommt), liegt A an einigen C vor; das aber galt nicht, also ist falsch, daß es allen zukommt; wenn aber das, so ist wahr »nicht allen«. Wenn dagegen vorausgesetzt ist: Es kommt einigen zu, wird sich dasselbe einstellen wie in den früheren Fällen auch. Offenkundig nun also: In allen Schlüssen mithilfe des Unmöglichen muß man das entgegengesetzte Gegenteil zur Voraussetzung machen. Klar ist auch: In der mittleren Form findet gewissermaßen die Behauptung ihren Beweis, in der letzten die Allaussage. Kapitel 14. Es unterscheidet sich der Nachweis auf das Unmögliche hin von dem aufzeigenden dadurch, daß er das setzt, was er einreißen will, indem er es dann auf etwas zugegebenermaßen Falsches hinausbringt; der aufzeigende dagegen fängt an bei zugestandenen Aufstellungen. Es nehmen also beide (Beweiswege) zwei zugestandene Eingangssätze an, nur, der eine (solche), aus denen der Schluß (folgt), der andere zwar die eine davon, als die andere aber den Widerspruch zum Schlußergebnis; und, in diesem (ersten) Fall muß das Schlußergebnis nicht notwendig bekannt sein, und man muß nicht vorweg eine Auffassung davon haben, daß er gilt oder nicht; im anderen Fall dagegen ist notwendig, daß er keinen Bestand hat. Es macht dabei keinen Unterschied, ob der Schlußsatz eine Behauptung oder eine Verneinung ist, sondern es verhält sich bei beiden gleich. Alles, was nachweisend zum Ziel gebracht werden kann, läßt sich auch durch das Unmögliche zeigen, und (umgekehrt), was mithilfe des Unmöglichen, auch nachweisend, mithilfe der gleichen (Einsetzungsbegriffe) [aber nicht in den gleichen Schlußformen]: Wenn der Schluß (auf das Unmögliche) in der
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ersten Form stattgefunden hat, ergibt sich der wahre Sachverhalt in der mittleren oder der letzten, (u.z.) das Verneinte in der mittleren, das Behauptete in der letzten. Wenn dagegen der (Unmöglichkeits)-Schluß in der mittleren (Form stattgefunden hat), so (findet man) den wahren Sachverhalt für alle Aufgabenstellungen in der ersten. Wenn schließlich der (Unmöglichkeits)-Schluß in der letzten (Form stattgefunden hat), so (ergibt sich) der wahre Sachverhalt in der ersten und der mittleren, (u.z.) die behauptenden Aussagen in der ersten, die verneinenden in der mittleren. Es sei also (mithilfe des Unmöglichen) nachgewiesen: A (kommt) keinem oder nicht allen B (zu), in der ersten Schlußform; folglich war die Voraussetzung: A kommt einigen B zu, und von C war angenommen, es komme allen A zu, aber keinem B; so kamen Schluß und Unmöglichkeit ja zustande. Das ist aber die mittlere Schlußform, wenn C allen A, aber keinem B zukommt; und daraus ist offenkundig: A liegt an keinem B vor. Entsprechend auch, wenn (so) nachgewiesen ist, es liegt nicht an allen vor: dann ist ja die Voraussetzung, es kommt allen zu, und von C war angenommen, (es kommt) allen A, aber nicht allen B (zu). Und wenn CA verneint genommen würde, dann entsprechend: auch so tritt die mittlere Schlußform auf. Erneut, es sei (so) nachgewiesen: A liegt an einigen B vor; dann war also die Voraussetzung, es liege an keinem vor, von B aber war angenommen, es liegt an allen C vor, und A entweder an allen oder einigen C: so ergibt sich ja das Unmögliche. Das ist aber die letzte Schlußform, wenn A und B allen C (zukommen). Und daraus ist offenkundig: A muß an einigen B vorliegen. Entsprechend auch, wenn angenommen wäre, B oder A liegt an einigen C vor. Erneut, es sei in der mittleren Schlußform (auf dem Unmöglichkeitsweg) nachgewiesen: A liegt an allen B vor; folglich war die Voraussetzung: A liegt nicht an allen B vor, und es ist hinzugenommen: A an allen C, und C an allen B; so kommt das Unmögliche ja zustande. Das aber ist die erste Schlußform: A an allen C, und C an allen B.
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Entsprechend auch, wenn nachgewiesen ist, es liegt an einigen vor; dann war die Voraussetzung: A liegt an keinem B vor, hinzugenommen ist: A an allen C, und C an einigen B. Wenn aber der Schlußsatz verneint ist, so war die Voraussetzung: A liegt an einigen B vor, hinzugenommen ist: A an keinem C, und C an allen B; somit tritt die erste Schlußform auf. Und wenn der Schluß nicht in Allform steht, sondern nachgewiesen ist: A liegt an einigen B nicht vor, dann genauso: Voraussetzung war, A liege an allen B vor, hinzugenommen ist: A an keinem C, und C an einigen B; so tritt ja die erste Schlußform ein. Erneut, in der dritten Schlußform sei nachgewiesen: A liegt an allen B vor; dann war also die Voraussetzung, daß A nicht an allen B vorliegt, hinzugenommen ist: C an allen B, und A an allen C; so findet der Schluß auf das Unmögliche ja statt. Das ist aber die erste Schlußform. Genauso auch, wenn der Nachweis auf (das Vorliegen an nur) einigen (geht); Voraussetzung war dann: A liegt an keinem B vor, hinzugenommen ist: C an einigen B, und A an allen C. Ist dagegen der Schluß verneinend, so war Voraussetzung: A liegt an einigen B vor, hinzugenommen ist: C an keinem A, aber an allen B; das ist die mittlere Schlußform. Entsprechend auch, wenn der Nachweis nicht auf die Allaussage führt: Voraussetzung wird dann (gewesen) sein, daß A an allen B vorliegt, hinzugenommen ist: C an keinem A, aber an einigen B. Das ist die mittlere Schlußform. Offenkundig ist nun also: Mithilfe der gleichen Einsetzungsbegriffe geht es, jede Aufgabenstellung auch auf aufzeigenden Weg nachzuweisen [wie auch durch das Unmögliche]. Entsprechend wird es auch gehen, wenn die Schlüsse aufzeigend sind, sie im Rahmen der gewählten Begriffe auf das Unmögliche hinzubringen, wenn die dem Schlußergebnis entgegengesetzte Annahme gemacht wird. Es erfolgen ja dieselben Schlüsse wie die bei der Umkehrung, somit haben wir auch die Schlußformen in der Hand, durch welche ein jedes sich ergibt. Klar ist also, daß jede Aufgabenstellung über beide Weisen ihre Beweislösung findet, sowohl über das Unmögliche wie
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unmittelbar aufzeigend, und es geht nicht, die eine (von der anderen) zu trennen. Kapitel 15. In welcher Schlußform es geht, aus entgegengesetzten Eingangsannahmen Schlüsse zu ziehen, und in welcher das nicht geht, wird folgendermaßen ersichtlich. Ich nenne zunächst »entgegengesetzte Eingangsannahmen« nach dem Sprachausdruck vier: Allem (zukommen) – keinem; allem – nicht allem; einigem (zukommen) – keinem; einigem – einigem nicht; dem wahren Sachverhalt nach (sind es nur) drei: Einigem (zukommen) ist dem einigen nicht ja nur im Sprachausdruck entgegengesetzt. Davon liegen einander gegenüber die Allaussagen: Allem zukommen – keinem, etwa: Jedes Wissen ist wertvoll – kein Wissen ist es; die übrigen schließen einander im Widerspruch aus. In der ersten Schlußform also gibt es aus entgegengesetzten Eingangsannahmen keinen Schluß, weder einen behauptenden noch einen verneinenden; einen behauptenden nicht, weil dazu beide Eingangsannahmen behauptend sein müssen, die entgegengesetzten sind aber doch Aussage und ihre Verneinung; einen verneinenden nicht, weil doch die entgegengesetzten (Eingangsannahmen) eines und dasselbe von einem und demselben (Gegenstand) behaupten und bestreiten, in der ersten Form aber wird der Mittelbegriff eben nicht von beiden (Eckbegriffen) ausgesagt, sondern an ihm wird dies geleugnet, er selbst wird von dem anderen ausgesagt: diese (Eingangsannahmen) stehen zu einander nicht im Widerspruch. In der mittleren Schlußform dagegen kann sowohl aus entgegengesetzten wie aus gegenüberstehenden (Eingangsannahmen) Schluß erfolgen: Es sei also »gut« A, »Wissen« stehe unter B und C; hat man also angenommen: Jedes Wissen ist wertvoll, und: Kein ..., so liegt A an allen B vor, aber an keinem C, also B an keinem C – kein Wissen ist somit Wissen. Entsprechend auch, wenn man angenommen hat: Jedes (Wissen) ist wertvoll, und dazunimmt: Die Heilkunst ist es aber nicht; dann liegt A an allen B vor, aber an keinem C, somit wird dies bestimmte Wissen kein Wissen sein. Und wenn A zwar an allen C vorliegt, aber an keinem B, und es ist B »Wis-
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sen«, C »Heilkunst«, A »Wirklichkeitserfassung«, dann hat man ja erst angenommen: Kein Wissen ist Wirklichkeitserfassung, und dann nimmt man an: Ein bestimmtes ist das doch. Das unterscheidet sich von dem vormaligen Fall dadurch, daß mit den Begriffen eine Umkehrung stattfindet: Zuvor stand die Behauptung bei B, jetzt bei C. Und wenn die eine (Eingangsannahme) keine Allaussage ist, dann genauso; es ist ja immer der Mittelbegriff, der vom einen (Eckbegriff) in verneinter Weise ausgesagt wird, vom anderen in bejahter. Somit kann es also gehen, zu entgegengesetzten Zielen zu kommen, nur, nicht immer und auf jede Weise, sondern nur dann, wenn das unter dem Mittelbegriff (Stehende) das Verhältnis (zum jeweiligen Eckbegriff) hat, daß es entweder dasselbe ist (wie er) oder wie ein Ganzes zum Teil (steht); anders ist es unmöglich: die Eingangsannahmen sind ja sonst weder gegenüberliegend noch entgegengesetzt. In der dritten Schlußform wird ein behauptender Schluß niemals aus entgegengesetzten Eingangsannahmen gehen, aus dem gleichen Grund, wie schon zur ersten Schlußform angeführt; ein verneinender kann sein, sowohl wenn die Begriffe in ein Allverhältnis gesetzt sind, wie auch wenn sie es nicht sind. Es sei also »Wissen« B und C, »Heilkunst« A; nähme man nun an: Alles, was Heilkunst ist, ist ein Wissen, und: Nichts, was Heilkunst ist, ist ein Wissen, so hat man angenommen: B (kommt) allem A (zu) und keinem C, somit wird ein bestimmtes Wissen kein Wissen sein. Entsprechend auch, wenn die Eingangsannahme BA nicht in Allform genommen ist: Wenn eine bestimmte Form von Heilkunst ein Wissen ist, und andererseits keine Form von Heilkunst ein Wissen, so ergibt sich: Eine bestimmte Form von Wissen ist kein Wissen. Es sind dabei, wenn die Begriffe ins Verhältnis der Allform genommen werden, die Eingangsannahmen gegenüberliegend, steht der eine in Teilform (im Verhältnis zum anderen), so entgegengesetzt. Man muß aber (stets) bedenken, daß es einerseits geht, die Gegensätze so zu nehmen, wie wir gesagt haben: Jedes Wissen ist wertvoll, und wieder: Keines ..., oder: Ein bestimmtes ist
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nicht wertvoll; das bleibt in der Regel nicht verborgen. Es geht andererseits, die eine Seite davon mittels anderer Fragen zu erschließen oder sie so zu erhalten, wie in der topik vorgetragen. Da aber die Entgegensetzungen zu den Behauptungen auf drei kommen, so ergibt sich, daß man entgegengesetzte (Bestimmungen) auf sechsfache Weise nehmen kann, entweder: Allen – keinem, oder: Allen – nicht allen, oder: Einigen – keinem; und das (kann man) an den Begriffen noch umkehren, z. B.: A (liegt) an allen B, aber keinem C (vor), oder: An allen C, aber keinem B, oder: Am einen in allen Fällen, am anderen nicht in allen; und auch das ist noch umkehrbar bezüglich der Begriffe. Entsprechend auch für die dritte Schlußform. Somit ist einsichtig, auf wieviele Weisen und in welchen Schlußformen es geht, daß mittels entgegengesetzter Eingangsannahmen Schluß erfolgt. Ersichtlich ist aber auch, daß es zwar geht, aus falschen (Annahmen) Wahres zu erschließen, wie früher vorgetragen ist, aus entgegengesetzten (Annahmen) aber geht es nicht: Es kommt immer der zum Sachverhalt gegenteilige Schluß heraus, z. B. wenn (A) gut ist, daß es nicht gut ist, und wenn es ein Lebewesen ist, daß es keins ist, (und das) infolge der Tatsache, daß der Schluß von der Gegenaussage aus erfolgt und daß die zugrundegelegten Begriffe entweder (im Verhältnis zu einander) dasselbe sind oder der eine wie ein Ganzes zum anderen als seinem Teil (sich verhält). Klar ist aber auch, daß bei den Fang- und Fehlschlüssen kein Hindernis besteht, daß der Widerspruch zur angesetzten Voraussetzung eintritt, etwa wenn (A) ungerade ist, daß es nicht ungerade sei: aus Eingangsannahmen, die einander entgegengesetzt waren, ergab sich doch auch gegenteiliger Schluß; hat man also solche zur Annahme gemacht, so wird der Widerspruch zur gemachten Voraussetzung eintreten. Man muß aber bedenken, daß es in der Weise nicht geht, Gegenteiliges aus einem Schlußvorgang zustandezubringen, daß das Schlußergebnis wäre: Was nicht gut ist, ist gut, oder anderes derart, wenn nicht gleich eine derartige Ein-
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gangsannahme getroffen ist – etwa: Jedes Lebewesen ist weiß, und: ... ist nicht weiß; der Mensch ist aber ein Lebewesen –; sondern man muß entweder den Widerspruch dazunehmen, etwa: Jedes Wissen ist eine Wirklichkeitserfassung, dann dazunehmen: Die Heilkunst ist zwar ein Wissen, aber keine Wirklichkeitserfassung, wie eben diese Widerlegungsschlüsse gehen; oder es erfolgt aus zwei Schlußvorgängen. Daß dabei das Angenommene tatsächlich gegensätzlich ist, ist auf keine andere Weise zu gewährleisten als diese, wie ja früher gesagt ist. Kapitel 16. Die Ausgangsbehauptung herzufordern und sich einfach zu nehmen, besteht, um es in seinen allgemeinen Zügen zu fassen, darin, daß man für die gestellte Aufgabe keinen Nachweis liefert. Das jedoch tritt auf vielfache Weise auf. Erstens, wenn einer überhaupt nicht Begriffe ins Verhältnis setzt, zweitens, wenn er (den Weg) über Unbekannteres oder genauso Unbekanntes (wie das zu Beweisende nimmt), drittens, wenn er über Nachgeordnetes zu Früheren (vorstoßen will): Beweis erfolgt ja aus Glaubhafterem und Vorgeordnetem. Von alledem ist nun (noch) keines (genau) das Herfordern der Ausgangsbehauptung, sondern (erst folgendes): Da die einen (Gegenstände möglicher Erkenntnis) von Natur so beschaffen sind, durch sich selbst erkannt werden zu können, die anderen (erst) über andere – die Anfangsannahmen durch sich selbst, was unter diesen Erstannahmen steht, durch anderes –: nun also, wenn jemand den Versuch macht, etwas, das nicht durch sich selbst erkennbar ist, durch dieses selbst nachzuweisen, dann fordert er die Ausgangsbehauptung (unerlaubt) her. Das ist einerseits so zu schaffen, daß man die hingestellte Behauptung auf geradem Wege gleich (als gültig) fordert, es geht aber auch, indem man zuerst hinübergeht auf irgendwelche anderen Gegenstände, die ihrer Naturbeschaffenheit nach durch jenes andere erst ihren Nachweis finden, und nun über sie einen Beweis für die Ausgangsbehauptung liefert, etwa in dem Falle: A würde nachgewiesen durch B, B durch C, wohingegen doch C von der Art wäre, durch A nachgewiesen zu wer-
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den; es tritt ja für die, welche so schließen, ein, daß sie für A einen Nachweis durch es selbst liefern. Dies genau machen die, welche da meinen, die Geraden mit gleichem Abstand durch Zeichnung herzuleiten: sie merken bei ihnen selbst nicht, daß sie solche Annahmen machen, die nicht zu beweisen wären, wenn es in gleichem Abstand nebeneinanderher laufende Geraden nicht schon gäbe; also geschieht es denen, die dermaßen schließen, im jedesmaligen Falle zu sagen: Dies gilt, weil es gilt. So wird aber alles durch sich selbst erkennbar werden, was denn doch unmöglich ist. Wenn nun also jemand (folgendermaßen vorginge): Angesichts einer Lage, wo es unklar ist, ob A an C vorliegt, entsprechend auch, ob (A) an B, würde er fordern: A liegt an B vor, – dann ist durchaus noch nicht klar, ob er damit die Ausgangsbehauptung herfordert; daß er aber keinen Beweis führt, ist klar: Etwas, das genauso unklar ist (wie das zu Beweisende selbst), kann nicht Anfangsannahme zu einem Beweis sein. Wenn allerdings B zu C in einem solchen Verhältnis steht, daß es das gleiche ist (wie es), oder wenn klar ist, eins läßt sich an die Stelle des anderen setzen, oder das eine liegt in dem anderen eingeschlossen mit vor, dann fordert man die Ausgangsbehauptung her; man könnte ja mittels dieser (Begriffe), wenn man sie in ihrer Anordnung vertauschen kann, auch nachweisen, daß A an B vorliegt – nun aber hindert dieses daran, aber die Art und Weise, wie vorgegangen wird, nicht; wenn er das aber täte, so würde er eben tun, was schon gesagt ist, und würde über drei (Begriffe) den einen durch den anderen ersetzen. Genauso auch, wenn er annähme: B liegt an C vor, wo es in gleicher Weise unklar wäre, (ob das so ist), wie bei A auch, dann (fordert er) noch nicht die Ausgangsannahme (ein), aber Beweis führt er auch nicht. Sind dagegen A und B dasselbe, entweder indem man sie durcheinander ersetzen kann, oder dadurch, daß A dem B folgt, dann fordert er die Ausgangsbehauptung ein, aus dem gleichen Grunde (wie eben): Was »Ausgangsbehauptung einfordern« bedeutet, ist von uns vorgetragen, nämlich: Etwas aufgrund seiner selbst nachzuweisen, was aus sich selbst nicht klar ist.
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Wenn nun also das »die Ausgangsbehauptung einfordern« ist, etwas aufgrund seiner selbst nachzuweisen, was nicht von sich aus klar ist, d. h. eben, keinen Beweis zu führen, und das tritt dann ein, wenn das Nachzuweisende und das, durch welches es nachgewiesen werden soll, gleichermaßen unklar sind, entweder dadurch, daß (mehrere) gleiche (Bestimmungen) an einem und demselben (vorliegen), oder eines und dasselbe an (mehreren) gleichen vorliegt: so wird es in der mittleren Schlußform und der dritten ja wohl auf beide Weisen möglich sein, die Ausgangsbehauptung einzufordern, im Falle eines entschieden behauptenden Schlusses aber in der dritten und der ersten. Wenn es um einen verneinenden Schluß geht, (so ist das dann möglich), wenn die gleichen (Bestimmungen) vom gleichen (Gegenstand verneint werden); und beide Eingangsannahmen (dürfen sich) nicht in entsprechender Weise (verhalten) – genauso auch in der mittleren (Schlußform) – aus dem Grunde, weil die Begriffe bei verneinenden Schlüssen keine umkehrende Ersetzung durch einander erlauben. – Das »die Ausgangsbehauptung herfordern« bezieht sich im Bereich der (strengen) Beweisführung auf Sachverhalte, die in Wahrheit so Bestand haben, in den bloßen Gesprächszusammenhängen (geht es um solche, die) nach allgemeinem Dafürhalten (so gelten). Kapitel 17. Der Satz: »Auf diesem Wege tritt die Falschheit nicht ein«, (ein Einwand), den wir oftmals in Erörterungen auszusprechen pflegen, hat erstens seinen Platz bei den Schlüssen auf das Unmögliche hin, wenn es nämlich auf Widerspruch zu dem hinaussoll, was da mittels der (Rückführung) auf das Unmögliche erwiesen war; wenn man nämlich nicht Widerspruch (gegen das Schlußergebnis) eingelegt hat, wird man ja dies »auf diesem Wege aber nicht ...« nicht Vorbringen, sondern etwa: Irgendeine der früheren Aufstellungen war falsch ...; und bei der unmittelbar aufzeigenden (Beweisführung wird man es) schon gar nicht (tun): die setzt doch nicht, was (der anderen Annahme) widerspricht. Darüberhinaus, wenn irgendein (Sachverhalt) nachweisend durch die (Verhältnisse von) ABC eingerissen ist, so geht es nicht zu sagen, der
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Schluß sei nicht entlang der Festlegungen erfolgt: das »auf diesem Wege tritt es nicht ein« bringen wir doch dann vor, wenn, nachdem dies weggeräumt ist, der Schluß nichtsdestoweniger zu seinem Ende kommt, und das tritt bei den unmittelbar nachweisenden (Schlüssen) ja nicht auf; wenn nämlich da die Behauptung aufgehoben ist, wird auch der Schluß auf diese keinen Bestand mehr haben. Ersichtlich ist somit, daß das »auf diesem Wege aber nicht ...« bei den (Schlüssen) auf das Unmögliche ausgesagt wird, (u. z. genau dann), wenn die anfängliche Voraussetzung zu der Unmöglichkeit in dem Verhältnis steht, daß, ob sie nun gilt oder nicht gilt, das Unmögliche in jedem Falle eintritt. Die augenfälligste Weise davon, daß die Falschheit nicht auf dem Wege über die aufgestellte Behauptung eintritt, liegt dann vor, wenn der Schluß von den Mittelbegriffen auf das Unmögliche hin ohne Verknüpfung von seiten der Voraussetzung her erfolgt, ein Fall, der ja auch in der TOPIK vorgetragen ist. Das heißt ja, was nicht Ursache ist, für Ursache ausgeben, wie etwa wenn einer, der nachweisen will, daß der Durchmesser sich nicht regelmäßigen Maßen fügt, die Erklärung Zenons zur Hand nähme, (die da »nachweist«), daß es Bewegung nicht geben kann, und hierauf dann die Unmöglichkeit herausbrächte: (in dem Falle) hat die Falschheit auf keine Weise und an keiner Stelle einen Zusammenhang mit der anfänglichen Behauptung. Eine andere Weise (liegt dann vor), wenn zwar die Unmöglichkeit mit der Voraussetzung in einem Zusammenhang stehen mag, allerdings nicht ihr zufolge eintritt. Daß sich das ergeben kann, dafür gibt es Raum, sowohl wenn man den Zusammenhang nach oben, wie wenn man ihn nach unten verfolgt, etwa wenn festliegt: A kommt dem B zu, B dem C, C dem D, folgendes aber wäre falsch, nämlich: B liegt an D vor; wenn nämlich, nach Streichung von A, B dem C nichtsdestoweniger zukäme, und C dem D, dann träte die Falschheit nicht in der Folge der Ausgangsvoraussetzung ein. Oder, andersherum, wenn einer den Zusammenhang nach oben verfolgt, etwa: A liegt an B vor, an A aber E, an E dann F, und falsch wäre
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dabei, daß F dem A zukomme; auch so träte das Unmögliche nach Einreißung der Ausgangsvoraussetzung nichtsdestoweniger ein. Dagegen: Die Unmöglichkeit muß zu den anfänglichen Begriffen in einem Zusammenhangsverhältnis stehen; so wird sie in der Folge der Voraussetzung stehen, etwa wenn man den Zusammenhang nach unten nimmt, der Zusammenhang in dem, was von den Begriffen ausgesagt wird: Ist es unmöglich, daß A an D vorliegt, so wird mit Fortnahme von A auch die Falschheit nicht mehr bestehen; (nimmt man) dagegen den nach oben, (so liegt der Zusammenhang bei dem), wovon (etwas) ausgesagt wird: Wenn es nicht geht, daß F an B vorliegt, wird nach Fortnahme von B die Unmöglichkeit nicht mehr gelten. Entsprechend auch dann, wenn die Schlüsse verneinend sind. Offenkundig ist nun also: Wenn die Unmöglichkeit in keinem Verhältnis zu den Anfangsbegriffen steht, kann es nicht eintreten, daß die Falschheit der Voraussetzung zuwider sich ergibt, – oder tritt auch im anderen Falle die Falschheit nicht immer infolge der Voraussetzung ein? Auch wenn ja gesetzt wäre: A kommt nicht dem B, sondern dem K zu, K seinerseits dem C, und dies dem D, – auch so bleibt die Unmöglichkeit – entsprechend auch, wenn man die Begriffe nach oben verfolgt –, also, da nun die Unmöglichkeit eintritt, mag dies gelten oder nicht gelten, so tritt sie ja wohl nicht entlang der (Ausgangs)Voraussetzung ein. Oder (ist es vielleicht so zu verstehen): Der Ausdruck »auch wenn das nicht gilt, so tritt die Falschheit nichtsdestoweniger ein« ist nicht so zu nehmen, daß, wenn etwas anderes gesetzt wird, die Unmöglichkeit eintritt, sondern, wenn das fortgenommen ist, so wird aufgrund der übrigen Eingangsannahmen immer noch dieselbe Unmöglichkeit zuwege gebracht, womit denn also die Tatsache, daß eine und dieselbe Falschheit aufgrund mehrerer Voraussetzungen eintritt, vielleicht nichts Unsinniges ist, etwa (mit folgendem Beispiel): Nebeneinander in gleichem Abstand herlaufende Geraden bewegen sich sowohl dann auf einander zu, wenn der Innen(winkel) größer ist als der außen, als auch, wenn das Dreieck einen Winkelbetrag, größer als zwei Rechte, hat.
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Kapitel 18. Eine falsche Herleitung ergibt sich über die erste Falschheit in ihr. Jeder Schluß erfolgt doch aus den zwei, oder aus mehr als zwei Eingangsannahmen: Wenn er nun also aus den (notwendigen) zweien (hervorgeht), so muß dann eine davon, oder es können auch beide falsch sein; aus wahren (Annahmen) gab es keinen falschen Schluß. Wenn er andererseits aus mehr als zwei (Annahmen hervorgeht), etwa C aufgrund von AB, das dann wieder aufgrund von D, E, F, G, so wird etwas von diesem weiter oben Stehenden falsch sein müssen, und über dies dann auch die ganze Herleitung: A und B werden ja über diese erreicht. Also, über eine unter diesen (Annahmen) treten Schlußergebnis und (in diesem Fall) Falschheit ein. Kapitel 19. Damit wir beim Schließen nicht unter die Räder geraten, ist (auf folgendes) zu achten: Wenn (der andere) seine Herleitungsrede abfragt, ohne die jeweiligen Schlußergebnisse (ausdrücklich zu machen), darf in den Eingangssätzen nicht zweimal dasselbe zugegeben werden, da wir doch wissen: Ohne Vermittlung findet Schluß nicht statt, und Mittelbegriff ist das, was mehr als einmal ausgesprochen wird. Wie man aber im Hinblick auf das jeweilige Schlußergebnis den Mittelbegriff ausfindig machen muß, das liegt auf der Hand, wenn man weiß, was für ein (Ergebnis) sich in jeder Schlußform nachweisen läßt; daran kann es uns aber nicht fehlen, weil wir doch wissen, wie wir (im jeweiligen Fall) Rede und Antwort stehen. Wovor man sich nach dieser Anweisung nun hüten muß, wenn man der Antwortende ist, genau das muß man, wenn man selbst am Zuge ist, zu tun versuchen, und das möglichst unbemerkt. Dies kann erstens geschehen, wenn die Ergebnisse der Vor-Schlüsse nicht schon gezogen werden, sondern, nachdem die notwendigen Annahmen getroffen sind, im Unklaren bleiben; zweitens, indem man nicht nach Naheliegendem fragt, sondern nach möglichst Unvermitteltem. Es sei z. B. notwendig, A, als von F ausgesagt, als Schlußergebnis herbeizuführen, Vermittlungen: B, C, D, E. Dann muß man also fragen: Kommt A dem B zu, dann aber nicht: Kommt B dem C zu, sondern: Kommt D dem E zu, und danach erst: Kommt
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Erste Analytik
B dem C zu, und dann das übrige. Und wenn der Schluß durch eine einzige Vermittlung erfolgt, soll man von dem Mittelbegriff losgehen: so dürfte (das eigene Vorhaben) vor dem Antwortenden am besten verborgen bleiben.
ARISTOTELES Zweite Analytik
BUCH I
Kapitel 1. Jede Unterweisung und jedes verständige Erwerben von Wissen entsteht aus bereits vorhandener Kenntnis. Einleuchtend ist dies für diejenigen, die alle Einzelfälle betrachten. Denn sowohl die mathematischen unter den Wissenschaften kommen auf diese Weise zustande als auch jede der übrigen Künste, und ähnlich auch, was die Argumente angeht, sowohl diejenigen, die durch Deduktion, als auch diejenigen, die durch Induktion entstehen. Denn beide bringen durch bereits bekannte Dinge die Unterweisung zustande, die einen, indem sie etwas annehmen von Leuten, die angeblich die bereits bekannten Dinge verstehen, die anderen, indem sie das Allgemeine dadurch aufweisen, dass das Einzelne klar ist. Auf dieselbe Weise überzeugen auch die rhetorischen Argumente – entweder nämlich durch Beispiele, was eine Induktion ist, oder durch rhetorische Schlüsse, was eine Deduktion ist. Auf zweifache Weise jedoch ist es notwendig, bereits über Kenntnisse zu verfügen. Denn es ist notwendig, von einigen Dingen im Voraus anzunehmen, dass sie sind, von anderen zu verstehen, was das Gesagte ist, von wieder anderen dagegen beides – wie etwa davon, dass man wahrheitsgemäß alles entweder bejaht oder verneint, dass es der Fall ist; vom Dreieck, dass es dies bezeichnet; von der Einheit dagegen beides, sowohl was sie bezeichnet als auch dass sie ist. Denn nicht auf ähnliche Weise ist ein jedes dieser Dinge klar für uns. Man kann aber auch insofern über Kenntnisse verfügen, als man einige Dinge zuvor zur Kenntnis nimmt, von anderen dagegen auch gleichzeitig Kenntnis gewinnt, wie etwa von allem, was unter das Allgemeine fällt, von dem man über Kenntnis verfügt. Dass nämlich jedes Dreieck Winkel besitzt, die zwei Rechten gleich sind, wusste man bereits; dass aber diese Figur hier im Halbkreis ein Dreieck ist, davon gewinnt man zugleich unter Durchführung einer Induktion Kenntnis. Bei ei-
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nigen Dingen nämlich erfolgt auf diese Weise das Erwerben von Wissen – und nicht durch den Mittelbegriff gewinnt man vom Außenbegriff Kenntnis – , und zwar bei allen Dingen, die tatsächlich zum Einzelnen gehören und nicht von einem Zugrundeliegenden ausgesagt werden. Bevor man dagegen eine Induktion durchgeführt oder eine Deduktion vorgenommen hat, muß man vielleicht sagen, dass man es zwar auf gewisse Weise weiß, auf andere Weise jedoch nicht. Wovon man nämlich nicht wußte, ob es schlechthin ist, wie wußte man davon schlechthin, dass es zwei rechte Winkel hat? Aber es ist klar, dass man es so weiß, dass man es allgemein weiß, schlechthin jedoch nicht weiß. Andernfalls wird sich das Problem im Menon ergeben: entweder man wird keinerlei Wissen erwerben oder nur dasjenige, worüber man verfügt. Keineswegs nämlich darf man so reden, wie einige es zu lösen versuchen: Weißt du von jeder Zweiheit, dass sie gerade ist, oder nicht? Bejaht man, so bringen sie gewöhnlich eine Zweiheit vor, von der man nicht glaubte, dass sie eine Zweiheit ist, also auch nicht, dass sie gerade ist. Sie lösen es nämlich, indem sie nicht behaupten zu wissen, dass jede Zweiheit gerade ist, sondern nur jene, von der sie wissen, dass sie eine Zweiheit ist. Dennoch wissen sie dasjenige, wovon sie über eine Demonstration verfügen und worüber sie Annahmen gemacht haben, sie haben jedoch nicht Annahmen gemacht über alles, wovon sie irgend wissen, dass es ein Dreieck oder dass es eine Zahl ist, sondern schlechthin über jede Zahl und jedes Dreieck. Denn keine Prämisse wird angenommen, die von der Art ist, dass sie sagt: wovon du weißt, dass es eine Zahl ist, oder: wovon du weißt, dass es geradlinig ist, sondern: von jedem. Aber nichts, so glaube ich, hindert daran, dasjenige, wovon jemand Wissen erwirbt, auf eine Weise zu wissen, auf eine andere Weise jedoch nicht zu wissen. Absurd nämlich ist es nicht, wenn jemand in gewisser Weise weiß, wovon er Wissen erwirbt, sondern nur, wenn er es auf diese bestimmte Weise weiß, das heißt inwiefern er Wissen erwirbt und wie.
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Kapitel 2. Zu wissen nun glauben wir eine jede Sache schlechthin, und nicht auf die sophistische, zufällige Weise, wenn wir von der Ursache glauben Kenntnis zu besitzen, aufgrund derer die Sache besteht, dass sie ihre Ursache ist, und dass sie sich nicht anders verhalten kann. Klar ist also, dass das Wissen etwas von dieser Art ist. Denn sowohl was die Nicht-Wissenden als auch was die Wissenden angeht, so glauben die einen selbst in diesem Zustand zu sein, die Wissenden dagegen sind es auch, so dass, wovon es schlechthin Wissen gibt, sich unmöglich anders verhalten kann. Ob es nun auch eine andere Weise des Wissens gibt, werden wir später sagen; wir behaupten jedenfalls auch durch Demonstration zu wissen. Demonstration nenne ich dabei eine wissenschaftliche Deduktion, und wissenschaftlich nenne ich jene Deduktion, gemäß der wir dadurch, dass wir über sie verfügen, etwas wissen. Wenn also das Wissen von der Art ist, wie wir es festgesetzt haben, so hängt auch notwendigerweise das demonstrative Wissen von Dingen ab, die wahr und ursprünglich und unvermittelt und bekannter und vorrangig und ursächlich im Verhältnis zur Konklusion sind. Denn so werden auch die Prinzipien angemessen sein für das Aufgewiesene. Eine Deduktion nämlich wird es auch ohne diese Dinge geben, eine Demonstration dagegen wird es nicht geben, denn sie wird kein Wissen zustande bringen. Wahr nun also müssen sie sein, weil es nicht möglich ist, das was nicht der Fall ist zu wissen, wie etwa dass die Diagonale kommensurabel ist. Von ursprünglichen und nicht-demonstrierbaren Dingen müssen sie abhängen: weil man nichts wissen wird, ohne dass man über eine Demonstration von ihnen verfügt. Denn das Wissen jener Dinge, von denen es eine Demonstration gibt – nicht – , ist das Verfügen über eine Demonstration. Ursächlicher und bekannter müssen sie sein und vorrangig – ursächlich, weil wir eine Sache dann wissen, wenn wir die Ursache dieser Sache wissen, und vorrangig, wenn in der Tat ursächlich, und bereits bekannt nicht nur auf die eine Art, durch das Verstehen, sondern auch durch das Wissen, dass sie sind.
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Vorrangig aber ist etwas, und bekannter, auf doppelte Weise. Denn es ist nicht dasselbe, vorrangig von Natur aus zu sein und in Bezug auf uns vorrangig, und auch nicht bekannter und für uns bekannter. Ich nenne dabei in bezug auf uns vorrangig und bekannter das der Wahrnehmung Nähere, schlechthin vorrangig und bekannter dagegen das Entferntere. Es ist aber am entferntesten das Allgemeinste, am nächsten jedoch das Einzelne, und diese sind einander entgegengesetzt. Von ursprünglichen Dingen heißt: von angemessenen Prinzipien, denn dasselbe nenne ich Ursprüngliches und Prinzip. Ein Prinzip ist eine unvermittelte Prämisse einer Demonstration, unvermittelt aber ist diejenige Prämisse, der gegenüber keine andere vorrangig ist. Eine Prämisse ist der eine Teil einer Prädikation – eines wird über anderes prädiziert, und zwar eine dialektische Prämisse, wenn sie unterschiedslos einen beliebigen Teil annimmt, eine demonstrative dagegen, wenn sie definitiv einen der beiden annimmt, weil er wahr ist. Eine Prädikation ist ein beliebiger Teil einer Kontradiktion, und eine Kontradiktion ist ein Gegensatz, zu dem es in bezug auf ihn selbst nichts dazwischen gibt. Teil einer Kontradiktion schließlich ist einerseits – etwas wird prädiziert über etwas – eine Bejahung, andererseits – etwas wird nicht prädiziert über etwas – eine Verneinung. Ein unvermitteltes deduktives Prinzip nenne ich: Festsetzung, wenn man es nicht beweisen kann und darüber nicht verfügen muss, um irgendein Wissen zu erwerben. Wenn man dagegen darüber verfügen muss, um welches Wissen auch immer zu erwerben, nenne ich es: Postulat. Es gibt nämlich einiges von dieser Art, und diesen Namen pflegen wir meistens bei solchen Dingen zu verwenden. Eine Festsetzung, die welchen der Teile einer Kontradiktion auch immer annimmt – ich meine, dass etwas der Fall ist oder dass etwas nicht der Fall ist – nenne ich: Hypothese, diejenige dagegen ohne dieses: Definition. Die Definition nämlich ist eine Festsetzung: es setzt nämlich der Arithmetiker fest, dass eine Einheit das Unteilbare in Hinsicht auf das Quantitative ist; eine Hypothese
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aber ist es nicht, denn was eine Einheit ist und dass eine Einheit ist, ist nicht dasselbe. Da man jedoch von einer Sache überzeugt sein und eine Sache wissen sollte dadurch, dass man über eine Art von Deduktion verfügt, die wir Demonstration nennen, und diese dadurch zustande kommt, dass diejenigen Dinge bestehen, von denen die Deduktion abhängt, so ist es nicht nur notwendig, die ursprünglichen Dinge bereits zu kennen, entweder alle oder einige, sondern auch in höherem Grade. Stets nämlich trifft jenes, aufgrund dessen ein jedes zutrifft, in höherem Grade zu, wie etwa: aufgrund dessen wir lieben, das ist liebenswert in höherem Grade. Daher, wenn wir wirklich etwas wissen aufgrund der ursprünglichen Dinge, und von ihnen überzeugt sind, dann wissen wir jene Dinge, und sind von ihnen überzeugt, auch in höherem Grade, weil aufgrund jener auch die späteren Dinge zutreffen. Und es ist nicht möglich, von denjenigen Dingen, von denen man weder weiß noch besser disponiert ist als wenn man sie nur wüsste, in höherem Grade überzeugt zu sein, als von jenen Dingen, die man weiß. Es wird dies aber folgen, wenn jemand nicht bereits etwas im vorhinein kennt gegenüber jenen, die aufgrund einer Demonstration überzeugt sind. Denn in höherem Grade muss man von den Prinzipien überzeugt sein – entweder von allen oder von einigen – als von der Konklusion. Wer aber über das Wissen verfügen will, und zwar aufgrund einer Demonstration, muss nicht nur die Prinzipien in höherem Grade kennen und in höherem Grade von ihnen überzeugt sein als vom Bewiesenen, sondern auch nichts anderes darf für ihn überzeugender oder bekannter sein unter denjeni gen – den Prinzipien entgegen gesetzten – Dingen, von denen die Deduktion des konträren Irrtums abhängt, wenn denn wirklich der schlechthin Wissende nicht vom Gegenteil überzeugt werden kann. Kapitel 3. Einigen freilich scheint es aufgrund der Notwendigkeit, die ursprünglichen Dinge zu wissen, kein Wissen zu geben. Anderen scheint es zwar Wissen, aber von allem auch
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Demonstrationen zu geben. Davon ist nichts wahr oder notwendig. Die einen nämlich, die voraussetzen, es sei nicht möglich, auf andere Weise zu wissen – diese Leute betonen, man werde ins Unendliche geführt, so dass man nicht die nachrangigen Dinge aufgrund der vorrangigen Dinge wissen kann, zu denen ursprüngliche Dinge nicht gehören. Damit haben sie recht, denn es ist unmöglich, das Unendliche durchzugehen. Und wenn es zum Stehen kommt und es Prinzipien gibt, dann seien diese unerkennbar, da es von ihnen keine Demonstration gebe, was – so behaupten sie – das Wissen ausmache, und zwar einzig und allein. Wenn es aber nicht möglich ist, die ursprünglichen Dinge zu wissen, dann könne man auch die von ihnen abhängigen Dinge nicht schlechthin oder auf vorzügliche Weise wissen, sondern nur abhängig von einer Hypothese – wenn jene Hypothesen wahr sind. Die anderen stimmen zwar über das Wissen überein: durch Demonstration komme es zustande, und zwar einzig und allein; aber dass es von allem eine Demonstration gibt, daran hindere nichts, denn es sei möglich, dass die Demonstration zirkulär entsteht und Sätze wechselseitig auseinander demonstriert werden können. Wir aber behaupten, dass nicht jedes Wissen demonstrierbar ist, sondern dass das Wissen der unvermittelten Dinge undemonstrierbar ist. Und dass dies notwendig ist, ist einleuchtend, denn wenn es notwendig ist, das Vorrangige zu wissen und folglich das, wovon die Demonstration abhängt, und wenn die unvermittelten Dinge irgendwann zum Stehen kommen, dann müssen sie undemonstrierbar sein. Dieses also sagen wir auf diese Weise, und wir behaupten, dass es nicht nur Wissen, sondern auch ein gewisses Prinzip von Wissen gibt, durch das wir von den Definitionen Kenntnis besitzen. Und dass es unmöglich ist, zirkulär zu demonstrieren, und zwar schlechthin, ist klar, wenn die Demonstration wirklich von vorrangigen und bekannteren Dingen abhängen soll. Denn unmöglich kann dasselbe denselben Dingen gegenüber zugleich vorrangig und nachrangig sein, es sei denn auf eine andere Weise: wie etwa das eine in Bezug auf uns, das andere schlechthin – auf welche Weise es die Induktion bekannt macht. Wenn es sich aber so verhält, dann wäre
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wohl das Wissen schlechthin nicht angemessen definiert, sondern ein Doppeltes; oder die andere Demonstration ist dies nicht schlechthin, da sie doch von dem uns Bekannteren abhängt. Es ergibt sich aber für diejenigen, die sagen, eine zirkuläre Demonstration sei möglich, nicht nur das soeben Gesagte, sondern auch dass sie nichts anderes sagen, als dass dieses der Fall ist, wenn dieses der Fall ist. Auf diese Weise allerdings ist alles leicht zu beweisen. Es ist klar, dass sich dies ergibt, wenn drei Begriffe festgesetzt werden. Denn zu behaupten, dass es durch viele oder durch wenige wieder zum Ausgangspunkt zurückkommt, macht keinen Unterschied – durch wenige oder sogar durch zwei. Denn wenn, falls A der Fall ist, notwendigerweise B der Fall ist, und wenn dies, dann C, so wird, wenn A der Fall ist, C der Fall sein. Wenn also, falls A der Fall ist, notwendigerweise B der Fall ist, und wenn dies, dann A (denn dies war das Zirkuläre), so sei das A als das C zugrunde gelegt. Zu sagen also, dass – wenn B der Fall ist – A der Fall ist, heißt zu sagen, dass C der Fall ist, und dies, dass wenn A der Fall ist, C der Fall ist; das C aber war dasselbe wie A. So dass folgt, dass diejenigen, die behaupten, eine zirkuläre Demonstration sei möglich, nichts anderes sagen, als dass, wenn A der Fall ist, A der Fall ist. So aber alles zu beweisen, ist leicht. Nicht einmal dies freilich ist möglich, außer bei denjenigen Dingen, die einander wechselseitig folgen, wie die spezifischen Eigenschaften. Wenn Eines zugrunde gelegt ist, so ist bewiesen worden, dass niemals notwendigerweise etwas anderes der Fall ist – dabei verstehe ich unter: wenn Eines, dass weder wenn ein einziger Begriff noch wenn eine einzige Festsetzung festgesetzt ist. Von zwei Festsetzungen aus dagegen als ersten und der Zahl nach wenigsten kann es der Fall sein, wenn man überhaupt deduzieren kann. Wenn also das A dem B und dem C folgt, und diese einander und dem A, so können auf diese Weise alle geforderten Dinge wechselseitig auseinander bewiesen werden, und zwar in der ersten Figur, wie es bewiesen worden ist in der Abhandlung über die Deduktion. Es wurde ferner auch bewiesen, dass in den anderen Figuren ent-
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weder eine Deduktion nicht zustande kommt oder nicht von den angenommenen Dingen aus. Diejenigen Dinge dagegen, die nicht gegenseitig voneinander ausgesagt werden, können niemals zirkulär bewiesen werden, so dass es, da wenige derartige Dinge in den Demonstrationen vorkommen, einleuchtend ist, dass es leer und unmöglich ist zu sagen, die Demonstration erfolge aus wechselseitig einander folgenden Dingen und deshalb könne es von allem eine Demonstration geben. Kapitel 4. Da sich nun dasjenige unmöglich anders verhalten kann, wovon es Wissen schlechthin gibt, so dürfte dasjenige notwendig sein, was nach Maßgabe des demonstrativen Wissens gewusst wird; demonstrativ aber ist jenes Wissen, über das wir dadurch verfügen, dass wir über eine Demonstration verfügen. Eine Deduktion aus notwendigen Prämissen ist folglich die Demonstration. Wir müssen daher genauer fassen, von welchen und wie beschaffenen Dingen die Demonstrationen abhängen. Zuerst aber wollen wir bestimmen, was wir das auf jedes und das an sich und das allgemein Zutreffende nennen. Auf jedes zutreffend nun nenne ich das, was weder auf einige zutrifft, auf anderes jedoch nicht, noch zuweilen, zuweilen jedoch nicht, wie etwa wenn auf jeden Menschen Lebewesen zutrifft: Wenn es wahr ist, diesen hier Mensch zu nennen, dann auch Lebewesen, und wenn jetzt das eine, dann auch das andere; und wenn in jeder Linie ein Punkt ist, verhält es sich ebenso. Ein Zeichen dafür ist: Auch die Einwände bringen wir ja so vor, wenn gefragt wird, ob etwas auf jedes zutrifft – entweder sagen wir: wenn es bei einem nicht zutrifft, oder wenn irgendwann nicht. An sich aber trifft sowohl dasjenige zu, was im Was-es-ist vorkommt, wie etwa Linie auf Dreieck und Punkt auf Linie – denn ihre Substanz hängt von diesen Dingen ab, und sie kommen in der Bestimmung, die sagt was sie sind, vor – als auch dasjenige, bei dem die Dinge, auf die es zutrifft, selbst in der Bestimmung vorkommen, die klar macht, was es ist, wie etwa das Gerade auf Linie zutrifft und auch das Runde, und das Gerade und Ungerade auf Zahl, und auch das prim und zu-
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sammengesetzt und gleichseitig und rechteckig. Und in der Tat, bei all diesen Dingen kommt in der Bestimmung, die sagt, was sie sind, hier Linie, dort Zahl vor. Ähnlich auch bei den übrigen Dingen nenne ich derartiges an sich zutreffend auf jedes einzelne; was dagegen auf keine dieser Weisen zutrifft, nenne ich Zufälliges, wie zum Beispiel das Musikalische oder Weiße auf Lebewesen zutrifft. Ferner, was nicht über irgendein anderes Zugrundeliegendes ausgesagt wird – wie etwa das Gehende als ein gewisses anderes Ding gehend ist und auch weiß, die Substanz dagegen, und was ein Dieses bezeichnet, nicht als ein gewisses anderes Ding das ist, was es wirklich ist – das nicht über ein Zugrundeliegendes Ausgesagte also nenne ich an sich, das über ein Zugrundeliegendes Ausgesagte dagegen zufällig. Ferner ist auf andere Weise dasjenige, was durch sich selbst auf ein jedes Ding zutrifft, an sich, dasjenige dagegen, was nicht durch sich selbst zutrifft, ist zufällig. Wenn es etwa, als jemand spazieren ging, blitzte, so ist es zufällig, denn nicht aufgrund des Spazierengehens blitzte es, sondern zufälligerweise, behaupten wir, traf es sich so. Wenn es dagegen durch sich selbst zutrifft, dann auch an sich, wie zum Beispiel etwas, das geopfert wurde, starb, und zwar im Verlaufe des Opfers, weil aufgrund des Opferns, und es sich nicht zufällig so traf, dass es geopfert wurde und dabei starb. Was also bei den schlechthin gewussten Dingen an sich zutreffend genannt wird, insofern es im Ausgesagten vorkommt oder dieses in jenem, trifft durch sich selbst und aus Notwendigkeit zu. Denn es ist nicht möglich, dass es nicht zutrifft – entweder schlechthin oder einer der gegensätzlichen Teile, wie etwa auf Linie das Gerade oder das Runde zutrifft und auf Zahl das Gerade oder das Ungerade. Denn das Konträre ist entweder eine Wegnahme oder eine Kontradiktion in derselben Gattung, wie zum Beispiel bei Zahlen etwas gerade ist, was nicht ungerade ist, insofern es dem anderen folgt. Daher, wenn es notwendig ist zu bejahen oder zu verneinen, so ist es auch für das an sich Zutreffende notwendig, zuzutreffen.
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Das auf jedes und an sich Zutreffen sei also auf diese Weise bestimmt. Allgemein zutreffend aber nenne ich das, was auf jedes zutrifft und an sich und als solches. Es ist daher einleuchtend, dass das, was allgemein zutrifft, aus Notwendigkeit auf die Dinge zutrifft. Das an sich aber und als solches ist dasselbe, wie etwa Punkt und das Gerade an sich auf die Linie – nämlich auch als Linie – zutrifft, und zwei Rechte auf das Dreieck als Dreieck – das Dreieck ist nämlich auch an sich zwei Rechten gleich. Das Allgemeine aber trifft dann zu, wenn es für etwas Beliebiges und Ursprüngliches bewiesen wird, wie etwa das zwei Rechte haben weder auf die Figur allgemein zutrifft – freilich kann man für eine Figur beweisen, dass sie zwei Rechte hat, aber nicht für eine beliebige Figur, und der Beweisende benutzt auch nicht eine beliebige Figur. Denn das Viereck ist zwar eine Figur, hat aber nicht Winkel, die zwei Rechten gleich sind. Das Gleichschenklige dagegen, und zwar ein beliebiges, hat zwar Winkel, die zwei Rechten gleich sind, ist aber nicht ursprünglich, sondern das Dreieck ist vorrangig. Wovon also als einem Beliebigen, Ursprünglichen bewiesen wird, dass es zwei Rechte hat oder irgendetwas anderes, auf das trifft es als auf ein Ursprüngliches allgemein zu, und die Demonstration gilt davon an sich allgemein, von den übrigen Dingen aber gilt sie in gewisser Weise nicht an sich, und außerdem gilt sie vom Gleichschenkligen nicht allgemein, sondern reicht weiter. Kapitel 5. Es darf aber nicht verborgen bleiben, dass es häufig geschieht, dass Fehler vorkommen und das Bewiesene nicht als Ursprüngliches allgemein zutrifft, in der Form, in der es allgemein als Ursprüngliches bewiesen zu werden scheint. Und wir begehen diesen Fehler immer dann, wenn es entweder nicht möglich ist, etwas Höheres – neben dem Einzelnen– als die einzelnen Sachen zu erfassen, oder wenn es zwar möglich ist, es aber namenlos ist in Hinsicht auf Dinge, die der Art nach verschieden sind, oder wenn das, worüber es bewiesen wird, nur ein Ganzes gleichsam als Spezielles ist. Denn auf die speziellen Dinge wird die Demonstration zwar zutreffen, und sie
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wird auf jedes zutreffen, aber dennoch wird die Demonstration nicht von diesem als einem Ursprünglichen allgemein gelten – ich sage, dass von diesem Ursprünglichen, als solchem, eine Demonstration immer dann gilt, wenn sie vom Ursprünglichen allgemein gilt. Wenn also jemand bewiese, dass die rechten Winkel sich nicht schneiden, so könnte es scheinen, als gelte die Demonstration dieser Sache deshalb, weil sie für alle Rechten gilt. Aber das ist nicht so – wenn die Demonstration denn wirklich gilt, nicht weil sie in dieser bestimmten Weise gleich sind, sondern weil sie in beliebiger Weise gleich sind. Und wenn ein Dreieck nichts anderes wäre als gleichschenklig, so würde die Demonstration auf das Dreieck als gleichschenkliges zuzutreffen scheinen. Und es könnte auch von der Proportion scheinen, dass sie vertauschbar ist, insofern es um Zahlen und Linien und dreidimensionale Körper und Zeiten geht, so wie dies einst jeweils getrennt bewiesen wurde, während es doch für alle Dinge durch eine einzige Demonstration bewiesen werden kann. Aber weil alle diese Dinge nicht ein benanntes Eines sind – Zahlen, Längen, Zeiten, dreidimensionale Körper –, und sich der Art nach voneinander unterscheiden, wurden sie jeweils getrennt genommen. Nun aber ist es allgemein bewiesen; denn nicht auf sie als Linien oder als Zahlen traf es zu, sondern als dasjenige, wovon sie voraussetzen, dass es allgemein zutrifft. Daher, selbst wenn jemand für jedes einzelne Dreieck bewiese – durch entweder eine oder verschiedene Demonstrationen –, dass jedes einzelne Winkel gleich zwei Rechten hat, getrennt das gleichseitige und das ungleichseitige und das gleichschenklige –, so wüsste er noch nicht vom Dreieck, dass es Winkel gleich zwei Rechten hat – es sei denn auf die sophistische Weise –, und auch nicht vom Dreieck allgemein, auch wenn es neben diesen kein anderes Dreieck gäbe. Denn er wüsste es nicht von ihm als Dreieck oder als jedes Dreieck, es sei denn der Zahl nach, aber nicht der Art nach als jedes, auch wenn es keines gäbe, von dem er es nicht wüsste. Wann also wüsste er es nicht allgemein, und wann wüsste er es schlechthin? Klarerweise doch wohl wenn es dasselbe wäre,
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ein Dreieck und ein gleichseitiges Dreieck zu sein, entweder bei jedem einzelnen oder bei allen. Wenn es aber nicht dasselbe ist, sondern verschieden, und es darauf als Dreieck zuträfe, so wüsste er es nicht. Trifft es darauf als Dreieck oder als Gleichschenkliges zu? Und wann trifft es darauf zu als etwas Ursprüngliches? Und wovon gilt die Demonstration allgemein? Klarerweise wenn es, nachdem abstrahiert wurde, auf Ursprüngliches zutrifft, wie etwa auf das gleichschenklige bronzene Dreieck zwei Rechte zutreffen werden – aber auch wenn vom Bronzen-Sein abstrahiert worden ist und vom Gleichschenkligen, aber nicht von der Figur oder Grenze; aber sie sind nicht ursprünglich. Wovon also gilt es als Ursprünglichem? Wenn vom Dreieck, dann trifft es nach diesem auch auf die übrigen Dinge zu, und von diesem gilt die Demonstration allgemein. Kapitel 6. Von notwendigen Prämissennotwendigen Prinzipien abhängt – denn was man weiß, kann sich nicht anders verhalten –, und das an sich Zutreffende notwendig ist für die Dinge – teils nämlich kommt es im Was-es-ist vor, teils kommt es bei ihnen im Was-es-ist vor, wenn es von ihnen ausgesagt wird, wovon der eine der Gegensätze notwendigerweise zutrifft, – dann ist einleuchtend, dass die demonstrative Deduktion von derartigen Prämissen abhängen dürfte; alles nämlich trifft entweder auf diese Weise zu oder zufälligerweise, das Zufällige aber ist nicht notwendig. Entweder also muss man auf diese Weise reden oder indem man als Prinzip festsetzt, dass die Demonstration sich auf Notwendiges richtet und dass sich etwas, wenn es demonstriert ist, nicht anders verhalten kann. Von notwendigen Prämissen folglich muss die Deduktion abhängen. Aus wahren Prämissen nämlich kann man auch ohne zu demonstrieren deduzieren, aus notwendigen Prämissen dagegen nur wenn man demonstriert, denn dies ist gerade für eine Demonstration kennzeichnend. Ein Zeichen dafür, dass die Demonstration von notwendigen Prämissen abhängt, ist, dass wir auch die Einwände in dieser Weise vorbringen gegenüber jenen, die glau-
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ben zu demonstrieren – dass keine Notwendigkeit vorliegt, wann immer wir glauben, es könne sich entweder insgesamt anders verhalten oder doch zumindest um des Argumentes willen. Klar ist daraus aber auch, dass derjenige einfältig ist, der glaubt die Prinzipien angemessen anzunehmen, wenn die Prämisse allgemein anerkannt und wahr ist, wie zum Beispiel die Sophisten, weil das Wissen das Besitzen von Wissen ist. Denn nicht was allgemein anerkannt ist oder nicht, ist Prinzip, sondern das Ursprüngliche der Gattung, über die bewiesen wird; und das Wahre ist nicht in jedem Fall angemessen. Dass ferner die Deduktion von notwendigen Prämissen abhängen muss, ist auch aus Folgendem deutlich. Wenn nämlich jemand, der nicht eine Bestimmung des Warum besitzt, obgleich es eine Demonstration gibt, nicht ein Wissender ist, und es ferner so ist, dass das A auf das C mit Notwendigkeit zutrifft, das B jedoch, der Mittelbegriff, durch den demonstriert worden ist, nicht mit Notwendigkeit zutrifft, dann wusste er nicht weshalb. Denn dies ist nicht aufgrund des Mittelbegriffes der Fall. Das eine kann nämlich auch nicht der Fall sein, die Konklusion dagegen ist notwendig. Ferner, wenn jemand jetzt nicht weiß, obgleich er eine Bestimmung besitzt und erhalten bleibt, wobei auch die Sache erhalten bleibt, und wenn er nicht vergessen hat, dann wusste er auch zuvor nicht. Es könnte jedoch der Mittelbegriff zugrunde gehen, wenn er nicht notwendig ist, so dass er die Bestimmung besitzen wird und erhalten bleibt – erhalten bleibt auch die Sache –, er aber dennoch nicht weiß. Folglich wusste er auch zuvor nicht. Wenn der Mittelbegriff dagegen nicht zugrunde gegangen ist, jedoch zugrunde gehen kann, dann dürfte auch das Resultat fähig sein zu existieren und möglich sein. Aber es ist unmöglich, dass jemand in einem solchen Zustand weiß. Wenn freilich die Konklusion mit Notwendigkeit der Fall ist, hindert nichts daran, dass der Mittelbegriff nicht notwendig ist, durch den sie bewiesen wurde, denn es ist möglich, das Notwendige auch aus nicht-notwendigen Prämissen zu deduzieren, sowie auch das Wahre aus nicht-wahren Prämissen. Wenn aber der Mittelbegriff mit Notwendigkeit besteht, dann
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besteht auch die Konklusion mit Notwendigkeit, sowie auch aus wahren Prämissen stets Wahres deduziert wird. Es treffe nämlich das A auf das B mit Notwendigkeit zu, und dieses auf das C; notwendig folglich trifft auch das A auf das C zu. Wenn dagegen die Konklusion nicht notwendig ist, so kann auch der Mittelbegriff nicht notwendig sein. Es treffe nämlich das A auf das C nicht mit Notwendigkeit zu, wohl aber auf das B, und dieses auf das C mit Notwendigkeit; dann wird folglich auch das A auf das C mit Notwendigkeit zutreffen – aber das lag nicht zugrunde. Da folglich, wenn jemand etwas auf demonstrative Weise weiß, es mit Notwendigkeit zutreffen muss, ist klar, dass er die Demonstration auch durch einen notwendigen Mittelbegriff besitzen muss; oder er wird nicht wissen – weder das Weshalb noch dass jenes notwendig ist, sondern er wird es entweder glauben, ohne es zu wissen – wenn er als notwendig annimmt, was nicht notwendig ist –, oder er wird es nicht einmal glauben, gleichgültig ob er das Dass weiß durch Mittelbegriffe oder das Weshalb sogar durch unvermittelte Prämissen. Vom Zufälligen aber, das nicht an sich zutrifft – so wie das an sich Zutreffende definiert wurde –, gibt es kein demonstratives Wissen, denn es ist nicht möglich, die Konklusion mit Notwendigkeit zu beweisen. Das Zufällige nämlich kann auch nicht zutreffen – denn über ein derartiges Zufälliges rede ich. Allerdings könnte jemand vielleicht das Problem aufwerfen, zu welchem Zweck man diese Fragen über diese Dinge stellen muss, wenn die Konklusion nicht notwendig ist. Denn es macht keinen Unterschied, wenn jemand nach Zufälligem fragt und dann die Konklusion nennt. Man muss jedoch Fragen stellen, nicht als ob es notwendig wäre aufgrund des Gefragten, sondern weil es notwendig ist sie zu nennen für jemanden, der jene Dinge nennt, und zwar sie wahrheitsgemäß zu nennen, wenn sie wahrheitsgemäß zutreffen. Da aber dasjenige mit Notwendigkeit auf jede einzelne Gattung zutrifft, was an sich zutrifft und als jedes einzelne, so ist einleuchtend, dass es die an sich zutreffenden Dinge sind, auf die sich die wissenschaftlichen Demonstrationen beziehen,
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und dass sie von derartigen Prämissen abhängen. Denn das Zufällige ist nicht notwendig, so dass man von der Konklusion nicht notwendigerweise weiß, warum sie zutrifft, nicht einmal wenn sie stets der Fall ist, ohne dass sie jedoch an sich zutrifft, wie etwa die Deduktionen durch Zeichen. Denn das an sich Zutreffende wird man dann nicht an sich wissen, und auch nicht das Weshalb – das Wissen des Weshalb ist aber das Wissen durch das Ursächliche. Durch sich selbst folglich muss sowohl der Mittelbegriff auf den dritten Begriff als auch der erste Begriff auf den Mittelbegriff zutreffen. Kapitel 7. Es ist daher nicht möglich, aus einer anderen Gattung überzuwechseln und dadurch etwas zu beweisen, wie etwa das Geometrische durch Arithmetik. Drei Dinge nämlich gibt es in den Demonstrationen; eines: das Demonstrierte, die Konklusion – dies ist das, was auf eine gewisse Gattung an sich zutrifft; ein anderes: die Postulate – Postulate sind das, wovon die Demonstration abhängt; ein drittes: die Gattung, die zugrunde liegt, deren Eigenschaften und das an sich auf sie zutreffende Zufällige die Demonstration klar macht. Wovon nun die Demonstration abhängt, das kann dasselbe sein; wovon dagegen die Gattung verschieden ist, wie von Arithmetik und Geometrie, da ist es nicht möglich, die arithmetische Demonstration auf das Zufällige anzuwenden, das auf die Größen zutrifft, es sei denn die Größen sind Zahlen; wie das möglich ist bei gewissen Dingen, wird später gesagt werden. Die arithmetische Demonstration besitzt stets die Gattung, auf die sich die Demonstration bezieht, und die übrigen Demonstrationen in ähnlicher Weise. Daher muss die Gattung entweder schlechthin dieselbe sein oder in gewisser Weise, wenn die Demonstration überwechseln soll. Dass es auf andere Weise unmöglich ist, ist klar, denn aus derselben Gattung müssen die Außenbegriffe und die Mittelbegriffe sein. Wenn sie nämlich nicht an sich zutreffen, werden sie zufällig sein. Aus diesem Grund ist es der Geometrie nicht möglich zu beweisen, dass es von den konträren Dingen eine einzige Wissenschaft gibt – und nicht einmal dass zwei Ku-
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bikzahlen eine Kubikzahl bilden – noch ist es einer anderen Wissenschaft möglich, das zu beweisen, was einer von ihr verschiedenen Wissenschaft zugehört, außer im Falle von Wissenschaften, die sich so zueinander verhalten, dass die eine der anderen untergeordnet ist, so wie sich die Optik zur Geome trie und die Harmonik zur Arithmetik verhält. Und ebenfalls ist es der Geometrie nicht möglich, etwas zu beweisen, wenn es auf die Linien nicht als Linien zutrifft und nicht als abhängig von den spezifischen Prinzipien, wie etwa ob die schönste aller Linien die Gerade ist oder ob sie sich konträr verhält zum Kreisförmigen; denn dies trifft auf sie nicht als ihre spezifische Gattung zu, sondern als etwas Gemeinsames. Kapitel 8. Es ist aber auch einleuchtend, dass wenn die Prämissen allgemein sind, von denen die Deduktion abhängt, notwendig auch die Konklusion einer derartigen Demonstration ewig ist – und zwar der schlechthin zu nennenden Demonstration. Es gibt folglich keine Demonstration von den vergänglichen Dingen und auch kein Wissen schlechthin, sondern höchstens so wie auf zufällige Weise, weil sie nicht allgemein von ihm gilt, sondern irgendwann und irgendwie. Wenn es dagegen eine solche Demonstration gibt, dann ist notwendig die eine Prämisse nicht-allgemein und vergänglich – vergänglich, weil es auch die Konklusion sein wird, wenn die eine Prämisse es ist, und nichtallgemein, weil das, was zugesprochen wird, für das eine der Fall sein wird, für das andere dagegen nicht der Fall sein wird, so dass nicht allgemein deduziert werden kann, sondern nur dass es jetzt der Fall ist. Ähnlich verhält es sich auch mit Definitionen, wenn denn die Definition entweder ein Prinzip einer Demonstration oder eine Demonstration, die sich durch Position unterscheidet, oder eine gewisse Konklusion einer Demonstration ist. Die Demonstrationen und Wissenschaften von Dingen, die sich häufig ereignen, wie etwa von einer Mondfinsternis, gelten klarerweise, insofern sie von dieser so und so beschaffenen Sache gelten, immer, insofern sie jedoch nicht immer gelten,
Erstes Buch · Kapitel 9 269
gelten sie speziell. Und so wie die Verfinsterung, ebenso verhält sich die Sache auch in den anderen Fällen. Kapitel 9. Da es einleuchtend ist, dass man eine jede Sache nicht demonstrieren kann außer aus den Prinzipien einer jeden Sache, wenn das Bewiesene als solches zutrifft, so ist das Wissen nicht dies, wenn aus wahren und nicht-demonstrierbaren und unvermittelten Prämissen bewiesen wurde. Es ist nämlich möglich, auf solche Weise zu beweisen, wie Bryson die Quadratur des Kreises bewiesen hat. In Hinsicht auf etwas Gemeinsames nämlich beweisen derartige Argumente, was auch auf anderes zutreffen wird. Deshalb sind die Argumente auch auf andere Dinge anwendbar, die nicht von derselben Gattung sind. Also wird es nicht als solches gewusst, sondern auf zufällige Weise, denn sonst wäre die Demonstration nicht auch auf eine andere Gattung anwendbar. Wir wissen eine jede Sache andererseits auf nicht-zufällige Weise, wenn wir von ihr in Hinsicht auf jenes Ding Kenntnis besitzen, in Hinsicht auf welches es zutrifft, aus den Prinzipien jedes Dinges als eines solchen – wie wir etwa das Haben von Winkeln gleich zwei Rechten wissen, wenn wir von ihm in Hinsicht auf jenes Ding Kenntnis besitzen, in Hinsicht auf welches das Gesagte an sich zutrifft, aus den Prinzipien dieses Dinges; so dass, wenn auch jenes an sich zutrifft auf dasjenige, auf das es zutrifft, notwendig der Mittelbegriff in derselben Gattung ist – wenn nicht, dann wird die Sache so bewiesen wie das Harmonische durch Arithmetik. Derartige Dinge werden zwar auf dieselbe Weise bewiesen, unterscheiden sich jedoch. Das Dass nämlich gehört zu einer anderen Wissenschaft (denn die zugrunde liegende Gattung ist eine andere), das Weshalb dagegen gehört zu einer höheren Wissenschaft, zu der die an sich zutreffenden Eigenschaften gehören. Daher ist auch aus diesen Dingen einleuchtend, dass es nicht möglich ist, eine jede Sache schlechthin zu demonstrieren außer aus den Prinzipien einer jeden Sache. Aber die Prinzipien dieser Dinge besitzen das Gemeinsame.
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Wenn aber dies einleuchtend ist, dann ist auch einleuchtend, dass es nicht möglich ist, die für jede Sache spezifischen Prinzipien zu demonstrieren. Es würden nämlich jene übergeordnete Prinzipien für alle Dinge Prinzipien sein – und ihr Wissen maßgebend für alle Dinge. In der Tat nämlich weiß derjenige in höherem Grade, der aufgrund höherer Ursachen weiß; aufgrund der vorrangigen Dinge nämlich weiß man, wenn man aufgrund nicht verursachter Ursachen weiß. Daher, wenn man in höherem Grade weiß und in höchstem Grade, so dürfte auch jenes Wissen von höherem und höchsten Grade sein. Und die Demonstration ist nicht anwendbar auf eine andere Gattung – außer, wie gesagt, die geometrischen Demonstrationen auf die mechanischen oder optischen und die arithmetischen auf die harmonischen. Es ist freilich schwer, Kenntnis darüber zu gewinnen, ob man etwas weiß oder nicht. Schwer nämlich ist es, Kenntnis darüber zu gewinnen, ob wir etwas aufgrund der Prinzipien einer jeden Sache wissen oder nicht – was das Wissen wirklich ist. Wir glauben freilich, wenn wir aufgrund gewisser wahrer und ursprünglicher Dinge eine Deduktion besitzen, etwas zu wissen. Das aber ist nicht der Fall, sondern die gewussten Dinge müssen in derselben Gattung sein wie die ursprünglichen Dinge. Kapitel 10. Ich nenne Prinzipien in einer jeden Gattung diejenigen, von denen es unmöglich ist zu beweisen, dass sie sind. Was sie bezeichnen – und zwar sowohl die ursprünglichen Dinge als auch die von ihnen abhängigen Dinge –, wird angenommen; dass sie jedoch sind, muss man von den Prinzipien annehmen, von den übrigen Dingen dagegen beweisen, wie zum Beispiel was eine Einheit ist oder was das Gerade und Dreieck, aber auch dass die Einheit und Größe ist, muss man annehmen, das übrige dagegen beweisen. Es sind aber von den Prinzipien, die sie benutzen in den demonstrativen Wissenschaften, einige spezifisch für jede einzelne Wissenschaft, andere dagegen gemeinsam – gemeinsam freilich nach Analogie, da nützlich nur in der unter die Wissenschaft fallenden Gattung. Spezifisch ist etwa, dass eine Linie
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und das Gerade von der und der Art ist, gemeinsam etwa, dass wenn man Gleiches von Gleichem abzieht, das Übrige gleich ist. Hinreichend freilich ist ein jedes dieser Prinzipien, soweit es in der Gattung gilt; dasselbe nämlich wird es zustande bringen, auch wenn man es nicht für alle Dinge annimmt, sondern für Größen allein und – für den Arithmetiker – für Zahlen allein. Es sind aber spezifisch auch Prinzipien – von denen angenommen wird, dass sie sind –, bei denen die Wissenschaft das an sich Zutreffende betrachtet, wie etwa bei Einheiten die Arithmetik, die Geometrie dagegen bei Punkten und Linien. Von diesen Dingen nämlich nehmen sie an, dass sie sind und dass sie dieses sind. Was jedoch die an sich zutreffenden Eigenschaften dieser Dinge betrifft, so nehmen sie an, was eine jede bezeichnet, wie etwa die Arithmetik, was ungerade oder gerade oder Quadratzahl oder Kubikzahl ist, und die Geometrie, was das Inkommensurable oder das Bilden nicht-rechter oder rechter Winkel ist; dass sie dagegen sind, beweisen sie durch die gemeinsamen Postulate und aus den demonstrierten Dingen; und ebenso die Astronomie. Jede demonstrative Wissenschaft nämlich ist auf drei Dinge gerichtet: diejenigen, von denen sie festsetzt, dass sie sind – diese aber bilden die Gattung, deren an sich zutreffende Eigenschaften sie betrachtet –, und die gemeinsamen sogenannten Postulate, aus denen, als ursprünglichen Dingen, sie demonstriert, und als drittes die Eigenschaften, von denen sie das, was eine jede bezeichnet, annimmt. Dass einige Wissenschaften freilich über einige dieser Dinge hinwegsehen, daran hindert nichts, wie etwa von der Gattung nicht vorauszusetzen, dass sie ist, wenn es einleuchtend ist, dass sie ist – denn nicht in ähnlicher Weise ist klar, dass eine Zahl ist und dass Kaltes und Warmes sind –, und von den Eigenschaften nicht anzunehmen, was sie bezeichnen, wenn sie klar sind, sowie auch von den gemeinsamen Postulaten nicht anzunehmen, was sie bezeichnen – das Gleiches vom Gleichen Abziehen –, weil es bekannt ist. Aber nichtsdestoweniger sind es jedenfalls
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von Natur aus diese drei Dinge: worüber sie beweisen und was sie beweisen und woraus. Es ist aber weder eine Hypothese noch eine Forderung, was notwendig durch sich selbst ist und notwendig zu sein scheint. Denn nicht auf das äußere Argument bezieht sich die Demon stration, sondern auf das Argument in der Seele – da das äußere Argument nicht einmal eine Deduktion ist. Immer nämlich ist es möglich, Einwände vorzubringen gegen das äußere Argument, aber nicht immer gegen das innere Argument. Was jemand nun, obgleich es beweisbar ist, annimmt, ohne es selbst zu beweisen, das setzt er, wenn er es als plausibel annimmt für den, der Wissen erwirbt, voraus, und es ist nicht schlechthin eine Hypothese, sondern nur relativ zu jenem. Wenn er dagegen, ohne dass eine Meinung vorhanden ist oder wenn sogar eine konträre vorhanden ist, dasselbe annimmt, so stellt er eine Forderung auf. Und darin unterscheiden sich Hypothese und Forderung: eine Forderung ist nämlich das Konträre zu der Meinung desjenigen, der Wissen erwirbt: etwas, was jemand, obgleich es demonstrierbar ist, annimmt und benutzt, ohne es bewiesen zu haben. Die Begriffe sind nicht Hypothesen – denn in keiner Weise wird gesagt, dass sie sind oder nicht –, sondern die Hypothesen gehören zu den Prämissen, die Begriffe dagegen muss man nur verstehen. Dieses Verstehen aber ist nicht eine Hypothese – es sei denn jemand will behaupten, dass auch das Hören eine Hypothese ist –, sondern Hypothesen sind diejenigen Dinge, durch die, wenn sie bestehen, dadurch dass jene Dinge bestehen, die Konklusion zustande kommt. Auch setzt der Geometer nichts Falsches voraus, wie einige behauptet haben, indem sie sagen, dass man nicht das Falsche benutzen darf, dass aber der Geometer falsch redet, wenn er die Linie, die nicht einen Fuß lang ist, einen Fuß lang nennt, oder die gezeichnete Linie Gerade, obgleich sie nicht gerade ist. Aber der Geometer folgert nicht daraus, dass diese Linie hier existiert, die er selbst beschrieben hat, sondern daraus, was durch diese Dinge klargemacht wird. Ferner ist die Forderung und jede Hypothese
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entweder wie ein Ganzes oder wie ein Spezielles, die Begriffe dagegen sind keines von beiden. Kapitel 11. Dass es Formen oder ein gewisses Eines neben den vielen Dingen gibt, ist nicht notwendig, wenn Demonstration möglich sein soll. Dass es jedoch ein Eines gibt, das auf viele Dinge zutrifft – dass dies wahr ist zu sagen, ist notwendig. Denn es wird kein Allgemeines geben, wenn dies nicht der Fall ist. Wenn es aber das Allgemeine nicht gibt, wird es den Mittelbegriff nicht geben, und daher auch keine Demonstration. Es muss folglich ein gewisses Eines und Identisches bei mehreren Dingen geben, das nicht mehrdeutig ist. Dass es nicht möglich ist, zugleich zu bejahen und zu verneinen, nimmt keine Demonstration an, es sei denn es ist nötig zu beweisen, dass auch die Konklusion von dieser Art ist. Es wird aber bewiesen, wenn man annimmt, dass das Ursprüngliche auf den Mittelbegriff zutrifft – dass dies wahr ist –, und dass es zu verneinen nicht wahr ist. Was jedoch den Mittelbegriff betrifft, so macht es keinen Unterschied anzunehmen, dass er zutrifft und dass er nicht zutrifft, ebenso auch was den dritten Begriff angeht. Wenn nämlich eingeräumt wird, dass das, wovon Mensch zu sagen wahr ist – selbst wenn es auch von einem Nicht-Menschen wahr ist, aber wenn nur vom Menschen – Lebewesen ist, Nicht-Lebewesen jedoch nicht, so wird es wahr sein zu sagen, dass Kallias, selbst wenn es auch von einem Nicht-Kallias gilt, dennoch Lebewesen ist, Nicht-Lebewesen jedoch nicht. Ursache dafür ist, dass das Ursprüngliche nicht nur vom Mittelbegriff gesagt wird, sondern auch von anderem, weil es von mehreren Dingen gilt, sodass selbst wenn der Mittelbegriff es sowohl ist als auch nicht, es für die Konklusion keinen Unterschied macht. Dass man aber alles bejaht oder verneint, nimmt die auf das Unmögliche führende Demonstration an, und dies nicht immer allgemein, sondern soweit ausreichend, und zwar ausreichend für die Gattung – ich sage für die Gattung wie in Bezug auf die Gattung, für die man Demonstrationen vorbringt, so wie auch früher gesagt wurde.
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Es vereinigen sich aber alle Wissenschaften miteinander in Hinsicht auf die gemeinsamen Postulate – gemeinsam nenne ich jene, die sie benutzen, um aus ihnen zu demonstrieren, aber nicht jene Dinge, über die sie beweisen und auch nicht jene Dinge, die sie beweisen. Und die Dialektik vereinigt sich mit allen Wissenschaften, und wenn sonst irgendeine Wissenschaft allgemein versuchte, die gemeinsamen Postulate zu beweisen, wie dass man alles bejaht oder verneint, oder dass Gleiches von Gleichem abgezogen Gleiches ergibt, oder von derartigen Dingen irgendetwas. Die Dialektik aber ist nicht in dieser Weise auf bestimmte Dinge gerichtet und auch nicht auf irgendeine einzige Gattung. Denn dann würde sie keine Fragen stellen – wer nämlich demonstriert, kann nicht Fragen stellen, weil, wenn Gegensätzliches der Fall ist, nicht dasselbe bewiesen wird. Bewiesen ist dies aber in der Schrift über Deduktion.
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Kapitel 12. Wenn eine deduktive Frage dasselbe ist wie eine Prämisse in einer Kontradiktion und Prämissen in jeder Wissenschaft diejenigen Dinge sind, aus denen die Deduktion in jeder Wissenschaft zustande kommt, dann dürfte es wohl eine Art wissenschaftlicher Frage geben, aus der die in jeder Wissenschaft angemessene Deduktion zustande kommt. Es ist folglich klar, dass nicht jede Frage geometrisch sein dürfte oder medizinisch, und in ähnlicher Weise verhält es sich auch bei den übrigen Dingen – sondern nur jene Fragen, aus denen etwas bewiesen wird über das, worauf die Geometrie sich richtet, oder über das, was aus denselben Dingen bewiesen wird wie die Geometrie, wie zum Beispiel die optischen Dinge; in ähnlicher Weise verhält es sich auch bei den übrigen Dingen. Und bei diesen Dingen muss auch ein Argument vorgelegt werden aus den geometrischen Prinzipien und Konklusionen, über die Prinzipien dagegen muss der Geometer als Geometer kein Argument vorlegen; und in ähnlicher Weise verhält es sich auch bei den übrigen Wissenschaften. Weder darf man folglich jede Frage jeden einzelnen Wissenden fragen, noch muss jedes Gefragte beantwortet werden über eine jede Sache, sondern nur das, was nach Maßgabe der Wissenschaft bestimmt worden ist.
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Und wenn man mit einem Geometer als Geometer auf diese Weise sprechen wird, dann einleuchtenderweise auch angemessen, wann immer man etwas aus diesen Dingen beweist; wenn aber nicht, dann nicht angemessen, aber es ist klar, dass man dann den Geometer nicht widerlegt, es sei denn auf zufällige Weise. Daher sollte man unter ungeometrischen Menschen nicht über Geometrie reden; es wird nämlich verborgen bleiben, wer schlecht redet. In ähnlicher Weise verhält es sich auch bei den übrigen Wissenschaften. Da es geometrische Fragen gibt – gibt es auch ungeometrische? Und – mit Rücksicht auf jede einzelne Wissenschaft – in Hinsicht auf welche Art von Unwissenheit sind sie etwa geometrisch? Und ist die unter Unwissenheit vollzogene Deduktion die aus Gegensätzen vollzogene Deduktion oder ein Paralogismus, freilich nach Maßgabe der Geometrie, oder die aus einer anderen Kunst, wie etwa die musikalische Frage ungeometrisch ist über Geometrie, der Glaube dagegen, dass die Parallelen sich schneiden, ist irgendwie geometrisch und ungeometrisch in anderer Weise? Ein Doppeltes nämlich ist dieses Ungeometrische, so wie das Unrhythmische, und zwar ist das eine ungeometrisch dadurch, dass es etwas nicht besitzt, so wie das Unrhythmische, das andere dagegen dadurch, dass es etwas schlecht besitzt. Und diese Unwissenheit, und zwar diejenige aus derartigen Prinzipien, ist konträr. In den mathematischen Wissenschaften dagegen gibt es den Paralogismus nicht in ähnlicher Weise, weil der Mittelbegriff stets doppelt ist, denn etwas wird von all diesem, und dies wiederum von all dem anderen gesagt – vom Ausgesagten dagegen wird nicht gesagt: alles –, dieses aber ist wie ein Sehen durch die Einsicht; in den Argumenten freilich bleibt es verborgen. Ist jeder Kreis eine Figur? Wenn man zeichnet, ist es klar. Wie aber – ist das Epos ein Kreis? Es ist einleuchtend, dass das nicht der Fall ist. Man sollte nicht einen Einwand gegen eine Prämisse vorbringen, wenn die Prämisse induktiv ist. Denn so wie es nicht einmal eine Prämisse ist, wenn sie nicht von mehreren Dingen gilt – denn dann wird sie nicht von allen Dingen gelten, vom Allgemeinen aber hängt die Deduktion ab –, so klarer-
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weise auch nicht ein Einwand. Dasselbe sind nämlich Prämissen und Einwände, denn was jemand als Einwand vorbringt, das könnte die demonstrative Prämisse werden. Es kommt vor, dass einige nicht-deduktiv reden, weil sie annehmen, was beiden Begriffen folgt, wie es auch Kaineus macht: das Feuer verbreitet sich im mehrfachen Verhältnis, denn sowohl das Feuer wird schnell erzeugt, wie er sagt, als auch dieses Verhältnis. Auf diese Weise ist es aber nicht eine Deduktion, sondern nur dann, wenn dem schnellsten Verhältnis das Mehrfache folgt und dem Feuer das in der Bewegung schnellste Verhältnis. Zuweilen also ist es nicht möglich zu deduzieren aus dem Angenommenen, zuweilen dagegen ist es möglich, wird aber nicht gesehen. Wenn es unmöglich wäre, aus Falschem Wahres zu beweisen, so wäre das Analysieren leichter, denn die Begriffe würden mit Notwendigkeit konvertieren. Es sei nämlich das A der Fall, und wenn dieses der Fall ist, dann sind diese Dinge der Fall, von denen ich weiß, dass sie der Fall sind, etwa das B. Aus diesen Dingen folglich werde ich beweisen, dass jenes der Fall ist. Es konvertieren aber in höherem Grade die Begriffe in den mathematischen Wissenschaften, weil sie nichts Zufälliges annehmen – auch darin unterscheiden sie sich von dem, was in den Gesprächen vorkommt –, sondern Definitionen. Erweitert aber wird nicht durch die Mittelbegriffe, sondern durch das Hinzunehmen, wie etwa das A auf das B zutrifft, dieses aber auf das C, wiederum dieses auf das D, und dies bis ins Unendliche; aber auch in das Breite wird erweitert, wie etwa das A sowohl auf das C als auch auf das E zutrifft, wie etwa es ist Zahl – bestimmte oder auch unbestimmte – A, die ungerade bestimmte Zahl B, ungerade Zahl C. Es gilt folglich das A vom C. Und es ist die gerade bestimmte Zahl das D, die gerade Zahl das E. Es gilt folglich das A vom E. Kapitel 13. Das Dass und das Weshalb zu wissen, macht einen Unterschied, zuerst in derselben Wissenschaft, und in dieser auf doppelte Weise – auf eine Art, wenn die Deduktion nicht durch unvermittelte Prämissen zustande kommt, denn es wird
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nicht das ursprünglich Ursächliche angenommen, das Wissen des Weshalb jedoch ist bezogen auf das ursprüngliche Ursächliche; auf eine andere Art ferner, wenn die Deduktion zwar durch unvermittelte Prämissen zustande kommt, aber nicht durch das Ursächliche, sondern, wenn die Begriffe konvertieren, durch das Bekanntere. Es hindert nämlich nichts daran, dass, wenn sie wechselseitig voneinander ausgesagt werden, zuweilen das Nicht-Ursächliche bekannter ist, so dass durch dieses die Demonstration zustande kommen wird, wie etwa dass die Planeten nahe sind durch das Nicht-Funkeln: es sei C Planeten, B das Nicht-Funkeln, A das Nahesein. Wahr also ist es, das B vom C auszusagen, denn die Planeten funkeln nicht, aber auch das A vom B, denn das Nicht-Funkelnde ist nahe; dieses aber sei angenommen durch Induktion oder durch Wahrnehmung. Notwendig also trifft das A auf das C zu, so dass demonstriert ist, dass die Planeten nahe sind. Dieses nun ist die Deduktion nicht des Weshalb, sondern des Dass, denn nicht aufgrund des Nicht-Funkelns sind sie nahe, sondern aufgrund des Naheseins funkeln sie nicht. Es ist aber möglich, dass auch durch das Erstere das Letztere bewiesen wird, und es wird die Demonstration des Weshalb sein: es sei etwa C Planeten, B das Nahesein, das A das Nicht-Funkeln; so trifft also das B auf das C zu und das A auf das B, so dass auch auf das C das A, das Nicht-Funkeln, zutrifft. Und es ist die Deduktion des Weshalb; es wurde nämlich das ursprüngliche Ursächliche angenommen. Wiederum, wie sie vom Mond beweisen, dass er kugelförmig ist, durch die Zunahmen – wenn nämlich das so Zunehmende kugelförmig ist, der Mond aber zunimmt, so ist einleuchtend, dass er kugelförmig ist –, so ist auf diese Weise nun die Deduktion des Dass entstanden, wenn dagegen der Mittelbegriff umgekehrt festgesetzt ist, die des Weshalb. Denn nicht aufgrund der Zunahmen ist er kugelförmig, sondern aufgrund des Kugelförmig-Seins nimmt er derartige Zunahmen an – Mond C, Kugelförmig B, Zunahme A. Bei denjenigen Dingen dagegen, bei denen die Mittelbegriffe nicht konvertieren und das Nicht-Ursächliche bekannter ist, wird das Dass bewiesen, das Weshalb jedoch nicht, und
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außerdem bei denjenigen Dingen, bei denen der Mittelbegriff nach außen gesetzt wird. Denn auch in diesen Fällen kommt die Demonstration des Dass, und nicht des Weshalb, zustande; es wird nämlich nicht das Ursächliche genannt. Wie etwa: warum atmet die Mauer nicht? Weil sie kein Lebewesen ist. Wenn nämlich dieses für das Nicht-Atmen ursächlich wäre, so müsste das Lebewesen-Sein ursächlich sein für das Atmen, wie wenn die Verneinung Ursache des Nicht-Zutreffens, die Bejahung die des Zutreffens ist – zum Beispiel wenn das Nicht-imGleichgewicht-Sein des Warmen und des Kalten für das NichtGesundsein Ursache ist, dann auch das Im-Gleichgewicht-Sein für das Gesundsein; und in ähnlicher Weise auch wenn die Bejahung für das Zutreffen, so die Verneinung für das Nicht-Zutreffen. Bei den auf diese Weise vorgegebenen Dingen jedoch folgt das Gesagte nicht: nicht jedes Lebewesen nämlich atmet. Die Deduktion kommt allerdings bei einer derartigen Ursache in der mittleren Figur zustande. Es sei etwa das A Lebewesen, das B das Atmen, das C Mauer; auf jedes B folglich trifft das A zu – denn jedes Atmende ist Lebewesen –, aber auf kein C, so dass auch das B auf kein C zutrifft; es atmet folglich die Mauer nicht. Es gleichen aber diese Arten von Ursachen den überzogenen Argumenten – das ist das Nennen des weiter entfernt stehenden Mittelbegriffs –, wie zum Beispiel das Argument des Anacharsis, dass es bei den Skythen keine Flötenspielerinnen gibt, weil es keine Weinstöcke gibt. In Hinsicht also auf dieselbe Wissenschaft und in Hinsicht auf die Position der Mittelbegriffe sind dies die Unterschiede der Deduktion des Dass zur Deduktion des Weshalb. Auf andere Weise dagegen unterscheidet sich das Weshalb vom Dass durch das Betrachten jedes von beiden durch eine jeweils andere Wissenschaft. Von solcher Art sind Dinge, die sich so zueinander verhalten, dass das eine dem anderen untergeordnet ist, wie die Optik zur Geometrie und die Mechanik zur Stereometrie und die Harmonik zur Arithmetik und die Himmelskunde zur Astronomie. Einige dieser Wissenschaften sind nahezu gleichnamig, wie etwa die mathematische und die nautische Astronomie, und die mathematische und die akusti-
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sche Harmonik. Hier nämlich ist das Dass zu wissen Sache der beobachtenden Wissenschaften, das Weshalb dagegen Sache der mathematischen Wissenschaften. Diese nämlich besitzen die Demonstrationen der Ursachen, und oft wissen sie nicht das Dass, geradeso wie diejenigen, die das Allgemeine betrachten, häufig einiges vom Einzelnen nicht wissen, und zwar aufgrund mangelnder Beobachtung. Es sind dies aber all jene, die, da sie ihrer Substanz nach etwas anderes sind, die Formen benutzen. Denn die mathematischen Dinge werden über Formen ausgesagt – nicht nämlich von einem Zugrundeliegenden; denn wenn die geometrischen Dinge auch von einem Zugrundeliegenden ausgesagt sind, so doch jedenfalls nicht als von einem Zugrundeliegenden. Es verhält sich aber auch zur Optik, so wie diese zur Geometrie, eine andere Wissenschaft zu dieser – etwa die vom Regenbogen. Das Dass nämlich zu wissen, ist Sache des Naturwissenschaftlers, das Weshalb dagegen Sache des Optikers, entweder schlechthin oder des mathematischen Optikers. Und auch viele von den nicht untereinander geordneten Wissenschaften verhalten sich in dieser Weise zueinander, wie Medizin zur Geometrie. Zu wissen nämlich, dass die runden Wunden langsamer heilen, ist Sache des Arztes, zu wissen weshalb dagegen ist Sache des Geometers. Kapitel 14. Von den Figuren ist die erste im höchsten Grade wissenschaftlich. Denn sowohl die mathematischen unter den Wissenschaften bringen durch diese Figur die Demons trationen vor, wie Arithmetik und Geometrie und Optik, als auch sozusagen fast alle, die die Untersuchung des Weshalb zustande bringen. Entweder nämlich im Ganzen oder häufig und in den meisten Fällen kommt durch diese Figur die Deduktion des Weshalb zustande, so dass sie auch aus diesem Grunde im höchsten Grade wissenschaftlich sein dürfte. Am vorzüglichsten nämlich ist es für das Wissen, das Weshalb zu betrachten. Ferner, das Wissen des Was-es-ist kann allein durch diese Figur eingefangen werden. Denn in der mittleren Figur kommt eine bejahende Deduktion nicht zustande, das Wissen
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des Was-es-ist dagegen ist das Wissen einer Bejahung. Und in der letzten Figur kommt zwar eine bejahende Deduktion zustande, aber nicht eine allgemeine, das Was-es-ist dagegen gehört zum Allgemeinen – nicht nur in gewisser Weise nämlich ist der Mensch zweifüßiges Lebewesen. Außerdem bedarf diese jener nicht, jene dagegen werden durch diese verdichtet und erweitert, bis man zu den unvermittelten Dingen kommt. Es ist also einleuchtend: am vorzüglichsten für das Wissen ist die erste Figur.
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Kapitel 15. So wie das A auf das B unmittelbar zutreffen kann, so kann es in dieser Weise auch nicht zutreffen. Ich verstehe unter dem Unmittelbar-Zutreffen oder Nicht-Zutreffen, dass es zu ihnen keinen Mittelbegriff gibt. So wird nämlich das Zutreffen oder Nicht-Zutreffen nicht mehr in Hinsicht auf anderes gelten. Wenn also entweder das A oder das B in einem Ganzen ist, oder auch beide, dann ist es nicht möglich, dass das A auf das B ursprünglich nicht zutrifft. Es sei nämlich das A im ganzen C; wenn also das B nicht im ganzen C ist – denn es ist möglich, dass das A in einem Ganzen ist, dass jedoch das B nicht in diesem Ganzen ist –, so wird es eine Deduktion davon geben, dass das A nicht auf das B zutrifft; wenn nämlich auf jedes A das C zutrifft, aber auf kein B, so auch das A auf kein B. In ähnlicher Weise auch wenn das B in einem Ganzen ist, wie etwa im D: das D nämlich trifft auf jedes B zu, und das A auf kein D, so dass das A auf kein B zutreffen wird durch Deduktion. Auf dieselbe Weise wird es bewiesen werden auch dann, wenn beide in einem Ganzen sind. Dass es möglich ist, dass das B nicht in einem Ganzen ist, in dem das A ist, oder umgekehrt das A nicht in einem Ganzen, in dem das B ist, ist einleuchtend aus den Begriffsreihen, die einander nicht überschneiden. Wenn nämlich keines der Dinge in der A-C-D-Begriffsreihe von keinem der Dinge in der B-E-F-Begriffsreihe ausgesagt wird, das A aber im ganzen H ist, das in derselben Begriffsreihe ist, so ist einleuchtend, dass das B nicht im H sein wird, denn sonst werden sich die
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Begriffsreihen überschneiden; in ähnlicher Weise auch wenn das B in einem Ganzen ist. Wenn aber keines in irgendeinem Ganzen ist, und das A auf das B nicht zutrifft, so trifft es notwendig unmittelbar nicht zu. Denn wenn es einen Mittelbegriff geben soll, ist notwendig das eine von ihnen in einem Ganzen. Entweder nämlich in der ersten Figur oder in der mittleren wird die Deduktion zustande kommen. Wenn in der ersten, so wird das B in einem Ganzen sein – bejahend nämlich muss die darauf bezogene Prämisse sein –, wenn dagegen in der mittleren, könnte es ein beliebiges sein, – denn bei beiden kommt, wenn das Verneinende angenommen worden ist, eine Deduktion zustande, wenn dagegen beide verneinend sind, wird sie nicht zustande kommen. Es ist also einleuchtend, dass es möglich ist, dass eines auf ein anderes unmittelbar nicht zutrifft; und auch wann es möglich ist und wie, haben wir gesagt. Kapitel 16. Die Unwissenheit aber, die nicht in Hinsicht auf eine Verneinung, sondern in Hinsicht auf eine Disposition so genannt wird, ist der durch Deduktion entstehende Irrtum. Dieser aber kommt bei den Dingen, die ursprünglich zutreffen und nicht zutreffen, in doppelter Weise vor, entweder nämlich wenn man schlechthin annimmt, dass etwas zutrifft oder nicht zutrifft, oder wenn man die Annahme durch Deduktion erfasst. Bei der Annahme schlechthin nun ist der Irrtum schlechthin, bei der durch Deduktion dagegen gibt es mehrere Irrtümer. Es treffe nämlich das A auf kein B unmittelbar zu; wenn man also deduziert, dass das A auf das B zutrifft, indem man als Mittelbegriff das C annimmt, so wird man im Irrtum durch Deduktion sein. Es ist nun möglich, dass beide Prämissen falsch sind, es ist aber auch möglich, dass es nur die eine ist. Wenn nämlich weder das A auf irgendein C zutrifft noch das C auf irgendein B, beides aber verkehrt angenommen worden ist, so werden beide Prämissen falsch sein. Ferner ist es möglich, dass sich das C so zum A und B verhält, dass es weder unter das A fällt noch allgemein auf B zutrifft. Das B näm-
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lich kann unmöglich in einem Ganzen sein, denn es wurde gesagt, dass das A darauf ursprünglich nicht zutrifft; das A dagegen trifft nicht notwendig auf alle bestehenden Dinge allgemein zu, so dass beide Prämissen falsch sein werden. Aber es ist auch möglich, die eine Prämisse als wahr anzunehmen, nicht freilich eine beliebige, sondern die AC-Prämisse, denn die CB-Prämisse wird stets falsch sein, weil das B in keinem Begriff ist, die AC-Prämisse dagegen kann es sein, wie zum Beispiel wenn das A sowohl auf das C als auch auf das B unmittelbar zutrifft; wenn nämlich dasselbe ursprünglich von mehreren Dingen ausgesagt wird, so wird keines im anderen sein. Es macht allerdings keinen Unterschied, selbst wenn es nicht unmittelbar zutrifft. Der Irrtum über das Zutreffen entsteht also durch diese Dinge und auf diese Weise, und zwar einzig und allein, denn es gab in der anderen Figur keine Deduktion des Zutreffens. Der Irrtum über das Nicht-Zutreffen dagegen kommt sowohl in der ersten als auch in der mittleren Figur zustande. Zuerst nun wollen wir sagen, auf wie viele Weisen er in der ersten Figur zustande kommt und wie es sich mit den Prämissen verhält. Es ist jedenfalls möglich, wenn beide Prämissen falsch sind, wie etwa wenn das A sowohl auf das C als auch auf das B unmittelbar zutrifft; wenn nämlich angenommen worden ist, dass das A auf kein C und das C auf jedes B zutrifft, sind die Prämissen falsch. Es ist aber auch möglich, wenn die eine von beiden falsch ist, und diese ist beliebig. Denn es ist möglich, dass die AC-Prämisse wahr ist und die CB-Prämisse falsch – die AC-Prämisse wahr, weil das A nicht auf alle bestehenden Dinge zutrifft, und die CB-Prämisse falsch, weil es unmöglich ist, dass das C auf das B zutrifft, wenn das A auf kein C zutrifft; denn sonst wird die AC-Prämisse nicht mehr wahr sein, und zugleich wird, wenn sogar beide wahr sind, auch die Konklusion wahr sein. Aber auch die CB-Prämisse kann wahr sein, wenn die andere falsch ist, wie etwa wenn das B sowohl im C als auch im A ist; denn notwendig ist das eine unter dem anderen, so dass, wenn man annimmt, dass das A auf kein C zutrifft, die Prämisse falsch sein wird. Es ist also einleuchtend,
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dass sowohl wenn die eine Prämisse falsch ist als auch wenn beide falsch sind, die Deduktion falsch sein wird. Dass aber in der mittleren Figur die Prämissen als ganze beide falsch sind, ist nicht möglich. Wenn nämlich das A auf jedes B zutrifft, wird man nichts annehmen können, was bei dem einen auf jedes und bei dem anderen auf keines zutreffen wird. Es ist jedoch nötig, die Prämissen in der Weise anzunehmen, dass es auf das eine zutrifft, auf das andere dagegen nicht zutrifft, wenn eine Deduktion zustande kommen soll. Wenn die Prämissen nun, auf diese Weise angenommen, falsch sind, so ist klar, dass sie sich auf konträre Weise umgekehrt verhalten werden; das aber ist unmöglich. Dass jedoch in Hinsicht auf ein gewisses Ding jede Prämisse falsch ist, daran hindert nichts, wie etwa wenn das C sowohl auf ein gewisses A als auch auf ein gewisses B zutrifft. Wenn nämlich angenommen worden ist, dass es auf jedes A zutrifft und auf kein B, sind beide Prämissen falsch, nicht freilich als ganze, sondern in Hinsicht auf ein gewisses Ding; und wenn das Verneinende umgekehrt festgesetzt wird, ebenso. Und dass die eine der beiden Prämissen falsch ist, und zwar eine beliebige, ist ebenfalls möglich. Denn was auf jedes A zutrifft, trifft auch auf das B zu; wenn also angenommen worden ist, dass zwar auf das A als ganzes das C zutrifft, auf das B als ganzes jedoch nicht zutrifft, so wird die CA-Prämisse wahr sein, die CB-Prämisse dagegen falsch. Wiederum was auf kein B zutrifft, wird auch nicht auf jedes A zutreffen, denn wenn auf das A, dann auch auf das B, aber es traf nicht zu. Wenn also angenommen worden ist, dass das C auf das A als ganzes zutrifft und auf kein B, so ist die CB-Prämisse wahr, die andere dagegen falsch; in ähnlicher Weise auch wenn das Verneinende umgesetzt wird. Was nämlich auf kein A zutrifft, wird auch nicht auf irgendein B zutreffen; wenn also angenommen worden ist, dass das C auf das A als ganzes nicht zutrifft, dagegen auf das B als ganzes zutrifft, so wird die CA-Prämisse wahr sein, die andere dagegen falsch. Und wiederum, was auf jedes B zutrifft, von dem anzunehmen, dass es auf kein A zutrifft, ist falsch; denn es ist notwendig, dass es, wenn auf jedes
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B, so auch auf ein gewisses A zutrifft. Wenn also angenommen worden ist, dass auf jedes B das C zutrifft, aber auf kein A, so wird die CB-Prämisse wahr sein, die CA-Prämisse dagegen falsch. Es ist also einleuchtend, dass sowohl wenn beide Prämissen falsch sind als auch wenn nur die eine Prämisse falsch ist, eine irrtümliche Deduktion zustande kommen wird, und zwar bei den unmittelbaren Dingen. Kapitel 17. Bei den nicht unmittelbar zutreffenden Dingen – wenn die Deduktion des Falschen durch den angemessenen Mittelbegriff zustande kommt – ist es nicht möglich, dass beide Prämissen falsch sind, sondern nur die mit dem größeren Außenbegriff; ich nenne einen Mittelbegriff angemessen, durch den die Deduktion der Kontradiktion zustande kommt. Es treffe nämlich das A auf das B durch den Mittelbegriff C zu; da es nun notwendig ist, die CB-Prämisse als bejahend anzunehmen, wenn eine Deduktion zustande kommt, so ist klar, dass stets diese wahr sein wird, denn sie konvertiert nicht, die AC-Prämisse dagegen falsch, denn wenn diese konvertiert, kommt die konträre Deduktion zustande. Auf ähnliche Weise auch wenn der Mittelbegriff aus einer anderen Begriffsreihe genommen wird, wie etwa das D, wenn es sowohl in dem A als ganzem ist als auch von jedem B ausgesagt wird; denn notwendig bleibt die DB-Prämisse bestehen, die andere dagegen konvertiert, so dass die eine stets wahr ist, die andere dagegen stets falsch. Und ein derartiger Irrtum ist fast derselbe wie der durch den angemessenen Mittelbegriff. Wenn dagegen die Deduktion nicht durch den angemessenen Mittelbegriff zustande kommt, dann sind, wenn der Mittelbegriff unter dem A ist und auf kein B zutrifft, notwendig beide Prämissen falsch. Es müssen nämlich die Prämissen auf eine Weise angenommen werden, die konträr ist dazu, wie sie sich verhalten, wenn es eine Deduktion geben soll; so angenommen aber werden beide falsch, wie etwa wenn das A auf das ganze D zutrifft, das D aber auf keines der B. Wenn diese nämlich konvertiert sind, wird eine Deduktion zustande kom-
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men und werden beide Prämissen falsch sein. Wenn dagegen der Mittelbegriff nicht unter dem A ist, wie etwa das D, so wird die AD-Prämisse wahr sein, die DB-Prämisse dagegen falsch – die AD-Prämisse ist nämlich wahr, weil das D nicht im A war, und die DB-Prämisse ist falsch, weil wenn sie wahr wäre, auch die Konklusion wahr wäre, aber sie war falsch. Wenn der Irrtum durch die mittlere Figur zustande kommt, dann können nicht beide Prämissen als ganze falsch sein – wenn nämlich das B unter dem A ist, kann nichts bei dem einen auf jedes, bei dem anderen auf keines zutreffen, wie auch zuvor gesagt worden ist –, eine von beiden dagegen kann als ganze falsch sein, und zwar eine beliebige. Wenn nämlich das C auf das A und auf das B zutrifft, so wird, wenn angenommen worden ist, dass es auf das A zutrifft, auf das B dagegen nicht zutrifft, die CA-Prämisse wahr sein, die andere dagegen falsch. Wiederum, wenn angenommen worden ist, dass auf das B das C zutrifft, jedoch auf kein A, so wird die CB-Prämisse wahr sein, die andere dagegen falsch. Wenn also die Deduktion des Irrtums verneinend ist, so ist gesagt worden, wann und durch welche Dinge der Irrtum zustande kommen wird. Wenn sie aber bejahend ist, so können, wenn die Deduktion durch den angemessenen Mittelbegriff zustande kommt, unmöglich beide Prämissen falsch sein. Notwendig nämlich bleibt die CB-Prämisse bestehen, wenn wirklich eine Deduktion zustande kommen soll, wie auch zuvor gesagt worden ist. Daher wird die AC-Prämisse stets falsch sein, diese nämlich ist die Konvertierende. In ähnlicher Weise auch wenn der Mittelbegriff aus einer anderen Begriffsreihe genommen wird, wie auch bei dem verneinenden Irrtum gesagt worden ist. Notwendig nämlich bleibt die DB-Prämisse bestehen, die AD-Prämisse dagegen konvertiert, und der Irrtum ist derselbe wie zuvor. Wenn die Deduktion aber nicht durch den angemessenen Mittelbegriff zustande kommt, so wird, wenn das D unter dem A ist, diese zwar wahr sein, die andere jedoch falsch. Es ist nämlich möglich, dass das A auf mehrere Dinge zutrifft, die nicht unter einander sind. Wenn aber das D nicht unter dem A
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ist, so wird diese Prämisse klarerweise stets falsch sein – denn als bejahend ist sie angenommen –, die DB-Prämisse jedoch kann sowohl wahr als auch falsch sein. Nichts nämlich hindert daran, dass das A auf kein D zutrifft, das D aber auf jedes B; wie etwa Lebewesen auf Wissen, Wissen auf Musik –, noch wiederum das A auf keines der D und das D auf keines der B. Auf wie viele Weisen also und durch welche Dinge es möglich ist, dass die Irrtümer gemäß einer Deduktion zustande kommen, und zwar bei den unvermittelten Dingen und den durch Demonstration bewiesenen Dingen, ist einleuchtend.
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Kapitel 18. Es ist auch einleuchtend, dass wenn eine bestimmte Wahrnehmung ausbleibt, notwendig auch ein bestimmtes Wissen ausbleibt, welches unmöglich zu erwerben ist, wenn wir wirklich Wissen erwerben entweder durch Induktion oder durch Demonstration und wenn die Demonstration vom Allgemeinen abhängt, die Induktion dagegen vom Speziellen, und wenn es unmöglich ist, das Allgemeine zu betrachten außer durch Induktion – denn auch die sogenannten abstrakten Dinge wird man durch Induktion bekannt machen können: dass auf jede Gattung einige von ihnen zutreffen, auch wenn sie nicht abgetrennt sind, insofern ein jedes von der und der Beschaffenheit ist –, und wenn schließlich eine Induktion durchzuführen ohne Wahrnehmung zu haben unmöglich ist. Die Wahrnehmung richtet sich nämlich auf das Einzelne, denn man kann davon kein Wissen erwerben. Weder nämlich kann es aus dem Allgemeinen ohne Induktion erworben werden noch durch Induktion ohne die Wahrnehmung. Kapitel 19. Es kommt aber jede Deduktion durch drei Begriffe zustande; und die eine ist zu beweisen fähig, dass das A auf das C zutrifft, weil es auf das B zutrifft und dieses auf das C, die verneinende dagegen hat als die eine Prämisse: dass eines auf ein anderes zutrifft, und als die andere: dass es nicht zutrifft. Es ist also einleuchtend, dass die Prinzipien und die sogenannten Hypothesen diese sind. Indem man nämlich diese Dinge auf diese Weise annimmt, muss man beweisen – wie
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etwa dass das A auf das C zutrifft durch das B, und wiederum das A auf das B durch einen anderen Mittelbegriff, und ebenso das B auf das C. Diejenigen nun, die mit Rücksicht auf Meinung deduzieren, und nur auf dialektische Weise, müssen klarerweise nur untersuchen, ob die Deduktion aus möglichst allgemein anerkannten Prämissen zustande kommt, so dass, wenn es auch in Wahrheit keinen Mittelbegriff für A und B gibt, aber doch zu geben scheint, der durch diesen Begriff Deduzierende auf dialektische Weise deduziert hat. In Bezug auf Wahrheit dagegen muss man vom Zutreffenden aus untersuchen. Es verhält sich nun so: Da es etwas gibt, was selbst von anderem auf nicht-zufällige Weise ausgesagt wird – ich meine auf zufällige Weise, wie wir etwa von jenem weißen Ding sagen, es sei ein Mensch, wobei wir nicht auf dieselbe Weise reden wie dass der Mensch weiß ist; dieser ist nämlich, ohne etwas anderes zu sein, weiß, das Weiße dagegen ist ein Mensch, weil es für den Menschen zufällig war, weiß zu sein –, so gibt es also einiges von der Art, dass es an sich ausgesagt wird. Es sei also das C von der Art, dass es selbst nicht mehr auf anderes zutrifft, auf dieses C jedoch das B ursprünglich zutrifft und es nichts anderes dazwischen gibt, und wiederum das E auf das F ebenso, und dieses auf das B; kommt nun dies notwendig zum Stehen, oder kann es ins Unendliche gehen? Und wiederum wenn vom A nichts an sich ausgesagt wird, das A jedoch auf das H ursprünglich zutrifft, und nicht dazwischen auf irgendetwas Vorrangiges, und das H auf das G und dieses auf das B, muss auch dieses zum Stehen kommen oder kann auch dieses ins Unendliche gehen? Es unterscheidet sich dies aber vom Vorigen insoweit, als das eine die Frage ist: Ist es möglich, wenn man beginnt mit einem solchen Ding, das auf nichts anderes zutrifft – wohl aber anderes auf jenes –, nach oben bis ins Unendliche zu gehen? Das andere dagegen ist die Frage: Wenn man beginnt mit einem solchen Ding, das selbst von anderen – von jenem dagegen nichts – ausgesagt wird, ob es dann, wenn man nach unten sieht, möglich ist, bis ins Unendliche zu gehen.
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Ferner: Können die Dinge dazwischen unendlich viele sein, wenn die Außenbegriffe bestimmt sind? Ich meine zum Beispiel wenn das A auf das C zutrifft, und ihr Mittelbegriff das B ist, und es zum B und zum A andere Mittelbegriffe gibt, und zu diesen andere, können auch diese bis ins Unendliche gehen, oder ist es unmöglich? Dieses zu untersuchen ist aber dasselbe wie ob die Demonstrationen bis ins Unendliche gehen, und ob es eine Demonstration von allem gibt, oder ob sie sich gegenseitig begrenzen. In ähnlicher Weise meine ich es auch bei den verneinenden Deduktionen und Prämissen, wie etwa wenn das A auf kein B zutrifft, so entweder ursprünglich, oder es wird etwas Vorrangiges dazwischen geben, auf das es nicht zutrifft – wie etwa das G, das auf jedes B zutrifft –, und wiederum noch ein anderes, vorrangig gegenüber diesem, wie etwa das H, das auf jedes G zutrifft: denn auch bei diesen Dingen sind die vorrangigen Begriffe, auf die es zutrifft, entweder unendlich viele, oder kommen zum Stehen. Bei den konvertierenden Begriffen aber verhält es sich nicht in ähnlicher Weise. Denn unter den wechselseitig voneinander ausgesagten Begriffen gibt es keinen, von dem etwas als erstem ausgesagt wird oder als Letztem. Alle nämlich verhalten sich zu allen in dieser Hinsicht jedenfalls auf ähnliche Weise, sei es dass die von etwas ausgesagten Begriffe unendlich viele sind, oder sei es dass beide diskutierten Dinge unendlich viele sind – es sei denn, es ist möglich, dass sie nicht auf ähnliche Weise konvertieren, sondern teils wie ein Zufälliges, teils wie ein Prädikat. Kapitel 20. Dass nun die Begriffe dazwischen nicht unendlich viele sein können, wenn die Prädikate nach unten und nach oben zum Stehen kommen, ist klar. Ich nenne nach oben den Weg zum Allgemeineren, nach unten den zum Speziellen. Wenn nämlich, falls A ausgesagt wird vom F, die Begriffe dazwischen unendlich viele sind – die B’s –, so ist klar, dass es möglich wäre, sowohl vom A aus nach unten das eine vom anderen bis ins Unendliche auszusagen – denn bevor man zum F kommt, sind
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unendlich viele Begriffe dazwischen –, als auch dass es vom F aus nach oben unendlich viele sind, bevor man zum A kommt. Wenn daher dies unmöglich ist, so ist es auch unmöglich, dass es zwischen A und F unendlich viele Begriffe sind. Denn selbst wenn jemand sagen sollte, dass einige der Begriffe A, B, F aneinander anschließen, so dass nichts dazwischen ist, die anderen dagegen nicht erfasst werden können, so macht das keinen Unterschied. Welches der B’s ich nämlich auch immer erfasse, es werden in Richtung auf A oder in Richtung auf F entweder unendlich viele Begriffe dazwischen sein oder nicht. Von welchem aus sie also zuerst unendlich viele sind – sei es sofort oder nicht sofort –, macht keinen Unterschied, denn danach sind es unendlich viele. Kapitel 21. Es ist auch im Falle der verneinenden Demonstration einleuchtend, dass es zum Stehen kommen wird, wenn es im Falle der bejahenden in beiden Richtungen zum Stehen kommt. Es sei nämlich weder möglich, nach oben hin vom letzten Ding aus bis ins Unendliche zu gehen – ich nenne letztes Ding, was selbst auf kein anderes zutrifft, während jedoch anderes auf jenes zutrifft, wie etwas das F –, noch sei es vom ersten zum letzten möglich – ich nenne erstes, was selbst auf anderes zutrifft, während jedoch nichts anderes auf jenes zutrifft. Wenn also dies gilt, dann wird es auch bei der Verneinung zum Stehen kommen. Auf dreifache Weise nämlich wird bewiesen, dass etwas nicht zutrifft. Entweder nämlich trifft das B auf alles zu, auf das C zutrifft, und das A auf keines, auf das B zutrifft. Bei der BC-Prämisse folglich, und stets beim zweiten Intervall, kommt man notwendig zu den unvermittelten Dingen; bejahend nämlich ist dieses Intervall. Wenn aber das andere auf etwas noch anderes nicht zutrifft, das vorrangig ist, etwa auf das D, dann wird es klarerweise auf jedes B zutreffen müssen. Und wenn es wiederum auf ein anderes, dem D gegenüber vorrangiges Ding nicht zutrifft, so wird jenes auf jedes D zutreffen müssen. Wenn daher der Weg nach oben zum Stehen
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kommt, so wird auch der zum A hin zum Stehen kommen, und es wird ein Erstes geben, auf das es nicht zutrifft. Wiederum, wenn das B auf jedes A und auf kein C zutrifft, so trifft das A auf kein C zu. Wenn dieses wiederum bewiesen werden muss, so ist klar, dass es entweder in der oben genannten Weise bewiesen werden wird oder durch diese oder die dritte Weise. Die erste nun ist genannt worden, die zweite wird bewiesen werden. Man könnte es etwa so beweisen: das D trifft auf jedes B zu, und auf kein C, wenn etwas notwendig auf das B zutrifft. Und wenn dieses wiederum auf das C nicht zutreffen soll, dann trifft ein anderes auf das D zu, das auf das C nicht zutrifft. Weil daher das auf immer Höheres Zutreffende zum Stehen kommt, wird auch das Nicht-Zutreffen zum Stehen kommen. Die dritte Weise aber war: wenn das A auf jedes B zutrifft, das C aber nicht auf jedes B zutrifft, dann trifft C nicht auf jedes A zu. Wiederum wird dieses entweder durch die oben genannten Weisen oder auf ähnliche Weise bewiesen werden. Wenn also auf jene zuerst genannten Weisen, so kommt es zum Stehen, wenn dagegen auf diese letztere Weise, so wird wiederum angenommen werden, dass das B auf das E zutrifft, von dem das C nicht auf jedes zutrifft; und dieses wiederum auf ähnliche Weise. Da aber zugrunde gelegt worden ist, dass es auch nach unten hin zum Stehen kommt, so ist klar, dass auch das nicht-zutreffende C zum Stehen kommen wird. Es ist also einleuchtend, dass auch wenn man nicht auf einem Weg beweist, sondern auf allen – bald aus der ersten Figur, bald aus der zweiten –, es auch so zum Stehen kommen wird. Begrenzt nämlich sind die Wege, und alles Begrenzte, begrenzt oft addiert, ist notwendig begrenzt. Dass es also bei der Verneinung, wenn wirklich auch beim Zutreffen, zum Stehen kommt, ist klar; dass es aber auch beim Zutreffen gilt, ist, wenn man es auf allgemeine Weise betrachtet, folgendermaßen einleuchtend. Kapitel 22. Bei den Dingen nun, die im Was-es-ist ausgesagt werden, ist es klar. Wenn es nämlich möglich ist zu definieren,
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oder wenn das Was-es-hieß-dies-zu-sein erkennbar ist, das Unendliche durchzugehen aber nicht möglich ist, dann ist dasjenige notwendigerweise begrenzt, was im Was-es-ist ausgesagt wird. Allgemein aber reden wir folgendermaßen. Es ist ja möglich, wahrheitsgemäß zu sagen, dass das Weiße geht und das Große dort ein Stück Holz ist, und wiederum, dass das Stück Holz groß ist und dass der Mensch geht. Das Reden auf diese Weise und das auf jene Weise ist doch wohl verschieden. Wenn ich nämlich sage, dass das Weiße ein Stück Holz ist, dann sage ich, dass etwas, für das es zufällig war weiß zu sein, ein Stück Holz ist – aber nicht, dass das dem Holz zugrundeliegende Ding das Weiße ist. Denn weder insofern es weiß ist noch insofern es das ist, was ein weißes Ding wirklich ist, war es ein Stück Holz, so dass es nur zufälligerweise so ist. Wenn ich dagegen sage, dass das Stück Holz weiß ist, dann nicht insofern etwas anderes weiß ist und es für jenes zufällig war, ein Stück Holz zu sein – wie wenn ich etwa sage, dass das Musikalische weiß ist: dann sage ich es, insofern der Mensch weiß ist, für den es zufällig war, musikalisch zu sein –, sondern das Stück Holz ist das zugrundeliegende Ding, was es auch wirklich war, ohne verschieden zu sein entweder von dem, was ein Stück Holz wirklich ist oder von einem bestimmten Stück Holz. Wenn es also nötig ist, eine Regelung vorzuschreiben, so sei das Reden auf diese Weise ein Aussagen, das Reden auf jene Weise dagegen entweder auf keine Weise ein Aussagen, oder zwar ein Aussagen, aber nicht schlechthin, sondern ein Aussagen auf zufällige Weise. Es ist aber das Ausgesagte wie das Weiße und das, wovon es ausgesagt wird, wie das Stück Holz. Es sei also zugrunde gelegt, dass das Ausgesagte von dem, wovon es ausgesagt wird, stets schlechthin ausgesagt wird, und nicht auf zufällige Weise. So nämlich demonstrieren die Demonstrationen, so dass es entweder im Was-es-ist ist oder insofern es qualitativ oder quantitativ oder relativ oder bewirkend oder erleidend oder irgendwo oder irgendwann ist, wenn eines vom anderen ausgesagt wird. Außerdem, die Dinge, die eine Substanz bezeichnen, bezeichnen von jenem, von dem sie ausgesagt werden, was es
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wirklich ist oder was ein bestimmtes Ding wirklich ist. Die Dinge dagegen, die nicht eine Substanz bezeichnen, sondern über ein anderes zugrundeliegendes Ding ausgesagt werden, welches weder das ist, was jenes wirklich ist, noch das, was ein bestimmtes Ding wirklich ist, sind zufällig, wie etwa das Weiße vom Menschen ausgesagt wird. Denn der Mensch ist nicht das, was Weißes wirklich ist oder was ein bestimmtes weißes Ding wirklich ist, sondern vielleicht Lebewesen; denn der Mensch ist das, was ein Lebewesen wirklich ist. Die Dinge dagegen, die nicht eine Substanz bezeichnen, müssen von einem zugrundeliegenden Ding ausgesagt werden, und es kann nichts Weißes geben, was nicht insofern es etwas anderes ist weiß ist. Denn die Formen mögen dahinfahren – sie sind nämlich nur Trällerei, und wenn sie existieren, dann tun sie nichts zur Sache. Denn die Demonstrationen richten sich auf derartige Dinge. Außerdem, wenn nicht dieses von diesem eine Qualität sein kann und jenes von diesem – eine Qualität von einer Qualität –, so ist es unmöglich, dass sie in dieser Weise wechselseitig voneinander ausgesagt werden, sondern es ist zwar möglich, Wahres zu sagen, aber wahrheitsgemäß wechselseitig auszusagen ist nicht möglich. Denn entweder werden sie wie eine Substanz ausgesagt werden, zum Beispiel entweder als Gattung oder als Differenz des Ausgesagten – von diesen Dingen aber ist bereits bewiesen worden, dass sie nicht unendlich viele sein werden, und zwar weder nach unten noch nach oben, wie etwa der Mensch ist Zweifüßiges, dieses ist ein Lebewesen, und dieses ist etwas anderes; und auch nicht wie etwa Lebewesen über Mensch, dieses über Kallias, und dieses über ein anderes Ding im Was-es-ist; denn jede derartige Substanz kann definiert werden, das Unendliche aber durchzugehen ist nicht möglich, wenn man es einsieht. Daher sind sie weder nach oben noch nach unten unendlich viele, denn diejenige Substanz, von der unendlich Vieles ausgesagt wird, kann nicht definiert werden. Als Gattungen also werden sie nicht wechselseitig voneinander ausgesagt werden – es wird nämlich sonst dasjenige, was etwas Bestimmtes wirklich ist, es selbst sein. Aber auch nichts vom Qualitativen oder von den anderen Dingen wird wechsel-
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seitig voneinander ausgesagt, es sei denn, es wird auf zufällige Weise ausgesagt. Alle diese Dinge nämlich treffen zufälligerweise zu und werden von Substanzen ausgesagt. Aber es ist klar, dass es auch nach oben nicht unendlich viele sein werden. Von jedem nämlich wird ausgesagt, was entweder ein Qualitatives bezeichnet oder ein Quantitatives oder eines von derartigen Dingen oder die Dinge in der Substanz. Diese Dinge aber sind begrenzt, und die Gattungen der Prädikate sind begrenzt, da sie entweder Qualitatives oder Quantitatives oder Relatives oder Bewirkendes oder Erleidendes oder ein Irgendwo oder ein Irgendwann sind. Es liegt also zugrunde, dass eines vom anderen ausgesagt wird, dass sie aber von sich selbst, soweit sie nicht das sind, was etwas ist, nicht ausgesagt werden. Denn sie sind alle zufällig, allerdings einige an sich, andere auf andere Weise. Und alle diese Dinge werden von einem Zugrundeliegenden ausgesagt – so sagen wir –, das Zufällige aber ist kein Zugrundeliegendes. Von keinem solcher Dinge nämlich setzen wir fest, dass es etwas ist, was nicht, insofern es etwas anderes ist, das genannt wird, was es genannt wird, sondern es selbst kommt anderen Dingen zu. Weder nach oben folglich noch nach unten wird gesagt werden, dass eines auf anderes zutrifft. Die Dinge nämlich, von denen gesagt wird, dass das Zufällige auf sie zutrifft – die in der Substanz eines jeden Dinges sind –, diese sind nicht unendlich viele; nach oben aber sind sowohl diese Dinge als auch das Zufällige – beide – nicht unendlich viele. Es ist folglich notwendig, dass es etwas gibt, von dem etwas Ursprüngliches ausgesagt wird und von diesem ein anderes, und dass dieses zum Stehen kommt und es etwas gibt, was nicht mehr von einem anderen Vorrangigen und von dem auch nicht mehr ein anderes Vorrangiges ausgesagt wird. Als eine Weise der Demonstration also wird diese genannt, noch eine andere liegt aber dann vor, wenn es von denjenigen Dingen, von denen einiges Vorrangige ausgesagt wird, eine Demonstration gibt, und es denjenigen Dingen gegenüber, von denen es eine Demonstration gibt, weder möglich ist, besser disponiert zu sein als sie zu wissen, noch es mög-
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lich ist, sie ohne Demonstration zu wissen, und wir ferner, falls dieses durch jene Dinge bekannt ist und wir jene Dinge nicht wissen und ihnen gegenüber auch nicht besser disponiert sind als sie zu wissen, auch das durch diese Dinge Bekannte nicht wissen werden. Wenn es also möglich ist, etwas zu wissen durch Demonstration schlechthin und nicht abhängig von gewissen Dingen oder abhängig von einer Hypothese, so kommen notwendig die Prädikate dazwischen zum Stehen. Wenn sie nämlich nicht zum Stehen kommen, sondern es stets eines gibt oberhalb des angenommenen, so wird es von allem eine Demonstration geben. Daher, wenn es nicht möglich ist, das Unendliche durchzugehen, von dem es eine Demonstration gibt, so werden wir diese Dinge nicht durch Demonstration wissen. Wenn wir also ihnen gegenüber nicht besser disponiert sind als sie zu wissen, so wird es nicht möglich sein, irgendetwas durch Demonstration schlechthin zu wissen, sondern nur abhängig von einer Hypothese. Auf allgemeine Weise nun dürfte man sich aufgrund dieser Dinge vom Gesagten überzeugen. Auf analytische Weise dagegen wird aufgrund folgender Dinge bündiger einleuchtend, dass die ausgesagten Dinge weder nach oben noch nach unten unendlich viele sein können in den demonstrativen Wissenschaften, auf die unsere Untersuchung gerichtet ist. Die Demonstration richtet sich nämlich auf diejenigen Dinge, die an sich auf die Sachen zutreffen – an sich jedoch trifft etwas zu auf doppelte Weise: nämlich sowohl das, was in jenen Dingen, auf die es zutrifft, im Was-es-ist vorkommt, als auch das, bei dem diejenigen Dinge, auf die es zutrifft, selbst im Wases-ist vorkommen, wie etwa bei der Zahl das Ungerade, was zwar auf Zahl zutrifft, aber die Zahl selbst kommt in seiner Bestimmung vor, und wiederum Menge oder das Teilbare kommt in der Bestimmung der Zahl vor. Von diesen Dingen können keine unendlich viele sein, weder was wie das Ungerade auf die Zahl zutrifft – denn es gäbe wiederum ein anderes, in welchem das Ungerade vorkäme und das auf das Ungerade zutrifft; und wenn dieses der Fall ist, dann wird die Zahl ursprünglich in den Dingen vorkommen, die auf sie zutreffen.
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Wenn es also nicht möglich ist, dass unendlich viele derartige Dinge in dem Einen vorkommen, so werden sie auch nach oben nicht unendlich viele sein; aber tatsächlich treffen notwendig alle auf das Ursprüngliche zu, wie etwa auf die Zahl, und auf jene die Zahl, so dass sie konvertieren werden und nicht hinausragen – noch auch diejenigen Dinge, die im Wases-ist vorkommen, auch diese sind nicht unendlich viele; sonst wäre es nämlich nicht zu definieren. Daher, wenn die ausgesagten Dinge alle an sich gesagt werden, diese aber nicht unendlich viele sind, so dürften die Dinge nach oben zum Stehen kommen, daher auch nach unten. Wenn es aber so ist, dann sind auch die Dinge zwischen zwei Begriffen stets begrenzt. Und wenn dieses gilt, dann ist bereits klar, dass es auch von den Demonstrationen notwendigerweise Prinzipien gibt und dass es nicht von allem eine Demonstration gibt, was, wie wir am Anfang gesagt haben, einige behaupten. Denn wenn es Prinzipien gibt, dann ist weder alles demonstrierbar noch kann es ins Unendliche gehen – denn dass irgendein beliebiges dieser Dinge der Fall ist, ist nichts anderes als dass es kein unvermitteltes und unteilbares Intervall gibt, sondern alles teilbar ist. Denn dadurch, dass ein Begriff innen eingeschoben wird, und nicht dadurch, dass er hinzugenommen wird, wird das Demonstrierte demonstriert. Wenn daher dies bis ins Unendliche gehen kann, dann könnte es zwischen zwei Begriffen unendlich viele Mittelbegriffe geben. Aber dies ist unmöglich, wenn die Prädikate nach oben und unten zum Stehen kommen. Dass sie aber zum Stehen kommen, ist sie bewiesen worden – auf allgemeine Weise zuvor, auf analytische Weise jetzt. Kapitel 23. Nachdem diese Dinge bewiesen worden sind, ist einleuchtend, dass wenn dasselbe auf zwei Dinge zutrifft, wie etwa das A auf das C und das D, ohne dass das eine vom anderen ausgesagt wird – entweder auf keine Weise oder nicht von jedem –, dass es dann nicht stets in Hinsicht auf etwas Gemeinsames zutreffen wird, wie etwa das Haben von Winkeln gleich zwei Rechten auf das Gleichschenklige und das Un-
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gleichschenklige in Hinsicht auf etwas Gemeinsames zutrifft: es trifft nämlich auf sie als bestimmte Figur und nicht als Verschiedenes zu. Dies aber verhält sich nicht immer so. Es sei nämlich das B dasjenige, in Hinsicht auf welches das A auf das C, D zutrifft; es ist folglich klar, dass auch das B auf das C und D in Hinsicht auf ein anderes Gemeinsames zutrifft und dieses in Hinsicht auf noch ein anderes, so dass zwischen zwei Begriffe unendlich viele Begriffe hineinfallen würden. Aber das ist unmöglich. In Hinsicht auf etwas Gemeinsames also trifft nicht notwendig stets dasselbe auf mehrere Dinge zu, denn es wird doch unvermittelte Intervalle geben. In derselben Gattung freilich müssen die Begriffe sein und von denselben unteilbaren Dingen abhängig, wenn wirklich das Gemeinsame zu den an sich zutreffenden Dingen gehören soll. Denn es war nicht möglich, dass das Bewiesene aus einer Gattung in eine andere überwechselt. Einleuchtend ist aber auch, dass wenn das A auf das B zutrifft, es dann, falls es einen Mittelbegriff gibt, möglich ist zu beweisen, dass das A auf das B zutrifft, und die Elemente dieser Sache diese sind, und zwar so viele, wie es Mittelbegriffe gibt. Die unvermittelten Prämissen nämlich sind Elemente, entweder alle oder die allgemeinen Prämissen. Wenn es dagegen keinen Mittelbegriff gibt, dann ist keine Demonstration mehr möglich; vielmehr ist dies der Weg zu den Prinzipien. In ähnlicher Weise auch wenn das A auf das B nicht zutrifft, so ist, wenn es entweder einen Mittelbegriff oder etwas Vorrangiges gibt, auf das es nicht zutrifft, eine Demonstration möglich, wenn dagegen nicht, dann ist sie unmöglich, sondern es ist ein Prinzip, und die Elemente sind so viele wie die Begriffe. Denn die Prämissen dieser Dinge sind Prinzipien der Demonstration, und so wie einige nicht-demonstrierbare Prinzipien besagen, dass dieses dieses ist und dieses auf dieses zutrifft, so besagen auch einige, dass dieses nicht dieses ist und dieses nicht auf dieses zutrifft, so dass die einen Prinzipien besagen werden, dass etwas der Fall ist, die anderen Prinzipien dagegen, dass etwas nicht der Fall ist.
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Wenn man beweisen soll, so muss etwas angenommen werden, was vom B ursprünglich ausgesagt wird – es sei das C – und von diesem in ähnlicher Weise das D; und wenn man stets auf diese Weise vorgeht, wird niemals eine Prämisse oder ein Zutreffendes außerhalb des A angenommen beim Beweisen, sondern stets wird der Mittelbegriff verdichtet, bis die Prämissen unteilbar werden und Eines. Es ist aber Eines, wenn es unvermittelt wird, und die unvermittelte Prämisse ist schlechthin Eine. Und so wie bei den übrigen Dingen das Prinzip einfach ist, dieses jedoch nicht überall dasselbe ist, sondern beim Gewicht die Mine, beim Gesang der Halbton, und anderes bei anderem, so ist bei der Deduktion das Eine die unvermittelte Prämisse und bei der Demonstration und dem Wissen die Einsicht. Bei den Deduktionen also, die das Zutreffende beweisen, fällt nichts außerhalb der Außenbegriffe. Bei den verneinenden Deduktionen dagegen fällt in einem Fall, was das Ding betrifft, das nicht zutreffen soll, nichts außerhalb dieses Dinges, wie etwa wenn das A auf das B durch das C nicht zutrifft – wenn nämlich auf jedes B das C, und auf kein C das A zutrifft. Wenn es wiederum so sein soll, dass das A auf kein C zutrifft, muss ein Mittelbegriff für das A und C angenommen werden, und auf diese Weise wird man stets fortfahren. Wenn man dagegen beweisen soll, dass das D auf das E nicht zutrifft dadurch, dass das C auf jedes D zutrifft und auf kein E, so wird es niemals außerhalb des E fallen; dieses aber ist das, worauf es zutreffen soll. Und bei der dritten Art wird man niemals, weder bei dem wovon man verneinen soll, noch bei dem, was man verneinen soll, nach außen gehen. Kapitel 24. Eine Demonstration ist teils allgemein, teils speziell, und teils bejahend, teils verneinend, und es wird darüber gestritten, welche besser ist – ebenso auch über die Demonstration, von der man sagt, sie weise auf, und über die zum Unmöglichen führende Demonstration. Zuerst nun wollen wir eine Untersuchung anstellen über die allgemeine und die spezielle Demonstration. Und nachdem wir dies geklärt haben, wollen wir auch über die Demonstration, von der man sagt, sie weise
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auf, und über die zum Unmöglichen führende Demonstration sprechen. Es könnte nun vielleicht Leuten, die auf folgende Weise untersuchen, so vorkommen, als sei die spezielle Demonstration besser. Wenn nämlich eine Demonstration, gemäß der wir in höherem Grade wissen, besser ist – dieses nämlich ist der Vorzug einer Demonstration –, und wir jede Sache in höherem Grade wissen, wenn wir sie selbst an sich wissen, als wenn in Hinsicht auf anderes – wie wir etwa den musikalischen Koris kos in höherem Grade wissen, wenn wir wissen, dass Koriskos musikalisch ist, als wenn wir wissen, dass ein Mensch musikalisch ist; in ähnlicher Weise verhält es sich auch bei den anderen Dingen –, und wenn ferner die allgemeine Demonstration beweist, dass anderes, nicht es selbst so ist – wie etwa dass das Gleichschenklige so ist nicht als Gleichschenkliges, sondern als Dreieck –, die spezielle Demonstration dagegen beweist, dass es selbst so ist; wenn also die an sich beweisende Demonstration besser ist, die spezielle Demonstration jedoch in höherem Grade von dieser Art ist als die allgemeine, dann dürfte die spezielle Demonstration auch besser sein. Ferner, wenn das Allgemeine nicht irgendetwas neben den einzelnen Dingen ist, die Demonstration aber die Meinung hervorbringt, dass es dasjenige gibt, in Hinsicht auf das sie demonstriert, und dass es als eine bestimmte Natur unter den Dingen vorkommt, wie etwa die Natur vom Dreieck neben den einzelnen Dreiecken und von der Figur neben den einzelnen Figuren und von der Zahl neben den einzelnen Zahlen, und wenn die Demonstration über Seiendes besser ist als über Nichtseiendes, und die Demonstration, aufgrund deren man sich nicht irren wird, besser als die Demonstration, aufgrund deren man sich irren wird, die allgemeine Demonstration jedoch von dieser Art ist – denn wenn sie vorangehen, beweisen sie wie über die Proportion, wie etwa dass was auch immer ein solches Ding ist, proportional sein wird, und zwar was weder Linie noch Zahl noch dreidimensionaler Körper noch Fläche ist, sondern etwas neben diesen – : wenn also die allgemeine Demonstration in höherem Grade diese ist und sich in
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geringerem Grade auf Seiendes richtet als die spezielle Demonstration und eine falsche Meinung hervorbringt, dann dürfte die allgemeine Demonstration schlechter sein als die spezielle. Oder trifft, erstens, das erste Argument in nicht höherem Grade auf das Allgemeine zu als auf das Spezielle? Wenn nämlich das Haben von Winkeln gleich zwei Rechten auf etwas zutrifft nicht insofern es gleichschenklig ist, sondern insofern es Dreieck ist, so wird derjenige, der es vom Gleichschenkligen weiß, es in geringerem Grade als solches wissen als derjenige, der es vom Dreieck weiß. Und im Ganzen, wenn es nicht von ihm gilt insofern es Dreieck ist, und daraufhin beweist es jemand, dann dürfte es nicht eine Demonstration sein. Wenn es dagegen gilt, so weiß derjenige, der ein jedes Ding weiß, insofern ein jedes zutrifft, in höherem Grade. Wenn also das Dreieck sich auf mehr bezieht und die Bestimmung dieselbe ist und das Dreieck nicht durch Mehrdeutigkeit vorliegt und das Haben von Winkeln gleich zwei Rechte auf jedes Dreieck zutrifft, dann dürfte nicht das Dreieck als gleichschenkliges, sondern das Gleichschenklige als Dreieck derartige Winkel besitzen. Wer daher das Allgemeine weiß, der weiß in höherem Grade, insofern etwas zutrifft, als wer das Spezielle weiß. Folglich ist die allgemeine Demonstration besser als die spezielle. Ferner, wenn es eine einzige Bestimmung gibt und das Allgemeine nicht eine Mehrdeutigkeit ist, so dürfte es in nicht geringerem Grade existieren als einige spezielle Dinge, sondern sogar in höherem Grade, insofern als das Unvergängliche unter dem Allgemeinen vorkommt, die speziellen Dinge dagegen in höherem Grade vergänglich sind. Und ferner besteht keine Notwendigkeit anzunehmen, dass das Allgemeine etwas neben diesen Dingen ist, weil es Eines klar macht – nicht in höherem Grade als bei den übrigen Dingen, die nicht ein Was bezeichnen, sondern ein Qualitatives oder ein Relatives oder ein Bewirken. Wenn dies aber doch angenommen wird, so ist folglich nicht die Demonstration, sondern der Zuhörer die Ursache dafür. Ferner, wenn die Demonstration eine Deduktion ist, die eine Ursache und das Warum aufweist, das Allgemeine jedoch
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ursächlicher ist – auf was nämlich etwas an sich zutrifft, dieses ist selbst für es ursächlich, und das Allgemeine ist ursprünglich; also ist das Allgemeine ursächlich –, so ist auch die entsprechende Demonstration besser, denn sie bezieht sich in höherem Grade auf das Ursächliche und das Warum. Ferner, bis zu demjenigen Punkt untersuchen wir das Warum, und dann glauben wir etwas zu wissen, wenn dieses nicht deshalb, weil etwas anderes der Fall ist, entweder geschieht oder der Fall ist. Ziel nämlich und Grenze ist das äußerste Ding bereits auf diese Weise, wie etwa: weswegen kam er? Um das Geld in Empfang zu nehmen, und dies um zurückzugeben, was er schuldete, und dies um nicht Unrecht zu tun; und so fortfahrend, wenn es nicht mehr aufgrund eines anderen oder wegen eines anderen besteht, sagen wir, dass er aufgrund dieser Sache als eines Zieles kommt – und dass es der Fall ist und geschieht –, und dass wir dann im höchsten Grade wissen, warum er kam. Wenn es sich also in ähnlicher Weise bei allen Ursachen und dem Warum verhält und wir bei den Dingen, die in der Weise ursächlich sind wie ein Weswegen, in der Weise auch im höchsten Grade wissen, so wissen wir folglich auch bei den anderen Dingen dann im höchsten Grade, wenn dieses nicht mehr zutrifft, weil ein anderes zutrifft. Wenn wir also Kenntnis davon besitzen, dass die Außenwinkel eines Dreiecks vier Rechten gleich sind, insofern es gleichschenklig ist, so bleibt noch zu fragen übrig, warum das Gleichschenklige so ist – insofern es ein Dreieck ist, und dieses, insofern es eine geradlinige Figur ist. Wenn aber dies nicht mehr zutrifft, weil anderes zutrifft, dann wissen wir in höchstem Grade, und zwar dann allgemein; die allgemeine Demonstration folglich ist besser. Ferner, je spezieller die Demonstration ist, desto mehr fällt sie ins Unendliche, die allgemeine Demonstration dagegen fällt in das Einfache und die Grenze. Man kann aber Dinge, insofern sie unendlich sind, nicht wissen, insofern sie jedoch begrenzt sind, kann man sie wissen. Als allgemeine folglich kann man sie in höherem Grade wissen denn als spezielle. Demonstrierbar in höherem Grade sind folglich die allgemeinen Dinge. Und auf die in höherem Grade demonstrierbaren
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Dinge richtet sich eine Demonstration in höherem Grade, denn die relativen Dinge bestehen in höherem Grade zugleich. Besser folglich ist die allgemeine Demonstration, da sie in der Tat auch in höherem Grade eine Demonstration ist. Ferner, wenn eher eine Demonstration zu wählen ist, aufgrund deren man dieses und anderes, als aufgrund deren man nur dieses weiß, und wenn derjenige, der das Allgemeine besitzt, auch das Spezielle weiß, dieser aber das Allgemeine nicht weiß: so dürfte die allgemeine Demonstration auch auf diese Weise eher zu wählen sein – außerdem aber auch auf folgende Weise. Das Allgemeinere nämlich zu beweisen ist das Beweisen durch den Mittelbegriff, der dem Prinzip näher ist. Das Nächste aber ist das Unvermittelte, und dieses ist ein Prinzip. Wenn also die von einem Prinzip abhängende Demonstration gegenüber der nicht von einem Prinzip abhängenden Demonstration, und die in höherem Grade von einem Prinzip abhängende Demonstration gegenüber der in geringerem Grade abhängenden Demonstration eine genauere Demonstration ist und eine solche allgemeiner ist, dann dürfte die allgemeine Demonstration überlegen sein, wie etwa falls das A vom D demonstriert werden sollte, die Mittelbegriffe B, C sind und das B höher ist – so dass die Demonstration durch dieses allgemeiner ist. Aber von den gesagten Dingen sind einige allgemein. Am klarsten aber ist die Tatsache, dass die allgemeine Demons tration vorzüglicher ist, weil wenn wir von den Prämissen die vorrangige wissen, wir in gewisser Weise auch die nachrangige wissen und besitzen, der Möglichkeit nach, wie etwa wenn jemand weiß, dass jedes Dreieck Winkel gleich zwei Rechten hat, er in gewisser Weise auch weiß, dass das Gleichschenklige Winkel gleich zwei Rechten hat, der Möglichkeit nach, auch wenn er vom Gleichschenkligen nicht weiß, dass es ein Dreieck ist. Wer dagegen diese letztere Prämisse benutzt, weiß das Allgemeine auf keine Weise, weder der Möglichkeit noch der Wirklichkeit nach. Und die allgemeine Demonstration ist einsichtig, die spezielle dagegen endet in der Wahrnehmung.
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Kapitel 25. Dass also die allgemeine Demonstration besser ist als die spezielle, darüber sei soviel von uns gesagt; dass aber die aufweisende Demonstration besser ist als die verneinende, wird aus Folgendem klar. Es sei diejenige Demonstration besser – wenn alle übrigen Dinge dieselben bleiben –, die von weniger Forderungen oder Hypothesen oder Prämissen abhängt. Denn wenn sie auf ähnliche Weise bekannt sind, so wird das schnellere Gewinnen von Kenntnis durch die von weniger Prämissen abhängende Demonstration zustande kommen, und dieses ist eher zu wählen. Ein Argument für die Prämisse, dass die von weniger Prämissen abhängende Demonstration besser ist, ist allgemein das folgende. Wenn nämlich die Mittelbegriffe auf ähnliche Weise bekannt und die vorrangigen Begriffe bekannter sind, so sei die Demonstration durch die Mittelbegriffe B, C, D gegeben, und zwar so, dass das A auf das E zutrifft; und die Demons tration durch die Mittelbegriffe F, G sei so gegeben, dass das A auf E zutrifft. Dann verhält es sich auf ähnliche Weise, dass das A auf D zutrifft, wie dass das A auf E zutrifft, aber dass das A auf D zutrifft, ist vorrangig und bekannter als dass das A auf E zutrifft. Denn durch dieses wird jenes demonstriert, überzeugender aber ist das, durch was etwas bewiesen wird. Und die durch weniger Prämissen zustande kommende Demonstration ist folglich besser, wenn alle übrigen Dinge dieselben bleiben. Beide nun beweisen durch drei Begriffe und zwei Prämissen, aber die eine nimmt an, dass etwas der Fall ist, die andere dagegen dass etwas der Fall ist und etwas nicht der Fall ist – folglich beweist die letztere Demonstration durch mehr Dinge und ist daher schlechter. Ferner, da bewiesen worden ist, dass, wenn beide Prämissen verneinend sind, unmöglich eine Deduktion zustande kommt, sondern dass die eine Prämisse zwar von dieser Art ist, die andere dagegen von der Art, dass es zutrifft, so ist es nötig, zusätzlich zu diesem das folgende anzunehmen: dass nämlich die bejahenden Prämissen, wenn die Demonstration erweitert wird, notwendig mehr werden, dass die verneinenden Prämissen dagegen unmöglich mehr als eine in jeder Deduktion sein
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können. Es treffe nämlich das A auf keines der B zu und das B auf jedes C; wenn es also nötig ist, wiederum beide Prämissen zu erweitern, so muss ein Mittelbegriff eingeschoben werden. Für das AB sei es das D, für das BC das E; dann ist einleuchtend, dass das E bejahend, das D jedoch vom B bejahend, in Bezug auf das A dagegen verneinend zugrunde liegt. Denn das D muss auf jedes B und das A auf keines der D zutreffen. Es kommt also eine einzige verneinende Prämisse zustande – die AD-Prämisse. Und auf dieselbe Weise verhält es sich auch bei den anderen Deduktionen, denn stets ist der Mittelbegriff von bejahenden Begriffen in Bezug auf beide bejahend, beim verneinenden Begriff dagegen ist er notwendigerweise in Bezug auf das eine von beiden verneinend, so dass diese die einzige derartige Prämisse wird, die anderen Prämissen dagegen bejahend sind. Wenn daher bekannter und überzeugender ist, wodurch etwas bewiesen wird, und die verneinende Demons tration durch die bejahende beweist, diese aber nicht durch jene beweist, so dürfte die bejahende Demonstration, vorrangig und bekannter und überzeugender wie sie ist, besser sein. Ferner, wenn die allgemeine unvermittelte Prämisse Prinzip einer Deduktion ist, und zwar in der aufweisenden Demonstration die bejahende, in der verneinenden dagegen die verneinende allgemeine Prämisse, und die bejahende Prämisse gegenüber der verneinenden vorrangig und bekannter ist – aufgrund der Bejahung nämlich wird die Verneinung bekannt, und vorrangig ist die Bejahung, so wie auch das Sein gegenüber dem Nichtsein –, so ist daher das Prinzip der aufweisenden Demonstration besser als das der verneinenden; diejenige Demonstration aber, die bessere Prinzipien benutzt, ist besser. Ferner ist die aufweisende Prämisse eher von der Form eines Prinzips, denn ohne die aufweisende gibt es keine verneinende Prämisse. Kapitel 26. Da die bejahende Demonstration besser ist als die verneinende, so ist sie klarerweise auch besser als die zum Unmöglichen führende Demonstration. Es ist jedoch nötig zu wissen, welches der Unterschied zwischen ihnen ist.
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Es treffe also das A auf kein B zu, das B aber auf jedes C; notwendig trifft dann das A auf kein C zu. Wenn die Dinge also so angenommen worden sind, so ist die negative Demons tration, dass das A auf das C nicht zutrifft, aufweisend. Die zum Unmöglichen führende Demonstration dagegen ist folgendermaßen angeordnet. Wenn man beweisen soll, dass das A auf das B nicht zutrifft, so muss angenommen werden, dass es zutrifft, und auch das B auf das C, so dass folgt, dass das A auf das C zutrifft. Von diesem aber sei bekannt und eingestanden, dass es unmöglich ist. Folglich ist es nicht möglich, dass das A auf das B zutrifft. Wenn nun zugestanden wird, dass das B auf das C zutrifft, dann ist es unmöglich, dass das A auf das B zutrifft. Die Begriffe also sind auf ähnliche Weise angeordnet, aber es macht einen Unterschied aus, welche negative Prämisse bekannter ist – dass das A auf das B nicht zutrifft, oder dass das A auf das C nicht zutrifft. Wenn nun die Konklusion, dass es nicht der Fall ist, bekannter ist, so kommt die zum Unmöglichen führende Demonstration zustande, wenn dagegen die Prämisse in der Deduktion bekannter ist, so kommt die aufweisende Demonstration zustande. Von Natur aus vorrangig aber ist die Prämisse, dass das A auf das B zutrifft, gegenüber der Konklusion, dass das A auf das C zutrifft. Denn vorrangig gegenüber der Konklusion sind die Dinge, von denen die Konklusion abhängt. Es ist aber das NichtZutreffen von A auf C Konklusion, das Nicht-Zutreffen von A auf B dagegen das, wovon die Konklusion abhängt. Nicht nämlich ist, wenn etwas aufgehoben ist, dieses eine Konklusion und jenes das, wovon sie abhängt. Vielmehr ist das, wovon eine Deduktion abhängt, dasjenige, was sich so verhält wie entweder ein Ganzes zum Teil oder ein Teil zum Ganzen; die AC- und BC-Prämissen jedoch verhalten sich nicht so zueinander. Wenn also die von bekannteren und vorrangigen Dingen abhängige Demonstration überlegen ist und beide zwar aufgrund dessen, dass etwas nicht der Fall ist, überzeugend sind, aber die eine aufgrund eines vorrangigen, die andere dagegen aufgrund eines nachrangigen Satzes, dann dürfte die schlecht-
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hin verneinende Demonstration besser als die zum Unmöglichen führende Demonstration sein, so dass auch die bejahende Demonstration, die besser ist als die schlechthin verneinende Demonstration, klarerweise auch gegenüber der zum Unmöglichen führenden Demonstration besser ist. Kapitel 27. Genauer und vorrangig ist eine Wissenschaft gegenüber einer anderen Wissenschaft, wenn sie sich als dieselbe sowohl auf das Dass als auch auf das Weshalb richtet und nicht nur auf das Dass, getrennt von der auf das Weshalb gerichteten Wissenschaft; und wenn sie nicht von einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird, gegenüber der von einem Zugrundeliegenden ausgesagten Wissenschaft, wie etwa die Arithmetik gegenüber der Harmonik; und wenn sie von weniger Dingen abhängt, gegenüber der von einem Zusatz abhängenden Wissenschaft, wie etwa die Arithmetik gegenüber der Geometrie. Ich sage: von einem Zusatz, wie etwa: Einheit ist eine Substanz ohne Position, Punkt dagegen eine Substanz mit Position – diese hängt von einem Zusatz ab. Kapitel 28. Eine einzige aber ist eine Wissenschaft, wenn sie sich auf eine einzige Gattung richtet – auf alle Dinge, die aus den ursprünglichen Dingen zusammengesetzt sind und deren Teile oder an sich zutreffende Eigenschaften sind. Verschieden dagegen ist eine Wissenschaft von einer anderen, wenn deren Prinzipien weder von denselben Dingen abhängen noch die einen von den anderen. Ein Zeichen dafür ist, wenn man zu den nicht-demonstrierbaren Dingen kommt, denn diese müssen in derselben Gattung sein wie die demonstrierten Dinge. Und ein Zeichen für das letztere ist, wenn die durch sie bewiesenen Dinge in derselben Gattung und von derselben Gattung sind. Kapitel 29. Dass es mehrere Demonstrationen derselben Sache gibt, ist möglich nicht nur, wenn man den nicht anschließenden Mittelbegriff aus derselben Begriffsreihe nimmt, wie etwa für das AB das C und D und F, sondern auch wenn man einen Mittelbegriff aus einer anderen Begriffsreihe nimmt. Zum
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Beispiel sei das A: sich ändern, das D: sich bewegen, das B: Lust empfinden, und wiederum das G: zur Ruhe kommen; es ist dann wahr, sowohl das D vom B als auch das A vom D auszusagen, denn wer Lust empfindet, bewegt sich, und was sich bewegt, ändert sich. Wiederum, das A vom G und das G vom B auszusagen, ist wahr; jeder nämlich, der Lust empfindet, kommt zur Ruhe, und wer zur Ruhe kommt, ändert sich – so dass die Deduktion durch verschiedene Mittelbegriffe, und zwar nicht aus derselben Begriffsreihe, zustande kommt, allerdings nicht so, dass keiner vom anderen ausgesagt wird, denn notwendig treffen beide auf dieselbe Sache zu. Man kann aber auch untersuchen, auf wie viele Weisen durch die anderen Figuren eine Deduktion von derselben Sache zustande kommt. Kapitel 30. Vom Zufälligen gibt es kein Wissen durch Demonstration. Das Zufällige ist nämlich weder notwendig noch häufig, sondern kommt abweichend von diesen Dingen vor. Die Demonstration dagegen richtet sich auf eines dieser Dinge. Jede Deduktion nämlich kommt entweder durch notwendige oder durch häufig zutreffende Prämissen zustande, und wenn die Prämissen notwendig sind, dann ist auch die Konklusion notwendig, wenn aber häufig zutreffend, dann ist auch die Konklusion von dieser Art. Daher, wenn das Zufällige weder häufig noch notwendig ist, so dürfte es von ihm keine Demonstration geben. Kapitel 31. Auch durch Wahrnehmung ist es nicht möglich, etwas zu wissen. Auch wenn nämlich die Wahrnehmung sich auf das Quale und nicht auf ein Dieses richtet – wahrgenommen wird doch jedenfalls notwendigerweise ein Dieses, und zwar irgendwo und jetzt. Was allgemein ist und auf alles zutrifft, kann dagegen nicht wahrgenommen werden, denn es ist kein Dieses und auch nicht jetzt; sonst wäre es nicht allgemein. Denn was immer und überall ist, nennen wir allgemein. Da nun die Demonstrationen allgemein sind, das Allgemeine aber nicht wahrgenommen werden kann, ist es einleuch-
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tend, dass man durch Wahrnehmung auch nicht wissen kann. Vielmehr ist klar, dass selbst wenn man wahrnehmen könnte, dass das Dreieck Winkel gleich zwei Rechten hat, wir nach einer Demonstration suchen und es nicht schon, wie einige behaupten, wissen würden. Wahrgenommen nämlich wird notwendig das Einzelne, das Wissen dagegen ist das Kennen des Allgemeinen. Auch wenn wir daher auf dem Mond wären und sähen, wie die Erde dazwischentritt, so würden wir noch nicht die Ursache der Verfinsterung wissen. Denn wir würden wahrnehmen, dass er sich jetzt verfinstert, und nicht weshalb im Ganzen, denn die Wahrnehmung richtete sich nicht auf das Allgemeine. Allerdings, wenn wir aufgrund der Betrachtung, dass dies oft geschieht, das Allgemeine einfingen, würden wir eine Demonstration besitzen, denn aus mehreren einzelnen Dingen wird das Allgemeine klar. Das Allgemeine aber ist wertvoll, weil es das Ursächliche klar macht. Daher ist bei solchen Dingen, deren Ursache von ihnen selbst verschieden ist, das allgemeine Wissen wertvoller als die Wahrnehmungen und die Einsicht. Über die ursprünglichen Dinge dagegen gibt es eine andere Bestimmung. Es ist also einleuchtend, dass es unmöglich ist, eines der demonstrierbaren Dinge durch das Wahrnehmen zu wissen, es sei denn jemand nennt das Wahrnehmen dies: das Besitzen von Wissen durch Demonstration. Es gibt freilich einige unter den Problemen, die auf ein Ausbleiben von Wahrnehmung zurückgeführt werden. Einige Dinge nämlich würden wir, wenn wir sie sähen, nicht untersuchen – nicht weil wir sie durch das Sehen wüssten, sondern weil wir infolge des Sehens das Allgemeine besitzen, wie etwa wenn wir das Glas durchbrochen und das Licht hindurchgehen sähen, dann auch klar wäre warum – wenn auch nur dadurch, dass wir es getrennt bei jedem einzelnen sähen, dann jedoch zugleich einsähen, dass es bei allen so ist. Kapitel 32. Dass die Prinzipien aller Deduktionen dieselben sind, ist unmöglich, wenn man es zuerst auf allgemeine Weise betrachtet.
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Einige der Deduktionen nämlich sind wahr, andere falsch. Denn auch wenn es möglich ist, Wahres aus Falschem zu deduzieren, so geschieht dies doch nur einmal, wie etwa wenn es wahr ist, dass das A auf das C zutrifft, der Mittelbegriff dagegen, das B, falsch ist – weder nämlich trifft das A auf das B zu noch das B auf das C. Aber wenn von diesen Prämissen Mittelbegriffe angenommen werden, so werden sie falsch sein, weil jede falsche Konklusion von Falschem abhängt, Wahres dagegen von Wahrem, und weil Wahres und Falsches verschieden sind. Ferner, nicht einmal Falsches hängt von Dingen ab, die miteinander identisch sind. Es gibt nämlich falsche Dinge, die zueinander konträr sind und nicht zugleich bestehen können, wie etwa dass die Gerechtigkeit Unrecht oder Feigheit ist und der Mensch Pferd oder Rind, oder das Gleiche größer oder kleiner. Aufgrund der Dinge jedoch, die zugrunde liegen, betrachte man es folgendermaßen. Nicht einmal für alles Wahre sind die Prinzipien dieselben. Die Prinzipien vieler Dinge sind nämlich verschieden der Gattung nach und nicht aufeinander anwendbar, wie etwa die Einheiten nicht auf die Punkte anzuwenden sind, denn die ersteren haben keine Position, die letzteren haben eine. Aber es ist notwendig, dass sie entweder auf Mittelbegriffe anzuwenden sind – entweder von oben oder von unten – oder einige der Begriffe innen haben und andere außen. Aber es kann auch unter den gemeinsamen Prinzipien keine geben, aus denen alle Dinge bewiesen werden können – ich sage: gemeinsame, wie etwa dass man alles bejaht oder verneint. Denn die Gattungen der existierenden Dinge sind verschieden, und einige treffen nur auf die quantitativen, andere nur auf die qualitativen Dinge zu, mit deren Hilfe Beweise durch die gemeinsamen Postulate geführt werden. Ferner sind die Prinzipien nicht viel weniger zahlreich als die Konklusionen. Prinzipien nämlich sind die Prämissen, die Prämissen aber kommen zustande entweder wenn ein Begriff hinzugenommen oder wenn er eingeschoben wird.
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Ferner sind die Konklusionen unendlich viele, die Begriffe dagegen begrenzt. Ferner sind einige Prinzipien notwendig, andere dagegen möglich. Wenn man also auf diese Weise untersucht, ist es unmöglich, dass die Prinzipien dieselben sind, da sie begrenzt sind, während die Konklusionen unendlich viele sind. Wenn aber jemand auf eine gewisse andere Weise redet, wie etwa dass diese die Prinzipien der Geometrie, diese die der Rechnungen, diese die der Medizin sind, was würde er dann anderes sagen als dass es Prinzipien der Wissenschaften gibt? Sie jedoch dieselben zu nennen, insofern sie dieselben wie sie selbst sind, ist lächerlich; alle Dinge würden nämlich auf diese Weise dieselben werden. Auch ist das Beweisen von Beliebigem aus allen Dingen nicht dasselbe wie das Suchen nach denselben Prinzipien für alle Dinge, denn das ist zu einfältig. Weder kommt dieses nämlich bei den einleuchtenden Lehrsätzen vor, noch ist es in der Analyse möglich. Denn die unvermittelten Prämissen sind Prinzipien, und eine andere Konklusion kommt zustande, wenn eine unvermittelte Prämisse hinzugenommen wird. Wenn aber jemand von den ursprünglichen unvermittelten Prämissen sagen würde, diese seien Prinzipien, dann gibt es eine einzige dieser Prämissen in jeder Gattung. Wenn aber weder aus allen Prinzipien Beliebiges bewiesen werden soll noch die Prinzipien in der Weise verschieden sein sollen, dass sie für jede einzelne Wissenschaft verschieden sind, so bleibt übrig zu betrachten, ob die Prinzipien aller Dinge zwar in derselben Gattung sind, aber von diesen Prinzipien diese Dinge, von jenen Prinzipien jene Dinge abhängen. Es ist aber einleuchtend, dass auch dies nicht möglich ist, denn es ist bewiesen worden, dass diejenigen Prinzipien der Gattung nach verschieden sind, die Prinzipien von Dingen sind, die der Gattung nach unterschiedlich sind. Denn Prinzipien sind von doppelter Art: diejenigen, aus welchen bewiesen wird, und diejenigen Dinge, über die bewiesen wird – die Prinzipien, aus welchen bewiesen wird, sind gemeinsam,
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die Dinge, über die bewiesen wird, sind spezifisch, wie Zahl, Größe.
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Kapitel 33. Das Gewusste, und Wissen, unterscheidet sich vom Gemeinten, und Meinung, insofern das Wissen allgemein ist und durch notwendige Prämissen zustande kommt und das Notwendige sich nicht anders verhalten kann. Es gibt jedoch Dinge, die wahr sind und existieren, die aber auch anders sein können. Es ist also klar, dass sich Wissen nicht auf diese Dinge bezieht – es wäre sonst unmöglich, dass sich die Dinge, die sich anders verhalten können, anders verhalten – und erst recht nicht Einsicht – ich nenne nämlich Einsicht: Prinzip von Wissen – noch auch nicht-demonstrierbares Wissen; dieses aber ist die Annahme der unvermittelten Prämisse. Es ist aber Einsicht und Wissen und Meinung und das durch diese Dinge Gesagte wahr, sodass übrig bleibt, dass sich Meinung auf das Wahre oder Falsche bezieht, was sich auch anders verhalten kann. Dieses aber ist eine Annahme der unvermittelten und nicht-notwendigen Prämisse. Und dies stimmt mit den Phänomenen überein; denn die Meinung ist unsicher, und die Natur dieser Dinge ist von dieser Art. Außerdem glaubt niemand zu meinen, wenn er glaubt, dass es sich nicht anders verhalten kann, sondern zu wissen. Wenn er dagegen glaubt, dass es so ist, es hindere aber nichts daran, dass es sich auch anders verhält –, dann glaubt er nur zu meinen, da auf ein solches sich die Meinung richte, auf Notwendiges dagegen Wissen. Wie also ist es möglich, dasselbe zu meinen und zu wissen, und warum wird nicht die Meinung Wissen sein, wenn jemand festsetzt, dass man alles, was man weiß, meinen kann? Denn es werden der Wissende und der Meinende einander folgen durch die Mittelbegriffe, bis man zu den unvermittelten Dingen kommt, so dass wenn wirklich jener weiß, auch der Meinende weiß. So wie man nämlich das Daß meinen kann, so auch das Weshalb, dieses aber ist der Mittelbegriff. Oder wenn man die Dinge, die sich nicht anders verhalten können, so annimmt wie man die Definitionen besitzt, durch welche die Demonstrationen zustande kommen – wird man
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dann nicht meinen, sondern wissen? Wenn man die Dinge dagegen so annimmt, dass sie zwar wahr sind, aber freilich nicht, dass diese Dinge auf sie zutreffen gemäß einer Substanz und gemäß der Art, so wird man meinen und nicht wahrhaft wissen, und zwar sowohl das Dass als auch das Weshalb, wenn man aufgrund der unvermittelten Dinge meint, wenn dagegen nicht aufgrund der unvermittelten Dinge, wird man nur das Dass meinen? Auf dasselbe nun richten sich Meinung und Wissen nicht auf jede Weise, sondern so wie falsche und wahre Meinung sich in gewisser Weise auf dasselbe richten, so richten sich auch Wissen und Meinung auf dasselbe. Wenn freilich wahre und falsche Meinung sich in der Weise, wie es einige sagen, auf dasselbe beziehen, so folgt, dass man sich an andere Absurditäten bindet und auch an die Absurdität, dass man nicht meint, was man falsch meint. Da aber Dasselbe auf vielfache Weise gesagt wird, ist es auf eine Weise möglich, auf andere Weise dagegen nicht. Dass nämlich die Diagonale kommensurabel ist, dies wahrheitsgemäß zu meinen ist unsinnig. Aber insofern die Diagonale, auf die sich die Meinungen beziehen, dasselbe ist, beziehen sie sich in dieser Weise auf dasselbe; aber das Was-es-hieß-dies-zu-sein ist für jede der beiden Sachen ihrer Bestimmung nach nicht dasselbe. In ähnlicher Weise richten sich auch Wissen und Meinung auf dasselbe – das erstere nämlich so auf das Lebewesen, dass es nicht möglich ist nicht Lebewesen zu sein, die letztere dagegen so, dass es möglich ist nicht Lebewesen zu sein, wie etwa wenn das erstere sich darauf richtet, was Mensch wirklich ist, die letztere dagegen zwar auf Mensch, aber nicht darauf, was Mensch wirklich ist. Es ist nämlich dasselbe, insofern es Mensch ist, das Wie dagegen ist nicht dasselbe. Es ist aber daraus deutlich, dass es nicht möglich ist, dasselbe zugleich zu meinen und zu wissen. Man würde nämlich zugleich die Annahmen haben, dass dasselbe sich anders verhalten kann und nicht anders – was nicht möglich ist. In einem jeweils anderen Menschen kann jedes von beiden sich auf dasselbe richten, wie gesagt worden ist; in demselben Menschen
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jedoch ist es so nicht möglich, sonst wird er nämlich zugleich die Annahme haben, z. B. dass was der Mensch wirklich ist, Lebewesen ist – das nämlich war es, unmöglich nicht Mensch sein zu können – und dass was der Mensch nicht wirklich ist, Lebewesen ist – denn dieses sei das Möglichsein. Wie aber das übrige aufgeteilt werden soll zwischen Verstand und Einsicht und Wissen und Kunst und Klugheit und Weisheit, ist mehr Sache teils der physikalischen, teils der ethischen Betrachtung. Kapitel 34. Der Scharfsinn ist eine Treffsicherheit in Hinsicht auf den Mittelbegriff in unmerklich kurzer Zeit, wie etwa wenn jemand sieht, dass der Mond das Leuchtende stets gegen die Sonne gerichtet hat, und schnell eingesehen hat, warum dies so ist – weil er von der Sonne her leuchtet; oder wenn er erkennt, dass jemand mit einem Reichen spricht, weil er sich Geld leiht; oder warum sie Freunde sind: weil sie Feinde desselben Menschen sind. Denn alle Ursachen – die Mittelbegriffe – erkennt er unmittelbar, indem er auf die Außenbegriffe blickt. Das Leuchtende gegen die Sonne richten A, das Leuchten von der Sonne her B, Mond C; es trifft also auf den Mond, das C, das B zu, das Leuchten von der Sonne her; auf das B aber das A, das gegen dasjenige das Leuchtende richten, von dem her es leuchtet; so dass auch auf das C das A zutrifft durch das B.
BUCH II
Kapitel 1. Die untersuchten Dinge sind an Zahl denjenigen gleich, die wir wissen. Wir untersuchen aber vier Dinge: das Daß, das Weshalb, ob es ist, was es ist. Wenn wir nämlich untersuchen, ob etwas dieses oder jenes ist, indem wir es in eine Zahl setzen, wie etwa ob die Sonne sich verfinstert oder nicht, so untersuchen wir das Dass. Ein Zeichen dafür ist: wenn wir nämlich entdeckt haben, dass die Sonne sich verfinstert, kommen wir zur Ruhe; und wenn wir von Anfang an wissen, dass die Sonne sich verfinstert, untersuchen wir nicht, ob sie sich verfinstert. Wenn wir dagegen das Dass wissen, untersuchen wir das Weshalb, wie etwa wenn wir wissen, dass die Sonne sich verfinstert und dass sich die Erde bewegt, so untersuchen wir, weshalb die Sonne sich verfinstert oder weshalb die Erde sich bewegt. Diese Dinge also untersuchen wir auf diese Weise, einige dagegen auf andere Weise, wie etwa ob ein Kentaur oder ein Gott ist oder nicht ist; das ob-er-ist-oder-nicht-ist meine ich schlechthin, nicht jedoch ob er weiß ist oder nicht. Wenn wir erkannt haben, dass er ist, untersuchen wir, was er ist, wie etwa was also ein Gott ist, oder was ein Mensch ist. Kapitel 2. Was wir also untersuchen und was wir, wenn wir es entdeckt haben, wissen, sind diese und so viele Dinge. Wir untersuchen aber, wann immer wir das Dass untersuchen oder das Ob-es-ist schlechthin, ob es von ihm einen Mittelbegriff gibt oder nicht gibt. Und wann immer wir, nachdem wir das Dass erkannt haben oder das Ob-es-ist – entweder das spezielle Ob-es-ist oder das Ob-es-ist schlechthin –, wiederum das Warum untersuchen oder das Was-es-ist, dann untersuchen wir, was der Mittelbegriff ist. Ich meine das Dass-es-ist speziell und schlechthin so: speziell, verfinstert sich der Mond oder nimmt er zu? Ob es nämlich etwas ist oder nicht etwas ist,
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untersuchen wir in derartigen Fällen; schlechthin dagegen, ist oder ist nicht Mond oder Nacht? Es folgt demnach, dass wir in allen Untersuchungen entweder untersuchen, ob es einen Mittelbegriff gibt, oder was der Mittelbegriff ist. Denn die Ursache ist der Mittelbegriff, und in allem wird diese untersucht. Verfinstert sich der Mond? Gibt es irgendeine Ursache dafür oder nicht? Danach, wenn wir erkannt haben, dass es so ist, untersuchen wir, was dieses also ist. Die Ursache nämlich dafür, dass etwas ist, nicht dieses oder jenes sondern schlechthin, oder dafür, dass etwas ist, nicht schlechthin, sondern etwas von den an sich oder auf zufällige Weise zutreffenden Dingen, ist der Mittelbegriff. Ich nenne das schlechthin Seiende das Zugrundeliegende, wie etwa Mond oder Erde oder Sonne oder Dreieck, das Was dagegen Verfinsterung, Gleichheit, Ungleichheit, ob in der Mitte oder nicht. In all diesen Dingen nämlich ist deutlich, dass das Was-es-ist und das Warum-es-ist dasselbe ist. Was ist eine Verfinsterung? Wegnahme des Lichts vom Mond infolge des Dazwischentretens der Erde. Warum gibt es eine Verfinsterung, oder warum verfinstert sich der Mond? Weil das Licht fehlt, wenn die Erde dazwischentritt. Was ist eine Harmonie? Eine Proportion von Zahlen im Hohen und Tiefen. Warum harmoniert das Hohe mit dem Tiefen? Weil das Hohe und das Tiefe zueinander eine Proportion von Zahlen haben. Gibt es ein Harmonieren des Hohen und Tiefen? Gibt es unter den Zahlen eine Proportion von ihnen? Wenn wir annehmen, dass es sie gibt – was also ist die Proportion? Dass sich die Untersuchung aber auf den Mittelbegriff richtet, machen jene Dinge klar, deren Mittelbegriff wahrnehmbar ist. Wir untersuchen etwas nämlich, wenn wir es nicht wahrgenommen haben – wie wir etwa bei der Verfinsterung untersuchen, ob sie ist oder nicht. Wenn wir aber auf dem Mond wären, würden wir es nicht untersuchen – weder ob es sie gibt noch warum es sie gibt, sondern beides wäre zugleich klar; aus dem Wahrnehmen nämlich käme auch unser Wissen des Allgemeinen zustande. Es gäbe nämlich die Wahrnehmung, dass die Erde jetzt dazwischentritt, und es wäre auch klar, dass der
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Mond sich jetzt verfinstert; aus diesem aber würde das Allgemeine zustande kommen. Wie wir also sagen: das Was-es-ist zu wissen ist dasselbe wie das Warum-es-ist, und dieses entweder schlechthin und nicht als etwas von den zutreffenden Dingen, oder von den zutreffenden Dingen, wie etwa dass das Dreieck Winkel gleich zwei Rechten hat oder dass es größer oder kleiner ist. Kapitel 3. Dass also alles, was untersucht wird, eine Untersuchung eines Mittelbegriffs ist, ist klar. Wie aber das Was-es-ist bewiesen wird und welches die Weise der Zurückführung ist, und was eine Definition ist und von welchen Dingen es eine Definition gibt, das wollen wir sagen, indem wir zuerst die Probleme durcharbeiten, die es damit gibt. Der Anfang der Dinge, die gesagt werden sollten, sei derjenige, der am angemessensten ist für die anschließenden Argumente. Es könnte nämlich jemand das Problem aufwerfen, ob es möglich ist, dasselbe und in derselben Hinsicht durch Definition und durch Demonstration zu wissen. Oder ist es unmöglich? Denn die Definition scheint sich auf das Was-es-ist zu richten, das Was-es-ist jedoch ist in jedem Fall allgemein und bejahend. Deduktionen dagegen sind teils verneinend, teils nicht allgemein, wie etwa die Deduktionen in der zweiten F igur alle verneinend sind, die Deduktionen in der dritten Figur dagegen nicht allgemein. Ferner, nicht einmal von allen bejahenden Aussagen in der ersten Figur gibt es eine Definition, wie etwa dass jedes Dreieck Winkel gleich zwei Rechten hat. Ein Argument dafür ist, dass das Wissen des Demonstrierbaren das Besitzen einer Demonstration ist, so dass, da es von derartigen Dingen eine Demonstration gibt, es klarerweise von ihnen nicht auch noch eine Definition geben dürfte; sonst würde nämlich jemand derartige Dinge auch gemäß der Definition wissen, ohne die Demonstration zu besitzen. Nichts nämlich hindert daran, nicht beides zugleich zu besitzen. Hinreichende Überzeugung entsteht auch aus der Induktion. Von nichts nämlich haben wir jemals dadurch, dass wir
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definiert haben, Kenntnis erhalten – weder von den an sich zutreffenden Dingen noch von den zufälligen Dingen. Ferner, wenn die Definition eine Kenntnis einer gewissen Substanz ist, so ist einleuchtend, dass derartige Dinge jedenfalls keine Substanzen sind. Dass es also nicht von allem eine Definition gibt, wovon es auch eine Demonstration gibt, ist klar. Wie aber, wovon es eine Definition gibt, gibt es von dem allem auch eine Demonstration oder nicht? Nun, ein bestimmtes Argument ist auch zu dieser Sache dasselbe. Denn von einem einzigen Ding, als einem, gibt es ein einziges Wissen, so dass, wenn wirklich das Wissen des Demonstrierbaren das Besitzen der Demonstration ist, etwas Unmögliches folgen wird; wer nämlich eine Definition des Demonstrierbaren besitzt, wird das Demonstrierbare ohne die Demonstration wissen. Ferner sind die Prinzipien der Demonstrationen Definitionen, von denen früher bewiesen worden ist, dass es von ihnen keine Demonstrationen geben wird – entweder werden die Prinzipien demonstrierbar sein und es gibt Prinzipien der Prinzipien, und dies wird bis ins Unendliche gehen, oder die ursprünglichen Prämissen werden nicht-demonstrierbare Definitionen sein. Aber wenn nicht jedes Ding dasselbe ist, auf das sich Definition und Demonstration richten, ist dann nicht wenigstens einiges dasselbe? Oder ist es unmöglich? Denn es gibt keine Demonstration von dem, wovon es eine Definition gibt. Eine Definition nämlich richtet sich auf das Was-es-ist und eine Substanz; die Demonstrationen dagegen scheinen alle das Was-es-ist vorauszusetzen und anzunehmen, wie etwa die mathematischen Demonstrationen anzunehmen scheinen, was eine Einheit und was das Ungerade ist, und die anderen auf ähnliche Weise. Ferner, jede Demonstration beweist etwas von etwas, wie etwa dass es so ist oder nicht ist; in der Definition dagegen wird in keiner Weise eines vom anderen ausgesagt; zum Beispiel weder das Lebewesen vom Zweifüßigen noch dieses vom Lebewesen, und auch nicht die Figur von der Fläche; die
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Fläche ist nämlich nicht Figur und die Figur ist auch nicht Fläche. Ferner, es ist verschieden, das Was-es-ist und das Dasses-ist zu beweisen. Die Definition macht das Was-es-ist klar, die Demonstration dagegen macht klar, dass dieses von diesem gilt oder nicht gilt. Von jeweils Verschiedenem aber ist auch die jeweilige Demonstration verschieden, wenn etwas nicht gleichsam Teil des Ganzen ist. Damit meine ich, dass bewiesen worden ist, dass das gleichschenklige Dreieck Winkel gleich zwei Rechten hat, wenn es von jedem Dreieck bewiesen worden ist, denn jenes ist ein Teil, letzteres aber das Ganze. Jene Dinge dagegen – das Dass-es-ist und das Was-es-ist – verhalten sich zueinander nicht auf diese Weise, denn das eine ist nicht Teil des anderen. Es ist folglich einleuchtend, dass es weder von allem, wovon es eine Definition gibt, eine Demonstration gibt, noch dass es von allem, wovon es eine Demonstration gibt, auch eine Definition gibt, noch dass es im Ganzen möglich ist, von irgend ein- und derselben Sache beide zu besitzen; so dass klar ist, dass Definition und Demonstration weder dasselbe sein dürften noch das eine von beiden im anderen enthalten sein dürfte, denn sonst würden sich die zugrunde liegenden Dinge auf ähnliche Weise verhalten. Kapitel 4. Diese Probleme seien nun bis zu diesem Punkt durchgearbeitet; gibt es aber vom Was-es-ist eine Deduktion und Demonstration, oder gibt es sie nicht, wie das Argument soeben vorausgesetzt hat? Die Deduktion nämlich beweist etwas von etwas durch den Mittelbegriff; das Was-es-ist dagegen ist spezifisch und wird im Was-es-ist ausgesagt. Diese spezifischen Begriffe konvertieren jedoch notwendigerweise. Denn wenn das A spezifisch ist für das C, dann klarerweise auch für das B und dieses für das C, so dass alle es füreinander sind. Aber auch wenn das A im Was-es-ist auf jedes B zutrifft und allgemein das B von jedem C im Was-es-ist ausgesagt wird, so wird notwendig auch das A im Was-es-ist vom C ausgesagt. Wenn man es dagegen nicht auf diese Weise annimmt, dass
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man es verdoppelt, wird es nicht notwendig sein, dass das A vom C im Was-es-ist ausgesagt wird – wenn das A vom B im Was-es-ist ausgesagt wird, nicht aber von den Dingen, von denen B im Was-es-ist ausgesagt wird. Vielmehr werden beide Dinge das Was-es-ist enthalten; es wird also auch das B das Was-es-ist vom C sein. Wenn also beide das Was-es-ist und das Was-es-hieß-dies-zu-sein enthalten, dann wird das Was-eshieß-dies-zu-sein zuvor beim Mittelbegriff vorkommen. Und im Ganzen, wenn es möglich ist zu beweisen, was ein Mensch ist, so sei das C Mensch und das A das Was-es-ist, sei es zweifüßiges Lebewesen oder etwas anderes; wenn nun deduziert wird, so wird notwendig das A von jedem B ausgesagt, und es wird diesem gegenüber eine andere Mittelbestimmung geben, so dass auch diese das sein wird, was ein Mensch ist. Man nimmt also an, was bewiesen werden soll, denn auch das B wird das sein, was ein Mensch ist. Man sollte dies an zwei Prämissen – und zwar an ursprünglichen und unvermittelten Prämissen – untersuchen, denn so wird das Gesagte am einleuchtendsten. Diejenigen nun, die durch das Konvertieren beweisen, was eine Seele ist oder was ein Mensch ist oder irgendetwas anderes von den existierenden Dingen, fordern es von Anfang an, wie etwa wenn jemand postulierte, dass die Seele dasjenige ist, was für sich selbst Ursache des Lebens ist, und dass dieses eine Zahl ist, die sich selbst bewegt. Dann ist es nämlich notwendig zu fordern, dass die Seele das ist, was ein Zahl, die sich selbst bewegt, wirklich ist – in der Weise, dass es dasselbe ist. Nicht nämlich wird, wenn das A dem B folgt und dieses dem C, das A das Was-eshieß-dies-zu-sein für das C sein, sondern es wird nur wahr sein es zu sagen, selbst wenn das A das ist, was B wirklich ist und von jedem B ausgesagt wird. Denn was es heißt ein Lebewesen zu sein, wird auch von dem ausgesagt, was es heißt ein Mensch zu sein – wahr ist es nämlich, dass in jedem Falle das, was es heißt ein Mensch zu sein, auch das ist, was es heißt ein Lebewesen zu sein, so wie es auch wahr ist, dass jeder Mensch ein Lebewesen ist, aber nicht so, dass sie eines sind. Wenn man es also nicht in dieser Weise annimmt, wird man nicht deduzie-
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ren, dass das A für das C das Was-es-hieß-dies-zu-sein und die Substanz ist; wenn man es dagegen in dieser Weise annimmt, so wird man zuvor angenommen haben, was das Was-es-hießdies-zu-sein für das C ist – das B; sodass es nicht demonstriert worden ist, denn man hat es am Anfang angenommen. Kapitel 5. Aber auch der Weg durch die Begriffsteilungen deduziert nicht, wie in der Analyse, die sich auf die Figuren bezieht, gesagt worden ist. Nirgendwo nämlich wird es notwendig, dass jene Sache so ist, wenn diese Prämissen so sind, so wie auch jemand, der eine Induktion durchführt, nicht demonstriert. Weder darf man nämlich zur Konklusion Fragen stellen noch darf die Konklusion durch Einräumen gegeben sein, sondern sie muss notwendig sein, wenn jene Prämissen so sind, auch wenn es der Antwortende verneint. Ist der Mensch Lebewesen oder unbeseelt? Darauf nimmt man an: Lebewesen; es ist nicht deduziert. Wiederum, jedes Lebewesen hat entweder Füße oder lebt im Wasser; man nimmt an: es hat Füße. Und dass der Mensch das Ganze ist, ein Lebewesen mit Füßen, folgt nicht notwendig aus dem Gesagten, sondern man nimmt auch dieses an. Und es macht keinen Unterschied, es auf diese Weise bei vielen oder wenigen Dingen zustande zu bringen; denn es ist dasselbe. Nicht-deduktiv also wird, wenn man so vorgeht, der Gebrauch sogar von den Dingen, die deduziert werden können. Was nämlich hindert daran, dass dieses Ganze vom Menschen zwar wahr ist, dass es aber nicht das Was-es-ist oder das Was-es-hieß-dies-zu-sein klar macht? Ferner, was hindert daran, dass es etwas hinzusetzt oder abstrahiert oder über die Substanz hinausgeht? Diese Dinge nun werden übergangen, können aber dadurch gelöst werden, dass man alles im Was-es-ist annimmt und das der Reihe nach Folgende durch die Begriffsteilung zustande bringt, indem man das Ursprüngliche fordert und nichts auslässt. Dieses aber ist – wenn alles in die Begriffsteilung hineinfällt und nichts fehlt – notwendigerweise bereits unteilbar. Aber eine Deduktion ist es dennoch nicht, sondern wenn überhaupt so bringt man auf andere Weise eine Kenntnis des Was-
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es-ist zustande. Und dies ist in keiner Weise abwegig, denn auch wer eine Induktion durchführt, demonstriert vielleicht nicht, macht aber dennoch etwas klar. Eine Deduktion jedoch benennt nicht bereits derjenige, der aufgrund einer Begriffsteilung die Definition benennt. So wie nämlich bei den Konklusionen ohne die Mittelbegriffe, wann immer jemand sagt, dass wenn diese Prämissen der Fall sind, dieses notwendig ist, es möglich ist zu fragen warum, so auch bei den auf Begriffsteilungen beruhenden Definitionen. Was ist ein Mensch? Lebewesen, sterblich, mit Füßen versehen, zweifüßig, ohne Flügel; warum, in Hinsicht auf jeden Zusatz? Man wird nämlich sagen und durch die Begriffsteilung beweisen, wie man glaubt, dass alles entweder sterblich oder unsterblich ist. Eine derartige Bestimmung ist jedoch insgesamt keine Definition mehr, sodass, selbst wenn diese Bestimmung durch die Begriffsteilung demonstriert wird, die Definition jedenfalls nicht zu einer Deduktion wird. Kapitel 6. Aber ist es vielleicht möglich, das Was-es-ist in Hinsicht auf eine Substanz zu demonstrieren, jedoch aufgrund einer Hypothese, indem man annimmt, dass das Was-es-hießdies-zu-sein das Spezifische ist, das aus den Dingen im Wases-ist besteht, und dass diese Dinge allein im Was-es-ist sind, und dass das Ganze spezifisch ist? Denn dies ist es, was es heißt jenes zu sein. Oder hat man wiederum das Was-es- hieß-dies-zu-sein auch in diesem Fall angenommen? Es ist nämlich notwendig, durch den Mittelbegriff zu beweisen. Ferner, so wie in einer Deduktion nicht angenommen wird, was das Deduziertsein ist – stets nämlich ist die Prämisse ganz oder speziell, wovon die Deduktion abhängt –, so darf auch das Was-es-hieß-dies-zu-sein nicht in der Deduktion sein, sondern dieses muss von den zugrunde gelegten Dingen getrennt sein. Und, demjenigen, der zweifelt, ob deduziert worden ist oder nicht, muss man entgegenhalten: dieses war doch eine Deduktion; und demjenigen, der sagt, dass nicht das Was-es-hieß-dies-zu-sein deduziert ist, muss man entgegenhal-
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ten: doch, denn es liegt für uns zugrunde, dass dieses das Wases-hieß-dies-zu-sein ist. Daher ist es notwendig, etwas ohne das Voraussetzen, was eine Deduktion ist, oder das Voraussetzen, was das Was-es-hieß-dies-zu-sein ist, zu deduzieren. Und auch wenn man aufgrund einer Hypothese beweist – wie etwa: wenn das, was es heißt schlecht zu sein, das ist, was es heißt teilbar zu sein, und das, was es heißt konträr zu sein, das ist was es heißt, zu einem Konträren konträr zu sein – bei den Dingen, zu denen es etwas Konträres gibt – und wenn das Gute zum Schlechten konträr ist und das Unteilbare zum Teilbaren, so ist folglich das, was es heißt gut zu sein, genau das, was es heißt unteilbar zu sein –, so beweist man auch hier, indem man das Was-es-hieß-dies-zu-sein angenommen hat, und man nimmt es an, um das Was-es-hieß-dies-zu-sein zu beweisen. Ein anderes Was-es-hieß-dies-zu-sein freilich; es sei so – ebenso nämlich verhält es sich in den Demonstrationen, die aufweisen, dass dieses von diesem gilt, aber nicht dasselbe wie letzteres, und nicht etwas, dessen Bestimmung dieselbe ist wie bei letzterem und das mit ihm konvertiert. Und in Bezug auf beide – sowohl den, der gemäß einer Begriffsteilung beweist, als auch den, der auf diese Weise deduziert – gibt es dasselbe Problem: warum wird der Mensch ein zweifüßiges auf dem Land lebendes Tier sein und nicht ein Tier und auf dem Land lebend? Aus den angenommenen Prämissen nämlich ergibt sich keine Notwendigkeit, dass das Ausgesagte Eines wird – sondern es wird Eines allenfalls so wie etwa derselbe Mensch musikalisch und sprachkundig ist. Kapitel 7. Wie also wird der Definierende die Substanz oder das Was-es-ist beweisen? Denn weder wird er, so wie wenn er demonstriert, aufgrund eingestandener Prämissen klar machen, dass wenn jene Prämissen der Fall sind, etwas anderes notwendig ist – denn dies ist eine Demonstration –, noch wird er – so wie wenn er eine Induktion durchführt dadurch, dass die einzelnen Dinge klar sind – zeigen, dass alles so ist dadurch, dass nichts anders ist; denn nicht das Was-es-ist beweist er, sondern dass es der Fall ist oder nicht der Fall ist.
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Welche andere Weise also bleibt übrig? Denn man wird jedenfalls nicht durch die Wahrnehmung beweisen oder mit dem Finger. Ferner, wie wird man das Was-es-ist beweisen? Wer nämlich weiß, was ein Mensch ist oder irgendetwas anderes, der weiß notwendigerweise auch, dass er ist – denn von dem, was nicht ist, weiß niemand, was es ist, sondern allenfalls was die Bestimmung oder der Name bezeichnet, wenn ich etwa sage: Ziegenhirsch; was jedoch ein Ziegenhirsch ist, ist unmöglich zu wissen. Aber wenn man beweisen soll, was es ist und dass es ist, wie wird man es durch dasselbe Argument beweisen? Denn sowohl die Definition macht ein einziges Ding klar als auch die Demonstration; was aber ein Mensch ist und dass ein Mensch ist, ist verschieden. Ferner behaupten wir auch, dass es notwendig ist, durch Demonstration alles zu beweisen, was etwas ist, es sei denn es ist seine Substanz ist. Das Sein aber ist nicht eine Substanz für irgendetwas, denn das Seiende ist nicht eine Gattung. Es wird folglich eine Demonstration geben, dass etwas ist, was die Wissenschaften auch ohnehin schon zustande bringen. Was nämlich das Dreieck bezeichnet, nimmt der Geometer an, dass es dagegen ist, beweist er. Was also wird derjenige beweisen, der definiert, was es ist – oder etwa das Dreieck? Es wird folglich jemand durch Definition wissen, was es ist; ob es ist, wird er nicht wissen. Aber das ist unmöglich. Es ist einleuchtend, dass auch in Hinsicht auf die jetzt üblichen Arten der Definitionen die Definierenden nicht beweisen, dass etwas ist. Auch wenn nämlich etwas das vom Mittelpunkt gleich weit Entfernte ist – warum ist aber das Definierte? Und warum ist dieses ein Kreis? Es wäre nämlich auch möglich zu sagen, es wäre aus Messing. Weder nämlich machen die Definitionen zusätzlich klar, dass das Gesagte sein kann, noch dass es jenes ist, dessen Definitionen, wie sie behaupten, sie sind; vielmehr ist es immer möglich, die WarumFrage zu stellen. Wenn folglich der Definierende entweder beweist, was es ist, oder was der Name bezeichnet, dann dürfte die Defini-
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tion, wenn sie sich auf keine Weise auf das Was-es-ist richtet, eine Bestimmung sein, die dasselbe wie ein Name bezeichnet. Aber das ist abwegig. Erstens nämlich würde es auch von Dingen, die nicht Substanzen sind, und von Dingen, die nicht sind, eine Definition geben; bezeichnen nämlich kann man auch Dinge, die nicht sind. Ferner würden alle Darlegungen Definitionen sein, denn es wäre möglich, einen Namen festzusetzen für eine beliebige Art von Darlegung, so dass wir alle einander Definitionen erzählen würden und die Ilias eine Definition wäre. Ferner dürfte keine Demonstration demonstrieren, dass dieser Name dieses klar macht; auch die Definitionen also machen dies nicht zusätzlich klar. Aufgrund dieser Dinge also scheint weder Definition und Deduktion dasselbe zu sein noch sich Deduktion und Definition auf dasselbe zu richten, und außerdem scheint sich zu ergeben, dass weder die Definition etwas demonstriert oder beweist noch es möglich ist, durch Definition oder Demons tration vom Was-es-ist Kenntnis zu gewinnen. Kapitel 8. Noch einmal aber muss untersucht werden, welches von diesen Dingen angemessen und welches nicht angemessen gesagt ist, und was die Definition ist, und ob es vom Was-es-ist in irgendeiner Weise eine Demonstration und eine Definition gibt oder in keiner Weise. Da es nun, wie wir sagten, dasselbe ist, das Was-es-ist zu wissen und die Ursache des Ob-es-ist zu wissen – eine nähere Bestimmung dieses Faktums ist, dass irgendetwas seine Ursache ist und dieses entweder dasselbe wie die Ursache oder etwas anderes ist, und wenn etwas anderes, entweder demonstrierbar oder nicht demonstrierbar – wenn es also etwas anderes ist und demonstriert werden kann, so ist notwendig die Ursache ein Mittelbegriff und es wird in der ersten Figur bewiesen; allgemein nämlich und bejahend ist das Bewiesene. Eine Weise also wäre die jetzt untersuchte, das Beweisen des Was-es-ist durch etwas anderes. Vom Was-es-ist nämlich ist der Mittelbegriff notwendig ein Was-es-ist, und von spezifischen Dingen ist er spezifisch; so dass man von einer Sache
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das eine beweisen, das andere jedoch nicht beweisen wird von demjenigen, was es für dieselbe Sache hieß, dies zu sein. Dass nun diese Vorgehensweise keine Demonstration sein dürfte, ist zuvor gesagt worden. Aber es gibt eine allgemeine Deduktion des Was-es-ist. Auf welche Weise sie möglich ist, das wollen wir sagen, indem wir noch einmal von Anfang an beginnen. So wie wir nämlich das Weshalb untersuchen, wenn wir das Dass besitzen – zuweilen wird beides aber auch zugleich klar; allerdings ist es jedenfalls nicht möglich, vom Weshalb früher Kenntnis zu gewinnen als vom Dass –, in ähnlicher Weise untersuchen wir offenbar auch nicht das Was-es-hieß-dies-zusein ohne das Dass-es-ist. Es ist nämlich unmöglich zu wissen, was etwas ist, ohne zu wissen, ob es ist. Das Ob-es-ist jedoch besitzen wir zuweilen auf zufällige Weise, zuweilen aber auch indem wir etwas von der Sache selbst besitzen, wie etwa vom Donner, dass er ein gewisses Geräusch in den Wolken ist, und von der Verfinsterung, dass sie eine gewisse Wegnahme des Lichtes ist, und vom Menschen, dass er ein gewisses Lebewesen ist, und von der Seele, dass sie etwas sich selbst Bewegendes ist. Diejenigen Dinge nun, von denen wir auf zufällige Weise wissen, dass sie der Fall sind, besitzen unmöglich auf irgendeine Weise eine Verbindung zum Was-es-ist; denn wir wissen nicht einmal, dass sie der Fall sind. Zu untersuchen jedoch, was etwas ist, ohne davon Kenntnis zu besitzen, dass es der Fall ist, heißt nichts zu untersuchen. Bei den Dingen jedoch, von denen wir etwas vom Was-es-ist besitzen, ist es leicht. In welcher Weise wir also Kenntnis davon besitzen, dass es der Fall ist, in der Weise besitzen wir auch eine Verbindung zum Was-es-ist. Die Dinge also, von denen wir etwas vom Was-es-ist besitzen, seien zunächst folgendermaßen gegeben: Verfinsterung das worauf A zutrifft, Mond worauf C zutrifft, Dazwischentreten der Erde worauf B zutrifft; ob der Mond verfinstert ist oder nicht, heißt vom B zu untersuchen, ob es ist oder nicht. Dieses aber unterscheidet sich in nichts davon zu untersuchen, ob es eine Bestimmung davon gibt; und wenn es sie gibt, sagen wir,
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dass es auch jenes gibt. Oder: von welchem Teil der Kontradiktion gibt es eine Bestimmung, vom Winkel gleich zwei Rechten Haben oder vom Nicht-Haben? Wenn wir es aber entdeckt haben, wissen wir zugleich das Dass und das Weshalb, wenn es durch Mittelbegriffe zustande kommt. Andernfalls besitzen wir das Dass, das Weshalb dagegen nicht: Mond C, Verfinsterung A, nicht fähig sein einen Schatten zustande zu bringen, wobei nichts Deutliches zwischen uns und dem Mond ist, B. Wenn also auf das C das B zutrifft, das Nicht-Fähig-Sein einen Schatten zustande zu bringen, wobei nichts zwischen uns und dem Mond ist, auf dieses aber das A, das Verfinstert-Sein, so ist klar, dass er verfinstert ist, weshalb er es ist, ist dagegen noch nicht klar; und dass es eine Verfinsterung gibt, wissen wir, was sie jedoch ist, wissen wir nicht. Und wenn es klar ist, dass das A auf das C zutrifft, dann ist freilich das Untersuchen, warum es zutrifft, das Untersuchen, was das B ist – ob ein Dazwischentreten oder eine Drehung des Mondes oder ein Erlöschen. Dieses aber ist die Bestimmung des einen Außenbegriffs, wie etwa in den angeführten Umständen das A; es ist nämlich eine Verfinsterung ein Dazwischentreten von Seiten der Erde. Was ist Donner? Erlöschen von Feuer in einer Wolke. Warum donnert es? Aufgrund des Erlöschens von Feuer in der Wolke. Wolke C, Donner A, Erlöschen von Feuer das B. Auf das C also, die Wolke, trifft das B zu – es erlischt nämlich in ihr das Feuer –, auf dieses aber das A, Geräusch; und es ist das B eine Bestimmung des A, des ersten Außenbegriffs. Und wenn es wiederum für dieses einen anderen Mittelbegriff gibt, wird er unter den restlichen Bestimmungen sein. Wie also das Was-es-ist angenommen und bekannt wird, ist gesagt worden, so dass auf der einen Seite eine Deduktion des Was-es-ist zwar nicht zustande kommt – und auch keine Demonstration –, auf der anderen Seite das Was-es-ist aber durch Deduktion und durch Demonstration klar wird. Daher ist es weder ohne Demonstration möglich, Kenntnis zu gewinnen vom Was-es-ist eines Dinges, dessen Ursache etwas anderes ist als es selbst, noch gibt es eine Demonstration von ihm, so wie wir auch im Durcharbeiten der Probleme gesagt haben.
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Kapitel 9. Von einigen Dingen nun ist die Ursache etwas anderes, von anderen dagegen nicht. Daher ist klar, dass auch vom Was-es-ist einige Dinge unvermittelt und Prinzipien sind, von denen man voraussetzen oder auf andere Weise einleuchtend machen muss, dass sie sind und auch was sie sind – was etwa der Arithmetiker auch wirklich macht, denn zum Beispiel von der Einheit setzt er voraus, was sie ist, und auch dass sie ist. Von denjenigen Dingen dagegen, die einen Mittelbegriff haben und von denen etwas anderes die Ursache der Substanz ist, kann man es, so wie wir es gesagt haben, durch Demonstration klar machen, ohne dass man das Was-es-ist demonstriert.
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Kapitel 10. Da eine Definition nun eine Bestimmung des Wases-ist genannt wird, ist einleuchtend, dass die eine Art von Definition eine Bestimmung dessen sein wird, was der Name bezeichnet, oder eine andere namensähnliche Bestimmung, wie etwa die Angabe: was es bezeichnet, was ein Dreieck ist. Und wenn wir davon Kenntnis besitzen, dass es der Fall ist, so untersuchen wir, warum es der Fall ist. Allerdings ist es schwierig, auf diese Weise Dinge zu erfassen, von denen wir nicht wissen, dass sie der Fall sind. Die Ursache dieser Schwierigkeit ist zuvor genannt worden: dass wir nicht einmal wissen, ob sie der Fall sind oder nicht, es sei denn auf zufällige Weise. Eine Bestimmung ist eine einzige auf doppelte Weise – die eine durch einen Zusammenhang, wie die Ilias, die andere dadurch, dass sie eines vom anderen klar macht, auf nicht-zufällige Weise. Die eine Definition einer Definition ist also die genannte; eine andere Definition aber ist eine Bestimmung, die klar macht, warum etwas der Fall ist, so dass die erstere zwar bezeichnet, aber nicht beweist, von der letzteren dagegen einleuchtend ist, dass sie gleichsam eine Demonstration des Wases-ist sein wird, aber durch Position unterschieden von der Demonstration. Es macht nämlich einen Unterschied zu sagen, warum es donnert, und was Donner ist. Man wird nämlich einerseits sagen: weil das Feuer in den Wolken erlischt; was aber ist Donner? Ein Geräusch von erlöschendem Feuer in Wolken; sodass dieselbe Bestimmung auf verschiedene Weise ge-
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sagt wird und auf die erstere Weise eine zusammenhängende Demonstration ist und auf diese letztere andere Weise eine Definition. Ferner ist eine Definition von Donner: Geräusch in Wolken. Dieses aber ist die Konklusion der Demonstration des Was-es-ist. Die Definition dagegen, die aus unvermittelten Sätzen besteht, ist eine Festsetzung des Was-es-ist, die nicht demonstrierbar ist. Es ist folglich die eine Definition eine Bestimmung des Was-es-ist, die nicht demonstrierbar ist. Eine andere Definition ist eine Deduktion des Was-es-ist, der Form nach unterschieden von der Demonstration. Und eine dritte Definition ist eine Konklusion der Demonstration des Was-es-ist. Es ist also aus dem Gesagten deutlich, inwiefern es vom Was-es-ist eine Demonstration gibt und inwiefern es sie nicht gibt, und von welchen Dingen es sie gibt und von welchen Dingen es sie nicht gibt, ferner auf wie viele Weisen man von einer Definition spricht und inwiefern man das Was-es-ist beweist und inwiefern nicht und von welchen Dingen man es beweist und von welchen nicht, und ferner wie sie sich zur Demonstration verhält und inwiefern sie sich auf dasselbe beziehen kann und inwiefern sie es nicht kann. Kapitel 11. Da wir nun etwas zu wissen glauben, wann immer wir die Ursache wissen, und es vier Ursachen gibt – eine das Was-es-hieß-dies-zu-sein, eine weitere dass wenn gewisse Dinge so sind, dieses notwendig so ist, eine andere das, was etwas zuerst in Bewegung brachte, und eine vierte das Weswegen – so werden alle diese durch den Mittelbegriff bewiesen. Denn dass, wenn etwas so ist, dieses notwendig so ist, gilt nicht, wenn eine einzige Prämisse angenommen worden ist, sondern nur wenn es mindestens zwei Prämissen sind. Dieses aber ist der Fall, wenn die Sätze einen Mittelbegriff besitzen; und wenn dieser eine Mittelbegriff angenommen worden ist, so ist die Konklusion notwendig. Dies ist klar auch auf folgende Weise: Warum ist der Winkel im Halbkreis ein rechter? Wenn was so ist, ist er ein rechter? Es sei ein Rechter A, eine Hälfte
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von zwei Rechten B, der Winkel im Halbkreis C. Dafür also, dass das A, der Rechte, auf das C, den Winkel im Halbkreis zutrifft, ist das B Ursache. Dieser Winkel nämlich ist dem A gleich, und das C ist dem B gleich, denn er ist eine Hälfte von zwei Rechten. Wenn also das B eine Hälfte von zwei Rechten ist, trifft das A auf das C zu – dies aber hieß es, ein Rechter im Halbkreis zu sein. Mit diesem aber ist das Was-es-hieß-dieszu-sein identisch, insofern die Bestimmung dieses bezeichnet. Aber vom Was-es-hieß-dies-zu-sein ist auch bewiesen worden, dass es als Ursache der Mittelbegriff ist. Und ferner, warum brach der Persische Krieg gegen die Athener aus? Welches war die Ursache dafür, dass die Athener bekriegt wurden? Weil sie zusammen mit den Eretriern in Sardis einfielen; dieses nämlich brachte die Sache zuerst in Bewegung. Krieg A, als erste einfallen B, Athener das C; es trifft also das B auf das C zu – das als erste einfallen auf die Athener – und das A auf das B; die Menschen bekriegen nämlich diejenigen, die als erste Unrecht tun. Es trifft folglich das A auf das B zu – das bekriegt werden auf die, die als erste beginnen – und dieses, das B, auf die Athener – denn sie begannen als erste. Auch hier ist folglich ein Mittelbegriff die Ursache: das was die Sache zuerst in Bewegung brachte. Von welchen Dingen aber ist das Weswegen die Ursache – wie etwa: warum geht man spazieren? Damit man gesund bleibt. Warum ist dort ein Haus? Damit die Geräte aufbewahrt werden: das eine ist wegen des Gesundbleibens der Fall, das andere wegen des Aufbewahrtwerdens. Warum man nach dem Essen spazieren gehen soll, und weswegen man es soll, macht keinen Unterschied. Spaziergang nach dem Essen C, dass die Speisen nicht unverdaut bleiben B, das Gesundbleiben A; es treffe also auf das Spazierengehen nach dem Essen zu, dass es dazu führt, dass die Speisen nicht unverdaut am Eingang des Magens bleiben, und dieses sei gesund. Es scheint nämlich auf das Spazierengehen, das C, das B, dass die Speisen nicht unverdaut bleiben, zuzutreffen, und auf dieses das A, das Gesunde. Was also ist Ursache dafür, dass das A auf das C zutrifft, das Weswegen? Das B, das Nicht-Unverdaut-Bleiben.
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Dieses aber ist gleichsam eine Bestimmung für jenes, denn auf diese Weise wird das A ausgelegt werden. Warum also trifft das B auf das C zu? Weil das Gesundbleiben dieses ist: sich auf die genannte Weise zu verhalten. Es ist jedoch nötig die Bestimmungen zu vertauschen, und dann werden die einzelnen Dinge in höherem Grade einleuchtend sein. Die Erzeugung ist hier jedoch umgekehrt wie bei den Bewegungsursachen, denn dort muss der Mittelbegriff zuerst da sein, hier dagegen das C, der Außenbegriff, und das Weswegen kommt als letztes. Es ist möglich, dass dasselbe sowohl wegen einer Sache so ist als auch aus Notwendigkeit, wie etwa das durch die Laterne tretende Licht. Denn sowohl aus Notwendigkeit tritt das Ding mit feineren Teilen durch die größeren Poren – wenn durch das Hindurchgehen wirklich Licht zustande kommt – als auch wegen einer Sache: damit wir nicht straucheln. Wenn es also möglich ist, dass etwas aufgrund verschiedener Ursachen der Fall ist – ist es dann auch möglich, dass etwas auf diese doppelte Weise geschieht? So wie etwa, wenn es donnert, das Feuer erlischt und es daher notwendigerweise zischt und kracht, aber auch, wie die Pythagoreer sagen, wegen einer Drohung gegenüber denen im Tartarus, damit sie sich fürchten? Es gibt in der Tat sehr viele derartige Dinge, und zwar vor allem unter den Dingen, die naturgemäß zusammengesetzt werden und zusammengesetzt sind. Denn die eine Art von Natur bringt sie einer Sache wegen zustande, die andere dagegen aus Notwendigkeit. Die Notwendigkeit ist jedoch zweifach: die eine gemäß einer Natur und dem inneren Drang, die andere durch Gewalt und gegen den inneren Drang, so wie ein Stein aus Notwendigkeit sowohl nach oben als auch nach unten getragen wird, aber nicht aufgrund derselben Notwendigkeit. Unter den vom Verstand zustande gebrachten Dingen kommen einige niemals spontan vor, wie etwa ein Haus oder eine Statue, und auch nicht aus Notwendigkeit, sondern wegen einer Sache. Andere Dinge dagegen kommen auch durch Zufall vor, wie Gesundheit und Erhaltung. Vor allem aber bei den Dingen, die sowohl so als auch anders sein können, geschieht es, wenn die Entstehung nicht durch Zufall geschieht, sondern
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so, dass das Ziel gut ist, wegen einer Sache, und zwar entweder durch Natur oder durch Kunst. Nichts jedoch, was durch Zufall geschieht, geschieht zugleich wegen einer Sache. Kapitel 12. Ursache für die entstehenden und die entstandenen und die zukünftigen Dinge ist dasselbe, was es auch für die bestehenden Dinge ist: diese Ursache ist nämlich der Mittelbegriff – außer dass er für die bestehenden Dinge bestehend ist, für die entstehenden entstehend, für die entstandenen entstanden und für die zukünftigen zukünftig, wie etwa: warum ist eine Verfinsterung des Mondes entstanden? Weil die Erde in die Mitte geraten ist; und die Verfinsterung entsteht, weil die Erde dorthin gerät, sie wird zustande kommen, weil die Erde in die Mitte geraten wird, und sie kommt zustande, weil die Erde dort ist. Was ist Eis? Es sei angenommen: Wasser, das hart geworden ist. Wasser C, hart geworden A, der Mittelbegriff als Ursache B: gänzliches Ausbleiben des Warmen. Es trifft also auf das C das B zu, und auf dieses das Hartsein, das A; und es entsteht Eis, wenn das B entsteht, es ist entstanden, wenn das B entstanden ist, und es wird bestehen, wenn das B bestehen wird. Dasjenige also, was auf diese Weise Ursache ist, und dasjenige, dessen Ursache es ist, entstehen zugleich, wenn sie entstehen, und bestehen zugleich, wenn sie bestehen; und beim Entstandensein und zukünftigen Sein verhält es sich ebenso. Bei den nicht zugleich bestehenden Dingen aber – ist es da möglich, dass, wie es uns scheint, die einen Dinge in der kontinuierlichen Zeit Ursachen von anderen Dingen sind – vom Entstehen dieses Dinges ein anderes entstehendes Ding, und von seinem zukünftigen Sein ein anderes zukünftiges Ding, und vom Entstehen, wenn etwas zuvor entstand? Die Deduktion geht doch wohl vom später Entstandenen aus – Prinzip auch dieser Dinge aber ist das zuvor Entstandene –, weshalb dies auch ebenso bei den entstehenden Dingen gilt. Vom Früheren dagegen geht die Deduktion nicht aus, wie etwa dass, weil dieses geschehen ist, dieses spätere geschehen ist, und beim zukünftigen Sein ebenso. Weder nämlich wenn die
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Zeit unbestimmt ist noch wenn sie bestimmt ist, wird es so sein, dass, da es wahr ist zu sagen, dass dieses entstanden ist, es wahr ist zu sagen, dass dieses, das Spätere, entstanden ist. Denn dazwischen wird es falsch sein, dieses zu sagen – nachdem das eine der beiden bereits entstanden ist. Dasselbe Argument gilt auch für das Zukünftige – nicht einmal da dieses entstanden ist, wird dieses bestehen. Denn der Mittelbegriff muss gleichartig sein: von entstandenen Dingen entstanden, von zukünftigen zukünftig, von entstehenden entstehend, von bestehenden bestehend; als Mittelbegriff vom: es ist entstanden, und vom: es wird bestehen kann er jedoch nicht gleichartig sein. Ferner kann die Zeit dazwischen weder unbestimmt sein noch bestimmt, denn dazwischen wird es falsch sein, es zu sagen. Man muss auch untersuchen, was das Kontinuierliche ist – sodass nach dem Entstandensein unter den Dingen auch das Entstehen vorkommt. Oder ist klar, dass das Entstehende nicht an das Entstandene anschließt? Denn es schließt auch nicht das Entstandene an das Entstandene an; sie sind nämlich Grenzen und unteilbar. So wie also die Punkte nicht aneinander anschließen, so auch nicht entstandene Dinge, denn beide sind unteilbar; aber aus demselben Grund schließt auch Entstehendes nicht an Entstandenes an: das Entstehende ist nämlich teilbar, das Entstandene dagegen ist unteilbar. Wie sich also Linie zu Punkt verhält, so das Entstehende zum Entstandenen; es kommen nämlich unendlich viele entstandene Dinge im Entstehenden vor. In einleuchtenderer Weise aber muss über diese Dinge in den allgemeinen Untersuchungen über die Veränderung gesprochen werden. Darüber nun, wie es sich, wenn die Entstehung kontinuierlich zustande kommt, mit dem Mittelbegriff – der Ursache – verhält, sei soviel angenommen. Es ist nämlich notwendig, dass auch in diesen Dingen der Mittelbegriff und das Ursprüngliche unvermittelt sind. Beispielsweise: das A ist entstanden, weil das C entstanden ist – später entstanden ist aber das C, früher dagegen das A, und Prinzip ist das C, weil es dem Jetzt näher ist, welches das Prinzip der Zeit ist – ; das
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C aber ist entstanden, wenn das D entstanden ist. Wenn also das D entstanden ist, ist notwendig das A entstanden. Ursache aber ist das C, denn wenn das D entstanden ist, so ist notwendig das C entstanden, und wenn das C entstanden ist, so ist notwendig früher das A entstanden. Wenn man es in dieser Weise annimmt – wird dann der Mittelbegriff irgendwo an einem Unvermittelten zum Stehen kommen oder wird stets ein Mittelbegriff dazwischen fallen aufgrund des Unendlichen? Denn Entstandenes schließt nicht an Entstandenes an, wie gesagt worden ist. Aber beginnen muss man jedenfalls dennoch bei einem Unvermittelten und einem vom Jetzt her Ursprünglichen; auf ähnliche Weise verhält es sich auch bei dem: es wird bestehen. Wenn es nämlich wahr ist zu sagen, dass das D bestehen wird, so ist es wahr zu sagen, dass notwendig früher das A bestehen wird. Ursache dafür aber ist das C; wenn nämlich das D bestehen wird, so wird früher das C bestehen, und wenn das C bestehen wird, so wird früher das A bestehen. Und auf ähnliche Weise ist der Schnitt auch in diesen Dingen unendlich, denn die zukünftigen Dinge schließen nicht aneinander an. Und auch in diesen Dingen muss ein unvermitteltes Prinzip angenommen werden. Es verhält sich aber auf diese Weise auch bei den wirklichen Dingen. Wenn ein Haus entstanden ist, so sind notwendig Steine geschnitten worden und entstanden. Warum dies? Weil notwendig ein Fundament entstanden ist, wenn wirklich auch ein Haus entstanden ist, und wenn ein Fundament, so sind notwendig früher Steine entstanden. Wiederum, wenn ein Haus bestehen wird, so werden ebenso früher Steine bestehen. Und es wird auf ähnliche Weise durch den Mittelbegriff bewiesen; denn es wird früher ein Fundament bestehen. Da wir nun sehen, dass es unter den entstehenden Dingen eine Erzeugung im Kreis gibt, so kann dies dann der Fall sein, wenn der Mittelbegriff und die Außenbegriffe einander folgen; in diesen Fällen nämlich gibt es das Konvertieren. Bewiesen worden ist dies in den ersten Untersuchungen – dass die Konklusionen konvertieren –, und das heißt es, ein Herumgehen im Kreis zu sein. Bei den wirklichen Dingen gibt es
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Phänomene der folgenden Art. Wenn die Erde feucht geworden ist, entsteht notwendig Dunst, und wenn dieser entstanden ist, entsteht Bewölkung, und wenn diese entstanden ist, entsteht Regen; und wenn dieser entstanden ist, wird die Erde notwendig feucht. Dieses aber war das am Anfang Stehende, so dass man im Kreis herumgegangen ist. Wenn nämlich eines von ihnen, welches auch immer, besteht, so besteht ein anderes, und wenn jenes, ein noch anderes, und wenn dieses, das erste. Es sind aber einige entstehende Dinge allgemein, denn immer und bei jedem verhalten sie sich oder entstehen auf diese Weise, andere dagegen kommen zwar nicht immer, aber häufig vor, wie etwa nicht jeder männliche Mensch am Kinn behaart ist, aber dies doch häufig vorkommt. Von derartigen Dingen ist notwendig auch der Mittelbegriff häufig. Wenn nämlich das A vom B allgemein ausgesagt wird und dieses vom C allgemein, dann wird notwendig auch das A vom C immer und bei jedem ausgesagt; dieses nämlich ist das Allgemeine, das bei jedem und immer Vorkommende. Aber es lag zugrunde: dass es häufig vorkommt; notwendig ist folglich auch der Mittelbegriff häufig – das B. Es wird also auch von den häufigen Dingen unvermittelte Prinzipien geben, die auf diese Weise häufig bestehen oder entstehen. Kapitel 13. Wie nun das Was-es-ist in die Begriffe ausgelegt wird und auf welche Weise es eine Demonstration oder Definition von ihm gibt oder nicht gibt, ist früher gesagt worden. Wie man aber die im Was-es-ist ausgesagten Dinge einfangen soll, das wollen wir jetzt sagen. Von denjenigen Begriffen also, die stets auf jedes einzelne Ding zutreffen, erstrecken sich einige auf mehr, allerdings nicht außerhalb der Gattung. Ich sage: auf mehr zutreffen, wenn etwas auf jedes Einzelne allgemein zutrifft, aber auch auf anderes; wie es etwa etwas gibt, was auf jede Dreiheit zutrifft, aber auch auf etwas, was nicht Dreiheit ist, so wie das Seiende auf die Dreiheit zutrifft, aber auch auf etwas, was nicht Zahl ist; und auch das Ungerade trifft auf jede Dreiheit
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und auf mehr zu – denn es trifft auch auf die Fünfheit zu –, aber nicht außerhalb der Gattung; die Fünfheit nämlich ist eine Zahl, und nichts außerhalb von Zahl ist ungerade. Derartige Begriffe also müssen solange angenommen werden, bis zuerst so viele angenommen worden sind, dass von ihnen zwar jedes einzelne auf mehr zutrifft, alle zusammen genommen jedoch nicht auf mehr zutreffen; dies nämlich ist notwendig die Substanz der Sache. So trifft etwa auf jede Dreiheit zu: Zahl, das Ungerade, das Prim auf beide Weisen – sowohl als nicht zu messen durch eine Zahl als auch als nicht zusammenzusetzen aus Zahlen. Dieses folglich ist bereits die Dreiheit: eine Zahl, ungerade, prim und in dieser Weise prim. Von diesen Dingen trifft nämlich jedes einzelne teils auf alle ungeraden Zahlen zu, das letzte dagegen auch auf die Zweiheit, alle zusammen genommen treffen jedoch auf nichts anderes als die Dreiheit zu. Da wir nun in den obigen Untersuchungen klargemacht haben, dass die im Was-es-ist ausgesagten Dinge notwendig sind und dass das Allgemeine notwendig ist, und da im Falle der Dreiheit – und bei jedem anderen Ding, das auf diese Weise angenommen wird – das Angenommene im Wases-ist liegt, so dürfte auf diese Weise eine Dreiheit mit Notwendigkeit dieses sein. Dass es aber Substanz ist, wird aus folgendem klar. Wenn dieses nämlich nicht das war, was es heißt eine Dreiheit zu sein, so ist dieses notwendigerweise wie eine Gattung, entweder benannt oder namenlos. Es wird folglich auf mehr als die Dreiheit zutreffen. Es sei nämlich zugrunde gelegt, dass die Gattung von der Art ist, dass sie der Möglichkeit nach auf mehr zutrifft. Wenn es folglich auf nichts anderes zutrifft als auf die ungeteilten Dreiheiten, dann dürfte es dies sein, was es heißt, eine Dreiheit zu sein – zugrunde gelegt sei nämlich auch dieses, dass die Substanz eines jeden Dinges das für die unteilbaren Dinge letzte derartige Prädikat ist. Daher wird dieses Prädikat in ähnlicher Weise auch für ein beliebiges anderes der auf diese Weise bewiesenen Dinge das sein, was es heißt es selbst zu sein. Man sollte ferner, wenn man sich mit einem bestimmten Ganzen beschäftigt, die Gattung in die der Art nach unteilba-
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ren Dinge, also in die ursprünglichen Dinge, teilen, wie etwa Zahl in Dreiheit und Zweiheit. Daraufhin sollte man auf diese Weise Definitionen jener Dinge anzunehmen versuchen, wie etwa von gerader Linie und Kreis und rechtem Winkel. Und danach, nachdem man angenommen hat, was die Gattung ist, wie etwa ob die Zahl zu den quantitativen oder qualitativen Dingen gehört, sollte man die spezifischen Eigenschaften betrachten, und zwar auf der Grundlage der ursprünglichen gemeinsamen Dinge. Denn was für die Dinge, die aus den unteilbaren Dingen zusammengesetzt sind, gilt, wird aus den Definitionen klar sein, weil die Definition und das Einfache Prinzip von allem ist und weil die geltenden Dinge allein auf die einfachen Dinge an sich zutreffen, auf die anderen dagegen gemäß jenen. Die Begriffsteilungen anhand der Differenzen sind nützlich für das Vorgehen auf diese Weise; inwiefern sie allerdings beweisen, ist in den früheren Untersuchungen gesagt worden. Nützlich für das Deduzieren des Was-es-ist aber dürften sie nur auf folgende Weise sein – obgleich sie es in keiner Weise zu sein scheinen, sondern geradewegs alles anzunehmen scheinen, so wie wenn jemand es von Anfang an angenommen hätte ohne die Begriffsteilung. Es macht aber einen Unterschied, eines der ausgesagten Dinge zuerst oder später auszusagen, wie etwa zu sagen: Lebewesen, zahm, zweifüßig, oder: zweifüßig, Lebewesen, zahm. Wenn nämlich alles von zwei Dingen abhängt und das zahme Lebewesen ein einziges Ding ist und wiederum aus diesem und der Differenz der Mensch besteht – oder welches eine Ding es auch immer ist – , so ist es notwendig, dass der Teilende etwas fordert. Ferner, um im Was-es-ist nichts zu übergehen, kann man nur auf diese Weise vorgehen. Wenn nämlich die ursprüngliche Gattung angenommen worden ist, so wird sie, wenn man eine der unteren Begriffsteilungen nimmt, nicht ganz in dieses begrifflich Geteilte hineinfallen, wie etwa nicht jedes Lebewesen entweder ganze Flügel oder gespaltene Flügel hat, sondern nur jedes geflügelte Lebewesen; von diesem nämlich ist jenes eine Differenz. Die erste Differenz von Lebewesen
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ist vielmehr diejenige, in die Lebewesen ganz hineinfällt, und auf ähnliche Weise verhält es sich auch bei jedem der anderen Dinge – sowohl bei den Gattungen außen als auch bei denen unter ihm, wie etwa bei der Gattung von Vogel, in die jeder Vogel hineinfällt, und bei der Gattung von Fisch, in die jeder Fisch hineinfällt. Wenn man also auf diese Weise vorgeht, so ist es möglich zu wissen, dass nichts übergangen ist; auf andere Weise dagegen übergeht man notwendig etwas und weiß es nicht. Keineswegs aber muss der Definierende und Teilende alle Dinge wissen. Freilich behaupten einige, es sei unmöglich, in Hinsicht auf jedes Ding die Differenzen zu wissen, ohne jedes Ding zu wissen, und ohne die Differenzen sei es nicht möglich, ein jedes Ding zu wissen, denn es sei mit demjenigen identisch, wovon es sich nicht unterscheide, und von demjenigen, wovon es sich unterscheide, von dem sei es verschieden. Erstens nun ist dieses falsch. Denn nicht in Hinsicht auf jede Differenz ist etwas verschieden. Viele Differenzen treffen nämlich auf Dinge zu, die der Art nach identisch sind, aber nicht in Hinsicht auf ihre Substanz und auch nicht an sich. Ferner, wenn man die Gegensätze und die Differenz annimmt und behauptet, dass alles hierhin oder dorthin fällt, und wenn man annimmt, dass das Untersuchte zu dem einen der beiden gehört, und dieses bekannt ist, dann macht es keinen Unterschied zu wissen oder nicht zu wissen, von welchen anderen Dingen die Differenzen ausgesagt werden. Es ist nämlich einleuchtend, dass wenn man auf diese Weise vorgeht und zu denjenigen Dingen kommt, von denen es keine Differenz mehr gibt, man die Bestimmung der Substanz besitzen wird. Dass aber alles in die Begriffsteilung hineinfällt, wenn es Gegensätze gibt, zwischen denen es nichts gibt, ist keine Forderung, denn es ist notwendig, dass alles in einem von ihnen ist, wenn es wirklich eine Differenz jenes Dinges ist. Für das Herstellen einer Definition durch Begriffsteilungen muss man drei Dinge anstreben: diejenigen Begriffe anzunehmen, die im Was-es-ist ausgesagt werden; und diese zu ordnen: was erstes oder zweites ist; und darauf zu achten,
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dass sie alles sind, was das zu Definierende auszeichnet. Eines dieser Dinge, das erste, ist dadurch möglich, dass man, so wie man beim Zufälligen fähig ist zu deduzieren, dass es zutrifft, so auch hier fähig ist, die Definition durch die Gattung herzustellen. Das Ordnen dagegen – so wie es sein soll – wird möglich sein, wenn man den ursprünglichen Begriff annimmt, und dieses wird möglich sein, wenn angenommen worden ist, was allen Begriffen folgt, während ihm aber nicht alle folgen; denn notwendigerweise gibt es etwas Derartiges. Und wenn dieses angenommen worden ist, so wird dieselbe Weise auf die unteren Begriffe angewendet, denn der zweite Begriff wird der ursprüngliche der übrigen Begriffe sein, und der dritte der ursprüngliche der anschließenden Begriffe, denn wenn vom oberen abstrahiert wird, ist der anschließende ursprünglich für die übrigen Begriffe; auf ähnliche Weise verhält es sich auch bei den anderen Dingen. Dass die Begriffe ferner alles sind, was das zu Definierende auszeichnet, ist einleuchtend, wenn man sowohl das Ursprüngliche in Hinsicht auf eine Begriffsteilung annimmt – dass jedes Lebewesen entweder dieses oder jenes ist, jedoch dieses zutrifft – als auch wiederum von diesem Ganzen die Differenz annimmt und dass es vom letzten keine Differenz mehr gibt oder sich vielmehr dieses unmittelbar nach der letzten Differenz vom Zusammengesetzten der Art nach nicht mehr unterscheidet. Denn es ist klar, dass weder mehr hinzugesetzt worden ist – sämtliche dieser Begriffe nämlich sind im Was-esist angenommen – noch dass irgendetwas fehlt, denn es wäre entweder Gattung oder Differenz. Gattung nun ist sowohl das Ursprüngliche als auch das, was sich ergibt, wenn dieses zusätzlich zusammen mit den Differenzen angenommen wird. Und die Differenzen sind alle erfasst, denn es gibt keine nachgeordnete Differenz mehr – denn in diesem Fall würde sich das letzte Ding der Art nach unterscheiden, aber es ist gesagt worden, dass dieses sich nicht unterscheidet. Im Blick auf die ähnlichen und undifferenzierten Dinge sollte man zuerst untersuchen, was sie alle als Identisches besitzen, darauf so wiederum bei anderen Dingen vorgehen, die
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in derselben Gattung wie jene sind und die untereinander der Art nach identisch, von jenen dagegen verschieden sind. Und wenn bei diesen Dingen angenommen worden ist, was sie alle als Identisches besitzen, und bei den übrigen Dingen auf ähnliche Weise, so muss man bei den angenommenen Dingen wiederum untersuchen, ob etwas identisch ist, bis man zu einer einzigen Bestimmung kommt; diese nämlich wird eine Definition der Sache sein. Wenn man jedoch nicht zu einer einzigen Bestimmung kommt, sondern zu zweien oder mehreren, so ist klar, dass das Untersuchte nicht ein einziges Ding sein dürfte, sondern mehrere Dinge. Ich meine etwa, wenn wir untersuchen würden, was Stolz ist, so müssen wir bei stolzen Menschen, die wir kennen, untersuchen, was alle solche Menschen als Eines besitzen; wie etwa wenn Alkibiades stolz ist und der Achill und der Ajax, was besitzen sie alle als Eines? Es nicht zu ertragen, wenn sie verhöhnt werden; denn der eine zog in den Krieg, der andere brach in Zorn aus, der dritte tötete sich. Und wiederum bei anderen, wie Lysander oder Sokrates: wenn sie als Eines besitzen, im Glück und im Unglück indifferent zu sein, so nehme ich diese beiden Dinge an und untersuche, was sowohl die Leidenschaftslosigkeit gegenüber den Zufällen als auch die mangelnde Geduld bei verächtlicher Behandlung als Identisches besitzen. Und wenn beide nichts Identisches besitzen, so dürfte es zwei Arten des Stolzes geben. Stets aber ist jede Definition allgemein. Denn der Arzt sagt nicht, was für ein gewisses Auge gesund ist, sondern was entweder für jedes Auge oder für eine Art von Augen, die er abgesondert hat, gesund ist. Und es ist leichter, das Einzelne zu definieren als das Allgemeine; deshalb sollte man vom Einzelnen zum Allgemeinen übergehen. Denn auch die Mehrdeutigkeiten bleiben mehr in den allgemeinen Dingen als in den undifferenzierten Dingen verborgen. So wie in den Demonstrationen deduziert werden sollte, so sollte auch in den Definitionen Klarheit herrschen. Dieses aber wird möglich sein, wenn es mit Hilfe der einzelnen angenommenen Dinge möglich ist, für jede Gattung getrennt zu definieren – wie etwa das Ähnliche nicht im Ganzen zu definieren,
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sondern das Ähnliche in Farben und Figuren, und das Hohe beim Ton – und auf diese Weise zum Allgemeinen voranzuschreiten, auf der Hut, nicht in eine Mehrdeutigkeit zu verfallen. Und wenn man nicht mittels Metaphern diskutieren sollte, dann sollte man klarerweise auch nicht mittels Metaphern definieren oder definieren, was mittels Metaphern gesagt wird; denn sonst wird man notwendig mittels Metaphern diskutieren. Kapitel 14. Für das Besitzen der Probleme sollte man die Schnitte und die Begriffsteilungen auswählen, und zwar auf folgende Weise: Indem man die Gattung voraussetzt, die allen betrachteten Dingen gemeinsam ist, sollte man, zum Beispiel wenn es Lebewesen sind, die betrachtet werden, auswählen, welche Begriffe auf jedes Lebewesen zutreffen, und wenn diese angenommen sind, welche Begriffe wiederum dem ursprünglichen Begriff der übrigen Dingen ganz folgen – wie etwa wenn dieses ein Vogel ist, welche Dinge jedem Vogel folgen –, und so stets welche dem nächsten Begriff folgen. Denn es ist klar, dass wir bereits werden sagen können, warum die folgenden Begriffe auf die Dinge unterhalb des Gemeinsamen zutreffen – wie etwa warum sie auf Mensch oder Pferd zutreffen. Es sei Lebewesen A, das B die Begriffe, die jedem Lebewesen folgen, und C, D, E bestimmte spezifische Lebewesen; es ist also klar, warum das B auf das D zutrifft, nämlich aufgrund des A. Und in ähnlicher Weise verhält es sich auch bei den anderen Dingen; und dasselbe Argument gilt stets für die Dinge darunter. Bis jetzt nun reden wir in Hinsicht auf die überlieferten, gemeinsamen Namen; man sollte es jedoch nicht nur bei diesen Begriffen untersuchen, sondern auch, falls etwas anderes Gemeinsames als zutreffend beobachtet würde, es herausnehmen und dann untersuchen, welchen Dingen dieses folgt und welche Dinge diesem folgen, wie etwa den Tieren, die Hörner besitzen, das Besitzen eines Vormagens und das Fehlen doppelter Zähne folgt. und wiederum sollten wir untersuchen, inwie-
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fern das Besitzen von Hörnern gewissen Dingen folgt. Klar ist nämlich, warum das Genannte auf jene Dinge zutreffen wird; es wird nämlich aufgrund des Besitzens von Hörnern zutreffen. Eine noch andere Weise des Vorgehens ist es, nach dem Analogen auszuwählen. Es ist nämlich nicht möglich, dasjenige Identische als Eines anzunehmen, als was man Knorpel und Gräte und Knochen bezeichnen soll; es wird aber Begriffe geben, die auch diesen folgen, so als wären sie eine einzige derartige Natur. Kapitel 15. Identisch sind Probleme teils dadurch, dass sie denselben Mittebegriff besitzen, wie etwa weil sie alle einem wechselseitigen Austausch unterliegen. Von diesen Problemen sind einige der Gattung nach identisch, und zwar diejenigen, die dadurch Unterschiede besitzen, dass sie von verschiedenen Dingen oder auf verschiedene Weise gelten, wie etwa: warum hallt es wider, oder warum spiegelt es sich wider, und warum entsteht ein Regenbogen? Alle diese Dinge nämlich sind dasselbe Problem der Gattung nach – alle nämlich sind eine Reflexion –, aber der Art nach verschieden. Andere Probleme dagegen unterscheiden sich dadurch, dass der Mittelbegriff unter dem anderen Mittelbegriff ist – wie etwa warum fließt der Nil stärker, wenn der Monat zu Ende geht? Weil der Monat am Ende stürmischer ist; und warum ist er am Ende stürmischer? Weil der Mond abnimmt. Diese Dinge nämlich verhalten sich auf diese Weise zueinander.
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Kapitel 16. Zu der Ursache und dem, dessen Ursache sie ist, könnte jemand das Problem aufwerfen, ob immer dann, wenn das Verursachte zutrifft, auch die Ursache zutrifft – wie etwa wenn etwas Blätter abwirft oder sich verfinstert, ob dann auch die Ursache des Verfinsterns oder Abwerfens von Blättern vorliegen wird. Wie etwa wenn diese Ursache das Besitzen breiter Blätter ist, die Ursache des Verfinsterns dagegen: dass die Erde in der Mitte ist; denn wenn sie nicht zutreffen, wird etwas anderes ihre Ursache sein. Und wenn die Ursache
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zutrifft, trifft dann zugleich auch das Verursachte zu – wie etwa wenn die Erde in der Mitte ist, verfinstert sich der Mond, oder wenn etwas breitblättrig ist, wirft es Blätter ab? Wenn es aber so ist, dann dürften Ursache und Verursachtes zugleich vorliegen und wechselseitig durcheinander bewiesen werden. Es sei nämlich das Abwerfen von Blättern A, das Breitblättrige B, Weinstock C; wenn also das A auf das B zutrifft – alles nämlich, was breitblättrig ist, wirft Blätter ab –, und das B auf das C zutrifft – jeder Weinstock nämlich ist breitblättrig –, so trifft das A auf das C zu, und jeder Weinstock wirft Blätter ab. Ursache aber ist das B, der Mittelbegriff. Aber dass der Weinstock breitblättrig ist, kann ebenso auch durch das Abwerfen von Blättern demonstriert werden. Es sei nämlich das D breitblättrig, das E das Abwerfen von Blättern, und Weinstock F; auf das F also trifft das E zu – es wirft nämlich jeder Weinstock Blätter ab –, und auf das E das D – alles nämlich, was Blätter abwirft, ist breitblättrig; jeder Weinstock ist folglich breitblättrig. Ursache aber ist das Abwerfen von Blättern. Wenn sie aber nicht wechselseitig voneinander Ursachen sein können – die Ursache nämlich ist vorrangig gegenüber dem, dessen Ursache sie ist, und vom Verfinstern ist Ursache, dass die Erde in der Mitte ist; davon dagegen, dass die Erde in der Mitte ist, ist das Verfinstern nicht Ursache – wenn also die Demonstration durch die Ursache sich auf das Warum richtet, die Demonstration dagegen, die nicht durch die Ursache erfolgt, auf das Dass, so weiß man im letzteren Fall, dass sie in der Mitte ist, nicht aber warum. Und dass nicht das Verfinstern Ursache des In-der-Mitte-Seins ist, sondern dieses die Ursache vom Verfinstern, ist einleuchtend; denn in der Bestimmung des Verfinsterns kommt das In-der-Mitte-Sein vor, so dass klar ist, dass jenes durch dieses bekannt wird, aber nicht dieses durch jenes. Oder kann es von einem einzigen Faktum mehrere Ursachen geben? Denn auch wenn es möglich ist, dasselbe von mehreren ursprünglichen Dingen auszusagen, so treffe A auf das B als ursprüngliches Ding zu und auf das C als ein ande-
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res ursprüngliches Ding, und diese auf die Dinge D, E; es wird folglich das A auf die Dinge D, E zutreffen. Ursache aber ist für das D das B, für das E aber das C, sodass wenn die Ursache zutrifft, notwendig auch die Sache zutrifft, wenn dagegen die Sache zutrifft, so nicht notwendig alles, was Ursache ist, sondern zwar eine Ursache, aber nicht jede. Oder wenn das Problem stets allgemein ist, ist dann auch die Ursache ein gewisses Ganzes, und ist das, dessen Ursache sie ist, ebenfalls allgemein? Wie etwa das Abwerfen von Blättern abgesondert für ein gewisses Ganzes bestimmt ist, und wenn es Arten von ihm gibt, dann auch abgesondert allgemein für diese, entweder für Pflanzen oder für Pflanzen von der und der Art, sodass auch bei diesen Dingen der Mittelbegriff und das, dessen Ursache er ist, gleich sein und konvertieren müssen. Wie etwa: warum werfen die Bäume Blätter ab? Wenn aufgrund einer Erstarrung des Feuchten, so muss sowohl wenn ein Baum Blätter abwirft, Erstarrung vorliegen, als auch muss, wenn Erstarrung vorliegt – nicht bei Beliebigem, sondern beim Baum – , das Abwerfen von Blättern vorliegen. 99a
Kapitel 17. Ist es möglich, dass nicht in allen Fällen dasselbe Ding Ursache für dasselbe Ding ist, sondern ein anderes Ding? Oder ist dies nicht möglich? Oder ist es, wenn etwas an sich demonstriert ist und nicht infolge eines Zeichens oder Zufälligen, nicht möglich – denn die Bestimmung des Außenbegriffs ist der Mittelbegriff –, wenn es aber nicht so demonstriert ist, ist es möglich? Es ist möglich, sowohl dasjenige zu untersuchen, dessen Ursache etwas auf zufällige Weise ist, als auch dasjenige, für das etwas Ursache auf zufällige Weise ist, aber diese Fälle scheinen keine Probleme zu sein. Wenn es sich aber nicht so verhält, wird der Mittelbegriff sich auf ähnliche Weise verhalten: wenn die untersuchten Dinge mehrdeutig sind, wird der Mittelbegriff mehrdeutig sein, wenn sie in ein- und derselben Gattung sind, wird er sich ähnlich verhalten. Wie etwa: warum ist eine Proportion auch vertauschbar? Ursache dafür ist nämlich bei Linien und bei Zahlen jeweils ein anderes Ding – und doch dasselbe: insofern es sich um eine Linie handelt, ein
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anderes, insofern es sich jedoch um ein Ding handelt, das einen Zuwachs von dieser Art hat, dasselbe. Auf dieselbe Weise verhält es sich bei allen Dingen. Dass dagegen die Farbe der Farbe ähnlich ist und die Figur der Figur, dafür ist anderes bei jeweils anderem Ursache; mehrdeutig nämlich ist das Ähnliche bei diesen Dingen – hier nämlich heißt es vielleicht, proportionale Seiten und gleiche Winkel zu haben, bei den Farben dagegen heißt es vielleicht, dass die Wahrnehmung eine einzige ist, oder etwas anderes derartiges. Und die Dinge, die nach Analogie dieselben sind, werden auch den Mittelbegriff nach Analogie besitzen. Das wechselseitige Folgen der Ursache und desjenigen, dessen Ursache und für das sie Ursache ist, verhält sich nun auf folgende Weise: Wenn man die Fälle einzeln nimmt, erstreckt sich das, dessen Ursache sie ist, auf mehr, wie sich etwa das Haben von Außenwinkel gleich vier Rechten auf mehr erstreckt als auf entweder Dreieck oder Viereck, bei allen zusammen genommen aber erstreckt es sich auf Gleiches – nämlich auf alles, was Außenwinkel gleich vier Rechten hat; und der Mittelbegriff verhält sich auf ähnliche Weise. Der Mittelbegriff ist aber eine Bestimmung des ersten Außenbegriffs, weshalb alle Wissenschaften durch Definition zustande kommen. Zum Beispiel folgt das Abwerfen von Blättern zugleich dem Weinstock und geht darüber hinaus, und es folgt auch dem Feigenbaum und geht darüber hinaus, aber über alle zusammen genommen geht es nicht hinaus, sondern es ist ihnen gleich. Wenn man also den ursprünglichen Mittelbegriff annimmt, so ist er eine Bestimmung des Abwerfens von Blättern. Es wird nämlich in Hinsicht auf die verschiedenen Dinge einen ursprünglichen Mittelbegriff geben – dass alle von der und der Art sind – und dann von diesem einen Mittelbegriff – dass Saft erstarrt, oder etwas anderes derartiges. Was ist das Abwerfen von Blättern? Das Erstarren des Saftes in der Verbindung zum Stiel. In Hinsicht auf die Figuren wird man es folgendermaßen auslegen, wenn man die Folge der Ursache und dessen, wovon sie Ursache ist, untersucht. Es treffe das A auf jedes B
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zu und das B auf jedes der D-Dinge, und auf mehr; dazu gilt das B allgemein für die D-Dinge; ich nenne nämlich Allgemeines dasjenige, mit dem sie nicht konvertieren, ursprüngliches Allgemeines dagegen dasjenige, mit dem jedes einzelne zwar nicht konvertiert, mit dem dagegen alle zusammen genommen konvertieren und mit dem sie sich entlang strecken. Für die DDinge also ist das B Ursache des A. Folglich muss sich das A auf mehr erstrecken als das B; wenn nicht, wieso wird dann dieses in höherem Maße Ursache sein als jenes? Wenn also das A auf alle die E-Dinge zutrifft, so werden alle jene Dinge ein bestimmtes Eines sein, verschieden von B; denn wenn nicht, wie wird es dann möglich sein zu sagen, dass auf alles, auf das das E zutrifft, auch das A zutrifft, dass aber nicht auf alles, auf das A zutrifft, auch das E zutrifft? Denn warum wird nicht irgendetwas Ursache sein wie dafür, dass das A auf alle die DDinge zutrifft? Aber werden auch die E-Dinge ein bestimmtes Eines sein? Dieses muss untersucht werden, und es sei das C. Es ist also möglich, dass es von derselben Sache mehrere Ursachen gibt, aber nicht für Dinge, die der Art nach identisch sind – wie etwa die Ursache der Langlebigkeit bei Vierfüßlern ist, dass sie keine Galle besitzen, bei den Vögeln dagegen, dass sie trocken sind oder etwas anderes. Kapitel 18. Wenn die Demonstrationen aber nicht sofort zum Unteilbaren kommen und der Mittelbegriff nicht nur einer ist, sondern es mehrere Mittelbegriffe gibt, so sind auch die Ursachen mehrere. Welcher der Mittelbegriffe aber ist Ursache für die einzelnen Dinge – der zum Allgemeinen hin erste oder der zum Einzelnen hin erste? Klarerweise doch wohl der einem jeden Ding nächste Mittelbegriff, für das er Ursache ist. Denn dafür, dass der erste Mittelbegriff unter dem Allgemeinen zutrifft, ist dieses Ursache, wie etwa das C für das D Ursache ist dafür, dass das B zutrifft; für das D also ist C Ursache des A, für das C das B, und für dieses es selbst. Kapitel 19. Was also Deduktion und Demonstration anbetrifft, so ist einleuchtend sowohl was ein jedes der beiden ist als auch
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wie es zustande kommt – zugleich auch was demonstratives Wissen anbetrifft, denn es ist dasselbe. Was dagegen die Prinzipien angeht, so wird aus folgendem sowohl klar, wie sie bekannt werden als auch welches der Zustand ist, in dem wir sie kennen – wobei wir zuerst Probleme aufwerfen. Dass es nicht möglich ist, etwas durch Demonstration zu wissen, ohne Kenntnis zu besitzen von den ursprünglichen, unvermittelten Prinzipien, ist früher gesagt worden. Was jedoch die Kenntnis der unvermittelten Dinge angeht, so könnte jemand sowohl das Problem aufwerfen, ob sie dieselbe wie die der vermittelten Dinge ist oder nicht dieselbe, als auch das Problem, ob es ein Wissen von jedem Ding gibt oder nicht, oder ob es vom einen zwar Wissen gibt, vom anderen dagegen eine andere Gattung von Kenntnissen, und ob die Zustände ihrer Kenntnis nicht bereits in uns sind, sondern zustande kommen oder bereits in uns sind, aber verborgen bleiben. Nun, wenn wir sie besitzen, ist das letztere abwegig; es folgt nämlich, dass wir Kenntnisse besitzen, die genauer sind als eine Demonstration, und dass dies zugleich verborgen bleibt. Wenn wir sie dagegen annehmen, ohne sie zuvor zu besitzen, wie sollten wir dann wohl Kenntnisse gewinnen und Wissen erwerben, ohne sie aus bereits vorhandener Kenntnis zu gewinnen? Dies ist nämlich unmöglich, wie wir auch im Falle der Demonstration sagten. Es ist folglich einleuchtend, dass es weder möglich ist, Zustände dieser Kenntnisse zu besitzen, noch dass sie in uns zustande kommen, ohne dass wir es wissen und irgendeinen derartigen Zustand besitzen. Es ist folglich notwendig, eine bestimmte Fähigkeit zu besitzen – nicht allerdings eine Fähigkeit von der Art zu besitzen, dass sie in Hinsicht auf Genauigkeit wertvoller sein wird als die genannten Kenntnisse. Es scheint dieses nun in der Tat bereits bei allen Tieren vorzuliegen. Sie besitzen nämlich eine Fähigkeit, die mit ihrer Natur verbunden und unterscheidungskräftig ist, die man Wahrnehmung nennt. Und wenn Wahrnehmung in ihnen vorhanden ist, kommt in einigen Tieren ein Bleiben des Wahrnehmungsinhalts zustande, in anderen dagegen kommt es nicht zustande. Für diejenigen nun, in
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denen es nicht zustande kommt, entweder ganz oder in Bezug auf dasjenige, für das ein Bleiben nicht zustande kommt, gibt es keine Kenntnis außerhalb des Wahrnehmens. Denjenigen Tieren dagegen, in denen es zustande kommt, ist es möglich, wenn sie ein gewisses Eines wahrnehmen, es in der Seele zu halten. Und wenn viele derartige Vorgänge zustande kommen, so kommt endlich auch ein Unterschied zustande, so dass für einige Wesen aus dem Bleiben derartiger Wahrnehmungsinhalte eine Bestimmung zustande kommt, für andere dagegen nicht. Aus Wahrnehmung also entsteht Erinnerung, wie wir sagen. Und aus der Erinnerung desselben Dinges, wenn sie oft zustande kommt, entsteht Erfahrung – denn viele Erinne rungen sind eine einzige Erfahrung. Und aus Erfahrung, oder aus jedem Allgemeinen, das zur Ruhe gekommen ist in der Seele – das eine neben den vielen Dingen, was in allen jenen Dingen als eines dasselbe ist –, entsteht ein Prinzip von Kunst und Wissen – wenn in Hinsicht auf Werden, ein Prinzip von Kunst, wenn dagegen in Hinsicht auf Sein, ein Prinzip von Wissen. Weder also kommen die Zustände der genannten Kenntnisse abgesondert bestimmt in uns vor, noch entstehen sie von anderen Zuständen aus, die kenntnisreicher sind, sondern sie entstehen von der Wahrnehmung aus – wie etwa in einer Schlacht, wenn eine Wende zustande kommt, falls einer stehen bleibt, ein anderer stehen bleibt, darauf ein weiterer, bis man zum Ausgangspunkt kommt: die Seele ist grundsätzlich von der Art, dass sie fähig ist, dieses geschehen zu lassen. Was soeben gesagt worden ist, aber nicht deutlich gesagt worden ist, wollen wir noch einmal sagen. Wenn nämlich eines der undifferenzierten Dinge zum Stehen kommt, so gibt es ein erstes Allgemeines in der Seele. In der Tat nämlich wird zwar das Einzelne wahrgenommen, aber die Wahrnehmung richtet sich auf das Allgemeine, wie etwa auf Mensch, jedoch nicht auf Kallias den Menschen. Und es kommt wiederum in diesen Dingen zum Stehen, bis die Dinge, die ohne Teile und die allgemein sind, zum Stehen kommen – wie etwa ein solches Tier zum Stehen kommt, bis schließlich Tier zum Stehen kommt,
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und in diesem ebenso etwas zum Stehen kommt. Es ist also klar, dass uns die ursprünglichen Dinge notwendig durch Induktion bekannt werden; in der Tat nämlich bringt die Wahrnehmung auf diese Weise darin das Allgemeine zustande. Da nun von den auf den Verstand bezogenen Zuständen, mit denen wir die Wahrheit erfassen, die einen immer wahr sind, die anderen dagegen das Falsche zulassen – wie etwa Meinung und Folgerung das Falsche zulassen, Wissen und Einsicht dagegen stets wahr sind – und da keine andere Gattung von Kenntnissen als Einsicht genauer als Wissen ist, und da die Prinzipien der Demonstrationen bekannter sind und jedes Wissen mit einem Argument verbunden ist, so dürfte es von den Prinzipien kein Wissen geben. Da aber gegenüber einem Wissen nichts wahrer sein kann als Einsicht, so dürfte sich die Einsicht auf die Prinzipien richten. Und wenn man es von diesen Voraussetzungen aus untersucht, so gilt dies auch deshalb, weil ein Prinzip von Demonstration nicht Demonstration und also ein Prinzip von Wissen nicht Wissen ist. Wenn wir also neben Wissen keine andere wahre Gattung besitzen als Einsicht, so dürfte Einsicht das Prinzip von Wissen sein. Und die Einsicht dürfte sich als Prinzip auf das Prinzip richten, und das Wissen verhält sich insgesamt auf ähnliche Weise zu der gesamten Sache.