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German Pages 150 Year 2000
Horst Dreier (Hrsg.)
Philosophie des Rechts und Verfassungstheorie
Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 26
Philosophie des Rechts und Verfassungstheorie Geburtstagssymposion für Hasso Hofmann
Herausgegeben von Horst Dreier
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Philosophie des Rechts und Verfassungstheorie / Geburtstagssymposion für Hasso Hofmann. Hrsg.: Horst Dreier. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte ; Bd. 26) ISBN 3-428-10154-5
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 3-428-10154-5
Vorwort A m 4. August 1999 vollendete Hasso Hofmann sein 65. Lebensjahr. Aus diesem Anlaß versammelten sich Freunde, Kollegen und Schüler im Plenarsaal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in der Nähe des Berliner Gendarmenmarktes, um den Jubilar mit einem Symposion zu ehren. Der wissenschaftliche Teil dieses „Festmahles" wird im vorliegenden Band dokumentiert, dessen Erscheinen Gelegenheit gibt, dem Laudator sowie allen Referenten nochmals herzlich für die spontane Bereitschaft zu danken, die Veranstaltung mit ihren Beiträgen zu bereichern. Die Texte sind durchweg in der - zumeist geringfügig überarbeiteten und durchgängig mit einem Anmerkungsapparat versehenen - Fassung des mündlichen Vortrags abgedruckt. Die intensiven Diskussionen, die sich unter ebenso einfühlsamer wie anregender Beteiligung des Jubilars an die Vorträge anschlossen, werden allen Teilnehmern in guter und nachhaltiger Erinnerung bleiben. Gerade um ihrer Lebhaftigkeit und Frische willen wurde auf die Aufzeichnung und Wiedergabe der Diskussionsbeiträge im vorliegenden Band verzichtet. Der wissenschaftliche Teil des Symposions wurde durch eine stimmungsvolle spätabendliche Dampferfahrt auf Spree und Müggelsee und ein kleines Konzert am folgenden Sonntagvormittag abgerundet. Auf Mozarts Flötenkonzert in D-Dur, KV 285, dargeboten von Bernhard Schlink (Flöte), Cord Brandis (Geige), Bärbel Hofmann (Bratsche) und Hasso Hofmann (Cello), folgte ein Duo für Geige und Cello von Johann Sebastian Bach, das der Jubilar gemeinsam mit der elfjährigen Geigerin Anima Meier aus München vortrug. Peter Häberle interpretierte sodann als Solist am Klavier das tiefgründige Adagio von Mozart in h-moll, KV 540, bevor sich das Ehepaar
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Vorwort
Hofmann unter Mitwirkung von Cord Brandis und Dietrich Geuder (Geige) in einer begeistert aufgenommenen Abschlußdarbietung mit dem Streichquartett in g-moll von Joseph Haydn (op. 20 Nr. 3) von seinen Gästen verabschiedete. Herrn Professor Dr. h.c. Norbert Simon ist sehr für sein freundliches Angebot zu danken, diesen Symposionsband in das Programm des Verlages Duncker & Humblot aufzunehmen, in dem derzeit nicht weniger als vier Monographien aus der Feder des Jubilars erscheinen. Dabei verweist der Titel des vorliegenden Büchleins auf einen Zusammenhang, der in den Arbeiten von Hasso Hofmann spätestens seit der Schrift über „Legitimität und Rechtsgeltung" aus dem Jahre 1977 eine zentrale Rolle spielt: daß Grundfragen von Staat und Recht in Gestalt von Verfassungstheorie nicht ohne beständigen Bezug zur Rechts- und Staatsphilosophie fundiert behandelt werden können - und daß umgekehrt Rechtsphilosophie nicht als Part pour l'art einer selbstgenügsamen akademischen Disziplin mißverstanden werden darf, sondern beständig auf die Bewältigung der Grundaufgaben des Rechts (Sicherung von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit) bezogen bleiben muß. Der Herausgeber möchte dem Jubilar den Band mit tief empfundenem persönlichen Dank für eine mittlerweile viele Jahre währende, enge fachliche und vor allem auch persönliche Verbindung überreichen und zugleich der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß dieses Buch die Erinnerung an zwei denkwürdige Tage bewahren möge. Würzburg, im Advent 1999
Horst Dreier
Inhaltsverzeichnis Laudatio auf Hasso Hofmann Von Professor Dr. Alexander Höllerbach, Freiburg/Br
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Vorüberlegungen zu einer Theorie der Rechtsphilosophie Von Professor Dr. Gerd Roellecke, Mannheim/Karlsruhe
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Menschenrechte, Menschenwürde und staatliche Souveränität Von Professor Dr. Erhard Denninger, Frankfurt am Main . . . .
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Die Aporien der Repräsentation zwischen Bild und Begriff Von Professor Dr. Giuseppe Duso, Padua
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Die Bedeutung des Kantschen Rechtsbegriffs für Kants Theorie eines transzendentalen Idealismus Von Professor Dr. Gerd Irrlitz,
Berlin
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Person und Menschenwürde in der Philosophie Hegels Von Professor Dr. Kurt Seelmann, Basel Teilnehmerliste
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Laudatio auf Hasso Hofmann Von Alexander Hollerbach
I. Wer das wissenschaftliche Werk von Hasso Hofmann auch nur in Umrissen kennt, wird mir zustimmen, daß eine Würdigung nur, um es biblisch auszudrücken, „mit Furcht und Zittern" (Eph. 6, 5) unternommen werden kann. Denn schon bei einem ersten Blick, erst recht bei genauerem Zusehen, wird man einer üppig-reichen Vielfalt gewahr, treten beträchtliche Höhen und Tiefen in Erscheinung, tun sich eine staunenswerte Weite des Horizonts und ein differenzierter Reichtum der Perspektiven auf, zeigt sich eine kompakte Dichte des Gedankens - wie soll es gelingen, dem gerecht zu werden? Die Frage spitzt sich zu, wenn der Laudator dem zu würdigenden Werk nichts auch nur einigermaßen Gleichwertiges an die Seite zu stellen hat und sich so der Frage nach seiner Legitimation ausgesetzt sieht. Ein wenig Trost kommt just von der Paulus-Stelle, die eben angeführt wurde. Eingedenk einer oft ausgesprochenen Mahnung des Jubilars, klassische Texte nicht nur einfach zu zitieren, sondern sie auch wirklich nachzulesen und zu reflektieren, ist mir bewußt geworden, daß dort im Epheser-Brief der Formel „mit Furcht und Zittern" beigesellt wird die Formel „mit aufrichtigem Herzen", oder, wie Luther so schön übersetzt hat, „in Einfältigkeit des Herzens". Bitte, halten Sie mir diese Intention unter Berücksichtigung aller Ambivalenz des Wortes „Einfalt" zu Gute.
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IL Es ist jetzt genau 35 Jahre her, daß unser Jubilar literarisch auf den Plan trat, nämlich mit seiner Erlanger Dissertation unter dem Titel „Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts", erschienen in der von Wilhelm Hennis und Hans Maier herausgegebenen renommierten Reihe „Politica". Sie gehört zu den seltenen Beispielen juristischer Dissertationen, die mehrere Auflagen erlebten 1. Kein Wunder: Hasso Hofmann hat damit nicht nur mit bewundernswertem Mut ein dickes Brett gebohrt, wie es damals dicker nicht sein konnte; er hat damit auch ganz entschieden dazu beigetragen, die Carl Schmitt-Diskussion auf das angemessene Niveau zu heben. So reichhaltig und fast unüberschaubar die Carl Schmitt-Literatur heute geworden ist: Hasso Hofmanns Buch vermittelt mit seinem eindringlichen entwicklungsgeschichtlichen Konzept und mit seiner unbestechlichen Urteilskraft nach wie vor eine hervorragende Grundorientierung, zusammen mit seiner nach dem Tode von Carl Schmitt ersten lexikographischen Darstellung im Staatslexikon2 und mit der hilfreichen Positionsbestimmung in der Hennis-Festschrift von 19883, wo gefragt wird: „Was ist uns Carl Schmitt?" und dies, wie der Autor ausdrücklich sagt, „ohne Ausblendungen, Einklammerungen und Beschönigungen". Schon mit seinem Erstling, angestoßen zwar durch das engagierte Lernen bei Karl Löwith 4 in Heidelberg, aber erarbeitet in großer Selbständigkeit, hat Hasso Hofmann, wie man so sagt, Flagge gezeigt und sich an diesem Thema mit seinen
ι 2. Aufl. 1992, 3. Aufl. 1995. 2 Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988), Sp. 1052-1055. 3 Politik, Philosophie, Praxis. Festschrift für Wilhelm Hennis, hrsg. v. Hans Maier u.a., Stuttgart 1988, S. 545-555, Zitat S. 554f. 4 Zu ihm aus jüngster Zeit Kurzinformation bei Gerhard Pfafferott, Art. Löwith, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. VI (1997), Sp. 1073 f.
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rechtsphilosophischen, verfassungsgeschichtlichen, staats- und verfassungstheoretischen sowie rechtsdogmatischen und politischen Aspekten profiliert, ohne sich dadurch in eine thematische Eingleisigkeit drängen zu lassen. In die Erlanger Anfänge schon gehört ja ein zweites Themenfeld, mit dem er im Umkreis seines Lehrers Alfred Voigt 5 gewissermaßen aufgewachsen ist: die Geschichte der Staatstheorie mit den Schwerpunkten Staatsvertragslehre und Grundrechte. Neben und mit Peter Badura hat er in dem Sammelband „Der Herrschaftsvertrag", 1965 erschienen, durch die Übersetzungen der antiken Quellen sowie aus Augustin, mittelalterlichen Schriftstellern und den spanischen des 16. und 17. Jahrhunderts Pionierarbeit geleistet. A n weiteren Themen bewährt, konnte es Hasso Hofmann dann gelingen, in seiner Habilitationsschrift von 1974 Licht in die Begriffs- und Problemgeschichte von „Repräsentation" zu bringen. Auch diese Maßstäbe setzende Arbeit - Untertitel „Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert" gibt es mittlerweile in dritter Auflage 6 . Sie ist nicht nur für den Historiker und Juristen, sondern auch für den Theologen und Philosophen unentbehrlich. Die Sonderung der Perspektiven einerseits, deren Bündelung andererseits werden hier im Verein mit einem mustergültigen hermeneutischen Umgang mit den Quellen meisterhaft gehandhabt. Zu Recht wurde gesagt7, es sei charakteristisch für Hofmann, daß er im Gegensatz zu manchen Staatsrechtlern, die für die Staatsphilosophie sich nur auf Autoren seit Bodin und Hobbes berufen, gerade auch das mit-
5 Über Alfred Voigt (11. Nov. 1913-29. Dez. 1993) vgl. das eindrucksvolle Porträt, das Peter Badura in der Einleitung (S. 7-11) zu den von ihm herausgegebenen „Schriften zur Rechts- und Verfassungsgeschichte" Voigts gezeichnet hat (Erlangen 1993. Erlanger Forschungen. Reihe A. Geisteswissenschaften, Bd. 65). 6 2. Aufl. 1990, 3. Aufl. 1998. 7 So Peter Landau bei der Vorstellung Hofmanns im Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1992, S. 2.
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telalterliche, ja das antike Erbe in die Begriffsbildung einbezieht. So zentral der Schlüsselbegriff der Repräsentation auch für die Gegenwart noch ist - man kann fragen: war Hasso Hofmann mit dieser Studie und mit Arbeiten über Grotius 8 , Hobbes 9 , Nietzsche 10 , Jacob Burckhardt 11 oder mit seinen „Bemerkungen zur politischen Ideengeschichte" 12 ganz in der Geschichte qua Vergangenheit untergetaucht und dort gefangen? Nun, in seiner weitverzweigten assistentischen und dozentischen Lehrtätigkeit auf dem Gesamtgebiet des öffentlichen Rechts hatte unser Jubilar nie die Bodenhaftung verloren 1 3 . Aber es bedeutete doch eine Herausforderung besonderer Art und eine Steigerung der Intensität juristischer Arbeit, als er 1981 mit seinem Buch „Rechtsfragen der atomaren Entsorgung" an die Öffentlichkeit trat. In entsagungsvoller, intellektuell anspruchsvoller Arbeit mußte sich der Autor die Welt der Atomtechnik erschließen, um die damit verbundenen Rechtsprobleme unserer „Risikogesellschaft" dingfest machen 8
Hugo Grotius, in: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, hrsg. v. Michael Stolleis, Frankfurt a.M. 1977, S. 51-77; Wiederabdruck: Hasso Hofmann, Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt a.M. 1986, S. 31-57. 9 Bemerkungen zur Hobbes-Interpretation, in: AöR 91 (1966), S. 123-135; Wiederabdruck in dem in Anm. 8 angeführten Sammelband, S. 58-73. 10 Nietzsche, in: Klassiker des politischen Denkens, hrsg. v. Hans Maier u.a., Bd. 2, München 1968, S. 320-343 u. 395-399, und in den weiteren Auflagen dieses Bandes; Wiederabdruck in dem in Anm. 8 angeführten Sammelband, S. 127-158. 11 Jacob Burckhardt und Friedrich Nietzsche als Kritiker des Bismarckreiches, in: Der Staat 10 (1971), S. 433-453; Wiederabdruck in dem in Anm. 8 angeführten Sammelband, S. 159-180. 12 Bemerkungen zur politischen Ideengeschichte, in: AöR 100 (1975), S. 625-639. 13 Ich verweise etwa auf folgende Veröffentlichungen: Zur Anwendung des § 133 BBauG auf bebaute Grundstücke an vorhandenen Erschließungsanlagen, in: DVB1. 87 (1963) S. 212-215; Präventivpolizeiliches Durchsuchungsrecht und Verfassung, in: BayVBl. NF 10 (1964) S. 36^0; Die Rechtsnatur der Widerspruchsfrist, in: VerwArch. 58 (1967) S. 63-69 u. S. 135-170.
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und zu ihrer Lösung beitragen zu können. Mit einer bis dahin nicht erlebten Eindringlichkeit und mit vollem existenziellen Ernst hat Hasso Hofmann das Problem „Langzeitrisiko und Verfassung" diskutiert und das Thema „Nachweltschutz" als verfassungsmäßig fundierte Staatsaufgabe bewußt gemacht. Die Dreidimensionalität der Geschichte und damit eben auch und gerade die Zukunft wurde betont ins Spiel gebracht. Damit war er nicht nur auf ein Feld vorgestoßen, für das er nicht gerade prädestiniert erschien, er hatte vielmehr von vorneherein die Qualitätsmarke für den juristischen Diskurs hoch angesetzt und Barrieren errichtet gegenüber einem Abgleiten in eine technizistisch oder pragmatisch verengte rechtsdogmatische Diskussion. Es muß genügen, dafür auf die späteren, die nunmehr eingeschlagene Linie ergänzenden Abhandlungen „Biotechnik, Gentherapie, Genmanipulation - Wissenschaft im rechtsfreien Raum?" 1 4 und „Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts" 15 zu verweisen. In dem eindrucksvollen Sammelband „Verfassungsrechtliche Perspektiven" (1995) sind diese und andere Abhandlungen zwar in der Rubrik „Technik und Umwelt" zusammengefaßt 16. Aber in ihrem Kern könnten sie auch dort stehen, wo Arbeiten zum Thema „Grundrechte und Grundpflichten" versammelt sind 1 7 , dem Themenkreis, der seit dem Konstanzer Staatsrechtslehrer-Referat von 1982 über Grundpflichten im Werk Hofmanns stärker hervortritt 18 . Nicht als ob unser Jubilar alles 14 Juristenzeitung 41 (1986) S. 253-260; Wiederabdruck in: Hasso Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 19801994, Tübingen 1995, S. 386-405. !5 Juristenzeitung 43 (1988) S. 265-278; Wiederabdruck in dem in der vorigen Anmerkung angeführten Sammelband, S. 406-440. 16 Es handelt sich dabei um den 3. Teil des genannten Sammelbandes, dessen Überschrift dem dort ebenfalls abgedruckten Beitrag zum Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Berlin 1994, entnommen ist. 17 Sie bilden den ersten Teil des genannten Sammelbandes. 18 Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, in: WDStRL 41 (1983) S. 42-86.
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über einen grund- bzw. menschenrechtlichen Leisten schlagen wollte. Aber Anthropozentrik, gedacht auf dem Hintergrund menschheitlicher Freiheitsgeschichte, erscheint ihm „unentrinnbar" (S. 438). Eindringlich kann er formulieren: „Remythisierungen der Natur lenken nur ab und verdunkeln, daß uns größte, naturwissenschaftlich informierte Rationalität not tut" (S. 439). Auf diesen Überzeugungen baut sich das Grundpostulat einer „ganzheitlichen Ökologie nach dem Maß des Menschlichen" auf (S. 439). Faßt man nun den Themenkreis „Grund- und Menschenrechte" speziell ins Auge, so wird rasch erkennbar, daß er, zum Teil unter Ausnutzung äußerer Anstöße wie „1789 - 1949 1989" 19 reich bestückt ist. Ich kenne keine besseren Darstellungen, die hinsichtlich der historischen Genese und Entwicklung die große Linie ebenso wie das markante Detail erfassen. Aber nichts liegt dem Autor ferner als historistisches Γ art pour l'art. Man blicke auf die Reflexionen zur „versprochenen Menschenwürde" 2 0 . Hier wird betont, daß sich Würde durch positive Bewertung von sozialen Achtungsansprüchen (S. 114) konstituiert, und daß die Menschenwürdegarantie im Spannungsfeld zwischen universellem Geltungsanspruch und der Partikularität der Verwirklichungsgemeinschaft (S. 116) sich als Staatsfundamentierungsnorm darstellt. Es ist überhaupt dieser Zusammenhang zwischen grundrechtlichen Autonomiepositionen und staatsorganisatorischem Kontext oder, sagen wir: institutioneller Infrastruktur, der in den Erörterungen Hofmanns im Sinne
19 Die Grundrechte 1789 - 1949 - 1989, in: NJW 42 (1989) S. 3177-3187; Wiederabdruck in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 23-50. 20 Die versprochene Menschenwürde, in: AöR 118 (1993) S. 353-377; Wiederabdruck in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 104-128. Thematisch benachbart auch der Aufsatz „Menschenrechtliche Autonomieansprüche. Zum politischen Gehalt der Menschenrechtserklärungen", in: Juristenzeitung 47 (1992) S. 165-173. Wiederabdruck in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 51-72. Auf den Abdruck in diesem Sammelband beziehen sich die nachfolgenden Seitenangaben.
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des Gedankens der Einheit der Verfassung zunehmend deutlich artikuliert wird. Die Menschenrechte, so wird hervorgehoben, sind „republikanische Konstitutionsprinzipien" (S. 63). Aber wie läßt sich mit der Paradoxie nationalstaatlicher Realisierung von Menschenrechten umgehen, wie mit den Schwächen und Grenzen des menschenrechtlichen Universalismus? Hasso Hofmann hat zu diesen intrikaten Fragen keine forschen Thesen zu bieten. Und doch weist er, wie er wörtlich sagt, „mit Entschiedenheit" die Richtung, „daß konkrete Menschenrechte des Habeas-Corpus-Typs begründet werden können, ohne daß dafür eine universell gültige Theorie individueller Autonomie erforderlich wäre" (S. 70). So deutliche Konturen Hasso Hofmann dem Themenkreis Menschenrechte, Grundrechte, Grundpflichten gegeben hat das, was man demgegenüber Staatsorganisationsrecht zu nennen pflegt, steht dem an Intensität kaum nach. Auf diesem Felde hatte der Jubilar Gelegenheit, gemeinsam mit Horst Dreier, das Repräsentationsproblem auch in seiner Aktualität zu erörtern 21 . Er geht ferner kritisch mit dem Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes22 um und legt mit dem Aufsatz über „Bundesstaatliche Spaltung des Demokratiebegriffs?" 23 eine Paradoxie unseres politischen Systems offen. Die Darstellung über die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1945 im Handbuch des Staatsrechts von Isensee und Kirchhof ist ein verfassungsgeschichtliches Kabinettstück, das wiederum das Zusammenstimmen von großer Linie und alltäglichem Detail 21
Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin/ New York 1989, S. 165-197; Wiederabdruck in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 161-196. 22 Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse. 3. Folge, Bd. 168, Göttingen, 1987, S. 9-48; Wiederabdruck in: Verfassungsrechtiche Perspektiven, S. 260-296. 23 Festschrift für Karl H. Neumayer zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 1985, S. 281-298: Wiederabdruck in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 146-160.
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erforderte 24 . Und weiter: Mit „Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats"25 stellte sich Hasso Hofmann der vorhin schon in anderem Zusammenhang angetönten Problematik, die im Zeichen dessen, was man Globalisierung zu nennen pflegt, immer größeres Gewicht bekommt. Hier herrscht bei unserem Autor bis hinein in die Gewaltenteilungsdoktrin vorsichtige Zurückhaltung. Aber am Ende steht als Problemanzeige und Postulat zugleich die institutionelle Trennung von Recht und Religion (S. 31), das, was man als Errungenschaft des Okzidents die christliche Gewaltenteilung nennen kann. Auf diesem Felde wird noch viel Arbeit zu leisten sein, denn „Trennung" ist natürlich alles andere als eine Zauberformel, die die realen Probleme zum Verschwinden bringt. Was die Dimension der Rechts- und Staatsphilosophie im Schaffen von Hasso Hofmann anlangt, so kommt dieser Geburtstag zwar nicht für den Autor, aber für den Beobachter und Interessenten in gewisser Weise zu früh. Das Manuskript einer „Einführung" ist abgeschlossen, aber nach der Ankündigung des Verlages wird das Buch voraussichtlich erst im ersten Quartal des Jahres 2000 erscheinen. Es wäre natürlich für mich bequem gewesen, von dieser „summa" auszugehen. Indes: schon das bisherige œuvre enthält zahlreiche Bausteine und Elemente, die man in der Gesamtarchitektur aller Voraussicht nach wiederfinden wird. Und so kann uns schon die Werkgeschichte Maßgebliches lehren. Von allem Anfang an war Hasso Hofmanns Denken und Schreiben philosophisch im allgemeinen, rechts- und staatsphilosophisch im besonderen fermentiert. Dafür sind bereits die Dissertation und die Habilitationsschrift markante Zeugnisse.
24 Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1987, S. 259-319; Wiederabdruck in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 197-259.
25 Der Staat 34 (1995) S. 1-32.
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Zum ersten Mal in spezifischer Weise tritt dieses Element in der reich dokumentierten Studie „Legitimität und Rechtsgelt u n g " 2 6 in Erscheinung. Eine kritische Sichtung rechts- und staatsphilosophischer Theoreme und die Erkenntnis der Grenzen von deren Leistungskraft verhilft hier dazu, die konstruktive Rolle einer materialen Verfassungstheorie für die Lösung der Legitimitäts- und Geltungsprobleme zu erweisen. Das Generalthema unseres Symposiums ist angeschlagen: „Philosophie des Rechts als Verfassungstheorie". Weitere Schritte folgten. 1989/90 hatte unser Jubilar Gelegenheit, das Grundmodell einer „prinzipienorientierten Rechtsphilosophie" zu entwerfen 27 . Bei aller Würdigung der spezifischen Leistungen positivistischer, analytischer oder systemtheoretischer Ansätze beharrt er im Blick auf die Orientierungsaufgabe einer praktischen Philosophie zu Recht darauf, die mit den Schlüsselbegriffen Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Sicherheit, aber eben auch Volkssouveränität und Gewaltenteilung angezielten Lebensprobleme oder Ur-Erfahrungen zu diskutieren, und das nicht in der dünnen Luft von Prinzipien der reinen Vernunft, sondern im Kontakt mit den - wenn man so sagen kann - Inkarnationen dieser Schlüsselbegriffe in normativen Aussagen. In diesem Zusammenhang fällt übrigens eine höchst charakteristische Äußerung: „Bloß affirmativ und konservativ ist eine mit bestimmten, in gewissen Ländern tatsächlich geltenden Verfassungsprinzipien verknüpfte Rechtsphilosophie nicht notwendigerweise. Sie muß nur das Bewußtsein der Unabgeschlossenenheit des optimierenden Ausgleichs jener Rechtsgrundsätze wachhalten und ihrer eigenen philosophischen Wurzeln eingedenk bleiben. Da liegt allemal kritisches Potential" (S. 128). 26
Untertitel: Verfassungstheoretische Bemerkungen zu einem Problem der Staatslehre und der Rechtsphilosophie, Berlin 1977 (Schriften zur Rechtstheorie, 64). 27 Rechtsphilosophie, in: Orientierung durch Philosophie. Ein Lehrbuch nach Teilgebieten, hrsg. v. Peter Koslowski, Tübingen 1991, S. 118-145. 2 Dreier
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Darf ich sodann noch die Schrift „Gebot, Vertrag, Sitte" von 1993 hervorheben, Begriffe, die nach Hofmann im Sinne eines numerus clausus die Urformen der Begründung von Rechtsverbindlichkeit darstellen. Mit feinsinniger, dazu bildhaft unterstützter Interpretation, entwickelt er eine Metatheorie in bezug auf die Struktur der Auffassungen, Lehren und Theorien über die Verpflichtungskraft des Rechts. Wie wird sich das, was hier überzeugend und eindrucksvoll erarbeitet wurde, in systematischer Hinsicht darstellen, eine Frage, die sich insbesondere an die „Es-Form" im Sinne des Transpersonalen, an das auf Geschichte, Tradition und Bewährung Gegründete, mithin an die Form der „objektiven Sittlichkeit" stellt? Wenn man die Schriften Hofmanns in ihrer Abfolge Revue passieren läßt, spürt man deutlich, welche Fragen sich in den Vordergrund drängen und welche Probleme ihn umtreiben. Insoweit sind etwa aus neuester Zeit der Beitrag zur Denninger-Festgabe 28 und die Schrift „Das Recht des Rechts, das Recht der Herrschaft und die Einheit der Verfassung" 29 signifikant. Nicht von ungefähr wird hier erneut das bedrängende Problem des Spannungsfeldes von Universalität und Partikularität artikuliert. Auf der anderen Seite wird im Blick auf das Bemühen um eine rechtsethische Fundierung das soeben schon einmal apostrophierte Problem neu aufgegriffen, das abkürzend mit „Sitte" bezeichnet wird, die Frage nämlich nach Grund und Reichweite der „Existenz des tradierten lebensweltlichen Ethos, der in den alltäglichen Lebensformen längst objektivierten Sittlichkeit einer Sozietät" (S. 51) 30 . Hasso Hofmann 28 Vielfalt, Sicherheit und Solidarität statt Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit?, in: Johannes Bizer/Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Sicherheit, Vielfalt, Solidarität. Ein neues Paradigma des Verfassungsrechts? Symposium zum 65. Geburtstag Erhard Denningers am 20. Juni 1997, Baden-Baden 1998, S. 101-116. 29 Berlin 1989 (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 24). 30 Vgl. dazu auch: Recht, Moral, Ethos, in: Politik - Bildung - Religion. Hans Maier zum 65. Geburtstag, Paderborn 1996, S. 171-176.
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spricht vom „gewissermaßen sedimentären kulturellen Boden und Kontext aller normativen Produktionen". Ist es das, was eine Sozietät im Innersten zusammenhält? Aber überfällt uns nicht lähmende Skepsis in Anbetracht der Zerfallserscheinungen einer einigermaßen kohärenten Sozialmoral? Oder in anderer Richtung gefragt: Muß und darf sich die trotz unseres Systems der Freiheit immer umfassender werdende Funktion staatlicher Vorsorge gerade auch darauf beziehen, nämlich auf Kultur im allgemeinen, auf moralische Kultur und Rechtskultur im besonderen? Schließt die notwendige „Systemvorsorge" eine spezifische „Freiheitsvorsorge" ein? Das große rechtsphilosophische Werk, auf das wir alle gespannt sind, wird anregen, solche Fragen weiter zu erörtern. Es nennt sich bescheiden „Einführung". Wir sollten aber nicht vergessen, daß Hasso Hofmann uns in der Form einer besonderen Kostbarkeit eine solche Einführung in gewisser Weise schon geschenkt hat: „Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit" 31 . M i t eindrucksvollen Bildbetrachtungen und sachhaltigen Interpretationen bringt hier der Kunstfreund und Kunstkenner Hasso Hofmann Grundfragen zur Sprache, die uns Juristen nicht nur in unserer professionell-intellektuellen Existenz, sondern auch in unserer emotional-moralischen Existenz in besonderer Weise aufgetragen sind. Wenn er dabei ich wandle eine Formel meines Lehrers Erik Wolf ab 3 2 - „vom Wesen des Rechts in der bildenden Kunst" handelt, so ist das übrigens nur die eine Seite der Medaille. Mit gleicher Kompetenz vermag er im Blick auf zentrale Sachprobleme auch Dichtung zu erschließen, wie wir es uns anhand einer erhellenden Kleist-Studie 33 vergegenwärtigen können.
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Untertitel: Drei anschauliche Kapitel der Staatsphilosophie, München
1997. 32
Vom Wesen des Rechts in deutscher Dichtung, Frankfurt a.M. 1946. Individuum und allgemeines Gesetz. Zur Dialektik in Kleists „Penthesilea" und „Prinz von Homburg", in: Kleist-Jahrbuch 1987, S. 137-163; Wiederabdruck in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 296-322. 33
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III. Was ich Ihnen vorgetragen habe, konnten nur Streiflichter sein. Man kann die Auswahl der Perspektiven und Schwerpunkte kontrovers diskutieren. Ja, ich hätte wohl auch Hasso Hofmann als Autor auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts 34 oder, natürlich ganz signifikant, als Mit-Kommentator des Bundesimmissionsschutzgesetzes35 zur Sprache bringen sollen. Das mir von Horst Dreier vermittelte Schriftenverzeichnis läßt auch eine spezielle Beziehung zum Patentrecht erkennen 36 . Eine Lücke habe ich allerdings ganz bewußt gelassen: In der Konzentration auf das wissenschaftliche Werk blieb „außen vor" - eine mittlerweile schon fast salonfähige Formulierung das wissenschaftsorganisatorische und wissenschaftspolitische Engagement von Hasso Hofmann für die Humboldt-Universität und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Das bedürfte einer speziellen Laudatio aus berufeneren Mündern. Einen Satz dazu will ich mir aber doch erlauben: Hasso Hofmann hat sich insofern nicht nur als Verfassungspatriot, sondern als veritabler Patriot im vollen Wortsinne erwiesen.
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Vgl. dazu schon oben Anm. 13. Siehe ferner: Der Einfluß der Großtechnik auf Verwaltungs- und Prozeßrecht, in: Umwelt- und Planungsrecht 1984, S. 73-84; Das Widerspruchsverfahren, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Festschrift für Christian-Friedrich Menger, Köln 1985, S. 605-619. 35 Gemeinschaftskommentar zum Bundesimmissionsschutzgesetz, hrsg. v. Hans-Joachim Koch u. Dieter H. Scheuing, Düsseldorf 1994; darin Kommentierung von § 11 (Einwendungen Dritter bei Teilgenehmigung und Vorbescheid), § 8 (Teilgenehmigung), 1. Erg.-Lieferung 1995; § 9 (Vorbescheid), ebd. § 13 (Genehmigung und andere behördliche Entscheidungen), 2. Erg.Lieferung 1996 . 36 Wege zum Europäischen Patent- und Markenamt, in: Mitteilungen der Deutschen Patentanwälte (1980), S. 2-6. In dieser Zeitschrift sind auch Aufsätze wie „Grundpflichten oder: Die vergessene Kehrseite der Medaille" (1983, S. 1-4) und „Parlamentarische Repräsentation in der parteienstaatlichen Demokratie" (1985, S. 110-115) erschienen.
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Lassen Sie mich nach dieser kleinen Zwischenbemerkung meine Linie noch einmal aufgreifen: In der Spannung zwischen „Furcht und Zittern" und der „Einfältigkeit des Herzens" will ich am Ende den kühnen Versuch einer zusammenfassenden Charakterisierung machen. Was zunächst die Art und Weise angeht, wie Hasso Hofmann seine Berufung als Wissenschaftler erfüllt, so fällt es einigermaßen leicht zu sagen, was er nicht ist und wie er nicht auftritt, wobei ich um Nachsicht bitte, wenn ich die Gegenbilder vielleicht etwas überzeichne oder gar karikiere: -
Er umgibt sich nicht mit der Aura des besserwisserisch belehrenden und von Missionseifer erfüllten „praeceptor Germaniae".
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Er ist auch nicht der originalitätssüchtige rerum novarum cupidus, der immerzu mit neuen Ideen oder methodischen Konzepten den Diskurs bestimmen und vorantreiben möchte.
- Er ist auch nicht - ich formuliere in Anlehnung an den Spitznamen, den man einem früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gegeben hat - das „Cleverle", das behend und emsig, leichtfüßig und vielredend oder vielschreibend aller Orten im juristischen Terrain präsent ist. - Er ist schließlich nicht das Sprachrohr einer bestimmten Schule oder Tendenz und versagt sich allen ideologischen Verkürzungen. Aber was ist er dann? Er ist der gediegene, sorgsam prüfende und argumentierende, mit dem Geist von Fairneß und Toleranz gesegnete wissenschaftliche Autor, ohne alles Blendwerk der Wahrheitssuche und der Orientierung im Grundsätzlichen verpflichtet. Wir alle schätzen an ihm seine Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, seine Hellhörigkeit und Feinnervigkeit und freuen uns an der gebändigten Leidenschaft, die ihn zu so erstaunlicher Produktivität befähigt. Er ist ein Gelehrter im wahrsten Sinne des Wortes.
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Alexander H o l l e r b a c h
Indes - lassen sich auch für das Werk sachhaltige Aussagen treffen, die es zusammenfassend charakterisieren und sein proprium ins Wort bringen? Etikettenhafte Kurzformeln haben immer etwas Prekäres. Aber mir hat sich im Zuge der „relecture" doch - im Sinne einer Annäherung oder, wenn Sie so wollen, ad experimentum - die Formel „integrative Jurisprudenz" aufgedrängt. Sie ist zunächst schlicht der Lebensganzheit des Rechts verpflichtete kontextuelle Jurisprudenz, die sich ohne normativistische Engführung aus ihren Bezügen zur differenzierten Lebenswelt als geschichtlich gewordener und nur so verstehbarer nicht herauslöst und sich demgemäß als theologisch informierte, philosophisch informierte, historisch, soziologisch, ökonomisch, ökologisch usw. informierte Jurisprudenz präsentiert, aber eben nicht äußerlich-additiv oder formal-interdisziplinär, sondern mit dem Ziel, in einem fortwährenden Dialog, oder um eine uns Juristen vertraute Formel zu gebrauchen, in der Weise des Hin- und Herwanderns des Blicks die vielfältigen Aspekte, Faktoren, Dimensionen und Horizonte zusammenzuführen und so sachhaltige juridische Aussagen zu ermöglichen und den Sinn von Normen und normativen Prinzipien in ihrer spezifischen Eigenart zu verstehen. Das alles steht gegen geschichts- und theorielose oberflächliche Pragmatik. Integrative Jurisprudenz: das hat mit der staats- und verfassungstheoretischen Konzeption der Integrationslehre nichts zu tun. Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, daß solche „Methode" (wenn man es überhaupt so nennen kann), oder sagen wir besser: eine solche Intention das Methodologische weit überschreitet und mehr als anderes geeignet ist, Integration als einen Prozeß der Einung und Einigung, der Kompromiß- und Konsensbildung, der Uberwindung des FreundFeind-Schemas, der synergetischen Kooperation zumindest im Bereich der Wissenschaften gute Dienste zu leisten. Insofern ist Hasso Hofmann übrigens das Musterbild des Akademikers im Sinne des Mitglieds einer Akademie der Wissenschaften.
Laudatio auf Hasso H o f m a n n
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Wie immer dem auch sei: an diesem Tag der Zwischenbilanz - und ich betone den ersten Bestandteil dieses Wortes - bleiben den Schülern, Freunden, Mitstreitern und Sympathisanten Bewunderung und Dankbarkeit, bleiben die Hoffnung und der Wunsch, immer wieder neu von Hasso Hofmann lernen zu dürfen und von ihm in den großen und kleinen Fragen unseres Faches Lichter aufgesetzt zu bekommen. Ganz am Ende dürfen alle guten Wünsche auch Ihnen, liebe Frau Hofmann, zugesprochen werden. Unsere Bewunderung und Dankbarkeit gilt auch Ihnen. Ihr Mann hat mir den letzten Satz, den ich sagen möchte, vorgegeben: „Man kann nicht über einen Wissenschaftler sprechen, ohne an die Frau an seiner Seite zu denken: den ersten und letztlich wichtigsten Gesprächspartner" 37 .
37
So in seinem Beitrag zum Denninger-Symposion, s.o. Anm. 28, S. 113.
Vorüberlegungen zu einer Theorie der Rechtsphilosophie Von Gerd Roellecke „Warum jener fast verzweifelte, beschwörende, mythologische Rückgriff auf Naturrecht, oder Vernunftrecht, oder Wertrecht?", fragt Niklas Luhmann 1 die Rechtsphilosophen. „Diese Begründungsambition langt ins Irrtumsfreie oder ins Transzendentale - um was zu erreichen? Vielleicht darf man vermuten, daß es darum geht, eine Art inneres Verpflichtetsein auf das Recht zu erzeugen und zu begründen. Eigentlich hat man aber bereits im 18. Jahrhundert gesehen, daß dies unmöglich i s t . . . Es gibt keine Möglichkeit, bei einem anderen ein inneres Verpflichtetsein zu erzeugen, weder im Verhältnis von Mensch zu Mensch noch im Verhältnis der Sozialordnung zum Einzelmenschen". Man kann schlecht bestreiten, daß Luhmann richtig vermutet. Die legitimatorischen Grundbegriffe der Rechtsphilosophie zielen darauf ab, die Menschen innerlich auf das Recht festzulegen. Deshalb die Berufung auf eine Vernunft, die jeden für unvernünftig erklärt, der anders denkt, 2 deshalb die Bemühungen um Konsens3 und die Versuche, das positive Recht an der Moral zu orientieren. 4 Moral gilt der einzelnen Person und scheint ihr Denken zu bestimmen. Ebensowenig ist zu bestrei1 Niklas Luhmann, Positivität als Selbstbestimmtheit des Rechts, Rechtstheorie 19 (1988) S. 11-27 (27). 2 Zum Phänomen des Diskursverweigerers Walter Reese-Scbäfer, Grenzgötter der Moral, Frankfurt a.M. 1997, S. 80ff. 3 Vgl. Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt a.M. 1992, bes. S. 138; dazu Niklas Luhmanny Quod omnes tangit ... Anmerkungen zur Rechtstheorie von Jürgen Habermas, Rechtshistorisches Journal 12 (1993) S. 36-56.
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Gerd Roellecke
ten, daß Gedanken in einem unangenehm empirischen Sinne frei sind. Niemand kann das Innere eines anderen Menschen erreichen. Wir sind und bleiben einander, ja, uns selbst fremd. Das gilt auch theoretisch. Seit der Entdeckung des sola-fidePrinzips, also seit der Einsicht, daß jeder Mensch unmittelbar zu Gott ist, seitdem können Verallgemeinerungspostulate vom Typ „kategorischer Imperativ" nur ideologisch sein.5 Das hat schon Hegel 6 gesehen: „und es gibt gar nichts, was nicht auf diese Weise zu einem sittlichen Gesetz gemacht werden könnte". Daß die Rechtsphilosophie im Widerspruch zu sich selbst versucht, das Innere des Menschen zu erreichen, kann man auch philosophiegeschichtlich festmachen. Warum wird Hegels Kritik der Fundamente der Kantischen Philosophie bis heute nicht ernst genommen? Oder konkreter: Wie kann sich Jürgen Habermas 7 auf Kant stützen und gleichzeitig erklären, Hegels Einwände gegen Kant träfen die Diskursethik nicht 8 ? Auf Luhmanns Frage nach einer Begründung für die rechtsphilosophische Weise der Begründung des Rechtes kann man sich freilich auf die Notwendigkeit berufen, Entscheidungen zu begründen, und mit Hasso Hofmann 9 erklären: Ideologie sei 4 Zum Beispiel bei Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, Freiburg i.Br./München 1992, S. 64ff. 5 Gleichsinnig Hasso Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: ders., Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980-1994, Tübingen 1994, S. 260-296, 289. 6 Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften, in: G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Band 2, Frankfurt a.M. 1970, S. 434, 461. 7 Habermas, Faktizität und Geltung (Fn. 3), S. 9. 8 Jürgen Habermas, Moralität und Sittlichkeit. Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu? in: Wolfgang Kuhlmann (Hrsg.), Moralität und Sittlichkeit. Das Problem Hegels und die Diskursethik, Frankfurt a.M. 1984, S. 16-37 (31). 9 Hasso Hofmann, Rechtsphilosophie, in: Peter Koslowski (Hrsg.), Orientierung durch Philosophie, Tübingen 1991 (Uni-Taschenbücher 1608), S. 118145 (142).
Vorüberlegungen zu einer Theorie der Rechtsphilosophie
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besser als gar keine Rechtfertigung, weil sie wenigstens zur Diskussion nötige; und überhaupt, wo sei die Alternative? Die kann Luhmann allerdings nicht bieten, weil er kein Philosoph ist. Er will nicht den Leuten sagen, was sie tun und was sie lassen sollen, er will nur die Leute beobachten, die dergleichen sagen. Er beobachtet die Rechtsphilosophie von außen als jemand, der am rechtsphilosophischen Diskurs nicht teilnimmt. Von außen nimmt er einen Widerspruch wahr, den man von innen nicht sieht. Für den Rechtsphilosophen ist selbstverständlich, daß seine Philosophie nicht überreden, sondern überzeugen, also ein inneres Verpflichtetsein erzeugen soll. Als bloße Fabrik für Denkanstöße würde die Rechtsphilosophie den Entscheider ebenso allein lassen wie die analytische Philosophie. Insofern ist die systemtheoretische Kritik rechtsphilosophisch erheblich, obwohl sie keine Rechtsphilosophie ist. Sie berührt den Allgemeinheitsanspruch der Rechtsphilosophie. In Hasso Hofmanns Beitrag „Rechtsphilosophie" spürt man den Stachel besonders deutlich, gerade weil Hofmann alle Konsequenzen aus der inzwischen allgemein anerkannten Tatsache zieht, daß das heutige Recht nicht mehr mit Religion oder Natur gerechtfertigt werden kann. Aber er will die Frage, „was hier und jetzt ,recht 4 ist [...] mit den Mitteln der praktischen Vernunft" beantworten. 10 Das Problem ist jedoch, ob die Bezugnahme auf eine Vernunft mit anderen rechtsphilosophischen Grundannahmen vereinbar ist. Das ist ein Problem der rechtsphilosophischen Dogmatik. Ihm ist zuerst nachzugehen. Dann wird sich zeigen, daß die Rechtsphilosophie nicht weiter reicht als als das Recht überhaupt. Ihr Gegenstand kann nur das äußere Verhalten der Menschen sein. Wenn das so ist, drängt sich die weitere Frage auf, warum die Rechtsphilosophie nicht bei diesem Leisten bleibt und trotzdem versucht, ihre Thesen in das Innere des Menschen zu pflanzen. Das ist das Problem einer Theorie der Rechtsphilosophie.
10 Hofmann,
Rechtsphilosophie (Fn. 9), S. 140, 142.
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Gerd Roellecke
Aber warum „Theorie der Rechtsphilosophie"? Genügt nicht Rechtsphilosophie oder wenigstens Rechtstheorie? Rechtsphilosophie genügt nicht, weil es um ihre Voraussetzungen geht. Es könnte sein, daß sie tatsächlich ein Bild des Rechtes entwerfen muß, das zum Beispiel einer Erkenntniskritik nicht standhält. Das könnte die Rechtsphilosophie selbst nicht sagen. Rechtstheorie genügt nicht, weil sie das Recht als gegeben voraussetzt und nicht nach der Möglichkeit fragt, daß das Recht nicht oder anders sein könnte. Rechtsgeschichte ist das Musterbeispiel für Rechtstheorie. 11 Insofern setzt Rechtstheorie auch Rechtsphilosophie voraus. Was die Rechtsphilosophie nicht sagen kann, kann aber möglicherweise ein Zuschauer - griechisch: theoros - sehen, erklären und zu Regeln verdichten. Eine Theorie der Rechtsphilosophie bedeutet daher einmal, das, was die Rechtsphilosophie tut, zu beobachten und zu beschreiben, und zum anderen, die Beobachtungen zu erklärenden Regeln, zu einer Theorie, zusammenzufassen.
I. Rechtsphilosophische Dogmatik 1. Die Unerreichbarkeit
des Individuums
Dogmatisch ist allerdings an die Unterscheidung zwischen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie anzuknüpfen. Die Rechtstheorie ist für die Rechtsphilosophie ein Problem, weil sie sie mit der Geschichtlichkeit und überhaupt der Relativität des geltenden Rechtes konfrontiert. Hasso Hofmann versucht, damit fertig zu werden, indem er zwei Rechtsbegriffe unterscheidet, den positivistischen, der das Recht vom Nichtrecht abzugrenzen sucht, also von Religion, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, und den normativen, der nach der Richtigkeit des Rechtes fragt, also den klassischen Gegenstand der Rechtsphilosophie betrifft. Der Unterschied liegt nicht in der Sache, 11
So treffend Hofmann,
Rechtsphilosophie (Fn. 9), S. 137.
Vorüberlegungen zu einer Theorie der Rechtsphilosophie
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sondern im Standpunkt des Beobachters. Der positivistische Rechtsbegriff spiegelt die Position dessen wider, der das Recht von außen als Nichtbetroffener beobachtet, der normative Rechtsbegriff die Position dessen, der als Betroffener beobachtet, der also unter dem Druck des Rechtes zwischen Recht und Unrecht unterscheiden und mit den Konsequenzen seiner Entscheidung leben muß. 1 2 Da der Unterschied nur im Standpunkt liegt, kann der außenstehende Beobachter die gleichen Gegenstände sehen wie der betroffene Beobachter, etwa das Gerechtigkeitsproblem, freilich nur so, wie der betroffene Beobachter damit umgeht. Denn weil der außenstehende Beobachter nicht entscheiden muß, stellt sich die Gerechtigkeitsfrage für ihn nicht. Dafür sieht er mehr als der betroffene Beobachter, zum Beispiel Religion, Politik und so weiter. Sonst könnte er nicht zwischen diesen Lebensbereichen auf der einen und dem Recht auf der anderen Seite unterscheiden. Der betroffene Beobachter dagegen sieht nichts als: Recht oder Unrecht? Alle anderen Gegenstände erblickt er durch die Brille von Rechtsnormen. Religion sieht er als Religionsfreiheit, Politik als demokratischen Rechtsstaat, Wirtschaft als Eigentumsgarantie und Moral als nicht gesetzt es Recht. Rechtsphilosophisch bedeutet die Unterschiedlichkeit der Standpunkte, daß Recht für den außenstehenden Beobachter als etwas anderes erscheint als für den betroffenen. Für den betroffenen Beobachter gilt es in vereinfachter Form, gleichsam ohne Wenn und Aber, als reines Recht. Wenn Kant 1 3 verlangt, ein Gesetz sei aus Pflicht, also allein aus Achtung vor dem Gesetz zu befolgen, dann schließt er alle anderen Beweggründe aus und reduziert das Recht auf das Recht. Hegel 1 4 tut das Gleiche, wenn er sagt, die Rechtsphilosophie müsse den Begriff des Rechtes als gegeben aufneh12 Näher Gerd Roellecke, Was eint die Einheit des Staates?, in: Depenheuer/Heintzen/Jestaedt/Axer (Hrsg.), Die Einheit des Staates, Heidelberg 1998, S. 39-50 (45 ff.). 13 Kritik der praktischen Vernunft, A 143 ff. und durchgehend, in: Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, hrsgg. von Wilhelm Weischedel. Band IV, Darmstadt 1956, S. 202.
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G e r d Roellecke
men; Gegenstand der Rechtsphilosophie sei das geltende Recht. Damit ist alles ausgeklammert, was nicht Recht ist, Religion, Politik, Wirtschaft und so weiter. Es ist, als ob Hegel vor allem anderen die Augen verschlösse. Nur begründet er seine Ausschließung des Nichtrechtes genau entgegengesetzt zu Kant. Er leitet das Recht nicht ab, er setzt es voraus. Für Kant folgt das Gesetz aus der Freiheit, für Hegel folgt die Freiheit aus dem Gesetz. Damit erledigt sich das Problem des Verhältnisses von Recht und Moral. Im Recht kann es gerade dann keine Moral geben, wenn man den normativen Rechtsbegriff zugrunde legt und vom Standpunkt des betroffenen Beobachters aus nach der Richtigkeit des Rechtes, also nach der Richtigkeit der Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht fragt. Diese Frage kann nur das Recht beantworten, nichts sonst. Der betroffene Beobachter will eine rechtliche Entscheidung haben, keine religiöse oder moralische. Er will wissen, ob er rechtmäßig oder unrechtmäßig gehandelt hat, nicht, ob er ein guter oder ein schlechter Mensch ist. Mit Moral käme man im Recht auch nicht zurande. Man denke nur an das Tötungsverbot. Weil alle Menschen die gleiche Würde haben, muß die Moral die Tötung eines Menschen schlechthin verbieten. Das Recht läßt Tötungen zu, etwa in Notwehr oder im Kriege. Man muß sich auch wundern, wenn manche Rechtsphilosophen, die das Recht mit Moral rechtfertigen wollen, anzunehmen scheinen, die Moral habe keine Begründungsschwierigkeiten. Wenn man sich in die moralphilosophische Diskussion vertieft 15 , kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als habe die Berufung auf die Moral im rechtsphilosophischen Diskurs nur den Sinn, die Schwierigkeiten mit der Rechtfertigung des Rechtes bei den Begründungsschwierigkeiten der Moral abzuladen.
14
Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Rechtsphilosophie, § 2, Werke Band 7, S. 30; vgl. auch die Beschreibung des positiven Rechtes in § 3, S. 34. 15 Guter Überblick bei Reese-Schäfer, Grenzgötter der Moral (Fn. 2).
Vorüberlegungen zu einer Theorie der Rechtsphilosophie
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Das heutige Recht beantwortet die Richtigkeitsfrage denn auch immanent mit dem bekannten Stufenbau der Rechtsordnung. Ein Rechtsakt ist richtig, wenn er einer Verordnung, eine Verordnung, wenn sie einem Gesetz, und ein Gesetz, wenn es der Verfassung entspricht. Die Verfassung muß sich selbst rechtfertigen. Dem Grundgesetz ist das glänzend gelungen. Erst hat es das Bundesverfassungsgericht eingerichtet. Die Staatsrechtswissenschaft hat das Gericht zur „Krönung des Rechtsstaates" ausgerufen. Kaum inthronisiert, hat das Bundesverfassungsgericht die Staatsrechtswissenschaft entthront 1 6 und die Grundrechte zu einer „objektiven Wertordnung" 1 7 oder zu „verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts" 18 erklärt. Jürgen Habermas hat mit „Faktizität und Geltung" das Staatsorganisationsrecht der Bundesrepublik in den Rang einer philosophischen Wahrheit erhoben 19 und das Bundesverfassungsgericht in den Rang einer philosophischen Autorität. Winfried Brugger 20 hat Liberalismus, Pluralismus und Kommunitarismus so aufbereitet, daß sie zum Grundgesetz passen. Hasso Hofmann 2 1 liegt nicht auf der Habermas'schen, sondern auf der Hegeischen Linie, wenn er Rechtsphilosophie zur „Fortsetzung des Geschäftes der Rechtsdogmatik mit den Mitteln der praktischen Vernunft" erklärt. Rechtsphilosophie ist 16
Bernhard Schlink, Die Entthronung der Staatsrechtswissenschaft durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, Staat 28 (1989) S. 161-172. 17 BVerfGE 7, 198 (205) - Lüth. 18 BVerfGE 89, 214 (229) - Bürgschaftsverträge; 90, 1 (11) - „Wahrheit für Deutschland"; näher Gerd Roellecke, Verfassungsauslegung als Darstellung von Normativität, in: Stefan Smid/Norbert Fehl (Hrsg.), Recht und Pluralismus. Hans-Martin Pawlowski zum 65. Geburtstag, Berlin 1997, S. 137-158 (156). 19 Vgl. Bernhard Schlink, Abenddämmerung oder Morgendämmerung? Zu Jürgen Habermas' Diskurstheorie des demokratischen Rechtsstaates, Rechtshistorisches Journal 12 (1993) S. 57-69. 20 Winfried Brugger, Liberalismus, Pluralismus, Kommunitarismus. Studien zur Legitimation des Grundgesetzes, Baden-Baden 1999, S. 19. 1Hofmann, Rechtsphilosophie (Fn. 9), S. 142.
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Bearbeitung des geltenden Rechtes. Das geltende Recht ist letztlich zufällig, „Recht aus Recht". 22 Gerade deshalb kann und muß es philosophisch kritisiert und begriffen, „in Gedanken erfaßt" werden, wie Hegel sagt. Wenn man Recht nicht mit Religion oder Natur begründen kann, gibt es auch keine andere Möglichkeit. Das einzige, das stört, ist die Vernunft. Jede Berufung auf die Vernunft muß sich die Frage nach deren Objektivität und Sinn gefallen lassen. Vernunft hat einen Doppelsinn. Man kann von einem Menschen sagen, er sei vernünftig. Dann meint man das subjektive Erkenntnisvermögen, das Begreifen, etwas Ahnliches wie Intelligenz. Man kann aber auch von einem Gegenstand sagen, er sei vernünftig. Dann meint man einen objektiven, widerspruchsfreien Sachzusammenhang, ein Prinzip, einen geordneten Komplex. Beide Bedeutungen müssten so deutlich auseinandergehalten werden wie der positivistische und der normative Rechtsbegriff. Der objektive Sachzusammenhang ist der Standpunkt des außenstehenden, das subjektive Erkenntnisvermögen der des betroffenen Beobachters. Wie im Falle des Rechtes lassen sich auch im Falle der Erkenntnis beide Standpunkte nicht ineinander überführen. Das Ergebnis ist Konstruktivismus. 23 Schon Kant hat aber beide Begriffe nicht auseinander gehalten. Der Satz: „Vernunft [ist] das Vermögen, welches die Prinzipien der Erkenntnis a priori an die Hand gibt", 2 4 war der Versuch, dem Einzelnen etwas Allgemeines zu unterlegen und in ihm einen inneres Verpflichtetsein zu erzeugen. Derartiges
22
Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, das Recht der Herrschaft und die Einheit der Verfassung, Berlin 1998, S. 40, 49. 23 Vgl. Ernst von Glasersfeld, Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, in: Einführung in den Konstruktivismus, Veröffentlichungen der Carl Friedrich von Siemens Stiftung Band 5, 4. Aufl. München 1998, S. 9-39; Paul Watzlawick, Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn. Täuschung. Verstehen, München 1976. 24 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β 25, Werke Band II, S. 62.
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war aber seit der Entdeckung des Individuums in der Reformation tatsächlich nicht mehr möglich und ist heute durch die Existenzphilosophie vollends ausgeschlossen. Daß es auch nicht notwendig war, hat Hegel 2 5 gezeigt. Er hat den konstruktivistischen Ansatz vorweg genommen. Hegel knüpft bewußt an das Erkenntnisvermögen an. Für ihn ist Vernunft individuelles Selbstbewußtsein. Interindividuelle Verbindlichkeit nennt er „Geist". Darunter fällt auch der Rechtszustand. Natürlich entwickelt sich der Geist aus der Vernunft. Aber Geist ist nicht mehr das Bewußtsein, das sich auf sich selbst bezieht, sondern das ganz andere Bewußtsein, das sich der Welt, der Allgemeinheit bewußt ist. Daß es als Recht öffentlich anerkannt ist, gehört zum Wesen des Rechtes.26 Mit dem öffentlichen Anerkanntsein verliert das Recht jedoch die Wirklichkeit des Selbst. Im Recht entwickelt sich das individuelle Selbst zwar zur Person. Aber die Person ist das entfremdete Selbst. Wie man sich Entfremdung vorzustellen hat, hat Albert Camus in „Der Fremde" bewegend erzählt. Eine genauere Analyse des klassischen Vernunftbegriffes zeigt jedenfalls, daß Vernunft das Recht nicht rechtfertigt, weder als theoretische noch als praktische. Der Begriff täuscht nur über die Differenz zwischen außenstehendem und betroffenem Beobachter hinweg. Dogmatisch, also vom Standpunkt des betroffenen Beobachters aus, darf die Rechtsphilosophie deshalb nicht darauf abzielen, in den Menschen ein inneres Verpflichtetsein zu erzeugen. Ein solcher Versuch läuft darauf hinaus, dem betroffenen Beobachter vorzuschreiben, was er zu beobachten hat, und das geht nicht. Beobachten muß jeder für sich allein. Wie dem Recht überhaupt kann es auch der Rechtsphilosophie ausschließlich 25
Georg Friedneb Wilhelm Hegel, Phänomenologie des Geistes V, Werke Band 3, S. 178 ff. 26 Hegel, Phänomenologie des Geistes VI A c, Werke Band 3 (Fn. 25), S. 355 ff.; ähnlich meint Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, Reinbek bei Hamburg 1972, S. 64 ff., Erwartungen von Erwartungen, also Normen, würden erst dadurch zu Recht, daß sie auf unterstellbare Erwartungserwartungen Dritter gestützt werden könnten. 3 Dreier
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darum gehen, das äußere Verhalten des betroffenen Beobachters zu beeinflussen. Wenn der Rechtsphilosophie das Innere des Menschen verschlossen ist, ist freilich zu fragen: Wie kann sie dann noch normativ argumentieren? 2. Die Begründung rechtlicher
Entscheidungen
Die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit normativer Argumentation kann allein ein Urteil über ihre Richtigkeit sein, weil Normativität nur eine Möglichkeit beschreibt, wenn man sie auf den betroffenen Beobachter bezieht. Der betroffene Beobachter hat unendlich viele Handlungsmöglichkeiten und muß daher Gründe dafür verlangen, warum er ausgerechnet die wählen soll, die das Recht von ihm fordert. Deshalb ist jeder Rechtsakt und ist jede Rechtsnorm zu begründen. Begründung ist mithin nichts anderes als der Ausschluß von Handlungsmöglichkeiten des betroffenen Beobachters. 27 Im Ausschluß anderer Möglichkeiten gleicht Normativität der Faktizität. Der Unterschied ist nur ein gradueller. Faktizität schließt Handlungsalternativen zwingender aus als Normativität. An Fakten stößt man sich den Kopf, mit Normverstößen kann man durchkommen. Daß man doch nicht hätte durchkommen dürfen, kann dem Betroffenen eigentlich nur nachträglich gesagt werden, etwa in einer richterlichen Entscheidung. Aber mit Normverstößen ist immer zu rechnen. Normen kann man deshalb auch als einen vorweggenommenen und abstrahierten Ausschluß von Handlungsmöglichkeiten verstehen. Versteht man „Begründen" in diesem Sinne, kommt es auf das, was der Betroffene denkt, auf sein inneres Verpflichtetsein nicht mehr an. Er kann denken, was er will, und darf nur nicht tun, was das Recht ausschließt. Dieser Begründungsbegriff hat
27
158.
Zu einer Anwendung Roellecke, Verfassungsauslegung (Fn. 18), S. 137-
Vorüberlegungen z u einer Theorie der Rechtsphilosophie
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außerdem den kaum zu überschätzenden Vorteil, daß er zum Vergleich von Handlungsmöglichkeiten zwingt. Man kann nur ausschließen, was man kennt und erwogen hat. So werden optimale Problemlösungen möglich. In dem Versuch, einfach das Falsche auszuschließen, liegt auch die relative Berechtigung des Falsifikationskonzeptes des Kritischen Rationalimus. Natürlich ist es schon wegen der Dynamik oder - für die Vergangenheit - wegen der Geschichtlichkeit der Gesellschaft nicht möglich, alle ausgeschlossenen Handlungsmöglichkeiten ausdrücklich auszuschließen. Die Komplexität der Verhältnisse zwingt zu Vereinfachungen, die vor jeder Methode liegen. Deshalb reduziert das Recht zunächst alle Handlungsmöglichkeiten auf die rechtserheblichen, dann die rechtserheblichen auf Erwartungen und schließlich sich selbst auf die Entscheidungssituation, alles Reduktionen, welche die Entfremdung des einzelnen Selbst vom Recht immer weiter vergrößern. Sie erlauben es aber, den Ausschluß von Handlungsmöglichkeiten positiv zu fassen und zu sagen: Begründen ist die Darstellung der Erwartbarkeit von Entscheidungen und anderen Rechtsakten. In dieser radikalen Vereinfachung ist der Ausschluß von Handlungsmöglichkeiten durchführbar und wird er auch tatsächlich praktiziert. Der Richter begründet seine Entscheidung, indem er den Parteien erklärt, warum sie sie erwarten mußten. Erwartbar sind Entscheidungen, wenn der Betroffene sie selbst verlangt hat, wenn sie von einem öffentlich anerkannten Text, zum Beispiel einem Gesetz, geboten oder wenigstens gedeckt sind oder wenn man unterstellen kann, daß eigentlich alle die Entscheidung erwarten. 28 Diese Begründungsperspektive kann und muß auch die Rechtsphilosophie einnehmen. Da sie das Innere des Menschen nicht erreichen kann, muß sie all die Fundamentalnormen, 28 Diese Begründungsmöglichkeiten entsprechen ziemlich genau Hasso Hofmanns Ansatz für die Begründung der Verbindlichkeit des Rechtes; vgl. ders.y Gebot, Vertrag, Sitte - Die Urformen der Begründung von Rechtsverbindlichkeit, Baden-Baden 1993.
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Prinzipien und Regulative, mit denen sie die Dogmatik im engeren Sinn überzieht, nicht als innere Verpflichtung, sondern als Ausschluß von Handlungsmöglichkeiten verstehen. Nur dann kann sie auch die Verbindlichkeit positiver Gesetze mit jenen Fundamentalnormen, Prinzipien und Regulativen begründen. Sonst stellt sie lediglich die Gewissensfrage, und die ist überindividuell nicht zu beantworten. Es liegt ganz auf dieser Linie, wenn Hasso Hofmann 2 9 die Verbindlichkeit des Rechtes nicht mit irgendwelchen individuellen Pflichten, sondern mit Formen begründet, die Verbindlichkeit begründen. „Recht aus Recht" bringt diesen Gedanken auf eine knappe Formel. Wenn man die Grundsatznormen als Ausschluß von Handlungsmöglichkeiten versteht, nimmt dieser Ausschluß allerdings an der Abstraktion der Grundsatznormen teil. Ob sie auch für Probleme niedrigeren Abstraktionsgrades gelten, bleibt logisch offen. Das bedeutet, auf den unteren Entscheidungsebenen werden die ausgeschlossenen Alternativen in Form von einzelfallbezogenen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen doch wieder zugelassen. Trotzdem ist die Bezugnahme auf Grundsatznormen unerläßlich. Der generelle Ausschluß von Handlungsalternativen bedeutet nämlich, daß ihre Wiederzulassung zu einer Rechtsfrage wird, zu einer Frage, die innerhalb des Rechtes entschieden werden kann. Die Grundsatznormen saugen gleichsam alle Gegenstände, die sie berühren, in das Rechtssystem und machen sie dort bearbeitbar. So wird jene von Hasso Hofmann 3 0 treffend so bezeichnete Meta-Dogmatik möglich, ohne daß das Prinzip der Einzigartigkeit jedes Individuums verletzt wird.
29 Hofmann, Gebot, Vertrag, Sitte (Fn. 28), S. 11 ff. 30 Hofmann, Rechtsphilosophie (Fn. 9), S. 124 ff.
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II. Theorie der Rechtsphilosophie Wenn es möglich ist, die Begründung der Verbindlichkeit des Rechtes auf äußere Handlungen zu beschränken, wird die zweite Frage umso drängender. Warum versucht die Rechtsphilosophie, diese Grenze zu überschreiten? Warum bleibt sie nicht beim Leisten der äußeren Handlungen? „Meta-Dogmatik" beantwortet diese Frage nicht, weil das Wort - wirklichkeitsgerecht und vom Standpunkt des betroffenen Beobachters aus konsequent - Rechtsphilosophie negativ als den Teil des Rechtes beschreibt, der weder Entscheidungspraxis noch Bearbeitung des positiven Rechtes in der Entscheidungsperspektive für die Entscheidungspraxis ist. Diese negative Bestimmung reicht zwar völlig aus, wenn man das Recht als geschlossenes System betrachtet. Dann ist Rechtsphilosophie Arbeit am Recht im Recht. Zu dieser Arbeit gehört auch, die Grenzen des Rechtes abzutasten, freilich von innen, aus der Perspektive des Rechtes. Von der Dogmatik unterscheidet sich die Rechtsphilosophie dann durch das Fehlen der Entscheidungsperspektive. Aber „Philosophie" weist eben über das positive Recht hinaus. Es langt „ins Irrtumsfreie oder ins Transzendentale", wie Luhmann spöttelt. Deshalb kann Rechtsphilosophie nicht allein vom Recht aus beschrieben werden. Wird aber Nichtrechtliches erheblich, so läßt sich die Frage nach dem Warum der Rechtsphilosophie nur beantworten, wenn man den Standpunkt des betroffenen Beobachters verläßt, von dem aus man nur Recht sieht, und den Standpunkt des außenstehenden Beobachters einnimmt, von dem aus man weniger Recht, dafür aber auch etwas anderes sieht. Zur historischen Entwicklung nur eine Bemerkung. Wie die Säkularisierung des Alten Reiches die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht erzwungen hat, 31 so 31
Näher Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Erster Band, Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800, München 1988, S. 126 ff.
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hat die faktische Trennung von Recht und Politik am Anfang des 19. Jahrhunderts die Rechtsphilosophie gezwungen, aus den philosophischen in die juristischen Fakultäten abzuwandern. Heute kann kein Philosophenphilosoph mehr eine Rechtsphilosophie schreiben, die das heutige Recht so begreiflich macht wie die Rechtsphilosophien Kants und Hegels das Recht ihrer Zeit. Habermas' „Faktizität und Geltung" ist ein Beleg. Anders als die Juristenphilosophen sieht der Philosophenphilosoph zwar in der Regel, daß das Recht Opfer und Einschränkungen verlangt, die moralisch nicht zu rechtfertigen sind, zum Beispiel eine Relativierung des Tötungsverbotes oder des Gebotes der Gleichbehandlung. Er sieht aber nicht, daß die Amoralität der Preis für die Öffentlichkeit, Förmlichkeit und relative Allgemeinheit des Rechtes ist. Recht entfremdet eben. Brüderlichkeit und Solidarität können daher ebensowenig Rechtsbegriffe werden wie Glaube, Hoffnung und Liebe. Der außenstehende Beobachter unterscheidet schärfer zwischen dem Innen und dem Außen des Rechtes. Von außen, gesamtgesellschaftlich gesehen, hat das Recht die Aufgabe, Verhaltenserwartungen normativ, also nicht allein mit physischer Gewalt, zu stabilisieren. 32 Von innen, vom Recht aus gesehen erscheint diese Aufgabe als Verwirklichung der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit bekennt sich zur Normativität, beschränkt sich auf Erwartungen von Erwartungen und verweist die Anwendung von Gewalt in den Bereich der ultima ratio. 1. Wertewandel Die Probleme der Gerechtigkeit erkennt man vielleicht noch besser, wenn man sie in die kalte Stabilisierung von Verhaltenserwartungen übersetzt. Die Verhaltenserwartungen ändern sich, aber nicht alle und nicht gleichzeitig. Daß es einen Wertewan-
32 Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1993, S. 562.
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del gibt, bestreitet niemand. Deshalb muß das Recht nicht nur zwischen erwarteten und nicht erwarteten, es muß auch zwischen erwarteten und erwarteten, also zwischen prinzipiell berechtigten Verhaltenserwartungen unterscheiden. Das heißt, das Recht muß Unrecht als Recht darstellen können und umgekehrt. Das ist nicht Lust am Paradox, sondern eine Forderung der Gerechtigkeit und gängige Praxis. Jede Änderung von Gesetzen behandelt den ungerecht, der das Gesetz bis zu seiner Änderung für Recht gehalten hat. In extremen Einzelfällen erhält er deshalb Vertrauensschutz. Generell muß aber das, was gestern Recht war, nach der Änderung als Unrecht dargestellt werden können. Einfaches Beispiel ist die Herabsetzung von Geschwindigkeitsbeschränkungen. Aber durch Rechtsänderungen können auch erhebliche Schwierigkeiten entstehen. Eine Heidelberger Dissertation 33 hat eine staatliche Entschädigung für alle gefordert, die wegen homosexueller Unzucht bestraft worden sind, weil die inzwischen aufgehobene Strafbarkeit der Homosexualität nie gerecht, unter der Geltung des Grundgesetzes sogar verfassungswidrig gewesen sei. Diese Forderung ist deshalb besonders pikant, weil die Hohen Priester der Grundrechte in Karlsruhe den alten § 175 StGB ausdrücklich für verfassungsmäßig erklärt haben. 34 Wäre sie berechtigt, könnte der Gesetzgeber das Strafrecht nur noch verschärfen, aber nicht mehr mildern. Also hat die Dogmatik Gesichtspunkte entwikkelt, nach denen man zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungsfreien Rechtsänderungen unterscheiden kann. Dagegen ist auch nichts zu sagen. Nur erweist sich in solchen Fällen als nützlich, daß Justitia ihre Augen verbunden hat. Den Wechsel von Recht zu Unrecht und von Unrecht zu Recht als Recht darzustellen, diese Möglichkeit verschafft sich das Recht mit zwei konträren Prinzipien, mit der Universalität der Gerechtigkeit und mit der Einzelhaftigkeit der Entscheidung.
33 Jörg Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, Baden-Baden 1998, S. 342.
34 BVerfGE 6, 389.
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Mit dem Wertewandel wird die Gerechtigkeit fertig, indem sie mit dem Anspruch auftritt, immer und überall zu gelten. Dieser Universalitätsanspruch erlaubt es ihr, sich auf jeden Wertewandel einzustellen und zu allen neuen Problemen, selbst zu denen, die noch niemand kennt, zu sagen: Ich bin schon da! Der Universalitätsanspruch zwingt die Gerechtigkeit allerdings auch, sich gegenüber anderen Universalitätsansprüchen blind und taub zu stellen und andere Werte nur in der Form von Rechten an sich heran zu lassen, seien es Freiheits-, seien es politische Rechte. Der rechtsinternen Verarbeitung des Wandels der Verhaltenserwartungen genügt der Universalitätsanspruch der Gerechtigkeit jedoch nicht. Aus der Sicht des Rechtes erscheint der Wertewandel als Problem der Gleichbehandlung in der Zeit. Gleichbehandlung in der Zeit gibt es strenggenommen nicht, weil der bloße Zeitablauf alle Fälle, die sich nacheinander ereignen, ungleich macht. Niemand kann zweimal in denselben Fluß steigen. Dieses Problem löst das Recht mit der Entscheidung, von wem auch immer. Entscheidungen sind paradox, 35 Anfänge aus dem Nichts. Deshalb kann das Recht mit jeder Entscheidung gleichsam von vorn beginnen, dadurch das Paradox der Gleichbehandlung in der Zeit aufheben und insofern dem Wandel Rechnung tragen. Entscheidungen müssen indessen auch gleich behandeln, genauer, sie müssen sich in das Normgefüge einordnen. Das leistet ihre Begründung. Die Begründung soll dem Betroffenen zeigen, warum er gerade diese Entscheidung erwarten musste, indem sie sich auf vergleichbare Fälle und auf Normen des positiven Rechtes bezieht. Da die Entscheidungsbegründung zwischen Fall und Gesetz vermitteln muß und zeitlich begrenzt ist, kann sie nicht das gesamte Recht darstellen. Dadurch können im Recht Widersprüche auftreten. Solche Widersprüche auszubügeln oder von vornherein auszuschließen, ist Aufgabe der Dogmatik
35 Grundlegend Luhmann, Recht der Gesellschaft (Fn. 32), S. 307 ff.
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im engeren Sinn. Wenn man die Treppe der Abstraktionen weit genug hinauf steigt, gerät man irgendwann auf den Hochsitz der Meta-Dogmatik, von dem aus das Paradox der Gleichbehandlung in der Zeit als rechtsimmanente Antinomie von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit erscheint, 36 die aber bekanntlich nicht zu weit getrieben werden darf. Die Entscheidungsorientierung spiegelt sich auch in der Organisation des Rechtswesens wider. 3 7 Die Gerichte müssen unmittelbar zwischen Recht und Unrecht unterscheiden und deshalb ihre Entscheidungen mit dem geltenden Recht begründen. Sie sind das Zentrum des Rechtes. Der Gesetzgeber ist eher in der Peripherie angesiedelt, kann deshalb politische Probleme aus der Gesellschaft aufnehmen und durch Rechtssätze - wenn nicht lösen, so doch - mildern oder wenigstens seinen guten Willen dazu zeigen. Wegen der Randständigkeit der Gesetzgebung stellt das positive Recht an Gesetze weit geringere Begründungsansprüche als an Gerichtsentscheidungen. Die Verfassung genügt. Meta-dogmatisch müssen noch Wahlen hinzukommen, damit sich die Verfassungsphilosophie halbwegs plausibel auf das volenti non fit iniuria berufen kann. Wichtig ist, daß Rechtsdogmatik und Rechtsphilosophie nicht (mehr) in die Organisation der Entscheidungsträger eingebunden sind. Sie sind in Fakultäten, Instituten und Akademien organisiert, gehören organisatorisch also zur Wissenschaft. Rechtlich haben sie nichts zu entscheiden. Dafür stehen sie auch nicht unter Entscheidungsdruck, leiden also nicht unter den Restriktionen, die mit Entscheidungen verbunden sind. Das erlaubt ihnen, nach der Richtigkeit des positiven Rechtes zu fragen. Gerichte und Gesetzgeber können sich diese Frage nicht leisten. Sie müssen zwischen Recht und Unrecht unterscheiden. Wenn sie etwas für Recht erklären, kann es nur Nicht-Unrecht, also richtiges Recht sein. Rechtliche Entscheidungen kann man schlecht 36
Zum Beispiel bei Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, Studienausgabe, hrsgg. von Ralf Dreier und Stanley L. Paulson, Heidelberg 1999, S. 73 ff. 37 Dazu Luhmann,, Recht der Gesellschaft (Fn. 32), S. 297, 320 ff.
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mit falschem Recht begründen. „Die Entthronung der Staatsrechtswissenschaft durch die Verfassungsgerichtsbarkeit", um Bernhard Schlink wieder zu zitieren, zeigt daher einen bedauerlichen Verfall der Rechtsphilosophie an. Die rechtsphilosophische Frage nach der Richtigkeit des Rechtes zeigt vielmehr dreierlei. Erstens, Rechtsphilosophen können Rechtspraxis und Rechtsdogmatik kritisieren, weil sie nicht in die Organisation des Rechtes eingebunden sind und ihre Autorität aus dem Ansehen der Wissenschaft gewinnen. Zweitens, obwohl sie keine Entscheidungsverantwortung tragen, sind Rechtsphilosophen keine außenstehenden Beobachter. Sie gehören zum Rechtssystem, weil sie zwischen Recht und Unrecht unterscheiden. Nur ist der „Fall" der Rechtsphilosophie nicht eine konkrete Streitigkeit, sondern die Recht/ Unrecht-Unterscheidung überhaupt. Logisch geht das eigentlich nicht. Zu fragen, ob die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht Recht oder Unrecht ist, führt notwendigerweise in die Paradoxie. Aber die Rechtsphilosophie invisibilisiert die Paradoxie dadurch, daß sie drittens mit der Richtigkeitsfrage über das Recht hinausgreift und die Gerechtigkeit selbst zu begründen, also irgendwie abzuleiten versucht, 38 sich zum Beispiel auf Wille, Natur oder Vernunft beruft. Dabei bleibt sie jedoch als betroffene Beobachterin im Recht. Bei allen Werten, Wahrheiten und Abstraktionen fragt sie: Was bedeuten sie für das Recht? Was nichts für das Recht bedeutet, wie die Liebe, nimmt sie in der Regel nicht wahr, thematisiert es jedenfalls nicht. Immerhin, mit den Augen des Rechtes, das heißt, mit normativen Ansprüchen blickt sie auf die Umwelt des Rechtes und erwartet, von der Umwelt wahrgenommen zu werden. Wenn die Rechtsphilosophie nach der Richtigkeit des Rechtes fragt, geht es also nicht nur um Entscheidungskonsistenz und Gerechtigkeit im Innern, sondern auch um die normativen
38
Gelungenes Beispiel Günther Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft. Vorüberlegungen zu einer Rechtsphilosophie, 2. Aufl. Berlin 1999.
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Ansprüche des Rechtes nach außen, darum, öffentlich die Flagge der Gerechtigkeit zu zeigen. 2. Wertekonknrrenzen Normativ Flagge zu zeigen, dazu zwingen vor allem die anderen Werte. Die normative Stabilisierung von Verhaltenserwartungen hat nicht nur mit dem Wertewandel, sie hat auch mit anderen Werten zu kämpfen, mit ewiger Seligkeit, Macht, Liebe, Wahrheit, Gesundheit und Wohlstand. Beispiel ist jener Fall, in dem ein Mitglied des evangelischen Brüdervereins aus religiösen Gründen nicht darauf gedrängt hatte, beim erkrankten Ehegatten eine lebenserhaltende Bluttransfusion vornehmen zu lassen.39 Gunther Teubner 40 hat die Wertekollision einen Kampf der Götter genannt. Das ist eine gute Metapher, weil sie verdeutlicht, daß man das Problem nicht in der Un-Theorie des Pluralismus 41 verschwinden lassen darf. Anders als Parteiprogramme haben Werte keine gemeinsamen Werte, weder unter sich noch über sich. Über ihnen wölbt sich nur die Gesellschaft als Inbegriff aller Kommunikationen. Werte stehen nebeneinander, obwohl sie sich gegenseitig ausschließen. Die ewige Seligkeit erwirbt man nicht nach den Gerechtigkeitsvorstellungen des Bundesverfassungsgerichtes, auch nicht Macht, Liebe, Wahrheit oder gar Wohlstand. Andererseits können die Werte einander nicht einfach ignorieren. Die Religionsgesellschaften müssen zur Kenntnis nehmen, daß es ein Arbeitsrecht gibt, sonst gibt es sie bald nicht mehr. Die Wissenschaft muß sich darauf einstellen, daß sie Geld kostet, und die Politik 39 BVerfGE 32, 98. 40
Gunther Teubner, Altera Pars Audiatur: Das Recht in der Kollision anderer Universalitätsansprüche, in: Hans-Martin Pawlowski/Gerd Roellecke (Hrsg.), Die Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, ARSPBeiheft Nr. 65, Stuttgart 1996, S. 199-220 (200). 41 Dazu die Kritik von Hermann H uba, Zur Verfassung der Theorie des Pluralismus, Der Staat 33 (1994), S. 581-594; vgl. auch Helmut Quaritsch, Zur Entstehung der Theorie des Pluralismus, Der Staat 19 (1980), S. 29-56.
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darauf, daß sie Wohlstand nicht einfach befehlen kann. Aber es bleibt dabei, daß Werte gleichberechtigkeit nebeneinander stehen. Nur deshalb können sie wirklich kollidieren. Ihre gesamtgesellschaftliche Relevanz kann sich freilich verschieben. Die Verschiebungen kann man aber nur im Nachhinein beobachten und deshalb nicht steuern. Man kann zum Beispiel feststellen, daß die Familie in den letzten dreihundert Jahren immer mehr von wirtschaftlichen Aufgaben entlastet und zu einer Hochburg der Privatheit geworden ist. Oder daß im 16. und 17. Jahrhundert das Recht auf Kosten der Religion an gesamtgesellschaftlichem Gewicht gewonnen hat, weil die damaligen Religionskonflikte unlösbar schienen. Daraus folgt indessen nicht, daß das Recht Wertediskurse oder die Ergebnisse von Wertekollisionen in irgendeiner Weise - und sei es durch Vor- und Rückverweise - beeinflussen könnte. 42 Was Gerechtigkeit für die anderen Werte bedeutet, bestimmen allein die anderen Werte. Bei Wertekollisionen entscheidet die Gesamtgesellschaft, und die kennen wir nicht. 43 In der Regel weichen die Werte einander aus, indem sie unterscheiden, die ewige Seligkeit zum Beispiel zwischen himmlischer und irdischer Gerechtigkeit, die Wahrheit zwischen Wissenschaft und Pragmatismus, die Liebe zwischen Passion und Familie, der Wohlstand zwischen äußeren und inneren Werten, die Schönheit zwischen Kunst und Handwerk und so weiter. Die Gerechtigkeit muß jedoch mit dem Anspruch auftreten, immer und überall zu gelten, weil sie nur dann auf alle künftigen Fälle eingerichtet sein kann. Die anderen höchsten Werte wie ewige Seligkeit, Wahrheit und Liebe müssen nun die gleichen Universalitätsansprüche stellen, und zwar aus demselben Grund. Auch sie müssen alle denk- und undenkbaren Fälle erfassen. In ihren Universalitätsansprüchen treffen die Werte 42
So aber wohl Teubner, Altera Pars Audiatur (Fn. 40), S. 216. Zum Problem vor allem Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1988, bes. S. 88ff.; vgl. auch ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik Band I, Frankfurt a.M. 1980, S. 27ff. 43
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also aufeinander. Dabei hat die Gerechtigkeit keine besonders guten Karten. Liebe, Macht und Wohlstand sind beliebter. Umso wichtiger ist die Aufgabe der Rechtsphilosophie, die Normativität des Rechtes nach außen darzustellen und den Universalitätsanspruch der Gerechtigkeit gegen die anderen Werte zu vertreten. Im Kampf der Universalitätsansprüche benötigt die Rechtsphilosophie genau das, was Luhmann ihr vorwirft: ins Irrtumsfreie oder Transzendentale zu langen. N u r Irrtumsfreiheit schließt alle anderen Universalitätsansprüche aus. Das macht auch den Rückgriff auf die Moral verständlich. Moral regelt die Zuweisung oder den Entzug von Achtung und rührt deshalb an die Existenz von Personen. Sie stellt einen besonders harten Universalitätsanspruch, weil sie sich keinem bestimmten Wert zuordnen läßt. Deshalb eignet sie sich vorzüglich, ungeklärte Wertverhältnisse abzudunkeln. 44 Luhmann scheint merkwürdigerweise zu übersehen, daß Rechtsphilosophen nicht außenstehende, sondern betroffene Beobachter sind, die sich Reime auf die Ungereimtheiten des Systems machen müssen, in dem sie agieren. Zwar verstößt der rechtsmoralische Ehrgeiz der Rechtsphilosophie gegen den Grundsatz, daß jedes Individuum einmalig ist. Aber dieser Widerspruch wiegt nicht schwerer als das Paradox der Gleichbehandlung. Verarbeiten läßt er sich, weil Rechtsphilosophen nichts entscheiden müssen. Sie können freimütiger und ungezwungener reden als Gerichte und Gesetzgeber. Sie können Entscheidungen der höchsten Gerichte kritisieren, was den höchsten Gerichten unmöglich ist und den unteren Gerichten mindestens sehr schwer fällt. Aus der Aufgabe der Rechtsphilosophie, die Normativität des Rechtes nach außen darzustellen, darf man freilich nicht folgern, die Rechtsphilosophie schlösse gleichsam die Gerechtigkeit an die anderen Werte an und bewirke dadurch einen harmonischen und ausgeglichenen Gesamtzustand der Gesell-
44 Besonders auffällig im Falle der „Kapitalismuskritik"; vgl. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft (Fn. 43), S. 89 f.
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schaft. Die Außendarstellung des Rechtes ist eine rechtsinterne Maßnahme und wird von den anderen Werten als unangenehmes Geräusch empfunden, gegen das sie sich zur Wehr setzen müssen. Auch bei der Außendarstellung nimmt das Recht nur wahr, was es wahrnehmen kann, und was es wahrnimmt, sind Rechtssätze und nicht religiöse, moralische oder künstlerische Normen. 3. Ergebnis Von außen betrachtet ist Rechtsphilosophie gleichsam die Public-Relations-Abteilung des Rechtssystems. Zu entscheiden hat sie nichts. Aber sie kann nach innen zeigen, was außen ankommt, und nach außen, wie gut das Unternehmen ist. Da die Gerechtigkeit mit dem Anspruch auftritt, universal zu gelten, muß auch die Rechtsphilosophie mit Universalitätsansprüchen auftreten und „ins Irrtumsfreie oder ins Transzendentale langen". Dabei kommt es nicht auf das Ergebnis an, sondern auf die Geste.
Menschenrechte, Menschenwürde und staatliche Souveränität Von Erhard Denninger
I. Der Kosovo-Krieg Nur bangen Herzens nähere ich mich dem Jubilar, gleichermaßen auf seine bewährte Großmut und Vernunft vertrauend. Denn mein Geburtstagskorb enthält nichts Sicheres, Verläßliches, schön Abgerundetes, in der Biedermeier-Vitrine gemeindeutschen Staatsrechts Ausstellbares. Vielmehr bringt mein Körbchen ein scheinbar unentwirrbares Flechtwerk von Fragezeichen, gebettet auf eine Reihe von vielleicht höchst unvollkommen mitteilbaren, so oder anders deutbaren, jedenfalls subjektiven Beobachtungen, und geschmückt und getragen von einer vermutlich auch falsifizierbaren Hypothese. Da ich all dies jedoch in der moralisch-guten Gesinnung einer Jahrzehnte währenden freundschaftlichen Verbundenheit vorbringen möchte, darf ich hoffen, dem Kant' sehen Verdikt zu entgehen, ich produzierte „nichts als laute(n) Schein und schimmerndes Elend." 1 Zu Beginn muß der Blick auf ein Ereignis fallen, das wie kein anderes am Ende dieses Jahrhunderts das öffentliche Gewissen Europas erschüttert hat, mindestens hätte erschüttern sollen. Ich spreche vom Kosovo-Krieg. Frank Schirrmacher hat mehr als vierzig Stellungnahmen aus aller Welt zuerst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und jetzt als Buch veröffent-
1 I. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784, Siebenter Satz, a.E.
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licht. Das Bemerkenswerte an dieser Sammlung ist nicht die völlige Verschiedenartigkeit und Unvereinbarkeit der Positionen. Wenn der britische Premier Tony Blair und der deutsche Verteidigungsminister betonen, der Krieg werde um Werte wie Freiheit, Würde und Integrität der Menschen geführt, dann hält der Philosoph Robert Spaemann dagegen, den Versuchen, Werten zu angemessener Anerkennung zu verhelfen, sei prinzipiell keine Grenze gesetzt, der Interventionen wäre kein Ende. 2 Man begreift, wenn man seine Biographie vor Augen hat, daß jemand wie Louis Begley diesen Krieg als Deutschlands „gerechten Krieg" bezeichnet, in dem kein anständiger Mensch es sich erlauben könne, „untätig zuzuschauen, wie im Kosovo das Grauen regiert." 3 Auf der anderen Seite sollte man auch die Äußerung des chinesischen Philosophen Wang Wei nicht leichthin abtun, daß die allgemeinen Menschenrechte „zu einer Spielkarte im internationalen politischen Poker verkommen", wenn sie (doch nur) mit militärischen Mitteln, gewaltsam und unter Verletzung der Souveränität eines Landes durchgesetzt werden. 4 Und keineswegs nur aphoristischen, sondern grundsätzlichen Charakter trägt die Medienkritik des großen Ironikers Enzensberger, dem auffällt: „Drei amerikanische Soldaten, die in Gefangenschaft geraten sind, haben im Fernsehen und in der Presse dasselbe Gewicht wie ein oder zwei Dutzend verletzter oder getöteter Serben, und diese wiederum wiegen ein paar hunderttausend vertriebener Kosovaren auf. Das spezifische Gewicht eines Menschenlebens ist offenbar eine variable Größe." 5
2
R. Spaemann, Werte oder Menschen, in: F. Schirrmacher (Hrsg.), Der westliche Kreuzzug, 1999, S. 150ff. (154); zu Blair vgl. P. Vinlio, in: Schirrmacher, S. 103; zu Scharping, Der Stein auf unserer Seele, in: Schirrmacher, S. 134. 3 L. Begley, Das ist Deutschlands gerechter Krieg, in: Schirrmacher (Fn. 2), S. 21 Iff. (212). 4 Wang Wei, Die Nato ist schuld, in: Schirrmacher (Fn. 2), S. 201 ff. 5 H. M. Enzensberger, Ein seltsamer Krieg. Zehn Auffälligkeiten, in: Schirrmacher (Fn. 2), S. 28 f.
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Das eigentlich Beunruhigende ist nicht das Aufeinanderprallen anscheinend miteinander unversöhnlicher Auffassungen. Zu denken gibt vielmehr, daß die Äußerungen weitgehend den vorurteilsvoll gehegten eigenen - Erwartungen entsprechen, die man den Äußernden entgegenbringt. Dies deutet auf zweierlei hin: erstens, daß man selbst die Dinge wohl ebenfalls durch eine Brille betrachtet, die man gar nicht abnehmen kann, und zweitens, daß das Problem der Universalität der Menschenrechte eine Tiefendimension der kulturellen Perspektivität erreicht, die in einem rationalen Rechts-Diskurs nicht einfach auflösbar erscheint. Dies ist zu berücksichtigen, wenn man sich der institutionellen und prozeduralen Seite des Problems zuwendet.
II. Rechtfertigungsdefizite der deutschen Beteiligung Für viele ist dieser „Krieg", der ja in den Augen vieler gar keiner war - vielleicht, weil er keiner sein „durfte"? - sondern nur eine „Militäraktion", ein Ensemble von „Luftschlägen", nunmehr, nach seinem vorläufigen und teilweise sogar erfolgreichen Ende, weder ein moralisches noch ein rechtliches sondern eher ein politisch-ökonomisches und humanitäres Problem. Die Neuauflagen der Völkerrechts-Lehrbücher werden ihn vielleicht als erstes deutliches Beispiel einer militärischen „humanitären Intervention" zur Verteidigung von Menschenrechten innerhalb von Drittstaaten verzeichnen und rechtfertigen, als Beispiel dafür, daß Staaten „menschenrechtlich permeabel" werden, 6 daß die Integrität staatlicher Souveränität der Integrität universeller Menschenrechte unter Umständen weichen muß, auch wenn dies nicht auf einem Beschluß des zuständigen Organs der organisierten Völkerrechtsgemein6
Zur Kritik vgl. schon J. Isensee y Weltpolizei für Menschenrechte, in: JZ 1995, S. 42Iff. Siehe ferner P. Oestreicher, Alle haben gesündigt, in: FAZ Nr. 155 vom 8.7.1999, S. 14. 4 Dreier
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schaft, der Vereinten Nationen, zu einer Maßnahme nach Kapitel V I I der UN-Charta beruht, sondern auf dem Beschluß eines durchaus nicht angegriffenen, regionalen Selbstverteidigungsbündnisses. Trockene Juristen, zu denen ich mich zähle, sollten vielleicht die Akten zu dem „Fall Kosovo" doch so schnell nicht schließen, gerade dann nicht, wenn es ihnen mit der Wirksamkeit der Menschenrechte und ihrer Fortentwicklung ernst ist. U m möglichst rasch zum Kern des Problems zu kommen, halte ich die vorgeschalteten juristischen Stationen, über die es m. E. keinen Streit geben sollte, denkbar knapp. Zu fragen ist nach der verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit des militärischen Einsatzes deutscher Truppen im Rahmen einer gemeinsam beschlossenen N A T O - A k t i o n ohne Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat gemäß Art. 42 ff. UN-Charta und außerhalb des Bündnisfalles des Art. 5 des Nordatlantikvertrages vom 4. April 1949, also nicht zur Wahrnehmung des in Art. 51 der Charta als „naturgegeben" anerkannten Rechtes zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung. Die Frage ist, läßt man einmal jeden freischwebenden Versuch der Rechtfertigung aus menschenrechtlicher Nothilfe aus dem Spiel,7 zu verneinen. Das Grundgesetz Art. 87a I I - erlaubt den Einsatz von Streitkäften außer zur Verteidigung nur, soweit es ihn ausdrücklich zuläßt. Dies verweist uns auf die in Art. 24 I I GG ermöglichte Einordnung der Bundesrepublik „zur Wahrung des Friedens" in ein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit". Hierunter sind vor allem die Vereinten Nationen zu verstehen; das Gewaltverbot gemäß deren Charta, Art. 2 Nr. 4, bindet die Bundesrepublik. Seit dem Adria-Bosnien- und Somalia-Einsatz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 19948 sind wir auch belehrt, daß auch die NATO-Mitgliedschaft als eine Mitgliedschaft in 7 Ein solcher wurde soeben, in typischer argumentativer Verkürzung unternommen von H. Wilms , ZRP 1999, S. 227ff.; dazu näher unten.
8 BVerfGE 90, 286 ff. (344 ff.).
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einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit" mit allen Konsequenzen möglicher Beschränkungen deutscher Hoheitsrechte angesehen werden kann. Im Unterschied zum KosovoEinsatz beruhten alle damaligen Einsätze auf Resolutionen des Sicherheitsrats (S. 344). Die sich damals schon insbesondere in der Petersberg-Erklärung der Außen- und Verteidigungsminister vom 19. Juni 19929 abzeichnende Erweiterung des N A T O Bündnis-Programms über den Verteidigungsfall hinaus hat weder damals noch seither und auch nicht in der Washingtoner Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Allianz vom 24. April 1999 zu einer rechtswirksamen Änderung des ursprünglichen Vertrages geführt, zumal die neue „euro-atlantische Sicherheitsstruktur", auf der das „Neue Strategische Konzept" der N A T O aufbaut, zu tiefgreifenden Veränderungen auch im Verhältnis zu den Vereinten Nationen führen wird. Dies kann jedenfalls in Deutschland rechtens nicht ohne öffentliche Diskussion und parlamentarische Beteiligung nach Art. 59 I I GG geschehen. Von der „klassischen" Bündnisfall-Ermächtigung des Art. 5 NATO-Vertrag ist die „Intervention" im Kosovo aber nicht gedeckt. Ihr steht, bei konsequenter normativer Anwendung des Gewaltverbotes bzw. des Ermächtigungsmonopols des Sicherheitsrats hinsichtlich der Gewaltanwendung auch Art. 53 UN-Charta entgegen, demgemäß „Ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats ... Zwangsmaßnahmen aufgrund regionaler Abmachungen ... nicht ergriffen werden" dürfen, den Fall der Selbstverteidigung ausgenommen. Das vorläufige Ergebnis muß somit lauten: Die deutsche Beteiligung ist weder völkerrechtlich noch verfassungsrechtlich gerechtfertigt; sie verstößt auch gegen Art. 2 des Zwei+Vier-Vertrages mit der dort erklärten Verpflichtung, „daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Ubereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen."
9 Bulletin N r . 68 vom 23.6.1992, S. 649. 4*
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III. Humanitäre Intervention aus menschenrechtlicher Nothilfe? Soweit sollte, meint man, unter Juristen kein Streit herrschen. Aber natürlich ist die Diskussionslage anders, zumal jetzt, wen wundert's? - , da der „Bösewicht" unter dem Eindruck der Bombenschläge fürs erste einmal nachgegeben hat, und der Erfolg die Mittel zwar nicht „heiligt", aber doch in den Augen Vieler, auch vieler kurzschließender Juristen „rechtfertigt". (In Klammern: Man darf gespannt sein, ob den NATO-Zauberlehrlingen nun auch zu dem „Reinemachen" der UCK-Albaner das „ I n die Ecke, Besen! Besen! Seid's gewesen" rechtzeitig einfällt.) Auf der, - nach der staatsrechtlichen und traditionell völkervertragsrechtlichen - nunmehr zu betretenden dritten Argumentationsebene der „humanitären Intervention aus menschenrechtlicher Nothilfe" ist so gut wie alles umstritten. Eine skeptische Übereinstimmung besteht weitgehend nur über den ideologischen Charakter oder doch vielfältigen ideologischen Mißbrauch des „Mythos der humanitären Intervent i o n " 1 0 , nämlich zur rechtfertigenden Bemäntelung von ganz anderen politischen Zwecken dienenden Aggressionen. So gaben die „humanitären" Interventionen Rußlands und Englands gegen die Türkei am Vorabend der Unabhängigwerdung Griechenlands 1830 vor, „unterdrückten Christen auf dem Balkan zu helfen, und waren doch nur Mittel zu dem Zweck, den Zugriff auf die Meerengen zu erlangen." 11 Für die jüngste und jüngere Vergangenheit kommt August Pradetto, Politikwissenschaftler und Spezialist für Osteuropa- und Balkanfragen an der Universität der Bundeswehr (Hamburg), zu der Feststel10 O. Kimminich, Der Mythos der humanitären Intervention, in: AVöR, 33 (1995), S. 430 ff., zit. bei G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung (Law Enforcement) zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, 1998, S. 101, Fn. 285. 11 Isensee, Weltpolizei (Fn. 6), S. 429; ähnlich Zimmer, Rechtsdurchsetzung (Fn. 10), S. 63 ff. Dort zahlreiche weitere Beispiele und Nachweise.
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lung, bei den Interventionen der USA hätten humanitäre Beweggründe „durchgehend eine untergeordnete bis gar keine Rolle" gespielt; bei den erklärten humanitären Erwägungen habe es sich „in den allermeisten Fällen" „um durchsichtige Schutzbehauptungen für Aggressionsakte" gehandelt. 12 Pradetto ist sich mit Isensee, Hermann Weber, Zimmer 1 3 u.a. darin einig, daß auf der Basis der bisherigen historischen, politischen und völkerrechtlichen Gegebenheiten von einem internationalen Gewohnheitsrecht, das ein Recht zu einseitiger Intervention begründe, nicht gesprochen werden könne. Und ein kritischer Beobachter wie György Konräd 1 4 will auch gleich für den aktuellen Fall jeden Versuch einer ideologiefreien humanitären Rechtfertigung mit der Behauptung zunichte machen, es sei „zu erkennen gewesen, daß es in diesem Krieg nicht um Menschenrechtsfragen ging, sondern um die Auseinandersetzung zwischen zwei nationalistischen politischen Klassen und die Frage, wem die bewaffnete Souveränität auf einem strittigen Territorium des Balkan zusteht." Vernimmt man all diese Stimmen, denen noch wesentlich zurückhaltendere namhafter Völkerrechtler hinzugesellt werden könnten, 15 kann ein Versuch nur Erstaunen, ja Befremden auslösen, der aus dem Wortlaut internationaler Konventionen zum Schutze der Menschenrechte, insbesondere aus der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. 12. 1948, das unmittelbare Recht eines (sich militärisch stark genug fühlenden) Staates oder einer Staatengruppe herleiten 12 A. Pr adetto, Die NATO, humanitäre Intervention und Völkerrecht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 11/99 vom 12.3.1999, S. 26 ff. (31 f.). Zum Folgenden dort S. 34. 13 Zimmer, Rechtsdurchsetzung (Fn. 10), S. 67; Isensee, Weltpolizei (Fn. 6), S. 426; H. Weber, Rechtsverstoß, Fortentwicklung oder Neuinterpretation? in: FAZ Nr. 156 vom 9.7.1999, S. 8. 14 G. Konräd, Wenn es nicht serbisch ist, gehört es den Albanern, in: FAZ Nr. 156 vom 9.7.1999, S. 45. 15 Vgl. etwa U. Fastenrath, Intervention ohne UN-Mandat?, in: FAZ vom 22.4.1999.
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will, die in der Anti-Genocid-Konvention geforderten Sanktionen auch im Innern des Verletzer-Staates gewaltsam durchzusetzen, konkret: „Personen, die Völkermord oder eine der sonstigen in Artikel I I I [der Konvention] aufgeführten Handlungen begehen, ... zu bestrafen, gleichwohl ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind." 1 6 Angesichts dieser klaren Formulierung müsse es „verwundern, daß der gewaltsame Einsatz zur Durchsetzung humanitärer Positionen bzw. die Verhinderung von Völkermord in der Völkerrechtsdiskussion nach wie vor strittig sind." 1 7 Nein! Angesichts eines völkerrechtstheoretisch wie rechtspolitisch so naiven, ja gefährlichen Rufes nach dem Strafrichter möchte man wohl mit Erwin Chargaff entgegnen: „Gerechtigkeit ist die grausamste Gabe, die den Menschen gewährt ist." 1 8 Es sollte keiner Erläuterung bedürfen, daß dieser Konventionstext ebenso wie andere ähnliche, mit „erga-omnes"-Effekt ausgerüstete Texte, z.B. das „Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe" vom 10. 12. 1984, zwar wechselseitige Staatenverpflichtungen begründen, aber doch niemals tatbestandlich unbeschriebene und verfahrensrechtlich unabgesicherte Interventions-Ermächtigungen. Spätestens die Lektüre der Helsinki-Schlußakte vom 1. August 1975 [24. Jahrestag!] müßte uns alle Zweifel über diesen Status eines relativ fortgeschrittenen, entspannungsgesättigten euroatlantischen Völkerrechts
16 Vgl. Art. IV der Konvention vom 9.12.1948. Art. VI bestimmt freilich sogleich, daß die inkriminierten Personen vor „ein zuständiges Gericht des Staates, in dessen Gebiet die Handlung begangen worden ist, oder vor das internationale Strafgericht gestellt [werden], das für die Vertragschließenden Parteien, die seine Gerichtsbarkeit anerkannt haben, zuständig ist." Deutlicher kann der nationalstaatliche Souveränitätsvorbehalt kaum ausgedrückt werden. 17 So H. Wilms, Der Kosovo-Einsatz und das Völkerrecht, in: ZRP 1999, S. 227 ff. (229). 18 E. Chargaff\ Aufschrei des einzelnen, in: Schirrmacher (Fn. 2), S. 196 ff. (199).
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ausräumen, das übrigens für Jugoslawien ebenso wie für die Bundesrepublik gilt. Die Akte beginnt mit der gegenseitigen Versicherung der Achtung souveräner Gleichheit, territorialer Integrität, der Freiheit und politischen Unabhängigkeit jedes Teilnehmerstaates. Korb 1 Kapitel V I der Akte bekräftigt ausdrücklich das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der Teilnehmerstaaten. Sie werden sich „jeder direkten oder indirekten, individuellen oder kollektiven Einmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten enthalten, die in die innerstaatliche Zuständigkeit eines anderen Teilnehmerstaates fallen. Sie werden sich dementsprechend jeder Form der bewaffneten Intervention oder der Androhung einer solchen Intervention gegen einen anderen Teilnehmerstaat enthalten." Im folgenden Kapitel V I I werden dann die universelle Bedeutung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und das Recht der Angehörigen nationaler Minderheiten auf Gleichheit vor dem Gesetz sorgfältig bestätigt.
IV. Das Friedensexperiment dieses Jahrhunderts Die bisherige Betrachtung bewegte sich, auch hinsichtlich der Fortschritte beim Schutz der Menschenrechte, im Rahmen des großartigen, freilich immer wieder scheiternden epochalen Friedens-Experimentes dieses Jahrhunderts: der Idee des Völkerbundes oder, seit 1945, der „Vereinten Nationen". Bei Aufrechterhaltung der einzelstaatlichen Souveränität sollen durch ein generelles zwischenstaatliches Gewaltverbot bei gleichzeitiger internationaler Institutionalisierung der Verantwortung für den Weltfrieden „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges" bewahrt werden. 19 Es hat den Anschein, - und der Kosovo-Konflikt gewinnt insofern paradigmatischen Charak19
Charta der Vereinten Nationen vom 26.6.1945, Präambel.
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ter, - als müsse dieses Friedens-Experiment durch ein ähnlich universelles Menschenrechtsschutz-Experiment ergänzt werden. Dessen Grundidee reicht weit zurück; in Europa ist es seit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 tief verwurzelt und zunehmend erfolgreich. Das Neue an dem Versuch der menschenrechtlichen Rechtfertigung der Kosovo-Intervention ist also nicht eine Permeabilität der souveränen Territorialhoheit zugunsten der Verteidigung von Menschenrechten, das Neue ist auch nicht die Wahrnehmung des Einzelnen als Rechtssubjekt im Völkerrecht - denn die erfolgt z.B. auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, bis hin zur Gewährung des Armenrechts. Das Neue ist vielmehr das Verlassen des universellen Systems der institutionellen Einhegung der zwischenstaatlichen Gewaltanwendung. Das Neue ist die Berufung auf die Verteidigung der Menschenrechte, um das gewaltsame Eindringen eines (beliebigen) Staates in die Hoheitssphäre eines (beliebigen) anderen Staates zu rechtfertigen. Dieses Neue ist zugleich das Hoch-Gefährliche und Rückfällige. Die alte, schon fast überwunden geglaubte Lehre vom „gerechten Krieg" (bellum iustum) kehrt im Zeichen des Menschenrechtsschutzes wieder. Jeder Staat, der sich stark genug fühlt, wird seine Intervention als eine „humanitäre" zu rechtfertigen versuchen. Jeder angegriffene Staat wird sich gegen die in seinen Augen völkerrechtswidrige Aggression zu wehren versuchen. Auf der Strecke bleiben in jedem Falle die Unterdrückten, Gequälten, Vertriebenen, Verwundeten und Getöteten. Vor vierzig Jahren hat Ernst Jünger die Heraufkunft eines Weltstaates am Ende des Ost-West-Antagonismus der damaligen Supermächte prophezeit. Der Weltstaat ist dem titanischplanetarisch spekulierenden Schriftsteller mehr als nur ein Gebot der Vernunft oder ein ethisches Postulat, er sei vielmehr ein schlechthin „Eintretendes". „ I m Schatten, den er vorauswirft, verblassen alte Bilder, entleeren sich vertraute Sinngebungen, vor allem die des historischen Staates und seiner
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Ansprüche. Das ist der Grund, aus dem seine Kriege verdächtig werden, seine Grenzen fragwürdig. Das Eintretende sprengt seine Normen; es wirft andere Bilder und andere Begriffe voraus, auch anderes Recht." 2 0 Zu einem solchen WeltstaatsRecht paßt die Vorstellung von universell inhaltsgleichen, als gleiche erkannten und anerkannten, daher „objektiv" feststellund judizierbaren Menschenrechten. Grundrechte im heutigen Verständnis oder gar Staatsbürgerrechte kann es dann nicht mehr geben. A n die Stelle von „Außenpolitik" tritt „Weltinnenpolitik"; Kriege werden nicht mehr „geführt", sondern Welt-Polizeiaktionen werden „durchgeführt". Rechtsverstöße und Moralverstöße fallen in eins; der Rechtsbrecher verliert zugleich seinen Status als „moralische Person"; eine unermüdliche, ubiquitäre Welt-Gesinnungspolizei sorgt für die notwendige „Prävention". Solche Implikationen werden von Jünger, der die Vergleiche zur Welt der Ameisen, Bienen, Schmetterlinge und Termiten liebt, freilich nicht bedacht. Und ich beeile mich hinzuzufügen, daß ich ein solches Weltstaatsmodell stricto sensu für utopisch halte. Die wesentlichen Gründe, weshalb die Jünger'sche Vision - gottlob! - Spekulation bleiben muß, hat schon I. Kant mit der „ungeselligen Geselligkeit der Menschen" und mit der Verschiedenheit der Sprachen und der Religionen bezeichnet. 21 Die auch beim besten Willen nicht abnehmbare „Brille" der Weltbetrachtung, von der eingangs die Rede war, drückt diesen Sachverhalt einer kulturellen Grundvielfalt und der damit verbundenen uneinholbaren Perspektivität der Wahrnehmung und Wertungen aus. Dies hat Konsequenzen für die Staaten wie für die Menschenrechte. Die ethnisch-kulturell-religiöse Vielfalt der Völker und Menschen bietet für Kant ausreichend Gewähr, daß der dornenvolle Weg der Staaten „zum ewigen Frieden" nicht im „seelenlosen Despotism" einer „Universalmonarchie" (als Weltstaat) enden 20
E. Jünger, Der Weltstaat. Organismus und Organisation, 1960, S. 30 f. Kant, Idee (Fn. 1), Vierter Satz (1784), sowie ders., Zum ewigen Frieden, 1795, Definitivartikel, erster Zusatz. 21
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wird, sondern daß die Staaten „nach vielen Verwüstungen, Umkippungen und selbst durchgängiger innerer Erschöpfung ihrer Kräfte" doch zu dem gelangen, „was ihnen die Vernunft auch ohne soviel traurige Erfahrung hätte sagen können, nämlich: ... in einen Völkerbund zu treten; wo jeder, auch der kleinste, Staat seine Sicherheit und Rechte nicht von eigener Macht oder eigener rechtlicher Beurteilung, sondern allein von diesem großen Völkerbunde (...), von einer vereinigten Macht und von der Entscheidung nach Gesetzen des vereinigten Willens erwarten könnte." 2 2 Für die Staaten dürfte es auch ein nicht gering zu schätzender Vorteil sein, daß eine nach den Regeln des Bundes beschlossene Intervention nicht mehr durch den doch nicht zu erbringenden Nachweis gerechtfertigt werden muß, daß sie auf „rein humanitären" Motiven beruht. 23 Die Gegensätzlichkeit der Interessen und die „natürliche" Rivalität beteiligter Groß- und Mittelmächte werden dafür sorgen, daß humanitäre Interventionen die seltene Ausnahme bleiben. Dies führt zu der Frage, ob Menschenrechte, oder besser: Menschenrechtsverletzungen tatbestandlich so präzise und eindeutig gefaßt werden können, daß sie als unbestreitbare, aber 22
Kant, Frieden (Fn. 21), sowie dersIdee (Fn. 1), Siebenter Satz. Sehr zu Recht fordert heute J. P. Müller, Der politische Mensch - menschliche Politik, 1999, S. 142: „Zwangsmaßnahmen bedürfen heute in jedem Fall der Legitimation durch die organisierte universelle Staatengemeinschaft wie einer Autorisierung durch einen Beschluss des Sicherheitsrates der U N O " (Hervorhebung i.O.). Die Frage ist allerdings, ob u.U. nicht auch ein förmlicher Beschluss der Organe einer regionalen Staatengemeinschaft (wie der NATO) ausreicht, wenn es sich um ein regionales Problem handelt und die universelle Gemeinschaft sich trotz dringlicher Handlungsnotwendigkeit als handlungsunfähig erweist. 23 Vgl. aber die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20.4.1994 zu den Kriterien der Zulässigkeit einer humanitären Intervention, ABl. C 128, S. 225 ff. v. 20.5.1994. Danach dürfe die Interventionsmacht kein besonderes Eigeninteresse an der Situation besitzen, so daß der Schutz der Menschenrechte das Hauptziel ist und keine politischen oder wirtschaftlichen Gründe mitspielen. Wer kann dies vor wem in welchem Verfahren und wie beweisen?
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notfalls doch von einem Internationalen Gerichtshof anwendbare Eingriffsvoraussetzungen dienen können. Dies wird mit dem Hinweis darauf bezweifelt, nach dem heutigen Stande des Völkerrechts seien die Menschenrechte „zu diffus, zu aufgebläht, zu heterogen, zu verschiedengewichtig, zu umstritten, um unbesehen als Interventionstitel dienen zu können." 2 4 Die internationalen Spezial-Abkommen zur Bekämpfung schwerster, weltweit zu ächtender Menschenrechtsverletzungen geben Zeugnis von den definitorischen und normativen Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung international akzeptabler und dann vielleicht auch praktikabler Verletzungstatbestände. Sie belegen andererseits aber auch, daß es keineswegs unmöglich ist, hier zu Ergebnissen zu gelangen. In Anlehnung an den seit langem ausformuliert vorliegenden völkerrechtlichen Normenbestand lassen sich, ohne Anspruch auf abschließenden Charakter, jedenfalls sechs Typen der Verletzung elementarer Menschenrechte benennen, die hier nur aufgezählt werden können: 1. Das Verbrechen des Völkermords, 2. das Verbrechen der Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, 3. die keineswegs als nur als „historisch" anzusehende Sklaverei oder Versklavung, 4. das Verbrechen der Apartheid, 5. von trauriger Aktualität: das Verbrechen der Vertreibung, der „ethnischen Säuberung" und 6. Formen sexueller Gewalt wie Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation. 25 24 Isensee, Weltpolizei (Fn. 6), 426. Drohende Massaker, Völkermord, planmäßige Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen will aber auch Isensee als Interventionsgründe zulassen. Vgl. dazu im Text. 25 Ein Großteil dieser Tatbestände ist bereits in „klassischen" Völkerrechts-Konventionen erfaßt, vgl. nur 1. Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9.12.1948; 2. Ubereinkommen betreffend
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Einen wichtigen Schritt vorwärts zur unerläßlichen internationalen Positivierung tatbestandlicher Voraussetzungen für „humanitäre Intervention" geht das am 17. Juli 1998 beschlossene Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IntStGH) zur Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. 26 In den Artikeln 5 bis 8 des Statuts wird im einzelnen versucht, die drei Hauptgruppen von „core crimes", nämlich „Völkermord", „Verbrechen gegen die Menschlichkeit innerhalb der Gruppe" und „Kriegsverbrechen" tatbestandsmäßig auszudifferenzieren und justiziabel zu konturieren. Bemerkenswert ist hierbei die in Artikel 9 des Statuts aufgenommene Prozeduralisierung der Normkonkretisierungsarbeit durch die Möglichkeit, Änderungen der sogenannten „Verbrechenselemente" mit qualifizierter Mehrheit in der Versammlung der Vertragsstaaten zu beschließen.27
V. Zur Legitimität präventiver Intervention Die Präzisierung der Eingriffstatbestände als Rechtfertigungselemente einer Intervention stellt nur einen Bruchteil der zu leistenden Aufgabe dar. Hinzu kommt die nähere Bestimmung der Eingriffssituation nach Raum und Zeit, vor allem die Frage, ob und in welchem Umfang Interventionsmaßnahmen auf reaktiven Charakter beschränkt bleiben sollen oder aber präventiven Charakter annehmen dürfen. Folgt man dem jüngdie Sklaverei vom 25.9.1926/7.12.1953, mit Zusatzübereinkommen; 3. Übereinkommen über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid vom 30.11.1973; 4. Ubereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vom 10.12.1984; ferner 5. die allgemeinen Menschenrechtspakte, insbesondere der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 u.v.a.m. 26 Statut des IntStGH, in der vorläufigen amtlichen Übersetzung, veröffentlicht in: EuGRZ 1998, S. 618 ff. 27 Zur Einführung vgl. C. Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit: Die Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofs (IntSTGH), in: EuGRZ 1998, S. 577 ff.
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sten Dokument der Pax americana, der Washingtoner Erklärung der NATO-Regierungschefs vom April dieses Jahres, so wird genau dieses Problem in dem Formelkompromiß der „Krisenreaktionseinsätze" versteckt: Der Begriff der „Krise", dem des „Risikos" parallelisiert, erfaßt ein nahezu grenzenlos weites Feld möglicher Präventionen; seine Verbindung mit dem Verhaltenstypus „Reaktion" suggeriert Abwarten, geduldiges Verhandeln, Beschränkung auf einen „Zweitschlag" als ultima ratio. Das Neue Strategische Konzept des Bündnisses soll jedoch Risiken" abdecken, zu denen „Ungewißheit und Instabilität im und um den euro-atlantischen Raum sowie die mögliche Entstehung regionaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses [gehören], die sich rasch entwickeln könnten ... Ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten können zu lokaler und selbst regionaler Instabilität führen . . . " 2 8 Zu den Fragen der Interventions-Voraussetzungen treten die Probleme eines dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Genüge leistenden Mitteleinsatzes. „Kollateralschäden" - (das Unwort des Jahres!) - sind ein drängendes Menschenrechtsproblem, zugleich ein schlafraubendes Menschenwürdeproblem, ist doch der Mensch „Zweck an sich selbst", mithin „niemals bloß als Mittel, sondern zugleich selbst als Zweck zu gebrauchen." 29 Und schließlich hat eine neue Völkerrechtsdogmatik der humanitären Intervention die Folgenanalyse, Folgenverantwortung und Folgenbeseitigung militärischer Einwirkungen in Betracht zu ziehen. A l l dies kann hier nicht ausgeführt werden.
28 Vgl. Sicherheitspolitische Herausforderungen und Risiken, Nr. 20 des Neuen Strategischen Konzepts der NATO, veröffentlicht in: FAZ Nr. 97 vom 27.4.1999, S. 10f. Vgl. dort auch Nr. 6, 31, 47ff. 29 I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Analytik, in: Werke hrsgg. von W. Weischedel, 1956, Band IV, S. 210. Ähnlich ders., Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, § 38, Ausg. Vorländer, 1954, S. 321. Dazu H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, 1993, S. 7 f.
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Vielmehr soll hier am Schluß ein Fragenkomplex stehen, dessen Kern von Hasso Hofmann unter dem Titel „Die versprochene Menschenwürde" 30 in die Diskussion eingebracht wurde: das Verständnis des Menschenwürde-Satzes des Grundgesetzes als Staatsfundamentierungsnorm, als gründende N o r m einer konkreten Anerkennungsgemeinschaft. Im Hinblick auf die „Begünstigten" oder auch nachteilig „Betroffenen" einer humanitären Intervention geht es dabei um die doppelte Frage: a) Haben etwa die „Opfer" von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen Rechtsanspruch gegen den deutschen Staat auf Wahrung und Verteidigung ihrer Menschenrechte in ihrer Heimat? Oder stellt sich ein deutscher NATO-Beitrag (und deren sind in Zukunft noch zahllose denkbar) etwa als eine Art aufgedrängter Menschenrechts-Nothilfe dar? Und b): Was treibt und was berechtigt eigentlich den Staat des Grundgesetzes zu solchen Aktionen außerhalb der konkreten Anerkennungsgemeinschaft gegenüber ausgeschlossenen Fremden, wenn doch, folgt man H.Hofmann, „das wechselseitige Garantieversprechen [des Art. 1 Abs. 1 GG] „ im Ausland „von vornherein nicht über die dort befindlichen Deutschen hinauszuwirken" vermag? 31 Ich sehe eigentlich nur zwei Richtungen, in welchen eine Antwort gesucht werden kann, und beide sind, rechtlich betrachtet, unbefriedigend. Entweder man unterscheidet die universelle Idee der Menschenwürde als ein nur moralisches Handlungsmotiv und als ein von „allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal" von der rechtlich zwar bedeutsamen, aber nur partikulär wirksamen Menschenwürdegarantie (des Grundgesetzes) - oder man bricht den normativen Verbund von Absatz 1 mit Absatz 2 GG, also der Würdegarantie mit dem Menschenrechts-Bekenntnis, zugunsten einer normativen Aktivierung und Supranationalisierung des letzte30 S. vorige Nachweise. Jetzt auch in H. Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 104 ff. 31
Hofmann,
Menschenwürde (Fn. 29), S. 19.
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ren auf. In diesem Sinne könnte man sich noch der FriedensDienst-Selbstverpflichtung der Präambel sowie weiterer Auslegungselemente der Artikel 23 Abs. 1, 24, auch mit Absatz 3, und des Art. 26 versichern. Hasso Hofmann scheint mir eher in die erste Richtung gehen zu wollen. Ich befürchte dann aber für jeden künftigen Fall eines NATO-„Krisenreaktionseinsatzes" unabsehbare moralisch-politische Diskussionen, denen nicht einmal mehr das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen gewachsen sein dürfte. In der zweiten Richtung würde man zwar ernst machen mit der Aussage, daß die Menschenrechte die „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" sein sollen, einer Aussage, die noch in der Charta von Paris für ein neues Europa vom 21. November 1990, pathetische Wiederholung gefunden hat. Aber die Zerreissung des im Grundgesetz mit dem unscheinbaren Wörtchen „darum" (Art. 1 Abs. 2) postulierten Zusammenhanges wäre schwer erträglich, (nicht für den „Naturrechtler", der ich nicht bin, wohl aber für den „Menschenrechtler"). Ich müßte und würde mich auf die Suche nach einer „überstaatlichen", aber doch noch konkreten Anerkennungsgemeinschaft begeben. Vermutlich entsteht diese gerade erst allmählich und schrittweise im Maße des Wachstums der Menschenrechte: universell der Idee nach, partikulär in der Praxis. Dem Jubilar bin ich dankbar, daß er uns allen und mir diese Nuß zu knacken aufgegeben hat.
Die Aporien der Repräsentation zwischen Bild und Begriff Von Giuseppe Duso I.
Ein kurzes Vorwort möchte ich vorausschicken, um die folgenden Reflexionen richtig verständlich zu machen. Der Begriff der Repräsentation ist mein Treffpunkt mit Hasso Hofmann. Mit meiner Forschungsgruppe hielt ich einige Jahre lang (am Anfang der achtziger Jahre) ein Forschungsseminar über die moderne Gesellschaftsvertragslehre 1. Im Zentrum unserer Arbeit stand der Knotenpunkt „Souveränität-Repräsentation", der für uns nicht nur im Rahmen der Vertragslehre entscheidend ist, sondern auch dabei hilft, die politischen Begriffe und die Grundlage der Verfassungen in der Moderne zu verstehen. In dieser Richtung stieß ich auf die Bücher von Hasso Hofmann. Sie waren mir eine wahre Entdeckung und eine große intellektuelle Freude. In ihnen fand ich eine gemeinsame philosophische Richtung, und vor allem lernte ich viel Neues. Ich spürte eine große Ubereinstimmung zwischen unseren Ansätzen, obwohl dies selbstverständlich ein subjektives Gefühl bleibt, das keinen Anspruch auf einen objektiven Grund stellt. So habe ich oft einen widersprüchlichen Eindruck: Einerseits scheint es mir, als ob ich schon bekanntes Wissen wiederholte; andererseits gebe ich diesen Thesen einen philosophischen und
1 Aus diesen Forschungen ist das Buch II contratto sociale nella filosofia politica moderna, Bologna 1987 (jetzt 3. Aufl. Mailand 1998) hervorgegangen.
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gegenüber den modernen Begriffen kritischen Sinn, der vielleicht Hasso Hofmann fremd vorkommen könnte. So ist es auch bei diesen Reflexionen. Sie befassen sich mit dem neuen wunderbaren Büchlein von Hasso Hofmann Bilder des Friedens 2 und gleichzeitig mit einer der wichtigsten Stellen in seinem Buch über die Repräsentation 3: Sie betreffen also den Begriff der modernen Repräsentation, der im Leviathan von Hobbes zum ersten Mal formuliert wurde. Diese Überlegungen können als eine Fußnote am Rande dieser beider wichtigen Bücher verstanden werden. Für ihren Inhalt, für die - vielleicht nicht gerechtfertigten - Auffassungen, ja für die daraus entstehenden Mißverständnisse bin ich allein verantwortlich. Ich habe leider jetzt nicht genug Zeit, meine Einsichten und Äußerungen zu begründen, und für eine weitere Klärung der Begriffe kann ich hier nur auf meine Arbeiten verweisen.
II. Ich möchte mit dem emblematischen Vergleich anfangen, in dem Lorenzettis Bild der guten Regierung und das Titelblatt des Leviathan einander gegenübergestellt werden. Herr Hofmann hat meisterhaft dargestellt, daß es sich hier - wie ich es verstehe - nicht um verschiedene politische Auffassungen handelt, sondern um zwei verschiedene Möglichkeiten, die Politik sowie die Natur und das Handeln des Menschen zu verstehen. Dies entspricht dem Gegensatz zwischen einer langen Tradition der praktischen Philosophie und der neuen politischen Wissenschaft, in welcher die modernen politischen Begriffe zustande kamen. Mit Hobbes erfolgt eine Trennung im politischen Denken; die Politik wird etwas Neues, „Wissenschaft-
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Hasso Hofmann, Bilder des Friedens oder die vergessene Gerechtigkeit, München 1997. 3 Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (1974), 3. Aufl. Berlin 1998.
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liches" (der Begriff „Wissenschaft" hat jedoch keine universale Bedeutung: Er ist vielmehr durch moderne Voraussetzungen geprägt und gewinnt eine präzise Bedeutung, gerade weil er der alten praktischen Wissenschaft jede Gültigkeit bestreitet). Auf eine neue und früher unbekannte Weise wird der Begriff der „Herrschaft" als moderne Souveränität begriffen. Ich möchte hier versuchen, diesen Gegensatz mit den Wörtern Regierung (im Sinne der lateinischen gubernatio), und politische Macht oder Herrschaft (im Sinne der modernen Souveränität) darzustellen 4. In verschiedenen Varianten und Zusammenhängen spricht man tausend Jahre lang von gubernare: Wenn die Natur des Menschen sozial, d.h. politisch angelegt ist, muß auch das Vorhandensein des Regierens natürlich sein. Imperare , regere, subjici, regi et gubernari sunt actiones naturales - so sagt Althusius5 noch am Anfang des 17. Jahrhunderts, der an die alte Tradition gebunden ist. Gubernare kommt von Natur und Vernunft, so wie es für den Körper natürlich ist, einen Kopf zu haben, der die Glieder regiert. Ohne Regierung (als gubernatio) hätten wir es nicht mit einem politischen Körper, sondern mit einem monstrum zu tun. Die künstliche Ebene der Herrschaft, die den politischen Theorien der Moderne (nachdem Hobbes die neuzeitliche politische Wissenschaft gegründet hatte) eigen ist, kann dementsprechend nicht einfach als „natürlich" betrachtet werden. Diese Herrschaft, die von Hobbes bis Weber als formales Verhältnis von Befehl und Gehorsam aufgefaßt wird, kann nicht aus der Natur hervorgehen, sondern muß notwendigerweise durch den Willen der Individuen legitimiert 4
Zu einer Rechtfertigung dieser Gegenüberstellung verweise ich auf Giuseppe Duso, La logica del potere. Storia concettuale come filosofia politica, Bari 1999, besonders Kapitel III: Fine del governo e nasata del potere. Vgl. auch Giuseppe Duso, Herrschaft als gubernatio in der politischen Lehre des Althusius, im Wolfenbütteler Tagungsband „Herrschaft und politische Ordnung im Umkreis von Johannes Althusius", hrsg. von Emilio Bonfatti, Giuseppe Duso und Merio Scattola (im Druck). 5
Vgl. Johannes Althusius, Politica methodice digesta, atque exemplis sacris et profanis illustrata, 3. Aufl. Herborn 1614, Cap. I, 33, 34. *
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werden 6 . Natürlich ist hingegen die „vorneuzeitliche" Idee des Führens und Regierens, ohne welche eine aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte assoziative Wirklichkeit nicht denkbar wäre. In der langen Tradition des politischen Denkens, in welcher man von gubernare spricht, geht es nicht um ein formelles Verhältnis von Befehl und Gehorsam, das von der Bestimmung dessen, was einheitlich und gemeinsam ist, unabhängig ist und als ein universelles Gesetz ausgedrückt wird, dem alle unterworfen sind. Es geht vielmehr um die Führung durch die Weisen und Tugendhaften, d. h. durch die Menschen, die potentia et prudentia besitzen. Wir betreten hier anscheinend jenes Gebiet der praktischen Philosophie, das der Tugend und namentlich der phronesis als spezifisch politischer Tugend besondere Aufmerksamkeit widmet. Regere bedeutet „Führen", „Leiten": Diese Bedeutung geht mit der Kehre der modernen Herrschaft verloren, für die nunmehr nur der Gemeinwille als Befehl und nicht die gubernatio zur Geltung kommt. In der Neuzeit verliert die Regierung an Bedeutung, sie wird zur ausführenden, „exekutiven Gewalt", also zu einer dem Gemeinwillen untergeordneten Gewalt. Der Gemeinwille erhält wiederum seine bestimmte Form durch die gesetzgebende Gewalt. Bis Althusius hat der Begriff „imperium" noch nicht die Bedeutung des Verhältnisses von Befehl und Gehorsam, sondern denjenigen der Führung und der Leitung, welche die griechischen Verben archein und archesthai - auch von Aristoteles in der Politik gebraucht - ausdrücken. Dieser Bedeutung von regieren und gubernare entspricht das antike Bild des Steuermannes7, der das Schiff dank seiner Tugend und einiger Anhaltspunkte führt.
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Eine Geschichte des Begriffs „Herrschaft" im Sinne der modernen Souveränität, die mit der Bedeutung der Herrschaft in der antiken und mittelalterlichen Tradition des politischen Denkens keine Kontinuität, sondern nur eine zweideutige Identität des Wortes aufzeigt, habe ich mit dem Buch Ii potere. Per una storia della filosofia politica moderna, Rom 1999 versucht.
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Das Bild, das sowohl Aristoteles als auch Piaton verwenden, und dessen sich auch Cicero in der berühmten - für den Regierungsbegriff geradezu kennzeichnenden - Wendung „navem rei publicae gubernare" bedient 8 , drückt gut das Umfeld dieses Denkens aus, in dem das imperituri als Regieren verstanden wird. Wichtig ist die Tatsache, daß der Steuermann das Schiff gut und zum Besten der Besatzung führt, und nur zufällig, da er auch im Schiff ist, zu seinem eigenen Vorteil, wie Aristoteles bemerkt. Noch wichtiger ist aber, daß man zur Führung eines Schiffes sowohl eine Umwelt als auch eine dieser Umwelt angemessene Kenntnis braucht. Man muß das Meer, die Winde, die Strömungen kennen, aber auch Bezugspunkte im Firmament haben. Einerseits enthüllt sich auf diese Weise eine bezugsfähige Realität, anderseits zeigt sich die Notwendigkeit der Kenntnis und der Erfahrung, der Fähigkeit und der Tugend des Steuermanns: nicht alle können deshalb Steuermänner werden. Das Regierungsprinzip bestimmt auch, wie schon Otto Brunner zutreffend bemerkt hat 9 , innerhalb einer langen Denktradition den Sinn und die Ordnung der Disziplinen, die die Sphäre der Praxis betreffen. Die monastica , die oeconomica und die politica bekommen - laut Brunner - ihre eigentliche Bedeutung nur im Rahmen einer allgemeinen Herrschaftslehre. Ich erkläre oder ersetze das Wort Herrschaft, das Brunner hier im Sinne
7 Althusius, Politica (Fn. 5), XXI, 16. Vgl. Volker Sellin, Regierung, Regime, Obrigkeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bd. V, Stuttgart 1984, S. 361 ff. (363). Zum Bild des kubernetes bei Aristoteles vgl. dens., Politik, III. 6 (1279a 4 ff.). 9 Vgl. Otto Brunner, Die Freiheitsrechte in der altständischen Gesellschaft, in: i/er$., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl. Göttingen 1968, S. 187ff. (188). Zu einer kritischen Betrachtung der Wichtigkeit und der Rolle des Denkens Brunners in der politischen Begriffsgeschichte (und gleichzeitig zu meiner Auswertung des Ausdrucks Begriffsgeschichte) verweise ich auf: Duso, La logica del potere (Fn. 4), Kap. I. 8
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der alten Tradition benutzt, mit dem Wort Regierung im Sinne der gubernatio. Da alle Bereiche der praktischen Welt - die Seele des Menschen, der oikos und die polis - aus verschiedenen Teilen bestehen, ist es möglich und zugleich notwendig (d.h. actio naturalis), daß jeweils ein Teil die anderen regiert, d.h. sie in eine bestimmte Richtung führt. U m Verwirrungen zu vermeiden, ziehe ich es vor, hier nicht von „Herrschaft", mit der wir das moderne Verhältnis von Befehl und Gehorsam bezeichnen, sondern vom „Prinzip der gubernatio" zu sprechen. Jenseits der Metapher ist das Regieren nur innerhalb einer Ordnung der Dinge denkbar, innerhalb einer Welt also, in der es Anhaltspunkte zur Orientierung gibt. So umfaßt das Regieren das Problem des Guten, des guten Lebens und der Ordnung der Seele, aber auch den Kontext des guten alten Rechts, der Verfassung und der nomoi (beide Wörter sollen in einer weiteren und nicht modernen Bedeutung verstanden werden). Dies ist der Rahmen, in dem man sich orientieren kann und in dem man das Wagnis eingeht, in See zu stechen: Die Seefahrt wird nicht durch irgendwelche Normen gesichert; sie benötigt genauso Erkenntnis wie Erfahrung; wichtig sind die Fähigkeiten und die Tugend des Steuermannes (gubernator). Eine solche Auffassung des menschlichen Handelns wird dadurch bestimmt, daß eine Handlung nicht einfach durch Modelle und Normen abgesichert werden kann. Das Problem des politischen Handelns kann nicht auf eine formale Rationalität zurückgeführt werden: Nur in der konkreten Handlung weist die Tugend in die Richtung, in die man gehen muß. Das Lenken und Regieren entspricht weder dem Ausdruck des Willens oder eines Befehls noch der Unterwerfung der Regierten unter den Willen des Regierenden. Sei hier darauf nochmals ausdrücklich hingewiesen, daß die politische Handlung nicht nur das Regieren, sondern auch das (passive) Regiert-Werden umfaßt (die Regierten sind also politisch Handelnde). Es kommt hier nicht zur Trennung von öffentlichen und privaten Handlungen, die durch die moderne Verbindung von Souveränität und Repräsentation eingeführt wird und
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die Bürger lediglich zu Privatpersonen verwandelt, indem sie diese denjenigen gegenüberstellt, die für den gesamten politischen Körper handeln. Die natürliche Geselligkeit der Menschen behauptet sich innerhalb eines Horizonts, der sowohl unter den Menschen selbst als auch unter den Teilen der Gemeinschaft die Unterschiede nicht ausschließt. Die concordia , die auf eine wichtige Weise im Bild von Lorenzetti vertreten ist, und die politische Verbindung finden in einer Pluralität von „verschiedenen a Gliedern statt. Wären alle Menschen gleich und wollten alle regieren, dann gäbe es nichts anderes als Zwietracht, und die Gesellschaft würde sich auflösen. In der langen Tradition, in welcher das Verb gubernare seinen echten Sinn hatte, wurde die Regierungsform der „Demokratie" abwertend beurteilt der demos ist hier nämlich ein Teil der polis und weist keine qualitativen Merkmale auf - und als eine Vorstufe der anarchia oder Abwesenheit von gubernatio gehalten. Eine Gesellschaft ohne Regierung wurde mit einem monstrum verglichen, in dem das organische Bild des Körpers zerstört wurde. Der Körper fordert die Verschiedenheit seiner Glieder, aber auch ihre Führung und Leitung - ohne sich dabei mit dem Phänomen der formellen Herrschaft zu identifizieren. Die moderne formelle Herrschaft kennt keine unterschiedlichen Glieder mehr, die verschiedene Funktionen ausüben; neben der Homogenität aller Individuen ist hier eine Instanz vonnöten, die für den ganzen Körper „die bestimmende Rolle spielt" (in dem Sinne, den die Repräsentation in der neuzeitlichen politischen Wissenschaft annimmt), aber man braucht kein Haupt, das den Körper anführt.
III. Ich möchte hier keinen Kommentar zu der Allegorie der guten Regierung von Lorenzetti liefern. Das haben schon viele Kunst- und Rechtshistoriker getan. Meine Interpretation
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stimmt mit der Darlegung von Hasso Hofmann völlig überein. Ich möchte lediglich drei Bemerkungen über die Idee der Regierung machen und diese mit der modernen Souveränität vergleichen, die genau im Titelblatt des Leviathan abgebildet wird. 1. Die zentrale Figur des Ben comune hat selbstverständlich eine hohe Stellung; sie befindet sich in einem Kosmos, wo viele Elemente oben und unten stehen. Sie repräsentiert die Stadt Siena , nicht aber als Ganzheit, sondern - so scheint es mir - sie versinnbildlicht die Regierung, bzw. die Form der Regierung oder, um die aristotelische Sprache zu benutzen, das politeuma 10. Li livres dou trésor von Brunetto Latini, die laut einigen Interpreten in diesem Bild in viel größerem Maß als die Lehren von Aristoteles und Thomas von Aquin vertreten sind, redeten von unterschiedlichen Regierungsformen - Brunetto benutzte das Wort „signories" - und stellten der Monarchie und der Aristokratie die Regierungsform „des communes" entgegen, die als die beste gepriesen wurde 1 1 . Die Personifizierung der Regierung ist aber im Bild nicht die oberste Figur. Oben sehen wir die theologischen Tugenden und daneben die anderen Kardinaltugenden, unter denen justitia und pax sind; hier kommt auch die magnitudo vor, wie es in der prähumanistischen Literatur üblich war. Justitia und pax sind Tugenden, wie Hofmann geschrieben hat, und der Friede wird nicht als ein Ziel (als einfache Abwesenheit der Konflikte) verstanden. Auf die theologischen (auch wenn die Religion anscheinend bei Lorenzetti eine mäßige Rolle spielt) und kardinalen Tugenden soll die Regierung ihren Blick stets richten, um gut zu sein. Sie
10 Neben Hasso Hofmann vgl. dazu Quentin Skinner , Ambrogio Lorenzetti: The Artist as Political Philosopher, jetzt in: Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit, hrsg. v. H. Belting u. D. Blume, München 1989, S. 85-103. Ich möchte den Ausdruck Staatsgewalt vermeiden, da wir hier keine Elemente der modernen Herrschaft - politischen Macht oder Souveränität - auffinden können, die die Grundlage der modernen Staatlichkeit bilden. 11 Brunetto Latini , Li livres dou trésor, II, XXXXIV.
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sind ein Teil der Ordnung der Dinge, die über dem Regierenden steht und keineswegs von seinem Willen abhängt. 2. Der Regierende wird mit der universitas avium nicht identifiziert. Derjenige, der regiert, bzw. die Form der Regierung steht oben: Dies bedeutet, daß die Bürger untergeordnet sind. Die Handlungen des Regierenden sind keineswegs Handlungen, deren autores die Bürger sind: Autor und actor ist der Regierende selbst. Deshalb ist er verantwortlich für seine Handlungen. Ihm gegenüber stehen die Bürger, die als politische Subjekte nicht aufgehoben werden. Man kann sich fragen ob der Consiglio dei Nove , der zu derselben Zeit tätig war, als der Auftrag erteilt wurde, oder der vorhergehende Consiglio dei Ventiquattro , der scheinbar im Fresko abgebildet ist, eines der bedeutendsten Elemente der Regierung der Stadt waren, wichtiger vielleicht als der podestà , der zu jener Zeit schon viel von seiner Handlungsfähigkeit eingebüßt hatte. Vor allem muß aber hervorgehoben werden, daß der Consiglio dei Nove oder dei Ventiquattro im Verhältnis zum größeren Rat der Bürger eine repräsentierende Funktion ausübt. Durch diese Repräsentationsform äußern sich die Bürger und nehmen sie am Leben der Stadt teil. Wichtig ist dabei nicht die Form der Wahl - die keineswegs auf dem Willen der Individuen beruht, wenn sie überhaupt vorhanden ist - , sondern eine identifizierende Verbindung unter den Mitgliedern einer menschlichen Gruppierung, durch die jene ihre Würde, ihre libertates, und ihren Gesichtspunkt ausdrücken, ein Verhältnis, das erst denkbar ist, wenn die universitas civium als eine genossenschaftsrechtliche Wirklichkeit verstanden w i r d 1 2 .
12 Bezüglich der Typologie, die im grundlegenden Buch von Hasso Hofmann über den Begriff der Repräsentation entworfen wird, sollte man hier von repraesentatio identitatis reden. Das Fresko des Lorenzetti setzt eine politische Auffassung voraus, die an das politische Denken des Marsilius von Padua erinnert. Dieser wird wiederum allzu oft mit einer modernen Begrifflichkeit interpretiert. Vgl. dazu Hofmann, Repräsentation (Fn. 3), S. 209 ff.
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Die Bürger werden also nicht als singuli, als gleiche Individuen gedacht, sondern nehmen gemäß ihrem status und ihrem Stand am politischen Leben teil. Die Bürger suchen mit Hilfe ihrer Zünfte und Körperschaften nach der Eintracht. Diese hängt auf keinen Fall bloß von ihrem Willen ab, sondern kommt von der Gerechtigkeit her, die sowohl verteilend als auch ausgleichend ist. Dasselbe Seil (chorda ) der Eintracht (i concordia ; nach der falschen Etymologie, die im Fresko wirkt) bindet auch die Hände dessen oder deren, die die Regierung führen. Da die Bürger in ihren Körperschaften mit den Regierenden nicht identisch sind, bleiben sie als politische Subjekte neben oder gegenüber den Regierenden bestehen und können durch ihre verschiedenen Versammlungen und Räte mit dem Regierenden kooperieren und über ihn Kontrolle ausüben 13 . Gerade weil es eine Ordnung der Dinge gibt, die weder vom Willen des Regierenden noch von dem der Regierten abhängt, können sich die Bürger auf diese Ordnung beziehen und urteilen, ob die Regierung gut oder tyrannisch angelegt ist 1 4 . 3. In diesem Kontext spielt der Wille als solcher keine grundlegende Rolle: Er kann eine Handlung nicht rechtfertigen. Auch bei Marsilius von Padua ist es, meiner Meinung nach, unmöglich, den Willen des Volkes als absolut und als Grund
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Man darf nicht annehmen, wie Starn sagt, daß der «Ben comune» zum Herrscher gewählt wird, aber in der Tat ein Untertan der Bürger bleibt (Ambrogio Lorenzetti. Palazzo pubblico a Siena, Turin 1996, S. 65). Die Auffassung von der Natürlichkeit des Regierens setzt vielmehr voraus, daß das Zusammenleben in der Gemeinschaft der Bürger von Natur aus politisch ist und daß diese Gemeinschaft durch die Kategorien der Genossenschaftslehre verstanden wird. 14 Wir werden sehen, daß das Wort „Tyrannei" im modernen Herrschaftsbegriff (d.h. in der Souveränität) keine Bedeutung mehr hat: Im Grunde gehört die Herrschaft dem ganzen politischen Körper, der die Herrschaft ausübt. Der Repräsentant muß autorisiert d.h. legitimiert werden, aber man kann ihm gleichzeitig kein Mandat für den Inhalt seiner künftigen Befehle erteilen. Zum begriffsgeschichtlichen Zusammenhang, in dem die Tyrannei möglich ist, vgl. Merio Scattola, Il concetto di tirannide nel pensiero tedesco della prima età moderna, in: Filosofia politica 1996, S. 391-420.
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der Gerechtigkeit aufzufassen, wie es viele Interpreten tun 1 5 . Die Entscheidung des Volkes ist nicht als solche gut (wie bei Rousseau) und liefert keine Grundlage für eine gute Regierung. Außerdem ist das Volk immer eine konstituierte und keine konstituierende Größe: Es besteht aus den verschiedenen Teilen der Stadt und ist keine Masse von gleichartigen Individuen. Deshalb werden die Bürger bei Lorenzetti und bei Marsilius mit ihrem unterschiedlichen status und ihrer eigenen Tätigkeit gegenüber dem Regierenden verstanden. Nicht nur das Regieren, auch das Regiert-Werden ist eine politische Handlung, die keineswegs als reine Passivität zu denken ist.
IV. Gegen diese tausendjährige Auffassung von Regierung und Gerechtigkeit behauptet sich die moderne politische Wissenschaft als eine rationale Konstruktion, in welcher die Begriffe ewige Gültigkeit für sich beanspruchen. Die strenge Logik dieser Konstruktion kann freilich auf die älteren Quellen, die ihre Bedeutung innerhalb einer langen Tradition des Denkens erhalten, nicht angewandt werden. Und wenn wir sie darüber hinaus kritisch prüfen, enthüllt die moderne Auffassung einige Aporien und Paradoxa. Die Konzentration der Macht und die Einzigkeit der potestas> welche die moderne Herrschaft kennzeichnen, wurden zweifellos schon von Bodin hervorgehoben;
15 Ausschlaggebend ist die Auffassung von Walter Ulimann, Principles of Government and Politics in the Middle Ages, 2. Aufl. 1966, der den Willen des Volkes als etwas Absolutes versteht, ohne dabei andere Bezugspunkte gelten zu lassen, wie es im neuzeitlichen Naturrecht geschieht: Ulimann liest also Marsilius, als ob dieser ein Rousseau des Mittelalters wäre. So werden unterschiedliche Zusammenhänge miteinander identifiziert und vermengt. Man verwechselt z.B. die Ebene, in der von der alten gubernatio die Rede ist, mit der Ebene, in der die Herrschaft in der modernen Bedeutung der Souveränität entsteht. Man muß jedoch bedenken, daß es sich um die moderne Herrschaft erst dann handelt, wenn die antike gubernatio für vernunftlos und ungerecht gehalten wird.
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trotzdem wurden die formalen Elemente und Merkmale des modernen Souveränitätsbegriffs erst von Hobbes dargestellt. Bei Bodin werden die Bürger noch in ihren verschiedenen Organisationen dem Souverän entgegengestellt: Der Wille des Souveräns erweist sich hier noch als der persönliche Wille des Regierenden und nicht als der Wille der Bürger 16 . Die Gleichsetzung des Willens der Bürger als politischer Subjekte mit dem Willen des Souveräns, als Repräsentanten des gesamten politischen Körpers, kommt nur mit Hobbes zustande. Dem modernen Souveränitätsbegriff ist ein zweifacher Legitimationsprozeß eigentümlich: einerseits der Willensausdruck aller Individuen, die durch den Herrschaftsvertrag den politischen Körper bilden; andererseits das politische Handeln des Souveräns, das nur als repräsentatives Handeln verstanden werden kann. So wird das Politische auf eine formell-juristische Gedankenweise zurückgeführt, welche die Grundlage der politischen Form bildet. Obwohl der Staatsbegriff hier noch nicht auftaucht (auch das Wort „Staat" wird kaum im Leviathan verwandt), entstehen in dieser Argumentation die Begriffe, die die moderne Staatslehre kennenzeichnen. Entgegen heutzutage sehr verbreiteten Auffassungen wird die Herrschaft in der neuzeitlichen Naturrechtslehre keineswegs den einzelnen Menschen als eine fremde Instanz gegenübergestellt, die begrenzt werden muß 1 7 : Dagegen ist die Herrschaft in ihrer Absolutheit gerade das Ergebnis einer rationalen Kon16 Vgl. dazu Merio Scattola , Ordine della giustizia e dottrina della sovranità in J. Bodin, in: Duso, Il potere (Fn. 6), S. 61-76. 17 Die weitverbreitete Meinung, daß die Menschenrechte die Herrschaft beschränken, kann vielleicht für den Fall gelten, daß man die historische Funktion des Naturrechts einschätzt, aber sie verliert ihre Bedeutung, wenn man die theoretische Konstruktion des modernen Naturrechts und die Texte der naturrechtlichen Philosophen und Juristen betrachtet. Bei allen wichtigen Denkern wird die Herrschaft auf die Basis der individuellen Rechte gegründet: dementsprechend ist die Herrschaft keine fremde Instanz gegenüber den rationellen Rechten der Individuen, sondern gerade das Ergebnis der „wissenschaftlichen Lehre", die auf Grund der Rechte der Einzelnen gebildet wird. Vgl. dazu Duso, Il contratto sociale (Fn. 1).
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struktion, die mit den Menschenrechten anfängt. Dies wird am deutlichsten im Titelblatt des Leviathan versinnbildlicht 18 . Die Bürger stehen nicht dem Souverän gegenüber, sondern bilden denselben Leib des Souveräns. Zwischen Souverän und Bürgern kann kein Verhältnis stattfinden, als ob sie voneinander unabhängige Subjekte wären. Nur indem sie durch den Souverän und als Souverän handeln, können die Burger als politische Subjekte verstanden werden. Gegenüber dem Souverän gibt es nur Untertanen: Es gibt keine gemeinsame Ebene mehr, auf der Eintracht, consensus und Mitwirken zwischen dem gubernator und den Regierten gefunden werden können oder müssen, wie es in der älteren Tradition der Fall war. Die Untertanen können keineswegs mit der Regierung kooperieren, weil sie keine politische Subjekte neben dem Regierenden sind: Sie müssen nur gehorchen. Der produktive Wille, der den politischen Körper durch ein Pakt geschaffen hat, wird nach demselben Pakt zu etwas Neuem, d.h. zu politischem Willen, dem Willen des ganzen politischen Körpers, der wegen der Logik der wissenschaftlichen Konstruktion nicht anders als unwiderstehlich gedacht werden kann 1 9 . Dies ist aber der Wille aller: Deshalb kann im Grund kein Widerstandsrecht mehr eingeräumt werden. Das Titelblatt des Leviathan bringt konsequent diese neue Auffassung des politischen Lebens zum Ausdruck: Die Individuen sind im Körper des Souveräns einverleibt; dieser allein aber hat das Schwert in der Hand. Das Geheimnis der neuen politischen Wissenschaft ist der Zusammenhang zwischen den Begriffen der Souveränität und der Repräsentation. Hobbes identifiziert diese Begriffe miteinander (der Repräsentant ist unmittelbar Souverän); späterhin
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Dazu Reinhard Brandt, Das Titelblatt des Leviathan , in: Thomas Hobbes - Leviathan, hrsg. von Wolfgang Kersting, Berlin 1996, S. 29-53. 19 Vgl. dazu Wolfgang Kersting, Vertrag, Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertrag, in: Geschichtliche Grundbegriffe (Fn. 8), Bd. VI (1990), S. 901 ff. (918 ff.), sowie ders. y Die politische Philosophie des Gesllschaftsvertrags, Darmstadt 1994.
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werden sie voneinander unterschieden, obwohl sie immer als untrennbar verstanden werden. Die Souveränität gehört dem ganzen Volk, aber, da das Volk eine ideelle und keine konstituierte Größe ist, kann der Wille des Volkes ausserhalb des Willens und der Handlung des Repräsentanten nicht anerkannt werden, wie dieser auch immer verstanden wird, als Souverän wie bei Hobbes oder als Repräsentant des souveränen Volkes wie bei den anderen naturrechtlichen Denkern. Auf der Basis einer strengen Logik kann Hobbes also schließen, daß der König (als Repräsentant) in einer Monarchie Volk ist 2 0 . Nicht anders steht es bei Kant, auch wenn der Repräsentant die öffentliche Meinung bzw. die Philosophie und ihr Publikum berücksichtigen muß, um die Repräsentation angemessen zu vollziehen. Auch bei Kant ist das Widerstandsrecht undenkbar, weil es gegenüber dem Repräsentanten kein Volk, sondern nur Untertanen gibt 2 1 ! Das bedeutet, daß die Absolutheit der Herrschaft auch bei Kant sich nicht auf den Despotismus, sondern auf das repräsentative Prinzip gründet: das Prinzip also, daß ein kollektives Subjekt nur durch ein repräsentatives Handeln juristisch - d. h. als juristische Größe - denkbar wird.
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Die Gleichsetzung vom Willen des Volkes und Willen des Repräsentaten wird von Pufendorf eindeutig als die wesentliche Voraussetzung der ganzen theoretischen Konstruktion anerkannt. An einer sehr klaren Stelle seines De iure naturae (VII 2, 14) nimmt er das Paradoxon von Hobbes auf, daß „der König in einer Monarchie Volk ist" und erklärt es. Auf Grund dieser Annahme muß man die Einheit des Volkes richtig bestimmen und daher den Unterschied zwischen dem Volk als ganzer civitas und dem Volk als Vielzahl der Untertanen verstehen {„nam populus vel notât totam civitatem, vel multitudinem subditorum"). Fehlt dieser Unterschied, muß das Handeln des Volkes mißverstanden werden, und derselbe Fehler hindert uns daran, das Wesen und die Logik der modernen Repräsentation zu verstehen. Vgl. dazu Giuseppe Duso, Sulla genesi del moderno concetto di società: la „consociano" di Althusius e la „socialitas" di Pufendorf, in: Filosofia politica 1996, S. 5-31. 21 So formuliert in der berühmten Anmerkung über die Natur der bürgerlichen Gesellschaft in der Metaphysik der Sitten (/. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: Werke, hrsg. von der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VI, Berlin/Leipzig 1923, S. 318ff.).
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Die Grundlage der theoretischen Konstruktion wird vom Gedanken geliefert, daß nicht ein konstituiertes Volk, wie es bei Lorenzetti oder Marsilius oder noch bei Althusius der Fall war, sondern ein politisches Subjekt vorausgesetzt wird, das von einer unendlichen Masse von Individuen gebildet wird. Diese ideelle Größe kann nur durch die konkrete Handlung eines Repräsentanten eine empirische Dimension erreichen. Auch in dieser Hinsicht ist das Titelblatt des Leviathan lehrreich! Die Souveränität ist das Ergebnis der Idee, daß alle Individuen gleich sind. Hier stellt sich aber die Frage: Wie wird eine Einheit (die einzige bürgerliche Person) aus einer unendlichen Vielfalt von Individuen denkbar? Die einzige Lösung ist nicht der Einklang oder das Ubereinkommen der verschiedenen Gesinnungen, Interessen, Bedürfnisse, Urteile und Gesichtspunkte, sondern die Entstehung eines neuen einzigen Willens, des Gemeinwillens, der für alle gelten muß. Man vertritt eine ganz andere Auffassung der Politik, wenn man sich die respublica als ein Weib vorstellt, das aus verschiedenen und unterschiedlichen Gliedern zusammengesetzt ist: d.h. aus Kopf (Regierung, princeps), Herzen (.senatus), Armen (milites et consiliares), Beinen (agricolae) u.s.w. 2 2 . Hier unterscheidet sich der Kopf von den anderen Gliedern, und seine Führung ist natürlich und vernünftig. Um die Logik der Repräsentation gut zu verstehen, muß man zu dem für die ganze moderne politische Wissenschaft grundlegenden XVI. Kapitel des Leviathan zurückkehren. Hier wird diese Logik sehr klar dargestellt. Daß alle durch den Souverän repräsentiert werden, bedeutet, daß alle sich zu Autoren der Handlungen machen, die der actor - der Repräsentant also - tun wird. Auf diese Weise wird die oberste Gewalt konstituiert. In einer Welt, in der alle Menschen als gleich gedacht werden, kann es auctoritas erst dann geben, wenn ein Prozeß 22
Siehe dazu Casparus Facius, Politica Liviana, quibus pacis et belli artibus imperium Romanum partum, auctum et multiplicatum; inde quibus erroribus ac vitiis amissum sit, Altenburg 1617, S. 448.
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der Ermächtigung stattfindet. Alle Individuen sind auctores der Handlungen des Souveräns: Daraus kann man verstehen, warum die Bürger dem Inhaber der Herrschaft nicht gegenübergestellt werden und erst durch ihn handeln können. Sie sind nicht neben, sondern - so im Titelblatt - in dem Leib des Souveräns. Der Befehl des Souveräns ist wirklich nicht sein eigenes Gebot, sondern stammt von allen her, die auctores des Befehls sind. Demzufolge werden die Bürger in der modernen politischen Wissenschaft nicht von jemandem regiert, sondern gehorchen ihrem eigenen Willen. Wenn man Hobbes nur als einen absolutistischen Denker liest, scheint diese Schlußfolgerung als ein Paradoxon, aber die hier nachvollzogene Argumentation wurde nicht erst von Rousseau entwickelt, sondern ist schon im Repräsentationsbegriff von Hobbes mitenthalten. Auf die Aporien dieser strengen Logik bezüglich des Verhältnisses von Souveränität - also politischer Herrschaft - und Repräsentation bin ich oftmals zurückgekommen. Wie schon im Titelblatt des Leviathan gezeigt wird, ist die politische Subjektivität in einen radikalen Dualismus geraten. Alle Bürger sind auctores von Handlungen, die sie nicht vollziehen, und die politischen actores, also die Volksrepräsentanten, vollziehen Handlungen, deren auctores sie nicht sind und für die sie also nicht die Verantwortung tragen. Wenn dieser von Hobbes geschaffene Repräsentationsbegriff in den modernen politischen Theorien oder Verfassungen weiterwirkt, so muß man annehmen, daß gerade derselbe Begriff, der für das Zustandekommen der modernen Demokratie unentbehrlich ist, wegen seiner inneren Logik, die Bürger der Möglichkeit des politischen Handelns beraubt. Ich möchte aber nicht zu lange bei diesen Aporien verweilen, sondern eine kurze Überlegung über das Thema der Freiheit anstellen. Hasso Hofmann hat mit Recht geschrieben, daß der Zentralbegriff in der Rechts- und Staatsphilosophie der Moderne nicht mehr die Gerechtigkeit, sondern die Freiheit ist. Dabei muß man vorausschicken, daß Freiheit als Selbständig-
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keit des Willens nicht ein universeller Begriff ist, weil dieser erst in dem eben dargestellten Zusammenhang der neuzeitlichen politischen Wissenschaft entstand. Dieser moderne Begriff wird der Herrschaft gar nicht entgegengestellt; dagegen ist die Herrschaft im modernen Sinn ein notwendiger Bestandteil im Begriff der Freiheit. Freiheit bedeutet bei Hobbes, kein Hindernis zu haben, oder für den Menschen „ist die Freiheit eines jeden, seine eigene Macht, nach seinem Willen zur Erhaltung seiner eigenen Natur, das heißt seines eigenen Lebens, einzusetzen und folglich alles zu tun, was er nach eigenem Urteil und eigener Vernunft als das zu diesem Zweck geeignetste Mittel ansieht" 23 . Diese Freiheit soll für alle und „jeden" gelten. Außerhalb des commonwealth , d.h. im Naturzustand ist dies aber nicht nur unmöglich, sondern auch undenkbar, was bedeutet, daß es sich um einen noch nicht vollendeten Begriff handelt. Wenn nämlich alle nach allen Richtungen hin sich bewegen, finden sie überall Hindernisse und sind überhaupt nicht frei. Damit die Freiheit aller und jeder möglich sei, muß man „Laufbahnen" ziehen, die verhindern, daß sich die Bahnen der Menschen (wie Wettläufer in einem Stadion) ständig kreuzen. Erst dann werden alle frei und können ihre Kräfte ungehindert ausdehnen. Aber dies wird nur dank der Laufbahnen möglich, d.h., außerhalb der hobbeschen Metapher, weil Gesetze, bzw. Befehle der politischen Herrschaft vorhanden sind. Ohne Souveränität kann man sich daher keine Freiheit - diese Freiheit - vorstellen. Man kann sogar sagen, daß die Menschen erst durch die Herrschaft - die Souveränität - frei gemacht werden; also frei von jeder Regierung im alten Sinne des Wortes gubernare 24: Nur die Herrschaft macht frei.
23 Thomas Hobbes, Leviathan, übers, von I. Fetscher, Neuwied/Berlin 1966, S. 99. 24 Siehe S. Biral , Hobbes, La società senza governo, in: Duso, Il contratto sociale (Fn. 1), S. 51-108.
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V.
Mit der modernen politischen Wissenschaft, die mit Hobbes entsteht, versucht man, die alte Frage nach der Gerechtigkeit zu neutralisieren. Sie ist zu gefährlich und gibt immer wieder Anlaß zu Konflikten. Man braucht eine wissenschaftliche eine geometrische - Lösung. Diese Lösung ist jene theoretische Konstruktion, die ein Modell entwirft, dessen wichtigste Elemente Freiheit und Herrschaft sind, eine Herrschaft, in der das Volk durch den Repräsentanten Herr ist. Da die Ordnung der Dinge vernichtet wird, bleibt nur der Wille als einziger Legitimationsgrund der politischen Form: ein verabsolutierter Wille der Menschen, der immer zwischen zwei Polen schwankt, dem Willen der Einzelnen und dem Gemeinwillen. Die Frage nach der Gerechtigkeit aber taucht innerhalb dieser Neutralisierungsform der modernen politischen Wissenschaft wieder auf. In der langen Tradition der praktischen Philosophie, die mit den Griechen begann, transzendiert die Idee der Gerechtigkeit jeden Menschenwillen: Sie hängt keineswegs vom Willen ab, wie wir schon am Fresko von Lorenzetti gesehen haben. Gerade deshalb muß die menschliche Praxis immer weiter versuchen, die Idee zu interpretieren und ein angemessenes Bild von ihr zu gewinnen. In der platonischen Politeia, die die Philosophie als eine dialektische episteme versteht, aber keine geometrische Wissenschaft der Politik entwickelt, wird folgende Bestimmung der Gerechtigkeit gegeben: ta heautou prattein. Dies wird aber nicht für eine wissenschaftliche Definition, sondern vielmehr für ein gutes Bild (eikon) der Gerechtigkeit gehalten 25 . Hier finden wir keine formale Lösung für das Problem der Gerechtigkeit und können keine abstrakten Regeln des gerechten Handelns ableiten, sondern müssen immer in der Wirklichkeit das Problem lösen und die bessere Handlungsmöglichkeit wählen. In der Praxis muß der Mensch den Blick
25 Vgl. Platon, Politeia, IV, 10 (433a, 433b).
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auf die Idee wenden, obwohl die Idee kein reines Objekt seines Sehens und seines Wissens werden kann: Sie ist weder unmittelbar sichtbar noch kopierbar und auf ein Modell reduzierbar. Deshalb ist ein Bild möglich und auch nötig. Diese Transzendenz der Idee und auch die gleichzeitige Funktion des Bildes (ieikon, imago) hat die moderne politische Wissenschaft abgelehnt und durch den Herrschaftsbegriff vernichtet. Ich habe bisher über den begrifflichen Inhalt des Bildes gesprochen: A m Ende möchte ich die Funktion des Bildes in der modernen Begriffskonstruktion kurz betrachten. Wenn die moderne Repräsentation eine Repräsentation der Einheit ist, und die Einheit keine empirische, sondern vielmehr eine ideelle Größe ist, muß das Ergebnis der Repräsentation notwendigerweise ein Bild der Idee sein. Dies hat zutreffend Carl Schmitt gezeigt, als er die Repräsentation Vergegenwärtigung eines unsichtbaren Seins durch ein öffentliches anwesendes Sein definiert hat 2 6 . Was im modernen Begriff repräsentiert wird, ist etwas, das nur eine ideelle und keine empirische Natur hat. Deshalb zeigt sich in der Repräsentation immer eine Bewegung zur Transzendenz 27 , auch wenn die moderne politische Form, die im naturrechtlichen Denken entstanden ist, gerade versucht, die Transzendenz zu vernichten. Das Volk als Idee kann niemals durch Repräsentation vollkommen ausgedrückt werden; deshalb kann man sich immer auf einen „wahren" Volkeswillen berufen und ihn dem von den Repräsentanten geäußerten Gemeinwillen gegenüberstellen, obwohl jene eine demokratische Legitimation inne haben. Trotzdem wird der Begriff „Volk" dafür benutzt, um einen immanenten Grund zu erreichen. Das ist bei Rousseau eindeutig der Fall, der gegen Hobbes argumentiert, aber mit ihm 26 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 209. 27 Dies und nicht die Figur der Analogie ist meiner Meinung nach der Kern der politischen Theologie von Carl Schmitt. Dazu verweise ich auf: Giuseppe Duso, Teologia politica e logica dei concetti politici moderni in Cari Schmitt, in: ders ., La logica del potere (Fn. 4), Kap. VI.
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immer verbunden bleibt, sowohl in der Geschichte der Staatslehre als auch in den Grundlagen der modernen Verfassungen (durch seine Idee des Volkes als verfassunggebender Gewalt). Der Gemeinwille ist immer das, was er ist, ist immer in actu y und das Volk ist seit Rousseau das einzige und vollkommene Subjekt der Politik. Ein gerechtes Handeln ist ein Handeln, das auf das Volk als auf dessen Subjekt zurückgeführt werden kann. Wenn wir noch einmal auf das Titelblatt des Leviathan zurückkommen, können wir die hier erwähnte Immanenz in der Form der Repräsentation (die von Rousseau aufgehoben wird) deutlich sehen. Der Kopf hat den Platz der Sonne genommen, wie Hofmann demonstriert hat: Nichts steht über dem Kopf des Souveräns; sein Befehl ist unmittelbar absolut und ist mit dem Willen des Volkes gleich. Aber als Repräsentant verweist er auch auf etwas anderes. Allmählich wird die Bewegung zur Transzendenz, die der Repräsentation eigen ist, immer deutlicher, auch wenn sie nicht genau anerkannt wird. Da die Transzendenz der Idee vernichtet wird, ist das durch die Repräsentation erzeugte Bild nicht als „Bild" anerkannt, sondern als Realität (miß)verstanden. U m noch mit Piaton zu reden, ist es ein schlechtes Bild, ein trügerisches Bild: Da es sich als wahre Wirklichkeit darstellt - und den Trugschlüssen der Sophisten gleichkommt, die behaupteten, eine politische Wissenschaft zu besitzen - , ist dieses Bild kein eikon, sondern ein phantasma. Es verliert, was der Natur des Bildes eigen ist, d.h das Verhältnis mit dem Urbild, also mit der Idee, die die wahre Wirklichkeit ist. Wenn man diese Natur der Repräsentation genau prüft 2 8 , gerät die geometrische und formelle Logik der legitimierenden politischen Wissenschaft in die Krise: Dann wird die Frage nach der Gerechtigkeit nochmals nötig. Und dies nicht neben 28 Mein Versuch ist: La rappresentanza: un problema di filosofia politica, Mailand 1988.
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der modernen politischen Wissenschaft, sondern gerade in ihrem Inneren: in ihr und über ihr. So scheint die Idee der Gerechtigkeit als wahre Wirklichkeit, weil sie wirklich nötig für die Praxis der Menschen ist. Diese Praxis erweist sich aber immer als ein Versuch, die Idee der Gerechtigkeit in der konkreten Gegenwart zu interpretieren und zu verwirklichen; ein Versuch also, der immer mit Risiko verbunden ist und Tugend braucht und nicht durch formelle Elemente (wie Willensausdruck und Ermächtigung) gerechtfertigt und legitimiert werden kann. Die Wirklichkeit der Praxis kann daher nicht mit dem Ergebnis der modernen Theorie verwechselt werden. Man kann das Thema der Repräsentation auch auf einem anderen - aber parallelen - Weg betrachten. Man kann sich nämlich fragen, ob und wie es für die Menschen heutzutage möglich ist, am politischen Leben teilzunehmen, wie die Unterschiede anerkannt werden und welche politische Funktion die Minderheiten ausüben. Ohne dabei in eine naive Aktualisierung zu fallen, ist vielleicht in dieser Richtung fruchtbar, an den Gedanken der gubernatio und an eine föderalistische Auffassung der Politik anzuknüpfen. Damit ist eine Auffassung gemeint, die in ihr Zentrum den alten Begriff von foedus mit seinen nötigen Korollarien über die Pluralität der politischen Subjekte und über die Idee der Solidarität stellt. Dies alles wird aber erst dann möglich, wenn der moderne Repräsentationsbegriff in Frage gestellt wird, und - so meine ich - vom Bewußtsein begleitet wird, daß eine solche Reflexion nicht unmittelbar aus dem Verständnis der Widersprüche der modernen Repräsentation deduzierbar ist, sondern die Form eines - riskanten Vorschlags hat.
Die Bedeutung des Kantschen Rechtsbegriffs für Kants Theorie eines transzendentalen Idealismus Von Gerd Irrlitz Die Bedeutung des Kantschen Rechtsverständnisses für die Theorie des transzendentalen Idealismus möchte ich in drei Schritten darstellen: Metaphorik des Rechts bei Kant (I), Analogien zwischen philosophischer und juridischer Methode (II) und schließlich die Rechtswissenschaft als logisches Muster, das - neben dem der mathematischen Naturwissenschaften - der Transzendentalphilosophie zu Grunde liegt (III).
I. Wollte man nach Hans Blumenbergs Idee einer Metaphorologie der Philosophiegeschichte auch die Kantschen Schriften motivgeschichtlich betrachten, so entdeckte man den strengen Metaphysiker Kant als reichhaltigen und ebenso wohlbedachten Metaphoriker. Kant hat die zentralen Kreuzungspunkte seiner Theorie mit höchst einprägsamen Bildern besetzt, die im weiten Zug der Schriften gleich wiederkehrenden Leitmotiven symbolische Bedeutung gewinnen. Drei Metaphern werden den Hauptgedanken der Transzendentalphilosophie beigesellt. Sie lassen uns durchs Sprachkleid die Person des Autors erblicken, geben Aufschluß über das geistige Fluidum der Zeit, das die Schriften trägt und sprechen das kulturelle Ideal aus, dem der besorgte Denker sein Werk verpflichtet. Die erste stammt aus dem geographischen Bezirk. Kant dachte wie das 18. Jh. erlebnisvoll gespannt und zugleich kartographisch intellektualisierend von der Geographie als bedeuten-
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der, den Raum der Menschheit erweiternder und sichernder Wissenschaft. So konnte er die Vernunftkritik im Bild von der transzendentalen Topographie schildern. Hume wird einer „dieser Geographen der menschlichen Vernunft" genannt. „Das Land des reinen Verstandes", ist jetzt „durch Messen (erforscht) und jedem Ding auf demselben seine Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist eine Insel und durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stürmischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins". (III, 202)1 Das transzendentalphilosophische Programm steht im Bild der nun kartographisch zu sichernden Weltstelle für die Menschheit. Beim Sohn der Seehandelsstadt Königsberg verbindet sich das Geographische der nautischen Bildwelt, und es schließt sich die beredte Warnung vor den Folgen kritikloser als navigationsloser geistiger Ozeanfahrt an. Wie eben der Skeptiker Hume, der nichts von der „möglichen förmlichen Wissenschaft" der synthetischen Sätze a priori ahndete, „sein Schiff, um es in Sicherheit zu bringen, auf den Strand (den Scepticism) setzte, da es denn liegen und verfaulen mag, statt dessen es bei mir darauf ankommt, ihm einen Piloten zu geben, der nach sicheren Principien der Steuermannkunst, die aus der Kenntnis des Globus gezogen sind (als der die „reine Vernunft" gedacht wird, d. Verf.), mit einer vollständigen Seekarte und einem Compaß versehen, das Schiff sicher führen könne, wohin es ihm gut dünkt." (IV, 262) Insel, Ozean des Bewußtseins, der genaue Topographie des Denkens erfordert, christliche Seefahrt - Kant stellt seine hoch-abstrakte Denk-Welt unter den alten Bildkreis vom Lebensschiff, der Seele auf stürmischer See, einer Lieblingsallegorie der Barock-Dichtung. Die pietistische Literatur, z.B. G. Teerstegen (1697-1769) mahnte zu rechter geistlicher Schiffahrt, bei der man das Ruder Jesu überlasse. Vom pietisti1 Kant-Belege nach der Akademie-Ausgabe, Kant's Gesammelte Schriften, Berlin 1902 ff. (Band mit röm. Seite mit arab. Ziffer).
Kantscher Rechtsbegriff u n d Kants transzendentaler Idealismus
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sehen Predigtton ist die zweite Leitmetapher Kants geführt. 2 Unserer unbeaufsichtigten Vernunft ist der Zug zur Schwärmerei nach eingebildeten intellektuellen Welten eigen. Kant steigert mit pietistischer Eindringlichkeit den aufklärerischen topos der Irrtumstheorien und führt ihm die Luthersche Warnung vor der Verführbarkeit der menschlichen Seele zu, der man ununterbrochen Aufmerksamkeit widmen müsse. Der ernste Blick auf uns selbst gehört zum Geist der Kantschen Philosophie mit der Trias von Gefährdung, Wachsamkeit und Methode. Kant begründet die transzendentale Untersuchung mit der ideellen Konflikthaftigkeit des Menschen, eingebildete Wirklichkeiten über die erfahrbare Welt zu setzen, und sich in jenen als in unauflösbaren Antinomien des Sinnverständnisses zu verlieren. Es sind „Sophistikationen nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste unter allen Menschen sich nicht losmachen und vielleicht zwar nach vieler Bemühung den Irrtum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals loswerden kann." (III, 261) Eine „polizeilose Dialektik" führt zum „Widerstreit der Gesetze der reinen Vernunft", zu den „Auftritten des Zwiespalts und der Zerrüttungen" des Denkens. (III, 351, 282) Das Problemfeld der transzendentalen Dialektik wird von Kant mit den Zerrüttungsbildern des menschlichen Geistes besetzt. Merkwürdig ist, wie intensiv dann auch die militärische Terminologie des Glaubenskampfes den Dialektik- und den Methoden-Teil der „Kritik der reinen Vernunft" regiert. Hier wird gesprochen wie in der Erbauungsliteratur von den Kriegswaffen des Glaubens, die Anfechtungen des Bösen niederzuschlagen. Wenn das Hauptwerk endlich sein Ziel erreicht hat, eigentlich doch die Widerlegung der ontologischen Schul-
2 Vgl. E. Riedesel, Pietismus und Orthodoxie in Ostpreußen, KönigsbergBerlin 1937; A. Langen, Der Wortschatz des deutschen Pietismus, Tübingen 2 1968.
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metaphysik und des Lockeschen Sensualismus, heißt es von den „Blendwerken" unkritischer Vernunft: „Den Gegner aber müssen wir jederzeit in uns selbst suchen." „Außere Ruhe ist nur scheinbar. Der Keim der Anfechtungen, der in der Natur der Menschenvernunft liegt, muß ausgerottet werden." Wir müssen ihn entdecken, um ihn „nachher mit der Wurzel zu vertilgen." „Zu Eurer vollständigen Rüstung gehören auch die Hypothesen der reinen Vernunft." Der „blendende, aber falsche Schein", den unkritische Vernunft sich vorspiegele, führe zu den „Auftritten des Zwiespalts und der Zerrüttung", doch die Vernunftkritik ziehe den „Anker einer phantasiereichen Hoffnung" weg. (III, 476, 351, 282 f.) „Jesus, Anker unsrer Not, erlöst uns von dem schweren Tod", heißt es im Evangelischen Gesangbuch. „Jesus ist mein Schild, meine Wehr." Speners „Pia desideria" hatten den guten Streiter wahren Glaubens aufgerufen. Kant, mit der pietistischen Literatur durch Elternhaus und durchs Gymnasium wohlvertraut, spricht von der Transzendentalphilosophie in der Terminologie der „militia Christi". 3 Kant spricht aus der menschlich-entschiedenen Atmosphäre der ärmeren deutschen Bürgerwelt gegen die französische sensualistisch-aristokratische und gegen die englische utilitaristisch-großbürgerliche Linie der Aufklärung. Die transzendentale Thematik wird in das Bewußtsein eines geistigen Krieges des Menschen mit sich selbst eingefügt. Wir müssen uns als Sünder im Geiste erkennen. Auch schon als Delinquenten? Juristen denken zu Recht, sie dürften bei so schwer gelagertem Fall nicht beiseite stehen. Die dritte und die strahlende Metapher in Kants Denkens kommt mit dem Wort von der Vernunftkritik als eines „obersten Gerichtshofes aller Rechte und Ansprüche unserer Spekulationen". (III, 442) Die beiden Bildwelten der Geographie und unseres Streites gegen Anfech3
Zum religionshistorischen Rahmen vgl. A. v. Harnack, Militia Christi, Die christliche Religion und der Soldatenstand in den ersten drei Jahrhunderten, Tübingen 1905.
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tungen und Zerrüttung des Geistes geben zu erkennen, aus welchem Vorstellungskreis bei Kant das Recht hervortritt. Gerichtshof, Recht stehen nicht zu Verfehlung, zu Unrecht im Gegensatz, sondern zu unausweichlicher Anfechtung, zu Verfall, ja Zersetzung. Vernunft steht im Bild des gerechten Richters, des alten Vertrauensbildes bei den Armen dieser Erde. Die kulturelle Mission der Vernunftkritik auszuzeichnen, nimmt Kant das Bild von der juridischen Klage gegen den Betrug der Sinne und des Rechtsstreits zwischen Sinnenschein und Verstand auf, das sich schon in der antiken Skepsis findet. Er gibt dem Element der Rhetorik - Rhetorik und Gerichtsrede gehören im Ursprung zusammen - den bürgerlich-aufklärerischen Gestus herangereifter endgültiger Zerstörung der Vorurteile. Das der Rechtspraxis entstammende Bild vom Verhör der Sinne durch die Begriffe, überhaupt vom Zwang gegen die Natur, vor Beobachtung und Experiment endlich genau auszusagen, hatte bereits der Kronjurist Bacon rhetorisch wirkungsvoll seiner Induktionslogik eingefügt. Das Eigentümliche und Stirnbietende in Kants Wendung des alten Skepsis-Gedankens von der Klage gegen den Betrug der Sinne besteht darin, daß der Gerichtshof mitten in der Aufklärung aufgeschlagen wird, die offenbar, nach siegreichen Schlachten gegen die Vorurteile, endlich von Vorurteilen gegenüber sich selbst befreit werden muß. 4 A m Schluß des 4 Das Gericht der Vernunft, vor das die unser Denken verführenden Truggeister gestellt werden, ist eine alte aufklärerische Metapher, die in den verschiedenen kulturellen Perioden unterschiedlichen Akzent erhält. Demokrit schon hatte Rechtshändel zwischen Seele und Körper, ebenso zwischen Wahrnehmung und Verstand behandelt. (/. Mansfeld, Die Vorsokratiker II, Stuttgart 1986, Kap. 9, Demokrit, Nr. 25, 99). In G. Brunos „Vertreibung der triumphierenden Bestie" (1584) wird Zeus als Sinnbild des Menschengeistes in grandiosem Absetzungs- und Erhebungsverfahren die Welt von allen Lastern der Unwissenheit, der Betrugs, der Heuchelei usf. als von der triumphierenden Bestie reinigen. Walten sieht man dann die Rechtspflege auf den fünf Feldern der Beweisaufnahme, der Diskussion, der Entscheidung, der Anordnung und Exekution. (G. Bruno, Die Vertreibung der triumphierenden Bestie, Leipzig 1904, S. 26 f.) A. Geulincx hatte die Methode der Schulphilo-
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Dialektik-Teils der „Kritik" heißt es von der „Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft", das Werk sei die „mühsame Abhörung aller dialektischen Zeugen, die eine transcendente Vernunft zum Behuf ihrer Anmaßungen auftreten läßt". Wie jeder Delinquent verrät auch die Vernunft sich durch die Widersprüche, in die sie sich verstrickt. Wegen des jedermann anlockenden natürlichen Scheins, die Grenzen des immer erfahrungsgebundenen Wissens zu überfliegen, „war es rathsam, gleichsam die Acten dieses Processes ausführlich abzufassen und sie im Archive der menschlichen Vernunft zur Verhütung künftiger Irrungen ähnlicher Art niederzulegen." (III, 461) Kant sah die Vernunft des Zeitalters der Aufklärung „in einen Streithandel verflochten", in dem nun Transzendentalphilosophie als „Richter den Mangel der Rechtsgründe" ergänzt und das Urteil spricht. (III, 361, 345) Kant geht es mit Empirismus- und Metaphysik-Kritik nicht um neue Akten in den Verhandlungssachen Despotismus, Aberglauben, feudale Hörigkeit. Die Denkformen der Aufklärung selbst werden als unentschiedener Prozeß gelesen. Der Volksmann als Anwalt der Gerechtsame des genauen Denkens vom Denken überträgt das spezifische Entscheidungsniveau juridischer Alternativen man muß nach vereinbarten und jedermann einsehbaren Voraussetzungen zu einem allgemeinverpflichtenden Urteil kommen - auf Erkenntnistheorie, Moral, Recht, Vernunftreligion. Ein hohes, ein naives Bewußtsein in den Augen relativistischer Nachfahren? Das Modell für Kants Wahrheitsbegriff in dessen kulturellen Dimensionen, es ist der Geist juridischer Verfahrensrationalität mit deren Verpflichtung zu unparteiischer Objektivität, doch auch, zu einer Entscheidung zu gelangen. Die Pflichtenlehre der „Metaphysik der Sitten" überführt das Motiv der pietistischen Gewissensprüfung zu einem Rechtshandel des Menschen mit sich selbst: „denn der Gerichtshof ist im sophie des 17. Jh. in der literarischen Form eines Gerichts der Vernunft über die Truggeister kritisiert, die folgerichtiges Denken behindern. (Vgl. E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem, 1. Bd., Berlin 1922, S. 534 f.).
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Inneren des Menschen aufgeschlagen". (VI, 439) „Das Bewußtsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen (vor welchem sich seine Gedanken einander verklagen oder entschuldigen) ist das Gewissen." „Denn der Handel ist hier die Führung einer Rechtssache (causa) vor Gericht." (VI, 438)5
II. Die juridische Bildsprache läßt eine der Leit-Disziplinen im geistigen Einzugsbereich der Kantschen Philosophie erkennen, und sie gibt Auskunft über deren kulturelle Intention. Diese Theorie steigert aus einem Geist besorgter Genauigkeit Aufklärung in die Phase der Selbstprüfung der Aufklärung. Kant sieht in der Mitte des aufklärerischen Jahrhunderts das Erfordernis einer neuen systematischen Philosophie außerhalb der streitenden geistigen Parteien. Sie soll deren unparteiischer Richter sein. Vermag ein Zeitalter der Richter im Geiste über sich selbst zu sein? In den Inhalten des Gedachten niemals. Doch Kant nimmt es als eine Frage der Methode des kulturellen Selbstverständnisses, nicht der materialen Gehalte des Denkens. Er stellt eine Inkonsistenz in der bestehenden methodischen Selbstbegründung der modern-bürgerlichen Gesellschaft fest. Die Spannung von persönlicher Freiheit und Republikanismus der Menschheitsidee, also von empirischer und ideeller Realität, werde nicht methodisch zureichend gedacht. Das richtet sich vor allem gegen die ungenügende theoretische Abstraktion eines konkreten bedürfnishaften Individuum im Empirismus. (Es war das ungelöste Problem auch des Rousseauschen antiutilitaristischen Verfassungsmusters geblieben.) Kant sieht in der empirisch-induktiven Methodik des Empirismus die Basis der paradoxen Situation, in der die Aufklärung sich bewege.6 Sie proklamiere Ziele, die sie mit dem methodischen Arsenal von 5
Zu Kants Metaphorik bereits R. Euchen, Über Bilder und Gleichnisse in der Philosophie, Leipzig 1880; vgl. a. M. Sommer, Der Selbsterhaltung der Vernunft, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977.
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deren Realisierung negiere. Darum führt Kant seine transzendentalphilosophische Wende als eine Revolution der Methode des Denkens ein. Die Rechtswissenschaften und die mathematischen Naturwissenschaften dienen ihm als Muster, wie empirisch-erlebnishaftes Geschehen in Relationen analytischabstrakter Größen transformiert wird. Die Vorrede zur zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" (1787) spricht das wissenschaftsgeschichtliche Verständnis Kants von dieser „Revolution der Denkart" (III, 10) und von deren durch Philosophie zu generalisierenden kulturellen Bedeutung aus. Die Grundfrage der neuen Theorie gegenüber den bisher dominierenden Konzeptionen des 18. Jh. ist die Trennung von Sinnlichkeit und Verstand. N u r sie wird den Ausgang finden aus dem „ekelhaften Mischmasch von zusammengestoppelten Beobachtungen und halbvernünftelnden Prinzipien". (IV, 409) Die Transzendentalphilosophie begründet in den „Kritiken" drei Typen logischer Geltung: für theoretische Objektkonstitution, Verhaltensorientierung nach dem Gebot Achtung vor der Idee der Menschheit und Urteile des ästhetisch zweckfrei Schönen. Man könnte sagen, Kant will durch diese drei Formen logischer Geltung den Kulturbegriff überhaupt so qualifizieren, daß er in einem formalen Regelwerk aller Beurteilungsweisen das Niveau mathematisch-naturwissenschaftlicher und juridischer Methodik erreiche. 7 In der „Metaphysik der Sitten" (1797) führt er seinen Rechtsbegriff geradezu als die Mathematik der sozialen Regelung ein. Er nennt das Prinzip aller Gesetze - jedermanns Freiheit unterm wechselseitigen Zwang 6
Vgl. R. Brandt (Hrsg.), Rechtsphilosophie der Aufklärung, Berlin-New York 1982, darin: H. Hofmann, Zur Lehre vom Naturzustand in der Rechtsphilosophie der Aufklärung; G. Lübbe-Wolff Begründungsmethoden in Kants Rechtslehre; Beiträge u.a. von R. Brandt, O. Höffe, W. Kersting, H. Oberer. 7 Vgl. H. Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: H. Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, Tübingen 1995, spez.: Logische Allgemeinheit des vernunftrechtlich-idealistischen Gesetzesbegriffs, S. 272-277.
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allgemeiner Freiheit - die „Konstruktion jenes Begriffs, d.i. Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a priori, nach der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetze der Gleichheit der Wirkungen und der Gegenwirkungen. So wie wir nun in der reinen Mathematik die Eigenschaften ihres Objekts nicht unmittelbar vom Begriffe ableiten, sondern nur durch die Konstruktion des Begriffs entdecken können, so ists nicht sowohl der Begriff des Rechts, als vielmehr der unter allgemeine Gesetze gebrachte ... wechselseitige Zwang, der die Darstellung jenes Begriffs möglich macht." Die Geometrie weist die kürzeste Verbindung zweier Punkte nur in einer einzigen Linie nach, „nach welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine einem Jeden mit mathematischer Genauigkeit bestimmt wissen will". (VI, 233)8 Die Spezifika juridischer und mathematisch-naturwissenschaftlicher Methodenstandards, für Kant die Kernbezirke neuzeitlicher Rationalität, bieten das Muster einer Kultur, deren Bewegung sich im Doppelschritt von faktischer Vergegenständ8 Aus der reichen Literatur zu Kants Rechtsbegriff: B. Bauch, Das Rechtsproblem in der Kantischen Philosophie, in: Zeitschrift für Rechtsphilosophie, 3 (1921), S. 1-26; Chr. Ritter, Der Rechtsgedanke Kants nach seinen frühen Quellen, Frankfurt/M. 1971; H. Böckerstette, Aporien der Freiheit und ihre Aufklärung durch Kant, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982; Fr. Kaulbach, Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982; G. W. Küsters, Kants Rechtsphilosophie, Darmstadt 1988; Art. „Kant" in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1978, Bd. II, Sp. 593-603 (Verf. G. Küchenhoff); W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Berlin-New York 1993; P. Unruh, Die Herrschaft der Vernunft. Zur Staatsphilosophie Immanuel Kants, Baden-Baden 1993. Auf rechtsphilosophischem Gebiet die Wendung in der deutschen Philosophie gegen den Neukantianismus früh und charakteristisch: E. Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie. Eine Betrachtung über die Beziehung zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft, Tübingen 1921. Dagegen das Erfordernis transzendentalphilosophischer Grundlegung der positivistischen Staatslehre: H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928. Im Zusammenhang der Geschichte und Systematik der Rechtsphilosophie H. Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, Darmstadt 2000 (spez. §§ 1; 26, 4).
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lichung und kritischer Reflexion, wie Kant sagt, von mundus sensibilis und methodischem mundus intelligibilis, vollziehen soll. Im Rechtsgestus denkt Kant die Verdoppelung der kulturellen Ebenen ins empirisch Besondere und in methodisch generalisierende Reflexion. Nicht nur als Modell peinlicher Genauigkeit angesichts bedrohlicher Streitlage sieht Kant seine Transzendentalphilosophie in Parallele zum Recht. Vor allem die Distanz zwischen faktischer Empirie und methodischer Rationalität, die Verdoppelung der Ebenen des realen kulturellen Selbstverständnisses nimmt Kants nicht mehr ontologische, sondern nur „methodisch-gebrauchte Metaphysik" (IV, 524) vom Recht ab. Alle Zivilisationen lebten in der Verdoppelung von realer und idealer Welt. Es ist aber ein großer Unterschied, ob die ideelle Repräsentation der Gesellschaft als Ganzes wie in antiken und feudalen Gemeinwesen die Methoden alltagspraktischen Bewußtseins durch ästhetische und religiöse Überhöhung einfach erweitert oder ob das erlebnishafte alltagspraktische Verständnis durch analytische Abstraktionen, wie sie die Rechtssätze darstellen, grundsätzlich negiert und dann durch rationale Methode wieder gesetzt wird. Beim Denken am Leitfaden sichtbarer und gewohnheitsmäßiger Lebensvollzüge bedeutete die ideelle Welt nur Erweiterung innerhalb des beschränkten lokalen und stammesgeschichtlichen Horizonts. Das Recht bildete von alters her ein Gegenprinzip aus mit seinem vom konkreten Menschen abstrahierenden Verfahren, das die ideelle Repräsentation sozialer Beziehungen hinter den erscheinenden Interessen darstellt. Ausgangspunkt ist nicht mehr der konkrete Mensch im historischen Kolorit seiner alltagspraktischen Handlungsweisen, sondern die reflexive Behandlung von Funktionen, in denen verschiedene soziale Elemente stehen. Das sind Individuen nach verschiedenen sozialen Kriterien (Eigentum, Alter, Geschlecht), es sind ebenso methodisch abstrahierte Einheiten (wie bereits die Phylenordnung des Kleisthenes nach dem Dezimalsystem). Insbe-
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sondere die katholische Kirche war als überregionale Institution und im Anspruch ihr verliehener, gestaltender Macht zu reflexiv-juridischer Behandlung ihrer Funktionen gehalten.9 Mit der sich entfaltenden persönlichen Freiheit modern-bürgerlicher Individuen als Rechtssubjekten bilden sich abstrakte Verfahren zur Repräsentation dominierender Lebensvollzüge aus. Der Innerlichkeit persönlicher Entscheidungen entspricht dann die systematisch fixierte Äußerlichkeit von deren Realisierungsregeln. Hier setzt Kants Empirismus-Kritik an. Der Vorwurf lautet, daß individueller Horizont und Allheit der Horizonte nicht getrennt werden, um sie universell methodisch vermittelbar zu machen. Kant sieht, daß die alte Teilung in reale und ideale Welt der gesellschaftlichen Lebensform sich umgestaltet in einen sich selbst überlassenen empirischen Urteilsvollzug auf der einen Seite und in eine dann erforderliche quasigeometrische Beschreibung und rationale Normierung auf der anderen Seite. Der Empirismus als die bestimmende Denkform des Zeitalters der Aufklärung erfasse nicht die neue Zweiteilung von realer gelebter und idealer Welt; dadurch nicht die Bedeutung formaler Methodologie. Er produziere mit der Emphase von Selbstdenken neue Illusionen über die Einheit von individuell-alltagspraktischer und alle Individuen als Gesamtheit betreffender Rationalität. Nachdem Künste und Religionen in antiker und feudaler Kultur das Selbstverständnis führten, tritt seit dem 18. Jh. das qualifizierte Rechtsverfahren als dominierender geistiger Typus der die reale Welt überformenden idealen Welt ein. Darin stimmt Kant dem Naturrechtsgedanken zu. Sein Einwand: Das Naturrecht erweitert einfach individuellen Rechtsanspruch und Rechtsgebot quantitativ.
9 „Das Studium des Rechts, in Bologna vor allem betrieben, übte einen unermeßlichen Einfluß auf die denkende Betrachtung der Kirche in der ganzen Breite ihrer Existenz aus; ja an dem Rechtsstudium bildete sich das Denken überhaupt." So vom Zeitalter Gregors VII., dem Juristen unter den Päpsten, A. v. Harnacky Lehrbuch der Dogmengeschichte, 3. Bd., Freiburg 1890, S. 311.
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Doch die Methode der Generalisierung kann nicht ein Element der empirisch-praktischen Methoden sein. Das führt Kant auf die Analyse-Problematik abstrakter und rein formal-methodischer Voraussetzungen aller ideellen und praktischen Akte überhaupt, die geeignet seien, als logische Typen kultureller Geltung zu fungieren und überempirischen Kriterien von Aussagen und Verhaltensakten zu genügen. Dem dienen die drei „Kritiken" von Verstand, Vernunft und Urteilskraft. Kant sah das Problem einer Verklammerung zweier methodischer Verfahren: Gegenüber der Natur gilt das von den mathematischen Naturwissenschaften gesetzte Verhältnis von formaler mathematischer Logik und Phänomenbereich, dessen Gesetzlichkeit dadurch unendlich genau und kategorisch generalisierend bestimmt wird. Das Recht verschafft der Theorie von Gesellschaft die hohe Errungenschaft eines logisch gleichen, formalisierenden Verfahrens. Diese Einsicht läßt Kant in der Sprache theoretischer Entschiedenheit und eben auch metaphorischer Eindringlichkeit sprechen. Hier wird Kants Distanz zum Naturrecht deutlich, dessen Aufbau von einer naturalistischen Anthropologie des interessierten Individuums her er für eine anspruchslose Interpretation der wirklichen Bewegungsweise der modern-bürgerlichen Zivilisation ansah. Kants Rechtsbegriff besaß seinen Akzent auf dessen Charakter als einer dem Faktischen rein formal gegenüberstehenden und darum methodisch zu gebrauchenden intelligiblen Struktur, in die gleichsam der Phänomenbereich, die Erscheinungshaftigkeit der Wirklichkeit, eingehangen werden könne. Das Verhältnis von vorbestehender logischer Struktur und Phänomenbereich der Daten oder Fälle in den mathematischen Naturwissenschaften und im Recht war ihm logisches Muster für einen rein methodisch gedachten Apriorismus überhaupt, der dann die Korrespondenz mit ontologischen Wesenheiten auflöste. Kant reflektierte die logische Struktur des Rechts und bildete dadurch den über die abstraktionstheoretische Logik hinausgehenden Bereich apriorischer Geltungstypen theoreti-
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scher und praktischer Objektivationen. Das läßt ihn die Rechtsform nicht mehr naturrechtlich als anthropologisch bedingte Konventionen auffassen, sondern als intelligible Struktur a priori, die gleichwohl gelten würde, wenn es auch keine Individuen gäbe. Kants Rechtsbegriff entfernt sich damit freilich weiter noch vom positiven Recht als der schwerwiegende Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Recht den Abstand eines Ideellen vom Empirisch-Praktischen bedeutet. Er steht im Kreis dessen, was Kant im Unterschied zu den Verstandesbegriffen die Ideen nannte. (III, 245) Sie beziehen sich auf die Totalität der Bedingungen oder „stellen das Maximum zum Urbilde auf". (III, 248) Diese spezifische Form logischer Geltung wird als praktisches Apriori auch der Idee des Rechts vorgeordnet. Sie stellt das Recht mit Moral, Religion und mit der Ästhetik des Erhabenen unter ein für rationales Selbstverständnis der Kultur so präzises methodisches Muster, wie es die mathematischen Naturwissenschaften für die Natur erreichen. In konkretisierenden Schritten wird Recht dann abgehoben von der Geltungsweise technisch-praktischer Maximen der Geschicklichkeit und auch von den Geltungsformen alltagspraktischer Klugheit und fachspezifischer Rationalität. Das sind die Sphären des empirisch Faktischen, in der Handeln zur Entäußerung kristallisiert und wir uns zum Dinge machen. Positives Gesetzeswerk gehört dazu. Recht als Idee, um das es Kant geht, ist Wiederaneignung der Freiheit zur Gestaltung nach dem Maximum und überschreitet die partikularisierende Verdinglichung der Kultur. Der Gestus von Rechtsfindung und von Verpflichtung auf den Rechtsspruch prägt den analytischen Geist der Kantschen Philosophie. Transzendentalphilosophie wird wie ein gründender Verfassungsakt des Geistes gedacht. Als Rationalitätsmuster der Kantschen Philosophie ist das Recht Fortschrittsgesetz und zugleich Maßgabe zu allemal nur gesetzlichem Fortschritt. Das Recht ist Struktur ideeller Selbstreflexion der Zivilisation und als begründendes Denken konsequent auch Favorisierung spe7*
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zifisch evolutionärer und unaufhörlicher Bewegungsweise der Gesellschaft. Logik wird möglicher neuer Typus von Historie. Die ganze juridische Weltanschauung, in der das Bürgertum des 17. und 18. Jhs. seine Sendung erfaßte und überhöhte, durchdringt Kants Werk, das er als ein Gesetzbuch methodischer Rationalität versteht. Die Verhaftung im Rationalitätstypus der Ideen bedingt die Durchführung der Kantschen vierteiligen Rechtslehre aus Eigentumsrecht, Staats-, Völker- und Weltbürgerrecht. Kant interessiert sich vor allem für die vorbestehende intelligible Struktur, die das Recht als ein spezifischer und methodisch verwendbarer Apriorismus darstelle. Es richtet sich gegen die analytische Tradition des Nominalismus und des inzwischen übermächtigen englisch-französischen Sensualismus, die das Recht als anthropologisch bedingte Konventionen auffaßte. J. Bentham sagte in diesem Sinn, das Recht sei als „die Totalsumme aus der Addition der zahlreichen einzelnen Rechtssätze zu definieren". 10 Kants Methodenbegriff richtete sich gegen diese Abstraktionsauffassung, die aus dem Prinzip des größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl hervorging. Das Recht gehört mit Moral und Vernunftreligion der antipositivistischen Sphäre der Ideen praktischer Vernunft zu, und es prägt im Kreis dieser Momente den logischen Typus aus. Das läßt Kant vom Recht so eindringlich sprechen. Dessen methodisches Arsenal gewinnt etwas von bewahrender, rettender Kraft vor dem Untergang schlechthin, der aus dem Bösen quillt. Das Böse ist, wie die Religionsschrift (1793) gegen die aristokratische Salon-Aufklärung Helvétius' sagt, die als factum aufschlagende Selbstliebe des Individuums. (VI, 45) Im Staatsrecht der „Metaphysik der Sitten" (1797) steht das Bekenntnis: „denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben." (VI, 332) Von der Tugend heißt es in der Sitten-Metaphysik wie von RechtsfreZit. n. W. Seagle, Weltgeschichte des Rechts, München 1951, S. 29.
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vel: Tugend als Willensstärke eines Menschen ist „die Nötigung durch seine eigene gesetzgebende Vernunft". „Die Laster als die Brut gesetzwidriger Gesinnungen sind die Ungeheuer, die er nun zu bekämpfen hat". (VI, 405) Die Balance des sittlich Richtigen wird als Kräfteparallelogramm anziehender Wechselliebe und distanzierender Achtung nach Analogie physischer Attraktion und Repulsion (in Abwandlung eines Haller-Verses) dargestellt. „... und sollte eine dieser großen sittlichen Kräfte sinken, ,so würde dann das Nichts (der Immoralität) mit aufgesperrtem Schlund der (moralischen) Wesen ganzes Reich wie einen Tropfen Wasser trinken'." (VI, 449) Der Rechtsbegriff regiert das Prinzip unendlicher Genauigkeit, das an die Stelle der Metaphysik des (in den Transzendentalien) vollkommenen Seins getreten ist. Das sittlich Vollkommene, das die Vernunft aus der Idee entwirft, kann, wenn es unter der Voraussetzung individueller Freiheit gedacht wird, nur das unendlich Genaue sein. Vom kategorischen Imperativ heißt es darum mit mathematischer Klarheit, er sollte „eine Handlung bestimmen, dadurch die Totalität einer in der Tat unendlichen Reihe von Folgen erreicht würde." (IV, 419) Moral und Recht rücken gemeinsam in die vom neuen Apriorismus eröffnete innerweltliche Vollkommenheit als unendlicher Genauigkeit ein. Der Rechtssatz ist das denkbar Präziseste zur Beurteilung beliebig vieler auftretender Phänomene. Wie sehr der zuallererst unter den Königsberger Mathematikern hochgeschätzte Kant die logische Form von Mathematik, Recht und Moral zusammendachte, sagt eine Bemerkung zum Gewissensbegriff in der Religionsschrift. Die moralische Gesinnung ist es, „welche die Stelle der Totalität dieser Reihe der ins Unendliche fortgesetzten Annäherung vertritt", der Annäherung des Faktischen ans Gesetz. (VI, 67) Ein neuer, rein funktionaler Apriorismus steht in Relation zum Wirklichen als Phänomenbereich von erst noch zu qualifizierenden Fällen. Er verwandelt das Vollkommene zum praktisch Verfügbaren: als das logisch Präzise.
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Kants Denken geht immer vom komplex Gegebenen zur Scheidung alternativer Glieder wie Verstand und Sinnlichkeit, Neigung und Pflicht, Vernunftreligion und statutarischer Kirchenglauben, Repräsentativverfassung und ständische Vorrechte. Darauf erfolgen die Ausmittelungen der Gegensätze durch die Vermittlungsglieder so genau wie ein Vertrag. Überall führt der Magister aus dem deutschen Handwerkerstande auf die Gegensätze, zwischen denen unsere Einsicht, mehr noch unser Wille, sich jetzt entscheiden müsse. Es sind Sachen, die wie um unseres Heils willen geklärt sein sollen. Erreichte Höhe der Zivilisation feiert nicht Opulenz, sondern ist wie Tag der Prüfung vor Gericht. Kants prüfender Blick auf die Aufklärung, viel dringlicher als auf deren Gegner, ist von der Alternative geführt: Freiheit als Ordnung durch Verfahrensrationalität oder Chaos durch Verweigerung des methodischen Primats des Allgemeinen. Nur konsequent, daß er in den weit ausschwingenden Passagen, die seinen Ideenbegriff über die Verstandesgrundsätze hinaus einführen, auf Piaton zurückweist; doch um den alten Urbild-Gehalt des ontisch gefaßten paradeigma wirklich zum Muster umzubilden, das Methode als einen Algorithmus kontrollierten Denkens darbietet. Wenn diese philosophisch generalisierte Logik des Rechts historisch gedacht wird, dann erscheinen alle Kulturfelder wie auf die Spitze letzter Entscheidung gestellt. Es gibt nur zwei Wege: den richtigen und den falschen. Solche Elemente des pietistisch geschärften Volksbewußtseins regieren Kants Philosophie, ohne protestantisches Kirchenlied, aber mit der Figur des gerechten Richters. Der reiche Mann hat viele Wege, zu seinem Vorteil zu kommen. Das Kantsche Programm von Ideen praktischer Vernunft spricht aus der geistigen Welt des deutschen Handwerker- und Bürgerstandes. Das Recht ist der Adel des einfachen Mannes. Das Unbedingte des religiösen Glaubens hatte in den Hochkulturen immer auch dem Gottesbegriff die Rechtsmetaphorik und dem Heilsgeschehen die Analogien zum Verlauf des Prozeßverfahrens verliehen. Kants Denken bewegt sich überall, wo
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es die weitergehenden Fragen stellt, auf geschichtlich kultiviertem Terrain. Der eindringlich zur Entscheidung auffordernde Ton der Kantschen Schriften entsteht aus der Überführung der religiösen Unbedingtheit auf die moralischen Entscheidungen nach der Eindeutigkeit und Verbindlichkeit des Vertragsdenkens. Kants Philosophie kommt selbst wie der gerechte Richter über die in Streithändeln auf allen Kulturfeldern befangene, in verschiedene Richtungen auseinandertreibende Aufklärung. Achtung der Menschheit in der Personalität jedes Individuums, präzise wie Recht zu fixieren und zu erschöpfen, bestimmt den Geist methodischer Abstraktion der Kantschen Theorie von Aufklärung. Das methodische Bewußtsein läßt Kant im Ton richterlicher Entschiedenheit sprechen. Er transformiert die „Gemütsvermögen" von einer letztlich nur lebensphilosophisch zu denkenden Anthropologie in die Ebene logischer Geltungsformen. Er denkt vom methodischen Typus des Rechts her, begründet aber das Recht dann nicht anthropologisch vom Individuum aus, sondern logisch aus der intelligiblen Struktur des Bewußtseins. Diesen Platz hält die Moral sog. reiner Vernunft. Die Einsicht in die kulturelle Perspektive, die Kant mit der Logik des Vertragsverhältnisses verbindet, läßt ihn an zentralen Punkten seiner Schriften die Rechts-Analogien formulieren, man könnte sagen, sie dort postieren. Das beginnt, um nur wenige Beispiele zu nennen, bei der Grundfrage der Transzendentalphilosophie. Kant versteht unter der transzendentalen Disziplin die formale Untersuchung, „die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt." (III, 43) Die zentrale Frage nicht nach dem factum der Wissenschaften, das am Tage liege, sondern danach, wie synthetische Urteile a priori möglich seien, nennt Kant die quaestio juris systematischer Rationalität im Unterschied zur quaestio facti. Die Frage nach der logischen Möglichkeit von Wissenschaft ist die Frage nach dem Rechtsgrund solchen verbindlichen Wissens. Die Formen des theoretischen, prakti-
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sehen, ästhetischen Apriorismus sind die Antwort auf die quaestio juris. Hier wird deutlieh, was Kant den Apriorismus in Analogie zum Rechtsverhältnis sehen läßt. Die vorbestehende intelligible Struktur, innerhalb der allein der qualifizierte Satz, die Keimzelle aller Geltung zwischen Menschen, möglich ist, wird von Kant, anders als in Piatons oder Descartes' Apriorismus, als reine Setzung gegenüber erscheinendem Faktenmaterial gedacht. Transzendentalphilosophie und Rechtswissenschaft beschreiben intelligible Ordnungen. Die eine stellt die logische Möglichkeit von Wissensakten fest, die andere die Möglichkeit der Verbindung der Freiheit eines jeden Individuums mit der Freiheit aller. Beide bilden Methoden logisch-konsistenter kultureller Geltung aus. Auch das Verhältnis von Sinnlichkeit und Verstand, der charakteristische Dualismus des Kantschen Denkens, wird als begrenzende Ausmittelung wechselseitiger Rechtsansprüche behandelt. Seine Ethik dann in der „Metaphysik der Sitten" führt Kant als Pflichtenkatalog aus, Pflichten, die man mit anderen als Repräsentanten der Menschheit teile. Personale Gewissenspflicht ist Achtungsbewußtsein meiner selbst als Teils der Menschheit. Diese Moraltheorie erhebt die Menschheit zum Rechtsverhältnis, wie sonst Gott der austeilende Richter war. Das Thema der Denk- und Glaubensfreiheit, insonders der literarischen Öffentlichkeit, für Kant die Frage nach dem Fortschrittsmodus der Gesellschaft, wird als Rechtsausmittelung eines „Streites der Fakultäten" (1798) behandelt. (Vgl. bes. VII, 33) Hier sieht die Rechtsanalogie wie bürokratische Zurückhaltung bei Freiheitsansprüchen des Denkens drein. Es ist in der Tradition von Chr. Wolffs Traktat „De Liberiate philosophandi" in dessen „Discursus praeliminaris" (1728) 11 ein höchst entschiedenes Werk; und es ist ein ironisches Werk, wie Recht bei Kant überhaupt viel hat
11 Vgl. G. Anderson, Kants Metaphysik der Sitten - ihre Idee und ihr Verhältnis zur Wölfischen Schule, in: Kant-Studien 28 (1923), H. 1/2, S. 41-61; vgl. jetzt Einleitung und deutsche Ubersetzung des „Discursus" von G. Gawlick und L. Kremendahl, Stuttgart-Bad Canstatt 1996.
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von Überwindung des Irrtums beim Gegner durch die ironisierende Kraft des Richtigen gegenüber dem Falschen. Der Irrende setzt sich wie von selbst in Bewegung, hat er nur methodisch konsequentem Vorgehen den ersten Gedanken gewidmet. Wer kann freiwillig falsch entscheiden wollen unter der Voraussetzung, es öffentlich eingestehen zu sollen. Das ist bis zur transzendentalen Intellektualität kultivierter aufklärerischer Gestus bei Kant. Der die Aufklärung selbst vor den Richterstuhl richtigen Denkens vom Denken ziehende Menschenfreund vermeidet allerdings die obligaten SokratesBerufungen. „Unrechttun kommt von falschem Wissen." „Kein Mensch tut freiwillig Unrecht." Das ist für Kant alles längst Etikette von neuer Beruhigung bei anhaltender Unklarheit des Menschen über sich selbst geworden. U m die Analogie-Beispiele abzuschließen. Die „Anthropologie" (1798) behandelt selbst das Salon-Thema der Tischgesellschaften als Rechtsfall. „Es versteht sich von selbst, daß in allen Tischgesellschaften ... das, was daselbst von einem indiskreten Tischgenossen zum Nachtheil eines Abwesenden öffentlich gesprochen wird, dennoch nicht zum Gebrauch außer dieser Gesellschaft gehöre und nachgeplaudert werden dürfe. ... Das Zusammenspeisen an einem Tische wird aber als die Förmlichkeit eines solchen Vertrags der Sicherheit angesehen." (VII, 279) Das wache Auge entdeckt an der Höflichkeit sogleich das unentbehrliche Ingredienz der Genauigkeit, so daß selbst Takt als Quasi-Kontrakt und Taktlosigkeit als Vertragsverletzung erscheinen. Die hohe Formalisierung des modernen oder, wie Seagle sagt, des reifen Rechts gegenüber dem archaischen, wird sichtbar hinein bis in die Gesellschaft als erlebter Geselligkeit. Nicht die Verhinderung unerlaubter Handlungen Einzelner bildet die Basis des Rechtsgedankens. Die Idee ursprünglicher oder apriorischer wechselseitiger Verpflichtung der Individuen ergibt sich aus der Intellektualität des Menschen. „Geist", das Urwort von Erhebung und Mahnung, wird präzise konstituierbare Relation und reicht dann als freier
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Anstand aus Hingebung und Zurückhaltung bis in den Geschmack des Umgangs. Von der in der „Anthropologie" Passage mitgehenden Kritik aristokratischer Salon-Kultur, die verlangte, geistreich Gesprochenes unbedingt aus dem Zirkel herauszutragen und zu einer Art privat-individuell gebundener, also beschränkter Öffentlichkeit werde, davon ist in unserem Zusammenhang abzusehen. Der juridische Ton ergibt das scheinbar Unhistorische des originären Kantianismus. Es ist wohl historisches Bewußtsein, aber eines, das sich in der Phase bewußter Entscheidung sieht. Die Lösung des Knotens wird in allen Teilen der Kantschen Philosophie nach dem Muster des Rechts gedacht, das weit das andere methodische Leitbild, die mathematischen Naturwissenschaften, überragt. Es geht nicht mehr um individuelle Lebenstugenden des alten sophos, der unabhängig von der Fülle anwendbaren Sachwissens tief dachte. Die logisch generalisierende Methode ist der Einheitspunkt, die auseinanderstrebenden Lebensmöglichkeiten zu führen. So sind die Bedingungen der Möglichkeit von Handlungen in Gesellschaft (nicht deren Tagewerke) zu konstruieren wie immer richtiges Urteil nach Gesetz. Und nicht um historisches Verstehen geht es, das man, wie Jacob Burckhardt sagte, glaubt suchen zu müssen, nicht um klug zu werden für ein Andermal, sondern weise für immer. Die richtige Methode ist die anwesende und zu Gebote stehende Ewigkeit, kein Augenblick, der ihrer nicht würdig wäre. Alles bleibt beisammen von der christlich-metaphysischen Tradition. Wir stehen unterm Licht des Vollkommenen, außerhalb dessen wir nicht ein Korn vom anderen unterscheiden können. Nur, es ist zur Präzision derjenigen unendlichen Genauigkeit verwandelt, zu der Transzendentalphilosophie nach dem Muster richtigen Rechts die Transzendenz über sich selbst aufklärt und darum auflöst.
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III. Schließlich zum letzten Gesichtspunkt: das Rechtsverhältnis als logisches Muster überhaupt für Transzendentalphilosophie. Wie weit reicht das Recht als methodisches paradeigma in Kants transzendentalen Apriorismus hinein? Es überschreitet sowohl den rhetorisch-metaphorischen Gestus des Rechts (I) als auch die materiale Auffassung der theoretischen Situation in der Philosophie unter der Perspektive eines Begründungen verhandelnden Rechtsprozesses (II). Ist es der Beklommenheit erregende Vorsatz eines jüngsten Gerichts über die Vernunft und deren Läuterung für alle Zeit? Es ist ein Vorschlag zur Methode; der Versuch, die Objektivitätskriterien der Naturund Rechtswissenschaften durch transzendentale Logik für das Selbstverständnis der Kultur fruchtbar zu machen. Im letzten Abschnitt (III) richtet sich die Frage nicht mehr auf die materiale Parallele zwischen Rechtsbegriff und Kants Theorie. Es geht um die Strukturverwandtschaft beider Theorieformen, also um den formalen Aspekt der Grundkonstellation in Kants Programm von Philosophie, der Verbindung von Apriorismus und Phänomenalismus. Kant unterscheidet für seinen Praxisbegriff, der nicht gut getroffen wird, wenn man ihn als präanalytische Handlungstheorie beschreibt, drei Stufen von Imperativen: technischpraktische Regeln der Geschicklichkeit, Ratschläge der Klugheit, also Gebote des gesellschaftlichen Erfolgs der Person, wenn wir die zeitgemäße Formel von der Eudämonie übersetzen wollen, und moralisch-praktische Imperative. Auf mögliche und insofern bedingte Zwecke gerichtet, handelt es sich um hypothetische Imperative. Der Zweck aller Zwecke ist natürlich kategorisch, damit aber formal. Er ist methodisches Prinzip für alle (gegenständlich-praktischen, alltagspraktischen, religiösen, juridischen) teleologischen Akte. „Handle so, daß die Maxime Deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." (V, 30) Es ist eine
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Rechts-Formel. Recht überschreitet Alltagsbewußtsein, Moral überschreitet Recht. Begründet Moral das Recht, aber so, daß das Begründende nur das noch einmal gesetzte Begründete ist? Wir hätten dann eine Antinomie auch in der Rechtslehre Kants. Ich glaube nicht, daß es so ist. 1 2 Der unbedingte Imperativ besitzt die Form eines Rechtssatzes, aber den materialen Gehalt freier innerer Motivation. Das bedeutet, die Struktur des Rechtsverhältnisses wird allen Gewissensmotivationen logisch-methodisch vorgeordnet. Kant erkennt an, daß sich die Rechtsform als elementare soziale Relation schlechthin konstituiert hat. Darum bietet sie das Muster zur Entschlüsselung aller praktisch-sozialen Objektivationen; so wie es die mathematischen Naturwissenschaften für die theoretischen Objektkonstitutionen leisten. Tatsächlich setzt sich der methodische Gestus des Rechtsverhältnisses in Kants Theorie des religiösen Bewußtseins und ebenso der alltagspraktischen Gesittung fort. Die gegenständlich-praktische Objektivation in der Arbeitstätigkeit rückt Kant als die technisch-praktischen Imperative in die Nähe der theoretischen Objektkonstitution. Diese selbst besitzt im Gedanken aktiver logischer Konstitution von Sachverhalten (nicht der Widerspiegelung von subjektfreien „Dingen") ihrerseits und keineswegs zufällig eine strukturelle Verwandtschaft mit dem Erzeugungsvorgang eines Stoffs (der Wahrnehmung) durch zweckmäßige Form (der logischen Funktionen). Der Umstand, daß beim Begriff der sozialisierenden Akte von der dem Arbeitsvorgang
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Aus der Fülle der Literatur zum Verhältnis von Moral und Recht bei Kant nur: H. Cohens unüberholte, inzwischen einer philosophiehistorischen Denkweise, der Arbeiten antiquiert erscheinen, die älter als 20 Jahre sind, nahezu unbekannte „Ethik des reinen Willens" („System der Philosophie", Bd. II), Berlin bei Bruno Cassirer 1904. Aus der Verbindung von Logik, Einheit des Rechtssubjekts und der moralischen Person entwickelt Cohen eine „Logik der Geisteswissenschaften". G. Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, (1914), 6. Aufl. Stuttgart 1963 (§ 5 Recht und Moral, § 6 Recht und Sitte). R. Dreier, Recht - Moral - Ideologie. Studien zur Rechtstheorie, Frankfurt a.M. 1981, spez. S. 286-315.
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zugehörenden Struktur abgesehen wird, daß von Kant überhaupt Objektkonstitution und soziale Relation der Subjekte streng getrennt werden, zeigt ein klares Bewußtsein vom Typus der modern-bürgerlichen Zivilisation. Sie wird nur als soziale Relation gedacht, als wechselseitig bestimmtes Verhältnis zwischen persönlich freien Individuen. Kants hoher Anspruch von seiner Theorie, der in vielen Zeugnissen zu erkennen ist, ergibt sich aus dem Bewußtsein, am Leitfaden der methodisch fortgeschrittensten Disziplinen das der Kultur zum Grunde liegende Geheimnis einer einheitlichen Struktur menschlicher Aktivität erkannt zu haben. Hegel nahm das Problem auf und suchte mit einer genetischphänomenologischen Strukturierung und Spezifizierung der kulturellen Objektivationsformen (Arbeit, soziale Schichtung, Moral, Recht, Künste, Religion, Wissenschaften) innerhalb der Logik von Wissensformen eine Vermittlung der beiden Realisierungstypen Arbeitsakt und sozialisierende Funktion zu erreichen. Damit mußte das Rechtsverhältnis aus seiner dominierenden Funktion, die es in der transzendentalen Theorie von Vergesellschaftung besaß, entlassen werden. Es rückte in die Stellung einer formellen Spezialrelation ein. Marx setzte den Gedanken der „Phänomenologie des Geistes" (1807) fort. Der Torso, den seine nur zur ökonomischen Basis der kapitalistischen Produktionsweise in den Formen des 19. Jhs. ausgearbeitete Theorie darstellt, und dem die im frühen Einleitungsentwurf der „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie" (1857/58) genannten rechts- und anderen sozialtheoretischen Bereiche fehlen, zeigt deutlich das ungelöste Problem der Verschiedenheit von praktisch-gegenständlicher und praktischsozialisierender Objektivation unter den Bedingungen primärer Juridifizierung der Beziehungen formell gleicher sozialer Klassen. Das an das Gesellschaftsverständnis der europäischen Unterschichten anschließende kooperative Gesellschaftsprogramm einer nachkapitalistischen Zivilisation basierte auf der logischen Struktur des gegenständlich-praktischen Handlungs-
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typus. Die Krise des kooperativen Verständnisses trat darum an der unerfüllten Thematik der sozialen Relation zu Tage, wie sie privat- und staatsrechtliche Geltungsrationalität persönlich freier Individuen darstellt. 13 Kant geht von der Erfahrung sich differenzierender Kulturfelder in der modern-bürgerlichen Zivilisation aus. Besorgt sieht er auf die Aufklärung als auf ein weithin illusorisches Bewußtsein, das die Emanzipation feiert, aber Dynamik und Neuordnung der Kulturfelder kaum als Nest von Widersprüchen wahrnehmen mag. Darum führt Kant seine Transzendentalphilosophie nach dem Muster des Rechtsverhältnisses als methodische Selbstkritik der Aufklärung ein, die Aufklärung als reflexiv gesteigerte Stufe kulturellen Selbstverständnisses begleiten müsse. Das Problem wird im Nachweis einer der Realität der Objektivationen entsprechenden Theorie logischer Geltung gesehen. Die Widersprüche bestehen zwischen Wissenschaften und Religion, zwischen Recht, Moral, Politik, ebenso zwischen den höchst unterschiedlichen Denkweisen verschiedener Disziplinen, ein Thema, das Kant sehr beschäftigt. Sie bestehen zwischen dem unvermittelten alltagspraktischen Horizont der interessierten Individuen und dem juridischen und moralischen Bezug auf die Menschheit. Er sieht die Spannung innerhalb der Verfassungen zwischen Regierern, wie Kant die Könige und die Parlamente gleichermaßen nennt, und dem Volk, einem bei Kant grundsätzlich ungesättigten Begriff. U m eine grundsätzliche Aufklärung des Problems zu erreichen, geht Kant von den gegebenen Sachfeldern der Kultur auf deren Konstitutionsweisen zurück. Das ist der Sinn des Wortes von der kopernikanischen Drehung des Standpunkts, von dem her
13 Im Zusammenhang grundsätzlicher Überlegungen zur logischen Struktur der Sozialtheorien von Kant und Marx mißlangen die seinerzeit versuchten Kant-Interpretationen im Gedanken „Kant und der Sozialismus", die zuerst Fr. Staudinger (in der „Neuen Zeit" unterm Anagramm Sadi Gunter), dann K. Vorländer, M. Adler (mit der doch zum Problem vorstoßenden Idee eines „sozialen Apriori") u.a. vorlegten.
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nicht einfach abstrahierend, sondern logisch konstituierend gedacht werden solle. Kant meint, wenn es gelänge, die differenzierten Kulturfelder als die unterschiedlichen (theoretischen, praktischen, ästhetischen, religiösen, alltagspraktischen) Objektivationsformen eines logisch konstruktiven Subjekts darzustellen, dann könnte die Vermittlung der Gegensätze als rationelle Bewegungsform realer Unterschiede analog den Rechtsvorgängen bestimmt werden. Die Differenz der Sachfelder, wie Schelling später sagte, das Produzierte, ist in eine Differenz innerhalb des Produzierenden zu transformieren. Hier nun wäre das Schlimmste, auf einen Pluralismus der Vielheit zu geraten, also auf eine psychologisch oder anthropologisch gedachte Faktorentheorie des Subjekts. Das ist Kants Empirismus-Begriff. Die produktive Differenzierung der Objektivationsweisen bliebe innerhalb des Horizonts der einzelnen Individuen. Das Ganze wäre dann nicht kopernikanische Astronomie, sondern, wie Babbitt von Haus aus die Welt ansieht. Konträr Kant: Für den Menschen als naturalistisch gedachtes Trieb- und Wunschwesen würde die Freiheit unseres Willens „nichts besser, als die Freiheit eines Bratenwenders sein, der auch, wenn er einmal aufgezogen worden, von selbst seine Bewegungen verrichtet." (V, 97) Die naturalistische Verabsolutierung des Differenten in der Kultur ist für Kant die Minimierung der Freiheit auf das individuelle Interesse, aus dem Kant nicht von selbst die public benefits hervorströmen läßt. Sie sind ohne transzendentales Apriori nicht einmal korrekt zu träumen. Der Grund seiner Besorgnis für die Aufklärung ist deren Falsifikation durch empiristische sozialtheoretische Simplifizierung. 14 Der Impuls des Rousseauschen Angriffs auf Helvétius' l'amour propre wirkt fort. Kant nennt den naturalistischen Subjektbegriff und die darauf aufbauende Gesellschaftstheorie in seiner pietistisch geführten Polemik- und 14
„Weil es indessen noch viele gibt, welche diese Freiheit noch immer glauben nach empirischen Prinzipien wie jedes andere Naturvermögen erklären zu können ..." (V, 94).
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Kampfspräche ein „Blendwerk", das den „Empirismus in der ganzen Blöße seiner Seichtigkeit" erscheinen lasse. (V, 94) Die Vermittlung der getrennten Objektivationsformen zu denken, erfordert den Begriff eines überempirischen Subjekts. Kant geht dafür auf den mundus intelligibilis zurück. Hier liegt auch der Grund für Kants Bewahrung der Metaphysik gegenüber den übermächtigen englischen und französischen Aufklärungsbewegungen in den Formen sensualistischer, konventionalistischer und früher sprachanalytischer (Condillac) Theorien. Deshalb hilft nicht eine psychologische oder anthropologische Faktorentheorie. Die Einheit des Subjekts, von dem her Gesellschaft folgerichtig zu denken sei, könne allein in den logischen Formen aller seiner Akte bestehen. Kant rekonstruiert die Differenz der Kulturfelder genetisch in der Unterscheidung verschiedener Typen logischer Geltung. Das ist die Aufgabe seiner Werke zur allgemeinen Metaphysik, die dann „Traktat von der Methode" (III, 15, 25), also Propädeutik wird vor den speziellen Metaphysiken der Natur und der Sitten, denen wiederum die angewandten philosophischen Disziplinen (Religion, Geschichte u.a.) nachfolgen. Die Geltungsweise der logischen Muster wird von Kant in den Formen des Apriorismus ausgesprochen. Die kulturelle Funktion der Philosophie bestand immer und besteht darin, logische Grundmuster kultureller Geltung zu begründen. Das leistete der Piatonismus, der Aristotelismus, der Nominalismus, leisteten Descartes, Locke und überhaupt alle wesentlichen Philosophien, die einen Ruck in der Geschichte des kulturellen Selbstverständnisses bedeuteten. Die Realisierung der logischen Formen wurde sehr unterschiedlich gedacht. Sie geht nicht aus der Philosophie selbst hervor. Sie entsteht aus der logischen Problemlage der realen theoretischen, praktischen, ästhetischen usf. Akte des Menschen auf bestimmter Zivilisationsstufe. Die Problemlage der Wissenschaften, auch der Wissenschaften von den Bedingungen der Sozialisierung, spielt dabei die herausragende Rolle. Die Philosophien bilden aus den realen Akten, die
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eine Kultur konstituieren, logische Grundmuster, nach denen sie die je nach dem Höhegrad einer Zivilisation geringer oder stärker differenzierten Kulturfelder innerhalb einer geistigen Einheit denken können. Alles Neue in der Kantschen Metaphysik folgt aus der Verbindung von Apriorismus und Phänomenalismus. Die Elemente des Apriorismus bilden gegenüber einem logisch grundsätzlich disparaten „Mannigfaltigen" nicht mehr Begriffe, sondern funktionale Strukturen, die sich in Urteilen und Grundsätzen darstellen. Sie beziehen sich nicht mehr auf Substanzen oder einfache Naturen des Seins, wie Descartes sagte, sondern auf Elemente und Prozesse in Phänomenfeldern. Kant nennt die Wirklichkeit daher das in die reichen „Erscheinungen" Entfaltete. Das löscht den alltagspraktischen und induktiv gestalthaften Gegenstandsbegriff für seine Grundmuster kultureller Objektivation aus. Das materiale Element zur logischen Form wird von Kant harsch als einfach gegebenes Mannigfaltiges, fast als ein dem Richter hingeschütteter Haufen von Fällen dargestellt; wenigstens in den ersten beiden „Kritiken". Aus welcher realen Verschiebung der kulturellen Objektivation, aus welcher neuen wissenschaftlichen Problemlage rührt das logische Grundmuster aus Apriorismus und Phänomenalismus her, das die Transzendentalphilosophie entwirft? Es besteht in der Vermittlung, Kant sagt Synthesis, zweier als völlig gegensätzlich konzipierter Elemente: vorgeordnete logische Struktur und faktische Masse bewegter Elemente. Kants Apriorismus ist nach dem Muster der mathematischen Naturwissenschaften und der Rechtswissenschaften gebildet. Wie in jenen Disziplinen die mathematische, bzw. die juridische Formalisierung von Ereignissen, bzw. von Handlungen, so bezieht sich Kants Transzendentalphilosophie nicht auf empirischgestalthafte Gegenstände und nicht auf subjektfreie Realstrukturen, sondern auf Elemente und Prozesse in Phänomenfeldern, die nach bestimmten Konstruktionsregeln logisch geordnet werden. Die logische Form setzt von außen an und tritt zum 8 Dreier
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beobachteten, auch zum experimentell herbeigeführten, beim Recht zum jeweils aufscheinenden Fall, regulierend und generalisierend hinzu. Der Gesetzesbegriff der mathematischen Naturwissenschaften wie der Regel- oder Normbegriff der Rechtsdisziplinen formalisieren die Daten nach Konstruktionsregeln, die nicht aus dem Gegenstand, sondern vom vorausgesetzten logischen Subjekt kommen. Das kann dann kein empirisch anschauliches, kein erlebnishaft konkretes Objekt mehr sein. Die mathematische Setzung erfolgt wie die juridische durch ein überpersönliches Subjekt, das keine anthroplogischen Eigenschaften besitzt. Es ist nur Verfahrensrationalität in Bezug auf Konstrukte von Ereignissen. Die dem Recht als logisch qualifizierte und darum praktisch generalisierungsfähige Geltungsform entsprechende Wirklichkeit besteht nicht aus Menschen, sondern aus Tatbeständen, auf die Regeln angewandt werden, die nicht Elemente der Menge der Tatbestände sein können. Selbstverständlich soll das Recht konkrete Menschen in deren erlebnishafter Wirklichkeit erreichen. Doch das ist Sache der Urteilskraft, die das Recht anwendet, das schon gesetzt sein muß. Die Logik der Rechtswissenschaft gibt sich bei Kant auch in der zentralen Funktion solcher Termini wie Regel, Verknüpfung, Ordnung u.a. zu erkennen. Die Struktur des Rechts bezieht sich nicht auf Wirklichkeitsbereiche in der Art organischer Gegenständlichkeit. Deren „Sein" ist ein Bezirk von Relationen aus analytisch abstrakten Elementen. Es ist nicht anschaulich gegeben, nur intellektuell repräsentierbar. Ihr entsprechen anschauliche Phänomene, die dann freilich dem Gesetz der Erscheinungen, dem Rechtskonstrukt, logisch zufällig sind. Das bezieht sich selbstverständlich nicht auf das positive Recht, sondern auf die von der Rechtsphilosophie dargestellte Idee des Rechts, die sich vom faktischen Rechtstext unterscheidet wie die Gerechtigkeit als das unendlich richtige Recht vom gesetzten Recht. Die Rechtsform als solche ist eine logisch konstruierte Struktur, deren primäres Kriterium dann,
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wie Arthur Baumgarten in seinen im Schweizer Exil geschriebenen „Grundzügen der juristischen Methodenlehre" (1939) sagte, die logische Widerspruchslosigkeit ist. 1 5 Eine Lebensordnung wird als Summe beliebiger Motivationen und Handlungsresultate genommen, oder wie im Falle von Mechanik, Dynamik, Optik, des anderen logischen Modells für Kant, als Menge empirischer Ereignis- oder Wahrnehmungsdaten. Dieses logisch ungegliederte Material wird in die Systematik einer logischen Struktur transformiert. Das „Sein" dieses mundus intelligibilis juris existiert nur relational. Die gesetzte Relation ergibt deren methodische Funktion als eines Verfahrenskanons gegenüber dem Phänomenbereich. Sie besitzt offensichtlich kein Sein im ontologischen Sinne, sondern nur im methodischen Bezug auf das Mannigfaltige, das erscheint. Kants „Grundsätze des reinen Verstandes", ebenso die „Ideen praktischer Vernunft" gehen von Definitionen (nicht Axiomen) elementarer logischer Ordnungsformen aus. Es sind die apriorischen Elementarbegriffe, so wie Mathematik von Voraussetzungen wie gleich/größer/ kleiner und von Elementaroperationen ausgeht und wie die Rechtswissenschaft von Definitionen her ein Geflecht elementarer Relationen konstruiert. Alle Elemente besitzen kein organisches gegenständliches Sein, sie bestehen als Gedankenabstraktionen nur in der Relation aufeinander. Die Elemente für sich sind sinnleer. Sie existieren nur als variabel kombinationsfähige Teilstücke der intelligiblen Struktur. Ebenso ist eine einzelne Zahl sinnlos oder der Begriff einer geometrischen Kurve ohne den des Punktes, der Strecke, der Fläche. Kant sieht den transzendentalen Apriorismus, der also nur noch methodisch auf den Phänomenbezirk bezogene logische Funktionen darstellt, es sind nicht mehr ideae innatae, er sieht die transzendentale Logik in struktureller Ubereinstimmung mit der juridischen Begriffsbildung und deren Verhältnis zum
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S. 36. 8:
A. Baumgarten, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, Bern 1939,
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empirischen Erscheinungsfeld der Motivationen und Handlungsresultate. Es gibt keine Wirklichkeit an sich, nur logisch strukturierte Phänomenbezirke. Kant sagt Erscheinungen, die nichts als faktisch gegeben seien und rezeptiv aufgenommen werden müßten. Ebenso wird das Recht sich hüten, moralisch zu urteilen und unter die Relationen von Handlungselementen organische Ganzheiten unterzuschieben. Die juridischen Begriffe beziehen sich nicht auf wahrnehmbare Gegenstände, die über Teile verfügen. Das Rechtsverfahren beurteilt abstrakte Motivations- und Geschehenselemente unterm logisch vorbestehenden Gesetzestext. Dieser Text entsteht zu einem Teil auf dem Wege der Abstraktion analytisch isolierbarer Sachverhaltselemente, die ihrerseits auf Ereignisse zurückweisen. Zum anderen Teil aber, und das ist Kants Problem, ein nachvollziehbares Problem, wie mir scheint, zum anderen Teil ergibt sich die logische Möglichkeit der Gesetzestexte überhaupt aus der intelligiblen Realität der Menschheit. Deren faktische und mannigfaltige Tatsächlichkeit ist nur nach einer vom Faktischen unabhängigen logischen Normierung zu begreifen. Sonst wäre die Regel Teil der geregelten Menge. Die intellektuelle Struktur des Rechts zeigt sich in der Gleichgültigkeit gegenüber dem empirischen Status der Ereignisse. Sie bezieht sich auf mögliche Ereignisse unter bestimmtem logischem Kriterium, nicht auf wirkliche Vorkommnisse. Das leistet die Urteilskraft. Ebenso bestimmt die transzendentale Untersuchung die logische Möglichkeit von Erkenntnis und von sozial qualifizierenden Sätzen. Kant fragt: Wie sind Mathematik, Natur-, Moralwissenschaft möglich? Die Antwort: durch synthetische Urteile a priori, d.h. durch logische Funktion, die Rezeption und Bildung empirischer Begriffe vorausgehen muß. Es geht, genau besehen, nicht um die Spannung zwischen Gesetz und Ereignis, auf das der Text mit Kunst anzuwenden ist. Diese Thematik im aristotelischen Bezirk von Übung, Gewohnheit und Üblichem bezieht sich auf den empirischen
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Vorgang der Rechtsprechung. Er besitzt da unbestrittene Bedeutung. Doch hinter dem von Fall zu Fall so oder anders ausfallenden empirischen Verbund befindet sich erst das Problem. Es ist die Disparatheit von Gesetz und Ereignis. Man würde ohne diese Einsicht die logische Struktur des Rechts zerrütten, indem man sagte, daß die justitiablen Ereignisse von sich aus in irgendwie verworrener Weise auf das Recht hingeordnet seien, auf es hinstrebten usw. Das Recht seinerseits ist als Prinzip nicht auf Fälle, sondern auf die logische Möglichkeit von Fällen bezogen. Es ruht in einer intelligiblen Struktur an sich. A priori, wie Kants Terminus lautet, ist die Idee des Rechts, sind selbstverständlich nicht die einzelnen Gesetze. Doch die einzelnen Gesetze besitzen ihren logischen Status nicht in sich selbst. Sie erhalten ihn aus der Idee des Rechts. Die Gesetze wären sonst nicht Recht, sondern Regelungen von Fall zu Fall. Das ist schwerer denkbar als es scheinen mag, da es ja Rechtskulturen gab und gibt, die weitgehend so verfahren. Doch eben nur weitgehend. Der generelle Horizont, unter dem solche Rechtspraxis steht, wird in bestimmte Teile des Rechtsgefüges verschoben auch in der Form sippengesellschaftlicher oder einfach traditioneller moralischer, religiöser Grundsätze stillschweigend vorausgesetzt. Die intelligible Relation des Rechts, für Kant die logische Struktur a priori, ist die Existenz von frei handelnden Individuen unter der Idee der Menschheit als höchster Einheit. Unter dieser Idee erst kann die einzelne Person, und das ist dann jedes völlig gleiche Person-Element nach definierten Kriterien, die Qualifikation als Teil der Menschheit erlangen. In diesem Sinne wurde auch richtig gesagt, die Strafe sei die Anerkennung der Menschenwürde des Verbrechers. Kant setzt einen ideellen Republikanismus als Beurteilungskriterium, als hypothesis oder logische Grundlegung der empirischen, sich geschichtlich ausformenden Verfassungen. 16 Der 16 „Denn Repräsentation des Volkes heißt: so entscheiden, wie das Volk es vernünftiger Weise tun müßte, wenn man es fragte. Vergegenwärtigt wird
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Bezug zum geschichtlich Möglichen wird von Kant nur angelegt. Zukunft wird nicht postuliert oder gar utopisch ausgemalt. Der ideelle Republikanismus könnte mit Preußischem Landrecht z.B. höchst vereinbar sein. Auch bleiben? Kant schweigt und mahnt nur als Realisierungsweise von Staatsverfassung permanente Reform an. Nur im Völkerrecht des „Ewigen Friedens" (1795) wird Zukunft als Programm behandelt. Gegenüber dem realen Parlamentarismus sprach Kant, er dachte dabei an England, kritische Vorbehalte aus. Theoretisch entwickeln läßt sich die empirische demokratische Prozedur aus Kants Rechtsbegriff wohl. In der Realität hängt realisierte Demokratie dann von annähernd gleicher Stärke verschiedener sozialer Interessengruppen ab. Doch erst unterm logischen Prinzip der Rechtsperson, d.i. der Eingeschlossenheit aller Individuen in der Idee praktischer Vernunft, im Unterschied zum konkreten Individuum, kann die einzelne Person, und das ist dann jede völlig gleiche Person, die Qualifikation als eines Teils der Menschheit erlangen. Kant faßte die Realisierung von Ideen praktischer Vernunft gegenüber den Kategorien und Grundsätzen des theoretischen Verstandes als symbolische Vermittlung; ein hoch-mittelbares Realisierungskonstrukt, das er gleichwohl als unentbehrlich ausführte. Er hielt gegenüber dem empirischen Parlamentarismus, den er sehen konnte - und der auf dem relativen Gleichgewicht zweier von ihm distanziert beurteilter besitzender Klassen mit Tories und Whigs als Sprechern basierte - , in kritischem Akzent gegenüber dem Empirischen, den transzendentale Methode bedeutet, am Problem fest. 17 Tatbestand und Gesetz werden der Urteilskraft des Richters überantwortet. Die advokatischen Leistungen, auch alles Gei-
also eigentlich nur das Gedankending der Souveränität des Volksganzen, nicht das Volk in seiner empirischen Realität." (H. Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, a.a.O., wie Anm. 7, S. 273). 17 Vgl. N. Hinske, Staatszweck und Freiheitsrechte. Kants Plädoyer für den Rechtsstaat, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1987, S. 375-391.
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stig-Artistische daran, demonstrieren ad oculos die Disparatheit von logischer Form und Phänomenbereich an der Kombinationsfähigkeit des Vorgefallenen. Das Ereignis stellt an sich gar kein soziales Ereignis dar, das wird es durch die ideelle Qualifikation, die das jus bedeutet. Es muß Sachverhalt als Tatbestand werden. Der markanten Position der Urteilskraft in der Realisierung von Recht, um das Getrennte zusammenzubringen, dieser Verbindungsleistung entspricht, daß Kant den beiden ersten „Kritiken" eine „Kritik der Urteilskraft" (1790) folgen ließ. Daß es fürs stolze Recht beim Gelten noch auf die geschmeidige Urteilskraft ankomme, zeigt wie sehr es intelligibles Konstrukt ist. Das empirische Ereignis ist an sich der intelligiblen Normierung logisch zufällig, wie Kant präzise empirisches Verhalten die Sachverhalte der Willkür nennt. Die juridischen Begriffe schaffen aus theoretischen abstracta konstruktive Zusammenhänge, die nur in Relation aufeinander und im methodischen Objektivationsvorgang von Erscheinungen zu artikulierter Erfahrung ihre Existenz besitzen. Ein Straftatbestand ist wie ein Trapez, wie eine mathematische Formel nicht als Gegenstand vor der Definition gegeben. „Er entspringt allererst durch die Synthesin", wie Kant für die Mathematik sagt. (II, 276) Die Disparatheit von intelligibler Struktur und empirischem Ereignisstrom kehrt in Kants Moral-Dualismus von Pflicht und Neigung wieder. Er ist keine Eigenheit, Strenge usf. in der Ethik, sondern theoretische Konsequenz des logischen Funktionalismus, mit dem Kant die Rechtsform der modern-bürgerlichen Gesellschaft als soziale Relation einer Zivilisationsform setzt, die vom Apriorismus zur absoluten erklärt wird. Das Resumée: Kant stellt ganz nach diesen Mustern konstruktiver Gegenständlichkeit, einer objektiven realitas formalis, wie die Scholastik sagte, seine Transzendentalphilosophie dar. Deren Bezug auf eine erscheinende, eine faktisch vorfallende Wirklichkeit macht sie zu einer rein methodisch gebrauchten Metaphysik, die nicht mehr Seins-Wissenschaft ist.
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Wollte man weiter gehen, so wäre nun zu zeigen, daß der vielbesprochene und vielbezweifelte Charakter des Kantschen Apriorismus als einer Synthesis apriori, bei dem es sich also nicht um Identitätsregeln, sondern um rein logische Erweiterungssätze handele, ebenfalls aus Mathematik und Rechtsbegriff hervorgehe. Es handelt sich um Verknüpfungsregeln, die sich aus deren innerem logischem Zusammenhang, ohne auf aposteriorische Sätze zurückgreifen zu müssen, ergeben. Der Apriorismus erfordert, wenn er auf eine phänomenal und nicht mehr ontologisch gedachte Wirklichkeit bezogen wird, die Konsequenz synthetischer Erweiterungssätze a priori. Kant legt sie in seinen „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" (1797) der „Metaphysik der Sitten" dar. Deren erster lautet, Recht sei der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür eines Jeden mit der Willkür aller anderen nach einem Prinzip der Freiheit vereinbar gedacht werde. (VI, 230) Die Verbindung von Apriorismus und Phänomenalismus erfordert außerdem die Theorie der produktiven Einbildungskraft zur Vermittlung der von der Theorie isolierten Extreme. Die Einbildungskraft besteht in praktischer Rücksicht im Achtungsgefühl in Bezug auf die Idee der Freiheit, d.i. im allen faktischen Akten vorausgehenden Bewußtsein, einer Gesamtheit von Individuen zuzugehören, die der Motivation durch nichts als die Idee allgemeiner Freiheit fähig sind. (V, 75) Kant nennt die empirische Erklärung der Normierung praktischer Akte aus der „Ausübung derselben, wie sie die Erfahrung lehrt, eine Bastarderklärung (definitio hybrida)". (VI, 227) Die juridische Formalisierung von Handlungsakten kann sich nur mit einem Phänomenbegriff des empirisch Wirklichen verbinden. Die Auflösung des alltagspraktischen und empirischinduktiven Gegenstands- oder Verhaltensbegriffs bildet die Voraussetzung des Rechtsbegriffes. 18 Das generalisiert der 18
Mit gutem Verständnis der logischen Grundlagen des Kantschen Rechtsbegriffs natürlich bereits J. S. Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten, Halle 1798 (ND Brüssel 1970).
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transzendentalphilosophische Apriorismus. Jus ist wie mathematische Naturwissenschaften erst möglich, wenn es sich um große Massen von Ereignissen in komplexen Vorgängen handelt, die in wenige Ausdrücke oder in einen einzigen zusammengenommen werden sollen. Sie erzeugen eine schlechthin allgemeine Geltung für alle entsprechend definierten Fälle, eine Allgemeinheit, die es erst ermöglicht, von Ereignissen zu sprechen. Kants Transzendentalphilosophie generalisiert das logische Muster des Rechtsbegriffes (und der mathematischen Naturwissenschaften) zu einem neuen Apriorismus, der der Problemlage der neuzeitlichen Wissenschaften entspricht. Beim Recht besteht die Problemlage in der universellen Geltung des Vertragsverhältnisses als der sozialen Relation schlechthin. Nach diesen Verfahren bildet Kant Metaphysik um zum Grundmuster für Verfahren mit den Massendaten - auch mit den Fakten unserer „Neigungen", so daß die charakteristische Ehedefinition in Kants Privatrecht bei theoretischer Konsequenz gar nicht anders ausfallen darf. Für die Ideen praktischer Vernunft sagte Kant geradezu, er habe, analog der Mathematik, eine „Formel" für moralische Urteile entdeckt. (V, 8) Kants transzendentaler Apriorismus bedeutet in praktischer Rücksicht den Primat der sozialen Funktion vorm empirischen Antrieb. Es ist die Anerkennung des Vertragsverhältnisses zwischen freien Personen als der logisch einzig möglichen Relation. Der Apriorismus in praktischer Rücksicht stellt also zugleich die persönliche Freiheit als dessen Voraussetzung sicher. Warum steigerte Kant das logische Muster des Rechts in der praktischen Philosophie, das dem Muster der mathematischen Naturwissenschaften für die theoretische Objektkonstitution entsprach, über das Recht hinaus und sprach es in der „Kritik der praktischen Vernunft" (1788) als Moral aus? Die Antwort wird lauten, daß das nicht der Fall sei. Denn die „Kritik der praktischen Vernunft" ist keine Ethik, die erst in der Tugendlehre der Sitten-Metaphysik kommt. Da aber steht sie dem
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Recht ausdrücklich parallel und begründet es nicht. Die „Kritik der praktischen Vernunft" enthält die Konstitutionsregeln für Urteile über alle normgeleiteten Verhaltensakte, auch der Religion und der Geschichtswissenschaft. Am Recht für sich macht Kant einen Widerspruch aus. Es enthält das anspruchsvolle Prinzip logischer Konstitution von erscheinenden Sachverhalten zu allgemeingültiger Erfahrung, doch für sich und anthropologisch begründet bedeutete es, wie Kant in seiner HobbesKritik zeigt, Konventionalismus mit der Folge eines verdinglichten Subjektbegriffs. Das wäre für Kant die Verabsolutierung der Maximen interessierter Individualität, im Naturrechtsdenken der Ausgangspunkt, zu Sachgesetzen einer Gesellschaftsform, die nicht nur einen auf wechselseitiger Unabhängigkeit, sondern auf Gleichgültigkeit beruhenden Zusammenhang darstellte und Geschichte zu einem gleichsam naturwüchsigen, vom Wissen und Wollen der Individuen losgelösten Prozeß machte. Kant denkt gegen den empirischen bourgois, der beim Primat des Interesses stehenbleibt. Er erkennt in dessen Selbstverständnis die praktisch-gegenständliche, die auf Aneignung des Objekts als Produkt gerichtete Struktur des Verhaltens. Als ideelles Muster von praktisch-sozialer Objektivation bedeutet das Recht die Möglichkeit, daß universell entwickelte Individuen ihre gesellschaftlichen Verhältnisse als selbsterzeugte ihrer rationalen Kontrolle unterwerfen. Kant spricht diese intelligible Realität nicht anthropologisch als Produkt der Natur und nicht als Resultat der Geschichte aus. Er setzt sie als Synthesis a priori. Sie besitzt ihren Bezug zum Realvorgang, aber so wie Gesetz der Sonatenform zur wirklichen Komposition. 19 Auf der Gegenseite zum naturalistisch interessierten Individuum sieht Kant das Untunliche des Rousseauschen, beinahe 19 Vgl. P. Burg, Die Verwirklichung von Grund- und Freiheitsrechten in den Preußischen Reformen und Kants Rechtslehre, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel der Geschichte, Göttingen 1981, S. 278-309.
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utopischen Rechtsverständnisses gerade in der moralischen Grundlegung aller Rechtsvereinbarungen. Das verwische die Grenze zwischen Verhaltensweisen unmittelbarer Nähe und dem Recht als Bewegungsform freier Individuen. Daraus könne dann nur ein simplifizierter Begriff der Gesamtheit hervorgehen. Denn Recht ist „eine bloße Idee der Vernunft", daß jeder Gesetzgeber „seine Gesetze so gebe, als ob sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volkes haben entspringen können". (VIII, 297) Kant überformt seine Rechtstheorie nicht durch emotionalen Impuls, sondern durch apriorische Logik praktischer Akte überhaupt. Erst dadurch gewinnt seine metaphysica practica universalis zur Freiheit aller erscheinenden Individuen die Ordnung, die allein individuelle Freiheit zu sichern vermag. Wenn das Individuum als reine Verfügung über den ideellen Ursprung empirisch erscheinender Kausalität gedacht und wenn jedes Individuum unter dieser intelligiblen Freiheit verstanden wird, dann kann nicht ein historisch Gegebenes, sondern nur die Idee der Relation als solcher Ausgangspunkt der theoretischen Begründung sein. Im Medium der Rechtsform gesellschaftlicher Realität des Menschen spricht die Transzendentalphilosophie die modern-bürgerliche Gesellschaft unterm Gedanken vorbestehender, alle Individuen umfassender Logik der Geistform aus. Kants individualistischer Liberalismus betont: Wird die Freiheit der Person wirklich gedacht (und nicht nur gemeint), so kommt alles auf die Erkenntnis des Gesetzes der Freiheit an. Es rückt, je konsequenter Freiheit der Person gedacht wird, um so weiter an die letzte Grenze kulturellen Selbstverständnisses, der Logik des Gemeinwillens als des Konstruktionsgesetzes von Gerechtigkeit. Diese philosophische Theorie klärt dann auch die Methode, die Freiheit der Gesamtheit aller Individuen als Verfahrensrationalität gegenüber der vergegenständlichten Wirklichkeit der Kulturfelder begründet. Nach dem Muster der Logik der Rechtsform werden die empirisch gegebenen Lebensbezirke durch elementare Sätze logischer Geltung als homogene Sphären konstituiert. Wie die naturalistische Anthropologie des Empirismus,
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ebenso wird jede Form transzendenter Sinnfrage überschritten. Logische Methode behebt das Rätsel eines Daseins, das zunächst nichts als Tatsache ist, aber das nicht bleiben kann.
Person und Menschenwürde in der Philosophie Hegels Von Kurt Seelmann
I. Paradoxien Das Thema „Menschenwürde" leidet heute unter Paradoxien. Versteht man als den Grund der Menschenwürde die vernunftgesteuerte Subjektivität, so ist damit auch die zunehmende Kontrolle von Natur und so am Ende auch die Selbstobjektivierung des Menschen als Naturwesen durch sich selbst die Folge.1 Weiter: will man das Individuum in seiner Selbstzweckhaftigkeit als Vernunftwesen schützen, so holt man sich die Begründung dafür bei einer die Gattung als Regelzustand kennzeichnenden Eigenschaft, in deren Namen man Menschen bildet verbindlich zu machen sucht auch dort, wo der betroffene Einzelne seine Würde gar nicht gefährdet sieht.2 Die Abhängigkeit vom Gattungsmerkmal der Vernunft beeinträchtigt sodann den Schutz gerade derer, die wegen psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung besonders schutzwürdig erscheinen. 3 Und schliesslich: unterstellt man als Gegenstand der Würde das, was
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K. Bayertz, Die Idee der Menschenwürde: Probleme und Paradoxien, in: ARSP 81, 1995, 465 ff., 480. 2 Zum Schutz von Menschenbildern insbesondere in der Bioethik-Debatte U. Neumann, Die „Würde des Menschen" in der Diskussion um Gentechnologie und Befruchtungstechnologien, ARSP Beiheft 33, 1988, 139 ff., 150; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Tübingen 1996, Art. 1, Rn. 56 ff., bes. 62; K. Seelmann, Recht und Rechtsethik in der Fortpflanzungsmedizin, recht 1996, 240 ff. jew. im Nachw. 3 V. Neumann, Menschenwürde und psychische Krankheit, KritV 1993, 276 ff., 283.
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jeder Anerkennung vorausliegt, so nimmt man ihr in der Suche nach dem „puren menschlichen Leben" 4 die soziale Dimension, um sich dadurch die Unverfügbarkeit von Würde zu erkaufen. Zu diesen traditionellen Schwierigkeiten des Begriffs in den letzten Jahrzehnten sind in den vergangenen Jahren weitere hinzugetreten. Bedeutungsschattierungen wie „Recht auf Natürlichkeit" oder „Recht auf Kontingenz", die der an Vernunft und Selbstzweckhaftigkeit orientierten Verwendung des Begriffs in der Moderne zuwiderzulaufen scheinen, werden ihm neuerdings in der Biotechnikdebatte zusätzlich unterlegt. 5
II. Kantisches Erbe Meine Ausgangsthese ist nun, dass wir uns über derlei Paradoxien und Unschärfen selbst im Begriffskern nicht allzusehr verwundern dürfen, zeigen sie sich doch schon dort, wo die über Günter Dürig 6 verlaufende neuere Wirkungsgeschichte des Begriffs im deutschen Verfassungsrecht anzuknüpfen sucht, nämlich in Kants praktischer Philosophie. Die Würde des anderen zu achten, ihn nicht bloss zum Mittel zu machen, ist in Kants „Metaphysik der Sitten" keine notfalls mit Gewalt durchsetzbare Rechtspflicht, sondern eine Tugendpflicht, 7 inhaltlich freilich auf halbem Weg zwischen 4 H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, AöR 118 (1993), 353 ff., 354. Vgl. auch S. 361: „Biologistisch-kurzschlüssige Gleichsetzung von Würde und Leben." 5 H. Jonas, Biogenetik und Ethik, Universitas 1987, 111 ff., 113. Vgl. auch H. Hofmann, Biotechnik, Gentherapie, Genmanipulation - Wissenschaft im rechtsfreien Raum? JZ 1986, 253ff., 260: „Es darf nichts getan werden, was es den entstehenden Individuen unmöglich macht, sich als Gattungswesen Mensch zu verstehen, und nichts, was sie hindert, die Kontingenz ihrer Körperlichkeit als Moment ihrer Individualität zu kultivieren." 6 G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), 117ff., 125-127. 7 /. Kant, Die Metaphysik der Sitten (zuerst erschienen 1797), Wiesbaden 1956, Bd. IV: S. 600: „Von den Tugendpflichten gegen andere Menschen aus der ihnen gebührenden Achtung".
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einer Rechtspflicht und der anderen Tugendpflicht, der zur Nächstenliebe.8 Auf halbem Weg, weil diese Tugendpflicht der Achtung wie eine Rechtspflicht eine „negative Pflicht" ist. In gewisser Parallele zum „neminem laede", zum Verletzungsverbot des Rechts ist sie nämlich die Pflicht, sich nicht über den andern zu erheben. 9 Ganz anders steht es um die positive Hilfspflicht des Liebesgebots, die eine tätige Zuwendung zum anderen fordert. Was für Kant die Pflicht zur Achtung aber von der Rechtspflicht unterscheidet und den Ausschlag für ihre Einordnung als Tugendpflicht in Parallele zur Liebespflicht gibt, ist der Umstand, dass sie nicht denkbar ist, ohne dass man sie sich selbst zur Maxime des Handelns macht, dass sie mithin eine äussere, erzwingbare Pflicht aus Kants Sicht gar nicht sein kann. 10 Damit aber ist diese Pflicht zur Achtung des Mitmenschen in der Terminologie der vorkantischen Tradition eine „unvollkommene Pflicht", deren Verletzung wegen ihrer auch innere Haltungen umfassenden Seite nicht einmal eindeutig festgestellt werden kann. Ihre Bedeutung ist schlicht zu vage, als dass man sie als Rechtspflicht durchsetzen könnte. Uber die Eignung zur Rechtspflicht bei der anderen kantischen Tugendpflicht, der zur Hilfe aus Nächstenliebe, entstand im Zusammenhang mit der Strafbarkeit unterlassener Hilfeleistung in den 50er Jahren eine lebhafte Debatte. 11 Parallele Vorbehalte gegenüber der Achtungspflicht der Menschenwürde gab es nicht.
8 I. Kant, Metaphysik (Fn. 7), S. 584: „Von der Liebespflicht gegen andere Menschen". 9 I. Kant, Metaphysik (Fn. 7), S. 585. 10 Ausführlich zu diesem Verhältnis ]. Hruschka, Rechtsstaat, Freiheitsrecht und das „Recht auf Achtung von seinen Nebenmenschen", in: B. S. Byrd/J. Hruschka/J. C. Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 1 (1993), 193ff., bes. 199ff., 202f. 11 Vgl. nur U. Gallas, Zur Revision des § 330c StGB, JZ 1952, 396; H. Welzel, Zur Dogmatik der echten Unterlassungsdelikte, insbesondere des § 330c StGB, NJW 1953, 327.
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Das Entsetzen über die Nazigreuel Hess Menschenwürde als Verfassungsbasis zu einem selbstverständlichen Postulat werden. Aber nicht nur die Vagheit als Problem der Verrechtlichung einer Tugendpflicht, auch die zu Beginn aufgeführten Paradoxien gehören zur kantischen Tradition der Menschenwürde und sind kein Resultat jüngster Entwicklungen. Unser Jubilar hat schon Mitte der 80er Jahre - in Zusammenhang mit der aktuellen Menschenwürdedebatte zur Biotechnik - darauf hingewiesen, „dass die Verwendung eines Prinzips der Moralität im Reiche der Legalität freilich zwangsweise zu gewissen Schwierigkeiten führt". 1 2 Ist Subjektivität Selbstgesetzgebung unter universalisierbaren Normen, so ist es gerade nicht der Mensch als Naturwesen, der sich der Vergegenständlichung durch die Normen der Vernunft entgegenstellen könnte. Gibt es die Pflicht gegen sich selbst, die Würde der Menschheit in der eigenen Person zu achten, so ist jenes janusköpfige Würdekonzept vorgegeben, das dem Einzelnen gegen andere das moralische Recht auf Achtung zuerkennt, aber eben diesem Einzelnen auch die Würde als Gebot entgegenhält.13 Ist weiter die Vernunft Grundlage der Würde, so kann die Würde des Nichtvernünftigen nur gerettet werden, wenn man hinsichtlich der Vernunft ein in der Praxis gar nicht durchhaltbares Zuschreibungsverbot erlässt. 14 Und ist das Achtungsgebot Folge der Selbstzweckhaftigkeit des autonomen Vernunftsub-
12 H. Hofmann, Biotechnik (Fn. 5), S. 260. 13 Zur „Menschenwürdepflicht" A. Blankenagel, Gentechnologie und Menschenwürde, KritJ 1987, 379ff., 385f. 14 Nach R. Spaemann, Über den Begriff der Menschenwürde, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, Stuttgart 1987, 295 ff., 305 würde die Definitionsmacht anderer Menschen den Gedanken der Menschenwürde selbst aufheben. Ähnlich R. A. Lorz, Modernes Grund- und Menschenrechtsverständnis und die Philosophie der Freiheit Kants, Stuttgart u.a. 1993, 290. Vgl. aber auch zu anderen, ontologischen Versuchen der Lösung des Dilemmas R. Spaemann a.a.O. und V. Neumann, Menschenwürde (Fn. 3), S. 284.
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jekts, so bleibt diese der sozialen Welt immer vorausgesetzt und ist für sie unerreichbar: Kant geht aus von dem einer näheren Begründung weder bedürftigen noch fähigen „Faktum der Vernunft" im Bewusstsein des Sittengesetzes.15 Diese Überlegungen mussten vorausgeschickt werden, um die Fragestellungen verständlich zu machen, die im Folgenden an Hegel herangetragen werden. Gibt es, so wird zu fragen sein, in seiner Philosophie einen Zugang zum Begriff der Menschenwürde, der die bezeichneten Paradoxien vermeidet und der zudem Elemente integriert, die neuerdings thematisiert werden wie: Würde als Einpassung, Würde als Kontingenz, Würde als Resultat von Anerkennung.
III. Person und Subjekt in Hegels Rechtsphilosophie Ein kurzer Uberblick mag zunächst die Stellen benennen, an denen Hegel in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts" von 1821 16 sei es von Anerkennung, sei es von Pflicht zur Achtung, von der Selbstzweckhaftigkeit oder ähnlichem spricht, was Anklänge an Kants Begriff der Menschenwürde aufweist. Innerhalb des „abstrakten Rechts", des ersten der drei grossen Teile der „Grundlinien der Philosophie des Rechts", ist 15 /. Kant, Kritik der praktischen Vernunft (zuerst erschienen 1788), Wiesbaden 1956, Bd. IV: S. 141, 161. G. Luf, Menschenwürde als Rechtsbegriff. Überlegungen zum Kant-Verständnis in der neueren deutschen Grundrechtstheorie, in: R. Zaczyk/M. Köhler/M. Kahlo (Hrsg.), FS für E. A. Wolff, Berlin-Heidelberg 1998, S. 307 ff., ist zwar darin zuzustimmen, dass ein praktischer Vernunftbegriff wie „Menschenwürde" bei Kant „empirisch gleichwohl nicht leerläuft", freilich hätte er sich dann „zeichenhaft in der geschichtlichen Handlungswirklichkeit zu vergegenwärtigen" (S. 311). Damit ist die oben zu Fn. 14 angesprochene Problematik treffend umschrieben. 16 Zur „Anerkennung" in Hegels früheren Werken Κ Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion - Hegels Straftheorien, Freiburg-München 1995, S. 13 ff.
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dies zunächst der § 36, w o als Rechtsgebot bezeichnet w i r d , die anderen als Personen zu behandeln, freilich auch schon der pejorative A n k l a n g der „Person" registriert w i r d . 1 7 I n § 66 ist v o n der Unveräusserlichkeit der Persönlichkeit als Begründung für die Unrechtmässigkeit §100
wird
in
der
Strafe
der Sklaverei die R e d e , 1 8 u n d der Verbrecher
als
in
Vernünftiges
geehrt. 1 9 I m zweiten grossen T e i l der Rechtsphilosophie, überschrieben m i t „ D i e M o r a l i t ä t " , w i r d i n § 105 das Subjekt als der W i l l e bezeichnet, der „ f ü r sich unendlich" i s t , 2 0 während § 1 2 4 das Recht auf subjektive Befriedigung des I n d i v i d u u m s i n Ehre u n d R u h m bestätigt. 2 1 D e r dritte T e i l schliesslich, „ D i e S i t t l i c h k e i t " , kennt eine Reihe v o n Bezugnahmen auf die k a n t i schen Elemente der Menschenwürde. § 167 sieht die M o n o g a mie als Respektierung der Persönlichkeit, 2 2 § 207 bezeichnet
17 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (zuerst erschienen 1821), Edition Iking, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, Bd. 2, S. 192: „Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstracte Grundlage des abstracten und daher formellen Rechtes aus. Das Rechtsgebot ist daher: sey eine Person und respectire die andern als Personen." In der Nachschrift von K. Hotho zur Vorlesung von 1822/23 (Edition Iking, Bd. 3, S. 189) heisst es weiter zu § 36: „Das höchste (des) Menschen ist Person zu sein, aber zugleich ist die blosse Abstraction Person zu (sein), schon im Ausdruck etwas Verächtliches.". 18 G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 272: „Unveräußerlich sind daher diejenigen Güter oder, vielmehr substantiellen Bestimmungen, so wie das Recht an sie unverjährbar, welche meine eigenste Person und das allgemeine Wesen meines Selbstbewußtseyns ausmachen, wie meine Persönlichkeit überhaupt, meine allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion." 19 G. W. F Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 364, Anm. 2: „Daß die Strafe darin als sein eigenes Recht enthaltend, angesehen wird, darin wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt." 20 G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 386. 21 G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 446: „Indem auch die subjective Befriedigung des Individuums selbst, (darunter die Anerkennung in Ehre und Ruhm) in der Ausführung an und für sich geltender Zwecke enthalten
22 G. W. F: Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 598: „Die Ehe ist wesentlich Monogamie, weil die Persönlichkeit, die unmittelbare ausschließende Einzelnheit, es ist, welche sich in dieß Verhältniß legt ...; diese kommt zu ihrem
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die Standesehre als Anerkennung der bestimmten Besonderheit des Menschen, 23 für § 209 wird in der Rechtspflege der Mensch als Mensch anerkannt, „nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener u.s.f. ist". 2 4 In § 253 sind die Korporationen die Basis sozialer Anerkennung, in welchen der Einzelne „in seinem Stande seine Ehre hat". 2 5 § 260 kennzeichnet den Staat als die Instanz, in der die Individuen die „vollständige Entwickelung und die Anerkennung ihres Rechts für sich haben" 26 , und in einer handschriftlichen Anmerkung zu § 270 wird betont, dass das gleichberechtigte Menschsein der Juden im Staat „nicht nur eine flache, abstracte Qualität" sei. 27 Stellt man diese Aussagen in den Kontext des Systems der hegelschen Rechtsphilosophie, so ergibt sich folgender Zusammenhang: Im defizitären abstrakten Recht, für Hegel die Welt des antiken römischen Rechts, wird der andere als Person anerkannt, und das heisst für Hegel, als reine Selbstbezüglichkeit, gewissermassen als subjektive Identität im Zeithorizont, in völliger Gleichheit mit jedem anderen. Das Pejorative daran ist das Fehlen jeglicher Unterscheidung, etwa jeglicher unterschiedlicher Bedürfnisse, die erst in der „Moralität" unter der Kategorie des „Subjekts" als Errungenschaft der Neuzeit 2 8 präsentiert werden. So erläutert Hegel in § 37: „Die Besonderheit Rechte, sich im andern ihrer selbst bewußt zu seyn, nur insofern der andre als Person, d. i. als atome Einzelnheit, in dieser Identität ist." 23 G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 652: „Die sittliche Gesinnung in diesem Systeme ist daher die Rechtschaffenheit und die Standesehre ... sowie dadurch in seiner Vorstellung und der Vorstellung anderer anerkannt zu seyn." 24 G. W. F: Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 658. 25 G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 668. 26 G. W. F: Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 701. 27 G. W. F: Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 716. 28 H. Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis in europäischer Perspektive, Der Staat 37 (1998), 349ff., 352, Fussnote 6 weist auf Hegels Sicht der Entwicklung „vom Personalismus zum Individualismus" (a.a.O. S. 350) hin. 9*
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des Willens ist wohl Moment des ganzen Bewusstseyns des Willens ..., aber in der abstrakten Persönlichkeit als solcher noch nicht enthalten. Sie ist daher zwar vorhanden, aber als von der Persönlichkeit, der Bestimmung der Freyheit, noch verschieden, Begierde, Bedürfniß, Triebe, zufälliges Belieben u.s. f . " 2 9 und legt dies zeitlich fest: „Das Recht der Besonderheit des Subjects, sich befriedigt zu finden, oder, was dasselbe ist, das Recht der subjectiven Freyheit macht den Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Alterthums und der modernen Zeit" 3 0 . Zur Anerkennung als abstrakte und somit mit allen identische Allgemeinheit im abstrakten Recht kommt in der Moralität also die Anerkennung als konkretes, auch verglichen mit anderen verschiedenes Subjekt. 31 Den Übergang vom einen zum anderen bildet der Verbrecher als der, welcher, freilich auch noch defizitär, seine Besonderheit gegen die Allgemeinheit stellt. Die institutionelle Garantie des Anerkanntseins als Person erhält nun der Einzelne erst in der „Sittlichkeit", in den Institutionen der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft. Soweit dies in den Ständen als „Standesehre" über seine Leistungen zu erfolgen scheint, täuscht dieser Eindruck. Hegel will nur hervorheben, dass bereits die Person in konkreten Kontexten ihre Anerkennung erfährt, 32 greift hier also den traditionellen vorwolffschen statusorientierten Personbegriff 33 in seiner relativen Begründetheit auf. In der Rechtspflege als letztem Element der
29 G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), S. 192. 30 G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), Anmerkung zu § 124, S. 446. 31
Zur wechselseitigen Anerkennung in der Allgemeinheit und in der Besonderheit D. Klesczewski, Die Rolle der Strafe in Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft. Eine systematische Analyse des Verbrechens- und des Strafbegriffs in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1991, S. 32 ff., sowie W. Brugger, Menschenwürde, Menschenrechte, Grundrechte, Baden-Baden 1997, S. 31 ff. 32 G. W. E Hegel, Grundlinien (Fn. 16), § 207, S. 652: „Das Individuum gibt sich nur Wirklichkeit, indem es in das Daseyn überhaupt, somit in die bestimmte Besonderheit tritt
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bürgerlichen Gesellschaft aber gilt dann ausdrücklich der Mensch als Mensch, d.h. auch unabhängig von seinen sozialen Einbindungen. A l l dies betrifft freilich immer noch die Person, jenes Allgemeine, das als „Rechtsfähigkeit", d.h. als Kompetenz zum Innehaben von Rechten, bei allen gleich ist. Erst anschliessend ermöglicht der Staat, jene allgemeinste Institution, die Anerkennung des Subjekts, d.h. des Menschen in seiner je individuellen Besonderheit einschliesslich seiner besonderen Bedürfnisse. Darauf kann sich das gleichmachende Marktgeschehen der bürgerlichen Gesellschaft trotz seiner oberflächlichen Bedürfnisorientierung nie richtig beziehen, hat es doch eine „unendliche Vermehrung der Abhängigkeit und N o t h " 3 4 zur Folge.
IV. „Würde" jenseits der Rechtsphilosophie Anerkennung als Person und Anerkennung als Subjekt, ohne und mit institutioneller Garantie, enthielt natürlich Elemente dessen, was in der kantischen Tradition des Begriffs, in der wir uns auch heute primär bewegen, zentral erscheint. Auch das Pathos begegnet, insbesondere dort, wo von der Unveräusserlichkeit der Person - bei der Kritik der Sklaverei - und vom Menschsein des Juden - bei der Kritik einer Schmälerung von Rechten für Juden - die Rede ist. Und doch fehlt auch einiges, was für die kantische Tradition bezeichnend ist: der Hinweis auf die Vernunft als Grund der Würde, das Element der Selbstzweckhaftigkeit und schliesslich der Begriff der Würde selbst. Von Würde ist erst an einer ganz anderen Stelle die Rede, näm-
33
Dazu W. Schild, Art. „Person" in: J. Ritter/K. Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Basel 1989, S. 322 ff., 324 f. Zu dieser situativen Ausprägung der Person bei Hegel auch Chr. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung. Zur Dogmatik des Art. 1 GG, Tübingen 1997, S. 267. 3 * G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), § 195, S. 644 und §§ 196 ff., S. 644 ff.; § 243, S. 682.
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lieh in Hegels Religionsphilosophie. Dort heisst es: „Würde hat der Mensch nicht dadurch, was er als unmittelbarer Wille ist, sondern nur indem er von einem An- und Fürsichseyenden, einem Substantiellen weiß und diesem seinen natürlichen Willen unterwirft und gemäß macht. Erst durch das Aufheben der natürlichen Unbändigkeit und durch das Wissen, daß ein Allgemeines, An- und Fürsichseyendes, das Wahre sey, erhält er eine Würde und dann ist erst das Leben selbst auch etwas werth". 3 5 Und in der Geschichtsphilosophie heisst es zum Christentum: „Der Mensch, als endlicher für sich betrachtet, ist zugleich auch Ebenbild Gottes und Quell der Unendlichkeit in ihm selbst; er ist Selbstzweck, hat in ihm selbst unendlichen Wert und die Bestimmung zur Ewigkeit". 3 6 „Würde" und „Selbstzweck" erscheinen erst im Verhältnis des Einzelnen zum christlichen Gott - auf zweierlei Weise: in der Unterwerfung unter die - letztlich göttliche - Substantialität und in der Ebenbildlichkeit mit Gott. Beides sind alte Würdebestimmungen, wobei ersteres auch in der kantischen Würdebegründung noch aufscheint. 37 Die Vernunft ist dort jenes Substantielle, das Einordnung verlangt. Auch die Kombination, dass die Ebenbildlichkeit in der Teilhabe an der göttlichen Natur lag und die Würde in der Zurücknahme der individuellen Vorlieben gegenüber der Einordnung in die göttliche Vernunft - auch dies kennzeichnet durchaus schon die mittelalterliche Würdetradition. 38
35 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, 1. Band, 4. Aufl. der Jubiläumsausgabe (zuerst erschienen 1832), Bd. 15, Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, S. 323. 36 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 4. Aufl. der Jubiläumsausgabe (zuerst erschienen 1837), Bd. 11, Stuttgart-Bad Cannstatt 1961, S. 427. 37 Zum Verhältnis von Selbstzweckhaftigkeit und Vernunft I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (zuerst erschienen 1785), Wiesbaden 1956, Bd. IV, S. 58-66. 38 P. Kondylis, Art. „Würde", in O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, 1992, S. 665 ff.; W. Schild, Art. „Würde",
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V. Hegels Sphären der Menschenwürde Indessen wird man sich hüten müssen, Hegel vorschnell mit dem Verdikt eines Rückfalls in „Vorkantisches" zu bedenken und sich unter Umgehung Hegels wieder moderneren Konzepten der Menschenwürde in der Tradition Kants zuzuwenden. Was zunächst die Anerkennung als Person und Subjekt in der Rechtsphilosophie Hegels angeht, so greift Hegel durchaus Elemente des kantischen Verständnisses auf, ordnet sie aber anders und ergänzt sie. Gegenstand des Achtungsgebots sind für Hegel die bei allen identische Selbstbezüglichkeit des auch über die Zeit Identischseins einerseits sowie der eigene Bezug auf die je unterschiedliche Subjektivität andererseits. 39 Grund der Notwendigkeit dieser wechselseitigen Achtung ist die Gewährleistung von Freiheit 40 oder, wie es der jüngere Hegel in ein Bild gekleidet hat, die als Ergebnis des „Kampfs um Anerkennung" erscheinende Vermeidung der Alternative von Naturzustand oder Knechtschaft. 41 So gesehen liegt der von Hegel postulierten Achtungspflicht keine ontologische Gegebenheit und auch nicht Autonomie oder Vernunft zugrunde, die Achtung erheischen, sondern Achtung ist ein praktisch motiviertes Gebot zur Herstellung eines rechtlichen Zustandes. Anders als bei Kant ist diese wechselseitige Achtung der ersten Stufe, die Achtung als Person, als berechtigt zum Innehaben
in: A. Erler/E. Kaufmann/D. Werkmüller, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), V. Bd., Berlin 1998, Sp. 1539 ff. In dieser Tradition auch R. Spaemann, Begriff (Fn. 14). 39 Mitunter werden heute beide Elemente im Begriff der Person als bestimmter sozialer Identität verbunden, vgl. P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, Heidelberg 1987, 815 ff., 839 ff. 40 G. W. F. Hegel, Grundlinien (Fn. 16), § 35, S. 188: „In der Persönlichkeit liegt, dass ich ... mich so als das Unendliche, Allgemeine und Freye weiss." 41 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Edition Moldenhauer/Michel, Frankfurt a.M. 1970, Bd. 3, S. 145ff.
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von Rechten 42 , keine blosse Tugendpflicht, sondern ausdrücklich ein Rechtsgebot. Neben und sogar vor das Gebot der Achtung von einzelnen Rechten tritt so das Rechtsgebot der Achtung jenes Kompetenzzentrums Mensch, auf das die einzelnen Rechte bezogen sind: der „capacity to assert claims", wie Joel Feinberg noch heute „human dignity" definiert. 43 Die im „Subjekt" vorhandene Bedürfnisorientierung ist gleichfalls in Kants Menschenwürdebegriff noch nicht vorhanden. Indem durch sie bei Hegel der Achtungsanspruch auf die Besonderheit, das je Unterschiedliche, Charakteristische ausgedehnt wird, ist bei ihm möglicherweise bereits der Grund gelegt für eine Kritik an der Propagierung objektiver Menschenbilder unter dem Stichwort der wechselseitigen Achtung oder der Menschenwürde. In der rechtlichen Institutionalisierung dieser Achtungsverhältnisse in der „bürgerlichen Gesellschaft" und im „Staat" wird der äussere Nachvollzug des der Person im „abstrakten Recht" und dem Subjekt in der „Moralität" eigenen Selbstbezugs als Rechts-Subjekt bzw. als konkretes Bedürfnis-Subjekt garantiert. In dieser institutionellen Garantie, so betont Hegel, liegt das eigentlich Rechtliche an solchen Achtungsbeziehungen. Freilich, es ist ein äusserer Nachvollzug eines je individuellen Selbstbezugs, und dies bleibt so bis zum Ende der Rechtsphilosophie. Insofern ist, was auch heute nicht selten kritisiert wird, Hegels zweistufige Anerkennungslehre auf der Ebene der Rechtsphilosophie doch eine Subjektphilosophie, keine Philosophie der Intersubjektivität. 44 Das wird sie erst in der Reli42 Zur Rechtsfähigkeit als erster Ausprägung der Würde bei Hegel Ch. Enders, Menschenwürde (Fn. 33), S. 245. 43 J. Feinberg, Rights, justice and the bounds of liberty, Princeton 1980, S. 151. 44 Dazu Κ. Seelmann, Zurechnung als Deutung und Zuschreibung - Hegels „Recht der Objektivität, in: V. Hösle (Hrsg.), Die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus, Hamburg 1989, 101 ff., llOff.
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gionsphilosophie. 45 Hegels dortige Anknüpfung an die ImagoDei-Tradition des Menschenwürdebegriffs ist nämlich keineswegs die Wiedereinsetzung einer heteronom äusserlichen Gebotsautorität. Das religiöse Verhältnis bedeutet für Hegel, etwas verkürzt formuliert, nichts anderes als dass man sich ausdrücklich einer Versteifung auf die individuelle Subjektivität versagt, bedeutet eine Beziehung der Anerkennung gerade als Akt des Verzeihens für verhärtete Subjektivität. 46 Das zu achtende Besondere des „Subjekts" auf der zweiten Stufe rechtlicher Anerkennung zeigt, echt Hegelisch, seine eigene Wahrheit (und das heisst auch: Beschränktheit) im Gegenüberstehen gegenüber dem Allgemeinen. Würde i.e.S. - und, wie gesagt, erst hier taucht bei Hegel dieser Begriff auf - entsteht erst im Vollzug dieses Sich-Zurücknehmens, im Verzeihen und Verziehenwerden. Achtung ist hier in der Religionsphilosophie nicht mehr praktisches Gebot eines äusseren Nachvollzugs des subjektiven Selbstbezugs anderer, Achtung ist hier vielmehr der A k t der Intersubjektivität selbst. Eben dies aber nimmt diese dritte Stufe der wechselseitigen Anerkennung aus der Sphäre des Rechts heraus - darin liegt der Grund für die Behandlung dieser Stufe in der Religionsphilosophie. Sich selbst zurückzunehmen kann als Gebot schon deshalb kein Gegenstand des Rechts sein, weil es als innerer Akt nicht erzwingbar ist und, wäre es gleichwohl erzwungen, nicht Verdienst bleiben kann. Der Gegenstand des Erzwungenen, die Würde als Selbstbeschränkung, ginge gerade durch den Akt des Erzwingens verloren. Was also Würde im engeren und emphatischen Sinn ausmacht, ist als Ergebnis vom Recht nicht 45 G. W. F. Hegel, Phänomenologie (Fn. 41), S. 494: „Das versöhnende Ja, worin beide Ich von ihrem entgegengesetzten Dasein ablassen, ist das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs ... es ist der erscheinende Gott mitten unter ihnen, die sich als das seine Wissen wissen." 46 G. W. F. Hegel, Phänomenologie (Fn. 41), S. 493: „...ein gegenseitiges Anerkennen, welches, der absolute Geist ist." Dazu V. Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Bd. 2, Hamburg 1987, S. 646 ff.
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zu erfassen - damit aber auch nicht die Selbstachtung, die auf dieser Zurücknahme beruht. Kann aber Selbstachtung in einem anderen Kontext gleichwohl zum Gegenstand eines rechtlichen Schutzes werden? Gelegentlich wird in der heutigen Würdediskussion nämlich Würde als etwas bestimmt, das durch Erniedrigung verletzt wird, diese Erniedrigung dann aber definiert als eine Beeinträchtigung der Selbstachtung.47 Erniedrigung als Gegenstand eines möglichen rechtlichen Verbots, mithin als Verstoss gegen ein rechtliches Achtungsgebot, ist denkbar bei Verweigerung der Anerkennung der „Person" als Rechtssubjektivität und des „Subjekts" als besonderen Individuums. Wer also den anderen nicht als frei, d.h. nicht als in der Kompetenz des Innehabens von Rechten gleich oder nicht als besonderes Individuum mit seinen besonderen Bedürfnissen anerkennt, der erniedrigt ihn. Dies ist unabhängig von verletzter Selbstachtung. Selbstachtung kann zur Frage der Würde erst dort werden, wo sie Ergebnis eines eigenen inneren Akts ist. Da, wie gezeigt, dieser A k t nicht Gegenstand des Rechts sein kann, könnte sich das Recht nur auf die Verhinderung der Möglichkeit zu diesem Akt seitens anderer beziehen. Darauf wird gleich zurückzukommen sein. 48 In jedem Fall aber würde eine solche Bestimmung der Erniedrigung durch Verletzung der Selbstachtung nur Hegels dritte Ebene der Würde-Anerkennung betreffen können.
V I . Hegel im Kontext der heutigen Diskussion Wie, so müssen wir fragen, steht Hegels Begriff der Menschenwürde im Verhältnis der heutigen Trias von Leistungstheorie, Mitgifttheorie und Anerkennungstheorie? 49 Auf den 47
Ph. Balzer, K. P. Rippe, P. Schaber, Menschenwürde vs. Würde der Kreatur. Begriffsbestimmung, Gentechnik, Ethikkommissionen, München Freiburg 1998, S. 28. 4 « Vgl. dazu S. 141 ff. 49 Zu dieser Trias H. Hof mann, Menschenwürde (Fn. 4), S. 361 ff.; H. Dreier, Art. 1 (Fn. 2), S. 105, Rn. 41-43.
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Ebenen von „abstraktem Recht" und „Moralität" besteht offenbar keine Abhängigkeit des Achtungsanspruchs von irgendeiner Leistung - und auch in der „bürgerlichen Gesellschaft" und im „Staat" wird der Achtungsanspruch nicht zu einer Leistung in Beziehung gesetzt. Dort aber, wo im emphatischen Sinn von der Würde die Rede ist, in der Religionsphilosophie, steht die Würde im Zusammenhang mit einer Leistung, freilich einer Leistung der Beschränkung, der des Sich-Zurücknehmens. Noch Nietzsche radikalisiert diese Position, wenn er in Polemik gegen einen aus seiner Sicht ausufernden Würdediskurs darauf besteht, Würde habe man nur, wo man zum „Mittel des Genius" werde. 50 Oder, in kleinerer Münze, in der Literatur der Gegenwart, Würde im engeren Sinn ist Ergebnis einer „Selbstkontrolle unter schwierigen Bedingungen". 51 Eine solche Selbstkontrolle ist eine Leistung jenseits der Sphäre des Rechts, jedenfalls wenn der Verlust der Selbstkontrolle nicht andere verletzt. U m eine Leistungstheorie der Menschenwürde scheint es sich also nur in der emphatischen Spitze des Modells zu handeln, dort wo Hegel in der Religionsphilosophie ausdrücklich von „Würde" spricht. Die kann man haben oder nicht haben, je nachdem, ob man sich in der bezeichneten Weise zurücknimmt oder nicht. Auf den unteren Ebenen, denen der „Person" und des „Subjekts", in der „Rechtsphilosophie" also, ist der Achtungsanspruch an keine weitere Voraussetzung geknüpft. Näher könnte Hegels Theorie auf den beiden für ihn rechtlich relevanten Stufen deshalb einer sog. „Mitgifttheorie" der Menschenwürde stehen. Allerdings findet sich bei „Person" und „Subjekt" keine „Mitgifttheorie" in dem Sinn, dass eine Qualität, eine „Seinsgegebenheit" die Menschenwürde ausmache 52 oder ihr vorausgesetzt sei. „Person" und auf dieser Basis
50 F. Nietzsche, Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern, 3. Buch, in: Sämtl. Werke, Krit. Studienausgabe, München 1980, Bd. 1, S. 776. 51 Pk Balzer, , Κ. P. Rippe, P. Schaber, Menschenwürde (Fn. 47), S. 19.
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dann „Subjekt" sein setzt keine Qualität des Objekts der Anerkennung voraus, sondern eine Einsicht bei den anderen: dass nur das einander als frei, gleich und bedürftig Anerkennen den Rechtszustand ermöglicht. In der Religionsphilosophie wird dann zum Thema, dass auch dies noch nicht für gelungene Interaktion ausreicht, sondern dass dafür noch das sich im Verzeihen Zurücknehmen hinzukommen muss. Auf drei Ebenen wird auf Grund verschiedener Einsichten in unterschiedlichen Hinsichten anerkannt. Aber auch eine Anerkennungstheorie der Menschenwürde, eine Theorie, wonach Anerkennung erst Menschenwürde konstituiert, ist Hegels Lehre trotzdem jedenfalls nicht in dem Sinne, dass der A k t des Anerkennens kontingent wäre oder gar, wie Skinner meint, nur die Folge des Fehlens einer wissenschaftlichen Analyse der Handlungsgründe. 53 Anerkennung als „Person" oder „Subjekt" ist eben nach Hegel nötig, will man im Rechtszustand leben. Richtig ist freilich, dass „Person" und „Subjekt" als Elemente des Würdediskurses Resultate des Anerkennungsakts sind und nicht ihm vorausgesetzt. In der Religionsphilosophie stimmt aber auch dies nicht: Würde wird hier nicht zugesprochen, sondern liegt bereits darin, dass man sich zurücknimmt, ist somit identisch mit der geforderten Leistung. Uberblickt man diesen Befund, so liegt die Überlegung nahe, ob nicht Hegels Kategorisierung der Elemente von Menschenwürde Anlass sein könnte, den Erklärungswert der Trias von „Leistungstheorie", „Mitgifttheorie" und „Anerkennungstheorie" zu relativieren. Dass nämlich Würde im emphatischen Sinn Ergebnis einer bestimmten Leistung ist, bedeutet nicht, dass der Schutz der Würde gerade diese Leistung voraussetzt. Im Gegenteil: der Schutz könnte gerade an der Ermöglichung der
52 53
64.
In diesem Sinn kritisch H. Hofmann, Menschenwürde (Fn. 4), S. 364. B. F. Skinner , Jenseits von Freiheit und Würde, Reinbek 1973, S. 50 ff.,
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Leistung ansetzen. Das ist bereits bei „Person" und „Subjekt" so. Wenn in der „Person" die Kompetenz zu Rechtshandlungen geschützt wird, so liegt auch hier der Bezug auf Leistungen vor, aber eben auf die Ermöglichung künftiger Leistungen. Wenn im „Subjekt" die je besondere Entfaltung im Hinblick auf die je besonderen Bedürfnisse geschützt wird, dann ist auch dort Ziel des Schutzes die Ermöglichung einer Leistung. Und selbst auf der dritten Ebene, bei der Würde im emphatischen Sinn, könnte ein Ort für das Recht sein, nämlich dort, wo die Möglichkeit der Leistung des Sich-Zurücknehmens in der Interaktion, des sich in den Gesamtzusammenhang auf seine bestimmte Weise Einbringens und Einordnens, geschützt wird. Auf allen drei Ebenen Hesse sich also bei Hegel von einer „Leistungsermöglichungstheorie" der Würde sprechen und es ist schwer vorstellbar, wie Recht sich überhaupt anders auf Würde beziehen könnte als in diesem Sinn einer Ermöglichung bestimmter Leistungen. Ob man den Grund dafür, dass diese Leistungen ermöglicht werden sollten, in menschlichen Wesenseigenschaften sucht oder, wie bei Hegel, in gut begründbaren sozialen Notwendigkeiten, muss dann immer noch entschieden werden, m.a.W. die „Leistungstheorie" steht nicht notwendig in einer Alternative zur „Mitgifttheorie". U m Anerkennung geht es sodann in all diesen Fällen: rechtlicher Schutz von Würde besteht in der Verpflichtung zur Anerkennung bestimmter Möglichkeiten von Leistung: der Leistung des Wahrnehmens von Rechten, der Leistung der Entwicklung von Individualität und der Leistung des Sich-Einordnens in den Prozess der Interaktion. Folgt man diesen Überlegungen, so liegen freilich zwei Fragen nahe: Wie soll speziell die dritte Leistung, die der Einordnung in Interaktion, rechtlich gewährleistet werden? Und grenzt man durch eine solche Orientierung des Würdeschutzes an der Leistungsmöglichkeit nicht wieder geistig Behinderte und psychisch Kranke aus dem Würdeschutz aus?
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Hegel selbst schien der Schutz der Würde im emphatischen Sinn noch kein notwendiger Gegenstand des Rechts zu sein. Mag sein, dass tatsächlich erst viel später der „totale" Staat „hinterlistig in die Regie der Würde eingedrungen" 54 ist, indem er die (freiwillige) Einordnung in Interaktionszusammenhänge z.B. als (scheinbar) „freiwilligen" Arbeitseinsatz oder als Schuldbekenntnis vor Gericht 55 für staatliche Zwecke funktionalisiert hat. Damit hätte er dann die persönliche Leistung der Einordnung in die Interaktion (Luhmanns Begriff der „Selbstdarstellung" erscheint mir hier zu eng) gerade dadurch sich untergeordnet, dass er sie perfiderweise in der äusseren Erscheinung noch als durch ihn ungesteuert ausgab. Das Aufkommen eines neuartigen Würdediskurses nach 1945 hat vielleicht auch darin seinen Grund. Der rechtliche Schutz auf dieser dritten Ebene von Würde könnte dann auch nur darin bestehen, solche und ähnliche, insbesondere staatliche Eingriffe in die Wahrhaftigkeit der Interaktionsleistung zu verhindern. Mit dem Schutz geistig Behinderter und psychisch Kranker entsteht bei einem Abstellen auf die Möglichkeit von Leistung keine Schwierigkeit. Sie würden wie alle anderen als Rechtssubjekte und Bedürfnissubjekte und auch in ihren jeweiligen Möglichkeiten der Interaktion geschützt. Die Möglichkeiten solcher Leistungen zu schützen heisst ja keineswegs, bestimmte Leistungen für den Würdeschutz vorauszusetzen. Können auch andere neu eingebrachte Aspekte von Menschenwürde, nämlich Menschenwürde als sich Einordnen in Natur oder Menschenwürde als Achtung menschlicher Kontingenz bei Hegel gefunden werden? Wohl eher nur indirekt. Hegels Menschenwürdebegriff hat auf der Ebene der Religionsphilosophie etwas mit Sich-Einordnen zu tun, allerdings nicht direkt in Natur oder Kontingenz, sondern in die Interaktion
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N. Luhmann, Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, Berlin 1965, S. 13. 55 N. Luhmann, Grundrechte (Fn. 54).
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unter Zurücknahme von Verhärtungen der besonderen Subjektivität. Im Sinne einer Einschränkung des je individuellen Bestimmens seiner selbst mag dies dann durchaus auch einmal zum Geltenlassen der Natur und der Kontingenz führen, aber kaum wohl im Sinne jenes naturalistischen Fehlschlusses56, wie man ihm insbesondere in der aktuellen Bioethik manchmal begegnet, schon gar nicht als Anordnung rechtlich verbindlicher Menschenbilder. Fragen wir schliesslich nach Hegels Verhältnis zu den zu Beginn angesprochenen Paradoxien im Gefolge des kantischen Menschenwürdeverständnisses: Selbstobjektivierung als Resultat von Selbstbestimmung ist für Hegels Menschenwürdebegriff kein Thema, weil für ihn Menschenwürde nicht aus Selbstbestimmung resultiert. Auch die Mutation des Achtungsanspruchs in ein Gebot zur Wahrung eines bestimmten Menschenbildes belastet Hegels Menschenwürdebegriff nicht, würde dies doch die Orientierung an bestimmten Gattungsmerkmalen als Grundlage für Menschenwürde voraussetzen. Dies vermeidet Hegel und bringt „Person", „Subjekt" und Würde nicht in ein Voraussetzungsverhältnis zur Vernunft. Anders als in der Lockeschen Art der Säkularisierung des Imago-Dei-Konzepts, die letztlich Kant übernommen hat und die als Voraussetzung für Menschenwürde auf menschliche „faculties" wie die Vernunftbegabung abstellt 57 , beruft sich Hegel eben nicht auf Gattungsmerkmale. Und schliesslich braucht Hegel weder der Anerkennung vorausliegende ontologische Gegebenheiten noch ist der A k t der Anerkennung bei ihm kontingent.
56 Dazu U. Neumann, Würde (Fn. 2), 148. /. Locke , Two Treatises of Civil Government (zuerst erschienen 1690), London/New York 1970, book II, ch. II 6 S. 120: „And, being furnished with like faculties, sharing all in one community of Nature, there cannot be supposed any such subordination among us that may authorise us to destroy one another, ...". Den Hinweis auf Locke verdanke ich George Fletcher. 57
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V I I . Zusammenfassung In Hegels Philosophie gibt es drei Ebenen, auf denen das Thema Menschenwürde angesprochen wird. Die Menschen haben Würde in der Anerkennung als gleiche „Personen", d.h. als gleiche Kompetenzzentren für das Innehaben von Rechten, in der wechselseitigen Anerkennung als ungleiche Bedürfnissubjekte und schliesslich in der wechselseitigen verzeihenden Anerkennung eines unendlichen Werts des anderen, die für den Anerkennenden identisch ist mit einer Selbstzurücknahme und Einordnung in einen substantiellen Gesamtbezugsrahmen, in ein Interaktionsverhältnis. Die beiden ersten Ebenen, bei Kant noch beide Gegenstände der Tugendlehre und nicht der Rechtslehre, sind für Hegel Rechtsgebote, die Achtung der „Person" insgesamt, die Achtung der Bedürftigkeit in bestimmten Grenzen. Die dritte Ebene, die der Würde im emphatischen Sinn, ist für Hegel eine Angelegenheit der Religionsphilosophie. Systematisch ergibt sich für Hegel die jeweils höhere Ebene aus Defiziten der vorausgehenden: Die Anerkennung als Bedürfnissubjekt daraus, dass die Anerkennung als „Person" das Individuum erfassen will, aber dies mangels inhaltlicher Differenzierung nicht kann, die Selbstbeschränkung als eigentliche Grundlage der Würde daraus, dass die Anerkennung als Bedürfnissubjekt in ihrer Überschätzung des Subjektiv-Besonderen dieses zum Allgemein-Verbindlichen erklärt und so die der konkreten Subjektivität zugrunde liegende Intersubjektivität verfehlt. In die Trias von „Leistungstheorie", „Mitgifttheorie" und „Anerkennungstheorie" der Menschenwürde kann man Hegel nur schwer einordnen. A m ehesten lässt sich seine Konzeption der Menschenwürde als eine Orientierung am Schutz der Ermöglichung von Leistungen - und nicht etwa als Honorierung von erfolgten Leistungen - begreifen. Wechselseitige Anerkennung ist dabei Grundlage der Würde und zugleich Konsequenz aus der Option für einen rechtlich geordneten
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Zustand. Die Schutzproblematik und damit die rechtliche Dimension auf der dritten Ebene, der von Würde im emphatischen Sinn, hat bei Hegel noch keine Bedeutung.
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Teilnehmerliste Becker, Joseph, Prof. Dr. Dr. h.c., Präsident a.D. der Universität Augsburg Becker, Stephan, Dr., Wissenschaftsverwaltung Berlin Becker, Ulrich, Dr., Rechtsanwalt, Berlin Birk, Rolf, Prof. Dr., Fachbereich Rechtswissenschaften, Universität Trier Blankenagel, Alexander, Prof. Dr., Juristische Fakultät, HumboldtUniversität zu Berlin Brandis, Cord, Dr., Rechtsanwalt, Nürnberg Denninger, Erhard, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Universität Frankfurt a.M. Dreier, Horst, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Universität Würzburg Daso, Giuseppe, Prof. Dr., Dipartimento di filosofia, Universität Padova Gender , Dietrich, Dr., Oberstaatsanwalt, Würzburg Grieser, Ariane, Stud. Mitarbeiterin, Humboldt-Universität zu Berlin Häberle, Peter, Prof. Dr. Dr. h. c., Juristische Fakultät, Universität Bayreuth Hager, Johannes, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin Herbsty Tobias, Wiss. Mitarbeiter, Humboldt-Universität zu Berlin Hollerbach, Alexander, Prof. Dr., Seminar für Rechtsphilosophie, Universität Freiburg/Br.
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Teilnehmerliste
IrrlitZy Gerd, Prof. Dr., Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin Jasper, Gotthard, Prof. Dr., Rektor der Universität ErlangenNürnberg Kraft,
Ingo, Dr., Richter am Verwaltungsgericht Ansbach
Lange, Klaus, Prof. Dr., Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Glessen Lecheler> Helmut, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Freie Universität Berlin Llano del , Cristina Hermida, Profesora de Filosofia del Derecho, Universität Autònoma Madrid Lopez Pina , Antonio, Prof. Dr., Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Complutense Universität Madrid Mehring, Reinhard, Dr., Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin Meier, Heinrich, Dr., Geschäftsführer der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, München Meyer, Hans, Prof. Dr., Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin Osterkamp, Ernst, Prof. Dr., Philosophische Fakultät II, Humboldt-Universität zu Berlin Osterkamp, Thomas, Wiss. Mitarbeiter, Humboldt-Universität zu Berlin Preuß y Ulrich K., Prof. Dr., Otto-Suhr-Institut, Freie Universität Berlin Rebhahn, Robert, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin Roellecke, Gerd, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Universität Mannheim Rossi , Simona, Dr., Universität Bremen RotscholU Edith, Humboldt-Universität zu Berlin
Teilnehmerliste
Saeger, Anica, Stud. Mitarbeiterin, Berlin
Humboldt-Universität
zu
Scheuing, Dieter H., Prof. Dr., Juristische Fakultät, Universität Würzburg Schlink, Bernhard, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin Schmidt-Aßmann, Eberhard, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Universität Heidelberg Schröder, Berlin
Almut, Wiss. Mitarbeiterin, Humboldt-Universität zu
Seelmann, Kurt, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Universität Basel Siehr y Angelika, LL. M. (Yale), Rechtsanwältin, Kiel Simon, Dieter, Prof. Dr., Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin Simon, Norbert, Prof. Dr. h.c., Inhaber des Verlags Duncker & Humblot, Berlin Wahl, Rainer, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Unversität Freiburg Wiedemann , Conrad, Prof. Dr., Fachbereich Kommunikationsund Geschichtswissenschaften, Technische Universität Berlin Will, Rosemarie, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin Willoweit, Dietmar, Prof. Dr., Juristische Fakultät, Universität Würzburg Ztileeg, Manfred, Prof. Dr., Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Frankfurt a. M.